Odious Debts: Status quo und Regelungsmodell unter besonderer Berücksichtigung internationaler Menschenrechte [1 ed.] 9783428545520, 9783428145522

Staatsschulden, die entgegen den Interessen der Bevölkerung verwendet werden, werfen eine Vielzahl bisher ungelöster mor

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Odious Debts: Status quo und Regelungsmodell unter besonderer Berücksichtigung internationaler Menschenrechte [1 ed.]
 9783428545520, 9783428145522

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Schriften zum Völkerrecht Band 212

Odious Debts Status quo und Regelungsmodell unter besonderer Berücksichtigung internationaler Menschenrechte

Von

Friedrich Benjamin Schneider

Duncker & Humblot · Berlin

FRIEDRICH BENJAMIN SCHNEIDER

Odious Debts

Schriften zum Völkerrecht Band 212

Odious Debts Status quo und Regelungsmodell unter besonderer Berücksichtigung internationaler Menschenrechte

Von

Friedrich Benjamin Schneider

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-14552-2 (Print) ISBN 978-3-428-54552-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84552-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Zum Gelingen der vorliegenden Arbeit, die 2014 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen und vor Drucklegung weitestgehend aktualisiert wurde, haben zahlreiche Personen beigetragen: In besonderer Weise danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Christoph G. Paulus, LL.M. Mit seiner Begeisterung für das Thema, seiner Aufgeschlossenheit für fachliche Gespräche und durch die angenehme persönliche Atmosphäre an seinem Lehrstuhl hat er das Projekt wesentlich gefördert. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Christian Tomuschat, der mir als Zweitgutachter wertvolle Anregungen mit auf den Weg gegeben hat. Herzlich danken möchte ich allen Menschen, die mich auf dem Weg zur Fertigstellung dieser Arbeit in zahlreichen Diskussionen konstruktiv und kritisch begleitet haben, insbesondere Herrn Priv.-Doz. Dr. Dirk Hanschel, meinen Lehrstuhlkollegen und meinen Freunden. Dankbar bin ich Herrn Prof. Dr. Torsten Stein für seine Unterstützung und Förderung. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat mir durch ein Promotionsstipendium die nötige finanzielle und persönliche Freiheit zur Umsetzung meines Projekts sowie das Kennenlernen vieler faszinierender Menschen ermöglicht. Dafür möchte ich ihr herzlich danken, wie auch der MathewsStiftung im Förderfonds des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft für die Unterstützung bei den Druckkosten. Tiefe Dankbarkeit gilt den Menschen, die immer für mich da sind und mich jederzeit in vielfältiger Weise dabei unterstützt haben, meinen Weg zu gehen: besonders meinen Eltern, meinem Bruder, meinem Großvater und meiner Familie. Meiner Mutter danke ich herzlich für ihr begleitendes Lektorat. In Liebe und Dankbarkeit bin ich meiner Frau und meinen Kindern verbunden, die mich in allen Phasen meiner Arbeit ermutigt und erheitert haben. Ihnen allen ist diese Arbeit gewidmet. Hamburg, im Oktober 2014

Friedrich Benjamin Schneider

Inhaltsübersicht Einleitung und Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kapitel 1

Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts 23

A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Verwandte Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 C. Argumente für und gegen die Geltung der Odious-Debts-Doktrin . . . . . . . . 59 Kapitel 2

Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin 77

A. Maßgebliche Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und bei Korruption?  . 83 C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession und Regierungswechsel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin? . . . 121 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Kapitel 3

Annäherung an ein Lösungsmodell 227

A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 B. Wiederkehrende Probleme und Rahmenpunkte für ein eigenes Lösungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

8 Inhaltsübersicht Kapitel 4

Die International Convention on the Prevention of Odious Agreements als menschenrechtsbasiertes Modell zur Verhinderung odiöser Schulden 311

A. Grundzüge des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig . . . . . . . . . . . 313 C. Wirksame Vertragsschlüsse mit als Odious-Debts-verdächtig klassifizierten Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 D. Institutionelle und prozedurale Ausgestaltung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 E. Umsetzung des Modells und Implementierung in das nationale Recht . . . . 380 F. Zusammenfassung des Lösungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 Kapitel 5

Zusammenfassung und Konventionsentwurf 390

A. Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 B. Konventionsentwurf: „International Convention on the Prevention of Odious Agreements“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 English Summary. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Kapitel 1

Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts 23

A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . 23 I. Odious Debts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Die Klassifizierung von Sack . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Aus dem Werk Sacks abzuleitende Klassifizierungen und Bedeutung für die Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Odious Debts heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Odious Debts auf der wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Agenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Wachsende rechtliche Relevanz der Problematik . . . . . . . . . . . . 34 II. Reichweite des Begriffs Staatsschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Beteiligte auf Schuldnerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Beteiligte auf Gläubigerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Nichtöffentliche Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Öffentliche Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 aa) Maßgebliche Interessen öffentlicher Gläubiger . . . . . . . . . . 43 bb) Abweichung von Form und Substanz in zwischenstaatlichen Kreditverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) Bedeutung der Unterscheidung für die vorliegende Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Verwandte Problemstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Illegitime Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Schuldenerlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Staateninsolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 IV. Verantwortliche Kreditvergabe und Gläubigermitverantwortung . . . . . 54 V. Weitere Gebiete  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 C. Argumente für und gegen die Geltung der Odious-Debts-Doktrin . . . . 59 I. Ethische, philosophische und politische Überlegungen . . . . . . . . . . . . 60 1. Fairness und Gerechtigkeitsempfinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

10 Inhaltsverzeichnis 2. Legitimation staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Auswirkungen für die Bevölkerung der Schuldnerstaaten  . . . . . . . 62 4. Fragwürdigkeit einer globalen Anerkennung der Rechtsfigur . . . . . 63 a) Unterbindung wirtschaftlich motivierter Kreditvergabe . . . . . . . 64 b) Unterbindung sonstiger Kreditvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Sinnhaftigkeit einer Odious-Debts-Doktrin bei fehlender ­Abschreckungswirkung vor dem Regimewechsel . . . . . . . . . . . . 66 5. Stabilisierung despotischer Regime durch Gläubiger odiöser Schulden und stärkere Bindung an skrupellose Gläubiger . . . . . . . 67 II. Rechtliche Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Pacta sunt servanda und Durchbrechungen des Grundsatzes . . . . . 69 2. Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Ökonomische Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Fungibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2. Auswirkungen auf den Kreditverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Ökonomische Haftungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 IV. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Kapitel 2

Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin 77

A. Maßgebliche Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 III. Allgemeine Rechtsgrundsätze und nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . 82 B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und bei Korruption? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 I. Völkerrechtliche Wirksamkeit des Handelns undemokratischer Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Die Auswirkung von Korruption auf die Wirksamkeit von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession und Regierungswechsel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I. Staatennachfolge und Regierungswechsel – Grundbegriffe . . . . . . . . . 95 II. Das Schicksal von Schulden im Fall der Staatensukzession . . . . . . . . 97 1. Staatsschulden gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten . . . . . . . . 97 a) Aus der Wiener Konvention über Staatennachfolge in völker­rechtliche Verträge abzuleitendes Gewohnheitsrecht . . 98 aa) Anwendbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 bb) Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) Nachfolge im Verhältnis zu internationalen Organisationen . 102 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Inhaltsverzeichnis11 b) Aus der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden abzuleitendes Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Anwendungsbereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Regeln im Anwendungsbereich der Konvention . . . . . . . . . 104 cc) Sonderfall: Verbindlichkeiten gegenüber Internationalen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Sonstige Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Staatsschulden gegenüber Privaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Sonderfall: Nachfolge in Verpflichtungen aus Staatenverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 III. Das Schicksal von Schulden im Fall von Regierungs- und Regimewechseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 IV. Kündigung odiöser Verträge durch die Nachfolgeregierung aufgrund der clausula rebus sic stantibus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 V. Zwischenergebnis und Bedeutung für die Untersuchung . . . . . . . . . . . 120 D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin? . 121 I. Fehlende Wirksamkeit, Übertragbarkeit oder Durchsetzbarkeit von Odious Debts wegen Verstoßes gegen Menschenrechte? . . . . . . . . . . . 122 1. Nichtigkeit von Verbindlichkeiten wegen Verstoßes gegen zwingende Normen des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Anwendbarkeit der Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Widerspruch zu einer zwingenden Norm des Völkerrechts . . . . 125 c) Verfahren bei Nichtigkeit wegen einer ius-cogens-Verletzung . . 129 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Zahlungsverweigerung wegen Beteiligung des Gläubigers an ­Menschenrechtsverletzungen durch den Schuldnerstaat . . . . . . . 130 a) Extraterritorialität und Zurechenbarkeit des Handelns des Schuldnerstaates gegenüber dem Gläubigerstaat . . . . . . . . . 131 b) Menschenrechtsverpflichtung international agierender Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Menschenrechtsbindung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Verantwortlichkeit von Staaten für die Verletzung von ­Menschenrechten durch in ihnen ansässige Unternehmen . . 138 c) Mangelnde Ratifikation internationaler Menschenrechtsverträge durch den Schuldnerstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 d) Rechtsfolge einer Rechtsverletzung durch den Gläubiger . . . . . 140 aa) Inhaberschaft des Reparationsanspruches und venire contra factum proprium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung der Völker als Durchbrechung der dargestellten Prinzipien? . . . . . . . . . 142 cc) Besonderheiten bei Beteiligung privater Unternehmen . . . . 146 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

12 Inhaltsverzeichnis

II.

3. Verletzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte durch die Eingehung oder Rückforderung von Schulden . . . . . . . . . . . . . 147 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin im Völkergewohnheitsrecht  . 151 1. Anerkennung im Rahmen der Wiener Konvention über das Recht der Staatennachfolge in Staatsvermögen, ‑archive und ‑schulden  . 151 2. Aus der bisherigen Staatenpraxis abzuleitendes Völkergewohn­ heitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Bisherige Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Als war debts zu klassifizierende Schulden. . . . . . . . . . . . . 155 (1) Friedensverträge des 17., 18. und 19. Jahrhunderts . . 155 (2) Zurückweisung von Schulden aus dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) . . . . . . . . . . 156 (3) Der Burenkrieg (1899–1902) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (4) Friedensverträge zur Beendigung des Ersten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (5) Intervention der Mittelmächte in Russland und russischer Bürgerkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 (6) Deutsch-Ostafrika (Reichsgericht 1924) . . . . . . . . . . . 162 (7) Umgang mit Schulden im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 (8) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 bb) Andere Arten von Odious Debts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Nichtübernahme habsburgischer Schulden durch Mexiko (1867) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (2) Zurückweisung von Schulden aus der Zeit der „Reconstruction“ durch die Südstaaten nach 1877 . . . 166 (3) Zurückweisung kubanischer Schulden durch die USA (1898) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (4) Jarvis-Fall (1903) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (5) Kosten der „Germanisierung“ Polens und Lösung im Vertrag von Versailles (1919) . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (6) Deutsche Schutzgebietsanleihen 1908–1911 und Lösung auf Grundlage des Vertrages von Versailles . . 174 (7) Tinoco-Schiedsspruch (1923).über die Zurückweisung der Schulden Costa Ricas von 1919 . . . . . . . . . . . . . . 175 (8) Zahlungsverweigerung des Deutschen Reiches nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland (1938) . . 179 (9) Schulden aus der Zeit der niederländischen Intervention in Indonesien 1945–1949 . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (10) Chinas Zahlungsverweigerung für HuguangRailway-Bonds (1949) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (11) Unabhängigkeit Algeriens und durch Frankreich ­eingegangene Schulden (1962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Inhaltsverzeichnis13 (12) Ende des südafrikanischen Apartheidsregimes und Umgang mit den Apartheids-Schulden (1994) . . . . . . 184 (13) Verhalten Argentiniens hinsichtlich der auf die Militärdiktatur zurückgehenden Schulden (ab 1980er Jahre) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (14) Entscheidungen des Iran – United States Claims Tribunal (1996 / 1948 und 1985 / 1979) . . . . . . . . . . . . 188 (15) Aus dem Verkauf von deutschen Kriegsschiffen an Indonesien resultierende Schulden (1992) . . . . . . . 192 (16) Umgang mit irakischen Schulden nach 2003 . . . . . . . 192 (17) Nigerias Schuldenerlass 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (18) Annullierung von Schiffskrediten durch Norwegen (2006) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (19) Belgische Senatsinitiative zur Überprüfung odiöser Schulden (2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 (20) Zahlungsausfall Ecuadors (2008) . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (21) Arabischer Frühling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 (a) Resolution 2011 / 2113(INII) des Europäischen ­Parlamentes vom 10. Mai 2012 . . . . . . . . . . . . . . 204 (b) Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (c) Tunesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (d) Weitere Staaten und Zusammenfassung . . . . . . . . 206 (22) Griechenland und europäische Schuldenkrise . . . . . . . 206 (23) Naheliegende Anwendungsfälle der Odious-DebtsDoktrin, die nicht als solche behandelt wurden . . . . . 207 b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 III. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Wirksamkeit von Odious Debts im Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Missbrauch der Vertretungsmacht und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . 212 a) Allgemeine Regeln des Vertretungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 aa) Grundsätze der §§ 164 ff. BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 bb) Übertragbarkeit der Regeln auf Staatsschulden . . . . . . . . . . 213 b) Gesellschaftsrechtliche Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Grundregeln der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Übertragbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Regeln auf Staatsschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Durchgriffshaftung / Piercing the corporate veil . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Treu und Glauben, Sittenwidrigkeit, clean hands und verwandte Rechtsfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

14 Inhaltsverzeichnis Kapitel 3

Annäherung an ein Lösungsmodell 227

A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. Auf einzelne Transaktionen abstellende Modelle und Definitionen . . . 228 1. Die Definition nach Sack und ihre Fortentwicklung . . . . . . . . . . . . 228 a) Die Sack’sche Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 b) Abwandlung nach King . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 aa) Grundsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Die Einrichtung von ad-hoc-Gerichten und Debt Audits . . . . . . 233 2. Definitionsvorschlag von Bedjaoui . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Modelle, die auf eine Änderung des die Schuld begründenden Vertrages abstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Ergänzung der Anleihebedingungen nach Gentile . . . . . . . . . . . 237 b) Feibelmans Vertragsklauselmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 aa) Lösungsvorschlag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4. Privatrechtliche Unwirksamkeit odiöser Schulden . . . . . . . . . . . . . . 242 5. Fallgruppenbildung nach Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Das Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Bewertung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 6. Lösung im Rahmen des Paris Clubs nach Bonilla . . . . . . . . . . . . . 247 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Das maßgebliche Abstellen auf verantwortliche und transparente ­Kreditvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 1. Partial-Liability Framework nach Ben-Shahar und Gulati . . . . . . . 249 2. Publish what you lend und Anti-Korruptionsmaßnahmen . . . . . . . . 250 3. Die New Approach Odious Debts Doctrine nach Wong . . . . . . . . . 251 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 III. Modelle, die im Schwerpunkt auf das Schuldnerregime abstellen . . . 254 1. Das Kreditsanktionsmodell nach Jayachandran, Kremer und Shafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Das Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Bewertung des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 2. Alternativvorschlag von King . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Auf dem Kreditsanktionsmodell aufbauende Lösungsvorschläge . . 262 a) Odious Regimes nach Bolton und Skeel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Center for Global Development – Preventing Odious Obligations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 c) Das „Democracy Panel“ nach Pogge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 d) Weitere Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

Inhaltsverzeichnis15 4. Odious Expenditures nach Lewis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 IV. Zusammenfassung der Analyse der Lösungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . 273 B. Wiederkehrende Probleme und Rahmenpunkte für ein eigenes Lösungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 I. Anwendungsbereich einer Odious-Debts-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 1. Arten von Schulden im Anwendungsbereich der Doktrin ­(Anwendungsbereich ratione materiae) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Weiter Schuldenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Anwendung auf deliktische Schulden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2. Anwendungsbereich eines Lösungsmodells ratione temporis . . . . . 277 3. Anknüpfung an einen Staaten- bzw. Regimewechsel? . . . . . . . . . . . 280 4. Anknüpfung an überschuldete Staaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 II. Zustimmung, Nutzen und Kenntnis: Problematische Aspekte der klassischen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Zustimmung und demokratische Legitimation als Kriterium?  . . . . 281 2. Benefit – was nützt der Bevölkerung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 3. Gläubigerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 III. Odiöse Schulden, odiöse Regime und Kreditvergabe an despotische Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 IV. Institutionelle Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 V. Restrukturierung, Umschuldung und „Kreditwäsche“ . . . . . . . . . . . . . . 297 VI. Globale Umsetzbarkeit und Legitimität der Odious-Debts-Doktrin . . . 299 VII. Rechtsfolge der Odious-Debts-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 1. Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder Einrede? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2. Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung odiöser Verträge? . . . . . . 302 3. Einbeziehung bereits erfüllter Verträge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 VIII. Zwischenergebnis: Rahmenpunkte für ein eigenes Lösungsmodell . . . 308 Kapitel 4

Die International Convention on the Prevention of Odious Agreements als menschenrechtsbasiertes Modell zur Verhinderung odiöser Schulden 311

A. Grundzüge des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig . . . . . . . . 313 I. Verletzung von Menschenrechten oder des humanitären Völkerrechts als Entscheidungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Universelle Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht als geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Odious-Debts-Doktrin  . 314 a) Universalität und Bedeutung internationaler Menschenrechte . . 314 b) Objektivität internationaler Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 318

16 Inhaltsverzeichnis c) Internationale Menschenrechte als differenzierte Maßstäbe . . . . 319 d) Einbeziehung humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 2. Geeignete Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 a) Internationale Kernkonventionen zum Schutz von Menschen­rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 b) Kernübereinkommen des humanitären Völkerrechts . . . . . . . . . 326 c) Kernkonventionen auch als Maßstab für menschenrechtskritische bis offenkundig menschenrechtsfeindliche Regime? . . 327 d) Ergänzende Einbeziehung von Völkergewohnheitsrecht . . . . . . 330 3. Schwerwiegende und systematische Verletzungen von Menschen­ rechten und humanitärem Völkerrecht als Maßstab für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 a) Qualitatives Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Quantitatives Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 c) Subjektives / intentionales Element . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 4. Beurteilungskriterien für das Vorliegen schwerwiegender und ­systematischer Verletzungen der Kernkonventionen . . . . . . . . . . . . 335 a) Im Rahmen der Konventionen erstellte Berichte . . . . . . . . . . . . 336 b) Berichte und Verfahren anderer zwischenstaatlicher Gremien . . 339 c) Berichte von Nichtregierungsorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . 342 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 5. Zusammenfassung: Schwerwiegende und systematische Verletzungen von Menschenrechten oder des humanitären Völkerrechts als Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 II. Korruption im öffentlichen Sektor als Entscheidungskriterium . . . . . . 343 1. Die Definition von Korruption für das Lösungsmodell . . . . . . . . . . 344 2. Die Relevanz von Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 3. Schwerwiegende und systemische Korruption im öffentlichen Sektor als Klassifizierungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 4. Beurteilungskriterien für das Vorliegen schwerwiegender und systemischer Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 5. Zusammenfassung: Schwerwiegende und systemische Korruption des öffentlichen Sektors als Entscheidungsgrundlage . . . . . . . . . . . 349 III. Ausreichender Anwendungsbereich des Lösungsmodells? . . . . . . . . . . 350 C. Wirksame Vertragsschlüsse mit als Odious-Debts-verdächtig klassifizierten Regimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 I. Grundlegendes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 II. Die Definition von nützlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 1. Grundzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 2. Aspekte für die Beurteilung des Nutzens im Einzelfall . . . . . . . . . 354 a) Inhalt und Zweck des einzelnen Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Natur des Schuldnerstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Inhaltsverzeichnis17 c) Bisheriges Verhalten des Schuldnerstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 d) Maß der Überprüfbarkeit der Mittelverwendung . . . . . . . . . . . . 356 e) Begleitumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 f) Gläubigerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 III. Umsetzung und Überprüfung: Odious-Debts-spezifische verantwortliche Kontrahierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 1. Aufnahme der Zweckbestimmung in den Vertrag und Kündigungsklausel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 2. Überprüfung der Mittelverwendung und Vertragsgestaltung . . . . . . 358 a) Bestehende Überprüfungspraxis als Ansatzpunkt . . . . . . . . . . . . 359 aa) Überwachung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 bb) Äquatorprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 b) Ausgestaltung einer verantwortlichen Kontrahierung mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 aa) Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 bb) Überprüfung der Mittelverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 3. Gerichtliche Überprüfung nützlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 4. Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 D. Institutionelle und prozedurale Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 I. Das Committee on the Prevention of Odious Obligations (CPOA) als mit der Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig betraute Institution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 1. Grundsätzliches: Das CPOA und seine beiden Unterausschüsse . . 371 2. Besetzung und Auswahl der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 a) Mitglieder des Sub-Committee on Human Rights and Humanitarian Law (CPOA-HR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 b) Mitglieder des Sub-Committee on Corruption (CPOA-CO) . . . 375 3. Beschlussfassung innerhalb des CPOA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 4. Sekretariat und Budget . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 II. Prozedurales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 1. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 2. Registrierung von Verträgen beim CPOA  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 III. Vetoklausel im Interesse der Konventionsstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . 379 E. Umsetzung des Modells und Implementierung in das nationale Recht  . 380 I. ICPOA – Abschluss und Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 II. Pflichten in der Konvention und Umsetzung ins nationale Recht . . . . 382 III. Verletzung von Völkerrecht durch die Anwendung des Lösungsmodells? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 F. Zusammenfassung des Lösungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

18 Inhaltsverzeichnis Kapitel 5

Zusammenfassung und Konventionsentwurf 390

A. Ergebnisse der Untersuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 I. Grundlegendes zur Figur der odiösen Schulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 II. Der rechtliche Status der Odious-Debts-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 III. Annäherung an ein Lösungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 IV. Die International Convention on the Prevention of Odious Agreements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 B. Konventionsentwurf: „International Convention on the Prevention of Odious Agreements“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 English Summary. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440

Einleitung und Gang der Untersuchung „International debtor-creditor relations are a lot like street football: there is a lot of shouting, the rules are never quite clear, and at the end of the day it’s goals that count.“1 „[T]he arc of the moral universe is long, but it bends toward justice.“2

Alle Staaten dieser Welt gehen Schulden ein, um öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Die Legitimität von Staatsschulden, die die steuerpflichtige Bevölkerung über Jahrzehnte hin belasten können, wird selten in Frage gestellt, wenn damit öffentliche Belange wie etwa das Gesundheitswesen oder der Straßenbau finanziert werden sollen. Finanzmittel aus Anleihen oder Kreditverträgen können aber auch verwendet werden, um Milizen mit den zur Unterdrückung Oppositioneller notwendigen Waffen auszustatten, um die staatliche Propagandamaschinerie zu finanzieren oder um das Staatsoberhaupt persönlich zu bereichern. Spätestens nach dem Abtreten des alten Regimes stellen die neuen Bevölkerungsvertreter die berechtigte Frage, ob sie vorhandene Gelder, die sie so dringend für den Aufbau eines neuen, idealerweise demokratischen Staates benötigen, in die Hände ausländischer Investoren geben müssen, die mit dem alten Regime paktierten. Handelt es sich nicht vielmehr um moralisch illegitime, verwerfliche, odiöse Schulden? Nicht nur die moralische, sondern auch die rechtliche Legitimität solcher Schulden stellen Verfechter der Odious-Debts-Doktrin in Frage und argumentieren, Verbindlichkeiten, die dem Bevölkerungsinteresse zuwider laufen, seien rechtlich unwirksam (zu den Begrifflichkeiten genauer unten, Kapitel 1 A.I.). Die Beispiele für bevölkerungswidrige Schulden sind zahlreich. So lieferte 1984 die deutsche Karl Kolb GmbH an den Irak Laborausstattungen, die für die Entwicklung von Pestiziden bestimmt waren.3 Die Gegenleistung betrug ca. 1 Million USD, welche dem Irak als Kredit zur Verfügung gestellt wurden.4 Mutmaßlich wurden die Laborgeräte Teil des irakischen Programmes zur Herstellung von chemischen Waffen,5 welche die personelle Überlegenheit der iranischen Armee im seit 1980 geführten 1  Kaiser,

in: Mshana, The Debt Problem for Poor Countries, S. 123. Luther King, Jr., zitiert in Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 97. 3  Kaiser / Queck, Odious Claims on Iraq, S. 21 m. w. Nachw. 4  Kaiser / Queck, Odious Claims on Iraq, S. 21. 5  Kaiser / Queck, Odious Claims on Iraq, S. 21. 2  Martin

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Einleitung und Gang der Untersuchung

ersten Golfkrieg abwenden sollten,6 die aber auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wurden.7 Die Verpflichtungen aus den Verträgen mit der GmbH stellten nur einen Bruchteil der irakischen Staatsverschuldung nach dem Sturz Saddam Husseins dar,8 sind aber in vielfacher Hinsicht symptomatisch für die Diskussion um Odious Debts. So war es der Fall des Hussein-Regimes, der der Debatte um odiöse Schulden neuen Auftrieb gab, doch auch andere Entwicklungen wie der „Arabische Frühling“ zeigen die unmittelbare Relevanz des Themas.9 Problematisch beim Fall der Karl Kolb GmbH ist zum einen die Beweislage, da sich kaum nachvollziehen lässt, ob die Laborausstattungen tatsächlich für die Herstellung von Giftgas verwendet wurden, auch wenn dies angesichts des massiven irakischen Chemiewaffenprogramms naheliegt. Unabhängig davon ist unklar, ob der GmbH die Kenntnis oder das Kennen-Müssen dieser Verwendung zugerechnet werden kann, wenn einzelne Umstände des Giftgasprogramms erst später bekannt wurden. Andererseits stand der Irak bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in einem langwierigen Krieg und hatte schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen an der eigenen Bevölkerung zu verantworten. Schließlich ergibt sich aus der Beteiligung einer privaten GmbH zudem die Problematik, dass sich die Wirksamkeit der Verträge nicht mehr nur am klassischen (zwischenstaatlichen) Völkerrecht orientieren kann. Die Lieferungen an den Irak sind im Übrigen nur eines von vielen Beispielen problematischer Verträge mit deutscher Beteiligung. So lieferten deutsche Firmen zwischen 2002 und 2006 an Syrien 137 t Chemikalien,10 die zur Herstellung des 2013 zum Einsatz gekommenen Giftgases Sarin11 geeignet waren – mit 6  In einem Bericht der UN Monitoring, Verification and Inspection Commission im Irak aus dem Jahr 2006 heißt es: „A large scale chemical weapons programme was established by Iraq in 1981, after the beginning of the Iran-Iraq war, when Iraq faced defeat in the face of the overwhelming manpower advantage of the Islamic Republic of Iran. The goal was to produce and supply the armed forces with significant quantities of chemical weapons that could be quickly deployed.“, Twentyfifth Quarterly Report on the Activities of the United Nations Monitoring, Verification and Inspection Commission in Accordance with Paragraph 12 of Security Council Resolution 1284 (1999), S / 2006 / 342, 30.  Mai 2006, S. 7. 7  Vgl. etwa den Bericht von Human Rights Watch (1991) über den Angriff auf Halabscha, abrufbar unter http: /  / www.hrw.org / reports / 1991 / IRAQ913.htm. 8  Diese betrug ca. 125 Milliarden USD, vgl. noch unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb) (16). 9  Zu den verschiedenen Präzedenzfällen vgl. unten, Kapitel 2 D.II.2., zur Aktualität der Debatte Kapitel 1 A.I.3. 10  „Deutschland hat Syrien Chemikalien geliefert“, FAZ.net, 18. September 2013, abrufbar unter http: /  / www.faz.net / aktuell / politik / ausland / streit-ueber-giftgasangriffdeutschland-hat-syrien-chemikalien-geliefert-12579860.html. 11  Vgl. den Bericht der UN-Inspekteure, „Report on the Alleged Use of Chemical Weapons in the Ghouta Area of Damascus on 21 August 2013“, 13. September 2013,



Einleitung und Gang der Untersuchung21

deutscher Exportgenehmigung und trotz öffentlichen Wissens um das syrische Giftgasprogramm. Die Probleme odiöser Schulden reichen weit über das hier Angedeutete hinaus. Sie können rechtlicher Natur sein: Wie lässt sich die Unwirksamkeit solcher Schulden aus dem geltenden Recht herleiten, welche Regelungsmöglichkeiten bestehen? Sie können ökonomischer Natur sein: Lässt sich die Entstehung von odiösen Schulden angesichts der Fungibilität des Geldes und der Verfügbarkeit alternativer Finanzierungsquellen (Steuern, Bodenschätze, moralisch bedenkenlose Investoren) überhaupt vermeiden? Sie können politischer Art sein: Mit welcher Legitimität lässt sich zur Beurteilung der Wirksamkeit etwa an die demokratische Regierungsform des Schuldnerstaates anknüpfen? Schließlich wirft die Problematik eine Fülle von Wertungsfragen auf: Welche Verträge sind als nützlich, welche als verwerflich anzusehen? Lässt sich eine derartige Unterscheidung überhaupt treffen, wenn einerseits Waffen zur Landesverteidigung, andererseits Schulen als Foltergefängnisse verwendet werden können? Der äußere Rahmen der Untersuchung ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass problematische Regime wie Gläubiger in allen Teilen der Welt beteiligt sein können, und dass sich zugleich mögliche Präzedenzfälle finden lassen, die bis in das 17. Jahrhundert zurückreichen. Eine Schätzung, in welchem Umfang öffentliche Schulden von der Odious-Debts-Doktrin betroffen sind, lässt sich kaum anstellen. Der ThinkTank nef kommt zu dem Ergebnis, das zwischen 1970 und 2004 in 13 untersuchten Staaten (darunter Argentinien, Indonesien, Nigeria, Philippinen, Sudan) 726 Milliarden USD odiöser Schulden aufgenommen wurden, was einem Anteil von 99,8 % an der gesamten Staatsverschuldung der untersuchten Staaten entsprechen soll.12 Allerdings hängt jede Schätzung stark davon ab, wie weit (z. B. vorliegend ausnahmslos alle unter undemokratischen Regierungen eingegangene Schulden) oder eng (z. B. nur Schulden, deren nachteilige Verwendung konkret nachgewiesen wurde; nur Kredite etc.) die Kriterien für das Vorliegen von Odious Debts gefasst werden. Zudem ist auch ohne Berücksichtigung der Odious-Debts-Doktrin der Schuldenstand vieler Staaten kaum nachvollziehbar.13 Im ersten Kapitel werden Grundbegriffe der Untersuchung dargestellt. Zunächst wird ausgeführt, was unter der Figur der odiösen Schulden zu verstehen ist und welche Arten von Staatsschulden dafür relevant sind. Anabrufbar unter http: /  / www.un.org / disarmament / content / slideshow / Secretary_Gener al_Report_of_CW_Investigation.pdf. 12  Vgl. Mandel / nef, Odious Lending. Debt Relief as if Morals Matters, 2006, abrufbar unter http: /  / www.dette2000.org / data / File / Odiouslendingfinal.pdf, S. 17. 13  Wong, Sovereign Finance, S. 54 zu den Schulden Iraks.

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Einleitung und Gang der Untersuchung

schließend wird der Gegenstand der Untersuchung mit verwandten Problemstellungen wie illegitime Schulden, Schuldenerlass und Staateninsolvenz verglichen und von diesen abgegrenzt. Schließlich werden Argumente für und gegen die Unwirksamkeit von Odious Debts angeführt, um festzustellen, ob die Anerkennung der Rechtsfigur sinnvoll und wünschenswert ist. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem rechtlichen Status quo der Odious-Debts-Doktrin. Nach einer Darstellung der maßgeblichen Rechtsquellen wird zunächst untersucht, ob despotische Staaten überhaupt verbindliche Schulden eingehen können und ob Verträge trotz Korruption wirksam sind, weil andernfalls diese Teilbereiche öffentlicher Schulden auch ohne Geltung der Odious-Debts-Doktrin als unwirksam betrachtet werden können. Daran anschließend wird untersucht, welche Auswirkungen Staats- und Regimewechsel auf die Wirksamkeit von Schulden haben. Den Schwerpunkt des zweiten Kapitels bildet sodann die Frage, ob sich die Unwirksamkeit odiöser Schulden aus dem geltenden Recht herleiten lässt. Hier kommt eine Vielzahl von Rechtsquellen in Betracht, nämlich die Kündigung aufgrund der clausula rebus sic stantibus, die Herleitung der Unwirksamkeit aus dem Verstoß gegen Menschenrechtsverträge, die mehrere Jahrhunderte zurückreichende Staatenpraxis als Teil des Völkergewohnheitsrechts sowie Prinzipien des Privatrechts. Ohne das Ergebnis von Kapitel 2 vorwegzunehmen, lässt sich sagen, dass auch bei einer angenommenen Geltung der Odious-Debts-Doktrin eine Vielzahl problematischer Aspekte fortbestehen. Aus diesem Grund wurden in der Vergangenheit eine Reihe von Modellen vorgeschlagen, die die Figur der Odious Debts umfassend regeln sollen. Das dritte Kapitel untersucht, inwiefern diese Modelle eine befriedigende Lösung der Problematik mit sich bringen und wie sich diese verbessern lassen. Aus der Untersuchung der Regelungsvorschläge werden Rahmenpunkte für ein eigenes Lösungsmodell abgeleitet. Dieses eigene, menschenrechtsbasierte Regelungsmodell schließlich ist der Gegenstand des vierten Kapitels. Das Modell schlägt die Verabschiedung einer Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge vor, welche die im Verlauf der Arbeit identifizierten Probleme lösen und bereits bei Annahme durch einige wirtschaftlich bedeutende Staaten die Entstehung von Odious Debts wirksam bekämpfen würde. Die Ergebnisse der Arbeit sowie ein Konventionsentwurf bilden mit Kapitel 5 den Abschluss der Untersuchung.

Kapitel 1

Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts Zunächst soll der dieser Untersuchung zugrunde liegende Begriff von Odious Debts genauer erarbeitet werden (A.), was nicht ohne eine Defini­ tion des Begriffes öffentlicher Schulden möglich ist. Teil B. verdeutlicht anhand verwandter Problemstellungen, welche weiteren Überlegungen für die Frage von Staatsschulden relevant sein können, zeigt zugleich aber die Grenzen der vorliegenden Untersuchung auf. Schließlich (C.) sollen Argumente für und gegen die Pflicht zur Rückzahlung odiöser Schulden dargestellt werden.

A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung Im Folgenden sind einige Grundbegriffe für die vorliegende Arbeit darzustellen, nämlich der Inhalt des Begriffs der Odious Debts (I.) sowie der dieser Arbeit zugrunde liegende Begriff von Staatsschulden (II.). Letzterer ist insoweit von Bedeutung, als die Weite des Schuldenbegriffes den Anwendungsbereich der Odious-Debts-Doktrin bestimmt und die Vielzahl möglicher Gläubiger aufzeigt, deren unterschiedlichste Interessen für eine Lösung der Problematik wesentlich sind. Wenn im Folgenden von einer Rechtsfigur oder Doktrin der Odious Debts gesprochen wird, soll dies nicht die Frage vorwegnehmen, ob eine solche Figur auch rechtliche Anerkennung erfahren hat; dies ist Gegenstand von Kapitel 2 der Arbeit. Auch der Begriff der (Un-)Wirksamkeit solcher Schulden ist zunächst ganz allgemein zu verstehen, da sowohl die Nichtigkeit, die mangelnde Übertragbarkeit auf Nachfolgestaaten und -regime, die mangelnde Durchsetzbarkeit der Schulden sowie die Möglichkeit, eine Einrede gegen den Anspruch zu erheben, diskutiert werden.1

1  Vgl.

zur Rechtsfolge einer Odious-Debts-Doktrin unten, Kapitel 3 B.VII.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

I. Odious Debts Unter dem Begriff Odious Debts wird eine Vielzahl von Fallgruppen diskutiert, deren Inhalt unübersichtlich ist.2 Als odiös werden Schulden bezeichnet, die von einem Staat aufgenommen wurden, um einen anderen Staat militärisch zu unterdrücken, die von einem Diktator zur Finanzierung von Geheimdienstgefängnissen oder zum Kauf von chemischen Waffen eingesetzt wurden, die von Regierungsmitgliedern auf private Konten verbracht wurden oder die wegen der Kräfteverhältnisse im Weltwirtschaftssystem zu einer Abhängigkeit von Entwicklungsländern gegenüber Industrieländern und internationalen Finanzinstitutionen führen.3 Mit der Frage, ob Verträge, die unter einer bestimmten Regierungsform eingegangen wurden, unter einer anderen Regierung fortgelten, befasste sich schon Aristoteles;4 das Wort „odiosius“ taucht im Zusammenhang mit Schulden erstmals bei Grotius auf, der damit die Verpflichtung, für fremde Schulden einstehen zu müssen, beschreibt5 und an anderer Stelle ausführt, dass Schulden, die ein freies Volk eingehe, nicht deshalb untergingen, weil das freie Volk nun einem König unterstehe6 – was allerdings gelten soll, wenn das Volk bei der Aufnahme von Schulden nicht frei ist, bleibt unbeantwortet. Den heutigen Ansätzen ist dementsprechend gemein, dass es sich meist um Schulden handelt, die von despotischen Regierungen aufgenommen wurden und dem Interesse der Bevölkerung grob wi2  Vgl. die Klassifizierung von Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 395 ff., der ausführt: „In the end, the only common denominator among these divergent views seems to be the use of the same expression (‚odious debts‘), albeit with different meanings.“ 3  Siehe zu letzterem einerseits Backer, LCP 2007(70), 1 ff. mit Verweis auf eine entsprechende Doktrin Fidel Castros, andererseits diverse Entschuldungskampagnen wie das belgische Comité pour l’Abolition de la Dette du Tiers Monde CADTM (www.cadtm.org), in deren Charta es heißt: „Public debt (external and domestic) involves a massive transfer of wealth from the peoples of the South to the creditors, while the local dominant classes skim off their commission during the transfer. Both in the Northern and Southern hemispheres, debt is a mechanism used to transfer wealth created by workers and small producers to the benefit of capitalists. Debt is used by lenders as an instrument of political and economic domination which establishes a new form of colonialism.“ (abrufbar unter http: /  / cadtm.org / Political-Char ter). 4  Aristoteles, Politik, Buch 3, Kapitel 3, para. 1276a; Aristoteles ordnet die Problematik im Bereich der Staatenidentität ein und stellt die Frage, ob bei einem Wechsel von einer Oligarchie oder Tyrannei zu einer Demokratie die Schulden des Staates untergehen, weil sie nicht am Gemeinwohl orientiert, sondern auf Gewalt begründet und damit persönliche des Tyrannen sind. Dagegen wendet er ein, dass ein derartiges Regierungshandeln auch in einer Demokratie auftrete, lässt die Frage im Ergebnis aber offen. 5  Grotius, De jure belli ac pacis, Buch 3, Kapitel 2, S. 1232. 6  Grotius, De jure belli ac pacis, Buch 2, Kapitel 9, S. 673.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 25

dersprechen. Polarisierend kann gefragt werden: Ist es gerecht, dass die Kinder der Unterdrückten für die Unterdrückung ihrer Mütter und Väter zahlen, damit wirtschaftliche Interessen gewahrt bleiben? Besteht eine Rechtfertigung dafür, dass Geld in die Hände skrupelloser Gläubiger fließt, während es dem Staat zur Erfüllung sozialer Aufgaben fehlt? Die Qualifizierung bestimmter Schulden als Odious Debts soll dazu führen, dass diese im Fall eines Regierungs- oder Staatenwechsels nicht wirksam übertragen werden können, sodass zukünftige Generationen mit diesen nicht mehr belastet werden. Jedoch sind nicht nur die Grenzen zwischen den verschiedenen Fallgruppen verschwimmend, vielmehr ist auch innerhalb einzelner Kategorien die Abgrenzung zwischen einerseits odiösen und damit potentiell nichtigen und andererseits wirksamen Schulden häufig unklar. Man stelle sich einen Diktator vor, der neben seinen Palästen auch Schulen baut – Investitionen im Interesse der Bevölkerung? –, zu welchen nur Angehörige der Regierungselite zugelassen werden7 – illegitime Verwendung? – und die nach dem Sturz des Diktators als lokale Regierungsgebäude genutzt werden – verbleibt der Bevölkerung hier eine Bereicherung? Das Beispiel verkompliziert sich, wenn der Diktator einen Teil des Geldes auf sein Schweizer Bankkonto transferiert und mit einem weiteren Teil eine Armee ausrüstet, die zwar repressiv gegen Oppositionelle vorgeht, aber gleichzeitig das Land gegen eine durch den Zugang zu fossilen Brennstoffen motivierte Invasion eines Nachbarstaates verteidigt. Welcher Teil solcher Schulden darf, wenn überhaupt, nachfolgenden Generationen von Steuerzahlern aufgebürdet werden? Der mögliche Anwendungsbereich der Odious-Debts-Doktrin ist aber keineswegs auf diktatorische Regime begrenzt.8 Verfechter einer weiten Auslegung der Odious-Debts-Doktrin hinterfragen etwa die Wirksamkeit italienischer Kredite für den Kauf von Waffen, da die italienische Verfassung Krieg als Mittel von Konfliktlösung verbietet.9 Ebenso wenig muss es sich bei den Geldgebern ausschließlich um gewinnsüchtige „Kredithaie“ handeln; vielmehr können nationale und internationale Finanzinstitutionen beteiligt sein. So wurde beispielsweise Deutschland für die Unterstützung eines Kredites der Weltbankgruppe für eine Pipeline in Tschad und Kamerun kritisiert, deren Bau dazu führte, dass Kleinbauern den Zugang zu ihrem Land verloren.10 Obwohl der Bau den betroffenen Staaten grundsätzlich wirtschaftliche Vorteile brachte, ist der konkrete Nutzen zumindest für einen Teil der Bevölkerung fraglich. nach Paulus, WM 2005, 53, 57. Tarullo, LCP 2007(70), 263, 269 m. w. Nachw. 9  Vgl. den Beitrag von Somma bei der Berliner Konferenz zur Staateninsolvenz, zusammengefasst in Nierlich / Schneider, IILR 2012(3), 392, 419. 10  Hausmann, Germany’s Extraterritorial Human Rights Obligations, S. 15 ff. 7  Beispiel 8  Kritisch

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

Gerade in der Schwierigkeit, eine Definition zu finden, die zum einen alle relevanten Fallgruppen umfasst, zum anderen aber nicht uferlos den internationalen Finanzverkehr belastet, liegt die Schwierigkeit des Themas. Im Folgenden sollen zunächst einige, in der bisherigen Auseinandersetzung mit der Problematik häufig verwendete Grundkategorien dargestellt werden, die den Umgang mit der umfangreichen Materie erleichtern, sowie die Aktualität der Thematik aufgezeigt werden. Ein eigener Definitionsvorschlag soll erst im Anschluss an die genauere Untersuchung bisheriger Anwendungsfälle entwickelt werden (s. u. Kapitel 2 D.II.2. und das in Kapitel 4 entwickelte Modell). 1. Die Klassifizierung von Sack Das historische Standardwerk zur Problematik der Odious Debts stammt von dem russischen, nach Frankreich und später in die USA emigrierten Juristen Alexander Nahum Sack. Die Darstellungen von Sack bilden noch heute für die Mehrheit der Abhandlungen einen Anknüpfungspunkt, weil hier erstmals eine Klassifizierung der verschiedenen mit Staatsschulden verknüpften Probleme unter dem Begriff Odious Debts vorgenommen wurde.11 Obgleich nicht alle Schlussfolgerungen Sacks heute uneingeschränkte Zustimmung erfahren12 und es sich bei dem Juristen durchaus um eine umstrittene Gestalt handelt,13 bietet eine Befassung mit seinem Werk einen guten Einstieg in die Problematik (für eine Bewertung der nachfolgenden Definitionen s. u. Kapitel 3 A.I.1.a)). In seinem Werk Les Effets des Transformations des États sur leurs Dettes Publiques et Autres Obligations Financières von 1927 setzt sich Sack mit dem Schicksal von Schulden im Fall der Staatennachfolge auseinander (zum Begriff der Staatennachfolge s. genauer unten, Kapitel 2 C.I.). Sack klassifiziert als abscheuliche Schulden („dettes odieuses“) solche, die abscheulich entweder für die Bevölkerung eines ganzen Staates oder nur für den Teil eines Staates sind. Unter erstere fasst Sack solche, die eine despotische Macht nicht für die Bedürfnisse und im Interesse des Staates eingeht, sondern zur Verstärkung ihres despotischen Regimes oder zur Unterdrückung der das Regime bekämpfenden Bevölkerung.14 Diese Schuld binde nicht die Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1220. Kapitel 3 A.I.1. 13  Ludington / Gulati, Vay.J.Int’l. L. 2008(48), 595 ff. kritisieren die teilweise unzutreffende oder übertrieben positive Darstellung der fachlichen Bedeutung Sacks zu Lebenszeiten. Dies ändert jedoch nichts an der grundlegenden Bedeutung seiner Arbeit für die aktuelle Diskussion. 14  „Si un pouvoir despotique contracte une dette non pas pour les besoins et dans les intérêts de l’État, mais pour fortifier son régime despotique, pour réprimer la 11  Vgl. 12  s. u.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 27

Nation, sondern sei eine Schuld des Regimes, mithin eine persönliche Schuld der verantwortlichen Regierung, weil sie nicht für die Bedürfnisse und Interessen des Staates eingegangen und verwendet wurde.15 Schulden, die mit Wissen der Gläubiger gegen das Interesse der Nation eingegangen seien, stellten eine feindliche Handlung („acte hostile“) gegenüber der Bevölkerung dar und seien nach einem Regimewechsel nur insoweit für die Nation verbindlich, als sie dieser tatsächliche Vorteile gebracht hätten.16 Unter diese Kategorie fasst Sack zudem Schulden, die im persönlichen wirtschaftlichen Interesse von Regierungsmitgliedern eingegangen wurden.17 Die zweite Kategorie Sacks, nämlich Schulden, die nur für einen Teil des Staates abscheulich sind, umfasst solche Schulden, die die Regierung eingeht, um die Bevölkerung eines Teils des Territoriums zu unterjochen oder diese durch Angehörige der dominierenden Bevölkerungsgruppe zu kolonisieren.18 Sofern der Teil des Staates Unabhängigkeit erlangt oder von einem anderen Staat annektiert werde, sei der Nachfolgestaat an diese Schulden nicht gebunden, während der übrige (nicht unterdrückte) Teil des Staates seine Schuldnerposition19 behalte, weil die Schulden gerade nicht entgegen dem Interesse des übrigen Staates eingegangen wurden. Als Beispiel nennt Sack die Besetzung Kubas durch Spanien, in deren Zusammenhang Spanien auf Rechnung Kubas Schulden einging, um Kuba unter militärischer Kontrolle zu halten; nachdem die USA Kuba erfolgreich im Unabhängigkeitskampf gegenüber Spanien unterstützt hatten, lehnten diese es als neue Kontrollmacht ab, die Schulden Kubas zu übernehmen.20 population qui le combat, etc., cette dette est odieuse pour la population de l’État entière.“, Sack, Dettes Publiques, S. 157 (Hervorhebungen im Original). 15  „La raison pour laquelle ces dettes ‚odieuses‘ ne peuvent être considérées comme grevant le territoire de l’État, est que ces dettes ne répondent pas à l’une des conditions qui déterminent la régularité des dettes d’État, à savoir celle-ci : les dettes d’État doivent être contractées et les fonds qui en proviennent utilisés pour les besoins et dans les intérêts de l’État“, Sack, Dettes Publiques, S. 157 (Hervorhebungen im Original). 16  Sack, Dettes Publiques, S. 157: „Les dettes ‚odieuses‘, contractées et utilisées à des fins lesquelles, au su des créanciers, sont contraires aux intérêts de la nation, n’engagent pas cette dernière … sauf dans la limite des avantages réels qu’elle a pu obtenir de ces dettes … Les créanciers ont commis un acte hostile à l’égard du peuple …“ (Hervorhebungen im Original). 17  Sack, Dettes Publiques, S. 158. 18  „Lorsque le gouvernement contracte des dettes afin d’asservir la population d’une partie de son territoire ou de coloniser celle-ci par des ressortissants de la nationalité dominante, etc.“, Sack, Dettes Publiques, S. 158 ff. 19  Im Falle Kubas war Spanien als Bürge für die kubanischen Schulden zugleich Schuldner. 20  s. dazu genauer unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(3).

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

Zusammenfassend stellt Sack folgende Voraussetzungen auf, unter denen eine Schuld als odiös angesehen werden kann: Die neue Regierung muss beweisen, dass a) die Gründe, aus denen die Vorgängerregierung die Schulden eingegangen ist, abscheulich waren und offensichtlich im Widerspruch mit den Interessen der Bevölkerung des gesamten oder eines Teils des Territoriums standen, und dass b) die Gläubiger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Kenntnis dieser Bestimmung des Darlehens waren. In diesem Fall liegt es bei den Gläubigern zu beweisen, dass c) die Gelder in Wirklichkeit nicht für abscheuliche Zwecke, sondern für generelle oder spezifische Bedürfnisse des Staates, die nicht einen abscheulichen Charakter aufweisen, verwendet wurden.21 Inhaltlich handelt es sich dabei an sich um zwei Kriterien, nämlich Eingehung und Verwendung entgegen dem Interesse der Bevölkerung einerseits und Kenntnis der Gläubiger von dieser Bestimmung andererseits, welche wiederum miteinander zusammenhängen. Aus dem wiederholten Verweis Sacks auf despotische Regierungen wird in der Literatur zudem das Kriterium der Zustimmung (engl. consent) der Bevölkerung abgeleitet,22 welches allerdings von Sack nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung für Staatsschulden genannt wird.23 Schließlich nennt Sack noch eine weitere Kategorie odiöser Schulden, nämlich die „dettes de guerre“.24 Dabei handelt es sich um Schulden, die die Regierung eines Staates im Hinblick auf den Krieg mit einem anderen Staat eingegangen ist. Indem Gläubiger dem unterlegenen Staat Vermögen zur Kriegsführung zur Verfügung stellten, hätten sie einen feindlichen Akt gegen den anderen Staat begangen und gleichzeitig auf den falschen Staat gesetzt.25 Dementsprechend gingen die Schulden des unterlegenen Staates 21  Sack, Dettes Publiques, S. 163: „1. – Le nouveau gouvernement devrait prouver et un tribunal international reconnaître comme établi: a) Que les besoins, en vue desquels l’ancien gouvernement avait contracté la dette en question, étaient ‚odieux‘ et franchement contraires aux intérêts de la population de tout ou partie de l’ancien territoire, et b) Que les créanciers, au moment de l’émission de l’emprunt, avaient été au courant de sa destination odieuse. 2. – Ces deux points établis, c’est aux créanciers que reviendrait la charge de prouver que les fonds produits par lesdits emprunts avaient été en fait utilisés non pour des besoins odieux, nuisibles à la population de tout ou partie de l’État, mais pour des besoins généraux ou spéciaux de cet État, qui n’offrent pas un caractère odieux …“ (Hervorhebungen im Original). 22  Vgl. etwa King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 15; Mansell / Open­ shaw, L. & Dev. Rev. 2009(2), 151, 164; Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 33; Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 965; Wong, Sovereign Finance, S. 7. 23  Zur Frage der Anknüpfung an demokratische Regime s. noch unten, Kapitel 3 B.II.1. 24  Sack, Dettes Publiques, S. 165 ff. 25  Sack, Dettes Publiques, S. 165; gegen einen Vergleich dieser Ansprüche mit Wettschulden aber Feilchenfeld, Public Debts, S. 721.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 29

im Fall der Annektierung durch den siegreichen Staat nicht auf diesen über. Ein fortbestehender Teil des unterlegenen Staates bleibe aber weiterhin Schuldner der Forderungen. Kriegsschulden sind folglich nur „abscheulich“ aus Sicht des Kriegsgegners, unbeschadet des Vorliegens einer anderen Kategorie von Odious Debts (Eingehung entgegen dem Interesse der (Teiloder Gesamt-)Bevölkerung, s. o.).26 Damit es sich bei Schulden um „dettes de guerre“ handelt, muss laut Sack der kriegsbezogene Verwendungszweck der Gelder den Gläubigern bei Vertragsschluss bekannt gewesen sein, und die Gelder müssen auch tatsächlich zu diesem Zweck verwendet worden sein.27 Damit fallen unter die Definition nicht alle im zeitlichen Zusammenhang mit einem Krieg eingegangenen Verbindlichkeiten, sondern nur solche, die die unterlegene Partei zur Kriegsführung mit der obsiegenden Partei einging. Hier problematisiert Sack, dass manche Projekte sowohl kriegerischen als auch zivilen Nutzen haben können (wie beispielsweise der Bau von Eisenbahnen), und dass dem Schuldnerstaat durch Kredite zu nichtkriegerischen Zwecken Ressourcen zur Kriegsführung freigestellt werden.28 Mangels eines zu seiner Zeit existierenden allgemeinen völkerrechtlichen Gewaltverbots stellt er dabei ausdrücklich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Kriegsführung ab.29 Nichtsdestotrotz mutet es heute seltsam an, Schulden, die ein Staat etwa zur Abwendung eines Angriffskrieges einging, als „abscheulich“ zu bezeichnen, wenn auch nur aus Sicht des Angreiferstaates. Inwieweit es sich bei der Verweigerung der Übernahme von Kriegsschulden eher um Fälle der Siegerjustiz als um völkerrechtlich anerkannte Regeln der Staatensukzession handelt, wird noch genauer zu untersuchen sein (s. u. Kapitel 2 D.II.2.). Allen Kategorien Sacks ist gemein, dass odiöse Schulden nicht als von vorneherein nichtig angesehen werden, sondern immer nur deren Übergang im Fall der Staatennachfolge betrachtet wird. Für die Unwirksamkeit der Schulden ist die Kenntnis der Gläubiger von der beabsichtigen Verwendung notwendige Bedingung.

26  Die Definition von war debts bei Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1212 umfasst im Gegensatz dazu auch solche Schulden, die von innerstaatlichen Rebellen in Folge eines erfolgreichen Regimewechsels zurückgewiesen werden. 27  Sack, Dettes Publiques, S. 168: „Les dettes de guerre ne peuvent être considérées comme odieuses que si leur attribution présumée aux fins d’une guerre contre un autre État a été connue aux créanciers lors de leur conclusion et que les sommes obtenues aient été effectivement employées à cette fin.“ 28  Sack, Dettes Publiques, S. 169 f. Zu dieser Problematik s. noch unten, Kapitel 1 C.III.1. und Kapitel 3 B.II.2. 29  Sack, Dettes Publiques, S. 167.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

2. Aus dem Werk Sacks abzuleitende Klassifizierungen und Bedeutung für die Untersuchung Aus Sacks Klassifizierung lassen sich verschiedene Klassen von Schulden entnehmen, die in der Folge unter den Namen odious debts, subjugation debts, hostile debts, regime debts, imposed debts, profligate debts, war debts,30 hässliche Schulden31 und Tyrannenschulden32 aufgegriffen wurden. Die Verwendung des Terminus regime debts führt zu Verwirrungen, weil der Begriff teilweise als Beschreibung für bestimmte Schuldenarten auf Tatbestandsseite,33 teilweise aber zur Beschreibung einer Rechtsfolge (Schulden, die nur das jeweilige Regime, nicht den Staat selbst binden)34 verwendet wird. Auch im Übrigen ist die Terminologie nicht immer eindeutig, es gibt aber eine Tendenz, Odious Debts als Oberbegriff und subjugation debts (synonym: hostile debts) sowie war debts als Untergruppen zu verwenden.35 Unter subjugation debts werden dabei solche Schulden gefasst, die eingegangen wurden, um die Bevölkerung eines Teils des Territoriums zu unterjochen oder diese durch Angehörige der dominierenden Bevölkerungsgruppe zu kolonisieren (vgl. Sacks zweite Kategorie). Sacks „dettes de guerre“ entspricht der Terminus war debts, wobei hierunter teilweise nicht nur die zur Finanzierung des Krieges, sondern alle nach Beginn eines Krieges entstandenen Verpflichtungen gefasst werden.36 Sacks erste beiden Kategorien weisen große strukturelle Gemeinsamkeiten auf: Es handelt sich in beiden Fällen um Schulden, die mit Kenntnis der Gläubiger entgegen dem Interesse der (Gesamt- oder Teil-)Bevölkerung eingegangen und verwendet wurden. Aus moderner Sicht sollte es keine Rolle spielen, ob ein Bevölkerungsteil oder die gesamte Bevölkerung unterdrückt wird (vgl. nur Art. 1 (1) und Art. 27 des Internationalen Paktes über bürger­ liche und politische Rechte, IPBPR). Daher ist es sinnvoll, beide Kategorien unter dem Begriff Odious Debts zu behandeln.37 Dies entspricht einem Trend 30  Vgl. Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 395  ff. und 403 ff. m. w. Nachw. sowie King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 630 und Howse, Odious Debt, S. 2 f. 31  Fischer-Lescano, KJ 2003, 225, 230. 32  Aden, ZRP 2010, 191, 193. 33  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 122 ff. 34  So Sack selbst, vgl. ders, Dettes Publiques, S. 157. 35  s. Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 395 ff.; s. a. Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 115 ff. und Menon, Succession of States, S. 162. 36  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 629 f. m. w. Nachw.; zu den war debts s. ausführlich unten, Kapitel 2 D.II.2.a)aa). 37  Ähnlich auch Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 117 ff.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 31

in der neueren Literatur, unter Odious Debts generell solche Schulden zu fassen, die entgegen dem Interesse der Bevölkerung eingegangen wurden.38 Dafür spricht auch die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wachsende Bedeutung internationaler Menschenrechte, die dem Individuum einen bedeutenden Platz im Rechte- und Pflichtengefüge des Völkerrechts einräumen.39 Es wäre voreilig, die Arbeit im Voraus auf bestimmte Fallgruppen zu beschränken. Im Folgenden sollen daher alle Staatsschulden behandelt werden, deren rechtlicher Bestand wegen Verstoßes gegen das Bevölkerungs­ interesse problematisch ist, unabhängig davon, ob dies im Rahmen von Staatenfolge oder Regimewechsel geschieht. Noch weitergehend ist der Ansatz, auch Schulden als odiös zu behandeln, die zwar nicht zum Schaden, wohl aber ohne Nutzen für die Bevölkerung des Schuldnerstaates eingegangen und verwendet wurden.40 Da die Argumentation zur Unwirksamkeit odiöser Schulden an bereicherungsrechtliche Prinzipien anknüpft, sollen auch solche Schulden in die Untersuchung mit einbezogen werden.41 Diese bewusst weit gehaltene Definition kann dann durch eine Klassifizierung der Anwendungsfälle wieder präzisiert werden (vgl. Kapitel 2 D. II.2. und Kapitel 3 A.). Dabei soll die auf die zwei Elemente der Eingehung und Verwendung entgegen dem Bevölkerungsinteresse sowie der Kenntnis der Gläubiger abstellende Definition als klassische bzw. Sack’sche OdiousDebts-Doktrin bezeichnet werden. In der aktuellen Literatur wurde diese unter Zufügung des Kriteriums der mangelnden Zustimmung der Bevölkerung zu einer drei-Elemente-Lehre erweitert.42 3. Odious Debts heute a) Odious Debts auf der wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Agenda Obwohl die erste wissenschaftliche Abhandlung zum Thema der odiösen Schulden beinahe ein Jahrhundert zurückliegt, ist das wissenschaftliche und praktische Interesse an der Rechtsfigur heute größer denn je.43 Neu angeKing, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 630. noch genauer unten, Kapitel 2 D.I. und das in Kapitel 4 entwickelte Lösungsmodell. 40  So z. B. Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 15 f. 41  Ausführlich zur Frage des Nutzens unten, Kapitel 3 B.II.2. 42  s. etwa Kaiser / Queck, Odious Claims on Iraq, S. 4; Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 409 m. w. Nachw. 43  Vgl. zum Folgenden auch Bonilla, Odious Debt, S. 2 ff.; King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 621 ff. 38  Vgl.

39  Vgl.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

facht wurde die Debatte durch das 1991 erschienene Buch der Ökonomin und Entschuldungsaktivistin Patricia Adams, „Odious Debts – Loose Lending, Corruption, and the Third World’s Environmental Legacy“, die die Ungerechtigkeit der internationalen Gläubiger-Schuldner-Beziehungen anprangert und für die Verweigerung des Schuldendienstes durch Entwicklungsländer auf Basis der Odious-Debts-Doktrin plädiert.44 Wenig später forderte auch die südafrikanische Truth and Reconciliation Commission, odiöse Schulden Südafrikas zu überprüfen.45 Die Forderung nach der Überprüfung und Verweigerung odiöser Schulden wurde über den Kontext Südafrikas hinaus von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen wie Jubilee und erlassjahr.de aufgenommen.46 Spätestens mit dem Fall des HusseinRegimes im Irak wurde die Debatte auch in der akademischen Welt aufgegriffen.47 So führte ein Symposium an der Duke University, North Carolina, zu einer Vielzahl von Publikationen zur Thematik,48 um nur eine von mehreren Konferenzen zu nennen.49 Auch internationale Institutionen wie die Weltbankgruppe und UNCTAD befassen sich mit der Figur odiöser Schulden;50 auf UN-Ebene setzt sich der unabhängige Experte der UN für die Auswirkungen von staatlichen Auslandsschulden auf die volle Verwirklichung der Menschenrechte mit der Problematik auseinander51 und fordert 44  s. Adams,

Odious Debts. Umgang mit den „Apartheids-Schulden“ s. genauer unten, Kapitel 2 D. II.2.a)bb)(12). 46  s. noch genauer unten, Kapitel 1 B.II. 47  Zum Fall des Iraks vgl. etwa Adams, Iraq’s Odious Debts; Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391; Kaiser / Queck, Odious Claims on Iraq;; s. auch unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(16). 48  s. dazu Band 70 (2007), Nummern 3 und 4 der Zeitschrift Law and Contemporary Problems mit dem Titel „Odious Debts and State Corruption“, aus denen eine Vielzahl der hier zitierten Artikel stammen. 49  So etwa die Blue Sky Conference des Center for International Development der University of Harvard vom 9. September 2006, auf welcher das vieldiskutierte Modell von Jayachandran, Kremer und Shafter vorgestellt wurde (vgl. dazu unten, Kapitel 3 A.III.1.); für weitere Veranstaltungen s. Bonilla, Odious Debt, S. 2 m. w. Nachw. 50  Auf Ebene der UNCTAD setzte sich ein Panel der „Sixth Debt Management Conference“, 19. bis 21. Oktober 2007, mit Odious Debts auseinander; vgl. auch das im Auftrag der UNCTAD erstellte Diskussionspapier von Howse, Odious Debt; für Untersuchungen im Auftrag der Weltbank vgl. Nehru / Thomas, Odious Debt Dis­ cussion Paper mit kritischer Stellungnahme von Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J.Transnat’l. L. 2009(48), 59 ff., und Paulus, ZaöRV 2008(68), 391 ff. 51  Vgl. etwa Report of the Independent Expert on the Effects of Foreign Debt and Other Related International Financial Obligations of States on the Full Enjoyment of All Human Rights, Particularly Economic, Social and Cultural Rights, 12. August 2009, A / 64 / 289, para. 8 ff. 45  Zum



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 33

die Annullierung aller der Odious-Debts-Doktrin entgegenlaufenden Ansprüche von Exportkreditagenturen.52 Die Forderung nach der Anerkennung der Nichtigkeit odiöser Schulden gelangte damit auch auf politische Agenden, obgleich mit mehr Zurückhaltung. So befasste sich eine Anhörung vor dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages 2008 mit diesem Thema;53 auch bei einer Anhörung desselben Ausschusses zum Thema „Schuldenproblematik und internationales Insolvenzverfahren“ wurde die Problematik der odiösen Schulden diskutiert.54 Besonders Norwegen engagiert sich auf nationaler wie auf internationaler Ebene für die Auseinandersetzung mit der Thematik55 und hat im Jahr 2006 Ansprüche gegenüber Entwicklungsländern in Höhe von ca. 63 Mio. EUR wegen deren entwicklungspolitischer Fragwürdigkeit erlassen.56 In der Wahlkampagne zur US-amerikanischen Präsidentschaftswahl 2009 versprach Barack Obama multilaterale Vorstöße zur Einführung von Kreditsanktionen zur Bekämpfung von odiösen Schulden,57 was später allerdings nicht umgesetzt wurde. Gleiches ist bezüglich des Wahlprogramms der britischen Liberal Democrats festzustellen.58 Die Beispiele zeigen, dass der Thematik eine starke moralische Attraktivität zukommt, die konkrete Umsetzung jedoch schwerfallen kann. Dabei hat die Problematik mit dem Phänomen des „Arabischen Früh52  Report of the Independent Expert on the Effects of Foreign Debt and Other Related International Financial Obligations of States on the Full Enjoyment of All Human Rights, Particularly Economic, Social and Cultural Rights, 5. August 2011, A / 66 / 271, para. 17 und 55  (f). 53  Anhörung „Bewertung und Eindämmung Illegitimer Schulden in der Entwicklungszusammenarbeit“ des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Deutschen Bundestages, 4. Juni 2008. 54  s. das Protokoll der Sitzung vom 6. April 2011, S. 35 (Kommentar von Henrik Harboe, Norwegisches Außenministerium). 55  Vgl. The Norwegian Ministry of Foreign Affairs, Debt Relief for Development, S.  19 ff. 56  s. dazu unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(18). 57  Vgl. das entsprechende Konzeptpapier der Wahlkampfkampagne Obama 2008 „Strengthening our common security by investing in our common humanity“, abrufbar unter http: /  / www.cgdev.org / doc / blog / obama_strengthen_security.pdf: „And as president, Barack Obama will lead a multilateral effort to address the issue of ‚odious debt‘ by investigating ways in which ‚loan sanctions‘ might be employed to create disincentives for private creditors to lend money to repressive, authoritarian regimes.“ 58  Vgl. „Accountability to the Poor: Policies on International Development“, Liberal Democrats Policy Paper 97 (2010), S. 19 f.: „We will conduct our own auditing of all existing UK government and commercial debts, ruling invalid any past lending that was recklessly given to dictators known not to be committed to spend the loans on development.“

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

lings“ eine ganz neue Aktualität erlangt,59 und auch die Existenz von Regimen wie Belarus, Nordkorea oder Turkmenistan zeigt, dass die Frage nach dem Umgang mit Odious Debts auf absehbare Zeit nicht unbeantwortet bleiben kann.60 Dabei ist die Problematik odiöser Schulden keine, die nur diktatorische Regime betrifft. Während als Schuldner eher selten demokratische Staaten diskutiert werden,61 findet sich auf Gläubigerseite eine Vielzahl von Akteuren ganz unterschiedlicher Ausrichtung.62 So verweisen Kritiker auf die Finanzierung von menschenrechtswidrigen Praktiken durch verbündete Staaten, private Banken aus allen Regionen der Welt, aber auch durch demokratische Regierungen63 und internationale Finanzinstitutionen wie den Internationalen Währungsfonds (IWF).64 b) Wachsende rechtliche Relevanz der Problematik Die Frage nach der rechtlichen Wirksamkeit odiöser Schulden in Abgrenzung zu deren politischer oder moralischer Fragwürdigkeit gewinnt auch dadurch an Bedeutung, dass sich eine Vielzahl internationaler und auch nationaler Gerichte mit der Gültigkeit von Schulden auseinandersetzen65 und dabei auch völkerrechtliche Regeln anwenden müssen.66 Denn die Rückzahlung von Krediten ist heutzutage keine in das Belieben des Staates gestellte Handlungsoption mehr. Zwar bestanden schon immer unterschiedlichste Druckmittel, mit welchen Staaten zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen gedrängt wurden,67 jedoch waren diese auf den zwischenstaatlichen Verkehr beschränkt. Ein privater Anleger war in Ermangelung einer Schiedsabrede auf die Durchsetzung seiner Interessen durch den Heimat59  Vgl.

unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(21). diese Richtung auch Cheng, LCP 2007(70), 7, 9. 61  Vgl. aber den Beitrag von Somma bei der Berliner Konferenz zur Staateninsolvenz, abgedruckt in Nierlich / Schneider, IILR 2012(3), 392, 417 ff., der die Anwendung auf italienische Staatsschulden diskutiert. 62  Vgl. ausführlich unten, Kapitel 1 A.II.3. 63  Vgl. Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 51 f. 64  Dieser wird z. B. von der südafrikanischen Truth and Reconciliation Commission als Financier des Apartheid-Regimes kritisiert, vgl. South African Truth and Reconciliation Commission, Final Report, Bd. 6, Abschnitt 2, Kapitel 1, Rn. 28. 65  Zur Befassung von internationalen Gerichten mit staatlichem Zahlungsausfall vgl. Waibel, Sovereign Defaults. 66  Vgl. insbesondere Art. 25 GG, demnach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts sind. 67  Z. B. militärische und diplomatische Druckmittel (s. dazu unten, S. 70) sowie die Möglichkeit der Klage vor internationalen Gerichten. 60  In



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 35

staat angewiesen, welche dieser in der Regel nur im Rahmen seiner politischen Interessen zu berücksichtigen hat.68 Gerichtliche Rechtsbehelfe vor nationalen Gerichten standen Privaten gegen den Schuldnerstaat dagegen aufgrund des Prinzips der absoluten Immunität nicht zur Verfügung. Die genaue Reichweite des Immunitätsprinzips ist zwar nach wie vor umstritten, mittlerweile haben sich aber eine Vielzahl von Staaten für eine restriktivere Interpretation des Grundsatzes ausgesprochen.69 Demnach sollen Staaten nur noch für hoheitliches Handeln (acta iure imperii) Schutz genießen, während für nichthoheitliche, privatrechtsgeschäftliche Handlungen (acta iure gestionis) der Grundsatz des par in parem non habet imperium70 durchbrochen ist. Mit der Aufweichung der Immunität besteht also für Private die Möglichkeit, nicht nur die Erfüllung von Ansprüchen vor nationalen Gerichten zu betreiben, sondern auch in geeignete Vermögenswerte des Schuldnerstaates zu vollstrecken. Geeignete Vollstreckungsobjekte sind mangels ausdrücklicher Zustimmung des Schuldnerstaates solche Vermögenswerte, die ihrerseits nicht hoheitlichen Zwecken dienen.71 In Betracht kommen etwa 68  Vgl. für die Rechtslage in Deutschland BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1975 – 1 BvR 274 / 72, BVerfGE 40, 141, 177–179 und BVerfG, Beschluss v. 16. Dezember 1980 – 2 BvR 419 / 80, BVerfGE 55, 349, 364, welche der Bundesrepublik ein breites politisches Ermessen für die Ausübung diplomatischen Schutzes einräumen. 69  Das restriktive Modell der Staatenimmunität wird von Vielen als gewohnheitsrechtlich anerkannt beurteilt, s. etwa Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 135; offen gelassen in IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany / Italy), Urteil vom 3. Februar 2012, para. 59 f., der aber darauf verweist, dass einen Vielzahl von Staaten wie auch die Europäische Konvention zur Staatenimmunität und die mittlerweile von 16 Staaten ratifizierte UN Convention on the Jurisdictional Immunities of States and their Property vom 2. Dezember 2004 diesem Modell folgen. Crawford, Brownlie’s International Law, 498 ff., hebt hervor, dass sich die meisten Staaten dem restriktiven Modell angeschlossen haben; vgl. auch die Regelungen in der von acht Staaten ratifizierten European Convention on State Immunity (European Treaty Series Nr. 74). 70  Der Gleiche hat gegenüber dem Gleichen keine Hoheitsgewalt, darf also über diesen nicht zu Gericht sitzen; vgl. dazu IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany / Italy), Urteil vom 3.  Februar 2012, para. 57 („the rule of State immunity … derives from the principle of sovereign equality of States, which … is one of the fundamental principles of the international legal order.“). 71  IGH, Jurisdictional Immunities of the State (Germany / Italy), Urteil vom 3. Februar 2012, para. 118 („the property in question must be in use for an activity not pursuing government non-commercial purposes“); die Immunität gegenüber Vollstreckungshandlungen geht also weiter als die Immunität vor Gerichtsverfahren, weil sowohl tituliertes Urteil als auch Vollstreckungsobjekt nichthoheitliche Gegenstände betreffen müssen. Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1977 – 2 BvM 1 / 76, BVerfGE 46, 342, 388; zur Zulässigkeit von Vollstreckungshandlungen in staatliches Vermögen s. auch Fox, State Immunity, S. 599–662, insbes. 631 ff.; zur Vollstreckung in Botschafts- und Konsulatsvermögen s. m. w. Nachw. Kleinlein, AVR 2006(44), 405, 419 ff.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

Auslandskonten, Vermögenswerte bei Börsentransaktionen oder, im Rahmen von Kaufverträgen, (vor Erfüllung) der Kaufpreis bzw. (nach Erfüllung) die Kaufsache, für deren Auffinden es allerdings besonderer Vorkehrungen bedarf.72 Aufgrund des modernen Immunitätsbegriffes sieht sich ein zahlungsunwilliger Staat daher einer Vielzahl von Klagen ausgesetzt,73 denen er sich mangels eines Staateninsolvenzverfahrens auch im Fall der Überschuldung nicht entziehen kann.74 Vor diesem Hintergrund kann die Odious-DebtsDoktrin als Einwand gegen die Durchsetzbarkeit und Vollstreckbarkeit öffentlicher Schulden in nationalen wie internationalen gerichtlichen Verfahren unmittelbar relevant werden.75

II. Reichweite des Begriffs Staatsschulden Im Folgenden soll der Begriff der Staatsschulden genauer betrachtet werden.76 In der Mehrheit der Abhandlungen zum Thema Odious Debts wird darauf nicht weiter eingegangen; bevor eine Definition für nichtige, weil odiöse, Schulden gefunden werden kann, müssen aber zunächst die potentiell unter diesen Begriff fallenden Transaktionen genauer beleuchtet werden. Dabei ist auch klarzustellen, wer auf Schuldner- und wer auf Gläubigerseite auftreten kann, und welche Interessen für den Vertragsschluss maßgeblich sind.77

72  Vgl. zu den Methoden der Vollstreckungsgläubiger Buchheit / Gulati, LCP 2010(73), 63, 67. 73  Zu Klagen aufgrund argentinischer Schuldtitel vgl. Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 91 m. w. Nachw.; insgesamt zu erfolgreichen Klagen gegen staatliche Anleihen vor US-Gerichten s. Ahmed u. a., LCP 2010(73), 39, die allerdings zu dem Ergebnis kommen, dass es bisher an einem glaubwürdigen Vollstreckungssystem für öffent­ liche Schulden fehlt. 74  Buchheit, LCP 2007(70), 1, 4. Es besteht jedoch die Möglichkeit einer Schuldenrestrukturierung auf dem Verhandlungswege. 75  In diesem Sinne auch Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 394; Stephan, LCP 2007(70), 213, 219; vgl. auch Cheng, State Succession, S. 54 f.: „Issues relating to state succession and commercial obligations often occur at the meeting point of private law and public international law, and, in many situations, the origin and continuity of a commercial obligation results from the interactions between national and international law.“ 76  Zum Begriff der Schulden im Kontext der Staatenrestrukturierung s. Paulus, in: Ligustro / Sacerdoti, FS Picone, S. 231 ff. 77  Die Wichtigkeit dieser Unterscheidung hebt auch Gentile, LCP 2010(73), 151, 163 ff., hervor.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 37

1. Schulden Schulden im Sinne dieser Untersuchung sind alle Verbindlichkeiten gleich welchen Ursprungs.78 Somit können Rückzahlungsverpflichtungen aus Kreditverträgen,79 aber auch nicht erfüllte (etwa kauf- oder miet-80)vertragliche und deliktische Zahlungsansprüche unter den Schuldenbegriff fallen, nicht jedoch bereits beiderseitig erfüllte Verträge.81 Ob letztere bei Verstoß gegen die Odious-Debts-Doktrin rückabgewickelt werden sollten, ist aber zu erwägen.82 Geschuldet werden kann auch die Verschaffung von Sachen (etwa Rohstoffen) oder die Vornahme oder Unterlassung von Handlungen (z. B. die Gewähr von Überflugsrechten). Schulden können auch im Zusammenhang mit Investitionsabkommen entstehen,83 wenn sich ein Staat beispielsweise zur Gewährung von Konzessionsrechten oder zur Zahlung eines Geldbetrages als Gegenleistung für den Bau von Infrastruktureinrichtungen verpflichtet hat. In der Diskussion um Odious Debts bilden den Schwerpunkt des Begriffs Staatsschulden solche Verbindlichkeiten, die eine Zahlungsverpflichtung darstellen, und unter diesen meist solche aus Kreditverträgen. Für die umfassende Einbeziehung aller Zahlungsverpflichtungen spricht, dass finanzielle Verpflichtungen unabhängig von ihrem Entstehungsgrund wirtschaftlich im Wesentlichen gleich behandelt werden können. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass sonstige Verbindlichkeiten in einen Zahlungsanspruch übergehen, z. B. als Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Diese aus der Untersuchung auszuklammern, wäre willkürlich, weil es nur vom Zufall abhinge, ob der jeweilige Anspruch vor oder nach dem Regimewechsel in einen Zahlungsanspruch umgewandelt wurde. Weiterhin 78  Eine Klassifizierung nach wirtschaftlichen und internationalen sowie Handelsund Verwaltungsschulden findet sich bei Cheng, State Succession, S. 54 ff. 79  Für einen geschichtlichen Überblick über die Entwicklung staatlicher Kredite s. Gelpern, LCP 2007(70), 81, 93 ff. 80  Für ein Beispiel nicht erfüllter mietvertraglicher Verpflichtungen s. Cheng, State Succession, S. 59 m. w. Nachw.: Die SFRJ hatte Mietrückstände für die Nutzung von Räumlichkeiten für Regierungsvertretungen in den USA; die Miete wurde nach der Auflösung der SFRJ nicht gezahlt, was zu einem Rechtsstreit der Vermieter mit den Nachfolgestaaten führte. 81  Beiderseits erfüllte Verträge werden auch in verwandten Problemkreisen grundsätzlich ausgeklammert, so z. B. im Insolvenzrecht, vgl. das entsprechende dem § 103 InsO zugrunde liegende Prinzip. 82  Denn die Unwirksamkeit der Verbindlichkeit würde zum Bestehen eines Rückforderungsanspruches führen, s. dazu unten, Kapitel 3 B.VII.; dafür Rasmussen, LCP 2007(70), 249, Fn. 3; a. A. ohne nähere Begründung Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 67. 83  Vgl. Cheng, State Succession, S. 58; zur Problematik ausländischer Direktinvestitionen im Lichte der Odious-Debts-Doktrin Ochoa, Harv.Int’l L.J. 2008(49), 109, 131 f.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

kann sich die Odious-Debts-Problematik auch anhand von Leistungsverpflichtungen zeigen, so etwa im Hinblick auf langfristig angelegte Landpachtverträge, aufgrund derer ausländische Investoren Land zum Anbau von zu exportierenden Nahrungsmitteln zur Verfügung gestellt bekommen,84 sowie im Fall von Rohstoffverwertungslizenzen.85 Überzeugender ist es daher, alle möglichen Arten von Schulden in die Betrachtung mit einzubeziehen. Nichtsdestotrotz bilden finanzielle Verpflichtungen den quantitativen Schwerpunkt von Staatsschulden, sodass diese im Folgenden besonders berücksichtigt werden. Für die meisten Untersuchungen odiöser Schulden liegt der Fokus auf Auslandsschulden, da die Wirksamkeit von Schulden gegenüber nationalen Gläubigern häufig im Rahmen des jeweiligen nationalen privaten, öffentlichen sowie Verfassungsrechts geregelt werden. Allerdings führen weder der Sitz des Gläubigers noch die Nennwährung der Verpflichtung oder das anwendbare Recht zu einer unterschiedlichen moralischen Beurteilung der Schuld. Hingegen sind die Grenzen zwischen In- und Auslandsschuld angesichts von Abtretungen und Weiterveräußerungen der Schuldtitel fließend,86 und auch auf inländische Schulden können die relevanten völkerrechtlichen Konven­ tionen, etwa zum Schutz des Eigentums, Anwendung finden. Das im Folgenden Gesagte gilt daher grundsätzlich auch für Schulden gegenüber inländischen Personen, obgleich Auslandsschulden in den für Odious Debts relevanten Konstellationen von ganz überwiegender praktischer Bedeutung sind. Das Gros staatlicher Schulden beruht auf der Beschaffung von Kapital.87 Grundsätzlich wird im Rahmen staatlicher Zahlungsverpflichtungen zwischen kurz- und langfristigen Schulden („short-term / long-term debt“) unterschieden.88 Letztere sind von besonderer Relevanz, da sie alle finanziellen Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr erfassen und in einem längeren Zeitraum die Gefahr des Eintritts eines Regimewechsels höher ist. Die klassische Form von Kapitalbeschaffung ist die Aufnahme von Krediten bei privaten oder öffentlichen Kreditgebern. Der Kreditgeber 84  Im Falle des Südsudans betrifft das ca. 9  % des Staatsgebiets, vgl. Caldwell / Ferrie, „South Sudan needs a moratorium on land leases, says legal expert“, Deutsche Welle, 17.2.2012, abrufbar unter http: /  / www.dw.de / dw / article / 0,,157440 91,00.html; zu berücksichtigen ist dann, inwieweit die finanzielle Gegenleistung der Bevölkerung zugutekam. 85  Chander, Emory L.J. 2004(53), 923, 924 ff.; Ochoa, Harv.Int’l L.J. 2008(49), 109, 132 ff. 86  Kritisch gegenüber dem Begriff der Auslandsschuld daher Szodruch, Staateninsolvenz, S.  46 ff. 87  Zu diesen vgl. Szodruch, Staateninsolvenz, S. 49 ff. 88  Für dieses und die folgenden Klassifizierungen s. The World Bank, Global Development Finance 2010, 304 ff.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 39

(Darlehensgeber) stellt dem Kreditnehmer (Darlehensempfänger) eine Geldsumme (Darlehen / Kredit) zur Verfügung, welche der Kreditnehmer nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums verzinst zurückzuzahlen hat. Bei Beteiligung Privater steht dem Schuldner häufig ein Zusammenschluss von privaten Banken gegenüber („loan syndicate“), welche über die Vermittlung größerer multinationaler Banken als Gläubiger auftreten.89 Direkte Kredite spielen darüber hinaus bei Verträgen von Staaten untereinander oder mit internationalen Finanzinstitutionen wie der Weltbankgruppe eine Rolle, wobei gerade bei ersteren Form und Substanz von Kreditverträgen durchaus auseinanderfallen können. Dies lässt sich mit der unterschiedlichen Interessenlage privater und staatlicher Geldgeber erklären und wird daher unten (3.b)bb)) genauer untersucht. Das Ziel der Kreditbeschaffung mit Beteiligung Privater wird heute weitgehend durch das System der Staatsanleihen erfüllt,90 wobei auch hier öffentliche Gläubiger beteiligt sein können. Die Anleihe („bond“) ist eine Schuldverschreibung, mittels derer die öffentliche Hand dem Käufer der Anleihe (Anleihegläubiger) die verzinste Rückzahlung des überlassenen Kapitalbetrags innerhalb eines bestimmten Zeitraumes verspricht. Im Unterschied zu traditionellen Krediten haben Anleihen den Vorteil, dass diese bei hoher Sicherheit91 am Sekundärmarkt frei handelbar sind und somit eine große Zahl potentieller Anleger erreichen.92 Wegen des ähnlichen Zwecks von Krediten und Anleihen werden im Folgenden auch Anleihegläubiger und -schuldner als Kreditgeber bzw. ‑nehmer bezeichnet, sofern keine ausdrückliche Differenzierung stattfindet. 2. Beteiligte auf Schuldnerseite Damit es sich um Staatsschulden handelt, muss auf Schuldnerseite in irgendeiner Form der Staat in Erscheinung treten.93 Dies kann der Fall sein, 89  Cheng, State Succession, S. 57; zu den verschiedenen Rollen der Banken wie Kapitalbeschaffung, Beratung oder Handel mit konfliktträchtigen Ressourcen vgl. Gentile, LCP 2010(73), 151, 165; Ramasastry, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 819, 823 ff. 90  Zu den Staatsanleihen vgl. Gentile, LCP 2010(73), 151, 167 f. m. w. Nachw. 91  Im Zuge der Eurokrise trifft die Sicherheit von Staatsanleihen europäischer Staaten zunehmend auf Skepsis, s. nur „Auktions-Flop. Anleger boykottieren deutsche Staatsanleihen“, Handelsblatt, 23.  November 2011, abrufbar unter http: /  / www. handelsblatt.com / finanzen / boerse-maerkte / anleihen / anleger-boykottieren-deutschestaatsanleihen / 5878094.html. 92  Bonilla, Odious Debt, S. 46. 93  Zur Besonderheit öffentlicher gegenüber privaten Schulden vgl. Buchheit /  Gulati, LCP 2010(73), 63, 69 ff., die insbesondere das Generationenproblem (Ein­

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

weil Schulden von der Regierung oder einer öffentlichen Körperschaft (etwa einem Bundesland) bzw. einer sonstigen öffentlichen Einrichtung (z. B. einer staatlichen Bank) eingegangen werden; sie können aber auch dadurch „verstaatlicht“ werden, dass die öffentliche Hand Bürgschaften für private Schulden eingeht oder sonstige Rettungsmaßnahmen („bail-outs“) ergreift. Somit können auch Schulden staatlicher Eigenbetriebe und solcher privatwirtschaftlicher Unternehmen, an denen der Staat die Mehrheit hält, unter den Begriff der öffentlichen Schulden fallen. Dabei ist es gerechtfertigt, vom Staat kontrollierte Unternehmen mit einzubeziehen, selbst wenn diese als Rechtspersönlichkeiten mit beschränkter Haftung ausgestaltet sind. Denn der Staat verliert im Fall der Insolvenz des Unternehmens, sofern er nicht ohnehin aufgrund von Bürgschaften unbeschränkt haftet, zumindest seine Gesellschaftsanteile, was bei Berücksichtigung der Odious-Debts-Doktrin möglicherweise nicht der Fall wäre. 3. Beteiligte auf Gläubigerseite Während auf Schuldnerseite immer ein Staat steht, ist auf Gläubigerseite im letzten Jahrhundert eine Entwicklung der internationalen Kreditvergabepraxis zu beobachten, die von einem reinen anleihebasierten System unter Beteiligung privater Gläubiger über das verstärkte (meist strategische) Auftreten von Staaten als bilaterale Kreditgeber hin zu einem Nebeneinander von Anleihen und Krediten reicht.94 Heute sind daher sowohl nicht-gewerblich oder gewerblich handelnde Private als auch Staaten und deren öffentlich-rechtliche juristische Personen beteiligt.95 Dabei können Staaten nicht nur individuell (und damit bilateral), sondern auch im Verbund (multilateral) agieren, nämlich im Rahmen internationaler Finanzinstitutionen (IFIs) wie IWF, Weltbankgruppe (insbes. IBRD und IDA) oder regionaler Entwicklungsbanken (etwa die Asian Development Bank). Multilaterales Handeln bietet neben der Kumulation finanzieller Leistungskraft den Vorteil, dass im Rahmen solcher Organisationen institutionelle Rahmenbedingungen z. B. für statistische und Monitoring-Zwecke geschaffen werden können, welche einzelne Staaten in diesem Umfang kaum wahrnehmen können. Umgekehrt ist auch die Bedeutung privater Schuldner nicht zu unterschätzen. Die privaten Schulden der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) beispielsweise betrugen bei ihrem Zerfall mit ca. gehung von Schulden zulasten noch Ungeborener) und das Fehlen eines Staaten­ insolvenzverfahrens betonen. 94  Vgl. Dickerson, LCP 2007(70), 53, 55. 95  Zu dieser Entwicklung s. Gentile, LCP 2010(73), 151, 162 m. w. Nachw.; zur Entwicklung öffentlicher Finanzierung vgl. auch Wong, Sovereign Finance, S. 40 ff.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 41

8 Milliarden US-Dollar ungefähr 50 % der gesamten Schuldenlast.96 Auch bei Verträgen, die keine Kreditverträge sind, können auf Gläubigerseite sowohl Private (Privatpersonen, häufiger Unternehmen) als auch Staaten auftreten.97 Will die Odious-Debts-Doktrin die Entstehung odiöser Schulden ausschließen, kann sie nur dann erfolgreich sein, wenn der Abschluss odiöser Verträge an Attraktivität verliert, weil die mit diesen Verträgen verfolgten Ziele nicht erreicht werden. Häufig wird argumentiert, dass die Nichtigkeit von Odious Debts zur Rückzahlungsverweigerung solcher Schulden führen würde, was wiederum den Vertragsschluss zu illegitimen Zwecken ex ante unterbände. Dieser Ansatz trifft aber nur auf solche Verträge zu, die ausschließlich zum Zwecke der Gewinnmaximierung eingegangen werden. Ein umfassendes Lösungsmodell muss hingegen auf alle möglichen Interessen bei der Kreditgewährung Rücksicht nehmen. Im Folgenden sollen daher die divergierenden Interessen der jeweiligen Gläubiger genauer betrachtet werden. a) Nichtöffentliche Gläubiger Eine wichtige Gruppe bilden die nichtöffentlichen Gläubiger. Dies können sowohl individuell handelnde Privatanleger sein als auch solche, die ihre gebündelten Interessen von Vermögensverwaltern wahrnehmen lassen, und schließlich private Unternehmen und Banken. Als Arten von Schulden kommen dabei typischerweise Anleihen sowie gewerbliche Kredite in Betracht. So unterschiedlich die Einfluss- und Erkenntnismöglichkeiten im globalen Wirtschaftssystem für diese Gruppen auch sein mögen, so verfolgen sie doch grundsätzlich ein gemeinsames Interesse, nämlich die Vermögensmehrung.98 Private Anleger gewähren Darlehen, um nach Ablauf der Darlehenszeit einen höheren Geldbetrag zurückzuerhalten. Freilich kennt dieses Grundprinzip auch Abstufungen. So gibt es Privatpersonen, die ihr Geld ausschließlich in ethisch oder ökologisch sinnvolle Projekte investieren und gegebenenfalls eine niedrigere Rendite oder aber ein höheres Risi96  Stanič,

EJIL 2001(12), 751, 758. die Beispiele bei Kapitel 1 A.II.1. 98  Pérez / Weissman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 699, 704 ff. führen aus, dass sich staatliches (politisches) und privates (ökonomisches) Interesse häufig überschneiden und gegenseitig beeinflussen („foreign banking is politicized and foreign policy is commercialized“, ebd. S. 733). Allerdings erfolgt auch die Umsetzung politischer Zielvorstellungen über Instrumente, die unmittelbar am kommerziellen Interesse Privater ansetzen, wie etwa staatliche Bürgschaften. Dies trifft auch auf die Odious-Debts-Doktrin zu, die gerade dazu führen soll, dass die Vergabe bevölkerungsschädlicher Kredite wirtschaftlich unattraktiv wird. 97  Vgl.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

ko in Kauf nehmen.99 Der Großteil der Anlagen ist jedoch gewinnorientiert, wobei es einer Vielzahl von Privatanlegern an Einblicken fehlt, wie ihr Geld im Einzelfall verwendet wird, weil sie Schuldtitel am Sekundärmarkt erworben haben100 bzw. Anteile an einem aktiv gemanagten Fonds halten, dessen konkreten Bestand sie gar nicht kennen. Dies ist bei der Frage der Gläubigerkenntnis zu berücksichtigen.101 Auch bei Banken steht die Gewinnmaximierung im Vordergrund. Je nach Art und Umfang der Geschäftsbeziehungen im Schuldnerstaat können diese zudem ein maßgebliches Interesse daran haben, diese Geschäftsbeziehungen aufrecht zu erhalten102 oder die mittelfristige Zahlungsfähigkeit des Schuldners durch die Hinnahme kurzfristiger Zahlungsausfälle zu gewährleisten. Im Vordergrund steht aber auch hier der sich aus den Transaktionen mittel- und langfristig ergebende Gewinn. Dass ethische Erwägungen bei der Kreditvergabe überhaupt keine Rolle spielen, gilt zwar nicht für alle Gläubiger uneingeschränkt; für die überwiegende Mehrheit der Geldgeber sind dies aber bestenfalls sekundäre Überlegungen.103 So verfügt zwar das als diktatorisch-repressives Regime geächtete Nordkorea über gar keine privaten Kredite; Anleihen des unter Menschenechtlern ebenfalls unbeliebten, aber ölreichen und daher potentiell (rück-)zahlungsfähigeren Sudan hingegen wurden an den privaten Märkten zunächst positiv aufgenommen.104 Nach dem Verkauf von Anleihen in Höhe von 500 Millionen Sudanesischen Pfund (etwa 150 Millionen Euro)105, davon 12,5% an nichtafrikanische Anleger, kamen die Geschäfte erst zum Erliegen, als wegen der unsicheren politischen Lage im Zusammenhang mit Südsudan die Rückzahlungsfähigkeit Sudans ungewiss wurde.106 99  Dies spiegelt sich in der Gründung diverser sich als ökologisch oder ethisch nachhaltig bezeichnenden Banken, in der Auflage von Ökofonds und auch in der Entwicklung sogenannter Mikrokredite wider. Für die vorliegende Untersuchung spielen diese Anlegeformen aber eine geringere Rolle, da es sich meist um Investitionen in konkrete Projekte ohne staatliche Beteiligung handelt und die Wahrscheinlichkeit der Entstehung odiöser Schulden ohnehin gering ist. 100  Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 482. 101  s. dazu unten, Kapitel 3 B.II.3. 102  Bonilla, Odious Debt, S. 76. 103  Optimistischer, was die Beweggründe von Anleihegläubigern angeht: BenShahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 78; Buchheit, LCP 2007(70), 1 weist darauf hin, dass auch für die ethisch uninteressierten Gläubiger Fragen der Legitimität eine indirekte Rolle spielen, weil das Risiko des Zahlungsausfalls steigt, wenn die Legitimität der Kredite in Frage gestellt wird. 104  Bonilla, Odious Debt, S. 74 f. 105  Wechselkurs vom 1. November 2010. 106  El Baltaji / Mazen, Sudan Revives Lokal Sukuk After Global Bond Sale Failed: Islamic Finance, Bloomberg, 15.  Dezember 2010, abrufbar unter http: /  / www.bloom



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 43

Es lässt sich somit festhalten, dass sich bei absehbaren finanziellen Gewinnen immer auch nichtöffentliche Anleger zur Kreditvergabe finden werden. Maßgebliches Kriterium für die Kreditvergabe ist für die Gruppe der privaten Gläubiger die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung. Allerdings machen Private in manchen Staaten nur einen geringen Teil der Gläubiger aus;107 dies trifft insbesondere auf die least developed countries (LDCs) zu, welche wegen ihrer schwachen wirtschaftlichen Lage vom privaten Kreditmarkt überwiegend abgeschnitten und ganz überwiegend auf öffentliche Kredite angewiesen sind.108 b) Öffentliche Gläubiger Das systematische Auftreten öffentlicher Kreditgeber ist ein relativ junges Phänomen und in dieser Form erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu beobachten.109 Die Möglichkeiten der Einbeziehung öffentlicher Gläubiger sind dabei vielfältig: Diese können direkt, in der Regel durch eine staatliche Bank, als Vertragspartner an der Transaktion beteiligt sein110 oder Anleihen erwerben, aber auch gegenüber privaten Banken oder Unternehmen Bürgschaften eingehen und im Fall des Zahlungsausfalles des Schuldnerstaates den Rückgriffsanspruch gegen den säumigen Staat erhalten; schließlich können sie auch konzertiert über internationale Finanzinstitutionen vorgehen.111 aa) Maßgebliche Interessen öffentlicher Gläubiger Die Beziehung zu öffentlichen Gläubigern gestaltet sich in wesentlichen Punkten anders als die zu privaten,112 da erstere mit der Kreditvergabe anderes bezwecken als die bloße Vermögensmehrung. Dies ist offensichtlich bei internationalen Finanzinstitutionen, welche klar vorgegebene wirtberg.com / news / 2010-12-14 / sudan-revives-local-sukuk-after-global-bond-sale-failsislamic-finance.html. 107  Vgl. Gelpern, LCP 2007(70), 81, 82, die die Beispiele von Irak, Liberia und Nigeria anführt, wo die privaten Schulden nur einen Bruchteil der öffentlichen betrugen, und 87 m. w. Nachw. 108  Gelpern, LCP 2007(70), 81, 100. 109  Vgl. m. w. Nachw. Gelpern, LCP 2007(70), 81, 87; Gentile, LCP 2010(73), 151, 162. 110  Zum Ablauf des Abschlusses eines solchen bilateralen Kreditvertrages in der Praxis s. Paulus, Responsible Bilateral Lending and Borrowing, S. 7 ff. 111  Zu multilateralen Krediten s. Gentile, LCP 2010(73), 151, 164 f. m. w. Nachw. 112  Zum Folgenden s. m. w. Nachw. Bonilla, Odious Debt, 49 f.; Gelpern, LCP 2007(70), 81, 91 f.; Gentile, LCP 2010(73), 151, 163 ff.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

schafts-, entwicklungs- bzw. währungspolitische Ziele verfolgen.113 Doch auch die bilaterale Kreditvergabe unter Staaten ist nicht primär durch wirtschaftlichen Gewinn motiviert, zumindest nicht durch Gewinn als direkte Folge des Darlehensvertrages. So kann die Auszahlung von Darlehen dazu dienen, durch wirtschaftlichen Aufschwung im Empfängerstaat einen Absatzmarkt für eigene Exporte zu schaffen;114 ebenso kann die Bereitstellung von Krediten und Bürgschaften auf die wirtschaftliche Stabilisierung eines Währungssystems abzielen, was aktuell in der Eurozone zu beobachten ist. Weiterhin kann ein Kredit aus humanitären Gründen gewährt werden, aber auch der Steigerung (geo-)politischer Einflussnahme, dem Zugang zu natürlichen Ressourcen im Schuldnerstaat oder Sicherheitsinteressen115 dienen. So vergab China in den letzten Jahren Kredite in Milliardenhöhe an Nigeria, mit welchen mehr oder weniger offen der Zugang Chinas zu nigerianischem Öl verfolgt wurde.116 All diesen Beispielen ist gemeinsam, dass der direkte ökonomische Nutzen aus der Rückzahlung des Kredites inklusive Zinsen selten maßgebliches Motiv für die Kreditvergabe ist. Ebenso wenig ist die Entscheidung gegen eine Kreditgewährung ausschließlich von der (mangelnden) Rückzahlungsbereitschaft auf Schuldnerseite abhängig. Die Kreditvergabe an einen als Konkurrent angesehenen Staat kann bei der wahlberechtigten Bevölkerung genau so unpopulär sein wie die finanzielle Unterstützung menschenverach­tender Regime. Andererseits ist es schwer zu rechtfertigen, warum an einen strategisch uninteressanten und finanziell wenig zuverlässigen Staat Gelder vergeben werden sollen, wenn dafür keine humanitären Gründe ins Feld geführt werden können. Soll die Odious-Debts-Doktrin auch die Vergabe odiöser Staatskredite unattraktiv machen, ist folglich nicht nur auf die Rückzahlungswahrscheinlichkeit abzustellen, sondern es sind weitere Motive zu berücksichtigen (s. a. unten, C.I.4.b)). Staatliche Kredite unterscheiden sich von nicht-staatlichen auch hinsichtlich der Durchsetzungsmechanismen. Obgleich theoretisch private wie öffentliche Gläubiger rechtliche Schritte gegen den säumigen Schuldner ein113  Vgl. etwa Art. I der Articles of Agreement des IWF, Art. I der Articles of Agreement der IBRD sowie Art. I des Agreement Establishing the Inter-American Development Bank. 114  Für ein problematisches Beispiel der Verfolgung solcher Interessen siehe unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(18) (norwegische Schiffsexporte). 115  Wie z. B. Darlehen der USA an die Türkei und Pakistan, s. Bonilla, Odious Debt, S. 50. 116  Für mehr Details s. Paulus, in: Ligustro / Sacerdoti, FS Picone, S. 238 ff.; s. auch Ginsburg / Ulen, LCP 2007(70), 115, 122 und 128 ff. für weitere Beispiele chinesischer Investitionsstrategien.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 45

gehen können, haben letztere in der Vergangenheit (schieds-)gerichtliche Foren nur zurückhaltend genutzt.117 Gleichzeitig haben Zahlungsrückstände gegenüber öffentlichen Gläubigern nur einen begrenzten Einfluss auf die Reputation bei privaten.118 Falls das von einem Staat zur Verfügung gestellte Kapital ohnehin nur formell als Kredit bezeichnet wurde (s. dazu unten, bb)), ist auch die mangelnde Rückzahlung unschädlich; ist diese andererseits gewollt, stehen Staaten ganz andere Instrumentarien zur Verfügung als privaten Gläubigern, die von politischer Einflussnahme in diversen internationalen Gremien bis hin zu direktem politischen oder wirtschaftlichen Druck auf den Schuldnerstaat reichen, wobei heutzutage militärische Zwangsmaßnahmen nicht mehr akzeptiert werden119 und auch kaum mit dem Gewaltverbot aus Art. 2 (4) UN-Charta zu vereinbaren wären.120 Mit der Gewährung von Krediten können Staaten schließlich stärkere politische und wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten im Empfängerland erlangen als private Gläubiger, und zwar umso mehr, desto weniger alternative (private) Geldquellen zur Verfügung stehen. Solche Abhängigkeiten können in Ermangelung eines Staateninsolvenzverfahrens auch nicht ohne Weiteres beseitigt werden.121 Zu beachten ist schließlich, dass die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Gläubigern fließend sein können, etwa wenn wertlos gewordene staatliche Ansprüche an Private verkauft oder private Ansprüche von Staaten aufgekauft werden. Lösungsmodelle, die ähnlich der Restrukturierung im Paris Club streng zwischen öffentlichen und privaten Forderungen trennen wollen, müssen auch dieses Problem angehen.122

117  Gelpern,

LCP 2007(70), 81, 91. LCP 2007(70), 81, 91. 119  Eine erste Einschränkung erfuhr das ius ad bellum diesbezüglich auf der zweiten Haager Friedenskonferenz, auf welcher die Convention Respecting the Limitation of the Employment of Force to the Recovery of Contract Debts verabschiedet wurde, der zufolge militärische Mittel zur Durchsetzung vertraglicher Schulden nur als ultima ratio in Betracht kamen, nachdem ein Schiedsverfahrens abgelehnt, gescheitert oder nicht umgesetzt worden war. Dazu und zum begrenzten Anwendungsbereich der Konvention s. Waibel, Sovereign Defaults, S. 37; vgl. auch Stiglitz, in: Herman u. a., Sovereign Debt, S. 36. 120  Zur Reichweite des Gewaltverbots s. Randelzhofer, in: Simma, Charter of the United Nations, Article 2(4), Rn. 14 ff. 121  Zum Staateninsolvenzverfahren s. noch unten, Kapitel 1 B.III. 122  Siehe zu dieser Problematik auch Gelpern, LCP 2007(70), 81, 111, die das Beispiel von rumänischen Ansprüchen gegenüber Sambia anführt. 118  Gelpern,

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

bb) Abweichung von Form und Substanz in zwischenstaatlichen Kreditverträgen Die unterschiedliche Motivation zur Kreditgewährung führt zu der Frage, ob Zahlungen unter Staaten überhaupt Kredite im eigentlichen Sinne darstellen. Zwar handelt es sich formell meist um Darlehensverträge; ob dies auch materiell gilt, kann aber vielfach bezweifelt werden. Es ist nämlich in vielen Fällen fraglich, ob die Erwartung der Rückzahlung überhaupt oder zumindest ein wesentliches Merkmal solcher Transaktionen ist.123 In der Literatur werden Kredite unter Staaten daher auch mit Darlehen unter Freunden oder Familienmitgliedern verglichen.124 Ein Grund, dass die Parteien Geldzahlungen dennoch als Kredite bezeichnen, ist die Tatsache, dass die unmittelbare Schenkung von Geld an fremde, wenn auch alliierte, Staaten der eigenen Bevölkerung – genauer genommen den eigenen Steuerzahlern – nur schwer begreiflich gemacht werden kann,125 mit Ausnahme vielleicht von humanitärer Soforthilfe. Die Rückzahlungserwartung muss aber in den oben beschriebenen Fällen nicht unbedingt gegeben sein.126 Solche Transaktionen pauschal als verlorene Zuschüsse zu bezeichnen, ist zwar vor dem Hintergrund exorbitanter Staatsverschuldung attraktiv – oft sind Empfänger solcher Kredite wirtschaftlich schwache, aber geopolitisch interessante oder ressourcenreiche Entwicklungsländer –, wird aber der Sache nicht gerecht. Denn auch diese Zahlungen stellen in der Regel Darlehen dar, deren Rückzahlung allerdings viel flexibler gehandhabt wird als bei strengen Kreditverträgen.127 So scheint es wahrscheinlich, dass ein Staat auf der Rückzahlung bestehen wird, wenn der erwünschte Erfolg – etwa Zugang zu Rohstoffen oder politische Begünstigung – nicht eintritt, beispielsweise weil die politischen Beziehungen nach einem Regierungswechsel weniger freundlich sind. Gerade in Odious-Debts-typischen Konstella­ tionen besteht folglich die Problematik, ob solche strategischen Kredite zurückgefordert werden sollen. Dies spricht dagegen, bilaterale Kredite von der Betrachtung als ohnehin unverbindlich auszuklammern. Ähnliches ist auch bei Darlehen unter Freunden zu beobachten: Je mehr sich das Verhält123  Vgl. Gentile, LCP 2010(73), 151, 163: „These types of loans are, in essence, political accommodations rather than economic transactions.“ 124  Z. B. Gelpern, LCP 2007(70), 81, 93 ff. 125  Vgl. Gelpern, LCP 2007(70), 81, 94 f. für die Diskussion über Zahlungen der US Agency for International Development. 126  Gentile, LCP 2010(73), 151, 163. 127  Gelpern definiert Staatskredite dementsprechend als Geldtransfer im Austausch gegen Kontrolle über die politische Linie („policy control“) mit einem Rückzahlungsversprechen, wobei die Rückzahlungserwartung an das Vermögen des Schuldners und die politische Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner gekoppelt ist, s. Gelpern, LCP 2007(70), 81, 104.



A. Inhalt der Debatte und Gegenstand der Untersuchung 47

nis verschlechtert, desto eher wird der Darlehensgeber die Rückzahlung fordern, was zeigt, dass auch Kredite unter Freunden in erster Linie Kredite bleiben. Die Bezeichnung der Transaktion als Kredit ist mithin ein starkes Indiz dafür, dass zumindest unter bestimmten Umständen eine Rückzahlung gewollt ist. Auch im nationalen Recht ist anerkannt, dass hinter einem Vertragsschluss vielfältige Motive stehen können, was im deutschen Recht beispielsweise im Konzept der Geschäftsgrundlage seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. auch Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention und dazu unten, Kapitel 2 C.IV.). Der allgemeine politische Erwartungshintergrund kann somit auch bei Staatskrediten die Geschäftsgrundlage der konkreten Transaktion darstellen, ohne als solche deren Qualifikation als Darlehen in Frage zu stellen.128 Dies wird auch der Freiheit der Parteien gerecht, ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit den ihnen gefälligen rechtlichen Mitteln auszugestalten.129 Vieles spricht daher dafür, als Kredit bezeichnete Transaktionen auch als Kredit zu behandeln, wobei immer Raum für Abweichungen bleibt.130 Sind sich die Beteiligten einig, dass es sich bei dem Geldtransfer nicht um einen Kredit handelte, entfällt die Problematik der Rückzahlung ohnehin. Verlangt andererseits der angebliche oder tatsächliche Kreditgeber die Rückzahlung, kann unter anderem die Berufung auf die Odious-Debts-Doktrin einen Ansatzpunkt zur Zahlungsverweigerung bilden. c) Bedeutung der Unterscheidung für die vorliegende Untersuchung Für solche Anleger, denen es ganz überwiegend um Gewinnmaximierung geht, ist die Reputation des Schuldners (der Ruf, den er hinsichtlich Rückzahlungswillen und ‑fähigkeit genießt), maßgebliches Kriterium für die Kreditvergabe.131 Ein rational handelnder Anleger wird einem Staat bereitwilliger und zu besseren Konditionen Kredite gewähren, je höher dessen (etwa durch ein positives Rating belegte) Reputation ist. Dies rührt maßgeb128  Paulus, in: Ligustro / Sacerdoti, FS Picone, S. 242; zum Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen eines Regimewechsels s. aber unten, Kapitel 2 C.IV. 129  Paulus, in: Ligustro / Sacerdoti, FS Picone, S. 242. 130  s. Paulus, in: Ligustro / Sacerdoti, FS Picone, S. 243 ff., der dies konkret am Beispiel von chinesischen Krediten an Nigeria darstellt. Gelpern, LCP 2007(70), 81 ff., insbes. 104 ff. schlägt eine Behandlung in Anlehnung an die dem US-amerikanischen Insolvenzrecht entstammenden Prinzipien der recharacterization und der equitable subordination vor, welche zu einer nachrangigen Behandlung der Forderungen führen können. 131  Bonilla, Odious Debt, S. 28 f. Für eine ausführliche Diskussion der Reputa­ tionstheorie und möglicher Gegenmodelle s. dies., S.  22 ff.; s. a. Gelpern, LCP 2007(70), 81, 90 m. w. Nachw. und Kolb, in: Kolb, Sovereign Debt, S. 4 ff.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

lich daher, dass die Zugriffsmöglichkeiten privater Gläubiger auf Vermögenswerte des Schuldnerstaates eingeschränkt sind: Bestenfalls können diese gerichtlich festgestellte Forderungen in im Ausland gelegenes Vermögen vollstrecken, sofern dieses nicht aufgrund seiner hoheitlichen Verwendung geschützt ist (s. o. I.3.b)).132 Eine Modifikation erfährt das Reputa­ tionsmodell, wenn staatliche Kreditbürgschaften die Kreditvergabe an andere Staaten sichern. Hier ist auch die Reputation des Bürgen maßgeblich, weil im Zweifel dieser zur Erfüllung verpflichtet ist.133 Für viele Autoren setzt die Figur der Odious Debts bei der Rückzahlungswahrscheinlichkeit an: Führt die Illegitimität von Schulden zu deren Unwirksamkeit, sinkt die Rückzahlungswahrscheinlichkeit für solche, sodass sich schon im Voraus weniger bis gar keine Kreditgeber zur Finanzierung schädlicher Zwecke finden lassen. Umgekehrt lässt die Verweigerung solcher Ansprüche im Nachhinein aber die Reputation des Schuldnerstaates unangetastet, da die Nichterfüllung nichtiger Verbindlichkeiten keine negative Wirkung auf die Reputation des Schuldners hätte, sodass die Kreditwürdigkeit nach einem Regimewechsel durch die Verweigerung der Bedienung odiöser Schulden nicht beeinträchtigt würde.134 Dies gilt im Übrigen auch im Verhältnis zu solchen öffentlichen Anlegern, deren Kredite an andere Staaten ausschließlich durch Gewinn motiviert sind. Für diese Folge bedarf es aber klarer Kriterien, anhand derer sich eine Schuld als nichtig qualifizieren lässt, da sonst die Zahlungsverweigerung im Zweifel als unrechtmäßig angesehen würde135 und neben Reputationsverlusten Vollstreckungshandlungen in im Ausland belegenes Vermögen mit sich bringen würde.136 Ein Beispiel ist die juristisch unzureichend begründete Zahlungsverweigerung Ecuadors,137 die zum Rückgang ausländischer Investition und zur kurzfristigen Isolation Ecuadors von den privaten Finanzmärkten138 führte. 132  Ein interessantes Beispiel ist der Versuch eines bayerischen Insolvenzverwalters, die Forderung einer insolventen AG gegen den thailändischen Staat in ein Flugzeug der thailändischen Luftwaffe zu vollstrecken, welches sogar durch Beschluss des Kammergerichts Berlin auf dem Münchener Flughafen gepfändet wurde, als der thailändische Kronprinz dort zu privaten Zwecken landete, vgl. Wassermann, „Das Fax aus Bangkok“, Der Spiegel vom 1.  August 2011, Ausgabe 31 / 2011, abrufbar unter http: /  / www.spiegel.de / spiegel / print / d-79723296.html. 133  Vgl. Bonilla, Odious Debt, S. 76. 134  s. zu diesem Argument auch unten, Kapitel 1 C.I.4. 135  Porzecanski, LCP 2010(73), 251, 267; Michalowski, Unconstitutional Regimes, S.  63 m. w. Nachw. 136  Gentile, LCP 2010(73), 151, 152. 137  Zur Zahlungsverweigerung Ecuadors und der Frage, ob es sich dabei um eine Bestätigung der Odious-Debts-Doktrin handelt, s. u. Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(18). 138  Bonilla, Odious Debt, S. 34 m. w. Nachw.; siehe die Rating-Entwicklung Ecuadors, abrufbar unter http: /  / www.datosmacro.com / en / ratings / ecuador.



B. Verwandte Problemstellungen49

Modelle, die nur an die Reputation des Schuldners hinsichtlich seiner Rückzahlungsbereitschaft oder ‑fähigkeit anknüpfen, lassen aber außer Acht, dass die Rückzahlung des Kredits bei der bedeutenden Gruppe der öffentlichen Kreditgeber meist nicht der maßgebliche Faktor ist. Angesichts der Bedeutung öffentlicher Kreditgeber bewertet Gelpern viele aktuelle Beiträge zur Odious-Debts-Debatte daher als im frühen 20. Jahrhundert verblieben, als Staaten für Kredite nahezu ausschließlich auf private Geldquellen zurückgriffen.139 Lösungsmodelle, die Odious Debts ex ante für nichtig erklären, werden überwiegend private Gläubiger von der Kreditvergabe abschrecken, während öffentliche Kreditgeber ungeachtet der reduzierten Rück­ zahlungs­ wahrscheinlichkeit problematischen Staaten weiterhin im geopolitischen Interesse Gelder zur Verfügung stellen dürften. Die finanzielle „Austrocknung“ despotischer Regime scheint damit weniger wahrscheinlich. Ob die Geltung der Odious-Debts-Doktrin trotz dieser Feststellung sinnvoll ist, wird daher genauer zu untersuchen sein (s. u. C., insbesondere C.I.4.).

B. Verwandte Problemstellungen Im Folgenden sollen Thematiken aufgezeigt werden, die ganz ähnliche Probleme wie die vorliegende Untersuchung mit sich bringen und von dieser zugleich abzugrenzen sind. Dabei handelt es sich insbesondere um die Figur der illegitimen Schulden, Schuldenerlass, Staateninsolvenz und verantwortliche Kreditvergabe.

I. Illegitime Schulden Die Figur der illegitimen Schulden ist noch schwieriger zu umgrenzen als die der Odious Debts; eine übereinstimmende Definition besteht nicht.140 Der Begriff wird häufig im Rahmen von Schuldenerlasskampagnen zugunsten von Entwicklungsländern verwendet und hat neue Bedeutung durch einen Vorstoß Norwegens zum Erlass fragwürdiger Schulden aus Schiffsexporten141 und im Rahmen des norwegischen Aktionsplans zum Erlass von Schulden von Entwicklungsländern142 erhalten. Als illegitim werden Schulden diskutiert, die von Diktaturen zu Lasten ihrer Bevölkerung aufgenom139  Gelpern,

LCP 2007(70), 81, 82. Defining Illegitimate Debt, S. 7; vgl. auch Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 20 ff., die sich mit kriminellen, unfairen und ineffektiven Schulden als Untergruppen auseinandersetzen und als weitere Termini unpayable debts, onerous debts, dubious debts und honorific debts anführen. 141  Genauer unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(18). 142  The Norwegian Ministry of Foreign Affairs, Debt Relief for Development. 140  Hanlon,

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

men wurden, aber auch solche, die auf der Ungleichheit zwischen den Vertragspartnern beruhen; Schulden, deren Bedienung zu großem Schaden beim Schuldner führen würde; Kredite mit übertriebenen Zinssätzen; Kredite, die aus ideologischen anstatt entwicklungspolitischen Gründen vergeben wurden; Schulden, die auf der Kolonialisierung des globalen Südens beruhen; unfaire, unsaubere und schließlich allgemein moralisch verwerfliche Schulden.143 Zwar bestehen Überschneidungen mit der Figur der Odious Debts, welche ihrerseits häufig als ein Unterfall von illegitimen Schulden behandelt wird;144 allerdings ist der Begriff der illegitimen Schulden deutlich weiter und diffuser.145 In einer Untersuchung heißt es treffend: „The sum of these criteria for ‚illegitimacy‘ is a very finely-meshed net, in fact it is so finely meshed that it appears to catch all debt. If all these criteria are accepted …, to advocate cancelling ‚illegitimate debt‘ may easily be seen as a recommendation to cancel all developing countries’ debt.“146 Eine gesetzliche oder gerichtliche Verwendung des Terminus ist kaum zu beobachten;147 für eine rechtliche Beurteilung von Schulden ist der Begriff aufgrund seiner Weite auch kaum geeignet. Zur Figur odiöser Schulden bestehen aber argumentative Überschneidungen, die in der vorliegenden Untersuchung zu berücksichtigen sind, zumal sich Entschuldungskampagnen zunehmend rechtlicher Begründungen bedienen.148

II. Schuldenerlass Als Folge der rechtlichen und moralischen Fragwürdigkeit von Schulden fordern nationale und internationale Entschuldungskampagnen den umfangreichen Erlass der Schulden von Entwicklungsländern durch internationale Organisa­tionen und Industrie­nationen.149 Die Nichtregierungsorganisationen 143  Vgl. zu den vielen verschiedenen Definitionen den Report of the Independent Expert on the Effects of Foreign Debt and Other Related International Financial Obligations of States on the Full Enjoyment of All Human Rights, Particularly Economic, Social and Cultural Rights, 12. August 2009, A / 64 / 289, para. 10 ff. 144  Vgl. die Nachweise in Fn. 140 und 143 sowie Raffer, LCP 2007(70), 221, 228. 145  Kritisch etwa Olivares-Caminal, Sovereign Debt Restructuring, Rn. 3-099, der den Begriff als „An Odious Mutation“ bezeichnet. 146  The Norwegian Ministry of Foreign Affairs, Debt Relief for Development, S. 18. 147  Vgl. Hanlon, in: Jochnick / Preston, Sovereign Debt at the Crossroads, S. 112 mit dem Verweis auf wenige Ausnahmen. 148  Vgl. etwa Queck, in: erlassjahr.de, Handbuch Illegitime Schulden, S. 10 ff.; positiv zur Ausweitung der Begrifflichkeiten Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J. Transnat’l. L. 2009(48), 59, 89 ff. 149  Maßgeblich sind die Jubilee-Bewegungen wie Jubilee USA (www.jubileeusa. org), Jubilee Debt Campaign (www.jubileedebtcampaign.co.uk) und Netzwerke wie



B. Verwandte Problemstellungen51

erfahren dabei maßgebliche Unterstützung aus Kirchenkreisen, die mit Papst Johannes Paul II. zum Großen Jubeljahr 2000150 einen weitreichenden Schuldenerlass forderten.151 Das Prinzip des Jubeljahres (Luther übersetzte Halljahr bzw. Erlassjahr) geht auf 3. Mose 25, 10 ff. zurück und besagt, dass alle 50 Jahre die ursprünglichen Besitztümer wiederhergestellt und damit alle Schulden erlassen werden sollen.152 Die prominenteste Umsetzung eines Schuldenerlasses ist die 1996 in Gang gesetzte Initiative HIPC II (Enhanced Heavily Indebted Poor Countries Initiative), die im Rahmen von Weltbank und IWF die Wiederherstellung eines tragfähigen Schuldenniveaus in 39 ärmsten Ländern durch einen Schuldenabbau in Höhe von nominal 76 Mrd. USD zum Ziel hat.153 2006 wurde diese durch die Multilateral Debt Relief Initiative (MDRI) erweitert. Soweit sich die Erlasskampagnen juristischer Argumentation bedienen, ist diese für die vorliegende Untersuchung von großem Interesse. Allerdings besteht ein Problem darin, dass der Begriff des Schuldenerlasses logisch die Wirksamkeit der zu erlassenden Schulden voraussetzt154 und damit die Gefahr besteht, dass es sich dabei um einen einseitigen, im Belieben des Gläubigers stehenden Akt der Wohltätigkeit handelt. Raffer stellt fest: „At present, any cancellation is based on arbitrariness; there is no right to it, nor are there any rules. It is granted to some countries, not to others, for some types of debts, not for others.“155 Dies hindert Befürworter eines Schuldenerlasses jedoch nicht daran, diesen mit rechtlichen, auf die Unwirksamkeit der Schulden abstellenden Argumenten zu begleiten, was sich durchaus auf die Höhe der zu erlassenen Schulden auswirken kann.156 Wie die HIPC-Initiative zeigt, ist der Blickwinkel des Schuldenerlasses jedoch grundsätzlich ein anderer, denn Ziel ist es, ein tragfähiges Schuldenniveau herzustellen, um den Schulddie deutsche Organisation erlassjahr.de (www.erlassjahr.de) und das belgische Comité pour l’Abolition de la Dette du Tiers Monde (www.cadtm.org). 150  Vgl. das apostolische Schreiben Tertio Millenio Adveniente, 10. November 1994, para. 51. 151  Vgl. „Ärmsten Ländern die Schulden erlassen. Ökumenischer Rat fordert ‚Erlassjahr 2000‘ “, Ökumenischer Rat der Kirchen, Pressemitteilung, 13. Dezember 1998, abrufbar unter http: /  / www.wcc-coe.org / wcc / assembly / prg-37.html; zu theologischen Aspekten der Überschuldung und dem Umgang der Kirchen damit s. Herman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 773, 781 ff. 152  Dazu m. w. Nachw. Paulus, IILR 2012(3), 1, 3. 153  Vgl. die Zahlen und Informationen in „HIPC at a glance“, World Bank, 2012, abrufbar unter http: /  / siteresources.worldbank.org / INTDEBTDEPT / Resources / 468 980-1256580106544 / HIPC_Fall2012_ENG.pdf; zur Kritik an der Initiative m. w. Nachw. Feinerman, LCP 2007(70), 193, 215. 154  Barry / Tomitova, Ethics & International Affairs 2007(21), 41, 47. 155  Raffer, LCP 2007(70), 221, 247. 156  Vgl. dazu insbesondere den Fall des Iraks, unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(16).

52

Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

nerstaat aus der Schuldenfalle zu befreien157 – die Grenzen zur Staateninsolvenz sind hier fließend – und wirtschaftliche Entwicklung sowie Armutsbekämpfung zu erreichen. Die Legitimität der Schulden ist dagegen nur von sekundärer Bedeutung.158 Im Vergleich zur Rechtsfigur der odiösen Schulden zeigt sich noch ein weiterer Unterschied: Initiativen zum Schuldenerlass betreffen nur arme, überschuldete Staaten, während die Anwendung der OdiousDebts-Doktrin grundsätzlich den Blick auf einzelne Ansprüche richtet und damit keineswegs auf überschuldete Staaten begrenzt ist.159 Beispielsweise lag im Fall der Ablösung des südafrikanischen Apartheidsregimes die Anwendung der Doktrin durchaus nahe, obwohl kein genereller Schuldenerlass diskutiert wurde.160 Zudem nimmt die Frage der Überschuldung eine nachträgliche Perspektive ein, während ein Zweck der Odious-Debts-Doktrin ist, die Entstehung bestimmter Schulden zu verhindern. Zwischen der OdiousDebts-Doktrin und Schuldenerlassbestrebungen bestehen mithin Überschneidungen, weil erstere ein Argument für letzteren sein kann, ohne dass die Anwendungsfälle jedoch deckungsgleich wären.

III. Staateninsolvenz Mehr noch als Erlasskampagnen knüpft die Problematik der Staateninsolvenz an die Überschuldung des Schuldnerstaates an.161 Im Gegensatz zum freiwilligen Schuldenerlass ist die Reduzierung von Schulden im Rahmen eines Insolvenzverfahrens rechtlich geregelt.162 Für Staaten gilt dies allerdings bisher nicht; hier fehlt es trotz einer Vielzahl von Vorschlägen163 157  Dazu kann die Odious-Debts-Doktrin aber ein Mittel sein, vgl. Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83. 158  Wong, Sovereign Finance, S. 85 führt gar an, dass die Legitimität der Schulden im Rahmen der HIPC-Initiative keinerlei Rolle spielt. 159  So auch Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82, 91. Daher geht das Argument fehl, es bedürfe der Odious-Debts-Doktrin nicht, weil Staaten bereits die Möglichkeit der Schuldenrestrukturierung hätten, vgl. zu dieser Position Nehru /  Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 35, Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 410 und die Gegenargumente bei Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J.Transnat’l. L. 2009(48), 59, 106 ff. 160  Vgl. unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(12). 161  Grundlegend zum Problemkreis etwa Paulus, RIW 2009(55), 11 ff.; Paulus, IILR 2012(3), 1 ff.; Nierlich / Schneider, IILR 2012(3), 392 ff.; s. a. v. Bogdandy /  Goldmann, ZaöRV 2013(73), 61 ff. 162  Raffer, LCP 2007(70), 221, 243 f. 163  Exemplarisch seien hier genannt: Anne Krugers Vorschlag des Sovereign Debt Restructuring Mechanism (SDRM) im Rahmen des IWF von Krueger, A New Approach to Sovereign Debt Restructuring; Bolton / Skeel, Emory L.J. 2004(53), 763; Paulus, IILR 2012(3), 1 ff.



B. Verwandte Problemstellungen53

derzeit an einem geregelten In- oder besser Resolvenzverfahren.164 Charakteristisch für die Suche nach einem solchen sind Fragen, die auch für die Problematik der Odious Debts eine Rolle spielen. Dies betrifft etwa die globale Umsetzbarkeit eines solchen Verfahrens, aber auch dessen institu­ tionelle Seite. So stellt sich wie im Fall odiöser Schulden die Frage, welche Instanz damit betraut werden soll, verbindliche Feststellungen zu treffen – soll es sich um eine politische oder neutrale rechtliche Lösung handeln?165 Dabei spielen auch Aspekte der demokratischen Beteiligung166 und der Legitimität von Forderungen eine Rolle. Schon bei rein wirtschaftlicher Betrachtung des Schuldenstandes des überschuldeten Staates sind jedenfalls solche Forderungen auszusondern, die rechtlich unwirksam sind, was potentiell auf odiöse Schulden zutrifft und damit der Quote der übrigen Gläubiger zugutekäme.167 Entsprechend wird die Figur der Odious Debts gelegentlich im Zusammenhang mit Staateninsolvenz genannt.168 Auch seitens Nichtregierungsorganisationen werden geregelte Verfahren für überschuldete Staaten gefordert. Im Rahmen des Fair and Transparent Arbitration Process (FTAP) soll nicht nur die rechtliche, sondern auch die moralische Fragwürdigkeit von Schulden berücksichtigt werden. Dieser federführend von der Nichtregierungsorganisation Jubilee USA und Partnerorganisationen geforderte Rahmen für ein Staateninsolvenzverfahren sieht vor, dass durch ein unparteiisches Gremium sowohl Gültigkeit als auch Legiti164  Zum

Begriff des Resolvenzverfahrens vgl. die Quellen in Fn. 161. gegen eine Politisierung des Prozesses Paulus, in: Paulus, Debt Restructuring Mechanism for Sovereigns. 166  Das demokratische Defizit bei bisherigen ad-hoc-Verfahren wurde wiederholt bei der Berliner Konferenz zur Staateninsolvenz ins Feld geführt, vgl. Nierlich / Schneider, IILR 2012(3), 392, insbes. 393, 418 f., 425, 426. Entsprechend wird für den Bereich odiöser Schulden die Durchführung eines Debt Audits unter Beteiligung der Bevölkerung gefordert, vgl. unten, Kapitel 3 B.IV. 167  Raffer, LCP 2007(70), 221, 245 f. 168  Beispielsweise diskutiert Raffer im Rahmen seines auf Chapter 9 des US Bankruptcy Codes basierten Modell der Staateninsolvenz Odious Debts als eine Kategorie von illegitimen Schulden, die die Schuldenlast des insolventen Staates reduzieren, vgl. Raffer, LCP 2007(70), 221; mit ähnlichen Erwägungen Kämmerer, ZaöRV 2005(65), 651  ff.; Leyendecker, Auslandsverschuldung, S.  180 ff.; Palley, Ethics & International Affairs 2003(17), 26, 31 f.; Paulus, in: Kadelbach, Nach der Finanzkrise, S. 129; Stiglitz, in: Herman u. a., Sovereign Debt, 61; s. auch den Beitrag von Somma bei der Berliner Konferenz zur Staateninsolvenz, abgedruckt in Nierlich / Schneider, IILR 2012(3), 392, 417 ff.; umgekehrt tauchen Referenzen zur Staateninsolvenz gelegentlich im Rahmen der Diskussion der Odious-Debts-Doktrin auf, vgl. etwa Backer, LCP 2007(70), 1, 42; Bonilla, Odious Debt, S. 69 ff. und S. 106; Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 746 f.; Feinerman, LCP 2007(70), 193, 210 f.; Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 337 ff.; Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 4 f.; zum Verhältnis der Themenkomplexe zueinander s. Rasmussen, LCP 2007(70), 249, insbes. 251 ff. 165  Dezidiert

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

mität der Kredite überprüft werden, was den Leitprinzipien nationalen Insolvenzrechts in den verschiedenen Rechtsordnungen entspreche.169 Was genau unter Legitimität der Schulden zu verstehen ist, bleibt jedoch offen. Davon abgesehen handelt es sich bei der Frage der Staateninsolvenz aber grundsätzlich um die Frage der Tragfähigkeit der Schuldenlast, während Odious Debts an die (un)moralische Natur der Schulden anknüpfen.170 Bei der Frage der odiösen Schulden wird die finanzielle Situation des Schuldnerstaates mithin grundsätzlich außer Acht gelassen, obgleich die OdiousDebts-Doktrin freilich überschuldeten Staaten besonders zugutekommen kann. Folglich ist die Bestrebung für ein Insolvenzverfahren einerseits weitergehend als das Konzept der Odious Debts, weil es die gesamte Überschuldung eines Staates angeht; andererseits ist es jedoch enger, weil es nur überschuldeten Staaten zur Verfügung steht. Somit ergibt sich eine gewisse Überschneidung zwischen den Themenkomplexen, die eine Berücksichtigung der Überlegungen für die vorliegende Untersuchung gebietet.

IV. Verantwortliche Kreditvergabe und Gläubigermitverantwortung Buchheit und Gulati beschreiben als Ziel der verantwortlichen Kreditvergabe (responsible sovereign lending and borrowing) drei Elemente, die sich ohne Weiteres auf die Zielsetzung der Odious-Debts-Doktrin übertragen lassen: die gegenwärtige Kreditvergabe­ praxis soll verändert werden; der neuen Regierung eines Staates, der zum Opfer verantwortungsloser Kreditwirtschaft wurde, soll es ermöglicht werden, ohne Reputationsverluste die Schulden zu reduzieren; und die Prinzipien sollen in einer Weise ausgestaltet werden, die es einem Richter erlaubt, diese im Fall der gerichtlichen Durchsetzung eines Zahlungsanspruches anzuwenden.171 Inhaltlich verfolgt das Konzept der verantwortlichen Kreditvergabe den Zweck, einer Überschuldung von Staaten vorzubeugen und wird daher im Zusammenhang mit Staateninsolvenz genannt; es zielt aber auch darauf ab, neben die Verantwortlichkeit des Schuldners für die menschlichen und ökologischen Auswirkungen der Kreditverwendung die Verantwortung des Gläubigers zu stellen und kann damit als präventives Mittel zur Verhinderung odiöser Schulden wirken.172 Der Zusammenhang zwischen Gläubigermitverantwortung und 169  Details 170  So

254.

zum Verfahren auf http: /  / www.jubileeusa.org / whatwedo / ftap.html. auch Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 86; Rasmussen, LCP 2007(70), 249,

171  Buchheit / Gulati,

LCP 2010(73), 63, 66. beiden Aspekte hebt Paulus, Responsible Bilateral Lending and Bor­ rowing, S. 1, hervor. 172  Diese



B. Verwandte Problemstellungen55

Odious Debts findet sich bereits im 1931 erschienenen Werk Feilchenfelds, der sich mit der Staatennachfolge in öffentliche Schulden auseinandersetzt und dabei ausführlich auf die Problematik odiöser Schulden eingeht.173 Schon Feilchenfeld erwägt, Kredite als odiös zu behandeln, wenn der Gläubiger nicht von seinen vertraglichen Kontrollrechten Gebrauch macht.174 Von großem Interesse sind die im Rahmen der UNCTAD seit 2009 entwickelten „Principles on Promoting Responsible Sovereign Lending and Borrowing“,175 die auch im Rahmen der Doha-Runde diskutiert wurden.176 Diese nur auf zwischenstaatliche Kredite bezogenen Regeln sehen unter anderem vor, dass Kreditgeber, die ein Projekt im Schuldnerstaat finanzieren, eine eigenständige Untersuchung der finanziellen, zivilen, sozialen, kulturellen und ökologischen Auswirkungen durchführen (Prinzip 5), wozu auch nachträgliches Monitoring der Kreditverwendung gehört.177 Zwar handelt es sich bei den Prinzipien nur um Diskussionsbeiträge ohne rechtliche Bindungswirkung,178 deren weitere rechtliche Anerkennung unklar ist;179 die Entstehung odiöser Schulden könnte durch eine konsequente Umsetzung aber vermieden werden. Bemerkenswert an den Prinzipien ist auch, dass sie ausdrücklich eine Gläubigermitverantwortung für die Verwendung von Krediten statuieren, wie sie auch der unabhängige Experte der UN für die Auswirkungen von staatlichen Auslandsschulden auf die volle Verwirk­ lichung der Menschenrechte betont.180 Feilchenfeld, Public Debts, insbes. S. 445 ff. und S. 700 ff. Public Debts, S. 711. 175  Stand vom 10 Januar 2012, abrufbar unter http: /  / www.unctad.info / upload /  Debt %20Portal / Principles %20drafts / SLB_Principles_English_Doha_22-04-2012. pdf; vgl. dazu Paulus, Responsible Bilateral Lending and Borrowing. 176  „Principles on Sovereign Lending and Borrowing: UNCTAD Kick Starts Endorsement Process“, UNCTAD Information Note, 21. April 2012, abrufbar unter http: /  / unctad.org / en / pages / InformationNoteDetails.aspx?OriginalVersionID=20. 177  So die Erläuterung zu Prinzip 5 („This investigation will normally include post-disbursement monitoring of the use of the proceeds of the loan“). 178  Vgl. die Präambel der Draft Principles: „The normative contribution of these Principles lies not in the creation of new rights nor obligations in international law but in identifying the basic principles and best practices applied to sovereign lending and borrowing and in elaborating the implications of these standards and practices for lenders and borrowers“; eine Untersuchung in Auftrag der UNCTAD kommt zu dem Ergebnis, dass einige der Prinzipien bereits jetzt in nationalen Rechtsordnungen verbreitet sind, wobei die hier relevanten noch keine Bindungshinwirkung erreicht haben, vgl. Goldmann, Responsible Sovereign Lending and Borrowing. 179  s. Paulus, Responsible Bilateral Lending and Borrowing, S. 21  ff. zu mög­ lichen Umsetzungen der Prinzipien in soft- oder gar hard law. 180  „There is a need to integrate the concept of creditor co-responsibility into global responses to the debt crisis if a fair and enduring solution to the crisis is to be found and a recurrence of questionable debt, however characterized, avoided.“, 173  Vgl.

174  Feilchenfeld,

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

Kaum verbindlicher181 als die UNCTAD-Prinzipien und inhaltlich ebenfalls auf die Folgen von Kreditvergabe ausgerichtet sind die Äquatorprin­ zipien,182 die bereits von 78 Banken angenommen wurden und für 10 Mio. USD übersteigende Projekte die Selbstverpflichtung der Banken auf eine Beurteilung der sozialen und ökologischen Auswirkungen (Prinzip 2) sowie ein laufendes Monitoring durch unabhängige Experten (Prinzip 9) vorsehen.183 Auf UN-Ebene ist der Global Compact zu nennen, der darauf abzielt, Unternehmen auf die Berücksichtigung von Menschenrechten, Arbeitsrecht, Ökologie und Anti-Korruption zu verpflichten.184 Zudem haben sich eine Vielzahl von Unternehmen Corporate Social Responsibility Standards gegeben.185 Allen genannten Prinzipien ist gemein, dass sie meist äußerst vage formuliert sind und eine rechtliche Verbindlichkeit von den Beteiligten abgelehnt wird; die konsequente Einhaltung könnte in einer Vielzahl von Fällen das Ent­ stehen odiöser Schulden aber verhindern.186 Mehr noch, die rechtliche An­ erkennung der Odious-Debts-Doktrin vorausgesetzt, bedarf es erst Recht verantwortungs­voller Kreditvergabepraktiken, damit ein Kreditverkehr mit fragwürdigen Regimes zu legitimen Zwecken möglich bleibt, ohne dass den Geschäften die Gefahr der Unwirksamkeit anhaftet. Ohne eine Rechtsregel, die die Rückforderung verantwortungs­los vergebener Kredite ausschließt, besteht jedoch kein ausreichender Anreiz, die Entstehung odiöser Schulden zu vermeiden. Verantwortliche Kreditvergabe und odiöse Schulden sind somit zwei Seiten einer Medaille,187 sodass die wechselseitige Berück­sichtigung der Erkenntnisse auch für die vorliegende Untersuchung bedeutsam ist.188 Report of the Independent Expert on the Effects of Foreign Debt and Other Related International Financial Obligations of States on the Full Enjoyment of All Human Rights, Particularly Economic, Social and Cultural Rights, 12. August 2009, A / 64 / 289, para. 66. 181  Vgl. den Disclaimer der Equator Principles: „As with all internal policies, these Principles do not create any rights in, or liability to, any person, public or private. Institutions are adopting and implementing these Principles voluntarily and independently …“. 182  Abrufbar unter http: /  / www.equator-principles.com / resources / equator_princip les_iii.pdf. 183  Vgl. ausführlich unten, Kapitel 4 C.III.2.a)bb). 184  Vgl. http: /  / www.unglobalcompact.org. 185  Genauer dazu m. w. Nachw. Paulus / Schneider, Jura 2013(35), 1197, 1199 ff. 186  Für die Beachtung von Grundsätzen verantwortlicher Kreditvergabe anstelle einer repressiven Doktrin odiöser Schulden daher Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 30 ff. und Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 57 ff.; auch Bonilla, Odious Debt, S. 106 schlägt die Einführung international vereinbarter Kreditvergaberichtlinien vor. 187  So auch Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 485. 188  s. dazu insbesondere unten die Ausgestaltung eines Überprüfungsmodelles zur Kreditvergabe an problematische Regime, Kapitel 4 C.III.



B. Verwandte Problemstellungen57

V. Weitere Gebiete Situationen, in denen Odious Debts diskutiert werden, zeichnen sich durch eine Reihe rechtlicher Fragen aus, die hier angeschnitten werden sollen, um die Problematik in ein größeres Bild einzuordnen und gleichzeitig von diesen Fragen abzugrenzen. Zunächst ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Staatsoberhäuptern zu nennen. Mit der Herausbildung eines Völkerstrafrechts genießen diese nicht länger Immunität für ihr Regierungshandeln und müssen sich nunmehr für grobe Menschenrechtsverstöße zumindest vor internationalen Gerichten verantworten.189 Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie mit deren womöglich aufgrund odiöser Verträge erlangten „Privat“-Vermögen umzugehen ist; hier wird der Staat zu Recht und mit internationaler Unterstützung190 versuchen, der veruntreuten Mittel habhaft zu werden. Dabei könnte die Klassifizierung bestimmter Kredite als odiöse Schulden eine Art Präjudizwirkung dafür entfalten, dass es sich nicht um legitimes Privatvermögen des ehemaligen Staatsoberhauptes handelt.191 Umgekehrt kann die Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit darauf hindeuten, dass zum Kauf von Waffen zur Verfügung gestellte Kredite als odiös zu klassifizieren sind.192 In Betracht kommt weiterhin die gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Firmen, die sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt haben (zu solchen Ansprüchen als Einwendung gegen den Zahlungsanspruch s. noch unten, Kapitel 2 D.I.2.).193 Hier ist das US-amerikanische Alien Tort Statute (auch Alien Tort Claims Act, ATCA) hervorzuheben, welches es in seiner bisherigen Anwendung Opfern von Menschenrechtsverletzungen ermöglichte, Ersatzansprüche gegen Unternehmen wegen Verletzung von Völkerrecht, insbesondere von Menschenrechten, geltend zu machen, auch wenn diese Verletzungshandlungen keinen örtlichen oder 189  Vgl. das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998, das deutsche Völkerstrafgesetzbuch vom 26. Juni 2002, BGBl. I S. 2254, sowie IGH, Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Repulic of the Congo / Belgium), Urteil vom 14.  Februar 2002, ICJ Reports 2002, S.  3 ff. 190  Vgl. insbesondere die Stolen Assets Recovery (StAR) Initiative der Weltbankgruppe und des United Nations Office on Drugs and Crime, welche betroffenen Staaten unter anderem technische Hilfe bei der Rückverfolgung durch Korruption abhanden gekommenen Vermögens leistet. Mehr Informationen auf http: /  / star. worldbank.org / star / about-us / our-vision. 191  In diese Richtung auch Bonilla, Odious Debt, S. 100 f. 192  Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, soll an dieser Stelle nicht beantwortet werden; um nicht zu einer rückwirkenden ex-post-Verurteilung zu gelangen, wird zumindest die Kenntnis des Gläubigers von den strafbaren Praktiken zu fordern sein. 193  Vgl. den Ansatz von Gray, LCP 2007(70), 137, 160 ff.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

anderweitigen Bezug zu den USA aufweisen.194 Diese Auslegung des Statuts hat jedoch jüngst eine bedeutende Einschränkung erfahren: In der Entscheidung Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. et al. hatten nigerianische Staatsbürger vor US-Gerichten gegen Shell und andere, ebenfalls im Ausland ansässige Erdölkonzerne auf Schadensersatz geklagt, weil sie diesen Beihilfe zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch die nigerianische Regierung vorwarfen.195 Der US Supreme Court entschied nun, dass der ATCA nicht anwendbar sei, weil die Vermutung fehlender extraterritorialer Anwendbarkeit des Gesetzes nicht wiederlegt sei196 und kein hinreichender Bezug zu den USA bestehe.197 Letzter Punkt lässt allerdings die Frage offen, ob eine Klage etwa durch US-Amerikaner oder gegen ein US-amerikanisches Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen im Ausland erfolgreich gewesen wäre; zudem führte Justice Breyer aus: „I would find jurisdiction under this statute where … the defendant’s conduct substantially and adversely affects an important American national interest, and that includes a distinct interest in preventing the United States from becoming a safe harbor … for a torturer or other common enemy of mankind.“198 Die genaue Anwendung dieser Prinzipien wird erst in der Zukunft eine Klärung erfahren. Insgesamt ist festzustellen, dass die OdiousDebts-Doktrin keine umfassende Lösung des Problems darstellen kann, wie mit Diktaturen umzugehen ist;199 aufgrund ihrer wirtschaftlichen Relevanz für postdiktatorische Staaten und ihrer Vernetzung mit anderen Problembereichen kann sie aber einen entscheidenden Beitrag zur Problematik leisten. 194  Der Text von Titel 28, § 1350 des United States Codes lautet: „The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States.“ Umstritten ist, wann eine Verletzung des „law of nations“ vorliegt; die Rechtsprechung bezieht sich hier im Wesentlichen auf zwingendes Völkerrecht wie das Verbot von Folter, Genozid und Kriegsverbrechen, ohne jedoch ausdrücklich von ius cogens zu sprechen – vielmehr muss die Regel „clear and specific“ sein, was theoretisch auf nicht-zwingende Normen zutreffen kann; vgl. Nolte, in: Tomuschat / Thouvenin, Fundamental Rules; Flauss, in: Tomuschat / Thouvenin, Fundamental Rules m. w. Nachw. zur Kritik an der universellen Jurisdiktion des ATCA und Shamir, L.& Soc’y Rev. 2004(38), 635, 637 ff. 195  Vgl. Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. et al., 17. April 2013, 569 U.S.___ 2013, abrufbar unter http: /  / www.supremecourt.gov / opinions / 12pdf / 10-1491_l6gn.pdf. 196  „… There is no indication that the ATS was passed to make the United States a uniquely hospitable forum for the enforcement of international law“, ebd., Opinion of the Court, S. 12. 197  „And even where the claims touch and concern the territory of the United States, they must do so with sufficient force to displace the presumption against extraterritorial application“, ebd., Opinion of the Court, S. 14. 198  Ebd., Concurring Judgment Breyer, S. 1 f. 199  So auch Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 35.



C. Argumente für und gegen die Geltung der Odious-Debts-Doktrin 59

VI. Zusammenfassung Das Konzept der Odious Debts erlangt in allen aufgezeigten Problemfeldern Bedeutung, nämlich als klarer umgrenzter Unterfall illegitimer Schulden, als Argument für einen Schuldenerlass, als Gegenstand der Feststellungen im Rahmen eines Staateninsolvenzverfahrens sowie als Motivation für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe. In den aufgezeigten Problemstellungen lässt sich insgesamt eine Verrechtlichung der Debatte beobachten. So fordern Nichtregierungsorganisationen (NGOs) neben Schuldenerlass auch die Einführung eines rechtlichen Regeln unterworfenen Insolvenzverfahrens für Staaten. Dass umgekehrt an der aktuellen Diskussion um Odious Debts eine Vielzahl von Privat- und Insolvenzrechtlern beteiligt sind, mag ebenfalls zu einer Verschiebung der Perspektive von politischen zu rechtlichen Ansätzen führen.200

C. Argumente für und gegen die Geltung der Odious-Debts-Doktrin Die Debatte um Odious Debts wird dadurch verkompliziert, dass auf der einen Seite moralische, gar religiöse, auf der anderen rechtliche und ökonomische Argumente angeführt werden, die sich nicht immer klar in Bezug zueinander setzen lassen.201 Waren es ursprünglich zuvörderst ethische Argumente, derer sich die Befürworter der Nichtigkeit odiöser Schulden bedienten, so lässt sich eine Verschiebung hin zu rechtlicher Argumentation beobachten – umgekehrt berufen sich aber auch die meist rechtlich argumentierenden Gläubiger auf quasireligiöse Prinzipien wie die Heiligkeit („sanctity“) und Unverletzbarkeit von Verträgen.202 Im Folgenden sollen daher die Argumente für und gegen die Geltung der Odious-Debts-Doktrin systematisiert und gegenübergestellt werden, bevor sich der Schwerpunkt der Arbeit mit der rechtlichen Durchsetzbarkeit odiöser Schulden befassen wird.

200  So Rasmussen, LCP 2007(70), 249, 257  f.; für die Übertragung insolvenzrechtlicher Prinzipien vgl. etwa Dickerson, LCP 2007(70), 53, 65 ff.; Gelpern, LCP 2007(70), 81, 107 ff. 201  s. Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 481 f., die von einem „legal porridge“ sprechen; s. a. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 2, die anführt, dass die politischen und moralischen Argumente der Entschuldungsaktivisten die als wertneutral vorgebrachten formalistischen Argumenten der Gläubiger verfehlten. 202  Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 481 f.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

I. Ethische, philosophische und politische Überlegungen 1. Fairness und Gerechtigkeitsempfinden Dass odiöse Schulden nicht von der unterdrückten Bevölkerung zu tragen sein sollen, entspricht dem intuitiven Moralgefühl Vieler.203 Warum, wird gefragt, sollen ausländische Anleiheschuldner ihre nächste Zinszahlung erhalten, während Lehrer auf ihr Gehalt verzichten müssen?204 Allerdings wäre dies eine zu starke Vereinfachung der Debatte, denn weder ist es zwingend, dass die Interessen im Schuldnerstaat über legitime Gläubigerinteressen gestellt werden, noch liegt in der wirtschaftlichen Prekarität alleine der Grund für die Fragwürdigkeit der Ansprüche. Man stelle sich einen Staat vor, der Kredite für Infrastrukturprojekte aufnimmt, diese aber durch Misswirtschaft nicht zum Erfolg führt und in der Folge wegen Überschuldung die Zahlungen einstellt; welchen Ansprüchen hier Priorität eingeräumt werden soll, ist keineswegs offensichtlich. Dass Schulden mit dem Adjektiv „odiös“ versehen werden, folgt im Gegensatz dazu gerade aus der bevölkerungswidrigen Verwendung der Gelder, an der der unredliche Gläubiger eine moralische Mitverantwortung trägt. Es wird als höchst ungerecht empfunden, von der Bevölkerung zu fordern, über Generationen hinweg für die Kosten eines Unterdrückungsapparates einzustehen, unter dem sie selbst zu leiden hatte,205 statt die Ressourcen für den post-diktatorischen Staatsaufbau zu verwenden; die Bevölkerung zahlt den Preis der ungerechten Schulden gleichsam zweifach. Selbst in Staaten, in denen bedeutende Bevölkerungsgruppen eine beträchtliche Mitverantwortung an menschenrechtswidrigen Praktiken haben,206 sollen die Gläubiger für deren Unterstützung keine Gegenleistung erhalten, wodurch gleichzeitig die Finanzierung solchen Verhaltens reduziert würde. In der Diskussion fällt auf, dass auch die Gegner der Odious-Debts-Doktrin nicht etwa auf die moralische Rechtfertigung odiöser Schulden verweisen,207 sondern rechtliche und ökonomische Argumente anführen, die die Aussichtslosigkeit der Anerkennung dieser Rechtsfigur belegen sollen. 203  Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 85 („As a matter of simple justice, they [=odious loans] should not be treated as enforceable“); Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 484; Petersen, Demokratie, S. 152: „[Die Odious-Debts-Doktrin] befriedigt … ein fundamentales Gerechtigkeitsbedürfnis“. 204  Gelpern, LCP 2007(70), 81, 108: „[T]he question is whether foreign bondholders get the next coupon payment in full while local banks forbear and teachers go unpaid“. 205  Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 2. 206  Vgl. Gray, LCP 2007(70), 137, 148 ff., der beispielsweise den Völkermord in Ruanda nennt. 207  So auch Shafter, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 669, 671.



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2. Legitimation staatlichen Handelns Die eben aufgezeigte moralische Intuition lässt sich mit staatsphilosophischen Argumenten belegen.208 Zwar begegnet es Bedenken, bereits aus einem Regimewechsel den Untergang von Schulden zu folgern, weil im modernen Staatsverständnis der Staat nicht mehr im Fürsten als Souverän verkörpert ist, sondern unabhängig vom Wechsel in Bevölkerung und Regierung fortbesteht.209 Doch nicht erst im heutigen Staatsverständnis wird die staatliche Handlungsvollmacht als implizit begrenzt angesehen.210 Die kontraktualistische Staatstheorie in der Tradition von Locke, Hobbes und Rousseau sieht die ursprüngliche Aufgabe des Staates gerade darin, Sicherheit und Freiheit seiner Bürger zu schützen und zu fördern;211 darauf basierend wird die Regierung als Treuhänder der Bevölkerungsinteressen gesehen und hat in moderner Formulierung die Aufgabe, die Entfaltung der Fähigkeiten („capabilities“) ihrer Bürger zu fördern.212 Der Grund der Haftung der Bürger für von ihrem Staat aufgenommene Schulden liegt mithin darin, dass der Staat Gelder im Interesse der Bürger einsetzt. Vernachlässigt der Staat notorisch seine Aufgaben, fehlt seinen Handlungen die notwendige Legitimität, sodass sich seine Gläubiger bei Kenntnis ebenfalls nicht auf die Legitimität des staatlichen Handelns berufen können.213 Werden Staaten gar als „Trustees of Humanity“ gesehen,214 würde im Fall odiöser Schulden neben dem Schuldner- auch der Gläubigerstaat seine Pflichten gegenüber der Bevölkerung des Schuldnerstaates verletzen. Schließlich wird argumentiert, derjenige solle für seine Schulden einzustehen haben, der sie verur208  Für eine Anwendung des Rawl’schen Differenzprinzips s. Hubers, „The ‚Odious Debt‘ Principle Morally Justified“, Review of International Social Ques­ tions, 6.  März 2004, abrufbar unter http: /  / journal.probeinternational.org / 2004 / 03 /  06 / the-odious-debt-principle-morally-justified / . 209  Vgl. das Ludwig XIV. zugeschriebene „L’État, c’est moi“ und zum historischen Staatsverständnis allgemein Fastenrath, in: Fastenrath u. a., Staatensukzession sowie ausführlich Hammer, Staatennachfolge, S. 39 ff. 210  Purdy / Fielding, LCP 2007(70), 165, 167 ff. betonen, dass die implizite Begrenzung schon lange vor Entwicklung der Vertragstheorien verbreitet war, so etwa in der katholischen Kirche, die im 12. Jahrhundert einen die Handlungsmacht des Papstes begrenzenden Konziliarismus einführte. 211  Vgl. zum Kontraktualismus m.  w. Nachw. Ann Cud, „Contractarianism“, in Edward N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (2012), abrufbar unter http: /  / plato.stanford.edu / entries / contractarianism / und zur Entwicklung der Vertragstheorie Purdy / Fielding, LCP 2007(70), 165, 170 ff. 212  Vgl. den capabilities approach von Sen, Development as Freedoms. 213  In anderem Kontext bezeichnet Feilchenfeld odiöse Schulden als „in a moral sense ultra vires“, vgl. Feilchenfeld, Public Debts, S. 862. 214  Benvenisti, AJIL 2013(107), 295 ff.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

sacht und von ihnen profitiert hat.215 Im Fall odiöser Schulden ist das jedoch der Despot und nicht die Bevölkerung. Daraus folgt umgekehrt, dass solche Schulden, die für die Bevölkerung von Nutzen waren, nicht als odiös qualifiziert werden können, nur weil sie von einem Despoten aufgenommen wurden.216 3. Auswirkungen für die Bevölkerung der Schuldnerstaaten Aus konsequentialistischer Sicht ist zu berücksichtigen, welche (auch ferneren) Folgen die Geltung des Odious-Debts-Prinzips mit sich bringt. Neben Auswirkungen auf den Kreditmarkt (vgl. unten, III.) ist hier insbesondere zu berücksichtigen, dass die mangelnde Verfügbarkeit von Finanzen sich nicht nur auf die Lebensdauer einer Despotie,217 sondern auch auf die Überlebensbedingungen der dort ansässigen Bevölkerung negativ auswirken kann.218 Erfahrungen mit internationalen Handelssanktionen haben gezeigt, dass gut gemeinte Embargos vor allem die schwächsten Glieder der Gesellschaft treffen.219 Allerdings ist die mangelnde Verfügbarkeit von Krediten mit Handelssanktionen nur beschränkt vergleichbar.220 Während bei letzteren gezielt die Wirtschaft eines Staates beeinträchtigt wird, treffen erstere zunächst das öffentliche Budget und nur mittelbar die Bevölkerung. Produktion, Handel und die damit zusammenhängenden Arbeitsplätze werden also nur insoweit getroffen, als sie von staatlicher Finanzierung abhängig sind. Nichtsdestotrotz kann der Bedarf alternativer Finanzierung zu verschiedenen negativen Effekten führen, wie Steuererhöhungen,221 Enteignungen und (soweit vorhanden) Kürzung oder Einstellung staatlicher Leistungen. Dies gilt allerdings uneingeschränkt nur dann, wenn der Schuldner überhaupt diese Richtung Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1224. noch Kapitel 3 B.II.1. 217  Ein Ergebnis des ökonomischen Modells von Choi / Posner, LCP 2007(70), 33 ff. ist, dass ein Diktator bei Geltung der Odious-Debts-Doktrin schneller abgesetzt würde, vgl. ebd. 42 f. 218  In diese Richtung auch Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 85; Paulus, WM 2005, 53, 55 f. 219  Zu Sanktionen gegenüber dem Irak und den menschenrechtlichen Auswirkungen vgl. Coomans, H.R.L.Rev. 2011(11), 1, 10 m. w. Nachw. sowie Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 34 m. w. Nachw. 220  Vgl. Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 5, die allerdings die im Folgenden genannten indirekten Schäden vernachlässigen; differenzierter Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. viii. 221  Den auf steigendem Legitimationsbedarf beruhenden positiven Effekt von Steuererhöhungen hebt Adams, Odious Debts, S. 179 ff. hervor, blendet aber die negativen Effekte auf die Bevölkerung aus. 215  In

216  Dazu



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keine Kredite mehr erhält; Ziel einer Odious-Debts-Regelung sollte es demgegenüber sein, die Kreditvergabe im Interesse der Bevölkerung weiterhin zuzulassen, sodass für soziale Projekte, Straßenbau oder Agrarsubventionen grundsätzlich finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Auf der anderen Seite der Waagschale finden sich ebenfalls gewichtige Argumente. So kann die mangelnde Verfügbarkeit von Krediten für odiöse Zwecke wie den Kauf von Panzern und den Bau von Geheimgefängnissen dazu führen, den Untergang einer Diktatur zu beschleunigen.222 Bedeutend ist die Geltung der Rechtsfigur aber besonders dann, wenn es zu einem Regimewechsel gekommen ist. Denn zu diesem Zeitpunkt wird die Schuldenlast für das Nachfolgeregime maßgeblich reduziert, was beim sensiblen Übergang zu einer demokratischen Regierungsform bedeutende Ressourcen freisetzt. Die Vorteile einer konsistent ausgestalteten Odious-Debts-Doktrin nach dem Regimewechsel überwiegen daher gegenüber möglichen vorherigen Nachteilen für die Bevölkerung.223 Folgt man schließlich den Stimmen, die die Wirksamkeit der Rechtsfigur in Frage stellen, weil sich Geldgeber finden lassen, die nichtsdestotrotz odiöse Kredite bereitstellen, so entfällt schon die Sorge negativer Auswirkungen auf die Bevölkerung; dass ein Odious-Debts-Modell trotzdem sinnvoll ist, ergibt sich erneut aus der reduzierten Schuldenlast im Fall des Regimewechsels. 4. Fragwürdigkeit einer globalen Anerkennung der Rechtsfigur Gegen die Rechtsfigur der Odious Debts lässt sich anführen, dass die Akzeptanz der Unwirksamkeit odiöser Schulden durch die gesamte Staatengemeinschaft kaum realistisch scheint. Damit stellt sich die Frage nach der Effizienz eines solchen Systems. Solange nämlich nur ein finanziell leistungsfähiger Staat die Odious-Debts-Doktrin nicht anerkennt, besteht die Gefahr, dass dieser das gesamte System unterläuft, indem er (bzw. eine dort ansässige Bank) auch als odiös angesehene Kredite gewährt.224 Das mit der Odious-Debt-Regelung bezweckte finanzielle „Austrocknen“ menschenverdiese Richtung auch Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 953. gleichen Ergebnis kommen mit ökonomischer Begründung Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82, 88; differenzierter, aber im Ergebnis auch für eine moderat ausgestaltete Odious-Debts-Doktrin Janus, R.Dev.Ec. 2012(16), 305. Sogar Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 35, die sich grundsätzlich gegen die Odious-Debts-Doktrin aussprechen, räumen ein: „… a selective application of the [odious debt] doctrine can improve welfare in principle“, wobei solch eine Anwendung allerdings nicht praktikabel sei, was jedoch wiederum von der jeweiligen Ausgestaltung der Doktrin abhängt. 224  Umgekehrt führen Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82 f., 92, aus, dass bereits die Anwendung eines Odious-Debts-Modells durch nur einen wirtschaftlich leistungsfähigen Staaten wirkungsvoll wäre. 222  In

223  Zum

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

achtender Regime könnte dann gar nicht mehr erreicht werden. Um die Stichhaltigkeit dieses Arguments zu überprüfen, muss zwischen wirtschaftlich motivierter und sonstiger Kreditvergabe unterschieden werden (vgl. dazu oben, A.II.3.). a) Unterbindung wirtschaftlich motivierter Kreditvergabe Dass die Odious-Debts-Doktrin auch für gewinnorientierte Gläubiger in Staaten, die die Doktrin nicht anerkennen, zu Abschreckungseffekten führt, folgt aus den Motiven, aufgrund derer Staaten ihre Kredite überhaupt bedienen. Staaten können von privaten Gläubigern zur Rückzahlung von Krediten nämlich nur im Rahmen langwieriger Verfahren gezwungen werden; es obliegt dann dem Gläubiger, einen geeigneten Vollstreckungsgegenstand zu finden. Der Hauptgrund, warum Staaten ihre Verbindlich­ keiten dennoch bedienen, besteht aber darin, dass diese um ihre Reputation als Schuldner fürchten und nicht von zukünftigen Krediten abgeschnitten werden wollen;225 zudem lassen sich negative Auswirkungen auf den Außenhandel eines Staates in Folge eines Zahlungsausfalles beobachten.226 Ein Staat wird also odiöse Verbindlichkeiten bei unsicherer Rechtslage vornehmlich deswegen erfüllen, weil er fürchtet, in der Folge keine Kredite mehr zu erhalten. Unterstellt man, eine Gruppe von Staaten hätte die Nichtigkeit von Odious Debts anerkannt, so dürfte die Zahlungsverweigerung in Bezug auf odiöse Schulden in diesen Staaten nicht negativ bewertet werden. Folglich hätte die Verweigerung keine negative Auswirkung auf die Reputation und die Kreditwürdigkeit bliebe dem Staat gegenüber diesen Staaten erhalten. Der Reputationsverlust bei Gläubigern, in deren Rechtsordnungen die Geltung der Odious-Debts-Doktrin nicht anerkannt ist, würde daher nicht zu einem Abschneiden des Schuldnerstaates von den Kreditmärkten führen, wenn die anerkennenden Staaten wirtschaftlich ausreichend bedeutsam sind.227 Durch die mögliche Zahlungsverweigerung wäre bereits ein wichtiges Ziel der 225  Buchheit / Gulati, LCP 2010(73), 63, 65; Bonilla, Odious Debt, S.  22  ff. m. w. Nachw.; Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 734 m. w. Nachw.; Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 407 m. w. Nachw.; Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 5; fraglich ist diese Argumentation bei den LDCs, die angesichts Überschuldung und geringen Entwicklungspotentials ohnehin kaum Zugang zu privater Finanzierung haben, dazu Bulow / Rogoff, Am.Econ.Rev. 1989(79), 43 ff. Jedoch ist auch bei diesen davon auszugehen, dass die Zahlungsverweigerung die Situation noch verschlechtern würde, vgl. Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 971 f. 226  Mitchener / Weidenmier, Supersanctions, S. 5 m. w. Nachw. 227  Die hier dargestellte Argumentation wird, soweit ersichtlich, erstmals angeführt von Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 22; ähnlich auch Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 983; zur Frage, ob der



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Befürworter einer Odious-Debts-Regelung erreicht, weil sich der Schuldenstand bei Regimewechsel verringern würde. Neben der schuldbefreienden Wirkung nach einem Regimewechsel wäre aber auch eine positive Wirkung vor dessen Eintritt wahrscheinlich: Da auch die Kreditgeber in den Staaten, die eine Regelung der Odious Debts nicht anerkennen, wüssten, dass der Kreditnehmer im Fall eines Regimewechsels die Rückzahlung ohne negative Folgen am Finanzmarkt verweigern könnte, wäre die Vergabe odiöser Kredite wirtschaftlich weniger attraktiv, sodass auch diese Gläubiger von der Vergabe solcher Kredite absähen.228 Denn der Vertragsschluss durch eine Bank, deren Heimatstaat die Odious-Debts-Doktrin nicht anerkannt hat, würde unter dem Risiko der Nichterfüllung stehen, was einen nach wirtschaftlichen Erwägungen handelnden Kreditgeber vom Vertragsschluss abhalten würde. Eine Einschränkung erfährt diese Feststellung dadurch, dass Diktatoren ihre Vermögenswerte in Staaten, die die Odious-Debts-Doktrin nicht anerkannt haben, verlegen229 bzw. den gesamten Kreditverkehr über solche Staaten abwickeln könnten. Nach dem Regimewechsel könnte dann in diese Vermögenswerte vollstreckt werden. Aufgrund der bestehenden Netzwerkeffekte wäre eine vollständige Verlegung des Kreditverkehrs in solche Drittstaaten jedoch übermäßig teuer;230 außerdem zeichnen sich überschuldete Despotien gerade dadurch aus, dass umfangreiche Vermögenswerte nicht bestehen. Nach einem Regimewechsel dürfte sich der Zugriff durch den Schuldnerstaat auf veruntreutes Privatvermögen des Staatsoberhauptes ohnehin schwierig gestalten. Auch wenn dieses Vermögen nach dem Regimewechsel in den Drittstaaten von Gläubigern gepfändet würde, dürfte damit die schuldbefreiende Wirkung der Odious-Debts-Doktrin insgesamt überwiegen. b) Unterbindung sonstiger Kreditvergabe Weiterhin kann die Odious-Debts-Doktrinl auch bei nicht rein wirtschaftlich motivierter Kreditvergabe zu Abschreckungseffekten führen. Werden bestimmte Kredite oder Staaten231 als odiös deklariert, kann ein Anreiz geschaffen werden, Zahlungen zu vermeiden, um sich nicht zum Gehilfen Schuldnerstaat sich damit gegenüber seinen Gläubigern rechtswidrig verhielte s. unten, Kapitel 4 E.III. 228  Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 5. 229  Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 49. 230  Zum Wechsel von Anleihen in ein anderes Rechtssystems Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 77. 231  Zur Problematik der Etikettierung eines Staates als „odious regime“ s. unten, Kapitel 3 B.II.2.

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menschenrechtswidriger Praktiken zu machen. Diese Effekte sind im Fall staatlicher Kredite wahrscheinlich, wenn die Kreditvergabe durch die Öffentlichkeit im Gläubigerstaat, beispielsweise in parlamentarischen Gremien oder durch die Zivilgesellschaft, nachvollzogen wird; im Fall privater Kreditvergabe kann die Verstrickung in moralisch zweifelhafte Praktiken zur Rufschädigung des Kreditgebers führen.232 So lassen sich Fälle finden, in denen die öffentliche Ächtung bestimmter Praktiken zur Reduzierung der Kreditvergabe geführt hat.233 Gleichwohl ist zu befürchten, dass einige Staaten dessen ungeachtet odiöse Kredite zur Verfügung stellen werden. Dass eine Regelung der Odious-Debt-Problematik tatsächlich zur finanziellen Isolation menschenverachtender Regime führen wird, ist damit zwar möglich, aber nicht zwingend. c) Sinnhaftigkeit einer Odious-Debts-Doktrin bei fehlender ­Abschreckungswirkung vor dem Regimewechsel Lässt sich feststellen, dass eine nur teilweise Anerkennung der OdiousDebts-Doktrin nicht zur vollständigen finanziellen Austrocknung despotischer Regime führen wird, so ist zu fragen, ob dies insgesamt gegen die Rechtsfigur spricht. Zum einen würde die Beschaffung von Krediten für schädlich Zwecke für Despoten zumindest schwieriger, was schon einen Gewinn darstellen würde. Maßgeblich ist aber, dass die finanzielle Isolation solcher Regime nicht das einzige erklärte Ziel der Verfechter der OdiousDebts-Doktrin ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Schuldnerstaat im Fall eines Regimewechsels noch gezwungen ist, odiöse Schulden vollständig zurückzuzahlen. Wie dargestellt, führt aber schon die Anerkennung von deren Nichtigkeit durch einige wirtschaftlich bedeutende Staaten dazu, dass der Schuldner die Rückzahlung solcher Schulden verweigern kann. Dem Schuldner bliebe dann allerdings noch die Auseinandersetzung mit den Staaten, die die Rechtsfigur der Odious Debts nicht anerkannt haben und nun weder die Rückzahlung ihrer Darlehen erlangen noch die mit den Krediten verfolgten wirtschaftlichen bzw. politischen Interessen gewahrt sehen. Dies kann sich je nach den machtpolitischen Gegebenheiten – in Betracht kommt die ganze Bandbreite politischer und wirtschaftlicher Sanktionen – durchaus nachteiliger auswirken als die mit der Rückzahlung dieser Schul232  So beispielsweise im Falle deutscher Großbanken, denen die Beteiligung an Streumunition und Atomwaffen nachgesagt wird, vgl. den Bericht „Don’t Bank on the Bomb“ der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ican), abrufbar unter http: /  / www.dontbankonthebomb.com / wp-content / uploads / 2012 / 02 / Divest mentReport.pdf. 233  So etwa im Falle des südafrikanischen Apartheidregimes, genauer unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(12).



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den einhergehenden Belastungen, kann aber auch zu einer politischen Neuorientierung des Schuldnerstaates führen, dem sich nun über private Geldgeber sowie solche Staaten, die die Nichtigkeit odiöser Schulden anerkannt haben, neue finanzielle Spielräume eröffnen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eine universelle Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin keine notwendige Voraussetzung für deren Wirksamkeit ist, da auch bei Anerkennung durch nur einen Teil der Staatengemeinschaft zumindest das Ziel der Reduktion des Schuldenstandes postdiktatorischer Staaten erreicht werden kann. Ob das Ziel der Austrocknung menschenverachtender Regime durch die Figur der Odious Debts alleine234 zu erreichen ist, ist allerdings ungewiss. 5. Stabilisierung despotischer Regime durch Gläubiger odiöser Schulden und stärkere Bindung an skrupellose Gläubiger Eine weitere negative Folge der Odious-Debts-Doktrin könnte sein, dass Gläubiger eines despotischen Regimes alles in ihrer Macht Stehende tun werden, um das Regime aufrecht zu erhalten, weil sie fürchten, bei einem Regimewechsel ihre Ansprüche zu verlieren.235 Soweit es sich hier um gewinnorientierte Kredite handelt, lässt sich diesem Bedenken durch die Ausgestaltung eines Lösungsmodells begegnen, bei welchen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses absehbar ist, welche Schulden als odiös und unwirksam anzusehen sind. Gläubiger kommen dann nicht in die Situation, dass ihre Schulden plötzlich (d. h. nachträglich) als odiös qualifiziert werden könnten und sie als Gegenmaßnahme das Schuldnerregime unterstützen müssten. Denn wenn die Gläubiger die Unwirksamkeit bereits bei der Kreditvergabe erkennen können, sprechen ökonomische Erwägungen dafür, den entsprechenden Vertrag gar nicht erst abzuschließen, anstelle das mit weiteren Kosten verbundene Risiko einzugehen, auf das Überleben des entsprechenden Regimes zu setzen. Dass einige Gläubiger sich dennoch für das riskantere Vorgehen entscheiden und möglicherweise den Machterhalt des Regimes unterstützen werden, dürfte für dessen Lebensdauer nicht ausschlaggebend sein, zumal nach dem oben Gesagten eine völlige finanzielle Austrocknung ohnehin unwahrscheinlich ist. Soweit die Kreditvergabe andere, z. B. geopolitische Interessen verfolgt, hat die Odious-Debts-Doktrin ebenfalls keine Auswirkungen auf die Unterstützung für despotische Regime. Denn entweder wird vom Nachfolgeregime 234  Denkbar sind weitere Maßnahmen wie eine internationale Ächtung des Regimes, die von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates begleitet wird. 235  So Buchheit / Gulati, LCP 2010(73), 63, 87 f.

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gleichfalls die Wahrung der Interessen des Gläubigerstaates zu erwarten sein – dann besteht für letzteren aber keine Notwendigkeit, das despotische Regime zu stützen. Wird von der Nachfolgeregierung hingegen eine politische Neuorientierung erwartet, so werden die betroffenen Staaten ohnehin entweder zugunsten oder zulasten eines Regimewechsels Einfluss auf das despotische Regime auszuüben versuchen; die Geltung der Odious-Debts-Doktrin führt in diesem Fall zu keiner maßgeblichen Verschlechterung. Schließlich wird noch argumentiert, die Geltung der Odious-Debts-Doktrin führe dazu, dass Kredite an verdächtige Staaten nun ganz überwiegend von skrupellosen, meist bilateralen Gläubigern zur Verfügung gestellt würden, was den Einfluss gemäßigter Gläubiger mindere.236 Wenn demokratische Staaten keine Kredite mehr an bestimmte Regime vergeben, könnten in der Tat andere Staaten an deren Stelle treten. Allerdings soll die Odious-DebtsDoktrin nur Kreditverkehr zu verwerflichen Zwecken ausschließen. Warum es besser sein soll, dass Gläubiger solcher Verträge in demokratischen Staaten angesiedelt sind, leuchtet jedoch nicht ein. Umgekehrt haben Staaten auch ohne die Geltung der Odious-Debts-Doktrin die Möglichkeit, sich von demokratischen Kreditgebern abzuwenden, um ihnen lästige Vergabebedingungen zu umgehen. Die Geltung der Odious-Debts-Doktrin führt hier zu keiner Verschlechterung. Darüber hinaus ist nicht belegt, dass Staaten wie etwa der Irak unter Saddam Hussein weniger völkerrechtswidrig vorgingen, weil sie finanzielle Unterstützung durch westliche Gläubiger erhalten hatten. Hingegen stünden dem Schuldnerstaat nach einem Regimewechsel mit Hilfe der Odious-Debts-Doktrin größere Spielräume für eine Neuausrichtung zur Verfügung als ohne deren Geltung. Schließlich wäre es auch für die Bevölkerung des Schuldnerstaates überzeugender, sich in Zukunft solchen Staaten zuzuwenden, die ausdrücklich darauf verzichtet haben, wirtschaftlich einträgliche Geschäfte mit ihrem langjährigen Unterdrücker abzuschließen.

II. Rechtliche Prinzipien Bevor in Kapitel 2 ausführlich die rechtliche Herleitung der OdiousDebts-Doktrin untersucht wird, sollen hier kurz die wesentlichen Rechtsprinzipien dargestellt werden, die im Fall von odiösen Schulden miteinander in Konflikt treten. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass durch die Anerkennung einer Odious-Debts-Doktrin die Kant’sche Errungenschaft der Trennung zwischen Recht und Moral in Frage gestellt wird.237 Allerdings ist dies kein Fremdkörper in der heutigen Rechtsordnung, in welche mit Rechtsbegriffen 236  Ginsburg / Ulen, 237  Paulus,

LCP 2007(70), 115, 130; Wong, Sovereign Finance, S. 126 f. Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83.



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wie Treu und Glauben, gute Sitten oder dem Verbraucherschutz eine Vielzahl ethischer Wertungen Eingang gefunden haben.238 1. Pacta sunt servanda und Durchbrechungen des Grundsatzes Das rechtliche Prinzip, mit dem die Odious-Debts-Doktrin kollidiert, ist die Regel pacta sunt servanda.239 Dieser fundamentale Rechtssatz240 gebietet es, dass einmal geschlossene Verträge eingehalten und erfüllt werden. Allerdings ist auch das Prinzip der Vertragstreue nicht ohne Durchbrechungen; vielmehr sind der Privatautonomie schon im geltenden Recht Grenzen gesetzt.241 Zunächst einmal erstreckt sich die Regel des pacta sunt servanda nur auf wirksam geschlossene Verträge. Die verschiedensten Rechtsordnungen kennen aber Konstellationen, in welchen Verträge gar nicht erst wirksam zustande gekommen sind; diese sind dann auch nicht einzuhalten. Im deutschen Recht sind dies etwa der Verstoß gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB), der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) und der Missbrauch der Vertretungsmacht.242 Auch die Wirksamkeit von durch Korruption eingegangen Verträgen ist fraglich.243 Häufig scheint die Argumentation von Befürwortern der Odious-Debts-Doktrin allerdings davon auszugehen, dass ein einmal wirksam geschlossener Vertrag später wegen eines Regimewechsels verweigert werden könnte. Ob ein Anknüpfen an einen Sukzessionstatbestand für die Frage der odiösen Schulden überhaupt sinnvoll ist, wird noch zu hinterfragen sein;244 jedenfalls enthalten auch wirksam geschlossene Verträge Sollbruchstellen, die den nachträglichen Untergang der Leistungspflichten zur Folge haben können, wie z. B. die Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.245 Da es sich bei dem Prinzip des pacta sunt servanda nicht um eine absolute Regel handelt,246 dazu ausführlich Paulus / Schneider, Jura 2013(35), 1197 ff. WM 2005, 53, 55. 240  Grundlegend zur Bedeutung des Grundsatzes im Völkerrecht m.  w. Nachw. Binder, Vertragstreue, S.  18 ff.; Fulda, Demokratie, S.  93  ff.; s. auch Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 88. 241  Für die Odious-Debts-Doktrin als mögliche Durchbrechung der Privatautonomie Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 87. 242  Zur Herleitung der Odious-Debts-Doktrin aus diesen Rechtsgrundsätzen s. u. Kapitel 2 D.III. 243  Vgl. dazu unten, Kapitel 2 B.II. 244  Vgl. unten, Kapitel 3 B.I.2. 245  Zur Begründung der Odious-Debts-Doktrin mit dieser clausula rebus sic stantibus s. u. Kapitel 2 C.IV. 246  Vgl. Paulus, WM 2005, 53, 55, der weiterhin auf die Durchbrechung im Verbraucherschutz hinweist. 238  Vgl.

239  Paulus,

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steht dieses mithin der Geltung der Odious-Debts-Doktrin nicht ausnahmslos entgegen.247 2. Menschenrechte Obgleich die Befürworter der Odious-Debts-Doktrin regelmäßig das Bevölkerungs­interesse als Kriterium heranziehen, fehlt es ganz überwiegend an einem ausdrücklichen Abstellen auf Menschenrechte. Dabei ist ein solcher Ansatz naheliegend, handelt es sich bei der Bevölkerung doch um eine Mehrheit von Individuen, deren Interessen seit Ende des Zweiten Weltkriegs sukzessive rechtliche Anerkennung gefunden haben.248 Darüber hinaus, dass Individualinteressen aufgrund ihrer wachsenden Bedeutung neben die rechtlich geschützten Gläubigerinteressen treten, liefern Menschenrechte Ansatzpunkte, die sich spezifisch auf die Situation odiöser Schulden beziehen. So kann die Verwendung der Gelder als solche gegen Rechte wie das Recht auf Leben oder das Folterverbot verstoßen. Auch kann die Durchsetzung finanzieller Ansprüche in Konflikt mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten treten, welche eine bestimmte Ressourcen­ allokation vorgeben. Schließlich kann der Bevölkerung in ihrer Gesamtheit das kollektive Recht auf Selbstbestimmung der Völker zustehen, dessen Verwirklichung durch das Zusammenwirken eines Despoten mit seinen Geldgebern eingeschränkt wird. Inwiefern die genannten Grundsätze tatsächlich zur Unwirksamkeit von Schulden führen, wird in Kapitel 2 D.I. genauer untersucht.

III. Ökonomische Argumente Das wirtschaftliche Argument für die Odious-Debts-Doktrin besteht darin, dass despotischen Regimen weniger und der Bevölkerung nach einem Regimewechsel mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen sollen.249 Der Einwand, die Geltung der Doktrin wirke sich unverhältnismäßig negativ auf das Wohl der Bevölkerung aus, wurde bereits oben (I.3.) entkräftet. Darüber hinaus wird bezweifelt, ob die Rechtsfigur der odiösen Schulden tatsächlich dazu in der Lage ist, die Ressourcen eine Despotie zu mindern. Es ist zum einen zu befürchten, dass sich immer Geldgeber finden lassen werden, die einem Despoten odiöse Kredite zur Verfügung stellen; dies ist demselben Ergebnis Paulus, WM 2005, 53, 56. ausführlich unten, Kapitel 4 B.I.1. 249  Zweifelnd an letzterem Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 46: „… if the government seeks to maintain its creditworthiness, one way it can do so is by repaying the odious debts of the prior government“. Dies geht allerdings davon aus, dass eine klar definierte Doktrin gerade nicht anerkannt ist. 247  Mit

248  Vgl.



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jedoch im Hinblick auf die Freisetzung von Ressourcen nach einem Re­ gimewechsel hinzunehmen (vgl. ausführlich oben, I.4.). Zum anderen haben Diktaturen aufgrund der Fungibilität von Geld die Möglichkeit, auf alternative Finanzierungsquellen zurückzugreifen (s. dazu sogleich, 1.). Umstritten sind auch die Auswirkungen der Odious-Debts-Doktrin auf den Kreditverkehr (2.), während zugunsten der Rechtsfigur schließlich die ökonomische Haftungstheorie angeführt (3.). 1. Fungibilität Aus der simplen Feststellung, dass Geld austauschbar (fungibel) ist, können sich bedeutende Zweifel an der Wirksamkeit der Odious-Debts-Doktrin ergeben. Denn wenn diese einem Despoten erlaubt, weiterhin für legitime Zwecke Kredite aufzunehmen, so kann er dadurch Gelder freisetzen, mit denen er schädliche Zwecke verfolgt.250 Ein Diktator könnte sich entscheiden, Projekte im öffentlichen Interesse aus Krediten, solche im persönlichen Interesse aus Steuern zu finanzieren;251 der Kredit für eine Schule setzt damit Ressourcen in gleicher Höhe frei, mit denen der Despot ein Foltergefängnis bauen könnte.252 Daher wird teilweise gefordert, die Kreditvergabe an bestimmte Regime ganz zu unterbinden.253 Damit würde sich der Fokus der Bewertung von einzelnen Schulden ganz auf den Schuldner verschieben (dazu unten, Kapitel 3 B.II.2.). Allerdings ist von Staaten, die besonders verwerflich mit ihrer Bevölkerung umgehen, kaum zu erwarten, dass sie bei Mittelknappheit auf den Bau z. B. von Foltergefängnissen zugunsten von Schulen verzichten würden; eher würde in diesem Fall nur die Gefängnisse aus dem nationalen Budget gebaut werden,254 während im Fall eines zum Schulbau bereitgestellten Kredites wenigstens auch dieses errichtet würde.255 Auch bei einer vollständigen Kreditsperre könnte sich der Despot mit Hilfe 250  Mit diesem Einwand schon Feilchenfeld, Public Debts, S.  707; s.  a. m. w. Nachw. Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 89 mit dem Verweis auf das nigerianische Abacha-Regime. 251  Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 44. 252  Eine weitere kreative Nutzung der Kredite ist die anschließende Privatisierung der mit dem rechtmäßigen Kredit gebauten Anlagen mit dem Ziel, den Erlös hieraus zu schädlichen Zwecken zu verwenden, vgl. Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 79 mit dem Beispiel von Hühnerfarmen; vgl. zu dieser Problematik unten, Kapitel 4 C.II.2.c). 253  Vgl. Hanlon, in: Jochnick / Preston, Sovereign Debt at the Crossroads, S. 117: „We therefore argue that because of fungibility, all loans to odious regimes and dictators can be classed as odious, even if the ostensible purpose was permissible.“ 254  In diese Richtung auch Bonilla, Odious Debt, S. 77 und Howse, Odious Debt, S. 19. 255  In diese Richtung auch Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 953.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

von Steuereinnahmen und dem Ausverkauf natürlicher Ressourcen finanzielle Spielräume beschaffen, obgleich beide Einnahmequellen nicht völlig unbegrenzt sind.256 Eine vollständige Kreditsperre läuft somit dem Interesse der Bevölkerung entgegen und ist auch im Übrigen nicht erfolgversprechend. Damit besteht aber das aufgezeigte Problem der Fungibilität fort. Ben-Shahar und Gulati führen eine Reihe von Argumenten an, um die Problematik zu entschärfen. So argumentieren sie, dass Kredite leichter zu entwenden seien als Steuergelder.257 Für Steuern bestünden höhere Rechenschaftspflichten, und um diese sinnvoll zu verwenden, müssten sie erst in andere Währungen getauscht werden.258 Auch sei die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber der Verwendung von Steuern höher als die gegenüber Krediten, weil bei Steuern die aktuelle Generation unmittelbar betroffen ist, während Kredite erst eine Fernwirkung entfalten.259 Kredite könne sich die Regierung heimlich besorgen, sodass es ausreichend sei, deren Verwendung im Bevölkerungsinteresse mit Hilfe der Odious-Debts-Doktrin sicherzustellen. Diese Argumentation geht also davon aus, dass sich das Problem der anderweitigen Ressourcen nicht stellt, weil diese für die Regierung nicht in gleicher Weise verfügbar sind. Dies setzt jedoch voraus, dass ein Mindestmaß an öffentlicher Rechenschaftspflicht und – bedeutend – negativen Konsequenzen bei Missbrauch der Steuermittel besteht. In einer Vielzahl von Anwendungsfällen der Odious-Debts-Doktrin fehlt es jedoch bereits an diesen Mindeststandards; die Konstellationen zeichnen sich vielmehr durch eine mehr oder weniger unbegrenzte Handlungsfähigkeit des Staatsoberhauptes aus,260 sodass die Argumentation in diesen Fällen nicht restlos überzeugt. Da sich die Problematik der Fungibilität nicht völlig ausräumen lässt, ist zu fragen, ob die Odious-Debts-Doktrin nichtsdestotrotz positive Ziele zu erreichen vermag. Bei ihrer Geltung kann die Nachfolgeregierung zumindest die Rückzahlung von Krediten gegenüber solchen Staaten verweigern, die weiter odiöse Kredite zur Verfügung gestellt haben. Im Fall des Iraks etwa wurde zwar ein Großteil der schädlichen Ausgaben durch Öleinkünfte getätigt,261 was die zukünftigen Ressourcen schmälerte, gleichzeitig sah sich der Irak nach Ende des Hussein-Regimes aber auch mit einer enormen 256  Manche Staaten verfügen beispielsweise über keine fossilen Brennstoffe, durch deren Ausverkauf sie ihr Regime finanzieren können, Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 979; in diese Richtung auch Wong, Sovereign Finance, S. 167. 257  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 65 ff. 258  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 66. 259  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 66; ähnlich auch Wong, Sovereign Finance, S.  166 f. 260  Vgl. die unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb), diskutierten Fälle. 261  Rasmussen, LCP 2007(70), 249, 251 m. w. Nachw.



C. Argumente für und gegen die Geltung der Odious-Debts-Doktrin 73

Schuldenlast konfrontiert. Wenigstens letztere wäre bei Geltung der OdiousDebts-Doktrin deutlich verringert gewesen.262 Das Ziel der Schuldenreduzierung bei Regimewechsel kann somit wenigstens teilweise erreicht werden. Gleichzeitig bleibt dem Despoten während seiner Herrschaft die Möglichkeit erhalten, Projekte im Bevölkerungsinteresse durchzuführen, sodass die Vergabe ausschließlich nicht-odiöser Kredite positive Effekte für die Bevölkerung hat.263 Schließlich ist jedes Modell zu begrüßen, dass es für Diktatoren schwieriger macht Geld für schädliche Zwecke zu beschaffen und das zugleich die Finanzierung legitimer Projekte zulässt.264 2. Auswirkungen auf den Kreditverkehr Im Übrigen wird befürchtet, die Geltung der Odious-Debts-Doktrin führte zu einer unangemessenen Eingrenzung des Kapitalverkehrs,265 verteuerte Kredite,266 öffnete einer willkürlichen Anwendung Tür und Tor267 und träfe auch solche Staaten oder Kredite, die eigentlich nicht von Odious Debts erfasst werden sollten, womit sie der ursprünglich zu schützenden Bevölkerung noch Nachteile brächte.268 Die Gefahr der negativen wirtschaftlichen Folgen der Odious-Debts-Doktrin entsteht allerdings nur, wenn es misslingt, eine präzise Definition odiöser Schulden zu finden.269 Denn dann bestehen in der Tat Zweifel, welche Schulden später zurückgezahlt werden müssen, was sich in höheren Risikoprämien (Zinsen) auch für legitime Kredite ins262  Für Details s. u. Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(16); Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 49 wenden zudem ein, dass gerade die Geltung der Odious-Debts-Doktrin dazu führen würde, dass Diktatoren extensiv natürliche Ressourcen ausbeuten würden; allerdings ist nicht erkennbar, warum Diktatoren ohne Geltung der Doktrin lieber auf Kredite als auf natürliche Ressourcen als Finanzierungsquelle zurückgreifen sollten. 263  Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 44 f. bezweifeln, dass für den Diktator ein Anreiz besteht, nützliche Projekte durchzuführen. Allerdings können diese mittelbar auch dem Diktator zugutekommen, weil sie entweder auch für diesen von Nutzen sind (so z. B. Straßen) oder die Zufriedenheit der Bevölkerung und damit die Lebensdauer seines Regimes steigern können. 264  Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 979. 265  Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1203 und 1225 m. w. Nachw.; Nehru /  Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 3; Rajan, Odious or Just Malodorous, Finance & Development, Dezember 2004, S. 54 f., 55. 266  Backer, LCP 2007(70), 1, 44; Bonilla, Odious Debt, S. 98; Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 45; Paulus, WM 2005, 53, 55. 267  Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1229 f.; Raffer, Ethics & Interna­ tional Affairs 2007(21), 85, 99. 268  Backer, LCP 2007(70), 1, 15; Tarullo, LCP 2007(70), 263, 268. 269  So auch Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 87; Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 764; Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 63.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

besondere an Entwicklungsländer niederschlagen kann.270 Gleichzeitig bleibt es einem Staat verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit von Schulden zu berufen, wenn diese hoch umstritten ist, weil durch die Zahlungsverweigerung der Verlust von Reputation und die Verteuerung weiterer Kredite drohen. Ziel der Auseinandersetzung mit der Thematik muss daher sein, eine Definition von Odious Debts herauszuarbeiten, die bei Eingehung von Verträgen mit Klarheit feststellen lässt, ob es sich um odiöse Schulden handelt.271 Dies könnte dann sogar positive Effekte auf solche Kreditnehmer haben, die im Lichte der Odious-Debts-Doktrin bisher als unsicher einzustufen sind, da durch eine klarere Abgrenzung Fälle aus der Grauzone in den Bereich der wirksamen Kreditvergabe verlagert werden, was sich in niedrigeren Risikoprämien für legitime Kredite ausdrücken würde.272 Auch aus einem weiteren Grund kann die Geltung der Odious-Debts-Doktrin aus Sicht der redlichen Gläubiger zu positiven ökonomischen Ergebnissen führen. Denn im Fall eines überschuldeten Schuldnerstaates werden die ausstehenden Forderungen um die odiösen Schulden reduziert, sodass Gläubiger, welche Kredite zu legitimen Zwecken zur Verfügung gestellt haben, eine höhere Befriedigungsquote erzielen.273 Ein weiterer Einwand besteht schließlich in der Gefahr, dass die Kreditgeber möglichst kurze Laufzeiten für Kredite vereinbaren könnten, um noch während der Regierungszeit des Despoten die Rückzahlung zu erlangen, was wiederum mit höheren Zinsen und möglichen nachteiligen Folgen für die Bevölkerung einherginge.274 Dem kann jedoch durch Einbeziehung der bereits auf odiöse Schulden geleisteten Zahlungen etwa in Form eines Rückforderungsanspruches begegnet werden (genauer unten, Kapitel 3 B.VII.). Darüber hinaus würden sich die steigenden Zinsen auch nachteilig auf die Möglichkeit des Regimes auswirken, Finanzmittel für schädliche Zwecke zu erhalten, was ebenfalls ein positiver Effekt wäre.275

270  Ginsburg / Ulen, LCP 2007(70), 115, 121; Michalowski, Unconstitutional Regimes, S.  62 f. 271  In diese Richtung auch Reddy, Ethics & International Affairs 2007(21), 81, 95. 272  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 24. 273  Raffer, LCP 2007(70), 221, 245 f. Feibelman, LCP 2007(70), 171, 173 sieht im Abschluss von odiösen Verträgen generell eine Benachteiligung der übrigen Gläubiger, weil es an einer nützlichen Gegenleistung fehle. Allerdings sind Fälle odiöser Schulden denkbar, die die übrigen Gläubiger besser stellen, etwa wenn gelieferte Waffen zur illegalen Zwangsräumung eines Gebietes verwendet werden, um dort Ressourcen zu fördern. 274  Rasmussen, LCP 2007(70), 249, Fn. 3. 275  Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 11.



C. Argumente für und gegen die Geltung der Odious-Debts-Doktrin 75

3. Ökonomische Haftungstheorie Für die Anerkennung einer Odious-Debts-Doktrin wird auch die ökonomische Haftungstheorie angeführt.276 Indem einer der an der Transaktion beteiligten Parteien die Gefahr des Schadenseintritts aufgebürdet wird, wird für diese Partei ein Anreiz geschaffen, die Gefahr im Voraus zu vermeiden. Unter ökonomischen Gesichtspunkten soll derjenige Beteiligte die Gefahr tragen, der den Schaden besser und günstiger vermeiden kann (der sog. cheapest cost avoider).277 Für den Fall der Odious Debts kann in erster Linie der Despot die Verwendung entgegen den Bevölkerungsinteressen verhindern; allerdings entsteht gerade durch dessen abweichendes Verhalten die Problematik. Auf das Vermögen des Despoten besteht nach Schadens­ eintritt häufig kein Zugriff mehr, oder er wird es nach seinem Sturz ohnehin nicht mehr nutzen können, sodass die Anreizwirkung für den Despoten, sich rechtmäßig zu verhalten, gering ist. Doch auch jenseits des „Hauptschuldigen“ gibt es eine abgestufte Verantwortlichkeit. So ist es dem Kreditgeber mithilfe von Monitoring und anderen Schutzmechanismen278 möglich, die Nutzung des Darlehens zu überwachen und bei Verstößen die Zahlung einzustellen. Die Einflussmöglichkeiten des Gläubigers sind freilich nicht unbegrenzt, aber gegenüber den Mitteln, die noch zu Beginn der OdiousDebts-Diskussion vor einhundert Jahren bestanden, deutlich erweitert.279 Gegenüber potentiellen Kreditgebern kann die Odious-Debts-Doktrin damit Anreize schaffen, Darlehen in bestimmten Konstellationen nicht oder nur unter nachprüfbaren Auflagen zu gewähren. Im Gegensatz dazu sind die Möglichkeiten der Bevölkerung, die Gefahr der Verwendung entgegen ihrem Interesse zu vermeiden, denkbar gering; für die Odious-Debt-Konstellationen ist es gerade charakteristisch, dass die Bevölkerung keinerlei Einfluss auf die Kreditverwendung hat. Im Verhältnis zur Bevölkerung sind die Gläubiger also die cheapest cost avoider, was es rechtfertigt, auch diese in die finanzielle Gefahrtragung miteinzubeziehen.280

276  Zum Folgenden Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 48–50, 57–62. Der Gedanke findet sich auch bei Wong, Sovereign Finance, S. 110 ff. und bei Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 954. 277  Dazu grundlegend Calabresi, The Costs of Accidents, S. 135 ff. 278  Hierzu besonders relevant das responsible lending, s. o. Kapitel 1 B.IV.; zu möglichen Maßnahmen des Gläubigers s. a. die Lösungsmodelle in Kapitel 3 A.III.1. und Kapitel 3 A.II.1. 279  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 55. 280  Diese Einbeziehung muss kein Alles-oder-Nichts-Modell sein, vielmehr können Faktoren wie etwa der tatsächliche Nutzen für die Bevölkerung den Ausfallschaden mindern, s. Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 49 ff.

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Kap. 1: Grundlegendes: Die Figur der Odious Debts

IV. Ergebnis Die Geltung der Odious-Debts-Doktrin folgt moralischen Geboten und würde dazu führen, dass für Staaten nach einem Regimewechsel mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, weil sich ihr Schuldenstand durch rechtmäßige Zahlungs­verweigerungen reduzieren lässt. Gelder können für Bildung, staatliche Institutionen und zur Wiederherstellung beschädigter Infrastruktur verwendet werden, anstatt damit odiöse Schulden zu bedienen. Dies hat im Idealfall zudem positive Effekte auf die internationale Sicherheit, weil junge Demokratien somit über ein nachhaltigeres Budget verfügen und die Gefahr des Entstehens von failed states reduziert wird.281 Inwieweit sich positive Effekte schon vorher abzeichnen, ist weniger sicher. Der durch die Doktrin erreichte Abschreckungseffekt auf die Finanzierung menschenverachtender Regime kann dazu führen, dass diese weniger Gelder zur Verfügung haben,282 was sich wiederum in einer kürzeren Lebensdauer des Regimes niederschlagen kann.283 Ob darüber hinaus die Aussicht, dass die Odious-Debts-Doktrin zu Finanzierungsschwierigkeiten führen wird, Diktatoren von der Machtergreifung abhalten wird,284 muss allerdings bezweifelt werden. Ethische, politische, wirtschaftliche und rechtliche Grundprinzipien sprechen dafür, dass Odious Debts als unwirksam betrachtet werden sollten.285 Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich dieses Postulat aus dem geltenden Recht ableiten lässt.

281  Bonilla, Odious Debt, S. 109  ff.; Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 2 und 7 ff.; Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 978; ausführlich zum Verhältnis von Entwicklung, Demokratie und Schulden Ginsburg / Ulen, LCP 2007(70), 115 ff. 282  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 52; Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1203. 283  Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 42 f. 284  So Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82, 87 und Bonilla, Odious Debt, S. 97. 285  In diesem Sinne auch Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 485. Für weitere Stimmen zugunsten der Geltung der Odious-Debts-Doktrin vgl. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 43 Fn. 56.

Kapitel 2

Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin Zunächst sollen die für die Untersuchung relevanten Rechtsquellen dargestellt (A.) und die Frage geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen undemokratische oder Korruption praktizierende Regierungen Staatsschulden überhaupt wirksam eingehen können (B.). Insofern ein wirksames Handeln im Grundsatz gegeben ist, stellt sich die Frage, ob einmal eingegangene Schulden grundsätzlich auch für Nachfolgestaaten oder ‑regierungen fortgelten (dazu C.). Soweit dies der Fall ist, kommt für odiöse Schulden ein rechtlich anerkannter Ausnahmetatbestand von der Übertragungsregel in Betracht. Dass die Diskussion im Rahmen der Staaten- und Regierungsfolge verortet wird, rührt daher, dass es in der Praxis typischerweise die Nachfolgeregierung ist, welche die Wirksamkeit von Schulden bestreitet. Möglich ist aber auch, odiöse Schulden als von vorneherein unwirksam zu klassifizieren.1 Beides ist Gegenstand von Abschnitt D., wobei sowohl völker- wie auch privatrechtliche Ansätze eine Rolle spielen (vgl. zu letzteren insbes. D.III.).

A. Maßgebliche Rechtsquellen Art. 38 IGH-Statut nennt drei Rechtsquellen des Völkerrechts, nämlich völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze. Als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsregeln sind weiterhin gerichtliche Entscheidungen und die Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler heranzuziehen. Die von Gerichten angewandte Argumentation über Bestehen und Umfang völkerrechtlicher Regeln kann also Berücksichtigung finden, ohne selbst autoritär zu sein; die Entscheidungen nationaler Gerichte können aber auch Ausdruck von Staatenpraxis sein (s. u. II.). Die Lehrmeinungen der Völkerrechtler haben hingegen ausschließlich subsidiäre Bedeutung als Mittel der Rechtserkennung, nicht der Rechtssetzung.2 Die 1  Zur Sinnhaftigkeit der Anknüpfung an einen Regimewechsel s.  u. Kapitel 3 B.I.3. 2  Schweisfurth, Völkerrecht, 2. Kapitel, Rn. 145.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Tatsache, dass sich nahezu ebenso viele Autoren für3 wie gegen4 die völkerrechtliche Geltung der Odious-Debts-Doktrin aussprechen, hat daher nur indikative Wirkung und ersetzt nicht die Auseinandersetzung mit den originären Völkerrechtsquellen. Sofern in einem potentiell odiösen Vertrag nationales Recht gewählt wurde, stellt sich zudem die Frage, inwiefern privatrechtliche Regeln der Wirksamkeit des Vertrages entgegenstehen. Auch in diesem Fall behalten die 3  Leidenschaftlich für die Geltung der Odious-Debts-Doktrin und maßgeblich für das Wiederaufgreifen der Debatte seit den 1990er Jahren Adams, Odious Debts; prominent in der jüngeren Literatur die Arbeit von Howse, Odious Debt, S. 10 ff., der die Odious-Debts-Doktrin als Ausprägung von Billigkeitserwägungen im Rahmen der Rückzahlungspflicht sieht; s. weiterhin Acquaviva, Denv.J.Int’l L.& Pol’y 2002(30), 173, 188; Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 115; Fischer-Lescano, KJ 2003, 225, 230 (anerkannt nur im Falle der Staatensukzession); Hailbronner / Kau, in: Graf Vitz­ thum, Völkerrecht, Rn. 199 (anerkannte Doktrin, die in der praktischen Anwendung großen Schwierigkeiten begegnet); King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 614 m. w. Nachw. (Übergang solcher Schulden im Falle der Staatensukzession nur mit Zustimmung des neuen Staates) und 620 (keine opinio iuris hinsichtlich des Übergangs von odious debts im Falle der Staatensukzession oder des Regierungswechsels); Leyendecker, Auslandsverschuldung, S. 181 ff. (s. aber S. 193 für den Fall von Regierungswechseln); Menon, Succession of States, S. 161 ff. (sich weitgehend berufend auf Bedjaoui); Reinisch, Export of Warships, para. 48 f.; Reinisch / Hafner, Staatensukzession Sowjetunion, S.  71 ff. m. w. Nachw.; Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 976 (Existenz des Rechts, illegitime Schulden zurückzuweisen, aber Beweisprobleme); Zimmermann, „State Succession in Other Matters than Treaties“, in: Wolfrum, MPEPIL, Rn. 20; ohne Begründung und jedenfalls fehlgehend folgende Aussage eines Ausschusses der International Law Association zu Aspekten des Rechts der Staatensukzession: „…  [T]here is a general agreement in practice, confirmed unanimously by international doctrine, that so-called odious debts … are not subject to succession“, Rio De Janeiro Conference, Draft Final Report 2008, abrufbar unter http: /  / www.ila-hq.org / download.cfm / docid / 606A1745-5CE4-49D9-8326 776670521DA9 (Hervorhebung durch den Zitierenden); s. a. weitere Nachweise bei Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 43, die feststellt, dass die Mehrheit der deutschen Völkerrechtler von der Geltung der Odious-Debts-Doktrin ausgeht. 4  Buchheit, LCP 2007(70), 1, 5; Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1230; Cheng, LCP 2007(70), 7, 8 ff.; Feinerman, LCP 2007(70), 193; Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 406; Kleinlein, AVR 2006(44), 405, 408 f.; Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 298; Mancina, Geo. Wash. Intl. L. Rev. 2004(36), 1239, 1252; Micha­lowski, Unconstitutional Regimes, S. 45 f. und 66; Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 14 f., 17; Ochoa, Harv.Int’l L.J. 2008(49), 109, 117; Olivares-Caminal, Sovereign Debt Restructuring, Rn. 3-091; Paulus, WM 2005, 53, 54 und Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 415  ff. sowie Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 86; Schier, Towards a Reorganisation System, S. 66 ff.; Szodruch, Staateninsolvenz, S.  271 ff.; Wong, Sovereign Finance, S.  18; Yianni / Tinkler, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007, 749, 771; in diese Richtung auch Rasmussen, LCP 2007(70), 249, 249 f.; s. a. weitere Nachweise bei Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 43 und bei Bonilla, Odious Debt, S. 39.



A. Maßgebliche Rechtsquellen79

völkerrechtlichen Quellen jedoch Bedeutung, denn zum einen ergibt sich die Erstreckung des Vertrages auf Nachfolgestaat oder -regierung aus dem Völkerrecht; zum anderen kann nationales Recht die Geltung völkerrechtlicher Regeln anordnen, woraus ebenfalls die Unwirksamkeit odiöser Verträge folgen kann.5

I. Völkerrechtliche Verträge Völkerrechtliche Verträge sind alle zwischen Völkerrechtssubjekten geschlossenen Übereinkommen.6 Regeln über die Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge im Sukzessionsfall enthält die Wiener Konvention über das Recht der Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge. Allerdings ist der Anwendungsbereich dadurch begrenzt, dass nur Verträge zwischen Staaten erfasst sind, und dass die Konvention nur von 22 Staaten ratifiziert ist; einige der Regelungen stellen aber kodifiziertes Gewohnheitsrecht dar (s. u. C.II.1.). Eine dezidierte Regelung zu Odious Debts enthält die Konvention nicht. Die Wiener Konvention über das Recht der Staatennachfolge in Staatsvermögen, -archive und -schulden betrifft zwar ebenfalls Staatsschulden, ist jedoch nie in Kraft getreten, weil es an den gemäß Art. 50 der Konvention notwendigen 15 Ratifizierungen fehlt; auch hier kommt einigen Regelungen aber gewohnheitsrechtliche Geltung zu (s. u. C.II.1.b)). Im Übrigen kann die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK) Ansatzpunkte für die Unwirksamkeit von odiö­sen Schulden geben, etwa wenn ein Regimewechsel als Kündigungsgrund angeführt oder die Verletzung zwingenden Völkerrechts geltend gemacht wird (vgl. unten, C.IV. und D.I.). Auch die Verletzung internationaler Menschenrechtsübereinkommen kann als Argument für die Unwirksamkeit von Schulden herangezogen werden (D.I.2. und D.I.3.).

II. Völkergewohnheitsrecht Art. 38 (1) (b) des IGH-Statuts nennt als Völkerrechtsquelle „international custom, as evidence of a general practice accepted as law“ (Völkergewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten 5  Vgl. Art. 25 GG; besteht eine völkergewohnheitsrechtliche Regel, demnach odiöse Verträge unwirksam sind, so ist diese zugleich als nationales Recht zu berücksichtigen. Mit weiteren Beispiele der Berücksichtigung von völkerrechtlichen Prinzipien im Privatrecht vgl. für das US-amerikanische Recht Stephan, LCP 2007(70), 213, 221 ff. und weiterhin unten, Kapitel 2 D.III.3. 6  Cassese, International Law, S. 170; der Anwendungsbereich vieler Konven­ tionen ist jedoch enger, insoweit diese voraussetzen, dass der Vertrag Völkerrecht zum Inhalt hat, s. dazu ausführlich unten, Kapitel 2 C.II.1.a)aa); zum Begriff des Völkerrechtssubjektes s. u. Kapitel 2 C.II.1.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Übung). Die Definition enthält die beiden wesentlichen Merkmale des Völkergewohnheitsrecht, nämlich eine Staatenpraxis, die von der Überzeugung, es handle sich um rechtlich gebotenes Handeln (opinio iuris), getragen wird. Staatenpraxis ist jedes Verhalten von Staaten; da diese keine natür­ lichen Personen sind, ist für die Bestimmung von Staatenpraxis eine Fülle von Quellen zu beachten, wie etwa Handlungen und Äußerungen von Staats- und Regierungschefs, diplomatische Korrespondenz, offizielle rechtliche (z. B. an den diplomatischen Dienst oder das Militär gerichtete) Leitfäden, nationale Gesetzgebung oder das Abstimmungsverhalten in interna­ tionalen Organisationen.7 Auch die Praxis nationaler Gerichte kann Staatenpraxis darstellen.8 In seinen Entscheidungen zum Nordsee-Festlandsockel präzisierte der IGH den Begriff des Völkergewohnheitsrechts wie folgt: „… two conditions must be fulfilled. Not only must the acts concerned amount to a settled practice, but they must also be such, or be carried out in such a way, as to be evidence of a belief that this practice is rendered obligatory by the existence of a rule of law requiring it. The need for such a belief, i. e., the existence of a subjective element, is implicit in the very notion of the opinio juris sive necessitatis. The States concerned must therefore feel that they are conforming to what amounts to a legal obligation. The frequency, or even habitual character of the acts is not in itself enough. There are many international acts, e. g., in the field of ceremonial and protocol, which are performed almost invariably, but which are motivated only by considerations of courtesy, convenience or tradition, and not by any sense of legal duty.“9

Im Nicaragua-Fall führte der IGH allerdings einschränkend aus: „The Court does not consider that, for a rule to be established as customary, the corresponding practice must be in absolutely rigorous conformity with the rule. In order to deduce the existence of customary rules, the Court deems it sufficient that the conduct of States should, in general, be consistent with such rules, and that instances of State conduct inconsistent with a given rule should generally have been treated as breaches of that rule, not as indications of the recognition of a new rule. If a State acts in a way prima facie incompatible with a recognized rule, but defends its conduct by appealing to exceptions or justifications contained within the rule itself, then whether or not the State’s conduct is in fact justifiable on that basis, the significance of that attitude is to confirm rather than to weaken the rule.“10 7  Crawford,

Brownlie’s International Law, S. 24.; Shaw, International Law, S. 82. Jurisdictional Immunities of the State (Germany / Italy), Urteil vom 3. Februar 2012, para. 55. 9  IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany / Denmark; Federal Republic of Germany / Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, ICJ Reports 1969, S. 3 ff., para. 77. 10  IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua / USA), Merits, Urteil vom 27.  Juni 1986, ICJ Reports 1986, S. 14 ff., para. 186. 8  IGH,



A. Maßgebliche Rechtsquellen81

Eine konstante Praxis der Staatengemeinschaft führt also noch nicht dazu, dass es sich um Gewohnheitsrecht handelt, wenn diese Praxis nicht zumindest auch von einer Rechtsüberzeugung getragen wird. Beispielhaft nennt der IGH zeremonielle und protokollarische Handlungen, die nur von Höflichkeit, Zweckdienlichkeit oder Tradition motiviert sind, ohne dass von einer rechtlichen Verbindlichkeit ausgegangen wird. Um den völkergewohnheitsrechtlichen Charakter der Odious-Debts-Doktrin zu belegen, müssen folglich nicht nur Fälle einer Zahlungsverweigerung oder eines Schuldenerlasses aufgezeigt werden, diese müssen auch aus der rechtlichen Überzeugung resultieren, dass solche Schulden unwirksam sind. Umgekehrt ist die Erfüllung nach einem Regimewechsel aber nur dann ein Indiz für den Fortbestand der Leistungspflicht, wenn diese zumindest auch auf dem Bewusstsein der rechtlichen Verpflichtung hierzu beruht. Wird andererseits die Leistungsverweigerung mit der ausnahmsweisen Unwirksamkeit bestimmter Schulden begründet, so ist hierin zugleich ein Indiz für die grundsätzliche Anerkennung der Grundregel des Fortbestands von Schulden bei Staatenund Regimewechsel zu sehen. Die Kehrseite zu den der Kreditvergabe zugrunde liegenden Motiven auf Gläubigerseite (s. dazu oben, Kapitel 1 A.II.3.) besteht in einer Vielzahl möglicher Gründe, aus denen Staaten ihre Schulden bedienen. Hauptmotiv dürfte vielfach der Erhalt zukünftiger Kreditwürdigkeit11 sowie strategischer Partnerschaften sein. Denkbar ist auch, dass Staaten wegen ihres generellen Rufs hinsichtlich der Einhaltung internationaler Verpflichtungen zurückzahlen,12 was freilich wiederum voraussetzt, dass die bediente Verpflichtung von der Mehrheit der Staaten als wirksam angesehen wird. Je weiter man sich in der Völkerrechtsgeschichte zurück begibt, desto eher lassen sich zudem militärische Aktionen als legitime Druckmittel zur Rückzahlung von Schulden finden („gunboat diplomacy“).13 Die Akzeptanz solcher oder zumindest wirtschaftlicher und diplomatischer Druckmittel fußte auch auf dem Prinzip der völkerrechtlichen Immunität von Staaten für wirtschaftliches Handeln, aufgrund derer kein gerichtliches Forum zur Durchsetzung finanzieller Forderungen existierte.14 Aber auch heute besteht die berechtigte Sorge vor nichtmilitärischen Sanktionen, wie etwa der Kürzung von Entwicklungshilfe, der Verschlechterung diplomatischer Beziehungen oder der Blockade der Aufnahme in internationale Organisationen, 11  Zum Reputationsmodell im Kontext der Odious Debts s. die Nachweise in Fn. 131 und 225. 12  Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82, 90. 13  Dazu ausführlicher Waibel, Sovereign Defaults, S. 29 ff. und King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 616 ff. sowie Mitchener / Weidenmier, Supersanctions, S.  5 ff. 14  s. o. Kapitel 1 A.I.3.a).

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

a­llesamt unfreundliche, aber grundsätzlich rechtmäßige Akte.15 Für die Mehrheit der Staaten besteht daher ein großer Anreiz zur Rückzahlung von Schulden. All dies muss bei der Untersuchung einer etwaigen Rechtsüberzeugung berücksichtigt werden, auch weil die weiteren Gründe für die Rückzahlung von Schulden selten16 ausdrücklich genannt werden. Die völkergewohnheitsrechtliche Problematik wird daher genauer in den Kapiteln C. und D.I. untersucht werden.

III. Allgemeine Rechtsgrundsätze und nationales Recht Eine weitere Rechtsquelle sind die von den Kulturvölkern17 anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze (vgl. Art. 38 (1) (c) IGH-Statut). Bei diesen handelt es sich um Grundsätze nationalen Rechts, insbesondere des Privatrechts, insofern sie auf zwischenstaatliche Beziehungen anwendbar sind.18 Diese müssen in den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsordnungen anerkannt sein, was durch Rechtsvergleichung zu ermitteln ist.19 Beispiele für allgemeine Rechtsgrundsätze in diesem Sinne sind die Pflicht zur Wiedergutmachung bei Vertragsbruch, die Verwirkungseinrede sowie beweis- und prozessrechtliche Prinzipien.20 Haben die Parteien den Vertrag dem Recht eines Staates unterstellt, finden Grund­sätze nationalen Rechts zudem unmittelbare Anwendung auf den Vertrag, sodass sich die Wirksamkeit odiöser Verträge auch an nationalem Recht messen lassen muss. Die Anerkennung von Odious Debts als allgemeiner Rechtsgrundsatz und als privatrechtliches Prinzip ist Gegenstand von Abschnitt D.III.

15  Schröder, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Rn. 108 m. w. Nachw.; im Rahmen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte wird allerdings diskutiert, ob aus diesen eine Pflicht zur Gewährung von Entwicklungshilfe resultiert, vgl. Coomans, H.R.L.Rev. 2011(11), 1, 26 f. UNF Vandenhole, Int’l J.Children’s Rts. 2009(17), 23 ff. 16  Ein Gegenbeispiel bildet die Rückzahlung der Schulden durch Südafrika nach der Apartheidsära, s. u. Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(12). 17  Zum Begriff der „civilized nations“ s. Schweisfurth, Völkerrecht, 2. Kapitel, Rn. 106. 18  Crawford, Brownlie’s International Law, S. 34 f. Darüber hinaus gibt es auch allgemeine Grundsätze des Völkerrechts, die als allgemeine Prinzipien dem Völkerrecht immanent sind und sich nicht erst aus den nationalen Rechtsordnungen ergeben, s. ebd., S. 37. 19  Die eher oberflächliche Vorgehensweise internationaler Gerichte kritisiert Schweisfurth, Völkerrecht, 2. Kapitel, Rn. 111. 20  Crawford, Brownlie’s International Law, S. 35 ff. m. w. Nachw.



B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und Korruption?83

B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und bei Korruption? I. Völkerrechtliche Wirksamkeit des Handelns undemokratischer Regime Wenn Verträge schon aufgrund der Tatsache nichtig wären, dass sie durch einen nicht durch allgemeine und faire Wahlen legitimierten Staatschef eingegangen wurden, so bedürfte es in einer Vielzahl der Fälle der Rechtsfigur der Odious Debts nicht mehr.21 Allerdings geht die klassische Völkerrechtslehre von einer grundsätzlichen Neutralität des Völkerrechts im Hinblick auf die innerstaatliche Verfassung der Völkerrechtssubjekte aus.22 Es ist Ausdruck des Grundsatzes der Staatensouveränität, dass jeder Staat seine Regierungsform frei wählen kann.23 Für die Staatsqualität ist die Regierungsform ohne Bedeutung; konstituierende Voraussetzung für die Völkerrechtssubjektivität ist nur, dass die Staatsgewalt effektiv ist, also über Staatsgebiet und Staatsvolk umfassend die Kontrolle ausübt, insbesondere innerstaatlich Recht setzt und durchsetzt sowie die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen gewährleistet.24 In der postkolonialen Ära nimmt jedoch die Zahl der Stimmen zu, die eine Durchbrechung dieses Effektivitätsgrundsatzes befürworten. Dies spiegelt sich in der Praxis der Anerkennung von Staaten und Regierungen wider. Während manche entsprechend dem Effektivitätsgrundsatz davon ausgehen, dass eine Regierung mit der Anerkennung durch andere Staaten rechnen kann, sobald sie effektive Herrschaftsgewalt erlangt hat,25 besteht eine gewisse Staatenpraxis insbesondere europäischer Staaten, die Anerkennung an bestimmte Bedingungen wie demokratische Legitimation und die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards zu knüpfen.26 Ob dies zur 21  So auch Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 64; für eine entsprechende Regel Gosseries, Ethics & International Affairs 2007(21), 99, 104. 22  Vgl. Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 123 mit Bezug auf das Abschließen von Verträgen. 23  Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn.  693 m. w. Nachw. 24  Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 285. 25  Shaw, International Law, S.  454  f.; Schweisfurth, Völkerrecht, 3. Kapitel, Rn.  29 f. 26  So die im Rahmen eines EG-Ministertreffens abgegebene Erklärung vom 16. Dezember 1991 über „Guidelines on the Recognition of New States in Eastern Europe and in the Soviet Union“, ILM 31 (1992), S. 1446 f., welche der folgenden Praxis der EG und ihrer Mitgliedstaaten zugrunde lag, vgl. Ribbelink, in: Klabbers u. a., State Succession, S. 76 ff.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Unwirksamkeit des Handelns undemokratischer Regierungen führt, ist jedoch fraglich. So besteht eine Vielzahl von Staaten, die über keine demokratisch legitimierte Regierung verfügen und dennoch in die Staatenwelt eingebunden sind. Extremfälle sind autoritär regierende Staatschefs wie Gadaffi oder Assad, die über einen langen Zeitraum in der Staatengemeinschaft anerkannt und unterstützt wurden; auch wirtschaftliche Beziehungen zu Staaten wie dem totalitär geführten Turkmenistan begegnen keiner grundsätzlichen Kritik der Staatengemeinschaft. Im Gegensatz dazu sind Staaten wie Belarus und Nordkorea international weitgehend isoliert, können sich aber der Unterstützung weniger, doch einflussreicher Staaten sicher sein. Diese Beispiele deuten darauf hin, dass es sich bei der Anerkennung von Regierungen um eine vor allem von politischen Opportunitätserwägungen geleitete Praxis handelt.27 Ohnehin ist die (Nicht-)Anerkennung einer Regierung nicht entscheidend für die Völkerrechtssubjektivität des Staates; ungeachtet der Streitfrage, ob der Anerkennung von Staaten konstitutive oder deklaratorische Wirkung zukommt,28 handelt es sich bei der Anerkennung von Regierungen lediglich um die Voraussetzung dafür, dass geregelter diplomatischer Verkehr zwischen den beteiligten Staaten zustande kommt. Die mangelnde demokratische Legitimation der Regierung ändert also nichts an daran, dass der Staat als Völkerrechtssubjekt berechtigt und verpflichtet, also insbesondere Schuldner finanzieller Pflichten sein kann. Fraglich ist demgegenüber, ob die de-facto-Regierung auch für den Staat verbindlich handeln kann. Zieht man die Wiener Vertragsrechtskonvention heran, so ist zunächst deren Art. 7 (2) (a) zu beachten, demnach für die Eingehung von völkerrecht­ lichen Verträgen Staats- und Regierungschefs automatisch vertretungsbefugt sind, ohne dass darauf abgestellt wird, wie diese ihre Position erlangt haben. Gemäß Art. 46 WVK kann sich ein Staat nicht darauf berufen, dass die Zustimmung zum Vertrag unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen gegeben wurde, es sei denn, die Verletzung war offenkundig und betraf eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung.29 Obwohl die Regelung primär innerstaatliche Einschränkungen der Vertragsschlusskompetenz im Blick hat,30 ist eine Anwendung auf solche Fälle denkbar, in welchen ein diktatorisches Regime unter Verstoß gegen innerstaatliches Verfassungs27  Weitere Nachweise bei Brühl-Moser, in: Breitenmoser u.  a., FS Wildhaber, S. 980. 28  s. dazu Crawford, Brownlie’s International Law, S. 144 ff. m. w. Nachw. 29  Zu dem Problem, ob eine nachträgliche acquiescence durch die den Vertrag abschließende Regierung die Verletzung heilen kann, s. Fulda, Demokratie, 113 f. 30  Rensmann in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 46 Rn. 1.



B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und Korruption?85

recht die Herrschaftsgewalt ausübt und völkerrechtliche Verträge abschließt. Im unmittelbaren Anschluss an den Regimewechsel kann daher durchaus von einer offensichtlichen Verletzung innerstaatlichen Rechts ausgegangen werden, soweit die Verfassung noch in Kraft ist und durch die neue Regierung missachtet wird. Gibt sich die neue Regierung eine neue Verfassung oder setzt sie die Verfassung durch ihr Handeln außer Kraft, stellt sich allerdings die Frage, ob das ursprüngliche innerstaatliche Recht noch maßgeblich ist. Im Maritime Delimitation Case (Guinea-Bissau / Senegal) etwa hatte ein Schiedsgericht zu entscheiden, ob ein zwischen Portugal und Frankreich 1960 für die ehemaligen Kolonien geschlossenes Abkommen für die am Streit beteiligten Staaten verbindlich war.31 Guinea-Bissau führte unter anderem an, nicht durch das Abkommen gebunden zu sein, weil dieses unter Verletzung portugiesischen Verfassungsrechts durch das Franco-Regime zustande gekommen sei. Das Schiedsgericht führte aus, dass nicht die geschriebene Verfassung, sondern deren faktische Anwendung durch das autoritäre Regime maßgeblich für die Frage sei, ob ein offensichtlicher Rechtsverstoß vorlag; weil es gängige Praxis des Regimes war, die in der Verfassung vorgesehene Zustimmung der Nationalversammlung nicht einzuholen, habe Frankreich auf die Gültigkeit des Abkommens vertrauen dürfen.32 Ähnlich begrenzt ist auch der Anwendungsbereich von Art. 47 WVK, demnach sich auf eine Beschränkung der Vertretungsmacht nur berufen kann, wer diese dem Verhandlungspartner vorher mitgeteilt hatte. Im Fall despotischer Regimes wird eine solche Beschränkung regelmäßig fehlen.33 Ein besonderer Umgang mit de-facto-Regimen ist allerdings in Bezug auf von der argentinischen Militärregierung gesetzte Rechtsakte zu beobachten. Hier bildete sich eine auch vom argentinischen Obersten Gerichtshof angewendete Doktrin heraus, der zufolge Rechtsakte und Verträge, die unter der de-facto-Regierung eingegangen wurden, zu ihrer Wirksamkeit der nachträglichen Bestätigung durch eine demokratisch gewählten Folgeregierung bedürfen.34 Ob dies zur Unwirksamkeit von durch Gläubiger erworbenen Rechten („acquired rights“) führt, ist jedoch auch in Argentinien umstritten und aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht eindeutig herzuleiten,35 sodass eine auf die de-facto-Doktrin gestützte Zahlungsver31  Maritime Delimitation Case (Guinea-Bissau / Senegal), Arbitral Award, 31.  Juli 1989, ILR 83 (1990), 1 ff. 32  Maritime Delimitation Case (Guinea-Bissau / Senegal), Arbitral Award, 31.  Juli 1989, ILR 83 (1990), 1, 34 para. 59. 33  Ausführlich zur Frage des Missbrauchs der Vertretungsmacht im Falle odiöser Schulden vgl. unten, Kapitel 2 D.III.1. 34  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 99 f. m. w. Nachw. 35  Vgl. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 100 ff., die vergleichend auf widersprüchliche Urteile zum Beamtenstatus abstellt und zu dem Ergebnis kommt,

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

weigerung mit hoher Wahrscheinlichkeit als ungerechtfertigter Zahlungsausfall angesehen würde. Die Gegenauffassung, nämlich dass eine fehlende demokratische Legitimierung der Staatsgewalt sehr wohl Auswirkungen auf die rechtliche Handlungsfähigkeit von Regierungen hat, kann mit dem in jüngerer Zeit diskutierten Recht auf Demokratie begründet werden.36 Normativ lässt sich dieses Recht aus Art. 25 IPBPR herleiten, demnach jeder Bürger das Recht hat, ohne unangemessene Einschränkungen direkt oder durch frei gewählte Vertreter an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen (lit. a), an freien, allgemeinen, gleichen, wiederkehrenden und geheimen Wahlen aktiv und passiv teilzunehmen (lit. b) sowie Zugang zu öffentlichen Ämtern zu haben (lit. c). Die Vorschrift ist für die 167 Vertragsstaaten, darunter etwa Belarus, Iran und Syrien, völkerrechtlich bindend. Der unter dem IPBPR errichtete Menschenrechtsausschuss (Human Rights Committee, HRC) führt dazu aus: „Article 25 lies at the core of democratic government based on the consent of the people“.37 Ein weiterer normativer Ansatzpunkt ist das Recht auf Selbstbestimmung der Völker (vgl. den gemeinsamen Art. 1 (1) von IPBPR und IPWSKR sowie Art. 1 (2) UN-Charta), demnach alle Völker frei über ihren politischen Status entscheiden. Gerade das Recht auf Selbstbestimmung wird zwar auch für den Effektivitätsgrundsatz und damit die Nichtbeachtung des politischen Systems für die Frage der Staatsqualität ins Feld geführt.38 Allerdings kann dies kaum für einen jegliche demokratische Teilhabe unterbindenden Diktators gelten, weil hier gerade nicht der freie Wille der Bevölkerung zugunsten eines bestimmten politischen Systems zum Ausdruck dass die demokratische Regierung Kreditverträge für ungültig erklären könnte, die dem wirtschaftlichen Interesse Argentiniens widersprechen. Hier besteht aber die Gefahr, dass sich die Nachfolgeregierung sämtlicher unliebsamer Verpflichtungen entledigt, weil offen bleibt, welche Kriterien für die Verweigerung maßgeblich sein sollen und es an einer gerichtlichen Überprüfung fehlt. Zudem ist die Anknüpfung an eine demokratische Nachfolgeregierung aufgrund einer fehlenden Demokratiedefinition problematisch, vgl. unten, Kapitel 3 B.II.1. 36  Grundlegend zu diesem Franck, AJIL 1992(86), 46 und Fulda, Demokratie, S.  11 ff. 37  HRC, General Comment 25 („The Right to Participate in Public Affairs, Voting Rights and the Right of Equal Access to Public Service (Art. 25)“) 12.07.1996, CCPR / C / 21 / Rev.1 / Add.7. Obwohl das Demokratieprinzip im IPWSKR nicht eindeutig geregelt ist, lässt sich aus einer Vielzahl von Äußerungen des Committee for Economic, Social and Cultural Rights (CESCR) dessen Bedeutung auch für die Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte ableiten, vgl. Burchill, in: Baderin / McCorquodale, ESC Rights in Action, S. 370 ff. Die genauen Implikationen des Rechts auf Demokratie sind allerdings umstritten, vgl. ebd., S.  362 ff. 38  Etwa von Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 284.



B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und Korruption?87

kommt.39 Rechtsträger des Menschenrechts auf Selbstbestimmung ist ausweislich des Wortlauts („self-determination of peoples“) gerade nicht die abstrakte Rechtsfigur Staat, die hinsichtlich eines bestimmtes Regierungssystems Schutz beanspruchen kann, sondern sind die Völker.40 Das Recht auf Selbstbestimmung ist damit, anders als das Recht auf demokratische Teilhabe, ein kollektives Menschenrecht, dem eine äußere und eine innere Dimension innewohnt.41 Während die äußere Dimension die Frage der Errichtung eines eigenen Staates betrifft, umfasst die innere Dimension die Frage, welche Abwehr- und Partizipationsrechte ein Volk im Rahmen eines bestehenden Staates einfordern kann.42 Das innere Selbstbestimmungsrecht ist also einerseits Abwehrrecht der Bevölkerung gegen den Staat, demnach (insbesondere eine Minderheit darstellende) Völker nicht ihrer Identität beraubt werden dürfen.43 Weiterhin begründet es einen Anspruch auf Teilhabe an staatlichen Entscheidungen.44 Dem Recht auf Selbstbestimmung wohnt damit ein demokratisches Element inne.45 Das Recht auf Selbstbestimmung der Völker ist als völkerrechtliches Grundprinzip zumindest in seiner externen Dimension gewohnheitsrechtlich anerkannt;46 lehnt man dies für die innere Dimension ab, so lässt sich der Anspruch auf demokratische Teilhabe zumindest aus den Menschenrechtspakten herleiten. Trotz Art. 25 IPBPR sowie der Verankerung des Rechts auf Selbstbestimmung im Völkergewohnheitsrecht und in den Menschenrechtspakten ist der völkerrechtliche Status des Demokratieprinzips47 umstritten. Zwar lässt sich 39  Zur Frage der Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung durch diktatorische Regime s. noch unten, Kapitel 2 D.I.2.d)bb). 40  Wobei die Definition dessen, was ein Volk darstellt, umstritten ist, vgl. McCorquodale, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 369 ff.; Thornberry, in: Tomuschat, Self-Determination, S.  124 ff. 41  Zu dem Verhältnis der äußeren und inneren Dimension des Selbstbestimmungsrechts zueinander s. Tomuschat, in: Tomuschat, Self-Determination, S. 13 f. 42  McCorquodale, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 375 ff. 43  Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 690. 44  Vgl. die Ausführungen unten, Kapitel 2 D.I.2.d)bb); diesen Aspekt zurückhaltend bejahend Thornberry, in: Tomuschat, Self-Determination, S. 120; kritisch auch Tomuschat, International Law, S. 258 ff. 45  Brühl-Moser, in: Breitenmoser u. a., FS Wildhaber, S. 975 ff. 46  Zur Entwicklung des Rechts auf Selbstbestimmung bis hin zu dessen gewohnheitsrechtlichen Anerkennung s. Tomuschat, International Law, S. 239 ff.; s. a. Cassese, International Law, S. 62 m. w. Nachw.; Crawford, Brownlie’s International Law, S. 646  f. sowie die Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation Among States in Accordance with the Charter of the United Nations, Resolution der UN-Generalversammlung vom 24. Oktober 1970, 2625(XXV). 47  Terminologisch unterscheiden sich Demokratieprinzip und Recht auf Demokratie darin, dass ersteres ein allgemeines Prinzip, letzteres ein individuelles Recht

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

argumentieren, dass sich angesichts der Entwicklungen im Rahmen des auf Demokratiestärkung angelegten Europarates sowie der KSZE zumindest für Europa ein regionales Völkergewohnheitsrecht zugunsten der demokratischen Staatsform herausgebildet hat;48 auf universeller Ebene wird dies jedoch weitgehend bestritten.49 Zugunsten eines universellen Demokratieprinzips lassen sich jedoch auch mehrere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zitieren, die etwa im Fall von Haiti50 und Sierra Leone51 den Sturz einer demokratischen Regierung durch einen Militärputsch als Bedrohung des Friedens i. S. d. Art. 39 UN-Charta qualifizierten und die Wiedereinsetzung der demokratischen Regierung verlangten, sowie im Fall der Elfenbeinküste52 die Durchsetzung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahlen mit militärischen Mitteln autorisierten.53 Zwar handelt es sich hier um Extremfälle, die mit kriegerischer Gewalt und humanitären Krisen einhergingen, während andererseits eine Vielzahl undemokratischer, aber stabiler Regime auf weniger offene Kritik stößt. Jedoch wird in mehreren Resolutionen der UNGeneralversammlung die Bedeutung des Demokratieprinzips unterstrichen,54 was sich auch in der technischen Unterstützung von Wahlen durch internationale Organisationen niederschlägt. Auch wurden in der Vergangenheit nationalsozialistische, faschistische und Apartheid praktizierende Regime bezeichnet. Für die vorliegende Diskussion ergibt sich aber kein Unterschied, sodass hier beide Begriffe verwendet werden. 48  Mit diesem Ergebnis Brühl-Moser, in: Breitenmoser u.  a., FS Wildhaber, S. 981; in diese Richtung auch Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 694. 49  s.  z. B. Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 693; Cassese, International Law, S. 395 spricht von einem im Entstehen begriffenen „right to democratic governance“, welches jedoch noch nicht völkerrechtlich anerkannt sei; weitere Nachweise bei Brühl-Moser, in: Breitenmoser u. a., FS Wildhaber, S. 981 f. Für die völkerrechtliche Anerkennung Fulda, Demokratie, S. 86. 50  S / RES / 940 (1994), 31.  Juli 1994. 51  S / RES / 1132 (1997), 8.  Oktober 1997. 52  S / RES / 1962 (2010), 20.  Dezember 2010; hierin heißt es deutlich: „Condemning in the strongest possible terms the attempts to usurp the will of the people and undermine the integrity of the electoral process and any progress in the peace process in Côte d’Ivoire“. 53  Weitere Belege für die Anerkennung des Demokratieprinzips bei Fulda, Demokratie, S.  37 ff. 54  Etwa A / RES / 54 / 173, 15.  Februar 2000 (Strengthening the Role of the United Nations in Enhancing the Effectiveness of the Principle of Periodic and Genuine Elections and the Promotion of Democratization) und A / RES / 66 / 163, 19.  Dezember 2011 (Strengthening the Role of the United Nations in Enhancing Periodic and Genuine Elections and the promotion of Democratization); A / RES / 62 / 7, 8. November 2007 (Support by the United Nations System of the Efforts of Governments to Promote and Consolidate New or Restored Democracies); s. a. Tomuschat, Interna­ tional Law, S. 67 m. w. Nachw.



B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und Korruption?89

einhellig verurteilt.55 Somit kann geschlossen werden, dass im Urteil der internationalen Gemeinschaft die demokratische Regierungsform die einzig legitime ist, wobei die Frage nach der Legalität des Handelns undemokratischer Regierungen dadurch noch nicht beantwortet ist.56 Nimmt man eine völkerrechtliche Anerkennung des Demokratieprinzips an, stellt sich die Frage, was aus dessen Verletzung folgt. So macht sich ein Signatarstaat des IPBPR, der keine dem Art. 25 IPBPR genügenden Wahlen durchführt, der Verletzung seiner menschenrechtlichen Verpflichtungen schuldig. Gleiches gilt für Nichtsignatare, wenn man das Recht auf demokratische Teilhabe als völkergewohnheitsrechtlich verankert ansieht. Im Hinblick auf das Recht auf Selbstbestimmung werden in der Völkerrechtsliteratur weiterhin die Problemkreise der prodemokratischen militärischen Intervention57 und des Rechts auf Sezession58 diskutiert.59 Für die vorliegende Untersuchung relevant ist hingegen die Frage, ob die Verletzung des Demokratieprinzips der Regierung die Kompetenz nimmt, für den Staat verbindliche Verträge einzugehen. Angesichts einer Vielzahl nichtdemokratischer Staaten, die ihrer undemokratischen Verfassung ungeachtet am internationalen (Wirtschafts-)Verkehr teilnehmen, lässt sich dieser Schluss nicht ziehen. Es wird auch bezweifelt, ob dies rechtspolitisch wünschenswert wäre, weil ansonsten die internationalen Beziehungen zum Erliegen kommen könnten und Einwirkungsmöglichkeiten über diplomatische oder wirtschaftliche Instrumente abgeschnitten würden.60 Die Tatsache, dass ein Regime undemokratisch ist, führt alleine folglich nicht zur Unwirksamkeit von Schulden. Dieses Ergebnis stimmt mit Art. 53 WVK überein, demnach Verstöße gegen Völkerrecht nur zur Unwirksamkeit führen, soweit es sich dabei um eine ius-cogens-Norm handelt. Dass eine Regel als zwingende Norm des Völkerrechts qualifiziert wird, ist jedoch die Ausnahme (s. u. D.I.) und auf das Demokratieprinzip nicht zutreffend,61 sodass es bei der grund55  Brühl-Moser, in: Breitenmoser u. a., FS Wildhaber, S. 974 m. w. Nachw.; Salmon, in: Tomuschat, Self-Determination, S. 260. 56  In diesem Sinne Tomuschat, International Law, S. 68 m.w.Nachw; zur Durchbrechung des Souveränitätsbegriff durch das Demokratiegebot s. a. Kokott, ZaöRV 2004(64), 517, insbes. 525 ff. 57  s. Shaw, International Law, S. 1158. 58  Cassese, International Law, S. 61 f. 59  Noch weitergehend ist die Frage, ob aus dem Recht auf Selbstbestimmung, Menschenrechten und Demokratieprinzip für dritte Staaten gar eine Pflicht folgt, zum globalen Wohlstand beizutragen, s. Benvenisti, AJIL 2013(107), 295 ff. 60  In diesem Sinne mit Bezug auf die Frage der Anerkennung nicht-demokratischer Staaten Schweisfurth, Völkerrecht, 3. Kapitel, Rn. 30. 61  Dazu Fulda, Demokratie, S. 141 f., der das Demokratieprinzip zumindest für Europa als ius cogens bezeichnet.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

sätzlichen Wirksamkeit des Handelns undemokratischer Regierungen bleibt. Inwiefern Odious Debts dazu eine Ausnahme darstellen, wird unten (D.) genauer untersucht. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Eingehung von Schulden durch diktatorische Regierungen nicht zu deren Unwirksamkeit führt, wenn nicht darin ein offenkundiger Verstoß gegen eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung zu sehen ist. Dies scheidet nach dem Gesagten jedoch aus, wenn das Regime sich erst einmal konsolidiert, insbesondere die Verfassung außer Kraft gesetzt hat.

II. Die Auswirkung von Korruption auf die Wirksamkeit von Verträgen Als Fall der Odious Debts werden auch solche Konstellationen diskutiert, in welchen ein Staatsoberhaupt einen Kreditvertrag abschließt und einen Teil des Kreditbetrages zur privaten Verfügung erhält, beispielsweise durch Überweisung auf ein Privatkonto;62 denkbar sind auch Fälle, in denen der Abschluss eines Kaufvertrages mit gestundetem Kaufpreis von der Zahlung einer bestimmten Summe an den Präsidenten abhängig gemacht wird. Ein derartiger Vertrag könnte wegen Korruption unwirksam sein.63 Weniger klar ist der Fall, wenn das Geld zunächst der öffentlichen Hand gutgeschrieben wird, das Staatsoberhaupt dann aber mit einem Teil des Geldes private Zwecke, z. B. den Bau einer Villa, verfolgt. Hier liegt es näher, den Fall als Missbrauch des nationalen Budgets und nicht als Korruption zu betrachten, weil am Vorliegen einer Bestechungshandlung durch den Kreditgeber Zweifel bestehen und weil nicht mehr nachvollziehbar ist, ob gerade der Kredit zu persönlichen Zwecken verwendet wurde. Bevor die entsprechenden Regeln näher dargestellt werden, ist somit festzustellen, dass Korruptionsfälle nur einen begrenzten Anwendungsbereich der Odious-Debts-Doktrin erfassen. Über die genannten Abgrenzungsfragen hinaus wird nämlich die Frage der Wirksamkeit von Verträgen, die ein Staatsoberhaupt abschließt, ohne Geld für den Abschluss zu erhalten, deren Inhalt aber aus anderen Gründen dem Bevölkerungsinteresse entgegenläuft (z. B. Kauf von Panzern zur Niederschlagung gewaltloser Demonstrationen), nicht beantwortet. Umgekehrt sind auch solche Verträge erfasst, die zwar durch Korruption herbeigeführt wurden, aber im Übrigen im Interesse der Bevölkerung stehen. Nach Art. 50 WVK kann sich ein Staat auf die Unwirksamkeit seiner Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag berufen, wenn ein Verhand62  Vgl.

Reinisch, Export of Warships, para. 91 ff. zu einer Definition von Korruption unten, Kapitel 4 B.II.1.

63  Ausführlich



B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und Korruption?91

lungsstaat diese unmittelbar oder mittelbar durch Bestechung eines seiner Vertreter herbeigeführt hat. Der Anwendungsbereich der Regel ist auf völkerrechtliche Verträge zwischen Staaten begrenzt (s. genauer unten, C.II.1.a) aa)), die gewohnheitsrechtliche Geltung auch für Staaten, die die WVK nicht ratifiziert haben, ist anzunehmen.64 Problematisch ist, dass die WVK den Begriff der Korruption („corruption“) nicht definiert, und gleichzeitig fordert, dass die Zustimmung durch die Bestechung herbeigeführt worden sein muss („procured through the corruption“). Vor diesem Hintergrund ist umstritten, ob Voraussetzung ist, dass die Zustimmung ohne die Bestechung nicht erteilt worden wäre.65 Dafür spricht, dass es nur in diesem Fall an der originären Zustimmung des Vertragspartners fehlt und die vertretungsrechtliche Beziehung zwischen Staat und Repräsentanten unterlaufen wird. Allerdings könnte der bestechende Staat argumentieren, der Vertragspartner sei ohnehin zum Vertragsschluss geneigt gewesen und habe mit der Forderung eines Bestechungsgeldes nur weitere persönliche Vorteile erlangen wollen. Für den Verzicht auf eine Kausalitätsbeziehung spricht daher die damit erreichte Effektivität der Regelung für den internationalen Kampf gegen Korruption sowie die Tatsache, dass im Einzelnen nur schwer nachweisbar ist, ob der Vertrag auch ohne Bestechungsgelder geschlossen worden wäre. Zudem ist die Zahlung von Bestechungsgeldern nur dort nachvollziehbar, wo dadurch ein Vertragsabschluss erreicht werden soll; würde der Vertrag ohnehin geschlossen, bedürfte es keiner Bestechung. Entsprechend führt die UN-Völkerrechtskommission (International Law Commission, ILC) in ihrem Kommentar zum Entwurf der WVK aus, der Begriff Korruption umfasse „only acts calculated to exercise a substantial influence on the disposition of the representative to conclude the treaty“ und will damit „a small courtesy or favour shown to a representative in connexion with the conclusion of a treaty“ ausschließen.66 Verzichtet man nicht auf die Voraussetzung der Ursächlichkeit der Bestechung für den Vertragsschluss, so sollte diese zumindest vermutet werden, wenn die Bestechungsleistung nicht völlig unbedeutend ist. Rechtsfolge der Bestechung ist, dass sich der Staat, dessen Vertreter bestochen wurde, auf die Unwirksamkeit des ganzen oder eines Teiles des 64  Zum Zeitpunkt der Aufnahme dieser Regel in die WVK wurde von deren gewohnheitsrechtlicher Geltung noch nicht ausgegangen; die sukzessive Entwicklung der Korruptionsbekämpfung spricht aber für diese, vgl. m. w. Nachw. Villiger, VCLT, Art. 30 Rn. 10, bzw. für einen entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatz, vgl. Rensmann, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 50 Rn. 17. 65  Gegen diese Voraussetzung Villiger, VCLT, Art. 50 Rn. 6, dafür mit Verweis auf die Stellungnahme des spanischen Vertreters beim Abschluss der WVK Rensmann, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 50 Rn. 8 und 12 ff. 66  ILC, „Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries“, Art. 47 para. 4, abgedruckt in YILC 1966 Vol. II(2), S. 187 ff., 245, Hervorhebungen durch den Zitierenden.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Vertrages berufen kann, Art. 44 (4) WVK; die Rechtsfolgen hinsichtlich bereits ausgeführter Teile richten sich nach Art. 69 WVK (dazu unten, Kapitel 3 B.VII.). Ein Problem ergibt sich aber daraus, dass ein Staat gem. Art. 45 WVK das Recht, sich auf Unwirksamkeitsgründe zu berufen, verliert, wenn er nach Kenntnis der Gründe ausdrücklich oder stillschweigend die Geltung des Vertrages anerkannt hat. Fraglich ist daher, ob das Recht, die Ungültigkeit des Vertrages geltend zu machen, dadurch verloren gegangen ist, dass der Vertrag in der Folge ausgeführt wurde. Jedoch ist es widersinnig, die Bestätigung des Vertrages durch den Bestochenen anzuerkennen; hier wirkt die Bestechung fort, sodass erst eine neue Regierung den Vertrag bestätigen kann. Ähnlich ist die Begründung der ILC dafür, dass für den Fall von Zwang (Art. 51, 52 WVK) eine Bestätigung nicht möglich ist: „[T]he principle would not operate if the State in question … had not been in a position freely to exercise its right to invoke the nullity of the treaty.“67 An einer freien Entscheidung der durch die Korruption Betroffenen fehlt es aber, solange das bestochene Staatsoberhaupt Macht ausübt. Hingegen kann in der nachträglichen Umstrukturierung von Schulden durch eine Nachfolgeregierung durchaus eine derartige Bestätigung gesehen werden. Auch jenseits des Geltungsbereichs der Wiener Vertragsrechtskonvention kann von der Unwirksamkeit von durch Korruption herbeigeführten Verträgen ausgegangen werden. Mit einem kuriosen, aber nicht untypischen Fall hatte sich das ICSID-Schiedsgericht in der Sache World Duty Free Company Ltd. / Kenya auseinanderzusetzen.68 Der Streit betraf Verträge, die 1989 und 1995 zwischen dem Unternehmen World Duty Free Ltd. und der Kenya Airports Authority geschlossen wurden und Bau, Unterhalt, Betrieb und später Pacht der Duty-Free-Bereiche an den Flughäfen Nairobi und Mombasa zum Gegenstand hatten. Vom Inhaber von World Duty Free Ltd., Nasir Ibrahim Ali, wurde gefordert, für den Abschluss des Vertrages eine „persönliche Spende“ in Höhe von 500.000 USD an Daniel arap Moi, Präsident der Republik Kenia, zu leisten. Die entsprechenden Barmittel bewahrte Ali in einem braunen Aktenkoffer auf, welchen er während eines Treffens mit dem Präsidenten an einer Wand abstellte; auf der Rückfahrt vom Treffen stellte er fest, dass das Geld durch frischen Mais ersetzt worden war. In seiner Zeugenvernehmung äußerte er dazu: „I felt uncomfortable with the idea of handing over this ‚personal donation‘ which appeared to me to be a bribe. However, this was the President, and I was given to understand that it was 67  ILC, „Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries“, Art. 42 para. 5, abgedruckt in YILC 1966 Vol. II(2), S. 187 ff., 239. 68  ICSID Case Nr. ARB / 00 / 7, Award, 4.  Oktober 2006, abrufbar unter http: /  / italaw.com / documents / WDFv.KenyaAward.pdf; der Sachverhalt findet sich in para. 125 ff.



B. Wirksame Eingehung von Verträgen durch Despoten und Korruption?93

lawful and that I didn’t have a choice if I wanted the investment contract.“69 Zudem halte er eine derartige Spende für „largely anchored in cultural practices when people are able to pull whatever resources they have, in particular to finance community projects“.70 Die Klägerin brachte vor, dass in der Folge Besitzstände der World Duty Free Company Ltd. widerrechtlich enteignet und seine Rechte aus den Verträgen verletzt worden seien, weil sich Ali geweigert habe, in betrügerische Tätigkeiten des Präsidenten verwickelt zu werden, und verlangte Kompensation für seine Verluste. Kenia wendete ein, der Vertrag sei durch Korruption zustande gekommen und daher unwirksam. Zunächst bestätigte das Gericht, dass es sich bei der Zahlung trotz anderweitiger Behauptungen des Klägers um eine Bestechung handelte, weil Herr Ali davon ausging, dass nur so der Vertrag zustande kommen würde.71 Aufgrund einer umfangreichen Analyse kam das Gericht dann zu dem Ergebnis, dass Klagen auf Grundlage von durch Korruption eingegangenen Verträgen keine Aussicht auf Erfolg haben, weil sie sowohl gegen den internationalen ordre public verstießen als auch nach nationalem (kenianischem und englischem) Recht unwirksam seien. Im Einzelnen berief sich das Gericht auf die in nahezu allen Staaten bestehende Strafbarkeit von Korruption,72 auf eine Vielzahl von seit 1996 geschlossenen regionalen wie globalen internationalen Übereinkommen wie etwa die UN-Antikorrup­ tions­konvention,73 nationale und internationale Gerichtsentscheidungen74 sowie Prinzipien des englischen Rechts.75 Obwohl das Urteil in der Sache World Duty Free Company Ltd. / Kenya klärungsbedürftige Rechtsfragen aufwirft,76 ist der Feststellung, dass durch Bestechung eingegangene Verträge nicht durchgesetzt werden können, zuzustimmen.77 Vieles spricht dafür, dass auch andere unter Korruption zu fassende Praktiken zur Unwirksamkeit des Vertrages führen, weil diese international geächtet sind. So sind die 168 Staaten der UN-Konvention gegen Korrup69  Ebd.,

para. 130. para. 133. 71  Ebd., para. 133 ff. 72  Ebd., para. 142. 73  Ebd., para. 143 ff. 74  Ebd., para. 147 ff. 75  Ebd., para. 158 ff.; zum US-amerikanischen Recht s. Carrington, LCP 2007(70), 109, 112 ff. 76  Etwa, ob Korruption zur Unwirksamkeit des Vertrages oder nur zu einer Einrede führt, und ob dies mit dem Verstoß gegen nationale oder internationale public policy, die guten Sitten, andere allgemeine Rechtsgrundsätze oder ein gesetzliches Verbot zu begründen ist. 77  Mit demselben Ergebnis für das US-amerikanische Recht Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1232 ff. 70  Ebd.,

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tion (UNCAC) verpflichtet, neben Bestechung weitere Praktiken wie missbräuchliche Einflussnahme oder unrechtmäßige Bereicherung unter Strafe zu stellen (vgl. genauer unten, Kapitel 4 B.II.1.). In Bezug auf die Unwirksamkeit des Vertrages kann jedoch problematisch sein, welche Anforderungen an die Wissenskomponente auf Gläubigerseite zu stellen sind. So kann sich der Staatsbedienstete, der einen Teil eines Darlehens zu persönlichen Zwecken entwendet, zwar strafbar machen; ob dies auf die Wirksamkeit des Vertrages durchschlägt, dürfte aber davon abhängen, ob der Gläubiger von der missbräuchlichen Verwendung Kenntnis haben konnte. Darüber hinaus kann die Beweisführung durch den Schuldnerstaat im Einzelfall problematisch sein, da Korruption typischerweise im Geheimen geschieht. Für die Problematik der Odious Debts folgt daraus, dass die Erfüllung von Verträgen, die durch Korruption herbeigeführt wurden, grundsätzlich vom Schuldnerstaat verweigert werden kann,78 vorausgesetzt, ihm gelingt der Nachweis von Korruption. Damit bleiben allerdings andere potentielle Anwendungsfälle einer Odious-Debts-Doktrin unbeantwortet. So sind Fälle der nachträglichen Entwendung des Vertragsgegenstandes ohne konkrete Kenntnis des Gläubigers sowie der Verwendung des Vertragsgegenstandes für öffentliche, der Bevölkerung schädliche Zwecke nicht erfasst.

C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession und Regierungswechsel? In den für eine Odious-Debts-Doktrin angeführten Präzedenzfällen ist es regelmäßig der Nachfolgestaat oder zumindest das Nachfolgeregime, welches die Rückzahlung der Schulden verweigert. So befasste sich Sack ausschließlich mit Fällen der Staatensukzession, während die Odious-DebtsDoktrin in ihrer moderneren Ausgestaltung vornehmlich für grundlegende Regimewechsel von einer Despotie hin zu einer Demokratie diskutiert wird. In der Tat wird sich der Despot selbst kaum auf die Unwirksamkeit des Vertrages berufen, weil er auch für die Zukunft als Vertragspartner in Betracht kommen möchte. Aus diesem Grund sollen im Folgenden Grundbegriffe und ‑regeln des Problembereichs dargestellt werden. Denn wenn ein grundlegender Systemwechsel zum Untergang der Verbindlichkeiten führt, bedarf es in einer Vielzahl von Fällen keiner Odious-Debts-Doktrin mehr (dazu sogleich, Abschnitte I.–III.).79 Davon zu unterscheiden ist die Frage, 78  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 652 behandelt daher „fraudulent, illegal or corruption debt“ als eine eigene Kategorie von Odious Debts und sieht diese aufgrund der Staatenpraxis als nicht durchsetzbar an. 79  Ein sukzessionsbedingter Untergang von Schulden ließe die Problematik jedoch nicht obsolet werden, da zumindest denkbar ist, dass sich der am Vertrags-



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession95

ob nach dem grundsätzlichen Übergang von Verbindlichkeiten auf Nachfolgestaat oder -regierung einzelne Verträge wegen dieser grundlegenden Veränderung gekündigt werden können; dies wird unten, Abschnitt IV., genauer untersucht.

I. Staatennachfolge und Regierungswechsel – Grundbegriffe Die Wiener Konventionen über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge bzw. über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden verstehen unter Staatensukzession „the replacement of one State by another in the responsibility for the international relations of territory“;80 diese Definition ist mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt.81 Das Recht der Staatennachfolge knüpft also an einen territorialen Wechsel an; ändert sich ausschließlich die Organisationsform des Souveräns auf einem bestehenden Gebiet, findet es keine Anwendung.82 Der Begriff „Sukzes­ sion“ bzw. „Nachfolge“ beschreibt dabei nur die Tatbestandsebene, ohne schon eine bestimmte Rechtsfolge zu implizieren.83 Unter den Begriff der Staatensukzession (im Folgenden auch: Staatenwechsel) fallen die Gebietszession durch einen Staat an einen anderen, die Dismembration (Spaltung eines Staates in mehrere Nachfolgestaaten unter Untergang des Vorgängerstaates), die Sezession (Abspaltung oder Entlassung mindestens eines Neustaates unter Fortbestand des Altstaates), die Fusion (Zusammenschluss mehrerer Staaten, die zur Entstehung eines neuen Staates führt) und die Inkorporation (Aufgehen eines Staates in einem anderen), wobei die Einteilung in die jeweilige Kategorie nicht immer eindeutig ist.84 schluss Beteiligte vor dem Staatenwechsel selbst auf die Unwirksamkeit beruft, und weil es Fälle geben könnte, in denen der Systemwechsel für den Untergang der Schulden nicht hinreichend elementar ist, etwa im Falle der demokratischen Ablösung einer Regierung durch eine andere. 80  Art. 2 (1) (d) der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge und Art. 2 (1) (a) der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden; zu deren Status s. o. Kapitel 2 A.I. 81  Ebenroth, in: Fastenrath u. a., Staatensukzession, S. 238 f.; Zimmermann, Staatennachfolge, S. 15, jeweils m. w. Nachw. 82  Ebenroth, in: Fastenrath u.  a., Staatensukzession, S.  240 m.  w.  Nachw.; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 203 m. w. Nachw.; in diesem Sinne auch Zimmermann, Staatennachfolge, S. 38. 83  Zimmermann, Staatennachfolge, S. 9 ff., der darauf hinweist, dass die in Literatur und Praxis verwendete Terminologie keineswegs einheitlich ist. 84  Die Auflösung der FSRJ etwa stellte sich als sukzessive Abspaltung einzelner Staaten (Sezessionen) dar, wird aber allgemein als ein Fall der Dismembration angesehen, da die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien / Montenegro) nicht als Nachfolgestaat der FSRJ anerkannt wurde, vgl. Zimmermann, Staatennachfolge, S. 303 ff.

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Im Gegensatz zum Fall der Staatensukzession lassen revolutionäre Umwälzungen innerhalb eines Staates dessen Identität als Völkerrechtssubjekt unberührt; es liegt also ein Fall der völkerrechtlichen Kontinuität vor.85 Ein bloßer Regierungswechsel, sei er auch Folge eines revolutionären Umsturzes, stellt somit keinen Fall der Staatensukzession dar.86 Die Gegenauffassung wurde im Rahmen des Zustandekommens der Wiener Konventionen über die Staatennachfolge ausdrücklich abgelehnt.87 Da sich Staaten auch im Fall von Regimewechseln geopolitisch neu ausrichten und sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Fortsetzung bestehender wirtschaftlicher Beziehungen stellt, fordern manche Autoren gleichwohl, auch Regimewechsel unter den Begriff der Staatensukzession zu fassen.88 Trotz der vergleichbaren Interessenlage lassen sich jedoch allgemeine, sowohl für Staaten- als auch Regierungswechsel geltende Regeln nicht finden, sodass eine Unterscheidung der beiden Institute de lege lata gerechtfertigt ist.89 Für die vorliegende Untersuchung bedeutet das allerdings nur, dass mögliche Rechtsfolgen eines Regimewechsels nicht unmittelbar dem Recht der Staatensukzession entspringen, nicht aber, dass zwingend alle Verpflichtungen des Staates fortbestehen müssen. Vielmehr sind auch hier die völkerrecht­ lichen Regeln darzustellen. Der Fall eines nur internen Regierungswechsels ist zwar, wie die Beispiele von Irak, Ecuador, Libyen oder Ägypten zeigen, als moderner Anwendungsfall der Odious-Debts-Doktrin naheliegend, jedoch ist es auch denkbar, dass die Absetzung eines Diktators zur Sezession eines Teilgebietes oder gar Dismembration des gesamten Staates führt, sodass auch die in diesem Fall geltenden Regeln im Folgenden dargestellt werden sollen. Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsregeln ist zudem zwischen Schulden gegenüber Völkerrechtssubjekten und gegenüber Privaten zu unterscheiden.

85  Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 12; dies bejaht im Grundsatz Combacau, in: Combacau / Sur, Droit International Public, S. 295 f., der aber für den Fall mit revolutionären Umstürzen einhergehender „Neugründungen“ auf politischen Pragmatismus aller Beteiligten verweist. 86  Dies ist die mittlerweile allgemein anerkannte Auffassung, vgl. Cheng, State Succession, S. 48; Ebenroth, in: Fastenrath u. a., Staatensukzession, S. 238 und 241; Silagi, Staatsuntergang, S. 59; Zimmermann, Staatennachfolge, S. 37 m. w. Nachw. 87  Zimmermann, Staatennachfolge, S. 38 m. w. Nachw. 88  Etwa Cheng, State Succession, S. 37 ff., 50 ff. Cheng kritisiert diese Trennung als den betroffenen Interessen nicht angemessen und fasst daher auch Regierungswechsel unter den Begriff der Staatensukzession, ebd. S. 4 f. 89  Cheng, State Succession, S. 23 f. führt selbst aus, dass jede aus der Staatenpraxis abgeleitete (vermeintliche) Rechtsregel in ihrer Formulierung so breit oder vage geriete, dass sie im Interesse jeder Partei ausgelegt werden könnte.



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession97

II. Das Schicksal von Schulden im Fall der Staatensukzession Obwohl die Frage der Staatensukzession zu den umstrittenen Bereichen des Völkerrechts gehört und die Staatenpraxis vielmals inkonsistent ist,90 wurden in der Literatur eine Reihe von gewohnheitsrechtlichen Regeln herausgearbeitet, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.91 Mögliche Regelungen reichen vom tabula-rasa-Prinzip (auch clean-slate-Prinzip), demnach keinerlei Schulden des Vorgängerstaates auf den Nachfolgestaat übergehen, bis hin zum Grundsatz der Universalsukzession, demnach der Nachfolgestaat alle Schulden des Vorgängerstaates „erbt“.92 Diese Prinzipien haben teilweise Eingang in die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge und in die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Staatsvermögen, Archive und Schulden gefunden, welche sich allerdings durch einen geringen Ratifikationsstand auszeichnen. Die Rechtsfindung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass durch eine Reihe von Staatenauflösungen seit 1990, insbesondere Sowjetunion, Jugoslawien und Tschechoslowakei, die verschiedenen in den vorausgegangenen Jahrhunderten herausgebildeten Regeln zur Staatennachfolge teilweise bestätigt, teilweise modifiziert und teilweise widerlegt wurden.93 1. Staatsschulden gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten Völkerrechtssubjekte sind Staaten, internationale Organisationen und atypische Völkerrechtssubjekte wie der Heilige Stuhl oder das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK).94 Inwieweit Individuen den Status als Völkerrechtssubjekte genießen, ist umstritten; obwohl Individuen Träger 90  Was darauf beruht, dass vielfach einzelfallbezogene Regeln in Übereinstimmung mit den interessierten Parteien gefunden wurden, vgl. Crawford, Brownlie’s International Law, S. 424; Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 65 führt an, dass Staaten nicht aus Rechtsüberzeugung handeln, sondern nur dann ihre Schulden bedienen, wenn sie es als wirtschaftlich und politisch vorteilhaft empfinden. 91  Die den Rahmen dieser Arbeit übersteigende Problematik des Findens gewohnheitsrechtlicher Regeln spiegelt sich in der 845 Seiten umfassenden, nur die Nachfolge in völkerrechtliche Verträge betreffenden Abhandlung von Zimmermann wieder, s. Zimmermann, Staatennachfolge. 92  Die Universalsukzession im Todesfall hat Wurzeln im römischen Recht. Entsprechend beliebt ist der Vergleich zum Erbfall im Falle der Staatennachfolge, welcher bereits von Grotius und später Feilchenfeld gezogen wurde, vgl. Cheng, State Succession, S. 13 f. und Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 43. Kritisch dazu Ebenroth, in: Fastenrath u. a., Staatensukzession, S. 237. 93  Williams / Harris, Harv.Int’l L.J. 2001(42), 355, 407. 94  Vgl. Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn.  244 ff.

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von völkerrechtlichen Rechten (resultierend beispielsweise aus internationalem Menschenrechtsschutz) und Pflichten (etwa des Völkerstrafrechts oder des humanitären Völkerrechts) sind, sind sie vom Völkerrechtssetzungsprozess ausgeschlossen, sodass es gerechtfertigt ist, diese nicht unter den Begriff Völkerrechtssubjekt zu fassen.95 Diese Einteilung liegt auch den im Folgenden behandelten Rechtsquellen zugrunde. a) Aus der Wiener Konvention über Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge abzuleitendes Gewohnheitsrecht aa) Anwendbarkeit Die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge ist für die vorliegende Untersuchung insofern von Bedeutung, als sich aus zwischenstaatlichen Verträgen Zahlungsverpflichtungen sowie sonstige Leistungspflichten ergeben können, deren Legitimität in Frage gestellt werden kann. Im Fall der Staatensukzession stellt sich dann die Frage, ob diese Verträge vom Nachfolgestaat noch zu erfüllen sind. Denkbar sind vor allem Fälle, in denen durch Sezession oder Dismembration neue Staaten entstanden sind, wie etwa im Fall der Sowjetunion oder des Südsudans. Eine Anwendbarkeit der Regeln auf Regierungswechsel besteht nach dem oben (I.) Gesagtem nicht; allerdings ist eine analoge Anwendung einzelner Regeln zu erwägen (s. u. bb)). Die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge betrifft nur völkerrechtliche Verträge i. S. d. Art. 2 (1) (a), also „an international agreement concluded between states in written form and governed by international law …“. Diese Definition ist wort- und deckungsgleich96 mit der in Art. 2 (1) (a) WVK. Unter „international law“ ist „public international law“, also das Völkerrecht zu verstehen; zwischenstaat­ liche Verträge, die sich nach nationalem Recht richten, sind folglich nicht erfasst.97 Maßgeblich für die Anwendbarkeit der Konventionen ist, ob ausdrücklich nationales Recht gewählt wurde,98 nicht etwa der (hoheitliche, 95  Schweisfurth,

Völkerrecht, 1. Kapitel, Rn. 11 ff. entsprechende Begründung in den Kommentaren der ILC zu den Draft Articles on Succession of States, A / CONF.80 / 4, enthalten in den Official Records der United Nations Conference on Succession of States in Respect of Treaties ­(Volume III), A / CONF.80 / 16 / Add.2. 97  Vgl. den Kommentar der ILC, „Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries“, Art. 2 para. 6, abgedruckt in YILC 1966 Vol. II(2), S. 187 ff., 189; Villiger, VCLT, Art. 2 Rn. 19; Crawford, Brownlie’s International Law, S. 369 m. w. Nachw. 98  Schmalenbach, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 2 Rn. 23. 96  s. die



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession99

beispielsweise die Regelung von Grenzfragen betreffende, oder aber privatrechtliche, z. B. die Gewährung eines Darlehens umfassende) Inhalt des Abkommens. Damit es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag im Sinne der genannten Artikel handelt, muss zumindest für einen Teil des Abkommens Völkerrecht gelten;99 dass sich alleine die Frage des wirksamen Abschlusses durch Völkerrechtssubjekte naturgemäß nach dem Völkerrecht richtet, genügt für die Anwendbarkeit nicht.100 Es ist möglich und durchaus üblich, dass auch zwischenstaatliche Kredite ausschließlich nach dem Recht eines Staates gewährt werden.101 Die Fortgeltung dieser Verbindlichkeiten richtet sich dann nicht nach der Wiener Konvention über Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, sondern nach dem Recht der Staatennachfolge in Vermögenswerte, Schulden und Archive (s. u. b)). Die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge wurde von 22 Staaten ratifiziert und ist nur für diese unmittelbar verbindlich; eine Vielzahl der Vorschriften kann darüber hinaus jedoch völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen (dazu im Einzelnen sogleich). bb) Regeln Die Wiener Konvention über Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge räumt einer Verhandlungslösung besondere Bedeutung ein,102 was sich mit einer oftmals auf ad-hoc-Lösungen basierenden Staatenpraxis deckt.103 Von größerer Bedeutung sind aber Regelungen für solche Fälle, in denen es an einer Konsenslösung fehlt. Die Konvention unterscheidet hier nach den verschiedenen Sukzessionstatbeständen. Für Gebietsabtretungen enthält Art. 15 der Konvention das gewohnheitsrechtlich anerkannte Grundprinzip der beweglichen Vertragsgrenzen, demnach der räumliche Anwendungsbereich eines Vertrages mit der territorialen Ausdehnung eines Staates wächst bzw. schrumpft.104 Im Fall der Zession erstrecken sich also die Verträge des Zessionars auf das neue Gebiet, während die des Zedenten für das neue 99  Schmalenbach,

in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 2 Rn. 29. in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 2 Rn. 24; in diese Richtung auch Fitzmaurice / Elias, Law of Treaties, S. 20. 101  Schmalenbach, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 2 Rn. 23 nennt als Beispiel den wortgleichen Art. XII der Kreditabkommen Dänemarks mit Jordanien, Brasilien, Iran bzw. Malaysia, demnach jeweils dänisches Recht anwendbar ist; s. auch Paulus, Responsible Bilateral Lending and Borrowing, S. 7 ff. 102  s. z. B. Art. 24 (1) (a), 31 (1) (a), 34 (2) (a), 35 (a) der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge. 103  Zimmermann, Staatennachfolge, S. 2. 104  Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 223 m. w. Nachw. 100  Schmalenbach,

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Gebiet erlöschen. Eine Ausnahme gilt aber für gebietsbezogene Verträge (s. u. S. 101). Im Fall der Sezession sind die gewohnheitsrechtlichen Regeln weniger eindeutig: Zwar ließ sich hier ursprünglich die Anerkennung der clean-slate-Regel beobachten,105 allerdings lassen sich in der jüngeren Vergangenheit auch eine Vielzahl von Beispielen finden, in denen eine Sukzession in die Verträge des Vorgängerstaates herbeigeführt wurde.106 In den Fällen des Erlöschens des Vorgängerstaates lässt sich ein grundsätzlicher Übergang der Schulden auf die Nachfolgestaaten beobachten. So ist im Fall der Dismembration die in Art. 34 der Wiener Konvention über Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge niedergelegte Regel weitgehend gewohnheitsrechtlich anerkannt,107 demnach alle vom Vorgängerstaat geschlossenen Verträge auf die jeweiligen Nachfolgestaaten übergehen.108 Auch für die Fusion von Staaten unter Erlöschen des Vorgängerstaates regelt Art. 31 die grundsätzliche Weitergeltung der für die jeweiligen Vorgängerstaaten geltenden Verträge, allerdings nur in Bezug auf das Territorium des jeweiligen Vorgängerstaates. Wie dies im Fall eines Kreditvertrages gehandhabt werden soll, ist unklar; ungewiss ist auch, ob diese Regel bereits völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen kann. Angesichts existierender, aber geringer Staatenpraxis, die sich nach den Regeln des Art. 31 richtet, kann auf eine völkergewohnheitsrechtliche Geltung, zumindest aber auf die Qualifizierung der Norm als in status nascendi, geschlossen werden.109 Besondere Regelungen gelten für ehemalige Kolonialgebiete, die im Zuge der Dekolonialisierung die Unabhängigkeit erlangten. Für diese sog. „newly independent states“ besteht grundsätzlich ein Wahlrecht der Neustaaten hinsichtlich der Geltung völkerrechtlicher Verträge (vgl. die Art. 16–29 der Wiener Konvention über Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, die insofern Völkergewohnheitsrecht widerspiegeln).110 Die Wiener Konventionen über Staatennachfolge definieren newly independent states als „a successor State the territory of which immediately before the date of the succession of States was a dependent territory for the international relations of which the predecessor State was responsible“.111 Sowohl aus der Entste105  Shaw,

International Law, S. 974 ff. Staatennachfolge, S. 429 ff. 107  Zimmermann, Staatennachfolge, S. 367 f. 108  So auch Crawford, Brownlie’s International Law, S.  431 m.  w.  Nachw.; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 227. 109  Zimmermann, Staatennachfolge, S. 288. 110  Vgl. dazu Menon, Succession of States, S. 23 ff. und Zimmermann, Staatennachfolge, S. 228 ff., insbes. S. 233. 111  Art. 2 (f) der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrecht­ liche Verträge und Art. 2 (e) der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden. 106  s. Zimmermann,



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession101

hungsgeschichte der entsprechenden Regelungen als auch aus der jüngeren Staatenpraxis ergibt sich, dass dieses Prinzip auf den Prozess der Dekolonia­ lisierung begrenzt ist, sodass der entsprechenden Regel heute keine Bedeutung mehr zukommt.112 Hilfreich für die Anerkennung der Odious Debts wäre es zwar, diese Regel auf in der revolutionären Absetzung eines Despoten bestehende Regierungswechsel anzuwenden,113 schließlich „befreit“ sich der neue Staat gewissermaßen von einer dem Grundinteresse der Mehrheit der Bevölkerung zuwiderlaufenden Herrschaft. Eine Anwendung dieser Regeln auf Regierungswechsel scheitert aber zunächst daran, dass in diesem Fall gar kein Wechsel des Völkerrechtssubjektes stattfindet. Zudem übte der abgesetzte Despot gerade keine externe Gewalt über das Territorium aus, sondern war gleichsam Teil des Staates. Die Situation ist auch hinsichtlich der Rechtsfolge nicht vergleichbar, weil im Fall der newly independent states der Vertrag zumindest mit dem Vorgängerstaat (nämlich dem „Mutterland“) fortgeführt wird, während im Fall des Regierungswechsels kein solcher Vorgängerstaat besteht, der Partei des Abkommens bleiben könnte. Es fehlt also an der für eine Analogie notwendigen Interessengleichheit; dementsprechend ist auch keine dahingehende Staatenpraxis erkennbar.114 Weitere Sonderregeln gelten für gebietsbezogene (sog. radizierte) Verträge (vgl. Art. 12 der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge). Dabei handelt es sich um Verträge, die in Bezug auf ein bestimmtes Territorium geschlossen wurden und eng mit der Möglichkeit der Souveränitätsausübung über dieses Territorium zusammenhängen.115 Hierbei kann es sich beispielsweise um vertraglich eingeräumte Rechte zur Nutzung von Flüssen, an Eisenbahnlinien oder um die Nutzung bestimmter Gebäude handeln. Da solche Verträge regelmäßig Schulden im Sinne dieser Arbeit beinhalten, ist deren Fortgeltung für die Frage nach der Wirksamkeit odiöser Schulden unmittelbar relevant. Die gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsregel besagt jedoch, dass radizierte Verträge in allen Fällen der Staatensukzession auf den Nachfolgestaat übergehen.116 112  Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 220. Insbesondere am Beispiel der UdSSR zeigt sich, dass es sich bei anderen als im Rahmen der Dekolonialisierung entstehenden Nachfolgestaaten nicht um newly independent states handelt, vgl. Zimmermann, Staatennachfolge, S. 225 ff. 113  Für die Anwendung zumindest mancher die newly independent states betreffender Regeln auf revolutionäre Umbrüche Geistlinger, Revolution und Völkerrecht, S. 423 ff., dessen Auffassung sich aber nicht durchgesetzt hat. 114  Zimmermann, Staatennachfolge, S. 38. 115  Zu den radizierten Verträgen s. Zimmermann, Staatennachfolge, S. 496 ff. 116  IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary / Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, ICJ Reports 1997, S. 7 ff., para. 123; Zimmermann, Staatennachfolge, 513 f.; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 224.

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cc) Nachfolge im Verhältnis zu internationalen Organisationen Für die Wirkung von Staatennachfolge im Verhältnis zu internationalen Organisationen lassen sich zwei Problemfelder unterscheiden. Zum einen stellt sich die Frage nach der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, mit welcher eng die Frage der Beitragszahlungen, aber auch die der Rechte an bestehenden Einlagen zusammenhängt.117 Weitaus bedeutender kann aber die Frage des Fortbestands von Kreditverträgen mit internationalen Finanzorganisationen wie dem IWF oder der Weltbankgruppe sein. Auf die Nachfolge in die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen ist die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge anwendbar, weil es sich bei den konstituierenden Verträgen um völkerrechtliche Verträge zwischen den Mitgliedsstaaten handelt. Nach Art. 4 der Konvention sollen solche Verträge die oben genannten Regeln gelten. Die Praxis hinsichtlich der Mitgliedschaft ist jedoch uneinheitlich, und es ist gewohnheitsrechtlich anerkannt, dass die Regeln der jeweiligen Organisation Vorrang genießen.118 Allerdings besitzen wenige internationale Organisationen, und insbesondere nicht die Finanzorganisationen IWF und IBRD, spezifische Regeln zur Staatennachfolge. Die Praxis der UNO deutet darauf hin, dass eine Nachfolge in die Mitgliedschaft nicht möglich ist, sondern es einer Neuaufnahme bedarf; nur die Fortsetzung der Mitgliedschaft eines weiterbestehenden Staates wurde anerkannt.119 Sowohl IWF als auch IBRD gewährten in allen Fällen der Staatensukzession, die nach der Unterzeichnung der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge auftraten, den jeweiligen Nachfolgestaaten Mitgliedstatus, wobei im Fall von Sezessionen der Neustaat die Mitgliedschaft beantragen musste; die Rechte und Pflichten wurden dann unter den Nachfolgestaaten aufgeteilt.120 Inwieweit vertragliche Verbindlichkeiten gegenüber internationalen Organisationen, insbesondere Kredit- und Investitionsverträge weiterbestehen, richtet sich nicht nach der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge, da diese nur auf Verträge zwischen Staaten anwendbar ist. Anwendbar sind demnach die Regeln der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden, soweit diese Gewohnheitsrecht widerspiegeln (s. u. b)cc)). 117  Zu diesem Problemkreis s. Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S.  332 ff. 118  Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 331. 119  Zimmermann, Staatennachfolge, S. 611. 120  Dazu Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 335 ff. und 347 ff.; Zimmermann, Staatennachfolge, S. 628 ff.



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession103

dd) Zwischenergebnis Mit Ausnahme der heute nicht mehr relevanten „newly independent s­ tates“ ist es für die meisten Fälle der Staatensukzession gewohnheitsrechtlich anerkannt, dass völkerrechtliche Verträge den Nachfolgestaat binden.121 Dies ist nur im Fall der Sezession unklar, die jüngere Staatenpraxis deutet aber auch dort auf eine Fortgeltung vertraglicher Verpflichtungen hin. Radizierte Verträge gehen in jeder Konstellation auf den Nachfolgestaat über. Ergeben sich aus den übergegangenen Verträgen odiöse Zahlungsverpflichtungen, stellt sich die Frage, ob diese ebenfalls vom Nachfolgestaat zu erfüllen sind. Da die Grundregel eine Zahlungspflicht vorsieht, müsste eine Ausnahmeregel zugunsten der Unwirksamkeit von Odious Debts bestehen, was genauer zu untersuchen ist (s. u. D.). Die hier genannten Regeln beziehen sich allerdings nur auf völkerrechtliche Verträge, die zwischen Staaten geschlossen wurden und deren Inhalt sich nach dem Völkerrecht richtet. Darüber hinausgehende Regelungen enthält die im Folgenden untersuchte Wiener Konvention über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden. b) Aus der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden abzuleitendes Gewohnheitsrecht aa) Anwendungsbereich Die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden definiert Schulden als „any financial obligation of a predecessor State arising in conformity with international law towards another State, an international organization or any other subject of international law“ (Art. 33). Erfasst sind also – anders als im Konventionsentwurf Bedjaouis vorgesehen122 – nur finanzielle Verpflichtungen gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten, insbesondere Staaten und internationale Organisationen (z. B. UN oder IWF). Die Definition erfasst damit auch solche Zahlungsansprüche, die nicht unter Art. 2 (1) (a) der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge fallen, weil sie nicht völkerrechtliche („governed by international law“) sind. Betroffen sind also beiauch Acquaviva, Denv.J.Int’l L.& Pol’y 2002(30), 173, 213. definierte Schulden noch als „a financial obligation contracted by the central government of a State and chargeable to the treasury of that state“, vgl. Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 63. Diese Definition umfasst zwar nur vertragliche Schulden, aber nicht nur solche gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten. 121  Vgl.

122  Dieser

104

Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

spielsweise Kreditverträge zwischen zwei Staaten oder einem Staat und einer internationalen Organisation, deren Abwicklung sich ausschließlich nach dem nationalen Recht eines Staates richtet. Die Ansprüche privater Gläubiger wie etwa internationaler Banken sind jedoch nicht von der Konvention über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden erfasst.123 Ebenso wenig sind Schulden im weiteren Sinne (Leistungs- und Unterlassungspflichten) von der Konvention erfasst. Da die Wiener Konvention bisher nicht in Kraft getreten ist und die Regelungen von der Staatenkonferenz trotz ihres begrenzten Anwendungsbereichs kontrovers diskutiert wurden,124 sind die in ihr getroffenen Regelungen im Hinblick auf etwaige gewohnheitsrechtliche Regeln nur begrenzt aussagekräftig. Umfassende Untersuchungen sind in der jüngeren Literatur rar;125 bestehende Abhandlungen betreffen meist nur einzelne Staaten oder stammen aus Zeiten vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“.126 Im Folgenden sollen dennoch einige sich aus der Konvention ergebende Grundregeln und ihre Rezeption in der Staatenpraxis dargestellt werden. bb) Regeln im Anwendungsbereich der Konvention Deutlicher noch als die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge räumt die Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Schulden und Archive von 1983 der Konsenslösung den Vorrang ein.127 In den jüngeren Sukzessionsfällen sind solche Einigungen zwischen den betroffenen Staaten regelmäßig zustande gekommen.128 Kommt es zu keiner Einigung, sind die Regeln der Konvention überschaubar: Im Fall der Fusion gehen alle Schulden der Staaten auf den Nachfolgestaat über (Art. 39), während in allen anderen Fällen die Schulden in billigem Verhältnis („in equitable proportions“) zwischen den jeweiligen 123  So ausdrücklich die Begründung der ILC für den mit Art. 33 wortgleichen Art. 31 des Konventionsentwurfes, s. Report of the International Law Commission on the Work of its Thirty-third Session (4. Mai–24. Juli 1981), A / 36 / 10, YILC 1981 Vol. II(2) S. 79 para. 45. 124  s. Cheng, State Succession, S. 129 ff. 125  Eine Ausnahme bildet Hammer, Staatennachfolge, der die Staatenpraxis von 1648 bis 2006 auf ca. 65 Seiten darstellt und dabei bedauerlicherweise sowohl den Zweiten Weltkrieg als auch den Zeitraum zwischen 1949 und 1989 ausspart. 126  s. etwa das von 1991 stammende Werk von Menon, Succession of States, das den Zerfall der Sowjetunion noch nicht erfasst; weitere Nachweise zur Literatur finden sich bei Shaw, International Law, S. 986 und Zimmermann, Staatennachfolge, S. 628. 127  s. Art. 14 (1), Art. 27 (1), 28 (2), 37 (1), s. ferner Art. 17 (1), 18 (1), 22, 30 (1), 31 (1), 35, 40 (1), 41 (1). 128  Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 233 m. w. Nachw.



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession105

Staaten verteilt werden (vgl. für den Fall der Zession Art. 37 (2), für den Fall der Sezession Art. 40 (1) und für den Fall der Dismembration Art. 41). Dabei sollen insbesondere Vermögen, Rechte und Interessen („property, rights and interests“) im Verhältnis zu den Staatsschulden berücksichtigt werden. Nur im Fall der newly independent states soll das clean-slatePrinzip gelten (Art. 38). Bemerkenswert ist, dass der Übergang der Schulden nur im Verhältnis zwischen Vorgänger- und Nachfolgestaat gelten soll; folglich erhielte der Gläubiger keinen Anspruch gegenüber dem Nachfolgestaat, sondern müsste sich weiterhin an den Vorgängerstaat halten, welcher seinerseits einen Anspruch gegen den Nachfolgestaat hätte.129 Diese Regel stößt allerdings da an ihre Grenzen, wo der Vorgängerstaat untergeht.130 Anders als die Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge ist die Konvention von 1983 nie in Kraft getreten und gilt als gescheiterter Kodifikationsversuch.131 Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass sie äußerst streitige Fragen des Völkerrechts, zu denen klare völkergewohnheitsrechtliche Regeln nicht festzustellen waren, zu kodifizieren versuchte.132 Zum anderen sind die in ihr enthaltenen Regeln auch unzureichend, und es ist schwer absehbar, welche konkreten Rechtsfolgen sich aus ihnen ergeben. So fehlt es an einer Sonderbehandlung gebietsbezogener Schulden,133 welche aber insbesondere in den jüngeren Dismembrationsfällen von UdSSR und SFRJ Bedeutung erlangten. Auch ist das Kriterium der equitable proportion so vage, dass es im Streitfall mangels weiterer Kriterien kaum zur Ergebnisfindung beiträgt.134 Im Zuge der Auflösung der UdSSR etwa sahen es die Gläubigerstaaten zunächst als billig an, alle Nachfolgestaaten sowohl gemeinsam als auch individuell für die Schulden der Sowjetunion verantwortlich zu halten.135 Jenseits der Konvention verweisen mehrere Autoren auf eine gewohnheitsrechtliche Regel, demnach in Fällen, in welchen ein Vorgängerstaat 129  Vgl. die Begründung der ILC zu Art. 34 des Konventionsentwurfes, Report of the International Law Commission on the Work of its Thirty-third Session (4.  Mai–24.  Juli 1981), A / 36 / 10, YILC 1981 Vol. II(2) S. 80 ff. 130  Kritisch daher Menon, Succession of States, S. 174 m. w. Nachw. 131  Koskemmieni, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 90. 132  Hammer, Staatennachfolge, S. 179. 133  Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 333; Hammer, Staatennachfolge, S. 178; anders die Regelungen im Konventionsentwurf des Institut de Droit International, s. u. Fn. 165. 134  Hammer, Staatennachfolge, S. 178 f. mit Verweis auf die Probleme, mit denen sich die mit den Schulden der SFRJ befasste EG-Schiedskommission konfrontiert sah. Ausführlichere Regelungen enthält der Konventionsentwurf des Institut de Droit International, s. u. Fn. 165. 135  Williams / Harris, Harv.Int’l L.J. 2001(42), 355, 410.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

untergeht (also Fusion, Integration und Dismembration), dessen Schulden auf den oder die Nachfolgestaaten übergehen, während im Fall der Zession der Zedent verantwortlich bleibt.136 Für den Fall der Dismembration ist wiederum fraglich, wie diese Schulden unter den Nachfolgestaaten verteilt werden sollen. In der Vergangenheit wurde auf die Bevölkerung und / oder die wirtschaftliche Stärke des jeweiligen Nachfolgestaates abgestellt.137 Sonderregeln sollen im Fall lokalisierter und lokaler Schulden gelten, welche immer auf den jeweiligen Inhaber der Gebietshoheit übergehen.138 Unter lokalisierten Schulden sind dabei solche Schulden zu verstehen, die von der nationalen Regierung für Projekte in einer bestimmten Region eingegangen wurden,139 während lokale Schulden von einer lokalen (subnationalen) Regierungseinheit eingegangen wurden.140 Auch durch in einem Teil des Staates belegene Hypotheken gesicherte Schulden sollen im Fall des Transfers des betroffenen Territoriums mit diesem übergehen.141 Für den Fall der Sezession fehlt es an einer gewohnheitsrechtlich anerkannten Regelung;142 die Wiener Konvention über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden sieht auch hier eine Verteilung „in equitable proportion“ vor (vgl. Art. 40), wobei es wiederum an einer – gebotenen – Regel zur Sonderbehandlung lokalisierter Schulden fehlt. Für die „newly independent states“ hat sich die (heute nicht mehr relevante) Regel herausge136  Allgemein Crawford, Brownlie’s International Law, S. 431 m. w. Nachw.; für den Fall der Fusion und Inkorporation Fastenrath, in: Fastenrath u. a., Staatensukzession, S. 42; s. a. Menon, Succession of States, S. 179 (kein Übergang im Falle der Zession) und 191 (Übergang im Falle der Fusion). 137  Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 235 (beide Elemente im Falle von Sowjetunion und SFRJ); Koskemmieni, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 91 (Bevölkerung im Falle der Tschechoslowakei); Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 383 (nur wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Rahmen des IWF). 138  Crawford, Brownlie’s International Law, S. 431 m. w. Nachw.; Foorman / Jehle, U.Ill.L.Rev. 1982, 9, 25 ff.; Menon, Succession of States, S. 180; Shaw, International Law, S. 997; Williams / Harris, Harv.Int’l L.J. 2001(42), 355, 407 f. 139  Williams / Harris, Harv.Int’l L.J. 2001(42), 355, 408; die jüngere Staatenpraxis deutet darauf hin, dass auch solche Schulden unter diese Kategorie fallen, die einer bestimmten, auf dem von der Sukzession betroffenen Teilgebiet gelegenen Finanzinstitution zugeordnet werden können, s. ebd. 140  Zu dieser und anderen Einteilungen s. Williams / Harris, Harv.Int’l L.J. 2001(42), 355, 361. 141  Shaw, International Law, S. 999. 142  Dementsprechend wird die Frage, was im Falle der Sezession mit den Schulden geschieht, in allgemeinen Darstellungen meist ausgespart, vgl. nur Crawford, Brownlie’s International Law, S. 431 und Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 235; ausdrücklich zurückhaltend hinsichtlich einer gewohnheitsrechtlichen Regel aber Shaw, International Law, S. 998.



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession107

bildet, dass nur gebietsbezogene Schulden auf die ehemalige Kolonie übergehen.143 Eine Vielzahl von Autoren kommen zu dem Schluss, dass sich gewohnheits­rechtliche Regeln in Bezug auf Staatennachfolge in Schulden nicht ausmachen lassen, weil hier politische und wirtschaftliche Erwägungen eine herausragende Rolle spielen,144 sodass es an einer einheitlichen opinio iuris fehlt. So unklar die gewohnheitsrechtliche Geltung der hier dargestellten Regeln ist, so bleibt doch festzustellen, dass in allen Fällen der Staatennachfolge seit 1989 im Ergebnis die öffentlichen Schulden übernommen wurden.145 Am ehesten scheint eine Zahlungsverweigerung noch im Fall der Sezession denkbar, jedoch fehlt es auch hier an einer klaren Rechtslage. Für einen Nachfolgestaat bedarf es daher besonderer Argumente, um den Nichtübergang von Schulden im Sukzessionsfall darzutun. Ob die Odious-Debts-Doktrin zu diesem Zweck als anerkannte Rechtsfigur geltend gemacht werden kann, wird daher genauer zu untersuchen sein (s. u. D.). cc) Sonderfall: Verbindlichkeiten gegenüber Internationalen Organisationen Verträge zwischen internationalen Organisationen und Staaten können insbesondere Kreditverträge sein, deren Fortgeltung im Sukzessionsfall in Frage stehen kann. Zwar ist die Konvention über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden auch auf Verbindlichkeiten gegenüber internationalen Organisationen anwendbar, jedoch deckt sich die Praxis Internationaler Organisationen nur teilweise mit den in der Konvention niedergelegten Regeln.146 So führt der IWF mit Verweis auf Art. 36 der Konvention aus, dass im Fall der Zession eines Territoriums an einen anderen Staat die bestehenden Verpflichtungen des Zedenten fortbestehen, sodass etwaige Übereinkommen der beteiligten Staaten über die Aufteilung von Schulden keine Drittwirkung haben könnten; dies war auch der Standpunkt innerhalb der Weltbankgruppe.147 Diese Position deckt sich mit dem Prinzip der be143  Shaw, International Law, S. 1001 m.  w. Nachw.; Hammer, Staatennachfolge, S. 148. 144  Vgl. die Nachweise bei Koskemmieni, in: Eisemann / Koskenniemi, Succes­ sion, S. 95 und Shaw, International Law, S. 996 f. 145  Hammer, Staatennachfolge, S. 164; s. a. Cheng, State Succession S. 265, 310 und 392 mit den Beispielen Tschechiens, der Slowakei und Sloweniens und zur Übernahme der Schulden der UdSSR Reinisch / Hafner, Staatensukzession Sowjetunion, insbes. S. 115 ff. 146  Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 380. 147  Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 342 f.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

weglichen Vertragsgrenzen, demnach die Änderung der territorialen Grenzen eines Staates ohne Auswirkung auf die durch diesen Staat eingegangenen Verpflichtungen ist. Andererseits sind auch Bestätigungen der Regel, dass lokalisierte Schulden, also beispielsweise Investitionen in ein bestimmtes Projekt in einer bestimmten Region, den jeweiligen Souverän des betroffenen Gebietes binden, zu beobachten,148 wobei dies meistens aus einer Verhandlungslösung resultierte.149 Im Fall der Unabhängigkeit Bangladeschs von Pakistan etwa übernahm Bangladesch solche Kreditverpflichtungen gegenüber der IBRD bzw. IDA, die der Vollendung von Projekten auf dem Territorium Bangladeschs dienten, die also als gebietsbezogen angesehen werden konnten.150 Im Umkehrschluss wurde eine generelle Sukzession in Pflichten aus nicht radizierten Verträgen abgelehnt, was sich wiederum mit der Position des IWF deckt.151 Mit Ausnahme radizierter Verträge lassen sich also im Sezessionsfall Belege für das clean-slate-Prinzip finden. Im Fall der Fusion und der Inkorporation wurde hingegen sowohl vom IWF als auch in der Weltbankgruppe von einem Fortbestand der Rechte und Pflichten ausgegangen.152 Im Fall der Dismembration schließlich behandelten IWF und IBRD die Nachfolgestaaten allesamt als Rechtsnachfolger, machten eine Fortsetzung der Mitgliedschaft aber von der Annahme eines bestimmten Verteilungsschlüssels bezüglich der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Vorgängerstaates abhängig.153 c) Sonstige Verpflichtungen Für Verbindlichkeiten gegenüber Völkerrechtssubjekten, die weder einem völkerrechtlichen Vertrag („international agreement … governed by international law“, s. o. a)aa)) entspringen noch eine finanzielle Verpflichtung zum Inhalt haben, lassen sich weder aus der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in völkerrechtliche Verträge noch aus der Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Schulden und Archive gewohnheitsrechtliche Regeln ableiten, da beide Konventionen solche Schulden von ihrem Regelungsbereich ausnehmen. Denkbar sind beispielsweise Ansprüche auf die Verschaffung von (z. B. Kauf-)Sachen oder die Duldung des Abbaus von Rohstoffen aufgrund von Verträgen, in welchen das Recht eines VertragsShihata, in: Mrak, State Succession, S. 89. in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 381. 150  Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 344 f. 151  Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 349. 152  Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 346 ff. 153  Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 382 f.; Shihata, in: Mrak, State Succession, S. 90 f. 148  Vgl.

149  Gioia,



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession109

staates gewählt ist. Soweit ersichtlich, fehlt es bisher an einer Untersuchung der Staatennachfolge in solche Ansprüche. Die Nähe zu den bisher behandelten Regeln, welche insgesamt grundsätzlich vom wirksamen Übergang im Falle entsprechender völkerrechtlicher Verträge ausgehen, spricht dafür, dass auch bei solchen Schulden grundsätzlich vom Übergang auf den Nachfolgestaat auszugehen ist. Dies ist besonders im Falle gebietsbezogener Schulden anzunehmen, während die Lage im Falle der Sezession weniger deutlich ist. 2. Staatsschulden gegenüber Privaten Wie in Kapitel 1 A.II. ausgeführt, können wirtschaftliche Beziehungen nicht auf das Verhältnis zwischen verschiedenen Staaten reduziert werden. Auch im Fall der Staatensukzession besteht eine Vielzahl privater Gläubiger, für die sich die Frage stellt, ob und gegen wen ihre Ansprüche fortbestehen. Die Antwort auf diese Frage steht an der Schnittstelle zwischen nationalem Recht und Völkerrecht, da das nationale, auf den Vertrag anwendbare Recht häufig auf internationales Recht verweist, um die Frage zu beantworten, ob der Nachfolgestaat in die Pflichten des Vorgängerstaates eingetreten ist.154 Bedauerlicherweise fehlt es an einer umfassenden Untersuchung des Schicksals privater Schulden im Fall der Staatensukzession, mit Ausnahme eines Werkes von Cheng,155 der allerdings Schulden sowohl gegenüber privaten als auch gegenüber öffentlichen Gläubigern sowie Fälle der Staatensukzession wie auch des Regierungswechsels unter einem weiten Sukzessionsbegriff zusammenfasst. Unter dieser Prämisse kommt Cheng zu dem Ergebnis, dass es an einer umfassenden rechtlichen Regelung der Materie fehlt und folglich nur ein „policy-orientated approach“ das pragmatisch orientierte Verhalten von Staaten erklären könne.156 Es bestehe eine starke Tendenz zur Kontinuität der Verpflichtungen, obgleich das Recht nur begrenzten Einfluss auf mächtige Entscheidungsträger habe.157 Tendenziell werde immer diejenige Lösung verfolgt, die sich am wenigsten störend auf die Weltwirtschaftsordnung auswirke.158 Statt auf starre Rechtsregeln zu verweisen, sollten Juristen Orientierungshilfe geben, wie die internationale Ordnung und die Interessen aller Beteiligten sowie die der Weltgemeinschaft gewahrt werden 154  Cheng,

U.Ill.L.Rev. 2011, 1, 5 m. w. Nachw. State Succession. 156  s. auch Cheng, U.Ill.L.Rev. 2011, 1, 2: „[The succession of Kosovo] confirms that international laws governing the transmission vel non of international commercial obligations to successor states still do not exist, and there is little hope of such rules ever coming into existence.“ 157  Cheng, State Succession, S. 6. 158  Cheng, State Succession, S. 201. 155  Cheng,

110

Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

können.159 Schließlich führt Cheng aus, es gebe auch einen schwachen Gegentrend der Diskontinuität von Verpflichtungen in solchen Fällen, in denen es sonst zu allzu ungerechten Ergebnissen komme.160 Dies stimmt mit der These überein, die Odious-Debts-Doktrin sei – wenn überhaupt – als Ausnahme zum Grundsatz der Fortgeltung von Schulden zu sehen. Die Regeln der Wiener Konventionen über Staatennachfolge sind auf private Schulden nicht anwendbar;161 interessanterweise begründete die ILC die Ausklammerung privater Schulden aus der Konvention über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden damit, dass solche Schulden nicht von der Staatensukzession beeinträchtigt würden.162 Diese Vereinfachung ist aber unbefriedigend, da etwa im Fall der Dismembration Unklarheit über den Anspruchsgegner entsteht. Nichtsdestotrotz besagt Artikel 6 der Konvention, dass die Konvention die Rechte natürlicher oder juristischer Personen (gemeint: des Privatrechts) nicht berühren soll. Ob allein aus dieser in der Literatur als safeguard163 bzw savings164 clause bezeichneten Regel die Fortgeltung der Schulden abgeleitet werden kann, ist fraglich, da für alle in der Konvention nicht geregelten Fragen die Regeln und Prinzipien des allgemeinen Völkerrechts gelten sollen (vgl. vorletzter Absatz der Präambel), aus welchen sich nicht zwingend die Fortgeltung der Schulden ergeben muss. Im Gegensatz zu den Wiener Konventionen erweitert daher ein Konventionsentwurf des Institut du Droit International aus dem Jahr 2001 den Anwendungsbereich nicht nur auf private Schulden, sondern will auch private Gläubiger in die Verhandlungen miteinbeziehen.165 Der Konventionsentwurf wurde jedoch bisher als Regelungswerk nicht aufgegriffen. Dass öffentliche Schulden gegenüber Privaten im Fall der Staatensukzes­ sion bestehen bleiben, deckt sich mit der Doktrin der droits acquis bzw. acquired rights, demnach Vermögensrechte Privater auch im Fall der Staatensukzession respektiert werden müssen,166 wobei die absolute Geltung dieses Prinzips zunehmend in Frage gestellt wird.167 Dogmatische Gründe wie auch die 159  Cheng,

State Succession, S. 26–35. State Succession, S. 266. 161  s. o. Kapitel 2 C.II.1.a)aa) und Kapitel 2 C.II.1.b)aa). 162  Vgl. Report of the International Law Commission on the Work of its Thirtythird Session (4 May–24 July 1981), A / 36 / 10, YILC 1981 Vol. II(2) S. 79 para. 45. 163  Silagi, Staatsuntergang, S. 376 ff. 164  Shaw, International Law, S. 997 Fn. 221. 165  La Succession d’États en Matière de Biens et de Dettes, Resolution vom 26. August 2001, abrufbar unter http: /  / www.idi-iil.org / idiF / resolutionsF / 2001_ van_01_fr.PDF, dort insbes. Art. 6 (2), 22 (b), 24 und 26 (1). 166  Dazu O’Connell, State Succession, S. 237 ff., insbes. S. 239. 167  So schon O’Connell, State Succession, S. 239 ff.; s. a. Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 395, der die Parallele zum Prinzip des pacta sunt servanda zieht. 160  Cheng,



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession111

Staatenpraxis sprechen dafür, die für die Staatennachfolge in Verpflichtungen gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten geltende Grundregel der Fortgeltung von Schulden auch für die Nachfolge in Verpflichtungen gegenüber Privaten anzunehmen.168 Gehen Verbindlichkeiten gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten auf den Nachfolgestaat über, gibt es keinen Grund, dass dies nicht auch für Verbindlichkeiten gegenüber Privaten gelten sollte. Die Interessenlage rechtfertigt es zudem, dass ein Staat, der in die Vermögenswerte (Aktiva) des Vorgängerstaates eintritt, grundsätzlich auch hinsichtlich der Passiva des Vorgängerstaates verpflichtet bleibt.169 Dies ist auch durch die Staatenpraxis vor170 und insbesondere nach171 dem Fall des Eisernen Vorhangs belegt, bei der meist das Problem der Verteilung der Schulden im Vordergrund stand, nicht aber deren grundsätzlicher Fortbestand. Im Fall der SFRJ etwa fanden parallel zu den Verhandlungen mit den Gläubigerstaaten auch Verhandlungen mit privaten Gläubigern im Rahmen des Londoner Clubs statt, in deren Folge alle Schulden von den Nachfolgestaaten übernommen wurden.172 Es bleibt also festzuhalten, dass auch Schulden gegenüber privaten Gläubigern im Fall der Staatensukzession grundsätzlich bestehen bleiben. 3. Sonderfall: Nachfolge in Verpflichtungen aus Staatenverantwortlichkeit Unter Staatenverantwortlichkeit wird die Verantwortlichkeit von Staaten für Verstöße gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber anderen Völkerrechtssubjekten verstanden.173 Aus der Staatenverantwortlichkeit resultiert die Pflicht, die Verletzungshandlung zu beenden, den völkerrechtswidrigen Zustand zu beseitigen bzw. Wiedergutmachung zu leisten. Kann der Schaden nicht durch Naturalrestitution behoben werden und ist die Völkerrechtsverletzung wertmäßig bestimmbar, kann ein Anspruch auf Geldersatz bestehen.174 Die Übertragung von Verpflichtungen aus Staatenverantwortlichkeit im Sukzessionsfall ist umstritten. Im Jahre 1956 kam der Permanent Court of Arbitration (PCA) zu dem Schluss: diesem Ergebnis auch Silagi, Staatsuntergang, S. 423 f. leitet die Zahlungspflicht des neuen Staates daher nicht aus einem Pflichtenübergang, sondern aus der ungerechtfertigten Bereicherung des Staates her, der das dem Vorgängerstaat zur Verfügung gestellte Geld in Besitz hat und bei Nichtzahlung die „acquired rights“ der Gläubiger verletzt, vgl. O’Connell, B.Y.I.L. 1951(28), 204, 205 f. 170  Silagi, Staatsuntergang, S. 406. 171  Vgl. Schweisfurth, in: Fastenrath u. a., Staatensukzession, S. 215. 172  Stanič, EJIL 2001(12), 751, 761 ff. 173  Stein / von Buttlar, Völkerrecht, Rn. 1101. 174  Vgl. Cassese, International Law, S. 260. 168  Mit

169  O’Connell

112

Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

„The transmission of responsibility in the event of a territorial change presents all the difficulties of a matter which has not yet sufficiently developed to permit solutions which are both certain and applicable equally in all possible cases. It is impossible to formulate a general, identical solution for every imaginable hypothesis of territorial succession, and any attempt to formulate such a solution must necessarily fail in view of the extreme diversity of cases of this kind.“175

In der Literatur wird dagegen mehrheitlich davon ausgegangen, dass Wiedergutmachungspflichten nicht auf Nachfolgestaaten übertragbar sind.176 Dies wird damit begründet, dass es sich dabei um höchstpersönliche Verpflichtungen handle, die nur den jeweiligen Schädiger binden.177 Folglich würden Geschädigte im Fall der Staatensukzession ihre Reparationsansprüche verlieren. Dass dieses Prinzip nicht ausnahmelos gilt, wird jedoch auch von Vertretern des tabula-rasa-Prinzips eingeräumt, sowohl für bestimmte Kategorien der Staatensukzession178, als auch für den Fall, dass der Nachfolgestaat – implizit oder ausdrücklich – die Verantwortlichkeit für das Handeln des Vorgängerstaates übernimmt179. Eine jüngere Untersuchung der Materie kommt zu dem Ergebnis, dass die Regel der Nicht-Sukzession eher eine doktrinäre denn eine durch Staatenpraxis belegte Schöpfung ist, während die in der Praxis gefundene Lösung von mehreren Faktoren, insbesondere vom jeweiligen Sukzessionstatbestand, abhängt180. So gibt es im Fall der Inkorporation mehrere Präzedenzfälle für den Untergang der Verpflichtung, während die jüngere Staatenpraxis im Kontext der deutschen Wiedervereinigung für den Übergang der Verpflichtungen spricht.181 Ähnlich ist die Situation für den Fall der Dismembration von Staaten. Auch hier spricht die moderne Staatspraxis eher für den Übergang der Verpflichtungen, was zum Teil auf Verhandlungen zwischen geschädigtem Staat und Nachfolgestaaten, zum Teil auch auf Selbstverpflichtungen letzterer zurückzuführen ist.182 Folglich besteht in den Fällen, in denen der Vorgängerstaat untergeht, in der Staatenpraxis eine starke Tendenz für die Fortgeltung 175  Lighthouse

91.

Arbitration Case, Award, 24. / 27.  Juli 1956, ILR 1956(23), S. 81,

176  Crawford, Brownlie’s International Law, S. 442 m.w.Nachw; für Gegenansichten s. aber Fastenrath, in: Fastenrath u. a., Staatensukzession, S. 26 m. w. Nachw. 177  Crawford, Brownlie’s International Law, S. 442; Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 660. 178  Crawford, Brownlie’s International Law, S. 442, bezweifelt die Anwendung des Prinzips für Fälle der freiwilligen Fusion bzw. Dismembration. 179  s. Schweisfurth, Völkerrecht, 9. Kapitel, Rn. 660, der die ILC-Artikelentwürfe über die Staatenverantwortlichkeit heranzieht. 180  Dumberry, State Succession to Responsibility, S. 420 und 201 ff. 181  Dumberry, State Succession to Responsibility, S. 202. 182  Dumberry, State Succession to Responsibility, S. 202 f.



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession113

der Reparationsverpflichtungen.183 Im Fall der Zession führt das Fortbestehen des Vorgängerstaates hingegen dazu, dass dieser grundsätzlich aus eigener Staatenverantwortlichkeit verpflichtet bleibt.184 Eine Ausnahme gilt, wenn die völkerrechtswidrige Handlung von einer mit hoher Autonomie ausgestatteten lokalen Regierung vorgenommen wurde und diese vom Gebietsübergang betroffen ist; in diesem Fall geht auch die Verantwortlichkeit auf den Zessionar über,185 was dem Modell der lokalisierten Schulden entspricht. Auch im Fall der Sezession bleibt die Verpflichtung beim Rumpfstaat erhalten. Die hier dargestellten Regeln können wiederum durch im Einzelfall bestehende Merkmale modifiziert werden, etwa durch die expliziten Übernahme der Verantwortlichkeit durch den Vorgänger- oder den Nachfolgestaat, durch die Fortsetzung der völkerrechtswidrigen Handlung durch einen der beteiligten Staaten, oder aufgrund von Billigkeitserwägungen.186 Unter letzteres Merkmal wird insbesondere die Frage gefasst, ob bestimmte, äußerst abscheuliche Völkerrechtsverstöße im Fall der Staatensukzession untergehen,187 was auch einen Anwendungsfall der Odious-Debts-Doktrin darstellen kann. Wie dargestellt, handelt es sich dabei um eine mögliche Ausnahme vom Grundsatz der Fortgeltung der Verantwortlichkeit, in Bezug auf welche die Staatenpraxis einer genaueren Untersuchung bedarf (s. unten, D.II.). 4. Zwischenergebnis Das Recht der Staatensukzession zeichnet sich dadurch aus, dass in der Vergangenheit eine Vielzahl unterschiedlicher Regeln eingefordert, befolgt, aber auch widerlegt wurden. Die Herausbildung von Gewohnheitsrecht wird dadurch erschwert, dass Lösungen häufig auf dem Verhandlungsweg ad hoc und unter Berücksichtigung der spezifischen Situation des jeweiligen Einzelfalles getroffen wurden. Gleichwohl lässt sich eine Reihe von Grundregeln formulieren. Völkerrechtliche Verpflichtungen gehen grundsätzlich auf den Nachfolgestaat bzw. die Nachfolgestaaten über; sogar im Fall der Sezession, in welchem ursprünglich von der clean-slate-Regel ausgegangen werden konnte, deutet die jüngere Praxis auf ein Fortbestehen der Verträge hin. Sonstige finanzielle Schulden gegenüber Völkerrechtssubjekten gehen nach überwiegender Meinung zumindest dann auf den Nachfolgestaat bzw. die Nachfolgestaaten über, wenn der Vorgängerstaat untergeht. Im Fall der 183  So auch Stern, in: Boisson S. 355. 184  Dumberry, State Succession 185  Dumberry, State Succession 186  Dumberry, State Succession 187  Dumberry, State Succession

de Chazournes / Gowlland-Debbas, FS Abi-Saab, to to to to

Responsibility, Responsibility, Responsibility, Responsibility,

S. 203 f. S. 204. S. 210 ff. und 294 ff. S. 210 ff. und 294 ff.

114

Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Zession ist dies nicht gegeben, sodass für solche Schulden grundsätzlich der Zedent in seiner Schuldnerstellung verbleiben soll. Im Fall der Sezession sind die Regeln unklar; Übereinstimmung besteht hingegen darüber, dass in allen Fällen gebietsbezogene Schulden auf den jeweiligen Nachfolgestaat übergehen. Eine Sonderregel, demnach Verpflichtungen aus Staatenverantwortlichkeit im Sukzessionsfall als höchstpersönlich untergehen, findet keinen Rückhalt in der Staatenpraxis; vielmehr kann auch hier im Grundsatz vom Fortbestand ausgegangen werden. Ebenfalls gehen Verbindlichkeiten gegenüber internationalen Finanzorganisationen (IWF und Angehörige der Weltbankgruppe) grundsätzlich auf den oder die Nachfolgestaaten über. Dies gilt nicht im Fall der Sezession, jedoch erlangen hier zumindest radizierte Verträge, also insbesondere auch auf das betroffene Gebiet bezogene Investitionsabkommen, für den Nachfolgestaat Bindungswirkung. Weder der Umgang mit Schulden gegenüber privaten Gläubigern noch die Übertragung von nichtfinanziellen Schulden gegenüber Völkerrechtssubjekten aus Verträgen, in welchen nationales Recht gewählt wurde, haben bisher eine Regelung erfahren. In beiden Fällen legen sowohl dogmatische Gründe als auch die Staatenpraxis nahe, die dargestellten Regeln entsprechend auf solche Verbindlichkeiten anzuwenden.

III. Das Schicksal von Schulden im Fall von Regierungs- und Regimewechseln Da Schuldner internationaler Verpflichtungen der Staat, nicht die jeweilige Regierung ist, ein reiner Regierungswechsel auf die Rechtssubjektivität des Staates jedoch grundsätzlich keine Auswirkung hat, bleiben Staatsschulden bei Vorliegen eines Regierungswechsels grundsätzlich bestehen.188 Dementsprechend geht auch in der Literatur zu Odious Debts die große Mehrheit von diesem Grundsatz aus und untersucht dann, ob es sich bei der Nichtigkeit odiöser Schulden um eine Ausnahme handeln könnte.189 Der 188  Cassese, International Law, S. 77; Foorman / Jehle, U.Ill.L.Rev. 1982, 9, 17 m. w. Nachw.; Hammer, Staatennachfolge, S. 26; Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 301 m. w. Nachw.; umgekehrt will Ebenroth, in: Fastenrath u. a., Staatensukzession, S. 243, für den Fall, das ein revolutionärer Regierungswechsel als Staatensukzession qualifiziert wird, den Nachfolgestaat ausnahmslos in sämtliche Rechten und Pflichten des Vorgängers eintreten lassen; vgl. auch den Schiedsspruch Aguilar-Amory and Royal Bank of Canada Claims (Great Britain / Costa Rica), 18.  Oktober 1923, R.I.A. A. 1, 369, 377 ff. sowie Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574-B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff., 176, para. 54. Zu den rechtstheoretischen Grundlagen dieses Prinzips s. Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 42 ff. 189  Statt vieler Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1203; Dickerson, LCP 2007(70), 53, 60; Fischer-Lescano, KJ 2003, 225, 230; Ludington  u. a., Theoretical



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession115

teilweise gezogene Vergleich, das neue Regime „erbe“ grundsätzlich alle Schulden des Alten190 ist dabei insofern unrichtig, als im Fall des Regimewechsels anders als beim Erbfall gerade kein Wechsel des Rechtsträgers stattfindet. Die Regel, dass Schulden unabhängig von Regierungswechseln fortgelten, entspricht nicht nur einem modernen Staatsverständnis, demnach nicht mehr der Fürst als Souverän mit dem Staat gleichzusetzen ist.191 Sie ist auch intui­ tiv überzeugend, weil kaum jemand einem Staat Geld zur Verfügung stellen würde, wenn er damit rechnen müsste, dass nach den nächsten Wahlen die Zahlungsverpflichtung untergeht.192 Eine Regel der Diskontinuität staatlicher Verpflichtungen hätte hingegen regelmäßig disruptive Auswirkungen auf internationale Wirtschaftsbeziehungen. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Grundregel uneingeschränkt gilt. Im Fall eines grundlegenden Regimewechsels wie etwa 2003 im Irak ließe sich für eine Ausnahme argumentieren, weil ein solcher weitaus seltener auftritt und dem Fall der Staatensukzession ähnlicher ist. Allerdings kommt es hier zwingend zu Abgrenzungsschwierigkeiten, z. B. bei der Frage, wann ein Regimewechsel einschneidend genug ist, um einen Untergang der Verpflichtungen zu rechtfertigen (s. zu dieser Problematik auch unten, Kapitel 3 B.I.2.), und es ist fraglich, ob solch eine Regel völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen kann. Historisches Beispiel ist der Übergang des russischen Zarenreiches zur Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR), welcher allgemein als ein Fall der Staatenidentität behandelt wird.193 Während die provisorische Regierung der Februarrevolution 1917 noch den Fortbestand aller Schulden zugesichert hatte,194 erklärte die Sowjetische Regierung nach der Oktoberrevolution angesichts der revolutionären Natur des Regierungswechsels195 alle ausländiInquiries in Law 2010(11), 247, 248; sogar King, der die allzu leichtfertige Annahme des grundsätzlichen Fortbestehens der Zahlungsverpflichtung kritisiert, kommt für die Fälle des Regierungswechsels zu dem Ergebnis: „it is possible to argue that an odious debt exception to the rule of repayment is in statu nascendi“ (Hervorhebungen durch den Zitierenden), King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 649; differenzierter für den Bereich der Staatensukzession Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 392. 190  Etwa bei Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47 f. 191  Vgl. o. Kapitel 1 C.I.2. 192  Vgl. Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1225 mit der Analogie zum neuen Vorstand einer Gesellschaft, der die Begleichung der unter dem vorigen Vorstand eingegangenen Schulden ablehnt. 193  Ipsen, Völkerrecht, § 5 Rn. 12; Silagi, Staatsuntergang, S. 59 m.  w. Nachw.; mit diesem Ergebnis auch Zimmermann, Staatennachfolge, S. 119. 194  Sack, Dettes Publiques, S. 52. 195  Die Argumentation der RSFSR, die sich auf die Nichtübernahme von Schulden nach der französischen Revolution sowie nach der Unabhängigkeit der USA berief, ist nachzulesen bei Foorman / Jehle, U.Ill.L.Rev. 1982, 9, 20 (Fn. 52).

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

schen Schulden für nichtig196 – unter äußerstem Protest der betroffenen Staaten.197 Für manche Autoren ist die einseitige Annullierung russischer Schulden sowie die Verweigerung Chinas, für Schulden des chinesischen Kaiserreichs aufzukommen,198 Ausdruck einer durch Staatenpraxis belegten „sozialistischen Revolutionsregel“, demnach im Fall einer sozialistischen Revolution ein Wahlrecht des Staates in Bezug auf seine vorrevolutionären völkerrechtlichen Rechte und Pflichten bestehen soll.199 Allerdings begegnet es großen Bedenken, ein nur für sozialistische Staaten bestehendes postrevolutionäres Wahlrecht zu statuieren.200 Im Gegenteil gibt es eine Vielzahl von Regimewechseln, in deren Folge Verbindlichkeiten von der Nachfolgeregierung erfüllt wurden.201 Für den Fortbestand der Schulden spricht zudem der Vergleich zum Recht der Staatensukzession: Hier gehen in allen Fällen, in denen der Vorgängerstaat untergeht, die Verpflichtungen auf den Nachfolgestaat über. Wenn dies schon für den Fall der Staatennachfolge gilt, so muss es erst recht für den Fall des die Völkerrechtssubkjektivität unbeeinflusst lassenden Regimewechsels gültig sein. Gegen die hier dargestellte Kontinuitätsregel wurde zudem eingewendet, es handle sich bei bestimmten Schulden gerade nicht um Schulden des Staates, sondern um solche des Regimes.202 Dieser Ansatz liegt auch dem 196  Foorman / Jehle, U.Ill.L.Rev. 1982, 9, 19 m. w. Nachw.; in Folge dieser Erklärung wurden die Schulden nicht bedient, obgleich sie noch weiter am Finanzmarkt gehandelt wurden. Auf Zahlung gerichtete Klagen in den 1980er Jahren vor USGerichten nach dem Foreign Sovereign Immunities Act waren jedoch erfolglos, vgl. Carl Marks & Co. v. Union of Soviet Socialist Republics, US Court of Appeals (2nd District), 841 F.2d 26, Urteil vom 29. Februar 1988. 197  Frankreich und England sprachen vom Ruin des Staatskredites, sollte ein Regierungswechsel Auswirkungen auf den Fortbestand von Schulden haben, vgl. Sack, Dettes Publiques, S. 47. Zur Inkonsistenz des Verhaltens Englands s. Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 63. 198  s. dazu Feinerman, LCP 2007(70), 193, 197 m. w. Nachw. 199  Geistlinger, Revolution und Völkerrecht, S. 352; Grashoff, Schuldnerwechsel, S. 51 ff. m. w. Nachw. Zur sowjetischen Rechtslehre hinsichtlich der Staatenpraxis s. O’Connell, State Succession, S. 19 f. m. w. Nachw.; zur schwierigen Interpretation des Verhaltens der sowjetischen Regierung s. Foorman / Jehle, U.Ill.L.Rev. 1982, 9, 19 ff. 200  So auch Geistlinger, Revolution und Völkerrecht, S. 353 f. 201  Vgl. schon die Fortgeltung der Schulden nach der französischen Revolution, Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 62; s. a. King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 29 und die in Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(23) genannten Fälle. 202  In diesem Rahmen ist der Terminus regime debts zu verstehen, vgl. Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 122 ff.; der Begriff wird aber auch mit anderer Konnotation verwendet, etwa bei Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 11, die damit die



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession117

Modell Sacks zugrunde (s. o. S. 26), der Odious Debts als persönliche Schulden des Regimes bezeichnet. Bei einem Regierungswechsel sollen bestimmte Schulden also nicht auf die neue Regierung übergehen. Diese Ansicht trifft aber auf großes Bedenken, da Völkerrechtssubjekt und Schuldner der Staat, nicht dessen jeweilige Regierung ist. Die Regierung handelt lediglich als Organ des Staates und verpflichtet diesen durch ihr Handeln,203 was auch für undemokratische Regime gilt (s. o. B.). Schließlich bildet auch bei Sack diese Rechtsfigur lediglich eine Ausnahme für bestimmte Schulden, da nur solche Schulden nicht auf das Nachfolgeregime übergehen sollen, die entgegen dem Interesse der Bevölkerung eingegangen wurden, und bestätigt damit die Grundregel des Fortbestands der Schulden; ob eine solche Ausnahme tatsächlich besteht, ist anhand der Staatenpraxis zu beurteilen (s. u. D.). 30

Mithin bestehen starke Argumente für den Fortbestand von Schulden auch im Fall eines Regierungs- oder Regimewechsels. Ob dies – wie nach dem Ausgeführten naheliegend – auch für revolutionäre Umbrüche gilt, muss an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden. Im Folgenden (Abschnitt D.) werden nämlich auch Fälle von Regimewechseln, in denen Odious Debts in Betracht kommen, untersucht werden. Stellt sich heraus, dass sogar odiöse Schulden generell bestehen bleiben, bedarf die Grundregel des Fortbestehens der Verpflichtung keiner Untersuchung mehr.204

IV. Kündigung odiöser Verträge durch die Nachfolgeregierung aufgrund der clausula rebus sic stantibus Vor dem Hintergrund, dass Verträge von Staaten- und Regierungswechseln grundsätzlich unbeeinträchtigt bleiben, stellt sich die Frage, ob der jeweilige Schuldnerstaat sich auf eben diesen Wechsel berufen kann, um zumindest einzelne Verträge zurückzuweisen. Art. 62 (1) WVK, der nach der Anknüpfung an einen Regimewechsel meinen; s. insgesamt Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 401 f. 203  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 46. 204  Dies gilt auch im umgekehrten Fall, nämlich wenn Odious Debts generell als nichtig angesehen werden. Ob man vom Grundsatz des Fortbestands ausgeht, ist nur bei Unklarheit der Odious-Debts-Doktrin relevant und lässt sich mit einer Beweislastproblematik vergleichen, s. King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 608 f.: Wird die Grundregel der Übertragung von Schulden unterstellt, müsste die Nichtigkeit als Ausnahme hinreichend in der Staatenpraxis verankert sein, während Unsicherheit zugunsten der Regel des Fortbestandes spräche.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Rechtsprechung des IGH nicht nur für Vertragsparteien der WVK, sondern in weiten Teilen gewohnheitsrechtlich gilt,205 lautet: A fundamental change of circumstances which has occurred with regard to those existing at the time of the conclusion of a treaty, and which was not foreseen by the parties, may not be invoked as a ground for terminating or withdrawing from the treaty unless: (a)  the existence of those circumstances constituted an essential basis of the consent of the parties to be bound by the treaty; and (b)  the effect of the change is radically to transform the extent of obligations still to be performed under the treaty.

Bei zwischenstaatlichen206 Verträgen müssen folglich drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine Partei den Vertrag kündigen kann: Es muss eine grundlegende Änderung der beim Vertragsschluss gegebenen Umstände aufgetreten sein; diese Umstände müssen eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Parteien zum Vertrag dargestellt haben; und die Änderung dieser Umstände muss das Ausmaß der noch aufgrund dieses Vertrages zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestalten.207 Auffällig ist zunächst die negative Formulierung des Prinzips: („may not be invoked … unless …“), welche indiziert, dass es nur selten und ausnahmsweise zulässig ist, sich auf die Umstandsänderung zu berufen.208 Inwiefern die Änderung des politischen Systems eine gravierende Änderung der Umstände darstellt, hatte der IGH in seinem Urteil zum Gabčíkovo-Nagymaros-Projekt zu entscheiden.209 Das 1977 zwischen der Volksrepublik Ungarn und der Tschechoslowakischen Kommunistischen Republik vereinbarte Projekt betraf den Bau eines Schleusensystems in der Donau mit dem Ziel der Entwicklung von Wasserressourcen, Energie, Transport, Landwirtschaft und anderer Sektoren der nationalen Wirtschaft der Vertragsparteien.210 Im Wesentlichen sollten im Grenzbereich der Ver205  IGH, Fisheries Jurisdiction Case (Federal Republic of Germany / Iceland), Urteil vom 2. Februar 1973, ICJ Reports 1973, S. 49 ff., para. 36; vgl. zur Entwicklung der clausula-rebus-sic-stantibus-Doktrin Binder, Vertragstreue, S.  115 ff. 206  Auf diese beschränkt sich die Geltung des Art. 62 WVK; ob eine entsprechende Regelung auch für Verträge mit Privaten gilt, soll an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden; s. zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und zum Privatrecht jedoch unten, Kapitel 2 D.III. 207  Ausführlich zu den einzelnen Voraussetzungen Binder, Vertragstreue, S.  132 ff. 208  Binder, Vertragstreue, S. 133. 209  IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary / Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, ICJ Reports 1997, S. 7 ff., para. 104. 210  Treaty concerning the construction and operation of the Gabčíkovo-Nagymaros System of Locks, 16. September 1977, in Auszügen abgedruckt in IGH, GabčíkovoNagymaros Project (Hungary / Slovakia), Urteil vom 25.  September 1997, ICJ Reports 1997, S. 7 ff., para. 15.



C. Fortbestand von Schulden im Fall von Staatensukzession119

tragsparteien Wasserkraft gewonnen sowie die Befahrbarkeit der Donau und der Hochwasserschutz verbessert werden. Aufgrund intensiven Protests stellte Ungarn im Mai 1989 die Bauarbeiten ein und nahm schließlich im Oktober 1989 gänzlich vom Bauprojekt Abstand.211 Im Rahmen des Rechtsstreits, der schließlich dem IGH zur Entscheidung unterbreitet wurde, berief sich Ungarn im Rahmen von Art. 62 WVK auch auf die veränderten politischen Umstände. Der IGH entschied, dass das 1977 vorherrschende politische und wirtschaftliche System sicherlich von Bedeutung für den Vertragsschluss gewesen sei, aber aufgrund der vorwiegend wirtschaftlichen Natur des Projektes nicht so eng mit Inhalt und Ziel des Vertrages zusammenhinge, als dass es eine wesentliche Grundlage des Vertrages darstellte, deren Änderung die Reichweite der Verpflichtungen wesentlich modifizierte.212 Zudem verwies der IGH auf den Ausnahmecharakter des Art. 62 WVK, der sich schon an dessen negativer und konditionaler Formulierung ablesen lasse.213 Aus dem Urteil des IGH lässt sich ableiten, dass in einem radikalen Regimewechsel von einer Diktatur hin zu einer demokratischen Regierungsform durchaus eine tiefgreifende Änderung der beim Vertragsschluss gegebenen Umstände gesehen werden kann.214 Allerdings ist der Wechsel nur von Bedeutung, wenn die politischen Umstände wesentliche Grundlage des Vertragsschlusses waren. Bei der Aufnahme des Art. 62 in die WVK wurde eine Bestimmung, demnach die Änderung der politischen Auffassung einer Regierung nie einen grundlegenden Wechsel darstellen könne, von einigen Staaten abgelehnt. Als Beispiel wurde ein Bündnisvertrag angeführt, bei welchem die Änderung der politischen Ausrichtung das Festhalten am Vertrag für beide Parteien unzumutbar werden lassen könne.215 Ein odiöser Vertrag, der diesen Anforderungen gerecht wird, ist durchaus vorstellbar. So ist der Fall denkbar, dass sich der Schuldnerstaat verpflichtet, dem Gläubigerstaat den Abbau von fossilen Ressourcen zu gewähren, wenn der Gläubigerstaat im Gegenzug seine militärische Unterstützung im 211  IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary / Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, ICJ Reports 1997, S. 7 ff., para. 22. 212  IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary / Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, ICJ Reports 1997, S. 7 ff., para. 104. 213  Ebd.; vgl. auch ILC, „Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries“, Art. 59 para. 1 („The circumstances of international life are always changing and it is easy to allege that the changes render the treaty inapplicable“) und para. 9, abgedruckt in YILC 1966 Vol. II(2), S. 187 ff., 257 und 259. 214  Dies ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 62 WVK, vgl. Geistlinger, Revolution und Völkerrecht, S. 211 sowie Fulda, Demokratie, S. 132 ff. 215  ILC, „Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries“, Art. 59 para. 10, abgedruckt in YILC 1966 Vol. II(2), S. 187 ff., 259.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Kampf gegen Rebellen zusichert. Findet im Schuldnerstaat ein grundlegender Regimewechsel statt, so ist eine Änderung der Geschäftsgrund­lage anzunehmen, welche die Kündigung des Vertrages rechtfertigt. Eine vergleichbare Situation kann sich ergeben, wenn wirtschaftliche Verträge einem diktatorischen Regime zugutekommen sollen, wie z. B. bei der Gewährung von Krediten zum Bau von Palästen oder bei der Lieferung von Panzern, die nicht zur Landesverteidigung, sondern einzig zum Machterhalt bestimmt sind. Hier kann die politische Natur des Schuldnerstaates wesentliche Grundlage gewesen sein. Dies setzt allerdings voraus, dass die spezifische Verwendung des Vertragsgegenstands zugunsten der Stabilisierung des Schuldnerregimes von beiden Parteien bezweckt war (vgl. den Wortlaut des Art. 62 (1) WVK: „essential basis of the consent of the parties“). Abweichend ist denkbar, dass z.  B. ein Waffenlieferant einen entsprechenden Kaufvertrag schließt, ohne dass es ihm auf die Unterstützung eines bestimmten Regimes ankommt. In diesem Fall stellt die politische Ausrichtung des Schuldnerregimes keine wesentliche Geschäftsgrundlage dar. In vielen Fällen dürfte zudem die eindeutige Zuordnung von Verträgen im Einzelfall problematisch sein, etwa, wenn ein Kredit ohne explizite Zweckbestimmung zur Verfügung gestellt wird. Zudem ist es äußerst fraglich, ob die weiteren Voraussetzungen von Art. 62 WVK erfüllt sind. Die Änderung der Umstände muss nämlich das Ausmaß der auf Grund des Vertrages noch zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestalten (Art. 62 (1) (b) WVK). Im Fall odiöser Schulden ist häufig jedoch die einzig fortbestehende Leistungspflicht die Bedienung der Schulden. Diese erfährt unmittelbar keine Änderung.216 Folglich kann mit Art. 62 WVK nur im Ausnahmefall die Beendigung odiöser Verträge geltend gemacht werden.

V. Zwischenergebnis und Bedeutung für die Untersuchung Insgesamt lässt sich im Fall der Staatensukzession eine starke Tendenz zum Fortbestehen von Schulden des Vorgängerstaates beobachten, die sich teilweise mit gewohnheitsrechtlich anerkannten Völkerrechtsregeln deckt. Dies gilt noch stärker für den Fall eines Regimewechsels, der für sich genommen ohne Auswirkungen auf die finanzielle Verantwortlichkeit von Staaten ist. Vieles spricht daher dafür, die Odious-Debts-Doktrin als potentielle Ausnahmeregel zu charakterisieren, mit der Folge, dass die Nichtigkeit solcher Schulden völkerrechtlich positiv festgestellt werden muss (dazu sogleich, Abschnitt D.). Die Heranziehung der clausula rebus sic stantibus scheint für diese Zwecke jedoch nicht geeignet (vgl. oben, IV.). 216  Grundsätzlich kritisch gegenüber der Anwendung der clausula rebus sic stantibus auf Kreditverträge daher Leyendecker, Auslandsverschuldung, S. 168.



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?121

Eines positiven Beleges für die Unwirksamkeit odiöser Schulden bedarf es auch dann, wenn den kritischen Stimmen gefolgt wird, die den Fortbestand von Schulden in einigen Fällen mangels eindeutiger Staatenpraxis ablehnen. Denn unabhängig von einer klaren Rechtsregel bestehen gegenüber Nachfolgestaaten starke wirtschaftliche und politische Zwänge, Verpflichtungen des Vorgängerstaates zumindest im Grundsatz anzuerkennen, um weiterhin kreditwürdig zu bleiben,217 was dazu führte, dass in den jüngeren Sukzessionsfällen die große Mehrheit von Schulden von den jeweiligen Nachfolgestaaten übernommen wurde.218 Vor diesem Hintergrund bedarf es konkreter Regeln hinsichtlich der Unwirksamkeit von Odious Debts; nur wenn odiöse Schulden eindeutig als unwirksam anerkannt sind, kann ein Schuldnerstaat mit Hinweis auf deren Vorliegen die Zahlung verweigern, ohne negative Folgen fürchten zu müssen. Im Folgenden sollen daher völkerrechtliche Regeln untersucht werden, die die Zahlungsverweigerung in Bezug auf Odious Debts rechtfertigen können.

D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin? Wie dargestellt, gehen Schulden im Fall der Staatennachfolge grundsätzlich auf den Nachfolgestaat über. Ebenso lässt ein Regierungswechsel die Rückzahlungspflicht grundsätzlich unbeeinträchtigt. Es stellt sich somit die Frage, ob die Odious-Debts-Doktrin für bestimmte Schulden eine anerkannte Ausnahme von diesem Grundsatz darstellt. Während Staaten- und Regierungswechsel traditionell den Anknüpfungspunkt für die Untersuchung bilden, ist es jedoch keineswegs zwingend, nur in diesen Fällen die Unwirksamkeit odiöser Schulden zu erwägen. Vielmehr ist auch denkbar, dass rechtliche Prinzipien schon zum Zeitpunkt der Eingehung zur Unwirksamkeit odiöser Schulden führen. Das Ergebnis, dass odiöse Verträge unwirksam sind, kann sich dabei aus dem Verstoß gegen internationale Menschenrechtskonventionen (I.), aus dem Völkergewohnheitsrecht (II.) sowie aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (III.) ergeben.

217  Cheng,

State Succession, S. 162, 337 und 381. State Succession S. 265, 310 und 392 mit den Beispielen Tschechiens, der Slowakei und Sloweniens. 218  Cheng,

122

Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

I. Fehlende Wirksamkeit, Übertragbarkeit oder Durchsetzbarkeit von Odious Debts wegen Verstoßes gegen Menschenrechte? Für die Rechtsfigur der Odious Debts lässt sich anführen, dass im aktuellen Völkerrecht Menschenrechte als „objektive Werteordnung“ des Völkerrechts219 einen hohen Stellenwert einnehmen, sodass der Verstoß gegen diese nicht mehr nur politische und moralische, sondern greifbare rechtliche Konsequenzen hat. Dennoch fehlt es in der überwiegenden Mehrzahl der Untersuchungen an einer genaueren menschenrechtlichen Argumentation.220 Dabei kommen verschiedene menschenrechtliche Begründungsmöglichkeiten in Betracht. Zunächst können Verträge nichtig sein, weil sie gegen zwingende Normen des Völkerrechts verstoßen (1.).221 Weiterhin ist denkbar, dass der Schuldnerstaat dem Vertragspartner dessen Verantwortlichkeit durch die Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen entgegenhält (2.). Schließlich führt die Rückforderung von Schulden dazu, dass die Ressourcen des Schuldnerstaates begrenzt werden. Inwiefern dies im Fall von Odious Debts einen Verstoß gegen die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rechte der Bevölkerung des Schuldnerstaates darstellt, soll unter (3.) untersucht werden. 1. Nichtigkeit von Verbindlichkeiten wegen Verstoßes gegen zwingende Normen des Völkerrechts Art. 53 WVK legt fest, dass ein völkerrechtlicher Vertrag, der im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des Völkerrechts steht, nichtig ist („A treaty is void if, at the time of its conclusion, it conflicts with a peremptory norm of general international law“)222 und kodifiziert damit erstmals das schon lange vor dem Inkrafttreten der Konvention diskutierte und mittlerweile weitgehend anerkannte Konzept des ius cogens.223 Als zwingend dePaulus / Schneider, Jura 2013(35), 1197, 1202. hervorzuheben sind Michalowski, Unconstitutional Regimes; Michalowski, HRLR 2008(8), 35 ff. sowie Khalfan, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S.  76 ff. 221  Für die Nichtigkeit von Odious Debts wegen Verstoß gegen ius cogens, ohne allerdings die unten behandelten Themen anzusprechen: Fischer-Lescano, KJ 2003, 225, 234 f.; Queck, in: erlassjahr.de, Handbuch Illegitime Schulden, S. 13 ff.; ausführlicher Kleinlein, AVR 2006(44), 405, 409 f.; Reinisch, Export of Warships, para. 100 ff. 222  Art. 64 WVK regelt, dass ein Vertrag bei nachträglicher Entstehung entgegenstehenden zwingenden Völkerrechts unwirksam wird; Art. 65 und 66 WVK beinhalten das Verfahren, wenn sich eine Partei auf die Nichtigkeit beruft. 223  Zur Entwicklung des ius cogens s. A. Paulus, Nord. J.Int’l L. 2005(74), 297 ff.; Czapliński, in: Tomuschat / Thouvenin, Fundamental Rules, S. 83 ff. 219  Vgl.

220  Positiv



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?123

finiert Art. 53 WVK eine Norm des Völkerrechts, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt ist als Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.224 Während im Einzelnen umstritten ist, welche Regeln als zwingend betrachtet werden können, besteht in Bezug auf Menschenrechte weitgehend Einigkeit darüber, dass das Verbot von Folter, außergericht­ lichen Hinrichtungen, Sklaverei, Völkermord, Apartheid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie das Recht auf Selbstbestimmung der Völker zu den ius-cogens-Normen gehören;225 teilweise werden auch das Diskriminierungsverbot226 und andere grundlegende Menschenrechte227 wie das Recht auf ein faires Verfahren228 genannt, wobei der jeweils zwingende Gehalt der einzelnen Rechte offen bleibt. Im Bereich der Odious Debts ist ein Verstoß gegen eine der genannten Normen denkbar, wenn durch den Vertrag die Verletzung einer der genannten Rechte gefördert wird. Es wird also nicht geltend gemacht, die Nichtigkeit von Odious Debts sei eine zwingende Norm des Völkerrechts, sondern der Vertrag wird deswegen als nichtig und odiös angesehen, weil er gegen andere zwingende Normen des Völkerrechts verstößt.229 Allerdings ist zum einen der Anwendungsbereich der in Art. 53 WVK zum Ausdruck gebrachten Regel fraglich; zum anderen ist zu untersuchen, wann ein (beispielsweise Kredit-)Vertrag im Widerspruch zu einer zwingenden Norm steht, da es sich bei dem Vertrag selbst grundsätzlich um ein neutrales Geschäft handelt. a) Anwendbarkeit der Regel Die Wiener Vertragsrechtskonvention gilt für zwischenstaatliche Verträge, die in Schriftform geschlossen sind und dem Völkerrecht unterfallen (Art. 2 (1) (a) WVK). Wie unter C.II.1.a)aa) dargestellt, fallen damit sowohl Ver224  „[A] peremptory norm of general international law is a norm accepted and recognized by the international community of States as a whole as a norm from which no derogation is permitted and which can be modified only by a subsequent norm of general international law having the same character“, Art. 53 S. 2 WVK. 225  Vgl. m.  w.  Nachw. die Kataloge bei Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J. Trans­nat’l. L. 2009(48), 59, 66 f.; A. Paulus, Nord. J.Int’l L. 2005(74), 297, 306; Schmalenbach, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 53 Rn. 81; umfassend Hannikainen, Peremptory Norms, S. 425 ff. 226  Hannikainen, Peremptory Norms, S. 480 ff., insbes. 482 (für das zwingende Verbot schwerwiegender Diskriminierung). 227  M. w. Nachw. A. Paulus, Nord. J.Int’l L. 2005(74), 297, 396; Schweisfurth, Völkerrecht, S. 85. 228  Schmalenbach, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 53 Rn. 81 m. w. Nachw. 229  Fischer-Lescano, KJ 2003, 225, 234.

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träge mit Privaten (etwa Banken) und mit internationalen Organisationen als auch zwischenstaatliche Verträge, in denen nationales Recht gewählt ist, aus dem Anwendungsbereich der Konvention.230 Für das Völkerrecht lässt sich zwar schließen, dass die gewohnheitsrechtliche Geltung von Art. 53 WVK mittlerweile anerkannt ist,231 sodass auch Staaten, die nicht Vertragsparteien der Konvention sind, an diesen gebunden sind. Auch die Ausweitung der Regel auf Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen ist unstreitig und führte zur Aufnahme einer mit Art. 53 WVK gleichlautenden Regel in die (aus anderen Gründen nicht in Kraft getretene) Wiener Konvention über Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen (1986).232 Umstritten ist jedoch, inwieweit der Anwendungsbereich über den völkervertraglichen Bereich hinausgeht.233 Da es sich bei ius-cogens-Regeln um solche handelt, die die Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit als von so grundlegender Bedeutung anerkennt, dass ein Abweichen ausgeschlossen ist, liegt es nahe, dies nicht nur auf zwischenstaatliche Verträge, sondern universell auf alle Handlungen des Staates zu beziehen.234 Dementsprechend ist auch die Geltung des Vorrangs von zwingendem Völkerrechts für einseitige Handlungen von Staaten weitgehend anerkannt und hat beispielsweise in Art.  26 ILC-Konventionsentwurf zur Staatenverantwortlichkeit ihren Niederschlag gefunden,235 zu welchem die ILC feststellt, dass ein Staat etwa nicht zu Repressalien greifen darf, die gegen zwingende Normen verstoßen.236 Um zu vermeiden, dass Staaten sich durch die Wahl von Privatrecht dem Vorrang zwingender Normen entziehen können, muss auch der Verstoß gegen zwingendes Recht in zwischenstaatlichen Verträgen, die nicht dem Völkerrecht unterfallen, zur Nichtigkeit des Vertrages führen; eine solche kann zudem auf allgemeinen privatrechtlichen Rechtsgrundsätzen beruhen.237 Schließlich kann nichts anderes gelten, wenn Staaten Verträge mit 230  Inwieweit völkerrechtliche Wertentscheidungen auch über das Privatrecht Einfluss auf die Wirksamkeit von Verträgen haben können, wird unten (Kapitel 2 D.III.) genauer ausgeführt. 231  Vgl. m. w. Nachw. Villiger, VCLT, Art. 53 Rn. 25; Michalowski, Unconstitu­ tional Regimes, S. 72. 232  A. Paulus, Nord. J.Int’l L. 2005(74), 297, 310. 233  Vgl. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 72 f. m. w. Nachw. 234  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S.  73; Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J.Transnat’l. L. 2009(48), 59, 68 f. 235  Zum Konventionsentwurf ausführlich unten, Kapitel 2 D.I.1.b). 236  ILC, „Draft Articles on Responsibility of States for International Wrongful Acts, with Commentaries“, Art. 26 para. 4, abgedruckt in YILC Vol. II(2), S. 31 ff., 85: („A state taking counter-measures may not derogate from such a norm“); für die Anwendung auf einseitige Akte auch A. Paulus, Nord. J.Int’l L. 2005(74), 297, 311 ff. und Schmalenbach, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 53 Rn. 72. 237  Dazu unten, Kapitel 2 D.III.3.



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Privaten schließen; ein Vertrag, in dem sich ein privater Sicherheitsdienst zum Völkermord verpflichtet, ist nicht anders zu beurteilen als ein solcher, in dem ein Staat militärische Unterstützung an Kriegsverbrechen zusichert, da sonst die Gefahr des „Outsourcing“ völkerrechtswidrigen Handelns bestünde. Dafür spricht auch, dass sich die zwingenden Verbote von Sklaverei, Genozid und Kriegsverbrechen nicht nur an Staaten, sondern auch an Individuen richten.238 Somit lässt sich schließen, dass sich auch Verträge zwischen einem Staat und privaten Unternehmen oder Banken an ihrer Vereinbarkeit mit ius cogens messen lassen müssen.239 b) Widerspruch zu einer zwingenden Norm des Völkerrechts Problematisch ist, wann ein Vertrag selbst im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des Völkerrechts steht.240 Die Situation ist eindeutig, wenn sich eine der Vertragsparteien vertraglich dazu verpflichtet, zwingendes Völkerrecht zu verletzen, etwa Völkermord zu begehen. Weniger klar ist die Lage, wenn in dem Vertrag zur Unterstützung einer solchen Handlung die Lieferung von Waffen oder die Bereitstellung eines Kredites zu ebendiesem Zweck vereinbart wird. Am wenigsten deutlich, in der Praxis aber am wahrscheinlichsten ist die Konstellation, in der sich der Vertragspartner des völkerrechtswidrig handelnden Staates zur Lieferung von Gütern oder zur Bereitstellung eines Kredites verpflichtet, ohne dass überhaupt ein spezifischer Verwendungszweck vereinbart wird. Die WVK selbst ist in Bezug auf die Verknüpfung zwischen dem Vertrag und der zwingenden Regel des Völkerrechts wenig aufschlussreich. Der Wortlaut legt nahe, dass der Vertrag selbst im Widerspruch zu einer solchen Regel stehen muss. Bei der Entstehung von Artikel 53 wurden Fälle diskutiert, in welchen der Vertrag die Verabredung von ius-cogens-widrigen Handlungen beinhaltet; auf eine Aufnahme von Beispielsfällen verzichtete die ILC aber bewusst deshalb, weil sie den Anwendungsbereich des Artikels nicht verengen wollte.241 Daraus und aus dem Umstand, dass Verstöße wie Völkermord nicht durch Abschluss eines Vertrages begangen werden 238  Vgl. etwa Art. 4 der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes; zur Menschenrechtsbindung nichtstaatlicher Akteure s.  u. Kapitel 2 D.I.2.b). 239  Mit dem selben Ergebnis Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 73; ohne die Frage der Anwendbarkeit zu diskutieren auch Fischer-Lescano, KJ 2003, 225, 234. 240  Hierzu ausführlich Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 74 ff. 241  ILC, „Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries“, Art. 50 para. 3, abgedruckt in YILC 1966 Vol. II(2), S. 187 ff., 248.

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können,242 ist abzuleiten, dass es ausreicht, dass die im Vertrag vereinbarte Leistung bzw. die Durchführung des Vertrages zwingendem Völkerrecht widerspricht, was bei der zweckneutralen Bereitstellung von Waffen oder Geld noch nicht der Fall ist. Zur Beantwortung der Frage, ob auch in diesen Konstellationen ein Verstoß gegen ius cogens gegeben ist, zieht Michalowski drei in Teilen vergleichbare Rechtsinstitute heran, nämlich die völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit für Beihilfe,243 die Regelungen des US Alien Tort Claims Acts sowie Prinzipien der Staatenverantwortlichkeit.244 De lege lata überzeugend für eine Übertragung auf die vorliegende Problematik ist allenfalls letztgenanntes Institut.245 Die völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit befasst sich mit der Schuld von Individuen, die sich eines völkerrecht­ lichen Verbrechens strafbar gemacht haben. Regelungsgegenstand von Art. 53 WVK ist jedoch die Wirksamkeit und damit Durchsetzbarkeit der vertraglichen Verpflichtung, nicht die Bestrafung individuellen Fehlverhaltens.246 Die im Rahmen des ATCA geltenden Regeln stellen dagegen na­ tionale Regelungen dar, die keine völkerrechtliche Geltung beanspruchen können und aufgrund der jüngsten restriktiven Auslegung durch den US Supreme Court für die vorliegende Frage auch nur noch von eingeschränktem Gewinn sind.247 Dem gegenüber regeln die Prinzipien der Staatenverantwortlichkeit, unter welchen Voraussetzungen Staaten für völkerrechtliches Unrecht haften. Regelungen finden sich im ILC-Konventionsentwurf zur Staatenverantwortlichkeit von 2001,248 bei dem es sich in weiten Teilen um kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht handelt.249 Zwar ist auch hier Regelungsgegenstand nicht die Wirksamkeit von Verträgen, jedoch sind die deliktischen Folgen Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 75. hierzu auch ausführlich Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J.Transnat’l. L. 2009(48), 59, 72 ff. 244  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 76 ff. 245  Auch Michalowski erkennt die auf der unterschiedlichen Zwecksetzung der Rechtsinstitute beruhende Problematik des Analogieschlusses an, vgl. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 81 f. 246  Ein Strafelement kann nur insofern in Art. 53 WVK gesehen werden, als dieser zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages und nicht nur der ius-cogens-widrigen Regeln führt; zudem kann die Verletzung von entsprechendem ius cogens auch zur individuellen Strafbarkeit führen. 247  Vgl. dazu die Ausführungen unter Kapitel 1 B.V. 248  YILC 2001, Vol. II(2), S. 26 ff. 249  Cassese, International Law, S. 244; Schweisfurth, Völkerrecht, 7. Kapitel, Rn. 16 ff.; insbesondere der Artikel über Beihilfe ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, vgl. die Untersuchung bei Aust, Complicity, S. 97 ff., 191. 242  Vgl. 243  Vgl.



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rechtswidrigen Verhaltens der vertragsrechtlichen Problematik näher als die übrigen genannten, weil sie auf einen objektivierten Verschuldensmaßstab abstellen. So befassen sich Art. 16–19 des Konventionsentwurfes mit der Zurechnung völkerrechts­widrigen Verhaltens eines Staates gegenüber einem anderen, wenn letzterer die völkerrechtswidrige Handlung selbst nicht vorgenommen hat. Auch im Rahmen von Art. 53 WVK stellt sich die Frage, inwiefern dem Vertragspartner die ius-cogens-widrige Verwendung der Vertragsleistung zugerechnet werden kann, sodass die Nichtigkeit des Vertrages gerechtfertigt ist. Naheliegend wäre es daher, auf Art. 16 des Konventionsentwurfes abzustellen. Dieser sieht eine Haftung für Beihilfe vor, wenn ein Staat einem anderen bei der Begehung einer völkerrechtswidrigen Handlung Hilfe oder Unterstützung leistet und er dies (a) in Kenntnis der Umstände der völkerrechtswidrigen Handlung tut und (b) die Handlung völkerrechtswidrig wäre, wenn sie der Beihilfe leistende Staat selbst ausgeführt hätte. Als Beispiel für Beihilfe nennt der Kommentar der ILC zu Art. 16 die Finanzierung von völkerrechtlichen Handlungen.250 Diese Regelung der Staatenverantwortlichkeit lässt sich auf den Verstoß gegen zwingendes Recht übertragen. Ein Vertrag über einen Kredit oder eine Warenlieferung, der den Zweck hat, eine ius-cogens-widrige Handlung zu unterstützen, muss damit ebenfalls als im Widerspruch mit zwingendem Völkerrecht und nichtig angesehen werden.251 Auch unter Heranziehung der Grundsätze der Staatenverantwortlichkeit bleibt jedoch die Frage offen, ob ein Vertrag, der nicht spezifisch auf die Verletzung zwingenden Völkerrechts abzielt, die Voraussetzungen des Art. 53 WVK erfüllt, selbst wenn der Gläubiger Kenntnis von den beabsichtigten Handlungen des Vertragspartners hat und die Möglichkeit von deren Begehung fördert.252 Zunächst bestehen bei unspezifischen Krediten aufgrund der Fungibilität des Geldes Bedenken an der Kausalität der Förderungshandlung.253 Beabsichtigt der Schuldnerstaat gleichzeitig Söldner anzuheuern und Straßen zu bauen, ist nicht zu beurteilen, welche der beiden Handlungen durch den Kredit gefördert wird. Weiterhin führt die ILC zum Begriff der Beihilfe einschränkend aus: 250  Vgl. ILC, „Draft Articles on Responsibility of States for International Wrongful Acts, with Commentaries“, Art. 16 para. 1, abgedruckt in YILC Vol. II(2), S.  31 ff., 66. 251  Zur Frage der rechtlichen Folgen der Nichtigkeit s. u. Kapitel 3 B.VII. 252  Ähnlich gelagert ist die Frage, ob Entwicklungszusammenarbeit oder wirtschaftliche Kooperation mit menschenrechtswidrig handelnden Staaten zur Verantwortlichkeit des Geberstaates führen kann, s. Aust, Complicity, S. 145 ff., der keine eindeutige Regel auszumachen vermag. 253  Zur Problematik des Kausalitätskriteriums s. ausführlich Aust, Complicity, S.  195 ff.

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„…  [T]he aid or assistance must be given with a view to facilitating the commission of the wrongful act, and must actually do so. This limits the application of article 16 to those cases where the aid or assistance given is clearly linked to the subsequent wrongful conduct. A State is not responsible for aid or assistance under article 16 unless the relevant State organ intended, by the aid or assistance given, to facilitate the occurrence of the wrongful conduct and the internationally wrongful conduct is actually committed by the aided or assisted State.“254

Das strenge Kriterium der Absicht („intent“) war bei der Verabschiedung der Konvention hoch umstritten; die Mehrheit der Mitglieder der ILC sowie der Staatenvertreter sprach sich für dessen Einbeziehung aus,255 was sich im Konventionstext jedoch nur unzureichend widerspiegelt. Nichtsdestotrotz hält die ebenzitierte ILC an dem Kriterium fest. Nimmt man die Absicht, ein rechtswidriges Handeln zu fördern, als Voraussetzung für eine Beihilfehandlung, stellen sich mehrere Probleme. Zum einen könnte ein Waffenproduzent, der Panzer an ein despotisches Regime liefert, welches damit friedliche Versammlungen niederschlägt, darauf verweisen, er habe diese Verwendung zwar in Kauf genommen, nicht aber beabsichtigt. Zum anderen bestehen erhebliche Beweisprobleme. Ist die Verwendung der Mittel zugunsten einer völkerrechtswidrigen Handlung nicht im Vertrag vorgesehen, wird der Nachweis, dass die vertragliche Leistung zur Unterstützung bestimmt war, nur schwer zu führen sein.256 In gleichem Maße ist die Figur der Kenntnis problematisch. Die zitierten Ausführungen der ILC deuten darauf hin, dass die bloße Kenntnis von der Verwendungsmöglichkeit noch nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages führt, solange die völkerrechtswidrige Verwendung nicht beabsichtigt ist. Die Kommission schließt: „A State providing material or financial assistance or aid to another State does not normally assume the risk that its assistance or aid may be used to carry out an internationally wrongful act.“257 Dies ist jedoch im Fall von evident menschenrechtswidrig handelnden Staaten wie etwa dem südafrikanischen Apartheids-Regime fraglich, wo mit einer entsprechenden Verwendung der Mittel zu rechnen war.258 Zudem fehlt es an 254  Vgl. ILC, „Draft Articles on Responsibility of States for International Wrongful Acts, with Commentaries“, Art. 16 para. 3, abgedruckt in YILC Vol. II(2), S. 31 ff., 66, Hervorhebungen durch den Zitierenden. 255  Vgl. zur Problematik m. w. Nachw. Aust, Complicity, S. 230 ff., insbes. S. 238. 256  So auch Petersen, Demokratie, S. 153 m. w. Nachw. 257  Vgl. ILC, „Draft Articles on Responsibility of States for International Wrongful Acts, with Commentaries“, Art. 16 para. 4, abgedruckt in YILC Vol. II(2), S.  31 ff., 66. 258  Vgl. die Argumentation der Kläger im Khulumani-Verfahren unter dem US Alien Tort Claims Act: „apartheid would not have occurred in the same way without the participation of the defendants“, abgedruckt in Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 78.



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einem Ausschluss von fahrlässiger Unkenntnis bzw. „wilful blindness“; ein entsprechender Vorschlag der Niederlande bei der Entstehung von Art. 16 des IILC-Entwurfes wurde nicht aufgegriffen.259 Eine Bank, die an ein iuscogens-widrig handelndes Regime einen Kredit vergibt, könnte sich mithin durch Unterlassen der Nachfrage nach dem Verwendungszweck der Wirksamkeit des Vertrages versichern.260 Somit ist zu schließen, dass sich die Unwirksamkeit odiöser Schulden aus Art. 53 WVK nur für solche Verträge sicher herleiten lässt, die ausdrücklich die Finanzierung von Verstößen gegen zwingendes Völkerrecht zum Ziel haben;261 bei unspezifisch abgeschlossenen Verträgen sowie bei bloßer Kenntnis vom Verwendungszweck bestehen dagegen erhebliche Zweifel. c) Verfahren bei Nichtigkeit wegen einer ius-cogens-Verletzung Verstößt ein Vertrag gegen zwingendes Völkerrecht, ist der gesamte Vertrag nichtig, Art. 53 und 64 WVK. In diesem Fall kann jede Vertragspartei262 dem Vertragspartner die Nichtigkeit mitteilen; im Fall von Unstimmigkeiten kann jede Partei den Streit dem IGH oder einem Schiedsgericht unterbreiten, vgl. Art. 65, 66 WVK. Somit gibt es eine gerichtliche Instanz, die über das Vorliegen von ius cogens und damit über die Wirksamkeit eines odiösen Vertrages entscheidet. Allerdings betrifft das Verfahren nur zwischenstaatliche Verträge und wurde bisher nicht angewendet. Die Rechtsfolgen unwirksamer Verträge hinsichtlich bereits ausgeführter Teile richten sich nach Art. 71 WVK und werden unten (Kapitel 3 B.VII.) genauer untersucht. d) Zwischenergebnis Obwohl bisher nie in diesem Sinne angewendet,263 bietet Art. 53 WVK die Möglichkeit, odiöse Verträge als nichtig anzusehen, weil sie gegen ius 259  Vgl. State Responsibility, Comments and Observations received from Governments, A / CN.4 / 515, 19.  März 2001, S. 28. 260  Zur Problematik, ob jegliche Kredite an bestimmte Regime deren menschenrechtswidrige Praktik unterstützen s. unten, Kapitel 3 B.II.2. 261  Mit diesem Ergebnis auch Kämmerer, ZaöRV 2005(65), 651, 655; ähnlich Kleinlein, AVR 2006(44), 405, 409, der darunter auch die positive Kenntnis beider Parteien vom beabsichtigten Verwendungszweck fasst. 262  Nicht aber Dritte, obwohl es sich bei ius cogens um Verpflichtungen gegenüber der gesamten Staatengemeinschaft handelt, kritisch daher Czapliński, in: Tomuschat / Thouvenin, Fundamental Rules, S. 89 f. 263  Tatsächlich wurde sich bisher auch in anderen Konstellationen überhaupt nicht auf Art. 53 WVK berufen, vgl. Czapliński, in: Tomuschat / Thouvenin, Fundamental Rules, S. 93 f.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

cogens verstoßen. Allerdings ist der Anwendungsbereich der Regel begrenzt. Vieles spricht zwar dafür, die Norm auch auf Verträge zwischen Staaten und privaten Banken anzuwenden,264 und die Anwendung von Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit erlaubt es, dass auch die gezielte finanzielle Unterstützung der Verletzung zwingender Völkerrechtsnormen erfasst wird. Allerdings sind zum einen nur Verstöße gegen die wenigen als zwingend angesehen Menschenrechte betroffen. Weiterhin lässt sich von der Unwirksamkeit nur in solchen Fällen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgehen, in denen bereits im Vertrag die Unterstützung der völkerrechtswidrigen Handlung vorgesehen ist. In den praktisch relevanteren Fällen zweckneutral geschlossener Geschäfte hingegen ist auch bei Kenntnis des Gläubigers vom Verwendungszweck die Unwirksamkeit zweifelhaft. 2. Zahlungsverweigerung wegen Beteiligung des Gläubigers an Menschenrechtsverletzungen durch den Schuldnerstaat Denkbar ist, dass der Schuldnerstaat die Bedienung von Schulden mit dem Argument verweigert, der Gläubiger habe durch die Bereitstellung von Krediten, Waffen etc. die menschenrechtswidrigen Praktiken des Vorgängerregimes unterstützt; damit habe er sich an Menschenrechtsverletzungen (moralisch) mitschuldig gemacht und müsse sich diese (juristisch) zurechnen lassen.265 Dabei kann es sich um eine Einwendung gegen den Zahlungsanspruch des Gläubigers oder um die Geltendmachung von Gegenansprüchen266 handeln.267 Zu unterscheiden ist, ob Gläubiger ein Staat oder ein nichtstaatlicher Akteur ist. Zur Verdeutlichung sollen folgende zwei Beispielsfälle gebildet werden: In Konstellation 1 stellt Staat G dem Staat S Kredite zur Verfügung, die dieser mit Wissen von G zur Finanzierung seiner Geheimpolizei verwendet, deren Aufgaben die Inhaftierung, Folter 264  In der Folge würde die Nichtigkeit solcher Verbindlichkeiten im deutschen Recht über Art. 25 GG auf das Privatrecht durchschlagen; so auch Kleinlein, AVR 2006(44), 405, 410. 265  Für eine Geltendmachung von Reparationsansprüchen als Lösung der OdiousDebts-Problematik Gray, LCP 2007(70), 137, 160 ff., der jedoch die folgenden Probleme nicht thematisiert. 266  Solch ein Gegenanspruch könnte auf Zahlung als Kompensation gerichtet sein und damit zur Aufrechnung oder zu einer Einrede vergleichbar § 273 BGB führen. 267  Eine völkerrechtliche Gegenmaßnahme (countermeasure, auch: Repressalie) kommt hingegen nicht in Betracht: Hier handelt es sich um die vorübergehende Nichterfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen mit dem Ziel, den Adressaten zur Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen anzuhalten, vgl. Schweisfurth, Völkerrecht, 7. Kapitel, Rn. 94. Im Falle von Odious Debts ist die Unterstützung der Menschenrechtsverletzungen als mögliche Völkerrechtsverletzung jedoch irreversibel erfolgt.



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und außergerichtliche Hinrichtung von Oppositionellen umfasst. In Konstellation 2 liefert das in L ansässige private Unternehmen U an Staat S unter Vereinbarung von Ratenzahlung Waffen für eben diese Zwecke. In beiden Konstellationen kommt es in S zum Regimewechsel; G und U verlangen die Bedienung der Kredite bzw. die Bezahlung der Waffenlieferung. Sowohl S als auch G und L haben die relevanten Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert; was sich bei Nicht-Ratifikation durch S ändert, wird unter c) dargestellt. In Betracht kommt weiterhin die Beteiligung internationaler (Finanz‑)Organisationen268 sowie privater Banken; bei diesen stellen sich die im Folgenden behandelten Probleme wie etwa die fragwürdige Menschenrechtsbindung269 gleichermaßen, sodass auf eine gesonderte Darstellung verzichtet wird. Während es nahe liegt, dass Staat S selbst gegenüber seiner Bevölkerung Menschenrechte verletzt hat, begegnet die Frage, ob auch Staat G oder gar Unternehmen U für Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden kann, einer Reihe komplexer Probleme, die im Folgenden untersucht werden sollen. Zu beantworten ist, ob der Gläubigerstaat für Menschenrechtsverletzungen, die der Schuldnerstaat eigenverantwortlich vornimmt, haftet und wie es um die Menschenrechtsverpflichtung von Unternehmen bestellt ist. Weiterhin ist zu fragen, ob sich die neue Regierung des Schuldnerstaates Handlungen des Vorgängerregimes entgegen halten lassen muss. Sofern die Beantwortung dieser Fragen zur Verantwortlichkeit des Gläubigers führt, ist schließlich zu problematisieren, was die Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit des Gläubigerhandelns sein kann. a) Extraterritorialität und Zurechenbarkeit des Handelns des Schuldnerstaates gegenüber dem Gläubigerstaat In Konstellation 1 könnte sich G zunächst darauf berufen, dass eine mögliche Menschenrechtsverletzung außerhalb von dessen Hoheitsgebiet eingetreten ist (Extraterritorialität). Die Mehrzahl der Menschenrechtsverträge verpflichten die Signatarstaaten, Menschenrechte innerhalb ihrer Hoheitsgewalt (jurisdiction) zu gewährleisten, vgl. z. B. Art. 2 (1) IPBPR, Art. 2 (1) Antifolterkonvention und Art. 3 der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Das HRC hat die Reichweite der extraterrito­ rialen Anwendung des IPBPR in General Comment270 31 wie folgt definiert: 268  Kritisch zur Rolle internationaler Finanzinstitutionen und deren mangelhafter Verantwortlichkeit Raffer, LCP 2007(70), 221, 236 ff. 269  Vgl. ausführlich Janik, Die Bindung internationaler Organisationen, S. 309 ff. 270  Zur Entwicklungsgeschichte und umstrittenen Bindungswirkung der General Comments vgl. Alston, in: Boisson de Chazournes / Gowlland-Debbas, FS Abi-Saab,

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„[A] State party must respect and ensure the rights laid down in the Covenant to anyone within the power or effective control of that State Party, even if not situated within the territory of the State Party. … This principle also applies to those within the power or effective control of the forces of a State Party acting outside its territory, regardless of the circumstances in which such power or effective control was obtained, such as forces constituting a national contingent of a State Party assigned to an international peace-keeping or peace-enforcement operation.“271

Während es sich hierbei um eine im Einzelnen umstrittene Erweiterung des Territorialitätsprinzip handelt,272 bleibt festzuhalten, dass eine Haftung für das Verhalten in einem vom Signatarstaat nicht kontrollierten Bereich vom Begriff der jurisdiction nicht umfasst ist, sodass die bloße Bereitstellung von Geld und Waffen an einen Dritten außerhalb der Hoheitsgewalt von G und L nicht dem Anwendungsbereich der Konventionen unterfiele. Dem könnte entgegnet werden, dass die Handlung von G – nämlich das Bereitstellen finanzieller Mittel – innerhalb des Territoriums von G ausgeführt wird.273 Allerdings liegt im Bereitstellen eines Kredites selbst noch keine Menschenrechtsverletzung, sondern diese ergibt sich erst aus weiteren, von S ausgeführten Schritten. Eine weitere Möglichkeit, die Haftung von G zu begründen, ist die Figur der Zurechnung (attribution), wie sie im Recht der Staatenverantwortlichkeit gebraucht wird. Fraglich ist zunächst, ob das Recht der Staatenverantwortlichkeit überhaupt auf die Verletzungen von Menschenrechten übertragen werden kann. Der Unterschied der Rechtsinstitute besteht darin, dass im Fall von Menschenrechtsverletzungen in der Regel das Verhältnis Staat – Individuum betroffen ist, während sich die Staatenverantwortlichkeit auf das Verhältnis von Staaten untereinander bezieht. Für die Übertragung des Rechtsinstituts spricht, dass die Menschenrechtsverträge die Frage der Beihilfe nicht regeln und dass auch im Recht der Staatenverantwortlichkeit die S.  763 ff.; Chinkin, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 109 f. und Tomuschat, Human Rights, S. 189 ff. Demnach können General Comments als sekundäre Vertragsnormen beschrieben werden, denen mangels vertraglicher Rechtssetzungskompetenz der Vertragsorgane keine strenge Bindungswirkung zukommt, die aber häufig von Staaten als verbindliche Interpretation der Menschenrechtsverträge akzeptiert werden. 271  HRC, General Comment 31 (The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant), 29.3.2004, CCPR / C / 21 / Rev.1 / Add. 13, para. 10. 272  Vgl. m. w. Nachw. Milanovic, Extraterritorial Application, S. 118 ff. 273  Joseph, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 160 weist darauf hin, dass z. B. das Abschieben in einen Folterstaat keine extraterritoriale Handlung ist, weil es seinen Ursprung im Abschiebeland hat. Allerdings sieht Art. 33 des Abkommens über die Rechtsstellung von Flüchtlingen ausdrücklich ein Verbot des Refoulements vor, sodass dieses selbst unabhängig vom Verhalten des Zielstaates bereits eine Menschenrechtsverletzung darstellt.



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Verletzung individueller Rechte die Haftung eines Staates gegenüber einem anderen nach sich ziehen kann. So führt die Verletzung des völkerrecht­ lichen Fremdenrechts dazu, dass ein Staat gegenüber einem anderen diplomatischen Schutz ausüben kann.274 Auch die Verletzung von Menschenrechten stellt eine völkerrechtswidrige Handlung dar,275 die sogar von allen anderen Staaten geltend gemacht werden kann, da es sich bei der Einhaltung von Menschenrechten um eine sog. erga-onmes-Verpflichtung handelt.276 Die Übertragung der Figur der Beihilfe als Haftungsvoraussetzung lässt sich damit rechtfertigen. Auch bei der Anwendung des Rechts der Staatenverantwortlichkeit besteht das Problem, dass unmittelbar, kraft autonomen Entschlusses der Staat S handelte, sodass sich auf Zurechnungsebene die Frage stellt, ob für eine Haftung von G und U überhaupt Raum bleibt. Nach dem ILC-Konventionsentwurf zur Staatenverantwortlichkeit277 haftet ein Staat einem anderen Staat gegenüber für ihm zurechenbares, rechtswidriges Verhalten (vgl. Art. 2 des Konventionsentwurfes). Zurechenbar sind einem Staat das Verhalten seiner Organe (Art. 4 des Konventionsentwurfes), das Verhalten einer dazu ermächtigten Person (Art. 5 des Konventionsentwurfes) sowie das Verhalten von Personen oder Gruppen, die auf Anweisung oder unter Weisung oder Kontrolle des Staates handeln (Art. 8 des Konventionsentwurfes). Schließlich besteht noch die Möglichkeit der Zurechnung, wenn der Staat sonstiges Verhalten als eigenes anerkennt (Art. 11 des Konventionsentwurfes). Keine der genannten Voraussetzungen ist im Fall odiöser Schulden erfüllt, weil es hier in der Regel an der Kontrolle über die Verwendung der Gelder durch den Gläubigerstaat fehlt. Der Konventionsentwurf sieht aber auch eine Haftung für Beihilfe vor (vgl. Art. 16 des Konventionsentwurfes und ausführlich oben, 1.b)). Wie ausgeführt, nennt der Kommentar der ILC zu Art. 16 die Finanzierung völkerrechtlicher Handlungen ausdrücklich als Beispiel für Beihilfe. Dass in Art. 16 die Gläubigerkenntnis vorausgesetzt, erinnert an die klassische Definition von Odious Debts. Allerdings stellt sich hier wie ausgeführt das Problem, dass nach Ansicht der ILC die völkerrechtswidrige Verwendung durch den 274  Vgl. ILC, „Draft Articles on Responsibility of States for International Wrongful Acts, with Commentaries“, Art. 36 para. 18, abgedruckt in YILC Vol. II(2), S. 31 ff., 102; in diesem Fall steht der Reparationsanspruch jedoch dem Staat, dem der Verletzte angehört, zu. 275  Vgl. ebd., para. 19 und Tomuschat, International Law, S. 295. 276  Cassese, International Law, S. 262 ff.; erga-omnes-Verpflichtungen sind Verpflichtungen, die nicht nur im bilateralen Verhältnis gegenüber bestimmten Staaten bestehen, sondern gegenüber der Staatengemeinschaft als solcher, mit der Folge, dass bei ihrer Verletzung jeder andere Staat unabhängig von seiner persönlichen Betroffenheit Ansprüche geltend machen kann. s. auch Fn. 31. 277  Zum Konventionsentwurf und seiner weitgehend gewohnheitsrechtlichen Geltung s. schon oben, Kapitel 2 D.I.1.b).

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Schuldnerstaat vom Gläubiger beabsichtigt sein muss (vgl. oben, 1.b)). Sofern sich diese nicht aus dem Vertragszweck ergibt, wird ein entsprechender Nachweis nur im Ausnahmefall zu führen sein. Im Fall der Beihilfe lässt der Konventionsentwurf die Verantwortlichkeit des die Beihilfe leistenden Staates neben die des unmittelbar Handelnden treten.278 Sinn und Zweck der Regelung ist also eine Haftungserweiterung gegenüber Dritten, nämlich den verletzten Staaten, was auch durch die von der ILC genannten Beispiele bestätigt wird.279 Dies ließe sich vorliegend auf eine Haftung von G gegenüber den Opfern der Menschenrechtsverletzungen übertragen. Die Figur der Beihilfe regelt demgegenüber nicht das Verhältnis der verantwortlichen Staaten untereinander. Somit ist festzustellen, dass Staat G nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit zwar nach außen für seine Beihilfehandlung haften kann. Allerdings ist fraglich, wie dies auf das Verhältnis S-G durchschlagen soll, da es in den Konstellationen odiöser Schulden gerade der Schuldnerstaat ist, der die Rückzahlung verweigern möchte. Dieser hat vorliegend aber selbst die Menschenrechtsverletzungen vorgenommen (dazu unten, d)). b) Menschenrechtsverpflichtung international agierender Unternehmen In Konstellation 2 stellt sich das Problem, ob U überhaupt zur Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet ist, da diese klassischerweise das Verhältnis von Staat und Individuum betreffen. Primär verpflichtet, das Verhalten von Unternehmen zu regulieren, sind daher die Staaten (bb)). In jüngerer Zeit wird aber diskutiert, ob darüber hinaus und mangels staatlicher Regelungen auch Unternehmen selbst auf die Einhaltung von Menschenrechten verpflichtet sind (aa)). aa) Menschenrechtsbindung von Unternehmen Dass Menschenrechte im Grundsatz das Verhältnis Staat-Individuum betreffen, hat auch das HRC in General Comment 31 bestätigt, der Menschenrechten horizontale Wirkung abspricht.280 Mit Mandat der damaligen 278  Vgl. ILC, „Draft Articles on Responsibility of States for International Wrongful Acts, with Commentaries“, Art. 16 para. 1, abgedruckt in YILC Vol. II(2), S.  31 ff., 66. 279  Vgl. ebd., para. 6 ff.: Lieferung von Waffen zum Angriff auf einen Drittstaat; Bereitstellung von Territorium zur militärischen Vorbereitung eines Einsatzes in einem Drittstaat, etc. 280  HRC, General Comment 31 („The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant“), 26 Mai 2004, CCPR / C / 21 / Rev.1 / Add.13, para. 8.



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UN-Menschenrechtskommission befasste sich der „Special Representative on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises“ John Ruggie mit der Frage der Menschenrechtsbindung von Unternehmen und erstellte daraufhin die „Guiding Principles on Business and Human Rights: Implementing the United Nations ‚Protect, Respect and Remedy‘ Framework“,281 die der UN-Menschenrechtsrat in seiner Resolution vom 6. Juli 2011282 einstimmig „begrüßte“. Die Guiding Principles, die sich selbst als Grundlage für weitere Entwicklungen, nicht aber als neue Rechtsquelle verstehen283 und etwa vorsehen, dass Unternehmen Menschenrechte respektieren „sollten“ (Prinzip 11),284 werden dementsprechend vom Menschenrechtsrat nur als Empfehlungen und Orientierungshilfe für weitere Schritte anerkannt.285 In der Präambel seiner Resolution unterscheidet der Menschenrechtsrat deutlich zwischen der Verpflichtung („obligation“) von Staaten, Menschenrechte zu fördern und zu schützen einerseits und der Verantwortlichkeit („responsibility“) von Unternehmen, Menschenrechte zu beachten, andererseits286 und weist auf die Bedeutung staatlicher Regulierung hin. Vor dem Hintergrund, dass ein früherer Kodifizierungsversuch, der die rechtliche Verpflichtung von Unternehmen auf Menschenrechte vorsah, bei den Regierungsvertretern keine Zustimmung fand,287 lässt sich dies nur als Absage an die rechtlich verbindliche Geltung von Menschenrechten für Unternehmen verstehen. Auch der in Vorbereitung der Guiding Principles abgefasste erste Bericht von Ruggie kommt nach Untersuchung der relevanten internationalen Menschenrechtsverträge zu dem Schluss, dass eine Menschenrechtsverpflich-

281  Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises, John Ruggie, Annex, 21.  März 2011, A / HRC / 17 / 31. 282  Resolution des Human Rights Council Nr. 17 / 4, „Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises“, A / HRC / RES / 17 / 4. 283  Vgl. Präambel: „Nothing in these Guiding Principles should be read as creating new international law obligations, or as limiting or undermining any legal obligations a State may have undertaken or be subject to under international law with regard to human rights“. 284  „Business enterprises should respect human rights. This means that they should avoid infringing on the human rights of others and should address adverse human rights impacts with which they are involved.“ 285  Resolution des Human Rights Council Nr. 17 / 4, „Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises“, A / HRC / RES / 17 / 4. 6.  Juli 2011, para. 4. 286  Der Menschenrechtsrat fügt der Verpflichtung des Staates noch dessen primäre Verantwortung (primary responsibility) hinzu, was der terminologischen Klarheit nicht zuträglich ist. 287  Vgl. Steiner u. a., Human Rights in Context, S. 1405.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

tung von Unternehmen zwar diskutiert, mehrheitlich aber nicht anerkannt wird.288 Eine Verantwortlichkeit könnte sich weiterhin aus der Verletzung sogenannter Corporate Social Responsibility-Standards ergeben.289 Bei diesen handelt es sich um die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen, bestimmte ökologische, soziale und menschenrechtliche Belange in die Unternehmensführung mit einzubeziehen.290 Das auf UN-Ebene angesiedelte Netzwerk Global Compact, an welchem Unternehmen teilnehmen können, gilt als derart allgemein und unverbindlich, dass die Regeln teilweise nicht einmal dem Soft Law zugeordnet werden.291 Die Umsetzung von Corporate Social Responsibility auf Unternehmensebene erfolgt meist über unverbindliche Richtlinien, sodass deren Drittwirkung in den meisten Fällen zu verneinen ist. Obwohl viele gute Gründe für die Menschenrechtsverpflichtung von Unternehmen sprechen,292 ist diese folglich völkerrechtlich nicht allgemein anerkannt.293 Selbst bei Anerkennung einer solchen Verpflichtung würde sich aber die Frage stellen, welche Handlungen U zugerechnet werden können, da sich U möglicherweise auf seine Unkenntnis berufen oder zumindest geltend machen könnte, nicht U, sondern S habe die menschenrechtswidrige Verwendung der Waffen vorgenommen. Denn auch hier würden die unter a) genannten Einschränkungen der Beihilfehaftung (Kenntnis bzw. Absicht) gelten. War U der Verwendungszweck der Waffen bekannt, oder hatte U von vermehrt auftretenden menschenrechtswidrigen Praktiken in S Kenntnis, so spräche dies mithin noch nicht zwingend für eine Haftung, wenn es U nicht gerade auf die entsprechende Verwendung ankam (subjektives Element). Andere Stimmen stellen auf die Prinzipien der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Beihilfe („aiding and abetting“) ab, welche von internationalen 288  Report of the Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises, 9. Februar 2007, A / HRC / 4 / 035, para. 33 ff., insbes. 44; davon zu unterscheiden ist die Frage, ob sich Unternehmen bzw. die für sie handelnden Individuen bei gravierenden Menschenrechtsverstößen strafbar machen können, dazu ebd., para. 19 ff. 289  Zu den Standards vgl. Paulus / Schneider, Jura 2013(35), 1197, 1199 ff. 290  Das Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen der EU-Kommission definiert CSR als „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“. vgl. Grünbuch, 18.7.2001, KOM / 2001 / 0366 endgültig, para. 20. 291  Emmerich-Fritsche, AVR 2007(45), 541, 550 m. w. Nachw. 292  Vgl. die Argumente bei Emmerich-Fritsche, AVR 2007(45), 541, 558 ff. 293  So auch Mégret, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 571.



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Gerichten als das bewusste Leisten von praktischer Hilfe, Ermutigung oder moralischer Unterstützung definiert wird.294 Anders als im Fall der Staatenverantwortlichkeit genügt hier die Kenntnis davon, dass die Beihilfehandlung den Täter bei der Begehung der Straftat unterstützt, ohne dass es dem Beihilfe Leistenden gerade auf diese Begehung des Verbrechens im Sinne eines dolus directus 1. Grades (Absicht) ankommen muss.295 Inwieweit dies auf die deliktische Haftung von Unternehmen anwendbar ist, ist allerdings fraglich.296 Auch ohne die völkerrechtliche Anerkennung der Menschenrechtsbindung von Unternehmen kann sich eine solche aus dem nationalen Recht ergeben. Staaten haben die Möglichkeit, die Bindung von Menschenrechten über ihr nationales Recht auf Unternehmen zu erstrecken.297 In Situationen, in welchen das nationale Recht Unternehmen ein bestimmtes schädigendes Verhalten verbietet, kommt folglich eine Haftung in Betracht. Im Beispielsfall (Konstellation 2) ist dies jedoch nicht naheliegend, da in S gerade keine nationale Regelung bestehen dürfte, die es Unternehmen verbietet, der Regierung von S Waffen zur Verfügung zu stellen, die diese zu völkerrechtswidrigen Zwecken einsetzt. Höchstens im Herkunftsland L des Unternehmens U könnte Derartiges geregelt sein; je nachdem, ob diese Norm den Opfern des Waffeneinsatzes eigene justiziable Rechte zuerkennt (so grundsätzlich z. B. der US Alien Tort Claims Act),298 könnten diese dann vor den Gerichten von L eine Entschädigung erlangen, womit freilich noch nichts über die Wirksamkeit des Vertrages zwischen S und U gesagt ist (dazu sogleich unten, d)cc)). 294  Hierzu Report of the Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises, 9.  Februar 2007, A / HRC / 4 / 035, para. 30 ff. 295  Vgl. Art. 25 (3) (d) des Rom-Statuts, der sich mit der Entscheidung des ICTY, Prosecutor v. Furundžija, Trial Chamber, Urteil vom 10.  Dezember 1998, IT-9517 / 1-T, para. 232 ff., deckt. 296  Vgl. schon die Argumentation oben, Kapitel 2 D.I.1.b); dass das Abschließen eines Kreditvertrages und sogar die Lieferung von Waffen grundsätzlich rechtmäßige Geschäfte sind, spricht zudem für erhöhte Anforderungen an die Kenntnis. Vgl. die ähnliche Diskussion im deutschen Recht; hier führt der BGH zu § 830 BGB aus, neutrale und berufstypische Handlungen seien als Beihilfe zu werten, wenn das Handeln des Haupttäters ausschließlich auf die Begehung einer strafbaren Handlung abzielt und der Hilfeleistende Kenntnis hiervon hat; falls dieser nicht weiß, wie sein Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, sondern eine strafbare Verwendung lediglich für möglich hält, sei sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, BGH, Urteil vom 12.  Oktober 2010, XI ZR 394 / 08, WM 2010, 2114, Rn. 48. 297  Dies lässt sich sogar als eine Ausprägung der obligation to protect verstehen, s. dazu sogleich. 298  Vgl. dazu oben, Kapitel 1 B.V.

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bb) Verantwortlichkeit von Staaten für die Verletzung von Menschenrechten durch in ihnen ansässige Unternehmen Staaten haben nicht nur die Verantwortlichkeit, selbst keine Menschenrechts­ verletzungen zu begehen („obligation to respect“), sondern auch Verletzungen durch Dritte abzuwenden („obligation to protect“).299 Grundsätzlich müssen sich Staaten zwar nicht das Verhalten Privater zurechnen lassen,300 sie sind aber zur Regulierung des Verhaltens von Privaten wie etwa Unternehmen innerhalb ihrer Hoheitsgewalt (jurisdiction) verpflichtet.301 Häufig fehlt es in Entwicklungsländern jedoch an den institutionellen Strukturen, um die Einhaltung von Menschenrechten ausreichend zu sichern,302 sodass sich die Frage stellt, ob den Entsendestaat transnational agierender Unternehmen eine Pflicht zur Regulierung des extraterritorialen Verhaltens der bei ihm ansässigen Unternehmen trifft. In seinem Bericht kommt Ruggie zu dem Ergebnis, dass Staaten zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet seien, extraterritoriale Jurisdiktion über Fehlverhalten von Unternehmen auszuüben.303 Entsprechendes sieht auch der Kommentar zu den Guiding Principles vor.304 Die Gegenauffassung305 beruft sich etwa auf den internationale Unterstützung und Kooperation vorsehenden Art. 2 (1) des internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR), auf dessen Grundlage das Komitee für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte eine Pflicht von Staaten festgestellt hat, die Verletzung des Rechts auf Gesundheit durch Dritte in anderen Staaten durch rechtliche und politische Instrumente zu verhindern, so299  Vgl. zu den Verpflichtungen respect – protect – fulfill Mégret, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 130 ff. sowie HRC, General Comment 31 („The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant“), 26. Mai 2004, CCPR / C / 21 / Rev.1 / Add.13, para. 8. 300  Zu Ausnahmen vgl. Art. 5, 8, 9 und 11 des ILC-Konventionsentwurfes zur Staatenverantwortlichkeit. 301  Ausführlich Report of the Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises, 9.  Februar 2007, A / HRC / 4 / 035, para.  10 ff. 302  Emmerich-Fritsche, AVR 2007(45), 541, 545. 303  Report of the Special Representative of the Secretary-General (SRSG) on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises, 9.  Februar 2007, A / HRC / 4 / 035, para. 15; davon zu unterscheiden ist die Frage, ob Staaten bei der Ausübung extraterritorialer Hoheitsgewalt Schutzpflichten treffen, was wohl zu bejahen sein dürfte, vgl. Koenen, Schutzpflichten, S. 150 f. 304  Vgl. Report of the Special Representative of the Secretary-General on the Issue of Human Rights and Transnational Corporations and Other Business Enterprises, John Ruggie, Annex, 21.  März 2011, A / HRC / 17 / 31, Principle 2 und Kommentar. 305  So etwa Ssenyonjo, ESC Rights, S. 73.



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weit dies deren staatlichem Einfluss unterliegt.306 Ob sich daraus eine allgemeine Verpflichtung von Staaten herleiten lässt, schädigendes Verhalten ansässiger Unternehmen im Ausland zu regulieren, ist jedoch fraglich.307 Inwiefern eine solche Auswirkung auf die Wirksamkeit des Vertrages zwischen S und U hätte, ist ohnehin problematisch und wird unten, (d)cc)), behandelt. c) Mangelnde Ratifikation internationaler Menschenrechtsverträge durch den Schuldnerstaat Die Situation wird zusätzlich kompliziert, wenn S die relevanten Menschenrechtsverträge nicht ratifiziert hat. Hier könnte argumentiert werden, eine Handlung von S könne für G bzw. U / L nicht rechtswidrig sein, wenn sie für S rechtmäßig ist. Dagegen ist aber zunächst einzuwenden, dass eine Vielzahl von Menschenrechten über das Völkervertragsrecht hinaus gewohnheitsrechtliche Anerkennung erfahren hat, was zumindest auf das Verbot von Folter, Völkermord, Sklaverei und Diskriminierung zutrifft.308 Das Handeln von S wäre also auch ohne Ratifikation der entsprechenden Menschenrechtsübereinkommen rechtswidrig. Selbst unterstellt, dies wäre nicht der Fall, lassen sich Gründe für die Verantwortlichkeit von G bzw. U / L finden. Zwar setzt Art. 16 des ILC-Konventionsentwurfes über die die Staatenverantwortlichkeit für die Haftung des Beihilfe leistenden Staates die Haftung des unterstützten Staates voraus. Allerdings dürfen Staaten ihre eigene Verantwortlichkeit nicht umgehen, indem sie menschenrechtlich ungebundene Staaten zwischenschalten. Parallelen lassen sich aus dem Flüchtlingsrecht heranziehen. Hier gebietet das Prinzip des non-refoulement, dass kein Flüchtling in einen Staat ausgewiesen werden darf, in welchem sein Leben oder seine Freiheit gefährdet wäre.309 In eine ähnliche Richtung geht eine Entscheidung des HRC, dass Staaten, die die Todesstrafe selbst abgeschafft haben, keine Abschiebungen an Staaten durchführen dürfen, in denen 306  Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment 14 („The Right to the Highest Attainable Standard of Health“), 11. August 2000, E / C.12 / 2000 / 4, para. 39. 307  Eine derartige Pflicht auf Grundlage regionaler und internationaler Menschenrechtsabkommen verneint Koenen, Schutzpflichten, S. 92 (EMRK), 117 (AMRK), 125 f. (Banjul-Charta), 128 (Arabische Charta der Menschenrechte), 155 (IPBPR) und 193 (sonstige Menschenrechtsverträge); sogar für den IPWSKR bestehe keine von der Staatenpraxis anerkannte extraterritoriale Verpflichtung, vgl. ebd., S. 164 ff. 308  M. w. Nachw. Czapliński, in: Tomuschat / Thouvenin, Fundamental Rules, S.  95 f. und Shaw, International Law, S. 275. 309  Vgl. den gewohnheitsrechtlich anerkannten Art. 33 (1) des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.

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die Gefahr der Vollstreckung der Todesstrafe tatsächlich besteht,310 obwohl der IPBPR die Abschaffung der Todesstrafe nicht gebietet und der Zielstaat die Todesstrafe daher legal vollstrecken dürfte. Ob sich ein derartiges Prinzip auch für die Staatenverantwortlichkeit aufstellen lässt, ist fraglich, lässt sich aber vertreten. d) Rechtsfolge einer Rechtsverletzung durch den Gläubiger Auch wenn sich argumentativ begründen lässt, dass G, U und / oder L für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, stellt sich die Frage, welche Rechtsfolge daraus abzuleiten ist. Zu beantworten ist hier, ob sich S gegenüber G und U auf Reparationsansprüche wegen deren Beihilfehandlung berufen kann, obwohl es S selbst war, der die menschenrechtswidrige Handlung vorgenommen hat. Die Unwirksamkeit des Kredit- oder Kaufvertrages kommt darüber hinaus in den Fällen des ius-cogens-Verstoßes (s. o. 1.) oder bei Annahme der Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts (s. u. III.3.) in Betracht. aa) Inhaberschaft des Reparationsanspruches und venire contra factum proprium Das Recht der Staatenverantwortlichkeit gestattet es einem Staat, im Zuge des diplomatischen Schutzes gegenüber einem anderen Staat die Verletzung der Rechte eines seiner Staatsbürger geltend zu machen.311 Folglich wäre denkbar, dass sich S darauf beruft, dass G bzw. U Beihilfe zu einer Menschenrechtsverletzung zulasten der Bevölkerung von S geleistet hat. Jedoch erscheint es höchst widersinnig, wenn sich der Staat, der die Verletzungshandlung vorgenommen hat, gegenüber seinen Geldgebern auf die Rechtswidrigkeit der Verwendung berufen kann. Aufgrund der Staatenkontinuität312 muss sich S vielmehr entgegenhalten lassen, selbst für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu sein, sodass es treuwidrig wäre, diese jetzt den anderen Beteiligten vorzuhalten: In einem entsprechendem Verhalten wäre eine Verletzung des Gebots von Treu und Glauben in Form des venire contra factum proprium bzw. des widersprüchlichen Verhaltens zu sehen,313 310  HRC, Roger Judge v. Canada, Communication Nr. 829 / 1998, 13.  August 2003, CCPR / C / 78.D / 829 / 1998, para. 10.4. 311  Crawford, Brownlie’s International Law, S. 610 ff.; Shaw, International Law, S.  808 ff. 312  Vgl. dazu oben, Kapitel 2 C.I. 313  Zum widersprüchlichen Verhalten im deutschen Zivilrecht, dessen Anwendbarkeit sich aus dem Kreditvertrag ergeben kann, vgl. Roth / Schubert in: Säcker / 



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(vgl. allgemein Art. 31 (1) WVK sowie die ausdrückliche Kodifizierung des Verbots widersprüchlichen Verhaltens für den Bereich der Anfechtung in Art. 48 (2) WVK; vgl. ferner Art. 45 WVK, Art. 1.8 Unidroit-Grundregeln und Art. 7 (1) UN-Kaufrecht). Ein Anspruchsausschluss kann sich auch aus dem (hier überwiegenden) Mitverschulden des Schuldnerstaates314 und aus der Einrede ex dolo malo non oritur actio bzw. ex iniuria ius non oritur ergeben,315 welche ihrerseits eine Ausprägung des auch im Völkerrecht grundsätzlich anerkannten clean-hands-Grundsatzes darstellt.316 In Betracht kommt aber, dass anstelle von S die Opfer der Menschenrechtsverletzungen selbst einen Anspruch auf finanzielle Kompensation geltend machen. Während im klassischen Völkerrecht bei der Verletzung von Individuen nur dem Staat ein entsprechender Anspruch zugestanden wurde, ist in der jüngeren Entwicklung eine Tendenz zu beobachten, demnach Staaten auch gegenüber Individuen zu Reparationen verpflichtet sind.317 Mit der zunehmenden Verbreitung von Menschenrechtsverträgen bestehen zudem Mechanismen, die es dem Einzelnen erlauben, seine Rechte geltend zu machen. Nach Ansicht des HRC erschöpft sich das Recht auf effektiven Rechtschutz (vgl. Art. 2 (3) (a) IPBPR) nicht in der Feststellung eines Menschenrechtsverstoßes, sondern umfasst auch das Recht auf finanzielle Entschädigung.318 Nationale und internationale Tribunale haben in Rixecker, MüKo BGB, § 242 Rn. 319 ff. Der Einwand kann auch als ein Aspekt des estoppel-Grundsatzes aufgefasst werden, vgl. zu dessen Reichweite im Völkerrecht kritisch und m. w. Nachw. Crawford, Brownlie’s International Law, S. 420 ff. In eine ähnliche Richtung für den Fall des Staatsnotstandes v. Bogdandy / Goldmann, ZaöRV 2013(73), 61, 94. 314  Zum umstrittenen Verhältnis des Mitverschuldens zum venire contra factum proprium s. Oetker, in: Säcker / Rixecker, MüKo BGB, § 254 Rn. 4 m. w. Nachw.; zur Verbreitung des Mitverschuldens in den europäischen Rechtsordnungen vgl. Kontogianni, in: Schulze / Ajani, Gemeinsame Prinzipien des Europäischen Privatrechts, S.  145 ff. 315  Das Bestehen der Einrede „ex iniuria ius non oritur“ wurde vom IGH ausdrücklich anerkannt, vgl. Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary / Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, ICJ Reports 1997, S. 7 ff., para. 133; vgl. auch unten, Kapitel 3 B.VII.2. 316  Der IGH ist jedoch zurückhaltend in der Anwendung des clean-hands-Prinzips, vgl. dazu und zur völkerrechtlichen Anerkennung der Doktrin allgemein Schwebel, „Clean Hands, Principle“, Wolfrum, MPEPIL. 317  Lambert-Abdelgawad, in: Tomuschat / Thouvenin, Fundamental Rules, S. 185, verweist beispielhaft auf Resolution 1304 des Sicherheitsrats vom 16. Juni 2000, S / Res / 1304(2000), demnach die Regierungen von Ruanda und Tansania verpflichtet sind, Entschädigungen für Verlust von Leben und das Erleiden materieller Schäden in Kisangani zu zahlen, sowie auf die Entwicklung von Entschädigungskommissionen wie der Commission for Real and Property Claims für Bosnien-Herzegowina. 318  HRC, General Comment 31 („The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant“), 26 Mai 2004, CCPR / C / 21 / Rev.1 / Add.13,

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einer Vielzahl von Fällen den Opfern von Menschenrechtsverletzungen finanzielle Entschädigungen zugesprochen.319 Die umfassende Kompensation begegnet Bedenken, wo es sich um Menschenrechtsverletzungen in großem Ausmaß handelt, weil die finanziellen Ressourcen des verantwortlichen Staates begrenzt sind;320 allerdings ist auch in diesen Fällen die Gewährung finanzieller (Teil-)Entschädigung denkbar sowie in der Praxis zu beobachten.321 Die vorliegende Konstellation hat die Besonderheit, dass hier die Begrenztheit der finanziellen Ressourcen von S nicht gegen, sondern gerade für die Reparation durch G und U bzw. L spricht, weil in der Folge S finanziell besser dastünde.322 Den verletzten Individuen in S kann mithin nach dem oben Gesagten auch ein Anspruch gegen G bzw. U / L zustehen. Da Inhaber eines solchen Reparationsanspruches die Verletzten, Vertragspartner odiöser Schulden aber der Schuldnerstaat S ist, ist dies jedoch auf die Frage, ob der Vertrag mit S wirksam ist, grundsätzlich ohne Auswirkung. bb) Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung der Völker als Durchbrechung der dargestellten Prinzipien? Die Problematik, dass Vertragspartner und Geschädigter auseinanderfallen, ließe sich lösen, wenn man als Träger der Menschenrechte nicht Individuen, sondern die Bevölkerung von S ansieht und damit gleichzeitig S nach dem Regimewechsel nicht nur als Schuldner gegenüber G, sondern auch als Inhaber eines menschenrechtlichen Wiedergutmachungsanspruches gegenüber G bzw. U / L behandelt. Zwar sind Gläubiger menschenrechtlicher Ansprüche grundsätzlich Individuen; bei der Verletzung kollektiver Menschenrechte sind aber bestimmte Gruppen geschützt und damit Anspruchsinhaber.323 Wurde vor dem Regimewechsel durch systematische Menschenrechtsverletzung wie Inhaftierung Oppositioneller, außergerichtliche Hinpara. 16  ; HRC, Vicente et  al. v. Colombia, Communication Nr. 612 / 1995 (14.  Juni 1994), CCPR / C / 60 / D / 612 / 1995, para. 10; weitere Beispiele bei Klein, in: Randelz­ hofer / Tomuschat, State Responsibility, S. 30 ff. 319  Ausführlich Shelton, Remedies, S. 214 ff. 320  Vgl. Tomuschat, International Law, S. 296; Cassese, International Law, S. 273 hält Kompensationszahlungen an die Opfer bzw. ihre Hinterbliebenen grundsätzlich für möglich; umfangreich zur Problematik der Reparationen für gravierende Menschenrechtsverletzungen Randelzhofer / Tomuschat, State Responsibility. 321  Shelton, Remedies, S. 320 ff. 322  Zur finanziellen Begrenzung des Kompensationsanspruches auf die Höhe der Verpflichtung von S gegenüber G s. u. bb). 323  Zur Figur der kollektiven bzw. Gruppenrechte s. McCorquodale, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 365 ff.



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richtungen und mangelnde Mitbestimmung das Recht auf Selbstbestimmung der Bevölkerung von S verletzt, und stellt in dem neuen Staat S nach dem Regimewechsel die Bevölkerung die Regierung, so könnte argumentiert werden, dass die von kollektiven Menschenrechten geschützte Gruppe (Bevölkerung von S) mit dem neuen Staat S soweit identisch ist, dass der Staat S nun die Rechte der Bevölkerung geltend machen kann. In dieser Konstellation könnte also der Staat S die Entschädigungsansprüche seiner Bevölkerung den Ansprüchen von G bzw. U entgegenhalten. Voraussetzung ist, dass die Bevölkerung eines Staates sich gegenüber ihrer diktatorischen Regierung überhaupt auf das Recht auf Selbstbestimmung berufen kann. Das Recht auf Selbstbestimmung steht Völkern („peoples“) zu; während hier im Einzelnen umstritten ist, welche Anforderungen an ein Kollektiv zu stellen sind, damit dieses als Volk qualifiziert werden kann,324 besteht Einigkeit darüber, dass dieses Recht zumindest der Bevölkerung von Nationalstaaten zusteht.325 Umstritten ist aber, was Inhalt dieses Rechts ist, nämlich insbesondere, ob das Recht auf Selbstbestimmung zur freien Wahl des Regierungssystems durch die Bevölkerung eines Staates berechtigt. Die Entstehung des Rechts auf Selbstbestimmung hängt eng mit dem Prozess der Dekolonialisierung zusammen; Selbstbestimmung bedeutete in diesem Kontext zunächst Freiheit von Fremdherrschaft.326 Als Rechtsträger kommen aber auch innerhalb eines Staates lebende Minderheiten in Betracht, soweit sie die Kriterien eines Volkes erfüllen. Dies wirft die Frage auf, welche Rechte Völkern innerhalb eines Staates zukommen (z. T. als interne Dimension des Rechts auf Selbstbestimmung bezeichnet). Während die gewohnheitsrechtliche Dimension des Rechts auf Selbstbestimmung allgemein als auf die externe Dimension beschränkt angesehen wird,327 erkennen die Menschenrechtsverträge in ihrer praktischen Anwendung auch dessen innere Dimension an. Der gemeinsame Art. 1 (1) von IPBPR und IPWSKR lautet: „All peoples have the right of self-determination. By virtue of that right they freely determine their political status and freely pursue their economic, social and cultural development“, die Formulierung in der Friendly Relations Declaration ist ähnlich.328 Dabei ist umstritten, ob unter 324  Zu

369 ff.

dieser Problematik s. McCorquodale, in: Moeckli u. a., Human Rights,

325  Tomuschat, International Law, S. 247; zur Überschneidung der Begriffe people und nation s. Summers, Peoples and International Law, S. 1 f. m. w. Nachw. 326  Zur Entwicklung des Rechts auf Selbstbestimmung s. Tomuschat, International Law, S.  239 ff. 327  Tomuschat, International Law, S. 261; in diese Richtung auch Cassese, International Law, S. 62. 328  Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation Among States in Accordance with the Charter of the United Na-

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Selbstbestimmung nur die Freiheit von äußerer Einflussnahme oder auch ein Anspruch auf demokratische Mitwirkung zu verstehen ist. Das HRC hat sich zu der Frage bisher nur im Rahmen von General Comments329 geäußert, da Beschwerdeführer im Individualbeschwerdeverfahren nur Individuen sein können, sodass das Recht im Rahmen des IPBPR im Übrigen nicht justiziabel ist.330 Im General Comment zu Art. 1 IPBPR nimmt der Ausschuss zwar nicht explizit zu der Frage des demokratischen Elements Stellung, betont aber die Bedeutung des Rechts zur Verwirklichung der anderen im IPBPR garantierten individuellen Menschenrechte,331 zu denen auch das Recht auf Partizipation an öffentlichen Angelegenheiten (Art. 25 IPBPR) gehört. Weiterhin verlangt er in Bezug auf die Berichtsverpflichtung der Signatarstaaten: „States parties should describe the constitutional and political processes which in practice allow the exercise of this right“,332 was eine interne, verfassungsrechtliche Definition des Rechts auf Selbstbestimmung nahelegt. In Bezug auf Art. 25 hat das HRC klargestellt, dass dieses anders als Art. 1 (1) IPBPR ein individuelles Menschenrecht ist, das dem Einzelnen, nicht der Bevölkerung eines Staates zusteht, und gleichzeitig ausgeführt: „By virtue of the rights covered by article 1 (1), peoples have the right to freely determine their political status and to enjoy the right to choose the form of their constitution or government.“333 Damit hat das HRC die interne Dimension des Rechts auf Selbstbestimmung anerkannt.334 Somit lässt sich argumentieren, dass die diktatorische Staatsführung eine Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung des Staatsvolkes durch den diktatorischen Staat darstellt. Soweit in dem Regime zudem gefoltert und tions, Resolution der UN-Generalversammlung vom 24. Oktober 1970, 2625(XXV): „By virtue of the principle of equal rights and self-determination of peoples enshrined in the Charter of the United Nations, all peoples have the right freely to determine, without external interference, their political status and to pursue their economic, social and cultural development, and every State has the duty to respect this right in accordance with the provisions of the Charter.“ 329  Zur Entwicklungsgeschichte und umstrittenen Bindungswirkung der General Comments s. die Nachweise in Fn. 270. 330  Vgl. z. B. HRC, Lubicon Lake Band v. Canada, Communication Nr. 167 / 1984, 10.  Mai 1990, CCPR / C / 38 / D / 167 / 1984, para. 13.3. 331  HRC, General Comment 12 („The Right to Self-Determination of Peoples (Art. 1)“) 13. März 1984, para. 1. 332  HRC, General Comment 12 („The Right to Self-Determination of Peoples (Art. 1)“) 13. März 1984, para. 4. 333  HRC, General Comment 25 („The Right to Participate in Public Affairs, Voting Rights and the Right of Equal Access to Public Service (Art. 25)“) 12.07.1996, CCPR / C / 21 / Rev.1 / Add.7, para. 2; vgl. auch Committee on the Elimination of Racial Discrimination, General Recommendation 21, 1996, A / 51 / 18. 334  Mit diesem Ergebnis auch Cassese, International Law, S. 62.



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?145

außergerichtlich hingerichtet wird, handelt es sich hierbei zwar nicht unmittelbar um eine Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung; allerdings hängen individuelle Menschenrechte und das Recht auf Selbstbestimmung so eng zusammen,335 dass gerade die Misshandlung von Bevölkerungsteilen mit dem Zweck, diese von der Mitbestimmung auszuschließen oder ihre in Art. 19, 21 und 22 garantierten Rechte zu unterbinden, als Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung gewertet werden muss. Für Konstellation 1 ergibt sich daraus, dass S das Recht auf Selbstbestimmung seiner Bevölkerung verletzt hat, wozu ihm G Beihilfe geleistet hat; durch die Unterstützung von S hat G zudem selbst das Recht auf Selbstbestimmung der Bevölkerung von S verletzt.336 Da die nun an der Staatsführung beteiligte Bevölkerung von S Träger des Rechts auf Selbstbestimmung ist, lässt sich argumentieren, dass sie diese Verletzung dem Zahlungsanspruch von G entgegenhalten und damit die Erfüllung des Vertrages verweigern kann; denkbar wäre auch, dass S als Reparation die Aufhebung des Vertrages verlangt. Problematisch ist allerdings weiterhin der Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens. Diesem ließe sich entgegnen, dass die Verantwortlichkeit von G zur mangelnden Durchsetzbarkeit von dessen Zahlungsanspruch führt, ohne dass sich S venire contra factum proprium entgegenhalten lassen muss, da die nun regierende Bevölkerung für die durch S vorgenommenen Menschenrechtsverletzungen keine Verantwortung trägt. Einschränkend kann die Reichweite des Gegenanspruchs von S auf die Höhe des Anspruchs von G begrenzt werden, sodass S nur die Zahlung an G verweigern, aber keine weiteren Reparationsansprüche geltend machen kann, was der Rolle, die S vor dem Regimewechsel spielte, gerechter wird. Zu den bisherigen Ausführungen ist festzustellen, dass es sich um eine äußerst progressive Interpretation des Rechts auf Selbstbestimmung handelt, für welche es bisher an Präzedenzfällen fehlt. Dass ein nationales oder internationales Gericht eine derartige Herleitung der Odious-Debts-Doktrin anerkennen würde, scheint daher zweifelhaft. Die gesamte Argumentation kann zudem überhaupt nur dann gelten, wenn die gesamte Bevölkerung von S an der Staatsführung beteiligt ist, da nur dann eine Deckungsgleichheit zwischen Bevölkerung und Staat besteht. Wird nach dem Regimewechsel nur eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung repräsentiert, kann die beschriebene Rechtsfolge schwerlich geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt, wenn vor dem Regimewechsel nur ein Teil der Bevölkerung unterdrückt war, weil dann auch nur dessen Recht auf Selbstbestimmung verletzt war. 335  Vgl. 336  Vgl.

die in Fn. 331 und Fn. 333 genannten General Comments des HRC. Cassese, International Law, S. 62.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

cc) Besonderheiten bei Beteiligung privater Unternehmen Wie dargestellt, kann sich eine unmittelbare Menschenrechtsbindung von Unternehmen nur aus dem nationalen Recht ergeben. Bestand für U selbst eine justiziable Pflicht, die es mit Lieferung der Waffen an S verletzt hat, so könnten die Opfer der mit den Waffen begangenen Menschenrechtsverletzungen vor den Gerichten von L Kompensation erlangen. Will die Regierung von S dem Anspruch von U dessen eigene Verantwortlichkeit entgegenhalten, stellt sich mithin wiederum das Problem der auseinanderfallenden Anspruchsinhaber, welches sich mit der oben (bb)) ausgeführten Argumentation lösen ließe. Fehlt es an einer Regulierung des extraterritorialen Verhaltens von Unternehmen durch L, und nimmt man die Verletzung einer entsprechenden Regelungspflicht durch L an, stellt sich das Problem, dass in der vorliegenden Konstellation Anspruchsgegner der Staat L, nicht aber das Unternehmen U ist. Im Verhältnis zu U kann sich S also nicht darauf berufen, dass L seine Pflicht verletzt hat, das Handeln von U zu regulieren. e) Zwischenergebnis Die Zahlungsverweigerung des Schuldnerstaates nach einem Regimewechsel wegen Unterstützung durch den Gläubiger von Menschrechtsverletzungen des Vorgängerregimes stößt auf eine Vielzahl rechtlicher Probleme, die sich nur mit einer äußerst progressiven Auslegung des Völkerrechts argumentativ lösen lassen. So kann in bestimmten Konstellationen angeführt werden, dass in der Kreditvergabe zugleich eine Beihilfe zur Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung der Bevölkerung des Schuldnerstaates gesehen werden kann, die der Schuldnerstaat dem Rückzahlungsanspruch entgegenhalten kann. Voraussetzung ist, dass das Recht auf Selbstbestimmung der Völker derart gewichtet wird, dass es die Trennung zwischen der Bevölkerung als Anspruchsinhaber eines aus Menschenrechtsverletzungen resultierenden Anspruchs einerseits und dem Schuldnerstaat andererseits durchbricht und gleichzeitig der Regimewechsel vom diktatorischen hin zu einem die Bevölkerung angemessen beteiligenden Staat als hinreichend angesehen wird, den Einwand des widersprüchlichen Verhaltens zu entkräften. Bisher fehlt es freilich an Präzedenzfällen, sodass sich ein dergestalt argumentierender Schuldnerstaat erneut Reputationsverlusten ausgesetzt sähe. Hinzu treten die schon unter 1.b) festgestellten Einschränkungen der Beihilfe, die eine Haftung bei zweckneutral geschlossenen Geschäften leerlaufen lassen. Ist der Gläubiger eine Bank oder ein sonstiges privates Unternehmen, so spricht gegen Unwirksamkeit des Vertrages zudem die mangelnde Bindungswirkung von Menschenrechten für Private.



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3. Verletzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte durch die Eingehung oder Rückforderung von Schulden Gemäß Art. 2 (1) IPWSKR sind Staaten verpflichtet, unter Ausschöpfung aller ihrer verfügbaren Ressourcen Maßnahmen zu ergreifen, um schrittweise mit allen geeigneten Mitteln die volle Verwirklichung der im IPWSKR niedergelegten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu erreichen.337 Die Pflicht zur schrittweisen Verwirklichung der Rechte bedeutet aber nicht, dass diese nur abstrakte Zielbestimmungen sind. Vielmehr beinhaltet der IPWSKR nach Ansicht des Ausschusses für wirtschaftliche, so­ ziale und kulturelle Rechte (Committee on Economic, Social and Cultural Rights, CESCR) grundlegende Mindestverpflichtungen („core minimum obligations“) wie z. B. die Bereitstellung von Grundnahrungsmitteln, elementarem Wohnraum, medizinischer Grundversorgung oder elementarer Grundlagen eines Bildungssystems, deren Erfüllung bei der Ressourcenverteilung Priorität einzuräumen ist.338 Die 160 Vertragsparteien des IPWSKR sind zudem verpflichtet, die Rechte des Paktes auch durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art („individually and through international assistance and co-operation, especially economic and technical“, Art. 2 (1) IPSWKR), zu verfolgen. Dies wird zunehmend als Pflicht zur Leistung von Entwicklungshilfe aufgefasst, zumindest soweit der wirtschaftlich schwache Staat seine Mindestverpflichtungen alleine nicht erfüllen kann; allerdings ist diese Frage hoch umstritten.339 Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, dass die Einforderung von moralisch zweifelhaften Ansprüchen gegenüber einem wirtschaftlich schwachen Staat dessen Ressourcen zur Erfüllung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Mindeststandards vermindert, sodass der Schuldnerstaat die 337  Zur Problematik der Pflicht zur Ausschöpfung aller verfügbaren Ressourcen und möglichen Indikatoren vgl. Ssenyonjo, in: Baderin / Ssenyonjo, Human Rights, S.  62 ff. 338  „…  [A State party] must demonstrate that every effort has been made to use all resources that are at its disposition in an effort to satisfy, as a matter of priority, those minimum obligations“, CESCR, General Comment 3 („The Nature of States Parties Obligations (Art. 2, par. 1)“), 14. Dezember 1990, para. 10; s. a. Ssenyonjo, ESC Rights, S. 52 ff. 339  So führt das CESCR in General Comment 3 („The Nature of States Parties Obligations (Art. 2, par. 1)“), 14.  Dezember 1990, para. 14, aus: „…  [I]nternational cooperation for development and thus for the realization of economic, social and cultural rights is an obligation of all States. It is particularly incumbent upon those States which are in a position to assist others in this regard“; s. zu diesem Punkt m. w. Nachw. Ssenyonjo, in: Baderin / Ssenyonjo, Human Rights, S. 67 ff.; s. a. Khalfan, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 77 ff.

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Bedienung der Schulden verweigern könne,340 weil der Gläubigerstaat sonst seinerseits den IPWSKR verletzen würde. Im Extremfall müsse der Gläubiger dem Schuldner sogar finanzielle Unterstützung zukommen lassen, anstatt auf der Rückzahlung von Schulden zu bestehen.341 Problematisch an dieser Argumentation ist zum einen, dass nach dem oben (2.b)aa)) Gesagten die Anwendbarkeit des IPWKSR auf Unternehmen ungeklärt ist, was den Anwendungsbereich dieses Lösungsversuches möglicherweise begrenzt; Gleiches gilt für das Argument eines zur Zahlungsverweigerung berechtigenden Staatsnotstandes.342 Insbesondere ist die extraterritoriale Verpflichtung durch den IPWSKR – denn vorliegend wird ja von den Gläubigerstaaten gefordert, die Rechte der Bevölkerung im Schuldnerstaat zu wahren – umstritten,343 wobei insbesondere Art. 2 (1) sowie der Verzicht auf eine jurisdiction-Klausel für eine internationale Dimension der Rechte sprechen.344 Weniger kontrovers als die extraterritoriale Geltung der einzelnen Rechte ist daher die Pflicht zur Berücksichtigung der Rechte in zwischenstaatlichen Beziehungen, worunter sich auch die Rückforderung von Schulden durch einen Gläubigerstaat fassen lässt. Eine Vielzahl von General Comments des CESCR sprechen sich für die internationale Dimension wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte aus,345 jedoch ist auch hier im Einzelnen unklar, welche konkreten Pflichten aus der Verpflichtung zur internationalen Hilfe und Kooperation folgen. Insbesondere ist fraglich, 340  In diese Richtung Khalfan, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 77 ff.; dieses Argument auf wirtschaftlichen Notstand stützend Michalowski, HRLR 2008(8), 35, 58 ff.; zum Staatsnotstand auch Kleinlein, AVR 2006(44), 405, 410 ff. und v. Bogdandy / Goldmann, ZaöRV 2013(73), 61, 94 f. und 98 ff. 341  In diese Richtung das Modell der Ecological Debts, vgl. Peralta, in: Peralta, Ecological Debt, S. 1: „[E]cological debt refers to the responsibility held by Northern industrialised countries, including their collaborators in the South, for the continuing degradation of the earth as a result of their resource-intensive production and consumption patterns and the imposition of neoliberal ‚one size fits it all‘ development models. Ecological debt is argued to be much larger than financial debt; and an important starting point for recognizing and discharging ecological debt is the unconditional cancellation of Third World financial debt which was largely incurred under illegitimate or odious circumstances and has in any case been paid many times over.“ 342  Vgl. Kleinlein, AVR 2006(44), 405, 413 f. m. w. Nachw.; zur Berufung Argentiniens auf den Staatsnotstand s. Binder, Vertragstreue, S. 628 ff., insbes. S. 646 ff. 343  Vgl. m. w. Nachw. Coomans, H.R.L.Rev. 2011(11), 1 ff., insbes. 7; Koenen, Schutzpflichten, S.  164 ff.; Ssenyonjo, ESC Rights, S. 71 ff. 344  Das Fehlen der jurisdiction-clause kann aber auch darauf beruhen, dass es sich bei den im IPWSKR enthaltenen Rechten grundsätzlich um territoriale Rechte handelt, vgl. Koenen, Schutzpflichten, S.  164  ff. und Ssenyonjo, ESC Rights, S.  52 ff. 345  Weitere Nachweise bei Ssenyonjo, ESC Rights, S. 74 ff.



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ob die Überschuldung eines Staates und die daraus folgende potentielle Verletzung des IPWSKR ohne Weiteres zur Zahlungsverweigerung führen kann;346 sogar das CESCR benutzt hier hinsichtlich einer etwaigen Pflicht zum Schuldenerlass eine zurückhaltende Sprache.347 Ebenfalls problematisch ist erneut, dass nicht nur der Kreditgeber, sondern maßgeblich auch der Schuldnerstaat für die Verwendung der Gelder verantwortlich ist, was den Einwand des venire contra factum proprium bei der Verweigerung der Rückzahlung nahelegt. Schließlich ist fraglich, ob das Sich-Berufen auf den IPSWSK gegenüber individuellen Zahlungsansprüchen erfolgsversprechend wäre, weil erst die Summe der Ansprüche zur wirtschaftlichen Zwangslage im Schuldnerstaat führt.348 Während sich einige der hier genannten Probleme argumentativ vertretbar lösen ließen,349 begegnet der dargestellte Ansatz in Bezug auf Odious Debts aber auch grundlegenden systematischen Bedenken. Denn Voraussetzung wäre, dass der Schuldnerstaat bei Bestehen der Schuld seine Mindestverpflichtungen nicht erfüllen kann; handelt es sich nicht um einen überschuldeten Staat, wären Schulden jedoch wirksam, gleich, ob ihre Eingehung den Bevölkerungsinteressen entsprach oder nicht. Das Abstellen auf den Schuldenstand eines Staates alleine ist jedoch nicht überzeugend. Der Nachfolgeregierung einer zahlungskräftigen Diktatur wäre die Geltendmachung der Odious-Debts-Doktrin damit verwehrt, während umgekehrt Fälle denkbar sind, in welchen ein überschuldeter Staat auch solche Schulden verweigern könnte, die im Sinne des Bevölkerungsinteresses verwendet wurden. Beispielhaft genannt sei hier ein durch eine überschuldete Demokratie aufgenommener Kredit zur Finanzierung von Gefängnissen, in welchen Straftäter inhaftiert werden sollen; dass die Rückforderung des Geldes wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage des Schuldnerstaates ausgeschlossen werden soll, kann nicht Zweck einer Odious-DebtsDoktrin sein. Und selbst wenn sich ein Staat erfolgreich gegen einen 346  Michalowski, HRLR 2008(8), 35, 50 kommt zu dem Ergebnis, dass das Völkerrecht wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Rechten gegenüber vertraglichen Zahlungsansprüchen im Konfliktfall keinen Vorrang einräumt. 347  CESCR, General Comment 2 („International Technical Assistance Measures (Art. 22)“), 2.  Februar 1990, para. 9: „…  [I]nternational measures to deal with the debt crisis should take full account of the need to protect economic, social and cultural rights through, inter alia, international cooperation. In many situations, this might point to the need for major debt relief initiatives“. 348  Ähnlich wurde bei den Verfahren gegen Argentinien vor deutschen Gerichten argumentiert, vgl. m. w. Nachw. Michalowski, HRLR 2008(8), 35, 61. 349  Vgl. die entsprechende auf dem Recht auf Selbstbestimmung der Völker beruhende Argumentation oben, Kapitel 2 D.I.2.d)bb) sowie weitere Argumente bei Michalowski, HRLR 2008(8), 35, 58 ff. sowie, im Ergebnis zurückhaltend, Khalfan, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 76 ff.

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­diösen Vertrag auf die Priorität wirtschaftlicher, sozialer und kultureller o Rechte beriefe, so könnte die Zahlungspflicht wie beim Wegfall eines Staatsnotstandes wieder aufleben, sobald sich die wirtschaftliche Lage verbessert hat.350 Vor dem Hintergrund, dass es an Präzedenzfällen fehlt, sodass die Geltendmachung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte zur Verweigerung odiöser Schulden erneut mit Reputationsverlusten einherginge, sowie aufgrund der systematischen Schwächen eines solchen Ansatzes ist festzustellen, dass sich die Figur der Odious Debts nicht auf die Verletzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte stützen lässt. 4. Zwischenergebnis Internationale Menschenrechte bieten verschiedene Ansatzpunkte, die die rechtliche Geltung odiöser Schulden in Frage stellen. So sind Verträge, die gegen zwingendes Völkerrecht verstoßen, unwirksam. Diese Regel stellt jedoch keine umfassende Lösung der Odious-Debts-Problematik dar. Denn während gute Argumente dafür sprechen, sie auch auf das Verhältnis zu Privaten anzuwenden, sind nur solche Verträge betroffen, die spezifisch auf die Verletzung einer ius-cogens-Norm abzielen. Bei der unspezifischen Bereitstellung von Geld- oder Sachmitteln an ein völkerrechtswidrig handelndes Regime sowie bei fahrlässiger Unkenntnis von deren Verwendung ist die Unwirksamkeit des Vertrages hingegen äußerst zweifelhaft. Darüber hinaus ist nur die Verletzung bestimmter menschenrechtlicher Mindeststandards erfasst. Auch im Übrigen begegnet die Herleitung der Unwirksamkeit von Verträgen wegen Verstoßes gegen internationale Menschenrechte vielgestaltigen Problemen. Diese lassen sich zwar mit einer äußerst progressiven Interpretation des Völkerrechts lösen; allerdings scheint mangels Präzedenzfällen die Anerkennung einer solchen Argumentation durch eine Staatenmehrheit wenig wahrscheinlich, sodass das Sich-Berufen auf eine entsprechende Regel für den Schuldnerstaat mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden wäre. Aus denselben Gründen wie auch aufgrund systematischer Erwägungen führt der Rückgriff auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht zur Unwirksamkeit odiöser Verträge.

350  Michalowski, HRLR 2008(8), 35, 65; für den Staatsnotstand s. v. Bogdandy /  Goldmann, ZaöRV 2013(73), 61, 94 f.



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II. Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin im Völkergewohnheitsrecht Da sich die Odious-Debts-Doktrin aus dem Völkervertragsrecht sowie auch aus den gewohnheitsrechtlich anerkannten Menschenrechten nur äußerst unvollständig herleiten lässt, soll im Folgenden ihre Anerkennung im Völkergewohnheitsrecht untersucht werden. Dabei soll im Wesentlichen der Umgang der Staatenwelt mit potentiell als odiös zu klassifizierenden Schulden untersucht werden (vgl. 2.). Die Geltung der Doktrin wurde schon bei der Entstehung des Vertragsentwurfes für die Wiener Konvention über das Recht der Staatennachfolge in Staatsvermögen, -archive und ‑schulden diskutiert, sodass sich aus dem Umgang der beteiligten Staaten mit der Thematik erste Schlüsse ziehen lassen (1.). 1. Anerkennung im Rahmen der Wiener Konvention über das Recht der Staatennachfolge in Staatsvermögen, ‑archive und ‑schulden Wie bereits oben (A.I.) ausgeführt, betrifft die Wiener Konvention über das Recht der Staatennachfolge in Staatsvermögen, -archive und ‑schulden nur einen Teilbereich der Problematik und ist zudem nie in Kraft getreten. Die Entwicklungsgeschichte der Konvention gibt jedoch Aufschluss darüber, inwieweit die Figur der Odious Debts Anerkennung in der Staatengemeinschaft erfahren hat, nicht zuletzt, weil der Arbeit der International Law Commission (ILC) große Bedeutung als Mittel zur Rechtserkennung i. S. d. Art. 38 (1) (d) IGH-Statut zukommt.351 Der Sonderberichterstatter der ILC und spätere Präsident des IGH Mohammed Bedjaoui kam 1977 in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass es anscheinend („apparently“) ein allgemeines Prinzip gebe, demnach Odious Debts vom Nachfolgestaat zurückgewiesen würden.352 Darauf aufbauend schlug er die Aufnahme von Artikeln über die Nichtübertragbarkeit von Odious Debts vor (s. genauer unten, Kapitel 3 A.I.2.). Allerdings wurde dieser Vorschlag nicht in die Konvention aufgenommen. Hieraus und aus der weiteren Entstehungsgeschichte der Konvention wird in der Literatur teilweise abgeleitet, die ILC habe die gewohnheitsrechtliche Anerkennung 351  Schweisfurth,

Völkerrecht, 2. Kapitel, Rn. 150. Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., para. 172. Für den Bereich der subjugation debts leitet er dies allerdings aus nur vier Präzedenzfällen zwischen 1898 und 1949 ab, vgl. ebd., para. 157 ff.; ob diese Folgerung zutreffend ist, wird genauer unten, Kapitel 2 D.II.2., dargestellt. 352  Bedjaoui,

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der Odious-Debts-Doktrin zurückgewiesen,353 während andere anführen, gerade wegen der gewohnheitsrechtlichen Geltung der Doktrin habe es der Aufnahme in die Konvention nicht bedurft.354 Keine dieser Positionen stimmt jedoch mit der Begründung der ILC überein. Aus Sicht der ILC berühre die Frage der Odious Debts wichtige Probleme; diese seien jedoch im Rahmen der Regeln, die für die jeweilige Form der Staatensukzession formuliert wurden, zu lösen, sodass es einer generellen Regelung nicht bedürfe: „The Commission … recognized the importance of the issues raised in connection with the question of ‚odious‘ debts, but was of the opinion … that the rules formulated for each type of succession of States might well settle the issues raised by the question and might dispose of the need to draft general provisions on it“.355 Solche Regeln enthalten beispielsweise Art. 37 (2), Art. 40 (1) und Art. 41, die von einem Übergang „in equitable proportion“ sprechen. Die Nichtaufnahme der Artikel zu Odious Debts ist also keineswegs als Zurückweisung der Doktrin zu verstehen. Allerdings enthalten die Erläuterungen zum Begriff „equitable proportion“ keine Hinweise auf odiöse Schulden, sondern zielen vorwiegend darauf ab, dass kein Ungleichgewicht zwischen dem Übergang von Vermögenswerten und Schulden besteht.356 Bei einer Sezession etwa soll vermieden werden, dass der ursprüngliche Staat einen Teil seines Territoriums mit darauf befindlichen Vermögenswerten verliert, aber alle Schulden behält.357 Ob die Begründung der ILC eine Anerkennung der Doktrin beinhaltet, ist vor diesem Hintergrund und angesichts der zurückhaltenden Formulierung der Kommission („might well settle“) daher ebenfalls fraglich. Dass die Problematik nach Ansicht der ILC nach den für die jeweiligen Sukzessionstatbestände geltenden Regeln gelöst werden „könnte“, diese Regeln aber nicht auf das Schicksal von Odious Debts eingehen, zeigt, dass sich die ILC nicht 353  So etwa von Cheng, LCP 2007(70), 7, 18 f. und Mancina, Geo. Wash. Intl. L. Rev. 2004(36), 1239, 1250, die auf eine frühere Position Kings verweist; zu dessen revidierter Ansicht s. u. S. 154. 354  So etwa King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 637 und 639; anders noch ders., in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 33; für eine Anerkennung auch Silagi, Staatsuntergang, S. 418 ff. 355  Report of the International Law Commission on the Work of its Thirty-third Session (4 May–24 July 1981), A / 36 / 10, YILC 1981 Vol. II(2) S. 78 f. para. 41 ff., insbes. 43. 356  Report of the International Law Commission on the Work of its Thirty-third Session (4 May–24 July 1981), A / 36 / 10, YILC 1981 Vol. II(2) S. 19 f. para. 76–85; im Unterschied dazu geht die Odious-Debts.Doktrin gerade von der Unwirksamkeit der Schulden aus, vgl. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 36. 357  Report of the International Law Commission on the Work of its Thirty-third Session (4 May–24 July 1981), A / 36 / 10, YILC 1981 Vol. II(2) S. 90 para. 37. 148



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ausdrücklich zur Frage der Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin äußern wollte und die Frage daher offen ließ.358 Dass die Problematik nicht ausdrücklich behandelt werden sollte, deckt sich auch mit dem Abstimmungsverhalten der Staatenvertreter auf der Konferenz, die schließlich zur Annahme des Konventionstextes führte. Die Frage der Odious Debts wurde dort nämlich in Bezug auf Art. 33 der Konvention diskutiert. Dieser definiert Staatsschulden als „any financial obligation of a predecessor State arising in conformity with international law towards another State, an international organization or any other subject of international law“. Der Satzteil „arising in conformity with international law“ wurde erst auf der Konferenz eingefügt und geht auf einen Vorschlag des syrischen Repräsentanten zurück. Dieser sah ursprünglich den Wortlaut „arising in good faith or in conformity with international law“ vor. Zur Begründung führte der syrische Vertreter aus, „arising in good faith“ schließe die Wirksamkeit von Odious Debts aus, während der Satzteil „in conformity with international law“ eine logische Erweiterung des Begriffes good faith darstelle.359 Da der Verweis auf good faith mehrheitlich als einerseits zu vage, andererseits als ohnehin in allen Abkommen impliziert empfunden wurde,360 beugte sich der syrische Vertreter der Mehrheit und reduzierte den Vorschlag auf den zweiten Satzteil („in conformity with international law“),361 ohne allerdings zur präzisieren, ob seiner Ansicht nach Odious Debts davon noch erfasst seien. Interessant ist, wie die Staaten mit dieser Erklärung umgingen: Nur ein Staat hatte den Begriff „good faith“ ausdrücklich wegen der Einbeziehung von Odious Debts abgelehnt; andererseits stimmten nur drei Staaten ausdrücklich deswegen dem geänderten syrischen Vorschlag zu, weil der Begriff „in conformity with international law“ ihrer Ansicht nach Odious Debts noch erfasse;362 ein weite358  Dies deckt sich mit der Auffassung der Vertreter der BRD, Frankreichs und Portugal bei der Abschlusskonferenz, s. United Nations Conference on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts, Wien, 1. März–8. April 1983, Official Records, Vol. I, S. 196 para. 33 (BRD), S. 203 para. 34 (Frankreich) und S. 205 para. 64 (Portugal). 359  United Nations Conference on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts, Wien, 1. März–8. April 1983, Official Records, Vol. I, S. 192 f. para. 82. 360  United Nations Conference on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts, Wien, 1. März–8. April 1983, Official Records, Vol. I, S.  193 ff. 361  United Nations Conference on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts, Wien, 1. März–8. April 1983, Official Records, Vol. I, S. 206, para. 75. 362  Ersterer war der Standpunkt Portugals, letzterer der der Republik von Korea, Algeriens und des Irans. Der Standpunkt der DDR geht in Richtung Anerkennung

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

rer Vertreter enthielt sich aus diesem Grund.363 Die übrigen der 63 stimmberechtigten Staaten äußerten sich nicht dazu, wie ihrer Ansicht nach das Verhältnis der Odious-Debt-Doktrin zum geänderten Artikel war. Insgesamt ist also unklar, was überhaupt unter den Begriff „in conformity with international law“ gefasst werden sollte. Dass der geänderte syrische Vorschlag schließlich mit 43 Ja-Stimmen und 20 Enthaltungen angenommen wurde, sich aber nur eine geringe Zahl an Staaten mit dem Problem der Odious Debts ausdrücklich auseinandersetzte, legt den Schluss nahe, dass diese Rechtsfigur zwar nicht abgelehnt, aber von der Konvention ausgeklammert werden sollte. Überraschenderweise kommt King trotz ausführlicher Analyse der hier genannten Dokumente zu dem entgegengesetzten Schluss, nämlich „that the draft recommended by the ILC was amended in a way regarded at the time as confirming that odious debts would not be enforceable under the convention“.364 Dem ist aus den genannten Gründen zu widersprechen. Hinzu kommt, dass zu keinem Zeitpunkt von der Konferenz eine mögliche Definition von Odious Debts diskutiert wurde. Wollte man die Akzeptanz von Odious Debts unterstellen, so wäre zumindest zu fragen, welche Fälle damit gemeint waren. Schließlich deckt sich die Formulierung „arising in conform­ ity with international law“ auch nicht mit dem damals vorherrschenden Modell von Odious Debts. Denn in Bezug auf diese wurde immer nur im Kontext der Staatennachfolge ein Verweigerungsrecht gesehen, während die wirksame Entstehung der Forderung gegenüber dem ursprünglichen Schuldner(staat) nicht bezweifelt wurde.365 Aus den Ausführungen ergibt sich somit, dass weder die Konvention selbst noch ihre Entstehungsgeschichte eindeutige Hinweise darauf enthält, ob Odious Debts eine von Staaten anerkannte Rechtsfigur ist.

der Odious-Debts-Doktrin, ist aber zweideutiger, s. United Nations Conference on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts, Wien, 1. März–8. April 1983, Official Records, Vol. I, S. 205 para. 64 (Portugal), S. 201 para. 6 (Iran), S. 206 para. 74 (Korea), S. 210 para. 41 (Algerien), und S. 195 para. 19 (DDR). 363  Nämlich Frankreich, ebd., S. 209 para. 34; Deutschland enthielt sich, weil es sich mit der (allerdings hinsichtlich des geänderten Wortlautes nicht mehr eindeutigen) Erklärung Syriens nicht einverstanden erklärte, ebd., S. 208 para. 17. 364  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 637 ff., insbes. 637 und 642. In diesem Sinne auch, ohne genauere Begründung, Gioia, in: Eisemann / Koskenniemi, Succession, S. 333. 365  So schon Sack, vgl. oben, Kapitel 1 A.I.2.



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?155

2. Aus der bisherigen Staatenpraxis abzuleitendes Völkergewohnheitsrecht Im Folgenden sollen Staatenpraxis und opinio iuris hinsichtlich Fällen untersucht werden, in denen in der Vergangenheit die Unwirksamkeit von Schulden diskutiert wurde, weil diese in eine Kategorie von Odious Debts fallen. Dabei beschränkt sich die Untersuchung nicht auf solche Fälle, in denen ausdrücklich auf die Odious-Debts-Doktrin verwiesen wurde; vielmehr sind alle Fälle von bevölkerungswidrig verwendeten Geldern in den Blick zu nehmen. Von der Untersuchung dieser Fälle können zugleich Schlüsse auf die Probleme bei der Anwendung der Odious-Debt-Doktrin gezogen werden (s. dazu ausführlich unten, Kapitel 3 B.). a) Bisherige Anwendungsfälle aa) Als war debts zu klassifizierende Schulden Zunächst soll das Schicksal der sog. war debts betrachtet werden, da diese eine vergleichsweise greifbare Unterkategorie von Odious Debts darstellen, nämlich solche Schulden, die von einer Kriegspartei zur Kriegsführung gegen eine andere Kriegspartei eingegangen wurden und deren Übergang auf die Siegermacht im Fall der Annexion durch diese in Frage steht (s. o. Kapitel 1 A.I.1.).366 Im Vergleich zu den übrigen Arten der Odious Debts handelt es sich bei den war debts um Schulden, die (ausschließlich oder zumindest vorrangig) aus Sicht des Kriegsgegners als abscheulich anzusehen sind. Obwohl der Umgang mit Kriegsschulden aus moderner Sicht vielfältigen Vorbehalten begegnet (s. u. (8)), sollen zunächst einige im Rahmen der war debts häufig angeführte Präzedenzfälle genauer betrachtet werden. (1) Friedensverträge des 17., 18. und 19. Jahrhunderts Während sich im 17., 18. Und 19. Jahrhundert etliche Verträge finden lassen, die die Übernahme aller Kriegsschulden beinhalteten,367 nennt Bedjaoui in seinem Bericht mehrere Verträge, in denen ausdrücklich nur vor 366  Zu

480 ff.

diesen im Folgenden behandelten Fällen s. Cahn, AJIL 1950(44), 477,

367  Z.  B. der den Pfälzischen Erbfolgekrieg beendende Vertrag von Rijswijk (1698) oder der Vertrag von Stockholm zwischen Schweden und Preußen (1720), in welchem sich Preußen ausdrücklich verpflichtete, bestimmte Kriegsschulden zu begleichen, vgl. Feilchenfeld, Public Debts, S. 75; s. a. Cahn, AJIL 1950(44), 477, 481, der sieben weitere Verträge aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nennt.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Kriegsbeginn eingegangene Schulden übernommen wurden.368 So lautet Art. 24 des 1807 zwischen Preußen und Frankreich geschlossenen Vertrages von Tilsit: „Die Verpflichtungen, Schulden und Verbindlichkeiten aller Art, welche Se.Maj. der König von Preußen vor dem gegenwärtigen Kriege, als Besitzer der Länder, Territorien, Domainen, Güter und Revenuen, die Se. Majestät der König von Preußen abtritt, oder auf die Sie durch gegenwärtigen Traktat Verzicht leisten, gehabt, übernommen, oder kontrahiert haben möchte, fallen den neuen Besitzern zur Last und werden durch diese erfüllt ohne Ausnahme, Beschränkung, oder irgend einen Vorbehalt.“369

Im Umkehrschluss zu den Regelungen gingen also solche Schulden, die nach Beginn des Krieges entstanden waren, nicht auf die annektierende Macht über. Diese Folge geht weiter als die von Sack aufgestellte Regel, dass nur solche Schulden, die zur Kriegsführung eingegangen wurden, o ­ diös sind; vielmehr handelt es sich bei dem zitierten Vertrag um eine pauschale Stichtagsregelung. Vergleichbare Regelungen finden sich auch in Art. 4 des Vertrages von Campo Formio vom 17. Oktober 1797 zwischen Frankreich und Österreich sowie im Vertrag vom 30. Oktober 1864 zwischen einerseits Dänemark und andererseits Preußen und Österreich.370 Inwieweit diese Regelungen eine opinio iuris aller Beteiligten widerspiegeln oder von der Siegermacht einseitig festgelegt wurden, ist allerdings fraglich, zumal wie ausgeführt in der Mehrheit der Fälle keine Ausnahme zugunsten von Kriegsschulden gemacht wurde. (2) Z  urückweisung von Schulden aus dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) Im Anschluss an den US-amerikanischen Bürgerkrieg forderte die US-Regierung die ehemaligen Konföderierten Staaten auf, die während des Bürgerkrieges eingegangenen Schulden zurückzuweisen, indem der wie folgt lautende 14. Verfassungszusatz angenommen wurde: „neither the United States nor any State shall assume or pay any debt or obligation incurred in aid of 368  Vgl. Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 141 ff.; die Fälle finden sich bereits bei Cahn, AJIL 1950(44), 477, 480 ff. 369  Friedenstraktat mit Frankreich (Vertrag von Tilsit) vom 9. Juli 1807. 370  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 141; Cahn, AJIL 1950(44), 477, 481 nennt noch drei weitere Konventionen mit mehrdeutigen Klauseln, die aber offenbar nicht in Bezug auf war debts angewendet wurden.



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?157

insurrection or rebellion against the United States“.371 Die Konföderierten Staaten hatten den Krieg teilweise durch die Ausgabe von „Cotton Bonds“, also mit Einkünften aus der Baumwollernte gesicherten Anleihen, finanziert.372 Ein Streit um die Rückzahlung von durch Texas ausgegebene Anleihen erreichte schließlich den US Supreme Court, der 1869 entschied, dass nur die mit der Kriegsführung zusammenhängenden Handlungen unwirksam seien, während Handlungen zur Erfüllung gewöhnlicher Staatsaufgaben wirksam seien; da die Anleihen von einem Militärausschuss zur Unterstützung des Bürgerkrieges ausgegeben worden seien, könnten diese nicht zurückgefordert werden.373 Damit handelt es sich um einen Fall von war debts, bei dem zwischen kriegsbezogenen und sonstigen Schulden differenziert wird. (3) Der Burenkrieg (1899–1902) Die Verweigerung Großbritanniens, bestimmte Schulden der Burenstaaten zu übernehmen, wird von mehreren Autoren als Präzedenzfall der war debts zitiert.374 Nachdem Großbritannien im Zuge des Burenkrieges im Jahr 1900 den Oranje-Freistaat und die Südafrikanische Republik (Transvaal) annektiert hatte, lehnte die britische Krone jede Verantwortlichkeit für Schulden dieser Territorien ab, bediente aber ex gratia einen Teil der Schulden zu veränderten Konditionen,375 während andere Kredite erst nach jahrelangen Verhandlungen zurückgezahlt wurden.376 Großbritannien stützte sich dabei auf verschiedene rechtliche und politische Argumente.377 In Bezug auf im Jahr 1900 – also nach Kriegsbeginn – ausgegebene Anleihen berief sich Großbritannien mit Verweis auf „a natural demand of justice“ auf eine Regel, der zufolge Schulden, die vom annektierten Staat mit dem Ziel der Kriegsführung gegen den annektierenden Staat eingegangen wurden, von letzterem nicht übernommen werden müssten, ohne allerdings darzulegen, inwiefern die Schulden der Burenstaaten tatsächlich der Kriegsführung zugutekamen.378 Auffällig ist, dass Großbritannien einerseits alle, also nicht nur die im Zusammenhang mit dem Krieg entstandenen Schul371  Ausführlich Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 272; s. a. Howse, Odious Debt, S. 10. 372  Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 272. 373  Texas v. White, 74 U.S. 700, 733 f. (1868). 374  Nachweise bei Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 405. 375  Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 57 ff. m. w. Nachw. 376  Feilchenfeld, Public Debts, S. 383 f. m. w. Nachw. 377  Vgl. Feilchenfeld, Public Debts, S. 385 ff. 378  Feilchenfeld, Public Debts, S. 394; die mangelnde Differenzierung kritisiert ders. in Fn. 102.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

den der annektierten Staaten als nicht übertragbar ansah, und andererseits dennoch einen Großteil dieser Schulden bediente.379 Wie Feilchenfeld ausführt, mangelte es zu diesem Zeitpunkt an Präzedenzfällen, weswegen die Kontroverse endete, ohne dass es zu einer Übereinkunft bezüglich der strittigen Rechtsfragen kam.380 Dies spiegelt sich in der Entscheidung eines englischen Gerichts wieder, das sich mit den Ansprüchen eines englischen Unternehmens gegen Großbritannien auseinanderzusetzen hatte, welches die Haftung Großbritanniens für die Entwendung von Gold durch die (Vorgänger-)Regierung von Transvaal geltend machte. Das Gericht kam zu folgendem Schluss: „When making peace the conquering Sovereign can make any conditions he thinks fit respecting the financial obligations of ­ the conquered country, and it is entirely at his option to what extent he will adopt them. It is a case in which the only law is that of military force.“381 Mehr als juristische Gründe scheint für die Zurückweisung bestimmter Schulden mithin die Siegerrolle Großbritanniens ausschlaggebend gewesen zu sein.382 (4) Friedensverträge zur Beendigung des Ersten Weltkrieges Auch nach dem Ersten Weltkrieg wurden Schulden, die nach Kriegsbeginn383 eingegangen waren, vom Übergang auf die annektierenden Mächte ausgenommen. Nach Art. 254 des Vertrages von Versailles gingen mit den abgetretenen Gebieten auf den jeweiligen Zessionar Schulden des Deutschen Reiches in der Höhe des Anteils über, den die Wirtschaftskraft der abgetretenen Gebiete im Verhältnis zum gesamten Deutschen Reich in den Jahren 1911–1913 ausmachte. Umfasst waren jedoch nur Schulden mit Stand vom 1. August 1914, sodass die nach Kriegsbeginn eingegangenen Schulden ausgenommen wurden. Abgesehen davon, dass es sich auch hier um eine pauschale Stichtagsregelung handelt, weist der Umgang mit den Schulden noch eine weitere Abweichung vom Sack’schen Ansatz auf: Im Fall des Vertrages von Versailles wurde auch Dänemark, dem Schleswig zufiel, von der Übernahme deutscher Schulden befreit, obwohl der Staat im Krieg eine 379  Soweit ersichtlich betraf das wiederum nicht den als war debts zu klassifizierenden Teil der Schulden, vgl. Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 395. Für weitere Details s. O’Connell, State Succession, S. 379. 380  Feilchenfeld, Public Debts, S. 393 ff. 381  West Rand Central Gold Mining Company Ltd. v. The King, [1905] 2 KB 391, 402. 382  In diese Richtung auch Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 405. 383  Konkret wurde das Datum entweder der Kriegserklärung oder des Beginns der Kampfhandlungen gewählt, vgl. Sack, Dettes Publiques, S. 173.



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?159

neutrale Position eingenommen hatte.384 Dies kann also nicht mehr mit der Abscheulichkeit von war debts aus Sicht des Kriegsgegners erklärt werden. Entsprechende Regelungen zum Übergang nur der vor Kriegsbeginn entstandenen Schulden finden sich auch in den Friedensverträgen von SaintGermain-en-Laye (10. September 1919 zwischen den Alliierten und Österreich, Art. 203), Trianon (4. Juni 1920 zwischen den Alliierten und Ungarn, Art. 186)385 und Lausanne (24. Juli 1923 zwischen der Türkei einerseits und Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Griechenland, Rumänien und dem Serbisch-Kroatisch-Slowenischen Staat andererseits, Art. 50).386 Eine Stichtagsregelung ist auch in den Verträgen zur Beendigung des Balkankrieges zu finden; hier nennt Sack mehrere Kredite, die offenbar nicht kriegsfördernd waren und dessen ungeachtet dem pauschalen Ausschluss unterlagen.387 Differenzierter ist der am 27. November 1919 zwischen den Alliierten und Bulgarien geschlossenen Friedensvertrag von Neuilly-sur-Seine. Dessen Art. 141 setzt als Stichtag den 11. Oktober 1915 fest, nimmt aber auch solche Schulden aus, die seit dem 1. August 1914 „in Vorbereitung des Angriffskrieges“ verwendet wurden; für diesen Zeitraum findet also tatsächlich eine Differenzierung nach dem Kreditzweck statt. In den Verträgen wurde allerdings auch geregelt, dass Deutschland bzw. Österreich und Ungarn jeweils die volle Verantwortlichkeit für alle nach Beginn des Krieges entstandenen Schulden traf.388 Alle genannten Regelungen stießen auf Protest der Mittelmächte.389 Begründet wurde die Sonderbehandlung der Schulden nach Kriegsbeginn mit Billigkeitserwägungen, da die Zessionare nicht für Schulden haften sollten, die aus einem ungerechten Angriffskrieg resultierten.390 Nichtsdestotrotz kam es in Einzelfällen auch zu Abweichungen von den Verträgen. So übernahm die Tschechoslowakei aus politischen 384  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 146 m. w. Nachw.; Feilchenfeld, Public Debts, S. 449. 385  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 147; Feilchenfeld, Public Debts, 431 ff. 386  Zum dadurch revidierten Vertrag von Sèvres von 1920 vgl. Sack, Dettes Publiques, S. 167. 387  Sack, Dettes Publiques, S. 174 f. 388  Feilchenfeld, Public Debts, S. 445. 389  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 148; das Hauptargument Deutschlands war, dass die Kredite vom größeren Gesamtstaat aufgenommen worden waren und jetzt von der Bevölkerung des kleineren Nachkriegsstaates zu tragen waren, obwohl nach Ansicht Deutschlands auch die Bevölkerung der abgetretenen Gebiete ihr Land verteidigen wollte und daher mit der Kreditaufnahme einverstanden gewesen war, vgl. Feilchenfeld, Public Debts, S. 447. 390  Feilchenfeld, Public Debts, S. 448 m. w. Nachw.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Motiven 33 % der Österreichischen Kriegsschulden, die tschechoslowakisches Territorium betrafen.391 Für die Betrachtung aus heutiger Perspektive ist anzumerken, dass zum Ende des Ersten Weltkrieges noch von einer gewohnheitsrechtlichen Regel ausgegangen wurde, wonach Schulden im Fall der Zession automatisch auf den Zessionar übergehen;392 die Figur der war debts würde dann eine Ausnahme zu diesem Prinzip darstellen. Wie oben (C.II.) dargestellt, ist die aktuelle Rechtslage weniger eindeutig, und es spricht einiges dafür, dass der Zessionar nur mit gebietsbezogenen Schulden belastet wird, während ansonsten der Zedent verantwortlich bleibt. Da es sich auch bei diesen gebietsbezogenen Schulden um zum Zwecke des Krieges entstandene Verbindlichkeiten handeln kann, verliert die Frage der war debts aber nicht völlig an Relevanz. Wäre, wie Sack ausführt,393 Grund für die Ausklammerung der nach Kriegsbeginn entstandenen Schulden deren Abscheulichkeit aus Sicht des Kriegsgegners gewesen, so hätten diese auch nur im Fall der Zession von Gebieten an die Kriegsgewinner vom Übergang ausgenommen werden dürfen, während etwa neutrale Staaten einen Teil der Schulden hätten übernehmen müssen. Dies deckt sich jedoch nicht mit der gegenüber Dänemark zutage getretenen Praxis. Anders als es der Sack’schen Definition entsprechen würde, fand zudem keine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Verwendungszwecke der Schulden statt. Der unter dem Vertrag von SaintGermain-en-Laye eingerichtete Wiedergutmachungsausschuss entschied beispielsweise, dass ein zum Bau einer zivil genutzten Brücke in Teschen (Oberschlesien) im Jahr 1917 aufgenommener Kredit allein wegen seines Datums als war debt anzusehen sei, ohne dass es auf den Zweck der Finanzierung ankam.394 Anstelle des Begriffs war debts wäre daher der Terminus „war time debts“ zutreffender. Die undifferenzierte Stichtagsregelung lässt Feilchenfeld schlussfolgern, „… that the peace treaties can be explained on the basis neither of strict rules of law nor of strict logic. … They are therefore additional evidence in support of the construction that the treaties were not based on rules of law. On the other hand, they can be easily explained as exceptions to voluntary promises which are based on moral grounds. … The provisions amounted to avowed discrimination between friendly and hostile powers; they can be explained by no general theory; and had rules of positive law been recognized, could not possibly have been defended.“395 391  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 149. 392  Vgl. Feilchenfeld, Public Debts, S. 439 f. 393  Sack, Dettes Publiques, S. 165 ff. 394  Feilchenfeld, Public Debts, S. 447 m. w. Nachw. 395  Feilchenfeld, Public Debts, S. 450.



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?161

Freilich bedeutet mangelnde logische Nachvollziehbarkeit nicht zwingend, dass es sich nicht um Staatenpraxis im Sinne des Völkergewohnheitsrechts handeln kann; die Praxis spricht mit Feilchenfeld aber gegen eine die machtpolitischen Gegebenheiten übersteigende opinio iuris. Die aus Sicht der Kriegsgewinner vorteilhafte generelle Regel, die sich aus dem Umgang mit Schulden nach dem Ersten Weltkrieg ergibt, scheint zu lauten: Die unterlegene Partei bleibt auch in Bezug auf abgetretene Gebiete für alle Schulden verantwortlich, die nach Kriegsbeginn eingegangen wurden.396 Damit ist die Behandlung der Schulden in den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg kein starkes Indiz für eine Regel, der zufolge bestimmte Schulden, die (konkret) moralischen Bedenken begegnen, unwirksam oder unübertragbar sind. Für die Untersuchung von Odious Debts im weiteren Sinne ist festzuhalten, dass zwingende moralische Gründe, nämlich die Verwendung bestimmter Gelder zur Kriegsführung, offenbar nicht ausschlaggebend für die Nichtübertragbarkeit bestimmter Schulden waren. (5) Intervention der Mittelmächte in Russland und russischer Bürgerkrieg Am 9. Juli 1920 erklärte der Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten: „All Russian contracts and obligations regarding British citizens have been annulled – beginning from the date on which the British Government has entered into war and intervention against Soviet Russia and has imposed a blockade in order to force the Russian people through hunger and austerity to reject that very form of government which it had chosen by itself through overthrowing the autocratic tsarist Government.“397

Über die Argumentation hinaus, sie sei schon wegen der revolutionären Natur des Regimewechsels nicht an die zaristischen Schulden gebunden (s. o. C.III.), bediente sich die RSFSR mithin auch einer auf die Kriegsumstände verweisenden Begründung. Allerdings handelt es sich hier nicht um war debts im engeren Sinne, da nicht die Übernahme von Kriegsschulden in Frage stand, sondern eher eine Strafmaßnahme gegen Großbritannien vorlag.

396  Ähnlich die Schlussfolgerung von Menon, Succession of States, S. 162: „The peace treaties concluded after First World War gave a broader meaning to the concept of war debt to include all debts contracted during the war, and to extend the application of the doctrine not only to the victims of the war, but also to the neutral States.“ In diesem Sinne auch Cahn, AJIL 1950(44), 477, 484. 397  Zitiert nach Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 397.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

(6) Deutsch-Ostafrika (Reichsgericht 1924) Im Jahre 1917 hatte ein deutscher Offizier der „Schutztruppe in DeutschOstafrika“ auf eine öffentliche Aufforderung des Gouverneurs hin 4000 Rupien bei der Bezirkskasse Moschi hinterlegt, die zur Finanzierung der Kriegsführung im Ersten Weltkrieg verwendet wurden.398 Nach Kriegsende und dem damit verbundenen Ende der deutschen Kolonien klagte der Offizier gegen das Deutsche Reich auf Rückzahlung.399 Hierbei stellte sich die Frage, ob das Deutsche Reich nicht für die Rückzahlungsverbindlichkeit hafte, weil diese auf die neue koloniale Hoheitsmacht (nämlich Großbritannien unter Mandat des Völkerbundes) übergegangen sei. Das Reichsgericht führte dazu aus, dass es dahinstehen könne, ob die Schulden der Kolonien überhaupt auf die Erwerberstaaten übergegangen seien, denn „keinesfalls würde sich eine Haftung des Erwerberstaates in Ansehung solcher Verbindlichkeiten des Schutzgebietes begründen lassen, die aus Anlass der Kriegsführung erwachsen sind oder sonstwie mit dem Kriege im Zusammenhang stehen. … Forderungen dieser Art können schon nach völkerrechtlichen Grundsätzen gegen den Erwerberstaat nicht geltend gemacht werden. … Wie es sich mit anderen, rein friedensmäßigen Verbindlichkeiten des Schutzgebietes verhielte, bedarf … zurzeit nicht der Entscheidung.“400

Die Ausführungen des Reichsgerichts decken sich mit der klassischen Definition der war debts, demnach solche Schulden vom Übergang ausgenommen werden, die zur Finanzierung des Krieges gegen den Gebietserwerber eingegangen wurden, wobei das Schicksal von den übrigen Schulden des Kriegsverlierers offen gelassen wird. (7) U  mgang mit Schulden im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg Während das Deutsche Reich ganz allgemein alle Schulden der im Laufe des Krieges besetzten Gebiete zurückwies, ohne dabei auf Zeitpunkt oder Zweck der Eingehung abzustellen,401 wies die Sowjetunion wiederum die während des Krieges von Deutschland in Finnland eingegangenen Schulden zurück.402 Ebenso enthielt der Pariser Friedensvertrag von 1947 zwischen 398  Vgl. für den Sachverhalt Reichsgericht, III. Zivilsenat, Urteil vom 3. Juni 1924, Az. III 383 / 23, RGZ 108, 298, 298 und 300 f. 399  Reichsgericht, III. Zivilsenat, Urteil vom 3.  Juni 1924, Az. III 383 / 23, RGZ 108, 298. 400  Reichsgericht, III. Zivilsenat, Urteil vom 3.  Juni 1924, Az. III 383 / 23, RGZ 108, 298, 300 f. 401  Cahn, AJIL 1950(44), 477, 485. 402  Cahn, AJIL 1950(44), 477, 478.



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?163

Italien und den Alliierten eine pauschale Stichtagsregelung, demnach in den italienischen Kolonien und in Triest nach Kriegsbeginn eingegangene Schulden nicht an den Gebietsnachfolger übergingen.403 (8) Zwischenergebnis Der Überblick über Kriegsschulden zeigt, dass bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zwar eine Staatenpraxis festzustellen ist, demnach Schulden, die der unterlegene Staat nach Kriegsbeginn einging, im Fall der Annektierung nicht auf die Siegermacht übergehen. Allerdings fand, anders als von Sack gefordert und mit Ausnahme der texanischen Schulden aus dem amerikanischen Bürgerkrieg sowie der Entscheidung des Reichsgericht zu Deutsch-Ostafrika, in den allermeisten Fällen keine Differenzierung nach dem Verwendungszweck der Schulden statt, sondern es wurden pauschal alle Schulden nach Kriegsbeginn erfasst. Trotz Vorhandensein einiger moralischer und rechtlicher Argumente scheint der Ursprung dieser Praxis in der machtpolitischen Situation nach Kriegsende zu liegen,404 in welcher dem siegreichen Staat die Territorien des Kriegsgegners zufallen, ohne dass dieser alle Schulden zu übernehmen bereit ist – Friedensverträge sind schließlich immer auch Siegerverträge. Das Bestehen einer gewohnheitsrechtlichen Regel ist daher schon angesichts der hier dargestellten Fälle hinsichtlich der opinio iuris zweifelhaft.405 Ohnehin ist fraglich, ob die relativ alte und ausschließlich auf den Ausgang des Krieges abstellende Staatenpraxis heute noch Gültigkeit beanspruchen kann.406 Interessanterweise führen Vertreter der war debts keine moderneren Beispiele für die Praxis an; solche sind auch nicht ersichtlich. Im Sinne der Odious-Debts-Doktrin wird die Nichtübertragung von Schulden damit begründet, dass die zur Unterstützung des Krieges eingegangenen 403  Vgl. die entsprechenden Artikel in Annex X und XIV des Pariser Friedensvertrages vom 10. Februar 1947, abgedruckt bei Cahn, AJIL 1950(44), 477, 485 f. 404  So auch Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 405; in diese Richtung ebenfalls Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 154. 405  Das Vorliegen einer rechtlichen Regel verneint aufgrund der verschiedenartigen Entscheidungen Cahn, AJIL 1950(44), 477, 479 f. und 487, hält die Verweigerung von war debts aber aus moralischen Gründen auch für rechtlich gerechtfertigt, sodass im Ergebnis doch von einer rechtlichen Regel auszugehen sei. 406  Die Figur verliert zudem dadurch an Relevanz, dass typische Eroberungskriege heute nicht mehr üblich sind und in der Regel zu keinen von der Staatengemeinschaft akzeptierten Ergebnissen führen, vgl. etwa die Besetzung Zyperns durch die Türkei. Zudem gehen im Falle der Zession entsprechend der jüngeren Staatenpraxis überwiegend nur gebietsbezogene Schulden über, sodass ein Teil der Problematik entfällt, vgl. Kapitel 2 C.II.1.b)bb).

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Verpflichtungen dem Interesse des Kriegsgegners widersprechen und dass die Kreditgeber das Risiko der Niederlage kennen,407 was jedoch abweichend von der hier festgestellten Staatenpraxis nur den kriegsrelevanten Teil der Schulden des unterlegenen Staates betrifft. Eine Anknüpfung an das Interesse der Bevölkerung fehlt damit völlig.408 Problematisch ist bei der Figur der war debts, dass der Großteil der moralisch bedenklichen Schulden von ihr gar nicht erfasst wird, während andere mit moralisch zweifelhafter Begründung untergehen sollen. Zunächst betreffen war debts nur Fälle des Gebietsüberganges. Schulden eines später abgesetzten Diktators, die dieser zur erfolglosen Kriegsführung gegen einen Nachbarstaat einging, müssen mithin von der Bevölkerung des ehemalig diktatorischen Staates getragen werden, wenn sie nicht eine andere Kategorie von Odious Debts erfüllen. Nicht erfasst sind auch solche Schulden, die nicht mit einem Krieg einhergehen, so z. B. der kreditfinanzierte Bau von Foltergefängnissen durch einen Diktator zu Friedenszeiten. Andererseits wären solche Schulden wegen ihrer „Abscheulichkeit“ erfasst, die ein demokratischer Staat erfolglos zur Abwehr des Angriffskrieges durch ein despotisches Regime eingeht. Hier wird deutlich, dass auch auf die Rechtmäßigkeit der Kriegsführung abgestellt werden muss. Bereits Feilchenfeld kritisiert die undifferenzierte Diskriminierung zwischen Kriegsgewinner und ‑verlierer und formuliert zutreffend: „While international law may not be able to prevent such discrimination, it should not be regarded as one of its legitimate functions to afford additional protection to discriminations of this sort, which can hardly be justified, from a moral point of view, until defeat is a certain proof that the defeated nation was morally wrong and the victorious nation morally right in fighting the war.“409

Angesichts des Inkrafttretens des allgemeinen Gewaltverbotes nach Art. 2 (4) UN-Charta410 und der sich abzeichnenden internationalen Strafbewehrung des als völkerrechtliches Verbrechen sanktionierten Angriffskrieges411 Sack, Dettes Publiques, S. 165. auch die Definition von Bedjaoui, demnach unter Odious Debts auch folgende Schulden fallen: „all debts contracted by the predecessor State with a view to attaining objectives contrary to the major interests of the successor State or of the transferred territory“, Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., para. 173. Abgestellt wird also auf den Staat, nicht auf die Bevölkerung. 409  Feilchenfeld, Public Debts, S. 720. 410  Zur Entwicklung des Gewaltverbot s. Randelzhofer, in: Simma, Charter of the United Nations, Art. 2(4), Rn. 3 ff. 411  Die Strafbarkeit des crime of aggression ist nach verbreiteter Meinung bereits jetzt völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, vgl. Kress, LJIL 2007(20), 851, 853 f. m. w. Nachw. Allerdings untersteht das Verbrechen der Jurisdiktionsgewalt des Internationalen Strafgerichtshofs erst nach der Einfügung in das Rom-Statut, vgl. Art. 5 (1) (d) und den aufgrund der Kampala-Konferenz erarbeiteten Art. 8bis des Rom407  Vgl. 408  Vgl.



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erscheint es geradezu widersinnig, dass ein Aggressor sich nach erfolgreicher Eroberung eines anderen Staates auf die moralische Verwerflichkeit der vom unterlegenen Staat zur Verteidigung eingegangen Schulden berufen darf. Selbst wenn man trotz der zweifelhaften opinio iuris eine Figur von war debts aus den Präzedenzfällen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges herleiten wollte, wäre diese mithin nicht geeignet, einen Beitrag zu einer gerechten Lösung der Schuldenproblematik zu leisten. bb) Andere Arten von Odious Debts Im Folgenden sollen die Arten von Odious Debts untersucht werden, die nicht unter den engen Begriff der war debts fallen. Es handelt sich dabei entsprechend den unter Kapitel 1 A.I.2. dargestellten Definitionen um alle Schulden, deren wirksame Eingehung oder Übertragung wegen mangelnden Nutzens für die Bevölkerung bestritten wird, unabhängig davon, ob dies im Rahmen von Staatenfolge bzw. Regimewechsel geschieht. An dieser Stelle nicht untersucht werden im Zusammenhang mit Korruption entstandene Schulden, soweit keine weiteren Nichtigkeitsgründe in Betracht kommen; ihnen widmete sich bereits Abschnitt B.II. (1) N  ichtübernahme habsburgischer Schulden durch Mexiko (1867) Im Jahr 1864 setzte Frankreich Maximilian von Habsburg, den Bruder des österreichischen Kaisers Franz Joseph I., als Kaiser von Mexiko ein; dieser wurde 1867 von Juárez abgesetzt, dessen Regierung die Rückzahlung der unter Maximilian eingegangenen Schulden verweigerte.412 Diese Schulden können am ehesten als subjugation debts (vgl. oben, Kapitel 1 A.I.2.) bezeichnet werden, da sie zu einem Zeitpunkt eingegangen wurden, zu welchem Mexiko sich gegen die französische Intervention wehrte und sie daher der Festigung der Herrschaft über das mexikanische Volk dienten.413 Allerdings wurde hier pauschal die Übernahme aller Schulden abgelehnt, ohne dass nach tatsächlicher Verwendung zur Unterdrückung oder aber zum Nutzen für die Bevölkerung differenziert wurde. Entsprechend wurde auch die Frage der Gläubigerkenntnis nicht berücksichtigt, da es mangels speziStatuts; die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofs tritt erst ein Jahr nach Ratifikation durch mindestens 30 Vertragsstaaten bzw. nach einer entsprechenden Entscheidung ebenso vieler Staaten nach dem Jahr 2017 in Kraft, s. Art. 15ter, Resolution RC / Res. 6, 11.  Juni 2010, abrufbar unter http: /  / www.icc-cpi.int / icc docs / asp_docs / Resolutions / RC-Res.6-ENG.pdf. 412  Sack, Dettes Publiques, S. 158 m. w. Nachw. 413  In diesem Sinne Pomeroy, zitiert in: Sack, Dettes Publiques, S. 158.

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fischer Betrachtung des Nutzens an einem Bezugspunkt fehlte. Der Fall zeichnet sich dadurch aus, dass die französische Intervention im damals bereits unabhängigen Mexiko für einen relativ kurzen Zeitraum von drei Jahren auftrat. Der Fall Mexikos kann also nur als Präzedenzfall für eine Regel herangezogen werden, demnach alle Verbindlichkeiten, die ein fremder Besatzer während eines bestimmten Zeitraumes einging, unwirksam sind, was nur einem Teilbereich der allgemein vertretenen Definition von Odious Debts entspricht. Ob solch eine Regel besteht, ist anhand der weiteren Staatenpraxis zu beurteilen. (2) Z  urückweisung von Schulden aus der Zeit der „Reconstruction“ durch die Südstaaten nach 1877 Im Anschluss an den US-amerikanischen Bürgerkrieg wurden die Regierungen der Südstaaten durch Anhänger der Nordstaaten ersetzt (sogenannte „Reconstruction“, 1865–1877).414 Nachdem sich die föderierten Truppen im Jahr 1877 aus den Südstaaten zurückgezogen hatten, wiesen acht Südstaaten die Schulden aus der Reconstruction-Ära mit der Begründung zurück, diese seien von „Negroes“ und „Carpetbaggers“415 zur persönlichen Bereicherung zulasten von Steuerzahlern eingegangen worden.416 Aus Sicht der Südstaatenregierungen handelte es sich damit um Schulden einer illegitimen Regierung, die gegen die Bevölkerungsinteressen entstanden waren.417 Tatsächlich waren manche Gelder für Infrastrukturprojekte und Umschuldungen, andere möglicherweise zu Korruptionszwecken verwendet worden.418 Gerichtliche Entscheidungen fielen sowohl für als auch gegen die Gläubiger aus, was in Einzelfällen mit Kompetenzüberschreitungen, im Übrigen mit der grundsätzlichen Fortgeltung von Schulden der Vorgängerregierung begründet wurde.419 414  M. w. Nachw. zum historischen Geschehen Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 275 ff. Diese verweisen noch auf einen früheren Präzedenzfall in der US-amerikanischen Geschichte, nämlich den Zahlungsausfall von Schulden der Staaten Mississippi, Arkansas, Florida und Michigan in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gestehen aber ein, dass die Motive für die Zahlungsverweigerung vielfältig und schwer nachvollziehbar sind, sodass der mangelnde Nutzen für die Bevölkerung nur ein Aspekt von vielen sei, vgl. ebd., 269 ff. 415  Abwertender Terminus für Politiker, die aus Machtgier und Opportunismus von den Nord- in die Südstaaten kamen und meist aus alten Teppichen gefertigte Reisetaschen trugen. 416  Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 275 ff. 417  Entsprechend werden die Schulden bereits von Sack, Dettes Publiques, S. 158, als Fälle odiöser Schulden genannt. 418  Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 23. 419  Zu den Entscheidungen s. Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 22 ff. und Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 278.



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Aufgrund der unklaren Ergebnisse kann hierin kein klarer Präzedenzfall für die Odious-Debts-Doktrin gesehen werden; der Fall zeigt aber, dass die Legitimität der Vorgängerregierung eine Wertungsfrage ist, die je nach historischer und politischer Betrachtungsweise („negroes and carpetbaggers“) unterschiedliche Schlussfolgerungen zulässt420 und alleine keinen Aufschluss über die möglicherweise bevölkerungsnützliche Verwendung der Gelder gibt. (3) Zurückweisung kubanischer Schulden durch die USA (1898) Den meistzitierten Präzedenzfall für die mögliche Existenz einer OdiousDebts-Doktrin stellt die Zahlungsverweigerung der USA gegenüber Spanien in Bezug auf kubanische Schulden dar.421 Nach dem Ende des amerikanischspanischen Krieges verweigerte die US-Regierung 1898 als neue Kontrollmacht Kubas die Übernahme von kubanischen Schulden, die unter spanischer Kolonialherrschaft eingegangen worden waren.422 Die kubanischen Schulden beruhten auf mehreren ab 1864 zu Lasten Kubas ausgegebenen Anleihen, die später um weitere, zur Refinanzierung der bisherigen Schulden ausgegebene Anleihen erweitert wurden.423 Die Anleihen wurden außer mit einer spanischen Bürgschaft durch kubanischen Besitz und kubanische Einnahmen aus Zöllen und Steuern gesichert.424 Auffällig waren die hohen Militärausgaben Kubas (ca. drei Viertel der jährlichen Gesamtausgaben), die die Finanzierung von militärischen Operationen zum Ziel hatten, die nach US-amerikanischer Ansicht den Interessen der Insel fundamental entgegenstanden.425 Die USA beriefen sich nicht nur auf die mangelnde Zurechenbarkeit von Ausgaben durch die spanische Krone gegenüber Kuba,426 sondern auch auf moralische Bedenken: auch Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 278 f. Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 250  f. m. w. Nachw.; zur wirtschaftlichen Lage Kubas unter spanischer Herrschaft s. dies., 250–253 m. w. Nachw.; die Argumente der beteiligten Parteien sind im Wortlaut abgedruckt bei Moore, Digest of International Law, S. 351 ff. 422  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 159 ff.; Details bei Moore, Digest of International Law, S.  351 ff. 423  Eine genauere Aufschlüsselung der Schulden findet sich bei Feilchenfeld, Public Debts, S. 332 ff. und bei Moore, Digest of International Law, S. 357 f. 424  Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 251 f. 425  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 160. 426  Dazu Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., para. 160; Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 252 ff. 420  So

421  s. Ludington u.  a.,

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„From the moral point of view, the proposal to impose [the debt] upon Cuba is equally untenable. If, as is sometimes asserted, the struggles for Cuban independence have been carried on and supported by a minority of the island, to impose upon the inhabitants as a whole the cost of suppressing the insurrections would be to punish the many for the deeds of the few. If, on the other hand, those struggles have, as the American Commissioners maintain, represented the hopes and aspirations of the body of the Cuban people, to crush the inhabitants by a burden created by Spain in the effort to oppose their independence, would be even more unjust.“427

Tatsächlich wurden Einkünfte aus Kuba nicht nur zur Niederschlagung kubanischer Aufstände, sondern auch zur Finanzierung militärischer Aktionen in Mexiko und Santo Domingo verwendet;428 des Weiteren kamen die Einnahmen der durch kubanische Liegenschaften gesicherten Anleihen ausschließlich dem spanischen Fiskus zugute.429 Nachdem Spanien erfolglos ein Schiedsverfahren zur möglichen Aussonderung bestimmter Schulden vorgeschlagen hatte,430 setzte sich im Friedensvertrag schließlich die USamerikanische Position durch. Allerdings wurde die Frage nur indirekt geregelt, nämlich indem Spanien alle Souveränitätsansprüche über Kuba abtrat, ohne dass der Begünstigte benannt wurde.431 Damit konnten die USA ihr Protektorat über Kuba ausweiten, mussten mangels einer Zession aber keine Schulden übernehmen. Auch Kuba kam für diese nicht auf; eine dementsprechende Forderung Spaniens infolge der Unabhängigkeit Kubas 1909 wurde mit Verweis auf den Friedensvertrag zurückgewiesen.432 Für die Frage, ob es sich hier um einen Präzedenzfall für die OdiousDebts-Doktrin handelt, ist zunächst von Interesse, welche Kriterien für die Legitimität von Schulden angelegt wurden. Im Sinne der Sack’schen Definition führten die USA das Kriterium der Verwendung entgegen dem Interesse der Bevölkerung an; die Kriterien der Gläubigerkenntnis433 und des 427  Memorandum of American Peace Commission, Paris, 14. Oktober 1898, abgedruckt in Moore, Digest of International Law, S. 358 f. 428  Feilchenfeld, Public Debts, S.  339; Moore, Digest of International Law, S.  357 f.; Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 399. 429  Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 252 und 253. 430  Vgl. den spanischen Vertragsentwurf, abgedruckt bei Moore, Digest of International Law, S. 367. 431  Vgl. Art. 1 des Vertrages vom 10.  Dezember 1898, abrufbar unter http: /  / ava lon.law.yale.edu / 19th_century / sp1898.asp. 432  Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 256. 433  Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1215 f. unterstellen die Kenntnis der Gläubiger wegen Offenkundigkeit; Kenntnis bedeutet in ihrem Fall, auf das falsche Land gesetzt zu haben und das Risiko der Rückzahlungsverweigerung bei Hoheitswechsel bewusst in Kauf genommen zu haben; dass dies in der Argumentation der USA vorgebracht wurde, ist jedoch nicht ersichtlich.



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despotischen Regimes spielten hingegen keine Rolle. Insbesondere war die Frage der Zustimmung durch die Bevölkerung keine Grundlage der moralischen Argumentation.434 Zwar äußerten die amerikanischen Vertreter: „They are debts created by the government of Spain, for its own purposes and through its own agents, in whose creation Cuba had no voice“.435 Dieses Argument ist jedoch im Vorfeld der oben zitierten moralischen Argumente zu finden und betrifft die vorgelagerte Frage, ob die Schulden lokale Schulden im Sinne des Rechts der Staatensukzession waren und damit grundsätzlich auf die USA übergehen sollten;436 einen Bezug zur odiösen Verwendung besteht nicht.437 In Betracht kommt der Fall Kubas folglich nur als Präzedenzfall für die Nichtigkeit solcher Schulden, die entgegen dem Interesse der Bevölkerung eingegangen wurden, wogegen wiederum die pauschale Zurückweisung aller Schulden spricht. Dabei hat der Fall die Besonderheit, dass das Interesse Spaniens an der Schuldübernahme durch die USA primär daher rührte, dass Spanien für die kubanischen Anleihen bürgte; damit war es gewissermaßen der Schuldner des Bürgschaftsanspruches, der die odiöse Verwendung der Schulden veranlasst hatte.438 Entscheidend für das Vorliegen von Gewohnheitsrecht ist, inwieweit in den hier bezeichneten Abläufen eine opinio iuris zum Ausdruck kommt. Zunächst einmal kann eine vertragliche Regelung sowohl für als auch gegen die Annahme von Völkergewohnheitsrecht sprechen, da es einerseits bei Vorliegen einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel keiner ausdrücklichen vertraglichen Regelung mehr bedürfte, andererseits im Vertrag eine solche Regel auch gerade bestätigt werden könnte. Ohnehin wurde die Frage des Umgangs mit den kubanischen Schulden nur im Ergebnis geregelt, ohne dass auf die Legitimität der Schulden verwiesen wurde, sodass der Friedensvertrag selbst weder für noch gegen die Anerkennung einer OdiousDebts-Doktrin spricht. Von Interesse ist daher das Zustandekommen des Friedensvertrags. Hier wird deutlich, dass die USA auch auf das moralische Argument des mangelnden Nutzens für die Bevölkerung abstellten,439 und 434  Anders King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 26, der aber auf das im Folgenden ausgeführte nicht eingeht. 435  Abgedruckt in Moore, Digest of International Law, S. 358. 436  In diese Richtung auch Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 253. 437  Teilweise wird daraus allerdings das Element der Zustimmung der Bevölkerung abgeleitet, ohne dass jedoch der Kontext des Zitates Berücksichtigung findet, vgl. etwa Gentile, LCP 2010(73), 151, 155. 438  Vgl. auch Feilchenfeld, Public Debts, S. 333, der ausführt, dass die Schulden in erster Linie spanische waren. 439  Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 252 ff. insbes. 254 wenden ein, dass die USA eher hilfsweise auf moralische Gründe verwiesen,

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der spanische Vorschlag zur Durchführung eines Schiedsverfahren diesem zumindest Raum gab, ohne jedoch deutlich eine Aussonderung gerade bevölkerungswidriger Schulden vorzusehen.440 Dass Spanien eine Aussonderung mancher Schulden im Rahmen eines Schiedsverfahrens in Kauf nehmen wollte, um die Übernahme wenigstens eines Teiles der Schulden zu erreichen, muss daher nicht zwingend aus der Rechtsmeinung resultieren, dass diese Schulden tatsächlich unwirksam seien. Denn vorliegend handelt es sich um einen Friedensvertrag, bei dem typischerweise die Lösung zugunsten der siegreichen und zuungunsten der unterlegenen Partei ausfällt.441 Im Ergebnis führten die Verhandlungen schließlich zu einer undifferenzierten Verweigerung aller Schulden,442 was der klassischen Odious-DebtDoktrin widerspricht. Interessanterweise kommen Vertreter Kubas selbst gar nicht zu Wort443 – ob, oder vielmehr mit welcher Begründung sich diese gegen die Übernahme von Schulden ausgesprochen hätten, ist daher ebenfalls unklar. Erschwerend für die Übertragbarkeit auf heutige Anwendungsfälle kommt noch hinzu, dass es sich bei dem Fall Kubas mit der schrittweisen Unabhängigkeit nachdem sie die Klassifizierung der kubanischen Schulden als Kuba zurechenbar („local“) ablehnten. 440  Vgl. den spanischen Vertragsentwurf, abgedruckt bei Moore, Digest of International Law, S. 367; dass darin, wie Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 256 ausführen, ein Angebot gesehen werden kann, gerade entgegen dem Bevölkerungsinteresse eingegangene Schulden auszusondern, ist aus dem Wortlaut des Vertragsentwurfes nicht zwingend herzuleiten („The relinquishment and transfer made by her Catholic Majesty and accepted by the United States of America embrace: … All the charges and pecuniary obligations, outstanding at the date of the ratification of this treaty, which upon careful examination of their origin, their purposes and the conditions of their creation, should be adjudged according to strict law and undeniable equity to be different from the charges and obligations which properly and specifically belong to the Peninsular treasury, owing to their having been at all times properly and specifically belonging to Cuba“, zitiert in Moore, Digest of International Law, S. 367). 441  Pérez / Weissman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 699, 719 sprechen von der „logic of the victor imposing the terms of peace on the vanquished“, Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 55 von „the felicitous meeting of theory and praxis resulting in what can only be described as a maximization of national self-interest. … The exercise of naked power is always more acceptable when clothed in justificatory rhetoric“. Auch Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 35 verweist darauf, dass das Ergebnis maßgeblich die derzeitigen Machtverhältnisse widerspiegelt. 442  Vgl. Feilchenfeld, Public Debts, S. 339 f., der herausstellt, dass mindestens 25 % des kubanischen Budgets für reguläre Ausgaben verwendet wurden. In eine ähnliche Richtung auch Cheng, LCP 2007(70), 7, 16. 443  Die US-Vertreter hatten allerdings darauf verwiesen, dass die kubanischen Vertreter in den die Kreditvergabe autorisierenden Gremien gegen die Eingehung der Schulden gestimmt hatten, vgl. Feilchenfeld, Public Debts, S. 338.



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eines Staates von Kolonialmächten um eine Konstellation handelte, in welcher die Regeln zur Übertragbarkeit von Schulden sich später ohnehin eher zugunsten eines finanziellen Neuanfangs entwickelten (s. o. C.II.1.a)bb)) zu den „newly independent states“). Der Kuba-Fall ist mithin ein Beispiel für einen Hoheitswechsel, bei welchem die Übernahme der Schulden pauschal und (auch) mit moralischen Gründen verweigert wurde; ob dieses Verhalten auf einer klaren opinio iuris zugunsten der Odious-Debts-Doktrin beruht, ist aber zumindest fraglich.444 Ohnehin ist ein Einzelfall nicht geeignet, eine von einer Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis zu begründen,445 so dass anhand der weiteren Präzedenzfälle zu untersuchen ist, ob sich der Standpunkt der USA als Rechtsregel durchsetzen konnte. Die oben zitierte Argumentation der USA gibt zudem insofern zu denken, als es als ungerecht statuiert wird, dass die Kosten der Niederschlagung eines illegitimen Aufstandes der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Es leuchtet nicht ein, warum in einem demokratischen Staat die Kosten der Verteidigung beispielsweise gegen einen Militärputsch nicht von der Allgemeinheit getragen werden sollten. Dies zeigt, wie unterschiedlich das Tatbestandsmerkmal des Interesses der Bevölkerung in seiner Bedeutung interpretiert werden kann. Andererseits kann es problematisch sein, die Frage der Geltung odiöser Schulden völlig losgelöst von der Regierungsform zu führen (vgl. dazu unten, Kapitel 3 B.III.). (4) Jarvis-Fall (1903) Die Eingehung öffentlicher Schulden zu persönlichen Zwecken hat der Jarvis-Fall zum Inhalt. Im Jahr 1849 versuchte der im Exil lebende ehemalige Präsident Venezuelas José Antonio Páez mit militärischen Mitteln die amtierende Regierung von Venezuela abzusetzen. Dazu stattete ihn der USAmerikaner Nathaniel Jarvis mit einem Kriegsschiff und Munition im Wert von ca. 41.000 USD aus,446 was wohl mit der Erwartung der Bezahlung 444  So auch Abrahams, in: Bhavani, Odious Debts, S.  7; Pérez / Weissman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 699, 719; anders allerdings King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 25 f. („generally regarded as the first direct application of a doctrine of odious debt. … The fit between this practice and the doctrine is perfect“) und Howse, Odious Debt, S. 11; Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 63 ff., wendet die Inkonsequenz der US-amerikanischen Haltung im Vergleich zur Herangehensweise im Falle der Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich ein; zur (fragwürdigen) Vergleichbarkeit dieser Fälle s. aber unten, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(8). 445  Den Schluss von einem einzelnen Präzedenzfall auf eine Rechtsregel scheint aber Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., para. 167, zu ziehen. 446  Jarvis-Fall, abgedruckt in: Ralston / Doyle, Venezuelan Arbitrations, S. 145– 151, 145 ff.

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nach der Machtübernahme verbunden war. Diese scheiterte zwar, jedoch wurde Páez im Jahr 1861 zum obersten zivilen und militärischen Befehlshaber der Republik ausgerufen und kehrte nach Venezuela zurück.447 Während der folgenden zweijährigen Regierungszeit Páez’ gab die venezolanische Regierung an Jarvis Anleihen aus, die dem Wert der militärischen Ausrüstung entsprachen und ausdrücklich auf ein entsprechendes Darlehen Bezug nahmen.448 Nachdem die Anleihen von der Folgeregierung nicht bedient wurden, hatte ein Gericht über die Wirksamkeit der Forderung zu entscheiden. Das Gericht stellte zunächst fest, dass die US-amerikanische Regierung die Regierung unter Páez nie anerkannt hatte, sodass die Ausgabe der Anleihen nicht als Handlung der venezolanischen Regierung angesehen werden könne.449 Zudem wurde auf das der Anleihe zugrunde liegende Kausalgeschäft abgestellt, welches gegen einen Freundschaftsvertrag zwischen den USA und Venezuela verstieß und daher als nach US-amerikanischem Recht nichtig angesehen wurde.450 In diesem Zusammenhang führte das Gericht aus: „Differences of opinion may exist as to the political ethics which would justify a temporary ruler in paying his personal debts with national obligations; but certainly none can exist as to the legal proposition that a subsequent contract made in aid and furtherance of the execution of one infected with the illegality partakes of its nature, rests upon an illegal consideration, and is equally in violation of the law.“451

Da bereits die als Darlehen klassifizierte Unterstützung durch die Bereitstellung militärischer Mittel unwirksam war, wurde auch die Erfüllung des Anspruches durch die Ausgabe von Anleihen als unwirksam angesehen.452 Über die Frage, ob eine Regierung öffentliche Schulden zu persönlichen Zwecken eingehen darf, hatte das Gericht somit nicht zu befinden, weil es bereits aus dem zugrunde liegenden Geschäft sowie aus der mangelnden Anerkennung der handelnden Regierung die Unwirksamkeit der Anleihen folgerte. Ein Präzedenzfall für die Odious-Debts-Doktrin lässt sich aus dem Jarvis-Fall daher nicht herleiten.453

abgedruckt in: Ralston / Doyle, Venezuelan Arbitrations, S. 147. abgedruckt in: Ralston / Doyle, Venezuelan Arbitrations, S. 146. 449  Jarvis-Fall, abgedruckt in: Ralston / Doyle, Venezuelan Arbitrations, S. 150. 450  Jarvis-Fall, abgedruckt in: Ralston / Doyle, Venezuelan Arbitrations, S.  148 ff. 451  Jarvis-Fall, abgedruckt in: Ralston / Doyle, Venezuelan Arbitrations, S. 150. 452  Jarvis-Fall, abgedruckt in: Ralston / Doyle, Venezuelan Arbitrations, S. 150. 453  Mit diesem Ergebnis auch Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 40; in eine ähnliche Richtung Leyendecker, Auslandsverschuldung, S. 191. 447  Jarvis-Fall, 448  Jarvis-Fall,



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?173

(5) K  osten der „Germanisierung“ Polens und Lösung im Vertrag von Versailles (1919) Der Vertrag von Versailles sah vor, dass im Fall von Gebietszessionen der Teil der Schulden des Deutschen Reiches an den Zessionar überging, der dem Verhältnis der Wirtschaftsleistung der abgetretenen Gebiete zum gesamten Reich entsprach, wobei nur Schulden bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges erfasst wurden (Art. 254 des Vertrages von Versailles; s. zu diesen war debts oben, aa)(4)). Weiterhin regelte Art. 92 des Vertrags, dass der Anteil der Schulden, der nach Ansicht des Wiedergutmachungsausschusses „auf die von der deutschen und preußischen Regierung für die deutsche Besiedlung Polens getroffenen Maßnahmen entfällt“, nicht auf Polen überging, da es nach Ansicht der Alliierten inakzeptabel war, Polen eine Schuld aufzubürden, die dazu diente, den preußischen Einfluss zulasten der polnischen Traditionen und Rechte auszuweiten.454 Gemeint waren damit die Maßnahmen Preußens „zur Stärkung des Deutschtums in den Grenzmar­ ken“455, die mithilfe eines seit 1888 mehrfach aufgestockten Fonds zur Unterstützung deutscher Siedler in Westpreußen und Posen durchgeführt worden waren.456 Ein Teil des Geldes war von der „Ansiedlungskommission für Posen und West-Preußen“ zum Kauf von Grundstücken in Polen verwendet worden; da die Grundbesitzer ihr Land nur ungern an Deutschland verkauften, autorisierte ein Gesetz von 1908 die Behörden zur Enteignung von Grundbesitz gegen finanzielle Entschädigung.457 Ein Gesetz von 1912 schuf schließlich die finanzielle Grundlage für den weiteren Erwerb von Grundbesitz in Westpreußen, Pommern, Schlesien und Schleswig-Holstein durch die Bereitstellung von 100 Mio. Reichsmark und die Autorisierung zur Ausgabe von Anleihen.458. Während die so entstandenen Schulden somit grundsätzlich nicht (anteilig) auf Polen übergingen, stellte sich nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Versailles die Frage, ob auch der Teil der Schulden aus dem Gesetz von 1912, der nicht die an Polen abgetretenen Gebiete Westpreußen und Posen betraf, von der Berechnung der Gesamt454  „Il est inadmissible que l’on puisse envisager de faire supporter directement ou indirectement à la Pologne les charges d’une dette contractée pour étendre l’influence prussienne aux dépens des traditions et droits polonais“, Antwort der Alliierten und Assoziierten Mächte auf die Bemerkungen der deutschen Delegation, zitiert nach Feilchenfeld, Public Debts, S. 452 Fn. 85; s. a. Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 168. 455  Sack, Dettes Publiques, S. 159 m. w. Nachw. 456  Feilchenfeld, Public Debts, S. 450 ff.; Sack, Dettes Publiques, S. 159 f. 457  Feilchenfeld, Public Debts, S. 451; Sack, Dettes Publiques, S. 160 m. w. Nachw. 458  Feilchenfeld, Public Debts, S.  452 m.  w.  Nachw.; Sack, Dettes Publiques, S. 160.

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schulden auszunehmen war; der Wiedergutmachungsausschuss entschied jedoch, dass ausweislich des Wortlauts des Vertrages die Schulden zur Germanisierung Polens auf Gebieten, die nicht an Polen abgetreten wurden, nicht von der Ausnahme betroffen waren und damit anteilig an Polen übergingen.459 Was die vom Übergang ausgenommenen Schulden anbelangt, kritisiert Sack, dass den Bevölkerungsinteressen entgegenlaufend nicht der Kauf der Ländereien gewesen sei – tatsächlich waren für die Grundstücke zunächst hohe Preise gezahlt worden, sodass das Geld innerhalb Polens blieb –, sondern die Ersetzung polnischer Siedler durch deutsche, und dass der polnische Staat als Zessionar von den Investitionen in die Agrarwirtschaft profitiert habe.460 Die Behandlung der Germanisierung Polens ist mithin nur auf den ersten Blick ein Anwendungsfall der kubanischen Kriterien für subjugation debts,461 weil ein Teil der durch die Schulden finanzierten Investi­ tionen im Land verblieb (Kaufpreise, Entschädigungszahlungen und Agrar­ investitionen), während im Fall Kubas die Schulden zur militärischen Unterdrückung der Bevölkerung sowie zur Finanzierung von Kriegen außerhalb Kubas benutzt wurden. Dass die Verwendung der Gelder zugunsten der Germanisierung Polens als odiös angesehen wurde, ist nachvollziehbar, allerdings mangelt es – wie im Fall Kubas – an einer Untersuchung des Nutzens im Einzelfall. Schließlich hatte die Bevölkerung Polens ebenso wenige Vorteile daraus, dass Gelder zur Germanisierung Westpreußens und Posens eingesetzt wurden, musste diese Kosten aber anteilig übernehmen. (6) D  eutsche Schutzgebietsanleihen 1908–1911 und Lösung auf Grundlage des Vertrages von Versailles Von den Schulden des Deutschen Reiches, welche anteilig auf die Zes­ sionare deutscher Gebiete übergingen, nahm die Wiedergutmachungskommis­ sion auch die zwischen 1908 und 1911 zulasten deutscher Kolonien ausgegebenen und durch das Deutsche Reich garantierten Schutzgebietsanleihen aus.462 Diese Anleihen mussten alleine von Deutschland beglichen werden.463 Sack wendet ein, dass es sich bei den Anleihen aus Sicht der Staaten, die Gebiete des deutschen Reiches erwarben, gerade nicht um odiöse Schul459  Feilchenfeld,

Public Debts, S. 452 m. w. Nachw. Dettes Publiques, S. 164. 461  So aber Howse, Odious Debt, S. 11; King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 18 und 27. 462  Sack, Dettes Publiques, S. 161. 463  Vgl. auch Art. 257 des Vertrages von Versailles, demnach ein Übergang von Schulden auf die Kolonien ebenfalls nicht stattfand. 460  Sack,



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?175

den handelte. Denn in der Tat waren diese Schulden nicht gegen die Interessen der Bevölkerungen der jetzt übergegangenen Gebiete des deutschen Reiches gerichtet, sondern gegen die der Bevölkerung der jeweiligen Kolonien, und es kann davon ausgegangen werden, dass die deutschen Gebiete aus der deutschen Kolonialpolitik sogar Nutzen gezogen hatten. Auch ein Übergang der Schulden auf die Erwerber der Kolonien oder auf die Kolonien selbst wurde im Vertrag von Versailles ausgeschlossen, vgl. Art. 257 des Vertrags. Dabei fällt auf, dass an keiner Stelle nach dem verbleibenden Nutzen in den Kolonialgebieten differenziert wurde,464 obwohl die Schutzgebietsanleihen vornehmlich der Finanzierung des Ausbaus des Eisenbahnnetzes dienten.465 (7) T  inoco-Schiedsspruch (1923) über die Zurückweisung der Schulden Costa Ricas von 1919 Der Tinoco-Schiedsspruch befasst sich mit der Wirksamkeit einer Zahlung an den costa-ricanischen Präsidenten Frederico Alberto Tinoco Granados durch die Royal Bank of Canada im Jahr 1919. Im Januar 1917 erlangte Tinoco durch einen Militärcoup die Macht in Costa Rica. In der Folge ließ er sich zum Präsidenten Costa Ricas wählen und im Juni desselben Jahres eine neue Verfassung verabschieden.466 Während Tinoco in der Anfangszeit seiner Präsidentschaft noch weitgehende Unterstützung aus der Bevölkerung erfuhr,467 führte seine autoritäre Staatsführung zum Schwinden seiner Popularität in den folgenden zwei Jahren. Ab Frühling 1919 kam es zu bewaffneten Aufständen, sodass sich Tinoco im August 1919 zum Rücktritt gezwungen sah und das Land verließ,468 allerdings mit finanzieller Absicherung: Noch im Juli hatte Tinoco sich von der Royal Bank of Canada zu Lasten von Costa Rica einen Kredit469 in Höhe von 200.000 USD auszahlen lassen, wovon ausweislich der Buchhaltung der Regierung die kritisiert Sack, Dettes Publiques, S. 161. den Eintrag im Deutschen Kolonial-Lexikon von 1920, Band 3, S. 313 ff., abrufbar unter http: /  / www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de / Bildprojekt / Lexikon /  php / suche_db.php?suchname=Schutzgebietsanleihen. 466  Aguilar-Amory and Royal Bank of Canada Claims (Great Britain / Costa Rica), Schiedsspruch vom 18. Oktober 1923, R.I.A. A. 1, 369, 376 ff. Ausführlich dazu Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 37 ff. 467  Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 261 m. w. Nachw.; Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 379. 468  Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 376. 469  Die tatsächliche Gestaltung der Auszahlung ist kompliziert und wohl als Anleihe zu qualifizieren, vgl. Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 387 ff.; vgl. auch Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 38. 464  Dies 465  Vgl.

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eine Hälfte „for expenses of representation of the Chief of State in his approaching trip abroad“ bestimmt war, während die andere Hälfte als Bezahlung der Mission seines Bruders José Joaquín Tinoco Granados als Gesandter in Italien für vier Jahre im Voraus diente.470 Unter dem 1919 zum neuen Präsidenten gewählten Julio Acosta García verabschiedete der Kongress Costa Ricas 1922 ein Gesetz, in welchem alle Verträge zwischen der Tinoco-Regierung und Privaten für unwirksam erklärt wurden.471 In der Folge entstand ein Streit zwischen Großbritannien und Costa Rica über die Wirksamkeit dieses Gesetzes in Bezug auf die Zahlung der (britischen) Bank of Canada vom Juli 1919 sowie hinsichtlich Ölförderungs­konzessionen zugunsten eines weiteren britischen Unternehmens. Die Parteien bestimmten den ehemaligen Yale-Professor, Kolonialverwalter der Philippinen, US-Präsidenten und damaligen Obersten US-Bundesrichter (Chief Justice) William Howard Taft zum alleinigen Schiedsrichter.472 In seiner Entscheidung betonte Taft zunächst den Grundsatz, dass innere Wechsel den Bestand eines Staates unbeeinträchtigt lassen, und führt aus, dass den Handlungen des Tinoco-Regimes grundsätzlich Rechtswirksamkeit zukam, obwohl die Regierung aus einer Revolution hervorgegangen war und damit gegen die alte Verfassung Costa Ricas verstieß, da allein maßgeblich Tinocos de-facto-Gewalt über Costa Rica sei.473 Bezüglich der Ölförderungskonzessionen stellte Taft fest, dass diese bereits deswegen unwirksam waren, weil sie mangels Autorisierung durch das zuständige Gremium gegen die unter Tinoco verabschiedete Verfassung verstießen; das Gesetz zur Unwirksamkeit war daher ohne Auswirkung auf die ohnehin schon nichtigen Verträge und konnte die Interessen des britischen Unternehmens nicht verletzen.474 Im Hinblick auf die Zahlungen der Royal Bank of Canada kam Taft unter Zitierung des Jarvis-Falles475 zu dem Ergebnis, dass die der Auszahlung zugrunde liegende Anleihe von derartigen Unregelmä470  Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 390 ff., insbes. 393 f. Der für José Joaquín Tinoco bestimmte Teil wurde nach dessen Tod im August 1919 allerdings durch zwei Hypotheken zulasten von dessen Immobilien gesichert, sodass Costa Rica verpflichtet wurde, jedenfalls diesen Teil an die Royal Bank of Canada zurückzuzahlen, vgl. ebd., 395. 471  Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 376. 472  Vgl. Convention Between the British Government and the Government of Costa Rica for the Submission to Arbitration of Certain Claims Against the Government of Costa Rica, 12. Januar 1922, abgedruckt in R.I.A. A., 1, 371 ff.; zur Person Tafts s. Lienau, Yale J.Int’l L. 2008(33), 63, 89 und 92 f. und Ludington  u. a., ­Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 263 ff. 473  Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 377 ff. 474  Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 397 ff. 475  Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 383; zum Jarvis-Fall vgl. oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(4); Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11),



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ßigkeiten durchzogen war, dass die Bank nicht die Rückzahlung fordern konnte: „The Royal Bank cannot here claim the benefit of the presumptions which might obtain in favor of a bank receiving a deposit in regular course of business and paying it out in the usual way upon checks bearing no indication on their face of their purpose. The whole transaction here was full of irregularities. There was no authority of law, in the first place for making the Royal Bank the depositary of a revolving credit fund. … The thousand dollar colones bills were most informal and did not comply with the requirements of law as to their form, their signature or their registration. The case of the Royal Bank depends not on the mere form of the transaction but upon the good faith of the bank in the payment of money for the real use of the Costa Rican Government under the Tinoco régime. It must make out its case of actual furnishing of money to the government for its legitimate use. It has not done so. The bank knew that this money was to be used by the retiring president, F. Tinoco, for his personal support after he had taken refuge in a foreign country. It could not hold his own government for the money paid to him for this purpose. … The case of the money paid to the brother, the Secretary of War, and the appointed Minister to Italy, is much the same. … It includes the salaries and expenses for four years. To pay salaries for four years in advance is a most unusual and absurd course of business. All the circumstances should have advised the Royal Bank that this second draft, too, was for personal and not for legitimate government purposes. It must have known that Jose Joaquin Tinoco in the fall of his brother’s government, which was pending, could not expect to represent the Costa Rican Government as its Minister to Italy for four years, that the reasons given for the payment of the money were a mere pretense and that it was only, as in the case of his brother Frederico, an abstraction of the money from the public treasury to support a refugee abroad.“476

Zu einer weiteren Auszahlung, deren Verwendung zum Umtausch des übrigen Geldes in USD vermutet werden kann, führte Taft aus: „Whatever it [= the purpose of the sum] was, it is so closely connected with this payment for obviously personal and unlawful uses of the Tinoco brothers that in the absence of any explanation on behalf of the Royal Bank, it cannot now be made the basis of a claim that it was for any legitimate governmental use of the Tinoco government.“477

Taft nahm also eine Beweislastumkehr an, die darauf beruhte, dass der Zahlung eine Reihe von Irregularitäten zugrunde lagen,478 und dass die Bank wusste, dass das Geld von Tinoco für persönliche Zwecke verwendet werden würde; da es der Bank nicht gelang, zu beweisen, dass das Geld 247, 268 weisen darauf hin, dass Taft den Jarvis-Fall nur einleitend zitiert, ohne auf diesen als Präzedenzfall zurückzugreifen. 476  Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 394. 477  Great Britain / Costa Rica, R.I.A. A. 1, 369, 394. 478  Den Verstoß gegen interne rechtliche Vorgaben sieht Lienau ausschlaggebend und leitet aus der Entscheidung daher eine entsprechende Einschränkung des Effektivitätsgrundsatzes ab, vgl. Lienau, Yale J.Int’l L. 2008(33), 63, 77 ff.

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doch zu legitimen Regierungszwecken verwendet wurde, konnte die Bank es nicht zurückfordern. Eine teilweise Übereinstimmung der Entscheidung mit der klassischen Odious-Debts-Doktrin ist nicht von der Hand zu weisen.479 Während der Frage, ob es sich bei Tinoco um einen Despoten handelt, für Taft zur Beurteilung der Wirksamkeit der Schuld keine Bedeutung zukommt, sind für die mangelnde Rückzahlung die positive Kenntnis der Kreditgeber von der möglichen Verwendung ohne Nutzen für die Bevölkerung (nämlich zu rein persönlichen Zwecken der Tinoco-Brüder) sowie der fehlende Beweis einer tatsächlichen Verwendung zugunsten der Bevölkerung ausschlaggebend. Zudem lässt Taft mit Bezug auf die zweite Auszahlung zugunsten Tinocos Bruders ausdrücklich die fahrlässige Unkenntnis der Gläubiger genügen, was von Sack interessanterweise nicht für die Defini­tion von Odious Debts übernommen wurde.480 Hingegen ist die Zustimmung der Bevölkerung im Tinoco-Fall wie auch in der Sack’schen Definition kein konstitutives Merkmal. Für Ansätze, die diese miteinbeziehen, stellt sich hier aber das interessante Problem, wie lange die Zustimmung innerhalb einer Legislaturperiode angenommen werden kann.481 Denn Tinoco hatte seine Präsidentschaft durch Wahlen erfolgreich bestätigt, zeichnete sich aber in der Folge durch einen despotischen Regierungsstil aus. Mit Ausnahme des Verweises auf „good faith“ findet sich in der Entscheidung keine juristische Begründung dafür, warum die Bank die Verwendung des durch Tinoco entliehenen Geldes nachweisen müsste.482 Der Schiedsspruch will freilich keine allgemeine Doktrin aufstellen, sondern ist eine Einzelfallentscheidung, die zudem auf extremen Umständen beruht.483 Die Regierung Tinocos war wegen militärischer Unruhen bereits kurz vor dem Abdanken, und Tinoco traf Vorbereitungen für seine Flucht ins Ausland, die nach Tafts Ansicht auch der Royal Bank of Canada nicht verborgen bleiben konnten. Dass das an Tinoco vor diesem Hintergrund ausgezahlte Geld nicht der Staatskasse zugutekommen würde, drängte sich somit auf und rechtfertigte die Annahme der Bösgläubigkeit der Bank. Die Abhebung Tinocos stellte somit eine Handlung dar, die evident nicht mit Regierungstätigkeit in Verbindung stand. Davon ist der Fall zu unterscheiden, dass ein Diktator Gelder nicht für rein persönliche Zwecke, sondern für öffentliche, nicht der Bevölkerung zugutekommende Ziele, verwendet, wie das beim Kauf von Waffen oder beim Bau von Gefängnissen zur Unterdrückung Oppositionel479  Kritisch Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 258 ff., die aber dem Kriterium des despotischen Regimes eine zu große Bedeutung einräumen. 480  Genauer zu diesem Problem unten, Kapitel 3 A.I.1. 481  In diese Richtung auch Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 262. 482  So auch die Kritik von Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 40. 483  In diese Richtung auch Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 12.



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ler der Fall ist. Als Präzedenzfall scheint die Entscheidung folglich für Fälle geeignet, in denen ein Regierungschef Kredite offensichtlich zur persönlichen Verwendung aufnimmt; in diesem Fall ist der Staat nicht zur Rückzahlung verpflichtet.484 Vieles spricht dann dafür, die mangelnde Rückzahlungspflicht schon daraus abzuleiten, dass der Staat gar nicht erst verpflichtet wurde,485 anstatt nur den Übergang dieser Verpflichtung auf die Nachfolgeregierung für unwirksam zu befinden. Bemerkenswert ist, dass der Fall, anders als die klassische Odious-Debts-Doktrin, nicht an einen Fall der Staatensukzession anknüpft, sondern einen Fall des Regierungswechsels mit Beteiligung privater Gläubiger betrifft. (8) Z  ahlungsverweigerung des Deutschen Reiches nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland (1938) Mit dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland im Jahre 1938 stellte sich die Frage, was mit den Schulden Österreichs geschehen sollte. Betroffen waren auch Schulden gegenüber den USA und US-amerikanischen Banken.486 Nachdem eine österreichische Kreditrate nicht bedient worden war, protestierte die US-amerikanische Regierung daher gegenüber Deutschland und verwies auf die „general doctrine of international law founded upon obvious principles of justice“, der zufolge im Fall der Eingliederung („absorption“) eines Staates in einen anderen die Schulden und Verpflichtungen auf den neuen Souverän übergingen487 – was das Deutsche Reich mit Verweis u. a. auf das Verhalten Englands nach dem Burenkrieg (s. o. aa) (3)) ablehnte.488 Die USA betonten aber, dass die wenigen Ausnahmen vom Prinzip des Übergangs der Schulden vorliegend keine Anwendung fänden, denn „…  [the] loans were made in time of peace, for constructive works and the relief of human suffering.“489 In der Tat hatte ein bedeutender Teil 484  Viel weiter geht Howse, Odious Debt, 12 („Taft’s judgment adopts a consistent approach confirming the rule on the non-transferability of ‚odious debts‘ “). 485  Vgl. auch Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 402 („the arbitrator invalidated on moral grounds a contract that was already null and void anyway“); vgl. auch Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 267 („the loans in effect became the personal loans of the Tinocos“). 486  Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 63 m. w. Nachw. 487  Department of State, XVIII Press Releases, weekly issue 455, S. 694–695 (17. Juni 1938), zitiert in Hackworth, Digest of International Law, S. 544 f. 488  Rede des Reichswirtschaftsministers vom 16. Juni 1938, abgedruckt in Brandt, ZaöRV 1939(9), 127, 133, in welcher weiterhin das Verhalten der USA nach dem Bürgerkrieg mit den Südstaaten sowie die Position Frankreichs in Bezug auf Madagaskar als Präzedenzfälle angeführt wurden. 489  Department of State, XVIII Press Releases, Weekly Issue 455, S. 694–695 (17. Juni 1938), zitiert in Hackworth, Digest of International Law, S. 544 f.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

der Schulden seinen Ursprung in der Beschaffung von Lebensmitteln in den 1920er Jahren.490 Der Ansatzpunkt des Deutschen Reichs war aber, dass Kredite an Österreich nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt worden waren, dass Österreich bestimmte wirtschaftliche und finanzielle Reformen durchführte und außerdem keine Handlungen vornahm, die die Unabhängigkeit Österreichs beeinträchtigen würden.491 Aus diesem Grund argumentierte das Deutsche Reich, die Schulden seien entstanden, um einen „inkompetenten österreichischen Staat“ zu stützen, der künstlich durch die Pariser Verträge geschaffen worden sei.492 Zur Empörung der USA traf die deutsche Regierung gleichzeitig mit weiteren betroffenen Regierungen Regelungen über die Rückzahlung einzelner Schuldenposten,493 während die US-amerikanischen Ansprüche nicht verhandelt wurden. Dies wiederum wurde mit Handelsüberschüssen mit diesen Staaten begründet, aus welchen die Schulden bedient werden konnten, was auf das Verhältnis zu den USA nicht zutraf.494 Im weiteren Verlauf bot das Deutsche Reich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und erfolglos an, einen Teil der Anleihen in USDollar gegen Anleihen in Reichsmark zu tauschen;495 erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Zahlung der Schulden durch Deutschland und Österreich dahingehend geregelt, dass Deutschland die während des Anschlusses eingegangenen Schulden anerkannte und Österreich im Übrigen die Rückzahlung der Schulden wiederaufnahm.496 Zur Beurteilung der gewohnheitsrechtlichen Geltung einer Odious-DebtsDoktrin ist bereits das notwendige Element der Staatenpraxis unklar, da eine Verweigerung der Schulden mit im weiteren Sinne moralischen Argumenten soweit ersichtlich nur gegenüber den USA stattfand, während die übrigen Verbindlichkeiten (wenngleich modifiziert) bedient wurden. Insbesondere bedarf jedoch die Position Deutschlands, die einige Autoren als mit dem Vorgehen der USA hinsichtlich Kubas völlig konsistent497 bzw. als einen extremen Anwendungsfall der Odious-Debts-Doktrin498 qualifizieren, 490  Garner,

AJIL 1938(32), 421, 425. U.Ill.L.Rev. 1982, 9, 22. 492  Hackworth, Digest of International Law, S. 545. 493  Allerdings jeweils ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, vgl. Hammer, Staatennachfolge, S.  144 m. w. Nachw. 494  Hackworth, Digest of International Law, S. 546 f. 495  Hackworth, Digest of International Law, S. 546. 496  O’Connell, State Succession, S. 383 f. 497  Hoeflich, U.Ill.L.Rev. 1982, 39, 63 („fully consistent“). Hoeflich verweist weiterhin auf die Gemeinsamkeiten des Falles mit dem Vorgehen der USA bei der Eingliederung von Texas, wobei es sich jedoch dort nicht um einen Fall der Odious Debts handelte, da Legitimität der Schulden nicht in Frage stand, vgl. ebd., S. 48 ff. 498  Foorman / Jehle, U.Ill.L.Rev. 1982, 9, 21. 491  Foorman / Jehle,



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inhaltlich genauerer Betrachtung. Im Gegensatz zu Kuba, wo die Kredite zur bewaffneten Unterdrückung von Aufständen in Kuba, für den Kubanern in keiner Weise nützliche Militäreinsätze in anderen Ländern sowie zur Konsolidierung des spanischen Haushaltes eingesetzt wurden, waren die mit der Kreditvergabe an Österreich zusammenhängenden Konditionen nicht ohne Weiteres nachteilhaft für das österreichische Volk und fallen somit objektiv nicht unter die Sack’sche Definition. Die Argumentation Deutschlands erinnert auch eher an die Zurückweisung von war debts, welche aus Sicht des Kriegsgewinners als gegen diesen gerichtet und damit abscheulich zu qualifizieren sind, und zeigt die Gefahr, die von einer willkürlichen bzw. einseitigen Ausfüllung des Odious-Debts-Begriff ausgehen.499 Dass es sich bei der Bestärkung der österreichischen Unabhängigkeit aus Sicht des Deutschen Reiches um odiöse Konditionen gehandelt haben mag, kann für die Beurteilung der Schulden schwerlich das letzte Wort sein, wenn die Frage der Legitimität der Annexion durch das Deutsche Reich keinerlei Berücksichtigung findet. Wie die US-amerikanische Regierung zu Recht anführte, waren die Schulden zudem weder im zeitlichen Zusammenhang mit der Kriegsführung noch konkret zur Mobilisierung gegen Deutschland eingegangen worden. Schließlich fehlt es auch an einer gesonderten Behandlung solcher Kredite, deren Verwendung der Bevölkerung unmittelbar zugutekam. Die Verweigerung Deutschlands, österreichische Schulden zu übernehmen, stellt nach alldem keinen Anwendungsfall einer Odious-Debts-Doktrin dar, zeigt aber, wie wichtig objektive Kriterien und ein unabhängiges Gremium zur Bestimmung odiöser Schulden sind.500 (9) S  chulden aus der Zeit der niederländischen Intervention in Indonesien 1945–1949 Indonesien befand sich bis 1942 als Niederländisch-Indien unter niederländischer Kolonialherrschaft,501 bis es 1942 von Japan besetzt wurde. Nach der Kapitulation Japans am Ende des Zweiten Weltkrieges versuchten die Niederlande erneut, die ehemalige Kolonie militärisch zu besetzen; erst 1949 erlangte Indonesien volle Unabhängigkeit. Nun stellte sich die Frage nach der Fortgeltung der Verpflichtungen Niederländisch-Indiens. Bei der niederländisch-indonesischen Round-Table-Konferenz in Den Haag (23. August bis 2. November 1949) erklärte sich Indonesien bereit, einen Teil der 499  Reinisch / Hafner, Staatensukzession Sowjetunion, S. 72 bezeichnen den Fall daher als „mißbräuchliche, extrem weite Interpretation des Begriffs der ‚odious debts‘ “. 500  So auch King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 28. 501  Zu der (wechselnden) administrativen Ausgestaltung s. O’Connell, State Succession, S.  97 f.

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Schulden zu übernehmen, die vor der niederländischen Kapitulation 1942 eingegangen worden waren. Ausdrücklich abgelehnt wurde aber die Übernahme solcher Schulden, die von dem Versuch der Niederlande herrührten, die indonesische nationale Befreiungsbewegung durch die Finanzierung von Guerillas zu zerschlagen.502 Auf der Konferenz wurde schließlich ein Kompromiss gefunden, demnach Indonesien im Ergebnis ca. 70 % und die Niederlande die übrigen 30 % der genau aufgeschlüsselten Schulden übernahmen, wobei Bedjaoui anmerkt, dass dabei die als odiös zu qualifizierenden Schulden nicht vollständig bei den Niederlanden verblieben.503 Im Jahr 1956 sagte sich Indonesien von dieser Übereinkunft los. Im selben Jahr hatte der niederländische Oberste Gerichtshof in Den Haag über Ansprüche eines niederländischen Staatsbürgers zu entscheiden, der für die Verwaltung niederländisch-Indiens gearbeitet hatte und von den Niederlanden die Zahlung entgangenen Einkommens während japanischer Internierung forderte; der Gerichtshof wies die Klage mit der Begründung ab, die Schulden seien vertraglich an Indonesien übergegangen,504 was zur Folge hatte, dass richtiger Anspruchsgegner Indonesien gewesen wäre. Den Einwand des Klägers, es handle sich hierbei für Indonesien um vom Übergang ausgeschlossene odiöse Schulden, wies das Gericht zurück, ohne über die Existenz einer derartigen Rechtsregel zu befinden, weil es sie in diesem Fall für nicht anwendbar hielt.505 Die von den Niederlanden mit dem Ziel eingegangenen Schulden, Indonesien als Kolonie zu erhalten, lassen sich als subjugation debts bzw. nach Kapitulation der Niederlande 1942 auch als war debts qualifizieren. Allerdings wurden im Ergebnis zunächst auch odiöse Schulden übernommen und später alle Schulden zurückgewiesen. Letzteres deckt sich teilweise mit dem im Zuge der Entkolonialisierung etablierten Prinzip, demnach nur gebietsbezogene Schulden bei den Kolonien verbleiben, während allgemeine Schulden des Kolonialstaates keine Aufteilung erfahren.506 Bei Indonesien handelt es sich mithin um keinen klaren Präzedenzfall für die Odious-DebtDoktrin, weil zum einen im Ergebnis nicht nach dem Nutzen für die Bevölkerung differenziert wurde, und weil es sich zum anderen bei der Entkolonialisierung ohnehin um einen aus Sicht der Staatennachfolge privilegierten 502  Während des niederländisch-indonesischen Krieges insbesondere zwischen dem 21. Juli 1947 und dem 17. Januar 1948 sowie zwischen dem 29. Dezember 1948 und dem 1. August 1949, vgl. Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., para. 169. 503  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., para. 169. 504  Zu diesem Fall s. King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 645. 505  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 645 m. w. Nachw. 506  s. o. Kapitel 2 C.II.1.b)bb).



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Sachverhalt handelt, sodass es der Odious-Debts-Doktrin zur Begründung des Ergebnisses nicht bedurfte. (10) C  hinas Zahlungsverweigerung für Huguang-Railway-Bonds (1949) 1949 wies das kommunistische China mit Verweis auf den reaktionären Charakter der Republik China alle Schulden der Vorgängerregierung zurück.507 Dazu gehörten auch die sogenannten Salt-Bonds508 bzw. Railway Bonds509, mit deren Zahlung sich verschiedene US-Gerichte zu befassen hatten.510 Es handelte sich dabei um Anleihen, die noch vor dem Kollaps der Quing-Dynastie und der damit zusammenhängenden Errichtung der Republik China 1912 ausgegeben worden waren und die den Bau der Huguang-Eisenbahn finanzieren sollten. Da die Kredite unter massivem Druck auf die chinesische Regierung durch die investierenden Staaten mit dem Ziel zustande gekommen seien, die Quing-Dynastie zu stützen und ausländischen Einfluss zu sichern, wendete die Volksrepublik China ein, die Anleihen stellten odiöse Schulden dar.511 Gegen eine Behandlung dieser Schulden als Odious Debts spricht allerdings, dass mithilfe der Anleihen tatsächlich die Eisenbahnstrecke gebaut wurde, die für China noch heute von Nutzen ist.512 Über die Fra507  Das chinesische Regierungsprogramm besagte: „The People’s Republic of China must abolish all the prerogatives of imperialist countries in China. It must confiscate bureaucratic capital and put it into the possession of the people’s state“, zitiert nach Feinerman, LCP 2007(70), 193, 197; weitere Nachweise ebd. Zum Umgang der VR China mit vorrevolutionären Verträgen s. a. Geistlinger, Revolution und Völkerrecht, S.  319 ff. 508  So genannt, weil sie mit den Einkünften der Salt Administration of China abgesichert waren, vgl. Nelson / Bedard, I.F.L.Rev. 2010(29), 50, 51. 509  Dazu King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 646 f. 510  Weitere Nachweise bei King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 646 f. und Nelson / Bedard, I.F.L.Rev. 2010(29), 50, 51; eine ausführliche Darstellung des Falles Jackson v. People’s Republic of China findet sich bei Feinerman, LCP 2007(70), 193 ff. 511  „[T]he Chinese view the bonds as an improper part of the Western powers’ domination in China at the beginning of this century and as a direct cause of the Revolution of 1911. … the PRC maintains that under the principle of non-liability for ‚odious debts‘ China bears no responsibility for the bonds“, Jackson v. People’s Republic of China, 794 F.2d 1490, US Court of Appeals (11th Circuit), Urteil vom 25. Juli 1986, para. 34; dazu Feinerman, LCP 2007(70), 193, 197 ff. Backer, LCP 2007(70), 1, 31 kritisiert, dass China selbst ebendiese Taktiken in Staaten wie Zimbabwe anwende. 512  Feinerman, LCP 2007(70), 193, 200; weiterhin bediente die Republik China die Schulden, ohne deren Unwirksamkeit einzuwenden, was mit dem Nutzen des Projektes erklärt werden kann, s. ebd.

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ge, inwieweit es sich bei der Odious-Debts-Doktrin um einen wirksamen Einwand handelt, wurde im Übrigen gerichtlich nie entschieden, weil die Verfahren an der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte scheiterten.513 (11) U  nabhängigkeit Algeriens und durch Frankreich eingegangene Schulden (1962) Im Zuge der algerischen Unabhängigkeit lehnten die algerischen Unterhändler die Übernahme solcher Schulden ab, die Frankreich mit Wirkung für Algerien zur Finanzierung der Harkis und zur Entschädigung von Opfern des sog. „algerischen Terrorismus“ eingegangen war.514 Die Lösung in den Verträgen von Evian sah allerdings vor: „L’Algérie assume les obligations et bénéfice des droits contractés en son nom ou en celui des établissements publics algériens par les autorités françaises compétentes“.515 Alle lokalen, zu Lasten des algerischen Budgets eingegangenen Schulden gingen damit auf Algerien über, während für die das französische Mutterland betreffenden Schulden Frankreich haftbar blieb.516 Eine Sonderbehandlung bestimmter Schulden fand nicht statt.517 (12) E  nde des südafrikanischen Apartheidsregimes und Umgang mit den Apartheids-Schulden (1994) Nach dem Fall des Apartheidregimes ging 1994 der ANC bei den ersten allgemeinen Wahlen in Südafrika als Wahlsieger hervor. Die Schuldenlast Südafrikas betrug zu diesem Zeitpunkt 250 Milliarden Rand (ca. 74 Milli513  In Jackson v. People’s Republic of China, 794 F.2d 1490, entschied der US Court of Appeal (11th Circuit, Urteil vom 25. Juli 1986), dass der Foreign Sovereign Immunities Act nicht rückwirkend die sachliche Zuständigkeit für vor 1952 geschlossene Transaktionen begründe, sodass das Gericht nicht über solche Ansprüche gegen einen anderen Staat entscheiden könne. 514  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., para. 334. 515  „Algerien übernimmt die Verpflichtungen und genießt die Rechte, die in seinem Namen oder in demjenigen algerischer öffentlicher Einrichtungen durch die zuständigen französischen Behörden eingegangen wurden“, Art. 18 der Déclaration de Principes Relative à la Coopération Economique et Financière, die ihrerseits Teil der Verträge von Evian war, abgedruckt bei Malek, L’Algérie à Evian, S. 342. 516  O’Connell, State Succession, S. 445. 517  Hinsichtlich der Militärausgaben sah ein Zusatzprotokoll zu den Verträgen von Evian lediglich vor, dass die nach dem Inkrafttreten der Verträge entstehenden Militärausgaben dem französischen Fiskus angelastet würden, vgl. O’Connell, State Succession, S. 445.



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arden USD),518 Unter den Gläubigern fand sich eine Vielzahl von westlichen Banken.519 Obwohl nach dem Ende des Apartheidsregimes aus kirchlichen wie NGO-Kreisen mit Verweis auf die Odious-Debts-Doktrin die Verweigerung der Rückzahlung der „Apartheidsschulden“ gefordert wurde520 und sich später auch die südafrikanische Truth and Reconciliation Commission für eine Überprüfung odiöser Schulden aussprach,521 distanzierte sich die Regierung unter Präsident Nelson Mandela von Beginn an von diesen Forderungen und erklärte die vollständige Bedienung der Schulden Südafrikas, um zukünftig kreditwürdig zu bleiben.522 Im Zusammenhang mit Klagen gegen Unternehmen, die an Verbrechen des Regimes beteiligt waren, erklärte der Justizminister Penuell Maduna: „We are not supporting the claims for individual reparations. We are talking to those very same companies named in the lawsuits about investing in post-apartheid South Africa. The focus is on getting those companies to keep investing in South Africa to benefit the entire population as a whole.“523 Bei der südafrikanischen Apartheidsregierung handelte es sich um ein Regime, das evidentermaßen und im übereinstimmenden Urteil der internationalen Gemeinschaft eine unrechtmäßige und unterdrückende Gewaltherrschaft ausübte. Verschiedene Gremien der UN verurteilten die rassistische Praxis des Apartheidsregimes im Jahresrhythmus, forderten wirtschaftliche Sanktionen gegen das Regime524 und bezeichneten Apartheid als Verbrechen 518  South African Truth and Reconciliation Commission, Final Report, Bd. 4, Kapitel 2, Rn. 150; Wechselkurs vom 1.1.1994. 519  Ramasastry, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 819, 823  f.; die britische Barclays Bank etwa hatte Kredite in Höhe von 725,4 Millionen USD an das Apartheidregime vergeben, s. ebd. 520  Führend war der Bericht des Alternative Information and Development Centre AICD, demnach alle Schulden Aufgrund der Illegitimität des Apartheids­ regimes ihrerseits illegitim und damit unwirksam seien, s Rudin, Challenging Apartheid’s Foreign Debt, sowie Forderungen des Erzbischofs Ndungane, s. Hanlon, Defining Illegitimate Debt, S. 6 und 39; s. weiterhin Hanlon, Paying for Apartheid Twice. 521  South African Truth and Reconciliation Commission, Final Report, Bd. 5, Kapitel 8, Rn. 39. 522  M. w. Nachw. Bonilla, Odious Debt, S.  35  f.; Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 485; Hanlon, in: Jochnick / Preston, Sovereign Debt at the Crossroads, S.  121 ff. 523  Carroll, „S Africa shuns apartheid lawsuits“, The Guardian, 27. November 2002, abrufbar unter http: /  / www.guardian.co.uk / world / 2002 / nov / 27 / rorycarroll. 524  Resolution der UN-Generalversammlung vom 6. November 1962, 1761 (XVII). Unter den Resolutionen der Generalversammlung finden sich auch solche, die vergeblich die Weltbank dazu aufrufen, keine Kredite mehr an das Apartheidsregime zu vergeben, vgl. Ssenyonjo, in: Baderin / McCorquodale, ESC Rights in Action, S.  129 m. w. Nachw.

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gegen die Menschlichkeit.525 Obgleich der Verwendungszweck der Kredite im Einzelfall nicht immer nachvollziehbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Kredite insgesamt der Aufrechterhaltung des Regimes dienten.526 In den 1980er Jahren forderten Anti-Apartheids-Aktivisten daher, auf Umschuldungsmaßnahmen zugunsten Südafrikas zu verzichten, um damit den Bankrott des Apartheid-Regimes zu erreichen.527 Der Übergang Südafrikas zur Post-Apartheidsära hätte angesichts der internationalen Ächtung des Regimes zu einem Lehrbuchfall für die Anwendung der OdiousDebts-Doktrin werden können. Nichtsdestotrotz berief sich die südafrikanische Regierung nach dem Ende der Apartheid zu keinem Zeitpunkt auf die Illegitimität dieser Schulden, um damit die negativen Konsequenzen eines Zahlungsausfalls zu vermeiden, sodass es sich um keinen Präzedenzfall für die Odious-Debts-Doktrin handelt. Diese Aussage erfährt jedoch eine interessante Einschränkung: Es war gerade Südafrika, das Namibia die gesamten Schulden erließ, weil diese aus Zeiten der unrechtmäßigen Besatzung durch Südafrika herrührten und damit ohne Zustimmung der namibischen Bevölkerung zustande kamen.528 1999 fand ein einige Jahre vorher angekündigter Schuldenerlass gegenüber Mozambique statt.529 Allerdings handelte es sich bei beiden um einseitige Akte, bei denen gerade nicht von der Ungültigkeit dieser Schulden ausgegangen wurde.530 (13) V  erhalten Argentiniens hinsichtlich der auf die Militärdiktatur zurückgehenden Schulden (ab 1980er Jahre) Die mögliche Qualifizierung einiger Schulden Argentiniens als Odious Debts hat zwei Ansatzpunkte: Zum einen werden Schulden, die unter der 525  Resolution der UN-Generalversammlung vom 16. Dezember 1966, 2202 (XXI) und Resolution des Sicherheitsrates vom 23.  Oktober 1984, S / RES / 556 (1984); vgl. auch die International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime against Apartheid. 526  So Hanlon, Paying for Apartheid Twice, S. 11. 527  Vgl. insbesondere die Kampagne „Apartheid is Bankrupt“ des Anti-Apartheid Movement (AAM) und des End Loans to Southern Africa (ELTSA)-Bündnisses. 528  Abrahams, Odious Debts Thesis, S. 92 m. w. Nachw.; s. a. King, Odious Debts – Restatement, S. 51 m. w. Nachw. datiert den Schuldenerlass auf 1994; 1998 wurden weitere Schulden Namibias übernommen, vgl. South African Budget Review 2000, S. 117, abrufbar unter www.treasury.gov.za / documents / national budget / 2000 / re view / . 529  Queck, in: erlassjahr.de, Handbuch Illegitime Schulden, S. 17; Collins, „Break the Chains of Debt“, Africa Recovery Bd. 13 Nr. 2–3 (September 1999), S. 16 ff. 530  Für Namibia s. Rudin, Challenging Apartheid’s Foreign Debt, S. 17: „… this government canceled the debt on its own initiative and evidently without being aware of the Doctrine of Odious Debt“.



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Militärregierung 1976–1983 z. B. zum Kauf von Waffen eingegangen und später mehrfach umgeschuldet wurden, als odiös bezeichnet, womit auf die klassische Odious-Debts-Doktrin abgestellt wird.531 Weitergehend und rechtlich weniger greifbar ist die Tendenz, die Verschuldung Argentiniens insgesamt als Folge einer „damaging economic policy that forced [Argen­ tina] on its knees through various methods … and which tended to benefit and support private companies – national and foreign – to the detriment of society and state companies“ darzustellen,532 womit auch die Schuldenpolitik der demokratischen Regierungen Argentiniens unter Beteiligung insbesondere des IWFs gemeint ist.533 Beide Aspekte spielten vornehmlich im Forderungskatalog von NGOs eine Rolle, fanden aber auch Einzug in die offizielle politische Agenda. Als 1983 die argentinische Militärjunta durch die Regierung unter Alfonsín abgelöst wurde, erklärte diese, dass Schulden erst bedient würden, wenn die Legitimität dieser Forderungen festgestellt worden sei.534 1984 wurde eine Senatskommission zur Untersuchung rechtswidriger wirtschaftlicher Aktivitäten eingerichtet, deren Mandat allerdings wie das der ein Jahr später eingerichteten Untersuchungskommission der Zentralbank nicht bis zu einem abschließenden Bericht über die Legalität der Schulden aufrecht erhalten wurde.535 In einer Absichtserklärung an den IWF äußerte die Regierung zwar: „[the debts] had been contracted by the means of arbitrary and author­itarian policies in which the creditors had actively participated and which did not bring benefits to the Argentinean people“, erklärte aber gleichzeitig, dass Argentinien seine Tradition einhalten werde, Schulden zu erfüllen, wobei die Rückzahlung im Rahmen des wirtschaftlich Möglichen geschehen solle.536 In der Folge wurde das Argument der Illegalität der Schulden nicht weiter vorgebracht, und es kam zu einer umfassenden Um531  Ein Beispiel ist der Verkauf von Waffen durch Großbritannien an Argentinien, die möglicherweise später im Falklandkrieg eingesetzt wurden, vgl. Jubilee Debt Campaign, „Argentina still ‚owes‘ UK dictator debt for Falklands arms“, 9. April 2012, abrufbar unter http: /  / jubileedebt.org.uk / press-release / argentina-still-owes-ukdictator-debt-falklands-arms. 532  So mit Bezug auf die Schulden der Militärregierung der argentinische Bundesrichter Ballestero im Fall Olmos, Alejandro S / denuncia, causa N° 14.467, Juzg. Nac. Crim. y Corr. Fed., n. 2, Jurisprudencia Argentina 2001-I-514, 13. Juli 2000, zitiert nach „Landmark court ruling condemns Argentina’s illegitimate debt“, Probe International, abrufbar unter http: /  / eprf.probeinternational.org / node / 8310. 533  Vgl. etwa „IWF hat Argentinien an den Rand des Ruins geführt …“, AG Friedensforschung, 2002, abrufbar unter http: /  / www.ag-friedensforschung.de / regio nen / Argentinien / schulden2.html. 534  Vgl. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 16. 535  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 16 f. 536  Zitiert nach Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 17.

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strukturierung der Schulden der Militärregierung, was gleichzeitig die spätere Analyse einzelner Kredite verkomplizierte.537 Alfonsín führte später mangelnde Praktikabilität des Nachweises der Illegalität von Schulden für diese Entscheidung an.538 Erst nach der Jahrtausendwende wurde die Illegalität der argentinischen Schulden wieder thematisiert.539 Hauptargument für die Restrukturierung der argentinischen Schulden ab 2002 war aber die prekäre wirtschaftliche Lage des Landes.540 Während die Schulden Argentiniens aus Gründen mangelnder wirtschaftlicher Tragfähigkeit und nicht mangelnder Legitimität restrukturiert wurden, spielte die Argumentation mit letzterer insofern eine Rolle, als die Regierung damit den Gläubigern signalisierte, dass eine uneingeschränkte Bedienung der Schulden gegenüber ihren Wählern nicht durchsetzbar wäre.541 Im Ergebnis ist aber festzuhalten, dass die Schulden Argentiniens niemals umfassend auf ihre Legitimität hin überprüft wurden542 und eine Verweigerung aus Gründen ihrer Legalität oder Legitimität nicht stattfand.543 (14) E  ntscheidungen des Iran – United States Claims Tribunal (1996 / 1948 und 1985 / 1979) Im Jahr 1996 entschied das Iran – United States Claims Tribunal544 über Forderungen der USA gegen den Iran aus einem 1948 geschlossenen Ver537  Ausführlich zur Entwicklung der argentinischen Schulden s. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 16 ff. 538  „We maintained that we should not pay that which we regarded to be the illegitimate part of the debt because it had originated from irregular credits … but in the concrete exercise of power, things did not turn out this way and only in a very small, in fact irrelevant, number of cases could we effectively prove that we were dealing with this type of loan. It was therefore actually impossible to carry on with a policy of distinguishing between legitimate and illegitimate loans.“, zitiert in Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 18. 539  Dazu Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 408. 540  Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 402. 541  Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 408. 542  So auch Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 31. 543  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 74  f., nennen Argentinien daher als Beispiel für ein Land, das Schulden bediente, die gemeinhin als illegitim anerkannt wurden. 544  Das Schiedsgericht wurde 1981 im Anschluss an die Verschlechterung der iranisch-US-amerikanischen Beziehungen auf Grundlage der Algier Declarations eingerichtet, um über Ansprüche von Iranern gegen die USA, von US-Amerikanern gegen den Iran sowie über Ansprüche der beiden Staaten gegeneinander aus dem Verkauf von Gütern und Dienstleistungen zu entscheiden, vgl. Art. II der Claims Settlement Declaration, abrufbar unter http: /  / www.iusct.net / Pages / Public / A-Docu ments.aspx.



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trag, der den Kauf von militärischen Gegenständen gegen einen Kredit in Höhe von ca. 21,5 Mio. USD zum Inhalt hatte.545 Das Gericht musste sich auch mit dem Einwand des Irans auseinandersetzen, es handle sich bei den Schulden um Odious Debts, weil sie dem Iran von den USA aufgezwungen worden („imposed“) und persönliche Verbindlichkeiten des vorrevolutionären Regimes seien.546 Zunächst führte das Gericht aus, es handle sich bei dem Vertrag nicht um „subjugation debt of the former regime“, weil die Verträge nicht dem Iran aufgezwungen, sondern auf Betreiben des Irans eingegangen worden seien und dem (legitimen) Zweck der Landesverteidigung dienten.547 Insbesondere habe es zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses weder Bürgerkrieg noch revolutionäre Bestrebungen gegeben, zu deren Unterdrückung die Waffen verwendet werden sollten, und auch ein Zusammenhang mit der Islamischen Revolution bestehe nicht.548 Mit Verweis auf die von Bedjaoui im Rahmen der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Vermögen, Schulden und Archive vorgeschlagene Definition549 stellte das Gericht fest, es handle sich nicht um odiöse Schulden, da sie weder entgegen den legitimen Interessen des Irans noch in völkerrechtswidriger Weise eingegangen worden seien.550 Das Gericht setzte seine Prüfung mit der Frage fort, ob es sich bei den Schulden um persönliche des vorrevolutionären Regimes handelt,551 wobei unklar bleibt, ob es sich dabei um einen eigenständigen Einwand oder nicht 545  Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff. Über einen weiteren Anspruch aus einem 1945 abgeschlossenen Kaufvertrag über militärische Güter wurde mangels Zuständigkeit nicht entschieden, weil es sich dabei vornehmlich um unbewegliche Sachen handelte, vgl. ebd., para. 36 ff. 546  Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff., para. 47–57. 547  Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff., para. 49. 548  Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff., para.  49 f. 549  Vgl. oben, Kapitel 2 D.II.1. und unten, Kapitel 3 A.I.2. 550  Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff., para. 51 („They were not contracted with a view to attaining objectives contrary to the legitimate interests of Iran nor were they contracted with an aim and for a purpose not in conformity with international law“). 551  Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff., para.  52 ff.

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vielmehr um die Rechtsfolge der Qualifizierung der Schulden als odiös handelt. In seinen Ausführungen stellt das Gericht fest, es liege kein Fall der Staatensukzession vor, und obgleich die Grenzen zwischen Staats- und Regierungswechseln nicht immer klar seien, gehöre das Konzept der Odious Debts in den Bereich ersterer, sodass schon aus diesem Grund keine odiösen Schulden gegeben seien.552 Konsequenterweise bestehe die Zahlungsverpflichtung fort. In diesem Zusammenhang äußert sich das Gericht wie folgt: „The Tribunal does not take any stance in the doctrinal debate on the concept of „odious debts“ in international law. In any event, the tribunal will limit itself to stating that the said concept belongs to the realm of the law of State succession“.553

Diese Aussage lässt sich so verstehen, dass das Gericht trotz der Prüfung der Voraussetzungen der Odious-Debts-Doktrin keine Stellung beziehen will, ob diese überhaupt eine anerkannte Regel des Völkerrechts darstellt – sollte dies der Fall sein, so sei sie jedenfalls auf den Bereich der Staatensukzession beschränkt. Eine Auseinandersetzung mit der Geltung der Odious-Debts-Doktrin wird also offen gelassen, weil nach Ansicht des Gerichts schon die Voraussetzungen ihrer Anwendung nicht vorliegen. Allerdings ist dann fraglich, warum das Gericht vorher feststellt, die Schulden seien dem Iran weder aufgezwungen noch entgegen den legitimen Interessen oder in völkerrechtswidriger Weise eingegangen worden, wobei es sich um typische Tatbestandsvoraussetzungen der Odious-Debts-Doktrin handelt. Systematisch ist die Entscheidung auch deswegen verwirrend, weil die Konzepte von subjugation debts, regime debts und odiösen Schulden allesamt angesprochen werden, es aber unklar bleibt, wie das Gericht das Verhältnis dieser Rechtsfiguren zueinander einschätzt, zumal alle unter der Überschrift „Odious Debts“ diskutiert werden. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass es sich zwar um ein Beispiel dafür handelt, wie in einem gerichtlichen Verfahren einzelne Schulden auf ihre Eingehung im Bevölkerungsinteresse hin untersucht werden können, dass die Entscheidung die gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin aber ausdrücklich offen lässt und damit weder für noch gegen deren Anerkennung spricht.554 552  Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff., para.  53 f. 553  Iran-US Claims Tribunal, United States v. Iran, Case B36, Award Nr. 574B36-2, 3. Dezember 1996, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 32 (1996), S. 162 ff., para. 54. 554  Mit diesem Ergebnis auch King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 646 und Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 415. Die einschränkende Aussage des Gerichts ignoriert Reinisch, Export of Warships, para. 44 f. („The … Tribunal con­firmed the concept of odious debts as a category of international law“).



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Auch in einer früheren Entscheidung des Gerichts findet sich ein Verweis auf die Odious-Debts-Doktrin, allerdings nur in einem Sondervotum.555 Der Kläger, ein US-amerikanisches Unternehmen, machte Ansprüche wegen Enteignung seiner Anteile an einem iranischen Versicherungsunternehmen geltend, die er aufgrund von dessen 1979 erfolgten Verstaatlichung verloren hatte.556 Im gerichtlichen Verfahren bestritt die Regierung Irans zwar nicht ihre Kompensationspflicht, machte aber Einwände gegen die Höhe der Entschädigung geltend557 und wurde in der Folge auf Grundlage eines Freundschaftsvertrages zwischen Iran und den USA verurteilt, welcher eine umfangreiche Kompensation vorsah. Dabei führte das Gericht aus, dass die Geltung des noch mit dem Schah geschlossenen Freundschaftsvertrages nie von Iran bestritten worden war.558 In seiner Dissenting Opinion wandte sich Richter Ameli gegen die Wirksamkeit des Vertrages und führte unter anderem an, dieser sei wegen des Prinzips der Odious Debts unanwendbar.559 Dabei spricht er sich für die Erweiterung des Prinzips auf jegliche Arten von Schulden aus, da es im Kern immer um verabscheuungswürdige Verpflichtungen gehe, gleich ob finanzieller oder anderer Natur.560 Den Freundschaftsvertrag betrachtet Ameli als typischen Fall von Odious Debts, mithin als persönlichen Vertrag des despotischen Schahs, ohne allerdings die Schädlichkeit des Vertrages genauer auszuführen. Zudem ist auffällig, dass sich die Regierung des Irans diese Argumentation nie zu eigen machte, sodass sich in der Folge die Argumentation Amelis nicht durchsetzte.

555  Vgl. Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 417; es handelt sich um die Entscheidung Iran-US Claims Tribunal, INA Corporation v. Iran, Case 161, Award Nr. 181-161-1, 12. August 1985, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 8 (1985-I), S. 373 ff. 556  Vgl. den Sachverhalt von Iran-US Claims Tribunal, INA Corporation v. Iran, Case 161, Award Nr. 181-161-1, 12. August 1985, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 8 (1985-I), S. 373, 374 ff. 557  Vgl. Iran-US Claims Tribunal, INA Corporation v. Iran, Case 161, Award Nr. 181-161-1, 12. August 1985, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 8 (1985-I), S.  373, 376 ff. 558  Iran-US Claims Tribunal, INA Corporation v. Iran, Case 161, Award Nr. 181161-1, 12. August 1985, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 8 (1985-I), S. 373, 378. 559  Iran-US Claims Tribunal, INA Corporation v. Iran, Case 161, Award Nr. 181161-1, 12. August 1985, Dissenting Opinion Ameli, Iran-US Claims Tribunal Reports Bd. 8 (1985-I), S. 403, 446 f. 560  Ebd.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

(15) A  us dem Verkauf von deutschen Kriegsschiffen an Indonesien resultierende Schulden (1992) Ein im Auftrag der NGO erlassjahr.de angefertigtes Gutachten des österreichischen Professors August Reinisch beschäftigt sich mit dem Verkauf von Kriegsschiffen aus Beständen der DDR-Marine an Indonesien im Jahr 1992, welche zur Verletzung von Menschenrechten durch das Regime des Diktators Suharto verwendet wurden.561 Reinisch untersucht, ob der Zahlungsanspruch Deutschlands auch nach dem Übergang zu einer demokratischen Regierungsform noch fortbesteht.562 Unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für die Bevölkerung wird neben dem menschenrechtswidrigen Einsatz der Schiffe angeführt, dass es sich bei den Schiffen um veraltete Technologie handelte (eines der Schiffe sank auf dem Weg nach Indonesien) und somit kein Nutzen für die generelle Verteidigungsfähigkeit Indonesiens gegeben war.563 Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Durchsetzung der deutschen Zahlungsforderungen angesichts allgemeiner Rechtsgrundsätze, insbesondere der Odious-Debts-Doktrin, höchst zweifelhaft sei. Die Lobbyarbeit von erlassjahr.de bei der deutschen und indonesischen Regierung mit dem Ziel, die ausstehenden Schulden in eine Wiederaufbau- und Versöhnungsfonds umzuwandeln,564 war jedoch nicht von Erfolg gekrönt.565 (16) Umgang mit irakischen Schulden nach 2003 Mit dem Fall des Hussein-Regimes im Irak erlangte die Diskussion um Odious Debts neue Popularität.566 Zum Zeitpunkt des durch eine Militäroperation eingeleiteten Machtwechsels im Jahr 2003 betrug die Schuldenlast des Iraks ca. 125 Mrd. USD,567 davon ca. 20 Mrd. USD gegenüber Privaten, 37 Mrd. USD gegenüber Mitgliedstaaten des Paris Clubs (darunter, der Höhe 561  Reinisch,

Export of Warships. Export of Warships, para. 3. 563  Reinisch, Export of Warships, para. 157 f. 564  Vgl. erlassjahr.de, „Indonesien nach der Schuldenkrise“, Dezember 2009, abrufbar unter http: /  / www.erlassjahr.de / cms / upload / 2009 / dokumente / laender / Indo nesien_Info.pdf. 565  Zum Verlauf des Falles s. Kaiser, in: Mader / Rothenbühler, Illegitimate Debt. 566  s. etwa Adams, Iraq’s Odious Debts; Akacem / Miller, in: Bhavani, Odious Debts; Damle, LCP 2007(70), 139 ff.; Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391 ff. Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83; viele weitere Nachweise bei Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1222. 567  IMF, Letter of Intent, Memorandum of Economic and Financial Policies, and Technical Memorandum of Understanding, 24. September 2004, abrufbar unter http: /  / www.imf.org / external / np / loi / 2004 / irq / 01 / index.htm. Andere Schätzungen reichen bis zu 300 Milliarden USD, vgl. Damle, LCP 2007(70), 139 m. w. Nachw. 562  Reinisch,



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nach, Japan, Russland, Frankreich, Deutschland,568 USA und Italien) und 67 Milliarden USD gegenüber übrigen Staaten (insbesondere Saudi-Arabien (30 Mrd. USD), Kuwait (27 Mrd. USD) und China (4 Mrd. USD)).569 Dass es sich bei Saddam Hussein um einen großen Teil der Bevölkerung unterdrückenden Diktator handelte und dass diese Kredite seinem Regime zumindest teilweise zugutekamen, war unbestritten,570 sodass von mehreren Seiten mit Verweis auf die Odious-Debts-Doktrin die Zurückweisung der Zahlungspflicht gefordert wurde.571 Anstatt die Schulden einseitig zurückzuweisen, verfolgte die irakische Regierung jedoch die Strategie einer Verhandlungslösung572 – mit großem Erfolg: Die im Paris Club organisierten Gläubiger Iraks verzichteten im November 2004 auf mindestens 80 % ihrer Ansprüche,573 und ein Umtausch privater Anleihen führte zu einem ähnlichen Ergebnis in Bezug auf private Gläubiger.574 Die Verhandlung von Schulden gegenüber den Golfstaaten und anderen Nichtmitglieder des Paris Clubs waren bisher teilweise erfolgreich bzw. dauern noch an.575 Gegenüber Kuwait bestanden zudem 568  Für eine detaillierte Darstellung der Ansprüche Deutschlands s. Kaiser / Queck, Odious Claims on Iraq, S. 19 ff. sowie den Fall der Karl Kolb GmbH oben bei Fn. 1. 569  Vgl. den im Auftrag des US-Kongresses von Martin A. Weiss angefertigten Bericht „Iraq’s Debt Relief: Procedure and Potential Implications for International Debt Relief“, 2006, abrufbar unter http: /  / fpc.state.gov / documents / organization /  65761.pdf. 570  Dies galt zumindest zum Zeitpunkt der Militärintervention; in den vorangegangenen Jahrzehnten war die Haltung der Staatenwelt weniger eindeutig und reichte bis hin zur Unterstützung des Regimes durch westliche Staaten. 571  So die Direktorin der NGO Probe International, Adams, Iraq’s Odious Debts; in eine ähnliche Richtung argumentierte der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, der den Erlass odiöser Verbindlichkeiten sowie die Einrichtung eines internationalen Gerichts forderte, welches über Schuldenerlass, -restrukurierung und Odious Debts entscheiden sollte, vgl. Stiglitz, „Odious Rulers, Odious Debts“, The Atlantic, November 2003, abrufbar unter http: /  / www.theatlantic.com / past / docs / issues /  2003 / 11 / stiglitz.htm; s. weiterhin die Ausführungen von Kaiser / Queck, Odious Claims on Iraq, die den Fall des Iraks als „a textbook example for the ‚odious debts‘ doctrine“ beschreiben, ebd. S. 4. 572  Zur Restrukturierung der Schulden Iraks ausführlich Wong, Sovereign Finance, S.  52 ff. 573  Club de Paris / Paris Club, „The Paris Club and the Republic of Iraq Agree on Debt Relief“, Press Release, 21.  November 2004, abrufbar unter http: /  / www. clubdeparis.org / sections / communication / archives-2004 / irak6017 / viewLanguage /  en; die USA und Dänemark verzichteten sogar auf 100 %, vgl. Wong, Sovereign Finance, S. 60. 574  Gelpern, LCP 2007(70), 81, 89 m. w. Nachw. 575  s. die Informationen der Central Bank of Iraq, abrufbar unter http: /  / www.cbi. iq / index.php?pid=GovernmentSecurities (Stand 2012); China hat bereits den Erlass von 80 % der Schulden erklärt, s. „China cancels 80 % of Iraq debt“, AFP, 2. Februar 2010, abrufbar unter http: /  / www.smh.com.au / business / world-business / chinacancels-80-of-iraqs-debt-20100203-nbc9.html. Auch die Vereinigten Arabischen

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

Schulden von ca. 50 Milliarden USD fort, bei denen es sich um von der UN Compensation Commission festgestellte Reparationsforderungen handelte, die aus der irakischen Invasion im Jahr 1990 resultierten;576 ob diese unter die Odious-Debts-Doktrin gefasst werden können, ist äußerst problematisch (s. dazu unten, Kapitel 3 B.I.1.b)). Für den Erfolg der Verhandlungen im Rahmen des Paris Clubs spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen wurde die Reduzierung der irakischen Schuldenlast als sicherheitspolitisch zwingend angesehen, da nur mit einer wirtschaftlichen eine politische Stabilisierung der Region einhergehen könne.577 Dementsprechend wurde in einer Resolution des UN-Sicherheitsrates die Kompetenz der irakischen Übergangsregierung zur Verhandlung und Reduzierung der irakischen Schulden ausdrücklich anerkannt und wurden die Gläubiger ausdrücklich zur Kooperation aufgefordert,578 ohne dass dabei auf moralische Gründe Bezug genommen wurde. Zur Unterstützung der Verhandlungen hatte der UN-Sicherheitsrat bereits 2003 Öl- und Gasprodukten irakischen Ursprungs bis 2007 Vollstreckungsimmunität gewährt.579 Neben politischen Gründen spielte auch die mangelnde Tragfähigkeit der irakischen Schuldenlast bei den Verhandlungen im Paris Club eine Rolle,580 sodass sich die Schuldenreduzierung als mittelfristig vorteilhaft für die Gläubiger darstellte.581 Obwohl der Irak nie Zahlungen mit Verweis auf die Odious-Debts-Doktrin verweigerte, wurden auch moralische Gründe zugunsten einer Entschuldung angeführt. Eine Resolution der irakischen Nationalversammlung sprach sich (erfolglos) für die Geltendmachung der Odious-Debts-Doktrin aus.582 Im USEmirate haben ihre Schulden erlassen, s. Abdul-Zhara, „Emirates Cancel Iraqi Debt“, The Guardian, 7.  Juli 2008, abrufbar unter http: /  / www.theguardian.com /  world / 2008 / jul / 07 / iraq.middleeast; s. a. Wong, Sovereign Finance, S. 61 f. 576  Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 480 m. w. Nachw. 577  Damle, LCP 2007(70), 139, 147; Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 400 ff. 578  S / RES / 1546 (2004), 8.  Juni 204, para. 28 („Welcomes the commitments of many creditors, including those of the Paris Club, to identify ways to reduce substantially Iraq’s sovereign debt, … recognizes that the Interim Government of Iraq will have the authority to conclude and implement such agreements and other arrangements as may be necessary in this regard, and requests creditors, institutions and donors to work as a priority on these matters with the Interim Government of Iraq and its successors“, Hervorhebungen im Original). 579  S / RES / 1483 (2003), 22.  Mai 2003, para. 22. 580  Cheng, LCP 2007(70), 7, 28. 581  Der irakische Finanzminister argumentierte, dass die Überschuldung zu höheren Ölpreisen führen würde, während die Gläubiger nach einem Schuldenschnitt von einem wirtschaftlich stabileren Irak im Wege des Handels profitieren würden, Damle, LCP 2007(70), 139, 147 m. w. Nachw. 582  Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 483 m.  w. Nachw. In der Resolu­ tion heißt es: „There is a strong basis in international legal principle and prece-



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Kongress führten Abgeordnete einen Gesetzesentwurf ein, welcher die Annullierung von Krediten gegenüber dem Irak durch multilaterale Finanzinstitutionen zum Ziel hatte und ausdrücklich auf die Odious-Debts-Doktrin verwies;583 der Entwurf wurde jedoch nicht angenommen. In beiden Fällen wurde die Qualifizierung der Schulden als odiös damit begründet, dass mit den Geldern Paläste, Gefängnisse, die Geheimpolizei und der Einsatz von chemischen Waffen gegen die irakische Bevölkerung finanziert worden waren. Dennoch erklärte der irakische Finanzminister der Übergangsregierung in einem Interview ausdrücklich, die Notwendigkeit eines Schuldenerlasses folge aus den ökonomischen Realitäten eines post-conflict-Staates, nicht aus der Odious-Debts-Doktrin.584 Ob die Zahlungsverweigerung eine wirkliche Option darstellte und damit den Druck auf die Verhandlungspartner erhöhte, ist daher fraglich. Die Verwendung von Odious-Debts-Vokabular wie despotisches Regime, mangelnde Zustimmung der Bevölkerung oder mangelnder Nutzen585 durch mehrere Beteiligte stellte jedoch ein moralisches Zusatzargument in der Bemühung um Schuldenreduzierung dar,586 ohne dass es jemals zur Überprüfung und Zurückweisung von Schulden kam. Angesichts des Erfolgs des irakischen Schuldenerlasses, der mit allgemeiner Unterstützung auf internationaler Ebene zustande kam, ist es wenig verwunderlich, dass sich die irakische Regierung nicht einseitig auf die Odious-Debts-Doktrin berief.587 Während die genaue Höhe der odiösen dent to define these debts as being ‚odious‘ and thus not legally enforceable“, zitiert ebd. 583  Vgl. die Gesetzesinitiative für den Iraqi Freedom From Debt Act, H.R. 2482 (108th), Sect. 2(3), 16. Juni 2003: „According to international precedent, debts incurred by dictatorships for the purposes of oppressing their people or for personal purpose may be considered ‚odious‘. In cases where borrowed money is used in ways contrary to the people’s interest, with the knowledge of the creditors, the creditors may be said to have committed a hostile act against the people. Under such reasoning, such debts may be questioned.“. 584  „Iraq’s need for very substantial debt relief derives from the economic realities facing a post-conflict country that has endured decades of financial corruption and mismanagement under the Saddam regime. Principles of public international law such as the odious debt doctrine, whatever their legal vitality, are not the reason why Iraq is seeking this relief“, Interview mit Adil Abdul Mahdi, Auszug abgedruckt in Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 406. 585  Für weitere Nachweise s. Damle, LCP 2007(70), 139, 148 und Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82, 83. 586  So auch Bonilla, Odious Debt, S. 126 m. w. Nachw.; Rasmussen, LCP 2007(70), 249, 252 folgert dagegen, dass maßgeblich für den Schuldenerlass im Ergebnis ausschließlich die strategische Bedeutung Iraks, nicht aber die Odious-Debts-Doktrin war. s. auch Stephan, LCP 2007(70), 213, 219, der darauf hinweist, dass die Ergebnisse von Schuldenverhandlungen kaum eine Aussage über die Rechtslage zulassen. 587  So auch Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 407; Feinerman, LCP 2007(70), 193, 212 kritisiert, dass damit odiöse und nicht-odiöse Schulden vermischt wurden

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Schulden im Sinne des Sack’schen Modells nur in einer komplexen und zeitaufwändigen588 Einzelfallprüfung der jeweiligen Kredite hätte festgestellt werden können, führte der pauschale Erlass von 80 % der Schulden im Einvernehmen mit dem Gläubigern kurzfristig zu zufriedenstellenden Ergebnissen. Aus den Äußerungen der Beteiligten lässt sich nicht ableiten, dass maßgeblich für den Verzicht auf die Odious-Debts-Einrede die Rechtsüberzeugung war, eine solche Doktrin sei kein geltendes Recht. Allerdings vermag der Fall des Iraks ebenso wenig einen positiven Beleg für die Geltung des Prinzips darzustellen. (17) Nigerias Schuldenerlass 2005 Nach den ersten freien Wahlen in Nigeria im Jahr 1999 und seiner Wiederwahl im Jahr 2003 setzte sich der nigerianische Präsident Obasanjo bei den bilateralen Gläubigern für einen Schuldenerlass ein.589 Nachdem dies zunächst nicht zum Erfolg führte, sprach sich das nigerianische Parlament 2005 in einer Resolution für die einseitige Zurückweisung aller Auslandsschulden aus; zur Begründung führte es an, dass sich die Gläubiger Nigerias trotz redlicher Bemühungen um wirtschaftliche Konsolidierung und umfangreicher Versuche, die Schuldenlast auf dem Verhandlungsweg zu reduzieren, nicht auf einen Schuldenerlass eingelassen hatten.590 Die Resolution nennt in diesem Zusammenhang auch die Militärdiktatur, in der ein Großteil der Schulden seinen Ursprung hatte: „Whereas from 1984–1999 Nigeria was under military dictatorship with devastating impact on economic, political and social stability placing Nigeria in the same category of countries emerging from war.“591 Ein Verweis auf die Illegitimität der Schulden ist darin allerdings nur indirekt, eine Geltendmachung von deren Unwirksamkeit kaum zu sehen. Wie sich den Äußerungen der Parlamentarier entnehmen lässt, sollte die Androhung einer einseitigen Zahlungseinstellung der Regierung Hilfe bei der Verhandlung über eine Schuldenreduzierung leisten.592 In der Tat erreichte die nigerianische Regierung im gleichen Jahr und gibt zudem zu bedenken, dass der Odious-Debt-Einwand durch die Beteiligung an Restrukturierungsverhandlungen verwirkt werden könnte, ebd., 207. 588  Dass sich aus der Buchführung des Hussein-Regimes die jeweilige Verwendung der einzelnen Kredite nachweisen ließe, darf bezweifelt werden; so auch Damle, LCP 2007(70), 139, 151. 589  Damle, LCP 2007(70), 139, 152 m. w. Nachw. 590  Der Text der Resolution ist abgedruckt in Abuja, „Stop Payment of Foreign Debts, Reps Tell Obasanjo“, Vanguard, 9.  März 2005, abrufbar unter http: /  / www. cadtm.org / Nigerian-legislature-calls-for. 591  Ebd. 592  Ebd.



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einen umfangreichen Schuldenerlass im Paris Club.593 Inwiefern die Drohung mit der Zahlungseinstellung dafür verantwortlich war, ist jedoch, ähnlich wie im Fall des Iraks, fraglich. Anders als teilweise angeführt wird, handelte es sich jedenfalls nicht um eine Drohung, odiöse Schulden zurückzuweisen,594 weil die Illegitimität der Schulden nicht als maßgeb­ licher Grund genannt wurde. Auch der Thinktank Center for Global Development, der sich für die Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin einsetzt,595 nennt als Erfolgsfaktoren für den Schuldenerlass nicht etwa die Illegitimität der Schulden, sondern Nigerias erfolgreichen Kampf gegen Korruption, Barmittel aus der Ölproduktion als Verhandlungseinsatz sowie die Klassifizierung Nigerias als „IDA-only“ durch die Weltbank.596 Selbst wenn das Inaussichtstellen der Zahlungsverweigerung maßgeblich mit der odiösen Natur der Schulden begründet worden wäre, würde die Drohung alleine keinen Beleg für eine entsprechende Staatenpraxis darstellen. (18) Annullierung von Schiffskrediten durch Norwegen (2006) Im Oktober 2006 erklärte Norwegen den Erlass von Ansprüchen gegen Ecuador, Ägypten, Jamaica, Peru und Sierra Leone597 in Höhe von 520 Mio. NOK (ca. 63 Mio. EUR598) mit Verweis auf seine Gläubigermitverantwortung.599 Die Schulden ergaben sich aus der norwegischen Schiffsexportkampagne in den Jahren 1976–80, mit welcher Norwegen Entwicklungsländern günstige Kredite zur Verfügung stellte, wenn diese norwegische Schiffe kauften, wodurch sowohl entwicklungspolitische Ziele als auch die Unterstützung der norwegischen Schiffsbauindustrie verfolgt werden sollten.600 Aufgrund 593  „Paris Club in Nigeria Debt Deal“, BBC News, 20 Oktober 2005, abrufbar unter http: /  / news.bbc.co.uk / 2 / hi / business / 4359286.stm. 594  So aber Damle, LCP 2007(70), 139, 152. 595  s. u. Kapitel 3 A.III.3.a). 596  Center for Global Development, „Nigerian Debt Relief Now a Done Deal: Q&A with Todd Moss“, 24.  April 2006, abrufbar unter http: /  / www.cgdev.org / con tent / article / detail / 1423590 / . 597  Ansprüche gegenüber Myanmar und Sudan sollten erst nach Wandel der politischen Situation sowie im multilateralen Rahmen überprüft werden, vgl. Abildsnes, Why Norway Took Creditor Responsibility, S. 8. 598  Zugrunde gelegt ist der Wechselkurs vom 29. September 2006. 599  Norwegisches Außenministerium (Utenriksdepartementet), „Cancellation of Debt Resulting from the Norwegian Ship Export Campaign (1976–1980)“, Press Release und Fact Sheet, 2.  Oktober 2006, abrufbar unter http: /  / www.regjeringen. no / nb / dep / ud / pressesenter / pressemeldinger / 2006 / cancellation-of-debts-resultingfrom-the.html?id=272158. 600  Details zu der Kampagne finden sich bei Abildsnes, Why Norway Took Creditor Responsibility.

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mangelhafter oder fehlender Analysen des Investitionsrisikos sowie des Entwicklungsnutzens seitens der zuständigen norwegischen Stellen erwies sich die Kampagne jedoch als Fehlschlag. Eine spätere Untersuchung durch das norwegische Parlament konnte positive Effekte nur für die heimische Schiffbauindustrie feststellen; steigende Zinsen und sinkende Werte der Schiffe führten dazu, dass die Kampagne in eine bedeutende Schuldenlast der Entwicklungsländer mündete.601 In den Erklärungen der norwegischen Offiziellen zum Schuldenerlass werden allerdings die Wörter „illegitim“ oder gar „odiös“ vermieden, und der Erlass wurde nicht mit der rechtlichen Fragwürdigkeit der Verbindlichkeiten begründet.602 Auch die Terminologie des Erlasses sowie die Stellung von politischen Bedingungen gegenüber Myanmar und Sudan603 sprechen dagegen, den Fall als Anwendungsfall der OdiousDebts-Doktrin zu bewerten.604 Dennoch handelt es sich um einen Präzedenzfall zur Berücksichtigung der Fragwürdigkeit bestehender Schulden,605 von welchem eine Signalwirkung für das Konzept der Gläubigermitverantwortung ausgehen kann.606 (19) B  elgische Senatsinitiative zur Überprüfung odiöser Schulden (2007) Im Jahr 2007 forderte der Ausschuss für Auswärtiges und Verteidigung des Belgischen Senats in einer Resolution die belgische Regierung auf, die Schulden der ärmsten Länder zu erlassen.607 Im Rahmen der Resolution wurde auch gefordert, ein Audit-Verfahren durchzuführen, um zumindest odiöse Schulden auszusondern und zu erlassen; als Definition wurden die drei Elemente mangelnde Zustimmung, mangelnder Nutzen und Gläubigerkenntnis genannt.608 Im Jahr 2011 forderte derselbe Ausschuss die Durch601  Abildsnes,

Why Norway Took Creditor Responsibility, S. 3 ff. Gegenteil wurde sogar ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Schulden nicht als illegitim im rechtlichen Sinne zu qualifizieren seien, vgl. die Übersetzung bei Olivares-Caminal, Sovereign Debt Restructuring, Rn. 3-097. 603  Vgl. oben, Fn. 597. 604  Raffer, LCP 2007(70), 221, 229 f.; so im Ergebnis auch Howse, Odious Debt, S. 17; anders Eurodad, „Norway Makes Ground-Breaking Decision to Cancel Illegitimate Debt“, abrufbar unter http: /  / eurodad.org / 302 / . 605  Raffer, LCP 2007(70), 221, 224. 606  So die Hoffnung von Abildsnes, Why Norway Took Creditor Responsibility, S. 3. 607  Resolution 3-1507 / 6, Proposition de Résolution sur l’Annulation de la Dette des Pays les Moins Avancés, 27.  März 2007, abrufbar unter http: /  / www.senate. be / www / ?MIval= / publications / viewPub&COLL=S&LEG=3&NR=1507&PUID=50 336220&LANG=fr. 608  Ebd., para. 10–12. 602  Im



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führung eines Audit-Verfahrens und ein Moratorium hinsichtlich der Schulden Tunesiens gegenüber Belgien.609 Bei beiden Resolutionen handelt es sich allerdings um rechtlich unverbindliche Dokumente, die bisher ohne Folgen geblieben sind. (20) Zahlungsausfall Ecuadors (2008) Im Jahr 2007 trat Ecuadors ehemaliger Finanzminister, Rafaél Correa, mit dem Versprechen, einen Teil der Auslandsschulden nicht zu bezahlen und das Geld in soziale Projekte zu investieren, als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen an.610 Die Auslandsverschuldung Ecuadors betrug zu diesem Zeitpunkt zwischen 10 und 11 Milliarden USD (ca. 20 % des BIP), was zwar ein tragfähiges Schuldenniveau darstellte,611 aber vor dem Hintergrund der fragwürdigen Rolle westlicher und internationaler Finanzakteure bei der Verschuldung Ecuadors als ungerecht empfunden wurde.612 Nach seinem Wahlsieg richtete Correa daher eine Audit-Kommission zur Überprüfung der bestehenden Staatsschulden ein („Comisión para la Auditoría Integral del Crédito Público“ – CAIC). Die Kommission verurteilte in ihrem Bericht im November 2008 sämtliche in den Jahren 1976 bis 2006 eingegangenen Schulden wegen Verstoßes gegen die Souveränität Ecuadors, gegen internationales und nationales Recht sowie wegen kollusiven Zusammenwirkens aller Beteiligten.613 Mit Verweis auf diesen Bericht und darauf, dass die Auslandsschulden immoralisch und illegitim seien, erklärte Correa am 12. Dezember 2008 den Zahlungsausfall in Bezug auf aus Auslandsanleihen resultierende Zinsverpflichtungen,614 was den Wert dieser Anleihen einbrechen ließ.615 In der Folge wurden in Verhandlungen mit privaten Anlagegläubigern die Anleiheverbindlichkeiten massiv reduziert, indem nahezu alle Anleihen zu einem um 65–70 % ermäßigten Preis zurückgekauft wurden; allerdings betraf der Rückkauf nur zwei von drei Anleiheklassen, 609  Resolution 5-917 / 4, Proposition de résolution relative à l’annulation de la dette odieuse de la Tunisie, 19.  Juli 2011, abrufbar unter http: /  / www.senate. be / www / ?MIval= / publications / viewPubDoc&TID=83889608&LANG=FR. 610  Feibelman, J.I.B.L.R. 2010(25), 357, 358. 611  Porzecanski, LCP 2010(73), 251, 256 ff.; zur Entwicklung der ecuadorianischen Schulden s. ebd. sowie Mansell / Openshaw, L. & Dev. Rev. 2009(2), 151, 169 ff. 612  s. dazu Mansell / Openshaw, L. & Dev. Rev. 2009(2), 151, 169 ff. 613  s.  CAIC, Final Report. 614  Kueffner, „Correa defaults on Ecuador bonds, seeks restructuring“, Bloomberg, 12.Dezember 2008, abrufbar unter http: /  / www.bloomberg.com / apps / news?pid =newsarchive&sid=a5PyWzGVCR7E&refer=news. 615  Buchheit / Gulati, I.F.L.Rev. 2009(27), 22, 23.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

während die dritte Klasse vollständig bedient wurde.616 Inwieweit das Vorgehen Correas einer sozialistischen Ideologie entsprang bzw. Ausdruck legitimer Forderungen eines Entwicklungslandes war, wurde in der Tagespresse kontrovers diskutiert.617 Trotz massiver Kritik aus der Finanzwelt618 blieben Reaktionen von Vertretern von Staaten und multilateralen Organisationen aus,619 und im Rückblick wird das Verhalten Ecuadors überwiegend als wirtschaftlich erfolgreich bewertet,620 was insbesondere daher rührt, dass Ecuador dank bilateraler Kredite von China, Iran, Russland und lateinamerikanischer Staaten nicht auf den fortgesetzten Zugang zum privaten Kreditmarkt angewiesen ist.621 Um die Frage zu beantworten, ob die erfolgreiche Reduzierung der Auslandsschulden auf eine Anwendung der Odious-Debts-Doktrin zurückzuführen ist, sind zunächst die Ergebnisse der CAIC zu berücksichtigen. Deren Arbeitsweise wird aus mehreren Gründen scharf kritisiert.622 Zum einen war die Zusammensetzung der Kommission kaum geeignet, ein objektives Urteil über die Schulden Ecuadors zu bilden. Der CAIC gehörten mehrere ecuadorianische Offizielle (darunter der ecuadorianische Finanzminister, welcher den Vorsitz hatte) sowie eine Anzahl von ecuadorianischen und internationalen Entschuldungsaktivisten, jedoch keine Wirtschaftsprüfer an.623 Ein weiterer Kritikpunkt ist der knappe Arbeitsrahmen der Kommission. Die 616  Porzecanski,

LCP 2010(73), 251, 266 f. Nachweise von Watkins / Anderson, „Ecuador’s debt default“, abrufbar unter http: /  / www.projectcensored.org / top-stories / articles / 10-ecuador-declares-for eign-debt-illegitimate / . Insbesondere wird die unsoziale Umschuldungspolitik internationaler Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank kritisiert, vgl. Mansell / Open­ shaw, L. & Dev. Rev. 2009(2), 151, 157 ff. 618  Salmon, „Ecuador’s idiotic default“, Portfolio.com, 12. Dezember 2008, abrufbar unter http: /  / www.portfolio.com / views / blogs / market-movers / 2008 / 12 / 12 /  ecuadors-idiotic-default / , der zu der im Rückblick unzutreffenden Einschätzung kommt, der Zahlungsausfall schade Ecuador massiv und werde zu einem Milliardenverlust führen, und Buchheit / Gulati, I.F.L.Rev. 2009(27), 22, 23 („legal pretext for its hostile debt policy“). 619  Porzecanski, LCP 2010(73), 251, 268. 620  Vgl. den Bericht über einen EMTA Panel zu diesem Thema von Salmon, „Lessons from Ecuador’s bond default“, Foreign Policy in Focus, abrufbar unter http: /  / blogs.reuters.com / felix-salmon / 2009 / 05 / 29 / lessons-from-ecuadors-bond-default / . 621  Porzecanski, LCP 2010(73), 251, 267 (China, Iran, Russland); zu den Krediten lateinamerikanischer Staaten s. etwa „Ecuador gets $515 mln loan from Latin American lender“, Reuters, 5. Juli 2012, abrufbar unter http: /  / in.reuters.com / article /  2012 / 07 / 06 / ecuador-loan-idINL2E8I60JQ20120706. 622  Zu den folgenden Kritikpunkten s. Porzecanski, LCP 2010(73), 251, 261 f. 623  Für die aktualisierte Zusammensetzung der Kommission s. http: /  / www.audi toriadeuda.org.ec. 617  s. die



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CAIC hatte innerhalb einer (nachträglich um einige Monate verlängerten) Jahresfrist alle seit 1976 eingegangenen nationalen und internationalen Staatsschulden bi-, multinationaler und privater Natur auf ihre Legalität und Legitimität hin zu untersuchen und dabei die tatsächliche Verwendung der Kredite sowie die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der finanzierten Projekte zu untersuchen.624 Schließlich wird der Kommission methodische Schwäche vorgeworfen, weil eine Vielzahl wichtiger Dokumente nicht berücksichtigt und die an der Entstehung der Schulden Beteiligten nicht angehört wurden.625 Die einseitige Besetzung der Kommission schlägt sich auch in der Sprache des Berichts wieder. Bereits in der Präambel wird die Einrichtung der CAIC begründet mit „[t]he incalculable damage caused to the country’s economy and the people of Ecuador by public borrowing, omnipresent as a pressure-submission system, and the consequent commitment of public resources to deliver its service“.626 Die mehrfache Umschuldung wird als „detrimental acts to the dignity of the nation“627 und „following a strategy imposed on countries in the South“628 beschrieben. Im Bericht finden sich auch vermehrt Hinweise auf eine ideologische Abgrenzung von marktwirtschaftlichen Modellen.629 So wird kritisiert, dass Infrastrukturprojekte zwar durch öffentliche Kredite finanziert, diese aber dann privatisiert wurden, sodass die Kreditverantwortlichkeit zwar auf die öffentliche Hand verlagert wurde, die Gewinne aber der Privatwirtschaft verbleiben, oder dass private Schulden verstaatlicht wurden.630 Der Bericht untersucht neben der Eingehung von Schulden unter der Militärregierung, welche zu einem großen Teil zugunsten militärischer Zwecke verwendet wurden, hauptsächlich die Weiterentwicklung dieser Schulden im Rahmen mehrfacher Umschuldungsversuche und zeigt vielfache Unregelmäßigkeiten auf. Manche der Vorwürfe sind allerdings nur schwer nachzuvollziehen. So wird über den gesamten Bericht hinweg immer wieder moniert, dass die zur Restrukturierung ausgegebenen Anleihen ausländischem Recht (nämlich dem von New York) unterfallen und dass diese unter Verzicht auf die Immunität vor nationalen Gerichten ausgegeben wurden. Nr. 472, abgedruckt in CAIC, Final Report, S. 155 ff. LCP 2010(73), 251, 263 kommt zu dem Schluss: „As was to be expected given the circumstances, the CAIC report is incomplete, biased, and inaccurate“; ähnlich auch Buchheit / Gulati, I.F.L.Rev. 2009(27), 22, 23. 626  CAIC, Final Report, S. 7. 627  CAIC, Final Report, S. 58. 628  CAIC, Final Report, S. 151. 629  s. insbes. CAIC, Final Report, S. 65. 630  CAIC, Final Report, S. 152. 624  s. Verordnung 625  Porzecanski,

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Was im Bericht als „[u]surpation of the country’s internal affairs and the resulting affront to national Sovereignty“ beschrieben wird,631 stellt in Wirklichkeit eine Standardklausel internationaler Staatsanleihen dar. Weiterhin werden diverse Verstöße gegen ecuadorianisches Recht, z. B. gegen das Verbot von Zinseszinsen, sowie der Verzicht auf die Einrede der Verjährung im Rahmen der Umschuldungsverhandlungen gerügt.632 Schließlich wird auch vorgebracht, Ecuador müsse mehr Geld zurückzahlen, als es von ausländischen Kreditgebern erhalten habe, was beweise, dass „the commercial debt has not been a source of financing for the development of the country, but a perverse mechanism to pillage its limited resources.“633 Inmitten dieser eher diffusen Vorwürfe lassen sich eine Reihe von Kritikpunkten finden, die zur Begründung der Unwirksamkeit entsprechend der Odious-Debts-Doktrin angeführt werden können. So wird die Verwendung eines großen Teiles der Kredite für Militärausgaben (und damit potentiell entgegen dem Bevölkerungsinteresse) angeführt;634 allerdings stammen die untersuchten Kredite teilweise bereits aus der Zeit unter der Zivilregierung von Präsident Aguilera. Das Kriterium des Nutzens für die Bevölkerung wird auch unter dem Gesichtspunkt ineffektiver Infrastrukturprojekte angesprochen.635 Ebenfalls wird die (mangelnde) Zustimmung der Bevölkerung thematisiert, weil im Zuge der Restrukturierung Verhandlungsführer mit zweifelhafter Vertretungsmacht auftraten und staatliche Kontrollmechanismen ihre Funktionen nicht ordnungsgemäß ausübten.636 Das Modell der Odious Debts wird im Bericht allerdings nur am Rande angesprochen,637 ohne dass spezifische Voraussetzungen genannt und die Schulden daraufhin untersucht werden.638 Lassen sich aus dem Bericht der CAIC mit etwas Mühe Hinweise auf das Vorliegen von Odious Debts herauslesen, so ist das weitere Verhalten Ecu631  CAIC, Final Report, S. 149; s. a. S. 28 („aggression to the sovereignty“) und S. 81 („lesion to the sovereignty of the State“). 632  CAIC, Final Report, S. 64 f. (Zinseszins) und S. 39 ff. (Verjährung). 633  CAIC, Final Report, S. 25. 634  CAIC, Final Report, S. 51. 635  CAIC, Final Report, S. 151 f. 636  s. CAIC, Final Report, S. 59. 637  CAIC, Final Report, S. 97 („Violating human rights due to the impositions of multilateral banks is reason enough to consider the debts contracted for [sic] under these conditions to be odious, illegitimate and illicit“) und S. 149 („Commonly accepted international treaties and legal doctrines were not acknowledged which include … odious debt“). 638  Ein positiveres Beispiel stellt der Bericht von Afrodad dar, im welchem die für Odious Debts geltenden Kriterien dargestellt und dann – wenn auch sehr pauschal – auf die Kredite Ecuadors angewendet werden, vgl. Afrodad, Ecuador at the Crossroads.



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adors jedoch zu undifferenziert, um eine solche Doktrin zu bestätigen. In Folge des Berichts wurde zwar die Bedienung von Schulden mit Verweis auf deren Illegitimität verweigert, dies aber nur in Bezug auf die in den Jahren 2012 und die 2030 fälligen Anleihen, während die ebenso kritisierten, jedoch unter Correa als Finanzminister ausgegebenen,639 im Jahr 2015 fälligen Anleihen weiterhin bedient wurden.640 Inlandsschulden sowie Verbindlichkeiten gegenüber anderen Staaten oder internationalen Organisationen, welche im Bericht ebenfalls stark kritisiert wurden, waren von der Zahlungsverweigerung nicht betroffen, was auch das Ausbleiben von Kritik seitens Offizieller erklärt. Umgekehrt wurde hinsichtlich der rückgekauften Anleihen nicht differenziert, ob diese nicht zumindest teilweise der Bevölkerung zugutegekommen waren. Auch lässt sich der Rückkauf der als illegitim bezeichneten Anleihen, wenn auch zu einem stark reduzierten Preis, schwer mit einer Odious-Debts-Doktrin in Einklang bringen, der zufolge solche Schulden unwirksam sein sollen.641 Schließlich ist auch das Einlenken der privaten Gläubiger nicht als Bestätigung der Illegitimität der Schulden zu sehen,642 sondern den Marktzwängen geschuldet643 sowie durch die finanzielle Unterstützung Ecuadors von Staaten wie China mitgetragen644 und wäre daher ohne eine Geltendmachung der Illegitimität durch Ecuador kaum anders ausgefallen. Einige im CAIC-Bericht angeführte Argumente können zwar unter ein weites Konzept der Illegitimität von Schulden gefasst werden und wären im Rahmen freiwilliger Entschuldung von Nutzen, sie stellen aber keine rechtliche Grundlage für die Nichtigkeit der Schulden dar.645 Der Umgang Ecuadors mit seinen Auslandschulden ist mithin zu willkürlich und juristisch zu wenig gerechtfertigt, als dass es sich dabei um die Bestätigung einer wie auch immer gearteten Odious-Debts-Doktrin han639  Buchheit / Gulati,

I.F.L.Rev. 2009(27), 22, 23. wird auch gemutmaßt, dass für deren Bedienung ausschlaggebend war, dass das verbündete Venezuela im Besitz mehrerer solcher Anleihen war, s. den Beitrag von Denvir, „As crisis mounts, Ecuador declares foreign debt illegitimate and illegal“, abrufbar unter http: /  / www.alternet.org / story / 108769 / as_crisis_mounts, _ecuador_declares_foreign_debt_illegitimate_and_illegal. 641  Wong, Sovereign Finance, S. 95. 642  In diese Richtung aber Mansell / Openshaw, L. & Dev. Rev. 2009(2), 151, 181 sowie Wong, Sovereign Finance, S. 96 f. 643  Zu dem geschickten Ausnutzen der Umstände durch Ecuador s. Feibelman, J.I.B.L.R. 2010(25), 357, 361 sowie den Bericht über einen EMTA Panel zu diesem Thema von Salmon, „Lessons from Ecuador’s bond default“, Foreign Policy in Focus, abrufbar unter http: /  / blogs.reuters.com / felix-salmon / 2009 / 05 / 29 / lessons-fromecuadors-bond-default / . 644  „China loans and oil prices boost Ecuador economy two years after default“, MercoPress 26. Juni 2011, abrufbar unter http: /  / en.mercopress.com / 2011 / 06 / 26 / chi na-loans-and-oil-prices-boost-ecuador-economy-two-years-after-default. 645  Feibelman, J.I.B.L.R. 2010(25), 357, 358. 640  Es

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deln könnte.646 Der Fall macht erneut deutlich, wie wichtig nicht nur klare Kriterien, sondern auch eine unabhängige Instanz zur Klassifizierung von Schulden sind. Da es sich bei den verweigerten Schulden teilweise um umstrukturierte Schulden aus der Zeit der Militärdiktatur handelte, stellt sich zudem die Frage, inwiefern solche Umschuldungen die Qualifizierung von Schulden als odiös beeinträchtigen.647 (21) Arabischer Frühling (a) R  esolution 2011 / 2113(INII) des Europäischen Parlamentes vom 10. Mai 2012 In der „Resolution zur Handels- und Investitionsstrategie der EU für den südlichen Mittelmeerraum nach den Revolutionen des „Arabischen Frühlings“ des Europäischen Parlamentes,648 in welcher sich das Parlament mit den Möglichkeiten, durch Handel und Investitionen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu stärken, beschäftigt, findet sich folgender Passus: „[Das Europäische Parlament] hält die Auslandsverschuldung der Länder in Nordafrika und dem Nahen Osten für verabscheuungswürdig, da sie von diktatorischen Regimen angehäuft wurde, größtenteils durch die persönliche Bereicherung der politischen und wirtschaftlichen Elite sowie durch den Erwerb von Waffentechnik, die häufig zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung angewendet wurde; plädiert deshalb dafür, die so entstandenen Schulden zu überprüfen, insbesondere die Schulden im Zusammenhang mit den Waffenkäufen“; in der englischen Version heißt es „Considers the public external debt of the countries in North Africa and the Middle East to be odious debt …“.649 Auffällig ist hier der pauschale Verweis auf „die Auslandsverschuldung“, die als odiös klassifiziert wird, was allerdings wieder eingeschränkt wird durch „größtenteils“ und die Forderung, die Schulden zu überprüfen, anstatt deren gesamte Unwirksamkeit zu erwägen.650 Bei der 646  Feibelman, J.I.B.L.R. 2010(25), 357, 358 klassifiziert den Fall Ecuadors als schädlich für die Odious-Debts-Doktrin, weil er nur dann einen Präzedenzfall darstellt, wenn man diese sehr weit auslegt. 647  s. dazu unten, Kapitel 3 B.V. 648  Resolution 2011 / 2113(INII) vom 10.  Mai 2012, abrufbar unter http: /  / www. europarl.europa.eu / sides / getDoc.do?pubRef=- /  / EP /  / TEXT+TA+P7-TA-20120201+0+DOC+XML+V0 /  / DE. 649  Ebd., para. 6 (Hervorhebungen durch den Zitierenden). 650  Das Problem der odiösen Schulden wurde in der parlamentarischen Debatte über die Resolution kaum angesprochen; der Erlass aller Diktatorenschulden als Odious Debts wurde von einem Parlamentsmitglied gefordert, vgl. Beitrag des Abgeordneten Paul Murphy, CRE 09 / 05 / 2012 – 20, 9.  Mai 2012, abrufbar unter



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Resolution handelt es sich um eine rechtlich unverbindliche Forderung des Europäischen Parlamentes, auf welche bisher keine Konsequenz folgte. Sie zeigt aber, dass die Terminologie der odiösen Schulden auch auf offizieller europäischer Ebene eine Rolle spielt. (b) Ägypten Obwohl von Nichtregierungsorganisationen und in der Presse immer wieder die Qualifikation der unter dem langjährigen Diktator Hosni Mubarak aufgenommenen Schulden als odiös diskutiert und die Einrichtung von Debt Audits gefordert wurden,651 kam es bisher nicht zu entsprechenden Aktivitäten. Ein von Deutschland geplanter (einseitiger) Schuldenerlass wurde aus politischen Gründen verschoben, nachdem sich in Ägypten eine islamistische Staatsführung abzeichnete.652 Dass der zum Präsidenten gewählte Kandidat der Muslimbruderschaft seinerseits wegen seines autokratischen Auftretens durch das Militär abgesetzt wurde, zeigt die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, wenn die Odious-Debts-Doktrin an einen Regimewechsel anknüpfen soll, da unklar bleibt, zu welchem Zeitpunkt die Verweigerung von Schulden als odiös gerechtfertigt sein soll. (c) Tunesien Nach dem Ende der autoritären Herrschaft des Präsidenten Ben Ali im Januar 2011 sprachen sich mehrere zivilgesellschaftliche und politische Akteure in Tunesien und Europa sowie die tunesische Regierung für die Überprüfung der tunesischen Schulden im Rahmen eines Debt Audit aus.653 In der Folge brachte eine Abgeordnete der tunesischen Regierungspartei im Juli 2012 einen Gesetzesentwurf in die Verfassungsgebende Versammlung http: /  / www.europarl.europa.eu / sides / getDoc.do?pubRef=- /  / EP /  / TEXT+CRE+2012 0509+ITEM-020+DOC+XML+V0 /  / EN. 651  s.  die Kampagne „Drop Egypt’s Debt“, abrufbar unter http: /  / www.drop egyptsdebt.org / und z. B. die Aktivitäten zu Ägypten der NGO CADTM, http: /  / cadtm. org / Odious-debt. 652  „Niebel warnt vor Diktator in Ägypten“, Zeitonline, 17. Dezember 2012, abrufbar unter http: /  / www.zeit.de / politik / ausland / 2012-12 / niebel-aegypten-diktatur. 653  Eine entsprechende Petition wurde beispielsweise von der NGO CADTM ins Leben gerufen, vgl. http: /  / cadtm.org / Call-to-national-and-European-MPs; Entsprechendes lässt sich auch aus der oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(21)(a) dargestellten Resolution des Europaparlaments ableiten; zur Position der Regierung s. Mandraud, „La Tunisie Refuse les Dettes Héritées de la Dictature“, Le Monde, 17. Juli 2012, abrufbar unter http: /  / www.lemonde.fr / tunisie / article / 2012 / 07 / 17 / la-tunisie-refuseles-dettes-heritees-de-la-dictature_1734672_1466522.html.

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ein, welcher die Überprüfung aller unter Ben Ali eingegangenen Schulden auf ihre Legalität hin zum Inhalt hatte.654 Im Februar 2013 erklärte der tunesische Finanzminister allerdings, dass eine Überprüfung der Schulden nicht stattfinden und der Gesetzesentwurf zurückgenommen werde, weil das Schuldenniveau Tunesiens auch ohne eine Aussonderung einzelner Schulden zu bewältigen sei; dem war eine Übereinkunft mit dem IWF über Strukturreformen vorausgegangen.655 Eine Überprüfung oder Verweigerung einzelner Verträge fand bisher nicht statt. (d) Weitere Staaten und Zusammenfassung Soweit ersichtlich wurden bisher weder die unter Ali Abdullah Salih im Jemen noch die unter Muammar al-Gadaffi in Libyen aufgenommenen Schulden als odiös diskutiert, obgleich bei vielen dieser Schulden die Erfüllung der Sack’schen Kriterien naheliegen dürfte. Für eine abschließende Beurteilung des Arabischen Frühlings aus der Perspektive odiöser Schulden ist es zwar noch zu früh, die bisherigen Ereignisse sprechen aber eher gegen eine Bestätigung der Odious-Debts-Doktrin. (22) Griechenland und europäische Schuldenkrise In der europäischen Schuldenkrise wurde wiederholt die Einrichtung von Debt Audits gefordert, auch, um die Legitimität von Schulden zu unter­ suchen.656 Im Falle von Griechenland wurde dies ausdrücklich mit der Odious-Debts-Doktrin begründet, teilweise wegen Schulden aus Zeiten der Militärjunta,657 maßgeblich aber wegen „the corrupt nature of the Greek political class, complicity of the EU and German and French banks“.658 Die 654  Vgl. zu den Hintergründen sowie zu den Grundzügen des Gesetzesentwurfs The Norwegian Coalition for Debt Cancellation (SLUG), „Exportable? How to Make the Norwegian Debt Audit Transferable to Other Countries“, Dezember 2012, abrufbar über http: /  / eurodad.org / 1544409 / , S. 21 ff. 655  „Slim Besbès Annonce le Retrait du Projet d’Audit de la Dette Tunisienne, le CPR s’Indigne!“, Business News, 18.  Februar 2013, abrufbar unter http: /  / www. businessnews.com.tn / Slim-Besb %C3 %A8s-annonce-le-retrait-du-projet-d %E2 % 80 %99audit-de-la-dette-tunisienne,-le-CPR-s %E2 %80 %99indigne-!,520,36389,3. 656  Phillips, „Pressure Grows for Independent Audit of Greek Debt“, EUOBSERVER, 7.  März 2011, abrufbar unter http: /  / euobserver.com / economic / 31930. 657  Vgl. Hern, „Does Greece have ‚Odious‘ Debt?“, 9. Mai 2012, abrufbar unter http: /  / www.newstatesman.com / blogs / interest-rates / 2012 / 05 / does-greece-haveodious-debt, der einen linksradikalen griechischen Politiker zitiert. 658  Manolopoulos, Grece’s Odious Debt, S. 249; das Buch trägt den bezeichnenden Untertitel „The Looting of the Hellenic Republic by the Euro, the Political Elite and the Investment Community“.



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Forderungen zeigen die potentielle Weite einer Odious-Debts-Doktrin; zu einer Überprüfung oder gar Zurückweisung von Schulden kam es nicht. (23) N  aheliegende Anwendungsfälle der Odious-Debts-Doktrin, die nicht als solche behandelt wurden In folgenden Fällen wäre anlässlich von Staatensukzessionen oder Regimewechseln die Qualifikation von Schulden als odiös denkbar gewesen oder wurde sogar die Zahlungsverweigerung erwogen, ohne dass es schließlich zu einer Zurückweisung der Schulden kam: Schulden des Somoza-Regimes in Nicaragua;659 Schulden Haitis (sowohl die 1825 an Frankreich als Kompensation für die Unabhängigkeit Haitis eingegangenen sowie die unter der Duvalier-Familie entstandenen Schulden);660 Schulden des Marcos-Regimes auf den Philippinen;661 Schulden Nazideutschlands662 und Schulden 659  Die Nachfolgeregierung unter Ortega erklärte zunächst, die Schulden nicht bedienen zu wollen, nahm davon aber auf Anraten Kubas Abstand, um gute Beziehungen mit westlichen Staaten aufrecht zu erhalten, vgl. Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82, 86 m. w. Nachw. und Kenny, „Odious Obligations“, Foreign Policy, 19.  März 2012, abrufbar unter http: /  / www.foreignpolicy.com / artic les / 2012 / 03 / 19 / odious_obligations. 660  Im Fall von Haiti kam es zu einem umfassenden Schuldenerlass im Rahmen der HIPC-Initiative, vgl. International Development Association und International Monetary Fund, Heavily Indebted Poor Countries (HIPC) Initiative and Multilateral Debt Relief (MDRI) – Status of Implementation, 14. September 2010, abrufbar unter http: /  / www.imf.org / external / np / pp / eng / 2010 / 091410.pdf. Dem Schuldenerlass waren auch Rufe nach dem Erlass odiöser Schulden vorausgegangen, ohne dass bestimmte Schulden in der Folge aber als unwirksam angesehen wurden, vgl. etwa Katz / Boscov-Ellen, „Justice for Haiti: Beyond Aid and Debt Forgiveness“, 14 April 2010, abrufbar unter http: /  / www.coha.org / justice-for-haiti-beyond-aid-and-debt-for giveness / . 661  Die odiöse Natur der Schulden wurde schon 1986 erwogen, vgl. Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 482 und seitdem immer wieder diskutiert, vgl. Adams, Odious Debts, S. 124 ff., und das 2009 an der University of the Philippines abgehaltene Forum on Odious Debt in Public International Law, bisher aber ohne Folgen. 662  Deutsche Auslandsschulden wurden aufgrund des Londoner Schuldenabkommens vom 27. Februar 1953 reduziert, ohne dass dabei jedoch auf die Verwendung der Finanzmittel zur Unterstützung des Naziregimes abgestellt wurde; maßgeblich war vielmehr die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der BRD als Bollwerk gegen den kommunistischen Ostblock, vgl. m. w. Nachw. Kaiser, „Schulden sind kein Schicksal! Zum 50. Jahrestag des Londoner Schuldenabkommens“, abrufbar unter http: /  / www. erlassjahr.de / cms / upload / mitmachen / arbeitshilfen / dokumente / london_53 / Das_Londoner_Schuldenabkommen.pdf. Auch das weitere Verbindlichkeiten reduzierende Allgemeine Kriegsfolgengesetz vom 5. November 1957 wurde nicht mit der Illegitimität der erlöschenden Forderungen begründet; zudem wurden gem. §§ 30 ff. des Gesetzes Ansprüche aus Kapitalanlagen aufrecht erhalten, ohne dass es auf deren konkrete Verwendung ankam; dasselbe gilt für im Gesetz enthaltene Härtefallregelungen.

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der DDR beim Beitritt zur BRD; Verteilung der Schulden beim Zerfall der Sowjetunion;663 Schulden Ruandas aus Zeiten des Völkermordes;664 Schulden des Kongos aus Zeiten Mobutus,665 unter Suharto eingegangene Schulden Indonesiens666 und die Schulden Afghanistans aus Zeiten des TalibanRegimes,667 was nur eine Auswahl naheliegender Konstellationen darstellt.668 Da es sich nach überwiegender Ansicht bei der Odious-Debts-Doktrin um eine Einrede handelt, deren Geltendmachung im Belieben des Schuldners steht, spricht dies allerdings nicht zwingend gegen die Geltung der Doktrin, sofern sich diese aus sonstiger Staatenpraxis herleiten ließe.669 b) Zwischenergebnis Der in einigen Fällen beobachtete Nichtübergang von nach Kriegsbeginn entstandenen Schulden im Fall eines militärisch veranlassten Gebietswech663  Cheng, LCP 2007(70), 7, 23 f.; Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 970; die Schulden wurden vollständig unter den Nachfolgestaaten verteilt. Die baltischen Staaten sahen sich nicht als Nachfolgestaaten, sondern als nach rechtswidriger Besatzung in ihrer Souveränität wieder auflebend und wehrten sich damit gegen die Fortgeltung völkerrechtlicher Verträge, vgl. Zimmermann, Staatennachfolge, S. 53 ff. und zur umstrittenen Okkupationstheorie mit Bezug auf die baltischen Staaten Reinisch / Hafner, Staatensukzession Sowjetunion, S. 101 ff. 664  Hanlon, in: Jochnick / Preston, Sovereign Debt at the Crossroads, S. 141 f. interpretiert den in einem Bericht des Ausschusses für internationale Entwicklung des Parlaments des Vereinigten Königsreiches geforderten Schuldenerlass als Anwendung der Odious-Debts-Doktrin. Dem ist mit Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 36 f. zu widersprechen, da der Begriff der odiösen Schulden nur im Zusammenhang mit der Äußerung eines Experten genannt wird, welche sich das Komitee nicht zu eigen macht und es in der Sache um einen einseitigen Schuldenerlass geht, vgl. Select Committee on International Development, Third Report, para. 10, abrufbar unter http: /  / www.publications.parliament.uk / pa / cm199798 / cm select / cmintdev / 563iii / id0304.htm. 665  Die Demokratische Republik Kongo profitierte ab 2001 von der HIPC-Initiative und erlangte im Jahr 2010 einen umfangreichen Schuldenerlass des Paris Clubs, s. „Paris Club Agrees Congo Republic Debt Relief“, Reuters, 19. März 2010, abrufbar unter http: /  / af.reuters.com / article / topNews / idAFJOE62I03Q20100319; zu den potentiell odiösen Schulden Kongos vgl. Ndikumana / Boyce, Development and Change 1998(29), 195 ff. 666  Hier bestanden die USA auf die Fortzahlung der Schulden, vgl. Stiglitz, „Odious Rulers, Odious Debts“, The Atlantic, November 2003, abrufbar unter http: /  / www.theatlantic.com / past / docs / issues / 2003 / 11 / stiglitz.htm. 667  Afghanistan wurde 2007 in die HIPC-Initiative aufgenommen, unter der es einen umfangreichen Schuldenerlass erlangte, vgl. IMF, Afghanistan HIPC Initiative Paper, Februar 2010, abrufbar unter http: /  / www.imf.org / external / pubs / ft / scr /  2010 / cr1040.pdf. 668  Weitere Nachweise bei Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 406. 669  In diese Richtung Howse, Odious Debt, S. 8.



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sels auf den Erobererstaat (war debts) ist nicht dazu geeignet, eine Regel zu stützen, der zufolge Schulden unwirksam sind, wenn sie entgegen den Bevölkerungsinteressen eingegangen wurden. Zum einen ist schon angesichts der Machtverhältnisse nach Kriegsende die opinio iuris hinsichtlich solcher Schulden unklar; zum anderen erfasst die Regel der war debts nicht alle relevanten Fälle, in denen Schulden unwirksam sein sollten (z. B. Bau von Foltergefängnissen durch einen Diktator), während in Fällen eine Nichtübertragung von Schulden angenommen wird, die moralisch nicht gerechtfertigt ist (so etwa Nichtübergang der zur Abwehr eines Angriffskriegs eingegangenen Schulden bei Gebietsverlust). Ohnehin ist die heutige Geltung der war-debts-Regel angesichts des Gewaltverbotes in Art. 2 (4) UN-Charta mehr als fraglich. Die weiteren Fälle lassen sich danach unterscheiden, ob es sich um Konstellationen von Staatensukzession oder Regimewechsel handelte und ob die Gelder zur ausschließlich persönlichen Verwendung des Machthabers ohne Nutzen für die Bevölkerung oder auch für bevölkerungsschädliche öffent­ liche Projekte wie die Finanzierung von jeweils rechtswidrig eingesetzten Gefängnissen oder Waffen eingesetzt wurden. Im Fall der Staatensukzession lässt sich eine Vielzahl von Konstellationen der Gruppe der subjugation debts zuordnen (vgl. Mexiko, Kuba, Germanisierung Polens, Anschluss Österreichs, Indonesien), es handelt sich also um Sachverhalte, in denen zur Lasten der Bevölkerung eines Staates oder einer Kolonie durch einen anderen Staat Schulden eingegangen wurden. In all diesen Fällen der Zurückweisung von Schulden fehlt es an einer Untersuchung, wie die Mittel tatsächlichen verwendet wurden; auch auf das Element der Gläubigerkenntnis wird weitgehend verzichtet. Wenn der Schuldner wie im Falls Kubas einerseits auf die feindliche Verwendung der Gelder abstellt, sich andererseits aber einer Untersuchung des potentiellen Nutzens einzelner Kredite verweigert, so handelt er insofern widersprüchlich – auf die konkrete Verwendung der Schulden kommt es ihm damit gerade nicht an. Gegen die weitergehende Regel, es bestehe daher die Möglichkeit, in den vorliegenden Konstellationen pauschal alle Schulden zu verweigern, spricht aber, dass die jeweilige opinio iuris äußerst zweifelhaft ist, da es sich meist um Konstellationen im Nachgang militärischer Auseinandersetzungen handelt, in welchen typischerweise die obsiegende Partei ihre Bedingungen diktieren kann und eine rechtliche Übereinkunft der Parteien meist fehlt. Eine von einer Staatenmehrheit getragene opinio iuris ist damit nicht nachweisbar. Auch die Mehrzahl von Konstellationen im Zusammenhang mit einem grundlegenden Regimewechsel lassen nicht auf die Anerkennung der OdiousDebts-Doktrin schließen. Der schon im Bereich der Staatensukzession durch positive Beispiele nicht zu belegenden Rechtsfigur stehen hier eine Reihe von Negativbeispielen gegenüber, bei denen es nach der Ablösung diktatori-

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scher Regierungen im Ergebnis nicht zu einer Verweigerung von odiösen Schulden kam, obwohl eine solche im Lichte einer Odious-Debts-Doktrin nahegelegen hätte (Irak, Südafrika, Algerien, Argentinien, Iran, Nigeria, Arabischer Frühling sowie einige unter a)bb)(23) genannte Fälle). Der Verzicht, sich auf eine mögliche Odious-Debts-Doktrin zu berufen, wurde allerdings nie mit deren mangelnder Anerkennung begründet; einzige Ausnahme stellt die Entscheidung Iran-US-Claims-Tribunal dar, welches die Odious-DebtsDoktrin jedenfalls für den Fall des Regierungswechsels als nicht anwendbar erachtet, die Geltung aber im Übrigen offen lässt. Vor dem Hintergrund der ohnehin dürftigen Staatenpraxis sprechen die genannten Fälle insgesamt gegen die rechtliche Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin. Bei einer Reihe von Konstellationen handelt es sich schließlich um den Erlass von Schulden aus moralischen Gründen, was jedoch nicht mit der Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Forderung begründet wird (vgl. Südafrika gegenüber Namibia und Mozambique; Norwegen); in weiteren Fällen sprachen sich parlamentarische Gremien (Europaparlament; auswärtiger Ausschuss des belgischen Senats) für die Überprüfung von Ansprüchen gegenüber anderen Staaten, was jedoch ohne Folgen blieb. Als potentielle Belege für eine die Odious-Debts-Doktrin stützende Staatenpraxis bleiben mithin nur das Tinoco-Schiedsverfahren sowie die Zahlungseinstellung Ecuadors. Das Tinoco-Schiedsverfahren könnte Präzedenzwirkung nur für eine enge, ausschließlich die persönliche Verwendung von Krediten betreffende Odious-Debts-Doktrin entfalten, während die Aufnahme von Krediten zur bevölkerungsschädlichen öffentlichen Verwendung von ihr nicht erfasst wäre. Die Entscheidung betrifft jedoch einen äußerst speziellen Fall (offene Bereitstellung von Geldern zur Flucht von Mitgliedern einer im Untergang befindlichen Regierung) und wird von nachfolgenden Entscheidungen nicht aufgegriffen, sodass sich hieraus alleine kein Völkergewohnheitsrecht ableiten lässt. Der Zahlungsausfall Ecuadors schließlich folgt keinem klar erkennbaren Muster und ist gemessen an der Odious-Debts-Doktrin gleichzeitig zu eng (willkürliche Erfassung nur bestimmter Schuldtitel) und zu weit (keine Untersuchung eines Bevölkerungsnutzens), sodass er sich nicht als Ausfluss der Odious-Debts-Doktrin auffassen lässt, zumal es auch hier an der nötigen Zustimmung einer Mehrheit von Staaten fehlt. Die Staatenpraxis hinsichtlich Schulden, die einer Definition von Odious Debts unterfallen können, weil die Verwendung der Gelder Bevölkerungsinteressen nicht entsprach, lässt mithin nicht auf eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin schließen.670 670  In diesem Sinne auch ein bedeutender Teil der Literatur, vgl. die Nachweise in Fn. 4.



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III. Allgemeine Rechtsgrundsätze und Wirksamkeit von Odious Debts im Privatrecht Auch aus verschiedenen Rechtsordnungen immanenten Grundprinzipien, die einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Völkerrechts darstellen, kann sich die Unwirksamkeit odiöser Schulden ergeben. Eine ähnlich gelagerte Frage ist, ob Kreditverträge nach dem auf den Vertrag anwendbaren (Privat-)Recht wirksam und durchsetzbar sind. Da es sich bei beiden Ansätzen um im Kern privatrechtliche handelt, sollen diese hier gemeinsam behandelt werden. Zunächst einmal lässt sich ein den verschiedenen nationalen Rechtsordnungen gemeiner Rechtsgrundsatz, demzufolge gerade gegen das Interesse der Bevölkerung eingegangene Schulden in bestimmten Fällen nichtig sind, verweigert werden können oder nicht auf Nachfolgestaaten übergehen, nicht finden.671 Allerdings muss ein allgemeiner Rechtsgrundsatz nicht unmittelbar den eben bezeichneten Inhalt haben. Vielmehr genügt dafür die Existenz eines den verschiedenen Rechtsordnungen gemeinen Prinzips, dem zufolge Verträge unter vergleichbaren Umständen unwirksam sind und das sich auf die völkerrechtliche Ebene übertragen lässt.672 Wie oben (Kapitel 1 C.II.1.) ausgeführt, gibt es eine Vielzahl privatrechtlicher Prinzipien, die den Bereich der Odious Debts berühren. So können aus sittenwidrigen Rechtsgeschäften keine Ansprüche geltend gemacht werden, oder Ansprüche können wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben einredebehaftet sein; in Betracht kommt zudem eine Analogie zum Vertretungsrecht. Es wird daher vertreten, dass sich die Rechtsfolgen des Odious-Debts-Prinzips auch aus entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsätzen ableiten lassen.673 Obwohl soweit ersichtlich keine einzige internationale oder nationale Gerichtsentscheidung sowie keinerlei Staatenpraxis existiert, die sich zur Unwirksamkeit odiöser Schulden auf allgemeine Rechtsgrundsätze beruft, ist es nicht von vorneherein ausgeschlossen, privatrechtlich zugunsten der Unwirksamkeit odiöser Schulden zu argumentieren. Es ist zwar fraglich, ob einem Staat zur Verweigerung von Odious Debts aufgrund eines entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes zu raten wäre, wenn dies mangels klarer Anerkennung dieser Rechtslage zu Reputationsverlusten führen könnte, und es bedürfte für die Beurteilung der privatrechtlichen Wirksamkeit auch Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 418. Definition allgemeiner Rechtsgrundsätze oben, Kapitel 2 A.III. 673  So schon Feilchenfeld, Public Debts, S. 701; vgl. ferner Feibelman, LCP 2007(70), 171 ff.; King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 642 ff. m. w. Nachw. zu privatrechtlichen Begründungen für allgemeine Rechtsprinzipien; Reinisch, Export of Warships, para. 53 ff.; mit Zweifeln Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 44. 671  So

672  s. die

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der Schulden, die sich nach dem im jeweiligen Vertrag gewählten Recht richtet, als auch für die Beurteilung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes eines umfassenden Vergleiches verschiedenster Rechtsordnungen, welcher im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist. Dennoch sollen hier das Potential privatrechtlicher Argumentationsmuster dargestellt und die Grenzen von deren Übertragbarkeit auf Situationen von Staatsschulden aufgezeigt werden. Während sich überhaupt nur eine Minderheit der Literatur zu den Odious Debts mit dem Problem auseinandersetzt, bezieht sich diese ganz überwiegend auf das common law;674 aus Gründen der Diversität soll im Folgenden deutsches Recht als Vertreter des kontinentaleuropäischen Rechtskreises zum Ausgangspunkt genommen werden, wobei sich ähnliche Prinzipien mit den entsprechenden Problemstellungen auch in anderen Rechtssystemen finden lassen.675 1. Missbrauch der Vertretungsmacht und Gesellschaftsrecht Ein Konzept aus dem Privatrecht, welches für die Unwirksamkeit odiöser Schulden angeführt wird, ist der Missbrauch der Vertretungsmacht.676 Demnach haftet der Vertretene unter bestimmten Umständen nicht, wenn der Vertreter die ihm eingeräumte Vertretungsmacht überschreitet, weil er entgegen den Interessen des Vertretenen handelt. Dass auch Fälle von Korruption einen Missbrauch der Vertretungsmacht darstellen können, wurde oben (B.II.) ausgeführt und soll im Folgenden nicht weiter behandelt werden. a) Allgemeine Regeln des Vertretungsrechts aa) Grundsätze der §§ 164 ff BGB Wegen der grundsätzlichen Abstraktheit von Innen- und Außenverhältnis im deutschen Vertretungsrecht kommt ein Missbrauch der Vertretungsmacht in Betracht, wenn der Vertreter zwar im Rahmen seiner (Außen-)Vollmacht, aber entgegen der Weisungen im Innenverhältnis handelt.677 Das 674  s. dazu Khalfan u.  a., CISDL Working Paper, S. 34 ff.; mit ausdrücklichem Bezug auf das Privatrecht Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1232 ff.; zu internationalen Quellen Reinisch, Export of Warships, para. 53 ff. 675  Vgl. DeMott, LCP 2007(70), 157 ff. und für einen privatrechtlichen Lösungsansatz unten, Kapitel 3 A.I.4). 676  s. Petersen, Demokratie, S. 156  ff., der anstelle der Berücksichtigung eines entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes eine „Gesamtanalogie“ auf die vertretungsrechtlichen Regeln ziehen will; für das Common law vgl. die Literaturverweise in Fn. 674 sowie DeMott, LCP 2007(70), 157 ff. 677  Schramm, in: Säcker / Rixecker, MüKo BGB, § 164 Rn. 74.



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Risiko des Missbrauchs hat grundsätzlich der Vertretene zu tragen,678 sodass grundsätzlich von der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts auszugehen ist. Die Schutzwürdigkeit des Vertragspartners entfällt aber, wenn die Vertretungsmacht missbraucht wird, also in Fällen von Kollusion und Evidenz. Wenn Vertreter und Geschäftsgegner bewusst zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken, führt dies zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB.679 Handeln Vertreter und Geschäftsgegner nicht kollusiv zusammen, so entfällt die Schutzwürdigkeit des Letzteren dennoch, wenn das Geschäft einen Rechtsmissbrauch i. S. d. § 242 BGB darstellt. Ein solcher liegt vor, wenn dem Geschäftsgegner der Missbrauch der Vertretungsmacht bekannt war680 oder der Vollmachtsmissbrauch für den Geschäftsgegner evident war, der Vertreter von der Vertretungsmacht also in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch machte und beim Geschäftsgegner deswegen begründete Zweifel an der Vertretungsmacht entstehen mussten.681 Dem Geschäftspartner gegenüber kann sich der Vertretene dann nach bisheriger Rechtsprechung auf den Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) berufen;682 mittlerweile wird auch der Vertrag als schwebend unwirksam angesehen und soll der Genehmigung des Geschäftsherrn entsprechend § 177 BGB bedürfen.683 bb) Übertragbarkeit der Regeln auf Staatsschulden Bei der Übertragung der Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht stellt sich die Frage, ob für diese überhaupt Raum ist, da mit Art. 7 und 47 WVK bereits Regelungen zur wirksamen Eingehung von Verträgen bestehen (s. o. B.I.). Allerdings enthält Art. 7 WVK zum Missbrauch der Vertretungsmacht überhaupt keine Aussage, während Art. 47 WVK nur den Fall des Verstoßes gegen ausdrückliche Begrenzungen im Innenverhältnis betrifft und auch in diesem Fall nicht spezifisch das Bevölkerungsinteresse schützt.684 678  BGH,

Urteil vom 29.6.1999, XI ZR 277-98, NJW 1999, 2883. in: Säcker / Rixecker, MüKo BGB, § 164 Rn. 107 m. w. Nachw. Ob es sich dabei um einen nur unter § 138 Abs. 1 BGB zu fassenden Sittenverstoß handelt oder der Fall über Grundsätze des Vertretungsrechts i. V. m. § 138 Abs. 1 BGB zu lösen ist, kann aufgrund des identischen Ergebnisses dahinstehen. 680  Valenthin, in: Bamberger / Roth, BGB, § 167 Rn. 48. 681  Valenthin, in: Bamberger / Roth, BGB, § 167 Rn. 49 m. w. Nachw. 682  Valenthin, in: Bamberger / Roth, BGB, § 167 Rn. 49 m. w. Nachw. 683  Vgl. BGH, Urteil vom 6.5.1999, VII ZR 132-97, NJW 1999, 2266, 2268. 684  Die spätere Ratifikation des Vertrages durch die zuständige Stelle – gleich, ob diese parlamentarischer oder exekutiver Natur ist – soll den Missbrauch nämlich entfallen lassen, vgl. ILC, „Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries“, Art. 44, para. 2, abgedruckt in YILC 1966 Vol. II(2), S. 187 ff., 243. 679  Schramm,

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Der für odiöse Schulden relevante Verstoß richtet sich aber gerade gegen das Interesse der Bevölkerung und ist damit nicht erfasst,685 sodass auch im Anwendungsbereich der Konvention eine Berücksichtigung der dargestellten allgemeinen Rechtsprinzipien nicht ausscheidet.686 Darüber hinaus beschränkt sich die WVK wie ausgeführt auf zwischenstaatliche Verträge, die dem Völkerrecht unterstehen,687 sodass zumindest in den übrigen Fällen (Wahl nationalen Rechts oder Beteiligung von Privaten) Raum für die Übertragbarkeit der vertretungsrechtlichen Prinzipien bleibt. Die Anwendung der dargestellten Grundsätze auf die Situation odiöser Verträge mit Staaten stößt auf mehrere Probleme, weil es sich hier um ein Drei-Personen-Verhältnis (Vertreter, Vertretener, Geschäftspartner) handelt, während im Fall von Staatsschulden vier Beteiligte (Regierung, Staat, Bevölkerung, Geschäftspartner) betroffen sind. Im Drei-Personen-Verhältnis müsste als Prinzipal mithin die Bevölkerung identifiziert werden,688 entgegen deren Interesse die Verträge eingegangen wurden. Obwohl dies staatsphilosophisch einleuchtend ist,689 ist es völkerrechtlich der Staat, den die Regierung als Völkerrechtssubjekt bindet;690 wenn Vertretener der Staat ist, stellt sich aber die Frage, welche Rolle die Bevölkerung bzw. deren Interesse in diesem Zusammenhang einnimmt. Soweit das Vertretungsrecht eine Vollmachterteilung voraussetzt, ist diese im Fall eines Despoten ebenfalls fraglich. Wie oben (B.) ausgeführt, kann auch ein demokratisch nicht legitimiertes Staatsoberhaupt wirksam völkerrechtliche Verträge eingehen, sodass zumindest die Regeln der Vertretung kraft Rechtsgeschäft nicht herangezogen werden können. Insbesondere für despotische Regime fehlt es an der Einvernehmlichkeit des Vertretungsverhältnisses.691 Nicht plausibel ist zudem, dass die Verweigerung erst nach Eintreten eines Staats- oder Regimewechsels möglich sein soll. Analog dazu könnte im Stellvertretungsrecht die Erfüllung erst zum Zeitpunkt der Bestellung eines neuen Vertreters verweigert werden; allerdings führt dort die mangelnde Vertretungsmacht zur mangelnden Haftung des Vertretenen. Da der BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung die Prinzi685  Aus der Begründung der ILC für den Konventionsentwurf ergibt sich nicht, dass die Frage planmäßig nicht geregelt werden sollte; vielmehr wurde die vorliegende Problematik nicht diskutiert, vgl. ILC, „Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries“, Art. 44, abgedruckt in YILC 1966 Vol. II(2), S. 187 ff., 242 f. 686  So auch Petersen, Demokratie, S. 157. 687  Vgl. oben, Kapitel 2 C.II.1.a)aa). 688  So beispielsweise Purdy / Fielding, LCP 2007(70), 165 f., die die künstliche Trennung zwischen Rechts- und Philosophiegeschichte rügen, und Buchheit  u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1238 m. w. Nachw. 689  Vgl. ebd. 690  s. o. Kapitel 2 B. 691  So auch DeMott, LCP 2007(70), 157, 165 f.



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pien des Vertreters ohne Vertretungsmacht heranzieht,692 würde dieser grundsätzlich selbst für die Erfüllung des Vertrages haften (§ 179 Abs. 1 BGB), was der von Sack gezeichneten Rechtsfolge entspricht, dass odiöse Schulden persönliche Schulden eines Regimes seien. Allerdings scheitert im deutschen Recht die Haftung an der Kenntnis bzw. fahrlässigen Unkenntnis des Geschäftsgegners (§ 179 Abs. 3 S. 1 BGB), sodass sich diese Rechtsfolge zumindest nicht auf einen Grundsatz des deutschen Rechts stützen lässt. Die Anwendung von § 242 BGB als Einrede wäre wiederum im Sinne Sacks, dem zufolge sich der Nachfolgestaat auf die Nichtübertragbarkeit der Schulden berufen kann, aber nicht muss. Näherliegend als die Vertretung der Bevölkerung durch die Regierung anzunehmen ist ein Vergleich mit dem Vertretungsrecht der Körperschaften. Dort schaffen Personen eine neue juristische Einheit, die in ihrem Bestand von den Gesellschaftern unabhängig ist und durch ihre vertretungsbefugten Organe handelt; zu den drei Beteiligten tritt also ein vierter hinzu. b) Gesellschaftsrechtliche Regeln aa) Grundregeln der Aktiengesellschaft Im Gegensatz zur durch den Vertreter rechtsgeschäftlich eingeräumten Vertretungsmacht handelt es sich bei Kapitalgesellschaften um organschaftliche Vertretungsmacht, da juristische Personen als solche nicht handlungsfähig sind.693 Im Folgenden sollen die für die Aktiengesellschaft (AG) geltenden Regeln dargestellt und ihre Anwendbarkeit auf die Konstellation odiöser Schulden untersucht werden; die Regeln der Gesellschaft mit beschränkter Haftung sind vergleichbar.694 Die Aktiengesellschaft wird durch den Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 78 AktG); vorbehaltlich der Satzung und gesetzlicher Ausnahmen695 gilt in der AG das Prinzip der Gesamtvertretung. Das AktG kennt verschiedene Mitwirkungs- und Zustimmungserfordernisse des Aufsichtsrates (z. B. § 246 Abs. 2 S. 2 AktG und die auf die Anfechtungsklage verweisenden Vorschriften), bei deren Fehlen der Vorstand ohne Vertretungsmacht i. S. d. § 177 Abs. 1 BGB handelt.696 Die Vertretungsmacht ist 692  Vgl.

BGH, Urteil vom 6.5.1999, VII ZR 132-97, NJW 1999, 2266, 2268. in: Säcker / Rixecker, MüKo BGB, Vor § 164, Rn. 7. 694  Zum Missbrauch der Vertretungsmacht bei der GmbH s. Oetker, in: Henssler /  Strohn, Gesellschaftsrecht, § 37 GmbHG, Rn. 20 ff. 695  Vgl. § 15 Abs. 1 InsO. 696  Dauner-Lieb, in: Henssler / Strohn, Gesellschaftsrecht, § 78 AktG Rn. 6. 693  Schramm,

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nach außen hin nicht beschränkbar (§ 82 Abs. 1 AktG). Da die im angloamerikanischen Rechtskreis verbreitete ultra-vires-Lehre im deutschen Recht keine Gültigkeit hat,697 kann die Gesellschaft grundsätzlich unabhängig von ihrem Zweck rechtsgeschäftlich verpflichtet werden. Zentral für die pflichtgemäße Geschäftsführung durch den Vorstand ist § 93 AktG. Demnach hat der Vorstand die Interessen der Gesellschaft zu wahren. Verstößt ein Vorstandsmitglied gegen die Sorgfalt eines ordent­ lichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, so ist der Vorstand der Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet. Von Bedeutung ist, wie sich das Pflichtengefüge gegenüber Gesellschaft einerseits und Aktionären andererseits darstellt, da die Interessen der Gesellschaft mit denen der Aktionäre nicht notwendigerweise deckungsgleich sind.698 Während das Interesse der Spekulationsaktionäre auf die Zahlung einer möglichst hohen Dividende gerichtet ist,699 besteht das Interesse der Gesellschaft typischerweise darin, dass die AG dauerhaft und mit Erfolg am Rechtsverkehr teilnimmt und dabei die Rentabilität des Kapitals sichergestellt wird.700 Auch § 93 Abs. 1 S. 2 AktG stellt auf das Wohl der Gesellschaft ab, es wird jedoch ganz überwiegend vertreten, dass das Gesellschafts- oder Unternehmensinteresse weit zu verstehen ist701 und zumindest auch die Interessen der Aktionäre erfasst. Darüber hinaus sollen die Arbeitnehmer und schließlich auch die Öffentlichkeit (im Sinne des Allgemeinwohls) Interessenträger sein (stakeholder-value-Ansatz).702 Nach mehrheitlicher Auffassung in Literatur und Rechtsprechung hat der Vorstand diese verschiedenen widerstreitenden Interessen – also insbesondere auch die der verschiedenen Aktionäre – zu berücksichtigen und im Rahmen seines Ermessensspielraumes gegeneinander abzuwägen, ohne dass einer der Interessen automatisch der Vorzug gebührt.703 Dies hat auch in Ziffer 4.1.1. des Deutschen Corporate Governance-Kodex (DCGK) in der Fassung vom 15. Mai 2012 seinen Niederschlag gefunden.704 Nach der Gegenauffassung sprechen ökonomische 697  Raiser / Veil,

Kapitalgesellschaften, § 8 Rn. 4 S. 28. auch BVerfG, Beschluss vom 20.9.1999 – 1 BvR 168 / 93, NJW 2000, 129. 699  Anders die Anlageaktionäre, die in erster Linie auf die Stärkung der Substanz des Unternehmens bedacht sind, vgl. Raiser / Veil, Kapitalgesellschaften, § 13 Rn. 1. 700  Raiser / Veil, Kapitalgesellschaften, § 14 Rn. 14. Hinzutreten können spezifische Gesellschaftsziele, z. B. Zwecke der Daseinsvorsorge bei Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand. 701  Fleischer, in: Spindler / Stilz, AktG, § 76 Rn. 27 m. w. Nachw. 702  Fleischer, in: Spindler / Stilz, AktG, § 76 Rn. 27 m. w. Nachw. 703  Dauner-Lieb, in: Henssler / Strohn, Gesellschaftsrecht, § 76 AktG Rn. 11; a. A. Fleischer, in: Spindler / Stilz, AktG, § 76 Rn. 37 m. w. Nachw. zu beiden Positionen. 704  Dort heißt es: „Der Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Ak­tionäre, 698  So



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Gründe dafür, den Vorstand sogar ausschließlich den Aktionären gegenüber zu verpflichten (shareholder-value-Ansatz),705 was auch aus der PrinzipalAgenten-Perspektive begründet wird.706 Nach dieser Ansicht werden die Aktionäre also in die Nähe des Prinzipals gerückt, in dessen Interesse der Vertreter zu handeln hat. Während die genaue Reichweite des Unternehmensinteresses mithin umstritten ist, bleibt festzuhalten, dass ein Konsens besteht, demnach der Vorstand einer AG jedenfalls auch den Aktionären, und nicht alleine einem davon zu abstrahierenden Gesellschaftsinteresse verpflichtet ist. In der Tat ist die Existenz der AG kein Selbstzweck, sondern dient auch dem Vermögensinteresse der Aktionäre, welches zudem durch eine Vielzahl aktienrechtlicher Vorschriften geschützt ist.707 Im Fall einer Pflichtverletzung ist der Vorstand gegenüber der Gesellschaft schadensersatzpflichtig (§ 93 Abs. 2 S. 1 AktG). Der Ersatzanspruch liegt alleine bei der Gesellschaft; die Aktionäre können aber durch Mehrheitsbeschluss in der Hauptverhandlung (§ 147 AktG) oder als Minderheit im Klagezulassungsverfahren (§ 148 AktG) die Geltendmachung der Ansprüche erreichen. § 117 Abs. 1 S. 1 AktG räumt zudem der AG einen Schadensersatzanspruch gegen Dritte ein, die auf Organe oder Repräsentanten der Gesellschaft schädigend Einfluss genommen haben. Dieser Schadensersatzanspruch tritt neben Ansprüche gegen die Organmitglieder.708 Den Aktionären wird darüber hinaus in § 117 Abs. 1 S. 2 AktG ein eigener Anspruch eingeräumt, soweit sie einen unmittelbaren Eigenschaden erleiden, der über den Schaden der Gesellschaft hinausgeht, z. B. weil sie zum Verkauf der Aktien unter Wert verleitet werden.709 Wie die dargestellten Regeln zeigen, führt pflichtwidrige Geschäftsführung aus Gründen des Verkehrsschutzes nicht zur Unwirksamkeit der Handlungen im Außenverhältnis, sondern hat Ersatzpflichten zur Folge. Es bleibt damit grundsätzlich bei der in § 82 AktG angelegten Unabhängigkeit von Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht. Allerdings gelten auch im Recht der Aktiengesellschaften die oben dargestellten Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht, die den Vertrauensschutz zugunsten des Geschäftspartners entfallen lassen und die mangelnde Bindungswirkung des Geschäftes für die AG zur Folge haben kann. Wirken Vorstand und Geseiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung.“ 705  Vgl. m. w. Nachw. Fleischer, in: Spindler / Stilz, AktG, § 76 Rn. 29 ff. 706  Vgl. m. w. Nachw. Fleischer, in: Spindler / Stilz, AktG, § 76 Rn. 31. 707  Vgl. zusätzlich zu den folgenden Ausführungen etwa § 131 AktG. 708  Henssler, in: Henssler / Strohn, Gesellschaftsrecht, § 117 AktG Rn. 1. 709  Spindler, in: Goette u. a., MüKo AktG, § 117 Rn. 53; anders im Falle eines bloßen, auf Kursverlust beruhenden Reflexschadens, s. ebd., Rn. 54.

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

schäftspartner kollusiv zum Nachteil der AG zusammen, führt dies zur Nichtigkeit des Geschäfts nach § 138 BGB; verstößt der Vorstand gegen Beschränkungen seiner Geschäftsführungsbefugnis und hatte der Geschäftspartner davon Kenntnis oder war das pflichtwidrige Verhalten für ihn evident, so kann die Gesellschaft nach überwiegender Auffassung dem Dritten die Arglisteinrede des § 242 BGB entgegenhalten.710 Ein Missbrauch kann auch in dem Verstoß gegen den mutmaßlichen Willen der Gesellschafter liegen.711 Da es im Fall von Despotien häufig an internen Beschränkungen der Vertretungsmacht fehlt, weil keine verfassungsmäßigen Einschränkungen oder parlamentarische Entscheidungen bestehen, ist von besonderem Interesse, inwiefern ein Handeln entgegen dem Interesse der Gesellschaft oder gar der Aktionäre den Tatbestand des Missbrauchs erfüllen und damit zur Unwirksamkeit des Vertrages führen kann. Im Fall der Kollusion ist das Interesse der Gesellschaft Tatbestandsvoraussetzung, weil sich die Sittenwidrigkeit gerade aus dem einvernehmlichen Handeln zum Nachteil der Gesellschaft ergibt. Regelmäßig werden das Interesse der Gesellschaft und das der Aktionäre deckungsgleich sein; so führt der Abschluss eines für die AG nachteiligen Geschäftes wie etwa der Kauf einer „Schrottimmobilie“ zu einem überhöhten Preis regelmäßig dazu, dass sich der Wert der Aktien verringert. Wie oben ausgeführt, hat der Vorstand aber auch dann das Interesse der Aktionäre zu berücksichtigen, wenn es mit dem der Gesellschaft nicht übereinstimmt. Daraus folgt, dass das kollusive Zusammenwirken zulasten der Gesellschaft oder aber der Aktionäre zur Nichtigkeit des Geschäfts führt. Wirken Geschäftspartner und Vertreter nicht kollusiv zusammen, so kann sich die Nichtigkeit weiterhin aus der Evidenz des Missbrauches der Vertretungsbefugnis ergeben. Obwohl die Frage der Evidenz häufig mit Bezug auf Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis diskutiert wird,712 spricht nichts dagegen, auch andere Pflichtwidrigkeiten mit einzubeziehen. So bejaht der BGH den Missbrauch der Vertretungsmacht allgemein dann, „wenn der Vertreter von seiner Vertretungsmacht in ersichtlich verdächtiger Weise Gebrauch gemacht hat, so dass beim Vertragsgegner begründete Zweifel entstehen mussten, ob nicht ein Treueverstoß des Vertreters gegenüber dem 710  Vgl. m. w. Nachw. Weber, in: Hölters, Aktiengesetz, § 82 Rn. 9  f.; nach der Gegenansicht ist das Geschäft schwebend unwirksam und bedarf der Genehmigung entsprechend § 177 Abs. 1 BGB; dagegen spricht aber, dass bei unbeschränkter gesetzlicher Vertretungsmacht der Bevollmächtigte nicht ohne Vertretungsmacht handeln kann, ebd. m. w. Nachw. 711  BGH, Urteil vom 5.12.1983, II ZR 56 / 82, NJW 1984, 1461, 1462. 712  Vgl. etwa Fleischer, in: Spindler / Stilz, AktG, § 82 Rn. 14; Hüffer, Aktiengesetz, § 82 Rn. 7; Spindler, in: Goette u. a., MüKo AktG, § 82 Rn. 57.



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?219

Vertretenen vorliege“.713 Ein derartiger Treueverstoß kann durch jedes Handeln zum Nachteil der Gesellschaft oder der Aktionäre begründet werden und lässt bei Evidenz die Schutzwürdigkeit des Geschäftspartners entfallen, gleich, ob der Vorstand eine Pflicht verletzt, indem er einer ausdrücklichen Weisung entgegenhandelt, oder ob er seine allgemeine Pflicht verletzt, im Interesse der Gesellschaft und der Aktionäre zu handeln. bb) Übertragbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Regeln auf Staatsschulden Beim Vergleich zwischen Staat und AG fällt zunächst eine Vielzahl von Unterschieden auf. So kann die Aktionärsstellung in einer AG durch Kauf und Verkauf von Aktien freiwillig begründet und beendet werden, während die Staatsbürgerschaft in der Regel durch Geburt entsteht und nur durch staatliche Mitwirkung gewechselt oder aufgegeben werden kann.714 Auch fehlt es in Despotien an der Einvernehmlichkeit der Vertretung sowie an Kontroll- und Absetzungsbefugnissen durch die Bevölkerung, wie sie Aufsichtsrat bzw. Hauptverhandlung ausüben;715 schließlich unterscheiden sich die Ziele von Staaten und von Aktiengesellschaften fundamental (s. dazu sogleich). Dennoch haben Staat und AG als Körperschaften Gemeinsamkeiten, die die Analogiefähigkeit bestimmter Regeln begründen. In beiden handelt ein Vertreter (Vorstand bzw. Regierung) für den Prinzipal, der wiederum personenverschieden von der Gesamtheit der Mitglieder (Bürger bzw. Aktionäre) ist. Mithin ist für die Übertragung gesellschaftsrechtlicher Prinzipien auf Staatsschulden die Person des Prinzipals zu identifizieren. Vertretener ist im staatsrechtlichen Kontext der Staat, nicht die die Bevölkerung.716 Dieser ist als juristische Person unabhängig vom Bestand seiner Bürger verpflichtet, wirksam eingegangene Verträge zu erfüllen. Der Bevölkerung kommt nur sehr beschränkte Rechtsfähigkeit zu, etwa als Träger des Rechts der Selbstbestimmung der Völker (s. o. I.2.d)bb)), nicht aber zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge. Entsprechendes gilt im Recht der AG, wo anstelle der Aktionäre die Gesellschaft vertreten wird, die Interessen der Aktionäre aber 713  BGH,

Urteil vom 25.3.1968, II ZR 208 / 64, NJW 1968, 1379, 1379 f. diese Richtung auch Buchheit / Gulati, LCP 2010(73), 63, 70. 715  In diese Richtung auch Buchheit / Gulati, LCP 2010(73), 63, 70; DeMott, LCP 2007(70), 157, 164. 716  Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1237 f. sehen vorrangig die Bevölkerung, gleichzeitig aber auch den Staat als Prinzipal, was fraglich erscheint; eher zutreffen dürfte sein, den Vertreter auf das Interesse sowohl der Bevölkerung als auch des Staates zu verpflichten, dabei aber den Staat als Vertretenen zu identifizieren. 714  In

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

nichtsdestotrotz eine Rolle spielen. In vergleichbarer Weise ist auch die Bevölkerung ein relevanter stakeholder. Der Missbrauch der Vertretungsmacht kann auf verschiedenen Pflichtverstößen beruhen. Zunächst kann der Verstoß gegen interne Weisungen oder den Gesellschaftsvertrag bei Kenntnis des Geschäftspartners zur Unwirksamkeit des Vertrages führen. Vergleichbares ist in der WVK im Hinblick auf interne Begrenzungen der Vertretungsmacht in Art. 47 geregelt; eine zum Verstoß gegen den Gesellschaftsvertrag vergleichbare Regelung findet sich in Art. 46 WVK, der auf den evidenten Widerspruch zu einer Norm des innerstaatlichen Rechts abstellt (zu beidem s. o. B.I.). Entsprechend dem Weisungsverstoß im Gesellschaftsrecht ließe sich eine Regelung annehmen, der zufolge ein Handeln der Regierung unter Verletzung der Weisungen eines Parlaments unwirksam ist. Allerdings ist die Übertragbarkeit dieses Prinzips auf despotische Regime problematisch, da bei diesen in der Regel parlamentarische Gremien, die der Regierung Weisungen erteilen, fehlen oder durch die Regierung selbst besetzt sind. Ebenso fehlt es regelmäßig an einer wirksamen Verfassung. In Betracht kommt nur ein Weisungs- bzw. Verfassungsverstoß durch eine Regierung, die gerade erst die Macht an sich gerissen hat. Hier sprechen gesellschaftsrechtliche Prinzipien wie auch die Vorschriften der Wiener Vertragsrechtskonvention (s. o. B.I.) für die Unwirksamkeit des Handelns. Gleiches gilt für den Verstoß gegen Mitwirkungspflichten, welcher im Kapitalgesellschaftsrecht zur Unwirksamkeit des Handelns führt; auch hier kommt eine Unwirksamkeit nur bei Fortgeltung der Mitwirkungspflicht unmittelbar nach der Machtergreifung in Betracht. Im Übrigen ist die Figur des Missbrauchs der Vertretungsmacht, soweit sie auf dem (mutmaßlichen oder tatsächlichen) Willen der Gesellschafter abstellt, auf Staaten nicht übertragbar. In Betracht kommt aber der Verstoß gegen das Gesellschaftsinteresse sowie gegen das Interesse der Aktionäre. Wie dargestellt, ist für die Rechtmäßigkeit des Handelns des Vorstands sowohl das Interesse der Gesellschaft wie auch das der Aktionäre maßgeblich, sodass sich aus der Handlung zulasten sowohl der Gesellschaft als auch der Aktionäre die Unwirksamkeit des Vertrages ergeben kann, wenn es sich um einen Fall von Kollusion oder Evidenz handelt. Übertragen auf das Völkerrecht bedeutet dies, dass nicht nur Rechtsgeschäfte, die dem Staatsinteresse entgegenlaufen, einen Missbrauch der Vertretungsmacht begründen können, sondern dass für die Rechtmäßigkeit des Regierungshandelns auch das Bevölkerungsinteresse von Relevanz ist. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, worin das Interesse des Staates und worin das der Bevölkerung besteht. Ähnlich wie bei der AG dürfte ein Interesse des Staates in seinem Fortbestand liegen. Wie jedoch die Existenz der AG keinen Selbstzweck erfüllt, so dient auch der Staat in erster Linie den Interessen seiner Bürger. Das moderne Staatsverständnis in



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?221

der Tradition der Gesellschaftsvertragstheoretiker sieht das Hauptargument für die Ausübung von Staatsgewalt gerade darin, dass der Staat seinen Bürgern Sicherheit und Freiheit garantiert.717 Während im insoweit wertneutralen Völkerrecht lange Zeit der Aspekt der Sicherheit im Sinne stabiler Verhältnisse im Vordergrund stand, zeigt die jüngere Entwicklung, dass Zweck und Verpflichtung von Staatsgewalt auch die Erfüllung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung erfasst. Ausgehend von der Verpflichtung aller Staaten auf die Menschenrechte in Art. 1 (3) UN-Charta hat sich neben der Anerkennung politischer, bürgerlicher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte in den Menschenrechtspakten718 auch ein Völkergewohnheitsrecht herausgebildet, das die Staaten zur Unterlassung von Genozid, Sklaverei, Folter und zur Wahrung grundlegender Menschenrechte verpflichtet.719 Die Regierung eines Staates ist mithin auf die Interessen der Bevölkerung verpflichtet und nimmt damit zugleich das Interesse des Staates wahr, sich (völker-)rechtsgemäß zu verhalten; Staats- und Bevölkerungsinteresse lassen sich nicht klar trennen.720 Verstößt die Regierung durch ein Rechtsgeschäft gegen diese Interessen und ist dies für den Geschäftspartner evident oder gar von ihm gewollt, so lässt sich daraus in Analogie zum Gesellschaftsrecht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung bzw. die Unwirksamkeit des Geschäfts ableiten. Nur eine Anknüpfung an den Staats- oder Regimewechsel lässt sich aus dem Gesellschaftsrecht nicht herleiten, da der Vertrag ex tunc nichtig bzw. einredebehaftet ist; der Sinn einer solchen ist ohnehin fragwürdig (s. u. Kapitel 3 B.I.2.). Inwieweit dieser Rechtsgrundsatz Schulden trägt, ist dennoch fraglich. resse von Staat bzw. Bevölkerung oder Evidenz unwirksam sind, lässt 717  s. o.

eine Lösung der Problematik odiöser Die Aussage, dass entgegen dem Inteeingegangene Verträge bei Kollusion nämlich eine Vielzahl rechtlicher Pro-

Kapitel 1 C.I. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) und Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR). 719  Welche Menschenrechte den Status des Völkergewohnheitsrechts erreicht haben, ist im Einzelnen umstritten, vgl. Simma / Alston, Aust YBIL 1988–89(12), 82, 90 ff. und Shaw, International Law, S. 275 m. w. Nachw.; zu als ius cogens angesehenen Menschenrechten vgl. oben, Kapitel 2 D.I.1. 720  Auch Fälle, in denen es mehrere gegenläufige Bevölkerungs- und Staatsinteressen gibt, sind denkbar, z. B. im Falle von Sezessionsbewegungen. Der Staat und möglicherweise die Mehrheitsbevölkerung haben ein Interesse an der territorialen Unversehrtheit, wobei die sezessionswillige Bevölkerung ein Interesse an der Abspaltung hat; allerdings wird man auch hier sagen müssen, dass der Staat sein Interesse und das der Mehrheitsbevölkerung nur im Rahmen des rechtlich Gestatteten verfolgen darf, was etwa die blutige Niederschlagung von Demonstrationen verbietet. Die derartige Verletzung der Rechte der Betroffenen widerspricht wiederum dem Interesse am rechtmäßigen Verhalten. 718  Vgl.

222

Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

bleme ungeklärt. Unklar ist zunächst, wann das Bevölkerungsinteresse berührt ist.721 Während etwa der Bau eines teuren Privatpalastes für den Staatschef weder im Staats- noch im Bevölkerungsinteresse liegt, weil dem Staat dadurch Ressourcen für seine öffentlichen Aufgaben und der Bevölkerung die Wahrnehmung ebendieser vorenthalten werden, ist die Lage beim Kauf von Waffen schon weniger eindeutig. Hier kommen legitime Zwecke der Landesverteidigung, der menschenrechtswidrige Einsatz gegen die eigene Bevölkerung sowie mittelbare Schäden durch Unterfinanzierung anderer staatlicher Sektoren aufgrund eines hohen Militärbudgets in Betracht. Eng damit zusammen hängt die Frage, wann das Geschäft selbst gegen das Bevölkerungsinteresse verstößt, da in den Verträgen eine genaue Spezifizierung des Verwendungszweckes regelmäßig fehlen wird.722 Klärungsbedürftig sind auch die Anforderungen an die Erkennbarkeit des Missbrauchs. Die Lieferung von Panzern an ein Regime, welches zur Zeit der Lieferung Völkermord begeht, sowie die Kreditfinanzierung dieses Geschäftes ist ein klarer Fall von Evidenz, wohingegen die Bereitstellung eines nicht zweckgebundenen Kredites an einen Despoten, der sowohl Schulen als auch Foltergefängnisse baut, weniger sicher zu entscheiden ist. Schließlich bedarf auch die Rechtsfolge der Unwirksamkeit eines derartigen Vertrages genauerer Betrachtung,723 weil die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts grundsätzlich zu einem bereicherungsrechtlichen Rückgewähranspruch führt, was im Darlehensfall die Rückzahlung des Kreditvertrages zur Folge hätte.724 Hier liegt allerdings die Anwendung des Rechtsgedankens von § 817 S. 2 BGB nahe; eine vertiefte Diskussion dieser Problematik findet sich unter Kapitel 3 B.VII. c) Zwischenergebnis Die Rechtsfigur des Missbrauchs der Vertretungsmacht lässt sich grundsätzlich vom Kapitalgesellschaftsrecht auf die Figur von Odious Debts mit der Folge übertragen, dass bestimmt Schulden als unwirksam angesehen werden. Dabei handelt es sich zum einen um von einer verfassungswidrigen Regierung abgeschlossene Geschäfte, die offensichtlich innerstaatlichen Weisungen oder der sich noch in Kraft befindenden Verfassung widersprechen und zum anderen um solche, die mit Wissen (Kollusion) des Geschäftspartners oder für diesen erkennbar (Evidenz) gegen Staats- und Bevölkerungsin721  Zu

dieser Problematik s. noch unten, Kapitel 3 B.II.2. ähnlichen Problematik, ob ein Vertrag gegen ius cogens verstößt, s. o. Kapitel 2 D.I.1. 723  Reinisch, Export of Warships, para. 137 ff. 724  Paulus, WM 2005, 53, 59. 722  Zur



D. Fehlen der Leistungspflicht wegen Geltung der Odious-Debts-Doktrin?223

teressen verstoßen. Allerdings bleibt eine Reihe rechtlicher Probleme ungelöst, von denen zuvörderst die Definition des Bevölkerungsinteresses zu nennen ist. Ohne einen klareren Anwendungsbereich ist eine Regel über Odious Debts aber zu unbestimmt, als dass sie wirksam von einem Staat eingewendet werden könnte, ohne die Gefahr negativer Folgen für die Reputation des Staates selbst sowie für andere potentielle Schuldnerstaaten zu bergen. Da es zudem an Präzedenzfällen fehlt, in welchen der Missbrauch der Vertretungsmacht gegen odiöse Schulden eingewendet wurde, handelt es sich dabei um keine befriedigende und umfassende Lösung. 2. Durchgriffshaftung / Piercing the corporate veil Buchheit, Gulati und Thompson schlagen vor, das gesellschaftsrechtliche Prinzip der Durchgriffshaftung (engl.: piercing the corporate veil) als privatrechtlichen, die Durchsetzbarkeit von Odious Debts hindernden Grundsatz heranzuziehen.725 Entsprechend wäre auch eine Anwendung als allgemeiner Rechtsgrundsatz denkbar. Bei der Durchgriffshaftung handelt es sich um Fälle, in denen ausnahmsweise das Prinzip, dass es sich bei der Gesellschaft um eine separat, alleine für ihre Verbindlichkeiten haftende Rechtsperson handelt, durchbrochen wird, mit der Folge, dass einzelne Gesellschafter neben der Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten haften.726 Mit der Situation der Odious Debts ist dies jedoch nicht vergleichbar, weil hier der Staat als juristische Person gerade nicht haften soll, während stattdessen die alleinige persönliche Haftung der Regierung gewollt ist.727 Dass einzelne Regierungsmitglieder neben dem Staat haften können, ist denkbar, jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung.728 3. Treu und Glauben, Sittenwidrigkeit, clean hands und verwandte Rechtsfiguren Das Prinzip von Treu und Glauben (bona fide, good faith, bonne foi) ist in einer Vielzahl von Rechtsordnungen enthalten729 und als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt.730 Es handelt sich dabei um eine ausfüllungs­ 725  Buchheit u. a.,

Duke L.J. 2007(56), 1201, 1247 ff. in: Goette u. a., MüKo AktG, § 1 Rn. 62. 727  Dies sprechen auch Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1248 an, trennen aber nicht genau zwischen Vertretern und Gesellschaftern / Aktionären. 728  s. o. Kapitel 1 B.V. 729  Vgl. etwa Art.  26 WVK; Art. 1.7(1) UNIDROIT-Principles; § 242 BGB; Art. 1134 Abs. 3 Code Civil; Section 205 des Restatement (Second) of the Law of Contracts. 730  Reinisch, Export of Warships, para. 66 ff. m. w. Nachw. 726  Heider,

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Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

bedürftige Generalklausel, die eine umfassende Interessenabwägung aller am Rechtsverhältnis Beteiligten im Einzelfall731 unter Zugrundelegung der gesetzgeberischen Wertentscheidungen732 erforderlich macht. So wie über § 242 BGB im deutschen Recht die Wertordnung des Grundgesetzes, insbesondere der Grundrechte, Eingang in das bürgerliche Recht finden,733 ließen sich auf völkerrechtlicher Ebene objektive Wertentscheidungen, wie sie sich aus der UN-Charta, Menschenrechtsverträgen, dem Völkergewohnheitsrecht und insbesondere aus ius-cogens-Normen ergeben, als Maßstäbe der treuwidrigen Eingehung von Verträgen anlegen und könnten der Generalklausel somit ein Mindestmaß an Präzision verleihen (zur grundsätzlichen Mitverantwortlichkeit des Gläubigers s. o. I.2.). Während eine entsprechende Argumentation möglich scheint, fehlt es aber erneut an klaren Kriterien insbesondere zum Bevölkerungsinteresse, die in Ermangelung von Präzedenzfällen bisher keine gerichtliche Präzisierung erfahren haben. Eine Geltendmachung des Prinzips des bona fide im Kontext odiöser Schulden ist damit zwar möglich, aber nicht hinreichend klar, um eine Lösung der Problematik zu ermöglichen. Ähnliches gilt für weitere mit dem Prinzip von Treu und Glauben bzw. dem clean-hands-Prinzip verwandte Rechtsfiguren wie in pari delicto sowie für den Einwand der Sittenwidrigkeit.734 4. Zwischenergebnis Eine Vielzahl von Problemen bei der Übertragung von Grundsätzen des Privatrechts auf die Figur der Odious Debts lässt sich argumentativ lösen. Insbesondere die Übertragung vertretungsrechtlicher Prinzipien ist vielversprechend. Die Unklarheit, welche Schulden als wirksam und welche als odiös zu betrachten sind, sowie der Mangel an Präzedenzfällen, in denen auf privatrechtliche Grundsätze abgestellt wurde, führt aber dazu, dass die Erfolgsaussichten für den Schuldnerstaat, der sich auf die Figur der Odious Debts als Ausprägung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes beruft, zweifelhaft sind, womit die Gefahr des Reputationsverlustes einhergeht. Die exemplarisch am deutschen Recht dargestellten Probleme bestehen auch in anderen Rechtsordnungen (vgl. dazu noch unten, Kapitel 3 A.I.4.). Allgemeine Rechtsgrundsätze und privatrechtliche Prinzipien stellen daher keine befriedigende Lösung der Problematik dar.

731  Mansel,

in: Jauernig, BGB, § 242 Rn. 4. in: Säcker / Rixecker, MüKo BGB, § 242 Rn. 51. 733  Mansel, in: Jauernig, BGB, § 242 Rn. 3 m. w. Nachw. 734  Zu diesen s. die Nachweise in Fn. 674. 732  Roth / Schubert,



E. Fazit225

E. Fazit Die Untersuchung hat gezeigt, dass das bestehende Völkerrecht gegenüber Schulden im Wortsinn konservativ ist. So gelten einmal wirksam eingegangene Schulden sowohl im Fall der Staatensukzession als auch bei Regierungswechseln grundsätzlich fort. Eine Odious-Debts-Doktrin kann daher nur eine Ausnahme zu diesem Grundsatz darstellen, weil die Schulden entweder gar nicht wirksam zustande gekommen sind, oder weil sie nicht auf Nachfolgestaat oder -regierung übergehen. Das bestehende Völkerrecht bietet dabei eine Vielzahl von Ansatzpunkten, die in bestimmten Konstellationen zur Unwirksamkeit von Staatsschulden führen können. So sind durch Korruption zustande gekommene Verträge nichtig (vgl. oben, B.II.). Aus dem Verstoß einer despotischen Regierung gegen das Demokratieprinzip kann sich die Unwirksamkeit hingegen nur ergeben, wenn darin ein offenkundiger Verstoß gegen eine innerstaatliche Rechts­vorschrift von grundlegender Bedeutung zu sehen ist, was ausscheidet, wenn sich das Regime erst einmal konsolidiert, insbesondere die Verfassung außer Kraft gesetzt hat (vgl. oben, B.I.). Die Unwirksamkeit kann sich aber aus dem Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht ergeben, wobei hier nur solche Verträge in Frage kommen, die auf die Verletzung einer ius-cogens-Norm abzielen. Dies ist bei der zweckneutralen Bereitstellung eines Kredits an ein völkerrechtswidrig handelndes Regime äußerst zweifelhaft (vgl. oben, D.I.1.). Eine weitere Einschränkung erfährt die Regel dadurch, dass nur bestimmte menschenrechtliche Mindeststandards dem zwingenden Völkerrecht zugeordnet werden, sodass die bevölkerungswidrige Verwendung der Mittel nicht in jedem Fall die Nichtigkeit der Schulden zur Folge hat. Führt die Verwendung zur Verletzung sonstiger internationaler Menschenrechte, so ließe sich aus einer äußerst progressiven Interpretation des Völkerrechts die Unwirksamkeit der entsprechenden Verträge herleiten, was insbesondere bei der Beteiligung Privater auf weitere Probleme stößt und auch sonst nur eine Auswahl an Konstellationen erfasst (vgl. oben, D.I.2.). Die Anerkennung einer solchen Argumentation durch eine Staatenmehrheit scheint wenig wahrscheinlich, sodass das Geltendmachen einer entsprechenden Regel für den Schuldnerstaat mit weitgehenden Risiken verbunden ist. Dies gilt noch mehr für die Zahlungsverweigerung aufgrund der Verletzung wirtschaft­ licher, kultureller und sozialer Rechte (s. o. D.I.3.). Auch die ausführliche Analyse der Staatenpraxis (D.II.) hat ergeben, dass es an der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin fehlt. Zwar bestehen eine Reihe von Präzedenzfällen, bei denen Schulden aus moralischen Gründen verweigert wurden. Bei genauerer Betrachtung ist aber festzustellen, dass es zum einen an einer eindeutigen opinio iuris fehlt, weil sich die Konstellationen häufig durch ein massives Machtgefälle aus-

226

Kap. 2: Der rechtliche Status quo der Odious-Debts-Doktrin

zeichnen. Zudem lässt sich auch kein konsistentes Muster erkennen, weil die tatsächliche – potentiell bevölkerungsfreundliche – Verwendung der Mittel regelmäßig außer Acht gelassen wurde. Dem gegenüber stehen eine Vielzahl von Fällen, in denen Schulden trotz ihrer offenkundigen Illegitimität bedient wurden. Schließlich begegnet auch die Herleitung der OdiousDebts-Doktrin aus privatrechtlichen Rechtsgrundsätzen Problemen (vgl. D.III.). Während sich einige davon argumentativ lösen lassen, bleibt doch die Frage offen, welche konkreten Voraussetzungen erfüllt werden müssen, damit eine Schuld als odiös klassifiziert werden kann. Der letztgenannte Aspekt betriff die gesamte Problematik der Anerkennung der Odious-Debts-Doktrin: Solange es unklar ist, wie sich eine Schuld als odiös definieren lässt, ist es für einen Staat riskant, sich auf die OdiousDebts-Doktrin zu berufen,735 weil sein Handeln als Zahlungsausfall aufgefasst würde, der zu Reputationsverlust und Vollstreckungen in im Ausland belegenes Vermögen führt.736 Die Schwierigkeit, klar einzugrenzen, wann ein Vertrag gegen Bevölkerungsinteressen verstößt, welche Intensität eines Regimewechsels zu einer Verweigerung berechtigen soll und welche Teile eines Kredites auch nach einem Regimewechsel als Bereicherung für die Bevölkerung anzusehen sind, macht es notwendig, eine praxistaugliche Regelung der Materie de lege lata zu finden, soll die Odious-Debts-Doktrin nicht wegen ihrer Unschärfe und potentiellen Schädlichkeit für den internationalen Finanzverkehr auf die ausschließlich moralische Argumenationsebene beschränkt bleiben.737

735  Jayachandran u.  a.,

S. 2.

Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper,

dieser Konsequenz Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 407 m. w. Nachw. der Unwirksamkeit aus moralischen Gründen zuzustimmen ist (vgl. oben, Kapitel 1 C.I.), ließe sich ansonsten bequem mit dem Verweis auf die mangelnde Praxistauglichkeit der Doktrin abtun. 736  Zu

737  Dass

Kapitel 3

Annäherung an ein Lösungsmodell Da es bisher an einer völkerrechtlichen Anerkennung der Odious-DebtsDoktrin mangelt, kann nur die Annahme eines Lösungsmodelles der Rechtsfigur Geltung verschaffen. Zunächst sollen daher bestehende Lösungsmodelle und Definitionsversuche dargestellt werden (A.), bevor die bei jeder Beschäftigung mit der Odious-Debts-Problematik wiederkehrenden Probleme aufgezeigt werden (B.). Die Auseinandersetzung mit diesen Problemen bildet gleichzeitig den Rahmen für ein eigenes Lösungsmodell (Kapitel 4).

A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen Die Frage, welche Definition für die Unwirksamkeit der Schuld gewählt wird, hängt mit der Frage der Entscheidungsinstanz eng zusammen. So wird ein unabhängiges juristisches Gremium ganz andere Maßstäbe anlegen als ein mit Vertretern des Schuldner- oder des Gläubigerstaates besetztes. Umgekehrt bedarf es einer gewissen Klarheit über die Kriterien, bevor entschieden werden kann, wer für die vorzunehmende Bewertung optimal geeignet ist. Im Folgenden sollen verschiedene Lösungsmodelle und mit ihnen zusammenhängende Definitionen odiöser Schulden dargestellt und bewertet werden. Dabei sind als Bewertungsmaßstäbe die folgenden Kriterien maßgeblich. Hauptaugenmerk muss auf der Rechtssicherheit liegen, die ein Lösungsmodell mit sich bringt.1 Denn nur, wenn bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses absehbar ist, ob eine Schuld wirksam sein wird, lassen sich ne­ gative Effekte wie die Verteuerung von an für sich legitimen Krediten und die wirtschaftliche Isolation mancher Entwicklungsländer ausschließen.2 Dementsprechend sollte ein Modell möglichst alle odiösen Schulden erfas1  In diese Richtung auch Paulus, Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 92. Noch deutlicher O’Connell, State Succession, S. 459: „The doctrine of odious debts is a dangerous one which, as Despagnet … says, ‚favours most arbitrary and iniquitous solutions‘. … The concept of odious debts tends to be expanded as states seek a pretext for avoiding obligations which otherwise would be imposed upon them, and for this reason it is essential strictly to limit it.“ 2  Vgl. dazu ausführlich oben, Kapitel 1 C.I.

228

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

sen (geringe false negative oder Fehler 2. Art) und gleichzeitig keine Auswirkungen auf legitime Verträge haben (geringe false positive oder Fehler 1. Art). Weiterhin sollte ein Lösungsmodell möglichst kostengünstig sein, weil es umso wahrscheinlicher ist, dass sich die Staatengemeinschaft auf ein Modell einigt, je weniger Kosten damit verbundenen sind.3 Schließlich ist ein Lösungsmodell zu bevorzugen, welches auf anerkannten Werten der Staatengemeinschaft aufbaut, weil damit eine höhere Legitimität einhergeht als im Fall rein politischer Entscheidungen einer Staatenminderheit. Die im Folgenden betrachteten Lösungsansätze lassen sich unterscheiden in Modelle, die auf die einzelne Verbindlichkeit abstellen, solche, die Richtlinien zur verantwortlichen und transparenten Kreditvergabe in den Vordergrund stellen und solche, bei denen das Schuldnerregime maßgeblich für die Beurteilung der Schuld ist.

I. Auf einzelne Transaktionen abstellende Modelle und Definitionen Der klassische Umgang mit odiösen Schulden sieht vor, dass einzelne Schulden daraufhin untersucht werden, ob sie bestimmte Kriterien erfüllen; ist dies der Fall, so wird diese als unwirksam oder nicht durchsetzbar angesehen. 1. Die Definition nach Sack und ihre Fortentwicklung a) Die Sack’sche Definition Wie oben, Kapitel 2 D.II.2.a)aa)(8), dargestellt, bietet die Rechtsfigur der war debts aus verschiedenen Gründen keinen geeigneten Ansatzpunkt für eine Behandlung von Schulden als odiös, sodass hier nur die klassische Definition von Odious Debts behandelt werden soll. Diese setzt voraus, dass der Kredit mit Kenntnis des Gläubigers entgegen dem Interesse der Bevölkerung eingegangen und ohne Nutzen für die Bevölkerung verwendet wurde (vgl. ausführlich oben, Kapitel 1 A.I.1.). Sack schlägt in seinen Ausführungen vor, dass ein internationales Gericht über die Nichtigkeit der Forderungen anhand der von ihm entwickelten Definition von Odious Debts entscheidet.4 Eine genauere Ausgestaltung des Gerichts ist seinem Werk 3  Dies ist freilich nur eines von mehreren Kriterien der Umsetzbarkeit; denn sowohl die Rechtssicherheit spielt hier eine Rolle, als auch das wirtschaftliche Interesse der beteiligten Staaten. 4  Sack, Dettes Publiques, S. 163.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen229

nicht zu entnehmen; an einem Gericht, welches für alle finanziellen Forderungen gegen einen Staat zuständig ist, fehlt es auch heute. Das große Verdienst Sacks ist, ein bis zu seiner Zeit unklares Phänomen systematisiert und als greifbare Doktrin formuliert zu haben.5 Die Doktrin prägt seitdem die Debatte um odiöse Schulden und wurde gleichermaßen von Rechtswissenschaftlern, Nichtregierungsorganisationen und Staatsoberhäuptern6 aufgegriffen. Gleichwohl wirft die Sack’sche Definition mehrere Probleme auf.7 Zum einen stellt sich die Frage, welche Verwendungszwecke als nützlich und im Sinne der Bevölkerung angesehen werden können. Zwar lässt sich annehmen, dass der Bau von Krankenhäusern grundsätzlich positiv, der von Gefängnissen eher negativ zu bewerten ist; eine solche pauschale Betrachtung kann aber häufig zu unzutreffenden Ergebnissen führen. So sind Krankenhäuser, zu denen ausschließlich die Regierungselite Zugang hat, ebenso vorstellbar wie Gefängnisse, die zur rechtmäßigen Inhaftierung von Straftätern dienen.8 Hinzu kommt, dass es bisher an Präzedenzfällen fehlt, an denen sich eine rechtsichere Anwendung der Doktrin orientieren könnte.9 Weiterhin äußert sich Sack nicht zu dem Problem, dass möglicherweise nur ein Teil des Kredites zu illegitimen Zwecken verwendet wird – hier liegt die nur teilweise Unwirksamkeit nahe.10 Auch die Anknüpfung Sacks an die Gläubigerkenntnis ist unbefriedigend, weil es an der Berücksichtigung fahrlässiger Unkenntnis fehlt.11 Aus der Definition Sacks ergibt sich weiterhin, dass Kredite, die nicht für abscheuliche Zwecke bestimmt waren, später aber entgegen den Bevölkerungsinteressen benutzt wurden, nicht unter Odious Debts fallen. Entsprechend muss sich auch die Kenntnis des Gläubigers nur auf den Zweck des Kredites beziehen, nicht auf die tatsächliche Verwendung. Dies wird zu Recht als unangemessene Verengung kritisiert.12 In der Tat würde es genügen, wenn der Schuldnerstaat bei Eingehung der Schuld die Verwendung der Mittel 5  So auch Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 967 („milestone in the intellectual development of the doctrine“). 6  Vgl. die Auseinandersetzung mit einer entsprechenden Doktrin Fidel Castros bei Backer, LCP 2007(70), 1 ff. 7  So auch Wong, Sovereign Finance, S. 118: „… substantive determination of the elements that are required for odious debt will always be intractable, given the elusiveness of the criteria.“ 8  Vgl. Paulus, WM 2005, 53, 57. 9  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 764 f.; zu den Präzedenzfällen vgl. oben, Kapitel 2 D.II.2.a). 10  So Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 57 ff., insbes. 62. 11  s. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 58. 12  Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1219; Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 966 f. m. w. Nachw.; zurückhaltender Feilchenfeld, Public Debts, S. 711.

230

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

zugunsten eines bestimmten nützlichen Projektes verspräche und die Mittel später zu anderen, schädlichen Zwecken verwendete, selbst wenn sich ein entsprechendes Verhalten dem Gläubiger hätte aufdrängen müssen. Dem Modell Sacks widersprechen auch moderne Odious-Debts-Ansätze, die darauf abstellen, dass dem Gläubiger im modernen Kreditverkehr vielfältige Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die Einhaltung bestimmter Absprachen zu überprüfen. Die Definition Sacks lässt sich folglich dahingehend verbessern, dass auch die fahrlässige Unkenntnis von der bevölkerungswidrigen Verwendung zur Unwirksamkeit der Schuld führt und den Gläubiger Nachforschungspflichten treffen. In institutioneller Hinsicht ist die von Sack vorgeschlagene Schaffung eines Gerichts mit der Aufgabe, bestimmte Schulden als odiös zu qualifizieren, durchaus möglich; denkbar ist etwa eine internationale Konvention, in welcher sich Staaten auf ein entsprechendes Verfahren einigen. Unabhängig von der Durchsetzbarkeit eines solchen Vorhabens bedarf es zunächst aber einer rechtlich tragfähigen Definition odiöser Schulden, um den Gerichten einen Entscheidungsmaßstab an die Hand zu geben. b) Abwandlung nach King aa) Grundsätze Die Kritikpunkte an der Sack’schen Definition greift der Mitautor einer kanadischen Studie King auf, indem er die fahrlässige Unkenntnis mit in die Definition einbezieht.13 Demnach sollen sowohl „wilfully shutting one’s eye to the obvious“ als auch „wilfully and recklessly failing to make such inquiries as an honest and reasonable person would make“ der Kenntnis gleichgestellt werden. Dies ist vor dem Hintergrund des oben Gesagten überzeugend und als Rechtsprinzip in verschiedenen Rechtsordnungen auch dergestalt anerkannt, dass eine rechtliche Entscheidung auf Grundlage dieser Begriffe möglich scheint.14 Als objektive Anhaltspunkte nennt King die öffentliche Berichterstattung über das Regime, dessen Menschenrechtsbilanz sowie alle Umstände des Einzelfalls.15 Eine wesentliche Veränderung erfährt die Definition auch dadurch, dass jetzt ausdrücklich auf die (undemokratische) Natur des Regimes abgestellt King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 46. für das US-amerikanische Recht King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 46 m. w. Nachw. und für das deutsche Recht beispielhaft die Nachweise zu § 276 Abs. 2 BGB bei Grundmann, in: Säcker / Rixecker, MüKo BGB, Rn. 50 ff. sowie §§ 173, 824 Abs. 1, 932 Abs. 2 BGB. 15  King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 46. 13  Vgl. 14  Vgl.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen231

werden soll. Ansatzpunkt ist das Abstellen Sacks auf ein despotisches Regime. King leitet daraus das Erfordernis der Zustimmung der Bevölkerung („consent“) ab und bietet eine Klassifizierung der Staaten in demokratische, quasi-demokratische, quasi-diktatorische und diktatorische an.16 Als demokratisch bezeichnet er von einer informierten Wählerschaft mit universellem Wahlrecht bei regelmäßigen Wahlen gewählte Regierungen; als quasi-demokratisch sollen solche eingestuft werden, die generell repräsentativ und aufgrund regelmäßiger Wahlen rechenschaftspflichtig sind, aber relativ wenig informierte Wähler, ein Einheitsparteiensystem oder substantiell unterrepräsentierte Minderheiten haben. Quasi-diktatorische Regierungen herrschen demgegenüber grundsätzlich ohne die Zustimmung der Bevölkerung, können aber streng begrenzte Wahlrechte und öffentliche Beteiligung gewähren, oder wechseln unvorhersehbar zwischen repräsentativen und nichtrepräsentativen Regierungsformen. Diktatorische Regime schließlich sind definiert als solche, die ohne die Zustimmung der Bevölkerung regieren. Nach King soll die Kenntnis durch den Schuldnerstaat bewiesen werden,17 wobei hier auch eine Beweislastumkehr bei evident bevölkerungswidrig handelnden Staaten denkbar wäre. Für Kredite, die mit einem bestimmten Verwendungszweck versehen sind, sieht King bestimmte Fallgruppen von odiösen Schulden vor. Beispielhaft nennt er persönliche Bereicherung, den Kauf von Waffen zur Niederschlagung öffentlicher Aufstände oder zum Führen von nicht von der Bevölkerung gewünschten Eroberungskriegen, die Stärkung von Institutionen, die das Hauptziel haben, das diktatorische Regime zu stützen, sowie die Investition in Infrastruktur, die nur einer bestimmten Minderheit dienen.18 Davon abgesehen, dass diese Fallgruppen nicht in jedem Fall eindeutig sind, könnte die Unwirksamkeit umgangen werden, indem in den jeweiligen Vertrag ein entsprechender Verwendungszweck nicht aufgenommen wird. Dementsprechend soll sich bei unspezifischen Krediten deren Bewertung als bevölkerungsnützlich oder ‑schädlich nach der Klassifizierung des Regimes richten. In diktatorischen und quasi-diktatorischen Regimen soll eine Vermutung zur Schädlichkeit, in demokratischen und quasi-demokratischen hingegen zur Nützlichkeit bestehen, die vom Gläubiger bzw. vom Schuldnerstaat widerlegt werden kann.19

16  King,

in: in: 18  King, in: 19  King, in: 17  King,

Khalfan u. a., Khalfan u. a., Khalfan u. a., Khalfan u. a.,

CISDL CISDL CISDL CISDL

Working Working Working Working

Paper, Paper, Paper, Paper,

S. 44. S. 47. S. 43. S. 44.

232

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

bb) Bewertung King ist zugute zu halten, dass er versucht, die unklaren Kriterien der Zustimmung und des Nutzens durch Fallgruppen auszufüllen und damit eine höhere Rechtssicherheit zu gewährleisten. Ob die vorliegenden Krite­ rien dazu beitragen, ist aber fraglich.20 Zum einen sind die Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Regierungsformen undeutlich – insbesondere die Grenze zwischen quasi-diktatorisch und quasi-demokratisch ist derart unklar, dass King selbst sie in einem späteren Beitrag fallen lässt.21 Die Schwierigkeit wird auch dadurch verstärkt, dass es ein nationales Gericht sein könnte, welches sich mit der Durchsetzbarkeit der Schulden zu befassen hat und dazu hochpolitische Wertungen anstellen müsste. An anderer Stelle stellt King daher auf die Beurteilung durch internationale Wahlbeobachter ab,22 was einen objektiveren Ansatzpunkt liefern könnte. Jedoch ist auch hier unklar, welche Beanstandungen noch hinnehmbar und welche den Status als Demokratie entfallen lassen sollen; hier sind divergierende Entscheidungen der betroffenen Gerichte zu erwarten, was zulasten der Rechtssicherheit ginge. Weiterhin bleibt unklar, welche Verträge zum Nutzen der Bevölkerung des Schuldnerstaates geschlossen werden. Die Vermutung der Schädlichkeit im Fall von Diktaturen ist zwar nachzuvollziehen, sollte aber nur einen ersten Schritt darstellen, weil sie bei nützlicher Verwendung widerlegt werden können muss, was wiederum entsprechende Entscheidungskriterien voraussetzt. Bei der Kreditvergabe an Staaten, die keine mustergültige Demokratie im Sinne Kings sind, würde sich für den Gläubiger mithin immer die Frage stellen, ob der entsprechende Vertrag nicht potentiell unwirksam wäre. In einem späteren Beitrag führt King daher aus, dass sich mit der Zeit eine entsprechende Interpretation des Begriffes „benefit“ – unabhängig von der (demokratischen oder diktatorischen) Natur des Schuldnerstaates – durch die Gerichte herausbilden wird und verweist auf die Ausfüllung der Begriffe public purpose und public benefit im US-amerikanischen Recht, wo es trotz der Weite dieser Begriffe ebenfalls zu einer inhaltlichen Konkretisierung kam.23 Doch auch wenn eine sukzessive Ausfüllung des Begriffes möglich scheint, wäre zunächst einmal eine Beurteilung der Wirksamkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses problematisch. Gleichzeitig wäre zu klären, welche Merkmale den Begriff des Nutzens im 20  Kritisch wegen der Unklarheit auch Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 93 f. und Paulus, WM 2005, 53, 57. 21  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 653, Fn. 223 mit Bezug auf die Kritik von Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S.  17 f. 22  King, Odious Debts – Restatement, S. 79 f. 23  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 654 ff.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen233

Kontext der odiösen Schulden konkretisieren sollen. Diese mangelnde Rechtssicherheit könnte sich wiederum nachteilig auf den Geschäftsverkehr mit einer Vielzahl von Staaten auswirken. Wie unten, III., noch genauer dargestellt wird, birgt die Anknüpfung an die Natur des Regimes ein großes Potential in Bezug auf Rechtssicherheit, wenn die Bewertung mit einer ex-ante-Klassifizierung des Regimes verbunden wird. Der Vorschlag Kings stellt hier einen ersten Schritt in diese Richtung dar. Neben der verbesserten Einbeziehung der Gläubigerkenntnis ist an Kings Vorschlag zudem positiv hervorzuheben, neben Fällen von Staaten- auch solche von Regierungswechseln zu erfassen, weil eine Unterscheidung ansonsten willkürlich wäre.24 Die Autoren der kanadischen Studie untersuchen zudem eine Reihe von existierenden Foren, vor welchen die Odious-Debts-Doktrin bereits jetzt geltend gemacht werden könnte. Diese umfassen den IGH, Schiedsgerichte sowie nationale Gerichte.25 Dagegen ist jedoch erneut einzuwenden, dass es nach dem bisher Gesagten an einer Anerkennung der Odious-DebtsDoktrin fehlt, sodass es zur Justiziabilität der Odious-Debts-Doktrin zunächst deren rechtlicher Anerkennung bedarf. c) Die Einrichtung von ad-hoc-Gerichten und Debt Audits Im Anschluss an den Regimewechsel im Irak wurde die Einrichtung eines ad-hoc-Tribunals nach dem Muster des Iran-US Claims Tribunals gefordert, welches über die Gültigkeit der einzelnen Ansprüche im Lichte der Sack’schen Odious-Debts-Doktrin entscheiden sollte.26 Obwohl die Forderung im Anschluss an den umfassenden Schuldenerlass verstummte,27 wäre ein solches Vorgehen auch bei zukünftigen Regimewechseln möglich. Dafür spricht, dass ein international besetztes, mit Zustimmung aller Beteiligten eingerichtetes Schiedsgericht eine höhere Legitimität als ein nationales Zivilgericht hätte und durch die Befassung mit einer Fülle von Einzelfällen eine stringente 24  King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 47; weitergehend Paulus, WM 2005, 53, 56; zu der Frage, ob an solch einen Wechsel überhaupt angeknüpft werden soll, s. noch genauer unten, Kapitel 3 B.I.3. 25  Vgl. Khalfan, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 57 ff. 26  Vgl. die Diskussion des Vorschlags von Jubilee Iraq bei Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 743 f. und Anderson, Utah L.Rev. 2005(2005), 401, 437 f.; in eine ähnliche Richtung geht die Kampagne „Fair and Transparent Arbitration Mechanism on Illegitimate and Odious Debts“ der NGO Afrodad, die jedoch stärker an ein Verfahren zur Entschuldung überschuldeter Staaten anknüpft, vgl. den Bericht der gleichnamigen Konferenz, abrufbar unter http: /  / opendocs.ids.ac.uk /  opendocs / handle / 123456789 / 1686#.UoDH1eKFeB5. 27  Zum Schuldenerlass vgl. oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(16).

234

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Rechtsprechung entwickeln könnte.28 Gleichzeitig wäre ein ad-hoc-Gericht auf den jeweiligen Staat zugeschnitten und damit möglicherweise flexibler als eine ständige Institution.29 Allerdings bestehen hier zunächst die Probleme mit der klassischen Definition fort. Daher stellt sich bei dieser ex-postBetrachtung das Problem der mangelnden Rechtssicherheit, weil bei dem Vertragsschluss mit einem fragwürdigen Regime immer die Gefahr bestünde, dass in der Zukunft ein ad-hoc-Gericht gegen die Wirksamkeit der Schulden entscheiden würde, was sich in einem erschwerten Zugang zu Krediten für Entwicklungsländer niederschlagen dürfte.30 Unklar ist weiterhin, welche Intensität eines Regimewechsels die Schaffung eines Gerichts auslösen würde – wenn überhaupt an einen solchen angeknüpft werden soll.31 Schließlich bleibt fraglich, ob sich die Beteiligten überhaupt auf ein solches, mit Kosten verbundenes Gericht einigen würden.32 In den letzten Jahren wird zudem immer wieder gefordert, Kommissionen einzurichten, die die Schulden von Ländern überprüfen sollen (Debt Audits). In Ländern wie Bolivien, Ecuador, Irland oder Griechenland33 sollen solche Audits Klarheit über die Herkunft und Legitimität von Schulden bringen. Audits haben den Vorteil, dass sie es erlauben, den oft schwer nachvollziehbaren Schuldenstand eines Staates zu klären, indem sie über die Identität der Gläubiger, die Höhe der Ansprüche, aber auch über die Umstände des Zustandekommens von Schulden sowie deren Verwendung Aufschluss geben können. Beispiele wie Ecuador34 zeigen allerdings, wie wichtig eine unabhängige Besetzung solcher Kommissionen ist, um ein unvoreingenommenes Ergebnis zu erhalten und diese nicht zu Instrumenten einseitiger Interessen zu machen. Wie im Fall der ad-hoc-Gerichte besteht darüber hinaus die Schwierigkeit fort, dass keine allgemein anerkannten Kriterien bestehen, welche Anforderungen an die (vorhandene oder mangelnde) Legitimität von Schulden gestellt werden sollen, sodass mit der 28  Feibelman,

N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 766. diese Richtung auch Bonilla, Odious Debt, S. 112 f. 30  Dies spricht auch gegen ein Modell von Ginsburg / Ulen, LCP 2007(70), 115 ff., die vorschlagen, dass IWF oder Weltbank nach einem Regimewechsel für zukünftige Schulden des Schuldnerstaates bürgen und somit die negativen Folgen für die Reputation des Schuldnerstaates, die aus einer Zurückweisung odiöser Schulden resultieren, auffangen, vgl. ebd., 131 ff. Denn auch hier besteht Unklarheit, welche Schulden der Schuldnerstaat zurückweisen darf (etwa auch legitim verwendete). 31  Zu dieser Frage s. noch genauer unten, Kapitel 3 B.I.3. 32  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 744. Kritisch wegen der besonderen Konstellation im Falle des Iraks auch Paulus, WM 2005, 53, 60; die überlange Arbeitsdauer eines solchen Gerichts kritisierend Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 412. 33  Vgl. Wong, Sovereign Finance, S. 97 f. m. w. Nachw. 34  Dazu oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(20). 29  In



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen235

nachträglichen Analyse durch eine Audit-Kommission notwendigerweise ein hohes Maß an Unsicherheit einhergeht.35 2. Definitionsvorschlag von Bedjaoui In seinem neunten Bericht über die Staatennachfolge an die ILC schlug Bedjaoui erfolglos die Aufnahme folgender Artikel in die Konvention über Staatennachfolge in Vermögen, Archive und Schulden vor: „Article C. Definition of odious debts For the purposes of the present articles, ‚odious debts‘ means: (a) all debts contracted by the predecessor State with a view to attaining objectives contrary to the major interests of the successor State or of the transferred territory; (b) all debts contracted by the predecessor State with an aim and for a purpose not in conformity with international law and, in particular, the principles of international law embodied in the Charter of the United Nations. Article D. Non-transferability of odious debts [Except in the case of the uniting of States,] odious debts contracted by the predecessor State are not transferable to the successor State.“36

Entsprechend seines Arbeitsauftrages setzt sich Bedjaoui ausschließlich mit dem Schicksal von Schulden im Rahmen der Staatennachfolge auseinander. Dies spiegelt sich sowohl in der Definition von Odious Debts wie auch in der vorgeschlagenen Rechtsfolge wider. Die Tatbestandsvoraussetzungen in Artikel C knüpfen an zwei unterschiedliche Sichtweisen an, nämlich zum einen an die Perspektive des Nachfolgerstaates (a), zum anderen an die Perspektive der internationalen Gemeinschaft (b). Unter die Definition in Absatz (a) will Bedjaoui sowohl war debts als auch subjugation debts entsprechend der Sack’schen Definition fassen.37 Als Beispiel nennt er ein militärisches Wettrüsten zwischen zwei Staaten, die ihren Konflikt schließlich friedlich beilegen und einen Teil des Territoriums vom einen auf den anderen Staat übertragen; die Kosten für militärische Verteidigunsanlagen auf dem übertragenen Gelände soll der Zessionar dann als Odious Debts zurückweisen können.38 Hier stellt sich allerdings die von Bedjaoui nicht berücksichtigte Frage, ob das militärische Gerät nicht eine verbleibende Bereicherung darstellt, deren Wert an die Gläubiger herausgegeben werden kann. diese Richtung auch Wong, Sovereign Finance, S. 97. Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 173. 37  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 121. 38  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 131. 35  In

36  Bedjaoui,

236

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Die Definition in Absatz (b) stellt eine Neuerung in der Odious-DebtsDebatte dar, indem ganz allgemein auf den Widerspruch zu Prinzipien des Völkerrechts, insbesondere den in der UN-Charta enthaltenen, abgestellt wird. Indem maßgebend nicht mehr die Perspektive des Nachfolgestaates, sondern die der internationalen Gemeinschaft ist, soll der Standard gleichsam objektiviert werden, was grundsätzlich zu begrüßen ist.39 So will Bedjaoui auch solche Schulden erfassen, die zur Finanzierung von Unterdrückung oder Apartheid verwendet wurden, auch wenn der Nachfolgestaat selbst nicht unter diesen Praktiken zu leiden hatte.40 Problematisch ist allerdings, dass kaum jeder Völkerrechtsverstoß die Unwirksamkeit der internationalen Verbindlichkeit rechtfertigen kann. So erkennt etwa Art. 53 WVK nur Verstöße gegen ius-cogens-Normen als Nichtigkeitsgrund an. Der Begriff des Völkerrechtsverstoßes bedarf daher noch der einschränkenden Auslegung. Bedjaoui nennt hier beispielhaft die Ächtung von Genozid, Apartheid, das Recht auf Selbstbestimmung, Menschenrechte sowie das Verbot des Angriffskrieges.41 Für eine rechtssichere Interpretation ist die Definition dennoch zu weit, weil offen bleibt, welche Menschenrechte erfasst werden sollen und wann ein Kredit einen hinreichenden Beitrag zu deren Verletzung geleistet hat. Neben der weiten Definition von Odious Debts fällt auf, dass sich Bedjaoui nicht mit der Gläubigerkenntnis beschäftigt.42 Ob der Gläubiger die Verwendung der Finanzmittel beabsichtigt, billigt oder zumindest kennen müsste, spielt in den Erwägungen keine Rolle. Der Gläubiger trägt damit das volle Risiko der missbräuchlichen Verwendung und kann sich vor der Nichtübertragbarkeit der Schulden nicht schützen. Dies widerspricht aber allgemeinen Rechtsprinzipien und führt zu keinen angemessenen Ergebnissen. Wie oben ausgeführt, wurde die Definition Bedjaouis nicht in die Konvention aufgenommen und, anders als das Werk Sacks, in der nachfolgenden Literatur auch kaum übernommen.43 39  In diese Richtung Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 69  f.; zustimmend auch Abrahams, in: Bhavani, Odious Debts, S. 12 f. 40  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 134 f.; diese Definition greift auch Menon, Succession of States, S. 163 auf, ohne allerdings auf die Folgeprobleme einzugehen. 41  Bedjaoui, Ninth Report on State Succession, Doc. A / CN.4 / 301 and Add.1, YBILC 1977 (II / 1), 7 ff., Rn. 133 ff.; Menon, Succession of States, S. 163, stellt zusammenfassend auf den Verstoß gegen zwingende Normen des Völkerrechts ab, wobei die Frage, wann eine Schuld gegen solche Normen verstößt, offen bleibt, vgl. dazu oben, Kapitel 2 D.I.1. 42  Kritisch Paulus, WM 2005, 53, 56. 43  Eine Ausnahme stellen die Ausführungen von Menon, Succession of States, S. 163, sowie die oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(14), besprochene Entscheidung des Iran-US Claims Tribunal dar, das die Voraussetzungen der Definition jedoch nicht als erfüllt ansah und sich auch nicht zu deren Geltung äußerte.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen237

3. Modelle, die auf eine Änderung des die Schuld begründenden Vertrages abstellen a) Ergänzung der Anleihebedingungen nach Gentile Davon ausgehend, dass Anleiheschuldner bei der Ausgabe von Anleihen nach US-amerikanischem Recht umfangreiche Offenlegungspflichten in Bezug auf den Verwendungszweck der Mittel haben, schlägt Gentile vor, dass die Schuldner im Anleihevertrag gleichzeitig die Verwendung dieser Mittel zum angekündigten Zweck zusichern.44 Daneben könnte eine Klausel treten, der zufolge der Schuldner die Verwendung aller zukünftigen Schulden zu weiteren, im Nutzen der Bevölkerung stehenden Zwecken verspricht.45 Da die Gläubiger bei Verletzung der vertraglichen Regelungen die Anleihe unverzüglich fällig stellen könnten, würde für den Schuldner ein starker Anreiz geschaffen, die Mittel tatsächlich zum vereinbarten Zweck zu verwenden.46 Dass die Gläubiger auch wirklich die tatsächliche Verwendung der Gelder nachvollziehen können, begründet Gentile mit einem Verweis auf im Rahmen von Hedgefonds tätige Firmen, die typischerweise damit beauftragt werden, umfangreiche Informationen über die Investitionsrisiken zu liefern, und die ihr Arbeitsfeld auf die Mittelverwendung ausdehnen könnten.47 Für das Modell spricht, dass es auf bestehenden Marktinstrumenten aufbaut und damit eine niedrigere Umsetzungsschwelle aufweist als umfangreiche institutionelle Lösungsansätze.48 Allerdings bleiben Zweifel, ob das Modell wirklich geeignet ist, das Problem odiöser Schulden zu lösen. Denn zunächst fehlt es an einer Bewertung, welche Zwecke für die Ausgabe von Anleihen legitim sind. Ohne eine solche Bewertung könnte ein despotischer Schuldnerstaat beispielsweise versprechen, die Anleihe für den Kauf von Waffen zu verwenden, was zwar möglicherweise bei einigen Anlegern auf Ablehnung stieße, an sich aber nicht gegen die Entstehung odiöser Schulden spricht. Dementsprechend scheint Gentile davon auszugehen, dass nur bevölkerungsnützliche Zwecke in den Anleihevertrag aufgenommen werden dürfen. Allerdings bleibt offen, welche Verwendungszwecke diese Voraussetzung erfüllen, was zu einem Mangel an Rechtssicherheit führt. Das 44  Gentile,

LCP 2010(73), 151, 169 ff. LCP 2010(73), 151, 170. 46  Gentile, LCP 2010(73), 151, 170. 47  Gentile, LCP 2010(73), 151, 171. 48  Gentile, LCP 2010(73), 151, S. 172, führt aus, dass das Modell zu sinkenden Zinsen bei höherer Sicherheit führen könnte, was allerdings einen Anreiz nur für bestimme Anlegertypen bieten dürfte; zudem ist mit einer Verteuerung durch die Überprüfungsmechanismen zu rechnen. 45  Gentile,

238

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Hauptproblem besteht jedoch darin, dass durch das Modell nur Anleihen erfasst werden.49 Gentile selbst führt aus, dass insbesondere solche Staaten, die kaum Informationen preisgeben wollen, vermehrt auf direkte Kredite zurückgreifen.50 Sogar in Bezug auf Anleihen ist die Wirksamkeit fraglich, da problematische Staaten Anleihen ohne eine entsprechende Klausel entweder in andere Rechtsordnungen verlagern oder diese sogar auf dem USamerikanischen Markt platzieren könnten. In letzterem Fall dürften die Anleihen mit einer höheren Risikoprämie ausgegeben werden, welche dazu führen würde, dass diese für bestimmte Anleger ein attraktives Konkurrenzprodukt darstellen, während sich der Umfang odiöser Schulden im Schuldnerstaat aufgrund steigender Zinsen noch erhöhen würde. Damit scheint das Modell nicht geeignet, die wirksame Entstehung odiöser Schulden zu verhindern. b) Feibelmans Vertragsklauselmodell aa) Lösungsvorschlag Der Lösungsvorschlag von Feibelman sieht eine Regelung auf individualvertraglicher Basis vor.51 Der Schuldnerstaat soll im Kreditvertrag seinem jeweiligen Gläubiger versprechen, keine odiösen Schulden einzugehen sowie im Nachhinein als odiös qualifizierte Schulden zu verweigern oder im Rang herabzustufen.52 Weiterhin verpflichtet sich der Schuldnerstaat, zukünftige Gläubiger über diese Absprache in Kenntnis zu setzen und auch mit diesen entsprechende Übereinkommen abzuschließen.53 Die Gläubiger können mit einer (evtl. qualifizierten) Mehrheit bestimmte Schulden entsprechend einer vorher festgelegten Definition als odiös klassifizieren; diese hat der Schuldnerstaat in der Folge zu verweigern bzw. nachrangig zu erfüllen. Unterlässt er die Verweigerung, so soll dies als Zahlungsausfall auf alle Schulden gelten, was für den Schuldnerstaat einen starken Anreiz zur Einhaltung der Vertragsklausel darstellen würde; umgekehrt würde die Verweigerung odiöser Schulden nicht als Zahlungsausfall gewertet.54

erkennt auch Gentile, LCP 2010(73), 151, 173. LCP 2010(73), 151, 169 m. w. Nachw. 51  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 730 f. und ausführlich 748 ff. 52  Da bei nachrangiger Behandlung die Schulden grundsätzlich bestehen bleiben und bei Zahlungsfähigkeit zu erfüllen sind, ist die Verweigerung der odiösen Schulden zu bevorzugen. 53  Die Aufnahme einer entsprechenden Klausel in späteren Verträgen bedarf daher der Veröffentlichung, vgl. Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 749. 54  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 750. 49  Das

50  Gentile,



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen239

bb) Bewertung Die Konstruktion eines marktbasierten Lösungsmodells unter Einbeziehung des Schuldners und redlicher Gläubiger erscheint zunächst ansprechend. Jedoch stehen im Fokus der Odious-Debts-Doktrin üblicherweise nicht solche Beteiligte, die grundsätzlich legitime Finanzierungszwecke verfolgen. Fraglich ist beim Vertragsklauselmodell nämlich, warum ein despotischer Schuldnerstaat der Aufnahme einer entsprechenden Klausel in den Vertrag überhaupt zustimmen sollte.55 Feibelman argumentiert, der Anreiz für den Schuldnerstaat bestehe in der Möglichkeit, in Zukunft aus der Verweigerung odiöser Schulden einen Nutzen ziehen zu können.56 Jedoch leuchtet nicht ein, warum ein Despot ein Interesse daran haben sollte, für den Fall seiner Absetzung den Schuldenstand zu reduzieren.57 Der Aufnahme der Vertragsklausel könnte der Schuldnerstaat höchstens auf Druck von Gläubigern zustimmen, die damit das legitime Interesse verfolgen würden, vor odiösen Schulden prioritär bedient zu werden. Allerdings soll die Annahme des Vertragsklauselmodells ja gerade dazu führen, dass Gläubiger keine Kredite zu odiösen Zwecken mehr zur Verfügung stellen, was den Interessen eines Despoten zuwiderliefe. Stattdessen dürften sich auch und gerade bei despotischen Regimen ausreichend Gläubiger finden, die bereit sind, Verträge ohne Einschluss der Klausel abzuschließen. Feibelman selbst führt aus: „…  [T]he mechanism will probably be most useful for relatively responsible regimes. Bad regimes will almost certainly not contract into the scheme.“58 Allerdings führt Feibelman Vorteile des Modells auch für solche Fälle an, in denen ein fragwürdiges Regime die Vertragsklauseln nicht einbezogen hat. Kommt es zu einem Regimewechsel, könnte der Schuldnerstaat unter Einbeziehung der Vertragsklausel von neuen Gläubigern günstige legitime Kredite erhalten. Er könnte dann darauf hinwirken, dass die neuen Gläubiger die alten Schulden als odiös klassifizieren und diese Schulden in der Folge verweigern, ohne Reputationsverluste bei seinen neuen Gläubigern hinnehmen zu müssen.59 Dies setzt allerdings voraus, dass sich diesem Grunde kritisch Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 59. N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 768. 57  Was die Verweigerung durch den Despoten selbst angeht, scheint diese unwahrscheinlich, weil der Despot dadurch seine Kreditwürdigkeit verlöre. 58  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 732; später schränkt Feibelman die Aussage insofern ein, dass die weitgehende Verbreitung des Modells dazu führen könnte, dass solche Schuldner, die das Modell ausdrücklich nicht einbeziehen wollen, als suspekt betrachtet würden, was Zinserhöhungen mit sich brächte, vgl. ebd., 753 f. 59  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 754 f. 55  Aus

56  Feibelman,

240

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Gläubiger finden, die die Vertragsklausel einbeziehen, und dass diese auch die alten Schulden als odiös deklarieren. Hier ist fraglich, welche Mehrheit für die Entscheidung maßgeblich wäre. Handelt es sich nur um die Mehrheit der neuen Gläubiger, könnte schon ein einziger Gläubiger die alten Schulden als odiös deklarieren, was kaum gewollt sein dürfte; ist maßgeblich die Mehrheit der finanziellen Verpflichtungen, müsste der Schuldnerstaat zunächst Kredite in entsprechender Höhe aufnehmen, was angesichts eines häufig hohen Schuldenstandes postdiktatorischer Staaten schwierig sein dürfte. Auch wenn sich ein Staat bereits vor dem Regimewechsel grundsätzlich für die Einbeziehung der Vertragsklauseln entscheidet, bleibt problematisch, wie mit solchen Gläubigern umgegangen werden soll, die der Vertragsklausel nicht zugestimmt haben. Für in der Vergangenheit ohne Berücksichtigung des Vertragsklauselmodells eingegangene Verträge schlägt Feibelman Nachverhandlungen vor.60 Allerdings ist zu vermuten, dass Gläubiger potentiell odiöser Forderungen der Aufnahme einer entsprechenden Klausel gerade nicht zustimmen werden. Ähnliche Probleme stellen sich im Hinblick auf zukünftige Gläubiger. Zwar hat sich der Schuldnerstaat verpflichtet, in alle zukünftigen Verträge eine entsprechende Klausel aufzunehmen. Dennoch wäre es denkbar, dass sich der Schuldnerstaat später Geld zu odiösen Zwecken von dritten Gläubigern beschafft, um den Vertragsklauselmechanismus zu umgehen. Hier schlägt Feibelman zunächst vor, aus der Kenntnis von der Vertragsklausel die implizite Zustimmung durch den dritten Gläubiger abzuleiten.61 Dagegen spricht jedoch, dass sowohl Gläubiger als auch Schuldnerstaat den odiösen Vertrag gerade zur Umgehung der Vertragsklausel eingehen, sodass es an einer impliziten Zustimmung fehlt. Auch die vertragliche Pflicht des Schuldnerstaates gegenüber bestimmten Gläubigern, odiöse Schulden zu verweigern, kann nicht zu Lasten des dritten, nicht am Vertragsklauselmodell beteiligten Gläubigers wirken, sodass diese Pflicht einer Zahlungsklage nicht entgegenstehen würde. Als Lösung verweist Feibelman darauf, dass der Schuldnerstaat gegenüber den dritten Gläubigern eine andere Ausprägung der Odious-Debt-Doktrin geltend machen könnte (z. B. die privatrechtliche Unwirksamkeit der Schulden).62 Wie ausgeführt, bestehen daran mangels einer umfassenden Anerkennung der Rechtsfigur de lege lata aber Zweifel. Damit fehlt es gerade für die wichtigsten Fälle odiö­ ser Schulden, in denen ein Staat bewusst und mit Kenntnis des Gläubigers Verträge zum Schaden der Bevölkerung eingeht, an einer überzeugenden Lösung. 60  Feibelman,

N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 753. N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 752. 62  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 752. 61  Feibelman,



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen241

Problematisch ist auch, dass die Entscheidung über die Wirksamkeit der Schulden bei den Gläubigern liegen soll.63 Denn in Bezug auf die finan­ zielle Leistungsfähigkeit des Schuldnerstaates haben alle Beteiligten ein großes Interesse, die Ansprüche konkurrierender Gläubiger möglichst gering zu halten. Somit besteht das Problem, dass es in der Hand der Gläubiger steht, die Ansprüche von Minderheitsgläubigern als odiös zu qualifizieren. Umgekehrt könnten Inhaber odiöser Ansprüche die Klassifizierung blockieren, wenn sie eine entsprechende Mehrheit darstellen. Die Problematik gleicht der von Collective Action Clauses (CACs), welche alleine nicht vor geheimen Absprachen (backroom deals) schützen.64 Daher bedarf es prozeduraler und justizieller Absicherungen, dass nur solche Schulden als odiös qualifiziert werden, die auch in die Kategorie der Odious Debts fallen.65 Dann müsste aber ein Gericht entscheiden, ob bestimmte Schulden tatsächlich Odious Debts darstellen, oder ob eine entsprechende Klassifizierung zu Unrecht verweigert wurde. Hier bleibt erneut zu beantworten, welche Voraussetzungen an das Vorliegen von odiösen Schulden gestellt werden sollen. Ohne eine Lösung dieser Problematik besteht zum Zeitpunkt der Eingehung von Verträgen keine Sicherheit, ob diese nicht ex post als odiös klassifiziert werden. Dass damit die Zinsen für legitime Kredite sinken, ist nicht abzusehen. Feibelman schlägt vor, solche Schulden als odiös zu klassifizieren, die den Bürgern des Schuldnerstaates keinen Nutzen gebracht haben.66 Die Finanzierung von gemeinnützigen Projekten wie dem Bau von Dämmen, Autobahnen, Krankenhäusern und Schulen soll damit immer möglich sein, während umgekehrt Überweisungen auf das persönliche Bankkonto des Staatschefs ausgeschlossen sein sollen.67 Ob solche Fallgruppen sinnvoll sind, ist mit dem Blick auf Zwangsumsiedlungen zum Dammbau oder einen möglicherweise stark begrenzten Nutzerkreis der öffentlichen Einrichtungen zu hinterfragen (dazu genauer unten, B.II.2.). Interessant ist daher vor allem die weite Grauzone von Projekten, bei denen der öffentliche oder persön­ liche Nutzen nicht auf der Hand liegt. Hier schlägt Feibelman im Zweifel eine weite Auslegung des Nutzenbegriffs vor.68 Dafür spricht, dass die 63  Kritisch, weil diese im wirtschaftlichen Eigeninteresse entscheiden, auch Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 93 f. 64  Vgl. die entsprechende Kritik von Westbrook an CACs im Rahmen Staateninsolvenzdebatte, wiedergegeben bei Nierlich / Schneider, IILR 2012(3), 392, 429. 65  Diese erwägt auch Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 751. Ob demgegenüber Marktmechanismen genügen, um die Gefahr des Missbrauchs abzuwenden, ist zweifelhaft; in diese Richtung aber Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 769 f. 66  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 758 ff. 67  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 758. 68  Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 759.

242

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Vorhersehbarkeit der Vertragsklausel erhöht wird, weil damit ihre Anwendungsfälle reduziert werden. Ob dies jedoch immer zu wünschen ist, erscheint fraglich. Bei deutlich menschenrechtswidrig handelnden Staaten wäre zu erwägen, vom Gläubiger den positiven Beleg eines Bevölkerungsnutzens zu fordern, weil auch prima facie neutrale Zwecke dem Regime tendenziell zugutekommen dürften. So ist die Ausstattung der Polizei mit Waffen unterschiedlich zu bewerten, je nachdem, ob es sich um einen totalitären oder liberalen Staat handelt. Schließlich fordert Feibelman zu Recht, dass Schulden nicht als odiös eingestuft werden sollen, wenn Gläubiger die notwendigen Anstrengungen unternommen haben, um die legitime Verwendung der Mittel sicherzustellen.69 Allerdings bleibt offen, welche Schritte genau zu einer Entlastung führen sollen; auch hier wäre eine Differenzierung nach dem jeweiligen Schuldnerstaat sinnvoll, weil die extensive Überwachung des Kreditverkehrs gegenüber einer demokratisch rechenschaftspflichtigen Regierung kaum erforderlich, diejenige gegenüber despotischen Kleptokraten hingegen zwingend notwendig erscheint. Obwohl die jüngere Entwicklung hinsichtlich Collective Action Clauses zeigt, dass die koordinierte Einführung einheitlicher Klauseln in Kreditverträgen perspektivisch möglich ist,70 bestehen an der Wirksamkeit des Vertragsklauselmodells zur Lösung der Odious-Debts-Problematik Zweifel. So ist fraglich, ob sich die Bereitstellung von evident odiösen Krediten davon wirklich erfassen lässt. Auch die maßgebliche Einbeziehung der konkurrierenden Gläubiger scheint fragwürdig. Positiv hervorzuheben ist demgegenüber der Ansatz, die Wirksamkeit von Krediten daran zu messen, ob der Kredit im Einzelfall der Bevölkerung zugute kam, wobei auch hier einige Fragen ungelöst bleiben. 4. Privatrechtliche Unwirksamkeit odiöser Schulden Buchheit, Gulati und Thompson führen an, dass bereits de lege lata die Möglichkeit bestehe, vor US-amerikanischen Gerichten die Erfüllung mancher odiöser Schulden zu verweigern.71 Die Autoren verweisen auf die zivilrecht­ lichen Prinzipien der public policy, der unclean hands, des Vertretungsrechts sowie des Gesellschaftsrechts, welche es ihrer Ansicht nach erlauben, Einwen69  Vgl. Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 759  ff. mit verschiedenen Beispielen. 70  Zu dieser Entwicklung Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 755  ff.; vgl. auch die kritischen Beiträge zur Reichweite solcher Klauseln im Rahmen der Staateninsolvenzdebatte, wiedergegeben bei Nierlich / Schneider, IILR 2012(3), 392, 397 f., 410, 417 und 429. 71  s. Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1230 ff.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen243

dungen geltend zu machen, die zur Abweisung der Klage führen; Feibelman ergänzt dies um die Prinzipien der equitable subordination und des fraudulent transfer.72 Dem ist zugute zu halten, dass eine Vielzahl von Staatsschulden sich nach US-amerikanischem oder englischem Recht richten.73 Möglichen Bedenken wegen divergierender Entscheidungen74 könnte durch eine allmähliche Rechtsangleichung in der Spruchpraxis begegnet werden, wobei allerdings auch ein Ausweichen auf andere Jurisdiktionen denkbar ist.75 Fraglich ist auch, inwieweit einzelne Zivilgerichte willens und in der Lage sind, die im Kern politische Entscheidung über Zustimmung und Nutzen für die Bevölkerung zu treffen.76 Hauptkritikpunkt ist aber, dass das hier diskutierte Modell überhaupt nur relevant wird, wenn über Schulden vor Zivilgerichten verhandelt wird, was bei bilateralen Krediten grundsätzlich nicht der Fall ist.77 Das Modell greift auch deswegen zu kurz, weil die Angst vor Vollstreckungshandlungen des Gläubigers nicht das maßgebliche Motiv für die Rückzahlung von Schulden ist. Vielmehr wird ein Staat auch dann einredebehaftete Schulden zurückzahlen, wenn ihm ansonsten aufgrund Reputationsverlustes eine Einschränkung der Kreditwürdigkeit droht, sodass es in einer Vielzahl von Fällen gar nicht zu Streitigkeiten von nationalen Gerichten kommen wird.78 Darüber hinaus geht ein einzelfallbasierter Ansatz notwendigerweise mit einem Mangel an Rechtssicherheit einher, weil sich erst im Laufe der Zeit in vorhersehbarer Weise feststellen lässt, welche Schulden Gerichte in der Zukunft möglicherweise als odiös ansehen werden;79 hier sind viele Fragen in der Anwendung der zivilrechtlichen Rechtsfiguren noch ungeklärt.80 Nur wenn über die Grenzen der nationalen Rechtsordnung hinaus die Nichtigkeit bzw. Undurchsetzbarkeit odiöser Schulden anerkannt ist, kann sich der Schuldnerstaat auf diese berufen, ohne negative Folgen an den Finanzmärkten fürchten zu müssen. Ob die Odious-Debts-Doktrin als zivilrechtliche Einwendung erfolgsversprechend ist, muss nach dem in Kapitel 2 72  Feibelman,

LCP 2007(70), 171 ff. LCP 2007(70), 47, 55; Ludington u. a., Theoretical Inquiries in Law 2010(11), 247, 248; Stephan, LCP 2007(70), 213, 221. 74  Gegen eine Lösung durch die privatrechtliche Rechtsprechung daher Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 765. 75  Stephan, LCP 2007(70), 213, 224; Wong, Sovereign Finance, S. 130. 76  Kritisch wegen der politischen und völkerrechtlichen Dimension öffentlicher Schulden auch Pérez / Weissman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 699, 733 ff.; Wong, Sovereign Finance, S. 130. 77  Bonilla, Odious Debt, S. 13; kritisch gegenüber dem Vorschlag daher auch Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 92 und Gelpern, LCP 2007(70), 81, 88. 78  In diese Richtung auch Bonilla, Odious Debt, S. 147. 79  Stephan, LCP 2007(70), 213, 229 ff. 80  Vgl. die Analyse des deutschen Rechts oben, Kapitel 2 D.III.; mit diesem Ergebnis auch Michalowski, in: Mader / Rothenbühler, Illegitimate Debt, S. 23 ff. 73  Ben-Shahar / Gulati,

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

D.III. Gesagten jedoch bezweifelt werden, da auch hier offen bleibt, wann ein Vertrag als odiös zu klassifizieren ist.81 Damit bleibt die grundsätzliche Problematik der mangelnden Vorhersehbarkeit bestehen. 5. Fallgruppenbildung nach Paulus a) Das Modell Ausgehend von der Schwierigkeit, eine präzise Definition für Odious Debts zu finden, schlägt Paulus eine Technik vor, die im Rahmen der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts82 weltweite Anerkennung gefunden hat.83 Dabei handelt es sich um die Fallgruppenbildung zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe, die Paulus anhand von Art. 3.10. der UNIDROIT-Grundregeln darlegt.84 In diesem wird die Anfechtbarkeit des Vertrages im Fall eines groben Missverhältnisses (gross disparity) geregelt, bei dessen Bewertung verschiedene, nicht abschließend genannte Faktoren wie die unredliche Ausnutzung von Abhängigkeit oder einer wirtschaftlichen Notlage sowie der Zweck des Vertrages Berücksichtigung finden sollen. Übertragen auf die (in den UNIDROIT-Grundregeln nicht geregelte)85 Rechtsfigur der Odious Debts bedeutet das, dass der offene Rechtsbegriff der odiösen Schulden durch verschiedene Kriterien ausgefüllt werden soll, welche für sich genommen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Schulden führen, sondern in ihrer Zusammenschau im Einzelfall eine Aussage über die Wirksamkeit des Vertrages zulassen.86 Dieses anfänglich notwendigerweise offene Vorgehen soll im Laufe der Zeit zu einer Präzisierung mithilfe von Fallgruppen führen, welche ihrerseits eine „aus mehreren Fällen verdichtete Erfahrung“ darstellen, ohne dass die Vielzahl der denkbaren Fallkonstellationen von vorneherein auf bestimmte Tatbestandsmerkmale reduziert wird.87 Im Vergleich zu solchen möglicherweise zu eng oder zu weit gewählten, starren Tatbestandsmerkmalen erlaub81  Kritisch hinsichtlich der Erfolgsaussichten auch Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 330 f. 82  Vgl. http: /  / www.unidroit.org / english / principles / contracts / principles2010 / in tegralversionprinciples2010-e.pdf und die weiteren Nachweise bei Paulus, WM 2005, 53, 57. 83  Paulus, WM 2005, 53, 57; s. auch Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 95 ff.; Paulus, Unif.L.Rev. 2005(10), 469 ff.; Paulus, Int.C.R. 2006(3), 299, 305 ff. 84  Paulus, WM 2005, 53, 57 f. 85  s. Paulus, WM 2005, 53, 57 f., der insbesondere auf Art. 3.1 (c) der UNIDROIT-Grundregeln verweist. 86  Paulus, WM 2005, 53, 58. 87  Paulus, WM 2005, 53, 58.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen245

ten die einmal konstituierten Fallgruppen sogar eine höhere Vorhersehbarkeit; gleichzeitig zeige die Erfahrung mit Normen wie § 138 BGB (Sittenwidrigkeit), dass ein derartiges Vorgehen für Kreditgeber akzeptabel sei.88 Neben der Kenntnis des Gläubigers von den einzelnen Merkmalen legt Paulus die Berücksichtigung insbesondere der im Folgenden genannten Kriterien nahe.89 Mit Blick auf den Schuldnervertreter (etwa den Despoten) schlägt er ein vom Demokratiebegriff losgelöstes, auf objektiven Kriterien wie ius cogens und Menschenrechtskonventionen beruhendes Urteil vor. Da es auch der Gläubiger selbst sein kann, der die odiöse Natur der Schuld maßgeblich prägt, wenn beispielsweise die Schulden aufgrund einer rechtswidrigen Handlung des Gläubigers entstehen, soll auch dieser mit einbezogen werden und ebenfalls anhand der genannten, objektiven Kriterien beurteilt werden. Maßgeblich ist auch der Zweck des Kredits, die wiederum an objektiven Maßstäben zu messen sei. Schließlich komme es auch auf die Gesamtumstände der Kreditvergabe an, etwa, ob es sich um Geldwäsche handle oder international gesuchte Akteure beteiligt seien. Bei allen genannten Fallgruppen betont Paulus, dass die Wertmaßstäbe objektiviert angesetzt werden müssen, um eine hohe Akzeptanz zu erlangen, es also nicht auf das ethische Empfinden Einzelner ankommen darf.90 In institutioneller Hinsicht schlägt Paulus vor, wegen verbreiteter Vorbehalte weder den IWF, die Weltbank noch den IGH, der ohnehin nur bei Beteiligung von Staaten auf Schuldner- sowie Gläubigerseite zuständig wäre, mit der Entscheidung zu betrauen.91 Ebenso wenig wären ad-hocSchiedsgerichte geeignet, zu einer konsistenten Fallgruppenbildung beizutragen.92 Zu bevorzugen sei daher die Einbeziehung des Dispute Settlement Panel der Welthandelsorganisation, welcher bereits jetzt über eine große Expertise bezüglich globaler Rechtsstreitigkeiten verfüge.93 Alternativ seien die Einrichtung eines neuen Gremiums auf UN-Ebene, aus Gründen der Sachnähe möglicherweise bei der UNCTAD, sowie die im Rahmen des Staateninsolvenzverfahrens diskutierten Gremien denkbar.94 Dem gericht­ lichen Gremium solle dann die ausschließliche Zuständigkeit für die relevanten Fälle zukommen.95 88  Paulus,

WM 2005, 53, 58. und zum Folgenden Paulus, WM 2005, 53, 58 f. 90  Paulus, WM 2005, 53, 59. 91  Ebd. 92  Ebd. 93  Ebd. 94  Ebd. 95  Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 101; zur Frage, wer ein solches Verfahren einleiten könnte, vgl. ebd, 102. 89  Dazu

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

b) Bewertung des Modells An dem Vorschlag fällt zunächst positiv auf, dass Paulus ausdrücklich nicht auf einen Staaten- oder Regimewechsel abstellt, weil sich das Odiöse einer Schuld aus deren Eingehung und Verwendung, nicht aber aus einer Veränderung der Beteiligten ergebe.96 Dem ist zuzustimmen; zwar sind Konstellationen des Systemwechsels für die Geltendmachung der OdiousDebts-Doktrin charakteristisch, jedoch sind diese nur Gelegenheit, nicht aber Rechtsgrund für die Geltendmachung der Rechtsfigur. Ebenso ist die Einbeziehung des Gläubigers überzeugend, weil nur bei einer wie auch immer gearteten subjektiven Zurechnung der bevölkerungswidrigen Handlung des Schuldnerstaates an den Gläubiger die Unwirksamkeit der Schuld gerechtfertigt ist.97 Positiv ist auch das genauere Nachdenken über die Rechtsfolge zu verzeichnen, da die Unwirksamkeit eines odiösen Vertrages alleine aufgrund der bereicherungsrechtlichen Rückzahlungspflicht noch keinen Gewinn für den Schuldnerstaat darstellen würde.98 Im Konflikt zwischen Rechtssicherheit und der Schwierigkeit, eine abschließende, gleichermaßen allumfassende und dennoch nicht ausufernde Definition von odiösen Schulden zu finden, stellt das Fallgruppenmodell einen sorgfältig gewählten Mittelweg dar. Dabei wird zu Recht auf die gängige nationale und internationale Rechtspraxis verwiesen, in welcher unbestimmte Rechtsbegriffe verbreitet sind. Es besteht kein Zweifel daran, dass, sobald ein ausreichendes Maß an Einzelfallentscheidungen erreicht ist, die Subsumtion neuer Fälle unter eine der anerkannten Fallgruppen von Odious Debts zu einer Lösung der Problematik führen würde.99 Die Berücksichtigung der Fallgruppen ermöglicht es dabei, mit ausreichender Flexibilität eine Vielzahl von Fällen zu erfassen und die Probleme des Einzelfalls angemessen zu gewichten.100 Dass dabei auf objektive, in internationalen Konventionen anerkannte Standards verwiesen werden soll, ist zu begrüßen. Problematisch ist allerdings, wie mit potentiell odiösen Verträgen verfahren werden soll, bis sich die einzelnen Fallgruppen hinreichend konkretisiert haben. Hier kommt dem Richter eine gewisse Rechtschöpfungsfunktion 96  Paulus, WM 2005, 53, 56 f.; zu dieser Problematik noch genauer unten, Kapitel 3 B.I.3. 97  Paulus, WM 2005, 53, 55 und 58. 98  Vgl. Paulus, WM 2005, 53, 59 f. und unten, Kapitel 3 B.VII.; dieser Punkt wird in der Debatte häufig ausgeblendet. 99  So das Argument von Paulus, WM 2005, 53, 58. 100  Anders Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 90, die eine zu starke Ausweitung der Odious-Debts-Doktrin fürchtet; dem kann aber das Gericht durch eine sorgfältige Rechtsprechungspraxis entgegenwirken.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen247

zu,101 was bei einer entsprechend kompetenten Besetzung des Entscheidungsgremiums nicht gegen das Modell spricht und auch sonst beim Umgang mit unbestimmten Rechtsbegriffen nicht ungewöhnlich ist.102 Gerade die Befassung nur eines einzelnen Gerichts mit den Fällen odiöser Schulden würde zur Entwicklung einer konsistenten Lösung beitragen. Die Problematik liegt also weniger im Herausbilden der Fallgruppen als vielmehr in der vorgelagerten Vorhersehbarkeit der Entscheidungen. Denn bis eine gefestigte Judikatur zu Odious Debts besteht, ist es für den Gläubiger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht klar erkennbar, ob der Vertrag später als odiös klassifiziert werden wird, was sich wiederum zu Lasten von an für sich legitimen Verträgen auswirken könnte.103 Da das Modell nach Paulus bisher nicht aufgegriffen wurde, fehlt es derzeit an einer an für sich wünschens­werten Fallgruppenbildung; die Vorzüge des Modells finden aber als Aspekt eines eigenen Lösungsmodells unten, B.II.2. und Kapitel 4 C.II., Berücksichtigung. 6. Lösung im Rahmen des Paris Clubs nach Bonilla Bonilla schlägt vor, den Paris Club mit der Entscheidung über odiöse Schulden zu betrauen, weil dieses Gremium ohnehin bereits mit Schulden befasst ist.104 Zwar wären hier zunächst nur Ansprüche öffentlicher Gläubiger betroffen, es könnten aber über die „Comparability of Treatment“Klausel, demnach die im Paris Club ausgehandelten Konditionen vom Schuldnerstaat in vergleichbarer Weise auch gegenüber privaten Schuldnern angewendet werden sollen, Ansprüche Privater miteinbezogen werde.105 Wie dies auf die Figur der odiösen Schulden übertragen werden soll, ohne dass durch die pauschale Reduzierung privater Ansprüche eine Differenzierung nach dem Verwendungszweck aufgegeben wird, ist allerdings unklar. Insbesondere aber liefert Bonilla keinen Vorschlag, nach welchen Kriterien Schulden als odiös klassifiziert werden sollen. Vielmehr lobt sie das Potential von geheimen Verhandlungen, denn: „Secrecy would do away with the problem of having to define odious debt and constrain its many forms to a definition“.106 Gläubiger würden sich also eher auf eine Schuldenreduzie101  Kritisch wegen der Gefahr der Ausweitung durch Gerichte Tarullo, LCP 2007(70), 263, 272. 102  Man denke nur an die Judikatur zum auch von Paulus als Beispiel angeführten § 138 BGB. 103  So generell Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 18. 104  Bonilla, Odious Debt, S. 126 ff. 105  Bonilla, Odious Debt, S. 136 m. w. Nachw. 106  Bonilla, Odious Debt, S. 140.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

rung einigen, wenn sie davon ausgehen könnten, keinen Präzedenzfall zu schaffen.107 Während dieser Gedankengang in Bezug auf einen einzelnen Anwendungsfall nachvollziehbar scheint, ist der Ansatz Bonillas für eine langfristige Lösung des Odious-Debts-Problems kaum geeignet. Denn die Aushandlung einer Schuldenreduzierung im Geheimen würde die OdiousDebts-Doktrin nicht stärken, sondern hätte abschreckende Wirkung auf Gläubiger, insbesondere, wenn diese als Private später von einer Lösung betroffen sein sollen, an welcher sie selbst nicht mitgewirkt haben. 7. Zwischenergebnis Die hier diskutierten Lösungsmodelle haben den Vorteil, dass sie nur solche Verträge als odiös erfassen sollen, die auch tatsächlich entgegen den Bevölkerungsinteressen eingegangen bzw. verwendet wurden. Gleichzeitig erlauben sie es, durch Einbeziehung der Gläubigerkenntnis gerechte Ergebnisse zu erreichen. Für die verschiedenen Ansätze stellt sich jedoch das Problem, dass sie in vorhersehbarer Weise definieren müssen, welche Verträge als für die Bevölkerung nützlich anzusehen sind; hier fehlt es bisher an einer überzeugenden Lösung. Die Beschäftigung mit den verschiedenen Vorschlägen deutet vielmehr darauf hin, dass sich starre, für jeden Anwendungsfall gültige Tatbestandsmerkmale kaum finden lassen. Der Begriff des Nutzens könnte daher durch verschiedene Aspekte ausgefüllt werden, welche in ihrer Zusammenschau eine Aussage über die Wirksamkeit des Vertrages im Einzelfall zulassen. Dabei sollte die Natur des Schuldnerstaates eine maßgebliche Rolle für die an den jeweiligen Vertrag zu stellenden Anforderungen spielen (zu regime-basierten Modellen sogleich, III.), weil an Verträge mit einem demokratischen Rechtsstaaten anderen Ansprüchen als an solche mit repressiven Regimen zu stellen sein können.

II. Das maßgebliche Abstellen auf verantwortliche und transparente Kreditvergabe Während einige der bisher diskutierten Modelle eine nachträgliche Bewertung des jeweiligen Vertrages vornehmen, ist Ansatzpunkt der verantwortlichen Kreditvergabe immer der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Wenn bereits hier bestimmte Prinzipien der Gläubigermitverantwortung eingehalten werden, so soll dies zur Wirksamkeit des jeweiligen Vertrages führen, ohne dass die Gefahr einer odiösen Schuld besteht. Die im Folgenden diskutierten Modelle sind daher die spiegelbildliche Ergänzung der späteren 107  Bonilla,

Odious Debt, S. 140.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen249

Qualifikation eines Vertrages als Odious Debt und stellen dabei auf die jeweilige Transaktion ab. 1. Partial-Liability Framework nach Ben-Shahar und Gulati Ausgehend davon, dass weder der Gläubiger noch die Bevölkerung des Schuldnerstaates für die Kreditverwendung alleine verantwortlich ist, schlagen Ben-Shahar und Gulati ein an die gemeinsame Verantwortlichkeit anknüpfendes Modell vor („Partial-Liability Framework“), das im Wesent­ lichen auf Prinzipien verantwortlicher Kreditvergabe beruht.108 Verstößt der Gläubiger gegen diese, so soll der Schuldnerstaat diese Pflichtverletzung der Zahlungsklage als Einrede entgegenhalten können.109 Grundsätzlich soll den Gläubiger die Verantwortlichkeit dann treffen, wenn er besser als die Bevölkerung des Schuldnerstaates und in zumutbarer Weise den Missbrauch der Mittel ausschließen kann,110 während ein verbleibender Nutzen die Haftung der Bevölkerung rechtfertigt.111 Eindeutig zum Nutzen des Despoten oder für Bestechung verwendete Gelder sollen daher von der Rückzahlungspflicht befreit werden;112 in weniger klaren Fällen soll sich der Grad des Verschuldens des Gläubigers unter Berücksichtigung folgender Aspekte bemessen. Zu beachten sind zunächst die Begleitumstände der jeweiligen Kreditvergabe, sofern diese Schlüsse auf den Missbrauch der Gelder zulassen. Wenn etwa der Kreditnehmer Geheimhaltung und Überweisung auf ausländische Konten verlangt, könnte der Kreditgeber die Auszahlung ablehnen.113 Ebenso könnten die Gläubiger die Kreditvergabe und den Finanzierungszweck öffentlich bekanntmachen und damit zu einer verstärkten Rechenschaftspflicht des Schuldners beitragen.114 Bedenken begegnet dies allerdings bei stark repressiven Regimen, da hier eine öffentliche Kontrolle kaum stattfindet. Weiterhin könnte sich der Gläubiger selbst Kontrollrechte einräumen lassen, um die tatsächliche Verwendung der Mittel zu überprüfen, und angemessene Sicherheiten verlangen.115 Das Abstellen auf verantwortliche Kreditvergabe führt idealerweise dazu, dass nur noch Kredite zu legitimen Zwecken vergeben werden und deren 108  Ben-Shahar / Gulati,

LCP 2007(70), 47, 57 ff. LCP 2007(70), 47, 61. 110  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 57; s. zur ökonomischen Haftungstheorie auch oben, Kapitel 1 C.III. 111  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 62 f. 112  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 64. 113  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 58. 114  Ebd. 115  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 59 f. 109  Ben-Shahar / Gulati,

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

tatsächliche nützliche Verwendung sichergestellt wird. Dabei kann eine ausgewogene Haftungsverteilung zwischen Bevölkerung und Gläubiger gefunden werden, die weder eine automatische Haftung des Gläubigers noch der Bevölkerung voraussetzt, sondern an die dem Gläubiger möglichen Vorsichtsmaßnahmen anknüpft. Kritikwürdig ist allerdings, dass das Modell nur auf Kredite abstellt, da auch andere Verträge mit negativen Folgen für die Bevölkerung denkbar sind, die sich als odiös bezeichnen ließen (vgl. bereits oben, Kapitel 1 A.II.1.). Hier ließe sich eine Erweiterung auf alle Vertragstypen erwägen. Das Hauptproblem besteht jedoch darin, dass sich dem Vorschlag Ben-Shahars und Gulatis keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die bei der Kreditvergabe zu beachtenden Standards entnehmen lassen, woraus bei der Kreditvergabe ein Mangel an Rechtssicherheit in Bezug auf die Wirksamkeit der Schuld116 und potentiell höhere Zinsen auch bei legitimer Kreditvergabe117 folgen. Die im Modell genannten Aspekte bedürfen noch weitgehender Konkretisierung, um Gläubigern praktikable Leitlinien bei der Kreditvergabe vorzugeben. Auch bleibt die Frage zu lösen, welche Investitionen einen verbleibenden Nutzen für die Bevölkerung darstellen. Die Autoren merken zugunsten der Gläubiger an, dass sich in Frage kommende Staaten sogar in evidenten Fällen nur äußerst selten auf die Unwirksamkeit odiöser Schulden berufen würden,118 was die mangelnde Rechtsicherheit in vielen Fällen gleichsam kompensieren würde, und verweisen auf Staaten wie Südafrika und den Irak. Allerdings ist die Bedienung odiöser Schulden dem mangels einer klaren Anerkennung drohenden Reputationsverlust geschuldet; Ziel einer Regelung muss hingegen sein, gerade im Fall evident odiöser Schulden eine Verweigerung zu ermöglichen, anstatt drohende Reputationsverluste zu perpetuieren. 2. Publish what you lend und Anti-Korruptionsmaßnahmen Ramasastry schlägt den Einsatz von Anti-Korruptionsmaßnahmen als Lösung für das Problem odiöser Zahlungen vor.119 Ansatzpunkt dafür ist die von zivilgesellschaftlichen Organisationen konzipierte Kampagne „publish what you pay“ (PWYP), demnach Regierungen und ihre Geschäftspartner 116  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 70, führen selbst aus: „In the end, creditors may face some significant uncertainty regarding the odiousness of the debt they are accepting“, halten das aber für hinnehmbar. 117  Auch dieses Problem erkennen Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 76 („If credit becomes unaffordable to some dictators, let it be so“), ohne aber auf steigende Kosten beispielsweise für postdiktatorische Entwicklungsländer einzugehen. 118  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 74 f. 119  Ramasastry, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 819 ff.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen251

Geschäftsvolumen und Kaufpreise von natürlichen Ressourcen publizieren müssen, was zu Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber der Bevölkerung führen soll.120 Die Kampagne wurde von den G8-Staaten in Form der Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) übernommen.121 Darauf aufbauend schlägt Ramasastry ein „publish what you lend“-System vor, in welchem beteiligte Investoren zur Offenlegung aller Formen von Ansprüchen gegenüber Staaten verpflichtet werden.122 Das System soll durch Anti-Geldwäsche-Maßnahmen wie z. B. besondere Vorsicht bei der Führung von Konten politisch exponierter Personen (sog. PEPs) komplettiert werden, die verhindern sollen, dass Kleptokraten einmal erhaltenes Geld auf ausländische Bankkonten oder in andere nicht nachvollziehbare Kanäle abführen.123 Während sich die Vorschläge einer wichtigen Problematik annehmen, ist für die vorliegende Untersuchung festzustellen, dass der Ansatz Ramasastrys zu eng gewählt ist, da er nur den Abfluss von Geldern zum persönlichen Nutzen von Amtsträgern erfasst. Der Missbrauch von Geldern zu vorgeblich öffentlichen Zwecken entgegen den Bevölkerungsinteressen ist davon jedoch nicht betroffen. 3. Die New Approach Odious Debts Doctrine nach Wong Ähnlich wie bei Ramasastry ist auch für Wong die mangelnde Transparenz öffentlicher Vertragsschlüsse Ansatzpunkt für das Lösungsmodell.124 Aus diesem Grund sieht Wongs New Approach Odious Debts Doctrine (NAODD) vor, dass die Wirksamkeit eines Vertrages mit einem Staat von der Registrierung des Vertrages auf einem zu diesem Zwecke einzurichtenden Internetportal abhängen soll.125 Über die Registrierung von Inhalt und Zweck des Vertrages hinaus soll den jeweiligen Vertragspartner eine Sorgfaltspflicht zur Feststellung der beabsichtigten Verwendung des Vertragsinhalts treffen, welche er erfüllen soll, indem er vom Schuldnerstaat den Nachweis entsprechender Projektpläne, Budgets oder Umweltverträglichkeitsstudien fordert.126 Zudem hat der Vertragspartner die Einhaltung des Vertrags kontinuierlich zu überwachen und im Fall der Vertragsverletzung 120  Ramasastry, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 819, 826 ff.; inwieweit diese Effekte in despotisch geführten Staaten eintreten, ist allerdings fraglich. 121  Ramasastry, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 819, 828 f. 122  Ramasastry, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 819, 829. 123  Ramasastry, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 819, 830 ff. 124  Zum Lösungsmodell Wong, Sovereign Finance, S. 134 ff., zur Bedeutung von Transparenz ebd., S. 141 ff. 125  Zur Umsetzung der NAODD durch die Verknüpfung mit der Mitgliedschaft in bestimmten internationalen Organisationen s. Wong, Sovereign Finance, S. 162 ff. 126  Wong, Sovereign Finance, S. 149 f.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

dessen Einhaltung einzufordern oder weitere Leistungen einzustellen.127 Streitigkeiten über die Wirksamkeit von Verträgen soll ein unabhängiges Gericht im Nachhinein entscheiden. Das Gericht hat dabei ausschließlich darüber zu befinden, ob neben der Registrierung des Vertrages die genannten Sorgfaltspflichten eingehalten wurden, was die Handhabbarkeit der NAODD erleichtern soll.128 Die schwierige Frage, wann ein Vertrag als nicht im Sinne der Bevölkerung und damit odiös zu betrachten ist, lässt Wong damit ausdrücklich offen.129 Vielmehr führt die Einhaltung der Sorgfaltspflichten automatisch zur Wirksamkeit, deren Verletzung zur Unwirksamkeit des Vertrages. Dass legitime Verträge mit fragwürdigen Staaten voraussetzen, dass die Mittelverwendung festgelegt und überprüft wird, ist ein überzeugender Ansatz für die Verhinderung odiöser Schulden. Ebenso ist es einleuchtend, alle Arten von Verträgen und nicht nur finanzielle Schulden in das Lösungsmodell einzubeziehen. Allerdings ist fraglich, ob entsprechende Sorgfaltspflichten unterschiedslos für alle Vertragsschlüsse mit allen Staaten gelten sollen. Denn in vielen Staaten insbesondere demokratischer Regierungsform bestehen bereits Mechanismen öffentlicher Kontrolle, die die Mittelverwendung nachvollziehbar machen; eine unter Umständen teure Überprüfungspraxis erscheint hier entbehrlich. Besonders problematisch am Modell Wongs ist aber, dass es auf inhaltliche Kriterien hinsichtlich odiöser Verträge ausdrücklich verzichtet. Damit wären auch Verträge über die Lieferung von Waffen oder Chemikalien an repressive Staaten und sogar solche Verträge, die ausdrücklich rechtswidrige Praktiken finanzieren sollen, als wirksam zu behandeln, wenn der jeweilige Vertrag nur registriert wurde und sichergestellt wird, dass die Mittel auch tatsächlich dem fragwürdigen Zweck zugeführt wurden. Wong geht davon aus, dass Transparenz dazu führt, dass Verträge aufgrund öffentlicher Nachvollziehbarkeit und verbesserter öffentlicher Kontrolle nur noch zu legitimen Zwecken abgeschlossen werden.130 Beides ist jedoch zweifelhaft, wenn Vertragspartner etwa ein despotischer Staat und ein moralisch indifferenter Produzent von militärischen Utensilien sind. Wong führt zwar aus: „The investor has signaled non-odious behavior through compliance with the NAODD, and absent extraordinary evidence to the contrary, the finding is for the investor“.131 Wann eine solche „extraordinary evidence“ vorliegen soll, bleibt aber offen 127  Wong, 128  Wong, 129  Ebd.

Sovereign Finance, S. 150 f. Sovereign Finance, S. 154.

130  Ausdrücklich Wong, Sovereign Finance, S. 160 („The desirable result of this liability regime is transparency, accountability, and empowerment of the people“). 131  Wong, Sovereign Finance, S. 154 (Hervorhebungen durch den Zitierenden).



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen253

– hier ist absehbar, dass sich die bisher aufgezeigten Definitionsprobleme der Odious-Debts-Doktrin im gerichtlichen Verfahren stellen und die Rechtssicherheit bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses reduzieren werden. Eine Lösung der Problematik scheint daher kaum erfolgversprechend, wenn nicht gleichzeitig Kriterien für die Legitimität von Vertragsschlüssen gefunden werden. Dies setzt wiederum voraus, dass handhabbare inhaltliche Kriterien für die Definition odiöser Verträge bestehen. 4. Zwischenergebnis Dass es den Richtlinien zur verantwortungsvollen Kreditvergabe bisher an Präzision fehlt, spricht nicht gegen eine (Weiter-)Entwicklung solcher Standards, die das Potential einer umfassenden Verbesserung der Kreditpraxis bergen. In der Tat ist in den letzten Jahren eine verstärkte Diskussion der Problematik in verschiedenen internationalen Foren zu beobachten (vgl. die Nachweise oben, Kapitel 1 B.IV.). Problematisch ist allerdings, wie die Richtlinien zur verantwortlichen Kreditvergabe implementiert werden sollen. Denn ohne eine allgemeinverbindliche Umsetzung bestünde die Gefahr, dass die Geltung der Richtlinien im Kreditvertrag ausgeschlossen oder eine andere Rechtsordnung gewählt würde. Während die Konzentration auf Kredite für die Problematik der odiösen Schulden nicht ausreichend erscheint, geht die Zielsetzung des Responsible Lending and Borrowing im Übrigen über die Thematik der Odious Debts hinaus.132 So soll nicht nur das Entstehen von odiösen Schulden geregelt werden, sondern beispielsweise auch die Nachhaltigkeit der Schuldaufnahme als Kriterium in die Richtlinien aufgenommen werden.133 Regeln zur verantwortlichen Kreditvergabe würden zudem potentiell auf alle Kreditverträge Anwendung finden und müssten daher entsprechend umfassend sein, was neben der notwendigen Allgemeinverbindlichkeit eine schnelle Umsetzung unwahrscheinlich erscheinen lässt. Umgekehrt erscheint es nicht überzeugend, die Problematik auf die Transparenz der Vertragsschlüsse zu reduzieren, da die Veröffentlichung der Verträge alleine kaum das Entstehen odiöser Schulden verhindern wird. Im Unterschied zur verantwortlichen Kreditvergabe zielen bestimmte Lösungsmodelle auf eine Odious-Debts-Doktrin ab, die nur evidente Anwendungsfälle erfasst und daher zwar nicht alle denkbaren odiösen Schulden regelt, aber aufgrund ihres engeren Anwendungsbereiches zumindest in der Lage ist, besonders naheliegende Fälle mit einem hohen Maß an Rechts132  Vgl. 133  Vgl.

oben, Kapitel 1 B.IV. Paulus, Responsible Bilateral Lending and Borrowing, S. 1.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

sicherheit als Odious Debts zu klassifizieren. Diese regime-basierten Lösungsmodelle sollen im Folgenden diskutiert werden.

III. Modelle, die im Schwerpunkt auf das Schuldnerregime abstellen Gegenüber den bisher diskutierten Ansätzen, die maßgeblich auf die Klassifizierung des jeweiligen Kredits im Einzelfall abstellen, lässt sich in der jüngeren Literatur eine Verschiebung des Blickpunkts auf die Regierung des Schuldnerstaates beobachten, wobei eine bestimmte Qualifikation des Regimes zu einer Klassifizierung der durch dieses eingegangen Schulden als odiös führen soll. Allerdings soll in einigen dieser Modelle eine verantwortliche Kreditvergabe dennoch möglich sein. Ausgangspunkt bildet das von Jayachandran, Kremer und Shafter entwickelte Kreditsanktionsmodell (1.), dass in der Folge Abwandlungen und Ergänzungen erfahren hat (2., 3.). Ein ähnliches Ziel verfolgt der von Lewis vorgeschlagenen Ansatz der Odious Expenditures (4.). 1. Das Kreditsanktionsmodell nach Jayachandran, Kremer und Shafter a) Das Modell Das von den Ökonomen Jayachandran, Kremer und Shafter134 entwickelte Modell der Kreditsanktionen (loan sanctions; auch als due-diligence-Modell bezeichnet) sieht vor, dass eine Institution bestimmte Staaten als OdiousDebts-verdächtig (odious debt prone) klassifiziert. An ein solches Regime vergebene Kredite sollen nur dann als wirksam angesehen werden, wenn der Gläubiger eine legitime Zwecksetzung des Kredites vorweisen kann und sich nach Treu und Glauben um die Einhaltung eines due-diligence-monitoring-Planes bemüht hat.135 Kredite, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sollen unwirksam sein. Bei dem Vorschlag handelt es sich folglich um ein für zukünftige Kredite geltendes136 ex-ante-Modell, das im Wesentlichen zu einer Beweislastumkehr führt. Im Unterschied zu Handelssanktionen, die maßgeblich auch die Bevölkerung des betroffenen Staates treffen, sollen 134  Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82  ff.; Jayachandran  u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper; Shafter, Ethics & International Affairs 2007(21), 49 ff.; Shafter, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 669 ff. 135  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 4. 136  So ausdrücklich Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82, 83.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen255

sich Kreditsanktionen langfristig positiv auf die Wohlfahrt auswirken, was Jayachandran und Kremer mit Hilfe eines ökonomischen Modells belegen.137 Maßgeblich für die Beurteilung des Regelungsmodells sind die Kriterien, nach denen ein Regime als Odious-Debts-verdächtig eingestuft werden soll; auch die Frage der institutionellen Ausgestaltung hängt eng damit zusammen. Das Kriterium zur Klassifizierung von Staaten soll die Zustimmung der Bevölkerung zur Regierung sein („popular consent to the regime’s governance“); eine Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig soll dementsprechend dann vorzunehmen sein, wenn es dem Kreditnehmerregime an öffentlicher Zustimmung fehlt und Kredite für nicht-öffentliche Zwecke verwendet werden.138 An anderer Stelle wird eine entsprechende Einstufung davon abhängig gemacht, dass die Regierung entweder nicht willens oder nicht in der Lage ist, für ein vernünftiges Mindestmaß an öffentlicher Zustimmung zu sorgen („the targeted government is either unwilling or unable to provide for a reasonable modicum of public consent to its policies“);139 Shafter ergänzt dies um die Voraussetzung, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine für die Volkswirtschaft wesentliche Menge an Krediten für illegitime Zwecke verwendet wird, eine inakzeptable Schwelle überschreitet („the likelihood that levels of sovereign borrowing material to the nation’s economy will be used for illegitimate purposes crosses an unacceptable threshold“).140 Davon ausgehend wird vorgeschlagen, den Zugang zu Krediten davon abhängig zu machen, dass ein bestimmter Mindest­ anteil der Haushaltsmittel zu legitimen Zwecken verwendet wird.141 Was die institutionelle Ausgestaltung des Modells angeht, führen die Autoren zunächst aus, dass aufgrund der im Wesentlichen politischen Natur der Entscheidung gerichtliche Foren ungeeignet seien.142 In einem separaten Artikel schlägt Shafter daher vor, die Entscheidung einer Abteilung der 137  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S.  4 ff. und Jayachandran / Kremer, Am.Econ.Rev. 2006(96), 82; kritisch mit einem Gegenmodell Choi / Posner, LCP 2007(70), 33  ff.; aufgrund wirtschaftlicher Er­ wägungen im Ergebnis für eine moderat ausgestaltete Odious-Debts-Doktrin auch ­Janus, R.Dev.Ec. 2012(16), 305; vgl. zu den ökonomischen Modellen genauer oben, Kapitel 1 C.I.3. 138  Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 4 und 15. 139  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 19. 140  Shafter, Ethics & International Affairs 2007(21), 49, 59. 141  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 21, Fn. 28; Shafter, Ethics & International Affairs 2007(21), 49, 62. 142  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 3; ausführlich zu diesem Argument Shafter, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 669, 671 ff.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

US-Exekutive zu überlassen, die beim Außen- oder Finanzministerium angesiedelt sein soll. Diese sei „[u]nfettered by the need to place each policy decision in the context of general, universal standards … Moreover, with its global reach, the executive is uniquely competent to understand the local context of foreign political institutions“.143 Jedoch erkennt auch er die Vorteile einer multilateralen Regelung an; dementsprechend schlagen die Autoren zunächst eine internationale Organisation vor, die ihre Entscheidungen über diplomatische Beauftragte der Mitgliedstaaten trifft.144 Als bereits bestehende Institution wird der UN-Sicherheitsrat diskutiert, der zwar aufgrund seiner Zusammensetzung eher ungeeignet, angesichts von Präzedenzfällen wie Südafrika aber nicht gänzlich auszuschließen sei.145 Schließlich wird ein koordiniertes Vorgehen der G7-Staaten146 oder der Mitgliedstaaten der OECD vorgeschlagen, weil diese aufgrund ihres gemeinsamen Weltbildes am ehesten handlungsfähig seien, zugleich aber die aufgrund des politischen Wertungsspielraumes bestehende Gefahr der strategischen Anwendung des Modelles durch unterschiedliche Interessen eingeschränkt werde.147 Die Entscheidungsfindung soll über eine Form von qualifizierter Mehrheit erfolgen.148 Um zu vermeiden, dass Staaten die Klassifizierung bestimmter Staaten verhindern, weil sie an diesen als Gläubiger ein starkes Interesse haben, wird zudem eine Offenlegungspflicht für den öffentlichen Kreditverkehr der teilnehmenden Staaten und dort ansässiger Banken vorgeschlagen.149 Wurde ein Staat nach dem beschriebenen Verfahren als Odious-Debtsverdächtig klassifiziert, soll die Kreditvergabe dennoch möglich sein. Voraussetzung hierfür ist, dass der Kreditgeber der Institution einen due-diligence-Plan vorlegt, dieser Plan genehmigt wird, und er in der Folge angemessene bewährte Praktiken von gebotener Sorgfalt („reasonable best 143  Shafter,

N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 669, 691. Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper,

144  Jayachandran u.  a.,

S. 19.

145  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S.  22 f. 146  Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA. In Shafter, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 669, 694 schlägt Shafter die um Russland erweiterten G8-Staaten vor, was der Wirksamkeit des Modells allerdings wenig zuträglich sein dürfte. 147  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 23. 148  Jayachandran / Kremer, in: Jochnick / Preston, Sovereign Debt at the Crossroads, S. 220 schlagen Einstimmigkeit oder Zwei-Drittel-Mehrheit vor, um eine ungerechtfertigte Bewertung politischer Gegner zu vermeiden. 149  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 21.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen257

practices of due diligence“) einhält, um sicherzustellen, dass die Mittel für legitime Zwecke verwendet werden.150 Best Practices umfassen dabei eine anhaltende Überprüfung der Verwendung des Kredites etwa mithilfe sich im Laufe der Zeit entwickelnde Auditing-Techniken; eingeschränkt wird diese Pflicht aber durch das Merkmal der Angemessenheit („reasonableness“), bei welchem im Einzelfall Faktoren Berücksichtigung finden sollen wie die Compliancekosten im Verhältnis zum öffentlichen Zweck, der Grad der Korruption im Kreditnehmerland sowie die Zwecke, die der Kreditnehmer bei Missbrauch des Geldes verfolgen kann (z. B. Kauf von Waffen zum Führen eines Angriffskrieges).151 Umgesetzt werden soll dies durch die Einbeziehung von zertifizierten Prüfern, Treuhandkonten oder ausländischen Zweckgesellschaften („offshore special purpose vehicles“).152 b) Bewertung des Modells Die Attraktivität des Kreditsanktionsmodells rührt daher, dass es auf eine ex-ante-Entscheidung mit höchster Rechtssicherheit abzielt, wodurch gleichzeitig der Kreditverkehr mit anderen Staaten geschützt wird.153 Zum Zeitpunkt der Kreditvergabe ist der Kreditgeber in der Lage, anhand klarer Kriterien (nämlich dem Vorliegen oder Fehlen der Klassifizierung eines Staates als Odious-Debts-verdächtig) vorherzusehen, ob sein Kredit potentiell eine odiöse Schuld darstellen kann. Damit ist zugleich das Problem der Gläubigerkenntnis gelöst: Während bei der klassischen Odious-DebtsDoktrin unklar ist, wann auf Gläubigerseite von Kenntnis oder Kennenmüssen der odiösen Verwendung ausgegangen werden kann, ist vorliegend die Klassifizierung des Regimes als Odious-Debts-verdächtig der für jeden Gläubiger erkennbare Ansatzpunkt. Nicht unumstritten ist dabei, dass sich die Unwirksamkeit der Schuld nicht mehr nach dem einzelnen Kredit, sondern nach dem handelnden Regime richtet.154 Dies wird aber durch die Möglichkeit eingeschränkt, Kredite zu legitimen Zwecken zu vergeben, sodass es sich im Ergebnis um eine Kombination von Regime- und Kreditbetrachtung handelt. Für ein Anknüpfen an das jeweilige Regime spricht zudem, dass auch von Krediten ohne odiöse Zweckbestimmung zu erwar150  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S.  19 ff. 151  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 20. 152  Shafter, Ethics & International Affairs 2007(21), 49, 61. 153  Für die Anwendung von Shavells ex-ante / ex-post-Analyse s. Bonilla, Odious Debt, S.  94 ff. 154  Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1222 ff.; s. zu der Problematik noch unten, Kapitel 3 B.II.2.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

ten ist, dass sie den Praktiken des Regimes zugutekommen und dass die Verwendung der Mittel im Einzelfall schwer nachvollziehbar ist. Gleichzeitig ist es im Interesse der Bevölkerung sinnvoll, dass mit einem despotischen Regime wirksame Verträge zu legitimen Zwecken geschlossen werden können.155 Schließlich kann das Modell auch dann Wirkung entfalten, wenn sich nur ein Teil der Staatenwelt für dessen Geltung ausspricht,156 und kann einen Anreiz für Staaten schaffen, Gelder im Interesse der Bevölkerung zu verwenden, um einer Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig zu entgehen.157 Als Schwachpunkt des Modells wird angesehen, dass durch die Anknüpfung an die Reputation alle Arten von Krediten – also sowohl von Privaten mit Gewinnorientierung als auch von Staaten aus strategischen Gründen zur Verfügung gestellte – gleich behandelt werden, eine Differenzierung nach den Gläubigerinteressen also fehlt.158 Dass das Modell eine gewinnorientierte Kreditvergabe an bestimmte Staaten weniger attraktiv macht, führt nicht dazu, dass diese Staaten von odiösen Krediten völlig abgeschnitten werden. Wie oben (Kapitel 1 C.I.4.) dargestellt, wird ein konsistentes Odious-DebtsModell allerdings auch bei Fortbestehen strategischer Kreditvergabe zu positiven Ergebnisse führen, sodass die Anknüpfung an die Reputation nicht grundsätzlich gegen das Modell spricht. Auch der Einwand, das Modell könnte dazu führen, dass despotische Staaten durch interessierte Gläubiger gestützt werden, spricht nicht gegen das Modell (s. genauer oben, Kapitel 1 C.I.5.). Während grundsätzliche Aspekte des Modells mithin zu befürworten sind, bestehen hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung starke Bedenken. Besonders kritikwürdig ist, dass der Kern des Modells, nämlich die Frage, nach welchen Merkmalen ein Regime als verdächtig eingestuft werden soll, nur unzureichend ausgearbeitet ist. Der pauschale Verweis auf die Zustimmung der Bevölkerung, die zumindest in einem vernünftigen Mindestmaß („reas­ onable modicum“) gewahrt werden soll, ist derart unbestimmt, dass einer willkürlichen oder interessengesteuerten Anwendung Tür und Tor geöffnet werden.159 Dies wird durch die institutionelle Ausgestaltung noch 155  Vgl. genauer Kapitel 1 C.I.4. und Kapitel 1 C.III.1. Für eine Milderung des Modells durch die Möglichkeit von Kreditvergabe zu legitimen Zwecken spricht sich auch Feibelman aus, der das Modell ansonsten für zu eingriffsintensiv erachtet, vgl. Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 766 f. 156  Dazu genauer oben, Kapitel 1 C.I.4. 157  Bonilla, Odious Debt, S. 99. 158  Gelpern, LCP 2007(70), 81, 88; dieses Defizit erkennt auch Shafter, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 669, 696. 159  In diese Richtung auch Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 56.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen259

verstärkt,160 in deren Extrem eine US-amerikanische Behörde eine durch universelle Standards unbeeinträchtigte Entscheidung fällen soll. Die übrigen institutionellen Vorschläge sind zwar moderater, jedoch ist auch hier völlig unklar, welche sachlichen Kriterien die beteiligten Staaten für die Bewertung zugrunde legen sollen. Dies folgt daraus, dass es sich nach Ansicht der Autoren um eine im Wesentlichen politische Entscheidung handelt und ist daher im Grundsatz auch so gewollt. Allerdings ergibt sich die Notwendigkeit einer politischen Entscheidung gerade daraus, dass das Kriterium der Zustimmung durch die Bevölkerung alleine für eine rechtliche Handhabung wenig geeignet ist;161 ob sich für die Entscheidung nicht eine bessere, anhand objektiver Kriterien nachprüfbare Grundlage finden lässt, bedarf daher einer gründlichen Überprüfung162 (s. ausführlich unten, Kapitel 4). Fraglich ist schließlich, ob es sinnvoll ist, die klassifizierende Institution auch mit der Überprüfung der legitimen Kreditvergabe zu betrauen. Denn bei der Entscheidung, ob es sich um ein odiöses Regime handelt, sind ganz andere Kompetenzen maßgeblich als bei der Beurteilung eines due-diligence-Planes. Zudem ist die Schaffung einer neuen Institution umso wahrscheinlicher, desto begrenzter deren Aufgaben sind, weil damit geringere Kosten einhergehen.163 Auch auf die wesentliche Frage, wann ein Kredit legitime Zwecke verfolgt, gehen die Autoren nicht ein. Ohne deren Klärung ist weder die weitere Kreditvergabe an ein klassifiziertes Regime noch die Klassifizierung aufgrund des Anteils der zu legitimen Zwecken verwendeten Mittel am Gesamtbudget möglich. Zudem besteht die Gefahr, dass ein Regime zur Umgehung der Klassifizierung den Mindestbetrag zu legitimen Zwecken verwendet, im Übrigen aber zum persönlichen Nutzen handelt. Dies kann zwar kurzfristig zu einer Verbesserung für die Bevölkerung führen, weil nun immerhin dieser Mindestbetrag zu deren Nutzen verwendet wird. Man stelle sich jedoch ein Regime vor, das aufgrund des massiven Ausbaus von Schulen und Straßen die Möglichkeit behält, am internationalen Kreditverkehr teilzunehmen. Nun werden Kredite in großer Höhe aufgenommen, von welchem ein repressiver Machtapparat und Waffen zur Führung eines Eroberungskrieges finanziert werden. Dass es sich bei diesen Krediten nicht um odiöse Schulden handeln soll, ist zu bezweifeln. Schließlich steht die 160  Kritisch gegenüber der Besetzung mit Diplomaten auch Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 325. 161  Vgl. zum Kriterium der Zustimmung noch genauer unten, Kapitel 3 B.II.1. 162  Schon Sack betonte die Objektivität der Entscheidung, indem er auf die Meinung von Repräsentanten der Völkergemeinschaft abstellt („… odieuses … à l’avis des représentants compétents et impartiaux de la famille des nations“), Sack, Dettes Publiques, S. 162. 163  In diese Richtung auch Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 981.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Bevölkerung auch nach einem Regimewechsel schlechter da, weil die Kehrseite der (relativ geringen) Investitionen in die Infrastruktur nun die Wirksamkeit der (relativ hohen) Kredite ist.164 Daraus ergibt sich, dass weniger an den Prozentsatz der legitim verwendeten Gelder, sondern eher an das Verhalten des Regimes angeknüpft werden sollte.165 Unklar ist zudem, was bei einer Verbesserung der Situation im als Odious-Debts-verdächtig deklarierten Staat geschieht; hier sollte ein Mechanismus zur regelmäßigen Überprüfung der Klassifizierung bestehen. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass das Kreditsanktionsmodell ausschließlich Kredite betrifft. Wie oben (Kapitel 1 A.II.) ausgeführt, sollte der Begriff der Schulden aber weit gefasst sein, um alle potentiell odiösen Verpflichtungen zu erfassen. Denn es besteht kein Grund, den Kredit zum Kauf repressiv verwendeter Waffen als unwirksam, die entsprechende Zahlungsverpflichtung selbst aber als wirksam zu betrachten. Schließlich sind auch odiöse Schulden denkbar, die keine Zahlungsverpflichtung darstellen, z.  B. die Pflicht zur exzessiven Bereitstellung natürlicher Ressourcen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Kreditsanktionsmodell sehr gute Ansätze beinhaltet, in seiner konkreten Ausgestaltung aber nur unzureichend konkretisiert wurde.166 Die Autoren gestehen selbst ein, dass noch eine Vielzahl von Fragen zu beantworten bleibt, wie etwa die konkrete Ausgestaltung der Vergabe legitimer Kredite.167 Insbesondere die möglichen Kriterien zur Klassifizierung von Staaten sowie die institutionelle Umsetzung bedürfen einer tiefergehenden Analyse, um der Gefahr einer machtund wirtschaftsinteressengesteuerten Anwendung zu begegnen. 2. Alternativvorschlag von King Gegen die Notwendigkeit eines ex-ante-Modells wendet King ein, dessen Vertreter würden die Gefahr überbewerten, die aus der mangelnden Vorhersehbarkeit resultiert, wann Schulden als Odious Debts zu klassifizieren sind.168 Dies beruhe auf der Verwechslung zwischen der (geringen) Gewissheit, mit der eine odiöse Schuld identifiziert werden und der (ho164  Da durch die hohen Kredite der Anteil der legitim verwendeten Mittel relativ sinkt, wäre es möglich, das Regime nun als Odious-Debts-anfällig zu deklarieren; allerdings würde dies nur für die Zukunft gelten, sodass das Problem bestehen bleibt. 165  s. daher Kapitel 4 zur Anknüpfung an menschenrechtswidrige Praktiken des Regimes. 166  Kritisch auch Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 16. 167  Jayachandran u.  a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S.  24 f. 168  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 660 ff.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen261

hen) Sicherheit, mit der eine solche vermieden werden könne.169 Während die Gewissheit, ob Schulden später als nichtig klassifiziert werden, gering sei, könne der nach Treu und Glauben handelnde Kreditgeber eine derartige Klassifikation nämlich in folgenden „drei einfachen Schritten“170 ausschließen. Zunächst müsse er sicherstellen, dass die Zustimmung (wohl: der Bevölkerung) des Schuldnerstaates gegeben ist, was angesichts einer Vielzahl von Berichten internationaler Wahlbeobachter nicht sehr schwierig festzustellen sei.171 Kredite, die von einer demokratisch legitimierten Regierung aufgenommen werden, sind damit – mit Ausnahme von Korrup­ tionsfällen172 – grundsätzlich ungefährdet. Sollte das „Risiko eines Zwei­ fels“173 an der demokratischen Legitimierung bestehen, müsse der Kreditgeber auf zweiter Stufe sicherstellen, dass das Darlehen zum Nutzen des Staates gewährt wird. Daher seien bestimmte Darlehen ausgeschlossen, nämlich solche für generelle, unspezifische Zwecke, Darlehen für militärisches Gerät, Kredite zur Unterstützung eklatanter Völkerrechtsverstöße und Darlehen für Zwecke, die unter Umständen in einem Zusammenhang mit Unterwerfung stehen könnten (subjugation debts).174 Die sicherste Methode, solche Kredite auszuschließen, sei die Verwendung eines integrierten Entwicklungsplans, welcher dann auch im Rahmen eines Rechenschaftsmechanismus zu überprüfen sei.175 Schließlich müsste in einer dritten Stufe der Kreditgeber Sorge tragen, das Vorliegen illegitimer Absichten auszuschließen, etwa indem er ein Treffen mit dem Kreditnehmer abhalte und dort die Benutzung der Gelder diskutiere, was zudem schriftlich fixiert werden könnte; außerdem sollte der Kreditgeber vorher Berichte interna­ tionaler Organisationen, etwa zur Menschenrechtslage im Empfängerland, untersucht haben.176 In erster Linie ist festzustellen, dass sich das Modell doch komplexer gestaltet und somit mehr mit den vorgeschlagenen ex-ante-Modellen gemeinsam hat, als King eingesteht. So dürfte die tatsächliche Verwendung der Gelder in einem diktatorischen Regime nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen sein, zumal dies mit empfindlichen Fragen an einen souveränen Staat verbunden ist. Letzteres Problem sieht auch King, hält aber entgegen, dass ein „höflicher Meinungsaustausch“ keinesfalls als eine große Verletzung der 169  King,

N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 660 f. N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 661: „three easy steps“. 171  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 661. 172  Ebd. 173  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 661: „If there is a risk of doubt“. 174  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 662. 175  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 662 f. 176  King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 663. 170  King,

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Würde des Staates gesehen werden kann.177 Freilich stellt sich dann die Frage, wie ernsthaft der Dialog sein muss, um subjektive Kenntnis vom Missbrauch der Gelder auszuschließen; Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von der tatsächlichen Verwendung der Gelder kann kaum mit einem pro-forma Gespräch abgetan werden, sei dieses auch im Rahmen eines „due diligence record“ dokumentiert. Noch größeren Bedenken begegnet die Forderung, dass an einen nicht-demokratischen Staat keine Kredite gewährt werden sollen, deren Verwendung zur Unterwerfung nicht ausgeschlossen werden kann. Denn wenn ex ante unklar ist, was unter „subjugation“ zu verstehen ist, ist es auch nicht möglich, solch eine Verwendung ohne Weiteres auszuschließen. Die Sicherheit, mit welcher sich sagen lässt, ob eine Schuld nichtig ist, und die Sicherheit, mit der sich diese Folge vermeiden lässt, sind zwei Seiten einer Medaille, denn nur wenn im Voraus definiert ist, wann Schulden nichtig sein können, lassen sich Kredite zu illegitimen Zwecken vermeiden, es sei denn, man wollte jegliche Kredite an undemokratische Staaten ausschließen. Und in der Tat behandelt Kings Modell kategorisch alle nicht zweckgebundenen Kredite an undemokratische Staaten als unwirksam. Ob ein genereller Ausschluss solcher oder gar aller Kredite unter bestimmten Umständen gerechtfertigt werden kann, wird noch genauer zu diskutieren sein (s. u. B.III.). Jedenfalls ist es fragwürdig, ob mangelnde demokratische Legitimation alleine diese Folge rechtfertigt, wenn sich der Staat ansonsten menschenrechtskonform verhält, zumal nicht einmal klar ist, welche Art von Unregelmäßigkeiten für das Vorliegen eines undemokratischen Regimes Voraussetzung sein sollen. Die Aussage, dass eine Regierung, die nicht aus demokratischen Wahlen nach westlichem Vorbild hervorgegangen ist, in der Regel Kredite entgegen dem Interesse der Bevölkerung einsetzt, ist umso fragwürdiger, desto höher die Anforderungen an die demokratische Legitimierung gestellt werden. King’s Formulierung des „Risikos eines Zweifels“ begegnet hier starken Vorbehalten. Eine Kreditsperre mag bei einem menschenverachtenden Despoten nachvollziehbar sein; bei Staaten, die sich im postdiktatorischen Umbruch befinden, ist dies weniger zwingend. Insgesamt trägt der Vorschlag Kings daher nicht zu einer gesteigerten Rechtssicherheit bei. 3. Auf dem Kreditsanktionsmodell aufbauende Lösungsvorschläge Aufgrund seiner attraktiven Ansatzpunkte hat das Kreditsanktionsmodell in der akademischen und politischen Debatte eine hohe Aufmerksamkeit erlangt, ohne jedoch eine konkrete Umsetzung erfahren zu haben.178 Im 177  King,

N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 663 f. („polite exchange“). LCP 2007(70), 193, 219 f.

178  Feinerman,



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen263

Folgenden sollen daher die auf dem Modell von Jayachandran, Kremer und Shafter aufbauenden Vorschläge dargestellt werden. a) Odious Regimes nach Bolton und Skeel Bolton und Skeel kritisieren zu Recht, dass das Kreditsanktionsmodell die wesentliche Frage, wer Staaten nach welchen Kriterien als OdiousDebts-verdächtig klassifizieren soll, nur unbefriedigend löst.179 Davon ausgehend untersuchen sie gemeinsame Faktoren von bisher nahezu universell als odiös betrachteten Staaten wie Nazideutschland, das ApartheidsSüdafrika, Kambodscha unter den Roten Khmer oder die „Demokratische Volksrepublik“ (Nord‑)Korea und kommen zu dem Schluss, dass sich alle genannten Fälle durch extreme und brutale Unterdrückung sowie die meisten durch systematische Ausbeutung der nationalen Ressourcen auszeichnen.180 Ein Regime, welches sich systematischer Unterdrückung, systematischer Plünderung („systematic suppression“; „systematic looting“) oder beider schuldig macht, soll daher als odiös klassifiziert werden. Systematische Unterdrückung setzt nach Bolton und Skeel das Fehlen von Mitsprachemöglichkeiten („absence of voice“) sowie die brutale Verweigerung von Grundrechten („brutal / widespread denial of basic rights“) voraus. Da es auch Demokratien gibt, in welchen die Bevölkerung mangels Bildung und Wahloptionen keine echte Mitsprache hat, während umgekehrt in Diktaturen die Möglichkeit informeller Einflussnahme besteht, oder Diktaturen sogar von einer allgemeinen Zustimmung getragen sein können, knüpft die Definition ausdrücklich nicht an die demokratische Regierungsform an.181 Die Entscheidung, ob ein Regime odiös ist, soll sowohl ex nunc als auch ex tunc, also für die Vergangenheit, getroffen werden können,182 sodass Schulden ab dem Zeitpunkt, zu dem das Regime die Voraussetzungen der „odiousness“ erfüllt, unwirksam sein sollen.183 Erfasst werden sollen alle Schulden des Staates, gleich, wie sich diese zum Interesse der Bevölkerung verhalten; eine Ausnahme erlauben die Autoren nur für Kredite zur Abwendung einer humanitären Krise.184 Im Hinblick auf das Vorliegen systematischer Unterdrückung soll der UN-Sicherheitsrat die Entscheidung treffen, weil dieser schon jetzt in ähnlichen Fällen Sanktionen aussprechen kann, 179  Bolton / Skeel, 180  Bolton / Skeel, 181  Bolton / Skeel, 182  Bolton / Skeel, 183  Bolton / Skeel, 184  Bolton / Skeel,

LCP LCP LCP LCP LCP LCP

2007(70), 2007(70), 2007(70), 2007(70), 2007(70), 2007(70),

83, 83, 83, 83, 83, 83,

84 und 94. 95. 96. 99 f. 102. 103.

264

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

was mithin die Schaffung einer neuen Institution vermeiden würde.185 Über die systematische Plünderung hingegen soll das Executive Board des IWF befinden, da der IWF bereits mit einem Aufsichtsmandat unter Art. IV, Sektion 3 der Articles of Agreement betraut ist und daher über entsprechende Kompetenzen verfügt.186 An dem Vorschlag von Bolton und Skeel ist zu begrüßen, dass es die vagen, für politische Einflussnahme anfälligen Kriterien des Kreditsank­ tionsmodells ersetzt und dabei weniger auf die Regierungsform als vielmehr auf das Verhalten des Regimes abstellt. In der Tat ist es gerechtfertigt, ein Regime, das sich systematischer Unterdrückung schuldig macht, als odiös zu klassifizieren, weil in diesem Fall zu vermuten ist, dass Verträge mit dem Regime zur Unterdrückung der Bevölkerung beitragen. Während es sich hier also um eine notwendige Konkretisierung handelt, bleibt wiederum offen, wann von systematischer Unterdrückung oder Plünderung ausgegangen werden kann. Hier liegt es nahe, auf bestehende Menschenrechtsverpflichtungen und Überprüfungsmechanismen abzustellen, wie unten (Kapitel 4) weiter ausgeführt wird. Die negative Folge einer mangelnden Präzisierung wird vorliegend durch den Vorschlag verstärkt, dass Staaten auch ex post für odiös erklärt werden können, mit der Folge, dass deren Schulden rückwirkend als unwirksam angesehen werden sollen. Dies kann erneut zu mangelnder Vorhersehbarkeit, steigenden Zinsen und Nachteilen auch für nicht als odiös deklarierte Staaten führen. Zu kritisieren ist schließlich auch die institutionelle Ausgestaltung des Modells.187 Das Abstimmverhalten im Sicherheitsrat gegenüber Staaten wie Jugoslawien oder Syrien hat gezeigt, dass das den ständigen Mitgliedern zustehende Vetorecht angesichts politischer Bündnisse häufig zu einer Blockadehaltung führt.188 Zwar befinden sich Kreditsanktionen auf einer weniger eingriffsintensiven Ebene als Militäreinsätze, was die Handlungsschwelle senken dürfte,189 allerdings fallen auf der anderen Seite die finanziellen Interessen der Sicherheitsratsmitglieder an einem fortgesetzten Wirtschafts- und Kreditverkehr ins Gewicht. Insbesondere Staaten wie China sind dafür bekannt, den Zugang zu natür­ 185  Bolton / Skeel,

LCP 2007(70), 83, 100 ff. LCP 2007(70), 83, 104. 187  So auch Ginsburg / Ulen, LCP 2007(70), 115, 130; mit ähnlicher Kritik Wong, Sovereign Finance, S. 125. 188  In diese Richtung auch Stephan, LCP 2007(70), 213, 227; die Problematik erkennen auch Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 101, verweisen aber darauf, dass schon die Anwendung in wenigen Fällen einen Fortschritt darstellen würde, weil aus Angst vor einer nachträglichen Klassifizierung der Kreditverkehr insgesamt reduziert würde; eine derartige ex-post-Wirkung ist aber aus den genannten Gründen abzulehnen. 189  Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 90. 186  Bolton / Skeel,



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen265

lichen Ressourcen in afrikanischen Staaten ohne Berücksichtigung der Men­ schenrechtslage zu verfolgen, aber auch westliche Staaten haben sich die jahrelange Unterstützung von Diktatoren wie Saddam Hussein und Muammar al-Gadaffi vorzuwerfen. Bezeichnenderweise führen gerade Bolton und Skeel das Regime von Gadaffi als eines an, das nicht als odiös zu klassifizieren sei, weil Gadaffi ausdrücklich der Unterstützung des Terrorismus entsagt habe – ohne dass sie dabei auf die Menschenrechtslage eingehen.190 Was den IWF als Entscheidungsträger betrifft, so ist zwar zuzustimmen, dass dieser über Kompetenzen hinsichtlich der Überwachung des Zahlungsverkehrs verfügt; allerdings besteht auch hier das Problem in der Mitgliederstruktur. Sowohl der IWF als auch die Mitgliedstaaten waren oder sind selbst Gläubiger zweifelhafter Staaten191 und würden damit zum Richter in eigener Sache; auch die Probleme der strategischen Partnerschaften stellen sich im IWF, dessen Entscheidungen von Staatenvertretern herbeigeführt werden.192 Schließlich ist auch die Annahme, alle Kredite seien als unwirksam zu klassifizieren, kritikwürdig, da somit Kreditvergabe zu legitimen Zwecken ausgeschlossen wird. Dies wird mit der Fungibilität der Kredite gerechtfertigt, wobei übersehen wird, dass für das Regime ohnehin auch andere alternative Geldquellen wie natürliche Ressourcen in Betracht kommen. Der Ausschluss jeglicher Kreditvergabe löst das Problem der Fungibilität mithin nicht, die Möglichkeit der Kreditvergabe zu legitimen Zwecken hätte aber positive Effekte für die Bevölkerung (s. genauer oben, Kapitel 1 C.III.1.), sodass an der von Jayachandran, Kremer und Shafter vorgeschlagenen Ausnahme für nützliche Kredite festzuhalten ist. b) Center for Global Development – Preventing Odious Obligations Eine umfassende Weiterentwicklung des Kreditsanktionsmodells stellt die Arbeit des US-amerikanischen Thinktanks „Center for Global Development“ dar.193 Unter Mitwirkung von Jayachandran, Kremer und Buchheit und mit finanzieller Unterstützung Norwegens wurde ein Modell erarbeitet, welches das Entstehen odiöser Verpflichtungen verhindern soll. Dieses basiert auf 190  Bolton / Skeel,

LCP 2007(70), 83, 103. IWF wird z. B. für seine Rolle während der argentinischen Militärdiktatur kritisiert, vgl. Paulus, ZaöRV 2008(68), 391, 421, Fn. 141 m. w. Nachw.; vgl. auch Fn. 64 für die Unterstützung des Apartheid-Regimes. 192  Mit dieser Kritik auch Tarullo, LCP 2007(70), 263, 268. 193  Center for Global Development, Preventing Odious Obligations; vgl. auch Elliot / Barder (Center for Global Development), „Preventing Odious Obligations: A New Tool to Pressure Syria’s Bashar Assad“, März 2012, abrufbar unter http: /  / in ternational.cgdev.org / sites / default / files / 1426026_file_Elliott_Barder_SyriaObliga tions.pdf. 191  Der

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

dem eingangs vorgestellten Modell der Kreditsanktionen, geht aber einige von dessen Defiziten an. So wird die Fokussierung auf Kredite aufgegeben, und es sollen alle mit einem als Odious-Debts-verdächtigen Staat abge­ schlossenen Verträge erfasst werden, sodass ein Ausweichen des Regimes auf den Ausverkauf nationaler Ressourcen oder langfristiger Abbaulizenzen ausgeschlossen werden soll.194 Die Möglichkeit eines Abschlusses von Verträgen zum Nutzen der Bevölkerung wird demgegenüber nicht mehr vorgesehen, was im Interesse der Bevölkerung zu hinterfragen ist.195 Bei Kreditschulden soll die Erfüllung immer verweigert werden, während bei anderen Verträgen die Nachfolgeregierung über die Geltung entscheiden können soll;196 dadurch soll ihr die Möglichkeit erhalten bleiben, günstige Verträge weiter gegen sich gelten zu lassen. Hier ist allerdings fraglich, ob ein Anknüpfen an den Regimewechsel überhaupt sinnvoll ist (s. dazu unten, B.I.3.); auch könnte eine Regierung damit die Möglichkeit erhalten, Verträge, die eigentlich dem Interesse der Bevölkerung dienten, nicht mehr gegen sich gelten zu lassen. Als Kriterium für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig wird vorgeschlagen, solche Regime zu erfassen, die ihre treuhänderische Verpflichtung197 gegenüber der Bevölkerung nicht mehr erfüllen, indem sie militärischen Zwang anwenden, die Menschenrechte ihrer Bevölkerung verletzen, Wahlbetrug begehen, grundlegende demokratische Rechte unterdrücken und verbreitete Misswirtschaft öffentlicher Gelder praktizieren, insbesondere durch deren Verbringung auf private ausländische Bankkonten und deren Verwendung zur Unterdrückung der Bevölkerung.198 Die Klassifizierung soll aufgehoben werden, wenn sich die Umstände grundlegend verbessert haben. Zu begrüßen ist, dass ausdrücklich an den Umgang des Regimes mit der Bevölkerung, und nicht mehr nur an deren Zustimmung angeknüpft wird. Obwohl die genannten Kriterien allesamt Fälle betreffen, in denen die Entstehung odiöser Schulden naheliegt, handelt es sich allerdings um nur unzureichend klare Tatbestandsvoraussetzungen. Weder ist das Verhältnis der Kriterien zueinander erkennbar (kumulativ oder alternativ?), noch ist eine Schwelle vorgesehen, ab welcher die Sanktionen in Kraft treten sollen. Dabei kann die gelegentliche Verletzung von Menschenrechten alleine kaum dazu führen, dass ein Regime als Odious-Debts-verdächtig angesehen wird, da sonst nahezu alle Staaten der Welt erfasst wären. Die 194  Center

for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 4 ff. unten, Kapitel 3 B.III. 196  Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 6. 197  An diese „fiduciary duty“ wollen auch Buchheit / Gulati, LCP 2010(73), 63, 87 f., anknüpfen, ohne allerdings auszuführen, was genau darunter zu verstehen bzw. wann die Schwelle zu deren Verletzung erreicht ist. 198  Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 10. 195  Vgl.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen267

Weite der Merkmale kann damit erklärt werden, dass es sich im Kern um eine politische Entscheidung handeln soll; für eine konsistente Klassifizierungspraxis bieten diese Kriterien jedoch keine Gewähr.199 Weiterhin setzt sich das Modell ausführlich mit den möglichen teilnehmenden Staaten auseinander200 und unterbreitet Vorschläge für die institu­ tionelle Ausgestaltung. Diese reichen von einem ad-hoc-Verfahren bis hin zur Schaffung einer internationalen Organisation, wobei bei ersterem fraglich ist, wie eine regelmäßige Überprüfung der Klassifizierung ausgestaltet werden soll. Allerdings handelt es sich dabei nur um Anregungen, die noch einer konkreten Ausgestaltung bedürfen. Am Ende des Klassifizierungsprozesses soll dann eine Erklärung der am Modell beteiligten Staaten stehen, Schulden des Regimes nicht anzuerkennen, an eine Schuldenverweigerung durch die Nachfolgeregierung keine negativen Folgen zu knüpfen und sich gegen neue Kredite internationaler Finanzinstitutionen auszusprechen.201 Schließlich enthält der Vorschlag noch Überlegungen zur Implementierung des Sanktionsmodells in das geltende Recht.202 Insgesamt beinhaltet der Vorschlag mithin sinnvolle Ansätze für die konkrete Umsetzung eines Modells, jedoch gelingt es dem Center for Global Development nicht, die Bedenken an der Vorhersehbarkeit von dessen Anwendung auszuräumen. c) Das „Democracy Panel“ nach Pogge Pogge schlägt vor, dass demokratische Staaten in ihre Verfassung einen Passus aufnehmen, dem zufolge sie zukünftige, durch undemokratische Staaten eingegangene Schulden nicht zurückzahlen werden.203 Damit soll potentiellen Gläubigern angekündigt werden, dass auch im Fall der Außerkraftsetzung dieser Verfassung durch einen Despoten Schulden nach dessen Abset199  Die interessengesteuerte Handhabung des Mechanismus soll durch folgende Forderung reduziert werden: „Any group that declares contracts to be nontransferable should: … Take action for the benefit of the country and its population and not to serve the parochial foreign policy interests of the group …“, vgl. Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 9. Allerdings fehlt es auch hier an prozeduralen Garantien. 200  Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 8  f.; s. dazu noch unten, Kapitel 4 E.I. 201  Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, Annex D, S. 23. 202  Diese betreffen die Umsetzung im US-amerikanischen Recht sowie eine Änderung der ICSID-Konvention, vgl. Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 12, und finden unten, Kapitel 4 F. Berücksichtigung. 203  Pogge, Ethics & International Affairs 2007(21), 249, 257.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

zung nicht bedient werden, sodass schon während der Despotie keine Kredite zur Verfügung gestellt würden. Um Rechtssicherheit bezüglich der Frage, wann ein relevanter Regimewechsel stattgefunden hat, herzustellen, schlägt Pogge vor, dass die Verfassungen der betroffenen Staaten die Entscheidung einem bei den UN einzurichtenden internationalen, mit Juristen besetzten Gremiums („Democracy Panel“) überlassen, welches die jeweiligen Verfassungen ausreichend gut kennt, um zu beurteilen, wann die Herrschaft einer Gruppe gegen die Verfassung verstößt.204 Das Modell könne dadurch abgerundet werden, dass für verfassungswidrige Regime auch die Möglichkeit eingeschränkt wird, Eigentumsrechte zu übertragen, bzw. das eine solche Übertragung von vorneherein als unwirksam festgelegt wird, was den Ausverkauf nationalen Eigentums durch den Despoten verhindern soll.205 Für das Modell ist anzuführen, dass die Einrichtung eines unabhängigen Expertengremiums dieses politischem und wirtschaftlichem Einfluss entziehen würde und angesichts genau eingegrenzter Kompetenzen mit relativ geringem finanziellem Aufwand zu realisieren wäre. Durch die Einbeziehung von Eigentumsrechten wird die Problematik alternativer Ressourcen angegangen. Allerdings scheinen in mehreren Punkten Zweifel angebracht. Dies betrifft zunächst die Frage, ob die demokratische Legitimierung einer Regierung geeigneter Ansatzpunkt für die Wirksamkeit der Schulden ist. Denn klare Kriterien für das Vorliegen einer Demokratie sind schwer zu finden;206 Pogge selbst verweist auf die Vielzahl von zu berücksichtigenden Elementen.207 So genügt es nicht, dass regelmäßig Wahlen abgehalten werden; die Wahlberechtigten müssen auch eine tatsächliche Wahl unter mehreren Kandidaten haben, und schließlich muss die informierte Wahlentscheidung frei von direkten oder indirekten Zwängen sein, wofür Presse- und Versammlungsfreiheit von konstitutiver Bedeutung sind. Einparteiensysteme und religiöse oder ethnische Quotenregelungen führen zu weiteren Problemen. Zudem können die Übergänge zwischen demokratischen und diktatorischen Regimen fließend sein. Eine international anerkannte Definition von Demokratie lässt sich daher kaum ausmachen.208 204  Pogge,

Ethics & International Affairs 2007(21), 249, 259. Ethics & International Affairs 2007(21), 249, 267. 206  Dies problematisieren auch Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 17; Pogge versucht das Problem damit zu lösen, dass die jeweilige Demokratie dem Democracy Panel den Prüfungsmaßstab vorgibt; allerdings ist damit das Problem nur verlagert, denn gleichzeitig fordert er, dass die teilnehmenden Staaten „broadly democratic“ sind, was wiederum die Frage aufwirft, wann dies der Fall sein soll, vgl. Pogge, Ethics & International Affairs 2007(21), 249, 260. 207  Pogge, Ethics & International Affairs 2007(21), 249. 208  Herman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 773, 811; Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 51 und 56 m. w. Nachw.; kritisch zur Herausbildung justi205  Pogge,



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen269

Ein weiterer Schwachpunkt des Modells ist, dass dieses voraussetzt, dass es sich bei den teilnehmenden Staaten grundsätzlich um Demokratien handelt; andernfalls soll das Democracy Panel ausdrücklich eine Mitwirkung ablehnen, um nicht für die Interessen autoritärer Regime missbraucht zu werden.209 Potentiell von dem Modell betroffen ist damit nur der Teilbereich der derzeit demokratischen Regierungen, die in Gefahr stehen, in der Zukunft durch autoritäre Regime abgelöst zu werden. Dies würde ein Lösungsmodell jedoch in unbefriedigender Weise einengen, da gerade für aktuell despotische und menschenverachtende Regime eine Lösung gefunden werden soll, die diese zumindest für die Zukunft von der Eingehung von odiösen Schulden abhält. Schließlich ist auch zu kritisieren, dass das Modell nicht zwischen legitimer und illegitimer Verwendung der Kredite differenziert. Denn auch despotische Regime können Schulden zu legitimen Zwecken eingehen; dass auch diese von der Unwirksamkeit betroffen sein sollen, ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar. d) Weitere Ansätze Der Ansatz von Michalowski besteht darin, die Klassifizierung von Regimen daran auszurichten, ob diese zwingendes Völkerrecht verletzen, weil ein Kreditverkehr mit solchen Staaten als Beitrag zur Rechtsverletzung gesehen werden kann.210 Dafür spricht, dass keine allgemeine Demokratieprüfung verlangt wird, sondern Fälle erfasst werden sollen, in denen sich die Staatengemeinschaft bereits darauf verständigt hat, dass es sich um inakzeptables Verhalten handelt. Die Verletzung zwingenden Völkerrechts, insbesondere als zwingend anerkannter Menschenrechte, ist daher ein tauglicher Anknüpfungspunkt, wobei Michalowski offen lässt, in welchem Verfahren solch eine Verletzung festgestellt werden soll, und ob die Reduzierung auf als zwingend anerkannte Menschenrechte nicht eine zu starke Verengung darstellt (s. dazu unten, Kapitel 4 B.I. und II.). Wyler schlägt vor, der Entscheidungsinstanz judikatorische Kompetenzen zuzuweisen, indem Gläubiger nach dem Regimewechsel vor ihr beweisen können, dass sie die maßgeblichen Standards verantwortlicher Kreditvergaben eingehalten haben.211 Für die Entscheidung über die Klassifizierung eines Regimes soll die Institution mit Wirtschafts- und Politikwissenschaftlern, für die Entscheidung über die Wirksamkeit der Kredite mit Juristen ziabler Demokratiestandards auch Shafter, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 669, 685 ff. m. w. Nachw. 209  Pogge, Ethics & International Affairs 2007(21), 249, 260. 210  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 84. 211  Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 983 f.

270

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

und Richtern besetzt sein.212 Dabei lässt er jedoch offen, welche Kriterien für die Klassifizierung zugrunde gelegt werden sollen; warum hier Wirtschafts- und Politikwissenschaftler gefragt sind, ist daher nicht einleuchtend. 4. Odious Expenditures nach Lewis Das von Lewis vorgeschlagene Modell der Odious Expenditures (im Folgenden: odiöse Ausgaben) ist an das US-amerikanische Steuerrecht angelehnt, demnach nur solche Ausgaben von der Steuer abgesetzt werden können, die mit der Geschäftstätigkeit in Zusammenhang stehen.213 Um die im Einzelfall schwierige Abgrenzung zu persönlichen Ausgaben zu ermöglichen, sollen nur solche Geschäftsausgaben absetzbar sein, die üblich und notwendig für jede Geschäftstätigkeit sind, die also üblicherweise im jeweiligen Betrieb anfallen („ ‚ordinary and necessary‘ in the conduct of ‚any trade or business‘ … which arise with ‚normalcy in the particular business‘ “).214 Übertragen auf die Problematik der Odious Debts sollen solche Ausgaben als odiös qualifiziert werden, die im Vergleich zu anderen Staaten nicht üblich und notwendig für die Staatsführung sind.215 Darunter sollen insbesondere auch völkerrechtswidrige Ausgaben fallen (selbst wenn diese üblich wären),216 während unübliche, der Bevölkerung zugute kommende Ausgaben wie z. B. eine kostenlose Gesundheitsversorgung nicht erfasst werden sollen.217 Damit würde allerdings auch das Verhalten Norwegens, einseitig die illegitimen Schulden von Entwicklungsländern zu erlassen,218 eine odiöse Ausgabe darstellen, weil es sich weder um ein übliches Verhalten noch um eines zum Nutzen der Bevölkerung Norwegens handelte. Zur Konkretisierung schlägt Lewis einen „Peer State Standard“ vor, sodass Staaten an dem Verhalten ähnlicher Staaten gemessen werden sollen. Damit könne beispielsweise der Kauf teurer Jets zur repräsentativen Zwecken unter reicheren Staaten als üblich, unter ärmeren als unüblich klassifiziert werden.219 Allerdings ist unklar, nach welchen Kriterien sich vergleichbare Staaten finden lassen;220 weiterhin könnte sich herausstellen, 212  Wyler,

U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 984. B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 309 ff. 214  Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 309 f. 215  Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 311. 216  Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 316 ff. 217  Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 319 f. 218  Vgl. oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(18). 219  Vgl. Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 318 f. 220  Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 319 schlägt die geographische Lage, alternative Transportmittel, Sicherheitsbedenken sowie das BIP vor, wobei hier 213  Lewis,



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen271

dass ein bestimmtes Vorgehen auch unter finanziell schwächeren Staaten üblich ist. Maßgeblich scheint eher, ob der Staat trotz der Anschaffung seiner Pflicht zur Erfüllung z. B. wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte nachkommt, was zugleich einen objektiveren, weil international im Rahmen des IPWSKR anerkannten Standard darstellen würde. Verletzt er dadurch keine Menschenrechte, sollte es aber grundsätzlich im Ermessen des Staates stehen, wie er seine Ressourcen verteilt. Die Odious-Expenditures-Doktrin soll eine Einwendung gegen die Zahlungsklage darstellen.221 Im Gerichtsverfahren sollen ausnahmslos alle Schulden als odiöse Ausgaben behandelt werden, die nach der ersten feststellbaren odiösen Ausgabe eingegangen wurden.222 Begeht ein Staat also einmal Genozid, so werden alle im Folgenden eingegangenen Schulden als odiös behandelt, wobei dies noch nicht zur vollständigen Unwirksamkeit, sondern zur anteiligen Reduzierung im Rahmen einer „cancellation analysis“ (dazu sogleich) führt. Damit steht das Modell in der Nähe des Kreditsanktionsmodells. Lewis verlangt ausdrücklich keine direkte Verbindung zwischen der Schuld und der jeweiligen Verwendung. Dies ist jedoch in der vorliegenden Konstellation höchst problematisch, weil Gläubiger von der (ersten) odiösen Verwendung nicht zwingend Kenntnis haben können. Weiterhin findet auch keine Abstufung nach der Verwerflichkeit des Verwendungszwecks statt. Kauft ein finanzschwacher, demokratischer Staat etwa im Geheimen ein teures Luxusjet zur Beförderung des Präsidenten, würde dies nach Lewis schon ausreichen, alle im Folgenden eingegangenen Verträge als odiöse Ausgaben zu klassifizieren. Auch die Frage, wie lange die Klassifizierung aufrecht erhalten werden soll, bleibt unbeantwortet. Ebenso fällt ins Gewicht, dass keine Möglichkeit für redliche Gläubiger vorgesehen wird, legitime Verträge mit dem Schuldnerstaat einzugehen. Alle nachfolgenden Gläubiger würden undifferenziert einen Teil ihrer Ansprüche verlieren, gleich, ob diese zum Bau von Krankenhäusern, Solarkraftwerken oder Chemiewaffenfabriken beigetragen haben. Die Anwendbarkeit des Modells erhält eine maßgebliche Modifikation dadurch, dass Lewis zunächst eine „cancellation analysis“ durchführen möchte, um das Ausmaß der Schuldenreduzierung festzustellen.223 Dabei soll nur die Differenz zwischen der Summe aller odiösen Schulden und dem Umfang der Zahlungsfähigkeit als unwirksam behandelt werden können.224 fraglich ist, ob nationale Gerichte derartige Bewertungen vornehmen können und sollen. 221  Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 322. 222  Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 323. 223  Vgl. Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 322. 224  Zur genauen Bezifferung der Zahlungsfähigkeit vgl. Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 327 f.

272

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Dies hat den Vorteil, dass die eben kritisierte Weite der Doktrin abgemildert wird, wenn dies auch zu keiner weiteren Differenzierung zwischen red­lichen und unredlichen Gläubigern führt. Überschreiten die Ausgaben des Staates dessen Zahlungsfähigkeit, so würden alle Ansprüche der Gläubiger, die nach der ersten odiösen Ausgabe entstanden sind, um einen gemeinsamen Prozentsatz reduziert. Damit können von der Odious-Expenditures-Doktrin ausschließlich überschuldete Staaten profitieren. In einem Rechenbeispiel von Lewis umfasst die Schuldenreduzierung dann auch nur 70 Mio. USD für einen überschuldeten Staat mit einem Gesamtbudget von 1,2 Mrd USD, der 200 Mio. USD für Genozid ausgegeben hat. Ein vergleichbares Ergebnis hätte wohl auch im Rahmen einer Schuldenrestrukturierung erzielt werden können.225 Obgleich es sich bei Anwendungsfällen der OdiousDebts-Doktrin typischerweise um überschuldete Staaten handelt, zeigt etwa das Beispiel von Südafrika, dass odiöse Schulden nicht notwendigerweise in einem Zusammenhang mit der Zahlungsfähigkeit stehen. Das Hauptargument, die Bevölkerung nicht mit den Kosten der eigenen Unterdrückung zu belasten, wenn der Gläubiger vom Verwendungszweck der Mittel wusste, besteht aber auch in Fällen, die nicht mit einem Staatsbankrott einhergehen. Es ist nicht einzusehen, warum die Gläubiger von ressourcenreichen Staaten Kredite z. B. zur Begehung eines Genozids zurückerhalten sollen, während umgekehrt die Gläubiger eines armen Staates auch dann zurückstehen, wenn sie Geld zu legitimen Zwecken zur Verfügung gestellt haben. Obgleich Lewis von dem nachvollziehbaren Ansatzpunkt ausgeht, das Odiöse der Schuld ergäbe sich aus Verwendung der Mittel,226 ist sein Ansatz im Ergebnis daher abzulehnen, da er weder der Kenntnis des Gläubigers noch der legitimen Verwendung im Einzelfall ausreichend Rechnung trägt und mit der Reduzierung auf überschuldete Staaten eine zu starke Begrenzung der Problematik mit sich bringt. 5. Zwischenergebnis Das Modell von Jayachandran, Kremer und Shafter knüpft daran an, dass für die Beurteilung einzelner Schulden auch die (beispielsweise repressive) Natur des Schuldnerstaates von Bedeutung ist. Das Modell hat den Vorteil, dass jeder Kreditgeber erkennen kann, ob ein Kredit potentiell als odiös zu behandeln ist. Gleichzeitig ist zu begrüßen, dass neben der Natur des klas225  Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 407; Lewis verweist darauf, dass die Gefahr einer gerichtlichen Anwendung der Odious-Expenditure-Doktrin die Erfolgsaussichten einer Schuldenrestrukturierung noch erhöhen würden, s. Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 329 f. 226  Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 299.



A. Bisherige Lösungsmodelle und Definitionen273

sifizierten Regimes die Verwendung des Kredites im Einzelfall relevant bleibt, weil nur so die fortgesetzte Vergabe von Krediten zugunsten der Bevölkerung gewährleistet werden kann. Der in einigen Modellen unterbreiteten Vorschläge, auf die Betrachtung einzelner Kredite zu verzichten oder das Modell gar rückwirkend anzuwenden, sind demgegenüber abzulehnen, während eine Erweiterung auf andere Schulden als Kredite sinnvoll erscheint. Weder das Grundmodell noch dessen Fort­entwicklungen bieten eine überzeugende Antwort auf die Frage, welche Kriterien für eine Klassifikation als Odious-Debts-verdächtig maßgeblich sein sollen.

IV. Zusammenfassung der Analyse der Lösungsmodelle Die zunächst diskutierten Modelle stellen auf den jeweiligen Vertrag ab und wollen diesen als odiös qualifizieren, wenn er bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Soweit gefordert wird, diese Voraussetzungen erst im Nachhinein festzulegen, bestehen allerdings große Probleme hinsichtlich der Rechtssicherheit. Auch im Übrigen scheint eine rechtlich stichhaltige Definition von Odious Debts noch nicht gefunden. Ähnliches lässt sich über die Prinzipien der verantwortlichen Kreditvergabe sagen, die sich zudem noch im Entwicklungsstadium befinden und von einer verbindlichen Implementierung abhängen. Im Gegensatz dazu überzeugt das von Jayachandran, Kremer und Shafter entwickelte ex-ante-Modell in Bezug auf die Gläubigerkenntnis, bleibt jedoch hinsichtlich anderer Aspekte problematisch. Sowohl das Grundmodell als auch die Fortentwicklungen enthalten ein bedenkliches Maß an Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Klassifizierungskriterien, was im Lichte der jeweiligen institutionellen Vorschläge einen macht- und wirtschaftspolitischen Missbrauch des Modells begünstigt. Die Schwierigkeit, ein überzeugendes Lösungsmodell zu finden, hängt mit einer Reihe von offenen Fragen zusammen, die sich bei allen diskutierten Modellen auf die eine oder andere Art stellen. So ist zu fragen, welche Kredite der Bevölkerung des Schuldnerstaates einen Nutzen bringen. Weitere Fragen betreffen z. B. die Anforderungen an die Gläubigerkenntnis, die Tauglichkeit des Demokratiebegriffs als Anknüpfungspunkt, die institutionelle Ausgestaltung eines Lösungsmodells, die Sinnhaftigkeit der Anknüpfung an einen Staaten- oder Regimewechsel, die Rechtsfolge der OdiousDebts-Doktrin und den Umgang mit einer verbleibenden Bereicherung. Im Folgenden sollen die genannten Probleme genauer untersucht werden, wodurch zugleich der Rahmen für ein zu entwickelndes Lösungsmodell gesteckt wird.

274

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

B. Wiederkehrende Probleme und Rahmenpunkte für ein eigenes Lösungsmodell Im Folgenden werden die bei der Analyse bestehender Lösungsansätze herausgearbeiteten Problemfelder näher dargestellt und erste Schlüsse für die Entwicklung eines eigenen Lösungsmodelles gezogen. Dabei ist auf die möglichen Voraussetzungen (vgl. Abschnitte I.–III.), die institutionelle Ausgestaltung (Abschnitt IV.), die Umsetzbarkeit (Abschnitte V.–VI.) und die Rechtsfolgen (Abschnitt VII.) einer Odious-Debts-Doktrin einzugehen.

I. Anwendungsbereich einer Odious-Debts-Doktrin Zunächst ist der Anwendungsbereich einer Odious-Debts-Doktrin festzulegen. Die von Sack dargestellte, engste Version der Doktrin bezieht sich nur auf finanzielle Verbindlichkeiten und wird nur in Fällen von Staatensukzessionen relevant. Denkbar ist jedoch, auch andere Verträge in den Anwendungsbereich mit einzubeziehen (1.) und entweder auch Fälle von Regierungswechseln zu erfassen oder sogar ganz auf einen entsprechenden Ansatzpunkt zu verzichten (3.). In zeitlicher Hinsicht stellt sich die Frage, ob ein Lösungsmodell sich auch auf in der Vergangenheit eingegangene Schulden erstrecken soll (2.). 1. Arten von Schulden im Anwendungsbereich der Doktrin (Anwendungsbereich ratione materiae) a) Weiter Schuldenbegriff Sofern nur Kreditverträge unter die Odious-Debts-Doktrin gefasst werden sollen, ist zu fragen, warum nicht auch sonstige Verträge mit einer finanziellen Gegenleistung einbezogen werden sollen. Denn auch wenn ein Diktator Waffen kauft, um mit diesen die Bevölkerung zu unterdrücken, ist die Wirksamkeit der Zahlungspflicht problematisch. Überhaupt stellt sich aber die Frage, ob die Reduzierung auf finanzielle Verbindlichkeiten nicht eine ungerechtfertigte Verengung des Anwendungsbereichs der Odious-Debts-Doktrin darstellt.227 Die der Rechtsfigur zugrunde liegende Überlegung, dass bösgläubige Gläubiger keine Forderungen geltend machen können, die entgegen dem Bevölkerungsinteresse eingegangen wurden, stellt sich nämlich nicht 227  In diesem Sinne schon oben, Kapitel 1 A.II.1. sowie das Sondervotum Amelis im Fall INA Corporation v. Iran, vgl. S. 191; für eine Erweiterung auch Chander, Emory L.J. 2004(53), 923, 924 ff.; vgl. auch die verschiedenen hypothetischen Anwendungsfälle bei Gray, LCP 2007(70), 137, 145 f. 186



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell275

nur bei finanziellen Verbindlichkeiten. Ebenso relevant wäre etwa der Fall, dass sich der Schuldnerstaat verpflichtet, einen Staudamm unter Vertreibung der lokalen Bevölkerung zu errichten, um den in der Folge gewonnenen Strom an den Gläubiger zu exportieren,228 Atommüll eines verbündeten Staates ohne finanzielle Gegenleistung zu lagern oder einem Bündnispartner Konzessionen zum Abbau fossiler Ressourcen zu Schleuderpreisen zur Verfügung zu stellen.229 Gleichzeitig können auch sonstige Verbindlichkeiten in Zahlungsansprüche übergehen (z. B. in Form eines Schadensersatzes wegen Nichterfüllung), sodass die Anknüpfung an die finanzielle Natur des Anspruches willkürlich wäre. Die Beispiele zeigen, dass auch eine Reduzierung auf wirtschaftliche Verträge nicht überzeugend ist,230 zumal die Abgrenzung zu nicht wirtschaftlichen bzw. rein völkerrechtlichen Verträgen schwierig wäre. So könnten Schuldnerstaat und Gläubiger die Wirkung der Odious-DebtsDoktrin zu umgehen versuchen, indem sie etwa den Kauf von Waffen als strategisches Übereinkommen deklarieren. Als Gegenbeispiel ließe sich ein Friedensvertrag mit einem despotischen Regime anführen, der nicht unter die Odious-Debts-Doktrin fallen sollte; Grund dafür ist jedoch nicht die fehlende wirtschaftliche Natur des Übereinkommens, sondern der Nutzen, den solch ein Vertrag für die Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft mit sich bringt. Dies alles spricht dafür, Verpflichtungen aller Art unter den Begriff der odiösen Schulden zu fassen.231 b) Anwendung auf deliktische Schulden? Fraglich ist, ob auch Reparationen und andere deliktische Schulden vom Anwendungsbereich der Odious-Debts-Doktrin erfasst werden sollen.232 228  Zur Problematik ökologischer und menschenrechtlicher Auswirkungen grundsätzlich neutraler Verträge s. auch Ochoa, Harv.Int’l L.J. 2008(49), 109, 138 ff. und 145 ff. 229  Zu letzterem mit Verweis auf den Irak Rasmussen, LCP 2007(70), 249, 250 f.; zu Nießbrauchsrechten und dem Verbrauch von Ressourcen auch Chander, Emory L.J. 2004(53), 923, 924 ff.; ausführlich zum Abbau natürlicher Ressourcen als Beispiel für alternative Finanzierungsquellen odiöser Staaten Ochoa, Harv.Int’l L.J. 2008(49), 109, 132 ff. 230  So aber Ochoa, Harv.Int’l L.J. 2008(49), 109, 155 f., die eine Umbenennung in „Odious Finance Doctrine“ vorschlägt. 231  So ausdrücklich der Vorschlag von Pogge, Ethics & International Affairs 2007(21), 249, 267 (ausführlich Kapitel 3 A.III.3.c), der ebenfalls die Übertragung von Besitzrechten erfassen möchte, der Vorschlag des Center for Global Development (Kapitel 3 A.III.3.b)) und der Vorschlag von Wong, Sovereign Finance, S. 145 ff. (oben, Kapitel 3 A.II.3.). 232  Für den grundsätzlichen Übergang von Verpflichtungen aus Staatenverantwortlichkeit im Falle der Staatensukzession s. o. Kapitel 2 C.II.3.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Der Fall, dass ein Despot erfolglos einen Angriffskrieg gegen einen Nachbarstaat führt oder Angehörige des Nachbarstaats zu seinem persönlichen Nutzen entschädigungslos enteignet, ist nicht abwegig. So führte Barack Obama in Bezug auf die aus dem Kuwait-Krieg resultierenden Reparationsschulden des Iraks aus, der nunmehr demokratische Staat solle nicht mehr weiter mit den Schulden eines Diktators belastet werden.233 Für die Anwendung der Odious-Debts-Doktrin auf die daraus resultierenden Repara­ tionsverpflichtungen spricht zwar, dass es sich dabei um Schulden handelt, die ohne Nutzen für die Bevölkerung des Schuldnerstaates entstanden sind. Jedoch besteht zwischen deliktischen und anderen als odiös diskutierten Schulden ein maßgeblicher Unterschied. Bei vertraglichen Schulden ist der Gläubiger an der Entstehung der Schulden beteiligt, beabsichtigt deren Entstehung und erlangt daraus einen Vorteil (beispielsweise Zinsen). Da den Kreditgeber eine Mitverantwortung für die Entstehung der odiösen Verbindlichkeit trifft, ist ihm gegenüber die Unwirksamkeit des Rückzahlungsanspruchs gerechtfertigt. Im Gegensatz dazu erlangt der deliktische Gläubiger seine Gläubigerstellung daraus, dass er unfreiwillig Opfer einer Rechtsverletzung geworden ist. Eine Mitverantwortlichkeit kann dem Gläubiger eines Reparationsanspruches in der Regel nicht vorgeworfen werden, sodass es auch nicht gerechtfertigt ist, dass dieser seinen Anspruch verliert,234 nur weil die Bevölkerung des Schuldnerstaates ebenso wenig von diesem profitiert hat. Andernfalls würde die Anwendung der Odious-Debts-Doktrin dazu führen, dass die Kriegsfolgen einseitig von der Bevölkerung des Gläubigerstaates zu tragen wären. In Bezug auf deliktische Schulden genießt die Bevölkerung des Schuldnerstaates im Vergleich zum Gläubigerstaat jedoch keine erhöhte Schutzwürdigkeit. Nichts anderes gilt im Hinblick auf die Verpflichtung des Schuldnerstaates, eigenen oder fremden Bürgern für die Verletzung von Menschenrechten Wiedergutmachung zu leisten. Auch hier kann ein Regimewechsel nicht dazu führen, dass sich der Staat von den vergangenen Menschenrechtsverletzungen lossagt; vielmehr bietet gerade der Regimewechsel einen Anlass für die Aufarbeitung der vergangenen Rechtsverletzungen.

233  Vgl. Cornwell, „Obama Calls on UN to Cancel Iraq’s $25bn debt to Kuwait“, The Independent, 23.  Juli 2009, abrufbar unter http: /  / www.independent. co.uk / news / world / politics / obama-calls-on-un-to-cancel-iraqs-25bn-debt-to-kuwait1757609.html; s. a. Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 480. 234  Selbst wenn den Gläubiger ein Mitverschulden träfe, führte dies lediglich zur Kürzung des Reparationsanspruchs.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell277

2. Anwendungsbereich eines Lösungsmodells ratione temporis In zeitlicher Hinsicht stellt sich zunächst die Frage nach dem Beurteilungszeitpunkt hinsichtlich der Wirksamkeit der Schuld.235 Obgleich dieser typischerweise ein nachträglicher ist – nach dem Regimewechsel verweigert der Schuldnerstaat die Zahlung; im gerichtlichen Verfahren erhebt der Schuldnerstaat Einreden –, ist es aus Gründen der Rechtssicherheit von Bedeutung, dass sich bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Sicherheit sagen lässt, ob der Vertrag als odiös zu qualifizieren ist.236 Denn nur so weiß der Gläubiger, ob er sicher mit der Erfüllung rechnen kann und kann dies bei der Berechnung der Gegenleistung (etwa in Form von Zinsen) berücksichtigen oder aber vom Vertragsschluss absehen. Damit wird der Steuerungsfunktion des Rechts Rechnung getragen, die nur bei Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung zum Tragen kommen kann.237 Ist eine solche Vorhersehbarkeit gegeben, wird die Wirksamkeit der OdiousDebts-Doktrin verstärkt und die Gefahr der nachteiligen Auswirkungen auf dritte Staaten reduziert. Denn bestimmte Staaten könnten keine erkennbar odiösen Verträge mehr eingehen und zugleich würden nicht unter die Odious-Debts-Doktrin fallende Verträge oder Staaten vor deren negativen Folgen bewahrt, während sie bei einer unklaren Doktrin mit höheren Risikoprämien zu rechnen hätten. Umgekehrt können Gläubiger bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die nötigen Informationen dokumentieren, die die Beurteilung der Schuld als wirksam zulassen.238 Nichtsdestotrotz kann es notwendig sein, die Beurteilung der Schuld zeitlich hinter den Vertragsschluss zu verlagern, nämlich dann, wenn sich die Qualifizierung als odiös erst aus der tatsächlichen Verwendung der Mittel ergibt. Schließen Kreditgeber und ‑nehmer einen Vertrag über einen Kredit zum Bau eines Staudammes, und wird dieses Geld später mit Wissen des Kreditgebers und ohne, dass dieser etwas dagegen unternimmt, zur Ausstattung der illegal handelnden Geheimpolizei verwendet, so lässt erst die tatsächliche Verwendung des Geldes die Schuld zu einer odiösen werden. Maßgeblich für die Vorhersehbarkeit der Odious-Debts-Doktrin ist in diesem Fall, dass der Gläubiger bereits beim Vertragsschluss weiß, welchen Sorgfalts- und gegebenenfalls Überprüfungspflichten er nachzukommen hat. 235  Dies wird häufig als ex-post / ex-ante-Problem dargestellt, wobei eine eindeutige Trennung nicht möglich ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt. 236  Vgl. bereits die Argumente in Kapitel 3 A.I.1.c) und Kapitel 3 A.III.3.a); die Wichtigkeit der Vorhersehbarkeit hebt auch Buchheit, LCP 2007(70), 1, 2 hervor. 237  Paulus, WM 2005, 53, 54 und 56. 238  Ohne eine entsprechende Dokumentation ist die nachträgliche Beurteilung der Schulden als odiös oder rechtmäßig kaum möglich, vgl. zum Beispiel des Iraks Wong, Sovereign Finance, S. 64 ff.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Ein weiterer zeitlicher Aspekt bei der Suche nach einem Lösungsmodell betrifft die Frage, wie mit bereits bestehenden Schulden umgegangen werden soll. Da ein Regelungsmodell aus den genannten Gründen auf eine zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhersehbare Rechtsfolge abstellen sollte, würden bestehende, entgegen dem Bevölkerungsinteresse eingegangene Schulden nicht erfasst. Diese würden also auch bei zukünftigen Regimewechseln eine bedeutende Belastung für postdiktatorische Staaten darstellen. Obgleich dieses Ergebnis in moralischer Hinsicht unbefriedigend ist – schließlich sprechen gute Gründe für die Unwirksamkeit jeglicher odiöser Schulden239 –, begegnete eine anderweitige Lösung großen Bedenken. Zunächst würde eine rückwirkende Anwendung die Anreize für betroffene Gläubiger erhöhen, den Machterhalt eines despotischen Regimes zu stützen, während bei einer ex-ante-Vorhersehbarkeit bereits weniger odiöse Schulden eingegangen würden.240 Darüber hinaus ist es zweifelhaft, ob eine nachträgliche Aussonderung odiöser Schulden angesichts der seit den 1970er- und 80er-Jahren durchgeführten Restrukturierungsmaßnahmen überhaupt möglich ist, da diese zu einer Verschmelzung odiöser und nicht-odiöser Schulden in neue Kredite und Anleihen geführt haben.241 Während eine Lösung mit einer entsprechend aufwändigen Untersuchung der verschiedenen Schuldinstrumente vorstellbar wäre, sprechen aber vor allem grundlegende rechtliche Prinzipien gegen die rückwirkende Anwendung der Odious-Debts-Doktrin. Das in für viele Verträge maßgeblichen Rechtsordnungen anerkannte Rückwirkungsverbot242 sowie der verfassungsund völkerrechtliche Schutz des Eigentums243 bzw. des Besitzstands (acquired rights / droits acquis) der Gläubiger244 gegen rückwirkende Eingriffe lassen eine Anwendung auf bestehende Schulden höchst problematisch erscheinen.245 Obgleich Eigentumsschutz und Rückwirkungsverbot nicht uneingeschränkt gelten, sondern Eingriffe im öffentlichen Interesse ausnahmsweise zulassen,246 stellen diese ein erhebliches Hindernis für eine rückwir239  Vgl.

oben, Kapitel 1 C. oben, Kapitel 1 C.I.5. 241  Vgl. zu dieser Thematik Kapitel 3 B.V. 242  Für das US-amerikanische Recht vgl. Art. 1, Sektion 9 sowie Art. 1, Sektion 10 der US-Verfassung; im deutschen Recht wird das Rückwirkungsverbot aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) abgeleitet, vgl. Grzeszick, in: Maunz / Dürig, GG, Art. 20, Rn. 76 ff. 243  s. etwa Art. 1 des 1. Protokolls zur EMRK und zum völkerrechtlichen Eigentumsschutz Schweisfurth, Völkerrecht, 19. Kapitel, Rn. 57 ff. 244  s. dazu oben, Kapitel 2 C.II.2. 245  Vgl. Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 15 Fn. 18. 246  Vgl. zum deutschen Recht den Ausnahmekatalog in BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1986, BVerfGE 72, 200, 258 ff.; zum US-amerikanischen Recht US Su­ 240  s. ausführlich



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell279

kende Anwendung der Odious-Debts-Doktrin dar. Im Rahmen von Entschädigungs- oder Investitionsschutzklagen müsste dann geklärt werden, ob es sich bei der Zurückweisung von vor Inkrafttreten des Lösungsmodells abgeschlossenen Verträgen um einen gerechtfertigten rückwirkenden Eingriff in die Rechte der Gläubiger handelt. Obgleich es nicht ausgeschlossen ist, dass die Rechtmäßigkeit der Verweigerung in einzelnen Fällen bejaht würde, würde sich das Verhalten des Schuldnerstaates höchstwahrscheinlich nachteilig auf dessen Reputation auswirken. Zudem erscheint es äußerst fraglich, ob sich die Staatengemeinschaft angesichts manifester finanzieller Interessen auf eine Regelung einigen würde, der zufolge nicht nur zukünftige Verpflichtungen, sondern auch eine Vielzahl von in der Vergangenheit abgeschlossenen Verträgen einer Wirksamkeitsprüfung unterzogen werden sollen,247 wenn derzeit schon die Anerkennung eines für die Zukunft geltenden Modelles Vorbehalten begegnet.248 Mit Bezug auf das von Jayachandran, Kremer und Shafter vorgeschlagenen Lösungsmodells ließe die rückwirkende Anwendung der Odious-DebtsDoktrin dessen Vorteile gänzlich entfallen. Beträfe dieses auch in der Vergangenheit eingegangene Schulden, so erfasste nämlich die Klassifizierung eines Regimes als Odious-Debts-verdächtig auch rückwirkend solche Verträge, die gutgläubige Gläubiger mit dem noch nicht klassifizierten Regime abgeschlossen haben. Damit entfiele jedoch die Rechtssicherheit auch beim Abschluss von Verträgen mit nicht als Odious-Debts-verdächtig qualifizierten Staaten, weil bei jedem Vertrag die Gefahr der nachträglichen Klassifizierung bestünde. Der Vorteil der Rechtssicherheit wäre damit unterlaufen, sodass das Modell insgesamt wirkungslos wäre. Vor diesem Hintergrund muss daher hingenommen werden, dass die in der Vergangenheit eingegangenen Schulden von einem Lösungsmodell nicht erfasst werden.249 Zumindest könnten sich betroffene Staaten darauf berufen, dass bereits nach geltendem Recht bestimmte odiöse Verträge wegen Korruption oder wegen des Verstoßes gegen zwingendes Völkerrecht bzw. nationale Regeln unwirksam sind (s. o. Kapitel 2 E.) oder das Argument odiöser Schulden in Verhandlungen um einen Schuldenerlass vorbringen, wenngleich dies weniger effektiv als das Bestehen einer wirksamen recht­ lichen Einwendung wäre. preme Court, Allied Structural Steel Co. v. Spannaus, Urteil vom 28. Juni 1978, 438 U.S. 234 (1978), demzufolge eine rückwirkende Veränderung vertraglicher Rechte zulässig ist, wenn diese im öffentlichen Interesse erfolgt. 247  Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 6 f. 248  Zur Frage der Umsetzbarkeit noch unten, Kapitel 3 B.VI. und Kapitel 4 E. 249  Gegen die rückwirkende Anwendung auch Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 24; Paulus, WM 2005, 53, 56.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

3. Anknüpfung an einen Staaten- bzw. Regimewechsel? In der Entwicklung der Odious-Debts-Doktrin lässt sich zunächst ein Trend beobachten, diese nicht nur auf Fälle der Staatensukzession, sondern auch auf solche des grundlegenden Regimewechsels anzuwenden, weil beide Sachverhalte sich nur schwer unterscheiden lassen und dieselben ethischen Probleme aufwerfen.250 Darüber hinaus ist aber zu fragen, ob ein Staatenbzw. Regimewechsel überhaupt einen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Odious-Debts-Doktrin darstellt.251 Paulus führt dazu aus: „[R]echtlich gesehen muss das wie auch immer zu definierende Odiose unabhängig und losgelöst von solchen Wechseln sein. Denn die Tatsache, dass ein Wechsel eintritt, macht den zuvor gewährten und verwendeten Kredit in keiner Weise odioser. … Odios ist die Schuld also gewissermaßen aus sich heraus; sie wird es nicht erst durch eine Veränderung der involvierten Akteure.“252 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Ein Regimewechsel ist zwar typischerweise Ansatzpunkt für die Zahlungsverweigerung – im Interesse der zukünftigen Kreditwürdigkeit wird ein Diktator kaum vergangene Schulden verweigern253–, jedoch für die Natur der Schuld nicht maßgeblich.254 Denn die moralische Verwerflichkeit des odiösen Vertrages ergibt sich eben genau aus dessen bevölkerungswidriger Zwecksetzung bzw. Ausführung. Die Loslösung von Staaten- und Regimewechseln ist nicht nur inhaltlich überzeugend, sondern hat auch den Vorteil, dass sich massive Anwendungsprobleme der Doktrin nicht stellen. Denn der Begriff des (unter Umständen „grundlegenden“) Regimewechsels ist äußerst unbestimmt. Die Frage, welche Intensität eines Regimewechsels die Anwendung der Odious-DebtsDoktrin rechtfertigen soll, wird sich schwer beantworten lassen – hier ist das ganze Spektrum von Wahlsiegen der Opposition bis hin zu revolutionären Umbrüchen denkbar, ohne dass eine klare Abgrenzung möglich wäre. Als problematische Beispiele sei verwiesen auf Myanmar, das sich in einer Phase der sukzessiven Öffnung befindet, sowie auf die ägyptischen Regierungen der letzten Jahre. 250  Für eine Anwendung auf den Regimewechsel etwa Bonilla, Odious Debt, S.  20 m. w. Nachw.; Gelpern, Ch. J. Int’l. L. 2005(6), 391, 411; Fischer-Lescano, KJ 2003, 225, 232; Howse, Odious Debt, S. 16 m. w. Nachw.; King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 47; Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 47 ff.; in diese Richtung auch Queck, in: erlassjahr.de, Handbuch Illegitime Schulden, S. 12 m. w. Nachw.; kritisch zur Unterscheidung zwischen Staats- und Regierungswechsel Cheng, State Succession, S. 50. 251  Gegen eine Anknüpfung an Sukzessionstatbestände bereits Feilchenfeld, ­Public Debts, S. 716. 252  Paulus, WM 2005, 53, 57. 253  Paulus, WM 2005, 53, 56. 254  So auch Kleinlein, AVR 2006(44), 405, 407.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell281

4. Anknüpfung an überschuldete Staaten? Genauso wenig überzeugend wie die Anknüpfung an einen Regimewechsel ist es, die Odious-Debts-Doktrin nur im Fall überschuldeter Staaten anzuwenden.255 Zwar handelt es sich bei postdiktatorischen Staaten häufig um solche, die mit einer immensen öffentlichen Verschuldung konfrontiert sind, jedoch sagt der Schuldenstand an sich nichts darüber aus, ob einzelne Verträge als unwirksam klassifiziert werden sollen, weil sie mit Wissen des Gläubigers den Interessen der Bevölkerung entgegenliefen. Andernfalls könnten Gläubiger ressourcenreichen Staaten ohne Weiteres odiöse Kredite zur Verfügung stellen, was eine nicht nachvollziehbare Reduzierung des Anwendungsbereichs der Doktrin darstellen würde. Freilich spricht dies nicht dagegen, die Odious-Debts-Doktrin auch und gerade im Fall überschuldeter Staaten anzuwenden, um somit eine Aussonderung unwirksamer Ansprüche zu erreichen.

II. Zustimmung, Nutzen und Kenntnis: Problematische Aspekte der klassischen Kriterien 1. Zustimmung und demokratische Legitimation als Kriterium? Fraglich ist, ob das Kriterium der mangelnden Zustimmung der Bevölkerung sinnvoll für die Definition von Odious Debts ist. Dies spielt sowohl im Rahmen der klassischen Definition von Odious Debts als auch als Kriterium für die Klassifizierung nach dem Kreditsanktionsmodell eine Rolle. Handelt es sich dabei um ein kumulativ zu erfüllendes Kriterium, führt dies dazu, dass alle in einem demokratischen Prozess eingegangenen Schulden von der Odious-Debts-Doktrin ausgeschlossen werden. Dafür wird angeführt, dass die Bevölkerung eines demokratischen Staates durch freie Wahlen zumindest mittelbar darüber entscheidet, welche finanziellen Verpflichtungen sie gutheißt.256 Allerdings lässt sich zunächst einwenden, dass Schulden denkbar sind, die dem Interesse zukünftiger Generationen zuwiderlaufen, welche für die Fehler ihrer Vorgänger jedoch unbegrenzt haften müssten.257 Dabei ist aber problematisch, an welchem Punkt diese Schulden dann als odiös anzusehen sind. Hier wäre das Anknüpfen an einen Generationenwechsel denkbar, aber nicht durchführbar, weil unklar ist, wann ein 255  So z. B. das Modell von Lewis, oben, Kapitel 3 A.III.4., und die Ausführungen von Dickerson, LCP 2007(70), 53. 256  So Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 57, die sich daher gegen eine Anwendung der Odious-Debts-Doktrin auf demokratische Staaten ausspricht. 257  In diese Richtung Herman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 773, 793 f.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

solcher stattgefunden hat.258 Auch das Anknüpfen an einen Regierungswechsel käme in Betracht. Dies käme jedoch dem Recht gleich, Schulden der Vorgängerregierung als nichtig zu erklären, was international kaum Anerkennung finden könnte. Vor diesem Hintergrund scheint es überzeugender, eine Nation grundsätzlich an Schulden zu binden, die ihre demokratisch legitimierte Regierung eingegangen ist. Allerdings sind auch in einer Demokratie Schulden vorstellbar, die dem Interesse einer Bevölkerungsminderheit widersprechen,259 wenn beispielsweise eine von der Bevölkerungs­mehrheit getragene Regierung eine ethnische Minderheit brutal unterdrückt. Grundsätzlich können hier demokratisch zustande gekommene Verträge vorliegen, deren Gegenstand aber eine grob menschenrechtswidrige Verwendung erfahren hat, sodass eine generelle Ausklammerung nicht gerechtfertigt ist. Ähnliches gilt in despotischen Staaten, wo menschenrechtswidriges Verhalten aus verschiedenen kulturellen und soziologischen Gründen von einem breiten Bevölkerungsanteil gebilligt oder gar gefördert werden kann.260 Umgekehrt kann auch ein verhasster Diktator im Interesse der Bevölkerung handeln, z. B. beim Bau von Wohnungen.261 Den genannten Konstellationen ist gemein, dass Anknüpfungspunkt für die moralische Fragwürdigkeit der Schuld nicht die mangelnde Zustimmung bestimmter Bevölkerungsteile, sondern die bevölkerungsfreundliche oder -schädliche Verwendung der Mittel ist. Gegen die Berücksichtigung eines Demokratiekriteriums spricht weiterhin, dass es schwierig ist, eine international anerkannte Definition von Demokratie zu finden.262 Problematisch können hier Einparteiensysteme, religiöse oder ethnische Quotenregelungen, mangelnde, weil zensierte Informationsmöglichkeiten für eine mündige Wahlentscheidung, aber auch Wahlsysteme wie das der USA sein, bei welchem der Präsident aufgrund des Wahlmännersystems durch eine Minderheit der Wahlbevölkerung gewählt werden kann.263 258  Vgl. zur Problematik der Generationengerechtigkeit Gosseries, Ethics & International Affairs 2007(21), 99 ff. 259  Mit diesem Einwand schon Feilchenfeld, Public Debts, S. 703. 260  Vgl. Gray, LCP 2007(70), 137, 148 ff., der unter anderem den Völkermord in Ruanda und Nazi-Deutschland anführt. 261  Bonilla, Odious Debt, S. 86 verweist in diesem Zusammenhang auf durch China geförderte Investitionen Sudans in Infrastrukturprojekte; Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1229 warnen daher vor einem Ethnozentrismus, der alle Handlungen nichtdemokratischer Staaten automatisch als böse abtut. 262  Vgl. die Argumente bei der Bewertung der Modelle von King (Kapitel 3 A.I.1.b)) und Pogge (Kapitel 3 A.III.3.c)) sowie die Nachweise in Fn. 208. 263  So im Fall der Wahl von George W. Bush, der seinem Gegner Al Gore im Jahr 2000 um ca. 550.000 Stimmen unterlag, aber mit einem Vorsprung von 4 Wahlmännern den Einzug ins Weiße Haus erreichte, vgl. „United States presidential



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell283

Es sind auch Fälle denkbar, in denen eine nicht demokratisch legitimierte Regierung generellen Rückhalt in der Bevölkerung hat (so etwa eine postrevolutionäre Übergangsregierung) oder zumindest für bestimmte Projekte mit Billigung der Bevölkerung handelt, wobei jeweils problematisch ist, wie die Zustimmung der Bevölkerung gemessen werden soll.264 Insbesondere aber können die Übergänge zwischen demokratischen und diktatorischen Regimen fließend sein,265 wie neben dem Tinoco-Fall (oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(7)) auch die jüngsten Ereignisse in Ägypten zeigen. Der aus den ersten demokratischen Wahlen seit der Absetzung Mubaraks hervorgegangene Staatspräsident Mohammed Mursi weitete seine Kompetenzen sukzessive massiv aus, sodass er in der Folge durch eine Militärregierung abgesetzt wurde, welche ihrerseits national wie international sowohl Ablehnung als auch Zustimmung erfuhr.266 Hier ist fraglich, ab welchem Zeitpunkt das Kriterium der mangelnden Zustimmung erfüllt sein soll. Obwohl demokratische Staaten sich durch höhere Rechenschaftspflichten bei der Eingehung von Schulden und generell durch ein menschenrechtsfreundlicheres Klima auszeichnen, ist die Zustimmung der Bevölkerung daher kein taugliches Kriterium, da weder alle Schulden einer Diktatur automatisch odiös sind, noch alle Schulden einer Demokratie automatisch im Bevölkerungsinteresse eingegangen werden.267 Maßgeblich ist vielmehr die menschenrechtlich zu beurteilende Verwendung der Mittel, wobei auch hier das völkerrechtlich anerkannte Recht auf Mitbestimmung268 in die Bewertung mit einfließen kann.269 election of 2000“, Encyclopædia Britannica Online, abrufbar unter http: /  / www.bri tannica.com / EBchecked / topic / 1570192 / United-States-presidential-election-of-2000; vgl. auch die Zweifel an der demokratischen Legitimierung von Verfassungsrichtern bei Shafter, Ethics & International Affairs 2007(21), 49, 56 f. 264  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 50 f. 265  Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1229; Howse, Odious Debt, S. 21, weist zudem auf die Gefahr hin, dass eine demokratische Regierung eine große Menge von Schulden aufnimmt, um daraufhin eine despotische Herrschaft zu begründen; s. a. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 50. 266  s. zu nationalen Reaktionen „Wilder Rausch und blankes Entsetzen“, Handelsblatt, 4.  Juli 2013, abrufbar unter http: /  / www.handelsblatt.com / politik / interna tional / der-tag-nach-dem-umsturz-in-aegypten-wilder-rausch-und-blankes-entsetzen /  8449432.html; s. zu internationalen Reaktionen „Wie der Westen den Umbruch in Ägypten sieht“, Deutsche Welle, 15.  Juli 2013, abrufbar unter http: /  / www.dw.de /  wie-der-westen-den-umbruch-in- %C3 %A4gypten-sieht / a-16948476. 267  Schon bei Sack spielte das Kriterium eine untergeordnete Rolle, s. o. Kapitel 1 A.I.1.; auch in der modernen Literatur finden sich Vorschläge, das Kriterium aufzugeben, vgl. etwa Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83; Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 51; Paulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 93 f.; Wong, Sovereign Finance, S. 138. 268  s. dazu oben, Kapitel 2 B.I. 269  Zum menschenrechtsbasierten Modell s. u. Kapitel 4.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Neben der mangelnden Klarheit, die eine Anknüpfung an das Demokratieprinzip mit sich bringt, spricht daher die Begründung der Odious-DebtsDoktrin grundsätzlich gegen die Berücksichtigung der Zustimmung der Bevölkerung. Denn Zweck der Rechtsfigur ist, die Bevölkerung von solchen Verbindlichkeiten zu befreien, die ihr nicht zugute gekommen sind. Die Argumentation folgt bereicherungsrechtlichen Grundsätzen, wo es grundsätzlich gerade nicht darauf ankommt, ob der Bereicherungsschuldner der Transaktion zugestimmt hat, sondern ob er eine Vermögensmehrung erlangt hat. Für den Bereich der odiösen Schulden bedeutet dies, dass die Verpflichtung zur Gegenleistung gerechtfertigt ist, wenn die Bevölkerung – die auch eventuell unterdrückte Minderheiten umfasst – vom Vertragsschluss profitiert hat. Zulasten einer Minderheit eingegangene Schulden als odiös zu behandeln führt zudem zum Schutz der Betroffenen, weil die Unwirksamkeit der Verträge Gläubiger von deren Eingehung abhalten kann. Allerdings bedarf es zusätzlicher Beurteilungskriterien, um zu vermeiden, dass jeder einzelne Vertrag mit grundsätzlich im Bevölkerungsinteresse handelnden Staaten einer umfassenden Einzelfallprüfung unterfällt (vgl. sogleich, 2. und 3., sowie die Ausführungen zur Bedeutung des Schuldnerregimes in Abschnitt III.). 2. Benefit – was nützt der Bevölkerung? Wie ausgeführt, ist der Nutzen, den die Bevölkerung aus einem ihr aufgezwungenem Vertrag zieht, das maßgebliche Kriterium für die Qualifizierung einer Schuld als odiös.270 Denn wenn ein Despot Schulden beispielsweise zum Bau öffentlich zugänglicher Schulen aufnahm, entspricht es Gerechtigkeitserwägungen, dass einerseits die Bevölkerung für die Schuld haftet, auch wenn sie dieser nicht zugestimmt hat; gleichzeitig ist es legitim, wenn der Gläubiger die Bedienung solcher im Interesse der Bevölkerung eingegangenen Schulden erwartet. Umgekehrt ist es weder aus Bevölkerungs-, noch aus Gläubigersicht überzeugend, dass Verträge über den Kauf von Waffen zur Unterdrückung Oppositioneller Bestand haben sollen (s. zur Gläubigerkenntnis sogleich, 3.). Fraglich ist, ob nur Verträge, die gegen das Bevölkerungsinteresse eingegangen wurden, erfasst werden sollen, oder ob auch solche als odiös zu klassifizieren sind, die der Bevölkerung weder Nutzen noch Schaden bringen. Hängt die Wirksamkeit des Vertrages aber wesentlich mit der Bereicherung auf Seiten des Schuldnerstaates zusammen, so spricht dies dafür, bereits bei fehlendem Nutzen odiöse Schulden anzunehmen (z. B. Finanzierung teurer Urlaubsreisen der Familie des Staatschefs), und nicht erst dann von einem odiösen Vertrag auszugehen, wenn 270  Auch Foorman / Jehle, U.Ill.L.Rev. 1982, 9, 21 ff. stellen in ihrer Beschreibung der Odious-Debts-Doktrin maßgeblich auf das Kriterium „use of proceeds“ ab.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell285

dessen Inhalt der Bevölkerung schadet (wie etwa beim Kauf von Waffen zur Unterdrückung der Bevölkerung). Problematisch kann dieses Ergebnis sein, wenn die Bevölkerungsmehrheit der entsprechenden Verwendung ausdrücklich zugestimmt hat, wie es zumindest mittelbar in demokratischen Staaten der Fall sein kann. Ob trotzdem von der Unwirksamkeit der Schuld auszugehen ist, hängt maßgeblich davon ab, welche weiteren Anforderungen an das Vorliegen odiöser Schulden zu stellen sind (vgl. dazu das Lösungsmodell in Kapitel 4, dort insbesondere Abschnitt C.). Das Hauptproblem der Odious-Debts-Doktrin besteht mithin darin, festzustellen, welche Verträge für die Bevölkerung des Schuldnerstaates nützlich sind. Dabei ist zunächst problematisch, dass der Begriff der Bevölkerung eine heterogene Gruppe umfasst, welche ganz unterschiedliche, gegenläufige Interessen haben kann. So wird etwa für den Fall Kubas271 angeführt, die Niederschlagung der kubanischen Aufstände sei gerade nicht unter Verstoß gegen das Interesse der Bevölkerung, sondern zu deren Nutzen erfolgt, weil der Aufstand von einer Minderheit ausging und zur Zerstörung von Eigentum und Infrastruktur führte.272 Ebenso ist es denkbar, dass menschenrechtswidrige Praktiken zulasten einer Minderheit im Interesse der Bevölkerungsmehrheit durchgeführt werden.273 Hier gilt es, ein Kriterium des Bevölkerungsinteresses zu finden, welches den Interessen aller Bevölkerungsteile angemessen Rechnung trägt.274 Weiterhin ist eine wichtige Erkenntnis, dass es nahezu keine per se nützlichen oder schädlichen Geschäfte gibt, sondern dass das Urteil von den jeweiligen Begleitumständen abhängt.275 Die Lieferung von Waffen etwa kann den legitimen Verteidigungsinteressen des Schuldnerstaates entsprechen; sie kann aber gleichzeitig auch das Regime konsolidieren und der Unterdrückung Oppositioneller Vorschub leisten. Durch Kredite finanzierte Schulen und Krankenhäuser können der Bevölkerung vorenthalten werden, wenn sie ausschließlich Mitgliedern der Regierungselite zugute kommen;276 Straßen können für Truppentransporte wie für den öffentlichen Verkehr genutzt werden;277 Gefängnisse können die Bevölkerung vor Straftätern, aber auch den Despoten vor Regimegegnern schützen278 und herrschaftliche 271  Zum

Fall Kubas vgl. oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(3). N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 699, 718. 273  Vgl. bereits oben, Kapitel 3 B.II.1. 274  Vgl. dazu unten, Kapitel 4 B.I. 275  Vgl. Paulus, WM 2005, 53, 57 und die Ausführungen zum Lösungsmodell unter Kapitel 4 C.II. 276  Paulus, WM 2005, 53, 57. 277  Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 48. 278  Vgl. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 54; Paulus, WM 2005, 53, 57. 272  Pérez / Weissman,

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Paläste können später als Regierungsgebäude oder als touristische Attrak­ tionen Bedeutung erlangen. Nur bei einem klar erkennbaren ausschließlich persönlichen Nutzen für den Staatschef lässt sich vom fehlenden Nutzen für die Bevölkerung ausgehen,279 z. B. bei Überweisung der Darlehensvaluta auf dessen Privatkonto. Im Übrigen ist jedoch jeder Versuch, durch eine Positiv- bzw. Negativliste bestimmte Vertragszwecke auszuschließen, zum Scheitern verurteilt, wenn nicht auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt wird.280 Doch auch das Abstellen auf den Einzelfall begegnet Schwierigkeiten. Zunächst sind Verträge denkbar, die gar keine spezifische Zwecksetzung beinhalten, während gleichzeitig die Zuordnung von bestimmten Krediten zu bestimmten Zwecken schwierig ist. Zudem ist der Begriff des Nutzens selbst unklar. Hierunter könnten nicht nur wirtschaftlich messbare, sondern beispielsweise auch politische und ideelle Vorteile zu fassen sein,281 sodass Ausgaben für Bildung oder künstlerische Projekte möglich bleiben. Freilich sind auch hier die Grenzen ungewiss. So stellt sich etwa die Frage, ob der Bau eines teuren Sportstadiums im Interesse der Bevölkerung liegen kann, wenn gleichzeitig Geld für die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln oder Wohnungen fehlt. Weiterhin ist zu fragen, welcher Zeitpunkt der Beurteilung zugrunde gelegt werden soll. Denn ursprünglich zu legitimen Verteidigungszwecken gelieferte Waffen können später zur Unterdrückung der Bevölkerung eingesetzt werden, und sogar zum öffentlichen Nutzen errichtete Hühnerfarmen können durch eine spätere Privatisierung zu einer persönlichen Bereicherung des Staatschefs führen.282 Je nachdem, welcher Vertragszweck in Rede steht, kann die Natur des Regimes einen Anhaltspunkt bieten (zu deren Relevanz noch genauer unten, III.). Von repressiven Staaten, die sich regelmäßig schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen schuldig machen, ist zu erwarten, dass sie Waffen zu illegitimen Zwecken einsetzen werden, während bei der Beurteilung des Nutzens von Großprojekten mit zweifelhafter Rentabilität das Regime des Schuldnerstaates keine Aussage über den Nutzen zu treffen vermag. 279  Feilchenfeld, Public Debts, S. 710; King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 43. 280  Dies spricht z. B. gegen die Positivliste von King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 655, der ausgehend vom Begriff des public purpose im US-amerikanischen Steuerrecht Zwecke wie die Förderung von Landwirtschaft und Industrie oder die Einrichtung einer öffentlichen Schule nennt. Denn immer ist auch eine missbräuchliche Verwendung denkbar (beispielsweise Unterbezahlung und grobe Missachtung von Arbeiterrechten in öffentlichen Unternehmen; Export der Agrarprodukte bei gleichzeitiger Lebensmittelknappheit im Inland). 281  Zu dieser Problematik schon Feilchenfeld, Public Debts, S. 708 ff. 282  Vgl. Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 79 mit dem Beispiel von Hühnerfarmen.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell287

Aus den aufgezeigten Problemen folgern einige Autoren, dass es unmöglich sei, zwischen nützlichen und schädlichen Schulden zu unterscheiden.283 In der Tat ist das Erstellen einer abschließenden Liste nicht möglich, und ebenso ist es schwierig, objektive, auf jeden Einzelfall anwendbare Tatbestandsmerkmale zu entwickeln, die weder aufgrund ihrer uferlosen Formulierung das gebotene Maß an Rechtssicherheit vermissen lassen, noch derart eng gefasst sind, dass in der Folge nahezu alle Verträge mit despotischen Staaten legalisiert würden.284 Die Ausführungen zeigen aber, dass es verschiedene Kriterien gibt, die bei der Beurteilung der Nützlichkeit ein Rolle spielen, nämlich insbesondere die (beispielsweise despotische) Natur des Schuldnerstaates, Zweck und Inhalt des einzelnen Vertrages (z. B. Kauf von Waffen oder Bau von Krankenhäusern), das bisherige Verhalten des Schuldnerstaates (beispielsweise häufige Privatisierung öffentlicher Einrichtungen zur persönlichen Bereicherung des Staatschefs), das Maß der Überprüfbarkeit der Mittelverwendung und die Begleitumstände (etwa Bau eines Staudamms durch Zwangsarbeiter). Wie sich diese Elemente in eine rechtlich handhabbare Odious-Debts-Doktrin fassen lassen, wird genauer unten, Kapitel 4 C.II., dargestellt. 3. Gläubigerkenntnis Nur die wenigsten Modelle sehen eine Unwirksamkeit der Schuld unabhängig von der Kenntnis des Gläubigers vor.285 Eine solche Lösung steht im Gegensatz zu allgemeinen Rechtsprinzipien286 und dürfte auch kaum mehrheitsfähig sein. Denn es widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden, dass der Gläubiger für eine missbräuchliche Verwendung der Mittel haftet, wenn ihm das in keiner Weise subjektiv zurechenbar ist.287 Andererseits darf die Einbeziehung der Gläubigerkenntnis nicht dazu führen, dass sich der Gläubiger kurzerhand auf seine mangelnde Kenntnis berufen kann, um negativen Folgen zu entgehen. Für die Reichweite des Kriteriums ist von Bedeutung, dass Gläubiger heutzutage eine Vielzahl von Möglichkeiten der 283  So etwa Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 56: „[A]ny attempt to arrive at an agreement on how to distinguish objectively between beneficial and unbeneficial debts is bound to cause insuperable problems.“ 284  Ähnlich die Feststellung von Paulus im Rahmen von dessen oben, Kapitel 3 A.I.5. dargestellten Fallgruppenmodell, an welches sich die hier vorgeschlagene Lösung anlehnt. 285  s. etwa die Ansätze von Bedjaoui, Kapitel 3 A.I.2. und Lewis, Kapitel 3 A. III.4.; für die vollständige Aufgabe des Kriteriums der Kenntnis auch Gosseries, Ethics & International Affairs 2007(21), 99, 104. 286  Paulus, WM 2005, 53, 56. 287  Paulus, WM 2005, 53, 56.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Informationsgewinnung und Einflussnahme haben,288 wenngleich diese nicht unbegrenzt sind. Der Gläubiger ist also in vielen Fällen in der Lage, die Einhaltung des Vertrages nachzuvollziehen und auf diese sogar Einfluss zu üben, etwa indem er auf Überwachungsmechanismen zurückgreift und bei mangelnder Zweckbefolgung weitere Leistungen unterlässt sowie bisher Geleistetes zurück fordert. Daher kann er sich nicht auf mangelnde Kenntnis berufen, wenn er zumutbare und gebotene Schritte unterlassen hat, um die Verwendung der Mittel nachzuverfolgen. Problematisch ist dann, in welchen Konstellationen den Gläubiger eine Nachforschungspflicht trifft.289 Wer Saddam Hussein Chemikalien liefert,290 wer in Nordkorea den Bau von Gefängnissen finanziert oder wer dem Iran beim Kauf von Atombrennstäben unterstützt, muss grundsätzlich eher von einer missbräuchlichen Verwendung ausgehen, als wenn er entsprechende Transaktionen mit Schweden abschließt. Es spricht also einiges dafür, den Umfang des Gebotenen aus dem Verhalten des Vertragspartners bzw. aus der Natur des Regimes des Schuldnerstaates abzuleiten, vorausgesetzt, es lassen sich hinreichend objektive Kriterien für dessen Beurteilung finden.291 Soweit hier bisher von „dem Gläubiger“ gesprochen wurde, ist eine Präzisierung geboten. Denn wie bereits zu Beginn dieser Arbeit ausgeführt, können auf Gläubigerseite ganz unterschiedliche Beteiligte stehen,292 die sich durch ein breites Spektrum an Einflussnahme- und Kenntnismöglichkeiten auszeichnen. Problematisch sind hier vor allem private Kleinanleger, die selbst keine genaue Kenntnis von der Verwendung ihrer Anlagen haben und häufig nicht einmal den genauen Bestand ihres Portfolios zu einem bestimmten Zeitpunkt kennen.293 Es wäre daher denkbar, deren Ansprüche immer als wirksam zu behandeln294 oder die Odious-Debts-Doktrin auf bestimmte Transaktionen wie Anleihen erst gar nicht anzuwenden. Dahinter steht der Gedanke, dass der Schaden nicht bei dem verbleiben soll, den keine Verantwortung für die Schädigung (hier: schädliche Verwendung der Mittel) trifft. Dies würde jedoch zu einer starken Verengung der Rechtsfigur 288  Vgl. ausführlich Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 49 ff. sowie Bonilla, Odious Debt, S. 87 und Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 967. 289  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 58 kritisiert in diesem Zusammenhang, dass der Gläubiger nach der klassischen Doktrin eine Demokratieprüfung vornehmen müsste; unter Geltung des Kreditsanktionsmodells wäre dem Gläubiger diese Aufgabe allerdings abgenommen. 290  Vgl. den Fall der Karl Kolb GmbH, s. o. bei Fn. 1. 291  Dazu ausführlich sogleich, Kapitel 3 B.III. 292  Vgl. oben, Kapitel 1 A.II.3. 293  Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 93; Bonilla, Odious Debt, S. 88. 294  Dafür Aden, ZRP 2010, 191, 193; in diese Richtung wohl auch Buchheit / Gulati, Me.L.R. 2008(60), 477, 482.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell289

führen.295 Hingegen besteht für die Vermögensverwalter und Banken der Kleinanleger die Möglichkeit, sich genauere Informationen über die entsprechenden Anlageobjekte zu beschaffen. Empfehlen diese dennoch die Investition in odiöse Verbindlichkeiten, so verletzen sie ihre Pflicht gegenüber den Anlegern und machen sich schadensersatzpflichtig.296 Der Kleinanleger würde mithin nicht den Schaden der Unwirksamkeit tragen, sodass auch hier die Anwendung der Odious-Debts-Doktrin zu befürworten ist. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich zum einen, dass Bezugspunkt der Gläubigerkenntnis nicht nur der Verwendungszweck, sondern auch die tatsächliche Verwendung der Mittel sein muss.297 Ansonsten könnte sich der Gläubiger eine bestimmte legitime Verwendung versprechen lassen und damit die Anwendung der Odious-Debts-Doktrin ausschließen, selbst wenn sich ihm die Wahrscheinlichkeit einer abweichenden Verwendung aufdrängt. Die Haftung hat jedoch dort ihre Grenzen, wo es dem Gläubiger nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Verwendung der Mittel nachzuvollziehen. Dementsprechend muss der Gläubiger unter Umständen vom Vertragsschluss absehen, wenn er im Voraus weiß, dass der Schuldnerstaat den Kredit missbräuchlich verwenden wird und er darauf keine Einflussmöglichkeiten haben wird. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die positive Kenntnis alleine kein ausreichendes Kriterium ist für die Beurteilung der Gläubigermitverantwortung ist. Vielmehr muss auch die fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers von Zweck und Nutzen des Vertrages mit einbezogen werden, wie es im Hinblick auf den zivilrechtlichen Verschuldensmaßstab allgemein üblich ist,298 um ein treuwidriges Wegsehen des Gläubigers angemessen zu sanktionieren.299 Ein konsistent gestaltetes und objektiviertes Klassifizierungssystem auf Grundlage des Vorschlags von Jayachandran, Kremer und Shafter könnte es ermöglichen, eine Präzisierung der Gläubigerkenntnis vorzunehmen, indem es Fälle herausgreift, in denen eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Gläubigers gerechtfertigt ist. Nach einer entsprechenden Klassifizierung könnte sich ein Gläubiger nicht mehr auf sein Vertrauen auf eine legitime Verwendung berufen, sondern müsste Vorkehrungen treffen, um eine solche abzu295  Für die Anwendung auf Kleinanleger daher auch Chander, Emory L.J. 2004(53), 923, 926 f. 296  In diese Richtung auch Raffer, LCP 2007(70), 221, 235. 297  Vgl. auch oben, Kapitel 3 A.I.1.a). 298  Vgl. die Nachweise in Fn. 14. 299  Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 57 ff.; Howse, Odious Debt, S. 17 f.; King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 46; Paulus, WM 2005, 53, 57; Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 967.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

sichern. Nicht beantwortet ist jedoch die Frage, welches Maß an Mitwirkung dem Gläubiger abverlangt werden kann, wenn er mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten Verträge zu legitimen Zwecken abschließen möchte. Ein entsprechendes Überprüfungs­modell wird genauer in Kapitel 4 C.III. dargestellt werden.

III. Odiöse Schulden, odiöse Regime und Kreditvergabe an despotische Staaten Nicht erst seit dem Vorschlag des Kreditsanktionsmodells stellt sich die Frage, ob die einzelne Schuld oder die Natur des Schuldnerregimes ausschlaggebend für die Qualifizierung einer Schuld als odiös sein soll.300 Schon Sack sprach von einem „pouvoir despotique“301, der bestimmte Schulden eingeht. Auch in den diskutierten Anwendungsfällen handelte es sich typischerweise um Regime, welche die eigene Bevölkerung unterdrückten und dadurch Gelder zu bevölkerungswidrigen Zwecken benutzten. Allerdings ist der moralische Grund für die Unwirksamkeit der Schuld nicht die Verwerflichkeit des Schuldners, sondern die der Verwendung der Mittel. Weil die Bevölkerung von einem Kredit keinen Nutzen erlangte und auch keine Mitsprache hinsichtlich der Verwendung hatte, soll sie von der Erfüllung der Verbindlichkeit befreit werden. Im Gegensatz dazu kann auch ein Diktator Geld beispielsweise in die öffentliche Gesundheitsversorgung investieren; diese Investition als odiöse Schuld zu behandeln, nur weil der Schuldner selbst geächtet ist, widerspricht jedoch der Begründung der Odious-Debts-Doktrin.302 Allerdings lassen sich die Bewertung der Schuld und die des Schuldners nicht immer klar trennen. Zwar ließen sich die eben (II.3.) angesprochenen Chemikalien von Hussein auch als Pestizide einsetzen, können in den nordkoreanischen Gefängnissen auch gewöhnliche Straftäter inhaftiert werden und kann der Iran Atombrennstäbe auch zivil nutzen; jedoch legt das bisherige Verhalten des jeweiligen Schuldnerstaates eine missbräuchliche Verwendung zumindest nahe. Auch die Vergabe unspezifischer Kredite ohne Verwendungszweck an bestimmte Staaten ist unproblematisch, während die 300  Vgl. zum Kreditsanktionsmodell oben, Kapitel 3 A.III.1. Kritisch zu diesem Perspektivwechsel Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1203 f.; für einen objektbezogenen Ansatz im Gegensatz zu einem subjektbezogenen auch Paulus, Responsible Bilateral Lending and Borrowing, S. 5. 301  Sack, Dettes Publiques, S. 157. 302  Vgl. auch Leyendecker, Auslandsverschuldung, S. 186, der die Begründung der Rechtsfigur darin sieht, dass nur entwicklungsfreundliche Kredite vergeben werden dürfen.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell291

finanzielle Unterstützung von menschenverachtenden Diktaturen großen Bedenken begegnet. Wie der konkrete Kredit verwendet wurde, lässt sich zudem nicht immer nachvollziehen, da ein Diktator die Verwendung von Krediten zu bevölkerungswidrigen Zwecken kaum in überprüfbarer Weise dokumentieren wird. Gleiches gilt für Staatsanleihen, die nicht mit einer Zweckbestimmung ausgegeben wurden oder dieser nicht folgen. Die Natur des Regimes ist also durchaus relevant, um eine Bewertung der einzelnen Schuld vorzunehmen. Problematisch ist vielmehr, ob die Natur des Regimes das alleinige Kriterium für die Beurteilung darstellen soll, wie es beispielsweise der Vorschlag des Center for Global Development vorsieht (s. o. A.III.3.b)). Dafür lässt sich anführen, dass ein Modell, das auf die einzelnen Transaktionen abstellt, mit einem immensen Aufwand hinsichtlich der Bewertung der einzelnen Kredite verbunden ist,303 insbesondere, weil eine Vielzahl von Restrukturierungen zu einer Vermengung der verschiedenen Kredite geführt haben kann.304 Weiterhin wird argumentiert, dass jeder Kredit an ein despotisches Regime diesem in irgendeiner Form zugute kommt.305 Dem ist aber zu widersprechen, weil die Ratio der Odious-Debts-Doktrin gerade darin besteht, die Bevölkerung von der Begleichung solcher Schulden zu befreien, von der sie keinen Nutzen erhalten hat, und weil bei einer totalen Kreditsperre überhaupt keine sozialen Projekte mehr finanziert würden.306 303  Vgl. Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 63; Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 979. 304  Dazu ausführlich unten, Kapitel 3 B.V. 305  Vgl. den Nachweis bei Hanlon, Paying for Apartheid Twice, S. 11, der das South African Institute of Financial Policy Options wie folgt zitiert: „[I]t is not necessary to prove that any one loan was used by the apartheid government for a purpose contrary to the wishes or interests of the majority of the population. The purpose of the apartheid state was to ensure and perpetuate the economic and social advancement of a racial minority at the expense of the majority. … Any loan incurred by the apartheid state perpetuated its hegemony, whether it was spent on roads or schools or the military or the expansion of a parastatal.“ In diesem Sinne auch King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 44; differenzierter Kaiser /  Queck, Odious Claims on Iraq, S. 18: „Budget aid which benefited the naturally fungible Iraq state budget should be regarded both on principle and in view of the character of the regime as funds that served to support an illegitimate and odious regime, and must thus be viewed as basically illegitimate, without detriment to any individual appeals from the creditor side“ (Hervorhebung durch den Zitierenden). 306  Vgl. dazu oben, Kapitel 1 C., insbes. Kapitel 1 C.III.1.; in diesem Sinne auch Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1226 ff.; Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 766 f. Gray, LCP 2007(70), 137, 154 ff. führt zudem an, dass dem Wahrheitsbedürfnis einer im Übergang befindlichen Gesellschaft nicht entsprochen würde, wenn anstelle einer Aufarbeitung pauschal alle Verträge als unwirksam qualifiziert würden; dem widerspricht Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J.Transnat’l. L.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Die Investitionen eines Diktators in eine soziale Grundsicherung, die allen Bevölkerungsteilen offen steht und damit der gesamten Bevölkerung zugute kommt, mag zwar zu einer geringeren Unzufriedenheit der Bevölkerung führen und einen Regimewechsel verzögern;307 dennoch scheint es nicht gerechtfertigt, unter den Beteiligten (Despot, Bevölkerung und Gläubiger) den Gläubiger mit der Unwirksamkeit des Kredites zu belasten, wenn die Bevölkerung davon profitiert hat. Die Frage muss also nicht lauten: „odiöse Schuld oder odiöses Regime?“,308 vielmehr lassen sich aus der Natur des Regimes Schlüsse auf die Qualifizierung der Schuld ziehen,309 die durch eine Betrachtung im Einzelfall zu ergänzen sind. Sinnvoll ist daher ein Modell, das die Aspekte des Schuldnerregimes und der Verwendung im Einzelfall verbindet, anstatt eine vollständige Vertragssperre zur Folge zu haben. Erfüllt ein Regime bestimmte objektive Kriterien, erscheint es angebracht, beim Vertragsschluss mit diesem besondere Vorsicht walten zu lassen, um die missbräuchliche Verwendung der Mittel auszuschließen. Dem kann mit einer Beweislastumkehr Rechnung getragen werden, sodass es nun dem Gläubiger obliegt, die legitime Verwendung der Mittel im Einzelfall nachzuweisen und zu überprüfen. Denn wie die Beispiele von Nordkorea, Iran und Irak unter Hussein zeigen, besteht ab einer bestimmten Schwelle die Vermutung, dass ein Regime Mittel grundsätzlich zur Perpetuierung seiner Herrschaft verwenden wird.310 Gleichzeitig verhindert ein solches Modell, dass bei prima facie unproblematischen Transaktionen mit legitimen Regierungen extensive Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden müssen, die zu einer Verteuerung des gesamten Kreditverkehrs führen. Von übergeordneter Bedeutung sind dabei die Kriterien, die zur Beurteilung eines Regimes herangezogen werden sollen. Weil es im Kern um die Frage geht, ob Gelder und Sachmittel einer legitimen Verwendung zugeführt werden, kann hier weder die demokratische Legitimation311 noch die internationale (Un-)Beliebtheit einer Regierung den Ausschlag geben. Vielmehr ist zu fragen, wie sich objektiv messen lässt, ob eine Regierung Mittel grundsätzlich im Interesse der Bevölkerung einsetzt. Das in Kapitel 4 vorgeschlagene Lösungsmodell stellt darauf ab, 2009(48), 59, 95 f. mit dem Verweis auf freiwerdende Ressourcen, die zur Aufarbeitung eingesetzt werden könnten. 307  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 54 m. w. Nachw. 308  Vgl. aber den gleichnamigen Artikel von Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83; kritisch Olivares-Caminal, Sovereign Debt Restructuring, Rn. 3-088 ff. 309  Ähnlich auch Paulus, WM 2005, 53, 85 f., der die Person des Schuldnervertreters als ein Kriterium bei der Fallgruppenbildung sieht, soweit sich dessen Beurteilung nach objektiven Maßstäben richtet. 310  Vgl. die Nachweise in Fn. 305. 311  Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3 B.II.1.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell293

ob die Regierung ihrer Verpflichtung nachkommt, die Menschenrechte ihrer Bevölkerung zu achten, zu schützen und zu fördern, weil es sich hierbei um einen objektiven Maßstab handelt, welcher geeignet ist, eine umfassende und differenzierte Bewertung des Schuldnerstaates zu ermöglichen (s. ausführlich unten, Kapitel 4 B.).

IV. Institutionelle Fragen Die Frage, welche Institution über die Klassifizierung von Schulden als odiös entscheiden soll, lässt sich erst beantworten, wenn inhaltliche Krite­ rien für diese Entscheidung festgelegt ist. Die Diskussion um die richtige Entscheidungsinstanz kann daher erst im Anschluss an einen Definitionsvorschlag, unten, Kapitel 4 D., fruchtbar gemacht werden. Im Folgenden sollen einige in der bisherigen Debatte vorgebrachte Vorschläge dargestellt werden, die Rahmenpunkte für eine institutionelle Entscheidungsfindung beinhalten. Am einen Ende des Spektrums möglicher Institutionen finden sich Gerichte, die nach einer international anerkannten Definition Schulden als odiös qualifizieren. Sofern diese Definition rechtlich praktikabel ist, wäre es möglich, nationale Gerichte mit dieser Aufgabe zu betrauen,312 da diese ohnehin schon über Kompetenzen in zivilrechtlichen Finanzangelegenheiten verfügen. Sind verschiedene Gerichte unterschiedlicher Rechtsordnungen zuständig, birgt dies allerdings die Gefahr widerstreitender Entscheidungen, die durch eine gegenseitige Beachtung durch die Gerichte sowie durch eine sukzessive Rechtsangleichung abgemildert werden könnte.313 Darüber hinaus stellen sich Fragen der Legitimation, wenn nationale Gerichte über eine Vielzahl internationaler Verträge entscheiden sollen. Hier ist maßgeblich, dass die Entscheidungsgrundlage internationale Anerkennung gefunden haben muss, etwa in Form einer internationalen Konvention über odiöse Schulden. Eine einheitliche und vorhersehbare Anwendung der OdiousDebts-Doktrin ließe sich noch besser durch ein internationales Gericht erdebatte reichen.314 Ein solches wird im Rahmen der Staateninsolvenz­ diskutiert,315 und auch die NGO-Kampagne für ein faires und transparentes Entschuldungsverfahren FTAP („fair and transparent arbitration process“) setzt sich für ein unabhängiges, mit Schuldner-, Gläubigervertretern und 312  Vgl. die privatrechtlichen Ansätze von Buchheit, Gulati, Thompson und Feibelman, oben, Kapitel 3 A.I.4.; kritisch allerdings Tarullo, LCP 2007(70), 263, 272, der eine unkontrollierte Ausweitung der Kriterien fürchtet. 313  Vgl. oben, Kapitel 3 A.I.4. 314  Für ein internationales Gericht auch Howse, Odious Debt, S. 22; Wong, Sovereign Finance, S. 153 ff. 315  Vgl. dazu den Vorschlag von Paulus, IILR 2012(3), 1, 12.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

neutralen Dritten besetztes gerichtliches Gremium ein.316 Es wäre auch denkbar, ein solches Gericht nur mit einer Rechtsmittelfunktion auszustatten, während nationale Gerichte als Eingangsinstanzen zuständig sind. Der Internationale Gerichtshof (IGH) scheint dafür allerdings zumindest in seiner gegenwärtigen Form weniger geeignet, weil hier nur Staaten parteifähig sind.317 Jenseits von Gerichten werden eine Vielzahl von bestehenden Institutionen angeführt, in deren Kompetenz die Anwendung der Odious-DebtsDoktrin übergeben werden könnte. Die von Jayachandran, Kremer und Shafter vorgeschlagene Einbeziehung des UN-Sicherheitsrates ergibt sich aus der politischen Ausgestaltung ihres Modells von Kreditsanktionen;318 sie hat das hohe Maß an internationaler Legitimation auf ihrer Seite, begegnet angesichts politischer Blockadehaltung der Veto-Mächte jedoch großen Bedenken.319 Die im Kern politische Ausrichtung des Sicherheitsrates bietet zudem keine Gewähr, zu einem rechtlichen Kriterien unterworfenen Sanktionsregime zu führen, zumal an der Entscheidungsfindung sowohl Gläubiger als auch Schuldner potentiell odiöser Schulden beteiligt wären320 und es an einer prozeduralen Absicherung der Rechte der betroffenen Staaten mangelt. Der Vorschlag, den Paris Club mit der Entscheidungsfindung zu betrauen,321 begegnet Bedenken hinsichtlich der Transparenz der Entscheidungsfindung und der Neutralität des Gremiums. Zwar handelt es sich bei dem Paris Club um eine Institution, die bereits mit Staatsschulden befasst ist, dies jedoch ausschließlich aus der Perspektive staatlicher Gläubiger. So fehlt es an einer prozeduralen Absicherung der Schuldnerinteressen; während der Verhandlungstreffen hat der Schuldnervertreter den Raum zu verlassen und wird nur durch den Vorsitzenden über die Ergebnisse der Bera316  Kaiser,

in: Mshana, The Debt Problem for Poor Countries, S. 124. (1) des IGH-Statuts; über das Staatenklageverfahren hinaus kann der IGH zudem Rechtsgutachten (advisory opinions) im Auftrag der UN und ihrer Unterorganisationen anfertigen, Art. 65 (1) IGH-Statut; zu einer möglichen Funktion des IGH im Rahmen eines Insolvenzverfahrens vgl. Paulus, ZRP 2002(35), 383, 385. 318  Vgl. dazu oben, Kapitel 3 A.III.1.; für die Einbeziehung des UN-Sicherheitsrates auch Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 90 f. 319  Waibel, Sovereign Defaults, S. 29, führt zwar Sicherheitssanktionen mit Kreditvergabeverboten an, dabei handelt es sich angesichts der vielen potentiellen Anwendungsmöglichkeiten aber um Ausnahmefälle. Kritisch, ob eine entsprechende Resolution auch zur Unwirksamkeit der Kreditverträge führen würde, Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 17; dagegen Stephan, LCP 2007(70), 213, 227. 320  Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 61. 321  Vgl. den Vorschlag von Bonilla, Kapitel 3 A.I.6. 317  Art. 34



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell295

tungen der Gläubigerstaaten informiert.322 Dementsprechend werden die Verhandlungsergebnisse dafür kritisiert, zu einer Perpetuierung der Abhängigkeit der Schuldner von Gläubigern zu führen.323 Auch eine Einbeziehung privater Gläubiger in die Verhandlung fehlt.324 Die Entscheidung, welche Schulden odiös sind, sollte ohnehin nicht in die Hände der Gläubiger gegeben werden,325 da bei diesen der Wille zur Schuldenreduzierung eher gering ausgeprägt sein dürfte.326 Genauso wenig sollte allerdings der Schuldner alleine über die Wirksamkeit der Schulden zu befinden haben,327 wie das durch objektive Kriterien schwer zu rechtfertigende Vorgehen Ecuadors zeigt.328 Ebenso ist es problematisch, die Entscheidung auf Ebene des IWF anzusiedeln.329 Zwar verfügt dieser über eine hohe fachliche Kompetenz im Hinblick auf finanzielle Transaktionen und ist heute auch kaum als Gläubiger odiöser Verpflichtungen auszumachen,330 jedoch besteht aufgrund des Quotensystems331 ein Stimmenübergewicht zugunsten wirtschaftlich starker Staaten, während die potentiellen Schuldner odiöser Verbindlichkeiten nur geringe Stimmrechte innehaben. Ähnliches gilt für die Weltbankgruppe, die sich ebenfalls durch ein der Höhe der finanziellen Einlagen entsprechend gewichtetes Stimmrecht auszeichnet.332 In beiden Fällen kommt also potentiellen Gläubigerstaaten odiöser Verbindlichkeiten die überwiegende Entscheidungskompetenz zu, was mit dem Prinzip „nemo iudex in sua causa“ 322  s. für den Ablauf der Treffen die Informationen auf der offiziellen Website des Paris Club, http: /  / www.clubdeparis.org / sections / composition / fonctionnement-duclub / deroulement-d-session. 323  Vgl. Gelpern, LCP 2007(70), 81, 102. 324  Diese haben nur indirekt durch die Comparability-of-Treatment-Klausel am Ergebnis teil. 325  Vgl. bereits die Kritik an dem Vertragsklauselmodell Feibelmans, oben, Kapitel 3 A.I.3.b); gegen den Paris Club und für ein neutrales Forum auch Kaiser, in: Mshana, The Debt Problem for Poor Countries, S. 124. 326  Buchheit / Gulati, LCP 2010(73), 63, 90. 327  In diese Richtung aber aufgrund des Demokratieprinzips Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 55. 328  Vgl. oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(20). 329  Dafür Gentile, LCP 2010(73), 151, 171 m. w. Nachw.; Ginsburg / Ulen, LCP 2007(70), 115, 133; kritisch Paulus, WM 2005, 53, 60; Stephan, LCP 2007(70), 213, 228; Tarullo, LCP 2007(70), 263, 268. 330  Insbesondere wegen der von despotischen Staaten selten akzeptierten Konditionalität, vgl. Thomas, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 104. 331  Vgl. die Beschreibung auf http: /  / www.imf.org / external / about / members.htm. 332  Vgl. http: /  / www.worldbank.com à about à leadership à boards of directors; anders als beim IMF besteht bei der Weltbank zudem der Verdacht, selbst Gläubiger odiöser Verträge zu sein, zumindest in Bezug auf Korruption, vgl. Thomas, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 101 ff.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

(niemand sei Richter in eigener Sache) kollidiert. Allerdings wäre es auch denkbar, im Rahmen dieser Organisationen weisungsunabhängige Gremien zu schaffen, die sich mit der Wirksamkeit odiöser Verträge auseinanderzusetzen haben, wenn deren neutrale Besetzung gewährleistet ist. In Betracht kommen auch andere internationale Organisationen, die sich mit wirtschaftlichen Fragen befassen, insbesondere die Welthandelsorganisation (WTO).333 Deren Mitgliederstruktur deckt weite Teile der Staatengemeinschaft ab, ohne dass die Stimmen nach der Wirtschaftsleistung gewichtet wären.334 Im Rahmen der WTO besteht seit Abschluss des Dispute Settlement Understanding (DSU) ein Streitbeilegungs­mechanismus, der die Einsetzung von Panels mit Angehörigen von am Rechtsstreit nicht beteiligten Drittstaaten sowie eine Rechtsmittelinstanz vorsieht.335 Die Befassung der WTO mit der Frage odiöser Schulden setzt allerdings eine entsprechende Übereinkunft aller WTO-Mitgliedstaaten voraus, was eher unwahrscheinlich erscheint. Zusammenfassend lassen sich mehrere Aspekte nennen, die für die institutionelle Komponente einer Odious-Debts-Doktrin von Bedeutung sind, nämlich Legitimation, Neutralität, Transparenz und Umsetzbarkeit. Für die Legitimation ist die internationale Anerkennung des Entscheidungsgremiums maßgeblich, sei es, weil ein bestehendes Gremium entsprechendes Ansehen genießt, sei es, weil ein neues Gremium auf Grundlage einer international anerkannten Konvention eingerichtet wird. Die Neutralität des Gremiums setzt voraus, dass die Entscheidung nicht (maßgeblich) bei den Gläubigern oder Schuldnern der streitigen Ansprüche, sondern bei unbefangenen Dritten liegt.336 Für die Transparenz des Verfahrens ist zum einen von Bedeutung, dass rechtlich festgelegte Kriterien in nachvollziehbarer Weise angewendet werden; gleichzeitig bedarf es einer prozeduralen Ausgestaltung, die es den Betroffenen erlaubt, ihre Interessen geltend zu machen. Umsetzbarkeit schließlich bedeutet, dass es auch absehbar sein muss, dass sich die maßgeblichen Staaten auf eine entsprechende Kompetenzerweiterung bestehender Institutionen oder auf die Einrichtung eines entsprechenden Gremiums einigen können. Hier sind auch die Komplexität des Lösungsansatzes und damit verbundene Kosten zu berücksichtigen.337

333  Für die Einbeziehung des Dispute Settlement Bodys der WTO Paulus, WM 2005, 53, 60. 334  Vgl. Art. IX (1) des Agreement Establishing the World Trade Organization. 335  Vgl. Art. 6 ff. DSU (Panels) und Art. 17 DSU (Appellate Body). 336  In diese Richtung auch Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1229. 337  Bonilla, Odious Debt, S. 92.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell297

V. Restrukturierung, Umschuldung und „Kreditwäsche“ Problematisch ist, wie mit einer odiösen Schuld umgegangen wird, wenn diese durch einen oder mehrere neue Kredite abgelöst wird.338 Dieses Phänomen wird im Rahmen der Odious-Debts-Debatte auch als Kreditwäsche („loan laundering“) bezeichnet,339 obwohl es nicht zwingend auf einem illegalen Verhalten beruht.340 Prima facie liegt es hier nahe, auch die neuen Kredite als odiös zu behandeln.341 Dies stößt jedoch auf Probleme, wenn die Summen der alten und der neuen Kredite nicht deckungsgleich sind. Wird z. B. ein odiöser Kredit in Höhe von 1000 € durch zwei Kredite in Höhe von 750 € ersetzt, so ist unklar, welcher Teil welchen Kredits zur Finanzierung des neuen, und welcher Teil zu anderen, möglicherweise legitimen Zwecken verwendet wird. Möglich wäre, beide Kredite als teilweise (nämlich in Höhe von je 500 €) odiös zu behandeln, vorausgesetzt, die Kenntnis der Kreditgeber ist in beiden Fällen gegeben. Eine entsprechende Qualifizierung neuer Kredite ist allerdings nur möglich, wenn überhaupt nachvollziehbar ist, ob Kredite zur Erfüllung alter Verbindlichkeiten verwendet wurden. Häufig wird dies nicht der Fall sein, wenn nämlich Kredite und Anleihen dem allgemeinen Regierungsbudget zugute kommen, welches erst dann spezifischen Zwecken zugewiesen wird. Die Problematik entfällt im Fall des Kreditsanktionsmodells, denn hier werden alle Schulden als odiös behandelt, wenn sie nicht dezidiert legitimen Zwecken dienen. Da die Refinanzierung odiöser Kredite keinen legitimen Zweck darstellt, wäre eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung unwirksam. Die Thematik wird insbesondere im Fall der Restrukturierung von Staatsschulden relevant.342 Im Fall überschuldeter Staaten werden häufig verschiedenste Kredite durch neue ersetzt, sodass potentiell odiöse mit legitim verwendeten Mittel vermengt und zu neuen Schulden zusammengefasst werden.343 Wie der Fall des Irak344 zeigt, kann es für den Schuldnerstaat 338  Ausführlich dazu Thomas, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 95 ff.; vgl. auch Ginsburg / Ulen, LCP 2007(70), 115, 125; Raffer, LCP 2007(70), 221, 234 f. 339  Vgl. Hanlon, Third World Quarterly 2006(27), 211, 220 f.; Hanlon, in: Jochnick / Preston, Sovereign Debt at the Crossroads, S. 116 f. 340  Vgl. etwa Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 78. 341  So Hanlon, in: Jochnick / Preston, Sovereign Debt at the Crossroads, S. 116 f.; weitergehend jedoch ebd., S. 118 und Hanlon, Third World Quarterly 2006(27), 211, 221, demnach aus Gründen der Fungibilität alle Kredite an odiöse Staaten als unwirksam angesehen werden sollen. 342  Vgl. Thomas, in: CISDL, S. 96 f. 343  Feinerman, LCP 2007(70), 193, 207. 344  Vgl. oben, Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(16).

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

dabei durchaus von Vorteil sein, auf die Einrede odiöser Schulden zu verzichten. Häufig führen solche Umschuldungen aber zur Perpetuierung odiöser Schulden, die in der Folge nicht mehr ohne Weiteres ausgesondert werden können.345 Während in der Vergangenheit keine wirksame OdiousDebts-Einrede bestand, würde ein Lösungsmodell einer Nachfolgeregierung in Zukunft die Möglichkeit eröffnen, odiöse Schulden von der Restrukturierung auszuschließen. Entscheidet sich die Regierung dennoch für die Umschuldung, müsste darin gleichzeitig eine Bestätigung der Wirksamkeit der vergangenen Schulden zu sehen sein.346 Die Situation ist problematischer, wenn die Restrukturierung noch zu Zeiten der Regierung vorgenommen wird, die die odiösen Schulden eingegangen ist. Dann sollte in der Umschuldung keine Bestätigung der Wirksamkeit gesehen werden, weil die entgegen dem Bevölkerungsinteresse handelnde Regierung nicht wirksam auf die im Interesse der Bevölkerung bestehende Einrede verzichten kann.347 Das Problem der Vermischung der verschiedenen Schulden bleibt jedoch bestehen, was eine Aussonderung odiöser Verbindlichkeiten in der Zukunft erschwert. Hier würde die Anwendung des Kreditsanktionsmodells dazu führen, dass eine Schuldenrestrukturierung nicht möglich ist, weil die Restrukturierung odiöser Schulden keinen nützlichen Zweck verfolgt, was gleichzeitig zu einer weiteren Begrenzung der Ressourcen eines despotischen Regimes führen würde. Die Umschuldung legitimer Kredite hingegen würde keinen Bedenken begegnen. Problematisch ist schließlich auch die Konstellation, in welcher ein Diktator solche Schulden restrukturiert, die vor seiner Machtübernahme zu legitimen Zwecken eingegangen wurden. Hier fordern Bolton und Skeel, alle früheren legitimen Schulden als odiös zu behandeln, um die Ressourcen des Schuldnerregimes weiter zu reduzieren.348 Allerdings verletzt ein solcher Ansatz die Rechte der redlichen Gläubiger und würde zudem die Risikoprämien steigen lassen, weil sogar bei der Vergabe und Verwendung von Krediten zu legitimen Zwecken die nachträgliche Unwirksamkeit drohen wür345  Dieser Vorwurf trifft besonders die sog. Brady-Bonds, vgl. dazu m. w. Nachw. Feinerman, LCP 2007(70), 193, 207 ff.; Pérez / Weissman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 699, 727 ff.; Thomas, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 95 f. 346  So auch Feinerman, LCP 2007(70), 193, 207; Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 60; vgl. auch die Diskussion einer entsprechenden Entscheidung des argentinischen Obersten Gerichtshofs bei Michalowski, Unconstitutional Regimes, S.  107 f. und 120 ff. Thomas, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 98 weist darauf hin, dass die Ersetzung einer odiösen Schuld durch eine Anleihe oder einen neuen Kreditvertag als Novation angesehen werden könnte, was in der Folge die odiöse Natur der Schuld entfallen lassen könnte. 347  Vgl. die Argumentation zur Bestechung, oben, Kapitel 2 B.II. 348  Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 102.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell299

de.349 Richtigerweise sollte daher nur die Restrukturierung odiöser Schulden zu neuen odiösen Schulden führen, wobei bereits die Einbeziehung weniger odiöser Schulden zur Unwirksamkeit des gesamten Ergebnisses führen sollte.350 Durch diesen Ansatz könnte vermieden werden, dass das Schuldnerregime odiöse und nicht-odiöse Schulden vermischt und der Einwand der odiösen Schulden mangels Nachvollziehbarkeit der einzelnen Verwendungen entfällt.

VI. Globale Umsetzbarkeit und Legitimität der Odious-Debts-Doktrin Dass die bisher entwickelten Lösungsmodelle noch nicht aufgegriffen wurden, belegt die Zurückhaltung der Staatengemeinschaft in Bezug auf eine Regelung der Problematik, wobei die bisherigen Modelle wie ausgeführt noch Verbesserungspotential bergen. Andererseits zeigen jüngere Entwicklungen auf nationaler wie internationaler Ebene,351 dass eine Regelung in absehbarer Zeit nicht ausgeschlossen ist. Dass kaum die gesamte Staatenwelt zu einer Mitwirkung an einem Lösungsmodell bereit sein wird, ist dabei hinzunehmen. Mit Bezug auf die Wirksamkeit der Odious-DebtsDoktrin wurde bereits oben, Kapitel 1 C.I.4., ausgeführt, dass deren globalen Anerkennung nicht notwendig ist. Neben der Wirksamkeit stellt sich jedoch auch die Frage der Legitimität eines solchen Lösungsmodells. Dazu lässt sich zunächst sagen, dass nicht einmal die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht die Akzeptanz durch alle, sondern durch die Mehrheit von Staaten verlangt.352 Handelt es sich um eine vertragliche Regelung, so kann auch eine Minderheit von Staaten eine Vorreiterrolle einnehmen und ein Regelungswerk schaffen, welchem dann andere Staaten beitreten können, was schließlich zur universellen Anerkennung führen kann. Die Legitimität einer solchen Regelung wird dann erhöht, wenn diese die Unterstützung einer möglichst vielfältigen und damit repräsentativen Gruppe von Staaten findet. Ein gutes Beispiel ist hier die sukzessive Anerkennung von Menschenrechten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schon der mehrfache Verweis auf Menschenrechte in der 349  Vgl. zu letzterem Punkt Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 19, Fn. 24. 350  In diese Richtung auch Thomas, in: Khalfan u.  a., CISDL Working Paper, S. 100. 351  Vgl. dazu oben, Kapitel 1 A.I.3.a) sowie die in Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(19) und Kapitel 2 D.II.2.a)bb)(21)(a) diskutierten Resolutionen des belgischen Senatsausschusses bzw. des Europaparlaments. 352  Cassese, International Law, S. 162; Shaw, International Law, S. 79.

300

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

UN-Charta (insbesondere Art. 1 (3) und 55 (c)) wurde von Staaten wie China und Russland mitgetragen;353 auch die Ratifikationshistorie der wichtigsten Menschenrechtsinstrumente wie IPBPR und IPWSKR zeugt von einer sukzessiven Anerkennung dieser verbindlichen Standards durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Staaten.354 Bei einem Lösungsmodell ist also die möglichst vielseitige Anerkennung zu suchen, um Vorwürfen des Imperialismus oder einseitiger Entschuldungsinteressen von Entwicklungsländern zu entgehen. Die Auswirkungen dieser Feststellung werden noch unten (Kapitel 4 E.) genauer zu behandeln sein, auch im Hinblick auf Ansprüche Dritter, nicht an einem Lösungsmodell beteiligter Gläubiger.

VII. Rechtsfolge der Odious-Debts-Doktrin Ziel der Rechtsfigur odiöser Schulden ist, dass der Schuldnerstaat die Rückzahlung von Schulden verweigern kann, weil der zugrunde liegende Vertrag als nichtig angesehen wird. Die von Sack und teilweise auch später noch vertretene Ansicht, die Schuld sei nicht nichtig, sondern werde zu einer persönlichen des Regimes,355 ist demgegenüber abzulehnen. Denn zum einen stellt das Regime keine mit einer Rechtspersönlichkeit ausgestattete Haftungseinheit dar, sodass höchstens die persönliche Haftung einzelner Regierungsmitglieder in Betracht kommt. Zum anderen würde eine persönliche Haftung dazu führen, dass der Gläubiger seinen odiösen Anspruch behält und gegen Regierungsmitglieder vollstrecken kann. Dies mindert aber die abschreckende Wirkung einer Odious-Debts-Doktrin auf treuwidrige Gläubiger und führt zusätzlich dazu, dass die Möglichkeiten des Schuldnerstaates, vom Diktator zu persönlichen Zwecken abgezweigte Mittel zurückzuerlangen, vermindert werden, weil der Schuldnerstaat nun in Konkurrenz zu diversen weiteren Gläubigern tritt. Eine Frage, die von Sack nicht berücksichtigt wurde, betrifft den Umgang mit Verträgen, die nur teilweise entgegen den Bevölkerungsinteressen eingegangen werden. Hier liegt es nahe, nur eine teilweise Unwirksamkeit des Vertrages in Höhe der bevölkerungsschädlichen Verwendung anzuneh353  Die rechtliche Bindungswirkung dieser Artikel ist jedoch beschränkt und bezieht sich nur auf die UN selbst, die zur Verwirklichung der Menschenrechte durch internationale Zusammenarbeit beitragen sollen. 354  Der IPBPR wurde bis zu seinem Inkrafttreten am 23. März 1976 von 35 Staaten ratifiziert, darunter Barbados, Belarus, Chile, Deutschland, Georgien, Iran, Kongo, Norwegen, Libyen und Russland, und hat heute 167 Vertragsstaaten; prominentes Nichtmitglied ist China, welches seinerseits neben 159 weiteren Staaten den IPWSKR ratifiziert hat, vgl. Status der Ratifikationen unter http: /  / treaties.un. org / Pages / Treaties.aspx?id=4&subid=A&lang=en. 355  Vgl. Kapitel 1 A.I.1.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell301

men.356 Andernfalls könnte der Schuldnerstaat einen Kredit in voller Höhe zurückhalten, weil ein Bruchteil davon auf das persönliche Konto des Regierungschefs abfloss, während der Restbetrag zu legitimen Zwecken verwendet wurde.357 Sind die Voraussetzungen der Odious-Debts-Doktrin erfüllt, stellt sich zunächst die Frage, ob dies zur automatischen Nichtigkeit des Vertrages führen oder die Geltendmachung der Rechtsfigur in das Belieben des Schuldnerstaates gestellt werden soll (1.). Ist ein Vertrag unwirksam, sind die Rechtsfolgen bezüglich einer möglichen Rückabwicklung zu untersuchen (2.). Dabei ist auch fraglich, ob beiderseitig erfüllte Verträge in die Betrachtung miteinbezogen werden sollen (3.). 1. Nichtigkeit, Anfechtbarkeit oder Einrede? Fraglich ist, ob die Qualifizierung eines Vertrages als odiös automatisch dazu führen soll, dass der Vertrag unwirksam ist, oder ob sich dies erst aus der Geltendmachung durch den Schuldnerstaat ergeben soll, was im deutschen Recht der Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäfts entspräche. Das Vorliegen einer odiösen Schuld könnte vom Schuldner auch im Wege einer Einrede gegen die Durchsetzbarkeit des Anspruchs erhoben werden. Auch die Wiener Vertragsrechtskonvention unterscheidet zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit, was zum Teil auch als eine Differenzierung zwischen absoluter und relativer Nichtigkeit aufgefasst wird.358 Eine Folge (absoluter) Nichtigkeit ist, dass Staaten nicht auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit verzichten können, während Art. 45 WVK für Fälle der Anfechtung bzw. relativer Nichtigkeit (Art. 46–50, 61 und 62 WVK) die Möglichkeit von Verzicht und Verwirkung vorsieht. Da die Rechtsfigur der Odious Debts die Bevölkerung des Schuldnerstaates schützt, liegt es nahe, dass sich entsprechend den Prinzipien der relativen Nichtigkeit nur der Schuldnerstaat auf diese berufen kann. Dies spricht nicht gegen eine absolute Nichtigkeit aus anderen Gründen, etwa wegen Verstoßes gegen ius cogens (vgl. zu den Rechtsfolgen Art. 71 WVK). Relative Nichtigkeit und Anfechtbarkeit entsprechen auch dem Interesse des Schuldnerstaates, Verträge aufrecht zu erhalten, auch wenn diese als odiös 356  So etwa Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47 ff.; Buchheit u. a., Duke L.J. 2007(56), 1201, 1219; Chander, Emory L.J. 2004(53), 923, 926; Howse, Odious Debt, S. 12. 357  Vgl. für ein entsprechendes Beispiel Choi / Posner, LCP 2007(70), 33, 43 f. 358  So Crépeau / Côté / Rehaag, in: Corten / Klein, VCLT, Art. 71, para. 12. Wittich, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 69, Rn. 2 warnt aber davor, nationale Konzepte leichtfertig auf das Völkerrecht zu übertragen.

302

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

zu klassifizieren sind, beispielsweise um strategische Bindungen mit Gläubigerstaaten zu wahren. Es ist Ausfluss des Demokratieprinzips, dass diese Entscheidung der Bevölkerung des Schuldnerstaates zustehen sollte.359 Umgekehrt wäre es treuwidrig, wenn der Schuldnerstaat nach einem Regimewechsel erst an dem Vertrag festhalten und später dessen absolute Unwirksamkeit einwenden würde; hier kommt eine Verwirkung der Einrede bzw. die Anwendung des estoppel-Prinzips in Betracht. Ob das OdiousDebts-Prinzip als Anfechtungsgrund oder als Einrede ausgestaltet werden soll, ist in diesem Zusammenhang zweitrangig.360 Problematisch ist allerdings, dass nach dem Gesagten erneut an die Intensität eines Regimewechsels angeknüpft würde. Denn wenn im Falle relativer Nichtigkeit ein neues Regime den Vertrag nachträglich bestätigen kann, stellt sich die Frage, welche Regierung als neue im Sinne der Odious-DebtsDoktrin anzusehen ist. Eine spätere demokratische Regierung müsste sich unter umständen entgegenhalten lassen, der Vertrag sei zwischenzeitlich von einer undemokratischen Übergangsregierung bestätigt worden. Dem kann entgegnet werden, wenn die Wirksamkeit der Bestätigung durch die Übergangsregierung ihrerseits an der Odious-Debts-Doktrin gemessen wird. 2. Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung odiöser Verträge? Dass sich der Schuldnerstaat auf die Unwirksamkeit eines odiösen Vertrages beruft, führt alleine nicht dazu, dass ihm die Vorteile aus dem unwirksamen Vertrag erhalten bleiben. Vielmehr ist das Rechtsverhältnis grundsätzlich rückabzuwickeln, was durch die Erfüllung von Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung geschieht.361 Hier ist zunächst problematisch, was als bestehende Bereicherung angesehen werden kann. Dabei kann es nicht auf die Frage ankommen, inwiefern die Bevölkerung des Schuldnerstaates einen Nutzen aus dem Vertrag gezogen hat oder noch zieht, weil ein mangelnder Nutzen bereits Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendung der Odious-Debts-Doktrin ist; insofern ein Vertrag mit Nutzen diese Richtung Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 57. Unterschied könnte sich in der Rechtsfolge ergeben, weil die Anfechtung zur Nichtigkeit und damit grundsätzlich zur Rückabwicklung des Vertrages, die Einrede nur zur mangelnden Durchsetzbarkeit führt. Allerdings führt auch die Nichtigkeit nicht zwingend zur Rückabwicklung des Vertrages, dazu sogleich. Bejaht man eine Pflicht zur Rückabwicklung, ließe sich diese umgekehrt auch bei Bestehen einer Einrede herleiten, vgl. die Regelung in § 813 BGB. 361  Auf diesen häufig vernachlässigten Punkt weist Paulus, WM 2005, 53, 59 hin; ausführlich zur Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze Michalowski, Unconstitutional Regimes, S. 174 ff.; zur ungerechtfertigten Bereicherung im Völkerrecht s. Binder / Schreuer, „Unjust Enrichment“, in: Wolfrum, MPEPIL. 359  In

360  Ein



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell303

für die Bevölkerung abgeschlossen wurde, besteht schon keine odiöse Schuld, sodass sich die Frage der verbleibenden Bereicherung gar nicht stellt. Problematisch sind vielmehr Fälle, in denen Vermögenswerte an den Schuldnerstaat geflossen sind, die zwar dem Interesse der Bevölkerung widersprechen, materiell aber noch vorhanden sind. Hat der Gläubiger beispielsweise Panzer an ein despotisches Regime geliefert, die dieses zur Unterdrückung Oppositioneller eingesetzt hat, stellt sich die Frage, ob nach dem Regimewechsel die verbleibende Bereicherung in Form der noch bestehenden Panzer an den Gläubiger herauszugeben ist.362 Dafür spricht, dass der Schuldnerstaat nicht ungerechtfertigt durch die Handlung des Gläubigers bereichert werden soll. Besteht ein Regelungsmodell, welches die Identifikation von Verträgen als odiös in vorhersehbarer Weise erlaubt, ist aber fraglich, ob sich ein Gläubiger, der in Kenntnis der Unwirksamkeit des Geschäfts menschenrechtswidrige Praktiken eines desoptischen Regimes unterstützt, auf bereicherungsrechtliche Grundsätze berufen darf, zumal der verbleibenden Bereicherung der Bevölkerung eine Schädigung durch die bevölkerungswidrige Verwendung des Vertragsgegenstandes gegenüber steht. Insofern ließe sich von einer Entreicherung der Bevölkerung sprechen; zumindest aber könnte die verbleibende Bereicherung eine Kompensation für die erlittenen Schäden darstellen. Gleichzeitig würde die Anreizwirkung, keine odiösen Verträge abzuschließen, maßgeblich erhöht, wenn dem Gläubiger in Aussicht stünde, dass er aufgrund der Unwirksamkeit des Vertrages überhaupt keine Ansprüche durchsetzen können wird. Das Fehlen jeglicher Rückforderungsansprüche lässt sich nicht nur moralisch begründen, sondern folgt rechtlichen Prinzipien. Im deutschen Recht besagt § 817 S. 2 BGB, dass die bereicherungsrechtliche Rückforderung ausgeschlossen ist, wenn sowohl Schuldner als auch Gläubiger gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen haben. Dies gilt erst Recht, wenn der Verstoß nur dem Bereicherungsgläubiger zur Last fällt.363 Für den Bereich odiöser Schulden ist es dabei geradezu typisch, dass der Gläubiger die bevölkerungswidrige Verwendung kannte oder kennen musste und dennoch einen odiösen Vertrag einging, was ein sittenwidriges Verhalten nahelegt, insbesondere, weil ein Lösungsmodell die Sittenwidrigkeit odiöser Verträge in vorhersehbarer Weise statuieren würde. Daneben kann je nach Ausgestaltung auch der Vorwurf des Gesetzesverstoßes treten, nämlich dann, wenn ein Lösungsmodell in teilnehmenden Staaten die 362  Ein umfassenderer Wertersatz in Höhe des ursprünglichen Kaufpreises dürfte allerdings daran scheitern, dass der Schuldner insofern entreichert ist; auch bei Zerstörung der Vertragsgegenstände müsste von einer Entreicherung des Schuldners ausgegangen werden. 363  Vgl. die Nachweise bei Schwab, in: Säcker / Rixecker, MüKo BGB, § 817 Rn. 34.

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Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Eingehung von odiösen Verträgen ausdrücklich untersagt. Einen weiteren Ansatzpunkt für den Entfall der Rückzahlungspflicht bietet schließlich § 814 BGB, welcher besagt, dass das in Kenntnis der Nichtschuld Geleistete nicht zurückgefordert werden kann. Lässt sich bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die odiöse Natur einer Schuld feststellen, so weiß der Gläubiger von der Unwirksamkeit des dennoch geschlossenen Vertrages und kann sich demzufolge später nicht auf seinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung berufen. Eine interessante Problematik ergibt sich aus der Rechtsprechung des BGH zu Wucherdarlehen. Diese besagt, dass der bereicherungsrechtliche Rückgewähranspruch durch § 817 S. 2 BGB nur in Bezug auf die Darlehenszinsen ausgeschlossen ist, weil gerade in der (mit Wucherzins vergüteten) Kapitalüberlassung auf Zeit die sittenwidrige Leistung des Kreditgebers zu sehen ist,364 und nicht etwa in der Zahlung der Darlehensvaluta. Die Darlehensvaluta unterliegt dementsprechend der bereicherungsrechtlichen Rückgewährpflicht. Die Argumentation zum Wucherdarlehen lässt sich jedoch nicht auf die Problematik odiöser Kredite übertragen, weil hier der Grund der Nichtigkeit in der Unterstützung rechtswidriger Praktiken des Schuldnerstaates zu sehen ist, die Sittenwidrigkeit also der gesamten Transaktion, nicht nur den Zinsgewinnen anhaftet. Das in § 817 S. 2 BGB zum Ausdruck kommende, vom römischen Recht beeinflusste365 Prinzip kann nicht nur aufgrund einer entsprechenden Rechtswahl auf den fraglichen Vertrag direkt anwendbar sein, sondern ist auch in anderen Rechtsordnungen unter verschiedenen Bezeichnungen als Ausdruck von Treu und Glauben verbreitet.366 Im Common Law besagt der Grundsatz „in pari delicto potior est conditio possidentis“, dass bei beiderseitigem Verschulden der Besitzer der streitbefangenen Sache in stärkerer Position ist, sodass jeder das aufgrund des Vertrages Erlangte behalten darf.367 Eng damit zusammen hängt auch das Prinzip „ex dolo malo non oritur actio“ (aus Arglist entsteht keine Klage), welches der Rückforderung durch den arglistig Handelnden entgegensteht.368 Diese Grund­sätze haben auch im Völkerrecht als Ausprägung der clean-hands-Doktrin Anerkennung 364  Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGH, Urteil vom 18. April 1962, VIII ZR 245 / 61, NJW 1962, 1148 und BGH, Urteil vom 2. Februar 1982, III ZR 90 / 81, NJW 1983, 1420, 1422. 365  Paulus, WM 2005, 53, 59 f. 366  Vgl. m. w. Nachw. Paulus, WM 2005, 53, 59 f. und Raffer, LCP 2007(70), 221, 229 zu Verträgen, die gegen Gesetze verstoßen, sowie Binder / Schreuer, „Unjust Enrichment“, in: Wolfrum, MPEPIL, Rn. 34 f. 367  Vgl. House of Lords, Tinsley v. Milligan, [1994] 1 A.C. 340, 354 f. 368  Vgl. ebd.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell305

gefunden.369 So haben internationale Schiedsgerichte Bereicherungsklagen aufgrund des Prinzips „nemo auditur propriam turpitudinem suam allegans“ (niemand wird gehört, der sich auf sein eigenes sittenwidriges Verhalten beruft) als eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben abgewiesen.370 Damit lässt sich schließen, dass sowohl auf national- wie völkerrechtlicher Ebene bereicherungsrechtliche Forderungen des treuwidrig handelnden Gläubigers ausgeschlossen sind. Auch die Wiener Vertragsrechtskonvention setzt sich in Art. 69 mit den Folgen unwirksamer Verträge auseinander. Zwar ist Art. 69 WVK nur auf solche völkerrechtlichen Verträge anwendbar, die nach dem Verfahren der Art. 65, 66 WVK für ungültig erklärt wurden,371 jedoch lassen sich aus seinem Inhalt Schlüsse auf den Umfang der Rückgewährpflicht ziehen. Zunächst ist festzustellen, dass mit der Unwirksamkeit des Vertrages auch die Pflicht entfällt, diesen weiter zu erfüllen.372 Wurde ein Vertrag bereits ausgeführt, so sieht Art. 69 (2) (a) WVK nämlich vor, dass jede Vertragspartei von jeder anderen Vertragspartei verlangen kann („may require“), dass diese in ihren gegenseitigen Beziehungen soweit wie möglich („as far as possible“) die Lage wiederherstellt, die bestanden hätte, wenn die Handlungen nicht vorgenommen worden wären.373 Aus dem sehr zurückhaltenden Wortlaut (kann verlangen; soweit wie möglich374) wird teilweise abgeleitet, dass die WVK keinen Anspruch auf Rückabwicklung, sondern nur eine Verpflichtung, über ein solche zu verhandeln, enthält.375 Somit bestünde schon im Grundsatz keine Pflicht für den Schuldnerstaat, das aus dem 369  Vgl.

die Nachweise oben bei Fn. 315 und 316. „Unjust Enrichment“, in: Wolfrum, MPEPIL, Rn.  35 m. w. Nachw. 371  Vgl. den Wortlaut des Art. 69 (1) WVK; für die Beurteilung der gewohnheitsrechtlichen Geltung des Art. 69 WVK auch für Staaten, die keine Vertragsparteien der WVK sind, fehlt es an einer entsprechenden Staatenpraxis, vgl. Verhoeven, in: Corten / Klein, VCLT, Art. 69, para. 3; Wittich, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 69, Rn. 43. 372  Villiger, VCLT, Art. 69 para. 12. 373  Art. 69 (2) (b) sieht vor, dass Handlungen, die in gutem Glauben ausgeführt wurden, durch die Unwirksamkeit des Vertrages nicht rechtswidrig werden. Da es bei einem vorhersehbaren Odious-Debts-Modell aber an der Gutgläubigkeit fehlt, spricht dieser nicht für eine Rückabwicklung. 374  Umstritten ist auch, welches Konzept von Unmöglichkeit dem Artikel zugrunde liegt, nämlich tatsächliche, rechtliche oder gar politische, vgl. Verhoeven, in: Corten / Klein, VCLT, Art. 69, para. 12; Wittich, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 69, Rn. 20. 375  Verhoeven, in: Corten / Klein, VCLT, Art. 69, para. 10 und 14; Wittich, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 69, Rn. 15. Villiger, VCLT, Art. 69, Rn. 13 führt dagegen aus, dass die andere Partei dem Verlangen zur Rückabwicklung zu folgen hat, weil die zurückhaltende Formulierung nur dazu diene, den Parteien Flexibilität 370  Binder / Schreuer,

306

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

odiösen Vertrag Erlangte zurück zu gewähren. Auffällig ist auch, dass die Konvention keine Bestimmungen über einen Wertersatz für den Fall, dass die Herausgabe des Erlangten nicht möglich ist, enthält. Hier kommen Lösungen vom Wegfall jeglicher Pflichten über die Herausgabe einer verbleibenden Bereicherung bis hin zum vollständigen Wertersatz in Betracht.376 Die geringe Regelungsdichte der WVK lässt sich mit deren Anwendungsbereich erklären, der typischerweise hochpolitische zwischenstaatliche Verträge erfasst,377 sodass einer flexiblen Verhandlungslösung der Vorrang eingeräumt wird.378 Während also schon die Grundregel des Art. 69 (2) WVK nicht zwingend für eine Herausgabepflicht spricht,379 lässt sich gegen eine solche noch Art. 69 (3) WVK anführen. Dieser besagt, dass sich derjenige nicht auf Absatz 2 berufen kann, dem Betrug, Bestechung oder Zwang als Nichtigkeitsgrund zuzurechnen ist. Wer rechtswidrig den Abschluss des Vertrages herbeigeführt hat, kann sich also nicht die Wiederherstellung des status quo ante fordern. Zwar ist hier der Fall odiöser Schulden nicht genannt, jedoch bringt Art. 69 (3) WVK ein Rechtsprinzip zum Ausdruck, wie es sich auch aus den nationalen Rechtsordnungen ableiten lässt, nämlich dass der treuwidrig Handelnde keinerlei Vorteil aus seinem Verhalten ziehen soll (ex iniuria non oritur ius).380 Somit lässt sich festhalten, dass die Nichtigkeit eines odiösen Vertrages zur Folge hat, dass der Gläubiger weder die Erfüllung noch die Rückabwicklung des Vertrages verlangen kann. Dies entspricht privat- und völkerrechtlichen Rechtsprinzipien und lässt sich in beschränktem Umfang auch aus Rechtsgedanken der Wiener Vertragsrechtskonvention ableiten, welche aufgrund ihres begrenzten Anwendungsbereichs und einer geringeren mangels Regelungsdichte jedoch weniger aussagekräftig ist.

bei alternativen Lösungen wie etwa die Erstreckung der Ungültigkeit nur auf die Zukunft zu bieten. 376  Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten Wittich, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 69, Rn. 25 f. 377  Vgl. zum Anwendungsbereich der WVK oben, Kapitel 2 C.II.1.a)aa). 378  In diese Richtung Wittich, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 69 para. 16. Dies schlägt sich in dem Fehlen von Anwendungsfällen des Art. 69 in der Staatenpraxis nieder, vgl. Verhoeven, in: Corten / Klein, VCLT, Art. 69, para. 3. 379  s. aber den Einwand Villigers in Fn. 375. 380  Villiger, VCLT, Art. 69, para. 20; vgl. auch Wittich, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, para. 30: „The purpose of this provision is to deny the wrongdoing party any benefit it might accrue on account of the invalidity for which it is responsible“.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell307

3. Einbeziehung bereits erfüllter Verträge? Die Frage der Einbeziehung beiderseitig erfüllter Verträge stellt sich nicht, wenn unter einen engen Schuldenbegriff nur ausstehende Kreditschulden gefasst werden. Die Rechtsfolge der Odious-Debts-Doktrin erschöpft sich dann darin, dass der Schuldner eines odiösen Kreditvertrages dessen weitere Erfüllung verweigern kann. Sinnvollerweise sollten jedoch alle Arten von odiösen Verträgen Gegenstand der Rechtsfigur sein,381 und auch bei ausschließlicher Betrachtung von Krediten ist über die Rückforderung bereits geleisteter Zahlungen nachzudenken. Gegen eine Einbeziehung bereits ganz oder teilweise erfüllter Verträge spricht nur, dass eine Rückabwicklung möglicherweise kompliziert wäre,382 insbesondere, wenn ein Despot erst Jahre nach der Erfüllung des Vertrages abgesetzt wird. Allerdings würde ein auf dem Kreditsanktionsmodell aufbauendes, nicht rückwirkend angewendetes383 Modell die Bewertung der Transaktion erleichtern, weil der Gläubiger wüsste, dass er die legitimen Zwecke des Vertragsschlusses nachweisen muss, wofür er schon beim Vertragsschluss Vorsorge treffen kann. Umgekehrt stellen auch bereits erfüllte odiöse Verträge eine Belastung für den Schuldnerstaat dar, da dessen Ressourcen um die Gegenleistung reduziert sind, ohne dass der Vertrag der Bevölkerung des Schuldnerstaates zugute kam. Für die Einbeziehung solcher Verträge spricht auch, dass ansonsten extrem kurze Laufzeiten vereinbart werden können, um die Erfüllung noch während der Herrschaft des Schuldnervertreters sicherzustellen,384 was wiederum mit steigenden Zinsen einherginge. Problematisch ist zwar, dass dem Schuldner mit der bevölkerungswidrigen Verwendung ebenfalls ein Sittenverstoß zur Last zu legen ist, der zum Ausschluss seines Rückforderungsanspruchs führen könnte. Allerdings betrifft die Sittenwidrigkeit nicht zwingend die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises von Panzern, Bezahlung der Baumaterialien für eine Kaserne etc.). Zudem dürfte der Schuldnerstaat zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in der Regel nicht Vertragspartei eines Lösungsmodelles gewesen sein, aus welchem sich die Sittenwidrigkeit des Vertrages ableitet. Weiterhin ist die Bevölkerung selbst nicht für die schädliche Verwendung des Vertragsinhalts verantwortlich. Dies alles spricht dafür, dem Schuldner die Möglichkeit einzuräumen, den Vertrag rückabzuwickeln. Fraglich ist dann jedoch, ob der Schuldnerstaat beim Gläubiger das Geleistete zurückfordern kann, ohne das seinerseits Erlangte zurück zu gewähren. 381  Vgl.

oben, Kapitel 3 B.I.1. LCP 2007(70), 83, 102, Fn. 40. 383  Vgl. oben, Kapitel 3 B.I.2. 384  Rasmussen, LCP 2007(70), 249, Fn. 3. 382  Bolton / Skeel,

308

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Während es dem Gläubiger nach den bisherigen Ausführungen zwar verwehrt bleibt, bereicherungs­rechtliche Ansprüche geltend zu machen, erscheint es ungerecht, dass er ohne jegliche Ansprüche dasteht, wenn der Schuldner selbst die Rückabwicklung fordert.385 Denn dann wäre der Schuldner sowohl durch die Rückerlangung des von ihm Geleisteten als auch durch einen verbleibenden Wert der vertraglichen Gegenleistung bereichert. Der Gläubiger sollte dem Schuldner im Rahmen der Rückabwicklung mithin dessen Bereicherung entgegenhalten können. Der Anspruch ist jedoch entsprechend dem Rechtsgedanken des § 818 Abs. 3 BGB auf die dem Schuldner verbleibende Bereicherung zu begrenzen. Der Schuldnerstaat müsste also im Fall einer Waffenlieferung keinen Wertersatz für Beschädigungen und zeitbedingten Wertverlust leisten, sondern nur die bei ihm verbliebenen Waffen herausgeben. Ob eine derartige Rückabwicklung im Einzelfall durchsetzbar ist, hängt allerdings von der (wohl eher selten vorhandenen) Mitwirkungsbereitschaft des Gläubigers, ansonsten vom zuständigen gerichtlichen Forum und pfändbaren Vermögenswerten des Gläubigers ab. Die vollständige Rückabwicklung beiderseitig oder teilweise erfüllter Verträge dürfte daher auch bei Anerkennung einer Odious-Debts-Doktrin eher die Ausnahme sein, sollte aber nicht von vorneherein ausgeschlossen werden.

VIII. Zwischenergebnis: Rahmenpunkte für ein eigenes Lösungsmodell Die Analyse der Kritikpunkte an den verschiedenen Modellen hat ergeben, dass der Anwendungsbereich des Modells ratione materiae weit gefasst sein sollte, sodass er über Kreditverträge hinaus alle vertraglichen Ansprüche erfasst, gleich ob finanzieller oder anderer Natur und unabhängig davon, ob die Verträge bereits erfüllt sind.386 Deliktische Schulden hingegen sollten wegen der abweichenden Interessenlage von der Geltung des Modells ausgenommen werden.387 Aus Gründen der Rechtssicherheit und Umsetzbarkeit sollte ein Lösungsmodell in zeitlicher Hinsicht nur Schulden erfassen, die nach seinem Inkrafttreten eingegangen wurden.388 Zentrale inhaltliche Voraussetzung der Odious-Debts-Doktrin ist der Nutzen, den die Eingehung des Vertrages für die Bevölkerung des Schuldnerstaates mit sich bringt.389 Da sich dieser unter Umständen erst nach dem 385  So auch Wittich, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 69, Rn. 34 zur Rückforderung durch Staaten, denen Betrug, Bestechung oder Zwang zuzurechnen ist. 386  Vgl. Kapitel 3 B.I.1.a) und Kapitel 3 B.VII.3. 387  Vgl. Kapitel 3 B.I.1.b). 388  Vgl. Kapitel 3 B.I.2. 389  Vgl. zum Nutzen Kapitel 3 B.II.2.



B. Wiederkehrende Probleme für ein eigenes Lösungsmodell309

Vertragsschluss anhand der tatsächlichen Verwendung der Mittel beurteilen lässt, ist für die Vorhersehbarkeit der Rechtsfigur maßgeblich, dass der Gläubiger bereits beim Vertragsschluss die Reichweite seiner Nachforschungs- und Kontrollpflichten kennt. Dagegen kann es weder auf das Vorliegen eines Staaten- bzw Regimewechsels noch auf den Schuldenstand des Schuldnerstaates ankommen, weil beide keine Auswirkung auf die Beurteilung der Schuld als solche haben.390 Auch die (un)demokratische Natur des Schuldnerstaates stellt kein geeignetes Kriterium zur Beurteilung der Schuld dar, weil es an einer konkreten Definition fehlt, und weil maßgeblich für die Schädlichkeit der Schuld weniger deren Zustandekommen als vielmehr deren Inhalt ist.391 Dennoch ist zu vermeiden, dass alle Verträge mit grundsätzlich legitim handelnden Staaten einer umfassenden Einzelfallkontrolle unterliegen müssen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Verträge ihrem Inhalt nach grundsätzlich neutral sind und es von der Umsetzung im Einzelfall abhängt, ob ein Nutzen für die Bevölkerung vorliegt. Aus diesen Gründen ist es gerechtfertigt, für die Klassifizierung von Verträgen auch an die Natur des Schuldnerregimes anzuknüpfen.392 Maßgeblich ist hier jedoch nicht dessen demokratische Verfassung, sondern das Maß, in welchem der Schuldnerstaat die Interessen der Bevölkerung wahrt, weil sich daraus die Vermutung ableiten lässt, dass der Staat auch zukünftige Verträge eher zum Nutzen bzw. zum Schaden der Bevölkerung umsetzen wird. Um gleichwohl die Verwendung im Einzelfall nicht außer Acht zu lassen, bedarf es einer Möglichkeit, die Vermutung des odiösen Vertrages zu widerlegen, indem die Nützlichkeit der Transaktion dargelegt wird.393 Für die institutionelle Ausgestaltung eines Lösungsmodells sind Transparenz, Legitimität, Neutralität und Umsetzbarkeit maßgeblich.394 Weitere Voraussetzung für ein Lösungsmodell ist, dass dieses auch die Gläubigerkenntnis mit berücksichtigt.395 Hier kann es nicht genügen, auf die tatsächliche Kenntnis des Gläubigers von der Mittelverwendung abzustellen, vielmehr muss auch dessen fahrlässige Unkenntnis Berücksichtigung finden, die gegeben ist, wenn der Gläubiger gebotene und zumutbare Maßnahmen unterlassen hat, das Entstehen einer odiösen Schuld zu vermeiden. Welche Maßnahmen jeweils geboten sind, hängt dabei wesentlich vom Vertragspartner und vom Inhalt des Vertrages ab. 390  Vgl. 391  Vgl. 392  Vgl. 393  Vgl. 394  Vgl. 395  Vgl.

Kapitel 3 B.I.3. Kapitel 3 B.II.1. Kapitel 3 B.III. Kapitel 3 B.III. Kapitel 3 B.IV. dazu Kapitel 3 B.II.3.

310

Kap. 3: Annäherung an ein Lösungsmodell

Ist ein Vertrag als odiös zu qualifizieren, führt dies dazu, dass der Schuldnerstaat dessen Unwirksamkeit einwenden kann. Aus im nationalen wie im Völkerrecht verbreiteten allgemeinen Rechtsprinzipien folgt in diesem Fall, dass der Schuldner nicht nur von weiteren Leistungen befreit ist, sondern auch dem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsverlangen des Gläubigers dessen sittenwidriges Handeln entgegenhalten kann.396 Im Folgenden sollen die dargestellten Rahmenpunkte anhand eines eigenen Lösungsmodelles konkretisiert werden.

396  Vgl.

Kapitel 3 B.VII.

Kapitel 4

Die International Convention on the Prevention of Odious Agreements als menschenrechtsbasiertes Modell zur Verhinderung odiöser Schulden Die Auseinandersetzung mit bestehenden Lösungsmodellen sowie die Analyse der sich bei jedem Lösungsmodell stellenden Probleme in Kapitel 3 hat Rahmenpunkte für ein neues Lösungsmodell ergeben, welches nun in seinen Grundzügen dargestellt werden soll (Abschnitt A.), bevor die Einzelheiten genauer ausgeführt werden (Abschnitte B. bis E.). Abschließend soll das Modell zusammengefasst werden (Abschnitt F.); ein Konventionsentwurf findet sich am Ende dieser Arbeit (S. 405 ff.).

A. Grundzüge des Modells Dem hier vorgeschlagenen Modell soll eine internationale Konvention zugrunde liegen, der sich möglichst viele Staaten anschließen: die Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge (International Convention on the Prevention of Odious Agreements, ICPOA). Der Begriff odiöser Verträge (odious agreements) tritt an die Stelle des Begriffs odiöser Schulden (odious debts), wobei nicht nur finanzielle Schulden von der Konvention erfasst sind. Da grundlegend für die Qualifikation eines Vertrages als odiös zum einen der Nutzen für die Bevölkerung und zum anderen die Kenntnis des Gläubigers ist, sollen diese im Zentrum des Lösungsmodells stehen. Ansatzpunkt ist die Feststellung, dass manche Staaten durch ihr Verhalten die Vermutung nahelegen, dass sie den Inhalt von Verträgen grundsätzlich nicht zum Nutzen der Bevölkerung einsetzen werden, sodass der Verdacht besteht, dass Verträge mit diesen zur Entstehung odiöser Schulden führen. Aus diesem Grund sollen solche Staaten als Odious-Debts-verdächtig (odious debts-prone) klassifiziert werden, mit der Folge, dass ein Vertragsschluss mit solchen Staaten nur noch unter bestimmten Umständen möglich ist. Dieses auf Jayachandran et al. zurückgehende Klassifizierungsmodell führt dazu, dass der Gläubiger bei Vertragsschluss Sicherheit hat, ob sein Vertrag potentiell als odiös zu qualifizieren ist. Damit der Nutzen von Verträgen für die Bevölkerung und nicht etwa politische Opportunität maßgeblich für die Klassifizierung des Schuldnerstaates ist, ist es geboten, bereits bei der Be-

312 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

urteilung des Regimes an objektive Kriterien anzuknüpfen, die eine Aussage darüber treffen, wie der Schuldnerstaat den Gegenstand des Vertrages voraussichtlich verwenden wird. Solche Kriterien liefern internationale Verträge über Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht (dazu B.I.). Bei diesen handelt es sich um objektive Normen, die von einer Mehrheit von Staaten unterschiedlichster politischer und kultureller Ausprägung anerkannt wurden und eine allgemeine Aussage darüber treffen, wie ein Staat mit seinen Ressourcen in Bezug auf die Bevölkerung umzugehen hat. Dabei lassen sich zugleich die häufig für ein Lösungsmodell angeführten Aspekte der Unterdrückung bürgerlicher und politischer Freiheiten, der Verteilungsgerechtigkeit (wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte), der Rechte des Individuums (individuelle Rechte) und einzelner Bevölkerungsgruppen (kollektive bzw. Minderheitenrechte) berücksichtigen. Macht sich der Schuldnerstaat der schwerwiegenden und systematischen Verletzung solcher Rechte schuldig, kann nicht vermutet werden, dass er zukünftige Verträge zum Nutzen der Bevölkerung einsetzen wird, sodass er als Odious-Debts-verdächtig zu klassifizieren ist, was bei dennoch mit dem Regime abgeschlossenen Verträgen die Vermutung der Schädlichkeit und damit Unwirksamkeit rechtfertigt. Gleiches gilt für Staaten, in welchen in großem Maße Korruption praktiziert wird (dazu B.II.). Jedoch kann die menschenrechtsverletzende oder korrupte Natur des Schuldnerstaates nicht alleiniges Kriterium für die Qualifizierung von Verträgen als odiös sein. Ansonsten käme es gerade nicht mehr auf den Nutzen für die Bevölkerung im Einzelfall an, und die Durchführung nützlicher, für die Bevölkerung hilfreicher Verträge wäre ausgeschlossen, was sich für die Bevölkerung nachteilig auswirken würde. Aus diesem Grund muss die Möglichkeit fortbestehen, mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten solche Verträge abzuschließen, die ausdrücklich einen nützlicher Verwendungszweck beinhalten, und deren zweckgerechte Durchführung im Folgenden überprüft wird. Mit der Frage, welche Zwecke als nützlich anerkannt werden sollen und wie ein solches Überprüfungsmodell aussehen könnte, beschäftigt sich Abschnitt C. Schließlich stellt sich die Frage, welche Institution die Entscheidung über die Klassifizierung des Schuldnerstaates treffen soll. Sofern hier die Beurteilung internationaler Menschenrechte und humanitären Völkerrechts in Frage steht, ist mit der Entscheidung ein unabhängiges Expertengremium ähnlich dem Human Rights Committee zu befassen, welches die Gewähr dafür bietet, konsistente und politisch unabhängige Entscheidungen zu treffen. Auch die Beurteilung des Maßes an Korruption im Schuldnerstaat sollen unabhängige Experten auf Grundlage bestehender Indikatoren treffen (zur jeweiligen Entscheidungsgrundlage s. u. B.I.4. und B.II.4., für die institutionelle und prozedurale Ausgestaltung dieses Committee on the Prevention of Odious Agreements s. u. D.).



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig313

B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig Als erstes Element des Lösungsmodells sind die Kriterien zu konkretisieren, die es erlauben, dass ein Staat als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert wird, mit der Folge, dass Verträge mit diesem nur wirksam sind, wenn sie nachweislich dem Interesse der Bevölkerung dienen (zu letzterem unten, C.). Während im Interesse eines funktionierenden Wirtschaftsverkehrs im Regelfall davon auszugehen ist, dass ein Staat Verträge zum Nutzen seiner Bevölkerung eingeht, ist diese Vermutung dann grundsätzlich widerlegt, wenn der Staat wiederkehrend in schwerwiegender Form die Menschenrechte der Bevölkerung verletzt (I.) oder wenn aufgrund weit verbreiteter Korruption ein Großteil der Vertragsleistung zur persönlichen Bereicherung verwendet wird (II.).

I. Verletzung von Menschenrechten oder des humanitären Völkerrechts als Entscheidungskriterium Missachtet ein Staat immer wieder ganz massiv die Menschenrechte seiner Bevölkerung, so ist zu vermuten, dass er auch künftige Mittel zu ähnlichen Zwecken verwenden wird. So hätte im Fall der Karl Kolb GmbH1 naheliegen können, dass die Lieferung von Laborausstattungen an den Irak unter Hussein nicht im Interesse der irakischen Bevölkerung stand. Wird in der aktuellen Debatte um odiöse Schulden gelegentlich auf Menschenrechte als Entscheidungskriterium abgestellt,2 so bleiben die Verweise jedoch häufig vage und lassen offen, welche konkreten Rechte damit gemeint sind (s. dazu 2.) und welche Intensität und Bandbreite von Rechtsverletzungen zu einer Klassifizierung als odiös führen soll (vgl. 3.).3 Dabei bieten Menschenrechte einen idealen Ansatzpunkt für die Lösung der Problematik (vgl. sogleich, 1.).

1  Vgl.

oben, bei Fn. 1. Beispiele sind etwa Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 95 ff.; Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 10; Herman, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 773, 811; King, N.C.J.Int’l L.& Com.Reg. 2007(32), 605, 651; Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J.Transnat’l. L. 2009(48), 59, 89 f.; Paulus, WM 2005, 53, 59. 3  Auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Staateninsolvenz spielen Menschenrechte nur eine geringe Rolle, vgl. v. Bogdandy / Goldmann, ZaöRV 2013(73), 61, 90 f. 2  Positive

314 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

1. Universelle Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht als geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Odious-Debts-Doktrin Wir schon ihr Name indiziert, knüpft die Doktrin der „odiösen“ Schulden klassischerweise an moralische Werte an, deren Bestand stark vom Empfinden des jeweiligen Beteiligten abhängen kann. Um die Doktrin als legitimes rechtliches Mittel auszugestalten, müssen daher Werte identifiziert werden, über welche globale Übereinkunft besteht.4 Für die Berücksichtigung internationaler Menschenrechte spricht, dass diese universell anerkannt sind (a)), dass diese eine objektive Werteordnung darstellen (b)), und dass diese eine differenzierte Betrachtung des Schuldnerstaates ermöglichen (c)). Ähnliche Erwägungen sprechen auch für die Einbeziehung humanitären Völkerrechts (d)). a) Universalität und Bedeutung internationaler Menschenrechte Die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR)5 beginnt mit den Worten: „Whereas recognition of the inherent dignity and of the equal and inalienable rights of all members of the human family is the foundation of freedom, justice and peace in the world, …“. Sie markiert damit den vorläufigen Endpunkt einer durch zwei Weltkriege und die Schrecken des Nationalsozialismus geprägten Epoche und legt zugleich den Grundstein zu einem neuen Verständnis der Rechte des Individuums im Völkerrecht.6 Vor dem Hintergrund von Zerstörung und Barbarei stimmten 48 Staatenvertreter ohne Gegenstimmen7 für ein Dokument, das als „Kopernikanische Wende im Völkerrecht“ bezeichnet wurde8 und erstmals für jeden Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht geltende Rechte statuierte.9 Handelt es sich bei der AEMR noch um eine Erklärung der Generalversammlung der Vereinten Nationen ohne unmittelbare Bindungswirkung,10 ist in ihr die Grundlage für eine ganze Reihe von Entwicklungen zur rechtsPaulus, Brook.J.Int’l L. 2005(31), 83, 88. 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948. 6  Vgl. Bates, in: Moeckli u.  a., Human Rights, S. 32  ff.; Tomuschat, Human Rights, S.  22 ff. 7  Allerdings mit acht Enthaltungen, vgl. Yearbook of the United Nations 1948–49, S. 535; dazu sogleich. 8  Kälin, in: Amnesty International, 50 Jahre AEMR; Tomuschat, Human Rights, S. 24 schreibt: „A new chapter of human history began on that day“. 9  Vgl. Tomuschat, Human Rights, S. 24. 10  Zur umstrittenen rechtlichen Bindungswirkung der Erklärung vgl. Simma /  Alston, Aust YBIL 1988–89(12), 82, 84 m. w. Nachw. 4  Vgl.

5  Resolution



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig315

verbindlichen Anerkennung von Menschenrechten zu sehen, die in den 1976 in Kraft getretenen Menschenrechtspakten IPBPR und IPWSKR einen Höhepunkt finden. Während diese universelle, für alle Menschen geltende Rechte statuieren, haben die letzten fünfzig Jahre zudem eine Reihe von Vertragswerken hervorgebracht, die bestimmte Gruppen oder Verhaltensweisen besonders hervorheben, wie das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1965), das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung gegen Frauen (1979), die Anti-FolterKonvention (1984) oder die Kinderrechtskonvention (1989). Neben diese universellen und von einer ganz überwiegenden Mehrheit der Staaten ratifizierten11 Verträge treten regionale Menschenrechtssysteme wie die Europäi­ sche Menschenrechtskonvention (EMRK),12 die Europäische Sozial­charta,13 die Amerikanische Menschenrechts­konvention (AMRK)14 und die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (Banjul-Charta).15 Während die AEMR zu Recht als Grundstein des modernen Menschenrechtssystems angesehen wird, findet sich als Reflex auf den Zweiten Weltkrieg aber schon in der UN-Charta in Art. 1 (3) und 55 (c) die Förderung der Menschenrechte als gemeinsames Ziel der Staatengemeinschaft wieder, wenn auch ohne konkrete Ausgestaltung. Die UN-Charta wurde bereits 1945 von 50 Mitgliedern, unter ihnen die USA, die UdSSR und China, angenommen und ist heute mit 193 Vertragsparteien die universell übereinstimmend anerkannte Grundordnung der Staatengemeinschaft. Trotz der aufgezeigten Entwicklung wird die Universalität von Menschenrechten seit jeher bestritten.16 Gegner der Universalitätsthese verweisen darauf, dass es sich bei Menschenrechten aus historischer und philosophischer Sicht um ein „westliches“ Konzept handle, welches anderen Kulturen nicht aufgezwungen werden dürfe.17 Allerdings ist zunächst klar zwischen universellen Werten und deren Durchsetzung zu unterscheiden: Die Feststellung, dass bestimmte Werte universell anerkannt sind, trifft keine Aussage darüber, welche Maßnahmen z. B. militärischer Natur zu deren Durchsetzung zulässig und geboten sein sollen. Was die grundlegende Kritik an der Universalität von Menschenrechten betrifft, ist zunächst festzustellen, dass ein radikaler Werte-Relativismus einen 11  Zur

Ratifikationsdichte vgl. noch unten, Kapitel 4 B.I.2. zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, geändert durch zahlreiche Protokolle. 13  Vom 18. Oktober 1961, revidiert am 3. Mai 1996. 14  American Convention on Human Rights vom 22. November 1969. 15  Vom 27. Juni 1989. 16  Vgl. Tomuschat, Human Rights, S. 72 ff. 17  Vgl. Shestack, Hum.Rts.Q. 1998(20), 201, 228 ff. 12  Konvention

316 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

denklogischen Widerspruch aufstellt. Denn mit der Behauptung, alle Werte seien relativ, wird ein absoluter Anspruch aufgestellt. Dass eine solche Argumentation zirkelschlüssig ist, zeigt folgende Überlegung: Wenn Relativismus alle Kulturen akzeptiert, so wäre dies widersprüchlich, weil es Kulturen gibt, welche andere Kulturen gerade nicht akzeptieren; auch diese Haltung müsste jedoch als richtig akzeptiert werden.18 Kulturrelativismus ist zudem kontraintuitiv, weil er nicht anerkennt, dass es Handlungen gibt, die in jedem Kontext und gegenüber jedem Menschen moralisch falsch sind. Es ist unbestritten, dass sich Werte je nach Epoche, Kultur und Sozialisation unterscheiden können, jedoch entspricht es sowohl moralischer Intuition als auch empirischer Forschung, dass es über kulturelle Grenzen hinaus bestimmte gemeinsame Grundwerte gibt, so wie sich alle Menschen in Grundbedürfnissen wie dem Bedürfnis nach Essen, Obdach, Gesundheit oder sozialer Integration gleichen.19 Daraus folgt aber, dass es Handlungen gibt, deren Vornahme in Bezug auf alle Menschen zu allen Zeiten falsch ist, wie z. B. Folter, der Entzug von Nahrung oder körperliche Misshandlungen.20 Solche Verhaltensweisen werden in nahezu allen kulturellen Kreisen als falsch angesehen. Daher ist es unzutreffend zu sagen, Werte seien immer und ausschließlich abhängig von der individuellen Situation. Vielmehr lassen sich bestimmte Grundwerte identifizieren, die über kulturelle Grenzen hinweg Anerkennung gefunden haben.21 Auch die Darstellung, Menschenrechte seien moralische Forderungen ausschließlich westlicher Staatsmänner, die in anderen Staaten auf Ablehnung stießen, ist unzutreffend. Der Anthropologe Hatch schreibt: „[t]he relativists have not recognized that the exotic cultures to which they grant equal validity are poverty-stricken, powerless, and oppressed“,22 und in der Tat berufen sich heute in der Regel autoritäre Eliten auf den Respekt für deren kulturelle Traditionen zur Rechtfertigung repressiver Praktiken.23 Umgekehrt lassen sich gewichtige Stimmen aus Entwicklungsländern vernehmen, die die Universalität von Menschenrechten betonen,24 was auch Aus18  Freeman,

Human Rights, S. 108 f. Higgins, Problems and Process, S. 96. 20  Für weitere, eindrucksvolle Beispiele vgl. Perry, The Idea of Human Rights, S.  62 ff. 21  Vgl. Finnis, Natural Law, S. 83 f., der als Beispiele Sorge um Gerechtigkeit, den Wert menschlichen Lebens und Konzepte von Besitz und Eigentum nennt. 22  Hatch, „Culture and Morality: The Relativity of Values in Anthropology“ (1983), abgedruckt in Steiner u. a., Human Rights in Context, S. 521, 523. 23  Freeman, Human Rights, S. 105; vgl. auch das Zitat von Kofi Annan in Tomuschat, Human Rights, S. 94: „It was never the people who complained o the universality of human rights, nor did the people consider human rights as a Western or Northern imposition. It was often their leaders who did so.“ 24  Tomuschat, Human Rights, S. 70 f. m. w. Nachw. 19  Vgl.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig317

druck in den genannten regionalen Menschenrechtsinstrumenten gefunden hat. Den heutigen Menschenrechtskodifizierungen liegen eine Vielzahl von Quellen zugrunde, an denen die christlich-jüdische Tradition und die Philosophie der Aufklärung einen wesentlichen Anteil haben, die aber auch islamische, hinduistische und buddhistische Elemente beinhalten.25 Dies soll nicht darüber hinweg täuschen, dass es menschenrechtliche Problemfelder gibt, die in unterschiedlichen Kulturkreisen oder gar innerhalb einer Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, wie etwa die Frage von Abtreibung, Beschneidung,26 der Todesstrafe oder gezielten Tötungen (targeted killings).27 Solche Konflikte stellen jedoch nicht die Universalität von Menschenrechten in Frage, sondern hinterfragen vor dem Hintergrund einer grundsätz­ lichen Anerkennung von Menschenrechten deren jeweilige Reichweite und Gewichtung.28 Für die vorliegende Untersuchung verlieren diese Konflikte auch insoweit an Bedeutung, als es für das Lösungsmodell auf solche schwerwiegende Verletzungen von Menschenrechten ankommt, deren Intensität weniger kontrovers zu beurteilen ist.29 Die Universalität von Menschenrechten spiegelt sich auch in der Ratifikationsgeschichte der internationalen Menschenrechtsinstrumente wider. Zwar hatten sich noch bei der Abstimmung über die AEMR acht Staaten enthalten, darunter Jugoslawien, Saudi-Arabien die Tschechoslowakei und die UdSSR; andererseits stimmten bereits so unterschiedliche Staaten wie Afghanistan, Äthiopien, Australien, China, Dänemark, Haiti, Indien, Iran, Kanada, Pakistan, Syrien und die USA für die Annahme der Erklärung.30 Insbesondere aber die sukzessive Ratifikation von in ihrer rechtlichen Bindungswirkung viel weitergehenden Instrumenten wie dem IPBPR und dem IPWSK durch 167 (IPBPR) bzw. 160 (IPWSKR) Staaten unterschiedlichster diesen vgl. Tomuschat, Human Rights, S. 86 ff. m. w. Nachw. z. B. die vom Urteil des Landgericht Köln, 7.  Mai 2012, 151 Ns 169 / 11 angestoßene Debatte über die Zulässigkeit der Beschneidung von Jungen; noch kontroverser dürfte aber die Debatte um die Beschneidung von Frauen, auch als weibliche Genitalverstümmelung bezeichnet, sein. 27  Zu solchen Konflikten innerhalb „westlicher“ Werte vgl. Tomuschat, Human Rights, S.  82 ff. 28  Bei der Frage um Abtreibung geht es um die Abwägung zwischen Rechten der Mutter und Schutz ungeborenen Lebens, bei der um Beschneidung um Reli­ gionsfreiheit der Eltern gegenüber der körperlichen Unversehrtheit der Kinder, etc. 29  Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Konflikte könnte von einem „minimal and universal code“ gesprochen werden, der mindestens das Verbot von Mord, Folter, Sklaverei und Völkermord umfasst, aber auch wesentlich weiter gezogen werden kann, vgl. Tomuschat, Human Rights, S. 95 m. w. Nachw.; inwieweit einzelne Menschenrechte jeweils tauglicher Ansatzpunkt für die Odious-Debts-Doktrin sein können, wird noch unten, Kapitel 4 B.I.2., genauer untersucht werden. 30  Yearbook of the United Nations 1948–49, S. 535. 25  Zu

26  Vgl.

318 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

geographischer, politischer und wirtschaftlicher Prägung zeigt, wie sehr internationale Menschenrechte als universelle Werte in der modernen Staatengemeinschaft verbreitet sind. Die traurige Erkenntnis, dass gleichzeitig Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind, spricht eben so wenig gegen die grundsätzliche Anerkennung der rechtlichen Prinzipien wie z. B. die Häufigkeit von Diebstahl dessen Strafbarkeit in Frage stellt; vielmehr ist es Staaten heute verwehrt, sich bei der Verletzung von Menschenrechten auf innere Angelegenheiten oder eine wie auch immer geartete domaine réservé zu berufen.31 Dementsprechend ist zu beobachten, dass ­ menschenrechtswidrig handelnde Staaten nicht etwa die Anerkennung von Menschenrechten in Frage stellen, sondern entweder deren Verletzung auf tatsächlicher Ebene32 oder aber die Reichweite der Bindungswirkung im Einzelfall33 bestreiten. Dass Menschenrechte absolute Werte verkörpern, dass sie aus einer historischen, geographischen, philosophischen und religiösen Vielfalt inspiriert sind und dass internationale Menschenrechtsinstrumente in der Staatenpraxis universelle Anerkennung erfahren haben, macht diese mithin zu einem legitimen Ansatzpunkt für die Odious-Debts-Doktrin. b) Objektivität internationaler Menschenrechte Neben der universellen Anerkennung von Menschenrechten spricht für deren Berücksichtigung, dass diese einen objektiven und neutralen Maßstab für staatliches Handeln bieten. Inhaltlich handelt es sich um objektive Normen, weil diese nicht nach staatlichem Belieben ausgelegt werden können, sondern allgemeingültige Mindeststandards setzen. Dabei hat die Einrichtung vertraglicher Überprüfungsgremien zur Herausbildung einheitlicher rechtlicher Standards beigetragen. Der objektive Gehalt der Normen findet sein Äquivalent in der prozeduralen Ausgestaltung der Überwachungsme31  Menschenrechte gelten vielmehr für alle und gegen alle, stellen also sogenannte erga-omnes-Verpflichtungen dar, vgl. Mégret, in: Moeckli u.  a., Human Rights, S.  129 m. w. Nachw. 32  Vgl. etwa den Bericht Chinas von 2009 an den UN-Menschenrechtsrat im Rahmen des Universal Periodic Review, abrufbar unter http: /  / lib.ohchr.org / HRBo dies / UPR / Documents / Session4 / CN / A_HRC_WG6_4_CHN_1_E.pdf, in welchem es z. B. heißt: „In China, the death penalty is strictly controlled and is applied with extreme caution“ (para. 43), während der Abschnitt „Schwierigkeiten und Herausforderungen“ nur eine von 34 Seiten umfasst und sich hauptsächlich mit Chinas Situa­ tion als Entwicklungsland befasst. 33  So etwa hinsichtlich der Rechte der Guantánamo-Häftlinge, die mit ihrer Klassifizierung als „unlawful combattant“ jeglicher Schutzrechte beraubt werden sollen, vgl. dazu Dörmann, IRRC 2003(85), 45.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig319

chanismen, in deren Rahmen die Menschenrechtsbilanz des Vertragsstaates idealerweise nach objektiven rechtlichen Kriterien von neutralen Dritten beurteilt wird. Eine besondere Stellung nimmt in dieser Hinsicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dar, welcher als gerichtliches Gremium ein volles Spektrum an Neutralität und prozessualen Garantien bietet. Fehlt es auf internationaler Ebene an einer entsprechenden Institution, so erfüllen die Vertragsorgane der Menschenrechtsverträge einen ähnlichen Zweck. Beim Human Rights Committee etwa handelt es sich um ein unabhängiges Expertengremium, welches zur Entscheidung über Staatenberichte und Individualbeschwerden berufen ist;34 auch die meisten anderen Menschenrechtsinstrumente haben vergleichbare Überwachungsmechanismen eingerichtet.35 Zurückhaltender ist demgegenüber der UN-Menschenrechtsrat (Human Rights Council) zu bewerten, welcher mit Staatenvertretern besetzt ist und im Rahmen des Universal Periodic Review (UPR) regelmäßig die Menschenrechtslage in den einzelnen Mitgliedstaaten der UNO überprüft. Die Arbeit des Gremiums führt immer wieder zu Kritik, weil die Besetzung mit Staatenvertretern die Anfälligkeit für politisch und strategisch motivierte Voreingenommenheit erhöht und weil die Präsenz von Staaten mit zweifelhafter Menschenrechtsbilanz die Effektivität des Gremiums in Frage stellt.36 Andererseits ist gerade die Einbeziehung aller Staaten, also auch solcher, die der Überprüfung ihrer Menschenrechtsbilanz ablehnend gegenüberstehen, ein Vorteil gegenüber anderen Gremien.37 Zudem gewähren die Diskussionen im Rahmen des Menschenrechtsrates sowie die an diesen gerichteten Berichte vom Hohen Kommissar für Menschenrechte und von Nichtregierungsorganisationen ein plurales Bild über die Menschenrechts­ lage in den betroffenen Staaten. c) Internationale Menschenrechte als differenzierte Maßstäbe Ein weiterer Vorteil der Wahl von Menschenrechten als Ansatzpunkt liegt darin, dass diese einen äußerst differenzierten Maßstab für die Beurteilung staatlichen Verhaltens sowie für die Einhaltung der Interessen der Bevölkerung bieten. Dies ergibt sich zunächst aus deren vielfältigen Schutzbereichen. So umfasst der IPBPR neben klassischen Abwehrrechten wie Recht auf Leben (Art. 6), Schutz vor Folter (Art. 7) oder Versammlungs- und 34  Vgl.

kolls.

35  Vgl.

Art. 28 ff., insbes. Art. 40(4) IPBPR und Art. 1 des Ersten Zusatzproto-

genauer unten, Kapitel 4 B.I.4.a). Schmidt, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 392 ff., insbes. 397 f. 37  Ausführlich zu diesem Aspekt des Universal Periodic Review sowie zu dessen Arbeitsweise Tomuschat, in: Fastenrath u. a., FS Simma. 36  Vgl.

320 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

Meinungsfreiheit (Art. 21 bzw. 19) auch umfangreiche justizielle Rechte (Art. 14). Der IPSWSKR beinhaltet wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte, wie z. B. das Recht, seinen Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu bestreiten (Art. 6), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und Obdach (Art. 11), das Recht auf Bildung (Art. 13) oder das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben (Art. 15) und verpflichtet Staaten unter Ausschöpfung aller ihrer Möglichkeiten zu sukzessiven Maßnahmen zur vollen Verwirklichung dieser Rechte (Art. 2).38 Obgleich wirtschaftliche, soziale und kulturelle gelegentlich als „Menschenrechte der zweiten Generation“ beschrieben werden39 und historisch teilweise der sozialistischen Welt zugeordnet wurden,40 ist der IPWSKR heute ein universell anerkanntes Vertragswerk, welches von 160 Staaten unterschiedlicher politischer und kultureller Tradition ratifiziert wurde.41 Neben den genannten Rechten lässt sich auch die Möglichkeit demokratischer Partizipation am IPBPR messen (vgl. Art. 25 IPBPR und oben, S. 86). Schließlich beinhalten die Menschenrechtsverträge umfangreiche Diskriminierungsverbote (vgl. Art. 2(1) IPBPR und Art. 2(2) IPWSKR). Ebenso wie der sachliche ist der persönliche Schutzbereich von Menschenrechten differenziert. Während die meisten Rechte grundsätzlich allen zur Verfügung stehen, beinhaltet bereits der IPBPR Bestimmungen zugunsten besonders schutzbedürftiger Gruppen (vgl. Art. 24 für Kinder, Art. 27 für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten sowie Art. 3 und 6(5) für Frauen). Darüber hinaus befassen sich Menschenrechtsverträge wie die Behindertenrechtskonvention, die Konvention zur Abschaffung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen und die Kinderrechtskonvention spezifisch mit dem Schutz Angehöriger bestimmter Personengruppen. Neben dem Schutz des Individuums garantieren kollektive Menschenrechte wie das Recht auf Selbstbestimmung sowie etwa die Anti-Genozid-Konvention den Schutz bestimmter Gruppen in ihrer Gesamtheit. Die differenzierte Einbeziehung verschiedener Interessenträger in den Schutzbereich von Menschenrechten löst zum einen das Problem, dass sich ein Interesse der gesamten 38  Diese zurückhaltende Formulierung in Art. 2 IPWSKR wird vom CESCR so interpretiert, dass Staaten mit der Ratifikation des Paktes eine Mindestverpflichtung haben, die Erfüllung von Mindeststandards der jeweiligen Rechte zu garantieren („a minimum core obligation to ensure the satisfaction of, at the very least, minimum essential levels of each of the rights is incumbent upon every State party.“), vgl. General Comment 3 („The Nature of States Parties Obligations (Art. 2, par. 1)“), 14. Dezember 1990, para. 10. 39  Vgl. zu der Terminologie Tomuschat, Human Rights, S. 26. 40  Vgl. Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 21. 41  Eine prominente Ausnahme sind die USA; zu den Ratifikationen s. noch genauer unten, Kapitel 4 B.I.2.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig321

Bevölkerung häufig schwer finden lässt; zum anderen werden Interessen einer Bevölkerungsmehrheit dann nicht geschützt, wenn diese zur Verletzung der Rechte von Minderheiten führen, wie etwa im Fall eines von der Bevölkerungsmehrheit getragenen Völkermordes (vgl. oben, Kapitel 3 B.II.2.). Aus der Berücksichtigung von Menschenrechten lässt sich mithin ein vielschichtiges Bild darüber zeichnen, wie der Staat die Interessen der Bevölkerung achtet oder missachtet, sei es, weil er Freiheiten einschränkt, bestimmte Gruppen diskriminiert, demokratische Teilhabe unterbindet oder öffentliche Gelder ohne Berücksichtigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung verwendet. Der unabhängige Experte der UN für die Auswirkungen von staatlichen Auslandsschulden auf die volle Verwirklichung der Menschenrechte Cephas Lumina schließt seinen Bericht mit den Worten: „Human rights provide a clear and universally recognized framework that can inform the design of a just, equitable and enduring solution to the debt problem … Human rights principles are also a critical factor in the design of a framework for responsible financing that would, inter alia, ensure that the recurrence of unsustainable levels of debt, as well as the generation of illegitimate debt, are avoided.“42

d) Einbeziehung humanitären Völkerrechts Während menschenrechtliche Regeln grundsätzlich auch im Fall eines bewaffneten Konflikts Geltung beanspruchen,43 ist es vor allem das humanitäre Völkerrecht, welches dem Verhalten der Konfliktparteien im Interesse der Menschlichkeit Grenzen setzt. So besteht ein internationaler Konsens, dass das Recht nicht dort schweigen kann, wo die Waffen sprechen;44 dieser Konsens kommt beispielsweise in der universellen Ratifikation der Genfer Abkommen zum Ausdruck (s. dazu unten, 2.b)). Für die Problematik odiöser Verträge sind Fälle denkbar, in denen sich ein Verstoß gegen das Bevölkerungsinteresse im Bruch humanitären Völkerrechts niederschlägt, wenn etwa im Rahmen eines nichtinternationalen (internen) bewaffneten Konflikts Zivilisten und zivile Infrastruktur unverhältnismäßig in Mitleidenschaft gezogen werden45 oder in besetzten Gebieten öffentliche Gebäude 42  Report of the Independent Expert on the Effects of Foreign Debt and Other Related International Financial Obligations of States on the Full Enjoyment of All Human Rights, Particularly Economic, Social and Cultural Rights, 12. August 2009, A / 64 / 289, para. 74. 43  Sei es auch in modifizierter Form; ausführlich dazu Sivakumaran, in: Moeckli u. a., Human Rights, S.  530 ff. m. w. Nachw. 44  Sivakumaran, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 522. 45  Dies wäre ein Verstoß gegen die Gebote der Unterscheidung (distinction) und der militärischen Notwendigkeit.

322 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

zerstört werden.46 Dass die öffentliche Finanzierung solcher Praktiken verhindert und nicht der Bevölkerung des Schuldnerstaates aufgebürdet werden soll, spricht für die Einbeziehung dieses Rechtskörpers. e) Zwischenergebnis Bei den Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht handelt es sich um objektive und differenzierte Werte, die eine universelle Anerkennung erfahren haben. Die weitgehende Anerkennung der Menschenrechte bedeutet freilich nicht, dass auch eine Übereinkunft darüber bestünde, diese zur Grundlage von finanziellen Einschränkungen zu machen. Die Anknüpfung an solche Standards lässt aber den Vorwurf einer imperialistischen, politisch motivierten Einmischung entfallen, weil sie Staaten an dem misst, was sie als Teil der internationalen Gemeinschaft anerkannt haben. Dass die Anwendung der Odious-Debts-Doktrin gegenüber bestimmten Staaten im Interesse der Bevölkerung gerechtfertigt und notwendig ist, hat die bisherige Untersuchung ergeben (vgl. insbesondere Kapitel 1 C. sowie Kapitel 3 B.VI.); dass Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht dafür einen geeigneten Anknüpfungspunkt bieten, folgt daraus, dass diese eine unmittelbare Aussage darüber treffen, wieweit ein Staat im Interesse der Bevölkerung handelt. Mithin ist im Folgenden zu untersuchen, welche rechtlichen Verpflichtungen im Einzelnen für die Beurteilung in Betracht gezogen werden sollten. 2. Geeignete Konventionen Dem Lösungsmodell ist es zuträglich, wenn an solche Konventionen angeknüpft wird, die einen weitreichenden Ratifikationsstand aufweisen, weil dies die Legitimität des Modells erhöht und die Beurteilung der Lage in einer Vielzahl von Staaten erlaubt. Zunächst werden daher die wichtigsten internationalen Menschenrechtskonventionen (a)) und Abkommen des humanitären Völkerrechts (b)) sowie deren Ratifikationsstand dargestellt. Dann ist zu fragen, ob diese Kern-Konventionen auch für solche Staaten relevant sein können, die eine ablehnende Haltung gegenüber Menschenrechten einnehmen (c)). Ergänzend zu den genannten Konventionen kommt die Einbeziehung des Völkergewohnheitsrechts in Betracht (d)).

46  Vgl. das Beispiel bei Sivakumaran, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 532 m. w. Nachw.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig323

a) Internationale Kernkonventionen zum Schutz von Menschenrechten Der Hohe Repräsentant für Menschenrechte (OHCHR) zählt neun Menschenrechtsverträge unter die Kern-Menschenrechtsübereinkommen („core international human rights instruments“).47 Jeder UN-Mitgliedstaat hat mindestens einen Menschenrechtsvertrag ratifiziert, und mehr als zwei Drittel der Staaten sind Vertragsparteien von mindestens sechs dieser KernMenschenrechtsinstrumente.48 Die folgende Tabelle zeigt die Vertragswerke geordnet nach dem Datum der Verabschiedung des Vertragstextes. Zusatzprotokolle wurden aufgenommen, soweit diese den inhaltlichen Schutzbereich der Konvention erweitern. Zusätzlich wurden die Anti-Apartheids- und die Anti-Genozid-Konvention in die Tabelle aufgenommen. Diese sind zwar keine Menschenrechtskonventionen im engeren Sinne, verbieten aber Handlungen, welche unmittelbar menschenrechtsrelevant sind und verpflichten die Vertragsparteien, diese Handlungen unter Strafe zu stellen. Weiterhin werden die Zahl der Vertragsparteien und als Referenz die Zahl der Ratifikationen durch EU-Mitgliedstaaten aufgeführt, welche insofern von Bedeutung ist, als das hier vorgeschlagene Modell von den EU-Mitgliedstaaten angewendet werden kann. Ein Verweis auf von diesen ebenfalls ratifizierte Konventionen würde die Legitimität eines solchen Vorgehens erhöhen. Die Tabelle zeigt, dass die meisten der genannten Konventionen eine ganz überwiegende internationale Anerkennung gefunden haben. Dies betrifft mit dem IPBPR und den IPWSKR zwei Vertragswerke, die einen umfassenden Schutz verschiedenster Rechte gewährleisten und daher auch als „International Bill of Human Rights“ bezeichnet werden.49 Der Prototyp eines universell ratifizierten Vertrages ist die Kinderrechtskonvention, die auch in ihren Zusatzprotokollen eine sehr weite Anerkennung erfährt. Auch die Konventionen gegen die Diskriminierung von Frauen (CEDAW) sowie die Konvention gegen Rassendiskriminierung (ICERD) sind nahezu universell anerkannt. Weiterhin sind die Anti-Genozidkonvention, die Antifolterkonvention und die Behindertenrechtskonvention von mehr als zwei Dritteln der Staaten ratifiziert; da letztere noch relativ jung ist, sind weitere Ratifikationen zu erwarten. Einen vergleichsweise geringen Ratifikationsstand weist das zweite Zusatzprotokoll zum IPBPR über die Abschaffung der Todesstrafe auf. Dies entspricht der Erkenntnis, dass die Abschaffung der Todesstrafe international 47  Vgl. die Liste auf http: /  / www.ohchr.org / EN / ProfessionalInterest / Pages / Core Instruments.aspx. 48  Schmidt, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 404. 49  Chinkin, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 106.

324 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements Tabelle 1 Ratifikationsstand der Übereinkommen zum Schutz von Menschenrechten (Stand 2. Juli 2013) Vertrag (Abkürzung, Originaltitel, ggf. in der Arbeit verwendete deutsche Übersetzung)

Vertrags- Parteien Datum EU Unterzeich­nung /  parteien Inkrafttreten

Anti-Genozid-Konvention Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide

9.12.1948 /  12.1.1951

142

27

ICESCR / IPWSKR International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights / Internatio­ naler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

16.12.1966 /  3.1.1976

160

28

ICCPR / IPBPR International Covenant on Civil and ­Political Rights/Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

16.12.1966 /  23.3.1976

167

28

ICCPR-OP2 / IPBPR-OP2 Second Optional Protocol aiming at the abolition of the death penalty

15.12.1989 /  11.7.1991

 76

28

ICERD International Convention on the Elimi­ nation of All Forms of Racial Discrimination

7.3.1966 /  4.1.1969

176

28

Anti-Apartheids-Konvention International Convention on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid

30.11.1973 /  18.7.1976

108

 7

CEDAW Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women

18.12.1979 /  3.9.1981

187

28

CAT Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment / Anti-Folter-Konvention

10.12.1984 /  26.6.1987

153

28

CRC Convention on the Rights of the Child / Kinderrechtskonvention

20.11.1989 /  2.9.1990

193

28



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig325 Vertrag (Abkürzung, Originaltitel, ggf. in der Arbeit verwendete deutsche Übersetzung)

Vertrags- Parteien Datum EU Unterzeich­nung /  parteien Inkrafttreten

CRC-OP1 Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the Involvement of Children in Armed Conflict

25.5.2000 /  12.2.2002

151

28

CRC-OP2 Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the Sale of Children, Child Prostitution and Child Pornography

25.5.2000 /  18.1.2002

163

28

Wanderarbeiter-Konvention International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of their Families

18.12.1990 /  1.7.2003

 46

 0

CRPD Convention on the Rights of Persons with Disabilities / Behindertenrechtskonvention

13.12.2006 /  3.5.2008

132

26

ICPED International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance

20.12.2006 /  23.12.2010

 39

 6

umstritten ist.50 Damit ist die Vollstreckung der Todesstrafe, soweit sie einem rechtsstaatlichen Verfahren folgt und keine anderen Menschenrechte verletzt, kein geeigneter Anknüpfungspunkt für die Klassifizierung eines Staates als Odious-Debts-verdächtig. Auch Wanderarbeiter-Konvention und Konvention gegen das Verschwindenlassen (ICPED) zeichnen sich durch einen geringen Ratifikationsstand aus und sind daher als Anknüpfungspunkte weniger geeignet. Im Mittelfeld befindet sich die Anti-Apartheids-Konvention. Dass diese nur von etwas mehr als der Hälfte der Staaten und darunter nur 7 EUStaaten ratifiziert wurde, folgt nicht daraus, dass die Verurteilung von Apartheid in irgend einer Form kontrovers wäre; vielmehr handelt es sich bei Apartheid um eine sogar vom zwingenden Völkergewohnheitsrecht geächtete Praxis.51 Die zurückhaltende Ratifizierung dürfte eher auf wirt50  Rodley, 51  Vgl.

(12).

in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 224. die Fundstellen in Fn. 225 und die Nachweise bei Kapitel 2 D.II.2.a)bb)

326 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

schaftliche Interessen zur Zeit des südafrikanischen Apartheidsregimes sowie auf die mit dessen Ablösung wahrgenommene Irrelevanz der Konven­ tion zurückzuführen sein,52 wenn auch die Konvention ausdrücklich auf universelle Anwendung über den Fall Südafrikas hinaus ausgelegt ist.53 Aufgrund der universellen Anerkennung der Problematik scheint es daher gerechtfertigt, die Anti-Apartheidskonvention in die Bewertung staatlichen Handelns mit einzubeziehen. Alle genannten Menschenrechtskonventionen verfügen über Vertragsorgane, welche im Rahmen eines Staatenberichtsverfahrens Berichte über die Menschenrechtslage in den Vertragsstaaten erstellen. Diese Berichte können einen Anhaltspunkt für die Klassifizierung eines Staates als Odious-Debtsverdächtig bilden (s. zu den Berichten und weiteren Entscheidungsgrundlagen ausführlich unten, 4.). b) Kernübereinkommen des humanitären Völkerrechts Tabelle 2 zeigt die wichtigsten Übereinkommen des humanitären Völkerrechts. Wie die Tabelle zeigt, sind die Genfer Abkommen universell und die Zusatzprotokolle von einer ganz überwiegenden Mehrheit der Staaten ratifiziert, was diese zu einem legitimen Ansatzpunkt für das Lösungsmodell macht. Tabelle 2 Ratifikationsstand der Genfer Abkommen und Zusatzprotokolle (Stand 2. Juli 2013) Vertrag

Vertrags- Parteien Datum EU Unterzeich­nung /  parteien Inkrafttreten

I. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Ver­ wundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde

12.8.1949 /  21.10.1950

195

28

II. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See

12.8.1949 /  21.10.1950

195

28

52  Reynolds,

in: Keane / McDermott, The Challenge of Human Rights, S. 209 ff. die Definition in Art. 2, die „similar policies and practices of racial segregation and discrimination as practised in southern Africa“ umfasst. 53  Vgl.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig327 Vertrags- Parteien Datum EU Unterzeich­nung /  parteien Inkrafttreten

Vertrag

III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegs­ gefangenen

12.8.1949 /  21.10.1950

195

28

IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten

12.8.1949 /  21.10.1950

195

28

I. Zusatzprotokoll über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte

8.6.1977 /  7.12.1978

173

28

II. Zusatzprotokoll über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte

8.6.1977 /  7.12.1978

167

28

c) Kernkonventionen auch als Maßstab für menschenrechtskritische bis offenkundig menschenrechtsfeindliche Regime? Gegen die Heranziehung der genannten Konventionen ließe sich einwenden, dass es aufgrund eines geringen Ratifikationsstandes bei totalitären Staaten schwierig sein könnte, solche Extremfälle an internationalen Menschenrechtsverträgen zu messen, obwohl solche Staaten den Hauptanwendungsbereich des Lösungsmodells darstellen. Dem liegen zwei berechtigte Bedenken zugrunde: Zum einen wäre die Legitimität eines Odious-DebtsMechanismus fraglich, wenn Staaten an Regeln gemessen würden, die für sie nicht verbindlich sind. Zum anderen könnte ohne Ratifikation nicht auf die Überprüfungsmechanismen der jeweiligen Konventionen zurückgegriffen werden, weil die Vertragsorgane keine Berichte zur Menschenrechtslage in Nicht-Vertragsparteien erstellen. Gegen diese Bedenken ließe sich die auch gewohnheitsrechtliche Anerkennung von Menschenrechten54 sowie die Möglichkeit der Einbeziehung anderer Quellen wie Nichtregierungsorganisationen55 anführen. Primär ist aber die These zu hinterfragen, ob sich besonders problematische Staaten überhaupt durch eine fehlende Ratifikation von Menschenrechtskonventionen auszeichnen. Ist dies nicht der Fall, dann bestehen keine Bedenken, diese auch an der Einhaltung der Konventionen zu messen. Die folgende Tabelle zeigt den Ratifikationsstand der eben (a)) als maßgeblich dargestellten Menschenrechtskonventionen durch ausgewählte Staa54  Dazu

noch unten, Kapitel 4 B.I.2.d). noch unten, Kapitel 4 B.I.4.c).

55  s. dazu

328 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

ten. Dabei handelt es sich um solche Staaten, deren Schulden in der Diskussion um Odious Debts häufig als dringende (Belarus, Iran, Nordkorea) oder zumindest potentielle (Kuba, Syrien, Turkmenistan, Sudan) Anwendungsfälle genannt werden, oder die aus anderen Gründen eine problematische Menschenrechtsbilanz aufweisen (China, Russland, Saudi-Arabien). Die Liste ist dabei weder abschließend noch präjudiziell, soll also nicht die Menschenrechtslage der betroffenen Staaten bewerten oder gar vorwegnehmen, welche Staaten im Rahmen des Lösungsmodells als Odious-Debtsverdächtig klassifiziert werden sollten. Auch trifft die Zahl der Ratifikationen je Staat keine Aussage über dessen Menschenrechtsbilanz. Der Grund der Auswahl ist ein anderer: Es soll untersucht werden, ob bei Staaten, die als internationalen Menschenrechten gegenüber eher kritisch bis ablehnend wahrgenommen werden, dennoch eine ausreichende Grundlage besteht, diese an menschenrechtlichen Standards zu messen. Die Tabelle zeigt Folgendes: Zunächst ist auffällig, dass Belarus, China, Russland, Sudan und Syrien nahezu alle in Betracht kommenden Menschenrechtskonventionen ratifiziert haben, obwohl einige von ihnen international weitgehend isoliert sind (Belarus) bzw. eine verheerende Menschenrechtsbilanz aufweisen (etwa Syrien).56 Eine geringere, aber immer noch hohe Ratifikationszahl von acht bis neun Konventionen weisen Iran, Kuba, SaudiArabien, Sudan und Turkmenistan auf. Die beiden Pakte IPBPR und IPWSKR als inhaltlich weitreichende Kernkonventionen wurden von den allermeisten hier untersuchten Staaten ratifiziert, was eine umfassende Menschenrechtsverpflichtung und Überprüfbarkeit nach sich zieht. Während China nicht den IPBPR ratifiziert hat, lässt sich dessen Verhalten an allen anderen Verträgen sowie dem Völkergewohnheitsrecht messen. Problematischer ist Saudi-Arabien, welches weder den IPBPR noch den IPWSKR ratifiziert hat. Bis auf die international ohnehin weniger und in Europa nahezu gar nicht ratifizierte Anti-Apartheids-Kon56  Im Amnesty Report 2013, abrufbar unter http: /  / www.amnesty.de / amnestyinternational-report-2013, heißt es: „Der interne bewaffnete Konflikt zwischen Regierungskräften und der Opposition, die sich aus der Freien Syrischen Armee (FSA) und anderen bewaffneten oppositionellen Gruppen zusammensetzt, war geprägt von schweren Menschenrechtsverstößen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Für einen Großteil dieser Menschenrechtsverletzungen zeichneten die Regierungskräfte verantwortlich. … Zusammen mit verbündeten Milizen nahmen die Regierungskräfte Tausende von Menschen in Gewahrsam, darunter auch Kinder. Viele Personen wurden Opfer des Verschwindenlassens. Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen waren an der Tagesordnung. Mindestens 550 Gefangene kamen Berichten zufolge in der Haft ums Leben, viele davon als Folge von Folter. Andere fielen außergerichtlichen Hinrichtungen zum Opfer. … Es herrschte ein Klima der Straflosigkeit für schwere Menschenrechtsverletzungen, die in der Gegenwart und Vergangenheit begangen wurden.“

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alle

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ICESCR

ICERD

CEDAW

CAT

CRC

CRC-OP1

CRC-OP2

CRPD

Anti-Genozid-Konvention

Anti-Apartheidskonvention

Genfer Abkommen I-IV

Zusatzprot. I Genfer Abk.

Zusatzprot. II Genfer Abk.

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alle

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alle

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alle

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alle



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alle

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Iran Kuba Nordkorea Russland Saudi-Arabien Sudan Syrien

+ = Vertragspartei; – = keine Vertragspartei; (s) = unterzeichnet, nicht ratifiziert.

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Belarus China

ICCPR

Konvention

Tabelle 3 Ratifikation der Übereinkommen durch ausgesuchte Staaten (Stand 2. Juli 2013)

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Turkmenistan

B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig329

330 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

vention ist Saudi-Arabien jedoch Vertragspartei aller weiteren Konventionen, welche ein breites Spektrum an Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Genozid, Kinderhandel, Diskriminierung von Frauen und Verletzung der Rechte von Behinderten verbieten. Zusammen mit völkergewohnheitsrechtlichen Verpflichtungen (vgl. noch unten, d)) genügt dies, um festzustellen, ob schwerwiegende und systematische Menschenrechtsverletzungen57 eine Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig rechtfertigen. Umgekehrt hat als besonders problematischer und weitgehend isolierter Staat Nordkorea lediglich fünf der untersuchten Konventionen ratifiziert, allerdings finden sich darunter sowohl der IPBPR58 als auch der IPWSKR, sodass eine umfassende Menschenrechtsverpflichtung gegeben ist. Was die Abkommen zum humanitären Völkerrecht betrifft, so zeigt sich auch hier ein umfassender Ratifikationsstand. Im Zusammenspiel mit den Menschenrechtskonventionen, die grundsätzlich auch in Zeiten bewaffneten Konfliktes ihre Gültigkeit behalten,59 lässt sich eine umfassende Verpflichtung der Staaten feststellen. Aus den Darstellungen lässt sich ableiten, dass menschenrechtlich äußerst problematische oder international isolierte Staaten keineswegs ihre Menschenrechtsverpflichtung niedergelegt haben, sondern umfassenden internationalen Verpflichtungen unterliegen. Auch weniger extrem handelnde Staaten, die in der Vergangenheit nicht durch eine menschenrechtsfreund­ liche Ausrichtung ihrer Außenpolitik aufgefallen sind, bekennen sich im Grundsatz zu diesen und können an diesen gemessen werden. Die Anknüpfung an die genannten Konventionen ist mithin nicht nur legitim, sondern auch für eine Überprüfung der Menschenrechtsbilanz potentiell OdiousDebt-verdächtiger Staaten geeignet. d) Ergänzende Einbeziehung von Völkergewohnheitsrecht Wie ausgeführt, lassen die wichtigsten Menschenrechtskonventionen grundsätzlich eine umfassende Beurteilung der Menschenrechtsbilanz von Staaten zu. Insoweit hier im Einzelfall Lücken bestehen, kann zudem auf völkergewohnheitsrechtliche Menschenrechte und Verbote zurückgegriffen 57  Zu

diesem Begriff ausführlich unten, Kapitel 4 B.I.3. 25. August 1997 erklärte Nordkorea den Austritt aus dem IPBPR, was jedoch mangels Austrittsbestimmung und Zustimmung der anderen Vertragsstaaten als unwirksam angesehen wurde (vgl. Art. 54 ff. WVK). Im Jahr 2000 erstellte Nordkorea dann einen Staatenbericht und erkannte damit implizit die Geltung des IPBPR an, vgl. Concluding Observations of the Human Rights Committee: Democratic People’s Republic of Korea, 27. August 2001, CCPR / CO / 72 / PRK. 59  Vgl. den Nachweis in Fn. 43. 58  Am



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig331

werden, weil diese auch jenseits vertraglicher Regelungen Geltung beanspruchen und überwiegend dem zwingenden Völkerrecht zugeordnet werden. So besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Verbote von Folter, Völkermord, Sklaverei und Apartheid Teil des Völkergewohnheitsrechts sind.60 Darüber hinaus werden häufig die Verbote von außergerichtlichen Hinrichtungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen sowie das Recht auf Selbstbestimmung der Völker genannt;61 teilweise werden auch das Diskriminierungsverbot62 und andere grundlegende Menschenrechte63 wie das Recht auf ein faires Verfahren64 zu den zwingenden Normen des Völkerrechts gerechnet. Status und Gehalt der verschiedenen Rechte sind im Einzelnen umstritten und bleiben regelmäßig hinter dem von Menschenrechtskonventionen gewährten Schutz zurück. Nichtsdestotrotz sind auch diese völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Menschenrechte dazu geeignet, zumindest eine grundsätzliche Beurteilung der Menschenrechtsbilanz von Staaten vorzunehmen, insbesondere als Ergänzung zu den von einzelnen Staaten jeweils ratifizierten Übereinkommen. Gleiches gilt für das humanitäre Völkerrecht, welches in weiten Teilen gewohnheitsrechtlich anerkannt ist.65 3. Schwerwiegende und systematische Verletzungen von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht als Maßstab für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig Da mit der Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig eine massive Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten des betroffenen Staates einhergeht, kann kaum jeder Menschenrechtsverstoß zu einer solchen Entscheidung führen. Vielmehr bedarf es einer Schwelle an Rechtsverletzungen, ab welcher die Einschätzung gerechtfertigt ist, der klassifizierte Staat gehe Verträge grundsätzlich entgegen den Interessen seiner Bevölkerung ein. Voraussetzung ist also, dass erst eine bestimmte Häufigkeit 60  Czapliński, in: Tomuschat / Thouvenin, Fundamental Rules, S. 95 f.; vgl. auch die Nachweise in Fn. 308. 61  Vgl. m.  w. Nachw. die Kataloge bei Schmalenbach, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 53 Rn. 81; Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J.Transnat’l. L. 2009(48), 59, 66 f.; A. Paulus, Nord. J.Int’l L. 2005(74), 297, 306; umfassend Hannikainen, Peremptory Norms, S. 425 ff. 62  Hannikainen, Peremptory Norms, S. 480 ff., insbes. 482 (für das zwingende Verbot schwerwiegender Diskriminierung). 63  M. w. Nachw. A. Paulus, Nord. J.Int’l L. 2005(74), 297, 305 ff.; Schweisfurth, Völkerrecht, S. 85. 64  Schmalenbach, in: Dörr / Schmalenbach, VCLT, Art. 53 Rn. 81 m. w. Nachw. 65  Vgl. ausführlich Henckaerts / Doswald-Beck, Customary Humanitarian Law.

332 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

und Schwere von Verletzungen zur Klassifikation führt, womit sich die Frage stellt, wie genau diese Schwelle ausgestaltet werden soll. Mit schweren Menschenrechtsverletzungen befasst sich auf internationaler Ebene regelmäßig der UN-Sicherheitsrat und knüpft an deren Vorliegen je nach Konstellation ausdrückliche (rechtlich aber folgenlose) Verurteilungen, wirtschaftliche Sanktionen, die Einrichtung von Strafgerichten oder gar militärische Interventionen.66 Dabei hat der Sicherheitsrat auf das Vorliegen von „serious violations“,67 „gross and systematic violations“68 oder „systematic, widespread and flagrant violations“,69 der Menschenrechtsrat auch auf „widespread and systematic gross violations“70 von Menschenrechten bzw. humanitärem Völkerrecht abgestellt. Terminologisch ähnlich sind die Voraussetzungen für das Individualbeschwerdeverfahren vor dem UNMenschenrechtsrat, das die Untersuchung von „consistent patterns of gross and reliably attested violations of … human rights …“ ermöglicht.71 Obgleich kein einheitliches Verwendungsmuster der Begriffe erkennbar ist, lassen sich zwei gemeinsame Elemente feststellen. So gehen alle Termini von einer bestimmten qualitativen oder quantitativen Intensität der Menschenrechtsverletzungen aus (serious, gross, widespread, flagrant). Darin erschöpfen sich die Begrifflichkeiten jedoch nicht, vielmehr lässt sich als weiteres Element eine gewisse Planmäßigkeit der Verletzungen feststellen (systematic; consistent patterns). Auch für das Lösungsmodell sind diese beiden Elemente von Relevanz. Für das Modell wird vor diesem Hintergrund vorgeschlagen, zum Ansatzpunkt für die Klassifizierung als OdiousDebts-verdächtig das Kriterium „schwerwiegende und systematische Verletzungen von Menschenrechten oder humanitärem Völkerrecht“ („serious and systematic violations of human rights or international humanitarian law“) zu machen. Der Begriff der „serious and systematic violations“ wurde bisher 66  Zu den verschiedenen Funktionen des Sicherheitsrates im Hinblick auf Menschenrechte vgl. ausführlich Shraga, in: Fassbender, The Security Council and Human Rights, S.  14 ff. m. w. Nachw. 67  Resolution des Sicherheitsrates zur Lage in Elfenbeinküste, 30. März 2011, S / RES / 1975 (2011), para. 12. 68  Resolution des Sicherheitsrates zur Lage in Libyen, 26. Februar 2011, S / RES / 1970 (2011), Präambel. 69  Vgl. etwa die Resolution des Sicherheitsrates vom 17. Mai 1994 zur Lage in Ruanda, S / RES / 918 (1994). 70  Resolution des Menschenrechtsrates zur Lage in Syrien, 29. Mai 2013, A / HRC / 23 / L.1. 71  Resolution 5 / 1 des Menschenrechtsrates, Institution-building of the United Nations Human Rights Council, 18. Juni 2007; das Verfahren ersetzt den Arbeitsauftrag der vorherigen Menschenrechtskommission und der Sub-Commission on the Prevention and Protection of Human Rights.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig333

soweit ersichtlich kaum72 verwendet und bietet damit die Möglichkeit einer autonomen Interpretation, die als Rechtsfolge nicht auf die Einleitung eines Beschwerdeverfahrens oder die Verabschiedung klassischer Sanktionen, sondern auf die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig abzielt. Bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ist zu berücksichtigen, dass eine Klassifizierung erst dann gerechtfertigt ist, wenn die Vermutung besteht, dass der Staat die ihm zur Verfügung stehenden Mittel grundsätzlich entgegen den Interessen der Bevölkerung, und nicht zu deren Gunsten einsetzt. Dabei sind qualitative, quantitative und subjektive Kriterien zu berücksichtigen.73 a) Qualitatives Element In qualitativer Hinsicht ist die Intensität der Beeinträchtigungen zu berücksichtigen. So ist z. B. eine lebenslange Inhaftierung als schwerwiegender zu bewerten als die nur vorübergehende Festnahme. Allerdings kann auch die vorübergehende Verhaftung Teil von schwerwiegenden und systematischen Verletzungen sein, wenn diese eine Vielzahl von Oppositionellen betrifft (quantitatives Element), auch andere Rechte verletzt (beispielsweise prozessuale Rechte oder das Misshandlungsverbot) und mit der Absicht vorgenommen wird, politische Gegner einzuschüchtern (subjektives Element). Fraglich ist, ob eine Beschränkung nur auf bestimmte, besonders wichtige Menschenrechte geboten ist. Das Beschwerdeverfahren vor der damaligen Menschenrechtskommission etwa wurde aus Anlass des Apartheid­ regimes eingerichtet;74 dementsprechend wurde zunächst eine qualitative Einschränkung dahingehend gefordert, dass auch nur dem System der Rassendiskriminierung im Apartheids-Regime vergleichbare Situationen Rechtsverletzungen im Sinne der Definition darstellen sollten.75 Auf das vorliegende Lösungsmodell lässt sich dies jedoch nicht übertragen, weil 72  Ausnahme ist das Allgemeine Präferenzsystem der EU, welches als Grundlage für die Aufhebung von Zollermäßigungen „serious and systematic violations of principles laid down in certain international conventions concerning core human rights and labour rights“ nennt, vgl. Erwägungsgrund (24) und Art. 19(1)(a) von Verordnung (EU) 978 / 2012 des Europäischen Parlamentes und des Rates, 25. Oktober 2012, [2012] OJ L 303 / 1; allerdings wurde der Mechanismus bisher äußerst zurückhaltend angewendet und lässt keine systematischen Rückschlüsse zu, vgl. ausführlich Schneider, ZEuS 2012(15), 301, 309 ff. 73  Vgl. auch ähnliche Klassifizierungen bei Medina Quiroga, Battle of Human Rights, S.  10 ff. m. w. Nachw. 74  Medina Quiroga, Battle of Human Rights, S. 7 ff. 75  Medina Quiroga, Battle of Human Rights, S. 8.

334 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

hier eine Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen denkbar sind, die den Verstoß gegen das Bevölkerungsinteresse nahelegen. Doch auch bei einer Anwendung über Fälle des Apartheidsregimes hinaus wurde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vertreten, dass nur die Verletzung der Rechte auf Leben, persönliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit unter die Definition fallen sollen.76 Dies ist jedoch wenig überzeugend, da die verschiedenen Rechte gleichwertig nebeneinander stehen. So ist etwa der Fall denkbar, dass ein Staat unter Zwangsumsiedlung der örtlichen Bevölkerung in großem Maße Ackerland an ausländische Investoren verpachtet, ohne die Einnahmen zur Bekämpfung einer daraus folgenden Nahrungsmittelknappheit zu verwenden. Hierbei handelt es sich um Verletzungen des Rechts auf einen angemessen Lebensstandard (Recht auf Nahrung, Recht auf Obdach, vgl. Art. 11 IPWSKR), die nicht geringer zu gewichten sind als z. B. die mehrstündige ungerechtfertigte Inhaftierung von Demonstra­ tionsteilnehmern. Damit ist es nicht überzeugend, nur die Verletzung bestimmter Rechte zu berücksichtigen, weil zwischen den verschiedenen Menschenrechten grundsätzlich keine hierarchisches Verhältnis besteht. Zwar kann in die Beurteilung einfließen, ob Menschenrechte gewohnheitsrechtlichen Schutz genießen, keine Ausnahmen auch im Fall öffentlichen Notstandes erlauben (sog. non-derogable rights, vgl. Art. 4(2) ICCPR) oder ihre Verletzung ein völkerrechtliches Verbrechen darstellt, weil in all diesen Fällen ein besonders starker internationaler Konsens über die Bedeutung der betroffenen Rechte besteht. Jedoch kann auch die schwerwiegende Verletzung anderer Rechte zu dem Schluss führen, dass ein Staat Ressourcen grundsätzlich entgegen dem Bevölkerungsinteresse verwendet. b) Quantitatives Element In quantitativer Hinsicht ist vorauszusetzen, dass eine Menschenrechtsverletzung nicht nur einmalig, sondern in einer Mehrzahl von Fällen auftritt. Die Verletzung im Einzelfall, sei sie auch schwerwiegend, kann kaum genügen, die Vermutung aufzustellen, ein Staat verwende seine Mittel generell entgegen dem Interesse der Bevölkerung. Viel Präziseres lässt sich jedoch an dieser Stelle nicht sagen, da es auf eine Gesamtschau der Umstände im Lichte der weiteren Elemente (qualitatives und subjektives Element) ankommt. So kann sich ein (beginnender) Völkermord an der Verfolgung Einzelner offenbaren, während umgekehrt leichten Beeinträchtigungen einer Vielzahl von Betroffenen wie etwa bei gesetzeswidriger Vorratsdatenspeicherung weniger Gewicht zukommen mag. Diese wiegen wiederum schwe76  Medina

Quiroga, Battle of Human Rights, S. 14 f. m. w. Nachw.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig335

rer, wenn sie zur Förderung eines menschenrechtswidrigen Verhaltens wie z. B. dem gezielten Zugriff auf Oppositionelle dienen. c) Subjektives / intentionales Element Weiterhin ist zu berücksichtigen, mit welcher Absicht ein Staat schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vornimmt. Grundsätzlich spielt es für das subjektive Empfinden des Opfers kaum eine Rolle, ob die Verletzung aus einer besonders verwerflichen Gesinnung folgt. Im Lichte der Odious-Debts-Doktrin ist aber eine Planmäßigkeit des staatlichen Verhaltens zu fordern, weil diese belegt, dass öffentliche Mittel grundsätzlich zum Nachteil der Bevölkerung verwendet werden. Regelmäßig wird sich bereits aus der Schwere und Verbreitung wiederkehrender Menschenrechtsverletzungen eine solche Planmäßigkeit ableiten lassen. Das subjektive Element spielt besonders da eine Rolle, wo der Staat nicht selbst als Urheber von Menschenrechtsverletzungen auftritt, sondern diese schlicht geschehen lässt. Denn die Menschenrechtsverträge enthalten nicht nur die Verpflichtung, Menschenrechte einzuhalten („obligation to respect“) und zu fördern („obligation to promote“), sondern auch die Pflicht, Individuen vor der Verletzung durch Dritte zu schützen („obligation to protect“).77 Verletzt der Staat seine Schutzpflicht, weil er nicht Willens ist, bestimmte Gruppen zu schützen, dann handelt es sich darin um eine systematische Menschenrechtsverletzung, die geeignet ist, die Klassifizierung als OdiousDebts-verdächtig nach sich zu ziehen. Ist der Staat umgekehrt schlichtweg nicht in der Lage, die Einhaltung von Menschenrechten zu gewährleisten, würde eine entsprechende Klassifizierung die Möglichkeiten des Staates zum Eingreifen noch reduzieren, weil in der Folge eine finanzielle Unterstützung des Staates noch schwieriger möglich wäre. In diesem Fall würde eine Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig somit dem Ziel des Lösungsmodells entgegenlaufen. 4. Beurteilungskriterien für das Vorliegen schwerwiegender und systematischer Verletzungen der Kernkonventionen Es ist wenig realistisch anzunehmen, dass das mit der Klassifizierung betraute Gremium selbst die Einhaltung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht in problematischen Staaten überwacht, weil dies ohne Zustimmung des betroffenen Staates nicht möglich und ansonsten mit hohem 77  Vgl. HRC, General Comment 31 („The Nature of the General Legal Obligation Imposed on States Parties to the Covenant“), 26 Mai 2004, CCPR / C / 21 /  Rev.1 / Add.13, para. 8.

336 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

logistischem und finanziellem Aufwand verbunden wäre. Jedoch besteht eine Vielzahl von Berichten, auf welche das Gremium zurückgreifen könnte. a) Im Rahmen der Konventionen erstellte Berichte Tabelle 4 zeigt die unter den einzelnen Menschenrechtsübereinkommen eingerichteten Vertragsorgane, die für die Überprüfung von Staaten im Berichtsverfahren zuständig sind, sowie deren Überprüfungsintervalle und das Bestehen eines Individualbeschwerdeverfahrens. 78

Tabelle 4 Überprüfungsmechanismen i. R. d. Menschenrechtsverträge Vertragsorgan

Überprüfungs­intervall in Jahren

Individual­beschwerde­verfahren

HRC Human Rights Committee /  Menschenrechts­ausschuss

4

Optional Protocol 1

ICESCR

CESCR Committee on Economic, Social, Cultural Rights /  Ausschuss für wirtschaft­ liche, soziale, kulturelle Rechte

5

Optional Protocol 1

ICERD

CERD Committee on the Elimination of Racial Discrimination

2

Special Declaration Art. 14 ICERD

CEDAW Committee on the Elimina­ tion of Discrimination against women

4

Optional Protocol

CAT Committee against torture

4

Special Declaration Art. 21 CAT

Konvention

ICCPR

CEDAW

CAT

SPT Subcommittee on Prevention of Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment78 78  Die Zuständigkeit des SPT zur Durchführung von Länderbesuchen setzt die Ratifikation des Zusatzprotokolls zur CAT voraus.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig337 Vertragsorgan

Überprüfungs­intervall in Jahren

Individual­beschwerde­verfahren

CRC Committee on the Rights of the

5

Optional Protocol (noch nicht in Kraft)

CRPD Committee on the Rights of Persons with Disabilities

4

Optional Protocol

AntiGenozidKonvention







AntiApartheidskonvention

– (Komitee aufgelöst)





Konvention

CRC

CRPD

Wie die Übersicht zeigt, verfügen alle als relevant identifizierten Übereinkommen mit Ausnahme der Anti-Genozid- und der Anti-Apartheidskonvention über ein Vertragsorgan, welches in regelmäßigen Abständen Berichte der Vertragsstaaten erhält und kommentiert. Die Vertragsorgane verfügen auch über Individualbeschwerdeverfahren, welche jedoch die Abgabe einer gesonderten Erklärung bzw. die Ratifikation eines Zusatzprotokolls voraussetzen und damit in den problematischen Fällen häufig nicht anwendbar sind. Soweit ein potentiell Odious-Debts-verdächtiger Staat jedoch das Individualbeschwerdeverfahren anerkannt hat, können auch die dort getroffenen Feststellungen in die Bewertung Eingang finden. Die Berichtsverfahren der verschiedenen Vertragsorgane laufen in ihren Grundzügen ähnlich ab.79 Zunächst erstellt die jeweilige Vertragspartei einen Bericht über die Menschenrechtssituation in ihrem Land.80 Dieser Bericht wird dann in einer öffentlichen Sitzung des Vertragsorgans mit Vertretern des zu überprüfenden Staates diskutiert, woraufhin das Vertragsorgan abschließende Beobachtungen („concluding observations / comments“) verabschiedet. In diesen werden Fortschritte und Probleme hinsichtlich der Menschenrechtsentwicklung im Vertragsstaat dargestellt und konkrete Empfehlungen ausgesprochen. Kommt ein Staat seiner Berichtspflicht nicht 79  Vgl. zum Folgenden Schmidt, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 406 ff. und ausführlich zur Entwicklung Tomuschat, Human Rights, S. 175 ff. 80  Zu den inhaltlichen Anforderungen an diesen Bericht vgl. Compilation of Guidelines on the Form and Content of Reports to be Submitted by States Parties to the International Human Rights Treaties, 3.  Juni 2009, HRI / GEN / 2 / Rev.6.

338 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

nach, kann das Vertragsorgan auch ohne einen solchen Bericht ein Überprüfungsverfahren einleiten und abschließende Beobachtungen erstellen. Bemerkenswert ist, dass auch Nichtregierungs­organisationen von den meisten Vertragsorganen in das Verfahren miteinbezogen werden und in den Verfahrensregeln mittlerweile regelmäßig eine formale Position erhalten haben.81 So fertigen NGOs regelmäßig Schattenberichte an und haben damit Einfluss auf die in der öffentlichen Sitzung diskutierten Themen. Gegen die Eignung der Berichte, eine umfassende Entscheidungsgrundlage hinsichtlich der Odious-Debts-Neigung problematischer Staaten darzustellen, bestehen allerdings Bedenken. Zunächst sind die relativ langen Prüfungsintervalle kritisch zu betrachten. Die meisten Konventionen sehen einen Berichtszeitraum von vier bis fünf Jahren vor, mit dessen Einhaltung viele Staaten in Verzug sind. Auch das Berichtsverfahren kann sich über mehrere Jahre hinziehen.82 Dies wird dadurch abgemildert, dass einige Vertragsorgane ein Follow-up-Verfahren durchführen, sodass veraltete Berichte um die gegenwärtigere Lage ergänzt werden.83 Zudem kann beispielsweise das HRC aus aktuellem Anlass vom Vertragsstaat einen Zusatzbericht verlangen (Art. 40(1)(b) IPBPR), wovon in der Vergangenheit jedoch nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht wurde.84 Ein zuverlässiges Bild, wie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Menschenrechtssituation in einem Staat darstellt, lässt sich daher nur schwer zeichnen. Für das hier vorgeschlagene Lösungsmodell ist die Verfügbarkeit von aktuellen Informationen jedoch von großer Bedeutung, damit auf kurzfristige Verschlechterungen oder Verbesserungen der Menschenrechtslage reagiert werden kann. Für die Überwachung der Einhaltung der Genfer Abkommen ist das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zuständig. Da hier keine formellen Beschwerdeverfahren bestehen und aufgrund des Vertraulichkeitsprinzips Verstöße grundsätzlich nicht öffentlich gemacht werden,85 geben nur vereinzelte Stellungnahmen des IKRK darüber Aufschluss, ob massive Rechtsverstöße vorliegen.86 81  Schmidt, in: Moeckli u.  a., Human Rights, S. 407  f., Tomuschat, Human Rights, S.  185 f. 82  Vgl. Schmidt, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 406 f., der zudem von einem Rückstand bei den Vertragsorganen von bis zu zwei Jahren spricht. 83  Schmidt, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 407. 84  Tomuschat, Human Rights, S. 183 m. w. Nachw. 85  Vgl. Rona, IRRC 2002(84), 207 ff. 86  Vgl. die Leitlinien „Action by the International Committee of the Red Cross in the Event of Violations of International Humanitarian Law or of Other Fundamental Rules Protecting Persons in Situations of Violence“, abgedruckt in Interna­ tional Review of the Red Cross 2005(87), S. 393 ff., 397, demnach bei schweren und wiederholten Verletzungen und gescheiterten vertraulichen Gesprächen eine Verur-



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig339

b) Berichte und Verfahren anderer zwischenstaatlicher Gremien Die Vertragsorgane sind nicht die einzigen Gremien, die sich auf internationaler Ebene mit der Menschenrechtsbilanz von Staaten auseinandersetzen. Genannt wurde bereits der Menschenrechtsrat und dessen Verfahren des Universal Periodic Review (vgl. oben, 1.b)), dem zwar mit einer gewissen Zurückhaltung zu begegnen ist, in dessen Rahmen aber wichtige Berichte erstellt und Bemerkungen geäußert werden. Darüber hinaus kann der Menschenrechtsrat in Sondersitzungen bestimmte Situationen behandeln87 und mit unabhängigen Experten besetzte, themen- oder länderspezifische Special Procedures88 (Sonderberichterstatter, Arbeitsgruppen etc.) ins Leben rufen wie etwa jüngst die Commission of Inquiry über die Menschenrechtslage in Nordkorea89 – Möglichkeiten, von welchen der Rat regelmäßig Gebrauch macht.90 Damit ergänzen die in Vorbereitung und Durchführung dieser Mandate erstellten Dokumente die Berichte der Vertragsorgane um aktuelle menschenrechtliche Probleme und sind in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Weiterhin ist der Hohe Kommissar für Menschenrechte, der dem Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) vorsteht, für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte zuständig. Eine bedeutende Aufgabe des OHCHR sind Menschenrechtsoperationen vor Ort („human rights field operations“), die häufig die Beobachtung der Menschenrechtssituation im Zielstaat beinhalten. Derzeit bestehen mehr als 60 Präsenzen in teilung öffentlich ausgesprochen werden kann und als Beispiel „Myanmar: ICRC denounces major and repeated violations of international humanitarian law“, Pressemitteilung des IKRK, 29 Juni 2007, abrufbar unter http: /  / www.icrc.org / eng / resour ces / documents / news-release / 2009-and-earlier / myanmar-news-290607.htm. 87  Allerdings ist die Auswahl der Themen dem Vorwurf selektiver und politisch voreingenommener Entscheidungsfindung ausgesetzt. Beispielsweise setzte sich nahezu die Hälfte der Sondersitzungen mit der Menschenrechtslage in den israelisch besetzten Gebieten auseinander. Andererseits wurden zu mehreren Staaten, die in strategischen Verbindungen zu westlichen Staaten stehen, keine Sitzungen einberufen; vgl. dazu Schmidt, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 397 f. 88  Vgl. dazu Tomuschat, Human Rights, S. 149. 89  Vgl. Resolution des Menschenrechtsrates vom 9.  April 2013, A / HRC / RES /  22 / 13. 90  Derzeit bestehen 13 auf bestimmte Staaten bezogene Special Procedures (vgl. die Liste auf http: /  / www.ohchr.org / EN / HRBodies / SP / Pages / Countries.aspx). Der Menschenrechtsrat kann weiterhin Individualbeschwerden über „consistent patterns of gross and reliably attested violations of all human rights and all fundamental freedoms occurring in any part of the world and under any circumstances“ behandeln, tut dies jedoch nur mit äußerster Zurückhaltung und zeitlicher Verzögerung, s. die Liste auf http: /  / www.ohchr.org / Documents / HRBodies / HRCouncil / Situations consideredHRCJan2013.pdf.

340 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

Regionalbüros, regionalen Menschenrechtszentren, Länderbüros, als Komponenten von Friedensmissionen oder in Form von Human Rights Advisors.91 Die zahlreichen im Rahmen dieser Missionen angefertigten Berichte stellen eine weitere Quelle für die Beurteilung der Menschenrechtssituation dar. Auch nahezu alle anderen UN-Gremien befassen sich in irgendeiner Form mit dem Schutz von Menschenrechten,92 häufig im Zusammenspiel mit dem Menschenrechtsrat, dem OHCHR oder den Vertragsorganen.93 So diskutiert die Generalversammlung regelmäßig Menschenrechtsthemen und kann gem. Art. 13 UN-Charta zu der Thematik Untersuchungen veranlassen und Empfehlungen abgeben, wofür in der Regel der Dritte Ausschuss (Soziales, Humanitäres, Kulturelles) zuständig ist.94 Weiterhin befasst sich der Sicherheitsrat mit der Menschenrechtslage in bestimmten Staaten. Die Feststellung durch den Sicherheitsrat, dass staatliche Stellen für Völkermord oder schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, die zu einer Bedrohung für den Weltfrieden oder die internationale Sicherheit führen, verantwortlich sind, ist auch für die Beurteilung im Rahmen des Lösungsmodells bedeutsam. Darüber hinaus hat der Sicherheitsrat in der Vergangenheit in Einzelfällen Wirtschaftssanktionen wegen massiver Menschenrechtsverletzungen ausgesprochen.95 Ebenso befassen sich Sicherheitsrat und Generalversammlung regelmäßig mit der Verletzung humanitären Völkerrechts.96 Schließlich kann auch der IGH über die Menschenrechtslage in bestimmten Staaten oder die Verletzung humanitären Völkerrechts zu entscheiden haben,97 obgleich hier meist ein größerer Zeitraum zwischen Verletzungshandlung und Entscheidung liegt. Neben globalen internationalen Organisationen nehmen auch regionale Organisationen und Gerichte Menschenrechtsbewertungen vor, die für die Klassifizierungsentscheidung relevant sein können. Zunächst ist der Europa91  Vgl. die nach Regionen geordnete Liste auf http: /  / www.ohchr.org / EN / Coun tries / Pages / MapOfficesIndex.aspx. 92  Dies kann als Folge des von Kofi Annan ins Leben gerufenen „human rights mainstreaming“ gesehen werden, vgl. Renewing the United Nations: A Programme for Reform, Bericht des Generalsekretärs, 14.  Juli 1997, A / 51 / 950, para. 78 f. 93  s. ausführlich Schmidt, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 426 ff. 94  Vgl. die Resolutionen auf der Internetseite des Ausschusses, http: /  / www. un.org / en / ga / third / index.shtml. 95  Vgl. die Nachweise bei Schmidt, in: Moeckli u. a., Human Rights, S. 428 f. 96  Vgl. etwa die Resolution des Sicherheitsrates vom 17. Mai 1994 zur Lage in Ruanda, S / RES / 918 (1994). 97  So etwa im Gutachten über die Mauer im besetzten Palästinensergebiet, IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territoriy, Advisory Opinion, 9. Juli 2004, ICJ Reports 2004, S. 136 ff.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig341

rat mit seinen 47 Mitgliedstaaten zu nennen, in dessen Rahmen die EMRK (1950), die Europäische Sozialcharta (1961 / rev. 1996) mit den jeweiligen Zusatzprotokollen und weitere Menschenrechtsverträge verabschiedet wurden.98 Zuständig für die Überprüfung der Menschenrechtslage sind in unterschiedlicher Ausprägung der EGMR, der Menschenrechtskommissar, das Ministerkomitee und zunehmend auch die Parlamentarische Versamm­lung;99 zudem bestehen Expertengremien im Rahmen der Europäischen Sozialcharta (European Committee on Social Rights; jährliche Staatenberichte), der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten (Advisory Committee; Staatenberichte im fünf-Jahres-Rhythmus) und des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (European Committee for the Preven­ tion of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment; Staatenbesuche). Außerhalb Europas besteht zunächst die Interamerikanische Menschenrechtskommission als Unterorgan der Organisation Amerikanischer Staaten, die zusammen mit dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof die Einhaltung der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (23 Vertragsstaaten) untersucht. Auf Grundlage der Banjul-Charta (53 Vertragsstaaten) untersucht die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker Staatenberichte; zugleich entscheidet der Afrikanischen Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker (26 Vertragsstaaten), der in den African Court of Justice and Human Rights integriert werden soll, über Individualbeschwerden. Im Rahmen der ASEAN wurden eine Intergovernmental Commission on Human Rights sowie zwei Sonderkommissionen (Frauen- und Kinderrechte; Wanderarbeiter) eingerichtet, die jedoch nicht mit den formalisierten Mechanismen in anderen Regionen vergleichbar sind und keine Staatenberichte erstellen.100

98  Nämlich das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (1987), die Europäische Charta für regionale oder Minderheitensprachen (1992) und die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten (1995). 99  Vgl. etwa den im Auftrag der parlamentarischen Versammlung angerfertigten Bericht von Dick Marty „Alleged Secret Detentions and Unlawful Inter-State Transfers Involving Council of Europe Member States“, Bericht und Chronologie abrufbar unter http: /  / assembly.coe.int / ASP / APFeaturesManager / defaultArtSiteView.asp ?ID=362. 100  Vgl. den Bericht Development of the ASEAN Human Rights Mechanism, Directorate General for External Policies (EU), 2012, abrufbar unter http: /  / www. europarl.europa.eu / committees / en / droi / studiesdownload.html?languageDocument= EN&file=76531, S. 8 ff.

342 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

c) Berichte von Nichtregierungsorganisationen Neben Berichten von offizieller Seite gibt es eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, die sich mit der menschenrechtlichen und humanitären Lage in bestimmten Staaten oder weltweit befassen. Zunächst sind internationale NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch zu nennen, die neben ihren Jahresberichten101 regelmäßig aktuelle Informationen über die Menschenrechtslage auch in solchen Staaten bereitstellen, die sich der Beobachtung von offizieller Seite erfolgreich widersetzen. Die genannten Organisationen sind international für ihre Objektivität, Sachkenntnis und politisch unabhängige Arbeit anerkannt und spielen auch bei den Verfahren auf UN-Ebene eine wichtige Rolle.102 Daneben treten eine Vielzahl regionaler Organisationen, die sich durch besondere Kenntnis und den Zugang zu Informationsquellen in bestimmten Staaten auszeichnen.103 Während bei einigen NGOs durchaus politische Tendenzen wahrzunehmen sind oder das Problem besteht, dass diese stark von den Interessen vermeintlicher oder tatsächlicher Opfer beeinflusst werden, ermöglichen es diese dennoch, zu einem umfassenderen und aktuelleren Bild beizutragen, als es sich aus den Berichten staatlicher oder internationaler Gremien ergibt. Somit ist es sinnvoll, auch die Berichte von Nichtregierungsorganisationen als Entscheidungsgrundlage einzubeziehen. d) Zwischenergebnis Die Darstellung zeigt, dass es eine Vielzahl von Berichten über die Einhaltung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht gibt, die in der Gesamtschau eine objektive und aktuelle Einschätzung der Situation in bestimmten Staaten erlauben. Daher ist es sinnvoll, alle hier genannten Quellen in die Entscheidung, ob ein Staat als Odious-Debts-verdächtig eingestuft werden soll, einzubeziehen. Die Besetzung des Gremiums mit Menschenrechtsexperten gewährleistet, dass die entsprechenden Berichte richtig gelesen und interpretiert werden (vgl. unten, D.I.2.a)). Dabei kann die Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen auch prozedural ausgestaltet werden (s. u. D.II.). 101  Vgl. den Jahresbericht 2013 von Amnesty International, abrufbar unter http: /  / www.amnesty.de / amnesty-international-report-2013, und den World Report 2013 von Human Rights Watch, abrufbar unter http: /  / www.hrw.org / world-re port / 2013. 102  Vgl. Tomuschat, Human Rights, S. 184 f. und 285. 103  Vgl. nur die umfangreiche Liste auf http: /  / en.wikipedia.org / wiki / List_of_ human_rights_organisations.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig343

5. Zusammenfassung: Schwerwiegende und systematische Verletzungen von Menschenrechten oder des humanitären Völkerrechts als Entscheidungsgrundlage Nach dem vorliegenden Lösungsmodell soll ein Staat als Odious-Debtsverdächtig klassifiziert werden, wenn er für schwerwiegende und systematische Verletzungen von Menschenrechten oder des humanitären Völkerrechts verantwortlich ist („serious and systematic violations of human rights or international humanitarian law“), weil dann die Vermutung besteht, der Staat handle grundsätzlich nicht mehr im Interesse der Bevölkerung. Für die Ausfüllung des Begriffs der schwerwiegenden und systematischen Verletzungen sind Quantität und Qualität der Verletzungen sowie die zugrunde liegende Intention zu berücksichtigen. Inhaltlich sind für die Verpflichtungen der zu beurteilenden Staaten je nach Ratifikationsstand der ICCPR, der ICESCR, die ICERD, die CEDAW, die CAT, die CRC mit Zusatzprotokollen 1 und 2, die CRPD, die Anti-Genozid-Konvention, die Anti-ApartheidsKonvention und die Genfer Abkommen Nr. 1 bis 4 mit Zusatzprotokollen 1 und 2 sowie ergänzend die einschlägigen Bestimmungen des Völkergewohnheitsrechts heranzuziehen. Zur Beurteilung der Menschenrechtssitua­ tion bietet eine Gesamtbetrachtung der Berichte der Vertragsorgane sowie der Berichte von anderen internationalen Organen und Nichtregierungsorganisationen geeignete Anhaltspunkte.

II. Korruption im öffentlichen Sektor als Entscheidungskriterium Neben der Verwendung von Mitteln zu menschenrechtswidrigen Zwecken ist es denkbar, dass ein Staatschef die vertragliche Gegenleistung zwar nicht gegen die Bevölkerung einsetzt, sich aber persönlich bereichert, etwa indem er sich einen Kredit ganz oder teilweise auf ein privates Bankkonto überweisen lässt. Das Kriterium der schwerwiegenden und systematischen Menschenrechtsverletzungen wäre dann nicht erfüllt. Auch in diesem Fall können aber Schulden entstehen, die die Bevölkerung belasten, ohne dass diese dadurch einen Nutzen erlangt, was die Klassifizierung der Schulden als Odious Debts rechtfertigt.104 Ist in einem Staat schwerwiegende Korruption an der Tagesordnung, ist es mithin überzeugend, auch hier die Vermutung als widerlegt zu betrachten, der Staat handle grundsätzlich im Interesse 104  So auch Bolton / Skeel, LCP 2007(70), 83, 84 f., 95; vgl. auch den jüngsten Vorschlag des CGD: Elliott / Barder, Preventing Odious Obligations: A New Tool to Pressure Syria’s Bashar Assad, März 2007, abrufbar unter http: /  / international.cgdev. org / files / 1426026_file_Elliott_Barder_SyriaObligations.pdf, S. 2.

344 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

seiner Bürger, und den Staat daher als Odious-Debts-verdächtig zu qualifizieren (vgl. nachfolgend 2. und 3.). Zu klären ist zunächst die Definition von Korruption (1.); weiterhin ist zu untersuchen, welche Beurteilungskriterien für deren Vorliegen zur Verfügung stehen (4.). 1. Die Definition von Korruption für das Lösungsmodell Obgleich eine Vielzahl von internationalen Verträgen zur Korruptionsbekämpfung bestehen wie etwa die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC), fehlt es an einer global anerkannten Definition von Korruption. Als weitgehend respektierte und auf die Problematik von Korruption spezialisierte Nichtregierungsorganisation definiert Transparency International (TI) Korruption als „the abuse of entrusted power for private gain“105 (Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil).106 Auf zwischenstaatlicher Ebene setzt sich die Weltbank ausführlich mit Korruption auseinander und definiert diese als „the abuse of public office for private gain“.107 Für die vorliegende Arbeit ist die Definition der Weltbank zu bevorzugen, weil sie ausschließlich auf Korruption seitens öffentlicher Stellen Bezug nimmt, was der Problematik öffentlicher Schulden entspricht. Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass die Korruption zum Gewinn politischer Vorteile führen soll. Korruption lässt sich mithin als Missbrauch öffentlicher Macht zum privaten oder politischen Nutzen definieren.108 Klassischerweise wird unterschieden zwischen Korruption auf Regierungsebene („grand corruption“) und Korruption auf unterer, administrativer oder justizieller Ebene („petty corruption“).109 Während letzterer Begriff beispielsweise Schmiergeldzahlungen an lokale Beamte erfasst, betrifft die Korruption auf Regierungsebene typischerweise die Fälle von Kleptokraten wie „Papa Doc“ Duvalier (Haiti) oder Suharto (Indonesien)110 und damit Musterfälle odiöser Schulden. Jedoch kann auch strukturelle Korruption auf lokaler Ebene zur Eingehung odiöser Verträge führen, die eine finanziell bedeutende Belastung für die öffentliche Hand darstellen, wenn z. B. lokale Einheiten (Gemeinden, Bundesstaaten) aufgrund von Bestechungsgeldern über­dimensionierte öffentliche Projekte durchführen. Demgegenüber fehlt es 105  Vgl.

http: /  / www.transparency.org / whatwedo. http: /  / www.transparency.de / UEber-uns.44.0.html. 107  World Bank, Helping Countries Combat Corruption. The Role of the World Bank, September 1997, abrufbar unter http: /  / www1.worldbank.org / publicsector / anti corrupt / corruptn / corrptn.pdf, S. 8. 108  So die Definition von Boersma, Corruption, S. 28. 109  Boersma, Corruption, S. 29 f. 110  Boersma, Corruption, S. 30. 106  Vgl.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig345

bei der Bestechung etwa von lokalen Beamten zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren an der Odious-Debts-Relevanz. Grundsätzlich sollten mithin beide Arten von Korruption in die Betrachtung einbezogen werden, wobei Korruption auf Regierungsebene die größere Bedeutung für die Entstehung odiöser Schulden hat. Hinsichtlich der unter Korruption fallenden Praktiken differenziert die UNCAC zwischen bribery (Bestechung, vgl. Art. 15 und 16), embezzlement, misappropriation or other diversion of property (in etwa Veruntreuung, vgl. Art. 17), trading in influence (in etwa missbräuchliche Einflussnahme, vgl. Art. 18), abuse of functions (Amtsmissbrauch, vgl. Art. 19 UNCAC) und illicit enrichment (unrechtmäßige Bereicherung, vgl. 20 UNCAC). Alle genannten Praktiken können dazu führen, dass Schulden entstehen, die für die Bevölkerung ohne Nutzen sind. Bei der Veruntreuung z. B. bereichert sich der Amtsträger, indem er für öffentliche Zwecke bereitgestellte Mittel entwendet. Bestechung, missbräuchliche Einflussnahme und Amtsmissbrauch führen in der Regel dazu, dass öffentliche Ressourcen nur für bestimmte Zielgruppen oder Sonderinteressen verwendet werden, oder dass wirtschaftlich nicht sinnvolle Projekte durchgeführt werden. Im Fall von Bestechung können zudem Teile der Vertragsleistung der öffentlichen Verwendung vorenthalten und dem privaten Nutzen des Empfängers zugeführt werden. 2. Die Relevanz von Korruption Maßgeblich für die vorliegende Arbeit ist, dass die schädlichen Auswirkungen von Korruption mit einer ungerechtfertigten finanziellen Belastung der Bevölkerung einhergehen. Die spätere Rückforderung der zu Unrecht erhaltenen Mittel von den an der Korruption Beteiligten ist häufig nicht mehr möglich, weil diese verbraucht, im Rahmen von Geldwäsche verschleiert oder ins Ausland verbracht wurden. Korruption ist dabei von unmittelbarer menschenrechtlicher Relevanz.111 So führt die UN-Sonderberichterstatterin zu Korruption aus: „The enjoyment of all regimes of rights, be they economic, social and cultural or civil and political, is seriously undermined by the phenomenon of corruption.“112 In der Tat hat Korruption eine Vielzahl politischer, wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Auswirkungen, die von mangelnder Legitimität staatlicher Strukturen über ineffi­ ziente Ressourcenverwendung bis hin zur Nichtbeachtung sozialer und ausführlich Boersma, Corruption, S. 103 ff., insbes. 195 ff. and its Impact on the Full Enjoyment of Human Rights, in Particular Economic, Social and Cultural Rights, Working Paper Submitted by Ms. Christy Mbonu in Accordance with Sub-Commission decision 2002 / 106, 14.  Mai 2003, E / CN.4 / Sub.2 / 2003 / 18, para. 3. 111  Vgl.

112  Corruption

346 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

ökologischer Belange reichen113 und einer gerechten und nachhaltigen Entwicklung entgegenstehen. Entsprechend diesen Feststellungen besteht ein breiter internationaler Konsens über die Ächtung und Kriminalisierung von Korruption. Die UNCAC etwa, die erst 2003 angenommen wurde, hat bereits 167 Vertragsparteien. Auch die UN-Generalversammlung hat sich in mehreren Resolutionen gegen Korruption ausgesprochen.114 Zudem besteht Einigkeit über die Strafbarkeit von Verhalten, welches Korruption darstellt.115 Weiterhin existieren eine Reihe regionaler Instrumente, die sich gegen Korruption richten, wie etwa die Inter-American Convention Against Corruption (1996) oder die OECD Convention on Combating Bribery of Foreign Public Officials in International Business Transactions (1997) sowie mehrere Konventionen des Europarates.116 Somit bietet Korruption einen geeigneten und universell legitimierten Ansatzpunkt für die Klassifizierung von Staaten als Odious-Debts-verdächtig. Oben (Kapitel 2 B.II.) wurde festgestellt, dass Korruption zur Unwirksamkeit des durch Korruption eingegangenen Vertrages führen kann. In der Folge kann die Rückzahlung verweigert werden (vgl. zu dieser Rechtsfolge Kapitel 3 B.VII.2.), sodass argumentiert werden könnte, die Einbeziehung von Korruption in das Lösungsmodell sei redundant. Jedoch betrifft die Folge der Unwirksamkeit in Kern Fälle von Bestechung bei Vertragsschluss. Wird erst später ein Teil der Vertragsleistung entwendet, ohne dass der Gläubiger von der konkreten Verwendung Kenntnis hatte, fehlt es an der Verantwortlichkeit des Vertragspartners, sodass eine rechtlich wirksame Schuld entstanden ist. Zudem kann es trotz eines generellen Klimas von Korruption im Einzelfall schwierig sein, die Beteiligung des Vertragspartners nachzuweisen. Somit bleibt es notwendig, das Vorliegen von weit verbreiteter Korruption in das Lösungsmodell mit einzubeziehen. Gegen die Berücksichtigung von Korruption als eigenes Kriterium lässt sich aber einwenden, dass es regelmäßig Staaten mit problematischer Menschenrechtsbilanz sind, in denen weit verbreitete Korruption herrscht,117 und dass Korruption auch zur Verletzung wirtschaftlicher, sozialer und kul113  Vgl. Transparency International, FAQs on Corruption, abrufbar unter http: /  / www.transparency.org / whoweare / organisation / faqs_on_corruption / 2 / #costs OfCorruption und dazu m. w. Nachw. Boersma, Corruption, S. 40 ff. 114  Vgl. etwa A / RES / 91 / 151, 16.  Dezember 1996; A / RES / 51 / 59, 28.  Januar 1997; A / RES / 58 / 4, 31.  Oktober 2003. 115  Vgl. auch die Nachweise oben, Kapitel 2 B.II. 116  Insbesondere Criminal Law Convention on Corruption (1999) und Civil Law Convention on Corruption (1999). 117  Vgl. etwa das Ranking im Rahmen des Corruption Perception Index von Transparency International und dazu unten, Kapitel 4 B.II.4.



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig347

tureller Rechte führen kann,118 sodass bereits das Menschenrechtskriterium zu einer entsprechenden Klassifizierung führen würde. Denn einem Despoten ist die Entwendung öffentlicher Gelder häufig nur deswegen möglich, weil er den Ruf nach öffentlicher Rechenschaft mit Gewalt unterdrückt. Dennoch ist es denkbar, dass weit verbreiteter Missbrauch öffentlicher Mittel nicht mit Menschenrechtsverletzungen einer solchen Intensität einhergeht, die die Qualifikation als schwerwiegend und systematisch rechtfertigen. So ist denkbar, dass ein generelles Klima fehlender Verantwortlichkeit für staatliches Handeln besteht, ohne dass dies die Folge brutaler Unterdrückung ist, und sich die Gesellschaft im Übrigen mehr oder weniger frei entfalten kann. Mithin ist es notwendig, Korruption als eigenes Kriterium zu berücksichtigen. 3. Schwerwiegende und systemische Korruption im öffentlichen Sektor als Klassifizierungskriterium Wie auch im Fall von Menschenrechtsverletzungen bedarf es für Korruption als Ansatzpunkt einer Schwelle, ab deren Überschreitung die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig gerechtfertigt ist. In Anlehnung an das oben (I.3.) Gesagte wird der Begriff „schwerwiegende und systemische Korruption im öffentlichen Sektor“ („severe and systemic corruption in the public sector“) vorgeschlagen. Der Begriff ist so auszulegen, dass nur solche Staaten als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert werden, die sich durch ein derartig hohes Korruptionsniveau auszeichnen, dass die (widerlegbare) Vermutung gerechtfertigt ist, Geschäfte würden grundsätzlich zur Bereicherung Einzelner abgeschlossen, sodass sich der Gläubiger nicht auf seine Unkenntnis im Einzelfall berufen kann. Der Begriff „systemisch“ setzt voraus, dass es sich bei Korruption im Schuldnerstaat nicht um Einzelfälle handelt, sondern dass diese eher die Regel als die Ausnahme ist,119 sei es auf Regierungs- oder lokaler Ebene. Die Anti-Korruptions-Organisation U4 definiert systemische bzw. endemische Korruption wie folgt: „As opposed to exploiting occasional opportunities, endemic or systemic corruption occurs when corruption is an integrated and essential aspect of the economic, social and political system. Systemic corruption is … a situation in which the major institutions and processes of the state are routinely dominated and used by corrupt individuals and groups …“.120 Zudem ist wie im Fall der Menschenrechtsverletzungen 118  Boersma,

Corruption, S. 228 ff. zitiert in Znoj, in: Nuijten / Anders, Corruption, S. 53. 120  Vgl. den Eintrag „systemic corruption“ im Glossar von U4, abrufbar unter http: /  / www.u4.no / glossary / . 119  Stefes,

348 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

Voraussetzung, dass die Korruption aus dem mangelnden Willen des Staates folgt, korrupte Praktiken zu unterbinden, nicht aber aus dessen mangelnder Leistungsfähigkeit. Hat die Verbreitung von Korruption nämlich ihre Ursache darin, dass der Staat zu deren Bekämpfung nicht in der Lage ist, würde die Verknappung von Ressourcen durch eine Klassifizierung als OdiousDebts-verdächtig die Situation noch verschlimmern. Daher sind auch die Bemühungen des Staates zur berücksichtigen, Korruption effektiv zu bekämpfen. An solchen wird es freilich in Fällen despotischer Alleinherrschaft häufig fehlen. Das Kriterium „schwerwiegend“ stellt klar, dass weit verbreitete Korruption nur dann zur Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig führt, wenn die Korruptionsakte von solchem Gewicht sind, dass sie eine massive Auswirkung auf die Staatsverschuldung haben können. Damit soll erreicht werden, dass nur solche Staaten als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert werden, die öffentliche Mittel praktisch gar nicht mehr oder nur in geringen Teilen zum Nutzen der Bevölkerung einsetzen. Die weit verbreitete Forderung nach geringfügigen Bestechungsgeldern für den Erhalt staatlicher Leistungen würde diese Voraussetzung nicht erfüllen. 4. Beurteilungskriterien für das Vorliegen schwerwiegender und systemischer Korruption Führend in der Analyse internationaler Korruption ist die NGO Transparency International (TI), welche verschiedene Indizes zur Beurteilung der Korruption in einzelnen Staaten zur Verfügung stellt.121 Unter diesen erfährt der jährlich erscheinende „Corruption Perceptions Index“ (CPI) große öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich um ein Ranking der Staaten, geordnet nach dem Grad der Korruption durch öffentliche Amtsträger, wie sie von Experten wahrgenommen wird. Die Fokussierung auf die Wahrnehmung von Korruption hat ihren Grund darin, dass Korruption ein heimliches Phänomen ist und das öffentlich verfügbare Indikatoren wie etwa die Zahl strafrechtlicher Verurteilungen eher für eine effektive Korruptionsbekämpfung sprechen.122 Während die reine Rangzahl wegen ihres begrenzten Aussagewertes nur einen ersten Ansatzpunkt bietet, lässt sich anhand der meist öffentlich zugänglichen Quellen, die dem Index zugrunde liegen, eine gute Aussage für die Beurteilung des Korruptionsniveaus in einzelnen Staaten treffen. So greift der CPI auf Berichte von 13 auf Govern­ ance und Korruption spezialisierten Institutionen wie der African Develop121  Vgl. 122  Vgl.

Anchor2.

http: /  / www.transparency.org / research / cpi / overview. FAQ Nr. 2 zum CPI, http: /  / cpi.transparency.org / cpi2012 / in_detail / #my



B. Kriterien für die Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig349

ment Bank, der Weltbank und verschiedener Forschungseinrichtungen sowie auf die von TI durchgeführte „Bribe Payers Survey“ zurück.123 Ergänzt werden diese Berichte durch das „Global Corruption Barometer“ (GCP), in welchem TI die Wahrnehmung von Korruption in der Bevölkerung untersucht und dabei auch erfasst, welche öffentlichen Institutionen in welchem Maße als korrupt wahrgenommen werden.124 Dem CPI liegt auch der „IDA Resource Allocation Index“ der Weltbank125 zugrunde; diese erstellt darüber hinaus als „Governance and Anti-Corruption Diagnostics“ bezeichnete Berichte über die Lage in bestimmten Staaten.126 Auch andere Organisationen wie der IWF,127 der Europarat128 oder die Organisation Amerikanischer Staaten129 setzen sich immer wieder in Berichten und öffentlichen Stellungnahmen mit Korruption in einzelnen Staaten auseinander. Die aufgeführten Korruptionsindizes sind aufgrund ihres methodischen Ansatzes nicht frei von Kritik.130 Für die Klassifizierung als Odious-Debtsverdächtig bietet die Gesamtschau aller genannten Untersuchungen aber einen ausreichenden Ansatzpunkt, um die schlimmsten Fälle ganz schwerwiegender und systemischer Korruption zu erfassen. 5. Zusammenfassung: Schwerwiegende und systemische Korruption des öffentlichen Sektors als Entscheidungsgrundlage Ein Staat soll auch dann als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert werden, wenn sich sein öffentlicher Sektor durch schwerwiegende und systemische Korruption („severe and systemic corruption“) auszeichnet. Unter Korrup­ tion ist der Missbrauch öffentlicher Macht zum privaten oder politischen Nutzen in einer in Art. 15 bis 20 UNCAC genannten Weise zu verstehen. Die Kriterien schwerwiegend und systemisch stellen klar, dass eine entspre123  Vgl. Corruption Perceptions Index 2012: Full Source Description, abrufbar auf http: /  / cpi.transparency.org / cpi2012 / in_detail / („download our data set“). 124  Vgl. http: /  / www.transparency.org / gcb2013 / in_detail. Im Gegensatz dazu erfasst der Bribe Payers Index ausschließlich Korruption im Privatsektor, vgl. http: /  / bpi.transparency.org / bpi2011 / in_detail / . 125  Vgl. http: /  / www.worldbank.org / ida / IRAI-2011.html. 126  Vgl. http: /  / go.worldbank.org / QFWZEIB1C0; dies geschieht in der Regel in Kooperation mit den Staaten und mit dem Ziel effektiverer Korruptionsbekämpfung und bezieht öffentliche und private Stakeholder mit ein. 127  Vgl. Good Governance. The IMF’s role, IMF, August 1997, abrufbar unter http: /  / www.imf.org / external / pubs / ft / exrp / govern / govern.pdf. 128  Hier insbes. die Group of States Against Corruption (GRECO). 129  Vgl. insbes. den Follow-Up-Mechanismus MESICIC zur Inter-American Convention Against Corruption. 130  Boersma, Corruption, S.  39 f. m. w. Nachw.

350 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

chende Klassifizierung nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Korruption eine solche Intensität und Verbreitung gefunden hat, dass die Vermutung besteht, Geschäfte würden grundsätzlich ausschließlich oder ganz überwiegend zur Bereicherung Einzelner abgeschlossen. Für die Beurteilung der Korruption in einzelnen Staaten stehen eine Reihe von Indikatoren zur Verfügung, die sich aus einer Vielzahl von Quellen von internationalen Organisationen und NGOs speisen.

III. Ausreichender Anwendungsbereich des Lösungsmodells? Zunächst ist festzustellen, dass das Lösungsmodell nur für in Zukunft eingegangene Schulden anwendbar ist. Damit ändert sich die Situation im Hinblick auf bereits eingegangene odiöse Schulden nicht; dies ist jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit hinzunehmen (vgl. ausführlich oben, Kapitel 3 B.I.2.). Auch zielt das Modell nicht spezifisch auf überschuldete Staaten ab, was darauf zurückzuführen ist, dass das Lösungsmodell auf die Vermeidung bevölkerungswidrig verwendeter Schulden abstellt und nicht an die finanzielle Situation des Schuldnerstaates anknüpft, wie es in den Bereichen der Entschuldung und Staateninsolvenz üblich ist.131 Weiterhin führen die dargestellten Kriterien dazu, dass nur in extremen Fällen Staaten als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert werden. Staaten mit negativer Menschenrechtsbilanz werden nicht automatisch vom Lösungsmodell erfasst, sodass das Lösungsmodell für diese noch keine finanziellen Anreize setzt, sich menschenrechts­ freundlicher zu verhalten. Primärer Zweck des Modells ist aber nicht die (durch ein solches Modell wohl kaum zu erreichende) „Umerziehung“ problematischer Staaten, sondern die Verhinderung des Entstehens odiöser Schulden bzw. die Entlastung des nationalen Budgets nach dem Ende eines menschenverachtenden Regimes. Nur in den Fällen schwerwiegender und systematischer Rechtsver­letzungen bzw. ausufernder Korruption besteht die generelle Vermutung der bevölkerungswidrigen Verwendung. In anderen Fällen kann es zwar ebenfalls dazu kommen, dass Verträge entgegen dem Interesse der Bevölkerung eingegangen werden; diese Fälle entziehen sich jedoch einer pauschalisierten Betrachtungsweise. Hier bieten die Entwicklungen der verantwortlichen Kreditvergabe vielversprechende Ansatzpunkte, allerdings bleibt es fraglich, ob sich eine umfassende Lösung herausbilden wird, welche eine ausreichende Anzahl von Gläubigern auf entsprechende Prinzipien verpflichtet; zudem bestehen Zweifel an der Rechtsicherheit eines solchen Lösungsmodells (vgl. dazu oben, Kapitel 3 A.II.). Das hier vorgeschlagene Lösungsmodell hat im 131  s. o.

Kapitel 1 B.II. und Kapitel 1 B.III.



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes351

Vergleich zu den Prinzipien verantwortlicher Kreditvergabe zwar einen engeren Anwendungsbereich, insofern es nur Transaktionen mit bestimmten Staaten erfasst;132 für diesen Teilbereich zeichnet es sich aber dadurch aus, dass es eine rechtssicherere und für die Gläubiger besser vorhersehbare Regelung trifft als die verantwortlicher Kreditvergabe bietet, und dass es auch bei Beteiligung nur einiger wirtschaftlich bedeutsamer Staaten wirksam die Entstehung odiöser Verträge verhindern kann.133 Ein weiterer Bereich, der vom Lösungsmodell nicht erfasst ist, sind schließlich Völkerrechtsverstöße, die nicht mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Führt ein Staat einen Angriffskrieg, ohne humanitäres Völkerrecht zu verletzen, oder verfolgt er entgegen seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen den Besitz von Atomwaffen, so spricht einiges dafür, Transaktionen mit diesem Staat einzuschränken. Ansatzpunkt für das Lösungsmodell ist allerdings die Frage, ob Schulden im Interesse der Bevölkerung entstehen; macht sich der Staat keiner Menschenrechtsverletzungen schuldig, und strebt die Mehrheit der Bevölkerung z. B. nach dem Erwerb von Atomwaffen, so liegt bei damit in Zusammenhang stehenden Verträgen keine bevölkerungswidrige Schuld vor. Die Aufnahme in das Lösungsmodell wäre zudem problematisch, weil sich dann die Frage stellt, welche Art und Intensität von Völkerrechtsverstößen zur Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig führen und wer die entsprechende Entscheidung treffen soll.134 In den genannten Fällen wird auch verstärkt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, andere Maßnahmen wie diplomatischen Druck oder wirtschaft­ liche und politische Sanktionen auf UN- oder regionaler Ebene zu treffen. Schließlich dürften Staaten, die Angriffskriege führen oder illegal nach Atomwaffen streben, häufig auch die hier vorgeschlagenen Kriterien erfüllen, sodass eine eigenständige Regelung nicht zwingend erscheint.

C. Wirksame Vertragsschlüsse mit als Odious-Debts-verdächtig klassifizierten Regimes I. Grundlegendes Erfüllt ein Staat die in Abschnitt B. dargestellten Kriterien, so besteht die Vermutung, dass er Verträge generell nicht im Interesse der Bevölkerung abschließt oder deren Inhalt entgegen den Interessen der Bevölkerung um132  Der Anwendungsbereich ist allerdings insofern weiter, als neben Krediten auch alle sonstigen Verträge erfasst sind. 133  Vgl. zum Anwendungsbereich bereits Kapitel 3 B.VI. und Kapitel 4 E.I. 134  Vgl. die Kritik an der Definition Bedjaouis, oben, Kapitel 3 A.I.2.

352 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

setzt. In der Folge sind Verträge mit dem als Odious-Debts-verdächtig klassifizierten Regime als unwirksam anzusehen. Allerdings ist es denkbar, dass der klassifizierte Staat auch nützliche Geschäfte abzuschließen sucht. Im Interesse der Bevölkerung und aus Gerechtigkeitserwägungen ist es sinnvoll, solche zugunsten der Bevölkerung eingegangene Verträge als wirksam zu betrachten (vgl. dazu ausführlich oben, Kapitel 3 B.III. und zur Problematik der Fungibilität oben, Kapitel 1 C.III.1.). Somit ist das Lösungsmodell nicht nur regime- sondern auch schuldbezogen auszugestalten. Aus der Erfüllung der Odious-Debts-Kriterien folgt bereits, dass solche Verträge, die ohne Zweckbestimmung abgeschlossen werden, ebenso wie Finanzierungen, die dem allgemeinen Budget des Staates zugute kommen, als unwirksam anzusehen sind. Es bedarf also eines positiven Nachweises im Einzelfall, dass ein Vertrag zugunsten der Bevölkerung abgeschlossen und durchgeführt wurde, um die Vermutung der Schädlichkeit zu widerlegen. Mithin ist zunächst festzustellen, welche Verträge als im Interesse der Bevölkerung liegend betrachtet werden können (II.). Besteht hierüber Klarheit, so bedarf es eines Überprüfungsmodells (III.) um sicherzustellen, dass die Mittel auch tatsächlich im Interesse der Bevölkerung eingesetzt werden, und um die Reichweite der Gläubigerhaftung bei Missbrauch der Mittel zu umgrenzen.

II. Die Definition von nützlichen Verträgen 1. Grundzüge Wie oben, Kapitel 3 B.II.2., ausführlich dargestellt wurde, ist es nicht möglich, eine Positiv- oder Negativliste zu erstellen, aufgrund welcher ein Vertrag als nützlich definiert werden kann. Ebenso bestehen Bedenken gegenüber allgemeinen Tatbestandsmerkmalen, weil es kaum möglich ist, die vielen unterschiedlichen Anwendungsfälle in allgemeiner Form zu erfassen und dabei dem Einzelfall gerecht zu werden. Eine Lösung für diese Problematik bietet Paulus in seinem Fallgruppenmodell an (s. o. Kapitel 3 A.I.5.). Dieses Modell hat den Vorteil, dass ein offener Rechtsbegriff durch eine Vielzahl von Aspekten ausgefüllt wird, welche hinsichtlich ihrer Gewichtung eine gewisse Flexibilität zulassen und damit zu einer angemessenen Beurteilung im Einzelfall führen.135 Übertragen auf die Frage des Nutzens hätte ein Gericht, welches mit der Durchsetzung eines vertraglichen Anspruchs gegen einen als Odious-Debts-verdächtig klassifizierten Staat befasst ist, die sogleich (2.) ausgeführten Aspekte für die Entscheidung über 135  Vgl. in Bezug auf den offenen Rechtsbegriff der Odious Debts Paulus, WM 2005, 53, 58.



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes353

die Wirksamkeit des Vertrages in einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Dabei müssen sich aufgrund der Verschiedenheit der Einzelfälle nicht zwingend Fallgruppen herausbilden; vielmehr ist es ausreichend, dass die verschiedenen Entscheidungen die Beurteilung des Nutzens und die Gewichtung der verschiedenen Aspekte im Einzelfall in vorhersehbarer Weise erkennen lassen. Ein solches Lösungsmodell wurde als problematisch bewertet, weil es an eben dieser Vorhersehbarkeit mangelt, bis sich anhand von Präzedenzfällen eine hinreichende Zahl an Fallgruppen herausgebildet hat. Das hier vorgeschlagene Modell unterscheidet sich von dem Fallgruppenmodell jedoch darin, dass der primäre Anknüpfungspunkt für die Beurteilung von Verträgen die Entscheidung eines internationalen Expertengremiums ist, aufgrund welcher für den Gläubiger klar vorhersehbar ist, ob der Vertag mit dem Schuldnerstaat überhaupt potentiell als odiös anzusehen ist. Liegt eine entsprechende Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig nicht vor, besteht für den Gläubiger keine Unsicherheit über die Wirksamkeit seines Vertrages, abgesehen von sonstigen, bei allen Verträgen in Frage kommenden Unwirksamkeitsgründen wie Bestechung, Zwang oder dem Verstoß gegen ius cogens. Ist der Schuldnerstaat umgekehrt als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert, führt die Vermutung der Unwirksamkeit zu einem höheren Rechtfertigungsdruck auf Gläubigerseite, der dadurch begründet ist, dass im Vertragsstaat ganz überwiegend entgegen den Bevölkerungsinteressen gehandelt wird. Die Unsicherheit, ob solche Verträge wirksam geschlossen werden, betrifft mithin nur diesen Teilbereich der Odious-Debts-Doktrin und wird sich mit Bekanntwerden gerichtlicher Entscheidungen sukzessive entschärfen. Um das Zustandekommen von Verträgen, die der Bevölkerung OdiousDebts-verdächtiger Staaten zugute kommen, möglichst wenig einzuschränken, bedarf es auch hier vorhersehbarer Kriterien, die die Beurteilung eines Vertrages als nützlich zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ermöglichen. Wie oben, Kapitel 3 B.II.2., angesprochen, ist für die Beurteilung allerdings nicht alleine der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich, weil typischerweise erst die nachträgliche Verwendung der Mittel Aufschluss über deren Nützlichkeit gibt. Es kann also nicht genügen, dass im Vertrag festgelegt wird, der Vertragsgegenstand solle ausschließlich zum Nutzen der Bevölkerung verwendet werden. Vielmehr ist die Verwendung der Mittel im Einzelfall im Rahmen eines verantwortlichen Gläubigerhandelns nachzuprüfen. Das sich daraus ergebende Überprüfungsmodell wird genauer sogleich (III.) dargestellt.

354 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

2. Aspekte für die Beurteilung des Nutzens im Einzelfall Als maßgeblich für die Beurteilung des Nutzens wurden bereits folgende Aspekte herausgearbeitet:136 die Natur des Schuldnerstaates, Zweck und Inhalt des einzelnen Vertrages, das bisherige Verhalten des Schuldnerstaates, das Maß der Überprüfbarkeit der Mittelverwendung und die Begleitumstände. Alle genannten Aspekte müssen in ein Verhältnis zur Gläubigerkenntnis gesetzt werden. a) Inhalt und Zweck des einzelnen Vertrages Ein erster und bedeutender Ansatzpunkt für die Beurteilung des Vertrages ist dessen Inhalt und Zweck. Unter Inhalt ist der Gegenstand des Vertrages zu verstehen (beispielsweise Lieferung von Baumaterialien; Bereitstellung eines Kredites), mit Zweck ist die causa des Vertrages gemeint (also z. B. Bau einer Schule; Finanzierung von Lebensmittelkäufen). Je konkreter Inhalt und Zweck in den Vertrag aufgenommen werden, desto besser sind diese einer Überprüfung zugänglich und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Vertrag als nützlich angesehen werden kann. Umgekehrt steigt das Risiko des Gläubigers, einen unwirksamen Vertrag einzugehen, wenn er nur abstrakte Angaben über Zweck und Inhalt aufnimmt. Sind Grund der Klassifizierung schwerwiegende und systematische Verletzungen von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht, so lassen sich zunächst Vertragsinhalte finden, die grundsätzlich dem Bevölkerungsinteresse entgegenlaufen. Dies betrifft insbesondere den Kauf von Waffen,137 Bau und Ausstattung von militärischen und polizeilichen Einrichtungen und Gefängnissen, die Unterstützung sonstiger staatlicher Einrichtungen, die unmittelbar repressive Zwecke verfolgen138 sowie mit diesen Verträgen in Zusammenhang stehende Finanzierungsgeschäfte. Hier besteht eine so große Missbrauchsgefahr, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der als Odious-Debts-verdächtig klassifizierte Staat diese Mittel gegen die Bevölkerung einsetzen wird. Umgekehrt lassen sich Vertragsinhalte finden, die grundsätzlich als nützlich anzusehen sind, weil sie in engem Zusammenhang mit Grundbedürfnissen der Bevölkerung stehen. So kann bei der Lieferung von Lebensmitteln, dem Bau von Schulen, der Versorgung von Landesteilen 136  Vgl.

oben, Kapitel 3 B.II.2. den Ausschluss von Waffenlieferungen an menschenrechtswidrig handelnde Staaten zeichnet sich auch international ein Konsens ab, vgl. Art. 6 und 7 des jüngst zur Unterzeichnung aufgelegten Arms Trade Treaty vom 2. April 2013. 138  Ähnlich die Liste bei Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 43 f., der aber weniger auf die Begleitumstände abstellt. 137  Über



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes355

mit Wasser oder Elektrizität und insgesamt bei der Unterstützung staatlicher Daseinsvorsorge davon ausgegangen werden, dass diese dem Interesse der Bevölkerung entsprechen. Auch hier ist jedoch ein Missbrauch denkbar (etwa Umwidmung, Privatisierung oder Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen), sodass für die endgültige Beurteilung des Vertrages noch weitere Aspekte heranzuziehen sind. Schließlich sind noch Vertragsinhalte denkbar, bei denen sich der Nutzen weniger klar bewerten lässt, wie etwa der Bau eines teuren Sportstadions. Hier ist neben dem Kreis der potentiellen Nutznießer (breite Bevölkerungsschichten oder nur wirtschaftliche Elite) maßgeblich darauf abzustellen, ob der Staat die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte seiner Bevölkerung verletzt, weil er durch den Bau des Stadions Ressourcen bindet, die er für die Erreichung der Mindeststandards hinsichtlich Ernährung und Obdach verwenden müsste.139 Grundsätzlich lässt sich die Regel aufstellen, dass der Rechtfertigungsdruck für den Vertragsschluss umso höher ausfällt, desto höher der Preis und desto geringer der Nutzen eines solchen Projektes ist (s. a. unten, e)), zur Berücksichtigung der Begleitumstände). b) Natur des Schuldnerstaates Die Natur des Schuldnerstaates spielt schon bei der Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig eine maßgebliche Rolle, insofern darauf abgestellt wird, ob im Staat systematische und schwerwiegende Verletzungen von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht bzw. schwerwiegende und systemische Korruption vorherrschen. Weitere Aspekte, wie die politische Ausrichtung des Staates, sollten nicht von Relevanz sein. Im Einzelfall ist es hingegen von Bedeutung, welche Arten von Menschenrechtsverletzungen im Schuldnerstaat verbreitet sind bzw. ob sich die Klassifizierung ausschließlich aus dem Vorliegen von Korruption ergibt. Sind im Schuldnerstaat z. B. Angriffe auf die Zivilbevölkerung mit chemischen Waffen zu beobachten, wäre die Lieferung von Chemikalien besonders verdächtig. Ist Grund für die Klassifizierung hingegen ausschließlich weit verbreitete Korruption, genügt es sicherzustellen, dass die Mittel tatsächlich einem bestimmten Projekt zugute kommen, während an die Frage, ob dieses Projekt der Bevölkerung nützt, geringere Anforderungen zu stellen wären. c) Bisheriges Verhalten des Schuldnerstaates Relevant ist auch, wie der Schuldnerstaat bisher mit potentiell nützlichen Verträgen umgegangen ist. Wurden als Pestizide bestimmte Chemikalien 139  Vgl.

zu den Verpflichtungen auf Mindeststandards Fn. 38.

356 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

einmal gegen die Bevölkerung eingesetzt, wurden für die Öffentlichkeit bestimmte Schulen nach ihrem Bau zu privaten Einrichtungen umgewidmet, oder wurden zur Bekämpfung von Nahrungsmittel­knappheit angelegte Felder zur persönlichen Bereicherung Einzelner privatisiert, so spricht dies dafür, dass auch in Zukunft in ähnlichen Fällen eine Umgehung des potentiell nützlichen Verwendungszwecks anzunehmen ist. Mithin kann sich der Gläubiger dann nicht mehr auf seine guten Absichten berufen, wenn bereits ein Missbrauch nützlicher Verträge stattgefunden hat, oder wenn sich ein solcher abzeichnet. Ebenso sind die bisher durch den klassifizierten Staat geschlossenen Verträge zu berücksichtigen: Hat dieser bereits mehrere jeweils unverdächtige Chemikalien erworben, die in ihrem Zusammenspiel den Schluss auf militärische Verwendung nahelegen, kann dies gegen Verträge über weitere Lieferung von Chemikalien sprechen. Dabei ist sicherzustellen, das der Gläubiger vom bisherigen Verhalten auch Kenntnis haben kann (s. dazu unten, f)). d) Maß der Überprüfbarkeit der Mittelverwendung Als weiteres Differenzierungskriterium ist zu fragen, wie gut die Mittelverwendung im Einzelfall überprüfbar ist. Während der Verkauf von Nahrungsmitteln sich darin erschöpft, dass die Nahrungsmittel übergeben und verbraucht werden, ist der Verkauf von Fahrzeugen nicht mit deren Übergabe und Inbetriebnahme erledigt. Vielmehr können diese noch Jahrzehnte nach dem Vertragsschluss als Militärfahrzeuge zur Niederschlagung fried­ licher Demonstrationen eingesetzt werden. Neben Zweck und Inhalt des Vertrages (Traktoren, dual-use-Fahrzeuge oder Panzerwagen) und dem bisherigen Verhalten (Einsatz der Fahrzeuge zu friedlichen Zwecken oder gegen die Bevölkerung) spielt also auch die Überprüfbarkeit der Verwendung eine Rolle. Je weniger diese gewährleistet ist, desto schwieriger sollte es für den Gläubiger sein, sich auf seine Unkenntnis zu berufen. Vielmehr trifft das Risiko der Unwirksamkeit den Gläubiger, der mit einem nachweislich systematisch menschenrechtswidrig handelnden Regime Verträge eingeht, deren Inhalt sich kaum überprüfen lässt. Während der Vertragserfüllung kann der Gläubiger allerdings dadurch Vorsorge treffen, dass er bei größeren Projekten die Mittel erst sukzessive auszahlt bzw. liefert, sodass er auf missbräuchliche Verwendung umgehend reagieren kann. e) Begleitumstände Als Begleitumstände sind alle Umstände zu berücksichtigen, die über die hier genannten Aspekte hinaus eine Rolle für die Beurteilung des Vertrages spielen. So ist denkbar, dass eine öffentliche Einrichtung durch Zwangsarbei-



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes357

ter gebaut, ein Staudamm zur Elektrizitätserzeugung unter Vertreibung Indigener errichtet oder ein Teil der finanziellen Mittel für ein legitimes Anliegen auf das Privatkonto des Staatschefs gezahlt werden soll. Bei der Finanzierung teurer Großprojekte sind neben dem voraussichtlichen Nutzen für die Bevölkerung die damit verbundenen Kosten zu berücksichtigen, wenn im Schuldnerstaat Armut und Lebensmittelknappheit herrschen. Werden zur Durchführung eines an für sich legitimen Vertrages Menschenrechtsverletzungen oder Korruption begangen, so wirkt sich dies negativ auf die Günstigkeitsprognose aus, mit der Folge, dass der jeweilige Vertrag als unwirksam anzusehen ist. Um die Unwirksamkeit zu verhindern, können sich abzeichnende negative Begleitumstände durch entsprechende Vertragsklauseln ausgeschlossen werden, deren Einhaltung in der Folge zu überprüfen ist (vgl. unten, III.). f) Gläubigerkenntnis Durch die Klassifizierung des Schuldnerstaates als Odious-Debts-verdächtig hat der Gläubiger bereits davon Kenntnis, dass es sich um einen Staat mit einer äußerst problematischen Menschenrechtslage oder weit verbreiteter Korruption handelt. Grundsätzlich ist es dem Gläubiger daher verwehrt, sich auf Unwissenheit hinsichtlich des möglichen Missbrauchs des Vertragsinhalts zu berufen; vielmehr ist es am Gläubiger, diesen Missbrauch im Rahmen seiner Möglichkeiten auszuschließen (s. zur konkreten Ausgestaltung sogleich, III.) – oder aber vom Vertragsschluss abzusehen. Aus der Klassifizierung kann der Gläubiger bereits ablesen, welche konkreten Rechtsverletzungen im Gläubigerstaat verbreitet sind und damit Rückschlüsse auf zulässige Vertragsinhalte ziehen. Um zu erfahren, wie sich der Schuldnerstaat bisher verhalten hat, soll bei dem mit der Klassifizierung betrauten Gremium zudem ein Register eingerichtet werden, in welches die vom klassifizierten Staat bisher geschlossenen Verträge und bei deren Durchführung eventuell aufgetretene Probleme eingetragen werden sollen (zur genauen Ausgestaltung s. u. D.II.).

III. Umsetzung und Überprüfung: Odious-Debts-spezifische verantwortliche Kontrahierung Ist nach den obigen Kriterien festgestellt, dass der Vertragszweck grundsätzlich im Interesse der Bevölkerung des Schuldnerstaates stehen würde, so fragt sich, wie dessen Umsetzung gewährleistet werden kann. In Anlehnung an die verantwortliche Kreditvergabe ist eine Odious-Debts-spezifische verantwortliche Kontrahierung zu entwickeln, die es erlaubt, wirksame Verträge mit problematischen Regimen zu schließen, und die den Gläubiger angemessene, aus der Gefahr des Missbrauchs resultierende Pflichten auferlegt, ohne

358 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

ihn für eine missbräuchliche Verwendung grenzenlos haften zu lassen.140 Zunächst ist daher der Verwendungszweck in den Vertragstext aufzunehmen (1.). Sodann ist dessen Einhaltung zu überprüfen (2.). Verweigert der Schuldnerstaat zu einem späteren Zeitpunkt die Erfüllung noch ausstehender Ansprüche, so kann der Gläubiger im Klagewege nachweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist und einen Vollstreckungstitel erstreiten (3.). 1. Aufnahme der Zweckbestimmung in den Vertrag und Kündigungsklausel Zunächst ist von Bedeutung, dass der Zweck des Vertrages in den Vertragstext aufgenommen wird. So lässt sich bereits am Vertragstext absehen, ob der Vertrag grundsätzlich als nützlich angesehen werden kann. Zudem bietet die Zweckbestimmung einen Ansatzpunkt für das nachfolgende Überprüfungsmodell: Nur wenn der Zweck spezifiziert ist, kann seine Einhaltung auch überprüft werden. Neben der Zweckbestimmung ist eine Kündigungsklausel in den Vertrag aufzunehmen, der zufolge der Vertrag rückabgewickelt werden muss, sobald der Zweck nicht eingehalten wird (zur Vertragsgestaltung sogleich). Werden beispielsweise die gelieferten Baumaterialien für militärische Zwecke verwendet, muss der Gläubiger umgehend den Vertrag kündigen, weitere Lieferungen einstellen und das bereits Gelieferte zurückfordern.141 Unterlässt er dies, handelt es sich um einen odiösen Vertrag, der dem Schuldner später die Möglichkeit eröffnet, die Erfüllung zu verweigern und bereits geleistete Zahlungen zurückzufordern (vgl. zur Rechtsfolge oben, Kapitel 3 B.VII.). 2. Überprüfung der Mittelverwendung und Vertragsgestaltung Freilich ist es nicht ausreichend, dass der nützliche Vertragszweck in den Vertragstext aufgenommen wird; vielmehr ist zu gewährleisten, dass die vertragliche Leistung diesem Zweck auch zugeführt wird und bei diesem verbleibt. Eine extensive Überwachung ist teuer, kann als Misstrauen und Bevormundung aufgefasst und durch kleinere Unternehmen auch kaum gewährleistet werden. Nichtsdestotrotz besteht bei dem Vertragsschluss mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten der Bedarf, die Verwendung der Mittel im Einzelfall nachzuvollziehen. Dass nach dem Vertragsschluss die Einhaltung eines Vertragszweckes unter Ausschluss missbräuchlicher Verwendungen nachgeprüft wird, ist nichts Ungewöhnliches und wird insbesondere in 140  Grundzüge einer solchen Mitverantwortung finden sich bei Nehru / Thomas, Odious Debt Discussion Paper, S. 36. 141  So für Kredite King, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 48.



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes359

der Entwicklungs­zusammenarbeit sowie im Rahmen von Prinzipien verantwortlicher Kreditvergabe praktiziert.142 Auch im Rahmen der Corporate Social Responsibility haben einige Unternehmen Vorsorge für ethisch vertretbares und nachhaltiges Unternehmenshandeln getroffen.143 Zu dessen Einhaltung wurden ethikbezogene Compliance-Management-Systeme geschaffen, welche mittels Ethik-Audits, Ombudspersonen und ähnlichen strukturellen Absicherungen darauf abzielen, dass die Unternehmensverantwortung nicht nur auf dem Papier besteht.144 Unternehmen, die über entsprechende Vorkehrungen verfügen, werden es daher leichter haben, mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten legitime Verträge abzuschließen. Beispielhaft145 sollen im Folgenden die Praxis im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und die Anforderungen der Äquatorprinzipien dargestellt werden (a)), da diese bereits konkrete Vorgaben zur Überprüfung der Mittelverwendung beinhalten. Übertragen auf die Problematik der odiösen Schulden lassen sich daraus Grundzüge für Odious-Debts-spezifische verantwortliche Kontrahierung ableiten (b)). a) Bestehende Überprüfungspraxis als Ansatzpunkt aa) Überwachung im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Vergleichsweise konkrete Vorgaben zur Überprüfung der Mittelverwendung enthalten die Leitlinien der Weltbank in den Operational Policies und Bank Procedures zur Projektüberwachung (Project Supervision).146 In den Operational Policies heißt es: 142  Vgl. etwa die Erläuterung zu Prinzip 5 der UNCTAD Principles on Promoting Responsible Sovereign Lending and Borrowing („This investigation will normally include post-disbursement monitoring of the use of the proceeds of the loan“) und zu diesen oben, Kapitel 1 B.IV. 143  Vgl. dazu Paulus / Schneider, Jura 2013(35), 1197, 1199 ff. m. w. Nachw. 144  Ein Ethical Management System ist ein Satz von internen Regeln, welche die Unternehmensleitung zur Veränderung von Verhaltensweisen verwendet, um innerhalb des Unternehmens bestimmte Ziele ethischer Natur zu erreichen; dazu gehören neben den genannten Mitteln auch interne und externe Überprüfungsprozesse, vgl. Argandoña, Ethical Management Systems, S. 6. 145  Weitere Regeln enthalten die auch von der Euler Hermes Kreditversicherung anzuwendenden IFC Performance Standards on Environmental and Social Sustainability, die mit den World Bank Environmental and Social Safeguard Policies in großen Teilen deckungsgleich sind; vgl. dazu die entsprechenden Richtlinien der Weltbank, abrufbar unter http: /  / go.worldbank.org / WTA1ODE7T0, sowie unten, Ka­ pitel 4 C.III.2.a)aa). 146  The World Bank Operations Manual, OP 13.05 vom Juli 2001, revidiert, und BP 13.05 vom Juli 2001, revidiert, abrufbar unter http: /  / go.worldbank.org / DZDZ

360 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements „The Bank is required by its Articles of Agreement to ensure that the proceeds of any loan are used only for the purposes for which the loan was granted, with due regard to economy and efficiency. … To these ends, recognizing that project implementation is the borrower’s responsibility, the Bank supervises the borrower’s implementation of Bank-financed projects. … Project supervision covers monitoring, evaluative review, reporting, and technical assistance activities to a. ascertain whether the borrower is carrying out the project with due diligence to achieve its development objectives in conformity with the legal agreements; b. identify problems promptly as they arise during implementation and recommend to the borrower ways to resolve them; …“147

In den Bank Procedures (BP 13.05) wird mit der Projektüberwachung ein Task Team betraut, welches aus regionalem Personal, Juristen und Mitgliedern der Finanzabteilung besteht.148 Das Team soll bereits im Vorfeld mit dem Kreditnehmer einen Plan für die Projektüberwachung erarbeiten, welcher die wichtigsten Bereiche zusammenfasst, auf welchen das Hauptaugenmerk der Überwachung liegen wird.149 Diese Vorgaben sollen rechtsverbindlich in den Projektimplementierungsplan aufgenommen werden.150 Während der Projektdurchführung werden dann der Fortschritt des Projekts überwacht, Berichte des Kreditnehmers geprüft und die Einhaltung des Kreditvertrages sichergestellt, auch im Hinblick auf ökologische und so­ ziale Sicherheitsklauseln.151 Soweit nötig, kann das Task Team die Projektstandorte und -einrichtungen besuchen, Begünstigte und andere Interessenträger treffen und weitere Informationen einholen;152 die Überwachung kann in begründeten Fällen auch über das Projektende hinaus fortgesetzt werden.153 In der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sehen die Leitlinien für die bilaterale finanzielle und technische Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ-Leitlinien)154, die als Verwaltungsvorschriften auch für die deutschen Durchführungsorganisationen gelten, die Erstellung verschiedener Berichte vor. Zunächst haben die Durchführungsorganisationen in regelmäßigen Abständen Fortschrittsberich9038D0; zum Projektablauf im Rahmen der Weltbank s. auch Thomas, in: Khalfan u. a., CISDL Working Paper, S. 101 ff. mit Kritik an der Ernsthaftigkeit der Projektvorgaben in der Vergangenheit. 147  The World Bank Operations Manual, OP 13.05, para. 1 und 2. 148  The World Bank Operations Manual, BP 13.05, para. 1. 149  The World Bank Operations Manual, BP 13.05, para. 3. 150  The World Bank Operations Manual, BP 13.05, para. 2. 151  The World Bank Operations Manual, BP 13.05, para. 9. 152  The World Bank Operations Manual, BP 13.05, para. 10. 153  The World Bank Operations Manual, BP 13.05, para. 23. 154  Abrufbar unter http: /  / www.bmz.de / de / publikationen / reihen / strategiepapiere /  konzept165.pdf.



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes361

te über den Fortgang der Entwicklungsmaßnahmen und ihrer Förderung vorzulegen, die insbesondere die Entwicklungen im geförderten Schwerpunkt, die Wirkungen der Maßnahmen, die Einhaltung der Planung und Finanzierung, gegebenenfalls eingetretene Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Maßnahmen sowie Veränderungen der Rahmenbedingungen be­ inhalten sollen (para. 42). Diese Rapports können auf Berichten des Programmträgers, des Personals vor Ort und auf Zwischenevaluationen beruhen. Nach Abschluss der Förderung bzw. Inbetriebnahme der Investition sind sodann Abschlusskontroll- und Schlussberichte anzufertigen, die die Ergebnisse sowie die angefallenen Gesamtkosten und deren Finanzierung darstellen, Empfehlungen für die Betriebsführung und gegebenenfalls Hinweise auf Risiken für die nachhaltige entwicklungspolitische Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen enthalten (para. 43). Nach Abschluss des Projektes wird sodann eine Evaluierung durchgeführt, um die nachhaltige entwicklungspolitische Wirksamkeit der Maßnahmen zu beurteilen und aus dieser Lehren für die weitere Fördertätigkeit zu ziehen (para. 44). Diese relativ abstrakten Vorgaben werden von den jeweiligen Beteiligten unterschiedlich ausgestaltet. Bei Projekten etwa, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) direkt vergibt, nehmen Prüfer des BMZ bei den Empfängern von Fördermitteln im In- und Ausland Einsicht in die Geschäfts- und Buchungsunterlagen, um die zweckgerechte Verwendung der Mittel sicherzustellen.155 Projekte der Finanziellen Zusammenarbeit (FZ) werden in der Regel durch die Entwicklungs­bank „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ (KfW) auf Grundlage bilateraler Übereinkommen zwischen Deutschland und dem jeweiligen Partnerland im Auftrag des BMZ durchgeführt. Um während des Projektverlaufs im konkreten Fall die vereinbarte Mittelverwendung zu gewährleisten, ergreift die KfW eine Kombination von Maßnahmen, die von transparenten Auftragsvergaben über Mittelauszahlungen gemäß Projektfortschritt und dem Erfordernis von Nachweisen hierüber bis hin zu physischen und buchmäßigen Mittelverwendungskontrollen durch die KfW sowie jährliche unabhängige Wirtschaftsprüfungsberichte reichen.156 Um die vereinbarte Verwendung der Projektmittel, aber auch die langfristige Wirksamkeit des Projektes sicherzustellen, wurde zudem die Evaluierungseinheit eingerichtet, die dem Vorstand der 155  Vgl. die Informationen auf http: /  / www.bmz.de / de / was_wir_machen / wege / er folg / revision.html. 156  Antwort auf Anfrage an die KfW, E-Mail vom 3. Juli 2013, beim Verfasser einsehbar; vgl. auch KfW, Richtlinien für die Beauftragung von Consultants in der Finanziellen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, 2008, geänd. 2012, abrufbar unter https: /  / www.kfw-entwicklungsbank.de / Download-Center / PDF-DokumenteRichtlinien / Consulting-D.pdf, S. 4 ff. und 16 sowie das Merkblatt Auszahlungen, S. 1.

362 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

KfW unterstellt und damit unabhängig von den Länderabteilungen ist, welche für die Projektplanung und ‑durchführung zuständig sind.157 Die Evaluierungsabteilung wiederum beauftragt externe Gutachter, die nach Vorgaben der KfW den Projekterfolg beurteilen. Als gemeinsame Linie lässt sich feststellen, dass bei allen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit überprüft wird, ob der jeweilige Projektzweck eingehalten wird. Zur Beurteilung wird auf Berichte der Beteiligten, aber auch auf externe Gutachter zurückgegriffen; darüber hinaus können Mitarbeiter der Durchführungsorganisationen selbst Überprüfungen beim Empfänger der Leistung vornehmen. Dabei folgt die Pflicht zur Überprüfung der Mittelverwendung unmittelbar daraus, dass bei der Entwicklungszusammenarbeit Steuergelder zum Einsatz kommen, für deren zweckgemäße entwicklungspolitische Verwendung eine gesteigerte Rechenschaftspflicht besteht. Wie im Folgenden zu zeigen ist, bestehen ähnliche Tendenzen aber auch im kommerziellen privatwirtschaftlichen Bereich. bb) Äquatorprinzipien Ein Beispiel verantwortlicher Kreditvergabe im privatwirtschaftlichen Bereich sind die Äquatorprinzipien,158 die als freiwillige Verpflichtung für Projektfinanzierungen159 in Höhe von mehr als 10 Mio. USD anwendbar sind160 und von 80 Kreditinstituten anerkannt wurden. Die Äquatorprinzi­ pien dienen der Vermeidung negativer sozialer, menschenrechtlicher, ökologischer und klimatischer Auswirkungen der finanzierten Projekte und verpflichten die teilnehmenden Banken, keine Kredite an Kreditnehmer zu vergeben, die zur Einhaltung der Prinzipien nicht willens oder in der Lage sind.161 Die folgenden Prinzipien gelten für riskante Projekte, mithin für alle Projekte, die potentiell vielfältige bedeutende und irreversible negative Umwelt- oder soziale Auswirkungen haben sowie für manche Projekte, die 157  Vgl. die Informationen auf https: /  / www.kfw-entwicklungsbank.de / Internatio nale-Finanzierung / KfW-Entwicklungsbank / Evaluierung / . 158  Die Equator Principles in ihrer aktuellen 3. Version von Juni 2013 sind abrufbar unter http: /  / www.equator-principles.com / resources / equator_principles_III. pdf; zu den Prinzipien in der 2. Version vgl. ausführlich Conley / Williams, Law & Policy 2011(33), 542 ff. 159  Diese machen nur ca. 5 % der gesamten Bankgeschäfte aus; jüngst lässt sich jedoch eine Erweiterung der Anwendung der Äquatorprinzipien auch auf andere Finanzgeschäfte beobachten, vgl. Conley / Williams, Law & Policy 2011(33), 542, 545 f. 160  Zum genauen Anwendungsbereich, der auch Überbrückungsdarlehen umfasst, vgl. Equator Principles – Scope. 161  Vgl. Equator Principles – Preamble.



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes363

potentiell begrenzt negative und reversible Umwelt- oder soziale Auswirkungen haben (Prinzip 1). Vor der Kreditvergabe für riskante Projekte ist eine Sozial- und Umweltbewertung („Social and Environmental Assessment“) durchzuführen (Prinzip 2) und es sind mit dem Kreditnehmer vertraglich Compliance-Regelungen zu vereinbaren (Prinzip 8). So muss der Kreditnehmer ein Environmental and Social Management System sowie einen Environmental and Social Management Plan entwickeln (Prinzip 4), welcher eine ständige Überprüfung von Risikofaktoren beinhaltet, und zudem vom Projekt betroffene Gemeinschaften konsultieren (Prinzip 5); bei riskanten Projekten sind die Anforderungen durch unabhängige Experten zu überprüfen (Prinzip 7). Verstößt der Kreditnehmer gegen seine Pflichten, arbeitet das Kreditinstitut auf die Einhaltung der Prinzipien hin, kann aber im äußersten Fall alle angemessenen vertraglichen Maßnahmen ergreifen (Prinzip 8), was auch die Kündigung des Vertrages erfasst. Um die Einhaltung der Äquatorprinzipien und die Überprüfung auch nach der Auszahlung des Kredites während der Projektlaufzeit sicherzustellen, hat der Kreditnehmer einen unabhängigen Umwelt- und Sozialexperten einzusetzen, der die vom Kreditnehmer bereitgestellten Monitoring-Informationen überprüft (Prinzip 9). Auch die Kreditinstitute haben die Pflicht, mindestens jährlich über die von ihnen durchgeführten Projekte und die Implementierung der Äquatorprinzipien zu berichten, was mit Zustimmung des Kreditnehmers auch eine Veröffentlichung der einzelnen Projekte ermöglicht.162 Bemerkenswert an den Äquatorprinzipien ist, dass diese nicht auf staatliche (wie etwa die Grundsätze der Entwicklungszusammenarbeit) oder zwischenstaatliche (wie etwa die UNCTAD-Prinzipien verantwortlicher Kreditvergabe) Initiativen zurückgehen, sondern es sich um eine freiwillige, von privaten Finanzinstituten ausgearbeitete Selbstverpflichtung der teilnehmenden Banken handelt. Neben originär ethischen Gründen163 mag die Bereitschaft sich den Prinzipien anzuschließen daher rühren, dass deren Einhaltung auch im wirtschaftlichen Interesse der Unterzeichner steht, weil damit die Gefahr des Scheiterns risikobehafteter Projekte eingedämmt und ein „race to the bottom“ in der Projektfinanzierung verhindert werden soll.164 Hinzu kommt allerdings die Tatsache, dass die Äquatorprinzipien für die teilnehmenden Banken nur sehr allgemein gehaltene Berichtspflichten vorsehen, bei denen Inhalt und Ausgang der einzelnen Projekte regelmäßig nicht 162  Vgl.

Prinzip 10 und Annex B – Minimum Reporting Requirements. zu dem Spannungsfeld von Ethik und Recht in Bezug auf die Corporate Social Responsibility Paulus / Schneider, Jura 2013(35), 1197, 1199 ff. 164  Vgl. zu den Gründen für die Annahme der Äquatorprinzipien Conley / Williams, Law & Policy 2011(33), 542, 550 ff. 163  Vgl.

364 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

veröffentlicht werden, sodass die Einhaltung der Prinzipien faktisch nicht nachprüfbar ist. Damit hängt es grundsätzlich stark von der jeweiligen Bank ab, wie konsequent sie die Prinzipien umsetzt,165 was diese aus Sicht der Unterzeichner angesichts des damit einhergehenden Reputationsgewinns zu einem vergleichsweise angenehmen Regelungsinstrument macht.166 Für eine verantwortliche Kontrahierung mit problematischen Staaten sind die Äquatorprinzipien daher zumindest in Bezug auf ihre gerichtliche Überprüfbarkeit fortzuentwickeln. b) Ausgestaltung einer verantwortlichen Kontrahierung mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten Wie dargestellt wurde, handelt es sich bei der Überprüfung der Durchführung von Verträgen mit sozialen und ökologischen Risiken nicht um ein atypisches Phänomen, sondern es lassen sich in der Praxis wichtige Bereiche finden, in welchen umfangreiche Kontrollrechte und -pflichten standardmäßig vertraglich vorgesehen sind.167 Im Folgenden gilt es die Prinzipien auf den Bereich der Verträge mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten zu übertragen. Während bereits eine Diskussion um Prinzipien der verantwortlichen Kreditvergabe im Gange ist,168 zielt diese auf eine Vielzahl von potentiellen Vertragspartnern (demokratische und undemokratische Staaten, Private) und Problemfelder ökonomischer, ökologischer, menschen- und arbeitsrechtlicher Art ab. Daraus ergibt sich die Schwierigkeit, eine Bandbreite möglicher Konstellationen mit allgemeingültigen Grundsätzen zu erfassen, was sich darin äußert, dass ein Konsens über konkrete Prinzipien des responsible lending bisher nicht besteht. Im Gegensatz dazu zielt die Odious-Debts-spezifische verantwortliche Kontrahierung ausschließlich darauf ab, den Nutzen eines Vertrages mit einem Odious-Debts-verdächtigen Staat sicherzustellen, was den Anwendungsbereich der Regeln deutlich reduziert und eine Konkretisierung erleichtert.

165  Schepers,

Corporate Governance 2011(11), 90, 98. Schepers, Corporate Governance 2011(11), 90, 96 f., der insbesondere die mangelnde Nachprüfbarkeit kritisiert; zur unterschiedlichen Beurteilung der Wirksamkeit der Äquatorprinzipien vgl. Conley / Williams, Law & Policy 2011(33), 542, 562 ff. Interessanterweise wurden die Kosten für die Implementierung der Äquatorprinzipien von den Teilnehmern als eher gering aufgefasst, vgl. ebd., 561. 167  Den Trend zu einer Gläubigermitverantwortung betonen auch Backer, LCP 2007(70), 1, 4, 13 und Michalowski / Bohoslavsky, Colum.J.Transnat’l. L. 2009(48), 59, 105; vgl. auch oben, Kapitel 1 B.IV. 168  Vgl. oben, Kapitel 1 B.IV. und Kapitel 3 A.II. 166  Vgl.



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes365

aa) Vertragsgestaltung Für eine verantwortliche Kontrahierung mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten wird die Aufnahme der folgenden Grundelemente in den Vertrag vorgeschlagen.169 Dabei sind alle Typen von Verträgen mit solchen Staaten erfasst, insbesondere Verträge über die Durchführung bestimmter (z.  B. Bau-)Projekte und Finanzierungsverträge. Von Bedeutung ist, dass die genannten Elemente nicht nur in den Vertragstext Eingang finden, sondern mit ihrer Einhaltung die Durchführung des Vertrages steht und fällt, da der Vertrag andernfalls einer gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten würde (vgl. zu dieser noch unten, 3.). •• Vertragsinhalt und -zweck Hier sind genau der Gegenstand des Vertrages (etwa Kreditvertrag; Lieferung von Baumaterialien) sowie der Zweck des Vertrages (causa, etwa Finanzierung des Kaufs von Solaranlagen für die Bevölkerung in einer bestimmten Region; Bau einer öffentlichen Schule) zu nennen. Darüber hinaus ist die Geltungsdauer der Zweckbestimmung auszuführen bzw. die Umwidmung nach Vertragsdurchführung auszuschließen. •• Implementierungsplan Dieser enthält: – Detaillierte Regelungen, welche Mittel für welche Zwecke verwendet werden; – Zeitplan, aus dem sich ergibt, in welchem Zeitraum Mittel für die genannten Zwecke verwendet werden; – Zeitplan über die Lieferung- bzw. Auszahlungsschritte je nach Projektfortschritt; –  Verfahren für die Anpassung beim Auftreten von projektbezogenen Problemen und Verzögerungen; –  Spezifische Vorkehrungen, die zur Vermeidung negativer menschenrechtlicher, ökologischer oder sozialer Folgen notwendig sind (beim Bau eines Staudamms z. B. die Bereitstellung von angemessenen Ersatzwohnungen für die lokale Bevölkerung); – Grundzüge der Projektüberwachung (Verantwortliche für die Überprüfung (interne oder externe Gutachter); Berichtspflichten und ‑zeiträume; Überprüfungs- und Zugangsrechte). 169  Einige Elemente finden sich auch im Entwurf für einen Projektimplementierungsplan durch die Weltbank, vgl. The World Bank Operations Manual, BP 10.00 – Annex B, Januar 1994.

366 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

•• Kündigungsklauseln An dieser Stelle sind Klauseln in den Vertrag aufzunehmen, welche es erlauben, die weitere Erfüllung einzustellen und den Vertrag rückabzuwickeln, falls der Implementierungsplan nicht eingehalten wird und daher die Sorge besteht, dass Teile des Vertrages nicht zugunsten der Bevölkerung eingesetzt werden. •• Rechtswahl und Gerichtsstand Schließlich ist im Vertrag noch das anzuwendende Recht zu wählen, wobei je nach Inhalt nationales Recht oder beispielsweise das internationale Kaufrecht (CISG) denkbar sind. Weiterhin ist das für die Entscheidung aller aufgrund dieses Vertrages entstehender Rechtsstreitigkeiten (Erfüllung, Kündigung, Rückabwicklung) zuständige Gericht zu benennen. Hier kommt ein Schiedsgericht oder auch jedes nationale Gericht eines Vertragsstaates der Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge in Betracht (vgl. dazu unten, 3.). bb) Überprüfung der Mittelverwendung Die Projektüberwachung kann sich an der unter a) dargestellten Überprüfungspraxis der Entwicklungszusammenarbeit orientieren und regelmäßige Kontrollen seitens des Gläubigers beinhalten. Bei sukzessive zu erfüllenden Verträgen ist vor der jeweiligen Auszahlung oder Lieferung zu überprüfen, ob bisherige Mittel vertragsgemäß verwendet wurden, was durch entsprechende Nachweise und Überprüfungen vor Ort zu belegen ist. Dabei ist es sinnvoll, je nach Vertragsinhalt auch noch nach einem bestimmten zeitlichen Intervall von beispielsweise 2 und 5 Jahren zu überprüfen, ob kein Missbrauch des Vertrages stattfindet, also z. B. ein Gebäude noch als öffentliche Schule oder ein Fuhrpark noch von einem Krankenhaus genutzt wird.170 Wird ein Missbrauch festgestellt, so lässt sich dieser vom Gläubiger zwar kaum beheben, die Veröffentlichung des Überprüfungsberichts (vgl. dazu unten, D.II.) kann aber zukünftigen Gläubigern als Warnung dienen und durch die Erschwerung weiterer Vertragsschlüsse ein Druckmittel gegenüber dem Schuldnerstaat darstellen. Weiterhin sollte eine angemessene Obergrenze für die Beobachtungspflichten in den Vertrag aufgenommen werden, da dem Gläubiger eine zeitlich unbegrenzte Verantwortlichkeit nicht zugemutet werden kann; für deren Dauer sind wiederum Vertragsinhalt und Miss170  Vgl. auch die Möglichkeit nachträglicher Mittelüberprüfung im Rahmen der Weltbank, oben, Kapitel 4 C.III.2.a)aa); auch die EBRD führt 1 bis 2 Jahre nach der Auszahlung auf Stichprobenbasis eine ex-post-Evaluierung durch, vgl. Braun, in: Ahrens, Entwicklungszusammenarbeit, S. 43.



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes367

brauchsgefahr ausschlaggebend. Somit spiegeln sich die unter II.2. erarbeiteten Kriterien für die Beurteilung der Nützlichkeit in der Vertragsgestaltung wider: Je höher die Missbrauchsgefahr im Einzelfall ist, desto umfangreicher sind die Überprüfungspflichten seitens des Gläubigers. Es stellt sich die Frage, wer mit der Überprüfung betraut werden soll. In Betracht kommen neben dem Gläubiger externe Experten. Für externe Experten spricht, dass nicht alle Unternehmen über die notwendigen Ressourcen verfügen, Projektüberwachung vorzunehmen, sowie deren Unabhängigkeit. Ein Gläubiger kann nur dann selbst tätig werden, wenn er über entsprechende Personal- und Finanzmittel sowie die Expertise verfügt, eine Überprüfung vor Ort vorzunehmen. Liegt die Überwachung in der Hand des Gläubigers, könnte er allerdings geneigt sein, Probleme bei der Durchführung zu übergehen, um die Geschäftsbeziehung aufrecht zu erhalten. Doch auch bei externen Experten stellt sich das Problem mangelnder Unabhängigkeit, wenn nämlich der Experte in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Gläubiger steht, weil er beim Anlegen von zu strengen Maßstäben um zukünftige Aufträge fürchten müsste.171 Allerdings führt die gerichtliche Überprüfung der Projektüberwachung im Fall einer späteren Zahlungsverweigerung dazu, dass sowohl Gläubiger als auch externe Experten ein großes Interesse an angemessenen Überprüfungsstandards haben, da der Vertrag andernfalls als unwirksam klassifiziert würde. Ein externer Experte kann sich im Vergleich zu seinen Konkurrenten nur dann behaupten, wenn er gerichtsfeste Projekte vorweisen kann;172 ebenso wird der Gläubiger selbst seine entsprechende Abteilung anweisen, strenge Maßstäbe anzulegen, wenn er die Erfüllung des Vertrages auch nach einem Regimewechsel gewährleisten will. Somit kommen sowohl externe Experten als auch Abteilungen des Gläubigers für die Überprüfung in Betracht. Es wurde bereits ausgeführt, dass bei der verantwortlichen Kreditvergabe im Rahmen der Äquatorprinzipien sowie im Kontext der Corporate Social Responsibility einige Unternehmen bereits umfangreiche Überprüfungsmechanismen selbst anwenden oder externe Institute damit beauftragen. Solchen Unternehmen, die sich den entsprechenden Prinzipien verpflichtet haben und diese entschlossen anwenden, wird es daher leichter fallen, auch mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten wirksame Verträge abzuschließen, was gleichzeitig einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringt. Zudem ist zu erwarten, dass sich spezialisierte Firmen herausbilden, die legitime Vertragsschlüsse juristisch und inhaltlich betreuen und den Kontakt zu Experten zur Überprüfung der Umsetzung vermitteln oder diese selbst durchfüh171  Vgl. zu diesem Problemkreis Michaelowa / Borrmann, in: Ahrens, Entwicklungszusammenarbeit, S.  60 ff. 172  Vgl. Michaelowa / Borrmann, in: Ahrens, Entwicklungszusammenarbeit, S. 61.

368 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

ren.173 Schon heute verfügen an Projektfinanzierung beteiligte Banken häu­ fig nur über kleine Risikomanagement-Abteilungen und lagern entsprechende Tätigkeiten an externe Beratungsfirmen aus.174 3. Gerichtliche Überprüfung nützlicher Verträge Beim Vertragsschluss mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten sind mehrere Konstellationen denkbar, in denen es zu einer Auseinandersetzung über die Wirksamkeit eines Vertrages kommen kann. Typischerweise wird diese in Folge eines Regimewechsels auftreten, wenn nämlich eine neue Regierung beschließt, laufende Verbindlichkeiten nicht mehr zu bedienen, weil sie diese für odiös hält. In diesem Fall könnte der Gläubiger die Erfüllung des Vertrages einzuklagen versuchen; auch könnte der Schuldnerstaat bereits Geleistetes zurückfordern. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens müsste der Gläubiger nachweisen, dass der Vertrag zum Nutzen der Bevölkerung des Schuldnerstaates eingegangen wurde (s. o. II.), und dass er seinen Sorgfaltspflichten im Rahmen der die Prinzipien verantwortlicher Kontrahierung nachgekommen ist. Ist dieser Nachweis erbracht, so wird das Gericht den Vertrag als wirksam, die Erfüllungsklage als begründet und die Forderung nach Rückabwicklung als unbegründet erachten. Fraglich ist, wer mit der Überprüfung des Vertrages betraut sein soll. Da es sich um die rechtliche Bewertung der von den Parteien beizubringenden Tatsachen handelt, scheint ein unabhängiges gerichtliches Gremium – und nicht etwa eine aus Schuldner- und Gläubigervertretern gebildete Kommission – geeignet und notwendig. Zwei Alternativen kommen hierfür in Betracht: Die Einrichtung eines auf potentiell odiöse Verträge spezialisierten, ständigen Gerichts sowie die Befassung von nationalen Gerichten und Schiedsgerichten mit der Problematik. Für die Einrichtung eines eigenen Gerichts für odiöse Verträge spricht, dass dieses ein spezialisiertes Forum für Odious-Debts-spezifische Fragen darstellen und eine einheitliche und damit vorhersehbare Rechtsprechungslinie gewährleisten würde. Für die genaue Ausgestaltung eines solchen Gremiums lassen sich beispielsweise die Forderungen nach einem FTAP (vgl. oben, Kapitel 3 B.IV.), aber auch Modelle zur Staateninsolvenz175 heranziehen. Ein im Einzelfall jeweils neu besetztes Schiedsgericht hätte 173  In diese Richtung auch Ben-Shahar / Gulati, LCP 2007(70), 47, 71; für eine vergleichbare Entwicklung im Bankensektor Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 985; vgl. auch Gentile, LCP 2010(73), 151, 171. 174  Conley / Williams, Law & Policy 2011(33), 542, 560. 175  Vgl. insbesondere das internationale Resolvenzgericht von Paulus, IILR 2012(3), 1 ff.



C. Wirksame Vertragsschlüsse mit verdächtig klassifizierten Regimes369

demgegenüber weniger Vorteile, weil damit der Gewinn der Einheitlichkeit der Ergebnisse aufgegeben würde. Schließlich könnte dem spezialisierten Gericht auch ausschließlich eine Rechtsmittelfunktion zukommen, sodass die Feststellungen tatsächlicher Natur von nationalen Gerichten getroffen werden müssten. Ob die Einrichtung eines spezialisierten Gerichtes realisierbar ist, begegnet allerdings Zweifeln, weil dies die Schöpfung einer weiteren, mit finanziellen und personellen Mitteln auszustattenden sowie mit einer Verfahrensordnung zu versehenden Instanz voraussetzt. Im Interesse der Umsetzbarkeit sollte dies daher nur erwogen werden, wenn andere, auf bestehende Institutionen zurückgreifende Modelle weniger erfolgsversprechend sind. In der Tat lassen sich aber gute Argumente für die Befassung von nationalen Gerichten bzw. ad-hoc-Schiedsgerichten anführen. Neben der leichteren Umsetzbarkeit spricht für diese, dass sich bereits jetzt Zivilgerichte mit Erfüllung und Wirksamkeit von Handelsverträgen zu befassen haben und dabei Aspekte wie Einhaltung von Sorgfaltspflichten, due diligence und Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis zu berücksichtigen haben. Auch für die wertende Entscheidung, wann ein Vertrag als nützlich anzusehen ist, wurden objektive Kriterien entwickelt (vgl. oben, II.2.), die von Gerichten angewendet werden können. Problematisch ist allerdings, dass Gerichte verschiedener Rechtsordnung und Schiedsgerichte unterschiedlich strenge Maßstäbe an die Gläubigerverantwortung anlegen könnten, sodass sich eine divergente Entscheidungspraxis und damit ein Anreiz für das sog. forum shopping herausbilden könnte. Dieses Problem lässt sich entschärfen, indem in die Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge eine Pflicht der zuständigen Gerichte aufgenommen wird, bei ihren Entscheidungen die Urteile anderer Gerichte zu berücksichtigen und auf eine einheitliche Rechtsentwicklung hinzuwirken. Zudem ist die Möglichkeit der vertraglichen Rechtswahl auf die Rechtsordnungen der Konventionsstaaten zu beschränken,176 was dazu führen würde, dass die Parteien nicht einen Staat als Forum wählen könnten, welcher der Figur odiöser Schulden ablehnend gegenüber steht. Bei der Analyse bestehender Lösungsmodelle wurden vier Kriterien für die institutionelle Ausgestaltung herausgearbeitet, nämlich Legitimation, Neutralität, Transparenz und Umsetzbarkeit (vgl. oben, Kapitel 3 B.IV.). Nationale Gerichte haben in der Regel keine eigenen Interessen in Bezug auf die Wirksamkeit odiöser Verträge und sind damit neutrale Instanzen;177 176  Entsprechendes gilt für die Besetzung von Schiedsgerichten mit Angehörigen dieser Rechtsordnungen. 177  Bei Betroffenheit einzelner Richter gewährleisten Befangenheitsvorschriften eine neutrale Entscheidungsfindung.

370 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

die jeweiligen Prozessordnungen sowie die objektiven Kriterien zur Beurteilung des Nutzens von Verträgen garantieren eine hohe Transparenz der Entscheidungsfindung; die Befassung bereits bestehender Gerichte mit derartigen Fragen erscheint umsetzbar; und schließlich rührt die Legitimation der Entscheidungen daher, dass der Schuldnerstaat aufgrund eines interna­ tionalen Vertrages mit Verweis auf universell anerkannte Werte von einer neutralen Instanz178 als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert wurde. 4. Beispiel Die Durchführung verantwortlicher Kontrahierung kann sich wie folgt darstellen: Nachdem Staat S als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert wurde, beabsichtigt Unternehmen U, an den Staat Baumaterialien zum Bau einer öffentlichen Schule zu verkaufen. Unter Abwägung der oben, II.2., dargestellten Kriterien wäre der Bau einer öffentlichen Schule als nützlich und im Sinne der Bevölkerung anzusehen. In den Kaufvertrag werden neben Leistung und Gegenleistung dieser Zweck aufgenommen sowie das Verbot, die öffentliche Schule innerhalb von 20 Jahren nach ihrer Fertigstellung umzuwidmen. Der Vertrag enthält zudem konkrete Vereinbarungen, in welchen Schritten und zu welchem Zeitpunkt das Projekt durchgeführt werden soll. Handelt es sich um eine größere Schule, so ist es sinnvoll, die Baumaterialien erst sukzessive zur Fertigstellung einzelner Bauabschnitte zu liefern. Weiterhin ist im Vertrag festzulegen, wer zur Überprüfung der Vertragseinhaltung berechtigt ist; dies kann durch externe, von U beauftragte Gutachter wahrgenommen werden. Der Vertragsschluss wird in ein öffent­ liches Register aufgenommen (vgl. genauer unten, D.II.2.). Stellt sich im Laufe der Zeit heraus, dass anstelle der Schule eine Kaserne gebaut wird,179 kann U die Beendigung des Vertrages androhen und durchsetzen; U wird damit von der Verpflichtung zur Lieferung weiterer Materialien frei und kann von S die Rückgabe des bisher Gelieferten oder dessen sofortige Bezahlung fordern. Wird der Zahlungsanspruch des U nicht erfüllt, kann er vor dem im Vertrag gewählten Gericht klagen; obwohl ein Teil des Vertrages zu schädlichen Zwecken genutzt wurde, wird das Gericht der Klage des U stattgeben, weil U alles Zumutbare und Erforderliche getan hat, um die Einhaltung des legitimen Verwendungszwecks zu gewährleisten.180 Damit 178  Dazu

unten, Kapitel 4 D. ist freilich auch die erst nachträgliche Umwidmung der Schule in eine Kaserne; in diesem Fall kann U ebenfalls den Vertrag kündigen und sofortige Zahlung verlangen; auch dann hätte seine Klage Aussicht auf Erfolg, wenn er nachweisen kann, dass die Umwidmung bis zum Abschluss des Baus nicht erkennbar war. 180  Zur Problematik der Vollstreckung gegen Staaten vgl. oben, Kapitel 1 A.I.3.b). 179  Denkbar



D. Institutionelle und prozedurale Ausgestaltung371

konnte zwar trotz Verletzung des Bevölkerungsinteresses eine wirksame Verbindlichkeit für S entstehen; diese fällt durch die Kündigung des U aber geringer aus als bei vollständiger Vertragsausführung. Zudem muss U die mangelnde Zweckeinhaltung registrieren, sodass zukünftigen Vertragspartnern von S besondere Vorsicht nahegelegt wird und in ähnlichen Fällen keine wirksamen Schulden mehr entstehen werden.

D. Institutionelle und prozedurale Ausgestaltung Entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Lösungsmodells ist neben den Kriterien, die eine Klassifikation als Odious-Debts-verdächtig rechtfertigen (dazu oben, B.) die Frage, wer die entsprechende Entscheidung trifft. Wie bereits herausgearbeitet wurde,181 sind für die Beurteilung der institutionellen und prozeduralen Ausgestaltung des Lösungsmodells die Kriterien Legitimation, Neutralität, Transparenz und Umsetzbarkeit zu berücksichtigen. Das ­Lösungsmodell bezieht seine Legitimation maßgeblich daraus, dass es auf eine universell anerkannte Werteordnung abstellt. Mit der Berücksichtigung schwerwiegender und systematischer Verletzungen bestimmter Rechte folgt die Entscheidung rechtlichen Kriterien und nicht politischen Erwägungen. Die im Rahmen internationaler Verträge erstellten Berichte stellen transparente Quellen für die Entscheidungsfindung dar. Um Legitimität und Neutralität der Entscheidungsfindung auch institutionell abzusichern, soll die Klassifizierungs-Entscheidung durch ein mit unabhängigen Experten besetztes Gremium getroffen werden (I.). Darüber hinaus muss die prozedurale Ausgestaltung die Einbeziehung aller Betroffenen gewährleisten (II.). Hinsichtlich der Umsetzbarkeit spricht für das Modell, dass das Gremium mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand eingerichtet werden könnte. Soweit die Gefahr besteht, dass politische Vorbehalte seitens der Vertragsparteien der ICPOA die Einrichtung des Gremiums scheitern lassen, könnte diesen durch die Aufnahme einer Veto-Klausel begegnet werden (III.).

I. Das Committee on the Prevention of Odious Obligations (CPOA) als mit der Klassifizierung als Odious-Debts-verdächtig betraute Institution 1. Grundsätzliches: Das CPOA und seine beiden Unterausschüsse Die Entscheidung über die Klassifizierung eines Staates trifft das Vertragsorgan der ICPOA, nämlich der Ausschuss zur Verhinderung odiöser Verträge 181  s. oben,

Kapitel 3 B.IV.

372 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

(Committee on the Prevention of Odious Obligations, CPOA). Das CPOA selbst besteht aus zwei Unterausschüssen, dem Unterausschuss für Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht (Sub-Committee on Human Rights and Humanitarian Law, CPOA-HR) und dem Unterausschuss gegen Korruption (Sub-Committee on Corruption, CPOA-CO). Die Arbeit des Ausschusses wird durch ein Sekretariat mit ständigen Mitarbeitern unterstützt. Da sich die Situation in den zu klassifizierenden Staaten schnell verändern kann, ist es von Bedeutung, dass das CPOA zeitnah eine Klassifizierungsentscheidung treffen bzw. eine bereits erfolgte Klassifizierung aufheben kann. Um dies zu gewährleisten, ist das CPOA als ständiges Gremium einzurichten, sodass Entscheidungen nicht nur in bestimmten Zyklen getroffen werden.182 Die Räumlichkeiten des CPOA könnte in Genf eingerichtet werden, wo das Büro der Vereinten Nationen in Genf, der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, der UN Menschenrechtsrat, und die Vertragsorgane wie HRC, CESCR etc. angesiedelt sind. 2. Besetzung und Auswahl der Mitglieder Um eine politisch neutrale und an den Klassifizierungskriterien ausgerichtete Entscheidungsfindung zu gewährleisten, ist das CPOA mit unabhängigen Experten zu besetzen. a) Mitglieder des Sub-Committee on Human Rights and Humanitarian Law (CPOA-HR) Als Vorbild für den Ausschuss können die Vertragsorgane der Menschenrechtskonventionen wie beispielsweise das unter dem IPBPR eingerichtete Human Rights Committee herangezogen werden. Das HRC besteht aus 18 Experten und „setzt sich aus Staatsangehörigen der Vertragsstaaten zusammen, die Persönlichkeiten von hohem sittlichen Ansehen und anerkannter Sachkenntnis auf dem Gebiet der Menschenrechte sind, wobei die Zweckmäßigkeit der Beteiligung von Personen mit juristischer Erfahrung zu berücksichtigen ist“ (Art. 28 (1) IPBPR). Wie es auch beim CPOA der Fall sein sollte, handelt es sich um unabhängige Spezialisten, die keinen staatlichen Weisungen unterstehen und eine politisch unabhängige Entscheidung treffen sollen (vgl. Art. 28 (3) IPBPR).183 Das HRC hat als Vertragsorgan weitge182  Das HRC etwa tagt nur dreimal jährlich, vgl. die Terminliste auf http: /  / tb internet.ohchr.org / _layouts / TreatyBodyExternal / SessionsList.aspx?Treaty=CCPR. 183  Obwohl der IPBPR nicht ausdrücklich von Unabhängigkeit spricht, ist dies unter der dort genannten „persönlichen Eigenschaft“ („personal capacity“) zu verstehen, vgl. Tomuschat, Human Rights, S. 172.



D. Institutionelle und prozedurale Ausgestaltung373

hend Anerkennung erfahren, gerade weil es aufgrund seiner Besetzung und Arbeitsweise keine politisch gefärbten Entscheidungen trifft.184 Für das HRC sind dessen Mitglieder nebenamtlich tätig;185 dabei handelt es sich meist um hochrangige Hochschulprofessoren oder Praktiker, die einer sonstigen Haupttätigkeit nachgehen. Die Experten sind höchst angesehene Personen186 mit größter, meist juristischer, Kompetenz;187 dies ist notwendig, da das HRC bei der Analyse von Staatenberichten und Individualbeschwerden Entscheidungen darüber zu treffen hat, ob sich Staaten generell bzw. im Einzelfall menschenrechtskonform verhalten, und im Rahmen von General Comments Stellung nimmt, wie bestimmte Menschenrechte auszulegen sind. Die Arbeit des CPOA-HR ist insofern weniger rechtsgestaltend, als sie maßgeblich darin besteht, die von Internationalen Organisationen, Expertengremien oder Nichtregierungs­organisationen abgefassten Berichte zu analysieren um festzustellen, ob dem betroffenen Staat schwerwiegende und systematische Verletzungen von Menschenrechten bzw. des humanitären Völkerrechts vorzuwerfen sind. Das CPOA-HR ist daher mit Experten zu besetzen, die über weitreichende Erfahrung im Bereich Menschenrechte verfügen, mit dem Lesen solcher Berichte vertraut sind und für einen angemessenen prozessualen Ablauf Gewähr bieten.188 Eine juristische Fachkenntnis seitens der Experten ist von Vorteil, weil so gewährleistet werden kann, dass die Voraussetzung der „schwerwiegenden und systematischen“ Rechtsverletzungen durch eine konsistente Klassifizierungspraxis ausgefüllt wird. Auch die Experten des CPOA-HR müssen als solche nicht zwingend hauptamtlich tätig sein, wenn durch sonstige Tätigkeiten ihre Unabhängigkeit sowie die kurzfristige Verfügbarkeit bei wesentlicher Änderung der Entscheidungsgrundlage im betroffenen Land gewährleistet ist. Die Mitglieder des CPOA-HR sind von den Vertragsparteien vorzuschlagen und auf einer Konferenz der Vertragsparteien zu wählen; jeder Staat 184  Zu dieser Entwicklung Mavrommatis, in: Ando, Universal Human Rights, S. 74 ff.; zur Rolle des HRC im und nach dem Kalten Krieg vgl. Young, Human Rights Committee, S. 50 ff.; grundsätzlich positiv auch Tyagi, Human Rights Committee, S.  146 ff. 185  Zur Notwendigkeit eines „ ‚bread and butter‘ job“ Tomuschat, Human Rights, S. 173. 186  Art. 28 (2) IPBPR spricht von „persons of high moral character“. Der Begriff ist inhaltlich wenig greifbar, schließt aber zumindest Personen aus, die mit repressiven Regimen assoziiert sind, vgl. Tyagi, Human Rights Committee, S. 69 f. 187  Vgl. die Liste der Ausschussmitglieder auf http: /  / www.ohchr.org / EN / HR Bodies / CCPR / Pages / Membership.aspx. 188  Tyagi, Human Rights Committee, S.  70 führt zu der Formulierung in Art. 28 (2) IPBPR aus, „recognized competence“ bedeute nicht zwingend „highest competence“.

374 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

sollte bis zu zwei189 Mitglieder vorschlagen können. Idealerweise sollte der Nominierung eine Ausschreibung in den Mitgliedstaaten vorausgehen, in der sich geeignete Kandidaten präsentieren können, welche sodann in einem transparenten Prozess, etwa von einer demokratisch legitimierten Stelle ausgewählt werden.190 Im Unterschied zum HRC191 sollte sich das CPOA nicht nur aus Staatsangehörigen der Konventionsstaaten zusammensetzen. Während der IPBPR nahezu universell ratifiziert ist, ist es denkbar, dass die ICPOA zunächst nur regionale Anerkennung findet (ausführlich unten, E.I.). Aus Gründen der Legitimität sollten die Vertragsparteien daher auch geeignete Experten aus anderen Regionen, Kulturkreisen und Rechts­ traditionen benennen (vgl. den entsprechenden Art. 31 (2) IPBPR). Ähnlich wie beim HRC wird für das CPOA-HR vorgeschlagen, dieses mit 18 Experten zu besetzen, wobei turnusgemäß nur 12 der Mitglieder entscheiden sollen, sodass die geringere Arbeitsbelastung eine gewisse Flexibilität für die Tätigkeit der Mitglieder gewährt. Alle zwei Jahre sind die Hälfte der Mitglieder des CPOA-HR neu zu wählen, sodass die Amtszeit jedes Mitglieds 4 Jahre beträgt192 und durch die unterschiedlichen Wahltermine eine Kontinuität des Gremiums gewährleistet wird. Mitglieder des CPOA-HR können wiedergewählt werden. Bei vorzeitigem Ausscheiden eines der Ausschussmitglieder kann der nächste nicht gewählte Kandidat mit den meisten Stimmen nachrücken, wobei nur solche Kandidaten Berücksichtigung finden sollten, die zugleich eine Mehrheit der Stimmen der Vertreter der Konventionsstaaten erhalten haben; andernfalls sind für dieses Mitglied Neuwahlen durchzuführen. Lässt ein Ausschussmitglied seine Arbeit ruhen, ohne von der Tätigkeit als Ausschussmitglied zurückzutreten, ist dieser ebenfalls zu ersetzen, wenn zwei Drittel der Ausschussmitglieder dessen Untätigkeit feststellen.193 Durch dieses Verfahren wird die Unabhängigkeit der Ausschussmitglieder gestärkt, da diese nicht auf andere Weise absetzbar sind.

189  Dadurch wird insbesondere in der Anfangsphase des CPOA bei möglicherweise noch geringer Beteiligung an der ICPOA eine kompetente Besetzung gewährleistet, während gleichzeitig der Vorschlag von unangemessen vielen Kandidaten verhindert werden soll. 190  Ähnlich zum HRC m. w. Nachw. Tyagi, Human Rights Committee, S. 81 ff. und 147 f. 191  Vgl. Art. 28 (2) IPBPR. 192  Bei Inkrafttreten der Konvention wird die Hälfte der Mitglieder nur für 2 Jahre gewählt; diese Hälfte ist durch das Los zu bestimmen, vgl. die entsprechende Regelung in Art. 32 (1) IPBPR. 193  Vgl. die ähnlichen Regelungen in Art. 33 IPBPR.



D. Institutionelle und prozedurale Ausgestaltung375

b) Mitglieder des Sub-Committee on Corruption (CPOA-CO) Die Ausführungen zur Besetzung des Unterausschusses für Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht lassen sich mit den folgenden Änderungen auf den Unterausschuss gegen Korruption übertragen. Wesentliche Aufgabe der Ausschussmitglieder ist die Analyse von bestehenden Korruptionsindikatoren (s. o. B.II.4.) mit dem Ziel festzustellen, ob in dem betroffenen Land schwerwiegende und systemische Korruption besteht. Entsprechend sind für den Unterausschuss solche unabhängigen Experten zu ernennen, die über Erfahrung in Bezug auf Korruption verfügen.194 Hier kann ein ökonomischer oder wirtschaftsrechtlicher Hintergrund hilfreich sein, um die Indikatoren angemessen zu bewerten und eine einheitliche Bewertungspraxis hinsichtlich des Kriteriums „schwerwiegende und systemische Korrup­ tion im öffentlichen Sektor“ zu gewährleisten. Im Übrigen gelten die Ausführungen zum CPOA-HR entsprechend. 3. Beschlussfassung innerhalb des CPOA Die Unterausschüsse des CPOA treffen ihre Entscheidungen mit qualifizierter Zweidrittelmehrheit (8 von 12 Stimmen). So wird gewährleistet, dass eine Entscheidung zustande kommt, von deren Richtigkeit die überwiegende Mehrheit überzeugt ist, ohne dass es bei mangelnder Konsensbildung zu einer Blockade kommt. Mitglieder sind von der Mitwirkung ausgeschlossen und durch andere Mitglieder zu ersetzen, wenn sie selbst unmittelbar betroffen sind, z. B. weil sie selbst in Geschäftsbeziehungen mit dem zu klassifizierenden Staat stehen, oder wenn sie Staatsangehörige des zu klassifizierenden Staates sind. Am Ende des Entscheidungsprozesses steht ein Bericht, in welchem die Vertreter ihre Entscheidung über die erfolgte oder abgelehnte Klassifikation eines Staates als Odious-Debts-verdächtig oder deren Aufhebung unter Nennung der herangezogenen Entscheidungsgrundlagen ausführlich begründen. Aus dem Bericht ergibt sich, warum das CPOA die Voraussetzungen zur Klassifizierung als (nicht) erfüllt ansieht und welche Entwicklungen im beurteilten Staat im Hinblick auf eine zukünftige Entscheidung als positiv bzw. problematisch angesehen werden.

194  Der Vorschlag weicht somit von der Besetzung des Expertenausschusses des Mechanism for Follow-Up on the Implementation of the Inter-American Convention against Corruption (MESICIC) ab. Dieser besteht aus 31 Staatenvertretern, die gleichzeitig für die Stellungnahme über die Situation in ihrem Land und für die Bewertung der Situation in den Mitgliedstaaten zuständig sind, vgl. Introductory Guide for MESICIC Experts, abrufbar unter http: /  / www.oas.org / juridico / english /  experts_guide.pdf.

376 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

4. Sekretariat und Budget Das CPOA wird durch ein ständiges Sekretariat mit hauptamtlichen Mitarbeitern unterstützt, das in Absprache mit den Ausschussmitgliedern relevante Berichte internationaler Organisationen sammelt, Mitteilungen von Staaten sowie Nichtregierungs­organisationen entgegennimmt und das CPOA in organisatorischer Hinsicht unterstützt. Die Konventionsstaaten müssen das CPOA und das Sekretariat mit angemessenen finanziellen Mitteln ausstatten, um die reibungslose Arbeit zu gewähren.195 Diese umfassen insbesondere Gehälter für hauptamtliche Mitarbeiter, Reisekosten- und Aufwandsentschädigungen für die Experten, Material- und Verwaltungskosten sowie Kosten für notwendige Räumlichkeiten. Über die Höhe der Finanzmittel können die Mitgliedstaaten auf regelmäßigen Konferenzen auf Grundlage eines Entwurfs des Sekretariats entscheiden.

II. Prozedurales 1. Verfahren Das Verfahren vor dem CPOA ist so auszugestalten, dass eine ständige Überprüfung der Klassifizierungsentscheidung durchgeführt werden kann. Nur so kann auf Veränderungen der Lage im potentiellen Schuldnerstaat angemessen eingegangen werden. Jüngste Beispiele wie etwa Libyen oder Ägypten zeigen, dass der Übergang zwischen repressiven und freiheitlichen Regimen oft fließend ist, sodass eine kurzfristige Beurteilung der Menschenrechtslage geboten ist. Neben der in die Konvention aufzunehmenden Verpflichtung des CPOA, Klassifizierungsentscheidungen ständig zu überprüfen, wird dies durch die Verfügbarkeit von einer Vielzahl auch aktueller Entscheidungsgrundlagen (vgl. oben, B.I.4. und B.II.4.) sowie durch die Ausgestaltung des CPOA als ständiges Gremium gewährleistet. Maßgeblich ist zudem, dass beim Entscheidungsprozess alle Interessenträger Gehör finden,196 also eine Inklusion aller Betroffenen stattfindet.197 195  Kritisch hinsichtlich der Ausstattung des HRC Tyagi, Human Rights Committee, S.  147 m. w. Nachw. 196  Dies ergibt sich auch daraus, dass die Erklärung von Staaten als OdiousDebts-verdächtig als Ausübung internationaler öffentlicher Gewalt betrachtet werden kann, sodass prozedurale und menschenrechtliche Mindestanforderungen einzuhalten sind, vgl. v. Bogdandy / Goldmann, ZaöRV 2013(73), 61, 65, 75 und 86 f. (Inklusion aller Betroffenen); zum Begriff der internationalen öffentlichen Gewalt s. ebd., 71 ff. 197  v. Bogdandy / Goldmann, ZaöRV 2013(73), 61, 86 f.



D. Institutionelle und prozedurale Ausgestaltung377

Zuallererst betrifft dies den zu klassifizierenden Staat, welchem prozessual das Recht einzuräumen ist, von der Einleitung eines Klassifizierungsverfahrens in Kenntnis gesetzt zu werden sowie vor der Entscheidung zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und auch nach der Entscheidung über eine Änderung der Situation zu informieren und damit eine Überprüfung der Entscheidung zu erwirken. Anzuhören sind weiterhin die Konventionsstaaten, Vertreter relevanter internationaler Organisationen (z. B. UN-Sonderberichterstatter) sowie Nichtregierungsorganisationen als Vertreter der nationalen und internationalen Zivilgesellschaft. Auf Grundlage dieser Stellungnahmen sowie der übrigen oben genannten Entscheidungsgrundlagen hat das CPOA dann zeitnah die Entscheidung über die Klassifizierung zu treffen. Die Anhörungen können mündlich und schriftlich erfolgen und sind in der Regel öffentlich vorzunehmen, es sei denn, die Rechte Betroffener machen nichtöffentliche Anhörungen notwendig. Um zu verhindern, dass das CPOA durch eine Vielzahl von Eingaben aus Nichtregierungskreisen blockiert wird, wäre es denkbar, nur bestimmte NGOs zur Stellungnahme zuzulassen. Allerdings ist dann fraglich, welche Kriterien für die Zulassung der Organisationen anzulegen sind. Da je nach Einzelfall international agierende Organisationen, aber auch lokale Verbände über maßgebliche Informationen verfügen können und insbesondere letztere der Bevölkerung des Schuldnerstaates eine Stimme geben können, wäre eine solche Reduzierung unangemessen. Stattdessen kann die Einleitung eines Klassifizierungsverfahrens in das pflichtgemäße Ermessen des CPOA gestellt werden, sodass nicht jede Eingabe jeder Organisation ein aufwändiges Verfahren nach sich zieht. Bei Vorliegen ausreichender Anhaltspunkte muss das CPOA dann von sich aus tätig werden. Allerdings sollten sowohl die Konventionsstaaten als auch internationale Organisationen sowie bereits klassifizierte Staaten mit einem formellen Antragsrecht ausgestattet werden. Die Grundzüge des Verfahrens sollten in der Konvention dargestellt werden; die Einzelheiten (insbes. Verfahrensordnung) kann sodann das CPOA selbst festlegen, wie dies beispielsweise seitens des HRC geschehen ist.198 2. Registrierung von Verträgen beim CPOA Zur Beurteilung, ob ein Vertrag für die Bevölkerung des Schuldnerstaates nützlich ist, ist auch das bisherige Verhalten des Schuldners heranzuziehen (vgl. oben, C.II.2.c)). Zum einen lassen sich aus den bisherigen Vertragsschlüssen verdächtige Verhaltensmuster ablesen (z. B. Kauf verschiedener Chemikalien, die in gemeinsamer Verwendung schädlichen Zwecken dienen 198  Vgl. die aktuellen Rules of Procedure of the Human Rights Committee, 11.  Januar 2012, CCPR / C / 3 / Rev.10.

378 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

können; Weiterverkauf von kreditfinanzierten Krankenwagen). Zum anderen könnte ein Staat die Überprüfung durch den Gläubiger zu umgehen suchen, indem er mehrere Verträge zum gleichen Zweck abschließt. So könnte der Staat drei Kredite zum Bau einer Schule aufnehmen und allen Vertragspartnern als Beweis der Zweckerfüllung dieselbe Schule präsentieren, während er zwei der drei Darlehen zu anderen Zwecken verwendet. Schließlich lässt die nachträgliche Umwidmung oder Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen bei zukünftigen Verträgen befürchten, dass auch deren legitimer Zweck unterlaufen wird. Bestimmte Verträge sollte ein Gläubiger daher mit dem Schuldnerstaat überhaupt nicht mehr oder nur unter besonders strengen Sicherheitsvorkehrungen abschließen. Für den Gläubiger fehlt es aber regelmäßig an Einblicken, welche Verträge mit dem klassifizierten Staat bestehen und welche Probleme in der Vergangenheit aufgetreten sind. Das Problem lässt sich lösen, wenn beim Sekretariat des CPOA ein öffentliches Register eingerichtet wird, in welches alle mit einem klassifizierten Staat geschlossene Verträge (Inhalt und Zweck des jeweiligen Vertrages) sowie bei der Vertragsausführung aufgetretene Probleme eingetragen werden.199 Kündigt der Gläubiger den Vertrag, weil der Vertragszweck nicht eingehalten wird, oder stellt sich bei einer späteren Überprüfung eine Vertragsverletzung heraus, so sind die Gründe dem CPOA mitzuteilen und durch dieses öffentlich zugänglich zu machen.200 Gläubiger, die legitime Verträge mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten abschließen wollen, können damit erkennen, auf welche Probleme sie ein besonderes Augenmerk richten müssen, während für den Schuldner ein Anreiz besteht, den Vertragszweck einzuhalten, um nicht für spätere Verträge diskreditiert zu werden. Um sicherzustellen, dass das Registrierungserfordernis nicht umgangen wird, ist die Registrierung als Teil der verantwortlichen Kontrahierung Wirksamkeitsvoraussetzung für mit einem klassifizierten Staat geschlossene Verträge. Zum Ausschluss der Registrierung von Unzutreffendem ist dem Schuldner die Möglichkeit einzuräumen, eine Gegendarstellung beim CPOA registrieren zu lassen. In der Folge kann er gerichtlich feststellen lassen, dass er sich vertragsgemäß verhalten hat, sei es im Wege der Klage auf Vertragserfüllung (z. B. auf Auszahlung der nächsten Kredittranche) oder im Wege einer Feststellungsklage, bei der sich das Feststellungsinteresse aus der Reputation für zukünftige Vertragsschlüsse ergibt. Auch die entsprechenden Gerichtsurteile sind dann beim CPOA zu registrieren. 199  Vgl. auch die (weniger präzisen) Berichtspflichten im Rahmen der Äquatorprinzipien, oben, Kapitel 4 C.III.2.a)bb). 200  Vgl. auch den Vorschlag einer „Sovereign Finance Website“ von Wong, ­Sovereign Finance, S. 151 f.



D. Institutionelle und prozedurale Ausgestaltung379

III. Vetoklausel im Interesse der Konventionsstaaten? Es ist denkbar, dass das vorliegende Lösungsmodell Vorbehalten seitens möglicher Konventionsstaaten begegnet (vgl. zu den möglichen Staaten unten, E.I.). Fraglich erscheint insbesondere, ob Staaten die Entscheidung, welche Regime als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert werden können, auf ein unabhängiges Expertengremium übertragen werden, auf dessen Entscheidungen sie keinen weiteren Einfluss haben.201 Für eine solche Übertragung sprechen gute Gründe, wie etwa die Entpolitisierung der Entscheidungsfindung. Zudem beinhaltet das Lösungsmodell mit dem Begriff der systematischen und schwerwiegenden Verletzungen von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht bzw. der schwerwiegenden und systemischen Korruption präzise vorgegebene, auf universellen Werten beruhende Entscheidungsgrundlagen, die den Ermessensspielraum des CPOA eingrenzen. Nichtsdestotrotz ist eine Ablehnung der Konvention aus den genannten Gründen denkbar. Dies könnte durch den Mechanismus einer Vetoklausel verhindert werden. Innerhalb von sieben Tagen ab der Klassifizierung eines Staates als Odious-Debts-verdächtig könnten die Vertragsstaaten der Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge mit einfacher Mehrheit in öffentlicher Abstimmung (one state – one vote) beschließen, dass der entsprechende Staat nicht als Odious-Debts-verdächtig zu klassifizieren sei. Das Abstimmungsverhalten sowie die Begründung sind zu veröffentlichen. Die Konventionsstaaten müssten damit die ausdrückliche Entscheidung treffen, Geschäfte mit einem Staat, der systematisch und schwerwiegend Menschenrechte oder humanitäres Völkerrecht verletzt, oder bei dem Transaktionen ganz überwiegend von Korruption begleitet sind, nicht einschränken zu wollen, und dies gegenüber der Zivilgesellschaft begründen. Durch die öffentliche Nachvollziehbarkeit der Entscheidung wird sichergestellt, dass die Konventionsstaaten nicht regelmäßig aus strategischen Gründen, sondern nur in gut begründeten Ausnahmefällen die Entscheidung des CPOA revidieren. Heben die Konventionsstaaten die Entscheidung des CPOA nicht auf, so gilt der klassifizierte Staat ab der Entscheidung des CPOA als Odious-Debts-verdächtig. Dadurch wird verhindert, dass unredliche Gläubiger während der einwöchigen Entscheidungsfrist noch wirksame Verträge abschließen können. Da die hier dargestellte Vetoklausel dennoch eine Einschränkung der Wirksamkeit der CPOA mit sich bringt, sollte ihre Aufnahme nur optional für den Fall anderweitiger mangelnder Zustimmung erwogen werden.

201  So

Feibelman, N.C.L.Rev. 2007(85), 727, 745.

380 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

E. Umsetzung des Modells und Implementierung in das nationale Recht Damit das hier vorgeschlagene Lösungsmodell wirksam werden kann, bedarf es der Annahme der ICPOA durch eine Mindestzahl wirtschaftlich bedeutender Staaten. Obgleich eine Regelung auf internationaler Ebene in der Vergangenheit nicht erfolgt ist, besteht aus mehreren Gründen Hoffnung, dass sich die Staatengemeinschaft dieser Problematik in Zukunft annehmen wird. So gewinnt die Thematik durch Ereignisse der Zeitgeschichte immer wieder an Relevanz, wie etwa der Verlauf des noch keineswegs abgeschlossenen „Arabischen Frühlings“ zeigt. Indem die Problematik der Schulden postdiktatorischer Staaten sowie die Beteiligung skrupelloser Gläubiger aus Industriestaaten auch in der Tagespresse diskutiert werden,202 spielt die Thematik auch in der Zivilgesellschaft eine Rolle, was von Nichtregierungsorganisationen wie erlassjahr.de oder dem Center for Global Development sowie von Kirchen aufgegriffen wird. Konsequenterweise nehmen sich Staaten wie Norwegen, aber auch Gremien der Vereinten Nationen, der UNCTAD und der Weltbank der Thematik an.203 Darüber hinaus besteht eine lebhafte wissenschaftliche Debatte, zu welcher die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten will, indem sie bedeutende inhaltliche Zweifel an der Möglichkeit der Gestaltung eines konsistenten Lösungsmodells ausräumt. Neben den moralischen Gründen204 sprechen schließlich auch wirtschaft­ liche Erwägungen für eine Regelung der Materie, die zu mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten führt.205 Im Folgenden sollen der mögliche Abschluss der ICPOA und die Beteiligung an dieser skizziert werden (Abschnitt I.). Abschnitt II. beschäftigt sich mit der Umsetzung der Konvention in das nationale Recht; Abschnitt III. befasst sich sodann mit der Frage, ob die Anwendung der Konvention zur Verletzung geltenden Rechts führen würde.

I. ICPOA – Abschluss und Beteiligung Wie festgestellt, ist es für ein Lösungsmodell zwar wünschenswert, nicht aber notwendig, dass die gesamte oder auch nur eine Mehrheit der Staatenwelt an der Konvention beteiligt ist. Hinsichtlich der Legitimität folgt dies daraus, dass die Konvention auf international anerkannte Rechtsprinzipien verweist.206 Bezüglich der Wirksamkeit ist festzustellen, dass bereits die 202  Vgl.

nur die Nachweise in Fn. 8. die Nachweise in Kapitel 1 A.I.3.a). 204  s. o. Kapitel 1 C. 205  Wong, Sovereign Finance, S. 158. 203  Vgl.



E. Umsetzung des Modells und Implementierung in das nationale Recht381

Umsetzung durch einige wirtschaftlich bedeutsame Staaten einen mit der Verweigerung odiöser Schulden einhergehenden Reputationsverlust auszuschließen vermag und auch für Gläubiger aus Nicht-Konventionsstaaten bedeutende Anreize setzt, keine odiösen Verträge einzugehen.207 Während der Anspruch der Konvention also universell sein sollte, würde es genügen, dass zunächst eine Reihe gleichgesinnter Staaten die Konvention abschließt, während weitere Staaten der Konvention sukzessive beitreten können. Dementsprechend könnte die Konvention einen Monat nach ihrer fünfzehnten Ratifikation in Kraft treten. 206

Dessen ungeachtet käme einer Annahme auf UN-Ebene höchstmögliche Legitimation zu und wäre trotz gegenläufiger Interessen nicht ausgeschlossen. Wie im Fall des ebenfalls umstrittenen Arms Trade Treaty könnte der Konventionstext auf einer internationalen Konferenz angenommen und von der UN-Generalversammlung verabschiedet werden;208 die nachfolgende Ratifikation würde den UN-Mitgliedsstaaten anheimgestellt, was die Legitimation der Konvention erhöhen würde, ohne abgeneigte Staaten unmittelbar zu binden. Naheliegend scheint die Annahme der Konvention zunächst durch die 34 OECD-Staaten209 (sei es im Rahmen der UN oder auf eigene Initiative hin), welche sich durch einen ähnlichen politischen und wirtschaftlichen Hintergrund auszeichnen. Darunter finden sich auch alle ehemaligen G7-Staaten, deren Wirtschaftsleistung gemeinsam nahezu die Hälfte des Weltsozialprodukts ausmacht,210 sowie die Mehrheit der EU-Staaten und das für eine Auseinandersetzung mit der Problematik illegitimer Schulden engagiert werbende Norwegen. Gleichzeitig wären Staaten erfasst, in denen die Mehrheit von Finanzgeschäften abgeschlossen werden.211 Sollte sich ein EU-weiter Konsens zum Umgang mit odiösen Verträgen herausbilden, könnte auch von der Europäischen Union der Impuls zu einem möglichst breit angelegten Konventionsschluss ausgehen. Unabhängig von ihrer Wirtschaftsleistung sollten jedoch auch weitere Staaten dafür gewonnen werden, insbesondere auch Entwicklungsländer, die 206  Vgl.

oben, Kapitel 4 B. oben, Kapitel 1 C.I.4. 208  Vgl. für den Arms Trade Treaty Resolution A / RES / 67 / 234 B, 11.  Juni 2003; in diese Richtung auch Lewis, B.U.Int’l L.J. 2007(25), 297, 333, der allerdings eine Regelung im Rahmen der Staatensukzession befürwortet. 209  So auch Jayachandran u. a., Applying the Odious Debts Doctrine Working Paper, S. 23; Wyler, U. Pa. J. Int’l L. 2008(29), 947, 952 f. und 983 f., wobei letzterer maßgeblich auf die G8 abstellt, welche aufgrund des Mitwirkens Russlands jedoch weniger geeignet scheint. 210  Vgl. die Daten der Weltbank, abrufbar unter http: /  / data.worldbank.org / indica tor / NY.GDP.MKTP.CD. 211  Vgl. Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 8 f. 207  Vgl.

382 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

eigene Erfahrungen mit odiösen Schulden einbringen könnten und denen das Lösungsmodell ein höheres Maß an Rechtssicherheit als bisherige Ansätze bietet. Je besser sich das Modell in der Praxis etabliert hat, desto wahrscheinlicher scheint es, dass weitere Staaten der Konvention beitreten werden, um ein Signal gegen odiöse Vertragsschlüsse zu setzen und selbst bessere Mitwirkungsrechte zu erhalten. Sinnvoll wäre schließlich auch eine Konventionsteilnahme durch internationale Finanzinstitutionen, insbesondere IWF und Weltbank. Bei diesen bildet sich ohnehin ein Trend heraus, bei der Kreditvergabe menschenrechtliche Auswirkungen der finanzierten Projekte sowie Korruption stärker in den Blick zu nehmen. Auch haben die potentiell der ICPOA zugewandten Staaten ein großes Stimmgewicht im Rahmen der Institutionen, sodass diese auf den Beitritt, zumindest aber auf einen besonders kritischen Umgang mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten hinwirken können.

II. Pflichten in der Konvention und Umsetzung ins nationale Recht Damit die Unwirksamkeit odiöser Schulden in das nationale Recht umgesetzt wird, sind in die Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge entsprechende Verpflichtungen aufzunehmen. Odiöse Verträge im Sinne der Konvention sind solche Verträge, die mit einem als Odious-Debts-verdächtig klassifiziertem Regime, einer öffentlichen Körperschaft oder einem öffentlich kontrollierten Unternehmen eines solchen Staates (vgl. oben, Kapitel 1 A.II.2.) unter Missachtung der Prinzipien verantwortlicher Kontrahierung eingegangen wurden. Die Vertragsparteien der ICPOA verpflichten sich, individuell und im Rahmen internationaler Zusammenarbeit keine odiösen Verträge abzuschließen, für solche Verträge keine Bürgschaften zu geben, odiöse Verträge als unwirksam zu behandeln und an die Nichterfüllung odiöser Verträge keine negativen Konsequenzen zu knüpfen.212 Aufgrund eines odiösen Vertrages ergangene gerichtliche, schiedsgerichtliche oder sonstige Vollstreckungstitel werden in den Vertragsstaaten nicht vollstreckt. Durch die Einbeziehung internationaler Zusammenarbeit kann gewährleistet werden, dass auch seitens internationaler Organisationen keine odiösen Verträge geschlossen werden. Das auf Grundlage odiöser Verträge Geleistete kann vom Gläubiger nicht zurückgefordert werden. Da auch bereits erfüllte odiöse Verträge eine Belastung für den Haushalt des Schuldnerstaates darstellen, ist diesem das Recht einzuräumen, die Rückabwicklung solcher Verträge zu verlangen, nachdem seine Klassifizierung als Odious-Debts212  Vgl. auch die teilweise ähnliche Modell-Erklärung bei Center for Global Development, Preventing Odious Obligations, S. 23.



E. Umsetzung des Modells und Implementierung in das nationale Recht383

verdächtig aufgehoben wurde, wodurch sogleich die Anreizwirkung für Gläubiger reduziert wird, kurzfristig zu erfüllende Verträge abzuschließen (s. o. Kapitel 3 B.VII.3.). Die Umsetzung ins nationale Recht ist den Konventionsstaaten überlassen und hängt davon ab, welche Geltung dem Völkerrecht in der jeweiligen Rechtsordnung zukommt. Denkbar ist, dass die Konventionsstaaten ihr nationales Recht ändern oder der Konvention unmittelbare Wirkung zukommen lassen. Die unmittelbare Wirkung müsste sich dann allerdings im Konventionstext niederschlagen (z. B. „odiöse Verträge sind unwirksam“ anstelle einer staatlichen Pflicht, solche als unwirksam zu behandeln). In Deutschland wäre es beispielsweise möglich, das Umsetzungsgesetz derart auszugestalten, dass der Abschluss odiöser Verträge im Sinne der Konvention als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten festgelegt wird, sodass der entsprechende Vertrag gem. §  134 bzw. § 138 Abs. 1 BGB nichtig wäre, ohne dass es einer Änderung des BGB bedürfte. Hinsichtlich der Vollstreckbarkeit ausländischer Titel könnte das Gesetz festschreiben, dass der Anerkennung eines solchen die öffentliche Ordnung entgegensteht; diese Wertung kann dann im jeweiligen Anerkennungsverfahren z. B. nach Maßgabe des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO oder des Art. 5 (2) (b) der New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche einfließen, ohne dass einzelne Gesetze geändert werden müssten.

III. Verletzung von Völkerrecht durch die Anwendung des Lösungsmodells? Haben mehrere Konventionsstaaten (als Beispiel A, B und C) die Geltung der Odious-Debts-Doktrin anerkannt, dann könnte der Schuldnerstaat (S) nach einem Regimewechsel auch gegenüber einem Gläubigerstaat (G), der die Doktrin nicht anerkannt hat, die Erfüllung verweigern, ohne Reputa­ tionsverluste bei A, B und C zu befürchten mit der Folge, dass er gegenüber A, B und C weiterhin Kredite aufnehmen und Verträge eingehen könnte. Problematisch ist dabei, inwiefern sich S gegenüber G durch seine Zahlungsverweigerung rechtswidrig verhalten würde, weil er Verträge nicht einhält oder Eigentumsrechte verletzt. Wie die Ausführungen in Kapitel 2 ergeben, ist die Verweigerung odiöser Verträge de lege lata nicht vollständig ausgeschlossen. Vielmehr bestehen für S vielfältige Ansatzpunkte, die Unwirksamkeit von Verträgen mit G geltend zu machen, die von der Verletzung von ius cogens über Korruption und entgegenstehendes Verfassungsrecht bis hin zur Geltendmachung privatrechtlicher Rechtsgrundsätze reichen. Dass dennoch dringend für eine Regelung der Thematik plädiert wurde, ergibt sich besonders daraus, dass die Anwendung geltenden Rechts aufgrund von

384 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

dessen Unklarheit höchstwahrscheinlich einen Reputationsverlust des Schuldners nach sich ziehen würde, welcher durch das vorgeschlagene Lösungsmodell hingegen vermieden würde. S könnte sich gegenüber G folglich auf die in Kapitel 2 diskutierten rechtlichen Ansätze der Odious-DebtsDoktrin berufen und diese auch einer gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche entgegenhalten, ohne einen Reputationsverlust fürchten zu müssen. Selbst wenn dies nicht in allen Fällen erfolgreich zur Unwirksamkeit der Verträge führen würde, ließe sich so die Summe der wirksamen odiösen Schulden deutlich reduzieren, ohne dass dadurch zukünftige Vertragsschlüsse beeinträchtigt würden. Ebenso stellt sich die Frage, ob sich A, B und C gegenüber G rechtswidrig verhalten, wenn sie die Vollstreckung des Anspruchs von G gegen S in Vermögen, welches in ihrem Hoheitsgebiet belegen ist, mit Verweis auf die Odious-Debts-Doktrin verweigern. Staaten steht es aber grundsätzlich frei, die Vollstreckung ausländischer Ansprüche unter den Vorbehalt ihres jeweiligen ordre public zu stellen.213 So sieht beispielsweise die von 148 Staaten ratifizierte New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in Art. 5 (2) (b) ausdrücklich vor, dass die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs versagt werden kann, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruches der öffentlichen Ordnung der Vertragspartei widersprechen würde; ähnliche Regelungen enthielt Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ, vgl. jetzt Art. 34 EuGVVO. Da das hier vorgeschlagene Lösungsmodell nur auf zukünftige Schulden anwendbar ist, wäre zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen G und S für G zudem bereits absehbar, dass ein odiöser Vertrag in Zukunft nicht in das bei A, B oder C befindliche Vermögen vollstreckt werden können wird, sodass in der Verweigerung der Vollstreckung keine Rechtsverletzung gesehen werden kann. Problematisch ist schließlich, ob internationale Investitionsschutzabkommen dem Lösungsmodell entgegenstehen. Zunächst müsste überhaupt ein bilaterales Investitionsabkommen (Bilateral Investment Treaty, BIT) zwischen dem Schuldnerstaat und dem Sitzstaat des Gläubigers bestehen. Nordkorea beispielsweise hat nur 13 solcher Abkommen geschlossen, davon 5 mit EU-Staaten.214 Liegt ein solches Abkommen vor, stellt sich dann die Frage, ob der odiöse Vertrag eine Investition im Sinne des BITs darstellt. Eine Vielzahl von Verträgen, die typischerweise unter BITs fallen, stellen keine odiösen Verträge dar, weil sie weder mit dem Odious-Debts-verdächtigen Staat abgeschlossen werden noch diesem zuzurechnen sind. So führt 213  Vgl.

für das deutsche Recht § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. die von der UNCTAD erstellte Liste der BITs nach Land, abrufbar unter http: /  / www.unctadxi.org / templates / DocSearch.aspx?id=779. 214  Vgl.



E. Umsetzung des Modells und Implementierung in das nationale Recht385

die Gründung eines privaten Unternehmens im klassifizierten Staat nicht zu einer Verbindlichkeit des Staates, mit der Folge, dass es sich um keine öffentliche Schuld handelt. Umgekehrt ist bei einer Vielzahl odiöser Verträge fraglich, ob diese als Investition zu qualifizieren sind. Die Definition der Investition ist dem jeweiligen BIT zu entnehmen; in der Regel sind darunter Vermögenswerte zu verstehen, die von Investoren der einen Vertragspartei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei dauerhaft angelegt werden.215 Typischerweise handelt es sich hier um Beteiligungen an Gesellschaften, Kapitalanlagen oder Konzessionen.216 Kauf-, Werk- und ähnliche Verträge, die mit ihrer Durchführung erfüllt sind, fallen daher mangels Langfristigkeit nicht unter den Investitionsschutz; ob Kredite Investitionen darstellen, ist umstritten.217 Jedenfalls aber sind Erwerb und Nutzung von Konzessionen sowie finanzielle Beteiligungen an staatlichen Unternehmen oder Projekten wie etwa der Bau eines Staudammes als Investitionen anzusehen. Wird die Investition als unwirksam behandelt, weil es sich um einen odiösen Vertrag handelt (z. B. weil der Bau zur Vertreibung Indigener führte oder die Einnahmen nur der persönlichen Bereicherung der Regierung zugute kommen), stellt sich die Frage, ob die Verweigerung der Vertragserfüllung durch den Schuldnerstaat eine Verletzung des BITs darstellt. Hier ist von Bedeutung, welchen Schutz das BIT dem Investor bietet. Relevant für die Fälle odiöser Verträge ist der Anspruch auf gerechte und billige Behandlung („fair and equitable treatment“).218 Der weite Rechtsbegriff des fair and equitable treatment wird von den Schiedsgerichten unter Gesamtschau der ein Verhalten motivierenden Umstände betrachtet219 und beispielsweise dann als verletzt angesehen, „when it is shown that an investor has been treated in such an unjust or arbitrary manner that the treatment rises to the level that is unacceptable from the international perspective … The determination must also take into account any specific rules of international law that are applicable to the case.“220 Die Verweigerung, odiöse Verträge zu bedienen, welche entgegen der Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge nicht nachweislich zum Nutzen der Bevölkerung des 215  Griebel, Investitionsrecht, S. 62 ff. m. w. Nachw.; zum Begriff der Investition im Rahmen der International Convention on the Settlement of Investment Disputes (ICSID Convention), der nach verbreiteter Ansicht ebenfalls eine gewisse Langfristigkeit voraussetzt, s. Cole / Vaksha, LJIL 2011(24), 305, 314 f. 216  Griebel, Investitionsrecht, S. 62. 217  Waibel, Sovereign Defaults, S. 212  ff., insbes. 216  ff.; vgl. aber den USamerikanischen Modell-BIT, Auszüge bei McLachlan u. a., Investment, para. 6.28. 218  Vgl. McLachlan u. a., Investment, para. 7.76 ff. 219  Griebel, Investitionsrecht, S. 70. 220  S.D. Myers Inc. v. Government of Canada, Partial Award, 13. November 2000, para. 263.

386 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

Schuldnerstaates, sondern zulasten von deren international anerkannten Menschenrechten eingegangen wurden, kann schwerlich als ungerecht oder willkürlich gewertet werden. In anderen Entscheidungen ist von „the protection of the investor’s legitimate expectation“ die Rede;221 auch hier stellt sich die Frage, wie legitim die Rückzahlungserwartungen des Vertragspartners eines systematisch menschenrechtswidrig handelnden Regimes sein können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es der Investor selbst in der Hand hatte, unter Einhaltung der Prinzipien verantwortlichen Kontrahierens einen wirksamen Vertragsschluss herbeizuführen. Im aus dem BIT resultierenden Schiedsverfahren könnte der Schuldnerstaat zudem je nach den konkreten Umständen geltend machen, der Vertrag sei wegen Korruption, Verstoßes gegen zwingendes Völkerrecht oder aus anderen, in Kapitel 2 dargestellten Gründen unwirksam. Gegenüber Investoren aus einem Konventionsstaat der ICPOA scheint die Verletzung eines BIT zudem deswegen fernliegend, weil für den Investor zum Zeitpunkt der Investition bereits feststand, dass sein Heimatstaat die Verbindlichkeit nicht anerkennen würde. Dafür sprechen auch Sinn und Zweck der Konventionen: Beim BIT handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen dem Heimatsstaat des Investors und dem Gastgeberstaat, mit welchem der Gastgeberstaat dem Heimatstaat garantiert, dass er für Investitionen bestimmte Standards einhalten wird. Tritt der Heimatstaat nun der Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge bei, so macht er damit deutlich, dass er odiöse Verträge mit dem Gastgeberstaat in Zukunft nicht als wirksam und schutzwürdig betrachtet. Den Gastgeberstaat zu verpflichten, dem Investor nun gleichwohl Rechte unter dem BIT einzuräumen, würde der Absicht des Heimatstaates widersprechen.

F. Zusammenfassung des Lösungsmodells Die zukünftige222 Entstehung wirksamer Verträge, die den grundlegenden Interessen der Bevölkerung des Schuldnerstaates entgegenlaufen, soll wie folgt verhindert werden: Grundlage des Lösungsmodells ist die Internationale Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge (International Convention on the Prevention of Odious Agreements, ICPOA), dessen Unterzeichner im Idealfall eine weite geografische, kulturelle, wirtschaftliche und politische Vielfalt widerspiegeln. Für die Wirksamkeit der Konvention ist allerdings auch die Ratifikation durch nur einige wirtschaftlich bedeutende Staaten ausreichend. Die Konvention sieht vor, dass Verträge, die nach dem 221  McLachlan u. a.,

Investment, para. 7.99, 7.101 ff. m. w. Nachw. rückwirkende Anwendung begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken, vgl. oben, Kapitel 4 B.III. 222  Eine



F. Zusammenfassung des Lösungsmodells387

Inkrafttreten der ICPOA eingegangen werden, unwirksam sind, wenn sie mit einem als Odious-Debts-verdächtig klassifizierten Staat abgeschlossen werden, es sei denn, der Vertrag entspricht den Voraussetzungen verantwortlicher Kontrahierung. Die Vertragsparteien der ICPOA verpflichten sich, keine odiösen Verträge abzuschließen, keine Bürgschaften für solche Verträge einzugehen, odiöse Verträge als unwirksam zu behandeln und an die Nichterfüllung odiöser Verträge keine negativen Konsequenzen zu knüpfen. Aufgrund odiöser Verträge ergangene gerichtliche, schiedsgerichtliche oder sonstige Vollstreckungstitel werden in den Vertragsstaaten nicht vollstreckt, aufgrund eines odiösen Vertrags Geleistetes kann vom Gläubiger nicht zurückgefordert werden. Die Konventionsstaaten wirken darauf hin, dass auch seitens internationaler Institutionen keine odiösen Verträge geschlossen werden. Voraussetzung für die Klassifizierung eines Staates als Odious-Debtsverdächtig ist, dass dieser sich entweder schwerwiegender und systematischer Verletzungen („serious and systematic violations“) von Menschenrechten bzw. humanitärem Völkerrecht schuldig macht, oder dass in diesem schwerwiegende und systemische Korruption im öffentlichen Sektor („serious and systemic corruption“) herrscht. Internationale Menschenrechte und Korruption stellen Rechtsfiguren dar, die unmittelbar maßgeblich für die Bewertung sind, ob ein Vertrag Bevölkerungsinteressen entspricht, und international universell Berücksichtigung finden. Der Begriff der schwerwiegenden und systematischen Verletzungen von Menschenrechten oder humanitärem Völkerrecht impliziert die Berücksichtigung von Quantität und Qualität der Verletzungen (Schwere und Häufigkeit der Verletzungshandlungen) sowie der zugrunde liegende Intention (planmäßiges staatliches Handeln bzw. Unterlassen). Schwerwiegende und systemische Korruption ist anzunehmen, wenn es sich bei der Korruption im Schuldnerstaat nicht nur um Einzelfälle handelt, sondern diese eher die Regel als die Ausnahme ist („systemisch“), und wenn die Korruptionsakte von solchem Gewicht sind, dass sie eine massive Auswirkung auf die Staatsverschuldung haben können („schwerwiegend“). Dabei ist unter Korruption Missbrauch öffentlicher Macht zum privaten oder politischen Nutzen in einer in Art. 15 bis 20 der UN-Konvention gegen Korruption genannten Weise zu verstehen. Die Verpflichtungen der zu beurteilenden Staaten hinsichtlich Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht richten sich je nach Ratifikationsstand nach dem ICCPR, dem ICESCR, der ICERD, der CEDAW, der CAT, der CRC mit Zusatzprotokollen 1 und 2, der CRPD, der Anti-Genozid-Konvention, der Anti-Apartheids-Konvention und den Genfer Abkommen Nr. 1 bis 4 mit Zusatzprotokollen 1 und 2 sowie ergänzend nach den einschlägigen Bestimmungen des Völkergewohnheitsrechts. Die Bewertung von Rechtsverletzungen im zu klassifizierenden Staat kann anhand der Berichte

388 Kap. 4: International Convention on the Prevention of Odious Agreements

der Vertragsorgane der Menschenrechtskonventionen sowie anhand der Berichte von anderen internationalen Akteuren (Special Procedures des UNMenschenrechtsrates, UN-Generalversammlung, UN-Sicherheitsrat, regionale Organisationen) und Nichtregierungsorganisationen vorgenommen werden. Zur Beurteilung des Vorliegens schwerwiegender und systemischer Korruption im öffentlichen Sektor kann auf eine Vielzahl von Berichten zurückgegriffen werden, die von auf Governance und Korruption spezialisierten Institutionen wie der African Development Bank, der Weltbank und verschiedenen Forschungseinrichtungen sowie von Organisationen wir Transparency International erstellt werden, sowie auf Berichte und öffent­ liche Stellungnahmen anderer relevanter Akteure. Zuständig für die Klassifizierung von Staaten ist das aufgrund der Konvention einzurichtende Committee on the Prevention of Odious Agreements (CPOA), welches sich aus zwei Unterausschüssen (Sub-Committee on Human Rights and Humanitarian Law, CPOA-HR, und Sub-Committee on Corruption, CPOA-CO) zusammensetzt und durch ein ständiges Sekretariat unterstützt wird. Die Unterausschüsse sind mit je 18 unabhängigen Experten auf dem jeweiligen Gebiet zu besetzen, von denen turnusmäßig 12 Mitglieder mit qualifizierter Zwei-Drittel-Mehrheit entscheiden. Die Experten sollen über professionelle Erfahrung im jeweiligen Bereich verfügen und idealerweise auch juristisch erfahren sein. Die Sitzungen des CPOA finden regelmäßig und zusätzlich nach Bedarf statt, um eine der aktuellen Lage im Schuldnerstaat entsprechende Klassifizierung zu gewährleisten. Das Verfahren der Entscheidungsfindung ist so auszugestalten, dass alle Betroffenen – insbesondere Vertreter des Schuldnerstaates, von Konventionsstaaten, von relevanten internationalen Organisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen – in den Prozess mit einbezogen werden. Obwohl ein Staat erst dann als Odious-Debts-verdächtig klassifiziert wird, wenn generell die Vermutung besteht, dass er Verträge entgegen den Interessen der Bevölkerung abschließt, sind wirksame Vertragsschlüsse mit einem als Odious-Debts-verdächtig klassifizierten Staat möglich, wenn die Verträge nachweislich zugunsten der Bevölkerung abgeschlossen und durchgeführt werden. Die Verträge sowie die bei der Durchführung auftretenden Schwierigkeiten sind beim Sekretariat des CPOA in öffentlich zugänglicher Form zu registrieren, um verdächtige Verhaltensmuster aufzudecken und die Sorgfaltspflichten nachfolgender Gläubiger zu konkretisieren. In den ist Vertrag zunächst ein Vertragszweck aufzunehmen, welcher als für die Bevölkerung nützlich angesehen werden kann. Anstelle einer für den Einzelfall wenig flexiblen Positiv- oder Negativliste sind folgende Aspekte bei der Beurteilung der Nützlichkeit zu berücksichtigen: Zweck und Inhalt des einzelnen Vertrages, die Natur des Schuldnerstaates sowie dessen bisheriges Verhalten, das Maß der Überprüfbarkeit der Mittelverwendung und schließ-



F. Zusammenfassung des Lösungsmodells389

lich die Begleitumstände (s. im Einzelnen oben, C.II.2.). Ergibt sich aufgrund dieser Kriterien, dass der Vertrag im Interesse der Bevölkerung eingegangen wird, so ist weiterhin zu gewährleisten, dass der im Vertrag vereinbarte Zweck eingehalten wird. Dies erfolgt durch die Anwendung der neu entwickelten Prinzipien Odious-Debts-spezifischer verantwortlicher Kontrahierung, welche sich an die bereits in der Entwicklungszusammenarbeit und im Rahmen der Äquatorprinzipien ausgeübte Überprüfungspraxis anlehnen. Zunächst sind bestimmte Grundelemente in den Vertrag aufzunehmen, nämlich Vertragsinhalt und -zweck, Implementierungsplan, Ausstiegsklauseln und Bestimmungen über Rechtswahl und Gerichtsstand (vgl. im Einzelnen oben, C.III.2.b)aa)). Sodann ist in einem dem jeweiligen Vertrag angemessenen Maß die Mittelverwendung zu überprüfen, bei sukzessiv zu erfüllenden Verträgen beispielsweise durch Überprüfung der Verwendung bisheriger Mittel vor der jeweils nächsten Lieferung bzw. Auszahlung. Auch kann eine nachträgliche Kontrolle notwendig sein. Die Überprüfungszeiträume richten sich dabei nach der jeweiligen Missbrauchsgefahr; stellt sich eine Verletzung des Vertragszweckes heraus, so ist der Vertrag zu kündigen und das Scheitern des Vertrages an das CPOA zu melden, wo zukünftige Gläubiger bisherige Probleme einsehen können; dies wirkt sich wiederum auf deren Sorgfaltspflichten aus. Verweigert der Schuldnerstaat zu einem späteren Zeitpunkt, etwa nach einem Regimewechsel, die Erfüllung ausstehender Ansprüche, kann der Gläubiger die Erfüllung des Vertrages vor einem zuständigen nationalen Gericht erstreiten. Hier hat der Gläubiger den Nachweis zu führen, dass er seinen Sorgfaltspflichten im Rahmen verantwortlicher Kontrahierung nachgekommen ist. Mit der Zeit werden sich somit einheitliche Standards für die verschiedenen Fälle legitimer Verträge mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten herausbilden. Ein entsprechender Konventionsentwurf für die ICPOA findet sich am Ende dieser Arbeit (S. 405 ff.).

Kapitel 5

Zusammenfassung und Konventionsentwurf A. Ergebnisse der Untersuchung Die Fragestellung, ob von Regierungen zweifelhafter Legitimität zum Schaden der Bevölkerung eingegangene Verträge uneingeschränkt wirksam sind, könnte aktueller nicht sein. Mögliche Präzedenzfälle reichen zurück in das 17. Jahrhundert, haben aber durch Ereignisse wie den Regimewechsel im Irak und jüngst den Arabischen Frühling neu an Relevanz gewonnen. In jedem dieser Fälle stellt sich die Frage, ob die Bevölkerung eines postdiktatorischen Staates mit Schulden belastet sein soll, die zu deren Unterdrückung eingegangen wurden, während gleichzeitig das Geld zur Erfüllung wichtiger sozialer Zwecke fehlt. Einen Ansatzpunkt bietet die OdiousDebts-Doktrin, der zufolge bestimmte, bevölkerungswidrig verwendete Schulden unwirksam sein sollen. Im Folgenden sollen Gang und Ergebnisse der Untersuchung nachgezeichnet und zusammengefasst werden.

I. Grundlegendes zur Figur der odiösen Schulden In Kapitel 1 wurde der Gegenstand der Untersuchung genauer dargestellt. Unter Odious Debts sind nach der klassischen, von Alexander N. Sack geprägten Definition solche Schulden zu verstehen, die im Widerspruch zu den Interessen der Bevölkerung des gesamten oder eines Teils des Schuldnerstaates eingegangen und verwendet wurden, vorausgesetzt, der Gläubiger hatte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses von der beabsichtigten Verwendung Kenntnis; im Falle der Staatensukzession sollen diese Schulden unwirksam sein. Um die Untersuchung nicht auf bestimmte Arten von Schulden zu reduzieren, wurden über die Fälle von Staatensukzession hinaus alle Staatsschulden, deren rechtlicher Bestand wegen Verstoßes gegen das Bevölkerungsinteresse problematisch ist, zum Gegenstand der Untersuchung erklärt. Der Begriff der Staatsschulden ist weit zu verstehen (s. Kapitel 1 A.II.). Schulden sind alle Verbindlichkeiten gleich welchen Ursprungs. Auf die Frage, ob Grund der Verbindlichkeit ein Kreditvertrag ist oder ob die Verbindlichkeit finanzieller Natur ist, kann es nicht ankommen, da auch andere Schulden dem Bevölkerungsinteresse zuwiderlaufen können. Damit es sich



A. Ergebnisse der Untersuchung391

um staatliche Schulden handelt, ist erforderlich, dass der Staat oder eine seiner Untereinheiten auf Schuldnerseite in Erscheinung tritt, sei es als Vertragspartner, als Bürge oder als Inhaber der Mehrheit an einer juristischen Person des Privatrechts. Denn in allen diesen Fällen hätte die Wirksamkeit odiöser Schulden negative Auswirkungen auf das Budget des Schuldnerstaates. Die Problematik der odiösen Schulden war mitverwandten Problemstellungen in Bezug zu setzen und gleichzeitig von diesen abzugrenzen (Kapitel 1 B.). Die Doktrin erlangt Bedeutung als klarer Unterfall der weniger greifbaren Figur der illegitimen Schulden, als Argument für einen Schuldenerlass, als Gegenstand der Feststellungen im Rahmen eines Staateninsolvenz­ verfahrens sowie als Motivation für eine verantwortungsvolle Kreditvergabe. Insgesamt ist festzustellen, dass die Odious-Debts-Doktrin alleine keine umfassende Lösung des Problems darstellen kann, wie mit diktatorischen Staaten umzugehen ist, aufgrund ihrer wirtschaftlichen Relevanz für solche und ihrer Vernetzung mit anderen Problembereichen aber einen entscheidenden Beitrag leisten kann. Kapitel 1 endet mit der Frage, ob die Geltung der Odious-Debts-Doktrin wünschenswert wäre (Kapitel 1 C.). Die Analyse ethischer, (staats-)philosophischer und politischer Argumente, aber auch die Berücksichtigung rechtlicher und ökonomischer Prinzipien führt zu dem Ergebnis, dass die Unwirksamkeit odiöser Schulden moralisch geboten, rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Weder das mögliche Unterlaufen durch die Doktrin ablehnende Staaten noch die Fungibilität des Geldes sprechen gegen die Geltung der Rechtsfigur, weil der Bevölkerung des Schuldnerstaates jedenfalls nach einem Regimewechsel im Fall der Unwirksamkeit odiöser Schulden mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stünden als bei deren Wirksamkeit. Die Annahme, die Rechtsfigur führe zu einer „Austrocknung“ menschenverachtender Regime, begegnet allerdings Bedenken.

II. Der rechtliche Status der Odious-Debts-Doktrin Kapitel 2 beschäftigte sich mit der Wirksamkeit odiöser Schulden. Vorangegangen war die Feststellung, dass maßgeblich für die Bedienung von öffentlichen Schulden der Erhalt zukünftiger Kreditwürdigkeit ist. Nur wer seine bisherigen Verpflichtungen erfüllt, genießt als Schuldner eine entsprechende Reputation, die ihm die Eingehung weiterer Verbindlichkeiten mit angemessenen Risikoprämien erlaubt. Aus diesem Grund bedarf es eines klaren rechtlichen Fundaments, wenn sich ein Staat auf die Unwirksamkeit von Schulden berufen will, ohne dass dies als unrechtmäßiger Zahlungsausfall gewertet wird.

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Kap. 5: Zusammenfassung und Konventionsentwurf

Zunächst war zu untersuchen, ob undemokratische Staaten überhaupt wirksame Verbindlichkeiten eingehen können (Kapitel 2 B.I.), weil andernfalls eine Vielzahl von als odiös diskutierten Schulden schon aus diesem Grund unwirksam wären. Allerdings sprechen sowohl die internationale Staatenpraxis als auch die Regelungen der Wiener Konvention über das Recht der Verträge (WVK) für die Wirksamkeit des Handelns undemokratischer Regime. Eine Ausnahme lässt sich nur für diktatorische Staaten machen, die im offensichtlichen Widerspruch mit den Regeln innerstaat­ lichen Rechts handeln, solange diese noch nicht formell oder faktisch außer Kraft gesetzt wurden. Im Übrigen aber lässt sich weder aus dem Recht auf Selbstbestimmung der Völker noch aus dem in jüngerer Zeit diskutierten Recht auf Demokratie die Unwirksamkeit der entsprechenden Verträge herleiten. Ein weiterer Ansatzpunkt, der die wirksame Eingehung von Verträgen entfallen lassen könnte, ist die internationale Ächtung von Korruption (Kapitel 2 B.II.). Internationale und nationale Rechtsvorschriften und Gerichtsentscheidungen sprechen dafür, dass Verträge, die durch Korruption zustande kamen, unwirksam sind. Grundsätzlich kann ein Staat die Erfüllung solcher Verträge folglich verweigern und somit einen Teil seiner odiösen Schulden zurückweisen. Problematisch kann für den Schuldnerstaat im Einzelfall allerdings der Nachweis von – typischerweise nicht dokumentierter – Korruption sowie der Nachweis der Gläubigerkenntnis bei persönlicher Bereicherung eines am Vertragsschluss Beteiligten Staatenvertreters sein. Zudem ist festzustellen, dass Korruptionsfälle nur einen begrenzten Anwendungsbereich der Odious-Debts-Doktrin erfassen. Die Frage der Wirksamkeit von Verträgen, die ohne Korruption abgeschlossen werden, deren Inhalt aber aus anderen Gründen dem Bevölkerungsinteresse entgegenläuft, lassen sich mit diesen Prinzipien nicht lösen. Ist grundsätzlich von einem wirksamen Vertrag auszugehen, machen Befürworter der Odious-Debts-Doktrin dessen mangelnde Fortgeltung im Falle eines Staats- oder Regierungswechsels geltend. Folglich waren zunächst die Grundregeln zum Umgang mit Schulden in solchen Fällen zu betrachten (Kapitel 2 C.). Wenn schon ein Staats- oder Regierungswechsel zum Untergang von Verbindlichkeiten führte, bedürfte es nämlich in einer Vielzahl von Anwendungsfällen keiner Odious-Debts-Doktrin mehr. Die Materie der Staatensukzession zeichnet sich durch eine Vielfalt von Rechtsgrundlagen (diverse Konventionen und Völkergewohnheitsrecht), eine Differenzierung nach Inhalt und Parteien der jeweiligen Verträge und eine teils widersprüchliche Staatenpraxis aus. Gleichwohl ließen sich verschiedene Grundregeln herausarbeiten, welche insgesamt für eine Fortgeltung der Schulden sprechen. Die Weitergeltung ist lediglich im Falle der Sezession weniger deutlich, während in allen übrigen Fällen Schulden als weiterhin verbindlich



A. Ergebnisse der Untersuchung393

angesehen werden. Dies trifft insbesondere auf gebietsbezogene Verbindlichkeiten (radizierte Verträge sowie lokale und lokalisierte Schulden) zu. Dogmatische Gründe und die Staatenpraxis sprechen dafür, die dargestellten Regeln auch auf Verträge mit privaten Gläubigern wie etwa Banken anzuwenden. Auch Verbindlichkeiten gegenüber internationalen (Finanz-)Organisationen bleiben bestehen. Schließlich war festzustellen, dass das Vorliegen eines Regimewechsels aufgrund der Kontinuität des Schuldnerstaates ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Verbindlichkeit ist. Dem Schuldner fällt es mithin schwer, sich nach einem Staats- oder Regierungswechsel auf die generelle Unwirksamkeit von Verträgen zu berufen, um seinen Schuldenstand zu reduzieren. In Betracht kommt es aber, die Odious-Debts-Doktrin als Ausnahme von der Grundregel des Fortbestands von Verbindlichkeiten aufzufassen. So wäre es zunächst denkbar, dass das Odiöse der Schulden in der Unterstützung des Schuldnerregimes gesehen wird. Nach einem Regierungswechsel wäre es daher denkbar, dass sich der Schuldnerstaat hinsichtlich einzelner Verträge auf die clausula rebus sic stantibus beruft (Kapitel 2 C.IV.). Voraussetzung ist allerdings, dass die politische Ausrichtung des Schuldnerstaates für beide Parteien wesentliche Grundlage für den Vertragsschluss war. Dies kann bei politischen Bündnissen der Fall sein, ist aber bei wirtschaftlichen Verträgen, die nicht aus Sicht beider Vertragspartner der Stabilisierung eines bestimmten Regimes dienen, sowie bei unspezifischen Kreditverträgen abzulehnen. Der Wegfall der Geschäftsgrundlage kann folglich nur im Ausnahmefall für die Unwirksamkeit odiöser Verträge angeführt werden. Ein weiteres Argument, Schulden als odiös zu qualifizieren, ist deren Verwendung zur Verletzung von Menschenrechten. Hier kommt zunächst der Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht in Betracht (Kapitel 2 D.I.1.). Obwohl Art. 53 WVK bisher nie im Kontext odiöser Verträge angewendet wurde, bietet die Vorschrift durchaus die Möglichkeit, odiöse Verträge als nichtig anzusehen, weil sie gegen zwingende Menschenrechte verstoßen. Vieles spricht dafür, den engen Anwendungsbereich der Norm auch auf Verträge zwischen Staaten und Privaten (z. B. Banken) zu erweitern und unter Anwendung von Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit die gezielte finanzielle Unterstützung der Verletzung zwingender Völkerrechtsnormen zu erfassen. Jedoch sind zum einen nur Verstöße gegen die wenigen als zwingend angesehen Menschenrechte betroffen. Zum anderen lässt sich mit hinreichender Sicherheit nur in solchen Fällen von der Unwirksamkeit ausgehen, in denen im Vertrag die Unterstützung der völkerrechtswidrigen Handlung vorgesehen ist. In den praktisch relevanteren Fällen zweckneutral geschlossener Geschäfte ist hingegen auch bei Kenntnis des Gläubigers vom Verwendungszweck die Unwirksamkeit zweifelhaft.

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Kap. 5: Zusammenfassung und Konventionsentwurf

Denkbar ist auch, die Unwirksamkeit odiöser Verträge damit zu begründen, dass der Vertragspartner Beihilfe zur Verletzung der Menschenrechte der Bevölkerung im Schuldnerstaat leistete (Kapitel 2 D.I.2.), z. B. weil gelieferte Waffen zur Unterdrückung Oppositioneller eingesetzt wurden. Eine entsprechende Argumentation stößt jedoch auf eine Vielzahl recht­ licher Probleme, die sich nur durch eine äußerst progressive Auslegung des Völkerrechts lösen lassen. So ist die Menschenrechtsbindung von Unternehmen ebenso fraglich wie die (aus Sicht eines Gläubigerstaates) extraterritoriale Geltung der Menschenrechte. Hinzu tritt die Problematik, dass eine Beihilfehandlung bei zweckneutral geschlossenen Geschäften nur schwer zu bejahen ist. Die größte Hürde ist aber in dem Einwand des venire contra factum proprium zu sehen, war es doch der Schuldnerstaat, der die menschenrechtswidrige Verwendung in erster Linie zu verantworten hatte. Dieses Hindernis lässt sich nur auflösen, wenn angeführt wird, dass in der Kreditvergabe zugleich eine Beihilfe zur Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung der Bevölkerung des Schuldnerstaates gesehen werden kann, sodass der Schuldnerstaat diese Rechtsverletzung dem Rückzahlungsanspruch entgegenhalten kann. Voraussetzung ist, dass das Recht auf Selbstbestimmung der Völker derart gewichtet wird, dass es die Trennung zwischen der Bevölkerung als Anspruchsinhaber eines aus Menschenrechtsverletzungen resultierenden Anspruchs einerseits und dem Staat als Schuldner des odiösen Vertrages andererseits durchbricht, und dass gleichzeitig der Regimewechsel vom diktatorischen hin zu einem die Bevölkerung angemessen beteiligenden Staat als hinreichend angesehen wird, um den Einwand des widersprüchlichen Verhaltens zu entkräften. Bisher fehlt es allerdings an Präzedenzfällen, sodass eine dergestalt begründete Zahlungsverweigerung kaum vor Reputationsverlusten schützen dürfte. Einen weiteren Ansatzpunkt bieten wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte (Kapitel 2 D.I.3.). So könnte sich ein überschuldeter Staat gegenüber seinen Gläubigern darauf berufen, die Erfüllung odiöser Verträge nehme ihm die finanziellen Ressourcen, um die aus dem Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte folgenden Mindeststandards zu gewährleisten. Ob eine solche Argumentation zu einer Zahlungseinrede führen kann, ist jedoch ungeklärt, zumal die Probleme der Anwendbarkeit auf Unternehmen sowie des venire contra factum proprium fortbestehen. Auch in systematischer Hinsicht begegnet die Argumentation Bedenken, weil legitime Schulden eines überschuldeten Staates verweigert werden könnten, während illegitime Verbindlichkeiten eines zahlungsfähigen Staates zu erfüllen wären. Schließlich würden die Ansprüche wieder aufleben, sobald sich die finanzielle Situation des Schuldnerstaates verbessert hat, was nicht im Sinne der Odious-Debts-Doktrin wäre.



A. Ergebnisse der Untersuchung395

In den bisherigen Auseinandersetzungen mit der Odious-Debts-Doktrin stellt die Untersuchung des Völkergewohnheitsrechts den Schwerpunkt dar. Es wird argumentiert, dass die von einer Rechtsüberzeugung getragene Staatenpraxis die Geltung der Odious-Debts-Doktrin bestätige bzw. gerade widerlege. Denn im Völkervertragsrecht hat die Odious-Debts-Doktrin bisher keine ausdrückliche Regelung erfahren, und auch aus der Nichtaufnahme einer Regelung in die Wiener Konvention über das Recht der Staatennachfolge in Staatsvermögen, ‑archive und ‑schulden lassen sich keine Schlüsse für die Geltung der Rechtsfigur ziehen (Kapitel 2 D.II.1.). Auch in dieser Arbeit wurden daher über 40 potentielle Anwendungsfälle der OdiousDebts-Doktrin, meist im Zusammenhang mit Staaten- oder Regierungswechseln, untersucht (Kapitel 2 D.II.). Zunächst wurde der Fokus auf sog. war debts („dettes de guerre“) gelegt, welche eine verhältnismäßig klar umgrenzte Unterkategorie odiöser Schulden darstellen. Nach Sack sollten solche Schulden nicht auf den annektierenden Nachfolgestaat übergehen, die vom Vorgängerstaat zur Kriegsführung gegen den annektierenden Staat eingegangen wurden. Die Untersuchung der Präzedenzfälle vom 17. Jahrhundert bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs lässt auf eine Staatenpraxis schließen, der zufolge alle nach Beginn des Kriegs eingegangenen Schulden vom Übergang auf den Siegerstaat ausgenommen wurden, unabhängig davon, ob diese tatsächlich der Finanzierung des Krieges oder anderen, möglicherweise auch für den Nachfolgestaat nützlichen Zwecken dienten. Ob dieses Verhalten von einer entsprechenden Rechtsüberzeugung getragen ist oder einen Fall von Siegerjustiz darstellt, ist schwer zu beantworten; auch würde die Fortgeltung einer solchen Regelung angesichts des heute geltenden Gewaltverbots großen Bedenken begegnen. Maßgeblich für die Untersuchung ist, dass die Figur der war debts nicht zu moralisch überzeugenden Ergebnissen zu führen vermag. So wären immer alle Schulden des unterlegenen Staates als odiös anzusehen, selbst wenn diese zur Selbstverteidigung gegen einen Angriffskrieg aufgenommen wurden. Umgekehrt wären alle Fälle, die nicht im Zusammenhang mit einem Gebietsverlust stehen, von der Regel ausgenommen. Über die Figur der war debts hinaus wurden Fälle untersucht, in denen die Unwirksamkeit von Schulden diskutiert wurde, weil diese ohne Nutzen oder zum Schaden für die Bevölkerung des Schuldnerstaates eingegangen wurden. Hinzu traten je nach Einzelfall weitere Kriterien wie das Vorliegen eines Staatenwechsels (z. B. Mexiko, Kuba, Germanisierung Polens), die despotische Natur des Schuldnerstaates (z.  B. Südafrika, Irak) oder die Kenntnis des Gläubigers (z. B. beim Tinoco-Fall). Zunächst lässt sich feststellen, dass die Figur odiöser Schulden zwar historisch häufig in Bezug auf Fälle von Staatensukzession diskutiert wurde, in der jüngeren Vergangenheit aber Fälle des Regierungswechsels im Vordergrund stehen, ohne dass für

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Kap. 5: Zusammenfassung und Konventionsentwurf

diese die mangelnde Anwendbarkeit der Rechtsfigur angenommen wurde. Einzige Ausnahme ist eine Entscheidung des Iran-US Claims Tribunal, die aber in der Folge nicht bestätigt wurde. Weiterhin fällt auf, dass in vielen untersuchten Fällen nicht auf die Verwendung individueller Kredite abgestellt wurde, sondern pauschal die mangelnde Übertragbarkeit aller durch bestimmte Regierungen oder Staaten eingegangenen Schulden vorgebracht wurde. In solchen Fällen kann die Kenntnis des Gläubigers keine Rolle spielen, weil es an der konkreten Verwendung als Bezugspunkt fehlt. In Fällen, die auf die konkrete Verwendung der Mittel abstellen, lässt sich schließlich unterscheiden, ob der mangelnde Nutzen aus der persönlichen Bereicherung der Regierung (z. B. Tinoco-Fall) oder aus der Verwendung zur Unterdrückung der Bevölkerung (z. B. Kuba, Indonesien) folgt. Bei genauer Analyse der verschiedenen möglichen Anwendungsfälle war festzustellen, dass eine eindeutige opinio iuris kaum erkennbar ist, da es sich in vielen Fällen um einseitige Akte oder Manifestationen von Siegerjustiz handelt (so z. B. im Fall Kuba). In einigen Fällen lässt sich nicht einmal eine eindeutige Staatenpraxis feststellen, weil trotz des Anknüpfens an das Bevölkerungsinteresse entweder mutmaßlich odiöse Schulden übernommen (so manche Anleihen Ecuadors) oder offenbar zum Nutzen der Bevölkerung führende Verträge verweigert wurden (z. B. „Anschluss“ Österreichs), oder weil es sich um extreme Umstände handelte, die nur im Einzelfall auftraten und damit nicht zur Verallgemeinerung geeignet sind (so der Tinoco-Fall). Andere Fälle von Schuldenreduzierungen wurden implizit oder ausdrücklich nicht mit der Odious-Debts-Doktrin begründet (so z. B. Irak und Schuldenerlass durch Norwegen). Schließlich gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen Schulden bedient wurden, obwohl die Anwendung der Odious-Debts-Doktrin nahegelegen hätte (z. B. Haiti, Kongo, Philippinen, Südafrika). Vor diesem Hintergrund lässt sich das Vorliegen einer gewohnheitsrechtlichen Regel, der zufolge bestimmte, ohne Nutzen der Bevölkerung oder zu deren Schaden eingegangene Schulden unwirksam sind bzw. verweigert werden können, nicht feststellen. Eine weitere mögliche Rechtsquelle für die Unwirksamkeit odiöser Verträge ist das Privatrecht, welches aufgrund einer Rechtswahlklausel auf den jeweiligen Vertrag anwendbar sein oder als Grundlage eines entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes dienen kann (Kapitel 2 D.III.). Obwohl es an Präzedenzfällen, welche auf solche Grundsätze verweisen, fehlt, lässt sich die Rechtsfigur des Missbrauchs der Vertretungsmacht in ihrer Ausgestaltung im Kapitalgesellschaftsrecht grundsätzlich auf Konstellationen von odiösen Schulden übertragen, mit der Folge, dass bestimmte Schulden als unwirksam angesehen werden. Die für die Beteiligten im Recht der Aktiengesellschaft (Gesellschaft, Vorstand, Aktionäre, Vertragspartner) geltende Konstellation findet eine hinreichende Entsprechung im Bereich der Staats-



A. Ergebnisse der Untersuchung397

schulden (Staat, Regierung, Bevölkerung, Vertragspartner), welche die Übertragung von Rechtsprinzipien rechtfertigt. Unwirksam sind demzufolge nicht nur von einer verfassungswidrigen Regierung abgeschlossene Geschäfte, die offensichtlich innerstaatlichen Weisungen oder der sich noch in Kraft befindlichen Verfassung widersprechen. Gleiches gilt auch für solche Geschäfte, die mit Wissen des Geschäftspartners oder für diesen erkennbar (Kollusion bzw. Evidenz) gegen Staats- und Bevölkerungsinteressen verstoßen. Allerdings bleibt eine Reihe rechtlicher Probleme, insbesondere die Definition des Bevölkerungsinteresses, ungelöst. Ohne einen klareren Anwendungsbereich fehlt es einer Regel über Odious Debts jedoch an Bestimmtheit, sodass deren Geltendmachung die Gefahr negativer Folgen für die Reputation des Staates selbst sowie für andere potentielle Schuldnerstaaten birgt. Ähnliche Vorbehalte gelten auch gegenüber allgemeinen Prinzipien wie Treu und Glauben, Sittenwidrigkeit und verwandten Rechtsinstituten. Insgesamt lässt sich mit dem geltenden Recht nur in wenigen Fällen die Verweigerung von Schulden begründen, nämlich bei Verstoß gegen ius cogens, Korruption, Verstoß gegen geltendes Verfassungsrecht sowie, sofern die Natur des Schuldnerregimes Vertragsgrundlage war, die clausula rebus sic stantibus. In der Mehrzahl der als Odious Debts diskutierten Konstellationen fehlt es hingegen an einer hinreichend sicheren rechtlichen Regel, die die Unwirksamkeit von bevölkerungswidrig eingegangenen Verträgen zum Inhalt hat, sodass die Geltendmachung der Unwirksamkeit für den Schuldnerstaat zu Reputationsverlusten und damit zusammenhängenden negativen Konsequenzen führen würde.

III. Annäherung an ein Lösungsmodell Ziel der Arbeit war jedoch nicht nur, den rechtlichen Status der OdiousDebts-Doktrin realistisch einzuschätzen, sondern auch aufzuzeigen, dass eine Lösung der Problematik weder an rechtlichen noch an faktischen Hürden zu scheitern braucht. Gerade die mangelnde rechtliche Sicherheit der Odious-Debts-Doktrin spricht für eine entsprechende Regelung auf internationaler Ebene. Aus diesem Grund beschäftigte sich Kapitel 3 zunächst mit bisher diskutierten Lösungsmodellen (Abschnitt A.). Diese lassen sich unterscheiden in Modelle, die auf die jeweilige Verbindlichkeit abstellen, solche, die Richtlinien zur verantwortlichen Kreditvergabe in den Vordergrund stellen und solche, bei denen das Schuldnerregime maßgeblich für die Beurteilung der Schuld ist. Lösungsmodelle, die von der Bewertung einzelner Schulden ausgehen, haben den Vorteil, dass sie nur solche Verträge als odiös erfassen sollen, die auch tatsächlich entgegen den Bevölkerungsinteressen eingegangen bzw. ver-

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Kap. 5: Zusammenfassung und Konventionsentwurf

wendet wurden. Gleichzeitig erlauben sie es, durch Einbeziehung der Gläubigerkenntnis gerechte Ergebnisse zu erreichen. Allerdings stellt sich für die verschiedenen Ansätze das Problem, dass sie in vorhersehbarer Weise definieren müssen, welche Verträge als für die Bevölkerung nützlich anzusehen sind. Weder die auf der Sack’schen Definition aufbauenden Vorschläge noch der Definitionsversuch Bedjaouis enthalten jedoch eine überzeugende Lösung dieses Problems. Die von einigen Autoren vorgeschlagenen Änderungen der die Schulden begründenden Vertragsbedingungen scheitern daran, dass sie von der Mitwirkung des möglicherweise despotischen Schuldnerstaates abhängig sind; zugleich setzen auch sie einen Konsens über die Legitimität von Verträgen voraus. Die Beschäftigung mit den verschiedenen Vorschlägen deutete darauf hin, dass sich kaum starre, für jeden Anwendungsfall gültige Tatbestandsmerkmale finden lassen. Vielmehr könnte der offene Rechtsbegriff des Nutzens durch verschiedene Kriterien ausgefüllt werden, welche für sich genommen nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Schulden führen, sondern in ihrer Zusammenschau eine Aussage über die Wirksamkeit des Vertrages im Einzelfall zulassen. Dabei sollte die Natur des Schuldnerstaates eine maßgebliche Rolle für die an den jeweiligen Vertrag zu stellenden Anforderungen spielen, weil an Verträge etwa über die Lieferung von Waffen mit einem demokratischem Rechtsstaat andere Ansprüche zu stellen sind als an solche mit einem repressiven Regime. Ausgehend von der Bedeutung des Schuldnerstaates für die Qualifikation von Schulden als odiös schlagen Jayachandran, Kremer und Shafter ein Modell vor, dem zufolge eine noch näher auszugestaltende Institution Staaten als Odious-Debts-verdächtig einstufen soll. Nach der entsprechenden Klassifikation vergebene Kredite an solche Staaten sollen odiös sein, wenn sie nicht nachweislich zu legitimen Zwecken verwendet wurden. Das Modell überzeugt in Bezug auf die Gläubigerkenntnis, weil für jeden Kreditgeber ersichtlich ist, ob ein Kredit potentiell als odiös zu behandeln ist. Gleichzeitig ist zu begrüßen, dass neben der Natur des klassifizierten Regimes die Verwendung des Kredits im Einzelfall relevant bleibt, weil nur so die fortgesetzte Vergabe von Krediten zugunsten der Bevölkerung gewährleistet werden kann. Der Ansatz bleibt jedoch hinsichtlich anderer Aspekte kritikwürdig. So ist es nicht überzeugend, ausschließlich an Kredite anzuknüpfen, weil auch andere Arten von odiösen Schulden denkbar sind. Sowohl das Grundmodell als auch verschiedene Fort­entwicklungen beantworten die Frage, welche Kriterien für eine Klassifikation als Odious-Debtsverdächtig maßgeblich sein sollen, nur unzureichend. Daraus ergibt sich die Gefahr einer macht- und wirtschaftspolitischen Interessensteuerung des Modells. Schließlich wurden noch Modelle untersucht, die im Wesentlichen auf Prinzipien verantwortlicher Kreditvergabe und Transparenz abstellen. Diese



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Prinzipien befinden sich allerdings noch im Entwicklungsstadium und hängen von einer verbindlichen Implementierung ab. Auch bleibt die Frage zu beantworten, welche Vertragszwecke als legitim angesehen werden können, zumal die Transparenz bei Vertragsschluss alleine noch keine Aussage über den nützlichen oder schädlichen Inhalt des Vertrages trifft. Die Untersuchung der Lösungsmodelle ergab, dass sich bei allen Ansätzen bestimmte Fragen stellen, die es für eine überzeugende Lösung der Problematik zu beantworten gilt (vgl. Kapitel 3 B.). Diese betreffen die möglichen Voraussetzungen, die institutionelle Ausgestaltung, die Umsetzbarkeit und die Rechtsfolgen einer Odious-Debts-Doktrin. Die ausführliche Analyse der Probleme ergab, dass der Anwendungsbereich des Modells ratione materiae weit gefasst sein sollte, sodass er über Kreditverträge hinaus alle vertraglichen Ansprüche erfasst, gleich ob finanzieller oder anderer Natur und unabhängig davon, ob die Verträge bereits erfüllt sind. Deliktische Schulden hingegen sollten wegen der abweichenden Interessenlage von der Geltung des Modells ausgenommen werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Umsetzbarkeit sollte ein Lösungsmodell in zeitlicher Hinsicht nur Schulden erfassen, die nach seinem Inkrafttreten eingegangen wurden. Zentrale inhaltliche Voraussetzung der Odious-Debts-Doktrin ist der Nutzen, den die Eingehung des Vertrages für die Bevölkerung des Schuldnerstaates mit sich bringt. Da sich dieser unter Umständen erst nach dem Vertragsschluss anhand der tatsächlichen Verwendung der Mittel beurteilen lässt, ist für die Vorhersehbarkeit der Rechtsfigur maßgeblich, dass der Gläubiger bereits beim Vertragsschluss die Reichweite seiner Nachforschungs- und Kontrollpflichten kennt. Dagegen kann es weder auf das Vorliegen eines Staaten- bzw Regimewechsels noch auf den Schuldenstand des Schuldnerstaates ankommen, weil beide keine Auswirkung auf die Beurteilung der Schuld als solche haben. Auch die (un)demokratische Natur des Schuldnerstaates stellt kein geeignetes Kriterium zur Beurteilung der Schuld dar, weil es an einer konkreten Definition fehlt, und weil maßgeblich für die Schädlichkeit der Schuld weniger deren Zustandekommen als vielmehr deren Inhalt ist. Dennoch ist zu vermeiden, dass alle Verträge mit grundsätzlich legitim handelnden Staaten einer umfassenden Einzelfallkontrolle unterliegen müssen. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Verträge ihrem Inhalt nach grundsätzlich neutral sind und es von der Umsetzung im Einzelfall abhängt, ob ein Nutzen für die Bevölkerung vorliegt. Aus diesen Gründen ist es gerechtfertigt, für die Klassifizierung von Verträgen auch an die Natur des Schuldnerregimes anzuknüpfen. Wesentlich ist das Maß, in welchem der Schuldnerstaat die Interessen der Bevölkerung wahrt, weil sich daraus die Vermutung ableiten lässt, dass der Staat auch zukünftige Verträge eher zum Nutzen bzw. zum Schaden der Bevölkerung umsetzen wird. Um gleichwohl die Verwendung im Einzelfall nicht außer Acht zu lassen,

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Kap. 5: Zusammenfassung und Konventionsentwurf

bedarf es einer Möglichkeit, die Vermutung des odiösen Vertrages zu widerlegen, indem die Nützlichkeit der Transaktion dargelegt wird. Für die institutionelle Ausgestaltung eines Lösungsmodells sind Transparenz, Legitimität, Neutralität und Umsetzbarkeit maßgeblich. Weitere Voraussetzung für ein Lösungsmodell ist, dass dieses auch die Gläubigerkenntnis mit berücksichtigt. Hier kann es nicht genügen, auf die tatsächliche Kenntnis des Gläubigers von der Mittelverwendung abzustellen, vielmehr muss auch dessen fahrlässige Unkenntnis mit einbezogen werden, die gegeben ist, wenn der Gläubiger gebotene und zumutbare Maßnahmen unterlassen hat, das Entstehen einer odiösen Schuld zu vermeiden. Welche Maßnahmen jeweils geboten sind, hängt dabei wesentlich vom Vertragspartner und vom Inhalt des Vertrages ab. Ist ein Vertrag als odiös zu qualifizieren, führt dies dazu, dass der Schuldnerstaat dessen Unwirksamkeit einwenden kann. Aus im nationalen wie im Völkerrecht verbreiteten allgemeinen Rechtsprinzipien folgt in diesem Fall, dass der Schuldner nicht nur von weiteren Leistungen befreit ist, sondern auch dem bereicherungsrechtlichen Rückforderungsverlangen des Gläubigers dessen sittenwidriges Handeln entgegenhalten kann.

IV. Die International Convention on the Prevention of Odious Agreements Aus den vorhergehenden Ausführungen ergibt sich, dass im Zentrum eines Lösungsmodells für die Problematik odiöser Schulden die Frage stehen muss, ob der Schuldnerstaat Verträge grundsätzlich im Interesse der eigenen Bevölkerung abschließt und umsetzt. Die Entscheidung, wann dies der Fall ist, darf jedoch nicht subjektiven Wertungen entspringen, sondern muss sich an objektiven, international anerkannten Werten orientieren. Mit internationalen Menschenrechtsverträgen hat das Völkerrecht solche objektiven Standards aufgestellt, die eine differenzierte Beurteilung erlauben, ob ein Staat die Rechte seiner Bevölkerung wahrt, und die gleichzeitig eine universelle Anerkennung erfahren haben. So ermöglichen die verschiedenen Arten von Menschenrechten eine Aussage darüber, wie der Staat die Interessen der Bevölkerung achtet oder missachtet, sei es, weil er Freiheiten einschränkt, bestimmte Gruppen diskriminiert, demokratische Teilhabe unterbindet oder öffentliche Gelder ohne Berücksichtigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung verwendet. Die Vielfalt der Rechte in sachlicher wie persönlicher Hinsicht löst das Problem, dass sich ein Interesse der gesamten Bevölkerung häufig schwer finden lässt; zum anderen werden Interessen der Bevölkerungsmehrheit dann nicht geschützt, wenn diese zur Verletzung der Rechte von Minderheiten führen, wie etwa im Fall eines von der Bevölkerungsmehrheit getragenen Völ-



A. Ergebnisse der Untersuchung401

kermordes. Durch internationale Überprüfungsmechanismen bestehen zudem objektive Aussagen über Inhalt und Reichweite der verschiedenen Rechte und das Verhalten einzelner Staaten. Dass Menschenrechte Werte verkörpern, die aus einer historischen, geographischen, philosophischen und religiösen Vielfalt inspiriert sind und in internationalen Menschenrechtsinstrumenten in der Staatenpraxis universelle Anerkennung erfahren haben, macht diese zu einem legitimen Ansatzpunkt für die Odious-Debts-Doktrin. Während im Interesse eines funktionierenden Wirtschaftsverkehrs im Regelfall davon auszugehen ist, dass ein Staat Verträge zum Nutzen seiner Bevölkerung eingeht, ist diese Vermutung grundsätzlich widerlegt, wenn der Staat wiederkehrend in schwerwiegender Form die Menschenrechte der Bevölkerung bzw. humanitäres Völkerrecht verletzt. Gleiches gilt, wenn aufgrund weit verbreiteter Korruption regelmäßig ein maßgeb­licher Teil der Vertragsleistung zur persönlichen Bereicherung verwendet wird. Da auch hinsichtlich des Kampfes gegen Korruption ein breiter Konsens in der internationalen Gemeinschaft besteht, ist das Maß an Korruption im Schuldnerstaat ebenfalls als Kriterium in das Lösungsmodell aufzunehmen. Aufbauend auf den vorausgehenden Feststellungen wurde in Kapitel 4 daher der Abschluss einer Internationalen Konvention zur Verhinderung Odiöser Verträge (International Convention on the Prevention of Odious Agreements, ICPOA) vorgeschlagen. Die Mitgliedstaaten dieser Konvention sollten im Idealfall ein breite geografische, kulturelle, wirtschaftliche und politische Vielfalt widerspiegeln, jedoch ist für die Wirksamkeit der Konvention auch die Ratifikation durch nur einige wirtschaftlich bedeutende Staaten ausreichend. Die Konvention sieht vor, dass Verträge, die nach dem Inkrafttreten der ICPOA eingegangen werden, unwirksam sind, wenn sie mit einem als Odious-Debts-verdächtig klassifizierten Staat abgeschlossen werden, es sei denn, der Vertrag entspricht den Voraussetzungen verantwortlicher Kontrahierung. Die Vertragsparteien der ICPOA verpflichten sich, keine odiösen Verträge abzuschließen, keine Bürgschaften für solche Verträge einzugehen, odiöse Verträge als unwirksam zu behandeln und an die Nichterfüllung odiöser Verträge keine negativen Konsequenzen zu knüpfen. Aufgrund odiöser Verträge ergangene Vollstreckungstitel werden in den Vertragsstaaten nicht anerkannt, aufgrund eines odiösen Vertrags Geleistetes kann vom Gläubiger nicht zurückgefordert werden. Die Konventionsstaaten wirken darauf hin, dass auch seitens internationaler Institutionen keine odiösen Verträge geschlossen werden. Zentrales für das Lösungsmodell sind die Kriterien, die es rechtfertigen, einen Staat als Odious-Debts-verdächtig zu klassifizieren. Dies ist dann der Fall, wenn die Vermutung besteht, dass er Verträge eher zum Schaden als zum Nutzen der Bevölkerung abschließen wird (Kapitel 4 B.). Die Vermutung ist gegeben, wenn sich der Staat entweder schwerwiegender und sys-

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tematischer Verletzungen („serious and systematic violations“) von Menschenrechten bzw. humanitärem Völkerrecht schuldig macht, oder in diesem schwerwiegende und systemische Korruption im öffentlichen Sektor („severe and systemic corruption“) vorherrscht. Der Begriff der schwerwiegenden und systematischen Verletzungen von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht erinnert an ähnliche, von verschiedenen UN-Gremien zur Verhängung wirtschaftlicher oder militärischer Sanktionen verwendete Kriterien, ist jedoch autonom für den Bereich odiöser Schulden zu interpretieren. Zu seiner Ausfüllung sind Quantität und Qualität der Verletzungen (Schwere und Häufigkeit der Verletzungshandlungen) sowie die zugrunde liegende Intention (planmäßiges staatliches Handeln bzw. Unterlassen) zu berücksichtigen. Schwerwiegende und systemische Korruption liegt vor, wenn es sich bei der Korruption im Schuldnerstaat nicht nur um Einzelfälle handelt, sondern diese eher die Regel als die Ausnahme ist („systemisch“), und wenn die Korruptionsakte von solchem Gewicht sind, dass sie eine massive Auswirkung auf die Staatsverschuldung haben können („schwerwiegend“). Dabei ist Korruption als Missbrauch öffentlicher Macht zum privaten oder politischen Nutzen in einer in Art. 15 bis 20 der UN-Konvention gegen Korruption genannten Weise zu verstehen. Als Rechtsquelle für die Verpflichtungen der zu beurteilenden Staaten hinsichtlich Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht kommen – je nach Ratifikationsstand – der ICCPR, der ICESCR, die ICERD, die C ­ EDAW, die CAT, die CRC mit Zusatzprotokollen 1 und 2, die CRPD, die AntiGenozid-Konvention, die Anti-Apartheids-Konvention und die Genfer Abkommen Nr. 1 bis 4 mit Zusatzprotokollen 1 und 2 sowie ergänzend die einschlägigen Bestimmungen des Völkergewohnheitsrechts in Betracht. Das mit der Klassifizierung betraute Gremium nimmt die Bewertung von Rechtsverletzungen im zu klassifizierenden Staat anhand von Berichten der Vertragsorgane der Menschenrechtskonventionen sowie anhand der Berichte von anderen internationalen Akteuren (Special Procedures des UN-Menschenrechtsrates, UN-Generalversammlung, UN-Sicherheitsrat, regionale Organisationen) und Nichtregierungsorganisationen vor. Die Beurteilung des Vorliegens schwerwiegender und systemischer Korruption im öffentlichen Sektor kann aufgrund einer Vielzahl von Berichten erfolgen, welche von auf Governance und Korruption spezialisierten Institutionen wie der African Development Bank, der Weltbank und verschiedenen Forschungseinrichtungen sowie von Organisationen wir Transparency International erstellt werden, sowie aufgrund von Berichten und öffentlichen Stellungnahmen anderer relevanter Akteure. Für die Klassifizierung von Staaten zuständig ist das aufgrund der Konvention einzurichtende Committee on the Prevention of Odious Agreements



A. Ergebnisse der Untersuchung403

(CPOA), welches sich aus zwei Unterausschüssen (Sub-Committee on Human Rights and Humanitarian Law, CPOA-HR, und Sub-Committee on Corruption, CPOA-CO) zusammensetzt und durch ein ständiges Sekretariat unterstützt wird. Die Unterausschüsse sind mit je 18 unabhängigen Experten auf dem jeweiligen Gebiet zu besetzen, von denen turnusmäßig 12 Mitglieder mit qualifizierter Zwei-Drittel-Mehrheit entscheiden. Die Experten sollen über professionelle Erfahrung im jeweiligen Bereich verfügen und ­idealerweise auch juristisch erfahren sein. Um eine der aktuellen Lage im Schuldnerstaat entsprechende Klassifizierung zu gewährleisten, finden die Sitzungen des CPOA regelmäßig und zusätzlich nach Bedarf statt. Die Entscheidungsfindung ist so auszugestalten, dass alle Betroffenen – insbesondere Vertreter des Schuldnerstaates, von Konventionsstaaten, von relevanten internationalen Organisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen – in den Prozess eingebunden werden. Auch nach einer Klassifizierung sind wirksame Vertragsschlüsse mit dem klassifizierten Staat möglich, wenn die Verträge nachweislich zugunsten der Bevölkerung abgeschlossen und durchgeführt werden (Kapitel 4 C.). Dazu sind solche Verträge sowie die bei der Durchführung auftretenden Schwierigkeiten zunächst beim CPOA in öffentlich zugänglicher Form zu registrieren, um verdächtige Verhaltensmuster aufzudecken und die Sorgfaltspflichten nachfolgender Gläubiger zu konkretisieren. In den Vertrag selbst ist ein Vertragszweck aufzunehmen, welcher als für die Bevölkerung nützlich angesehen werden kann. Anstelle einer für den Einzelfall wenig flexiblen Positiv- oder Negativliste sind bei der Beurteilung der Nützlichkeit zu berücksichtigen: Zweck und Inhalt des einzelnen Vertrages, die Natur des Schuldnerstaates sowie dessen bisheriges Verhalten, das Maß der Überprüfbarkeit der Mittelverwendung und schließlich die Begleitumstände (zu den einzelnen Aspekten S. 354 ff.). Folgt aus diesen Kriterien im Einzelfall, dass der Vertrag im Interesse der Bevölkerung eingegangen wird, so ist weiterhin Sorge zutragen, dass der im Vertrag vereinbarte Zweck eingehalten wird. Dies erfolgt durch die Anwendung der neu entwickelten Prinzi­pien Odious-Debts-spezifischer verantwortlicher Kontrahierung, welche sich an bereits in der Entwicklungszusammenarbeit und im Rahmen der Äquatorprinzipien ausgeübter Überprüfungs­ praxis orientieren. Zunächst sind bestimmte Grundelemente in den Vertrag aufzunehmen, nämlich neben Vertragsinhalt und –zweck ein Implementierungsplan, Ausstiegsklauseln und Bestimmungen über Rechtswahl und Gerichtsstand, welcher in einem der Konventionsstaaten liegen muss (s. im Einzelnen die Hinweise zur Vertragsgestaltung auf S. 365 f.). Sodann ist in einem dem jeweiligen Vertrag angemessenen Maß die Mittelverwendung zu überprüfen. Dies kann bei sukzessiv zu erfüllenden Verträgen beispielsweise durch die Überprüfung der Verwendung bisheriger Mittel vor der jeweils nächsten Lieferung bzw.

404

Kap. 5: Zusammenfassung und Konventionsentwurf

Auszahlung geschehen. Auch eine nachträgliche Kontrolle kann geboten sein. Die Überprüfungszeiträume richten sich dabei nach der jeweiligen Missbrauchsgefahr. Wenn sich eine Verletzung des Vertragszweckes herausstellt, ist der Vertrag zu kündigen und das Scheitern des Vertrages an das CPOA zu melden. Dort können zukünftige Gläubiger bisherige Probleme einsehen, was sich wiederum auf deren Sorgfaltspflichten auswirkt. Falls der der Schuldnerstaat zu einem späteren Zeitpunkt die Erfüllung ausstehender Ansprüche verweigert, kann der Gläubiger die Erfüllung des Vertrages vor einem zuständigen nationalen Gericht erstreiten. Hier muss der Gläubiger nachweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten im Rahmen verantwortlicher Kontrahierung nachgekommen ist. Mit der Zeit werden sich somit einheitliche Standards für die verschiedenen Fälle legitimer Verträge mit Odious-Debts-verdächtigen Staaten herausbilden. Obgleich eine Regelung auf internationaler Ebene in der Vergangenheit nicht erfolgt ist, besteht aus mehreren Gründen Hoffnung, dass sich die Staatengemeinschaft dieser Problematik in Zukunft annehmen wird. So gewinnt die Thematik durch Ereignisse der Zeitgeschichte immer wieder an Relevanz. Indem die Problematik der Schulden postdiktatorischer Staaten sowie die Beteiligung von Gläubigern aus Industriestaaten auch in der Tagespresse diskutiert werden, spielt sie auch in der Zivilgesellschaft eine Rolle, was von Nichtregierungsorganisationen sowie von Kirchen aufgegriffen wird. Konsequenterweise nehmen sich Staaten wie Norwegen, aber auch Gremien der Vereinten Nationen, der UNCTAD und der Weltbank der Thematik an. Darüber hinaus besteht eine lebhafte wissenschaftliche Debatte, zu der die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten will, indem sie aufzeigt, dass eine praktikable Lösung der Problematik odiöser Schulden möglich ist. Abschnitt B. dieses Kapitels enthält daher einen Konventionsentwurf für das soeben beschriebene Lösungsmodell. Dieses wird für viele in der Vergangenheit eingegangene und bediente odiöse Schulden zu spät kommen. Angesichts der Fortexistenz menschenverachtender Regime in allen Teilen der Welt mit nennenswerter wirtschaftlicher und finanzieller Unterstützung durch private und öffentliche Geschäftspartner ist die internationale Gemeinschaft jedoch dringend dazu aufgerufen, die Problematik der Odious Debts einer Lösung zuzuführen. Die Grundregel der Arborikultur gilt auch für den Bereich odiöser Schulden: „Der beste Zeitpunkt, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt.“1

1  Zitiert nach Panizza, in: Paulus, Debt Restructuring Mechanism for Sover­eigns, S. 229.



B. Konventionsentwurf405

B. Konventionsentwurf: „International Convention on the Prevention of Odious Agreements“ Article 1: Definitions and Scope of the Convention (1) „Odious agreement“ means any contract, treaty or other agreement concluded between a contracting party and a State classified as odious debts-prone in accordance with articles 3 to 5 of the present Convention at the conclusion of the agreement, unless the agreement complies with the principles of responsible contracting as set out in article 7 of the present Convention. (2) „Contracting party“ means any person, legal or natural, private or public, entering into an agreement with a classified State. (3) „Classified State“ means any State classified as odious debts-prone in accordance with articles 3 to 5 of the present Convention. (4) This Convention also applies to agreements concluded with a subnational entity of a classified State and with any legal entity under its control. Article 2: Legal Consequences and Obligations (1) Odious agreements are void. (2) Only the State classified as odious debts-prone at the conclusion of an odious agreement can demand the rescission of the agreement, provided the classification has been revoked. (3) Odious agreements cannot be enforced; judgments, awards or any other enforcement orders issued on the basis of an odious agreement will not be recognized. (4) The Parties to the present Convention will abide by the provisions in paragraphs (1) to (3) of this article and ensure compliance in their respective jurisdiction. (5) The Parties to the present Convention will refrain from concluding odious agreements and will cooperate internationally to prevent the conclusion of such agreements. (6) The Parties to the present Convention will refrain from issuing guarantees for odious agreements. (7) The Parties to the present Convention will not treat the non-performance of an odious agreement as a default or attach any other negative consequences to the non-performance of an odious agreement. Article 3: Classification of a State as Odious Debts-Prone (1) The Committee on the Prevention of Odious Agreements (under Art. 4 of this Convention) classifies a State as odious debts-prone – (a) if the State is responsible for serious and systematic violations of human rights or international humanitarian law; or (b) if its public sector is governed by severe and systemic corruption. (2) In classifying the State, the Committee will consider the observance of relevant conventions and of relevant customary international law by drawing on reports from treaty bodies, other relevant international and regional bodies and nongovernmental organizations.

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Kap. 5: Zusammenfassung und Konventionsentwurf

Article 4: Committee on the Prevention of Odious Agreements (1) The Committee on the Prevention of Odious Agreements (CPOA) shall consist of the Sub-Committee on Human Rights and Humanitarian Law (CPOA-HR) and the Sub-Committee on Corruption (CPOA-CO). (2) Each Sub-Committee shall consist of 18 members of high moral character and recognized competence in the requisite field, consideration being given to the expediency of participation of those persons with legal experience. Due consideration shall be given to equitable geographical and cultural distribution and to the representation of different legal systems. (3) The members of the Sub-Committees will be elected by secret ballot from a list of persons possessing the qualifications prescribed under article 4 (2) of the present Convention and nominated for the purpose by the Parties to the present Convention. Each State Party to the present Convention may nominate a maximum of two persons for each Sub-Committee. (4) The election of the Committee members shall be held at a meeting of the Parties to the present Convention. At that meeting, for which two thirds of the Parties to the present Convention shall constitute a quorum, each State shall have 18 votes for each Sub-Committee. The persons elected to each Sub-Committee shall be those nominees who obtain the largest number of votes. (5) The initial election shall be held no later than six months after the date of the entry into force of the present Convention. The members of the Committee shall be elected for a four-year term. However, the terms of nine of the members elected at the first election shall expire at the end of two years; immediately after the first election, the names of these nine members shall be chosen by lot. All members shall be eligible for re-election if renominated. (6) In the event of the death or resignation of a member of the Committee, that member shall be replaced by the next candidate for the respective Sub-Committee having obtained a majority of the votes; in default of such candidates, new elections shall be held for this member. The same procedure applies if, in the opinion of two thirds of the other members, a member of the Committee has ceased to carry out his functions for any cause other than absence of a temporary nature. Article 5: Procedure (1) The Sub-Committees shall meet regularly in order to assure that the classification of States is carried out or revoked in due time. (2) All decisions shall be taken by the relevant Sub-Committee, who shall decide with a quorum of 12 members and a qualified majority of two thirds of its voting members. (3) All relevant actors shall be included in the procedure, including the State whose classification is considered, the Parties to the present Convention, representatives of relevant International Organizations and relevant non-governmental organizations. (4) The CPOA shall adopt procedural rules for the work of the Sub-Committees, taking into account paragraphs (1) to (3) of this article.



B. Konventionsentwurf407

Article 6: Secretariat and Budget (1) The work of the Committee is supported by a Secretariat. (2) The Parties to the present Convention provide the CPOA with the necessary financial means for its work, for which the Secretariat will prepare a draft budget. Article 7: Responsible Contracting (1) An agreement complies with the principles of responsible contracting if it has been concluded for the benefit of the population of the classified State and if the contracting party takes the necessary steps to assure its performance for the benefit of the population of the classified State. (2) In assessing the benefit to the population of the classified state, consideration is taken of – (a) the object of the agreement and its purpose; (b) the reasons for the classification of the contracting State as odious debtsprone; (c) the past behavior of the classified State with respect to other agreements; (d) the extent to which the use of the object of the agreement can be monitored; (e) the relevant surrounding circumstances. (3) In order to assure responsible contracting, the contracting party must take necessary steps to ensure that the classified State performs the agreement for the benefit of its population. To this effect, the agreement must include, and the contracting party must ensure observance of – (a) the object and the purpose of the treaty; (b) a detailed implementation plan. The implementation plan must contain detailed provisions on the use of the object of the agreement, a schedule in accordance with which the object of the agreement will be used, and, if necessary, a schedule on the successive performance of the agreement according to the progress of the project; provisions on the procedure of amendment of the agreement in case of project-related obstacles; specific provisions for the prevention of negative social, environmental or human rights-related consequences; and provisions on project supervision and monitoring; (c) a provision on the suspension, termination and rescission of the agreement; and (d) a provision choosing the law and jurisdiction of one of the States Parties to the present Convention. (4) Any legal dispute arising out of an agreement with a classified State shall fall within the jurisdiction of one of the States Parties to this Convention, the courts of which will work towards consistent legal practice by taking into consideration decisions by other courts of States Parties to this Convention. (5) The conclusion of an agreement and any problems occurring with the performance of an agreement must be registered with the Secretariat of the CPOA.

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Kap. 5: Zusammenfassung und Konventionsentwurf

Article 8: Signature, Ratification, Accession (1) The present Convention shall be open for signature by all States and International Organizations. (2) The present Convention is subject to ratification. The instruments of ratification shall be deposited with the Secretary-General of the United Nations. (3) The present Convention shall remain open for accession by any State or International Organization. The instruments of accession shall be deposited with the Secretary-General of the United Nations. Article 9: Entry into Force (1) The present Convention shall enter into force on the thirtieth day following the date of deposit of the fifteenth instrument of ratification or accession. (2) For each State ratifying or acceding to the Convention after the deposit of the fifteenth instrument of ratification or accession, the Convention shall enter into force on the thirtieth day after deposit by such State of its instrument of ratification or accession.

English Summary The question whether agreements entered into by governments with dubious legitimacy and concluded without benefit to the population of the debtor state are valid could hardly be more topical. Possible precedents date back to the 17th century, but have gained new relevance after the fall of the Hussein regime in Iraq and with the events of the Arab Spring. In all these cases, the question arises whether the population of a post-dictatorial regime shall be burdened with debts that were incurred to its oppression, whereas resources are needed for important social, political and cultural purposes. A solution is offered by the – legally contested – doctrine of odious debts, according to which certain debts used against the interest of the population are void. This dissertation can be summarised as follows: Chapter 1 Introductory Considerations on the Doctrine of Odious Debts and Scope of this Dissertation Chapter 1 elaborates on the subject matter of this dissertation. The doctrine of odious debts has been outlined by the Franco-Russian scholar Alexander N. Sack, who defines as odious such debts that have been incurred and used contrary to the interests of the population of a part of or of the entire debtor state, provided the creditor had knowledge of the intended use at the moment the debts were incurred. According to Sack, these debts are void in case of state succession. Instead of limiting the analysis to instances of state succession, all public debts whose legal validity is dubious because they have been incurred or used against the interest of the population are examined in this dissertation. The notion of sovereign debt is a broad one (Chapter 1 A.II.). Debts are all obligations, whatever their origin is. Whether debts arise out of a loan contract or, more broadly, are of a financial nature cannot be relevant because other debts can equally conflict with the population’s interest (e. g. sellout of natural resources; construction of a dam after forced displacements). Debts are public if the state is concerned as debtor because he is party to a contract, guarantor or holder of the majority of a private enterprise, as in all these cases debt is relevant for the public budget.

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English Summary

The doctrine of odious debts has to be related to – and distinguished from – other areas of academic interest (Chapter 1 B.). The concept is relevant as a clearly defined sub-group of illegitimate debt, as an argument for debt relief, as a point of examination in the context of a state insolvency proceeding and as a motivation for responsible lending and borrowing. It has to be observed that the legal concept of odious debts cannot solve the problem of dictatorial states on its own. However, because of its economic relevance, it can make a substantial contribution to the debate. Finally, Chapter 1 C. examines the question whether a doctrine according to which certain debts incurred against the interests of the population should be void. It results from considerations of ethic, (political) philosophy, policy, but also from legal and economic principles that the nullity of odious debts is morally required, legally possible and economically reasonable. Neither the continuous lending by third parties nor the fungibility of money excludes the effectiveness of the doctrine. Although it is dubious if the concept of odious debts can „dry out“ despotic regimes, at least after a regime change the population of the debtor state would have more re­sources available if odious debts are void than without such a rule. Chapter 2 The Legal Status of the Doctrine of Odious Debts Chapter 2 examines the validity of odious debts. First of all, it has to be noted that states essentially service their debts because they intend to preserve their reputation as a creditworthy lender, which implicates appropriate risk premia for future transactions. For that reason, states need a clear legal basis for invoking the invalidity of odious debts if they do not want to be treated as defaulting. Initially, it has to be determined if agreements can validly be concluded with non-democratic states. Otherwise, a variety of possibly odious debts would already be void for that reason (Chapter 2 B.I.). However, state practice as well as provisions of the Vienna Convention on the Law of Treaties (VCLT) indicate that even despotic regimes can validly conclude agreements. A different rule can be found only for dictatorial states that act in obvious contradiction to rules of domestic law, as long as these laws have not been formally or factually repealed. Apart from that, neither the right to self-determination nor the more recently discussed right to democracy lead to the invalidity of such agreements. Secondly, an argument for the invalidity of agreements could be made with respect to the international condemnation of corruption (Chapter 2



English Summary411

B.II.). International and national legal provisions and judicial decision indicate that agreements procured through corruption are void. As a consequence, a state can refuse to fulfil such agreements and thereby repudiate some of its odious debts. However, it can be difficult for the debtor state to prove the presence of corruption – which, typically, will not be recorded – or creditor’s knowledge in case of personal enrichment of one of the debtor’s representatives. Moreover, it has to be noted that cases of corruption are relevant only for a restricted number of cases. The principles do not apply to such agreements which have been concluded without corruption, but which violate the interest of the population in other respects. Considering that agreements concluded by non-democratic states are in principle valid, proponents of the doctrine of odious debts argue that these agreements cease to be in force in cases of state or even governmental succession. Consequently, these rules have to be considered (Chapter 2 C.), as the clean slate rule would render the doctrine of odious debts obsolete in many cases. The law of state succession is characterised by a variety of legal sources (diverse treaties and customary law), a distinction between content of and parties to the different treaties and a partly contradictory state practice. Nevertheless, some basic rules can be identified, which suggest the continuity of debts. This principle is less clear in cases of secession only, whereas in all other cases, debts have been treated as obligatory. The latter is especially true for obligations related to certain territories (e. g. local or localised debts). Dogmatic reasons and state practice speak in favour of extending these rules to agreements with private creditors such as banks. Likewise, obligations towards international (e. g. financial) organisations stay in force. Finally, it has to be noted that a mere regime change does not have any effect on the validity of debts, as such an event does not affect the continuity of the debtor state. Thus, it is difficult for the debtor state to invoke the general invalidity of obligations for reducing its debt level. However, it is possible to understand the doctrine of odious debts as an exception to the principal rule of continuity of obligations. First, it is conceivable to qualify as odious the support of the despotic debtor regime. Hence, after a regime change, the debtor state could invoke art. 62 of the VCLT, the fundamental change of circumstances, with respect to certain agreements (Chapter 2 D.I.). This, however, presupposes that for both parties, the political alignment of the debtor state was an essential element for the conclusion of the agreement. Treaties on political alliances would be an example for such agreements, whereas economic agreements which are not destined to stabilise a certain government and unspecific loan agreements do not fulfil this requirement. Consequently, the clausula rebus sic stantibus will entail only exceptionally the invalidity of odious agreements.

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English Summary

Furthermore, it can be argued that certain debts are odious because their proceeds have been used for the violation of human rights. First, the respective agreement could violate peremptory norms of international law (Chapter 3 D.II.1.). Although art. 53 VCLT has never been applied in the context of odious agreements, the provision in fact provides a possibility for qualifying an agreements as void because it violates peremptory human rights. A convincing case can be made for extending the narrow scope of application of the provision to treaties between states and private persons (e. g. banks). It is equally persuasive to apply the principles of state responsibility in such a way as to qualify financial support to the violation of ius cogens as violating these norms itself. However, the rule applies only to the violation of the limited number of peremptory human rights. In addition, invalidity can only be argued with certainty in such cases where the treaty itself provides for the illegal act. In the much more relevant cases of loans without specific purpose, the invalidity remains dubious even in case of creditor knowledge of the intended use. It can also be argued that odious agreements are void because the contracting party aided and abetted a violation of the human rights of the population in the debtor state (Chapter 3 D.II.2. and 3.), because, for instance, weapons supplied by the creditor are used to oppress the opposition. Such an argument, however, faces a variety of legal obstacles, which can only be overcome by a most progressive interpretation of international law. First, is it questionable if and to which extent human rights are applicable to corporations. In addition, from the point of the view of a creditor state, the extraterritorial application of human rights could be contested. Moreover, it is difficult to assume aiding and abetting in case of unspecific loans. The most substantial objection, however, is the principle of venire contra factum proprium, as it is the debtor state itself which was primarily responsible for the violation of human rights. This problem can only be resolved by arguing that the lending was abetting a violation of the right to self-determination of the population of the debtor state, which can be objected to the creditor’s claim for repayment. This presupposes that the right to self-determination is given such weight to dissolve the separation between the population, i. e. the creditor of a claim for reparation, and the state, i. e. the debtor of an odious agreement. At the same time, the regime change from a dictatorial rule to a government which represents the population appropriately has to be qualified as sufficient for rebutting the objection of inconsistent behaviour. So far, however, there are no precedents for such reasoning. Hence, the risk of loss of reputation remains significant. A further argument could be the violation of economic, social and cultural rights (Chapter 2 D.II.3.). A heavily indebted state could object that the fulfilment of odious agreements interferes with its obligation to ensure



English Summary413

the satisfaction of minimum essential levels of the rights contained in the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights. Whether such an argument can serve as a defence to the creditor’s claim for payment is unclear. Furthermore, the problems of applicability of human rights to corporations and of inconsistent behaviour of the debtor state subsist. From a dogmatic point of view, the argument has to be criticised, because it would allow for the rejection of legitimate claims against overindebted states, whereas odious claims against solvent states would remain valid. Finally, odious claims would revive once the debtor state has regained solvency, which would run contrary to the doctrine of odious debts. In the current debate about the concept of odious debts, the main focus is on customary international law. It is argued that state practice accepted as law either confirms or, to the contrary, refutes the doctrine of odious debts. In fact, international treaty law does not contain rules on odious debts, and the failed regulation of the matter within the Vienna Convention on Succession of States in Respect of State Property, Archives and Debts cannot neither be explained by acceptance of nor objection to the concept (see Chapter 2 III.1.). Therefore, in this dissertation, more than 40 possible cases of application of the doctrine of odious debts are analysed, mostly in connection with state or governmental succession (Chapter 2 III.2.). First, cases of so called war debts („dettes de guerre“) were examined, which represent a relatively clearly defined sub-category of odious debts. According to Sack, in case of annexation, debts shall not pass to the successor state if they have been contracted by the predecessor state for conducting a war against the annexing state. The analysis of precedents from the 17th century to the end of the Second World War indicates a state practice according to which all debts incurred after the beginning of a war were excluded from passing to the victor state, regardless of whether these debts have actually been used for conducting the war or for other purposes, possibly useful for the successor state. If this state practice is expression of a corresponding opinio iuris or of victor’s justice is difficult to assess. At any rate, such a rule would conflict with the modern principle of prohibition of force and cannot lead to morally convincing results, as even debts incurred for the purpose of self-defence against a war of aggression would be odious. Furthermore, the principle would not apply to cases without territorial change. Beyond the concept of war debts, cases are examined where the invalidity of debts was argued because the debts were incurred without benefit or even with damage to the population of the debtor state. Depending on the individual case, additional criteria were the presence of state succession (e. g. Mexico, Cuba, the „Germanisation“ of Poland), the despotic nature of

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English Summary

the debtor state (e. g. South Africa, Iraq) or creditor knowledge (e. g. the Tinoco case). First, it has to be noted that the concept of odious debts has historically often been discussed in the context of state succession. However, more recently, most cases discussed are instances of regime change. Interestingly, the lack of applicability of the doctrine of odious debts to such cases has been objected in one case only, a decision by the Iran US Claims Tribunal, which has not been taken up by other instances. A further result of the examination is the fact that in many cases, no consideration was given to the use of individual loans, but that often a general repudiation of all debts incurred by certain governments or states took place. In these cases, creditor knowledge cannot be relevant because there is no specific point of reference for such knowledge. In those instances where the specific use of debts was taken into account, it can be distinguished between cases where the proceeds were used for the personal benefit of the government (e. g. the Tinoco case) or for the suppression of the population (e. g. Cuba, Indonesia). A thorough analysis of the possible precedents leads to the conclusion that an opinio iuris in favour of the doctrine of odious debts can hardly be discerned. Primarily, many cases were unilateral acts or manifestations of victor’s justice (e. g. Cuba). In other instances where the benefit for the population was expressly taken as a point of reference, even a clear state practice was dubious, because either possibly odious debts were assumed (e. g. some Ecuadorian bonds) or debts were repudiated although they were obviously used for the benefit of the population (e. g. „Anschluss“ of Austria). Sometimes, extreme circumstances which only occurred in the individual case could hardly be generalised. On the other hand, a number of debt reductions were implicitly or expressly not based on the doctrine of odious debts, such as debt relief for Iraq or by Norway. Finally, in a variety of cases, debts were serviced although the application of the doctrine of odious debts seemed obvious (e. g. Haiti, Congo, Philippines, South Africa). Against this background, no rule of customary law can be found according to which certain debts that have been incurred without benefit for or with damage to the population of the debtor state are void. A further possible source of law for the invalidity of odious debts is private law. Private law can be applicable to the relevant agreement because of a choice of law clause, but it can also be part of international law by forming the basis of a general principle of law (Chapter 2 IV.). Albeit a lack of precedents referring to such principles, the legal concept of abuse of representative powers in corporate law could be transferred to constellations of odious debts. The relationship between the parties in corporate law (company, board of directors, stockholder, contractual partner) is sufficiently



English Summary415

comparable to the situation of sovereign debts with state, government, population, contractual partner as relevant actors to justify the transfer of legal principles. As a consequence, not only agreements concluded by a government which obviously conflict with domestic directions or a valid constitution are void, but also such agreements which have been concluded in contradiction with the interest of the state or the population, provided the creditor knew or could have known the purpose of the agreement (collusion or evidence). However, a number of legal problems remains unsolved, especially the definition of benefit for the population. Without a clear scope of application, the uncertainty of such a rule would jeopardise the reputation of the debtor state itself as well as of other potential debtors. Similar reservations have to be made with regard to general principles such as good faith, bonos mores and related concepts. As a result, the law in force justifies the repudiation of debts only in a limited number of cases, viz. in cases of violation of ius cogens, corruption, violation of valid constitutional law and on the basis of the clausula rebus sic stantibus, provided the nature of the debtor state was essential basis of the agreement. In contrast, for the majority of constellations discussed in the light of the doctrine of odious debts where agreements were concluded in violation of the interests of the population, no legal rule for the invalidity of such debts can be found. As a consequence, a state which repudiates debts on the basis of the doctrine of odious debts risks losing its reputation for future agreements. Chapter 3 Approach to a Regulation Mechanism The aim of this dissertation was not only to assess the legal status of the doctrine of odious debts in a realistic way, but also to show that a solution does not have to fail because of legal or factual obstacles. It is the legal uncertainty itself which argues in favour of a solution on the international level. Therefore, the first part of Chapter 3 (section A) focusses on regulation models which have already been offered by other scholars or organisations. These concepts can be divided into models that take individual obligations as a primary point of reference, models that emphasise responsible lending and models where the nature of the debtor state is essential for the qualification of its debts. Proposals which mainly take into account the nature of individual debts (Chapter 3 A.I.) have the advantage of qualifying only those agreements as odious which in fact have been used without or against the interest of the population. At the same time, they permit finding equitable solutions by

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English Summary

taking into account the creditor’s knowledge. However, all these approaches face the problem of defining which agreements are beneficial to the population of the debtor state. Neither variations of the Sackian definition nor the approach by Feilchenfeld contain a convincing solution. Other ­authors suggest amending contractual clauses, but such an approach would be dependant both on the willingness of the debtor state to implement the respective approach and on a general consensus on which agreements are legitimate. The examination of the various proposals indicates that it will hardly be possible to find general criteria which are valid for every individual case. Rather, the broad notion of benefit could be concretised by various criteria which on their own do not entail the invalidity of the debt, but which, seen in combination, permit a qualification of the respective agreement as odious or non-odious in the individual case. In this context, the nature of the debtor state should play a significant role, since the sale of weapons to an oppressor state should impose different requirements than the same agreement with a constitutional democracy. Starting from the important role of the debtor state, the solution suggested by Jayachandran, Kremer and Shafter provides for an institution which qualifies states as odious debt prone (Chapter 3 A.III). Loans contracted after such a classification are to be treated as odious, unless they have actually been used for legitimate purposes. This approach is convincing with regard to the creditor’s knowledge, as it is evident for any creditor if a loan will possibly be odious. In addition, it has to be welcomed that the use of the individual loan remains relevant, because this enables the continued financing of projects which are beneficial for the population. Nevertheless, some aspects can be criticised. First, there is no reason to reduce the approach to loans, as other types of agreements can be detrimental to the population as well. The main criticism, however, is that neither the model nor its various modifications by other scholars give a satisfying answer to the question which criteria shall be decisive for the classification of states as odious debt prone. The result is the risk of excessive influence by economic and political interest. Finally, models were examined which are essentially based on principles of responsible lending and transparency (Chapter 3 A.II.). These principles are still in a stage of development and depend on an authoritative implementation. In addition, transparency at the moment of the conclusion of the agreement does not necessarily imply its legitimacy, and the question subsists which purposes may be seen as legitimate. The examination of the various regulation models leads to the conclusion that all approaches raise a number of common questions which have to be answered for a convincing solution (cf. Chapter 3 B.), namely the possible



English Summary417

prerequisites, the institutional design, the practicability and the legal consequences of the doctrine of odious debts. One result of the detailed analysis of these problems is that the scope of application ratione materiae should be drawn widely, comprising not only loan contracts, but all contractual claims, irrespective of their financial or economic nature and whether they have already been fulfilled or not (Chapter 3 B.I.). However, tortious claims should be excluded, as the interests of the concerned parties are different from those of contractual claims. For reasons of legal certainty and practicability, a regulation model should only cover agreements concluded after its entry into force. The central substantial criterion for qualifying debts as odious is the benefit which the conclusion of an agreement brings about for the population of the debtor state (Chapter 3 B.II.). In some cases, this use can only be assessed after the conclusion of the agreement on the basis of the actual use of the proceeds. Therefore and for maximising the legal certainty of the model, the creditor should have knowledge of his investigation and monitoring obligations to the greatest possible extent at the conclusion of the agreement. By contrast, neither state or governmental succession nor the over-indebtedness of the debtor state can be relevant, because they do not influence the ethical appraisal of a debt as such. Equally, the democratic or undemocratic nature of the debtor state is not an adequate criterion because a precise definition of democracy is lacking and because it is the content, not the formation of a debt which is relevant for its qualification as odious. In particular, agreements concluded by democratic states in violation of minority rights are conceivable. Still, it should be avoided that all agreements with legitimately acting states must be scrutinised in each individual case. It has equally to be noted that treaties are principally neutral, since it depends on the individual implementation whether they are beneficial or detrimental for the population (e. g. weapons for defence or oppression; schools for the public or for the ruling class only). On these grounds, it is justified to link the qualification of debts among other criteria to the nature of the debtor regime. The essential question for qualifying the debtor state is to which extent it respects the interests of its population, because this justifies the presumption that the debtor state will use future agreements to the benefit or to the harm of its population. However, the creditor should be able to rebut the presumption by proving that an individual agreement has been concluded and used for legitimate purposes. For the institutional design of a regulation model, the central criteria are transparency, legitimacy, neutrality and the possibility to implement such a model (Chapter 3 B.IV.). In addition, the creditor’s knowledge should play

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a role (Chapter 3 B.II.3.). It cannot be sufficient to take only positive knowledge into account, but negligent ignorance should also be considered. This is given if the creditor has failed to take necessary and reasonable measures for avoiding the formation of an odious debt. Which measures are necessary depends principally on the contractual partner and on the content of the agreement. If an agreement has to be qualified as odious, the debtor state can object its invalidity (Chapter 3 B.VII.). According to legal principles of domestic and international law, the debtor will not only be free from the further performance of the agreement, but he can also object to the creditor’s claim of unjust enrichment the creditor’s violation of bonos mores. Chapter 4 The International Convention on the Prevention of Odious Agreements It is a consequence of the preceding deliberations that the question whether a state concludes and implements agreements with benefit to its population should be the focal point for dealing with odious debts. Importantly, this decision should not emanate from subjective valuations, but must follow objective, internationally recognised criteria. International law has elaborated such objective standards in the form of international human rights, which allow assessing in a differentiated way if a state respects the rights of its population, and which have been universally recognised (Chapter 4 B.I.). Hence, the different categories of human rights make it possible to appreciate whether a state respects or disregards the interests of its population, be it because it restricts liberties, discriminates against certain groups, prohibits democratic participation or uses public funds without regard to the fundamental needs of the population. The variety of rights ratione materiae and personae resolves the difficulty that a common interest of the whole population is often untraceable. In addition, human rights do not protect the majority’s interests if these violate the rights of the minority, for instance when a genocide is supported by large parts of the population. Furthermore, international monitoring mechanisms have lead to objective pronouncements on the content and scope of the various rights as well as the behaviour of certain states. Human rights incorporate values that have been inspired by a historic, geographic, philosophic and religious plurality and have been universally recognised in various human rights treaties and state practice, which makes them a legitimate point of reference for the doctrine of odious debts. Whereas in the interest of functioning economic relations it can be presumed that states generally conclude agreements with benefit to their popu-



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lations, this presumption is rebutted if a state continuously and severely violates the human rights of its population or international humanitarian law. The same can be said if due to wide spread corruption vast parts of agreements are used for personal purposes. Therefore, considering the broad international consensus on the condemnation of corruption, this criterion should equally be integrated into the regulation model. Consequently, Chapter 4 suggests the conclusion of an International Convention on the Prevention of Odious Agreements (ICPOA; cf. the draft convention on pp. 405 et seqq.). Member states to the convention should ideally represent a wide geographical, cultural, economic and political range. However, the ratification by a number of economically important states would be sufficient for the effectiveness of the model. The convention provides that all agreements concluded after the entry into force of the ICPOA are void if the contracting party is a state classified as odious debts-prone, unless the agreement complies with principles of responsible contracting as set out in the convention. Parties to the convention commit to refraining from concluding odious agreements or issuing guarantees for such agreements and to cooperating internationally to prevent their conclusion. In addition, parties to the Convention will not treat the non-performance of an odious agreement as a default or attach any other negative consequences to the non-performance of an odious agreement. Judgments, awards or any other enforcement orders issued on the basis of an odious agreement will not be recognised. Furthermore, creditors cannot demand the rescission of the agreement. Central to the convention are the criteria which justify the classification of states as odious debts-prone (cf. Chapter 4 B.). A state shall be classified as odious debts-prone if it must be presumed that the state will enter into agreements rather to the detriment to its population than to its benefit. This is either the case if the state is responsible for serious and systematic violations of human rights or international humanitarian law, or if its public sector is governed by severe and systemic corruption. The notion of serious and systematic violations is similar to other criteria used by the United Nations’ organs for attaching, e. g., trade or military sanctions; however, the term has to be interpreted autonomously in the context of odious debts, taking account of the quantity and quality of the violations (severity and frequency of acts of violation), and the state’s underlying intention (systematic action or omission). The criterion of severe and systemic corruption is fulfilled if corruption in the debtor state does not only occur in isolated cases but is rather the rule than the exception („systemic“), and if acts of corruption are of such a weight that they can have a considerable effect on public debt („severe“). In this context, corruption has to be understood as the abuse of public power for private or political gain in a manner as defined in art. 15 to 20 of the UN Convention against Corruption.

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Depending on their respective ratification, the following treaties constitute the legal sources for the states’ obligations to human rights and humanitarian law: ICCPR, ICESCR, ICERD, CEDAW, CAT, CRC with additional protocols 1 and 2, CRPD, the genocide convention, the apartheid convention and the Geneva conventions no. 1 to 4 with their additional protocols 1 and 2. In addition, the relevant provisions of customary international law must be respected. For assessing the observance of human rights and humanitarian law, the body classifying states as odious debtsprone will rely on reports issued by human rights treaty bodies and other international actors, such as special procedures of the Human Rights Council, the UN General Assembly, the UN Security Council or regional institutions, and by non-governmental organisations. The decision on the presence of severe and systemic corruption in the public sector can be made on the basis of a variety of reports. Such reports are issued by institutions specialised in the field of governance and anticorruption such as the African Development Bank, the World Bank, various research institutions and non-governmental organisations like Transparency International, as well as reports and public comments by other relevant actors. The task of qualifying states as odious debts-prone will be performed by an expert body. To this end, the Convention provides for the establishment of the Committee on the Prevention of Odious Agreements (CPOA), which consists of two sub-committees, the Sub-Committee on Human Rights and Humanitarian Law (CPOA-HR) and the Sub-Committee on Corruption (CPOACO). The work of the Committee will be supported by a standing secretariat. Each sub-committee shall consist of 18 independent experts with recognised competence in the requisite field and, ideally, legal expertise in order to assure consistent decisions. Each sub-committee shall decide with a quorum of 12 members and a qualified majority of two thirds of its voting members. The Sub-Committees shall meet regularly in order to assure that the classification of States is carried out or revoked in due time and in light of the current situation in the considered states. All relevant actors shall be included in the decision making, including the State whose classification is considered, the Parties to the present Convention, representatives of relevant International Organisations and relevant non-governmental organisations. Agreements with a state classified as odious debts-prone can still be validly concluded, provided their benefit to the population is established (Chapter 4 C.). Therefore, these agreements as well as any problems occurring at their performance must be registered with the CPOA in a publicly accessible way. The registration permits revealing suspicious patterns of behaviour and concretises obligation to exercise diligence of future credi-



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tors. In addition to its registration, the agreement must include a clause setting out the object and the purpose of the agreement, so that it can be assessed whether the agreement will be beneficial to the population of the classified state. Instead of a inflexible list of positive or negative purposes, the following criteria have to be considered for qualifying an agreement as beneficial: the object and the purpose of the agreement (e. g. defensive weapons; construction supplies for the building of schools); the nature of the debtor state and its current behaviour (e. g. violent suppression of opposition groups; privatisation of public institutions for the financial benefit of the ruling elite); the extent to which the observance of the agreement is verifiable and the relevant surrounding circumstances (e. g. forced displacement for the building of dams; building of schools by forced workers; for the different elements see Chapter 4 C.II.). If the combination of the criteria permits qualifying the agreement as legitimate, it has furthermore to be assured that the purpose of the agreement is respected. Therefore, the contracting party must take the necessary steps to abide by the newly developed principles of responsible contracting (Chapter 4 C.III.). First of all, certain basic elements have to be included into the agreement, viz. object and purpose of the agreement, a detailed implementation plan, a provision on the suspension, termination and rescission of the agreement and a provision choosing the law and jurisdiction of one of the States Parties to the ICPOA. The implementation plan must contain detailed provisions on the use of the object of the agreement, a schedule in accordance with which the object of the agreement will be used, and, if necessary, a schedule on the successive performance of the agreement according to the progress of the project; provisions on the procedure of amendment of the agreement in case of project-related obstacles; specific provisions for the prevention of negative social, environmental or human rights-related consequences; and provisions on project supervision and monitoring. If the classified state violates these provisions, the contracting party must terminate the agreement and register the termination with the CPOA, where other creditors can gain knowledge of specific problems with the performance of agreements. A creditor who has observed these principles can demand fulfilment of the agreement by the debtor state, even if it becomes apparent that the agreement has actually been used without benefit to the population. If, at a later date, the debtor state repudiates outstanding obligations, the creditor can take legal action before a competent domestic court. Over time, coherent standards for the legitimacy of agreements will evolve. Although the international community has not yet adopted a regulatory model for odious debts, there are several reasons for optimism. First, with

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current or future political changes in repressive states on virtually all continents, the subject matter is regularly gaining relevance. As debts of postdictatorial states and the involvement of creditors in industrial countries are being discussed in the daily press, odious debts attract attention by civil society, non-governmental organisations and churches. In consistence with these developments, states like Norway, but also branches of the UN, UNCTAD or the World Bank address the topic. Furthermore, there is a lively scholastic debate, to which this dissertation intends to contribute by demonstrating that a practicable solution is possible. Consequently, part B of Chapter 5 (p. 405 et seqq.) contains the regulatory model described above. This draft convention may not be relevant for instances where odious debts have been incurred or fulfilled in the past. However, considering the presence of inhuman regimes which are economically and financially supported by private and public creditors in all countries, the international community is urgently called upon to implement a solution to the issue of odious debts. The basic rule of arboriculture is equally valid for the area of odious debts: „The best time to plant a tree was 20 years ago. The next best time is now.“1

1  As quoted by Panizza, in: Paulus, Debt Restructuring Mechanism for Sover­ eigns, p. 229.

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Stichwortverzeichnis acquired rights  85, 110 f., 278 Afghanistan  208 Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker  341 Ägypten  205 Algerien  184 Alien Tort Statute  57 allgemeine Rechtsgrundsätze  82, 211 ff., 287 amerikanisch-spanischer Krieg  167 Amnesty International  342 Anerkennung (von Staaten)  84 Anfechtbarkeit  siehe Rechtsfolge Anleihen  siehe Staatsanleihen Anwendungsbereich der ICPOA  350 ff. Apartheid  88, 123, 184 ff., 331, 333 Äquatorprinzipien  siehe verantwort­liche Kreditvergabe Arabischer Frühling  204 ff. Argentinien  21, 85, 186 ff. Aristoteles  24 ASEAN  341 ATCA  siehe Alien Tort Statute audit  199, 205, 206, 234 Bedjaoui –– Konventionsentwurf nach  103, 151, 189, 235 beiderseitig erfüllte Verträge  307 Beihilfe  58, 126, 127, 132 f., 136, 139, 140, 145 Belarus  84, 328 Belgien  198 ff. benefit  siehe Nutzen Bereicherungsrecht  31, 222, 284, 302 ff., 308

BIT  siehe Investitionsschutzabkommen bond  siehe Staatsanleihen Bundestag  33 Burenkrieg  157 Bürgerkrieg (russischer)  161 Bürgerkrieg (USA)  156 cheapest cost avoider  75 China  116, 183, 200, 264, 300, 328 clausula rebus sic stantibus  117 ff. clean hands  224, 242 clean-slate-Prinzip  97, 105 Committee on the Prevention of Odious Agreements  siehe CPOA consent  28, 231, 281 ff. Corruption Perceptions Index  348 Costa Rica  175 ff. CPOA  371 ff. –– Sekretariat  376 DDR  192, 208 debt audit  siehe audit deliktische Schulden  275 ff. Demokratie  83 ff., 231, 262, 267, 281 ff. dettes de guerre  siehe war debts Deutsches Reich  158, 162, 174, 179, 207, 263 Deutschland  25, 192, 205 Deutsch-Ostafrika  162 diplomatischer Schutz  133 Dismembration  95 ff., 105 ff., 110 ff. droits acquis  siehe acquired rights Ecuador  48, 199 ff. Effektivitätsgrundsatz  83 Elfenbeinküste  88 Entwicklungszusammenarbeit  359 ff.

Stichwortverzeichnis441 Erlass  33, 50 ff., 149, 186, 195–198, 205, 233, 279 Erlassjahr  32, 51 Erster Weltkrieg –– Friedensverträge  158 ff. EU  204, 323, 381 Europäische Union  siehe EU Europarat  88, 341, 349 Extraterritorialität  131 fair and equitable treatment  385 Fair and Transparent Arbitration Process  siehe FTAP Frankreich  184 FTAP  53, 293, 368 Fungibilität  71 ff. Fusion  95, 100, 104, 106, 108 G7  256, 381 G8  251, 256 Gabčíkovo-Nagymaros-Projekt  118 Generalversammlung  siehe UN-Generalversammlung Geschäftsgrundlage  47, 69 Gesellschaftsrecht –– Vertretungsrecht  215 ff. gesetzliches Verbot  69 Gewaltverbot  29, 45, 164, 209, 395 Gewohnheitsrecht  siehe Völker­ gewohnheitsrecht Gläubigerkenntnis  siehe Kenntnis Griechenland  206 Grotius  24 habsburgische Schulden  165 Haiti  88, 207, 344 Handelssanktionen  62 Heavily Indebted Poor Countries Initiative  siehe HIPC HIPC  51 Hoher Kommissar für Menschenrechte  339 hostile debts  30

Human Rights Committee  319, 338, 372 ff. Human Rights Council  135, 319, 332, 420 Human Rights Watch  342 humanitäres Völkerrecht  321 f., 326 f. –– Kernkoventionen  326 Hussein  siehe Irak IBRD  siehe Weltbankgruppe ICPOA  311 ff. –– Beteiligte  380 ff. –– Implementierung  380 ff. –– Konventionsentwurf  405 ff. –– Verfahren  376 ff. ICSID  92 IGH  245, 294, 340 illegitime Schulden  49 ff. Immunität  35, 57 Indonesien  21, 181, 192, 208, 344 Integration  106 Interamerikanische Menschenrechts­ kommission  341 Interesse der Bevölkerung  siehe Nutzen; Demokratie International Convention on the Prevention of Odious Agreements siehe ICPOA Internationaler Gerichtshof  siehe IGH Internationaler Währungsfonds  siehe IWF Investitionsabkommen  37, 384 ff. Investitionsschutzabkommen  279, 384 ff. Irak  19, 32, 68, 115, 192 ff., 233, 265, 276, 297, 313 Iran  188 ff., 328 Iran-US Claims Tribunal  188 ff., 233 Italien  25 ius cogens  89, 122 ff., 224, 236, 245, 269, 301, 353 IWF  34, 40, 51, 102, 187, 206, 245, 265, 295, 349, 382 Jarvis-Fall  171 ff. Jemen  206

442 Stichwortverzeichnis Jubeljahr  51 Jubilee  32 jus cogens  siehe ius cogens Kambodscha  263 Kamerun  25 Kenia  92 Kenntnis  20, 28, 42, 127 f., 133, 136, 165, 168, 178, 218, 229 f., 245, 257, 262, 287 ff., 304, 309, 357 Kollusion  213, 218 Kongo  208 Kontinuität  114 Korruption  69, 90 ff., 250, 343 ff. Kreditanstalt für Wiederaufbau  361 Kreditsanktionen  62, 254 ff., 265 ff., 271 KSZE  88 Kuba  167 ff., 180, 328 least developed countries  43 Libyen  206, 265 lokale Schulden  106 lokalisierte Schulden  106 Londoner Club  111 MDRI  51 Menschenrechte  70, 122 ff., 245, 266, 269, 313 ff. –– erga-omnes-Wirkung  133 –– gewohnheitsrechtliche Geltung  139, 330 –– Kernkonventionen  323 ff. –– Objektivität  318 ff. –– Schutzbereiche  319 ff. –– schwerwiegende und systematische Verletzungen  331 ff. –– Überprüfungsmechanismen  336 ff. –– Universalität  314 ff. –– Verpflichtung von Unternehmen  134 –– wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte  138, 147, 312, 320 Mexiko  165 Missbrauch der Vertretungsmacht  69, 212 ff.

Multilateral Debt Relief Initiative  siehe MDRI newly independent states  100, 101, 105 Nicaragua  207 Nichtigkeit  siehe Rechtsfolge nichtöffentlichen Gläubiger  41 Nigeria  21, 196 ff. non-refoulement  139 Nordkorea  42, 84, 263, 330 Norwegen  49, 197, 265, 270 Nutzen  25, 29, 165 ff., 228, 241, 249, 261, 284 ff., 308, 352 ff. nützliche Verträge  siehe Nutzen Obama, Barack  33 odiöse Regime  290 ff. OECD  256, 346, 381 öffentliche Gläubiger  43 ökonomische Haftungstheorie  75 opinio iuris  siehe Völkergewohnheitsrecht ordre public  93, 384 Organisation Amerikanischer Staaten  341, 349 Österreich  179 pacta sunt servanda  69 ff. Paris Club  45, 193, 197, 247 ff., 294 Philippinen  21, 207 Polen  173 ff. Principles on Promoting Responsible Sovereign Lending and Borrowing siehe verantwortliche Kreditvergabe Privatautonomie  69 Private Gläubiger  siehe nichtöffent­liche Gläubiger Privatrecht  211 ff., 242 ff. PRSLB  siehe verantwortliche Kreditvergabe radizierte Verträge  101, 393 Railway Bonds  183

Stichwortverzeichnis443 Recht auf Selbstbestimmung  siehe Selbstbestimmung Rechtsfolge der Odious-Debts-Doktrin  222, 300 ff. Rechtsmissbrauch  213 Reconstruction  166 Regierungswechsel  69, 95 ff., 114 ff., 280 regime debts  30 Regimewechsel  siehe Regierungs­ wechsel Reputation  47, 64 responsible lending  siehe verantwort­ liche Kreditvergabe Restrukturierung  166, 188, 201 ff., 204, 278, 291, 297 ff. Ruanda  208 Russland  161, 200, 300, 328  siehe auch UdSSR Sack, Alexander N.  26 ff., 30, 94, 228 Saddam Hussein  siehe Irak Salt-Bonds  183 Saudi-Arabien  328 Schadensersatzansprüche  57 Schulden  siehe Staatsschulden Schuldenerlass  siehe Erlass Schutzgebietsanleihen  174 ff. security council  siehe UN-Sicherheitsrat Selbstbestimmung  70, 86 f., 143 ff., 219, 236, 320, 331 self-determination  siehe Selbstbestimmung Sezession  89, 95 ff., 100, 102 ff., 106 f., 109, 113, 152, 392 SFRJ  40, 105, 111 Sicherheitsrat  siehe UN-Sicherheitsrat Sierra Leone  88 Sittenwidrigkeit  69, 224, 245, 303, 383 Sowjetunion  siehe UdSSR Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien  siehe SFRJ sozialistische Revolutionsregel  116

Staateninsolvenz  36, 52, 54 ff., 245, 281, 293, 350, 368 Staatennachfolge  95 ff. Staatensukzession  siehe Staaten­ nachfolge Staatenverantwortlichkeit  127, 133 –– Nachfolge in Verbindlichkeiten aus  111 ff. Staatsanleihen  39 f., 202, 237, 278, 288, 291 Staatsschulden (Begriff)  36 ff., 274 ff. stakeholder value  216 Steuerrecht  270 subjugation debts  30, 151, 165, 174, 182, 190, 209, 235, 261 Südafrika  32, 184 ff., 263, 272 Sudan  21, 42, 328 Südsudan  98 Syrien  21, 328 Tinoco-Schiedsspruch  175 ff. Todesstrafe  140, 317, 323 Transparency International  344, 348 Transvaal  157 Treu und Glauben  223, 254, 261, 304 Tschad  25 Tunesien  205 Turkmenistan  328 UdSSR  97, 105, 162, 208, 435, 436 Umschuldung  siehe Restrukturierung UNCTAD  32, 55, 245, 380 UNCTAD principles  siehe verantwortliche Kreditvergabe UN-Generalversammlung  88, 340, 381 ungerechtfertigte Bereicherung  siehe Bereicherungsrecht UNIDROIT-Prinzipien  244 Universal Periodic Review  318, 319, 339, 438 Universalsukzession  97 UN-Sicherheitsrat  88, 256, 294, 332, 340

444 Stichwortverzeichnis unzulässige Rechtsausübung  213 USA  33, 167, 179, 188, 195

Völkermord  123, 125, 139, 222, 271, 285, 331, 334

Venezuela  171 venire contra factum proprium  140 verantwortliche Kontrahierung  351 ff., 357 ff., 364 ff. verantwortliche Kreditvergabe  54, 248, 351 –– Äquatorprinzipien  56, 362 ff. –– Entwicklungszusammenarbeit  359 –– Principles on Promoting Responsible Sovereign Lending and Borrowing  55 Vertrag von Versailles  158, 173 Vertragstreue  siehe pacta sunt servanda Vertretungsrecht  212 ff. Völkergewohnheitsrecht  79 ff., 151 ff.

war debts  28 ff., 155 ff., 163, 173, 181 f., 228, 235 Wegfall der Geschäftsgrundlage  siehe clausula rebus sic stantibus; ­Geschäftsgrundlage Weltbankgruppe  25, 32, 40, 51, 102, 245, 295, 344, 349, 359, 380, 382 WTO  245, 296 zeitlicher Anwendungsbereich  277 ff., 350 Zession  99, 105 ff., 113, 160, 168 Zweiter Weltkrieg –– Schuldenregelungen  162 ff.