Neubestimmung der acte-clair-Doktrin im Kooperationsverhältnis zwischen EG und Mitgliedstaat [1 ed.] 9783428522248, 9783428122240

Die acte-clair-Doktrin bildet ein Instrument zur Beschränkung der Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte hinsich

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Neubestimmung der acte-clair-Doktrin im Kooperationsverhältnis zwischen EG und Mitgliedstaat [1 ed.]
 9783428522248, 9783428122240

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KATHARINA HUMMERT

Neubestimmung der acte-clair-Doktrin im Kooperationsverhältnis zwischen EG und Mitgliedstaat

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 122

Neubestimmung der acte-clair-Doktrin im Kooperationsverhältnis zwischen EG und Mitgliedstaat

Von Katharina Hummert

Duncker & Humblot • Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum hat diese Arbeit im Wintersemester 2005 / 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 294 Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-12224-0 978-3-428-12224-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706®

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2005/2006 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Juli 2005 abgeschlossen. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand vom Januar 2006, teilweise konnten sie noch bis Mai 2006 berücksichtigt werden. Die Arbeit hat das Kooperationsverhältnis zwischen EG und Mitgliedstaaten zum Gegenstand. Einige besonders fruchtbare persönliche Kooperationsverhältnisse haben auch sie erst möglich gemacht: Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Martin Burgi, der das Promotionsvorhaben anregte und betreute. Er hat mich während aller Stadien der Promotion wohlwollend unterstützt und den Schreibprozess mit vielfältigen Anregungen vorangebracht. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Ralf Poscher für die Idee zum Thema der Arbeit sowie die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Bei den Herren Prof. Dr. Siegfried Magiera sowie Prof. Dr. Dr. Detlef Merten bedanke ich mich für die Aufnahme in die „Schriften zum Europäischen Recht". Dem Geschäftsführenden Direktor des Instituts für Berg- und Energierecht, Herrn Prof. Dr. Johann-Christian Pielow, danke ich herzlich für die mir gewährten Freiräume und die Unterstützung, ebenso wie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Berg- und Energierecht für die freundliche Arbeitsatmosphäre. Meine Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin dort wird mir immer in guter Erinnerung bleiben. Großer Dank gebührt meiner Familie, die mich stets in jeder Hinsicht unterstützt hat und ohne die diese Arbeit nicht hätte geschrieben werden können. Vor allem aber danke ich Herrn Ulf Westerhoff, der mich liebevoll und geduldig durch die Höhen und Tiefen der Erstellung der Arbeit begleitet hat. Bochum, im Mai 2006

Katharina Hummert

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung

15

2. Teil Bestandsaufnahme A. Die Position der Vorabentscheidung im europarechtlichen Gefüge I. Die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens

17 17 17

1. Kooperationscharakter

19

2. Wahrung der Einheit der Rechtsordnung

20

3. Individualrechtsschutz

22

II. Die Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens III. Schlussfolgerung B. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte I. Vorlagepflichtige Gerichte II. Gegenstand der Vorlagepflicht III. Umfang der Vorlagepflicht C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin I. Nationale Rechtsprechung II. Europäische Rechtsprechung

23 24 25 25 28 29 31 31 33

1. Das C.I.L.F.I.T.-Urteil des EuGH

34

2. Kritik

35

III. Vorlagepraxis der nationalen Gerichte

40

IV. Ergebnis zur bisherigen Handhabung der acte-clair-Doktrin

46

8

nsverzeichnis

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht I. Europäische Ebene

46 46

1. Vertragsverletzungsverfahren

46

2. Staatshaftungsanspruch gegen die Mitgliedstaaten

49

3. Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK

53

II. Nationale Ebene: Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG III. Schlussfolgerungen

54 59

E. Auswirkungen bisheriger Reformen auf die dargestellten Probleme I. Vertrag von Nizza

60 61

1. Zuständigkeit des EuG für Vorabentscheidungsersuchen

62

2. Bildung von Kammern

64

3. Würdigung der Änderungen durch den Vertrag von Nizza

65

II. Änderung der Verfahrensordnung des EuGH

67

III. Europäische Verfassung

68

IV. Ergebnis zu den bisherigen Reformen

71

E Ergebnisse der Bestandsaufnahme

72

3. Teil Möglichkeiten einer künftigen Reform des Vorabentscheidungsverfahrens A. Allgemeine Anforderungen an eine Reform I. Subsidiaritätsprinzip II. Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens III. Zwischenergebnis B. Modelle der Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene I. Filterverfahren beim EuGH

75 75 77 82 83 84 84

1. Annahme verfahren

85

2. Entscheidung über einen Lösungsvorschlag des nationalen Gerichts

88

nsverzeichnis II. Vorabentscheidungskompetenzen des EuG

89

III. Dezentralisierte Gemeinschaftsgerichte

92

IV. Ergebnis

94

C. Stärkung der Position der nationalen Gerichte I. Filterung durch die obersten nationalen Gerichte II. Filterung durch die vorlagepflichtigen Gerichte

97 97 99

4. Teil Neubestimmung der Vorlagepflicht A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG I. Auslegungmethode II. Wortlaut III. Systematik

101 101 102 105 107

1. Art. 234 Abs. 2 EG

107

2. Art. 225 Abs. 3 EG

108

3. Art. 220 Abs. 1 EG

110

4. Art. 5 Abs. 2 EG

110

IV. Sinn und Zweck

111

1. Einheit der Rechtsordnung

114

2. Individualrechtsschutz

121

3. Schlussfolgerung

123

V. Auslegungsergebnis

124

B. Standpunkt des EuGH

126

C. Entwicklung eines neuen Maßstabs: Die gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit

129

I. Allgemeine Anforderungen

130

II. Entwicklung von Leitlinien

131

10

nsverzeichnis III. Beispiele für die Anwendung des Kriteriums der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit 135 IV. Ergebnis zum Kriterium der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit . 138

D. Ergebnis zur Neubestimmung

141

5. Teil Auswirkungen der Neubestimmung auf das Vorlagerecht der unterinstanzlichen Gerichte

143

6. Teil Sanktionen bei Missachtung der Vorlagepflicht

147

A. Vorlagerecht der Kommission

147

B. Nichtvorlagebeschwerde zum EuGH

148

C. Schlussfolgerung

150

7. Teil Ergebnisse

151

Literaturverzeichnis

154

Stichwortverzeichnis

172

Abkürzungsverzeichnis ABl. EG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art.

- Artikel - Article

AWD

Außenwirtschaftsdienst

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BB

Betriebs-Berater

Bd.

Band

BFH

Bundesfinanzhof

BFHE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BReg.

Bundesregierung

BSGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts

Bull.

Bulletin

BVerfG BVerfGE

Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

CDE

Cahiers de droit européen

CMLRev.

Common Market Law Review

ders.

derselbe

dies.

dieselben

DJT

Deutscher Juristentag

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DStJG

Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft

DStR

Deutsches Steuerrecht

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

12 DZWir

Abkürzungsverzeichnis Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EC

European Community

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EEC

- European Economic Community - Treaty establishing the European Economic Community

EG

- Europäische Gemeinschaft - Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EG W O

Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen

ELRev.

European Law Review

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

endg.

endgültig

EP

Europäisches Parlament

EP-Dok.

Offizielle Dokumente des Europäischen Parlaments

EU

- Europäische Union - European Union

EuG

Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Europarecht

EUV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f. / ff.

folgende

Fn.

Fußnote

FS

Festschrift

gem.

gemäß

GG

Grundgesetz

GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

GRUR Int

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht International

GS

Gedächtnisschrift

HFR

Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung

Hrsg.

Herausgeber

HStR

Handbuch des Staatsrechts

i. S. d.

im Sinne des

i.V.m.

in Verbindung mit

JA

Juristische Arbeitsblätter

Jur. Diss.

Juristische Dissertation

Abkürzungsverzeichnis Jur. Habil.

Juristische Habilitation

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KG

Kammergericht

KOM

Offizielle Dokumente der Europäischen Kommission

Komm.

Kommentar

Liefer.

Lieferung

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

MLRev.

Modern Law Review

Nds.VBl.

Niedersächsische Verwaltungsblätter

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

No.

Numéro

Nr.

Nummer

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OLG

Oberlandesgericht

RabelsZ

Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

RevMC

Revue du marché commun

RIW

Recht der internationalen Wirtschaft

Rn.

Randnummer

Rs.

Rechtssache

RTDE

Revue trimestrielle du droit européen

S.

Seite

SächsVBl.

Sächsisches Verwaltungsblatt

SEW

Sociaal-economische wetgeving

Slg.

Sammlung

sog.

sogenannt

u.

und

u. a.

- und andere - unter anderem

UAbs.

Unterabsatz

u.U.

unter Umständen

v.

- vom - von - versus

VB1.BW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

verb.

verbunden

VerfO

Verfahrensordnung

VG

Verwaltungsgericht

vgl.

vergleiche

Vol.

Volume

WRP

Wettbewerb in Recht und Praxis

YEL

Yearbook of European Law

14

Abkürzungsverzeichnis

z. B.

zum Beispiel

ZEuP

Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZeuS

Zeitschrift für europäische Studien

ZfRV

Zeitschrift für Rechtsvergleichung

ZfZ

Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

Ziff.

Ziffer

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZLR

Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZUR

Zeitschrift für Umweltrecht

ZZP

Zeitschrift für Zivilprozess

1. Teil

Einleitung Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der acte-clair-Doktrin, einem Instrument, das eine Einschränkung der Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EG bewirkt. Sie beruht auf der Annahme, dass eine Vorschrift, deren Bedeutung so klar ist, dass sie keiner Auslegung bedarf, von den letztinstanzlichen Gerichten dem EuGH nicht vorgelegt werden muss. Insofern hat sie auf den ersten Blick nur die formale Frage der Trennung zwischen Auslegung und Anwendung des Rechts zum Gegenstand. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass sie gleichzeitig ein Mittel zur Kompetenzabgrenzung zwischen den europäischen und den nationalen Rechtsprechungsorganen und damit zwischen EG und Mitgliedstaaten darstellt. Durch diesen Aspekt werden fundamentale Fragen des Verhältnisses zwischen EU und Mitgliedstaaten sowie grundlegende Prinzipien der EU berührt, was der auf den ersten Blick unscheinbar anmutenden acte-clair-Doktrin eine besondere Tragweite verleiht. Aus diesem Grund war und ist sie Gegenstand kontroverser Interpretation auf nationaler und europäischer Ebene, die durch das Bestreben gekennzeichnet ist, die eigenen Kompetenzen mithilfe der engen oder weiten Auslegung des Umfangs der Vorlagepflicht möglichst auszudehnen. Die acte-clair-Doktrin wurde vor allem zu Beginn der Tätigkeit der EG und bis zu Beginn der 1980er Jahre diskutiert. Nachdem es in der Folgezeit in Rechtsprechung und Literatur recht still um sie geworden war, erlangt die Diskussion um den Umfang der Vörlagepflicht in jüngerer Zeit wieder Bedeutung, insbesondere aufgrund der neuen Herausforderungen, denen sich das Vorabentscheidungsverfahren angesichts einer stetig steigenden Flut von Vorlagen und einem auf Gerichte aus 25 Mitgliedstaaten erweiterten Kreis von Vörlageorganen gegenüber sieht. Diese Entwicklung bedingt die Notwendigkeit, den EuGH von Vörabentscheidungsfragen zu entlasten, um seine effektive Arbeit weiterhin sicherstellen zu können. In diesem Zusammenhang soll hier der Frage nachgegangen werden, ob sich der acte-clair-Doktrin nicht Impulse zur Lösung dieser sog. „Krise des Vorabentscheidungsverfahrens" entnehmen lassen. Sie räumt den vorlagepflichtigen nationalen Gerichten einen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Frage ein, wann eine Vorlage an den EuGH geboten ist. Die dadurch bewirkte Aufweichung der Absolutheit der Vörlagepflicht bietet einen Ansatzpunkt, um die letztinstanzlichen nationalen Gerichte stärker in die Auslegung des Gemeinschaftsrechts einzubeziehen

16

1. Teil: Einleitung

und dadurch eine Entlastung des EuGH zu bewirken. Möglich wäre, aufbauend auf der bestehenden Ausnahme von der Vorlagepflicht in Fällen eines acte clair eine weitergehende Lockerung der Vorlagepflicht vorzunehmen. Bei den dahingehenden Überlegungen sollen auch die Auswirkungen einer solchen Neufassung auf den Umfang des bisher uneingeschränkten Vorlagerechts der unterinstanzlichen Gerichte in den Blick genommen werden, ein Aspekt, der für die Entlastung des EuGH besonders entscheidend ist. Neben dem Entlastungseffekt hätte eine Neufassung weiterreichende, die Struktur der EG betreffende Konsequenzen, die durch die Funktion der acte-clair-Doktrin als Mittel zur Kompetenzabgrenzung zwischen europäischer und nationaler Ebene bedingt sind. Diese werfen zunächst die grundsätzliche Frage auf, wie die Zuständigkeitsverteilung zwischen europäischen und nationalen Organen und insbesondere zwischen den Gerichtsbarkeiten in Zukunft auszugestalten ist, um den gesteigerten Anforderungen der modernen, erweiterten EU gerecht zu werden. Daran anknüpfend soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit eine neugefasste acte-clair-Doktrin eine Zuständigkeitsverteilung bewirken kann, die im Einklang mit diesem anzustrebenden Kompetenzmodell steht, jedoch gleichzeitig die Ziele der EU nicht gefährdet. Im Rahmen der Untersuchung, ob die acte-clair-Doktrin das Potential hat, als Grundlage einer Reform des Vorabentscheidungsverfahrens zu dienen, und wie diese aussehen könnte, soll zunächst in einer Bestandsaufnahme der status quo hinsichtlich der Funktion und Wirkungsweise des Vorabentscheidungsverfahrens sowie der Vorlagepflicht gem. Art. 234 Abs. 3 EG und deren Ausnahmen festgestellt werden (2. Teil). Dies lässt Rückschlüsse auf etwaige Schwächen des bestehenden Systems zu, die bereits Hinweise auf die Anforderungen an eine Neubestimmung geben können. Davon ausgehend sollen verschiedene Modelle einer Reform des Vorabentscheidungsverfahrens dahingehend betrachtet werden, inwieweit sie im Einklang mit der Struktur und den Zielen des Vörabentscheidungsverfahren stehen (3. Teil). Diese Untersuchung bildet die Grundlage für eine methodische Analyse des Art. 234 Abs. 3 EG im Hinblick auf die Frage, ob eine neu bestimmte Vorlagepflicht in Erweiterung der acte-clair-Doktrin eine Alternative zu diesen Vorschlägen bieten kann und wie diese konkret auszugestalten ist, um der Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens gerecht zu werden. (4. Teil). Im Anschluss ist zu erörtern, welche Konsequenzen für das Vorlagerecht der unterinstanzlichen Gerichte mit einer neubestimmten Vorlagepflicht verbunden sind (5. Teil). Abschließend soll darauf eingegangen werden, ob eine Verschärfung der Mittel zur Durchsetzung der neu gefassten Vorlagepflicht eine sinnvolle Ergänzung zu diesem Weg der Reform darstellen würde (6. Teil), bevor in einem Resümee die Ergebnisse der Untersuchungen zusammengefasst werden (7. Teil).

2. Teil

Bestandsaufnahme Als Ausgangspunkt für die weitere Analyse soll zunächst die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens und der Vorlagepflicht sowie ihre Konkretisierung und Handhabung durch den EuGH und die nationalen Gerichte untersucht werden.

A. Die Position der Vorabentscheidung im europarechtlichen Gefüge Das europäische Vorabentscheidungsverfahren stellt nicht nur eine Möglichkeit zur Anrufung des EuGH dar, vielmehr kommt ihm daneben eine tragende Rolle im Hinblick auf die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des europäischen Rechtssystems sowie die Umsetzung fundamentaler Prinzipen der EU zu.

I. Die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens Die Existenz des Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 234 EG hat ihren Grund in der dezentralisierten und damit dualen Struktur der Gerichtsbarkeit in der EG. Entsprechend der Stellung der EG als supranationaler Organisation souveräner Staaten1 ist diese geprägt durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander von nationalen Gerichten und EuGH.2 Gem. Art. 220 EG obliegt dem EuGH die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Aufgrund des AnwendungsVorrangs des Gemeinschaftsrechts sowie seiner unmittelbaren Wirkung in den Mit1 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht in Einzelstudien, S. 97 ff.; Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 7; Oppermann, Europarecht, § 12 Rn. 6 ff. 2 EuGH, Rs. 244/80, Slg. 1981, S. 3045, 3062 Rn. 16 - Foglia Novello II; Schumann, ZZP 1965, S. 77, 83; Lieber, Vorlagepflicht, S. 6; Schwarze, NJW 1992, S. 1065, 1071; Everting, DRiZ 1993, S. 5, 11; Lenaerts, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 355; Anderson, in: Andenas, Art. 177 References, Kap. 2.1; Burgi, DVB1. 1995, S. 772, 776; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 43; Barnard/ Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1117; Wohlfahrt, in: Grabitz/Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 2; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1890.

2 Hummert

18

2. Teil: Bestandsaufnahme

gliedstaaten sind neben dem EuGH jedoch auch die nationalen Gerichte verpflichtet, in den bei ihnen anhängigen Verfahren die Vorschriften des europäischen Rechts, sofern sie unmittelbare Geltung entfalten, anzuwenden.3 Ihnen kommt also die Rolle von Gemeinschaftsgerichten im funktionellen Sinn zu.4 Aufgrund dieses Umstands besteht, insbesondere bedingt durch national unterschiedlich geprägte methodische und rechtliche Sichtweisen, die Gefahr divergierender Entscheidungen der verschiedenen mitgliedstaatlichen Gerichte und des EuGH, die zu einer Rechtszersplitterung führen würden.5 Dies hätte unabsehbare Folgen, da die einheitliche Geltung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts als das Herzstück des gemeinschaftlichen Verfassungssystems bezeichnet werden kann.6 Zunächst würde das zentrale Ziel der EG, die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes, beeinträchtigt, da sich die wirtschaftliche Tätigkeit der Marktteilnehmer nicht in einem einheitlichen Rahmen bewegen und die unterschiedliche Auslegung bestimmter Rechtsbegriffe in den Mitgliedstaaten zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde. 7 Zudem könnte die Gleichheit der Unionsbürger vor dem Gesetz8 sowie eine gleichmäßige Verteilung der Vorteile und Lasten der Integration auf die einzelnen Mitgliedstaaten9 nicht mehr gewährleistet werden, so dass die Integration insgesamt gefährdet wäre. 10 3 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1269 ff. - Costa/ENEL; Rs. 33/76, Slg. 1976, S. 1989, 1998 - Rewe-Zentralfinanz; Rs. 106/77, Slg. 1978, S. 629, 643 Rn. 16 - Simmenthal; Fastenrath, JA 1986, S. 283, 284; Dauses, in: FS Everling, S. 223; Tonne, Effektiver Rechtsschutz, S. 263; Wohlfahrt, in: Grabitz/Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 1; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 2; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 303; Middeke, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 2; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 8. 4

Begriff geprägt von Burgi, DVB1. 1995, S. 772; aufgenommen von Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 43; Darmon, CDE 1995, S. 577, 578; Barnard/Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113; Zuleeg, NJW 2000, S. 2846, 2847; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 303; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 1; Heß, RabelsZ 2002, S. 470, 473; Middeke, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 9; Pache/Knauff, NVwZ 2004, S. 16, 17. 5 EuGH, Rs. 166/73, Slg. 1974, S. 33, 38 Rn. 2 - Rheinmühlen; Everling, Vorabentscheidungsverfahren, S. 16; Lieber, Vorlagepflicht, S. 6; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 44; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 54; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 2; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 303; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/ EGV, Art. 234 Rn. 3; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 126. 6

Oppermann, DVBl. 1994, S. 901, 906; in diesem Sinne auch Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 18. 7 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1270 - Costa/E.N.E.L.; Glaesner, EuR 1990, S. 143, 144; Timmermans, in: Curtin/ Heukels, Institutional Dynamics, S. 391; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 46; Wohlfahrt, in: Grabitz/ Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 7; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 303. 8 EuGH, Rs. 94/71, Slg. 1972, S. 307, 319 Rn. 11 - Schlüter/Hauptzollamt Hamburg; Rs. 39/72, Slg. 1973, S. 101, 115 Rn. 24 - Kommission/Italien; Hatje, EuR 1998, Beiheft 1, S.7.

A. Die Position der Vorabentscheidung im europarechtlichen Gefüge

19

Der dezentralen Struktur der EG steht also im Bereich der Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts das Bedürfnis nach einer zentralen Entscheidungsinstanz gegenüber.11 Um diesem Bedürfnis gerecht zu werden, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die besondere Konzeption des Vorabentscheidungsverfahrens gewählt.

1. Kooperationscharakter Die Besonderheit des Vorabentscheidungsverfahrens besteht vor allem darin, dass es ein Kooperationsverhältnis zwischen EG und Mitgliedstaaten auf gerichtlicher Ebene institutionalisiert. 12 Die Gerichte wirken arbeitsteilig zusammen, indem dem EuGH die Aufgabe der Schaffung einer einheitlichen Linie in der Auslegung des Gemeinschaftsrechts sowie der Entscheidung über die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht zugewiesen wird, während seine Anwendung den nationalen Gerichten vorbehalten bleibt. 13 In dieser Konzeption des EG-Vertrages im Hinblick auf Auslegungsfragen zeigt sich die gleichberechtigte Stellung von EuGH und mitgliedstaatlichen Gerichten. 14 Denn das Vorabentscheidungsverfahren ist nicht in der Form eines Rechtsbehelfsverfahrens, in dem die Prozessparteien die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch die nationalen Gerichte rügen können, ausgestaltet. Die Parteien des Ausgangsrechtsstreits haben kein eigenes Recht zur Anrufung des EuGH. 15 Es schafft vielmehr ein Zwischen verfahren, in dem das nationale Gerichtsverfahren ausgesetzt, der EuGH angerufen und dessen Antwort auf die aufgeworfene Frage in der Entscheidung des jeweiligen Rechtsstreits durch das nationale Gericht zugrunde gelegt wird. 16

9 EuGH, Rs. 39/72, Slg. 1973, S. 101, 115 Rn. 24 - Kommission/Italien; Hatje, EuR 1998, Beiheft 1, S. 7; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 44. 10 Hatje, EuR 1998, Beiheft 1, S. 7. 11 Lieber, Vorlagepflicht, S. 8; Lenz, DRiZ 1995, S. 213; Groh, EuZW 2002, S. 460, 461; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 2. 12 Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 47; Lenz, DRiZ 1995, S. 213; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1890; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 3; Zuleeg, NJW 2000, S. 2846, 2847. 13 EuGH, verb. Rs. 28-30/62, Slg. 1963, S. 63, 81 - Da Costa; Rs. 244/80, Slg. 1981, S. 3045, 3062 Rn. 14- Foglia/Novello II; verb. Rs. C-297/88 und C-197/89, Slg. 1990, S. 1-3763, 3794 Rn. 38 - Dzodzi; Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313, 319; Millarg, EuR 1983, S. 161, 166; Pescatore, BayVBl. 1987, S. 68, 70; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 3; Barnard/ Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113, 1116; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 62; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2658; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 4. 14 Olmi, FS Pescatore, S. 499, 529; Arnull, MLRev. 1989, S. 622. Dazu kritisch: Hofmann, Rechtsschutz und Haftung, S. 288. 2*

2. Teil: Bestandsaufnahme

20

Der Kooperationsgedanke des Vorabentscheidungsverfahrens wirkt eng mit dem Subsidiaritätsprinzip zusammen.17 Dieses ist in Art. 5 EG verankert und enthält die Grundaussage, dass Gemeinschaftsorgane nur dann tätig werden dürfen, wenn erstens die Gemeinschaftsziele durch die Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht und zweitens diese Ziele durch die Gemeinschaft besser erreicht werden können.18 Dieser Gedanke wird im Vorabentscheidungsverfahren dahingehend umgesetzt, dass die Entscheidungskompetenz grundsätzlich auf nationaler Ebene verbleibt und der EuGH lediglich in Fällen, in denen dies im Interesse der Wahrung der Einheit des Gemeinschaftsrechts unausweichlich erscheint, angerufen wird. 19 Aufgrund seiner Herleitung aus dem Subsidiaritätsprinzip beschränkt sich der Kooperationsgedanke nicht nur auf das Vorabentscheidungsverfahren, sondern bestimmt das Verhältnis zwischen nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit 20 und generell zwischen allen Gemeinschafts- und mitgliedstaatlichen Organen. 21 Hier zeigt sich bereits, dass das Vorabentscheidungsverfahren einen Spiegel der wesentlichen Grundstruktur der EG darstellt, in dem die grundsätzliche Kompetenzverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten abgebildet ist. Daneben spiegelt es die wesentlichen Ziele der Gemeinschaft wider. Durch das besondere Kooperationsverhältnis im Vorabentscheidungsverfahren soll sichergestellt werden, dass die nationalen Gerichte in das gemeinschaftsrechtliche Rechtsschutzsystem eingebunden werden und so eine Sicherung dieser gemeinschaftlichen Ziele gewährleistet ist.

2. Wahrung der Einheit der Rechtsordnung Das Vorabentscheidungsverfahren dient in objektiver Hinsicht der Verzahnung der nationalen und der europäischen Rechtsprechung22 mit dem Ziel der Wahrung der Einheit der europäischen Rechtsordnung.23 16 Everling, Vorabentscheidungsverfahren, S. 21; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 47; Emmert, Europarecht, § 20 Rn. 7; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 522; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 63; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 303; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2658; Ferrand, RabelsZ 2002, S. 391, 394; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 126. 17 Kahl, AöR 1993, S. 414, 429. Siehe dazu ausführlich 3. Teil A.I. 18

Streinz, Europarecht, Rn. 166; Koenig/Pechstein/Sander, EU-/EG-Prozessrecht, Rn. 530. 19 Rodriguez Iglesias, EuR 1992, S. 225, 226; ders., NJW 2000, S. 1889. 20 BVerfGE 89, S. 155, 175 - Maastricht. 21

Kirchhof, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 893, 916. Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 46; Lenz, DRiZ 1995, S. 213 ff.; Tonne, Rechtsschutz, S. 263; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 54; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 303; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 6; Geiger, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 1. 22

A. Die Position der Vorabentscheidung im europarechtlichen Gefüge

21

Die Existenz des Vörabentscheidungsverfahrens fördert ferner die Integration der verschiedenen Rechtsordnungen in der Gemeinschaft, indem es den nationalen Gerichten ermöglicht, dem EuGH die in ihrem Staat geltenden Rechtsprinzipien darzulegen und sie so in dessen Entscheidung einfließen zu lassen.24 Aus umgekehrter Sicht verbessert die Möglichkeit der nationalen Gerichte, bei Problemen in der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf partnerschaftlicher Basis den Rat des EuGH einzuholen, die Akzeptanz und das Verständnis des Gemeinschaftsrechts auf nationaler Ebene.25 Es schafft einen „Dialog der Richter", 26 der einen gegenseitigen Austausch von Erkenntnissen zwischen europäischer und nationaler Gerichtsbarkeit bewirkt und so das Rechts Verständnis beider Seiten fördert. Insofern sichert das Vörabentscheidungsverfahren auch die effektive Anwendung des Gemeinschaftsrechts. 27 Ferner gestattet es dem EuGH die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts im Sinne einer fortschreitenden Integration sowie die Schließung von Lücken in den teilweise unvollständigen Regelungen des Gemeinschaftsrechts. 28 So wurden fundamentale Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, wie etwa seine unmittelbare Anwendbarkeit 29 oder sein Vorrang, 30 durch den EuGH im Rahmen eines Vörabentscheidungsverfahrens entwickelt. 31 Das Vörabentscheidungsverfahren bildet also ein Instrument zur Verknüpfung von nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit unter Betonung des arbeitsteiligen Zusammenwirkens beider Ebenen.

23 EuGH, Rs. 166/73, Slg. 1974, S. 33, 38 Rn. 2 - Rheinmühlen; Rs. 107/76, Slg. 1977, S. 957, 972 Rn. 5 - Hoffmann-La Roche; Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3515, 3516 - C.I.L.F.I.T.; Rs. C-337/95, Slg. 1997, S. 1-6013, 6044 Rn. 25- Parfüms Christian Dior, besprochen von Burgi in JZ 2001, S. 1071; Rs. C-393/98, Slg. 2001, S. 1-1327, 1350 Rn. 17 - Gomes Valente; Rs. C-495/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 29 - Intermodal Transports; aus der Literatur siehe nur Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 37; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 1. 24 Everling, DRiZ 1993, S. 5, 10. 25 Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 367; Koopmans, in: FS Pescatore, S. 347, 348; Malferrari, Zurückweisung, S. 226; Timmermans, CMLRev. 2004, S. 393, 399; Kenntner, EuZW 2005, S. 235. 26 Dauses, FS Everling, S. 223, 224; Pernice, EuR 1996, S. 27, 29; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 3; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 11. 27 Rasmussen, ELRev. 1984, S. 242, 251; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 52. 28 Everling, Vörabentscheidungsverfahren, S. 17; Wohlfahrt, in: Grabitz/ Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 8; Koenig/Pechstein/Sander, EU-/ EG-Prozessrecht, Rn. 454; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1297, 1303; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 7; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 11. 29 EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, S. 1, 23 ff. - van Gend & Loos. 30 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1269 ff. - Costa/E.N.E.L. 31 Kutscher, EuR 1981, S. 392, 397; Barnard/Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 5; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 7; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 11.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

3. Individualrechtsschutz Aus subjektiver Sicht liegt die Bedeutung des VorabentscheidungsVerfahrens in der Gewährleistung von Individualrechtsschutz. 32 Dieses Ziel ist zwar nicht ausdrücklich im EG-Vertrag verankert, da Art. 220 EG als Aufgabe der europäischen Gerichtsbarkeit lediglich die objektive Wahrung des Rechts und nicht den Schutz subjektiver Rechte nennt, allerdings handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegt sowie in Art. 6 und 13 der EMRK Ausdruck gefunden hat und daher auch im europäischen Recht zu beachten ist. 33 Dies wird verdeutlicht durch die Aufnahme des Rechts auf effektiven Rechtsschutz in Art. 47 Abs. 1 der bisher noch unverbindlichen europäischen Grundrechte-Charta, die jedoch trotz ihrer fehlenden Bindungswirkung als Bestätigung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes angesehen wird. 34 Der Gemeinschaftsbürger kann indirekten Rechtsschutz erlangen, indem er sich vor den nationalen Gerichten, die ihrerseits im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens den EuGH anrufen können, gegen einen Gemeinschaftsrechtsakt wendet und sich auf die Verletzung seiner ihm durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte beruft. 35 Insofern dient das Vorabentscheidungsverfahren als Ergänzung zu der Klagemöglichkeit des Einzelnen gem. Art. 230 Abs. 4 EG, der natürlichen und juristischen Personen nur eine eingeschränkte Klagebefugnis einräumt. 36 Es sichert mehr als jedes andere Verfahren vor dem Gerichtshof die praktische Wirkung der dem Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte.37 Das Vorabentscheidungs verfahren erfüllt also einmal in objektiver, einmal in subjektiver Hinsicht zwei wesentliche Aufgaben in der Struktur der EG. Diese bei32 Vgl. aus der Literatur nur: Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 37; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 12. 33 EuGH, Rs. 222/84, Slg. 1986, S. 1651, 1682 Rn. 18 - Johnston; Rs. 222/86, Slg. 1987, S. 4097, 4117 Rn. 14 ff. - Unectef. Ausführlich Tonne, Rechtsschutz, S. 200 ff. sowie Allkemper, Rechtsschutz, S. 41 f.; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 29; Hofmann, Rechtsschutz und Haftung, S. 189. 34 EuG, Rs. T-177/01, Slg. 2002, S. 11-2365, 2381 Rn. 42 f. - Jego-Quere; Alber, EuGRZ 2001, S. 349; Hofmann, Rechtsschutz und Haftung, S. 190. 35 Everling, EuR 1983, S. 101, 110; ders., Vorabentscheidungsverfahren, S. 20; Glaesner, EuR 1990, S. 143, 146; von Danwitz, NJW 1993, S. 1108, 1112; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 521; Tonne, Rechtsschutz, S. 264; Wohlfahrt, in: Grabitz / Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 9; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 4; Middeke, in: Rengeling/ Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 9; Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 12. 36 von Danwitz, NJW 1993, S. 1108, 1111; Bebr, in: Curtin/ Heukels, Institutional Dynamics, S. 303, 308; Allkemper, Rechtsschutz, S. 165; Tonne, Rechtsschutz, S. 268; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 49; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 4; Dashwood/ Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 65; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 13.

A. Die Position der Vorabentscheidung im europarechtlichen Gefüge

23

den Funktionen sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich gegenseitig, wie im Folgenden aufzuzeigen sein wird. II. Die Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens Aufgrund seiner elementaren Funktionen in der Struktur des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzsystems kommt dem Vorabentscheidungsverfahren als „Eckpfeiler" des gemeinschaftlichen Gerichtssystems eine zentrale Bedeutung zu. 38 Es wird als das wichtigste Verfahren innerhalb der europäischen Rechtsordnung beschrieben.39 Diese Stellung wird in den statistischen Zahlen zu den Verfahren vor dem EuGH deutlich: Von den 561 im Jahr 2003 neu anhängig gewordenen Rechtssachen handelt es sich bei 210 um Vorabentscheidungsersuchen. 40 Insgesamt betrachtet, machen die Vorlage verfahren rund die Hälfte der Rechtssachen aus.41 Die Entwicklung der Zahl der Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH war bis 1998 durch eine stete Zunahme gekennzeichnet.42 Im Zeitraum von 1990 bis 1998 nahm die Zahl der Vorabentscheidungsersuchen um 85% zu. 43 Nach dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten im Rahmen der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen. 44 Schon jetzt hat diese Entwicklung zu einer erheblichen Verlängerung der Verfahrensdauer geführt. 45 Betrug diese 1990 noch 3v Wegener, in: Calliess / Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 1. 38 Lieber, Vorlagepflicht, S. 11; Weiler, in: Schermers u.a, Art. 177 EEC, S. 366; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 50; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750; Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtsystems, KOM (2000) 109 endg., S. 1,4; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 5; Voßkuhle, JZ 2001, S. 924; Pache/Knauff, NVwZ 2004, S. 16. 39 Lieber, Vorlagepflicht, S. 14; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 54; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 49; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 303; Middeke, in: Rengeling/ Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 15. 40 EuGH, Jahresbericht 2003, S. 239. 41 Rabe, EuR 2000, S. 811, 815; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 56; Bieber/ Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 129. 42 Jacque/Weiler, CMLRev. 1990, S. 185, 187; Lenz, DRiZ 1995, S. 213, 219; Emmert, Europarecht, § 20 Rn. 12; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, 750; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 58; Rabe, EuR 2000, S. 811, 814; Heß, RabelsZ 2002, S. 470, 471. 43 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, 750; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 26; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 58; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 524; Lenz, EuGRZ 2001, S. 433, 434. 44 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, 750; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 58; Rabe, EuR 2000, S. 811, 812; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 636; Lipp, NJW 2001, S. 2657; Heß, RabelsZ 2002, S. 470, 471; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 57. 45 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, 750; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 525; Lipp, NJW 2001, S. 2657; Everling, FS Steinberger, S. 1103, 1109; Groh, EuZW 2002, S. 460, 462; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 1; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303,310.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

durchschnittlich 15 Monate, lag sie 2003 schon bei über 2 Jahren (durchschnittlich 25,5 Monate). 46 Die damit verbundene Verzögerung des Verfahrens kann nationale Gerichte dazu verleiten, von einer Vorlage abzusehen.47 Zudem bewirkt sie eine Einschränkung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz, das auch das Recht auf angemessene Verfahrensdauer umfasst. 48 Insofern wird die Arbeitsüberlastung des EuGH als schwere Krise des Gerichtssystems der EG bezeichnet49 und gleichzeitig betont, dass eine Entlastung des EuGH unausweichlich sei. 50 Wird diese nicht in naher Zukunft in Angriff genommen, befürchtet der EuGH, die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben, insbesondere im Hinblick auf seine verfassungsgerichtliche Funktion, nicht mehr gewährleisten zu können.51 Denn mit der steigenden Zahl der zu bearbeitenden Vorlageverfahren sinkt notwendigerweise aufgrund der knappen Einarbeitungs- und Bearbeitungszeit die Qualität der Antworten des EuGH, was sich negativ auf die Akzeptanz seiner Rechtsprechung auswirken könnte.52 Diese Entwicklung verdeutlicht das Bedürfnis, den EuGH von unnötigen Vorabentscheidungsersuchen zu entlasten, um einen effektiven Rechtsschutz in der EU auch weiterhin sicherzustellen.53

III. Schlussfolgerung Das Vorabentscheidungsverfahren und insbesondere die Vorlagepflicht erfüllen zwei wesentliche Funktionen im europäischen Rechtsschutzsystem: die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung sowie die Gewährung von Individualrechtsschutz. Der einheitlichen Anwendung des Rechts in der EG dient es am Besten, wenn eine möglichst umfassende Vorlage gemeinschaftsrechtlicher Fragen an den EuGH 46 EuGH, Jahresbericht 2003, S. 238. 47 Voß, EuR 1986, S. 95, 104; Scorey, ELRev. 1996, S. 224; Everling, EuR 1997, S. 398, 402; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1894; Lenz, EuGRZ 2001, S. 433, 434; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 1; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 17; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 130. 48 EuGH, Rs. C-185/95 P, Slg. 1998, S. 1-8417, 8496 Rn. 21 - Baustahlgewerbe/Kommission; Allkemper, ZRP 1994, S. 301, 302; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 56; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 68. 49 Scorey, ELRev. 1996, S. 224; Rabe, EuR 2000, S. 811; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 643; Heß, RabelsZ 2002, S. 470, 471; Groh, EuZW 2002, S. 460, 462. so Jacque/Weiler, CMLRev. 1990, S. 185, 188; Everling, FS Steinberger, S. 1103, 1108; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55. 51 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 751. 52 Jacque/Weiler, CMLRev. 1990, S. 185, 188; Turner / Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 4; Malferrari, Zurückweisung, S. 226. 53 Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 368; Heß, ZZP 1995, S. 470, 471; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 4; Lipp, NJW 2001, S. 2657.

B. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte

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stattfindet. Diese bewirkt jedoch eine Verfahrensverlängerung, die das Ziel des effektiven Rechtsschutzes beeinträchtigt. Das europäische Vorabentscheidungsverfahren eröffnet also grundsätzlich ein Spannungsfeld zwischen dem Ziel der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes durch die Entlastung des EuGH einerseits und der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung andererseits. 54 Der Umfang der Vorlagepflicht, auf den im Folgenden näher eingegangen werden soll, bildet ein Mittel zur Ausbalancierung dieser beiden Ziele.

B. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte Die acte-clair-Doktrin stellt eine Ausnahme von der Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG dar. Um ihre Rolle im Gefüge des VörabentscheidungsVerfahrens eingehender beleuchten zu können, muss vorab die Reichweite dieser Vorlagepflicht näher determiniert werden.

I. Vorlagepflichtige Gerichte Art. 234 Abs. 3 EG statuiert, dass nur „die Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln innerstaatlichen Rechts angefochten werden können" bei Auslegungs- oder Gültigkeitsfragen bezüglich des Gemeinschaftsrechts zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet sind. Bei der Bestimmung, welche Institutionen als Gericht i. S. d. Art. 234 EG gelten, ist ein eigener gemeinschaftsrechtlich bestimmter Gerichtsbegriff zugrunde zu legen.55 Danach ist ein Gericht gekennzeichnet durch seine Einrichtung aufgrund gesetzlicher Grundlage, seinen ständigen und obligatorischen Charakter, sein rechtsstaatlich geordnetes, nicht notwendigerweise kontradiktorisches, 56 Verfahren mit verbindlicher, potentiell rechtskräftiger Entscheidung sowie seine richterliche Unabhängigkeit.57 Der EuGH legt also ein weites Gerichts Verständnis zugrunde, das teilweise über den innerstaatlichen Begriff des Gerichts hinausgeht.58 54 Heß, ZZP 1995, S. 470, 472; Ferrand, RabelsZ 2002, S. 391, 393; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 70. 55 EuGH, Rs. C-24/92, Slg. 1993, S. 1-1277, 1304 Rn. 15 - Corbiau. 56 EuGH, Rs. 18/93, Slg. 1994, S. 1-1783, 1818 Rn. 12 - Corsica Fernes; Rs. C - l l l / 9 4 , Slg. 1995, S. 1-3361, 3386 Rn. 9 - Job Centre. 57 EuGH, Rs. 61/65, Slg. 1966, S. 584, 601; Rs. C-24/92, Slg. 1993, S. 1-1277, 1304 Rn. 16-Corbiau; Rs. C-393/92, Slg. 1994, S. 1-1477, 1514 Rn. 21 - Almelo; Rs. C - l l l / 9 4 , Slg. 1995, S. 1-3361, 3386 Rn. 9 - Job Centre. 58 Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 920; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 26; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 11.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

Ferner muss es sich um ein Gericht handeln, dessen Entscheidung selbst nicht mehr mit Mitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. Der Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG lässt eine abstrakte oder konkrete Deutung dieser Formulierung zu. Nach der abstrakten Theorie sind nur die Gerichte als letztinstanzlich anzusehen, die an der Spitze des jeweiligen Rechtszuges stehen und deren Entscheidungen generell nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können.59 In Deutschland sind danach nur die Bundesgerichte zur Vorlage verpflichtet. 60 Die konkrete Theorie stellt darauf ab, ob die konkrete Entscheidung des Gerichts noch mit Rechtsmitteln angefochten werden kann.61 Aus dieser Sicht können in Deutschland also auch Amtsgerichte als letztinstanzlich i. S. d. Art. 234 Abs. 3 EG zu qualifizieren sein, wenn etwa die Berufungssumme nicht erreicht ist. 62 Die abstrakte Betrachtungsweise wird vor allem mit dem Hinweis auf die damit verbundene Entlastung des EuGH begründet. 63 Auch bringt sie aufgrund ihrer Orientierung an formalen Kriterien ein gewisses Maß an Rechtssicherheit mit sich. 64 Allerdings bewirkt die Zugrundelegung dieser Theorie eine Abhängigkeit von der Ausgestaltung des Gerichtssystems in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die unter59 Tomuschat, Vorabentscheidung, S. 44; Arendt, SEW 1965, S. 385, 399; Lagrange, RTDE 1974, S. 268, 283; Dumon, CDE 1983, S. 217, 229; Pescatore, BayVBl. 1987, S. 33, 38; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 111; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 921. 60 Lieber, Vorlagepflicht, S. 88; Erichsen/Weiß, Jura 1990, S. 589, 590; Allkemper, Rechtsschutz, S. 153; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 109 f.; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 921. 61 Daig, EuR 1968, S. 371, 373; Lieber, Vorlagepflicht, S. 91; Ress, Die Verwaltung 1987, S. 177, 186; Erichsen/Weiß, Jura 1990, S. 589, 590; Arnull, ELRev. 1990, S. 375, 388; Everling, ZGR 1992, S. 376, 390; Rabe, FS Redeker, S. 201, 202; Anderson, in: Andenas, Art. 177 References, Kap. 2.4.2; Allkemper, Rechtsschutz, S. 154; Gündisch, Rechtsschutz, S. 103; Burgi, DVB1. 1995, S. 772, 777; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 530; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 57; Wohlfahrt, in: Grabitz /Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 49; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 304; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 19; Koenig/Pechstein/Sander, EG-/EU-Prozessrecht, Rn. 797; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 39; Borchard, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 36; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 63; Streinz, Europarecht, Rn. 637; Bieber/ Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 136. 62 Erichsen/Weiß, Jura 1990, S. 589, 590; Everling, ZGR 1992, S. 376, 390; Rabe, in: FS Redeker, S. 201, 202; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 57; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 304; Streinz, Europarecht, Rn. 637; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 39. In den Staaten, in denen die letzte Instanz stets bei dem obersten Gericht liegt, erübrigt sich eine konkrete Betrachtungsweise, so für Frankreich Lagrange, RTDE 1974, S. 268, 284; für Griechenland Skouris, EuR 1980, S. 22, 33. 63 Tomuschat, Vörabentscheidung, S. 44; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 111; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 39; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 63. 64 Lieber, Vorlagepflicht, S. 89; Dumon, CDE 1983, S. 217, 231; Allkemper, Rechtsschutz, S. 153.

B. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte

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schiedliche Struktur der jeweiligen Gerichtssysteme, in denen teilweise nur ein, teilweise viele oberste Gerichte existieren, würde zu einer Ungleichbehandlung der einzelnen Mitgliedstaaten führen. 65 Auch besteht die Gefahr der Umgehung der Vorlagepflicht, die die Mitgliedstaaten durch Änderung ihres Gerichtsverfassungssystems erreichen können.66 Für die abstrakte Sichtweise wird ferner angeführt, den Urteilen der obersten Gerichte komme Präjudiz Wirkung zu, die auch die Urteile der nachgeordneten Gerichte beeinflusse, so dass eine Vorlagepflicht für diese Gerichte ausreiche, um die Zwecke des Art. 234 Abs. 3 EG zu wahren. 67 Andererseits ergibt sich bei Zugrundelegung der konkreten Theorie durch die höhere Zahl der vorlagepflichtigen Gerichte eine weitaus größere Kontrolldichte für den EuGH, 68 die den Individualrechtsschutz auf allen Stufen des Instanzenzuges sicherstellt und so dem Zweck des Vorabentscheidungsverfahrens besser gerecht wird. 69 Sie ermöglicht demnach eine effektivere Gewährleistung der Einheit der europäischen Rechtsordnung.70 Sie dient zwar nicht wie die abstrakte Theorie dem hier verfolgten Ziel der Entlastung des EuGH, diese darf jedoch, wie bereits festgestellt, nicht auf Kosten der Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens erfolgen. Demnach ist die konkrete Theorie Vorzugs würdig. Auch der EuGH legt daher die konkrete Betrachtungsweise zugrunde. Konnte dies in der Vergangenheit seinen Urteilen nur indirekt und nicht eindeutig entnommen werden, 71 hat er in dem Urteil Lyckeskog klargestellt, dass nicht nur die obersten Gerichte, sondern auch alle Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden können, der Vorlagepflicht unterliegen. 72 Durch diese Formulierung hat er sich, insbesondere mit dem Hinweis auf die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens, die Wahrung und Einheit des Gemein65 Lieber, Vorlagepflicht, S. 90. 66 Lieber, Vorlagepflicht, S. 91; Allkemper, Rechtsschutz, S. 154. 67 Tomuschat, Vorabentscheidung, S. 45; Pescatore, BayVBl. 1987, S. 33, 38; Dauses, Vorabentscheidungsverfahrens. 110. 68 Lieber, Vorlagepflicht, S. 90. 69 Ress, Die Verwaltung 1987, S. 177, 186; Schaub, NJW 1994, S. 81, 82; Gündisch, Rechtsschutz, S. 103; Lenz, DRiZ 1995, S. 213, 215; Wohlfahrt, in: Grabitz/Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 49; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 304; Schwarze, in: ders., EUKomm, Art. 234 Rn. 41; Borchardt, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 41; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 39; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/ EGV, Art. 234 Rn. 63; Emmert, Europarecht, Rn. 36, der die konkrete Betrachtung sogar vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für verfassungsrechtlich geboten hält. 70

Everling, Vorabentscheidungsverfahren, S. 46; Lieber, Volagepflicht, S. 91; Erichsen/ Weiß, Jura 1990, S. 589, 590; Gündisch, Rechtsschutz, S. 103; Ehricke, in: Streinz, EUV/ EGV, Art. 234 Rn. 39. 71 EuGH, verb. Rs. 28-30/62, Slg. 1963, S. 60, 80 - Da Costa; Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1268 - Costa/E.N.E.L; Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415 - C.I.L.F.I.T; verb. Rs. 35 / 82 u. 36 / 82, Slg. 1982, S. 3723, 3735 - Morson. 72 EuGH, Rs. C-99/00, EuZW 2002, S. 476, 477 - Lyckeskog.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

schaftsrechts zu sichern, 73 deutlich für eine Zugrundelegung der konkreten Betrachtungsweise ausgesprochen.74 Insgesamt hat der EuGH also durch ein weites Verständnis des Begriffs „Gericht" wie auch der Anforderung „letztinstanzlich" eine weitgefächerte Vorlagepflicht geschaffen, die im Interesse der Wahrung der Einheit der europäischen Rechtsordnung geboten erscheint, jedoch gleichzeitig einen Grund für die hohe Belastung des EuGH mit Vorabentscheidungsersuchen bildet.

II. Gegenstand der Vorlagepflicht Die Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG bezieht sich auf Fragen hinsichtlich der Auslegung des Vertrages und der Auslegung sowie der Gültigkeit von Handlungen der Gemeinschaftsorgane. 75 Unter „Vertrag" ist nicht nur der EGV, sondern das gesamte Primärrecht der Gemeinschaft zu verstehen, also auch seine Anhänge und Protokolle sowie die Verträge zu seiner Änderung oder Ergänzung wie z. B. der Fusionsvertrag, die EEA, die Verträge von Maastricht und Amsterdam oder die Verträge über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten.76 Daneben erstreckt sich die Vorlagepflicht auch auf die vom EuGH aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze und Grundrechte. 77 Die „Handlungen der Organe" umfassen das gesamte von den Gemeinschaftsorganen geschaffene Sekundärrecht, also vor allem Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen, aber auch alle anderen Handlungen, die einem Gemeinschaftsorgan zugerechnet werden und die in irgendeiner Form die rechtlichen oder wirtschaftlichen Interessen Dritter berühren können.78 So kann auch die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, an denen die EG beteiligt ist, 79 sowie

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Ebenda. 74 Borchard, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 41. 75 Allkemper, Rechtsschutz, S. 151; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 73; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 528; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 55. 76 Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 54; Emmert, Europarecht, § 20 Rn. 14; Wohlfahrt, in: Grabitz/Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 16; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 7; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 4; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 17. 77 EuGH, Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419 - Stauder; Rs. 11/70, Slg. 1970, S. 1125 - Internationale Handelsgesellschaft; Emmert, Europarecht, § 20 Rn. 14; Wohlfahrt, in: Grabitz / Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 16; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 12; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 4.

™ EuGH, Rs. 9/73, Slg. 1973, S. 1135 - Schlüter; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 55; Emmert, Europarecht, § 20 Rn. 17; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 942; Wohlfahrt, in: Grabitz/Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 17; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 303; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 8; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 6; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 18; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 141.

B. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte

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von Urteilen des EuGH selbst80 Gegenstand einer Vorlage sein. Der EuGH ist nicht für die Auslegung nationalen Rechts zuständig,81 jedoch sind von der Vorlagepflicht auch mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften umfasst, wenn der nationale Gesetzgeber Gemeinschaftsvorschriften durch nationales Recht für anwendbar erklärt. 82 Ein weiter Bereich von Vorabentscheidungsersuchen hat ferner Auslegungsfragen zum Gegenstand, die eigentlich nationales Recht betreffen, das jedoch in Umsetzung einer EG-Richtlinie ergangen ist. In diesem Fall ist die Auslegung der Richtlinie aufgrund des Gebots der gemeinschaftskonformen Auslegung für die Auslegung des nationalen Rechts maßgeblich,83 so dass die nationalen letztinstanzlichen Gerichte eine Vorlagepflicht trifft, obwohl es um die Auslegung nationalen Rechts geht. 84 Ferner entscheidet der EuGH über Fragen bezüglich der Auslegung von Satzungen der Organe der europäischen Gemeinschaften, soweit diese Satzungen dies vorsehen. Diese Fallgruppe hat in der Praxis wenig Bedeutung.85 Auch hier wird deutlich, dass die umfassende Kontrollbefugnis des EuGH in allen Bereichen des Gemeinschaftsrechts einen weiteren Grund für den hohen Anteil an Vorlageverfahren vor dem Gerichtshof darstellt.

III. Umfang der Vorlagepflicht Die Formulierung des Art. 234 Abs. 3 EG lässt auf eine unbedingte Vorlagepflicht für die letztinstanzlichen Gerichte schließen. Allerdings sind in der Praxis bestimmte Ausnahmen von der Vorlagepflicht anerkannt.

79 EuGH, Rs. 181/73, Slg. 1974, S. 449 - Haegeman/Belgien; Rs. 104/81, Slg. 1982, S. 3641 - Kupferberg I; verb. Rs. C-267-269/81, Slg. 1983, S. 801 - SPI u. SAMI; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 58; Emmert, Europarecht, § 20 Rn. 17; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 537; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 944; Wohlfahrt, in: Grabitz/Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 22; Geiger, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 6; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 141. 80 Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 62; Wohlfahrt, in: Grabitz/ Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 20; dagegen: Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 537; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 9 unter Hinweis auf das Urteil des EuGH, Rs. 69/85, Slg. 1986, S. 947 - Wünsche, das sich jedoch nur auf Gültigkeitsfragen bezieht. 81 EuGH, verb. Rs. C-297/88 u. 197/89, Slg. 1990, S. 1-3763, 3794 Rn. 42 - Dzodzi; Rs. C-307/95, Slg. 1995, S. 1-5083, 5087 Rn. 5 - Max Mara. 82 EuGH, Verb. Rs. C-297/88 u. C-197/89, Slg. 1990, S. 1-3763 Rn. 36 - Dzodzi; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 15; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 2. 83 Burgi, DVB1. 1995, S. 772, 775. 84 Voß, EuR 1986, S. 95, 103; Everling, ZGR 1992, S. 376, 389; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 171, 173; Basedow, in: FS Brandner, S. 651, 660; Stoffels, JZ 1997, S. 379, 381. 85 Wohlfahrt, in: Grabitz / Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 23.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

Bezüglich der Gültigkeitsfragen besteht aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Verwerfungsmonopols des EuGH stets eine Vorlagepflicht. 86 Dies gilt auch für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.87 Im Hinblick auf Auslegungsfragen greift in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zwar das Vorlagerecht, nicht aber die Vorlagepflicht ein, soweit den Parteien die Möglichkeit offen steht, die Streitsache im Hauptsacheverfahren weiter zu betreiben. 88 Dies gilt unabhängig davon, ob sich zwangsläufig das Hauptverfahren anschließt oder ob dies von der unterlegenen Partei abhängt.89 Denn in jedem Fall sind die Gerichte nicht als letztinstanzlich anzusehen.90 Im Hauptsacheverfahren lässt der EuGH eine Ausnahme von der Vorlagepflicht zu, wenn im Einzelfall der innere Grund der Vorlagepflicht entfällt und sie somit sinnlos erscheinen lässt.91 Dies ist nach Ansicht des EuGH dann der Fall, wenn er die vorzulegende Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall entschieden hat 92 oder wenn eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH zu der vorzulegenden Frage besteht, auch wenn die strittigen Fragen nicht vollkommen identisch sind. 93 Ferner greife die Vorlagepflicht nicht ein, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig sei, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibe. 94 Mit der letztgenannten Formulierung bezieht sich der EuGH auf die acte-clairDoktrin, deren Inhalt und Reichweite nun näher betrachtet werden sollen.

86 EuGH, Rs. 314/85, Slg. 1987, S. 4199, 4231 Rn. 17 - Foto Frost; Glaesner, EuR 1990, S. 143, 145; Everling, DRiZ 1993, S. 5, 11; Allkemper, Rechtsschutz, S. 170; Lenz, DRiZ 1995, S. 213, 214; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 304. 87 EuGH, verb. Rs. C-143/88 u. C-92/89, Slg. 1991, S. 1-415 Rn. 14 f. - Zuckerfabrik Süderdithmarschen; ausführlich dazu: Schmitt, Richtervorlagen, S. 397. 88 EuGH, Rs. 107/76, Slg. 1977, S. 957, 972 Rn. 5 - Hoffmann-La Roche; verb. Rs. 35-36/82, Slg. 1982, S. 3723, 3734 Rn. 8 - Morson; Koenig/Pechstein/Sander, EU-/EGProzessrecht, Rn. 806. 89 EuGH, Rs. 107/76, Slg. 1977, S. 957, 972 Rn. 5; verb. Rs. 35-36/82, Slg. 1982, S. 3723, 3734 Rn. 8 - Morson. 90 Bieber/Epiney/Haag, EU, Rn. 137. 91 EuGH, verb. Rs. 28-30/62, Slg. 1963, S. 63, 81 - Da Costa. Eine Zusammenfassung der Rechtsprechung des EuGH zum Umfang der Vorlagepflicht gibt Generalanwalt Colomer in seinen Schlussanträgen zur Rs. C-461/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 46 ff. - Gaston Schul. 92 Ebenda. 93 EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3429 Rn. 14 - C.I.L.F.I.T. 94 Ebenda Rn. 16.

C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin

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C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin Die Zulässigkeit und der Umfang der Anwendung der acte-clair-Doktrin im Europarecht sind Gegenstand lebhafter Diskussionen, angestoßen durch die nationale Rechtsprechung und aufgegriffen durch die in der Literatur ausführlich kommentierte Stellungnahme des EuGH, geworden. Die wesentlichen Punkte dieser Diskussion sollen hier nachgezeichnet werden, um die Möglichkeiten und Probleme, die die Anwendung der acte-clair-Doktrin im Vorabentscheidungsverfahren mit sich bringt, deutlich werden zu lassen. Mit diesem Ziel soll zunächst ein Blick auf die Entstehung und Entwicklung der acte-clair-Doktrin in der nationalen und europäischen Rechtsprechung geworfen werden.

I. Nationale Rechtsprechung Die acte-clair-Doktrin entstammt ursprünglich der französischen Rechtsordnung. 95 Sie wurde dort u. a. zur Abgrenzung der Kompetenzen von Exekutive und Judikative bei der Auslegung und Anwendung völkerrechtlicher Verträge, die anders ausgestaltet sind als in den übrigen Mitgliedstaaten, entwickelt. 96 In Frankreich obliegt den Gerichten lediglich die Anwendung völkerrechtlicher Verträge, während die Auslegung dem Außenminister als vertragsschließendem Organ vorbehalten bleibt. Die Gerichte haben ihm also alle diesbezügliche Interpretationsfragen zur Entscheidung vorzulegen. 97 Zur Durchbrechung dieser Vorlagepflicht mit dem Ziel der Erweiterung ihrer Kompetenzen entwickelten die Gerichte die acte-clair-Doktrin. Danach besteht eine Vörlagepflicht nur bei Vorliegen einer „echten Schwierigkeit" 98 bei der Feststellung des Aussagegehalts einer Vertragsbestimmung. Ist dies nicht der Fall, besteht 95 Schoben NJW 1966, S. 2252; Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313, 314; Arnold, in: FS Neumayer, S. 17; Gündisch, Rechtsschutz, S. 105; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 113; Schweitzer /Hummer, Europarecht, Rn. 540. 96 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1981, S. 3432, 3435 Rn. 4 - C.I.L.F.I.T.; Wenner, AWD 1964, S. 261; Schober, NJW 1966, 2252; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 831; Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313; Lenaerts, CDE 1983, S. 471, 486; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 455; Lieber, Vorlagepflicht, S. 102; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 113; Schmitt, Richtervorlagen, S. 368. 9v Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1981, S. 3432, 3435 Rn. 4; Tomuschat, Vörabentscheidung, S. 115; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 831; Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313, 314; Masclet, RevMC 1983, S. 363, 366; Lenaerts, CDE 1983, S. 471, 486; Lieber, Vorlagepflicht, S. 102; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 113; Schmitt, Richtervorlagen, S. 368. 98 Theorie entwickelt von Laferrière, Traité de jurisprudence administrative, 1887, Bd. I, S. 449 (zitiert bei Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 113).

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2. Teil: Bestandsaufnahme

nach dem Grundsatz „in claris non fit interpretatio" keine Auslegungsfrage, die Gerichte haben die entsprechende Norm lediglich anzuwenden, so dass die Vorlagepflicht entfällt." Die Gerichte behielten sich vor, selbst darüber zu entscheiden, ob echte Zweifel an der Beantwortung der aufgetretenen Frage bestehen oder ob die zu treffende Entscheidung klar ist. 1 0 0 Die acte-clair-Doktrin schafft also einen Beurteilungsspielraum, innerhalb dessen von einer grundsätzlich obligatorischen Vorlage abgesehen werden kann. Im Jahr 1964 hat der französische Conseil d'Etat diese national geübte Praxis erstmals auf das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH gem. Art. 177 EWGV (Art. 234 EG) übertragen, indem er eine Vörlagepflicht unter Hinweis auf das Fehlen jeglicher Zweifel an der richtigen Auslegung des Art. 37 EWGV (Art. 31 EG) verneinte. 101 Auch in späteren Urteilen sah er in ungeklärten oder umstrittenen Fragen unter Berufung auf dieses Institut von einer gem. Art. 177 Abs. 3 EWGV gebotenen Vorlage ab, 1 0 2 was ihm ermöglichte, seine Auslegung an die Stelle der Auslegung des EuGH zu setzen.103 Diesem Vorbild folgte der französische Cour de Cassation, der sich ebenfalls durch Anwendung der acte-clair-Doktrin seiner Vorlagepflicht entzog. 104 Ein besonders deutliches Beispiel für die extensive Anwendung der acte-clairDoktrin durch den Conseil d'Etat ist das Urteil Cohn-Bendit aus dem Jahr 1979, 105 in dem dieser unter Umgehung der Vörlagepflicht entgegen der gefestigten Rechtsprechung des EuGH 1 0 6 die Möglichkeit der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien verneinte.

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99 Schoben NJW 1966, S. 2252; Lenaerts, CDE 1983, S. 471, 486; Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313, 314; Lieber, Vorlagepflicht, S. 103; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 4. 100 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1981, S. 3432, 3435 Rn. 4; Tomuschat, Vörabentscheidung, S. 115; Lieber, Vörlagepflicht, S. 103; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren^. 114. 101 Conseil d'Etat, AWD/RIW 1964, S. 261 - Shell Berre. 102 Conseil d'Etat, Recueil des arrêts du Conseil d'Etat (Recueil Lebon) 1967, S. 41, 42 Syndicat national des importeurs français en produits laitiers; Recueil Lebon 1967, S. 63, 65 - Société des Etablissements Petitjean et autres; EuR 1968, S. 317 - Syndicat général de fabricants des semoules de France; Recueil Lebon 1979, S. 335, 336 - Syndicat national des fabricants de spiritueux consommés à l'eau; RTDE 1979, S. 730 - Syndicat des importeurs de vetements et produits artisanaux; Recueil Lebon 1981, S. 484, 486 -Commune de Thionville et autres. Siehe dazu auch Constantinesco, Anmerkung zum Urteil des Conseil d'Etat v. 1. 3. 1968, EuR 1968, S. 318, 325; Olmi, in: FS Pescatore, S. 499, 530 ff. 103 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1981, S. 3432, 3437 Rn. 4; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 831; ders., Anmerkung zum Urteil des Conseil d'Etat v. 1. 3. 1968, EuR 1968, S. 318, 325; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 444; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 114. 104 Cour de Cassation, EuR 1967, S. 152, 153; Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, Chambre Criminelle, 1973, S. 692 - Pieron et Dufour. 105 Conseil d'Etat, EuGRZ 1979, S. 251 - Cohn Bendit. 106 z. B. EuGH, Rs. 9/70, Slg. 1970, S. 825, 838 Rn. 5 - Grad/Finanzamt Traunstein; Rs. 20/70, Slg. 1970, S. 861, 874 Rn. 5 - Lesage/Hauptzollamt Freiburg; Rs. 23/70, Slg. 1970,

C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin

33

Die letztinstanzlichen Gerichte anderer Mitgliedstaaten haben nach dem ShellBerre-Urteil die Lehre vom „acte clair" aufgegriffen und lehnten die Vorlage an den EuGH mit der Begründung ab, die in Rede stehende Vorschrift sei nicht auslegungsbedürftig. 108 Insbesondere der Bundesfinanzhof schloss sich der Auffassung des Conseil d'Etat an und verneinte in Anlehnung an das Cohn-Bendit-Urteil die unmittelbare Wirkung von Richtlinien unter Hinweis auf den klaren Wortlaut des Art. 189 Abs. 3 EWGV (Art. 249 Abs. 3 EG). 1 0 9 Diese Handhabung der acte-clair-Doktrin wurde durch das Schrifttum stark kritisiert als ein Verstoß gegen die Vorlage Verpflichtung des Art. 177 Abs. 3 EWGV. 1 1 0 Selbst die Befürworter der acte-clair-Doktrin sehen in der Berufung auf dieses Instrument mit dem Ziel, eine eigene Deutung des Gemeinschaftsrechts entgegen der Rechtsprechung des EuGH vornehmen zu können, eine unzulässige Nationalisierung des Gemeinschaftsrechts, die sich nicht mehr im Rahmen der acteclair-Doktrin bewege.111

II. Europäische Rechtsprechung Die insbesondere vom Conseil d'Etat und dem BFH vorgenommene exzessive Anwendung der acte-clair-Doktrin verdeutlicht die Gefahren, die sich durch eine missbräuchliche Berufung auf die Ausnahme von der Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG im Rahmen der acte-clair-Doktrin für das Auslegungsmonopol des EuGH und damit für die Einheit der europäischen Rechtsordnung ergeben können. Dies führt zu der Frage, ob solche einzelnen Missbrauchsfälle und die damit verbundenen Risiken die Anwendbarkeit der acte-clair-Doktrin im europarechtlichen Bereich gänzlich ausschließen. S. 881, 893 Rn. 5 - Haselhorst/Finanzamt Düsseldorf; Rs. 33/70, Slg. 1970, S. 1213, 1224 Rn. 18 - S.A.C.E.; Magiern, DÖV 1985, S. 937. 107 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3437 Rn. 4; Tomuschat, EuGRZ 1979, S. 257, 260; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 442; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 4; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 114. los Bebr, Judicial Control, S. 531; in Deutschland z. B. BVerwGE 31, S. 279, 284; 60, S. 284, 290; BFH, RIW/AWD 1976, S. 115; BSGE 21, S. 271, 276; OLG Stuttgart, NJW 1980, S. 1242, 1243. 109 BFH, EuR 1981, S. 442, 443; EuR 1985, S. 191, 196; BFHE 143, S. 383, 388. HO Zu Cohn-Bendit: Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1981, S. 3432, 3437 Rn. 4; Wenner, AWD 1964, S. 261; Arendt, SEW 1965, S. 385, 405; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften I, S. 831; Bebr, Judicial Control, S. 521; ders., CMLRev. 1983, S. 439, 444; Millarg, EuR 1983, S. 163, 164; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 4; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 114; Mancini/Keeling, in: Craig/de Bürca, EU Law, S. 447; zum BFH: Bebr, Judicial Control, S. 532; Magiera, DÖV 1985, S. 838, 843; Vedder, NJW 1987, S. 526. in Tomuschat, EuGRZ 1979, S. 259, 260; Genevois, RTDE 1979, S. 157, 167; Bieber, EuR 1979, S. 294, 297; Karpenstein, EuR 1979, S. 300, 306; Brill, EuGRZ 1980, S. 217; Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313, 322; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 4. 3 Hummert

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2. Teil: Bestandsaufnahme

1. Das C.I.L.F.I.T.-Urteil

des EuGH

Der EuGH hat sich mit dem Problem der Anwendung der acte-clair-Doktrin im Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 177 Abs. 3 EWGV (Art. 234 Abs. 3 EG) dezidiert in seinem Urteil C.I.L.F.I.T. aus dem Jahr 1982 befasst. 112 Ausgangspunkt seiner Überlegungen war der Begriff „Frage" in Art. 177 Abs. 3 EWGV, dessen gemeinschaftsrechtliche Bedeutung er in diesem Urteil ermittelte. 1 1 3 Der EuGH stellte klar, dass von der Vorlagepflicht abgewichen werden dürfe, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig sei, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Beantwortung der gestellten Frage bleibe. 114 Diese Einschränkung der Vorlagepflicht begründete er insbesondere mit teleologischen sowie mit systematischen Erwägungen. Zum einen stellte er unter Betrachtung des Art. 177 Abs. 2 EWGV fest, dass den letztinstanzlichen nationalen Gerichten, ebenso wie den in Abs. 2 erwähnten unterinstanzlichen Gerichten, ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Erforderlichkeit der Vorlage an den EuGH zustehe.115 Gleichzeitig betonte er die Bedeutung des Kooperationsverhältnisses zwischen innerstaatlichen Gerichten und EuGH, durch das die einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden solle. 116 Aus diesen Erwägungen heraus konkretisierte er die Anforderungen an die Offenkundigkeit einer Norm dahingehend, dass ein innerstaatliches Gericht nur von der Offenkundigkeit einer Norm ausgehen dürfe, wenn es überzeugt sei, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die gleiche Gewissheit bestünde. Ob diese Möglichkeit bestehe, sei jedoch unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts und der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung zu beurteilen. So sei bei der Feststellung der Offenkundigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Gemeinschaftsrecht in mehreren gleichermaßen verbindlichen Sprachen abgefasst sei und seine Auslegung somit einen Vergleich dieser verschiedenen Fassungen erfordere. Ferner sei zu beachten, dass das Gemeinschaftsrecht eine eigene, besondere Terminologie verwende, die nicht mit der in den nationalen Rechtsordnungen übereinstimmen müsse. Schließlich sei jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen und im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts, seiner Ziele H2 EUGH, RS. 283/81, Slg. 1982, S. 3415 ff.

113 114 115 116

Ebenda Rn. 8. Ebenda Rn. 16. Ebenda Rn. 10. Ebenda Rn. 7.

C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin

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und seines Entwicklungsstandes zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen.117

2. Kritik Die Analyse des Urteils verdeutlicht, dass das nationale Gericht nach Ansicht des EuGH erst nach einer umfassenden Untersuchung von Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie rechtsvergleichenden Überlegungen von einem acte clair ausgehen darf. Danach stellt die Feststellung der Klarheit des Aussagegehalts einer Norm einen komplexen Auslegungsvorgang dar, sie liegt also keineswegs auf den ersten Blick klar auf der Hand. Dadurch wird die vom EuGH selbst postulierte Trennung der Kompetenzen von nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit nach den Kriterien Anwendung und Auslegung des Rechts 118 nicht konsequent durchgehalten, da nach den strengen Maßstäben des EuGH jeder Anwendung faktisch eine Auslegung, die die Feststellung der Offenkundigkeit zum Gegenstand hat, vorgeschaltet ist. Hier zeigt sich das grundsätzliche methodische Problem, dass eine Abgrenzung zwischen Anwendung und Auslegung des Rechts nicht möglich ist, da der Rechtsanwendung stets eine Auslegung vorangehen muss, sei es nur, um festzustellen, dass die Bedeutung der Norm klar ist. 1 1 9 Dies deutet bereits auf die mangelnde Praktikabilität dieses Abgrenzungskriteriums hin. Der EuGH hat den Begriff des acte clair durch die Aufstellung solch hoher Anforderungen stark eingegrenzt. 120 Seine enge Sichtweise ist durch das Bestreben gekennzeichnet, objektive Kriterien für die Feststellung der Offenkundigkeit zu entwickeln, die unabhängig von der subjektiven Sichtweise des vorlagepflichtigen Richters angewendet werden können. 121 Diese Objektivierung wird für erforderlich gehalten, um Missbrauch vorzubeugen und die Wahrung der Einheit der euro-

Ebenda Rn. 20. us Ebenda Rn. 7. 119 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. C-283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3436; Lieber Vorlagepflicht, S. 108; Esser, Wege der Rechtsgewinnung, S. 285; Heß, ZZP 1995, S. 59, 80; Grundmann, Auslegung, S. 70. 120 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6515 Rn. 58 - Wiener; Everting, Vorabentscheidungsverfahren, S. 48; Lieber, Vorlagepflicht, S. 109; Zimmermann, in: FS Doehring, S. 1033, 1045; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 9; Everling, ZGR 1992, S. 376, 390; Gündisch, Rechtsschutz, S. 105, 117; Anderson, in: Andenas, Art. 177 References, Kap. 2.4.3; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 117; Schön, DStJG 1996, S. 183, 195; Schmitt, Richtervorlagen, S. 369; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 628; Middeke, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 61; Timmermans, CMLRev. 2004, S. 393, 401. 121 Tizzano, Schlussanträge zu Rs. C-99/00, Slg. 2002, S. 1-4839 Rn. 63 f. - Lyckeskog; Lieber, Vorlagepflicht, S. 109; Pescatore, BayVBl. 1987, S. 33, 39; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 117; Schmitt, Richtervorlagen, S. 370; Borchardt, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 45; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 61. 3=

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2. Teil: Bestandsaufnahme

päischen Rechtsordnung zu sichern. 122 Durch die Aufstellung solch detaillierter Kriterien wird zudem eine klare Unterscheidung zu der französischen Handhabung der Theorie des acte clair getroffen. 123 Diese Abgrenzung kann unterschiedlich bewertet werden. Auf den ersten Blick kann die Zulassung einer Ausnahme von der Vorlagepflicht bei Vorliegen eines offenkundigen Rechtsakts als eine Bestätigung der Anwendbarkeit der acte-clairDoktrin im europäischen Vorabentscheidungsverfahren gedeutet werden. 124 Das Urteil lässt sich jedoch auch als geschickter Schachzug des EuGH verstehen, durch den er tatsächlich ein Festhalten an der uneingeschränkten Vorlagepflicht bewirken will. 1 2 5 Nach dieser Ansicht gewährt der EuGH zwar, gezwungen durch die Haltung der nationalen Gerichte, die Möglichkeit der Ausnahme von der Vörlagepflicht bei offenkundigen Rechtsakten, gleichzeitig aber nimmt er diese wieder durch die Aufstellung unerfüllbarer Kriterien für das Vorliegen einer solchen Ausnahme, 126 mit denen der Maßstab der Offenkundigkeit ad absurdum geführt wird. 1 2 7 Das Urteil ist vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass sich der EuGH der zunehmenden Missachtung der Vorlagepflicht durch die nationalen Gerichte bewusst war und die Notwendigkeit erkannte, dieser Entwicklung zu begegnen.128 Der EuGH hat nur vordergründig und unter wohlweißlicher Vermeidung der Formulierung „acte clair" eine Ausnahme von der Vorlagepflicht bei offenkundigen 122 Tizzano, Schlussanträge zu Rs. C-99/00, Slg. 2002, S. 1-4839 Rn. 63 f.; Millarg, EuR 1983, S. 163, 168; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 468; Wyatt, ELRev. 1983, S. 179, 182; Errera, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 93; Anderson, in: Andenas, Art. 177 References, Kap. 2.4; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 117; Schmitt, Richtervorlagen, S. 370; Schwarze, EU-Komm., Art. 234 Rn. 46. 123 Masclet, RevMC 1983, S. 363, 366; Everling, ZGR 1992, S. 389, 390; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 117; Basedow, in: FS Brandner, S. 651, 664. 124 Dänzer-Vanotti, RIW 1983, S. 282; Masclet, RevMC 1983, S. 363, 366; Arnull, ELRev. 1983, S. 365, 368; Lagrange, RTDE 1983, S. 159, 161; Olmi, in: FS Pescatore, S. 499, 529; Ress, Die Verwaltung 1987, S. 177, 193; Errera, in: Schermers u. a., Article 177 EEC, S. 78, 91; Heß, ZZP 1995, S. 59, 81; Zenner, Haftung, S. 218; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 117; Schmitt, Richtervorlagen, S. 370; Stoffels, JZ 1997, S. 379, 381; Malferrari, Zurückweisung, S. 265; Timmermans, CMLRev. 2004, S. 393, 401. 125 Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 471; Lenaerts, CDE 1983, S. 471, 497; Rasmussen, ELR 1984, S. 242; Genevois, EuR 1985, S. 354, 356; Lieber, Vorlagepflicht, S. 115; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 10; Rabe, in: FS Redeker, S. 201, 205; Barnard/Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113, 1125; Mancini/ Keeling, in: Craig/de Bürca, EU Law, S. 447. 126 Rasmussen, CMLRev. 1984, S. 242, 251; Mancini/ Keeling, in: Craig/de Bürca, EU Law, S. 447. 127 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3436 Rn. 4; Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6501 Rn. 15 - Wiener; Arendt, SEW 1965, S. 385, 404; Daig, EuR 1968, S. 259, 285; Schefold, Zweifel, S. 63; Lieber, Vorlagepflicht, S. 108; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 6; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 115; Heß, ZZP 1995, S. 59, 80. 128 Rasmussen, CMLRev. 1984, S. 242, 251.

C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin

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Rechtsakten zugelassen, tatsächlich aber so hohe Maßstäbe gesetzt, dass abgesehen von wenigen Ausnahmefällen de facto eine Ausnahme von der Vorlagepflicht nicht möglich ist. 1 2 9 Die Aufstellung so strenger Anforderungen wie derjenigen des C.I.L.F.I.T.-Urteils bewirkt, dass bei ihrer getreuen Befolgung fast nie von einem offenkundigen Rechtsakt ausgegangen werden kann. 130 Schon der Vergleich verschiedener sprachlicher Fassungen des EG-Vertrags wird mangels ausreichender Sprachkenntnisse der nationalen Richter, insbesondere im Hinblick auf die Sprachen der 10 neuen Mitgliedstaaten, ein Problem darstellen. 131 Auch die Recherche von Urteilen anderer mitgliedstaatlicher Gerichte wird als eine schwer zu bewältigende Aufgabe gesehen,132 da diese nicht allen nationalen Gerichten in der EG ohne weiteres zur Verfügung stehen.133 Hinzu kommt, dass die nationalen Gerichte nicht nur Kenntnis von den Urteilen anderer Gerichte erlangen, sondern zusätzlich eine Prognose abgeben müssen, wie diese den vorliegenden Fall entscheiden würden. Insofern werden unrealistische Maßstäbe in Bezug auf die Fähigkeiten und Kapazitäten der nationalen Gerichte angesetzt.134 Trotz des Strebens nach einer völligen Objektivierung der Anforderungen an die Offenkundigkeit bleiben zudem Unsicherheiten. Der vom EuGH verwendete unscharfe Begriff des Zweifels entzieht sich einer exakten Definition, das Vorliegen eines solchen Zweifels an der Bedeutung einer Norm kann bei kritischer Sichtweise nie ganz ausgeschlossen werden. 135 Was dem einen Richter völlig klar erschei129 Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 471; Lenaerts, CDE 1983, S. 471, 489; Lieber, Vorlagepflicht, S. 115; Vedder, NJW 1987, S. 526, 527; Zimmermann, in: FS Doehring, S. 1033, 1045; Meilicke, BB 1992, S. 969; Barnard/Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113, 1125; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 44; Malferrari, Zurückweisung, S. 265 Fn. 1731; Mancini/Keeling, in: Craig/de Búrca, EU Law, S. 447. 130 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6515; Voß, EuR 1986, S. 103; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 8; Meilicke, BB 1992, S. 969; Conans, EuZW 1994, S. 417; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 171, 174; Heß, ZZP 1995, S. 59, 81; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 284; Malferrari, Zurückweisung, S. 265; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 67. 131 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6517 Rn. 65; Millarg, EuR 1983, S. 163, 167; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 470; Lieber, Vorlagepflicht, S. 116; Zenner, Haftung, S. 219; Müller-Eiselt, ZfZ 1997, S. 414, 417 Fn. 26. 132 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6517 Rn. 65; Millarg, EuR 1983, S. 163, 167; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 470; Lieber, Vorlagepflicht, S. 116; Everling, ZGR 1992, S. 376, 391. 133 Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 179; Heß, ZZP 1995, S. 59, 81. 134 Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 470; Conans, EuZW 1994, S. 417; kritisch auch StixHackl, Schlussanträge zu Rs. C-495/03, Rn. 94 - Intermodal Transports; Colomer, Schlussanträge zu Rs. C-461 /03, Rn. 52 - Gaston Schul, beide abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu. 135

Stix-Hackl, Schlussanträge zu Rs. C-495/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 94 ff.; Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6501 Rn. 15; Arnull, ELRev. 1983, S. 365, 367 f.; Voß, EuR 1986, S. 103, 105; Lieber, Vorlagepflicht, S. 115; Meilicke, BB 1992, S. 969; Canaris, EuZW 1994, S. 417; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 176; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 284; Rasmussen, CMLRev. 2000,

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2. Teil: Bestandsaufnahme

nen mag, kann für den anderen zweifelhaft sein. 136 Nach den Grundsätzen des EuGH ist bei Unsicherheit über die Klarheit vorzulegen, so dass der Anwendungsbereich der acte-clair-Doktrin noch weiter, wenn überhaupt möglich, eingeschränkt wird. In dieser Rechtsprechung ist ein Bestreben des EuGH zu erkennen, durch eine enge Fassung der acte-clair-Doktrin seine eigenen Kompetenzen möglichst weit zu fassen und demgegenüber den nationalen Gerichten einen möglichst kleinen Entscheidungsspielraum zu belassen. Das Urteil erging im Jahr 1982, also zu einer Zeit, als der Binnenmarkt noch nicht vollendet und der Entwicklungsstand der EG und ihres Rechtssystems noch nicht in dem Maße wie heute fortgeschritten war. 137 Zu diesem Zeitpunkt war der EuGH noch bestrebt, möglichst viele Verfahren an sich zu ziehen, um seine Position zu festigen und die Entwicklung des Gemeinschaftsrechts voranzutreiben. 138 Inzwischen hat sich diese Situation aufgrund der Etablierung gefestigter Rechtsprechung und stark angestiegener Beanspruchung des EuGH gewandelt. Dementsprechend sind die C.I.L.F.I.T.-Kriterien aus zeitlicher Sicht überholt und müssen an die Herausforderungen, die die moderne EG an ihr Rechtsschutzsystem stellt, angepasst werden. 139 Sie liefern keine praktikable Lösung, um die Vörlagepflicht im Rahmen des acte clair sinnvoll einzuschränken. Gleichwohl besteht aufgrund der Überbelastung des EuGH die Notwendigkeit einer Begrenzung dieser Vorlagenflut. Aus diesem Grund führt das C.I.L.F.I.T.-Urteil zu einer ungewollten Konsequenz: Ursprünglich in der Absicht erlassen, den nationalen Gerichten die hohen Anforderungen, die die Auslegung von Gemeinschaftsrecht an sie stellt, vor Augen zu führen und sie damit von der Notwendigkeit der Vorlage an den EuGH zu überzeugen, 140 bewirkt es durch seine zu strengen Maßstäbe das Gegenteil. Da die Entscheidung, ob es sich um einen offenkundigen Rechtsakt handelt und damit die Vörlagepflicht entfällt, ausschließlich bei dem vorlagepflichtigen nationalen Gericht liegt, 141 bleibt den nationalen Gerichten trotz der hoch gesteckten S. 1071, 1109; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 44; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 93. 136 Arnull, MLRev. 1989, S. 622, 623. 13V Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6515 Rn. 60; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1107; Heß, RabelsZ 2002, S. 471, 493; Trocker, RabelsZ 2002, S. 417, 438. 138 Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 367; Vaughan, in: Andenas, Art. 177 References, S. 55, 61; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1107; Meilicke, BB 2000, S. 17, 23; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 21; Malferrari, Zurückweisung, S. 264. 139 In diesem Sinne auch Colomer, Schlussanträge zu Rs. C-461/03, abrufbar unter http: //eur-lex.europa.eu, Rn. 52 ff. - Gaston Schul. 140 Millarg, EuR 1983, S. 161, 168; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1108; Mancini/ Keeling, in: Craig/de Bürca, EU Law, S. 448.

C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin

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Anforderungen des EuGH die Möglichkeit, sich unter Berufung auf die Offenkundigkeit eines Rechtsakts der Vörlagepflicht zu entziehen.142 Die im C.I.L.F.I.T.-Urteil aufgestellten Kriterien stellen insofern keine unmittelbare Handlungsanweisung dar, sondern bieten lediglich eine Orientierungshilfe. 143 Diese Möglichkeit des Missbrauchs kann auch durch Aufstellung schärfster Anforderungen aufgrund des den nationalen Gerichten verbleibenden Entscheidungsspielraums im Bereich der acte-clair-Doktrin nicht ausgeräumt werden. 144 Dies verdeutlicht besonders die Tatsache, dass die Effektivität der Rechtsprechung des EuGH auf die Mitwirkung der nationalen Richter angewiesen ist, die wiederum von der Akzeptanz seiner Rechtsprechung durch die mitgliedstaatlichen Gerichte abhängt.145 Sehen sich die nationalen Gerichte in einem Fall, in dem die Offenkundigkeit der Bedeutung einer Norm möglich erscheint, den zeitaufwändigen komplizierten Prüfungskriterien des EuGH gegenüber, besteht nicht nur die vom EuGH mit seinem Urteil bezweckte Option der Vorlage, sondern die Gerichte sind auch verleitet, die Mühe einer Prüfung der Offenkundigkeit gar nicht erst auf sich zu nehmen, sondern ohne weitere Prüfung von der Vorlage abzusehen. Dementsprechend erscheint es sinnvoll, die nationalen Gerichte nicht durch unerfüllbare Kriterien vor den Kopf zu stoßen, sondern ihnen entgegenzukommen, um durch einen Appell an ihre Kooperationsbereitschaft eine sinnvolle Handhabung der acte-clair-Doktrin zu bewirken. Dementsprechende Ansätze sind auch dem C.I.L.F.I.T.-Urteil des EuGH zu entnehmen, auch wenn diese wegen der Aufstellung der strengen Anforderungen an die Offenkundigkeit nicht konsequent zu Ende geführt werden: Der EuGH betont in seinem Urteil den Charakter des Vorabentscheidungsverfahrens als Instrument der Zusammenarbeit zwischen nationalem und europäischem Gericht. 146 Nur durch die Stärkung der Verantwortung der nationalen Gerichte und der Übertragung von Aufgaben auf sie als Gemeinschaftsgerichte im Rahmen eines Verhältnisses des arbeitsteiligen Zusammenwirkens kann das Problem der Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 2 EG sachgerecht behandelt werden. 147 141 EuGH, Rs. 93/78, Slg. 1978, S. 2203, 2210 Rn. 5 - Mattheus/Diego; Rs. 104/79, Slg. 1980, S. 745, 760 Rn. 11 - Foglia/Novello I; Stix-Hackl, Schlussanträge zu Rs. C-495/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 105 - Intermodal Transports; Lenaerts, CDE 1983, S. 471, 492; Lieber, Vorlagepflicht, S. 116; Everling, DRiZ 1993, S. 5, 12. 142 Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 470; Lieber, Vorlagepflicht, S. 116; Barnard/Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113, 1125. 143 Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 117; Heß, ZZP 1995, S. 59, 81; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 44. 144 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6516 Rn. 63. 145 Rodríguez Iglesias, EuR 1992, S. 225. 146 E U G H , RS. 2 8 3 / 8 1 , Slg. 1982, S. 3415, 3428 Rn. 7.

147 Millarg, EuR 1983, S. 163, 168; Pescatore, BayVBl. 1987, S. 33, 39; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1108.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

Diese Sichtweise scheint durch in der Formulierung des EuGH, die Gerichte sollten sich stellende Auslegungsfragen „in eigener Verantwortung" lösen. 148 Dies impliziert, dass den nationalen Gerichten durch die Einräumung eines Beurteilungsspielraums die Aufgabe übertragen wird, selbst für die effektive Wirksamkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung zu sorgen, indem sie überprüfen, ob in dem ihnen vorliegenden Fall eine Klärung durch den EuGH für die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts notwendig erscheint. Diese Formulierung ist Ausdruck des Vertrauens in die Aufgeschlossenheit der nationalen Gerichte gegenüber dem Gemeinschaftsrecht und dem EuGH. 1 4 9 Jedoch wird dieser sinnvolle Ansatz durch die nachfolgende Aufstellung unerfüllbarer Kriterien konterkariert. Das C.I.L.F.I.T.-Urteil des EuGH beinhaltet also eine richtige Orientierung in Richtung der Verlagerung von Verantwortung auf die nationalen Gerichte, jedoch können die dort entwickelten Kriterien zur Ermittlung der Offenkundigkeit durch ihre hohen Anforderungen keine Entlastung des EuGH bewirken. III. Vorlagepraxis der nationalen Gerichte Hinweise auf die Tauglichkeit der vom EuGH aufgestellten Kriterien lassen sich auch aus der Vorlagepraxis der nationalen Gerichte ableiten. Da die im C.I.L.F.I.T.Urteil formulierten Ausnahmen von der Vorlagepilicht eng begrenzt sind, müssten die nationalen Gerichte fast jede sich stellende das Gemeinschaftsrecht betreffende Auslegungsfrage dem EuGH vorlegen. Im Folgenden soll untersucht werden, ob diese Forderung in der Praxis auf Akzeptanz stößt und von den nationalen letztinstanzlichen Gerichten tatsächlich umgesetzt wird. Zwar existiert keine entsprechende Statistik, jedoch kann aus der Zahl der Vorlagen geschlossen werden, dass den EuGH nicht so viele Vorlagen erreichen, wie tatsächlich geboten wäre. 150 So wurden dem EuGH im Jahr 2003 aus ganz Deutschland nur 43 Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt, damit hat Deutschland bei einer Gesamtzahl von 210 Vorlagefragen aus den Mitgliedstaaten im Jahr 2003 nach Italien noch die meisten Fragen an den EuGH gerichtet. 151 Betrachtet man die Vorlagepraxis der anderen größeren Mitgliedstaaten, kamen im Jahr 2003 45 Vorabentscheidungsersuchen aus Italien, 22 aus dem Vereinigten Königreich und 15 aus 148 EuGH, RS. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3430 Rn. 16. 149 Millarg, EuR 1983, S. 163, 168. 150 Schiller, RIW 1988, S. 452, 453; Everling, DRiZ 1993, S. 5, 11 \Rambow, in: FS Everling, S. 1169, 1184; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 176; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 117; Heß, ZZP 1995, S. 59, 81; Basedow, in: FS Brandner, S. 671; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 283; Rösler, ZRP 2000, S. 52, 55; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2658; Hakenberg, RabelsZ 2002, S. 367, 372; Voß, EuR 2003, Beiheft 1, S. 37, 46; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 130. 151 EuGH, Jahresbericht 2003, S. 246.

C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin

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Österreich. Die französischen Gerichte legten sogar nur 9 Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH vor. 1 5 2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Zahlen auch die freiwilligen Vorlagen unterinstanzlicher Gerichte umfassen. Die Vorabentscheidungsersuchen der in jedem Fall vorlagepflichtigen obersten Gerichte machen dabei nur ein Viertel der dem EuGH vorgelegten Fragen aus, 153 in Deutschland stammt ein Drittel der Vorabentscheidungsersuchen von obersten Gerichtshöfen. 154 Diese Zahlen vor dem Hintergrund der inzwischen hohen Regelungsdichte des Gemeinschaftsrechts und der Tatsache, dass die Auslegung jedes nationalen Gesetzes, das eine EG-Richtlinie umsetzt, der Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG unterfällt, 1 5 5 weisen zwingend darauf hin, dass es eine Anzahl von Verfahren vor nationalen Gerichten gibt, bei denen Auslegungsfragen bezüglich des Gemeinschaftsrechts relevant sind, diese aber nicht an den EuGH gerichtet wurden. Hinweise auf Verletzungen der Vorlagepflicht durch die Gerichte der Mitgliedstaaten lassen sich den jährlichen Berichten der Kommission über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts, die jeweils im Anhang 6 die Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch nationale Gerichte behandeln, entnehmen.156 Hier werden ausgewählte Urteile der vorlagepflichtigen nationalen Gerichte u. a. auf die Frage hin untersucht, ob diese Gerichte in einer Rechtssache keine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt haben, obwohl eine Rechtsvorschrift der Gemeinschaft, deren Auslegung nicht eindeutig ist, zu interpretieren war. In ihren Berichten stellt die Kommission fest, dass sie aufgrund der großen Zahl das Gemeinschaftsrecht betreffender Urteile keine umfassende Analyse der nationalen Entscheidungen vornehmen kann. 157 Dies muss auch für die vorliegende Untersuchung gelten. Es soll lediglich eine Tendenz aufgezeigt werden, die sich bereits aus der Betrachtung ausgewählter Entscheidungen ergibt. Im Zeitraum von 1996 bis 2002 fanden sich in jedem Jahr zumindest in den großen Mitgliedstaaten Urteile letztinstanzlicher Gerichte, in denen nach Ansicht •52 Ebenda. 153

Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtssystems, KOM (2000) 109 endg., S. 5 Fn. 7; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1106. Siehe auch die entsprechende Statistik jeweils im Anhang 6 der jährlichen Berichte der Kommission zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts, abrufbar unter http:// europa.eu.int / comm / secretariat_general / sgb / droit_com / index_en.htm#infractions. 154 Hakenberg, DRiZ 2000, S. 345, 347. Im Jahr 2002 stammten 24 der 59 Vorabentscheidungsersuchen von obersten Gerichten, siehe die Tabelle auf S. 3 des Anhangs 6 des Berichts der Kommission zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts für das Jahr 2002, abrufbar unter http://ec.europa.eu / communitiy-law / eulaw / index_en.htm#infractions. 155 EUGH, RS. 14/83, EuR 1984, S. 311, 315 - Colson; Voß, EuR 1986, S. 95, 103; Rabe, in: FS Redeker, S. 201; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 173. 156 i m Folgenden Monitoring-Report genannt. Die Berichte der Jahre 1998 bis 2003 sind abrufbar unter http://ec.europa.eu/communitiy-law/eulaw/index_en. htm#infractions. Der Bericht zum Jahr 1996 findet sich in ABl. EG 1997, Nr. C 332, S. 198 ff., der Bericht zum Jahr 1997 im ABl. EG 1998, Nr. C 250, S. 195 ff. 157 Monitoring-Report 1998, Annex 6, S. 247.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

der Kommission eine Vorlage vermieden wurde, obwohl der Bedeutungsgehalt der in Rede stehenden Gemeinschaftsvorschrift nicht ohne Weiteres offensichtlich war. Diese Verstöße gegen Art. 234 Abs. 3 EG lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Die größere Gruppe besteht aus Urteilen, in denen die nationalen Gerichte Fragen behandeln, die die Auslegung von Gemeinschaftsrecht betreffen, jedoch eine Vorlage überhaupt nicht erwägen, sondern eine eigenständige Beurteilung vornehmen, ohne das mögliche Eingreifen der Vörlagepflicht zu thematisieren. 1 5 8 Die andere von der Kommission gerügte Gruppe besteht aus Urteilen, in denen die nationalen Gerichte ausdrücklich auf die Klarheit der fraglichen Vorschrift Bezug nehmen und eine Vorlage mit dem Hinweis auf die in diesem Fall nicht bestehende Vorlagepflicht ablehnen. 1 5 9 Teilweise wird dabei auf das 158 Centrale Raad van Beroep, Urteil v. 30. 12. 1996, Bestuur van de Nieuwe Algemene Bedrijfsvereniging/N.M., besprochen im Monitoring-Report 1997, S. 196; Raad van State, Abteilung öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, Urteil v. 28. 10. 1996, Van Gansewinkel / Gemeente Voerendaal, besprochen im Monitoring-Report 1996, Anhang 6, S. 199; Urteile v. 25. 7.1996, Heijmans Milieutechnik BV/Gedeputeerde Staten van Noord-Brabant; Heidemij Realisatie BV/Gedeputeerde Staten van Nord-Brabant, die sich dort ergebende Frage wurde vom selben Gericht in einer anderen Sache dem EuGH vorgelegt, besprochen im MonitoringReport 1996, S. 199; Höge Raad, Urteil v. 4. 2. 1998 - X v. Inspecteur der omzetbelasting, besprochen im Monitoring Report 1998, Annex 6, S. 254; BVerwG, NVwZ 1999, S. 1343, die dort erörterte Frage wurde zuvor vom VG Hannover dem EuGH vorgelegt, der sie später anders als das BVerwG entschieden hat, besprochen im Monitoring-Report 1999, Annex 6, S. 15; Symvoulio tis Epikrateias, Urteil v. 25. 9. 1998, 3497/1998, besprochen im Monitoring-Report 1999, Anhang 6, S. 18; Raad van State, Urteile v. 24. 12. 1998, Icova BV v GS van Noord-Holland; Koks Nilo Milieu BV v. GS van Noord-Holland; Van Vliet Recycling BV v. GS van Utrecht, die im Gegensatz zu der Auffassung des EuGH stehen, besprochen im Monitoring-Report 1999, Annex 6, S. 19; Benelux Gerichtshof, Urteil v. 6. 12. 1999, besprochen im Monitoring-Report 1999, Annex 6, S. 21; Cour administrative d'appel de Paris, Urteil v. 1. 2. 2000 -Bangaly, besprochen im Monitoring-Report 2000, Annex 6, S. 28; BVerwGE 108, S. 289, 292; Supremo Tribunal Administrative, Urteil v. 14. 10. 1999, Rs.-Nr. 31355, besprochen im Monitoring-Report 2001, S. 49; Höge Raad, Urteil v. 28. 3. 2001, Staatssecretaris van Financien/X NZ, besprochen im Monitoring-Report 2001, S. 48; Conseil d'Etat, Urteil v. 3. 12. 2001, SNIP, besprochen im Monitoring-Report 2002, S. 17; Corte di Cassazione, Urteil v. 4. 6. 2002, Nr. 21549, die dort selbständig entschiedene Frage wurde von zwei anderen italienischen Gerichten dem EuGH vorgelegt, besprochen im Monitoring-Report 2002, S. 20; Benelux-Gerichtshof, Urteil v. 24. 6. 2002, besprochen im Monitoring-Report 2002, S. 22; Raad van State, RTL/ Veronica, Holland Media Group SA et CLT-UFA SA, besprochen im Monitoring-Report 2002, S. 22. 159 KG Berlin, RIW 1983, S. 859, 860; Conseil d'Etat, Urteil v. 8. 1. 1997, besprochen im Monitoring-Report 1997, S. 197; BVerwGE 110, S. 40, 61; BFHE 150, S. 227, 230; 179, S. 563, besprochen im Monitoring-Report 1996, S. 200; RIW 2002, S. 644, 647; Corte di cassazione, Sezione I civile, Urteil v. 7. 5. 1999, No. 4564, besprochen im Monitoring-Report 1999, Annex 6, S. 18; Conseil d'Etat, Urteil v. 28. 7. 2000 -Schering-Plough, Application No. 205710, besprochen im Monitoring-Report 2000, Annex 6, S. 27; Cour administrative d'appel de Nancy, lere chambre, Urteil v. 3. 2. 2000 -Lilia Malaja, besprochen im Monitoring-Report 2000, Annex 6, S. 27 f.; Corte die Cassazione, Sezione III civile, Urteil v. 4. 1. 2000, No. 372, die dort erörterte Frage wurde von einem anderen italienischen Gericht dem EuGH vorgelegt, besprochen im Monitoring-Report 2000, Annex 6, S. 29; Höge Raad,

C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin

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C.I.L.F.I.T.-Urteil des EuGH hingewiesen oder die dortigen Formulierungen des EuGH sogar wörtlich oder sinngemäß wiederholt. Allerdings folgt dieser Referenz nicht die im C.I.L.F.I.T.-Urteil vorgesehene umfassende Prüfung der Klarheit, sondern diese wird lediglich formelhaft unter Berufung auf das Vorliegen der Anforderungen des EuGH ohne weitere Begründung festgestellt. 160 Aus dieser Praxis kann gefolgert werden, dass die Gerichte theoretisch mit den vom EuGH aufgestellten Kriterien übereinstimmen, wie aus den Zitaten des C.I.L.F.I.T-Urteils deutlich wird, die dort aufgestellten Maßstäbe in der Praxis jedoch nicht konsequent anwenden.161 Im anderen Extremfall nimmt diese vermeintliche Akzeptanz paradoxe Züge an, z. B. wenn das vorlageunwillige Gericht die Offenkundigkeit einer Norm über mehrere Seiten ausführlich begründet, 162 so dass sich Zweifel ergeben, ob angesichts solchen Aufwands tatsächlich noch von einer Offenkundigkeit ausgegangen werden kann. Auch in der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass die mitgliedstaatlichen letztinstanzlichen Gerichte in offensichtlich unklaren Auslegungsfällen für sich einen Beurteilungsspielraum in Anspruch nehmen, der den vom EuGH im C.I.L.F.I.T-Urteil gesteckten Rahmen überschreitet. 163 Insgesamt ist festzustellen, dass die nationalen Gerichte nicht selten versuchen, sich ihrer Vorlagepflicht zu entziehen.164 Urteil v. 25. 7. 2000, besprochen im Monitoring-Report 2000, Annex 6, S. 30; BVerwGE 108, S. 289, 292, das vom BVerfG aufgrund der Nichtvorlage wegen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgehoben wurde; BFH, Urteil v. 15. 5. 2002, Der Betrieb 2002, S. 1743, besprochen im Monitoring-Report 2002, S. 5; Urteil v. 21. 3. 2002, RIW 2002, S. 644, 647, besprochen im Monitoring-Report 2002, S. 6; BGH, Urteile v. 11. 7. 2002, ZLR 2002, S. 660 f.; Wettbewerb in Recht und Praxis, S. 1141 f. 160 BVerwGE 66, S. 29, 38; 110, S. 40, 61; 66, S. 29, 38; NVwZ 2001, S. 319, 320; BGH, RIW 1989, S. 745,746; BFHE 183, S. 436,444; EuZW 1996, S. 668, 671; RIW 2002, S. 644, 647; Corte di Cassazione, Sezione I civile, Urteil v. 7. 5. 1999, No. 4564, besprochen im Monitoring-Report 1999; Tribunal Supremo, Sala de lo Contencioso-Administrative, Urteil v. 15. 7. 2002, besprochen im Monitoring-Report 2002, S. 14. Siehe auch die Nachweise zu entsprechenden Urteilen des House of Lords bei Arnull, ELRev. 1983, S. 365, 368 ff.; MLRev. 1989, S. 622, 631 und Gormley, RabelsZ 2002, S. 466, des italienischen Corte di Cassazione bei Trocken RabelsZ 2002, S. 417, 436 sowie des Conseil d'Etat bei Ferrand, RabelsZ 2002, S. 404 Fn. 59. 161 Voß, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 55, 65. 162 BGHZ 110, S. 47, 69 ff., dazu Meilicke, RIW 1994, S. 477, 480; Corte di Cassazione, Foro italiano 1995,1, S. 950 (zitiert bei Trocken RabelsZ 2002, S. 417, 436). 163 Trocken RabelsZ 2002, S. 417, 436 für Italien; Ferrand, RabelsZ 2002, S. 391, 412 für Frankreich; Arnull, MLRev. 1989, S. 622, 637 für Großbritannien; Everling, Vorabentscheidungsverfahren, S. 48 Fn. 91 \ Anderson, in: Adenas, Art. 177 References, Kap. 2.4; SchulzeOsterloh, ZGR 1995, S. 170, 178; Beul, EuZW 1996, S. 748; Basedow, in: FS Brandner, S. 651, 665; IMN, FR 2001, S. 492, 493; Hirte, RabelsZ 2002, S. 553, 570; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 44; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 44. 164 Everling, Vörabentscheidungsverfahren, S. 78; Voß, EuR 1986, S. 95, 103; Olmi, in: FS Pecatore, S. 499, 530; Vedder, NJW 1987, S. 526; Arnull, MLRev. 1989, S. 622, 637; Mei-

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2. Teil: Bestandsaufnahme

Eine solche Praxis wirft die Frage nach den Gründen für diese Missachtung der Vorlagepflicht auf. Zum einen wird sie auf die mangelnde Vertrautheit mit dem Gemeinschaftsrecht zurückgeführt. Aufgrunddessen komme es den Gerichten sowie den Parteien gar nicht in den Sinn, dass eine Vorlage geboten sein könne. 165 Solche Beweggründe treffen wohl in erster Linie auf unterinstanzliche und damit nicht vorlageflichtige Gerichte zu. Gerade die obersten Gerichte der Mitgliedstaaten dürften jedoch hinreichend mit dem Gemeinschaftsrecht vertraut sein. Ferner bestehe eine Hemmschwelle, sich dem Urteil eines fremden, fremdartigen und nach fremden Kriterien vorgehenden Gerichts zu unterwerfen, 166 die sogar als innere Abwehrhaltung gedeutet wird. 1 6 7 Auch wird vermutet, die Gerichte wollten sich nicht die Blöße geben, zuzugeben, dass sie selbst bestimmte Auslegungsfragen nicht lösen können und befürchteten, durch eine Vorlage Zweifel an ihrer Kompetenz aufkommen zu lassen.168 Hier zeigt sich die Instrumentalisierung der Vorlagepflicht als Mittel zur Kompetenzabgrenzung zwischen nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit, indem die nationalen Gerichte der engen Sichtweise des EuGH eine großzügigere Handhabung der Vorlagepflicht entgegensetzen, um ihre Kompetenzen zu erweitern. Tatsächlich spiegelt die insbesondere von den französischen Gerichten geübte Handhabung der acte-clair-Doktrin ein Streben nach der Sicherung von Kompetenzen wider. 169 Entscheidende Bedeutung kommt daneben allerdings der Dauer des Verfahrens zu, 1 7 0 bei der eine Überbelastung sowohl der nationalen Gerichte als auch des EuGH eine Rolle spielt. Zum einen stellt die Abfassung eines Vorabentscheidungsersuchens wegen der besonderen Anforderungen an seine Form, die die Formulierung einer abstrakten Rechtsfrage unabhängig von dem konkreten Fall verlangt, eine aufwändige und komplizierte Aufgabe dar, die die Richter zu vermeiden sulicke, BB 2000, S. 17; Voßkuhle, JZ 2001, S. 924, 925; Timmermans, CMLRev. 2004, S. 393, 399; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 130; für den Bereich des Zivilrechts Hakenberg, RabelsZ 2002, S. 372. 165 Voß, EuR 1986, S. 95, 104; Watson, CMLRev. 1986, S. 207, 209; Vedder, NJW 1987, S. 526; Everling, DRiZ 1993, S. 5, 11; Bingham, in: Andenas, Art. 177 References, S. 43, 45; Basedow, in: FS Brandner, S. 651, 671; Rosier, ZRP 2000, S. 52, 55; Hakenberg, RabelsZ 2002, S. 367, 371. 166 Verougstraete, in: Schermers u. a., Article 177 EEC, S. 128, 129; Everling, DRiZ 1993, S. 5, 11; Hakenberg, DRiZ 2000, S. 345, 347; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 38. 167 Basedow, in: FS Brandner, S. 651, 671. 168 Watson, CMLRev. 1986, S. 207, 210; Verougstraete, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 128, 129. 169 Arnold, in: FS Neumayer, S. 17; Olmi, in: FS Pescatore, S. 499, 535. 170 Everling, Vorabentscheidungsverfahren, S. 76; Watson, CMLRev. 1986, S. 207, 210; Voß, EuR 1986, S. 95, 104; Voß, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 55, 68; Vedder, NJW 1987, S. 526; Rabe, in: FS Redeker, S. 201, 205; ter Kuile, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 381, 383; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 178; Basedow, in: FS Brandner, S. 651, 673; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 38; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 130.

C. Die bisherige Diskussion zur acte-clair-Doktrin

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chen. 171 Zum anderen wird das Verfahren vor dem nationalen Gericht durch eine Aussetzung bis zur Entscheidung des EuGH in die Länge gezogen, die Richter müssen damit rechnen, dass zwei Jahre vergehen, bis sie Antwort auf ihre Frage erhalten. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht verwunderlich, dass sie davon absehen, eine Vorlage an den EuGH zu richten. 172 So hat z. B. im Jahr 1998 der französische Conseil d'Etat eine Vorlage an den EuGH trotz Bestehens einer unklaren Frage zur Auslegung einer Richtlinie mit der Begründung abgelehnt, dass eine Vorlage zu einer nicht hinnehmbaren Verzögerung des Verfahrens führen würde. 1 7 3 Gerade unter dem Aspekt der Überlastung des EuGH hat die von den nationalen Gerichten praktizierte Nichtbeachtung der Vörlagepflicht jedoch auch einen Vorteil: Die wörtliche Befolgung der im C.I.L.F.I.T.-Urteil aufgestellten Bedingungen würde zu einer völligen Überlastung des EuGH und einer noch weiteren Ausdehnung der Verfahrensdauer führen. 174 Die Vörlagepraxis zeigt also, dass die nationalen Gerichte aufgrund der hohen Anforderungen, die an die Prüfung der Offenkundigkeit gestellt werden, sowie der abschreckenden Wirkung der langen Verfahrensdauer die vom EuGH im C.I.L.F.I.T.-Urteil aufgestellten Maßstäbe nicht konsequent anwenden. Diese Praxis kann beklagt, jedoch auch als Anstoß für eine Reform der Vorlagepflicht verstanden werden. Mit der Eröffnung eines größeren Entscheidungsspielraums für die letztinstanzlichen Gerichte, in dem sich eine Prüfung der Offenkundigkeit lohnt, weil die realistische Möglichkeit einer Entbindung von der Vorlagepflicht existiert, die nach leichter zu überprüfenden und erfüllbaren Kriterien festgestellt werden kann, könnte eine bessere Akzeptanz der Vörlagepflicht durch die nationalen Gerichte bewirkt werden. Gleichzeitig würde eine Erweiterung der Vorlagepflicht das Potential der nationalen Gerichte besser nutzen. Gerade in den Urteilen, in denen sie eine eigenständige Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorgenommen haben, zeigt sich, dass die nationalen Gerichte gewillt und in der Lage sind, sich mit europarechtlichen Fragen auseinander zu setzen. Bereits jetzt entlasten sie den EuGH von weiteren Vorabentscheidungsersuchen und haben in der Praxis einen Teil seiner Aufgabe über171 Voß, EuR 1986, S. 95, 104; Watson, CMLRev. 1986, S. 207, 209. 172 Watson, CMLRev. 1986, S. 207, 210; Verougstraete, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 128, 129; Koopmans, YEL 1991, S. 15, 18. 173 Conseil d'Etat, Sections, Urteil v. 20. 5. 1998 - Communauté de communes du Piémont de Barr et autres, besprochen im Monitoring-Report 1998, Anhang 6, S. 253. 174 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6515 Rn. 58; Everling, ZGR 1992, S. 376, 393; Meilicke, BB 1992, S. 969, 975; Rabe, in: FS Redeker, S. 201, 205; Canaris, EuZW 1994, S. 417; Rambow, in: FS Everling, S. 1169, 1184; Heß, ZZP 1995, S. 59, 81; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 285; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2658; Hirsch, Diskussionsbeitrag, RabelsZ 2002, S. 615, 618.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

nommen. Diese Entwicklung muss nicht nur negativ gesehen werden, sie bietet auch eine Chance, die bereits angelegte Tendenz aufzunehmen und die nationalen Gerichte offiziell in die Auslegung des Gemeinschaftsgerichts einzubeziehen. So könnte die bisher ungeregelte Praxis in an den Zielen des Vorabentscheidungsverfahrens orientierte Bahnen gelenkt und sichergestellt werden, dass nur die Fälle nicht vorgelegt werden, in denen tatsächlich eine weitere Klärung durch den EuGH entbehrlich erscheint.

IV. Ergebnis zur bisherigen Handhabung der acte-clair-Doktrin Die gegenwärtige gerichtliche Praxis im Umgang mit der acte-clair-Doktrin ist gekennzeichnet durch einen Gegensatz zwischen der engen Sichtweise des EuGH, der eine Ausnahme von der Vorlagepflicht aus Gründen der Klarheit der Norm nur unter nahezu nie erfüllten Bedingungen zulässt, und einer großzügigen Handhabung durch die nationalen Gerichte, die die vom EuGH aufgestellten Kriterien nicht konsequent umsetzt. Dahinter steht zunächst die unterschiedliche Gewichtung der Funktionen des VorabentscheidungsVerfahrens: Einheit der Rechtsordnung seitens des EuGH, effektiver Rechtsschutz durch zügiges Verfahren seitens der nationalen Gerichte. Noch weitergehend zeigt sich hier jedoch auch der Konflikt um die Zuständigkeitsverteilung zwischen europäischer und nationaler Ebene im Bereich der Rechtsprechung, auf die später noch zurückzukommen sein wird.

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht Ein weiterer Grund für die teilweise Nichtbeachtung der Vorlagepflicht durch die nationalen Gerichte könnte in der mangelnden Sanktionierung liegen. Grundsätzlich bestehen auf europäischer sowie in Deutschland auch auf nationaler Ebene Möglichkeiten, die Verletzung der aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Pflichten zu rügen. I. Europäische Ebene Zunächst sollen die für jeden Mitgliedstaat geltenden europäischen primären und sekundären Sanktionsmechanismen betrachtet werden.

1. Vertragsverletzungsverfahren Die rechtswidrige Unterlassung der Vörabentscheidungsvorlage durch ein letztinstanzliches Gericht stellt eine Verletzung der mitgliedstaatlichen Treuepflicht aus Art. 10 EG dar, die dem jeweiligen Mitgliedstaat zugerechnet werden kann. 175

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht

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Diese Vertragsverletzung kann durch die europäische Kommission im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 226 EG geahndet werden. 176 Betroffene natürliche und juristische Personen sind mangels eigener Klagemöglichkeit darauf beschränkt, die Kommission auf Verstöße aufmerksam zu machen und die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens anzuregen. 177 In der Praxis ist die Kommission jedoch bisher im Hinblick auf die Rüge der Mitgliedstaaten vor dem EuGH wegen Verletzung der Vorlagepflicht sehr zurückhaltend. Abgesehen von der Einleitung eines Verfahrens gegen den BGH wegen Unterlassung der Vorlage bei Nichtzulassung der Revision im Jahr 1990, das nicht über das Vorverfahren hinweggekommen ist, 1 7 8 hat sie von dieser Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht. 179 Kürzlich hat sie ein weiteres Verfahren gegen Schweden angestrengt, das sich derzeit im Vorverfahren befindet. 180 Wesentlicher Grund für diese Zurückhaltung seitens der Kommission ist die mangelnde Durchsetzbarkeit des im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens ergehenden Feststellungsurteils. Adressat dieses Urteils ist die Regierung des Mitgliedstaats, die aber als Teil der Exekutive aufgrund der innerstaatlichen Gewaltenteilung gegenüber der Justiz die Vorlage nicht erzwingen kann. 181 Die Anstrengung eines Verfahrens, das zu keinen spürbaren Konsequenzen führt, würde dem Ansehen des EuGH und 175 Lenski/Mayer, EuZW 2005, S. 225. 176 Lieber, Vorlagepflicht, S. 150; Everling, ZGR 1992, S. 376, 390; Zenner, Haftung, S. 226; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 119; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 58; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 50; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 304; Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 6 Rn. 40; Streinz, Europarecht, Rn. 659; Borchardt, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 49; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 45; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 70; Krieger, JuS 2004, S. 855, 856. 177 Lieber, Vörlagepflicht, S. 178; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 68; Krieger, JuS 2004, S. 855, 856. 178 OLG Köln, ZLR 1988, S. 667 - Pingo-Hähnchen; siehe dazu Meier, EuZW 1991, S. 11; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 120 Fn. 449; Wegener, in: Calliess / Ruffert, EUV/ EGV, Art. 234 Rn. 26 Fn. 80; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 45. 179 Pescatore, BayVBl. 1987, S. 68, 71; Sack, EuZW 1991, S. 246; Everling, ZGR 1993, S. 189, 390; Hakenberg, DRiZ 2000, S. 345, 347; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 304; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 50; Voßkuhle, JZ 2001, S. 924, 925; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 26; Borchard, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 49; Middeke, in: Rengeling /Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 68; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 70. 180 Az. 2003/2161, siehe dazu Lenski/Mayer,

EuZW 2005, S. 225.

181 Ehlermann, in: FS Kutscher, S. 135, 153; Nicolaysen, EuR 1985, S. 368, 370; Everling, ZGR 1993, S. 389, 390; Allkemper, EWS 1994, S. 253, 258; Wohlfahrt, in: Grabitz/ Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 55; Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 304; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 50; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 26; Streinz, Europarecht, Rn. 659; Middeke, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 68; Borchardt, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 49; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 70; Ehricke, in: Streinz, EUV/ EGV, Art. 234 Rn. 45.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts eher schaden als nützen. 182 Zudem hätte die Feststellung einer Vertragsverletzung aufgrund der bereits eingetretenen Bestandskraft des nationalen Urteils keine unmittelbaren Auswirkungen, 183 da die Einführung eines Wiederaufnahmegrundes bei Verletzung des Gemeinschaftsrechts zwar verschiedentlich gefordert, 184 bislang aber nicht umgesetzt worden ist. 1 8 5 Ferner ist das Verhalten der Kommission auf das Bestreben zurückzuführen, nicht die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem EuGH zu gefährden 186 und politische Schwierigkeiten zwischen Mitgliedstaaten und EG zu vermeiden. 187 Die Kommission selbst ist der Auffassung, dass das Vertragsverletzungsverfahren nicht als Instrument zur Überprüfung von Gerichtsentscheidungen konzipiert sei und demnach keine geeignete Grundlage für die Kooperation zwischen EuGH und nationalen Gerichten darstelle. 188 Aus diesem Grund will sie von der Möglichkeit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nur unter besonderen Umständen und als ultima ratio Gebrauch machen. 189 Allerdings hat die Kommission selbst in offensichtlichen Missbrauchsfällen, wie z. B. den oben erwähnten Urteilen des Conseil d'Etat oder des BFH, davon abgesehen, Klage zu erheben. 190 Sie hat lediglich die betreffenden Mitgliedstaaten durch Schreiben auf den Verstoß aufmerksam gemacht und sie gebeten, dem jeweiligen Gericht von dieser Mitteilung Kenntnis zu geben. 191 Bereits aufgrund der zurückhaltenden Praxis der Kommission und der daraus resultierenden Nichtanwendung in Fällen der Missachtung der Vorlagepflicht bie182 Nicolaysen, EuR 1985, S. 368, 370; Zenner, Haftung, S. 227. 183 Burgi, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 6 Rn. 40. 184 Meier, EuZW 1991, S. 11, 14; Borchardt, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 47. 185 Kenntner, VB1.BW 2000, S. 297, 304; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 50; Borchardt, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 49; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 68; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 45; Geiger, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 36. 186 Antwort der Kommission auf die Anfrage Nr. 406/77, Abi. EG 1977, Nr. C 265, S. 17; Hilf, EuR 1988, S. 1, 16; Dauses, Vörabentscheidungsverfahren, S. 120; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 26; Mayer, EuZW 2005, S. 225. 187 Ehlermann, in: FS Kutscher, S. 135, 152; Burgi, in: Rengeling/Middeke /Gellermann, Rechtsschutz, § 6 Rn. 41. 188 Antwort der Kommission auf eine Parlamentarische Anfrage, ABl. EG 1983, Nr. C 268, S. 25. 189 Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 608/78, Abi. EG 1979, Nr. C 28, S. 9. 190 Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 100, Abi. EG 1967, Nr. 270, S. 2; Meier, EuZW 1991, S. 11. 191 Kommission, Monitoring-Report, ABl. EG 1989, Nr. C 330, S. 146, 160; Ehlermann, in: FS Kutscher, S. 135, 153; Lieber, Vorlagepflicht, S. 162; Hilf, EuR 1988, S. 1, 16; Sack, EuZW 1991, S. 246; Mayer, EuR 2002, S. 239, 248.

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht

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tet das Vertragsverletzungsverfahren also keinen wirksamen Sanktionsmechanismus. 2. Staatshaftungsanspruch

gegen die Mitgliedstaaten

Es bleibt die Möglichkeit einer Haftung des Mitgliedstaats wegen pflichtwidriger Unterlassung der Vorlage an den EuGH. Die vom EuGH entwickelte Haftung der Mitgliedstaaten, die grundsätzlich jedes mitgliedstaatliche Organ trifft, 1 9 2 umfasst auch Verstöße nationaler Gerichte gegen die Vorlagepflicht. 193 Im Zusammenhang mit der Haftung für judikatives Unrecht sind jedoch die Prinzipien der richterlichen Unabhängigkeit sowie der Rechtskraft von Urteilen und der Rechtssicherheit zu berücksichtigen. 194 Aus diesem Grund wird die Ansicht vertreten, dass das im deutschen Recht in § 839 Abs. 2 BGB verankerte Richterprivileg, das - zwar teilweise stark eingeschränkt - auch in anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu finden ist, 1 9 5 auf europarechtlicher Ebene anwendbar sei und eine Haftung ausschließe oder zumindest einschränke. 196 Durch die Zulassung einer Haftung für richterliche Entscheidungen werde das Ergebnis des Vorprozesses gezielt in Frage gestellt, 197 eine Einschränkung der Haftung sei also zur Wahrung der Rechtskraft des Urteils und im Interesse des Rechtsfriedens geboten.198 192 EuGH, verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90, Slg. 1991, S. 1-5357, 5414 Rn. 33 ff. - Frankovich u. a.; verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93, Slg. 1996, S. 1-1029, 1145 Rn. 32 - Brasserie du Pêcheur u. Factortame; Rs. C-424/97, Slg. 2000, S. 1-5123, 5159 Rn. 26 f. - Haim; Rs. C-224/01, EuZW 2003, S. 718 - Köbler. 193 EuGH, RS. C-224/01, EUZW 2003, S. 718; Ehlermann, in: FS Kutscher, S. 135, 151; terKuile, in: Curtin/ Heukels, Institutional Dynamics, S. 381, 383; Beul, EuZW 1996, S. 748; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 50; Schwarzenegger, Staatshaftung, S. 80; Beljin, Staatshaftung im Europarecht, S. 83; Voßkuhle, JZ 2001, S. 924, 925; Mankowski, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 37 Rn. 129; Borchardt, in: Lenz, EUV/ EGV, Art. 234 Rn. 53; Breuer, ELRev. 2004, S. 243, 250. 194 Stellungnahme der Regierungen Österreichs, Frankreichs und Großbritanniens im Fall Köbler, EuZW 2003, S. 718, 719; Deckert, EuR 1997, S. 203, 225; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 282; Wegener, EuR 2002, S. 785, 794; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 46; Streinz, JuS 2004, S. 425, 428. 195 Nettesheim, DÖV 1992, S. 999, 1003. Zu den Regelungen in Österreich, Frankreich und England siehe Ohlenburg, RabelsZ 2003, S. 683, 689 ff. 196 Nettesheim, DÖV 1992, S. 999, 1003; Steiner, ELRev. 1993, S. 3, 11 Fn. 48; Herdegen/Rensmann, ZHR 1997, S. 522, 554; Ossenbühl, Staatshaftung, S. 514; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 282; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, § 6 Rn. 66; Wegener, in: Calliess / Ruffert, EUV /EGV, Art. 234 Rn. 28; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 46; Wattel, CMLRev. 2004, S. 177. 197 Erklärung der Republik Österreich im Fall Köbler, EuZW 2003, S. 718, 719; Wegener, EuR 2002, S. 785, 794; Gundel, EWS 2004, S. 8, 16. 198 Erklärung der Kommission zum Fall Köbler, EuZW 2003, S. 718, 719; Nettesheim, DÖV 1992, S. 999, 1003; Herdegen/Rensmann, ZHR 1997, S. 522, 555; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 514; Beljin, Staatshaftung im Europarecht, S. 84; Wegener, EuR 2002, S. 785, 794; Breuer, ELRev. 2004, S. 243, 251. 4 Hummert

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2. Teil: Bestandsaufnahme

Dieser Argumentation werden die Unterschiede des Vörabentscheidungsverfahrens zu einem „klassischen" Prozess, in dem Rechts- und Tatfragen entschieden werden, entgegengehalten. Das Richterprivileg solle die Erreichung einer erneuten, möglicherweise abweichenden Beurteilung von Tatsachenfragen verhindern. Im Vörabentscheidungsverfahren gehe es jedoch nicht um auf viele Arten zu beurteilende Tatsachen, sondern allein um Rechtsfragen. Diese besondere Tragweite lasse die Anwendung des Richterprivilegs nicht zu. 1 9 9 Ferner wird das vom EuGH schon in der Entscheidung Brasserie du Pêcheur 200 herangezogene völkerrechtliche Argument angeführt, nach dem die Haftung des Staates unabhängig davon besteht, welches seiner Organe gehandelt hat. 201 Demnach dürfe auch für die Judikative keine Ausnahme von dieser Haftung gemacht werden. 202 Vielmehr sei insbesondere zur Gewährleistung des mit der Vörlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG bezweckten Schutzes der Rechte des Einzelnen 203 sowie zur Sicherstellung der Effektivität des Gemeinschaftsrechts 204 ein Recht auf Ersatz der durch die Verletzung dieser Pflicht entstehenden Schäden geboten. Dem wird entgegengehalten, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten teilweise sehr weitgehende Haftungsausschlüsse für richterliche Fehlentscheidungen enthalten. Diese Wertung müsse auch auf europäischer Ebene berücksichtigt werden. 205 Zudem komme den Gerichten in der Gemeinschaftsrechtsordnung eine besondere Funktion zu, die sie von den anderen Staatsorganen unterscheide. Dies werde schon im Institut des Vorabentscheidungsverfahrens deutlich, das die Existenz und Funktionsfähigkeit der nationalen Justiz voraussetze. 206 Diese besondere 199 Zenner, Haftung, S. 238. 200 EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93, Slg. 1996, S. 1-1029, 1145 Rn. 32 - Brasserie du Pêcheur u. Factortame. 201 EuGH, Rs. C-224/01, EuZW 2003, S. 718, 721; Léger, Schlussanträge zu Rs. 224/01, Slg. 2003, S. 1-10243, 10257 Rn. 47 - Köbler; Henrichs, Haftung, S. 114; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 51; Blanchet, RTDE 2001, S. 397, 436; Ruffert, in: Calliess /Ruffert, EUV/EGV, Art. 288 Rn. 35; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 46; Mankowski, in: Rengeling /Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 37 Rn. 127; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 72; Krieger, JuS 2004, S. 855, 857. 202 Beul, EuZW 1996, S. 748; Thalmair, DStR 1996, S. 1975, 1979; Wehlau, DZWiR 1997, S. 100, 106; Deckert, EuR 1997, S. 203, 226; Breuer, ELRev. 2004, S. 243, 249; Gilsdorf/ Niejahr, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 288 Rn. 8. 203 EUGH, Rs. C-244/01, EuZW 2003, S. 718, 721 - Köbler; Léger, Schlussanträge zu Rs. 224/01, Slg. 2003, S. 1-10243, 10253 Rn. 36; Ehricke, in: Streinz, E U V / E G V , Art. 234 Rn. 46; Wegener, EuR 2004, S. 84, 86; Krieger, JuS 2004, S. 855, 856.

204 Léger, Schlussanträge zu Rs. 224/01, Slg. 2003, S. 1-10243, 10253 Rn. 36; Zenner, Haftung, S. 241; Thalmair, DStR 1996, S. 1975, 1979; Wehlau, DZWir 1997, S. 100, 106; Beljin, Staatshaftung im Europarecht, S. 84; Gromitsaris, SächsVBl. 2001, S. 157, 160; Krieger, JuS 2004, S. 855, 856. 205 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, § 6 Rn. 67; Krieger, JuS 2004, S. 855, 857; Wegener, EuR 2004, S. 84, 86 m. w. N. zur rechtsvergleichenden Literatur. 206 Gundel, EWS 2004, S. 8, 12.

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht

51

Stellung rechtfertige auch einen anderen Haftungsmaßstab im Vergleich zu den übrigen Organen. Ferner enthalte das Vorabentscheidungsverfahren die Grundentscheidung für eine auf Zusammenarbeit aufbauende und damit durch gemeinschaftsrechtliche Sanktionsfreiheit geprägte Kooperation. 207 Der EuGH hat in dem Urteil Köbler grundsätzlich eine Haftung des jeweiligen Mitgliedstaats für die Missachtung der Vorlagepflicht durch nationale Gerichte bejaht. 208 Das Eingreifen des Richterprivilegs wird mit der Begründung abgelehnt, dieses gelte nur auf nationaler, nicht aber auf europäischer Ebene. Es beziehe sich nur auf die persönliche Haftung des Richters, nicht aber auf die des Staates und könne demnach durch eine gemeinschaftsrechtliche Haftung des Staates nicht gefährdet werden. 209 Ferner werde auch die Rechtskraft des Urteils durch eine Haftung des Staates aufgrund der unterschiedlichen Streitgegenstände und Parteien im Vergleich zum Ausgangsstreit nicht berührt. Das gegenüber dem Staat ergehende Urteil beziehe sich nur auf die Verpflichtung zur Gewährung einer Entschädigung, nicht aber auf die Abänderung der schadensbegründenden Entscheidung.210 Allerdings trägt der EuGH auch der besonderen Funktion der Gerichte im Gefüge des EG-Vertrags Rechnung, indem er die Haftung für die Verletzung der Vorlagepflicht nur bei Vorliegen enger Voraussetzungen eingreifen lässt. Damit folgt er der schon in der Literatur geforderten Einschränkung der Haftung für judikatives Unrecht mithilfe des Willkürkriteriums. 211 Nach dem Maßstab des EuGH ist erforderlich, dass die verletzte Norm drittschützenden Charakter hat, ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegeben ist und zwischen diesem Verstoß und dem Schadenseintritt ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.212 Im Hinblick auf die verletzte drittschützende Norm bei einer Missachtung der Vorlagepflicht stellt sich die umstrittene Frage, ob Art. 234 Abs. 3 EG individualschützenden Charakter hat. 213 Diese Frage kann allerdings in den meisten Fällen dahinstehen, da mit der Nichtvorlage nach Ansicht des EuGH regelmäßig eine falsche Auslegung einer Norm des materiellen Rechts und damit eine Verletzung die207 Steiner, ELRev. 1993, S. 3, 11 Fn. 48; Wegener, EuR 2002, S. 785, 797. 208 EUGH, RS. C-244/01, EUZW 2003, S. 718. 209 EUGH, RS. C-224/01, EUZW 2003, S. 718, 721; so auch schon Léger, Schlussanträge zu RS. 224/01, Slg. 2003, S. 1-10243, 10269 Rn. 90, sowie Zenner, Haftung, S. 240. 210 EUGH, RS. C-224/01, EUZW 2003, S. 718, 721. 211 Mankowski, in: Rengeling /Middeke/ Gellermann, Rechtsschutz, § 37 Rn. 128; Borchardt, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 48; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 72. 212 EUGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93, Slg. 1996, S. 1-1029, 1154 Rn. 74 - Brasserie du Pêcheur u. Factortame; Rs.C-424/97, Slg. 2000, S. 1-5123, 5161 Rn. 36 - Haim; Rs. C-224/01, EuZW 2003, S. 718, 722. 213 Dafür: Gromitsaris, SächsVBl. 2001, S. 157, 160; Hirte, RabelsZ 2002, S. 553, 574; Obwexer, EuZW 2003, S. 726, 727; dagegen: Beul, EuZW 1996, S. 748; Schwarzenegger, Staatshaftung, S. 95; Wegener, EuR 2004, S. 84, 90; Gundel, EWS 2004, S. 8, 9. 4*

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2. Teil: Bestandsaufnahme

ses Rechts einher geht. 214 Ist diese Vorschrift drittschützend, muss auf Art. 234 Abs. 3 EG nicht mehr zurückgegriffen werden. Nicht so leicht zu führen ist demgegenüber der erforderliche Nachweis eines Schadens sowie eines qualifizierten Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht. In Fällen der Missachtung der Vorlagepflicht wird es sich oft als schwierig erweisen, einen durch die Unterlassung der Vorlage entstandenen Schaden nachzuweisen, da nicht vorauszusehen ist, ob der EuGH anders als das letztinstanzliche Gericht entschieden hätte. 215 Denn die Fälle der Berufung auf die acte-clair-Doktrin, in denen eine Sanktionierung der Nichtvorlage geboten erscheint, sind gerade diejenigen, zu denen bisher noch keine Rechtsprechung des EuGH ergangen ist. Die Aufstellung einer Hypothese über die Entscheidung des EuGH ist nur in den seltenen Konstellationen möglich, in denen auf Vorlage eines anderen Gerichts eine Beantwortung gerade der relevanten Frage ergeht. 216 Ferner ergibt sich ein Problem bei dem Nachweis der für die gemeinschaftsrechtliche Haftung erforderlichen besonderen Qualifizierung des Verstoßes, die unter Hinweis auf die Besonderheiten der richterlichen Funktion nur bejaht wird, wenn das Gericht seinen Beurteilungsspielraum in unvertretbarer und offenkundiger Weise überschritten hat. 217 Dies ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles wie dem Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, der Vorsätzlichkeit des Verstoßes, der Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, gegebenenfalls der Stellungnahme eines Gemeinschaftsorgans sowie der Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG durch das in Rede stehende Gericht zu beurteilen. 218 Bei Betrachtung dieses Maßstabs wird deutlich, dass die Verletzung der Vorlagepflicht nur ein Kriterium unter mehreren darstellt. Dies lässt den Schluss zu, dass nicht jeder Verstoß gegen Art. 234 Abs. 3 EG zu einer Haftung führt. 219 Der EuGH betont, dass von einer offenkundigen Rechtsverletzung nur im Ausnahmefall auszugehen ist 2 2 0 Das Urteil ist also durch eine zurückhaltende Handhabung der Haftung für die Missachtung der Vörlagepflicht gekennzeichnet. 221 Aus dem Urteil kann gefolgert werden, dass ein haftungsbegründender 214 EUGH, RS. 224/01, EuZW 2003, S. 718; Beul, EuZW 1996, S. 748, 749; Obwexer, EuZW 2003, S. 726, 727; Wegener, EuR 2004, S. 84, 89; Gundel, EWS 2004, S. 8, 9 Fn. 12. 215 Léger, Schlussantràge zu Rs. 224/01, Slg. 2003, S. 1-10243, 10282 Rn. 151; Deckert, EuR 1997, S. 203, 226; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 282; Obwexer, EuZW 2003, S. 726, 727. 216 Léger, Schlussantràge zu Rs. 224/01, Slg. 2003, S. 1-10243, 10282 Rn. 151; ter Kuile, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 381, 385. 217 EuGH, verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93, Slg. 1996, S. 1-1029, 1150 Rn. 55 - Brasserie du Pêcheur u. Factortame; Rs. C-224/01, EuZW 2003, S. 718, 722. 218 EuGH, Rs. C-224/01, EuZW 2003, S. 718, 722. 219 Obwexer, EuZW 2003, S. 726, 727; Gundel, EWS 2004, S. 9. 220 E U G H , RS. C - 2 2 4 / 0 1 , E u Z W 2003, S. 718, 722.

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht

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offenkundiger Verstoß nur in dem vom EuGH ausdrücklich genannten Fall gegeben ist, in dem ein Gericht ohne Vorlage von der etablierten Rechtsprechung des EuGH abweicht. 222 Teilweise wird aus den im Urteil Köbler auftgestellten Maßstäben eine mögliche Haftungsbegründung für alle Verstöße gegen die C.I.L.F.I.T.-Kriterien gefolgert, 223 die sich jedoch aus den Urteilsgründen und insbesondere aus der Verneinung der Haftung im konkreten Fall trotz Bejahung eines Verstoßes gegen die Vorlagepflicht nicht entnehmen lässt. Vielmehr hat der EuGH insofern seinen eigenen im C.I.L.F.LT.-Urteil entwickelten Maßstab nicht konsequent durchgehalten. Die haftungsbegründenden Kriterien decken sich nicht mit den im C.I.L.F.I.T.-Urteil aufgestellten strengen Anforderungen, sondern greifen nur in Fällen besonders krasser Missachtung. Folglich kann auch eine gemeinschaftsrechtliche Haftung keine hinreichende Sanktion für die Nichtvorlage bieten. Diese eher zurückhaltende Handhabung der Haftung letztinstanzlicher Gerichte kann darauf zurückgeführt werden, dass der EuGH das Fundament des Vorabentscheidungsverfahrens, die Zusammenarbeit mit den mitgliedstaatlichen Gerichten, nicht gefährden wollte. 224 Folglich wird deutlich, dass es aus europäischer Sicht aufgrund des den nationalen Gerichten eingeräumten Beurteilungsspielraums diesen in erster Linie selbst obliegt, für die Beachtung der aus Art. 234 Abs. 3 EG erwachsenden Pflichten zu sorgen. 225 Dies ist, wie sich dem Urteil Köbler entnehmen lässt, auch der Wille des EuGH, der die Möglichkeit einer schärferen Sanktion der Missachtung der Vorlagepflicht bewusst nicht wahrgenommen und stattdessen auf die Kooperationsbereitschaft der nationalen Gerichte gesetzt hat.

3. Individualbeschwerde

nach Art. 34 EMRK

Eine andere Möglichkeit der Sanktion der Nichtvorlage der vorlagepflichtigen Gerichte ist in den Bestimmungen der EMRK zu finden. Die Parteien des nationalen Ausgangsrechtsstreits können sich bei einer unterlassenen, jedoch gemeinschaftsrechtlich gebotenen Vorlage im Wege der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK auf die Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 EMRK berufen. 226 Der EGMR hat über einen solchen Fall bisher noch 221 Obwexer, EuZW 2003, S. 726, 728; Wegener, EuR 2004, S. 85, 86; Streinz, JuS 2004, S. 425, 428; Gundel, EWS 2004, S. 8, 16; Breuer, ELRev. 2004, S. 243, 251; Lenski/Mayer, EuZW 2005, S. 225. 222 Wegener, EuR 2004, S. 84, 91. 223 Wattel, CMLRev. 2004, S. 177, 178. 224 Obwexer, EuZW 2003, S. 726, 727; Streinz, JuS 2004, S. 425, 428; Gundel, EWS 2004, S. 8, 16; zu dieser Gefahr schon vorher Toner, YEL 1997, S. 165, 181; Wegener, EuR 2002, S. 785, 797. 225 BVerfGE 73, S. 339, 369 - Solange II; Wohlfahrt, in: Grabitz/ Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 55; Rosier, ZRP 2000, S. 52, 56; Wegener, EuR 2002, S. 785, 786.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

nicht entschieden, er vertritt jedoch in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar kein absolutes Recht auf Anrufung des Gerichtshofes im Wege des Vorabentscheidungsersuchens bestehe, eine willkürliche Nichtvorlage des nationalen Gerichts jedoch eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellen könne. 227 Hier zeigt sich eine gewisse Parallele zu der Rechtsprechung des EuGH im Bereich der oben diskutierten Staatshaftung, 228 da ebenfalls das Kriterium der Willkür zugrundegelegt wird. Allerdings ergibt sich aus der Formulierung des EuGH, dass auch aus Art. 6 EMRK kein Anspruch auf Anrufung des EuGH abgeleitet werden kann. 229 Der EGMR kann einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK lediglich feststellen, gem. Art. 46 EMRK obliegt es den Mitgliedstaaten, die Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen. Es besteht allein die Möglichkeit, dem Betroffenen eine Entschädigung zuzusprechen 2 3 0 Die Prozessordnungen einiger Mitgliedstaaten sehen die Wiederaufnahme des Verfahrens nach einer Entscheidung des EGMR vor, in Deutschland ist dies bisher nicht der Fall. 2 3 1 Demzufolge ergeben sich aus den Bestimmungen der EMRK keine weitergehenden Sanktionsmöglichkeiten für den EGMR als für den EuGH im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung.

IL Nationale Ebene: Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Fehlen also im Bereich des Gemeinschaftsrechts effektive Sanktionen, gewinnen die nationalen Rechtsbehelfe an Bedeutung. Da die Vörlagepflicht nur letztinstanzlich entscheidende Gerichte trifft, ist für die Parteien die Möglichkeit ausgeschlossen, gegen dieses Urteil mit der Rüge des Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht Rechtsmittel einzulegen.232 Allerdings besteht in Deutschland, anders als in den meisten anderen Mitgliedstaaten,233 die Möglichkeit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde. Diese 226 Lenski/Mayer, EuZW 2005, S. 225. 227 Léger, Schlussanträge zu Rs. C-221/01, Slg. 2003, S. 1-10243, 10281 f. Rn. 147 Köbler; Breuer, ELRev. 2004, S. 243, 251 unter Hinweis auf die Entscheidungen des EGMR v. 23. 3. 1999, Nr. 41358/98 - Desmots/Frankreich; v. 25. 1. 2000, Nr. 44861 /98 - Moosbmgger/Österreich; v. 4. 10. 2001, Nr. 60350/00 - Santiago/Spanien; v. 13. 6. 2002, Nr. 43454/98 - Bakker/Österreich, in denen der EGMR eine willkürliche Nichtvorlage verneinte. 228 Breuer, BayVBl. 2003, S. 586, 588. 229 Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 67; Lenski/Mayer, EuZW 2005, S. 225. 230 Pache, EuGRZ 2001, S. 601, 606. 231 Lenski/Mayer, EuZW 2005, S. 225. 232 Zenner, Haftung, S. 221; Trocker, RabelsZ 2002, S. 417, 439.

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht

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kann in ihrer Wirkung im Vergleich zu den Möglichkeiten des europäischen Prozessrechts als effektiver angesehen werden, da sie gem. § 95 Abs. 2 BVerfGG zu einer Aufhebung des rechtsverletzenden Urteils führen kann. 234 Aufgrund der funktionellen Verschränkung der europäischen und der nationalen Rechtsordnung sowie der Tatsache, dass die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung und demnach von den nationalen Gerichten anzuwenden sind, ist der EuGH, obwohl kein nationales Rechtsprechungsorgan, sondern gem. Art. 7 EG ein Gemeinschaftsorgan, als gesetzlicher Richter i. S. d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen.235 Demnach können sich die Parteien bei rechtswidriger Nichtvorlage an den EuGH vor dem BVerfG grundsätzlich auf die Verletzung ihres Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berufen, 236 so dass die für sie auf europäischer Ebene bestehende Rechtsschutzlücke geschlossen scheint. Allerdings bejaht das BVerfG eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters nur bei einer offensichtlich unhaltbaren Handhabung,237 also einer willkürlichen Verletzung der Vorlagepflicht. 238 Diese Einschränkung begründet es damit, keine Vorlagen-Kontroll-Instanz sein zu wollen. 239 Dementsprechend hat es drei Fallgruppen herausgearbeitet, in denen von einer willkürlichen Verletzung der Vorlagepflicht ausgegangen werden kann: Zum einen verletzt eine Nichtvorlage die Garantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn das Gericht seine Vorlagepflicht grundsätzlich verkennt, wenn also ein Gericht trotz bestehender Zweifel eine Vorlage an den EuGH noch nicht einmal in Erwägung zieht. 240 Ferner liegt eine willkürliche Verletzung vor, wenn das Gericht bewusst unter Unterlassung einer Vorlage von der Rechtsprechung des EuGH abweicht. 241 Gleiches gilt, wenn zu der entscheidungserheblichen gemeinschaftsrechtlichen Frage noch keine Rechtsprechung des EuGH vorliegt, wenn dieser die 233 Dauses, in: FS Everling, S. 223, 235; Krieger, JuS 2004, S. 855, 856. Nur in Österreich besteht ebenfalls die Möglichkeit der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde wegen Entziehung des gesetzlichen Richters, allerdings kann der österreichische Verfassungsgerichtshof die Entscheidungen anderer Gerichte nicht aufheben, so dass keine Sanktion erfolgt. Siehe dazu Breuer, ELRev. 2004, S. 243, 251. 234 Nicolaysen, EuR 1985, S. 368, 373. 235 BVerfGE 73, S. 339, 367 f. - Solange II; 75, S. 223, 233 f.; 82, S. 159, 192; EuGRZ 1988, S. 109; NVwZ 1993, S. 883; NVwZ 1997, S. 481; NJW 2001, S. 1267, 1268; NJW 2002, S. 1486, 1487; EuGRZ 2004, S. 520, 525. 236 BVerfGE 73, S. 339, 366 f.; 82, S. 159, 194; NJW 2002, S. 1486, 1487; EuGRZ 2004, S. 520, 525. 237 BVerfGE 82, S. 159, 194; NVwZ 1997, S. 481; NJW 2001, S. 1267, 1268; NJW 2002, S. 1487; EuGRZ 2004, S. 520, 525. 238 BVerfGE 29, S. 198, 207; EuGRZ 1988, S. 120. 239 BVerfGE 82, S. 159, 194; NJW 1988, S. 1456, 1457. 240 BVerfGE 82, S. 159, 195; NJW 2001, S. 1267, 1268; NJW 2002, S. 1486, 1487; EuGRZ 2004, S. 520, 525.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet hat oder wenn eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint. 242 In diesen letztgenannten drei Fällen der unvollständigen Rechtsprechung des EuGH ist eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG jedoch nur zu bejahen, wenn das vorlagepflichtige Gericht seinen ihm notwendig zukommenden Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat. 2 4 3 Diese letzte Fallgruppe betrifft auch die Fälle, in denen sich das Gericht auf die acte-clair-Doktrin beruft. Das BVerfG hat in Bezug auf die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die gemeinschaftsrechtliche Notwendigkeit der Sanktion von Vertragsverletzungen, die im Hinblick auf die vom BVerfG seit seiner Solange Ii-Entscheidung praktizierten Zurückhaltung auch zur Sicherung der Gewährleistung der Grundrechte geboten erscheint, betont. 244 Obwohl es sich im Hinblick auf die Beurteilung der Frage, wann ein Gericht seinen Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschreitet, ausdrücklich auf die vom EuGH im C.I.L.F.I.T.-Urteil aufgestellten Maßstäbe berief, 245 wurde es dieser Forderung nicht gerecht. 246 Vielmehr stellte es erhebliche Voraussetzungen für eine verfassungsrechtliche Sanktionierung auf. 247 So wurde eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schon nicht mehr angenommen, wenn das vorlageunwillige Gericht sein konkretes Auslegungsergebnis nachvollziehbar begründete. 248 Nach dem vom BVerfG aufgestellten Maßstab ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schon dann nicht mehr verletzt, wenn eine Gegenmeinung der vom Gericht vertretenen Meinung nicht eindeutig vorzuziehen ist. 2 4 9 Dieses Kriterium bietet viel Spielraum für unterschiedliche Interpretationen. 250 Demgegenüber führt nach den Kriterien des EuGH bereits die Existenz einer anderen Meinung bei fehlender Rechtsprechung des EuGH zu der entsprechenden Frage zu einem Eingreifen der Vörlagepflicht. Demnach ist die bisherige Rechtsprechung 241 BVerfGE 75, S. 223, 245; 82, S. 159, 195; EuGRZ 1988, S. 120; EuGRZ 2004, S. 520, 525. 242 BVerfGE 82, S. 159, 195; NVwZ 1993, S. 883, 884; EuZW 1998, S. 728, 729; NJW 2001, S. 1267, 1268; NJW 2002, S. 1486, 1487; EuGRZ 2004, S. 520, 525. 243 BVerfGE 82, S. 159, 195; EuZW 1998, S. 728, 729; NJW 2001, S. 1267, 1268; EuGRZ 2004, S. 520, 525. 244 BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 1268. 245 BVerfG, NJW 1988, S. 1456; HFR 1988, S. 119, 120; NVwZ 1999, S. 293. 246 Meier, EuZW 1991, S. 11, 13; Mayer, EuR 2002, S. 239, 248. 247 Nicolaysen, EuR 1985, S. 368, 373; Wölker, EuGRZ 1988, S. 97, 99; Clausnitzer, NJW 1989, S. 641, 643; Glaesner, EuR 1990, S. 143, 150; Rabe, in: FS Redeker, S. 201, 207; Meilicke, BB 2000, S. 17, 22; Füßer, DVB1. 2001, S. 1574. 248 Wölker, EuGRZ 1988, S. 97, 99; Clausnitzer, NJW 1989, S. 641, 643; Meilicke, BB 1992, S. 969; Allkemper, EWS 1994, S. 253, 256; Heß, ZZP 1995, S. 59, 83. 249 BVerfGE 82, S. 159, 196; EuZW 1998, S. 728, 729; NVwZ 1999, S. 293; NJW 2001, S. 1267, 1268; EuGRZ 2004, S. 520, 525. 250 Allkemper, EWS 1994, S. 253, 256.

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht

57

des BVerfG im Vergleich zu der des EuGH durch eine weitaus großzügigere Handhabung der Ausnahmen von der Vorlagepflicht gekennzeichnet, die dazu führt, dass viele Verstöße gegen die im C.I.L.F.I.T.-Urteil entwickelten europarechtlichen Anforderungen nach dem nationalen Verfassungsrecht sanktionslos blieben. 251 So hatte z. B. eine auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützte Verfassungsbeschwerde gegen das bereits oben erwähnte IBH-Urteil, 252 in dem der BGH die Offenkundigkeit der Bedeutung einer gemeinschaftsrechtlichen Norm auf 8 Seiten begründete, keinen Erfolg. 253 Vielmehr ist bisher nur in zwei Fällen der Rüge der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch Nichtvorlage an den EuGH stattgegeben worden. Der erste Fall betraf drei oben bereits angesprochene,254 offensichtlich im Widerspruch zu der Rechtsprechung des EuGH stehende Urteile des BFH zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien. 255 Der zweite Fall ist erst vor relativ kurzer Zeit entschieden worden 256 und bedeutet möglicherweise eine Trendwende hin zu einer schärferen Sanktionierung der Nichtvorlage durch das BVerfG. 257 In diesem Fall wiederholte das BVerfG seine Rechtsprechung im Hinblick auf die drei Fallgruppen, konkretisierte sie aber dahingehend, dass das Gericht seine Vorlagepflicht auch dann grundsätzlich verkenne, wenn es allein nach nationalen Maßstäben ohne Auseinandersetzung mit dem europäischen Recht entscheide.258 Insbesondere in dieser Formulierung wird eine stärkere Betonung der Einhaltung der C.I.L.F.I.T.Kriterien durch das BVerfG gesehen.259 Ferner sei eine unvertretbare Überschreitung des gerichtlichen Beurteilungsspielraums gegeben, wenn das Gericht sich nicht mit der Frage auseinandersetze, ob möglicherweise ungeschriebene gemeinschaftsrechtliche Grundrechte, im konkreten Fall der Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter, betroffen seien. 260 Diesem Urteil kann eine Verschärfung des Willkürkriteriums entnommen werden. 261

251 Vedder, NJW 1987, S. 526, 530; Clausnitzer, NJW 1989, S. 641, 643; Zimmermann, in: FS Doehring, S. 1033, 1045; Glaesner, EuR 1990, S. 143, 150; Allkemper, EWS 1994, S. 253, 256; Dauses, Gutachten DJT, S. D 126; Heß, ZZP 1995, S. 59, 84; Schön, DStJG 1996, S. 183, 196; Beul, EuZW 1996, S. 748, 749; Heitsch, EuGRZ 1997, S. 461, 469; Meilicke, BB 2000, S. 17, 22; Voßkuhle, JZ 2001, S. 924, 925; Britz, JA 2001, S. 573, 577; Pernice/ Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 33; Streinz/Herrmann, GRUR Int 2004, S. 459, A6\ \ Kenntner, EuZW 2005, S. 235, 237. 252 Siehe oben 2. Teil C.III. 253 BVerfG, ZIP 1991, S. 1283. 254 Siehe oben 2. Teil C.III. 255 BVerfGE 75, S. 223; EuGRZ 1988, S. 120. 256 BVerfG, NJW 2001, S. 1267. 257 Füßer, DVB1. 2001, S. 1574; Heß, RabelsZ 2002, S. 470, 479; Wegener, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 85. 258 BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 1268. 259 IMN, FR 2001, S. 492, 493. 260 BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 1268.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

Ob das Urteil des BVerfG eine dauerhafte Abkehr von der eingeschränkten verfassungsrechtlichen Sanktionierung der Missachtung der Vorlagepflicht einleitet, bleibt abzuwarten. Trotz der vorgenommenen Weiterentwicklung der Rechtsprechung hält das BVerfG an den bisherigen Kategorien fest 262 und beschreibt diese nur detaillierter, so dass sich immer noch keine Deckungsgleichheit mit den vom EuGH aufgestellten Kriterien ergibt. Das BVerfG weist zudem selbst auf eine Einschränkung der Überprüfbarkeit des Beurteilungsspielraums der letztinstanzlichen Gerichte hin, indem es betont, dass ihm eine Kontrolle nur möglich sei, wenn ihm die Gründe hinreichend sicher bekannt seien, aus denen das letztinstanzliche Gericht von einer Vorlage abgesehen hat. Zudem hebt es erneut hervor, keine Vorlagen-Kontroll-Instanz zu sein. 263 Kernargument für die Bejahung des Eingreifens von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in diesem Fall waren Erwägungen des Grundrechtsschutzes, der aufgrund der Solange Ii-Rechtsprechung des BVerfG leerliefe, wenn das BVerfG nicht am Maßstab nationaler Grundrechte prüfen dürfe, der Grundrechtsschutz mangels Vorlage jedoch auch nicht durch den EuGH gewährleistet werden könne. 264 Diese Überlegungen zeigen, dass das BVerfG Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in erster Linie zur Wahrung der Grundrechte anwenden will, um Rechtsschutzlücken zu schließen, nicht aber eine umfassende Sanktionierung der Vörlagepflicht um ihrer selbst Willen anstrebt. So bleibt den nationalen Gerichten weiterhin Raum für eine Nichtvorlage gestützt auf die - unter Berücksichtigung der europa- und grundrechtlichen Aspekte des Falles begründete - Klarheit der in Rede stehenden Norm. Demnach ist das BVerfG der in der Literatur unter Hinweis auf die Verpflichtung der Organe der Mitgliedstaaten aus Art. 5 Abs. 2 EG, alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des EG-Vertrages gefährden, erhobenen Forderung nach einer Aufgabe oder Modifikation des Willkürkriteriums zugunsten einer Orientierung an den C.I.L.F.I.T.-Kriterien 265 auch mit diesem Beschluss nicht gefolgt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Praxis der nationalen Gerichte, sich häufig nur formelhaft auf das Vorliegen der C.I.L.F.I.T.-Kriterien zu berufen. Dies genügte zumindest bisher und wird ausgehend von der Formulierung der letzten aufhebenden Entscheidung des BVerfG voraussichtlich auch in Zukunft genügen, um

261 Kube, JuS 2001, S. 858, 861; IMN, FR 2001, S. 492, 493; Nowak, NVwZ 2002, S. 688, 690; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 27; Füßer, DVB1. 2003, S. 1574. 262 Sensburg, NJW 2001, S. 1259, 1260. 263 BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 1268. 264 Ebenda. 265 Nicolaysen, EuR 1985, S. 368, 374; Vedder, NJW 1987, S. 526, 531; Schiller, RIW 1988, S. 452, 455; Hilf, EuR 1988, S. 1, 13; Zimmermann, in: FS Doehring, S. 1033, 1051; Rodi, DÖV 1989, S. 750, 762; Meier, EuZW 1991, S. 11, 13; Rabe, in: FS Redeker, S. 201, 211; Allkemper, EWS 1994, S. 253, 257; Beul, EuZW 1996, S. 748, 750; Heitsch, EuGRZ 1997, S. 461, 469; Meilicke, BB 2000, S. 17, 22.

D. Sanktionen bei Verstoß gegen die Vorlagepflicht

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die Aufhebung des Urteils aufgrund einer auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützten Verfassungsbeschwerde zu umgehen. Demnach bietet das nationale Verfassungsrecht nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG ebenfalls keine effektive Handhabe für die Erzwingung der Einhaltung der C.I.L.F.I.T.-Kriterien. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, dass die Gerichte teilweise ausdrücklich oder implizit bei der Entscheidung über eine Vorlage an den EuGH auf die Kriterien des BVerfG und nicht auf die des EuGH abstellen.266 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Verfassungsbeschwerde mit der Möglichkeit, eine Aufhebung des unter Verstoß gegen die Vorpflicht ergangenen Urteils zu erreichen, nur in Deutschland besteht. In den anderen Mitgliedstaaten existiert ein solcher Rechtsbehelf nicht, so dass dort ein noch weitergehender Mangel an Sanktionsmöglichkeiten herrscht.

III. Schlussfolgerungen In der Betrachtung der Kriterien für eine Sanktion der Nichtvorlage werden Parallelen zwischen deutschem Verfassungsrecht und Europarecht sowie innerhalb dessen zwischen der Auslegung der Bestimmungen des EG-Vertrags sowie der EMRK deutlich: Ebenso wie der EuGH im Hinblick auf einen haftungsbegründenden qualifizierten Gemeinschaftsrechtsverstoß und der EGMR bei der Bewertung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK zieht auch das BVerfG als Voraussetzung für einen Verstoß gegen das Prinzip des gesetzlichen Richters das Kriterium der Offenkundigkeit bzw. der Willkür heran. Der Begriff der Offenkundigkeit findet sich auch im Hinblick auf die im C.I.L.F.I.T.-Urteil eröffnete Möglichkeit der Ausnahme von der Vorlagepflicht, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Muss nach den C.I.L.F.I.T.-Kriterien die Bedeutung der Norm offenkundig sein, ist für eine Sanktionierung der Nichtvorlage erforderlich, dass das Gericht seine Vorlagepflicht offenkundig missachtet hat. Es findet also eine Umkehr der Beweislast statt: Dem im C.I.L.F.I.T.-Urteil entwickelten Maßstab liegt die Prämisse zugrunde, dass grundsätzlich von einer Vorlagepflicht ausgegangen wird und das vorlagepflichtige Gericht die Beweislast für ihr Nichteingreifen trägt. Demgegenüber stellt das Eingreifen einer Sanktionierung für die Nichtvorlage die Ausnahme dar, während generell nicht von einer offenkundigen Rechtsverletzung ausgegangen wird. Insofern ist insbesondere durch das Köbler-Urteil des EuGH im Bereich der Sanktionierung von Verstößen gegen die Vorlagepflicht eine Harmonisierung der Voraussetzungen erreicht worden. 267 Die parallel restriktive Handhabung der Sanktion auf nationaler und europäischer Ebene führt dazu, dass eine Haftung für Verstöße gegen die Vorlagepflicht, die vom BVerfG nicht als offenkundig eingestuft wurden, auch vom EuGH und 266 Siehe z. B. BGH, ZIP 1990, S. 1560, 1564; ZIP 1993, S. 762, 763. 267 Breuer, ELRev. 2004, S. 243, 254.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

vom EGMR nicht bejaht werden wird, so dass diese sanktionslos bleiben. Die Vorlagepflicht nach den Kriterien des C.I.L.F.I.T.-Urteils ist also gegenwärtig weder vor dem EuGH, 2 6 8 dem EGMR noch dem BVerfG durchsetzbar. 269 Den vor nicht allzu langer Zeit ergangenen Urteilen des BVerfG und des EuGH zu der Sanktion von NichtVorlagen ist zu entnehmen, dass beide Gerichte, sogar der EuGH selbst, eine zwangsweise Durchsetzung der C.I.L.F.I.T.-Kriterien nicht für praktikabel halten. Dies lässt den Rückschluss zu, dass sie eine großzügigere Handhabung der Ausnahmen von der Vorlagepflicht zumindest nicht unterbinden wollen und demnach möglicherweise selbst eine Reform der Kriterien begrüßen würden, ohne sich jedoch die Mühe der Formulierung detaillierter neuer Kriterien zu machen. Jedenfalls sind die im C.I.L.F.I.T.-Urteil entwickelten Kriterien auf der Sanktionsebene nicht konsequent umgesetzt worden. Die mangelnde Durchsetzbarkeit der hohen Anforderungen stellt einen weiteren Kritikpunkt an dem vom EuGH entwickelten hohen Maßstab für eine Ausnahme von der Vorlagepflicht dar. Darüber hinaus zeigt sie die bedeutende Position der letztinstanzlichen nationalen Gerichte, die durch ihre Entscheidungsmacht, zu bestimmen, welche Vorlagefragen an den EuGH gelangen, bedingt ist.

E. Auswirkungen bisheriger Reformen auf die dargestellten Probleme Im Jahr 2000 wurden durch den Vertrag von Nizza sowie die Neufassung der Verfahrensordnung des EuGH einige grundlegende Veränderungen des europäischen Rechtsschutzsystems vorgenommen. Durch diese Reformen sollte eine Anpassung des institutionellen Gefüges an die durch den Beitritt der neuen EU-Mitgliedstaaten nach der Osterweiterung entstehenden gesteigerten Herausforderungen erreicht werden. 270 Stießen die europäischen Gerichte schon vor dem Beitritt der neuen Mitgliedstaaten an die Grenze ihrer Kapazität, erhöht sich die Arbeitsbelastung durch den Anstieg der zu bearbeitenden Rechtssachen und der Zahl der Sprachen noch weiter. 271 Insbesondere im Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens ist aufgrund der mangelnden Vertrautheit der Gerichte der Beitrittsstaaten mit dem Gemeinschafts-

268 Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 51. 269 Wegener, ZUR 1996, S. 324, 325; Meilicke, BB 2000, S. 17, 22. 270 Präambel des Vertrags von Nizza, ABl. EG 2001, Nr. C 80, S. 3. 271 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 3; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 58; Hakenberg, ZeuP 2000, S. 860, 861 \ Rosien ZRP 2000, S. 52, 53; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 636; Streinz/ Leíble, EWS 2001, S. 1, 2; Everling, in: FS Steinberger, S. 1103, 1109.

E. Auswirkungen bisheriger Reformen auf die dargestellten Probleme

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recht eine erhöhte Zahl von Vorabentscheidungsersuchen zu erwarten. 272 Auch wird die zentrale Entscheidung aller das Europarecht betreffenden Auslegungsfragen aus 25 Mitgliedstaaten allein auf europäischer Ebene aufgrund der Vielschichtigkeit der zu berücksichtigenden jeweiligen Rechtsordnungen zunehmend schwieriger. Diese bevorstehende Entwicklung zeigt die Notwendigkeit von Reformen, da EuGH und EuG schon jetzt die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben. 273 Das europäische Gerichtssystem, das nach dem zweiten Weltkrieg für eine kleine Anzahl von Mitgliedstaaten geschaffen wurde, kann den gewandelten erhöhten Anforderungen der europäischen Union in ihrer jetzigen Gestalt nicht mehr gerecht werden. 274 Aus diesen Gründen zielt der Vertrag von Nizza darauf ab, das europäische Rechtsschutzsystem so zu reformieren, dass der EuGH auch noch in Zukunft die ihm übertragene Aufgabe der Wahrung der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts erfüllen kann. 275 Es stellt sich die Frage, ob diese Reformen tatsächlich eine Entlastung der europäischen Gerichtsbarkeit bewirkt und ob sich diese auf den Anwendungsbereich der acte-clair-Doktrin ausgewirkt haben. Nach Inkrafttreten des Vertrags von Nizza wurde die Reformdiskussion in einer umfassenderen Weise in Form von Überlegungen zur Schaffung einer Europäischen Verfassung fortgeführt. Für diese liegt bisher nur ein Entwurf vor, der von den Regierungschefs verabschiedet wurde, jedoch nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden ist. Trotz seiner gegenwärtigen fehlenden Bindungswirkung gibt er Aufschluss über die angestrebte zukünftige Entwicklung der Union und soll daher ebenfalls im Hinblick auf die Handhabung des Vorabentscheidungsverfahrens sowie auf die Kompetenzverteilung zwischen nationaler und europäischer Ebene näher betrachtet werden. Hintergrund der Untersuchung ist die Frage, ob die vorgenommenen Änderungen in Bezug auf die oben festgestellte Notwendigkeit einer Neubestimmung der acte-clair-Doktrin mit dem Hauptziel der Entlastung des EuGH Hinweise auf eine zukünftige Entwicklung und mögliche Lösungsansätze geben.

I. Vertrag von Nizza Der am 1. 2. 2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza bezweckt die Reform des europäischen Gerichtssystems im weiteren Sinne, dabei ist er mehr durch eine 272 Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtssystems, KOM (2000) 109 endg., S. 2; Dashwood/ Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 57; Alber, Diskussionsbeitrag, RabelsZ 2002, S. 609, 611. 273 Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtssystems, KOM (2000) 109 endg., S. 3. 27 4 Arnull, ELRev. 1999, S. 516. 27 5 Epiney/Abt/Mosters, DVB1. 2001, S. 941, 949; Hamer, JA 2003, S. 666, 667.

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2. Teil: Bestandsaufnahme

institutionelle Reform als eine Reform der Verfahrensvoraussetzungen gekennzeichnet. So wurde der Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG nicht geändert, der Vorschlag, die im C.I.L.F.I.T.-Urteil vom EuGH formulierten oder sogar darüber hinausgehende Ausnahmen von der Vorlagepflicht in den Vertragstext zu übernehmen, 276 wurde nicht umgesetzt. Allerdings wurde im Vertrag von Nizza eine grundlegende Änderung des europäischen Rechtsschutzsystems durch die Aufwertung und Verselbständigung des EuG herbeigeführt, die in der Schaffung der Möglichkeiten für eine Übertragung wesentlicher Zuständigkeiten sowie in der Formulierung des neugefassten Art. 220 EG zum Ausdruck kommt. 277 Diese Neukonzeption hat auch Auswirkungen im Bereich des Vörabentscheidungsverfahrens, deren wichtigste Folge die Relativierung des Entscheidungsmonopols des EuGH in diesem Bereich ist. Mit dieser Reform des europäischen Gerichtssystems wurde ein Vorschlag der von der Kommission eingesetzten Reflexionsgruppe sowie des EuGH umgesetzt,278 die übrigen von der Reflexionsgruppe in ihrem Bericht vorgeschlagenen Änderungen wurden jedoch größtenteils nicht übernommen.

7. Zuständigkeit des EuG für Vorabentscheidungsersuchen Im Zuge der Stärkung der Kompetenzen des EuG im Rahmen des Vertrags von Nizza wurde in Art. 225 Abs. 3 EG die Möglichkeit aufgenommen, dem EuG in der Satzung des EuGH die Zuständigkeit für bestimmte Arten von Vorabentscheidungsersuchen zuzuweisen. Zur Sicherung der Einheit der Rechtsordnung sind jedoch zwei Möglichkeiten der Befassung des EuGH mit diesen Vorabentscheidungsersuchen vorgesehen: Zum einen hat das EuG gem. Art. 225 Abs. 3 UAbs. 2 EG die Möglichkeit, ihm vorgelegte Grundsatzfragen, die die Einheit oder die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts berühren könnten, an den EuGH zu verweisen. Ferner kann gem. Art. 225 Abs. 3 UAbs. 3 EG i.V.m. Art. 62 der Satzung des EuGH der Erste Generalanwalt in Ausnahmefällen, in denen die ernste Gefahr besteht, dass die Einheit oder die Kohärenz des Gemeinschaftsrechts berührt wird, eine Befassung des EuGH mit der Sache anregen, die jedoch der Entscheidung des EuGH überlassen ist. Bezüglich der Frage, in welchen Bereichen die Zuständigkeit für Vorabentscheidungsersuchen auf das EuG übertragen werden soll, konnte in den Verhand276 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526. 277 Pescatore, CMLRev. 2001, S. 265, 269; Epiney/Abt/Mosters, DVB1. 2001, S. 941, 949; Hatje, EuR 2001, S. 143, 164; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 636; Johnston, CMLRev. 2001, S. 499, 503; Everling, EuR 2003, Beiheft 1, S. 7, 20; Hamer, JA 2003, S. 666, 669. 278 EuGH, Reflexionspaper, EuZW 1999, S. 750, 755; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 531.

E. Auswirkungen bisheriger Reformen auf die dargestellten Probleme

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lungen zum Vertrag von Nizza keine Einigung erzielt werden, es wurde lediglich eine Erklärung verabschiedet, in der der EuGH und die Kommission aufgefordert werden, möglichst bald Vorschläge für eine Zuständigkeitsverteilung zwischen EuGH und EuG vorzulegen. 279 In der 2001 neu gefassten Satzung des EuGH wurde noch keine neue Verteilung der Kompetenzen vorgenommen, so dass derzeit noch keine Vorabentscheidungsersuchen vom EuG entschieden werden. 280 Es bleibt also abzuwarten, in welchem Umfang eine Verlagerung der Kompetenzen stattfinden wird. Jedenfalls ist bei einer dahingehenden Satzungsänderung die Formulierung des Art. 225 Abs. 3 UAbs. 1 EG zu berücksichtigen, nach der dem EuG die Zuständigkeit für Vörabentscheidungen in „besonderen Sachgebieten" zugewiesen werden kann. Dies sowie die Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens für die einheitliche Geltung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts lässt darauf schließen, dass eine Kompetenzübertragung nur in einem eingeschränkten Maß erfolgen kann. 281 So vertritt auch die Kommission den Standpunkt, dass eine Verlagerung von Vorabentscheidungen auf das EuG die Ausnahme bleiben solle. 282 Diese Forderung wird durch die Überlegung gestützt, dass eine weitgehende Erweiterung der Zuständigkeiten des EuG dessen personelle Kapazität sprengen würde. 283 Schon ohne die Übertragung zusätzlicher Aufgaben ist das EuG mit seiner Verfahrenslast überfordert. 284 Möglich wäre die Übertragung von Zuständigkeiten in stark spezialisierten Rechtsgebieten, in denen es mehr um die Klärung von Details als um die Beantwortung von Grundsatzfragen geht, z. B. im Arbeits-, Sozial- oder Steuerrecht, 285 im Bereich des Zolls sowie im Warenzeichen-, Marken- und Patentrecht. 286 279 Erklärung Nr. 12 zu Art. 225 EG, ABl. EG 2001, Nr. C 80, S. 79. 280 Johnston, CMLRev. 2001, S. 499, 508; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2658; Everling, in: FS Steinberger, S. 1103, 1105; Wegener, in: Calliess /Ruffert, EUV/EGV, Art. 225 Rn. 27; Borchardt, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 225 Rn. 5; Hamer, JA 2003, S. 666, 669. 281 Epiney/Abt/Mosters, DVB1. 2001, S. 941, 950; Sack, EuZW 2001, S. 77, 80; Ruiz-Jarabo, RTDE 2001, S. 705, 714; Gündisch, Diskussionsbeitrag, RabelsZ 2002, S. 619; 622; Hamer, JA 2003, S. 666, 669; Waelbroeck, EuR 2003, Beiheft 1, S. 71, 75. 282 Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtsystems, KOM (2000) 109 endg., S. 4; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527. 283 Hatje, EuR 2001, S. 143, 167; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 225 Rn. 28. 284 Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtssystems, KOM (2000) 109 endg., S. 3. 285 Dauses, Gutachten DJT, S. D 82; Barnard/Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113, 1161; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 642. 286 Kapteyn, in: Curtin / Heukels, Institutional Dynamics, S. 135, 149; Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtsystems, KOM (2000) 109 endg., S. 4 Fn. 5; Rabe, EuR 2000, S. 811, 815; Johnston, CMLRev. 2001, S. 499, 508; Everling, EuR 2003, Beiheft 1, S. 7, 21; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 61; Waelbroeck, EuR 2003, Beiheft 1, S. 71, 75; Huber, in: Streinz, EGV/EUV, Art. 225 Rn. 12.

64

2. Teil: Bestandsaufnahme

Festzuhalten bleibt, dass gegenwärtig durch diese Bestimmung des Vertrages von Nizza noch keine Veränderung des Vorabentscheidungsverfahrens und damit keine Entlastung des EuGH stattgefunden hat. Ob eine Lösung der Probleme des Vorabentscheidungsverfahren durch die Wahrnehmung der Option des Art. 225 Abs. 3 EG herbeigeführt werden kann, wird im Rahmen der Diskussion möglicher Reformvorschläge zu untersuchen sein. 287

2. Bildung von Kammern In Art. 225 a EG wird dem Rat ferner die Möglichkeit der Bildung von Kammern eingeräumt, die für Entscheidungen im ersten Rechtszug über bestimmte Kategorien von Klagen aus besonderen Sachgebieten zuständig sind. In Betracht kommt sie insbesondere für Beamtenklagen der Bediensteten der EG, 2 8 8 im Marken- 289 oder Zollrecht. 290 Vorteil dieser spezialisierten Kammern ist ein Zuwachs an Qualität, da die entsprechenden Richter sich nicht immer wieder neu in eine hochentwickelte Rechtsmaterie einarbeiten müssen, sondern Experten auf einem ihnen vertrauten Gebiet sind. 291 Der Rat der EU hat am 2. November 2004 einen Beschluss zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union erlassen. 292 Dieses neue Fachgericht mit sieben Richtern soll im ersten Rechtszug über Streitigkeiten im Bereich des Öffentlichen Dienstes der Europäischen Union entscheiden und seine Arbeit im Laufe des Jahres 2005 aufnehmen. Klar ist noch nicht, ob in die Zuständigkeit dieser Kammern auch Vorabentscheidungsersuchen fallen werden. Gegenwärtig ist dies noch nicht der Fall, da in Erwägungsgrund Nr. 2 des Ratsbeschlusses zur Errichtung des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union bestimmt wird, dieses solle die Zuständigkeiten des EuG für Streitigkeiten auf diesem Gebiet übernehmen. 293 Da das EuG derzeit keine Vörabentscheidungskompetenz hat, steht sie auch den ihm untergeordneten Kammern nicht zu. Möglich ist jedoch eine zukünftige Zuständigkeitserweiterung, die Vörabentscheidungen einschließt. Diese läge im Interesse einer einheitlichen Behandlung 287 Siehe dazu 3. Teil B.II. 288 Van Gerven, ELRev. 1996, S. 211, 218; Hakenberg, ZEuP 2000, S. 860, 866; Hatje, EuR 2001, S. 143, 167; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 640; Pache/Schorkopf, NJW 2001, S. 1377, 1380; Sydow, GRUR 2001, S. 689, 690; Everling, DVB1. 2002, S. 1293, 1297; Horner, JA 2003, S. 666, 669; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 321. 289 Sydow, GRUR 2001, S. 689, 690. 290 van Gerven, ELRev. 1996, S. 211, 218. 291 Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 597. 292 ABl. EU 2004, Nr. L 333, S. 7. 293 ABl. EU 2004, Nr. L 333, S. 7.

E. Auswirkungen bisheriger Reformen auf die dargestellten Probleme

65

aller Fragen aus den entsprechenden Spezialgebieten.294 Eine solche Lösung ist jedoch aufgrund der Formulierung „Klage" in Art. 225 a EG, die normalerweise nicht für Vorabentscheidungsverfahren verwendet wird, sowie der Gefahr einer Rechtszersplitterung auf Gemeinschaftsebene 295 eher nicht anzunehmen, so dass für diesen Bereich lediglich mittelbare Auswirkungen aufgrund der dadurch zu erreichenden Entlastung des EuG und des EuGH zu erwarten sind. Wenn eine Zuständigkeit für Vorabentscheidungsersuchen etabliert wird, bestünden ähnliche Probleme wie bei einer Übertragung auf das EuG hinsichtlich der Verfahrensdauer, die möglicherweise durch ein dann dreistufiges System noch verschärft würden.

3. Würdigung

der Änderungen durch den Vertrag

von Nizza

Insgesamt ist die Reform durch eine Tendenz zur Schaffung verschiedener Fachgerichtsbarkeiten und der Konzentration des EuGH auf die Stellung eines gemeinschaftlichen Verfassungsgerichts geprägt. 296 Eine solche Spezialisierung ist angesichts der immer weiter fortschreitenden Ausdifferenzierung des Gemeinschaftsrechts auch erforderlich. 297 Obwohl der Vertrag von Nizza nur den Rahmen für eine umfassende Reform liefert 298 und wesentliche Entscheidungen wie die Kompetenzverteilung zwischen EuGH und EuG im Hinblick auf Vorabentscheidungsverfahren aufgeschoben und einer Regelung durch die Satzung des EuGH überlassen wurden, ist der Konzeption des Vertrages von Nizza bereits eine Tendenz im Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung des Gerichtssystems zu entnehmen: Sie sieht lediglich die Übertragung von Zuständigkeiten auf andere europäische Organe wie das EuG oder die noch zu bildenden gerichtlichen Kammern vor. Die Verfahrenslast soll also lediglich auf europäischer Ebene umverteilt werden, eine Stärkung der Verantwortung der Mitgliedstaaten ist nicht vorgesehen. Durch die Übertragung von Vorabentscheidungskompetenzen auf das EuG wird zwar die Arbeitsbelastung des EuGH, nicht aber die Zahl der Vorabentscheidungsersuchen insgesamt gesenkt. Mit der Umsetzung des Art. 225 Abs. 3 EG findet lediglich eine Verlagerung der Verfahren vom EuGH zum gegenwärtig ebenfalls bereits überbelasteten EuG statt, 299 wo294 Sack, Reform, S. 30. 295 Ebenda. 296 Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 642; Ruiz Jarabo, RTDE 2001, S. 705, 723; Sack, EuZW 2001, S. 77, 80. 297 Allkemper, ZRP 1994, S. 301, 303; Scorey, ELRev. 1996, S. 224, 229; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 648; Ruiz Jarabo, RTDE 2001, S. 705, 722; Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 597; Sack, Reform, S. 13; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 61. 298 Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 648; Wegener, DVB1. 2001, S. 1258, 1263; Everling, in: FS Steinberger, S. 1103, 1124. 299 Van Gerven, ELRev. 1996, S. 211, 214; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 755; Lenz, EuGRZ 2001, S. 433, 440; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 69. 5 Hummert

66

2. Teil: Bestandsaufnahme

durch das Problem der generellen Überflutung der europäischen Gerichtsbarkeit mit Vorabentscheidungsersuchen, die bei strikter Einhaltung der C.I.L.F.I.T.-Kriterien noch um ein Vielfaches höher wäre, nicht gelöst wird. Vielmehr setzen sich die bestehenden Probleme beim EuG fort und werden durch den Beitritt der 10 neuen Mitgliedstaaten noch verstärkt. 300 Im Hinblick auf die noch vorzunehmenden Änderungen der Satzung des EuGH ergibt sich aufgrund der oben getroffenen Feststellungen bereits die Prognose, dass auch sie keine grundlegende Umgestaltung des Systems bewirken, sondern lediglich „technische Übergangslösungen" bieten 301 und Spezialgebiete betreffen werden. Insofern wurde die im Vorfeld der Vertragsverhandlungen insbesondere vom EuGH und der Kommission geforderte umfassende Reform des Vorabentscheidungsverfahrens 302 nicht umgesetzt, sondern nur einzelne Anregungen übernommen. 303 Ferner ist zu bemerken, dass die in der Literatur verschiedentlich erhobene Forderung nach der Schaffung eines Rechtsbehelfs gegen Verletzungen der Vorlagepflicht 304 nicht erfüllt wurde, so dass die oben geschilderten Probleme hinsichtlich der fehlenden Sanktionierung von Verstößen bestehen bleiben. Insgesamt werden die Reformen von Nizza dahingehend kritisiert, dass sie aller Voraussicht nach nicht den gewünschten Entlastungseffekt bringen werden 305 und das Ziel der Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes durch das Vorabentscheidungsverfahren in der erweiterten Union nicht erreicht wurde. 306 Obwohl aufgrund der noch vorzunehmenden Umsetzung keine abschließende Bewertung der Reformen vorgenommen werden kann, ist schon absehbar, dass die in Nizza geschaffenen Ansätze nicht ausreichen werden, um einem Rechtssystem, das 25 Mitgliedstaaten umfasst, gerecht werden zu können. Aus diesem Grund sind Überlegungen zu weitergehenden grundlegenden Reformen angezeigt, die eine dauerhafte Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des europäischen Gerichtssystems bewirken.

300 Scorey, ELRev. 1996, S. 224, 225; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2659. 301 Epping, JZ 2003, S. 821. 302 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750; Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtssystems, KOM (2000), 109 endg., S. 3; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 58; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523. 303 Ruiz Jarabo, RTDE 2001, S. 705, 723; Sack, EuZW 2001, S. 77; Pache/Schorkopf, NJW 2001, S. 1377, 1378; Johnston, CMLRev. 2001, S. 499, 507; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1297, 1310. 304 Kommission, Bulletin der EG, Beilage 5/75, S. 39. 305 Schwarze, DVB1. 2002, S. 1297, 1310; Middeke, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 105. 306 Hatje, EuR 2001, S. 143, 144; Sack, EuZW 2001, S. 77; Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 595.

E. Auswirkungen bisheriger Reformen auf die dargestellten Probleme

67

II. Änderung der Verfahrensordnung des EuGH Im Zusammenhang mit den Reformen durch den Vertrag von Nizza wurde auch die Verfahrensordnung des EuGH geändert. Die neugefassten Art. 104, 104 a VerfO EuGH enthalten Maßnahmen zur Vereinfachung und Beschleunigung des VorabentscheidungsVerfahrens. Auch hier wurden insbesondere Vorschläge des EuGH sowie der von der Kommission eingesetzten Reflexionsgruppe umgesetzt.307 Art. 104 § 3 VerfO ermöglicht dem Gerichtshof, von einer mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen und durch Beschluss zu entscheiden, wenn er über die vorgelegte Frage bereits entschieden hat, die Antwort klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder die Beantwortung der Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt. In dieser Formulierung spiegeln sich die vom EuGH im C.I.L.F.I.T.-Urteil aufgestellten Kriterien für eine Ausnahme von der Vorlagepflicht wider. Art. 104 § 3 VerfO EuGH umfasst also nur die Fälle, in denen das Gericht trotz der Möglichkeit, von einer Vorlage abzusehen, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet hat. Dies betrifft insbesondere die nicht vorlagepflichtigen unterinstanzlichen Gerichte. Seine Formulierung stellt eine Bestätigung und verfahrensmäßige Umsetzung der C.I.L.F.I.T.-Rechtsprechung dar, 308 ohne den dort aufgestellten engen Maßstab zu modifizieren. Diese Bestimmung betrifft nur Ausnahmefälle. 309 Demnach bewirkt die Neufassung keine Änderung für die Vorlagepraxis der mitgliedstaatlichen Gerichte. Art. 104 § 4 sieht daneben die Möglichkeit vor, nach schriftlicher Stellungnahme der Beteiligten von einer mündlichen Verhandlung abzusehen. Ferner kann gem. Art. 104 a VerfO EuGH bei besonderer Dringlichkeit das Vorabentscheidungsersuchen einem beschleunigten Verfahren unterworfen werden. Dies kann zu einer erhöhten Vörlagebereitschaft in Dringlichkeitsfällen führen. 310 Durch diese Änderungen werden also an einigen Stellen Beschleunigungen des Verfahrens bewirkt, allerdings wird die Zahl der Vorabentscheidungsersuchen dadurch nicht verringert. 311 Die mit jedem Vorabentscheidungsverfahren verbundene übrige Arbeitslast für den EuGH, insbesondere die Notwendigkeit der Abfassung von übersetzungsbedürftigen Berichten, bleibt bestehen.312

307 EUGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 752; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527. 308 Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 643; Streinz/Leible, EWS 2001, S. 1, 11. 309 EUGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 752. 310 Streinz/Leible,

EWS 2001, S. 1, 11.

311 Lenz, EuGRZ 2001, S. 433, 438. 312 Ebenda. 5=

68

2. Teil: Bestandsaufnahme

III. Europäische Verfassung Die schon im Vertrag von Nizza für die Zukunft anvisierte umfassende Reform der EU mit dem Ziel einer bessere Zuständigkeitsabgrenzung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, einer Klärung des rechtlichen Status der EU-Grundrechtecharta und der Stärkung der Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas sowie einer Vereinfachung der Verträge 313 wurde im Jahr 2002 durch die Einberufung eines Konvents in Angriff genommen, der eine neue verfassungsmäßige Ordnung für die EU schaffen sollte. Als Ergebnis der Arbeit des Konvents wurde dem italienischen Ratspräsidenten am 18. Juli 2003 der Entwurf für eine europäische Verfassung überreicht. 314 Dieser Entwurf bildete die Grundlage für den am 29. Oktober 2004 von den Regierungschefs der Mitgliedstaaten in Rom unterzeichneten Vertrag über eine Verfassung für Europa, 315 der in den einzelnen Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss. Nach dem negativen Ausgang des französischen und des niederländischen Referendums zur Ratifizierung der Verfassung am 29. Mai und 1. Juni 2005 ist die Zukunft der Europäischen Verfassung ungewiss. Der weitere Ratifizierungsprozess ist zunächst „auf Eis" gelegt worden. 316 Unabhängig von ihrem Inkrafttreten lassen sich ihrem Text Anhaltspunkte für die von den Regierungen der Mitgliedstaaten angestrebte künftige Entwicklung der Union entnehmen, die auch Rückschlüsse auf die zu erwartende Entwicklung des europäischen Rechtsschutzsystems zulassen. Die Verfassung besteht aus einer Präambel und vier Teilen sowie fünf Protokollen. Teil I regelt die klassischen Fragen des organisatorischen Aufbaus der Union 3 1 7 wie z. B. die Ziele und Werte der Union, Grundprinzipien der Zuständigkeitsverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten, die institutionelle Ordnung sowie die Rechtspersönlichkeit der EU. Im zweiten Teil ist die Europäische Grundrechte-Charta enthalten, die gem. Art. 11-111 nach der Ratifizierung der Verfassung für die Organe der Union verbindlich würde. Teil III besteht zu weiten Teilen aus dem Text des bisherigen EG-Vertrags 318 und regelt die der EU zugewiesenen Politikbereiche sowie ihre Arbeitsweise. Teil IV schließlich enthält Schlussbestimmungen. Mit der europäischen Gerichtsbarkeit hat sich der Konvent nur am Rande befasst. Ihre Organe werden in Art. 1-19 ff. der Europäischen Verfassung vorgestellt, 313 Erklärung Nr. 23 zur Zukunft der Union, ABl. EG 2001, Nr. C 80, S. 85 f. 314 Siehe dazu die Darstellung der Geschichte der Europäischen Verfassung unter http: / / europa.eu.int / Constitution / history_constitution_de.htm. 315 ABl. EU 2004, Nr. C 310. 316 Siehe dazu die aktuellen Informationen des Europäischen Parlaments unter http://europa.eu.int / Constitution / ratification_en.htm. 317 Oppermann, DVB1. 2003, S. 1165, 1169. 318 Epping, JZ 2003, S. 821, 823.

E. Auswirkungen bisheriger Reformen auf die dargestellten Probleme

69

die eine Beschreibung ihrer grundsätzlichen Zuständigkeiten enthalten, in Art. III-360 ff. der Verfassung sind die einzelnen Verfahrensarten geregelt. Diese Bestimmungen entsprechen, abgesehen von einigen Änderungen, z. B. im Hinblick auf die Klagemöglichkeiten natürlicher und juristischer Personen gegen Handlungen der Union, im Wesentlichen den bisherigen Bestimmungen des EG-Vertrags. 319 In Art. III-369 der Europäischen Verfassung ist das Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 234 EG geregelt, dessen erste drei Absätze nahezu unverändert übernommen wurden. Lediglich wurde die in Art. 234 Abs. 1 Ziffer c) EG aufgeführte Prüfungskompetenz des EuGH über die Auslegung der Satzungen der vom Rat geschaffenen Einrichtungen, die in der Praxis ohne Bedeutung geblieben ist, in Abs. 1 nicht mehr übernommen. Zudem wurde ein Absatz 4 eingefügt, der eine beschleunigte Entscheidung von Fragen gebietet, die in einem Verfahren, das eine inhaftierte Person betrifft, gestellt werden. Demnach werden durch die Europäische Verfassung keine weiteren Reformen des europäischen Gerichtssystems oder des Vorabentscheidungsverfahrens vorgenommen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Ziel der Konventsarbeit war, die Vertragsbestimmungen übersichtlicher zu gestalten, ohne sie jedoch inhaltlich zu ändern. 320 Allerdings ist der Europäischen Verfassung eine Entwicklung zu entnehmen, die nicht unmittelbar das Vorabentscheidungsverfahren betrifft, aber eine Grundentscheidung enthält, die auch für das Verhältnis zwischen EuGH und nationalen Gerichten maßgeblich ist. Eines der Ziele der Verfassung ist die Schaffung einer genaueren, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechenden Zuständigkeitsabgrenzung zwischen EU und Mitgliedstaaten.321 Die bisherige Entwicklung der EG ist durch ein stetiges Anwachsen der Kompetenzen der Gemeinschaft mit der Konsequenz eines fortschreitenden Zuständigkeitsverlusts der Mitgliedstaaten gekennzeichnet.322 Entsprach dies grundsätzlich noch dem Ziel der Schaffung einer neuen gemeinsamen Rechtsordnung, sollte sich diese jedoch ursprünglich nur auf begrenzte Gebiete erstrecken. 323 Die neuere Entwicklung zeigt, dass die Bereiche der Gemeinschaftstätigkeit nicht mehr innerhalb dieser Grenzen verbleiben, so dass die Mitgliedstaaten die Notwendigkeit sehen, dieser Ausweitung Einhalt zu gebieten. Diesem Ziel entsprechend enthält Art. 1-12 ff. der Verfassung einen Katalog, der die Zuständigkeitsverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten, gegliedert nach ausschließlicher, geteilter und ergänzender Zuständigkeit, regelt. Während dieser 319 Oppermann, DVB1. 2003, S. 1234, 1236. 320 Erklärung Nr. 23 zur Zukunft der Europäischen Union, ABl. EG 2001, Nr. C 80, S. 85. 321 Ebenda. 322 Jacque/Weiler, CMLRev. 1990, S. 185, 200; Davies, ELRev. 2003, S. 686. 323 EUGH, RS. 26/62, Slg. 1963, S. 1, 25 - van Gend & Loos.

70

2. Teil: Bestandsaufnahme

Katalog lediglich beschreibenden Charakter hat, finden sich die kompetenzbegründenden Regelungen in Teil III der Verfassung, der detaillierte Vorschriften enthält. 3 2 4 Eine solche Kompetenzordnung ist zwar im jetzigen EG-Vertrag ebenfalls zu finden, allerdings sind die Zuständigkeitszuweisungen bei den jeweiligen Politikbereichen verstreut im EG-Vertrag geregelt. Die Neuregelung führt zu mehr Transparenz 325 und ist als ein Bestreben zu deuten, die Tätigkeiten der Union auf die ihr ausdrücklich zugewiesenen Zuständigkeiten zu beschränken, 326 auch wenn ein gewisser Spielraum zugunsten der Gemeinschaft durch die Flexibilitätsklausel des Art. 1-18 der Europäischen Verfassung sowie die weiterhin zielorientierte Formulierung der Zuständigkeitsbereiche erhalten bleibt. Das Ziel der Eingrenzung der Tätigkeitsfelder der Union wird deutlich in dem in Art. 1-11 Abs. 1, 2 der Verfassung erneut verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie in der ausdrücklichen Klarstellung des Art. 1-11 Abs. 2, nach der alle der Union nicht ausdrücklich zugewiesenen Zuständigkeiten bei den Mitgliedstaaten verbleiben. 327 Es spiegelt sich auch in dem in Art. 1-11 Abs. 3 der Verfassung deutlicher als bisher formulierten Subsidiaritätsprinzip und dem dort vorgesehenen Verfahren zur Ex-ante-Überwachung der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips durch die nationalen Parlamente, das in zwei gesonderten Protokollen 328 näher geregelt ist, wider. Dieses „politische Frühwarnsystem" 329 ermöglicht den nationalen Parlamenten, nach Unterrichtung über ein Gesetzgebungsvorhaben der Union durch die Kommission gegen eine mögliche Überschreitung der Unionskompetenz Einwendungen in Form einer begründeten Stellungnahme zu erheben. 330 Auch wenn eine solche Stellungnahme im Falle einer dementsprechenden Entscheidung eines Drittels der Parlamentsmitglieder die Kommission lediglich zu einer Überprüfung, nicht jedoch zu einer Änderung oder einer Rücknahme des Vorschlags zwingen kann, 331 wird durch dieses Instrument ein verstärkter nationaler Einfluss auf die Unionsgesetzgebung ermöglicht. 3 3 2 Das Frühwarnsystem verbessert so die Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips, es stärkt die Stellung der nationalen Parlamente und damit der Mitglied324 Nettesheim, EuR 2004, S. 511, 526. 325 Magiera, Integration 2002, S. 269, 273; Epping, JZ 2003, S. 821, 827; Nettesheim, EuR 2004, S. 511,526. 326 Schwarze, EuR 2003, S. 535, 542. 327 Schwarze, EuR 2003, S. 535, 542; Weber, EuR 2004, S. 841, 848. 328 „Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der europäischen Union" sowie „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit", Anhang des Verfassungsentwurfs, in: Europäischer Konvent, Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa, S. 285 ff. bzw. S. 291 ff. 329 Schwarze, EuR 2003, S. 535, 546; Weber, EuR 2004, S. 841, 849. 330 Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, Ziff. 5. 331 Davies, ELRev. 2003, S. 686, 692. 332 Oppermann, DVB1. 2003, S. 1165, 1171; Davies, ELRev. 2003, S. 686, 695.

E. Auswirkungen bisheriger Reformen auf die dargestellten Probleme

71

Staaten. Ergänzt wird es durch die Möglichkeit einer auf die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips gestützten Nichtigkeitsklage der Mitgliedstaaten im Namen des Parlaments vor dem EuGH. 3 3 3 Insofern wird das Subsidiaritätsprinzip durch die Europäische Verfassung präzisiert und mit Kontrollverfahren versehen. 334 Der Europäischen Verfassung ist demnach, wenn auch nicht ausdrücklich bezogen auf das Gerichtssystem, eine gewisse Orientierung in Richtung der Aufrechterhaltung der, vielleicht sogar ein Rückschritt zu mehr Nationalstaatlichkeit zu entnehmen.335 Dies wird besonders deutlich in der Übernahme der Betonung der Wahrung der Identität der Mitgliedstaaten aus Art. 6 Abs. 3 EUV in Art. 1-5 Abs. 1 der Verfassung. Dieser Ansatz strahlt auch in den Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens aus und muss bei etwaigen Reformüberlegungen berücksichtigt werden, worauf im folgenden Teil noch näher einzugehen sein wird.

IV. Ergebnis zu den bisherigen Reformen Der Vertrag von Nizza sowie die Neufassung der Verfahrensordnung des EuGH haben nur kleine Schritte zur Entlastung der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit im Bereich der Vorabentscheidungsverfahren vorgenommen. Im Wesentlichen ermöglicht der Vertrag von Nizza lediglich eine Umverteilung der Verfahrenslast zwischen den beiden europäischen Gerichten unter Etablierung eines zweistufigen Vorabentscheidungsverfahrens. Selbst diese Kompetenzverlagerung ist noch nicht vollzogen, sondern hängt von einer entsprechenden Änderung der Satzung des EuGH ab. Allerdings ist bereits abzusehen, dass auch diese nur einzelne spezielle Bereiche betreffen wird. Die Last der Vorabentscheidungsersuchen insgesamt wurde durch die Reformen nicht eingedämmt, in bestimmten Fällen wurde lediglich das Verfahren vereinfacht. Bestrebungen, die Erledigung der Vorabentscheidungsersuchen durch eine Vereinfachung des Verfahrens zu beschleunigen, können nur eine kurzfristige Entlastung bewirken, die die bestehenden Probleme auf Dauer nicht löst. 3 3 6 Auch besteht die Gefahr, dass sich eine zu stark an dem Kriterium der Beschleunigung orientierte Vereinfachung des Verfahrens negativ auf die Qualität der Urteile des EuGH auswirkt, da ihm weniger Zeit und Personal bleibt, grundlegende Fragen des Gemeinschaftsrechts zu entscheiden.337 333

Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, Ziff. 7. 33 4 Oppermann, DVB1. 2003, S. 1165, 1171. 33 5 Grawert, EuR 2003, S. 971, 983; Epping, JZ 2003, S. 821, 826. 33 6 Scorey, ELRev. 1996, S. 224, 225; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 3; Malferrari, Zurückweisung, S. 225.

72

2. Teil: Bestandsaufnahme

Demnach besteht das Problem der langen Verfahrensdauer fort, das entscheidend ist zum einen für die effektive Gewährung von Individualrechtsschutz, sowie zum anderen für die Vorlagepraxis der nationalen Gerichte und damit mittelbar für die Wahrung der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass weitergehende und grundlegendere Reformen über die im Vertrag von Nizza angelegten Strukturen hinaus erforderlich sind, um die Funktionsfähigkeit der europäischen Gerichtsbarkeit langfristig sicherzustellen. 338 Hinweise auf die zukünftig angestrebte Entwicklung des europäischen Gerichtssystems ergeben sich aus den Regelungen des Vertrags von Nizza sowie der bisher nicht ratifizierten Verfassung für Europa. Dem Vertrag von Nizza ist die Tendenz zu einer Beschränkung der Zuständigkeiten des EuGH zu entnehmen, indem ihm lediglich die Entscheidung über Grundsatzfragen zugewiesen wird, während die Beantwortung von Detailfragen auf das EuG oder seine Kammern verlagert werden soll. 3 3 9 Die Verfassung bringt das Bestreben zum Ausdruck, einer unbegrenzten Ausweitung der Zuständigkeiten auf europäischer Ebene entgegenzuwirken und die Rolle der Mitgliedstaaten wieder stärker zu betonen. Möglicherweise ist auch die gescheiterte Ratifizierung in Frankreich und den Niederlanden auf die Angst der Bevölkerung vor einer zu übermächtigen EU zurückzuführen, die in der Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung der Kompetenzen in der Union zu berücksichtigen ist. Diese Signale sollen im Rahmen der Überlegungen zu möglichen Reformen des Vörbentscheidungsverfahrens aufgegriffen und als Maßstab für die Anforderungen an eine Neufassung zugrunde gelegt werden.

F. Ergebnisse der Bestandsaufnahme Die acte-clair-Doktrin als Instrument zur Bestimmung der Reichweite der Vorlagepflicht ist im Lichte der Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens, der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung sowie der Gewährleistung von Individualrechtsschutz, zu betrachten. Da sie gleichzeitig auch zur Abgrenzung der Kompetenzen zwischen nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht dient, bewirkt die unterschiedliche Betonung dieser beiden Funktionen des Vorabentscheidungsverfahrens eine Stärkung der Position der nationalen oder der europäischen Ebene. 337

Malferrari, Zurückweisung, S. 226. » Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1112; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2663; Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 595; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 68; Westerdorf, ELRev. 2003, S. 303,316. 33 9 Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662. 33

F. Ergebnisse der Bestandsaufnahme

73

Dementsprechend ist die bisherige Handhabung der acte-clair-Doktrin durch zwei Extreme gekennzeichnet: Auf der einen Seite die an der Einheit der Rechtsordnung orientierten strengen Anforderungen des EuGH, die zu einer fast uneingeschränkten Vorlagepflicht führen, auf der anderen Seite die die Effektivität des Rechtsschutzes betonende zurückhaltende Vorlagepraxis letztinstanzlicher nationaler Gerichte, die auch noch nach Erlass des C.I.L.F.I.T.-Urteils in der Statistik zum Ausdruck kommt. Diese Diskrepanz verdeutlicht die mangelnde praktische Durchsetzung der vom EuGH postulierten Kriterien für das Eingreifen einer Ausnahme von der Vorlagepflicht. Sie wird verstärkt durch die fehlende effektive Sanktion ihrer Missachtung sowohl auf gemeinschaftsrechtlicher als auch auf nationalrechtlicher Ebene, die nur in Fällen besonders krasser Missachtung eingreift. Die unzureichende Sanktion führt dazu, dass der Umfang der Reichweite der acte-clair-Doktrin weitestgehend dem Entscheidungsspielraum der nationalen Gerichte überlassen bleibt. Die acte-clair-Doktrin baut auf der Eigenverantwortlichkeit der nationalen Gerichte und ihrem Willen, dem Gemeinschaftsrecht zur Durchsetzung zu verhelfen, auf. Hier liegt gleichzeitig das Problem und die Chance der effektiven Gewährleistung der Vorlagepflicht. Die relative Entscheidungsfreiheit der nationalen Gerichte in der Praxis kann diese dazu verleiten, unter Missachtung der Vorlagepflicht von einem eigentlich gebotenen Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH abzusehen. Dazu sind die Gerichte jedoch in der Regel nur geneigt, wenn der mit einer Vorabentscheidung verbundene Aufwand, insbesondere die damit einhergehende Verzögerung des Verfahrens, im Hinblick auf die Bedeutung der zu entscheidenden Frage nicht lohnenswert erscheint. Andererseits ermöglicht das Instrument des acte clair die Einbindung der nationalen Gerichte in die Entscheidung über Gemeinschaftsrecht in Bereichen, in denen die Befassung des EuGH für die Verwirklichung der Ziele der EG nicht erforderlich erscheint. Die Einbeziehung der nationalen Gerichte in die Entscheidung über die Tragweite gemeinschaftsrechtlicher Regelungen und die damit verbundene intensive Beschäftigung mit dieser Rechtsmaterie fördert eine stärkere Integration der nationalen Gerichtsbarkeit in das Gefüge des europäischen Rechtsschutzes und damit die Festigung und Einheit der europäischen Rechtsordnung. Damit einher geht eine Entlastung des EuGH, dessen Verfahrenslast bei einer Vorlagepflicht, die von allen Gerichten strikt eingehalten würde, noch um ein Vielfaches höher wäre, als sie ohnehin schon ist. Das Instrument des acte clair selbst erscheint also sinnvoll, Probleme ergeben sich allerdings hinsichtlich der Bestimmung seiner Tragweite. Beide Extreme der acte-clair-Doktrin laufen den Zielen des EG-Vertrags zuwider: Eine zu weite Fassung der Offenkundigkeit entzieht dem EuGH die Möglichkeit, durch seine Rechtsprechung ein kohärentes Gemeinschaftsrechtssystem zu

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2. Teil: Bestandsaufnahme

schaffen und fortzuentwickeln. Dagegen bewirkt das vom EuGH im C.I.L.F.I.T.Urteil entwickelte enge Verständnis, geleitet von dem Streben, die Einheit der europäischen Rechtsordnung nicht zu gefährden, eine kontraproduktive Entwicklung. Das grundsätzlich bestehende Spannungsfeld zwischen Individualrechtsschutz durch Verkürzung der Verfahrensdauer und Wahrung der Einheit der europäischen Rechtsordnung durch eine möglichst umfassende Vorlagepflicht besteht bei einer zu engen Formulierung der Ausnahmen von der Vörlagepflicht in dieser Form nicht mehr: Die umfangreichen Anforderungen zur Überprüfung der nahezu unerfüllbaren Kriterien für eine Ausnahme von der Vörlagepflicht schrecken die Gerichte davon ab, überhaupt eine umfassende Prüfung der Offenkundigkeit einer Norm nach den C.I.L.F.I.T.-Kriterien durchzuführen. Gleichzeitig erkennen sie die sich in der langen Verfahrensdauer widerspiegelnde Notwendigkeit der Entlastung der europäischen Gerichtsbarkeit, was dazu führt, dass sie nicht, wie vermutlich vom EuGH bezweckt, jede sich stellende gemeinschaftsrechtliche Frage vorlegen, sondern eigene Kriterien dafür entwickeln, wann eine Vorlage sinnvoll erscheint. Diese Praxis bewirkt eine noch größere Gefahr für die Einheit der Rechtsordnung und stellt einen faktischen Kompetenzverlust des EuGH dar, da jedes Gericht nach unterschiedlichen Maßstäben entscheidet, wann es den EuGH in einer Auslegungsfrage anruft. Auch besteht die Gefahr, dass den EuGH so gerade besonders wichtige Fragen, in denen eine Grundsatzentscheidung auf europäischer Ebene nötig erscheint, nicht vorgelegt werden. Diese Beobachtungen führen zu dem Ergebnis, dass die vom EuGH vorgenommene Interpretation der acte-clair-Doktrin sich als nicht praxistauglich herausgestellt hat, da ihr Potential nicht nutzbar gemacht, sondern im Gegenteil die Chance, die Gerichte durch die Aufstellung sinnvoller Kriterien dazu zu bringen, in entscheidenden Fragen eine Vorlage an den EuGH zu richten, nicht wahrgenommen wird. Eine Neubestimmung der Kriterien für das Vorliegen eines acte clair in Erweiterung der vom EuGH bestimmten Maßstäbe unter Betonung der Verantwortlichkeit nationaler Gerichte kann dazu beitragen, die Arbeitslast des EuGH zu verringern und gleichzeitig die Akzeptanz des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten zu stärken, was zu einer erhöhten Vorlagebereitschaft in den relevanten Fällen führt. Unter diesem Aspekt sollen im Folgenden Vorschläge für eine Neukonzeption des Vörabentscheidungsverfahrens und insbesondere der acte-clair-Doktrin beleuchtet werden, die eine höhere Effektivität als die bisher vom EuGH vorgenommene Interpretation verspricht und gleichzeitig den Erfordernissen der Wahrung der Einheit der europäischen Rechtsordnung und des Individualrechtsschutzes gerecht wird.

3. Teil

Möglichkeiten einer künftigen Reform des Vorabentscheidungsverfahrens Aus den obigen Feststellungen ergibt sich, dass das europäische Gerichtssystem im Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens, insbesondere im Hinblick auf den Umfang der Vorlagepflicht, in seiner jetzigen Ausgestaltung den Anforderungen einer weiterentwickelten und erweiterten EU nicht mehr gewachsen ist und eine Neubestimmung der Kompetenzen geboten erscheint. Auch wurde bereits deutlich, dass die acte-clair-Doktrin ein Instrument darstellt, mit dem diese Kompetenzabgrenzung gesteuert werden kann. Diese Erkenntnis soll im Rahmen der nachstehenden Überlegungen fruchtbar gemacht werden, um das Vorabentscheidungsverfahren an die ihm gestellten neuen Herausforderungen anzupassen. Dazu soll zunächst erörtert werden, welchen Anforderungen diese Kompetenzverteilung genügen muss. Daraufhin sollen verschiedene von EG-Organen und in der Literatur aufgeworfene Vorschläge für eine Reform der Vorlagepflicht, die die Kompetenzen in verschiedener Gewichtung auf europäische und nationale Ebene verteilen, dahingehend untersucht werden, ob sie diesen Anforderungen entsprechen. In diesem Zusammenhang soll auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich das Kompetenzverteilungsmodell einer neugefassten acte-clair-Doktrin in das heutige System des Vorabentscheidungsverfahrens einfügen würde und ob eine solche neuformulierte acte-clair-Doktrin noch von der derzeitigen Fassung des Art. 234 Abs. 3 EG gedeckt wäre. Dies soll durch eine methodische Analyse des Art. 234 Abs. 3 EG untersucht werden. Eng verknüpft mit der Festlegung des Umfangs der Vorlagepflicht im Rahmen dieser Auslegung ist die Frage, welche Kriterien bei der Neufassung der acte-clair-Doktrin zugrunde zu legen sind, um den Strukturprinzipien der EG, aber auch den Zielen des Vorabentscheidungsverfahrens gerecht zu werden. Schließlich ist zu überlegen, ob eine Verschärfung der Sanktionen bei Missachtung der Vorlagepflicht sinnvoll erscheint und mit den übrigen anzustrebenden Reformen im Einklang stünde.

A. Allgemeine Anforderungen an eine Reform Zunächst sind die jeder Reformüberlegung zugrunde zu legenden Prinzipien und Ziele der EG näher zu beleuchten, deren Berücksichtigung aufgrund der besonde-

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3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

ren Bedeutung des Vörabentscheidungsverfahrens im europäischen Rechtsschutzsystem und im Kompetenzgefüge der EG umso bedeutsamer erscheint. Das gemeinschaftliche Rechtsschutzsystem, das auf der Zusammenarbeit zwischen europäischen und nationalen Gerichten basiert, bildet das Rückgrat der europäischen Rechtsordnung.1 Eine wichtige Rolle in der Erfüllung dieser Funktion kommt dem Vorabentscheidungs verfahren zu. Da dieses ein zentrales Element im System des europäischen Rechtsschutzes darstellt, beschränken sich die Auswirkungen seiner Reform nicht auf die Arbeitsweise und Belastung des EuGH. Vielmehr hat eine Veränderung des Systems des Vörabentscheidungsverfahrens weitreichende Konsequenzen, die das Verhältnis zwischen EG und Mitgliedstaaten betreffen. Es geht hier nicht nur um die organisatorische Frage der Entlastung des EuGH, sondern darum, welche Aufgaben die europäische Gerichtsbarkeit zu erfüllen hat und wie diese Aufgaben in Zukunft zwischen nationalen Gerichten und Gemeinschaftsgerichten zu verteilen sind.2 Noch weitergehend betrifft die Reformdebatte nicht nur die technische Verteilung von Zuständigkeiten auf europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene, sondern auch die Aufgabe der nationalen Gerichte in der Gemeinschaftsrechtsordnung, ein Aspekt, mit dem das gesamte System der europäischen Gerichtsbarkeit als eines der zentralen Elemente der EU in die Diskussion gerät.3 Die besondere Notwendigkeit einer Umstrukturierung des Vörabentscheidungsverfahrens ergibt sich also nicht nur aus der zentralen Bedeutung des Verfahrens nach Art. 234 EG für das europäische Rechtsschutzsystem, sondern aufgrund seiner Verzahnungsfunktion zwischen europäischer und mitgliedstaatlicher Ebene auch im Hinblick auf die Sicherstellung der Handlungsfähigkeit und Erreichung der Ziele der Gemeinschaft sowie auf das institutionelle Verhältnis zwischen nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit. Dieses besondere Gewicht des Vörabentscheidungsverfahrens im europäischen Gefüge erfordert jedoch seinerseits eine starke Anbindung der Reformüberlegungen an die Ziele und Strukturprinzipien der EG, um sicherzustellen, dass mit dem Bestreben, das Vörabentscheidungsverfahren effektiver zu gestalten, seine Funktion, die Sicherstellung der Erreichung und Förderung dieser Ziele, nicht gefährdet wird und die neugestaltete Ordnung sich in die bestehende Struktur der EG einfügt. 4 Denn aufgrund der hohen Bedeutung der Gerichtsbarkeit für die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse in allen Mitgliedstaaten ist auch die Verwirklichung der Ziele der EG eng mit dem System der europäischen Gerichtsbarkeit verzahnt. Demnach muss sich dieses auch umgekehrt am 1 Schermers, CMLRev. 1992, S. 133, 136; Bebr, in: Curtin/ Heukels, Institutional Dynamics, S. 303, 316; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889. 2 Jacque/Weiler, CMLRev. 1990, S. 185, 203; Schmidt-Aßmann, JZ 1994, S. 832; Rombow, in: FS Everling, S. 1169, 1183; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 60; Lipp, NJW 2001, S. 2657; Sack, Reform, S. 15. 3 Dashwood/ Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 62; Lipp NJW 2001, S. 2657, 2659. 4 Pache/Knauff, NVwZ 2004, S. 16, 20.

A. Allgemeine Anforderungen an eine Reform

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Gemeinschaftsrecht und seinen Prinzipien orientieren. 5 Etwaige Reformvorschläge sind daran zu messen und auf ihre Auswirkungen im Hinblick auf die Verwirklichung ihrer Ziele zu überprüfen. Maßgebliche Orientierungspunkte sind im Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens der Grundsatz der Subsidiarität sowie die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung und der Individualrechtsschutz.

I. Subsidiaritätsprinzip In der Präambel des EU-Vertrages bringen die Mitgliedstaaten ihr Bestreben zum Ausdruck, Entscheidungen in der EU entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah zu treffen. Diese Erwägung hat Eingang in Art. 2 EU gefunden, der betont, dass die Ziele der Union unter Beachtung des in Art. 5 EG näher ausgestalteten Subsidiaritätsprinzips verwirklicht werden. Das Subsidiaritätsprinzip stellt also ein zentrales Prinzip der EU dar, das bei allen Überlegungen zu der zukünftigen Struktur der EG und der Aufgabenbereiche ihrer Organe, insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten,6 zu beachten ist. Die allgemeine Kernaussage des Subsidiaritätsprinzips besteht darin, dass der kleineren Einheit der Vorrang im Handeln gegenüber der größeren Einheit nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit zukommt.7 Bezogen auf die EG stellt danach die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten die rechtstechnische Regel, die Zuständigkeit der Gemeinschaft die rechtstechnische Ausnahme dar.8 Eine Zuständigkeit der EG ist nach Maßgabe des in Art. 5 EG verankerten Subsidiaritätsprinzips nur gegeben, wenn die zu erfüllende Aufgabe transnationale Aspekte aufweist, die durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht zufriedenstellend geregelt werden können, wenn Maßnahmen der Mitgliedstaaten allein oder das Fehlen gemeinschaftlicher Maßnahmen zu den Erfordernissen des Vertrags im Widerspruch stehen würden und wenn schließlich der Nachweis erbracht wird, dass Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene aufgrund ihrer Größenordnung oder ihrer Auswirkungen im Verhältnis zu einem Tätigwerden auf der Ebene der Mitgliedstaaten deutliche Vorteile erbringen würden. 9 5 Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2659. 6 Toth, CMLRev. 1992, S. 1079; Magiera, in: Schneider/Wessels, Föderale Union, S. 71; v. Bogdandy/Bast, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der EU, Art. 5 Rn. 9. 7 Pieper, DVB1. 1993, S. 705, 706; Blumenwitz, in: GS Grabitz, S. 1; Calliess, in: ders./ Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 Rn. 1; Mager, ZeuS 2003, S. 471, 473. 8 BVerfGE 89, S. 155, 193; Konow, DÖV 1993, S. 405, 407; Jarass, EuGRZ 1994, S. 209; Europäischer Rat v. Edinburgh, Schlussfolgerungen, Anlage 1, Bull. BReg. Nr. 140/1992, S. 1277 f., abgedruckt in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 4, S. 136, 140. 9 Europäischer Rat v. Edinburgh, Schlussfolgerungen, Anlage 1, Bull. BReg. Nr. 140/1992, S. 1277 f., abgedruckt in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 4, S. 136, 140.

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3. Teil: Künftige Reform des Vorabentscheidungserfahrens

Das Subsidiaritätsprinzip greift also schon dann zugunsten der Mitgliedstaaten ein, wenn diese die fraglichen Ziele ausreichend, nicht notwendigerweise besser als die Gemeinschaft, erreichen können.10 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Subsidiaritätsprinzip nicht isoliert als allein maßgeblicher Grundsatz, sondern im Zusammenhang mit den anderen Zielen der EG, insbesondere der Wahrung und Weiterentwicklung des gemeinschaftlichen Besitzstandes, zu sehen und mit diesen abzuwägen ist. 11 Dies hat zur Folge, dass seine Anwendung nicht den Integrationsprozess innerhalb der EG, einschließlich seiner Weiterentwicklung, gefährden darf. 12 Dementsprechend kommt dem Subsidiaritätsprinzip lediglich Bedeutung als Kompetenzausübungsschranke der Gemeinschaft zu, es regelt jedoch nicht die Zuständigkeitszuweisung an die EG. Dies geschieht allein durch die diesbezüglichen ausdrücklichen vertraglichen Bestimmungen über die einzelnen Tätigkeitsbereiche der EG. 13 Die Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips setzt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten voraus, begründet sie jedoch nicht. 14 Auch kann es allein keine Zurücknahme einer einmal bestehenden ausschließlichen Gemeinschaftskompetenz bewirken. 15 Die bestehenden ausschließlichen Gemeinschaftskompetenzen werden durch das Subsidiaritätsprinzip also nicht in Frage gestellt.16 Vielmehr gilt es gem. Art. 5 Abs. 2 EG nur für die Bereiche, in denen der EG keine ausschließliche Kompetenz zukommt. 17 Seine Anwendbarkeit setzt eine Struktur voraus, in der verschiedene Einheiten in einem gestuften und hierarchischen Über- / Unterordnungsverhältnis zueinander stehen.18 Dementsprechend kommt dem Subsidiaritätsprinzip in erster Linie bei 10 Lambers, EuR 1993, S. 229, 236; Jarass, EuGRZ 1994, S. 209, 211; Dehousse, in: ders., Europe after Maastricht, S. 103, 112; v. Borries, EuR 1994, S. 263, 277; Blumenwitz, in: GS Grabitz, S. 1,5; Memorandum der Regierung der BRD zum Subsidiaritätsprinzip, in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 3, S. 130, 132; Kenntner, NJW 1998, S. 2871, 2872. 11

Europäischer Rat v. Edinburgh, Schlussfolgerungen, Anlage 1, Bull. BReg. Nr. 140/1992, S. 1277 f., abgedruckt in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 4, S. 136, 139; Magiera, in: Schneider/Wessels, Föderale Union, S. 71, 97. 12 Memorandum der Regierung der BRD zum Subsidiaritätsprinzip, in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 3, S. 130, 132. 13 BVerfGE 89, S. 155, 193; Toth, CMLRev. 1992, S. 1079, 1091; Schmidhuber, DVB1. 1993, S. 417, 418; Jarass, EuGRZ 1994, S. 209, 213; v. Borries, EuR 1994, S. 263, 279; Langguth, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 5 Rn. 3. 14 Schröder, JZ2004,S. 8, 11. 15 Toth, CMLRev. 1992, S. 1079, 1091; Jarass, EuGRZ 1994, S. 209, 213; Langguth, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 5 Rn. 3; Koenig/Lorz, JZ 2003, S. 167. 16 Europäischer Rat v. Edinburgh, Schlussfolgerungen, Anlage 1, Bull. BReg. Nr. 140/1992, S. 1277 f., abgedruckt in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 4, S. 136, 139; Dehousse, in: ders., Europe after Maastricht, S. 103, 110; Langguth, in: Lenz, EUV/ EGV, Art. 5 Rn. 10. 17 Toth, CMLRev. 1992, S. 1079, 1087; Dehousse, in: ders., Europe after Maastricht, S. 103, 111.

18 Schmidhuber/Hitzler, NVwZ 1992, S. 720, 721; Magiera, in: Schneider/Wessels, Föderale Union, S. 71, 82; Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 Rn. 4.

A. Allgemeine Anforderungen an eine Reform

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der Abgrenzung der Ausübung konkurrierender Rechtssetzungskompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten Bedeutung zu. 19 In Bezug auf die Rechtsprechung wird das Subsidiaritätsprinzip in Art. 240 EG aufgegriffen. Dieser bestimmt, dass Streitigkeiten, in denen die EG Partei ist, unter die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fallen, soweit keine ausdrückliche Zuweisung an den EuGH besteht. Diese Maxime gilt in Erweiterung des Wortlauts auch über die Klageverfahren, in denen die EG Partei ist, hinaus.20 Insofern wird eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Gemeinschaftsgerichten und nationalen Gerichten erreicht. Die dem EuGH und EuG zugewiesenen Kompetenzen sind ausschließlicher Natur, im Übrigen bleiben die Zuständigkeiten der nationalen Gerichte unberührt. Diese klare Trennung soll Kompetenzüberschneidungen im Interesse der Sicherung der Unabhängigkeit der Gemeinschaftsorgane sowie der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht ausschließen.21 Auch hinsichtlich der Entscheidung über Vorabentscheidungsverfahren ist dem EuGH in Art. 234 EG die ausschließliche Kompetenz mit der durch Art. 225 EG eingeräumten Möglichkeit der Übertragung auf das EuG zugewiesen. Da so eine für das Eingreifen des Subsidiaritätsprinzips erforderliche Kompetenzüberschneidung vermieden wird und das Vorabentscheidungsverfahren anstatt einer Überund Unterordnung der europäischen und nationalen Ebene eine Gleichordnung der beiden Gerichtsbarkeiten mit einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten aufweist, 22 ist der typische Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips nicht eröffnet. Die obigen grundsätzlichen Ausführungen zum Subsidiaritätsprinzip gelten also nicht unmittelbar für das Vorabentscheidungsverfahren. Allerdings wird gerade in der durch die Gleichordnung der nationalen und gemeinschaftlichen Ebene gekennzeichneten Struktur der europäischen Gerichtsbarkeit der Einfluss des Subsidiaritätsprinzips deutlich. 23 Es hat hier nicht erst auf der Ebene der Kompetenzausübung, sondern schon im Vorfeld, im Rahmen der Kompetenzverteilung, Berücksichtigung gefunden. Wie bereits festgestellt, 24 trägt der Charakter des Vorabentscheidungsverfahrens bereits dem Subsidiaritätsgedanken Rechnung, indem die Entscheidungskom19 Schmidhuber/Hitzler, NVwZ 1992, S. 720, 721; Pieper, DVB1. 1993, S. 705, 707; Everting, DVB1. 1993, S. 936, 940; Schmidhuber, DVB1. 1993, S. 417, 418; Jarass, EuGRZ 1994, S. 209, 211; Herchenhan, BayVBl. 2003, S. 649, 651; Langguth, in: Lenz, EUV/EGV, Art. 5 Rn. 2; Mager, ZeuS 2003, S. 471, 473. 20 Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 240 Rn. 2. 21 Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 240 Rn. 1; Wegener, in: Calliess /Ruffert, EUV/ EGV, Art. 240 Rn. 1. 22 Lenaerts, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 355; Oppermann, Europarecht, § 9 Rn. 54. 23 Rodriguez Iglesias, EuR 1992, S. 225, 226. 24 Siehe dazu oben 2. Teil A.1.1.

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3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

petenz grundsätzlich auf nationaler Ebene verbleibt und der EuGH lediglich in Fällen, in denen dies im Interesse der Wahrung der Einheit des Gemeinschaftsrechts unausweichlich erscheint, angerufen wird. 25 Von einer solchen Notwendigkeit der Befassung des EuGH ist bisher im Hinblick auf die letztinstanzlichen Gerichte ausgegangen worden mit der Konsequenz, dass die Zuständigkeitsverteilung in Form einer strikten Trennung zwischen Auslegung durch den EuGH und Anwendung der vom EuGH entwickelten Grundsätze durch das jeweilige letztinstanzliche nationale Gericht ausgestaltet ist. Auch die acte-clair-Doktrin beruht auf dieser Trennung, indem sie statuiert, dass in reinen Anwendungsfällen, in denen eine Auslegung nicht erforderlich sei, keine Vorlagepflicht zum EuGH bestehe, da in diesem Fall die Zuständigkeit des EuGH nicht berührt sei. Hat sich bereits gezeigt, dass der bestehenden Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens Subsidiaritätserwägungen zugrunde liegen, stellt sich die Frage, inwieweit ihr bei der Gestaltung des zukünftigen europäischen Gerichtssystems Bedeutung zukommt. Aufgrund seiner Stellung im Kapitel „Grundsätze" gilt das Subsidiaritätsprinzip für die gesamte Tätigkeit der Gemeinschaft, so dass es auch eine - allerdings in erster Linie politische - Leitlinie für die Verteilung der Kompetenzen zwischen EG und Mitgliedstaaten bildet, 26 die auch im Hinblick auf zukünftige Vertragsänderungen zu beachten ist. 27 Insofern wird es als Schlüsselbegriff für die Politikgestaltung und generell für den Integrationsprozess in der EU gesehen.28 Das Subsidiaritätsprinzip stellt das „Architekturprinzip" 29 der Europäischen Gemeinschaft dar, dessen Zweck in der Sicherstellung eines mehrstufigen Aufbaus in Europa besteht und das Zentralisierungstendenzen begegnen soll. 30 In dieser Funktion gestattet es als ein dynamischer Grundsatz auch die Beschränkung oder Aussetzung der Tätigkeit der Gemeinschaft, wenn diese in einem bestimmten Bereich nicht mehr gerechtfertigt ist. 31 25 Rodriguez Iglesias, EuR 1992, S. 225, 226; ders., NJW 2000, S. 1889. 26 Editorial comments, CMLRev. 1990, S. 181, 184; Konow, DÖV 1993, S. 405, 407; Pieper, DVB1. 1993, S. 705, 707; Lambers, EuR 1993, S. 229, 231; Kahl, AöR 1993, S. 414,419; Memorandum der Regierung der BRD zum Subsidiaritätsprinzip, in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 3, S. 130, 131; Vetter, in: Magiera/Siedentopf, Die Zukunft der EU, S. 23, 30; v. Bogdandy/Bast, EuGRZ 2001, S. 441, 456; Calliess, in: ders./Ruffert, EUV/EGV, Art. 5 Rn. 2; Everling, EuZW 2002, S. 357; ter Steeg, EuZW 2003, S. 325, 328. 2v Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung, S. 159; Toth, CMLRev. 1992, S. 1079, 1091. 28 Hrbek, in: ders., Subsidiaritätsprinzip, S. 5. 29 Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 20./21. 12. 1990, in: Bauer, Europa der Regionen, S. 117, 118. 30 Pieper, DVB1. 1993, S. 705, 707; Konow, DÖV 1993, S. 405; v. Borries, EuR 1994, S. 263, 264; Memorandum der Regierung der BRD zum Subsidiaritätsprinzip, in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 3, S. 130; Blumenwitz, in: FS Grabitz, S. 1, 5; Pescatore, in: FS Everling, S. 1071, 1093; Göll/Kenntner, EuZW 2002, S. 101, 102.

A. Allgemeine Anforderungen an eine Reform

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Es stellt also ein gewisses Gegengewicht zur Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen durch die Gemeinschaftsverträge dar, 32 da es eine Erosion mitgliedstaatlicher Zuständigkeiten verhindern soll. 33 Seiner Einfügung in den EG-Vertrag von Maastricht kommt insofern gemeinschaftsverfassungspolitische Signalwirkung zu, als es einer weiteren zentralistischen Entwicklung der EG entgegenwirken soll. 34 Aus diesem Schritt ist die Überzeugung der Mitgliedstaaten abzuleiten, dass die angestrebte Bewahrung der Identität der Mitgliedstaaten, die auch in Art. 6 Abs. 3 EU festgeschrieben ist, nur erhalten werden kann, wenn gewisse Unterschiede in den Rechtsordnungen akzeptiert werden. 35 Auch in jüngerer Zeit rückt das Subsidiaritätsprinzip in den Vordergrund der Diskussion. So hat es in dem bereits oben erörterten Entwurf des Konvents für eine europäische Verfassung besondere Berücksichtigung gefunden. Dort wird ihm zum einen durch das Bestreben Rechnung getragen, eine möglichst klare, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Kompetenzabgrenzung zwischen EG und Mitgliedstaaten mittels eines Zuständigkeitskatalogs zu erreichen, ferner verdeutlicht die geplante Installation eines Frühwarnsystems zur Überwachung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips dessen hohen Stellenwert. 36 Noch weitergehend wurde sogar der Vorschlag der Schaffung eines europäischen Kompetenzgerichts mit der Hauptaufgabe der Sicherstellung der Wahrung der mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten diskutiert, 37 der jedoch in den Konventsentwurf nicht übernommen wurde. Diese Maßnahmen sind Ausdruck des Bestrebens der Mitgliedstaaten, ein Übergreifen der Gemeinschaftstätigkeiten in die Kompetenzbereiche der Mitgliedstaaten zu verhindern. 38 Es zeigen sich also Tendenzen, das Subsidiaritätsprinzip als tragendes Strukturprinzip der EG verstärkt in dessen Architektur zu verankern 31

Europäischer Rat v. Edinburgh, Schlussfolgerungen, Anlage 1, Bull. BReg. Nr. 140/1992, S. 1277 f., abgedruckt in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 4, S. 136, 139; Magiern, in: Schneider/Wessels, Föderale Union, S. 71, 97. 32 Toth, CMLRev. 1992, S. 1979, 1088; Everling, DVB1. 1993, S. 936, 940; v. Borries, EuR 1994, S. 263, 272; Pieper, Subsidiarität, S. 234; Dehousse, in: ders., Europe after Maastricht, S. 103, 107. 33 BVerfGE 89, S. 155, 193; Calliess, in: Evers, Chancen des Föderalismus, S. 173, 174; Isensee, in: FS Everling, S. 567, 571; Kenntner, NJW 1998, S. 2871, 2872; v. Bogdandy/ Bast, EuGRZ 2001, S. 441, 451; Mager, ZeuS 2003, S. 471, 473; v. Bogdandy/Bast, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 5 Rn. 8. 34 Everling, DVB1. 1993, S. 936, 940; Pieper, DVB1. 1993, S. 705, 713; v. Borries, EuR 1994, S. 263, 264; Simm, Gerichtshof, S. 17; Magiera, Integration 2002, S. 269. 35 Giscard D 'Estaing, Zwischenbericht des Institutionellen Ausschusses des Europäischen Parlaments über den Grundsatz der Subsidiarität v. 4. 7. 1990, EP-Dok. A 3 - 1 6 3 /90/Teil B, abgedruckt in: Merten, Subsidiarität Europas, Anhang 1, S. 99; Pieper, DVB1. 1993, S. 705, 712. 36 Siehe dazu die obigen Ausführungen im 2. Teil E.III. 37 Weiler, ELRev. 1997, S. 150, 155; Vetter, in: Magiera/Siedentopf: Die Zukunft der EU, S. 23, 34; Göll/Kenntner, EuZW 2002, S. 101; Koenig/Lorz, JZ 2003, S. 167, 172; dagegen Everling, EuZW 2002, S. 357, 364. 38 ter Steeg, EuZW 2003, S. 325, 327. 6 Hummert

82

3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

und ihm so zu mehr Geltung zu verhelfen. Dieses Bestreben soll auch im Rahmen der folgenden Reformüberlegungen aufgegriffen werden, indem die zu diskutierenden Reformvorschläge im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip überprüft werden. Dem Subsidiaritätsprinzip entspricht eine Zuweisung der Zuständigkeiten an die nationale Ebene in Bereichen, in denen eine Befassung der europäischen Ebene im Hinblick auf die Wahrung und Fortentwicklung der Ziele der EG nicht geboten erscheint. Es ist also eine möglichst umfassende Zuständigkeitszuweisung an die mitgliedstaatlichen Gerichte anzustreben, die ihre Grenze allein in der Garantie der Verwirklichung der Ziele der EG findet. Diese Prämisse soll den folgenden Überlegungen zu einer Reform der Zuständigkeitsverteilung zwischen EuGH und nationalen Gerichten im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens zugrunde gelegt werden. Aufgrund der Konzeption des Vorabentscheidungsverfahrens nach den Grundsätzen der Subsidiarität ist sie auch maßgeblich für die Betrachtung einer möglichen Einschränkung der Vörlagepflicht im Rahmen des Art. 234 Abs. 3 EG, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob die bisherige Kompetenzverteilung auch heute noch im Lichte des Subsidiaritätsprinzips geboten erscheint.

II. Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens Neben der Struktur der EG sind die diesen Aufbau notwendigerweise beeinflussenden, aber gleichzeitig durch ihn bedingten Ziele der Gemeinschaft in den Blick zu nehmen. Auch im Hinblick auf die zu betrachtenden Reformen besteht grundsätzlich das den Anwendungsbereich des Vorabentscheidungsverfahrens prägende, bereits oben angesprochene Spannungsverhältnis zwischen dem Erfordernis der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung und der Gewährung von Individualrechtsschutz. Einerseits soll gewährleistet werden, dass das Gerichtssystem für den Rechtssuchenden transparent, verständlich und zugänglich ist und dass in einer für den Rechtssuchenden annehmbaren Frist Recht gesprochen wird. 39 Andererseits wird im Hinblick auf eine Reform des Vorabentscheidungsverfahrens stets gefordert, dass dadurch keinesfalls die Rechtseinheit beeinträchtigt werden dürfe. 40 Vor diesem Hintergrund muss das Ziel der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung dem Interesse an der Effektivität des Rechtsschutzes sowie dem in Art. 6 Abs. 3 EU verankerten Gedanken der Achtung der Identität der Mitgliedstaaten, 39 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 753; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 525; Pernice/Mayer, in: Grabitz/ Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 87. 40 Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 59; Everling, in: FS Steinberger, S. 1103, 1110; Voß, EuR 2003, Beiheft 1, S. 37, 38.

A. Allgemeine Anforderungen an eine Reform

83

der ein gewisses Maß an Rechtsvielfalt wünschenswert oder zumindest hinnehmbar erscheinen lässt,41 gegenübergestellt und mit diesen in Beziehung gesetzt werden. Dabei zeigt sich, dass eine Beeinträchtigung der Effektivität des Rechtsschutzes durch eine zu lange Verfahrensdauer sich auch negativ auf die Vorlagebereitschaft und damit auf die Einheit der Rechtsordnung auswirkt, die Konzentration auf europäischer Ebene also nicht uneingeschränkt der Einheit des Rechtsschutzes dient. Diese Tatsache hat entscheidenden Einfluss auf die Gewichtung der Ziele und die Kompetenzverteilung zwischen europäischer und mitgliedstaatlicher Gerichtsbarkeit. Die Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens sind eng mit der Zuweisung von Kompetenzen an die europäische bzw. die nationale Gerichtsbarkeit verknüpft. Assoziiert man mit dem Ziel der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung eine zentrale Kontrolle durch den EuGH, bewirkt eine Stärkung der Position der nationalen Gerichte eine Entlastung des EuGH, die dem Rechtsschutz dient. Im Hinblick auf die Position der mitgliedstaatlichen Gerichte lässt sich auf den ersten Blick vermuten, dass eine Erweiterung ihrer Kompetenzen eine Gefahr für die Einheit der europäischen Rechtsordnung darstellt. Dies erscheint jedoch im Hinblick auf die oben beschriebene Wechselwirkung zwischen im Interesse der Einheitlichkeit vorgenommener Zentralisierung auf europäischer Ebene und der Notwendigkeit, die Kooperationsbereitschaft der nationalen Gerichte aufrecht zu erhalten und zu sichern, als eine zu pauschale Sichtweise. Wie dieser gegenseitigen Beeinflussung Rechnung getragen und wie das Spannungsverhältnis der widerstreitenden Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens zugunsten eines ausgewogenen und zukunftsorientierten Kompromisses aufgelöst werden kann, soll im Folgenden untersucht werden.

III. Zwischenergebnis Die Formulierung des Art. 2 EU zeigt bereits die zwei im Rahmen der Reformüberlegungen zu berücksichtigenden Parameter auf: Zwar soll die Ausgestaltung des europäischen Gerichtssystems unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips erfolgen, dennoch muss als Grenze der Reichweite des Subsidiaritätsprinzips die Verwirklichung der Ziele der EG gewährleistet bleiben. Auf den ersten Blick scheint dies ein Dilemma zu bergen, da der Subsidiaritätsgedanke eine umfassendere Einbeziehung der nationalen Gerichte in die Auslegung des Gemeinschaftsrechts und damit eine stärkere Pluralität des europäischen Gerichtssystems impliziert, was Probleme hinsichtlich des Ziels der Einheit der Rechtsordnung aufzuwerfen scheint. Eine sinnvolle Reform des Vorabentscheidungsverfahrens muss diese beiden Aspekte in Einklang bringen.

4i Isak, EuR 1998, Beiheft 1, S. 73, 92. 6*

84

3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

An alle Reformvorschläge ist die Anforderung zu richten, die Zahl der vor den EuGH gelangenden Vorabentscheidungsersuchen zu limitieren. Dies beinhaltet zwangsläufig die Entscheidung einer vorgeschalteten Instanz über die Frage, welche Auslegungsprobleme an den EuGH gelangen sollen. Grundsätzlich kann über die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung des EuGH nur auf zwei Ebenen entschieden werden: Entweder durch die nationale oder die europäische Gerichtsbarkeit. Innerhalb dieser beiden Ebenen bestehen mehrere Möglichkeiten der Zuständigkeitsverteilung: Auf europäischer Ebene kommt der EuGH oder das EuG bzw. ihm zugeordnete Kammern sowie dezentralisierte Gemeinschaftsgerichte, die sich ausschließlich mit europarechtlichen Fragen befassen, in Betracht. Auf nationaler Ebene ergibt sich die Möglichkeit der stärkeren Einbeziehung der obersten Bundesgerichte oder des vorlagepflichtigen mitgliedstaatlichen Gerichts selbst.

B. Modelle der Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene Zunächst sollen die Möglichkeiten zur Filterung der Vorabentscheidungsersuchen auf europäischer Ebene näher betrachtet werden.

I. Filterverfahren beim EuGH Eine Möglichkeit der zukünftigen Gestaltung des Vörabentscheidungsverfahrens besteht darin, die Zuständigkeit für die Entscheidung über alle Vorabentscheidungsersuchen weiterhin beim EuGH zu belassen. Diese Alternative würde bei tatsächlicher Vorlage aller in ihren Verfahren auftretenden Auslegungsfragen durch letztinstanzliche Gerichte dem Erfordernis der Wahrung einer einheitlichen Gemeinschaftsrechtsordnung am Besten gerecht, da der EuGH das Entscheidungsmonopol über alle gemeinschaftsrechtlichen Auslegungsfragen behielte. Aus diesem Grund wird gefordert, dass das Vörabentscheidungsverfahren im Wesentlichen in der Zuständigkeit des EuGH verbleiben müsse.42 Allerdings kann der EuGH, wie bereits festgestellt, die Flut der an ihn gerichteten Vorabentscheidungsersuchen nicht mehr in einem angemessenen Zeitraum bewältigen. Dementsprechend muss die Verfahrenslast durch Selektion verringert werden. 42 Toth, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 394, 398; Koopmans, YEL 1991, S. 15, 29; Kapteyn, in: Curtin / Heukels, Institutional Dynamics, S. 135, 151; van Gerven, ELRev. 1996, S. 211, 215; Rothley, Bericht EP, EP-Dok. PE 155.441/endg., S. 5; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 521, 526; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2661; Malferrari, Zurückweisung, S. 260.

B. Modelle der Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene

85

1. Annahmeverfahren Eine Einschränkung der vom EuGH zu entscheidenden Vorabentscheidungsersuchen könnte im Wege eines Filterverfahrens erreicht werden, das dem EuGH gestattet, unter den vorgelegten Fragen diejenigen auszuwählen, die wegen ihrer Neuartigkeit, Komplexität oder ihrer Bedeutung von ihm entschieden werden müssen, während Rechtssachen von geringerer Bedeutung an das mitgliedstaatliche Gericht zur eigenen Entscheidung zurückverwiesen würden. 43 Nach diesem dem Verfahren vor dem US-amerikanischen Supreme Court angenäherten Konzept sind die letztinstanzlichem nationalen Gerichte weiterhin verpflichtet, alle in ihren Verfahren auftretenden Auslegungsfragen an den EuGH zu richten, die Auswahl findet erst beim EuGH statt. Ein solches Filtersystem kann verfahrensrechtlich auf verschiedene Weise umgesetzt werden. Zum einen besteht die Möglichkeit der Vorschaltung eines Zulassungsverfahrens, in dem der EuGH über die Annahme des Ersuchens zur Entscheidung befindet. 44 Bereits jetzt sind der Rechtsprechung des EuGH erste Tendenzen zu einer Filterung der Vorabentscheidungsersuchen zu entnehmen. So lehnte er verschiedentlich die Entscheidung über hypothetische oder zu allgemein formulierte Fragen 45 sowie Fragen, die keine ausreichenden Angaben des nationalen Gerichts über den bei der Entscheidung über die Vorlage maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Rahmen enthielten,46 ab und nahm für sich in Anspruch, die Entscheidung von Fragen ohne Zusammenhang mit dem von dem nationalen Gericht konkret zu entscheidenden Rechtsstreit zurückweisen zu können.47 Allerdings beziehen sich diese Einschränkungen nur auf Ausnahmefälle, da das zwischen EuGH und den nationalen Gerichten bestehende Kooperationsverhältnis ihn grundsätzlich zu einer Antwort auf alle Vorlagefragen verpflichtet. 48

43

Rasmussen, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 379, 381; Koopmans, YEL 1991, S. 15, 29; Kennedy, ELRev. 1993, S. 121, 129; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754; Huff, EuZW 2000, S. 97; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 521, 528; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 18; Malferrari, Zurückweisung, S. 242; Westerdorf, ELRev. 2003, S. 303,318. 44 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754. 45 EuGH, Rs. C-104/79, Slg. 1980, S. 745, 760 Rn. 10 - Foglia Novello I; Rs. C-244/80, Slg. 1981, S. 3045, 3062 Rn. 18 - Foglia Novello II; EuGH, Rs. C-83/91, Slg. 1992, S. 1-4871, 4933 Rn. 25 - Meilicke; Rs. C-458/93, Slg. 1995, S. 1-511, 518 Rn. 17 - Saddik. 46 EuGH, verb. Rs. C-320, 321 u. 322/90, Slg. 1993, S. 1-393, 426 Rn. 6 - Telemarsicabruzzo; Rs. C-458/93, Slg. 1995, S. 1-511, 518 Rn. 15 - Saddik; Rs. C-9/98, Slg. 1998, S. 1-4261, 4266 Rn. 6 - Agostini; Rs. 422/98, Slg. 1999, S. 1-1279, 1283 Rn. 4 - Colonia Versicherung. 47 EuGH, Rs. 126/80, Slg. 1981, S. 1563, 1576 Rn. 6 - Salonia; Rs. C-286/88, Slg. 1990, S. 1-191, 195 Rn. 8 - Falciola; Rs. C-343/90, Slg. 1992, S. 1-4673, 4709 Rn. 18 - Laurenco Dias; Rs. C-378/93, Slg. 1994, S. 1-3999,4008 Rn. 12 - La Pyramide. 48 Everling,

Vörabentscheidung, S. 43.

86

3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

Diese Tendenz könnte durch die Einrichtung eines offiziellen Annahmeverfahrens vor dem EuGH aufgegriffen und erweitert werden. Eine solche Umstrukturierung würde eine einfache, wirksame und kostengünstige Verringerung der vom EuGH zu beantwortenden Vörlagefragen 49 und damit eine Entlastung des EuGH zur Folge haben, die diesem ermöglichte, sich auf die Beantwortung der von ihm zugelassenen wesentlichen Fragen zu konzentrieren, was sich positiv auf die Verfahrensdauer und damit auch auf die Vörlagebereitschaft der nationalen Gerichte auswirken würde. 50 Zudem würden die nationalen Gerichte dazu angehalten, vor einer Vorlage an den EuGH die sich stellende Frage mit Bedacht zu prüfen und sich stärker mit gemeinschaftsrechtlichen Fragen auseinander zu setzen.51 Dies fördert die Integration des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten52 und entspricht dem Ziel, den nationalen Gerichten mehr Verantwortung im Bereich des gemeinschaftsrechtlichen Rechtsschutzes zu übertragen. Dieses Argument greift jedoch zu kurz. Denn die Rolle der letztinstanzlichen Gerichte in diesem Filtersystem birgt einen gravierenden Nachteil: Das System des Vörabentscheidungsverfahrens ist geprägt durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen EuGH und nationalen Gerichten. Es beruht auf einem Verhältnis der Kooperation, das auf das Zusammenwirken der nationalen und der europäischen Ebene ausgelegt ist. 53 Dieses Kooperationsverhältnis würde durch die Einführung eines Filterverfahrens in eine hierarchische Struktur umgekehrt, in der die Gerichte befürchten müssten, mit ihrer Frage vom EuGH zurückgewiesen zu werden. 54 Dies könnte zu dem kontraproduktiven Ergebnis führen, dass die letztinstanzlichen Gerichte, um sich vor dem EuGH keine Blöße zu geben, erst gar nicht vorlegen. 55 Das zentrale Grundprinzip des Vörabentscheidungsverfahrens, der Dialog zwischen nationalem und europäischem Gericht, würde durch Schaf49 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 528; Dashwood/ Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 64. 50 Kennedy, ELRev. 1993, S. 121, 128; Rasmussen, in: Andenas, Art. 177 References, S. 83, 84; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 66; Streinz/ Leíble, EWS 2001, S. 1, 10. si EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 66; Streinz/ Leíble, EWS 2001, S. 1, 10; Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 64; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1293, 1311; Malferrari, Zurückweisung, S. 244. 52 Streinz/ Leíble, EWS 2001, S. 1, 10. 53 Rasmussen, in: Andenas, Art. 177 References, S. 83, 86; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889; Schermers, in: Dashwood / Johnston, The future of the Judicial System, S. 31, 35. 54 Everling, 60. DJT, Bd. II/ 1, S. N 9, N 13; Darmon, CDE 1995, S. 576, 580; Arnull, ELRev. 1999, S. 516, 519; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 59; Rosier, ZEuP 2000, S. 52, 55; Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 64; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 528; Voß, EuR 2003, Beiheft 1,S. 37, 42. 55 Dauses, Gutachten DJT, S. D 131; Everling, 60. DJT, Bd. I I / 1 , S. N 9, N 13; ders., EuR 1997, S, 398, 410; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 66; Rosier, ZEuP 2000, S. 52, 55; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1293, 1311.

B. Modelle der Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene

87

fung einer Art Revisionsverfahren beim EuGH zerstört werden, wodurch das effektive Funktionieren des Vorabentscheidungsverfahrens gefährdet würde. 56 Umgekehrt besteht die Gefahr, dass der EuGH geneigt sein könnte, die Entscheidung brisanter und komplizierter Fälle durch eine Nichtannahme zu umgehen.57 Insofern hätte ein Filterverfahren auch negative Auswirkungen auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes.58 Zwar wird teilweise darauf hingewiesen, dass das Vorabentscheidungsverfahren auch in seiner jetzigen Form hierarchische Elemente aufweise, da der EuGH bestimmte Vorlagen wegen unzureichender Angaben zurückweise. 59 Dies stellt jedoch eine Ausnahme dar und bezieht sich nur auf wenige Fälle. Zudem muss diese Tatsache nicht dafür sprechen, eine solche Tendenz, die der im EG-Vertrag verankerten Gleichwertigkeit der nationalen und europäischen Gerichtsbarkeit widerspricht, noch auszuweiten und in den Vertragstext zu übernehmen. Ein Annahmeverfahren durch den EuGH würde die Aufgeschlossenheit der nationalen Gerichte gegenüber dem Europarecht, einen Grundpfeiler der europäischen Integration, gefährden. Durch die Entscheidung über die Vorlage durch den EuGH würde den nationalen Gerichten eine ihnen originär zustehende Zuständigkeit entzogen,60 die Kompetenzordnung also entgegen der dem Subsidiaritätsprinzip verpflichteten Grundstruktur der EU verändert. Diese dem bisherigen Konzept des EG-Vertrags zuwider laufende strukturelle Umwälzung hätte auch ein praktisches Problem zur Folge: Der EuGH wird allein aufgrund der ihm vorgelegten Auslegungsfrage oft nicht beurteilen können, ob der dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegende Rechtsstreit eine bedeutsame Rechtsfrage des Gemeinschaftsrechts aufwirft. 61 Diese Aufgabe muss aufgrund der dem Vorabentscheidungsverfahren immanenten Zuständigkeitsteilung und der daraus folgenden mangelnden Sachnähe des EuGH notwendigerweise bei dem vorliegenden nationalen Gericht verbleiben. Auch insofern würde ein Annahmeverfahren vor dem EuGH also der Struktur des Art. 234 EG widersprechen 62 und die Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts durch Ablehnung auf den ersten Blick nicht bedeutsam genug erscheinender Fälle durch den EuGH behindert werden. 63

56 Bebr, in: Schermers, Art. 177 EEC, S. 345, 364; Lipp, JZ 1997, S. 326, 332; Hakenberg, ZEuP 2000, S. 860, 864; Schermers, in: Dashwood / Johnston, The future of the Judicial System, S. 31,35. 57 Koopmans, YEL 1991, S. 15, 30. 58 Kennedy, ELRev. 1993, S. 121, 128. 59 Malferrari, Zurückweisung, S. 244. 60 Everling, 60. DJT, Bd. I I / 1, S. N 9, N 13; Darmon, CDE 1995, S. 576, 580; Voß, EuR 2003, Beiheft 1, S. 37, 42. 61 Koopmans, YEL 1991, S. 15, 30. 62 Lipp, JZ 1997, S. 326, 332. 63 Koopmans, YEL 1991, S. 15, 30.

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3. Teil: Künftige Reform des Vorabentscheidungserfahrens

Die einzigartige Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens, die sich in der Vergangenheit als effektiv erwiesen hat und am Besten das Verhältnis zwischen der supranationalen Organisation EG und den Mitgliedstaaten widerspiegelt, würde zugunsten einer Hierarchie umgestaltet, eine Entwicklung, die der Grundkonzeption der EG, in der die Mitgliedstaaten immer noch „Herren der Verträge" sind, entgegenstehen würde. Das oben erarbeitete anzustrebende Grundkonzept des Verhältnisses zwischen EG und Mitgliedstaaten würde also ins Gegenteil verkehrt, ohne dass dadurch die Einheit der Rechtsordnung nachhaltig verbessert, sondern aufgrund der daraus möglicherweise resultierenden Zurückhaltung der nationalen Gerichte vielmehr gefährdet würde. Aus diesem Grund ist die dargestellte Konzeption skeptisch zu betrachten und wird in dem Reflexionspapier des EuGH, 64 dem Bericht der von der Kommission eingesetzten Reflexionsgruppe 65 sowie auch in der Literatur 66 weitgehend abgelehnt.

2. Entscheidung über einen Lösungsvorschlag des nationalen Gerichts Eine andere Möglichkeit bestünde darin, dass die nationalen Gerichte in ihrem Vorabentscheidungsersuchen bereits eine Lösung der vorgelegten Frage präsentieren. 67 Ein ähnliches Modell existiert in Deutschland im Bereich der konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 GG. 68 Stimmt der EuGH mit dem Lösungsvorschlag des nationalen Gerichts überein, kann er durch einen einfachen Beschluss den Vorschlag des mitgliedstaatlichen Gerichts übernehmen. Durch diese Konzeption könnte der Dialog zwischen den Gerichten aufrecht erhalten und die Eigenverantwortlichkeit der nationalen Gerichte in Fragen des Gemeinschaftsrechts gestärkt werden. 69 Allerdings besteht hier ebenso die Gefahr, dass die letztinstanzlichen Gerichte aus Furcht vor Zurückweisung ganz von der Vorlage absehen.70 Zudem würde die 64 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754. 65 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 528. 66 Koopmans, YEL 1991, S. 15, 30; Hakenberg, ZEuP 2000, S. 861, 864; Adam, ZEuP 2000, S. 933, 935; Streinz/Leible, EWS 2001, S. 1, 11. 67 Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 376; Zuleeg, JZ 1994, S. 1, 7; Rasmussen, in: Andenas, Art. 177 References, S. 83, 87; Darmon, CDE 1995, S. 576, 581; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754; Rosier, ZRP 2000, S. 52, 56; Johnston, CMLRev. 2001, S. 499, 521; Schermers, in: Dashwood/Johnston, The future of the Judicial system, S. 31, 34; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1293, 1311; Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 602; Malferrari, Zurückweisung, S. 259. 68 Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 68. 69 Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 376; Zuleeg, JZ 1994, S. 1, 7; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 723, 728; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1293, 1311.

B. Modelle der Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene

89

vom EuGH durchzuführende Prüfung des von dem nationalen Gericht vorgelegten Vorschlags keine wesentliche Entlastung bringen, 71 oder diese Prüfung müsste so kursorisch ausfallen, dass die Einheitlichkeit der Auslegung gefährdet wäre. 72 Diese Konzeption bringt ferner die Gefahr mit sich, dass der EuGH durch die Formulierung des Vorschlags durch das nationale Gericht in seiner Entscheidung beeinflusst werden könnte, was eine negative Auswirkung auf die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten haben könnte.73 Auch bei dieser Variante sind Beeinträchtigungen der Vorlagebereitschaft der letztinstanzlichen Gerichte zu befürchten, da in ihrer Vorstellung mit der Entscheidung über die Annahme ihres Vorschlags auch über die Qualität ihrer Arbeit entschieden wird. 74 Ist die grundsätzliche Übertragung von Verantwortung auf die nationalen Gerichte vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips sowie der Förderung der Integration sinnvoll, bewirkt der vorliegende Vorschlag eine zu hohe Belastung der nationalen Gerichte unter gleichzeitiger Verkürzung ihrer Kompetenzen, die Probleme sowohl hinsichtlich der Struktur der EG als auch ihrer Ziele aufwirft und daher nicht erstrebenswert erscheint.

II. Vorabentscheidungskompetenzen des EuG Eine andere Alternative besteht in der Übertragung von Vorabentscheidungskompetenzen auf das EuG. Dieser Weg wurde im Vertrag von Nizza eingeschlagen und ist oben bereits kurz dargestellt worden. Allerdings sind bisher noch keine Zuständigkeiten auf das EuG übertragen worden, so dass noch kein unausweichlicher Prozess in Richtung dieser Reformalternative in Gang gesetzt ist und vor diesem Hintergrund eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer Übertragung von Vorabentscheidungskompetenzen auf dieses Gericht nicht müßig erscheint. In die anzustellenden Überlegungen einzubeziehen ist auch die Möglichkeit, über das im Vertrag von Nizza angelegte Maß hinaus einen größeren Anteil von Kompetenzen oder möglicherweise sogar alle Vorabentscheidungsverfahren auf das EuG zu verlagern. 75 70 Dauses, Gutachten DJT, S. D 170; Dashwood/ Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 68. Dauses, Gutachten DJT, S. D 131; Everting, EuR 1997, S. 398, 411; Sack, Reform, S. 21. 72 Everting, 60. DJT, Bd. II/ 1, S. N 9, N 14. 73 Darmon, CDE 1995, S. 576, 581. 74 Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 603. 7 5 Rasmussen, in: Andenas, Art. 177 References, S. 83, 94; Everting, EuR 1997, S. 398, 413; ders., in: FS Steinberger, S. 1103, 1116; Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 63; Malferrari, Zurückweisung, S. 251; Voß, EuR 2003, Beiheft 1, S. 37, 49.

90

3. Teil: Künftige Reform des Vorabentscheidungserfahrens

Bei dieser Konzeption würde die Vorabentscheidungskompetenz auf europäischer Ebene verbleiben, was die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung zu erleichtern scheint.76 Auch würde so die Befassung spezialisierter Kammern innerhalb des EuG mit Vorabentscheidungsersuchen sehr technischer Natur aus verschiedenen Spezialgebieten, deren Schaffung bereits in Art. 225 a EG angelegt ist, ermöglicht, während sich der EuGH auf grundsätzliche Fragen des Gemeinschaftsrechts konzentrieren könnte. Durch diese Struktur könnte eine deutliche Entlastung des EuGH, 77 sowie eine Steigerung der Effektivität und Akzeptanz der Arbeit der Gemeinschaftsgerichte erreicht werden. 78 Zudem würde eine Übertragung von Vörabentscheidungsverfahren auf das EuG auf den ersten Blick eine Verkürzung der Verfahrensdauer bewirken, da die Verfahren vor dem EuG gegenwärtig zu rund 40% innerhalb eines Jahres erledigt werden können, während nur 17% länger als zwei Jahre dauern. 79 Allerdings sieht Art. 225 Abs. 3 UAbs. 3 EG eine Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidungen des EuG durch den EuGH vor. Die dadurch eingeführte Zweistufigkeit des Verfahrens führt zu einer Verlängerung anstatt zu einer Verkürzung des Verfahrens, 80 die das Hauptproblem der langen Verfahrensdauer gerade in besonders wichtigen Fragen eher verschärft als verbessert. Dies gilt auch, wenn eine Befassung des EuGH in zweiter Instanz die Ausnahme bildet, wie von den Befürwortern dieser Alternative gefordert. 81 Der Vorschlag, der EuGH solle die ihm vorgelegten Fragen im Eil verfahren entscheiden,82 erscheint angesichts der Tatsache, dass die Fragen hauptsächlich sorgfältig vorzubereitende Grundsatzentscheidungen betreffen, nicht sehr praktikabel. 83 Kann ferner das allgemeine Argument, eine Aufteilung des Vorabentscheidungsverfahrens auf zwei Spruchkörper sei aus Gründen der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung nicht machbar, noch mit dem Hinweis auf die gleiche 76 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 528. 77 Jung, EuR 1992, S. 246, 261; Everling, EuR 1997, S. 398, 413; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 60; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 314. 78 Jung, EuR 1992, S. 246, 263; Everling, EuR 1997, S. 398, 413; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 60; Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 596; Malferrari, Zurückweisung, S. 252; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 314. 79 Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 60. so Bebr, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 345, 363; Dauses, Gutachten DJT, S. D 85; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 61; Hatje, EuR 2001, S. 143, 167; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662; Dashwood/ Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 63; Sack, EuZW 2001, S. 77, 78; Heß, RabelsZ 2002, S. 470, 492; Waelbroeck, EuR 2003, Beiheft 1, S. 71, 78; Huber, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 225 Rn. 13; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55,57. 81 Dauses, Gutachten DJT, S. D 95; Everling, in: FS Steinberger, S. 1103, 1117; Turner/ Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 61. 82 Erklärung Nr. 15 zu Art. 225 Abs. 3 EG, ABl. EG 2001, Nr. C 80, S. 80. 83 Hatje, EuR 2001, S. 143, 166; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 643; Wegener, in: Calliess/ Ruffert, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 30.

B. Modelle der Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene

91

Situation bei Direktklagen, bei denen ebenfalls eine Zuständigkeitsteilung besteht, entkräftet werden, 84 bleibt hingegen das Problem der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen EuGH und EuG bestehen.85 Die Zuweisung der Verfahren an die beiden Gerichte nach objektiven Kriterien wird sich aufgrund der Komplexität und der zu Beginn des Verfahrens nicht immer absehbaren Tragweite der Thematik als schwierig erweisen, was dazu führt, dass sich die Verfahrensdauer aufgrund der im Vorfeld zu klärenden Zuständigkeitsfrage verlängert und so kontraproduktiv wirkt. 86 Gegen eine zu erwartende Verkürzung der Verfahrensdauer spricht auch die Tatsache, dass durch eine Schaffung von Zuständigkeiten des EuG im Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens lediglich eine Verlagerung der Verfahrenslast innerhalb der europäischen Gerichtsbarkeit bewirkt wird, die die generelle Überbelastung nicht mindert 87 und daher die Funktionsfähigkeit des europäischen Vorabentscheidungsverfahrens nicht langfristig sicherstellen kann. Auch ist fraglich, ob das EuG ausreichend Kapazitäten besitzt, um die stetig steigende Zahl der Vorabentscheidungsersuchen zu bewältigen.88 Daneben wird gegen die Übertragung aller oder des überwiegenden Anteils der Vorabentscheidungen auf das EuG argumentiert, dass das Vorabentscheidungsverfahren eine der wichtigsten Aufgaben für die Entwicklung und ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts darstelle. Diese besondere Stellung gebiete ein Verbleiben der wesentlichen Vorabentscheidungskompetenzen beim EuGH. 89 Zumindest die das Gemeinschaftsrecht betreffenden Grundsatzfragen müssten beim EuGH verbleiben. 90 In diesem Zusammenhang werden auch die geringeren Anforderungen an die Qualifikation der Richter des EuG im Vergleich zu denen des EuGH kritisiert, die möglicherweise eine verminderte Akzeptanz des Gerichts 84 Dauses, Gutachten DJT, S. D 82; Everling, in: FS Steinberger, S. 1103, 1116; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 60; Tridimas, CMLRev. 2003, S. 9, 21. 85 Kapteyn, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 135, 150; Schmidt-Aßmann, JZ 1994, S. 832, 838; van Gerven, ELRev. 1996, S. 211, 215; Scorey, ELRev. 1996, S. 224, 227; Arnull, ELRev. 1999, S. 516, 520; Meij, CMLRev. 2000, S. 1039, 1043; Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 63; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 60. 86 Kapteyn, in: Curtin / Heukels, Institutional Dynamics, S. 135, 150; Dauses, Gutachten DJT, S. D 83; Darmon, CDE 1995, S. 576, 579; Arnull, ELRev. 1999, S. 516, 520; Malferrari, Zurückweisung, S. 254. 87 Jacque /Weiler, CMLRev. 1990, S. 185, 195; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 755; Meij, CMLRev. 2000, S. 1039, 1042; Lenz, EuGRZ 2001, S. 433, 440; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 528; Grabenwarter, EuR 2003, Beiheft 1, S. 55, 69; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 66. 88 Turner / Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 60. 89 van Gerven, ELRev. 1996, S. 211, 215; Turner / Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 60; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 528; Waelbroeck, EuR 2003, Beiheft 1, S. 71, 79. 90 Dauses, Gutachten DJT, S. D 83; Rasmussen, in: Andenas, Art. 177 References, S. 83, 95; Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 63.

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3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

durch die nationalen Gerichte und damit eine Verringerung ihrer Vorlagebereitschaft bewirken. 91 Insgesamt ist festzustellen, dass mit einer Übertragung von Vorabentscheidungskompetenzen auf das EuG ähnliche Probleme wie bei der alleinigen Zuständigkeit des EuGH verbunden sind. Denn auf lange Sicht wird das Problem der Überbelastung der europäischen Gerichtsbarkeit nicht gelöst, da die Zahl der Vorabentscheidungsersuchen insgesamt nicht verringert wird. Dementsprechend stehen viele ehemalige und gegenwärtige Mitglieder des EuGH dieser Reformalternative skeptisch gegenüber.92

III. Dezentralisierte Gemeinschaftsgerichte Ein anderer Vorschlag besteht darin, in allen oder einigen Mitgliedstaaten Gemeinschaftsgerichte zu gründen, die über die Vorlagen der jeweiligen nationalen Gerichte bzw. ihre Weiterleitung an den EuGH entscheiden.93 Diese Gerichte würden eine Art „Außenstelle" des EuGH darstellen und demnach als europäische, nicht als nationale Gerichte einzustufen sein. 94 Ein wesentlicher Vorteil der Etablierung dieser Gerichte bestünde neben dem Entlastungseffekt für den EuGH, der ihm ermöglichte, sich auf die wesentlichen Fragen des Gemeinschaftsrechts zu konzentrieren, 95 in der Tatsache, dass sie den nationalen Gerichten örtlich und sachlich näher stünden als der EuGH 96 und so möglicherweise von den nationalen Gerichten besser akzeptiert würden. 97 So könnten die Verhandlungen vor dem dezentralen Gemeinschaftsgericht in der jeweiligen Landessprache abgehalten werden, was den Übersetzungsaufwand reduzieren würde. 98 Rasmussen, in: Andenas, Art. 177 References, S. 83, 93; Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 63; Waelbroeck, EuR 2003, Beiheft 1, S. 71, 79. 92 So die Aussage des Präsidenten des EuG, Bo Vesterdorf, in ELRev. 2003, S. 303, 317. 93 Jaqué/Weiler, CMLRev. 1990, S. 185, 192; Bzdera, RevMC 1992, S. 240, 244; Allkemper, ZRP 1994, S. 301, 306; Rambow, in: FS Everling, S. 1169, 1184; Huff, EuZW 2000, S. 97; Rosier, ZRP 2000, S. 52, 57; Adam, ZEuP 2000, S. 933, 935; Hirsch, ZRP 2000, S. 58, 59. 94 Hirsch, ZRP 2000, S. 58, 59. 95 Jaqué/Weiler, CMLRev. 1990, S. 185, 197. 96 Everling, DRiZ 1993, S. 5, 13; Kapteyn, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 135, 148; Rambow, in: FS Everling, S. 1169, 1184; Scorey, ELRev. 1996, S. 224, 227; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 755. 97 Allkemper, ZRP 1994, S. 301, 306; Sack, Reform, S. 17; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1297, 1311; Malferrari, Zurückweisung, S. 257. 98 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 755; Hirsch, ZRP 2000, S. 58, 59; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1111; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 103; Malferrari, Zurückweisung, S. 257; Sack, Reform, S. 17.

B. Modelle der Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene

93

Dieses System würde die Entscheidungen näher an die Bürger in den Mitgliedstaaten bringen, was die Integration in der Europäischen Gemeinschaft fördern und unter dem Aspekt der Betonung der Rolle der Mitgliedstaaten dem Subsidiaritätsgedanken zu entsprechen scheint." Problematisch an diesem System ist jedoch die Schaffung einer dritten gerichtlichen Ebene. Zum einen würde durch die Zwischenschaltung einer dezentralen Instanz der direkte Dialog zwischen EuGH und nationalen Gerichten, auf dem der gesamte Mechanismus des Vörabentscheidungsverfahrens aufbaut, gestört. 100 Die nationalen Gerichte würden die Verbindung zum EuGH verlieren, worunter die Akzeptanz und damit die Integration des Gemeinschaftsrechts leiden könnte. 101 Zudem würde durch die Schaffung dezentraler Instanzen die Gefahr einer regional unterschiedlich geprägten Rechtsprechung geschaffen, 102 die mit dem Gedanken einer einheitlichen Auslegungslinie auf europäischer Ebene nicht zu vereinbaren ist. Aus diesem Grund müsste eine Möglichkeit der Anrufung des EuGH durch die dezentralen Gemeinschaftsgerichte oder in Form eines Rechtsmittels bestehen.103 Diese würde wiederum durch die Tatsache, dass sich drei Gerichte mit dem Verfahren beschäftigen müssten, zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer führen, die die Effektivität des Rechtsschutzes beeinträchtigte. 104 Daneben verursacht die Einrichtung zusätzlicher Gerichte hohe Kosten, 105 so dass zu überlegen ist, ob eine Übertragung von Zuständigkeiten auf bereits bestehende gerichtliche Instanzen nicht sinnvoller erscheint. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass ein Gemeinschaftsgericht in jedem Mitgliedstaat zu viel Aufwand für eine zu geringe Verfahrensanzahl bedeuten würde, wenn man 99 Scorey, ELRev. 1996, S. 224, 227. 100 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527. 101 Rothley, Bericht EP, EP-Dok. PE 155.441/endg., S. 12; Adam, ZEuP 2000, S. 933, 935. 102 Koopmans, YEL 1991, S. 15, 28; Everling, DRiZ 1993, S. 5, 13; ders., EuR 1997, S. 399, 412; Rothley, Bericht EP, EP-Dok. PE 155.441 /endg., S. 12; Allkemper, ZRP 1994, S. 301, 306; Schmidt-Aßmann, JZ 1994, S. 832, 838; Dauses, Gutachten DJT, S. D 100; Da Cruz Vilaga, CDE 1996, S. 3, 4; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 755; Arnull, ELRev. 1999, S. 516, 519; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527; Sack, Reform, S. 17; Streinz/Leible, EWS 2001, S. 1, 5; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1297, 1311; Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 603; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 103; Voß, EuR 2003, Beiheft 1, S. 37, 41; Malferrari, Zurückweisung, S. 257. 103 Kapteyn, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 135, 148; Allkemper, ZRP 1994, S. 301, 306; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 755; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 62; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527; Schwarze, DVB1. 2002, S. 1297, 1311; Voß, EuR 2003, Beiheft 1, S. 37,41. 104 Rothley, Bericht EP, EP-Dok. PE 155.441 /endg., S. 12; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 62; Meij, CMLRev. 2000, S. 1039, 1045; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1110; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527. i° 5 Koopmans, YEL 1991, S. 15, 28; Kapteyn, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 135, 148; Arnull, ELRev. 1999, S. 516, 519; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1110; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 528.

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3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

bedenkt, dass momentan alle Vorabentscheidungsersuchen von einem Gericht erledigt werden. 106 In abgeschwächter Form könnten solche Gemeinschaftsinstanzen auf Ebene der Mitgliedstaaten jedoch sinnvoll erscheinen, wenn sie als sog. „Clearing-Stellen" den nationalen Gerichten Hilfestellungen bei der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts bieten, ohne die Vorlagefragen selbst zu entscheiden.107 Solche Hilfe könnte z. B. durch die Bereithaltung von Datenbanken zu Entscheidungen des EuGH und anderer mitgliedstaatlicher Gerichte geleistet werden. 108 Möglich wäre z. B., die bereits bestehenden europäischen Dokumentationszentren auszubauen und ihnen diese Aufgabe zu übertragen. 109 *

IV. Ergebnis Den hier diskutierten Reformvorschlägen, der Einrichtung eines Filtermechanismus für Vorabentscheidungsersuchen beim EuGH oder dem EuG und auch der Errichtung dezentraler, über den nationalen Gerichten stehender Gemeinschaftsgerichte, ist gemeinsam, dass sie die EU der Struktur eines föderalen Staats wie den USA oder der Bundesrepublik Deutschland annähern. 110 Dies erscheint aufgrund des besonderen Charakters der EU als einer supranationalen Organisation sui generis problematisch. Bei diesen Staaten handelt es sich um gewachsene Systeme mit einer traditionellen und stabilen Rechtsordnung. 111 Die EU dagegen ist ein Gebilde, das zwischen dem Nationalstaat und der internationalen Organisation steht. 112 Sie stellt ein Mischsystem bestehend aus staatenbündischen und föderalen Elementen dar. 113 Aufgrund dieser besonderen Stellung kann sie mit den herkömmlichen Begriffen der Allgemeinen Staatslehre nicht erfasst werden, 114 und auch die Strukturen eines klassischen Staates sind nicht ohne weiteres auf sie übertragbar. 115 Die Orientie106 Allkemper, ZRP 1994, S. 301, 306. 107 Hakenberg, ZEuP 2000, S. 860, 864; Meij, CMLRev. 2000, S. 1039, 1045; Sack, Reform, S. 19. los Hakenberg, ZEuP 2000, S. 860, 864; Meij, CMLRev. 2000, S. 1039, 1042. 109 Meij, CMLRev. 2000, S. 1039, 1045. ho Schermers/Watson, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 3, 36; Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 372; Koopmans, YEL 1991, S. 15, 29; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 59; Rösler, ZRP 2000, S. 52, 56. in Koopmans, YEL 1991, S. 15, 30. 112

Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 7. U3 Oeter, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 59, 74. ii4 BVerfGE 22, S. 296; Isensee, in: FS Everling, S. 567; Vetter, in: Magiera/Siedentopf, Die Zukunft der EU, S. 23, 32; Oppermann, Europarecht, § 12 Rn. 4; Giegerich, Europäische Verfassung, S. 1114; Kleger/Karolewski/Munke, Europäische Verfassung, S. 148; Epping, JZ 2003, S. 821, 826; Ruffert, EuR 2004, S. 165, 200; Jacque, EuGRZ 2004, S. 551, 555.

B. Modelle der Kompetenzerweiterung auf europäischer Ebene

95

rung an ausgereiften föderalen Modellen wird dem prozesshaften Charakter der sich noch in der Entwicklung befindlichen EG aufgrund der dadurch bedingten mangelnden Vergleichbarkeit nicht gerecht. 116 Zwar nähert das Vorhaben, eine Verfassung für Europa zu schaffen, die EU einem klassischen Staat an, jedoch wird ihre ambivalente Stellung zwischen internationaler Organisation und staatsähnlichem Gebilde auch in der Europäischen Verfassung aufrechterhalten. 117 So ergibt sich gerade aus den in dieser Verfassung verankerten Formulierungen die Absicht der Mitgliedstaaten, ihre Hoheitsgewalt nicht vollends von der EU vereinnahmen zu lassen.118 Dies wird u. a. deutlich durch die Tatsache, dass die in der Präambel des EU-Vertrags verwendete Formulierung der „immer engeren Union" in den Verfassungstext nicht übernommen wurde, sowie auch aus der oben bereits dargestellten 119 stärkeren Betonung des Subsidiaritätsprinzips. Die Orientierung der allgemeinen Unionspolitik bewegt sich zentrifugal in Richtung einer Renationalisierung. 120 Zwar zeigt auch die Entwicklung der EG föderalistische Tendenzen,121 dabei ist der Begriff des Föderalismus jedoch nicht im Sinne eines zentralistisch orientierten Bundesstaats, sondern im Sinne einer Wahrung der Identität der einzelnen Mitgliedstaaten, wie sie in Art. 6 Abs. 3 EU anklingt, zu verstehen. 122 Dementsprechend erscheint die Entstehung eines Europäischen Bundesstaats auch für die Endphase der künftigen EU keine realistische Perspektive. 123 Eine Zentralisierung und Regionalisierung der Gemeinschaft widerspricht den grundlegenden Strukturprinzipien der EG, die auf der Stellung der Mitgliedstaaten als dezentrale Hoheitsgewalt, die nur Teile ihrer Souveränität auf die EG übertragen haben, und der EG als zentraler Leitstelle aufbauen. 124 Das Bestreben, eine Angleichung des Gefüges der EU an die bestehenden Strukturen in den Mitgliedstaaten zu erreichen, erscheint vor dem Hintergrund der Tat115

Oeter, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 59, 115. 116 Koopmans, YEL 1991, S. 15, 30; Jung, EuR 1992, S. 246, 256; Da Cruz Vilaqa, CDE 1996, S. 3, 4; Herchenhan, BayVBl. 2003, S. 649, 653; Malferrari, Zurückweisung, S. 257. i n Nettesheim, EuR 2004, S. 511, 544; Weber, EuR 2004, S. 841, 855. 118 Zu diesen Tendenzen vgl. Oppermann, Europarecht, § 12 Rn. 27; Pernice, JZ 2000, S. 866, 867; Zuleeg, Der Staat 2002, S. 359, 381. 119 Siehe unter 3. Teil A.I. 120 Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1107. 121 Ausführlich dazu Giegerich, Europäische Verfassung, S. 1114 ff.; vgl. ferner Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 373; Zuleeg, NJW 2000, S. 2846; Herchenhan, BayVBl. 2003, S. 649, 653; Weber, EuR 2004, S. 841 ff. 122 Kahl, AöR 1993, S. 415, 417; Pieper, Subsidiarität, S. 236; v. Bogdandy, Supranationaler Föderalismus, S. 63; Zuleeg, NJW 2000, S. 2846; Oeter, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, S. 59, 115; Jacqué, EuGRZ 2004, S. 551, 556. 123 Isensee, in: FS Everling, S. 567, 569; v. Bogdandy, Supranationaler Föderalismus, S. 62; Oppermann, Europarecht, § 12 Rn. 27. 124 Jung, EuR 1992, S. 246, 257; Everling, DRiZ 1993, S. 5, 13; ders., EuR 1997, S. 399, 412; Kapteyn, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 135, 147; Dauses, Vörabentscheidungsverfahren, S. 46; Kleger/Karoleweski/Munke, Europäische Verfassung, S. 143.

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3. Teil: Künftige Reform des Vorabentscheidungserfahrens

sache, dass im Zuge der fortschreitenden Integration ein Prozess der Staatswerdung politisch nicht gewollt ist, 1 2 5 und so der besondere Charakter der EU auch in Zukunft erhalten bleiben wird, noch weniger sinnvoll. Bei den Mitgliedstaaten handelt es sich um souveräne Staaten, die bereits jetzt darauf bedacht sind, ihren politischen Einfluss nicht zu verlieren. Dieses Bestreben wird auch den weiteren Entwicklungsprozess der Union prägen, so dass nicht davon auszugehen ist, dass die einzelnen Staaten ihre Macht zugunsten eines Zentralstaats aufgeben, sondern im Gegenteil eine Konsolidierung ihrer Kompetenzen anstreben werden. Diese Weichenstellungen sollten auch im Bereich der Organisation des europäischen Rechtsschutzsystems berücksichtigt werden, da es wenig Sinn macht, hier Strukturen zu festigen, die von der generellen Entwicklung der Union überholt werden. 126 Insbesondere durch die Einziehung einer dritten Ebene in Form dezentraler Gemeinschaftsgerichte würde der Weg für eine immer stärkere Europäisierung der Mitgliedstaaten geebnet und die gewachsene, durch den gleichberechtigten Dualismus von nationaler und europäischer Ebene geprägte Grundstruktur der EU zerstört. 127 Auch hinsichtlich der Ziele des Vörabentscheidungsverfahren wirft ein zentralisierter Aufbau des Gerichtssystems Probleme auf. Soll die gebündelte Entscheidungsgewalt auf europäischer Ebene der Förderung der Einheit der Rechtsordnung dienen, beeinträchtigt die hierarchische Struktur die Kooperationsbereitschaft der nationalen Gerichte und stellt so paradoxerweise gerade eine Gefährdung der Einheitlichkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung dar. Zudem erscheint es schlechterdings unmöglich, die Einheit der Rechtsordnung in allen Mitgliedstaaten und unterschiedlichen Sprachen allein zentral von einer Stelle aus sicherzustellen. 128 Ferner bedingt ein zentral ausgerichtetes Gemeinschaftsgefüge die hierarchische Kontrolle der untergeordneten Gemeinschaftsinstanzen, was zu der Notwendigkeit der Etablierung eines Revisionsverfahrens führt. Dies hat jedoch eine Verlängerung der Verfahrensdauer und eine Verkomplizierung des Systems zur Folge, die sich kontraproduktiv auf das Ziel der Effektivität des Individualrechtsschutzes auswirken. Diese Feststellungen verdeutlichen, dass die Anlehnung an klassische staatliche Systeme Probleme hinsichtlich beider Funktionen des Vorabentscheidungsverfahrens aufwirft und deshalb nicht erstrebenswert erscheint. Es ist also eine Lösung jenseits der Strukturen eines klassischen Staates zu suchen, die den Mitgliedstaaten und ihrer besonderen Position innerhalb des Gefüges der EU gerecht wird. 125

Pernice, JZ 2000, S. 866, 868; Kleger/Karoleweski/Munke, Europäische Verfassung, S. 147; Ruffert, EuR 2004, S. 165, 200; ähnlich Oppermann, Europarecht, § 12 Rn. 27. 126 Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1107. 127 Bzdera, RevMC 1992, S. 240, 242. 128 Ehlermann, in: FS Pescatore, S. 105, 217.

C. Stärkung der Position der nationalen Gerichte

97

Aus diesem Grund erscheint eine weitere Ausdehnung der Kompetenzen auf europäischer Ebene nicht sinnvoll. Vielmehr ist es insbesondere im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip als prägende Strukturvorgabe der EU näherliegend, die Frage, auf welcher Ebene die Entscheidung über das Eingreifen der Vorlagepflicht getroffen werden soll, zugunsten einer Stärkung der Verantwortlichkeit der nationalen Gerichte zu beantworten. Geht man von den oben dargestellten Bedingungen für das Eingreifen des Subsidiaritätsprinzips aus, hat sich gezeigt, dass die Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens allein auf europäischer Ebene nicht effektiv verfolgt werden können. Ob eine Stärkung der Position der nationalen Gerichte diese Ziele genau so gut wie oder besser als eine Zuständigkeitserweiterung der europäischen Gerichte gewährleisten kann, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.

C. Stärkung der Position der nationalen Gerichte Eine Entlastung der europäischen Ebene kann auch durch die Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene erreicht werden. Solche Überlegungen sind stets Bedenken dahingehend ausgesetzt, dass jede Regionalisierung bzw. Nationalisierung des Vorabentscheidungsverfahrens Risiken für die Einheit des Gemeinschaftsrechts berge. 129 Ob dieses Argument allerdings ausreicht, um eine Stärkung der Position der nationalen Ebene abzulehnen und ob die Folgen für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung tatsächlich gravierend sind, soll im Folgenden untersucht werden. Positiv formuliert könnte man in diesem Kontext nicht von einer Renationalisierung, sondern einer stärkeren Europäisierung der nationalen Gerichte sprechen, 130 die ihrem Status als funktionelle Gemeinschaftsgerichte gerecht wird.

I. Filterung durch die obersten nationalen Gerichte Aufgrund von Kostenüberlegungen, aber insbesondere im Interesse der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips, das eine vorrangige Zuständigkeit der nationalen Gerichte vorsieht, erscheint es im Vergleich zu dem Vorschlag der Schaffung dezentraler Gemeinschaftsgerichte naheliegender, bestehende mitgliedstaatliche Gerichte mit der Entscheidung über Vörabentscheidungsfragen aus ihrem Staat zu betrau-

129 Rothley, Bericht EP, EP-Dok. PE 155.441/endg., S. 12; Dauses, Gutachten DJT, S. D 100; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750,755; Streinz/Leible, EWS 2001, S. 1, 5. 130 Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 60. 131 Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 59; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1111; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662. 7 Hummert

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3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

Insofern könnte die Kompetenz für die Entscheidung von Vorabentscheidungsersuchen auf das oberste Gericht des jeweiligen nationalen Instanzenzugs übertragen werden, bei dem eine spezielle Kammer für europarechtliche Fragen gebildet werden könnte. 132 In diesem Fall würden alle Vorabentscheidungsersuchen zunächst bei den jeweiligen obersten Gerichten des Mitgliedstaats gestellt, die grundsätzlich auch über Auslegungsfragen des Gemeinschaftsrechts eigenständig entscheiden könnten. Sie müssten lediglich in Fällen, in denen eine Gefahr für die Einheit der europäischen Rechtsordnung droht, dem EuGH vorlegen. 133 Ihr Entscheidungsspielraum und damit die Kompetenzen der mitgliedstaatlichen Gerichte würden so maßgeblich erweitert. Bei dieser Variante ist positiv hervorzuheben, dass Richter entscheiden, die mit der Rechtsordnung des vorlegenden Gerichts vertraut sind, so dass eine bessere Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Rechtsordnung erfolgen und Missverständnisse vermieden werden können. 134 Auch würde kein zeitlicher, personeller und finanzieller Übersetzungsaufwand anfallen. 135 Gegen diese Konzeption wird jedoch in erster Linie die Gefahr divergierender Entscheidungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten und die damit verbundene Gefährdung der Einheitlichkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung angeführt. 136 Diese könnte gemindert werden durch die Einführung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des obersten nationalen Gerichts, das durch die Kommission oder den betreffenden Mitgliedstaat eingelegt werden könnte. 137 Dies birgt jedoch erneut das Problem einer Verfahrensverzögerung durch die der Vorlage an den EuGH vorgeschaltete Befassung des obersten nationalen Gerichts, die dem Gedanken der Verbesserung des Rechtsschutzes zuwiderläuft 138 und zudem eine Entwicklung zugunsten einer hierarchischen Struktur ebnet, die der Grundkonzeption der EG widerspricht. Doch unabhängig davon, ob man die angeführten Bedenken hinsichtlich der Einheit der Rechtsordnung teilt, ergeben sich weitere Probleme. Die Einführung eines Filtersystems auf Ebene der obersten nationalen Gerichte zielt mehr auf die Begrenzung des Vörlagerechts unterinstanzlicher Spruchkörper als auf eine Einschränkung der Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte ab. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass die obersten nationalen Ge132 Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1111; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 59. 133 Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2663; Hirsch, Diskussionsbeitrag, RabelsZ 2002, S. 615, 619. 134 Hirsch, Diskussionsbeitrag, RabelsZ 2002, S. 615, 619. 135 Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 59. 136 Hakenberg, ZEuP 2000, S. 860, 864; Streinz/Leible, EWS 2001, S. 1, 5; Sack, Reform, S. 17. 137 Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 60. Zu der Frage der Einführung einer „Nichtvorlagebeschwerde" siehe unten. 138 Voß, EuR 2003, Beiheft 1, S. 37, 42.

C. Stärkung der Position der nationalen Gerichte

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richte, die hier über die Vorlagen entscheiden sollen, selbst der Vorlagepflicht unterfallen, bei Zugrundelegung der abstrakten Sichtweise sogar allein vorlagepflichtig wären. Bei Anwendung der hier vertretenen konkreten Sichtweise würden sie ebenfalls einen Großteil der vorlagepflichtigen Gerichte ausmachen, so dass nur wenige Vorlagefragen, die von vorlagepflichtigen Gerichten gestellt werden, von den obersten nationalen Gerichten gefiltert würden. Vielmehr wäre dieses Modell dem der Einführung eines Beurteilungsspielraums für die vorlagepflichtigen nationalen Gerichte angenähert, auf das im Folgenden näher eingegangen werden soll. Aufgrund der Verkomplizierung der Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens durch Einziehung einer dritten Ebene, die zu einer weiteren Verfahrensverlängerung führt, erscheint die Übertragung der Entscheidungskompetenzen über die Vorlagewürdigkeit einer Auslegungsfrage an den EuGH auf die obersten nationalen Gerichte nicht als anzustrebende Lösung, obwohl sie im Einklang mit der durch das Subsidiaritätsprinzip geprägten Struktur der EG stehen würde.

II. Filterung durch die vorlagepflichtigen Gerichte Denkt man die Forderung nach einer stärkeren Übertragung von Verantwortung auf die nationalen Gerichte im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens konsequent zu Ende, stellt sich die Frage, ob nicht bei jedem vorlagepflichtigen Gericht die Filterung der Vorabentscheidungsersuchen einsetzen sollte. 139 Eine solche Filterung findet bereits statt im Anwendungsbereich der acte-clair-Doktrin, die den nationalen Gerichten die eigenverantwortliche Entscheidung über die Offenkundigkeit einer Rechtsnorm einräumt. Möglich wäre, diesen Entscheidungsspielraum dahingehend zu erweitern, dass die Gerichte nur noch Fragen, deren Beantwortung durch den EuGH für die Erreichung und Sicherstellung der Ziele der Gemeinschaft unentbehrlich erscheint, vorlegen müssen, während sie weniger bedeutende Auslegungsfragen selbständig entscheiden könnten. Dies hätte den Vorteil, dass im Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens weiterhin lediglich zwei Ebenen existierten: Das mit dem Ausgangsfall befasste nationale Gericht und der EuGH. So würde die bisherige Grundstruktur des Art. 234 EG erhalten bleiben, das bestehende System würde nur eine entscheidende Verlagerung der Zuständigkeiten vom EuGH zum nationalen Gericht erleben. Dieser Lösungsvorschlag erscheint als ein unkomplizierter Weg, der ohne die 139 Jacobs, Schlussanträge Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6502 Rn. 20 - Wiener; Rabe, in: FS Redeker, S. 201, 205; Rambow, in: FS Everling, S. 1169, 1184; Heß, ZZP 1995, S. 59, 84; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 178; Scorey, ELRev. 1996, S. 224, 229; Müller-Eiselt, ZfZ 1997, S. 414, 417; Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1109; Hakenberg, DRiZ 2000, S. 345, 349; Meij, CMLRev. 2000, S. 1039, 1044; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526; Dashwood/ Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 65; Groh, EuZW 2002, S. 461, 462; Malferrari, Zurückweisung, S. 266.

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3. Teil: Künftige Reform des VorabentscheidungsVerfahrens

Notwendigkeit der kostenintensiven und langwierigen Schaffung neuer Spruchkörper auskommt. So würde die direkte Kommunikation zwischen EuGH und nationalen Gerichten, eine essentielle Funktion des Vorabentscheidungs Verfahrens, erhalten. Der EuGH selbst stellt fest, dass das nationale Gericht aufgrund seiner Sachnähe und detaillierten Kenntnis des Falles in der besten Position sei, um dessen Tragweite abzuschätzen und die Erforderlichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens zu bewerten. 140 Diese Reformalternative steht in engem Zusammenhang mit der acte-clair-Doktrin und greift die im Rahmen der Bestandsaufnahme ermittelten Ergebnisse bezüglich einer anzustreben Neufassung dieses Instituts auf. Sie erscheint also als logische Konsequenz der festgestellten Probleme im Bereich der Vorlagepflicht. Bei der Untersuchung, ob sie tatsächlich eine tragfähige Lösung bietet, können die bisher gefundenen Ergebnisse zugrunde gelegt werden.

140 EUGH, RS. 8 3 / 7 8 , Slg. 1978, S. 2347, 2368 Rn. 25 - Pigs Marketing Board; Rs. 7 0 / 7 7 , Slg. 1978, S. 1453, 1468 Rn. 8 / 9 - Simmenthai.

. Teil

Neubestimmung der Vorlagepflicht Die ursprüngliche acte-clair-Doktrin wurde durch Interpretation des Art. 234 Abs. 3 EG entwickelt. Es stellt sich die Frage, ob eine Neufassung dieser Doktrin zugunsten der Erweiterung des Spielraums der nationalen Gerichte ebenfalls im Wege der Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG gewonnen werden kann, oder ob sie nur durch eine Vertragsänderung möglich ist. Dies hängt davon ab, ob sich im Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG Anhaltspunkte für die Zulässigkeit einer solchen Konzeption finden, ob sie sich in das Gefüge des europäischen Gerichtssystem einpasst und ob sie noch im Einklang mit den Zielen des Vörabentscheidungsverfahrens, der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung sowie dem Individualrechtsschutz, steht.

A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 E G Der EuGH hat in seinem oben zitierten C.I.L.F.I.T.-Urteil bestätigt, dass Art. 234 Abs. 3 EG eine Ausnahme von der Vorlagepflicht bei offenkundigen Rechtsakten zulässt, die Vorlagepflicht für letztinstanzliche Gerichte also nicht uneingeschränkt gilt. Dieses Urteil liegt nun allerdings über 20 Jahre zurück, in denen die EU und ihre Rechtsordnung eine rasante Entwicklung erfahren haben, die zu neuen Bedingungen auch im Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens geführt hat. Dies wirft die Frage auf, ob die vom EuGH vorgenommene weite Auslegung der Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG, die ohnehin Probleme in der praktischen Umsetzung mit sich bringt, durch die veränderten Gegebenheiten überholt ist und eine neue, engere Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG unter Erweiterung des Entscheidungsspielraums der nationalen Gerichte geboten erscheint. Der EuGH selbst betont, dass der Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts zur Zeit seiner Anwendung bei der Auslegung zu berücksichtigen ist,1 die Auslegung einer Vorschrift also durch eine Veränderung der Umstände zu einem anderen Ergebnis führen kann als zu einem früheren Zeitpunkt.

i EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3430 Rn. 20.

102

. Teil: Neubestimmung d

Vorlagecht

I. Auslegungmethode Der EG-Vertrag ist Teil einer dem nationalen Recht übergeordneten Rechtsordnung, so dass sich die Frage stellt, ob die für die Auslegung des nationalen Rechts entwickelten Kriterien auf diesen anwendbar sind. Entsprechend der Stellung des EG-Vertrags als besonderem völkerrechtlichen Vertrag, der durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf eine supranationale Organisation geprägt ist und damit zwischen nationalem Recht und Völkerrecht steht, sind sowohl nationale als auch völkerrechtliche Auslegungsregeln maßgeblich.2 Dabei ist die autonome Stellung des Gemeinschaftsrechts gegenüber diesen Rechtsgebieten,3 die sich auch auf die Methode seiner Auslegung auswirkt, zu berücksichtigen.4 Der EuGH, dem gem. Art. 220 EG die Auslegung des Gemeinschaftsrechts obliegt, hat im Laufe seiner Rechtsprechung Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufgestellt. Er folgt dabei grundsätzlich den aus den nationalen Rechtsordnungen vertrauten Methoden.5 Jedoch nimmt er eine eigenständige Gewichtung der verschiedenen Kriterien vor, die durch die Orientierung an objektiven Maßstäben geprägt ist. 6 Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut der auszulegenden Norm. 7 Hier handelt es sich grundsätzlich darum, den „möglichen Wortsinn" zu erforschen. 8 Schon im nationalen Recht besteht das Problem, dass Wörter regelmäßig mehrdeutig sind,9 da der maßgebliche Sprachgebrauch uneinheitlich ist. 10 Bei der Auslegung des EG-Vertrags besteht zusätzlich die Besonderheit, dass bei der Betrach2

Bernhardt, in: FS Kutscher, S. 17, 18; Oppermann, Europarecht, § 8 Rn. 18. 3 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1270 - Costa/E.N.E.L.; BVerfGE 75, S. 223, 244; Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 8; Deckert, JA 1997, S. 75, 77; Kohler-Gehrig, JA 1998, S. 807, 809. 4 Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 17. 5 Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-6; Bernhardt, in: FS Kutscher, S. 17, 21; KohlerGehrig, JA 1998, S. 807, 808; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 540; Opppermann, Europarecht, § 8 Rn. 18; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 11; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, § 4 Rn. 5; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 52; Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 42; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 19. 6 Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-31; Bernhardt, in: FS Kutscher, S. 17, 21; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 79; Meyer, Jura 1994, S. 455; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 538; Oppermann, Europarecht, § 8 Rn. 18; Wegener, in: Calliess /Ruffert, EUV/ EGV, Art. 22 Rn. 7; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 52; Bieber/Epiney /Haag, EU, § 9 Rn. 16. 7 EuGH, Rs. C-128/94, NJW 1996, S. 113 -Hönig/Stadt Stockach; Zuleeg, EuR 1969, S. 97, 99; Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-18; Larenz, Methodenlehre, S. 320; Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Grundmann, Auslegung, S. 202; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 539; Buck, Auslegungsmethoden, S. 169; Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 360; Oppermann, Europarecht, § 8 Rn. 20; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 20. 8

Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 441 \Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 43. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 47. 10 Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 440.

9

A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG

103

tung des Wortlauts die verschiedenen, gleichermaßen verbindlichen sprachlichen Fassungen zugrunde zu legen sind, 11 was dazu führt, dass dem Wortlaut aufgrund unterschiedlicher Formulierungen in den einzelnen Sprachen oft keine eindeutige Aussage entnommen werden kann. 12 Bei der Auslegung von Normen, die in verschiedenen Ländern gelten, ist deshalb eine autonome Auslegung vorzunehmen. 13 Um die Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten und die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, ist auf die besondere gemeinschaftsrechtliche Terminologie abzustellen, die von der Bedeutung im nationalen Recht abweichen kann. 14 Die Wortlautauslegung ermöglicht nur in einem begrenzten Maße die Einbeziehung der vertraglichen Zielsetzungen. So hat der EuGH einige Bestimmungen des EG-Vertrags über ihren Wortlaut hinaus oder sogar gegen ihn ausgelegt,15 er ist also bereit, den Wortlaut hinter die Ziele zurückzustellen. 16 Demnach kommt dem Wortlaut bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts geringere Bedeutung zu, obwohl er grundsätzlich auch hier die Grenze der zulässigen Interpretation bildet. 17 Auch die historische Auslegung von Primärrecht durch Betrachtung der Entstehungsgeschichte bzw. des Willens der Vertragsparteien hat im Europarecht einen geringeren Stellenwert als bei der Auslegung nationalen Rechts.18 Ihr kommt im Rahmen der Auslegung durch den EuGH lediglich der Charakter einer Hilfsbegründung zu. 19 Dies ist zum einen auf den Umstand zurückzuführen, dass die

11 EuGH, Rs. 19/67, Slg. 1967, S. 461, 473 - Sociaale Verzekeringsbank; Rs. 29/69, Slg. 1969, S. 419, 425 - Stauder; Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3430 Rn. 18 - C.I.L.F.I.T. 12 Zuleeg, EuR 1969, S. 97, 100; Kutscher, EuR 1981, S. 392,401; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 78; Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Oppermann, Europarecht, § 8 Rn. 21; Wegener, in: Calliess / Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 11; Middeke, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 4 Rn. 5; Pernice/Mayer, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 42; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 20. 13

Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 362 a. 14 EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3430, Rn. 19; Grundmann, Auslegung, S. 208; Kohler-Gehrig, JA 1998, S. 807, 809; Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze, EUV/ EGV, Art. 220 Rn. 53; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 20. 15 So z. B. in der Rs. C-154/89, Slg. 1991, S. 659, 685 Rn. 9 - Kommission/Frankreich; Rs. C-369/89, Slg. 1991, S. 2971, 2984 Rn. 14 f.- Piageme/BVBA Peeters; siehe auch Buck, Auslegungsmethoden, S. 170; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 540; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 20. 16 Bleckmann, NJW 1982, S. 1177, 1181. 17 Roemer, Schlussanträge zu verb. Rs. 10 u. 18/68, Slg. 1969, S. 485, 497 - Eridania; Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-21; Grundmann, Auslegung, S. 236; a.A. Groh, Auslegungsbefugnis, S. 176 f. 18 Meyer, Jura 1994, S. 455; Buck, Auslegungsmethoden, S. 146; Kohler-Gehrig, JA 1998, S. 807, 809; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 55; Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 53; Bieber / Epiney / Haag, EU, § 9 Rn. 21. Zum Stellenwert der historischen Auslegung im nationalen Recht siehe Lorenz, Methodenlehre, S. 328 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 449 ff. 19 Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-23; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 79; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 12.

104

. Teil: Neubestimmung d

Vorlagecht

Verhandlungen der Regierungen vor dem Abschluss der römischen Gemeinschaftsverträge nicht öffentlich zugänglich sind, also auch nicht zu Auslegungszwecken herangezogen werden können.20 Die Vorarbeiten zu den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza sind zwar weitgehend bekannt, auf sie wurde bisher jedoch ebenfalls nicht zurückgegriffen. 21 Denn daneben ergeben sich Schwierigkeiten aus dem Umstand, dass unter den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verhandlungen, die der Rechtssetzung vorausgehen, nicht immer eine einheitliche Meinung herrscht, so dass eine Auswahl zwischen den verschiedenen Motiven getroffen werden müsste.22 Einen weiteren gewichtigen Grund bildet der Charakter des EG-Vertrages als „Verfassung Europas' 4 . 23 Er begründet nicht nur Rechte und Pflichten für die vertragschließenden Parteien, so dass nicht allein deren Wille für die Auslegung maßgeblich sein soll. 24 Das Gemeinschaftsrecht als eine noch im Aufbau befindliche Rechtsordnung ist stärker als die nationalen Verfassungen geprägt durch einen Prozess dynamischer Entwicklung, dem ein starres Festhalten an dem Willen der Parteien bei Vertragsschluss nicht gerecht werden kann. 25 Dementsprechend ist die Auslegung des Gemeinschaftsrechts geprägt durch einen Vorrang der systematisch-teleologischen Auslegung, die am besten dem dynamischen Charakter des EG-Vertrags als Rahmen eines vorwärtstreibenden Integrationsprozesses entspricht. 26 Insbesondere der Orientierung an den Zielen des Vertrages im Rahmen der teleologischen Auslegung kommt eine herausragende Bedeutung zu. 27 In die systematische Auslegung ist nicht nur das nähere und weitere

20 Zuleeg, EuR 1969, S. 97, 101; Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-22; Bleckmann, NJW 1982, S. 1177, 1178; Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Grundmann, Auslegung, S. 241; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 12; Pernice/Mayer, in: Grabitz/ Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 53. 21 Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 21. 22 Zuleeg, EuR 1969, S. 97, 101; Buck, Auslegungsmethode, S. 145; Middeke, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 4 Rn. 5; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 21. 23 BVerfGE 22, S. 293,296; Lenz, in: ders., EUV/EGV, Art. 1 Rn. 3. 24 Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 538; Lenz, in: ders., EUV/EGV, Art. 1 Rn. 3. 25 Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Dauses, Vörabentscheidungsverfahren, S. 79; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 548; Grundmann, Auslegung, S. 292; Buck, Auslegungsmethoden, S. 145; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 55. 26 Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-31; ders., EuR 1981, S. 392, 400; Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Dauses, Vörabentscheidungsverfahren, S. 79; Kohler-Gehrig, JA 1998, S. 807, 809; Oppermann, Europarecht, § 8 Rn. 23; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 10; Middeke, in: Rengeling / Middeke / Gellermann, Rechtsschutz, § 4 Rn. 5; Pernice/Mayer, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 42; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 24. 27 Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 548; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 14; Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 54; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 23.

A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG

105

normative Umfeld der auszulegenden Vorschrift, sondern auch das innere System der Gemeinschaftsregelungen einzubeziehen,28 aufgrund dessen ist eine klare Trennung zwischen Systematik und Sinn und Zweck nicht immer möglich, die Ziele des Vertrages sind als wichtigster Auslegungsmaßstab innerhalb beider Kriterien zu berücksichtigen. Dementsprechend fließen systematische und teleologische Erwägungen in der Rechtsprechung des EuGH häufig ineinander. 29 Im Ergebnis bleibt also festzuhalten, dass der Auslegung die Kriterien Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck zugrunde zu legen sind, 30 wobei der Berücksichtigung der Ziele und allgemeinen Prinzipien des Vertrages besonderes Gewicht zufällt.

IL Wortlaut Der Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG sieht ausdrücklich keine Ausnahme von der Vorlagepflicht vor. Vielmehr kann aus seiner unbedingten Formulierung auf das Bestehen einer uneingeschränkten Vörlagepflicht geschlossen werden. 31 Jedoch beinhaltet er das Wort „Frage". Diese Formulierung lässt die Deutung zu, dass die Vorlageverpflichtung auf die Fälle beschränkt sein soll, in denen tatsächlich eine Frage, also Zweifel über den Sinn und die Tragweite einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift besteht.32 Andererseits kann das Wort „Frage" auch im Sinne von Punkt oder Thema verstanden werden, so dass von einer uneingeschränkten Vorlagepflicht ausgegangen werden müsste.33 Diese Sichtweise wird gestützt durch die Heranziehung des englischen, französischen und italienischen Vertragstextes. In Art. 234 Abs. 2 EG wird auf den Begriff „Frage" im zweiten Teil Bezug genommen durch die Wendung „darüber". Im englischen, französischen und italienischen Text werden statt der Begriffe „Frage" und „darüber" die Worte „question" bzw. „questione" und „point" bzw. „punto" synonym gebraucht, was anders als im deutschen Text nicht die Not28

Grundmann, Auslegung, S. 295; Buck, Auslegungsmethoden, S. 177; Bieber/Epiney/ Haag, EU, § 9 Rn. 22. 29 Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-43; Grundmann, Auslegung, S. 297; Buck, Auslegungsmethoden, S. 201. 30 EuGH NJW 1996, S. 113 - Hönig/Stadt Stockach. 31 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3435 Rn. 3 - C.I.L.F.I.T.; Masclet, RevMC 1983, S. 363, 364; Lieber, Vorlagepflicht, S. 105; Wohlfahrt, in: Grabitz/ Hilf, EU (Altband), Art. 177 Rn. 52. 32 Conseil d'Etat, AWD/RIW 1964, S. 261; Dagtoglou, EuR 1975, S. 247, 256; Masclet, RevMC 1983, S. 363, 365; Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313, 319; Pescatore, BayVBl. 1987, S. 33, 39; Knof, Die Praxis der Vorabentscheidungsverfahren, S. 144; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 113; Middecke, in: Rengeling/Middecke/Gellermann, Rechtsschutz, § 10 Rn. 60; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 194. 33 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3434 Rn. 3; Tomuschat, Vorabentscheidung, S. 114; Lieber, Vorlagepflicht, S. 101.

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. Teil: Neubestimmung d

Vorlagecht

wendigkeit von Zweifeln nahe legt. 34 Dies gilt jedoch nur für die fakultative Vorlage gem. Abs. 2, die ohnehin in das Ermessen des vorlegenden Gerichts gestellt ist, so dass diese Beobachtung nicht ohne Weiteres auf die Vorlagepflicht des Abs. 3 übertragbar ist. Der EuGH hat sich bei der Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG auf systematische und teleologische Erwägungen gestützt, während er den Wortlaut nicht gesondert analysiert hat. Er bestätigt jedoch, dass die Vorlagepflicht nur bei Bestehen eines Zweifels eingreife. 35 Insofern ist also auch der EuGH der Auffassung, dass Art. 234 Abs. 3 EG nicht wörtlich verstanden werden darf. 36 Damit hat er die geschilderte Kontroverse um die Bedeutung des Begriffs „Frage" in Art. 234 Abs. 2 und 3 EG zugunsten des Erfordernisses eines Zweifels geklärt. Allerdings hat der EuGH die Anforderungen an das Vorliegen eines solchen Zweifels sehr niedrig gesteckt, so dass bei Zugrundelegung dieser Interpretation in fast jedem Fall eine „Frage" zu bejahen und eine Ausnahme von der Vorlagepflicht abzulehnen ist. Möglicherweise kann das mit dem Begriff „Frage" verbundene Erfordernis eines Auslegungszweifels aus europäischer Sicht auch enger verstanden werden. Bei der Festlegung des maßgeblichen Wortsinns ist auf die Besonderheiten der europäischen Rechtsordnung Rücksicht zu nehmen und äuf den spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Sinn eines Begriffes abzustellen.37 Der EuGH hat selbst betont, dass im Rahmen der Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG die gemeinschaftsrechtliche Bedeutung der Wendung „wird eine derartige Frage.. .gestellt" zu bestimmen ist. 38 Dies erklärt, warum er dem Wortlaut nur untergeordnete Bedeutung beimisst. Denn nach seiner Auffassung ist die Tragweite der Vörlageverpflichtung anhand der Ziele des Art. 234 EG, insbesondere der Wahrung der Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung, zu beurteilen. 39 Insofern bildet die grammatische Auslegung lediglich den Ausgangspunkt für die anderen Methoden.40 Davon ausgehend könnte man auch hier erwägen, den Begriff „Frage" in einem engeren Sinne unter Einbeziehung der Ziele und Strukturprinzipien des EGV auszulegen, eine Sichtweise, die im Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG, der nach Ansicht des EuGH mit dem Begriff „Frage" bereits die Notwendigkeit eines Zweifels und damit einer Einschränkung der Vörlagepflicht impliziert, einen Anhaltspunkt 34 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3434 Rn. 3. 35 EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3430 Rn. 16. 36 Arnull, MLRev. 1989, S. 622, 623. 37 EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1981, S. 3415, 3430 Rn. 19; Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 11; Pernice/Mayer, in: Grabitz/ Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 42. 38 EuGH, RS. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3428 Rn. 8. 39 Ebenda Rn. 7. 40 Meyer, Jura 1994, S. 455, 456.

A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG

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findet. Die enge Interpretation durch den EuGH ist aufgrund der dynamisch orientierten Auslegung des Gemeinschaftsrechts nicht statisch festgeschrieben, sondern sie kann infolge der Entwicklung der EG und ihrer Institutionen eine neue Bedeutung erlangen. Insofern soll der Inhalt des Begriffs „Frage" in Art. 234 Abs. 3 EG im Lichte der Ziele der EG erneut analysiert werden, da aufgrund der durch den EuGH geforderten zielorientierten Auslegung der Wortlaut allein keine ausreichende Auskunft über die Tragweite der Vorlagepflicht geben kann. Dafür ist auf die systematische sowie die teleologische Auslegung zurückzugreifen.

III. Systematik Bei der systematischen Auslegung ist die nähere und weitere Umgebung der Norm in den Blick zu nehmen.41 Neben dem unmittelbaren Kontext ist insbesondere auf grundlegende gesetzliche Wertungen einzugehen, an denen sich die Interpretation anderer Normen wegen ihrer umfassenden Bedeutung zu orientieren hat, 42 da diese Form der Auslegung die Wahrung der „Einheit des Rechts" bezweckt. 43

1. Art. 234 Abs. 2 EG Im Hinblick auf den engeren Kontext der Norm kann zunächst ein Vergleich mit Art. 234 Abs. 2 EG angestellt werden. Während in Abs. 2 durch die Formulierung „kann" den Gerichten freigestellt wird, ob sie den EuGH anrufen, statuiert Abs. 3 eine Vorlagepflicht. Eröffnete nun auch Abs. 3 den Gerichten einen Entscheidungsspielraum bezüglich der Vorlage, würden die Unterschiede zwischen Abs. 2 und Abs. 3 verwischt, 44 was für eine strikte Interpretation der Vörlagepflicht in Abs. 3 spricht. Andererseits beinhaltet Abs. 2 die Formulierung „und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber für erforderlich." Dies wird als Hinweis auf einen dem vorlegenden Gericht eröffneten Beurteilungsspielraum gedeutet, der trotz Fehlens einer entsprechenden Wendung in Abs. 3 auch für diesen gelte, da Abs. 3 nur eine Qualifikation des Abs. 2 darstelle. 45 Dieser Ermessensspielraum beziehe sich nicht 41

Larenz, Methodenlehre, S. 324 f.; Grundmann, Auslegung, S. 296. Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 443. 43 Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 43. 44 Schoben NJW 1966, S. 2252, 2253; Masclet, RevMC 1983, S. 363, 364; Lieber, Vorlagepflicht, S. 106; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 8. 4 5 EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3430; Schefold, Zweifel, S. 62 f.; Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313, 318; Everling, Vörabentscheidungsverfahren, S. 47; Pescatore, BayVBl. 1987, S. 33, 39; Dauses, Vörabentscheidungsverfahren, S. 113; Schmitt, Richtervorlagen, S. 368; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 45. 42

108

. Teil: Neubestimmung d

Vorlagecht

nur auf die Frage, ob die Auslegung der europarechtlichen Norm für die Entscheidung des Rechtsstreits relevant sei, sondern auch auf die Beurteilung, ob ein Auslegungsproblem aufgetreten, eine Vorlage also im Sinne der acte-clair-Doktrin geboten sei. 46 Orientiert man sich an dem den unterinstanzlichen Gerichten in Abs. 2 eingeräumten Ermessen, kann man diese Deutung dahingehend fortentwickeln, dass den nationalen Gerichten in Abs. 2 auch ein Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Frage, inwieweit eine Vorlage für die Aufrechterhaltung der Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens notwendig erscheint, eingeräumt wird. Dieser müsste den in Abs. 3 angesprochenen höher gestellten letztinstanzlichen Gerichten dann erst recht zustehen. Bei dieser Deutung bliebe ein Unterschied zu Abs. 2 erhalten, da die letztinstanzlichen Gerichte nicht völlig frei in ihrer Vörlageentscheidung wären, sondern sich an den Zielen des Vörabentscheidungsverfahrens und der Gemeinschaft orientieren müssten. Lässt sich aus der Analyse der direkten Umgebung des Art. 234 Abs. 3 EG die Einräumung eines Beurteilungsspielraums für die letztinstanzlichen nationalen Gerichte hinsichtlich der Erforderlichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens für die Wahrung der Ziele des Vörabentscheidungsverfahrens auch nicht unmittelbar ableiten, ergeben sich zumindest Anhaltspunkte, die eine solche Sichtweise unterstützen. Daran anschließend ist nun auf die generellen Strukturvorgaben des EG-Vertrags einzugehen. 2. Art. 225 Abs. 3 EG Zunächst ist in die systematische Auslegung der durch den Vertrag von Nizza neugefasste Art. 225 Abs. 3 EG einzubeziehen, der bereits eine Änderung des Systems des Vörabentscheidungsverfahrens zum Gegenstand hat. Er sieht die Möglichkeit der Übertragung von Vörabentscheidungskompetenzen auf das EuG vor, das seinerseits in Grundsatzfragen den EuGH anrufen kann. Es fragt sich, ob sich die Mitgliedstaaten damit nicht schon für eine Filterung durch das EuG entschieden haben und diese Entscheidung die Erweiterung des Entscheidungsspielraums der nationalen Gerichte als anderen Weg der Reform ausschließt. Wird von der Ermächtigung des Art. 225 Abs. 3 EG Gebrauch gemacht, würde das EuG nach der darin angelegten Konzeption genau die Fälle selbst entscheiden, die nach dem hier vertretenen System nicht unter die Vörlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte fielen, so dass dem EuG dem Anschein nach keine Vorlagen letztinstanzlicher Gerichte zur eigenen Entscheidung verbleiben würden. Dies scheint eine parallele Einführung beider Reformalternativen auszuschließen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der letztinstanzlichen Gerichte, wie oben bereits erörtert, keine Beschränkung der Vorlagen sinnvoll er46 Lagrange, CMLRev. 1983, S. 313, 318.

A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG

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scheint. Dem EuG würden also die Vorabentscheidungsersuchen zur Entscheidung verbleiben, die die vorlagepflichtigen Gerichte trotz der Möglichkeit, diese selbst zu entscheiden, der europäischen Gerichtsbarkeit zuleiten. Im Hinblick auf die Vorlagen unterinstanzlicher Gerichte ist nach der hier noch zu entwickelnden Konzeption (s. unten 5. Teil) eine Beschränkung des Vörlagerechts anzustreben. Insofern erginge ein Appell an diese Gerichte, nur noch Fragen mit grundsätzlicher Bedeutung dem EuGH vorzulegen, während andere Fragen -diejenigen, die nach Art. 225 Abs. 3 EG in die Zuständigkeit des EuG fielen- zurückgewiesen würden. Jedoch verbleibt dem EuG in diesem System die Zuständigkeit für die Zurückweisung gleichwohl gestellter Fragen, denen keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auch dies erfordert eine sorgfältige Prüfung durch das EuG, die die Übertragungsmöglichkeit auf dieses nicht leer laufen lässt und ferner die von der Regelung des Art. 225 Abs. 3 EG bezweckte Entlastung des EuGH bewirkt. Zudem scheint die Entwicklung dahin zu gehen, die Sachgebiete, die unter die Zuständigkeit des EuG fallen sollen, eng begrenzt zu halten.47 Dementsprechend würde durch die verstärkte Einbeziehung der nationalen Gerichte in die Auslegung eine zusätzliche Entlastung des EuGH in den Gebieten, in denen keine Zuständigkeit des EuG vorgesehen ist, erreicht. Es zeigt sich also, dass die Neufassung des Art. 225 Abs. 3 EG die Einräumung eines erweiterten Entscheidungsspielraums für die nationalen Gerichte nicht ausschließt, sondern diese als eine Ergänzung des Systems nach Art. 225 Abs. 3 EG angesehen werden kann. 48 Sie verdeutlicht die Tendenz, die Rolle des EuGH auf die eines Verfassungsgerichts zu beschränken und ihn von Detail- und Spezialfragen sowie von Fragen mit geringerer Bedeutung für das Gemeinschaftsrecht zu entlasten,49 ein Bestreben, das auch von dem hier vertretenen Vorschlag aufgenommen wird. Ferner eröffnet der neugefasste Art. 225 Abs. 3 EG nur die Möglichkeit, die Kompetenz für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen in bestimmten Sachgebieten auf das EuG zu übertragen. Von dieser Möglichkeit wurde bisher noch kein Gebrauch gemacht. Art. 225 Abs. 3 EG beinhaltet also nur eine Reformoption und überlässt den im Rat zusammengefassten Mitgliedstaaten, die gem. Art. 245 EG eine Änderung der Satzung des EuGH beschließen müssen, die Entscheidung, ob und in welchem Umfang diese Option genutzt wird.

47 Siehe dazu oben 2. Teil E.I.l. 48 Zu diesem Ergebnis kommt auch Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 317. 49 Dashwood/ Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 60.

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4. Teil: Neubestimmung der Vorlagepflicht

3. Art. 220 Abs. 1 EG Steht Art. 225 Abs. 3 EG der Lockerung der Vorlagepflicht nicht entgegen, stellt sich die Frage, ob die grundsätzliche Konzeption des EG-Vertrags zwingend die alleinige Zuständigkeit der europäischen Gerichtsbarkeit für die Auslegung des EG-Vertrages im Verhältnis zu den nationalen letztinstanzlichen Gerichten vorsieht. Gem. Art. 220 EG sind EuGH und EuG für die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts verantwortlich. Aus Art. 234 Abs. 1 lit. a) EG ergibt sich, dass der EuGH im Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens für die Auslegung zuständig ist. Aus diesem Unterschied in der Formulierung wird die bisherige strenge Trennung zwischen Auslegung und Anwendung bei EuGH und letztinstanzlichen nationalen Gerichten abgeleitet.50 Sie muss aber in diesem Zusammenhang eher im Hinblick auf einen Ausschluss des EuGH von der Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf den konkreten Fall verstanden werden 51 und nicht zwingend eine Zuständigkeitsbeschränkung für die nationalen Gerichte begründen. Denn grundsätzlich sind auch die nationalen Gerichte befugt, Europarecht selbständig auszulegen, wie sich aus der Formulierung des Art. 234 Abs. 2 EG ergibt, die ihnen freistellt, die Auslegung von Gemeinschaftsrecht selbst vorzunehmen oder den EuGH anzurufen. Die Einräumung von Auslegungskompetenzen für die letztinstanzlichen nationalen Gerichte ist also durch die Konzeption des EG-Vertrages nicht ausgeschlossen, vielmehr ist sie durch die den unterinstanzlichen Gerichten in Art. 234 Abs. 2 EG übertragene Auslegungsbefugnis bereits in der Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens angelegt. Der Grund für den bisherigen Ausschluss der letztinstanzlichen Gerichte von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts lag in der Erwägung, dass das Erfordernis der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung eine Monopolisierung der letztverbindlichen Auslegungskompetenz beim EuGH gebiete.

4. Art. 5 Abs. 2 EG In diesem Zusammenhang ist jedoch auf das bereits oben erörterte in Art. 5 Abs. 2 EG verankerte Subsidiaritätsprinzip zurückzukommen. Der Umfang der Vorlagepflicht bildet ein Steuerungselement zur Verteilung von Zuständigkeiten zwischen EG und Mitgliedstaaten. Insofern weisen die acte-clair-Doktrin und das Subsidiaritätsprinzip eine gewisse Parallele auf: Beide Institute haben die Abgrenzung von Kompetenzen zwischen der EG und den Mitgliedstaaten zum Gegen50 EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3428 Rn. 5 - C.LL.F.I.T.; Grob EuZW 2002, S. 460,461; Dauses, in: ders., Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. II, P II Rn. 101. 51 Dauses, in: ders., Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Bd. II, P I I Rn. 102 f.

A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG

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stand. Dem Subsidiaritätsprinzip entspricht eine Zuweisung der Zuständigkeiten an die nationale Ebene in Bereichen, in denen eine Befassung der europäischen Ebene im Hinblick auf die Wahrung und Fortentwicklung der Ziele der EG nicht erforderlich erscheint. Es ist also eine möglichst umfassende Kompetenzzuweisung an die mitgliedstaatlichen Gerichte anzustreben. Demnach spricht die Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips für eine weite Fassung der Ausnahmen von der Vörlagepflicht, die ihre Grenze allein in der Garantie der Verwirklichung der Ziele der EG findet. Möglicherweise sind die Auswirkungen einer Übertragung von Auslegungskompetenzen auf die letztinstanzlichen Gerichte im Hinblick auf die Ziele des Vörabentscheidungsverfahrens heute anders zu bewerten als zu Zeiten des C.I.L.F.I.T.Urteils. So könnte die Überlegung, eine zentrale letztverbindliche Auslegungskompetenz beim EuGH sei im Interesse der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung geboten, angesichts der gegenwärtigen Gestalt der EU überholt sein, was auch hinsichtlich der Voraussetzungen für das Eingreifen des Subsidiaritätsprinzips neue Umstände zur Folge hätte und ein Verbleiben der alleinigen Auslegungszuständigkeit beim EuGH im Verhältnis zu den letztinstanzlichen Gerichten nicht mehr rechtfertigen würde. Zwar greift das Subsidiaritätsprinzip hier nicht unmittelbar ein, da aufgrund des besonderen Kooperationsverhältnisses zwischen nationaler und europäischer Ebene im Vörabentscheidungsverfahren keine für den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips typische Struktur der Über- / Unterordnung zwischen europäischer und nationaler Ebene gegeben ist. 52 Allerdings wurde es bereits bei der Ausgestaltung der Konzeption des Vorabentscheidungsverfahrens zugrunde gelegt, die Wertungen dieses Prinzips sind also auch bei der Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG zu berücksichtigen. Demnach erscheint eine Modifikation der Ausgestaltung des Kooperationsverhältnisses zwischen nationaler und europäischer Ebene im Fall einer Veränderung der Voraussetzungen, insbesondere im Hinblick auf die Sicherstellung der Zielerreichung, mit dieser vereinbar, wenn nicht sogar geboten. Die Grenze der Anwendbarkeit des Subsidiaritätsprinzips bildet jedoch stets die Sicherstellung der gemeinschaftlichen Ziele.

IV. Sinn und Zweck Es zeigt sich, dass die bisher diskutierten europarechtlichen Auslegungsmethoden eng mit den Zielen der EG verflochten sind, so dass von der teleologischen Auslegung letztlich die Bedeutung der Vorschrift abhängt, dieser also eine herausragende Bedeutung zukommt. 53

52

Siehe dazu oben 3. Teil A.I.

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. Teil: Neubestimmung d

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So hat auch der EuGH bereits in seinem C.I.L.F.I.T.-Urteil betont, dass die Tragweite der Vorlageverpflichtung anhand der Ziele der Gemeinschaft, insbesondere der Wahrung der Einheit des Gemeinschaftsrechts, zu beurteilen sei. 54 Der besondere Charakter der Gemeinschaft und ihrer Rechtsordnung fordert eine evolutive Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die auf eine vorausschauende Sichtweise ausgerichtet ist. 55 Diese dynamische Auslegung wird durch die Anpassungsfunktion des Vertragsrechts an die neu auftretenden Werte, Bedürfnisse und Situationen begründet und gebietet die Berücksichtigung einer Wandlung der gemeinschaftlichen Verhältnisse im Rahmen der Auslegung.56 Dementsprechend bildet die Zugrundelegung des „gegenwärtigen Stands der Integration" einen Schlüsselbegriff in der Rechtsprechung des EuGH 57 sowie auch des Bundesverfassungsgerichts, 58 der die Wandlungsfähigkeit der Auslegungsergebnisse im Laufe der Zeit verdeutlicht. Die dynamisch-evolutive Auslegung des Gemeinschaftsrechts findet ihren Ausdruck auch in dem vom EuGH entwickelten Grundsatz des effet utile, der die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sichern soll. 59 Er besagt, dass Vertragsbestimmungen dahingehend auszulegen sind, dass ihr praktischer Nutzen am Größten ist und ihre Wirkung sich am Stärksten entfaltet, sie also die Verwirklichung der Vertragsziele am Besten fördern. 60 Im Zusammenhang mit dem effet utile steht der Grundsatz der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft. 61 Beispiele der Anwendung des Grundsatzes des effet utile sind z. B. die Urteile des EuGH zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts, 62 zur unmittelbaren Wirkung 53 Baur, JA 1992, S. 65, 67; Meyer, Jura 1994, S. 455, 456; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 78; Streinz, in: FS Everling, S. 1491, 1495; Grundmann, Auslegung, S. 364; Buck, Auslegungsmethoden, S. 202; Wegener, in: Calliess / Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 Rn. 14; Bieber/Epiney/Haag, EU, § 9 Rn. 24. 54 EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3416 Rn. 1. 55 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6515 Rn. 60 - Wiener; Kutscher, EuR 1981, S. 392, 400; Meyer, Jura 1994, S. 455, 457; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 79; Grundmann, Auslegung, S. 381; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 151. 56

Dumon, in: EuGH, Begegnung, S. III/93; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 556. 57 EuGH, Rs. 148/77, Slg. 1978, S. 1787, 1806 Rn. 16 - Hansen & Balle/Hauptzollamt Flensburg; Rs. C-204/90, EuZW 1992, S. 215, 217. 58 BVerfGE 37, S. 271 - Solange I. 59 EuGH, Rs. 9/70, Slg. 1970, S. 825, 874 - Grad/Finanzamt Traunstein; Rs. 71/74, Slg. 1975, S. 563, 584 Rn. 31- Nederlandse Vereniging voor de Fruit. 60 Zuleeg, EuR 1969, S. 97, 107; Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-44; Meyer, Jura 1994, S. 455, 457; Buck, Auslegungsmethoden, S. 209; Pernice/Mayer, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 49. 61 Entwickelt von Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 280 f.; siehe auch Zuleeg, EuR 1969, S. 97, 107; Kutscher, in: EuGH, Begegnung, S. 1-44; Meyer, Jura 1994, S. 455, 457; Grundmann, Auslegung, S. 375; Buck, Auslegungsmethoden, S. 208; Pernice/Mayer, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 49.

A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG

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von Richtlinien, 63 der unmittelbaren Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht 64 sowie zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch. 65 Dabei handelt es sich um bahnbrechende Urteile, die entscheidend zur Entwicklung des Gemeinschaftsrechts beigetragen haben. Sie entstammen einer Zeit, in der die Gemeinschaft noch im Aufbau befindlich war. In diesem Entwicklungsstadium war es erforderlich, die Kompetenzen der EG zu erweitern und die Souveränität der Mitgliedstaaten im Interesse der Sicherung der Ziele der Gemeinschaft einzuschränken, was dem EuGH durch die Berufung auf die dynamische Auslegung sowie auf den effet utile gelang.66 Heute erscheint diese Praxis angesichts der Weiterentwicklung der EU, die das Stadium der Konsolidierung und des Ausbaus ihrer Position hinter sich gelassen hat, nicht mehr zwangsläufig. Im Hinblick auf den erreichten Integrationsstand muss sie kritisch überdacht werden und sollte zugunsten einer neutralen, auf Abwägung der verschiedenen Belange basierenden Sichtweise ohne einseitig integrationsdynamisches Vorverständnis modifiziert werden. 67 Insofern hat sich die Funktion des EuGH, die er im Rahmen der Auslegung von Gemeinschaftsrecht ausübt, unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips gewandelt vom Integrationsmotor zum Wächter eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Gemeinschaftsorganen, Mitgliedstaaten und Unionsbürgern auf der Grundlage der Unionsverfassung. 68 Insofern stellt sich die Frage, ob die zielorientierte Auslegung, die der Erreichung und Sicherung der Ziele der Gemeinschaft dient, in bestimmten Fällen nicht auch umgekehrt zugunsten eines Kompetenzzuwachses der Mitgliedstaaten geboten sein könnte. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Strukturwandels der EG, weg von einer immer weiter fortschreitenden Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenzen mit der Konsequenz der Annäherung an einen zentralistisch geprägten Staat, hin zu einer durch die Betonung des Subsidiaritätsprinzips bestimmten Stärkung der Position der Mitgliedstaaten, und damit zu einer dezentralisierten Struktur, zu sehen. War in der jüngeren EG stets die einseitige Stärkung der Gemeinschaftsbefugnisse am Förderlichsten für ihre Entwicklung, kann heute angesichts ihres Umfangs und der Regelungsdichte des Gemeinschaftsrechts eine Stärkung der Position der Mitgliedstaaten, verbunden mit einer Reduzierung der Zuständigkeit der Gemeinschaft auf die Setzung der allgemeinen Leitlinien und Grundprinzipien effektiver sein und damit der Integration besser 62 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251, 1270 - Costa/ENEL. 63 EuGH, Rs. 9/70, Slg. 1970, S. 825, 874 Rn. 5 - Grad/Finanzamt Traunstein; Rs. 41/74, Slg. 1974, S. 1337, 1348 Rn. 12 - Van Duyn; Rs. 148/78, Slg. 1979, S. 1629, 1642 Rn. 20 ff. - Ratti. 64 EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, S. 629, 644 Rn. 21 /23 - Simmenthai II. 65 EuGH, verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90, Slg. 1991, S. 1-5357, 5414 - Francovich. 66 BVerfGE 89, S. 155, 210 - Maastricht; Meyer, Jura 1994, S. 455, 457. 6v Zuleeg, EuR 1969, S. 97, 106; Meyer, Jura 1994, S. 455, 457; Streinz, in: FS Everling, S. 1491, 1509. 68 Pernice/Mayer, in: Grabitz / Hilf, Das Recht der EU, Art. 220 Rn. 31. 8 Hummert

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dienen. Ob dies auch im Rahmen des Art. 234 Abs. 3 EG der Fall ist, muss mit Blick auf die Funktionen des Vorabentscheidungsverfahrens, der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung sowie dem Individualrechtsschutz, beantwortet werden. Der EuGH stellt fest, dass diese Ziele erreicht werden, wenn die obersten Gerichte und alle Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angegriffen werden können, mit den vom EuGH zugelassenen Einschränkungen, nämlich den im C.I.L.F.I.T.-Urteil genannten, der Vorlagepflicht unterliegen. 69 Diese Feststellung mag theoretisch zutreffen, sie sieht sich in der Praxis der heutigen Zeit jedoch der zunehmenden Überbelastung des EuGH mit Vorabentscheidungsersuchen, die nicht nur negative Auswirkungen auf den Individualrechtsschutz, sondern, wie in der Bestandsaufnahme bereits geschildert, auch auf die Einheit der Rechtsordnung hat, gegenüber. Demnach muss die Erreichung der Ziele der EG im Bereich der Vorlagepflicht heute möglicherweise anders bewertet werden als zur Zeit des C.I.L.F.I.T.-Urteils vor über 20 Jahren.

7. Einheit der Rechtsordnung Die rasante Entwicklung und Ausweitung, die die EG in dieser Zeit durchgemacht hat, ist im Rahmen der evolutiven Auslegung zu berücksichtigen. 70 Sie fordert eine Anpassung der Anforderungen an das Ziel der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung, die sich auch auf das Verständnis der Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG auswirkt. Als Hauptargument gegen eine Ausweitung des Spielraums nationaler letztinstanzlicher Gerichte bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht sowie der damit verbundenen Entscheidung über die Vorlage einer Auslegungsfrage an den EuGH wird vorgebracht, durch die Möglichkeit divergierender Auslegungsergebnisse in den jeweiligen Mitgliedstaaten würde eine Gefährdung der einheitlichen Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts bewirkt. 71 Solche Bedenken bestanden bereits hinsichtlich der sehr beschränkten Lockerung der Vörlagepflicht durch den EuGH im Rahmen seines C.I.L.F.I.T.-Urteils: Die Eröffnung eines Beurteilungsspielraums im Rahmen des Art. 234 Abs. 3 EG könne die nationalen Gerichte dazu verleiten, im Interesse der Ausweitung ihrer eigenen Kompetenzen von der Vorlage an den EuGH abzusehen und eine eigen69 EuGH, Rs. C-99/00, EuZW 2002, S. 476,477 - Lyckeskog. 70

Für eine Lockerung der Vorlagepflicht im Wege der evolutiven Auslegung des Art. 177 Abs. 3 EWGV (Art. 234 Abs. 3 EG) auch Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6515 Rn. 60 - Wiener. 71 Tizzano, Schlussanträge zu Rs. C-99/00, Slg. 2002, S. 1-4839 Rn. 69; Toth, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 379, 398; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 65; Waelbroeck, CDE 2000, S. 3, 6; Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtssystems, KOM (2000) 109 endg., S. 5; Sack, Reform, S. 27; Malferrari, Zurückweisung, S. 266; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 318; Timmermans, CMLRev. 2004, S. 393,402.

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ständige Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorzunehmen. 72 Die Vorlagepflicht hänge dann von der Entscheidungsfreudigkeit und dem Selbstvertrauen des nationalen Richters, also von höchst ungewissen Kriterien ab. 73 Die exzessive Anwendung der acte-clair-Doktrin würde zu einer Aushöhlung des Vörabentscheidungsverfahrens durch Umgehung der Vörlagepflicht führen 74 und so nicht nur die Einheit der europäischen Rechtsordnung,75 sondern vielmehr ihre effektive Funktionsfähigkeit sowie ihre Weiterentwicklung gefährden. 76 Dementsprechend wurde bereits die gegenwärtige eng begrenzte Zulassung der acte-clair-Doktrin kritisiert als eine gefährliche Einbruchstelle, die besser ganz aufgegeben werden solle, um einer unkontrollierbaren Ausweitung entgegenzuwirken. 77 Es wird die Ansicht vertreten, dass der EuGH, hätte er vor dem Hintergrund der wachsenden Missachtung der Vörlagepflicht den Entscheidungsspielraum der letztinstanzlichen Gerichte erweitert, die Kontrolle über die Vorlageentscheidungen völlig verloren und so die Einheit der europäischen Rechtsordnung aufs Spiel gesetzt hätte.78 Allerdings wird die Vorstellung, die Sicherung der Einheitlichkeit sei allein durch eine zentrale Kontrolle der Auslegung durch den EuGH möglich, der Funktion der nationalen Gerichte als in das europäische Gerichtssystem gleichberechtigt eingebundene Rechtsprechungsorgane nicht gerecht. Die nationalen Gerichte und ihre Entscheidungen sind gegenüber denen des EuGH und untereinander als gleichwertig anzusehen, auch wenn in Bezug auf Gerichtsverfahren, Gerichtsorganisation und Rechtskultur Unterschiede bestehen.79 Der dezentralen Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts durch die nationalen Gerichte wird ein großer Stellenwert zugeschrieben.80 Sie beschäftigen sich bereits seit Jahrzehnten mit 72 Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 456 f.; Lieber, Vorlagepflicht, S. 104; Arnull, MLRev. 1989, S. 622, 626; Steindorff, ZHR 1992, S. 1, 5; Everling, ZGR 1992, S. 376, 390; Zenner, Haftung, S. 218; Barnard/Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113, 1125; Bleckmann, in: ders., Europarecht, Rn. 927; Craig/de Bürca, EU Law, S. 451; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 44. 73 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3439 Rn. 7 - C.I.L.F.I.T.; Daig, EuR 1968, S. 259, 286; Bebr, Judicial Control, S. 516; Lieber, Vorlagepflicht, S. 107. 74 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3439 Rn. 7; Riegel, NJW 1975, S. 1049, 1055; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 459; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 114; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 540; Schmitt, Richtervorlagen, S. 368. 75 Capotorti, Schlussanträge zu Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3432, 3439 Rn. 7; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 459; Masclet, RevMC 1983, S. 363, 365; Lieber, Vorlagepflicht, S. 105; Arnull, MLRev. 1989, S. 622, 626. 76 Genevois, RTDE 1979, S. 157, 167; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 459. 77 Riegel, NJW 1975, S. 1049, 1055; Bebr, CMLRev. 1983, S. 439, 459. 78 Rasmussen, ELRev. 1984, S. 242, 251; Arnull, in: Craig/de Bürca, EU Law, S. 448. 79 Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1890; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2660. so Streinz, HStR VII, S. 851; Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 58. 7*

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gemeinschaftsrechtlichen Fragen, 81 die durch eine umfassende Judikatur des EuGH immer weiter konkretisiert und aufgeschlüsselt wurden, so dass das Argument, sie seien, abgesehen von einigen Fachgerichten, noch immer nicht hinreichend mit dem Gemeinschaftsrecht vertraut, um selbst über die Beantwortung bestimmter Vorlagefragen zu entscheiden,82 nicht überzeugt. 83 Zudem hat die Rechtsangleichung in den Mitgliedstaaten im Bereich des Privatrechts durch verschiedene Instrumente der Harmonisierung, zu denen Verordnungen, allgemeine Entscheidungen, Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten wie z. B. die EG W O sowie Empfehlungen und, als wichtigstes Mittel, Richtlinien gehören, 84 bereits einen erheblichen Umfang erreicht. 85 Diese Maßnahmen bewirken auch eine Angleichung im Rechtsverständnis der nationalen Gerichte, so dass sich ihre Sichtweisen und damit ihre Auffassung von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts annähern, wodurch mögliche Divergenzen in der Interpretation immer weiter nivelliert werden. Es zeigt sich also, dass Maßnahmen getroffen werden, um eine Zersplitterung des Gemeinschaftsrechts durch die Rechtsprechung der Gerichte aus den verschiedenen Mitgliedstaaten zu vermeiden und einen Austausch zwischen ihnen zu ermöglichen, der zu einer fortschreitenden Vereinheitlichung des Rechts führt. 86 Das Argument der Gefahr divergierender Auslegungsergebnisse rechtfertigt also eine Konzentration der Auslegungszuständigkeit allein auf europäischer Ebene unter Ausschluss der letztinstanzlichen Gerichte nicht. 87 Diese Feststellungen treffen jedenfalls für die Gerichte der 15 „alten" Mitgliedstaaten zu, Probleme könnten sich durch die mangelnde Vertrautheit der Gerichte der neuen Mitgliedstaaten mit dem Gemeinschaftsrecht ergeben.88 In diesem Zusammenhang ist jedoch zu betonen, dass für die nationalen Gerichte stets die Möglichkeit besteht, den EuGH anzurufen. 89 Auch wenn sich die Beschränkung der Vorlagepflicht auf das Vorlagerecht der unterinstanzlichen Gerichte erstreckt, 90 hätten diese weiterhin die Möglichkeit, den EuGH anzurufen und 81 Streinz/Leible, EWS 2001, S. 1, 10; Groh, EuZW 2002, S. 461, 462. 82 Timmermans, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 47, 48; Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 66. 83 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6515 Rn. 61 - Wiener; Colomer, Schlussanträge zu Rs. C-461 /03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 58 Gaston Schul; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 102. 84 Coester-Waltjen, Jura 1998, S. 320, 322. 85 Basedow, AcP 2000, S. 445, 454; Hahn, ZfRV 2003, S. 163. 86 Fasching, ZZP 1992, S. 457 ff.; Lipp, JZ 1997, S. 326, 330. 87 Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 59; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662. 88 Arnull, ELRev. 1999, S. 516, 521; Groh, EuZW 2002, S. 460, 464; Heß, RabelsZ 2002, S. 470,483. 89 Heß, ZZP 1995, S. 59, 87; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526. 90 Siehe dazu unten 5. Teil.

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ihm die Entscheidung über die Relevanz der Vorlagefrage zu überlassen. Die mangelnde Vertrautheit mit dem Gemeinschaftsrecht stellt also kein Argument für die Beibehaltung der weit gefassten Vorlagepflicht dar, da die Gerichte bei Problemen hinsichtlich der Auslegung des Gemeinschaftsrechts stets die Möglichkeit haben, den EuGH um Hilfe anzurufen. Möglicherweise spricht die mangelnde Sanktionierung bei fehlerhafter Ausübung des Vörlageermessens durch die nationalen Gerichte gegen eine Lockerung der Vörlagepflicht. 91 Dies könnte dazu führen, dass die letztinstanzlichen Gerichte noch seltener vorlegen oder nationale Interessen über die Ziele der europäischen Gemeinschaft stellen und bestimmte brisante Fragen oder solche, deren mutmaßliche Beantwortung der Auffassung des überprüfenden obersten Gerichts widersprechen, nicht mehr an den EuGH gelangen lassen würden. 92 Allerdings ist zu bedenken, dass bereits jetzt die nationalen Gerichte die alleinige Entscheidungsmacht über die Frage haben, welche Fälle dem EuGH vorgelegt werden. 93 Auch bisher bestand für sie die Möglichkeit, in den meisten Fällen eine Vorlage an den EuGH verweigern, ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Insofern würde sich also gegenüber dem gegenwärtigen System nichts ändern, es bestünde keine größere Gefährdung der Einheit der Rechtsordnung als bisher. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das System des Vorabentscheidungsverfahrens Sicherungsmechanismen bereitstellt, um einen Bruch der Vorlagepflicht aufzufangen. Es besteht nämlich stets die Möglichkeit, dass die unter Verstoß gegen die Vörlagepflicht nicht vorgelegte Frage durch die Vorlage eines anderen Gerichts, dem dieselbe Auslegungsfrage im Zuge der Bearbeitung eines seiner Fälle begegnet, vor den EuGH gelangt.94 Dass eine solche Frage erneut aufgeworfen wird, erscheint insbesondere bei Fragen, die wesentliche Systemelemente des Gemeinschaftsrechts betreffen, wahrscheinlich. Durch dieses Vorlagerecht besteht bereits eine Sicherung der Einheit der Rechtsordnung,95 die allerdings von dem Verantwortungsbewusstsein und der Kooperationsbereitschaft der nationalen Gerichte abhängig ist. Dass diese sich ihrer Aufgabe bewusst sind, haben mehrere Grundsatzurteile des EuGH wie z. B. in den Rs. Costa/ENEL 96 oder van Gend & Loos, 97 die auf die Vorlage eines unterinstanzlichen und damit nicht vorlagepflichtigen Gerichtes hin ergangen sind, bewiesen.

91 Waelbroeck, CDE 2000, S. 3, 6; Malferrari, Zurückweisung, S. 245. 92 Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 66; Malferrari, Zurückweisung, S. 258. 93 EuGH, Rs. C-495/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 37 - Intermodal Transports; Arnull, ELRev. 1983, S. 365; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 55. 94 Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 375; ter Kuile, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 381, 385; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526. 95 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526; Malferrari, Zurückweisung, S. 265. 96 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, S. 1251. 97 EUGH, RS. 26/62, Slg. 1963, S. 1.

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Die Einheit der Rechtsordnung wird folglich nicht allein durch die Vorlagepflicht, die ohnehin, wie oben bereits festgestellt, nicht effektiv durchgesetzt werden kann, sondern in erster Linie durch die Vorlagebereitschaft der nationalen Gerichte gesichert. Es zeigt sich also, dass die Funktion einer umfassenden Vorlagepflicht zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung bisher überschätzt wurde. Denn viele Fälle, in denen sich in den ersten Instanzen das Gemeinschaftsrecht betreffende Auslegungsfragen stellen, gelangen mangels Einlegung eines Rechtsmittels nicht bis zum letztinstanzlichen Gericht, so dass hier ebenfalls eine eigenständige Auslegung allein auf nationaler Ebene erfolgt. Prägend für das Vorabentscheidungsverfahren und auch für die Vorlagepflicht ist vielmehr sein Kooperationscharakter. 98 Aufgrunddessen ist für die Funktionsfähigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens entscheidender und damit für die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung elementarer Aspekt das sich in der Vorlagebereitschaft und der Orientierung am Wohl der Gemeinschaft widerspiegelnde Verantwortungsgefühl der nationalen Gerichte. Möglicherweise wird dieses Verantwortungsbewusstsein durch eine eingeschränkte Vorlagepflicht besser gefördert als durch das bisherige System. In der Übertragung von europäischen Rechtsprechungszuständigkeiten wird bereits das Vertrauen deutlich, das die Gemeinschaftsrechtsordnung in die nationalen Gerichte setzt.99 Die bisherige, teilweise zurückhaltende Vörlagepraxis der vorlagepflichtigen Spruchkörper könnte zu dem Schluss verleiten, diese hätten das in sie gesetzte Vertrauen enttäuscht und würden die Vorlagepflicht bei einer Lockerung derselben in Zukunft erst recht nicht einhalten. 100 Die Nichteinhaltung der Vorlagepflicht ist jedoch in erster Linie auf die durch ihre zu enge und komplexe Fassung bedingte Untauglichkeit der C.I.L.F.I.T.-Kriterien und die dadurch begründete lange Verfahrensdauer zurückzuführen. Sie verdeutlicht im Gegenteil bereits die Fähigkeit der nationalen Gerichte, selbständig darüber zu entscheiden, in welchen Fällen die Bedeutung der aufgetretenen Frage eine Entscheidung des EuGH erfordert. Insofern haben die nationalen Gerichte bereits selbst - quasi schleichend - einen Filtermechanismus eingeführt, nach dem sie über die Relevanz und damit über die Vorlagewürdigkeit einer europarechtlichen Auslegungsfrage entscheiden, um ihrer eigenen Verfahrenslast und der des EuGH Rechnung zu tragen. 101 Dies kann als Ausdruck des die Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens berücksichtigenden Verantwortungsbewusstseins der nationalen Gerichte gedeutet werden.

98 Rabe, in: FS Redeker, S. 201, 205; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 58; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1894. 99 Groh, EuZW 2002, S. 461,462. 100 So Timmermans, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 47, 49; Turner/Munoz, 1999/2000, S. 1,65. 101 Siehe dazu oben 2. Teil C.III.

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Eine Lockerung der Vorlagepflicht würde dieser Tendenz entgegenkommen und die Gerichte mit einheitlichen Leitlinien ausstatten, die eine an der Einheit des Gemeinschaftsrechts sowie der Effektivierung des Rechtsschutzes orientierte Entscheidung über die Vorlage Würdigkeit einer Frage ermöglichten. Die bestehende Neigung zur Nichtvorlage in bestimmten Fällen kann ohnehin mangels Sanktionsmöglichkeit nicht eingedämmt werden, so dass es sinnvoller erscheint, die gegenwärtigen Divergenzen bezüglich des Entscheidungsmaßstabs auszuräumen und die auf den ersten Blick negativ erscheinende Entwicklung zum Wohle des europäischen Rechtsschutzsystems zu nutzen. Dies hätte gegenüber der bisherigen Handhabung den Vorteil, dass durch den damit verbundenen Appell an das Gemeinschaftsbewusstsein der nationalen Gerichte das Kooperationsverhältnis zwischen EuGH und letztinstanzlichen nationalen Gerichten betont würde und diese den EuGH eher als gleichberechtigten Partner ansehen und akzeptieren würden als in einem System, das ihnen die Fähigkeit, das Gemeinschaftsrecht selbst auszulegen, abspricht und sie zu bloßen „Vörlageautomaten" degradiert. 102 Insofern erscheint es sinnvoller, eine eingeschränkte Vorlagepflicht zu etablieren, die von den letztinstanzlichen Gerichten der Mitgliedstaaten eingehalten wird, als eine umfassende Vörlagepflicht zu statuieren, die nicht befolgt wird. 1 0 3 Eine engere Vörlagepflicht wird der Struktur des bestehenden Rechtsschutzsystems, nach der die nationalen Gerichte bereits als Gemeinschaftsgerichte agieren und damit eine entscheidende Rolle im europäischen Gerichtssystem spielen, 104 gerecht. Diese verantwortungsvolle Position beinhaltet die Überzeugung des Gemeinschaftsgesetzgebers, dass die nationalen Gerichte in der Lage sind, im Einklang mit den Zielen der EG zu handeln und ihren Beitrag zum Gelingen der europäischen Integration zu leisten. Bestehen dennoch Bedenken, dass bei stärkerer Beteiligung der nationalen Gerichte an der Auslegung von Gemeinschaftsrecht nicht die gleiche umfassende Einheitlichkeit erreicht werden kann wie bei zentraler Entscheidung durch den EuGH, ist zu berücksichtigen, dass auch die Anforderungen an die Erreichung dieses Ziels durch den sich derzeit vollziehenden, bereits oben angesprochenen Strukturwandel der EU beeinflusst werden. Die EU ist inzwischen auf 25 Mitgliedstaaten angewachsen. In einer solch pluralistischen Gemeinschaft ist eine Überwachung der Einheit der Rechtsordnung durch den EuGH nicht in dem umfassenden Maße möglich wie in der EG von 1982, die nur aus 10 Mitgliedstaaten bestand.105 Die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung kann also nicht als absolutes Ziel gesehen wer-

102 Formulierung geprägt von Millarg, EuR 1983, S. 161, 168. Siehe auch Schumann, ZZP 1965, S. 77, 110; Tomuschat, EuGRZ 1979, S. 257, 260; Lieber, Vorlagepflicht, S. 104. 103 Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662. 104 Weiler, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 366, 373; Dauses, in: FS Everling, S. 223, 237; Johnston, CMLRev. 2001, S. 499, 523.

i° 5 In diesem Sinne auch Stix-Hackl, Schlussanträge zu Rs. C-495/03, abrufbar unter http: //eur-lex.europa.eu., Rn. 107 - Intermodal Transports.

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den, das allen anderen Belangen vorgeht. 106 Einschränkungen hinsichtlich der Anforderungen an das Ausmaß der Sicherstellung der Einheit der Rechtsordnung werden sich allein schon durch die schiere Zahl der zukünftigen Vorabentscheidungsersuchen in keinem Fall vermeiden lassen, auch wenn die Auslegungszuständigkeit anderen Organen als den nationalen Gerichten zukommt. Das Bestreben, die Einheitlichkeit der Rechtsordnung in dem gleichen umfangreichen Maße wie bisher zu sichern, hat eine Überlastung des EuGH zur Folge, die sich negativ auf die Verfahrensdauer und damit indirekt auf die Vorlagebereitschaft der nationalen Gerichte auswirkt. Alternativ kann eine zentrale Auslegungszuständigkeit der europäischen Gerichte nur durch eine Form der Filterung der Vorabentscheidungsersuchen auf europäischer Ebene aufrecht erhalten werden, was aufgrund der damit verbundenen hierarchischen Strukturen ebenfalls die Vorlagebereitschaft, die zentrale Voraussetzung für das Funktionieren des Vorabentscheidungssystems, und damit auch die angestrebte Einheit gefährden würde. In diesem Fall würde die Einheit des gesamten Gemeinschaftsrechts, auch seiner elementaren Strukturen und Prinzipien, riskiert, während bei Inkaufnahme von möglichen Divergenzen in Randbereichen die einheitliche Auslegung der grundlegenden Fragen des Gemeinschaftsrechts sogar besser gesichert erscheint. Allen Reformvorschlägen ist die Tendenz gemeinsam, die Tätigkeit des EuGH auf die Klärung grundsätzlicher Fragen zu beschränken, da erkannt wird, dass eine effektive Sicherung der grundlegenden Einheit der Rechtsordnung nur durch Abstriche in den weniger bedeutsamen Fragen erreicht werden kann. Dies lässt Rückschlüsse auf die Anforderungen an das Ziel der Wahrung der Einheit des Gemeinschaftsrechts zu. Wie oben bereits angesprochen, befindet sich die EU in einem Öffnungsprozess, der eine Rückbesinnung auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten beinhaltet. Ihm entspricht eine Beschränkung des Strebens nach einheitlichen Verhältnissen in den Mitgliedstaaten auf das erforderliche Minimum, also auf die Sicherstellung einheitlicher Grundprinzipien und Leitlinien. Demgegenüber erscheinen Unterschiede in Spezial- und Detailfragen in Anbetracht der fortgeschrittenen Entwicklung und Größe der EU als hinnehmbar, da so die Kohärenz des Gesamtsystems aufgrund der Effektivierung der zentralen Rolle des EuGH besser gewährleistet wird. Die Stärkung der Position der nationalen Gerichte im Vorabentscheidungsverfahren ist also mit dem Ziel der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung vereinbar, sie erscheint im Hinblick auf die Strukturprinzipien der EU und insbesondere den Kooperationscharakter des Vorabentscheidungsverfahrens sogar geboten, um die Vorlagebereitschaft der nationalen Gerichte aufrecht zu erhalten und zu fördern.

106 Groh, EuZW 2002, S. 460, 462; ähnlich Götz, JZ 1994, S. 265, 266; Isak, EuR 1998, Beiheft 1,S. 73, 76.

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2. Individualrechtsschutz Wird die Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte gelockert, führt dies dazu, dass bestimmte Fragen nicht mehr vor den EuGH gelangen, sondern von den nationalen Gerichten selbst entschieden werden, was eine Einschränkung des Zugangs zum EuGH zur Folge hat. 107 Dies könnte nachteilige Folgen für die Individualrechtsschutzfunktion des Vörabentscheidungsverfahrens nach sich ziehen. 108 So wird die Auffassung vertreten, die Auslegungen des EuGH gewährten gegenüber denen der nationalen Gerichte eine erhöhte Richtigkeitsgewähr, die ebenfalls einen Bestandteil des Individualrechtsschutzes darstelle. 109 Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass es im Bereich der Auslegung in erster Linie Aufgabe der nationalen Gerichte in ihrer Eigenschaft als funktionelle Gemeinschaftsgerichte ist, dem Einzelnen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. 110 Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Entscheidung über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht durch ein nationales Gericht weniger Rechtsschutz bietet als eine Vörabentscheidung des EuGH. Hier ist erneut das Prinzip der Gleichordnung der nationalen und europäischen Gerichte hervorzuheben. Den Parteien wird bei der Übertragung von Auslegungskompetenzen auf die letztinstanzlichen Gerichte keine Rechtsschutzebene genommen, da lediglich die Entscheidung des EuGH durch die eines nationalen Gerichts ersetzt wird. Im bisherigen System hat das letztinstanzliche nationale Gericht keine Möglichkeit, seine eigene Meinung über die Auslegung von Gemeinschaftsrecht einzubringen, es entscheidet allein der EuGH. Also befasst sich auch jetzt nur ein Gericht mit der konkreten Auslegungsfrage. Hinzu kommt, dass die Entscheidung, den EuGH mit einer im Verfahren auftretenden Frage zu befassen, auch bisher schon allein im Ermessen des Gerichts liegt. 111 Die unterinstanzlichen Gerichte haben bereits jetzt die Möglichkeit, Gemeinschaftsrecht selbständig auszulegen; die Befassung des EuGH im Wege des Vörabentscheidungsverfahrens hängt von dem Willen des unterinstanzlichen Gerichts und dem Durchhaltevermögen der Parteien, den Fall bis in die letzte Instanz zu treiben und so eine Vorlage an den EuGH zu erreichen, ab. Letztlich steht die Entscheidung nach den obigen Feststellungen auch bei den letztinstanzlichen Ge107 Heß, RabelsZ 2002, S. 471, 472. los Timmermans, CMLRev. 2004, S. 393, 402. 109 Groh, EuZW 2002, S. 460, 462. ho EuGH, Rs. 33/76, Slg. 1976, S. 1989, 1998 Rn. 5 - Rewe-Zentralfinanz; Rs. C-312/93, Slg. 1995, S. 1-4599, 4620 Rn. 12 - Peterbroeck; Rs. C-38/98, Slg. 2000, S. 1-2973, 3021 Rn. 32 - Renault; Jacobs, Schlussanträge zu verb. Rs. C-430 u. 431/93, Slg. 1995, S. 1-4707,4713 Rn. 19 - van Schijndel und van Veen; Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 58; Krieger, JuS 2004, S. 855, 856. in Stix-Hackl, Schlussanträge zu Rs. C-495/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 101 - Intermodal Transports; Gündisch, Rechtsschutz, S. 91; Allkemper, Rechtsschutz, S. 155.

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richten in deren Ermessen. Es besteht also im bisherigen System eine ähnliche, wenn nicht sogar größere Unsicherheit, ob eine Auslegungsfrage dem EuGH vorgelegt wird; die Auswirkungen einer gelockerten Vorlagepflicht auf den Individualrechtsschutz würden insofern keine Verschlechterung zur Folge haben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Art. 234 Abs. 3 EG nur indirekt dem Individualrechtsschutz dient und diese Funktion hinter dem Ziel der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung zurücktritt. 112 Denn bei dem Vörabentscheidungsverfahren handelt es sich um kein klassisches Revisionsverfahren, den Parteien stehen keine Initiativrechte bezüglich der Vorlage an den EuGH zu. 1 1 3 Die indirekte Rechtsschutzfunktion betrifft insbesondere die Überprüfung der Gültigkeit von Sekundärrechtsakten, 114 die durch die hier vorgeschlagene Lockerung der Vörlagepflicht in Auslegungsfragen nicht berührt wird. Zeigt sich also bereits, dass der Rechtsschutzcharakter des Vörabentscheidungsverfahrens durch eine stärkere Übertragung von Auslegungszuständigkeiten auf die nationalen Gerichte nicht beeinträchtigt wird, bewirkt sie vielmehr durch die damit verbundene Verkürzung der Verfahrensdauer einen im Verhältnis zu der heutigen Situation erheblichen Zuwachs an Rechtsschutzqualität. Insofern ist das Recht auf effektiven Rechtsschutz betroffen, das das Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer umfasst. 115 Denn durch die Verzögerung der Dauer des nationalen Ausgangsverfahrens wird die Durchsetzung der Rechte des Einzelnen beeinträchtigt. 1 1 6 Dem Rechtsschutz dient eine schnelle Entscheidung auf nationaler Ebene mehr als ein langwieriges Verfahren auf europäischer Ebene, 117 das angesichts der oben angestellten Überlegungen zur Einheit der Rechtsordnung meist nicht anders ausfallen dürfte. Zudem würde durch die Entlastung des EuGH die dortige Verfahrensdauer gesenkt, so dass auch der Rechtsschutzcharakter des Vorabentscheidungsverfahrens effektiviert wird. 112 EuGH, Bericht des Gerichtshofs über bestimmte Aspekte der Anwendung des Vertrages über die europäische Union, Nr. 15/95, Erwägung Nr. 11; Basedow; in: FS Brandner, S. 651, 678; Groh, EuZW 2004, S. 260, 264.

113 E U G H , RS. 2 8 3 / 8 1 , Slg. 1982, S. 3415, 3428 Rn. 9; Schiller,

N J W 1983, S. 2 7 3 6 ;

Clausnitzer, NJW 1989, S. 641, 642; Allkemper, EWS 1994, S. 253, 254; Groh, EuZW 2002, S. 460, 462; Hofmann, Rechtsschutz und Haftung, S. 288; Krieger, JuS 2004, S. 855, 856. 114 von Danwitz, NJW 1993, S. 1108, 1111; Bebr, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 303, 308; Allkemper, Rechtsschutz, S. 165; Dauses, Vörabentscheidungs verfahren, S. 49; Tonne, Effektiver Rechtsschutz, S. 268; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 49; Schwarze, in: ders., EU-Komm., Art. 234 Rn. 4; Dashwood/Johnston, in: dies., The Future of the Judicial System, S. 55, 65; Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 13. Iis EuGH, Rs. C-185/95 P, Slg. 1998, S. 1-8417, 8496 Rn. 21 - Baustahlgewerbe. 116 Schwarze, NJW 1992, S. 1065, 1072; von Danwitz, NJW 1993, S. 1108, 1113; Conans, EuZW 1994, 417; Heß, ZZP 1995, S. 59, 84; Hirsch, ZRP 2000, S. 57, 58. 117 Groh, Auslegungsbefugnis, S. 114.

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Nach Ansicht der Kommission 118 , des Generalanwalts Tizzano 119 sowie einiger Stimmen in der Literatur 120 sind die positiven Auswirkungen einer Lockerung der Vorlagepflicht auf die Effektivität des Rechtsschutzes durch Entlastung des EuGH als gering einzustufen, da nur ein Viertel der Vorabentscheidungsersuchen von letztinstanzlichen Gerichten gestellt werde. Diese Kritik berücksichtigt jedoch nicht hinreichend die möglichen Konsequenzen einer eingeschränkten Vörlagepflicht für das die Belastung des EuGH wesentlich mitbestimmende Vorlagerecht unterinstanzlicher Gerichte, auf die in einem gesonderten Teil noch genauer einzugehen sein wird. 1 2 1 Insgesamt sind die Auswirkungen einer Einschränkung der Vörlagepflicht auf die Individualrechtsschutzfunktion des Vorabentscheidungsverfahrens also als positiv zu bewerten.

3. Schlussfolgerung Die teleologische Auslegung verdeutlicht in besonderem Maße die herausragende Rolle, die den nationalen Vorlagegerichten bei der Verwirklichung der Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens zukommt. Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind für die Übertragung von mehr Verantwortung in Bezug auf die Auslegung von Gemeinschaftsrecht aufgrund ihrer Funktion als Gemeinschaftsgerichte prädestiniert, eine Stärkung ihrer Position würde sich positiv auf die Kooperationsbereitschaft und damit auch auf die Funktionsfähigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens auswirken, was wiederum die Ziele der Wahrung der Einheit des Gemeinschaftsrechts sowie des Individualrechtsschutzes fördern würde. 122 Gleichzeitig ist die Gefährdung der Funktionen des Vorabentscheidungsverfahrens aufgrund des unverändert bestehenden Vorlagerechts der letztinstanzlichen Gerichte als gering einzustufen, da dieses Vorlagerecht durch eine Stärkung der Kooperationsbereitschaft der nationalen Gerichte an Bedeutung gewinnt. Im Hinblick auf die Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens im Kontext einer erweiterten, stärker als bisher durch das Subsidiaritätsprinzip geprägten Union, in der die Einheit der Rechtsordnung lediglich im Wesentlichen und nicht in jeder 118

Kommission, Ergänzender Beitrag zur Reform des Gerichtssystems, KOM (2000) 109 endg., S. 5. 119 Schlussanträge zu Rs. C-99/00, Slg. 2002, S. 1-4839 Rn. 68 - Lyckeskog. 12° Sack, Reform, S. 27; Malferrari, Zurückweisung, S. 266; Timmermans, CMLRev. 2004, S. 393, 401. 121 Siehe unten 5. Teil. 122 Zu dem Schluss, dass eine gelockerte Vorlagepflicht zumindest keine neue Gefahr für die Einheit des Gemeinschaftsrechts darstellt, kommt auch die Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526.

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Spezialfrage sichergestellt werden kann, erscheint es mit den Zielen des Art. 234 Abs. 3 EG vereinbar und im Hinblick auf die aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes notwendige Entlastung des EuGH geboten, die Vorlagepflicht nur noch auf Fragen zu erstrecken, durch deren Nichtvorlage die Ziele der EG ernsthaft gefährdet würden. Insofern wird das Spannungsverhältnis zwischen den Zielen der Einheit der Rechtsordnung und dem Individualrechtsschutz zugunsten eines Kompromisses aufgelöst, der die Grundzüge und damit die wesentlichen Pfeiler der Rechtsordnung unberührt lässt und lediglich in Detailfragen die Möglichkeit unterschiedlicher Entscheidungen zulässt, um so die Verfahrensdauer im Interesse des Rechtsschutzes zu verkürzen. In diese Konzeption fügt sich der Rückgriff auf eine erweiterte Form der acteclair-Doktrin ein, die ein ideales Steuerungselement darstellt, um im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip den nationalen Gerichten soviel Kompetenzen wie möglich und dem EuGH soviel Kompetenz wie im Hinblick auf die Ziele der EG nötig zuzuweisen. Dies bedeutet jedoch auch, dass diese Ziele die Grundlage für die Konkretisierung der gelockerten Vorlagepflicht, auf die unten noch einzugehen ist, 1 2 3 bilden müssen.

V. Auslegungsergebnis Ausgangspunkt der methodischen Untersuchung war die zielorientierte Auslegung des Begriffs „Frage" in Art. 234 Abs. 3 EG. Wurde diese Formulierung durch den EuGH bisher dahingehend interpretiert, dass „Frage" im gemeinschaftsrechtlichen Sinne als unklare, nicht offenkundige Bedeutung einer gemeinschaftsrechtlichen Norm zu verstehen ist, ermöglicht eine an der fortentwickelten Struktur der EU und den gemeinschaftsrechtlichen Zielen ausgerichtete Auslegung ein offeneres Verständnis dieses Begriffs. Die teleologische Auslegung hat gezeigt, dass eine durch eine Neufassung der acte-clair-Doktrin bewirkte Erweiterung der Vorlagepflicht aufgrund des besonderen Kooperationscharakters des Vorabentscheidungsverfahrens keine Beeinträchtigung seiner Ziele befürchten lässt. Diese werden vielmehr durch die zu erwartende positive Auswirkung auf die Vorlagebereitschaft der Gerichte, die einen wesentlichen Aspekt für die Funktionsfähigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens darstellt, sowie die Verkürzung der Verfahrensdauer gefördert und ihre Erreichung im Vergleich zur gegenwärtigen Situation verbessert. Demzufolge sind die Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips erfüllt, das eine Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Organe vorsieht, wenn diese die konkrete Aufgabe in zumindest gleicher Weise erfüllen können. Dies stellt die Grundlage der bisherigen engen Interpretation der Vorlagepflicht, die zwar auf der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in der 123 Siehe dazu 4. Teil C.IL

A. Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG

125

Struktur des Vorabentscheidungsverfahrens aufbaut, jedoch davon ausgeht, dass eine möglichst umfassende Vörlagepflicht für die Funktionsfähigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens unumgänglich sei, in Frage. Aufgrund dieser Überlegungen ist ein Abrücken von der strengen Wortlautinterpretation im Interesse der Anpassung der Vertragsnorm an den fortgeschrittenen Entwicklungsstand der EG gerechtfertigt. Eine an der zunehmenden Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips und insbesondere an den Zielen des Vorabentscheidungsverfahrens orientierte Auslegung des Begriffs „Frage" in Art. 234 Abs. 3 EG bietet also eine Grundlage für ein weiteres Verständnis dieses Begriffs. Sie ermöglicht eine Deutung dahingehend, dass mit der Formulierung „Frage" eine Vörlagepflicht impliziert wird, die nur dann gegeben ist, wenn die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung oder der Individualrechtsschutz eine Befassung des EuGH mit dieser Frage erforderlich machen. Zuzugeben ist dieser Auslegung, dass sie den Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG stark ausdehnt und an die Grenzen der dynamischen Auslegung stößt. Allerdings kommt dem Wortlaut, wie oben bereits festgestellt, in der Auslegung durch den EuGH eine untergeordnete Bedeutung zu, die durch die zielorientierte und die Entwicklungen der Gemeinschaft berücksichtigende Auslegung überlagert wird. Zudem ist diese Grenze insbesondere zum Schutz gegen Eingriffe in Individualgrundrechte sowie die Souveränität der Mitgliedstaaten zu beachten.124 Die hier vorgenommene Interpretation erweitert den Spielraum der nationalen Gerichte und bewirkt eine Effektivierung des Rechtsschutzcharakters des Vorabentscheidungsverfahrens, so dass diese Schutzgüter nicht berührt sind. Trotzdem könnte die Ausdehnung des Wortlauts in den Augen des EuGH zu weit gehen. In diesem Fall müsste die nach der hier vertretenen Auffassung mittels Auslegung bereits de lege lata zu erreichende Lockerung der Vörlagepflicht ausdrücklich im Vertrag festgeschrieben werden. Eine solche Änderung würde sich, wie aus der obigen Analyse des Art. 234 Abs. 3 EG folgt, in das Struktur- und Zielsystem des Vertrages einfügen und seinen grundlegenden Prinzipien entsprechen. Auch erscheint sie aufgrund der damit verbundenen Stärkung der Position der Mitgliedstaaten wenig problematisch hinsichtlich der Durchsetzung im Vertragsänderungsverfahren, während bei Verfolgung der anderen Alternative, einer Erweiterung der Kompetenzen der europäischen Gerichte, die in jedem Fall nur durch eine Änderung des Vertrages erreicht werden könnte, eher mit Widerstand seitens der Regierungen der Mitgliedstaaten im Vertragsänderungsverfahren zu rechnen wäre.

124 Kohler-Gehrig,

JA 1998, S. 807, 809.

126

. Teil: Neubestimmung d

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B. Standpunkt des EuGH Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Frage, ob sich in der Rechtsprechung oder den sonstigen Veröffentlichungen des EuGH Anhaltspunkte für seine Position gegenüber einer erweiterten Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG finden. Nach dem C.I.L.F.I.T.-Urteil von 1982 hat der EuGH sich lange nicht mehr mit der Auslegung des Umfangs der Vorlagepflicht befasst. Im Jahr 2000 wurde ihm die hier diskutierte Frage vorgelegt, ob ein letztinstanzliches Gericht den EuGH auch dann anrufen muss, wenn die Auslegung der im Ausgangsverfahren anwendbaren Gemeinschaftsvorschrift keine Schwierigkeit aufwirft, die im C.I.L.F.I.T.Urteil für die Anwendung der Lehre vom „acte clair" aufgestellten Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Er hat die Beantwortung dieser Frage mit dem Hinweis vermieden, dass es sich bei dem im konkreten Fall in Rede stehenden Gericht nicht um ein letztinstanzliches i. S. d. Art. 234 Abs. 3 EG handele.125 Im Jahr 2005 entschied er in der Rs. Intermodal Transports 126 über die ihm vorgelegte Frage, ob in dem Fall, dass sich ein Betroffener in einem dem nationalen Gericht vorgelegten Rechtsstreit auf die verbindliche Zollauskunft einer Zollbehörde berufe und das Gericht von dieser Ansicht abweichen wolle, eine Vörlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG bestehe. In seinem Urteil bestätigte der EuGH die im C.I.L.F.I.T.-Urteil aufgestellten Kriterien und betonte, das letztinstanzliche nationale Gericht müsse bei der Prüfung der Offenkundigkeit im konkreten Fall besonders sorgfältig sein. 127 Aus dieser Aussage ist geschlossen worden, dass auf eine Lockerung der Vorlagepflicht durch den EuGH in näherer Zukunft nicht zu hoffen sei. 128 Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass der EuGH sich in diesem Fall nur mit der Frage der Abweichung der europarechtlichen Auslegung eines nationalen Gerichts von der einer Verwaltungsbehörde befasst und die sich in diesem Zusammenhang stellende allgemeine Frage nach dem Umfang der Vorlagepflicht relativ kurz abgehandelt hat. Im dem in Rede stehenden Fall bestand bereits bei Zugrundelegung der C.I.L.F.I.T.-Kriterien keine generelle Vorlagepflicht des nationalen Gerichts, da dieses an die Sichtweise einer mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörde nicht gebunden ist. 1 2 9 Für den EuGH ergab sich vor diesem Hintergrund nicht die Notwendigkeit, eine Neufassung der C.I.L.F.I.T.-Kriterien zu diskutiern, da diese im Unterschied zu der Vorlagefrage im Fall Lyckeskog gerade nicht Gegenstand des Vor125 126 127 128 129

EuGH, RS. C-99/00, EuZW 2002, S. 476, 477 - Lyckeskog. EuGH, Rs. C-495 / 03, abrufbar unter http: / / eur-lex.europa.eu. Ebenda, Rn. 39, 45. Herrmann, EuZW 2006, S. 231, 234. EuGH, Rs. C-495/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 39.

B. Standpunkt des EuGH

127

abentscheidungsersuchens war. Damnach kann die bloße Wiederholung der Aussagen des C.I.L.F.I.T.-Urteils nicht als Absage an eine mögliche künftige Modifizierung der Vörlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG gedeutet werden. 130 Vielmehr legt eine Betrachtung der durch den EuGH in seiner Rechtsprechung sowie seinem Reflexionspapier für das Vorabentscheidungsverfahren formulierten Ziele nahe, dass diese eine Reform des Vörabentscheidungsverfahrens erfordern, die zu einer Verringerung der Zahl der vom EuGH zu entscheidenden Vorabentscheidungsersuchen führt. 131 Im Rahmen seines Reflexionspapiers zur Zukunft des Gerichtssystems der E U 1 3 2 hat er verschiedene Reformansätze diskutiert, ist allerdings auf die Möglichkeit der hier vorgeschlagenen Begrenzung der Vorlagepflicht nicht eingegangen. Der EuGH betont stets die entscheidende Bedeutung des Vörabentscheidungsverfahrens für die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung 133 und folgert daraus, dass eine Nationalisierung des Vörabentscheidungsverfahrens Risiken für die Einheit des Gemeinschaftsrechts berge, die nur durch den Verbleib der Zuständigkeit für die Entscheidung über die letztgültige und verbindliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts bei einem Gericht verhindert werden könnten. 134 Allerdings hebt er gleichzeitig sowohl in seinen Urteilen 135 als auch im Reflexionspapier 136 die zentrale Funktion des Kooperationscharakters des Vörabentscheidungsverfahrens und insbesondere die Bedeutung der Vörlagebereitschaft der nationalen Gerichte als entscheidenden Faktor für das Funktionieren des Vörabentscheidungsverfahrens sowie die Einheit der Rechtsordnung hervor und verknüpft die Gewährleistung der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung mit dieser besonderen Konzeption. Er strebt also eine Verringerung der Zahl der Vorabentscheidungsersuchen und eine Verkürzung der Verfahrensdauer auf europäischer Ebene an, gleichzeitig soll jedoch die letztverbindliche Auslegungskompetenz bei einem (europäischen) Gericht verbleiben. Dies erscheint nur möglich durch die Einführung eines Filtermechanismus auf europäischer Ebene, da eine stärkere Einbeziehung des EuG in 130

Auch aus dem Urteil in der Rs. C-461/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu Gaston Schul - ergibt sich nichts anderes, da dieses lediglich die Vörlagepflicht bei einer Frage nach der Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht zum Gegenstand hatte. 131 EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754. 132 Ebenda, S. 750 ff. 133 EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3428 Rn. 7 - C.I.L.F.I.T.; Rs. C-337/95, Slg. 1997, S. 1-6013, 6044 Rn. 25 - Parfüms Christian Dior; Rs. C-393/98, Slg. 2001, S. 1-1327, 1350 Rn. 17 - Gomes Valente; Rs. C-495/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 29. 134 EUGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 755. 135 EUGH, RS. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3428 Rn. 7; Rs. C-337/95, Slg. 1997, S. 1-6013, 6044 Rn. 25; Rs. C-393/98, Slg. 2001, S. 1-1327, 1350 Rn. 17. 136 EUGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754 f.

128

. Teil: Neubestimmung d

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das Vorabentscheidungsverfahren lediglich eine Verlagerung der Verfahrenslast und damit nur eine kurzfristige Lösung darstellt. 137 Die Etablierung eines solchen Annahmeverfahrens läuft jedoch dem Bestreben des EuGH, den für die Einheit der Rechtsordnung elementaren Kooperationscharakter des Vörabentscheidungsverfahrens aufrecht zu erhalten, zuwider. Der Wunsch, die Auslegungskompetenz auf europäischer Ebene zu belassen, kann als Ausdruck der Befürchtung des EuGH, bei einer Stärkung der Auslegungskompetenzen der nationalen Ebene einen Bedeutungs- und Kompetenzverlust zu erleiden, gedeutet werden. Hier wird erneut die Funktion des Umfangs der Vörlagepflicht als Mittel zur Kompetenzabgrenzung zwischen europäischer und nationaler Gerichtsbarkeit, die von diesen in ihrem Interesse instrumentalisiert wird, deutlich. Es erscheint naheliegend, dass der EuGH möglichst umfassende Kompetenzen behalten bzw. an sich ziehen möchte. Allerdings scheinen sich seine dahingehenden Befürchtungen bei genauer Betrachtung nicht zu bewahrheiten. Denn die vom EuGH angestrebte Beibehaltung oder Stärkung der Position der europäischen Ebene wirkt sich, wie oben bereits erörtert, aufgrund ihrer negativen Konsequenzen hinsichtlich der Vörlagebereitschaft der Gerichte nicht nur positiv auf die Ziele des Vörabentscheidungsverfahrens sowie die Position des EuGH aus, so dass die Befürchtungen hinsichtlich eines faktischen Kompetenzverlustes des EuGH bereits im gegenwärtigen System und auch bei einer solchen Reform bestehen müssen. Dies führt zurück zu der Schlussfolgerung, dass eine Sicherung der Einheit der Rechtsordnung auch durch eine zentrale Auslegungskompetenz auf europäischer Ebene nicht uneingeschränkt gewährleistet werden kann. Demgegenüber bewirkt eine Lockerung der Vörlagepflicht, dass der EuGH aufgrund der verkürzten Verfahrensdauer sowie der Möglichkeit, sich auf die grundlegenden und wesentlichen Auslegungsfragen zu konzentrieren, an Akzeptanz und Bedeutung gewinnt. Dementsprechend wirkt sich die Betonung des Kooperationscharakters des Vörabentscheidungsverfahrens unter Anerkennung der verantwortungsvollen Position der nationalen Gerichte auch positiv auf die Stellung des EuGH aus; der oben beschriebene befürchtete Kompetenzkonflikt wird aufgelöst zugunsten einer an den Zielen des Vörabentscheidungsverfahrens ausgerichteten Balance, die eher eine Stärkung des EuGH als eine Schlechterstellung gegenüber der gegenwärtigen Situation bewirkt. Ähnliche Erwägungen scheinen den EuGH auch in seinem letzten Urteil zu den Konsequenzen der Nichtbeachtung der Vörlagepflicht geleitet zu haben, in dem er die Haftung des Staates bei einem Verstoß gegen die Vörlagepflicht nur unter engen Voraussetzungen bejaht, die sich nicht mit dem im C.I.L.F.I.T.-Urteil aufgestellten Maßstab decken. 138 Insofern hat er also seine eigenen Kriterien nicht konsequent durchgehalten, sondern den Gerichten auf der Sanktionsebene einen 137 Siehe dazu oben 3. Teil B.II. 138 EuGH, RS. C- 244/01, EuZW 2003, S. 718 - Köbler.

C. Entwicklung eines neuen Maßstabs

129

weiten Entscheidungsspielraum eröffnet. Dies ist wiederum auf den vom EuGH stets betonten Kooperationscharakter des Vorabentscheidungsverfahrens zurückzuführen, den dieser nicht durch eine scharfe Sanktion gefährden will. Ihm liegt also daran, die Vorlagebereitschaft der nationalen Gerichte aufrecht zu erhalten und die umfassende Vorlagepflicht nicht um jeden Preis durchzusetzen. Aus diesen Gründen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der EuGH sich in Zukunft auf die Rolle der nationalen Gerichte besinnt und die hier vorgenommene Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG unterstützt, da eine eingeschränkte Vorlagepflicht durch die Entlastung des EuGH und die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen EuGH und nationalen Gerichten auch eine Verbesserung der Position und des Ansehens des EuGH, der dadurch die Möglichkeit erhielte, sich ganz auf die wesentlichen Fragen des Gemeinschaftsrechts zu konzentrieren, zur Folge hätte. Bevor dies jedoch nicht geschieht, werden sich die vorlagepflichtigen Gerichte in der Praxis weiterhin an dem im C.I.L.F.I.T.-Urteil festgelegten Umfang der Vörlagepflicht mit all den Problemen, die damit verbunden sind, orientieren müssen, da dem EuGH die alleinige Auslegungskompetenz hinsichtlich der Reichweite des Art. 234 Abs. 3 EG zukommt. Eine Klärung des Standpunkts des EuGH könnte durch ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen eines letztinstanzlichen Gerichts i. S. d. Art. 234 Abs. 3 EG herbeigeführt werden, in dem der EuGH zur Beantwortung der in der Rs. Lyckeskog offen gelassenen Frage nach dem Einghreifen der Vorlagepflicht trotz fehlender Erfüllung der C.I.L.F.I.T.-Voraussetzungen aufgefordert wird. Falls der EuGH die hier vertretene Auslegung nicht unterstützt, bleibt die bereits angesprochene Möglichkeit einer Vertragsänderung.

C. Entwicklung eines neuen Maßstabs: Die gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit Die hier vorgenommene Bestimmung der Vorlagepflicht nimmt einen anderen Blickwinkel ein als die bisherige Sichtweise und geht damit über den Anwendungsbereich der acte-clair-Doktrin hinaus. Nach der hier vertretenen Auslegung ist nicht mehr die Klarheit oder Unklarheit einer Norm maßgeblich, sondern ein offeneres, flexibleres Kriterium, das die Ziele und die Entwicklung der EG berücksichtigt. Für eine solche Konkretisierung der Vorlagepflicht ist die Bezeichnung acte clair nicht mehr passend, es muss eine neue Formulierung gefunden werden, die die Zielorientierung des den Umfang der Vorlagepflicht bestimmenden Maßstabs zum Ausdruck bringt. Das neugefasste Kriterium für das Eingreifen der Vorlagepflicht kann mit dem Begriff der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit umschrieben werden. Diese Bezeichnung nimmt das ursprüngliche Erfordernis der Unklarheit bzw. fehlenden Offenkundigkeit auf, beinhaltet jedoch eine Erweiterung dahin9 Hummert

130

. Teil: Neubestimmung d

Vorlagecht

gehend, dass zusätzlich ein Bedürfnis bestehen muss, die Bedeutung der Norm festzustellen. Dieses Bedürfnis wird nicht mehr rein formell durch den starren Begriff der Klarheit bzw. Unklarheit umrissen, sondern ist anhand der Ziele der Gemeinschaft zu bestimmen, was durch den Zusatz „gemeinschaftsrechtlich" deutlich wird. Es besteht nur, wenn der Frage aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht hinreichende Bedeutung zukommt, die eine Hinzuziehung des EuGH rechtfertigt. Im Vergleich zur ursprünglichen acte-clair-Doktrin beinhaltet es demnach eine Umkehrung dahingehend, dass das Eingreifen der Vorlagepflicht nicht mehr im Sinne einer Negativprüfung durch Darlegung der Klarheit widerlegt, sondern im Wege der Überprüfung der Bedeutung der Frage für das Gemeinschaftsrecht erst positiv festgestellt werden muss. Diese Umkehr der Sichtweise, die grundsätzlich von einer Auslegungszuständigkeit der nationalen Gerichte ausgeht und die Vorlagepflicht nur in den Fällen eingreifen lässt, in denen die Sicherstellung der Ziele der EG eine einheitliche Entscheidung durch den EuGH erfordert, entspricht der Prämisse des Subsidiaritätsprinzips, auf dessen Vorgaben die Konzeption des VorabentscheidungsVerfahrens beruht. Gleichzeitig hält sie jedoch die durch die Zielbindung markierte Grenze der Subsidiarität durch die Orientierung an der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung sowie des Individualrechtsschutzes ein, so dass eine solche Lockerung der Vorlagepflicht im Einklang mit den beiden wesentlichen für das Vorabentscheidungsverfahren maßgeblichen Determinanten, Subsidiarität und Funktionserhaltung des Vorabentscheidungsverfahrens, steht. Der geänderte Ausgangspunkt bei der Überprüfung des Eingreifens der Vorlagepflicht findet auch im Wortlaut des Art. 234 Abs. 3 EG eine Stütze, da untersucht wird, ob eine „Frage" im gemeinschaftsrechtlichen Sinne vorliegt, und nicht wie bisher von der grundsätzlichen Vermutung des Vorliegens von Zweifeln und dem damit verbundenen Eingreifen der Vorlagepflicht ausgegangen wird. Insofern greift der Maßstab der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit die im Rahmen der Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG gefundenen Ergebnisse auf und passt sich den dort ermittelten Anforderungen an. Es stellt sich die weitergehende Frage, nach welchen Kriterien beurteilt werden soll, wann eine Befassung des EuGH mit einer vor einem vorlagepflichtigen nationalen Gericht auftretenden Frage erforderlich ist, wie also die gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit näher konkretisiert werden kann.

I. Allgemeine Anforderungen Die Zahl von Vorabentscheidungsersuchen, bei denen eine Vorlage entbehrlich erscheint, steigt bedingt durch die Fortentwicklung der Gemeinschaftsrechtsordnung, die bewirkt, dass sich der EuGH immer mehr Detailfragen im Gegensatz zu

C. Entwicklung eines neuen Maßstabs

131

einer sinkenden Zahl von Grundsatzfragen gegenübersieht. 139 Insofern hat seit der Etablierung des Vorabentscheidungsverfahrens zu Beginn der EG, als seine Hauptaufgabe darin bestand, dem EuGH die Konkretisierung der Vorschriften des EGVertrags sowie die Füllung von Lücken im Wege der Rechtsfortbildung zu ermöglichen, ein Strukturwandel stattgefunden, 140 der auch Auswirkungen auf die an dem Zweck und den Zielen des EG-Vertrags orientierte Bestimmung der Reichweite der Vörlagepflicht hat. Im Hinblick auf diese Entwicklung erscheint es eher vertretbar, bestimmte Vorabentscheidungsersuchen aus der Entscheidungskompetenz des EuGH auszugliedern, da angesichts der fortgeschrittenen Konsolidierung der Gemeinschaftsrechtsordnung nicht mehr, wie in der Anfangszeit, jede Vörlagefrage Anlass zu grundsätzlichen Überlegungen über die Struktur der Gemeinschaftsrechtsordnung gibt. Aufgabe des Kriteriums der gemeinschafsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit ist es also, die Detail- und Spezialfragen herauszuflltern und nur die wesentlichen Fragen an den EuGH gelangen zu lassen. Gelingt dies, besteht auch keine Gefahr für die Einheit des Gemeinschaftsrechts. Problematisch erscheint jedoch die Entwicklung von Kriterien, nach denen von allen nationalen Gerichten einheitlich beurteilt werden kann, in welchem Fall eine solche Gefahr nicht besteht, die ihnen aber dennoch genug Spielraum für eigene Bewertungen lässt.

II. Entwicklung von Leitlinien Ausgehend von der Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens ist eine Frage dann als klärungsbedürftig einzustufen, wenn die Einheit des Gemeinschaftsrechts nicht nur geringfügig berührt ist oder die Befassung des EuGH einen erheblichen Zuwachs an Rechtsschutzqualität mit sich bringen würde. 141 Als Ausgangspunkt der Überlegungen muss festgestellt werden, dass das Bestreben, einen Maßstab für das Eingreifen der Vörlagepflicht zu entwickeln, der die Einheit der Rechtsordnung in dem gleichen umfangreichen Maße sicherstellt, wie dies bisher zumindest theoretisch der Fall ist, nicht zu einem Erfolg führen kann. Würden die Gerichte mit einem umfangreichen Katalog bei der Beurteilung zu überprüfender Kriterien überfrachtet, unterschieden sich die von ihnen anzulegenden Maßstäbe zur Bestimmung der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftig139

Rasmussen, in: Andenas, Art. 177 References, S. 83, 88; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1895; Kamann, ZeuS 2001, S. 627, 634; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 314; Malferrari, Zurückweisung, S. 227. 140 Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1071, 1108. 141 Für die Zugrundelegung dieser Kriterien auch: Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, S. 1-6497, 6502 Rn. 20 - Wiener; Canaris, EuZW 1994, S. 417; ter Kuile, in: Curtin/Heukels, Institutional Dynamics, S. 381, 389; Meij, CMLRev. 2000, S. 1039, 1044; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526; Hirsch, Diskussionsbeitrag, RabelsZ 2002, S. 615, 618; Groh, EuZW 2002, S. 460, 464; Malferrari, Zurückweisung, S. 266. 8*

132

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keit kaum von den vom EuGH im C.LL.F.I.T.-Urteil aufgestellten, so dass nichts gewonnen wäre. 142 Demzufolge muss der Maßstab weiter gefasst werden, was zwangsläufig ein höheres Maß an Unbestimmtheit und damit an möglichen Gefahren für die einheitliche Entscheidung der nationalen Gerichte mit sich bringt. 143 Dies ist jedoch nicht zu vermeiden, soll eine spürbare Kompetenzverschiebung von der europäischen auf die nationale Ebene bewirkt und die Position der nationalen Gerichte entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip durch Erweiterung ihres Entscheidungsspielraums im europarechtlichen Bereich gestärkt werden. Hier muss erneut betont werden, dass zum einen das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung unter einem neuen Blickwinkel zu sehen ist, der ein weiteres Verständnis als bisher ermöglicht und daher Unterschiede in Randbereichen zulässt und zulassen muss, um die Einheit in den wesentlichen Bereichen effektiv sicherzustellen. Zum anderen dürfen in diesem Zusammenhang die Funktion und das Potential der nationalen Gerichte, die Wahrung dieses Ziels zu gewährleisten, nicht unterschätzt werden. Es können also nur Eckpunkte zur Markierung eines Bereichs, in dem in jedem Fall die Ziele der EU gefährdet sind und damit eine Vorlage an den EuGH zwingend geboten ist, festgelegt werden. Außerhalb dieser Eckpunkte wird den nationalen Gerichten ein Entscheidungsspielraum eröffnet, der im Interesse des Ziels der eigenverantwortlichen Einbeziehung der letztinstanzlichen nationalen Gerichte in das gemeinschaftliche Gerichtssystem lediglich durch Überlegungen zu in die Beurteilung einzubeziehenden Aspekten ausgestaltet werden kann, deren Gewichtung das nationale Gericht in jedem Einzelfall selbst vornehmen muss. Die Grenzen des Kriteriums der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit werden durch die Fälle markiert, in denen sich der EuGH zu der bestehenden oder einer ähnlich gelagerten Frage bereits geäußert hat. Insofern kann an die vom EuGH im Da Costa-Urteil entwickelten und im C.I.L.F.I.T-Urteil bestätigten Maßstäbe zurückgegriffen werden. Danach besteht keine Vorlagepflicht, wenn das Gericht der gefestigten Rechtsprechung des EuGH folgt. 1 4 4 Es muss allerdings vorgelegt werden, wenn von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH abgewichen werden soll oder die nicht nur entfernte Möglichkeit einer Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH besteht.145 Übrig bleibt der problematische und nach den obigen Feststellungen zwangsläufig vage Bereich der Fragen, zu denen noch keine oder nur unvollständige Rechtsprechung des EuGH ergangen ist. 142

So die Kritik bei Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 287 und Sack, Reform, S. 27. 143 Kritisch in dieser Hinsicht Tizzano, Schlussanträge zu Rs. C-99/00, Slg. 2002, S. 1-4839 Rn. 70 - Lyckeskog; Stix-Hackl, Schlussanträge zu Rs. C-495/03, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu, Rn. 104 - Intermodal Transports. 144 EUGH, verb. Rs. 2 8 - 3 0 / 6 2 , Slg. 1963, S. 63, 81 - Da Costa; Rs. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3429 Rn. 14 - C.I.L.F.I.T.

145 So schon die bisherige Rechtsprechung des BVerfG, siehe oben, 2. Teil D.II.

C. Entwicklung eines neuen Maßstabs

133

In solchen Fällen stets von der Klärungsbedürftigkeit der Frage auszugehen, würde sogar die vom EuGH im C.I.L.F.I.T.-Urteil zugelassene Ausnahme der Offenkundigkeit eines Rechtsaktes ausschließen, also eine zu enge Eingrenzung des Spielraums der nationalen Gerichte und eine wenig effektive Entlastung des EuGH bewirken. Vielmehr ist in diesem Fall die Beurteilung mit Blick auf die Folgen einer Nichtbefassung des EuGH insbesondere für die Wahrung der Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung sowie den Rechtsschutz und die übrigen Ziele der EU vorzunehmen. Anhaltspunkte für diese nicht immer leicht zu treffende Abgrenzung können durch eine Abwägung zweier Aspekte gewonnen werden. Diese beiden Gesichtspunkte stehen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander, da die hohe Bewertung eines Gesichtspunkts durch eine niedrige Bewertung des anderen ausgeglichen werden muss, damit ein Eingreifen der Vörlagepflicht verneint werden kann. Einen Aspekt bildet die Bewertung der Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift, auf die sich die Auslegungsfrage bezieht. Dabei ist danach zu differenzieren, ob es sich um einen speziellen Bereich betreffendes Sekundärrecht oder eine Vorschrift des primären Gemeinschaftsrechts handelt. 146 Im Hinblick auf die Rechtsschutzfunktion könnte in Anlehnung an das BVerfG 147 darauf abgestellt werden, ob gemeinschaftsrechtliche Grundrechte betroffen sind. Hier ist zudem zu berücksichtigen, dass auch die unterschiedliche Auslegung rangniedriger europäischer Normen Auswirkungen z. B. auf die Wettbewerbs Verhältnisse in der Gemeinschaft und damit indirekt auf die höherrangigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts haben kann. Je höher die auszulegende Vorschrift im Rahmen dieses Gesichtspunkts einzuordnen ist, um so höhere Anforderungen sind an den zweiten in die Abwägung einzubeziehenden Aspekt zu stellen. Dieser zweite Gesichtspunkt besteht in der Einschätzung der durch eine Nichtvorlage bedingten Gefahr einer uneinheitlichen Auslegung dieser Vorschrift. Hier ist zum einen auf die Rechtsprechung des EuGH abzustellen, die, auch wenn zu nicht vergleichbaren Fällen ergangen, Wertungen und Anhaltspunkte für den zu entscheidenden Fall liefern kann. Kann das nationale Gericht die Auslegung unter Heranziehung dieser Wertungen selbst vornehmen, ist eine Vorlage entbehrlieh. 1 4 8 In den seltenen Fällen, in denen sich der Rechtsprechung des EuGH keine Anhaltspunkte entnehmen lassen, sind zunächst Überlegungen dahingehend anzustellen, ob die zu entscheidenden Frage nur für den betroffenen Fall Bedeutung hat 14 6 Für die Berücksichtigung dieses Aspekts auch Heß, RabelsZ 2002, S. 470, 495; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 118. 147 BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 1268. 148

Für dieses Kriterium auch Groh, Auslegungsbefugnis, S. 102.

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oder ob diese von allgemeinem Interesse ist und auf andere Rechtsstreitigkeiten übertragen werden kann, was die Gefahr einer Rechtszersplitterung nahe legt. 1 4 9 Besteht diese Gefahr nicht, ist eine gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit zu verneinen, auch wenn es sich um eine hochrangige Vorschrift handelt. Anderenfalls ist auf die Einheitlichkeit der Auslegung in Literatur und mitgliedstaatlicher Rechtsprechung abzustellen,150 mit der auch die Frage, ob die vom nationalen Gericht favorisierte Auslegung von der eines obersten Gerichts eines anderen Mitgliedstaats abweichen würde, 151 verbunden ist. Hier kann nur auf die Auffassung der jeweiligen obersten Gerichte abgestellt werden, um die Zahl der Ansichten überschaubar zu halten. Die untergeordneten Gerichte orientieren sich aufgrund der Überprüfung ihrer Entscheidungen innerhalb des Instanzenzugs ohnehin meist an deren Standpunkt. Allerdings erscheint es unrealistisch, von den nationalen Gerichten zu verlangen, die Rechtsprechung aller 25 Mitgliedstaaten selbst zu überprüfen. 152 Dies würde an der Unkenntnis vieler Sprachen scheitern und zudem einen unzumutbaren Zeitaufwand bedeuten, der die gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit wieder in die Nähe der als zu kompliziert kritisierten C.I.L.F.I.T.-Kriterien bringen würde. Die nationalen Gerichte können in Zukunft jedoch Hilfestellung durch die vom wissenschaftlichen Dienst des EuGH unterhaltene Datenbank „DEC.NAT" erhalten, in der nationale Gerichtsentscheidungen zu gemeinschaftsrechtlichen Problemen in allen Rechtsbereichen verzeichnet sind. 153 Diese ursprünglich für interne Zwecke angelegte Datenbank ist mittlerweile im Internet veröffentlicht. 1 5 4 Dort ist eine Suche z. B. anhand der in dem Urteil behandelten europarechtlichen Vorschriften möglich. Mit Hilfe der zugrundeliegenden Richtlinie können auch Urteile zu eine solche Richtlinie umsetzendem nationalem Recht gefunden werden. Bisher wird die Datenbank nur auf Französisch geführt. Jedoch hat die Vereinigung der Staatsräte und obersten Verwaltungsgerichte der europäischen Union, die bereits die französische Version im Internet veröffentlicht hat, eine Übersetzung 149 Jacobs, Schlussanträge zu Rs. C-338/95, S. 1-6497, 6502 Rn. 20 - Wiener; Groh, EuZW 2002, S. 460, 463; Heß, RabelsZ 2002, S. 470, 495. 150 Heß, ZZP 1995, S. 59, 85. 151 Conans, EuZW 1994, S. 417; Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 180; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 317. 152 Zu den damit verbundenen Problemen Schulze-Osterloh, ZGR 1995, S. 170, 179; Basedow, EuZW 1996, S. 97; Lipp, NJW 2001, S. 2657, 2662; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 318. 153 Hakenberg, ZEuP 2000, S. 860, 863 Fn. 10. Für die Veröffentlichung einer solchen Datenbank zur Unterstützung der nationalen Gerichte in diesem Zusammenhang auch Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 317. 154 http://193.191.217.21 /fr /jurisprudence/jurisprudence_fr.html.

C. Entwicklung eines neuen Maßstabs

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auf Englisch in Auftrag gegeben,155 so dass in absehbarer Zeit 1 5 6 auch eine englische Version zur Verfügung stehen wird, von der anzunehmen ist, dass sie von der überwiegenden Zahl der nationalen Richter genutzt werden kann. Neben der Datenbank können der Literatur, vor allem bei stark umstrittenen Fragen, die besonders eine gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit indizieren, Hinweise auf Urteile anderer mitgliedstaatlicher Gerichte zu europarechtlichen Fragestellungen entnommen werden. Ergeben die Recherchen hier Divergenzen in der Rechtsprechung und / oder der Literatur, sollte das nationale Gericht die Frage dem EuGH zur Klärung und Wiederherstellung der einheitlichen Auslegung in der Gemeinschaft vorlegen, außer wenn die Wechselwirkung mit dem ersten Gesichtspunkt ergibt, dass die geringe Bedeutung der auszulegenden Vorschrift eine Vorlage nicht rechtfertigt. Hinsichtlich der Beurteilung der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit gilt also der Grundsatz: Je höher die auszulegende Vorschrift im Rang der Normenhierarchie steht, um so eindeutiger muss sich ihre Bedeutung der europäischen und nationalen Rechtsprechung entnehmen lassen. Je weniger der EuGH sich mit ihr beschäftigt hat und je divergierender die Auffassungen zu ihrer Auslegung in Schrifttum und Rechtsprechung sind, um so niedriger muss ihr gemeinschaftsrechtlicher Rang sein, um trotz dieser Unsicherheit die Möglichkeit einer Gefährdung der Ziele des VorabentscheidungsVerfahrens durch eine Nichtvorlage auszuschließen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass das nationale Gericht bei der Bestimmung der Bedeutung einer Frage für das Gemeinschaftsrecht in erster Linie ermitteln muss, welche Auswirkungen eine Nichtvorlage auf die Einheit, die Kohärenz und die Fortentwicklung der europäischen Rechtsordnung sowie den Rechtsschutz der Parteien hat. Dabei sind stets die Besonderheiten des konkreten Falls zu berücksichtigen, während eine stur schematische Prüfung vermieden werden sollte.

III. Beispiele für die Anwendung des Kriteriums der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit Um die sich durch die Zugrundelegung des Kriteriums der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit ergebenden Unterschiede zu der C.I.L.F.I.T.-Rechtsprechung praktisch darzustellen, soll auf einige Beispiele zurückgegriffen werden.

155 Antwort des Geschäftsführers der Vereinigung der Staatsräte und obersten Verwaltungsgerichte der europäischen Union, Yves Kreins, vom 3. 3. 2005 auf eine entsprechende Anfrage per e-mail. 156 Nach Auskunft von Herrn Kreins (siehe vorherige Fußnote) ist Anfang 2006 mit der Veröffentlichung der wichtigsten Rubriken auf Englisch zu rechnen.

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Im Fall Wiener 157 wurde dem EuGH vom BFH die Frage vorgelegt, ob der Begriff „Nachthemden" im Sinne der Bestimmungen zum Gemeinsamen Zolltarif dahingehend auszulegen sei, dass er auch Kleidungsstücke umfasse, die nach ihrer Aufmachung zwar nicht nur, aber im Wesentlichen zum Tragen im Bett bestimmt seien. 158 Der BFH ging hier zu Recht von einem Eingreifen der Vorlagepflicht nach den C.I.L.F.I.T.-Kriterien aus, da das Wort „Nachthemden" eng oder weit interpretiert werden konnte und der EuGH noch nicht über die Auslegung dieses Begriffs entschieden hatte. Allerdings handelt es sich um eine sehr spezifische und detaillierte Frage, die Generalanwalt Jacobs zum Anlass nahm, um in seinen Schlussanträgen eine Lockerung der Vorlagepflicht in solchen Fällen anzuregen. 159 Beurteilt man das Eingreifen der Vorlagepflicht unter Abwägung der zwei Aspekte zur Feststellung der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit, ist zunächst der gemeinschaftsrechtliche „Rang" der auszulegenden Vorschrift zu bewerten. Hier ist eine sehr spezielle Vorschrift des Zollrechts betroffen. Die auszulegende Norm ist also aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht auf einem niedrigen Rang einzustufen. Dementsprechend geringere Anforderungen sind an den zweiten Gesichtspunkt, dem Vorliegen von Rechtsprechung, die ähnliche Fälle zum Gegenstand hat, zu stellen. Hier ergibt sich trotzdem ein relativ hoher Konkretisierungsgrad: Der EuGH hat sich bereits in einem früheren Fall mit der Auslegung des zolltariflichen Begriffs „Schlafanzüge" befasst und festgestellt, dass von diesem Begriff auch Kleidungsstücke umfasst sind, die im Wesentlichen zum Tragen im Bett verwendet werden. Diese Wertung ist auf die vorliegende Frage übertragbar, so dass auch das nationale Gericht die Frage bereits selbständig im Sinne der Entscheidung des EuGH hätte beantworten können. Divergierende Entscheidungen anderer mitgliedstaatlicher Gerichte sind aufgrund der Spezialität der Frage nicht zu erwarten. Die Abwägung ergibt also eine niedrige Einstufung beider Aspekte, so dass die gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit zu verneinen ist. Hier würde also, anders als nach den bisherigen Abgrenzungskriterien, die Vorlagepflicht nicht eingreifen. Ähnliches würde sich im Fall Colin und Dupre ergeben, 160 in dem es um die Frage der Einordnung von Halspastillen in einen bestimmten Zolltarif ging, deren Zusammensetzung sich um Gewichtshundertteile von der von dem Zolltarif umfassten unterschied. Ein weiteres Beispiel bildet der Fall Verband Sozialer Wettbewerb, 161 in dem dem EuGH die Frage vorgelegt wurde, ob Art. 30 und 36 EWGV (Art. 28 und 30 157 EUGH, RS. C - 3 3 8 / 9 5 , Slg. 1997, S. 1-6518.

158 Ebenda, S. 6522 Rn. 9. 159 Schlussanträge zu Rs. C-338/95, Slg. 1997, S. 1-6497, 6515 ff. 160 EUGH, verb. Rs. C-106/94 u. C-139/94, Slg. 1995, S. 4759 ff.

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EG) dahin gehend auszulegen seien, dass sie der Anwendung einer nationalen Vorschrift über den unlauteren Wettbewerb entgegenstehen, die es erlaubt, die Einfuhr und den Vertrieb eines in einem anderen europäischen Land rechtmäßig hergestellten und/oder rechtmäßig vertriebenen Produkts mit der Begründung zu untersagen, durch den Produktnamen „Clinique" würden die Verbraucher irregeführt werden sie verstünden es als medizinisches Produkt - , wenn dieses Produkt unter diesem Namen in anderen Ländern der EG rechtmäßig und unbeanstandet vertrieben werde. Der Umfang der Frage verdeutlicht bereits ihre Spezialität und zeigt auch die Verwischung der Grenze zwischen Auslegung und Rechtsanwendung. Gleichwohl fällt sie, hätte es sich bei dem Vorlagegericht, was tatsächlich nicht der Fall war, um ein letztinstanzliches Gericht gehandelt, nach den C.I.L.F.I.T.-Kriterien unter die Vorlagepflicht, da die Auslegung der Art. 30, 36 EWGV nicht offenkundig ist. Unter Zugrundelegung des Kriteriums der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit ist ein hoher Rang der Vorlagefrage anzunehmen, da es um die Auslegung primärrechtlicher Vorschriften, insbesondere der für die Ziele der EU elementaren Warenverkehrsfreiheit geht. Dies indiziert ein Eingreifen der Vorlagepflicht, wenn diese Einstufung nicht im Rahmen der Bewertung des zweiten Aspekts ausgeglichen werden kann. Bei dieser Frage handelt es sich um einen Einzelfall, der nicht auf eine Anzahl gleichgelagerter Fälle in anderen Mitgliedstaaten übertragen werden kann. Demnach drohen keine Beeinträchtigung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und keine Wettbewerbsverzerrungen, da es sich um eine Frage mit rein nationalem Bezug handelt. 162 Aus diesen Gründen wäre hier eine gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit ebenfalls zu verneinen. Diese absichtlich etwas extremen Beispiele verdeutlichen die formalistische Sichtweise der C.I.L.F.I.T.-Kriterien und demgegenüber die durch die Orientierung an den Auswirkungen einer Nichtvorlage auf das Gemeinschaftsrecht bewirkte Flexibilität des Kriteriums der gemeinschaftsrechtliche Klärungsbedürftigkeit. Ein anderes Beispiel findet sich in einem von der Kommission im MonitoringReport von 2002 diskutierten Fall, 1 6 3 in dem der BGH die Frage nach der Auslegung des Begriffs „Arzneimittel" in Abgrenzung zu dem Begriff „Lebensmittel" im Hinblick auf Muskelaufbaupräparate nicht dem EuGH vorlegte, sondern selbst beantwortete. 164 Er bezog sich dabei auf eine in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 65/65 enthaltene Definition des Begriffs und stützte sich auf Rechtsprechung des EuGH in früheren Fällen. 161 EuGH, Rs. C-315/92, Slg. 1994, S. 1-317 ff. 162 Darauf wies auch Generalanwalt Gulmann in seinen Schlussanträgen hin, Rs. C-315/92, Slg. 1994, S. 1-319, 322. 163 Monitoring-Report 2002, S. 7, abrufbar unter http://europa.eu.int/comm/secretariat_general / sgb / droit_com / index_en.htm#infraction s. 164 BGH,WRP 2002, S. 1141 ff.

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Darin sah die Kommission eine Verletzung der C.I.L.F.I.T.-Kriterien, da die richtige Auslegung nicht hinreichend klar und vom BGH nicht berücksichtigt worden sei, dass sich die Rechtslage durch das Inkrafttreten der Verordnung Nr. 178/2002 geändert haben könnte. Diese führt jedoch in Art. 2 Abs. 2 lit. d) lediglich den in der Richtlinie 65/65 definierten Arzneimittelbegriff unter Bezugnahme auf diese Richtlinie in das Lebensmittelrecht ein. Legt man den Maßstab der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit an, ist auch hier der Rang der auszulegenden Vorschrift relativ hoch einzustufen, da der besonders sensible Bereich des Gesundheitsschutzes betroffen ist und sich aufgrund der Einordnung von Stoffen als Lebensmittel oder Arzneimittel wegen der unterschiedlichen dafür geltenden Vorschriften Wettbewerbsverzerrungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und damit ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG ergeben können. Bei Betrachtung des zweiten Abwägungskriteriums zeigt sich jedoch, dass sich der Rechtsprechung des EuGH eine Konkretisierung des Begriffs entnehmen lässt, die aufgrund des ausdrücklichen Verweises auf die Definition der genannten Arzneimittelrichtlinie auch für den Bereich des Lebensmittelrechts gilt, so dass eine Gefährdung der Einheitlichkeit der europäischen Rechtsordnung nicht gegeben und eine Vorlagepflicht damit zu verneinen ist. Im Verhalten des BGH zeigt sich beispielhaft, dass die nationalen Gerichte sich bereits an dem Grad der Konkretisierung einer auszulegenden Vorschrift durch die Rechtsprechung bei der Beurteilung des Eingreifens der Vorlagepflicht orientieren, die Maßstäbe der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit also bereits berücksichtigt werden.

IV. Ergebnis zum Kriterium der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit Mit dem Kriterium der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit ist es möglich, die Befassung des EuGH mit Auslegungsfragen auf die Fragen zu beschränken, die den wesentlichen Kern des Gemeinschaftsrechts betreffen. Eine nur durch Leitlinien definierte Vörlagepflicht lässt den nationalen Organen Spielraum für eine eigenständige Interpretation und gibt lediglich ein Grundgerüst vor, ohne dass dadurch die Einheit der Rechtsordnung sowie der Individualrechtsschutz in ihren Grundzügen gefährdet wären. Dies wird durch die Wechselwirkung der beiden Abwägungskriterien erreicht. Sollte ein Gericht im Einzelfall die Tragweite einer Vorschrift falsch beurteilen, wird ihre einheitliche Auslegung durch die Orientierung der Vorlagepflicht an dem Konkretisierungsgrad durch die Rechtsprechung des EuGH sowie an dem Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur sichergestellt.

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Zudem bewirkt das besondere Kooperationsverhältnis zwischen nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit bereits jetzt einen fruchtbaren Dialog zwischen nationalen Gerichten und EuGH, der auch in einem System der Vorlage nur bei grundlegenden Fragen aufrechterhalten wird. Dadurch sowie aufgrund der fortgeschrittenen Entwicklung der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren wesentliche Prinzipien zum Großteil bereits durch den EuGH geklärt sind, sind die nationalen Gerichte in der Lage, die Bedeutung und Tragweite einer Auslegungsfrage unter Berücksichtigung der Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens im Einklang mit der Sichtweise des EuGH sowie der anderen mitgliedstaatlichen Gerichte zu beurteilen. Die einheitliche Anwendung der Leitlinien zur Beurteilung der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit wird zum einen durch die möglichst unkompliziert gehaltene Formulierung der Kriterien sichergestellt, zum anderen fördert die Stärkung der Position und Betonung der Verantwortlichkeit der nationalen Gerichte deren Bereitschaft zur gewissenhaften Orientierung an diesen Leitlinien und damit an den Zielen des Vorabentscheidungsverfahrens. Werden sie stärker in ihrer Rolle als Gemeinschaftsgerichte in die europäische Rechtsprechung eingebunden, erlangen sie ein noch umfassenderes Verständnis des europäischen Rechts, so dass die Entscheidung über die Klärungsbedürftigkeit einer Frage, die sich mit der Sichtweise des EuGH und der Gerichte der anderen Mitgliedstaaten deckt, immer mehr erleichtert wird. Im Hinblick auf die Gefahr unterschiedlicher Auslegung des Gemeinschaftsrechts in den Fällen, in denen eine Klärungsbedürftigkeit verneint wird, ist zu berücksichtigen, dass ein wesentlicher Unterschied zu dem vom EuGH im C.I.L.F.I.T.-Urteil entwickelten Maßstab der Offenkundigkeit besteht. Geht dieser von der Eindeutigkeit des der fraglichen Norm zu entnehmenden Sinnes aus, stellt das Kriterium der europarechtlichen Klärungsbedürftigkeit auf die Bedeutung der Frage für das Gemeinschaftsrecht ab. Insofern bezieht sich die eigenständige Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch die nationalen Gerichte nur auf Bereiche, die nicht den wesentlichen Kern des Gemeinschaftsrechts darstellen. In diesen Randbereichen, die aber aufgrund der inzwischen erreichten Regelungsdichte des Gemeinschaftsrechts einen Großteil der europäischen Rechtsordnung ausmachen, erscheinen unterschiedliche Sichtweisen in den verschiedenen Mitgliedstaaten hinnehmbar. Zudem ist in Erinnerung zu rufen, dass die nationalen Gerichte als funktionelle Gemeinschaftsgerichte verpflichtet sind, bei der Auslegung, wie der EuGH schon in seiner C.I.L.F.I.T.-Entscheidung betont hat, 165 einen europarechtlichen Standpunkt einzunehmen, um Divergenzen aufgrund unterschiedlicher nationaler Sichtweisen möglichst gering zu halten und sich auch ansonsten an die vom EuGH postulierten und praktizierten Auslegungsregeln zu halten. Demnach ist in den Fällen, in denen das nationale Gericht selbst eine Auslegung vornimmt, grundsätzlich davon auszugehen, dass es im Einklang mit der mutmaßlichen Auffassung des EuGH entscheidet, wodurch der im Rahmen des 165 EUGH, RS. 283/81, Slg. 1982, S. 3415, 3430 Rn. 17.

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Kriteriums der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit eröffnete Spielraum kompensiert wird. Ein weiterer Vorteil der Beschränkung der Vorlagepflicht auf klärungsbedürftige Auslegungsfragen in der oben beschriebenen Weise liegt in der Annäherung der Kriterien für die Vorlagepflicht an die der Sanktionsmechanismen auf europäischer sowie - in Deutschland - auf nationaler Ebene. Die Rechtsprechung lässt den nationalen Gerichten in diesem Bereich ebenfalls einen weiten Beurteilungsspielraum, der durch das Kriterium des willkürlichen Verstoßes bzw. der offenkundigen Missachtung der Vorlagepflicht begrenzt wird. 1 6 6 Auch hier werden lediglich Grenzlinien gezogen, in denen unzweifelhaft ein Verstoß gegen die Vorlagepflicht gegeben ist. So bejahen sowohl der EuGH als auch das BVerfG eine willkürliche Missachtung der Vörlagepflicht, wenn das nationale Gericht von der Rechtsprechung des EuGH abweicht. 167 Das BVerfG sieht das Willkürkriterium zudem bei einer Nichtvorlage als erfüllt an, wenn eine Fortentwicklung der Rechtsprechung durch den EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit erscheint. 168 Auch sanktioniert das BVerfG die fehlende Einnahme eines europarechtlichen Standpunkts durch das nationale Gericht 169 und betont die Bedeutung von Meinungsstreitigkeiten bei der Beurteilung der Relevanz der Vorlagefrage. 1 7 0 Es zeigt sich also, dass im Rahmen der Sanktion der Nichtvorlage die selbständige Position der Gerichte bereits akzeptiert und ihnen Raum für eine eigenständige Auslegung des Gemeinschaftsrechts zugestanden wird. Mit der Anerkennung der Bedeutung einer Frage für das Gemeinschaftsrecht als maßgeblichen Maßstab für das Eingreifen der Vorlagepflicht wird dieser den Gerichten schon jetzt faktisch zustehende Spielraum auch offiziell eingeräumt, so dass das bestehende Problem der Aufstellung hoher Anforderungen an eine Ausnahme von der Vorlagepflicht, die nicht durch entsprechende Sanktionen flankiert und daher von den nationalen Gerichten nicht immer eingehalten wird, nicht mehr besteht. Vielmehr wird nach der hier vertretenen offenen Konzeption den nationalen Gerichten von vornherein deutlich gemacht, dass sie einen Beurteilungsspielraum haben und welches Vertrauen in sie gesetzt wird, so dass sie sich ihrer Verantwortung besser bewusst werden. So wird der Kooperationscharakter des Vörabentscheidungsverfahrens, auf dem auch die zurückhaltende Sanktionierung der Nichtvorlage beruht, konsequent im gesamten Bereich des Vorabentscheidungsverfahrens umgesetzt.

166 Siehe oben 2. Teil D. 167 EuGH, RS. C-224/01, EUZW 2003, S. 718, 722 - Köbler; BVerfGE 75, S. 223, 245; 82, S. 159, 195; EuGRZ 1988, S. 120. 168 BVerfGE 82, S. 159, 195; NJW 2001, S. 1267, 1268. 169 BVerfG, NJW 2001, S. 1267, 1268. 170 BVerfGE 82, S. 159, 196; NJW 2001, S. 1267, 1268.

D. Ergebnis zur Neubestimmung

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D. Ergebnis zur Neubestimmung Durch den Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten hat die EU eine Ausdehnung erreicht, mit der die bisherige Struktur des Rechtsschutzsystems an ihre Grenzen gelangt. Sie befindet sich in einem Stadium des Umbruchs, der Anpassungen ihrer inneren Organisation erforderlich macht, die aufgrund der zentralen Bedeutung des Vorabentscheidungsverfahrens für das Funktionieren der Gemeinschaft gerade dieses betreffen sollten. Eine solche Neukonzeption kann sich nur an zwei Möglichkeiten der Fortentwicklung der Union orientieren: Einerseits kann sich die EU hin zu der Entstehung eines zentral gesteuerten Staats auf europäischer Ebene bewegen, in dem die Einheitlichkeit der Rechtsordnung durch ein einzelnes Rechtsprechungsorgan sichergestellt wird, jedoch mit der Folge, dass das Verhältnis zwischen EU und Mitgliedstaaten hierarchisch geprägt ist. Andererseits kann sie sich in Richtung einer dezentralisierten Struktur entwickeln, in der mehr Entscheidungen auf mitgliedstaatlicher Ebene getroffen werden und die Einheit der Rechtsordnung durch verschiedene Spruchkörper, unter denen der EuGH jedoch eine Leitfunktion einnimmt, gewahrt wird. In welche Richtung sich die EU entwickeln wird, lässt sich an den sie prägenden Prinzipien des EG-Vertrags und an den Inhalten des Entwurfs für eine Europäische Verfassung ablesen. Eine einem klassischen Bundesstaat angenäherte Union wird der besonderen, durch Gleichberechtigung geprägten Beziehung zwischen europäischer und nationaler Ebene nicht gerecht, demzufolge strebt ihre neuere Entwicklung, wie bereits in den Verträgen von Maastricht und Nizza sowie auch im Entwurf für eine europäische Verfassung deutlich wird, eine Stärkung der mitgliedstaatlichen Stellung insbesondere in kompetenzrechtlicher Hinsicht an. Eine zentralisierte Struktur würde auch dem unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips konzipierten, durch Gleichordnung und Kooperation der nationalen und europäischen Gerichtsbarkeit gekennzeichneten Mechanismus des Vorabentscheidungsverfahrens widersprechen. Die Störung dieses besonderen Verhältnisses würde aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Vörlagebereitschaft der nationalen Gerichte gerade eine Gefährdung für die Ziele der EU darstellen. Gleichzeitig bewirkt der Kooperationscharakter des Vorabentscheidungsverfahrens sowie die gleichwertige Position der nationalen Gerichte gegenüber dem EuGH, dass einer Gefährdung der Einheit der Rechtsordnung bei einer stärkeren Einbindung der nationalen Gerichte in die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch eine Einschränkung der Vörlagepflicht entgegengesteuert wird. Auch auf dem Gebiet des Rechtsschutzes sind keine Einbußen zu befürchten, dieser wird durch die Steigerung der Effektivität des Vorabentscheidungsverfahrens vielmehr verbessert. Insofern stehen die beiden prägenden Erfordernisse, die Entlastung des EuGH durch Stärkung des Subsidiaritätsgedankens und die gleichzeitige Wahrung der

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Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens nicht in einem so starken Gegensatz zueinander, wie dies auf den ersten Blick den Anschein hat. Diese Erkenntnis ergibt sich auch aus einer Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG hinsichtlich der Reichweite der von ihm statuierten Vorlagepflicht. Die Schaffung einer Balance zwischen der Notwendigkeit einer Entlastung des EuGH unter Stärkung der mitgliedstaatlichen Gerichte bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Kontrollfunktion des EuGH über die Auslegung der wesentlichen Aspekte des Gemeinschaftsrechts ist mit dem Kriterium der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit, das an das Erfordernis der Wahrung der Einheit der Rechtsordnung sowie des Individualrechtsschutzes anknüpft, möglich. Sie ist mit der gegenwärtigen Fassung des Art. 234 Abs. 3 EG vereinbar, wenn man bei der Bestimmung der spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Bedeutung des Begriffs „Frage" einen dynamisch-evolutiven Standpunkt einnimmt und die Überbelastung des EuGH sowie die dezentralen Tendenzen in der Entwicklung der EG in die Interpretation einbezieht. Ob der EuGH diese zugegebenermaßen recht weitgehende Auslegung des Art. 234 Abs. 3 EG teilt oder teilen wird, lässt sich seiner Rechtsprechung nicht eindeutig entnehmen. Aufgrund der positiven Aspekte einer Reduzierung der Tätigkeit des EuGH auf die grundlegenden Auslegungsfragen für die Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens und des damit für ihn verbundenen Akzeptanzgewinns erscheint eine solche Entscheidung jedoch nicht völlig ausgeschlossen. Ansonsten bleibt die Möglichkeit einer Neufassung des Wortlauts des Art. 234 EG im Wege einer Vertragsänderung. Ein neu formulierter Art. 234 Abs. 3 EG könnte lauten: „Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, und hält dieses Gericht eine Klärung der Frage durch den Gerichtshof zur Wahrung der Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung oder des Individualrechtsschutzes für geboten, so ist es zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet."

. Teil

Auswirkungen der Neubestimmung auf das Vorlagerecht der unterinstanzlichen Gerichte Plädiert man für eine Einschränkung der Vorlagepflicht im oben beschriebenen Sinne, stellt sich die Frage, ob nicht auch das Vorlagerecht der unterinstanzlichen Gerichte begrenzt werden sollte, das nach den oben erörterten Statistiken1 in besonderem Maße eine Belastung des EuGH bewirkt. Insofern ist zu überlegen, ob sich das zur Einschränkung der Vörlagepflicht entwickelte Kriterium der gemeinschaftlichen Klärungsbedürftigkeit nicht auf das Vörlagerecht übertragen lässt. Es stellt sich die Frage, inwieweit dem EuGH die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht klärungsbedürftige Fragen unterinstanzlicher Gerichte zurückzuweisen. Wie oben bereits erwähnt, 2 hat er diese Möglichkeit in anderem Zusammenhang in Einzelfällen bereits für sich in Anspruch genommen. Hier ist jedoch zu betonen, dass sich die Zurückweisungsmöglichkeit nur auf Vorlagen unterinstanzlicher Gerichte beziehen darf, um die Vörlagebereitschaft der letztinstanzlichen Gerichte als zentrale Voraussetzung für das Funktionieren des Vorabentscheidungsverfahrens nicht zu beeinträchtigen. Im Bereich der Rechtssachen betreffend Visa, Asyl, Einwanderung und freier Personenverkehr ist eine Einschränkung des Vörlagerechts der unterinstanzlichen Gerichte bereits durch Art. 68 EG sowie als eine den Mitgliedstaaten durch Art. 35 Abs. 3 lit. a) EU eröffnete Wahlmöglichkeit im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen etabliert worden. In diesen Gebieten sind die vorlagepflichtigen Gerichte gleichzeitig auch die allein vorlageberechtigten, unterinstanzliche Gerichte sind zur Vorlage an den EuGH nicht mehr befugt. Eine Einschränkung des Vörlagerechts ist im EG-Vertrag also bereits angelegt. Das hier diskutierte Modell würde demgegenüber keinen vollständigen, sondern nur einen teilweisen, auf Fälle fehlender gemeinschaftsrechtlicher Klärungsbedürftigkeit begrenzten Ausschluss der unterinstanzlichen Gerichte vom Vörlagerecht an den EuGH bewirken. Hinsichtlich solcher Überlegungen bestehen Bedenken, dass eine Reduzierung der Vorlagen unterinstanzlicher Gerichte erheblichen nachteiligen Einfluss auf den Dialog zwischen nationalen und europäischen Gerichten haben würde. 3 Dies 1 Siehe 2. Teil A.II. 2 Siehe 3. Teil B.I.l.

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5. Teil: Auswirkungen der Neubestimmung auf das Vorlagerecht

sei insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass drei Viertel aller Vorlagefragen, darunter mehrere, die zu herausragend wichtigen Urteilen des EuGH geführt haben, von unterinstanzlichen Gerichten der Mitgliedstaaten gestellt werden. Es wird befürchtet, eine Beschränkung des Vorlagerechts würde sich letztendlich auch nachteilig auf die durch das Funktionieren des Vorabentscheidungsverfahrens zu gewährleistende Einheit der Gemeinschaftsrechtsordnung auswirken.4 Anders als bei der Einführung eines generellen Annahmeverfahrens durch den EuGH oder der vollständigen Abschaffung des Vorlagerechts besteht bei einer Begrenzung des Vorlagerechts auf gemeinschaftsrechtlich klärungsbedürftige Fragen allerdings weniger Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit gestört wird. Denn mit der Beschränkung des Vorlagerechts auf gemeinschaftsrechtlich klärungsbedürftige Fragen ergeht ein Appell an die unterinstanzlichen Gerichte, selbst zu prüfen, welche Fälle die oben beschriebenen Kriterien erfüllen. Die Beurteilung, welche Fragen durch den EuGH entschieden werden sollen, liegt also weiterhin bei den nationalen Gerichten. Die Auswahl findet bereits auf nationaler, nicht erst auf europäischer Ebene statt. Insofern bleibt die durch Kooperation geprägte Grundstruktur des VörabentscheidungsVerfahrens erhalten.5 Eine Einschränkung des Vorlagerechts stellt keine Beschränkung der Kompetenzen der nationalen Gerichte, sondern vielmehr eine Anerkennung ihres Verantwortungsbewusstseins sowie ihrer Fähigkeit, die Relevanz einer gemeinschaftsrechtlichen Frage richtig zu beurteilen, dar. Demgegenüber wird ihnen durch das gegenwärtige uneingeschränkte Vörlagerecht diese Fähigkeit gerade abgesprochen. Die mit einer Beschränkung des Vorlagerechts verbundene Intensivierung der Beschäftigung der unterinstanzlichen nationalen Gerichte mit dem Gemeinschaftsrecht bewirkt eine stärkere Einbindung dieser Gerichte in das gemeinschaftsrechtliche System unter Stärkung ihrer Verantwortung.6 Aufgrund dessen steht eine solche Aufgabenverteilung im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip 7 und erscheint im Sinne der hier geforderten Aufgabenübertragung auf die Organe der Mitgliedstaaten sinnvoll.

3 Kennedy, ELRev. 1993, S. 121, 128; Barnard/Sharpston, CMLRev. 1997, S. 1113, 1164; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 64; Hakenberg, ZEuP 2000, S. 860, 864; Rodriguez Iglesias, NJW 2000, S. 1889, 1895; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526; Hopt, RabelsZ 2002, S. 589, 604; Voß, EuR 2003, Beiheft 1, S. 37, 42; Pache/Knauff, NVwZ 2004, S. 16. 4 Everling, in: FS Steinberger, S. 1103, 1110 f.; EuGH, Reflexionspapier, EuZW 1999, S. 750, 754; Arnull, ELRev. 1999, S. 516, 519; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 64 in Bezug auf eine vollständige Abschaffung des Vörlagerechts. 5

So auch Malferrari, Zurückweisung, S. 228; Groh, Auslegungsbefugnis, S. 197. 6 Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 63. 7 Rasmussen, CMLRev. 2000, S. 1171, 1107.

5. Teil: Auswirkungen der Neubestimmung auf das Vorlagerecht

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Es ist davon auszugehen, dass die unterinstanzlichen Gerichte sich ohnehin an den Leitlinien für die Vorlagepflicht orientieren und damit bereits eigenverantwortlich eine Reduzierung der Vorlagen vornehmen werden.8 Dementsprechende Empfehlungen an die unterinstanzlichen Gerichte finden sich bereits in der Literatur und der Rechtsprechung, wie z. B. in Großbritannien in den von Lord Denning verfassten Guidelines, in denen an die unterinstanzlichen Gerichte appelliert wird, die Notwendigkeit einer Vorlage anhand von Kriterien wie z. B. Verfahrensdauer oder Schwierigkeit und Entscheidungserheblichkeit der Frage sorgfältig zu überprüfen und der Überlastung des EuGH Rechnung zu tragen.9 Der EuGH würde also nur in Einzelfällen eine Vorlage eines unterinstanzlichen Gerichts zurückweisen, was bereits seiner gegenwärtigen Praxis entspricht. Der wesentliche Unterschied der unterinstanzlichen Gerichte im Verhältnis zu den letztinstanzlichen vorlagepflichtigen Gerichten, deren Vorlagebereitschaft durch eine Gefahr der Zurückweisung durch den EuGH stärker beeinträchtigt werden würde, liegt darin, dass letztere grundsätzlich eigenverantwortlich und ohne eine ihnen übergeordnete Instanz entscheiden, während die unterinstanzlichen Gerichte daran gewöhnt sind, dass ihre Entscheidungen durch andere Spruchkörper überprüft werden. Aus diesem Grund und aufgrund der Tatsache, dass der EuGH sich wie bisher bei der Entscheidung über eine Zurückweisung von dem Kooperationsgedanken des Vörabentscheidungsverfahrens leiten lassen müsste, erscheint eine Beeinträchtigung der Vörlagebereitschaft der unterinstanzlichen Gerichte aufgrund der Möglichkeit des EuGH, im Einzelfall eine Vorlage zurückzuweisen, nicht gravierend. Hinsichtlich der Funktion des Vörlagerechts zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung ist den unterinstanzlichen Gerichten grundsätzlich in gleichem Maße wie den vorlagepflichtigen Gerichten zuzutrauen, mit dem Gemeinschaftsrecht hinreichend vertraut zu sein, um eine Einschätzung der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit einer Auslegungsfrage vornehmen zu können. Sollte ihnen im Einzelfall eine Fehleinschätzung unterlaufen, bestand diese Möglichkeit schon unter dem gegenwärtigen System, da die unterinstanzlichen Gerichte, wie gerade ausgeführt, sich bereits jetzt an dem Kriterium der Relevanz der Auslegungsfrage für das Gemeinschaftsrecht orientieren. Da hinsichtlich des Kooperationsverhältnisses zwischen EuGH und den unterinstanzlichen Gerichten weniger Gefahr besteht, dass dieses durch eine Zurückweisung beeinträchtigt wird, werden diese Gerichte Zweifelsfragen auch weiterhin dem EuGH vorlegen und diesem ermöglichen, selbst die Relevanz der Frage zu beurteilen. So wird die Einheit der Rechtsordnung nicht nur weiterhin gewährleistet, sondern durch den damit verbundenen Entlastungseffekt für den EuGH vielmehr verbessert.

8 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526. 9

Siehe dazu Knof, Praxis der Vorabentscheidungsverfahren, S. 135 ff.

10 Hummert

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5. Teil: Auswirkungen der Neubestimmung auf das Vorlagerecht

Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass eine Beschränkung des Vorlagerechts eine sinnvolle und im Einklang mit dem Kooperationscharakter des Vorabentscheidungsverfahrens stehende Ergänzung zur Lockerung der Vorlagepflicht darstellt, die zudem eine zusätzliche Entlastung des EuGH bewirkt.

6. Teil

Sanktionen bei Missachtung der Vorlagepflicht Eine Möglichkeit, dem durch das Kriterium der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit erweiterten Spielraum den nationalen Gerichten im Interesse der Wahrung der Einheitlichkeit der europäischen Rechtsordnung ein Gegengewicht entgegenzusetzen, bestünde in der Einführung einer wirksameren Sanktion für den Fall der Nichtbeachtung der Vorlagepflicht durch die nationalen Gerichte. Um dies zu erreichen, könnte die Kommission als Exekutivorgan oder der EuGH als Rechtsmittelinstanz ausgestaltet und mit zusätzlichen Kompetenzen ausgestattet werden. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Maßnahme tatsächlich nur Vorteile mit sich bringen und, vor allem, ob sie sich im Einklang mit dem System des Vörabentscheidungsverfahrens befinden würde.

A. Vorlagerecht der Kommission Eine Kontrolle der nationalen Gerichte könnte durch die Kommission erfolgen, indem dieser das Recht eingeräumt würde, Auslegungsfragen, die unter Verstoß gegen die Vörlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG unterblieben sind, selbst dem EuGH vorzulegen.1 Eine solche Befugnis würde der Zuständigkeit der Kommission für die Verfolgung von Vertragsverletzungen in ihrer Eigenschaft als „Hüterin der Verträge" entsprechen. Sie würde auf den ersten Blick dazu beitragen, die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung sicherzustellen,2 da eine zentrale Instanz nach einheitlichen Maßstäben entscheiden würde, welche Fragen an den EuGH gelangen sollen. Eine solche Konzeption hätte zur Folge, dass die Kommission jedes Urteil der vorlagepflichtigen nationalen Gerichte überprüfen und feststellen müsste, ob eine Vorlage an den EuGH geboten gewesen wäre. Aufgrund der Tatsache, dass in der Regel erst aus dem Inhalt des ergangenen Urteils geschlossen werden kann, ob in dem betreffenden Verfahren eine Vorlage notwendig gewesen wäre, erscheint nur eine ex-post-Kontrolle durch die Kommission möglich.3 Dies wirft das Problem auf, dass eine nach Erlass des Urteils erfolgende Vorlage durch die Kommission 1 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527; Hirsch, RabelsZ 2002, S. 615, 619. 2 Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 527. 3

9!

So auch zur Kontrolle durch den EuGH Dauses, Gutachten DJT, S. D 128.

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6. Teil: Sanktionen bei Missachtung der Vorlagepflicht

und die darauf ergehende Antwort des EuGH auf den bereits abgeschlossenen nationalen Rechtsstreit keine Auswirkungen mehr haben könnte,4 so dass die Antwort lediglich für ähnlich gelagerte später auftretende Fälle Bedeutung hätte. Durch diesen Aspekt wird der Nutzen eines Vörlagerechts der Kommission für die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung stark eingeschränkt. Ein solches System erscheint auch unter dem bereits angesprochenen Aspekt der Kooperation zwischen europäischer und nationaler Ebene problematisch, da die nationalen Gerichte durch die Kommission kontrolliert und so ein hierarchisches, durch den Vorrang der europäischen Ebene geprägtes Verhältnis zwischen mitgliedstaatlichen und europäischen Organen entstehen würde. Gerade hier wäre eine besonders krasse Form der Bevormundung der nationalen Gerichte gegeben, da die Kommmission, die kein Rechtsprechungsorgan ist, durch die Selbstvornahme der Vorlage Aufgaben der nationalen Gerichte übernehmen würde. Um Schäden für das Kooperationsverhältnis zu vermeiden, hat sich die Kommission bisher in der Anstrengung von Vertragsverletzungsverfahren im Hinblick auf die Nichtvornahme gebotener Vorlagen durch nationale Gerichte bewusst zurückgehalten. Dieses Signal spricht gegen die Einführung einer noch stärkeren Kontrolle der nationalen Gerichte durch die Kommission.

B. Nichtvorlagebeschwerde zum EuGH Eine Alternative bestünde in der Einrichtung eines Rechtsbehelfs zum EuGH mit der Möglichkeit der Rüge der Missachtung der Vorlagepflicht durch die Parteien des nationalen Rechtsstreits.5 Dadurch würde der Rechtsschutz für die Parteien erweitert, die bisher keine Möglichkeit haben, selbst und direkt gegen Verstöße gegen die Vorlagepflicht vorzugehen, da das bisherige System als ein Verfahren zwischen Richtern ausgestaltet ist. Diese Konzeption würde damit aufgegeben, im Gegenzug scheint jedoch die Gewährleistung der Einheit der Rechtsordnung sichergestellt.6 Auch hier würde aus den oben genannten Gründen lediglich eine ex-post-Kontrolle in Betracht kommen.7 Die Etablierung eines solchen Systems führt dazu, dass der EuGH sich zum einen mit der Prüfung der Rüge der Parteien in Bezug auf das Bestehen der Vörlagepflicht und u.U. im Anschluss daran mit dem Inhalt der 4 Toth, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 394, 400; Jung, EuR 1992, S. 246, 262; Vesterdorf, ELRev. 2003, S. 303, 317. 5 EuGH, Bericht über die Europäische Union, Bulletin der EG, Beilage 9/75, S. 19; Kommission, Bericht über die Europäische Union, Bulletin der EG, Beilage 5/75, S. 39; Meilicke, RIW 1994, S. 477, 479; Allkemper, Rechtsschutz, S. 210; Streinz/Leible, EWS 2001, S. 1,

11.

6 Schmidt-Aßmann, JZ 1994, S. 832, 838; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 52. 7 Dauses, Gutachten DJT, S. D 127; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 52.

B. Nichtvorlagebeschwerde zum EuGH

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zu Unrecht nicht vorgelegten Frage beschäftigen müsste. Dies würde dem Ziel einer Beschleunigung des Verfahrens zuwider laufen 8 sowie eine zusätzliche Belastung des EuGH darstellen,9 durch die die durch die Verringerung der Vorlageersuchen erreichte Entlastung möglicherweise wieder aufgehoben würde. Daneben bleibt hier das bereits jetzt im Hinblick auf die Sanktion der Nichtvorlage gegebene Problem des Beurteilungsspielraums des nationalen Gerichts bestehen, das bei einer Erweiterung der Ausnahmen von der Vorlagepflicht noch verstärkt würde. Die Feststellung der Überschreitung dieses Beurteilungsspielraums durch den EuGH könnte nur in Fällen besonders krasser Missachtung erfolgen, da der den nationalen Gerichten in der Beurteilung der gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit gegebene Entscheidungsspielraum gewahrt werden müsste.10 Demzufolge hätte eine Rüge der Nichtvorlage nur in Einzelfällen Erfolg, also verspricht auch dieses Verfahren keine maßgebliche Verbesserung im Hinblick auf die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung in Europa. Zudem hätte dieser Vorschlag ebenfalls eine grundlegende Veränderung der Grundkonzeption des europäischen Gerichtssystems und besonders des Vörabentscheidungsverfahrens zur Folge: Der Gerichtshof würde die Rolle eines Kassationsgerichts übernehmen, was das Verhältnis zwischen ihm und den nationalen Gerichten von einer gleichgeordneten Kooperation hin zu einer hierarchischen Über- / Unterordnung verschieben und die einzigartige partnerschaftlich orientierte und flexible Konzeption des Vörabentscheidungsverfahrens zerstören würde. 11 Durch einen solchen Systembruch würde das Funktionieren des Vörabentscheidungsverfahrens, das auf die Kooperationsbereitschaft der nationalen Gerichte angewiesen ist, aufs Spiel gesetzt. Dies könnte zur Konsequenz haben, dass das angestrebte Ziel, die Sicherung der Vorlage für die Einheit und Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts wesentlicher Fragen, durch den negativen Effekt für die Kooperationsbereitschaft der nationalen Gerichte konterkariert würde. Auch dieses Sanktionsmittel bietet also keine praktikable Möglichkeit zur Durchsetzung der Vörlagepflicht.

8 Jung, EuR 1992, S. 246, 263; Schmidt-Aßmann, JZ 1994, S. 832, 838; Lipp, JZ 1997, S. 326, 331; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 52. 9 Dauses, Gutachten DJT, S. D 127. 10 Ebenda. n Bebr, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 345, 364; Mackenzie Stuart, in: Schermers u. a., Art. 177 EEC, S. 335, 337; Rothley, Bericht EP, EP-Dok. PE 155.441 /endg., S. 13; Dauses, Gutachten DJT, S. D 127; Turner/Munoz, YEL 1999/2000, S. 1, 53; Reflexionsgruppe, EuGRZ 2001, S. 523, 526; Sack, Reform, S. 28.

150

6. Teil: Sanktionen bei Missachtung der Vorlagepflicht

C. Schlussfolgerung Diese Überlegungen verdeutlichen erneut den besonderen Charakter des Vorabentscheidungsverfahrens, dem jede Form der Hierarchie zwischen nationaler und europäischer Ebene fremd ist. Dementsprechend gilt das bereits oben Gesagte: Jede Entwicklung der Union hin zu einem zentralisierten Staat entspricht nicht dem Konzept und der angestrebten zukünftigen Gestalt der Union. Diese gebietet vielmehr, das System der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und insbesondere ihren Gerichten im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip aufrecht zu erhalten und zu intensivieren. Nur so kann die Funktionsfähigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens und damit die Sicherung seiner Ziele dauerhaft gewährleistet werden. Dem widerspricht jedoch die Einführung einer wie auch immer gestalteten Revision gegen die Entscheidungen der nationalen Gerichte zum EuGH in besonders krassem Maße. Durch eine solche Konzeption würde ebenfalls eine Annäherung an einen zentralistisch geprägten Staat erzielt, in dem die Mitgliedstaaten und ihre Gerichte lediglich regionale Untergliederungen einer Zentralmacht darstellen und deren Organen untergeordnet sind. Aus diesem Grund ist jegliche Form der Verschärfung der Sanktion der Nichtvorlage nationaler Gerichte durch europäische Organe abzulehnen. Insofern zeigt sich, dass die oben bereits festgestellte mangelnde Sanktion eines Verstoßes gegen die Vorlagepflicht in der besonderen Konzeption der EU begründet liegt, nach dem diese von der Kooperation ihrer Gründer, der Mitgliedstaaten, abhängig ist. Die Europäische Union baut auf der Unterstützung durch die Organe der Mitgliedstaaten auf, funktioniert diese, ist kein Erzwingungsmechanismus nötig, um die Erreichung der Ziele der Union sicherzustellen.

. Teil

Ergebnisse 1. Ausgangspunkt der hier vorgenommenen Untersuchung war die Frage, ob die Funktion der acte-clair-Doktrin als Instrument zur Verteilung der Zuständigkeit zwischen nationaler und europäischer Gerichtsbarkeit im Rahmen des Vörabentscheidungsverfahrens effektiver als bisher für eine Entlastung des EuGH genutzt werden könnte, ohne dass die Funktionsfähigkeit des Vörabentscheidungsverfahrens beeinträchtigt wird. 2. Diese Fragestellung wird durch zwei Determinanten bestimmt, die die Struktur sowie die Ziele der Gemeinschaft betreffen. Zum einen ist der die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der EU als grundlegendes Prinzip prägende Gedanke der Subsidiarität, der sich im Kooperationscharakter des Vörabentscheidungsverfahrens niederschlägt, zu berücksichtigen; daneben sind die Ziele des Vörabentscheidungsverfahrens, die Wahrung der Einheit der Rechtsordnung sowie der Individualrechtsschutz, von entscheidender Bedeutung. 3. Die durch den EuGH in seinem C.I.L.F.I.T.-Urteil konkretisierte acte-clairDoktrin zieht als Maßstab für die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen ihm und den letztinstanzlichen mitgliedstaatlichen Gerichten innerhalb des Vörabentscheidungsverfahrens das Kriterium der Offenkundigkeit bzw. Klarheit der Norm heran. An diese sind nach seinen Ausführungen hohe Anforderungen zu stellen, die anhand eines umfangreichen Katalogs überprüft werden müssen. Das Kriterium der Klarheit soll insbesondere die Einheit der Rechtsordnung durch einen Verbleib der Auslegungskompetenz allein beim EuGH sicherstellen, zugleich jedoch das Kooperationsverhältnis zwischen nationalen Gerichten und EuGH fördern. 4. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass der vom EuGH aufgestellte Maßstab von den nationalen Gerichten nicht konsequent umgesetzt wurde, wodurch sowohl die Kooperation zwischen mitgliedstaatlicher und europäischer Ebene als auch die Einheit der Rechtsordnung beeinträchtigt wird. 5. Diese Praxis ist u. a. darauf zurückzuführen, dass weder auf gemeinschaftsrechtlicher noch auf nationaler Ebene eine Einhaltung der vom EuGH entwickelten Vörlagepflicht durchgesetzt werden kann. Aufgrunddessen erscheint der Versuch, die vorlagepflichtigen Gerichte durch nahezu unerfüllbare Kriterien zu knebeln, nicht sinnvoll, da die Einhaltung dieser Kriterien nicht erzwingbar und ein solcher Zwang von der auf Gleichberechtigung beruhenden Konzeption der EG auch nicht gewollt ist.

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7. Teil: Ergebnisse

6. Ausgehend von diesen Erkenntnissen gehen die hier vorgenommenen Reformüberlegungen dahin, den Begriff der Klarheit zu modifizieren. Ansatzpunkt für diese Neubestimmung bildet, wie auch schon für die Entwicklung der ursprünglichen acte-clair-Doktrin, die Bedeutung des Begriffs „Frage" in Art. 234 Abs. 3 EG. Die dynamische Ausrichtung der Auslegung dieses Begriffs unter Berücksichtigung der neuen Struktur der EU bewirkt einen entscheidenden Wandel seiner Tragweite. 7. Wurde dieser Begriff ursprünglich im Sinne von „Zweifeln" an der Bedeutung der Norm verstanden, und die rein formelle Trennung zwischen Auslegung und Anwendung zum Maßstab erhoben, ist die neue Deutung des Begriffs von teleologischen Erwägungen geprägt. Die Interpretation der Formulierung „Frage" als Implikation einer gemeinschaftsrechtlichen Klärungsbedürftigkeit, die das Eingreifen der Vorlagepflicht von der Bedeutung der Frage für die Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens abhängig macht, indem sie sich an dem Rang der auszulegenden Vorschrift sowie der Gefahr ihrer unterschiedlichen Auslegung in den Mitgliedstaaten orientiert, wird sowohl dem Kooperationscharakter des Vorabentscheidungsverfahrens und damit dem Subsidiaritätsprinzip als auch der Funktion des Vorabentscheidungsverfahrens besser gerecht. Durch den Appell an die Verantwortung der letztinstanzlichen Gerichte wird deren Vorlagebereitschaft und damit die Einheit der Rechtsordnung gefördert, gleichzeitig wird durch die Verkürzung der Verfahrensdauer eine Verbesserung des Rechtsschutzes bewirkt. 8. Die Orientierung der Interpretation des Begriffs „Frage" in Art. 234 Abs. 3 EG und damit der Zuständigkeitsverteilung zwischen nationalen letztinstanzlichen Gerichten und EuGH an den Zielen des Gemeinschafsrechts ermöglicht eine den Anforderungen der modernen EU angepasste Konzeption des Vorabentscheidungsverfahrens. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sie aufgrund der steigenden Belastung der europäischen Organe und der Größe von 25 Mitgliedstaaten, die eine umfassende Kontrolle erschwert, immer mehr auf die Mitwirkung der mitgliedstaatlichen Organe angewiesen ist. Die Schlüsselstellung der nationalen Gerichte als funktionelle Gemeinschaftsgerichte im europäischen Rechtsschutzsystem, die ihnen die erforderlichen Qualifikationen vermittelt, um verstärkt in die Auslegung des Gemeinschaftsrechts eingebunden zu werden, wird anerkannt und verfahrensrechtlich umgesetzt. Dadurch wird eine von zukünftigen Erweiterungen unabhängige Basis geschaffen, die aufgrund der verstärkten Beschäftigung der letztinstanzlichen nationalen Gerichte mit dem Gemeinschaftsrecht seine Akzeptanz und Anwendung in den Mitgliedstaaten langfristig sicherstellt. Eine zusätzliche Entlastung des EuGH und gleichzeitige Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der nationalen Gerichte wird durch die Erstreckung des Kriteriums der gemeinschaftlichen Klärungsbedürftigkeit auch auf das Vorlagerecht der unterinstanzlichen Gerichte erreicht. 9. Eine solche Konzeption steht im Gegensatz zu der bisherigen einseitigen Entwicklung des Rechtsschutzsystems der Union in Richtung einer Erweiterung der

7. Teil: Ergebnisse

Gemeinschaftskompetenzen und der Ausdehnung seiner europäischen Organe. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die EU ein einzigartiges Gebilde darstellt, dessen Funktionsfähigkeit auch auf lange Sicht stets von den Mitgliedstaaten abhängig sein wird. Insofern hat sie einen Wendepunkt erreicht, der, ähnlich wie auch in den Mitgliedstaaten zu beobachten, eine Rückbesinnung auf die Bedeutung und die Leistungsfähigkeit der ihr untergeordneten Ebenen erforderlich macht, um die effektive Erfüllung ihrer Aufgaben langfristig zu sichern. Diese Notwendigkeit ist insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen im Ratifizierungsprozess der europäische Verfassung zu sehen, aus denen sich das Signal ergibt, dass die Bevölkerung der Mitgliedstaaten einer zu schnell fortschreitende Ausdehnung des europäischen Einflussbereichs skeptisch gegenübersteht. Insofern sollte der in dem Entwurf der Europäischen Verfassung zum Motto der EU erklärte Wahlspruch „Einheit in Vielfalt" auch für die zukünftige Ausgestaltung der Kompetenzverteilung im Rahmen des Vörabentscheidungsverfahrens gelten, wobei sich die „Einheit" auf die europäische Rechtsordnung bezieht, während die „Vielfalt" in den unterschiedlichen nationalen Spruchkörpern, durch die diese Einheit gewahrt wird, zu finden ist.

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trtverzeichnis acte-clair-Doktrin - Anwendung durch die nationalen Gerichte 32 - Begriff 15,31 - C.I.L.F.I.T.-Urteil 34 - Entwicklung 33-36 Auslegung - Abgrenzung zur Rechtsanwendung 35, 110 - des Art. 234 Abs. 3 EG 101 -125 - dynamisch-evolutive 112 - Methoden 102 - Systematik 107 - teleologische 111 - Wortlaut 105

- Gericht erster Instanz 62, 89, 108 - Kammern 64 - Verfahrensordnung des EuGH 67

C.I.L.F.I.T.-Urteil 34 - Kritik 40

Offenkundigkeit 35

effet utile 112 Einheit der Rechtsordnung 20-21,

82,

120-128

EMRK 53 Europäische Union - Erweiterung 60 - zukünftige Entwicklung 71, 95, 141 Formulierungsvorschlag Art. 234 Abs. 3 EG 142 Garantie des gesetzlichen Richters 55 Gemeinschaftsrecht - Anwendungsvorrang 17 - Auslegung 102 Gerichte - unterinstanzliche 143 - vorlagepflichtige 28 Gerichtsbarkeit, europäische - Aufgaben 110 - duale Struktur 17

Individualrechtsschutz 23-24, 82, 123126 Klärungsbedürftigkeit, gemeinschaftsrechtliche 129 - Begriff 131 - Beispiele 138-142 Kooperationsverhältnis 19, 110, 118, 139, 144 Monitoring-Report 41

Rechtsangleichung 116 Reformvorschläge 126-141 - Annahmeverfahren 85 - Dezentralisierte Gemeinschaftsgerichte 92 - Filterverfahren 84, 97, 99 - Vorabentscheidungskompetenzen des EuG 89 - Vorlagerecht 143 Staatshaftung der Mitgliedstaaten 47-53 - Köbler-Urteil 51 - Richterprivileg 49 Subsidiaritätsprinzip 20, 70, 76-82, 110 Verfassung, europäische 68 Verfassungsbeschwerde 59-65 Vertrag von Nizza 60-66, 108 Vertragsverletzungsverfahren 47-49 Verwerfungsmonopol, gemeinschaftsrechtliches 30

Stichwortverzeichnis Vorabentscheidungsverfahren - Bedeutung 22-24 - bisherige Reformen 60 - 72 - Funktion 17-19 - Kooperationscharakter 19-20 - Reformvorschläge 75 - 94 - Statistik 23 - Verfahrensdauer 24 - Vorlagerecht 143 - Ziele 83, 114-123 - Zuständigkeit des EuG 62 - Zwischen verfahren 19 Vorlagen nationaler Gerichte 23

173

Vorlagepflicht - Ausnahmen 29 - betroffene Gerichte 25 - 28 - Gegenstand 28 - Lockerung 101, 119, 125 - Neubestimmung 101, 126-142 - Praxis der nationalen Gerichte 39-45 - Sanktionen 46, 147-150 - Umfang 29, 126 - Verstöße 42 Zuständigkeitsverteilung - zwischen EU und Mitgliedstaaten 69, 77 - zwischen nationalen und europäischen Gerichten 17,19,79, 110