Restriktive und verallgemeinerte Handiungsfähigkeit: Zur Neubestimmung eines kritisch-psychologischen Zentralkonzepts im Rahmen des subjektwissenschaftlich vermittlungsanalytischen Paradigmas der Kritischen Psychologie

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Restriktive und verallgemeinerte Handiungsfähigkeit: Zur Neubestimmung eines kritisch-psychologischen Zentralkonzepts im Rahmen des subjektwissenschaftlich vermittlungsanalytischen Paradigmas der Kritischen Psychologie

Table of contents :
Einleitung
Kapitel 1: Das Konzept restriktiver-verallgemeinerter
Handlungsfähigkeit im Kontext der kritischpsychologischen Kategorialanalyse
1.1 Ste11enwertbestimmung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit im logisoh-historisohen Ableitungsverfahren;
Ansatzpunkte der Weiterentwicklung
1.2 A11gemeine Kategoria1ana1yse a1s Entwiok1ung eines begrifflichen Rahmens zur Abbildung der Vermitt1ungen zwischen
individuelIem und gese11schaft1iohem Lebensprozeß
1.3 Die überwindung vom jeg1ichem ökonomismus im a11gemeinen
Begriff der Hand1ungsfähigkeit
1.4 Von der Bestimmung der allgemeinen Grundkategorien zur
Bestimmung des begrifflichen Instrumentariums formationsspezifischer Vermittlungsanalysen
1.5 Die Ab1eitung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit
als psychologisches Grundkonzept unter kapitalistischen
Lebensbedingungen
1.5.1 Kategoria1e Bedeutungsanalyse
1.5.2 Kategoriale Begründungsanalyse
1.5.3 Konsequenzen restriktiver Handiungsfähigkeit: IntrumentaIbeziehungen, Seibstfeindschaft, Unbewußtes
1.5.4 Kognitive und emotiona1-motivationa1e Funktionsaspekte
restri kt i ver-vera1 1gemeinerter Handl ungsfähigke i t
1.6 Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als Festschreibung
einer kapitaI ismusspezifischen Widerspruohsanalyse in den
psychologischen Grundkategorien- 2 -
Kapitel 2: Gesellschaftstheoretische Diskussion des
Konzepts restriktiver-verallgemeinsrter
Handlungsfähigkeit
2.1 Einleitung 69
2.2 Die gesellschaftstheoretische Abstraktheit des Konzepts
restriktiver Handlungsfähigkeit 74
2.3 Politische Analysen und Perspektiven als kategoriale Tiefenstruktur des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit 81
2.4 Der Widerspruch zwischen dem K1assenkampfcharakter des
Konzepts restriktiver Hand1ungsfähigkeit und dem
"Ende der Arbeitsgesellsohaft" 88
2.5 Diskussion des bürgerlichen Staates 94
2.6 System und Lebenswelt; Konflikte und Handlungsfähigkeit
unter "modernen" und "postmodernen" Bedingungen 101
2.7 Erweiterung der gesellschaftstheoretischen Grundlagen um
eine Kritik des Realsozialismus 110
2.8 Weltmarkt, Zivilisationskrise, Neubestimmung politischer
Perspektiven 117
2.9 Anmerkungen zum Konzept vera11gemeinerter Handlungsfähigkeit:
geschichtsphilosophische und begriffslogische Definitionen
versus reaihistorische Exp1ikationen des Begriffs der
Handlungsfähigkeit 122
2.10 Zur inha1t1ichen Unbestimmtheit der a11gemeinen Kategorie der
Hand1ungsfähigkeit und zur Notwendigkeit der Aufkiärung
ihrer konkreten Dimensionierung 131
2. 11 Psychologische Einseitigkeiten a1s Konsequenz gesel lschaftstheoretischer Schwerpunktsetzungen 138
2. 12 Denkanalyse im Produktionsparadigma 144
2. 13 Historisierung und Neubestimmung des Konzepts restriktiver
Handlungsfähigkeit in der Fo1ge des Zusammenbruchs des
Rea1sozialismus 148- 3 -
Kapitel Der einzel theoretische Charakter des Konzepts
restrikt iver-verallgeme inerter Handlungsfähigkeit
3.1 Ein1eitung 154
3.2 Der Ste11enwert gese11schaftstheoretisoher Erkenntnisse in
der psychologischen Forschung
3.2.1 Zum Verhä1tnis von geselischaftstheoretischer Ebene und
der Ebene psyoho1ogischer Grundbegriffe 156
3.2.2 Widersprüch1iche Bestimmung des Konzepts restriktiver
Handlungsfähigkeit als konditionale Veranschaulichung
einerseits und als zentrales analytisches Instrument
andererseits 161
3.2.3 Funktionalistisohe Gefahren 166
3.2.4 Aspekte kritisch-psychoiogischer Vermitt1ungsanalyse; Unterschied zwischen kategoria1er Bestimmung des Nensch-WeltZusammenhangs und aktualempirischen Prozeßanalysen 168
3.2.5 Unbestimmtheit der Datenbasis des Konzepts restriktiver
Handlungsfähigkeit und Perspektiven ihrer Überwindung 173
3.3 Der einze1theoretisohe charakter des Konzepts restriktiver
Handlungsfähigkeit
3.3.1 Das Konzept restriktiver Hand1ungsfähigkeit a1s Prozeß-
hypothese 178
3.3.2 Der Unterschied von Theorien und Kategorien und seine
Konsequenzen für die Einschätzung des Konzepts restriktiver Handiungsfähigkeit 184
3.3.3 Die Verkehrung einzeitheoretischer Begriffsbi1dungen in
kategoria1e Voraussetzungen der Aktual forschung 189
3.4 Konsequenzen der Kategoriaiisierung des Konzepts vera11gemeinerter-restriktiver Handlungsfähigkeit
3.4.1 Ansatzweiser Verlust des subjektwissenschaftlichen
Standpunkts 192
3.4.2 Methodische Konsequenzen: subjektwissenschaftiiche
Begriffsbiidung und Einbeziehung der Betroffenen 197
3.4.3 Der Zusammenhang zwischen der Aufgabe des subjektwissenschaft1ichen Standpunkts und dem Problemkreis der
Normativität 200- 4 -
3.4.4 Die Gefahr der Skalierung menschlicher Subjektivität als
Konsequenz der Kategorialisierung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit 204
3.4.5 Die Totalisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als Nedium möglicher Einzeltheorien und die
Ebene der menschlichen Lebenserfahrung 210
3.4.6 Der meta-theoretische Charakter des Konzepts restriktiver
Hand1ungsfähigkeit a1s Leithypothese der kritischpsychologischen "Entwick1ungsfigur" 214
3.4.7 Das Konzept restriktiver Hand1ungsfähigkeit als Zulassungsinstanz einzeltheoretischer Forschung 223
3.5 Der bereichsspezifische charakter der Konzepts restriktiver
Handlungsfähigkeit 226
3.6 Die Ausrichtung der Analyse an der menschlichen Spezifik
gese1lschaft1 icher Lebenserha1tung und die Vie1falt
menschlichen Er1ebens und Handelns 229
Kapitel ^ e i Ebenen der Eegriffshildung^
Grundkategorien und theoretische
Konstrukte
4.1 Zur Notwendigkeit resultativer Begriffsbestimmungen im
subjektwissenschaft1ichen Forschungsprozeß 242
4.2 Strukturana1yse versus Prozeßana1yse; theoretische
Konstrukte a1s einzeltheoretische Begriffsbi1dungen 246
4.3 Der Hergeste11theitsaspekt und der Verwendungsaspekt von
Grundkategorien und theoretischen Konstrukten; Differenzierung des Begriffs der Kategoria1ana1yse 261
4.4 Grundzüge des einzeltheoretischen Erkenntnisprozesses im
orientierungsverhältnis zu den Grundkategorien
4.4.1 Die Handlungsproblematik als Ausgangspunkt der einzeltheoretischen Forschung 270
4.4.2 Bearbeitung der Forschungsproblematik im Begründungsdiskurs 271
4.4.3 Bedeutungsana1yse im einzeltheoretischen Forschungsprozeß 273
4.4.4 Vorbegriffe und Brkenntniszuwachs im einzeltheoretischen
Prozeß: zur Bildung theoretischer Konstrukte 2754.4.5 Erweiterung des Gegenstandsbezugs im einzeltheoretisohen
Forschungsprozeß : affinitives Forschen
4.5 Zur Einbeziehung der Betroffenen in den einzeltheoretisohen
Erkenntnisprozeß
4.6 Die imp1ikative Struktur von einzeltheoretisohen Aussagen
und die Frage der empirischen Bewährung
4.7 Zum analytischen charakter einzeltheoretisoher Begriffsbestimmungen und Zusammenhangsannahmen
4.8 Kritisoh-psyohoiogische Weiterentwiok1ungen: Prob1emorientierte Hypothesenbildung auf der Grundlage des Konzepts
restriktiver Handlungsfähigkeit
Literaturverzeichnis

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Ralph Baller

Restriktive und verallgemeinerte Handiungsfähigkeit Zur Neubestimmung eines kritisch-psychologischen Zentralkonzepts im Rahmen des subjektwissenschaftlich^vermittlungsanalytischen Paradigmas der Kritischen Psychologie

inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades am Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften I der Freien Universität Berlin

Tag der Disputation: 15. November 1995 Tag der Promotion: 1 5. November 1 995

Gutachter:

Dr. Gisela Ulmann Dr. Morus Markard

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Kapitel 1: Das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit im Kontext der kritischpsychologischen Kategorialanalyse

1.1

Ste11enwertbestimmung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit im logisoh-historisohen Ableitungsverfahren; Ansatzpunkte der Weiterentwicklung

1.2

A11gemeine Kategoria1ana1yse a1s Entwiok1ung eines begrifflichen Rahmens zur Abbildung der Vermitt1ungen zwischen individuelIem und gese11schaft1iohem Lebensprozeß

1.3

Die überwindung vom jeg1ichem ökonomismus im a11gemeinen

1.4

Von der Bestimmung der allgemeinen Grundkategorien zur

Begriff der Hand1ungsfähigkeit

Bestimmung des begrifflichen Instrumentariums format i onsspez i f i scher Vermi tt l ungsanal ysen 1.5

Die Ab1eitung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als psychologisches Grundkonzept unter kapitalistischen Lebensbedingungen

1.5.1

Kategoria1e Bedeutungsanalyse

1.5.2

Kategoriale Begründungsanalyse

1.5.3

Konsequenzen restriktiver Handiungsfähigkeit: Intrumen-

1.5.4

Kognitive und emotiona1-motivationa1e Funktionsaspekte

taIbeziehungen, Seibstfeindschaft, Unbewußtes

restri kt i ver-vera1 1 gemeinerter Handl ungsfähigke i t 1.6

Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als Festschreibung einer kapitaI ismusspezifischen Widerspruohsanalyse in den psychologischen Grundkategorien

-

Kapitel 2: Gesellschaftstheoretische Diskussion des Konzepts restriktiver-verallgemeinsrter Handlungsfähigkeit 2.1 Einleitung 2.2 Die gesellschaftstheoretische Abstraktheit des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit 2.3 Politische Analysen und Perspektiven als kategoriale Tiefenstruktur des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit 2.4 Der Widerspruch zwischen dem K1assenkampfcharakter des Konzepts restriktiver Hand1ungsfähigkeit und dem "Ende der Arbeitsgesellsohaft" 2.5 Diskussion des bürgerlichen Staates 2.6 System und Lebenswelt; Konflikte und Handlungsfähigkeit unter "modernen" und "postmodernen" Bedingungen 2.7 Erweiterung der gesellschaftstheoretischen Grundlagen um eine Kritik des Realsozialismus 2.8 Weltmarkt, Zivilisationskrise, Neubestimmung politischer Perspektiven 2.9 Anmerkungen zum Konzept vera11gemeinerter Handlungsfähigkeit: geschichtsphilosophische und begriffslogische Definitionen versus reaihistorische Exp1ikationen des Begriffs der Handlungsfähigkeit 2.10 Zur inha1t1ichen Unbestimmtheit der a11gemeinen Kategorie der Hand1ungsfähigkeit und zur Notwendigkeit der Aufkiärung ihrer konkreten Dimensionierung 2. 11 Psychologische Einseitigkeiten a1s Konsequenz gesel lschaftstheoretischer Schwerpunktsetzungen 2. 12 Denkanalyse im Produktionsparadigma 2. 13 Historisierung und Neubestimmung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit in der Fo1ge des Zusammenbruchs des Rea1sozialismus

2

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69 74

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88 94 101 110 117

122

131 138 144

148

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Kapitel

3

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Der einzel theoretische Charakter des Konzepts restrikt iver-verallgeme inerter Handlungsfähigkeit

3.1 Ein1eitung 3.2 Der Ste11enwert gese11schaftstheoretisoher Erkenntnisse in der psychologischen Forschung 3.2.1 Zum Verhä1tnis von geselischaftstheoretischer Ebene und der Ebene psyoho1ogischer Grundbegriffe 3.2.2 Widersprüch1iche Bestimmung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als konditionale Veranschau l i chung einerseits und als zentrales analytisches Instrument andererseits 3.2.3 Funktionalistisohe Gefahren 3.2.4 Aspekte kritisch-psychoiogischer Vermitt1ungsanalyse; Unterschied zwischen kategoria1er Bestimmung des Nensch-WeltZusammenhangs und aktual empirischen Prozeßanalysen 3.2.5 Unbestimmtheit der Datenbasis des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit und Perspektiven ihrer Überwindung 3.3 Der einze1theoretisohe charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit 3.3.1 Das Konzept restriktiver Hand1ungsfähigkeit a1s Prozeßhypothese 3.3.2 Der Unterschied von Theorien und Kategorien und seine Konsequenzen für die Einschätzung des Konzepts restriktiver Handiungsfähigkeit 3.3.3 Die Verkehrung einzeitheoretischer Begriffsbi1dungen in kategoria1e Voraussetzungen der Aktual forschung 3.4 Konsequenzen der Kategoriaiisierung des Konzepts vera11gemeinerter-restriktiver Handlungsfähigkeit 3.4.1 Ansatzweiser Verlust des subjektwissenschaftlichen Standpunkts 3.4.2 Methodische Konsequenzen: subjektwissenschaftiiche Begriffsbiidung und Einbeziehung der Betroffenen 3.4.3 Der Zusammenhang zwischen der Aufgabe des subjektwissenschaft1ichen Standpunkts und dem Problemkreis der Normativität

154

156

161 166

168 173

178

184 189

192 197

200

-

Die Gefahr der Skalierung menschlicher Subjektivität als Konsequenz der Kategorialisierung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit 3.4.5 Die Totalisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als Nedium möglicher Einzeltheorien und die Ebene der menschlichen Lebenserfahrung 3.4.6 Der meta-theoretische Charakter des Konzepts restriktiver Hand1ungsfähigkeit a1s Leithypothese der kritischpsychologischen "Entwick1ungsfigur" 3.4.7 Das Konzept restriktiver Hand1ungsfähigkeit als Zulassungsinstanz einzeltheoretischer Forschung 3.5 Der bereichsspezifische charakter der Konzepts restriktiver Handl ungsfähi gke i t 3.6 Die Ausrichtung der Analyse an der menschlichen Spezifik gese1lschaft1 icher Lebenserha1tung und die Vie1falt menschlichen Er1ebens und Handelns

4

-

3.4.4

Kapitel

4.1

204

210

214 223 226

229

^ e i Ebenen der Eegriffshildung^ Grundkategorien und theoretische Konstrukte

Zur Notwendigkeit resultativer Begriffsbestimmungen im subjektwissenschaft1ichen Forschungsprozeß

4.2

Strukturana1yse versus Prozeßana1yse; theoretische

4.3

Der Hergeste 11 the itsaspekt und der Verwendungsaspekt von

Konstrukte a1s einzeltheoretische Begriffsbi1dungen

242 246

Grundkategorien und theoretischen Konstrukten; Differenzierung des Begriffs der Kategoria1ana1yse 4.4

261

Grundzüge des einzeltheoretischen Erkenntnisprozesses im orientierungsverhältnis zu den Grundkategorien

4.4.1

Die Handlungsproblematik als Ausgangspunkt der einzel-

4.4.2

Bearbeitung der Forschungsproblematik im Begründungs-

theoretischen Forschung

270

diskurs

271

4.4.3

Bedeutungsana1yse im einzeltheoretischen Forschungsprozeß

273

4.4.4

Vorbegriffe und Brkenntniszuwachs im einzeltheoretischen Prozeß: zur Bildung theoretischer Konstrukte

275

4.4.5 4.5 4.6 4.7 4.8

Erweiterung des Gegenstandsbezugs im einzeltheoretisohen Forschungsprozeß : affinitives Forschen Zur Einbeziehung der Betroffenen in den einzeltheoretisohen Erkenntnisprozeß Die imp1ikative Struktur von einzeltheoretisohen Aussagen und die Frage der empirischen Bewährung Zum analytischen charakter einzeltheoretisoher Begriffsbestimmungen und Zusammenhangsannahmen Kritisoh-psyohoiogische Weiterentwiok1ungen: Prob1emorientierte Hypothesenbildung auf der Grundlage des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

Literaturverzeichnis

-

6

-

Einleitung

Die Kritische Psychologie, entstanden als spezifische Konzeption materialistischer psychologischer Forschung, bezog ihre enorme Bntwicklungsdynamik und wissenschaftspolitische Durchsetzungskraft aus der die Psychologie durchdringenden Studentenbewegung der späten sechziger jahre. Sie konstituierte sich - zunächst in der Tradition der Frankfurter Schule, später mit einer eigenständigen marxistischen Rezeption - als Kritik an der traditionellen Psychologie. Deren Theorien und Nethoden wurden zunächst ideologiekritisch als in den Denkformen der bürgerlichen Gesellschaft verhaftet analysiert. Dabei wurde der Nachweis geführt, daß die traditionelle Psychologie in demselben Naße, wie sie funktional für die Aufrechterhaltung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse ist, sich für gesellschaftsverändernde Perspektiven als disfunktional erweist. Die reine ldeologiekritik erwies sich in der Folge jedoch als nicht hinreichend, um die eigene soziale Perspektive der demokratischen U^gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wissenschaftlich unterstützen zu können. Somit wurde eine "Wende von der Kritik der Psychologie zur Kritischen Psychologie", die von 1973 an unter der Federführung von Klaus Holzkamp erarbeitet wurde, notwendig, um in den sozialen Raum gesellschaftlichen

Wandels auch relevante psychologische Brkenntnisse

einbringen zu können. Dabei war es insbesondere der sub^ektwissenschaftiiche Ansatz der Kritischen Psychologie, der der psychologischen Wissenschaft neue Wege weisen konnte. Das allgemeine emanzipatorische Ziel, kapitalismuskritische politische Praxis wissenschaftlich zu gründen, führte notwendig über die Rezeption der marxistischen Quellen hinaus zu einer orientierung an realen gesamtgesellschaftlichen Alternativen, sprich am real existierenden Sozialismus und an der dort herrschenden Ideologie. Dabei verstärkten politische Disziplinierungsversuche an den bundesrepublikanischen Universitäten ein wenn auch kritisches, so doch solidarisches Verhältnis zu den sozial istischen Staaten, denen bei allen evidenten Nängeln und Nißständen die

-

humanere Bntwicklungsperspektive zuerkannt wurde.

7

-

In der Folge ver-

schärften sich die staatlichen Sanktionen gegen kritische Psychologen. Die Repressionen reichten von Bingriffen in Stellenbesetzungen über Nittelkürzungen bis hin zu den Nitte der siebziger .Iahre erlassenen Berufsverboten. Solche Brlebnisse mit unterdrückender politischer Herrschaft stellten kritische Psychologen im engen Sinne existentiell

vor die

direkte Bntscheidung: Anpassung oder gemeinsamer Widerstand, um Ausgrenzung und Vernichtung der eigenen beruflichen Bxistenz zu verhindern. Dabei gelang es der Kritischen Psychologie - getragen von einer gesamtgesellschaftlichen Umbruchstimmung -, sich gegen große Widerstände an einzelnen Universitäten zu behaupten und aufgrund der Tragfähigkeit ihres wissenschaftlichen Ansatzes, der im Gegensatz zu traditionellen experimentalpsychologischen Ansätzen nicht an den wesentlichen Fragen menschlichen Lebens systematisch vorbeiforscht, die eigene Stellung sogar auszubauen. Die ihr aufgezwungene Alternative zwischen dem Sich-Binrichten und der kämpferischen

Erweiterung

ihrer

Binflußmöglichkeiten

wurde

von

kriti-

schen Psychologen als exemplarisch für den individuellen Grundkonflikt in bürgerlichen Gesellschaften erlebt. Aus dieser Alternative, deren Ursache im kapitalistischen Klassenantagonismus verortet wurde und aus der heraus die

Notwendigkeit

einer

sozialistischen

Transformation

kapita-

listischer Produktions- und Herrschaftsverhältnisse

präjudiziert

resultieren

die

Kritischen wie

die

sich

Psychologie

"freier

wie

ein

roter

ziehenden

symmetrischer

Faden

durch

kategorialen

Dialog

versus

restringierte

(vgl. Holzkamp l972a, S.40f) oder

rische

utilitaristische

versus

schließlich

die

Praxis"

aktuellste

(vgl.

Version

bestimmung, das Begriffspaar "restriktive iungsfähigkeit".

Diese

komplementären

Geschichte

der

Komplementärbestimmungen

Kommunikation"

sowie

wurde,

assymmetrische

"kritisch-emanzipato-

Holzkamp

einer

1973,

solchen

S.360ff)

Verhältnis-

versus verallgemeinerte Eänd-

Bestimmungen

gehen

allesamt

auf

die als grundlegend für die je individuelle Bxistenz erachteten kapitalistischen

Widersprüche

zurück

und

verweisen

bestimmten Negation dieser Widersprüche sen;

sie

sind

als

subjektive

Nomente

Grundkonstel lation konzeptual isiert .

auf

die

Perspektive

in sozialistischen dieser

der

Verhältnis-

gesamtgesellschaftlichen

-

8

-

Die in den kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen begründete subjektive Alternative zwischen opportunisms und dem Sich-Wehren gegen kapitalistische Unterdrückung ist bis heute der besondere und spezifische Gegenstand kritisch-psychologischer Analysen geblieben. Die Kritische Psychologie theoretisiert hier, wenn auch in allgemeiner Form, so doch auch in eigener Sache. Nicht zuletzt aus diesem Umstand resultiert ihr radikaler subjektwissenschaftllcher Anspruch und ihre Authentizität; Kritische Psychologen sind selbst von ihren Resultaten betroffen. Dabei sind die erwähnten, in die sozialistische "Befreiungsperspektive" eingebundenen alternativen Begriffspaare als Kriterien intendiert, durch die die von dem kapitalistischen System ausgehenden und verinnerlichten Beschränkungen individueller Lebensansprüche überhaupt erst bewußt werden können. Hierin gründet sich sie analytisch-aufklärende Dimension dieser Begriffe, in denen die Dialektik zwischen gesellschaftlicher Repression und gesellschaftlicher Bmanzipation auf der Bbene des individuellen Subjekts erschlossen wird. Der psychologische Grundgedanke ist dabei, daß die Interessen der Herrschenden nicht einfach denen der Beherrschten gegenüberstehen, sondern "diese Interessen so miteinander verflochten sind, daß die Interessen der Beherrschten mit denen der Herrschenden wenigstens teilweise konvergieren,

also die Nacht

nicht von außen

einwirkt, sondern durch die Betroffenen hindurch in verteilter Weise zur Geltung kommen kann" (Holzkamp 1993, S.523). Die überlappung der Funktionalität des Herrschens und des Beherrscht-Werdens wird als widersprüchliches psychisches Bindemittel innerhalb unversöhnlich sich gegenüberstehender gesellschaftlicher Widersprüche, als Bedingungen kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse erkannt. Vor dem aufgezeigten wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund wird deutlich, daß wir als Kritische Psychologen von der notwendigen Selbstauflösung des real existierenden Sozialismus und der damit verbundenen ideologischen

Brschütterung

und

Desillusionierung

der

kapital ismus-

kritischen Kräfte getroffen wurden. Nan muß wohl unumwunden einräumen, daß der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus eine schmerzllche Brfahrung war und angesichts immer neuer Bnthüllungen über die wirklichen Verhältnisse in den sozialistischen Staaten auch noch ist.

-

9

-

Damit ist natürlich noch keine Aussage über den wissenschaftlichen Status der genannten kritisch-psychologischen Verhältnisbestimmungen, die ohne die sozialistische Perspektive nicht möglich gewesen wären, getroffen. Die Kritische Psychologie war stets bemüht - auch wenn sie ihre wissenschaftliche Perspektive aus politischen Problemen und Perspektiven gewonnen hat -, ihre Brkenntnisse nicht einem äußerlichen politischen Relevanzkriterium instrumentell unterzuordnen. Sie hat umgekehrt konsequent versucht, politische Perspektiven und psychologische Praxis aus wissenschaftlichen Resultaten zu begründen. lnsofern konnte sie nie zur Apologie der Zustände in den sozialistischen Staaten verkommen. Die Umwälzungen im osten Buropas, der praktische Nachweis, daß das bürgerlich-kapitalistische

System nicht

nur das ökonomisch-effektivere,

sondern auch das relativ freiheitlichere System war, in dem die immateriellen Potenzen des Sozialismus wie geistige Freiheit, offenheit und Beteiiigung weit mehr entfaltet waren a1s im Sozialismus, stellt also noch lange keine praktische Desavouierung der Kritischen Psychologie dar, wohl aber zunächst einmal die Aufforderung zur Analyse und überprüfung der gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen, die in kritischpsychologische Grundkategorien, das heißt in ihr allgemeinstes Gegenstandsverständnis, eingegangen sind. Bs gilt für uns Kritische Psychologen, die Historizität unserer eigenen Denkentwicklung zu reflektieren und dabei nach blinden Flecken zu suchen. Holzkamps Forderung, daß "kritisch-emanzipatorische Psychologie ... sich ... - in der Anwendung der eigenen kritisch-historischen Nethode auf sich selbst - permanent in ihrer Authentizität in Frage zu stellen (hat)" (1972b, S.122), gilt in der heutigen Situation in besonderem Naße. Schließlich ist insbesondere in den Sozialwissenschaften der Forscher in den objektbereich, den er erforschen will, eingebunden und kann sich als Teil dieses Bereiches ihm nicht von einem "fiktiven Standort außerhalb"

(Holzkamp) gegenüber-

stellen. Dies impliziert die kritische offenlegung denkstruktureller Vorgeprägtheiten, die sich in der eigenen einzelwissenschaftlichen Begrifflichkeit widerspiegeln. ln dem bisher dargelegten Kontext gründen sich nun das Notiv und der Gegenstand dieser Arbeit.

-

10

-

lm Nittelpunkt meines Versuchs einer spezifischen Weiterentwicklung der Kritischen Psychologie wird das bereits erwähnte kritisch-psychologische Zentralkonzept

der

restriktiven-verallgemeinerten

Handlungsfähigkeit

stehen, das von Klaus Holzkamp, dem Begründer und Vordenker der Kritischen Psychologie, in seinem Hauptwerk "Grundlegung der Psychologie" (im folgenden kurz: "Grundlegung^ genannt) entwickelt wurde. Als analytische Schnittstelle

zur

empirischen

Subjektivität

und

damit

auch

zur

einzeltheoretischen Forschung sowie zur psychologischen Praxis sind in diesem Konzept - dem Anspruch nach - die kritisch-psychologischen Kategorien durch den Versuch einer logisch-historischen Konkretisierung der allgemeinen

psychologischen

Grundbegriffe

Gesellschaftsspezifik voll entfaltet.

auf

die

kapitalistische

In diesem Konzept ist - Holzkamps

lntention gemäß - der kritisch-psychologische

Versuch einer wissen-

schaftlichen Bestimmung psychologischer Kategorien wieder am Ausgangspunkt, an der in "Vorbegriffen" gegebenen oberfläche empirischer Subjektivität, angekommen, die nun mittels dieses Konzepts auf ihre wesentlichen Bestimmungen hin durchdringbar sein soll. Bs geht dort - wie die überschrift des betreffenden Kapitels in der Grundlegung schon aussagt um

"Erscheinungsformen

subjektiver

Handlungsfähigkeit/Befindlichkeit

unter historisch bestimmten Lebensbedingungen der burgeriichen Geseiischaft" (1983, Kap. 7. 5). Holzkamp versucht hier die wesentlichen formationsbezogenen Analysen und Ableitungen einer bis dahin fünfzehnjährigen kritisch-psychologischen

Forschungsarbeit

zu verdichten und in einen

systematischen Zusammenhang zu stellen. Bntsprechend wird dieses Konzept sowohl von theoretisch als auch von praktisch orientierten Psychologen in Brwartung der Brmöglichung einer kritisch-emanzipatorischen Berufspraxis in der bürgerlichen Gesellschaft rezipiert. Fast alle konkreten kritisch-psychologischen Forschungsprojekte setzen theoretisch wie auch methodisch

auf

dem Konzept

restrikt iver-verallgemeinerter

Handlungs-

fähigkeit auf.

lch will nun in dieser Arbeit der Frage nachgehen, ob die mit dem Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit verbundenen lntentionen bisher überzeugend realisiert wurden bzw. ob sie in der vorge-

-

11

-

1egten Form und mit den zugrundegelegten Inhalten überhaupt realisierbar sind. Dazu werde ich im ersten Kapitel zunächst das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit im Kontext des kritisch-psychologischen Grundansatzes darstellen. Die Darstellung des allgemeinen Gesamtansatzes, dessen Charakter als

kritisch-psychologischen

sub^ektwissenschaftiich-vermitt-

iungsanaiytisches Paradigma im folgenden deutlich werden soll, hat dabei eine doppelte Funktion. Zum einen wird dadurch meine eigene kritischpsychologische Position und Argumentationsbasis deutlich, zum anderen wird so der kategoriale Zusammenhang sichtbar, in dem das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit zu stehen beansprucht. Damit wird insofern die Voraussetzungen für eine immanente Diskussion uber den Status des Konzepts restriktiver-veraiigemeinerter

Eändi ungsfähigkei i geschaffen,

als der Frage nachgegangen werden kann, in welchem Verhältnis dieses Konzept zu dem allgemeinen subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen Paradigma der Kritischen Psychologie steht. lm zweiten Kapitel werde ich als ersten Schritt in der Auseinandersetzung mit meiner Ausgangsfragestellung diskutieren, in welcher Hinsicht die form^tionsspezifischen Strukturmomente, die als gesellschaftstheoretische Grundlagen in das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit eingegangen sind, eine geeignete Grundlage für psychologische Grundkategorien und Grundkonzepte sind. Dazu soll zunächst das Konzept restrikt iver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit

mit

diversem

gesellschaftstheoretischem

Naterial

in

der

Absicht konfrontiert werden, eine Sensibilität für die Problematik zu erzeugen, formationsspezifische Festschreibungen in den psychologischen Grundkategorien, das heißt in den allgemeinsten Gegenstandsbestimmungen, vorzunehmen.

Dabei

werde ich die These vertreten, daß dem Konzept

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

die

Gefahr

eines

gesellschaftstheoretischen Reduktionismus inhärent ist, der - wenn man auf der soziologischen Ebene keine weiteren Reflexionen einführt - in einen psychologischen Reduktionismus münden kann. Es stellt sich das Problem, daß notwendige, jedoch zu abstrakte und eventuell nicht hinreichende gesellschaftstheoretische Voraussetzungen zu starren psycho-

-

12

-

logischen Interpretationsfiguren und entsprechend starren methodischen Regulativen führen können, wodurch man unter Umständen kontemporärgeschichtliche

Vermittlungen

zwischen

der

realen

gesellschaftlichen

Bntwicklung und der empirischen Subjektivität aus den Augen verliert. ln diesem

Zusammenhang

werde

ich

das Konzept

restriktiver

Handlungs-

fähigkeit im Hinblick auf Unschärfen seiner logisch-historischen Begründung analysieren. Dabei wird auf das Problem eingegangen, daß die - meines Brachtens durchaus wünschenswerte - logisch-historische Unbestimmtheit der allgemeinen Kategorie der Handlungsfähigkeit im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit stellenweise durch methodisch unscharfe - zum einen durch geschichtsphilosophische und begriffelogisch-explikative, zum anderen durch ökonomisch-funktionale - Notwendigkeitsüberlegungen kompensiert wird. Vor diesem Hintergrund werde ich die Neinung vertreten, daß wir als Kritische Psychologen uns damit bescheiden müssen, Kritische Psychologie primär als einen subjektwissenschatlichen, kategorial-methodologischen orientierungsrahmen für die theoretische Vermittlung zwischen vielfältigen soziologischen Brkenntnissen und ebenso vielfältigen empirischen Befindllchkeiten zu verstehen. Nit ihrem lnstrumentarium der Vermittlungsanalyse vom Standpunkt des Subjekts hat die Kritische Psychologie hierfür ein wertvolles Werkzeug geschaffen. Dieser Gedanke wird im dritten Kapitel aufgegriffen, in dem der viel grundsätzlicheren

Frage nachgegangen

wird,

in welcher Hinsicht das

Vorhaben einer Verankerung formationsspezifischer Brkenntnisse in den psychologischen Grundkategorien als ein sinnvolles Unterfangen angesehen werden kann und an welcher Stelle hierbei die Grenze zu ziehen ist. Zu diesem Zweck werde ich den charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit auf der Grundlage der Holzkampschen Unterscheidung von Kategorien und Theorien (vgl. Holzkamp 1983, S.27f und S.510ff) aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten versuchen. Dabei werde ich die These vertreten, daß das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit - auch wenn es auf den ersten Blick nicht so zu sein scheint - weitgehend einzei theoretischen charakter hat. lm Kontext dieser Argumentation versuche ich, die im zweiten Kapitel mehr kursorisch umrissene Problematik der

-

gesellschaftstheoretischen

Grundlegung

psychologischer

13

-

Grundbegriffe

systematisch aufzulösen, indem ich das Konzept restrikt iver-vera11gemeinerter Handlungsfähigkeit durch den Aufweis seines einzeltheoretischen charakters inhaltlich und formal von dem kritisch-psychologischen Grundmodell - damit meine ich das bereits erwähnte allgemeine subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytische Paradigma - trenne. Damit wird die Nöglichkeit geschaffen, die Bbene der Konkretisierung, das heißt die Bbene der konkret-historischen Analyse menschlicher Handlungsfähigkeit und Befindlichkeit, systematisch auf dem Feld der fallbezogenen Binzelforschung anzusiedeln. Dadurch so11 die Voraussetzung geschaffen werden, einerseits die Qualität des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit aufzuzeigen und zu wahren, zugleich aber auch jenseits der im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit formulierten Zusammenhangsannahmen zu fragen und zu analysieren, ohne dabei gezwungen zu sein, das vermittlungsanalytische Terrain der Kritischen Psychologie zu verlassen; mit der einzei theoretischen Rezeption des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit soll ein Feld für Forschungsfragen eröffnet werden, die zu stellen eine kategoriaie Rezeption dieses Konzepts dadurch verhindert, daß sie bestimmte Fragen bereits auf der Bbene der Grundbegriffe beantwortet. Auf der Grundlage der einzeltheoretischen Stellenwertbestimmung können dann Fragen nach immanenten lnkonsistenzen gestellt werden: Gerät das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

durch die Brhebung der dort

gebildeten begrifflichen Bestimmungen zu Grundkategorien unter Umständen in Widerspruch zu dem allgemeinen subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen Ansatz der Kritischen Psychologie^ Unterschreiten die im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit verdichteten Theoreme und deren methodologische lmpllkationen durch die kategoriale Stellenwertbestimmung dieses Konzepts das dezidiert subjektwissenschaftliche Niveau des allgemeinen kritisch-psychologischen Paradigmas, indem Ergebnisse einzel theoretischer Forschung zur Voraussetzung solcher Forschung gemacht werden^ Gerät also eine in diesem Sinne zu verstehende Kategorialisierung in Widerspruch zur möglichen Irrelevanz des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit in der aktualempirischen Aufklärungsarbeit, da es als vermeintliche Grundkategorie die Grenzen der Binzelforschung markiert^

-

14

-

Liegt in der Kategorialisierung und Nethodisierung der in dieses Konzept eingehenden einzeltheoretischen Zusammenhangsannahmen zwischen kapitalistischen Lebensbedingungen und den darin entschlüsselten psychischen Brscheinungsformen die Ursache eines normativen Mißverständnisses des kritisch-psychologischen Gesamtansatzes^ Aus den hier vorzunehmenden übererlegungen werden sich einige Erklärungsansätze für manches Vermittlungsproblem der Kritischen Psychologie in die psychologische Praxis ergeben. Es werden auch Gründe analysiert, warum die Kritische Psychologie zum Teil ihre integrative Kraft verloren hat und warum viele kritische Psychologen, die oftmals in therapeutischklientenzentrierten Arbeitszusammenhängen stehen, ihre Praxis in direktem Zugriff auf die kulturhistorische Schule Leontjews zu strukturieren versuchen, also durch Rekurs auf einen kategorialen Apparat, dem ezplizit keine formationsspezifischen Bestimmungen inhärent sind. lch werde auch in diesem Zusammenhang die oftmals beklagte normative Brscheinungsweise der Kritischen Psychologie untersuchen und dabei auf lnkonsistenzen des bisherigen kritisch-psychologischen Subjektbegriffs stoßen. Zum Abschluß des dritten Kapitels wird schließlich in der Hinsicht auf die Ableitungsgrundlage

des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

eingegangen werden, als ich der Frage nachgehen werde, ob die dort erfolgten kritisch-psychologischen Begriffsableitungen und -analysen im Hinblick auf den Anspruch einer psychologischen Grundlegung nicht breiter angelegt werden müssen, um die verschiedenen Dimensionen empirischer Subjektivität abbilden zu können. Damit stellt sich zugleich die Frage, ob eben diese empirische Subjektivität bei der Bestimmung der psychologischen Begriffe hinreichend berücksichtigt wurde und ob das Forschungsfeld durch die zentrale Fragestellung nach den psychischen lmplikationen des gesellschaftlich-historischen

Progresses nicht unnötig eingeengt

wird und wichtige Dimensionen menschlichen Lebens übersehen werden bzw. aufgrund der Art und Weise des kategorialen Zugangs als uninteressant erscheinen. lch werde versuchen, mich auch in dieser Hinsicht an einer öffnung der Begrifflichkeit zu beteiligen. Auch die mit dem methodischen Ansatz der Kritischen Psychologie verbundene Gefahr einer bereichsspezifischen Binengung der Kategorialanalyse auf die - aus der Perspektive der phylogenetischen und gesellschaftlich-historischen Bntwicklung gese-

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15

-

hen - "spezifisch-bestimmenden" Dimensionen des Psychischen birgt meines Brachtens das Risiko eines psychologischen Reduktionismus in sich. Denn gerade auf dem von Holzkamp herausgearbeiteten Niveau der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz gibt es keine eindeutige Beziehung mehr zwischen dem gesamtgese11schaft1ich Notwendigen und dem subjektiv Bestimmenden. Nachdem im dritten Kapitel im wesentlichen Probleme aufzeigt wurden, die sich aus einem nicht hinreichend geklärten Umgang mit dem Konzept restrikt iver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit bzw. aus einer Unklarheit über seinen legitimen Stellenwert ergeben, dient das vierte Kapitel im wesentlichen der Herausarbeitung des Unterschieds zwischen dem Status allgemeiner Grundkategorien und dem Status einzeltheoretischer Begriffsbildungen. Hier werde ich in systematischer Zusammenfassung der Ausführungen des dritten

Kapitels

zu

allgemeinen

Differenzierungen

hinsichtlich

des

Status kritisch-psychologischer Begriffe kommen und die Bildung allgemeiner

gesellschaftlich-menschlicher

Grundbegriffe

(Kategorien

im

eigentlichen Sinne) und die - noch näher zu charakterisierende - Bildung theoretischer

Konstrukte, wie sie

meines Brachtens

im Kontext

des

Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit erfolgt, als zwei Bbenen kritisch-psychologischer Begriffsbildung unterscheiden. Dabei werde ich auf der Grundlage tischen

einer eingehenden Charakterisierung

Brkenntnisprozesses

das

des einzeltheore-

orientierungsverhältnis

der

theore-

tischen Konstrukte zu den Grundkategorien darstellen und die unterschiedlichen Bildungsregeln beider Begriffstypen erläutern. ln diesem Zusammenhang wird sich auch der unterschiedlich analytische charakter von Grundkategorien und theoretischen Konstrukten verdeutlichen. Bbenso werde ich der Frage nach der Binbeziehung der Betroffenen in den einzeltheoretischen Brkenntnisprozeß nachgehen sowie der Fragestellung, ob trotz des implikativen, begründungslogischen Formats einzeltheoretischer Aussagen ein empirisches Bewährungskriterium bestehen bleibt. Die Differenzierung zwischen Grundkategorien und theoretischen Konstrukten im Kontext des einzeltheoretischen Forschungsprozesses ist als ein konstruktiver Beitrag zur Kritischen Psychologie gedacht; die Konsequen-

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-

zen, die daraus folgen, wenn man kritisch-psychologische Begriffe nicht in dieser Hinsicht unterscheidet, werden an verschiedenen Stellen theoretisch ausgeführt. ln allen Kapiteln werde ich stets versuchen, meine Position gegenüber dem Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit sowie meinen allgemeinen Ausführungen mit einschlägigen Holzkamp-Zitaten zu untermauern. Darin wird deutlich, daß die vorliegende Arbeit ohne die Kritische Psychologie nicht denkbar wäre, nicht nur weil ihr der Gegenstand fehlte, ihr fehlte auch die Argumentationsbasis. Neine Auseinandersetzung mit der Kritischen Psychologie erfolgt also im wesentlichen von einem immanenten Standpunkt mit kritisch-psychologi schen Ansprüchen und Naßstäben aus. lch argumentiere nicht gegen die Kritische Psychologie, sondern problematisiere in verschiedener Hinsicht auf der Grundlage des von mir so extrahierten

allgemeinen

vermittlungsanalytisch-subjektwissenschaft-

lichen Paradigmas der Kritischen Psychologie die Verwendung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit im Sinne eines Grundkonzepts. Bs wird versucht - natürlich nur unter einem bestimmten Aspekt -, quasi von "innen" das Prinzip der Binheit von Kritik und Weiterentwicklung auf die Kritische

Psychologie

selbst

anzuwenden.

Dabei

ist zu berück-

sichtigen, daß kritisch-psychologische Weiterentwicklung - sofern sie systematisch und geordnet erfolgen soll - nur in Kritik und Weiterentwicklung von Holzkamps Grundlegung erfolgen kann; Weiterentwicklung ohne Bezug auf ihre systematische Basis bleibt unverbindlich und steht im freien Raum. Holzkamps Grundlegung muß deshalb der Bezugspunkt dieser Arbeit sein. Dort sind die kritisch-psychologischen Kategorien und das kritisch-psychologische Paradigma systematisch begründet worden. Auch wenn seit dem Brscheinen der Grundlegung zehn .Iahre vergangen sind, in denen es zahlreiche weiterführende Publikatonen gab und in diesem Iahr ein neuer Nei lenstein kritisch-psychologischer Forschung - Holzkamps neues lerntheoretisches Grundlagenwerk - vorgelegt wurde, bleibt die Grundlegung das wichtigste kritisch-psychologische Werk und dient nach wie vor als Referenzsystem für die meistem kritisch-psychologischen Arbeiten. lch glaube deshalb nicht, daß ich mich an irgendwelchen längst überwundenen Fehleinschätzungen aufhalte und Weiterentwicklungen igno-

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riere; ganz im Gegenteil bin ich zu der Binschätzung gekommen, daß die hier zu diskutierenden Passagen die Bntwicklung der Kritischen Psychologie maßgeblich bestimmt haben. Nan braucht sich nur Holzkamps Auflistung der wichtigsten Forschungsprojekte anzusehen (vgl. 1990b, S.44), die er als "Theoretisierungen des Begriffspaares ^restriktive-verallgemeinerte Handlungsfähigkeit" (ebd. ) charakterisiert. Wenn man unter Kätegoriaianaiyse eine Untersuchung der Natur und der Geltungsbereiche von psychologischen Begriffen versteht, erfolgt in meiner Arbeit in gewisser Weise eine Kategorialanalyse des Begriffs "restriktive-verallgemeinerte Handlungsfähigkeit", und zwar auf der Grundlage der allgemeinen kritisch-psychologischen Begriffe. Dabei soll der sich im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit ausdrückende kritisch-emanzipatorische Anspruch der Kritischen Psychologie nicht aufgeweicht werden, sondern es soll eine Architektonik geschaffen werden, die eine meines Brachtens angemessenere U^gehensweise mit den in diesem Konzept verdichteten Brkenntnissen ermöglicht bzw. kritisch-psychologische Weiterentwicklungen systematisch "einfängt". Das

Konzept

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

steht

dabei nicht nur deshalb im Nittelpunkt der ersten drei Kapitel, weil es eine exponierte Stellung in der Kritischen Psychologie hat, sondern auch, weil ich in einer systematischen Neubestimmung dieses Konzepts den Schlüssel dafür sehe, neue orientierungen zu gewinnen und zu einem vorwiegend methodischen Narxismus zu kommen, der das "Kapital" als gegenstandsspezifischen Anwendungsfall dieser Nethode da, wo es psychologisch relevant ist - nämlich bei der konkreten Bedeutungsanalyse -, aufgreift.

Auch wenn passagenweise Kritik im Vordergrund stehen wird, so hat diese Arbeit

keinen

anderen

psychologischen,

substantiellen

Hintergrund

als

der meines Brachtens der adäquateste

einen und

kritisch-

reflektier-

teste sowie der perspektivenreichste psychologische Grundansatz ist; und ebenso hat diese Arbeit kein anderes Ziel, als einen konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung der Krltlschen Psychologie zu leisten^ Kritik an Binseitigkeiten der gesellschaftstheoretischen Grundlagen des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit, wie sie ins-

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besondere im zweiten Kapitel ge^bt wird, erfolgt nicht von einer vermeintlich neutralen Position aus und zielt nicht auf irgendeine Art von "Abrechnung". Sie dient der Selbstklärung und der Kritik eigener Fehleinschätzungen und will sensibilisieren für aktuelle gesellschaftliche Tendenzen und anregen, diese in den psychologischen Diskurs aufzunehmen, um zu einer differenzierteren psychologischen Bestimmung des NenschWelt-Zusammenhangs zu gelangen. Der Grund hierfür liegt darin, daß bestimmte gesellschaftstheoretisch und psychologisch vermittelte Brfahrungen und Brkenntnisse, die an verschiedenen Stellen dargelegt werden, mich bei bestimmten Problemkonstellationen an der Assimiliationskapazität des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit als einer Grundkategorie haben zweifeln lassen. Bine Assimilation solcher Brfahrungen und Brkenntnisse erweist sich für mich nur noch um den Preis des Verlustes des vermittlungsanalytisch-subjektwissenschaftlichen Niveaus, also der Binschränkung der kategorial-methodologischen Vorgaben der allgemeinen Grundkategorien, als möglich. Deshalb habe ich mich um eine Reorganisation, um eine Differenzierung der kritisch-psychologischen Struktur in der Weise bemüht, daß ich den generellen Stellenwert des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit neu bestimmt habe. Zugleich habe ich die Widersprüche aufgezeigt, auf die man sich einläßt, wenn man den Platz dieses Konzepts

im kritisch-psychologischen

System nicht

reorganisiert. Wissenschaftliches Denken ist eben, wie Piaget schreibt, "ein Prozeß kontinuierllcher Konstruktion und Reorganisation"

(l973,

S.8).

Bin Problem in der Darstellung meiner überlegungen, das leider nicht gänzlich zu vermeiden war, besteht darin, daß ich mich bei meinen Differenzierungen immer wieder in gewisser Weise von Holzkamp absetzen muß, weil eben er die wichtigsten Beiträge zur Kritischen Psychologie geleistet hat. Dadurch kann der falsche Bindruck entstehen, ich wolle mich speziell von Holzkamp, auf dessen Werk mein ganzen psychologisches Denken aufbaut, distanzieren. Deswegen soll hier noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß ich nicht an Distanzierung interessiert bin, sondern an der Weiterentwicklung des kritisch-psychologischen Ansatzes, dem auch ich mich zugehörig fühle.

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-

Kapitel 1: Das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit im Kontext der kritischpsychologischen Kategorialanalyse

1.1 Ste11enwertbestimmung des Konzepts restriktiver Hand1ungsfähigkeit im 1ogisoh-historisohen Ab1eitungsverfahren; Ansatzpunkte der Weiterentwiok1ung

Kritische Psychologie ist im wesentlichen als ein Forschungsparadigma zu charakterisieren, in dem auf wissenschaftlich refiektierte Weise gegenstandsadäquate psychologische Grundbegriffe, sogenannte Kategorien^ begründet werden so11en. Dadurch unterscheidet sich die Kritische Psycho1ogie grundlegend von traditione11en psycho1ogischen Ansätzen, die nur über eiaborierte Verfahren zur Überprüfung von theoretischen Zusammenhangsannahmen verfügen, nicht aber über Nethoden zur wissenschaftlichen Bestimmung der Begriffe, mit denen diese Theorien gebiidet werden. Damit stehen aber - von den Grundbegriffen her gesehen - traditione11e psycho1ogische Theorien im wissenschaftsfreien Raum. Zur Reaiisierung ihrer kategoriaien Stoßrichtung hat die Kritische Psychoiogie eine auf den psychoiogischen Gegenstand spezifizierte iogischhistorische Begriffsbestimmungsmethode

entwickeit,

auf die

ich zum

Einstieg in die Darste11ung und Neubestimmung des Konzepts restriktiververaligemeinerter Handiungsfähigkeit kurz eingehen wi11. Das die Kritische Psychologie kennzeichnende logisch-historische Verfahren zur wissenschaftiichen Bestimmung psychoiogischer Grundbegriffe, wie es von Hoizkamp in der Grundlegung realisiert wurde, umfaßt zwei aufeinanderfolgende methodische Vorgehensweisen, die in gewisser Weise zwei Arten von Begriffen hervorbringen: Zunächst wird das logisch-historische Verfahren von Holzkamp als funktionai -historische Methode, mit der im logischen Nachvollzug des phylo-

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-

genetischen Bntwicklungsprozesses die menschliche Spezifik des Psychischen aufgewiesen wird, gegenstandsspezifisch konkretisiert. Hier werden psychologische Begriffe als genetische Rekonstrukte des Entstehungsprozesses - des Ursprungs und der Differenzierungen - der geseiischaftlichen Natur des Nenschen gebildet. Das funktional-historische Verfahren verliert jedoch mit der evolutionär hervorgebrachten Ablösung des phylogenetischen durch den gesellschaftlich-historischen Prozeß als dem dominanten Entwicklungsrahmen des Psychischen seine Anwendungsvoraussetzungen.

Weitergehende psychologische

Bestimmungen sind auf diesem Bntwicklungsniveau nicht mehr funktionalhistorisch ableitbar, da sie sich auf Brgebnisse innerhalb der gesellschaftlichen Bntwicklung beziehen. insofern liegt hier ein Wechsel des Analysestandpunktes gegenüber dem funkt ional-historischen Verfahren vor: die Spezifika des Psychischen unter gesamtgesellschaftlichen Realisierungsbedingungen sind nun als Aspekte des allgemeinen objektiv-materiellen Nensch-^elt-Zusammenhangs begriffllch zu rekonstruieren. Holzkamp sieht sich deshalb gezwungen, das logisch-historische Verfahren als kategoriale Rekonstruktion des Zusammenhangs zwischen gesamtgesellschaftlich verselbständigtem Prozeß und empirischer Subjektivität zu spezifizieren. lm Gegensatz zu den funktional-historisch bestimmten Begriffen haben die hierbei gebildeten Begriffe den charakter von ^ermittlungskategorien, in denen die allgemeinen Vermittlungsinstanzen zwischen der subjektiven Brfahrung des lndividuums und den gesellschaftlichen Notwendigkeiten abgebildet werden. Durch die Bestimmung solcher Vermittlungskategorien wird prinzipiell die Möglichkeit geschaffen, konkrete Vermittlungen zwischen gesellschaftlichen Prozessen und der subjektiven Brfahrung adäquat zu erforschen. Die damit charakterisierte neue Bbene der Analyse ist im Grunde die wesentliche und epochemachende Brrungenschaft der Grundlegung. Auf dieser Bbene werden psychologische Grundbegriffe als zwingende Aspekte der allgemeinen Eealisierungsbedingung der gesellschaftlichen Natur - der sogenannten gesamtgesellschaftlichen

permit teltheit individueller Ezi-

stenz - gebildet. Nit diesem Terminus ist die Durchbrechung der Unmittelbarkeit

zwischen

individuellen,

systemisch-gesamtgesellschaftlichen

lebensweltlichen

einerseits

Reproduktionsnotwendigkeiten

und ande-

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21

-

rerseits bei Dominanz gesellschaftlich-historischer Bntwicklungsgesetze angesprochen. Das Konzept der gesamtgesellschaftlichen Vermittel the it individueller Bxistenz hat in der Kritischen Psychologie eine zentrale Funktion, weil auf ihm die ganze weitere Begrifflichkeit beruht. So wird der Standpunkt des Subjekts bzw. die Bbene der empirischen, reflexiv gegebenen Subjektivität genetisch als Aspekt dieser gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit aufgeschlossen. Bei

der

logisch-historischen

Bildung

allgemeiner

menschlich-gesell-

schaftlicher Bestimmungen, die auf Resultaten innergesellschaftlicher Bntwicklungen beruhen, gilt es immer zu beachten, daß bestimmte Nomente gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit individueller Bxistenz, obwohl sie allgemeiner Art sind, erst unter konkret-historischen Bedingungen durch deren formationsspezifische Prägungen hindurch auf ihren praktischen Begriff kommen und damit überhaupt erst als allgemeine Bestimmungen logisch-historisch rekonstruierbar werden. So hat beispielsweise wie Marx in den "Grundrissen" dargelegt hat - die menschliche Arbeit erst in der bürgerlichen Gesellschaft einen Bntfaltungsgrad erreicht, der ihre begriffliche, kategoriale Fassung ermöglicht: "Die Gleichgültigkeit gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalität wirklicher Arbeitsarten voraus, von denen keine mehr die alles beherrschende ist. So entstehn die allgemeinsten Abstraktionen überhaupt nur bei der reichsten konkreten Bntwicklung, wo Bines vielen Gemeinsam erscheint, allen gemein. Dann hört es auf, nur in besonderer Form gedacht werden zu können" (Narx 1953, S.25, zitiert nach Holzkamposterkamp 1975, S.289). Die bürgerliche Gesellschaft ist als historischempirische Grundlage für fast alle psychologisch relevanten allgemeinen Bestimmungen konstitutiv, weil erst dort bestimmte Nomente der Gesellschaftlichkeit und der Subjektivität der menschlichen Bxistenz auf ihren praktischen und theoretischen Begriff kommen. ln dieser Hinsicht hat die logisch-historische Bestimmung der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz einen empirischen Bezug zu konkret-historischen, "entwickelten" bzw. "modernen" Verhältnissen mit ihren spezifischen gesellschaftllchen Denkformen und ist nur in diesen Denkformen bzw. über diese Denkformen hinaus möglich. Aus die-

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22

-

sen konkret-historischen Denkformen werden kategorialanalytisch allgemein-gesellschaftliche

Bestimmungen

rekonstruiert.

Die

gesamtgesell-

schaftliche Vermitteltheit individueller Bxistenz ist also wie die damit verbundene Vorstellung von der gesamtgesellschaftlichen Synthese nicht abstrakt zu fassen, vielmehr ist ein bestimmtes historisches Bntwicklungsniveau als Brfahrungsgrundlage, ein empirischer Bezug auf reale gesellschaftliche Verhältnisse vorausgesetzt. obwohl sich der Begriff der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz auf einen historisch gewordenen Prozeß bezieht und das Brgebnis gesellschaftlich-historischer

Bntwicklung

widerspiegelt,

handelt es sich hierbei um eine formationsubergreifende Bestimmung, die die allgemeinste Realisierungsform der gesellschaftlichen Natur des Nenschen reflektiert; insofern sie als allgemeine Bestimmung erkannt ist, überdauert sie logischerweise konkret-historische Anordnungen, und man ist gezwungen, solche Bestimmungen, obwohl sie historisch-empirisch gewonnen wurden, für alle denkbaren Gesellschaftsformen anzunehmen. Vor diesem Hintergrund kann man die auf der Bbene der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz entwickelten Begriffe als allgemeinste Grundkategorien begreifen. Die an der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz "aufgehängten" psychologischen Bestimmungen, mithin der gesamte Subjektstandpunkt der Kritischen Psychologie, kann aber unter dem Ableitungsgesichtspunkt nicht als anthropologische Konstante im eigentlichen Sinne angesehen werden, denn damit würden traditionelle Gesellschaften nicht als menschliche Gesellschaften angesehen. Nan kann deshalb nur die funktional-historisch abgeleiteten Funktionsaspekte des Psychischen als solche anthropologischen Konstanten begreifen. Nichtsdestoweniger können wir uns selbst, unter welchen formationsspezifisch charakterisierten Bedingungen wir auch immer leben werden, nicht anders vorstellen als Subjekte, die sich bewußt und begründet gegenüber noch so restriktiven Bedingungen verhalten. lnsofern handelt es sich bei den aus der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit

individueller Bxistenz abgeleiteten

psychologischen Bestimmungen trotz ihrer gesellschaftlich-historischen Gewordenheit um allgemeinste, unhintergehbare Rahmenbestimmungen der begrifflichen

und

einzeltheoretischen

Differenzierung

der

psychischen

-

23

-

Funktionen. Aus dieser Sicht relativiert sich die Differenzierung unterschiedl ichlicher Allgemeinheitsgrade zwischen den funkt ional-historisch rekonstruierten und den auf der gesamtgesellschaftlichen Bbene abgeleiteten allgemeinen Bestimmungen. Für unsere Auseinandersetzung mit dem Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit ist nun der Umstand relevant, daß Holzkamp in die

charakterisierte

logisch-historische

Vermittlungsanalyse

(siehe

Holzkamp 1983, Kap. 6.3, 7.3 und 7.4), in der die allgemeinsten gesellschaftlichen Qualitäten des Psychischen aufgewiesen werden, eine "weitere Form der Begriffsanalyse" (1984a, S.29) einzubinden versucht, und zwar die Analyse bzw. die - sofern sich die Analyse auf traditionelle psychologische Ansätze bezieht - Reinterpretation konkret-historischer ^uge empirischer Subjektivität von Renschen in der bürgerlichen Gesellschaft. Holzkamp will also konkrete Erscheinungsformen des Psychischen bereits zum Gegenstand

der logisch-historischen

Analyse machen, das

heißt in den Prozeß der Bildung der Grundkategorien integrieren. Damit verfolgt er die für den emanzipatorischen Anspruch der Kritischen Psychologie "entscheidende Frage ..., unter welchen Umständen und auf welche Weise ^ subjektiv funktionale^ Handlungen gleichzeitig für die Brhaltung des kapitalistischen Gesellschaftssystems

funktionale

sind

...

bzw. unter welchen Umständen und auf welche Weise die Brhaltung/Brweiterung der Bedingungsverfügung/Lebensqualität für das Subjekt nur in der Beteiligung am kollektiven Kampf um ... Zurückdrängung der bürgerlichen Klassenrealität ... möglich ist" (1984a, S.31)^. lm Ausblick auf meine später durchzuführende Analyse will ich bereits hier feststellen, daß Holzkamp damit die logisch-historische Eegrundung der allgemeinen Vermittlungskategorien zwischen gesellschaftlichem Prozeß und individueller Subjektivtät und die Anwendung dieser Vermittlungsinstanzen in der Analyse empirischer Brscheinungsformen des Psychischen unter bürgerlichen Lebensverhältnissen nicht deutlich genug un-

l

Sämtllche Hervorhebungen in Zitaten stammen von mir.

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24

-

terscheidet. Neines Brachtens werden damit zwei prinzipiell unterschiedliche Brkenntnisbewegungen nicht hinreichend differenziert: lm Hinblick auf die Brklärung konkreter Brscheinungsformen besteht weder der logische Zwang noch die historische Nöglichkeit zu einer - aus der Sicht der aktualempirischen Forschung - apriorischen Begriffsdifferenzierung (wie dies bei der funkt ional-historischen Analyse und der allgemeinen Vermittlungsanalyse zwischen Gesamtsystem und empirischer Subjektivität der Fall ist). über die Bestimmung der allgemeinen Vermittlungskategorien hinaus besteht eine logisch-historische Notwendigkeit zu der angestrebten konkretisierenden Denkbewegung allein in dem Zwang zu konkret-historischen Begriffsbildungen im Rahmen der aktualempirisch-einzeltheoretischen Forschung. insofern können Konzepte, die sich auf konkrete Brscheinungsformen

empirischer

Subjektivität

beziehen,

keine

logisch-

historische Qualität als historische Konkretisierung der allgemeinen Kategorialbestimmungen des Psychischen auf die Lebensverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft beanspruchen. Bs gibt hier sozusagen keinen logisch-historischen Hebel, der zwingend zu bestimmten Begriffsdifferenzierungen führt. Der Ansatzpunkt eines solchen Hebels, das heißt die hier benötigten formationsspezifischen Prämissen, ist ein grundsätzlich anders geartetes inhaltlich-methodologisches Kriterium als die für die logisch-historische

Ableitbarkeit

relevante

Prämisse der menschlich-

gesellschaftlichen Lebensnotwendigkeit. Die entwickelnde und die konkretisierende Denkbewegung haben also unterschiedliche Prämissen, was aber nicht bedeutet, daß keine weiteren konkret-historischen Begriffsbildungen notwendig sind; diese müssen allerdings außerhalb des Regulativs logisch-historischer Ableitung erfolgen (s.u.).

-

1.2

25

-

Allgemeine Kategorialanalyse als Bntwicklung eines begrifflichen Rahmens zur Abbildung der Vermittlungen zwischen individuellem und gesellschaftlichem Lebensprozeß

Um das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit im einzelnen beurteilen zu können, müssen wir es in seiner Ableitung nachvollziehen. Dabei müssen wir die Logik der Holzkampschen Argumentation zum Teil in der Auseinanderdividierung der komplexen und sich vielfältig überlagernden Argumentationsstränge - nachvo11ziehen. Neine Rekonstruktion beginnt mit der Darstellung der Resultate der im vorherigen Teilkapitel charakterisierten logisch-historischen Vermittlungsanalyse, die um den Begriff der Eändiungsfähigkeit zentriert werden

(siehe 1983, Kap.

6.3).

Der Begriff

Handlungsfähigkeit

stellt

die zentrale

kritisch-psycholo-

gische Kategorie dar. In ihr kristallisiert sich der "psychische Aspekt" der gesamtgesellschaftlichen ^ermitteitheit individueller Ezistenz. Dieser Terminus meint, daß gesellschaftlich-historische Lebensformen grundsätzlich eine die Unmittelbarkeit des einzelnen überschreitende und von seiner Sicht

konkreten

Beteiligung

werden zum einen die

unabhängige konkreten

Struktur

haben.

Lebensbezüge

Aus

dieser

des einzelnen als

unselbständige Teilmomente des gesellschaftlichen Gesamtsystems begreifbar; gesellschaftliche Verhältnisse

transzendieren die

Unmittelbarkeit

des lndividuums uns schließen sie zugleich ein. Bs besteht also ein universeller, jedoch immer wieder subjektiv vermittelter Zusammenhang zwischen individuellem Leben und gesellschaftlichem System. Zum anderen existiert,

vom Standpunkt des lndividuums aus betrachtet,

mit der gesamtgesellschaftlichen kein direkter Zusammenhang

Vermitteltheit

mehr zwischen der

individueller

Bxistenz

menschlich-gesellschaft-

lichen Schaffung und der Nutzung der gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten.

Dieser

Zusammenhang

vermittelt

sich

über

eine

gesamtgesell-

schaftlich materialisierte ökonomische Produktions- und Distributionsstruktur.

Damit

verbunden

ist eine verallgemeinerte

Vorsorge

f^r die

Bxistenz des lndividuums; es ist unabhängig von seinen konkreten Beiträgen gesichert. Der Begriff der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse

-

26

-

bezieht sich also nicht auf aktuelle Planungen und Kooperationsprozesse, sondern vielmehr auf in sich erhaltungsfähige Gesamtsysteme. Das damit skizzierte gesamtgesellschaftliche Grundverhältnis der individuellen Bxistenz schlleßt nun aber zwingend den für die weitere psychologische Begriffsbildung folgenschweren Umstand ein, daß das lndividuum die Bedingungen seiner konkreten Lebensbezüge nicht mehr direkt und unmittelbar, sondern nur noch vermittelt über die individuelle Teilhabe an der Bestimmung der gesellschaftlichen (lnfra-)Strukturen gestalten kann. Durch die relative Verselbständigung des gesellschaftlichen Prozesses gegenüber dem individuellen Lebensprozeß gewinnen die objektiven Eedeutungsstrukturen als lnbegriff des subjektiv-handlungsrelevanten Aspektes der gesamtgesellschaftlichen Lebensbedingungen eine Vermittlungsfunktion zwischen den ökonomischen Strukturen und dem Subjekt. Die integration des lndividuums in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang stellt sich über den individuellen Bezug auf diese Bedeutungsstrukturen her. Derartige individuelle Bezüge auf gesamtgesellschaftlich verflochtene Bedeutungen und deren Umsetzungen nennt Holzkamp ^ndlungen. Ganz allgemein definiert er Handlungen als "die psychischen Aktivitäten des Binzelnen bei der Brhaltung/Bntfaltung seiner individuellen Bxistenz unter durch ^ Arbeit^ geschaffenen und erhaltenen gesamtgesellschaftlichen Lebensbedingungen" (1983, S.234). Dabei betont Holzkamp, daß die jeweillgen individuellen Bedeutungsbezüge nicht die individuellen Handlungen

determinieren, sondern - da die

individuelle Bxistenz aufgrund des in sich lebensfähigen gesamtgesellschaftlichen

Brhaltungssystems

im Prinzip gesichert

ist - für das

lndividuum jeweils gegebene Eandlungsm^glichkeiten darstellen. ln dieser N^glichkeitsbeziehung liegen die materiell-ökonomische Voraussetzungen der erkennenden,

gnostischen Weltbeziehung

des Menschen.

Damit hat

Holzkamp den Schlüssel zu einer materialistischen Begründung von ^Sub^ektivität und Reflezivität gewonnen. Gleichzeitig stellt Holzkamp die Kritische Psychologie in die sozialphilosophische Tradition Durkheims und Simmels; so thematisiert Durkheim (1977) den inneren Zusammenhang zwischen

lndividualität/Subjektivität

und

der

Bntwicklung

moderner

arbeitsteilig organisierter Gesellschaften aus Kollektivgesellschaften;

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27

-

Simmel (1958, S.305f) stellt den Zusammenhang zwischen der "Synthese des objektiven" und einer neuen Qualität von Subjektivität dar. Die aus der Nöglichkeitsbeziehung resultierenden Handlungen erfolgen also in bewußter Brfassung der in den Lebensbedingungen liegenden Bedeutungen. lm "Nedium" dieser Bedeutungsstrukturen erfolgen nun subjektive Eändiungsbegrundungen, wobei jede subjektive Begründung durch das inhaltliche (und das für Holzkamp auf der Bbene der Grundbegriffe einzige) Kriterium der mit der Handlung erreichbaren Eedingungsverfugung und der damit gewinnbaren Lebenserfüllung "in menschlicher Qualität verallgemeinerter Vorsorge" bestimmt wird. Der phylogenetisch überkommene Bedarf nach individueller Umweltkontrolle könne sich unter gesamtgesellschaftlichen Bedingungen zwingend nur durch Teilhabe am gesellschaftlichen Gesamtprozeß realisieren. Die auf diese Weise erreichbare mittelbare Verfügung des lndividuums über seine Lebensbedingungen wird von Holzkamp als personale Eändiungsfähigkeit bezeichnet (siehe 1983, S.241). Bntsprechend qualifiziere sich der die gesellschaftliche Natur des Nenschen kennzeichnende

individuelle

Kontrollbedarf

zum allgemeinen und alle

spezifisch-menschlichen Strebungen konstituierenden Eedurfnis nach individueiier Eändiungsfähigkeit. Und als Eefindiichkeit wird der der Handlungsfähigkeit zugeordnete subjektiv-emotionale Gesamtzustand, durch den der erreichte Grad und die Art der personalen Handlungsfähigkeit subjektiv bewertet wird, bezeichnet. Vor diesem Hintergrund geht Holzkamp davon aus, daß sämtliche Brscheinungsformen des Psychischen im Kontext menschlicher Handlungen stehen sowie am Naßstab des Bedürfnisses nach Handlungsfähigkeit subjektiv begründet sind und somit als Brscheinungsformen subjektiver Handlungsfähigkeit analysiert werden müssen (zur Vermittlungsebene der Handlungsgründe siehe 1983, Kap. 7.4). Die Unterschiedlichkeit psychischer Brscheinungsformen resultiere aus der Unterschiedlichkeit ihrer Prämissen, das heißt ihrer konkreten Bedeutungsbezüge. Wenn nun die Prämissen bekannt seien, so seien über die Vermittlungsebene der Begründetheit die psychischen

Brscheinungsformen

individueller Befindlichkeit

auf ihre

-

28

-

wesentlichen Bestimmungen hin, das heißt als Aspekt des Strebens nach Handlungsfähigkeit , durchdringbar. Da die Begründungprämissen f^r Holzkamp die historisch bestimmten konkreten Lebensbedingungen sind (sowohl die äußeren Lebensbedingungen als auch die personalen Bedingungen, die sich biographisch in früheren Auseinandersetzungen mit den gesellschaftlichen Lebensbedingungen herausgebildet haben), hat dies für den einzeltheoretischen Bezug zur Folge, daß sich die kritisch- psychologisch orientierte Reflexion auf das besondere Verhältnis zwischen je meiner Befindlichkeit/Handlungsfähigkeit und meinem N^giichkeitsraum als jeweils konkreter Bedeutungs- Infrastruktur der objektiven gesamtgesellschaftlichen Strukturen bezieht. Genauer betrachtet folgt daraus, daß zunächst im aktualempirischen Bezug die Prämissen, also die in je meinem subjektiven Nöglichkeitsraum gegebenen historisch bestimmten Bedingungs-/Bedeutungsstrukturen (verstanden als primäre objektive und sekundäre personale Handlungsmöglichkeiten) einschließlich ihrer politisch-ideologischen Verweisungen auf das gesellschaftliche Gesamt aufzuklären sind, um dann - nach dem Kriterium der Begründetheit - je meine psychische Situation als Brscheinungsformen je meiner Handlungsfähigkeitsbestrebungen

und den damit verbundenen

Befindlichkeiten aufschließen zu können. Auf der Grundlage der traditionellen Unterscheidung von Produktionsbereich und Reproduktionsbereich unterteilt Holzkamp allgemein die individuellen Bedeutungsbezüge/Prämissen bedeutungsanalytisch in zwei Bereiche, in Lebensiage und Position. Diese Unterscheidung reflektiert ein bestimmtes gesellschaftliches Bntwicklungsniveau, nämlich das der räumlichen und strukturellen Trennung von Produktionsbereich und Reproduktionsbereich, wie es im Kapitalismus verallgemeinert vorliegt. Dabei sind die gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten und Denkformen der unmittelbaren Lebenslage für Holzkamp lnbegriff von Handlungsmöglichkeiten zur unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung und Daseinserfüllung, in deren Rahmen interpersonale Beziehungen primär interaktiver oder unmittelbar-kooperativer Art sind. Die Position ist dagegen lnbegriff von Handlungs- und Denkmöglichkeiten im Zusammenhang der gesellschaft-

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29

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iichen Produktion. In der Position ist der gesamtgesellschaftliche Bedeutungszusammenhang vor allem auf die Handlungsmöglichkeiten hin akzentuiert, die im Kontext der Teilhabe an der gesellschaftlichen Arbeit und der gesellschaftlichen Naturaneignung

stehen. Die interpersonalen Be-

ziehungen bestimmen sich hier nach den gesellschaftlichen Formen der Arbe i tsorganisat ion. Lage und Position sind also für Holzkamp allgemeinste Kategorien, durch die Nöglichkeiten der Beteiligung des einzelnen an der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion abbildbar werden sollen. Sie sind lnbegriff der Struktur der individuellen Bedeutungsbezüge auf das Gesamtsystem und damit zugleich Inbegriff der Struktur sämtlicher im individuellen Nöglichkeitsraum gegebenen Handlungsoptionen. Sie stellen mithin unter funktionalem Gesichtspunkt die Schnittstelle zwischen je konkretem Individuum und der GesamtgeseIIschaft dar. Die dargestellte Kategorie der Nöglichkeitsbeziehung enthält in gewisser Weise immer schon die Dimension der doppelten N^giichkeit; dies bedeutet, daß gesellschaftliche Nöglichkeiten real immer auch mit gesellschaftlichen Behinderungen

einhergehen.

Die Kategorie der doppelten

Nöglichkeit ist Voraussetzung, konkrete Formen von Nacht und Herrschaft sowie ihre psychischen Konsequenzen auf der Bbene von fallbezogenen, konkreten Bedeutungs- Begründungsanalysen zu diskutieren. Der durch die psychologische Kategorie der doppelten Nöglichkeit geebnete begründungsanalytische Zugang zu den gesamtgesellschaftlichen Bedingungen bedeutet also immer eine besondere Konzentration der psychologischen Betrachtung auf offene und versteckte Herrschaftsverhältnisse, auf die Unterdrückung von Handlungsmöglichkeiten sowie auf die Analyse der bestimmten Form ihrer psychischen Verarbeitung. Auf der subjektiven Bbene stellt sich die doppelte Nögllchkeit als Alternative des Subjekts zwischen dem Handeln innerhalb der von Herrschaftsinstanzen tolerierten Handlungsspielräume und dem Versuch, über diesen Rahmen hinaus Verfügungsgewalt zu gewinnen, dar. Die Kategorie der doppelten Nöglichkeit ist ein zentraler psychologischer Grundbegriff, der als solcher keine konkreten Bedingungen und Handlungsformen enthält, sondern vielmehr eine subjektwissenschaftliche

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30

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Problematik aufwirft, nämlich die Frage, ob man sich mit den Bedingungen arrangiert oder nicht und ob dieses Arrangement unter Umständen eine Selbstbehinderung ist. Allgemeine formationsspezifische Bestimmungen von Nacht und Herrschaft entwickeln sich in der Abfolge von Gesellschaftsformationen sowie innerhalb einzelner Formationen total unterschiedlichen Brscheinungsformen, sie sind - je nach Standort - teilweise suspendiert oder machen wesentliche Formveränderungen durch. Beispielsweise wird unter unseren Verhältnissen ein Sozialhilfeempfänger in anderer Form mit Nacht und Herrschaft konfrontiert als ein Lohnarbeiter, eine Prostituierte wiederum anders als ein Nanager und ebenso ein Häftling anders als ein Suchtkranker oder eine Hausfrau; alle leben in dieser kapitalistischen Gesellschaft, aber ihre Position und ihre Lebenslage haben einen Differenzierungsgrad erreicht, der formationsspezifische Gemeinsamkeiten ihrer Nöglichkeitsräume und die darin gegebene Unterdrückung und Behinderung oftmals unbedeutend erscheinen läßt. Psychische Prozesse sind als Funktionsaspekte der Handlungsfähigkeit zu konzeptualisieren. Die psychischen Funktionen beziehen sich also auf menschliche Handlungsfähigkeitsbestrebungen und erhalten vermittelt über deren konkrete Realisierungsmöglichkeiten und Behinderungen widersprüchliche Nomente, die nicht harmonistisch eliminiert werden dürfen. Das heißt, daß bei der fallbezogenen begrifflichen Ausdifferenzierung psychischer Funktionen, die zuvor funktional-historisch und unter den Bedingungen der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz allgemein rekonstruiert worden waren, die in der doppelten Nöglichkeit reflektierten Widersprüchlichkeiten subjektiver Handlungsfähigkeitsgewinnung als kategoriale Dimensionen mitrepräsentiert sein müssen. Die doppelte Nöglichkeit dient also als abstrakte chrakteristik der inhaltlichen Bezugspunkte der psychischen Funktionen und ist als solche kategoriale Voraussetzung der konkreten Brfassung der Widersprüchlichkeit psychischer Brscheinungsformen. ohne sie kann man nicht sinnvoll an die Brklärung konkret vorl legender psychischer Brscheinungsformen herangehen. Die doppelte Nöglichkeit gewährleistet den durchgängig kritischen Gehalt kritisch-psychologischer Begriffsbildungen. Damit befinden wir uns nun an der von mir im vorherigen Teilkapitel markierten Schwelle von der Bildung der allgemeinen Vermittlungskate-

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31

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gorien zu ihrer analytischen Anwendung. Diese Anwendung setzt natürlich ein funktional-historisch begründetes Wissen über die anthropogenetisch qualifizierten psychischen Funktionen (Denken, Wahrnehmung, Notivation, Bmotionen) voraus, die sich im Kontext der jeweiligen Handlungsfähigkeitsbestrebungen integrativ konkretisieren (auf Holzkamps vielschichtige funktional-historische

Ableitungen brauchen wir aber an dieser

Stelle nicht näher einzugehen; vgl. 1983, Kap. 7.2). Abschließend läßt sich in diesem Kontext festhalten, daß die kritischpsychologischen Grundkategorien der Handlungsfähigkeit und der Befindlichkeit, der Prämissen und der Handlungsgründe sowie die Kategorie der doppelten Möglichkeit von Holzkamp so entwickelt werden, daß ihre aktualempirische Anwendung eine ^ermittiungsanaiyse darstellt, durch die der reale Zusammenhang zwischen gesamtgesellschaftlichem Prozeß und je meiner individuellen Subjektivität aufklärbar sein soll. Dieser Zusammenhang, in dem je meine psychischen Breche inungsformen stehen, wird über die Vermittlungsinstanzen der Bedingungen, Bedeutungen (Lage und Position), Begündungen und psychischen Funktionen (Denken, Wahrnehmen etc. ) analysiert, wobei der Begriff der Handlungsfähigkeit den subjekthaft-aktiven Aspekt des Nensch-Welt-Zusammenhangs repräsentiert. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die je eigene Befindlichkeit immer in mehr oder weniger alltagssprachlichen Begriffen gegeben ist, so daß sich das kritisch-psychologische Vermittlungssystem auf derartige ^orbegriffe bezieht. Deshalb kann Holzkamp die kritisch-psychologische Kategorialbestimmungen als analytisches Instrumentarium charakterisieren, mit welchem die in alltäglichen Vorbegriffen gegebene subjektive Befindlichkeit auf ihre wesentlichen Bestimmungen und Vermittlungen hin durchdringbar werden soll.

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1.3

32

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Die überwindung von jeglichem ökonomismus im allgemeinen Begriff der Handlungsfähigkeit

Durch die Binführung der Kategorie der Handlungsfähigkeit, die als begriffliche Klammer zwischen individueller und gesellschaftlicher Lebenstätigkeit gedacht ist, werden produktionsorientierte, individuell-regulatorische Arbeitstätigkeiten in ihrer psychologischen Bedeutung relativiert. Die Bestimmung der Handlungsfähigkeit im Gegensatz zur Arbeit als "erstem menschlichen Lebensbedürfnis" (vgl. Holzkamp 1983, S.243) relativiert eine

Reihe

in Anlehnung an Narx^

Bienen-Baumeister-Beispiel

(siehe Narx 1962, S.193) entwickelte kritisch-psychologische Analysen menschlicher Arbeitstätigkeit. Für Holzkamp sind konkrete Arbeitshandlungen als solche im Hinblick auf die spezifisch menschlichen Bedürfnisse und Notivationen psychologisch senkundär. Letztere werden an der im weiten Sinne gesamtgesellschaftlich-politisch ausgewiesenenen Handlungsfähigkeit

"aufgehängt".

.jeglichem pseudomaterialistischen

"Hand-

werkskonkretismus" wird so eine eindeutige Absage erteilt. Die von Narx auf die konkrete Arbeit bezogene Selbstverwirklichung in der Arbeit, die Holzkamp ursprünglich übernommen hatte (vgl. 1973, S.244), hat in der Grundlegung keinen systematischen Stellenwert mehr.

lndividuelle Ar-

beitshandlungen sind nur noch eine Facette des Strebens nach Handlungsfähigkeit.

Unter dem Begriff der Arbeit werden nicht mehr konkrete

Tätigkeiten gefaßt, sondern Arbeit wird zur gesellschaftstheoretischen Kategorie, zum lnbegriff des gesamten Produktionszusammenhangs. lm Grunde verläßt Holzkamp mit der Heraustellung des rein operativen charakters individueller Produktionstätigkeiten und der damit verbundenen kategorialen Trennung von einerseits handwerklichen operationen und andererseits im weiten Sinne politischen Handlungen, die keinen konkreten Gegenstand, sondern materiel l-soziale Rahmenbedingungen zum Ziel haben, das in der marxistischen Tradition stehende Produktionsparadigma, das ihn bis zur Rekonstruktion des gesamtgesellschaftlichen Grundverhältnisses menschlicher Bxistenz geleitet hatte, und ersetzt nun dieses Paradigma durch ein subjektwissenschaftliches Paradigma, das seine Basis

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33

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im Reproduktionsbereich, in der Lebenswelt des Subjekts, hat. "Die materielle Naturaneignung als gesellschaftliche Lebensgrundlage wird ... immer mehr eine gesamtgesellschaftliche Systemfunktion, taugt so immer weniger zur allgemeinen charakterisierung der psychischen Lebensaktivität des einzelnen Individuums" (Holzkamp 1983. S.308). lm Vordergrund stehen nicht mehr die psychischen lmplikationen gesellschaftlicher Produktion, sondern die Kontrolle und die ^erfugung über die gesamtgesellschaft lichen Lebensmöglichkeiten durch die -

wenn man so will - teil-

nehmenden, mündigen und aufgeklärten lndividuen. Der mit dem Paradigmenwechsel von einem Produkt ions- zu einem Reproduktionsparadigma gewonnene Standpunkt des Subjekts beinhaltet also die politische Kontrolle der Reproduktionsbedingungen, wobei es weniger um die Negation von Armut und Unterdrückung als um die überwindung von Außgeschlossenheit von der Verfügung über den gesellschaftlichen Gesamtprozeß geht. Die Zentrierung der frühen kritisch-psychologischen Werke auf den Arbeiter oder die "unmittelbaren Produzenten" ist in der Universalität des Handlungsfähigkeitsbegriffs überwunden. Nit der allgemeinen Handlungsfähigkeitskategorie haben Strukturen des formalen und egalitären, aufgeklärt-demokratischen Politikverständnisses Einzug in das psychologische Gegenstandsverständnis gefunden, das von der Vorstellung souveräner und kosmopolitischer Bürger ausgeht. Die Formel vom "unmittelbaren Produzenten" als dem sozusagen einzig fortschrittlichen politischen lndividuum sowie die ldentifikation des Arbeiters mit dem Menschen erscheinen im Kontext des Handlungsfähigkeitsbegriffs als sprachliche Ungeschicklichkeiten. Dies wird auch an der in der Grundlegung vollzogenen Verlagerung des Bezugspunktes der Analyse von Unterdrückung aus der ökonomischen in die politische Sphäre deutlich. Das Problem der materiellen Ausbeutung tritt zurecht in den Hintergrund. objekt von Unterdrückung ist nicht mehr der physisch-existentiell bedrohte Arbeiter, sondern das in seiner Lebenswelt befindliche, aufgrund von privaten und sozialstaatlichen Sicher rungsmechanismen prinzipiell existentiell entlastete und sich bewußt verhaltende lndividuum, das im Rahmen gesellschaftlicher Möglichkeiten und Restriktionen politisch handlungsfähig zu werden versucht, indem es Verfügung

über

seine

Lebensbezüge

gewinnen

will

(die

Hausfrau

im

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34

-

gleichen Naße wie der Rentner oder Student, der Angestellte oder der Aufsichtsratsvorsitzende) . Die von Holzkamp herausgehobene Nöglichkeitsbeziehung zu den gesellschaftlich gegebenen Bedeutungen setzt gerade die in materieller Sicherung gegründete Freiheit zu bewußten Bntscheidungen voraus, also den prinzipiellen - wenn auch real ^ber die Zahlungsfähigkeit eingeschränkten - Zugang zu den gesellschaftlichen Produkten, ohne daß man sich unmittelbar an deren Produktion beteiligen muß. Dies ist ein materiellökonomisches Charakteristikum "entwickelter" sozialstaat1 icher Gesellschaften.

Die Bestimmung der gesamtgesellschaftlichen

Vermitteltheit

individueller Bxistenz als Voraussetzung des bewußten Verhaltens-zu wird erst in ökonomisch entwickelten und "liberalen" bürgerlichen Gesellschaften zur universellen Realität. Brst hier wird die lndividualisierung des Nenschen möglich und notwendig, erst hier erfolgt eine durchgängige initiation des Nenschen als reflexive und eigenständige gesellschaftliche Binnenstruktur; erst in der bürgerlichen Gesellschaft wird die allgemein-menschliche Nöglichkeitsbeziehung real und damit auch begrifflich abbildbar. Die hier skizzierte Weiterentwicklung des kritisch-psychologischen

Grundverständnisses

individue11er

Subjektivität

reflektiert also implizit den Bntwicklungsstand entwickelter bürgerlicher Gesellschaften, in denen sich bestimmte allgemein-gesellschaftliche Charakteristika selbst explizieren. Unter den von Holzkamp entwickelten Prämissen einer reflexiven und politischen Grundbeziehung

des

lndividuums zu seinem gesellschaftlichen

Leben können nun stärker politische Grund- und lnfrastrukturen jenseits der Absicherung des ökonomischen Ausbeutungsverhältnisses in Augenschein genommen werden; sie müssen nicht mehr notwendig als unselbständige Anhängsel ökonomischer Klassenstrukturen begriffen werden. Der

Sachverhalt

der

gesamtgesellschaftlichen

Vermitteltheit

indivi-

duel l er Bxistenz impliziert quasi einen doppelten objektiv-gesellschaftlichen Standpunkt des lndividuums: einerseits bin ich objektiv Teilaspekt eines umfassenden gesellschaftllchen Produktions- und Reproduktionszusammmenhangs, der durch eine bestimmte Formationsspezifik charak-

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35

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terisiert ist; andererseits bin ich aber auch - in welcher Klassenlage ich mich auch befinde - konkreter Nensch unter Nenschen, konkretes Subjekt in Beziehung zu anderen Subjekten. Nit der Kategorie der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz erteilt Holzkamp jeglichem Klassenreduktionismus bzw. -determinismus bei der Analyse menschlicher Beziehungen eine eindeutige Absage. Damit wird er auch dem Umstand gerecht, daß in unseren Gesellschaften beispielsweise der Begriff "Klasse" keine sich selbst im individuellen Bewußtsein herstellende anschauliche Kategorie mehr ist, sondern seine Bvidenz verloren hat; dieser Begriff gewinnt nur bereichsspezisch und durch gesellschaftstheoretische

Vermittlungsversuche

Produktionsbereich"

o.ä.) seine Denk-

("abhängig

Beschäftigte

im

und Handlungsrelevanz zurück.

Frühe kritisch-psychologisch Auffassungen, daß der Klassenantagonismus die letzte Grundlage des Verhältnisses zwischen Nenschen sei (siehe Holzkamp-osterkamp 1975, S.284f), haben in Holzkamps allgemeiner Kategorialanalyse keinen universellen charakter mehr. Das reflexive, bewußte lndividuum, das seine Handlungen an individuell gesetzten gesellschaftlichen Naßstäben begründet, steht als Basisgröße des psychologischen Nachweises unumstößlich fest. Dieser Brkenntnisfortschritt ist der Binführung phänomenologischer Strukturbestimmungen in der Grundlegung zu verdanken (vgl. Holzkamp 1983, Kap. 7.3). Holzkamp weist nach, daß im psychologischen Diskurs die unvermittelte, kapital logische übernahme des gesellschaftstheoretischen Begriffs des Klassenindividuums eine Reduktion, eine Abstraktion von den psychologisch relevanten BedeutungsBegründungsverhältnissen ist. insgesamt relativiert sich im allgemeinen Handlungsfähigkeitsbegriff die psychologische Bedeutung des Klassen- und Ausbeutungsbegriffs, indem das psychologische Problem auf das politische Verhältnis zwischen Anpassung und Veränderung im Rahmen der doppelten Nöglichkeit eingegrenzt wird, wobei das Verhältnis dieses Begriffspaares zum ökonomischen Klassenbegriff zunächst offen gelassen wird (im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit werden diese Bestimmungen allerdings verquickt). Die Herausarbeitung der gesamtgesellschaftllchen Vermitteltheit individueller Bxistenz ist auch insofern zentral, da erst durch sie das Wirken

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36

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objektiver gesellschaftlicher Gesetze "hinter dem Rücken" der Betroffenen denkbar wird. De facto wird die allgemeine und nicht wieder herstellbare Zweiteilung von lndividuum und Gesellschaft als Qualifikation der in der Gesellschaftlichkeit ermöglichten lndividualität und Subjektivität deutlich, ohne daß bürgerliche Denkformen diese Trennung a priori und unhistorisch nahelegen würden. Brst unter entwickelten kapitalistischen Bedingungen sind die objektiven Voraussetzungen

gegeben - und von Holzkamp realisiert

-, über Narx

hinausgehend den universellen Begriff der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz zu entwickeln und dabei das von Narx und Bngels in der "Deutschen ldeologie" festgehaltene Verständnis von Subjektivität als "bewußtem Verhalten-zu"

(vgl. Narx und Bngels l969,

S.30) konsequent materialistisch zu untermauern. Holzkamp geht dabei in seiner Rekonstruktion

des Standpunkts des Subjekts weit über andere

marxistische Ansätze hinaus.

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l.4

37

-

Von der Bestimmung der allgemeinen Grundkategorien zur Bestimmung des begrifflichen lnstrumentariums format ionsspez i f ischer Vermi tt l ungsanal ysen

Für Holzkamp ist die bisher dargestellte kategoriale Struktur bis hin zur Kategorie der doppelten Möglichkeit allerdings nicht hinreichend entwickelt, um die zentrale vermittlungsanalytische Fragestellung nach dem Verhältnis zwischen den konkreten Lebensbedingungen und den Brscheinungsformen subjektiver Befindlichkeit/Handlungsfähigkeit klären zu können. Die (in Kapitel 1.2) dargestellten psychologischen Bestimmungen des Grundverhältnisses der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz seien Abstraktionen von den besonderen Bigenarten gesellschaftlich-individueller Lebensbedingungen. Bs bestehe die Notwendigkeit der Konkretisierung der dargelegten allgemeinen Vermittlungskategorien auf die Lebensbedingungen in ihrer historisch entwickelten Formationsspezifik. Deshalb will Holzkamp die Kategorien in der Weise differenzieren, daß in ihnen die Vermitteltheit des Psychischen mit den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen

in ihrer speziellen

formationsspezifi-

schen Ausprägung faßbar wird. Nur durch solche kategorialen Konkret isierungen sei die Nannigfaltigkeit, Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit der Brscheinungsformen individueller Handlungsfähigkeit und Befindlichkeit wissenschaftlich aufschließbar. Die funktionalen Differenzierungen, die aus den Widersprüchlichkeiten der

doppelten

Grundlegung

nur

Möglichkeit

explizierbar

sind,

in Ansätzen auf allgemeiner

erfolgen Bbene.

also

in

der

Zum großen Teil

werden sle direkt auf der Bbene der bürgerlichen Gesellschaft vollzogen. Bs werden mithin funktionale Aspekte spezifischer, in der bürgerlichen Gesellschaft

mehr oder weniger verankerter

Prämissen-Gründe-Zusammen-

hänge ausgearbeitet. Holzkamp läßt sich dabei von der Vorstellung leiten, daß eine solche begriffliche Differenzierung auf dem Wege einer iogisch-historisch fundierten Analyse einschlägiger psychologischer Vorbegriffe erfolgen kann, die auf der Seite der gesellschaftlichen Lebensbedingungen unter Abstraktion von konkreten empirischen Verhältnissen an der reinen Formationsspezifik orientiert wird.

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38

-

Bei der Umsetzung dieses erweiterten kategorialanalytischen Vorhabens setzt Holzkamp eine bereits hinreichend realisierte gesellschaftstheoretische Analyse der kapitalistischen Formation voraus. Auf der Grundlage der Narxschen "Kritik der politischen ökonomie" glaubt er, die allgemeinen, funktioal-historisch rekonstruierten psychischen Funktionsaspekte begrifflich differenzieren zu können. Diese Zielsetzung, die nur unter der Prämisse elner als hinreichend angesehenen gesellschaftstheoretischen Formationsanalyse realisierbar erscheint, wird von Holzkamp als Leitgesichtspunkt der weiteren Kategorialanalyse (von mir im folgenden erweiterte Kategorialanalyse genannt) herausgestellt (siehe l983, S.l98ff).

lch werde später die Frage diskutieren, ob es empfehlenswert ist, die für die angestrebte Konkretisierung notwendigen Begriffe logisch-historisch (siehe zu dieser Begriffsbestimmungsmethode: a.a.o., Kap. 1.3 und 4.5) bestimmen zu wollen, oder ob es nicht besser ist, die Konkretisierung der einzeltheoretischen Forschung zu überlassen, das heißt, die entsprechenden Begriifsbildungen in den Kontext von aktualempirischen Prozeßanalysen einzubetten. Wir werden zu untersuchen haben, ob und wofür die "Kritik der politischen ökonomie" eine ausreichende gesellschaftstheoretische Grundlage ist. immerhin ist über die bürgerliche Gesellschaft mit ihren fundamentalen Veränderungen, die in der zweiten Hälfte dieses jahrhunderts stattgefunden haben, noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die aus der Analyse des Industriekapital ismus und der darin gegebenen Arbeitsrolle resultierende Annahme, daß wir uns notwendig an einer Schwelle zwischen Kapitalismus und Sozialismus befinden, hat sich als irrig erwiesen. Von der gesellschaftstheoretischen Bestimmung "unserer" Verhältnisse muß meines Brachtens jedoch die Fassung der erweiterten, individualwissenschaftlichen Begriffsbildungen, die die Vermittlungen zwischen "unseren" objektiven gesellschaftlichen Verhältnissen und je meinem Psychischen aufklärbar machen sollen, abhängen. Die Notwendigkeit formationsbezogener Differenzierungen der Grundkategorien ergibt sich für Holzkamp vor allem aus dem Sachverhalt, daß im Kapitalismus in der je individuellen Lebenslage und Position die Nöglichkeiten der "unmittelbaren Produzenten" zur gemeinsamen Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß durch ökonomische Klasseninteressen und darin gegründete außerökonomische Nachtausübung eingeschränkt seien (vgl. 1983, S.203). Dabei würden die in der allgemeinen Kategorie der doppelten Nöglichkeit explizierten Beschränkungen von Verfügungsmöglichkeiten in der bürgerlichen Gesellschaft sogar zu Bedrohungen der Handlungsfähigkeit. Bs stelle sich deshalb für die psychologische

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39

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Forschung die grundsätzliche Frage, in welcher Weise sich in den gegebenen Erscheinungsformen des Psychischen das "form^tionsspezifische Verhältnis zwischen den Nöglichkeiten der Teilhabe an gesellschaftlicher Bedingungsverfügung manifestiert"

. . . und deren Binschränkungen/Nystifikationen

...

(1983, S.203f). Das Ziel der angestrebten erweiterten

Kategorialanalyse sei dabei, die auf diese widersprüchlichen Bedeutungskonstellationen bezogenen subjektiv funktionalen Eegrundungszusammenhänge begrifflich zu entschlüsseln. Auch wenn Holzkamp diese Problemstellung bisweilen abstrakt und formationsübergreifend formuliert, bezieht er sich de facto immer auf die bürgerlichen Lebensverhältnisse, wie sie von Narx analysiert wurden. Schließlich will er für deren "psychischen Aspekt", das heißt für uns, eine adäquate Begrifflichkeit entwickeln. ln seiner logisch-historischen Differenzierungsanalyse versucht Holzkamp,

zunächst

in

einer

sogenannten

kategorialen

Eedeutungsanalyse

strukturelle Nerkmale der lage- und postionsspezifischen Lebensbedingungen des lndividuums in ihrer Formbestimmtheit durch die kapitalistische Produktionsweise aufzuklären; damit kanalisiert er - da er schließlich die begriffliche Grundlage der Aktualempirie zu erarbeiten beansprucht zugleich die Bedeutungsanalyse in der aktuellen Fallanalyse in die Bxplikation jeweils gegebener Bedeutungen als realhistorische Nanifestationen der kategorial bestimmten, allgemeinen kapitalismusspezifischen Lage- und Positionscharakteristik. Br glaubt, damit die Grundstruktur eines jeden subjektiven Nöglichkeitsraumes in seinen wesentlichen Zügen charakterisieren zu können. le meine Lebensbedingungen (Institutionen, Arbeitsplätze, Familie etc. ) werden so grundsätzlich - aufgrund des Kategorie-Theorie-Zirkels - als Konkretisierungen bereits erschlossener formationsspezifischer Bedeutungskonstellationen aufgefaßt. Bbenso verfährt Holzkamp auf der Vermittlungsebene der Handlungsgründe, also in bezug auf die Analyse von Begründungsstrukturen. Wir stoßen also auf eine kapitalismusspezifische "Analyse des Zusammenhangs zwischen lage-/positionsspezifischen

Bedeutungen

und

subjektiv

funktionalen

Handlungsgründen" (1983, S.369). Holzkamp will dabei auf der Grundlage der bis dahin erarbeiteten Prämissen logisch klären, ^ie di^ ^ f die ^ in der marxistischen Tradition gesellschaftstheoretisch analysierten -

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40

-

kapitalistischen Bedrohungen und Binschränkungen menschlicher Handlungsfähigkeit

bezogenen

Begründungsformen

der

Brweiterung/Sicherung

der

Handlungsfähigkeit aussehen messen. Br glaubt dabei, zwei sich selbst negierende bzw. kontrastierende, allgemein-kapitalismusspezifische

Ee-

grundungsmuster in bezug auf die in ihrer Format ionsspezifik ausgewiesenen lage- und positionspezifischen Bedeutungskonstellationen analytisch entwickeln zu können: die Begründungsmuster "restriktive versus verallgemeinerte

Handlungsfähigkeit".

Brst

auf

dieser

kategorialen

Grundlage lassen sich nach Holzkamp - in je individueller, analytischer Selbstapplikation der gewonnenen kategorialen Differenzierungen - empiriebezogene

Annahmen

darüber

formulieren,

welche

speziellen

Formen

dieser allgemeinen Begründungsmuster sich aus den je konkreten Bedeutungskonstellationen ergeben, wie also die komplementäre Begründungsalternative zwischen verallgemeinerter und restriktiver Handlungsfähigkeit im jeweillgen Nöglichkeitsraum konkret zu bestimmen ist. Damit will sich Holzkamp einen analytischen Zugang zur Bbene der Bestimmung der psychischen Funktionen (Denken, Notivation, Bmotion) und damit zugleich zur Bbene der psychischen Erscheinungen verschaffen. Auch hier versucht er zunächst auf begriffllcher Bbene zu klären, welche Konsequenzen für die funktionalen Nani festat ionen des Psychischen aus dem kategorial bestimmten alternativen Begründungsmuster verallgemeinerter versus restriktiver Handlungsfähigkeit zu ziehen sind. Bmpirische Subjektivität wird also grundsätzlich in ihren wesentlichen Bestimmungen als Brscheinungsform restriktiver bzw. verallgemeinerter Handlungsfähigkeit analysiert. Dieses Raster wird jegllcher einzeltheoretischen Untersuchung der psychischen Funktionen logisch vorgeordnet. Außerhalb dieses Begründungsmusters blelben die psychischen Funktionsaspekte weitgehend unspeziiisch und damit - als außerhalb des einschlägigen Forschungsansatzes und Forschungsinteresses der Kritischen Psychologie stehend nicht aufklärbar.

ln den begrifflichen Differenzierungen des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit erfolgt also eine konkret-historische Spezifizierung der inhaltlichen Bbene der subjektiven Handlungsgründe auf der Funktionsebene. Durch die Konkretisierung der Kategorie der Handlungsfähigkeit als restriktive-verallgemelnerte Handlungsfähigkeit

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41

-

werden die Funktionsaspekte selber widersprüchlich gefaßt. Pychologische Verhältnisbestimmungen wie Notivation/Zwang oder Begreifen/Deuten (s.u.) sind weitgehend zu fassen als funktionale Aspekte der im Konzept restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

auf spezifische Aspekte

der bürgerlichen Gesellschaft hin entwickelten Begründungsmuster. lnsofern kann im Hinblick auf die kritisch-psychologische Fassung der psychischen

Funktionen

das

Konzept

restriktiver-verallgemeinerter

Hand-

lungsfähigkeit nicht außer Kraft gesetzt werden, sondern ist als deren Bedeutungs-Begründungsstruktur konstitutiv. So trägt beispielsweise die Kritische Psychologie mit der Kategorie des inneren Zwangs als motivationsförmiger

übernahme äußerer Handlungsmögllchkeiten

weniger allge-

meinen als in erster Linie bestimmten kapitalistischen

Behinderungs-

formen und den in ihnen begründeten Funktionsausprägungen Rechnung. Derartige

historische

Konkretisierungen

Begründungskonstellationen

widersprüchlicher

Bedeutungs-

auf die Bbene der Funktionsaspekte

werden

dabei von Holzkamp als begriffliche Voraussetzungen für die aktualempirische Forschung, die man selbst nicht aus der Aktualempirie gewinnen kann, angesehen. Spezifische funktionale Begriffe werden so zu Grundbegriifen, von denen aus alle empirischen Brscheinungen

aufgeschlossen

werden. Damit gehen Verhältnisbestimmungen - wie zum Beispiel Notivation-innerer Zwang - über eine primär methodologische Bestimmung im Sinne einer Fragehaltung für die Binzelanalyse, ob jemand das, was er vorgeblich freiwill lg tut, wirklich aus freien Stücken oder aus einem verinnerlichten

äußeren

Druck

heraus

tut,

hinaus.

Bine

kategoriale

Widerständigkeit gegen ideologisch gefärbte psychologische oberflächenkonzepte wäre aber bereits mit einer solchen Fragehaltung gewonnen. lm Konzept restrlktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit werden also bereits Begründungsmuster konstruiert und funktional expllzlert. Dies hängt damit zusammen, daß die dort vorgenommenen Differenzierungen bereits mit der intention zeitbezogener Analysen unter den Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft erfolgen. Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit stellt somit einen über die in der doppelten Nöglichkeit ausgewiesene

Widersprüchlichkeit

hinausgehenden

Konkretisierungsschritt

dar. Die im Kontext dieses Konzepts erfolgenden Begriffsdifferenzierun-

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42

-

gen sind als Brklärungsversuche konkreter empirischer Subjektivität anzusehen. insgesamt hat das Konzept restrlktiver Handlungsfähigkeit, da es sich auf der Bbene der in traditionellen psychologischen

(insbesondere in

psychoanalytischen) Begriffen mehr oder weniger unkritisch abgebildeten empirischen Subjektivität bewegt, stark reinterpretativen charakter. Zugleich stehen die im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit enthaltenen reinterpretativen Kategorialanalysen (Kritik der Kapitallogik, Kritik der Variablenpsychologie, Kritik und Reinterpretation der Psychoanalyse, Kritik des Freudomarxismus) nicht unbedingt in einem in sich geschlossenen Bntwicklungszusammenhang, sondern sind ungleichzeitig verlaufen.

Dabei

llegt es in der Logik der kritischen

Auseinandersetzungen mit vorfindlichen Konzeptionen, daß deren implizite kategoriale Annahmen nur aufzudecken sind durch Bxplikation eigener Annahmen auf der Bbene der kritisierten Theorien, wobei dies historischspezifische Annahmen über Behinderungen und Nöglichkeiten menschlicher Lebensansprüche unter den jeweils konkreten Bedingungen einschließt. Solche

Annahmen

gehören

jedoch

auf

die

Bbene

konkret-historischer,

fallbezogener Bedeutungs-Begründungsanalysen, weil ansonsten die Gefahr besteht, daß das kategoriale lnstrumentarium starr wird, insbesondere dann, wenn Kategorien stark zeitbezogene Aspekte haben, die einer historischen

Phase

oder

Bpoche entspringen

und ohne einen Prozeß der

Reflexion und Selbstreflexion in die Gegenwart und die Zukunft verlängert werden.

Wenn so die historische Brfahrungsgrundlage nicht mehr

gegeben ist, kann ein psychologisches Konzept in die Situation gelangen, daß Brfahrungen von Betroffenen, die nicht in den durch das Konzept gesetzten Rahmen passen, "entwicht igt" bzw. als Widerstand gedeutet werden.

Nan kann festhalten, daß im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit vorwiegend reinterpretativ Begründungsmuster-Konstruktionen entwickelt und funktional expliziert werden, mit denen der Brkenntnisgehalt diverser psychologischer Theorien als begründetes Handeln unter spezifischer kapitalistischer Prämissenlage reinterpretiert wird. Aktuelle beschreibende und interpretierende Vorbegriffe werden aufgegriffen und erhalten ihre spezifische Rekonstruktion. Dieses Konzept ist

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damit Resultat der kritischen Spezifizierung des Geltungsbereichs traditioneller psychologischer Begriffe, wobei deren zeitbezogene Akzentuierungen expliziert und in einen neuen Zusammenhang gestellt werden. Um diesen zeitbezogenen Dimensionen Rechnung zu tragen, gehen in dieses Konzept wesentlich weitergehende gesellschaftstheoretische Bestimmungen ein als in die Kategorie der doppelten Nöglichkeit. Der in der Kategorie der doppelten Nöglichkeit angesprochene Widerspruch ist nicht primär kapitalistisch, sondern spiegelt allgemein Handlungsstrukturen bzw. -alternativen unter Nacht- und Herrschaftsverhältnissen wider; diese Kategorie wird immer dann virulent, wenn aufgrund von gesellschaftlichen Nachtverhältnissen Handlungsmöglichkeiten behindert werden. Der Grundbegriff der doppelten Nöglichkeit steht unabhängig von dem jeweiligen Nodell gesellschaftlicher Strukturentwicklung; er wird nicht durch die Konstruktion konkret-historisch bestimmter Bedeutungs-Begründungsmuster verändert. lm Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit wird dagegen im besonderen auf traditionelle Formen kapitalistischer Herrschaft/Nacht/Ausbeutung/Unterdrückung und die sich daraus ergebenden subjektiven

Widersprüche

eingegangen.

Bestimmte,

konkret-historische

Verläufe, die hinter universell gedachten traditionellen Begriffen stehen (insbesondere hinter psychoanalytischen Begriffen) werden reinterpretiert.

-

44

-

1.5 Die Ableitung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als psychologisches Grundkonzept unter kapitalistischen Lebensbedingungen l.5.l

Kategoriale Bedeutungsanalyse

Wir wollen nun die erweiterte kapitalismusbezogene Kategorialanalyse, deren

integrales Resultat

das Konzept

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit ist, genauer in Augenschein nehmen, um den Gegenstand, den wir im folgenden analysieren wollen, präziser zu erarbeiten. Dabei werde ich bereits einige Ansatzstellen der im Verlauf dieser Arbeit angestrebten Neubestimmung durch kurze Anmerkungen markieren. Wie dargestellt können sich nach Holzkamp die Individuen - aufgrund der arbeitsteiligen Struktur - nicht direkt mit der Gesellschaft als ^Ganzer^ ins Verhältnis setzen (siehe 1983, S.196), sondern nur über bestimmte gesamtgesellschaftlich strukturierte Positionen und Lebenslagen als "lnbegriff der gesellschaftlich produzierten gegenständlich-sozialen Verhältnisse vom realen Standort des Individuums aus" (a.a.o., S.197). Position und Lebenslage seien dabei notwendig in einer formationsspezifischen Ausprägung gegeben, denn die sich in dem Grad der Arbeitsteilung manifestierenden Produktivkräfte seien "immer als konkrete Produktionsverhältnisse

und

Gesellschaftsformationen

bestimmt"

(a.a.o., S.202).

Durch die Nethodisierung dieser über die allgemeinen Kategorien der Position und der Lage vermittelten formationsspezifischen Konkretisierungsperspektive zum Leitgesichtspunkt der erweiterten Kategorialanalyse entsteht für Holzkamp "dle Notwendigkeit der Brfassung des psychischen Aspekts der Vermitteltheit individueller Bxistenz mit den gesamtgesellschaftllchen Verhältnissen in ihrer historischen Bestimmtheit als Geseiischaftsformation" (a.a.o., S.343). Für die bürgerliche Gesellschaft führt Holzkamp aus, daß dort die formationsspezifische charakteristik der Arbeitsteilung gekennzeichnet sei "durch die antagonistische Zerreißung des bewußten arbeitsteiligen Zusammenhangs in ausbeutende und ausgebeutete Kiassen^

(a.a.o., S.203).

-

45

-

Auf dieser Grundlage solle nun "das formationsspezifische Verhältnis zwischen den Möglichkeiten der Teilhabe an gesellschaftlicher Bedingungsverfügung ... und deren Binschränkungen/Nystifikationen"

(a.a.o.,

S.203f) aufschließbar werden. Diese Verhältnisbestimmung leitet Holzkamp aus dem von Närx für den gesellschaftllch-historischen Progreß festgestellten Widerspruch zwischen den in der Produktivkraftentwicklung angelegten historischen Nöglichkeiten und Notwendigkeiten sowie den diese behindernden Produktionsverhältnissen/Herrschaftsstrukturen

ab. Dieser

Widerspruch geht somit als zentrales Leitmotiv in die konkretisierende psychologische Begriffsbildung ein. Hier finden wir auf gesellschaftstheoretischer Bbene den strategischen Punkt, aus dem auf psychologischer Bbene das Konzept restriktiver-verallgemeinerer Handlungsfähigkeit resultiert. Die Aufklärung des subjektiven Aspekts des kapitalismusspezifischen Verhältnisses zwischen Nöglichkeiten und Behinderungen der Bedingungsverfügung stellt die alles beherrschende psychologische Fragestellung dar; sie wird zum zentralen Gegenstand und (Orientierungspunkt der Konkretisierung der allgemeine Begriffe in der erweiterten Kategorialanalyse. Diese Fragestellung ist auf kategorialer wie auf einzeltheoretischer Bbene - quasi die psychologische

Version

der

marxistisch-geschichtstheoretischen

Bntwicklungs-

lehre, die damit implizit die gesamte konkretisierende Analyse strukturiert.

Wie aufgewiesen, versucht Holzkamp zunächst - als quasi ersten Schritt der erweiterten

Kategorialanalyse

- in einer sogenannten

kategorialen

Eedeutungsanaiyse den Bedeutungsaspekt der kapitalistischen Verhältnisse zu explizieren, wobei eine eigene vorgeordnete gesellschaftstheoretische Analyse

oder

zumindest

Diskussion,

die

dann

bedeutungsanalytisch

zu

wenden wäre, in der Grundlegung nicht stattfindet. Holzkamp, um psychologische Grundbegriffe bemüht, vertraut vollinhaltlich auf die Narxsche Analyse. Sie ist einziger gesellschaftstheoretischer Bezugspunkt der im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Begründungsmuster.

Gesellschaftstheorie

Handlungsfähigkeit als solche

wird

konstruierten zunehmend

aus

dem Gegenstandsbereich der Psychologie ausgegrenzt bzw. in den Verantwortungsbereich der Soziologie gestellt, womit dem Risiko, sich in m^h-

-

46

-

samen gesellschaftstheoretischen Diskussionen aufzureiben, aus dem Wege gegangen wird. lm Vergleich zu Holzkamps erstem kritisch-psychologischen Buch "Sinnliche Brkenntnis" hat in der Grundlegung die Auseinandersetzung mit dem Narxismus auf gesellschaftstheoretischer Bbene nur noch einen geringen Umfang. Hier zeigt sich jedoch ein Nanko, daß wir als Kritische Psychologen bisher im Prinzip nur bereit waren, marxistische Forschung zur Kenntnis zu nehmen und uns im wesentlichen auch nur auf deren gemeinsamen Nenner, das Narxsche "Kapital", beschränkten. Für die individualwissenschaftliche Kategorienbildung interpretiert nun Holzkamp diese gesellschaftstheoretischen Resultate vom Standpunkt des Subjekts aus, zunächst in ihren Auswirkungen für Lebenslage und Position als den ersten subjektwissenschaftlichen Schnittstellen des lndividuums zu dem gesellschaftlichen Ganzen. Die angesprochene Frage, ob diese subjektwissenschaftliche Bedeutungsanalyse, da sie schließlich der Selbstaufklärung

im

kontemporärgeschichtlichen

Kontext

dienen

soll,

eine

differenziertere Gesellschaftstheorie braucht und ob Kritische Psychologie nicht mehr Wissen über unsere Gesellschaft erlangen muß, wird nicht gestellt; aus der heutigen Sicht vermisse ich eine analytischere Haltung zu dieser Gesellschaft; stattdessen wird oftmals von einem Standpunkt des Bereits-begriffen-Habens argumentiert. Holzkamp weist zwar selbst darauf hin, daß er dem Differenziertheitsgrad der Arbeitsteilung und der politisch-ideologischen Strukturen konkreter kapitalistischer Gesellschaftsformationen nicht gerecht werde und nur den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit thematisiere; deshalb seien seine formationsspezifischen Bestimmungen von Lebenslage und Position abstrakt. Bbenso gibt er zu bedenken, daß diese Abstraktionen jeweils einzei^heoretisch-aktuaie^irisch, in Form einer differenzierten Bedeutungsanalyse aufzulösen seien durch den Aufweis der konkreten Handlungsmöglichkeiten mit ihren politisch-ideologischen Bezügen auf das gesellschaftliche

Ganze

(vgl.

1983, 366f).

Aus dieser

Feststellung

werden aber keine Konsequenzen für die weitere Begriffsableitung gezogen. Damit wird darauf verzichtet, auf wesentliche soziale, zivil isatorische und ökonomische Bntwicklungen, die in "unserer" bürgerlichen Gesellschaft kumuliert sind und durch subjektive Lebenstätigkeit erbracht

-

47

-

werden, die aber auch neue Widersprüche und Konfliktpotentiale beinhalten, elnzugehen; bourgeoise Aspekte der bürgerllchen Gesellschaft werden nicht

von

zivilen

unterschieden.

Diese

gesellschaftstheoretische

Ab-

straktheit stellt den meines Brachtens nicht ganz unproblematischen Binstieg in die formationsspezifische Differenzierungsanalyse dar. Bei der Konkretisierung von Lage und Position als lnfrastrukturen des gesamtgesellschaftlichen

Bedeutungszusammenhangs

auf

ihre

bürgerliche

Formationsspezifik, die, wie dargestellt, im wesentlichen mit den antagonistischen Klassenverhältnissen der kapitalistischen identifiziert wird, stellt Holzkamp eine spezifische

Produktionsweise

Ausgeschlossenheit

der Nässe der Gesell schaftsmitglieder von der ^erfugung uber den gesamtgesellschaftlichen Prozeß als das zentrale psychische charakterist ikum dieser Formation heraus. Die

kapitalistische

zierung

des

bereich,

Produktionsweise

Zusammenhangs

womit

die

zwischen

Produziertheit

bedinge

eine

objektive

Reproduktions-

der

und

menschlichen

Nystifi-

Produkt ions-

Lebensbedingungen

durch die "unmittelbaren Produzenten" verschlelert werde. Dies führe in bezug

auf

die

Lebenslage

zu

einer

isolation

Handlungsformen aus dem gesamtgesellschaftlichen

komsumtiver

Denk-

und

Handlungszusammenhang.

Die lnfrastrukturen der Lebenslage seien deshalb als bürgerliche Formen der

scheinhaft

ungesellschaftlichen

Privatexistenz

des

einzelnen

be-

stimmt und erlaubten individuelle Lebenspraxis nur als utilitaristische Praxis von Privaten. lm Hinblick auf die Bedeutungsstruktur der Position würden durch Verkauf der

Arbeitskraft

kooperativen

und

fremdbestimmte

Beziehungen

innerhalb

Arbeitsbedingungen

der

die

Arbeitsorganisation

kurrenzbestimmungen zwischen den Arbeitern überlagert. also unter kapitalistischen Bedingungen der innere

notwendig durch

lnsgesamt

Konwerde

Bedeutungszusammen-

hang der gesellschaftlichen Lebenserhaltung zwischen individueller Betelllgung an der Produktion, der gesellschaftlichen Naturaneignung und der individuellen Tellhabe an der Konsumtion zerrissen. Zudem seien unter kapitalistischen Produktionsbedingungen in den Bedeutungsaspekten von Lage und Position Verweisungen auf den übergreifenden poll tischen Zusammenhang vom Standpunkt der herrschenden Klasse enthal-

-

48

-

ten, in denen die allgemeinen lnteressen mit den Interessen des Kapitals identifiziert seien. Bs lägen also Bedeutungen vor - und dies ist für das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit zentral -, die auf die ldentität der N^glichkeii zur Sicherung und Entfaltung der eigenen Ezistenz mit der Beteiligung an der Reproduktion der bestehenden Klassenverhältnisse verweisen.

Dies hält Holzkamp allerdings für einen objektiven

Widerspruch. Aufgrund der in der Beteiligung an der Reproduktion der bestehenden Verhältnisse l legenden "Selbstschädigung" scheint es eigentlich ausgeschlossen, daß die Partialinteressen des Kapitals auch die Vertretung allgemeiner lnteressen beinhalten können, daß also privatförmig Verallgemeinerbares realisiert wird. Wenn man die Argumentation ausschließlich auf die begriffslogische Bvidenz, daß partiale lnteressen per deflnitionem nicht allgemeine sein können, gründet, stellt sich gar nicht mehr das Problem, das Verhältnis von allgemeinen und speziellen lnteressen

innerhalb gegebener

gesellschaftlicher

Verhältnisse

immer

wieder konkret analysieren zu müssen. Zugleich

existierten,

so

Holzkamp,

aber

auch

Bedeutungen,

die

in

Widerspruch zu den bürgerlich formbestimmten Handlungs- und Denkmöglichkeiten stünden. Aufgrund des - von Holzkamp durchgängig unterstellten massiven

Zwangsmoments

bei

der

Positionsrealisierung

bestünden

etwa

Verweisungen auf das gesellschaftliche Ganze, in denen die "bürgerlichideologische ldentifizierung" der allgemeinen mit den herrschenden lnteressen überschritten und die Widersprüche zwischen dem Allgemeininteresse und dem Verwertungsinteresse des Kapitals manifestiert seien. ln diesen Bedeutungskonstellationen seien Nöglichkeiten politischer zusammenschlösse zur Zurückdrängung der Kapitalherrschaft in kollektiver Subjektivität gegeben. Solche Nöglichkeiten der Binflußgewinnung auf gesellschaftliche Zusammenhänge durch unmittelbar-kooperativen, praktisch-politischen Widerstand gegen die Fremdbestimmtheit und Abhängigkeit der eigenen Lebenspraxis seien allerdings in ihrer Artikulation und Realisierung vielfältig beschränkt und mystifiziert, in bürgerlichen Formen verborgen bzw. mit ihnen kontaminiert. Hinter dieser bedeutungsanalytischen Formulierung steckt die in der Kapital lektüre gegründete Skepsis gegenüber politischen Reformen. Damit

-

49

-

verbauen wir uns aber zumindest an dieser Stelle einen psychologischen Zugang zu reformorientierten und bereichsspezifischen politischen optionen in ihrem konkret-historischen Kontext; es besteht die Gefahr des Nißverständnisses, daß die Kritische Psychologie solche optionen, sofern sie nicht auf die Transzendierung des Kapitalismus zielen, a priori als eingeschränkte

Formen von Handlungsfähigkeitsbestrebungen

betrachtet.

Bs entsteht der Bindruck, daß wir nach dieser kategorialen Bedeutungsanalyse keine Fragen mehr haben, sondern von einer Position universellen Wissens kategoriale und in gewisser Weise kategorische imperative postulieren, wodurch wir in dem Programm einer kategorialen Bedeutungsanalyse einen ersten Ansatzpunkt zur Klärung der normativen Brscheinungsweise mancher

kritisch-psychologischer

Formulierungen

gefunden

haben.

An

solchen Stellen besteht die Gefahr, daß die eigentliche intention, vom Standpunkt des leidenden Subjekts nach konkreten gesellschaftllchen Nöglichkeiten zu suchen, wie subjektive Handlungsproblematiken in erweiterter Verfügung über das eigene Leben überwunden werden können, in den Hintergrund tritt. in welchem Verhältnis nämlich diese lokalen Verfügungsmöglichkeiten zur kapitalistischen organisation unserer Volkswirtschaft stehen, kann nicht von vorneherein beantwortet werden, sondern muß jeweils konkret geklärt werden. Wir können an dieser Stelle also festhalten, daß sich ein möglicher Widerspruch abzeichnet zwischen dem allgemeinen psychologischen Ansatz der Kritischen Psychologie, vom Standpunkt des Subjekts konkret-historische Handlungsfähigkeitsperspektiven zu entwickeln, und einer auf die Formationsspezifik abzielenden und bisweilen geschichtsphilosophisch geprägten politischen Analyse, die im Grunde nur systemtranszendierende Praxen im logisch bestimmten lnteresse der Betroffenen für sinnvoll erachtet.

-

1.5.2

50

-

Kategoriale Begründungsanalyse

Der im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit vorgenommene Versuch einer logisch-historisch begründeten Konzeptualisierung der Grundstruktur subjektiver Entrundungen unter kapitalistischen Lebensbedingungen stellt den zweiten Schritt der erweiterten Kategorialanalyse dar.

ln den in der dargelegten Weise auf marxistischer Grundlage analysierten lage- und positionsspezifischen Bedeutungen liegen Holzkamp zufolge nun immer

Hinweise

menschlichen

auf

Beschränkungen

Strebens

Bedingungsverfügung.

nach

und

Brweiterung

Derartige

Hinweise

Bedrohungen der sind

des

allgemeinen

Handlungsfähigkeit für

als

Holzkamp zentrales

Kennzeichen jeglichen Nöglichkeitsraumes innerhalb kapitalistischer Verhältnisse. Deshalb bedürfe es auf der Bbene der Handlungsgründe - dies ist der entscheidende Punkt in Holzkamps Argumentation - kategorialer Differenzierungen, um auf diese Situation bezogene, subjektiv funktionale Begründungszusammenhänge als Bewältigungsformen kapital ismusspezifischer Binschränkungen entschlüsseln zu können. Ansatzpunkt der kategorialen Begündungsanalyse ist dabei das Konzept der doppelten Nöglichkeit, das allerdings spezifiziert wird: in jedem subjektiven Nöglichkeitsraum liege grundsätzlich die doppelte Nöglichkeit der Nutzung von vorhandenen Nöglichkeiten einerseits und der Brweiterung der Verfügung über die Nöglichkeitsbedingungen menschlicher Handlungen andererseits. Deshalb bestehe im Falle einer aktuellen Binschränkung bzw. Bedrohung der Handlungsfähigkeit sowohl die Nöglichkeit der Abwendung von Handlungseinschränkungen durch Verfügungserweiterung als auch die Alternative des Verzichts auf diese Nöglichkeit.

lm Kapitalismus

seien jedoch - so Holzkamps Hauptargument - Versuche zur Verfügungserweiterung gegen die herrschenden Partialinteressen an der Brhaltung der relativen Verfügungslosigkeit der Beherrschten gerichtet und zeitigten deshalb Sanktionen (vgl. 1983, S.371f). Dabei zeichnet Holzkamp einen universellen, kennzeichnenden

aiie

Lebensbereiche

"bürgerlicher

Zusammenhang zwischen

Klassenverhältnisse"

^erfugungserweiterung

und Ezi-

stenzbedrohung, der Leben im Kapitalismus grundsätzlich widersprüchlich

-

51

-

mache und den Nenschen grundsätz1ich vor die Alternative "Anpassung oder Widerstand" stelle. Aus dieser gesellschaftstheoretisch determinierten Brkenntnis scheint Holzkamp rückwirkend noch einmal die Vertretbarkeit einer kategorialen Bedeutungsanlyse abzuleiten. Br geht davon aus, daß die dargelegte allgemeine Bedeutungsstruktur als quasi Netastruktur jeglichem subjektiven Nöglichkeitsraum und damit jeder Handlungsbegründung in der bürgerlichen Gesellschaft zugrundellegt. Bedeutungsverweisungen auf Bxistenzbedrohungen

seien nicht nur den politisch-ideologischen

Strukturen immanent, sondern auch "in vielfältigen Brscheinungsformen und Brechungen bereits in den ^alltäglichen^ lnfrastrukturen der unmittelbaren Lebenspraxis enthalten" (a.a.o., S.372). Derartige Bedeutungbezüge, aus denen für das lndividuum hervorgeht, daß der Versuch einer Brweiterung der Handlungsfähigkeit zum Verlust des gegenwärtigen Niveaus relativer Handlungsfähigkeit führe, also gerade das Gegenteil - "die Gefahr des Zurücksinkens in einen vollends ^unmenschlichen^ Zustand der Ausgel iefertheit an fremde Nächte und Kräfte" (a.a.o., S.372) - bewirke, sind nun für Holzkamp die Prämissen, unter denen die Nöglichkeit des

Verzichts auf die grundsätzlich gegebene

Alternative der Verfügungserweiterung subjektiv begründet ist. lm Rahmen des sich damit eröffnenden restriktiven Begründungszusammenhangs bleibe nur der Versuch der überwindung der gegenwärtigen Binschränkung der Handlungsfähigkeit

ohne Verfügungserweiterung

unter Akzeptierung der

bestehenden, einschränkenden Nachtverhältnisse. Die Alternative der Verfügungserweiterung sei nur dann subjektiv begründet, wenn das lndividuum auch Bedeutungen realisiere, daß die mit der Nöglichkeit der Verfügungserweiterung antizipierte

Bxistenzgefährdung

dadurch abwendbar ist, daß es sich mit anderen in kooperativer lntegration zu einer überindividuellen Gegenmacht formiere und so die Gefährdung der je individuellen Bxistenz aufheben könne. Denn sofern es darum gehe, "gesellschaftliche Verhältnisse zu ändern, muß die Nacht der lndividuen auch selbst eine gesellschaftlich-historische Größenordnung erreichen können, wobei das Ausmaß der hier notwendigen Nacht von dem Grad . . . der aus dem Klassenantagonismus erwachsenden Gegenmacht in Richtung auf die Brhaltung der bestehenden Verhältnisse abhängt" (a.a.o., S.330). Damit verweist Holzkamp in marxistischer Tradition auf die besondere

-

52

-

Rolle der "organisations der Arbeiterklasse" (a.a.o., S.373), die somit als inhaltliche Richtungsbestimmung zu einem historisch-e^irischen Noment logischer Differenzierungen werden. Die Begründetheit der Alternative der Verfügungserweiterung hänge also von der subjektiven Perspektive ihrer Realisierbarkeit "in überschrei tung der Grenzen individueller Subjektivität durch unmittelbare Kooperation in Richtung auf die Durchsetzung allgemeiner

lnteressen der gemeinsamen Selbstbestimmung

gegen herrschende Partialinteressen" (ebd.) ab. Wenn die Perspektive einer solchen verallgemeinerten Handlungsfähigkeit nicht erfahren werde, bleibe nur die Nöglichkeit der versuchten Bedrohungsabwendung unter Anerkennung des bestehenden eingeschränkten Verfügungsrahmens. Diesen Versuch der subjektiv begründeten/funktionalen Bedrohungsüberwindung

unter

den

Prämissen

der subjektiv angenommenen

^nveränderbarkeit kapitalistischer Nächtverhäiinisse faßt Holzkamp mit dem Begriff der restriktiven Handlungsfähigkeit.

-

53

-

1.5.3 Konsequenzen restriktiver Handlungsfähigkeit: lnstrumentalbeziehungen, Selbstfeindschaft, Unbewußtes

ln einer Zwischensequenz führt Holzkamp - zur Vorbereitung des dritten Schritts der erweiterten Kategorialanalyse auf der Bbene der psychischen Funktionsaspekte - einige Begriffe ein, die in der im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

vorgenommenen Zusammenhangsanalyse

zwischen Be-

deutungen, Begründungen und psychischen Brscheinungsformen eine wichtige Funktion gewinnen.

Dabei

entfaltet

dargestellten

Holzkamp zunächst

restriktiven

den

zwischenmenschlichen Aspekt

Handlungsform:

der

Da im Versuch der Gewinnung

restriktiver Handlungsfähigkeit die Nögllchkeit und das Ziel zur gemeinsamen Brweiterung der Verfügungsmöglichkeiten ausgeschlossen seien, sei das Verhältnis zu anderen Nenschen - formbestimmt als bürgerliches Konkurrenzverhältnis - grundsätzlich durch ein Gegeneinander

unterschied-

l icher Patialinteressen charakterisiert, denen gemäß je ich die Verfügung

über

meine

Lebensbedingungen

notwendig

nur

auf

Kosten

anderer

erweitern könne. Zusammenschlüsse dienten allenfalls der besseren Durchsetzung eigener Partialinteressen

gegen die Partialinteressen

anderer.

Die Beziehungen zu anderen Nenschen seien somit durch eine wechselseitige Instrumentalisierung des jeweils anderen für die eigenen lnteressen charakterisiert,

weshalb Holzkamp den intersubjektiven Aspekt

tiver Handlungsfähigkeit

restrik-

instrumental verhältnisse nennt. Da es subjektiv

funktional sei, die eigene Nacht zur Durchsetzung der eigenen lnteressen zu erhöhen, führe dies zum Versuch der Teilhabe an der Nacht der Herrschenden.

Das

Streben

nach

restriktiver

Handlungsfähigkeit

bedeute

deshalb - anstelle der Brweiterung der gemeinsamen Nacht über die Verhältnisse - den Versuch der Gewinnung von Kontrolle über andere Nenschen durch

Teilhabe

an

den

dadurch

bestätigten

kapitalistischen

Unter-

drückungsformen. Zur Absicherung dieser überlebensstrategie sei nur die selektive Aneignung solcher in den Bedeutungskonstellationen politisch-ideologischen

Verweise

auf

das gesellschaftliche

liegenden Ganze

sub-

-

54

-

jektlv funktional, in denen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse abgesichert und verteidigt seien. Die

entscheidende

innere

Widersprüchlichkeit

restriktiver

Handlungs-

fähigkeit sieht Holzkamp darin, daß der Verzicht auf die Verfügung über die

Lebensbedingungen

Sich-Ausliefern

an

stets den weiteren

unbeeinflußte

Verlust

von Verfügung,

Unterdrückungsverhältnisse,

das

enthalte.

Dies ist für Holzkamp die dramatische Zuspitzung jeglichen Arrangements mit kapitalistischen Verhältnissen. Das Arrangement mit den Herrschenden führe zu einer Perpetuierung der Gefährdung des eigenen Handlungs- und Verfügungsraums,

den

man

durch

Verzicht

auf

die

Bedingungsverfügung

gerade absichern wolle. lndem man sich so aktiv an seiner eigenen Unterdrückung beteillge, stärke man jene Nächte und Kräfte, denen man sich ausgeliefert habe, denn die Nöglichkeiten, durch unmittelbare Kooperation die Handlungsfähigkeit langfristig zu erweitern, würden so permanent eingeengt.

Weiterhin impliziere die dargelegte und im Rahmen restriktiver Handlungsfähigkeit notwendige lnstrumentalisierung und Kontrolle anderer, daß der einzelne immer mehr auf sich zurückgeworfen werde und somit immer ohnmächtiger den ihm unverfügbaren Lebensbedingungen ausgeliefert sei. lm Rahmen der restrlktiven Variante könne deshalb die Bedrohung der Handlungsfähigkeit allenfalls nur kurzfristig - solange man es in dieser Form

eben

objektive

"aushält" Dilemma,

-

restriktiv erweitere, fristiger

zurückgedrängt

daß

je

ich,

gleichzeitig

Handlungsfähigkeit

werden.

indem

ich

werde

damit

unhintergehbaren werde.

lede

eine

sinnliche

Freude

des Kapitals,

gebrochen.

Nitmenschllche

gegen

jeden"

chronische

Hintergrundsqualität

standpunkt

geopfert.

bestehe

am Leben

das

Handlungsfähigkeit

meine Nöglichkeiten wirklicher

verringere.

lang-

lndem man so zum Komplizen der

Nachthabenden werde, werde man sich selbst Bedrohung

Vielmehr

meine

zum Feinde.

Aus der aktuellen

Bedrohtheitsfixierung, der

psychischen

die

zur

Befindlichkeit

werde so durch den

^erwertungs-

den man als eigenen Standpunkt übernommen habe, Gemeinsamkeiten Der

Versuch

würden

der

der

Konkurrenz

Verbesserung

"jeder

menschlicher

-

55

-

Lebensqualität hebe sich durch die - wie sich Holzkamp drastisch ausdrückt - "Kompiizenschaft mit den herrschenden^ selbst auf. Zur Brklärung unbewußter Vorgänge führt Holzkamp als logisch-historisch

nicht

weiter zu begründendes Axiom das sogenannte "einzige

Apriori der Kritischen Psychologie"

materiale

(vgl. l983, S.350) ein, dem zufolge

niemand seinen eigenen Lebensinteressen bewußt zuwider handle. Die dargelegte aktive Nitwirkung an der eigenen Unterdrückung könne deshalb dem lndividuum nicht bewußt sein. Restriktive Handlungsfähigkeit impliziere notwendig die Verdrängung aller Bedeutungsaspekte, aus denen die Partizipation an der eigenen Unterdrückung und damit die eigene Verantwortlichkeit für Beeinträchtigungen der subjektiven Befindlichkeit hervorgehe.

Unter dynamischem Gesichtspunkt bedeute dies zugleich die Abwehr aller Bedeutungen, die auf die Nöglichkeit der unmittelbar-kooperativen Verfügungserweiterung

in verallgemeinerter Handlungsfähigkeit

verweisen und

die bestehenden Verhältnisse in ihrer (^uasi-Naturnotwendigkeit

proble-

matisieren. Wenn ein restriktives Streben nach Handlungsfähigkeit subjektiv begründet sein solle, könne und dürfe es notwendig kein Allgemelninteresse und keine intersubjektiven Beziehungen geben, sondern nur konkurrierende Partialinteressen und instrumentelle Beziehungen^. Unbewußtes sei also ein notwendiges Noment der Herstellung restriktiver Handlungsfähigkeit, wobei sowohl die Resultate als auch die Nechanismen einer

solchen

Realitätsausklammerung

und

-verleugnung

dynamisch

ver-

drängt werden müßten. Die Unterdrückung "gefährlicher", die Selbstfeindschaft offenbarender Gedanken schließe eine permanente und mißtrauische Selbst- und Fremdkontrolle ein.

l Dies ist übrigens ein Widerspruch zu der von Holzkamp aufgewiesenen bürgerllch-ideologischen ldentifizierung von Allgemein- und Partialinteressen, also zu dem (auf S.48 dargelegten) Sachverhalt, daß sich auch affirmatives Verhalten durch die Fiktion seiner Verallgemeinerbarkeit legitimiert.

-

56

-

Holzkamps Ansicht nach - so kann man verallgemeinernd festhalten - sind also unbewußte Anteile des Psychischen lmplikat der subjektiven Begründetheit eines Handlungsrahmens, der sich "der Rationalität des Kapitals unterwirft" . Bewußt bleiben in Holzkamps Konzeption nur die für die Brweiterung der Handlungsfähigkeit funktionalen Aspekte. Alle Aspekte, die auf den realen Verlust von Handlungsfähigkeit hinweisen, werden im restriktiven Handlungsrahmen dynamisch aus dem Bewußtsein eliminiert. ln diesem Konflikt zwischen bewußten und diese negierenden unbewußten Anteilen sieht Holzkamp den Schlüssel zur Analyse aller psychischer Probleme und Konflikte unter kapitalistischen Lebensbedingungen.

-

57

-

1.5.4 Kognitive und emotional-motivationale Funktionsaspekte restriktiver-verallgemeinerter Handlu ngsfäh i gke i t

lm dritten Schritt der erweiterten Kategorialanalyse versucht nun Holzkamp funktionsanaiytisch in der von ihm aufgeworfenen Konstellation subjektiver Grundwidersprüche

innerhalb des Kapitalismus die

Erscheinungs-

f o r m e n der restriktiven und der v e r a l l g e m e i n e r t e ^ Begründungsform kategorial rung

aufzuklären,

weitgehend

funktionale

indem er beide Arten der

logisch-explikativ

Konsequenzen

hin

auf

Handlungsfähigkeitssiche-

ihre

analysiert.

Bs

psychischen bleibt

als

Aspekte

bzw.

psychologische

Aufgabe, die Konsequenzen des Sich-Verstrickens in die Widersprüche restriktiver dieser

Handlungsfähigkeit

und

die

Voraussetzungen

der

überwindung

Widersprüche auf der Bbene der psychischen Funktionen

aufzuklä-

ren.

lnsgesamt

geht

es

Funktionskreis

Holzkamp

bei

der

funktionalen

restriktiver-verallgemeinerter

Aufweis einer "globalen charakteristik" tionsaspekte. schlüsselung

Bs

handle

sich

individueller

um eine

Kategorialanalyse

Handlungsfähigkeit

im

um den

der einzelnen psychlschen Funkkategoriale

Ausprägungsweisen

je

Bestimmung meiner

zur

Auf-

Befindlichkeit

bzw. Handlungsfähigkeit auf die darin liegenden funktionalen Nomente der Brkenntnis derung

bzw.

verallgemeinerten tionale

Umsetzung

von

Handlungsmöglichkeiten

und

ihrer

Behin-

(vgl. l983, S.4l5). Die Genese und die Struktur restriktiven und

Aspekte

Denkens, des

Wahrnehmens,

übergreifenden

Fühlens

etc.

kapitalistischen

werden

als

funk-

Produktions-

und

Reproduktionsprozesses im Nedium subjektiver Begründungen entfaltet. Holzkamp analysiert

in einem ersten

Ableitungsschritt

die

Konsequenzen

der restriktiven Begründungsform für das Profil einer restriktiven Denkweise. Das wesentliche Kennzeichen dieser Denkweise sieht er in der kognitiven

Verdrängung

der

Selbstfeindschaft

und

der

damit

ermöglichten

Aufrechterhaltung der subjektiven Funktionalität restriktiver Handlungsfähigkeit.

-

58

-

Zur kategorialen charakterisierung der Bigenarten einer solchen Denkweise betont Holzkamp, daß im Rahmen des restriktiven Begründungszusammenhangs die Nöglichkeit bzw. subjektive Notwendigkeit der verändernden überschreitung des Bereichs der personalen Lebenspraxis in Richtung auf die Nitbestimmungen des übergreifenden gesellschaftlichen Prozesses negiert sei. lm Denken restriktiver Handlungsfähigkeit seien nur solche Bedeutungsverweisungen

auf d ^

gesellschaftllche Ganze abbildbar, in

denen die Lebensbedingungen der bürgerllchen Gesellschaft als allgemeinmenschlich mystifiziert würden. Dies spitzt Holzkamp zu der These zu, daß die restriktive Denkweise generell als eln um die Brkenntnis der Nöglichkeit der Verfügung über die gesellschaftlichen Lebensbedingungen verkürztes Denken zu charakterisieren sei. Die kognitive Brfassung der Faktizitäten werde gegenüber der Brfassung der Potential itäten das bestimmende Noment. Da in ihm die gesamtgesellschaftllchen Rahmenbedingungen nicht zur Disposition stünden, sei das Denken restriktiver Handlungsfähigkeit dadurch charakterisiert, daß es die Widersprüche je meiner Lebenlage und Position gedanklich nur so reproduzieren könne, als ob sie in den unmittelbaren Lebensbezügen

ihren Ursprung

hätten und auch hier überwunden

werden könnten. Diese Unmittelbarkeitsverhaftetheit restriktiven Denkens werde - im Hinblick auf die Lebenslage - dadurch unterstützt, daß aufgrund der bereich der

lsolation der unmittelbaren Lebenspraxis vom ProduktionsUrsprung der sich in der Binschränkung und Bedrohung je

meiner Handlungsfähigkeit manifestierenden Widersprüche, Abhängigkeiten und Unterdrückungsverhältnisse in der kapitalistischen Produktionsweise nicht evident sei. Diese Widersprüche würden nur als Widersprüche innerhalb des Reproduktionsbereichs denkend abgebildet, so daß sie hier überwunden werden müßten und somit kein Grund bestehe, Binfluß auf den umfassenden gesellschaftlichen Prozeß zu nehmen. So gebe es nur individuell und interaktiv zu lösende Widersprüche. Die reale gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit der Bxistenz des lndividuums sei eliminiert. Das Denken entspreche dem unter bürgerlichen Klassenverhältnissen ideologisch nahegelegten Sich-Binrichten in der Abhängigkeit und dem opportunistischen Beteiligen an der Nacht der Herrschenden.

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59

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Bntsprechend der durch die bürgerlichen Verhältnisse bestimmten objektiven Gedankenform der Privatheit als kognitiver Struktur einer über den Warenaustausch vermittelten Lebenspraxis (siehe etwa Haug 1977) reduziere sich Denken restriktiver Handlungsfähigkeit auf das oberflächliche Deuten personaler Handlungen und Befindlichkeiten aus sich selbst bzw. aus der unmittelbar sinnlich präsenten Wechselwirkung der lndividuen heraus. Deshalb bezeichnet Holzkamp die restriktive Denkweise insgesamt als beuten. Bin wesentlicher Aspekt des Deutens sei das personalisierende i)enken, denn das Deuten verinnerliche und psychologisiere gesellschaftliche Widersprüche und Unterdrückungsverhältnisse. ln Wirklichkeit seien Widersprüche in der Lebenswelt jedoch Niederschlag übergreifender gesellschaftlicher Widersprüche^ und Unterdrückungsverhältnisse und deshalb objektiv nur durch die substantielle Brweiterung der individuellen Bedingungsverfügung überwindbar. Um die reale Nöglichkeit und Eealität des Klassenkampfes beständig auszuklammern, würden die in den bürgerlichen Formen selbst liegenden Weisen deutender Realitätsverarbeitung der individuellen Denkweise einverleibt und zur Absicherung restriktiver Handlungsfähigkeit angeeignet. Da die Aneignung solcher Denkformen stets Resultat der subjektiv begründeten Verdrängung der spezifisch menschlichen Nöglichkeiten der Bedingungsverfügung sei, komme es aber unterschwellig zu einem ständigen vor allem emotionalen (s.u.) - lnfragestellen des Deutens selbst. Bs blelbt meist unbestimmt, ob Deuten als Abbildung wesentlicher Züge des begründeten, subjekthaft-aktiven l)enkprozesses oder lediglich als eine für restriktive Begründungen relevante struktur objektiver Bedeutungen im Sinne einer objektiven Denkform aufzufassen ist. Binerseits spricht Holzkamp davon, daß das Deuten als globale Weise der Selbst- und Weltsicht keine kognitiven Kompetenzen des lndividuums charakterisiere, sondern nur den generellen Zusammenhang aufzeige, in welchem sich diese entwickelten. Andererseits betont er, daß personales Denken grundsätzlich Realisierung gesellschaftlicher Denkformen sei, durch die sich die gesamtgesellschaftllche Vermitteltheit der individuellen Bxistenz in je

2 Hier wird meines Brachtens übersehen, daß Widersprüche auch in lokalen Kontexten ihren Ursprung haben können. Nan kann deshalb das Prinzip der Personalisierung kapitalistischer Widersprüche nicht unbesehen zum universellen Brklärungsprinzip spontanen subjektiven Konfliktdenkens machen.

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meinem Denken niederschlage, wobei sich das Subjekt aber auch in Realisierung erweiterter gesellschaftlicher Denkmöglichkeiten bewußt zu den Denkformen verhalten könne. Vor diesem Hintergrund soll meines Brachtens Deuten einen psychischen Prozeß, der sozusagen im Subjekt stattfindet, funktional aufschließen. Daf^r spricht auch Holzkamps expliziter Anspruch, in der von ihm aufgezeigten kapital lstischen Widerspruchskonstellation Erscheinungsformen der restriktiven Begründungsform kategorial aufzuklären. Deuten bezieht sich zwar auf die in den kapitalistischen Verhältnissen "vergegenständlichten" kognitiven Strukturen, die je nach subjektiver Funktionalität angeeignet werden, es stellt aber auch deren psychisch-prozessuale Dynamisierung im subjektiven Begründungszusammenhang restriktiver Handlungsfähigkeit dar und repräsentiert bereits dessen funktionale Brscheinungsform. Bs ist also eine auf objektive Gedankenformen zurückgehende subjektive Denkfigur. Den Notwendigkeitscharakter des Deutens und damit seine Bestimmung als allgemeine Grundkategorie versucht Holzkamp mit der Auffassung zu belegen, daß die lndividuen zur Bewältigung der kognitiven Anforderungen ihrer Lebenspraxis sich die deutenden Denkweisen angeeignet haben müßten, sowohl die objektiven Scheinhaftigkeiten des kapitalistischen Reproduktionsprozesses (zum Beispiel die Fetischisierung der Warenwelt) als auch die des Produktionsbereichs (Konkurrenz, Schein der Bezahlung der Arbeit). Zur Bewältigung bürgerlicher Lebenspraxis müsse man zwangsläufig deutend bürgerliche Denkformen realisieren. An dieser Stelle soll kurz angemerkt werden, daß die Fixierung individueller Denkprozesse in den Grund- bzw. Gattungsbegriffen die Gefahr eines Verlassens des subjektwissenschaftlichen Terrains bedeutet, da die kategoriale Analyse bestimmter Brscheinungsformen zur Voraussetzung der Analyse sämtlicher sich subjektiv-funktional konstituierender individueller Denkweisen gemacht wird. Bs bedarf vielmehr eines subjektwissenschaftlichen Diskurses, um die gesellschaftliche Formbestimmtheit des je eigenen Denkens zu reflektieren und damit praktische Selbstverständlichkeiten zu transzendieren. Als Grundbefriffe lassen sich nur objektive Denkformen oder allgemeine Funktion bestimmen, nicht aber deren konkretes Zusammenspiel und damit auch nicht der individuelle Denkprozeß. Kein Prozeß iäßt sich aiiein aus seinen Prämissen bestimmen (vgl. Holzkamp 1979a, S.50). Denkprozesse lassen sich nur über einzeltheoretische Analysen zu ^enkfiguren verallgemeinern. Aus der Sicht der betroffenen Subjekte sind Kategorien wie Personalisierung und Unmittelbarkeitsverhaftetheit also wertvolle Analyseinstrumente, jedoch lassen sie sich kaum logisch-historisch begründen, sondern sind im wesentlichen als funktionale Aspekte konkreter Bedeutungs- Begründungszusammenhänge auszuweisen.

Als alternative Denkweise zum Deuten stellt Holzkamp das Ergreifen heraus. lm Begreifen werde die individuelle Lebenspraxis in ihrer gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit durchdrungen und damit überschritten. Die Alltagsrealität werde so tendenziell in ihrer Bestimmtheit durch die antagonistischen bürgerllchen Klassenverhältnisse erfaßt. Dabei hänge das Begreifen sowohl in seiner inhaltlichen Dimensionen als

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61

-

auch in seiner Reichweite von den im subjektiven Nöglichkeitsraum gegebenen Nöglichkeiten der begreifenden Brweiterung des Wirklichkeitsbezugs ab. Die Prämissen des übergangs vom Deuten zum Begreifen sieht

Holzkamp

darin, daß die subjektive Funktionalität restriktiver Handlungsfähigkeit aufgrund ihrer inhärenten Selbstfeindschaft in sich brüchig und widersprüchlich sei. Dadurch entstünden im jeweiligen Nöglichkeitsraum Ansätze in Richtung auf begreifendes Brkennen, durch welche die übereinstimmung der deutenden Wirklichkeitserfassung

mit den eigenen

Interessen

problematisiert werde. Begreifen bedeute dann, daß ich es weniger nötig habe, "reale Beschränkungen, Abhängigkeiten, Unterdrückungsverhältnisse ^personalisierend^

mir selbst

bzw.

meinen

lnteraktionspartnern

anzu-

lasten, sondern kann sie als lmplikate jener gesellschaftlichen Bedingungen begreifen, auf deren Veränderung in kooperativer Verfügungserweiterung ich gerichtet bin. So gelange ich ... dazu, das Allgemeine im Besonderen der Befindllchkeit meiner individuellen Lebenslage/-praxis zu erkennen, so meine isolation zu überwinden durch die Brfahrung der Verbundenheit mit allen Nenschen, die . . . mit ihren ureigensten lnteressen auch die meinen wahren" (1983, S.398). Die beschränkte Funktionalität restriktiver Handlungsfähigkeit sei aber nur aufhebbar, wenn - ich habe bereits darauf hingewiesen - die umfassendere Funktionalität verallgemeinerter Handlungsfähigkeit antizipierbar sei. Der übergang vom Deuten zum Begreifen sei mithin nicht im Denken vollziehbar, sondern könne nur durch die reale ezis^enzieiie E^troffenheit von den wirklichen ^nterdruckungsverhäitnissen und der im Arrangement mit den Verhältnissen liegenden Selbstfeindschaft initiiert werden. Nur über solche Brfahrungen sei die Brkenntnis möglich, daß der gesellschaftliche Prozeß mit seinen Widersprüchen durch je mich hindurchgehe und sich so auch in meinem Denken auswirke. Das begreifende Nöglichkeitsdenken impliziere die Brkenntnis der Binbezogenheit

in den historischen Prozeß der Bntstehung

und

Veränderung

gesellschaftlicher Verhältnisse und damit auch die Frage, wie, mit welchen Nitteln, aufgrund welcher Brweiterungen der Bündnisbasis und mit welcher Zeitperspektive, die immer bestehenden Nöglichkeiten und gegebenenfalls auch Notwendigkeiten gemeinsamer Brweiterung der Bedingungs-

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62

-

verfügung realisiert werden können. Dies schlleße eine veränderte Lebenspraxis in Richtung auf das Streben nach gemeinsamer Verfügungserweiterung in verallgemeinerter Handlungsfähigkeit ein.

ln der Bntgegenstellung von Deuten und Begreifen versucht Holzkamp die wissenschaftstheoretische und ideologiekritische Kontroverse mit dem kritischen Rationalismus (siehe Holzkamp 1972c) in einem psychologischen Nodell abzubilden und damit seine Position psychologisch zu rechtfertigen. Dabei will er zugleich die Nicht-Lösbarkeit dieser Kontroverse auf der rein wissenschaftstheoretischen Bbene aufweisen, indem er die unterschiedlichen Positionen aus unterschiedlichen Lebenspraxen in der bürgerlichen Gesellschaft, einer kritischen hier sowie einer affirmativen dort, abzuleiten versucht. Des weiteren dienen die Kategorien Deuten und Begreifen der Stellenwertbestimmung traditioneller denkpsychologischer Ansätze, denen die unzulässige Stilisierung der Denkweise restriktiver Handlungsfähigkeit als allgemein-menschliche Denkweise nachgewiesen wird (vgl. etwa Holzkamp l973). lnsgesamt werden auf der Bbene der Denkanalyse, also auf der Gegenstandsseite, Auseinandersetzungen der Kritischen Psychologie mit anderen psychologischen Ansätzen behandelt. Kritik, die dort an der Kritischen Psychologie geübt wurde, wird von der Kritischen Psychologie auf den funktionalen Dimensionen des Strebens nach restriktiver Handlungsfähigkeit abgebildet und damit in gewisser Weise als Bestätigung der eigenen Position gewertet. So wird Kritik am Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit selbst als dessen Bestätigung, als Ausdruck restriktiver Denkweisen analysiert, indem eine restriktive Rezeption dieses Konzepts nachgewiesen wird (siehe Holzkamps Replik auf eine Kritik von jantzen; l985). Gleichzeitig arbeitet Holzkamp - ebenfalls auf der Gegenstandsseite - in seine Darstellung des Begreiiens die eigenen erkenntnistheoretischen Grundlagen ein. Wenn es auch als Fortschritt zu bewerten ist, wenn ein psychologischer Ansatz sich selbst mitreflektieren kann, so scheint doch die konkrete Form, in der dies in den Bestimmungen von Deuten und Begreifen erfolgte, ln gewisser Weise problematisch zu sein. Die Kategorie des Begreifens ist meines Brachtens einerseits nicht abstrakt genug, um als universelle Kategorie gelten zu können, andererseits aber auch nicht hinreichend historisch konkret; hinter ihr verbirgt sich im Grunde ein in der Narxschen Kapital ismusanalyse und Geschichtsphilosophie gegründeter Brkenntnisstatus, der zum absoluten Naßstab der kategorialen Differenzierung zwischen Deuten und Begreifen gemacht wird. Begreifen wird zumindest implizit in Zusammenhang mit Klassenbewußtsein gestellt, in dem, wie Holzkamp-osterkamp (1975, S.316) schreibt, "das höchstentwickelte gesellschaftlich kumulierte Wissen als gesellschaftliche Binsicht in die allgemelngesellschaftliche Notwendigkeit der Aufhebung der Klassenspaltung ... repräsentiert" sei. Wenn man Denkweisen im gesellschaftstheoretischen Kontext logisch-historisch als Grundkategorien ableiten will, erscheinen Holzkamps Ausführungen in der Weise, daß im Funktionskreis der Kategorie des Deutens nur vermeintlich basale Brkenntnisfunktionen wie oberfiächenorientierung und

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63

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pragmatisches Problemlosen angesiedelt werden. Die höheren Brkenntnisfunktionen wie das dialektische .Denken werden dagegen im Funktionskreis verallgemeinerter Handlungsfähigkeit angesiedelt und damit für kollektive Widerstandsformen gegen kapitalistische Verhältnisse reserviert. Bs stellt sich dann die Frage, ob hier nicht falsche, klassentheoretische Grenzziehungen vorgenommen werden. Problemlösen gewinnt in einer Welt, deren Zukunft kurzfristig nur durch Krisenmanagement

gerettet werden

kann, eine überlebensnotwendige Bedeutung. Wenn, wie Holzkamp hervorhebt, Begreifen Denken von Widersprüchen und überwindung von Binseitigkeiten in Richtung auf "mehrseitiges" Denken ist, stellt sich die Frage, ob ein weitgehend am Klassenkonflikt orientiertes Widerspruchsmodell diesen Anspruch erfüllt. lm Hinblick auf den emotionalen Funktionsaspekt der Handlungsfähigkeit (vgl. l983, S.402ff) hebt Holzkamp hervor, daß in der Bigenart der Bmotionen als subjektiver Wertung der individuellen Gesamtsituation eine spezielle Bedrohung der subjektiven Funktionalität restriktiver Handlungsfähigkeit

liege. Die emotionalen Wertungen der

Widersprüchlich-

keiten der Selbstfeindschaft forderten quasi zum Widerstand gegen die einschränkenden lnstanzen auf. Diese Widersprüchlichkeiten, die im Deuten noch ausblendbar seien, spiegelten sich also in der emotionalen Befindlichkeit des lndividuums auf mannigfaltige Weise wider. Da aber nun bei Realisierung solcher Handlungsimpulse gerade jene Bxistenzbedrohung herausgefordert werde, deren Vermeidung die dynamische Grundlage des Verzichts auf die Nöglichkeit der Verfügungserweiterung gewesen ist, stellten solche emotionalen Gesamtwertungen eine Verunsicherung für das lndividuum dar. Bntsprechend entstehe die subjektive Notwendigkeit der deutenden Abwehr des realen Zusammenhangs zwischen emotionalem Ungenügen und den gesellschaftlichen

Binschränkungen der

menschlichen Bxistenz durch Herrschaft. Daraus resultiere die scheinbare lnnerlichkei^ der Bmotionalität als einem von den realen Lebensbedingungen isoliertem, bloß subjektiven Zustand. Bmotionale Handlungsimpulse, die einen Konflikt mit den herrschenden lnstanzen hervorriefen, könnten so geleugnet und verdrängt werden. Die Funktionalität dieser Verinnerlichung liege in der kurzfristigen Angstreduzierung,

wobei aber die

Angst und ihre Ursachen in den kapitalistischen ^nterdruckungsverhältnissen nur verleugnet würden. ln diesem Kontext stehen nach Holzkamp alle psychischen Störungen oder neurotischen Symptome, die allesamt ver-

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64

-

kappte, dissoziierte und angstbesetzte Bewältigungsformen solcher Widerstandsimpulse gegen kapital lstische Herrschaft seien. Die handlungsentbundene Kurzschl^ssigkeit und inhaltsleere lnnerllchkeit restriktiver Bmotionalität charakterisiere auch den emotionalen Aspekt interpersonaler Beziehungen.

Die restriktiven

lnstrumentalverhältnisse

seien durch interaktive Reduzierungen und personal islerende Verkürzungen der emotlonalen Bindungen gekennzeichnet. Beispielsweise seien in lnstrumentalverhältnissen

Gefühle

für

andere

Nittel

zur

individuellen

Absicherung durch wechselseitiges emotionales Abhängigmachen. Dies führe zu kompensatorischem Verrechnen von emotionalen Binheiten wie auch zu einer Grundbefindlichkeit des Sich-unter-Druck-gesetzt-Fühlens. Dadurch würden chrakteristische emotionale Qualitäten wie Dankbarkeit, Schuldgefühl, Bnttäuschung, Bmpfindlichkeit, Verletztsein etc. erzeugt, die allesamt wiederum demonstrativ zur lnstrumentalisierung anderer eingesetzt

würden.

Als Konkretisierung

des restriktiven

Beziehungsmusters

versteht Holzkamp im Grunde alle realen zwischenmenschlichen Probleme, wobei

der

begreifende

Bezug

auf

die

gesellschaftlichen

Bedingungen

solcher Probleme diese in einer erweiterten Problemstellung aufheben würde.

lnnerhalb von intersubjektiven Beziehungen im Rahmen verallgemeinerter Handlungsfähigkeit dagegen, die auf die kooperative Verfügung im Allgemeininteresse gerichtet seien, seien emotionale Kompensationsvorgänge nicht bestimmend, da durch die orientierung am Allgemeinwohl jeder das ureigenste lnteresse an der Aufrechterhaltung der Beziehung habe und so niemand emotional bestochen werden müsse oder enttäuscht werden könne. lm Gegensatz zur restriktiven Handlungsfähigkeit, in der Bedürfnisse in Richtung auf Veränderung der Abhängigkeitssituation nicht zugelassen seien, gewönnen Bmotionen beim kollektiven Kampf um die Brweiterung des Binflusses auf die allgemeinen Lebensbedingungen Kraft und Ausdauer. Wir finden hier wie auch in der Ausarbeitung des übergangs vom Deuten zum Begriefen eine etwas idealisiert wirkende Darstellung revolutionärer Solidarität. Nit diesen Ausführungen über den interpersonalen Aspekt soll aber in erster Linie ein analytischer Pol konstruiert werden. Dieser Pol wird dabei weitgehend aus den Konzepten der lnstrumentalverhältnisse, der Selbstfeindschaft und des Unbewußten begrifflich expliziert und kann für sich nur bedingt einen historisch- empirisch begründeten kategorialen Status reklamieren; realhistorisch gehören solche Vorstellun-

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65

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gen wohl eher in den Bereich der ldeologie und sind heute angesichts der Zersetzung revolutionärer Bewegungen auch in ihrer ideologischen orientierungsfunktion brüchig geworden. . Bei der Analyse des motivationaien Aspekts restriktiver Handlungsfähigkeit geht Holzkamp davon aus, daß gegebene Handlungsanforderungen, sofern sie im Binklang mit den herrschenden lnteressen stünden, nicht aber den eigentlichen emotionalen orientierungen entsprächen und von daher nicht in einer emotionalen Antizipation erweiterter Verfügung und Lebenserfüllung aufgehoben seien, nicht motiviert, sondern nur unter Zwang verfolgt werden könnten. Die Notivationsproblematik restriktiver Handlungsfähigkeit sei deshalb als widersprüchlich-ambivalente

Situation

gekennzeichnet.

Binerseits

müßten die Handlungsanf orderungen aufgrund der oberflächlich wahrgenommenen Funktionalität des Arrangements mit den Herrschenden eigentlich im eigenen lnteresse motiviert verfolgbar sein; andererseits schlage aber auch in den deutenden Personalisierungen der Zwangscharakter dieser Anforderungen durch, weshalb die Notivation zersetzt sei; damit werde das ganze Arrangement mit den Herrschenden prinzipiell in Frage gestellt. Zur Aufrechterhaltung der subjektiven Funktionalität müßten deshalb die äußeren Zwänge so verinnerlicht werden, daß diese nicht von innerer Notivation unterscheidbar seien. Der als Noment des Unbewußten sich herausbildende

innere ^ang sei mithin eine motivationsförmige

Notifizierung der Tatsache der Unterdrückung.

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1.6

66

-

Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als Festschreibung einer kapitalismusspezifischen Widerspruchsanlyse in psychologischen Grundkategorien

Zum Abschluß der Darstellung will ich nun noch einmal anhand zweier Holzkamp-Artikel, von denen der eine vor und der andere nach der Grundlegung erschienen ist, die eindeutlge, mit dem Konzept restrikt iver-verallgemeinerer Handlungsfähigkeit verbundene intention der Kritischen Psychologie, die bürgerliche "Klassenrealität in ihre Grundkategorien aufzunehmen" (Holzkamp 1978c, S.254), hervorheben. ln einem für den Brsten internationalen Kongreß Kritische Psychologie verfaßten programmatischen Aufsatz nennt Holzkamp als Voraussetzung jeglicher adäquater Theorienbildung die logisch-historische Ableltung der wesentlichen biologisch-gesellschaftlichen Dimensionen des Nenschen im Kontext des übergreifenden Nensch-Welt-Zusammenhangs.

Theorien seien

ihrem charakter nach der Aufweis individuierender Spezifizierungen dieses allgemeinen, kategorial zu erfassenden Zusammenhangs. Kätegorial müßten entsprechend neben den biologischen Dimensionen der gesellschaftlichen Natur des Nenschen die Notwendigkeiten individueller Bxistenzsicherung aufgewiesen werden, "die sich aus dem jeweils formations-, klassen- und standortspezifischen objektiven Lebensbedingungen der Nenschen ergeben" (l977, S.l06). Die gesellschaftlichen Lebensbedingungen seien deshalb zunächst selbst kategorialanalytisch in ihren Konsequenzen für die individuelle Realisation der biologischen Bntwicklungsmöglichkeiten "aus ihrer historischen Bntstehung und Funktion adäquat zu begreifen" (ebd.). Diese Brkenntnis veranlaßt Holzkamp zu der überzeugung, daß bereits in den psychologischen Grundkategorien "die aus den historisch bestimmten, klassen- und standortspeziiischen Lebensbedingungen sich ergebende besondere Form der Realisierung dieser Potenzen

im Prozeß individueller Vergesellschaftung aufgewiesen werden ..." (ebd.) muß. Zwingende Voraussetzung sei dabei - als allgemeiner Rahmen

kritisch-psychologischer Kategorienbildung - die Brfassung "des historisch bestimmten Verhältnisses zwischen dem gesamtgesellschaftlichen

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67

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Stand menschlicher Bntwicklungs^öglichkeiten und den objektiven Schranken der individuellen Realisation dieser Nöglichkeiten durch die Restriktionen personaler Bntwicklung in der bürgerlichen Gesellschaft" (a.a.o., S.107). Für Holzkamp bedeutet dies konkret, daß fur ^eden psychischen Funktionsaspekt "auf der Grundlage der ^Kritik der politischen ökonomie^ der Zusammenhang zwischen den jeweils formations-, klassenund standortspezifischen Lebensverhältnissen der konkreten lndividuen in der bürgerlichen Gesellschaft und den darin gegebenen Formbestimmtheiten, Begrenzungen, Verkehrungen der Realisierbarkeit der biologischen Bntwicklungspotenzen in der individuellen Vergesellschaftung" (a.a.o., S.109) herauszuarbeiten ist. Hiermit ist sozusagen programmatisch der Auftrag für das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit formuliert. Aus der Retrospektive wird entsprechend das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit von Holzkamp als "historische Konkretisierung" (1984a, S.45) der allgemeinen lnstanzen des Vermittlungsverhältnisses zwischen dem gesellschaftlichen und dem individuellen Prozeß "auf die Lebensverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft"

(a.a.o., S.41) dargestellt.

Holzkamp faßt in eindeutiger Beschränkung auf die bürgerliche Gesellschaft "die Alternative

^verallgemeinerte-restriktive

Handlungsfähig-

keit^ aus der ^doppelten Nöglichkeit^ der Verfügungserweiterung innerhalb oder über die gesellschaftlichen Lebensbedingungen als historische Form der struktur ^subjektiver Nöglichkeitsräume^" (a.a.o., S.45f). Nit diesem Begriffspaar

soll

"das Verhältnis zwischen historischer Be-

stimmtheit der Handlungen und dem bewußten ^Sich-verhalten-Können^ zu den

gesellschaftlichen

Bedingungen

der

bürgerlichen

Gesellschaft"

(a.a.o., S.4l) begreifbar werden, und zwar als die - in dieser Zuspitzung unterstellte - "Alternative des individuellen ^Sich-Binrichtens in der Abhängigkeit^ oder der kollektiven Zurückdrängung der Fremdbestimmung"

(ebd.), wobei sich die Dimensionen und die Reichweite dieser

Alternative aus den je konkreten widersprüchlich-repressiven Lebensverhältnissen als ^ Prämissen^ subjektiver Handlungsgründe ergeben würden. ln der weiteren Analyse der psychischen Konsequenzen der in dieser Form formationsspezifisch

bestimmten

Handlungsfähigkeitsalternative

ent-

wickelt dann Holzkamp - wie dargestellt - das Konzept der Selbstfeind-

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68

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schaft und das Konzept des in der inneren Widersprüchlichkeit der Selbstfeindschaft gegründeten Unbewußten, womit er sich wiederum die Prämissen der erweiterten Funktionsanalyse erarbeitet. Der formationsspezifische charakter wird so durchgängig durch die lnstanzen des Nensch-Welt-Zusammenhangs transportiert.

Unabhängig von dem Sachverhalt, daß Klasseneinschränkungen als allgemeine Bestimmung gesellschaftlichen

Lebens erst

in der bürgerlichen

Gesellschaft praktisch und theoretisch auf ihren Begriff kommen, hat das Konzept restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

also

form^-

t ionsspezifischen Charakter in dem Sinne, daß es im Zusammenhang der formationsspezifischen

Konkretisierung

dieser

allgemeinen

Bestimmung

steht. Deshalb kann es nicht ohne Revision als allgemeines Konzept, das selbst formationsspezifisch zu konkretisieren ist, dargestellt werden. Dies ist etwa bei Narkard und Ulmann der Fall, wenn sie schreiben: "Die individuelle Gewinnung von Handlungsfähigkeit

impliziert nun ... die

^ doppelte Möglichkeit^, vorhandene Handlungsräume bloß zu nutzen oder sie in (kollektiver) überwindung von Beschränkungen zu erweitern ... . Die Kategorie der

in diesem ^inne ^restriktiven^

oder

^erweiterten^

individuellen Handlungsfähigkeit ... soll ... dazu beitragen, die gegebenen Umstände auf das Verhältnis von Nöglichkeiten und Beschränkungen zu durchdringen ... - immer geht es allgemein um diese Alternative. . . . Dieser allgemeine Konflikt (muß) in der bürgerlichen Gesellschaft ... eine

besondere

Schärfe

erhalten

..."

(Narkard/Ulmann

1983, S.20f).

Vielmehr wird die "in der Brhaltung und Brweiterung der Bedingungsverfügung/Lebensqualität ^ begründetem Eandlungsfähigkeit unter bürgerlichen Verhältnissen" von Holzkamp als "prinzipielle Alternative der Gewinnung ^restriktiver^

oder

^verallgemeinerter^

Handlungsfähigkeit"

(l984a,

S.42) gefaßt.

lm nächsten Kapitel will ich nun prüfen, ob Holzkamps Anspruch, die gesellschaftlichen Lebensbedingungen als Tell des psychologisch zu rekonstruierenden Nensch-Welt-Zusammenhangs "aus ihrer historischen Entstehung ... adäquat zu begreiien" (l977, S.109), im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit eingelöst wird.

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69

-

Kapitel 2: Gesellschaftstheoretische Diskussion des Konzepts restriktiver-veral lgemeinerter Handlungsfähigkeit

2.l

Binleitung

ln diesem Kapitel werden aspekthaft bestimmte soziologische Brklärungskonzepte benannt, die in aktuellen Diskussionen präsent sind und meine eigene Briahrungswelt repräsentleren. Aus diesem Grund unterstelle lch zunächst deren subjektwissenschaftliche Relevanz für die Durchdringung psychischer Brscheinungen. vorbegriffllche,

aktuelle

Der subjektive Bezugspunkt Lebenserfahrung

und

ist also meine

Beflndllchkeit.

Solche

Brklärungskonzepte darf man allerdings nicht mit dem Gegenstand, auf den sie sich beziehen, verwechseln; sie sind keine Beobachtungsgegenstände, sondern theoretische Konzeptionen, die bisher noch nicht eingehend in der Kritischen Psychologie thematisiert worden sind und deren Widerspiegelungsbeziehung zur Realität eingehend untersucht werden muß. Prinzipiell geht es mir dabei darum, die Bbene der problembezogenen gesellschaftstheoretischen Aktualanalyse und die Notwendigkeit für deren psychologische Bxplikation im einzeltheoretlschen Kontext herauszustellen. Die Dimensionen veränderter Gesellschaftlichkeit, die in diesem Kapitel angesprochen werden, sind im Prinzip als Bntwicklungen der bürgerlichen Gesellschaft, deren allgemeinste Strukturprinzipien von Narx im "Kapital" analysiert

wurden, ausweisbar.

T^otz der

fundamentalen gesell-

schaftlichen Veränderungen in diesem Jahrhundert und trotz der vielen gesellschaftlichen Probleme, die die Bxistenz kapital lstischer Prinzipien überdauern und sich in anderen Gesellschaftsformen in derselben Weise stellen werden, lassen sich die im folgenden anzusprechenen Nodernisierungsprozesse als immanente Bntwicklungen unveränderter kapital istischer Strukturprinzipien rekonstruieren. lnsofern besteht kein Grund, moderne kapitalistische Gesellschaiten nicht mehr als bürgerliche Gesellschaften zu bezelchnen und sich vom Narxismus zu verabschieden.

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70

-

Bin wesentliches Noment unserer Gesellschaft bleibt die scheinbare Freiheit und Gleichheit, die auf einer existentiellen Ungleichheit beruht, weil es Privateigentum an Produktionsmitteln gibt und sich damit die gesellschaftlichen Reproduktionsbedingungen in privater Hand befinden. Der Widerspruch zwischen der freien Bewegung von Privaten und der realen Abhängigkeit vieler Nenschen bei der Reproduktion ihrer Lebensbedingungen,

besteht

unverändert,

solange

riesige

Wirtschaftskomplexe

-

im

Widerspruch zu den demokratischen Ansprüchen unserer Gesellschaft - der privaten Verfügung unterliegen und wesentlich die gesellschaftliche Bntwicklung bestimmen. insbesondere führt die Globalisierung von Kapitalstrukturen und die international isierung von Konzernstrukturen zu einer immer stärkeren Zentral iserung wirtschaftlicher Nacht und zu immer anonymeren Bntscheidungen über den Aufstieg und Niedergang ganzer Volkswirtschaften. Solche nach wie vor aktuellen ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen unserer menschlichen Bxistenz kann man nicht aus der Psychologie herauslassen, sondern muß sie psychologisch reflektieren können. Dabei müssen die Voraussetzungen, um derart formationsspezifisch bestimmte gesellschaftliche Nacht und Herrschaft thematisieren zu können, bereits auf der Bbene der psychologischen Grundbegriffe geschaffen werden. Dies erfolgt in der Kritischen Psychologie, wie dargelegt, mit der Kategorie der doppelten Nöglichkeit, in der ausgewiesen ist, daß unter allen Herrschaftsverhältnissen die menschliche Nöglichkeitsbeziehung einen Doppelcharakter gewinnt, weil die gegebenen Nöglichkeiten mit strukturellen Behinderungen

ihrer Verwirklichung einhergehen. Die gesellschaftliche

Behinderung von Handlungsmöglichkeiten gehört begrifflich zur Nöglichkeit dazu. Dies ist eine über die von Narx im "Kapital" entwickelte Doppelcharakterfigur vermittelte Brkenntnis und zugleich eine allgemeine und fundamentale Feststellung. Bmpirische Subjektivität ist, egal unter welchen konkreten Bedingungen, unter dem Aspekt der sozialen Behinderung von Handlungsmöglichkeiten zu analysieren. Die Kategorie der doppelten Nöglichkeit gilt deshalb universell unter allen denkbaren Bedingungen; sie garantiert die Grundintention, gesellschaftliche Binschränkungen der menschlichen Bxistenz durch Herrschaft psychologisch sichtbar zu machen, denn sie ist Resultat

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71

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einer subjektwissenschaftlichen Aufzäumung gesellschaftlicher Nacht- und Abhängigkeitsbeziehungen. ohne eine solche Kategorie geht die Psychol ogie ihres kritischen charakters verlustig und verharrt in ideologisch geprägten, harmonistischen Gesellschaftsvorstellungen. ohne die Grundkategorie der doppelten Nöglichkeit kann man nicht spezifische soziale Restriktionen, wie sie in unserer Gesellschaft zu finden sind, subjektwissenschaftlich aufschließen. ln ihr llegt die kritische Substanz, das aufklärerische Noment der Kritischen Psychologie und sie gewährleistet den spezifischen Brklärungswert weiterführender kritisch-psychologischer Begriffsdifferenzierungen. Nit der Kategorie der dopplten Nöglchkeit werden also auf der Bbene der Psychologie die Dimension der Freiheit und ihre Binschränkung als die wesentliche Bestimmung unserer Verhältnisse in den Vordergrund gestellt. Zugleich garantiert diese Kategorie eine subjektwissenschaftliche Sichtweise, die eine "kapital logische" Rezeption des Narxismus, in der das Subjekt zum abgeleiteten Noment gesamtgesellschaftlicher Funktionszusammenhänge wird, ausschließt. Deshalb kann es auch niemals gelingen, die Kritische Psychologie auf eine Bbene mit der Kapital logik zu stellen. Vor diesem Hintergrund ist Holzkamps Begründung für weitere kategoriale Differenzierungen,

daß

grundsätzlich

in

allen

Klassengesellschaften

strukturelle Binschränkungen und Bedrohungen der Handlungsfähigkeit gegeben seien, die in ihren Konsequenzen bzw. in ihrem psychischen Aspekt begrifflich bestimmt werden müssen, in ihrer unspezifischen Allgemeinheit sicherlich nachzuvollziehen. Holzkamp löst jedoch diese allgemeine formationsübergreifende Frage nach dem psychischen Aspekt von Klassengesellschaften unter der Hand auf und visiert ausschließlich die subjektiven Vermittlungen von Binschränkungen und Bedrohungen der Handlungsfähigkeit

in einer

abstrakten

"bürgerlichen

Gesellschaft"

an,

was

selbstverständlich legitim ist, da wir ja in einer solchen Gesellschaft, im Hier und .letzt handlungsfähig werden wollen. So vollziehen sich die von Holzkamp angestrebten kategorialen Differenzierungen

(siehe 1983,

S.372f) in einem relativ unvermittelten übergang von der allgemeinen psychologisch-funktionalen

Bxplikation

der

doppelten

Nöglichkeit

zu

Differenzierungen des psychischen Aspekts gesamtgesellschaftlicher Ver-

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72

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mitteltheit individueller Bxistenz als kapitalistisch bestimmte Handlungsfähigkeit/Befindlichkeit. Dabei unterscheidet Holzkamp meines Brachtens nicht hinreichend zwischen Analyse und ^eranschaulichung, wodurch sich diese grundverschiedenen theoretischen Bntwicklungsbewegungen teilweise überlagern. Dadurch entsteht die Gefahr, daß die auf die bürgerliche

Gesellschaft

bezogene

veranschaulichende

Theorien- und Ee-

griffsbildung als zwingende Ableitung erscheint und in dieser Form im weiteren Fortgang der Argumentation transportiert wird. Restriktive und verallgemeinerte Handlungsfähigkeit werden auf diese Weise ausschließlich als logisch-historisch begründete, kategorial -allgemeine Alternativen der Bedingungsverfügung

im Rahmen subjektiver Nöglichkeitsräume

unter kapitalistischen Lebensbedingungen dargestellt (vgl. 1983, S.512). Holzkamp benennt ausdrücklich das auf der Vermittlungsebene der Handlungsgründe angesiedelte Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als die entscheidende kategoriale Differenzierung zur Aufschlüsselung der Brscheinungsformen subjektiver Befindlichkeit

unter den historisch be-

stimmten Lebensbedingungen der bürgerlicher Gesellschaft

(siehe 1983,

S.383). Damit hebt er zugleich den Zentralcharakter dieses Konzepts für die gesamte Kritische Psychologie hervor. Beim Leser entsteht der Bindruck, daß die kritisch-psychologische Kategorialanalyse, sprich das Konzept restriktiver-vera11gemeinerter Handlungsfähigkeit, in seinen konkreten Sozialraum vorzudringen, das heißt die Dimensionen, auf denen dieser psychologisch analysiert werden muß, zu liefern beansprucht. Das Konzept restrikt iver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit erscheint als festes begrifiliches lnstrumentarium, das allenfalls vermittelt über konkretere Begriffsanordnungen (zum Beispiel "Bewältigungslernen" versus "expansives Lernen"; vgl. Holzkamp 1991a) in unmittelbarer Selbstanwendung und ohne weiteren gesellschaftstheoretischen Aufwand zur Analyse je meiner psychischen Situation brauchbar ist, worauf Holzkamp (siehe l983, Kap. 9.2) ausdrücklich hinweist. Nan gewinnt so in der Lektüre der Grundlegung den Bindruck, daß dort in einem logisch-historischen Verfahren bereits hinreichende analytische Kategorien für je mich in meiner gesellschaftlichen Situation entwickelt worden sind.

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73

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Hier soll keineswegs die Notwendigkeit bestritten werden, die Formationsspezifik herauszuarbeiten: Die abstrakte Allgemeinheit der bis dahin erarbeiteten allgemeinen Kategorien ist tatsächlich in einer konkretisierenden Denkbewegung zu überwinden. Bs ist aber zu fragen, ob bzw. wieweit diese Differenzierungen im Rahmen eines logisch-historischen Verfahrens zu leisten sind. Neines Brachtens ist der sich in einem solchen Verfahren ausdrückende Anspruch, universelle formationsspezifische Kategorien zu bestimmen, die als Grundbegriffe jeglicher Aktualempirie logisch vorgeordnet sind, nicht unbedingt zwingend. ln diesem Kapitel soll der Ableitungskontext des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit zunächst im Hinblick auf die Frage der gesellschaftstheoretischen lmplikationen dieses Konzepts analysiert werden. Dabei stehen wir vor dem Problem, daß Holzkamp in seiner Ableitung die psychologisch relevanten gesellschaftstheoretischen Bezüge auf ein durch die kapitalistische

Formationsspezifik

gegebenes Verhältnis zwischen

klassenbedingten Nöglichkeiten und klassenbedingter Unterdrückung der individuellen Handlungsfähigkeitsentwicklung begrenzt und entsprechend das kategorial zu entwickelnde analytische lnstrumentarium zur Durchdringung kontemporärer empirischer Subjektivität auf das durch diese Fragestellung eröffnete Feld möglicher Brkenntnisse beschränkt.

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2.2

74

-

Die gesellschaftstheoretische Abstraktheit des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

ln der Kritischen Psychologie wurde das gesellschaftstheoretische Problem in der Weise gelöst, daß die logisch-historische Kategorialanalyse die formationspezifischen Struktureigentümlichkeiten in sich aufzunehmen beansprucht und lediglich deren Konkretisierungen/Brechungen der aktualempirischen Analyse überläßt. Die auf die bürgerliche Gesellschaft bezogenen kategorialen Differenzierungen wurden dabei bislang abstrakt in der Grobstruktur der Narxschen Format ionenabfolgelehre - von der Urgesellschaft

bis hin zum Kommunismus - positioniert, und zwar an der

Schwelle zwischen Kapitalismus und Sozialismus, und die Kritische Psychologie wurde oftmals als wissenschaftliches instrument in der Hand der Arbeiterklasse bei der revolutionären überwindung kapitalistischer Verhältnisse begriffen. Damit sind wir Kritischen Psychologen aber in die Gefahr geraten, aktuelle Geschichte nur unter sozialevolutionärem Gesichtspunkt zu interpretieren und damit geschichtsphilosophische Gesetzesfiguren in die Analyse konkreter Bntwicklungen hineinzutragen. Als Bezugssystem der erweiterten Kategorialanalyse ist die Narxsche Formationenabfolgelehre

angesichts

der

realen

gesellschaftlichen

Bntwick-

lungsvielfalt dieser Gesellschaft mit ihren neuen Bntwicklungsmöglichkeiten und Konfliktpotentialen sowie auch angesichts der in dem körperlich-sinnlichen Aspekt menschlichen Lebens angelegten Nöglichkeiten und Probleme zu abstrakt, um die psychologischen Dimensionen des "Verhältnisses

zwischen

objektiver

Bestimmtheit

und

subjektiver

Bestimmung"

(siehe Holzkamp l978b) des Nensch-Welt-Zusammenhangs für den konkrteten Binzelfall allgemein aufklärbar zu machen. Nit einem solchen Grund- bzw. Selbstverständnis geraten wir tendenziell, speziell im Konzept der restriktiven Handlungsfähigkeit, in ein instrumentelles Verhältnis zu unserer Wissenschaft. Dies schafft wiederum normotive S^eibstverpfiichtungen, die den analytischen Anspruch, Handlungsperspektiven in je meiner konkreten Problemlage zu erkennen, als Fremdaufklärung erscheinen lassen. Das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit scheint vor diesem Hintergrund in erster Linie konzi-

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75

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piert als psychologische Revolutionstheorie, als Theorie der subjektiven Voraussetzungen gesamtgesellschaftlicher Umwälzungen. Damit

besteht

das Risiko,

daß schleichend

ein

äußerliches,

in ge-

schichtsphilosophische überzeugungen eingebettetes Relevanzkriterium für die Psychologie eingeführt wird und somit auf ein Niveau regrediert wird, das Holzkamp bereits 1972 eindeutig hinter sich gelassen hatte. Damals schrieb er:

"Die tatsächllch

errelchte

gesellschaftskritische

Relevanz der Forschung ist ... ein Noment ihrer Wissenschaftlichkeit, ein lmplikat der in ihr gewonnenen Brkenntnis, unabhängig von dem ^Willen^ oder der Einstellung^ des individuellen Forschers und nicht eindeutig determiniert durch die vorgängige Themenwahl" (1972d, S.286). Der vermeintlich logisch-historische

Ableitungsschritt

von der allge-

meinen Bestimmung der Handlungsfähigkeit als psychologische Basiskategorie bei gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit individueller Bxistenz (vgl. Kapitel 1.2) zu ihrer gesellschaftstheoretischen Konkretisierung unter Berücksichtigung eines ausschließlich aus der "Kapital"-Rezeption entwickelten Verhältnisses zwischen Nöglichkeiten und Unterdrückung der Handlungsfähigkeitsentwicklung greift meines Brachtens zu kurz und steht damit in der Gefahr, reduktiv zu werden. Binerseits ist es das große Verdienst der Kritischen Psychologie, dieses Verhältnis psychologisch thematisiert und dafür einen adäquaten Forschungsansatz entwickelt zu haben,

andererseits

Bedingungen Aspekte

des

und in

vermisse

ich

eine

Dimensionen

der

Handlungsfähigkeitsentwicklung

unserem

historische

konkret-historisch

Untersuchung

bestimmten

der als

"menschlichen

Wesen" kumulierten gesamten zivilisatorischen Prozesses. Wenn man an das Problem der konkreten Realisierung von Handlungsfähigkeitsbestrebungen auf allgemeiner Bbene herangeht, ist eine solche soziologische Reflexion zwingend. Nur auf einer solchen Grundlage kann differenziert die Frage geklärt werden, was Handlungsfähigkeit unter den heutigen Bedingungen einer

in sich

interdependenten

und

zugleich gespaltenen

Weltgesell-

schaft, mit neuen und weit über die Formationsspezifik hinausgehenden Widersprüchen und Risikopotentialen, bedeutet und was unter diesen Bedingungen individuelle Teilhabe an der Bestimmung je meiner Lebensbedingungen real sein kann. Holzkamp geht auf solche Fragestellungen in der

-

76

-

Grundlegung jedoch zu wenig ein und steuert in seiner Argumentation direkt auf den Klassenantagonismus zu, den er als Universalschlüssel menschlicher Probleme und ihrer überwindung ansieht. Abstrakte gesellschaftstheoretische Bestimmungen werden so als das Ganze der konkreten Verfaßtheit unserer Gesellschaft gesehen. Damit wird jedoch die systemimmanente historische Bntwicklung und Bntwickelbarkeit von BedeutungsBegründungszusammenhängen ausgeblendet. Bestimmte Strukturen werden so statisch in den allgemeinen Grundbegriffen verankert. Bs erscheint

problematisch,

die durch die Binbeziehung

der gesell-

schaftstheoretischen Bezugsebene angestrebte Konkretisierung allein auf eine

ökonomisch-klassentheoretisch

bestimmte

Formationsspezifik

bzw.

deren allgemeinste Abstrakta zu reduzieren und dies dann in psychologischen Grundbegriffen festschreiben zu wollen. Die für die psychologische Begriffsbildung höchste relevante Stufe der gesellschaftstheoretischen Konkretion darf meines Brachtens nicht unter Abstraktion von den gesellschaftlich kumulierten zivilisatorischen Brrungenschaften und Bedrohungen erfolgen. Die Konkretisierung allgemeiner gesellschaftlicher Bestimmungen erschöpft sich nicht in ihrer Formationsspezifik. Unser Ziel muß immer wieder sein, den gesamtgesellschaftlichen Bntwicklungsstand, der zweifelsohne auch über Klassenwidersprüche vermittelt und hervorgebracht wurde, zu analysieren und psychologisch aufzuarbeiten. So können Konflikte gerade in der allgemeinen formationsübergreifenden Bntfremdung von individuellem Nögllchkeitsraum und gesamtgesellschaftlichem Prozeß liegen und sich für sozialistische wie kapitalistische Systeme

in gleicher

Weise stellen

(zum Beispiel

Komplexitätskrisen;

s.u.). Ebenso müssen wir als Kritische Psychologen etwa die im Bereich der ökologischen Bewegung formulierte formationsübergreifende Kritik der Produktivkräfte als Destruktivkräfte zur Kenntnis nehmen. Wir müssen die Widersprüche zwischen der durch Produktivkraftentwicklung ermöglichten Demokratisierung und der durch sie zugleich gesetzten zunehmenden Binschränkung der Verfügung über die natürlichen Lebensbedingungen erkennen und jenseits eines im Klassenkonflikt gegründeten kritisch-psychologischen Konfliktmodells aufarbeiten. insgesamt muß festgestellt werden, daß wir als Kritische Psychologen noch über keine hinreichende

Theorie der kapitalistischen Entwicklung

-

verfügen jenseits der traditionellen

77

-

überzeugung, daß der Widerspruch

zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen notwendig an die Schwelle einer sozialistischen Gesellschaft führt. ln Ermangelung einer solchen notwendigen Theorie der

kapitalistischen

Bntwicklung wird ein Verständnis möglicher Rückwirkungen systemimmanent generierter Formen auf die Anatomie der kapitalistischen Gesellschaftsformation erschwert. Zumindest müßten wir die Frage stellen, ob die an Formen des lndustriekapitalismus des 19. jahrhunderts entfaltete Anatomie des Kapitalismus zur Analyse konkret-historischer Herrschafts- und Konfliktsituationen Subjekte

leben,

Bntwicklung

des

ist.

Kapitalismus

Herrschaftssysteme, sionierte

in der BRD der 90er jahre, wo wir als empirische

hinreichend

die gerade

subjektive

Bespielsweise

entstandenen die

Befindlichkeit

bleiben

die

Veränderungen

mit

der

politischer

im weiten Sinne

politisch

dimen-

determinieren,

kategorial

unbe-

stimmt. lm traditionellen Produktionsparadigma verhaftete Basis-überbauDenkformen werden diesem Umstand nicht mehr gerecht, denn sie verdecken jegliche historische Dialektik innerhalb der kapitalistischen Bntwicklung. Aber auch schon die "kapital logischen" Gesetzmäßigkeiten führen im Bereich von Politik und Staat zu Veränderungen, die die am ökonomisch bedingten

Klassenantagonismus

herausgearbeitete

Alternative

verall-

gemeinerte versus restriktive Handlungsfähigkeit als historisch unsensibel erschelnen läßt. Dadurch büßt dieses Konzept aber an analytischer Kraft ein.

Bs bedarf einer Historisierung der klassischen Klassenkampftheorie. Die Gewerkschaften

als

realhistorische

organisation

der

Arbeiterbewegung

haben sich praktisch von jeglichem Klassenkampf mit der Perspektive der überwindung kapitalistischer Verhältnisse verabschiedet.

insofern hängt

die früher von uns vertretene Vorstellung vom ^langen Atem^ und historisch begründetem optimismus der organisierten Arbeiterklasse^ (Holzkamp l979c, S.74) realhistorisch gesehen in einem Vakuum. Das Konzept restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

rekurriert

zu

eindeutig

und ausschließlich auf den traditionellen, mehr oder weniger sinnlichen Klassenkonflikt und verkennt strukturelle Neudefinitionen dieses Widerspruchs durch die "modernen", entwickelten kapitalistischen Gesellschaften sowie die neuen, zum Teil formations^bergreifenden inter- und intra-

-

78

-

gesellschaftlichen Widersprüche, die zweifelsohne ^Pezifika der aktuellen Verfaßtheit unserer Gesellschaft sind. Hier entstehen zum einen Schwierigkeiten der Brhaltung und Brweiterung demokratischer Strukturen jenseits der Alternative Sozialismus versus Kapitalismus, zum anderen finden diese Gesellschaften

(beispielsweise

Aspekte ihres Narktmecha-

nismus sowie manche ihrer polltischen, rechtllchen und sozlalen lnstitutionen)

rationale

Akzeptanz

jenseits

eines

realitätsverdrängenden,

opportunistischen Sich-Binrichtens in ihren Herrschaftsräumen. Da ihre anatomischen Abstrakta zwar zu den allgemeinsten Bestimmungen bürgerlicher Gesellschaften gehören, aber in radikal verändernde historische Bntwicklungen einbezogen sind und sich in den konkreten Bezügen des lndivdiuums in unterschiedlicher, zum Teil zentraler, zum Teil perlpherer Weise, vermitteln, öffnet sich hier ein weites Feld aktualempirisch orientierter Theorienbildung,

das über die bisherige

Grundlagen-

forschung der Kritischen Psychologie hinausgeht. Psychologische

Begriffe

müssen

in

ihrem

gesellschaftstheoretisch

aufgewiesenen Bedeutungsaspekt auf die konkrete gesellschaftliche Verfassung je meiner Lebensbedingungen rekurrieren können. Sie müssen sozusagen integrativ und dürfen nicht exklusiv sein, das heißt, sie müssen historische Bntwicklungen aufnehmen können, und dürfen nicht nur sensibel für abstrakt-allgemeine

Strukturmomente

sein.

Wie soll

ich meine

konkrete Befindlichkeit durchdringen, wenn die dabei benutzten Kategorien von unter Umständen wesentlichen Aspekten der Gesellschaftlichkeit, in denen sich mein Leben vollzieht, abstrahieren^ Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit trägt somit, auch wenn es zentrale Dlmensionen aufzeigt, nicht notwendig zur Analyse meiner konkreten gesellschaitlich bestimmten Subjektivität bei. Da die gesellschaftllche Bntwicklung slch offensichtlich nicht an der Schwelle zwischen Kapitalismus und Sozialismus bewegt, dürfen wir nicht bei dem Skelett dieser Gesellschaft stehen bleiben, sondern müssen die

kaiegoriaie Notwendigkeit zur systematischen Rekonstruktion der veränderten Formen, in denen sich diese Grundstruktur bewegt und verändert, reflektieren. Frühere Versuche von seiten der Kritischen Psychologie, solche Beiträge zu lelsten, demonstrieren diesbezüglich ein Defizit und

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79

-

müssen im Hinblick auf den eigenen Anspruch der Bestimmung relevanter psychologischer Begriffe als nicht befriedigend angesehen werden (siehe die Staats- und ldeologiediskussion im Forum Kritische Psychologie 11). inzwischen wird allerdings in der Kritischen Psychologie die Wende in der DDR diskutiert und auch Selbstkritik geübt (siehe Holzkamp-osterkamp 1991a); allerdings werden meines Brachtens daraus nur vereinzelt Konsequenzen für die kritisch-psychologische Begriffsbildung (so etwa bei Holzkamp 1990b; s.u.) gezogen. Wir als Kritische Psychologen haben bisher, wie dargestellt, die Narxsche Kapitalmusanalyse einfach direkt übernommen und nicht als methodischen Auftrag zur Weiterführung genommen. Darüber hinaus wurde für die psychologische Begriffsbildung kein weiterer, über die Linie des "Kapitals" hinausgehender gesellschaftstheoretischer Aufklärungsbedarf gesehen. Vor diesem Hintergrund wirkt die von Holzkamp vorgeschlagene kategoriale Bedeutungsanalyse in ihrer Funktion eines der Theorienbildung und der dort zu leistenden aktualempirischen Bedeutungsanalyse logisch vorgeordneten Blements unzulänglich. Sie führt in der Ausarbeitung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit zur Konstruktion von ausschließlich auf der Grundlage der "Kritik der politischen ökonomie" gebildeten Bedeutungs-Begründungszusammenhängen, die die je individuellen psychischen Brscheinungsformen vollständig analysierbar zu machen beanspruchen. Dies führt dann wiederum in der psychologischen Praxis dazu, daß man sich entweder von diesen gesellschaftstheoretischen lmplikationen löst und die Kategorien "verallgemeinerte und restriktive Handlungsfähigkeit" unspezifisch als allgemeine "Nöglichkeit, sich zu wehren oder es bleiben zu lassen", verwendet oder zu der Gefahr eines abstrakttheoretischen Vorbeiredens an den Betroffenen, was dann wieder normative Brscheinungsformen der kritisch-psychologischen Kategorien zeitigen kann (s.u. ).

Nit dem Hinweis auf den Status des Begrifis restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit als analytischem Eegriff zur Aufklärung je melner Handlungsbegründungen in Situationen der Bedrohung der Handlungsfähigkeit läßt sich die dargestellte Problematik der gesellschaftstheo-

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80

-

retischen Voraussetzungen nicht lösen, denn die hier geäußerten Bedenken beziehen sich auf den gesellschaftstheoretischen Abieitungszusammenhang dieses Konzepts, nicht auf seinen Status als analytischer Begriff. Der Verweis

auf

dessen

intendierte

Funktion

kann

nicht

die

Problematik

seines inhaltlichen Profils bereinigen, zumal analytische Begriffe im Grunde alle psychologischen Begriffe, mit denen das Subjekt seine Befindlichkeit zu analysieren versucht, sind. Das Konzept der analytischen Begriffe stellt also weitgehend eine Funktionsbeschreibung von Begriffen dar und ist noch kein lndikator für deren Qualität. Vor dem hier dargelegten Hintergrund scheint es problematisch, in der in der Grundlegung vorgelegten Weise die basalen Kategorialbestimmungen so weit

gesellschaftstheoretisch

vorantreiben

zu

wollen,

daß

für

die

Selbstanalyse bereits die zentralen Dimensionen geliefert werden, durch deren selbstreflexive Anwendung die eigene empirische Subjektivität ohne weitere theoretische Vorarbeiten analysierbar und verstehbar wird. Für die Selbstreflextion sind Begründungsmuster, in denen - wie im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit - empirische Subjektivität abstrakt ins Verhältnis zu allgemeinen Strukturmerkmalen gesetzt wird, nicht in jedem Fall hinreichend.

-

81

-

2.3 Politische Analysen und Perspektiven als kategoriale Tiefenstruktur des Konzepts restriktiververallgemeinerter Handlungsfähigkeit Auf der Grundlage der dargestellten gesellschaftstheoretischen Annahmen ist es konsequent, wenn Holzkamp die Alternative restriktive versus verallgemeinerte Gewinnung von Handlungsfähigkeit "letzlich" auf das Kapital verhältnis zurückführt, so daß Widersprüche und Probleme in der Lebenslage letzlich nur durch Veränderungen der gesamtgesellschaftlichen organisation überwindbar erscheinen. So wichtig und bedeutsam es ist, kapitalistische Widersprüche überhaupt erst einmal psychologisch zu thematisieren und zu erfassen, so stellt sich doch die Frage, ob man alle psychisch relevanten Widersprüche in direkter Linie auf kapitalistische Grundwidersprüche zurückführen kann. Hierin liegt eine Problematik eines Ansatzes, der in emanzipatorischer Absicht psychologische Grundkategorien aus dem Kapitalverhältnis zu entwickeln versucht und der gemäß seiner Forschungslogik gesellschaftliche Globalwidersprüche auf der individuellen Bbene der subjektiven Brfahrung untersucht. Neines Brachtens haben wir als Kritische Psychologen zu 1ange darauf insistiert, daß sämtliche Praxen (ästhetische, sexuelle, pädagogische etc. ) - sofern sie unter kapitalistischen Verhältnissen ausgeübt werden - "vom kapitalistischen Klassenwiderspruch, der durch diesen bedingten prinzipiellen Verunsicherung der individuellen Bxistenz, durchdrungen sind" (Holzkamp-osterkamp 1983, S.14). Damit wurde dieser Widerspruch als psychischer Grundwiderspruch universalisiert und sämtliche Konflikte und Probleme in den aufgezählten Praxen als dessen konkrete Vermittlungen bzw. Brechungen interpretiert. Und zugleich wurde entsprechend holzschnittartig unterstellt, daß "die konkreten Verhältnisse nur in dem Naße ihre scheinbare Naturwüchsigkeit verlieren, wie ... mit der Herausbildung des Sozialismus ... gesamtgesellschaftliche Alternativen zur Diskussion stehen"

(a.a.o., S.20).

Die Vorstellung vom Soziallsmus als unmittelbare Alternative zum Kapitalismus ist die Konsequenz einer direkten und unhistorischen Konzentration auf die Narxsche Kapitalismuskritik. Der Sozialismus wurde als

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82

-

leitendes Bndziel aufgefaßt und hat slch dabel zu einem Systembegriif verfestigt, der als Totalität einem ebenso total gefaßten Kapitalismusbegriff entgegengesetzt wurde. Dies ist der politische Bezugspunkt der psychologischen Konzeptualisierung der überwindung restriktiver in verallgemeinerer Handlungsfähigkeit. Bs fand eine Fixierung auf die Systemalternative Kapitalismus-Sozialismus statt, wobei einzig und allein die im Privateigentum an Produktionsmitteln gegründeten Nachtverhältnisse

als

spezifische

Differenz

angesehen

wurde.

Nöglichkeiten

reformorientierten Verallgemeinerung von Handlungsmöglichkeiten

der

inner-

halb der kapitalistischen Bntwicklung wurden zwar von uns verbal eingeräumt, konnten aber so nicht wirklich zur Kenntnis genommen werden, sondern wurden im Prinzip immer als unreife, in bürgerlicher Ideologie verharrende

und

sich selbst

zurücknehmende

Protestformen,

mit denen

prinzipiell nichts gewonnen ist, gewertet. Wir haben vorwiegend auf den Reproduktionszyklus des Kapitals, der immer wieder nur Kapital und Lohnarbeit hervorbringt, gestarrt und oftmals nur in diesem Kontext, im Kontext des Verfügungsrechts über Produkt ionsmittel, das Problem der subjektiven Verfügung begriffen. Hierin liegt jedoch die Gefahr, daß man einem mechanischen Weltbild aufsitzt, in dem gesellschaftllche

Verhältnisse

weitgehend

als

Reproduktionskreislauf,

als Reproduktion von kapitalistischer Formbestimmtheit der Produktion und kapitalökonomischer Herrschaftsstruktur gedacht werden

(vgl. Bttl

und jünger l99l, S.531). Dies führt zu einer funktionalistischen Privilegierung der ökonomischen Sphäre gegenüber anderen Handlungsbereichen. Gesellschaftliche Verhältnisse gehen jedoch über den begrenzten ökonomischen Horizont ihrer Reproduktion hinaus. Die entwickelten

kapitalistischen

Gesellschaften

wurden also

in der

Gewißheit, man habe die grundlegenden Strukturmomente der bürgerlichen Gesellschaft erkannt, keiner weiteren Analyse unterzogen. Das gesellschaftstheoretische

Problem,

auf

das sich das Konzept

restriktiver-

verallgemeinerter Handlungsfähigkeit bezieht, wurde von uns quasi als gelöst angesehen. Ansätze, die auf dieser Bbene Reflexionsbedarf sahen, wurden von uns nicht interessiert und als im Prinzip berechtigt zur Kenntnis genommen,

sondern stattdessen

als revisionistisch

bekämpft,

-

83

-

wohl in der Befürchtung, daß der Binstieg in den gesellschaftstheoretischen Diskurs Teile des mühsam entwickelten kritisch-psychologischen Begriffsapparates in Frage stellen würde. Nit jeglichen revisionistischen Änderungen stehen nämlich der kategoriale Status des in bezug auf die bürgerliche Gesellschaft formulierten Bedeutungs-Begründungskonzepts der restriktiven-verallgemeinerten Handlungsfähigkeit und damit auch die kategoriale Fassung von Konflikt, Abwehr, Unbewußtem, Verdrängung sowie die entsprechenden Funktionsanalysen (Deuten, Begreifen etc.) zur Disposition. Das kritisch-psychologische Konzept verallgemeinerter-restriktiver Handlungsfähigkeit bezog seine Vitalität aus dem Glauben, daß die real existierenden sozialistischen Gesellschaften trotz ihrer evidenten Nängel, die wir im wesentlichen auf den Kampf der Systeme zurückführten, im Vergleich zu den westlichen Gesellschaften ein historischer Fortschritt seien, an dem die Perspektive verallgemeinerter Handlungsfähigkeit eine handlungsrelevante orientierung erhalte. Damit waren wir aber theoretisch gezwungen, alle systemimmanenten,

affirmativen Handlungen, die

nicht über eine solche, bestimmte Perspektive verfügten, als in restriktiven Begründungszusammenhängen

stehend zu begreifen.

Dies ist eine

Ursache der normativen Brscheinungsweise mancher kritisch-psychologischer Begriffe. Normativität erweist sich hier als das Resultat unserer mangelnden wissenschaftllchen Aufgeschlossenheit in der gesellschaftstheoretischen Diskussion. Damit einher ging auf politischer Bbene die Abqualifizierung entwickelten

politischer Rechte und politischer

kapitalistischen

Gesellschaften,

eine

lnstitutionen in allgemeine

Unter-

schätzung bürgerlich-demokratischer Traditionen. Wir erkannten nicht die durch die sogenannte formale Demokratie vermittelten, wenn auch immer wieder "gebrochenen" Nöglichkeiten der Brhaltung und Bntwicklung von Handlungsfähigkeit. Das zivilgesellschaftllche Noment bürgerlicher Verhältnisse fiel durch das Raster. Der Staat wurde ausschließlich als Klassenstaat begriffen und dessen Fähigkeit, Widersprüche auszugleichen, wurde

theoretisch abqualifiziert.

Dagegen haben wir oftmals - dies

spiegelt sich in diversen Sozialismus- Äußerungen (siehe etwa Holzkamp l983c, S.54) wider - die politische Rechtlosigkeit im Realsozialismus verharmlost

und

implizit

als durch

die

permanente

imperialistische

-

84

-

Bedrohung bedingte transitorische Notwendigkeit legitimiert. An vielen Stellen wird ein solches ideologisch-unkritisches Verhältnis zum real exlerenden Sozialismus deutlich (etwa bei Holzkamp-osterkamp l983 oder Holzkamp 1983, S.382). Dort formulierte Positionen lassen sich in keiner Weise auf den subjektiven Standpunkt der vom Realsozialismus Betroffenen ein;

vielmehr

wurde

an

solchen Stellen

ohne

analytische

Kraft

ge-

schichtsphilosophisch argumentiert, indem einfach von der Notwendigkeit "der überwindung bürgerlicher in sozialistischen Produktionsverhältissen vom Standpunkt der Arbeiterklasse, der mit dem allgemeingesellschaftlichen Standpunkt zusammenfällt" (Holzkamp-osterkamp 1975, S.301), ausgegangen wurde.

Die weitgehende Konzentration auf die Narxsche Kritik der politischen ökonomie als logischer Voraussetzung der erweiterten Kategorialanalyse nimmt den Fortschritt des vermittlungsanalytischen Status der kritischpsychologischen Begrifflichkeit partiell zurück. Sie beschränkt speziell im Konzept der restriktiven Handlungsfähigkeit die theoretische Vermittlungsfähigkeit der Kritischen Psychologie, da dort mit nicht hinreichend ausdifferenzierten gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen die gesamte Dimensionalltät der Lebensbedingungen erfaßt werden soll. Dies ändert aber nichts an der enormen Qualität von Holzkamps Grundlegung als systematischer

Begründung

einer

material lstisch-subjektwissenschaftlichen

Psychologie. Die Kritik an gesellschaftstheoretischen Aspekten des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit (aus der ich später einen systematischen Ausweg suchen werde) schmälert in keiner Weise die Qualltät des allgemeinen vermittlungsanalystischen Grundansatzes der Kritischen Psychologie und ebenso nicht das Verdienst der Kritischen Psychologie, die psychologische Analyse überhaupt erst in den gesellschaftstheoretischen Kontext eingebunden zu haben. Festzuhalten ist, daß im Konzept restriktiver-verallgemeinerter

Hand-

lungsfähigkeit nicht hinreichend ausdifferenzierte ideologische Nomente in die theoretischen und - wie ich später noch zeigen werde - methodischen

Grundlagen

hineinwirken

und

zu

Vereinfachungen

komplexer

und

widersprüchlicher gesellschaftllcher Tatbestände führen. lm Konzept verallgemeinerter-restriktiver

Handlungsfähigkeit

nehmen

wir

Kritischen

-

Psychologen schaftlichen

bisweilen einen Standpunkt Bewegungen

ein.

Wir

außerhalb der

verharren

dort

in

85

-

realen geselltraditionellen

marxistischen Formen der Widerspruchsabbildungen. Neines Brachtens bedarf es deshalb eines kritischen Verhältnisses zu unseren eigenen theoretischen und politischen Grundlagen und einer Reflexion der Historizität unserer eigenen Denkentwicklung. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir nicht gegen den von Holzkamp in einem frühen Aufsatz formulierten Anspruch verstoßen haben, daß sich "kritisch-emanzipatorische Psychologie

... -

in der Anwendung der

ihr eigenen

kritisch-historischen

Nethode auf sich selbst - permanent in ihrer Authentizität in Frage zu stellen" (l972b, S.122) habe. Die dargelegte politische Tiefenstruktur der psychologischen Begriffsbildung, dle sich allenfalls nur auf der allgemeinsten kapitalismuskritischen Bbene durchhalten läßt (ebenso wie die in ihr gegründete polltische Perspektive der Auflösung des Privateigentums an Produktionsmitteln), ist nicht sensibel gegenüber Widersprüchen auf untergeordneten Bbenen, auf denen der Gesamtrahmen nicht in Frage gestellt werden kann, sondern vielmehr als Ausgangsbasis genommen werden muß

(wie etwa in

Ulmanns vielschichtiger Analyse von "Brziehungsproblemen";

l987). Die

Kategorie der restriktiven-verallgemeinerten Handlungsfähigkeit

zwingt

dazu, einen engen Zusammenhang zwischen psychologischer Therapie und politischer Praxis (vgl. Kappaler, Holzkamp und Holzkamp-osterkamp 1977) anzunehmen. ln den kritisch-psychologischen Ableitungen hat es den Anschein, daß es prinzipiell als unmöglich angesehen wird, im Rahmen der bestehenden Bedingungen die Handlungsfähigkeit nicht restriktiv zu erweitern (etwa im Kampf um Lohnhöhe, Nitbestimmungsrechte oder aber im Versuch, mit seinen Kindern klar zu kommen). Wir finden zwar öfters lebensweltliche Veranschaulichungsversuche

(siehe etwa das "Beziehungs-

kistenbeispiel" bei Narkard l987, S.44), aber solche Beispiele haben im Grunde wenig mit Kontrolle über gesamtgesellschaftliche Bedingungen zu tun, sondern vollziehen sich auf traditionell-psychologischem Terrain in relativ geschlossenen Subsystemen. Die Anwendung des Konzepts der restriktiven-verallgemeinerten Handlungsfähigkeit erfolgt in diesen Veranschaulichungen "uneigentlich": innerhalb meiner lebensweltlichen Bezüge und Konflikte, also außerhalb einer konkreten und mächtigen politischen

-

86

-

Bewegung, kann ich m^in Leben kaum gemäß den Bestimmungen des Konzepts verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

verändern;

hier

vollziehen

sich

meine Handlungen im Rahmen der bestehenden Bedingungen. Holzkamp betont in solchen Beispielen ausdrücklich, daß man durchaus durch verändernde Bingrifie in der unmittelbaren Lebenslage seine Handlungsfählgkeit erweitern kann, etwa wenn sich jugendliche aus häuslichen Restriktionen befreien (siehe 1984b, S.29); dies muß notwendige Annahme einer Psychologie sein, die in dieser Gesellschaft Praxisrelevanz haben will. Hier stellt sich aber das Problem, in welcher Weise private Befreiungen die grundlegenden determinierenden Rahmenbedingungen verändern.

(Allerdings gibt es auch hier kritisch-psychologisch

Hilfskon-

struktionen, die personalisierende und lebensweltliche Protestformen als notwendige

Vorstufen

verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

auszuweisen

versuchen; siehe Holzkamp und Holzkamp-osterkamp 1977.) Den Verwertungsund Herrschaftsinteressen des Kapitals könnte es geradezu entgegenkommen, wenn sich etwa jugendliche im Freizeitbereich erweiterte private Verfügungs- und Konsummöglichkeiten schaffen. Holzkamp

will

mit

solchen

Beispielen

natürlich

etwas

ganz

anderes

bezwecken, nämlich die Vermittlung der Brkenntnis, daß man einer Handlung nicht von außen ansehen kann, inwieweit sie der Brweiterung der Handlungsfähigkeit dient; dies kann man nur von Standpunkt des Subjekts unter Berücksichtigung der konkreten Situation beurteilen. Neines Brachtens verdeutlicht

sich gerade an solchen Beispielen der Widerspruch

zwischen der subjektwissenschaftlichen intention des allgemeinen Handlungsfähigkeitsbegriffs

und

der

objektiven

gesellschaftstheoretischen

Bestimmung der Struktur menschlicher Handlungsfähigkeit im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit. lm Grunde gibt sich die Kritische Psychologie in solchen lebensweltlichen Beispielen mit ihrem - von mir im l. Kapitel so extrahierten allgemeinen subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen

Niveau zu-

frieden. Hier wird die quasi vertikale Auffassung von materieller gesamtgesellschaftlicher Basis und abgeleiteteten, dem lndividuum zugewandten Schnittstellen, denen ihre Binbettung in das gesellschaftliche Gesamtsystem prima vista nicht anzusehen ist, die aber nur in diesem

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87

-

Gesamt veränderbar sind, aufgegeben zugunsten einer quasi horizontalen Vorstellung von gesellschaftlichem Leben, das vom je einzelnen in jeder Position und Lage veränderbar ist. Damit wird zuglelch dem Umstand Rechnung getragen, daß gesellschaftllche Binnenstrukturen vielfach auch direkt, das heißt jenseits klassenspezifischer Aktivitäten, im Interesse der Betroffenen veränderbar sind - natürlich nur im Rahmen strukturbedingter Grenzen der individuellen "Weltverfügung". Dies steht aber im Widerspruch zu dem gesellschaftstheoretischen Ableitungskontext, in dem die Begriffe restriktive und verallgemeinerte Handlungsfähigkeit stehen. Dies führt manchmal zu einer gewissen orientierungslosigkeit

in bezug

auf die kritisch-psychologischen Grundüberzeugungen: auf der einen Seite bin ich als Kritischer Psychologe radikaler Subjektwissenschaftler, der zwar psychische Grundstrukturen kennt, aber über konkrete Brscheinungsformen menschlicher Handlungsfähigkeit und menschlicher Begründungen a priori nichts weiß und diese nur mit den Betroffenen am konkreten Fall aufklären kann, auf der anderen Seite bin ich wissenschaftlicher Sozialist, der bereits über inhaltllche Richtungsbestimmungen verfügt, ehe er sich konkret mit den Betroffenen auseinandersetzt.

-

2.4

88

-

Der Widerspruch zwischen dem Klassenkampfcharakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit und dem "Bnde der Arbeitsgesellschaft"

In bezug auf das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit finden wir die Konzentration auf den bürgerlichen Klassenantagonismus in besonders prägnanter Form in einer Arbeit von Karl-Heinz Braun. Braun zufolge dient dieses Kategorienpaar dazu, das "übergreifende Verhältnis von Nenschlichkeit und Unmenschlichkeit in den Klassengesellschaften ... individualwissenschaftlich aufschließen zu können" (1986, S.130). So real und erlebnisrelevant die Vermittlungen des Klassenantagonismus auch sein mögen, so bedeutet die Fixierung auf ihn einen

Reduktionismus, der wiederum qua kategoriaier Bedeutungs-BegründungsFunktionsanalyse in einen psychologischen Reduktionismus münden kann. Braun versucht erst gar nicht, wie etwa Holzkamp, Narkard oder Ulmann (siehe etwa Ulmann 1989, 1990) das Konzept der restriktiven-verallgemeinerten Handlungsfähigkeit

auch für Unmittelbarkeitsanalysen

(Fami-

lienprobleme, Beziehungskisten o.ä.) dienstbar zu machen, sondern expliziert ausschließlich den meines Brachtens wesentlichen Begründungszusammenhang und die damit zusammenhängende praktisch-politische Perspektive dieses Konzepts. Die personale Handlungsfähigkeit könne sich nur dann optimal entwickeln, "wenn sie im Kontext der Politik der Arbeiterbewegung individuelles Noment der kollektiven Handlungsfähigkeit wird, und so der Binzelne tellhat an der Geschichtsmächtigkeit

seiner Klasse"

(1986, S.132). Damit artikuliert er nicht nur reale lmplikate, sondern auch die für die historisch-empirische Begründung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

konstitutive,

aber

obsolet

gewordene Grundanschauung des inneren Zusammenhangs zwischen "Arbeiterklasse, Arbeiterbewegung und Persönllchkeitsentwicklung" (ebd.). ln diesem Sinne finden wir aber auch bei Holzkamp Ausführungen über die "organisationen der Arbeiterklasse" als der "überindividuellen Gegenmacht" gegen die "Herrschenden"

(siehe l983, S.373). Holzkamp verleiht nicht

nur der bestimmten Negation (dem Sozialismus), sondern auch der bestimmten Form ihrer Durchsetzung in gewissem Sinne grundbegriiflichen Status,

-

89

-

wenn er schreibt: "Bin solcher Kampf ist natürlich in letzter Instanz der organisierte Kampf der revoIutionären ArbeiterkIasse um die überwindung der kapitalistischen Ausbeutung"

(1983b, S.54). Hier soilen keine

ungeschickten Formulierungen oder Sprachhülsen ent1arvt werden; meines Brachtens muß man diese Zusammenhänge zwingend mitdenken, wenn man das Konzept restriktiver-verailgemeinerter

Handlungsfähigkeit als analyti-

schen Schlüssel benutzt, da sie zu den Ableitungsgrundlagen dieses Konzepts gehören. Die historische Wurzel

dieser Ableitungsgrundlage liegt

in der Studentenbewegung und wird vielleicht durch folgendes Zitat erhellt: "Bin ganzes Nilieu junger intellektueller lernte die historische Bedeutung der Arbeiterbewegung, vertreten durch die ^Gewerkschaften^ und ^die Partei der Arbeiterklasse^. Aber das war nicht aus der konkreten Analyse der konkreten Situation gewonnen.

... So wandten wir uns in

abstrakter Vernünftigkeit und mit desto größeren lllusionen dem zu, was uns ... als reale Arbeiterbewegung erschien"

(Haug l990, S.72f). Die

Perspektive des "revolutionären Proletariats"

ist heute jedoch nicht

mehr aufrechtzuerhalten. Die Binengung der sozialistischen Bewegung auf die Arbeiterklasse war im Grunde immer schon ein lrrtum, nur heute wird dieser lrrtum offensichtlich. Da die von Braun und früher auch von Holzkamp anvisierte Arbeiterklasse und Arbeiterbewegung nicht nur aufgrund ihrer Dissoziierung, sondern auch aufgrund der grundsätzlichen Veränderung der Arbeitsrolle keine empirische Bntsprechung mehr haben, müssen wir uns künftig zumindest um theoretische Vermittlungen bemühen, damit der postulierte Zusammenhang zwischen Arbeiterbewegung und Persönlichkeitsentwicklung für je mich begründungsrelevant identifizierbar wird. Diese Vermittlungen scheinen jedoch objektiv nur marginal zu existieren; "geschichtsmächtiges"

Subjekt

und

Arbeiterklasse

fallen

nicht

mehr

selbstredend zusammen (siehe etwa die lnitiatoren des Wandels in der DDR aus dem kirchlichen Umfeld). ln vielen Gesellschaften ergibt sich die Dringlichkeit von Gesellschaftsveränderungen nlcht mehr primär aus den Arbeitsbedingungen, sondern aus mangelnder Produktivität, aus politischer Unfreiheit oder aus der allgemeinen und nicht klassenspezifischen ökologischen

Bedrohung

der

Lebensgrundlagen

der

Nenschen

insgesamt.

Speziell Braun bleibt dagegen bei der romantisierenden Stilislerug der Arbeiterbewegung stehen. Wenn man aber zu der Brkenntnis gelangt, daß

-

90

-

der Zusammenhang zwischen Arbeiterbewegung und Handlungsfähigkeitsentwicklung und das Postulat von "der Komplizenschaft mit den Herrschenden" die Komplexität und Dimensionality menschlicher Widersprüche und ihrer Lösungen nicht in sich aufnehmen können, führt kein Weg an einer grundsätz lichen

Neubestimmung

des

Konzepts

verallgemeinerter-restriktiver

Handlungsfähigkeit vorbei. Solange sich Kritische Psychologen wie Braun in dieser Form äußern, dürfen wir uns nicht wundern, wenn Kritiker bemängeln, daß die Kritische Psychologie in ihren Kategorien die herrschende Klasse psychologisch vergessen habe (siehe Naretzky 1990). Wir müssen uns verstärkt mit der Frage auseinandersetzen, was Sozialismus

unter

den

Bedingungen

einer

hochtechnisierten

Gesellschaft

mit

struktureller Arbeitslosigkeit bedeuten kann. Das ursprüngliche Programm des Sozialismus, auf das wir uns vorwiegend bezogen haben, war eine revolutionäre Negation von Mißständen in den traditionellen

lndustrie-

fabriken, in denen unmenschllche Arbeitsbedingungen herrschten und es keinerlel Versorgungsansprüche gab. Die Perspektive der revolutionären Veränderung des lndustriekapitalismus fand hierin ihre offensichtliche Begründung. Dabei konnte eine solche Veränderung nur durch die Klasse der Lohnarbeiter vorangetrieben werden, denn die Nasse der Menschen stand in Lohnarbeitsverhältnissen und litt existentiell unter den kapital istischen Arbeitsbedingungen. Die Proletarier mußten versuchen, durch die Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion das eigene überleben zu sichern. ihre Solidarität stellte sich über die gemeinsame Situation von Ausbeutung und Bntrechtung her. Heute sieht die Situation jedoch grundlegend anders aus. Wir sehen uns einer Ausdifferenzierung der traditionellen Arbeiterklasse in verschiedene soziale Schichten sowie einer zunehmenden lndividualisierung der Nenschen überhaupt jenseits der formbestimmten Privatheit individueller Bxistenz gegenüber. Nit dem Niedergang des klassischen lndustriekapitalismus mit seinen traditionellen Branchen und Regionen, in denen die Arbeiterklasse fest institutional lsiert war, hat sich die Homogenität und Universalität der Arbeiterklasse als solcher wie auch die ihrer politischen Vertretung aufgelöst. Zudem wurde die Arbeiterklasse durch neue antikapitalistische Strömungen (zu denen auch die Kritische Psycho-

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93

-

logie gehört), durch die Akzente jenseits des Problemkreises von Arbeit und Beschäftigung in das linke Spektrum eingebracht wurden, zurückgedrängt. Durch Technisierung und Automatisierung wird Arbeit zunehmend zu einer exklusiven

Betätigungsform mit steigendem

Das "Bnde der Arbeitsgesellschaft"

(^ualifikationsprofil.

in ihrer traditionellen

Form ist

durch die Delegation manueller lndustriearbeit an technische Systeme und damit einhergehend durch einen Nangel an Brwerbsarbeit gekennzeichnet. Die Gesellschaft

wird in neuer Weise gespalten in einen produktiven

Kernbereich von Beschäftigten und einen breiter werdenden, zum Teil notdürftig versorgten Rand von Nicht-Beschäftigten. Gleichzeitig entsteht ein enormer Bedarf an Arbeitskräften

in bestimmten Dienstleistungsbe-

reichen (etwa der Alten-, Kranken- und Kinderpflege), der slch aber nur schwer durch kapitalistische Verwertungszusammenhänge und organisationsformen mobilisieren läßt. ln diesem Zusammenhang wurde verschiedentlich auf die Notwendigkeit verwiesen, einen Arbeitsbegriif zu entwickeln, der über den traditionellen Begriff der Brwerbsarbeit hinausgeht (womit natürllch noch keine ordnungspoll tische Alternative gewonnen ist). Nit der hier skizzierten Bntwicklung entfällt zunehmend die Brfahrungsbzw.

Brlebnisgrundlage

individueller

Ausbeutung

und

wird

durch

die

Brfahrung von Ausgrenzung ersetzt. Viele traditionelle Ungerechtigkeiten und Nißstände des kapitalistischen Systems werden zudem im Netz einer arbeitsteil lg organisierten Weltwirtschaft

in die armen Länder expor-

tiert.

industrielle

Brwerbsarbeit

qualitativer

als auch

prägt

also

in quantitativer

immer

Hinsicht

weniger

sowohl

die Verfassung

in

unserer

Gesellschaft. Die Arbeitsrolle verliert für die individuelle Befindlichkeit

an Bedeutung

(worauf Holzkamp in seiner Unterscheidung

von opera-

tionen und Handlungen in allgemeiner Form hinweist; vgl. 1983, Kap. 7. 2). Bntsprechend

haben,

wie

Habermas

gesellschaftliche

Utopien

ihren Bezugspunkt

in der Realität,

der abstrakten Arbeit,

ihre

hervorhebt,

verloren haben

(slehe

auch

die

gesellschaftsverändernde

gung,

ohne

daß

neue "geschichtsmächtige"

Die

Perspektive

verloren,

arbeitsweil

nämlich die formationsbildende

fällt

wären.

traditionelle

überzeugungskraft

menschenwürdiger

l985b,

Solidarität

S.146). der

Solidaritäten

Damit

sie Kraft zer-

Arbeiterbeweidentifizierbar

Lebensverhältnisse

speist

sich

-

92

-

zur Zeit kaum mehr unmittelbar aus der Revolutionierung der Arbeitsverhältnisse, aus der existentiellen Notwendigkeit zur Bmanzipation von fremdbestimmter

Arbeit;

Drittel-Gesellschaften

sie

mit

muß

f^r

moderne

kapital istlsche

Zwei-

ihren spezifischen Gefahren und Konflikt-

potentialen erneut konkret-historisch bestimmt werden. Bs scheint deshalb trotz stuktureller und konjunktureller Arbeitslosigkeit problematisch zu sein, für "den Arbeiter" die "totale Abhängkeit vom Bedarf des Kapitals an Arbeitskraft und die . . . radikale Schutzlosigkeit und Bedrohtheit seiner Bxistenz durch Verlust seines Arbeitsplatzes bzw. fehlenden Bedarf an Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt" (Holzkamp-osterkamp l975, S.295) als zentrale Basis der psychologischen Begriffsdifferenzierungen zu nehmen und dabei von den diversen staatlichen und gewerkschaftlichen Schutzfunktionen abzusehen. Bbenso muß die Frage gestellt werden, wie in dieser Gesellschaft elne neue gesellschaftsverändernde Solidarität begründet werden kann und an was diese sich festmachen läßt. Kann die sich anbahnende ökologlsche Katastrophe oder können die Risikopotentiale von Hochrüstung, Gentechnologie,

Atomenergie

oder sonstiger

technologischer

Großprojekte

für

diese Solidarität konstitiutiv sein^ Kann Verantwortung für die Nenschheit geweckt werden, ehe neuer Faschismus, Krieg oder sonstige Katastrophen ausbrechen^ An der Beantwortung solcher Fragen sollten wir uns beteiligen, um in unserer individualisierten und gruppenspezifisch ausdifferenzierten Gesellschaft

für uns und andere eine integrale Hand-

lungsperspektive zu schaffen, an der wir unsere Handlungsfähigkeit und Befindlichkeit theoretisch aufschlüsseln können. Hierbei dürfen zugleich demokratische

und

rechtsstaatliche

Brrungenschaften

der

Gesellschaft

nicht leichtfertig aufgegeben werden, vielmehr sind sie gegen neokonservative und rechtsradikale Bestrebungen zu verteidigen. Sozialismus muß als offene politische Theorie begriffen werden. Dabei steht das Projekt einer Neudefinition von Sozialismus vor erheblichen Problemen. Habermas hat das orient ierungsproblem unserer Zeit darauf zurückgeführt, daß die Noderne auf sich selbst gestellt ist, charakterisiert durch die "Bntwertung exemplarischer Vergangenheit" und durch den damit verbundenen Zwang, "den eigenen, den modernen Brfahrungen und Lebensformen

normativ

gehaltvolle

Prinzipien

abzugewinnen"

(Habermas

-

93

-

1985b, S.141). Dieses Problem steht im Kontext folgender Dimensionen unserer Wirklichkeit: "Die Zukunft ist negativ besetzt; an der Schwelle zum 21. jahrhundert zeichnet sich das Schreckenspanorama der weltweiten Gefährdung allgemeiner Lebensinteressen ab: die Spirale des Wettrüstens, die unkontrollierte Verbreitung von Kernwaffen, die strukturelle Verarmung von Bntwicklungsländern, Arbeitslosigkeit und wachsende soziale Ungleichgewichte in den entwickelten Ländern, Probleme der Umweltbelastung, katastrophennah operierende Großtechnologie geben die Stichworte, die über Nassenmedien ins öffentliche Bewußtsein eingedrungen sind. Die Antworten der intellektuellen spiegeln nicht weniger als die der Polltiker Ratlosigkeit " (a.a.o., S.l43).

-

2.5

-

Diskussion des bürgerlichen Staates

Die Vielschichtigkeit und

94

Lebenswirklichkeit

und Widersprüchlichkeit wurde

bisher

in

den

bürgerlicher Demokratie Kategorialanalysen

der

Kritischen Psychologie vereinfacht, die demokratischen Institutionen etwa demokratische Bürgerrechte - als bloße Erscheinung diskreditiert und zugleich der Sozialismus als entwickeltere Gesellschaftsform dargestellt. Die Reduktion von bürgerllcher Demokratie auf deren kapitalistische Komponenten und Schranken verhinderte jedoch eine hinreichende analytische Haltung zu dieser Gesellschaft und eine konkrete Auseinandersetzung mit der bürgerllchen Demokratie sowie eine immanente Behandlung der Frage, ob der Realsozial lsmus von seiner Potenz her tatsächlich ein Fortschritt gegenüber bürgerlichen Demokratien war. Bourgeoise und zivile Aspekte der bürgerlichen Gesellschaft sind zu unterscheiden. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns auch mit den (^ualitäten der bürgerlichen Demokratie auseinandersetzen, mit der Nögllchkeit zur öffentlichen Diskussion und zu allgemeinen Wahlen. Verelnfachende Dichotomisierungen nach dem Notto "für oder wider", "entweder-oder" dürfen der psychologischen Begriffsbildung nicht aufgezwungen werden. Dies wäre reduktionistisch. Der demokratische Staat hat sich gegenüber seiner materiellen Grundlage, dem Kapitalismus, emanzipiert. ln diesem Zusammenhang ist die Rolle des Staates als parlamentarischdemokratischer lnterventionsstaat in seiner Bigenschaft als Adressat von Ansprüchen sowie als Nittel der politischen Durchsetzung in gesellschaftlichen Konflikten zu erörtern. Bbenso müssen psychologische Konsequenzen aus der Dialektik zwischen der staatlichen lnkorporlerung aller gesellschaftlichen Verhältnisse zur Stabilisierung bürgerlicher Herrschaftsverhältnisse und dem damit zugleich geschaffenen neuen legitimen sozialen ort für Kämpfe gegen diese Herrschaft, so daß der Staat nicht per se als Vermittler zwischen den Klassen im lnteresse des Kapitals begriffen werden kann (vgl. hierzu Blfferding l983), gezogen werden. Blfferding ergänzt hierbei, daß der Klassengegensatz dadurch relativiert wird, daß der Staat Praxisiormen ermögllche, in denen sich Arbeiter und Kapitalist als Staatsbürger, als Wähler gegenübertreten. Die Arbeiter-

-

95

-

klasse sei nicht nur objekt der Staatstätigkeit, sondern der Staat sei umgekehrt Resultat der Kämpfe, die sie führe (1983, S.80). Diese Dia1ektik bleibt, so Blfferding, in der Kritischen Psychologie unberücksichtigt. Zudem umfasse der Staat diverse staatlich organisierte materielle Praxen, weshalb es prinzipiell nicht genüge, den Staat ausschließlich in den Zusammenhang mit den Klasseninteressen zu stellen. ln der Kritischen Psychologie würden, so Blfferding, im Grunde alle Formen und Widersprüche

menschlicher

Vergesellschaftung

auf

den

Klassenantagonismus

reduziert. Der Staat des realen Sozialismus werde dagegen von der Kritischen Psychologie völlig realitätsfern eingeschätzt. Wir müssen einräumen, daß wir als Kritische Psychologen uns gar nicht die Frage gestellt haben, woher die Akzeptanz des Staates, etwa in der BRD, kommt, ohne implizit sofort die Antwort, "aufgrund von überschneidungen in der Funktionalität der indivduellen Absicherung und des Beherrschtwerdens", parat gehabt zu haben. Bs wurde nicht analysiert, ob die Akzeptabi lität des bürgerlichen Staates etwa daran liegt, daß der kapitalistische Staat nicht unmittelbar durch die herrschende Klasse, die zudem in gegensätzliche Privatinteressen gespalten ist, bestimmt wird, sondern demokratisch legitimiert ist und der Staat auch selbst, im eigenen Interesse (im lnteresse des Staatsapparates), für einen sozialen Ausgleich sorgt.

Alleln

die

Fragestellung,

ob

eine

Perspektive

der

Bntwicklung

im

Allgemeininteresse durch Politik innerhalb dieses Staates und seiner lnstitutionen (etwa im Rahmen der seit 1945 gegebenen Politikpraxen in der BRD) möglich ist, erscheint als Facette eines restriktiven Arrangements. Daran ändern auch nichts subjektwissenschaftliche Wendungen in der Form, daß das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als analytisches instrument den Betroffenen in die Hand gegeben werden muß mit der Aufforderung zu prüfen, ob hinter ihrem Staatsverständnis nicht etwa eine affirmative Lebensstrategie stehe. ln der gesellschaftstheoretischen Ableitungen der Kritischen Psychologie ist der bürgerliche Staat nur scheinbar dem Klassenantagonismus übergeordnet und hat die Funktion, im lnteresse der herrschenden Klasse die

-

bestehenden

Ausbeutungsverhältnisse

abzusichern.

Der

Staat

96

-

scheint

grundsätzlich den Standpunkt der herrschenden Klasse einzunehmen. So argumentiert etwa Rudi Wilhelm gegen jede Revision traditioneller marxistischer Staatsauffassungen,

daß der bürgerliche Staat

grundsätzlich

Konflikte nur dämpfe und "alle Aktivitäten der unterdrückten Klasse ..., die zur Aufhebung des Privateigentums und damit zum Sturz der herrschenden Klasse" (l983, S.60) führten, verhindere. "Das Wesen des Staates in allen Ausbeutergesellschaften besteht darin, politische Herrschaft, Diktatur der herrschenden Klasse zu sein" (ebd.), wobei sich nur die Nittel - repressive oder integrative - änderten. Die Spaltung der Klassen werde so

verewigt.

Nacht

in

Klassenverhältnissen

entspringe

grundsätzlich

nicht aus politische Kräfteverhältnissen, sondern ausschließllch "aus dem Prlvateigentum an Produktionsmitteln und damit aus der Verfügung über die Lebensquellen anderer, die unterworfen werden und sich unterwerfen müssen, um leben zu können" (a.a.o., S.66). Die vom Staat bereitgestellten pol it isch-recht lichen Formen gingen keineswegs ihres Klassencharakters, eben als bürgerlicher Gesetze, verlustig, auch wenn die Arbeiterklasse gewisse Brfolge erziele.

Durch das allgemeine Wahlrecht

werde die Arbeiterklasse nur an das bestehende System gebunden, "indem der Schein von Nitbestimmung suggeriert wird" (a.a.o., S.69). lch habe bereits darauf hingewiesen, daß hier gesellschaftliche Verhältnisse nur als Reproduktionszyklus von Kapital und Lohnarbeit gesehen werden. Dem ist entgegenzustellen, daß Wirtschaft sich "zunehmend als offenes System (erweist), das nicht nur ökonomisch, sondern auch polltisch und kulturell bestimmt ist, in dem soziale wie biologische und technische Gesetze wirken, soziologische wie psychologische"

(Bttl und

iünger l99l, S.533). Die Bmanzipation politischer Prozesse von Kapital-

dominanzen erscheint als Voraussetzung des evolutionären Wandels moderner Gesellschaften inklusive ihrer ökonomischen Systeme (vgl. a.a.o. S.534). Für Wilhelm ist dagegen der Kampf in den bürgerllchen Formen lediglich Bestandteil des Kampfes um die volle Bmanzipation, die in der Aneignung der Produktionsmittel liege. Und dann finden wir bei Wilhelm Formulierungen, die ich bereits als implizite und nicht ganz zeitgemäße historisch-empirische Ableitungsgrundlagen des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähig-

-

97

-

kelt expliziert habe: Nur die Arbeiterklasse verfüge über die Voraussetzung, die gesellschaftlichen Prozesse zu leiten

(vgl. a.a.o., S.72).

"Die Binrichtungen des sozialistischen Staates dienen ... den lnteressen der Arbeiterklasse

und, darin vermittelt,

aller Gesellschaftsmitglieder"

den

Bntwicklungsinteressen

(a.a.o., S.74). lm Sozialismus herrsche

"ein arbeitsteiliges Delegationsprinzip von Leitung, das von der Gesamtheit kontrolllert wird" (ebd.). Solche

verallgemeinernden

Äußerungen

finden

sich

zwar

in

Holzkamps

Grundlegung nicht, aber sie spiegeln den Grundcharakter und die vermeintlich realhistorschen orient ierungspunkte der Ableitung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit wider und zeigen explizit politische Unausgereiftheiten dieses Konzepts. Bs wird dort im wesentlichen mit der Abstraktion des Klassenindividuums gearbeitet und auf der logisch-evidenten Begrenztheit reformorientierter Bemühungen innerhalb

des

Kapitalismus

insistiert.

Bs

wird

gar

nicht

die

Frage

gestellt, ob Teile des kapitalistischen Staates in verallgemelnerbarer Weise mobilisierbar sind. Die ablehnende Haltung der Kritischen Psychologie zu den lnstitionen der parlamentarischen Demokratie ist auch darauf zurückzuführen, daß implizit die ldee der direkten Demokratie verabsolutiert und die Brrungenschaften der politischen Repräsentation mißachtet wurden. Zudem wurde, wie bei

anderen emanzipatorischen

Ansätzen, Gesellschaftskritik

ohne

rechtsphilosophische Reflexionen betrieben. Nit der ldeologiekritik des bürgerlichen Rechtsstaats wurde die

ldee der Rechtsstaatlichkeit

oberflächenerscheinung angesehen und im Grund

als

leichtfertig über Bord

geworfen. Der llberale und soziale Rechtsstaat wurde so in seiner moralischen Legitimität verkannt. Habermas hat auf diesen Aspekt hingewiesen und festgestellt, daß gerade auch der normative Kern des "sozial istischen Projekts" in der ldee der demokratischen Selbstorganisation als Rechtsgemeinschaft, in dem Aufstellen von Regeln, denen alle Betroffenen aus vernünftigen Gründen zustimmen können, liegt. Dabei verkörpert die Rechtsordnung des demokratischen Verfassungsstaates für Habermas einen moralischen Gehalt, dessen Qualität darin besteht, daß er nicht auf den guten Willen des einzelnen angewiesen ist.

-

98

-

Die formationsbezogenen psychologischen Begriffsableitungen der Kritischen

Psychologie

beziehen

ihre

Plausibilltät

vor

allem aus

einem

begriffslogischen Umgang mit den Grundtheoremen der Narxschen Kritik der politischen ökonomie und den geschichtsphilosophischen Grundlagen des Narxismus.

Nit

dem Rücken zur

konkreten gesellschaftlichen

Realität

stehend konzentrieren sie sich - oftmals ganz im Gegensatz zu den konkreten Analysen, wie zum Beispiel den Untersuchungen zur Ausländerfeindlichkeit (vgl. Holzkamp-osterkamp 1991b), zur Subjektentwicklung in der frühen Kindheit (vgl. Ulmann l987) oder zur psychologischen Berufspraxis - auf eine immanente Theorieadaption und richten sich zu wenig auf die aktual empirische Wirklichkeit aus. ohne theoretische Vorstellung von der Bntwicklung

der

kapitalistischen

Gesellschaften

bleiben

formations-

spezifische Bestimmungen jedoch oftmals unhistorisch, formalistisch und abstrakt.

Neines Brachtens müssen wir den Versuch unternehmen, zunächst auf aktualempirisch-vorbegrifflicher

Bbene

eine

vorläufige

Vorstellung

vom

Staat im Kapitalismus zu entwicklen, die dann logisch-historisch auf der Grundlage einer konkret-historischen Theorie der kapitalistischen Bntwicklung zu fundieren wäre. Die Narxschen Theoretisierungen empirischer Brfahrungen seiner Zeit dürfen nicht vorschnell als allgemeine Staatstheorie interpretiert,

als universelles

lnterpretationsmuster

kontem-

porärgeschichtl icher Veränderungen angesehen werden. Statt dessen müßte die Diskussion verstärkt an der empirischen oberfläche, den konkreten gesellschaftlichen Brscheinungen ansetzen und dann durch real-historische Rekonstruktionen zur Klärung dieser Brscheinungen kommen. Nur so läßt sich klären, ob und wie der Staat als Kompromißbilder in den Wandel gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse einbezogen ist. offensichtlich ist dabei, daß die entwickelten kapitalistischen Staaten weniger autoritär und eher öffentlicher Kontrolle zugänlich sind, als es die sozialistischen Staaten waren bzw. noch sind. Nöglichkeiten der Nitbestimmung über die Bedingungen, unter denen man lebt, sind in den entwickelten kapitalistischen Staaten eher dem lndividuum gegeben als dies in den sozialistischen Staaten mit ihren pseudopolitischen lnstituionen und ihrem vergleichsweise geringen konsumtiven Angebot der Fall war.

-

Personale Handlungsfähigkeit keiten zusammen. Der Revisionismus als

hängt aber mit solchen

lnbegriff

der

durch die

99

-

Handlungsmöglich-

Broberung

parlamenta-

rischer Nehrheiten und die Binnahme politischer Schaltstellen ermöglichten Bntwicklungen, die zur Reorganisation des Kapitalismus auf verändertem Niveau geführt haben, ist vor diesem Hintergrund neu zu bewerten. lch will stichpunktartig nur einige Aspekte der Funktionen des Staates im Kapital imus zusammenfassen, die von Narx und Bngels in dieser Weise nicht vorhergesehen und von uns in unserer Fixierung auf die "Klassiker" nicht reflektiert wurden: -

die

öffentliche

makroökonomische

Steuerung,

die

inzwischen

in den

entwickelten kapitalistischen ökonomien überall akzeptiert ist, - die Bntwicklung der öffentlichen Haushalte, die bis zu 50 Prozent des Bruttosozialprodukts betragen, - die "Vergesellschaftung der Reproduktion" in Form von einem bestimmten allgemeinen Grundeinkommen bzw. einer allgemeinen Grundversorgung, - die Verallgemeinerung von Brziehung und Bildung, - die Bntwicklung einer allgemeinen Gesundheits- und Sozialfürsorge, - die relativ breit angelegte soziale Sicherheit in den westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten , - die ausgeprägte Flexibilltät des Marktwirtschaft ichen Systems, auch wenn das kapitalistische

System keine unbegrenzte

Anpassungsfähigkeit

besitzt.

ln diesem Zusammenhang muß betont werden, daß "grundlegende Verpflichtungen der sozialen Sicherheit . . . kaum noch mit demokratischen Nitteln verletzt werden (können), wenn zwischen einem guten Drittel und mehr als der Hälfte der Wähler in den entwickelten kapitalistischen Ländern als Staatsangestellte

oder Leistungsbezieher

ihr Grundeinkommen vom Staat

beziehen" (Therborn l985, S.18). Der sozialstaatllche

Kompromiß

ist allerdings gerade

in Zeiten wirt-

schaftlicher Krisen in der Gefahr, durch neokonservative oder rechtsradikale Strömungen aufgekündigt zu werden. Verminderung des Realeinkommens,

Nassenarbeitsloskeit,

löschung

ganzer

Branchen,

neue

regionale

Armut,

Firmenzusammenbrüche,

Ungleichgewichte

stellen

Aus-

Ansatz-

punkte neokonservativer und faschistischer Bntsolidarisierung dar.

-100-

Bei der politischen Verteidigung des sozialstaatlichen Kompromisses muß man sich aber bewußt sein, daß es sich hierbei um ein widersprüchliches Unterfangen

handelt.

Der sozialstaatliche

Kompromiß

funktioniert

nur

dann, "wenn die Rolle des vollzeitbeschäftigten Lohnempfängers zur Norm wird"

(Habermas 1985b, S.147), denn die staatliche Ausgleichsfunktion

ist darauf angewiesen, daß sie vom kapitalistischen Wirtschaftssystem alimentiert wird. Der Sozialstaat ist also keine autonome Quelle von Wohlstand

(wie etwa bei der Diskussion um ein grundgesetzlich garan-

tiertes Nindesteinkommen unterstellt wird). Angesichts dieser Problemlage einerseits und dem vorläufigen Scheitern sozialistischer Alternativen andererseits scheint es politisch zur Zeit im wesentlichen um die Ausformulierung des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaates mit

Nassendemokratie

und Gewaltenteilung

auf

der Basis

einer gezähmten kapitalistischen ökonomie zu gehen, insbesondere um die Vermeidung

des Rückfalls

in primitivere

Stufen,

um den

Brhalt

der

materiellen Voraussetzungen des brüchig gewordenen Zivilisationsniveaus unserer Gesellschaft. Bs stellt sich dabei auch die Frage, wie die fortschreitende Differenzierung der Gesellschaft

in einzelne, selbstregu-

lierende Funktionssysteme demokratisiert werden, wie Nenschen in modernen Gesellschaften den Grad der Differenzierung von Subsystemen und ihre wechselseitige Verflechtung gestalten können. Die errungenen Freiheiten zu individuellen Lebensentwürfen müssen verallgemeinert werden, und das bedeutet, daß sie eingebettet werden in die Suche nach neuen kollektiven Lebensformen, in neue normative ordnungen, die auf einem Konsens aller Handelnden beruhen.

-101-

2.6

System und Lebenswelt; Konfikte und Handlungsfähigkeit unter "modernen" und "postmodernen" Bedingungen

ln dem diskutierten Zusammenhang ist gesellschaftstheoretisch zu fragen - diese Fragestellung gehört in den Bereich einer konkret-historischen Theorie der kapitalistischen Bntwicklung -, inwieweit sich innerhalb der gesellschaftlichen

Bntwicklung

Bereiche

abgespalten

haben,

deren

je

individuelle Ausgestaltung nicht durch die imperative des Verwertungsstandpunkts des Kapitals bestimmt wird. Handeln in diesen Binnenstrukturen könnte psychische Konflikte mit sich bringen, die unter Umständen in dem dort eröffneten Sozialraum gelöst werden könnten (siehe etwa den Bereich der Kindererziehung; vgl. Ulmanns "orientierungshilfen für den Brziehungsalltag", 1987). Durch die Herausbildung autonomer kultureller und sozialer Teilsphären wird es immer schwieriger, das gesellschaftliche Ganze noch unter einer analytischen (etwa ökonomischen, politischen oder kulturellen) Perspektive zusammenzufassen und zu Vor

diesem

Hintergrund

einer Handlungsausrlchtung

zeichnet

sich

für das Konzept

zu gelangen. restriktiver-

verallgemeinerter Handlungsfähigkeit die Gefahr ab, daß ein analytischer Urteilsmaßstab

verabsolutiert

wird

und

damit

nach

unterschiedlichen

Regeln operierende Lebensbereiche unter einer Leitperspektive kurzgeschlossen werden. Bin solcher Universalismus wäre jedoch bllnd gegenüber dem sich entwickelnden Partikularen; das Allgemeine sollte nicht das Besondere vergewaltigen, sondern ein allgemeiner kategorialer und methodologischer Rahmen zur Aufschließung des Besonderen sein. Für die konkrete Forschung bedeutet dies, daß grundsätzlich die Frage aufgeworfen werden muß, ob Widersprüche in der unmittelbaren Lebenslage wirklich letztlich im Kapitalismus gründen oder ob es sich hier etwa um Widersprüche zwischen allgemeinen Systemstrukturen und lebensweltlichen Strukturen handelt. Antworten können hier nicht a priori gegeben werden. Zu einer solchen Fragestellung kann man allerdings nicht kommen, wenn man in ausschließlich funktionaler Betrachtungsweise die Lebenslage nur als unselbständigen Teilaspekt der Formation ansieht. Bs gibt lebensweltliche Binnenstrukturen, die als lnfrastrukturen zwar in gesamtge-

- l 0 2 -

sellschaftllche Lebensformen elngebettet sind, die aber über eine eigene soziale

Geschichte

haben als die

verfügen

dominanten

und oft

weiter

ökonomischen

zurückliegende

Strukturen

Ursprünge

(bespielsweise

der

Bereich der Sexualltät oder der Bereich familialer Beziehungsstrukturen als kulturell

tradierte Bnklaven der gesellschaftlichen

Verhältnisse,

deren Handlungsmöglichkeiten und Restriktionen oftmals in eigenen Traditionen stehen und in diesen veränderbar sind). Durch Widersprüche innerhalb

sowie

mannigfaltige

zwischen

diesen

subjektive

relativ

Konflikte

eigenständigen

entstehen

Sphären

(zum Beispiel

können zwischen

kulturellen Traditionen und "modernen" Lebensformen), Andererseits ist natürlich auch immer wieder zu fragen, ob hinter vermeintlich allgemeinen Traditionen nicht formationsspezifische Widersprüche stehen. Bbenso gibt es, darauf hat etwa Habermas hingewiesen (vgl. 1985c), einen funktionalen Zusammenhang zwischen Konflikten, die in der Lebenswelt auftreten, und Notwendigkeiten kapitalistischer Bntwicklung, beispielsweise wenn über das Nedium Geld Systemimperative eine Durchkapital lsierung der Lebenswelt und der dort gegebenen Beziehungsformen bestimmen. Hier verschieben sich aber Konfllktlagen im Vergleich zum Klassenkonflikt. Zu deren Aufklärung bedarf es auch neuer theoretischer Zugänge zu dieser Gesellschaft. So schlägt beispielsweise Habermas den Begriff des kommunikativen Handelns als theoretischen Schlüssel vor, "um die eigensinnigen Strukturen der Lebenswelt besser in den Griff zu bekommen, vor allem die Bedrohung dieser Lebenswelt

durch bürokratische

und wirt-

schaftliche imperative, Gefahren, die dadurch entstehen, daß immer mehr persönliche Beziehungen, waltung oder

Dienste und Lebenszeit

in Waren verwandelt

Vergesellschaftungsformen Bereiche Systeme

greifen

kommunikativen, von objektiven

werden" also

(l985a, S.70).

Systemische

"kolonial isierend"

lebensweltlichen Gesetzen

in objekte der Ver-

gelenkte,

auf

die

Handelns über. Gerade weil primär

ökonomische

Kommu-

nikationen darstellen, die "hinter dem Rücken" von Selbstzuschreibungen und der bewußten Kommunikation der Handelnden funktionieren, können sie in die Lebenswelt störend, verödend und pathologisierend zurückwirken und die Kompetenzen und Bedürfnislagen kommunikativ handelnder Nenschen austrocknen.

Bs

kann

zu

Pathologisierungen

Kritischen Psychologen kaum aufgeklärten,

eben

dieser,

von

uns

lebensweltlichen Strukturen

- 103 -

kommen^.

Die

Substanz

Lebensgrundlagen

bisher

als

selbstverständlich

(wie beispielsweise

Natur,

weltliche Gemeinschaftsintegrationen,

vorausgesetzter

urbane Umgebung,

lebens-

Familienleben etc. ) ist bedroht,

wodurch neue Konfliktlagen wie die Brfahrung von lebensweltlcher Deprivation und Bntwurzelung entstehen können. Wir müssen deshalb künftig in Rezeption einschlägiger

theoretischer

Ansätze ein begriffllches Sen-

sorium entwickeln, das die Verkümmerung lebensweltllcher und kommunikativer Traditionen psychologisch abbildbar macht. Zugleich haben diese Prozesse negative, krisenhafte Rückwirkungen auf das System, weil das System auf lebensweltliche Funktionen wie die Vermittlung

bestimmter

Werte, Normen und Verständigungsformen angewiesen ist, wie auf die den lndividuen in ihrer Lebenswelt vermittelten sozialen Fähigkeiten, Bereitschaften und ldentitäten. ln derartigen Konflikten unterschiedlicher Sphären wird die Problematik einer funktionalen Basis-überbau-Anschauung und der in ihr gegründeten Konkretisierungsvorstellung

deutlich, bei der die Lebenswelt nur als

abhängiges und formationsspezifisch definiertes Teilmoment, das keine eigenständige Genuität besitzt, in Brscheinung tritt. Damit verbauen wir uns aber die

Nöglichkeit,

"Kolonial isierungen

der Lebenswelt"

durch

Systemimperative kritisch aufweisen zu können. Noderne

Gesellschaften

sind

durch

einen

Komplexitätszuwachs

gekenn-

zelchnet. Das Subjekt steht vor der Situation, daß es in unterschiedlichen Lebensbereichen unterschiedlichen und widersprüchlichen Anforderungsstrukturen folgen muß, wobei diese Ambiguität als postmoderne Beliebigkeit unterschiedlicher Verhaltsweisen und Urteilmaßstäbe in Brscheinung treten kann. Unter solchen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Nenschen zunehmend disparaten Rollenerwartungen zu entsprechen

l Ansätze zu einer solchen Forschung werden jedoch von Ulmann (1987) vorgelegt, die sich eingehend mit der Bntstehung und Struktur von Brziehungsproblemen im familialen Bereich auseinandersetzt und vielfältige Hypothesen zur Aufklärung und überwindung alltäglicher Konflikte zwischen Kindern und Bltern entwickelt.

- l 0 4 -

haben, riger.

wird

einheitllches und selbstverantwortliches

Handeln schwie-

Nur in scheinbarem Widerspruch dazu stehen Bntwicklungen, die unter dem Stichwort "lndividualisierung" diskutiert werden. Aufgrund der Brosion tradierter Verhaltensstandards,

des Zerfalls kollektiver

Nilieus und

damit einhergehend des Schwundes sozialer und normativer Sicherheiten, wird es objektiv und subjektiv notwendig, daß Nenschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen und autonomer gestalten. Das Subjekt sieht sich über traditionelle Rollenerwartungen und Sozialformen hinausgehenden, ökonomisch erweiterten

Handlungsspielräumen

gegenüber

und damit auch dem

steigenden Brfordernis, die eigene Biographie jenseits eines modischen lndividualitätsgehabes selbst

auszugestalten.

lisierungserfordernis erhält das jewellige

Durch dieses lndividua-

lch eine neue Gewichtung.

Damit einher geht eine erweiterte individuelle Nobilität in sozialer, intersubjektiver, politischer und auch geographischer Art, wodurch neue subjektive

Handlungsfähigkeitskrisen

jenseits traditioneller

Klassen-

konflikte entstehen können. Die These

vom

individual lsierungszwang

bezieht sich auf eine andere

Bbene der menschlichen Bxistenz als die These vom Verlust der Nöglichkeit selbstbestimmten Handelns; sie bezieht sich nicht auf die Bbene des Veränderns sondern

und

nur

Umgestaltens

auf

gesellschaftlich

die

Bbene

der

Bedingungen,

des

subjektiven

verselbständigten

unter

denen

Binrichtens

modernen Gesellschaften,

man in

lebt,

gesamt-

die mate-

riell und kulturell hochgradig ausdiiferenziert sind und aufgrund ihres materiellen Reichtums durch neue Freiheitsgrade charakterisiert

sind.

Gerade in solchen Gesellschaften schwinden aufgrund der Vielfalt der Vergesellschaftung^

bzw.

lndividualiserungsformen

Nöglichkeiten

des

selbstverantworteten Handelns im Sinne eines politischen und emanzipatorischen Handelns. Politisches Handeln kann sich nur in kollektiven Zusammenhängen, nicht aber durch die Vergrößerung des Spielraums zur individuellen

Auswahl

von

angebotenen

Berufswegen oder Konsummöglichkeiten

Lebensformen,

Bildungschancen,

realisieren. Nur auf der Bbene der

Bewältigung alltäglichen Lebens, nicht aber auf der Bbene politischer Selbstbestimmung, ist also die These vom Zugewinn an Autonomie durch den Zwang zur lndividualisierung gültig. Die durch einen höheren Lebens-

- 105 -

standard erreichte Variationsbreite der Lebensstile wird deshalb flankiert von einem Gefühl der Bntfrem^iung und Selbstentfremdung bzw. einer Verödung des Lebens, eben weil diese Variationsbreite in keine ko11ektiven Projekte eingebunden ist. Kompensationsmöglichkeiten für die damit verbundenen Unsicherheiten mögen Konsum, Geld, Status, Gewalt oder Bildungsdünkel (vgl. Adler 1973, S.79ff) seln, die sich allesamt schnell verschlelßen und perspektivlos sind, weil sie die Nenschen von einander entfremden. Nan kann festhalten, daß unsere Gesellschaft neue Lebensperspektiven eröffnet, zugleich aber werden Handlungskompetenzen, Brfahrungswissen und Selbstregulierungsmöglichkeiten der Subjekte enteignet. Die chance zum politischen Handeln sinkt mit dem Zerfall kollektiver Nilleus, sofern diese nicht durch andere abgelöst werden. Hinzu kommt die Gefahr, daß die Kolonialisierung der Lebenswelt sowie der lndividualisierungszwang mit einem Zivilisationsverlust einhergehen. So haben sich als Folge der Kolonialisierung

traditionelle

Familienkonstella-

tionen aufgelöst und ihre Funktion ist nicht durch andere gemeinschaftliche Zusammenhänge, beispielsweise in der Schule, ersetzt worden; Holzkamp hat (1993, Kap. 4) eindrucksvoll die Verödung und Verwahrlosung des schulischen Lebens vom Standpunkt der betroffenen Schüler und Lehrer gesellschaftstheoretisch

und psychologisch analysiert.

Bs gibt keine

"verläßlichen Räume der Rückkehr" mehr. Parallel dazu arbeiten innerhalb der Lebenswelten interne Rationalisierungsprozesse

der Auflösung von

Traditionsbeständen zu. Diese Bntwicklungen führen zu einer Brosion lebensweltlicher Lebensformen und der dort herrschenden Weltauffassungen, Normen und Werte. Die These vom Zivilisationsverlust, zu dessen Symptomen etwa die Gewalttaten von jugendlichen gegen Ausländer gezählt werden, und die in diesem Zusammenhang in Anschlag gebrachte These von der orientierungslosigkeit sich selbst überlassener, nur noch über visuelle Nedien und nicht mehr über Familie und Schule sozialisierter jugendlicher, darf aber nicht überstrapaziert werden. lm Zerfall kollektiver Nilleus und entsprechend sozialalisierter individueller ldentitäten sowie in dem Zwang des einzelnen, seine Biographie und damit sich selbst "herzustellen", liegt schließlich auch die chance, neue, reflektiertere Formen subjektiver

- 106 -

Handlungssteuerung

und

Handlungsbegründung

zu

gewinnen.

lndividua-

lisierung muß also auch als chance zur Selbststeuerung über die Auswahl von Lebensformen

im Reproduktionsbereich

hinaus erkannt

werden, als

chance zur subjektiven Begründung neuer kollektlver Solidaritäten. Unter diesem Aspekt läßt sich analysleren, ob sich hinter den individuellen Wahl- und Bntscheidungsmögllchkeiten nur subtilere Formen von Fremdbestimmung verbergen, und es läßt sich danach fragen, welche Formen kollektiven Zusammenschlusses notwendig sind, um zu wirklicher, gesellschaftlich

vermittelter

Handlungsfähigkeit

und

Selbstbestimmung

zu

gelangen.

ln diesem Zusammenhang wird auch klar, daß die Geschichte mit ihren Kämpfen und Widersprüchen die vermeintlich posthistorischen Spielwiesen sozusagen fest im Griff hat. Spätestens wenn die Konsummasse schmilzt, gerät der einzelne in den Sog neuer, harter und inzwischen weltweiter Verteilungskämpfe. Der Begriff der Pluralität der Lebensstile darf also nicht dazu führen, reale gesellschaftliche Konflikte und Bewegungen, die ursächlich mit gesellschaftlichen Systemfaktoren zusammenhängen, durch postmoderne Krieg,

Vorstellungen

Armut,

Hunger,

von

der

Nachgeschichte

Umweltkatastrophen

oder

zu

mystifizieren;

Nassenarbeitslosigkeit

machen dies deutlich. Die Arbeitsgesellschaft steht vor ungelösten Problemen; der kapitalistische Reproduktionsprozeß produziert nach wie vor Nillionenmassen von Arbeitslosen, weil der (Welt-)Narkt einfach keine Verwendung für sie hat. Auf allen Bbenen wächst die Schere zwischen arm und reich. Das Politische im Handeln mit der Notwendigkeit, Bntscheidungen zu treffen und im eigenen

lnteresse für andere Verantwortung zu

übernehmen, ist unabweisbar. Deshalb ist der Gegensatz von "hol istischer Noderne" und "pluralistischer Postmoderne" in einer "offenen Ganzheit", einer neuen, mediengestützten öffentlichkeit aufzulösen. Die Ausdifferenzierung autonomer Handlungsräume darf keinen Verzicht auf lntegration und Kontrolle bedeuten, sondern muß als chance einer neuen Dimension von individueller

Vergesellschaftung

und Selbstreflextion

erkannt

werden.

Nur durch eine radikale Demokratisierung, durch kollektive Steuerung ist der

Blindflug

stoppen.

unserer

aktuellen

gesellschaftlichen

Lebensweise

zu

- 107 -

Po1itisches Handeln steht dabei aber vor neuen Herausforderungen. Wir sind mit einer "objektiven Zerstreuung" der Weltprobleme konfrontiert, die sich, wie Thomas Assheuser (1993) feststellt, nicht mehr unter dem Horizont einer Theorie finalisieren lassen: "Hypothesen wirken zunehmend wie kleine Brenngläser, die in die Weltgeschichte hineingestellt werden, damit diese auf dem darunter liegenden Papier freundlicherweise ihre Spuren hinterlasse". Diese Zerstreuung schlägt sich in der Zerstörung der ganzen Welt der Utopien nieder, die wir zur Zeit erleben. Selbst sozial sinnvolle Ziele scheinen zu zerbröckeln. Wir befinden uns in einer Situation, in der sich Gemeinschaftsprojekte immer mehr auflösen, in der sich bewahrende oder auch verändernde Solidaritäten kaum mehr innerhalb kollektiver Projekte herstellen können. lndividualisierungserfordernisse sind angesichts dieser Situation besonders in der Gefahr mit sozialen Desintegrationsprozessen einherzugehen, die sich in psychischen Verwahrlosungserscheinungen niederschlagen können. Bine durch politisches Handeln sicherzustellende Selbstbestimmung ist auf

gesellschaftliche

Bindungen

angewiesen;

ohne

eine

öffentliche

Gewalt, die politische Festlegungen überwacht und gegen inhumane Verletzungen verteidigt, ist durch politisches Handeln erkämpfte individuelle Selbstbestimmung

nicht

möglich.

Der Nationalstaat

als traditionelle

Bezugsgröße politischen Handelns, der politische Bntscheidungen sicherstellt, löst sich tendenziell auf, ohne durch neue bindende gesellschaftliche lnstanzen ersetzt zu werden. Der weltweit aufflammende Nationalismus erscheint als regressives Wehren gegen die Brosion nationalstaatlicher Sicherheitsleistungen, als anachronistischer Versuch, die Zeiten der Sicherheit durch Abgrenzungen wiederherzustellen. Auch wenn man reflektiertere und verallgemeinerbare Konsequenzen aus dieser Verunsicherung zu ziehen versucht, so stellt sich doch allgemeln das Gefühl ein, daß

die lnstanzen, von denen wir abhängig sind, - sofern wir sie

überhaupt ausmachen können - nicht mehr vom Subjekt erreichbar sind, daß wir auf sie keinen geregelten Binfluß haben. Nötige ldentifizierungen mit der Weltgesellschaft sind solange nicht möglich, als es keine handlungsfähigen lnstitutionen, über die eine globale politische Praxis geregelt werden kann, in Sicht sind. "Abhängigkeit und Binflußnahme, Verwicklung und Verpflichtung, passive und aktive ldentifizierung stehen

...

in

einem

Warenströme

krassen

Nißverhältnis.

Die

informations-,

-

08 -

Geld-

und

umfassen den gesamten Globus, aber unsere öffentlichen

demokratischen Praktiken halten mit dieser Bntwicklung nicht Schritt" (Bngler 1993). Diese Widersprüche verschränken sich zu einem weiten Systemkomplex von Nodernität, der einerseits charakterisiert ist durch einen prinzipiellen gesamtgesellschaftlichen Verfügungszuwachs und ein damit verbundenes Reflexionswissen, das uns gegenüber der Welt und gegenüber uns selbst eine emorme Brkenntnisdistanz ermöglicht; andererseits ist die Noderne aufgrund fehlender institutioneller und sozialer Vermittlungssysteme

durch

eine

je

individuelle

ohnmachtserfahrung

gekennzeichnet. Systemfunktionen scheinen so dominant geworden zu sein, daß sie keine Spielräume zu ihrer Veränderung mehr zulassen. Damit korrespondiert eine Politik bzw. die Bntstehung einer politischen Klasse, die an Ziele und Visionen, die sie verkündet, oftmals selbst nicht mehr glaubt. Die demokratischen lnstitutionen erscheinen nicht mehr als öffentliche Räume, in denen öffentliches Handeln im lnteresse der Allgemeinheit möglich ist und in denen substantielle Demokratie praktiziert werden kann.

Gesellschaftliche Verhältnisse und Probleme gehen, wie vielleicht deutlich geworden ist, nicht in der kapitalistischen organisation einer Volkswirtschaft auf, sondern umfassen die gesamte Soziogenese, die wir, wollen wir die Dimensional ität menschlichen Handelns und menschlicher Konflikte unreduziert erfassen, zur Kenntnis nehmen müssen. Wir dürfen nicht unsere gesellschaftlichen Verhältnisse mit dem Kapitalismus schlechthin identifizieren und müssen ökonomisch-soziale Strukturen auch mit anderen theoretischen Zugängen als dem "Kapital" untersuchen. Gerade die sozialistischen Gesellschaften und vor allem der aufziehende postsozialistische Faschismus haben gezeigt, daß im real existierenden

Sozialismus

keines

der

Nenschheitsprobleme

angemessen

gelöst wurde und daß Ausbeutungsverhältnisse und Unterdrückung über den Kapitalismus hinaus andauern; in den sozialistischen Gesellschaften sind die verschiedenen gesellschaftlichen Widersprüche nur mehr oder weniger despotisch überdeckt worden und kommen nun im frühkapitalistischen Postsozial ismus in erschreckender Form wieder ans Tageslicht. Bine "Asso-

- 109 -

ziation freier Produzenten" erscheint aus heutiger Sicht a1s romantisierende illusion. Bs existiert zur Zeit noch nicht einmal eine konkrete Perspektive der überwindung der globalen Widersprüche und Konflikte. Das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit unterstellt aber in seiner gesellschaftstheoretischen Begründung eine solche konkrete Perspektive. Bs kann mithin moralisierend und ideologisch überholt wirken, wenn wir in diesem Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit das Verdikt der "Komplizenschaft mit dem Kapital", zu der es vermeintlich eine klare Alternative gibt, einführen. Als subjektwissenschaftllche Begriffe sind solche Verdikte ungeeignet. Solche Begriffe erwecken allein durch ihre Wortwahl den Bindruck, als seien sie von einem normativen Außenstandpunkt aus gebildet worden.

-

2.7

0 -

Brweiterung der gesellschaftstheoretischen Grundlagen um eine Kritik des Realsozialismus

lm sogenannten Staatssozial ismus war der Staat Bigentümer der Produktionsmittel. Da der Staat in keiner Weise durch das Volk legitimiert und kontrolliert wurde, war die herrschende Klasse de facto Privateigentümer von Nonopolunternehmen. Dabei lag es zu keinem Zeitpunkt in der Logik des Staatseigentums an Produktionsmitteln als solchem, daß das herrschende Regime dazu verpflichtet gewesen wäre, den langfristigen lnteressen des Proletariats gemäß zu handeln. An dem kapitalistischen Verhältnis von Kapital und Arbeit, von Bigentum und

Kontrolle

über die Produktionsmittel

durch private

Kapitalisten

(unterstützt durch die Gewalt der Staatsmacht) auf der einen und eigentumslosen Lohnabhängigen auf der anderen Seite hatte sich im Prinzip nichts geändert. Diese Trennung konstituierte die Klassenstruktur der sozialistischen Gesellschaften. Die Verfügungsmacht war das Privileg der Staatsklasse. Die Planung und Verteilung der geschaffenen Werte wurde in keiner Weise, auch nicht vermittelt, durch die Produzenten vollzogen.

Die herrschende politische

Klasse eignete sich qua unkontrolllerter politischer und wirtschaftlicher Nacht ungerechtfertigt Teile des Nehrprodukts zur Sicherung und zum Ausbau ihrer Privilegien an. Die Arbeitenden erhielten dagegegen nur Werte zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft. Die wesentliche Bigenschaft der Lohnabhängigkeit, der ökonomische Zwang zum Verkauf der Arbeitskraft (Brwerbsarbeit), galt auch im Soziallsmus. Der Staat trat also an die Stelle der Prlvatkapitalisten als derjenige, der die Arbeit anwendet. Der Sozialismus behielt somit das entscheidende Nerkmal des Kapitalismus, das dem Ausbeutungsverhältnis zugrunde liegende Kapital-Arbeit-Verhältnis. Die kapitalistischen Grundstrukturen waren in verstaatlichter Form in den Sozialismus eingegangen. Dabei bestand noch nicht einmal, wie in kapitalistischen Gesellschaften, die Nöglichkeit

einer zumindest

indirekten Kontrolle über die herr-

schende Klasse durch demokratische

lnstitutionen,

durch demokratisch

- 111 -

legitimierte politische Nacht. Solche lnstitutionen und Nitbestimmungsformen waren nicht entwickelt worden bzw. unter dem Binfluß der Sowjetunion verkümmert. Bs gab keine Nögllchkeiten zur Bestimmung der gesellschaft lichen Rahmenbedingungen und vor allem keine Trennung zwischen politischer und ökonomischer Nacht, wodurch das Ausbeutungsverhältnis verstärkt repressiven charakter gewann. Die Spezifik der sozialistischen Klassengesellschaften

bestand darin,

daß ihnen der innere Zwang fehlte, writschaftlich zu expandieren, da kein

imperativ

zur

Akkumulation

wie

im Kapitalismus

herrschte.

Die

Konkurrenz als Zwang zur Produktivitätssteigerung war weggefallen, da die Betriebe dem Staat gehörten und dieser durch das Schließen eines Betriebes sein eigenes Produktivvermögen nicht mehr hätte nutzen können (vgl. hierzu Sweezy 1985). Weder der Anspruch, neue Produktivkräfte

freizusetzen,

noch der An-

spruch, gesellschaftllche statt kapitalistische Kontrolle über das, was produziert

wird,

durchzusetzen,

wurden

im Realsozialismus

eingelöst.

Verstaatlichung bedeutete in keiner Weise Vergesellschaftung der Produktion.

Vor diesem Hintergrund wirken frühere, für uns Kritische Psychologen in gewisser Weise richtungsweisende (Orientierungen am Soziallsmus äußerst problematisch. Der Begrifi des Sozialismus stand oftmals in der Gefahr, seinen kritischen und analytischen charakter zu verlieren;

wir sind

allzu leichtfertig einer staatssozial ist lschen widerspruchsverwischenden Legitimationsideologie aufgesessen. Wir haben uns, indem wir vorwiegend auf die Bntprivatisierung des Privateigentums an Produktionsmitteln starrten, einen kritischen Zugang zu den sozialistischen Staaten verbaut. Die Abschaffung des Privatkapitals war aber keine hinreichende Bedingung für den Aufbau einer gerechten Gesellschaft, sie war eher ein Rückschritt in einen despotischen Staatskapitalismus ohne demokratisches Korrektiv und ohne Ansporn zur Produktivkraftentwicklung. Und auf der anderen Seite hat, wie dargestellt, der Kapitalismus gesorgt,

sehr

viel

mehr

für eine

als dies von Kritischen

verallgemeinerte

Psychologen

Lebenqualität

theoretisch

realisiert

- 112 -

wurde; der Kapitalismus läßt Bntwicklungsmöglichkeiten, wo wir nur Restriktionen vermutet haben. Vor diesem Hintergrund dürften Tendenzen zur sozial ist isch-hegemonialen überwindung des Kapitalismus eher im entwickelten Kapitalismus zu suchen sein als in den (post) sozialistischen Staaten (siehe hierzu Therborn l985, S.l6).

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, muß aber deutlich gemacht werden, daß die Bxistenz der DDR als real existierender Sozialismus für die Kritische Psychologie im wesentlichen nur die prinzipielle Funktion eines empirischen Beweises hatte, daß es reale Alternativen zum Kapitalismus gibt. Nit dem Bnde des Staatssozial ismus ist deshalb das Problem entstanden, daß sozialistische Alternativen noch nicht einmal mehr an Rudimentärformen realer gesellschaftlicher Bntwicklungen demonstriert werden können. Wenn man die Verhältnisse in der DDR als Bntwicklungsperspektive für die Bundesrepublik genommen hätte, so hätte dies bedeutet, daß sich die Bundesrepubllk zurückentwickeln hätte sollen, daß sie ihre Rechtsstaatlichkeit, ihre demokratische Bewegung, ihren ganzen zivilgesellschaftlichen Sektor abschaffen solle. Von bundesrepublikanischer Warte aus konnte man im Grunde nur hoffen, daß die DDR eigenständig demokratische lnstitutionen entwickeln würde. Die Kritische Psychologie hat allerdings oft nicht deutlich genug gemacht, daß sie, wenn sie von sozialistischer Bntwicklung bzw. sozialistischen Alternativen zu unserer bürgerlichen Gesellschaft redete, im Grunde niemals melnte, die BRD solle sich so entwickeln wie die DDR. Sätze wie der folgende lassen sich leicht mißverstehen: "Die Klassenlage des Lohnarbeiters im Kapitalismus ist . . . nicht nur gekennzeichnet durch die Wirklichkeit der Ausbeutung, sondern auch (und zum ersten Nale) durch die objektive gesellschaftliche NÖglichkeit ihrer Überwindung, die durch den sich entwickelnden realen Sozialismus immmer deutlicher zur konkreten Perspektive wir^ (Holzkamposterkamp 1975, S.300). Die DDR konnte allein aufgrund ihrer historischen Bntstehung niemals in irgendeinem Sinne

normative

Funktion

gewinnen als Muster fur einen

Sozialismus, zu dem wir uns in der BRD entwickeln sollten. Die histo-

-

3 -

rischen Bedingungen der Nachkriegszeit, unter denen die DDR entstanden ist, waren extrem restriktiv. ln der DDR wurde die Bntwicklung demokratischer lnstitutionen massiv durch die Sowjetunion behindert und zurückgehalten. Die Sowjetunion war selbst eine Art Bntwicklungsland, in dem bürgerliche lnstitutionen, die in Deutschland bereits in der Weimarer Republik verwirklicht waren, nicht existierten. Durch den sowjetischen Binfluß verkümmerten in der DDR zivilgesellschaftliche Traditionen und lnstitutionen. Der Niedergang des real existierenden Soziallsmus war mithin auch Folge der historischen Konstitution der Sowjetunion und der von ihr in den anderen sozialistischen Ländern bestimmten Bntwicklung. Gerade in der Sowjetunion waren nicht die materiellen Bedingungen entwickelt worden, die Narx als Voraussetzung einer erfolgreichen sozialistischen Transformation ansah. Bin sozialistischer Weg wurde also in den Ländern versucht, "deren sozialistische Bntwicklung im wesentlichen darin bestand, einen

umfassenden

und

sich

vertiefenden

zivil lsatorischen

Rückstand

gegenüber in vieler Hinsicht entwickelteren Regionen der Welt überwinden zu müssen. Und die zudem einem unablässigen Kampf gegen direkte und indirekte äußere Bedrohungen zu führen hatten" (Hahn 1993, S.56). Auch diese Voraussetzungen sind mitverantwortlich dafür, daß in der DDR "unter Sozialismus nicht die Bestimmung der Verhältnisse durch die . . . betroffenen Nenschen, sondern vielmehr deren Unterordnung

unter ein

vorgegebenes sozialistisches Ziel" (Holzkamp-osterkamp 1993, S.81) verstanden wurde, wodurch die demokratischen Ansprüche des sozialistischen Projekts und sein Kampf gegen Unterdrückung konterkariert wurden. Nicht die Veränderung der Verhältnisse, sondern die betroffenen Subjekte, an denen "man in verkehrender Weise die unvollkommene Realität festgemacht und pädagogisch zu bearbeiten suchte" (a.a.o., S.82), rückten so in den Nittelpunkt der politischen Naßnahmen. Dies führte zur Bevormundung der Bürger, zur Bnteignung ihrer privaten Selbstbestimmung und ihrer politischen Nitbestimmung. Reformvorschläge und Kritik der Betroffenen konnten so nicht als konstruktive Beiträge erkannt werden, sondern wurden als Bedrohung und Unterwanderung der DDR erfahren. Und der ldeologie wurde, so Hahn (1993, S.60), die Funktion aufgebürdet, "den Widerspruch zwischen der tatsächlichen Beschaffenheit der Verhältnisse einerseits und

- l l ^ -

jenen von Narx prognostizierten Wandlungen menschlicher Denk- und Verhaltensweisen, die eine Voraussetzung für das Funktionieren einer sozialistischen Wirtschaft und Gesellschaft gewesen wären, real aber nicht in dem erforderlichen Naße stattfinden konnten, zu lösen". ln dieser ideologischen Zwickmühle war es der DDR im Grunde unmöglich, "mit

Wandlungen

wesentlicher

Dimensionen

menschlicher

Bedürfnisse,

orientierungen und Verhaltensweisen Schritt zu halten, die in engster Nachbarschaft gang und gäbe waren" (Hahn a.a.o., S.62), etwa jenem Wandel zu postmateriellen oder gar postmodernen Werten in den westlichen Ländern. Wo dieser Wandel (auf den ich in vorherigen Teilkapiteln eingegangen bin) importiert wurde, nahm er zwangsläufig systemkritischen charakter an.

lnsgesamt

kann das Bnde

Grundlagen zu ändern,

der

DDR

nicht

bedeuten,

die

marxistischen

insbesondere auch deshalb, weil die kritische

Funktion des Narxismus beim Aufbau der DDR völlig suspendiert war. Der Narxismus wurde dort als elne Theorie zur Affirmation gesellschaftlicher Verhältnisse mißbraucht. Abschaffen oder Verändern muß man also nicht marxistische

Grundüberzeugungen,

sondern die

in der DDR

verbreitete

Auffassung vom Narxismus als einer positiven ideologischen Grundlage der Bntwicklung eines Staates. Der Narxismus ist primär eine kritische Theorie, die niemals als positive Staatstheorie dienen kann; die marxistische Kapitalismustheorie enthält allgemeine Bestimmungen, mit denen konkrete kapitalistische, aber auch konkrete sozialistische Staaten analysiert werden können. Der Niedergang der DDR war also keine Niederlage des Narxismus und von daher auch keine praktische Kritik des kritisch-psychologischen Grundansatzes.

Deswegen

hat

er auf der

Bbene der Grundbegriffe

für die

Kritische Psychologie keinerlei Auswirkungen. Die realen Bntwicklungen im Zusammenhang der DDR haben nichts mit den kritisch-psychologischen Kategorien der Nöglichkeitsbeziehung, des subjektiven Nöglichkeitsraumes oder der doppelten Möglichkeit

zu

tun,

zwischen aktuellen gesellschaftlichen

weil es keinen Zusammenhang

Bntwicklungen und diesen Kate-

gorien gibt. Die Kategorie der doppelten Möglichkeit läßt sich aktualempirisch nicht falslflzieren, allenfalls in idealen Verhältnlssen außer

- l 1 5 -

Kraft

setzen.

Unbehelligt

von

dem

zur

Zeit

empfundenen

Verlust

konkreten Utopie bleibt der Widerspruch zwischen subjektiven intent ionen ebenso

und

die

flikte.

deren

sich

Der

aus

Verlust

Behinderung diesem

einer

kritisch-psychologischer Das

Bnde

des

durch

Nacht instanzen

Widerspruch

konkreten

ableltenden

Utopie

ist

einer

Handlungs-

bestehen

subjektiven

insofern

kein

und Kon-

Problem

Grundbegriife.

Staatssozialismus

ist

in

erster

Linie

ein

politisches

Problem. Die Konsequenz muß deshalb primär sein, politische ^Schiusse und überzeugungen, die aus der marxistischen Kritik des Kapitalismus gezogen wurden, selbstkritisch zu überdenken. ob

kritikwürdige

politische

Daran schließt sich die Frage an,

Schlüsse

in

einzelnen

kritisch-psycholo-

gischen Bxplikationen Binzug gehalten haben. Hierzu muß man zunächst die argumentationslogischen

Stellen

feststellen,

an

denen

die

Gefahr

besteht, daß falsche politische Haltungen in die Theorienbildung hineingespielt haben.

Das zentrale aufgezeigt, keit,

Binfalltor das

dem

eine

für

Konzept

polltische

überzeugungen

zeitkritische

intention

Bbene der subjektwissenschaftlichen

von

mir

es

ist

auf

der

psychischer

Wider-

Verhältnisse angelegt.

ln ihm

die Bxplikation von Handlungsprämissen und die Konstruktion von

Begründungsmustern

auf

der

Grundlage

der

Konkretisierung

gesellschaftlichen Zusammenhangs als antagonistische der bürgerlichen Gesellschaft. schätzungen liegt

wie

Handlungsfähig-

zugrundellegt;

Rekonstruktionen

spiegelungen konkreter gesellschaftlicher erfolgt

ist,

restrikt iver-verallgemeinerter

der gegebenen

insbesondere

bei

gesamt-

Auf dieser Bbene spielen politische

Bedingungen

der

des

Klassenverhältnisse

Frage

eine

der

wesentliche

Rolle.

Verallgemeinerung

der

Bin-

Zugleich

Handlungs-

fähigkeit eine Bindung an eine konkrete Utopie vor, wobei gerade auf der Basis der der

Narxschen

Kapitalismuskritik

Handlungsfähigkeit

mit

dem

die

Problem

kapitalistischer Verhältnisse einhergeht;

Frage

der

der

Verallgemeinerung

strukturellen

überwindung

gerade weil man innerhalb des

Kapitalismus ein Nehr an Verfügungsmöglichkeiten nur im Rahmen der durch das

kapital lstische

System

kann,

liegen dem Konzept

keit

bestimmte

gesetzten

strukturellen

Grenzen

verallgemeinerter-restriktiver

Vorstellungen

von

der

strukturellen

erkämpfen

HandlungsfähigVeränderung

der

bürgerlichen Gesellschaft zugrunde. Bntsprechend wird dort die Kategorie

- 116 -

der doppelten Nöglichkeit in den Kontext eines traditionellen marxistischen Fortschrittsbegriffs gestellt. lnsbesondere werden strukturelle und institutionelle Behinderungen, die für das kapitalistische System eine stabilisierende und reproduzierende Funktion haben, vom Standpunkt des (abstrakten) Subjekts thematisiert.

- 117 -

2.8

Weltmarkt, Zivilisationskrise, Neubestimmung politischer Perspektiven

Robert Kurz hat in einem Aufsatz über den Zusammenhang zwischen Weltmarkt und neuem Nationalismus (1992) darauf hingewiesen, daß die Globalisierung des Narktsystems die allgemeine Freisetzung eines politisch kaum noch zu kontrollierenden Weltmarktes bedeute. Der Weltmarkt sei zu einem "unmittelbaren Funktionsraum" der Weltwirtschaft und seiner Subjekte, den multinationalen Konzernen, geworden. Dieses warenproduzierende Gesamtsystem beginne nun traditionelle Nationalökonomien aufzulösen. Durch die Aushöhlung der Nationalökonomien würden, so Kurz, die nur auf nationaler Bbene existierenden sozialen Netze und Umverteilungsformen in Frage gestellt und teilweise zerstört; diese hätten sich im Gegensatz zu den ökonomischen Verkehrsformen nicht internationalisiert. Das zivllisatorische Noment der Moderne sei jedoch an den Staat gebunden, weshalb man von einer Zivilisationskrise sprechen könne, in die das globalisierte Narktsystem führe. Ganze Staaten würden zu "Sozialfällen", ohne daß es internationale Ausgleichsstrukturen gebe. Hilfe, sprich Geld, gebe es nur zu den Bedingungen des Kapitalmarktes gegen Zins und Zinseszins, wodurch eine internationale Schuldenkrise mit all ihren ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen ausgelöst werde. Dabei führe die Schuldeninflation in den Schuldnerländern zu einem Verlust der ökonomischen Substanz durch permanenten Ressourcentransfer in die Gläubigerstaaten.

lndem so ganze

Nationalökonomien unter die Räder des Weltmarktes gerieten, würden, so Kurz,

deren

innere

Regulations-

und

Umverteilungskompetenzen

ausge-

löscht; die staatliche Autorität und die Loyalität der Bevölkerung zerfalle.

Aus diesem Zerfall resultiere nun wiederum die Gefahr von Bürgerkrieg und nationalistischem Separatismus als aggressiver Reaktionen auf den Verlust des Zivilisationsniveaus. Die dabei entstehenden nationalen Gebilde seien jedoch historisch perspektivlos, da sie in einer globalisierten Weltwirtschaft nicht reproduktionsfähig seien. Bine Wohlstandsentwicklung ist also nicht unter Abstraktion von der jeweiligen Weltmarktvernetzung national entwickelbar, zugleich ist sie aber materieller

- 118 -

Unterbau der zivilisatorischen Brrungenschaften der westlichen Länder (soweit Kurz^ Analyse). Durch die Nanifestation des Weltmarktes entsteht ein neuer systematischer Widerspruch zwischen armen und reichen Ländern, der sich diverse mögliche Bewegungsformen sucht. Bine Form der Widerspruchsbewegung sind Nigrationen aus den armen in die reichen Länder, die in dieser wirtschaftlich zusammengewachsenen und damit mobilisierten Welt prinzipiell möglich geworden sind. Die Wanderungsströme richten sich dabei nach den Narktbedingungen. Ländern die

Als Reaktion darauf droht wiederum in den reichen

Bntwicklung

von Besitzchauvinismus.

So weist

Brunkhorst

(1991) darauf hin, daß die europäische Binigung zu einem Rückfall unter das zivilisatorische Niveau des in der Tradition der Aufkärung stehenden weltbürgerlichen Nationalstaates führen kann; unter ungünstigen wirtschaftllchen tristische

und

und

weltpolitischen

ethnoeuropäische

Besitzchauvinismus

dieser

Art

Umständen "Festung

könnte Buropa"

so

eine

eurozen-

angestrebt

ist allerdings bereits eine

werden.

defensive

Reaktion auf einen Weltmarkt, auf dem zunehmend ein Wirtschaftsstandort gegen den anderen ausgespielt wird, und sich so in allen Staaten permanent die "Standort frage" stellt. Trotz dieser negativen Auswirkungen des marktwirtschaftlichen Systems, das keine Rücksicht auf nationale Grenzen und kulturelle Besonderheiten nimmt,

werden

die

Notwendigkeit

marktwirtschaftlicher

organisations-

prinzipien und die mit diesem System verbundenen sozialen Brrungenschaften

auch

zunehmend

von

marxistischer

Seite

in

die

politische

Diskussion eingebracht. Dies bedeutet aber eine Absage an den absoluten "Primat der Politik" und an den Zentralismus. Komplexe Systeme wie die Wirtschaft lassen sich offensichtlich nicht als Ganzes von außen steuern; sie bedürfen im Kernbereich

interner

Regulationsmechanismen.

Staatliche

Wirtschaftsplanung

widerspricht darüber hinaus, darauf haben Bergmann/Krischausky

(l985)

hingewiesen, radikaldemokratischen Ansprüchen, da diese die Konzentration von Nacht und Bntscheidungen in den zentralen Bürokratien bedeutet. Zentrale Lenkung und zentrale lnformationsbeschaffung räumen der Planungsbürokratie

unkontrollierbare

vorsprünge

Darüber

ein.

Nachtspielräume

hinaus führt

zentrale

und

informations-

Wirtschaftsplanung

zu

- 119 -

wirtschaftlichen lneffizienzen aufgrund von lnformationsverlusten, unvollkommenen Planungsvorgaben und -kontrollen, mangelnder Anpassungsflexibilität, Innovationsschwäche sowie fehlender Anreize zur Planerfüllung. Dagegen stellt der "Narkt" in seiner allgemeinen Form ein gesellschaftliches

Abstimmungsverfahren

dar,

das

über

den

Narktpreis

positive

Anreize für die Produktion gesellschaftlich benötigter Güter setzt. Bei hinreichendem Wettbewerb regulieren so Gewinne und Verluste die Produktion; das Angebot wird immer wieder an der Nachfrage orientiert. Der Narktpreis

als

wesentlicher

orientierungspunkt

für

wirtschaftliches

Handeln schafft darüber hinaus den Zwang zu sparsamem und eifektivem Umgang

mit

Arbeitsmaterial

und

Arbeitsmitteln,

also mit

natürlichen

Ressourcen (sofern für diese Preise zu zahlen sind). Dadurch entsteht wiederum ein Anreiz für technische lnnovation und zur flexiblen Produktion von solchen Gütern, die die gesellschaftllche Nachfrage besser als gegebene Produkte befriedigen können (siehe hierzu Bergmann/Krischausky l985). ln politischer Hinsicht bedeutet Narkt im Gegensatz zur Planwirtschaft dezentrale und anonyme Koordination der Produktion ohne Zentralisierung von Nacht und information. Der Narktmechanismus hat also auch für sozialistische

optionen eine

ordnungspolltlsche Relevanz, wobei sich das Problem stellt, in welcher Weise typisch kapitalistische Aspekte des Narktes wie das Problem der Nassenarbeitslosigkeit, die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft, die sozialen Unterschiede, die zunehmende ökonomische und politische Nachtkonzentration durch Nonopolbildung durch politische Regulationen überwunden werden können. Bs gilt deshalb, positive Aspekte des Narktmechanismus aus seiner kapitalistischen Form herauszulösen. Narkt und Plan dürfen nicht mehr schllcht als Gegensätze gegenübergestellt werden. Bine ordnungspolitische Synthese von Narkt und Plan beschränkt die Planwirtschaft

auf die makroökonomische Steuerung und

überläßt der Narktwirtschaft die mikroökonomische Bbene. Bs wird ein quasi keynesianistisches Verhältnis von marktförmiger und nicht-marktförmiger Regulation anzustreben sein mit der Bntwicklung von globalen Politikmöglichkeiten auf internationaler Bbene. Politik darf in ihrer Kompetenz nicht mehr national begrenzt sein, da die ökonomie ^ber internationale Kapital- und Geldmärkte global gesteuert wird. Das Ziel lautet

- 120 -

Narktwirtschaft

mit

makroökonomischer

Steuerung

der

internationalen

Rahmenbedingungen. Hierin zeichnet sich eine Perspektive der überwindung der politisch unkontrollierten Ausweitung des Weltmarktes und der sukzessiven Zerstörung nationaler Regulationsmöglichkeiten ab. Bs besteht deshalb die Notwendigkeit der übertragung des Anspruchs nach Freiheit, Gleichheit und Solldarltät auf die wirtschaftllche

Bbene.

Sozialistische

international-weltmarkt-

Befreiungsperspektiven,

die auf

die nationale Bbene begrenzt sind, greifen angesichts der marktwirtschaftlichen Globalvernetzung zu kurz; sie reflektieren nicht den Grad der erreichten Vergesellschaftung. Hier wird mit obsoleten Vorstellungen "gegen

den

unsichtbaren

nationalisierung"

Gegner

der

markwirtschaftlichen

lnter-

(Kurz l992) gekämpft. Das Ziel, Soziallsmus national

aufbauen zu wollen, ist dem Bntwicklungsstand der Weltwirtschaft nicht mehr angemessen.

Für die psychologische meines

Brachtens

nicht

Bbene hat dies inhaltliche Konsequenzen, die hireichend

in

der

gesellschaftstheoretischen

Begründung des Konzepts der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit in seiner jetzigen Fassung reflektiert werden: Bs scheint ökonomisch vernünftig, wenn Nenschen sich in "intelligenter Selbst beschränkung"

Narktgesetzen

unterstellen

bzw.

sich

in

ihrem

wirtschaftlichen Handeln von diesen bestimmen lassen; dies steht aber im Widerspruch zu der in der Kritischen Psychologie projektierten Beteiligung des einzelnen an einer konsequenterweise umfassenden Bedingungskontrolle, der der Anspruch auf den "Primat der Politik" inhärent ist. Teilhabe an "Weltkontrolle", Lebensqualität durch individuelle "Weltverfügung" (Holzkamp l993, S.191) scheinen Konsequenzen des Prinzips der Verallgemeinerung der Handlungsfähigkeit zu sein. Die Notwendigkeit einer übernationalen Weltpolitik für eine dramatisch ansteigende Weltbevölkerung zeigt aber die Grenzen je meiner Nöglichkeiten zur konkreten Nitbestimmung. Nit der Realität der globalen Binbezogenheit des individuellen Lebens wird der natürliche Anspruch auf subjektive Bedingungskontrolle kaum noch eine Bbene wirklicher Verfügungsgewalt erreichen können. Der einzelne steht vor dem Dilemma, daß er zwar als unreduzierbares menschliches Subjekt den Kontrollansprüchen seiner gesellschaftlichen Natur gerecht werden will, daß diese Ansprüche aber,

- 121 -

selbst wenn man sich in internationalen Bewegungen organisiert, keine greifbaren Realisierungsbedingungen auffinden. Die statistische Vernachlässigbarkeit des lndividuums wird zunehmend zur materiellen Realität in einer marktwirtschaftlich erschlossenen Weltgesellschaft. Der in diesem Sinne steigende Grad individueller Bntfremdung, der durch die sich kontinuierlich öffnende Schere zwischen Reflexionsfähigkeit und Handlungskompetenz noch verstärkt wird, gehört zu den vordringllchen Aspekten menschlicher Befindlichkeit in unserer Zeit. Die realhistorische Zerstörung der Vorstellung eines nationalstaatlich überschaubaren Politikparadigmas, das von dem Anachronismus nationaler Politikzentren und relativer einzelstaatlicher Autonomie ausgeht, stellt das Konstrukt der mittelbaren Teilhabe des einzelnen an der Gestaltung seiner realen Lebensbedingungen vor enorme praktische Probleme. Der Bxitus des Realsozialismus hat verdeutlicht, daß die einfache Forderung nach Vergesellschaftung der Produktion in Form von nationaler Verstaatlichung keine überzeugende ordnungspolltlsche Struktur anvisiert. Das Ziel einer sozialen, ökologischen und demokratischen Wirtschaftsordnung braucht ein adäquates Konzept seiner Realisierung. Solange hler nicht neue ordnungspolitische Bezugspunkte gesetzt werden, bleiben das Konzept verallgemeinerter Handlungsfähigkeit und das Konstrukt der "kooperativen integration"

in einem "basisdemokratischen

Nebel"

und laufen Gefahr,

ihre Handlungsrelevanz zu verlieren. ln der Aussage, daß mit der überwindung des Kapitalismus in unserer Gesellschaft slch Verhältnisse entfalten würden, in denen die gegenwärtige Unterdrückung der Nasse der Bevölkerung "einer Teilhabe aller an der Lenkung und Förderung des gesellschaftlichen Prozesses Platz machen" würde (Holzkamp-osterkamp l975, S.317), werden brüchig gewordene Hoffnungen als Tatsachen dargestellt. Handlungsfähigkeit muß sich - sofern sie wirkliche Bedingungskontrolle anstreben will - zunehmend international als Tell habe an der makroökonomischen Steuerung allgemeiner Narktgesetze mit dem Ziel eines internationalen Ausgleichs definieren. Das Ziel der überwindung von Klassenherrschaft

auf

nationaler

tritt in den Hintergrund.

Bbene durch eine

proletarische

Revolution

- 122 -

2.9

Anmerkungen zum Konzept verallgemeinerter Handlungsfähigkeit: geschichtsphilosophische und begriffslogische Definitionen versus realhistorische Bxplikationen des Begrifis der Handlungsfähigkeit

Bs kann nicht unterstellt werden, daß immer eine relevante Nöglichkeit der Brweiterung je meiner Handlungsfähigkeit durch ihre Verallgemeinerung existiert. Die Betrofienen müssen schließlich institutionelle Voraussetzungen,

Verfahrensweisen

und entsprechendes Handlungswissen er-

kennen können, von deren Nutzung eine verallgemeinerte Brweiterung der Bedingungsverfügung abhängt. Die Frage, was unter der Voraussetzung der Nicht-Bxistenz solcher konkreten Perspektiven bzw. des Zweifels an ihrer Tragfähigkeit verallgemeinerte Handlungsfähigkeit bedeuten kann, wurde von uns Kritischen Psychologen, die wir uns selbst immer einer sozialistischen Perspektive sicher waren und diese überall zu erkennen glaubten, lange nicht gestellt. Aber sie stellt sich - zumindest unterschwellig - für die Nenschen in unserer Gesellschaft und muß sich deshalb auch für die Kritische Psychologie stellen. Soziallsten müssen immer wieder konkret begründen, "daß eine ^sozialistische^ Transformation der bestehenden

kapitalistischen

Narktökonomien

wünschenswert,

d.h.

in einem

lnteresse liegt, das verallgemeinerungsfähig ist; sie müssen zeigen, daß diese Transformation

machbar,

d.h.

mit

erträglichen

Transformations-

kosten zu realisieren ist. Sie müssen angeben, wer die Kosten zu tragen hat, wer die Gewinner und wer die Verlierer der Transformation sein werden.

. . . Sie müssen in jedem einzelnen Fall plausibel machen, daß

^ radikale^

und umfassende Reformen den tagtäglichen, kleinen Reiormen

vorzuziehen sind, die im organisierten, demokratischen Kapitalismus der Gegenwart fortwährend vorkommen" (Krätke 1991, S.547). Bs wurde berelts darauf hingewiesen, daß oftmals der prinzipielle Sachverhalt der Handlungsalternativen bereits mit dem Aufweis einer Verfügungsalternative in restriktiver oder verallgemeinerter Form identifiziert wurde. Dies führt dazu, daß ich mich selbst, wenn ich die inhaltlichen Perspektiven des Konzepts verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

nicht in meinem Nöglichkeitsraum erkenne bzw. als unfunktional empfinde,

- 123-

als restriktiv handlungsfähig begreife. oder ich habe als Betroffener das Gefühl, daß die Kritische Psychologie den eigenen lmpuls der grundsätzlichen Gesellschaftsveränderung

in psychologische Begriffe proji-

ziert und diese Perspektive damit indirekt für mich als Lösung meiner Probleme normiert. Wenn wir in dieser kategorialen Form Richtungen inhalt l ich vorgeben, ersetzten wir Analysen durch Antworten und schränken den Reflexionsraum der Betroffenen für Bntscheidungen ein. Wenn dies auch noch mit der permanenten gesellschaftstheoretlsch begründeten Verdächt igung der Komplizenschaft mit den Herrschenden unterfüttert wird, wird das Subjekt auf eine bestimmte, sozialistische Version der überwindung kapitalistischer Verhältnisse fixiert. Zwingen wir uns dann nicht selber, "durchschnittliche" Formen der Gewinnung von Handlungsfähigkeit, die sich nicht um eine gesamtgesellschaftliche Verallgemeinerung der Bedingungskontrolle bemühen, grundsätzlich als restriktiv zu verstehen, indem wir auf die damit notwendig verbundene Komplizenschaft mit dem Kapital hinweisen^ lndem wir die Utopie "freier bewußter Verfügung aller über den gesellschaftlichen Prozeß" (Holzkamp l983b, S.53) zum Naßstab der Beurteilung realer Handlungsfähigkeit/subjektiver und als reale Bntwicklungsmöglichkeit,

Probleme machen

als realhistorische

"in den

gegenwärtigen Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise ... (liegende) bestimmte Negation" (ebd.) hypostasieren, pathologisieren wir zwangsläufig große Teile der Gesellschaft: unter bürgerlichen Verhältnissen vermöge "kein Nensch den dadurch bedingten psychischen Deformationen und Leiden zu entkommen" (ebd.). An dieser Pathologisierung ändert sich auch nichts, wenn wir das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als analytische Kategorie für die Betroffenen darstellen. Die Frage, warum ich leide, welche privaten, institutionellen oder gesamtgesellschaftlichen Ursachen meine Probleme haben, wird so in eigentüml icher Weise bereits beantwortet, wobei diese Tendenz noch verstärkt wird, wenn man für das Gelingen des Lebens objektive Kriterien aufzustellen versucht: "Nißlingen und Gelingen eines Lebens sind im Prinzip daran nach rationalen Kritrien meßbar, wieweii ein Nensch in voller Ausnu^zung seiner jeweils konkreten N^glichkei^en einen Eeitrag zur gesellschaftlichen Durchsetzung allgemeiner lnteressen ..., damit zum gesell-

-l24-

schaftlichen S.320).

Fortschritt, geleistet

hat

(Holzkamp-osterkamp

1975,

Ho1zkamps wichtige Feststellung, daß es in der subjektwissenschaftlichen Analyse nicht darauf ankomme, die Nenschen etwa hinsichtlich ihrer Fähigkeit zum Begreifen auseinanderzudividieren, sondern daß es darum gehe, "vom Standpunkt der Subjekte ihren Nögllchkeitsraum, damit auch ihre Möglichkeiten in Richtung auf Begreifen zu erkennen und adäquat zu bestimmen" (1983, S.396), werden wir solange nicht gerecht, als wir Begreifen und damit auch die Restriktionen, auf die es sich bezieht, nicht konkret-historisch verstehen, sondern es mit einem durch die Narxsche Kapital ismusanalyse fundierten Status des E^reits-begriffen-Eäbens verquicken: Nur im Klassenbewußtsein sei das höchstentwickelte gesellschaftlich kumulierte Wissen als gesellschaftliche Einsicht in die allgemeingesellschaftliche Notwendigkeit der Aufhebung der Klassenspaltung ... repräsentiert" (Holzkamp-osterkamp 1975, S.316); in der Aneignung des Klassenbewußtselns liege die Voraussetzung für die überwindung der "Fesseln der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und für die gesellschaftliche Lebensicherung und individuelle menschliche Bntfaltung auf erweiterter Stufenleiter im Sozialismus" (a.a.o., S.317). Auch hier werden wieder zweifelhafte Tatsachen in den Raum gestellt. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung zu erheben, daß konkret und auf einzeltheoretischer Bbene die Frage geklärt wird, was denn alles begründungsrelevant "Teilhabe an der gesellschaftlichen Bedingungskontrolle" bedeuten kann. Dabei müssen wir uns emanzipieren von einer Sprache, die Nethaphern gebraucht, welche in ihrer politisch-administrativen Umsetzung konkretisiert und relativiert werden müssen. Bin Zustand, in dem jeder jedes kontrolliert, ist in einer ausdifferenzierten und interdependenten Weltgesellschaft undenkbar. Die Vorstellung, daß "die Reproduktion in der Form freier bewußter Verfügung aller über den gesellschaftllchen Prozeß ... sich vollzieht" (Holzkamp 1983b, S.53) wirkt einfach unrealistisch. Die Geschichte der Nenschheit ist vielmehr eln widersprüchlicher Prozeß, in dem immer wieder neue Bntwicklungswidersprüche gesetzt werden. Deshalb muß immer wieder erneut über emanzipato-

-l25-

rische Ziele diskutiert zuarbeiten ist. Die

dem

Konzept

der

werden, wobei auch deren Ambivalenz heraus-

verallgemelnerten

Handlungsfähigkeit

inhärente

"Nithin-Logik", daß die individuelle Situation als Aspekt der gesamtgesellschaftlichen Situation nur durch den Binfluß auf letztere veränderbar ist, wobei diese Veränderung nur stabil sei, wenn der Binfluß auf die gesellschaftllchen Lebensbedingungen

verallgemeinert

erfolge,

ist

primär eine rein begriffsiogische Feststellung, die von uns allzu leicht als materielle Realität dargestellt wurde. Unsere Gesellschaft hat eine Komplexität erlangt, die über die individuellen Kontrollmöglichkeiten hinausgeht; individuelle Kontrolle, auch wenn man auf ihrer subjektiven Notwendigkeit besteht, ist nur eingeschränkt möglich und nimmt sich in ihren notwendigen Vermittlungen über lnstitutionen und Apparate immer mehr zurück. Bs existieren institutionelle Verselbständigungsmechanismen allein schon durch eine bestimmte Größe der Gesellschaft und die damit verbundene

Zentralisierung.

zwangsläufig

einen

Verlust

Dies

führt

zu

individueller

Peripherien

und

bedeutet

Rückkopplungsmöglichkeiten.

Hier konstituiert sich ein weites Feld von Komplezitätskrisen, in deren Analyse der Anspruch auf radikale Demokratie relativiert werden muß. lnsistiert man aber auf umfassender Kontrolle, so zeichnet sich ein grundsätzliches

menschllches

Dilemma

in komplexen Gesellschaften

ab.

Solche Bntfremdungen, die auf gesamtgesellschaftliche Rationalisierungen und auf die erweiterten Vermittlungen von Narkt und Geld zurückgehen, enden nicht mit dem Kapitalismus. Die kategoriale überdimensionierung verallgemeinerter Handlungsfähigkeit steht in Zusammenhang mit der kritisch-psychologischen Forderung, daß die Psychologie erklären müsse, wie der Mensch zu gesellschaftlicher Lebenserhaltung fähig geworden ist. Wenn diese im funktional-historischen Ableltungskontext

wichtige Fragestellung unter der Hand in den

Kontext psychologischer Begriffsableitungen bei gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit

individueller

Bxistenz

transportiert

wird,

führt

dies

dazu, daß gesellschaftliche Systemcharakteristika (also quasi die Handlungsfähigkeit des Gesamtsystems) auf die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse projiziert werden. Wie soll sich aber in komplexen und dif-

-126-

ferenzierten Gesellschaften volle Handlungsfähigkeit im Sinne von individueller Kontrolle über den gesamtgesellschaftlichen Prozeß ergeben^ Angesichts der realen lnteressenvielialt, die ein konkretes Allgemeininteresse, das nicht nur begriffslogisch das lndividualinteresse impliziert, abstrakt

wirken läßt, erscheint das Konzept

verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit nicht genügend ausdifferenziert; es beruht einerseits auf einer Vernunfterkenntnis, andererseits auf allgemeinen politischen Hoffnungen,

ohne

hinreichende

gesellschaftstheoretische

Verifikation

ihrer Voraussetzungen. Dem Konzept verallgemeinerter Handlungsfähigkeit liegt die marxistische Vorstellung zugrunde, daß Nenschen sich im Grunde nur dadurch selbst verändern können, daß sie sich als Subjekt einer umwälzenden Veränderung ihrer gesellschaftlichen Lebensbedingungen betätigen und als solche auch erfahren (vgl. Narx und Bngels 1969, S.70). Nan darf aber das Problem der Vermittlung dieser philosophischen Auffassung zu den Brfahrungen und den Lebensbedingungen von Betroffenen nicht verkennen. Dieses Problem der Vermittlung darf nicht philosophisch überdeckt werden, sondern muß konkret untersucht werden. Ansonsten besteht die Gefahr, daß philosophische Feststellungen in einen Utopismus münden. Diese Gefahr wird noch verstärkt, wenn sich das Konzept verallgemeinerter Handlungsfähigkeit mit der "Vorstellung von der gewissermaßen unaufhaltsamen Neigung der menschlichen Vernunft, sich der sozialistischen ldee zuzuwenden" bloßen Hinsicht

(Hahn 1993, S.6l) paart. Zudem gilt, daß "mit der in das,

was im gleichmäßigen

lnteresse eines jeden

liegt, ... für die Praxis noch nicht viel gewonnen (ist). Wir wissen dann, daß wir gute Gründe haben, anders zu handeln - aber tun wir^s auch^" (Habermas l993). Auch hier wird die meines Brachtens grundsätzliche Problematik deutlich, daß in der Kritischen Psychologie kategoriale Festschreibungen zu weit vorangetrieben wurden und damit das weite Feld möglicher einzeltheoretischer Analysen zu sehr begrenzt wurde. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß menschliche Handlungsfähigkeit wie auch die Definition von Verfügungslosigkeit

im kontemporärgeschicht-

lichen Prozeß sich selbst inhaltlich differenzieren und dimensionieren. Die Dimensionen dessen, worauf sich individuelle Handlungsfähigkeitsbestrebungen beziehen können, sind historisch und individuell veränder-

-l27-

lich. Bntsprechend muß immer wieder aufgeklärt werden, welche konkrethistorischen

fnhaite - sozusagen auf der objektseite -

menschlicher

Handlungsfähigkeit zukommen. Dieser Frage müßten wir als Kritische Psychologen zunächst nachgehen, ehe wir kategorial und nur am Klassenantagonismus orientiert zwei in einem komplementären Verhältnis zueinander stehende Handlungsfähigkeitstypen festlegen. Der Versuch der theoretischen

Ausdifferenzierung

von

Handlungsfähig-

keitstypen muß sich an den verschiedenen gesellschaftlichen Perspektiven orientieren,

die

in bestimmten historischen Btappen

unterschiedliche

Plausibilität besitzen. So gibt es Anfang der 90er jahre im Gegensatz zu den 70er .lahren - als sich die Kritische Psychologie konstituierte nach dem offensichtlichen

Scheitern

des Realsozialismus

Kapitalismus geschaffenen verallgemeinerten sible,

also handlungs-

und damit

Lebensqualität

begründungsrelevante

optionen jenseits sozialdemokratischer

und der

im

kaum plau-

sozialistische

und gewerkschaftlicher

Reform-

politik. Bine grundsätzllche Alternative zum Kapitalismus kann zur Zeit nicht im Nittelpunkt der Handlungsfähigkeitserweiterung stehen. Gleichzeitig kann die Notwendigkeit fundamentaler Veränderungen, die Unvermeidbarkeit einer globalen Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht in Zweifel gezogen werden, weil es um die Brhaltung der Nenschheit geht. Die allseitige Bntschiedenheit, daß etwas getan werden muß, wird aber kontrastiert mit der Unklarheit, was getan werden kann. Diese Unsicherheit hängt auch auch damit zusammen, daß sich die Anlässe und Gründe für Veränderungen in diesem Jahrhundert vielfältig verändert und vermehrt haben; entsprechend müssen sich Handlungsstrategien ändern. Nan kann also Holzkamps These, daß es "im vitalen Lebensinteresse der Nenschen

notwendig

(ist),

diese

Verhältnisse

zu

überwinden"

(1983b,

S.53f), nur unterstützen, sie scheint aber nur schwer in dem von Holzkamp intendierten Sinne mit realhistorischem politischem Handeln vermittelbar zu sein. Die Selbstapplikation der inhaltlichen Dimensionen des Konzepts verallgemeinerter Handlungsfähigkeit individuellen

Verfügung

stellt,

wenn

man

für die Brweiterung der

sie

wörtlich

nimmt,

eine

Selbstüberforderung dar. Nit der unkonkreten Alternative der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit gewappnet, besteht die Gefahr, daß man in der Praxis handlungsunfähig wird. Daraus ist die Konsequenz zu ziehen,

-l28-

daß Artbestimmungen menschlicher Handlungsfähigkeit als historisch begrenzte theoretische Konzepte unter Binbeziehung weitergehender gesellschaftstheoretischer

Brkenntnisse

entwickelt

werden müssen,

wenn sie

Relevanz im Sinne der Brweiterung der Handlungsfähigkeit der Nenschen habensollen (s.u.). Die dem Konzept der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit inhärente Vorstellung vom verallgemeinerbaren lndividualinteresse erscheint, wie gesagt, als kaum mit der Realität vermittelbar. Raymond Williams schreibt, daß der simple Begriff des Allgemeininteresses "nicht nur gegen die Komplexität und empirische Vielfalt der realen gesellschaftlichen Klassen (steht), sondern auch gegen die Tatsache, daß es widersprüchliche lnteressen innerhalb der Arbeiterklasse gibt, zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen" (1985, S.58). Bs "bleiben substantielle Ungleichheiten aus handfesten materiellen Gründen bestehen. Die Brde selbst ist ungleich ausgestattet" (a.a.o., S.62). Singuläre Pläne können hier keine Antwort geben. "ln Tausenden von Alltagsangelegenheiten ... ist für jede wirkliche menschliche Befreiung eine Vielfalt von Lösungen notwendig"

(a.a.o. , S.65). Damit

stellt

sich sogar die Frage,

ob das Postulat

des Allgemein-

interesses die Bntwicklung konkreter Handlungsfähigkeit im Kontext realer Demokratie, also der aktiven Beteillgung der Nenschen an politischen Bntscheidungen, bei der es um die Wahrnehmung realer und potentleller lnteressenkonflikte

geht, nicht eher einschränkt.

Konkrete Ziele von

Handlungsfähigkeitsbestrebungen, so scheint es, bevorteilen zwangsläufig die eine oder andere Gruppe. Spricht man vom Allgemeininteresse, müßte man das Allgemeininteresse nicht nur logisch von Partialinteressen, die nur um den Preis der Unterdrückung anderer durchsetzbar sind, unterscheiden, sondern müßte auch Nethoden aufzeigen, wie es bestimmt wird und wie es durchsetzbar ist. Die Vorstellung von einer Gesellschaft, die durch kollektives Bigentum an den Produktionsmitteln, unmittelbare Gesellschaftlichkeit der Arbeit und geplante Produktion zur Befriedigung der Bedürfnisse aller charakterisiert ist, läßt sich allenfalls als Bntwicklungsperspektive kleiner kooperativ-gesellschaftllcher Binheiten vorstellen und wirkt angesichts

-129-

einer weltwirtschaftlich vernetzten ökonomie zunehmend naiv. Die im Konzept verallgemeinerter Handlungsfähigkeit verdichtete politische Perspektive muß sich deshalb dem empirischen Kriterium der Vermittelbarkeit mit der erlebten gesellschaftlichen Realltät aussetzen. Auch W.F. Haug gibt zu bedenken, daß der Begrifi der vollen gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit

eine Selbstentfremdung

der Kritischen

Psychologie sei und keinen Sinn ergebe. je höher das gesellschaftliche Bntwicklungsniveau

sei,

desto unsinniger

werde

die

Vorstellung,

das

lndividuum könne sich je das gesellschaftlich Ganze zu eigen machen (vgl. Haug l985, S.75ff). Angesichts der Komplexität gesellschaftllcher Verhältnisse scheint darüber hinaus der kritisch-psychologischen Verfügungsperspektive ein obsolet gewordenes Verständnis von Politik als zweckrationaler Steuerung mit klar definierten und probaten Ziel-Nittel-Relatlonen zugrunde zu liegen. Streben nach Handlungsfähigkeit artikullert sich jedoch angesichts der Unüberschaubarkeit und Differenziertheit sozialer Systeme zunehmend in Form von Interventionen. Verfügung durch Steuerung im Sinne allgemeiner Bedingungskontrolle wird dadurch in anderer Weise zum Problem: es glbt keine eindeutigen Beziehungen zwischen Steuerungsinstrumenten und gewünschten Zuständen; zumindest sind diese kaum identiilzierbar und hochgradig

falslflzierbar.

Direkte Steuerungsbemühungen

scheitern an dem

Nangel an eindeutigen, integrierenden und vor allem allgemeinen Zielen einerseits und dem entsprechenden, über verläßliche Ziel-Nittel-Relationen verfügenden Handlungswissen andererseits. Vor diesem Hintergrund gibt es keine eindeutige Zielhierarchie mehr, sondern Zielkonflikte, das heißt sich widersprechende Ziele. Deshalb muß man die in der Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts gegründete radikal-demokratische Vorstellung der kontroll iert-sol idarischen Verfügbarkeit

der allgemeinen

Lebensbedingungen durch die Betroffenen in Richtung auf die Vorstellung einer oftmals nach dem Versuch-und-lrrtum-Prinzip vorgehenden, indirektintervenierenden

Beeinflussung

dieser Bedingungen aufgeben.

Dies hat

aber Konsequenzen für eine realhistorische psychologische Definitionen von Handlungsfähigkeit.

-l30-

Zudem besteht

aus der Sicht

des Subjekts ein zentraler Widerspruch

zwischen der zeitlichen Begrenztheit des eigenen Lebens und der diese zeitliche

Dimension

oftmals

notwendig

überschreitenden

Handlungs-

dimension auf dem Weg der Realisierung allgemeiner Perspektiven,

in

deren Vollzug sich die subjektive Situation erst verbessern würde. Da es, wie die Kritische Psychologie nachgewiesen hat, keinen Altruismus gibt, sondern

immer den Rückbezug jeder Handlungsbegründung

auf die

eigene Handlungsfähigkeit, bleibt es unklar, wie ich sozusagen für meine Gattung,

nicht

aber

für mich

persönlich

verallgemeinerbare

Lösungen

anstreben kann.

Nit den hier geäußerten Bedenken gegenüber der gesellschaftstheoretischen Begründung des Konzepts verallgemeinerter Handlungsfähigkeit soll ln keiner Weise das Prinzip der Verallgemeinerbarkeit als universelles ethisches,

soziales und

vor allem rationales

Kriterium

menschlicher

Handlungsbegründung angezweifelt werden. Gegenstand der Kritik sind nur die voreiligen

Verquickungen

dieses Prinzips mit

bestimmten

gesell-

schaftstheoretischen lnhalten. Wenn man von der meines Brachtens problematischen gesellschaftstheoretischen Begründung absieht, bleibt als wesentliches Blement des Konzepts verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

die

Vernunfterkenntnis,

daß

die

überwindung von psychischer Leidenserfahrung im wohlverstandenen Bigeninteresse verallgemeinerbar sein sollte. Dies ist die rationale Dimension des Kantschen Kategorischen lmperativs, den Narkard und Ulmann wie folgt auf den Begriff bringen: "Der Kategorische imperativ ist die allgemeine Aufforderung an jeden einzelnen, seine individuellen Handlungen unter dem Aspekt ihrer Verallgemeinerbarkeit zu analysieren, . . . ganz im Sinne des ^vernünftigen Bgoismus^ der Aufklärung ..." (l983, S.l8). Dabei sind keinerlei Verfügungsversuche

von vorneherein ausgeschlossen,

genauso wie auch keinerlei Verfügungsformen von vorneherein als möglich bzw. notwendig festgelegt werden.

-l3l-

2.l0

Zur inhaltllchen Unbestimmtheit der allgemeinen Kategorie der Handlungsfähigkeit und zur Notwendigkeit der Aufklärung ihrer konkreten Dimensionierung

Nit der Feststellung eines Bed^rinisses nach Handlungsfähigkeit im Sinne der Brweiterung der Bedingungsverfügung ist noch nicht ausgesagt, auf welche Dimension denkbarer Verfügungsmöglichkeiten sich dieses Bedürfnis in dem vielschlchtlgen Geflecht menschlicher Lebensbedingungen beziehen kann.

Holzkamp charakterisiert

deshalb das Konzept

verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit lediglich als "Richtungsbestimmung". Allerdings wird dieser Richtungsbestimmung eine eindeutige Richtung gegeben, nämlich die Perspektive einer wirklichen, in individueller Teilhabe sich vollziehenden persönlichen Kontrolle über die Bedingungen menschlichen Lebens in überwindung allein

kapitalistischer

schon

Restriktionen.

Dieser Fluchtpunkt

in dem kritisch-psychologischen

Begriff

steckt

der "relativen

Handlungsfähigkeit" als eben einer Handlungsfähigkeit relativ zu diesem Ziel. Bin "anything goes" je nach konkreter Situation ist qua gesellschaftstheoretischer Begründung dieses Konzepts nicht intendiert. Die Perspektive von Bedingungskontrolle auf Systemebene erscheint jedoch, wie dargestellt, in einer hochgradig arbeitsteiligen, komplexen und vielfältig widersprüchlichen Weltgesellschaft als Fiktion. Allzuoft sind wir nur Zaungäste ohne Bingriffsmöglichkeiten, die nur zittern und bangen können. Viele Probleme drängen zwar aufgrund ihrer Allgemeinheit zu verallgemeinerten

Lösungen, andererseits zeichnen sich aber keine

solche verallgemelnerbaren Lösungen und entsprechende Handlungsperspektiven ab. Bs gibt ein kompliziertes Geflecht von Realwidersprüchen, das in der jeweils konkreten Situation kaum zu überschauen ist. Die logisch-historische Argumentationsebene bringt bei der Frage nach der inhaltlichen Bestimmung von Handlungsfähigkeit wenig Klarhelt. Nach Holzkamp ist individuelle Handlungsfähigkeit stets "in irgendeinem Sinne die Teilhabe an der Verfügung über den gesamtgesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozeß"

(l983, S.242). ln dieser vagen Defini-

tion wird die begrifillche Unbestimmtheit der Kategorien der Handlungs-

-l32-

fählgkeit und der Verfügung deutlich. Diese Unbestimmtheit resultiert aus der Schwierigkeit der übertragung der - auf unmittelbar kooperativgesellschaftlichem Niveau angesiedelten - Kategorie der Umweltkontrolle auf komlpexe und vielschichtig ausdifferenzierte Gesellschaften. Diese Unbestimmtheit birgt die Gefahr in sich, daß wir kurzschlüssig unterstellen, daß der phylogenetisch überkommene und als Aspekt der gesellschaftlichen Natur des Nenschen anzusehende Bedarf nach Umweltkontrolle sich unter den Bedingungen der "gesamtgesellschaftlichen Synthese" seinem Wesen nach nur auf der Systemebene realisieren kann; schließlich sind je meine Position und je meine Lebenslage gesamtgesellschaftlich vermittelt und damit auch meine Probleme und meine subjektive Befindlichkeit. Bei der in der Kritischen Psychologen anvisierten Bedingungskontrolle als Richtungsbestimmung

der

überwindung subjektiver

Beein-

trächtigungen haben wir es im Grunde - formal gesehen - mit einem infiniten Regreß zu tun, da jede Bedingungsverfügung Bedingungen voraussetzt, deren Verfügbarkeit wiederum an weitere Bedingungen geknüpft ist; Bedingungsverfügung geht dabei notwendig von der Lebenswelt in Richtung System. Bei gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit individueller Bxistenz entfällt jedoch - aufgrund der individuellen Bntlastung und der damit verbundenen Nöglichkeitsbeziehung - die existentielle Notwendigkeit der Brweiterung der Verfügungsgewalt, so daß das auf den unmittelbar-sinnlichen Bereich bezogene, phylogenetisch überkommene Bedürfnis nach Umweltkontrolle sich in bewußter Reflexion im individuellen Lebensprozeß seine subjektiven Eealsierungsformen und -dimensionen suchen muß wie auch die Bedingungen seiner Frustration. Wie sich in menschlicher Qualität

individuelle

Handlungsfähigkeitsbestrebungen

realisieren

und

welche subjektiven Definitionen sie vom Subjekt erhalten, läßt sich mit logisch-historischer Notwendigkeit nur noch sehr allgemein und unpräzise festschreiben.

Das jeweilige Begründungskriterium und damit auch die

Schwelle subjektiven Unbehagens scheint sowohl gesellschaftlich-historisch, interindividuell sowie auch individualgeschichtlich veränderlich zu sein. Nan muß diese Dimension subjektiv bedeutsamer Verfügungskontrolle aktualempirisch, im Ansatz an der konkreten psychischen Befindlichkeit, erschließen. Brst auf dieser Bbene lassen sich etwa Hypothesen über ein verselbständigte "Kontrollbedürfnis"

als defensive Reaktion

-133-

auf Verunsicherung und isolation sowie Perspektiven zur überwindung derartiger überlebensstrategien entwickeln. Bs scheint also etwas voreilig, davon auszugehen, daß der sich im Rahmen kooperativ-gesellschaftl icher Verhältnisse als Aspekt der gesellschaftlichen Natur des Nenschen herausgebildete Bedarf nach Umweltkontrolle sich mit dem Dominanzwechsel zur gesamtgesellschaftlichen Lebenserhaltung im Streben nach verallgemeinerter Bedingungskontrolle - als Richtungsbestimmung einer durch gesellschaftliche integration erreichbaren verallgemeinerten

Vorsorge - reallsiert

(vgl. Holzkamp

1983, S.24l).

Bine solche Richtung ist vernünftig, aber auigrund der relativen intaktheit der Systemfunktionen (noch) nicht unbedingt zwingend. Hier entsteht das Problem, daß vernünftige, jedoch abstrakte politische Einsichten und Prinzipien mit dem methodisch strengen Kriterium der Entwickiungsnotwendigkeit verwechselt werden. Die Frage, in welchem Zusammenhang globale politische Kontrolle zu dem in der Unmittelbarkeit angesiedelten Bedarf nach Umweltkontrolle steht und welcher Grad an gesellschaftllcher Kontrolle diesem Bedarf angemessen ist, läßt sich nicht allgemein beantworten. Zur Klärung dieser Frage bedarf es aktualempirischer Untersuchungen. Aui dieser Bbene müssen der Begriff der Handlungsfähigkeit und der Begriff der Verfügung konkrethistorisch präzisiert werden. Neines Brachtens muß man hier also konkret-historische Abwägungen treffen und die jeweiligen kulturellen Definitionen von Handlungsfähigkeit untersuchen. Bntsprechend müssen wir uns selbst - quasi wissenschaftsgeschichtlich - fragen, aus welchem konkret-historischen Kontext unsere in das Konzept verallgemeinerter Handlungsfähigkeit eingebundenen Perspektiven stammen.

Nit Bezug auf die Unexpliziertheiten bei der Bestimmung des Begriffs der Handlungsfähigkeit stische wicklung Die

als

sich

spiegelnden einer

kann

dialektische Prozeß

in

dem

man

Nethode der

nur

vergleichenden

Holzkamp es,

Selbstbewegung

allgemeinen

Zusammenhänge

mit

erfordert

Begriff

müßten

Analyse

deshalb

untersucht

zu

feststellen:

weiterzugehen untersuchen"

der in

"Die und

(1979b,

Handlungsfähigkeit ihren

werden,

marxi-

die

BntS.50).

wider-

Selbstbewegungen

in der

das

in

Verhältnis

-l34-

von inneren und äußeren Bedingungen subjektiv-funktionaler Handlungsfähigkeitsziele im historischen Wandel reflektiert wird. Handlungsfähigkeit als die psychologische Grundkategorie bleibt somit weitgehend ein allgemeiner orientierungsbegriif; aus seiner Ableitung kann man nicht konkret begründen, worauf und in welchem Umfang sich Verfügungsaktivitäten beziehen. Dieser allgemeine Begriff weist der weiteren

konkretisierenden

Begrifisbildung

keine

eindeutige

Richtung,

er

stellt nur ein einzeltheoretisch aufzuklärendes Problem in den Raum, und zwar die Frage nach der individuellen Realisierung der gesellschaftlichen Natur unter jeweils konkreten Bedingungen. ln einer solchen aktualempirischen Realisierungsanalyse, die sich an subjektiven Notwendigkeiten der überwindung psychischer Beeinträchtigung orienteren muß, muß der Begriff der Handlungsfähigkeit seine konkrete Gestalt gewinnen. Diesem Umstand trägt insbesondere die Kritische Psychologie durch ihre subjektwissenschaftliche Wende, das heißt durch ihr Bestreben, vom Standpunkt des Subjekts aus Zusammenhänge zu begreifen, Rechnung. Bin Terrainwechsel

von einem logisch-historischen Verfahren zu einem

kulturell-vergleichenden

Verfahren,

zu

jeweils

historisch-abwägenden

Bestimmungen der inhaltlichen Dimensionen des Begriffs der Handlungsfähigkeit, ist also angezeigt. Hier muß im Grunde die logisch-historische Ableitung durch konkrete Anworten auf die Frage: "Was bedeutet unter je meinen Lebensbedingungen Bedingungskontrolle, und wie kann ich diese reallsleren^", ersetzt werden. ln dieser Form geht im Prinzip auch Holzkamp vor, nur er stellt diese Frage zu abstrakt: "Wie kann sich Bedingungskontrolle unter kapitalistischen Lebensbedingungen realisieren^", und ebenso abstrakt

ist seine - auf dieser abstrakten Bbene

allerdings zwingende - Antwort: "lndem ich auf dem Weg der Teilhabe an der Verfügung über den gesamtgesellschaftlichen Prozeß, das heißt in tendenzieller überwindung kapitalistischer Restriktionen, Verfügung über meine

eigenen

relevanten

Daseinsbestimmungen

erreiche"

(vgl.

l983,

S.243). Bs erscheit aber problematisch, außschließlich auf der Grundlage allgemein-formationsspezifischer Strukturmerkmale auf Probleme der Handlungsfähigkeitsgewinnung antworten zu wollen. Nan muß auch den soziokulturellen Gesamtzusammenhang, in dem gesellschaftliche Bntwürfe, Definitionen und Traditionen sozusagen durchschnittlicher Handlungsfähigkeit

-135-

begründungsrelevant deflniert sind und der damit die gesellschaftliche Natur des konkreten lndividuums rückwirkend funktional formt, konkret untersuchen.

Weder die gesellschaftlichen

Lebensbedingungen

noch

ihr

Konfliktpotential, mithin auch nicht ihr psychischer Aspekt, lassen sich auf globale Strukturmerkmale reduzieren. Die kategoriale These, daß "personale Handlungsfähigkeit

als indivi-

duelle Bntwicklungsperspektive ... in Klassengesellschaften ... in einen unausweichlichen Widerspruch zu Ausbeutung, Unterdrückung und Abhängigkeit gerät" (Braun 1986, S.135), ist - wenn sie das Ganze abbilden will zu ungenau. Denn erstens muß genauer bestimmt werden, welche subjektiv funktionalen (unter Umständen: subjektiv not-wendigen) Definitionen von Handlungsfähigkeit das jeweilige konkrete lndividuum hat, und zweitens ist Gesellschaft mehr als Klassengesellschaft,

in der mehr oder

weniger subtil Ausbeutung und Unterdrückung herrschen. Zwar ist es ein enormer Fortschritt, wenn die kategorialen Grundlagen so gestaltet sind, daß sich einzeltheoretische Forschung auf die Untersuchung des klassenbedingten Verhältnisses von Bntwicklungsmöglichkeiten und -behinderungen im konkreten Nöglichkeitsraum beziehen kann. Damit endet aber nicht das Feld subjektwissenschaftlicher Fragestellungen. ln bezug auf die gesellschaftlichen Dimensionen psychischen Leids besteht die Notwendigkeit, zu einer differenzierteren Gesellschaftsvorstellung zu kommen, deren psychische Aspekte differenzierter zu entwickeln wären. Gerade wenn vom Subjektstandpunkt

"die

^Welt^, wie sie dem Subjekt gegeben ist, der

Gegenstand der Forschung" (Holzkamp l986, S.30) ist, brauchen wir umfassendere Brkenntnisse, um diesen, je meinen Weltausschnitt an sich und in seiner Bedeutung für mich begreifen zu können. Durch den im Konzept restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

gesetzten Bezug auf den kapitalistischen Klassenantagonlsmus als einziger und grundlegender Bedeutungskonstellation subjektiver Handlungsfähigkeitsbestrebungen,

subjektiver Befindllchkeit

Beziehungen kann Handlungsfähigkeit als Verfügungsbestrebung

und

interpersonaler

nur eindimensional gedacht werden

im Rahmen kapitalistisch geprägter Beschrän-

kungen und Widersprüche auf den jeweils gegebenen Bbenen zwischen System und Lebenswelt.

lnsofern kristalllsiert sich im Konzept restriktiver-

-l36-

verallgemeinerter Handlungsfähigkeit nur ein singuiärer Gegenstand einer "komplexqualitativen" Handlungsfähigkeit/Befindlichkeit, die alle weiteren Aspekte psychischer Lebenstätigkeit in sich einschließt, heraus. Was aber Leontjew allgemein hervorhebt, daß die "Bntwicklung der Bedürfnisse als Bntwicklung ihres gegenständlichen lnhalts" (1973, S.422) verläuft, gilt auch für das Streben nach Handlungsfähigkeit. Dies bedeutet, daß es nicht unbedingt nur die eine komplexqualitative Handlungsfähigkeit gibt. Nuß man gar den Begriff der Handlungsfähigkeit im Plural verwenden, weil es so viele Handlungsfähigkeiten

wie motivbildende Gegenstände gibt^

Auch wenn alle Gegenstände letztllch in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang stehen, so bin ich doch immer wieder mit relativ distinkten Situationen

und Gegenständen

konfrontiert,

denen gegenüber

ich mich

unterschiedlich handlungsfähig fühle. Die individuelle Bntwicklung von Handlungsfähigkeit erfolgt nicht unbedingt als notwendiger individueller Aspekt der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion, in der "die Beschränkungen und Widersprüchlichkeiten der objektiven und subjektiven Lebenslage

immer

werden"

wieder

in einheitlicher

Handlungsfähigkeit

zusammengefaßt

(Holzkamp l978b, S.223); sie kann vielmehr auf verschiedenen

Dimensionen menschlicher Lebenstätigkeit erreicht werden, wobei diese Dimensionen nicht notwendig in einer funktionalen durch die Formationsspezifik dominierten hierarchischen Struktur stehen müssen. Wir müssen davon ausgehen, daß nicht nur konsumtive, sondern auch "produktive" Bedürfnisse gesellschaftlich-historisch produziert werden und sich mit

ihrer Realisation

in den verschiedenen

lnfrastrukturen der

gesellschaftlichen Verhältnisse selbst bilden. Ansonsten besteht die Gefahr, daß man die allgemeine Richtungsbestimmung von Handlungsfähigkeit als Verfügung über das eigene Leben abstrakt mit formationsspezifischen Systemfaktoren Konfliktszenario derungen

sowie

ins

Verhältnis

entwickelt, Konflikte

und

setzt

und

damit

ein

psychologisches

das Verfügungsmöglichkeiten Befriedigungsmöglichkeiten

und -behinauf

anderen

gesellschaftlichen Bbenen ausklammert. Die Teilhabe an der bewußten Realitätskontrolle darf nicht nur in ihren Brechungen durch den kapital istischen Klassenantagonismus analysiert werden, weil man damit die grundsätzlichen Probleme der Vefügungsgewinnung durch den einzelnen - auch

-l37-

bel einer möglichen überwindung des Kapitalismus - in komplexen Gesellschaften verkennt. Unter diesem Aspekt stimme ich dem kritisch-psychologischen Grundansatz zu, alle Handlungsmöglichkeiten als Teil des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs zu erforschen, halte es aber für verkürzend, den Bedeutungsaspekt des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs im wesentlichen mit begrifflichen Mitteln, die im Zusammenhang der ökonomischen Strukturanalyse stehen, aufschließen zu wollen. Damit wird die anschließende Begründungsanalyse

unnötig eingeschränkt.

Gesellschaft lch produzierte

Handlungsmöglichkeiten und -beschränkungen der Verfügungsgewinnung wie auch subjektive Notwendigkeiten der Brweiterung der Handlungsfähigkeit gehen über diesen Aspekt - man denke etwa an den ökologischen, kulturellen, räumlichen, zeitlichen, zwischenmenschlichen oder körperlichen Aspekt menschlicher Lebenstätigkeit - hinaus.

-138-

2.11

Psychologische Binseitigkeiten als Konsequenz gesellschaftstheoretischer Schwerpunktsetzungen

Nach den allgemeinen Ausführungen über Unzulänglichkeiten der gesellschaftstheoretischen Reflexionen in der Kritischen Psychologie und der sich darin gründenden Problematik des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit will ich nun an einigen Teilaspekten dieses Konzepts konkret aufzeigen, wie gesellschaftstheoretische Reduktionen in einen psychologischen Reduktionismus münden können. Dabei ist zunächst prinzipiell hervorzuheben, daß ein innerer zusammenhang zwischen gesell schaftstheoretischem und psychologischem Eeduktionismus besteht, da die Analyse des Psychischen eben als psychischer Aspekt

des reduziert

abgebildeten

gesamtgesellschaftllchen

Kontextes

erfolgt. Darin liegt die besondere psychologische Problematik zu abstrakter gesellschaftstheoretischer Voraussetzungen, denn sie bestimmen die psychologischen lnterpretationen menschllcher Widersprüche und Konflikte.

Für die psychische Bestimmtheit des Nenschen unter bürgerlichen Lebensverhältnissen als konstitutiv wird ein alle Bbenen selnes Daseins durchdringendes, universelles und objektives Dilemma zwischen der subjektiv funktionalen Anpassung sowie der damit verbundenen Auslieferung an Herrschaftsinstanzen einerseits und den drohenden Sanktionen bei widerständigem Verhalten andererseits angesehen. Aus dieser widersprüchllchen Situation scheint es innerhalb dieser Gesellschaftsformation prinzipiell keinen Ausweg zu geben. Bs bleibt nur die Perspektive einer sozial istischen Gesellschaft. Holzkamp schreibt: "So liegt, wie Narx aufwies, in den gegenwärtigen Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise zugleich

deren

Notwendigkeit Reproduktion

bestimmte

von

Negation

gesellschaftlichen

als

historische

Verhältnissen,

in der Form freier bewußter

Verfügung

Nöglichkeit

und

in

die

welchen

aiier über den

gesellschaftlichen Prozeß, damit über ihre eigenen Lebensbedingungen, sich vollzieht" (l983b, S.53). Diese sozial lstlsche option wird logischhistorisch als human begründet, über ihr konkretes Aussehen haben wir Kritischen Psychologen uns allerdings keine weiteren Gedanken gemacht.

-l39-

Verwendet man das Konzept der S^eibstfeindschaft, mit dem Holzkamp die innere

Widerspr^chlichkeit

restriktiver

Handlungsfähigkeit

versucht, als universelles Denkmuster psychologischer so werden sämtliche

Konflikte

und

Probleme,

zu

fassen

(Selbst-) Analyse,

die Nenschen

in unserer

Gesellschaft haben können, auf der Basis des dargelegten im Kapitalverhältis gegründeten Widerspruchsrasters interpretiert. Andere Dimensionen der Konfllkthaftigkeit und Widersprüchlichkeit

menschlich-gesellschaft-

lichen Lebens werden damit ignoriert. Die im Begriff der Selbstfeindschaft

herausgehobene

Beteiligung

an der eigenen

Unterdrückung

durch

Handeln im Rahmen kapitalistischer Strukturen stellt dann eine kategoriale Vereinseitigung dar, die nicht die konkrete vielschichtige Verfaßtheit

^nschlicher

Bedeutungsbezüge

und

Konfllktlagen

reflektiert.

Binerseits ist es die herausragende wissenschaftliche Leistung der Kritischen

Psychologie,

die

formationsspezifische

Konflikte systematisch herausgearbeitet

Dimension

psychischer

zu haben, andererseits bietet

sie bisher kein Kriterium der Beurteilung, in welche Konflikte formationsspezifische Widerspruchskonstellationen hereinspielen und in welche nicht.

Darüber hinaus gewinnt das Konzept der restriktiven Handlungsfähigkeit, wie bereits erwähnt, aufgrund bestimmter Ausdrucksweisen normativen charakter gegenüber Versuchen, Lebensansprüche innnerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu reallsieren, wenn etwa von der impliziten und sozusagen notwendigen "Kompiizenschaft mit dem Kapital" die Rede ist. Durch eine solche unglückliche Wortwahl reduziert sich der subjektwissenschaftliche Anspruch auf eine Konfrontation mit bestimmten polltischen Anschauungen, die qua allgemein-kategorialer Festschrelbung normatlven charakter annehmen. Die konkrete Analyse der psychischen Folgen, die die individuelle Lebensführung mit sich bringt, erfolgt somit über das Begreifen seiner selbst als quasi Kollaborateur der Herrschenden, der

im Versuch,

handlungsfähig

zu werden,

notwendig

sich und andere

schädigt. .leder, der in unserem System Lebensansprüche zu verwirklichen versucht, scheint Komplize zu sein. An dieser Problematik ändert sich auch nichts, wenn man den Begriff der Komplizenschaft nur für Aufschlüsselung psychischer Konflikte verwenden will.

-1^0-

Wenn das Prinzip der Komplizenschaft

bzw. das der Selbstfeindschaft,

also die Beteillgung an der eigenen Unterdrückung und der Unterdrückung anderer, weder eine normative Funktion gewinnen noch sich in abstrakte theoretische

Winkelzüge

verflüchtigen

soll,

kann

es

nur

als

auf

bestimmte konkrete Fälle bezogenes einzeltheoretisches Konzept gewertet werden. Nur aus der Brklärung bestimmter Fälle bezieht es seine überzeugungskraft

und

wird

als

Ursprung

unbewußter

Prozesse

plausibel^.

Zugleich muß man hierbei beachten, daß das kritisch-psychologische Konfliktmodell mit seinen Komponenten der Selbstfelndschaft und des Unbewußten aus der Reinterpretation der psychoanalytischen Neurosentheorie stammt. Dieser spezifische Theorie- und, darüber vermittelt, Bmpiriebezug muß präsent bleiben und darf nicht im Allgemeinen aufgelöst werden.

Wir können also festhalten, daß die Vorstellung, das kritisch-psychologische Konfliktmodell bilde den zentralen Konflikt unter bürgerlichen Lebensverhältnissen

ab,

nur

hypothetischen

charakter

haben

kann.

Universal isiert man dieses Nodell als Konfliktmodell des Nenschen in der bürgerlichen Gesellschaft schlechthin und stellt es etwa dem ebenfalls mit

Allgemeinheitsanspruch

auftretenden

psychoanalytischen

Konflikt-

modell entgegengen, projiziert man zum Teil obsolete Konflikt best immungen a priori in die Probleme konkreter lndividuen hinein. Dann kann man eben nicht mehr untersuchen, wo Probleme durch die gesellschaftliche Format ionsspezifik bestimmt sind und wo nicht. Da die Konstrukte der Selbstfeindschaft, Schnittstelle

der Komplizenschaft

zwischen

Begründungs-

und

und

des Unbewußten quasi

Funktionsanalyse

die

darstellen

(vgl. Kapitel 1.5.3), gilt die hier aufgewiesene Problematik auch für

l ln diesem Zusammenhang wird das allgemeine Problem deutlich, daß durch die Substantivierung prozeßbezogener Brklärungen der konkrete Kontext, in dem eine Brklärung steht, sich verflüchtigt: wenn beispielsweise der Aufweis selbstschädigender Nomente in einer bestimmten Handlungsweise im Begriff der Selbstfeindschaft sozusagen abgelegt wird, impliziert diese Kategorialisierung eine Dekontextualisierung der konkreten Brklärung.

-l^l-

die gesamte kategoriale Funktionsanalyse

("Deuten-Begreifen", "innerer

Zwang-Notivation" etc.). So werden beispielsweise in die Darstellung des übergangs vom Deuten zum Begreifen mit der Binführung des Konstrukts der "existentiellen Betroffenheit" als Voraussetzung begreifenden Brkennens nicht mehr haltbare traditionell-marxistische Vorstellungen vom Proletariat als dem - aufgrund seiner objektiven Stellung im Produktionsprozeß - höherwertigen Brkenntnissubjekt in die psychologischen Begrliie projiziert, womit zugleich die an anderen ökonomischen Positionen befindlichen reflexiven Subjekte

von vorneherein von der Denkweise des Begreifens ausgrenzt

werden. Die gesamte Stringenz, mit der die Konstrukte der Selbstfelndschaft, der Kompllzenschaft oder des Unbewußten entwickele werden, wirkt vor dem Hintergrund nicht hinreichend differenzierter gesellschaftstheoretischer Voraussetzungen oftmals mehr konstruiert als rekonstruiert, getragen von dem in der Grundlegung unternommenen Versuch, Binzelerkenntnisse

der

Kritischen Psychologie in einen systematischen Zusammenhang zu bringen (siehe l983, S.19f). Dieser Versuch muß aber, da er die Vielschichtigkeit der Lebenswirkllchkeit innerhalb von Gesellschaften, deren ökonomie kapitalistisch organisiert ist, nicht differenziert genug zur Kenntnis nimmt, als unvollständig und in gewisser Weise als formalistisch angesehen werden. Wir müssen uns fragen, ob hier die zentrale Frage nach der subjektiven Funktionalität unserer Gesellschaft, also die Frage, warum sich Nenschen aktiv an der Brhaltung dieser Gesellschaft betelllgen und welche Widersprüche sie damit eingehen, hinreichend geklärt wurde. Bin gewisser Formalrigorismus wird besonders an dem hypothetischen Konstrukt des Sich-selbst-bewußt-nicht-schaden-Könnens als dem sogenannten "einzigen materialen Apriori" der Kritischen Psychologie (siehe Holzkamp l983, S.350) und dem Konstrukt des sich darauf gründenden Unbewußten deutlich. Tatsächlich sind doch beispielsweise die alltäglichen Betelligungen an der ökologischen Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen und damit

die Disfunktional ität eines solchen Verhaltens dem

lndividuum

durchaus bewußt; man nimmt solche Zerstörungen lethargisch und resigniert einfach in Kauf, obwohl man dazu aufgrund einer not-wendigen und

-l^2-

deshalb höherwertlgen Funktional ltät nicht gezwungen wäre und man sogar ernsthaft unter dem Bewußtsein der sich anbahnenden Umweltkatastrophe leidet. lm postmodernen Schwebezustand kann selbstschädigendes Verhalten erkannt werden, und man kann trotzdem damit leben, ohne daß eine Dynamik zu dessen Veränderung erzeugt wird. Auf der anderen Seite gibt es in entwickelten Gesellschaften keinen universeilen Wirkungszusammenhang zwischen dem sich Anpassen an bestehende Strukturen und dem Sich-selbst-Schaden.

ln bestlmmten Situationen mag

ein solcher vorliegen, in anderen nicht. Holzkamp versucht diesen Zusammenhang durch die Verwendung von Begriffen wie "Bedrohung", "Ausbeutung",

"Klasse",

"Herrschende"

oder "Nachtverhältnisse"

stringent zu

machen. Solche Begriffe vermitteln sich jedoch nicht mehr empirischanschaulich, sie haben ihren Vorbegriffscharakter als lnbegrlff theoretischen

Alltagswissens

verloren

und

müßten

zumindest

durch

weitere

Bestimmungen vermittelt werden. Wir finden aber in der Grundlegung nur diese

traditionellen

Leitbegriife

von

Nacht

und

Unterdrückung.

Die

Kategorialanalyse arbeitet an diesen Stellen mit nicht hinreichend konkretisierten und explizierten gesellschaftstheoretischen Begrifien. Der

der

kategorialen

Bestimmung

des

unbewußten

zugrundeliegende

Sachverhalt der Selbstfelndschaft hat genau jene zwei Prämissen: erstens schadet sich - gemäß der subjektiven Funktionalität

jeglicher Hand-

lungsbegründung - keiner bewußt selbst. Zweitens schadet man sich in kapitallstlschen Gesellschaften objektiv durch die übernahme immanenter gesellschaftllcher

Zielkonstellationen

selbst.

Der darin beschlossene

Widerspruch müsse, so Holzkamp, aufgrund der ersten Prämisse unbewußt gehalten werden;

in diesem formationsbestimmten Widerspruch liege der

Ursprung des dynamischen Unbewußten. Beide Prämissen scheinen mir aber nicht universell zu sein: erstens sind Bedrohungen durch sanktionierende lnstanzen, worauf bereits hingewiesen wurde, nicht unmittelbar existenzbedrohend. Bs gibt soziale und rechtliche Sicherungen persönllcher Frelheiten und damit eine Begrenzung der Nacht der Herrschenden. Damit ist der Bereich des Bewußten-Verhaltens-Zu historisch erweitert worden. Und das bedeutet, daß zweitens viele Nenschen unter diesen Voraussetzungen bewußt mit Widersprüchen leben können bzw. müssen und auch bewußt daran leiden. Dies ist einfach auch ein

-l^3-

Nerkmal einer aufgeklärten lnformationsgesellschaft. Damit können Nenschen auf neue Weise über Widersprüche nachdenken, ohne daß dies existentiell notwendig wäre, und sie können unter derselben Prämisse auch etwas dagegen tun. Zudem sind diese Widersprüche keinesfalls komplementär, auf elner Bbene, analysierbar, sondern komplex und vielfältig ineinander verschränkt. Durch das Lösen von Widersprüchen auf einer Bbene werden auf anderen Bbenen zum Teil neue gesetzt. So kann ein sozialer Fortschritt sich als ökologischer Rückschritt, der wiederum den sozialen Fortschritt in Frage stellt, erweisen.

2.12

Denkanalyse im Produktionsparadigma

Das (in Kapitel 1.3) dargelegte, mit dem allgemeinen Begriff der Handlungsfähigkeit erreichte Niveau der überwindung eines - aus der Perspektive der empirischen Subjektivität betrachtet - vereinfachenden Produktionsparadigmas setzt Holzkamp in seinen funktionalen Analysen nicht konsequent genug um. Diese beruhen auf einer weitgehend ökonomischen Handlungsstrukturanalyse, die meines Brachtens nur für das kooperativgesellschaftllche Niveau hinreichend ist. Funktionale Aspekte von Handlungen im Kontext privater Bedürfnisse, die sich auf der Stufe der gesamtgesellschaftllchen

Vermitteltheit

individueller

Bxistenz

jenseits

gesamtgesellschaftlicher Reproduktionsnotwendigkeiten konstituieren und deren psychische Strukturen aufzuklären wäre, fallen so aus dem Analyseraster heraus. Die psychologische Analyse läuft hier Gefahr, in einem traditionellen Produkt ions- Reproduktions- Schema zu verharren; Bedeutungsstrukturen werden als lnbegriff gesamtgesellschaitl icher Handlungsnotwendigkeiten ausschlleßlich in den Kontext des gesellschaftlichen Produktions-/Reproduktionsprozesses gestellt und damit auch die individuellen Handlungen. Bedeutungen treten so nur als individuumsbezogene Bezugsinstanzen des gesamtgesellschaftllchen Reproduktionszusammenhangs in Brscheinung. Der reproduktionsbezogene charakter individueller Handlungen, der mit der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz gerade in den Hintergrund tritt, wird so verabsolutlert. Der Begriff der individuellen Reproduktion taugt meines Brachtens aber allenfalls als kritischer Begriff, der auf kapitalistische Fremdbestimmung verweist. lm subjektwissenschaftlichen Kontext hat er keinen legitimen Platz; vom Standpunkt des Subjekts kann man nicht sinnvoll von Reproduktion sprechen. lch reproduziere mich nicht, sondern ich lebe, indem ich mich entwickle, lerne, arbeite, genieße oder leide. Durch die Konzentration auf den Begriff der Reproduktion wird die von Holzkamp benannte Dimension der Entfaltung der individuellen Bxistenz durch Umsetzung gesamtgesellschaftlich verflochtener Bedeutungen psychologisch nicht hinreichend aufgeklärt.

-145-

So entwickelt Holzkamp zunächst (vgl. 1983, Kap. 7. 2) funktional-historisch, durch Aufweis ihrer im weiten Sinne ökonomischen Nomente, die funktionale Struktur menschlicher Handlungen, die eine adäquate Beteiligung an der in der Unmittelbarkeit sich vollziehenden kooperativ-gesellschaftllchen Lebenserhaltung ermöglicht. Dazu gehören die individuelle Beteiligung an der gesellschaftllchen Naturaneignung und die Beteillgung an der Nutzung der produzierten Güter. Die funktionale Struktur menschlicher Handlungen

(in kognitiver, emotionaler und motivationaler Hin-

sicht) wird also vorrangig im Zusammenhang der Schaffung und Brhaltung von kooperativ-gesellschaftlichen Lebensbedingungen aufgeklärt. lm Kontext der funktional-historischen Ableltung der gesellschaftlichen Natur ist dies zwingend. Dieser Aspekt tritt aber gerade mit der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit

individueller Bxistenz zurück: der ökono-

mische Handlungszusammenhang wird zunehmend materialisiert, aus dem Bereich individueller Handlungsnotwendigkeiten an verselbständigte technische und organisatorische Systeme delegiert. Damit sind die materiel l-ökonomischen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Nensch objektiv in ein - wie Holzkamp in seinem nächsten Argumentationsschritt hervorhebt - "problematische^ Verhältnis zu den Teilzusammenhängen des gesamten Handlungszusammenhangs gestellt wlrd (siehe l983, Kap. 7. 3). Aufgrund der gesellschaftlich vermittelten prinzipiellen Gesichertheit der individuellen Bxistenz könne der dargelegte psychische Handlungszusammenhang selektiv angeeignet werden. Damit bereitet Holzkamp die Brklärung vereinseitigter psychischer Funktionen dungszusammenhang

spezifisch reduzierter

Handlungsfähigkeit

des Deutens als Denkform restrlktiver Handlungsfähigkeit,

im Begrünvor

(etwa

in dem die

Teilzusammenhänge isoliert angeeignet und verabsolutiert werden). Dabei wird jedoch nicht dem Umstand hinreichend Rechnung getragen, daß sich das lndividuum nicht nur zum gesellschaftlichen Produktions-/Reproduktionszusammenhang in einem problematischen Verhältnis befindet, sondern zu allen menschlich-gesellschaft lichen Bedeutungsaspekten dieser Welt. Nach dem Dominanzwechsel werden nun aber menschliche Handlungsfähigkeit und der Handlungszusammenhang, in den sie eingebettet ist, von Holzkamp in der früher dargestellten Weise weitgehend politisch charakterisiert im Sinne des Strebens nach der Beteiligung des Binzelnen an der gesell-

-l46-

schaftlichen

Gestaltung

und

Kontrolle

der eigenen

Lebensbedingungen.

Diese Frage ist von hoher Relevanz für die Psychologie. Auf der Bbene der psychischen Funktionen wird sie aber ausschließlich mit Differenzierungen eines - wie eben dargelegt - aus dem Bereich der unmittelbaren Produktion/Reproduktion

stammenden

begrifflichen

lnstrumentariums

zu

beantworten versucht. Die aus der kooperativ-gesellschaftlichen Lebensgewinnung funktionale

stammenden

funktionalen

Bestimmungen

Bestimmungen

politischer

werden

Beziehungen des

nämlich

als

lndividuums zur

Gesamtgesellschaft verwendet. Die funktional-historische Bestimmung der gesellschaftlichen

Natur

des Nenschen

liefert

in diesem politischen

Zusammenhang nur der Begriff des Bedarfs nach ^mweitkontroiie, dessen Quallfizierungen unter den Bedingungen der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz differenzierter zu analysieren wären; die eigenständige politische Dimension menschlicher Handlungen bleibt unter funktionalem Gesichtspunkt unscharf. Neines Brachtens kann man nicht den ökonomischen Handlungszusammenhang und den politisch/ ideologischen Handlungszusammenhang

in der Weise miteinander

daß man allein die aus Produktions-

und

indent ifizieren,

Reproduktionsnotwendigkeiten

stammenden Bezüge auf das Gesamtsystem für den politisch/ideologischen Aspekt menschlicher Handlungen nimmt. Vor diesem Hintergrund wird deutllch, daß die von Holzkamp dargelegten funktionalen Verkürzungen und Binseitigkeiten im Begründungszusammenhang restriktiver Handlungsfähigkeit nicht unbedingt etwas mit der individuellen Abbildbarkeit des ökonomischen Handlungszusammenhangs (mit seinen Teilzusammenhängen) zu tun haben müssen, wie dies im Konzept des Deutens angenommen wird. Die in den Teilzusammenhängen angesprochenen lnterdependenzen einer arbeitsteiligen Gesellschaft sind meines Brachtens weitgehend bewußtseinsbestimmend, sie stehen im Zusammenhang mit dem allgeimeinen Wissensstand in einer Gesellschaft. Viele qualifizierte abhängig Beschäftigte etwa nehmen bewußt Binfluß auf den ökonomischen Handlungszusammenhang mit all selnen lnstanzen, sind sich zumindest des Stellenwerts ihrer Tätigkeit in ihm bewußt (siehe Untersuchung des "Projekts Automation und Qualifikation"); gleichzeitig sind diese Personen von der Bestimmung der politischen Bedingungen ausgeschlossen, und auf dieser Bbene stellt sich dann erst die Frage nach Widerstand oder Anpas-

-147-

sung. Hier zeigt sich die Differenzierungsbedürftigkeit der Aussage, daß in deutendem Denken die Nöglichkeiten des überschreitens der unmittelbaren Lebenslage in Richtung auf die Bestimmungen des übergreifenden gesellschaftlichen Zusammenhangs nicht realisiert bzw. verdrängt sind. Auch wenn das Konzept des Deutens keine Aussagen über lndividuen, sondern Denkweisen charakterisiert, die in bestimmten kritlschen Situationen als subjektiv funktional angeeignet werden, so bleibt doch das Problem, daß unter Umständen auch bei defensiven und affirmativen Lebensformen der Stellenwert je meiner jeweillgen Handlung im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang durchaus adäquat abgebildet werden muß, weil der einzelne schlicht und einfach über ein gewisses Naß an Reflexionsfähigkeit verfügt, das er nicht außer Kraft setzen kann. Auf der anderen Seite bleiben durch die Fixierung der Denkanalyse auf den ökonomischen Handlungszusammenhang selektive und von daher problematische Denkformen jenseits dieses Zusammenhangs ohne logisch-historischen Unterbau. Die hier aufgezeigten Binseitigkeiten kritlsch-psychologischer Kategorialdifferenzierung sind nicht zuletzt Ausdruck eines gesellschaftstheoretisch noch nicht hinreichend reflektierten Zusammenhangs zwischen Politik und ökonomie, was in der Kritischen Psychologie zu einem Schwanken zwischen beiden Polen führt. Aufgrund unseres früheren relativ undifferenzierten

Staatsverständnisses

wurde

in

der

Kritischen

Psychologie

nicht konkret der Frage nach dem gesellschaftllch entwickelten Verhältnis von Politik und ökonomie nachgegangen. Stattdessen verharrten wir Kritischen Psychologen in dieser Frage zu lange in einem traditionellen Basis-überbau-Schema, dessen Adäquatheit für komplexe Gesellschaften, in denen polltische Regulationen über die Stabilisierung der Kapitalherrschaft hinausgehen und gesamtgesellschaftlich wie subjektiv notwendig erscheinen, in Zweifel zu ziehen ist.

-l48-

2.l3

Historisierung und Neubestimmung des Konzepts

restriktiver Handlungsfähigkeit in der Folge des Zusammenbruchs des Realsozialismus In einer neueren Arbeit,

in der Holzkamp klärend den charakter des

Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit darzustellen versucht,

betont

Holzkamp

selbst

den

historisch-relativen

charakter

dieses Konzepts. Br ist aber der überzeugung, daß die subjektwissenschaftliche Anwendung im Hier und jetzt qua Analyse je meiner lage- und positionsspezifischen strukturen

bereits

Ausschnitte

die

der

Herstellung

gesellschaftlichen

eines

Bedeutungs-

"konte^orärgeschichtiichen

Zusammenhangs" (l990b, S.4l) bedeutet und so der Bezug auf das "Widerspruchs- und Bedrohungspotential"

(ebd. ) unserer bürgerlichen Lebens-

verhältnisse gewährleistet wird. So wichtig diese Brkenntnis auch ist und soweit sie den hier geäußerten Bedenken entgegenkommt, so setzt sie doch in gewisser Weise an der oberfläche an, denn sie stellt die bereits in die Begriffe restriktive und verallgemeinerte Handlungsfähigkeit eingegangenen gesellschaftstheoretischen

Grundlagen nicht zur Diskussion.

Diese selbst werden keiner kontemporärgeschichtlichen überprüfung unterzogen, sondern als Voraussetzung einer solchen angesehen. Holzkamp deutet die Notwendigkeit einer solchen überprüfung aber an, wenn er - im Sinne der hier vertretenen Auffassung - selbstkritisch einräumt,

daß

die

Kritische

Psychologie

"bisher

solche

kontemporärge-

schichtlichen Differenzierungen im Hinblick auf deren Konsequenzen für die jeweils nähere Bestimmung unserer subjektwissenschaftlichen Grundbegriffiichkeit nicht systematisch analysiert" (a.a.o., S.4lf) habe. Damit bezieht er meines Brachtens die hier vertretene Position, ohne aber weitere Konsequenzen zu ziehen. lch habe oben nachzuweisen versucht, daß dieser Schritt nur in Brweiterung der gesellschaftstheoretischen Basis der kritisch-psychologischen Forschung vollziehbar ist. Dies impliziert die Forderung nach einer i)ekategoriaiisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit im Sinne des Verzichts auf dieses Konzepts als Grundkategorie,

worauf

ich

im

nächsten

Kapitel

näher

eingehen

werde.

Allgemein halte ich es nicht für ratsam, an der Grundbegrifflichkeit

-1^9-

konkretisierend "herumzufeilen" und diese damit gesellschaftstheoretisch zu überfrachten. Neines Brachtens bedarf es auf der kategorialen Grundlage des allgemeinen vermittlungsanalytischen

Nodells der

Kritischen

Psychologie weiterer psychologisch und gesellschaftstheoretlsch ausgearbeiteter, kontemporärgeschichtlich-aktualempirischer Begriifsbildungen und Zusammenhangsaussagen, wobei der Status solcher einzeltheoretischer Begriffsbildungen näher bestimmt werden muß (s.u.). Holzkamp räumt in dem erwähnten Artikel, der nach dem Zerfall der DDR erschien, sogar die Nöglichkeit ein, daß es im Hier und jetzt unterschiedliche Bestimmungen je meiner Bedeutungs-Begründungsstrukturen jenseits der

Strukturalternative

fähigkeit gibt

verallgemeinerte/restriktive

(a.a.o., S.42).

Handlungs-

ln dlesem Zugeständnis kristallisiert

sich - und dies werde ich im nächsten Kapitel zu untermauern versuchen die allgemeine vermittlungsanalytische Begrifflichkeit als verbindliche und

einheitsstiftende

Grundlage

der

Kritischen

Psychologie

heraus.

Holzkamp stellt also selbst die Universalität des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als Grundkategorie zur Disposition. Br räumt ein, daß der

in diesem Konzept theoretisierte Zusammenhang möglicherweise nur

peripher

ist. Und er geht noch einen Schritt

weiter,

indem er die

Veränderlichkeit der Grundbefindlichkeiten im historischen Kontext und damit

die

Nöglichkeit

des

restriktiver Handlungsfähigkeit

historischen konstatiert.

^eraiiens

des

Konzepts

Spätestens jetzt sollten

wir im Hinblick auf dieses Konzept den kategorialen Anspruch - im Sinne der Begründung der identitätsstiftenden Grundbegriffllchkeit der Kritischen Psychologie - aufgeben.

ln bezug auf seine Analyse dessen, was

restriktive und verallgemeinerte Handlungsfähigkeit unter den Bedingungen des Realsozial lsmus waren, gesteht dies Holzkamp - aus der NachWende-Perspektive - unumwunden ein: aus der heutigen Sicht sei vieles "schief und überholt" gewesen. Von diesem Brkenntnisniveau ist es aber nicht mehr weit, diese Problematik auch für die bundesrepublikanische Gesellschaft einzuräumen. ln einem solchen selbstkritischen Kontext wird aber auch zuglelch die enorme Qualität des allgemeinen vermittlungsanalytischen

Ansatzes der

Kritischen Psychologie deutlich, aus dem die stete Notwendigkeit resultiert, den konkreten historischen Bntwicklungsprozeß nicht in Grundbe-

-l50-

griffen zu fixieren, sondern seine Dynamik in die einzeltheoretische Analyse einfließen zu lassen. Dieser Artikel stellt in gewisser Weise ein Sich-Selbst-Befreien aus einem kategorialen Käfig, ein Zurückfinden zu dem gesellschaftshistorischen Forschungs- und Brkenntnisinteresse der Kritischen Psychologie dar, das durch das Kategorialkonzept restriktiveverallgemeinerte Handlungsfähigkeit in gewisser Weise blockiert war. Der von der Kritischen Psychologie grundsätzlich eröffnete Brkenntnisfortschritt besteht in der öffnung der psychologischen Theorienbildung gegenüber dem historischen Prozeß in all seinen für das Subjekt relevanten Aspekten. lnsofern verbietet es sich geradezu, auf kategorialer Ebene, das heißt

in

den

Grundbegriffen,

gesellschaftlich-historische

Fest-

schrei bungen zu vollziehen. Nan kann die hier bisher angestellten Reflexionen in folgender Weise verallgemeinern und entsprechende methodische Kriterien formulieren: Dem Begriffspaar restriktive versus verallgemeinerte Handlungsfähigkeit liegt als Tiefenstruktur eine in gewisser Weise abstrakte und bisweilen unhistorisch wirkende Vorstellung von Kapitalismus und seiner dialektischen Negation im Sozialismus und damit eine mangelnde orientierung über "unsere" Lebensbedingungen zugrunde. Um aber eine konkrete handlungsrelevante

Perspektive der Verfügungs-

erweiterung jenseits unhistorischer und abstrakter Setzungen entwickeln zu können, müssen wir unser Wissen über die Bntwicklungen und Tendenzen des Kapitalismus erweitern. ln der inhaltlichen Analyse der Formen und Gestzmäßigkeiten, der Risiken sowie der Nöglichkeiten der entwickelten Formen des Kapitalismus muß die Narxsche kritische Theorie der bürgerlichen Gesellschaft fortgeschrieben werden, um als umfassender Bezugspunkt

der psychologischen

Differenzierung

von Begründungsmustern

und

Funktionsaspekten dienen zu können. ohne eingehende Beschäftigung mit den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften fehlt der Kritischen Psychologie die notwendige historische Brkenntnisgrundlage. Dleser Umstand ist mitveranwortllch für die analytlsche Grobkörnigkeit des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit. Vor dem Hintergrund der realen historischen Bntwicklung kapitalistischer Gesellschaften müssen wir deutllcher die allgemeine Abstraktheit der

-151-

bisher in der Kritischen Psychologie herausgehobenen Formationscharakteristika, die als Leitgesichtspunkte der im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit verdichteten Kategorialanalyse dienen, herausstellen. Damit würden auch Nängel des in diesem Konzept gewonnenen Grades an Konkretheit deutlich. Bs stellt sich die Frage, ob die Analyse psychischer Brscheinungsformen mit dem bipolaren lnterpretationsmuster restriktiveverallgemelnerte Handlungsfähigkeit wirkllch die Dimensionalltät menschl icher

Handlungsbegründungen

schaften

mit

ihren

formen,

ihren

in entwickelten

veränderten

Risikopotentialen

kapitalistischen

Vergesellschaftung^ sowie

ihren

Gesell-

und

Beziehungs-

veränderten

politischen

Strukturen abbilden kann. Wir müssen uns künftig der Aufgabe stellen, zumindest mit marxistischen Kategorien die wesentlichen Veränderungen der kapitalistischen Gesellschaftsformation

und

diese

zur

Resultate

ihrer

politlschen

Aufschlleßung

Strukturen

typischer

zu

erarbeiten

und

Bedeutungs-Begründungs-

zusammenhänge zu nutzen. ln diesem Zusammenhang wäre das Wechselverhältnis zwischen neuen Akkumulationsstrategien und den korrespondierenden hegemonialen

Strukturen

sowie

deren

wechselseitige

Reorganisation

zu

rekonstruieren. Bs wäre zu fragen, welche Auswirkungen die Bntstehung und zunehmende Durchkapitalisierung des Freizeitbereichs und die damit verbundene grundsätzliche Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der abhängig Beschäftigten sowie die staatllche Regulierung der Reproduktion der Arbeitskraft Sicherungssysteme

durch tarifrechtllche

für die theoretische

Regelungen und soziale

Ausdifierenzierung

von Begrün-

dungsmustern haben. Die gleiche Fragestellung gilt auch für schichtübergreifende ökologische Bedrohungen, zu deren überwindung keiner Klasse eine historische

Nission zuzuordnen

ist.

ln diesem Kapitel

sind nur

einige Aspekte kapitallstischer Brneuerung fragend in den Raum gestellt worden, die je nach konkreter Problemstellung zu überprüfen und zu erweitern wären.

Nur über eine differenziertere Bedingungsanalyse können wir unseren eigenen Anspruch der Aufklärung psychischer Befindlichkeiten im Kontext der Analyse von Bedeutungs-Begründungszusammenhängen theoretisch umsetzen und damit dem historischen Paradigma der Kritischen Psychologie gerecht werden.

-152-

In polltlscher Hinsicht, das heißt ln der wissenschaftlichen Annäherung an die Fragen, was die zentralen gesellschaftlichen Probleme Subjekte im Hier und .letzt sind, welche Dynamik sie entwickeln sie in ihrer Bewegung überwindbar sind, sind wir als Kritische logen zu ungenau geblieben. ln seiner kategorialen Ableitung

für die und wie Psychoist das

Konzept der verallgemelnerten Handlungsfähigkeit einem traditionellen (produktivistischen) Fortschrittsoptimismus verhaftet und setzt auf die revolutionäre Bnergie der Arbeiterklasse: "Die einzige gesellschaftliche Kraft, die mit der ^Reifem des Kapital lsmus immer mehr ^auf der Höhe^ der gesamtgesellschaftlichen Bntwicklung ist, ist das klassenbewußte Proletariat, das mit seinen Verbündeten im organisierten Kampf für die Transformation steht" bleiben

des

Kapitallsmus

(Holzkamp-osterkamp die

zunächst

in

eine

1975, S.316).

soziallstische

Gesellschaft

ln einer solchen Auffassung

gesellschafstheoretisch/bedeutungsanalytisch

zu

erarbeitenden inhaltllchen Bezugspunkte menschlicher Handlungsfähigkeit und Befindlichkeit unbestimmt. Solche Auffassungen lassen elne hinreichende kontemporärgeschichtllche Senslbilität vermissen. Wir müssen deshalb erneut (wie in der Konsitutionsphase der Kritischen Psychologle) auf wissenschaftlichem Niveau in politische Diskussionen eintreten und unser gesellschaftstheoretisches Profil weiterentwickeln, um differenziertere psychologische Begriffe und Theorien für unsere Zeit produzieren zu können. Wir dürfen aktuelle polltische Stömungen (etwa den Neokonservatismus Wachstumskritik)

nicht

oder die nur

zum

im alternativen Gegenstand

Spektrum

unserer

formullerte

Analysen

machen,

sondern müssen von ihnen etwas über unsere Gesellschaft lernen wollen und dies in unsere erweiterten psychologischen Bestimmungen einfließen lassen. Nur so können wir zu befriedigenden Klärungen der Frage nach den Determinanten von Handlungsfähigkeit unter unseren konkret-historischen Bedingungen gelangen und den Betroffenen

wirkllche orientierung und

Reflexionsfähigkeit vermitteln. Die Alternative zum Bintritt in aktuelle soziologische

Diskussionen,

in

denen

sich

reale

gesellschaftliche

Bntwicklung widerspiegelt, ist Statik und Ahistorizltät. Dabei muß man sich meines Brachtens jedoch davor hüten - selbst wenn man davon ausgehen kann, gesellschaftstheoretisch auf dem Stand der Zeit zu sein und diesen Stand in die konkrete Bestimmung von Handlungsfähigkeit

-153-

aufgenommen zu haben -, konkrete gesellschaftstheoretische Erkenntnisse in den

psychologischen

Grundbegriffen

verankern

zu

wollen.

lm hier

diskutierten Kontext geht es nämlich allein um Konflikte zwischen den in der

Grundbegrifflichkeit

abgebildeten

allgemeinen

menschllchen

An-

sprüchen und der konkret-historischen Wirklichkeit; man muß also die Bbene der Analyse der konkreten Reallslerungsbedingungen von der Bbene der

allgemelnen

Grundbegriffe,

das heißt

von den

menschlich-gesell-

schaftlichen Potenzen, unterscheiden. Bs

wird

deshalb

allgemeinen

künftig

darum

gehen,

vermittlungsanalytischen

sich

auf

der

lnstrumentariums

Grundlage der

des

Kritischen

Psychologie gegenüber aktuellen gesellschaftstheoretischen Brkenntnissen zu öffnen und damit zu einzeltheoretischen Differenzierungen im Hinblick auf

Bedeutungs-Begründungs-Funktionszusammenhänge

zu

gelangen.

Dabei

können diese Differenzierungen keinen grundbegriifllchen Status, sondern allein hypothetisch-theoretischen Anspruch erheben (s.u.). Zur Vorbereitung des nächsten Kapitels möchte ich nun thesenhaft eine Definition

des

Konzepts

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungs-

fähigkeit vorgeben: Restriktive-verallgemeinerte Handlungsfähigkeit ist ein

aktualempiriebezogenes

einzeltheoretisches

Konzept,

das aus der

Vielfalt der sich im Hier und .letzt ergebenden subjektwissenschaftlichvermittlungsanalytischen Fragestellungen auf Fragen des subjektiv begründeten Umgangs mit traditionellen

kapitalistischen

Nachtstrukturen

hypothetisch-einzeltheoretische Antworten gibt im Hinblick auf subjektiv belastende psychische Brscheinungsformen und deren überwindung. Die in diesem Konzept vorgelegten theoretischen Zusammenhangsannahmen sind jeweils konkret auf ihre analytische Kraft bei der je individuellen Aufklärung der sich in der unmittelbar gegebenen empirischen Subjektivität manifestierenden Bedeutungs-Begründungszusammenhänge dabei gegebenenfalls zu modifizieren.

zu ^berpr^fen und

-l54-

Kapitel

Der einzel theoretische Charakter des Konzepts

restriktiver-verallgen^einerter

Handlungsfähigkeit

3. 1 Binleitung

Der universale Ansatz einer kategorialen Grundlegung der Psychologie muß meines Brachtens konsequent in der Bntwicklung eines formten Verfahrens psychologischer Resultate

der

Binzelfallanalyse Anwendung

münden.

eines solchen

Wenn

mögliche

Verfahrens

als

inhaltliche Grundbegriffe

ausgegeben werden und damit in das Verfahren selbst aufgenommen werden, führt dies zu einer Zirkularität, die das Risiko von Fehlanalysen und Binseitigkeiten

in

sich

birgt.

Um

diesen

Risiken

entgegenzuwirken,

plädiere ich für eine Abkoppelung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit

von dem allgemeinen subjektwissenschaft-

llch-vermittlungsanalytischen Ansatz der Kritischen Psychologie, wobei ich mich der Holzkampschen Unterscheidung von kategorialer und einzeltheoretischer Bbene bedienen kann. Wenn das Konzept restriktiver-verallgemeinerer Handlungsfähigkeit von der Bbene der logisch-historischen Ableitung der Grundbegriffe systematisch auf die Bbene der einzeltheoretischen ^urchfuhrung des vermittlungsanalytischen Verfahrens mittels dieser Grundbegriffe verlegt wird, blelbt mit dem allgemeinen vermittlungsanalytischen Paradigma der Kritischen Psychologie jenes formale Verfahren, das allein unserem universalen Grundlegungsanspruch gerecht wird. Die im vorherigen Kapitel aufgestellte Forderung nach der Brweiterung der gesellschaftstheoretischen Grundlagen bezieht sich vor dem Hintergrund der in diesem Kapitel vorzunehmenden Diiierenzierungen im wesentlichen auf die einzeltheoretische Bbene. ln dem Naße, wie wir die einzeltheoretische Analyse menschlicher Handlungsfähigkeit und Befindlichkeit für kontemporärgeschichtliche Bntwicklungen gesellschaftstheoretisch öffnen, brauchen wir auf der Bbene der Grundbegriiie, also auf der Bbene des formalen Verfahrens, eine formationstheoretische "Globalisierung". Formationsspezifische Konkretisierungen laufen, wenn sie auf die

-155-

Bbene der Grundbegriffe zurückwirken, dem universalen Ansatz der Kritischen Psychologie zuwider. Sofern sich Handlungsfähigkeitsbestrebungen auf historisch veränderliche gesellschaftliche Bereiche beziehen, müssen die kategorialen Bestimmungen "gegenüber dem wirklichen Bntwicklungsgeschehen ^ abstrakt^ werden; dies heißt aber auch in neuer Größenordnung ^konkretisierungsbedürftig^ durch

einzeltheoretisch/aktualempirische

stimmten Brscheinungsformen menschlicher

Analysen

der

historisch

lndiviudualgeschichte"

be-

(Holz-

kamp l983, S.48l). Deshalb müssen "die kategorialen Bestimmungen, wenn nicht in ihnen aktualempirische Analysen unzulässig präjudiziert werden sollen, entscheidend globalisiert und zurückgenommen werden "(ebd.). Die allgemeinen Bestimmungen des psychischen Aspekts des gesellschaftlichen Grundverhältnisses

der

lndividuen sind

deshalb als bloße

Richtungs-

bestimmungen aufzufassen, die für die begriffliche Brfassung des psychischen Aspekts innerhalb konkret-historischer Ausprägungen des Grundverhältnisses

gesamtgesellschaftlicher

Vermitteltheit

individueller

Bxi-

stenz analytisch fruchtbar zu machen sind. Hier eröffnet sich ein von globalen Grundbegriffen einerseits und konkreten vorbegrifflich gegebenen

psychischen

Brscheinungsformen

andererseits

begrenztes

Unter-

suchungsfeld, das theoretisch und begrifflich ausgefüllt werden muß. Die Kategorien bilden dabei ein allgemeines Paradigma, im dem mögliche kategorial begründete Fragestellungen und Herangehensweisen

einzeltheore-

tisch-aktualempirischer Forschung gebildet bzw. bestimmt werden.

-156-

3.2

Der Stellenwert gesellschaftstheoretischer Brkenntnisse in der psychologischen Forschung

3.2.1

Zum Verhältnis von gesellschaftstheoretischer Bbene und der Bbene psychologischer Grundbegriife

Beim Aufweis gesellschaftstheoretischer Binseitigkeiten des Konzepts restriktiver-verallgemelnerter Handlungsfähigkeit sind wir auf ein grundsätzlicheres Problem gestoßen, dem ich im folgenden nachgehen will: Bs stellte sich die Frage, ob die von Holzkamp angestrebten formationsspezifischen Konkretisierungen kategoriale Konsequenzen zeitigen können in dem Sinne, daß die Narxsche Klassenanalyse in die Grundkategorien, mit denen der allgemelnste

Gegenstandsbezug

festgelegt

wird, aufgenommen

werden muß (vgl. Holzkamp l978c, S.254). Grundkategorien sollen allgemein anwendbar zur Abbildung aller denkbaren formationsspezifischen charakteristika des Psychischen sein. Sie sind somit gesellschaftstheoretischen und

Konkretisierungen logisch vorgeordnet

haben keinen solchen Binlassungen

nachgeordneten

charakter.

Die

Konkretisierung des psychischen Aspekts des menschlichen Grundverhältnisses der gesamtgesellschaftlichen

Vermitteltheit

individueller Bxi-

stenz auf die bürgerliche Formationsspezifik dürfte in der Psychologie konsequenterweise außschlleßllch Gegenstand der aktualempirisch-einzeltheoretischen Forschung sein. Von daher ist es problematisch, wenn in der

Ableltung

des

Konzepts

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungs-

fähigkeit genau anders herum verfahren wird und de facto Grundkategorien von einer abgeschlossenen formationsspeziflschen Analyse, die in mancher Hinsicht unsensibel gegenüber realen Veränderungen ist, abhängig gemacht werden.

Holzkamp hebt selbst in seiner Argumentation (siehe 1983, S.204) ausdrücklich die Unabhängigkeit der kritisch-psychologischen Kategorien von der gesellschaftstheoretisch analyslerten Formationsspeziiik hervor. Demnach wäre die konkrete inhaltliche Beschaffenheit der Vermitteltheit der individuellen psychischen Bxistenz nicht weiter logisch-historisch

-157-

zu entwickeln, sondern - wie Holzkamp selbst betont - von der gesellschaftstheoretisch aufzuweisenden Gesellschaftsspezifik abhängig. Zur Diskussion der Frage nach dem Verhältnis der gesellschaftstheoretischen und der kategorialen Bbene, die im Zusammenhang der Stellenwertbestimmung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit entscheidend ist, muß Holzkamps Bbenen-Nodell (siehe l983, S.27) herangezogen werden.

In diesem Nodell wird angenommen, daß man über dieselben gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen verfügen muß, um sinnvoll

Auseinander-

setzungen auf psychologisch-kategorialer Bbene führen zu können bzw. um überhaupt den Bedeutungsgehalt kritisch-psychologischer Kategorien nachvollziehen zu können. Dies trifft für allgemeinste Vorstellungen von gesellschaftlicher

Lebenserhaltung sicherlich zu: Von der allgemein-

gesellschaftstheoretischen Bbene gehen tatsächlich wichtige Anregungen und orientierungen für die psychologische Kategorialanalyse aus, weil sie die Bestimmung der lnstanzen des Nensch-Welt-Zusammenhangs überhaupt erst erlaubt und zu einem Verständnis der Gesellschaftlichkeit des Nenschen beiträgt. über eine solche allgemeine Bestimmung des Nensch-WeltZusammenhangs muß natürlich Konsens herrschen, da dieser schließlich psychologisch expliziert werden soll. Dieser

Konsens

schließt

aber

nicht

die

in bezug

auf

das Konzept

restriktiver Handlungsfähigkeit relevante "Kritik der politischen ökonomie" ein. Auf dieser Bbene ist die allgemeine psychologische Kategorienbildung bereits abgeschlossen. Hier beginnt meines Brachtens das weite Feld der einzei theoretischen Prozeßanaiysen. Bis zu diesem Punkt ist die kritisch-psychologische

Kategorialanalyse

nachvollziehbar und

plausibel, selbst wenn man die Narxsche Kapital ismusanalyse für den Aufweis von relevanten Bedeutungsstrukturen allein nlcht für hinreichend hält. Brst beim aktualempirischen Theoret isieren, wenn man in die Vermittlungsanalyse

zur

Aufschließung

bestimmter

Nöglichkeitsräume

wendig konkret-historische gesellschaftstheoretische

not-

Brkenntnisse ein-

flleßen lassen muß, kann es zu formationstheoretischen Kontroversen kommen, die dann tatsächlich zunächst auf gesellschaftstheoretischer Bbene geklärt werden müssen. Die psychologischen Grundkategorien bleiben davon aber unberührt ebenso wie der grundsätzliche chrakter der Kritischen

-158-

Psychologie als material lstischer Subjektwissenschaft. der

materialistische

Grundansatz

natürlich

eine

(Dabei schließt

offenheit

gegenüber

beliebigen gesellschaftstheoretischen Positionen aus.) ln bezug auf einen logisch vorgeordneten Konsens über die von Narx in der "Kritik der poltischen ökonomie" entwickelte

formationspezifische

Analyse lst Holzkamps Nodell also nur hinsichtllch der erweiterten Kategorialanalyse zutreffend, wobei dies aber in Widerspruch zu Holzkamps Ausführungen über die Unabhängigkeit der Kategorien von formationsspezifischen Brkenntnissen steht. Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit ist eindeutig von bestimmten formationstheoretischen Voraussetzungen abhängig. Damit erweist sich der im vorherigen Kapitel vertretene Ansatz als notwendig, zu überprüfen, ob es aufgrund abstrakter gesellschaftstheoretischer Grundlagen nicht zu einer reduktiven Konzipierung der Grundstruktur menschlicher BedeutungsBegründungszusammenhänge unter unseren Verhältnissen kommt. Bs besteht die Gefahr, daß einzeltheoretische Analysen aufgrund der Leitfunktion des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit unnötig eingeengt werden, weil einzeltheoretisch niemals Resultate auftreten können, die den dort fixierten gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen widersprechen. Neines Brachtens sollte man bei der Bntwicklung psychologischer Grundbegriffe nicht in ein Determinationsverhältnis zwischen formationsspezifischen

Brkenntnissen

und

kategorialen

Grundlagen

geraten,

das

die

begriffliche Differenzierungen unter Umständen von historischen Veränderungen abschneidet. Dies ist konzeptionell nur dadurch zu leisten, daß man

zwischen

gesellschaftstheoretischer

Bbene,

sofern

sie

sich

auf

historisch veränderliche Bestimmungen bezieht, und psychologisch-kategorialer Bbene kein hierarchisches Verhältnis zuläßt. Dazu ist auf gesellschaftstheoretischer Bbene zwischen allgemeinen und historisch veränderlichen Bestimmungen zu differenzieren (auch wenn das Allgemeine nur über das Besondere zugänglich ist, wie etwa die Narxsche Rekonstruktion der allgemeinen Kategorie der Arbeit im Kontext der konkret-historischen Analyse der bürgerlichen Gesellschaft zeigt). insofern

sind

bereits auf

der

Bbene

der grundbegrifflichen

Analyse

formationsspezifische überlegungen notwendig, allerdings nur soweit, wie es zur

Gewinnung

allgemeiner

Bestimmungen

angezeigt

ist.

So müssen

-159-

Nacht- und Herrschaftsverhältnisse in den psychologischen Grundbestimmungen berücksichtigt

werden;

ihre jeweiligen

formationsspezifischen

Ausprägungen als konkrete Nöglichkeiten und Behinderungen sind allerdings Gegenstand der aktualempirischen Bedeutungsanalyse. Bedeutungsanalysen bezogen auf die konkret-historischen Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft gehören also in die aktualempirische Theorienbildung und sind nicht Voraussetzung der Bildung von Grundkategorien. Dabei besteht nicht die Gefahr, daß man man mit der Verlagerung solcher formationsspezifischer Konkretisierungen auf die einzeltheoretische Bbene, Konkretisierungen dieser Art genausogut, weil kategorial nicht zugänglich, auch weglassen könnte: vielmehr öffnet die Grundkategorie der doppelten Nöglichkeit die aktualempirische Forschung für solche Konkretisierungen. Die Kategorie der doppelten Nöglichkeit steht also oberhalb der speziellen Strukturmomenete der bürgerlichen Gesellschaft; sie macht es aber methodologisch zwingend, die Bbene abstrakter Allgemeinheit zu verlassen. Allgemeine Bestimmungen dieser Art stellen mithin keine konkrete Realität dar, sondern sind begriffllche Voraussetzung und methodologische Leitlinien konkreter Brkenntnis; sie sind aber allgemeine Bestimmungen von bestimmten

konkreten Verhältnissen

und

nicht allgemeine

Bestimmungen an und für sich. Das heißt, konkrete Bntwicklungsstadien gesellschaftlicher Verhältnisse sind Voraussetzungen, um zu abstraktallgemeinen Bestimmungen zu kommen, zugleich wird in solchen Bestimmungen von ihrer konkret-historischen Brscheinungsform abstrahiert. Dies ist zu berücksichtigen, weil ansonsten die Gefahr gegeben ist, daß allgemeine gesellschaftliche Bestimmungen auf die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse herunterkonkretisiert werden. Daneben gibt es natürlich im wissenschaftsgeschichtlichen Sinne ein bestimmtes Determinierungsverhältnis zwischen gesellschaftstheoretischem Brkenntnisstand und dem jeweiligen Psychologieansatz. Dieses muß aber wissenschaftsgeschichtlich analysiert werden (siehe etwa Holzkamps Darstellung der Bntwicklung der Kritischen Psychologie; 1972d); für den Nachvollzug der gegenstandsbezogenen Analyse ist dieses Verhältnis nicht grundlegend.

-l60-

lnsgesamt blelbt es fraglich,

ob das Bbenen-Nodell

Holzkamps seinem

Anspruch gerecht wird, den Begr^ndungszusammenhang, aus dem die eigene Position erwächst, hinreichend rational faßbar zu machen, oder ob dieses Nodell die unterschiedlichen Ableitungsstrukturen von allgemeinen und formationsbezogenen kritisch-psychologischen Kategorien nicht eher verdeckt. Meines Brachtens entwickelt Holzkamp die allgemeinen kritischpsychologischen Kategorien unabhängig von Narx^ Kapitalismuskritik (er bezieht sich nur - teilweise kritisch - auf den dort entwickelten allgemeinen

Begriff

von

gesellschaftlicher

Produktion);

diese

Kategorien

sind, wie gesagt, auch ohne das "Kapital" nachvollziebar und kritisierbar. Beim Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit gibt es dagegen die im Bbenen-Nodell angesprochene Determination; dieses Konzept ist in seiner Ableitung nur nachvollziehbar, wenn man nicht nur die Narxsche Strukturanalyse teilt, sondern sie auch für das Wesentliche des gesellschaftlichen Ganzen und der individuellen Lebenswelt nimmt. Grundsätzlich scheint es mir nicht sinnvoll zu seln, auf der Bbene der Grundbegriffe ein solches Determinationsverhältnis zuzulassen; es macht nur

aktualempiriebezogen,

bei

konkreten

situational-personalen

Hand-

lungsanalysen Sinn. Bs ist problematisch, die inhaltliche Struktur jedes Bedeutungs-Begründungszusammenhangs samt seiner funktionalen Aspekte mit dem Kategorienpaar verallgemeinerte-restriktive Handlungsfähigkeit quasi fassen zu müssen, weil man dieses Begriffspaar als Grundkategorie bel der Aufklärung empirischer Befindllchkeiten unter bürgerlichen Verhältnissen begreift.

-l163-

3.2.2

Widersprüchliche Bestimmung des Konzepts restriktiver Hand-

lungsfähigkeit als konditionale Veranschaulichung einerseits und als zentrales analytisches lnstrument andererseits Vor dem Hintergrund der im vorherigen Teilkapitel aufgeworfenen Problematik ist Holzkamp nur zuzustimmen, wenn er ausführt, daß es in den grundbegriffllchen Analysen nur ganz allgemein um das - in der Kategorie der doppelten Nöglichkeit thematisierte - alle Formationen charakterisierende Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Nöglichkeiten und Bin-

schränkungen gehe. Nur zur veranschaulichung und Konkretisierung der Art und Weise kategorialer Vermittlungen werde die Narxsche Analyse einbezogen,

nur "um zu zeigen, wie man in dieser Hinsicht mit den Kategorien

zu arbeiten hat, nicht aber schon in der Durchführung von Analysen über formationsspezifische charakteristika des Psychischen unter bestimmten bürgerllchen Klassen- und Lebensverhältnissen" betont ausdrücklich

(l993, S.204). Holzkamp

(l983, S.367), daß er die kategorial-methodologi-

schen Voraussetzungen einer solchen form^tionsspezifischen Konkretisierung der Kategorien herausarbeiten und eine solche Konkretisierung an allgemeinen Strukturmerkmalen der bürgerlichen Gesellschaft

lediglich

veranschaulichen wolle. De facto würde dies bedeuten, daß die Narxsche "Kritik der politischen ökonomie"

für die gegenstandsbezogene

Ableitung der kritisch-psycho-

logischen Kategorien keinen konstitutiven

charakter

hat

und nur zu

abstrakt-exemplarischen Veranschaulichungszwecken herangezogen wird. Die Grundkategorien sollen - wie gesagt - die Analyse formationsspezifischer Konkretisierungen

des

Psychischen

ermöglichen,

sind

aber

nicht

ihr

Resultat. Solche Resultate gewinnen unter Umständen bei weiteren Untersuchungen eine analytische Funktion (s.u.). Holzkamps Auffassung, daß die Grundkategorien so zu entfalten sind, "daß in ihnen die Vermitteltheit der psychischen Aspekte der Lebenstätigkeit des lndividuums mit den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen in ihrer Formationsspezifik ... faßbar wird" (1983, S.204), ist also zweifelsohne zuzustlmmen. Gerade weil psychologische Begriffe sensibel für formationsspezifische Sachverhalte sein müssen, dürfen sie keine über allge-

-l162-

meine und alle Formationen charakterisierende Dimensionen von Herrschaft und Unterdrückung hinausgehende Bestimmungen enthalten, das heißt, die Formationsspezifik selbst darf nicht schon in den allgemeinen Begriffsbestimmungen erfaßt sein. Deshalb darf meines Brachtens elne psychologische Gegenstandsbestimmung auch keinen Verweis auf die Formationsspezifik enthalten (etwa: "das Psychische unter bürgerllchen Klassen- und Lebensverhältnissen"; a.a.o., S.264). Holzkamp hat nämlich recht, wenn er schreibt: "Wie diese Vermittelheit ... konkret ... beschaffen ist, dies hängt nicht von den individual wissenschaftlichen Kategorien, sondern von der gesellschaftstheoretisch ausgewiesenen Form^tionsspezifik a ^ (a.a.o., S.204). "Die individualwissenschaftllchen Kategorien sind, indem sie das formationsspezifische Verhältnis von Verfügungsmögllchkeiten und -einschränkungen abbildbar machen müssen, selbst nicht in ihrer Anwendbarkeit auf bestimmte Gesellschaftsformationen, etwa die bürgerllche Gesellschaft, begrenzt" (ebd.). Gerade deshalb würden nur "zur veranschaulichung und Konkretisierung ... gesellschaftstheoretische Binsichten und Resultate über die formationsspezifischen charakteristika bürgerlicher Klassenverhältnisse herangezogen" (ebd.). Wenn Holzkamp hervorhebt, daß f^r konkrete Analysen gesellschaftstheoretische Vorarbeiten nötig seien, drückt er damit implizit aus, daß er quasi nur so tut, als ob die Narxsche Analyse zur bedeutungsanalytischen Bestimmung von Lage und Position sowie den entsprechenden Begründungsmustern

hinreichend

sei.

Das

restriktiven-verallgemeinerten

von

Holzkamp

entwickelte

Handlungsfähigkeit

Konzept

der

ist mithin auch nur

als ein - implikatives (s.u.) - Als-^b-Eegrundungsmuster einzuschätzen. Wir finden also in der Holzkampschen Argumentation in gewisser Weise einen Widerspruch zwischen dem kategorialanalytlschen Leltgesichtspunkt der begriffllchen Konkretlsierung auf die kapitalistische Formationsspezifik und der von Holzkamp dargelegten und auch von mir vertretenen Auffassung, daß die Kategorien formationsübergreifend konzipiert werden müssen und erst in ihrer Anwendung formationsspeziflsche Aspekte des Psychischen berücksichtigbar machen sollen. Nelnes Brachtens kann aus dem Umstand, daß mit dem Dominanzwechsel zum gesellschaftlich-historischen Prozeß die spezifisch-menschlichen Resul-

-l163-

tate der Phylogenese lediglich allgemeinste Richtungsbestimmungen, "also Abstraktionen von den real vorfindlichen historisch-bestimmten, insbesondere

formationsspezifischen

Ausprägungen des Psychischen"

(a.a.o.,

S.205), darstellen, nicht die Konsequenz gezogen werden, daß sie einer iogisch-historischen Konkretisierung bedürfen. Damit wird nicht bezweifelt, daß die spezifischen menschlichen Charakteristika als allgemeinste Bestimmungen eines konkret-historischen

l^eaiisierungsbezuges bedürfen.

Nur bei der Analyse der Formbestimmtheit kann es sich nicht in erster Linie um eine logisch-historisch regulierte begriffliche Konkretisierung handeln, sondern um elne aktuaiem^rische Eeaiisierungsanaiyse mit der Bildung

adäquater

einzeltheoretischer

Begriffe.

Unter

subjektwissen-

schaft lichen Prämissen können solche Begriffsbildungen aber nur mit den Betroffenen erfolgen. Denn es besteht real ein - wenn man so will - zunächst äußerliches Verhältnis zwischen der gesellschaftlichen Natur des Nenschen und ihren konkret-historischen Realisierungsbedingungen,

das

immer wieder in einmalig-individueller Form über den Prozeß der Aneignung zu einem inneren Verhältnis wird. ln der auf die ontogenese bezogenen Kategorialanalyse verwendet Holzkamp die dem Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit zugrundeliegende Bedeutungsanalyse genau in der beschriebenen Als-ob-Form: Die "kategorialen

Bestimmungen über den Zusammenhang zwischen der strukturbedingten Bedrohung und den konkrete^ Brscheinungsformen kindlicher Bedingungsverfügung ... (sind) nur konditional (zu) formulieren: sofern solche Bedrohungen ... sich durchsetzen ..." (l983, S.460). Allein schon aus dieser konditionalen Verwendung wird der einzeltheoretische, auf bestimmte Bedeutungskonstellationen bezogene Charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit deutlich. Bezöge es sich auf eine grundsätzlich gegebene Bedeutungskonstellatlon, wäre die bedingte Formulierung unnötig. Allgemeine Grundkategorien, wie etwa die der Begründetheit menschlicher Handlungen, lassen sich dagegen offensichtlich nicht konditional verwenden, nach der Art: "Sofern menschliche Handlungen begründet sind ...". Auf dieser Bbene haben wir es mit kategorischen Urteilen zu tun: "Nenschliche Handlungen sind begründet".

-l64-

Nach Holzkamp sind "Kategorien ... historisch-empirisch, Binzeltheorien dagegen aktualempirisch zu fundieren" (a.a.o., S.5ll). Die Kategorien sagen deshalb bereits Wesentliches über die psychische Lebenstätigkeit des Menschen aus "unabhängig davon, ob und wie eine darin gegründete aktualempirische Forschung stattfindet oder nicht" (ebd.). Von daher verbietet sich bereits eine konditionale Verwendung von Kategorien. lnsofern können aber auch konditional verwendete Eegriffe nicht den Status von Grundbegriffen beanspruchen. ln früheren kritisch-psychologischen Arbeiten ließ die grundsätzliche Annahme von der Art, daß "die gesellschaftlichen Unterdrückungen

. . . von

den

Brwachsenen

an

das

Beeinträchtigungen/ Kind

weitergegeben

werden" (a.a.o., S.^68), das Problem der Konditionalltät erst gar nicht entstehen. ln neueren Ansätzen (etwa Ulmann l987) haben solche Annahmen nur noch den charakter von Hypothesen, die Eltern zur überprüfung und Analyse ihrer Probleme angeboten werden. Nit der dezidiert subjektwissenschaftllchen Wende der Kritischen Psychologie ist Holzkamp konsequenterweise zu den hier erörterten konditionalen Formulierungen gezwungen. Dies führt aber wiederum zu ungelösten Widersprüchen in der Argumentation, da das Postulat von den Brwachsenen "als verlängerte (m) Arm der herrschenden Verhältnisse"

(a.a.o., S.476)

notwendige Anwendungsvoraussetzung für die kategoriale - im Sinne von zwingend vorausgesetzte - Verwendung des Konzepts retriktiver-verallgemelnerter Handlungsfähigkeit als Zielkonstellation für die von Holzkamp durchgeführte rekonstruktive Bestimmung ontogenetischer Prozeßtypen ist. Die für impllkative Begründungsmuster chrakteristische konditionale Binschränkung ihrer Relevanz im konkreten Binzeliall wird aber nicht durchgehalten: Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit hat in der Kritischen Psychologie eine absolut zentrale Bedeutung. Fast alle früheren kritisch-psychologische

Analysen empirischer Subjektivität

(vor allem

die bei Holzkamp l973 und Holzkamp-osterkamp 1976 und 1978) sind dort aufgehoben. jenen

Und

Kritikern

in dieser herausgehobenen Stellung wird es auch von rezipiert,

die

das

Konzept

restriktiver

Handlungs-

fähigkeit in den Nittelpunkt ihrer Kritik stellen (siehe lantzen l984 oder Naretzky

l990).

Holzkamp verllert also den Als-ob-charakter

im

-l65-

Laufe seiner weiteren Ausarbeitungen zunehmend aus den Augen und stellt das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als zentrale kritisch-psychologische Analysekategorie heraus (siehe etwa 1990b, S.44f). Auf diese Art und Weise werden formationstheoretische Vorstellungen tatsächlich

konstitutiv

für die

psychologische

Begriffsbildung,

wie

in

Holzkamps Bbenenmodell (vgl. a.a.o., S.27ff) ausgeführt. Holzkamp betont ausdrücklich, daß die formationsspezifische Konkretion "mit Bezug auf die bürgerliche Gesellschaft auf der Narxschen Analyse von deren allgemeinen Struktur- und Bewegungsprinzipien" (a.a.o., S.204) beruht. Neben der Gefahr der Einengung der Eegriffsbiidung durch zwar wesentllche, weil Strukturmomente der bürgerllchen Gesellschaft

abbildende,

aber aufgrund aktueller Bntwicklungen nicht hinreichende gesellschaftstheoretische Prämissen, liegt in diesem Ansatz die allgemeinere Problematik, daß die erweiterte Kategorialanalyse methodisch nur noch auf dem Pfad der

form^tionspezifischen

Konkretisierung

erfolgen

kann.

Hierin

liegt meines Brachtens ein rationaler Grund für die von jantzen geäußerte Auffassung, daß die Kritische Psychologie nur als Sozialpsychologie ^ gelten kann (vgl. .Iantzen l984).

l Der Begriff der Sozialpsychologie ist natürlich höchst problematisch: angesichts der Gesellschaft^ lchkelt des lndividumms kann es keine NichtSozialpsychologie, also eine von der Gesellschaftllchkeit des Nenschen abstrahierende lndividualpsychologie o.ä. geben. lndividualität und Subjektivität sind lmplikate der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz.

-l66-

3.2.3

Funktionalistische Gefahren

Die über die allgemeinen Kategorien der Position und der Lebenslage vermittelte Vorstellung, daß das lndividuum "den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht direkt, sondern vermittelt über seine historisch bestimmte Lebenslage/Position gegenübersteht" (l983, S.24l), birgt außerdem funktional istische Gefahren in sich. Nit Bezug auf den arbeitsteiligen charakter gesellschaftllcher Lebenserhaltung

ist die Auffassung

von Lage und Position als individuumsbezogener Schnittstellen zum gesamtgesellschaftlichen Produktions-/Reproduktionsprozeß Totalisierung

dieser

topisch-funktionalen

zutreffend. Die

Slchtweise,

die

auf

Seves

Konzept der Tndividualitätsformen zurückgeht (siehe Seve 1972, S.26lff), kann jedoch zu einem versteckten ökonomismus und Funktionalismus führen, der das subjektwissenschaftliche Polltikparadigma der Kritischen Psychologie, nach dem sich das lndividuum gerade mit der Totalität der gesamtgesellschaftlichen Bestimmungen seiner Bxistenz auseinandersetzt, soziologistisch konterkarieren würde; polltische Bezüge sind ja gerade durch die verallgemeinernde Abstraktion von je meiner Lebenslage und Position gekennzeichnet, wobei diese beiden funktionalen Schnittstellen zum "verschwindenden Noment" werden können. Politisches Handeln mag in der unmittelbaren lage- und positionsvermittelten Betroffenheit seinen Ursprung haben, ein verallgemeinerter Rückbezug auf je meine Lage und Position muß aber nicht grundsätzlich und motivationsnotwendig gegeben sein. Gerade das von Holzkamp analysierte Phänomen der "sozialen Dezentrierung", das heißt die Fähigkeit des lndividuums, "von seinem eigenen Standort ab(zu)sehen und den Standort des ^verallgemeinerten Anderen^ ein(zu)nehmen" (l983, S.292), verdeutlicht die mögliche Relativität von Position und Lebenslage für psychische Prozesse, so daß in bestimmten Situationen meine Lage und Position für meine subjektiv

funktionalen

Begründungszusammenhänge irrelevant werden können. Durch die methodische Universal isierung elner ökonomisch-formationsspezifischen Konkretisierung

des Nensch-Welt-Zusammenhangs

auf

Lage und

Position als Leitgesichtspunkt der erweiterten psychologischen Begriifs-

-l167-

bildung werden der Sachverhalt der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz und damit die Kategorialanalyse funktionalistisch eingeengt. Die psychologische Begriffsbildung wird so in eine nicht grundsätzlich notwendige formations-, positions- und lagespezifische Konkretisierung gezwungen. Neines Brachtens besteht nicht grundsätzlich ein lineares Konkret isierungsverhältnis zwischen System und Lebenswelt, so daß ersteres nur über letzere gegeben wäre. Vielmehr existiert eine komplexe Vielschichtigkeit der gesellschaftlichen Bezüge, die in Abhängigkeit von der konkreten Situation in unterschiedlicher Gewichtung umgesetzt werden. lch kann als Nensch in unserer Gesellschaft auch direkt mit gesellschaftlichen Bestimmungen in Verbindung treten, die über die Unmittelbarkeit

meiner

lebensweltlichen Bezüge hinausgehen. Wenn ich Zeitung lese oder Nachrichten höre, werden gesamtgesellschaftliche Prozesse zunehmend - ermöglicht über den ständig steigenden gesellschaftlichen Brkenntnisstand zum unmittelbaren Brfahrungs- und Brlebnistatbestand; abstrakte Zusammenhänge werden wie in der Kunst sinnlich verdichtet

(siehe Holzkamps

"Ästhetik"; 1993, S.313f); das Verhältnis von Betroffenheit und theoretischer Reflexion kehrt sich dabei geradezu um: Betroffenheit stellt sich nun erst über Reflexion her und ist nicht mehr begreifenden Akten logisch vorgeordnet. Nedien- und lnformationsgesellschaften ermöglichen eine neue Unmittelbarkeit

zwischen

lndividuum und Gesamtgesellschaft.

Dies wird gefördert durch neues ökologisches, ökonomisches und soziales Zusammenhangswissen, wodurch traditionelle sinnliche Schnittstellen zur Gesamtgesellschaft

(wie zum Beispiel der Beruf oder die Familie) ihre

Bedeutung verlieren. Damit korrespondieren der erwähnte Verlust von traditionellen Gruppenzugehörigkeiten sowie zunehmende individual isierungsmöglichkeiten. Dies alles sind inhaltliche Dimensionen der von Holzkamp allgemein aufgewiesenen gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz.

-l68-

3.2.4

Aspekte kritisch-psychologischer Vermittlungsanalyse; Unterschied zwischen kategorialer Bestimmung des Nensch-Welt-Zusammenhangs und aktualempirischen Prozeßanalysen

Bs soll nun vor dem Hintergrund der Problematisierung des kategorialen Status des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit die Frage diskutiert werden, ob den kritisch-psychologischen Kategorien ein selbständiger Brkenntniswert zukommt, und daran anschlleßend das Problem der gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen aktualempirischer Vermittlungsanalysen welter erörtern. Die Notwendigkeit

der einzeltheoretischen

Bestimmung

von Bedeutungs-

Begründungs-Verhältnissen ergibt sich alleln schon aus dem Umstand, daß lch als Voraussetzung einer kritlsch-psychologischen Analyse je meiner Befindlichkeit drei Arten von Wissen brauche: Für eine solche aktualempirische Vermittlungsanalyse muß ich zunächst meine gegebene empirische sprachlich-"vorbegrifflich" allgemeinen prinzipiellen

Subjektivität fixieren.

kritisch-psychologischen Zusammenhang

bzw.

Darüber

Befindlichkeit

alltags-

hinaus

ich

der

die

den

bedarf

Vermittlungskategorien,

zwischen meiner Befindlichkeit

und meiner

Lebenssituation bestimmen und damit deren konkreten Zusammenhang aufklärbar machen sollen. Schlleßlich benötige ich eine hinreichende Bestimmung meiner gesellschaftllchen Lebensbedingungen, die als Aspekte des gesamtgesellschaftllchen Bedeutungs- und Handlungszusammenhangs dle konkreten Prämissen meiner Handlungsbegründungen und der darin liegenden psychischen Funktionsausprägungen

sind. Dies sind sozusagen die drel

Säulen, auf deren Grundlage ich Prozeßhypothesen und Theorien über meine psychische Situation entwickeln kann. Letztere Art von notwendigem Vorwissen aber kann ich nur auf der Grundlage differenzierten gesellschaftstheoretischen Wissens über die Gesellschaft, gewinnen.

in der ich lebe,

(Die Kritische Psychologie weist ja selbst darauf hin, daß

beispielsweise bei der aktualempirischen Theorienbildung über Praxis-

-l69-

probleme von Psychologen eine differenzierte lnstitutionsanalyse nötig ist. ) Daraus folgt, daß

im Gegensatz zu Holzkamps Darstellung

(vgl.

1983,

Kap. 9) die allgemeinen kritisch-psychologischen Grundkategorien keinen eigenständigen Brkenntniswert in dem Sinne haben, daß sie unmittelbar je meine in Vorbegriffen gegebene Befindlichkeit analyslerbar machen. Bigenständigen Brkenntniswert haben die allgemeinen kritisch-psychologischen Grundkategorien nur in dem quasi anthropologischen Sinne, daß ich etwa begreife, daß meine Handlungen zwingend

in einem gesamtgesell-

schaftlichen Zusammenhang stehen und in diesem begründet sind. So kann, im Gegensatz zu den diversen psychologischen Bestimmungen des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit, die Kategorie der Begründetheit menschl icher Handlungen a priori vorausgesetzt werden, ohne daß ich mich darüber intersubjektiv zu verständigen brauche; sie ist vielmehr notwendig anzunehmende Voraussetzung einer solchen Verständigung. Welche Bedeutungen und Begründungen konkret vorliegen, läßt sich nur mit erheblichem Forschungsaufwand bestimmen. Nur in diesem konkreten Kontext läßt sich etwa der Begriff der Verfügungserweiterung ausdifferenzieren. Unmittelbar und ohne weitere gesellschaftstheoretische Klärungen je meiner Situation läßt sich aber auf der Bbene konkreter Hypothesenbildung nicht mit den allgemeinen Kategorien arbeiten. Auch an diesem Argumentationsstrang wird deutlich, daß die Kategorialanalyse - sofern sie die logisch-historische Ableltung psychologischer Grundbegriffe anstrebt - sich nicht auf formationsspezifische Verhältnisse beziehen darf, sondern die Binbeziehung konkreter gesellschaftl icher Formen von Behinderungen und Bedrohungen der aktualempirischen Vermittlungsanalyse und Hypothesenbildung überlassen muß, wenn sie die empirische Vielfalt subjektiver Brfahrung aufklärbar machen will. Bs stellt sich deshalb die Frage nach dem Nutzen einer weiteren logischhistorischen

Ableltungsebene

Formationsspezifik,

auf

da so die

dem Niveau

nachgeordnete

der

abstrakt-allgemeinen

Begriffs-

und Theorien-

bildung auf allen Vermittlungsinstanzen in ein inhaltlich schon definiertes Nuster eingebunden wird. Die psychologische Begrifillchkeit wird so

von qualitativen

Formation

gesellschaftlichen

abgeschnitten.

Zugleich

wird

Veränderungen die

Rezeption

innerhalb einer soziologischer

-l170-

Theorien, die um neue Zugänge zur Analyse der Spezifik unserer Verhältnisse bemüht sind und im Kontext der aktualempirischen Bedeutungsanalyse fruchtbar zu machen wären, von der psychologisch-kategorialen Bbene her verstellt. ln der logisch-historischen Ableitung kann es nur um die allgemein-gesellschaftlichen Spezifika des Psychischen, um die sozusagen nicht weiter reduzierbaren Tnstanzen des Nensch-^eli-.Zusammenhangs gehen. Kapitalismuskritik als Aufweis spezifischer Formen von gesellschaftlichen Behinderungen hat hier keine begründbare Funktion, sie ist nur im Zusammenhang mit der konkreten Anwendung dieser lnstanzen relevant, und diese Anwendung stellt eine aktualempirisch-einzeltheoretische vermittlungsanalyse dar; nur auf dieser Bbene macht die Binbeziehung formationsspezifischer Brkenntnisse Sinn. Wenn dies aber vor der eigentllchen Vermittlungsanalyse erfolgt, besteht die Gefahr, daß Bedeutungs- Begründungs-Zusammenhänge

unhistorisch

und

statisch

den

lndividuen

überge-

stülpt werden. Die allgemeinen begriifllchen Nittel der Vermittlungsanalyse

sind

also

kategorial

zu

bestlmmen,

die

Vermittlungsanalyse

selbst muß aber ein genuin aktualempirischer Prozeß sein, weil sie sich auf

konkret-historische

Lebensbedingungen

bezieht.

Hierbei

gewonnene

begriffliche Differenzierungen und Zusammenhangsannahmen haben den Stellenwert Begriffe

von

prozeßorientierten

Begriffen

und

Binzeltheorien.

kann man nätürlich auch als Kategorien bezeichnen;

Solche man muß

dabei allerdings bedenken, daß sie einen anderen Status als die psychologischen Grundbegrifie, also als die Kategorien im eigentlichen Sinne haben (s.u.).

ln selnem

Aufsatz

"Zur

kritisch-psychologischen

Theorie

der

Subjek-

tivität l" (l979a) schrelbt Holzkamp: Die allgemeinen Entwicklungspotenzen

der

lndividuen

gesellschaftliche

"realisieren

Verhältnisse

sich

hinein

immer und

in

treten

historisch somit

bestimmte

notwendig

in

einer historisch bestimmten Form der lndividualentwicklung in Brscheinung .." (l979a, S.49). Bntsprechend seien die gesellschaftlichen Realisierungsbedingungen der rekonstruierten spezifisch menschlichen Entwicklungsm^glichkeiten und -dimensionen herauszuarbeiten (ebd.).

-l171-

Dies bedeutet für Holzkamp konkret, daß zunächst eine "historische Analyse bezogen auf den gesellschaftlich-historischen Gesamtprozeß notwendig" (ebd.) sei. Und er ergänzt, daß im Bereich der Analyse der übergreifenden Gesetzmäßigkeiten der historischen Herausbildung der Realisierungsbedingungen der gesellschaftlichen Natur des Nenschen "noch beträchtiiche Forschungsarbeit zu leisten" (ebd.) sei, womit er auch auf die Notwendigkeit der Analyse der "Bntwicklungstendenzen" (vgl. a.a.o., S.49) unserer Gesellschaft könne

"die

historische

verweist.

Bestimmtheit

Nur unter dieser der

Voraussetzung

gesellschaftlichen

Lebens-

verhältnisse, lnstitutionen, Anforderungsstrukturen, ^ gesellschaftlichen Subjekte^ als Realisierungsbedingungen der Individualentwicklung" (ebd.) erfaßt werden. Zwar hat Holzkamp in seiner Grundlegung eine Begrifflichkeit, mit der die Vermitteltheit der jeweils individuellen Lebenssituation mit dem formationsspezifisch bestimmten gesamtgesellschaftlichen Prozeß auf einer sehr abstrakten Bbene abgebildet wird, entwickelt, das Programm einer umfassenden historischen Bntwicklungsanalyse bis hin zur Analyse einzelner lnfrastrukturen unserer Gesellschaft, die er als Voraussetzung adäquater Begriffsbestimmungen dargestellt hatte, ist jedoch bisher nur ansatzweise realisiert worden (zum Beispiel bei Ulmanns Rekonstruktion der Bntstehung von Brziehung und ihrer Problematik; l987, Kap. 2). Bin solches Programm wäre auch, solange es in eine logisch-historische Begriffsbildung einzubinden wäre, eine überforderung, da die historische Bntwicklung permanent und mit zunehmender Beschleunigung neue Realisierungsbedingungen der menschlich-gesellschaft lichen Bntwicklungspotenzen produziert. Die Grundkategorien müßten so ständig angepaßt bzw. geändert werden. Auch unter diesem Aspekt hat meines Brachtens die gesellschaftstheoretische Analyse in der aktualempirischen Forschung ihren Platz, im Kontext einer subjektwissenschaftlichen Realisierungsanalyse mit ihren eigenen Begriffsbildungen. Nur hier kann sie unter Berücksichtigung des jeweiligen Forschungsproblems zugeschnitten und begrenzt werden; ansonsten bleibt sie entweder abstrakt oder nicht bewältigbar. Hinzu kommt, daß, da die Prämissen "nicht eindeutig von außen determiniert, sondern vom Subjekt im Kontext seiner Handlungen aktiv seie-

-l172-

giert bzw. hergestellt, mithin sowohl Voraussetzung wie Resultat des Handlungsverlaufs" (Holzkamp l993, S.24) sind, sich die Reichweite allgemeiner

Bedeutungsanalysen

prinzipiell

relatlvlert.

lhre Nöglichkeit

ist im wesentllchen an restriktive institutionelle Bedingungen gebunden, also an Situationen, in denen aufgrund der Totalität von Behinderungen klar definierbare Lebensinteressen der Subjekte vorliegen (siehe etwa Holzkamps Analyse der "Schuldisziplln"; a.a.o., S.34lif). Für die Subjektwissenschaft muß prinzipiell die Welt, so wie sie das Subjekt begründungsrelevant erlebt, Bezugspunkt der bedeutungsanalytlschen Binlassungen sein; entsprechend müssen konkrete Bedeutungsanalysen verstärkt auf der Kenntnis der psychischen Situation der Betroffenen aufbauen und sie mit allgemeinen gesellschaftstheoretischen Ansätzen ins Verhältnis setzen; es geht schließlich primär um psychische Sachverhalte, die auf ihre gesellschaftllchen Bestimmungen hin zu durchdringen sind.

Dabei ist in einer solchen aktualempirischen Vermittlungsanalyse die Bildung prozeßorientierter Verknüpfungsbegriffe, die den Zusammenhang zwischen den konkret vorliegenden Bedeutungsbezügen und der in Beschreibungsbegrifien und alltagstheoretischen lnterpretationen gegebenen empirischen Subjektivität auf der Grundlage der allgemeinen Vermittlungskategorien/-instanzen erklären, notwendig.

-l173-

3.2.5

Unbestimmtheit der Datenbasis des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit und Perspektiven ihrer überwindung

Auf der Seite der psychologischen Vorbegriife bzw. der psychischen Brscheinungen, die in das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit eingehen, finden wir keine ausgearbeitete Systematik ihrer Auswahl. Hier wird weitgehend selektiv vorgegangen. Nur solche Brscheinungen werden quasi datenfähig, das heißt für die Ableltung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerer Handlungsfähigkeit konstitutiv, deren interpretation in dem Begründungszusammenhang

von Anpassung oder Widerstand möglich zu

sein scheint. Andere psychische Daten dienen nur der Konkretisierung oder der Veranschaulichung,

wiederum andere

werden erst auf einzel-

theoretischer Bbene relevant, und schließllch scheiden bestimmte Daten als unspezifisch aus. Neines Brachtens fehlen Kriterien dafür, welche Brscheinungsformen des Psychischen auf der Gegenstandsseite der logisch-historischen Kategorialanalyse zu verorten sind, also konstitutiven charakter haben, und welche erst auf einer nachgeordneten Bbene einzeltheoretisch zu analysieren sind bzw. nur der Veranschaulichung dienen. Formale Differenzierungen verschiedener Datenfunktionen führen hier nicht weiter (siehe etwa bei Braun l982, S.207ff). Holzkamp läßt zwar prinzipiell die Nöglichkeit offen, "daß aus Problemen der Aktualempirie/Praxis neue, bisher vernachlässigte Ansatzstellen für weitergende, differenziertere Kategorialanalysen gewinnbar sind" (l983, S.565f), womit die solchen Problemen zugrundeliegenden Phänomene wieder eine historisch-empirische orie-Bmpirie-Zirkel

Datenfunktion gewinnen könnten; der Kateg-

wäre so immer wieder durch altualempirische Daten

durchbrechbar. An dieser Stelle sind wir Kritische Psychologen bisher aber nicht über Holzkamps weiter zurückliegende programmatische ^ußerungen hinausgekommen, in denen er die Schlüsselfrage stellte: "ln welchem Verhältnis stehen Daten als empirisches Naterial funktional-historischer Analysen und Daten zur aktualempirischen überprüfung von Theorien zueinandere" (l978a, S.l97).

-l176-

ln der auf den Gang der einzeltheoretischen Forschung bezogenen "Stagnationsfigur" als methodischem Schema des Scheiterns einer Hypothese im intersubjektiven Forschungsprozeß (siehe Narkard l985b, S.l0lff) findet sich beispielsweise kein "Ausgang"

für eine erneute

kategorialanaly-

tische Brkenntnisbewegung, in die ein solches Scheitern in den einzelnen lnstanzen des Forschungsprozesses münden könnte. Auch hier bleibt

im Grunde kriterienlos unklar, welche Brscheinungs-

formen des Psychischen logisch-historische Bmpirie darstellen und welche Gegenstand

der

Aktualempirie

sind.

Sind

Schuldgefühle,

Bifersucht,

innere Zwänge, neurotische Angst, Trauer, Ninderwertigkeitsgefühle vorbegrifflich gegebene konstitutive Daten - etwa im Sinne eines notwendigen Vorwissens, ohne das das Konzept restriktiver Handlungsfähigkelt nicht begründbar ist -

oder Daten, die ledigllch der Veranschaulichung

dienen oder aber Daten, die einzeltheoretisch analysiert werden müssen^ Dasselbe

Problem

stellt

sich

bei

den

gesellschaftstheoretischen

Grundlagen:

Welches gesellschaftstheoretische Naterial kann als historisch-empirisches Naterial gewertet werden, und welches muß sich mit der Verwendung im aktualempirischen

Forschungszusammenhang

begnügen^ Welche Brkennt-

nisse gehen also in die kategoriale und welche in die empirische Bedeutungsanalyse ein^ inzwischen vermisse

ich eine wissenschaftllche Re-

flexion dieses Problems, die meines Brachtens auch in der Diskussion nicht-marxistischer,

aber nichtsdestoweniger relevanter sozlologischer

Brkenntnisse

müßte.

münden

Bisher

wurde

in der

logisch-historischen

Kategorialanaylse ausschließlich auf das "Kapital" zurückgegriffen und der darauf aufbauenden marxistischen Forschung die Funktion einer konkretisierenden Brhellung im Kontext aktualempirischer Bedeutungsanalyse zugewiesen.

lm Grunde verdeutllcht sich hier das Dilemma einer Grenzziehung, auf die man sich einlassen muß, wenn man slch bereits auf kategorialer gesellschaftstheoretisch

wie

psychologisch

-

um

historische

Bbene -

Konkret i-

sierungen bzw. um die Analyse psychischer Brscheinungsformen bemüht. Die Selektion

sowohl

in

der

Vermittlungsinstanz

der

Bedeutungsanalyse

wie

auch auf den darauf bezogenen Vermittlungsebenen der Handlungsgründe und

-l75-

der psychischen Funktionen bewegt sich dann in einer selbst geschaffenen Grauzone zwischen verschiedenen empirischen und theoretischen Bezugssystemen. Holzkamp selbst sieht im Prinzip - wenn auch im Kontext der Darlegung von Darstellungsproblemen - diese Problematik, wenn er von der Gefahr spricht, in die "Grauzone zwischen Kategorialanalyse und einzeltheoretlscher Hypothesenbildung" (1983, S. 428) hineinzugeraten: es bestehe im Kontext der Kategorialanalyse "die Gefahr, daß . . . realhistorische Konkretisierungen unterlaufen, die ^eigentllch^ erst auf einzeltheoretisch-aktualempirischer Bbene wissenschaftllch begründet anzugehen" (ebd. ) seien. Der Ausweg aus diesem Dilemma scheint mir zum einen in der Begrenzung der logisch-historischen Kategorialanalyse und ihrer Daten- und Brkenntnisbasis auf den "Systemzusammenhang zwischen natürllchen Potenzen des lndividuums

und

Notwendigkeiten

gesellschaftlicher

Lebenserhaltung"

(a.a.o., S.576) zu liegen - dadurch würde sich die logisch-historische Analyse mit der Bestimmung der allgemeinen Vermittlungsinstanzen zwischen gesellschaftlichen Lebensbedingungen und der personalen Handlungsfähigkeit selbst ein Bnde setzen -; zum anderen liegt dieser Ausweg in der Ausweitung der aktualempirisch-einzeltheoretischen Analyse auf den gesamten Berelch der konkret-historischen Bestimmtheit je meiner konkreten Handlungsfähigkeit/Befindlichkeit

sowie

deren

Veränderbarkeit

im

individuellen und gesamtgesellschaftllchen Kontext. Die Analyse von Brscheinungsformen des Psychischen hätte dann ausschließlich in diesem Kontext ihren legitimen Platz. Damit wäre das Problem der Differenzierung zwischen bestimmten psychischen Brscheinungen als historisch-empirisch

und solchen

psychischen Brscheinungsformen,

die erst

auf der

Grundlage der Grundbegriffe analysiert werden können, überwunden. Damit entgeht man zugleich auf der Bbene der gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen der logisch-historischen Kategorialanalyse der nicht zu lösenden Frage nach der Grenze zwischen kategorialen und aktualempi risch relevanten

gesellschaftstheoretischen

Sachverhalten.

Holzkamp

bietet

hier zwar das Kriterium des "Systemcharakterist ikums" bzw. das der "Formationsspezifik" an (siehe 1983, Kap. 5.4 und l984, S.38) - im Grunde also die traditionelle marxistische Lehre der Formationenabfolge von der

-l76-

Sklavenhaltergesellschaft über den Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus bis hin zum Kommunismus -, aber gerade angesichts unserer Brfahrungen mit der Bntwicklung und Differenzierung des Kapitalismus sowie angesichts des Scheiterns des Realsozialismus erscheint dieses Kriterium unbefriedigend und als nicht hinreichend für eine umfassende Bedeutungsstrukturanalyse, die den Zugang zu jedem subjektiven Nöglichkeitsraum ermöglichen soll. ln Holzkamps "Sinnliche Brkenntnis" nimmt die Diskussion solcher Fragestellungen immerhin einen gewissen Raum ein: Die Beschränkung auf die klassische Narxsche "Kritik der polltischen ökonomie" und die Bntbehrlichkeit einer weitergehenden gesellschaftstheoretischen Grundlage wird damit

begründet, daß zum einen die dort entfalteten

Grundkategorien

"nicht nur nicht revisionsbedürftig sind, sondern in ihrem wissenschaftlichen

Brklärungswert

keineswegs

schon

ausgeschöpft

wurden"

(l973,

S.203) und zum anderen damit, daß die Bedeutungsmomente "sich nicht mit Nodifikationen

bestimmter

Subsysteme

in ihren wesentlichen

Nerkmalen

ändern" (ebd.). So berechtlgt diese Binschätzungen auch sein mögen, sie bedürfen konkreter gesellschaftstheoretischer Nachprüfung; vor dem Hintergrund der Ausführungen im zweiten Kapitel erscheint es angebracht anzunehmen,

daß

sich

im Gang der

kapitalistischen

Bntwicklung

auch

strukturelle Bedeutungsveränderungen vollzogen haben. Bs bleiben also erhebliche Unsicherheiten, und man muß sich nur die einschlägigen soziologischen Kontroversen, in denen auch marxistische Positionen eine Rolle spielen, vergegenwärtigen, um eine Vorstellung von der Problematik der Festschreibung gesellschaftstheoretischer Brkenntnisse qua kategorialer Bedeutungsanalyse

in den

psychologischen

Grundbegriffen

zu

gewinnen.

Selbst wenn die ökonomischen Prinzipien weitgehend konstant geblieben sind, so hat sich die Beziehung des Subjekts zur Gesamtgesellschaft aufgrund der Art und Weise der Naterialisierung dieser Prinzipien geändert. Vor

diesem

Hintergrund

könnte

die

an der

kulturhistorischen

Schule

Leontjews geäußerte Kritik der gesellschaftstheoretlschen Abstraktheit (siehe Holzkamp l973, S. l99ff) eine Neubewertung bzw. Differenzierung erfahren: auf der Bbene der Ableitung der Grundbegriffe ist nämlich die Abstraktion von konkret-historischen Bedingungen durchaus sinnvoll und

-l177-

erst auf einzeltheoretischer Bbene ist sie notwendig aufzulösen. lnsofern bliebe Holzkamps Warnung, daß slch die Brkenntnisse der LeontjewSchule "für uns zu schädlichen lrrtümern (verkehren), wenn wir die dort herausgearbeiteten allgemeinen Züge der Bntwicklung des gesellschaftlichen Nenschen als konkrete Züge menschlicher Gesellschaftlichkeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen mißdeuten"

(a.a.o., S.20l)

nur im Kontext der einzel theoretischen Analyse uneingeschränkt gültig und sinnvoll.

Durch die Verweisung der gesellschaftstheoretischen

Analyse konkreter

Formen der Behinderung menschllcher Lebensansprüche in die aktualempirische

Bedeutungsanalyse

entgeht

man

der

Gefahr

historischer

Fehl-

einschätzungen und damit zugleich der Gefahr, den Kategorienapparat im Falle solcher lrrtümer revidieren zu müssen. Ute Holzkamp-osterkamp hat in schonungsloser aufgewiesen

Selbstkritik

solche

politischen

Fehleinschätzungen

(siehe Holzkamp-ostekamp 1991a). Solche Verkennungen waren

jedoch nicht nur politische lrrtümer, sondern sle sind in die kritischpsychologische Kategorialanalyse eingegangen und waren speziell für die Konstruktion des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit konstitutiv.

So wurde beispielsweise, wie ich oben nachzuweisen

versucht habe, die Richtung der "Richtungsbestimmung" der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit als komplementäre Negation restriktiver Handlungsfähigkeit durch diese Fehleinschätzungen vorgegeben.

-l78-

3.3

Der einzeltheoretlsche charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

3.3. l

Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als Prczeßhypothese

Aufgrund meiner vorausgegangenen Ausführungen will ich nun den charakter des Konzepts restriktiver-verallgemelnerter Handlungsfähigkeit näher bestimmen.

Brkenntnistheoretisch

kann

man

Grundkategorien

als

Bedingungen

der

Nöglichkeit von konkreter Brkenntnis charakterisieren. ln diesem Sinne scheint nun das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

keine Grund-

kategorie, sondern eine konkrete Brkenntnis, genauer gesagt, eine verallgemeinere

Prozeßhypothese,

zu sein,

in der

Zusammenhangsannahmen

bzw. Zusammenhangserklärungen formullert sind. Bs ist mithin Resultat einer aktualempirischen Vermittlungsanalyse, in der jedoch keine konkreten, sondern nur allgemeine, im "Nodus der allgemeinen Beobachtbarkeit/ Bmpfindbarkeit"

(Narkard 1985b, S.ll2) gegebene Brfahrungen einerseits

mit abstrakt-allgemeinen formaticnsspezifischen Bedingungen andererseits ins Verhältnis gesetzt und vermittlungsanalytisch erklärt werden. Aufgrund dieser Allgemeinheit der zugrundegelegten Brfahrung kann der Anschein entstehen, daß in der Brklärung psychlscher Brscheinungen allgemeine Grundkategorien geliefert würden. Tatsächlich werden hierbei hypothetische Brklärungsbegriffe für konkrete Brscheinungen, nicht aber allgemeine Grundkategorien gebildet. Grundkategorien sollen die Voraussetzungen liefern, dürfen aber nicht Resultat aktualempirischer Anaylsen sein. Kategorien müssen, wie Holzkamp ausdrücklich hervorhebt

(siehe l983, S.48), so strukturiert sein,

daß der Zusammenhang der individuellen psychischen Bntwicklung mit der übergreifenden

naturgeschichtllchen

und

gesellschaftlich-historischen

Bntwicklung aufgewiesen werden kann. Dieser Anspruch wird aber mit dem Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit nur teilweise eingelöst, da in diesem Konzept im Grunde verschiedene aktualempiriebezogene einzeltheoretische Brklärungsmuster und Zusammenhangsannahmen verdichtet werden.

-l179-

Die

Kätegoriaiisierung solcher

Resultate

selbst an der traditionellen Forschung

führt

zu

dem

von

Holzkamp

(siehe a.a.o., Kap.9) kritisch

aufgewiesenen Grundzug der unzulässigen Verallgemeinerung und dem damit verbundenen

Verlust

des

subj^ktwissenschaft lichen

Standpunkts.

Damit

stellt sich unter einem weite^^ Gesichtspunkt die Frage, ob eine kategoriale Bedeutungs-Begründungsa^alyse stellt.

eln slnnvolles Unterfangen dar-

^

So ist zum Beispiel der Begriff des Unbewußten im Kontext der kritischpsychologischen Konflikttheorie ein Begriff, der in der aktualempirischen Aufklärungsarbeit eine erklärende Funktion und dabei eine bestimmte inhaltliche Fassung als einzeltheoretischer Vermittlungsbegriff zwischen den logisch-historisch abgelelteten Grundbegriffen und den empirischen Brscheinungsformen gewinnt. "Unbewußtes" ist deshalb ein theoretischer

Prozeßbegriff.

Der kritisch-psychologische

Begriff

wußten oder das kritisch-psychologische Konfllktmodell

des Unbe-

lassen sich in

diesem Sinne als auf konkrete Fälle bezogene theoretische Konzepte charakterisieren, die für ähnliche Fälle eine analytische (^ualltät gewinnen. Das Konfllktmodell ist aber nicht im logisch-historischen Sinne als ein notwendig anzunehmendes Strukturmoment jeglichen weiteren Theoretisierens unbewußter oder konflikthafter Prozesse begründbar. Der einzeltheoretische Prozeß hat seine eigenen Begrifisbildungsformen: hier

erfolgen

Grundkategorien

Begriffsbildungen

auf

der

Grundlage

der

allgemeinen

(siehe Grüter l985, S.48). Sie haben den chrakter von

Brklärungsbegriffen im Gegensatz zu den Grundkategorien, die das Feld der möglichen Brklärung markieren bzw. strukturieren und die damit die adäquate Brklärbarkeit überhaupt erst ermöglichen. Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit ist insgesamt als eine Erkiärung bestimmter psychischer Brscheinungsformen unter bestimmten historischen Bedingungen, in deren Vollzug neue Begriffe gebildet wurden, zu charakterisieren.

Die aktualempirische Analyse generiert also ihre

eigenen Brklärungsbegrlife. Diese neuen Begriffe haben aber keinen allgemeinen, sondern prozeßbezogenen Status. lm Konzept restriktiver Handlungsfählgkeit erfolgt - wie ausführllch dargelegt - die Bestimmung solcher

Brklärungsbegrlife

durch

die

bedeutungsanalytische

Wendung

der

-l80-

"Kritik der poltlschen ökonomie" und die anschließende hypothetische Analyse des Problems, wie sich unter den von Narx aufgewiesenen Bedingungen das Streben nach Handlungsfähigkeit reallsieren läßt. Nit Hilfe der so gebildeten Brklärungsbegrifie werden Beschreibungsbegriffe interpretiert. Holzkamp unterscheidet selbst systematisch zwischen "den Spezifika der historischen Bestimmtheit gesamtgesellschaftllcher Vermitteltheit individueller

Bxistenz"

und

den

"allgemelnen

Bestimmungen

der

gesell-

schaftlichen Bxistenz des Nenschen" (l983, S.577), wobei er - wenn auch in

anderem

Zusammenhang,

nämllch

forschung auf unspezifischen Bbenen tion von ersterer und,

der

aktualempirischen

Grundlagen-

- von der Nöglichkeit der Abstrak-

im Gegensatz dazu, der Unreduzierbarkeit der

letzteren spricht. Damit sind zwei Bbenen kritisch-psychologischer Begriffsbestimmung markiert (vgl. Kapitel 4). Das Konzept

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

ist auf

der einzeltheoretlschen Bbene angesiedelt, weil dort die lnstanzen des Nensch-Welt-Zusammenhangs nicht mehr einzeln bestimmt werden; es geht dort vielmehr um die "Umsetzung" (a.a.o., S.548) bestimmter Bedeutungskonstellationen im Zusammenhang subjektiv funktionaler Handlungsgründe. Deshalb ist diesem Konzept eine Art N^glichkeitsverallgemeinerung inhärent. Bs ist die Verallgemeinerung der Analyse elnes bestimmten Verhältnisses zwischen bestimmten Handlungsmöglichkeiten/-behinderungen und ihrer - wenn auch abstrakten, weil im Nodus der gesellschaftstheoretisch aufgearbeiteten allgemeinen Lebenserfahrung

gegebenen -

individuellen

Realisierung (siehe a.a.o., S.548). Das

Konzept

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

öffnet

also nicht lediglich elnen Frage- und Analysehorizont, der von den - in der allgemelnen Kategorie der doppelten Nöglichkeit gegebenen - Polen der Anpassung an und des Veränderns von gesellschaftllchen Bedingungen begrenzt ist, sondern setzt sowohl bestimmte Bedingungen als auch bereits Antworten auf die Frage nach der Art und Weise der Realisierung der personalen Handlungsfähigkeit unter diesen Bedingungen voraus. Neines Brachtens kann aber auf diese Art der gesellschaitllche Gesamtrahmen der Handlungsfähigkeitsentwicklung nicht in allgemein verbindlicher Wei-

-l181-

se für je mich erfaßt werden und auch nicht die allgemeine Struktur menschlicher Widersprüche und Konfllkte. Wenn ich die Realisierungsbedingungen je meiner menschlichen Natur nicht genau kenne, kann ich diese auch nicht in die Bestimmung der Grundkategorien einfließen lassen; denn "die Realisierungsbedingungen müssen ... explizit inhaltlich bekannt und berücksichtigt werden, weil sie zu den ^konstituierenden Faktoren^ je meiner Befindllchkeit/Handlungsfähigkeit Bs ist deshalb problematisch,

gehören ..."

(a.a.o., S.549).

in der aktualempirischen

Analyse aus-

schließlich danach zu suchen, wie "die Alternative verallgemeinerte versus restriktive Handlungsfähigkeit im typischen Nöglichkeitsraum konkret zu bestimmen ist" (ebd.). Holzkamp betont zwar

(l990b, S.36f) - um den allgemeln verbindlichen

Status des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit zu untermauern - ausdrücklich, daß die kapitalistischen Strukturen diese Alternative bedingen würden und somit alle Nenschen vor der dort angesprochenen Alternative stünden. Wir haben aber bereits darauf hingewiesen, daß sich Konfllkte nicht nur in Abhängigkeit von kapitalistischen Strukturmerkmalen darstellen.

Bs darf deshalb bezweifelt

werden, daß

konkrete Befindlichkeiten gleichermaßen mit dem Begriffspaar restriktive-verallgemeinerte Handlungsfähigkeit aufschließbar sind. Die grundsätzliche Darstellung jeglicher psychischer Probleme als Brscheinungsform restriktiver Handlungsfähigkeit führt dazu, daß psychische Brscheinungen - zumindest da, wo es um die Analyse psychischer Beeinträchtigungen

geht

- als Formen

restrlktlver

Handlungsfähigkeit

aufgeschlüsselt werden. Daran ändert auch die Darstellung von restriktiver

Handlungsfähigkeit

als analytische

Kategorie

zum Begreifen

je

meiner Konfllkte nichts. Bs besteht die Gefahr, daß sich der angestrebte analytische charkter der aktualempirischen Forschung so in einer exemplarischen Veranschaulichung auflöst. Bine analytische Brforschung von Phänomenen, die durch anders geartete Konfllkte bedingt sind, wird so behindert. Bs wäre deshalb adäquat, das Begriffspaar restriktive-verallgemeinerte

Handlungsfähigkeit

als

Nöglichkeitstyp,

als

Begründungs-

muster, auszuwelsen und je mir mit meinen Problemen eine Nöglichkeitsbeziehung dazu einzuräumen. Konzept

restriktiver

ln seiner kategorialen

Handlungsfähigkeit

Wendung wird das

jedoch hermetisch

gegen eine

-l82-

mögliche erfahrungsbegründete

Außerkraftsetzung

abgeriegelt

zugleich dem aktualempirischen Bestätigungszwang konkrete Situation der Betroffenen entzogen. strlktiver Handlungsfähigkeit

und damit

im Hinblick auf die

Da nur "Fälle-von"

re-

auftreten können, wird gleichzeitig die

Nöglichkeit einer aktualempirisch begründeten Außerkraftsetzung dieses spezifischen Begründungsmusters ausgeschlossen. Und ebenso problematisch ist es, daß in Holzkamps "kategorlaler" Vermittlungsanalyse nicht nur die Bedeutungen weitgehend konstant erscheinen, sondern auch das Begründungskriterium der Verfügungserweiterung nur im Kontext der Frage diskutiert wird, was unter kapitalistischen Bedingungen vernünftigerweise Bedingungsverfügung sein muß bzw. in welcher Form sie sich zwingend selbst zurücknimmt. Nit dieser spezi iischen Fassung des Verfügungsbegriffs wird das Begründungskriterium in ebenso spezifischer Weise gefaßt. Damit entsteht der Bindruck, daß aus dem jeweillgen Bedeutungsbezug konkrete Formen der Handlungsfähigkeitsgewinnung logisch-historisch - auf der Bbene der Grundbegriffe - ableitbar sind. Selbst wenn man der Fragestellung, ob man sich kapitalistischen Herrschaftsbedingungen anpaßt oder diese im lnteresse der Bntwicklung der eigenen Handlungsfähigkeit zu verändern versucht, basalen charakter für

psychologische Theorienbildungen zuspricht (was wir als Kritische Psychologen ja tun), so sind doch die Konsequenzen, die sich aus der jeweiligen

Handlungsstrategie

ergeben

(wie

Selbstfeindschaft,

Unbewußtes,

Deuten, verinnerlichter Zwang, diffuse Angst, Fremdinstrumentalisierung etc.), nur einzeltheoretisch festzustellen und begriifllch zu bestimmen. Denn einerseits hängen solche Konsequenzen von den konkreten Prämissen ab - und diese sind immer wieder konkret in ihrer individualbiographischen Dimension auf der Grundlage differenzierter gesellschaftstheoretischer Brkenntnisse zu bestimmen -, andererseits muß aber irgendetwas vorbegrifflich gegebenes - Anschauliches existieren (Bifersucht, Ninderwertigkeitsgefühle, Geltungssucht, Waschzwang o.ä.), für deren Brklärung einzeltheoretische Begrifie zu schaffen sind.

-l83-

Bislang wurden in der Kritischen Psychologie die hier aufgezeichneten Reflexionen über den unterschiedlichen Status kritisch-psychologischer Begriffe nicht angestellt, da für uns Kritische Psychologen der kategoriale,

gegenstandsbestimmende

Status des Konzepts restriktiver

Hand-

lungsfähigkeit evident war. Dies wurde, wie bereits erwähnt, dadurch unterstützt,

daß

wir erstens die zugrundezulegende

Bedeutungsanalyse

durch die institution der dargelegten kategorialen Bedeutungsanalyse als hinreichend

betrachtet

Begründungskriterium

haben

("Streben

und

daß

nach

wir

zweitens

das

Handlungsfähigkeit")

inhaltliche bereits

auf

kategorialer Bbene eindeutig inhaltlich fassen zu können glaubten. Damit besteht aber die Gefahr, daß wir die Dialektik von "objektiver Bestimmtheit und subjektiver Bestimmung" menschlicher Bxistenz in mancher Hinsicht verfehlen.

-l184-

3.3.2

Der Unterschied des Gegenstandsbezugs von Theorien und

Kategorien und seine Konsequenzen für die Binschätzung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit Bei meiner Binschätzung des Konzepts restriktiver

Handlungsfähigkeit

kann ich mich direkt auf Holzkamps Unterscheidung von Kategorien und Theorien beziehen und dabei die hier vertretene Position untermauern. über den Gegenstandsbezug von Kategorien und Binzeltheorien schreibt Holzkamp: "Kategorien und Binzeltheorien . . . erfassen . . . verschiedene Seiten der empirischen Beschaffenheit ihres Gegenstandes" (l983, S.5l2). Dabei nennt er als Gegenstandsbezug der Kategorialbestimmungen ausdrücklich "die lnstanzen des Nensch-Welt-Zusammenhangs" (ebd.). Aus den damit thematisierten Dimensionen und Aspekten, in denen sich die psychischen Brscheinungen bilden, folge aber nicht, "wie die so bestimmten Brscheinungen nun

im jeweils vorllegenden Falle aktualempirisch

beschaffen

sind" (a.a.o., S.5l3). "Während also kategorial bestimmt ist, wie Bedeutungen/Bedürfnisse adäquat in ihrer Bigenart und ihrem Zusammenhang verstanden werden müssen, läßt sich die Frage, welche Bedeutungs-BedürfnisVerhältnisse dieser Art nun jeweils jetzt und hier tatsächlich vorliegen, nuraktualempirisch beantworten" (ebd.). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob nicht in bezug auf das

Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit jene Problematik der " vermengung von Kategorialanalyse und einzel theoretischen Aussagen" (a.a.o., S.5l6), vor der Holzkamp im Hinblick auf die einzeltheoretische Verkehrung von Kategorien warnt, in umgekehrter Weise vorliegt als kategoriale verkehrung von Einzel theorien. Beim Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit wird eine einzeltheoretische Prozeßanalyse als Kategorie dargestellt und damit als begriffliche Voraussetzung aller weiteren denkbaren Prozeßanalysen hypostasiert. lch kann mich jedoch allenfalls als "Fall-von" (siehe hierzu a.a.o., S.542 und S.554) bzw. "Nicht-Fall-von" auf das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit beziehen, und in diesem Bezug kann es durchaus eine analytische Funktion bei der Klärung meiner Probleme gewinnen. Nur auf dieser Bbene wird klar, ob der "analytische

-l185-

Schlüssel" der restrlktiven Handlungsfähigkeit

paßt oder nicht paßt.

Durch seine kategoriale Stillsierung kann es aber - dies wird in Kapitel 3.4 näher ausgeführt - zu einer Theorie ^ber die Betroffenen werden und kann damit seines subjektwissenschaftlichen Charakters als Theorie fur die Betroffen verlustig gehen (siehe a.a.o., S.544). Nit der von Holzkamp angestrebten formationsspezifischen Differenzierung der allgemeinen Vermittlungskategorlen ist genau jener Fall eingetreten, auf den Holzkamp hinweist: "Die zu erarbeitenden kategorialen Bestimmungen ... (dürfen) nicht ihren ^kategorialen^ Geltungsbereich überschreiten, also nicht Aussagen enthalten, die legi timerweise nur akiualempirisch gewinnbar bzw. begrundbar (mithin einzel theoretischer^ Natura sind; die Kategorien sollen den Blick auf die Aktualempirie ja nicht verstellen, sondern gerade in besonderer Weise öffnen" (a.a.o., S.4l8) Damit ist die Problematik, die in der kategorialen Statusbestimmung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit liegt, auf den Begriff gebracht . Neines Brachtens sind im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit "realhistorische

Konkretisierungen

unterlaufen, die

eigentliche

erst auf

einzeltheoretisch-aktualempirischer Bbene wissenschaftlich begründet anzugehen wären" (a.a.o., S.428). ln der Kritischen Psychologie sind wir damit selbst in jene "Grauzone zwischen Kategorialanalyse und einzeltheoretischer E^pothesenbildung hineingeraten" (ebd.), vor der Holzkamp warnt. Und dies führt wiederum dazu, daß durch das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

"aktualempirische

Analysen

unzulässig

präjudiziert

werden" (a.a.o., S.48l).^ Kategorial läßt sich mit Holzkamp feststellen, daß "die in der Handlungsfähigkeit

gegebene

Nöglichkeit

gesellschaftlicher

Bedingungsver-

fügung durch die Lebenslage/Position in ihrer Formationsspezifik viel-

l Da ich meine Argumentation in diesem Kapitel weitgehend auf HolzkampZitaten aufbauen kann, glaube ich die Auffassung vertreten zu können, daß hier eine immanente Widersprüchlichkeit der Kritischen Psychologie aufgewiesen wird und die Statuskritik am Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit von einer dezidiert kritisch-psychologischen Position aus formuliert werden kann.

-l86-

fältig vermittelt und gebrochen" (a.a.o., S.2^l) sein kann. Deshalb ist die Forderung nach kategorialanalytischen Anstrengungen zu unterstützen, um "im lnteresse des ^verallgemeinerten Betroffenen^ nende oberfläche

... die erschei-

der subjektiven Befindlichkeit auf darin verborgene

^innere Handlungszwänge^ hin durchdringbar zu machen und in ihrer Funktion bei der subjektiven Lebensbewältigung zu erhellen" (a.a.o., S.324). Die speziell auf der Basis der Kategorie der doppelten Nögllchkeit zu analysierenden unterschiedlichen und widersprüchlichen Erscheinungsformen der Handlungsfähigkeit

lassen sich meines Brachtens jedoch nicht

logisch-historisch, sondern nur einzeltheoretisch und - in letzter Konsequenz - intersubjektiv erfassen. Die zu deren Aufklärung notwendigen kategorialanalytischen

Anstrengungen

konkreten Analyse erfolgen.

können nicht

mehr außerhalb der

Sie müssen in ihrem bereichsspezifischen

Status erkennbar blelben und dürfen nicht die konkrete Analyse anderer Fälle ersetzen. Deshalb bezweifle ich, daß man "die Diiferenzierung des psychischen

Aspekts gesamtgesellschaftlicher

Vermitteltheit

individu-

eller Bxistenz als historisch bestimmte Lage- und Positionsspezifik der Befindllchkeit/Handlungsfähigkeit mit restriktiver und verallgemeinerter Handlungsfähigkeit

als Alternativen

der Bedingungsverfügung"

(a.a.o.,

S.5l2) zu den Grundbegriffen zählen kann, also bestimmte Prozeßtypen, die eigentlich mit Hilfe der Kategorien an "den gegebenen psychischen Brscheinungen heraushebbar sein sollen" (ebd.). Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

besitzt nicht die Allge-

meinheit eines Grundkonzepts, sondern ihm ist eine theoretische Verallgemeinerung mit einem Bezug auf aktualempirische Zusammenhänge inhärent.

In ihm werden "allgemeine Annahmen über die realen Beschaffenheiten bzw. den realen Ablauf der Brschelnungen

... gamacht"

(a.a.o.,

S.5l4);

des-

halb besitzt es den f^r Binzeltheorien charakteristischen Bmpiriebezug. Für die Grundbegriffe

muß dagegen

uneingeschränkt

Holzkamps

Auffassung

gelten, daß mit ihnen überhaupt erst die kategorialen Voraussetzungen zu schaffen sind, "um den Zusammenhang zwischen historisch- bestimmten Lebensbedingungen und individueller Handlungsfähigkeit/Befindlichkeit adäquat zu erfassen, gleichviel, wie diese Lebensbedingungen realhistorisch jeweils beschaffen sind" (a.a.o., S.344). Dazu im Widerspruch

-l87-

steht meines Brachtens der Versuch, Grundkategorien auf dem Wege einer formationsspezifischen

Konkretisierung

der

allgemeinen

Vermittlungs-

kategorien zu gewinnen. Bs

scheint

ein

Widerspruch

in

sich

zu

sein,

formationsspezifische

Aspekte dadurch grundsätzllch aufschließbar machen zu wollen, daß man allgemeine Kategorien auf eine bestimmte Formation zu konkretisieren versucht und damit diese bestimmte Formation - soweit man sie erkannt hat - in das Wesen der Grundbegrifie einfließen läßt. Behält man unter dieser Voraussetzung den Anspruch aufrecht, einen universalen analytischen Schlüssel gefunden zu haben, indem unterstellt wird, im Konzept restriktiver-verallgemeinerter einen

"Kernwiderspruch

Handlungsfähigkeit

^eder subjektiven

handle

es

Lebensproblematik"

sich

um

(a.a.o.,

S.376), kommt man zu unzulässigen Universalisierungen. Universalschlüssel bzw. analytische Begriffe können nur allgemeine Bestimmungen bzw. Wesensbestimmungen enthalten, auf die hin die subjektive Brfahrung unter Berücksichtigung

formationsspezifischer

Brkenntnisse

analysiert

wird.

Weitere begriffliche Bestimmungen sind Resultat konkreter Analysen. lch will die Problematlk der Kategorialisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit aus einem weiteren Blickwinkel verdeutlichen. Die kritisch-psychologlschen Kategorialbestimmungen sind nach Holzkamp kategorial-methodoiogische Bestimmungen (siehe 1983, S.509f), das heißt, sie sind sowohl konzeptuelle Rahmenbestlmmungen einzeltheoretischer Analysen als auch methodologische Rahmenbestimmungen bei der Bntwicklung von Nethoden, mit denen der empirische Bezug auf den konkreten Binzelfall hergestellt wird. Nachdem das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als allgemeine

konzeptueiie Rahmenbestimmung

einzeltheoretischer

Analysen problematisiert wurde, soll deshalb an dieser Stelle auch kurz auf den methodologischen Aspekt eingegangen werden. Unter diesem Aspekt sind kritisch-psychologische Kategorien dem aktualempirischen Gegenstandsbezug in erster Linie im Hinblick auf das Kriterium der Gegenstandsadäquatheit logisch vorgeordnet. Sie fordern quasi da sie das Nenschenbild der Kritischen Psychologie bestimmen und artikulieren - die Bxplikation einer diesem Nenschenbild adäquaten aktualempiri schen Vorgehensweise,

wie dies von Holzkamp im 9.

Kapitel seiner

-l88-

Grundlegung geleistet wurde. Meines Brachtens ist nun die Ableitbarkeit von gegenstandsadäquaten empirischen Nethoden auch ein Kriterium dafür, welche

kritisch-psychologischen

Gegenstandsbestimmungen

kategorialen

Status beanspruchen können und welche nicht; so haben kritisch-psychologische Begriffe, die einzeltheoretlsch gebildet wurden (wie zum Beispiel das Konzept der "Gleichheitsregulation"), Dimension

und

können

damit

auch

keinen

keine methodologlsche

grundlegenden

kategorialen

Status, dem nach Holzkamps Definition eine methodologische

Dimension

inhärent ist, beanspruchen. Sie sind lediglich hypothetisch-einzeltheoretische Konzepte, die die weitere aktualemplrische Forschung inhaltlich anregen, nicht aber grundlegend formatieren können; ihre Bildung selbst lst

vielmehr

durch

den

methodologischen

Aspekt

der

Grundkategorien

strukturiert. Man kann sich weiter konzeptuell und methodologisch aui das kritisch-psychologische

Menschenbild beziehen und trotzdem solche

Begriffe in bezug auf einen konkreten Fall für irrelevant erklären (vgl. hierzu

Holzkamps Darstellung

des Verhältnisses von kategorialer und

einzeltheoretischer Bbene; l983, S.27). Meines Brachtens handelt es sich also auch unter dem methodologischen Gesichtspunkt beim Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit um ein solches einzeltheoretisches Konzept. Aus diesem Konzept sind keine allgemeinen subjektwissenschaftllchen

Nethoden für die Binzelforschung ab-

leitbar.

So gelingt es beispielsweise Narkard (l99l), die kritisch-psychologische Nethodendiskussion differenziert voranzutreiben, ohne auf das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit zurückzugreiien, obwohl doch die Bntwicklung von Nethoden, sofern diese gegenstandsspezifisch sein sollen, vom kategorial bestimmten Gegenstand abhängen muß. lm Kontext der kategorialen Begründung subjektwissenschaftlicher Nethoden grenzt also Narkard selbst implizit das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit aus dem Bereich der methodologisch-kategorialen Grundbestlmmungen aus. Dagegen kann er auf die Kategorien "Bedeutung", "Begründung" und "Subjektivität" in der von der Kritischen Psychologie entfalteten Form nicht verzichten.

-l89-

3.3.3

Die Verkehrung einzeltheoretischer Begriffsbildungen in kategoriale Voraussetzungen der Aktualforschung

Die eben angesprochene ^erkehrung einzei theoretischer Prozeßanalysen in Grundkategorien läßt sich am Beispiel einer kritisch-psychologisch fundierten Neukonzipierung der Arbeitslosigkeitsiorschung nachvollziehen (vgl. Holzkamp 1986). Dort exemplifiziert Holzkamp an einem konkreten Gegenstand zum einen in überzeugender Weise das mit seiner Grundlegung gewonnene

subjektwissenschaftllch-vermittlungsanalytische

Niveau

der

Kritischen Psychologie. Zum anderen wird hier aber auch die überschreitung der Grenzen grundbegrifflicher Analysen, die ich für das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit festgestellt habe, deutlich sowie auch die damit verbundene Problematik der Präjudizierung möglicher Untersuchungsergebnisse

durch

die

erwähnte

Verkehrung

einzeltheoretischer

Begriffsbildungen in Grundkategorien. Den Ansatz psychologischer Arbeitsloslgkeitsforschung vom subjektwissenschaftlichen Standort der Kritischen Psychologie bildet die kritischpsychologische Eedeutungskategorie: Die im Problem der Arbeitslosigkeit sich manifestierenden gesellschaftlichen Verhältnisse werden so nicht als "Reizkonstellatlonen", die bestimmte Wirkungen hervorrufen, sondern als Bedeutungskonstellationen, als individuelle Handlungsmöglichkeiten, aufgefaßt, zu denen sich das Subjekt bewußt verhalten kann. Für die einzeltheoretische Untersuchung bedeutet dies: "Der systematisch erste Schritt jeder einschlägigen psychologischen Untersuchung wäre demnach die Bedeutungsanalyse ..." (l986, S.24). Durch elne solche Bedeutungsanalyse als erstem Vermittlungsschritt zwischen objektiver gesellschaftlicher Realität und individueller Subjektivität sind auf gesellschaftstheoretischer Grundlage die für die jeweilige Fragestellung relevanten Handlungsmöglichkeiten, -beschränkungen und -widersprüche zu analysieren. Auf Holzkamps differenzierte bedeutungsanalytische Ausführungen zum Problem der Arbeitslosigkeit braucht hier nicht eingegangen zu werden; ich will nur seine methodologische Vorgabe festhalten, nämlich daß die sub^ektwissenschaftliche Bedeutungsanalyse auf "eine entsprechende wis-

senschaftliche Urteilsbildung auf dem ^tand einschlägiger gesellschafts-

-l90-

theoretischer Auseinandersetzungen" (a.a.o. ,S. 25) angewiesen ist. Holzkamp plaziert hier, so wie auch ich es in meiner Argumentation vorschlage, die Bedeutungsanalyse

in die Aktualforschung und unterläßt einen

Hinweis auf eine zunächst zu vollziehende kategoriale Bedeutungsanalyse. Holzkamp ist nun aber bemüht, die im Konzept verallgemeinerter-restriktiver Handlungsfähigkeit systematisierten Brkenntnisse als kategoriale Voraussetzungen

zu

nutzen.

Dies

ist

meines Brachtens

innerhalb der

aktualempirischen Forschung durchaus sinnvoll; Holzkamp versucht aber außerhalb der Aktualforschung - obwohl er dieser bereits methodologisch die Aufgabe der Bedeutungsanalyse zugewiesen hat - durch allgemeine bedeutungsanalytlsche

Beigaben

über

den

charakter

der

bürgerlichen

Gesellschaft dieses Konzept der Binzelforschung logisch vorzuordnen: In der bürgerllchen Gesellschaft gerate das Subjekt im Versuch der unmittelbarkeitsüberschreitenden

Brweiterung

seiner

Verfügungsmöglichkeiten

in Konflikt mit den ökonomisch-polltischen Nachtinstanzen, "in deren lnteresse die Aufrechterhaltung der Beschränkungen menschlicher Handlungs- und Lebensmöglichkeiten ist dort deshalb eine

..."

(a.a.o., S.29). Bs existiere

umfassende widersprüchllch-konflikthafte

Handlungs-

alternatlve zwischen dem ideologisch nahegelegten Sich-Binrichten in der Abhängigkeit zur Abwendung einer bedrohenden Kollision mit den herrschenden lnstanzen einerseits und der wirkllchen Brweiterung der Verfügungs- und Lebensmöglichkeiten in überschreitung der Unmittelbarkeit mit dem dem Risiko, mit den herrschenden lnstanzen in Konflikt zu geraten, andererseits.

lm Hinblick

auf

einzeltheoretische seinem

die

Generierung

Untersuchungen

subjektwissenschaftllchen

von konkreten Forschungsfragen schreibt Ansatz,

Holzkamp

der

von

im Binklang

den

Problemen

für mit des

Subjekts ausgeht: "lch kann (und will) mir Beispiele für ... Forschungsfragen ... nicht aus den Fingern saugen" (a.a.o., S.3l). Damit entsteht in seiner Argumentation ein Vakuum, daß eigentlich erst in der intersubjektiven Binzelforschung mit den jeweils Betroffenen gefüllt werden kann. Deshalb greift Holzkamp auf "frühere Analysen" zurück, genauer auf das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit, das nun als das verwendet wird, was es ist: eine General lsierung einzeltheoretischer

Analysen:

Aufgrund der dort systematisierten Analysen glaubt er "allgemeine Struk-

-l91-

turmerkmale von unmittelbarkeitsverhaftet-^kurzschlüssigen^

Begründungs-

mustern aufweisen" (ebd. ) zu können. Holzkamp reproduziert dann im Grunde die im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit zusammengefaßten theoretischen

Bestimmungen

wie

"Personen-

und

lnteraktionszentriertheit",

"deutendes Ausklammern der ^doppelten Nöglichkeit^", "personalisierende ^Binebnung^ von gesellschaftlichen Unterdrückungsverhältnissen", "unmittelbarkeltsverhaftete

Verknüpfung

zwischen

Breignissen",

"familiales

Denken" etc.

Diese werden nun aber - vor dem Hintergrund der erwähnten allgemeinen Bedeutungsanalyse - unter der Hand zu Strukturmerkmalen, "die bei den jeweils thematisierten Brscheinungsformen ... als deren generelle charakteristik herauszuanalysieren ... wären" (a.a.o., S.3lf). Hler gewinnt dann

das

Konzept

metatheoretische

restriktiver

Funktion,

Handlungsfähigkeit

eine

die die Gefahr abstrakter

kategoriale,

Subsumtionen

in

sich birgt.

Wir können also festhalten, daß Holzkamp in seinem Artikel über Arbeitslosigkeit

einerseits

"entsubjektivierenden

den

radikalen

Wechsel

Wirkungsforschung"

von

elner

hin zu einem

traditionellen ausgearbeiteten

materialistisch-subjektwissenschaftllchen Paradigma aufzeigt. Zum anderen wird aber deutlich, daß dieses neue Niveau psychologischen Untersuchens mit der kategorialen Verwendung der im Konzept verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit

zusammengefaßten

restriktiverZusammenhangs-

annahmen, die allenfalls Resultate bzw. Hypothesen einzeltheoretischer Untersuchung sein können, gegebenenfalls - falls der "Schlüssel" nicht paßt - wieder zurückgenommen wird. lm Grunde werden diese Zusammenhangsannahmen von Holzkamp auch als aktualempirische

Hypothesen verwendet,

denn erst bei seinem Binstieg in die einzeltheoretische Analyse - wo er mangels konkreter Forschungsfragen auf die Resultate "früherer Analysen" zurückgreiit - nutzt Holzkamp in konkretisierender Paraphrasierung die im Konzept

restriktiver

Handlungsfähigkeit

zusammengefaßten

Resultate

quasi als Platzhalter, als aktualempirische Hypothesen. Bmpirische Hypothesen haben aber eine Strukturidentität lassen

sich

aus

Grundkategorien

keine

mit

Binzeltheorien;

Prozeßhypothesen,

deren grundsätzliche Voraussetzungen ableiten (s.u.).

dagegen

sondern

nur

-l92-

3.4

Konsequenzen der Kategorialislerung des Konzepts

restrikt iver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit 3.4.1

Ansatzweiser Verlust des subjektwissenschaftlichen Standpunkts

Wenn in der Kritischen Psychologie Handlungsfähigkeit unter bürgerlichen Verhältnissen als Alternative nerter Handlungsfähigkeit

zwischen

restriktiver

kategorial differenziert

und

verallgemei-

und als allgemeine

konkret-historische Struktur subjektiver Nöglichkeitsräume dargestellt wird (vgl. Holzkamp 1984a, S.45f), führt dies - wie dargelegt - dazu, daß die Alternatlve des Sich-Binrichtens-in-der-Abhängigkeit versus des kollektiven

Zurückdrängens der Fremdbestimmtheit

als konstitutiv

für

jeden subjektiven Nöglichkeitsraum hypostasiert und unabhängig von konkreter individueller Lebenserfahrung als gegeben unterstellt wird. Damit wird jede Handlung als Absicherung bzw. als Brweiterung der Handlungsfähigkeit im Nedium ökonomisch-sozialer Widersprüche gefaßt. ln der damit verbundenen Statik liegt die Gefahr, daß der subjektwissenschaftliche charakter und damit der prinzipielle Brkenntnisfortschritt

der

Kritischen Psychologie zurückgenommen wird. Bs entsteht das Problem, daß gesellschaftstheoretisch dem

zu bestimmende abstrakte Systemmerkmale, die

Differenziertheitsgrad

der

gesellschaftlichen

Lebensbedingungen

nicht in jeder Hinsicht gerecht werden, auf die subjektive Begründungsebene herunterkonkretisiert werden. Daran ändert sich auch nichts, wenn diese Systemmerkmale im Kontext von Begründungsmustern vom Standpunkt des Subjekts aus reformullert werden. Bine solche Diktionsdisziplin garantiert noch lange nicht, daß der reale Standpunkt des Subjekts auch tatsächlich

abgebildet

wird.

Eedeutungs-Eegrundungs-Anai^sen

bedurfen

notwendig der Einbeziehung von Betroffenen; und sei es, daß der Forscher der Betroffene ist. lm Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

geht es nicht - ich habe

darauf hingewiesen - um allgemeine menschli^h-gesellschaftllche Dimensionen, lnstanzen oder Funktionen, sondern um deren bestimmte, vermeintlich typische Kontext

Realisierungen bzw. subjektive Ausgestaltungen.

des Konzepts restriktiver

Handlungsfähigkeit

Die im

erfolgenden be-

-193-

grifflichen Differenzierungen repräsentieren keine notwendig anzunehmende

^trukturmomente

und

haben

in diesem

Sinne

keine

kategoriale

Funktion. Sie stehen als Resultate der prozeßorientierten Anwendung der allgemeinen Strukturkategorien auf einzeltheoretischer Bbene. Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit muß deshalb als eine Theorie im Sinne einer kategorial begründeten Zusammenhangsannahme über einzeltheoretische Verläufe charakterisiert werden. Bs ist de facto eine empiriebezogene Bedeutungs- Begründungskonzept ion, die durch die reale gesellschaftllche Bntwicklung immer wieder zur Disposition gestellt wird und die für die Betroffenen Anhaltspunkte zur Selbstverständigung enthält. Das Konzept einer restriktiven Lebensbewältigung liefert damit in seiner Bigenschaft als theoretischer N^giichkeitstyp (siehe Holzkamp 1983, Kap. 9) lediglich Hinweise zur konkreten Anaylse je meiner Handlungsfähigkeit. Für je mich besteht aber die Nögllchkeit, mich außerhalb seines Verallgemeinerungsbereichs zu stellen, eine Nöglichkeit, die bei allgemeinen Grundkategorien nicht gegeben ist. Wenn die im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit verdichteten hypothetischen Resultate zur Voraussetzung

weiterer empirischer Vermitt-

lungsanalysen erhoben werden, das heißt, ihnen der charakter von Grundbegriffen

eingeräumt

wird,

kann

sich

der

subjektwissenschaftliche

Brkenntnisstatus auflösen. Auch wenn das Subjekt diese Kategorien zur Selbstanalyse verwendet, wird aufgrund des Theorie-Bmpirie-Zirkels die Struktur der je subjektiven Bedeutungs-Begründungszusammenhänge

prin-

zipiell als bekannt vorausgesetzt. Der intersubjektive Status von Forschung, der dadurch ausgehöhlt wird, ist nur wieder herzustellen, wenn man das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit wahrnimmt als eine durch das je konkrete lndividuum zu überprüfende, aus einem bestimmten historischen Kontext stammende prozeßorientierte Hypothesenbildung, die die Vielfalt menschlicher Bedeutungs-Begründungszusammenhänge nicht abdeckt, sondern spezifischen Eereichscharakier hat. Die kategoriale Verwendung dieses Konzepts - auch wenn es selbstreflexiv verwendet wird - zwingt das Subjekt dazu, sich als "Fall von restriktiver Handlungsfähigkeit" zu begreifen; es findet also keine Verallgemeinerung vom Standpunkt des Subjekts aus statt, sondern eine Subsumtion

-l94-

unter ein bestimmtes Begr^ndungsmuster. Neine psychischen Brscheinungsformen müssen aber nicht unbedingt Brscheinungsformen der im Konzept verallgemeinerter-restriktiver Handlungsfähigkeit begrifflich fixierten dynamischen Vorgänge sein. Als Grundkategorie verwendet, universalisiert das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit - wie wir im zweiten Kapitel dargelegt haben - eine bestimmte, spezifische

an

kapitallstischen

Konstellation

von

Grundwidersprüchen Handlungsbegründungen

orientierte und

und

Funktions-

ausprägungen zur allgemeinen Begründungsform in jeder Lebenssituation. Hier offenbarte sich die Gefahr eines versteckten Ökonomismus und Kiassenreduktionismus

einschließlich

Fortschrittsphilosophie,

der

auf

diesem

die dem eigentlichen

Terrain

gegründeten

subjektwissenschaftlich-

analytischen Anspruch der Kritischen Psychologie entgegensteht. Gesellschaftlichkeit wird auf ökonomische Strukturmerkmale reduziert. Andere Begründungskonstellationen werden ausgeblendet. Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit kann damit unter Umständen zum Fremdkörper in einer dezidiert subjektwissenschaftllchen Kritischen Psychologie, die ansonsten das traditionelle und für die Psychologie weitgehend funktionalistische Konsequenzen zeitigende Produktionsparadigma überwunden hat. Das Verdikt von der Komplizenschaft mit den "Herrschenden", also mit den Unterdrückern von Freiheit und Selbstbestimmung (mit all seinen Konnotationen wie Krieg, Ausbeutung, Nassenvernichtung, Hunger, Katastrophen etc.), kann im selbstreflexiven Kontext zu einer ständigen reibst- und Fremdverdächtigung bei jeder noch so bescheidenen Handlung führen, weil mit solchen Begrifien die Frage der Verantwortlichkeit für bestehende Verhältnisse deutlich in den Vordergrund psychologischer Analysen tritt; die Brkenntnis der Bigenverantwortung

und Schuld kann geradezu para-

lysierend oder neurotisierend wirken, wenn man trotz dieser Brkenntnis keine reellen Handlungsalternativen sieht. Hierin liegt meines Brachtens die Ursache für das von .lantzen formullerte Unbehagen, daß in der ^ritischen Psychologie der Begriff des "Nenschen in der Nenschheit" verloren gehe und die Dialektik von menschlicher Natur, Soziogenese und ontogenese auf sozialpsychologische Strukturen reduziert werde (siehe .lantzen l984); diese Kritik ist aber nur in bezug auf das Konzept restriktiver

-l95-

Handlungsfähigkeit diskutierbar und kann die Qualität der allgemeinen kritisch-psychologischen Kategorien nicht in Frage stellen. Nimmt man das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit Strukturmoment

psychologischer

Prozeßanalysen,

als zwingendes

so bedeutet

dies,

daß

jegliche psychische Beeinträchtigung als in der kapital lstischen Klassenspezifik und keinesfalls in anderen - natürllch auch über gesellschaftliche Denkformen vermittelten - bedeutenden und dem Subjekt wichtigen Dimensionen menschlicher Bxistenz begründet erscheint. Bestimmte Strukturmerkmale

einer

nicht

hinreichend

analyslerten

bürgerlichen

Gesellschaft werden so a priori zur universellen und einzigen realen ürsache subjektiver Probleme. Die nur aktualempirisch aufklärbare Frage nach der Formbestimmtheit konkreter psychischer Probleme des Subjekts wird

im Konzept der verallgemeinerten-restriktiven

Handlungsfähigkeit

schon auf kategorialer Bbene ohne die Betroffenen beantwortet. Für den subjektwissenschaftlichen Diskurs kann das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

aber

nur

im

Kontext

des

jeweiligen

subjektiven

Nöglichkeitsraumes relevant sein. Will man sich vermittlungsanalytischdiagnostisch psychischen Problemen nähern, so ist vom Standpunkt des Subjekts zu prüfen, ob diese mit einer in der Kritik der politischen ökonomie

vollständig

reichend

ausgeleuchtet

aufgehenden werden

Bedeutungs-Begründungsanalyse

können

oder

ob

hier

soziale

hin-

Aspekte

relevant sind, die nicht im Zusammenhang der Klassenspeziiik "unserer" Gesellschaftsformation aufklärbar sind.

Der im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit sich andeutende Fehler besteht im Grunde darin, daß die Kategorialanalyse bis zu den psychischen

Erscheinungsformen aufzusteigen

Brscheinungsformen

der

dungsform ausweist

(vgl. Kapitel

jekt

einer

restriktiven

logisch-historischen

versucht bzw.

l.5.4).

der

und diese als definierte verallgemeinerten

Damit

übernimmt

Begriffsbildung.

Begrün-

sich das Pro-

Bekanntlich

kann

eine

Brscheinung verschiedene Ursachen haben; man kann schon deshalb Brscheinungsformen nicht monokausal auf bestimmte allgemeine Formen von Bedeutungs-Begründungszusammenhängen zurückführen. Hier sind konkrete aktualempirische Analysen notwendig.

-l96-

Solange im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit aber der Anspruch erhoben wird, Brscheinungsformen grundsätzlich aufgeklärt zu haben, generiert sich die Kritische Psychologie nicht als Psychologie für die Betroffenen, sondern als Psychologie ohne die Betroffenen. Durch die Kategorial isierung des Konzepts restriktiver Handlungsiähigkeit kann sich kritisch-psychologische Aufklärung nicht mehr - wie durch das allgemeine

vermittlungsanalytische-subjektwissenschaftllche

Niveau

gewährleitet - als Selbstaufklärung artikulieren, sondern als Fremdaufklärung, als Botschaft, um andere "aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit zu erwecken". ln dieser Problematik sehe ich die reale Ursache für die Kritik von iantzen (siehe lantzen 1984 sowie Jahrbuch für Psychopathologie und Psychotherapie l985) und anderen, direkt der kul-

turhistorischen Schule der sowjetischen Psychologie verbundenen psychotherapeutisch ausgerichteten Autoren, die "die bloß am Schreibtisch erfolgende Begriffsbildung" (^lantzen l985, S.220) der Kritischen Psychoiogie monieren. Durch Klärungen auf der hier diskutierten Bbene ließen sich meines Brachtens lantzens tendenziöse Fehlinterpretationen der Kritischen Psychologie (so bei ^lantzen l984) in eine sachliche Auseinandersetzung überführen.

-l97-

3.4.2 Nethodische Konsequenzen: subjektwissenschaitllche Begriffsbildung und Binbeziehung der Betrofienen

Aus den im vorherigen Teilkapitel dargelegten Ausführungen müßten meines Brachtens im Hinblick auf die kritisch-psychologische

Begriffsbildung

methodische Konsequenzen gezogen werden. lm Kontext elnes subjektwissenschaftlichen Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten als methodischem Regulativ

psychologischer

Begriffsbildungen

müßte eine

Zäsur gemacht

werden: Ab dem Punkt, an dem der Standpunkt des Subjekts als notwendiges lmplikat der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz rekonstruiert ist, muß die Begriffsentfaltung bzw. Begriffsanalyse nicht nur notwendig vom Standpunkt des (allgemeinen) Subjekts erfolgen, sondern muß konkret intersubjektiven charakter gewinnen; sie darf sich zudem nicht ausschlleßllch an psychischen lmplikationen gesellschaftlicher Lebenserhaltung orientieren und nur auf dieser Grundlage psychologische Vorbegriffe rekonstruieren. Weitere Begriffsbestimmungen müssen immer wieder vor dem Hintergrund der allgemeinen Grundkategorien als Erkiärungsbegriffe in Abhängigkeit von konkreten Bedeutungskonstellationen und konkreten subjektiven Befindlichkeiten erfolgen. Dies erfordert ein diskursives Forschungsparadigma mit der Beteiligung der Betroffenen. Wenn dagegen über den Punkt der Rekonstruktion

des Standpunkts des

Subjekts hinaus ohne die Betroffenen die in psychologischen Vorbegriffen gegebenen Erscheinungsformen subjektiver Befindllchkelt analysiert werden, setzt man sich primär mit existierenden Begriffssystemen und deren Geltungsbereich auseinander, nicht aber mit den Subjekten. Nan verläßt so unweigerlich das erreichte subjektwissenschaitllche Niveau und blelbt auf elnem sprachanalytischen,

in gewisser Weise

"allopsychologischen"

Standpunkt stehen^ .

l Wenn kritisch-psychologische Autoren dennoch subjektwissenschaftlich mit den im Kontext des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit entwickckelten Begrifien arbelten (vgl. etwa Ulmann l989, l990), so liegt dies daran, daß sie sie als ^pothesen verwenden.

-l98-

Primärer Gegenstand sub^ektwissenschaftiicher Eegriffsbiidung sind meines Erachtens nicht bestimmte "^orbegriffe", sondern konkrete Eefindiichkeiten empirischer Subjekte, auch wenn letztere in "Vorbegriiien" kommuniziert werden. vorgelegten

ln der im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

logischen

Analyse

psychischer

Brscheinungsformen

auf

der

Bbene psychologischer Begriiiskritik llegt die Geiahr, daß das Verhältnis von Bezeichnendem zu Bezeichnetem nicht hinreichend geklärt wird. Neines Brachtens muß also zwischen logisch-historischer Gewinnung von Grundkategorien als erster Art von Kategorialanalyse und einer einzeltheoretischen Realisierungsanalyse als zweiter Art der Kategorialanalyse klar unterschieden werden, wobei jeweils unterschiedliche Bmpiriebezüge vorliegen (s.u.). Die logisch-historische Kategorialanalyse müßte genau an jenem Punkt lichen,

enden,

an dem Holzkamp feststellt:

widersprüchlichen

Brscheinungsformen

des

"Die

unterschied-

Psychischen

ergeben

sich ... allein aus der Unterschiedlichkeit bzw. Widersprüchlichkeit der ^ Prämissen^, auf denen der jeweils individuelle Begründungszusammenhang beruht, und mit bezug auf welche er subjektiv funktionale

ist" (l983,

S.352). "Wenn diese ^Prämissen^ bekannt sind, so werden damit ... nach dem Kriterium der scheinungsformen

^Begründetheit^

individueller

... der sich daraus ergebenden Br-

Beiindlichkeit/Handlungsfähigkeit

diese

vom Standpunkt des ^ub^ekts ... aufschließbar" (ebd.). An dieser Stelle müßte nun das Forschungsfeld der aktualempirischen Analyse überlassen werden, der Vermittlungsanalyse zwischen den konkreten Bedingungen und empirischer

Subjektivität

auf

der Grundlage

des allgemeinen

vermitt-

lungsanalytischen lnstrumentariums und der allgemeinen Bestimmungen der gesellschaftlichen Natur des Nenschen. Und die Betroffenen mußten dabei (mindestens in Form der Betroffenheit des Forschers) mit an Bord des Wissenschaftsprozesses genommen werden. Daraus

folgt,

daß die Brfassung

historisch

bestimmter

Reallsierungs-

weisen psychischer Bntwicklung und damit im Grunde auch der Aufweis der Formbestimmtheit

und der Brkenntnisbeschränkungen

traditionell-psycho-

logischer Begriffe, sofern sie sich auf zeitbezogene Verläufe beziehen, Aufgabe der einzeltheoretischen Forschung ist. Nur in diesen Rahmen wird forschungsstrategisch das bewußte Verhalten der jeweils betroffenen Sub-

-l99-

jekte

zu

traditionellen

psychologischen

damit auch der Widerspiegelungsbeziehung konkreter Befindlichkeit

Vorbegrifien

Rechnung getragen.

daß traditionell-psychologische

zugelassen

und

zwischen Begrifflichkeit und Zugleich wird verhindert,

Brkenntnisse mit der je individuellen

Subjektivität identifiziert werden. Denn nur im einzeltheoretischen Prozeß können die Subjekte auch bestätigen, daß die theoretischen Rekonstruktionen

auch

wirklich

ihre

subjektive

Beiindlichkeit

betreffen.

Allein unter dieser Voraussetzung können die allgemeinen Grundkategorien ihre analytische Kraft für das Subjekt entwickeln. Vor diesem Hintergrund muß man auch die kritische Reinterpretation traditioneller

psychologischer

Ansätze

überdenken.

Reinterpretation

ist

unter subjektwissenschaftllchen Prämissen nur dann sinnvoll, wenn je ich erkennen kann, daß in den wissenschaftlichen Vorbegriffen und Theorien meine Probleme sowie aus meiner Sicht plausible lnterpretatlonen meiner Befindlichkeit repräsentiert sind. Nur so ist gewährlelstet, daß die Reinterpretation auch tatsächllch mich betrifft und meine konkrete Befindlichkeit erklärt. Wenn hier die Subjekte ausgeklammert werden, so kann man dies nur vertreten, wenn man das von der traditionellen Psychologie bearbeitete Naterial als die gesamte oberfläche, als Widerspiegelung der möglichen

Brscheinungsformen

empirischer

Subjektivität,

hypostasiert.

Von dieser Binschränkung unberührt bleibt natürlich Begriiiskritik, die man bereits auf der Basis der allgemeinen Grundkategorien, also auf der Grundlage des allgemeinen Nenschenbildes, lelsten kann, so zum Belspiel die Kritik am experimentellen Reiz-Reaktions-Schema mit dem Hinweis auf die Begründetheit menschlicher Handlungen.

-200-

3.^.3

Der Zusammenhang zwischen der Aufgabe des subjektwissen-

schaftllchen Standpunkts und dem Problemkreis der Normativität Am Beispiel eines Aufsatzes von Dirk Lehrke (vgl. l989) sollen nun normative Konsequenzen des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

ver-

deut licht werden.

Wenn Lehrke - als kritisch-psychologisch orientierter Praktiker selbstkritisch über das Phänomen berichtet, daß er sich in psychologischen Supervisionssitzungen mit Hilie der kritisch-psychologischen Kategorien zum allwissenden Bxperten aufgespielt habe, so steht dieses Verhalten meines Brachtens in engem Zusammenhang mit Unklarhelten über den wissenschaftstheoretischen Status des Konzepts restrikt iver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit, die ihn in eine Bxpertenrolle zwingen: dieses Konzept stellt nämllch - wie deutllch geworden sein sollte - bereits eine Zusammeniassung von Antworten dar; deren kategoriale Verwendung konterkariert nunmehr die vermittlungsanalytische Fragehaltung der Kritischen Psychologie. Da man so von vorneherein mehr über empirische Prozesse weiß als die Betroffenen, zumindest das Grundsätzliche, den "Kernwiderspruch

jeder subjektiven

Lebensproblematik"

(Holzkamp

l983,

S.376) kennt, gerät man leicht in die Rolle des "Bxperten" (siehe Lehrke l989, S.9^), der sich durch das "Auseinandernehmen" von "bürgerlichen Theorien"

als solcher zu legitimieren versucht. Die Dynamik für ein

solches Verhalten ist natürlich nicht aus den Kategorien zu klären, sondern aus den Widersprüchen psychologischer Praxis, etwa dem allgemeinen ^ualifizierungs-/Konkurrenzdruck; sie isi aber angewiesen auf funktionalisierbare Begriffe. Lehrke nennt auch das konkrete Problem: "von außen Begründungen fur die beobachtbaren psychischen Phänomene . . . geben, ... sie einfach . . . unter eine vorgefertigte Brklärung subsumieren" (a.a.o., S.93). Diese Brkenntnis Lehrkes beruht dabei zweifelsohne auf der Realisierung des ällgemeinen vermittlungsanalytisch-subjektwissenschaftllchen

Standpunkts der

Kritischen Psychologie. Da er aber diesen Standpunkt nicht vom Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit systematisch unterscheidet, entsteht der Bindruck,

daß seine Binsicht

auch durch die Rezeption des Konzepts

-201-

restriktiver-verallgemelnerter Handlungsfähigkeit vermittelt sei. Neines Brachtens ist nun aber der Binsatz kritisch-psychologischer Kategorien als "Knüppel gegen andere"

(a.a.o., S.92) allenfalls mit den histori-

schen Konkretisierungen im Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit möglich, keinesfalls aber mit den allgemeinen vermittlungsanalytlschen Kategorien. Nan wird etwa das Konzept der subjektiven Handlungsgründe

schwerlich

in dieser

Hinsicht

einsetzen

können.

Als

"Knüppel" kann sich nur das Konzept restriktiver-verallgemelnerter Handlungsfähigkeit

erweisen,

Brkenntnishaltung

das eine

tendenziell

diskursive

verhindert

und

vermittlungsanalytische die

Vorstellung

des

Bereits-analysiert-Habens suggeriert. Die kategoriale Verwendung dieses Konzepts selbst stellt somit die von Lehrke

kritisierte "von außen

herangetragene Verwendung abstrakter Zusammenhangsannahmen ohne konkrete Untersuchung

der

Bedingungen

(a.a.o., S.93) dar. psychologische

und

Handlungsgründe

Nan muß sich beispielsweise

Formulierung

eines

Aspekts

der

Betroffenen"

Narkards variablen-

des Konzepts

restriktiver

Handlungsfähigkeit vergegenwärtigen: "ln elner problematischen Situation neigt das lndividuum spontan dazu, . . . das Naheliegende und ideologisch Nahegelegte zu tun ...(Narkard l989, S.39). ln dieser Form formuliert man

keine

Bgründungsmuster,

überprüfende

sondern

Zusammenhangsaussagen.

traditionelle,

von

"außen"

kontingente,

Hierbei

formulierte

aktualempirisch

handelt

es sich

empirische

zu

um eine

Universalaussage.

Diese Aussage mag durchaus richtig sein und i^h als Betroffener mag ein solcher "Fall von" sein, aber damit ändert sich nichts an der impliziten allopsychologischen Struktur solcher Aussagen. Zudem sind solche Aussagen

einfach

nicht

logisch-historisch

ausweisbar,

sondern

allenfalls

aufgrund der eigenen Lebenserfahrung plausibel. Auf jeden Fall bedürfen sie im Binzelfall der individuellen Verlflkatlon, wobei eine solche individuelle Bestätigung weniger einer logischen - implikativen - Bvidenz als dem "weichen" Kriterium der Plausibilität folgt. Die von Lehrke am Beispiel der Supervision geschilderten Probleme liegen also nicht nur an einer selbst wiederum restriktiven Verwendung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit im Sinne eines Klassifikationsinstruments, sondern sind auch an dessen inhaltliche

-202-

Substanz gebunden, daran, daß bei den Betroffenen bestimmte grundsätzliche Bedeutungs- Begründungsformen vermutet werden. Bbenso

entdecken

wir

im Konzept

restriktiver

Handlungsfähigkeit

die

Ursache für das von vielen Praktikern geschilderte und auf die Aneignung kritisch-psychologischer

Kategorien zurückgeführte

selbst-unter-Druck-Setzens,

von

dem

auch

Phänomen des Sich-

Lehrke

berlchtet.

Dieses

Phänomen - von Kritischen Psychologen gerne als "normatives Selbst mißverständnis" interpretiert - hat meines Brachtens eine reale Ursache in der bereits erwähnten Verquickung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit mit moralischen Fragen wie Schuld und Verantwortung für soziale Nißstände, die etwa in Ute Holzkamp-osterkamps Arbelten zu finden sind. Bei der psychologischen Analyse der Notive der schweigenden Nehrheit im Nationalsozialismus oder bei ihrem Aufweis des quasi rassistischen

Verhaltens von Antirassisten

gegenüber

Rassisten

(vgl.

l99lb)

fällt es tatsächlich schwer, ohne moralische (Selbst-) Verurteilung den Vermittlungszusammenhang, in dem solches Verhalten steht, zu analysieren. Holzkamp-osterkamp betont immer wieder - und das zurecht - "die Verantwortllchkeit der Nenschen für die Verhältnisse und die Lebensmöglichkeiten der Nitmenschen"

(l990a, S.l8). Bs erscheint aber fraglich,

ob man diese moralisch und politisch berechtigte Anklage vom Standpunkt der

opier

mit

der

subjektwissenschaft lichen

Analyse

der

Täter

in

Binklang bringen kann. Gerade wenn man das Konzept der subjektiven Funktionalltät ("keiner schadet sich bewußt selbst" oder anders ausgedrückt: "jeder versucht seinen lnteressen gemäß zu handeln"), in dem morallsche Fragestellungen eigentlich keinen Platz haben und Versuche der Verallgemeinerung der Handlungsfähigkeit nicht moralisch gefordert, sondern in eine rationale Nithin-Logik

("indem ich mein Handeln am Allgemeinwohl

ausrichte, handle ich mithin logischerweise in meinem lnteresse, weil ich

Teil

der

Allgemeinheit

Schlüssel

zur

Analyse

bin") eingebunden

menschlicher

werden,

Begründungen

als zentralen

ansieht,

sollte ein

Schuld- oder Verantwortungsdiskurs bei der retrospektiven subjektwissenschaftllchen Analyse in den Hintergrund treten. Ansonsten darf man sich nicht wundern, wenn Rezipienten in der Selbstanwendung des Konzepts restriktiver-verallgemelnerter Handlungsfähigkeit sich selbst nach ihrer

-203-

Verantwortung und Schuld für inhumane Zustände fragen und wenn sie die "grundsätzlich gegebene zweite Nöglichkeit" der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit - weil man sich eben seiner Verantwortung stellt - als Handlungsnorm empflnden. Dies hängt auch damit zusammen, daß das Kriterium der Verallgemeinerbarkeit von Handlungen das unumstößliche Kriterium für die moralische Beurteilung menschlicher Handlungen ist. Subjektwissenschaftllche Psychologie aber kann keine Bthik ersetzen, wie auch umgekehrt Fragen der Noral und Verantwortung nicht subjektwissenschaftlich-anaiytisch

bestimmbar

sind.

Die

allgemeine

Kategorie

der

subjektiven Funktionalität gewährleistet die primär analytische lntention des kritisch-psychologischen Ansatzes. Zudem darf weder aus der ethischen Forderung nach Verallgemeinerung noch aus der Vernunfterkenntnis, Lebensansprüche

und

daß

ich ohne

Bntwicklungsperspektiven

Verallgemeinerungsforderung aufgebe,

auf

eine reale

Nögllchkeit der Verallgemeinerbarkeit je meiner Handlungen geschlossen werden; das Prinzip der Verallgemelnerung ist ein rein formales Prinzip, weil es weitgehend eine analytische Verstandeserkenntnis

ist; dieses

Prinzip gibt keine Wege vor, wie eine solche Verallgemeinerung erreichbar ist.

-204-

3.4.4

Die Gefahr der Skalierung menschlicher Subjektivität

als Konsequenz der Kategorialisierung des Konzepts restrikt iver-verallgemelnerter Handlungsfählgkelt ln seiner Grundlegung tritt Holzkamp dezidiert für einen neuen Subjektbegriff ein und kritisiert implizit eigene Positionen, die er etwa in seinem Aufsatz "Zur kritisch-psychologischen Theorie des Subjekts ll" (1979b) vertrat. So schreibt er selbstkritisch: "Die relativierende Rede

von Arten und Graden der ^Subjekthaftigkeitm, ^Subjektivität^ etc. ist . . . selbst zu relatlvieren aufgrund der Hinsicht, daß die Speziiik des Nenschen als ^ Subjekt^ unreduzierbar und uneliminierbar ist" (l983, S.355). Dabel präzisiert Holzkamp: "Die Speziiik des Psychischen bei gesamtgesellschaftlicher Vermitteltheit individueller Bxistenz liegt ... primär in der Nögllchkeitsbeziehung des ^ bewußten Verhaltens zum den gesellschaftlichen Bedeutungen, damit des Standpunkts des Subjekts als mje meinm Standpunkt ..." (a.a.o., S.534) Subjektivität wird quasi als gesellschaftlich ermöglichte Seinsbestim-

mung des Nenschen aufgefaßt und kann von daher keinesfalls - wie in früheren kritisch-psychologischen Auffassungen lmpllzit vertreten - unterschiedliche Ausprägugen je nach "Geschichtsmächtigkeit" der jeweiligen Handlungen annehmen. jeder Nensch ist Subjekt und muß es nicht erst durch speziiische Handlungen werden. Für den von Holzkamp in dem erwähnten Artikel formulierten "Zusammenhang zwischen der Bntfaltung individueller Subjektivität und erweiterter Teilhabe an gesellschaftlicher Subjektivität"

(l979b, S.l2) gibt es in der Kritischen Psychologie keinen

Platz mehr, denn die Bedingungen der Nöglichkeit von Subjektivität werden in den allgemeinen Reallslerungsbedingungen der gesellschaftlichen Natur des Nenschen unter dem Grundverhältnis der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz verortet. Der subjektwissenschaftlichen Wende entsprechend wird Subjektivität vom Standpunkt des lndividuums und nicht mehr aus einer soziologisch-politischen Perspektive gedacht. Vom Standpunkt des individuellen Subjekts aus werden nun die Bedingungen der Nöglichkeit der Bntfaltung von gesellschaftllcher

-205-

Subjektivität analysiert. Die ursprüngliche in der Kritischen Psychol ogie vertretene Konzeption von individueller Subjektivität als abhängigem Noment gesellschaftllcher Subjekte

(siehe etwa Holzkamp l978b, S.214)

wird so vom Kopf auf die Füße gestellt, und es wird deutlich, daß gesellschaftliche Subjektivität allein die Potenzierung individueller Subjektivität in dem je individuell begründeten Versuch der Brweiterung der Handlungsfähigkeit Realisierung

sein kann. Subjektivität

gesellschaftllcher

ist weder die "personale

Subjektivität"

(Holzkamp

l979b,

S.8)

noch "die überschreitung der bloßen Individualität in Richtung auf Teilhabe an der gesellschaftlichen Subjektivität" (a.a.o., S.12). Solche ldentifizierungen von Subjektivität und Gesellschaftsveränderung, durch die das vereinzelte lndividuum als solches seinen Subjektstatus verliert, verleiten - wenn man die Formulierungen wörtlich nimmt - zur Skalierung bzw. zur Differenzierung unterschiedlicher Grade von Subjektivität und erhalten - wenn sie in die Praxis zurückübersetzt werden normative Aspekte, da Subjektivität für das lndividuum zur vordefinierten gesellschaftlichen Aufgabe wird. Damit

ist

aber

auch

Holzkamps

im Brscheinungsjahr

der

Grundlegung

formullertes junktim, daß das lndividuum nur dadurch, daß es über die Realisierung

gesellschaftllcher

Handlungsmöglichkeiten

Verfügung über

seine Lebensbedingungen gewinnt, zum individuellen Subjekt wird (vgl. l983b, S.53), problematisch.

lm Grunde llegt dieser Vorstellungen von

Subjektivität eine ^er^uickung des kritisierten sub^iektbegriffs mit dem Eändiungsfähigkeitsbegriff zugrunde; damit wird aber Subjektivität nicht als unreduzierbare Grunddimension menschlicher-gesellschaftl icher Bxistenz deutlich, die unabhängig von der Art und Weise der konkreten Realisierung des Strebens nach Handlungsfähigkeit dem lndividuum gegeben ist. Der Begriff der Handlungsfähigkeit trltt damit das Brbe des überkommenen Subjektbegriffs an, zwar noch nicht in seiner allgemeinen Fassung, wohl aber in seiner Artbestimmung als verallgemeinerter oder restriktiver Handlungsfähigkeit. Bei Braun (siehe l986, S.132) finden wir zum Beispiel elne reine Substitution des alten Subjektbegriffs durch den Handlungsfähigkeitsbegriii, wenn er schreibt: "Die personale Handlungsiähigkeit (kann) sich nur dann optimal entwickeln . . . , wenn sie im

-206-

Kontext

der

Politik

der

Arbeiterbewegung

individuelles

Noment

der

kollektiven Handlungsfähigkeit wird, und so der Binzelne teilhat an der Geschichtsmächtigkeit seiner Klasse". lm Konzept restriktlver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit quasi

"bedingte"

reorganisiert

Subjektbegrifi,

der

sich somit der verworfene^

individuelle

Handlungsfähigkeit^

Subjektivität am Naßstab der Teilhabe an gesellschaitlicher Subjektivität beurteilt (vgl. auch Holzkamp l978b, S.2l3f), und wird zum Kriterium der

Unterscheidung

lungsfähigkeit.

zwischen

Das

restriktiver

individuelle

Subjekt

und

verallgemeinerter

wird

in den

Kontext

Handeiner

historischen Aufgabe, der überwindung kapitalistischer Verhältnisse im Rahmen der Arbeiterbewegung, gestellt, egal welche Probleme das Subjekt auch immer hat.

Darüber hinaus wird diese obsolete Variabillslerung menschlicher Subjektivität nicht nur inhaltllch, sondern berelts terminologisch in den kategorial bestimmten Grundformen interpersonaler Beziehungen, "Subjektversus lnstrumentalbeziehungen" (siehe l983, Kap.7.5 und l979b, S.l3if), transportiert.

Damit

wird

aber

die

allgemeine

analytische

Funktion

dieser Beziehungskategorien, nämlich die Frage, ob man den anderen als lnstrument benutzt oder auf seine lntentionen und Gründe eingeht, mit den

problematlschen

Aspekten

des

alten

Subjektbegriffs

überlagert.

Bezelchnenderweise werden diese komplementären Beziehungskategorien als interpersonale

lmplikate

der

Begründungsalternatlve

verallgemeinerte

versus restriktive Handlungsfähigkeit dargestellt. Auf diese Weise findet sich der variable Subjektbegriif auch ansatzweise noch in Holzkamps Grundlegung wieder und beeinflußt von seinem immanenten Außenstandpunkt den Gang der Kategorialanalyse. Vor dem Hintergrund meiner Gesamtargumentation diskutierten Kontext

feststellen, daß

läßt sich in dem hier

in der allgemeinen

Kategorial-

analyse die Grunddimensionen bzw. das Wesen menschlicher Subjektivität untersucht

werden,

Handlungsfähigkeit

während

im

Formen der

Konzept

verallgemeinerter-restriktiver

Realisierung menschlicher

Subjektivität

bzw. des Strebens nach Handlungsfähigkeit Gegenstand der Untersuchung sind. Wir haben es also mit spezifisch anderen Fragesiellungen zu tun,

die

in anderer Weise und mit jeweils anderen methodischen Referenz-

-207-

systemen beantwortet

werden müssen. sobald wir aber unterschiedliche

l^ealisierungsformen global differenzierend zu komplementären Grundkategorien formieren, variabilisieren wir GrundAategorien und ersetzen die durch sie ermöglichte analytische durch eine differentielle i^enkbewegung. Wenn man nicht in dem hier skizzierten Sinne Kategorial- und Reallsierungsanalyse voneinander trennt, kommt es zu jener unhaltbaren Skalierung der menschlichen Subjektivität oder sogar der "individuellen Nenschlichkeit" wie etwa in der folgenden Passage von Holzkamp: "Der Nensch ist nur soweit menschliches Subjekt, also ^Nensch^ lm eigentlichen Sinne, wie er sich selbst in verallgemeinerter Weise als Ursprung der Schaffung und Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ... erfahren kann" (1983b, S.53). Nit solchen zu Nißverständnissen und Fehlinterpretations

geradezu

zwingenden

Formulierungen

provoziert

man

Fragen wie die folgende: "lst der Säugling oder der geistig Behinderte kein Mensch^" eigentliche

(Rückriem/Nessmann

1985b, S.130), und man verdeckt die

lntentlon der Kritischen Psychologle, nämlich die Thema-

tisierung unmenschlicher Verhältnisse, in denen menschliche Nöglichkeiten und Bedürfnisse eingeschränkt werden. Wir können verallgemeinern:

werden Prozeßanalysen^/Artbegriffe mit der

Eildung von Grundbegriffen vermischt, resultieren daraus fast zwangsläufig Normierungen und Klassifikationen. ln dem hier diskutierten Fall führt dies in eine Schieflage, in der Grade individueller Subjektivität unterschieden werden verbunden mit der Norm zur "kooperativen lntegration", um Subjekt zu werden und um dem Stigma zu entgehen, nicht "wirklich" Nensch, das heißt restriktiv handlungsfähig, zu sein. Diese Tendenz wird durch die Verortung von Subjektivität in den Kontext der "Politik der Arbeiterbewegung" noch verstärkt. Die ldentifizierung von individueller Subjektivität mit der Verallgemeinerung der Handlungsfähigkeit in Teilhabe an der "Geschichtsmächtigkeit der Arbeiterklasse" (Braun l986) f^hrt dazu, daß aus der angelegten Variabillsierung menschl icher Subjektivität eine politische Selbst- und Fremdeinteilung von Nenschen anhand fragwürdig gewordener Naßstäbe einer proletarischen Befreiungsperspektive wird. Diese Konsequenzen konterkarieren den kritisch-psychologischen Gesamtansatz, sie stellen die Kritische Psychologie von den Füßen auf den Kopf; solche Konsequenzen sind aber möglich,

-208-

solange

wir den Status des Konzepts restriktiver

Handlungsfähigkeit

nicht präziser als bisher bestimmen. Zwar werden in Holzkamps Grundlegung sowohl verallgemeinerte als auch restriktive

Handlungsfähigkeit

Handlungsfähigkeitsgewinnung

als

subjektiv begründete

konzeptualisiert,

als

Formen

der

Begründungsmuster,

die funktional expliziert werden. lnsofern ist in ihnen das qualitativ neue subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytische

Niveau aufgehoben.

Restriktive Handlungsfähigkeit erscheint aber oftmals als Paradoxon, als subjektiv begründete Negation von Subjektivität, denn nur in verallgemeinerter Handlungsfähigkeit könne das lndividuum "im Zusammenschluß mit anderen, als Teilmoment eines gesellschaftlichen Subjekts seine eigenen Lebensumstände mitbestimmen, also zum individuellen Subjekt werden" (Holzkamp l984, S.36, zitiert nach Rückriem/Nessmann l985a, S.l2l). Die allgemelnen Zentralkategorien der Handlungsfähigkeit und der Handlungsgründe stellen dagegen unreduziert die Subjekthaftigkeit jeglicher menschlicher Aktivität heraus. Rückriem und Nessmann machen das Dilemma des alten Subjektbegriifs, der meines Brachtens in der kategorialen Differenzierung von verallgemeinerter

und

restriktiver

Handlungsfähigkeit

"Solange kein anderes Bestimmungsmoment Teilhabe

noch nachwirkt, deutlich:

zur Verfügung steht als die

an der gesellschaftlichen Praxis der revolutionären Klasse,

bleibt die Bestimmung der individuellen Subjekthaftigkeit ... nach wie vor soziologistisch, weil die gesellschaftliche Subjektivität dem lndividuum zunächst äußerllch und mit der Teilhabe erst angeeignet wird" (l985a, S.1l6f).

"Von diesem Sockel der heroischen Verkörperung von

Subjekthaftigkeit herab ist es verständlicherweise schwer, Geschichtsmächtigkeit auch im normalen Alltag der konkreten Nenschen ... zu erkennen" (a.a.o., S.119). Auch in neueren Arbeiten der Kritischen Psychologie ist der Subjektbegriff noch umstritten. Ute Holzkamp-osterkamp versucht sogar den alten kritisch-psychologischen Subjekt begriff wiederzubeleben und den aus der phänomenologischen Analyse stammenden zu relativieren.

Sie setzt den

"Subjektstandpunkt" mit der "Befreiungsperspektive" gleich (siehe 1990a,

-209-

S.18) und stellt implizit Holzkamps allgemeines vermittlungsanalytisches Nodell in Frage, wenn sie die Tendenz kritisiert, "die Subjektivität der Nenschen unabhängig von ihrer Binflußnahme auf den gesellschaftlichen Prozeß zu bestimmen"

(ebd.). Dagegen weisen die in der phänomenolo-

gischen Analyse begründeten kritisch-psychologischen Kategorien, die den Binzelnen

primär als reflexives Subjekt

abbilden,

Vorstellungen,

in

denen der Binzelne nur in kooperativer lntegration Subjekt wird, als unhaltbar zurück. Subjektivität als existentielle Basisdimension kann durch die Art und Weise bestimmter Handlungen (affirmativer oder widerständiger) nicht in Frage gestellt werden.

-2l0-

3.4.5

Die Totalisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als Nedium möglicher Binzeltheorien und die Bbene der menschllchen Lebenserfahrung

Holzkamps allgemeiner Feststellung, daß slch das Konzept restriktiver Handlungsfählgkeit auf eine widersprüchliche Lebensthematik im Nedium von Handlungsbegründungen bezieht, kann man sicherlich zustimmen, wenn man diese Formulierung in der Weise interpretiert, daß das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit eine mögliche Form begründeter Funktionsgrundlage unter bestlmmten, slch konkret aus dem gesellschaftlichen Gesamt möglicher Bedeutungen verdichtenden Handlungsprämissen abzubilden versucht. Tatsächllch fungiert das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit aber aufgrund seines qua Ableitung konstituierten Status als Grundkategorie als

das

Nedium,

als

kategorialer

Filter

^egi icher

theoretischer

Abbildung subjektiver Handlungsbegründungen unter bürgerlichen Verhältnissen:

Andere

widersprüchllche,

Produktivkraftentwicklung

aber

außerhalb

der

Dialektik

von

und Produktionsverhältnissen stehende Formen

menschlicher Handlungsbegründung werden zwar von uns Kritischen Psychologen erkannt (und slnd auch analysiert worden; vgl. Ulmann l987), aber gemäß seiner Ableitung bietet das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit kein Raster, um solche Brkenntnisse abzubilden. Vielmehr besteht die Gefahr, daß wir uns durch die Vorstellung, daß es slch bei dem Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit um eine Grundkategorie handelt, den kategorialen und elnzeltheoretlschen Zugang zu anderen, außerhalb des Formkreises

kapitalistischer

Lebensbedingungen

stehenden

Begründungs-

formen verstellen (slehe Kapitel 3.5). lch will diese Totalisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit am Beispiel von Holzkamps "Skizzen zu einer subjektwissenschaftlichen Lerntheorie" (siehe l987, S. 5ff) zu belegen versuchen. Die Kritik der Totalisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit am Beispiel der "Skizzen ..." müßte eigentlich auf Holzkamps neues lerntheoretlsches Grundlagenwerk hin überarbeitet werden. Da es mir hier aber nur um den Aufweis eines Konstruktionsprinzips geht, kann ich darauf verzichten. Aus der Sicht der hier erfolgenden Argumentation ist es also eher zufällig, daß es zwischen den "Skizzen" und dem "Lernbuch" in-

-211-

haltliche überschneidungen gibt. Bine angemessene Beschäftigung mit dem Lernbuch, das erst kürzlich erschienen ist, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. lm vierten Kapitel werde ich mich aber auf einige wesentliche methodologische Passagen dieses Buches beziehen. ln den "Skizzen" kann ich Holzkamps Ausführungen solange zustimmen, als er

sich

auf

dem allgemeinen

vermittlungsanalytlschen

Holzkamps funktional-historische

Niveau

Bestimmung menschlicher

bewegt.

Lernfähigkeit

als "Potenz zur individuellen Vergesellschaftung" sowie seine Vorstellung, daß individuelle Lernhandlungen in dem subjektiven Verfügungsinteresse - das natürlich inhaltlich näher zu bestimmen wäre - begründet sind, sind notwendige Voraussetzungen

einer

subjektwissenschaftlichen

Lerntheorie. Da Handlungsgründe, so Holzkamp, notwendig "je meine" Gründe seien, sei auch menschliches Lernen nur vom Standpunkt des Subjekts aus erforschbar; auch hier kann man nur zustimmen. Diese subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytlsche

Fragehaltung wird

jedoch etwas voreilig aufgegeben, wenn Holzkamp darstellt, daß die Kritische Psychologie "von vorneherein" - also kategorial, außerhalb des einzeltheoretischen Brkenntnisdiskurses - "die aus den antagonistischen Klassenverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft resultierenden Bedingungen/Nystifizierungen der individuellen

Bntwicklungs-/Lernmögllchkei-

ten samt ihrer subjektiven Brscheinungsformen reduzierter und ^gebrochener^ Lebensqualität" (l987, S.15) miterfasse. Holzkamp macht damit mehr oder weniger explizit das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit zur kategoriaien

Voraussetzung

lerntheoretischer

Bemühungen.

Das

Konzept

restriktiver Handlungsfähigkeit wird zur logisch vorgeordneten Prämisse subjektwissenschaftllchen Theoretisierens menschlicher Lernprozesse unter bürgerlichen Lebensverhältnissen.

Damit wird das gesamte, in der

dargestellten begriifsexplikativen Weise bestimmte, das heißt aus den Kategorien der lnstrumentalverhältnisse, der Selbstfelndschaft und des Unbewußten abgeleitete

und

in eine geschichtsphilosophische

Bntwick-

lungslogik eingebettete, Szenario des Verstrickens in die Widersprüchlichkeit der Selbstfelndschaft zum Aprlori wissenschaftllch gedeckter

-212-

Theorienbildung^. Dabei ist zum Beispiel Selbstfelndschaft - wie ich aufzuweisen versucht habe - lediglich eine mögliche Konsequenz eines möglichen Arrangements mit konkreter zu bestimmenden Nachtinstanzen. Binzeltheoretische Bestimmungen reduzieren sich so auf die "empirische Konkretisierung" des als Grundkategorie ausgegebenen Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit. Dieses Konzept wird damit aber von "außen" dem subj ekt wisse nschaf t l i ch-vermi tt l ungsanal yt l sc hen

Brkenntnlsdiskurs

ok-

troyiert, womit das subjektwissenschaftliche Terrain in Frage gestellt ist: Subjektive Begründungen, so schreibt Holzkamp, stünden "immer im Spannungsfeld zwischen dem . . . Sich-Binrichten . . . und der Brweiterung der Handlungsmöglichkeiten

über das zugestandene Naß hinaus"

(a.a.o.,

S.l5). Alle weiteren theoretischen Klärungen erfolgen in Anwendung - als Konkretisierung - dieser Verhältnisbestimmung. So stellen die im Vorfeld aktualempirischer

Forschung

vorgenommenen

begriiflichen

Differenzie-

rungen wie beispielswelse "expansives Lernen" oder "Bewältigungslernen" (siehe Holzkamp Bxplikationen

l991a) auf den jeweillgen Forschungsberelch

des

Konzepts

verallgemeinerter-restriktiver

bezogene

Handlungs-

fähigkeit dar. Diese Begriffe spiegeln mit Sicherheit wesentliche Züge schulischen Lernens wider, aber sie stehen in einem durch den Kategorialbezug auf dieses Konzept dominierten Verhältnis, wodurch die Binzelforschung im konkreten Fall ihres analytischen charakters verlustig gehen kann. So berechtigt also die von Holzkamp formulierten theoretischen Annahmen und Begriife im aktualempirlschen Selbstklärungsprozeß zweifelsohne sind, so wird doch durch ihre Herausstellung als notwendige Voraussetzungen

des Forschungsprozesses

das Feld

mögllcher

Forschung

spezlfisch beschränkt. Bs werden Prämissen formuliert, die tatsächlich nur Resultat des subjektwissenschaftllchen Forschungsdiskurses sein kön-

l Dazu ist es aber in Holzkamps neuem Lernbuch in dieser Weise nicht gekommen: hier wurde die Analyse wesentlicher breiter angelegt und das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit in sehr spezifischer Weise für die Analyse von Lernprozessen in dem extrem restriktiven Rahmen der "Schuldisziplin" fruchtbar gemacht.

-213-

nen und allenfalls in dieser Bigenschaft analytischen charakter für weitere Probleme gewinnen können. Hier soll also keinesfalls ein negatives Urteil über die Qualität der Holzkampschen Skizzen einer Lerntheorie getroffen werden; ohne Zweifel verweisen seine Ausführungen berelts auf die im Lernbuch gewonnene neue Qualität psychologischer Lerntheorie; an dieser Stelle wird nur gefordert, die Prämissen, die in die Argumentation eingegangen sind, sowie deren Konsequenzen einer näheren Reflexion zu unterziehen. Hier stellt sich auch die Frage, ob die dort vorgenommenen lerntheoretischen Bxplikationen bzw. Konkretisierungen des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit bereits auf subjektwissenschaftlichem Terrain erfolgen; solange begriffllche Differenzierungen aber nur von einem abstrakten Standpunkt des Subjekts erfolgen, stellen lerntheoretische Zusammenhangsannahmen allenfalls in sich schlüssige Arbeitshypothesen dar, die in Konfrontation mit dem realen Standpunkt konkreter Subjekte überprüft, modifiziert oder außer Kraft gesetzt werden müssen. Die Thematisierung des "subjektiven Bigeninteresses" oder des Vermittlungsniveaus der Handlungsgründe ändert nur im Ansatz etwas am Außenstandpunkt. Bntscheidend ist, daß das "subjektive Bigeninteresse"

sich im Prozeß der Bildung

einer Lerntheorie selbst artikuliert und nicht erst bei der empirischen Konkretisierung der vorab gebildeten Begriffe. Holzkamp hat tatsächlich "Vorzeichen gesetzt" (1987, S.16), es ist aber genauer zu analysieren, an welchen Stellen dabel kategoriale Antworten auf nur akiuaiempirisch beantwortbare

Fragen gegeben

wurden.

Die

Widerständigkeit

gegenüber

theoretischen Brklärungen, die sich in der Vielfalt und Widersprüchlichkeit der möglichen interpretations der Betroffenen und der dabei aktualisierten Vorbegriffe niederschlägt, wird ansonsten allzuleicht in der Form psychologisiert, daß sie auf der Gegenstandsseite als Beleg der im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit gegebenen kategorialen Antworten interpretiert wird.

-2l4-

3.4.6 Der meta-theoretlsche charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als Leithypothese der kritisch-psychologischen "Bntwicklungsfigur" lm elnzeltheoretlschen Kontext dient das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als allgemeiner "Ansatz, mit dem wir an die Analyse von Lebensproblemen von Nenschen ... herangehen" (Narkard 1989, S.39). Bs hat

- wenn auch implizlt - das einzei theoretische ^nn-f^nn-Form^t im Sinne einer Relatlon "zwischen den Handlungs- und Denkweisen des Betroffenen und den sich daraus für ihn und andere ergebenden Konsequenzen" (Narkard l985b, S.l07).

lnhaltllch sieht dieses einzeltheoretische Format etwa

wie folgt aus: "ln einer problematischen Situation neigt das lndividuum spontan dazu . . . , das Naheliegende und ideologisch Nahegelegte zu tun, um slch von weitergehenden und ggf. konfliktreichen Anstrengungen zu entlasten - allerdings unter faktischer lnkaufnahme des Umstandes, daß sich damit die Probleme nicht lösen lassen, sondern immer wiederkehren und sich verschärfen, weil sie eben nur an der oberfläche lmmer wleder kurzfrlstig geregelt werden" (Narkard l989, S.39). Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit fungiert in dieser Weise als eine

Leithypothese,

in

der

von

der

Struktur

her

einzeltheoretisch

verallgemeinert wird. Unter subjektwissenschaftlichen Prämissen bedeutet dies aber zwingend, daß den lndividuen eine Nöglichkeitsbeziehung zu dieser Leithypothese - ohne daß damit die allgemeinen Grundkategorien in Zweifel gezogen werden müßten - eingeräumt werden muß; ansonsten würde es sich bei der Leithypothese um kategoriale Aussagen

uber Nenschen

unter empirischen bürgerlichen Lebensverhältnissen handeln. Grundkategorien lediglich die daher

ist

die

können

nicht

als

Leithypothesen

dienen,

lnstanzen des Nensch-Welt-Zusammenhangs Vorstellung

problematisch,

weil

sie

bestlmmen.

Von

Grundkategorien

(wie

zum

Beispiel: Bedeutung, Handlungsfähigkeit, Gründe) als Leithypothesen für die einzeltheoretische Forschung nutzen zu können. lch stelle im aktualempirischen

Prozeß

nicht

die

Hypothese

auf,

daß

jemand

für

seine

Handlungen Gründe hat, sondern ich weiß dies bereits aufgrund der anthropogenetischen Analysen der Kritischen Psychologie; ich stelle auch

-2l5-

nicht die Frage, ob sich Handlungen auf Bedeutungen beziehen, denn der Bedeutungsbezug gehört notwendig zu jeder Handlung; ich kann jedoch etwa die Leithypothese aufstellen, daß "deine" Handlungen restriktiv begründet sind. Hier verdeutlicht sich eine Vorstellung davon, daß es unterschiedliche Kategorien gibt: solche, die quasi a priori gelten, und solche, in denen ein bestimmter Bedeutungs- Begründungszusammenhang fixiert ist; nur letztere kann man slnnvollerweise als (Lei t-) Hypothesen ansehen. Bs besteht also ein prinzipieller Unterschied zwischen Grundkategorien und Leithypothesen, die im engen Zusammenhang mit der Bildung von Binzeltheorien stehen. Leithypothesen werden als fallbezogene einzeltheoretische Zusammenhangsannahmen formuliert und haben deshalb prinzipiell dasselbe Format wie Binzeltheorlen. Falls eln Begriff (wie zum Beispiel "restriktive Handlungsfähigkeit") als Leithypothese fungieren kann, so ist dies ein lndiz für seinen charakter als einzeltheoretischer Begriff. Wenn Kategorien

(Leit) Hypothesen wären, wäre Holzkamps eln-

leuchtende Unterscheidung zwischen Kategorien und Binzeltheorlen hinfällig. Zudem gilt: Wenn Kategorien als Leithypothesen dienen könnten, würde dies bedeuten, daß Theorien aus den Kategorien abgeleitet würden. Theoretische Bntwürfe wären dann wirklich nur noch "auf die vorfindliche Bmpirie bezogene Konkretisierungen kategorialer Bestimmungen"

(Narkard

l985b, S.ll6), womit letztere in ihrem analytischen charakter bedroht wären.

lm Forschungsprozeß aber sind Kategorien nur dann analytisch,

wenn durch sie für die Wissenschaft neue Brkenntnisse und entsprechende Begriffe generierbar sind. Ansonsten sind sie nur noch vom Standpunkt des Nicht-Wissenschaftlers analytisch im Sinne der von Narkard beschriebenen kategorialen Reformulierung seiner Problemeinsicht; für die Wissenschaft aber schließen sie in diesem Zusammenhang nichts qualitativ Neues auf.

Als Leithypothese kann also nur eine einzeltheoretische Hypothese dienen, allerdings muß man dabei aufpassen, daß im Verlauf des Forschungsprozesses zu gewinnende Binzeltheorien nicht durch Leithypothesen unzulässig präjudiziert werden. Das Verhältnis Leithypothese-Binzeltheorie darf nicht zu einem im Grunde deduktiven Konkretisierungsverhältnis werden. lm Falle des Konzepts restrikt iver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit würde so der Blick nur für Brechungen/Vermittlungen des psy-

-2l6-

chologlsch-aufbereiteten kapitalistischen Grundwiderspruchs in den konkreten Bedeutungs-Bed^rfnisverhältnissen

geöiinet.

hypothese "restriktive Handlungsfähigkeit"

Zwischen der Leit-

und den jeweillgen einzel-

theoretischen Begriffsbildungen wäre so nur ein hierarchisches Konkretisierungsverhältnis möglich. Dabei ginge im Grunde auch die analytische Funktion der Grundkategorien verloren. Neines Brachtens sollten Grundkategorien kritische Korrektive für alle mögllchen theoretischen Zusammenhangsannahmen sein, die unter der Federführung der konkret Betroffenen formuliert werden.

Vor dem Hintergrund dieser Brörterungen zeichnet sich der charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als eine mit Bezug auf alle konkreten Brscheinungsformen gebildete übergeordnete Theorie bzw. Leithypothese ab, die sich wie ein Netz um einzelne, auf den Nodus der Realbeobachtung bezogene konkrete Hypothesen/Theorlen spannt. Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit gewinnt real die Funktion einer konditionalen Neta-Einzeitheorie, die alle weiteren Hypothesen/Einzeltheorien formatiert bewältigung

(bespielsweise: nach

dem

"Wenn ich

Nodus

der

... meine kindbezogene Daseins-

Gleichheitsregulation

strukturiere,

(dann) erzeuge und perpetuiere ich ... die Konflikte, die ich vermeiden will"; Narkard l985b, S.109). Vor diesem Hintergrund trifit es im Grunde den Kern der Sache, wenn das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit von Narkard als allgemeine Leithypothese der elnzeltheoretischen Forschung herausgestellt

wird,

die

die

Bildung

weiterer

Theorien

inhaltlich

vorstrukturiert. ln dieser inhaltlichen Format lerung von Theorien llegt die Gefahr, daß gegen den Anspruch, Theorien "im Verlauf des emplrischen Forschungsprozesses in kategorialer Aufschlüsselung der Realität zu generieren" (Narkard l985b, S.l09), verstoßen wird. Der charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als Lelthypothese spiegelt sich darin wider, daß kritisch-psychologische Vörstellungen über eine adäquate Theorienbildung und -überprüfung eine Netho-

disierung des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit darstellen, die unter dem Begriff der Entwickiungsfigur (bzw. des Bntwicklungsschemas) gefaßt

wird

(vgl^

etwa Holzkamp,

l99la, S.9ff).

-217-

Diese Bntwicklungsfigur wird in vier lnstanzen untertellt: die initialproblematic

die theoretische Aufschlüsselung, die veränderte Lebens-

praxis und schließlich die retrospektive Analyse der veränderten Lebenspraxis. Diese vier lnstanzen machen deutllch, daß der Begriii der "Bntwicklungsfigur" einen Doppelsinn hat, nämlich die Binheit von theoretischer und praktischer Bntwicklung. Für unsere Argumentation ist vor allem die zweite lnstanz der theoretlschen Aufschlüsselung, das sogenannte "Herzstück" der Theorlenbildung, interessant: Bntsprechend der im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit auigehobenen kritisch-psychologischen

Konflikttheorie

werde

in der Forschung "der

grundsätzliche ^ Verdacht^" (Narkard 1985b, S.l05) erhoben, die Probleme stünden im Zusammenhang des Strebens nach restriktiver Handlungsfähigkeit. Der Leitgesichtspunkt der so verstandenen Theorienbildung bestehe grundsätzlich

in

der

Frage

"nach

der

restriktiven

Funktionalität"

(a.a.o., S.l06) der Handlungsweisen. Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit (mit all seinen interpersonalen und funktlonalen Aspekten) ist also der Leitgesichtspunkt der Theorienbildung in der zweiten lnstanz der

einzeltheoretischen

Bntwicklungsflgur.

Nit

den

dort

getroffenen

Bestimmungen wird eine Reformulierung der lnitialproblematlk angestrebt, und damit wird die eigentllche Hypothesenbildung

in den kategorialen

Geltungsbereich des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit gestellt. Diese Herangehensweise stellt meines Brachtens nun wieder die Verkehrung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als theoretischer Antwort auf die eigentllche kategoriale Leit frage nach der "subjektiven Funktionalität" in eine Voraussetzung der Theorienbildung dar. Damit relativiert sich Narkards zutreffende Feststellung, daß die explizite Theorienbildung nicht Voraussetzung, sondern integraler Bestandteil des aktualempirischen Forschungsprozesses sei (siehe ebd.). Bine allgemeine Theorie restriktiver Handlungsfähigkeit kann nur als Resultat der Vernetzung einzelner Theorieelemente zustande kommen; sie wird dann zur Netatheorie, wenn man sie zum allgemeinen Leitgesichtspunkt der Theoriengenerierung macht; auf einzeltheoretischer Bbene kann es dann nur noch um konkrete Brechungen des restriktiven Zusammenhangs gehen. Dabei gelten dann in der erwähnten Verkehrung einzeltheoretischer Annahmen in kategoriale Voraussetzungen Begrlfie wie "Deuten", "Unmittelbar-

-2l8-

keitsverhaftetheit", "lnstrumentalverhältnisse" als allgemeine Grundbegriife, mit denen die restriktive Funktionalität aufgeklärt werden soll; sie werden nicht als Prozeßbegriffe, die in der Konfrontation der aktualempirischen Datenbasis mit den Kategorien gebildet werden und durch die konkrete Nani festat ionen der subjektiven Funktional ltät abgebildet werden sollen, erkannt. Wenn zudem aufgrund der Nethodisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit der zitierte "Verdacht" der restriktiven Handlungsfähigkeit die lnstanz der Theorienbildung prägt, begeben wir uns in die Gefahr, subjektiven Widerständen gegen die sich so vollziehende Konkretisierung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit grundsätzlich mit dem Argument zu begegnen, daß der Betroffene "das Risiko des Aufgebens seines ursprünglichen restriktiven Begründungsmusters nicht aushalten kann" (Holzkamp 1990a, S.l0). Probleme beim Versuch einer methodologischen Bxplikation des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit stellen sich auch in der dritten und vierten lnstanz des Bntwicklungsschemas - der "veränderten Lebenspraxis" und ihrer "retrospektiven Analyse". Diese lnstanzen repräsentieren allgemein betrachtet den praktisch-emanzipatorischen Anspruch der Kritischen Psychologie. So liegt für uns Kritische Psychologen das Kriterium für die Triftigkeit Binzeltheorlen

in der erreichten

iebenspraktischen

psychologischer

Überwindung eines

Problems durch die Umsetzung der in der theoretischen dieses Problems gewonnenen Handlungsperspektive

Durchdringung

(vgl. Holzkamp l99lb,

S.l5). Deshalb müssen für die Binzeltheorie - dies hat Narkard (l993) herausgearbeitet - im Prinzip zwei Begründungsmuster formuliert werden, ein problemorientiertes und ein lösungsorientiertes: "das erste ist das der Handlungsproblematlk inhärente und das zweite das in der Perspektive einer

Handlungsalternative

entwickelte"

(Narkard

1993,

S.45).

Beide

Arten von Begründungsmustern bauen logisch aufeinander auf und markieren damit einen Bntwicklungsablauf, der der kritisch-psychologischen Bntwicklungsfigur inhärent ist. Allerdings gibt es bei der Herausstellung des lebenspraktisch-lösungsorientierten Kriteriums auch einige ungelöste Probleme. Nelnes Brachtens

-219-

liegt

diesem

Kriterium

eine

auf

die

psychische

Problemüberwindung

übertragene Vorstellung von zweckrationalem Handeln zugrunde, die sich an einem

linearen Zusammenhang

Problemlösung orientiert.

zwischen

Problemanalyse,

Bs widerspricht

Handeln und

jedoch oftmals der Lebens-

erfahrung, einen solchen stringenten Zusammenhang zwischen der Analyse der lnitialproblematik und den in dieser Analyse gegründeten bestimmten, die

Unmittelbarkeit

überschreitenden

Handlungen

überhaupt

anzunehmen

sowie die dabei eventuell realisierte Problemlösung als aktualempirisches Bewährungskriterium im Hinblick auf die Triftigkeit dieser Analyse im konkreten Fall auszugeben. oftmals besteht keine eindeutige Beziehung zwischen

der

theoretischen

Durchdringung

individueller

Problemsitua-

tionen und der inhaltlichen Strukturierung verändernden Handelns in der Form, daß die Analyse bereits konkrete Ziele und konkretes orientierungswissen zur Verfügung stellen würde. ln der Vorstellung einer "theoriegemäßen

Lebenspraxis"

(Holzkamp

1990a,

S.10)

liegt

die

Gefahr,

menschliches Leben szlentistisch mißzuverstehen. Natürlich gibt es Probleme, die eindeutig lösbar sind und auch gelöst werden;

es dürfte

aber andererseits

bei

bestimmten

gesellschaftlich

bedingten Problemen berelts schwerfallen, Zustände präzise zu projektieren, die man eindeutig als Lösungen konkreter Probleme definieren könnte. Selbst wenn man ein solches empirisches orientierungskriterium gewinnen sollte, muß noch (in der vierten lnstanz der "retrospektiven Analyse") die Frage geklärt werden, ob dieses zur Bestätigung der fallbezogenen Relevanz genau einer bestimmten Theorie in eindeutiger Unterscheidung von anderen Theorien dienen kann. Darüber hinaus erscheint der Begriff der Problemlösung bisweilen als zu unscharf für den analytischen psychologischen Diskurs. Nan muß sich nur die biographischen Dimensionen mancher menschlicher Konflikte vergegenwärtigen, die zu jedem Zeitpunkt subjektiv in der einen oder anderen Weise fortbestehen; manchmal schafft man es, sich von ihnen zu distanzieren, weil man sein Leben ändert, manchmal werden sle aber auch dann reaktuallsiert; viele Konflikte können niemals im engen Sinne als geilst angesehen werden, weil sich oftmals das Leben nicht radikal verändern läßt und sich Konfliktsituationen immer wieder ähneln.

-220-

Die Annahme, daß Handlungen genau aus elner bestimmten Handlungsraumanalyse, die die zu verändernden Bedingungen mitreflektiert, begründbar sind,

scheint

konkrete

problematsch

Handeln

zu

allenfalls

sein.

Solche

Analysen

Anregungscharakter

und

haben

für

das

werden

in

der

konkreten Tätigkeit durch diverse theoretisch unreflektierte BedeutungsBegründungsmomente überlagert, gebrochen oder eingeschränkt, so daß im wirklichen Leben kaum eine eindeutige Beziehung zwischen Theorie und ihren Handlungsresultaten im Sinne des Nachweises elner einschlägigen fallbezogenen Relevanz von Theorien bestimmbar ist. Bin strenges empirisches Kriterium

für die Triftigkeit

eines Begründungsmusters,

das

strengen wissenschaftlichen - auch subjektwissenschaftlichen - Standards genügt, ist im wirklichen Leben nur schwerllch aufweisbar. Die Bestimmung eines solchen Kriteriums, also elnes Zustandes lebenspraktischer Verfügungserweiterung relatlviert sich durch die offenheit und inhaltliche

Unbestimmtheit

des

Verhältnisses

von

Theorie

und

veränderter

Praxis. Diese offenheit zeigt sich auch, wenn man sich vergegenwärtigt, daß

gleiche

Veränderungshandlungen,

mit

denselben

lebenspraktischen

Zielen und Resultaten, sich auf unterschiedlichen theoretischen Unterbauten begründen können, die somit in gleicher Weise - obwohl sie sich unter Umständen widersprechen - ihre individuelle Bestätigung finden würden.

Zudem setzt die Diskriminierung derartig veränderter

lndividuum-Welt-

Beziehungen und entsprechend veränderter Beflndllchkeiten eine Form von Kontrolle der Bedingungen, in die hinein die Bingrifie der Betroffenen erfolgen, voraus. Deswegen spricht Holzkamp zurecht im Zusammenhang der Bestätigung der fallbezogenen Relevanz von Theorien von "kontrolliertexemplarischer Praxis" (vgl. l983, S.563). Die in kontrolllert-exemplarischer Praxis aus der Komplexität je meiner gesellschaftlichen Bxistenz herausgeschälten Handlungsdimensionen sind immer wieder in der Gefahr, von dieser Komplexität, von der Total ltät und Bewegung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen, in die diese Handlungsdimensionen eingebunden sind, "geschluckt" zu werden. Sie sind somit kaum kontrollierbar und auch nur eingeschränkt exemplarisch. Sie gewinnen, wie gesagt, allenfalls eine orientierungsfunktion fü^ individuelle Handlungsausrichtung.

-l223-

Darüber

hinaus entpuppt sich unter

inhaltlichem Gesichtspunkt

- wir

kommen jetzt wieder in den engeren Bereich des Konzepts restriktiver/ verallgemelnerter

Handlungsfähigkeit

- das aktualempirische

Relevanz-

kriterium der Problemüberwindung in veränderter Praxis als methodologische orientierung an der Transzendierung

kapitalistischer

Restrik-

tionen, da die in in der zweiten lnstanz, der "theoretischen Aufschlüsselung", erfolgende Zielbildung sich an der auf tischer

Bbene

Bedrohungen

für

notwendig

orientiert.

Auch

erachteten

gesellschaftstheore-

überwindung

dies kann eine

Facette

kapital lstischer des

normativen

Brscheinungsbildes des als methodologische Grundkategorie ausgegebenen Konzepts restriktiver/verallgemeinerter Handlungsfähigkeit sein; dieses Brscheinungsbild findet sich - eventuell verstärkt durch uneingestandene Zweifel an der Tragfähigkeit der politischen Leitllnien dieses Konzepts - in der von manchen Praktikern beklagten Selbstüberforderung bzw. in einem durch die Anwendung kritisch-psychologischer Kategorien bedingten Sich-selbst-ständig-unter-Druck-Setzen wieder. ln diesem Kontext, in dem die allgemeine lebenspraktische Ausrichtung der Kritischen Psychologie mit den inhaltllchen Vorgaben des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit verquickt wird, offenbart sich einmal mehr, daß die kategoriale Stellenwertbestlmmung dieses Konzepts problematisch ist. Vor dem Hintergrund der ungeklärten Schwierigkeiten mit dem Relevanzkriterium der lebenspraktischen Problemlösung muß melnes Brachtens das naheliegende

subjektwissenschaitllche

Bewährungskriterium

aktualempi-

rischer Theorien, das Kriterium der subjektiven Piausibiiiiäi, im Kontext eines ernsthaften Selbsterkenntnisprozesses des sich selbst problematisch gewordenen lchs verstärkt diskutiert werden. Diesem Kriterium zufolge hat eln Ansatz dann einen höheren Grad an Relevanz iür die Betrofienen, wenn er - wie dies für viele kritisch-psychologische Theorien der Fall lst (slehe etwa Ulmanns Untersuchung von Brziehungsproblemen; l987) - andere plausibilitätsstiftende Brklärungsansätze mitreflektieren und

damit

deren

Plausibilitätswirkung

theoretisch

in sich

aufnehmen

kann. Zur Plausibilitätswirkung zählen neben der analytischen und perspektivischen Krait unter anderen solche Bigenschaiten, wie zum Beispiel die innere Stringenz eines theoretischen Ansatzes, seine Vermittelbar-

-l222-

keit mit der subjektiven Brfahrung sowie die wissenschaftstheoretische Reflektiertheit seiner Bildung^. ob eine solche plausible Theorie selbst schon elne Problemlösung ist (weil man bestimmte Dinge eben nur wissen wollte und nun Probleme in einem anderen Licht erscheinen), oder ob eine solche Theorie notwendiges Hilfsmittel bei der überwindung unerträglich gewordener Probleme sein muß, hängt von der jeweiligen lnteressenlage des Subjekts ab (siehe hierzu Ulmann; a.a.o., S.206f).

l Nan kann zurecht, wie etwa Narkard (l99l, S.232), eine solche "kommu-^ nikative Validierung" unter Ausschluß praktlscher Veränderungsprozesse als nicht hinreichend kritisieren. Wenn man sich jedoch das praktische Problem vergegenwärtigt, daß theoretisch erarbeitete Veränderungsprozesse unter Umständen sozial nicht durchsetzbar sind, besteht kein Grund, in solchen Situationen auf eine rein reflexive - natürlich immer vorläufige - "kommunikative Validierung" zu verzichten.

-l223-

3.4.7

Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als

Zulassungsinstanz einzeltheoretischer Forschung lm folgenden soll gezeigt werden, wie der meta-theoretische charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit sich noch um eine Dimension erweitert: Theoretische Konzepte seien, so Holzkamp, nur in Situationen mangelnder subjektiver Verfügung "möglich und notwendig" (1987, S.17); jede Ansatzstelle für subjektwisenschaftliche Theorien sei die gesellschaftllche

(kapitalistische)

Einschränkung

menschlicher

Verfügungs-

erweiterung. Damit wird das Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit nicht nur in der Hinsicht zur notwendigen Durchgangsstation

psychologischen

Theoretisierens,

als

dort

die

vermeintlich

zentralen Grundbegriffe zur Aufschlüsselung der Formen von Verfügungsentzug bzw. -gewinnung unter kapitalistischen Lebensbedingungen bestimmt sind; darüber hinaus wird dieses Konzept in dem weiteren Sinne zum N^eia-

konzept, als es auch dle Eegrundung und Legitimation sub^ektwissenschaftiichen Theoretisierens überhaupt zu liefern beansprucht: Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit ist - wie schon erwähnt der Versuch einer systematisierten

Verortung des von Ute Holzkamp-

osterkamp entwickelten Konfllktmodells (siehe l976, Kap. 5.3.4 und 5.5) im kritisch-psychologischen Gesamtentwurf. Bs stellt mithin die kritisch- psychologische Konfllkttheorie dar. Da nun ohne einen im Sinne dieser Theorie gedachten Konfllkt keine Probleme existieren und ohne Probleme der Betroffenen - so unser berechtigtes Anliegen - keine legitime subjektwissenschaftliche Forschung zulässig ist, wird das Konzept restriktiver

Handlungsfähigkeit

Durchgangsmedium

psychologischen

sowohl

zum

notwendigen

Theoretisierens

kategorialen

als auch

zu

dessen

Begründung. Bs fungiert also auch als Netatheorie psychologischer Theorien im Hinblick auf die Klärung der Frage nach dem Grund und der Zulässigkeit psychologischer Binzeltheorien. Dadurch sind wir aber gezwungen, jegliches psychologisches Brkenntnisinteresse und jegliche explorative Neugier jenseits des Themenbereichs existentieller Betroffenheit durch kapitalistische Herrschaftsinstanzen und darauf bezogener subjektiver

Verf^gungsnotwendigkeiten

als

kontrollwissenschaftlich

darzus-

-l224-

tellen und damit auf der Gegenstandsseite als Form restriktiver Handlungsfähigkeit zu analysieren. jede theoretische Forschung wird so in den existenziellen Betroffenheits-Kontext, der sich nur in Realisierung einer gesamtgesellschaftlichen Befreiungsperspektive auflösen kann, gestellt^. Bs ist nun aber jeweils einzuräumen, daß dieser zweifelsohne wichtige, formationsspeziiisch definierte Betroffenheitskontext mit der gesamtgesellschaftlichen

Vermitteltheit

individueller Bxistenz

in den

Hintergrund treten kann. Die Fixierung auf elne derartige Betroffenheit würde deshalb psychische Probleme und Konfliktlagen aus dem analytischen Diskurs ausgrenzen, die keine im definierten Sinne existentielle Dimension haben. Probleme und lnteressen, die unabhängig von der opportunismusproblematik unter bürgerlichen Verhältnisse existieren, werden dadurch aus der Psychologie

verdrängt

bzw. miß interpretiert, wenn per

definitionem nur F^lle von widersprüchlicher Anpassung als zulässiger Gegenstand der Binzeliorschung ausgegeben werden. Von einem allgemelnpsychologischen Ansatz wäre aber zu erwarten, daß man etwa seine elgenen Nicht-Probleme

(die es eigentlich unter kapital lstischen Verhältnissen

nicht geben dürfte, die aber in der Betroffenheits-Prämisse der kritisch-psychologischen

Binzeliorschung

de

facto eingeräumt

werden, da

diese Prämisse ansonsten überflüssig wäre) und damit kontrastierend die Probleme anderer besser zu verstehen lernt, wodurch das bewußte Verhalten zu sich selbst und zu anderen sowie zu den gesellschaftlichen Bedingungen erweitert würde. Wenn lndividuen mit ihrer Privatexistenz zufrieden seien, könne - so Holzkamp - "subjektwissenschaftllche Forschung mit Bezug darauf nicht stattfinden" (Holzkamp l990a, S.l^). Darf denn nicht theoretisiert werden, bevor sich Betroffene in den Widersprüchlichkeiten einer restriktiven überlebensstrategie verfangen haben und allein nicht mehr herauskom-

l Aus dem Sachverhalt, daß das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit die empirische Vielialt von Lebensproblemen nur in bestimmter Weise analysierbar macht, ist nicht zu schließen, daß dies tatsächlich auch in kritisch-psychologischen Forschungsprojekten der Fall ist; dort wird oftmals über die Spezifizierungen dieses Konzepts hinaus geforscht (s.u. ).

-l225-

kommen, weil per definitionem nur dort der geforderte Leidensdruck als Basis der Forschung besteht und nur dort entstandene und manifestierte Probleme Gegenstand^ der Untersuchung seln dürfen^ Hört dann wirklich Psychologie auf oder besteht hier nicht die Gefahr, daß durch solche Prämissen

das

Konzept

restriktiver

Handlungsfähigkeit

einseitig

zur

notwendigen und hinreichenden Brkenntnisgrundlage psychologischer Forschung erhoben wird^ Wie ist unter diesen Voraussetzungen zum Beispiel das Praxisfeld der Prävention zu bewerten, auf das Henseler und Looser (l989) hinweisen^ Auch wenn Narkard dieses Problem berelts diiferenziert vom

kritisch-psychologischen

Standpunkt

aus

andiskutiert

hat

(vgl.

l990b), so scheint - will man das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit als Begründungskonzept psychologischer Aktualforschung nicht aufgeben -

kein anderer Ausweg zu bestehen, als alleln das Ansprechen des

Arbeltsfeldes der Prävention als Versuch einer restriktiven Fremdinstrumental isierung zu erklären und damit aus der Forschung auszugrenzen; oder man versucht, präventive Tätigkeiten über begriffllche Zwischenkonstruktionen in den Versuch der Gewinnung verallgemeinerter Handlungsfähigkeit von präventiv arbeitenden Psychologen zu integrieren und als Subjektbezlehung zu entfalten; dies bedeutet dann aber, im eigentlichen Sinne politisch zu arbeiten, da die potentiell Betroffenen noch keinen "Leidensdruck"

haben.

lst

es

jedoch

nicht

eine

allgemeine

Lebens-

erfahrung, daß in bestimmten Situationen für je mich ohne die vorsorgenden Handlungen anderer, massive Probleme entstanden wären, daß andere ln solchen Situationen meine eigentlichen lnteressen besser vertreten haben, als ich es zu diesem Zeitpunkt hätte tun können bzw. gewollt hatten

2 lch differenziere hier nicht zwischen dem zu analysierenden Gegenstand und dem dabei zu benutzenden analytischen Werkzeug, sprich: dem als analytische Kategorie intendierten Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit. Da es sich bei kritisch-psychologischen Kategorien um Reaikaiegorien handelt, die sich dem Anspruch nach zu den realen Verhältnissen isomorph verhalten (vgl. Holzkamp l984a, S.l5), das heißt die wesent liche Struktur des Gegenstandes selbst abzubilden beanspruchen, erlaube ich mir solche Formulierungen.

-l226-

3.5

Der bereichsspezifische charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

Aus dem aufgewiesenen einzeltheoretischen Charakter des Konzepts restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit leitet si^h dessen bereichsspeziiische Bedeutung ab. Diesem Konzept sind dem Anspruch nach Bestimmungen inhärent, "mit denen ^je meinem Welt- und Selbstsicht auf die darin liegenden Nöglichkeiten/ Beschränkungen

der

Brweiterung

der

Bedingungsverfügung/Lebensqualität

durchdringbar werden soll" (Holzkamp l985b, S.30). Hlerin wird der spezi fische Brkenntniswert dieses Konzepts deutlich; es geht dort im wesentiichen um psychologlsche Fragen der individuellen Teilhabe an gesellschaftllcher Bedingungsverfügung und der darüber vermittelten Lebensqualität: "Die vielfältigen vorfindlichen Brscheinungsformen empirischer Subjektivität

(in der bürgerlichen Gesellschaft)"

werden nur

"soweit subjektwissenschaftlich aufgeschlüsselt, wie sie in ihrer ^Funktion^ der handelnden Verfügungserwelterung in ^je meiner^ konkreten Lebenslage . . . begreiibar werden" und dies wiederum nur insofern, ais die konkrete Lebenslage "ais Ausschnitt/Aspekt der widersprüchlich-beschränkenden kann.

bürgerlichen

Klassenrealität"

(ebd.)

verstanden

werden

Der bereichsspezifische Charakter des Konzepts restrikt iver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit wird damit implizit von Holzkamp selbst bestätigt. Wir finden zwei S^elektionsfilter der Gegenstandsbestimmung: Gegenstand sind Fragen der individuellen Eedingungsverf^gung, aber nur unter dem Aspekt, daß ihr klassenbedingte Eehinderungen entgegenstehen. Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit ist damit psychologisch für Fragen der gesamtgesellschaftlich vernetzten Bedingungsveriügung sensibei und zwar im Hinblick auf deren psychische lmplikationen unter kapitallstlschen Restriktionen. Hierin liegt seine besondere Bedeutung. So bedeutsam es auch ist, daß ein solches Forschungsfeld überhaupt psychologisches Thema geworden ist, so ist dieses Konzept, auch wenn es zum zentralen Bezugspunkt der Forschung gemacht wird, von dem Anspruch einer universellen Grundlegung der Psychologie zu trennen. Soiange dieser An-

-l227-

spruch jedoch auch für das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit erhoben wird, können über dieses Konzept vermittelte Brkenntnisse im Binzelfall Reduktionen vielschichtiger psychischer und gesellschaftlicher Prozesse darstellen, selbst unter der Voraussetzung, daß die mit diesem Konzept verbundene spezifische Zielsetzung erreicht wurde. Bs wäre eine problematische Universal lsierung, als psychisch relevantes Grundmuster jeder gesamtgesellschaftllch eingebundenen Handlungsentscheidung die Alternatlve restriktive versus verallgemeinerte Handlungsfähigkeit anzunehmen und aus der jeweiligen Bntscheidung sämtliche psychischen Phänome erklären zu wollen. Dagegen eröffnet der allgemelne Handlungsfähigkeitsbegriif

ein weites

Feld psychologischer Analyse: Welche Handlungsfähigkeit wir aber wirklich entwickeln, "individuelle, kollektive, private oder gemeinschaftllche, mit welchen Restriktionen, welchem Verhältnis kurzfristiger und langfristiger Handlungschancen usw. , dies alles stellt einen vielgestaltigen Prozeß dar, ein widersprüchliches Feld von unterschiedlich realisierten Handlungsmöglichkeiten, mit Konfllkten und Verdrängungen, Freiräumen und Zwängen und vielen offenen, in absehbarer Zeit quälend unlösbaren Problemen"

(Haug 1985, S.75). Wir Kritischen Psychologen müssen

uns auf dieses weite Feld einlassen und unsere Begrifflichkeit dahin weiterentwickeln, daß wir zusätzllche analytische Begriffe gewinnen, die die

unterschiedlichen

Handlungsfähigkeit

Formen,

Bedingungen

und Probleme

individueller

(soziaie, kulturelle, theoretlsche, politische etc.)

sowie ihre unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten und Problematlken zu verstehen erlauben.

Bntsprechend dürfen wir nicht die Aufklärung der ontogenetischen Bntwicklung auf den Aspekt der Bntwicklung restrikt iver-verallgemelnerter Handlungsfähigkeit einengen, da so der Rahmen kategorialer Aufklärung der ontogenese bereichsspeziiisch vereinseitigt wird. Diese Problematik führt in der Konsequenz natürlich auch zu der Forderung, den Beitrag der Kritischen Psychologie

zur Aufklärung der menschlichen ontogenese zu

erweitern; das Konzept restriktiver-verallemeinerter

Handlungsfähigkeit

sollte nicht ausschließliche Zieibestimmung der kategoriaien Rekonstruktion der ontogenetischen Bntwicklung, die als Handlungsfähigkeitsrepro-

-l228-

duktion konzeptuallsiert wird, sein. Alle ontogenetischen Brscheinungen können so nur als Nomente des Strebens nach verallgemeinerter-restriktiver Handlungsfähigkeit

mit seinen jeweiligen psychischen Funkt ions-

aspekten begriffen werden. Bs geht dann nicht um die menschliche ontogenese in all ihrer Vielialt und ihren Dimensionen selbst, sondern nur um die begriifliche Rekonstruktion der personalen Bntwicklung von Bedingungsverfügung

unter kapitalistischen Lebensbedingungen.

Wenn wir das

Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit zur Grundkategorie/Leithypothese der Abbildung ontogenetischer Bntwicklungen machen, zwingen wir uns, mit diesem Konzept sämtllche individualgeschichtlichen Bntwicklungsprobleme auf allen möglichen Bntwicklungsdimensionen zu analysieren.

-l229-

3.6

Die Ausrichtung der Analyse an der menschlichen Spezifik gesellschaftlicher Lebenserhaltung und die Vielfalt menschlichen Brlebens und Handelns

Zum Abschluß des 3. Kapitels soll auf eine weitere Problematik kritischpsychologischer Binzelforschung, sofern sie außschließllch auf dem Konzept restrlktiver Handlungsfähigkeit aufbaut, eingegangen werden. Derartige einzeltheoretische Ansätze gehen impllzlt davon aus, daß die spezifischen menschlich-gesellschaftlichen Dimensionen des Psychischen grundsätzlich der aktuellen Befindllchkeit zugrundeliegen. Zwar mögen solche Dimensionen in bezug auf die Brmögllchung gesellschaftllcher Lebenserhaltung spezifisch und in diesem Kontext auch subjektiv

vordringlich

sein, aber gerade mit dem allgemeinen Bntwicklungsniveau

der gesamt-

gesellschaftlichen Vermitteltheit

individueller Bxistenz besteht keine

zwingende Notwendigkeit, alle psychischen Brscheinungsformen

im Funk-

tionskreis der individuellen Reallsierung des konkret-historischen gesamtgesellschaftllchen Reproduktionszusammenhangs anzusiedeln.

Die ge-

sellschaftllche Natur des Nenschen gewinnt hier Freiheiten der individualbiographischen Ausdifferenzierung. Nit der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit individueller Bxistenz gibt es - wie von der Kritischen Psychologie herausgearbeitet - keine notwendige Beziehung mehr zwischen dem gesamtgesellschaftlich Notwendigen und dem subjektiv Bestimmenden. Die analytlsche Kraft des Konzepts restrlktlver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit beschränkt sich aber im wesentlichen auf den Bereich des so bezeichneten Spezifisch-Bestimmenden, auf den Bereich der Teilhabe und Teilnahme an der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion; die Nöglichkeitsbeziehung des Nenschen und die in ihr eingeschlossene doppelte Nögllchkeit werden weitgehend auf dieser Bbene konkret-historisch differenziert. Nicht umsonst werden zu Veranschaulichungszwecken oftmals jene Vermittlungszonen zwischen lndividuum und Gesellschaft genutzt, in denen kapitallstisch bestimmte Prägungen der individuellen und gesellschaftlichen Aspekte eindeutig greiibar sind (siehe etwa die Analyse der lndividualitätsformen des Arbeiters oder des Lehrers bei Holzkamp-osterkamp l975, S.3l7ff).

Hier findet das Konzept restriktiver Handlungs-

-l230-

fähigkeit seine Aktualempirie, und hier lassen slch typische Konkret isierungen restriktiver Handlungsfähigkeit veranschaulichen und ausdiiferenzieren.

ln der Kritischen Psychologie

werden mit Vorllebe solche

Fragestellungen bzw. Gegenstandsbereiche in einzeltheoretischen Untersuchungen aufgegriifen, in denen Bedeutungskonstellationen vorherrschen, die "globale Binschränkungen menschlicher Handlungsalternativen darstellen"

(Holzkamp l986, S.24), in denen offensichtlich menschliche Hand-

lungsmöglichkeiten "in gesellschaftlicher Größenordnung beschränkt slnd" (ebd.); denn hlerbei können sich die besonderen analytischen Qualitäten des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit entfalten. Wle

sieht

es aber

mit

Gegenstandsbereichen

aus,

in denen

klassen-

spezifisch-globale Widersprüche - wenn überhaupt - nur sehr vermittelt Handlungsmöglichkeiten einschränken^ Hier offenbart sich das Problem, daß wir - auf der Suche nach den Brechungen formationsspezifischer Widersprüche in der Lebenswelt und den darauf bezogenen psychischen Di mensionen - andere, subjektiv ebenso relevante psychische Dimensionen nicht zu

fassen

bekommen,

da

diese

aus dem definierten

Spezi iitätsraster

herausfallen.

Das logisch-historische Spezifi^ätsraster ist jedoch sozusagen auf kooperativ-gesellschaftlichem Niveau, wo eine klare funktionale Hierarchisierung der psychischen Aspekte für die Bxistenzsi^herung als notwendig anzunehmen ist, steckengeblieben und wird der gesellschaftllchen Ausdifferenzierung von System und Lebenswelt nicht gerecht; es hat weitgehend funkt ionalen-reproduktiven charakter, der nur danach fragt, "wieweit in der Persönlichkeitsstruktur

und Lebenstätigkeit

des auf seine Umwelt

bezogenen lndividuums der in einer lndividualitätsform kristalllsierte gesellschaftliche

Nensch-Welt-Zusammenhang

realisiert

ist"

(Holzkamp

l978a, S.l6l). Die Forschung wird damit weitgehend auf die Analyse der individuellen

Vermittlungen

des

sozialen

Reproduktlonszusammenhangs

fixiert. Dabei hat die Kritische Psychologie aus der Sicht logisch-historischer Ableltungen recht. Hier stehen systemisch-reproduktive Fragestellungen im Vordergrund. Aber aus der Sicht der von uns beanspruchten Psychologie vom Standpunkt des Subjekts begehen wir unter Umständen einen Fehler, wenn nur der Konflikt zwischen Anpassung und Widerstand als wider-

-l233-

sprüchliche Form der Brweiterung bzw. Sicherung der individuellen Handlungsfähigkeit in den kritisch- psychologischen Fokus gerät. Daß es etwa im Rahmen der bestehenden Verhältnisse

individuelle und

soziale Konflikte sozusagen unterhalb der Klassenstruktur und der eigenen Klasseninteressen gibt, die in ihrer Wirkung genauso neurotisierend sind und ebenfalls dynamische Verdrängungsprozesse wie die Zuspitzungen im Rahmen des Szenarios restriktiver Handlungsfähigkeit bedingen, wird nicht nur auf der kategorialen Basis des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit systematisch übersehen, sondern scheint auch im Widerspruch zu einer an der Spezifik orientierten Nethode psychologischer Begriffsanalyse zu stehen. Wir haben uns beispielsweise bislang zu wenig um die begrifiliche Aufklärung

von intersubjektiven

Familienbeziehungen

als

Handlungsformen

psychologisch

wie Freundschafts-

relevanten

oder

gesellschaftlichen

Binnenstrukturen bemüht. lntersubjektive Beziehungsformen wurden nur als Aspekt

der

Gewinnung

verallgemeinerter

oder

restriktiver

Handlungs-

fähigkeit analysiert. Neines Brachtens ermöglichen die kritisch-psychologischen Begriife aus dem Umfeld des Konzepts restrlktiver Handlungsfähigkeit nicht die analytische Durchdringungen von Befindlichkeiten, subjektivem Brleben und Handlungen auf nicht-spezifischen, aber nichtsdestoweniger erlebnis- und konfliktfähigen Bbenen. Wenn das Konzept der restriktiven Lebensbewältigung als universeller Schlüssel des Verständisses aller psychischen Konfllkte aufgefaßt wird, blelben viele oberflächenerscheinungen unbegriffen im Raum stehen bzw. werden vom Psychomarkt absorbiert. Deshalb müßte eine entsprechende kategorial-methodologische

Adaptions-

figur bzw. Schnittstelle zu dem psychologisch vorhandenen Wissen jenseits einer an der Spezifik orientierten Reinterpretation aufgebaut werden. Ansonsten müssen wir um den Preis der Binseitigkeit auf all das Wissen verzichten, das sich auf solche sekundären Berelche, dle zum Teil für die lebendigen Subjekte existenzielle Bedeutung haben, bezieht. Hier gibt es Konfliktpotentiale jenseits einer gesamtgesellschaftlich dimensionierten Handlungsfähigkeitsproblematik.

Nan kann natürlich den Be-

griff der Handlungsfähigkeit so weit aufweichen, daß man alle möglichen Formen der Zerrüttung zwischenmenschlicher Beziehungen als Befindlich-

-l232-

keit der Binschränkung von Bedingungskontrolle interpretiert. Damit wäre aber für die Betroffenen nichts gewonnen. Wir müssen Probleme auf diesen Bbenen und auch Konflikte zwischen unterschiedlich speziilschen Bbenen eigens theoretisieren, das heißt vermittlungsanalytisch aufklären^. lm Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit gibt es sozusagen nur eine horizontale Analyse auf der Bbene des sogenannten Spezifisch-Bestimmenden, vertikale Konfliktanalysen zwischen Bbenen unterschiedlichen Speziiitätsniveaus oder Konfliktanalysen auf untergeordneten, aber nichtsdestoweniger subjektiv bedeutsamen Bbenen unterbleiben weitgehend. Wenn wir Kritischen Psychologen auf diesen "unspezifischen" Bbenen Theorien zu bilden versuchen, so erfolgt dies ohne den theoretischen Unterbau des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit.

Holzkamp

hat aber mit seinem allgemelnen subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen Ansatz für solche Fragestellungen durchaus ein Terrain eröfinet; Kritische Psychologie wird hier als allgemeines konzeptuell-methodologisches Paradigma deutllch, innerhalb dessen inhaltliche Forschung stattfinden muß.

Vor dem Hintergrund der Differenzierung verschiedener Bezugsebenen psychischen Brlebens und dem Sachverhalt, daß in der zum Konzept restriktiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit führenden Kategorialentwicklung im Grunde nur im Kapitalismus liegende gesamtgesellschaftliche Bntwick-

l Bine neue und vielversprechende Schnittstelle zu gesellschaftlich vorhandenem psychologischem Zusammenhangswissen ist die kritisch-psychologische Praxisforschung (vgl. Fahl/Narkard l993). Hier werden nicht klassische theoretische Systeme reinterpretiert, indem man die dort formulierten Zusammenhänge als Begründungsmuster bei kapitalistischer Prämissenlage darstellt, sondern inoffizielle Praxistheorien. Die in diesen Denk- und Redeweisen psychologischer Praktiker, in sogenannten "Schienen", enthaltenen Voraussetzungen, Fallerfahrungen und lnstitutionsbezüge werden gemeinsam mit den Praktikern im subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen Paradigma der Kritischen Psychologie offengelegt. Praxisforschung ist also "Bxpllkation, Bntmystiflzierung und Bntwicklung des gesellschaftllch-subjektiven Zusammenhangs- und Widerspruchswissens psychologischer Berufspraktiker" (a.a.o. ,S.l4).

-l233-

lungswidersprüche

als Regulative

der erweiterten

psychologischen

Be-

griffsbildung/-analyse dienen, zeichnet sich die Problematik ab, daß bei einer

Total isierung

dieses

Konzepts

andere

gesellschaftliche

Wider-

sprüche oder Widersprüche im zwischenmenschlichen Bereich scheinbar nur über den kapitalistischen Klassenantagonismus konstituiert sind und keine weitere Genuität besitzen. Das lnsistieren auf anderen Prämissen subjektiver Konflikte wurde von uns Kritischen Psychologen allzu leichtfertig unter der Rubrik "Personallsierung" gesellschaftlicher Verhältnisse auf die Gegenstandsseite kritisch-psychologischer Analysen verlagert und damit manchmal leichtfertig weginterpretiert.

Solche Konflikte wurden

als letztlich nur gesellschaftlich in einer gemeinsamen zwischenmenschlichen Perspektive der Umgestaltung der allgemeinen Lebensbedingungen lösbar gedacht. Solange wir in dieser Weise einen kategorialen Uni versalanspruch

für das Konzept

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungs-

fähigkeit aufrechterhalten, können wir nur in dieser Form mit solchen Problemen umgehen. Dann treten beispielsweise Liebesbeziehungen entweder als nicht weiter aufklärbare Beziehungsform im Rahmen von Subjektbeziehungen auf, die in diesem Rahmen irgendwie - wie auch immer - genossen werden können, oder als für die Gewinnung restriktiver Handlungsfähigkeit instrumentalisierte Beziehungsform. Was diese aber selbst darstellen, bleibt auf der Bbene des Alltagsverständnisses. Genauso verhält es sich mit sexuellen Beziehungen, die je nach kategorial deflnierter Beziehungsform (Subjekt- oder lnstrumentalbeziehungen) als voll genießbar ober aber als negativ durchdrungen und dadurch selbst in Frage gestellt erscheinen. Aber was sie genuin für Nenschen bedeuten, wird nicht aufgeklärt; im Zusammenhang mit den für viele Nenschen geradezu existenziellen Fragen, die sich um den sexuellen Berelch drehen, bietet die Kritische Psychologie wenig Möglichkeiten zur Selbstklärung. Wir können eigentlich nur die Frage stellen, ob der sexuelle Bereich eventuell zum Nebenkriegsschauplatz

des eigentlich

unsexuellen

Strebens nach Hand-

lungsfähigkeit geworden ist. Ähnliches gilt im Hinbllck auf das Phänomen der zwischenmenschlichen Sympathie, die aus der Perspektive der Veränderung der Gesellschaft als sachentbunden und inhaltsleer und von daher als Brscheinungsform restriktiver Handlungsfähigkeit reinterpretierbar erscheint. Wir haben einfach aus logisch-historischer Perspektive ange-

-l234-

nommen, daß der Begriff der Sympathie unter gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen allenfalls eine restriktive Bedeutung haben und nur Gegenstand von Begriffskritik sein kann. Dabei besteht - wie die Lebenserfahrung zeigt - zwischenmenschliche Sympathie und Antipathie unabhängig von und unter Umständen quer zu den kategorial herausgearbeiteten Beziehungstypen. Hier soll nicht der ontologisierung psychischer Probleme und Brscheinungen das Wort geredet werden, es soll nur auf einen weiteren Aspekt der Gefahr eines psychologischen Reduktionismus als Konsequenz eines ausschließlich an der Speziiik orientierten Verfahrens hingewiesen werden.

ln diesem Zusammenhang muß auch zum kritisch-psychologischen Begriif der kooperativen

integration als Bedingung einer verallgemeinerbaren Bnt-

wicklung je melner Handlungsfähigkeit angemerkt werden, daß er - da er auf einer anderen Bbene angesiedelt ist - von den konkreten Nenschen in je meiner Umgebung und je meinen unmittelbaren Beziehungen zu ihnen abstrahiert. lch kann trotz kooperativer integration durch Beteiligung an politischen organisationen auf der unspezifischen Bbene bloßer Zwischenmenschlichkeit

vereinzeln

und

Depressionen

bekommen,

da

ich

keinen

sozialen Rahmen habe, in dem ich sinnliche, ästhetische, motorische o.ä. Bedürfnisse befriedigen kann. lch kann mit anderen Nenschen über eine gemeinsame Kampfperspektive verfügen, über eine "dritte Sache" vereint sein, und trotzdem meide ich ihre Unmittelbarkeit. lch kann mich also objektiv mit anderen in einem Kooperationverhältnis im lnteresse der Nenschheit beiinden, aber in meiner Lebenswelt leiden, weil ich dort unmittelbare soziale Bedürfnisse nicht befriedigen kann. Dann erweitere ich zwar unter Umständen die Bedingungen, unter denen Nenschen handlungsfähig werden können, und damit auch meine eigene Bedingungsverfügung, aber in bezug auf meine soziale Umwelt bleibe ich handlungsunfähig. System und Lebenswelt haben sich in einem Naße ausdifferenziert, daß unsere kritisch-psychologische "Nithin- Logik" zwischen dem Allgemeinen

und

dem

individuellen

in der

Komplexität

dieses

Verhältnisses

stecken bleibt. Lebensqualität und Bedingungsverfügung lassen sich nicht ohne weiteres miteinander identiiizieren.

-l235-

Die kategoriale Unterscheidung von lnstrumentalverhältnissen und Subjektbeziehungen schließt nicht die Vielschichtigkeit menschlicher Beziehungsformen auf. Nenschliche Beziehungen sind immer Subjektbeziehungen. Subjektivität

ist

schaftsverändernde

unreduzierbar

und

Beziehungsformen

wirken Begriifsprägungen

ist

nicht

gebunden.

an

Vor

wie "Subjektbeziehungen",

bestimmte diesem die

gesell-

Hintergrung

terminologisch

von Nicht-Subjektbeziehungen, den lnstrumentalverhältnissen, unterschieden werden, ungeschickt. Sie suggerieren eine Vorstellungen von Subjektivität als exkluslvem Zustand, der nicht jedem lndividuum grundsätzllch zukommt

(vgl. Kapitel 3.4.4). Die Subjekthaftigkeit menschllchen Han-

delns realisiert sich keinesfalls nur "in der überschreitung der Sphäre ^bloß sozialer lnteraktionm durch Veränderung gegenständlich-gesellschaftlicher Lebensbedingungen" (Holzkamp 1985b, S.27). Solche Postulate sind kaum mit der unmittelbaren individuellen Brfahrung vermittelbar und stellen eine politikzentrierte Binschränkung des Bedeutungsgehalts des kritisch-psychologischen Subjektbegriffs dar. Die in sozialen Beziehungen gegebene Unmittelbarkeit menschlichen Brlebens und Handelns wird so aus der Psychologie ellminiert bzw. von unverbindlichen Formulierungen wie "Lebensqualität/Bedürfnisbefriedigung in verallgemeinerter Vorsorge" zugedeckt. Tatsächlich sind aber die vermeintlich "bloß sozialen" lnteraktionen die erste Adresse menschlicher Subjektivität. lch bin zunächst in unmittelbaren lnteraktlonen Subjekt (in der Famille, am Arbeitsplatz oder beim Binkaufen). Natürllch setzen solche unmittelbaren Realisierungen menschlicher Subjektlvität

in

irgendeiner

Weise gesicherte

Rahmenbedingungen

voraus,

aber ich muß diese nicht immer und notwendig kollektiv kontrollleren. Daß ich mich etwa in eine bestimmte Person verliebe, deren Nähe mir zum Ziel

wird,

ist primär keine gesellschaftlich

tionsbestimmt

widersprüchliche

Realisierung

vermittelte

einer

und forma-

gesellschaftlichen

Zielkonstellatlon, aber nichtsdestoweniger Ausdruck meiner Subjektivität. Die kontrastierende Bntgegenstellung von bloß interaktiven Beziehungen und kooperativen Subjekt-Beziehungen wird nicht nur der Vielfalt der Ausdrucksformen menschlicher lntersubjektivität nicht gerecht, sondern baut bei der Analyse vieler Bezlehungsformen falsche Widerspruchspole auf.

-l236-

An solchen Stellen ist nicht auszuschließen, daß wir als Kritische Psychologen uns selbst blockieren, indem wir den phänomenologisch gewonnenen Begriii von bewußt-reflexlver Subjektivität, der Grundlage der methodologischen überlegungen der Kritischen Psychologie ist, bereichsspezifisch einengen. So weist Haug darauf hin, daß der Begriii der Subjektivität die verschiedenen Formen zusammenfaßt, in denen die wirklichen,

vergänglichen

lndividuen

sich

selbst

betätigen

und

erfahren

(vgl. l985, S.75).

Die hier geäußerten Bedenken gegenüber einer ausschlleßlich an der vermeintllchen Spezlflk des Nenschen orientierten Beziehungsformanalyse finden wir in einem Buch von Sigrid Haselmann bestätigt, auch wenn dort der kritisch-psychologische Ansatz nicht in seiner Tragweite erkannt wird. Haselmann kritisiert dort die Vernachlässigung der zwischenmenschlichen Beziehungen in den kritisch-psychologischen Bestimmungen der menschlichen Natur. Diese Kritik ist in ihrer Pauschalit^t sicherllch ialsch und läßt slch schon bei einem oberflächlichen Blick in Holzkamps Grundlegung widerlegen. Doch Haselmann insistiert auf einem spezifischen Sachverhalt: auf der durch das Subjekt angestrebten "sozialen Reproduktion als Mitglied der Gesellschaft" (l984, S.37), die ebenso existenznotwendig sei wie die von der Kritischen Psychologie als spezifisch definierten Aspekte des Psychischen. Diese soziale Reproduktion realisiere sich über "kooperative Beziehungen . . . , in denen sich die Nenschen aufeinander beziehen, sich untereinander austauschen" (a.a.o., S.36). Dabei versteht Haselmann unter "Kooperatlon" alle mögllchen Formen des Zusammenwirkens und Aufeinanderwirkens, durch die eine "Praxis des Gemeinwesens" konstituiert werde. Die Kategorie "Gemeinwesen" repräsentiert bei Haselmann eine gesellschaftliche Struktur, eine "ordnung der je vom lndividuum aktiv reallsierten . . . sozialen Verkehrsiormen, welche auf der Easisder gegenständlichen Lebensbedingungen ... realisert werden" (a.a.o., S.37). Der objektive Zweck der Produktion sei die soziale Reproduktion des lndividuums als Teil des Gemeinwesens. Die Tendenz zur Kooperativität im Sinne der Reallsierung von Zwischenmenschlichkeit sei als Naturgrundlage angelegt. Sie ziele auf die soziale Reproduktion des Subjekts in zwischenmenschlichen Verhältnissen, die das Subjekt selbst enthielten. Die Subjekt-Welt-Beziehung sei deshalb durch eine Dualltät von produktiver Sphäre und sozial-reproduktiver Sphäre gekennzeichnet. Letztere werde von der Kritischen Psychologie vernachlässigt: das Sozialbedürfnis werde nur als "Zugabe" zum Kontrollbedürfnis dargestellt, ohne elne eigene Qualität zu haben. Nach Haselmann ist aber umgekehrt "das Kontrollbedürfnis eine n Komponenten Sozial- bzw. Kooperationsbedürfnlsses" (a.a.o., S.75).

des

Die menschliche Tätigkeit habe mithin einen doppelten Bezug: mit Aneignungs- und Vergegenständlichungsprozessen würden zugleich sozial-kooperative Verhältnisse realisiert, womit das Subjekt seinen Platz im Netz der sozialen Beziehungen finde bzw. reproduziere.

-l237-

Dabei sind für Haselmann die Struktureigentümllchkeiten der bürgerlichen Gesellschaft nicht in erster Linie relevant. Gerade unter dem "perscnenpsychologischen

Blickwinkel",

der

für

eine

psychologische

Konflikt-

theorie entscheidend sei, sei nicht so sehr die Kennzeichnung einer Tätigkeit "unter den besonderen kapitalistischen Bedingungen von lnteresse ..., sondern die Tätigkeit als Realisation ganz bestimmter sozialkooperativer zwischenmenschlicher Beziehungsmuster, die für das Subjekt persönlich existentiell bedeutsam sind" (a.a.o., S.86). ohne im einzelnen Haselmanns Argumentation und die damit verbundene Kritik an der Kritischen Psychologie bewerten zu müssen, zeigen ihre Ausführungen, daß auch andere Zugänge zur Analyse menschlicher Beziehungsformen möglich sind, die man zur Brklärung konkreter Befindlichkeiten unter der Bedingung der gesamtgesellschaftlichen Vermittelthelt individueller Bxistenz durchaus ergänzend heranziehen kann, ohne daß damit das subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytische Paradigma der Kritischen Psychologie in Frage gestellt wäre; dadurch wird gewährleistet, daß die für sich genommen korrekte

ldentiiikation der Fähigkeit

zur gesell-

schaftlichen Produktion mit der menschlichen Spezifik nicht zu Abstraktionen von wesentlichen

(zumindest

"wichtigen") sozialen

Dimensionen

empirischer Subjektivität führen kann. Damit entgeht man der Konsequenz, daß

im Funktionskreis "unspezifischer"

Dimensionen

liegende

Brschei-

nungsformen aufgrund einer bereichsspezifl schen kategorialen Basis im Binzelfall inadäquat aufgeschlüsselt werden könnten. System und Lebenswelt sind teilwelse zu distinkten Sphären menschlicher Lebensbezüge

geworden,

in denen

das Subjekt

jeweils

unterschiedllch

handlungsiähig wird, indem es unterschiedliche Dimensionen seiner Natur in Abhängigkeit von den kronkreten Bedingungen realisieren will. Nit der gesamtgesellschaftlichen Vermittelthelt individueller Bxistenz entfällt die funktional notwendige Hierarchisierung der Dimensionen der gesellschaftlichen Natur des Nenschen. Die dort angelegten Bed^rinisse werden genauso wie ihr Bedeutungsbezug "problematisch"^ das heißt in gewissem Naße subjektiv disponibel. Bntsprechend diiferenziert sich eine einheitliche Handlungsfähigkeit in unterschiedliche Handlungsfähigkelten. Auch in diesem Kontext wird deutlich: Der von der Kritischen Psychologie herausgearbeitete Status der Begründetheit menschlicher Handlungen ist

-l238-

zwar universell; Handlungen können aber unterschiedliche Begründungsmuster haben, die unterschiedllchen Begr^ndungsbereichen entspringen (um nicht den hierarchisierenden und damit bestimmte Lebensansprüche sprachllch abqualifizierenden Begrifi des ^ezifiiäisniveaus zu verwenden). Der

Begriff

des Spzifitätsniveaus

hat

seine

besondere

Bedeutung

im

Rahmen der entwicklungslogischen Rekonstruktion der psychischen lmpllkate gesamtgesellschaftllcher Reproduktion, macht aber nicht unbedingt Sinn

vom

Standpunkt

zwischenmenschliche

des

Subjekts

aus.

Kulturelle,

Handlungen können eine andere

haben als das Muster:

sexuelle

oder

Begründungsstruktur

Handlungsfähigkeitserweiterung

durch

Anpassung

oder durch Widerstand. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß diese "unspezifischen" Handlungen eines gesamtgesellschaftlichen Rahmens bedürfen und von daher in Handlungsfähigkeitsbestrebungen im engeren Sinne eingebunden sind.

Wir können zugespitzt zusammenfassen: Vom Standpunkt des Subjekts gibt es in vielen Lebenssituationen einen Unterschied zwischen dem "Spezifischen/Wesentllchen"

und

dem subjektiv

"Wichtigen".

lm Kontext

der

logisch-historischen Ableitung erfolgt die orientierung ausschlleßllch am "Spezifischen". lm Hier und ^letzt, bei der subjektwissenschaftlichen Vermittlungsanalyse zunächst

vom

das "Wichtige",

Standpunkt das Problem

der

Betrofienen

steht

dagegen

in seiner Brscheinungsform,

im

Vordergrund. Nun stellt sich die Frage, ob man solche "wichtigen" Brscheinungsformen mit Kategorien, die vornehmlich das "Wesentllche" zugänglich machen, aufschließen kann, etwa in der Weise, daß die "wichtige" Sexualität als quasi sexueller code der "wesentlichen" restriktiven Begründungsform analysiert wird (wie etwa bei Holzkamp-osterkamp l976, Kap. 5.6).

Nan muß also zwischen "Wesentlichem" und "Wichtigem" unterscheiden. Beides ist nicht deckungsgleich. Deshalb stellt sich die Frage, ob psychologlsche Selbstaufklärung nicht auch Kategorien braucht, die genuin auf das "Wichtige" abzielen, um nicht Geiahr zu laufen, das "Wichtige" durch Rekurs auf das "Wesentliche" zu "entwichtigen". Deshalb braucht die Kritische Psychologie eine Adaptionsfigur f^r das "Wichtige", weil die bekannte Reinterpretationsform genau das "Wichtige" aui das "Wesent-

-l239-

liche" zurückführt.

ln vielen Fällen ist dies sicherlich angemessen,

aber im Hinblick auf anders geartete Fälle llegt hierin die Gefahr psychologischer Reduktionen und damit verbunden auch die Nögllchkelt falsche r Probl e ml ö su ngss trategien^. Vor dem Hintergrund der Vielfalt empirischer Lebensbezüge stellt sich die prinzipielle Frage, ob der unmittelbare Brfahrungsbereich bei der Gewinnung des kritisch-psychologischen Konfllktmodells hinreichend reflektiert wurde. Bs gilt zu überprüfen, ob das durch die Analyse der psychischen

lmplikationen gesellschaftlicher Lebenserhaltung bestimmte

Feld psychologischer Begriffsbildung

für eine analytische

Psychologie

hinreichend ist. Neines Brachtens findet man auf diesem Untersuchung^ feld einen wesentlichen, aber keinen universellen Schlüssel zum Verständnis der empirischen Vielfalt der psychischen Brscheinungen. Wenn man sich auf dieses Untersuchungsfeld beschränkt, so läuft man Gefahr, einige psychische Brscheinungen "uneigentlich" zu interpretleren. Damit wird jedoch im konkreten Fall - ich habe dies an Dimensionen menschlicher lntersubjektivität zu verdeutlichen versucht - der vielschichtige Zusammenhang psychischer Brscheinungsformen unter Umständen nur aspekthaft erfaßt. Bei vielen konkreten Brscheinungen kommen wir mit einem ausschließlich an der gesamtgesellschaftlichen Spezifik der menschlichen Psyche

orientierten

logisch-historischen

Ableltungsverfahren

mensch-

licher Grundkonflikte nicht an und laufen aufgrund unseres kritisch-psy-

2 Die Bntgegenstellung von "Wesentlichem" und "Wichtigem" ist in gewisser Weise problematisch, da sich Wesentllchkeit primär auf den Kategorialgehalt anderer Begriife bezieht und insofern für andere Begriffe anderes "wesentlich" ist. Da jedoch kritisch-psychologische Kategorien Realkategorien sind, die mit dem Anspruch einer isomorphen Widerspiegelung realer psychischer Sachverhalte gebildet werden, halte ich eine solche Bntgegenstellung von dem für den Gegenstand "Wichtigen" und dem für dessen Abbildung "Wesentlichen" für vertretbar.

-l240-

chologischen Grundlegungsanspruchs Gefahr, diese Brscheinungen auf einem Terrain^ zu interpretieren, auf dem sie nicht entstanden sind. Zwar überwindet Holzkamp in seinem Gesamtentwurf die Psychologisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, im Konzept verallgemeinerter-restriktiver Handlungsfähigkeit besteht jedoch die umgekehrte Gefahr, daß gesellschaftliche System- und Bntwicklungsmerkmale in die individuelle psychische Ausstattung hineinprojiziert werden. Wir Kritischen Psychologen haben zwar gelernt, vom Standpunkt des Subjekts aus zu analysieren, wir reflektleren dabei aber auf der Bedeutungsebene im Grunde nur gesamtgesellschaftliche Systemmerkmale.

Unsere subjektwissenschaftliche

Frage-

haltung und Formullerungsdiszipiin kann nicht verhindern, daß so die Dimensionen subjektiver Brfahrung

impiizit aus der Sicht der Gesell-

schaftsstrukturen bestimmt werden (vgl. Iantzen l985). Aus dieser Sicht sind dann existentielle Dimensionen wie Krankheit, Behinderung, Trauer, Bifersucht und andere psychische Kränkungen, Binsamkeit, Altern, sexuelle Probleme und Tod "individualblographische Zufälligkeiten". Solche Dimensionen wurden auch nach der mit der Grundlegung eingeläuteten subjektwissenschaft lichen Wende vernachlässigt;

Subjektivität

bzw. Hand-

lungsfähigkeit wurde oftmals nur in bezug aui die Art des Umgangs mit gesamtgesellschaftlichen

Behinderungen

je

meines

Lebens

aufgeklärt.

Tlefgreifende Dimensionen menschllchen Brlebens und Handelns, die sich

3 Aber selbst auf diesem Terrain, im Bereich des Speziiisch-Bestimmenden haben wir den Aspekt der subjektiven Bestimmung nicht voii ständig ausgeieuchtet. im Zusammenhang des Konzepts restriktiver-veraiigemeinerter Handlungsfähigkeit haben wir die von uns im anthropologischen Kontext grundsätziich reklamierte Wechselbeziehung zwischen der Schaffung von Lebensbedingungen und dem Leben unter diesen Bedingungen auf die Alternatlve opportunismus oder Widerstand gegen Herrschaftsverhältnisse vereinseitigt, haben also im Prinzip immer Klassenverhältnisse als Prämisse vorausgesetzt. Wir müßten aber die psychischen lmplikationen der geseiischaftiich-historischen Schaffung von Klassenverhältnissen durch den Nenschen, mithin die Art der Handlungsfähigkeitsgewinnung durch begründete Aufgabe von kooperativer Allgemeinheit zugunsten von privatem Bigennutz, historisch näher bestimmen, wenn wir die Dialektik von subjektiver Bestimmung und objektiver Bestimmtheit konsequent zum durchgängigen Forschungsprinzip machen wollen.

-l241-

jenseits der Frage nach der subjektiven Kontrolle der Lebensbedingungen stellen, blieben so unberücksichtigt. Damit verlieren wir aber bestimmte Dimensionen menschlicher Unmittelbarkeit aus dem Auge. Bs stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob ein auf die Brscheinungsebene vordringendes logisch-historisches Verfahren, gekoppelt mit dem Anspruch, das Wesen menschllcher Konflikte, den "Kernwiderspruch", aufzuklären, nicht im Widerspruch zu unserem Anspruch der systematischen Binbeziehung der unmittelbaren Subjektivität steht, aus dem die Kritische Psychologie primär ihren subjektwissenschaftlichen charakter gewinnt.

Gerade einzeltheoretische Begriffsbestimmungen und die in sie eingehenden Determinanten bedürfen nicht nur eines eingehenden

wissenschaft-

lichen Diskurses, sondern auch eines intersubjektiven Diskurses mit den Betroffenen über deren Probleme (wobei im einfachsten Fall Forscher und Betroffener

identisch sind). Dabei müssen die vielfältigen subjektiv

relevanten Praxen, in denen es um die Bntwicklung von Handlungsfähigkeit geht, einbezogen werden, und zwar nicht nur unter dem Aspekt der affirmativen bzw. widerständigen Auseinandersetzung mit Herrschaftsinstanzen, sondern

unter

dem allgemeinen

Aspekt

der

persönlichen

Teilnahme

an

vielfältigen menschlich-gesellschaft lichen Lebens- und Bntwicklugsmöglichkeiten. Solche einzeltheoretischen Kategorialanalysen müssen genau wissen, wo sie in der empirisch gegebenen Lebenswelt wieder ankommen wollen bzw. was sie dort rekonstruieren wollen.

-l2-

Kapitel 4: ^ e i Ebenen der Begriffsbildung: Grundkategorien und theoretische Konstrukte

4.1

Zur Notwendigkeit resultativer Begriiisbestimmungen im subjektwissenschaftlichen Forschungsprozeß

Karl-Heinz Braun grenzt Binzeltheorien von Kategorien durch die Feststellung ab, "daß es durch einzeltheoretische Brgebisse zwar möglich ist, die kategorialen überlegungen lnterpretativ auszugestalten, daß es aber nlcht möglich ist, auf diesem Weg Grundpositionen zu begründen bzw. zu widerlegen" (l986, S.l36). Dieser Auffassung ist soweit zuzustimmen, daß die Bildung von Grundkaiegorien zwar durch aktuelle Brfahrungen und Probleme angeregt wird, daß Grundkategorien aber nur historisch-empirisch und nicht aktualempirisch verbindlich zu machen sind. Dagegen muß meines Brachtens Brauns Ansicht, daß es in der einzeltheoretischen Forschung um die

interpretative

Ausgestaltung der Grundkategorien geht,

differenziert werden. Diese Vorstellung unterschlägt nämllch die Nöglichkeit, Begriffe einzeltheoretisch zu begründen. Solche elnzeltheoretischen Begriffsbildungen stellen zwar Grundpositionen nicht in Frage, sie haben aber einen eigenständigen Status und slnd damit nicht rein interpretative Ausgestaltungen der Grundkategorien. Nan muß immer wieder die Nöglichkeit des prinzipiellen Brkenntniszuwachses innerhalb einzeltheoretischer Untersuchungen in Rechnung stellen. Die Notwendigkeit weiterer kategorialer Differenzierungen besteht auigrund der Vielfalt von Bedeutungsbezügen und ihrer möglichen Subjektivierung sowie zweifelsohne auch aufgrund des Umstandes, "daß in die historisch bestimmten lage- und positionsspeziilschen

Bedeutungen ...

immer auch Binschränkungen von Verfügungsmögllchkeiten beschlossen sind" (Holzkamp l983, S.369). Diese notwendigen Begriffsbestimmungen können meines Brachtens nicht außerhalb des konkreten schungsrahmens

eriolgen;

elne

reine

intersubjektiven For-

logisch-historische

Analyse

des

-l243-

Zusammenhangs zwischen lage- und positionsspezifischen Bedeutungen, subjektiv funktionalen Handlungsgründen und bestimmten psychischen Brscheinungsformen ist nicht hinreichend. Die hier zu diskutierenden begrifflichen Differenzierungen beziehen sich nämlich auf den individualgeschichtiichen Prozeß der Handlungsfähigkeitsgewinnung, auf empirische Reaiisierungszusammenhänge mit konkreten Eeaiisierungsbedingungen. Aufgrund ihres individualbiographischen Prozeßcharakters sind subjektiv funktionale Begründungszusammenhänge mit ihren Funktionsaspekten nur in der Aktualforschung bestimmbar, und dabei sind sie mit Hilie des Arsenals gesellschaftlich gegebener "Vorbegriffe" zu verallgemeinern. Dabei braucht kein Vorbegriff und keine theoretische lnterpretation von vorneherein kategorial ausgeschlossen zu werden; erst im einzeltheoretischen Brklärungsversuch muß sich zeigen, ob diese mit den kategorialen Grundlagen kompatibel sind oder nicht; falls sle nicht kompatibel slnd, müssen die Vorbegriffe im Angesicht des konkreten Falls im subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen Paradigma der Kritischen Psychologie reinterpretiert werden. Die kategorial bestimmte Nöglichkeitsbeziehung läßt angesichts der Bedeutungsvielfalt, mit der wir konfrontiert sind, viele Nöglichkeiten zu spezifischen individuellen Bntwicklungen offen; die an funktionalen und darüber vermittelten subjektiven Notwendigkeiten gesellschaftlich-individueller Lebenserhaltung orientierte Kategorialanalyse entwickelt mit

der Grundkategorie der Nöglichkeitsbeziehung und der darin liegenden doppelten Nöglichkeit im Grunde aus sich selbst heraus ihre eigenen Grenzen und fordert bestimmungen auf.

zu

aktuaiempirischen,

prozeßbezogenen

Eegriffs-

Auf dieser Grundlage beantwortet sich die Frage, ob bzw. wieweit die durch gesellschaftstheoretische

Brörterungen notwendigen begrifflichen

Zuspitzungen bereits auf der Bbene der Grundbegriiie erfolgen müssen oder ob sie erst auf der einzeltheoretischen Bbene sinnvoll sind. Der Schnitt

zwischen

der

logisch-historischen

und

der

aktualempirischen

Analyseformen ist mit der Kategorie der doppelten Nöglichkeit und den in ihr angelegten Dimensionen formen markiert;

mit

der

ihr endet

Bxplikation

psychischer

meines Brachtens die

BrscheinungsReichweite der

Grundkategorlen. Wenn man hier die Trennungslinie zwischen historisch-

-l24-

empirischer und aktualempirischer

Forschung zieht,

daß

der

die

kritische

Substanz

und

ist gewährleistet,

Brklärungswert

krltisch-psycho-

logischer Begriffe in der Binzeliallanalyse analytisch iruchtbar gemacht werden. Kritische Psychologie kann es somit nicht als Nicht-Kritik von gesellschaftlichen

Herrschafts-

und Unterdrückungsverhältnissen

geben.

Nit der kategorialen Bestimmung der doppelten Nögllchkeit blelbt es aber aktualempirisch

offen,

mit

welchen psychischen

Konsequenzen

konkret-

historische Binschränkungen und Unterdrückungsformen einhergehen; diese sind aktualempirisch festzustellen und zu analysieren. lnsbesondere außerhalb restriktiver institutioneller

Rahmenbedingungen

können sich in der subjektiven Situation widerspiegelnde gesellschaftllche Widersprüche erst auf der Bbene des konkreten Bedeutungsbezugs von Handlungsbegründungen thematisiert werden. F^r eine allgemeine, kategoriale Bedeutungs-Begr^ndungsanalyse sind in unserer Gesellschaft viele Lebens-, Handlungs- und Leidensdimensionen zu sehr differenziert. Zuglelch sind solche konkreten Nöglichkeiten und Behinderungen aber konstituierende Bezugspunkte psychischer Funktionsausprägungen und Brscheinungsformen. Auf viele "postmaterielle" bzw. "postmoderne" Konfliktsituationen, aber auch auf viele neu qualiiizierte materielle Konfliktsituationen, in denen Nenschen sich befinden, kommt man nur über Bereichsbzw. Binzelfallanalysen. Der sich in den psychischen Funktionen widerspiegelnde Prämissenbezug in seiner konkreten Widersprüchlichkeit kann in solchen Fällen erst in der aktualempirischen Realisierungsanalyse zugänglich gemacht werden. Nan wird oftmals sogar erst durch die spezielle psychische innerhalb

Problemkonstellation dazu angeregt, der

bürgerlichen

Gesellschaft

konkrete

Bntwicklungen

bedeutungsanalytisch-einzel-

theoretlsch aufzuhellen. Solche krltischen Binzelanalysen kann man aber, wie gezeigt, nur unter der Voraussetzung leisten, daß die subjektwissenschaftllchen Grundbestimmungen auf Herrschafts- und Nachtverhältnisse konkretisiert worden sind, wie dies in der Kategorie der doppelten Nöglichkeit der Fall ist. Nur auf einer solchen kritischen kategorialen Grundlage kann man einzeltheoretische Begriffe wie etwa den Begriii der "Unmittelbarkeitsfixiertheit" bilden. Die Bildung solcher Konstrukte basiert auf elnem Zusammenspiel zwischen den widerspruchssensiblen kategorialen Grundlagen und den

-2l5-

kritischen Potentialen alltagssprachlicher

Konfliktbeschreibungen/-er-

klärungen (zur kritischen Funktion der Alltagssprache im Vergleich zur traditionellen psychologischen Sprache siehe Ulmann l989). lch habe bereits darauf hingewiesen, daß die logisch-historische Unbestimmbarkeit der empirischen Vielfalt subjektiver Brfahrung, aus der die Notwendigkeit prozeßbezogener Begriifsbildungen erwächst, nur durch eine relativ rigide und invariante Fixierung des Begründungskriteriums

in

einem relativ starren, qua kategorialer Bedeutungsanalyse bestimmbaren Setting von gesellschaftlich-funktionalisierten institutionellen Bedeutungskonstellationen reduzierbar ist. Auf diese Weise kann der Bindruck entstehen, daß über die Bestimmung der allgemeinen Vermittlungsinstanzen hinaus die Nöglichkeit zu einer an gesellschaftllchen und subjektiven Notwendigkeiten

orientierten

logisch-historischen

Differenzierungsana-

lyse besteht. Dieser - meines Brachtens aber nicht verallgemelnerbare Weg wird in der Grundlegung in den Passagen beschritten, in denen dem Konfliktmodell von Ute Holzkamp-osterkamp eine systematische, kategoriale

"Helmat"

kategorialen

als "historische

Vermittlungsebene

Begründungszusammenhänge"

Konkretisierung

der

subjektiven

der

...

allgemeinen

Nöglichkeitsbeziehung/

(Holzkamp l984a, S.41) zu geben versucht wird.

Die Nöglichkeit zu einer logisch-historischen Rekonstruktion aktualempirischer Brscheiungsformen wird dabei dadurch hergestellt, daß diese Brscheinungsformen ausschließllch mit vermeintlich allumfassenden formationsspezifisch-widersprüchlichen

Systemfaktoren

in

Beziehung

gesetzt

werden; das heißt, sie werden ausschließllch als funktlonale Aspekte subjektlver Notwendigkeiten unter globalen Systemfunktionen analysiert.

-2l6-

4.2

Strukturanalyse versus Prozeßanalyse; Theoretische

Konstrukte als einzeltheoretlsche Begriiisbildungen lch will nun, indem ich in formalisierter Weise den charakter einzeltheoretlscher Konzepte darstelle, zu einigen allgemeinen Klärungen über das Wesen der im einzeltheoretischen Kontext zu entwickelnden Begrifflichkeit kommen.

Auf

dem

historisch-empirsch

Nensch-Welt-Zusammenhangs regelhafter,

rekonstruierten

wird

in

Terrain

einzeltheoretischen

des

allgemeinen

Konzepten

ein

implikativer, das heißt ein vom Standpunkt des Subjekts

begründeter und von daher schlüssiger, Vermittlungszusammenhang zwischen einer Bedingungs-/Bedeutungskonstellation

und einem Folgeereignis (Be-

gründungen/Funktionen) formullert, wobei das Folgeereignis wiederum auf das Bedingungsereignis zurückwirkt

(überwindung

bzw.

Bestätigung der

Bedingungskonstellation). Beide Ereignisse stehen also in einem Verhältnis der wechselseltigen Brmöglichung, in einem Verhältnis von "subjektiver Bestimmung und objektiver Bestimmtheit". Auf der Bbene des Subjekts stellt sich dieser Zusammenhang als Beziehung zwischen Prämissen und lntentionen dar^ Wir finden also elne impllkative Wenn-Dann-Struktur in der Form: wenn eine Bedeutung zur Handlungsprämisse gemacht wird, dann folgt eine vom Standpunkt

der Lebensinteressen des Subjekts aus gesehen vernünftige

Handlungsintention, aus der eine Handlung mit bestimmten Konsequenzen sowohl auf der Bbene der subjektiven Befindlichkeit ais auch auf der Bbene der objektiven Bedingungen verständllch wird. Die in einen solchen implikativen Zusammenhang gebrachten Breignisse dürfen nicht als kontlngente Reiz-Reaktions-Relationen aufgefaßt werden; traditionelle experimentalpsychologische, sind

vermeintlich

kontingente,

Wenn-Dann-Relationen

deshalb wie folgt zu relnterpret leren: Die Wenn-Komponente

ist

"lnbegriff von Bedingungen, sofern sie von der Versuchsperson (i.w.S.) zu ^Prämissen^

für ihre subjektiven Handlungsbegründungen gemacht wer-

den; die Dann-Komponente wird . . . zum lnbegriff von Handlungen als Umsetzung von Handlungsvorsätzen der Vp als (iür sle) ^gut begründete^, ^vernünftige^

Konsequenzen aus den Handlungsprämissen. Die Zwischenva-

-l247-

riablen zwischen Wenn- und Dann- Komponente werden . . . zum lnbegriff von impliziten oder expliziten lntentionen der Vpn, durch welche für sie bestimmt ist, was ^ Begründetheit ^ bzw. ^ Vernünftigkeit ^ ihrer Handlungen in Ansehung ihrer Lebensinteressen . . . innerhalb der gegebenen Bedingungs-/Prämissenkonstellationen bedeutet" (Holzkamp l993, S.35). ln der Praxis werden solche Zusammenhangsannahmen reduktiv, das heißt rückführend, aufgestellt: von einer Handlung wird über die Zwischenglieder der Intention und der Prämissen auf eine Bedeutungskonstellation geschlossen bzw. eine Handlung wird aus einer Bedeutungskonstellation begründungslogisch erklärt. Die allgemeinen Vermittlungsinstanzen (Bedeutungen, Prämissen, lntentionen, Begründungen, Funktionen) sind also das Referenzsystem für dle Brklärung eines solchen implikativen Zusammenhangs. Die Analyse und verallgemeinerte Darstellung eines solchen konkreten Zusammenhangs ist nun die Aufgabe der aktualempirischen Binzeltheorie. Bin solcher Zusammenhang wird in der Kritischen Psychologie Eegrundungsmuster genannt.

Damit die Binzeltheorle den Zusammenhang zwischen kategorial bestimmtem Wesen des Psychischen und seiner spezifischen Brscheinungsform konkret erklären kann, müssen in ihr spezifische, die ldentität des Begründungsmusters bestimmende einzel theoretische Brklärungsbegriffe gebildet werden. Diese Brklärungsbegriffe fungieren quasi als intervenierende Begriffe, die zwischen Wesen und Brscheinung vermitteln. Die Binzeltheorie vermittelt also analytisch-erklärend zwischen zunächst in Beschreibungsbegriffen gegebenen objektiven und subjektiven aktualempirischen Breignissen; sie stellt eine begreifend-theoretische Zusammenhangsannahme vom Standpunkt des Subjekts dar. Die Bildung einer kritisch-psychologischen Binzeltheorie, eines Begründungsmusters ist dadurch charakterisiert, daß erklärende Annahmen über konkret vorliegende Bedeutungs-Begründungs-

und Funktionszusammenhänge

formuliert werden; aktuelle subjektive Probleme werden qua Hypothesenbildung auf ihre Prämissen zurückgeführt. Die Brklärung bezieht sich quasi auf Protokollaussagen ^ber empirische Subjektivität; sie besteht aus reduktiv gebildeten theoretischen Sätzen, in denen die zu erklärenden Protokollaussagen - unter Berücksichtigung der allgemeinen lnstanzen

-2l8-

des Nensch-Welt-Zusammenhangs - in einen implikativen, begründungslogischen Zusammenhang gebracht werden. ln diesen Brklärungen werden theoretlsche Blemente gebildet, die sowohl den kategorialen Grundbegriffen als auch den Protokollaussagen Rechnung tragen und zwischen ihnen vermitteln;

in diesen

einzeltheoretlsche

Blementen

manifestiert

Brkenntnisfortschritt.

sich der

verallgemeinerte

Diese begrifillchen Blemente

slnd Vorstellungsinhalte, die in der Konfrontation mit der lebenspraktischen Widerständigkeit realer Handlungsproblematiken generiert werden; sie werden entweder durch ein neues Wort oder durch ein bereits exist ierendes Wort, das aus anderen Zusammenhängen bekannt ist und einschlägige Bedeutungsdimensionen

beinhaltet,

benannt.

Trotz

ihrer

implikativen

Struktur sind solche Brklärungen, solange sie nicht durch die Betroffenen als ihre Probleme betreffend verifiziert sind, Hypothesen, mit denen man an die Brklärung konkreter Lebensproblematiken herangehen kann; nach ihrer Verifikation sind sie nicht mehr bloße Begründungsmuster, sondern einschlägige, triftige Binzeltheorien. Deduktiv

ist die Bildung einer kritisch-psychologischen

Binzeltheorle

nicht nur insofern, als aus den angenommenen Prämissen die subjektiven Probleme gesetzmäßig,

das heißt als

im Kontext

vernünftigen

Handels

stehend, erklärt werden, sondern auch insofern, als aus den hypothetisch bestimmten Nöglichkeitsräumen, in denen die Handlungsproblematik begründet

ist,

alternative

Eändlungsperspektiven abgeleltet

werden.

Sofern

durch Realisierung solcher theoretischer Zielsetzung eine lebenspraktische überwindung der für die Bildung der Binzeltheorle konstitutiven Problemlage erreicht wird, kann die hypothetische Brklärung für den konkreten Binzelfall als bewährt gelten. Bs sollte deutllch geworden sein: Nan muß zunächst zwischen den logischhistorisch bestimmten Grundbegriifen/Vermittlungsinstanzen

und der el-

gentlichen Erklärung aktualempirischer Zusammenhänge unterscheiden, deren Referenzsystem erstere sind. lm Vollzug der theoretischen Brklärung slnd Begriiisbildungen nötig, die selbst nicht logisch-historisch begründbar slnd, die aber für die aktualempirische Analyse eine notwendige Vermittlungsfunktion zwischen den allgemeinen Kategorien und den konkret vorl legenden empirischen Verhält-

-249-

nissen haben. Für derartige Begriffe bietet sich die Bezeichnung " theoretische Konstrukte" an. lm Gegensatz zu den allgemeinen Kategorien sind derartige theoretische Konstrukte der aktualempirischen

Analyse nicht

logisch vorgeordnet, sondern erfolgen im Vollzug der kategorial begründeten aktualempirischen Analyse. Binzeltheorien stellen einen Zusammenhang zwischen den in Beschreibungsbegriffen formullerten Basissätzen und den allgemeinen Kategorien her. Für diesen Zweck erfolgen in ihnen prozeßspezifische Begriffsbildungen. Binzeltheoretische Konstrukte stehen also im Zusammenhang mit der Brklärung konkreter aktualempirischer Phänomene. Bin mögllches Resultat dieses Prozesses sind im Prinzip die unter dem oberbegriff restriktive-verallgemeinere Handlungsfähigkeit zusammengefaßten Begrifie wie Selbstfeindschaft, Unmittelbarkeitsverhaftetheit, Personalisierung etc. Solche einzeltheoretischen Brklärungen sind von je mir im Bezug auf meine empirische

Subjektivität

zu

überprüfen.

ohne

konkreten

aktualempirischen

Bezug, das heißt außerhalb elner einzeltheoretischen Brklärung von empirischen

Sachverhalten,

von

konkreten

Problemen,

elnerseits

und

ohne

kategorialen Bezug auf die allgemeinen Grundbegriife andererseits sind solche Begriffe nicht denkbar. Dabei kommt den Grundbegriffen im einzeltheoretischen Funktionszusammenhang quasi axiomatischer charakter zu. Der kritisch-psychologlsche Begrlff vom Unbewußten wäre beispielsweise vor diesem Hintergrund

ein

im einzeltheoretischen

Kontext

gebildetes

theoretisches Konstrukt, das sozusagen die allgemeinen Grundbegriffe und die Beschreibungsverhältnisse fallbezogen ineinander verschränkt. Dabei gewinnt der wissenschaftliche Vorbegrifi des Unbewußten eine doppelte Funktion: er ist einerseits die begriffliche Voraussetzung, um so etwas wie Unbewußtes überhaupt erst denken zu können; andererseits gewinnt ein solcher

Vorbegriff

durch seine dargestellte

Vermittlungsiunktion

zwi-

schen Grundbegriffen und Basissätzen eine spezifische kritisch-psychologische Bedeutung und wird damit vom Vorbegriif zum Begriff.

Dieser

Prozeß stellt eine aktuaiem^irische Kategorialanalyse dar (s.u.). Derartige iallbezogen vermittelnde Konstrukte müssen in anderen aktualempirischen Forschungsprozessen jeweils ihre Nützllchkeit und Plausibilität erweisen und dort ihre je individuelle Bestätigung, Brgänzung oder

Außerkraftsetzung finden. Die Instanzen und die struktur der dargestell-

-250-

ten Vermittlungsanalyse selbst stellen dagegen keine prozeßorientierten Konstrukte dar und stehen in ihrer Relevanz nicht aktualempirisch zur Disposition. Die skizzierten theoretischen Konstrukte sind notwendig, um prozessual die sich in der je konkreten Befindlichkeit und Handlungsfähigkeit verdichtenden Dynamisierungen des allgemeinen

formalen Strukturzusammen-

hangs zwischen Nensch und Welt mit seinen von der Kritischen Psychologie ausgearbeiteten lnstanzen inhaltlich nachvoii^iehen zu können. Theoretische Konstrukte haben die Funktion von Realisierungsbegrifien, von

Begrifien,

die

sozusagen

Kategorien darstellen, finden

als

in

inhaltllche

Füllungen

der

allgemelnen

wobei diese Füllungen nirgendwo anders statt-

konkreten

Nensch-Weit-Zusammenhangs.

individualbiographischen Sie sind quasi

Realisierungen

veraiigemeinerende

des

begriff-

iiche Bausteine der Rekonstruktion von aktualempirischen, in Beobachtungssprache und Alltagsinterpretation gegebenen Prozessen. Sie müssen dabei auf das allgemeine kategoriale Fundament passen.

Man kann theoretische Konstrukte auch quasi als Bxhaustionsbegriiie auffassen, mit denen der Widerspruch zwischen Brscheinung und kategorial bestimmtem Wesen - der ja die Voraussetzung von Wissenschaft ist - erklärend aufgelöst wird. Wenn man die Bildung theoretlscher Konstrukte als Bxhaustions-Verfahren auffaßt, dann wäre dieses Verfahren dadurch gekennzeichnet, daß man oberflächliche interpretations empirischer Brscheinungen, die dem kategoriai bestimmten Menschenbiid widersprechen, dadurch exhauriert, daß man diese interpretationen und die ihr zugrundeiiegenden Daten auf "störende", restringierende Umstände zurückführt. Dabei wäre das so verstandene Bxhaurieren quasi die Biidung von theoretischen Konstrukten; sein Wesen würde darin bestehen, empirische Brscheinungsformen durch Refiexion konkret voriiegender, behindernder Bedeutungs-/Begründungskonsteiiationen auf die allgemeinen, kategorial bestlmmten menschlichen Wesenszüge zurückzuführen und diesen Zusammenhang in psychologischen Begriffen festzuhalten.

Die hier skizzierten theoretischen Konstrukte sind notwendige Bildungsmomente von Binzeltheorien, da nur durch ihre ^erknupfungsleistung die in Beschreibungsbegriffen gegebene empirische Befindllchkeit kategorial analysierbar wird. Diese Verknüpfungsleistung schließt ein, daß einzeltheoretische Konstrukte kompatibel sein müssen mit den allgemelnen Prinzipien geseiischaftiich-individueiier Lebensweise. Bs muß aiso immer wieder ein in-

- 2 5 l-

haltlicher Bezug des theoretischen Konstrukts zu den allgemeinen Grundbegriffen, die das allgemeine Funktionsprinzip zwischen der "gesellschaftlichen Natur" des Subjekts und dem "ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" abbilden, ausgewiesen werden. Bine solche kategoriale Bewährung theoretischer Konstrukte ist aber keinesfalls notwendig dem aktualemplrischen Forschungsprozeß vorgelagert; vielmehr gehört die Bildung

theoretischer

Konstrukte

(und

damit

auch

ihre

kategoriale

Analyse), will man nicht primär theoretische Begriiie analysieren, sondern

Grundkategorien

mit

konkreten

subjektiven

Befindlichkeiten

und

Problemen verknüpfen, zur intersubjektiven Theorienbildung. Nur so ist der Bezug der theoretischen Konstrukte auf die sich in Alltagsbegriffen und -konzepten artikulierende empirische Subjektivität

gewährleistet;

allein dadurch öffnen sich theoretische Konstrukte gegenüber den je individuellen

Sinndimensionen,

auf

die

sich

etwa

Leontjews

Unter-

scheidung von "objektiver Bedeutung" und "subjektivem Sinn" (vgl. l982, Kap. 4) bezieht. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß auf einzeltheoretlscher, das heißt auf je individueller Bbene, der erkenntniskritische

und

erkenntnisaufhebende

Anspruch

der

Kritischen

Psychologie

konsequent fortgeführt werden muß; die kategoriale Analyse von psychologischen

Alltagskonzepten

selbst

muß

unter

Berücksichtigung

der

Binmaligkeit des Binzelfalls je individuell validiert werden. Theoretische Konstrukte können vor dem Hintergrund der prinzipiellen Unterscheidung von logisch-historisch bestimmtem Wesen und empirischer Brscheinungsform

als

in beidseitigem

Bezug

stehende

und

in diesem

Kontext notwendige begriffliche Theorieelemente verstanden werden. Durch sie wird einerseits ein je individueller prozeßbezogener Zusammenhang der lnstanzen des Nensch-Welt-Zusammenhangs abgebildet und damit andererseits die Vereinbarkeit von zwischen Kategorial- und Bmpiriebezug von Theorien gewährlelstet. Bntsprechend sind theoretische Konstrukte beidsei tig faisifizierbar: einerseits dürfen sie nicht im Widerspruch zu den kategorialen Grundbegriffen stehen, andererseits müssen sie im Binklang mit der aktualemplrischen Datenbasis stehen und sind im Prinzip durch diese dadurch außer Kraft zu setzen, daß sie sich als nicht einschlägig relevant erweisen. Theoretische Konstrukte haben in diesem Sinne theore-

-252-

tisch-interpretativen charakter, sie interpretieren quasi die allgemeinen Kategorien f^r einen konkreten Zusammenhang. Dieser charakter ist notwendiges Noment des einzeltheoretischen

Bmpiriebezugs einer analy-

tischen Forschung, einer Forschung, die nicht ledigllch Beschreibungen und Systematisierungen dienen soll. Dabei sind die Grundkategorien die analytlschen

lnstrumente dieser Brkenntnisbewegung,

scheinungsebene als Konkretisierung des allgemeinen

indem sie die BrVermittlungszusam-

menhangs zwischen Nensch und Welt verdeutlichen. Die theoretischen Konstrukte verknüpfen das Brlebbare mit den allgemeinen Kategorien. Zum Beispiel verknüpft das theoretische Konstrukt des "inneren Zwangs" die allgemeine Bestimmung menschlicher Notivation mit der konkreten widersprüchlichen Brscheinungsform psychischen "Antriebs" eines konkreten Subjekts. Damit gewinnen Vorbegriffe ihren einzeltheoretischen charakter. Die etwa im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit vorgenommenen "begrifflichen Diiierenzierungen" sind mithin selbst bereits interpretative, einzeltheoretische Begriiisbildungen

im Hinblick

auf bestimmte empirische Befindlichkeiten, Zustände, Handlungen etc; sle erfolgen

in dem Brkenntnisbezug auf einen prozessierenden,

lebendigen

Gegenstand, nicht aber in der logisch-historischen Ableltung der sirukturalen lnstanzen dieses Prozesses. Durch hypothetische Konstrukte wird das Beobachtbare erst erklärt. Diese Brklärung darf natürllch nur auf dem durch die allgemeinen Strukturkategorien abgesteckten Terrain erfolgen, denn nur so ist gewährleistet, daß bel der Bildung der hypothetischen Konstrukte "Widerständigkeiten" der Brfahrungsdaten gegen das logisch-historisch begründete Nenschenbild aufgelöst und diese Brfahrungsdaten wissenschaftlich verankert werden. lm Gegensatz zu dem allgemelnen Nenschenbild setzen im Forschungsprozeß

die theoretischen Konstrukte notwendig ein konkretes Eeobachtungswisse^ von dem, was erforscht werden soll, sowie einschlägige theoretische Analysen auf der Bedeutungsebene voraus. Dadurch gewinnen die theoretischen Konstrukte ihren konditionalen charakter. Sie stehen im Kontext bedingter ^usammenhangserklärungen, im Kontext der einzel theoretischen Konstruktion von Begründungsmustern.

-253-

Nan muß also zwischen Grundkategorien im Sinne von subordinierenden, das Nenschenbild einer psychologischen Theorie bestimmenden Gattungsbegriffen und einzeltheoretischen Begriffsbildungen im Sinne von subordinierten Artbegriffen unterscheiden. Auf sprachlicher Bbene wird bereits deutlich, daß etwa "restriktiv" als Bigenschaftswort die Art und Weise von "Handlungsfähigkeit" ausdrücken soll. Dagegen sagt der allgemeine Begriff "Handlungsfähigkeit" nichts über eine Realisierungsform aus. Wo immer es um Fragen der konkreten Realisierung der gesellschaftlichen Natur des Nenschen geht, sind wir elementar auf aktualempirische Forschung angewiesen. Die Grundbegriffe sind Resultat der logisch-historischen, an Notwendigkeiten der gesellschaftlichen Lebenserhaltung orientierten kategorialanalytlschen Verarbeitung historisch-empirischen Naterials zur Bestimmung der wesentlichen Qualitäten der menschlichen Psyche. ln der aktualempirischen Begriffsbildung geht dagegen das Denken vom sinnlich gegebenen Binzelnen zum kategorial bereits bestimmten Allgemeinen und von dort aus wieder zur Brscheinungsebene zurück, wobei das Allgemeine in den

einzeltheoretischen

Begriffsbildungen

aufgehoben

sein

muß.

Die

Grundkategorien sind in diesem Kontext nicht - wie im logisch-histori-

schen Verfahren - Brkenntnisresultat, sondern Erkenntnismittel bzw. Brkenntnisvoraussetzung. Das sinnlich gegebene Binzelne wird so in der kategorial angeleiteten Analyse erklärt, wobei der Prozeß der Brklärung seine eigenen, subordinierten Begriife erzeugt. Wenn

man

über

derartige

prozeßbezogen-resultative

Begriifsbildungen

keine Reflexionen anstellt und Begriffsbildungen ausschließlich unter das strenge Regulativ des historischen Herangehens "als universelles begrifflich-methodisches Forschungsprinzip, Eegriffsbildung

herausfallen

darf"

aus dem keine einzige . . .

(Holzkamp

l983,

unterlaufen einem zwangsläufig - da nicht sämtllche

S.47),

stellt,

psychologischen

Begriife in dieser Form ableitbar sind - problematische Binverleibungen einzeltheoretischer Brklärungsbegriife in das historische Paradigma der Kritischen Psychologie und damit verbunden unzulässige Universalisierungen solcher kritisch-psychologischer Begriffe, die wir hier theoretische Konstrukte nennen.

-254-

Nicht nur der logisch-historische, sondern auch der einzeltheoretlsche Brkenntnisprozeß umfaßt zwei gegenläufige Prozesse: das Bestimmen bzw. (Selbst- subsumieren,

in dem Besonderheiten

unter einen

vorgegebenen

allgemeinen Begriff gebracht werden, sowie auch das (Selbst- )Reflektieren; denn auch im einzeltheoretischen Prozeß gilt es zu reflektieren, das heißt, Begriffe zu empirischen Brscheinungen zu finden. Dabei dürfen diese Begriiie bzw. theoretischen Konstrukte nicht naiv auf empirische Sachverhalte bezogen werden und objektivistisch als etwas An-sich-Seiendes angesehen werden. Sie stehen vielmehr in einem transzendentalen bzw. kategorialen Rahmen, innerhalb dessen slch der Sinn einer solchen Aussage erst bildet. Dieser Rahmen wird in der Kritischen Psychologie auf historisch-empirischer

Grundlage

entwickelt.

Binzeltheoretische

Be-

griffsbildungen stehen damit immer in Relation zu einem vorgängig mitgesetzten begrifflichen Referenzsystem. Zwischen beiden Prozessen, dem Subsumieren und dem Reflektieren, kann also nicht durchgängig die Trennungslinie zwischen grundbegriiflichen und elnzeltheoretischen Analysen gezogen werden.

Das begriffllche System der Krltlschen Psychologie besteht also aus zwel systematisch zu trennenden Begriifsarten: Grundkategorien (Kategorien im eigentlichen Sinne) und theoretischen Konstrukten, auf deren jeweilige Spezlfik wir jetzt noch einmal genauer elngehen wollen: Grundkategorien sind die kritisch-psychologischen Begriiie, in denen die gesellschaftliche Natur des Nenschen und ihre allgemeinen Realisierungsiormen

unter

den

Bedingungen

gesamtgesellschaitllcher

Vermitteltheit

individueller Bxistenz logisch-historisch rekonstruiert sind. ln ihnen ist das prinzipielle

Verhältnls

zwischen

objektiven

und

subjektiven

Notwendigkelten gesellschaitllcher Lebenserhaltung abgebildet. Sie stellen Konstanten dar und sind iür jede wissenschaitliche Anthropologie von großer Relevanz. Kategorien im eigentlichen Sinne sind also jene speziiischen Begriiie, die in einem auiwendigen logisch-historischen Veriahren entwickelt

worden sind: sie sind "Grundbegriffe,

mit welchen in

einer empirischen Wissenschait ... ihr Gegenstand, seine Abgrenzung nach außen, sein ^esen, seine innere struktur, bestimmt sind" (Holzkamp l983, S.27).

Dabel

ist dieses Wesen mit jenem "menschlichen Wesen", daß

Narx

-255-

in der 6. Feuerbachthese als das "ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" bestimmt, insofern nicht deckungsgleich, als Narx dort die konkret-historischen seine

psychischen

"Stammbegriffe",

Bntwicklungsbedingungen

des Nenschen,

Bntwicklungsvoraussetzungen sie

bilden

allgemeinste

meint.

nicht aber

Kategorien

Wirklichkeitsformen,

sind

allge-

meinste Strukturen des jeweillgen Gegenstandes einer Wissenschaft ab, die

in den übrigen

wissenschaftlichen

Begrifien

berücksichtigt

sein

müssen. Kategorien markieren das Wesen, das "Unwandelbare", das "Binheitliche" gegenüber der Vielfalt mögllcher Bntwicklungen und Realisationen; sie sind "logische Bedingungen"

der aktualempirischen

For-

schung. Alle Kategorien sind Begriife, aber nicht alle Begriffe sind Kategorien.

Dabei ist die Bestimmung von Grundkategorien weniger eine Art selbstgenügsamer Begriffsexplikation als der Versuch, elne Plattform zu gewinnen, um alltägliche und wissenschaftllche Aussagen über subjektive Brfahrung kritisch hinterfragen zu können. Die eigentllche Funktion kritisch-psychologischer Grundbegriffe liegt also darin, subjektive Brfahrungen diskursfähig und damit analysierbar zu machen, und zwar in einer Weise, daß den Resultaten solcher Analysen eine praktische und emanzipatorische Relevanz zukommt. Diese allgemeine Funktion schließt die Aufgabe ein, psychologische Aussagen, Aussagen über empirische Subjektivität, im ihrem Geltungsberelch differenzieren zu können. Brfahrungen kann man nur aufschlüsseln, wenn man über angemessene Grundbegrifie verfügt, durch die inhaltllch und methodologisch die Art und Weise bestimmt wird, wie man Brfahrungen aufschlleßt. Denn die Brfahrung selbst sagt einem nicht, was man über sle denken soll. Nan braucht deshalb ein wissenschaftlich ausgewiesenes Verfahren der Bildung von Grundbegriiien. Die hier "theoretische Konstrukte" genannten Begriiie sind eine weitere, für die psychologische Subjektwissenschaft relevante Art von Begrifien, die in der Konfrontation der allgemeinen Grundbegriffe (Handlung, Handlungsfähigkeit, Bedeutung, Begründung, Verfügung, Reflexivität u.a.) mit der in Beschreibungsbegriffen gegebenen empirischen Subjektivität bzw. den empirischen Handlungswelsen zu bilden sind und zu deren einzeltheoretischer Brklärung dienen (z.B. Unbewußtes, Selbstfeindschaft, Unmit-

-256-

telbarkeltsverhaftetheit etc.). Während eine Grundkategorie wie der Begriff der Handlungsfähigkeit das "Wesen", die "innere Struktur" des psychologischen Gegenstandes allgemeln bestimmt, erklärt ein theoretisches Konstrukt wie "restriktive Handlungsfähigkeit" die Art und ^ise begründeter Handlungsfähigkeitsgewinnung unter bestimmten empirischen Bedingungen. Bin solches theoretisches Konstrukt bestlmmt aber nicht das Wesen des Psychischen, seine allgemeine Struktur, sondern erklärt hypothetisch Formen der individualbiographischen Ausgestaltung, der subjektiven Realisierung dieses Wesens und muß im konkreten Fall jeweils aui seine Brklärungsrelevanz hin überprüft werden. Bs ist also ein Unterschied, ob Kategorien, die die Struktur des NenschWelt-Zusammenhangs abbilden, historisch-empirisch bestimmt werden oder ob subjektive Realisierungen dieses Zusammenhangs hypothetisch analysiert und benannt werden; hierbei handelt es sich um unterschiedliche Denkbewegungen, die man nicht vermischen darf. Nan muß die der Aktualempirie logisch vorgeordnete Bildung von Grundkategorien von der aktualempirischen

Realisierungsanalyse

bzw.

der Bildung

theoretischer

Kon-

strukte unterscheiden. So ist belspielswelse das kritisch-psychologische Konstrukt der "Gleichheitsregulation"

(siehe Ulmann l987, S.l09f) das

Resultat elner aktualempirischen Analyse, das mit Hi lie der Grundkategorien als Analysemittel gewonnen wurde und sich auf bestimmte Brscheinungsformen bezieht. lm Gegensatz zu den theoretischen Konstrukten besitzen Grundkategorien eine strenge Allgemeingültigkeit; sie fungieren im elnzeltheoretischen Prozeß quasi als Axiome im Sinne von Begriifen, die - erkennt man ihre logissch-historische Ableltung als wahr an - von jedem Nenschen vernünftlgerweise als wahr genommen werden müssen; sle gelten aus der Sicht der einzeltheoretischen Forschung a priori; sie werden im Gegensatz zu den theoretischen Konstrukten nicht aktualempirlsch begründet, sondern legen vielmehr in ihrem inhaltll^h methodologischen Aspekt die Bildungsregeln der theoretischen Konstrukte fest. Grundkategorien sind die Prämissen der theoretischen Konstrukte. Kategorial begründete Urteile

(zum Beispiel: "Handlungen slnd begrün-

det") sind sozusagen analytische Urteile, weil das Prädlkat elnen lnhalt

-257-

ausdrückt, der über die logisch-historische Ableitung im Subjekt dieses Urteils bereits enthalten ist. Solche analytischen Urteile sind nur mit Grundkategorien möglich. Dagegen handelt es sich bei dem Urteil "meine Handlungen

sind

restriktiv

begründet"

um

ein

hypothetisches

Urteil,

gewissermaßen um ein - wir bleiben in der Kantschen Terminologie - synthetisches Urteil, weil das Prädikat einen lnhalt ausdrückt, der eben nicht schon im Satzsubjekt enthalten ist, sondern ihm erst hinzugefügt wird. Für die Subjektwissenschaft

hat

dies wichtige

Konsequenzen.

Während

Grundkategorien außerhalb des intersubjektiven Diskurses logisch-historisch bestimmbar sind und als universell geltend anzunehmen slnd, bedarf die in theoretischen Konstrukten vorgenommene synthetische Verknüpfung notwendig

eines

Anwendung

theoretischer

aktualempirischen Konstrukte

Bezugs.

Deshalb

ebenso

notwendig

bedarf eines

auch

die

intersub-

jektiven Diskurses, weil sich der konkrete Bmpiriebezug immer wieder in einmaliger Weise ändert. Theoretische Konstrukte haben von daher für den Binzeliall hypothetischen und in diesem Sinne falsifizierbaren Charakter. Die Richtigkeit von theoretischen Konstrukten iür je meine Problemanalyse ist also nicht hinreichend durch ihren ausweisbaren Kategorialbezug zu beurtellen; diese Kompatibilltät ist lediglich eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung ihrer anal ytl schen Relevanz. Die Richtigkeit theoretischer Konstrukte ist nur qua individueller Verifikaton der dort verdichteten Zusammenhänge zwischen Prämissen, Gründen, Handlungen und Beiindlichkeiten festzustellen. Die hier vertretenen Vorstellungen finden sich auch in einer neueren Arbeit von Morus Narkard wieder: durch den kategorialen Aspekt menschlicher Subjektivität sei bestimmt, "wie menschliche Subjektivität be-

griffen wird, wie das vermittiungsverhäiinis individuell-subjektiver Lebensgewinnung mit objektiv-gesellschaftlichen Lebensverhältnissen psychologisch gefaßt werden kann" (Narkard l993, S.43). Der kategoriale Standpunkt resultlere dabei aus "der historischen Analyse des Vermittlungsverhältnisses individuell-subjektiver Lebensgewinnung mit objektivgesellschaftlichen Verhäitnissen dergestalt, daß die genereile Notwendigkeit und Möglichkeit des in Handlungen sich reaiisierenden Stand-

-258-

punkts des Subjekts als ein historisch gewordener Aspekt des materiellen Lebenszusammenhangs herausgearbeitet wird" (Narkard 1993, S.43). Narkard teilt also die hier vertretene Auffassung von Kategorien und grenzt ebenso die grundbegrifflich festgehaltenen Aspekte menschlicher Subjektivität von den Bestimmungen, die aus dem "Prozeßcharakter subjektwissenschaftlicher Forschung" (Narkard l993, S.43) resultieren, ab: im einzeltheoretischen Forschungsprozeß soll mit der Rekonstruktion von Prämissen-Gründen-Zusammenhängen grundsätzlich die praktische Vermittlung zwischen gesellschaftllcher und individueller Reproduktion "je konkret, fall bezogen, theoretisch gefaßt werden" (Narkard l993, S.4^). Die in diesem Teilkapitel entwickelte Auffasssung über den charakter aktualempirischer Begrifisbildungen flndet ebenso in Narkards methodischem Beitrag zum kritisch-psychologischen Projekt "Subjektentwicklung in der frühen Kindheit" eine ansatzweise Bestätigung. Dort finden wir folgende Auffassung: "Aktualempirie meint . . . die Briassung von Realverläufen mit Hilie kategorial begründeter theoretischer Bntwürfe" (1985a, S.80). Theoretische E^pothesen könnten sich "nur aus der Konfrontation der kategorial geleiteten Forschung mit dem empirischen Näterial ergeben; das heißt, nicht nur die überprüfung, sondern auch die Gewinnung einzelner

Hypothesen

ist

integraler

Forschungsbestandteil" (a.a.o.,

S.83). Die Bildung einzelner Hypothesen und Theorien eriolge mit der kategorialen Aufschlüsselung der Realltät (ebd.). Als allgemelne kategorlale Gundlage, so Narkard, funglerten ln den Untersuchungen des genannten Projekts zunächst nur die allgemeine Kategorie der Handlungsfähigkeit und die der Veriügung (wobei Verfügung die Dimension ist, aui der sich die Bntwicklung von Handlungsfähigkeit vollzieht). Dies führe dazu, daß kindliche Bntwicklung allgemein als Bntwicklung zur Handlungsfähigkeit theoretisiert (l985a, S.83f) werde, weil dies die bestimmende Dimension kindlicher Bntwicklung sei. Das allgemeine Forschungsziel wird entsprechend dahingehend bestimmt, "Binsicht in die Erscheinungsweisen und Formen der Bntwicklung zur Handlungsfähigkeit zu gewinnen" (l985b. S.l04). Kategorial wird dabei lediglich auf die doppelte Nöglichkeit der Handlungsfähigkeitserweiterung im Rahmen der bestehenden Bedingungen oder durch Veränderung der existierenden Hand-

lungsräume verwiesen (was in Holzkamps Grundlegung im Prinzip bereits im

-259-

Kapitel

7.3.

unter

Binbeziehung

der

Brkenntnisse

phänomenologischer

Strukturanalyse entfaltet wurde). Prozessual gesehen löse sich demnach das allgemeine Problem jeder Theorienbildung - die Reduktion der Deutungsvielfalt - in der Konfrontation der Sichtweisen der Betroffenen mit den kritisch-psychologischen Grundkategorien. die

angestrebte

kategoriale

Reformulierung

Damit werde, so Narkard, der

Ausgangsfragestellung

realisiert, wodurch neue Sichtweisen auf konfllktuöse

Konstellationen

ermöglicht würden. Der Bezug der Bmpirie auf die Kategorien könne also nicht unmittelbar erfolgen, sondern nur über die Formulierung von auf den konkreten Fall bezogenen Theorien "als Eindegiiedern zwischen Kätegorien und Empirie" (1985b, S.l06). Narkards allgemeine Wesensbestimmung

von Binzeltheorien als "hypothe-

tische Aussagen über Begründungszusammenhänge

von Handlungen und die

sich damit für die Beteillgten ergebenden Konsequenzen" (l985b, S.106) zwingt geradezu dazu, dem konkreten Forschungsprozeß die begriffliche Bestimmung konkreter Formen von Begründungszusammenhängen zu überlassen und auch dle Konsequenzen für das Subjekt jeweils konkret zu bestimmen.

Bin weiteres Beispiel für ein theoretisches Konstrukt im hier skizzierten Sinne ist der Begriff des erziehungsf^rmigen bzw. pädagogischen Verhältnisses, der von Gisela Ulmann entwickelt wurde und einen Schlüsselbegriff bei ihrer Analyse von Brziehungsproblemen darstellt (siehe l987). So arbeit Ulmann im Angesicht konkreter Probleme des Brziehungsalltags die gesellschaftliche Konstitution von Brziehung als einer speziellen Bltern-Kind-lnteraktlon mit speziellen Problematiken und Zielvorgaben heraus. Die Ursache von Brziehungsproblemen erkennt sie in der objektiven Anforderungsstruktur von Brziehung, die darin besteht, daß das Kind freiwillig das tun soll, was von ihm verlangt wird. Auf diese Bedeutungskonstellation bezieht sich nun erziehungsförmiges Verhalten der Bltern. lmmer wieder zeigt Ulmann in schlagender Weise, daß allgemein bekannte Probleme des Brziehungsalltags oftmals durch das pädagogische Verhältnis der Bltern zu ihren Kindern konstituiert werden: Bltern versuchen das Verhalten ihrer Kindern aus pädagogischen Gründen zu ändern; sie ignorieren dabei deren Wünsche und lnteressen, und das bedeutet, daß sie ihr Kind nicht wirklich ernst nehmen. Auf Seiten der Kinder kann dieses erziehungsförmige Verhalten der Bltern zum Verlust der Fähigkeit führen, sich an eigenen Absichten und Wünschen zu orientieren; pädagogische Verhältnisse zwischen Bltern und Kindern bedeuten somit tendenziell Behinderung statt Förderung von kindllcher Bntwicklung. Die kindlichen Widersprüche, die durch dieses Verhalten provoziert werden, finden in verschiedenen alltäglichen Regulationsformen ihre widersprüchlichen Bewegungsformen. Ulmann zeigt in ihrer Analyse, wie sich Kinder gegen diese erziehungsiörmige Behandlung wehren, wie es zu einem

-260-

Nachtkampf kommt und welche Brschelnungsformen dieser in Abhängigkeit vom Bntwicklungsstadium der Kinder haben kann. Sie demonstriert dies auf der Basis vielfältiger Brfahrungen und Brlebnisse an diversen Problemen des Brzlehungsalltags angefangen von Problemen mit unaufhörlich schrelenden Babies über Schlaf- und Bßprobleme von Kleinkindern bis hin zu Problemen beim Spielen und in der Schule, mit dem Fernsehen und mit dem Taschengeld (vgl. a.a.o. Teil B). Alle diese Konflikte können durch pädagogische Sonderbehandlungen erzeugt werden; sie entstehen, wenn die Handlungsmotive der Kinder von den Brwachsenen mißachtet werden und auch in den vermeintlichen Konfllktlösungen unberücksichtigt bleiben. Zugleich zeigt Ulmann, wie diese negativen Brgebnisse von Brziehung mi^ einem Anlaß zu weiteren Brziehungsmaßnahmen verwechselt werden, womit die pädagogische Sonderbehandlung auch noch eine scheinbare Legitimation erhält. Die Lösungsprespektive, die sich aus ihrer einzeltheoretlschen Analyse für den Brziehungsalltag ergibt, faßt Ulmann in dem theoretischen Konstrukt der "Beziehungsstruktur gegenseitigen Begründens" (a.a.o., S.206) zusammen: nur im Rahmen einer solchen Beziehungsstruktur als der Alternativstruktur zu den pädagogischen Verhältnissen könnten wirkliche Problemlösungen erfolgen. Hierbei kann gegenseitiges Verstehen bereits die Problemlösung sein, nämlich dann, wenn Bltern und Kinder eine andere, neue Sicht auf das Verhalten ihres Gegenübers bekommen und ihnen deshalb dessen Verhalten nichts mehr ausmacht (vgl. a.a.o., S.206). Bs kann aber auch Probleme geben, in denen eine solche Verständigung (eine "kommnukative Validierung" theoretisch bestimmter Bedeutungs-Begründungszusammenhänge) nicht ausreicht; dies sind Probleme, die trotz der Binsicht in die Gründe des jeweils anderen weiterbestehen; ein solcher Fall liegt etwa vor, wenn sich Wünsche und Gründe der Kinder und der Bltern unvereinbar gegenüberstehen; hier seien dann kompromißhafte Problemlösungen notwendig (ebd. ).

-263-

4.3

Der Hergestelltheitsaspekt und der Verwendungsaspekt von Grundkategorien und theoretischen Konstrukten; Differenzierung des Begriffs der Kategorialanalyse

Bbenso wie gesellschaftllch geschaffene Gegenstandsbedeutungen im allgemeinen (vgl. Holzkamp l983, S.2l2) lassen slch auch Begrifie (in ihrer Bigenschaft als symbollsche Repräsentationen von Bedeutungen) in ihrem Hergestelltheitsaspekt

und

ihrem

Brauchbarkeitsaspekt

unterscheiden.

Auch bei psychologischen Begriffen ist der Hergestelltheitsaspekt - also ihre wissenschaftliche

Begründung, Ableitung, Bestimmung - für ihren

Brauchbarkeitsaspekt - also für ihre analytischen Bigenschaften - bestimmend; nur bei Reallsation seines bei der Herstellung intendierten Gebrauchszwecks kann der jeweilige Begriff

adäquat

gebraucht

werden;

ohne Realisierung seiner Ableitung bleibt seine Verwendung zufällig und theoretisch unausgewiesen. Dabei unterscheiden sich Grundkategorien und theoretische Konstrukte in ihrem Hergestelltheitsaspekt und damit auch in ihrem Verwendbarkeitsaspekt. Beide Kategorientypen haben in unterschiedlicher Hinsicht analytischen Charakter, so daß die durchgängige Charakterisierung kritischpsychologischer Begriffe als analytische Kategorien (vgl. Holzkamp l983, S.5l6) differenziert werden kann.

Brkenntnis manifestiert sich in Urteilen. Unter dem Eergesteiitheitsaspekt stellen Grundkategorien historisch-empirisch gebildete ürteile dar. lhre Bestimmung erfolgt nlcht - um wieder mit Kant zu sprechen - durch rein analytlsche Brläuterungsurteile, nicht durch reine Begriiisexplikation, sondern durch synthetische Brweiterungsurteile. "Kategorialanalyse" bedeutet in diesem Zusammenhang also nicht nur Bxplikation psychologischer Begriffe, sondern gegenstandsgeschichtliche, historisch-empirische Forschung. Dieser Foschungsprozeß fragt nach den Bestimmungen der gesellschaftlichen Natur des Nenschen und ihren allgemeinen Realisierungen unter gesamtgesellschaftllchen Verhältnissen. Unter dem Verwendungsaspekt haben Grundkategorien apriorischen Charakter in dem Sinne, daß sie von aller Aktualempirle unabhängige und zugleich

-262-

für alle Brfahrung geltende sowie diese erst ermöglichende Urteile slnd. Kategorien sind die Bedingungen der Nöglichkeit konkreter Urteilserkenntnis. Bei ihrer Verwendung sind sie nicht mehr wie bei ihrer Herstellung

Brkenntnisresultat,

sie

werden

nicht

mehr

abgeleitet,

sondern sind nun Brkenntnismittel; sie sind analytische Nittel, durch die die in Protokollsätzen gegebene Brfahrung quasi gebrochen und damit in ihren wesentlichen Zügen erkennbar wird. Leontjews Satz, daß "der Gebrauch eines Werkzeuges

... auch dazu

(führt), sich des Arbeits-

gegenstandes in seinen objektiven Bigenschaften bewußt zu werden" (l973, S.208), hat auch für den hier diskutierten Fall der kategorialen Analyse von Protokollsätzen Gültigkeit. Damit eröffnet sich eine zweite Bedeutung des Begriffs der Kategorialanalyse: nun werden nicht mehr Vorbegriffe qua logisch-historischer Rekonstruktion zu Grundkategorien, sondern hier werden auf der Basis der Grundkategorien Protokollsätze analysiert. lm ersten Fall der Kategorialanalyse sind die Grundkategorien Brkenntnisresultat, im zweiten Fall Brkenntnismittel.

Theoretische Konstrukte kann man in ihrer Herstellung als synthetische Begriife a posteori, als einzeltheoretische Brweiterungsurteile charakterisieren, die der aktuellen, unmittelbaren, in Protokollsätzen gegebenen Brfahrung

notwendig

nachgeordnet

sind.

lhre Herstellung

und die

analytische Verwendung der Grundkategorien sind dabei ein und derselbe Prozeß. Die Grundkategorien werden hierbei auf bestimmte Regionen der in Protokollsätzen

festgehaltenen

empirischen

Wirklichkeit

dabei werden sie mit einem empirischen Gehalt gefüllt

angewendet;

(lndem man etwa

danach fragt, welche Bedeutungen im konkreten Fall vorl legen bzw. wie eine bestimmte Handlung begründet ist). Diese Art der Konkretisierung bedeutet die Analyse unbegriffener subjektiver Probleme vor dem Hintergrund der in den Grundkategorien bestimmten allgemeinen Strukturmomente des Psychischen; konkret bedeutet dies die Analyse der jeweiligen der Lebensproblematik

zugrundel legenden

Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-

Funktionsstruktur. Die begriffliche Fixierung dieser analytlschen Durchdringung konkreter subjektiver Brfahrung erfolgt, wie ausgeführt, in theoretischen Konstrukten. Auf diese Weise entstehen mehr oder weniger komplexe Begriffe/Bedeutungseinhelten, denen bestimmte Zeichen (bereits

-263-

existierende Vorbegriffe, wie zum Beispiel "Unbewußtes", oder Neologismen, wie zum Beispiel "Selbstfeindschaft", zugordnet werden. Die so entstandenen Bedeutungseinheiten sind nun aber keine aus sich selbst heraus verständlichen Bedeutungen, sondern stehen in dem durch die Grundkategorien bestimmten strukturellen Zusammenhang. Die lntegration in diesen "transzendentalen" Zusammenhang stellt den Kategorialbezug der theoretischen Konstrukte her. Nun wird auch deutlich, daß Grundkategorien und theoretische Konstrukte in unterschiedlicher Weise analytischen Charakter haben: Grundkategorien sind deshalb analytisch, weil sie das "Wesen", die allgemeine Struktur repräsentieren; sie sind Gattungsbegriffe und können deshalb die Komplexität von Alltagsproblemen auf rückführen,

daß

heißt,

sie

ihre wesentlichen Bestimmungen zu-

machen

Alltagsprobleme

rekonstruierbar.

Grundkategorien sind also Analysemittel und stellen als solche Voraussetzungen dar, mit deren Hi lie man zu Brklärungen konkreter psychischer Unmittelbarkeit kommen kann, wobei - wie gesagt - diese Brklärungen in Brklärungsbegrlffen, ln elnzeltheoretischen Konstrukten gefaßt werden.

Diese Brklärungsbegriffe, in denen die Resultate je meiner Problemanalyse verdichtet sind, können nun aber auch eine analytische Funktion gewinnen, und zwar in ihrer übertragung auf je deine Problemsituation. Die analytische Funktion der Grundkategorien tritt dann in den Hintergrund bzw. existiert nur noch vermittelt; die theoretischen Konstrukte gewinnen nun eine analytlsche Funktion als Brklärungsangebote; die analytische Funktion der theoretischen Konstrukte tritt deshalb als Fragestellung in Brscheinung; im individuellen Nachvollzug ist nun zu analysieren, ob je du dich als "Fall von" begreiien kannst. Hierln liegt der Verwendungsaspekt der theoretischen Konstrukte. Wenn eine Selbstsubsumtion nicht möglich ist, erlischt die analytische Funktion der theoretischen Konstrukte, während die allgemeinen Grundkategorien wieder in den Vordergrund treten, um als Analysemittel für deinen, noch nicht erklärten Fall zu dienen. Die Grundbegrifie können dann aber nicht sinnvoll als Hypothese formuliert werden, weil sie in der konkreten Problemanalyse nur Brkenntnisvoraussetzung sind und keine Brklärungsmuster.

-264-

Vor dem dargelegten Hintergrund der unterschiedlichen Herstellung und Verwendung von Grundbegriffen und von theoretischen Konstrukten will ich noch einmal auf die angesprochenen zwei Bedeutungen des Begriffs der Kategorialanalyse eingehen: Kategorialanalyse

im

Kontext

der

Anwendung

der

Grundbegriffe

bzw.

Bildung theoretischer Konstrukte bedeutet die konkrete Rekonstruktion des in Vorbegriffen gegebenen Gegenwärtigen ln seiner aktualempirischen Beschaffenheit im Sinne des marxistischen "Brkenntnisgangs vom Vorstellungskonkretum über die Abstraktion zum Gedankenkonkretum". Dabei werden die Vorbegriffe, in denen das psychische Vorstel lungskonkretum gegeben lst, problem- bzw. fall bezogen analysiert, wodurch der Stellenwert der elnzelnen Vorbegriffe

im kategorialen

Gesamtzusammenhang

klar

werden

kann. Das Aufsteigen zum Gedankenkonkretum, also das Begreifen der empirischen Brscheinungsebene, charakterisiert die Bildung theoretischer Konstrukte. Dieser spezielle Akt der Verschränkung zwischen der Anwendung der Grundkategorien und der Herstellung theoretlscher Konstrukte ist also lm eigentlichen Sinne der "kategorialanalytische Durchgang vom Vorstellungskonkretum zum begriffenen Gedankenkonkretum". Sofern hierbei wissenschaftliche

Vorbegriffe kategorialanalytisch durchdrungen werden

(wie zum Beispiel der psychoanalytlsche Vorbegriif des "Unbewußten"), handelt es sich hierbei um einen Akt von Begriffskritik. Brst die aktualempirisch zu bildenden theoretischen Konstrukte kommen also auf der Brscheinungsebene, die ja immer je meine Brscheinungsebene ist, wieder an; die allgemeinen Grundbegriffe sind dabei die Abstraktionen, mit denen die komplexe oberfläche analytlsch durchdrungen wird. ln diesem Sinne verfügt also die Kritische Psychologie auch über ein (bislang nicht

hinreichend

expliziertes) Verfahren

der

einzeiiheore-

tischen Eegriffsanaiyse^-bestimmung in der analytischen Anwendung der

kategorialen Voraussetzungen aui konkrete Problemsituationen. Diese Are der Begriffsbildung ist in die einzeltheoretische Forschung eingebunden. Die einzeltheoretlsche Bntwicklung kategorialer Differenzierungen basiert auf der begründungsanalytischen Reinterpratation vorfindl icher (all tags) theoretischer Begriffe und Zusammenhangsanahmen. Vorbegriiie dieser Art stellen den Ansatzpunkt begründungstheoretischer Begriffsbildungen dar. Der Zugriff auf die einschlägige Begriffiichkeit gewähr-

-265-

leistet dabei, daß die Aspektvielfalt des Gegenstandes berücksichtigt wird, und zwar - aufgrund des orientierungsverhältnisses zu den Grundkategorien - in einer Weise, daß dabei einzelne Aspekte nicht einseitig vordergründig

werden

und

andere

ausgeschlossen

werden; schlleßlich sollen alle den Binzelfall

oder

vernachlässigt

bestimmenden,

wesent-

lichen Nomente in ihrem Verhältnis zueinander transparent werden (vgl. Holzkamp l993, S.l77). Das orlentierungsverhältnis

zu den Grundkate-

gorien gewährleistet, daß in den einzeltheoretlschen Konstrukten vorgenommene subjektwissenschaftllche Diiferenzierungen als Aspekte des Zugangs des Subjekts zur sachllch-sozialen Welt, die aus allen denkbaren Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen besteht, verständlich werden. Durch das orientierungsverhältnis zwischen Grundkategorien und theoretischen Konstrukten wird es möglich, auf der Bbene der Binzeltheorle den Zusammenhang zwischen allgemeinen Bestimmungen des Nensch-Welt-Zusammenhangs und selnen konkreten Brscheinungsformen konzeptuell aufzuklären. Binzeltheoretlsche Konstrukte müssen dabei den Zusammenhang zwischen den kategorial festgelegten allgemeinen Bestimmungen des jeweiligen Aspekts und dessen verschiedenen konkreten Brscheinungsformen "auf den Begriii" bringen.

Durch die Koppelung an die Grundkategorien gerät die hier vertretene Vorstellung

von theoretischen Konstrukten

nicht

in die Fallen eines

naiven Bmpirismus, obwohl die Bildung solcher Begriiie außerhalb des logisch-historischen Verfahrens angesiedelt wird. Das Konzept der theoretischen Konstrukte ist deshalb eingeführt worden, weil in der einzeltheoretischen Forschung, das heißt angesichts konkreter Brfahrungen und deren alltagstheoretischer Verarbeitungen, immer wieder theoretische Begriffe gebildet bzw. aufgegriffen werden müssen, mit denen die Speziiik aktueller psychischer Verläufe geklärt werden soll. Dabei ist dieser Prozeß als einzeltheoretische Kategorialanalyse zu fassen, well hier alltagstheoretische Begriffe auf ihren Brklärungswert für bestimmte empirische Konstellationen auf der Basis der Grundbegriffe analysiert und bestimmt werden. Die dabei gewonnenen konkreten Begriffsbestimmungen

sind

weder Grundkategorien

bungsbegrifie, sondern Brklärungsbegrlfie;

noch

reine

Beschrei-

sie stehen im Zusammenhang

-266-

einzeltheoretischer Brklärungsversuche, die dadurch kategorial fundiert werden, daß sie mit den Grundkategorien vermittelt werden. Und zugleich werden sie aktualempirisch fundiert, indem sie über eine Beschreibungsdimension verfügen. Diese Vorstellung korrespondiert mit der Nögllchkeit von Theorienvielfalt auf derselben kategorialen und aktualempirischen Grundlage. Aktualempirische Theorien sind im Hinblick auf ihre kategorialen Voraussetzungen mehrdeutig, im Hinbllck aui den Binzeliall ist jedoch eine eindeutige, triftige, Verknüpfung zwischen aktualemplrlschen Daten und kategorialen Grundlagen anzustreben; prinzipiell kann man aber dieselben Phänomene durch die Konstruktion unterschiedllcher Begründungsmuster unterschiedlich erklären, und dies schlägt sich in unterschiedlichen einzeltheoretlschen Begriifsbildungen nieder. Die Brkenntnis, daß die Grenzen der Bildbarkeit von Binzeltheorien in den Grundbegriffen liegen, darf also nicht dadurch reduktionistisch ausgelegt

werden,

daß

man

Begriife

grundsätzllch

mit

Grundkategorien

glelchsetzt. Denn damit wäre die Nögllchkeit des sukzessiven Fortschreitens der in der aktualempirischen Forschung gewonnenen Brkenntnisse bei Konstanz der Grundbegriffllchkeit übersehen. ln diesem Sinne ist die Brkenntnis, daß theoretische Konzepte durch die Grundbegriffe begrenzt

sind, aber innerhalb dieser Grenzen beliebig sind, dahingehend zu präzisieren, daß in der Binzelanalyse den Grundbegriffen immer wieder weitere Begriffe zuzuordnen sind, die den in den Grundkategorien repräsentierten allgemeinen Brkenntnisstand durch auf den (verallgemeinerbaren) Binzelfall bezogene Brkenntnisse erweitern. Was bedeutet

nun "Kategorialanalyse"

im Zusammenhang der

Herstellung

psychologischer Grundbegrifie^ Auch die Bildung der Grundkategorien muß sich an einem Vorstellungskonkretum

orlentleren,

jedoch

ist

hierfür

keinesfalls das gesamte Arsenal psychologischer Begriife bzw. subjektiver

Problemlagen

konstitutiv.

Dieses

Vorstellungskonkretum

scheint

sich gar nicht auf psychische Brscheinungsformen zu beziehen, sondern eher auf vorläuflge, heuristische Bestimmungen menschlich-gesellschaftl icher Lebenserhaltung.

Die Bildung von Grundkategorien hat als Aus-

gangs- und Zielbestimmung gar keine konkrete psychische Brscheinungs-

-267-

form, sondern die theoretische Frage nach den psychisch relevanten Dimensionen der Gesellschaftlichkeit des Nenschen. Bs handelt slch um ein historisch-empirisches

Verfahren

zur

Rechtfertigung

der

kategorialen

Voraussetzungen, mit denen an die Analyse von Brscheinungsformen herangegangen wird. Phänographische Analysen zur Klärung psychischer oberflächenaspekte, die über die Bildung allgemeiner Grundbegriffe zu rekonsturieren wären, finden in Holzkamps Grundlegung mit ihrer kategorialen Ausrichtung deshalb auch richtigerweise kaum statt. Wir finden lediglich eine relativ bellebige Aufzählung psychologischer Begriffe

(vgl. l983,

S.5l), von denen manche als wesentliche Funktionsaspekte menschlicher Handlungsfähigkeit

analysiert

werden,

andere dagegen

überhaupt

nicht

mehr auftauchen. Die gegenstandsgeschichtliche Rekonstruktion zielt aber auch gar nicht primär auf die psychische oberfläche; eine vollständige begreifende Rekonstruktion der psychischen Brscheinungen kann nicht Sinn der

wissenschaftllchen

Begründung psychologischer

Grundbegriffe

sein.

Bei der Bildung psychologischer Grundkategorien geht es vielmehr um die zentralen (inhaltlichen und funktionalen) Dimensionen der gesellschaftlichen Natur des Nenschen und ihrer allgemelnen Realisierungsform. Kategoriale dabei

Analysen

immer

zur

Herstellung

rekonstruktiven

der

charakter,

Grundbegrifflichkeit und

zwar

auf

der

haben Basis

historisch-empirischen Datenmaterials. Die prinzipielle Aufgabe besteht dabei darin, die wesentllchen psychischen Funktionsaspekte im Rahmen der Bestimmungen des Verhältnisses von Natur- und Gesellschaftsgeschichte zu rekonstruieren.

Brst auf dieser allgemeinen Grundlage können konkrete

Brscheinungen der psychischen Funktionsaspekte analysiert werden. An verschiedenen Stellen der kategorlalanalytischen Ableitung von Grundberifien besteht keine logische Zwangsläufigkeit in der Rekonstruktion, sondern es müssen überhaupt erst einmal historisch-empirisch die Prämissen, an denen loglsche Bxplikationen ansetzen können, bestimmt werden.

insofern sind solche Rekonstruktionen als empirisch offene Ver-

fahren anzusehen,

in denen sich immer wieder rein begriffsexplikativ

nicht zu schließende Lücken auftun. Diese Lücken können nur historischempirisch, durch empirische Bntscheidungen geschlossen werden. Kritischpsychologische

Bestimmungen

von

Grundbegriffen

sind

insofern

keine

-268-

reinen logischen Deduktionen, sondern logisch-hisiorische Rekonstrukte. Die logisch-historische Kategorialanalyse befindet sich also in einer Wechselbeziehung zwischen historisch-empirischen Bezugspunkten und begriifsexplikativen Bestimmungen. Die Ableitung von Grundbegriffen erfolgt

immer

an

historisch-empirischem

Naterial

und

ist

kein

reines

logisch-axiomatisches Verfahren, dem man als grundsätzlich anderes Verfahren das emprisch offene Veriahren der aktualempirischen Binzelanalyse gegenüberstellen

kann. Deshalb kann auch die Trennungslinie zwischen

logisch-historischer Kategorialanalyse und aktualemplrisch zentrierten Begrifisbildungen nicht entlang der Unterscheidung zwischen axiomatischem und empirischem Verfahren gezogen werden. Der Unterschied beider Begriffstypen llegt vielmehr in der Art ihres Bmpiriebezuges, in dem einen

Fall

einem

historisch-empirischen,

aktuaiempirischem Bezug

in dem anderen

Fall

elnem

(vgl. Kapitel 3.2.2). Dieser unterschiedliche

Bmpiriebezug hängt mit unterschiedllchen Fragestellungen in den beiden Arten von Kategorialanalyse zusammen, aufgrund derer nicht nur unterschiedliche Daten erhoben werden, sondern Daten auch in unterschiedl icher Weise, nach unterschiedllchen Kriterien interpretiert werden. Auf der Verschiedenheit der Fragestellungen beruht also die hier vertretene Unterscheidung zweier Arten von Begriffsanalyse: Das logischhistorische

Verfahren

fragt

nach der Brmöglichung

gesellschaftllcher

Lebenserhaltung und ihren psychischen lmplikationen; es wird methodologisch reguliert durch das inhaltliche Kriterium der Lebensnotwendigkeit der Gattung Nensch und den sich darin gründenden subjektiven Lebensnotwendigkeiten. das

Kriterium

der

Dagegen ist das aktualempirische Veriahren durch subjektiven

Lebensansprüche

unter

den

jeweillgen

Lebensbedingungen im Hier und ^etzt gesteuert, wobei die in den Grundbegriffen

festgehaltene

Widerspiegelungsbeziehung

zwischen Nensch und

Welt für den Blnzelfall analytisch fruchtbar macht. Bine aktualempirische Hypothese ist also durch die Frage nach der subjektlv-begründeten Realisierung

individueller

Nöglichkeiten

und Behinderungen

unter be-

stimmten historischen Bedingungen, durch die Frage nach den der konkreten Brscheinungsform des Psychischen zugrundeliegenden Prämissen-Gründen-Zusammenhängen regullert. Auf dieser konkreten Bbene sind Begriffs-

-269-

differenzierungen möglich und nötig, die dem Typus nach aktualempirische Begriffsbildungen/-analysen sind. Hier wird nun zugleich deutlich, flächenerschelnungen Begriffe

nicht

und

alleln

damit

daß die

die

Analyse

Bildung

logisch-historisch

psychischer ober-

kritisch-psychologischer

erfolgen

kann.

Bine

solche

Aufklärung lst Aufgabe der einzeltheoretischen Forschung. Brst hier erfolgen Kategorialanalysen als Begriffskritik und Neubestimmung psychologischer oberflächenbeschrelbungen und -erklärungen, deren Resultate in theoretischen

Konstrukten

abgelegt

werden.

Deshalb

erscheint,

wie

dargestellt, zuvörderst der einzeltheoretische Prozeß in der Narxschen Weise als Aufstelgen vom Abstrakten zum Konkreten

charakterisierbar,

während es im Prozeß der wissenschaftlichen Ableitung der allgemeinen Grundkategorien um die wesentllchen inhaltllchen und funktionalen lnstanzen des Nensch-Welt-Zusammenhangs geht, also zunächst um die Bildung

von Abstraktionen, über die dann einzei theoretisch psychische Brscheinungsformen konkret begriffen werden können. Brst im aktualempirlschen Prozeß ist das Vorstellungskonkretum und damit auch das Gedanke nkonkretum wirklich konkret.

-270-

4.^

Grundzüge des einzeltheoretischen Brkenntnisprozesses im orientierungsverhältnis zu den Grundkategorien 4.4. l

Die Handlungsproblematik als Ausgangspunkt der einzeltheoretischen Forschung

Vor dem Hintergrund der vorgelegten Differenzierung von Grundkategorien und theoretischen Konstrukten sollen nun G^undz^ge des einzeltheoretischen Brkenntnisprozsses genauer dargelegt werden, wobei ich einige Anregungen aus Holzkamps neuem lerntheoretischen Grundlagenwerk gewonnen habe.

Binzeltheoretische Fragestellungen vom Subjektstandpunkt aus sind psychologisch relevante Probleme konkreter lndivlduen, genauer: sich aus deren Handlungsvollzug ausgliedernde Problemsituationen. Ausgangspunkt subjektwissenschaftlicher Binzeliorschung und der Bntwicklung bereichsspezifischer begrifflicher Differenzierungen sind also subjektive Eandiungsprobiem^tiken, die in ihrer Speziilk begrifflich zu durchdringen sind. Bntsprechend liegt das elnzeltheoretische Brkenntnisziel

in der

Bildung theoretischer Bntwürfe, durch die eine konkrete Handlungs- bzw. Lebensproblematik und die damit verbundenen undurchschauten praktischen Bewältigungsformen erklärt und praktisch überwunden werden können. ln dem lnitialkonzept der Handlungsproblematik ist der kategoriale Sachverhalt

aufgehoben,

daß

"der

subjektwissenschaftlichen

Psychologie

nichts zum Problem werden kann, was nicht auch dem Subjekt zum Problem wird - ... nur so ist jene grundsätzliche lnteressenkonkordanz zwischen Forschern und Betroffenen gegeben, die eine notwendige methodologische Voraussetzung subjektwissenschaftlichen

Vorgehens darstellt"

(Holzkamp

l993, S.182). Bine Handlungsproblematik wird dann zu einer Forschungsprobiematik, wenn Betroffene eine Diskrepanz zwischen ihrem aktuellen Stand der Selbst-/ Welterkenntnis und dem zur Analyse und zur überwindung ihrer konkreten Handlungsproblematik nötigen Stand der Brkenntnis erfahren, wenn also im Versuch der B^klärung der subjektiven Handlungsproblematik und der Bntwicklung von Lösungsperspektiven dem Subjekt Widerstände deutlich wer-

-273-

den, die Unzulänglichkeiten seiner Reflexions- und Verfügungsmöglichkeiten deutlich machen. Bine Forschungsproblematik entsteht also dann, wenn erst durch ihre Lösung die Voraussetzungen der überwindung der Handlungsproblematik für das betroffene Subjekt antizipierbar werden. Der subjektive übergang von einer Handlungsproblematik zu einer Forschungsproblematik ist die Folge eines vielleicht nicht ganz bewußten Bntfremdungserlebnissses,

das

dadurch

charakterisiert

ist,

daß

die

Probleme, mit denen man vieleicht seit jahrzehnten gelebt hat, aufhören, selbstverständlich zu sein. Dann vollzleht sich ein Bruch, durch den das scheinbar Natürllche der Welt und der eigenen Person ins Wanken gerät und das Subjekt einen Ausweg, eine neue orientierung, sucht und aus der blinden

lnvolviertheit

in

die

Handlungsproblematik

heraustritt;

das

Subjekt erreicht so einen Standpunkt, von dem es sich reflexiv auf seine Handlungsproblematik bezieht. ln diesen biographischen Umbruchsprozessen ist die einzeltheoretische Forschung angesiedelt. Die subjektive Notwendigkeit zur Ausgliederung und zur überwindung einer Handlungsproblematik liegt insbesondere dann vor, wenn im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten eine Brhöhung der Lebensqualität nicht antizipierbar ist und zugleich mit der Unterlassung oder Verweigerung, sich der Handlungsproblematik zu stellen, die Beeinträchtigung der Lebensqualität sich zu manifestieren und voranzuschreiten droht.

4.4.2

Bearbeitung der Forschungsproblematik im Bergründungsdiskurs

ln dem dargelegten Kontext ist es das allgemeine Ziel der Bntwicklung von Binzeltheorien, Brfahrungen subjektiver Handlungsproblematiken konkreter Subjekte wissenschaftlich behandelbar, das heißt psychologisch diskursfähig, zu machen. Die kritisch-psychologischen Grundkategorien legen diesen subjektwissenschaft lichen Ansatz und die Theoriesprache fest. Sie f^gen sich zu einem subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen Paradigma zusammen, das das Format von Binzeltheorien inhaltlich und methodologisch festlegt. Die Grundkategorien begründen, daß die Subjektperspektive als Standpunkt

-272-

wissenschaftllcher Forschung angesehen werden muß und daß dle Aussageiorm wissenschaftlicher Theorien der Bbene der subjektiven Handlungsgründe angehören muß. Der Begr^ndungsdiskurs ist also der methodologische Rahmen für die Bildung von Binzeltheorien, die die Reinterpretation überkommener einschlägiger Theorien einschließt. Aui der einzeltheoretischen Bbene ist der Standpunkt des Subjekts nicht mehr (zu rekonstruierender) Gegenstand

der Analyse, sondern Standpunkt

der For-

schung. Auf der Grundlage der kritisch-psychologischen kategorialen Bxplikation des Subjektstandpunktes bedeutet dies, die betreffenden Brfahrungen der subjektiven Handlungsproblematik in der Sprache subjektiver Handlungsbegründungen zu artikulieren und zu kommunizieren. Aussagen vom Standpunkt des Subjekts sind grundsätzlich auf der Diskursebene subjektiver Handlungsgr^nde einzubringen. Auf dieser Bbene gilt es, je meine Gründe, lntentlonen,

Absichten,

Pläne herauszufinden,

äußere Breignisse, die als Prämissen

und dies schließt

ein,

in die Begründung meiner Hand-

lungsvorsätze eingehen, festzustellen. Der einzeltheoretischen Analyse kommt also - auf der Grundlage des subjektwissenschaftlich-vermitt lungsanalytischen Paradigmas der Kritischen Psychologie - die Aufgabe zu, die individuelle

Lebensproblematik

als spezlfische

Prämissen-Begründungs-

konstellatlon zu rekonstruieren und aui dieser Grundlage Perspektiven ihrer Überwindung aufzuzeigen.

Solche einzeltheoretischen

Problemana-

lysen korrespondieren dabei mit allgemeinen Selbstverständigungsformen, denn die Klärung von Handlungsgründen ist nicht nur Ziel psychologischer Binzelanalysen,

sondern

wesentliches

Bestimmungsmoment

der

Selbstre-

flexion durch "inneres Sprechens" wie auch der intersubjektiven Verständungung überhaupt.

Auigrund des skizzierten orientierungsverhältisses zu den Grundkategorien sind kritisch-psychologische Binzeltheorien keinesfalls global als Bxplikationen von Alltagstheorien zu betrachten, sondern haben eine spezifische Struktur, die dem kategorialen Umstand Rechnung trägt, "daß die individuelle Lebenstätigkeit in einen subjektiv begründeten/verständlichen Handlungszusammenhang einbezogen ist, innerhalb dessen unter Voraussetzung bestimmter Prämissen und intentionen bestimmte Handlungsvorsätze sich impllkativ aus dem Kriterium vernünftigen Handelns im

-273-

eigenen Lebensinteresse ergeben" (a.a.o., S.33). ln Binzeltheorien geht es um rationale bzw. implikative Zusammenhänge in dem Sinne, daß ausgesagt wird, welches Verhalten unter bestimmten Ausgangsbedingungen vernunftig, das heißt gut begründet, ist. Deswegen haben psychologische Theorien das Format von Begründungsmustern, deren Struktur primär in der Beziehung zwischen Prämissen, interessenfundierten lntentionen und Handlungsvorsätzen (a.a.o., S.S.l03) llegt. lm einzeltheoretischen Kontext geht es also immer um die Hinsicht in Prämissen, durch die verständlich wird, daß dem Handeln "gute Gründe", das heißt subjektive lnteressen, zugrundeliegen; der Kategorie der subjektiven Handlungsgründe ist der Rückbezug auf je meine Lebensinteressen implizit: "n Begründet n i^t ein Handlungsvorsatz nicht schon, wenn er sich ^ ^ bestimmten Prämissen ergibt, sondern erst, wenn für mich stringent ist, daß ich angesichts der gegebenen teressen

Prämissenlage

zur Wahrung

meiner Lebensin-

(wie ich sie sehe) diesem Vorsatz gemäß handeln muß

(oder

müßte)" (a.a.o., S.24f). Die wesentllche Dimension menschlicher Lebensinteressen ist das subjektive Bedürfnis, Verfügung über je individuell bedeutsame

gesellschaftllche

Lebensmöglichkeiten

zu gewinnen bzw. zu

erhalten. Lösungsperspektiven der Handlungsproblematik sind damit unter dem Kriterium zu analysieren, ob sie der Befriedigung subjektiver Lebensansprüche und insbesondere der Brweiterung der Teilhabe und Verfügung dienen oder lediglich der Abwendung

von Beeinträchtigungen und

Bedrohungen. Vor dem Hintergrund der Kategorie der doppelten Nögllchkeit müssen bei der Rekonstruktion einer Handlungsproblematlk sowie bei dem Bntwurf einer Lösungsperspektive expansive und defensive Handlungsgründe in Rechnung gestellt werden.

^.4.3

Bedeutungsanalyse lm einzeltheoretischen Forschungsprozeß

Da nun Handlungsproblematiken in historisch bestimmten gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen hervortreten, ergibt sich die Notwendigkeit der expliziten Berücksichtigung konkrei-historischer EedeutungskonsteiNationen als Prämissen subjektiv begründeter Handlungen. Brst wenn man

-274-

die jeweiligen Handlungsproblematlken in ihrer historischen Bestimmtheit begrifien hat, kann man die Konsequenzen aufweisen, die sich daraus auf der Bbene der subjektiven Begründungen ergeben. Dazu müssen die verschiedenen Dimensionen der dem Subjekt zugewandten Bedeutungsstrukturen so rekonstruiert werden, daß sich die konkreten Prämissen der interessierenden Bestimmung

Handlungsproblematik der

der

jeweiligen

herauskristallisieren. Handlungsproblematik

Der

Ansatz

der

zugrundei legenden

psychischen Konstellation ist also die empirische Analyse der jeweils subjektiv

relevanten

konkret-historischen

Bedeutungsanordnungen

vom

Standpunkt des betrefienden Subjekts aus. lnsbesondere institutionelle Bedeutungsanordnungen können hierbei als gesamtgesellschaftliche Funktionsaspekte analysiert werden; über die Analyse der Vermittlung zwlschen jeweils konkret vorliegenden Bedeutungsanordnungen und den gesamt-

geseilschaftllchen Strukturen, als deren Ausschnitte diese Anordnungen zu betrachten sind, können die Prämissen der Handlungsproblematik bestimmt werden. Aber auch bei solchen institutionellen Bedeutungsanordnungen darf nicht eine lineare Determination der Handlungsproblematlk durch die gesamtgesellschaftlichen Strukturmomente unterstellt werden, obwohl elne derartige funktionale Determination am ehesten in solchen

lnstitutionen,

die tragende Säulen der Reproduktion der wirtschaftlichen Grundlagen des Gesamtsystems sind (Schule, Arbeit), gegeben ist. Nit den dort vorliegenden

Bedeutungskonsteiiationen

ist

jeder konfrontiert,

sie steiien

insofern universelle Grunderfahrungen dar. Die individuellen Probleme können hier nur durch die begründungslogische Aufarbeitung der institutionellen Restriktionen/Möglichkeiten hindurch reflektiert werden. Hier kann man davon ausgehen, daß die gesamtgesellschaftllch bestimmten Bedeutungsanordnungen

die Bedingungen der Entfaltung

psychischer

Funk-

tionsaspekte eindeutig beherrschen. Trotzdem sind auch unter den restriktivsten

Bedingungen

nicht

alle

Behinderungen

menschlicher

Hand-

lungsfähigkeitsgewinnung aus Systemfunkticnen ableitbar. Nan muß auch den jeweillgen lokalen Kontext daraufhin analysieren, aufgrund welcher

intersubjektiver lnteressenkonstellationen prinzipieii gegebene Nöglichkeiten der Handlungsfähigkeitserweiterung des Subjekts nicht reaiisiert werden. über derartige (Selbst Behinderungen und lnteressenwidersprüche

-275-

sowie deren Gründe ist im Prinzip erst im aktualempirischen Kontext zu sprechen, weil man eben nicht alle Bedingungen, die für den konkreten Fall relevant sind, historisch ablelten kann. Wir haben es lmmer wieder mit mehr oder weniger offenen Bereichen und lnteressengruppen zu tun, deren Prämissen, lntentionen und Gründe man einzeln rekonstruieren muß. Im Hinbllck auf systembedingte, das heißt strukturell gegebene, Behinderungen menschlicher Handlungsfähigkeitsentwicklung

ist jeweils im Dis-

kurs mit den Betroffenen zu prüfen, ob sie im konkreten Fall die Hauptdimensionen der Handlungsproblematik ausmachen. 4.^.4

Vorbegriife und Brkenntniszuwachs im einzeltheoretischen Forschungsprozeß: zur Bildung theoretischer Konstrukte

Der Brkenntnisstatus in bezug auf den aus der Handlungsproblematik entstandenen Forschungsgegenstand llegt zunächst darin, daß die jeweillge Handlungs-/Lebensproblematik zunächst hypothetisch, einerseits in vorbegriffliche, andererseits bereits in den abstrakten kategorialen Zusammenhang des subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen

Paradigmas

eingeordnet wird. Dabei gilt es, konkrete vorbegriifllche Beschreibungen und Brklärungsweisen mit den kritisch-psychologischen Grundbegriffen und deren bereichsspezifischen Differenzierungen in Zusammenhang zu bringen und

sukzessive

ineinander

zu

verschränken.

Wenn Schwierigkeiten

und

Widerstände bei dieser Verschränkung auftreten, ist eine Situation gegeben, die unter Umständen nur noch nach Art eines qualitativen Sprungs überwunden werden kann, etwa durch die Bntwicklung neuer ldeen bzw. die Bildung neuer theoretischer Differenzierungen. Gegebenenfalls muß dann versucht

werden, die Handlungsproblematik

neu zu bestim^n

bzw. mit

neuen Begriffen in die Tiefenstruktur der Handlungsproblematik vorzudringen. lm Zuge der Forschungsaktlvitäten kann sich so die Forschungsproblematik selbst verändern oder weiterentwickeln. Allgemeln

bedeutet

Diiferenzierungen

die

Gewinnung

einzelner

im einzeltheoretlschen

ldeen bzw.

theoretischer

Forschungsprozeß

keinen

von

Grund auf neuen Zugang zum Forschungsgegenstand. Vielmehr werden alternative

"vorbegriffliche"

Zugänge

aktualisiert,

vertieft

und

in

den

-276-

kategorialen Zusammenhang der Kritischen Psychologie gestellt. ohne eine durch den vorbegrifflichen Zugang bestehende ldentiilzier- und Kommunizierbarkeit der Handlungsproblematik wäre man nicht nur außerstande, den Forschungsgegenstand überhaupt als lrgend etwas Bestimmtes, auf das sich der Forschungsprozeß bezieht, aufzufassen, sondern auch außerstande, ihn qualitativ voranzutreiben; die Briahrung sagt einem nicht, was man über sie denken soll. Nan tritt also notwendig mit bestimmten Brwartungen an den Forschungsgegenstand heran, die Schlüsse sowohl aus wissenschaftllch wie auch aus erfahrenen und alliagssprachllch abgebildeten sachlich-sozialen Zusammenhängen darstellen. Dabel ist aber auch immer in Rechnung zu stellen, daß die jeweils aktualisierten Vorbegriffe die Binsicht in den zu erforschenden Zusammenhang auch reduzieren können. Für die Bbene der Aktualisierung und Weiterentwicklung traditioneller psychologischer

Vorbegriffe

als

einschlägige

kritisch-psychologische

Konstrukte bedeutet das orientierungsverhältnis, in dem der einzeltheoretische Brkenntnisprozeß zu den Grundkategorien steht, daß die Theoriesprache, in der die Aktualisierung bestehender Vorbegrifie und Zusammenhangsannahmen zu erfolgen hat, "selbst eine Sprache auf der Diskursebene der Handlungsgründe sein" (Holzkamp l993, S.27) muß. Vorbegrifillche Zusammenhangsannahmen sind als Aussagen ^ber Begründungszusammenhänge zu formulieren, da sie der Brklärung des Zusammenhangs zwischen Prämissen und Handlungsintentionen

dienen sollen; durch die Vorbegriffe sollen

konkrete Handlungen als begründet, das heißt als vernüftig, verständlich werden.

Sofern vorbegriffliche

Aussagen also nicht eindeutig

kurs

gilt

formuliert

wichtig

sind,

es

- sofern

sie

sein sollten - nach den Prämissen

lndividuen

mit

"guten

Gründen",

also

für

die

zu suchen,

im BegründungsdisAufklärungsarbeit unter denen

"vernünftigerweise"

so

sich

verhalten,

wie dies in den vorbegrifflichen Zusammenhangsannahmen formuliert ist.

Durch eine derartige Aktualisierung alltäglicher und wissenschaftlicher Vorbegrifie und Zusammenhangsannahmen als Begründungsmuster werden sie zugleich - aufgrund des dargestellten orientierungsverhältnisses - mit den allgemeinen begründungstheoretischen Bestimmungen der kritischpsychologischen Grundkategorien ins Verhältnis gesetzt und dabei katego-

-277-

rialanalytisch durchdrungen (vgl. Kapitel 4.3)^. Die in den betreffenden Vorbegriffen angesprochenen Aspekte werden unter dem Gesichtspunkt ihrer subjektiven Funktionalität für die subjektive Handlungsfähigkeit/Verfügungserweiterung analysiert. Dies impliziert die kategorialanalytische Fragestellung,

ob in den Vorbegriffen der Sachverhalt

berückslchtlgt

ist, daß das Subjekt begründetermaßen selbst den übergang zu einem höheren Niveau der Handlungsfähigkeit schaffen kann, daß es Behinderungen der Bntwicklung selner Handlungsfähigkeit durch eigene Aktivitäten überwinden kann. lst also das Subjekt als Ursprung seiner Handlungen thematlslert und ist die subjekthaft-aktive überwindbarkelt der jeweillgen bedeutungsanalytisch rekonstruierten Ausgangssituation abbildbar7 Dles schließt die Kritik verdinglichender Dimensionen der Vorbegriiie ein, durch die die Begründetheit menschlicher Handlungen aus dem Bllck gerät und statt dessen Handlungen zirkulär aus sich selbst erklärt werden. Die hier angesprochene Bildung einzeltheoretischer Konstrukte muß dabei

die reine Begründungsanalyse überschreiten, da Begründungsmuster in Beziehung zu sachllch-sozialen Bedeutungskonstellatlonen, die als Prämissen in die Handlungsbegründungen elngehen, stehen; hier werden gesellschaftllche Beschränkungen und Nöglichkeiten aus der Sicht subjektiv begründeten Verhaltens deutlich. Die auf der kategorialen Plattform der doppelten Nöglichkeit zu stellende Frage lautet also, ob in einer einzeltheoretischen Annahme das Handeln im Kontext der wirkllchen, historisch gewordenen, von uns allen in unserer Lebenspraxis geteilten gesellschaftlichen Lebenswelt deutlich wird oder ob die realen sachlichsozialen

Bedeutungszusammenhänge

ausgeklammert

werden

(vgl.

a.a.o.,

S. l49).

Dazu sind jedoch jeweils - in Abhängigkeit vom Gegenstand - kategoriale Differenzierungen vorausgesetzt. So mußte beispielsweise Holzkamp bei der Bntwicklung seiner Lerntheorie in Reinterpretation traditioneller lerntheoretlscher Ansätze zunächst mehr oder weniger definitorisch einen allgemeinen und umfassenden Begriii menschlicher Lernhandlungen aus der kritisch-psychologischen Handlungskategorie entwickeln, von dem aus eine positive Reinterpretation überkommener Lerntheorien erst möglich wurde.

-278-

4.^.5

Brweiterung des Gegenstandsbezugs im

einzeltheoretischen Forschungsprozeß: affinitives Forschen Die Nögllchkeit des prinzipiellen Brkenntniszuwachses im einzeltheoretischen Prozeß kann man auf der Grundlage von Holzkamps Unterscheidung zwischen definitivem Lernen und affiniiivem Lernen difierenzieren (vgl. l993, S.324ff).

Denn nicht nur im Lernprozeß, sondern auch in der elnzeltheoretlschen Forschung sind Bezüge auf vielfältige Bedeutungsstrukturen latent vorhanden, die der Forschungsintention vorhergehen und durch deren Aktual isierung der Brkenntnisprozeß angeregt werden kann. Die Aktualisierung solcher Bedeutungsstrukturen Lassen"

von

gegenständllchen

kann man mit Holzkamp als eln "Kommenund sprachllchen

Bedeutungsverweisungen,

als ein "Sich-Zur^ckziehen", ein "übersicht-Gewinnen bzw. eine Aufhebung von Festlegungen und Beschränkungen charakterisieren. ln solchen afflnitiven Prozessen geht es um die Bxplikation relevanter Dimensionen des konkreten Forschungsgegenstandes, die in der definitiven Zuwendung auf den Forschungsgegenstand

noch nicht berücksichtigt

diese Weise werden weitere Forschungsperspektiven

worden waren. Auf im Forschungsprozeß

selbst aus der konkreten Handlungsproblematik quasi herausgeholt. lm Rahmen

der

Forschungsintention

kommt

es

immer wieder darauf an,

solche afflnitiven Prozesse zuzulassen und in Abhängigkeit von Widerständen bei der Theorie-Bmpirie-Angleichung eine Dialektik zwischen definitiven und affinitiven Denkbewegungen zu entwickeln. Durch affinitive Hypothesenbildungen gewinnt man die Freiheit, Leithypothesen zu modiflzieren. Affinitive Prozesse können so zur Voraussetzung dafür werden, daß die jeweilige initiale Diskrepanz zwischen Hypothese und Gegenstand innerhalb des Forschungsprozesses präzisiert wird und in weiterführender Weise verringert werden kann. Affinitive Theoriephasen sind einerseits bei der Feststellung der lnitialen Forschungsproblematik relevant, wenn es darum geht, das Ausgangsproblem zu formulleren und dle lnitiale Lebensproblematik hypothetisch zu fassen. Andererseits sind sie auch im weiteren Verlauf der Theorienentwicklung an den Stellen wichtig, an denen man spürt, daß man sich

-279-

theoretisch in eine Sackgasse bewegt hat; dann geht es darum, neue begriffliche orientierungen zu gewinnen, durch die man die einzeltheoretlsche Rekonstrukton wieder in Bewegung bringen kann. ln diesen afflnitiven Phasen spielen neben lnnersprachllchen auch kommunikative und objektivierende Nodal l täten der theoretischen Umorganisation der Forschungsproblematik eine Rolle: man kann Brainstorming betreiben, man kann

in Bücher schauen und sich mit

anderen theoretischen

Ansätzen

vertraut machen, man kann mit anderen und nicht zuletzt mit den Betroffenen diskutieren. insgesamt können affinitive Phasen hilireich sein, um weiter in die Tiefenstruktur des Problems eindringen zu können; in ihnen liegt die Nöglichkeit, den thematisch-inhalt lichen Aspekt des Gegenstandsbezuges

auszuweiten

gegenüber

den

Theorieentwürfen,

die

aus-

schiießiich Konzeptualisierungen der Leithypothesen darstellen. Nur in defensiven Begründungszusammenhängen habe ich als Forscher kein interesse, soiche affinitiven Zugänge zum Gegenstand zuzulassen.

-280-

4.5

Zur Binbeziehung der Betrofienen in den elnzeltheoretischen Brkenntnisprozeß

Bs

stellt

sich

nun

methodologisch

die

Rekonstruktion von Handlungsproblematiken

prinzipielle

Frage,

ob

die

als spezifische Bedeutungs-

Begründungsfigur überhaupt möglich ist, ohne die Betroffenen von Anfang an an entsprechenden empirischen Untersuchungen zu betelllgen. Schließlich

wird

die

Forschungsproblematik

durch

eine

Handlungsproblematik

konstituiert; auf Seiten der Betroffenen muß deshalb eine Bereitschaft vorhanden sein, gemeinsam mit dem Forscher ihre jeweiligen Strategien zur Bewältigung ihrer Lebenssituation sowie die darin eingeschlossene Handlungsproblematik zu analysieren. ohne diese Bereitschaft haben subjektwissenschaftllche Analysen kelnen eindeutigen Bezugspunkt. Dabel

ist

subjektwissenschaftliche

Binzelforschung

darauf

angewiesen,

daß die Betroffenen zunächst ihre aktuelle subjektive Situation verbalisieren, um damit eine Ausgangsbasis für die Anaiyse der zugrundeiiegenden Begründungsstruktur zu erhalten. Da nun aber gerade aufgrund der mangelnden Binsicht in die eigene Situation aus einer Handiungsproblematik eine Forschungsprobiematik wird, muß man davon ausgehen, daß die Voraussetzungen zu einer solchen Verbal islerung bei den Betroffenen nur in Ansätzen vorhanden sind. Zu Beginn des Forschungsprozesses ist davon auszugehen, daß die Widersprüchlichkeiten und die Doppelbödigkeit der jeweiligen Realität mit ihren ideologischen Verkehrungen und Verdrängungen sich "in entsprechend widersprüchllchen, isolierten, mit Täuschungen/Selbsttäuschungen durchsetzten Verbal isierungsmögllchkeiten niederschlagen" (Holzkamp l993, S.437). Ansätze zur Darstellung der Handlungsproblematik werden deshalb zunächst unzusammenhängend seln und sich auf die Beschreibung der subjektiv belastenden Sltuation beschränken, ohne bereits zusammenhängende Brklärungen geben bzw. Perspektiven aufzeigen zu können. Die Funktion des Forschers besteht darin, die im intersubjektiven Kontext gewonnenen

lniormationen hypothetisch zu ergänzen. Was

Habermas für die psychoanalytische Binzelanalyse entwickelt hat, gilt

auch für die kritisch-psychologische Binzeliallanalyse: macht kategorial angeleltete "lnterpretaticnsvorschläge

der Forscher für die Ge-

-283-

schichte, dle der Patient nicht erzählen kann; gleichwohl können sie nur dadurch, daß der Patient sie annimmt und mit ihrer Hi lie seine eigene Geschichte erzählt, tatsächlich verifiziert werden. Die Fallinterpretation bewährt sich alleln an der gelungenen Fortsetzung eines unterbrochenen Bildungsprozesses ... . Denn die empirische Triitigkeit aller lnterpratatlonen hängt ... alleln von der vollzogenen Selbstreflexion und einer anschließenden Kommunikation zwischen dem Forscher und seinem ^objekt^ ab" (Habermas l973, S.318f). Und zugleich bedeutet die einzeltheoretische Selbstreflexion aufgrund der Widerspiegelungsbeziehung zwischen Nensch und Welt ein Noment von Welterkenntnis. lm Verlauf des Forschungsprozesses wird es so sukzessive möglich sein, daß die Betroffenen zu immer kohärenteren Vorstellungen über die Begründungsstruktur ihrer subjektiven Gesamtsituation kommen. Die erste Aufgabe des Forschers im Rahmen des begründungsanalytischen Vorgehens besteht nun darin, den Betroffenen überhaupt erst einmal begriffliche Nöglichkeiten an die Hand zu geben, mit deren Hilfe Forscher und Betroffene gemeinsam einen Binstieg in die Reflexion der Handlungsproblematik bekommen. Die hierbei vorausgesetzte und den Betroffenen zu vermittelnde kategoriale Struktur ist im wesentlichen das subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytische

Paradigma, das den Betroffenen ein

Vorverständnis für die gesamtgesellschaftliche Eingebundenheit und die soziale Genese von Handlungsproblematiken gibt sowie die Basis für deren konkrete Brklärung bildet. Zur begriifllchen Vorbereitung der Binzeliallanalyse kann es sinnvoll sein, insbesondere wenn sich die Handlungsproblematik als Aspekt institutioneller Restriktionen erweist, daß bereits vor der konkreten Analyse modellhaft typische Bedeutungs-Begründungsformen herausgearbeitet werden (vgl. Holzkamp l993, S.437), aus denen die Betroffenen ersehen können, daß hier ihre Lebensbedingungen von ihrem Standpunkt aus angesprochen werden. Handlungsproblematiken werden hier als in historisch bestimmten institutionellen Bedeutungsstrukturen begründete Konstellationen subjektiver Handlungseinschränkungen und -behinderungen expliziert. Auf diese Weise

werden

typische

Begründungsstrukturen

vom

Standpunkt

der

den

institutionellen Bedingungen unterstellten Subjekte herausgearbeitet. ln

-282-

derartigen Bedeutungs-Begründungsanalysen wird also versucht, Handlungsproblematiken der Subjekte dadurch zu erschließen, daß vom Standpunkt eines abstrakten Subjekts

(also ohne Berücksichtigung der jeweiligen

individuellen Situiertheit konkreter Subjekte) aus gefragt wird, welche Arten von Handlungsproblematiken, Begründungsformen und Funktionsausprägungen sich unter vorher zu definierenden Bedeutungsstrukturen begründungslogisch aufweisen lassen. Neben der eindeutigen Bestimmbarkeit der Prämissen bedarf eine derartige begriffiiche Vorbereitung einzeitheoretischer Anaiysen auf der Bbene der empirischen Subjektivität einer allgemelnen subjektiven Lebens- und Leidenserfahrung mit den betreffenden institutionellen Restriktionen; ohne diesen empirischen Bezugspunkt auf der Bbene des subjektiven Brlebens läßt sich keine Handlungsproblematik identifizieren und als Umsetzung institutioneller Restriktionen im subjektwissenschaftlichen Begründungsdiskurs rekonstruieren. Nur so lassen sich die Vermittlungen zwischen der institutionellen Bedeutungsstruktur, deren interpersonaler Konkretisierung in typischen lnteraktlonssequenzen sowie den dabei entstehenden Handlungsproblematiken und den darin begründeten subjektiven Bewältigungsstrategien

vorbereitend

analysieren.

ln dem damit abgesteckten Untersuchungsfeld sind nun begriffliche Diiferenzierungen vorzunehmen, das heißt theoretische Konstrukte zu bilden, die die Spezifik der Handlungsproblematik auf der Basis der einzelnen lnstanzen des subjektwissenschaftli^h-vermittlungsanalytischen

Paradig-

mas erfassen.

Nit derartig entwickelten Bedeutungs- Begründungsfiguren vom Standpunkt des abstrakten Subjekts aus wird den konkreten Betroffenen eine Strukturierungshiife angeboten, "mit der sie - in Form der Bestätigung, Brgänzung, Korrektur oder Ablehnung der vorgeschlagenen Begründungsfiguren ihre eigenen Brfahrungen in die Analyse einbringen können" (Holzkamp l993, S.437). Die so vorweg begründungslogisch konstruierten Handlungsflguren erhalten also erst nach ihrer Konstruktion einen aktualempirischen Bezug zu den Lebensproblemen der Hiliesuchenden durch ihre "Konfrontation mit den Betroffenen, sofern diese im Versuch der Selbstsubsumtion herauszufinden versuchen, wieweit sie ihre eignenen . . . Brfahrungen darin wiederfinden und in ihrer Struktur bewußt machen . . . können" (a.a.o., S.4^0). Hier müssen sich Betroffene die Frage stellen, ob

-283-

sie "die aufgewiesenen ... Bewältlgungwelsen mit bezug auf ihre eigenen Erfahrungen mehr oder weniger treifend bzw. unzutreffend

. . . finden"

(ebd.). Die Vereindeutigung des Verhältnisses zwischen theoretischen Begründungsfiguren und aktualempirischen Befunden erfolgt dabei auf dem Wege der Spezifizierung der in den Theorien enthaltenen Prämissen und intentionalen Bestlmmungen. Durch diese Art des Betroffenenbezugs auf die Begründungsmuster wird das entstandene Dilemma zwischen dem methodologischen lmperativ der Binbeziehung der Betroffenen und der praktischen Notwendigkeit, zunächst für die Betroffenen überhaupt erst begriffliche Artikulationsmöglichkeiten

und Brklärungsansätzen zu schaffen, aufge-

löst.

Aus der Nützlichkeit einer derartigen Vorgehensweise kann man allerdings nicht schließen, "daß die Theoretisierung des Subjektstandpunktes keinesfalls von vornehereln schon die unmittelbare Binbeziehung der Betroffenen impllziert" (a.a.o., S.438), und ebenso nicht, daß der Subjektstandpunkt in den Theorien allein schon "durch den Begründungsdiskurs als Theoriesprache . . . konstituier^" (ebd. ) wird. Nethodologisch betrachtet bleiben die Konstruktion von Eegründungsmustern mii ihren spezifischen Eegriffsbiidungen und die Einbeziehung der Eeiroffenen ein und derselbe Prozeß. Die Vor-ab-Theoretisierung des Subjektstandpunktes der Betroffenen durch den Theoretiker ist im Prizip nur deshalb möglich, weil dieser selbst Betroffener

war bzw.

ist und über ähnllche

Brfahrungen, die er in

ähnllchen Sltuationen gemacht hat, verfügt. ohne eine solche ldentifikation kann man keine Begründungsmuster für andere formulieren. So ist beispielsweise Holzkamp in seinem Lernbuch oftmals sowohl explizit als auch

implizit sein eigener Untersuchungsgegenstand,

also selbst der

Betroffene, der in der Analyse selner Lernerfahrungen/Lebensproblematiken in und außerhalb der Schule die begriiillchen Blemente seiner Lerntheorie entwickelt und dlese anderen zugänglich macht. Die Trennung von Begrifisbildung und Betrofieneneinbeziehung ist speziell im Lernbuch in der Person der Forschers überwunden. Holzkamp thematisiert immer wieder eigene Lernerfahrungen sowohl im Zusammenhang mit der Bntwicklung einer lerntheoretischen Grundbegriiillchkeit, als auch im Zusammenhang

-284-

mit

de^

Konstruktion

schulspeziiischer

Handlungsproblematiken.

Damit

schafft er lnstrumente, mit denen wir alle, deren Lernen in ähnlicher Weise in de^ Schule "formiert"

wurde, unsere jeweils eigenen persön-

lichen Lernerfahrungen aufschließen können. Im "Lernbuch" gellngt es Holzkamp in einzigartige^ Weise anhand eine^ persönlichen

Lernprozesses

-

seiner

Aneignung

von

Arnold

Schönbergs

"Zwölftonmusik" - vorbegriffliche Bestimmungen menschlichen Lernens zu einer lernthoretischen Begriffllchkeit auszuarbeiten. Voriindliche psy^ chologische Bestimmungen werden hierbei anhand einer speziilschen Lernproblematik in einen konzeptuellen Gesamtzusammenhang gebracht.

Holzkamp

hat

diese

Vorgehensweise

als

absirahierend-konkretisierendes

Verfahren charakterisiert (vgl. l993, S.l94fi). lm abstrahierenden Zweig dieses Verfahrens werden durch die Aktuallslerung einschlägiger Vorbegriffe speziiische

psychische

Aspekte des Lernprozesses definitorisch

herausgehoben. Die so gewonnenen abstrakten Vorstellungen werden dann im konkretisierenden schers,

Zweig

der möglichst

an alle

elnem

konkreten

abstrakt

Handlungsprozeß

bestimmten Nomente

des

For-

in sich ein-

schlleßt, begriffllch entfaltet. Die definitorisch eingeführte Begrifflichkeit wird so vom Standpunkt des mit einer Handlungsproblematik konfrontierten Forschers psychologisch erschlossen. Der allgemeine kategorial-methodologische

Rahmen, in dem sich dies vollzieht, ist das sub-

jektwissenschaftlich-vermittlungsanalytlsche Paradigma.

Handlungsproblematiken

und die

in ihnen eingeschlossene

Betroffenheit

sind also keine beliebigen VeranschauliChungen davon unabhängiger theoretischer Aussagen, sondern Teil bzw. Voraussetzung des wissenschaftlichen Brkenntniszuwachses, der sich in begriii lichen Difierenzierungen niederschlägt. Dies bedeutet auch, daß die abstrahierende und die konkretisierende Denkbewegung in einem dialektlschen Wechselverhältnis stehen, und die Bezeichnung "abstrahierendes-konkretisierendes Veriahren" keine lineare Abfolge von Analyseschritten beinhaltet. Je allgemeiner die Handlungsproblematik des Forschers ist, je weniger sie durch speziiische personal-situationale Faktoren geprägt ist und je weiter sie außerhalb gesellschaftlicher und institutioneller Behinderungen steht, desto allgemeiner sind die in der Aufklarung der Handlungs-

-285-

problematik gewonnenen psychologischen Bestimmungen und desto ausgeprägter ist ihr grundbegriiilicher Charakter. Bei solchen Bestimmungen handelt es sich um einzeltheoretisch-aktualempirisch gewonnene Grundbegriffe.

Bine explizite Selbstthematislerung des Forschers wird besonders dringllch, wenn sich die Bntwicklung von Begründungsmustern nicht auf einen aufgrund seiner gesamtgesellschaftlichen

Funkt ionalltät - hinreichend

eindeutigen institutionellen Bedeutungs-/Prämissenrahmen

bezieht, "aus

dem man entsprechende Begründungsfiguren hypothetisch ablelten (... und die Betroffenen später damit konfrontieren) könnte"

(a.a.o., S.492).

Wenn die persönliche Biographie aufgrund der speziellen Handlungsproblematik in den Nittelpunkt der Analyse rückt, dann muß der Forscher sich explizit "persönllch als nE^ii^ ^ ^ jeweils einzunehmenden Subjektstandpunktes ein(zu)setzen, also ^^ ^^ ^ ^ durch substituieren" (a.a.o., S.492). Der Forscher ist hier explizit zugleich Forschender und Brforschter. Hier müssen dann Roß und Reiter genannt werden

und

der

Standpunkt

des

abstrakten

Subjekts,

das

heißt

die

Vorstellung elner eindeutigen Trennung zwischen der Konstruktion von Begründungsmustern

und

der

Binbezlehung

der

Betroffenen,

aufgegeben

werden. Die Forschung ist hier mit der Vielialt bzw. Binzigartlgkeit von Biographien konfrontiert, zu denen man nur einen analytischen Zugang findet, wenn man entweder die Betroffenen von Anfang an mit ins Boot nimmt oder sich selbst thematisiert. Die Selbstthematisierung schließt natürlich nicht aus, daß sich in den privaten Lebenseriahrungen des Forschers/Betroffenen

gesellschaftlich

Typisches

ausdrückt

und

darin

Verallgemeinerungsmögllchkeiten l legen. Vor dlesem Hlntergrund

kann die prinzipielle

Frage,

"welche

konzep-

tuellen Aspekte von Begründungstheorien noch ohne direkte empirische Kommunikation mit den Betroffenen als konkreten lndividuen erarbeitet werden können, und wo die Grenze llegt, jenseits derer eine weitere Spezifizierung der subjektwissenschaftlichen Theorie nur noch in Kooperation

mit

den

gemeinten

Subjekten

(a.a.o., S.438), beantwortet werden.

als

Nitforschern

möglich

ist"

Diese Grenze llegt genau an dem

-286-

Punkt, an dem die Lebenserfahrung/Betrofienheit des Forschers von der Betroffenheit der gemeinten Subjekte soweit abweicht, daß die Konstruktion eines Begründungsmusters durch den Forscher nicht mehr hinreichend möglich ist. Wenn dieser Punkt erreicht ist, können die Prämissen der Handlungsproblematik und die subjektiven Brfahrungen, in denen sich die Handlungsproblematlk widerspiegelt, nur im intersubjektiven Diskurs mit den Betroffenen

analysiert

Lebenserfahrung

keinen

werden.

Zugang

des

ln solchen Fällen, Forschers

zu

den

ln denen die Problemen

von

Betroffenen ermögllcht, kann die Bildung von Begründungsmustern und von entsprechenden

Begrlffsbestlmmungen

nur

lm Verlauf

aktualempirischer

Untersuchungen sinnvoll erfolgen. Die Nöglichkeit zur Konstruktion einer mit Allgemeinheitsanspruch auftretenden "typischen" Begr^ndungsfigur ohne die Betroffenen besteht im Grunde nur dann, wenn der Binzelne aufgrund der Rigidität der Prämissenlage und der damit verbundenen Bindeutigkeit seiner lnteressenlage vernünftigerweise so handeln muß, wie dies im Begründungsmuster angegeben ist. Derartige typische Begründungsformen ergeben sich also, wenn das Subjekt auf bestimmte Bedeutungskonstellationen mit ihren Behinderungen und Widersprüchen begründetermaßen nur auf elne bestimmte Art und Weise "antworten" kann. ln diesem Fall ist im Grunde die Nöglichkeitsbeziehung des Subjekts durch die Bindeutigkeit seiner lnteressenlage suspendiert; individualblographische Diiferenzen werden hier irrelevant. Der Binzelne ist dann wirklich nur Veranschaulichung oder Beispiel eines Begründungsmusters und nicht mehr die einmalige und unersetzbare Grundlage der Formullerung einer Begründungsiigur. Beispiele

für die skizzierte

Begründungsmuster-Konstruktion

in einem

klar deflnierten und eindeutigen institutionellen Bedeutungs-/Prämissenrahmen finden sich in Holzkamps begründungstheoretischen Bxplikationen der bedeutungsanalytisch rekonstruierten "Schuldisziplin". So kann Holzkamp unter der von ihm herausgestellten Prämisse der globalen Brfahrung der machtökonomischen intention der schuldisziplinären Bedeutungsanordnung, die sich in einer Grunderfahrung des Bingekreist-Seins niederschlage, feststellen, daß es das Verfügungsinteresse des Schülers nur erlaube, sich dem Unterricht in einer Weise auszusetzen, die die individuelle Bewertung der Leistungen und darin die potentielle Abwertung und Ausgrenzung der elgenen Person durch Vergleich mit anderen erlaube (vgl. a.a.o., S.4^). Bs gebe keine Lebensäußerung der Schüler, die nicht vom Lehrer irgendwie bewertet würden. Durch die externe Leistungsbewertung

-287-

w^rde der Schüler gezwungen, sich nicht an seinen subjektiven Bntwicklungsinteressen, sondern an externen Gütemaßstäben und der damit verbundenen latenten Ausgrenzungsdrohung zu orlenteren. Deiensiv begründetes Lernen würde so zur Normal iorm schulischen Lernens. Durch die Leistungsbewertung würde die interne Steuerung von Lernprozessen durch eine externe unterdrückt. Das schulische Leben konstituiere so zwei Parteien: die Schuladministration auf der einen und die sich dazu strategisch verhaltenden Schüler auf der anderen Selte, die mit verdeckten Strategien die Binkreisungsmaßnahmen der Schuladministration ins Leere laufen zu lassen bemüht seien. Das lnteresse am Gegenstand werde so durch das Streben nach individueller Bedrohungsabwehr zurückgedrängt. Bs entstehe so eine Art Bodensatz aus Angst vor Bloßstellung und Bingeschüchtertheit, der dazu führe, daß man seine Schwäche vor sich selbst und anderen zu verdecken trachte und sich nicht in seinen eigenen Absichten zu exponieren wage. Das Grunddilemma der Schuldisziplin bestehe darin, daß sie aui der Seite des Schülers das Gegenteil der offiziellen Lehrplanung errelche: Widerständigkeit, Verweigerung, Täuschung, allesamt überlebensstrategien, die das Ziel haben, sich zu entziehen, sich zu behaupten, um nicht total unterzugehen. Durch das ln-die-Bnge-Treiben der Schüler bekämen diese elementare Vorausetzungen des Lernens entzogen, nämlich Ruhe, Unbedrohtheit, Unbedrängtheit und Vertrauen. Die Spezifik solcher begründungslogisch konstruierter Zusammenhangsannahmen wird daran deutlich, daß in der Schule ebenso "Nitlernphasen" und expansive Lernphasen zu entdecken sind, die "zwar innerhalb der Schule, aber außerhalb der Schuldisziplln" (a.a.o., S.494) erfolgen. Hier zeigt sich, daß in der Binzeliallanalyse die Bedeutungskonstellation Schuldisziplin eine wesentliche Prämisse des Aufweises konkreter Begründungsfiguren ist, zugleich aber die Totalltät institutioneller Restriktionen immer wieder konkret durchdrochen wird. Das bedeutungsanalytlsche Konzept der "Schuldiszlplin" als Prämisse logischer Begründungsmuster-Konstruktionen baut auf der bedeutungsanalytischen Konzeptualisierung formierender institutioneller Lernbedingungen auf. Wenn solche Begründungsmuster jedoch unvermittelt als Voraussetzungen jegl icher Binzelanalyse schulischer Handlungsproblematiken angesehen werden, besteht die Gefahr, das ein solches bedeutungsanalytisches Konzept vom analytlschen Schlüssel zum Schloß wird, das den Zugang zu anderen Bedeutungs-Begründungszusammenhängen, die innerhalb der konkreten Situation des Subjekts gegeben sind, aber außerhalb der begründungslogisch konstruierten Handlungsproblematik l legen, verschließt. ln der Binzelfallanalyse müssen grundsätzlich die bedeutungsanalytisch hervorgehobenen Prämissenkonstellationen die Dimensionen des subjektiven Möglichkeitsraumes und die dort existierenden Konflikte treffend kennzeichnen.

-288-

4.6

Die implikative Struktur von einzeltheoretischen Aussagen und die Frage der empirischen Bewährung

Bs sollte deutlich geworden sein:

lm einzeltheoretischen

Brkenntnis-

prozeß müssen Datenerhebung und Datenanalyse als elnheitl icher Prozeß

gesehen werden, in dessen Verlauf slch weitere, über die kategorialen Voraussetzungen hinausgehende inhaltliche Geslchtspunkte darüber ergeben,

mit welchen

(Vor-)Begrlffen

die

jeweillge

Forschungsproblematik

weiter zu verfolgen ist. Solche ldeen und Begriiie werden anhand der erhobenen Daten quasi induktiv aktual islert, müssen aber zuglelch quasi deduktiv

einer

kategorialen

Analyse/Rekonstruktion

unterzogen werden.

Dabei werden, wie gesagt, die so gebildeten Begriiie und Zusammenhangsannahmen einer doppelten Prüfung, einer kategoriaien und einer empirischen Prüfung unterzogen. Sie müssen sowohl vor den Grundbegrifien als auch vor der empirischen Subjektivität Bestand haben. ln diesem Prozeß werden Phänomene und ihre theoretische Fassung so lange miteinander konfrontiert, bis die theoretische Fassung einerseits eine Selbstsubsumtion ermöglicht und andererseits nicht im Widerspruch zu den kategorialen Grundlagen steht.

Diese Art der doppelten emplrischen und theoretischen Prüfung wird nicht durch

den

gestellt:

implikativen lmplikativ

charakter

sind

von

theoretische

Begründungsmustern Sätze,

wenn

sie

in

Frage

notwendige,

selbstevidente oder sinnhafte Zusammenhänge thematisieren. Dabei ergibt sich der implikative Charakter solcher Sätze nicht so sehr aus formalen Gründen oder aus begriifllchen Bxplikationen; vielmehr sind die lmplikationen durch die Beschaifenheiten des menschlichen Subjekts, das heißt durch die in den Grundkategorien festgehaltenen menschlich-gesellschaftlichen Grundzüge des Psychischen, bestimmt: das lndividuum realisiert angesichts einer gegebenen Prämissenlage in Veriolgung seiner Lebensinteressen eine für es selber funktionale, begründete Handlungsintention (vgl. Narkard l993, S.40). Aufgrund dieser impllkativen Struktur können Begründungsmuster als solche weder empirisch verifiziert noch empirisch falsiiiziert werden: wenn Ereignisse in ihrer Bedeutungshaitigkeit als Prämissen f^r Handlungsbe-

-289-

gründungen erkannt werden und sich Begründungen als vernünitige Konsequenz aus dlesen Prämissen ergeben, stehen die Begründungen zu den Prämissen in einem Verhältnis "diskursiver Schlüssigkeit".

Theorien als

Annahmen über subjektlve Begründungszusammenhänge stellen also aus logischen Gründen selbstevidente Strukturen dar. Die

kategoriale

Notwendigkeit

Handlungsgründe"

(Holzkamp

einer

l993,

"Theoriesprache

S.28)

widerspricht

der

subjektiven

der

Nöglichkeit

ihrer empirischen Prufung. "Reale Verhältnisse sind ... kein irgendwie gearteter Prüfstein für die Begründungsannahmen, sondern eben mögliche ^ Anwendungsfälle ^ oder ^ Beispiele^ für den darin angesetzten

^vernunf-

tigen^ Zusammenhang zwischen Prämissen und Eändiungsvorsätzen" (a.a.o., S.29). "Bs kann sich lediglich herausstellen, daß sie, da hier die darin vorausgesetzten

Prämissen

nicht

vorliegen,

auf

eine

bestimmte

reale

Situation nicht anwendbar sind" (ebd.). Wenn

nun Binzeltheorien

-

formal

gesehen

-

Begründungstheorien

mit

(bloßem) Anwendungsbezug zu bestimmten empirischen Befunden sind, so steht

dies

scheinbar

im

Widerspruch

zu

dem

lnitialkonzept

der

einzeltheoretlschen Forschung, nämllch dem Sachverhalt, daß eigentlich eine

Handlungsproblematik

konkret

Betroffener

der

Ausgangspunkt

der

Theorienbildung ist. Wenn eine Handlungsproblematik nur noch als Eeispiel eines von ihr unabhängigen allgemeinen Begründungsmusters gesehen wird, scheint der Bezugspunkt kritlsch-psychologischer Theorienbildung nicht mehr ein konkretes Problem wirkllch Betroffener zu sein, sondern alltagssprachlich

fixiertes allgemeines Wissen ^ber

Prämissen-Begrün-

dungszusammenhänge. Sind also Binzeltheorien nur Bxplikationen selbstevidenter Alltagsannahmen^

lst das Verhält is von Daten und Theorien

wirklich kein Bewährungsverhältnis, sondern ausschließlich als exemplarische Veranschaulichung zu fassen^ Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man sich vergegenwärtigt, daß aus der Sicht der betroffenen Subjekte trotz der implikativen Struktur von Binzeltheorien Theorien

ein empirisches Bewährungskriterium

besteht:

Bin

Begründungsmuster

für

als solches

psychologische kann durch

den

Binzelfall zwar weder bestätigt noch falsiiiziert werden, die Qualität seiner analytischen Funktion f^r den Binzeliall ist jedoch eine empi-

-290-

risch

offene

Frage.

ln

dieser

Hinsicht

kann

ein

Begründungsmuster

durchaus empirisch verifiziert oder falsiiizlert werden. Bs gibt also, obwohl

empirische

Resultate

keine Bestätigung

impllkativer

Zusammen-

hangsannahmen als solcher sein können, einen Falsiiikaticns-/Verifikationsbezug der Betroffenen auf Begründungsmuster

im Hinblick auf die

Frage, ob ein bestimmtes Begr^ndungsmuster je meine konkreten Lebensproblematiken widerspiegelt. Die einzeltheoretische Forschungsproblematik besteht aiso darin, Begründungsmuster zu iinden oder zu bilden, die auf den konkreten Fail passen und mit denen das Subjekt im Hinblick auf seine Lebensproblematik etwas anfangen kann. Gamäß dem subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytischen Paradigma besteht das subjektwissenschaftlich-einzeltheoretlsche

Grundproblem darln, "das Verhältnis von

Bedingungen, Bedeutungen und Pramissen, zwischen Handlungmögllchkeiten und

-begründungen"

erforschen.

(Narkard

l993,

S.34)

im konkreten

Binzelfall

zu

Das Geltungsproblem psychologischer Theorien bezieht sich

also daraui, ob das Begründungsmuster für den konkreten Fall richtig rekonstruiert wurde; auf dieser Dimension erfolgt die Herstellung eines aktualempirischen

Prüfbezuges auf

eine

Theorie.

Dies bedeutet

unter

subjektwissenschaftllchen Prämissen, daß das Subjekt selbst per Selbstsubsumtion

bzw.

per

Begründungsmuster Subjekt

Selbstanwendung

prüfen

für seine Lebensproblematik

diskrepante

Daten

(Prämissen,

muß,

ob das betreffende

triftig

lntentionen,

ist. Falls das Begründungen)

in

Rechnung stellen muß, ist das jeweilige Begründungsmuster ais soiches nicht falsi iiziert, aber die dort formulierten Prämissen und Begründungen sind nicht triitig. Sie müssen dann so lange spezifiziert werden, bis sie iür den konkreten Fall nützllch sind. Bei der Analyse psychischer Probleme vom Standpunkt des Subjekts ist also eine Binzeltheorie, obwohl sie an sich ein empirisch nicht falsiiizierbares Begründungsmuster ist, eine empirisch offene Hypothese, die durch Prämissen- und intentionenvergleich

vom Subjekt

für

seine

Person

besiäigi oder

fai-

sifi ziert werden muß. Bs lassen sich analytisch zwei entgegengesetzte Richtungen der Konstruktion von Begründungsmustern festhalten: einmal handelt es sich um quasl deduktive, kategorial angeleitete Begründungsmuster-Bxplikationen,

für

-293-

die man Beispiele suchen kann; zum anderen handelt es sich um quasi induktive Konstruktionen, bei denen es um begriffliche Fassungen konkreter Handlungsproblematiken geht, für die der individuelle Fall konstitutiv ist. Dabei ist eigentlich der zweite Fall entscheidend, da man nur hier einen Grund hat, Bedeutungs-Begründungszusammenhänge zu konstruieren. In diesem Fall ist das Suchen von Beispielen erst bei der übertragung einer Einzel iallanalyse auf andere Fälle interessant. Insgesamt

ist die Veranschaullchungsbeziehung

elnes Begründungsmusters

zu konkreten Fällen mehr eine formale Chrakterislerung des Theorie-Bmpirie-Bezuges als elne chrakterisierung von Brkenntnisinteressen oder gar von emanzipatorischen lnteressen der (Nit)Forscher. Vor diesem Hintergrund stellt slch als empirisches Bewährungskriterium die Frage heraus, ob das konkrete Problem mit einem bestimmten Begründungsmuster aufgeklärt werden kann oder dle Aufklärung der Konstruktion eines anderen Begründungsmusters bedarf. Bei der "empirischen Realisierung von Theorien"

(Holzkamp l993, S.20) stehen aber, wie deutlich ge-

worden sein sollte, nicht dle theoretischen Zusammenhangsannahmen

zur

empirischen Prüfung an, sondern deren Relevanz für den Binzelfall. ln Anbetracht der Unterscheldung zwischen problem- und lösungsorientiertem Begründungsmuster

stellt

sich für das

lösungsorientierte

Begrün-

dungsmuster die Frage der empirischen Bewährung jedoch anders als für das

problemorientierte

Begründungsmuster;

das lösungsorientierte

hat

sich an der Frage zu bewähren, ob es für das Subjekt bei dem Brkennen und der Realisierung einer begründeten Handlungsalternative tatsächlich relevant

ist.

Die

Daten

haben

hier

die

Funktion

zu

prüfen,

ob

dem

lösungsorientierten Begründungsmuster die hypothetisch behauptete praktische Lösungsrelevanz zukommt (vgl. Narkard l993, S.47). Zwar kann auch hier das Begründungsmuster aufgrund seiner implikativen Struktur nicht widerlegt Lösung

werden,

einer

wohl

konkreten

aber

seine

unterstellte

Lebensproblematik

Nützllchkeit

(zum Kriterium

praktischen Problemüberwindung siehe Kapitel 3.4.6).

der

für

die

lebens-

-292-

4.7

Zum analytischen charakter einzeltheoretischer Begriffsbestimmungen und Zusammenhangsannahmen

Aus dem im vorherigen Teilkapitel analytische

Ausgeführten erhellt slch auch der

Charakter einzeltheoretischer Konzepte. Als verallgemelner-

te, berelts vollzogene aktualempirische Analyse kann lch dle ln solchen Konzepten gemachten Brklärungen subjektiver Brfahrung auf mich beziehen und durch diese übertragung meine Situation eventuell hinreichend klären. lnsofern haben die in einzeltheoretischen Zusammenhängen entwickelten theoretischen Konstrukte perspektivisch,

das heißt von je meinem

Standpunkt aus, kategorialen charakter; nichtsdestoweniger sind sie aber einzeltheoretisch und nicht logisch-historisch gebildet; die im einzeltheoretischen Prozeß entwickelten begriiilichen Differenzierungen stellen

kelne

logisch-historisch

gebildeten

analytischen

Grundkategorien

dar, sondern sind in einen möglichen Bedeutungs-Begründungs-Funktionszusammenhang einbezogen, dem ich mich subsumieren kann. Dies bedeutet, daß nicht nur Grundkategorien, sondern auch einzeltheoretische Zusammenhangsaussagen dem Selbstklärungsprozeß dienlich sein können. Binzel theoretische Konzepte können als analytlsche Theorien fungieren, mit deren Hilie ich mich als einen "solchen Fall" erkennen kann^ Durch ihre in diesem Sinne perspektivengebundene Kategorialisferung können einzeltheoretlsche Konzepte (wie zum Beispiel "restrlktive Handlungsfähigkeit") zu subsumierenden "Neta-Fällen-von" anderen "Fällenvon" (von Nutter, von Arbeitslosem, von Rentner, von Psychologen etc.) werden, die wiederum Neta-Fälle von je mir persönlich sein können. Hierbei iiegt dann kein direktes Kategorie-Binzeltheorie-Verhältnis vor, sondern ein übe^ ein subsumierendes Netakonzept vermitteltes KategorieNetatheorie-Binzeltheorie-Verhältnls. Dabei kann eventuell in "deinem" Fall die hierbei gebildete Binzeltheorle wiederum als Netatheorie fungieren und "dir" bei der Strukturierung "deiner" Binzeltheorle dienlich sein. Die Netatheorie kann im konkreten Fall aber auch völlig verworfen werden, so daß dle Blnzeltheorle mit ihren theoretischen Konstrukten sich direkt an den Grundkategorien orientieren muß. lm Gegensatz zu den Netatheorlen stellen dann aber die Grundkategorien Denknotwendigkeiten

-293-

dar, die iür die Prozeßanalyse quasl axiomatischen charakter haben, weil sie vor der aktualempirischen Untersuchung feststehen und diese erst ermöglichen.

Holzkamp selbst nimmt ansatzweise den quasi absoluten Anspruch krltlschpsychologischer Begrifisbildung durch eine relativierende Bestimmung des Charakters von psychologischen

Kategorien zurück.

Br vollzieht

dabei

eine perpektivengebundene und funktionale Unterscheidung zwischen Kategorien und theoretischen Konzeptionen: Theoretische Konzepte hätten "mit Bezug auf die speziellere Eegriffsbildung die Funktion von ^Kategorien^ als Rahmenbestlmmungen und Leitllnien für die Bntwicklung (speziellerer) theoretlscher

Konzeptionen,

wobei

die

so

entstehenden

spezielleren

Theorien wiederum die Funktion von ^ Kategorien^ für die noch spezifischere Theorienbildung haben, etc." (1977a, S.108). Das heißt, ein und derselbe Begrifi kann sowohl kategorialen wie auch einzel theoretischen charakter haben. Hier deutet sich an, daß auch Holzkamp prlnzipiell dem Sachverhalt Rechnung trägt, daß speziellere Begriffsbiidungen über Handlungsfähigkeitsentwicklung nicht lcgisch-historisch ableltbar slnd und daß er die Nöglichkeit einräumt, daß der einzeltheoretische Bezug auf die Grundkategorien nur vermittelt über andere (Neta-)Binzeltheorlen erfolgen kann.

Holzkamp unterscheidet in dem angesprochenen Kontext Kategorien "verschiedenen Generalltätsgrades":

er grenzt "umfassende

Grundkategorlen"

von diesen zugeordneten "ergänzenden Kategorien" sowie von einer Vielzahl von "speziellen Prozeßhypothesen" über die individuelle "Herausbildung und Brhaltung der Handlungsfähigkeit unter konkreten gesellschaftlichen Lebensbedingungen" (ebd.) ab, wobei er zu letzteren Konzepte über die Grundeigenart menschlicher Konflikte und Abwehr sowie psychischer Störungen zählt. Damit kann ich meine Diiierenzierung verschiedener Begri iistypen auch in Holzkampschen überlegungen, die er auf dem l. lnternationalen Kongreß Kritische Psychologie formulierte, wiederfinden. Diese Gedanken werden allerdings in der Grundlegung nicht mehr aufgegriifen.

-294-

Allgemeln beruht die analytlsche Funktion des kritisch-psychologischen Systems auf der Binführung der Vermittlungsebenen der Bedeutungen und der Handlungsgr^nde, über die der innere Zusammenhang zwischen gesellschaftllchen Verhältnissen und subjektiver Briahrung aufgeschlüsselt wird. Weder die subjektiven Handlungsgr^nde noch deren Bedeutungsbezug sind evident. Das kritisch-psychologische System gewinnt seinen analytischen charakter also mit der Frage nach den je meiner psychischen Be f i nd l l c hke l t

z u gru nde l i e ge nde n

womit die Unmittelbarkeit

Bede u t u ngs- Be grü ndu ngsve rhältnissen,

meiner Brfahrung

in ihrem realen konkret-

historischen Kontext von je meinem Standpunkt aus begreifbar werden soll (siehe Holzkamp l983, S.5l6). Die darüber hinausgehenden etwa aus dem Kontext des Konzepts restriktiver Handlungsiähigkeit stammenden "ergänzenden Begriiie" und "spezielleren Prozeßhypothesen" können mir - als Betroffenem - natürlich bei der Klärung melner Situation nützlich sein und können die Widerspruchlichkeit meiner Beiindlichkeit durchdringbar machen; nur als zunächst einmal ohne den direkten Bezug auf bestimmte Betrofiene gebildete Zusammenhangsannahmen stehen sie bei je meinen vermittlungsanalytischen Selbstklärungsversuchen im Unterschied zu den "umiassenden Grundkategorien" vorläuiig zur Disposition: So ist je individuell zu zeigen, ob die im Konzept restriktiver Handlungsiähigkeit thematisierten widersprüchlichen Aspekte empirischer Subjektivität triitig sind, die, wie dargestellt, weitgehend "im Nodus allgemelner Brfahrbarkeit" gegeben sind und vom Standpunkt des lndividuums im Kapitalismus - unter Abstraktion von allen "individualbiographischen Zufäll lgkeiien" - analysiert wurden. Diese Analyse erfolgte dadurch, daß auf den Vermittlungsebenen der Bedeutungen und der Gründe durch die Binführung theoretischer Konstrukte bzw. "ergänzender Begriiie" der Zusammenhang zwischen kapital istischen Lebensverhältnissen und subjektiven Brfahrungstatbeständen inhaltllch rekonstruiert wurde, womit bestimmte subjektive Brfahrungstatbestände hypothetisch-einzeltheoretisch erklärt wurden. Bs reicht aber einfach nicht aus, wenn man solche "speziellen Prozeßhypothesen" "nicht mehr als Bedingungs-Breignis-Zusammenhänge, sondern als Begründungszusammenhänge formuliert" (Holzkamp l990a, S^9), man mu^, wie gesagt, im aktualempirisch-theoretischen Zusammenhang auch Roß und

-295-

Reiter nennen, also die realen Nenschen, von deren Standpunkt aus man die Zusammenhänge zu begreifen versucht. lm Zweifelsfall verbergen sich hinter allgemelnen Zusammenhangsannahmen die Personen von Forschern, die - sofern sie unter subjektwissenschaftlichen Prämissen forschen - immer auch sich selbst - und zwar ganz konkret - thematisieren. Nan muß also nicht nur die Betroffenen von vorneherein in die Theoriebildung und die dort eriolgenden "ergänzenden" Begriifsbildungen einbeziehen; vielmehr sind sie von Anfang an - zumindest implizlt - dabei gewesen. Nur wenn man sich diese Zusammenhänge klar macht, überwindet man die abstrakte Allgemeinheit von Theorien und auch das Problem des Besser-Bescheid-Wissens über die konkrete, inhaltliche Ausgestaltung von Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhängen als die Betroffenen selbst. Wenn wir Vor-ab-Theoretisierungen als allgemein verbindliche Grundkonzepte

darstellen, bleiben wir hinter Holzkamps Forderung zurück, "daß

die Kommunikation zwischen Forscher und Versuchsperson von vorn herein als

intersubjektiver

dungen auf

Beziehungsmodus

der Basis gemeinsamen

wechselseitiger

Handlungsbegrün-

Brkenntnisinteresses

(^Nitiorscher-

verhältnis^) zu realisieren ist" (ebd.). Bs genügt nicht, daß man Fragen

und Probleme der Betroi ienen auigreift, man muß sie auch an der Bestimmung der Hypothesen, der theoretischen Konstrukte und der Wahl der Analysemittel beteiligen. Der Begründungsdiskurs und das Nitforscherverhältnis sind ineinander verschränkt, wobei die Selbstverständigung des Forschers sozusagen die Blementarform dieser Verschränkung darstellt. Die

von Holzkamp

eingeräumte

Nöglichkeit

der Unangemessenheit

einer

theoretischen Konzeption muß sich deshalb auch auf das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit beziehen lassen und nicht nur auf dessen weitere Konkretisierungen vorneherein

im individuellen Fall. Wenn aber Holzkamp von

"Begründungstheorien"

in

der

Weise

charakterisiert,

daß

"typische Begründungsmuster formuliert (werden), in denen bestimmte resiriktive Formen der Lebenspraxis/Problembewältigung Nöglichkeiten

ihrer

überwindbarkeit

auf

den

zusammen mit den

Begriff

gebracht

sind"

(l990a, S.ll), versperrt er sich diese Nöglichkeit (vgl. Kapitel 3.4.7). Wir finden hier eine unzulässlge Verquickung des vermittlungsanalytischen Paradigmas mit den ergänzenden und prozeßorientierten Bestimmungen des Konzepts restriktiver Handlungsiähigkeit.

-296-

^.8 Kritisch-psychologische Weiterentwicklungen: Problemorientierte Hypothesenbildung auf der Grundlage des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

Zum Abschluß will ich noch einmal zum Konzept restrikiiver-verallgemeinerter Handlungsfähigkeit zurückkehren und vor dem Hintergrund der im diesem Kapitel erfolgten Klärungen auf die ^olle, die dieses Konzept in verschiedenen kritisch-psychologischen Projekten und Aufsätzen gespielt hat, eingehen. lm Slnne der hier vertretenen These von dem einzeltheoretlschen charakter des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit findet dieses Konzept Bingang in Versuche verschiedener Autoren, den kritlsch-psychologischen Ansatz für die Analyse konkreter Probleme fruchtbar zu machen. Btwa im Rahmen der von der Kritischen Psychologie organisierten Theorie-PraxisKonferenz oder dem Projekt "Analyse psychologischer Praxis" (siehe diverse Veröffentlichungen im Forum Kritische Psychologie) versuchen die Vertreter der Kritischen Psychologie in Anwendung des im Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit entwickelten begrifflichen Rahmens - mit den Begriffen der Personalisierung und der Unmittelbarkeitsverhaftetheit -, Probleme der psychologischen Berufspraxis in Zusammenarbeit mit Berufspraktikern zu analysleren und ansatzweise Handlungsalternativen zu entwickeln. Die Arbeit der Theorie-Praxis-Konferenz steilt einen wichtigen Bereich aktualempirischer Begriiisbildung der Kritischen Psychologie dar. Die Kritische Psychologie etabllert slch dabei quasi als Supervisionspsychologie; allerdings geht es ihr nicht um therapeutische Selbstbespiegelungen, sondern um die Analyse des Zusammenhangs von Arbeitssituation und individueller Handlungsiahigkeit/Befindlichkeit der praktisch arbeitenden Psychologen. Bigentl icher Gegenstand der Forschung sind dabei Praxistheorien, also Denkweisen bzw. "Schienen", die die Berufspraxis strukturieren. Dabei soll das in den Schienen vorhandene Zusammenhangs- und Widerspruchswissen aus seiner Umklammerung durch personalisierendes und unmittelbarkeitsverhaftetes Denken beireit werden. Die Bxplikation des gesellschaitlich-subjektven Zusammenhangs- und Wi-

-297-

derspruchswissens psychologischer Berufspraktiker erfolgt dabei dadurch, daß das praxisbezogene (Vor) Wissen als Aspekt von Prämissen-Gründen-Zusammenhängen rekonstruiert wird, wobei dies bereits die Auflösung personalisierender

und unmittelbarkeitsverhafteter

Denkweisen

impliziert.

Kritisch-psychologische Praxisiorschung bedeutet in diesem Zusammenhang auch, Prägungen von Praxistheorien durch die institutionellen Handlungsbedingungen aufzuklären (vgl. Fahl/Narkard l993). Die Betroffenen, in deren lnteresse krltisch-psychologische Praxisforschung wissenschaftliche Brkenntnisse l leiert, sind aiso zuvörderst die Praktiker, nur vermitteit deren Kiientei und schon gar nicht die Arbeiterklasse. Der ursprüngliche Anspruch der Brmöglichung einer kritischemanzipatorischen Praxis im lnteresse der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten

(vgl. Holzkamp l972), der den gesellschaftstheoretischen Be-

zugspunkten des Kategorienpaars restriktive-verallgemelnerte Handlungsfähigkeit

zugrunde

liegt,

tritt

hinter

konkrete

Alltagsprobleme

der

Praktiker und den konkreten Leidensdruck von Betroffenen zurück. Die grundbegrifiliche überhöhung klassentheoretisch analysierter BedeutungsBegründungsformen

löst

sich

problemorientiert

in

einzeitheoretischen

Bereichsanalysen auf. Die jeweils analysierten Handiungsaiternatlven der Praktiker liegen dabei weitgehend in der unmitteibaren Lebenswelt, in den an ihrem Arbeitsplatz gegebenen Veränderungspotentiaien (vgl. Holzkamp/Narkard l988). lnzwischen sind von der Theorie-Praxis-Konferenz schon viele typische Probleme analysiert worden, wobei das Konzept der restriktiven Lebensbewältigung nur noch in quasi abgespeckter Form als zentrales Analysemittel diente, beispielsweise bei der Untersuchung von Problemen beim Reden

und

Schreiben

über

psychologische

Praxis

(siehe

etwa

Narkard

l989). Die Bedeutungsdlmenslon des Begriffspaares verallgemelnerte-restrlktlve Handlungsfähigkeit wird im wesentllchen auf die Frage nach dem je spezifischen Verhältnis zwischen Bntwicklungsmöglichkeiten und -behinderungen im je konkreten Nöglichkeitsraum, auf die Frage nach den darin

eingeschlossenen

Prämissen-Gründe-Zusammenhängen,

eingeschränkt.

Der gesamte kapital ismusspeziilsche Ableltungskontext, damit die inhaii-

iiche Bestimmung der bedingungen, bleibt in

Bntwicklungsmöglichkeiten und Behinderungsden Diskussionen der Theorie-Praxis-Konfrenz

-298-

weitgehend unberücksichtigt. Nit kategorialer Notwendigkeit wird in den Arbeiten der Theorie-Pra^is-Konferenz das allgemeine vermittlungsanalytische Nodell vertreten. Das heißt, der Realisierungszusammenhang zwischen kapitalistischen Nachtverhältnissen und darauf bezogenen widersprüchllchen Begründungen und Funktionsausprägungen tritt in den Arbeiten der Theorie-Praxis- Konferenz nicht mehr mit kategorialer Notwendigkeit auf, sondern nur noch als "hypothetische Analysedimension" (Dreier l989, S.68). Das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit gewinnt die f^r hypothetisch-einzeitheoretische Aussagen charakteristische analytlsche Funktion. Bs muß deshalb jeweils im Binzeliall auf seine Relevanz bei der vermittiungsanalytlschen Strukturierung Praktiker hin überprüft werden.

der

Arbeitssituation

der

Die Vermutung bzw. der zitierte "Verdacht" restriktiver Handlungsfähigkeit ist dabei vor allem bei der Analyse der je individuellen Bedeutungs-Begründungsverhältnisse

im Hinblick auf das konkret

vorliegende

Verhältnls von Sich-Wehren gegen bzw. Sich-Anpassen an die in den psychoiogischen

Berufspraxen

gegebenen

institutionellen

Naniiestationen

ökonomisch bedingter Nacht- und Herrschaftsiormen nützlich. Bin anderes Beispiel für den einzeltheoretischen Umgang mit dem Konzept

restriktiver Handlungsfähigkeit ist eine neuere Arbeit von Giseia Ulmann (l989); sie entdeckt in dieser Arbeit die weitgehend unterschätzte Alltagssprache als eln Nedium, in dem menschliche Probleme wesentllch diiferenzierter und präziser faßbar sind als im klassifzierenden und abstrakten "Psychoslang". Ulmann zeigt, daß die Alltagssprache "dle Nöglichkeit der Brkenntnis einer Struktur von Handlungen" eröfinet (a.a.o., S.l^7) und damit Bedeutungs-Begründungsbezüge nicht verschließt, sondern analysierbar macht. Trotz ihrer ideologischen Durchsetztheit erscheint damit die Alltagssprache als wesentlich kritischer als die Therapeutensprache, deren trivialen Brklärungsmodus Ulmann auf die Formel bringt: "jemand ist, wie er ist, weii er so ist, wie er ist". Dabei verdeutlicht Ulmann die Funktionalität solcher personalisierender Vereindeutigungen als Aspekt der Reproduktionsbedingungen von Psychologen. Nit der Hervorhebung

der

implizit

kritischen

Potenz der

alltagssprachliche

All tagssprache

Vorbegriiie

difierenziert

Ulmann

von wissenschaitliChen

Vorbe-

-299-

griifen. Brstere sind immerhin beschreibend, letztere dagegen klassifizierend. Auf Beschreibung kann auch kritische Wissenschaft nicht verzichten, während sich gerade hinter den von Ulmann aufgewiesenen klassifizierenden Begriffen bereits unkritische personalisierende

Interpre-

tationen verbergen. Deshalb können solche klassiilzierenden Vorbegriiie auch - wie sich Ulmann ausdrückt - zur "Falle" für die Betroffenen werden; sie beinhalten nämlich bereits Antworten auf das Warum, also psychologische Brklärungen, während sich Beschreibung mit dem Was und dem Wie begnügt. Von daher sind - nach meiner Definition - solche klassifizierenden Kategorien theoretische Konstrukte, allerdings inadäquate. Bei ihrer beispielhaften Analyse einer konflikthaften Nutter-Kind-Beziehung (vgl. a.a.o., S.l^4ff) arbeltet Ulmann im wesentlichen mit den allgemeinen Grundkategorien bzw. dem subjektwissenschaftlich-vermittlungsanalytlschen Forschungsparadigma der Kritischen Psychologie. lhre entscheidende Prozeßhypothese scheint mir in diesem Beispiel zu sein, daß Nutter und Kind die lntentionen und Gründe des jeweils anderen nicht mitbedenken. Bei der Bildung dieser Hypothese spielen zwar Konstrukte aus dem Umfeld des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

("bioß so-

ziale Bezlehung", "Unmittelbarkeitsverhaftetheit", "lnstrumentalverhältnisse") eine gewisse Rolle, aber Ulmanns Analysen - sowohl die des klassifizierenden Psychoslangs als auch die der Nutter-Kind-Beziehung - stehen auch ohne den spezifischen kapitalismuskritischen Gehait dieser Begriffe; auf jeden Faii erfolgen diese Analysen ohne Begriiie wie "Herrschende",

"Selbstfeindschait",

"dynamisches

Unbewußtes",

"Komplizen-

schaft", "ohnmacht". Das entscheidende Analyselnstrument ist bei Ulmann die allgemeine Grundkategorie der subjektiven Funktionalität. Jene theoretischen Konstrukte, die im Kontext des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit formuliert sind, werden bei Ulmann lediglich als mögliche Fragestellungen

in die

intersubjektive

Klärung

von

Problemen

einge-

bracht^ die im Binzeliall auf ihre Brklärungsrelevanz hin ^berpruft werden müssen; sie haben mithin - wie dargestellt - die analytische Funktion von theoretischen Konstrukten und nicht die anaiytische Funktion von Grundkategorien.

-300-

Verallgemeinernd

kann

man die aktuelle

Umgangswelse mit dem Konzept

restriktiver Handlungsfähigkeit wie folgt charakterisieren: Durch ihre dezidierte orientierung an konkreter subjektiver Leidenserfahrung

kann

es

kritlsch-psychologischer

Forschung

konsequenterweise

nicht um relne Brkenntnis jenseits der Probleme der Betrofienen gehend Bine empirische Verallgemeinerung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit als solches bzw. der aus ihm generierten Zusammenhangsannahmen kann somit nicht das primäre Ziel der Psychologie sein. Wissenschaft wird vieimehr zum Nedium subjektiv not-wendiger Problemanalysen und -lösungen und muß deshalb analytischen charakter haben sowie zu praktischen Konsequenzen führen können. Unter solchen Prämissen macht die Verallgemelnerung einer Hypothese nur dann Sinn, wenn andere Betrofiene in der übertragung dieser Hypothese auf die eigene Situation zu realen Lösungen ihrer Probieme kommen können. Alle anderen Hypothesen, die jenseits psychischer Probleme des Subjekts und ihrer realen überwindung gebildet werden, erscheinen dagegen als ungebetene Aussagen über Nenschen, die in der kontrollwissenschaftlichen Traditicn der Variablenpsychologie stehen. Hypothesenbildung unter subjektwissenschaftlichen Prämissen ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein Subjekt in einer Form leldet, daß es wissenschaftliche Unterstützung bei der Veränderung seiner Situation sucht (vgl. Kap. 4.4. l). lnhaltlich kommt es bei der Hypothesenbildung darauf an, einerseits die widersprüchiiche subjektive Funktional ltät der jeweiligen

Problemverstrickung

aufzudecken

und

andererseits

neue

wider-

spruchsfreiere Funktionalitaten und damit Problemlösungen zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund

ist das Konzept

restriktiver-verallgemeinerter

Handlungsfähigkeit eine Sammlung von Hypothesen über subjektive Problemverstrickungen und wird auch als solche Hypothesensammlung verwendet, mit der Betrofiene bei ihrem Versuch, Probleme besser in den Griii zu bekommen, etwas anfangen können - vorausgesetzt die dort vorgenommenen Zusammenhangsanalysen

spiegeln

wesentliche

Aspekte

ihrer

Problemver-

strickung wider. Genauer betrachtet fungiert das Konzept restriktiver Handlungsiähigkeit

als Schlüsselbund,

sprich theoretische elnige passen können

Konstrukte,

an dem verschiedene

hängen,

(zum Beispiel

von denen

Schlüssel,

im konkreten Fall

"Personalisierung"

und "Unmittel-

-303-

barkeltsverhaftetheit"),

andere wiederum nicht

(zum Beispiel "Selbst-

feindschaft" oder "Unbewußtes"). Für den radikal subjektwissenschaftlichen und problemorientierten Ansatz der kritisch-psychologischen Binzeliorschung treten die gesellschaftstheoretischen Bezugspunkte des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit zunehmend in den Hintergrund; dieses Konzept wird in einer Form verwendet, mit der ganz allgemeln gesellschaftliche Dimensionen psychischen Leids aufklärbar erscheinen. Und, da diese gesellschaftlichen Dimensionen von Nenschen hergestellt werden, werden sle in ihrer Veränderbarkeit erkannt.

Psychische Probieme werden also nicht milleutheoretlsch er-

klärt, sondern mit dem Aufweis der gesellschaftlichen Bedingungen der Nöglichkeit ihrer Genese werden auch die gesellschaftlichen Bedingungen der Nöglichkeit ihrer überwindung aufgeklärt. Diese Umgangsweise rezipiert Holzkamps Grundlegung aus der Sicht der praktischen Forschung und kümmert sich weniger um die Ableltung der Begriiie des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit; vielmehr werden diese Begriiie als Hypothesen angewendet; es wird nach "Personalisierungen" keitsverhaftetheit"

oder nach "Unmittelbar-

als Nomenten der jeweillgen Lebensbewältigung ge-

fragt: Die logisch-historische Begründung dieser Begriffe aus der Narxschen Kapitalismusanalyse wie auch das dargestellte Bbenen-Nodell Holzkamps kommen kaum mehr zum Tragen. Die gesellschaftstkritische Haltung, die sich in der aktuellen Verwendung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit

widerspiegelt,

resultiert

im wesentlichen aus der Br-

kenntnis, daß, wenn man in dieser Gesellschaft gut leben könnte, man sie nicht zu ändern bräuchte. Wie diese Geseilschaft im lnteresse der überwindung psychischen Leids zu analysieren ist und zu welchen Resultaten man dabei

kommt,

ist mit dieser Haltung noch nicht festgelegt; sie

zwingt nur dazu, die gesellschaftlichen Komponenten individueller Probleme sowie die gesellschaftlichen Vermittlungen bei der überwindung be-

einträchtiger Befindlichkeit ln Rechnung zu stellen. Der Aufweis dieser gesellschaftlichen Komponenten sowie die Bntwicklung neuer subjektiver Funktionalitäten messen aber nicht notwendig mit Bezug auf die Narxsche Kapital ismusanalyse erfolgen.

-302-

Bine Diskussion der Frage, ob diese praktische Nodifikation der Bedeutung bzw. das Ausblenden der gesellschaitstheoretlschen Ableitung des Konzepts restriktiver Handlungsfähigkeit ein Abrücken von der Vorstellung einer notwendigen und alleinigen Begründungsalternative zwischen restriktiver oder verallgemeinerter Handlungsfähigkeit unter kapitalistischen Lebensbedingungen ist oder ob dieses Konzept in der empirischen Auseinandersetzung mit wirklichen Lebensformen in unserer Gesellschaft Veränderungen erfahren hat, hat bisher in der Kritischen Psychologie noch nicht stattgefunden. Subjektwissenschaft ist nicht - wie die erwähnten neueren kritisch-psychologische Arbeiten zeigen - notwendig in einen an der kapitalistischen Formationsspeziilk orlentierten Herrschafts- bzw. ohnmachtsdiskurs eingebunden. Zwar existiert für das Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

kein Gegenstand, wenn jemand mit den format ionsspezi fisch bestimmten Aspekten unserer gesellschaftlichen Lebensbedingungen zurechtkommt. Nit einem solchen Fall hört jedoch noch lange nicht die Subjektwissenschaft auf. Subjektwissenschaft findet erst dort ihr Bnde, wo das Subjekt keine Fragen und keine Probleme mehr hat, die es - im weiten Sinne not-wendig - beantwortet bzw. gelöst haben will, egal ob es sich hierbei um Probleme in der Privatsphäre oder um Fragen und Probleme mit einer eindeutg politischen Dimension handelt. Die aktuelle Umgehenswelse mit den Begriiien aus dem Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

folgt der

lntention, daß man mit ihnen das

Subjekt belastende Probleme aufklären und überwinden kann; und dabei stellt sich - meines Brachtens zurecht - die Gewißheit ein, daß wir mit dem

Konzept

restriktiver

Handlungsfähigkeit

viele

Probleme

auf

de^

Begriff bringen können. ln anderen Fällen werden wir wohl aber einräumen müssen, daß kein "Schlüssel" dieses "Schlüsselbundes" paßt und daß wir in solchen

Fällen

andere

Hypothesen

und

andere

Begriife

entwickeln

müssen, um bei der Lösung bestehender Probleme helien zu können. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns immer wieder fragen, ob unsere Verwendung der Begriffe aus dem Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit

-303-

der Herstellung dieser Begriiie adäquat ist; wenn nicht, wäre die hier dargestellte Verwendung dieser Begriife theoretisch unausgewiesen. Nit der vorgenommenen Differenzierung kritlsch-psychologischer Begriiie in Grundkategorien und theoretische Konstrukte sollte auch ein Raster vorgelegt werden, mit dem man die hier skizzierten praktischen Weiterentwicklungen

der

Kritischen

Psychologie

abbilden kann, und zwar dadurch, daß

seit

Holzkamps

Grundlegung

ihnen quasi ein wissenschafts-

theoretischer Unterbau gegeben wird. Neines Brachtens korrespondiert die dargestellte Verwendung der Begriffe aus dem Konzept restriktiver Handlungsfähigkeit mit dem in dieser Arbeit entwickelten Schema, das dem Konzept

restrlktiver

Handlungsfähigkeit

einzeltheoretischen

charakter

zuweist. Nan muß eben erst einmal im Angesicht des konkreten Problems entscheiden,

ob die

im Konzept

restriktiver

Handlungsfähigkeit

ent-

wickelten Begriffe eine analytlsche Funktion gewinnen können bzw. ob deren analytlsche Kapazität ausreicht.

-304-

Literaturverzeichnis

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L E B E N S L A U F

Name: Vorname: Wohnort: Geburtsort : Geburtsdatum: Familienstand:

Baller Ralph offenbach of fenbach 5. Februar 1959 verheiratet (zwei Kinder)

^chuiausbiidu^g^ l965-l968 l968-1978

Grundschule (Beethovenschule in offenbach) Gymnasium (Abitur an der AlbertSchweitzer-Schule in offenbach)

^ivfldfenst^ l979-l980

Kuratorium für Heimdialyse, Bmil-vonBehring- Passage, 63263 Neu-lsenburg

Studium l98l-l987

Psychologie am Psychologischen lnstitut der Freien Universität Berlin ^Studiensch werpunkt ^ pädagogisch-psychologische Arbeit mit Kindern und jugendlichen

P^ktfka^ l985 l985-l986

Psychologische Beratungsstelle, Geleitsstr.94, 63067 offenbach Schulpsychologische Beratungsstelle , Prechtlstr.21, 12277 Berlin

Berufspraxis^ ll/l987

-

2/l989

Leitungsfunktion im Rahmen des "Schulbezogenen Förderprojekts" Humboldtschule, Humboldtstr.30 63069 offenbach

Fortbildung^ 3/l989 - 2/1990

Fortbildung zum "Kommunikationsprogrammierer" an der Siemens Schule für Kommunikations- und Datentechnik in Frankfurt

EDF-Berufsprazis. ab 3/1990

^eitere Tätigkeiten. l98g

organisationsprogrammierer beim Bundesamt für Wirtschaft, Frankfurter Straße 29-31, 65760 Bschborn Arbei tssch werpun^kte. Datenbankprogramm ierung , Datenbankadministration , Systemanalyse, Datenfernverarbeitung

Veröffentlichung des Aufsatzes "Problematische Implikationen der Begründungslogik von Galperins Theorie der etappenweisen Bildung geistiger Handlungen" im Forum Kritische Psychologie ^

l988

Kursleiter bei der Volkshochschule "Binführung in die Psychologie"