Nach dem Primitivismus?: Künstlerische Verhandlungen kultureller Differenz in der Bundesrepublik Deutschland, 1960-1990. Eine postkoloniale Relektüre [1. Aufl.] 9783839424926

Art defamed by National Socialism as »degenerate«, referring to supposedly »primitive cultures«, was considered »antifas

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Nach dem Primitivismus?: Künstlerische Verhandlungen kultureller Differenz in der Bundesrepublik Deutschland, 1960-1990. Eine postkoloniale Relektüre [1. Aufl.]
 9783839424926

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
1. Forschungsperspektive
2. Primitivismus in Deutschland – eine genealogische Skizze
3. ‚Der Osten‘ – ‚der Indianer‘ – ‚die Heilung‘: Joseph Beuys trifft einen Kojoten (1974)
4. Repräsentationen kultureller Differenz im Kontext von Kriegen und Dekolonisationsbewegungen: Zwei Arbeiten von Wolf Vostell (1968 und 1980)
5. ‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz? Lothar Baumgarten fotografiert in einem ethnologischen Museum (1968/69)
6. Gefesselt in tradierten Bildern? Ulrike Rosenbachs ‚Kontaktversuch‘ mit alteritären ‚Frauenkulturen‘ (1977/78)
7. Die Faszination des Anderen: Parodien (klein-)bürgerlicher Fantasien in drei Arbeiten von Sigmar Polke (1968, 1975 und 1976)
8. Primitivismus überdreht? Exotisierende Selbstbildnisse und Stereotype in Arbeiten der Neuen Wilden (1980er Jahre)
Rainer Fetting – „Selbstporträt als Indianer“
Elvira Bach – Aneignungen schwarzer Weiblichkeit?
Walter Dahn – „Kölner Wilder“, „chinesischer Afrikaner“ und „die Präsenz des Objekts“
9. Eigener Rassismus? Olaf Metzels Aktion „Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB“ (1982)
Schluss
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Dank

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Kea Wienand Nach dem Primitivismus?

Studien | zur | visuellen | Kultur Herausgegeben von Sigrid Schade und Silke Wenk | Band 21

In Erinnerung an Karin Baumann

Kea Wienand (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für »Kunst und visuelle Kultur« der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie lehrt und forscht im Bereich Kunstwissenschaft, mit den Schwerpunkten: Kunst des 19.-21. Jahrhunderts, Postkoloniale Studien, kulturwissenschaftliche Geschlechterforschung und Erinnerungskulturen.

Kea Wienand

Nach dem Primitivismus? Künstlerische Verhandlungen kultureller Differenz in der Bundesrepublik Deutschland, 1960-1990. Eine postkoloniale Relektüre

Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation »Nach dem Primitivismus? Künstlerische Verhandlungen von kultureller Differenz in der Bundesrepublik Deutschland vor 1990: Eine postkoloniale Relektüre«, die im Januar 2012 vom Promotionsausschuss der Kulturwissenschaftlichen Fächer in der Fakultät III der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommen wurde. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung durch die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und durch den Deutschen Akademikerinnen Bund

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Sigmar Polke, Negerplastik, 1968, Dispersion auf Leinwand, 150 x 130 cm. Privatbesitz, Dauerleihgabe Kunstmuseum Bonn. © The Estate of Sigmar Polke, Cologne/VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Lektorat: Ulrike Schuff Layout & Satz: Sally Johnson, [email protected] Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2492-2 PDF-ISBN 978-3-8394-2492-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Einleitung...............................................................................................................................7 1. Forschungsperspektive.................................................................................................. 13 2. Primitivismus in Deutschland – eine genealogische Skizze ................................... 37 3. ‚Der Osten‘ – ‚der Indianer‘ – ‚die Heilung‘: Joseph Beuys trifft einen Kojoten (1974).....................................................................65 4. Repräsentationen kultureller Differenz ­ ekolonisationsbewegungen: im Kontext von Kriegen und D Zwei Arbeiten von Wolf Vostell (1968 und 1980)...................................................... 99 5. ‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz? Lothar Baumgarten fotografiert in einem ethnologischen Museum (1968/69)...........................................................135 6. G  efesselt in tradierten Bildern? Ulrike Rosenbachs ‚Kontaktversuch‘ mit alteritären ‚Frauenkulturen‘ (1977/78)....................................................................... 167 7. D  ie Faszination des Anderen: Parodien (klein-)bürgerlicher Fantasien in drei Arbeiten von Sigmar Polke (1968, 1975 und 1976)...................................................................201

8. Primitivismus überdreht? Exotisierende Selbstbildnisse und Stereotype in Arbeiten der Neuen Wilden (1980er Jahre)............................................................... 235 Rainer Fetting – „Selbstporträt als Indianer“..............................................................238 Elvira Bach – Aneignungen schwarzer Weiblichkeit?................................................. 252 Walter Dahn – „Kölner Wilder“, „chinesischer Afrikaner“ und „die Präsenz des Objekts“............................................................................................267 9. Eigener Rassismus? Olaf Metzels Aktion „Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB“ (1982).................................................283 Schluss...............................................................................................................................307 Literaturverzeichnis...........................................................................................................317 Abbildungsverzeichnis......................................................................................................353 Dank................................................................................................................................... 359

Einleitung „‚Nach‘ bedeutet: zu jenem Moment, der demjenigen Moment folgt (dem kolo­nialen), in dem die koloniale Beziehung dominant war. Es bedeutet nicht […], dass die, wie wir es nannten, ‚Nachwirkungen‘ der Kolonialherrschaft irgendwie suspendiert wurden. Und es bedeutet mit Sicherheit nicht, dass wir von einem Macht-WissenSystem in eine macht- und konf liktfreie Zeitzone übergegangen sind. Gleichwohl meldet es seine Ansprüche angesichts der Tatsache an, dass einige andere, verwandte, bislang allerdings noch in neuen Konfigurationen ‚entstehenden‘ Macht-WissenBeziehungen ihre distinktiven und spezifischen Folgen zeitigen.“ (Stuart Hall: Wann gab es ‚das Postkoloniale‘? 2002: 238)

Arbeiten von weißen1 KünstlerInnen aus der Bundesrepublik Deutschland, in denen Visualisierungen von kulturell, ethnisch und rassisierten 2 Anderen vor­ kommen, lassen sich im Anschluss an Toni Morrison als ‚ref lexive‘ beschreiben (1994: 39). Ref lexiv sind diese Bilder von Menschen außer- und osteuropäischer Gesellschaften, von ‚Indianern‘, 3 von TürkInnen, von Schwarzen usw. in dem Sinne, dass sie ein Selbst vor der Folie eines Bildes vom Anderen entwerfen.4

Weiß beschreibt nicht einfach eine Hautfarbe, sondern die Position innerhalb einer eurozentrischen symbolischen Ordnung, die als unmarkierte Norm definiert ist und sich von ‚anderen‘, die als ‚dunkel‘, ‚Farbige‘ oder ‚Schwarze‘ benannt werden, abgrenzt. Wer als weiß gilt und wer nicht, ist keinesfalls evident und konstant, sondern Veränderungen unterlegen. 2 Mit dem Begriff ‚Rassisierung‘ und dem Adjektiv ‚rassisiert‘ werden hier hierarchisierte Differenzkonstruktionen bezeichnet, die auf der Annahme von biologisch fundierten ‚Rassen‘ gründen. 3 Der Begriff ‚Indianer‘ bezeichnet ein Stereotyp, das die Europäer von indigenen Gesellschaften Nord- und Südamerikas entworfen haben und dem pejorative ebenso wie romantisierende Bedeutungen anhaften. 4 Zur Bedeutung von Morrisons Forschung für rassismuskritische Forschungen, vor allem für die kritische Weißseinsforschung s. Carsten Junker und Julia Roth (2010). 1

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Nach dem Primitivismus?

So wird in Darstellungen des Anderen/der Anderen immer auch Eigenes ins Spiel gebracht. Repräsentationen von kultureller Differenz sind in der Kunst der BRD, das kann die vorliegende Untersuchung zeigen, häufiger als gemeinhin angenommen wird. Sie sind Anlass, Vorstellungen und Fragen über Geschlecht, Sexualität, Künstlerschaft, politische Positionierung und vieles mehr zu diskutieren. Morrison analysiert als afro-amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin, wie Schwarze5 in der US-amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts dargestellt werden, welche Rolle schwarze Figuren für die Erzählungen spielen und welche Wirkungen sie bei den LeserInnen erzeugen. Eines ihrer Anliegen ist, „die Momente zu identifizieren, in denen die amerikanische Literatur Komplice [sic] bei der Verfertigung von Rassismus war“, aber genauso wichtig scheint ihr, „zu sehen, wann die Literatur explodierte und den Rassismus unterminierte“ (1994: 38).6 Sie beschreibt ihr Forschungsanliegen sowohl als Frage danach, wo Rassismus tradiert wird, als auch, wo er untergraben wird. Vor allem interessiert sie, was passiert, wenn Schwarze als Figuren in der Literatur vorkommen: Mit welchen Codes, mit welchen Symbolen werden sie beschrieben, welche Rolle spielen sie für weiße AutorInnen und LeserInnen, wie bewegen sie den Text – inwiefern sind die Figuren des Anderen ref lexiv? Morrison verortet ihre Analyse vor dem spezifischen Hintergrund der US-amerikanischen Geschichte von Kolonialismus und Sklaverei. Auch die BRD hat eine koloniale Vergangenheit, deren bis heute andauernde Wirkmächtigkeit häufig unterschätzt wird.7 Im Nationalsozialismus wurden rassistische und antisemitische Ideologien zu einem Extrem geführt. 8 Annahmen über rassisierte und kulturelle Differenz, die in dieser Zeit etabliert waren, wurden nach 1945 nicht einfach aufgegeben, sondern blieben virulent. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden strukturelle Macht- und Gewaltverhältnisse wie Rassis-

Morrison schreibt meist vom ‚afroamerikanischen Element‘ (vgl. 1994). Ich verwende im Folgenden ‚Schwarze‘/‘schwarz‘ als Bezeichnung für Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe nicht als weiß gelten und innerhalb der eurozentrischen Dominanzkultur immer noch diskriminiert werden. ‚Schwarz‘ verwende ich deshalb, da es auch als politische Selbstbezeichnung angeeignet worden ist, mit der eine gesellschaftspolitische Position und spezifische Erfahrungen anzeigt wird. 6 Morrison schreibt weiter: „Und doch, dies waren geringere Belange. Sehr viel wichtiger war es, dass ich mich damit befasste, wie afrikanische Personae, afrikanistische Schilderung und afrikanistische Sprache den Text mehr oder weniger unsicher in Bewegung brachten und bereicherten, wichtiger war, dass ich erwog, was das Engagement für das Wirken der schriftstellerischen Vorstellungskraft bedeutete“ (1994: 38). Ich verstehe diesen Satz als Betonung ihres Interesses für die vielfältigen Bedeutungen und Effekte, die ‚Afrikanisches‘ auf Literatur hat. 7 Eine der ersten Publikationen, die der Geschichte von Rassismus und Sexismus vom vorkolonialen Afrikabild im Mittelalter über den deutschen Kolonialismus bis hin zu den Jahrzehnten nach 1945 aus afro-deutscher Perspektive nachgeht, wurde 1986 von Katharina Oguntoye, May Opitz und Dagmar Schultz herausgegeben. 8 Mit den Begriffen ‚Rassismus‘/‚rassistisch‘ sind hier soziale Praktiken der Diskriminierung, Stereotypisierung und Gewaltanwendung gegenüber ‚Anderen‘ bezeichnet, die in einem System funktionieren, in dem rassistische Klassifikationen vermeintlich biologische, körperliche, ethnische und kulturelle Unterschiede zwischen ‚Eigenem‘ und ‚Anderen‘ überhaupt erst bedeutsam machen. 5

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Einleitung

mus und Sexismus aber auch herausgefordert und kritisiert. Migrationen und Umsiedlungen sowie die weltweit wahrgenommenen Dekolonisationsbewegungen, schwarze Bürgerrechtsbewegungen und andere transnationale politische Aktivitäten provozierten vehemente Einsprüche in weiße, westliche9, patriarchale Überlegenheitsvorstellungen. Auf diesem diskursiven Feld standen Vorstellungen von Eigenem und Anderem (erneut) zur Debatte. Inwiefern Kunst in der Bundesrepublik Deutschland in die Verhandlungen von kultureller Differenz involviert war, ist die zentrale Frage der vorliegenden Arbeit. Wie, d.h. mit welchen darstellerischen Mitteln und innerhalb welcher Zusammenhänge, wurden andere Kulturen thematisiert? Wer galt als Andere/r, wofür standen diese Bilder, und wie setzten sich die KünstlerInnen und ihr Publikum zu diesen Anderen ins Verhältnis? Welche Funktionen übernahmen oder besser: konnten Visualisierungen von kultureller Differenz für die überwiegend weißen BetrachterInnen in den vier Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg übernehmen? Welche Bedürfnisse und Ängste bedienten oder nährten sie? Mich interessiert als weiße Kunstwissenschaftlerin, die in der BRD aufgewachsen ist und lebt,10 wie ein kunstinteressiertes Publikum in der BRD mit kultureller Differenz konfrontiert wurde. Was für ein Bild von kulturell Anderen wurde im Kunstfeld der BRD vermittelt? Obwohl solche Fragen im Zusammenhang mit postkolonialen Forschungsprojekten in den Kunstwissenschaften seit ca. 20 Jahren mehrfach gestellt werden,11 bleibt die Kunst der BRD aus der Zeit vor 1990 aus machtkritischen Befragungen weitgehend ausgespart. Fragen nach Ähnlichkeiten, Zusammenhängen und verschlungenen Fortwirkungen von einem kolonialistischen Rassismus und dem nationalsozialistischen Antisemitismus sowie deren Aufarbeitungen sind sogar erst in den ­letzten Jahren in den wissenschaftlichen Blick geraten. Vor dem Hintergrund historischer sowie zeitgenössischer Diskurse, in denen sich KünstlerInnen in der BRD bewegten, sind diese Auslassungen eigentlich umso verwunderlicher. Während meiner anfänglichen ‚Suche‘ nach künstlerischen Arbeiten, die ‚prominent‘, das heißt an bekannten Orten (in großen Museen, in Katalogen mit hohen Auf lagen usw.), zu sehen gegeben worden waren, konnte ich relativ schnell zahlreiche künstlerische Verhandlungen von kultureller Differenz in der BRD, die vor 1990 entstanden waren, finden. Gemeinsam ist den unterschiedlichen künstleri-

Der ‚Westen‘/‚westlich‘ sind Begriffe für ein hegemoniales und eurozentrisches Konzept, das weniger einen geografischen Ort, der mit Europa identisch wäre, beschreibt, sondern die Vorstellung von europäischen Gesellschaftsformen, die vom ‚Rest der Welt‘ als weiterentwickelt und überlegen abgegrenzt werden, s. dazu Hall (1994: 137ff). 10 Ich habe nie eigene rassistische Diskriminierungserfahrungen gemacht und meine Staatsangehörigkeit stand nie zur Debatte. 11 Eine der ersten deutschsprachigen Publikationen in den Kunstwissenschaften ist der Sammelband „Projektionen. Rassismus und Sexismus in der Visuellen Kultur“, herausgegeben von Annegret Friedrich u.a. (1997), der aus der 6. deutschsprachigen Kunsthistorikerinnen-Tagung hervorgegangen ist. 9

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Nach dem Primitivismus?

schen Auseinandersetzungen, dass die KünstlerInnen sich in eine ‚gewisse Nähe‘ zu kulturell Anderen positionierten, solche Verhältnissetzungen zumindest als Möglichkeit befragten oder auch kritisch zur Diskussion stellten. So inszenierte sich Joseph Beuys in seiner Performance „I like America and America likes me“, 1974, als Schamane, der Fluxus-Künstler Wolf Vostell wiederum arbeitete eine Fotografie einer Anti-Apartheid-Demonstration von Schwarzen in Südafrika zu einer Collage um und betitelte sie dann mit den Worten „Die Fluxisten sind die Neger12 der Kunstgeschichte“, 1980. Die feministische Künstlerin Ulrike Rosenbach suchte in einer Trilogie von Performances Kontakt mit einer ‚Frauen­kultur‘, 1977/78, indem sie ethnografische Porträtfotografien von Frauen aus verschiedenen Kulturen mit einer Kamera abfilmte. Innerhalb der Kunst der Neuen Wilden in den 1980er Jahren malte Rainer Fetting ein ‚Selbstporträt als Indianer‘, und Elvira Bach stellte sich als schwarze Frau dar. Sigmar Polke dagegen scheint sich über derartige Suchen nach vermeintlich verwandten Gegenwelten lustig zu machen, wenn er 1975 ein touristisches ‚Going-Native‘ von deutschen Urlaubern in eine Collage integriert, die dominante Männlichkeitsbilder ironisiert. Und Olaf Metzels Aktion „Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB“, 1982, die darin bestand, in einem ehemals von türkischen Migranten bewohnten Raum ein Hakenkreuz anzubringen, spielt eher mit der Rolle eines rassistischen Täters und stellt sie damit zur Diskussion. Aber nicht nur der/die kulturell Andere, sondern auch dessen/deren Objekte werden thematisiert: Lothar Baumgarten fotografiert und kommentiert ein ethnografisches Museum und dessen objektivierende Praktiken. Polke persif liert eine sogenannte ‚Negerplastik‘ und ihren Platz innerhalb der Wohnzimmerkultur der 1950er Jahre, während Walter Dahn in Objekten aus Afrika eine mythische Präsenz zu finden glaubt. Das künstlerische Interesse westlicher KünstlerInnen an außereuropäischen Anderen und ihren Objekten reicht bis ins Mittelalter zurück und war immer auch Teil europäischer Selbstkonstitutionen.13 Um 1900 – mitten in der Hochzeit des Kolonialismus – etablierte sich die Vorstellung, als Künstler mit ‚primitiven‘ ­Anderen irgendwie verbunden zu sein, und offensiver als vorher wurden diese Anderen und ihre Kulturen als ‚primitive‘, aber zu begehrende Gegenwelten dargestellt (eine

12 Der Begriff ‚Neger‘ ist (wie alle Komposita mit diesem) massiv rassistisch aufgeladen und Teil struktureller Gewalt gegenüber Schwarzen. Als solcher ist er unbedingt zu vermeiden! Ein Tabuisieren der historischen und bis heute noch andauernden Verwendung dieses Terminus macht Gewalt- und Machtstrukturen jedoch letztlich einfach nur unsichtbar. Eine Analyse des Gebrauchs und der damit konnotierten Bedeutungen ist für die Aufarbeitung von rassistischen Diskursen, aber auch von Versuchen, diese zu kritisieren und zu durchkreuzen, dringend nötig. Ausschließlich für solche kritischen Analysen reproduziere ich den problematischen Begriff innerhalb von Zitaten (hier meist von Titeln künstlerischer Arbeiten) und in seltenen Fällen auch zur Benennung von Diskursen oder Mythen. Für eine historische Aufarbeitung des Begriffs s. Susan Arndt (2011). 13 Verschiedene Formen des ‚visual Othering‘ in der Zeit von 1100 bis 1200 analysieren die Beiträge in der von Silke Büttner herausgegebenen Ausgabe von FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur, Nr. 54 (2013). Zur Darstellungen des Fremden im 16. Jahrhundert s. Hildegard Frübis (1995).

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Einleitung

Projektion, die später als ‚Primitivismus‘ bezeichnet wurde). Irit Rogoff hat dargelegt, dass die Vorstellung vom Künstler als Außenseiter und als marginali­sierte Person zentral für den Künstlermythos gerade auch der deutschen Moderne war (1989: 23). Barbara Lange ist der Inszenierung von Joseph Beuys als Gesellschaftsreformer nachgegangen und hat aufgezeigt, wie dieser Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bilder der Studen­tenbewegung und anderer Protestbewegungen für seine Selbststilisierung als Künstlerheld adaptierte (1999). Rogoffs, Langes und weitere feministische Forschungen zu Künstlermythen haben ­wichtige Erkenntnisse über die Selbstinszenierungen von männlichen weißen Künstlern geliefert und aufgezeigt, dass Positionierungen, die sich als alternativ, rebellisch und ‚anders‘ geben, hegemoniale Strukturen tradieren. Die Kategorie kultureller Differenz wurde dabei jedoch nur selten mitgedacht. Diese Leerstelle aufgreifend geht es mir darum, die Analysen von Künstler­mythen um die Kategorie kultureller Differenz zu erweitern und zu fragen, inwiefern KünstlerInnen den Bezug auf kulturelle Differenz im Zusammenhang mit alternativen und aktivistischen ­Bewegungen für ihre Selbstinszenierungen nutzten oder künstlerische Arbeiten entwarfen, die zwar durchaus Bilder von kulturell Anderen aus ‚alternativen‘ ­Zusammenhängen aufnahmen, aber nicht unbedingt hinterfragten und so stereotype Ikonografien reproduzierten. Ebenso interessiert mich, wo Bilder und Vorstellungen von Anderen sich veränderten und zur Diskussion gestellt wurden. Bei meiner Suche nach möglichen Analyseobjekten wurde bald deutlich, dass zumindest in den ‚großen‘ Ausstellungen und deren Katalogen selten Arbeiten gezeigt oder veröffentlicht worden waren, die kulturelle Differenz aus der Perspektive von migrantischen, schwarzen oder in der BRD lebenden KünstlerInnen of Color 14 verhandelten.15 Nicht weißen, nicht deutschen und nicht westlichen Subjekten war der Zugang zur sogenannten ‚Hochkultur‘ in der BRD, beispielsweise als KünstlerInnen oder auch als KuratorInnen und KunstkritikerInnen, in vielerlei Hinsicht bis in die 1990er Jahre hinein erschwert und verweigert worden. Wenn überhaupt, dann durften nur bestimmte Subalterne16 ‚sprechen‘ (s. dazu Gelbin u.a. 1999, Steyerl

14 Der Begriff ‚People of Color‘ wird seit den 1960er Jahren als Solidarität stiftende Selbst-bezeichnung für alle

ethnisierten und rassisierten Menschen verwendet, die die Erfahrung teilen, als Andere der weißen Mehrheitsgesellschaft zu gelten (Ha, Lauré al-Samarai, Mysorekar 2007: 12f). 15 Eine ‚frühe‘ Publikation, die künstlerische Arbeiten von in der BRD lebenden MigrantInnen vorstellt, heute aber nahezu vergessen scheint, ist das 1988 veröffentlichte Buch „In zwei Welten. Kunst und Migration“ von Eva Weber. Sie bespricht darin Arbeiten von 19 bildenden KünstlerInnen, unter anderem auch von Azade Köker, Jannis Psychopedis und Dragutin Trumbetaš. 16 Den Begriff ‚Subalterne’ prägte Gayatri Chakravorty Spivak (1988). Sie wendete sich mit diesem gegen Bezeichnungspraxen politischer Bewegungen, die versuchen, die Erfahrungen, Perspektiven und Kämpfe minorisierter Gruppen in abstrakten Begriffen zu verallgemeinern und einzufrieren. Den Begriff ‚Subaltern‘ schlägt sie vor, um mehrere Subjektpositionen zu beschreiben, die innerhalb (post-)kolonialer Strukturen ausgegrenzt und ausgebeutet werden. Spivak hat mit ihrem mittlerweile viel zitierten Aufsatz „Can the subaltern speak“ (1988) vor allem die Frage thematisiert, wer von den Subalternen ‚sprechen‘ kann und überhaupt gehört wird. Zu Spivaks bekanntem Text s. die Ausführungen von María Do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan (2005: 67).

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2002, Terkessidis 2010: 169ff). Zu überlegen ist insofern auch, ob und wie diese Ausschlüsse mit den in den künst­lerischen Arbeiten dominierenden Vorstellungen und Darstellungsweisen von kulturell Anderen zusammenhängen.17 Im Folgenden erläutere ich die Perspektive, mit der ich die künst­lerischen Arbeiten analysiere, und skizziere den Kontext, in dem ich meinen Forschungs­ gegenstand verorte: die BRD als diskursives Feld, auf dem die Konstitution eines ‚nationalen Deutschseins‘ von Ein- und ­Widersprüchen durchzogen ist.

17 Die Frage, ob die Darstellungsweise von bestimmten Subjekten mit deren Ausschluss einhergeht, stellten

auch feministische KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen bezüglich des Ausschlusses von Frauen aus dem Kunstbetrieb. Bekannt geworden ist aus diesem repräsentationskritischen Ansatz insbesondere die Aktion „Do women have to be naked to get into U.S. museums?“ der Künstlerinnnen- und Aktivistinnengruppe Guerrilla Girls (1989 – 2007).

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1. Forschungsperspektive Eine postkoloniale Relektüre Als ‚postkoloniale Relektüre‘ verstehe ich mein Forschungsprojekt, weil ich von dem Standpunkt postkolonialer Theorien aus ‚zurück‘ auf künstlerische Arbeiten vor 1990 und damit auf die Zeit blicke, bevor postkoloniale Forschungsfragen in der bundesdeutschen Akademia t­ hematisiert wurden. Die von postkolonialer Forschung ins Zentrum gestellten Fragen nach Machtverhältnissen, die in und durch Konstruktionen von Differenz existieren, bringe ich mit Kunst der BRD zusammen. Konkret heißt das, dass ich zum einen darlege, welche Tradierungen hierarchisierter Verhältnissetzungen in den künstlerischen Arbeiten wie vorkommen, zum anderen zeige ich auf, ob und wie in der Kunst vor 1990 kulturelle Differenz bereits machtkritisch verhandelt wurde, inwiefern die künstlerischen Arbeiten mit den Theorien mit- bzw. über diese hinausgehen, sie ergänzen. Mich interessiert, welche Aussagen die künst­lerischen Arbeiten zu aktuellen post­ kolonialen Diskussionen machen und welchen Beitrag sie dafür heute noch liefern können. Das Jahr 1990 setze ich deswegen als zeitliche Begrenzung meines Analyse­ gegenstands, da ab diesem Zeitpunkt Konstruktionen kultureller und geschlechtlicher Identität und Differenz stärker in die kritische Aufmerksamkeit sowohl von Kunst als auch von Kunstkritik und -wissenschaft rückten und zugleich Fragen des Nationalen und nationaler Identität auf neue Weise verhandelt wurden. 1990 ist außerdem das Jahr der deutschen ‚Vereinigung‘ und des Zusammenbruchs des Ostblocks, wodurch sich eine veränderte weltpolitische Konstellation ergab, was wiederum zu anderen rassistischen Differenzsetzungen führte (s. dazu Dietze 2009), die auch andere künstlerische Verhandlungen evozierten.

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Ein weiterer Grund für die Bezeichnung ‚postkoloniale Relektüre‘ ist, dass ich nicht nur ‚zurück‘ auf die Zeit vor 1990 blicke, sondern dass ich die Arbeiten ‚erneut‘ einer Lektüre unterziehe, sie wieder-lese. Bereits vorhandene Lektüren werden nicht einfach verworfen noch lediglich ergänzt. Vielmehr beziehe ich bereits veröffentlichte Lesarten der Kunstwerke als beteiligt an den Bedeutungsproduktionen und Konstruktionen der darin verhandelten kulturellen Differenz mit in die Analysen ein. Ich folge in dieser Vorgehensweise Sigrid Schade und Silke Wenk, die in Anknüpfung an Roland Barthes und auf Kunst bezogen konstatieren, dass ein Bild nur in der Erzählung existiert, die von ihm gegeben wird (2005: 148). Die Disziplin (hier: die der Kunstwissenschaft) wird inner-halb einer solchen Ausrichtung nicht bloß um einen weiteren Aspekt ergänzt und komplettiert, sondern mit befragt und eine postkoloniale und feministische Perspektive auch auf die Kunstkritik und -geschichte selbst gerichtet.

Nach dem Primitivismus? In der Geschichte der BRD wurde der Ausschluss des Anderen bis zum Extrem, dem nationalsozialistischen Genozid, geführt. Gleichzeitig hatte der National­ sozialismus sogenannte ‚moderne Kunst‘1 vor allem aufgrund ihrer Referenz auf außereuropäische Kulturen als ‚Negerkunst‘ und als ‚entartet‘ diffamiert. Daraufhin wurde Kunst, vor allem abstrakte und nicht realistische Arbeiten, von der bundesdeutschen Bevölkerung zunächst noch mit Skepsis betrachtet, während viele Kulturschaffende gleichzeitig versuchten, ‚die moderne Kunst‘ zu rehabilitieren und über sie den Anschluss an ‚den Westen‘ (wieder) zu finden. Die BRD hat aber auch eine koloniale Vergangenheit, die in der offiziellen Erinnerungskultur fast gar nicht vorkommt. Mit Verweis auf die im Vergleich zu anderen europäischen Staaten relativ kurze Zeit, in der Deutschland ­offizielle Kolonialmacht war (1884 – 1918), wird die Kolonialgeschichte oft als unwesentlich für die heutige BRD abgetan.2 Eine naheliegende Vermutung ist, dass kolonialistische Strukturen und Annahmen gerade durch die ‚weißen Flecken‘ in der Aufarbeitung der deutschen Beteiligung an dem europäischen Projekt der Unterwerfung außereuropäischer

Die Bezeichnung ‚moderne Kunst‘ meint gemeinhin Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts und unterscheidet sich von der Bezeichnung ‚modern‘ in anderen Disziplinen. Benannt wird mit dem Begriff Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, die als etwas genuin Neues gilt, das tradierte Konventionen aufgibt und mit Fortschritt, Demokratie und Freiheit verknüpft wird. Zum Begriff und Verständnis von ‚Moderne‘ s. Klaus Herding (1991) und Cornelia Klinger (2000). 2 Zu analysieren, welche Effekte der Kolonialismus auch auf die Kolonisatoren hatte und weiter hat, ist von postkolonialen TheoretikerInnen vehement eingefordert worden, z.B. im Kontext des deutschen Kunstbetriebs von Okuwi Enwezor (2001). Bezüglich Deutschland bzw. der BRD galt eine solche Forschung lange Zeit gar nicht als relevant, erst in den letzten etwa 15 Jahren sind Forschungen dazu entstanden, s. zum Beispiel Susan Zantop (1997), Fatima El-Tayeb (2001), Andreas Eckert und Albert Wirz (2002), Birte Kundrus (2003), Wilfried Speitkamp (2005). Forschungen zum kolonialen Erbe sind allerdings nach wie vor selten, s. dazu Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche und Susan Arndt (2005) sowie Eske Wollrad (2005). 1

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Forschungsperspektive

Länder bis heute umso stärker wirkmächtig sein können. Zu fragen ist weiter­hin, inwiefern dieser Strang der Geschichte mit dem der national­sozialistischen Vergangenheit verf lochten ist, aber auch, inwiefern die Fort- und Nachwirkungen dieser Geschichten und ihrer Ideologien mit- und ineinander verschlungen sind, wie sie sich ergänzen, widersprechen oder aufeinander reagieren. Wie beispielsweise Bilder von Kolonial­fantasien dazu dienen können, problematische jüngere Geschichte zu überdecken, sich in weite Ferne oder als Andere/r zu imaginieren und sich als ‚weltoffen‘ zu generieren. Anhand der Kunstgeschichte in der BRD lässt sich eine solche Verschlungenheit nachvollziehen. Sie zeigt sich darin, dass die Teilhabe von deutschen Künst­ lerInnen am kolonialen Diskurs um 1900 erst relativ spät (ca. seit 1990) kritisch ref lektiert worden ist (diese Forschungen sind bis heute eher randständig, z.B. N’guessan 2002). Nach der national­sozialistischen Diffamierung von KünstlerInnen, die sich unter Bezug auf vermeintlich ‚primitive Kunst‘ abstrakten und expressionistischen Darstellungsweisen zugewendet hatten, wurde genau deren Kunst als per se ‚antifaschistisch‘ und ‚weltoffen‘ gefeiert. Die darin vorkommenden ­Visualisierungen von kultureller Differenz und die über sie vermittelten rassistischen Stereotype wurden lange Zeit überhaupt nicht erkannt. Vielmehr wurden die ‚Wahlverwandtschaften‘ der modernen KünstlerInnen zu außereuropäischen Kulturen und ihre Repräsentationen in der BRD auch noch in eine ‚Begegnung‘ und als Zeichen für ‚Völkerverständigung‘ umgedeutet, wie Viktoria SchmidtLinsenhoff an der Ausstellung „Weltkulturen und Moderne Kunst“, München 1972, herausgestellt hat (2003). Die kunsthistorische Bezeichnung ‚Primitivismus‘, die sich Mitte der 1980er Jahre mit einer Ausstellung von William Rubin in New York für entsprechende künstlerische Referenzen etablierte, setzte diese Blindheit ­gegenüber den kolonialen Wissensproduktionen und Machtstrukturen zunächst fort. Während sich an Rubins Ausstellung jedoch eine rege Debatte entzündete, in die sich VertreterInnen verschiedener Disziplinen (vor allem EthnologInnen) einmischten, blieb eine solche Kontroverse in der BRD hinsichtlich vergleichbarer Projekte zunächst aus. Erst in den letzten zwanzig Jahren haben Studien rassistische Stereotype und Strukturen auch in der ‚deutschen Kunst‘ der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und den Primitivismus als künstlerischen Bild-Wissen-MachtKomplex aufgedeckt (die ersten Studien zum ‚deutschen‘ Primitivismus wurden von US-AmerikanerInnen verfasst, hier vor allem Jill Lloyd, 1991). Vor dem Hinter­ grund dieser späten kritischen Ref lexion stellt sich mir noch einmal mehr die Frage, ob und wie KünstlerInnen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Kontext der BRD mit dem Erbe des Primi­tivismus umgegangen sind. Im Primitivismus der ‚modernen Kunst‘ wurden Anfang des 20. Jahr­hunderts Motive und Darstellungsweisen von – hauptsächlich außer­europäischen – Anderen zumindest teilweise neukonfiguriert, die Zuschreibungen und Bedeutungen blieben die gleichen, wenngleich einige nun eher positiv gewertet wurden. Die sich so weiter ausbildenden und fast immer auch geschlechtlich codierten Bild- und Blickstrukturen, innerhalb derer kulturelle Differenz repräsentiert wurde, gehen dem

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Nach dem Primitivismus?

von mir in den Fokus genommenen Material zeitlich voraus. Sie prägen die Repräsentationen, aber auch die Wahrnehmungen von kulturell Anderen. Für meine Forschungsarbeit ist zentral, dass ebenso wie das Präfix ‚post‘ aus ‚postkolonial‘ nicht lediglich eine zeitliche Verortung in einer Epoche nach dem Kolonialismus ist, ich nicht nur nach Arbeiten frage, die sich zeitlich nach dem Primitivismus/Kolonialismus verorten lassen. Stuart Hall erklärt, dass das ‚post‘ in ‚postkolonial‘ auch epistemisch 3 auf den Kolonialismus folgend bedeutet (2002: 238). ‚Folgen‘ heißt bei Hall jedoch nicht, das absolute Ende des Voran­ gegangenen zu behaupten, sondern vielmehr dessen Fort- oder Nachwirkungen ebenso in Betracht zu ziehen. Dabei ist die Tatsache zu beachten, dass neue und veränderte Wissen-Macht-Konstellationen sich formieren, die in Bildern, in Kunst usw. nicht nur materialisiert, sondern mit hergestellt werden. Wenn ich im ­Anschluss an Hall danach frage, wie in der BRD das „Nach dem Primi­tivismus“ beschrieben werden kann, dann deshalb, weil ich den Kontinuitäten und Fortwirkungen, aber auch den Verschiebungen und Diskontinuitäten des Primitivismus nachgehen will. Das heißt, ich gehe nicht von einem radikalen ‚Bruch‘ aus, der irgendwann mit dem Primitivismus erfolgte, sondern ich frage nach Verschiebungen innerhalb der Darstellungskonventionen des Anderen. Meine zentrale These ist, dass die Darstellungen von kultureller Differenz und ihre Rezeptionen in der BRD in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1990 insofern spezifisch waren, als sie sich implizit auch mit der Geschichte des Nationalsozialismus (vor allem des nationalsozialistischen Genozids) und der nationalsozialistischen Kunstpolitik auseinandersetzten. In diffe­renzierten Fallanalysen werde ich darlegen, inwiefern künstlerische Arbeiten aus der Zeit zwischen 1960 und 1990 einen Primitivismus fortführten und/oder sich von primitivistischen Darstellungsweisen abhoben. Die Aufmerksamkeit gilt der Frage, in welcher Weise künstlerische ­A rbeiten ein „Nach dem Primitivismus“ bildeten, das nicht nur als ein zeitliches, sondern auch als ein epistemisches Nach zu beschreiben ist. Ähnliche Fragen wurden bislang nur vereinzelt an Kunst aus der BRD gestellt. Einer der wenigen Wissenschaftler, der ebenfalls von einem postkolonialen ­Standpunkt aus auf künstlerische Produktionen, die kurz vor dem Auf kommen kolonialismuskritischer Fragestellungen entstanden, ‚zurückgeblickt‘ hat, ist Hal Foster (1996).4 Foster diskutiert überwiegend US-amerikanische Kunst aus der Zeit zwischen den späten 1960er und 1990er Jahren. Er kritisiert, dass in vielen Arbeiten das Andere erneut mit Projektionen aufgeladen wird und primitivistische Annahmen lediglich verschoben werden. Insgesamt würden die verschiedenen

Epistemisch kann hier mit ‚das Wissen betreffend‘ definiert werden. Hall bezieht sich in dem zitierten Text auf Jacques Derrida (2002: 238). Zum Terminus ‚epistemische Gewalt‘ innerhalb postkolonialer Theorie s. Spivak (1988). 4 Die Künstlerin Renée Green kritisierte an Fosters Argumentation, dass er nicht konkret ausführt, wo genau die künstlerischen Arbeiten in tradierte und re-aktualisierte Stereotypisierungen und Projektionen zurückfallen (1997). 3

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Zuschreibungen an den Anderen so zu einer Form der ‚ideologischen Patronage‘ (‚ideological patronage‘) führen (ebd.). Diese Vereinnahmung sieht er sowohl in Positionen, die das Andere als gänzlich different beschreiben, als auch in denen, die sich mit dem Anderen identifizieren (ebd.: 173). Formen der Identifikation mit dem Anderen, insbesondere mit dem Anderen als Opfer dominieren in der deutschen Erinnerungskultur der letzten 50 Jahre auch das Gedenken an den als Holocaust 5 bezeichneten nationalsozialistischen Genozid. Ulrike Jureit und Christian Schneider haben jüngst die Diskussionen rund um das „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ in Berlin, aber auch verschiedene Theoriekonzepte untersucht und konnten die Opferidentifikation als ein grundlegendes Muster der deutschen Erinnerungspolitik ausmachen (2010). Noch während des Planungsprozesses des Berliner Mahnmals hatte Silke Wenk dargelegt, dass viele Entwürfe eine Identifikation mit den Opfern evozieren (1995). Mir scheint, dass die Identifikation mit dem Anderen, die Foster als eine Strategie der ‚westlichen‘ Kunst nach 1945 beschreibt, nicht nur strukturell analog zur Tendenz der deutschen Erinnerungs­k ultur funktioniert. Möglicherweise war sie in der Kunst der BRD ­(zumindest in den ersten Jahrzehnten der Nachkriegszeit) besonders beliebt, da sie die Möglichkeit bot, sich von Deutschland als ‚Land der Täter‘ zu distanzieren.

‚Deutschsein‘ nach 1945 Nach 1945 wurde in der BRD trotz oder besser: gerade aufgrund der problematischen nationalsozialistischen Vergangenheit versucht, eine ‚schöne heile Welt(ordnung)‘ wiederherzustellen.6 Vor dem Hintergrund, dass im nationalsozialistischen Deutschland sechs Millionen Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle sowie Kommunisten brutal ermordet worden waren, war die Imagination einer ‚nationalen deutschen Identität‘ schwierig.7 Die Begründung der BRD als Nation in einer ‚heilen‘ Geschichte war unmöglich (Wenk 1997). Von einer ‚deutschen Nation‘, von einer ‚nationalen deutschen Identität‘ oder überhaupt von ‚Deutschem‘ zu sprechen, war zusätzlich problematisch, weil man im Nationalsozialismus darunter etwas essentiell ‚Wesenhaftes‘, ‚Völkisches‘ proklamiert und mit einer antisemitischen Vernichtungsideologie verknüpft hatte. So konnte z.B. auch nicht mehr ohne Vorbehalt von ‚deutscher Kunst‘ die Rede sein, da die nationalsozialistische Kunstpolitik eine

Seit den späten 1970er Jahren hat sich für den nationalsozialistischen Genozid der Begriff des ‚Holocaust‘ durchgesetzt. Dieser ist nicht nur aufgrund seiner Etymologie (griech.: „Ganzbrandopfer“), die auf ein Opfer zur Überwindung des Bösen verweist, problematisch, sondern auch, weil er zu einer vom konkreten Ereignis abgelösten Metapher geworden ist. Zum Begriff ‚Holocaust‘ als Metapher s. Wenk und Eschebach (2002: 18ff). 6 Zu der Wiederherstellung einer solchen Ordnung innerhalb der Kunstgeschichte der BRD nach 1945 s. Silke Wenk (1997), Barbara Paul (2003). 7 Zu ‚Nation‘ als modernes europäisches Konzept s. Benedict Anderson (1998), Stuart Hall (1994b: 200f), für eine ausführliche Beschreibung der Nationengeschichte Deutschlands s. Liesbeth Minnaard (2008: 36ff). 5

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solche als ‚­wesenhaft‘ einer als ‚entartet‘ geltenden ‚modernen Kunst‘ gegenübergestellt und für ihre menschenverachtende Ideologie vereinnahmt hatte. Diesen sprachlichen Schwierigkeiten und einem daraus resultierenden Tabu widerspricht nicht, dass sich nach Gründung der BRD zahlreiche Institutionen und Aussagen ausmachen lassen, die einen Diskurs, der an der Vorstellung einer deutschen Identität (weiter) festhielt, hervorbrachten. Ab Mitte der 1970er Jahre und dann vor allem mit der sogenannten deutschen Wiedervereinigung wurden die entsprechenden B ­ egriffe wie ‚deutsche Nation‘ und ‚kulturell deutsche Identität‘ wieder explizit verwendet und machten das Fortdauern einer hegemonial ­deutschen Identitätskonstruktion offensichtlich. 8 Wichtiger konstitutiver Bestandteil einer solchen Konstruktion eines nationalen Selbst ist der Ausschluss des und die Abgrenzung von einem als gänzlich anders geltenden Anderen – vor allem vom Anderen in der Nähe (zu MigrantInnen, Schwarzen Deutschen, People of Color), aber auch vom Anderen in der Ferne.9 Obwohl die deutsche Geschichte eigentlich gezeigt hatte, wohin der Ausschluss des Anderen (der Juden, der Sinti und Roma, der Homosexuellen) als konstitutives Außen eines nationalen Eigenen (des ‚Deutschen Reichs‘) führen kann, wurde von staatlicher Seite weiterhin an einem Modell von Deutschsein festgehalten, das auf dem Prinzip einer Abstammungsgemeinschaft und einer gemein­samen ‚Kultur‘ gründete. So wurde 1949 deutsche Staatsbürgerschaft gesetzlich weiterhin an das sogenannte ‚ius sanguinis‘ (Blutrecht) geknüpft.10 Das Gesetz bestimmte das Staatsvolk der Bundesrepublik damit als ethnisch homogene Abstammungsgemeinschaft. Tatsächlich aber entsprach eine solche Gemeinschaft nicht der gesellschaftlichen Realität der Bundesrepublik. Eigentlich war in der Geschichte Deutschlands ein solches Ideal von einer homogenen Gemeinschaft ohnehin nur in der direkten Nachkriegszeit und nur durch die menschenvernichtende ­Politik der Nazis nahezu erreicht worden (Minnaard 2008). Mit dem 1955 beschlossenen Anwerbeabkommen zwischen Italien und der BRD (Verträge mit anderen Ländern folgten, z.B. mit der Türkei 1961) kamen sogenannte Gastarbeiter und etwas später auch Gastarbeiterinnen in die BRD und wurden Teil der deutschen Bevölkerung und Kultur. Bereits Mitte der 1970er Jahre war offensichtlich, dass viele der ArbeitsmigrantInnen in der BRD blieben, hier ihren Lebensmittelpunkt hatten und Kultur mitprägten. Der deutsche Staat hielt jedoch bis zum Jahr 200011 offiziell an einer an Blutsverwandt-

Nora Räthzel hat dargelegt, dass von einer ‚deutschen Nation‘ in der Presse der Bundesrepublik durchgehend, vermehrt jedoch ab Mitte der 1970er Jahre, vor allem aber seit Anfang der 1990 Jahre die Rede war (1997). Die Künstlerin Katharina Sieverding reagierte auf diese Tendenz 1993, indem sie Plakate mit dem Slogan „Deutschland wird deutscher“ in ganz Berlin aufhängte. 9 Zur Vorstellung von natürlicher Zweigeschlechtlichkeit als ebenfalls konstitutiv für das Nationenkonzept s. Anne McClintock (1995) und Nira Yuval-Davis (1997). 10 Das Abstammungsprinzip war 1913 als ‚Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz‘ kodifiziert und nach 1949 im Artikel 116 des Grundgesetzes für die BRD noch einmal bestätigt worden, s. dazu Terkessidis (2000). 11 Im Jahr 2000 wurde das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert, s. dazu und weitergehend zum Zusammenhang zwischen den Diskussionen um das Zuwanderungsgesetz und multikulturalistischen Repräsentationen in der BRD Urte Böhm und Daniela Marx (2003). 8

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schaft gebundenen Staatszugehörigkeit und an der Vorstellung einer ‚deutschen Kultur‘ fest.12 Während man einerseits bemüht war, die BRD als ‚weltoffen‘ und nicht-mehr-faschistisch zu inszenieren (beispielsweise über Ausstellungen moderner Kunst), wurde andererseits die Vorstellung von etwas genuin Deutschem weiter tradiert. Noch heute, fast fünfzehn Jahre später, muss die Erkenntnis, dass die BRD ein Einwanderungsland und ihre Kultur keine homogene, statische Entität ist, immer wieder gegen konservative Stimmen vorgebracht und begründet werden. Deutlich wird an diesem anhaltenden Disput, dass der Diskurs13 über ‚nationale Identität‘ in der BRD trotz historischer Erfahrungen und verschiedener Herausforderungen und Risse weiter dominiert wird von der Vorstellung, dass diese eine homogen weiße und statisch vorhandene sei.14 Die BRD war nicht die einzige westliche Nation, deren Konzept ­‚nationaler Identität‘ von Migrationen und in der Diaspora lebenden Menschen herausgefordert wurde und wird. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts erscheinen moderne europäische Nationen allgemein immer weniger als einheitliche, ‚ganze‘, als die sie sich zu entwerfen suchen (Hall 1994b: 180ff). Weltweit organisierten sich zunehmend marginalisierte Subjekte gegen koloniale, nationale, weiße, aber auch gegen patriarchale, kapitalistische und heterosexuelle Hegemonien. Dekolonisationsbewe­ gungen, Zusammenschlüsse von (Arbeits-)migrantInnen, die Frauenbewegung, unterschiedliche Feminismen, die Homosexuellenbewegung, Öko- und Friedensbewegung, Studentenbewegung und andere Gruppierungen kämpfen seither gegen unterschiedliche Ausgrenzungs- und Ausbeutungsverhältnisse und ließen seit den 1960er Jahren auch in der BRD verschiedene Machtverhältnisse zumindest fragwürdig werden.15 Hierzulande formierten sich in den späten 1960er Jahren Proteste (das oben mehrfach genannte Jahr 1968 steht dafür als Symbol), die sich vor allem gegenüber der Elterngeneration und der Wirtschaftswunderrhetorik mit

12 Den besonderen Stellenwert von ‚Kultur‘ für die nationale Identitätskonstruktion der Deutschen hat Werner

Schiffauer herausgestellt (1997). Er führt diese unter anderem auf die Begründung der deutschen Nation 1871 als Kulturnation zurück und erläutert, dass sich im weiteren historischen Verlauf eine spezifisch ‚deutsche‘ Vorstellung von einer Zivilgesellschaft etablierte, die nicht auf eine Befolgung von Regeln, sondern auf der Vorstellung von einer verinnerlichten ‚deutschen Kultur‘ aufbaut. Dies hat zur Folge, dass die Zugehörigkeit zur deutschen Nation nur denen zugesprochen wird, die eine ‚deutsche Kultur‘ verinnerlicht haben (ebd.). 13 Ich verwende den Begriff des Diskurses hier im Sinne von Michel Foucault (1991 und 1992), der damit eine Formation von mehreren ‚Aussagen‘ bezeichnet hat, die ein bestimmtes Wissen produktiv hervorbringt und im Bezug zu Macht steht. Für eine ausführliche und differenzierte Diskussion von Foucaults Diskurstheorie im Hinblick auf deren Handhabbarkeit für kulturwissenschaftliche Analysen, die zwar kohärente Strukturen in diskursiven Formationen rekonstruieren, dabei aber Singularitäten, Diskontinuitäten und Ereignishaftigkeiten nicht per se ausschließen, s. Christine Hanke (2010). 14 Im Feld der Kunst wurde dieser nationalistische Diskurs in der Debatte um Hans Haackes Entwurf für den Lichthof des für den Bundestag umfunktionierten Reichstaggebäudes deutlich, s. dazu den Sammelband von Michael Diers und Kasper König (2000). 15 Die genannten unterschiedlichen ‚Bewegungen‘ sind nicht alle als in sich homogen und einheitlich zu verstehen, jede Bewegung bestand aus unterschiedlichen Untergruppierungen, beinhaltete verschiedene Meinungen und Vorgehensweisen. Als ‚Bewegung‘ lassen sie sich beschreiben, weil sie eine gemeinsame ‚grobe‘ Zielrichtung und Interessenlage hatten.

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ihrem „Wunsch, einem normalen politischen Kollektiv anzugehören“ (Wenk und Eschebach 2002: 14), kritisch artikulierten. Eingefordert wurde die Aufarbeitung von Faschismus und Antisemitismus, kritisiert wurden eine Rhetorik der Verleugnung und mangelnde Schuldeingeständnisse in der offiziellen Erinnerungspolitik.16 Während diese Punkte von kritischen Wissenschaften unterstützt und bis heute aufgenommen werden, sind andere Proteste aus der Zeit und ihre Fortwirkungen aktuell nicht nur in der Wissenschaft nahezu vergessen. Niels Seibert hat unter dem Titel „Vergessene Proteste. Internationalismus und Antirassismus“ diverse linke Aktivitäten von Mitte der 1960er bis Mitte der 1980er Jahre der BRD vorgestellt, die bislang nicht aufgearbeitet wurden (2008). Er kann darlegen, dass zahlreiche AktivistInnen der Studenten- und Internationalismusbewegung in der BRD sich in dieser Zeit zwar noch nicht explizit als ‚antirassistisch‘ verstanden, dass ihre Einstellungen und Aktivitäten sich aber rückblickend als solche beschreiben lassen. ‚Rassismus‘ wurde Seibert zufolge in politischen Diskus­ sionen entweder im historischen Kontext mit dem deutschen Faschismus und seiner Rassenideologie oder im internationalen aktuellen Kontext mit Kolonialismus und Apartheid verbunden, weniger mit der deutschen Ausländer- und Flüchtlingspolitik (2008: 13). Er zeigt auf, dass die vielfältigen Wirkmächtigkeiten von Rassismus zwar in der Linken unterschätzt, dass aber gerade durch den Austausch mit AktivistInnen aus Lateinamerika und Afrika die Widerstandsbewegungen in der BRD zunehmend dafür sensibilisiert wurden.17 Wissenschaftliche Disziplinen blieben von den internationalen Einsprüchen in kolonialistische Verhältnisse ebenfalls nicht unberührt. Vor allem in der Ethnologie – traditionell mit Repräsentationen des Anderen befasst – wurde schon in den 1970er Jahren davon gesprochen, in eine ‚Krise‘ gekommen zu sein. Verschiedene EthnologInnen (vor allem in den USA und Frankreich) befragten und diskutierten daraufhin ihre eigenen Voraussetzungen und Methoden.18 Nicht alle der hier nur skizzenhaft genannten Bewegungen fokussierten explizit auf nationale Selbstbilder und/oder kulturelle Differenz. Nora Räthzel hat dargelegt, dass die Abhängigkeit dieser beiden Konstruktionen in der Öffentlichkeit der BRD lange Zeit so gut wie gar nicht beachtet wurde (1997). Außerdem waren Bewegungen, die rassistische Verhältnisse in der bundesrepublikanischen Gesellschaft dezidiert ansprachen, besonders randständig. Wenngleich Rassismus in der

16 Artikuliert wurde eine solche Kritik beispielsweise von Alexander und Margarethe Mitscherlich in ihrem Buch

„Die Unfähigkeit zu trauern“ (1967). 17 Seibert zeigt auf, dass es diverse AktivistInnen in der BRD gab, die sich sowohl zur Auslandspolitik, aber auch zu Filmen über Afrika und Kolonial-Denkmälern kritisch artikulierten und die gute Verbindungen zu politischen Bewegungen anderer Länder (z.B. zu Dekolonisations- und Bürgerrechtsbewegungen) und zu transnationalen Organisationen hatten. 18 Auf die verschiedenen Effekte, die Diskussionen der Ethnologie auf die Kunst hatten, gehe ich an zwei Stellen meiner Arbeit konkreter ein: Mythologisierende Effekte thematisiere ich in dem Kapitel zum Primitivismus. Anregungen zur Reflexion über ethnologische Wissensproduktionen und die sogenannte ‚Krise der Ethnologie‘ diskutiere ich in dem Kapitel zu einer Arbeit von Lothar Baumgarten.

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BRD nur marginal Thema war, lässt sich konstatieren, dass in vielen der sich als alternativ verstehenden Bewegungen Artikulationen zu kulturell Anderen vorkamen und Aussagen über kulturelle Differenz gemacht wurden. Fast alle der genannten Bewegungen, aber auch dominante diskursive Formationen, haben Bilder und visuelle Repräsentationen hervorgebracht, in denen sich kulturelle Differenz als Sujet finden lässt. Die Gestaltungsmacht und Deutungshoheit von solchen Visualisierungen lag in unterschiedlichen ‚Händen‘, und die dabei entstandenen Bedeutungen waren nicht nur bewusst intendiert, zuweilen artikulierten sie auch Aussagen, die der eigentlich zu vermittelnden Botschaft widersprachen. Einige der Bilder, die aus den genannten Zusammenhängen kamen und in diesen zirkulierten, sorgten durchaus für eine ‚relative‘ Sichtbarkeit von marginalisierten kulturell Anderen und auch von rassistischen Verhältnissen. ‚Relativ‘ war diese Sichtbarkeit, insofern Bilder von Anderen nicht per se mit einem Zugewinn an Macht und Anerkennung gleichzusetzen sind. Bilder von kulturell Anderen können bestehende Macht- und Gewalt­verhältnisse auf der visuellen Ebene auch reproduzieren.19 Künstlerische Produktion lässt sich keiner dieser verschiedenen, sich überlagernden, zum Teil in sich widersprüchlichen und widerstreitenden Formationen und ihren Bildproduktionen einfach zuordnen. Einerseits stellen linksalternative und aktivistische Bewegungen in der Moderne einen Bezugspunkt für viele bildende KünstlerInnen dar. Der gegenseitige Einfluss zwischen diesen Bewegungen und den bildenden Künsten und ihr Verhältnis zueinander wurden bislang wenig in Betracht gezogen und möglicherweise auch unterschätzt.20 Andererseits sind die weißen ‚deutschen‘ KünstlerInnen auch in dominante Diskurse verwickelt. Ein Großteil des Kunstfeldes ist eingebunden in und bestimmt durch hegemoniale Institutionen und dominante Diskurse, bildende Kunst gilt als ‚Hochkultur‘ und ist als solche eben nicht per se widerständig. Während meiner Suche nach künstlerischen Verhandlungen von kultureller Differenz in der BRD wurde schnell offensichtlich, dass viele der künstlerischen Arbeiten nach 1968 entstanden sind und dass die meisten KünstlerInnen eine ‚Nähe‘ zu alternativen politisch-aktivistischen Bewegungen aufweisen oder zumindest behaupten. Die KünstlerInnen adaptierten Motive, aber auch ästhetische Strategien aus politisch-aktivistischen und subkulturellen Zusammenhängen und mischten sich mit künstlerischen Mitteln in die Debatten ein. So orientierte sich Beuys zum Beispiel an der Studentenbewegung, Vostell verwendete in seiner künstlerischen Praxis Bilder von Dekolonisationsbewegungen, Rosenbach ver­ortete sich aktiv im Feminismus usw. Wie bereits erwähnt haben vor allem feministische KunstwissenschaftlerInnen aufgezeigt, dass deutsche KünstlerInnen sich gerne als Marginalisierte darstellten und mit dem ‚Flair von Protestbewegungen‘

19 Zur Ambivalenz von Sichtbarkeit gerade auch von minorisierten Existenzweisen s. Johanna Schaffer (2008). 20 Zu den oft ignorierten Zusammenhängen von Kunstproduktionen und sozialen Bewegungen s. Jens Kastner

(2007: 9).

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Nach dem Primitivismus?

umgaben, dabei aber nicht unbedingt auch den kritisch-analytischen Anspruch erfüllten, den sie damit zuweilen versprachen. Die sich überlappenden, aber auch widerstreitenden verschiedenen diskursiven Formationen zum Thema ‚Deutschsein‘, die ich hier zusammen als diskursives Feld der BRD skizziert habe, stellen den Kontext dar, in dem ich künstlerische Arbeiten darauf hin befrage, was für Aus­ sagen sie über kulturelle Differenz machen, an welche Diskursformationen sie sich wie anschließen und einschreiben. Inwiefern sind sie an visuellen Politiken, 21 d.h. an der Produktion und Aufrechterhaltung von Identitäten und kulturellen Zugehörigkeiten und Differenzen beteiligt?

Postkoloniale Forschung in und zu der BRD Mit dem Terminus ‚postkolonial‘ bzw. ‚Postkolonialismus‘ ist eine politisch-theoretische Forschungsperspektive bezeichnet, die sich seit den späten 1970er Jahren von poltisch-aktivistischen Bewegungen und poststrukturalistischen Theorien ausgehend entwickelt und deren primäres Ziel die Kritik an kolonialistischen und rassistischen Machtverhältnissen und Ausschlussmechanismen in Geschichte und Gegenwart ist.22 Die ersten bekannt gewordenen TheoretikerInnen sind Schwarze und People of Color, die überwiegend in angloamerikanischen Ländern forschten und publizierten. 23 Seit den 1990er Jahren lässt sich davon sprechen, dass die Kritik von marginalisierten Subjekten an dominant-weißen ‚großen Erzählungen’ auch von der Dominanzkultur der BRD nicht länger ignoriert werden kann. Schmidt-Linsenhoff spricht von einem in der BRD relativ spät einsetzenden ‚postcolonial turn‘ (2002).24 Mittlerweile lässt sich mit diesem ‚turn‘ aber auch ein ‚postkolonialer Hype‘ ausmachen, in dessen Zusammenhang z.B. einzelne ­Begriffe unref lektiert verwendet und im Zuge eines neoliberalen Feierns von Differenzen Themen der postkolonialen Studien vereinnahmt werden. Machtverhältnisse geraten dabei allerdings aus dem Blickfeld.25 Stereotype Vorstellungen und damit

21 Visuelle Politiken sind nach Wenk nicht auf einen strategisch-intentionalen Einsatz zu reduzieren (2005).

Politisch sind sie insofern, als sie auf dem ‚Feld des Politischen‘ operieren, das Wenk mit Bezug auf Chantal Mouffe als jene Ebene beschreibt, „auf der stets mit dem Problem gekämpft wird, eine heile, nicht-antagonistische Gesellschaft zu repräsentieren“ (ebd.). 22 Für eine ausführliche Besprechung postkolonialer Theorien s. Castro Varela und Dhawan (2005). 23 Die bekanntesten TheoretikerInnen sind Edward Said (1978), Homi K. Bhabha (1994/2000) sowie Gayatri Chakravorty Spivak (1988). Zu den unterschiedlichen theoretischen Entwicklungen von postkolonialen und geschlechtertheoretischen Perspektiven und Politiken in den USA und in der BRD s. Sedef Gümen (1994). 24 Der bundesrepublikanische Kunstbetrieb reagierte auf die Einforderung einer veränderten Perspektive mit Ausstellungen, die bis dato ausgeschlossene migrantische und marginalisierte KünstlerInnen integrierten und zentrale Begriffe dieser neuen Theorien zumindest in den Titeln aufnahmen. Beispiele größerer Institutionen sind: „Kunstwelten im Dialog. Von Gauguin zur globalen Gegenwart“, Museum Ludwig Köln, 1999/2000; „Fremdkörper – Fremde Körper“, Hygiene Museum Dresden, 1999. Postkolonial orientiert waren vor allem auch die 11. und 12. documenta, Kassel, 2002 und 2007. 25 Kien Nghi Ha nimmt den Hype um ‚Hybridität‘ zum Anlass, den Bedeutungen, der Geschichte sowie aktuellen Umcodierungen und Aneignungen dieses Begriffs nachzugehen und zu problematisieren (2005).

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Forschungsperspektive

zusammenhängende Ausschlüsse werden in Ausstellungen, die sich ‚postkolonial‘ geben, mitunter vielmehr wiederholt als kritisch reflektiert.26 Solche Formen der Reaktualisierung von Kunst aus der Zeit vor 1990 in Ausstellungen steigerten meine Neugier, aber auch meine Skepsis: Inwiefern lassen sich künstlerische Arbeiten aus der BRD vor 1990 im Nachhinein wirklich als nicht rassistisch oder sogar als postkolonial beschreiben? Sind die Reaktualisierungen lediglich Versuche, die BRD und ihre KünstlerInnen nun ebenso in den postkolonialen Hype einzuschreiben? Paradox mutet an meiner Fragestellung vielleicht an, dass ich diese Reaktualisierungen kritisch betrachte, sie gleichzeitig aber auch mit reproduziere, indem ich Kunst aus der BRD vor 1990 aus ausschließlich weißer Perspektive analysiere. Ergebnis meiner Forschung soll nicht sein, dass nun weiße deutsche KünstlerInnen auch noch für postkoloniale Themen reklamiert werden können. Dargelegt werden soll, inwiefern sie mit einer machtkritischen Perspektive bereits mitgehen, eine solche selbst einnehmen oder inwiefern sie Machtstrukturen mit aufrechterhalten. Die Schwierigkeit, eine postkoloniale Perspektive in der Wissenschaft, aber auch der Kunst der BRD zu etablieren, ist bereits von einigen Theo­retikerInnen diskutiert worden.27 Die Leerstelle in der Forschung hinsichtlich kolonialistischer Rassismen in der deutschen Geschichte und Gegenwart ist nach 1990 mehrfach darauf zurückgeführt worden, dass sich ein Großteil kritischer akademischer Zusammenhänge auf Anti­semitismus fokussiert hätte (vgl. Bielefeld 1992, Räthzel 1997, Conrad und Randeria 2002). Eine solche Erklärung tendiert dazu, die ‚Blindheit‘ gegenüber Kolonialrassismen ausgerechnet derjenigen Forschung vorzuwerfen, die machtkritische Analysen von Differenzkonstruktionen durchgeführt hat. Überschätzt wird mit diesem Vorwurf außerdem die Bereitschaft zur Aufarbeitung des Genozids an den Juden im Nationalsozialismus in der bundesdeutschen Öffentlichkeit, wie Astrid Messerschmidt eingewendet hat (2008), ganz zu schweigen von der Aufarbeitung der Morde an Sinti und Roma, Homosexuellen und Kommunisten. Insgesamt kann eine Verweigerung ausgemacht werden, den weiter existierenden eigenen Rassismus und Antisemitismus zu reflektieren und als Alltagswissen kritisch anzuerkennen. Eine Rhetorik der ‚Entschuldung‘ ist von der Antisemitismusforschung und in Diskussionen um die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus bereits mehrfach aufgezeigt und kritisiert worden, die Zurückweisung von Rassismus gegenüber Schwarzen, Migranten, People of Color usw. scheint damit nicht bloß einherzugehen, sondern sich noch zu potenzieren. Der Begriff der ‚Rasse‘ und damit zusammenhängend Rassismus galt

26 Zum Beispiel wenn Beuys’ Kojoten-Aktion als Kritik der ‚Indianerpolitik‘ der USA inszeniert wird (wie in der Ausstellung „I like America. Fiktionen des Wilden Westens“ der Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2006). 27 Aber auch eine geschlechtertheoretische Perspektive, die eine dekonstruktivistische Sichtweise von Geschlecht und Sexualität einfordert und die für die vorliegende Arbeit ebenfalls grundlegend ist, ist in der deutschen Kunstund Wissenschaftslandschaft weiterhin randständig.

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vielen – wie bereits erwähnt – als einer abgeschlossenen Vergangenheit angehörig oder wurde als nur im Ausland vorhanden betrachtet. 28 So wurde der Begriff ­‚Rassismus‘ in den 1950er bis 1970er Jahren überwiegend mit den USA und ­Afrika, vor allem aber mit Südafrika in Verbindung gebracht.29 Nicht behauptet werden kann jedoch, dass es gar keine Auseinandersetzung mit Kolonialgeschichte und Kritiken an anderen Rassismen und Differenzkonstruktionen außer Antisemitismus gegeben hätte! Entnannt werden mit dieser verallgemeinernden Behauptung die Proteste von People of Color, Schwarzen, Migranten und – damit zusammenhängend – von widerständigen linken, aktivistischen und subkulturellen Bewegungen. Diese Widerstandsbewegungen hatten sich vor 1990 zwar selten als ‚antirassistisch‘ bezeichnet, können im Nachhinein aber als solche tituliert werden.30 Ob der Vorwurf der mangelnden Auseinandersetzung mit Kolonialgeschichte und (post-)kolonialistischen Verhältnissen auch für die Kunst uneingeschränkt gültig ist, will die vorliegende Arbeit ebenfalls zumindest ein Stück weit klären. Die Feststellung, dass es in der BRD „nur wenige koloniale Minderheiten“ gab, wodurch das ‚Kolonialismus­t hema‘ marginal blieb, wie Andreas Eckert und Albert Wirz es im Anschluss an Sara Friedrichsmeyer u.a. (1998) formulieren (2002: 375), darf nicht dazu führen, die Existenz und die Artikulationen von schwarzen Deutschen zu negieren.31 Erst in den letzten 20 Jahren sind die Proteste vor allem von AktivistInnen und WissenschaftlerInnen of Color ‚gehört worden‘, und so sind neben Antisemitismus auch verschiedene Formen von Rassismus (z.B. kolonialistische Rassismen, Antiislamismus, Antiziganismus) in die kritische Aufmerksamkeit einer bundesdeutschen Öffentlichkeit geraten und werden als historische, aktuelle und alltägliche Machtverhältnisse der BRD anerkannt und analysiert. Außerdem werden die Inter­ dependenzen zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus zunehmend herausgearbeitet (vgl. Gilman 1999, Steyerl und

28 Dass der Rassebegriff in der bundesdeutschen Biologie erst in den 1970er Jahren aus den Lehrbüchern

verschwand und einzelne Rassetheoretiker bis ins 21. Jahrhundert an einer biologistisch fundierten Auffassung öffentlich festhielten, hat Kerstin Palm dargelegt (2005). Solche Analysen wären auch für andere Disziplinen interessant und wichtig. Die weitgehende Tabuisierung des Begriffs und seine spezifische Verknüpfung mit biologistischen Annahmen führten auch dazu, dass eine Umcodierung dieses Terminus, wie sie beispielsweise mit dem Begriff ‚race‘ in den USA von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung vorgenommen und als politische Identitätsbezeichnung angeeignet wurde, in der BRD unmöglich war. 29 Das kann schon eine simple Literaturrecherche unter dem Schlagwort ‚Rassismus‘ nach Veröffentlichungen in der BRD vor 1990 deutlich machen. Zur Tabuisierung des Rassismusbegriffs s. ausführlich Heinz Müller (1997: 361). 30 S. dazu die bereits erwähnte Studie von Seibert (2008). 31 Gleichwohl leben in Deutschland im Vergleich zu anderen (ehemaligen) Kolonialmächten wenig Nachfahren von ehemals Kolonialisierten, weil die deutsche Kolonialpolitik diese nicht ins eigene Land holte, sondern sie als Arbeitskräfte in den Kolonien einsetzte oder ganze Gesellschaften zu ermorden versuchte (Eckert und Wirz 2002). Einer relativ kleinen schwarzen Community in der BRD entsprechen die Erfahrungen, die viele afro-deutsche Frauen artikulieren: sich mit ihrer Geschichte und Identität in Deutschland alleine zu fühlen (z.B. Oguntoye u.a. 1986: 9).

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Forschungsperspektive

Gutiérrez Rodríguez 2003, Steyerl 2003, Arndt 2005, Ha 2005, Walgenbach 2005, Rommelspacher 2009, Messerschmidt 2008).32 In der westdeutschen Kunstgeschichte hat, neben der oben bereits genannten Viktoria Schmidt-Linsenhoff (2003), Barbara Paul eine solche Perspektive, die Forschungen zur Geschichte des Nationalsozialismus mit postkolonialer Forschung verknüpft, aufgegriffen und auf die D ­ isziplin selbst gerichtet (2003). Paul zeigt auf, dass sich diese nach 1945 wieder um den weißen, männlichen und hetero­ sexuellen Künstler zentrierte, während gleichzeitig außereuropäische Kunstschaffende – zugunsten einer ‚schönen heilen Welt(ordnung)‘ – ausgeschlossen wurden. Ein solcher Ausschluss fiel hinter Diskussionen zurück, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts um eine Erweiterung des kunsthistorischen Kanons bereits geführt worden waren. Paul kann verdeutlichen, dass sowohl die Kolonial­ geschichte als auch die nationalsozialistische Vergangenheit die Disziplin Kunstgeschichte prägten. Sie plädiert daher für eine weitere Verknüpfung von post­ kolonialer Forschung mit Analysen der Geschichte des Nationalsozialismus und des Antisemitismus. Diesen Impuls möchte ich mit der vorliegenden Publikation aufnehmen. ­Bezogen auf meinen Forschungsgegenstand lassen sich zwar nur wenige künstlerische Verhandlungen ausmachen, die einen expliziten Zusammenhang mit der ­NS-Geschichte herstellen (s. die Arbeit von Olaf Metzel), meine These ist aber, dass in verschiedenen Arbeiten implizit auf diese Bezug genommen wird und sich ähnliche Muster und Strategien in der Verhandlung von kultureller Differenz und der Erinnerungskultur an den nationalsozialistischen Genozid und die nationalsozialistische Kunstpolitik ausmachen lassen.33

‚Kulturelle Differenz‘ nach Homi K. Bhabha Repräsentationen von kultureller Differenz, wie sie beispielsweise in Kunstwerken zu sehen gegeben werden, sind innerhalb einer postkolonialen Perspektive nicht

32 Hannah Arendt hatte 1955 die umstrittene These aufgestellt, dass der Hererokrieg 1904 die Praxis des

Völkermords und die Einrichtung von Konzentrationslagern vorweggenommen habe (1955), s. dazu Sebastian Conrad und Chalini Randeria (2002: 40). Arendt hat damit schon früh die beiden Machtregime selbst in Verbindung gesetzt. Inwiefern postkoloniale Forschungen bezüglich Deutschland die Geschichte des Nationalsozialismus und ihre Nachwirkungen miteinbeziehen müssen, ist eine weitere zu klärende Frage. Als eine der ersten haben Hito Steyerl und Encarnación Gutiérrez Rodríguez zur Debatte gestellt, inwiefern sich die postkoloniale Theorie auf den deutschen Kontext anwenden lässt (2003). Steyerl plädiert für einen Ansatz, in dem die Analyse von Biopolitiken, d.h. von Macht- und Wissenssystemen, die ‚Lebensprozesse‘ kontrollieren und regulieren, ins Zentrum gestellt werden (2003). 33 Eine breit angelegte kulturwissenschaftliche sowie postkolonial- und gender-queer-theoretische Analyse zu kulturellen Konstruktionen von Ethnizität, kultureller Differenz und ‚race‘ in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945, die ähnlichen Fragen wie die vorliegende Arbeit nachgeht, hat Kathrin Sieg vorgenommen (2002). Unter dem Titel „Ethnic drag“ versammelt die US-amerikanische Theaterwissenschaftlerin verschiedene Fallanalysen, in denen sie die spezifische Konzeption von ‚race‘ in der BRD aufzeigt. Die Studien von Sieg sind für mein Vorhaben inspirierend und ermutigend gewesen (vgl. insbesondere das Kapitel zu Beuys).

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vorschnell als Widerspiegelungen von vorgegebenen ethnischen oder kulturellen Merkmalen zu verstehen, sondern als Prozesse der Signifikation und Markierung, die Differenzen zwischen Eigenem und Anderen herstellen und, um gültig zu bleiben, stets wiederholt werden müssen (Bhabha 2000: insbesondere 3f und 51f). Ein solcher Ansatz bedeutet nicht, die Realität der Menschen, die als Andere bezeichnet und klassifiziert werden, zu negieren. Es bedeutet auch nicht, dass Unterschiede zwischen Kulturen im Sinne eines simplifizierenden Kulturrelativismus geleugnet werden. Bhabha hat als einer der ersten Kulturwissenschaftler aus semiologisch-psychoanalytischer Perspektive ein Konzept ‚kultureller Differenz‘ formuliert, das sich gegen Vorstellungen von reinen kulturellen Existenzen wandte (2000). Kulturelle Differenzen erläutert er als Unterschiede zwischen verschiedenen und sich überschneidenden Zeichensystemen und denkt darin gleichzeitig die Ausschluss- und Abgrenzungsmechanismen westlicher Identitäts­ vorstellungen mit. Bhabhas Theorien beziehen sich vor allem auf die moderne europäische Kolonialgeschichte, in der sich westliche Subjekte als unmarkierte und überlegene Norm setzten und davon ausgehend ein Anderes entwarfen und hervorbrachten. Er legt dieser Vorstellung von kultureller Differenz das psychoanalytische Schema psychischer Identitätsbildung von Jacques Lacan (1966/86) zugrunde (Bhabha 2000: 113f). Repräsentationen von Anderen dienen demzufolge der Rechtfertigung des Ausschlusses des Anderen und sind gleichzeitig aber auch Teil der Konstitution des Eigenen selbst. Eine ‚unmittelbare‘, ‚wahre‘ Wahrnehmung oder Wiedergabe eines Anderen als Entität ist innerhalb von Bhabhas Ansatz daher prinzipiell unmöglich. Das Andere existiert immer nur in Relation zum, als Teil vom und aus der Perspektive des Eigenen. Bhabha erläutert diese Unmöglichkeit mit dem Konzept der différance im Anschluss an Jacques Derrida (ebd.: 54). Er erklärt, dass „der Akt des kulturellen Ausdrucks […] von der différance des Schreibens überkreuzt wird“ (ebd.). Verwiesen ist damit auf eine dekonstruktivistische, semiologische Annahme, die besagt, dass jede Bezeichnungspraxis strukturell auf Differenz­ setzungen baut und immer auch verschoben, nie mit dem Bezeichneten identisch, sondern stets beweglich ist. Es heißt mitzudenken, dass die produzierte Bedeutung nie einfach mimetisch und transparent, sondern immer performativ hergestellt und als solche nicht endgültig fixiert ist.34

34 Zum Konzept der differánce s. Derrida (2004). Ein Aufeinandertreffen von Foucaults Diskursanalyse mit

dem Dekonstruktivismus nach Derrida hat Hanke diskutiert (2010). Zwei Aspekte macht sie in Foucaults Schriften aus, die auch für die Fragen meiner Arbeit impulsgebend sind: den der Macht, wonach der Diskurs in erster Linie als kontrollierender begriffen werden kann, und den, der sich auf die symbolische Ordnung bezieht und in dem das ‚Wuchern‘ und ‚Rauschen‘ des Diskurses virulent wird. Bezüglich Letzterem bringt sie Derridas Konzept der Differenz/différance mit ein und folgert, dass „diskursive Produktivität als differentieller – oder besser: différantieller – Prozess zu begreifen [ist], in dem eindeutige Wahrheiten, Bedeutungen und Sinn konstitutiv unterlaufen und durchkreuzt werden“ [Hervorh. C.H.] (2010: 35). Bezogen auf die Hervorbringung von ‚kultureller Differenz‘ gilt es daher, sowohl den Mechanismen der Macht und Kontrolle als auch den unabschließbaren Sinnproduktionen und dem „Gleiten der Signifikanten“ (ebd.) nachzugehen. „Diskurse bringen Machteffekte hervor, unterlaufen und durchkreuzen sie jedoch gleichzeitig“ (ebd.).

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Forschungsperspektive

Postkoloniale Theorien entwerfen nach Bhabha ein Konzept kultureller Differenz, das Kulturen und ihre Unterschiede in nicht essentialisierter Form denkbar macht. Gleichzeitig werden die Herstellungs­prozesse von kultureller und vor allem hierarchisierter kultureller Differenz analy­sierbar, indem sie als Verhältnissetzung verstanden werden. Zumindest in der europäischen Tradition ist sie eine, in der sich das weiße Selbst als überlegen entwirft und gegenüber einem als unterlegen konstruierten nicht weißen Anderen abgrenzt und seine eigene Identitäts­ konstruktion auf diesem gleichzeitig auf baut. Aus einer postkolonialen Perspektive geht es daher auch nicht darum, zu fragen, inwiefern Repräsentationen von kultureller Differenz ‚falsch‘ wären, sondern wie genau sie kulturelle Differenz dar- und somit auch herstellen. Insofern kulturelle Differenz immer eine Verhältnissetzung zum Eigenen ist, die ein Anderes nur in Bezug auf ein Eigenes denken kann, muss vor allem diese Verhältnis­setzung betrachtet werden. Für die vorliegende Arbeit heißt das konkret, dass sie analysiert, wie sich weiße KünstlerInnen und das von ihnen adressierte weiße Publikum ins Verhältnis zu denen, die als Andere markiert werden, setzen. Der Frage nachzugehen, wie kulturelle Differenz in der Kunst der BRD verhandelt wird, heißt, die Ver­ änderbarkeit von hegemonialen Konstruktionen ernst zu nehmen, danach zu fragen, wo die Konstitutionen von Differenz entgleiten, d.h., wo sie sich (evtl. auch ohne dass es intendiert gewesen wäre) gegen Machtverhältnisse wenden, sowie über nicht diskriminierende und nicht rassistische Repräsentationen nachzudenken. Bhabha verwendet den Begriff der ‚Verhandlungen‘ an dem Punkt, an dem er über die Frage einer ‚linken Politik‘ nachdenkt und sich gegen eine auf Prinzipien beharrende Politik wendet (2000: 43). Während es in seinen Ausführungen in erster Linie um subversive Möglichkeiten subalterner Subjekte und Bewegungen geht, gehören zu meinem Forschungsprojekt wesentlich Fragen danach, inwiefern auch in kulturellen Produktionen vom Ort weißer hegemonialer Positionen (hier: von weißen KünstlerInnen) Brüche vorkommen, die Machtverhältnisse kritisieren oder fragwürdig werden lassen, ohne die eigene Privilegiertheit aus dem Blick zu verlieren.

Repräsentationen des Anderen als Eigenes analysieren – Das Eigene als Anderes darstellen Die hier zu analysierenden Repräsentationen von kultureller Differenz sagen wenig über ihre Objekte – kulturell Andere und deren Kulturen – aus, sondern geben vielmehr Aufschluss über ihre ‚Konstrukteure‘. In diesem Sinne sind sie ‚ref lexiv‘, wie ich es eingangs mit Morrison (1994) erläutert habe. Nach einem ‚postkolonialen Hype‘ und einer Fokussierung vieler weißer, westlicher ForscherInnen auf die kulturellen Produktionen von bis dato ausgeschlossenen und als ‚anders‘ markierten Subjekten ist diese Perspektive der postkolonialen Studien unter den Begriffen ‚Weißseinsforschung‘ und ‚Okzidentalismuskritik‘ erneut

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Nach dem Primitivismus?

eingefordert und betont worden. Kritische Weißseinsforschung plädiert für ein Sichtbarmachen und kritisches Ref lektieren von Weißsein als unhinterfragter Normsetzung.35 Die Okzidentalismuskritik schlägt in verwandter Weise vor, den Blick auf die eigene, weiße Wissenskonstituierung zu richten. Sie bezieht sich u.a. auf Fernando Coronil, der ähnlich wie Morrison dafür plädiert, nach Repräsentationen von ‚Andersheit‘ in Beziehung zu den impliziten Konstruktionen des Selbst zu fragen, und der den ­relationalen Charakter dieser Repräsentationen hervorhebt (Coronil 2002: 184).36 Eine solche Perspektive, die den dargestellten Anderen als eigentlich Eigenes analysiert, hat erstmals Edward Said mit seiner berühmten und als Schlüsselkonzept postkolonialer Studien geltenden Analyse vom euro­päischen Orientalismus vorgenommen (Said 1978).37 Mit einer an Michel Foucaults Diskursanalyse angelehnten Methode legte er die Mechanismen binärer Grenzziehungen und Ausschlussverfahren in europäischen Wissensproduktionen über ‚den Orient‘ dar und zeigte auf, wie ein orientalisches Anderes zur Konstituierung eines europäischen Selbst entworfen wurde. Den Orientalismus analysierte er als Konzept, das die koloniale Herrschaft nicht einfach nur rationalisierte, sondern erst ermöglichte (1978: 39). Analog zur Freud’schen Traumdeutung fragte Said nach einem manifesten und einem latenten Orientalismus. Er versuchte, mit dieser Unterscheidung nicht nur die offen dargelegten, intentionalen Erkenntnisse zu erfassen (manifester Orientalismus), sondern unter Bezug auf psychoanalytische Erklärungsmodelle auch die nicht intentionale, unbewusste „Tiefenstruktur des Orientalismus, die politische Positionierung und den Willen zur Macht“ (Castro Varela und Dhawan 2005: 45). Said kommt am Ende seiner Studie zu dem Schluss, dass die Gewalt gegen den Orient vorwiegend in dessen abwertender Darstellung als negativem Gegenbild zum Okzident lag. Der Andere wurde ihm zufolge als das gänzlich Andere und Fremde dargestellt. Kritisiert wurde an Saids Studie jedoch, dass er trotz der an Foucault und Freud orientierten Methode nicht auf die ‚Ambivalenzen‘ des orientalistischen Diskurses eingegangen ist (vgl. Bhabha 2000: 106). Seine Analysen würden einer binären Konstruktion zwischen Eigenem und Anderem zu sehr verhaftet bleiben und die der Repräsentation des Anderen inhärenten Widersprüchlichkeiten so erneut in eine Richtung festschreiben (2000: 107). 38

35 Zu kritischer Weißseinsforschung s. Richard Dyer (1997), Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy

Piesche und Susan Arndt (2005), Hanna Hacker (2005), Eske Wollrad (2005) und für eine pointierte Zusammenfassung der Forschung im deutschsprachigen Raum Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr (2008). 36 Für eine ausführliche Diskussion und Weiterführung von Coronils Forschungskonzept für eine Okzidentalismuskritik s. Gabriele Dietze, Claudia Brunner und Edith Wenzel (2009). 37 Für eine Zusammenfassung von Saids Orientalismus-Forschung und der kontroversen Debatte um diese s. Castro Varela und Dhawan (2005: 29ff) und in der kunstwissenschaftlichen Forschung Förschler (2010). 38 Spätere Forschungen konnten dagegen zeigen, dass die Diskriminierung vielmehr in der Struktur und Ordnung des Feldes der Repräsentation selbst liegt und orientalistische Repräsentationen wesentlich ambivalenter sind. So zeigte beispielsweise Thomas Scheffler mit einer kunsthistorischen Diskursanalyse von sogenannter romantischer Orientmalerei, dass das vom Orient gemalte Bild ambivalent ist und nicht nur einen Entwurf des binären Anderen darstellt (1995).

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Forschungsperspektive

Anders als Said es vom Orientalismus behauptet, scheint es, dass im Primitivismus des beginnenden 20. Jahrhunderts erst gar kein negatives Gegenbild vom Anderen ‚mehr‘ konstruiert wurde.39 Im Gegenteil: Die KünstlerInnen idealisierten insbesondere afrikanische und ozeanische Kulturen und Menschen und stellten sich als mit diesen besonders verbunden, als diesen selbst ‚nahe‘ und fast schon ‚identisch‘ mit ihnen dar. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden solche künstlerischen Positionierungen gegenüber dem Anderen insofern weitergeführt, als sich diverse Arbeiten ausmachen lassen, die zumindest auf den ersten Blick keine klare binäre Dichotomie zwischen Eigenem und Anderem artikulieren. Das ist der Fall, wenn beispielsweise Joseph Beuys be­hauptet, ein Schamane zu sein, wenn Rainer Fetting ein „Selbstporträt als I­ ndianer“ malt oder Ulrike Rosenbach ein Bild von sich mit solchen von kulturell differenten Frauen überblendet. Die verschiedenen Formen, in denen sich die KünstlerInnen selbst (das Eigene) als Andere darstellen, habe ich zunächst verallgemeinernd als ‚In-eins-Setzung‘ beschrieben. Benannt sind damit Darstellungen, in denen sich die KünstlerInnen an die gleiche ‚Position‘ wie die Anderen setzen, sich als Andere imaginieren. Wie sind solche Darstellungen aus machtkritischer Perspektive zu analysieren? Vor dem Hintergrund von diversen postkolonialen Forschungen, die verschiedene Formen von rassistischen Verhältnissetzungen analysiert haben, kann es weder darum gehen, in diesen künstlerischen In-eins-Setzungen mit kulturell Anderen vorschnell eine Kritik an tradierten Differenzkonstruktionen zu sehen, noch eine solche kategorisch aus­zuschließen.40 Für die Analyse davon, ob und wie vordergründig nicht binäre und vermeintlich ‚positive‘ Darstellungen kultureller Differenz hierarchisierte und diskriminierende Machtverhältnisse weiter tradieren oder in diese intervenieren, sind Bhabhas theoretische Ausführungen, in denen dieser Ambivalenz als zentrales Charakteristikum der Kon­struktion des Anderen beschreibt (2000), weiter hilfreich. Insbesondere Bhabhas Konzept des Stereotyps ist relevant für die Frage, wo trotz (oder: gerade aufgrund von) Ambivalenz Rassismus bestehen bleibt und wo rassistische Strukturen aufgezeigt und kritisiert werden.

39 Ich behaupte hier keine lineare Entwicklungsgeschichte von Kunst, die quasi automatisch zu einer

postkolonialen Positionierung führt, hinter die man nicht mehr zurück könnte. 40 Auch andere TheoretikerInnen haben die Konstruktion des Anderen als aus der Perspektive des Eigenen hergestellte Repräsentation beschrieben. Beispielsweise Julia Kristeva erläutert in „Fremde sind wir uns selbst“ aus psychoanalytischer Perspektive, wie eigenes Verdrängtes auf den/die Fremde/n projiziert und diese/r damit überhaupt erst hergestellt wird (1988/1990). In ihren Ausführungen dominieren Projektionen von verdrängten, negativen Aspekten, obwohl sie auch faszinierende hervorhebt. Kristeva entwirft die Utopie einer Gesellschaft ohne Fremde, die dadurch entsteht, dass jeder sich selbst als schon Fremder anerkennt. Dieser Fokus ist als Gedankenkonstrukt attraktiv und für Diskussionen um gesellschaftliche Möglichkeiten und Ausrichtungen hilfreich. Von der gesellschaftlichen Realität meines Analysegegenstandes ist er aber noch zu weit entfernt, als dass er mir für die Analysen hilfreich sein kann. Aus einer kulturwissenschaftlichen und -analytischen Perspektive halte ich die Anerkennung der Differenz des Anderen, ohne deren Festschreibung und Dichotomisierung, für notwendig, um bestehende Diskriminierungen und Ungleichheiten kritisieren und verändern zu können.

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Nach dem Primitivismus?

Während im DUDEN der Begriff des Stereotyps schlicht als Vorurteil und Klischee definiert ist (1997), erläutert Bhabha diesen als vielschichtige Konzeption, die Teil des Prozesses der Subjektivierung (sowohl der Kolonisatoren als auch der Kolonisierten) ist. Die Funktion des Stereotyps41 innerhalb dieses Prozesses bestimmt er unter Rückgriff auf das psychoanalytische Konzept des Fetischismus (Bhabha 200: 109ff).42 Wie der Fetisch in Bezug auf sexuelle Differenz in psychoanalytischer Theorie bietet das Stereotyp in Bezug auf kulturelle Differenz die Möglichkeit, die Differenz anzuerkennen und gleichzeitig zu verleugnen. Diese Ambi­valenz hebt Bhabha hervor, so schreibt er: „Der Fetisch – oder das Stereotyp – gewährt den Zugang zu einer ‚Identität‘, die ebenso sehr auf Herrschaft und Lust wie auf Angst und Abwehr basiert; in seinergleichzeitigen Anerkennung und Ableugnung der Differenz stellt er eine Form von multiplem und widersprüchlichem Glauben dar“ (Bhabha 2000: 110). Mit Bhabha lässt sich argumentieren, dass das Stereotyp nicht allein deswegen rassistisch und machtvoll ist, weil der Andere als Gegenbild dargestellt wird, und umgekehrt auch nicht per se nicht rassistisch ist, weil es den Anderen als besser oder sogar als Eigenes imaginiert. Gewaltvoll und machtvoll ist es vielmehr, weil die rassistische Signifikation den Anderen feststellt, d.h. auf bestimmte Eigenschaften oder auf einen bestimmten Status, eine bestimmte Position reduziert und fixiert. „Denn das Stereotyp verhindert die Zirkulation und Artikulation des Signifikanten ‚Rasse‘ außer in Form seiner Festgestelltheit als Rassismus. Wir wissen immer schon, dass Schwarze zügellos sind, Asiaten doppelzüngig …“ [Hervorh. H.B.] (Bhabha 2000: 112). Festgeschrieben oder fixiert ist er als vermeintlich identifizierbares und scheinbar wissensfähiges Objekt. Um diese Fixiertheit aufrechtzuerhalten, muss das Stereotyp stets neu wiederholt werden. In dieser Notwendigkeit der Wiederholung des Stereotyps sieht Bhabha Möglichkeiten, subversiv in stereotype Konstruktionen zu intervenieren. Subversive Praktiken von Subalternen sind Bhabhas Forschungsfokus.43 Bezüglich des Forschungsgegenstandes der vorliegenden Arbeit ist zu diskutieren, inwiefern die von den weißen deutschen KünstlerInnen vorgenommenen Verhandlungen kul-

41 Bhabha differenziert zwischen einer strukturellen und einer funktionalen Verbindung von Stereotyp und

Fetisch (ebd.: 110), was ich hier vernachlässige. 42 Der Begriff des ‚Fetisch/Fetischismus‘ stammt aus der europäischen Religionskritik und wandelte sich in der Zeit des Kolonialismus zu einer verallgemeinernden Kategorie für Kulturpraktiken von sog. ‚Naturvölkern‘, die im Gegensatz zu eigenen abgewertet wurden. Im späten 19. Jahrhundert wurde er von Theoretikern wie Karl Marx und Sigmund Freud auch für europäische Phänomene verwendet, die sie in Analogie zu außereuropäischen Kulturpraktiken stellten. Bhabha wiederum hat aus einer schwarzen, postkolonialen Perspektive das psychoanalytische Konzept des Fetischismus aufgenommen, um damit rassistische Machtverhältnisse zu kritisieren – dieser Verwendungsweise schließe ich mich hier an. Für eine kritische Begriffsgeschichte s. Jan Dunzendorfer (2011). 43 Mit Möglichkeiten von visuellen Repräsentationen marginalisierter Subjekte haben sich Johanna Schaffer (2008) und Kerstin Brandes (2010) intensiv auseinandergesetzt.

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Forschungsperspektive

tureller Differenz Möglichkeiten eröffnen, von einer weißen Position aus nicht rassistische und postkoloniale Positionen44 zu beziehen.

Methodische Ansätze Meinem Forschungsprojekt liegt die Annahme zugrunde, dass Kunst an der Hervorbringung eines Wissens über kulturelle Differenz beteiligt und in historisch gewordenen Machtverhältnissen situiert ist. Eine solche Annahme bedeutet, eine diskursanalytische Perspektive einzunehmen. Anstelle den ‚Sinn‘ eines Kunstwerkes in der Autorität des Künstlers/der Künstlerin zu suchen, befragt eine solche diskursanalytische Vorgehensweise die künstlerischen Arbeiten auf Bedeutungsproduktionen, die immer auch kontextabhängig sind. Die einzelnen künstlerischen Arbeiten habe ich innerhalb des Kontextes BRD verortet, der nicht nur als ein territorialer oder geografischer Ort, sondern auch als ein von unterschiedlichen diskursiven Formationen durchzogenes Feld zu verstehen ist. Für die konkreten Lektüren der jeweiligen künstlerischen Arbeit, die auf die Frage fokussieren, welche Aussagen zu kultureller Differenz gemacht werden, habe ich mich auf methodische Ansätze der Ikonografie/Ikonologie, der poststrukturalistischen Semiotik und der Mythenforschung gestützt, die ich im Folgenden kurz skizziere. Erwin Panofsky hat mit der Ikonologie eine kunstwissenschaftliche Methode konzipiert, die Kunst als immer schon in gesellschaftlichen Kontexten existierend und auf diese bezogen betrachtet (1979). Silke Wenk hat seine Methode mit der Frage nach Bildern von kultureller Differenz, genauer von MigrantInnen, zusammengebracht und mit Panofsky konstatiert, dass nichts außerhalb eines kulturell vermittelten bzw. vermittelnden Codes lesbar ist (2011: 13). Wenk zeigt allerdings auch auf, inwiefern Panofsky seine Eingebundenheit in ein bedeutungsproduzierendes System westlicher Provenienz selbst verkennt und er dadurch meint, eine ‚eigentliche‘ Bedeutung auszumachen. Wenk plädiert daher an Panofsky anknüpfend und gleichzeitig über diesen hinausgehend für eine semiologische Methode, die Zeichen konsequent als nicht natürliche, sondern historisch gewordene versteht und gerade auch diejenigen Zeichen analysiert, die sich als ‚natürliche‘ ausgeben. Semiologische Ansätze haben dargelegt, dass Zeichen nicht nur k ­ eine natürlichen, sondern auch keine feststehenden Entitäten sind, sondern als Elemente in historisch und sozial veränderlichen Verweisungssystemen existieren, die Signifi-

44 Der Begriff der künstlerischen Position ist mittlerweile eine gängige Formulierung im deutschsprachigen

Kunstbetrieb. Für eine Kritik an dieser Verwendung s. Tom Holert (2002). Position ist hier im diskursanalytischen Sinne gemeint und bezeichnet Orte, die ein Diskurs mit hervorbringt. Nur von diesem Ort, dieser Position aus macht der Diskurs Sinn. Ich frage in den einzelnen Kapiteln danach, welche Aussagen die Arbeiten über kulturelle Differenz machen, in welche Diskurse sie sich einschreiben und welche Position die KünstlerInnen und ihre Arbeiten damit beziehen. Zur Diskursanalyse s. Foucault (1991 und 1992), eine Erläuterung des Begriffs in Zusammenhang mit postkolonialen Perspektiven nimmt Hall vor (1994a: 149ff).

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Nach dem Primitivismus?

kanten und Signifikate miteinander verbinden (Bal/Bryson 1991).45 Zeichen, so lässt sich mit Wenk erläutern, gehen dabei nicht in einer einseitigen Zeichenfunktion auf, sondern sind durch ein System von Konnotationen als quasi ‚stillschweigende‘, sich einstellende Bedeutungen miteinander verbunden (1996: 6). Roland Barthes hat mit der von ihm entworfenen Mythenforschung ein Konzept entwickelt, mit dem die Produktionen von Bedeutungen auf mehreren Ebenen analysiert werden können (1964). Barthes verweist darauf, dass ein Zeichen, das aus einer arbiträren Verknüpfung von Signifikant und Signifikat besteht, auf einer weiteren Ebene mit anderen Zeichen verknüpft werden kann und so andere Bedeutungen hergestellt werden. Diese Bedeutungen zweiter Ordnung bezeichnet Barthes als Mythen. Mythen schreiben Dinge, Personen usw. Natürlichkeit zu und verleugnen deren historisches Ge­wordensein und die Funktionen in den jeweiligen Kontexten. Konkrete Geschichte wird dadurch ‚entnannt‘ (ebd.). Anknüpfend an diese A ­ nsätze nehme ich in der vorliegenden Arbeit Lektüren ausgewählter künstlerischer Projekte vor, die den Fragen nachgehen, welche Bedeutungen in den jeweiligen Kontexten und auf den unterschiedlichen Ebenen in den Arbeiten produziert werden, woher diese historisch gewordenen Bedeutungen stammen, mit welchen weiteren Bedeutungen sie sich verknüpfen, welche Mythen dabei entstehen und wie sich Bedeutungen verändern und umgeschrieben werden. Zu fragen ist dabei auch, welche verschiedenen Herstellungsbedingungen und Geschichte(n) darüber entnannt, aber welche auch thematisiert werden. Einer semiologischen, poststrukturalistischen Annahme zufolge kann es nicht nur ‚eine richtige‘ Lektüre von Bildern geben, sondern Kunst und generell Bilder bringen mehrere, manchmal auch entgegengesetzte Bedeutungen hervor. Dementsprechend erhebe ich hier nicht den Anspruch, die einzig richtige Lesweise vorgenommen zu haben. Im Gegensatz zu dem überwiegenden Anteil der kunsthistorischen Rezeption der analysierten Arbeiten konzentriere ich mich auf die Frage nach Machtverhältnissen. Als machtkritisch verstehe ich mein Forschungsprojekt dort, wo ich die historisch gewordenen und kontextabhängigen Bedeutungsproduktionen als beteiligt an der Hervorbringung eines Wissens (um kulturelle Differenz) und damit zusammenhängend auch von Machtverhältnissen ausmachen kann. Um dieses Wissen und seinen Anteil an der Produktion von Hierarchien oder aber auch ihrer kritischen Analyse anhand der Arbeiten diskutieren zu können, ziehe ich postkoloniale und feministische Theorien und Forschungen heran, die meiner Ansicht nach aufschlussreich für die erörterten Fragen sind – auch die Auswahl dieser Literatur ist letztlich meiner subjektiven und begrenzten Perspektive geschuldet.

45 Dass die Unmöglichkeit, Bedeutungen zu schließen, die Voraussetzung von Handlungsfähigkeit einschließt,

hat Susanne Lummerding diskutiert und theoretisiert (2005). Diese Annahme ist auch die Voraussetzung für meine Fragestellung nach Umcodierungen von kultureller Differenz in der Kunst.

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Forschungsperspektive

Die einzelnen Kapitel Das zweite Kapitel meiner Arbeit ist eine genealogische Skizze des Primi­tivismus, in dem ich die Anfang des 20. Jahrhunderts neu konfigurierten und meinem Analysematerial historisch vorgängigen Darstellungsweisen kultureller Differenz sowie deren theoretische Rezeption und die spe­zifischen künstlerischen Fortführungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darlege. Letzteres kann ich insbesondere an Arbeiten von Willi Baumeister, der Künstlergruppe SPUR, von Georg Baselitz und Michael Buthe aufzeigen.46 Es folgen sieben Kapitel mit Fallanalysen verschiedener Arbeiten von neun KünstlerInnen, die ich vor der historischen Folie des Primitivismus analysiere. Meine Auswahl künstlerischer Positionen und Arbeiten erhebt keinen Anspruch auf einen umfassenden Überblick von Verhandlungen kultureller Differenz in der BRD. Die Zusammenstellung ist der Versuch, die dominanten, das heißt hier die bekanntesten künstlerischen Arbeiten, die ein Wissen über kulturelle Differenz in der BRD vor 1990 (mit-)produzieren, aufzuführen und dabei die vielfältigen Aspekte, die die Arbeiten aufrufen sowie die verschiedenen künstlerischen Mittel/ Medien und Strategien, in denen diese verhandelt wurden, aufzufächern. Kapitel 3 ist die Lektüre einer Performance von Joseph Beuys, der als einer der bekanntesten deutschen Künstler der Nachkriegszeit gilt. Beuys gab sich in seiner künstlerischen Praxis bekanntermaßen mehrfach als ‚Schamane‘ aus, verstanden als ‚östliches Phänomen‘, und erhob gleichzeitig den Anspruch, ein moderner ‚Gesellschaftsreformer‘ zu sein. In seiner Performance „I like America und ­America likes me“, 1974 [Abb. 10 – 21], verbrachte er drei Tagen mit einem Kojoten in einer ­Galerie in New York, wodurch neben dem ‚Schamanen‘ auch Bilder von ‚Indianern‘ aufgerufen werden. Die Aktion ist immer wieder auch auf Beuys’ legendären Absturz als Stukaf lieger im Zweiten Weltkrieg und seine vermeintliche Rettung durch Tataren bezogen worden. Außerdem wurde die ­Kojoten-Aktion mit dem Genozid der indigenen Bevölkerung Amerikas und auch mit dem Genozid der Juden im Nationalsozialismus in Verbindung gebracht. In den letzten Jahren und während meiner Arbeit an diesem Thema ist Beuys’ Aktion durch den Film von Helmut Wietz mehrfach in Ausstellungen gezeigt und teilweise auch unter vermeintlich postkoloniale Vorzeichen gestellt worden. Das Kapitel 3 läuft daher am Ende auf die Frage hinaus, ob und inwiefern die Arbeit weniger eine ­postkoloniale Aussage artikuliert, sondern Teil der Selbstdarstellung eines deutschen männlichen Künstlers der Nachkriegszeit ist. Diskutiert wird, inwiefern dem deutschen Publikum eine neo-kolonialistische Projek­t ionsf läche eröffnet wird und für welche Bedürfnisse und Imaginationen sich diese anbietet.

46 Die künstlerischen Positionen, die ich im Kapitel zum Primitivismus diskutiere, lassen sich nicht trennscharf

von denen der folgenden Kapitel unterscheiden. Dass sich in fast allen Arbeiten Kontinuitäten und Fortsetzungen, aber auch Brüche und Diskontinuitäten des Primitivismus aufzeigen lassen, bestätigt meine These, dass der Primitivismus in der BRD sich besonders lange unkritisiert fortsetzen ließ.

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Nach dem Primitivismus?

Wolf Vostell ist ebenfalls ein bekannter deutscher Künstler, seine Arbeiten sind in den letzten Jahren allerdings seltener in Großaus­stellungen gezeigt worden. Vostell setzte sich in seiner künstlerischen Praxis vielfach mit der Darstellung von Kriegen und auch mit Dekolo­nisationsbewegungen (Vietnamkrieg, Anti-ApartheidBewegung in S ­ üdafrika usw.) auseinander. In seiner Collage „Miss America“, 1968 [Abb. 26], bearbeitete er die zur Ikone gewordene Fotografie des Fotografen Edward Adams, die eine Erschießung eines Vietcongs zeigt, und kombinierte sie mit dem Bild weißer Weiblichkeit, das für die USA steht. In seiner Arbeit „Die Fluxisten sind die Neger der Kunstgeschichte“, 1980 [Abb. 25], verwendet er eine Fotografie von demonstrierenden Schwarzen der Anti-Apartheid-Bewegung Südafrikas und bezeichnet die zu sehenden Aktivisten mit Namen von hauptsächlich europäischen männlichen Fluxus-Künstlern. Im Zentrum beider Analysen steht in Kapitel 4 die Diskussion der konkreten Formen von Vostells Verhältnissetzungen von kulturell Anderem und Eigenem. In der erstgenannten Arbeit ist diese Setzung vor allem geschlechtlich aufgeladen, während sie in der zweiten Arbeit als vereinnahmende Geste, aber gleichzeitig auch als Reflexion über Blickverhältnisse und widerständige Strategien beschrieben werden kann. Lothar Baumgarten ist derjenige deutsche Künstler, der sich am frühesten und am häufigsten mit Diskursen über kulturelle Differenz beschäftigt hat und dies weiter tut. Er wandte sich mit seiner künstlerischen Praxis schon früh dezidiert ethnologischen Strategien und Methoden zu. In seiner Arbeit „unsettled objects“, 1968 [Abb. 31 – 44], werden Aufnahmen aus einem ethnologischen Museum zu sehen gegeben und kommentiert. Neben einer Diskussion der spezifischen Form künstlerischer Institutionskritik in diesem Kunstwerk, die ich mit Bourdieu als ‚teilnehmende Objektivierung‘ beschreibe, diskutiere ich in Kapitel 5 außerdem, ob und inwiefern sich von Baumgartens Arbeit Ideen ableiten lassen, wie mit kulturellen Artefakten außereuropäischer Kulturen, die zahlreich in europäischen Museen und Archiven lagern, umgegangen werden kann. Die Künstlerin Ulrike Rosenbach ist als feministische Künstlerin bekannt geworden. Sie verwendet in ihrer Kunst ebenfalls Bilder, die Teil ethnologischer Wissensproduktionen sind. In ihrer Performance „Frauen­kultur – Kontaktversuch“ [Abb. 45 – 51] und in zwei weiteren Arbeiten einer Trilogie aus den Jahren 1977 und 1978 [Abb. 52 – 54, Abb. 55, 56] arbeitet sie mit ethnografischen Porträts von F ­ rauen unterschiedlichster Kulturen und kombiniert diese mit dem Bild einer palästinensischen Terroristin, mit europäischen Madonnenfiguren und mit einer Video­kamera. Welche Versprechungen Rosenbach in den verwendeten Bildern aus einer feministischen Perspektive sucht, ob sie diese findet und wie sie ihre eigene Suche verhandelt, ist Thema von Kapitel 6. Sigmar Polke hat Collagen erstellt, in denen das intertextuelle Bildgefüge aus Kunst, Massenmedien und Bildproduktionen kritisch befragt wird und die unter anderem Ästhetiken aus alternativen aktivistischen und subkulturellen Zusammenhängen zitieren. Vor allem in drei seiner Arbeiten geht es auch um kulturelle Differenz. Das Gemälde „Neger­plastik“, 1968 [Abb. 57], eine Collage aus der Zeit-

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Forschungsperspektive

schrift „Day by Day … They Take Some Brain Away“, 1975 [Abb. 60], und die Tafel mit dem schlichten Titel „Neu-Guinea“ aus der Serie „Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen“, 1976 [Abb. 61], bearbeiten verschiedene Signifikationen von kultureller Differenz. Inwiefern diese Arbeiten Stellung zu (klein-)bürgerlichen Fantasien beziehen, ist Thema von Kapitel 7. Die KünstlerInnen der Neuen Wilden lassen schon mit ihrer Bezeichnung ‚primitive‘ Andere assoziieren. In ihrer Malerei, mit der sie in den 1980er Jahren als ‚deutsche Kunst‘/‚deutsche Künstler‘ gefeiert wurden, finden sich verschiedene Referenzen auf kulturelle Differenz. Rainer Fetting porträtiert sich selbst als ­‚Indianer‘ [Abb. 63], während er gleichzeitig eine ‚homosexuelle Ästhetik‘ mit produziert. Elvira Bach stellt sich selbstbewusst als Schwarze [Abb. 68] oder in sexueller Intimität mit einem schwarzen Mann dar [Abb. 72]. Walter Dahn malte mit seinem Kollegen Jirˇí Dokoupil eine Serie mit dem Titel „Afrika-Bilder“, 1983 [Abb. 76, 77], und kurze Zeit später auch ein Karikatur-ähnliches „Selbstporträt als chinesischer Afrikaner“, 1984 [Abb. 79]. Alle drei KünstlerInnen erheben auf unterschiedliche Weise Anspruch, mit ihren Arbeiten ‚emanzipativ‘ zu sein. Inwiefern sie diese Absicht auch hinsichtlich kultureller Differenz einlösen, welche Aussagen die Arbeiten machen und welche Funktionen sie eventuell erfüllen, diskutiere ich in drei Unterkapiteln von Kapitel 8. Thema von Kapitel 9 ist eine Arbeit von Olaf Metzel. Metzel ist einer der wenigen Künstler, der sich mit kultureller Differenz im eigenen Land und im Hinblick auf MigrantInnen auseinandergesetzt hat. In seiner Aktion „Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB“, 1982, entstand ein Relief mit einem überdimensionalen Hakenkreuz, von dem eine mittlerweile mehrfach reproduzierte Fotografie existiert [Abb. 80]. Während auch in anderen Arbeiten die Frage nach Verknüpfungen zum Nationalsozialismus gestellt wird, ist sie in Metzels Arbeit überdeutlich. Ob sie eine ‚platte Attitüde‘ ist oder welche Aussage und Funktion sie sonst erfüllt, ist hier zentral. Überlegungen dazu, inwiefern sich zwischen den einzelnen Arbeiten Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Strategien, Motiven und Mustern ausmachen lassen, formuliere ich in einem Schlusskapitel.

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2. Primitivismus in Deutschland – eine genealogische Skizze Als der Kolonialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte und zahlreiche Objekte und Fotografien aus den Kolonien nach Europa gelangten, interessierten sich viele europäische Künstler 1 für die als ‚primitiv‘ geltenden Anderen und ihre Artefakte. Letztlich war ein Großteil der europäischen Kunst, die um die Jahrhundertwende aus der Motivation heraus entstand, mit gesellschaftlichen Konventionen und ästhetischen Normen zu brechen, das Ergebnis einer einseitigen und projektiven Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen. Im Kontext des Kolonialismus wurden im Kunstfeld spezifische Vorstel­lungen von kultureller Differenz produziert, die bis heute eine enorme Wirkmächtigkeit haben.2 In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Verwicklungen der sogenannten ‚modernen Kunst‘ in den Kolonialismus (endlich) mehrfach benannt und kritisch beforscht worden. Auf Basis dieser Forschungen skizziere ich in diesem Kapitel die Genealogie des künstlerischen Primitivismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und seine kunsthistorischen sowie künstlerischen Rezeptionen in der Bundes­republik Deutschland.3 Ich stelle diese Skizze (mit der einer Skizze e­ igentümlichen Un­ genauigkeiten und subjektiven Betonungen) meinen Analysen voran, weil ich die

1 Ich verwende in diesem Kapitel die grammatikalisch männliche Form des Begriffs ‚Künstler‘, weil es nach meiner Einschätzung insbesondere männliche Künstler waren, die einen Primitivismus hervorbrachten und mit ihrer Kunst Erfolg hatten. Auch Marianna Torgovnick konstatiert, dass es vor allem das männliche Subjekt war, das den ‚Primitiven‘ zur eigenen Konstitution brauchte (1990). 2 Wie sehr die moderne westliche Gesellschaft von der Konstruktion des ‚Primitiven‘ geprägt ist, hat Torgovnick dargelegt (1990). 3 Foucault hat die Analyse von Verbindungen von Macht und Wissen in diskursiven Formationen und ihren Transformationen als Genealogie bezeichnet (Foucault 1991).

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Nach dem Primitivismus?

Erfahrung gemacht habe, dass kolonialistische Strukturen der deutschen Kulturgeschichte (noch) nicht zum kanonisierten Wissen gehören. Ihre Kenntnis ist jedoch insofern für das Verständnis meines Buches wichtig, als der Primitivismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die historische Folie darstellt, vor der ich in den folgenden Kapiteln diskutiere, wie künstlerische Arbeiten in der Zeit von 1960 bis 1990 kulturelle Differenz verhandeln. (Die LeserIn, die mit diesem ‚­frühen‘ ­Primitivismusdiskurs vertraut ist, kann das Kapitel ruhig überspringen.) Die vermeintlich ‚Primitiven‘, für die sich auch deutsche Künstler vor rund 100 Jahren begeisterten, wurden nicht zufällig vor allem in Gebieten lokalisiert, an denen ein koloniales Interesse bestand: Afrika und Ozeanien, aber auch in anderen außereuropäischen Ländern sowie in einem ungenau definierten ‚Osten‘.4 Die BewohnerInnen dieser Orte galten den Künstlern nicht als zu bekämpfende Feinde (obwohl zeitgleich deutsche Kolonisatoren äußerst brutal gegen die indigene ­Bevölkerung der Kolonien vorgingen), sondern als ‚natürlich‘, emotional, intuitiv und in diesen Eigenschaften sogar besser als die westliche, ‚­ moderne‘ Gesellschaft. Diese und weitere positiv gewendete Zuschreibungen nahmen vorhandene Stereotypisierungen auf und standen in der Tradition des Topos des ‚edlen Wilden‘, wie er seit Michel de Montaigne (im 16. Jahrhundert) und verstärkt in der Aufklärungsphilosophie proklamiert wurde. Die ‚edlen Wilden‘ wurden einerseits als ‚ursprünglich menschlich‘ und in dieser Hinsicht als gleich imaginiert, andererseits wurden sie als in der Entwicklung rückständig gegenüber dem europäischen Abendland angesehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird diese Konstruktion von Andersheit besonders virulent. Offensiver als vorher werden kulturell Andere nun als positive Gegenbilder zur eigenen Kultur betrachtet. Die ‚primitiven Anderen‘ galten nicht mehr so sehr als fremd, exotisch und fern, denn als durchaus ähnlich und ‚nah‘.5 Gleichzeitig wurde an der Vorstellung einer rassisierten, hierarchisierten Differenz festgehalten. Mit dem Begriff des ‚Primitivismus‘ bezeichne ich diesen spezifischen Bild-Wissen-Macht-Komplex, der sich vom Exotismus vor allem darin unterscheidet, dass der/die ‚exotische Andere‘ zwar auch ambivalent konzipiert und vordergründig durchaus ‚positiv‘ dargestellt wird, aber letztlich doch als gänzlich anders imaginiert und als solche/r letztlich abgewertet wird. Ein vermeintliches ‚Wissen‘ über ‚Primitive‘ wurde nicht nur von bildenden Künstlern, sondern auch durch verschiedene kulturelle Bereiche und wissenschaftliche Disziplinen hervorgebracht (Kunstgeschichte, Ethnologie, Kulturwissenschaften, Psychologie, Geschichte usw.). Die dabei produzierten Vorstellungen über

Stuart Hall hat darauf verwiesen, dass historisch immer wieder unklar war, wo die Konstruktion des ‚Westens‘ im Osten aufhört und wo der ‚Osten‘ geografisch zu verorten ist (1994: 138). 5 Das schreibt aus einer unkritischen Perspektive auch schon Robert Goldwater (1938: 264). Die Vorstellung einer besonderen Nähe zwischen Künstlern und ‚Primitiven‘ wurde durch die von der Psychoanalyse, vor allem von Sigmund Freud in „Totem und Tabu“ (1913) behaupteten Annahme einer ‚animistischen Sensibilität‘, die beiden zu eigen sei, weiter gestützt, s. dazu Eckhard Neumann (1986: 226) und Colin Rhodes (1994: 153ff). 4

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kulturelle Differenz entsprachen einer sich zeitgleich etablierenden und Rassismen vermeintlich belegenden evolutionstheoretischen Orientierung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde eine solche vor allem in der physischen Anthropologie, in Rassetheorien und in der Biologie westeuropäischer Länder ausgearbeitet.6 Die Evolutionstheorien waren in den genannten Disziplinen keineswegs einheitlich, und so lassen sich auch die künstlerischen Bezüge nur selten direkt auf einzelne Ansätze zurückführen. Vielmehr finden sich in den künstlerischen Arbeiten unterschiedliche Annahmen wieder, die aufgenommen, reproduziert, manchmal invertiert und umgearbeitet wurden. Die künstlerischen Konzeptionen vom kulturell Anderen, die dabei entstanden, unterstützen die in diesem Zusammenhang artikulierten rasse­t heoretischen Annahmen und die kolonialistischen Konstruktionen einer weißen Überlegenheit.

Analysen des Primitivismus Erstmals thematisiert wurde der Primitivismus innerhalb der Kunst­geschichte 1938 von dem US-amerikanischen Kunsthistoriker Robert Goldwater,7 bevor William Rubin, Direktor des Museum of Modern Art in New York, 1984 mit der großen Ausstellung „‘Primitivism’ in 20th Century Art“ und einem in viele Sprachen und auch ins Deutsche übersetzten Katalog den Begriff ‚Primitivismus‘ als kunst­ historischen Terminus etablierte. Kritisiert wurden Rubin und seine KollegInnen, weil sie den ‚Primitivismus‘ vor allem in formalen Ähnlichkeiten begründeten und die ideologische Einbindung in Kolonialismus und Rassismus fast gänzlich negierten. Das Ausstellungskonzept, das europäische Kunst der Jahrhundertwende zusammen mit ‚ethnografischen Objekten‘8 der letzten Jahrhunderte präsentierte, wurde als eurozentrisch und hierarchisierend analysiert und kritisiert (vgl. McEvilley 1984, Clifford 1985, Foster 1985 und Lippard 1990).9 Rubin und seine KollegInnen verwendeten den Begriff ‚Primitivismus‘ affirmativ, d.h., sie distanzierten sich nicht von den Auffassungen, die dem Primiti­ vismus zugrunde liegen. Erst nach bzw. mit den Kritiken an der Rubin’schen

Zum Verhältnis von Evolutionstheorie, Anthropologie und Naturwissenschaften s. Thomas Gondermann 2007. 7 Goldwater konstatierte bereits, dass die europäischen Künstler weniger konkrete Formen außereuropäischer Kulturen übernommen hätten, sondern ihnen die ‚primitive Kunst‘ eher als Anregung und als Anspielung diente (1938/1986: 21). 8 Mit der Begriffskombination ‚ethnologische Objekte‘ sind hier Objekte bezeichnet, die aus ihrem ursprünglichen Kontext entnommen und in das Werte- und Klassifkationssystem einer anderen Kultur als ‚Dinge‘ eingefügt wurden, wo sie wiederum als Stellvertreter ihrer Herkunftskultur fungieren. Für eine ausführliche Problematisierung des Begriffs s. Johannes Fabian (2002). 9 Jack Flam hat mit Miriam Deutch die wichtigsten Artikel der KritikerInnen, wie auch die von Rubin und Varnedoe, zusammen mit historischen Äußerungen zum Diskurs des künstlerischen Primitivismus in einem Sammelband veröffentlicht (2003). 6

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­ unstgeschichte entstanden Forschungen, die den ­‚Primitivismus‘ als Teil des K kolonialistischen Projekts analysierten und den Blick auf ‚Primitivismen‘ als rassistische Darstellungsweisen rich­teten (mit Fokus auf Deutschland: Lloyd 1991, N’guesssan 2002, Genge 2011, Nierhoff 2011; allgemein: Hiller 1991, Rhodes 1994). Im Anschluss an diese Forschungen verwende ich den Begriff des ‚Primitivismus‘ als Bezeichnung einer hegemonial weißen diskursiven Formation über kulturell Andere, die unter anderem über visuelle Repräsentationen ein Wissen hervorbringt, das es aus machtkritischer Perspektive zu kritisieren, zu analysieren und zu ­dekonstruieren gilt. Während eine eher konservative Kunstgeschichtsschreibung weiterhin diskutiert, welche konkreten ‚ethnografischen Objekte‘ die KünstlerInnen gekannt haben könnten und als formale Referenz nutzten, zeigen postkolonial perspektivierte Forschungen auf, dass vielmehr eine kolonialistische Kultur, zu der auch Varieté, Kabarett und Werbung usw. gehören (Lloyd 1991), sowie ethnologische und ­anthropologische Repräsentationen (Küster 2003, Kaufmann 2007, Weiss 2008, Genge 2009, Schmidt-Linsenhoff 2010) den künstlerischen Primitivismus beeinflussten. Die spezifische künstlerische und theoretische Rezeption primitivistischer Darstellungen in der BRD ist ebenfalls kritisch erforscht worden (Herding 1988, Grasskamp 1994, Schmidt-Linsenhoff 2003, Paul 2003, Leeb 2006). Rubin vertritt die These, dass nach dem Zweiten Weltkrieg der künstlerische Primitivismus mehr konzeptuell, d.h. stärker intellektuell ausgerichtet und auf Ideen über die vermeintlich ‚Primitiven‘ bezogen gewesen wäre (Rubin 1984: 18). Er grenzt diese Ausrichtung ab von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der sich KünstlerInnen primär formalästhetisch auf ‚primitive Kunst‘ bezogen hätten. Zumindest für die deutsche Variante des Primitivismus ist diese Unterscheidung wenig gewinnbringend. An Arbeiten der SPUR-Künstler, von Georg Baselitz und Michael Buthe lässt sich aufzeigen, dass primitivistische Motive und Darstellungsweisen weiter existierten. Des Weiteren kann auch bezüglich der deutschen Expressionisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt werden, inwiefern diese sich nicht lediglich formalästhetisch auf ‚primitive Kulturen‘ bezogen, sondern dass Vorstellungen über die ­Eigenschaften und das Leben der Anderen zentral in ihre künstlerische Praxis eingelassen waren.

Die Konstruktion des ‚Primitiven‘ Im 19. Jahrhunderts wurde mit dem Adjektiv ‚primitiv‘ noch europäische Kunst aus der Zeit vor der Renaissance bezeichnet. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden darunter auch Artefakte von sogenannten ‚Hochkulturen‘ subsumiert (als solche galten beispielsweise die Mayas, Japan und Indien). Erst zu Beginn des 20. Jahrhundert setzte sich ‚primitiv‘ als Bezeichnung für kulturelle Produktionen aus als ‚wenig entwickelt‘ geltenden zeitgenössischen Lokalkulturen sämtlicher außer­ europäischer Länder durch. Verwendet wurde der Begriff aber auch für gestaltete

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‚Dinge‘ früher europäischer oder ländlicher osteuropäischer Gesellschaften.10 Erstmals wurden die so signifizierten Objekte als ‚Kunst‘, wenn auch als ­‚primitive Kunst‘, identifiziert und rückten in den europäischen Blick.11 Die Kolonisatoren brachten aus den eroberten Gebieten zahlreiche Objekte und Repräsentationen von deren BewohnerInnen (z.B. Fotografien) mit nach Europa. Die meist unter physischer oder struktureller Gewaltanwendung angeeigneten ‚Trophäen‘ wurden in den gerade gegründeten Völkerkundemuseen, in Kunstausstellungen12 sowie in zahlreichen Bereichen der Alltagskultur, z.B. in Kneipen, in Schaufenstern, in der Werbung usw. zu sehen gegeben. Neben Objekten und anderen Repräsentationen wurden auch Kolonialisierte selbst in Europa ausgestellt, vor allem in sog. Völkerschauen, aber auch im Zirkus und im Kabarett. Ihr Weg auf diese ‚Bühnen‘ war meist ebenfalls gewaltvoll erzwungen. Die Blicke, mit denen die fremden Anderen und ihre ebenso fremden Objekte und Zeichen von den Europäern betrachtet wurden, waren zwar durchaus faszinierte, bewundernde und begehrende, aber gleichzeitig auch abwertende und hierarchisierende, denen neben Faszination und Lust auch Angst und Abwehr zugrunde lagen. Die Anderen und ihre Objekte wurden nach vorhandenen Deutungsmustern mit Bedeutungen und Zuschreibungen verknüpft, mit Projektionen aufgeladen und zugunsten einer angenommenen europäischen Überlegenheit als minderwertig deklassiert.13 Schon in der Bezeichnung der BewohnerInnen der Kolonien, ihrer Handlungen und Objekte als ‚primitiv‘ wird diese imperialistisch geprägte Wahrnehmung deutlich. ‚Primitiv‘ bedeutete 1897 nach Meyers Konversationslexikon „ursprünglich, uranfänglich, urzuständlich, das Gegenteil von kultiviert“.14 Mit der Jahrhundertwende wurden diese Eigenschaften in künstlerischen Zusammenhängen zu­ nehmend als erstrebenswerte gefeiert und gegen eine als zu stark rational wahr­ genommene industrialisierte ‚westliche‘ Welt gesetzt.15 Grundlegend für die Bezeichnung ‚primitiv‘ war ein dichotomes Modell, das unterschied zwischen den ‚Primitiven‘, die als unzivilisiert, einfach, ohne Tradition und intuitiv galten, und den (West-)Europäern, die sich dagegen als zivilisiert, differenziert, kultiviert und

10 Für eine ausführliche Historisierung des Konzepts ‚Primitive‘/‚primitiv‘ s. Colin Rhodes (1994: 13),

Paul Béchié N’guessan (2002: 22), Doris Kaufmann (2007). 11 Zur Aktualität der Konzeption von ‚primitiver Kunst‘, die in Abgrenzung zur europäischen Kunst abgewertet wird, s. die differenzierte Analyse von Price (1992), über die Abhängigkeit des europäischen Kunstkonzepts von dem Konzept ‚primitiver Kunst‘ schreibt Daniel Miller (1991). 12 Das Folkwang Museum Hagen, das der Kunstsammler und -mäzen Karl Ernst Osthaus für seine Kunstsammlung erbaut hatte, stellte nach seiner Eröffnung 1902 sogenannte ‚moderne Kunst‘ zusammen mit außereuropäischen Artefakten aus, s. dazu Jill Lloyd (1991: 8ff). Das Museum Folkwang in Essen, das den größten Teil von der Osthaus-Sammlung nach dessen Tod (1921) übernahm, führte diese Ausstellungspraxis fort. Die Ausstellung zur Neueröffnung des Essener Museums im Jahr 2010 rief diese Praxis relativ unkritisch wieder in (zweifelhafte) Erinnerung. 13 In der europäischen Kunstgeschichte werden die Auseinandersetzungen europäischer KünstlerInnen mit ethnografischen Objekten häufig als ‚Entdeckung‘ benannt. Eine solche Formulierung knüpft an kolonialistische Erzählweisen und Mythen von männlichen weißen ‚Entdeckern‘ an. 14 Eine kritische Analyse der Bedeutung des Begriffs hat Lann Hornscheidt vorgenommen (2004: 190). 15 Dass auch das deutsche Bürgertum eine Affinität zu solchen Einstellungen hatte, beschreibt Speitkamp (2005: hier insbesondere 141).

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rational verstanden. Europas Andere wurden in diesem Modell als Minderwertige konstruiert, während die Europäer sich selbst als Maßstab und als Höhepunkt einer angenommenen Entwicklungsgeschichte dachten. Einem evolutionistischen Weltbild entsprechend galten die Anderen als ohne Tradition und geschichtslos in einem frühen Stadium der menschlichen Entwicklung verharrend.16 Geografisch weit entfernte Gesellschaften wurden als zeitlich distanziert und gleichzeitig ahistorisch betrachtet (Hiller 1991: 87). Die Bezeichnung nicht europäischer ‚Völker‘ als ­‚primitiv‘ ist somit vor allem auch eine Dekulturalisierung gewesen, ihnen wurde eine ‚Kultur‘ im Sinne einer gewachsenen ‚großen Tradition‘ abgesprochen.17 Ihre Lebens- und Denkweisen sowie ihre Objekte wurden als ‚Natur‘, als organisch und einfach interpretiert. Gleichzeitig wurden ihre kulturellen Artefakte weniger als individuelle und originelle Arbeiten, denn als kulturellen Mustern folgend sowie immer gleichbleibend gedeutet.18 Diametral entgegengesetzt war das Konzept vom europäischen Künstler, der als ‚aus sich selbst heraus‘ kreativ agierend und daher als fortschrittlich galt. Die damit vorgenommene Konstruktion der ‚Primitiven‘ als ‚rückständig‘, als ‚Kinder der Menschheit‘ konnte so auch als Legitimation für den Kolonialismus und die gewaltvolle patriarchale Unterwerfung der Kolonialisierten fungieren.19

Das Verhältnis zum Anderen im Primitivismusdiskurs Der künstlerische Primitivismusdiskurs ging zwar nicht widerspruchsfrei und einseitig im Kolonialdiskurs auf, stellte aber auch keinen expliziten Gegenpol zu diesem dar. 20 Die außereuropäischen Anderen und ihre Kulturen waren eine ­Herausforderung für europäische Ordnungen, u.a. von Denkweisen und Darstellungskonventionen. Deutlich wird dies insofern, als ‚primitive Kunst‘ in theoretischen und künstlerisch-praktischen Auseinandersetzungen zu Ref lexionen und Debatten über den Begriff ‚Kunst‘, dessen Definition sowie über vorhandene ­Methoden der Analyse und Bewertung von Kunst führte (Kaufmann 2007). Die 16 Diesem Stadium wurden auch Kinder und sogenannte ‚Geisteskranke‘ zugeordnet. Neumann beschreibt,

dass die Parallelisierung psychotischer Kunst mit der Kunst der ‚Primitiven‘ und der Kinder nie eine wertfreie Analogie gewesen ist (1986: 225). 17 Sally Price bezeichnet die ‚westliche‘ Vorstellung von der eigenen Tradition als ‚große Tradition‘ (2001: 320). 18 Dieses Absprechen von Kreativität geht einher mit einer Anonymisierung der ProduzentInnen der sogenannten ‚primitiven Kunst‘, s. dazu und zu der Diskussion darüber in der Ethnologie Price (2001). Über den Zusammenhang zwischen der Präsentation ethnografischer Objekte in Ausstellungen und Kunstbüchern sowie der Nicht-Anerkennung von deren ErzeugerInnen als kreative Subjekte s. Viktoria Schmidt-Linsenhoff (2010). 19 Foster vergleicht den Primitivismus in der Kunst unter Bezug auf Claude Lévi-Strauss mit der Anthropologie (2003). Beide hätten eine kompensatorische Funktion für die westliche Moderne gehabt, nämlich das schlechte Gewissen aufgrund des Kolonialismus und der Gewalt gegenüber anderen Kulturen zu beruhigen. 20 So haben einige Künstler (z.B. Emil Nolde) zwar das brutale Vorgehen der Kolonisatoren kritisiert, die Vorstellung von einer Überlegenheit der eigenen Kultur und ‚Rasse‘ jedoch nicht infrage gestellt und sich teilweise sogar zur nationalsozialistischen Ideologie bekannt (auch dafür ist Emil Nolde beispielhaft). Kritische Analysen von Emil Noldes verschiedenen Artikulationen haben Jill Lloyd (1991: 161ff; 213ff), Denise Daum (2004) und Russel A. Berman (1993: 112) vorgenommen.

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veränderte Wertschätzung der ‚ethnografischen Objekte‘ als ‚primitive Kunst‘ ging auch einher mit einer Veränderung von ästhetischen Normen, wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts zur Debatte standen (Lloyd 1991: 4). Im Primitivismus wurden vielfältige Aussagen zu außereuropäischen Kunstund Kulturproduktionen, Denk- und Lebensweisen artikuliert, die verschiedene Konzepte von kultureller Differenz hervorbrachten und sich nicht vereinheitlichen lassen. Ein gemeinsamer Nenner war das Interesse an den kulturellen Artefakten außereuropäischer Kulturen, das sich wiederum aus einem Interesse an einem ‚Ursprung der Menschheit‘ speiste. Die wenigsten DiskursteilnehmerInnen waren dabei von einer politischen Solidarität zu den außereuropäischen ProduzentInnen der Objekte motiviert, ausgegangen wurde vielmehr von einer Art ‚innerer Wesensverwandtschaft‘ und von universellem Künstlertum. Die schriftlichen wie künstlerischen Artikulationen über die kulturell Anderen waren meist lediglich Invertierungen von einem dem Kolonialismus zuträglichen evolutionären Weltbild (Lloyd 1991: 47). Während in diesem Weltbild die den ‚Primitiven‘ zugeschriebenen Eigenschaften – ursprünglich, einfach, naiv, sexuell freizügig, lebendig und­ natürlich – eher negativ konnotiert waren (Lloyd 1991: 47ff), galten sie Anfang des 20. Jahrhunderts vielen KünstlerInnen als Alternative zu einer wahrgenommenen zunehmenden Rationalisierung und Industrialisierung der westlichen Welt. Dies führte zu veränderten künstlerischen Darstellungsweisen der Anderen unter ­Beibehaltung zentraler stereotyper Zuschreibungen. Mit der künstlerischen Bezugnahme auf das, was als ‚primitiv‘ galt, ergab sich auch eine Veränderung in der Verhältnissetzung zwischen Eigenem und Anderem. So wurden die ‚Primitiven‘ wesentlich offensiver als vorher nicht als ganz Andere, Fremde dargestellt, sondern sie galten zumindest partiell oder in grundlegenden Eigenschaften als den KünstlerInnen gleich oder wenigstens ähnlich. Viele der deutschen KünstlerInnen, vor allem die der Künstlervereinigung Die Brücke und des Blauen Reiters, verbanden die Hinwendung zur abstrakten, expressiven Kunst mit einer ‚Rückkehr‘ zu vermeintlich ursprünglichen Darstellungs-, aber auch Lebensformen. Geäußert wurde, zu einer nicht länger kulturell überformten ­K reativität, zu Unmittelbarkeit, unverfälschter Intuition und Authentizität ‚zurück‘kehren zu wollen, die man in den ‚Primitiven‘ bzw. in ihrem Leben und in ihren Objekten zu finden glaubte. Der künstlerische Primitivismusdiskurs bestand demzufolge nicht vordergründig in einem Imitieren und Kopieren von Erscheinungsweisen, Formen oder Kompositionsmustern von ‚ethnografischen Objekten‘ (vgl. Rubin 1984), sondern orientierte sich in erster Linie an einem imaginierten Konzept von ‚Primitivität‘. Die vorwiegend männlichen Künstler beriefen sich dabei auf eine ‚Verbindung‘ mit dem Anderen ‚im Geiste‘ und imaginierten sich selbst als Andere. Dass dieses Verleugnen von Differenz bei gleichzeitiger Betonung der hierarchisierten Unterschiede ein Charakteristikum des kolonialen Diskurses ist, lässt sich – wie in der Einleitung bereits erwähnt – mit Homi K. Bhabhas Konzept des Stereotyps darlegen (2000: 97ff). Bhabha hat die Funktion des Stereotyps im

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e­ uropäischen Kolonialismus unter Bezug auf Frantz Fanon und mit der Freud’schen Psychoanalyse als ­Phobie und Fetisch beschrieben (ebd.: 107), als Bewegung ­zwischen einer Anerkennung von Differenz und ihrer gleichzeitigen Leugnung (ebd.: 108). Er erläutert den Fetischismus als ein Spiel oder ein Hin- und Herschwanken zwischen der archaischen Affirmation von Ganzheit und Ähnlichkeit („alle Menschen haben einen Penis“) und der mit dem Fehlen und der Differenz verbundenen Angst („einige haben keinen Penis“). Übertragen auf das koloniale Stereotyp kann gefolgert werden, dass dieses zwischen der Annahme „Alle Menschen haben dieselbe Hautfarbe/Rasse/Kultur“ und der Erkenntnis „Nicht alle Menschen haben dieselbe Hautfarbe/Rasse/Kultur“ oszilliert (ebd.: 110). Über das Stereotyp als Fetischobjekt kann Differenz geleugnet werden, um die Bedrohung, die sie für das Subjekt (analog zur Kastrationsdrohung) darstellt, abzuwenden. Insbesondere die primitivistischen Darstellungen können demnach als FetischStereotype bezeichnet werden, über sie lässt sich die bedrohliche Differenz fixieren und verleugnen, während gleichzeitig an einer dichotomen V ­ orstellung von ‚­primitiv‘ versus ‚zivilisiert‘ festgehalten werden kann. 21 Dementsprechend verliert das ­Primitive seine Position in der Dichotomie nicht, wie Judith Elisabeth Weiss meint (2008: 15), sondern behält diese bei, nur – und das ist wesentlich – die Verleugnung der Differenz, die Behauptung, so zu sein ‚wie‘ die ‚Primitiven‘, wird hier offen­siver artikuliert als vorher.

Primitivismus in der Kunst der Brücke und des Blauen Reiters An Arbeiten und Schriften von deutschen Künstlern lässt sich darlegen, dass nicht nur die Formensprache, sondern auch die auf die ‚Primitiven‘ projizierten Lebensund Denkweisen von Interesse waren. 22 Wie zeitgleich verschiedenen WissenschaftlerInnen ging es auch vielen KünstlerInnen dabei um Auseinandersetzungen mit Traditionen und um Vorstellungen vom ‚allgemein Menschlichen‘. 23 In den künstlerischen und schriftlichen Artikulationen der Künstlervereinigung Die Brücke, die sich 1905 in Dresden gründete (und später in Berlin arbeitete), wird deutlich, wie stark nicht nur Darstellungskonventionen, sondern – damit verbunden – auch Lebensweisen zur Debatte standen. Jill Lloyd hat aufgezeigt, dass die BrückeKünstler vor allem ihre Darstellungsformen als ‚primitive‘ begriffen. Gerade der abstrahierende, vermeintlich spontane und skizzenhafte Stil der Brücke-Künstler 21 Einige Arbeiten der Künstlerin Hannah Höch, vor allem der Zyklus „Aus einem ethnographischen Museum“,

1924 – 34, entlarvten die Fetischfunktion von ‚ethnografischen Objekten‘ in europäischen Museen und anderen Formen des Zu-sehen-Gebens bereits in den 1920er Jahren (Schmidt-Linsenhoff 2010 und Barbara Paul 2011). S. zu Höch auch meine Ausführungen auf S. 277f. 22 Mit diesem Interesse folgten sie dem französischen Künstler Paul Gauguin, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts in die Karibik und nach Tahiti, aber auch in die Bretagne gereist war, um dort das ‚primitive Leben‘ zu finden. 23 Die Interessen am Primitiven in einer sich als transdisziplinär formierenden Kulturwissenschaft in Deutschland um die Jahrhundertwende hat Doris Kaufmann sehr differenziert analysiert (2007).

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galt als ‚Ausdruck‘ von ‚Primitivität‘. Aber auch in der Materialwahl und -behandlung wurde das Konzept von ‚Primitivität‘ umgesetzt, wie Monika Wagner ausgeführt hat (2001a). Materialschwere, großf lächige und gestische Malerei, pastoser Farbauftrag, i­ ntensive und schreiende Farbkontraste standen für die Verkörperung einer bewunderten ‚Primitivität‘, ‚Vitalität‘ und ‚Wildheit‘. Authentizität und direkter Ausdruck wurden in der groben Spur des Farbauftrags ebenso gesehen wie in der Überwindung des Materials im Holzschnitt 24 oder in der unmittelbaren Beziehung zwischen Künstler und Material, z.B. in der Bearbeitung von Holz in der Bildhauerei (Lloyd 1991: 67; Rhodes 1984: 117).25 So wie die vermeintlich ‚primitive‘ Darstellungsweise mehr imaginiertes Konzept als entlehnter oder imitierter Stil war, sind auch die Gemälde und Skulpturen, die Artefakte außereuropäischer Kulturen imitieren, z.B. figürliche Plastiken und Masken, ebenfalls nicht einfach nur formale Nachahmungen, z.B. „Stillleben mit Negerplastiken“, 1918 [Abb. 1], von Max Pechstein. Motivisch stehen Bilder von solchen Objekten in der Tradition der visuellen Aneignung und eines Besitzanzeigens. In der Praxis der Brücke-Künstler ging es außerdem um die Verhandlung von Seins- bzw. Lebensweisen und Entwürfen geschlechtlicher und s­ exueller Identitäten. Die Faszination an der Sexualität von ‚Primitiven‘ ging einher mit der tradierten Zuschreibung von freizügiger, zügelloser Sexualität. Diskurse über ‚Rasse‘ und Sexualität schoben sich dabei ineinander.26 Allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Die zugeschriebene freizügige Sexualität wurde nun offensiv positiv hervorgehoben und begehrt. Sexualität ist außerdem in zahlreichen Darstellungen von Akten in Landschaften thematisiert, wie sie viele Brücke-Künstler herstellten. Die zu sehen gegebene Nacktheit gilt in diesen Visualisierungen nicht nur als Zeichen von Sexualität, sondern damit verbunden auch als Zeichen für ‚Naturnähe‘ und ‚Freiheit‘ (beides entsprach auch dem Mythos vom ‚Deutschsein‘). Die um 1900 in verschiedenen Zusammenhängen als Befreiung von bürgerlichen Moralvorstellungen gefeierte Nacktheit (z.B. in der Reformbewegung) verbindet sich hier mit dem Stereotyp des nackten und sexuell aktiven ‚Wilden‘. Dabei kann in vielen Gemälden weder eine Rassisierung, Ethnizität noch Geschlecht eindeutig ausgemacht werden, z.B. in dem Gemälde „Mit Schilf werfende Badende“, 1909, von Ernst Ludwig Kirchner [Abb. 2]. Hier scheint es weniger um anthropologische Unterscheidungen zu gehen. Vielmehr signifizieren Darstellungen von nackten Menschen in der ‚freien Natur‘, wie sie sich auch in den Erzählungen über das Leben der BrückeKünstler an den Moritzburger Teichen in der Nähe von Dresden und auf Fehmarn

24 Wagner erläutert weiterhin, dass in der Debatte um den Holzschnitt Ursprungsmythen mit der Konstruktion

nationaler Identitäten amalgamierten. Die Herstellung von Primitivität, die sich durch ‚Rohheit‘ in der Darstellungsweise erzeugen ließ, wurde einerseits als Revitalisierung der Kunst verstanden, ließ aber gleichzeitig auch eine Revitalisierung nationaler Mythen wie germanischer Stärke und Kraft zu (2001a). 25 Ähnliche Bedeutungszuschreibungen an das Material finden sich in den 1960er Jahren auch in Aussagen über und von Henry Moore (Wenk 1996: 166ff). 26 Zur Geschichte der Zuschreibungen einer ‚zügellosen Sexualität‘ und zur Repräsentation von Sexualität über die Darstellung von Schwarzen s. bell hooks (1994: 81ff), Kobena Mercer (1994: 131ff) und Stuart Hall (2004: 108ff).

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finden, allgemein ‚Menschliches‘ und ‚Natürliches‘. Verhandelt wurden dabei auch geschlechtliche und sexuelle Identitätsschemata. Beispielsweise Erich Heckel stellte mehrfach nackte Männlichkeit dar, die homoerotische Assoziationen zulässt. Während Männlichkeitsbilder dabei teilweise verändert oder zumindest über tradierte Darstellungsweisen hinausgehend erweitert wurden, blieben Repräsentationen von Weiblichkeit konventionellen sexualisierten Darstellungsparametern verhaftet: So zum Beispiel in Bildern von Kirchner, in denen der Blick auf eine schlafende schwarze Frau freigegeben und diese als sexuell verfügbar präsentiert ist, wie in „Schlafende Milly (Liegendes Negermädchen)“, 1911 [Abb. 3]. In einigen Aktdarstellungen lassen sich anthropologische Darstellungsparameter und Zuschreibungen ausmachen. Visualisierungen von Frauen mit überproportional großem Gesäß beispielsweise sind angelehnt an Repräsentationen der sogenannten Hottentotten-Venus27 und signifizieren sexuelle Freizügigkeit (auch dafür ist das letztgenannte Gemälde exemplarisch).28 Geschlecht und Sexualität wurden von einigen deutschen KünstlerInnen aber auch anhand von Motiven, die ‚im Osten‘ verortet wurden, verhandelt, zum Beispiel in einer Grafik von Max Pechstein mit dem Titel „Russisches Ballett I“, 1912.29 Sexuell verfügbare Weiblichkeit und lüsterne, potente Männlichkeit wurden hier auf ‚die Russen‘ projiziert. Während der überwiegende Anteil von primitivistischen Darstellungen eher indirekt Bezug auf anthropologische und ethnografische ­Visualisierungsmodi nahm, finden sich auch Arbeiten, die stärker den Anspruch erheben, ‚wissenschaftlich‘ zu sein und dementsprechend vermeintlich wissenschaftliche Darstellungsparameter verwenden. Unter den Brücke-Künstlern waren es vor allem Max Pechstein und Emil Nolde, die während und nach ihren Reisen in die deutschen Kolonien Palau und Papua-Neuguinea Zeichnungen und G ­ emälde erstellten, die ethnografischen Typenbildnissen ähneln.30 Insgesamt lässt sich in den Arbeiten der Brücke-Künstler vor allem anhand der Motive sowie der Konnotationen der von ihnen angewandten Techniken die diskursive Hervorbringung des Konstrukts des ‚Primitiven‘ aufzeigen. In der Praxis der Künstler des Blauen Reiters (Wassily Kandinsky 31, August Macke, Franz Marc u.a.) artikulierte sich der Primitivismus dagegen auf andere Weise. Die Referenz auf ‚Primitive‘ wurde von der Münchner Künstlergruppierung stärker theoretisch 27 Zur Geschichte der sogenannten Hottentotten-Venus und ihrer Darstellungen s. Sander Gilman (1986) und

Kerstin Brandes (2013). 28 Rhodes verweist darauf, dass derartige anthropologische Signifikationen auch auf die Darstellungen eigener Körper bezogen wurden (1994: 65f). 29 Die Grafik ist Teil der Sammlung der Kunsthalle Bremen, abgebildet ist sie z.B. im Ausst.-Kat. 100 Jahre Brücke. Druckgrafiken, Zeichnungen und Gemälde aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen (2005: 62, Tafel 24). 30 Eine Analyse der Typenbildnissen ähnlichen Darstellungen von Nolde nimmt Daum vor (2004). 31 Wassily Kandinsky ist 1897 aus Russland nach Deutschland immigriert. Er wird von der hiesigen Kunstgeschichte gerne als ‚deutscher Künstler‘ vereinnahmt. Herausgestellt werden kann, dass er großen Einfluss auf die deutsche Kunstszene – hier vor allem die Münchener Szene – hatte. In München lebten mehrere aus Russland immigrierte KünstlerInnen, wie Marianne von Werefkin, Alexej Jawlensky und Igor Grabar. Durch die Kontakte zu diesen immigrierten KünstlerInnen ergab sich eine besondere ‚Nähe‘ Münchener KünstlerInnen zu russischer Kunst und ‚dem Osten‘. Die Darstellungen wurden deswegen allerdings nicht per se weniger stereotyp.

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begründet. Sie fassten die Bedeutung von ‚primitiv‘ breiter als ihre Kollegen aus Dresden bzw. Berlin. So sind in der als Almanach von Kandinsky und Marc ver­ öffentlichten programmatischen Publikation Der Blaue Reiter (1912) Abbildungen und Texte von französischen, deutschen und russischen Avantgarde-Künstlern mit ‚orientalischer‘ Kunst sowie mit mittelalterlicher und sogenannter ‚Volkskunst‘ (beispielsweise Glasmalerei) aus Europa, aber auch mit Kinderzeichnungen sowie Kunst aus Afrika und Ozeanien zusammengestellt. Colin Rhodes schreibt, dass über die Zusammenstellung von formal ähnlichen Objekten behauptet wurde, die Künstler, Kinder und die verschiedenen außer­ europäischen Kulturproduzenten seien „companions on the same spirituel journey“ (Rhodes 1994: 38). Kandinsky schreibt über die Beziehung zu den ‚Primitiven‘, dass es eine ‚Affinität‘ zur ‚inneren Wahrheit‘ zwischen ihm und den ‚Primitiven‘ geben würde, obwohl ihn auch eine unüberbrückbare Kluft von diesen trenne (Lloyd 1991: 85). So suchten die Künstler des Blauen Reiters nach einem ‚mythischen Ursprung‘ künstlerischer Kreativität, den sie den sogenannten ‚Primitiven‘ zuschrieben, die als gleich und doch verschieden theoretisiert und imaginiert wurden. Auch Objekte aus der eigenen europäischen Kulturgeschichte, z.B. mittelalterliche Kunst und Kunst der Prähistorie, galten als ‚primitiv‘. Dass die Annahme einer ‚ursprünglichen‘ Kreativität und Künstlerschaft mit Vorstellungen heldenhafter Männlichkeit einherging, hat die feministische Künstlermythenforschung gezeigt.32 Folgern ließe sich, dass über Vorstellungen von ‚natürlicher‘ Kreativität und die Analogisierung von Künstlertum und ‚primitiven Lebensweisen‘ auch hier (wie bei den Brücke-Künstlern) Männlichkeit verhandelt wurde.33 Ein figuratives Motiv aus dem Kreis des Blauen Reiters, über das Geschlecht, aber auch eine Nähe zur Natur dargestellt wurde (was sich wiederum in den Mythos der Deutschen als besonders ‚naturverbunden‘ integrieren ließ), war das des ‚Indianers‘. August Macke und Franz Marc bearbeiteten dieses Sujet mehrfach, so beispielsweise in Mackes Gemälden „Indianer auf Pferden“, 1911 [Abb. 4].34 Insgesamt kann konstatiert werden, dass im Primitivismusdiskurs der Kunst der ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts über eine spezifische Vorstellung von Eigenem und Anderem subjektkonstituierende Eigenschaften und Verhaltensweisen vor allem bezüglich des ­Sexes und Geschlechts verhandelt wurden. Dabei 32 Silke Wenk hat anhand von Kandinskys Publikation „Urquelle der Linien“ herausgearbeitet, dass die Linie

in der Rede Kandinskys den Signifikanten für das männlich definierte Künstlersubjekt bildet, „dessen von ‚innen‘ her wirkende ‚Kraft‘ nicht an physische Stärke, wohl aber an Männlichkeit und Autorität geknüpft ist“ (1989: 263). Führt man die Rede über die eigentliche Kraft hinter den Zeichen mit der Suche nach dem ‚mythischen Ursprung‘ von Kreativität, und damit mit der Rede über die Verwandtschaft zu den ‚Primitiven‘, eng, dann zeigt sich, dass die Suche nach dem Ursprung der Kreativität nicht nur den ‚Primitiven‘ zugeschrieben wird, sondern auch Teil der Konstruktion von Männlichkeit ist. 33 Claudia Bruns hat dargelegt, dass in ethnologischen Debatten Anfang des 20. Jahrhunderts in ähnlicher Weise Formen europäischer Männlichkeit über den Vergleich zu Männerbünden vermeintlich ‚primitiver‘ Gesellschaften als natürlich und ursprünglich zu bestätigen gesucht wurden (2008: 115ff). 34 Auf die spezifisch deutsche Variation des Indianer-Stereotyps, das vor allem in den Büchern Karl Mays vorkommt und im Nationalsozialismus weiter beliebt war, gehe ich in den Kapiteln zu Joseph Beuys’ KojotenAktion und zu Rainer Fettings „Selbstporträt als Indianer“ näher ein.

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Abb. 1. Max Pechstein Stillleben mit Negerplastiken 1918, Öl auf Leinwand, 67 × 90 cm

Abb. 2 Ernst Ludwig Kirchner Mit Schilf werfende Badende 1909, Farbholzschnitt, 20 × 29 cm

Abb. 3 Ernst Ludwig Kirchner Schlafende Milly (Liegendes Negermädchen) 1911, Öl auf Leinwand, 64 × 92 cm

Abb. 4 August Macke Indianer auf Pferden 1911, Öl auf Holz, 44 × 60 cm

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wurde kulturelle Differenz über das Fetisch-Stereotyp gleichzeitig verleugnet und anerkannt. An dieser Fetischfunktion lässt sich auch verdeutlichen, dass – wie Lloyd (1991) und Nana Badenberg (1999) herausgestellt haben – der Referenz auf ‚Primitive‘ ein Paradox zugrunde liegt: Einerseits wird auf Kulturen, die als ‚Kinder der Menschheit‘ gelten, für eine Legitimierung von ­abstrahierender Kunst zurückgegriffen und andererseits wird mit der eigenen künstlerischen Praktik der ­A nspruch erhoben, absolut ‚modern‘ zu sein. Auch wenn die Hinwendung der europäischen Künstler zum und die partielle Gleichsetzung von sich mit außer­ europäischen Anderen zu deren Anerkennung als Künstler zunächst – wenn auch nicht nachhaltig – beigetragen hat, so wird gleichzeitig deutlich, welche Stereo­ typisierungen in primitivistischer Kunst vorgenommen wurden, die ein hierarchisches Weltbild weiter stützten.

Vom Primitivismus zum Archaismus und Universalismus? Im Nationalsozialismus wurde der sogenannten ‚modernen Kunst‘ die Referenz auf ‚Primitive‘ zum Verhängnis. Sie wurde als ‚Negerkultur‘ verhöhnt und als ‚entartet‘ diffamiert.35 Bereits in den 1920er Jahren tritt in der Kunst die Bezugnahme auf außereuropäische Kulturen zugunsten einer Lokalisierung der ‚Ursprünge‘ von Kreativität in der europäischen Urgeschichte zurück (Leeb 2006: 151). Susanne Leeb hat am Beispiel des im Nationalsozialismus diffamierten Künstlers Willi Baumeister aufgezeigt, dass seit 1920, vor allem aber seit 1930 dessen Interesse an prähistorischen Bildwerken weiter in den Vordergrund trat (2006). In seinen künstlerischen wie theoretischen Arbeiten wird deutlich, dass der Bezug auf ‚ur-menschliche Kunst- und Formtriebe‘ zunehmend mit prähistorischen anstatt mit außereuropäischen Gesellschaften belegt wurde und so ein „moderner Archaismus“ entstand (ebd.: 156).36 Zwar finden sich Anfang der 1940er Jahre in einigen künstlerischen Arbeiten noch Referenzen auf Afrika, zum Beispiel trägt ein Gemälde von 1942 den Titel „Afrikanisch (Dahomey)“, die in dieser Zeit gemalten Varianten von Steingärten lassen sich aber eher auf archaische und damit zeitlich differente, geografisch jedoch nicht näher bestimmte Kulturen beziehen. Baumeister war auch einer der Künstler, mit denen der Kunstbetrieb nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft versuchte, möglichst schnell wieder an die internationalen künstlerischen Entwicklungen vor dem Krieg anzuknüpfen. Moderne, abstrakte Kunst war in der deutschen Bevölkerung durch die Kultur­politik

35 Der vom nationalsozialistischen Volksbildungsminister Thüringens Wilhelm Frick im April 1930 bewirkte

Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“ war der Ausgangspunkt für die Kampagne ‚Entartete Kunst‘. Für eine ausführliche Analyse der Diffamierung primitivistischer Kunst im NS s. Wegener (1983: 119ff). 36 In seiner Veröffentlichung „Das Unbekannte in der Kunst“ (1943/44 verfasst und 1947 veröffentlicht) kündigt sich die Verschiebung hin zu der Betonung eines Archaismus an. In dieser geht Baumeister von einem universalistischen Weltkunstansatz aus, den er mit kulturellen Objekten aus verschiedenen Zeiten und Völkern zu belegen und mit einem ‚urzeitlichen Kunsttrieb‘ zu fundieren versucht (Leeb 2006: 150).

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der Nazis in Verruf geraten und musste nach 1945 erst beworben werden. Gleichzeitig sahen viele PolitikerInnen und KulturmanagerInnen in ‚moderner Kunst‘ eine Möglichkeit, dem faschistischen Image Deutschlands entgegenzuwirken. Außerdem war sie als Gegenpol zu einem in der Sowjetzone verordneten und als ideologisch verbrämt geltenden Realismus einsetzbar. Der Bezug auf ‚Ur-menschliches‘, wie er schon vor 1945 von Künstlern wie Baumeister artikuliert wurde, bot sich in dieser Situation zur Rehabilitierung und Proklamierung von ‚moderner Kunst‘ als universell gültige an. Leeb erläutert, dass Baumeisters Anrufungen der ‚Urzeit‘ nach 1945 anscheinend eine höhere Legitimationskraft besaßen, als gleichgesinnte – oder außereuropä­ische – zeitgenössische KünstlerInnen. Mit der ­Begründung von Kunst in einem ‚urmenschlichen Formtrieb‘ konnte das Künstlerische aus jedem gesellschaftlichen Zusammenhang heraus­genommen und gleichzeitig als Menschlichkeit hypostasiert werden (Leeb 2006: 152f). 37 Die Attraktivität der Behauptung von abstrakten ­‚primitiven‘ Formen als allgemein menschlich bestand in der Möglichkeit, darüber einen Neubeginn auszurufen und gleichzeitig eine Überzeitlichkeit beanspruchen zu können. Eine universalistische Kunst konnte so als naturgegeben begründet werden (ebd.: 154). Viele von Baumeisters Bildern aus der Zeit nach 1945 tragen Fantasienamen wie zum Beispiel ­„Monturi mit Rot und Blau“, 1953, die auf vor- und frühgeschichtliche, archaische Bezeichnungen anspielen oder aber an außer­ europäische Zeichen und Orte erinnern. Einige referieren allerdings auch auf konkrete, wenn auch eher unbekannte geografische Orte, z.B. „Aru 2“, 1955.38 In dieser Form des Bezugs auf ‚Primitives‘ als zuallererst Archaisches, Natürliches und erst in zweiter Instanz Außereuropäisches wird der Diskurs des Primitivismus von einer Referenz auf räumlich Differentes auf eher zeitlich Differentes verschoben. Die meisten von Baumeisters etwas jüngeren Zeitgenossen (u.a. Emil Schuhmacher, K.R.H. Sonderborg), die als ‚deutscher Informel‘ zu­sammengefasst wurden, referierten wiederum weniger auf ‚archaische ­Kulturen‘ als auf ‚Urformen‘ in der Natur.39 Natur wurde nicht imitiert, sondern als künstlerisches Prinzip analog zum Informel selbst gesehen. Sowohl Baumeisters Bezug auf Archaisches als auch der des Informel auf Natur galten als unmittelbar und ursprünglich, in beiden artikuliert sich die Annahme von einer universellen Kunst. Ein universalistisches Kunstverständnis proklamierte auch die erste ­documenta, 1955, in Kassel. Ausgestellt waren Arbeiten von expressionistischen, westeuropäischen, vorwiegend männlichen Künstlern aus der Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs, unter ihnen die Brücke-Künstler und Mitglieder des Blauen Reiters sowie Baumeister (die KünstlerInnen des Informel wurden erst auf der zweiten documenta, 1959, gezeigt). Als Paten an die Seite gestellt wurden ihren Arbeiten

37 Baumeister erläutert dies in seinen theoretischen Argumentationen mit Begrifflichkeiten und Vorstellungen,

die für eine faschistische Kulturpolitik durchaus von Belang waren (Leeb 2006: 153f). 38 Die Aru-Inseln sind eine indonesische Inselgruppe. 39 Zu Unterschiedlichkeiten im Informel s. Wedewer (1985).

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kulturelle Artefakte aus Epochen vor der sogenannten Klassik, aber auch aus ­außereuropäischen Kulturen. Diese Objekte wurden jedoch nicht in die eigentliche Ausstellung aufgenommen, sondern empfingen die BesucherInnen als fotografische Reproduktionen auf Stellwänden gleich in der Eingangshalle des Fridericianums. Mit diesen über Fotografien anwesenden Paten wurde die Zeitlosigkeit abstrahierender Formen und die Universalität des Formenvokabulars der europäischen ‚modernen Kunst‘ behauptet. Walter Grasskamp hat die mit dieser kuratorischen Inszenierung vorgenommene Argumentation als „Antwort auf das Trauma“ bezeichnet (1994: 76), das mit der Ausstellung „Entartete Kunst“ verbunden war. Er konstatiert, dass „[d]er ­nationalsozialistischen Suggestion einer ­Kontinuität des Klassizismus […] mit der Behauptung einer Kontinuität des Archaischen begegnet [wurde]“ (Grasskamp 1994: 87). Grasskamp kritisiert, dass keine explizite Bearbeitung der problematischen Geschichte des Nationalsozialismus vorgenommen wurde. Vielmehr konzentrierten sich die Ausstellungsmacher darauf, die Kunst des frühen 20. Jahrhunderts als zeitlos gültige Gegenwartskunst zu präsentieren und damit dem möglichen Widerstand gegen sie zu begegnen. Das spezifisch Neue der künstlerischen Arbeiten des 20. Jahrhunderts wurde über den Bezug auf zeitlich und geografisch als different geltende Kulturen entnannt. ‚Moderne Kunst‘ wurde damit sowohl enthistorisiert als auch entpolitisiert (ebd.). Fortgeschrieben wurde eine Hierarchisierung von europäischer, als fortschrittlich gedachter Kunst über Objekte aus außereuropäischen Ländern, die über die Platzierung in der documentaAusstellung weder als Kunst galten, noch als im eigentlichen Sinne ‚modern‘. Ein weiteres zentrales Mittel der documenta 1 im Versuch, ‚moderner Kunst‘ zu Anerkennung zu verhelfen, waren laut Grasskamp Inszenierungstaktiken, die den Künstler individualisierten und als respektablen Bürger inthronisierten. So wurden am Eingang der documenta sowie im begleitenden Katalog einzelne der zuvor verfemten Künstler (z.B. Max Beckmann und Franz Marc) mit Porträtfotos und im Anzug abgebildet (ebd.: 80ff). Die Kunstgeschichte zentrierte sich erneut ausschließlich um einen männlichen, weißen, heterosexuellen Künstler, wie es Barbara Paul für den Großteil der Kunstgeschichtsschreibung nach 1945 in Deutschland herausgestellt hat (2003).40 Die Rehabilitierung ‚moderner Kunst‘ funktionierte insofern nicht nur über den Bezug auf und die Repräsentation von kulturell Anderen (um einen Universalismus in der Kunst zu belegen), sondern gleichzeitig war damit auch deren Ausschluss (sowie der Ausschluss von Frauen) als zeitgenössische künstlerische Subjekte verbunden. Die Expressionisten und vor allem die Beteiligten der Brücke avancierten in diesem Diskurs der gerade neu gegründeten BRD zu so etwas wie ‚Staatskünstlern‘ und zum ‚Aushängeschild‘ der Nation, wie es Christian Saehrendt jüngst in der

40 Paul beschreibt diese Zentrierung als Wunsch, eine schöne, heile Welt(ordnung) mit ‚westlichen‘

Hegemonialkulturen vermitteln zu wollen (Paul 2003).

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FAZ beschrieb (2005b). Der deutsche Kunsthistoriker Werner Haftmann erklärte den Künstler zum „geborenen Antifaschisten“ schlechthin und feierte „den Künstler der inneren Emigration“ (1986: 18). ‚Kunst‘ wurde von jeglicher Macht, Hierarchisierung und Politik freigesprochen und galt als autonomes Feld (Paul 2003), das primitivistische Menschenbild sowie künstlerische Aktivität generell avancierten zum Gegenbild des Faschismus par excellence. Der Expressionismus wurde als ‚Kunst der Freiheit‘ und des schöpferischen Individualismus proklamiert ­(Saehrendt 2005: 90). Dass der Primitivismus deutscher Künstlergruppen in der BRD von kritischen Analysen lange fast gänzlich ausgenommen war (und es im Ausstellungswesen weitestgehend immer noch ist),41 begründet sich u.a. in dieser Ausrichtung, in der die einst diffamierte expressionistische Kunst als unschuldig, ‚modern‘ sowie als nationales Kulturgut inszeniert wurde.

Primitivismus als Gegenposition zur nationalsozialistischen Kunst(politik) Ende der 1950er Jahre wurde eine Münchener Künstlervereinigung aktiv, die sich dezidiert als politische verstand und in deren Arbeiten kulturelle Differenz eine Rolle spielte: Die SPUR. Die SPUR war eine Gruppe von ausschließlich männlichen Künstlern, die sich in einem gesellschafts-politischen Klima gründete, in dem sich unter verschiedenen Kulturschaffenden Widerstand gegen die sogenannte Wirtschaftswunderzeit formierte. Erklärtes Ziel der SPUR war es, sich international mit anderen künstlerischen Bewegungen zu vernetzen; so stellten sie seit 1962 die deutsche Sektion der Situationistischen Internationalen. Nachdem das Informel nicht nur im Kunstbetrieb zur Mode geworden war, suchte die SPUR nach anderen gestalterischen Möglichkeiten. Angeregt durch die internationale Künstlergruppe CoBrA42 und vor allem durch den Dänen Asger Jorn, der über die Galerie von Otto van de Loo (München) einen engen Kontakt zur SPUR pf legte, sahen sie diese Möglichkeiten auch in den im Nationalsozialismus diffamierten Referenzen, darunter vermeintlich ‚primitive‘ Kulturen. In einem Interview, das einige Mitglieder und Freunde der Gruppe 1979 mit dem Kunsthistoriker Emil Kaufmann führten, äußerte der SPUR-Künstler Lothar

41 Beispielhaft dafür waren die Ausstellungen zum Jubiläumsjahr der Brücke 2005 (Saehrendt 2005b). Für eine

kritischere und differenziertere Betrachtung der Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen in der Kunst der Brücke s. den Katalog „Die Brücke und der Exotismus. Bilder des Anderen“ (2011), herausgegeben von Christoph Wagner und Ralph Melcher, der im Rahmen eines wissenschaftlichen Symposiums zu der Ausstellung „Die Brücke in der Südsee – Exotik der Farbe“ im Saarlandmuseum der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz in Saarbrücken veröffentlicht wurde sowie den Katalog „Ernst Ludwig Kirchner und die Kunst Kameruns“ (2008) zur gleichnamigen Ausstellung im Museum Rietberg Zürich und im Museum der Weltkulturen in Frankfurt am Main. 42 Die CoBrA war eine Gruppe von Künstlern und Künstlerinnen aus Dänemark, Belgien und den Niederlanden (der Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der jeweiligen Hauptstädte zusammen), die programmatisch erklärt hatten, sich auf die von der ehemaligen Besatzungsmacht verhöhnten Quellen zu berufen: auf Kunst von sogenannten ‚Geisteskranken‘, von Kindern und von außereuropäischen Kulturen.

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Fischer rückblickend: „Uns interessierte die Kunst der sogenannten Naturvölker, vor allem die Kunst der Südsee, die nordische Kunst, ja nicht einfach aus Neugier oder bloßem historischen Wissensdrang“ (1979: 19f). Sein Kollege Helmut Sturm ergänzt: „Wir sahen in diesen Formen der Kunst – ob zu Recht oder Unrecht, ist natürlich eine andere Frage – etwas zum Ausdruck gebracht, was uns selbst beschäftigte und bewegte. Wir merkten, dass da Erfahrungen verarbeitet und gebändigt waren, die bei uns durch die Not des Krieges und der Nachkriegszeit und durch das Informel, das dies nicht zu verdrängen suchte, aufgebrochen waren und uns nicht losließen“ (ebd.: 20). Im weiteren Verlauf fasst Kaufmann die Beweggründe zusammen und betont, dass es nicht nur darum ging, der Ruhe und Klarheit der klassischen Dynamik Expressivität entgegenzusetzen, sondern auch um die ­„Bewegtheit des Kosmos“, um „das vielfältige Ineinander der Welt“ (ebd.). Neben formalen und motivischen Anregungen thematisierten die SPUR-Künstler, ähnlich wie vielen Künstler der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, in der Auseinandersetzung mit dem kulturell Anderen also auch lebensweltliche Fragen und das Interesse an Emotionalem, Nicht-Rationalem. Darüber hinaus ist die Referenz auf das vermeintlich ‚Primitive‘ nach der Diffamierung abstrakter Kunst im Nationalsozialismus und der nationalsozialistischen Proklamierung eines klassischen Menschenbildes nun zusätzlich mit der Bedeutung von Widerständigkeit aufge­ laden. Zwar schwingt in den Aussagen der SPUR-Künstler die Annahme von etwas ‚allgemein Menschlichem‘ mit, deren Proklamation auf der documenta 1 zur ­Entpolitisierung ‚moderner Kunst‘ geführt hatte, von den SPUR-Künstlern wird diese Annahme jedoch mit einem explizit politischen Anspruch gerahmt und tritt in den Arbeiten hinter der Intention, sich auf ehemals diffamierte Referenzen zu beziehen, zurück. In Zeitschriften, Flugblättern, Manifesten und anderen Schriften formulierten sie immer wieder das ausdrückliche Ziel, sich mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinanderzusetzen. Diedrich Diederichsen schreibt, dass die SPUR-Mitglieder sich mit ihrem Anliegen und ihren Umsetzungen Anfang der 1960er Jahre in der BRD für ‚verfolgte Künstler‘ hielten und es in gewisser Weise auch waren (2008).43 Er ­attestiert ihnen, dabei nicht die Pose demonstrativ Leidender einzunehmen, sondern in dem Empfinden zu agieren, dass die Macht des ‚Normalen‘ so massiv sei, dass man ihnen gezielt schaden wolle (ebd.: 13). Dennoch sieht Diederichsen in der Praxis der SPUR „die U ­ nmöglichkeit, mit dem alten Gepäck der Avantgarde die ‚verwaltete Welt‘ zu attackieren, bei gleichzeitiger Weigerung, den romantisch-kämpferischen Begriff der Kunst ganz aufzugeben“ (ebd.: 23). Der fortgesetzte Bezug auf außereuropäische Andere in ihrer Kunst lässt sich ebenfalls als problematisches Festhalten an ‚altem – hier: primitivistischem – Gepäck‘ beschreiben.

43 Gegen die SPUR wurde wegen Gotteslästerung und Pornografie in dem 6. Heft der SPUR-Zeitschrift, August

1961, von der bayrischen Justiz ein Prozess angestrengt; die nach einer ersten spektakulären Verhandlung verhängten Gefängnisstrafen wurden in zweiter Instanz zur Bewährung ausgesetzt.

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Beispielhaft dafür ist das Gemälde „Wandernder Malanggan (Suche nach dem Ornament)“, 1963/64, von HP Zimmer [Abb. 5]. Das Bild ist mit einem Gewirr von organischen und wenigen geometrischen Formen überzogen. Schwarz, Weiß und Grautöne wechseln sich ab und werden nur vereinzelt von Primärfarben und einigen Mischfarben unterbrochen. Das Gemälde zitiert damit offensichtlich die kubis­ tische Ästhetik von Pablo Picasso und Fernand Léger. Nur der Bildaufbau ist w ­ eniger symmetrisch und geordnet angelegt als der seiner Vorbilder. Über den Titel wird die Darstellung mit Malanggan-Riten in Verbindung gebracht. ­Malanggan sind traditionelle Zeremonien in Neuirland (Insel im Bismarck Archipel, von 1855 bis 1899 deutsches ‚Schutzgebiet‘, bis 1914 deutsche Kolonie), die aus verschiedenen Handlungen und Prozessionen sowie kunstvoll geschnitzten und auffallend bunt bemalten Objekten (Masken, Pfähle, Skulpturen) bestehen. Eine der wenigen kunsthistorischen ­Besprechungen zu dem Gemälde erläutert, dass die SPURKünstler ­Objekte der Malanggan im Linden-Museum in Stuttgart ‚entdeckt‘ und formal adaptiert hätten (vgl. Czerny 2002: 34). Weder in der künstlerischen Arbeit selbst noch in ihrer kunsthistorischen Interpretation wird auf den kolonialen Kontext verwiesen, in dem die Objekte vermutlich nach Deutschland kamen. Stattdessen wird der in der Kunstgeschichte für den Primitivismus beliebte Entdeckertopos wiederholt. Das Gemälde ver­bindet mit den gewählten Formen und Farben ­Charakteristiken der bemalten Holzfiguren aus Neuirland mit solchen von zwei bedeutenden Vertretern der europäischen Malerei der Jahrhundertwende. In der Kombination von Elementen, die an Picasso und Léger erinnern, mit einem Ritus eines vermeintlichen ‚Naturvolks‘ wird die Vorbildfunktion von Letzterem für die europäischen Künstler relativ offensiv angezeigt (und zwar deutlicher als es im Primitivismus der ‚modernen Kunst‘ üblich war). Der Obertitel „Wandernder Malanggan“ bezieht sich vermutlich auf die zeremoniellen Prozessionen, in denen große Holzfiguren und -masken getragen wurden. Der Untertitel „Die Suche nach dem Ornament“ scheint eher das Anliegen der europäischen Künstler zu beschreiben. Das Ornamentale außereuropäischer Kulturen galt seit dem 19. Jahrhundert als bloße, bedeutungslose Form und diente um 1900 herum vielen europäischen Künstlern als Vorbild in der Erprobung von Abstraktion.44 Übersehen wurde, dass die außereuropäischen Referenzobjekte – so beispielsweise auch die MalangganKunst – in ein komplexes Zeichensystem eingebunden waren. Insofern dienen die außereuropäischen Objekte und Traditionen auch den SPUR-Künstlern eher als primitivistische Projektionsf läche, wodurch stereotype Zuschreibungen weiter

44 In einer drei Jahre zuvor entstandenen „Zeichnung für die SPUR-Ausstellung in Essen“, 1960, mit der Zimmer

das Agieren der SPUR auf einer amorphen Landkarte Europas zu positionieren versuchte (Bredekamp 2007: 91), wird das Ornament allerdings mit dem Namen Jackson Pollock zusammengebracht und (per Pfeil signifiziert) gegen die SPUR gerichtet. Horst Bredekamp beschreibt, dass das Ornament als Charakteristikum Pollocks galt, der von den SPUR-Künstlern radikal abgelehnt wurde. In der Zeichnung sind allerdings auch von anderen Künstlernamen ausgehend Pfeile gegen die SPUR gerichtet, die nicht, oder zumindest einige Jahre später nicht mehr, als antagonistische galten. Genauso kann und muss – meiner Meinung nach – auch das Ornament hier als positiv oder zumindest als im Fokus der Auseinandersetzung stehend gelesen werden.

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bestätigt werden, gleichwohl wird die ehemals diffamierte Referenz – hier sogar mit Namen angegeben – zumindest herausgestellt. Auch andere SPUR-Künstler erstellten Bilder, in denen sich primitivistische Motive und Strategien ausmachen lassen. Viele dieser Arbeiten nehmen Anregungen von außereuropäischen Artefakten auf und setzen sie gegen konventionelle Vorstellungen von Kunst. So werden ‚einfache‘ (im Sinne von ärmliche und reduzierte) Materialien und Darstellungsweisen verwendet oder auch ethnografische Artefakte dargestellt bzw. imitiert, beispielhaft für beides ist die Collage „Rumänisches Dorf“, 1974, von Prem [Abb. 6]. Die Referenz auf kulturelle Differenz der SPUR war demnach eindeutig von politischen Ansprüchen motiviert, sie entgegneten damit in erster Linie konservativen Kunstvorstellungen, wie sie von den Nazis nachhaltig artikuliert worden waren. Dabei blieben Arbeiten der SPUR trotzdem primitivistischen Darstellungsweisen und Ideen verhaftet, sie widersprachen der Annahme von einem universalistischen Formverständnis nicht und ließen koloniale Machtverhältnisse weiter ungenannt. Als sich in den 1960er Jahren viele KünstlerInnen weltweit der Konzeptkunst zuwandten, hielten einige absichtlich an einer expressiv-figurativen Malerei und Skulptur fest, darunter auch der deutsche Künstler Georg Baselitz. Wie seine deutschen Kollegen Anselm Kiefer, A.R. Penck45, Markus Lüpertz u.a. erhob auch er den Anspruch, via einer als expressiv geltenden Kunst „mit der deutschen Geschichte ins Reine zu kommen“ (Rosenthal zit. nach Damus 1995: 13). Die abstrahierte Figuration galt als Anknüpfen an eine abendländische Tradition, mit der er sich nicht nur gegen die nationalsozialistische Diffamierung von ‚moderner Kunst‘ wendete, sondern auch gegen die Art und Weise, wie im Nationalsozialismus figurative Malerei erstellt worden war.46 Baselitz’ künstlerische Praxis wird meist aufgrund seiner grob konstruierten Holzskulpturen als primitivistisch bezeichnet. Lynnee Cooke etwa sieht seinen Primitivismus in der „method of approach which is in fact more akin to a rough whittling in a vernacular idiom than to the skills employed on tribal artefacts“ (1991: 145). Sie konstatiert: „Baselitz thus construes primitivism in terms of the techniques displayed in three-dimensional image-making“ (ebd.: 146). In seiner Malerei finden sich jedoch auch Motive, die als Fortführung eines Primitivismus beschrieben werden können. Baselitz artikuliert selbst immer wieder sein großes Interesse für außereuropäische Artefakte, insbesondere für Skulpturen aus afrikanischen Ländern, die er seit Mitte der 1970er Jahre sammelt.47 Bezüglich seiner eigenen Kunst sind er und seine KritikerInnen aber darauf bedacht, diese von einer Referenz auf ‚Afrikanisches‘ zu distanzieren (vgl. Franzke 1987). Wenn allerdings

45 Auch in Pencks Malerei lassen sich primitivistische Darstellungen und Darstellungsweisen finden. 46 Das Verwenden von historisch belasteten, weil als ‚deutsch‘ geltenden Motiven, wie ‚Wald‘ oder ‚Adler‘,

wurde als Aufarbeitung verstanden, insofern man sich am verrufenen Gegenstand abarbeitete (Damus 1995: 13). 47 Baselitz plädiert seither für die Anerkennung der von ihm gesammelten afrikanischen Objekte als ‚Kunst‘ und stellt seine Sammlung öffentlich aus (s. die Katalog Baselitz 1985, Baselitz 2003).

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Abb. 5 HP Zimmer Wandernder Malanggan (Suche nach dem Ornament) 1963/64, Öl auf Leinwand, 200 × 250 cm

Abb. 6 Heimrad Prem Rumänisches Dorf 1974, Acryl auf Lederpappe, 70,5 × 95 cm

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seine Arbeiten und seine Sammlung zusammen ausgestellt werden, so z.B. in der Kunsthalle ­Bielefeld 1985, drängt sich ein Vergleich der Objekte und die Schluss­ folgerung einer ‚Ähnlichkeit‘ oder ‚Wesensverwandtschaft‘ zwischen dem deutschen Künstler und afrikanischen Kulturschaffenden auf. ‚Frei‘ gesprochen werden Baselitz’ Arbeiten aber nicht nur von einem Bezug auf afrikanische Skulpturen und andere Referenzen, sondern auch von Bedeutungsproduktionen generell. Artikuliert wird vom Künstler und KunstkritikerInnen, dass er das Gegenständliche mit der ‚Wirklichkeit seiner Malerei‘ zurückdränge, dass es ihm um die Bewältigung des Gegenstandes ginge (Honnef und Weiss 1977: 46; Damus 1995: 334). Sein bekanntes ‚Markenzeichen‘, das ‚Auf-den-Kopf-Stellen‘ der Motive, das er seit 1969 vornimmt, gilt als Umsetzung dieses künstlerischen Anspruchs (Damus ebd.: 340, Shiff 2004: 165). Das Motiv wird laut Künstler­aussage bedeutungslos (vgl. Damus ebd.). Dass gerade in dieser sich als absolut autonom von jeglicher Referenz gebenden Kunst Darstellungen von ‚primitiven‘ Anderen vorkommen, bezeugt die longue durée des Primitivismusdiskurses in der BRD, innerhalb dessen außereuropäische Kulturen semantisch mit Ursprünglichkeit, Natürlichkeit und Authentizität verbunden sind. Baselitz’ Gemälde mit Figuren schwarzer Hautfarbe greifen tradierte Darstellungsparameter auf, wie sie aus dem künstlerischen Primitivismus der Jahrhundertwende sowie aus ethnografischen Visualisierungen b ­ ekannt sind und reproduzieren Zuschreibungen an ‚Primitive‘. Die schwarzen, männlichen Körper sind – ähnlich wie die Visualisierungen von Weiblichkeit – überwiegend nackt, sexualisiert (oft mit großem ­Geschlechtsteil) und als eher passive Objekte auf die Leinwand fixiert. So ist in dem Gemälde „Neger (2. Hadendoa)“,48 1972 [Abb. 7], das Stereo­t yp eines ‚Buschmanns‘ wiedergegeben: frontal mit nacktem Oberkörper, Lendenschurz, Stock in der Hand sowie einem Pfeil am Kopf, debil grinsend, erinnert es an Parameter früher ethnografischer Fotografie. Ein Beispiel für ein tradiertes stereotypes Bild schwarzer Weiblichkeit ist das Gemälde „Schwarze Mutter mit schwarzem Kind“, 1985 [Abb. 8]. Mit besonders betonten dicken, roten Lippen, großer, nackt erscheinender Brust und Kind konnotiert die Szene Archaisches, der melancholische Blick der Frau erinnert außerdem an Konventionen sogenannter sozialdokumentarischer Fotografie. Zuweilen drängt sich der BetrachterIn der Eindruck auf, die Gemälde würden die dargestellten Stereotype ironisieren, aber dieser Verdacht bestätigt sich nicht: gerahmt mit dem Argument, bedeutungslos oder/und gegen eine nationalsozialistische Kunst gerichtet zu sein, werden Stereotype ohne Brechung erneut aufgerufen.49

48 Die Hadendoa sind eine Ethnie, die im Nordosten Sudans, im Süden Ägyptens und im Norden Eritreas

leben und die verschiedentlich als Stereotyp des kriegerischen Afrikaners dargestellt wurden, z.B. in einem TarzanComic von 1948. 49 Als die genannten Gemälde in der Ausstellung „Baselitz. Bilder, die den Kopf verdrehen“ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, im Jahr 2004 ausgestellt wurden, blieben die dargestellten Stereotype – meines Wissens nach – von jeglicher Seite ohne Kommentar.

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Primitivismus als Abkehr vom nationalsozialistischen Menschenbild: Die Ausstellung „Weltkulturen und moderne Kunst“, 1972 Während sich KünstlerInnen seit den 1960er Jahren mit abstrakter, f­ igurativer Malerei gegen die künstlerischen Darstellungsweisen sowie die Kunstpolitik des Nationalsozialismus wendeten und dabei unreflektiert primitivistische Stereotype reproduzierten, wurde im Ausstellungsbetrieb der 1970er Jahre mit dem Primitivismus auch auf das nationalsozialistische Menschenbild reagiert. Viktoria SchmidtLinsenhoff hat dargelegt, dass mit der Ausstellung „Weltkulturen und Moderne Kunst“, die anlässlich der XX. Olympischen Spiele 1972 in München stattfand, versucht wurde, die problematischen Erinnerungen an die Olympischen Spiele in Berlin 1936 zu verdrängen (2003). Wie schon auf der ersten documenta setzte man sich auch hier nicht explizit mit der national­sozialistischen Kunstpolitik auseinander. Die Inszenierung einer formalen Analogie zwischen Expressionisten und den Objekten von sogenannten ‚Stammeskünstlern‘ konstruierte ein Bild der ‚Begegnung‘ außer­europäischer Kulturen mit der Kunst Europas und plädierte für ‚Völkerverständigung‘ als Gegenbild zum Faschismus.50 In der Abteilung „Bildnisse der Völker“ wurden beispielsweise ethnografische Typenbildnisse als vermeintlich authentisches Abbild der außereuropäischen Anderen gezeigt und als Beleg für ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen den Künstlern und den Anderen verwendet. Die Abteilung zum Primitivismus stellte ‚moderne Kunst‘ und Artefakte außereuropäischer Kulturen isoliert als Einzelobjekte aus. Dadurch wurden die ‚ethnografischen Objekte‘ in autonome Kunstwerke umgedeutet und eine formale Analogie zwischen beiden betont. ‚Moderne Kunst‘ mit ihrer unter den Nationalsozialisten in Verruf geratenen Referenz auf außereuropäische Kulturen fungierte hier als Gegenbild zum nationalsozialistischen Menschenbild. Angelehnt an Hal Fosters psychoanalytischen Ansatz des „unconscious of the museum“ (2003) spezifiziert Schmidt-Linsenhoff für den deutschen Kontext, dass der unbewusste Subtext hier die Erinnerung an die Kunst- und Biopolitiken des Nationalsozialismus ist. Mit der Proklamation eines ‚neo-humanistischen Menschenbildes‘ sollte diese Erinnerung zum Schweigen gebracht werden (SchmidtLinsenhoff 2003: 22). Dreizehn Jahre später entwarf der Kurator William Rubin ein ganz ähnliches Ausstellungskonzept: die bekannte (und oben bereits genannte) Ausstellung „Primi­ tivism in the 20th Century“ im MoMA in New York. Anders als die Münchener Ausstellung evozierte diese vehemente Kritik. In der BRD scheint die Debatte um das Rubin’sche Ausstellungskonzept nur von wenigen wahrgenommen worden zu sein. So hat sich zwar auch der bundesrepublikanische Ausstellungsbetrieb postkolonialen Themen seit den späten 1980er/frühen 1990er Jahren angenommen,

50 Schmidt-Linsenhoff widerspricht damit auch der von Rubin formulierten Angabe, dieses Ausstellungskonzept

erfunden zu haben (2003). Auch Thomas McEvilley widerspricht dieser, allerdings übersieht auch er die Ausstellung in München und verweist auf eine Ausstellung von 1977 im Centre Pompidou in Paris (1984/2003).

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Primitivismus in Deutschland – eine genealogische Skizze

der Impetus postkolonialer Kritik wurde darin jedoch zunächst nicht umgesetzt. Eine der ersten Ausstellungen in der BRD, die zumindest einen kritischen Ansatz benannten, war „Exotische Welten. Europäische Phantasien“, 1987, initiiert von Herman Pollig und organisiert vom Institut für Auslands­beziehungen (ifa) in ­Kooperation mit dem Württembergischen Kunstverein, Stuttgart. Die KuratorInnen trugen für dieses Projekt zahlreiche heterogene Objekte und Medien seit dem 16. Jahrhundert zusammen. Zwar wird im Katalog auf die imperialen Zusammenhänge und euro­zentrischen Parameter und Stereotype verwiesen, abgesehen von den Beiträgen einzelner AutorInnen 51 bleiben die Katalog­besprechungen aber in einer simplen Ideengeschichte eines als universal aufgefassten ‚­ Exotismus‘ stehen.52 Die Diffamierung ‚moderner Kunst‘ durch die Nationalsozialisten wird hier zwar direkt benannt (vgl. Osterwold 1987: 27), ihr Angriff wird jedoch verharmlost und lediglich als gegen „krea­tive Grundsubstanz“ und allgemein als gegen die „Urkraft des Menschen“ gerichtet erläutert (ebd.). Der Antisemitismus und Rassismus der Nationalsozialisten und deren strukturelle Analogien und Ähnlichkeiten zu den im Primitivismus transportierten rassistischen Annahmen werden nicht thematisiert.

Suchen nach individuellen Gegenwelten Ungefähr gleichzeitig mit der Münchener Ausstellung 1972, die eine ‚Begegnung‘ von KünstlerInnen des beginnenden 20. Jahrhunderts mit außereuropäischen Kulturen inszenierte, wendeten sich zeitgenössische junge KünstlerInnen erneut anderen Kulturen zu und behaupteten, ‚mehr‘ als nur eine ‚Begegnung‘ mit diesen zu haben (zum Beispiel Wolfgang Laibl, Günther Uecker, Michael Buthe). Das ‚neue‘ Interesse war nicht auf die BRD beschränkt und stand im Zusammenhang einer jugendbewegten Kritik an der westlichen Gesellschaft, die in verschiedenen Bereichen dazu führte, dass der Blick auf ‚ferne Länder‘ gerichtet wurde. Gesucht wurde wieder einmal, was in der eigenen Gesellschaft vermisst bzw. als verloren betrachtet wurde: das Nicht-Rationale, das dem Logos sich Widersetzende, das Sinnliche. Viele wendeten sich vermeintlich östlichen, vor allem asiatischen, aber auch arabischen und verschiedenen afrikanischen Wissensformen und Lebensweisen zu. So reisten beispielsweise internationale Stars der Musikbranche wie die Beatles 1968 nach Indien in einen Ashram, um dort ‚innere Ruhe‘ in der Meditation zu finden, und beförderten damit einen Trend, der als primitivistisch beschrieben werden kann.

51 Ein Beispiel für einen kolonialismuskritischen Beitrag ist die deutsche Übersetzung von Nochlins

feministischer Analyse von „The Imaginary Orient“ (1987). 52 Definiert wird der Exotismus gleich im ersten Katalogbeitrag von Hermann Pollig nach der Encyclopedia of World Art, NY 1958, als „Nachahmung von Elementen in fremden Kulturen, die sich von der eigenen Tradition unterscheiden“ (1987: 16) sowie als „eine Erscheinungsform, die nicht nur Europa in seiner Auseinandersetzung mit fremden Kulturen betrifft“ (ebd.). Negiert werden damit die kolonialistischen Machtverhältnisse, in denen Westeuropa und verschiedene außereuropäische Kulturen standen.

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Nach dem Primitivismus?

Diese wie auch andere Hinwendungen zu kulturell differenten Denk- und Lebensformen waren primär auf das eigene individuelle Leben bezogene Suchen, und nur wenige artikulierten darüber hinaus eine dezidierte Kritik an der eigenen Gesellschaft. Eine solche Kritik hätten die Schriften des französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss, die Anfang der 1970er zu einer beliebten Lektüre unter KünstlerInnen wurden, u ­ nterstützen können. 53 In den von 1964 – 71 veröffentlichten vier Bänden mit dem Titel „Mythologiques“ (dt. „Mythologica“) legte Lévi-Strauss seine langjährigen Forschungen über indigene Gesellschaften Nord- und Südamerikas dar. Er argumentiert, dass deren Denken nicht weniger ‚logisch‘ sei als das ‚westliche‘. Lévi-Strauss widerlegte damit eine Opposition von ‚westlichen‘ gegenüber anderen Denkweisen, machte aber auch die Annahme von Universellem, allgemein Menschlichem fragwürdig. Seine Darlegungen hätten einen neuen Zugang zur europäischen Kultur eröffnen können, der diese auf ihre Mythen und Logiken hin befragt (Wenk 1997b: 13). Stattdessen kam es aber gleichzeitig zu einer erneuten primitivistischen Konstruktion des kulturell Anderen als nicht rational, nicht wissenschaftlich und als konträr zum Logos des ‚Westens‘. Einem solchen Trend entsprechen die Arbeiten von Michael Buthe. Bekannt ist seine Installation „Hommage an die Sonne“, 1972 [Abb. 9], die 1972 auf der ­documenta 5 in der Abteilung „Individuelle Mytho­logien“54 ausgestellt war. Buthe hatte dafür den Ausstellungsraum mit einem magentafarbenen Stoff ausgekleidet und darin unterschiedlichste Objekte arrangiert, sodass der Eindruck einer exotischen „Ritualstätte“ (Thomas 2002: 254) entstand. Der Wandbehang mit der gemalten ­Silhouette eines jungen, eventuell afrikanischen Mannes vor der symbolischen Darstellung einer goldenen Sonne und ein aus Ästen zusammengebundenes, floßähnliches Objekt mit Matratze und Baldachin erinnern ebenso an orientalistische Gemälde des 19. Jahrhunderts wie an die märchenhaften Visualisierungen von August Macke während seiner Tunis-Reise, aber auch an eurozentrische ­Inszenierungen von „Tausendundeine Nacht“. Die Rezeption führt diese und andere Installationen von Buthe auf dessen Reisen zurück, die er seit den 1970er Jahren nach Marokko (wo er zeitweise auch lebte), in den sogenannten Nahen Osten, Benin und Nigeria unternahm. Viele seiner Installationen bestehen in ähnlicher Weise wie die documenta-Arbeit aus üppigen Stoffdraperien in Gold, Rot

53 Das wird von verschiedenen AutorInnen erwähnt und als wissenschaftlicher Bezugspunkt genannt (z.B.

Wenk 1997b: 14). 54 Der Kurator Harald Szeemann zeigte unter diesem Titel Arbeiten von KünstlerInnen, die aus subjektiven Mitteilungen über existentielle Selbsterfahrungen bestanden, eher antirationalistisch waren und eigene Wirklichkeiten kreierten. Für eine ausführlichere Analyse des Konzepts der documenta 5 s. die Dissertation von Verena Kuni (2006: 52ff). Kuni legt auch dar, dass Szeemann nur bedingt an der kunsthistorischen Bearbeitung von „Mythologie[n] der Aufklärung“ interessiert war, sondern dass mit der d5 das Bild vom Künstler als Geheimnisträger und Künder verklausulierter Wahrheiten neu etabliert wurde. Auch Wenk verweist darauf, dass sich die ‚individuellen Mythologien‘ leicht mit Mythen vom modernen Künstler verbinden ließen (1997b: 14).

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Abb. 7 Georg Baselitz Neger (2. Hadendoa) 1972, Öl auf Leinwand, 200 × 162 cm

Abb. 8 Georg Baselitz Schwarze Mutter mit schwarzem Kind 1985, Öl auf Leinwand, 330 × 250 cm

Abb. 9 Michael Buthe Hommage an die Sonne 1972, Installationsansicht, documenta 5

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und Blau und beinhalten Objekte, die wie ein Sammelsurium aus g ­ efundenen Naturmaterialien und rituell bedeutsamen Gegenständen erscheinen.55 Nicht in Abrede zu stellen ist, dass einige Elemente seiner Inszenierungen aus der Kenntnis und Anerkennung anderer Kulturpraktiken heraus entstanden sind (z.B. das Färben von Stoffen oder die dargestellte Ornamentik), insgesamt überwiegt jedoch eine fantastische und märchenhafte Inszenierung, die tradierten Orient­ bildern entspricht. Insze-niert wird ein stereotypes Bild vom Orient als Ort der Sinnlichkeit, wie es insbesondere im 19. Jahrhundert von europäischen Künstlern kol­-portiert worden war (u.a. von Jean-Auguste-Dominique Ingres, Jean-Léon ­Geromé).56 Offensiver als seine ‚Vorgänger‘ inszeniert Buthe mit seinen Raum­ installationen den ‚Orient‘ als zu begehrenden, ‚besseren‘ und auch betretbaren Ort. Mit dieser Vorführung des Orients als bessere und dem Künstler nahe ‚Welt‘ entspricht Buthes Kunst, deren Motive sich zwar eher dem Orientalismus zuordnen lassen, wiederum einer primitivistischen Darstellungsweise. Dass sich in Buthes Arrangements immer wieder auch Artefakte aus seiner eigenen westlichen Kultur finden, die nicht eindeutig als Gegensatz zu den außer­ europäischen Gesellschaften gesetzt sind, sondern sich in die Reihe von Objekten anderer Kulturen eingliedern, lesen einige ­RezensentInnen als einen Bruch mit orientalisierenden Stereotypen und mit einer nur exotisierenden Darstellungs­weise (vgl. von Wiese 1999: 24, Martin 1999: 30). Allerdings reihen sich diese ‚westlichen‘ Objekte so unauffällig in die anderer Kulturen ein, dass sie dem uninformierten Betrachtenden kaum auffallen. Die Zusammenführung von ­Eigenem und­ Anderem widerspricht einem Primitivismus insbesondere dann nicht, wenn die andere Kultur als bessere und zugleich der eigenen verwandte fantasiert wird. Wenn Buthe beispielsweise ein Schränkchen aus dem eigenen Familienbesitz mit schillerndem Papier oder Bonbonpapier einkleidet und eine alte Matratze in seine Arbeiten inte­griert, erinnert das an eine durch Kindheitserinnerungen gespeiste Traum- und M ­ ärchenwelt, für deren Projektion erneut der Orient als Sehnsuchtsort eingesetzt wird. Auch das Überladene und Übersteigerte der Staffagen in Buthes Arbeiten, das einige KritikerInnen heute als Überzeichnung und Untergrabung lesen (Martin 1999: 29), entspricht dem stereotypen Bild vom Orient als ausschweifend. Die von einigen AutorInnen gelobte, verbildlichte Sinnlichkeit und Mystik bei Buthe korres­ pondiert mit den Zuschreibungen an den Orient als Ort (sexueller) Ausschweifungen, als irrational, fantastisch und rätselhaft. Wenn Stephan von Wiese schreibt, „Buthes ‚individuelle Mythologien‘ sind strahlkräftige Gegenbilder, die die ­Defizite modernen Lebens spürbar werden lassen“ [Hervorh. S.v.W. (1999: 10)] wird deutlich,

55 Häufig verwendete Buthe Objekte, die er mit goldenem oder blauem Stanniolpapier umwickelte und

Wandbehänge mit arabisch anmutenden Ornamenten. Den Boden seiner Kulträume hatte er oft mit Rosenblättern oder bunt schillernden Papierfetzen ausgelegt, wie im „Musée du Echnaton“, das er 1976 in seinem Atelier zeigte. 56 Eine kritische Analyse der multimedialen Inszenierungen des Orients anhand von Haremsdarstellungen in verschiedenen Medien seit dem 18. Jahrhundert nimmt detailliert Silke Förschler vor (2010).

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dass Buthes künstlerische Praxis als das Eröffnen einer Gegenwelt gelesen wird. Darin wird ein erneuerter Primitivismus offensichtlich. Johannes Meinhard wirft anhand der Performances von Buthe noch einen weiteren Aspekt auf (1999). In den Arbeiten ginge es um eine sensuelle, leibliche Lust der Wahrnehmung und des Weltzugangs, die in der Geschichte Europas seit dem Ende der Antike in Misskredit geraten sei. Mit dem Verweis darauf, dass viele homosexuelle Autoren in Marokko bei den Berbern eine sensuelle und erotische Antike fortgesetzt sahen, verortet er Buthe in einer schwulen Subkultur. Meinhardt sieht in Buthes Kunst eine bewusste Fortsetzung der Suche verschiedener schwuler Autoren, die glaubten, eine in der europäischen Kultur verworfene Form von Sinnlichkeit und leiblicher Lust in den Kulturen Nordafrikas wieder­ zuentdecken. Weiterhin argumentiert er, dass ausgehend von der Erfahrung einer irreduziblen Differenz in der eigenen schwulen Identität sich die Überschreitung von kultureller Identität als ein Modell anbieten würde (ebd.: 41). 57 Diese Interpretation lässt sich aufgrund der schlechten Dokumentation seiner Performances nicht mehr gänzlich nachvollziehen. An die Erzählungen von der ‚Begegnung‘ zwischen Kulturen, wie sie in der Ausstellung in München inszeniert wurde, knüpfte in den 1970er Jahren eine jüngere Generation an und trieb den Primitivismus insofern weiter, als sie die Suche nach ‚besseren Gegenwelten‘ in Reisen zu realisieren suchte. KünstlerInnen wie Buthe nahmen das unref lektiert in ihre Kunst auf und schrieben so einen Primitivismus und Exotismus fort. Deutlich wird, dass die zeitgleichen Kolonialkriege, die auch Europa betrafen, die Dekolonisierungsbewegungen und ihre theoretisch fundierten Kritiken an dem Verhalten, aber auch den Repräsentationen der sog. ‚Ersten Welt‘ gegenüber der sogenannten ‚Dritten Welt‘, wie sie bereits früh u.a. von Frantz Fanon, Aimé Césaire und Léopold Senghor formuliert wurden, von KünstlerInnen nicht zwangsläufig wahrgenommen oder zumindest nicht mit ihren Suchen ‚in fernen Ländern‘ zusammengedacht worden sind. Vielmehr boten primitivistische Darstellungen erneut die Möglichkeit, sich in die Nähe des Anderen als gleich oder zumindest ähnlich zu imaginieren und sich nicht nur von einer nationalsozialis­tischen Geschichte, sondern auch von der zeitgenössischen ‚eigenen‘ Gesellschaftskultur zu distanzieren und sich (imaginär) in ‚weite Ferne‘ zu f lüchten.

57 Auch der Kurator Karsten Müller, der Anfang 2009 im Barlach-Haus in Hamburg eine Buthe-Ausstellung

kuratierte, argumentierte, dass sich mit dem Ableben von Buthe der Happening-Charakter seiner Kunst verflüchtigt hat. Müller sieht darin auch den Grund, warum der viermalige documenta-Teilnehmer heute im Kunstbetrieb kaum noch präsent ist (Artikel in der taz Nord, 23.03.09, S. 23).

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3. ‚Der Osten‘ – ‚der Indianer‘ – ‚die Heilung‘: Joseph Beuys trifft einen Kojoten (1974) Joseph Beuys ist einer der bekanntesten deutschen Künstler der Nachkriegszeit,1 in zahlreichen seiner Arbeiten lassen sich Referenzen auf andere Kulturen aus­ machen. Weithin berühmt ist seine Selbstinszenierung als ‚Schamane‘, der als ‚Ostmensch‘ oder als aus ‚östlichen Kulturen‘ stammend gilt. Andere seiner Arbeiten zitieren weitere Bilder und Vorstellungen von kultureller Differenz. So sind in der Performance „I like America and America likes me“, 1974, die ich in diesem Kapitel analysiere, Darstellungsparameter des ‚mythischen Ostens‘ mit solchen von ‚Indianern‘2 kombiniert. Sie ist eine der prominentesten künstlerischen Verhandlungen von kultureller Differenz in der BRD und hat gerade in jüngster Zeit besondere Aufmerksamkeit und Kontextualisierung erfahren.3

Die Publikationen zu Joseph Beuys sind mittlerweile fast unüberschaubar geworden. Neben überwiegend unkritischen Rezeptionen sind auch kritische Analysen entstanden. Inspirierend für meine Arbeit waren vor allem Barbara Langes feministische Analyse seiner Selbstinszenierungen und seiner Rezeption als Alltagsmythos (1999), Verena Kunis Arbeit, die fokussiert auf Beuys dem Bild des Künstlers als Magier und Alchemisten nachgeht, sowie der Sammelband von Gene Ray (2001), der den Umgang mit deutscher Geschichte und dem nationalsozialistischen Genozid in Beuys’ Praxis diskutiert und sich mit der von Benjamin Buchloh bereits 1980 vorgenommen Kritik auseinandersetzt. 2 Den Begriff ‚Indianer‘ verwende ich weiterhin ausschließlich als Bezeichnung eines Stereotyps, das von den Europäern für indigene Gesellschaften Nord- und Südamerikas entworfen wurde und dem pejorative und abwertende ebenso wie romantisierende und projektive Bedeutungen anhaften, das aber immer wieder Material für Faszination ist. 3 In den letzten Jahren ist die Aktion als Filmdokumentation verschiedentlich gezeigt worden, z.B.: 2006 anlässlich Beuys’ 20. Todestages im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin und in der Ausstellung „I like America“ der Schirn Kunsthalle, Frankfurt. 2008 war sie erneut im Hamburger Bahnhof, in einer großen Retrospektive zu Beuys zu sehen. 2009 zeigte die Hamburger Kunsthalle den Film im Rahmen der Ausstellung „MAN SON 1969. Vom Schrecken der Situation“, das Museum Weserburg, Bremen, präsentierte ihn 2011 in der Ausstellung „Freibeuter der Utopie“ und das Kunstmuseum Wolfsburg 2013/14 in der Schau „Kunst & Textil“. 1

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In den kontroversen Diskussionen um Beuys’ Kunst ist dieser schon früh der Vorwurf des „archaischen Relikts von allenfalls exotischem Reiz“ (Wick 1978: 105), der „Regression von der Kultur zur Natur“ (Wedewer 1972: 44f) und der Uminterpretation von Rousseaus ‚edlem Wilden‘ (Neumann 1986: 107) gemacht worden. Andere hingegen sahen in Beuys’ Praxis einen „Dialog der Kulturen“ dargestellt (z.B. Deppner und Drateln 1981: 89).4 Mit diesen Rezeptionen wurde der Bezug auf kulturelle Differenz bereits thematisiert. Ich nehme hier die Diskussion erneut auf, weil bis heute kaum der Frage nachgegangen wurde, welche konkreten Bilder von kultureller Differenz wie reproduziert wurden, welche Aussagen sie hervorbringen und was für Funktionen sie für Beuys als in Deutschland geborenen und aufgewachsenen weißen Künstler und sein deutsches, mehrheitlich weißes Publikum erfüllen respektive erfüllen können. Benjamin Buchloh hat in seiner bekannten Kritik an Beuys’ künstlerischer Praxis eine solche strukturalistische Analyse eingefordert (1980). Er verortete Beuys’ Praxis im historischen Rahmen der deutschen Nachkriegszeit und stellte die Frage, inwieweit Beuys’ Arbeiten den Betrachtenden eine Möglichkeit offerieren, die „Einsicht in die realen Determinanten ihrer geschichtlichen Realität zu verweigern“ (1980: 61). Eckhard Neumann sieht in ähnlicher Weise den Grund für den Erfolg von Beuys’ Kunst in seinem Vermögen, einem „zeitbestimmten Unbehagen an der Kultur Kompensationsangebote entgegenzusetzen“ (1986: 100). Barbara Lange hat die Inszenierungen von Beuys als „Erzählung vom Künstlerhelden“ beschrieben, die es ermöglichte, dass das geniale Künstlersubjekt als Garant von Individualität und Subjektivität weiter existieren konnte (1999: 13). Anschließend an diese Forschungen frage ich daher, inwiefern in der Performance „I like America – and America likes me“ die Repräsentation von kultureller Differenz vereinnahmt wird für eine spezifisch ‚deutsche‘ Mythologisierung von Geschichte und eine ReInszenierung eines männlichen Künstlerideals. Im Folgenden werde ich an der genannten Aktion und ihrer Rezeption diskutieren, wie sich diese in eine ‚deutsche‘ Erinnerungskultur und Künstlergeschichtsschreibung einreihen oder für eine solche verwendet werden konnten und weiter können.

Die Kojoten-Aktion Beuys führte die Performance „I like America – and America likes me“ [Abb. 10 – 21] im Mai 1974 in der neu eröffneten Galerie von René Block in New York auf. 5 Für die als ‚Kojoten-Aktion‘ in die Kunstgeschichte eingegangene Arbeit schloss sich

Martin Roman Deppner und Doris von Drateln schreiben: „Das Hineinnehmen einer Spur des Anderen manifestiert sich bei Beuys als allgemeiner Vorgang, etwa als Dialog der Kulturen, wie in dem ‚Eurasia‘-Projekt“ (1991: 89). 5 René Block hatte bereits seit 1964 eine Galerie in Berlin, in der er aktuelle Kunst ausstellte. 4

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der Künstler drei Tage mit einem Kojoten ein.6 Die Performance ist nur von wenigen BesucherInnen gesehen worden. Über einen 30 Minuten langen Film der Aktion von Helmut Wietz, über Erzählungen von Beuys und von Kunsthistorik­ erInnen sowie über Fotografien ist sie im deutschen Kunstfeld bekannt geworden. Nicht nur die Aktion, sondern insbesondere die ‚feststehenden‘ Bilder und Kommentierungen von dieser bilden mein Analyseobjekt. Erika Fischer-Lichte äußerte Skepsis darüber, dass die Bedeutungen der einzelnen Elemente dieser Performance vom Publikum verstanden wurden (1998: 41f; 2000: 234). Eine relative Unverständlichkeit ist letztlich auch dem Aspekt geschuldet, dass Beuys nicht auf ein kollektiv lesbares Zeichensystem zurückgriff, sondern sich eine eigene Bedeutungssymbolik kreierte, die er von ihm positiv zugewandten KunstkritikerInnen verschriftlichen ließ.7 Meine Analyse geht daher auch den Versuchen nach, diese private Symbolik, die nie nur ‚individuell‘ sein kann, und deren Bedeutungen zu erläutern. 8 Die Darstellungsparameter von kulturell Anderen, die in der Arbeit vorkommen, sind tradierte Stereotype und können von den BetrachterInnen gelesen werden, auch wenn ihnen das nicht immer bewusst ist. Die Performance begann mit Beuys’ Ankunft am Flughafen in New York, während der er seine Augen mit den Händen bedeckte und sich in Filz hüllte. Beuys und seine RezipientInnen beschreiben diese Geste als Abgrenzung von den heutigen USA. Nachdem Beuys sich so ‚maskiert‘ hatte, legte er sich auf eine Krankenbahre, MitarbeiterInnen der Galerie trugen ihn zu dem bereitgestellten Krankenwagen und fuhren ihn mit Blaulicht zum Ort der Aktion. Dort ‚wartete‘ in einem mit Gittern abgetrennten Bereich ein Kojote.9 Der weißgestrichene Raum wurde durch Tageslicht beleuchtet, das durch drei große Fenster einfiel. In dem Raum befand sich außerdem Stroh, von dem behauptet wird, es sei mit dem Tier gekommen (vgl. Tisdall 1988: 6). Bevor Beuys den Aktionsort betrat, entledigte er sich seiner FilzUmmantelung. Unter dem Filz trug Beuys die für ihn bekannte Kombination von

Während die meisten Publikationen den Eindruck erwecken, Beuys hätte Tag und Nacht mit dem Kojoten verbracht, beschreibt Uwe Schneede, dass die Performance an den drei Tagen von 10 bis 18 Uhr gedauert hätte (1994: 331). Ursprünglich war zwar eine fünftägige Aktion geplant und angekündigt, der Beginn verzögerte sich jedoch um zwei Tage, weil es Schwierigkeiten mit behördlichen Genehmigungen für den Einsatz des Kojoten gab und Beuys mit den vorbereiteten Absperrungen und Filzbahnen nicht einverstanden war (Schneede 1994: 331). 7 Diese Strategie wurde nach der documenta 5 als ‚Individuelle Mythologie‘ bezeichnet. Mit dem von Harald Szeemann kreierten Begriff werden seither Kunstwerke bezeichnet, die sich weniger auf kollektive Zeichensysteme als auf selbsterfundene oder ‚fremde‘ Symboliken beziehen, viele der darunter gefassten KünstlerInnen referieren auf andere Kulturen (so z.B. Michael Buthe, Nancy Graves und Nikolaus Lang). 8 Kirsten Claudia Voigt mutmaßt, dass Beuys zu keiner anderen Arbeit so explizit und umfangreich interpretierend Stellung genommen hat (2001). Die zahlreichen Rezeptionen, die sich in erster Linie auf diese Aussagen des Künstlers berufen, stützen diesen Eindruck. Sie stellen für mich auch den Anlass dar, diesen Rezeptionen eine semiotische Analyse der Arbeit entgegenzustellen. 9 Signifikant ist, dass diese Umzäunung auf den meisten Fotografien nicht zu sehen ist und so der Eindruck von einem eigenen Raum und nicht der von einem abgeschlossenen Käfig gestärkt wird. 6

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Abb. 10 – 15 Joseph Beuys I like America and America likes me 1974, Fotografien von der Performance: Caroline Tisdall

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Abb. 16 – 21 Joseph Beuys I like America and America likes me 1974, Fotografien von der Performance: Caroline Tisdall

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dunkler Jeans, weißem Hemd, einer Weste und einem Hut.10 Für die Performance hatte er außerdem eine Triangel vor der Brust hängen. Beuys’ erste Handlung in dem Kojoten-Käfig war es, den Kojoten zu füttern und ihm Wasser zu geben. Er tat dies, indem er die Hand weit über den Kojoten hielt. Besprochen wurde diese Begrüßung als segnende Geste (vgl. Schneede 1994: 332). In einem zweiten Schritt legte Beuys die Gegenstände nieder, die er wiederum „aus seiner Welt mitgebracht“ hatte (Tisdall 1988: 6): zwei Filzbahnen, eine Taschenlampe, einen Stapel des Wall Street Journals und einen Spazierstock, den er am Arm trug. Eine der Filzbahnen formte Beuys zu einem Haufen und positionierte die Taschenlampe in der Mitte. Der Kojote schnüffelte an Filz und Zeitungen, urinierte auf beides und nahm damit, so die RezensentInnen, die Gegenstände in Besitz (vgl. Schneede 1994: 332). Während der drei Tage vollzog Beuys immer wieder einen Ablauf von Handlungen, die die schriftlichen Dokumentationen auch als Ritual oder als „Dialog mit dem Kojoten“ bezeichnen (Tisdall 1988: 8, Schneede 1994: 332). Für die ritualisierten Handlungen zog Beuys sich Lederhandschuhe an und hüllte sich dann gänzlich in Filz. Aus der zeltähnlichen Form, die dabei entstand, ragte oben nur das gebogene Ende des Stockes heraus. In dieser Gestalt unternahm Beuys eine Reihe von Bewegungen, während denen er sich meist dem Kojoten zuwendete. Eine seiner ‚HauptrezensentInnen‘, die britische Kunsthistorikerin Caroline Tisdall, beschreibt die dabei entstandenen Formen als: „vertikal, die Krücke nach oben zeigend; rechtwinklig gebogen, Krücke zum Boden; aufrecht niederkauernd wie auf lange Wartezeit vorbereitet, dann erneutes Kauern, der Stock gegen den Boden geneigt“ (1988: 6f). Die Gesten werden überwiegend interpretiert als dominant und distanziert einerseits, aber auch Ehrerbietung oder gar Unterwerfung signalisierend andererseits (vgl. Schneede 1994: 322). Der Film zeigt, dass das Tier die Handlungen von Beuys meist beobachtete, sich manchmal der Filzgestalt annäherte, um dann heftig an dem Stoff zu reißen. Am Ende dieses Ablaufs von Bewegungen ließ sich Beuys zur Seite fallen. Tisdall schreibt dazu, „die Figur fiel seitwärts auf den Boden, in einen starren in Filz verhüllten Körper verwandelt“ (1988: 7). Nach einer Weile des Still-Liegens sprang Beuys plötzlich wieder auf, warf den Filz ab und schlug dreimal auf die Triangel, die vor seiner Brust hing. Tisdall zufolge war nach zehn Minuten der Stille von einem Tonbandgerät 20 Sekunden lang das ohrenbetäubende Geräusch von Turbinen zu hören (ebd.: 7). Danach zog Beuys die Handschuhe aus, warf sie dem Kojoten hin und ging zu alltäglichen Handlungen über. Er ordnete die umherliegenden Wall Street Journal Ausgaben, unterhielt sich mit BesucherInnen oder legte sich auf das Stroh und rauchte. Der Kojote folgte den Bewegungen von Beuys, schnappte nach den hingeworfenen Handschuhen oder legte sich auf den Filz.

10 Für eine Analyse von Beuys’ ‚Uniformierung‘ s. Andreas Quermann (2006).

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Nachdem drei Tage so vergangen waren, verabschiedete sich Beuys von dem Kojoten, hüllte sich wieder in Filz und ließ sich wie er gekommen war zum Flughafen transportieren. Wietz nahm die Aktion auf und schnitt daraus einen 37-minütigen Film. Ursprünglich war dieser in Farbe, Beuys drängte jedoch darauf, ihn in Schwarz-Weiß zu kopieren. Kirsten Claudia Voigt bezeichnet dies als anti-illusionistische Abstraktion und Entrückung (2000: 62). Die Transformation ließe sich aber auch als mythisierend und verklärend lesen. So meint Eugen Blume, dass es Beuys um die Betonung der spirituellen Seite der Aktion ging (2006: 359). Zwei Jahre nach der Aufführung von „I like America and America likes me“ veröffentlichte Tisdall ein Buch zu der Aktion, das in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Die darin veröffentlichten 96 Fotografien sowie ihre Kommentare zirkulieren seitdem im deutschen Kunstfeld. Sie werden daher im Folgenden im Zentrum meiner Betrachtungen stehen. Während die Arbeit in den USA eher auf Unverständnis stieß und kaum wahrgenommen wurde,11 kommt sie beim deutschen Kunstpublikum bis heute gut an. Dies suggerieren zumindest ihre zahlreichen Erwähnungen, Abbildungen und Ausstellungen.

Der ‚Schamane‘: Selbstgeheilter Heiler aus ‚dem Osten‘ Lange bezeichnet die Kojoten-Aktion als die Etablierung des Bildes von Beuys als ‚Schamane‘ (1999: 167). Dass die Rezeption bereits seit Ende der 1960er Jahre die künstlerische Praxis von Beuys mit dem Etikett des ‚Schamanismus‘ versah und gleichzeitig damit auch Kritik hervorrief, legt Verena Kuni dar (2006).12 So sahen beispielsweise Lothar Romain und Hans Peter Thurn schon vor 1974 in der ­Titulierung von Beuys als ‚Schamane‘ eine Stilisierung zum Mythos (Romain 1972: 118), die getragen sei „von der Hoffnung auf die Erreichbarkeit eines paradiesischen Zustands“ (Thurn 1973: 110).13 Nicht kritisch distanziert, sondern den Mythos vielmehr bestärkend, wird in der 1973 (sowie der 1981, 1986 und 1994 aktualisierten) von Götz Adriani, Winfried Konnertz und Karin Thomas herausgegebenen und von da an vielfach zitierten Monografie bereits Beuys’ Interesse am Schamanismus zur Erklärung seiner Arbeiten angegeben (1981: 81).14 Das in verschiedenen

11 Joan Rothfuss’ Analyse zufolge ist die Kojoten-Aktion in der Presse der USA fast unbemerkt geblieben

(2001: 51). Schneede hingegen behauptet, dass sie große Aufmerksamkeit in der US-amerikanischen Kunstszene fand und zu Beuys’ Erfolg beigetragen hätte (1994: 330). Auch Kuni bezieht sich auf diese Information (2006: 165, Anm. 67). Schneedes Aussage scheint mir aber mehr einer Rhetorik des ‚Feierns‘ von Beuys geschuldet zu sein als einer fundierten Recherche zur US-amerikanischen Rezeption. 12 Kuni beschreibt die biografischen Verortungen des Interesses für Schamanisches als nachträgliche Projektionen der Kunstgeschichte (2006: 590). 13 Sowohl die Publikation von Romain (1972) als auch die von Thurn (1973) analysieren die Rezeption von Beuys und vertreten einen eher soziologisch und rezeptionsästhetisch ausgerichteten Ansatz. 14 Kuni benennt diese Monografie als am meisten zitierte Literatur zu Beuys (2006: 158).

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Publikationen gezeichnete Bild von Beuys als ‚Schamane‘ hat sich seither durchgesetzt und ist immer wieder reproduziert worden.15 Im internationalen Kunstkontext war die Inszenierung und Vorstellung vom Künstler als ‚Schamane‘ kein Einzelfall. Insbesondere US-amerikanische KünstlerInnen beriefen sich seit den 1940/50er Jahren und verstärkt in den 1960/70er Jahren auf diese Figur.16 Während sich diese KünstlerInnen fast ausschließlich auf schamanistische Phänomene der Indigenen Nordamerikas bezogen und die Performance mit dem Kojoten – als einem Tier aus Amerika – diesen Bezug nahelegt, finden sich in Beuys’ Performances, wie in der Rezeption, zahlreiche Anspielungen auf ‚den Osten‘ (Rhodes 1994: 192; vgl. Adriani u.a. 1981: 81).17 Dass die Figur des ‚Schamanen‘ insbesondere in Deutschland mit ‚dem Osten‘ assoziiert wird, ist den Ende der fünfziger Jahre publizierten und bekannt gewordenen Arbeiten des Religionshistorikers Mircea Eliade (1954) und des Ethnologen Hans Findeisen (1957) geschuldet.18 So beschreibt Eliade ‚den Schamanen‘ als ein sibirisches und zentralasiatisches Phänomen, und Findeisen verortet den Schamanismus im ‚eurasischen Raum‘ und konzentriert seine Forschung auf Nordasien. Nicht nur befanden sich Publikationen von beiden im Nachlass von Beuys, auch der Großteil der Kunstgeschichtsschreibung führt die Beuys’sche Schamanenfigur zurück auf diese Schriften (vgl. z.B. Thurn 1973, Goodrow 1991, Schneede 1994: 336).19 Veröffentlichungen der Kunstgeschichte und der Ethnologie erzeugen dabei ein diskursives Bild, das den ‚Schamanen‘ als einen ursprünglich kranken Menschen zeichnet, der sich selbst geheilt hat und danach die Fähigkeit besitzt, auch andere Menschen zu heilen. Während die ethnologischen Darstellungen des Phänomens Schamanismus vielfältig sind, hat die Beuys-Rezeption insbesondere die Fähigkeit zur Heilung und Selbstheilung hervorgehoben.20 So setzt Fischer-Lichte die Heilung für ihre Interpretation der Performance in verschiedenen Veröffent­

15 Als Beleg dafür kann eine Beuys-Biografie genannt werden, die in Comic-Form unter dem Titel: „Joseph

Beuys. Der lächelnde Schamane“ in einer Reihe von Künstler-Comic-Biografien publiziert wurde (2004) und bereits im Titel die Bezeichnung ‚Schamane‘ enthält. 16 Siehe dazu Michael Leja (1993) und Colin Rhodes (1994: 185). Beide beschreiben einen Bezug USamerikanischer KünstlerInnen, unter denen auch zahlreiche aus Europa emigrierte Künstler waren, auf vermeintlich ‚primitive Quellen‘. 17 Rhodes verweist darauf, dass bereits Wassily Kandinsky sich auf schamanistische Fähigkeiten und ‚Schamanen‘ aus Sibirien berief (1994: 163). Beuys’ Schamanentum konnte demnach auf vorhandene Elemente der Kunstgeschichte zurückgreifen. 18 Eliade war rumänischer Religionswissenschaftler und Philosoph. Seine Analysen wurden bereits 1954 auf Deutsch veröffentlicht, zwei Jahre vor der anthropologischen Forschung des deutschen Anthropologen Findeisen. Kuni vermutet, dass beide nicht nur für Beuys, sondern für das Bild des Schamanismus in Deutschland allgemein prägend gewesen sind (2006: 447, Anm. 37). 19 Martin Müller nimmt eine parallele Lektüre von Beuys’ Performance und einer Vielzahl anthropologischer und ethnologischer Forschungen vor (1994). Er ergänzt damit die vorhandenen Interpretationen um die Referenz auf weitere ethnologische Texte, um die Annahme zu bestärken, dass Beuys’ Kunst keine schamanistischen Verhaltensweisen repetiert hätte, sondern eine Art ‚Seinsweise‘ war, die es zu beschreiben gelte (1994). 20 Beide genannten ethnologischen Schriften wenden sich übrigens entschieden gegen eine Beschreibung dieser Kulturen als ‚primitive‘ und des ‚Schamanen‘ als eine ‚pathologische‘ Existenzweise.

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lichungen zentral und schreibt, dass über den ‚Energiedialog‘ mit dem Tier ‚heilende Kräfte‘ freigesetzt würden (1998: 43; 2004: 182f). Auch der Transport von Beuys während der Aktion auf einer Krankenbahre und in einem Krankenwagen legt die Interpretation einer Transformation eines Kranken in einen Geheilten nahe (vgl. Voigt 2000: 63). Mit dem Betreten des Aktionsraums erscheint Beuys als Verwandelter: In dem Moment, als er bei dem Kojoten ankommt, wird er zum Akteur und ist von seiner Krankheit erlöst. In dem ritualhaften Handlungsablauf wird dieser Heilungsprozess insofern wiederholt, als Beuys sich am Ende dieser Handlungen zur Seite fallen lässt, bevor er wieder aufspringt, um erneut in Aktion mit dem Kojoten zu treten. In der Literatur wird sein Umfallen ebenfalls als Krankheit besprochen: „Die Figur fiel seitwärts auf den Boden […], ein verwundbares Objekt“ (Tisdall 1988: 7). Im Zusammenhang mit dem vermeintlichen Dialog mit dem Kojoten und dem Kontakt mit Amerika ist von ‚Wunde‘ und ‚Heilung‘ die Rede (vgl. ebd.: 10 und Schneede 1994: 334). Christa Weber schreibt: „Aus der anfänglichen Rolle des Kranken wurde im Verlauf der Aktion die […] des mit magi­ schen Kräften ausgestatteten Hirten“ (1991: 111). Ähnlich wie ein ‚Schamane‘ scheint Beuys geheilt, bereit, nun andere Menschen zu heilen. Es gibt aber auch einige wichtige Unterschiede zwischen dem in ethnologischen Wissensproduktionen analysierten Phänomen des ‚Schamanen‘ und der Figur, die Beuys performte. Während der ‚Schamane‘ als krank und geheilt innerhalb der eigenen Gesellschaft dargestellt wird, ist Beuys lediglich in der ‚westlichen Welt‘ krank, geheilt ist er nur, sobald er eine ‚andere Welt‘ betritt, die sich durch den Kontakt mit dem Kojoten eröffnet. Beuys’ Heilung ist außerdem zu dem Zeitpunkt verloren, an dem er die Aktion in der Galerie beendet: Er muss aus der ‚fremden Welt‘ mit einer Trage heraustransportiert werden. Beuys wechselt als ‚Schamane‘ nicht nur in einen anderen Status, sondern auch in eine andere Welt, die der westlichen gegenübergestellt wird. Als ‚Schamane‘ wird er der kulturell Andere. Das Bild des gleichzeitig Leidenden und Erlösers oder Heilers ist in der europäischen Kulturgeschichte kein unbekanntes, sondern zentrales Element der christlichen Erzählung.21 In der Figur des Christus und des Märtyrers verschränken sich der Leidende und der Erlösende. Die Inszenierung des Künstlers als Christus oder als Märtyrer, der wegen seines Glaubens Verfolgung oder Tod erleidet, ist in der Kunstgeschichte ein tradierter Topos. Vor allem in der Nachkriegszeit in Deutschland ist dieser nicht nur von Künstlern selbst, sondern vor allem von der Kunst­ geschichtsschreibung immer wieder aufgerufen worden (Wenk 1989: 69f). Silke Wenk hat dargelegt, dass in der Rede über den Künstler als Christus, der leidet, die Erlösung nicht nur für den Künstler, sondern ebenso für die Menschheit versprochen wird (ebd.). Neumann zur Folge tauchen insbesondere in der Kunst der

21 Thurn hat schon vor der Kojoten-Aktion beschrieben, dass Beuys sich in verschiedenen Arbeiten sowie seiner

allgemeinen Selbstinszenierung als Künstler-Priester darstellt (vgl. 1973: 105ff).

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frühen siebziger Jahre Vorstellungen von Schamanismus auf, die mit einer ge­ steigerten Autorität des Künstlers in der Rolle als Heilsverkünder korrelieren (1986: 105).22 Die Frage, welche Heilung in Beuys’ künstlerischer Praxis versprochen wird, stelle ich an diesem Punkt noch zurück und gehe zunächst den produzierten Bildern weiter nach. Das Bild des schamanistischen Heilers wird in Beuys’ Aktion nicht so sehr über die Wiederholung von tradierten visuellen Motiven kultureller Differenz erzeugt, denn mehr abstrakt und metaphorisch über Handlungen, aber auch durch Material und dessen Bedeutungen. So erinnert Beuys’ Kleidung mit Weste und Hut visuell nicht unbedingt an anthropologische Darstellungen oder Fotografien von ‚Schamanen‘. Die Rezeption versucht dies jedoch auszugleichen, indem sie die Ärmlichkeit und Einfachheit seiner Kleidung (Hut und Weste) als der Erscheinung eines ‚Schamanen‘ vergleichbar liest (vgl. Murken 1979: 26). Die befremdliche Verhüllung mit Filz, von der die meisten Fotografien reproduziert worden sind, ist ethnografischen Repräsentationen schon näher. Beispielsweise die Abbildungen in dem Buch über Schamanismus von Findeisen zeigen Menschen, die ähnliche Ummantelungen tragen (1957) [Abb. 22]. Die erste Winnetou-Verfilmung „Der Schatz im Silbersee“, 1962, enthält ebenfalls einen ‚Schamanen‘ in einer solchen Einkleidung [Abb. 23]. Es verwundert daher nicht, dass in der Beuys-Rezeption insbesondere der große Mantel als Zeichen für Schamanentum gilt. Auf der Ebene des Materials wird die Assoziation an den ‚Schamanen‘ als einer Figur aus dem ‚Osten‘ über den Filz aufgerufen. Im Gegensatz zu Martin Müller, der den Filz als in der „konventionellen Symbolik“ unbesetztes Material bezeichnet (1994: 102), beschreibt Monika Wagner in ihrer Materialikonografie der Kunst den Filz als allgemein den nomadischen Völkern, speziell aber den Mongolen zugeordneten Stoff (2001b: 216). 23 Beuys verwendete den Filz in einer Zeit, in der das leichte, bunte und Künstlichkeit signifizierende Plastik längst nicht nur in der Alltagskultur, sondern auch in der Kunst Eingang gefunden hatte. Im Gegensatz dazu musste der grobe und grau-braune Filzstoff ‚natürlich‘ und ‚uralt‘ erscheinen. Wagner bezeichnet den Filz in der Kojoten-Aktion dementsprechend als ‚archaische Haut‘ (ebd. 215). Mit dieser Materialmetaphorik wird der Bezug auf sogenannte ‚primitive‘ und gleichzeitig als ‚archaisch‘ geltende Kulturen weiter gestützt.24

22 Bezüglich Beuys folgert Neumann weiter: „Als Medizinmann, Schamane, Zauberer und Prophet wird er

zum Künstler-Psychotherapeuten an der Zivilisation“ (1986: 105), er sieht in dieser Rollenzuschreibung eine Wiederbelebung des deutschen Genieideals des neunzehnten Jahrhunderts (ebd.: 107). 23 Wagner verweist außerdem darauf, dass Filz ein simples Korrelat in den Decken der deutschen Wehrmacht hatte und so auch eine im weitesten Sinne ‚heilende‘ Bedeutung hat (2001b: 216). Während des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland auch Haare von Opfern des nationalsozialistischen Genozids zur Herstellung von Filz verwendet – auch diese Materialgeschichte lässt sich nicht ignorieren (ebd.). 24 Dass Beuys’ Arbeiten auf vermeintlich „verschüttete archaische Inhalte und Strukturen“ (Thurn 1973: 108) zurückgreifen, ist mehrfach festgestellt und kritisiert worden. Thurn bezweifelt bereits 1973, dass die Reaktivierung vergangener Denkformen auch die richtigen Heilmittel zu liefern vermag.

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Wagner geht nicht darauf ein, welche geschlechtlichen Konnotierungen der Filz besitzt. Karen Ellwangers Analyse zu den tradierten Bedeutungen, die der ­Wolle im 19. Jahrhundert zugeschrieben wurden, lässt sich hier ergänzend anführen, da Filz meist aus Wolle ist und ihm von Beuys und seinen KritikerInnen ähn­liche Eigenschaften zugeschrieben werden (2000). Ellwanger legt unter dem Titel „Wolle macht Männern Mut!“ dar, dass Wolle ab 1800 Leitmaterial des bürgerlichen Mannes war und unter anderem der Abgrenzung zur Frau diente. Die Fürsprecher der Wolle im 19. Jahrhundert betonten, dass die Eigenschaften des Materials sich auch auf ihre männlichen Träger übertrügen. Verwendet wurden dabei Vokabeln wie „Mobilitätssteigerung“ sowie „Reinigung und Stärkung durch Wärmevermögen“ (Ellwanger 2000). Diese Bezeichnungen ähneln auffallend der Rhetorik von Beuys und Tisdall, die den Filz als „Isolator“ und „Wärme­hülle“ sowie als „energiebringendes Material“ beschreiben (vgl. Tisdall 1988: 14). Filz konnotiert demnach nicht nur Assoziationen an mongolische, ‚primitive‘ ‚Naturvölker‘, sondern auch Eigenschaften, die im 19. Jahrhundert als männlich galten.25 Der ‚Schamane‘, der laut den anthropologischen Forschungen auch weiblich oder transsexuell sein kann (vgl. Findeisen 1957: 140ff), wird bei Beuys zu einer ausschließlich männlichen Figur.26 In der von Beuys performten Figur des ‚Schamanen‘ verschränken sich tradierte Bilder von Männlichkeit, männlicher Künstlerschaft und des ‚primitiven‘ kulturell Anderen und tragen zu seiner Legitimation des Künstlers bei.27

Exkurs: Beuys’ wundersame Heilung bei den Tataren Die Kojoten-Aktion ist, wie fast alle Arbeiten von Beuys, auf biografische Ereignisse und Erfahrungen zurückgeführt worden. Ein zentraler Punkt in seiner Biografie ist die Legende von seinem Absturz als Sturzkampff lieger während des Zweiten Weltkriegs. Diese Erzählung pointiert nicht seine Funktion als Soldat der deutschen Wehrmacht, sondern seine wundersame Rettung und ‚Heilung‘ durch die Tataren. Sie ist auch für die Besprechung der Kojoten-Aktion mehrfach herangezogen

25 Gilles Deleuze und Felix Guattari beschreiben den Filz dagegen als nomadisches Material schlechthin (2002:

659). Filz als Stoff, der kein Anfang und kein Ende hat, der keine Naht braucht, gilt in ihrem Denkmodell als Zeichen für Hierarchielosigkeit und für einen quasi subversiven, weil grenzüberschreitenden Charakter. Deleuze und Guattari gehen damit auf Materialeigenschaften des Filzes ein, die meiner Ansicht nach aber in Beuys’ Aktion keine Rolle spielen und sich daher auf diese nicht übertragen lassen. 26 Thurn verweist ebenfalls auf dieses Verhältnis, wenn er die Frage stellt, inwieweit Beuys der in der Formel ‚Schamanismus‘ implizierten Rollenvielfalt gerecht wird (1973: 110). 27 Außerdem wird der Filz – ob als Umhang oder auf dem Boden liegend – immer wieder als Skulptur oder skulpturale Form bezeichnet, Voigt spricht von einer „Wärmeplastik“ (2000: 63), worüber Beuys als Künstler weiter legitimiert wird.

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­ orden.28 Berichtet wird, Beuys sei als Stukaf lieger im Jahr 1943 mit einer JU 87 w über der Krim abgeschossen und nach seinem Absturz von Tataren gefunden, gerettet und acht bis zwölf Tage gepf legt worden (mit Milch, Quark, Honig und Käse und durch das Einwickeln in Filz). Neben der Verwendung dieser Erzählung für die Interpretation von Beuys’ Materialien ist sie außerdem zentral für Beuys’ Begründungsmythos als Künstler allgemein und für seine Thematisierung von ‚Schwellensituationen‘ insbesondere. Tisdall führt den Moment in der KojotenAktion, in dem Beuys sich in Filz gehüllt umfallen ließ, ebenfalls auf diese Absturzund Heilungs-Erfahrung zurück (1988: 7) und Müller sieht in dem Transport im Ambulanzwagen eine Analogie zu diesem Punkt seiner Biografie (1994: 75).29 Dass die Legende auch berichtet, Beuys habe sich in der russischen Steppe besser ohne Karte zurechtgefunden und sich auf seine Intuition berufen können, sowie die Erzählung, die Tataren hätten zu ihm gesagt „Du nix Nemetzki … du Tatar“, verstärkt auf der Ebene der biografischen Erzählung die Imaginierung des Künstlers als Anderer, ‚primitiv‘ bzw. intuitiv Lebender weiter. Insofern die Legende als ­Initiation von Beuys zum Künstler gilt, zeigt sich in ihrer häufigen Nennung auch die Zentralität, die die Imagination als kulturell Anderer in seiner künstlerischen Praxis insgesamt einnimmt.30 Dass die gesamte Tataren-Legende fiktiv ist, scheint heute niemand mehr zu leugnen, sie gilt vielmehr als ‚Gleichnis‘ für seine künstlerische Praxis.31 So geht beispielsweise auch Müller davon aus, dass die Erzählung vermutlich Beuys’ ­eigene Schöpfung war, sieht in ihr aber dennoch einen „Hinweis auf wichtige

28 Buchloh ging 1980 den unterschiedlichen Formen der Legendenerzählung nach und fragte hämisch, ob

ein später auftauchendes Foto des Flugzeugwracks von den Tataren mit ihrer Fett- und Filzkamera aufgenommen worden wäre (in der deutschen Übersetzung von 1987: 202). Frank Gieseke und Albert Markert können in ihrer erweiterten Beuys-Biografie in historischen Dokumenten nachweisen, dass Beuys als Bordfunker zwar abstürzte, jedoch einige Stunden nach seinem Absturz in einem Lazarett aufgenommen wurde (1996: 71ff). Sie stellen daraufhin die Vermutung an, dass er die Landschaft der Krim nur von oben gesehen habe. Weiterhin beschreiben sie, dass es nicht abwegig sei, dass Beuys Kontakt mit Tataren hatte, diese waren jedoch weder ahistorisch noch derart unberührt vom Krieg und auch nicht aus eigenen Stücken nomadisierend, wie von Beuys und seinen Interpreten behauptet. Die Tataren waren islamisch und fühlten sich der Türkei zugehörig. Im Zweiten Weltkrieg kooperierten sie mit den Deutschen gegen die Sowjets, weil ihnen ein eigener Staat versprochen worden war (ebd.). 29 Die Tataren-Legende taucht erst Anfang der 1970er Jahre auf (Nisbet 2001). Um 1970 bewegte Beuys sich zu einer Version seiner Lebensgeschichte, die sich mehr auf historisch erkennbare Fakten gründete. Das Zauberformelhafte und Humoristische, mit dem er in seiner Arbeit „Lebenslauf/Werklauf“ (1964 – 70) seine Biografie noch ausgestattet hatte, fiel von nun an weg (ebd.). 30 Giesecke und Markert (1996) weisen darauf hin, dass Karl May für diese Erzählung Pate gestanden haben dürfte. Auch Old Shatterhand wird nach einer Verletzung von ‚Primitiven‘ gefunden – allerdings von Apachen. Er wird gepflegt und gefüttert, bis auch ihm das Angebot gemacht wird, zu bleiben. 31 Der Schriftsteller Wladimir Kaminer schreibt in der Kurzgeschichte „Verschollen auf der Krim“ in seinem Buch „Die Reise nach Trulala“ (2004) über einen deutschen Kunsthistoriker, der auf die Krim fährt, um nach Beweisen und Überresten von Beuys’ Absturz zu suchen. Dort angekommen wird der junge Akademiker mit einer regelrechten Tourismusbranche konfrontiert. Die Tataren verkaufen Teile aus dem Flugzeugwrack, lassen sich gegen Geld fotografieren, laufen alle in volkstümlicher Kleidung aus Filz herum und führen ihn sogar zu einem angeblich unehelichen Sohn von Beuys – selbstverständlich ebenfalls für Geld. Der Vereinnahmung der Tataren als Projektionsfläche naturmythischer Ideale in den Legenden um Beuys setzt Kaminer mit dieser Geschichte nicht nur eine humoristische Offenlegung der westlichen Projektionen, sondern auch eine relative und tendenzielle Umkehrung der Machtverhältnisse entgegen.

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Momente in Beuys Denken“ (1994: 34). Wie viele AutorInnen zuvor interpretiert auch Müller das erzählte Erlebnis als ‚Schwellensituation‘, die existentiell war und den Kontakt zu einer ‚Welt‘ anderer Denkformen und eines anderen ‚Wirklichkeitsverständnisses‘ bedeutete (vgl. ebd.: 34f). Ignoriert wird in dieser Verwendung der Legende jedoch der von Buchloh (1980) aufgeworfene und später von Frank Gieseke und Albert Markert (1996) weiter verfolgte Aspekt, dass darüber die eigene Verwicklung in den Nationalsozialismus und die Beteiligung am Zweiten Weltkrieg umgeschrieben wurde. „So ist es gerade die Verneinung der Verantwortung einer Beteiligung an der Geschichte des deutschen Faschismus und des Zweiten Weltkrieges […], die im Werk von Beuys dann unausgesetzt auf dieses Problem der Verdrängung hinweisen“ (Buchloh 1980: 66). Inwiefern diese Verdrängung auch über Bilder von kultureller Differenz funktioniert, soll im Folgenden weiter erläutert werden.

Der Eurasienstab zeigt nach Osten Der Stock, den Beuys während der Aktion verwendete und der aus der von ihm inszenierten Filzgestalt oben herausragte, erinnert an das Bild des Hirten. Das Bild des Hirten mit Stock ist ebenso wie das des Heilers Bestandteil eines christlicheuropäischen Bildrepertoires. Auch dieses christliche Bild wird von Beuys und seinen RezipientInnen aufgerufen und gleichzeitig verschoben: In verschiedenen Performances von Beuys verwendet, gilt der Stock als ‚Eurasienstab‘.32 In Anlehnung an anthroposophische Theorien steht er in Beuys’ Konzept für ‚Energieströme‘, die von Osten nach Westen und umgekehrt verlaufen. Visuell verbildlichen sollten dies in der Kojoten-Aktion die verschiedenen Positionen, in die Beuys den Stock ­brachte (vgl. Tisdall 1988: 19). Die Philosophie der strömenden Energien hatte Beuys vier Monate zuvor in seiner „Lecture Tour“ mit dem Titel „Energy plan for the western man“ erläutert. Die Tour bestand aus einzelnen Vorträgen, die er in verschiedenen US-amerikanischen Großstädten hielt. Die Kojoten-Aktion gilt in der Rezeption als Fortsetzung dieses Projekts.33 Beuys wollte mit beiden Aktionen erklärtermaßen in jedem westlichen Menschen die, wie Tisdall es in Worte fasst, „Totale der freien schöpferischen Individualität“ freisetzen (1988: 8). Sowohl das Bild vom Künstler als ‚Schamane‘, Hirte und Vermittler als auch die Vorstellung, wo Energien und Kräfte zu finden sind, sind mit stereotypen Konzepten von kultureller Differenz aufgeladen. Deutlich wird dies insbesondere in der von Beuys proklamierten und von der Rezeption wiederholten Philosophie, die sich an Rudolf Steiners Anthroposophie und dem Verständnis vom West­

32 Bekannt geworden war sein Eurasienstab in der Aktion „Eurasia. Sibirische Symphonie“, die er 1966 in

Kopenhagen und in Berlin aufführte. 33 Insbesondere Tisdall legt diese Lektüre der Kojoten-Aktion als Fortsetzung des „Energy plan for the western man“ nah (1988: 8).

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menschen als ‚geistig‘ und ‚rational‘ und dem Ostmenschen als ‚intuitiv‘ orientiert.34 Adriani, Konnertz und Thomas paraphrasieren den anthroposophischen Philo­ sophen beispielsweise wie folgt: „Der Gegensatz zwischen dem rationalen ­‚Westmenschen‘ und dem mehr in lebensphilosophischen Kategorien denkenden ‚Ostmenschen‘ soll um einer größeren Einheit willen durch gegenseitige geistige Durchdringung überwunden werden“ (1981: 165). Wenn Steiner nur in der Fußnote als Referenz angegeben wird, liest sich dies wie die Behauptung einer essentiellen Tatsache. Thurn nennt den Bezug zu Steiner distanzierter und verweist darauf, dass innerhalb Steiners wie Beuys’ Vorstellung der Gegensatz zwischen West und Ost sich innerhalb einer „Synthese, in welcher der europäisch-abendländische Mensch durch die Aufnahme östlicher Erkenntnisweisen zu einer neuen Selbstbestimmung gelangt“ auf lösen lasse (1973: 117).35 Thurns Ausarbeitungen machen deutlich, dass dabei von einer Differenz zwischen West und Ost ausgegangen wird, die nicht auf historisch unterschiedliche Traditionen oder geografisch konkrete Gebiete zurückgeführt wird, sondern essentialisierte, ‚wesenhafte‘ ­Zuschreibungen fort- und festschreibt.36 Gerade diese Differenzkonstruktion von einer als intuitiv und natürlich vor­ gestellten ‚Welt des Ostens‘ und der vermeintlich rationalen ‚Welt des Westens‘ ist es, die in der Kojoten-Aktion visuell vorgeführt und darüber weiter fixiert wird. Signifiziert wird der ‚Westen‘ über das zeitgenössische Amerika, von dem Beuys sich durch seine Verhüllung zu Beginn der Aktion abgrenzte. Weitere Zeichen für die westliche Welt sind das Wall Street Journal, das als führende Wirtschaftszeitung der USA den Kapitalismus signifiziert (Tisdall 1988: 16) und das ohrenbetäubende Turbinengeräusch vom Tonband, das Beuys als „Echo herrschender Technologien“ (zit. n. ebd.: 15) beschrieb. Beide Zeichen sind eher negativ konnotiert. Den Aktions­ raum erklärte Beuys dagegen als „exterritoriales Gebiet“ (Schneede 1994: 333). Tisdall imaginiert diesen mit dem naturmythischen Bild der „weiten Steppe“ (1988: 6). Die Metapher ‚weite Steppe‘ wird für die Bezeichnung der Natur des ‚Ostens‘ immer wieder aktiviert. Tisdalls Ausführungen knüpfen daran an und

34 Für eine differenzierte Analyse des Verhältnisses von Steiners Philosophie und Beuys’ künstlerischer Praxis s. Kuni (2006). Sie legt dar, dass bis in die späten 1980er Jahre hinein das kunsthistorische Interesse an Beuys’ Bezügen auf die Anthroposophie zwar noch gering, aber durchaus vorhanden war (ebd.: 187f). 35 Thurn thematisiert außerdem, dass Beuys in seinem Bezug auf Steiners Philosophie dessen Ansichten radikalisierte und zugleich idealisierte. Insgesamt geht Thurn dem Aspekt nach, dass Beuys’ Praxis – auch mit diesem Bezug auf Steiner – eine ‚appellative Struktur‘ besitzt, die vorgibt, politisch zu sein, weil sie auf Gesellschaftliches Bezug nimmt. Letzteres sieht Thurn in Beuys’ Arbeiten nur gering enthalten, vielmehr interpretiert er diese als „Inkarnation der retrospektiven Individualität“ (1973: 120). 36 Differenzkonstruktionen zwischen ‚Osten‘ und ‚Westen‘ finden sich auch in früheren Arbeiten von Beuys. So verwendete er in den sechziger Jahren für verschiedene Aktionen und für Objekte, Fotos oder Bilder den Titel „Sibirische Symphonie“. Am bekanntesten ist die Aufführung von einer Performance am 2. Februar 1963 in der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, die im Rahmen des FESTUM FLUXORUM. FLUXUS. MUSIK UND ANTIMUSIK. DAS INSTRUMENTALE THEATER stattfand.

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lenken die Bedeutung des Galerieraumes hin zu einer Assoziationskette als ‚östlich‘, ‚weit‘ und ‚natürlich‘ (ebd.). Die Konnotation der Kojoten-Aktion als ‚Natur‘ wird außerdem über das Tier, das Stroh und den Filz weiter bestärkt. Gefolgert werden kann, dass in der Kojoten-Aktion folgende Bedeutung ­produziert wird: Beuys kommt aus der westlichen Welt und geht in eine andere, ‚primitive‘ und natürliche Welt, die ihn von der Krankheit erlöst und weitere ­Erlösung suggeriert. Er selbst wird dabei zum Anderen, zum ‚Schamanen‘, der in der Rezeption als ‚östliches‘ Phänomen gilt. Nicht die europäisch-christliche Welt, sondern die ‚Welt des Ostens‘, signifiziert unter anderem über den ‚Schamanen‘, scheint die Erlösung zu versprechen, die der ‚Schamane‘ erst selbst erhält und dann auch erteilen kann. Eine Heilung durch Adaption ‚primitiver‘ Eigenschaften wird hier vorgeführt. Wiederholt wird damit der Topos vom ‚edlen Wilden‘, der der erkrankten und entfremdeten westlichen Gesellschaft gegenübersteht. In diesem Konzept gelten vermeintlich ‚primitive‘ Gesellschaften weiterhin als rein, natürlich und ursprünglich, ihnen wird eine Nähe zu psychischen und sozialen Energien zugeschrieben.

Der Mythos des Ostens Die Vorstellung von sogenannten ‚primitiven Völkern‘ und von ‚Ursprünglichkeit‘ wird in der Beuys’schen Kunst sowie in ihrer Rezeption auf ‚den Osten‘ projiziert. Das mythische Bild des geografisch unspezifischen Ostens, der mit den ‚Weiten der Steppe‘, ‚Natur‘, dem ‚Schamanen‘ und ‚primitiven Völkern‘ assoziiert wird, hat eine historische Tradition. Larry Wolff beschreibt dieses Konzept vom Osten als eine Erfindung der Auf klärung und westlicher Intellektueller: „It was Western Europe that invented Eastern Europe as its complementary other half in the eighteenth century, the age of Enlightenment. It was also the Entlightenment, with its intellectual centers in Western Europe, that cultivated and appropriated to itself the new notion of ‘civilization’, an eigtheenth-century neologism, and civilization discovered its complement, within the same continent, in shadowed lands of backwardness, even barbarism. Such was the invention of Eastern Europe“ (1994: 4).

Der Osten wird Wolff zufolge nicht so sehr als Antipode zur vermeintlichen Zivilisation verortet, sondern „rather on the development scale that measured the distance between civilization and barbarism“ (ebd.: 13). Das Vokabular, das von Beuys und seinen RezipientInnen für ‚den Osten‘ verwendet wurde, ähnelt dem des 18. Jahrhunderts. Einerseits wird die angenommene Rückständigkeit und Primitivität über den ‚Schamanen‘ verbildlicht und die ‚Weiten der Steppe‘ zu einem Zufluchtsort für Zivilisationskranke stilisiert. Anderer­ seits erscheint ‚der Osten‘ nicht so weit entfernt, sodass eine Begegnung und eine Synthese mit diesem möglich ist. Wolff analysiert verschiedene Reiseerzählungen,

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in denen das Bild von ‚Osteuropa‘ konstruiert wird. Die Geschichten um den ­Lügenbaron Münchhausen benennt er als solche, in denen „Eastern Europe was most fully revealed as a realm of fantasy“ (1994: 100).37 Ein wiederkehrendes Motiv ist die Begegnung von Münchhausen mit verschiedenen ‚wilden‘ Tieren, insbesondere mit Wölfen, die er nicht immer und nicht nur im Kampf bezwingt. Wolff interpretiert die Narrationen von der Bezwingung wilder Tiere als Zeichen für „the harness of discipline, the taming of savagery by the traveler from Western Europe“ (ebd.: 101). Als zu disziplinieren und zu zähmen galten innerhalb dieser kolonialistischen Denktradition nicht nur die Tiere, sondern Osteuropa allgemein. Auch Beuys’ Verhalten gegenüber dem Kojoten wird als dominierend und freundschaftlich gleichzeitig beschrieben, wodurch koloniale Erzählmuster wiederholt werden. Der Soziologe Heinz Bude beschreibt, dass das von Beuys kreierte Bild vom ‚Osten‘ in der Nachkriegszeit in der BRD weiter verwendet wurde und nun dazu diente, die Erinnerungen aus dem Zweiten Weltkrieg zu überdecken (1996). Nicht Erinnerungen an Kämpfe und Verbrechen, Eroberungen und Niederlagen blieben zurück, sondern Bilder von Steppe und Schamanismus. Bude zufolge wurden ähnliche Bilder nach dem Zweiten Weltkrieg in der ‚illegitimen‘ Erinnerung der deutschen Populärkultur hervorgebracht. Ersetzt wurden damit aber auch Projektionen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Der Ostmensch galt bei den Nazis als ‚Untermensch‘ und der östliche Raum als zu besiedelnder. Nachdem dieses Bild nicht mehr haltbar war, wurde der Bewohner des Ostens als mythisch positives Wesen umcodiert. Geblieben ist jedoch die Vorstellung von rückständigen und ursprünglichen, ‚primitiven‘ Menschen sowie die kolonialistische Fantasie von einem weiten, zu erobernden und zu dominierenden Land. Diese Konzeption des ‚Ostens‘ ist alles andere als unschuldig. Wolff verweist darauf, dass bereits die Erfindung von Osteuropa im 18. Jahrhundert „a style of intellctual mastery, integrating knowledge and power, perpetrating domination and subordination“ (1994: 8) war. Auch die Russlandpläne im Nationalsozialismus galten der Besiedlung vermeintlich leerer Räume. Spuren dieser kolonialistischen Vorstellungen sind bis heute in dem Bild des Ostens enthalten. In der Utopie ­‚Eurasien‘, der Vorstellung von einer Zusammenführung ‚des Westen‘ und ‚des Ostens‘, ist letzterer das zwar unterlegene, aber dennoch fehlende komplemen­täre Gegenstück. Weiter denken lässt sich die Utopie von ‚Eurasien‘ vor dem Hintergrund des ‚Kalten Krieges‘ und der deutschen Geschichte. Im Kontext des ‚Kalten Krieges‘ muss die Opposition zu Amerika und die Vorstellung von ‚Eurasien‘ als provokant gegolten haben. Gleichzeitig war die Kritik an den USA wie an dem angenommenen ‚amerikanischen Materialismus‘ in verschiedenen politischen

37 Die kursierenden Geschichten wurden von Rudolf Erich Raspe in einem Buch publiziert. Raspe selbst war

Deutscher, veröffentlichte seine Erzählungen aber 1786 in Oxford auf Englisch. Kurze Zeit später (1788) übersetzte Gottfried Bürger diese zurück ins Deutsche – erweitert um acht zusätzliche Geschichten – unter dem Titel „Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freyherrn von Münchhausen“. Seitdem werden sie auch in Deutschland rezipiert.

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Bewegungen in Deutschland üblich.38 Es war auch nicht ein kommunistischer Osten, dem Beuys sich näherte und den er zu adaptieren trachtete, sondern ein mythologischer. Indem sich Beuys als ‚deutscher‘ Künstler hier, wie schon in seiner biografischen Legende, ‚dem Osten‘ zuwendete, erschien auch Deutschland als dem Osten anverwandt. Anders als die (umstrittene) Anerkennung der DDR durch Willy Brandt (seit 1969) und der sich damit wandelnden Ostpolitik in Richtung einer Entspannung des Verhältnisses zur Sowjetunion, erscheint Beuys’ Szenario rückblickend vielmehr wie eine weitere Negierung der Teilung Deutschlands in Ost und West, wie sie zuvor in der Adenauer-Ära vorgenommen und von konservativen Politikern weiter betrieben wurde – obwohl die Performance von Beuys vermutlich anders gemeint war. Die Aktion von Beuys stellte demnach ein Bild zur Verfügung, das die Teilung von Deutschland zumindest imaginär auf hob. Auf diese ‚Fläche‘ konnte darüber nicht nur eine in weiter Vergangenheit begründete Zusammengehörigkeit von Ost- und Westeuropa, sondern auch ein Bild von Deutschland als ‚Ganzes‘ aus Osten und Westen imaginiert werden. Damit bot die Utopie ‚Eurasien‘ auch eine Möglichkeit, die als Kriegslast empfundene deutsche Teilung zu negieren.39

Die Rezeption nach der deutschen ‚Wiedervereinigung‘ 1990 (im Jahr der sogenannten deutschen ‚Wiedervereinigung‘) zeigte die KestnerGesellschaft Hannover eine Beuys-Ausstellung von Arbeiten aus der Sammlung van der Grinten unter dem Titel „Innere Mongolei. Dschingis Khan. Schamanen. Aktricen.“ In den Katalogtexten wird deutlich, dass die Bezeichnung ‚Innere ­Mongolei‘ sowohl ein ‚utopisches Reich zwischen Ost und West‘ als auch ein psychisches ‚Inneres‘ bezeichnet, nicht aber auf die geografische Bedeutung rekurriert. Neben einer weiteren Reproduktion der bereits besprochenen Bilder vom Mythos des Ostens wird mit Dschingis Khan ein männlicher Held eingeführt und als Mittelpunkt dieser visionären Utopie und als Fürst eines grenzenlosen Territoriums benannt.40 Carl Haenlein bezeichnet Dschingis Khans Territorium außerdem als Imperium Humanum, das der aktuellen politischen Ordnung nicht nur übergeordnet ist, sondern auch gegenübersteht (1990: 7). Weiterhin sieht er in der politischen Entwicklung die Utopie ‚Eurasien‘ mit „erstaunlich realistischen Strukturen aus[gestattet]“ (ebd.). In dieser Redeweise verschiebt sich die Erzählung, die vorher 38 Ian Buruma schreibt dazu: „Die Angst, der amerikanische Materialismus würde die Welt zugrunde richten, gehört seit langem zur politischen Rhetorik sowohl linker als auch rechter Provenienz“ (1996: 26). 39 Dass Carl Haenlein im Katalog zur Ausstellung „Joseph Beuys. Eine Innere Mongolei“ im Jahr 1990 schreibt, dass die politischen Entwicklungen die eurasische Utopie nun mit erstaunlich realistischen Strukturen ausstatten (7), bestätigt diese Analyse. 40 Auch in der deutschen Populärkultur erfreute sich die Figur Dschingis Khans einer Beliebtheit, 1979 gründete der deutsche Produzent Ralph Siegel eine Popband, die nicht nur unter dem Namen des Herrschers der Mongolen aus dem 13. Jahrhundert auftrat, sondern über diesen auch Lieder sang, die Stereotype des Osten verwendeten. Diese Popband feierte in den 1980er Jahren gerade in der BRD große Erfolge.

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als Fantasie markiert war und ein Bild für die Verdrängung der deutschen Teilung zur Verfügung stellte, zu der Beschreibung eines ‚realen Zustandes‘, die sich nicht nur wie die Beschreibung einer ‚alternativen‘ politischen Ordnung, sondern auch wie die eines Großreiches liest.41 Die Mongolei und Dschingis Khan werden zum Mythos, sie werden ihrer realen Geschichten und Verortungen weitestgehend entledigt, und als Subtext schreibt sich die Vorstellung von einem nicht nur politisch wiedervereinten, sondern auch mächtigen und großen Deutschland ein. Wenn Haenlein schreibt, dass mit Beuys die Phase der ‚künstlerischen Nachkriegszeit‘ abgeschlossen war (ebd.: 9) und seine Kriegsbeteiligung nur noch auf Erlebnisse in der Tatarensteppe zurückgeführt wird, dann scheint die Folgerung zu lauten, dass nun auch ein Ende einer ‚politischen Nachkriegszeit‘ gefeiert werden könne. So generiert der Katalog die Aussage, dass das, was Beuys schon ‚in sich trug‘ bzw. wusste, sich quasi bewahrheitet habe. Er hat gesehen, was natürlicherweise wieder zusammengehört: der dominierende ‚Westen‘ und ein zwar natürlicher, aber ­unterlegener ‚Osten‘.

Kojote und ‚Indianer‘ Der Kojote bildet in der Konzeption von Beuys’ Aktion ein zentrales Element und hat die Funktion der Verbindung: So sind Beuys’ Handlungen in der Performance – das zeigt insbesondere der Film von Wietz – auf diesen hin ausgerichtet, und auch die veröffentlichten Fotografien inszenieren den Kojoten als ‚Dialogpartner‘. In seiner eigenen Symbolik definiert Beuys das wolfsähnliche Tier als Wanderer zwischen Ost und West. Als solcher verbindet er auf der philosophischen Ebene zunächst den Mythos des Ostens mit Amerika. Adriani, Konnertz und Thomas erklären, dass dies aber noch das ‚präkolumbianische Amerika‘ sei (1981: 331). Sie folgern weiter: „Amerika, welches noch das harmonische Zusammenleben von Mensch und Natur kennt, in dem Kojote und Indianer noch miteinander leben können, eh sie von den Kolonisatoren gemeinsam gejagt werden“ (ebd.).42 Das naturmythische Bild des ‚Ostens‘ wird hier ergänzt mit dem der Prärie und dem Stereotyp des ‚Indianers‘. Kojote und ‚Indianer‘ werden als harmonisch zusammenlebend und als gemeinsam Gejagte beschrieben (obwohl ethnologische Forschungen sowie Selbstdarstellungen von Indigenen Nordamerikas zeigen, dass der Kojote innerhalb indigener Mythologien nicht nur als freundschaftlicher oder ‚positiver‘ Partner gilt). Die Bedeutungen, die dem Beuys’schen Kojoten zugeschrieben werden, sind vielfältig – so bemüht beispielsweise Uwe Schneede ethnologische

41 Ich konzentriere mich in meiner Beschreibung der Ausstellung auf die Verschiebungen, die sich bezüglich

des Bildes vom ‚Osten‘ und von ‚Eurasien‘ ergeben. Für eine Analyse des Bildes des nomadisierenden ‚Schamanen‘ s. Birgit Haehnel (2007). 42 Auch Tisdall verweist auf die Geschichte der gewaltsamen Besetzung Amerikas, wenn sie den Kojoten als von den ‚Indianern‘ als Gottheit verehrt und als von den Weißen verfolgt und verachtet beschreibt (1988: 10).

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Schriften zu den Navajos (1994: 335). Gemeinsam ist allen Decodierungen, dass der Kojote als Attribut des ‚Indianers‘ gilt. Indem Beuys in einen Dialog mit dem Kojoten tritt, erscheint auch er als ‚Indianer‘ und damit, wie bereits der ‚Schamane‘, zu der Seite des Ostens, dem präkolumbianischen Amerika und den ‚Indianern‘ zugehörig. Der Kojote ist als Tier aber auch ein relativ unberechenbares Element. Fischer-Lichte beschreibt es als unverfügbar (1998: 185). Sie erläutert, dass Tiere auf der Bühne immer schon einen besonderen Reiz ausübten und in ihrer Unberechenbarkeit „‚ursprüngliche‘, ‚geheimnisvolle‘, ‚unberechenbare‘ Natur“ signifizieren sowie als „Einbruch des Realen in das Fiktive, […] des Zufalls in die Ordnung, der Natur in die Kultur“ gelten (ebd.). Als solches ist der Kojote als Element hier weniger subversiv denn das Stereotyp des ‚Indianers‘ unterstützend. Das Bild von Beuys als ‚Indianer‘ wird über den Kojoten sowie (visuell) über seine Maskierung evoziert. Zwar entspricht die Verkleidung von Beuys nicht den Stereotypen des ‚Indianers‘ mit Federn und bunter Bemalung, sie erinnert aber an Repräsentationen von ‚Indianern‘ in der Populärkultur und in ethnografischen Darstellungen. In diesen Verbildlichungen werden häufig Menschen, die in grobe, dunkle Stoffe gehüllt sind, zu sehen gegeben. Stellvertretend für zahlreiche Visualisierungen in Fotobänden, Westernfilmen usw. können hier die Fotografien von Edward Curtis genannt werden. Seine Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Aufnahmen sind über den US-amerikanischen Kontext hinaus bekannt und zeigen ‚Indianer‘ Nordamerikas in entsprechender Einkleidung [Abb. 24]. Fischer-Lichte meint sogar, dass Beuys’ Bekleidung mit Hut, Umhang und der vor der Brust hängenden Triangel an die traditionelle Kleidung der Navajos erinnert (1998: 42). Beuys, so lässt sich folgern, ruft in der Aktion neben den Stereotypen des ­­‚Schamanen‘ und des ‚Ostmenschen‘ auch das des ‚Indianers‘ auf und kombiniert diese zu einer Figur des ‚edlen Wilden‘. Lothar Schirmer interpretiert, dass Beuys die Aktion machte, „um verborgene Energien freizusetzen und den Graben zu schmälern, der die moderne Großstadt vom Naturzustand trennt, und um die Kenntnisse der dezimierten Indianer […] dem zeitgenössischen Amerika der ­Siedler entgegenzusetzen“ (1996: 23). Das wiederkehrende stereotype Bild des ‚Indianers‘ fungiert seit der Entdeckung Amerikas als Projektionsfläche für einen paradiesischglücklichen Naturzustand. Hans-Peter Rodenberg beschreibt, dass sich die Vorstellung vom ‚Indianer‘ im 20. Jahrhundert zu einer Utopie von Gesellschaften wandelte, die in Harmonie mit der Natur leben (1994: 177ff). Dieses Bild von der indigenen Bevölkerung der USA ist in der deutschen Populärkultur enorm beliebt und wird auch von Beuys hervorgebracht.

Neuer ‚deutscher‘ Primitivismus? Das Bild vom ‚Indianer‘ in Beuys Aktion entspricht in Kombination mit der Figur des ‚Schamanen‘ der Vorstellung vom ‚Primitiven‘, wie sie dem Primitivismus zugrunde liegt. Gezeigt werden konnte, dass die von Beuys verwendeten Motive

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Abb. 22 Schamane des Tungusenvolkes (Amurgebiet) In: Hans Findeisen: Schamanentum. ­Stuttgart 1957, Abb. 1.

Abb. 23 Filmstill aus: Der Schatz im Silbersee, Winnetou I, (D/F/JUG 1962, R: Harald Rein)

Abb. 24 Edward Curtis Firing Pottery Santa Clara 1926, Fotografie

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weniger auf Darstellungen von kultureller Differenz aus der Kunst rekurrieren als auf populärkulturelle und ethnografische. Zugleich lässt sich ein veränderter Primitivismus bei Beuys ausmachen, John F. Moffit beschreibt diesen wie folgt: „This new Primitivism […] is bookish rather than motif-orientated, idea-derived rather than visually centered. It is more art historical (literally) than outraged or even rebellious“ (1988: 62).43 Verschiedentlich wurde argumentiert, dass Beuys einen Primitivismus nicht weiterführt, da dieser darin bestehen würde, lediglich formale Anleihen an ‚primitiver Kunst‘ zu nehmen.44 Insofern mit dem Begriff Primitivismus aber Repräsentationen bezeichnet werden, die außereuropäische Gesellschaften und deren Artefakte mit einem Set von Konnotationen wie primitiv, ursprünglich, intuitiv, sozial usw. verknüpfen, ist auch Beuys’ Arbeit als primitivistisch zu bezeichnen.45 In der Form der Performance und ihrer fotografischen und videografischen Reproduktion wird ein Primitivismus lediglich in eine andere abstrahierende Darstellungsweise und -form überführt. Ein weiteres Argument gegen den Vorwurf eines Primitivismus in Beuys’ Praxis behauptet, Beuys habe selbst geäußert, nicht zurück zu einem primitiven Urzustand zu wollen (vgl. ­Adriani u.a. 1981: 45). Abgesehen davon, dass die Performance selbst größtenteils eine andere Aussage produziert, kann konstatiert werden, dass auch die KünstlerInnen der primitivistischen ‚modernen Kunst‘ nicht bloß ein ‚Zurück‘ gefordert hatten, sondern ebenfalls Fortschrittliches mit ‚Primitivem‘ verbinden wollten. Moffit stellt außerdem die These auf, dass eine ‚deutsche‘ Tradition in Beuys’ Fort- bzw. Umschreibung des Primitivismus auszumachen sei (1988: 83ff). 46 Er sieht darin ein Element der mythologischen Vorstellung von Deutschsein: „pantheism, the cult of nature, the cult of race, blood and soil, has continued alongside and beneath official religion, sometimes as intellectual speculation, sometimes a popular survival, even folklore“ (ebd.: 84). Diese Vorstellung führt er historisch auf die Charakterisierung der Germanen als kriegerisch, mystisch und als Wald-

43 Moffit geht in seiner Analyse von Beuys’ Kunst und Leben einer esoterischen Tradition nach und führt auch

Beuys’ Erfolg und Akzeptanz auf weitverbreitete esoterische Einstellungen zurück (1988). Seine Ausführungen dazu, inwieweit verschiedene Wissensformen bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts von esoterischen Traditionen geprägt sind, sind erstaunlich. Interessant ist für meine Arbeit insbesondere der Aspekt, welche ‚deutschen‘ Traditionen und nationalen Vorstellungen daraus sich in diesem veränderten Primitivismus wiederfinden. 44 So sehen beispielsweise Müller und Haehnel bei Beuys insofern keine Fortführung des Primitivismus, als sie diesen lediglich als „ikonographisches Zitat“ von oder „formalen Bezug“ auf vermeintlich ‚primitive Kulturen‘ lesen (Müller 1994: 9, Haehnel 2007: 142). Beide betonen dabei unter Bezug auf Beuys’ eigene Äußerungen, dass dieser die Figur des ‚Schamanen‘ angenommen habe, um „etwas Zukünftiges auszudrücken“ (zit. nach Müller 1994: 9f). 45 Der Primitivismus in Beuys’ Inszenierung ist insofern nicht rein konzeptuell, als er mit visuellen Zeichen für ‚Primitives‘ operiert. Insofern erweist sich Rubins Unterscheidung zwischen einem formalästhetischen Primitivismus der historischen Avantgarde und einem konzeptuellen in der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1984) auch hier als nicht zutreffend. 46 Inwiefern sich Beuys’ Kunst auch auf die deutsche Romantik zurückführen lässt, analysiert Theodora Vischer (1983).

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bewohner durch den römischen Geschichtsschreiber Tacitus (55 bis 115 n. Chr.) zurück, von dem sich die Deutschen ihr Selbstbild abgeschaut hätten (ebd.: 86). Gerade der Mystizismus ist immer wieder als pantheistisch und schamanistisch beschrieben worden.47 Beuys zitiert mit seiner Kunst diesen Mythos von Deutschsein und erkennt es im Anderen.48 Eine solche Projektion ist weder eine Ausnahme noch neu. Gerade in dem besonderen deutschen Interesse an ‚Indianern‘ lässt sie sich nach 1945 wiederfinden. So konnte die Kulturwissenschaftlerin Katrin Sieg in Interviews mit deutschen Indianer-Hobbyisten, die sich seit den 1950er Jahren in Vereinen zusammenfinden, ähnliche Begründungen für ihr Verhältnis zu ­‚Indianern‘ ausmachen (2002). Bevor ich darauf näher eingehe, stellt sich zunächst die Frage, welche Umschreibungen das Bild des ‚Indianers‘ außerdem erfährt, womit ich auch zu dem Aspekt der ‚Heilung‘ zurückkomme.

‚Ein traumatischer Punkt der Geschichte‘ Sowohl der Kojote als auch der ‚Indianer‘ stehen in der Rezeption nicht nur als Zeichen für ‚primitive‘ und ‚natürlich-ursprüngliche‘ Völker, die mit der Natur ‚harmonisch‘ zusammenleben, sondern ebenso für Minderheiten sowie für ­‚gejagte und dezimierte ethnische Gruppen‘ (vgl. Adriani u.a. 1981: 331; Schirmer 1996: 23). Präsent ist in den Kommentierungen außerdem, dass die gesamte Performance als Hinwendung zu einem ‚Opfer‘ wahrgenommen wird. Untermauert wird diese Interpretation häufig mit dem Zitat von Beuys: „Ich glaube, dass ich mit dem traumatischen Punkt in der Zusammensetzung der Energien in den Vereinigten Staaten in Berührung gekommen bin, mit dem Indianer, mit dem Roten Mann“ (Tisdall 1988: 10). Nur Gieseke und Markert problematisieren, dass sich Beuys nicht mit Vertretern indigener Kulturen, sondern mit einem Kojoten getroffen hat und damit einen Vergleich einer tierischen mit einer menschlichen Minderheit vornimmt (1996: 205).49 Auch der Verweis auf den Genozid an der indigenen Bevölkerung bleibt nur vordergründig relevant, wenn auf die brutale und gewaltvolle ­Geschichte nicht konkret verwiesen wird, sondern das Bild des ‚Indianers‘ vielmehr dazu dient,

47 Anfang des 20. Jahrhunderts hatten Wilhelm Worringer und Adolf Wölfflin bereits versucht, das psychologisch

und als wesenhaft gedachte ‚Deutsche‘ in der deutschen Kunst zu beschreiben. Mit ähnlichen Bezeichnungen wie das von Moffit analysierte ‚deutsche Selbstverständnis‘ sehen sie die ‚deutsche Kunst‘ als dunkel, unklar sowie nur individuell verständlich (Moffit 1988: 89ff). 48 Beworben wurde die Kojoten-Aktion mit einem Plakat in Frakturschrift. Die Frakturschrift gilt als ‚deutsche‘ Schrift. Sie war seit Mitte des 16. bis Anfang des 20. Jahrhunderts die meistbenutzte Schrift im deutschsprachigen Raum. Bei den Nationalsozialisten war sie allerdings nicht erwünscht, obwohl sie heute mit diesen häufig in Verbindung gebracht wird. Auch wenn die Verwendung dieser als nationalistisch-deutsch geltenden Schrift ironisch und provozierend gemeint war, bleibt der Verweis auf ‚Deutsches‘ bestehen. 49 Solche Vergleiche und semantischen Verknüpfungen sind in vielen Besprechungen unhinterfragt präsent (vgl. Paust 2000: 61; Blume 2007: 359).

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die Person Beuys weiter mythisch aufzuladen und in einen Diskurs der Identifikation mit Opfern einzuschreiben.50 Die Erlösung, die der ‚Schamane‘ Beuys verspricht, lässt sich an dieser Stelle weiter konkretisieren. Der Bezug eines aus Deutschland stammenden Künstlers auf ‚traumatische Geschichte‘ und verfolgte Ethnien muss unweigerlich auch an den nationalsozialistischen Genozid erinnern. So wundert es nicht, dass Tisdall und Schneede jeweils von Pogromen und Konzentrationslagern schreiben (Tisdall 1988: 11; Schneede 1994: 335). Dass beide Rezensenten dies lediglich auf Europa und nicht konkreter auch auf Deutschland beziehen, passt zu dem indirekten Ansprechen deutscher problematischer Geschichte bei Beuys. Buchloh hat diesen Aspekt bereits 1979 kritisiert (deutsche Übersetzung 1980).51 Er legt dar, dass die Arbeiten von Beuys auf die deutsche Geschichte als unbewussten und negierten Subtext verweisen, dass sie aber, anstatt ein Durcharbeiten zu ermöglichen, sich in Mythologien f lüchten. Thomas McEvilley bestätigt dies, wenn er schreibt, dass Beuys Geschichte allgemein als natürlichen Prozess und den Holocaust im Besonderen als Analogie zu einem solchen, zu Leben und Tod, darstellte und damit die Regression aus der Geschichte in die Natur vollzog (1988: 30ff). In seinem Resümee bleibt Evilley verhalten, wenn er schreibt: „und wenngleich seine Lösung für den Alptraum des Krieges in erster Linie mythisch, symbolisch und eskapistisch war, hat er sich ihm wenigstens doch gestellt“ (ebd.: 35). Neben Buchloh haben Gieseke und Markert thematisiert, wie genau Beuys sich ins Verhältnis nicht nur zur deutschen, sondern auch zu seiner eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit setzt (1996). Bezüglich der Kojoten-Aktion fragen sie, warum Beuys die Aktion nicht in Deutschland performte, wenn doch ‚traumatische‘ Ereignisse und Konzentrationslager den Hintergrund der Arbeit gebildet haben sollen (ebd.: 205).52 Sie lesen die Arbeit als ein Zeichen seiner eigenen unref lektierten Vergangenheit. Corinna Tomberger geht in ihrer Analyse der von Beuys und seinen Rezensenten verwendeten Metaphern der ‚Wunde‘ und ‚Heilung‘ noch einen Schritt weiter (2002). Sie sieht darin nicht nur ein Verleugnen eigener Geschichte, sondern auch ein Heilsversprechen für die besiegte deutsche Nation. Auch bezüglich der Kojoten-Aktion wird die Metapher der Wunde verwendet. So schreibt Tisdall in Bezug auf die problematische Vergangenheit der USA: „Die Wunde muss genommen und geheilt werden“ (1988: 10). Im folgenden Textabschnitt zitiert sie Beuys selbst, der gesagt haben soll: „Man könnte sagen, wir

50 Gieseke und Markert verweisen darauf, dass die Kritik an Lebensbedingungen der Indigenen der USA in

nationalrevolutionären Kreisen Deutschlands mehrfach als Vehikel für verschiedene Ideologien diente (1996: 203f). 51 Buchloh formulierte seine Kritik anlässlich der großen Retrospektive von Beuys im Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1979, Beuys’ erste große Einzelschau in den USA. 52 Sie folgern: „Wenn Tisdall Beuys richtig wiedergibt, hat Amerika einen Kojotenkomplex, der in Europa ein Gegenstück hat – einen Judenkomplex. Wir wollen Beuys hier keinen Antisemitismus unterstellen, aber – wenn auch wohlmeinend – reproduziert er genau dessen Chiffren“ (Gieseke und Markert 1996: 205).

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sollten die Rechnung mit dem Kojoten begleichen. Erst dann kann diese Wunde geheilt werden“ (ebd.). Wenn Beuys sich zu dem Kojoten begibt, ist das anscheinend die Aktion dazu. ‚Heilung‘ soll hier darüber funktionieren, dass Beuys sich zu einem naturmythischen Zustand (zurück) begibt, zum ‚Schamanen‘, ‚Ostmenschen‘ und ‚Indianer‘ wird und mit dem Kojoten ‚redet‘.53 Versprochen wird darüber nicht nur die Heilung der problematischen US-amerikanischen, sondern auch der ­deutschen Geschichte.54 Zusammenfassen lässt sich, dass Beuys in seiner künstlerischen Praxis tradierte Bilder vom kulturell Anderen – sowohl des ‚östlichen‘ ‚Schamanen‘ als auch des ‚Indianers‘ – für seine Selbstrepräsentation als Künstler, als Heiler und Heilsverkünder verwendet. Deutlich wird, dass die von Beuys reaktivierten Stereotype kultureller Differenz zwischen einer Leugnung der Differenz zum Anderen und der Anerkennung der Differenz bzw. der Abgrenzung von diesem Anderen ­oszillieren. Darüber hinaus wird durch kolonialistische Darstellungen vom und Anspielungen auf den Mythos des Ostens die Möglichkeit geboten, problematische ‚Bilder‘ deutscher (auch persönlicher) Geschichte zu überdecken bzw. umzuschreiben und Deutschland als ‚Ganzes‘, als ‚heile Nation‘ zu imaginieren. Mit dem Bild des ‚Indianers‘ wird es zusätzlich möglich, sich imaginär in die Ferne zu f lüchten, sich als ‚deutscher Künstler‘, als ‚Schamane‘ zu mythisieren und darüber die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte zu verweigern. Zwar kann der Bezug auf ‚Indianer‘ durchaus als ‚Verweis‘ auf eine problematische US-amerikanische Geschichte gelesen werden, gleichzeitig bietet er eine ­Möglichkeit, sich als ‚Deutsche‘ auf die Seite der Opfer zu imaginieren und den schamanistischen ‚Dialog‘ mit dem Kojoten als ‚Heilung‘ zu interpretieren. Indem die Kojoten-Aktion die Möglichkeit eröffnet, sich als ‚Opfer‘ zu denken, reiht sie sich in eine Praxis ein, die einen Großteil der deutschen Erinnerungskultur und darin die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den nationalsozialistischen Genozid bestimmt.55

53 Auch wenn verschiedentlich dem Vorwurf, dass Beuys ‚zurück‘ wollte, widersprochen worden ist, lässt sich hier nicht abstreiten, dass es in einem evolutionistischen Weltbild zu dieser Assoziation kommen muss. 54 Zahlreiche Analysen der Performance lesen sich, als wäre die ‚Heilung‘ von traumatisch empfundener Geschichte möglich. Donald Kuspit sieht diesen Versuch in Beuys’ Praxis, den er noch relativ wohlwollend beschreibt, letztlich aber als gescheitert, insofern seine Performances „zum kontemplativen Selbstzweck wurden“ (1995: 203), er selbst letztlich nur seine „eigene Tragödie“ (ebd.: 204) inszenierte und seine Kunst „nicht nur keine Heilung brachte, sondern gar die unbewusste Rechtfertigung Nazi-Deutschlands und seiner Verbrechen“ (ebd.: 208) darstellte. 55 Jüngst haben Ulrike Jureit und Christian Schneider dargelegt, wie die bundesdeutsche Erinnerungskultur von einem Wunsch der Identifizierung mit den Opfern und von Erlösungsfantasien dominiert ist (2010).

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‚Ethnic Drag‘ in der deutschen Erinnerungskultur56 Sieg hat in ihrer kulturwissenschaftlichen Analyse zu ‚ethnic drag‘ in der Bundesrepublik Deutschland ein Phänomen ausmachen können, das nicht nur strukturell ähnlich zu der Imagination als ‚Indianer‘, wie Beuys sie vornimmt, ist: die Praktiken sogenannter Indianer-Hobbyisten-Vereine (2000: 115ff). Die Mitglieder dieser Vereine zeichnen sich durch ein ‚ethnologisches‘ Interesse an der Geschichte und Kultur der indigenen Bevölkerung Amerikas, aber vor allem durch eine Selbst­ inszenierung als ‚Indianer‘ aus.57 Anhand von Interviews mit Aktivisten kann Sieg zeigen, dass die ‚Verkleidung‘ als ‚Indianer‘ über die Kostümierung hinausgeht und bis zu einer „notion of identification“ reicht (ebd.: 135). 58 Sie analysiert die deutsche Personifizierung des ‚Indianers‘ in diesen Vereinen als Versuche, mit der Schuld des nationalsozialistischen Genozids sowie mit der Scham und den ­Ressentiments umzugehen, die durch die Anschuldigungen gegen die Deutschen in den internationalen Kriegsgerichten und Entnazifizierungsprozessen hervor­ gebracht wurden (ebd.: 13). Sie kann darlegen, wie ‚ethnic drag‘ die Möglichkeit eröffnet, sich in die Reihe der Opfer und Rächer des Genozids einzuschreiben und nicht in die der Täter und Komplizen. Zunächst mag ein Vergleich dieser Hobbyaktivitäten mit Beuys’ Performance übertrieben erscheinen, es lassen sich aber Ähnlichkeiten zwischen den beiden Praktiken ausmachen. Mit Siegs Studie kann nicht nur belegt werden, dass das Bild des ‚Indianers‘ innerhalb der deutschen Erinnerungskultur eine spezifische Projektionsf läche darstellt, sondern auch, welche verschiedenen Projektionen vorgenommen wurden und weiter werden (2002). Eine erste Ähnlichkeit zwischen Beuys’ Aktion und den Praktiken der Hobbyisten liegt in der Vorstellung, nicht nur so zu tun ‚als ob‘, sondern die Figur des Anderen wirklich anzunehmen bzw. eine ‚spirituelle Verbindung‘ zu den ‚Indianern‘ zu behaupten. So wird Beuys immer wieder zitiert, dass er die Figur des ‚Schamanen‘ wirklich angenommen

56 Sieg definiert ‚ethnic drag‘ wie folgt: „ethnic drag includes not only cross-racial casting on the stage, but

more generally, the performance of ‚race‘ as a masquerade“ (2002: 2). Im Unterschied zu anderen feministischen und queeren TheoretikerInnen verwendet sie den Begriff ‚Drag‘ nicht ausschließlich für subversive Praktiken, sondern auch für solche, die dominante Diskurse stützen und geht mit ihren Studien sowohl den Möglichkeiten als auch den Grenzen des Drag-Modells nach. 57 Die Mitglieder der Vereine treffen sich regelmäßig zu Veranstaltungen, auf denen sie in selbstgemachter ‚typischer‘ traditioneller Indianerkleidung auftreten. Das Künstlerduo Andrea Robbins und Max Becher hat 1997/8 eine Fotoserie von solchen Treffen erstellt, s. die Homepage der KünstlerInnen: http://www.robbinsbecher.com/ RBworks.html (letzter Zugriff 10.03.2014). 58 Siegs Studie konzentriert sich auf die Praktiken der deutschen Hobbyisten. Susan Zantop verweist auf einen Gegendiskurs von indigenen amerikanischen SchriftstellerInnen, die kritisch über die deutsch-indianischen Beziehungen schreiben (2002: 7), z.B. Emma Lee Warrior (2002).

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habe während seiner Performance. Auch die Beteiligten der Indianer-Vereine ­verstehen sich als mehr als nur ‚verkleidete Indianer‘ (ebd.: 124). 59 Ähnlich ist weiterhin die Argumentationsweise, in der sie sich von ‚der Moderne‘ abwenden. Innerhalb der Gruppe der Hobbyisten sind die Vorstellungen, was darunter zu verstehen ist, unterschiedlich (ebd.: 136f). Für die meisten verkörpern ‚Indianer‘ eine intakte soziale Ordnung, die in Harmonie mit der Natur steht und daher essentiell ‚anti-modernistisch‘ ist. Gerade die jüngeren Mitglieder sehen die Suche nach nicht entfremdetem, gemeinschaftlichem Leben als Opposition zur Moderne. Andere wiederum assoziieren die Moderne mit dem Zerfall sozialer Hierarchien und kontrastieren sie mit der Stabilität patriarchaler Ordnungen, in der jeder ‚seinen Platz‘ kennt.60 Während gerade jüngere AktivistInnen eher einen ökologisch ‚alternativen‘ Lebensstil praktizieren, den Sieg als ‚grün‘ beschreibt, äußern die älteren – eher männlichen – Mitglieder, die in der direkten Nachkriegszeit ihr Hobby aufgenommen haben, durch ihr ‚Indianersein‘ Gefühle von „victimization, national defeat, and emasculation“ (ebd.: 117) symbolisch kompensieren zu wollen.61 Einige formulieren, dass sie sich ähnlich wie die ­‚Indianer‘ von den weißen Amerikanern unterdrückt fühlen. Die Unterdrückung, Verfolgung und der Genozid an der indigenen Bevölkerung Nordamerikas nimmt in den Narrationen der Hobbyisten einen wichtigen Stellenwert ein. Erzählt wird diese meist als Situation, in der die ‚Indianer‘ von ihrem Zuhause, ihrer Tradition und Familie abgeschnitten wurden. Die Deutschen werden dabei als Richter, Rächer und Bewahrer der indianischen Geschichte sowie als ebenfalls Opfer der USA imaginiert und nicht als Täter (ebd.: 130).62 Die Aussagen über Abgrenzungen zu dem, was den Indianer-Hobbyisten als ‚modern‘ gilt, ähneln den Rezep­ tionen von Beuys’ Aktion. 59 Deutlich wird diese Vorstellung der Hobbyisten in den verwendeten familiären Metaphern, mit denen ein

spezifischer ‚Bund‘ zwischen Deutschen und ‚Indianern‘ behauptet, historisch begründet und performt wird. Diese an Old Shatterhands und Winnetous Blutsbrüderschaft erinnernden Verbindungen werden von vielen Aktivisten auch insofern wiederholt, als sie sich von Native Americans rituell adoptieren lassen – interessanterweise tun dies fast ausschließlich Männer (Sieg 2002: 133f). 60 Sieg interviewte Hobbyisten sowohl aus West- als auch aus Ostdeutschland, ich beziehe mich hier lediglich auf ihre Analyse west-deutscher Hobbyisten. An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber jedoch erwähnt, dass viele Indianisten in der DDR die Moderne mit dem „technowissenschaftlichen“ sozialistischen Staat identifizierten, nach 1990 eher mit der beunruhigenden Modernisierung durch den westlichen Kapitalismus (2002). 61 An den Beispielen, die Sieg aufführt, wird deutlich, dass diese Motivationen keine Spekulationen oder Interpretationen der Wissenschaftlerin sind, sondern dass sie von den Aktivisten selbst so geäußert werden. 62 Begründet wird diese Narration einerseits mit dem Bezug zu deutschen Reisenden und Sammlern des 19. Jahrhunderts, denen eine Verbindung zur ‚indianischen Geschichte‘ zu verdanken sei, und andererseits mit ihrem eigenen Expertentum, mit dem sie sich als Ethnografen, aber auch als Retter der als verloren gedachten indianischen Kulturen verstehen. Dabei heben sie rhetorisch die Funktion des (historischen) Expertentums hervor und stellen sie in Relation zu „cultural authority“ (Sieg 130). Sieg legt dar, dass sich darüber eine Struktur einer „predication of cultural authority“ fortsetzt, die hier nicht länger auf Vorstellungen von ‚Rasse‘ beruht, sondern sich über Expertentum definiert. Sie kann diese implizite Machtstruktur insbesondere an Aussagen der Hobbyisten verdeutlichen, in denen sie behaupten, sie würden mehr über indianische Bräuche und Vergangenheit wissen, als die wirklichen Nachfahren der Indigenen. Dabei setzen sie ihr behauptetes ‚Wissen‘ und ihre ‚vermeintliche‘ Generosität über den vermeintlich unwissenden ‚Indianer‘ (ebd.: 131). Die Ambiguität, die sich bei vielen Hobbyisten hinsichtlich der ‚Echtheit‘ ihrer Performanz dennoch einstellt, versuchen viele dadurch zu lösen, dass sie sich eher als Künstler (!) verstehen, die die ‚Indianer‘ nicht duplizieren, sondern sich von diesen inspirieren lassen (ebd.).

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Weiterhin legt Sieg in ihrer Studie dar, dass die Form des ‚ethnic drag‘ als ‚Indianer‘ insbesondere deutschen Männern die Möglichkeit bot, sich wieder als Held und vor allem als ‚männlich‘ zu inszenieren (ebd.: 140). Die Inszenierung von Beuys als ‚Indianer-Schamane‘ ist ebenfalls eine Re-Inszenierung von Männlichkeit. Zwar sind Beuys’ Aktion und die Praktiken der Hobbyisten verschieden im Erscheinungsbild und unterschiedlich in den Abstraktionsvorstellungen, sie gleichen sich aber in den Vorstellungen vom indianischen Anderen und deren Aneignung als Projektionsfläche. Das Resümee Siegs zu den Hobbyisten lässt sich daher auch auf Beuys’ Aktion beziehen: „Given this situation, ethnic drag functions as the theatrical equivalent of historical denial and revisionism“ (ebd.: 7) und als „technology of forgetting” (ebd.: 12).

Transkulturelle Maskerade und Mimikry Beuys’ Form der Verhältnissetzung zum kulturell Anderen lässt sich als trans­ kulturelle Maskerade beschreiben. Maskierungen als kulturell Andere haben in Europa eine lange kulturgeschichtliche Tradition.63 In den meisten Fällen waren sie weniger Zeichen der Anerkennung kultureller Differenz, sondern vielmehr Reproduktionen von Stereotypen. Homi K. Bhabha hat für transkulturelle Inszenierungen den Begriff der ­Mimikry geprägt (2000).64 Er benennt zwei unterschiedliche Formen der Mimikry: die aus der Position der Minorisierten und Kolonialisierten, die mit dieser Strategie eine Möglichkeit der Subversion und der widerständigen Praxis besitzen, und eine Mimikry aus dominanter und kolonialistischer Position, die „eine der am schwersten zu fassenden und gleichzeitig effektivsten Strategien der kolonialen Macht und des kolonialen Wissens“ (Bhabha 2000: 126) ist. Beuys ‚spricht‘ und agiert von einer solchen dominanten Position. Seine Form der In-eins-Setzung erfüllt eine koloniale Mimikry, die Bhabha beschrieben hat als ein „Begehren nach einem reformierten, erkennbaren Anderen als dem Subjekt einer Differenz, das fast, aber doch nicht ganz dasselbe ist“ (ebd.). Weiterhin beschreibt er sie „als das Zeichen einer doppelten Artikulation eine komplexe Strategie der Reform, Regulierung und Disziplin, die sich den Anderen ‚aneignet‘ (‚appropriates‘), indem sie die Macht visualisiert“ (ebd.: 126f). Übertragen auf Beuys lässt sich folgern, dass seine Strategie der Mimikry hierarchisierte kulturelle Unterschiede zwar vorgibt zu über-

63 Viktoria Schmidt-Linsenhoff fächert in ihrem Aufsatz über die transkulturellen Maskeraden von Jean-Étienne

Liotard verschiedene Effekte von europäischen Selbstinszenierungen als Alteritäre auf (2004). Nina Trauth analysiert und diskutiert aus einer postkolonialen Perspektive orientalisierende Porträts des 17. und 18. Jahrhunderts (2008). 64 Die Bedeutung von ‚Mimikry‘ in der deutschen Sprache seit dem späten 18. Jahrhundert hat Claudia Breger dargelegt. Sie erläutert, dass mit ‚Mimikry‘ zunächst eher ‚Nachäffen‘ gemeint war und somit als ausgrenzende Bezeichnungspraxis diente (1999: 33f). Mit Bhabha erläutert sie den komplexen Prozess der Differenzierung zwischen ‚zivilisierten Menschen‘ und Anderen und verwendet sein Konzept zur Analyse von literarischen Strategien zweier migrantischer AutorInnen.

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schreiten, eigentlich aber im Gegenteil die Mimikry als ‚Indianer-Schamane‘ die Möglichkeit bietet, sich als männlicher, aber auch als hegemonial weißer deutscher Künstler zu inszenieren. Dass er dabei tradierte Stereotype reproduziert und sich das Bild des Anderen für eigene Zwecke aneignet, trägt nicht nur zur Sicherung seiner eigenen Position als Künstler bei, sondern letztlich auch zur Aufrecht­ erhaltung von Machtverhältnissen zwischen Weißen und denen, die als Andere, Nicht-Zivilisierte gelten.

Re-Aktualisierungen von Beuys und seiner Kojoten-Aktion Anfang des 21. Jahrhunderts schien Beuys als Künstler im deutschen Ausstellungsbetrieb zunächst keine große Rolle mehr zu spielen. Holger Liebs fragte daher 2006, ob Beuys in Vergessenheit geraten sei.65 Schon zwei Jahre später erweist sich diese Vermutung jedoch als voreilig. Zwar wird Beuys’ künstlerische Praxis als nicht mehr zeitgemäß und einer postmodernen und digitalisierten visuellen Kultur unangemessen benannt, gleichzeitig gibt es aber zahlreiche Bemühungen, Beuys wieder zu aktualisieren. Diese Re-Aktualisierung von Beuys wird auch über die Hervorhebungen seiner Auseinandersetzung mit kultureller Differenz versucht. Dass viele von Beuys’ Arbeiten innerhalb der Kunstgeschichtsschreibung immer wieder als Akt der ‚Transformation‘ beschrieben wurden, liefert einem Großteil der neueren Argumentationen den Ansatzpunkt. Benannt wurde Beuys’ Praxis als Transformation von Energien (Hoff 2006: 196), als Transformation von Sprache in Aktion und Energien (Tisdall 1988: 13), als Transformation von Chaos in Ordnung (Goodrow 1991: 101, Müller 1994: 175), als Transformation der „verlorengegangenen Einheit der Sinne“ (Müller 1994: 115) und nicht zuletzt als Transformation von Natur und von Geschichte (Goodrow 1991: 98). Die Transformation ist dabei immer wieder auch als Grenzüberschreitung interpretiert worden: Als Überschreitung der Grenzen zwischen Tier und Mensch (Oltmann 1994: 66), zwischen Natur und Kultur (McEvilley 1988: 31, Finkeldey 1993: 46f), zwischen Irrationalität und Rationalität (Bastian 1988: 9f, van der Grinten 1990: 12f), aber auch als Überschreitung kultureller und ethnischer Grenzen (Bastian 1988). Nur wenige (auch der neueren Publikationen) hinterfragen, ob diese künstlerischen Transformationen notwendigerweise auch zu veränderten Vorstellungen von kultureller Identität und Differenz sowie zur Umcodierung oder gar Dekonstruktion von Stereotypen führen – und wenn ja, mit welchen Konsequenzen sie dies tun. Fischer-Lichte, die in drei ihrer Publikationen auf die Kojoten-Aktion eingeht, interpretiert diese als eine ‚Transformation‘ eines schamanistischen in ein künst-

65 Liebs konstatiert am Ende seines Artikels: „Wir haben andererseits auch ein Werk, das noch als Ruine mächtiger

scheint als so manches Zeitgenössische. Jetzt muss sich nur ein Museum trauen, endlich einmal die ganzen Trümmer einzusammeln“ (2006). Ein ‚Einsammeln der Trümmer‘ im Sinne einer kritischen Relektüre von Beuys’ Arbeiten nahm aber auch die große Beuys-Retrospektive im Hamburger Bahnhof, Berlin, 2008/9 nicht vor.

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lerisches Ritual (vgl. 1998; 2000; 2004).66 Im Verlauf ihrer Argumentation in dem Aufsatz über die „Entdeckung des Performativen“ spricht sie der künstlerischen Performance allgemein die Eigenschaft der Verwandlung zu, die nicht in einem fixierten Zustand mündet, sondern diesen gerade negiert (1998: 47).67 Sie schreibt, die künstlerische Performance würde „dem Einzelnen Spielräume [eröffnen], um sich selbst permanent neu und anders wahrzunehmen, um ein immer anderes neues Selbst entwerfen zu können“ (ebd.). Weiterhin erklärt sie dort aber auch, dass künstlerische Performances nicht vor der Reproduktion und Stabilisierung bestehender Stereotypen geschützt seien (1998: 66).68 In ihren Besprechungen von Beuys’ Aktion verweist sie als Beispiel für eine solche Stereotypisierung darauf, dass die Position, Rolle und Funktion der ZuschauerInnen während der Performance derjenigen von kolonialen ‚Völkerschauen‘ entsprach (sie sieht diesen Aspekt insbesondere in dem Drahtgitter umgesetzt, mit dem der Kojote und Beuys von den BetrachterInnen getrennt waren) (1998: 44; 2000: 237). Sie führt bezüglich Beuys’ Aktion leider nicht mehr aus, dass die Möglichkeit des Spiels in Hinblick auf die Inszenierung des ‚Selbst‘ in der Aktion von Beuys zwar durchaus gegeben ist, dabei aber Bilder aufgerufen werden, die tradierte Stereotype von ‚Indianern‘, ‚dem Osten‘ sowie hegemoniale Männlichkeit restabilisieren. Dass Beuys in seiner künstlerischen Praxis tradierte Männlichkeitsbilder ­reproduziert, beschreibt dagegen Birgit Haehnel (2007). Sie widerspricht einer Lektüre seiner Kunst als Umsetzung von alternativen Männlichkeitsbildern bzw. androgynen Identitätskonzepten, wie sie z.B. Rhea Thönges-Stringaris vornimmt (1991). Haehnel wendet sich aber auch gegen Neumanns Vorwurf, Beuys würde sich in die Kette der zivilisationsmüden Künstler – Gauguin, die Kubisten, die Surrealisten – einreihen (Haehnel 2007: 142). Sie argumentiert, dass es Beuys „genau um dieses Zurück in einen natürlichen, primitiven Urzustand“ nicht gehe (Hervorh. B.H. ebd.). Ihre Argumentation begründet sie mit Beuys’ eigenen Aussagen, dass er den ‚Schamanen‘ als Denk- und Aktionsmodell nutzt. Diesen Rückgriff auf „vergangene Bilder“ versteht sie – ähnlich wie Fischer-Lichte – als Absicht, „diese zu transformieren und schließlich zu überwinden“ (ebd.) und folgert, dass es nicht um die Übernahme der Lebensweisen, sondern um die Benennung eines Prinzips ginge. Haehnel argumentiert weiter, „[Beuys] assimiliert jedoch die kulturelle Differenz ins eigene Weltbild und löst sie in seinem Fortschrittsdenken auf“ (ebd.: 150). Damit attestiert sie Beuys letztlich – wenn auch über einen anderen

66 Unter Bezug auf Stephen Greenblatt schreibt Fischer-Lichte von Übergangsritualen, in denen ‚soziale

Energien‘ zirkulieren und ausgetauscht würden (2000: 230). 67 Fischer-Lichte bespricht in diesem Aufsatz unterschiedliche Formen der künstlerischen Performance und stellt als deren Gemeinsamkeit die geleistete ‚Dominantenverschiebung‘ heraus. Mit diesem Begriff beschreibt sie die Verschiebung der Funktion der Performance weg von einer nur referentiellen hin zu einer performativen (1998: 85). 68 Der Einsatz des Körpers des Künstlers selbst lässt sich dabei auch als Element beschreiben, das – wie Fischer-Lichte es formuliert – die „rituelle Handlung“ beglaubigt (1998: 44) und eine ‚Authentizität‘ des Dargestellten behauptet.

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Argumentationsweg –, dass er an einer eurozentrischen Ordnung festhalte, die sich an den Idealen einer westlichen Moderne orientiert (ebd.: 155). Auch Kirsten Claudia Voigt widerspricht in dem Katalog „Herausforderung Tier“ (2000) der Annahme, Beuys verfolge regressive Ziele. Als Beleg dafür führt sie die bekannte Aussage an: „Ich habe ja die Figur des Schamanen wirklich ­angenommen während der Aktion“ (Beuys zit. nach Voigt 2000: 64). Im weiteren Verlauf ihrer Argumentation zitiert sie erneut tradierte Heils-Metaphern, wenn sie ausführt, dass der Kojote das demonstriere, „was Beuys eine ‚Wunde‘ nannte“ (ebd.: 73). Die Aktion interpretiert sie dann als Bild, in dem „Unterdrückung, ­Dämonisierung, Diffamierung, Verfolgung, Ausbeutung und Ausrottung von Mensch und Tier […] unlöslich voneinander […] zusammen[rücken]“ (ebd.: 64), womit abermals eine Analogisierung von nationalsozialistischem Genozid und dem Genozid an den indigenen Gesellschaften Amerikas vorgenommen, mit der Ausrottung von Tieren nahezu gleichgesetzt und als ‚heilbare‘ problematische Geschichte versprochen wird. Voigt sieht (und lobt) in Beuys’ künstlerischer Praxis dann allgemein eine Bewegung in Richtung einer „Inkorporierung des Anderen“, eine „Suche nach dem Fremden im Selbst“ und eine „Identifikation“ mit diesem (ebd. 67), ohne dies jedoch näher auszuführen oder zu befragen. Die Ausstellung „I like America and America likes me“, die 2006 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt gezeigt wurde, hob bezüglich Beuys’ Aktion ebenfalls den Aspekt des Verweises auf ‚Indianer‘ bzw. die Umgangsweise westlicher Einwanderer und den heutigen USA mit der indigenen nordamerikanischen Bevölkerung hervor. Thema dieser Schau war die Begeisterung in den deutschsprachigen Ländern für den ‚Wilden Westen‘, die im 19. Jahrhundert einsetzte. Erstmals in der deutschen Ausstellungsgeschichte wurden verschiedene visuelle Repräsentationen von ‚Indianern‘ aus Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts ausgestellt. Während der erste Teil der Ausstellung einen breiten Materialfundus unterschiedlicher und auch widersprüchlicher Indianerbilder zusammenstellte, behauptete der zweite und wesentlich kleinere Teil von Exponaten aus dem 20. Jahrhundert einen ‚Bruch‘ mit vermeintlich überkommenen Stereotypen. In diesem Abschnitt wurden vorwiegend Objekte aus der bildenden Kunst gezeigt, die – da weitestgehend unkommentiert – als ‚schlauere‘ im Sinne von ‚nicht stereotypisierenden‘ Dar­ stellungen anmuteten. Am Ende des Ausstellungsrundganges und damit quasi als ‚Lösung‘ wurde Beuys’ Kojoten-Aktion präsentiert: Eine Wandtafel nannte zunächst politische Organisationen der indigenen Bevölkerung Amerikas und deren Aktivitäten Mitte der 1970er Jahre und folgerte, dass Beuys’ Arbeit sicherlich auf diese bezogen gewesen wäre und auf diese verweise. Im Katalog beschreibt Eugen Blume die Aktion entsprechend als „geistiges Auf klärungsstück“ (2006: 361). Blume grenzt Beuys’ Referenz auf ‚Indianer‘ ab von Stereotypen des ‚edlen Wilden‘ und von einer Verleugnung der „europäischen Vernichtungszüge“ (ebd.: 363f). Unter Bezug auf Steiner sieht er in der Aktion die Markierung des Punktes, „an dem alle friedvollen Möglichkeiten [der Begegnung von Europäern und ‚Indianern‘] verspielt worden sind“ (ebd.: 367).

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Auch Edward Lucie-Smith versucht Beuys – ähnlich wie Blume – als Paten für ‚Minderheiten‘ darzustellen. In seinem Katalog „Rasse, Klasse, Sex in der zeit­ genössischen Kunst“ (1994) bringt er verschiedene bis dato marginalisierte KünstlerInnen aus ‚außereuropäischen‘ Ländern zusammen. Unter der Überschrift „Transgressive Kunst und der moderne Schamane“ (56) reiht er Beuys in diese „Minderheitenkulturen“ ein (7). Beuys wird dabei zunächst in bekannter Erzählweise als Erneuerer der Kunst dargestellt. Abschließend wird beschrieben, dass nicht unbedingt deutsche KünstlerInnen Beuys’ „Lektionen in einer viel grund­ legenderen Art gelernt haben“, sondern solche, die „Repräsentanten von Minderheitsgruppen“ waren (1994: 63). Lucie-Smith’ Hinweis, dass Beuys’ Aufruf, das Museum als politische Plattform zu nutzen, zu der zunehmenden Sichtbarmachung von marginalisierten KünstlerInnen beigetragen hat, ist möglicherweise noch zu rechtfertigen. Beuys hier als Lehrmeister von ‚Minderheitengruppen‘ darzustellen, ist lächerlich. Es erkennt besagten Gruppen zum einen abermals eine eigenständige Handlungsfähigkeit ab und negiert bereits bestehende (künstlerische) Widerstandspraktiken von Subalternen. Zum anderen imaginiert diese Narration Beuys erneut auf die Seite der Marginalisierten. Die Stilisierung des Künstlers als Außen­ seiter und Marginalisierter entspricht dem Bild vom Avantgardekünstler, wie es Irit Rogoff für die deutsche Moderne herausgearbeitet hat (1989) und wie es sich weit ins 20. Jahrhundert hinein noch ausmachen lässt. Insgesamt lässt sich in der Rezeption eine Tendenz feststellen, Beuys von dem Vorwurf eines erneuten Primitivismus zu befreien. Einige RezensentInnen versuchen, ihn außerdem noch als Paten von Minorisierten in aktuelle postkoloniale Debatten einzuschreiben, verkürzen dabei jedoch deren theoretische Annahmen, die auf einer vehementen Kritik von essentialisierten und binären Dichotomien basiert, zu einer simplifizierenden Vorstellung von ­‚Transformation‘ oder inszenieren Beuys als ‚Helden‘ von ‚Minderheiten‘. Damit wird die Mythologisierung und Idealisierung von Beuys als männliches Künstlergenie weiter fortgeführt.

Kritiken an Beuys’ Schamaneninszenierung Der Titel der Aktion „I like America and America likes me“ lässt sich in zwei Weisen lesen: In einer ironischen Lektüre ist Amerika gleichgesetzt mit den zeitgenössischen USA, die Beuys eigentlich nicht mögen und die ihn auch nicht gerade begeistert empfangen haben. Die USA werden damit zu einem – in Deutschland beliebten – Feindbild und stehen im Gegensatz zu Beuys’ eigener oder individueller Mythologie. Das ‚Amerika‘ im Titel lässt sich aber auch als das präkolumbianische Amerika lesen. Personifiziert wird dieses durch den Kojoten, der Beuys mag und den auch Beuys mag. In diesem Verständnis fügt sich Amerika wiederum in Beuys’ Mythologie. Beide Lesweisen münden letztlich zusammen mit der Arbeit in eine ähnliche Botschaft: Es gibt eine Welt außerhalb

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der westlichen, amerikanisierten, kapitalistischen, die krank und entfremdet ist. Diese andere Welt ist mehr natürlich, ist im Osten und im ursprünglichen ­Amerika, sie ist in der weiten Steppe und in der Prärie zu finden. Projiziert werden in diese Steppe und in die Prärie Bilder vom Ostmenschen und vom ‚Indianer‘. Angeeignet werden damit Bilder vom kulturell Anderen für eine Reartikulation und symbolische Aufladung von ‚weißer‘ Männlichkeit und Künstlerschaft. Obwohl als i­ ndividuelle Mythologie deklariert, werden dabei tradierte Stereotype von kultureller Differenz, die festschreibend sind und auf hierarchisierenden Differenzkonstruktionen b ­ auen, reproduziert. Die Kojoten-Aktion kann zwar unter Umständen Anlass dazu geben, auf den Genozid der indigenen Gesellschaften Amerikas zu verweisen, sie benennt diesen jedoch nicht dezidiert und vermittelt keine konkreten Informationen dar­ über. Vielmehr wird in der Aktion das Versprechen erhoben, dass problematische Geschichte geheilt werden könnte und auch andere den Genozid ‚hinter sich ­gebracht‘ haben. Für einen solchen Heilungsprozess beansprucht Beuys, sich mit den als ‚primitiv‘ vorgestellten Kulturen nicht nur zu treffen, sondern er wird auch einer von ihnen. Aufgerufen wird das stereotype Bild eines naturmythischen Ursprungsortes, zu dem Beuys zurückkehrt. Dieses Bild kann als Deckerinnerung beschrieben werden, das sowohl Bilder der amerikanischen als auch der deutschen Vergangenheit ersetzt.69 Es hält außerdem das Versprechen einer Heilung bereit. Die versprochene Heilung ermöglicht es, unaufgearbeitete und als ‚sinnlos‘ ­erscheinende gewaltvolle Geschichte gerade nicht als solche zu erinnern. Vielmehr kann sich der Betrachtende hier in naturmythische, fremde ferne ‚Welten‘ imaginieren und f lüchten, um geheilt zu werden. Die deutsche Kunstgeschichte ist bis heute mit Kritik an Beuys sehr zurückhaltend. 2008 entzündete sich an einem Artikel von Beat Wyss in der Zeitschrift Monopol anlässlich der Retrospektive zu Beuys im Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin, eine Debatte, die aufzeigte, dass Beuys für viele in Deutschland weiterhin als unangreif bar gilt. Wyss argumentierte unter dem polemischen Titel „Der ewige Hitlerjunge“, Beuys habe in seinem Künstlerhabitus Ideen und Symbole verinnerlicht, die ihm als Hitlerjunge eingeimpft worden waren. Ihm sei es gelungen, eine Verschmelzung von „völkischem Wandervogel“ und „68er Rebell“ zu erreichen (ebd.). Weiterhin kritisierte Wyss, dass die Beuys’sche Vorstellung von Politik „patriarchal bis in Mark“ sei (ebd.). Diese Aussagen, die letztlich das wiederholen, was viele der von mir zitierten kritischen Beuys-Analysen bereits anhand von Beuys’ Selbstinszenierungen als Künstler, aber auch an seinen künstlerischen Arbeiten dargelegt haben, führten zu einem Sturm der Entrüstung, der sich u.a. in Zeitungsartikeln und in verschiedenen Statements in der folgenden Monopol69 Sigmund Freud hat mit dem Begriff der Deckerinnerung ein Modell des Vergessens bzw. Nicht-Vergessens entworfen, das nicht nur auf individueller, sondern auch auf einer makrokulturellen Ebene zu denken ist (1964). Er beschreibt sie als ein Erinnerungsbild, das die zumeist problematische Erinnerung ersetzt: „anstatt des ursprünglich berechtigten kommt ein anderes Erinnerungsbild zustande, welches gegen das erstere um ein Stück in der Assoziation verschoben ist“ (1964: 536). Es ist eigentlich „eine Verdrängung mit Ersatz auf etwas Benachbartes“, in der sich Unbewusstes im Bewussten fortsetzt und umwandelt (ebd.: 537).

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Ausgabe äußerte.70 Während einige die Kritik begrüßten oder zumindest teilweise nachvollziehen konnten, beharrten die meisten auf dem vermeintlich unantast­baren Mythos von Beuys. In der Kunstpraxis finden sich seit Längerem schon kritischere Stimmen. So bezog sich beispielsweise Katharina Sieverding 1977 im von der Gruppe General Idea herausgegebenen File Magazin auf Beuys’ Kojoten-Aktion. Mit „I like to look at America and America likes to look at me“ betitelte sie eine im HomeStory-Stil aufgenommene Fotoserie, die Repräsentationen von Hollywood-Schauspielerinnen in Zeitschriften wie dem Life Magazin parodierte (File Magazin No. 3, 1978: 28).71 Eine künstlerische Dekonstruktion des Bildes vom Künstler-Schamanen nahm 1978 Lili Fischer vor. Fischer erstellte eine Bild-Text-Collage, die sie in der Zeitschrift Kunstforum International veröffentlichte. Kombiniert waren in dieser Arbeit Fragmente aus ethnologischer Fachliteratur über ‚Schamanen‘ mit Bildern von künstlerischen Selbstinszenierungen als ‚Schamane‘ (vor allem von Beuys), die handschriftlich kommentiert waren (zum Teil mit der von Jacques Derrida entlehnten Strategie der Durchstreichungen). Fischer befragt mit dieser künstlerischen Arbeit die Selbstinszenierung als Anderer und das Begehren weißer westlicher Künst­lerInnen an dem, was als kulturell different und schamanistisch gilt.72 Zehn Jahre später fokussierte Jimmie Durham auf das Indianer-Stereotyp. Schon mit dem Titel seiner Arbeit „Not Joseph Beuys Coyote“, wird deutlich, dass er sich gegen die Vereinnahmung und das Begehren nach dem Anderen, das auch ihm selbst als ‚native american‘ entgegengebracht wird, wendet. Eher als indirekte Kritik lässt sich die 2008 im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, ausgestellte Arbeit „Der Hof“ benennen. Die Montage eines anonymen KünstlerInnenkollektivs war in erster Line eine Hommage an Cheikh Anta Diop, das Projekt beinhaltete zugleich Anspielungen auf Beuys’ Symbolik und konfrontierte diese mit deutscher Kolonialgeschichte. Von dieser Kombination ließen sich Verweise auf Tradierungen und Transformierungen kolonialistischer Fantasien und rassistischer Stereotype in Beuys’ künstlerischer Praxis ableiten.

70 Die Zeitschrift Monopol veröffentlichte in der Ausgabe, die auf die mit dem von Wyss geschriebenen Artikel

folgte, eine Reihe von Statements (11/2008: 30f). 71 Gesehen in der Ausstellung „General Idea“ in den Kunstwerken, Berlin, 2006. 72 Für eine ausführliche Besprechung von Lili Fischers Arbeit s. Kuni (2004: 212ff).

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4. Repräsentationen kultureller Differenz im Kontext von Kriegen und Dekolonisationsbewegungen: zwei Arbeiten von Wolf Vostell (1968 und 1980) Kulturelle Differenz wurde und wird im 20. und 21. Jahrhundert vor allem über Massenmedien zu sehen gegeben. In den 1960er Jahren waren es insbesondere Bilder von Dekolonisierungsbewegungen und damit verbundenen Kriegen und Kämpfen, die über Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen verbreitet wurden.1 Sowohl der Vietnamkrieg als auch die neokolonialistische ‚Afrikapolitik‘ der westlichen Staaten riefen vielerorts Protestaktionen hervor, die ebenfalls Bildmaterial erzeugten. Gleichzeitig fand in der westlichen Kunst eine Hinwendung zur Populär­ kultur und darin inbegriffen zu Massenmedien statt. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Repräsentationen von kulturell Anderen aus dem Kontext von Kriegen und Dekolonisationsbewegungen, die in der visuellen Kultur zirkulierten, künstlerisch be- und verarbeitet wurden. Einer der bekanntesten deutschen Künstler, der sich mit solchen explizit politischen Themen und ihren Visualisierungen auseinandersetzte, war Wolf Vostell. Er integrierte sowohl Bilder aus dem Vietnamkrieg als auch visuelle Repräsentationen aus anderen Kriegen in seine Collagen und Happenings. Mit seiner künst­ Susan Sontag schreibt, dass „die denkwürdigen Schauplätze des Leidens, die in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts […] dokumentiert wurden“, meistens in Asien und Afrika lagen (2005: 46). Auch der Medienwissenschaftler Siegfried Zielinski konstatiert, dass die sechziger Jahre „vor allem flimmernde Kriegsbilder in die bundesdeutsche Wohnzimmer-Gemütlichkeit“ brachten. Es waren „vor allem […] Kriegsbilder von den zahlreichen aktuellen Schauplätzen, an denen versucht wurde, gesellschaftliche Konflikte mit militärischen Mitteln zu lösen: Bilder aus dem Kongo und Angola, aus dem Irak und aus Jemen, aus Indien, Biafra, Malaysia, Kaschmir; Bilder aus dem Nahen Osten“ und Bilder aus Vietnam (Zielinski 1984: 51). Zielinski vermutet außerdem, dass diese Bilder Versuche waren, „den Eroberungskrieg der Nazis und seine politischen Wurzeln verstehbar zu machen“ (ebd.). Eine ähnliche Folgerung werde ich bezogen auf die Arbeiten von Vostell diskutieren. 1

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lerischen Praxis erhob er den Anspruch, „die Menschen gegen Krieg und Intoleranz zu erziehen.“2 Anhand von zwei dieser auf Vermittlung einer Botschaft ausge­ richteten künstlerischen Arbeiten werde ich in diesem Kapitel analysieren und diskutieren, was für Bedeutungen und Aussagen bezüglich kultureller Differenz entstehen, wenn solche Bilder aus den Massenmedien in der Kunst bearbeitet werden. In den Blick geraten dabei die spezifischen Möglichkeiten der Kommentierung und Ref lexion, wie sie die Darstellungsformen der Montage und Collage, die Vostell in spezifischer Weise mit Übermalungen und Verwischungen kombinierte, bieten. Deutlich wird, dass im Kontext von Fluxus, Pop Art und der aufkommenden Diskussion um einen ‚neuen‘ Realismus in der Kunst und einer Gegenbewegung gegen die Dominanz der Abstraktion das Verständnis von Kunst und ihrer gesellschaftspolitischen Funktion erneut zur Debatte stand.3 Der Pop Art wird Vostells Praxis aufgrund seiner Verwendung von Bildern, Materialien und Ästhetiken der Populärkultur zugeschrieben, wenn auch viele Fluxus-Aktivisten sich von dieser durch Galerien geförderten Kunst distanzierten (Jaschke 1987). Vostell selbst verortete sich vor allem in der Fluxus-Bewegung,4 an deren Aktivitäten und Festivals er teilnahm. Wie viele der Fluxus-KünstlerInnen versuchte auch Vostell, sich einer bürgerlichen Kunstpraxis zu entziehen und den Kunstmarkt zu unterlaufen sowie disziplinäre Grenzen der Kunst zu überschreiten.5 Sein Beitrag zu beiden Richtungen war es erklärtermaßen, gesellschaftliche Reali­ tät darzustellen. Ausgangspunkt dafür waren vorgefundene Materialien und bekannte Bilder, die er in seine Arbeiten integrierte und bearbeitete.6 Er griff dabei bewusst auf künstlerische Strategien der Dadaisten zurück, die seiner Meinung nach in der BRD zu wenig beachtet wurden.7 Angelehnt an Collagekonzepte, wie sie schon John Heartfield konzipiert hatte, entwickelte er das Prinzip der ‚dé-coll/age‘. Auf den Begriff der ‚dé-coll/age‘ wurde Vostell 1954 durch einen Artikel über einen Flugzeugabsturz in der französischen Tageszeitung Figaro aufmerksam. Ihm gefielen die vielfachen Bedeutungen, mit denen dieser Begriff in Langenscheidts Wörterbuch (1954) übersetzt wurde: los-machen, Losgehen des Geleimten, Aufsteigen eines Flugzeuges, abreißen und abkratzen. Als ‚dé-coll/age‘ bezeichnete Vostell danach zunächst seine Plakatabrisse (den Prozess selbst wie das Ergebnis) und später auch seine Happenings, Environments, Fernsehaktionen sowie ganz allge-

Vostell zitiert nach einem Artikel der Zeitung Die Zeit, Nr. 9, 21. Feb. 1992. Eberhard Roters schreibt, dass Vostell um 1960 die Realismus-Diskussion in der BRD mit ausgelöst habe (1982: 49). 4 Verschiedentlich ist erklärt worden, dass Fluxus keine Bewegung gewesen sei, sondern eher eine ‚Geisteshaltung‘ (Jaschke 1987), für die Bezeichnung von Fluxus als Bewegung spricht jedoch, dass es koordinierte und organisierte Aktivitäten gab und ähnliche Ambitionen unter das Label ‚Fluxus‘ gestellt wurden. 5 Martin Damus hat herausgearbeitet, dass sich in der BRD insbesondere die Fluxus-Bewegung als Gesellschaftskritik formierte und mit den Studentenbewegungen, den Protesten gegen den Vietnamkrieg und der Kritik an der fehlenden Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden war (1995: 225). Auch die deutsche Variante der Pop Art gilt als dezidiert politisch. 6 Vgl. Vostell in einem Gespräch mit Jürgen Schilling (Ausst.-Kat. Vostell 1980: 7). 7 Auch diesen Aspekt erwähnt Vostell im Gespräch mit Schilling (ebd.). 2 3

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mein jegliche ästhetische Praxis. Verwiesen wurde mit diesem Wortspiel neben einer formalästhetischen Strategie vor allem auf ein künstlerisches Intervenieren in das vorhandene Bildrepertoire und das damit erzeugte Analysieren und gleichzeitige Produzieren von bildlichen Aussagen und Bilderpolitiken. 8 Rezipiert wird Vostell dementsprechend als Künstler, dessen Intention es war, unterschiedliche Realitätsebenen und Realitätsfragmente in Form von Zeitungs­ ausschnitten, Abbildungen aus Illustrierten, Plakaten und Fernsehbildern zusammenzubringen (vgl. Wedewer 1992: 16).9 Seine Be- und Verarbeitung dieser Materialien wird als gesellschaftspolitische Stellungnahme interpretiert, insbesondere als Verweis auf die Möglichkeiten des künstlerischen Eingreifens (vgl. Roters 1982: 49). Vostells Formen der Aneignung von Bildern aus den Massenmedien initiieren somit meist auch eine Befragung von medialen Strukturen.10 Seine Interventionen in das gefundene Material ‚stören‘ und durchkreuzen Darstellungsweisen und Wahrnehmungsmuster. Welche Funktionen kulturell Anderen bzw. Repräsentationen von kulturell Anderen in dieser medienkritischen Perspektive zugewiesen werden und welche Positionen sich darüber für weiße Betrachtende und den Künstler in der Verhältnissetzung zum Anderen eröffnen, soll im Folgenden diskutiert werden.

„Die Fluxisten sind …“ im Kontext der 1970er/80er Jahre Die Collage „Die Fluxisten sind die Neger der Kunstgeschichte“,11 1980, (190 × 240 × 50 cm) [Abb. 25], besteht aus einer auf Leinwand gezogenen Fotografie einer Anti-Apartheid-Demonstration in Südafrika, auf die verschiedene Elemente (elf Fotoapparate unterschiedlicher Marken und Zeiten, zwei Stöcke, Bleifolie, schwarzer Stoff bzw. Kleidung, ein Tonbandgerät und ein Wolfspräparat mit Micro-TV) sowie Übermalungen und Schriftzeichen appliziert wurden.12 Zu sehen ist auf der linken Bildhälfte eine Demonstration von Schwarzen, denen auf der rechten Seite ein schwarzer und ein weißer Polizist mit Schäferhund gegenüberstehen. Die Fotografie hat Vostell vermutlich einer Zeitung oder Illustrierten entnommen. Bilder von kämpfenden schwarzen Aktivisten zirkulierten seit Zuspitzung der Auseinandersetzungen in Südafrika Ende der 1970er Jahre weltweit in den Medien. Vostell setzte sich mit der ‚dé-coll/age‘ von einer künstlerischen Praxis ab, die sich ausschließlich mit formalästhetischen und formalistischen Kriterien befasste. Deutlich wird das in seiner Abgrenzung von den Nouveaux Réalistes. Die arbeiteten zwar in ähnlicher Weise wie Vostell mit Plakatabrissen und Decollagen, konzentrierten sich seiner Meinung nach jedoch zu sehr auf formalistische Aspekte (Euler-Schmidt 1992: 88). Für eine ausführliche Diskussion von Vostells Terminologie s. Werner Schäfke (1992). 9 Seine Strategie bezeichnet Vostell in einem Interview selbst mit den Worten: „Mir ging es darum, phänomenale, einmalige Bilder, die das Weltgedächtnis prägten, in meine Malerei aufzunehmen“ (Gespräch mit Schilling im Ausst.-Kat. Vostell 1980: 12). 10 Kathrin Hoffmann-Curtius verweist in ihrer Besprechung von Vostells Arbeit „Wir waren so eine Art Museumsstück“ (1964) darauf, dass die Hoffnung, die Wirklichkeit festhalten zu können, mit der Einschätzung der dokumentarischen Fotografie aber verbunden blieb (2005: 74). 11 Im Folgenden abgekürzt als „Die Fluxisten sind …“. 12 Sie befindet sich heute in der Privatsammlung des Fluxus-Sammlers und Galeristen Gino di Maggio, Mailand. 8

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Die dominante Afrika-Berichterstattung änderte sich in Deutschland in den letzten fünfzig Jahren erstaunlich wenig. Bis heute wird Afrika in der hiesigen Presse, aber auch im Fernsehen usw. in erster Linie als Ort von Kriegen, Krisen und Konflikten dargestellt (Krems 2003, Mükke 2009). Manfred Paeffgen legte dies schon 1976 in einer Analyse der Berichterstattung über Afrika in bundesdeutschen M ­ edien zwischen 1949 und 1972 dar. Er konstatiert, dass sich in den 1960er Jahren zwar die Rede über Afrika insofern verschob, als nun auch über die Unabhängigkeitserklärungen vieler afrikanischer Länder berichtet und diesen darüber eine ­gewisse Eigenständigkeit zuerkannt wurde, dabei ein Ethnozentrismus, der ‚westliche‘ Lebensweisen und Werte universal setzt, aber letztlich nur subtiler wurde und nicht verschwand (1976: 240). Auch Siegfried Jäger hat darauf verwiesen, dass bis heute eine stereotype Charakterisierung des afrikanischen Kontinents als ‚nackte Katastrophe‘ dominiert (2001: 128). Solche Repräsentationen unterstützen die Vorstellung, dass Krisen, wie der Bürgerkrieg in Südafrika, als unvermeidlich und von deren BewohnerInnen selbst verschuldet seien. Außerdem zeugen sie von einem mangelnden Interesse an den konkreten Geschichten und Situationen afrikanischer Staaten und von einer westlichen Rhetorik der Leugnung einer eigenen Verwicklung in diese (ebd.).13 Zu dem Kontext, in dem Vostells Arbeit zu verorten ist, gehören aber auch die seit den 1960er Jahren in kritischen Zusammenhängen geleisteten Auseinandersetzungen mit Kolonialismus und Sklaverei sowie Problematisierungen der Repräsentationen von AfrikanerInnen und Schwarzen durch People of Color.14 Ihre Aktivitäten führten zu einer Sichtbarkeit und Sensibilisierung für diese Themen, die auch von einigen weißen Kulturschaffenden aufgenommen wurden und deren Bearbeitungen bis in die sogenannte Populärkultur reichten (wenn auch die dabei entstandenen Produktionen teilweise tradierten Stereotypen verhaftet blieben).15 Deutlich werden die Effekte dieser Thematisierungen in den 1980er Jahren, so wurde beispielsweise Ende der 1970er Jahre die US-amerikanische Fernsehserie „Roots“ in der BRD gezeigt, eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Alex Haley, einem afrikanischen US-Amerikaner, der entlang einer schwarzen Familien­ saga die Sklaverei-Geschichte in den USA erzählt. Ein Beispiel für den deutschen

13 Südafrika war auch in der Wissenschaft nur von geringem Interesse, eine der wenigen kritischen Arbeiten über die Situation in dem Apartheidsystem verfasste Freimut Duve (1965). Duve wendete sich gegen die in der westdeutschen Regierung proklamierte Annahme, dass die Apartheidregierung in Südafrika eine ‚Flankendeckung‘ gegen den Kommunismus sei. Vor allem Heinrich Lübke hatte diese Rhetorik vor seinem Amtsantritt als Außenminister (1959) verwendet (Duve 1965: 91ff). 14 Diese Zusammenhänge formierten sich abseits von dominanten Institutionen in linksaktivistischen Zusammenschlüssen. Sie waren auch in der BRD vor allem von People of Color, die in der BRD lebten, wie auch von solchen, die zum Studium oder zum Arbeiten in die BRD kamen, organisiert und initiiert worden, s. dazu Seibert (2008). 15 Auch die Schriften von Frantz Fanon waren bis in die 1970er Jahre in der BRD einflussreich. „Die Verdammten dieser Erde“ wurde bereits fünf Jahre nach Erscheinen ins Deutsche übersetzt (1966). Das Buch „Schwarze Haut, weiße Masken“ wurde erst 1980 auch auf Deutsch publiziert. Laut Herfried Münkler war Fanon in der Bundesrepublik in den 1980er Jahren allerdings nur noch wenigen ein Begriff (1988: 117).

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Abb. 25 Wolf Vostell Die Fluxisten sind die Neger der Kunstgeschichte 1980, 190 x 240 cm, Bleifolie, ausgestopfter Wolf, Micro TV, Holz, Kleider, Fotokameras und Acryl auf Leinwandfoto

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Film ist „Cobra Verde“. 1987 von dem weißen deutschen Regisseur Werner Herzog gedreht, führt der Film den Sklavenhandel und seine Akteure (u.a. gespielt von Klaus Kinski) als brutal und ungerecht vor. In der Literatur wurden der Kolonialismus und das europäische Verhältnis zu Afrika zum Beispiel von den weißen deutschen Autoren Uwe Timm („Morenga“, 1978), Thomas Ross („Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonathan“, 1979) und Hubert Fichte („Psyche“, 1990) in den kritischen Blick genommen.16 Im Vergleich dazu sind ‚Afrika‘ sowie das (historische) europäische Verhältnis zu und die Wahrnehmung von diesem Kontinent und seinen BewohnerInnen in der bildenden Kunst nur selten kritisch thematisiert worden.17

Die Repräsentation einer Konfrontation Die demonstrierenden Schwarzen auf Vostells Collage bilden durch die Vergrößerung der Fotografie im oberen Viertel der Collage eine überlebensgroße Menschenmenge. Auf elf Gesichter wurden jeweils Fotoapparate ins Bild montiert. Außerdem sind die so betonten Schwarzen handschriftlich mit Namen von internationalen – überwiegend weißen – Fluxus-Künstlern und einer Fluxus-Künstlerin versehen (von links nach rechts): Kaprow, Ben, Lebel, Vostell, Knowles (als die einzige ­genannte Künstlerin), Brecht, Filliou, Paik (als einziger nicht weißer Künstler), Chiari, Maciunas und Higgins. Ganz außen rechts, unter einem Gesicht ohne Fotoapparat, ist zusätzlich der Nachname des italienischen Fluxus-Sammlers, Mäzens und heutigen Besitzers der Arbeit, Gino Di Maggio, zu lesen.18 Im Zentrum der Fotografie ist eine Gruppe von drei Männern mit einem Hund zu sehen, über die der Konf likt zwischen schwarzen Demonstranten und weißer Staatsmacht zugespitzt repräsentiert ist: Ein weißer uniformierter Polizist steht am rechten Bildrand und hält einen Schäferhund kurz an der Leine.19 Links schräg hinter ihm steht ein Schwarzer, der als schwarzer Polizist identifiziert werden kann.20 Er scheint einen Demonstranten anzuschreien und deutet ihm zusätzlich mit seiner linken Hand zurückzutreten. Der so Zurückgewiesene tritt dieser ­Geste entgegen. Er ist kein Schwarzer, unter seiner Schirmmütze und Vostells Über­

16 Zum Thema ‚Afrika‘ in ausgewählter deutscher, ‚politischer‘ Literatur nach 1960 s. Lacina Yeo (2004). 17 Eine Ausnahme ist ein Gemälde von Martin Kippenberger, „ohne Titel“, 1982, das durch Überzeichnung

das Stereotyp vom ‚Afrikaner als Diener‘, wie er vor allem in der frühen Tabakwerbung und in sogenannten Tikifiguren vorkam, reflektiert (Sammlung Falckenberg, Hamburg). Eine weitere ist ein Gemälde von Gerhard Richter, „Neger (Nuba)“, 1964, das als Reflexion oder Appropriation einer Fotografie im Stil von Leni Riefenstahl interpretiert werden könnte. 18 Die Namen sind auf den Reproduktionen nur schwer zu erkennen, sie sind im Ausst.-Kat. „Vostell und Berlin“ aufgeführt (1982: 188). 19 In Höhe des rechten Armes des Polizisten ist ein Aufnahmegerät ins Bild montiert. 19 In Höhe des rechten Armes des Polizisten ist ein Aufnahmegerät ins Bild montiert. 20 Schwarze Polizisten mussten in Südafrika andere Kleidung als ihre weißen Kollegen tragen und wurden Ende der 1970er Jahre vor allem gegen die aufständische schwarze Bevölkerung eingesetzt.

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malung sind seine Gesichtszüge als ‚asiatische‘ erkennbar. 21 In der von Vostell verwendeten Fotografie sind die Demonstranten zwar eindeutig nicht weißer, aber auch nicht homogen schwarzer Hautfarbe. Auch die Staatsmacht ist nicht einheitlich durch weiße Personen repräsentiert. Betont wird der dargestellte ‚Konflikt‘ durch die nachträglich über die gesamte Fotografie aufgetragenen Farbspuren. Neben weniger hellblauer ist es vor allem rote Farbe, die Blut und Verletzbarkeit assoziieren lässt und die als Attacke auf die Leinwand die repräsentierte Gewalt wiederholt. Die Konfrontation wird so als körperlich und brutal ausgetragene visualisiert. Wie in anderen Arbeiten Vostells sind die Farbspuren aber auch eine intervenierende Strategie, sie wiederholen quasi die Proteste der dargestellten Demonstranten auf der Ebene der künstlerischen Praxis. Der Kampf zwischen Demonstranten und Staatsmacht wird durch weitere Materialien zusätzlich akzentuiert. Auf der Höhe des Halses des asiatischen ­Demonstranten ist ein schwarzer Stoff (vermutlich eine alte Herrenhose) angebracht. Zwei weitere schwarze Kleidungsstücke sind im Bereich der demonstrierenden Menge ins Bild montiert. Die herunterhängende Kleidung erscheint nicht besonders wertvoll und suggeriert in klischierter Weise eine Armut der Demonstrierenden, die durch die Fotografie nicht unbedingt vermittelt wird (die Aktivisten, die hinter dem Asiaten stehen, sind mit weißem Poloshirt und mit Hemd plus Sakko eher modisch-leger gekleidet, nur der Asiate trägt eine aus Schirmmütze, Jacke und Hose bestehende einfache Arbeitskleidung). Die gebraucht wirkenden montierten Kleidungsstücke erinnern außerdem an abwesende respektive tote Körper. Unter Bezug auf Roland Barthes erläutert M ­ onika Wagner, dass Kleidung wie Fotografien eine Emanation des vergangenen Wirklichen sind und vom Tod handeln (2001b: 98). Vor allem durch das Stoffteil, das in Höhe der Schnauze des Schäferhundes angebracht ist, verweist die Montage auf zu Tode gekommene schwarze Freiheitskämpfer. Die fotografierte Szene wird darüber zusätzlich dramatisiert. Ein weiteres Element sind Bleifolien. Sowohl unterhalb der Schnauze des Schäfer­ hundes als auch an drei Stellen der abgebildeten demonstrierenden Menschenmenge wurden sie ins Bild appliziert. Das von Vostell häufig verwendete Material ist multivalent codiert. Die Autoren22 des Ausstellungskatalogs „Vostell. Extremadura“ beschreiben Blei aufgrund seiner Materialeigenschaften als brauchbar, um etwas zu überdecken und im übertragenen Sinne visuell ‚auszulöschen‘ (1992: 77). Gleich21 2,5 % der Bevölkerung Südafrikas sind bekanntermaßen asiatischer Herkunft. Die meisten sind Nachfahren

von Indern, die Mitte des 19. Jahrhunderts als Landarbeitskräfte in die englische Kolonie geholt worden waren. Nachdem sie von 1946 bis 1948 kurzzeitig die Möglichkeit politischer Mitbestimmung erhielten, unterschied sich ihr Status im Apartheidsystem kaum von dem der Schwarzen, und so arbeitete der Inder-Kongress schon früh mit dem African National Congress of South Africa (ANC) zusammen an der Abschaffung des rassistischen Systems. Ende der 1970er Jahre waren Inder auch in den erstarkten Gewerkschaften der Schwarzen vertreten. Fotografien mit asiatischen Demonstranten aus dem Anti-Apartheid-Kampf sind zwar selten, aber durchaus vorhanden. Zur Geschichte Südafrikas, auch des ANC s. Jörg Fisch (1990). 22 Der Text wurde verfasst von Antonio Franco Domínguez, José Antonio Agúndes García und Javier Cano Ramos.

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zeitig sei Blei aber auch ein lebendes und dynamisches Material, mit dem sich Spannungen auf großen Oberflächen kreieren lassen (ebd.). Demzufolge kann das Blei als Zeichen für die Auslöschungen interpretiert werden, wie sie die süd­ afrikanische Medienzensur vornahm, die bestimmte Bilder nicht zeigte oder vernichtete. Zugleich kann es auch als Verweis auf die ‚Auslöschung‘ von Menschenleben gelesen werden. Auf einer weiteren Ebene signifizieren die Bleifolien aber auch das Potential, das von den Demonstranten ausgeht und eine Spannung in den existierenden Machtverhältnissen in Südafrika erzeugt. Darüber hinaus fungieren sie – wie auch die Farbspuren – als Störung und Irritation des Blicks. Der Blick wird außerdem irritiert durch den im linken Bildteil in die Collage montierten dünnen Holzstab sowie durch einen schmalen Stock, die beide senkrecht nach oben ausgerichtet sind, so als würden sie von den Demonstranten in den Händen gehalten. An der Verästelung des Stockes ist ein Stück blaues Plastik befestigt, das mit den blauen Farbspuren korrespondiert. Diese Betonung der demonstrierenden Gesten entspricht Repräsentationen von aufständischen Schwarzen, wie sie in den westlichen Medien gerne lanciert wurden und weiter werden. Axel Rosen hat bezogen auf die deutschen Berichterstattungen kritisiert, dass sie eine vermeintliche Primitivität betonen würden, „die quasi das Bild eines Kampfes im vorzivilisatorischen Naturzustand suggeriert“ (1993: 10). Rosen bezieht sich in seiner Analyse zwar in erster Linie auf die verwendete Rhetorik der Texte, bebildert seine Kritik aber mit Aufnahmen von bewegten Mengen von schwarzen Demonstranten, die Stöcke hochhalten und visuell dieses ‚Bild‘ transportieren. Auf der von Vostell verwendeten Fotografie fehlen derartige Kampfwerkzeuge oder -symbole, sie sind über die beiden hölzernen Elemente der Collage nachträglich hinzugefügt worden. Insgesamt wird mit der überwiegend roten Farbe, den Kleidungsstücken und den ergänzten Stöcken eher der Eindruck eines ‚primitiven‘, archaischen Kampfes evoziert.23 In der Collage scheinen diese Zuschreibungen zwar in primitivistischer Manier positiv konnotiert zu sein, sie sind deswegen aber nicht weniger stereotyp. Die schwarzen Demonstranten versinnbildlichen durch die verschiedenen Elemente und Bezüge auch urtümliche, ‚primitive‘ – und durch die Stöcke auch phallische – Kraft. Insofern macht die Collage so zwar durchaus auf den Anti-Apartheid-Kampf aufmerksam, bedient in dieser Ausgestaltung aber auch ein stereotypes Bild. Das Wolfspräparat im rechten unteren Bildteil stützt dieses stereotype Bild zunächst. Es ist mit einem am Hals befestigten Micro-TV-Gerät direkt neben dem Polizeihund in die Collage montiert. Mit geöffnetem Maul und aufgerissenen Augen adressiert es die Betrachtenden direkt. Der in der Collage angedeutete Kampf 23 Auf einer anderen Collage von Vostell, „Beat of life“ aus der Serie „Desastres de la Guerra“, 1972, ist eine

ähnliche Zeitungsfotografie montiert: schwarze Demonstranten stehen einem weißen Polizisten mit Hund gegenüber. Die Zeitung hat die Fotografie als ‚Beat of life‘ untertitelt, Vostell übernimmt diesen Titel. Das kann zwar durchaus als Übertreibung und damit auch als offensichtlich gemachte Stereotypisierung der Schwarzen als besonders ‚lebensnah‘ und musikalisch gelesen werden, die ironische Wendung bleibt aber dezent. Die Collage ist abgebildet im Ausstellungskatalog: Wolf Vostell. Kestner-Gesellschaft, Hannover 1977, S. 87.

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wird dadurch zusätzlich als animalischer inszeniert.24 Platziert ist der Wolf allerdings auf ‚der Seite‘ der Vertreter der rassistischen, weißen Staatsmacht. Zusammen mit dem Wissen, dass Vostell in anderen Arbeiten eine kritische und fast schon aggressive Haltung dem Fernsehen gegenüber eingenommen hat, kann das Fernsehgerät hier insofern auch als ideologisches Kampfinstrument und Medium der staatlichen ‚Manipulation‘ verstanden werden.25 Der Wolf ist in dieser Lesweise eher ein ‚Wolf im Schafspelz‘, der ‚böse‘ ist und sich als ‚gut‘ tarnt (die in christlich geprägten Gesellschaften gebräuchliche Metapher stammt aus dem Neuen Testament, Matthäus 7,15). Ein Einspruch in die mediale Vermittlung der Kämpfe und Machtverhältnisse ist also auch hier vorhanden. Ambivalent wird die Bedeutung von Wolf und Fernsehgerät weiterhin, wenn einbezogen wird, dass Ersterer auch (Vor-)Namensverwandter von Vostell ist und damit das an dessen Hals angebrachte Fernsehgerät neben einer kritischen Reflexion auch als künstlerische Möglichkeit des Öffentlichmachens von politischen Konflikten gelten kann.26

Der Titel – die Gleichsetzung Letztlich wird die Botschaft der Collage jedoch von dem provokanten Titel überschrieben und vereindeutigt. Durch ihn werden die visualisierten schwarzen ­A ktivisten zu einem Bild, das stellvertretend für eine überwiegend weiße, männliche Künstlerbewegung steht (symptomatischerweise ist z.B. Ben Patterson, einer der schwarzen Fluxus-Mitglieder, nicht genannt). Dieser Signifikationsprozess nimmt einen westlichen Diskurs auf, in dem ‚Schwarze‘ (blackness) als Metapher für jegliche Protestbewegung oder generell für Widerständigkeit fungieren ­(Magubane 2004).27 Vostells Collage bedient sich einer solchen Metaphorisierung, um die Fluxisten als rebellisch, widerständig und zugleich ausgeschlossen darzustellen. Die Kolonialgeschichte und ihre Fortwirkungen werden durch diese Meta­ phorisierung erneut entnannt, Weißsein bleibt strukturell weiterhin unsichtbar. Die Künstlerbewegung der Fluxisten, die sich programmatisch gegen bürgerliche Kunstkonventionen ausspricht und sich einem etablierten Kunstmarkt

24 Die Tradition dieser Ikonografie lässt sich mit Asger Jorn belegen, der 1950 schrieb: „Oft kann man den

Kampf zwischen den Menschen, das Essentielle besser beschreiben mit fantastischen Tieren, einfach, primitiv, die bloßen Instinkte, als durch die Schilderung einer spezifischen Situation, eine Auseinandersetzung zwischen Polizei und streikenden Arbeitern“ (1993: 40). 25 Fernsehapparate verwendet Vostell in verschiedenen seiner Arbeiten. Bereits Anfang der 1960er Jahre hatte er zeitgleich mit Nam June Paik die Kunsttauglichkeit des Fernsehens erprobt (Daniels 2004). Während einige KünstlerInnen der Utopie, im Fernsehen eine Erweiterung der Kunst zu sehen, in dieser Zeit weiter nachgingen, bezog Vostell mit seinen Arbeiten eher eine kritische Position (ebd.). 26 Zur Doppeldeutigkeit in der Verwendung des Fernsehers in Vostells künstlerischer Praxis s. den Katalogtext von Antonio Franco Domínguez, José Antonio Agúndes García und Javier Cano Ramos in „Vostell. Extremadura“ (1992: 63). 27 Zine Magubane analysiert in ihrem Buch „Bringing the Empire Home“ (2004) wie „images of blackness“ zwischen 1800 und 1900 in England metaphorisch verwendet wurden. Eine umfassende Analyse der Verwendung von Schwarzen oder Schwarzsein als Metapher in deutschsprachigen Kontexten steht meines Wissens noch aus.

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a­ bsichtlich entzieht, wird in der Collage aber nicht nur metaphorisiert, sondern über den Titel auch gleichgesetzt mit der Position von Schwarzen in kolonialistischen Machtverhältnissen. Auf der Bildebene ist die Gleichsetzung dadurch visualisiert, dass einzelne der fotografierten Demonstranten handschriftlich mit Namen von Künstlern dieser Gruppierung versehen sind. Die Position der Ausgeschlossenen, die hier für die Künstlergruppe reklamiert werden soll, wird zusätzlich skanda­ lisiert über die Verwendung einer extrem abwertenden Fremdbezeichnung für Schwarze aus dem Kontext des Kolonialismus. Während in einigen Ländern Europas und in Nordamerika schwarze Widerstandsbewegungen zu einer Sensibilisierung gegenüber diskriminierenden Bezeichnungspraxen führten, hat es laut Susan Arndt in der BRD bis in die 1980er Jahre hinein kaum kritische Auseinandersetzungen mit dem Begriff ‚Neger‘ gegeben (2011: 655).28 In deutschen Wörterbüchern wurde zwar seit Mitte der 1970er Jahre auf eine abwertende Bedeutung hingewiesen, die Kritik an der Verwendung blieb (und bleibt teilweise immer noch) ziemlich vage (ebd. und Kramer 2006). Dieser mangelnden Ref lexion entspricht, dass in der BRD auch in linken, aber mehrheitlich weißen Gruppen das rassistische Wort lange noch verwendet wurde, auch um sich selbst oder ausgegrenzte weiße Personen damit zu bezeichnen. Die Titulierung von als marginalisiert verstandenen Subjekten mit dem pejorativen Begriff war in diesen Zusammenhängen seit den 1960er Jahren beliebt geworden. Beispielsweise war im weißen Feminismus der Slogan „Die Frauen sind die Neger der Welt“ gängige Praxis, wie Birgit Rommelspacher im Nachhinein kritisiert hat (1998: 107). Rommelspacher legt dar, dass diese Analogiesetzung im Ökofeminismus eine Gemeinsamkeit in der Ausbeutung der kolonisierten Völker und der Ausbeutung der Frauen als ‚Rohstoff‘ hervorhebt, ohne die Frage nach den Unterschieden zu stellen (1998: 107). Weiterhin kritisiert sie, dass dabei die Kategorienbildung suggeriert, dass nur Weiße Geschlechterverhältnisse haben (ebd.). Während für die BRD diese Kritiken von Rommelspacher und anderen (z.B. Eichhorn 1992)29 relativ spät geäußert wurden, ist zum Beispiel bekannt, dass es

28 Auch in linken Zusammenhängen scheint der Begriff in den 1980er Jahren noch geläufig gewesen zu sein.

Eine erste kritische Begriffsgeschichte aus afro-deutscher Perspektive haben Katharina Oguntoye, May Opitz und Dagmar Schultz 1986 formuliert (20 – 23). Eine jüngere Analyse hat Susan Arndt verfasst (2011), sie zeigt die bis heute andauernde Verwendung und die vagen Formulierungen einiger Wörterbücher auf. Eine systematische Untersuchung des Gebrauchs in unterschiedlichen Kontexten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute sowie auch der Kritiken steht allerdings noch aus. Der Frage, seit wann und warum der Begriff heute überwiegend als abwertend gilt, geht Ulrike Kramer anhand einer Analyse von elf deutschen Wörterbüchern nach (2006). Sie kann zeigen, dass ab Mitte der 1970er Jahre zumindest in einigen auf die abwertende Bedeutung hingewiesen wird, was sich im Verlauf der 1980er Jahre durchsetzt. Kramer weist aber auch darauf hin, dass der achtbändige DUDEN von 1994 noch keine Hinweise zu der pejorativen Konnotation vornimmt, diese wird erst 1999 in der zehnbändigen Ausgabe aufgeführt (2006: 86 – 108). 29 In der BRD hat beispielsweise Karin Schrader-Klebert 1967 in ihrem Aufsatz „Die kulturelle Revolution der Frau“ (Kursbuch 17) provokativ geschrieben: „Frauen sind die Neger aller Völker und der kollektiven Geschichte“, s. dazu die Kritik von Cornelia Eichhorn (1992).

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in den USA zu Kritik und Diskussionen um die Begriffsverwendung kam, als John Lennon und Yoko Ono 1972 ihre bekannte Single „Woman is the Nigger of the World“ veröffentlichten.30 Bezüglich der zehn Jahre später in der BRD gezeigten Collage von Vostell (auch wenn diese sicherlich weit weniger Aufmerksamkeit erregte als Onos und Lennons Liedtitel) konnte ich dagegen keine Kritiken ausmachen. Mittlerweile ist die Vereinnahmung des rassistischen Terminus aus der Perspektive von Weißen als kritisch gemeinte Selbstbenennung von verschiedenen Verbänden von People of Color ausdrücklich problematisiert worden (z.B. der Braune Mob e.V.).31 Negiert würden dabei – so der wichtige Einspruch – die unterschiedlichen Positionen in einer (immer noch) weiß dominierten Gesellschaftsstruktur. Auch in Vostells Collage wird die Differenz der Positionen von Schwarzen in rassistischen Machtverhältnissen und der überwiegend weißen Fluxus-Bewegung im internationalen Kunstfeld verkannt. Ich will hier nicht in Abrede stellen, dass sich Vostell und seine Kollegen mit ihrer künstlerischen Praxis und mit ihren Themen aus dem Kunstsystem ausgeschlossen gefühlt haben und es teilweise auch waren.32 Insofern ist meine Kritik hier auch nicht nur, dass mit dem Titel der Collage erneut eine rassistische Bezeichnung zitiert wird, sondern vor allem, dass die Collage eine Analogisierung vornimmt, die anmaßend ist und die unterschiedliche Situiertheit in Machtverhältnissen komplett ignoriert bzw. sogar als gleiche umdeutet. Indem die Visualisierung von demonstrierenden Schwarzen für die Selbstdarstellung einer überwiegend weißen, männlichen Künstlergruppe vereinnahmt wird, wird der in der Collage ja auch dargestellte schwarze Widerstand gegen kolonialistische Gewaltstrukturen nahezu unsichtbar gemacht. Dass die Rezeption (s. der nächste Abschnitt) die Collage ausschließlich als Porträt der Fluxisten bzw. eigentlich nur von Vostell selbst liest und kein Wort über die Anti-Apartheid-Kämpfe verliert, bestätigt und vereindeutigt diese Bedeutungsproduktion.

30 Erwähnt wird diese Kritik beispielsweise auch unter dem Eintrag zu diesem Lied auf der deutschsprachigen

Version von Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Woman_Is_the_Nigger_of_the_World (letzter Zugriff 8.11.2014). 31 Der Braune Mob e.V., ein Verein von Schwarzen Deutschen, die in den Medien und/oder in der Öffentlichkeit tätig sind und sich gegen diskriminierende und stereotypisierende Darstellungen von Schwarzen engagieren, betont, dass die Geusenwort-Strategie nur von einigen Schwarzen verwendet wird/werden kann und nur eine Möglichkeit ist, mit einer der schlimmstmöglichen Beleidigungen umzugehen. Siehe dazu http://www. derbraunemob.info/faq/#f13 (letzter Zugriff 7.04.14). 32 Infrage zu stellen ist außerdem, ob die Fluxisten in den 1980er Jahren alle überhaupt noch als ‚außerhalb‘ des Kunstbetriebs stehend bezeichnet werden können. Thomas Kellein hat darauf verwiesen, dass seit Anfang der 1980er Jahre viele Kataloge und Publikationen über die Fluxisten erschienen (1994: 9). Mittlerweile sind Objekte aus ihren Happenings auch in museale Sammlungen aufgenommen. Paradox ist diese Situation der Fluxisten insofern, als eine Kanonisierung und Musealisierung ihrem eigentlichen Programm (sich gegen tradierte Kunstformen und den dominanten Kunstbetrieb zu wenden) widerspricht und ihre Arbeiten sich aufgrund der Prozesshaftigkeit auch nur schwer archivieren lassen. Vostells So-wie-Setzung ist auch von daher eher eine Selbststilisierung als ‚Künstler-Außenseiter‘.

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Die Rezeption In der kunsthistorischen Rezeption wurde die Collage „Die Fluxisten sind …“ insgesamt nur selten besprochen. Kurz nach ihrer Fertigstellung diente sie zunächst als Hintergrund eines fotografischen Porträts Vostells für eine Reportage des Zeit-Magazins (vom 4.09.1981). Im dazugehörigen Text wird sie jedoch nicht mal mit Titel erwähnt. Aufgezählt werden lediglich einige sichtbare Details. Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre erhält die Arbeit eine neue Aufmerksamkeit. In einem Artikel in der Zeitung Die Zeit anlässlich der ersten großen Retrospektive Vostells, die 1992 von sechs Kölner Museen gezeigt wurde, wird die Collage unter der Überschrift „Das Leben, die Kunst, die Kalbin und der Neger“ (21.02.1992) erwähnt. Gelesen wird sie darin ausschließlich als Anklage gegen den deutschen Kunst- und Kulturbetrieb, der Vostell Anfang der 1970er Jahre aus Köln vertrieben und ihn erst 1977 durch eine Beteiligung an der documenta 6 geehrt hätte. Im selben Jahr schreibt Michael Euler-Schmidt eine der wenigen Interpretationen. Und auch er artikuliert, dass Vostell mit dem Bild reflektiere, wer wann das Recht besitzt, „eine neue Kunstform ‚zuzulassen‘ oder ‚in Unfreiheit zu halten‘“ [Hervorh. M.E.-S.] (1992: 87). Weiterhin erläutert er an der Collage, wann und warum Vostell von Köln nach Berlin ging, und sieht in ihr „die Kölner Unterdrückungsmechanismen“ thematisiert (ebd.: 98). 1993 wird die Arbeit in der Kunstgalerie Gera in der Ausstellung „Vostell. Leben = Kunst = Leben“ gezeigt und im dazugehörigen Kata­ log abgebildet (wenn auch nur als Schwarz-Weiß-Reproduktion, 1993: 162). Einen schriftlichen Kommentar dazu gibt es nicht. Die wenigen Artikel, in denen Vostells Arbeit genannt wird, thematisieren diese ausschließlich als Kritik am Status der Fluxisten (bzw. eigentlich sogar nur an Vostells Status), ohne auf die verwendete Fotografie und die Relevanz des Vergleiches der künstlerischen Bewegung von mehrheitlich weißen Künstlern mit einer schwarzen Anti-Apartheid-Bewegung näher einzugehen. Vielmehr stimmen die Rezensenten ein in die Erzählung vom Künstler als Außenseiter und Ausgeschlossener, ein Status, der in der europäischen Kunstgeschichte schon länger dem weißen westlichen Künstler bereitgehalten wird (s. zum spezifisch deutschen Kontext: Rogoff 1989: 23). Die Rezeption bestätigt damit die mit der Collage produzierte Botschaft und die darin angerufenen und fortgeschriebenen Diskursformationen: In „Die Fluxisten sind …“ wird ein tradierter weißer, männlicher Künstlermythos mit Diskursen der Metaphorisierung von und einer Gleichsetzung mit Schwarzen überblendet, womit der Künstler sich selbst und einige seiner Kollegen stilisiert. Diese Überblendung rassistischer und künstlermythologischer Diskurse scheint in den ersten vier Jahrzehnten der Nachkriegszeit in der BRD besonders attraktiv gewesen zu sein. Nachdem im Nationalsozialismus ‚moderne Künstler‘ als entartet diffamiert und moderne Kunst verboten worden war,33 33 Das habe ich in der Einleitung unter Verweis auf den Erlass des nationalsozialistischen Volksbildungsministers

Thüringens, Wilhelm Frick, von 1930 bereits dargelegt.

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spielten KünstlerInnen und Rezensenten nach 1945 immer wieder auf diese Geschichte an und verwendeten dabei teilweise abermals den rassistischen Terminus, um vermeintliche eigene Ausschlüsse damit zu spek­ takularisieren. Während die Anspielung auf die Diffamierung von Künstlern im NS in den genannten Rezensionen nur implizit und eher als Subtext vorkommt, ist zumindest der Bezug auf die NS-Geschichte bei einer explizit. Gerhard Jaschke übernahm 1987 den Titel der Collage für einen Artikel in Freibord. Zeitschrift für Literatur und Kunst, in dem er die Fluxisten charakterisierte. Ohne näher auf die Collage einzugehen, liest er sie als „Versuch, ein Porträt der Fluxus-Gruppe zu liefern“ (Jaschke 1987: s.P.). Symptomatischerweise verliert auch er kein Wort über Südafrika und die Apartheid, konstatiert dafür aber: „Auf der großformatigen Fotografie vermeint man sich mittendrin in Rommels Afrikafeldzug“ (ebd.). Unklar ist an der zitierten Aussage, ob gemeint war, dass die abgebildeten wie Rommels Truppen selbst erscheinen (was eigentlich unsinnig wäre, da Rommels Truppen aus Weißen bestanden, gleichwohl findet sich eine solche Gleichsetzung, die unterschiedliche Hautfarben und deren Positioniertheiten in Machtverhältnissen ignoriert, ja auch in der Collage). In diesem Verständnis würde die ­eigentlich visualisierte Demonstration nicht nur ignoriert, sondern mit dem Afrika-Feldzug des Nazi-Generals Erwin Rommel verglichen. Damit würde der Mythos von Rommel als ‚Wüstenfuchs‘, der in der deutschen Erinnerungskultur immer wieder als ‚bloßer‘ Kriegsstratege entschuldet und glorifiziert wird, tendenziell unterstützt. Entnannt würde darüber auch Rommels äußerst brutales Vorgehen gegen schwarze Soldaten, die auf Seiten der Alliierten gegen die deutschen Truppen in Nordafrika (nicht Südafrika, gleichwohl aber mit südafrikanischen Soldaten) und ihre kolonialistischen Absichten kämpften. Verstehen ließe sich die Aussage aber durchaus auch als Vergleich mit der Situation, in der sich Rommel und seine Truppe schwarzen Soldaten gegenüber befunden haben. (Unterstützt würde diese Lesweise von der Tatsache, dass Rommel und seine Truppe unterlegen waren.) Mit einem solchen Verständnis will ich die Aussage und den Vergleich hier nicht rechtfertigen, aber vermuten lässt sich aufgrund dieser Formulierung, dass der Rezensent sich hier in seiner weißen, traditionellerweise überlegen gedachten Position auch ‚angegriffen‘ sieht. Auf der Bildebene lässt sich ein solcher Angriff auf weiße Überlegenheitsfantasien durchaus ausmachen. Die visualisierten Schwarzen sind hier auch als Widerständige und vor allem als Fotografierende sowie Blickende ins Bild gesetzt und nicht, wie in der offiziellen und dominanten Bilderpolitik üblich, als Opfer oder als chaotische Katastrophe. Im Folgenden fokussiere ich daher noch einmal auf die Bildebene, insbesondere auf die ins Bild montierten Fotoapparate, um von da aus die Frage der Verhältnissetzung der unterschiedlichen politischen Bewegungen (der schwarzen AntiApartheid-Aktivisten und der mehrheitlich weißen, männlichen Fluxus-Aktivisten) erneut zu diskutieren.

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Fotoapparate – der Blick wird zurückgeworfen Das auffälligste Element der Montage sind elf Fotoapparate, die Vostell in Höhe der Augen der Demonstranten ins Bild montiert hat.34 Die Kameras sind auf das Geschehen im Bildvordergrund, aber auch auf die Betrachtenden vor dem Bild gerichtet, die so direkt adressiert und in die Arbeit einbezogen werden. Vostell verwendete Fotoapparate auch in anderen Arbeiten als Montageelemente. Für ein Selbstporträt übermalte er 1976 eine Fotografie von sich selbst und setzte eine Kamera kurz unterhalb seiner Augen ins Bild.35 In einer Reihe von „Jesus-Variationen“, 1978/79, die aus Reproduktionen bekannter Christus-Darstellungen bestehen, die teilweise übermalt wurden, versah er die dargestellten Gesichter ebenfalls mit Fotoapparaten.36 Während mit dem Selbstporträt so Blicken bzw. konkreter Fotografieren als künstlerische Praxis dargestellt und hervorgehoben ist, könnte man in den „Jesus-Variationen“ fotografisches Blicken mit dem ‚göttlichen Blick‘ und mit seherischen Fähigkeiten gleichgesetzt verstehen, wenn auch durch die Übermalungen nicht ungebrochen oder unkritisiert einfach nur dargestellt. Das fotografische Blicken könnte darin auch als Möglichkeit, Fähigkeit oder Tätigkeit betont sein, die die Vorstellung vom ‚göttlichen Blick‘ quasi ablöst und das Imaginieren von einem übersinnlichen, alles wissenden Blick obsolet werden lässt. Die Betonung des (fotografischen) Blicks als Möglichkeit, ‚Wahrheit‘ zu bezeugen, entspricht der Wichtigkeit, die die Fotografie in der südafrikanischen Befreiungsbewegung hatte. Der African National Congress (ANC) sammelte seit seiner Entstehung Fotografien in Archiven, um diese zur „Information, Aufklärung und Anklage“ zu verwenden, wie es im Klappentext des Fotobandes „Alltag der Apartheid“ (1987) heißt.37 Die in Vostells Collage integrierten Fotoapparate können als Verweis auf diese besondere Bedeutung der Fotografie für den Kampf gegen Apartheid und für das Dokumentieren und Öffentlichmachen der rassistischen Realität Südafrikas gelesen werden. Vostell hat verschiedene Marken und überwiegend historische Modelle ins Bild gesetzt: Ein Fotoapparat von der Marke Polaroid, die

34 Dabei verdecken die Fotoapparate aber nur teilweise die Gesichter, meist sind sie vor ein Auge oder kurz

unterhalb der Augen auf der Leinwand angebracht. 35 Abgedruckt im Ausst.-Kat. „Wolf Vostell“ des Braunschweiger Kunstvereins (1988: 10). 36 Ebd.: 135. 37 In diesem vom ANC herausgegebenen Band sind diverse Aufnahmen aus den Archiven des ANC veröffentlicht. Neben den Texten im Band verdeutlicht auch die für den Einband ausgewählte Fotografie den Stellenwert dieses Mediums: Zu sehen ist ein weißes Truppenaufgebot, das auf einer fast menschenleeren Straße steht. Die Soldaten riegeln ein ‚schwarzes Ghetto‘ (eines der sogenannten Townships) ab, ihnen gegenüber hängen zahlreiche Werbeschilder für Fotoapparate und -zubehör und wirken wie eine stumme, aber mächtige Entgegnung. Im Vorwort zu dem Band schreibt Tony Seedat (Vertreter des ANC in Bonn, 1987), dass der Bildband „eindringlich die Auswirkungen des Apartheidsystems“ zeige und die Aufnahmen das Leiden des Einzelnen wie das der gesamten Bevölkerung sichtbar machen (1987: 5). Verraten würde, dass das System entworfen wurde, „um den heimischen Kapitalisten und den ausländischen Investoren maximale Profite zu verschaffen“ (ebd.).

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als Sofortbildkamera sehr schnell Fotos machte (8. Kamera von links), zwei ­Boxkameras von der Marke Agfa (1. und 9. Kamera, die zweite ist vermutlich die Synchro Box 600, Baujahr 1949-58), eine weitere ist eine Agfa-Clack-Kamera ­(Baujahr 1953-65, 11. Kamera von links) sowie eine Kamera der Marke Kodak (vermutlich Isomatic 104) usw. Insgesamt sind es Modelle, die eher im privaten Bereich und von Laien verwendet wurden. Der ‚demokratische Aspekt‘ der Fotografie wird so betont. Mit den Fotokameras lässt sich außerdem auf den Standort des Fotografierenden bzw. des Blickenden in Raum und Zeit verweisen. Vor der Erfindung der Foto­grafie organisierte in der europäischen Kunst die Perspektive den visuellen Bereich in einer Weise, als könne jedermann alles sehen (Berger 2002: 18). Die Fotokamera zeige, dass es diesen gottgleich gedachten Blickpunkt nicht gab (ebd.). Der Annahme des omnipotenten Sehens wird in Vostells Collage über die ­Montage mehrerer Kameras widersprochen. ‚Realität‘ gilt so als nicht aus einer singulären Perspektive sehbar. Die einzelne souveräne Betrachterposition, die sich mit dem zentralperspektivischen neuzeitlichen Bildkonzept in der europäischen Kultur­ geschichte etablierte und eine unbeschränkte – gottgleiche – Herrschaft über die Objekte seiner Repräsentation behauptete, wird hier durchkreuzt. Verunsichert wird darüber ein herrschaftliches Blicken, das so tief in westliche Traditionen eingelassen ist, dass es als ‚natürlich‘ gilt. 38 Evoziert wird diese Verunsicherung aber vor allem dadurch, dass es Schwarze sind, die blicken und ‚uns‘ bzw. die ­adressierten weißen Betrachtenden des Bildes an- bzw. zurückblicken. Entgegnet wird einem kolonisierenden weißen Blick, der registriert, archiviert und sich als herrschenden entwirft. Auf diese Weise wird ein tradiertes Blickverhältnis durchbrochen, das in der europäischen Geschichte durch hierarchisch strukturierte Positionen von Blicken und Angeblickt-Werden konstituiert ist. Dass Blickverhältnisse konstitutiv für rassistische Machtstrukturen sind, ist mittlerweile mehrfach dargelegt worden. So haben Frantz Fanon und im Anschluss an diesen Jean Paul Sartre schon um 1950 herum die Wichtigkeit des Komplexes von Sehen und Gesehen-Werden im Rassismus thematisiert, wie die US-amerikanische Filmwissenschaftlerin Mary Anne Doane es rund vierzig Jahre später erneut in das Gedächtnis der Film- und Bildwissenschaft gerufen hat (1991: 223). Mit einem Zitat von Sartre, das einem Vorwort entstammt, das dieser für eine von Léopold Sédar Senghor 1948 in Paris herausgegebene Anthologie schwarzer Poesie ge­ schrieben hat, 39 lassen sich die rassistisch strukturierten Blickverhältnisse pointiert beschreiben:

38 Zur westlich-patriarchalen Konstruktion der Zentralperspektive s. Hentschel (2001). Dass die

Zentralperspektive auch ein zentraler Bestandteil der ‚weißen Blicke‘ und mit einem patriarchalen Blickregime verknüpft ist, führt Viktoria Schmidt-Linsenhoff aus (2004). 39 Fanon hat Sartres Text, der eine Analyse der Negritude vornimmt, heftig kritisiert. Zu der ‚Auseinandersetzung‘ zwischen Fanon und Sartre s. Gunda Hinrichs (1999).

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„Denn der Weiße hat dreitausend Jahre lang das Vorrecht genossen, zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden; er war reiner Blick; das Weiß seiner Haut war noch Blick; konzentriertes Licht. […] Heute sehen diese schwarzen Menschen uns an, und unser Blick kehrt in unsere Augen zurück“ (Sartre, 1965: 189).

Doane verweist mit diesem Zitat von Sartre darauf, dass der weiße Mann das P ­ rivileg zu blicken besitzt und in dieser Position nicht angeschaut wird, während er selbst als stillschweigender Maßstab gilt (1991: 223). Heute allerdings sei, so Sartre, der Blick der Schwarzen auf ‚uns‘ als Weiße fixiert und ‚unser‘ Blick damit zurück­ geworfen (1948/1965). Sartres Vorwort erschien in einer Sammlung verschiedener ins Deutsche übersetzter Essays 1956 im Rowohlt-Verlag, die bis 1982 mehrfach aufgelegt wurde. Der Titel des Vorwort-Essays („Schwarzer Orpheus“) wiederum fungierte sechs Jahre nach Senghors Anthologie als Titel für eine ähnliche Sammlung schwarzer Dichtungen in deutscher Übersetzung, die Janheinz Jahn publizierte (1954) und die bis 1980 in verschiedenen Auflagen erschien. Es ließe sich insofern spekulieren, dass Vostell Sartres Text kannte oder auf ihn aufmerksam geworden war, zumindest dass dessen Inhalte in den Diskurs Eingang gefunden hatten. In Vostells Montage scheint Sartres Zitat künstlerisch umgesetzt: die Blicke der Schwarzen sind betont und auf die weißen Betrachtenden gerichtet. Damit ist jedoch nicht einfach nur die Fotografie als Praxis der Demonstranten betont, sondern der Blick der Betrachtenden der Collage, der es – zumindest als weißer (männlicher) – gewohnt ist, der beherrschende und der unerkannte zu sein, wird zurückgeworfen. Nicht nur die tradierte Verteilung von Sehen und Gesehen-Werden wird somit umgekehrt und durcheinandergebracht, sondern der weiße Blick wird seiner Machtimplikationen auch überführt. Die Schwarzen sind nicht als Objekte konstituiert, sondern als Blickende aktive und widerständige Subjekte. Fanon schreibt, dass der Schwarze in den Augen des Weißen keine ontologische Widerstandskraft besäße (1980: 79). Vostells Arbeit durchkreuzt diese Annahme offensiv und verknüpft den Widerstand mit dem (fotografischen) Blick. 40 Zwar kommt Vostells Arbeit „Die Fluxisten sind …“ nicht ohne primitivistische und stereotype Darstellungsweisen aus, die Schwarzen werden jedoch als widerständige Subjekte repräsentiert, die nicht nur blicken, sondern auch dem weißen Blick entgegnen. Der von Vostell hier inszenierte ‚Blick zurück‘ ermöglicht insofern eine Form der Reflexion über den Sehen-Macht-Wissen-Komplex. Silke Wenk hat ‚den Gegenblick‘ unter Bezug auf Pierre Bourdieu als Möglichkeit von Reflexivität diskutiert 40 Der Gegenblick oder auch der ‚Blick zurück‘ ist zur Subversion von kolonialistischen Machtstrukturen und

Blickverhältnissen eine oft verwendete oder ausgemachte Strategie. Der algerisch-französische Literatur- und Kulturwissenschaftler Malek Alloula hat – nahezu zeitgleich mit Vostells Collage – den Gegenblick als eine Strategie algerischer Frauen während des französischen Kolonialismus beschrieben (1981, deut. 1994). Alloula analysiert in seiner essayistisch formulierten Studie Postkartenmotive, die in den 1920er Jahren in Fotostudios in Algerien für die französische Kolonialmacht erstellt wurden. Sein Argument ist, dass algerische Frauen sich mit ihrer Verschleierung das Privileg zu sehen, ohne gesehen zu werden, nahmen und damit die weißen Kolonisatoren irritierten. Der Blick der Frauen durch den Sehschlitz des Gesichtsschleiers gleiche strukturell dem Kamerablick (ebd.). Über Alloula und den Gegenblick s. Schmidt-Linsenhoff (2000) und Förschler (2005).

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(2007: 31). Die „ref lexive self-analysis“, die Bourdieu für eine „participant objectivation“ fordert (2004), „must include a ref lection on the relative medial nature of one’s own actions and thoughts“ (Wenk 2007: 31). Mit Bourdieu benennt Wenk diese Strategie als Auseinandersetzung mit dem „academic unconscious“, die ein Fokussieren auf die Rolle von Bildern und ihrer Medialität bedeutet (ebd.). In der hier besprochenen Collage kann eine Auseinandersetzung mit dem medial hervorgebrachten ‚weißen‘ Blick, mit seinem Verhaftetsein in rassistischen Machtstrukturen und der als Norm gesetzten weißen Position des Blickenden reflektiert werden. Ausgelotet und vorgeführt wird die Möglichkeit einer widerständigen und subversiven Strategie, die darüber funktioniert, dass sie ein Machtinstrument der Kolonialisten (die Fotografie) gegen deren machtvolle Position selbst wendet.41

Oder: Eine Suche nach Möglichkeiten der Solidarisierung? In Vostells Arbeit wird auf der Bildebene die gängige Vorstellung von ohnmächtigen, passiven Schwarzen mit dem Bild von widerständigen Schwarzen konterkariert. Schwarze sind als Aktive, als Demonstrierende und als Blickende dargestellt. Vostells Collage reklamiert insofern nicht nur, dass die Fluxisten ‚verfolgt seien wie‘ die schwarzen Demonstranten, sondern betont auch gleiche Aktivitäten und Anliegen, genauer: das Fotografieren und die Durchkreuzung von Blick- und Sichtbarkeitsverhältnissen. Verstanden werden kann die Collage insofern auch als Verweis, dass beide Bewegungen mit gleichen, oder zumindest ähnlichen, Strategien und technischen Mitteln agieren. Neben der zu kritisierenden Funktionalisierung von Schwarzen als Metapher ist hier auch ein Suchen nach Möglichkeiten der Solidarisierung auszumachen, wie sie in linken politischen Bewegungen der BRD in den 1980er Jahren diskutiert wurden. Zur Debatte stand, worin genau das Interesse an einer Solidarität mit marginalisierten Anderen liegt. In den Diskussionen ging es bereits in den 1980er Jahren darum, Alternativen zu Mitleidsrhetoriken und zu einem im Sinne des Humanismus gut gemeinten, aber letztlich oft paternalistischen Hilfskonzept zu finden. Gefragt wurde nach gemeinsamen (politischen) Interessen und Anliegen, die die unterschiedlichen Bewegungen aus verschiedenen Kulturen verbinden könnten.42 Vostells Arbeit könnte im Zusammenhang mit dieser Diskursformation auch als ein Nachdenken über gemeinsame oder ähnliche politische Anliegen gelesen werden. Seine Arbeit stellt somit auch eine Form der Solidarisie-

41 Doane hat an Sartres und Fanons Ausführungen kritisiert, dass sie sich ausschließlich auf den schwarzen

Mann bezogen und schwarze Frauen ausschlossen. Auch Vostells Collage negiert mit der Auswahl einer Fotografie, die ausschließlich männliche Demonstranten zeigt, den hohen Anteil von schwarzen Frauen in der Anti-ApartheidBewegung. Der Aktive – auch der aktive Schwarze – ist männlich codiert. Diese Konstellation entspricht dem Geschlechterverhältnis in der Repräsentation der Fluxisten: Unter den von Vostell in die Collage eingeschriebenen Namen ist mit Alison Knowles nur eine Frau genannt. 42 S. zu diesen vergessenen Diskussionen den Sammelband von interface zu „WiderstandsBewegungen. Antirassismus zwischen Alltag und Aktion“ (2005: hier 303ff).

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Abb. 26 Wolf Vostell Miss America 1968, 200 x 120 cm, Siebdruck und Lasurfarbe, Verwischung auf Leinwandfoto

Abb. 27 Wolf Vostell Nur die 1 1968, 121,5 x 88,5 cm, Objektgrafik in verglastem ­Holzkasten. Farbseriegrafie nach collagierten und bearbeiteten Zeitungsfotos auf Papier; aufgeklebte Nylonstrümpfe (und Strumpfpackung)

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rung zur Diskussion, die auf Gemeinsamkeiten zwischen subversiven künstlerischen und aktivistischen Strategien baut.43 Vorhanden wäre dann auch ein Suchen nach einer Form des Sich-ins-Verhältnis-Setzens zu Anderen, das über Parallelen und Konvergenzen in künstlerischen und aktivistischen Strategien und politischen Zielen funktioniert. Indem in der vorgestellten Weise die zwei unterschiedlichen und heterogenen Bewegungen in Beziehung zueinander gesetzt sind, werden diese kommentiert sowie neue Bezüge geschaffen und Formen der Intervention in gesellschaftliche Strukturen vorgestellt.

Miss America „Miss America“, 1968, (120 × 200 cm) [Abb. 26], heute Teil der Sammlung des Museums Ludwig, Köln, ist eines von Vostells sogenannten ‚Schichtenbildern‘, das aus schwarz-weißen Siebdrucken auf übereinandergelegten Plexiglasscheiben sowie nachträglichen Kolorierungen besteht. Auch für diese Collagen hat Vostell bekannte Bilder aus den Medien reproduziert, zusammengefügt und bearbeitet. Das obere Bilddrittel füllt die Abbildung einer weißen weiblichen Figur, die zunächst wie ein Fotomodell, auf den zweiten Blick aber eher wie eine Schaufensterpuppe aussieht. Die Figur ist mit drei Bildern der berühmt gewordenen Fotoserie aus dem Vietnamkrieg von dem US-amerikanischen Fotografen Eddie Adams, „Street c­ orner execution“ (vom 1.02.1968), kombiniert. Das obere und größte Bild dieses Ensembles ist ein Ausschnitt der bekanntesten Fotografie der Bildstrecke: „Murder of a Vietcong Suspected by Saigon Police Chief“. Zu sehen ist ein angeblicher ­Vietcong im Moment seiner Tötung durch einen Kopfschuss. In der geschichteten Collage ist Adams Fotografie so angeordnet, dass der Kopf des Erschossenen zwischen den Beinen der Weiblichkeitsdarstellung ‚aufscheint‘. Die langen und schlanken Frauenbeine schreiten fast schwebend nach rechts über den Kopf des Erschossenen hinweg. Assoziieren lässt dies die Redewendung ‚über Leichen gehen‘. Die Position des Kopfes zwischen den weiblichen Schenkeln und unter dem Schoß der weiblichen Figur macht aber auch eine Sexualisierung des inszenierten Verhältnisses deutlich. Die Frauenfigur wirkt ignorant, brutal und f lüchtig, ihr haftet aber auch etwas Lustvolles oder Lüsternes an. Die wie eine Barbiepuppe oder ein Fotomodell erscheinende Frauengestalt ist schon dadurch nicht einfach ‚positiv‘ besetzt. Ihre idealisierten Körperformen sowie das knappe, aber elegante Kleid, das unter den verschiedenen Übermalungen durchschimmert, lassen zusammen mit den weißen Pumps Glamour, Luxus und Konsum assoziie-

43 Mit der Literaturwissenschaftlerin Marianne Kesting lässt sich in diese Praxis auch ein Einspruch formulieren:

Kesting hat sich Anfang der 1970er Jahre kritisch dazu geäußert, dass Vostell jegliche Protestbewegungen zum Happening erklärte (1972: 277). Sie kritisiert daran zum einen die mangelnde Auseinandersetzung mit den jeweiligen politischen Kämpfen und zum anderen das dahinter stehende Verständnis von Kunst.

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ren und erinnern an westliche Werbeikonen. Unterstützt wird dies durch den links ins Bild montierten Text, der vermutlich einer Modezeitschrift entnommen ist und teure Kleider und deren Inszenierungen beschreibt (ohne Übermalung erkennbar bleiben Begriffe wie „Dancing lights near right …“, „sequins sparkled over golden“, „Dress“, „silk“, „carnegie“ und „Houston“). Aufgrund der ungelenken Arm- und Handhaltung, dem offensichtlich zusammenmontierten weiblichen Körper sowie durch die wilden Haare und die verschiedenen Kolorierungen, mit denen der Körper der weiblichen Figur versehen ist, erscheint sie jedoch nicht bzw. nicht mehr grazil und idealisiert in Pose gebracht, sondern eher deformiert, künstlich und obszön, gleichwohl haftet diesem Ideal eine gewisse Faszination noch an. Die schreitenden, fast tanzenden Beine, die proportional leicht verschoben unter den Oberkörper gesetzt sind, wurden mit gelben Linien nachgezogen, die bis in das Gesicht des Vietcongs reichen und dieses förmlich durchstreichen. Diese Durchstreichung kann als Zeichen für den Tod des Erschossenen gelesen werden, es lenkt die Aufmerksamkeit aber auch auf ihn und seine Augen. Insgesamt erinnern die bunten Farben, die als Verwischungen und Lasuren sowie f leckenhaft aufgetragen wurden, an grobe Kolorierungen, wie sie in Modeskizzen üblich sind. Die bunte und teilweise intensive Farbigkeit spielt auf die Ästhetik von Hochglanzmagazinen und idealisierte Weiblichkeitsdarstellungen an. Trotz dieser Allusion wirkt die Farbgebung letztlich aber doch unprofessionell und willkürlich gesetzt, die kapitalistische Konsumwelt scheint sich selbst zu zerstören. Die weibliche Figur als deren Ikone konnotiert gleichzeitig auch negative Vorstellungen von Konsum und Luxus sowie Verfall und Dekadenz. Die roten Farbf lecke auf ihrem Körper lassen Nagellack und Lippenstift, aber auch Blut und Verletzungen assoziieren. Da ihre Augen von einem roten Farbf leck verdeckt sind, der wie eine Augenbinde aussieht, erscheint sie zusätzlich blind. Blind gegenüber dem, was in der unteren Bildhälfte zu sehen ist und im Kontrast zu der weißen Weiblichkeit steht. In der unteren Bildhälfte wird die bekannte Fotografie von der Erschießung durch zwei weitere kleinere Fotografien gestützt. Unterhalb der größeren angebracht, zeigen die ebenfalls aus der Serie „Street corner execution“ von Adams stammenden Aufnahmen die Situation nach der Erschießung: den am Boden liegenden Toten, der von Soldaten betrachtet und fotografiert wird. Mit diesen Motiven bilden sie die tödliche Folge des Kopfschusses ab und sichern die vermeintlich augenscheinliche Evidenz der oben dargestellten Szene. Während die beiden kleineren Fotografien jeweils eine Menschengruppe zeigen, die auf den Toten schaut, und damit das Blicken selbst hervorgehoben ist, zeigt die größere, zentral gesetzte Fotografie ausschließlich den Oberkörper des Erschießungsopfers. Aufgenommen wurde das Bild in dem Moment, in dem das Projektil in den Schädel des Vietcongs eindringt. Vostell verwendete allerdings nur einen Ausschnitt der Fotografie. Der in der Originalfotografie abgebildete südvietnamesische General, der die Erschießung durchführt, sowie ein Soldat, der das Geschehen beobachtet, sind in diesem nicht zu sehen. Der Ausschnitt zeigt lediglich die Hand mit dem Trommelrevolver und dem durchgedrückten Abzug. In Vostells Fokus-

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sierung auf das Opfer der Erschießung ist dieses noch näher an die Betrachtenden herangeholt und lässt eine Intimität entstehen, die durch die Übermalung gleichzeitig auch wieder gestört wird. Der Vietcong wirkt in seiner zivilen Kleidung, mit den auf dem Rücken verschränkten Händen, mit dem schmerzverzerrten Gesicht und den zusammengekniffenen Augen schwach, schmächtig und effeminiert. Die hellblaue, bogenförmig über seinem Kopf aufgetragene Farbverwischung sieht aus wie ein blauer Tüllrock der blonden Figur, wodurch einerseits deren Signifikation von Luxus und Inszenierung gesteigert, andererseits aber auch die Abgrenzung der beiden Figuren verstärkt wird, was wiederum den Vietcong-Verdächtigen noch isolierter und verlorener erscheinen lässt. Im Kontext von Kriegsdarstellungen erinnert die blaue Übermalung auch an Atompilze und Napalmbomben. In der Mehrdeutigkeit der blauen Farbverwischung ist die Ambivalenz zwischen den beiden Bildebenen signifiziert. In ihr lässt sich der Gegensatz zwischen der oberen Schicht der weißen Werbeikone und der darunter liegenden des vietnamesischen Opfers ausmachen. Nicht zufällig liegt die ‚blaue Wolke‘ über dem nur bei genauerer Betrachtung erkennbaren Schnitt, der das Bild der weiblichen Figur in zwei Teile teilt. Dieser Schnitt wird unter der blauen Übermalung quasi ‚enthüllt‘, die ‚Realität‘ kommt im unteren Bildteil zum ‚Vorschein‘. Im Zusammenhang mit den Konturen einer Wetterkarte, die an einigen Stellen des Bildes schwach zu erkennen sind (oben links und rechts in der Mitte steht ein T für Tiefdruckgebiet, weiterhin verweisen gelbe und gepunktete Kreise auf Luftmassen), lesen sich das Hellblau und die Spuren verlaufener Farbe auch als Regenwolke und das gesamte Bild wie ein Bericht über eine ‚politische Wetter­lage‘: Der Platz des aus der Referenzfotografie gelöschten Aggressors wird darin symbolisch von der weiblichen Figur eingenommen. Die Frauengestalt steht für einen Lebensstil, der als ‚american way‘ bekannt ist. Unterstützt von dem Titel „Miss America“ wird sie zum Zeichen, das für die USA steht. Die Aussage der Darstellung ist relativ eindeutig: Die Collage bezieht Position gegen den Vietnamkrieg und gegen die kriegführende US-amerikanische Nation. Letztere wird als konsum­ orientierte, vergängliche und unbeständig wie das Wetter agierende, aber auch als herrschende, unterdrückende und aus eigener Lust heraus tötende kapitalistische Macht vorgeführt.44 Das Schönheitsideal wird als vordergründig, als Schein und bloße Oberfläche dargestellt. Der erschossene Vietcong-Verdächtige erscheint dagegen als ‚authentisch‘ und für ‚die Realität‘ stehend. Er ist als Zivilist, als Opfer brutaler Gewalt und Unschuldiger der US-amerikanischen Herrschaft

44 Zwei Jahre vor Vostells Collage hatte die Deutsche Bundesbahn eine Werbekampagne mit dem Slogan „Alle

reden vom Wetter. Wir nicht“ gestartet. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund, Stuttgart, übernahm diesen 1968. Während die Bahn den Slogan mit einem Bild einer im Schnee fahrenden Lokomotive kombinierte, übertitelte der Studentenbund ein Bild von Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Lenin. Von der Studentenbewegung wurde der Slogan danach mehrfach verwendet (s. dazu Klaus Staeck 2008). Der Verweis auf ein Reden über das Wetter wurde zu einer beliebten Polemik gegenüber einem ‚Nicht-Benennen‘ von Problemen.

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ausgeliefert.45 Das Bild ist als Dialektik einer Nation von ‚Schein und Sein‘ angelegt, wie sie sich im Ideal und in Wirklichkeit zeigt. Mit dieser Kritik an den USA und am Vietnamkrieg sowie seiner Verwendung medialer Bilder steht Vostells Collage im Kontext einer seit den 1960er Jahren und mit dem Vietnamkrieg einsetzenden Reaktion von KünstlerInnen auf die Medialisierung von Krieg (Lippard 1990: 10, Jürgens-Kirchhoff und Matthias 2006: 8). Ihre Kritik ist außerdem Teil einer internationalen Antikriegsbewegung gegen die militärischen Operationen in Vietnam, die die Fotografie von Adams vielfach als Beweis für die brutale Realität des Krieges benutzte. Vostells Position steht damit im Gegensatz zu der eher verhaltenen Stellungnahme bundesdeutscher Medien zum Vietnamkrieg und einer zustimmenden bzw. unterstützenden Position der Regierung der BRD.46

Die Rezeption Die kunstgeschichtliche Rezeption ist sich in der Interpretation von „Miss America“ als Antikriegskunst einig. Gerade die Erschießungsszene wird als Verweis auf die Brutalität und Ungerechtigkeit des Krieges gelesen, und die Gegensätzlichkeit oder Konfrontation der kombinierten Bilder wird hervorgehoben (vgl. Möller 1978: 78, Biemel 1979: 170, Handbuch Museum Ludwig 1979 und 1983: 814, Adolphs 1993: 368). Mal mehr oder weniger implizit werden die Kriegsfotografien als ­‚Realität‘, die weibliche Figur dagegen als ‚schöner Schein‘ verstanden. Die Arbeit hat einen großen Bekanntheitsgrad in der internationalen Kunst­ geschichte erhalten. Maßgeblich dazu beigetragen haben die zahlreichen Ausstellungen und Publikation des Museums Ludwig, Köln, in deren Besitz sich die Collage befindet.47 Die Prominenz dieses Kunstwerks geht so weit, dass es in manchen Publikationen exemplarisch für die 1960er Jahre steht. So ist es beispielsweise auf der Rückseite des Einbandes des Katalogs „Che, Schah, Shit. Die sechziger Jahre zwischen Cocktail und Molotow“ abgebildet (1984) und war einem Artikel über die Geschichte des Politikinteresses der Jugend in der Süddeutschen Zeitung (5./6.04.03) an die Seite gestellt. Auch in zahlreichen Sammelbänden ist „Miss America“ vertreten, beispielsweise in Tilman Osterwoldes Band über Pop Art ist sie im Kapitel über die europäischen Beiträge abgedruckt (2003: 119), in DuMont’s Kunstlexikon des 20. Jahrhunderts bebildert sie den Artikel über Vostell (2000: 41), in dem Buch

45 Um diesem Eindruck der Originalfotografie entgegenzutreten, wurde vonseiten der USA darauf hingewiesen,

dass der Erschossene kurz vorher eine mit dem General befreundete Familie getötet hätte. Zu unterschiedlichen möglichen Lektüren der Fotografie und zur Informationspolitik der USA s. Stephan Schwingeler und Dorothée Weber (2005). 46 Elvira Claßen schreibt, dass es in den von ihr untersuchten Beiträgen über den Vietnamkrieg in der Tagesschau (vom 17. bis 21. März 1969) keine Hinweise auf eine offizielle politische Stellungnahme von bundesrepublikanischer, z.B. parlamentarischer, Seite gab (1996: 302). Stefan Schallenberger verweist darauf, dass in den 1960er Jahren die Printmedien als Sprachrohr für die Antikriegsbewegung noch keine große Rolle spielten und Kritik am Vietnamkrieg in diesen, wenn überhaupt, eher indirekt geäußert wurde (1999: 194). 47 Das Schichtenbild „Miss America“ ist in fast allen Bestandskatalogen des Museums Ludwig, Köln, abgebildet.

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„Kunst in der BRD“ von Martin Damus ist sie als Beispiel für die späten 1960er Jahre (1995: 236) und in Karin Thomas’ Publikation „Zweimal deutsche Kunst nach 1945“ wird sie unter der Rubrik „Suche nach neuer Figuration“ reproduziert (1985: 151). Volker Adolphs und Dietrich Grünewald nennen die Collage in ihren Arbeiten zum Thema ‚Tod in der Kunst‘ (Adolphs 1993: 368, Grünewald 1991: 14). Heino R. Möller bespricht sie als Material für den Kunstunterricht zum Thema Gesellschafts- und Kriegskritik (Möller 1978). Isabell Schenk-Weininger (2004), Martin Hellmold (1999) sowie der Ausstellungskatalog „Schrecken und Hoffnung“ (Hofmann 1987) diskutieren sie im Konnex von Krieg, Medien, Kunst. Stefan Germer bespricht die Arbeit im Zusammenhang mit US-amerikanischen und bundesdeutschen Kunstbeziehungen (1999: 65ff).48 Abgebildet und erwähnt ist sie außerdem in zahlreichen Katalogen über Vostell (z.B. Vostell 1975, 1993, 2005). Mir ist jedoch keine Besprechung bekannt, die die Arbeit dezidiert auf ihre Kon­ struktion und Visualisierung von kultureller Differenz und Geschlecht sowie auf ihren medienref lexiven Ansatz befragt. Wenn die Rezeption sich in der Interpretation der Collage als Antikriegskunst einig ist, bleibt die Frage, ob damit gleichzeitig eine kritische Ref lexion einer Verhältnissetzung von westlichen weißen Subjekten gegenüber kulturell Anderen mit initiiert wird oder ob die künstlerische Arbeit tradierte Stereotypen und Abgrenzungskonstruktionen weiter produziert.

Obszöne weiße Weiblichkeit Konstruiert wird in der Collage „Miss America“ ein Gegensatz zwischen der als dekadent und ignorant geltenden sowie für eine bloße Scheinwelt stehende weiße Weiblichkeit und der als schwächlich, effeminiert, unschuldig und als zu bedauerndes Opfer dargestellten asiatischen Männlichkeit, die gleichzeitig als ‚die Realität‘ des Krieges signifizierend gilt. Schon der Titel zitiert das Ideal weißer Weiblichkeit: „Miss America“ spielt nicht nur einfach auf die USA an, sondern ist auch der Titel eines Schönheitswettbewerbs, unter dem seit 1921 jährlich eine junge US-Amerikanerin zur schönsten Frau der Nation gekürt wird. Noch heute gilt die Trägerin dieser Auszeichnung auch als Rollenmodell für die US-Bürgerinnen und als Zeichen für die USA als Nation. Sie wird damit zu einer ‚neuen‘ Form der ­A llegorie, die Vostells Collage hier zitiert und zu einem ‚Gegenbild‘ wendet. Die Darstellung erinnert aber auch an tradierte weibliche Personifikationen. Konkret zitiert sie die Verbildlichungen der römischen Göttinnen Justitia und Fortuna sowie die christliche Allegorie der Synagoge. Alle drei sind traditionell mit verbundenen Augen dargestellt: Justitia signifiziert Gerechtigkeit (sie darf nicht sehen, um gerecht zu sein), Fortuna steht für Glück oder auch Schicksal (ihre

48 Als einer der wenigen äußert sich Germer kritisch über die Arbeit und benennt sie als „Einmischung in

fremde Angelegenheiten“ (1999: 76).

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Augen sind verbunden, weil sie blind das Glück verteilt) und Synagoge bedeutet in der mittelalterlich christlichen Ikonografie das alttestamentarische Judentum und wird als Gedemütigte und Verliererin vorgeführt, oft auch als sexuell aufreizend (sie sieht nicht, weil sie verblendet ist). Bei Vostell erscheint die weibliche Figur weder als gerecht noch als Glück bringend. Blind, schicksalhaft und verlierend sind eher passende Bedeutungen, die ein tradiertes antijudaistisches Bild der christlichen Ikonografie reproduzieren. Weiterhin steht die farbige Kolorierung, z.B. der rote Farbf leck, der wie Blut aus dem linken Stöckelschuh zu quellen scheint, der mit Weiß symbolisierten Unschuld weiblicher Göttinnen und Allegorien entgegen. „Ruckediguh, Ruckediguh! Blut ist im Schuh“, heißt es im Grimm’schen Märchen von Aschenputtel, in dem eine falsche Miss bzw. Braut überführt wird. Überführt wird hier Miss America als falsche Braut von, so ließe sich folgern: Vietnam. Obwohl sich die USA als der Kolonialisierung entgegentretende Kraft und Weltrichterin generierten, werden sie hier als ‚falsche Braut‘ entlarvt und als obszöne, verletzte aber auch jüdische Frauengestalt vorgeführt. Die verschiedenen tradierten Bilder von Weiblichkeit, die in der Collage angerufen werden, werden zum Teil umgedeutet, jedoch nicht im Sinne feministischer Kritik,49 sondern in Form einer Diffamierung, die Weiblichkeit verknüpft mit Konsumsucht, ‚Dekadenz‘ und Obszönität und damit die USA als negative Macht personifiziert.50 Darstellungen von Weiblichkeit als Signifikanten von abzuwehrender, abzulehnender Ideologie besitzen in der politischen Ikonografie eine lange Tradition. Kathrin Hoffmann-Curtius hat herausgearbeitet, wie sich Ende des 18. Jahrhunderts als notwendiger Gegenpart zur positiven weiblichen Allegorie der guten Nation ein Darstellungsmuster formierte, das das Bild der lasziven Frau mit ausschweifendem Lebenswandel als Inbegriff für Korruption repräsentiert (1996). Gerade auch die Geste des ‚Zwischen-die-Schenkel-Nehmens‘ ist eine beliebte Trope, mit der Politik als private Lust vorgeführt wird. 51 In Deutschland wurden in der direkten Nachkriegszeit ähnliche Darstellungsparameter verwendet, um den Nationalsozialismus zu feminisieren und in Gestalt obszöner Weiblichkeit zu ­repräsentieren (Hoffmann-Curtius 1996, Wenk 2002). In „Miss America“ wird über ein solches Weiblichkeitsbild die USA visualisiert und mit dem Klischee des ‚american way of life‘ als konsumorientiert, jüdisch, obszön und oberf lächlich

49 Feministische Kritiken an Weiblichkeitsdarstellungen sind vielfältig. Das Format der US-amerikanischen

Schönheitskönigin wurde 1968 von Feministinnen als Frauen auf Aussehen und als Objekte reduzierend attackiert. Allegorien und weibliche Personifikationen, die für Gemeinschaften stehen, sind aus feministischer Perspektive ebenfalls kritisiert worden, herausgestellt wurde, dass sie mit einer Ausschließung von Frauen aus politischen Prozessen einhergehen (z.B. Wenk 1996). 50 Leora Auslander ist den Dynamiken der Vergeschlechtlichung von Konsum und dessen Signifikation als ‚weiblich‘ im Verlauf des 19. Jahrhunderts am Beispiel Frankreichs nachgegangen (1996). Das antisemitische Stereotyp vom kapitalistischen und konsumorientierten Juden lässt sich an dieses negative Bild von Weiblichkeit anschließen. 51 Wagner analysiert beispielsweise eine anonyme Karikatur von Marie Antoinette, in der „die Inschrift zwischen den Schenkeln ihrer Majestät ‚res publica‘, die Öffentlichkeit der Monarchie als ihre private Lust aus[weist]“ (Wagner zit. nach Hoffmann-Curtius 1996: 48).

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verschränkt. Das Machtverhältnis zwischen den USA und Vietnam wird darüber zum einen als unehrlich, zum anderen auch als vergeschlechtlicht und sexualisiert repräsentiert. Den BetrachterInnen wird ein bekanntes, aber in dieser Weise negatives Bild von Weiblichkeit, ein Gegenbild zu Allegorien, vorgeführt. Dass die Frauengestalt aufgrund ihrer Handhaltung wie eine Diva oder Werbeikone erscheint und ihr Oberkörper sich als der einer (Schaufenster-)Puppe ausweist, verstärkt ihren künstlichen und konstruierten Charakter. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war die Schaufensterpuppe in kritischen Artikulationen Sinnbild für Konsum und Künstlichkeit, und auch der Barbiepuppe haftete in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein ähnlicher Ruf an.52 Durch das Zitat dieser Vor-Bilder generiert sich in „Miss America“ die Bedeutung der Weiblichkeitsdarstellung als für die USA und deren Ideologie stehend. Als solche wird sie als abzulehnende Macht entworfen. Die weibliche ‚Gegenallegorie‘ tritt somit an die Stelle des realen Täters, der durch den Ausschnitt der Fotografie gelöscht ist. Männliche Täterschaft wird somit aus dem Bild gestrichen. Die Löschung des einzelnen (meist männlichen) Täters und die Verschiebung der Täterschaft auf die Nation (traditionell als weiblich personifiziert, hier aber als Feindbild entworfen) ist eine gängige Strategie in der Reproduktion von Opfer­ bildern, sowohl in der auf den Vietnamkrieg bezogenen Kunst als auch in Holocaust­ darstellungen. Letzteres hat vor allem Marianne Hirsch herausgestellt (2002). Sie kritisiert an dieser Strategie, dass die Bilder so zu einer mythischen Begegnung zwischen Unschuld und Bösem würden (ebd.: 212f). Für Vostells Collage könnte man in ähnlicher Weise folgern, dass so einerseits zwar die Machtkonstellation zwischen den USA und Vietnam als koloniale angesprochen und die USA als Krieg führende Nation angeklagt wird, andererseits droht eine solche Darstellungsweise auch eine vereinfachende Dichotomie von schuldlosem Opfer und aggressivem Täter zu proklamieren, wobei die Täterseite mythisch verklärt wird. In der Teilung der Collage in eine obere und untere Hälfte fungiert die Weiblichkeitsdarstellung im oberen Teil als Sinnbild für eine US-amerikanische Scheinwelt und als negatives Gegenbild zur Fotografie des Vietcongs im unteren Teil. Die Betrachtenden werden der Frauendarstellung gegenüber in eine Position gebracht, aus der heraus sie diese zwar als aus der eigenen, westlichen Kultur stammend erkennen, sich aber auch von ihr distanzieren können. 53 Die Distanzierung funktioniert hier

52 Zum Motiv der Puppe in der bildenden Kunst s. den Ausstellungskatalog „Puppen, Körper, Automaten.

Phantasma der Moderne“ von Pia Müller-Tamm und Katharina Sykora, darin insbesondere den Aufsatz von Beate Söntgen (1999). In den 1960er Jahren nahm sich die Pop Art der blonden, weißen, puppenhaften Weiblichkeit an. Kritik und Bewunderung lagen dabei dicht beieinander. 53 Überlegen ließe sich hier außerdem, ob diese Distanzierung darüber verstärkt wird, dass die Frauenfigur aufgrund der Haare und der betonten Augen an die Figur der Medusa erinnert. Sigmund Freud hat beschrieben, dass der Anblick der Medusa starr machen würde (1922: 47), Wenk folgert daran anknüpfend, dass dadurch die Subjektposition, die mit dem Phallus identifiziert ist, bedroht wird (Wenk 2002: 281ff). Signifikanterweise ist die Fotografie des Vietcongs in Vostells Collage oberhalb des Genitalbereichs abgeschnitten. Zusammen mit der Medusa ähnlichen Weiblichkeit ließe sich folgern, dass auch hier eine Angst angesichts eines potentiellen Zusammenbruchs der eigenen Subjekthaftigkeit verhandelt wird.

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insbesondere auch darüber, dass die Betrachtenden, deren Position als Blickende im westlichen Blickregime eine ‚männliche‘ ist, sich von der verletzenden und selbst verletzten Macht, die hier als weiblich dargestellt ist, über die Geschlechterdifferenz abgrenzen und somit sich ihrer Unschuld vergewissern können. 54

Der Vietcong-Verdächtige als ‚reale‘ Opferdarstellung In der unteren Hälfte der Collage ist die mittlerweile zur ‚Ikone‘ und zum historischen ‚Referenzbild‘ gewordene Fotografie von Adams zu sehen.55 Als Vostell sie noch im Jahr ihrer Entstehung (am 1.02.1968) in seine Collage integrierte, stand sie in erster Linie für die Bezeugung der brutalen Realität des Krieges. 56 In der Collage ist sie auf den Ausschnitt des Erschossenen reduziert und besetzt eine zentrale Stelle im Bildaufbau. Die zentrale Setzung des Opfers beschreibt Hellmold als Charakteristikum der Etablierung von Ikonen und historischen Referenzbildern (1999). Die Reduktion auf das Brustporträt des Delinquenten in Vostells Collage führt er als Beispiel für die Konzentration eines solchen Referenzbildes auf eine ‚Gebärdefigur‘ an (ebd.: 41f). Unter diesen Terminus gruppiert Hellmold Darstellungen von Personen oder Gruppen, bei denen Körperhaltung, Gestik und Mimik einen emotionalen Ausdruck, häufig einen Affekt, schildern. Das Affekthafte betone eine ‚Schuldlosigkeit‘, gleichzeitig gelten Affektdarstellungen als Bezeugung von etwas ‚Realem‘, ‚Unmittelbarem‘ und ‚Wahren‘. Neben diesen tradierten Darstellungsparametern von Opferbildnissen führt die Fokussierung auf die ‚Gebärde­ figur‘ außerdem dazu, dass der abgebildete Vietcong ‚nah‘ an den Betrachtenden herangeholt wird, womit ein weiteres Paradigma in der Darstellung von Toten und Opfern zitiert ist. Suggeriert wird darüber eine Nähe oder Intimität zwischen Betrachtendem und Betrachtetem, die dazu dient, das Abgebildete weiterhin zu emotionalisieren, aber auch zu authentifizieren.57 Hellmold stellt die These auf, dass Visualisierungen von existentieller Bedrohung in Referenzbildern an das menschliche Mitgefühl appellieren (1999: 36). Die dadurch häufig entstehende extreme Polarisierung von Opfer und Täter unterstützt seiner Ansicht nach eine Emotionalisierung, durch die die Betrachtenden 54 Zur geschlechtlichen Strukturiertheit des Repräsentationssystems der bildenden Kunst, das die Positionen in ein männliches Blicken und ein weibliches Angeblickt-Werden einteilt, s. Silvia Eiblmayr (1993). 55 Schwingeler und Weber verstehen Adams Fotografie als ‚Ikone‘. Sie gehen aus einer bildtheoretischen Perspektive der Entstehungsgeschichte des Fotos vor dem Hintergrund seiner Publikationsgeschichte in den Printmedien nach und fragen nach der Ideologie des Bildes (2005). Hellmold hat Adams Fotografie als historisches ‚Referenzbild‘ benannt. Er bezeichnet mit diesem Begriff Bilder, die zum Symbolbild für historische Ereignisse, insbesondere für moderne Kriege, wurden (1999). 56 Schwingeler und Weber haben dargelegt, dass Adams Foto, wie Kriegsfotografien allgemein, in der Öffentlichkeit als das ‚wahre Gesicht des Krieges‘ galten (2005: 47). Über ihre dokumentarische Funktion hinausgehend standen sie auch dafür, Gewalt und Brutalität sowie ‚den Krieg‘ darzustellen. 57 Zum Paradigma der Nähe in Repräsentationen von Tod und Leiden s. Patricia Mühr: ‚Soldaten unter Beschuss‘ – [Trans]nationale Narrationen und Geschlechterkonstruktionen im zeitgenössischen US-amerikanischen Kriegsfilm. Eine intermediale Lektüre (Dissertation an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg 2013).

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zur Teilnahme am Schmerz aufgefordert werden. Hellmold kritisiert, dass die Strategie der starken Vereinfachung des Kriegsgeschehens die Positionierung der Betrachtenden zur rhetorischen Frage werden lässt (ebd.: 47). Eine solche Kritik lässt sich auch an Vostells Praxis üben, in seiner Collage wird der Effekt, dass sich die Betrachtenden an die Stelle des Opfers imaginieren, auch über den Kontrast von negativ konnotierter weißer Weiblichkeit und positiv besetztem, kulturell differentem männlichem Anderen erleichtert. Gerade weißen deutschen BetrachterInnen wird über die Darstellung der Täter als US-amerikanisch und oberflächlich ermöglicht, sich von dieser als Deutsche, als auf ‚Innerlichkeit‘ gerichtet und unschuldig, zu distanzieren sowie sich in die Nähe zum asiatischen Opfer zu imaginieren, ohne die eigene Positioniertheit in Machtverhältnissen zu ref lektieren.58 Damit ähnelt die Arbeit dem in der BRD dominanten Muster der opferidentifikatorischen Erinnerung an den nationalsozialistischen Genozid, das ich unter Bezug auf Wenk (1995), Ulrike Jureit und Christian Schneider (2010) bereits in Beuys ausgemacht habe. Die in die Collage integrierte fotografische Darstellung des Ermordeten wird zusätzlich legitimiert, weil sie als ‚die schockierende Realität‘ abbildend gilt. Die ausgeübte Gewalt wird in dem Bild re-inszeniert, gewaltvolle Mechanismen und gegenderte Strukturen des Repräsentationssystems werden unhinterfragt gelassen. Dadurch erzeugt die Arbeit auch die Aussage, die schockierende Realität der USA bzw. der westlichen Welt, die nicht sieht/nicht sehen will/nicht sehen kann, ‚vor Augen‘ zu führen respektive führen zu können. Nicht thematisiert wird damit, dass die schockierende Fotografie gleichzeitig auch eine Faszination evoziert, die zwischen Anziehung und Abstoßung changiert und eine Lust am ‚Schaudern‘ bedient. Diese Form der Schaulust speist sich, so die psychoanalytischen und strukturalistischen Überlegungen von Judith Butler (2005) und daran anschließend Linda Hentschel (2013), aus einem gleichzeitigen Erinnern und Verleugnen der eigenen Verletzbarkeit. Im Anblicken des erschossenen Vietcongs kann die eigene Verletzbarkeit erinnert und gleichzeitig aber auch abgespalten, geleugnet werden. Dass die weibliche Figur als selbst auch Verletzte und also Verletzbare vorgeführt wird, bietet nur eine weitere Möglichkeit für eine als männlich gedachte Betrachterposition, sich von einer eigenen Verletzbarkeit loszusprechen. Die daraus folgende Kritik an Vostells Collage, ein Angebot für die Betrachtenden bereitzuhalten, sich auf die Seite der Unschuldigen, Guten und gleich­zeitig als selbst unverletzbar zu imaginieren, lässt sich hier möglicherweise mit

58 Dass die Kritik an den USA nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik zu einem beliebten Topos

wurde, habe ich bereits im Kapitel zu Beuys thematisiert, ebenso die immer wiederkehrende Vorstellung von ‚deutscher Innerlichkeit‘ und vor allem die Identifikation mit den Opfern. Erwähnt sei an dieser Stelle aber auch, dass Vostell in einigen seiner Happenings aber auch versuchte, die Distanzierung von der Täterposition aufzuheben und auch die BetracherInnen diese einnehmen ließ. So wurden die BesucherInnen beispielsweise in dem Happening „Dogs and Chinese not allowed“ (im Mai 1966 in New York und Long Island aufgeführt) aufgefordert, 11 Sätze aus dem Tagebuch eines „Vietnamsoldaten“ (gemeint waren US-amerikanische Soldaten in Vietnam) nachzusprechen, für eine ausführliche Analyse s. Schenk-Weininger (2004: 302).

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Hal Foster relativieren, der im Kapitel „The return of the real“ seines gleichnamigen Buchs eine ähnliche künstlerische Strategie diskutiert (1996). Am Beispiel der Reproduktion einer Fotografie von einem Autounfall in einer Arbeit von Andy Warhol benennt er den Moment in der Betrachtung, der durch die Einfügung einer fotografischen Darstellung von einem schockierenden Ereignis entsteht, als ‚Wiederkehr des Realen‘ (132). ‚Das Reale‘ definiert Foster nach Jacques Lacans Psychoanalyse und unter Bezug auf das psychoanalytische Modell vom ‚Trauma‘ (vgl. ebd.).59 Foster erläutert ‚das Reale‘ in Abgrenzung zu einer essentialisierten Vorstellung von ‚Realität‘ als etwas Traumatisches, Unfassbares, gerade NichtDarstellbares, etwas, das jenseits einer Repräsentierbarkeit liegt, oder, wie er es in einem Interview sagte, als etwas, „that resists the symbolic or (better) that reveals its order to be in crisis, of which the damaged, diseased, or dead body is then presented as evidence“ (zit. nach Suchin 1996: 14). Als solches kann ‚das Reale‘ nicht repräsentiert, sondern nur wiederholt werden (Foster 1996: 132). Wieder­holen ist dabei nicht einfach reproduzieren; so schreibt Foster (über Warhol): „repetition in Warhol is not reproduction in the sense of representation (of a referent) or ­simulation (of a pure image a detached signifier). Rather, repetition serves to screen the real understood as traumatic“ (ebd.: 132). Demnach würde die künstlerische und künstlerisch überarbeitete Wiederholung eines brutalen Bildes ‚das Reale‘ zur Aufführung bringen. Auch für Vostells Wiederholung der Vietcong-Erschießung ließe sich ein solcher Moment beschreiben. Dieser ist in Vostells Collage nicht nur ein (re-)traumatisierender Schock im Anblick des Tötungsmoments, sondern wiederholt wird auch das ‚Trauma‘, das der Vietnamkrieg von Beginn an für die USA und die westliche Welt darstellte. Das Produktive, das Foster in dieser Aufführung (screening) sieht, ist, dass die Kunst in dem ‚Screening‘ des ‚Realen‘ kein Lösungs­angebot macht, sondern die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit dem Trauma schaffe (ebd.: 136).60 Am Ende des Kapitels schränkt Foster seine optimistische Perspektive wieder ein, indem er ausführt, dass die Wiederkehr ‚des Realen‘ häufig einhergeht mit der Wiederkehr des ‚Referentiellen‘, das heißt, dass auch der Anspruch auf ‚Realität‘ (im Sinne einer Realität der Abbildung oder einer ‚dahinterliegenden‘ Wahrheit) wiederkehrt (ebd.: 168). Beide Aspekte lassen sich auch in Vostells Collage wiederfinden: einerseits bringt Vostells Collage ‚das Traumatische‘ des Vietnamkriegs zur Aufführung und macht es damit ein Stück weit sichtbar und diskutierbar, gleichzeitig erhebt die Integration der Fotografie des Vietcong den Anspruch auf die Abbildung ‚der Realität‘ und eröffnet weitere

59 Foster legt seinen Ausführungen ein psychoanalytisches Verständnis vom ‚Trauma‘ zugrunde, ohne dies

näher auszuführen. Nach J. Laplanche und J.-B. Pontalis bezeichnet der Begriff in der Psychoanalyse ein „Ereignis im Leben des Subjekts, das definiert wird durch seine Intensität, die Unfähigkeit des Subjekts, adäquat darauf zu antworten, die Erschütterung und die dauerhaften pathogenen Wirkungen, die es in der psychischen Organisation hervorrufen“ (1972: 513). 60 Die Wiederkehr ist dabei im psychoanalytischen Sinne nicht als eine notwendigerweise bewusst intendierte Strategie zu verstehen, eher als eine, die mit der Wiederholung passiert (Foster 1996: 134).

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Möglichkeiten für weiße deutsche Betrachtende, sich einer unverletzten/­ unverletzbaren Position zu versichern. Foster erwähnt in dem genannten Kapitel, dass es in den von ihm diskutierten künstlerischen Auseinandersetzungen immer wieder Körperdarstellungen und Darstellungen von kultureller Differenz sind, die ‚das Reale‘ ‚aufscheinen‘ lassen. Diese Erkenntnis trifft sich mit der von Susan Sontag, dass unverhohlene Darstellungen aus dem Krieg oder von Katastrophen fast ausschließlich Leuten gelten, die besonders fremdartig wirken (2005: 74). Sie führt dies auf die Tradition zurück, „exotische – also kolonisierte – Menschen auszustellen“, z.B. in Völkerschauen (ebd. 86).61 Dieser tradierten Form des Zu-sehen-Gebens von Anderen entspricht nicht nur die in den späten 1960er Jahren dominante Bilderpolitik, die aus dem Vietnamkrieg hauptsächlich Bilder von verwundeten und toten Vietnamesen zeigte (Brothers 1997: 203), sondern auch die Aufnahme von Adams in Vostells Collage, die das Differente des Opfers durch die Gegenüberstellung mit weißer Weiblichkeit als für eine ‚Scheinwelt‘ stehend noch weiter verstärkt. Fraglich bleibt also, ob Fosters Schlussfolgerung zutrifft, dass in einer Aufführung ‚des Realen‘ per se eine Auseinandersetzung mit dem ‚Traumatischen‘ evoziert wird, oder ob nicht in Vostells Collage über die Visualisierung von kultureller Differenz für weiße deutsche Betrachtende auch die Möglichkeit besteht, den (in Vostells Collage äußerst brutalen und existentiellen) potentiellen Ausschluss aus ‚dem Leben‘ zu erinnern, aber auch von sich abzuspalten, auf den kulturell Anderen zu verschieben und sich einer unverletzbaren Position innerhalb der Gesellschaft zu versichern. Die Fotografie des erschossenen Vietcongs erhält somit die Funktion eines Fetischs, über den der Andere gleichzeitig identifikatorisch als nahe zum Eigenen und als different imaginiert werden kann. Konstatieren lässt sich, dass Vostells Collage Teil der Etablierung des fotografierten Vietcongs zu einer (Opfer-)Ikone ist, die diese jedoch nicht einfach nur reproduziert, sondern sie einer als weiblich codierten, negativen Macht gegenüberstellt. Mit dieser Verbildlichung werden tradierte Stereotype von Zweigeschlechtlichkeit reproduziert und für eine Dichotomisierung von kulturell differentem ‚Opfer‘ und weißem ‚Täter‘ verwendet.62 Die Brutalität des Vietnamkriegs und der USA als maßgeblich kriegsführenden Nation werden dabei durchaus zur Aufführung gebracht. Letzteres ist zwar im Sinne einer postkolonialen Kritik. Ungelöst bleibt hier aber die Frage, wie den Anderen darstellen, ohne eine fixierende Objektivierung und Darbietung an eine Schaulust, aber auch eine Fetischisierung zu wiederholen, über die sich die Betrachtenden gleichzeitig in eine Nähe imaginieren können. Die medienref lexive Komponente in Vostells Collage bleibt dort stehen, wo sie die offizielle Medienberichterstattung und die Wahrnehmung der Öffentlichkeit kritisiert. Nicht kritisch reflektiert wird die eigene Verwendung der Fotografie des Vietcongs.

61 Auch Stuart Hall legt dar, dass wir es bis heute in Europa und den USA aus den Nachrichten gewohnt sind,

das Bild des Anderen, Nicht-Weißen als Opfer oder Verlierer zu sehen (Hall 2004: 109f.). 62 Bei den Vietcong war Adams Fotografie gerade deshalb nicht beliebt, weil sie einen der ihren als Opfer zeigt.

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Sie wird in der künstlerischen Collage als ‚Realität‘ bezeugend vorgeführt und bedient gleichzeitig eine Schaulust am Leiden der Anderen. Diese Schaulust ist wiederum strukturiert durch eine Abgrenzungshaltung gegenüber dem Anderen, eine Abgrenzung, bei der es nicht darum geht, die unterschiedlichen Positionen im globalen Machtgefüge zu betrachten, sondern eine Abgrenzung, die Verletzbarkeit nur diesem Anderen zuschreibt und sich selbst darüber ausnimmt. So bietet die Collage den weißen, vor allem deutschen, als männlich gedachten Betrachtenden eine Position an, die sich von der US-amerikanischen, als weiblich und jüdisch dargestellten Täterschaft distanzieren kann. Eine Position, die Mitleid mit dem Anderen empfindet, sich auf seine Seite imaginiert, sich gleichzeitig und vor allem aber auch einer Position versichern kann, die selbst als unverletzbar gilt.

Weitere Verhandlungen von kultureller Differenz und Auseinandersetzungen mit dem nationalsozialistischen Genozid in Vostells künstlerischer Praxis Nach „Miss America“, 1968, hat Vostell mit der Fotografie von Adams sowie mit weiteren Fotografien aus dem Vietnamkrieg weitergearbeitet. Hatte er zunächst damit experimentiert, allgemein über die Verwendung von Bildern, insbesondere fotografische Aufnahmen, in Massenmedien zu ref lektieren bzw. eine solche ­Reflexion anzustoßen,63 setzte er sich später zunehmend mit den Wirkungen und Effekten des Zeigens von Fotografien von Gräueltaten auseinander. Kulturell Andere als Opfer von Kriegen und Vernichtungspolitiken des Vietnamkriegs, aber auch von Holocaustdarstellungen, die seit Beginn der 1960er Jahre ins kollektive Bildgedächtnis eingegangen sind, sowie Weiblichkeit sind dabei wiederkehrende Motive. Kulturell differente Opfer und weiße Weiblichkeit werden, wie in „Miss America“, erneut miteinander kontrastiert. Frauenfiguren oder weiblich konnotierte Gegenstände stehen in diesen nur kurze Zeit später entstandenen Arbeiten allerdings nicht mehr nur für Konsum und Scheinwelt, sondern stärker für eine unkritisch rezipierende und konsumierende Haltung gegenüber Bildern von leidenden Menschen: Zum Beispiel die Objektgrafik „Nur die 1“, 1968 [Abb. 27], in der Vostell die Erschießung des Vietcongs mit Nylonstrümpfen der Marke „Nur Die“ zusammenmontierte. Eine andere Arbeit ist die Collage „Mania“, 1973 [Abb. 28], in der eine weitere bekannte Vietnamkriegsfotografie (Kinder, die vor Napalmbomben davonlaufen)64 mit einer Farbpalette für Nagellacke kombiniert und mit dem Satz: „Meine Kunst hat die Aufgabe, die Menschen gegen Krieg und

63 Diesen Aspekt diskutiert auch Roters (1982: 70), Schenk-Weininger nimmt eine ähnliche Schlussfolgerung

vor (2004: 125). Konstatieren lässt sich, dass Vostell die verwendeten Fotografien immer bearbeitet und damit kommentiert hat. Im Gespräch mit Schilling äußerte er, dass er es als Erfolg betrachtet, die Zeitgeschichte durch seine neue Bildform ins Museum gebracht zu haben (1980: 14). Im weiteren Verlauf des Interviews argumentiert er, dass durch die Verarbeitung die Ambivalenz des Dokuments aufgezeigt werden soll (ebd.: 15). 64 Das Foto wurde von Nick Uts am 8.06.1972 aufgenommen, es zeigt unter anderem das vietnamesische Mädchen Kim Phúc.

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Intoleranz zu erziehen“ unterschrieben ist. Das Zusammenbringen von als weiblich geltenden oder für Weiblichkeit stehenden Schönheitsartikeln und Bildern aus dem Krieg funktioniert ähnlich wie die Montage in „Miss America“. Stärker als in dieser wird jedoch die konkrete Wahrnehmung der Bilder thematisiert und als bloßes Konsumieren, als Wirklichkeit verkennend, aber auch als weibliches Verhalten ausgewiesen und einem implizit männlich geltenden ref lektierten Verhalten ­gegenübergestellt. Vostell verwendete in den auf „Miss America“ folgenden Arbeiten weiterhin Farbverwischungen als Mittel der Intervention, allerdings steigerte er diese so, dass die darunterliegenden Motive kaum noch zu erkennen sind.65 Eine ‚bloß konsumierende‘ Wahrnehmung wird damit verhindert, und gebrochen wird mit der Annahme, dass eine maximale Sichtbarkeit auch ein maximales Maß an Erkenntnis vermitteln könnte. In „So leben wir Abend für Abend vor dem Fernsehschirm“, 1968 [Abb. 29], ist die Fotografie des erschossenen Vietcongs entsprechend nur noch schemenhaft zu erkennen.66 Der Blick auf den Körper des Asiaten wird verhindert. Der Titel bezieht die Betrachtenden zusätzlich in die Arbeit ein, indem auch auf ihr Verhalten („so leben wir“) aufmerksam gemacht wird, ohne dass sich der Künstler von diesem ausnimmt. Die spiegelverkehrte Abbildung der Fotografie ist auf Plexiglas aufgedruckt und mit einer Aufnahme der Skyline von Manhattan (nicht z.B. von Frankfurt) unterlegt. Die übereinandergelegten unterschiedlichen Motive irritieren. Zusammen mit dem auf die Collage applizierten Bild einer Foto­ kamera werden die Betrachtenden direkt adressiert und mit dem Titel auf ihr e­ igenes Verhalten gegenüber ‚solchen Bildern‘ verwiesen. Betont wird hier zwar auch, dass der Vietnamkrieg durch verbesserte technische Ausrüstungen (Handkamera, Satellitenübertragung) zu einem audiovisuellen Ereignis, zum ‚living room war‘, geworden war, der durch eine schnellere Datenvermittlung als Bild ‚zu uns kommt‘, wobei hier erneut ein für die USA stehendes Bild (Manhattan) für die Referenz auf ‚uns‘, auf die ‚westliche Welt‘, verwendet wird.67 Vorgeführt wird vor allem aber der Akt des Betrachtens selbst als sensationslüstern und voyeuristisch. Indem ein Kameraobjektiv auf den Betrachtenden vor dem Bild gerichtet ist, wird dieser, wie auch in „Die Fluxisten sind die …“, zum Angeblickten, seine vorher unentdeckte Position vor dem Bild wird angesprochen und damit auch unsicher gemacht, der

65 Klaus Honnef schreibt zu den ‚Verwischungen‘ von Vostell, dass er Zeitungsfotos quasi „auslöschte und

ihre fotografische Scheinrealität durch eine autonome künstlerische Wirklichkeit ersetzte“ (1992: 147). 66 In ähnlicher Weise ist Adams Fotografie bzw. die Kombination der drei Bilder in der Druckgrafik „Pasadena US 66“, 1968, bearbeitet worden. In dieser hat Vostell die Fotografien auf Folie gedruckt und mit der Abbildung des bekannten amerikanischen Highways (US 66) übereinandergelegt. Durch die Einfärbung in Blau scheint sich das Bildgeschehen fast gänzlich aufzulösen, die schimmernde Farbe verhindert weiterhin ein genaues Hinsehen. Die Autobahn signifiziert Flüchtigkeit und industriell-technischen Fortschritt und bedeutet damit die Wahrnehmung solcher Bilder in der Gesellschaft der USA als oberflächlich. Abgebildet ist die Arbeit in dem Ausstellungskatalog „Wolf Vostell: die Druckgrafik“ der Städtischen Galerie Villa Zanders Bergisch Gladbach (2005: 46). 67 Thematisiert ist hier auch, dass die Aufmerksamkeit, die Fernsehbilder erzeugen, „locker, beweglich und gegenüber den Inhalten relativ gleichgültig“ ist (Sontag 2005: 123).

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Abb. 28 Wolf Vostell Mania 1973,122,5 x 202 cm, Öl und Siebdruck auf Leinwand

Abb. 29 Wolf Vostell ­ ernsehschirm (Serie Umfunktionierungen) So leben wir Abend für Abend vor dem F 1968, 122,5 x 202 cm, Öl und Siebdruck auf Leinwand

Abb. 30 Wolf Vostell E.d.H.R. (Elektronischer dé-coll/age Happening Raum,) (Hommage a Dürer) 1968/1969, Fotografien, diverse Materialien

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Voyeur/die Voyeurin (in den auf Vietnam bezogenen Arbeiten Vostells ist diese Position eher weiblich konnotiert) wird entlarvt. Folgern lässt sich, dass Vostell mit der Collage „So leben wir Abend für Abend vor dem Fernsehschirm“ der Frage, wie und mit welchen Effekten auf die Betrachtenden Bilder aus dem Vietnamkrieg gezeigt werden (können), weiter nachgeht. Stärker und expliziter als mit der Collage „Miss America“ bezieht er Position bezüglich der viel diskutierten Frage nach der Relevanz und den Effekten des Zeigens von Bildern brutaler Gewalt. Eine solche Diskussion hatte bereits die Fotografie von Adams in der BRD ausgelöst.68 Vostell plädiert mit den auf „Miss America“ folgenden Arbeiten für ein bewusstes Anblicken der Darstellungen von Gräueltaten des Krieges und macht gleichzeitig auf die sensationslüsterne und voyeuristische Schaulust, die mit diesen auch bedient wird, aufmerksam.69 Mit der in die Collage integrierten Kamera, die auf den Betrachtenden gerichtet ist, wird die Position, Objekt der Kamera zu sein, als unsicher und prekär in die Aufmerksamkeit gebracht. In dem Environment E.d.H.R. (Elektronischer décoll/age Happening Raum), 1968/69 [Abb. 30], ist Vostell der Problematisierung voyeuristischer Blickstrukturen noch weiter nachgegangen.70 Die Rauminstallation bestand aus Fotografien, die auf transparente Folie gedruckt waren und von der Decke herunterhingen. Zu sehen waren auf den durchsichtigen Bildträgern erneut die Fotografie des Vietcongs von Adams, aber auch Aufnahmen von Leichen in einem Konzentrationslager sowie nackte blonde Frauen und US-amerikanische Soldaten. Der Boden der ­Installation war unter anderem mit Glasscherben bedeckt, wodurch die ‚Zugänglichkeit‘ erschwert bzw. als beschwerliche signifiziert wurde. Zwischen den Fotografien von Kriegen und Opfern von Gräueltaten fallen die Bilder von blonden nackten Frauen besonders auf. Sie sind hier stärker als die weibliche Figur in „Miss America“ als sexualisierte Objekte inszeniert. Gemeinsam mit den anderen Fotografien ist ihnen der Aspekt, dass sie ebenfalls Schaulust evozieren. Thematisiert wird dadurch, dass dem Akt des Anblickens von Aufnahmen gemarterter kulturell Anderer ein Voyeurismus zu eigen ist, der dem Blick auf nackte weibliche Körper ähnelt. Dieser Vergleich ist später verschiedentlich auch von TheoretikerInnen diskutiert worden (Sontag 1980/2003: 9ff, Reifarth und Schmidt-Linsenhoff 1983:

68 Schwingeler und Weber beschreiben, dass nach der Erstveröffentlichung von Adams Fotografie in deutschen

Tageszeitungen das Magazin Stern sie in einem USA- und Vietnamkrieg-kritischen Kontext abbildete und damit eine Diskussion auslöste (2005: 42 und 46). In diesem Zusammenhang stellte das Familienministerium den Antrag, die Ausgabe des Sterns zu indizieren, weil die Bilderfolge mit der Erschießung einen „verrohenden Einfluss“ haben könnte (zit. nach der Frankfurter Rundschau, 28.02.1968, S. 3). Der Antrag wurde jedoch von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften abgelehnt. Für eine ausführlichere Analyse dieser Debatte s. Schallenbergers Analyse zu Printmedienbeiträgen über den Vietnamkrieg in der BRD (1999: 219). 69 An der Collage lässt sich insofern thematisieren, was auch Sontag mit Blick auf Adams Fotografie darlegt, dass dem Akt des Fotografierens etwas Anstößiges anhaftet, gerade in der Komplizenschaft beim Zuschauen (Sontag 2003: 72). 70 Das Environment ist mehrfach mit unterschiedlichen Elementen ausgestellt worden. Ich beziehe mich hier auf eine der wenigen Installationsansichten aus dem Ausstellungskatalog „Wolf Vostell. Dé-coll/agen 1954 – 69“ der Galerie René Block (1969: 341). Als Ausstellungsorte sind dort angegeben: das Institut für moderne Kunst, Nürnberg 1968; die Biennale Venedig 1968 und Schloss Morsbroich, Leverkusen 1969.

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69, Klüger 1996: 35). Schenk-Weininger beschreibt die offensive Zusammenführung dieser eigentlich unterschiedlichen Motive in Vostells Environment als ‚Störfunktion‘ und fragt, ob diese künstlerische Strategie nur einen erneuten suggestiven Reiz bewirkt oder die Massenmedien durchschaubar macht (2004: 125). Zumindest verdeutlicht die Installation, dass dem Anblicken beider Motive eine Schaulust eignet.71 Sowohl die nackten weißen weiblichen Körper als auch der asiatische versehrte Männerkörper sowie die Leichen von Juden im Konzentrationslager werden als in der Position des Angeblickt-Werdens offensichtlich. Zwar haftet der Visualisierung der Frauen auch hier die Konnotation als für Konsum stehend an, sie könnte auch eine Werbung für Limonade o.Ä. sein. Indem die weiblichen Körper aber direkt neben der Darstellung soldatischer weißer Männlichkeit zu sehen sind und es so scheint, als würden die Soldaten auf die Frauen blicken, wird ihr Objektstatus, der dem eines in die Schusslinie genommenen Opfers oder dem eines fotografierten leidenden oder toten Körpers ähnlich ist, betont und zur Reflexion offengelegt. Befragt werden Möglichkeiten und Effekte des Zu-sehen-Gebens von Bildern mit leidenden und toten Körpern. Indem in der Aktion „E.d.H.R.“ Fotografien, die den kulturell Anderen als Leidenden oder als Opfer zeigen, mit solchen vom nationalsozialistischen Genozid zusammengebracht werden, wird außerdem deutlich, dass in der Beschäftigung mit Ersterem nicht nur unbewusst die problematische Geschichte des National­ sozialismus und des Holocaust mitbearbeitet wird, wie Siegfried Zielinski es für die Medien bereits konstatiert hat (1984: 51). Vostell hat schon vorher mit künstlerischen Mitteln zum nationalsozialistischen Genozid gearbeitet. Er ist einer der wenigen Künstler in Deutschland, der sich seit den späten 1950er Jahren kontinuierlich mit der jüngsten deutschen Vergangenheit auseinandergesetzt hat.72 Nachdem er den nationalsozialistischen Genozid in den 1950er/60er Jahren haupt­sächlich über die Verwendung von Materialien wie Stacheldraht, Metall usw. thematisierte,73 integrierte er in spätere Arbeiten ab den späten 1960er Jahren auch bekannte Fotografien, die zum Beispiel Leichen in Konzentrationslagern zeigen. Diese reproduzierte er jedoch nicht lediglich als vermeintlich ‚authentische‘ R ­ ealität, sondern stellte sie in einen Rahmen, der das Publikum aufforderte, sich mit der Vergangenheit und ihrer medialen Vermittlung zu beschäftigen. In einem weiteren Schritt brachte er sie in der Arbeit „E.d.H.R.“ direkt mit Bildern von Gräueltaten

71 Wenk diskutiert die Möglichkeiten künstlerischer Befragungen von voyeuristischem Interesse im Anblicken

von Holocaustdarstellungen anhand von Arbeiten des Künstlers Boris Lurie (Wenk 2002: 277ff). Lurie wiederum gehörte zu den KünstlerInnen, mit denen Vostell im Austausch stand, s. dazu z.B. den Katalog von Vostell und Jürgen Becker (1965). 72 Hoffmann-Curtius bezeichnet seine explizite Auseinandersetzung mit Auschwitz sogar als in der Bildenden Kunst der Zeit einzigartig (2005: 74). 73 Seine erste Arbeit zu diesem Thema ist ein Environment mit dem Titel „Schwarzes Zimmer“, das aus drei Assemblagen besteht: „Deutscher Ausblick“ (1958/9), „Auschwitz-Scheinwerfer 568“ (1958/9) und „Treblinka“ (1959). Alle drei wurden erstmals 1963 in der Galerie Parnass in Wuppertal ausgestellt. In dieser Serie verwendete er allerdings keine Bilder von Opfern, sondern arbeitete mit Materialien wie Stacheldraht, Metall, Holz, Radio, Schweinwerfer usw.

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und Opfern aus Dekolonialisierungskriegen wie dem Vietnamkrieg zusammen, vorher waren sie in Ausstellungen und in Katalogen allerdings auch schon in ­Zusammenhang gestellt worden.74 Auch vor „E.d.H.R.“ waren die genannten ­T hemen daher schon miteinander verknüpft. Wenn Vostell Blickpositionen und Schaulust auch in Bezug auf Holocaust­ darstellungen thematisiert und in der Arbeit E.d.H.R. Fotografien von Holocaust­ opfern mit der eines erschossenen Vietcongs zusammenbringt, kann das als Beleg für die Vermutung gelten, dass in vielen Verhandlungen von Bildern, die Machtverhältnisse gegenüber kulturell Anderen in ihrer brutalsten Ausformung zu sehen geben, zumindest in der BRD auch die Erinnerung an den nationalsozialistischen Genozid mit verhandelt wird.

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Das kann für fast alle seiner Monografien konstatiert werden.

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5. ‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz? Lothar Baumgarten fotografiert in einem ethnologischen Museum (1968/69) Das Interesse am kulturell Anderen teilen viele KünstlerInnen mit der Ethnologie. Die europäische Ethnologie trägt seit ihrer Institutionalisierung Ende des 19. Jahr­ hunderts maßgeblich zum Wissen über und zur Definition von kultureller Differenz bei. Ethnologische Museen, lange Zeit auch Völkerkundemuseen genannt, vermitteln Informationen über außereuropäische und indigene Kulturen. Insbesondere Gegenstände oder Dinge scheinen in diesen Repräsentationen ‚Authentizität‘ zu garantieren, sie werden als Materialisierung der anderen Kulturen ausgestellt. Wie im Kapitel zum Primitivismus dargelegt, hat es vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa ein künstlerisches, aber auch kunsthistorisches Interesse an den als ‚primitive Kunst‘, als Artefakte, als Skulpturen, als Objekte usw. bezeichneten ‚Dingen‘ aus Afrika, Ozeanien und anderen nichteuropäischen Gebieten gegeben. KünstlerInnen haben diese unter anderem in Völkerkundemuseen ge­ sehen, abgemalt und nachgeahmt, KuratorInnen haben sie als ‚ethnografische Objekte‘ in Kunstausstellungen integriert, wodurch sich der Primitivismusdiskurs formierte. Während sich die meisten KünstlerInnen hauptsächlich mit den präsentierten Objekten und Objektivationen befassten und Letztere dabei meist reproduzierten, haben einige, wie etwa die Künstlerin Hannah Höch mit ihrer Serie „Aus einem ethnographischen Museum“ (1924 – 1934) und auch Kunsthistoriker, in Deutschland vor allem Carl Einstein (1915), die ethnografischen Weisen der Präsentation von außereuropäischen Objekten problematisiert. Die kontroversen Diskussionen, die über Disziplinengrenzen hinweg geführt wurden, brachen in Deutschland 1933 ab. Während in anderen westlichen Ländern im Kontext der Dekolonialisierungsbewegungen seit den 1950er Jahren die kolonialen Verstrickun-

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gen der Ethnologie diskutiert wurden, fand eine solche Auseinandersetzung in Deutschland zunächst fast gar nicht statt, erst in den 1980er Jahren gab es einzelne Publikationen (Schupp 1997: 5). Insofern kann die Arbeit „unsettled objects. Pitt Rivers Museum, Oxford“, 1968 – 69 [Abb. 31 – 44], von Lothar Baumgarten für den westdeutschen Kontext als eine ‚frühe‘ (aber zugleich erneute) Auseinandersetzung mit musealen Formen der Repräsentation außereuropäischer Kulturen benannt werden. Mittlerweile werden die Kritiken an Präsentationen kultureller Differenz in Kunst, Kunstgeschichte und Ethnologie immer häufiger artikuliert bzw. überhaupt gehört und zugelassen. Ende der 1960er Jahre waren solche kritischen Reflexionen über Repräsentationen, Wissensproduktionen sowie Evidenzbehauptungen zumindest in Europa noch relativ neu und begannen sich erst seit den späten 1970er Jahren mit der sogenannten ‚Krise der Ethnologie‘ herauszubilden.1 Im Folgenden analysiere ich die mittlerweile historische Arbeit „unsettled objects“ von dem weißen deutschen Künstler Baumgarten, die in den letzten zwanzig Jahren vermehrt unter vermeintlich postkolonialen Vorzeichen ausgestellt worden ist, und frage, ob und wenn ja, wie genau sich Baumgartens Lichtbildprojektion von primitivistischen Formen der Auseinandersetzungen mit außereuropäischen Artefakten unterscheidet.2 Diskutieren werde ich, inwiefern sie nicht nur eine visuelle, ethnografische Präsentationsweise eines mittlerweile veralteten, aber weiterhin wirkmächtigen Völkerkundemuseums dekonstruiert und es im Sinne eines ‚Metamuseums‘ analysiert,3 sondern wie sie darüber hinausgehend auch die Möglichkeit einer spezifischen Auseinandersetzung mit außereuropäischen Artefakten anbietet.4 Diskussionen von solchen Möglichkeiten sind angesichts der Präsenz und stetigen Reproduktion exotisierender und stereotypisierender Präsen-

Kritische Analysen zum Sammeln und Aneignen von ethnografischen Objekten durch westliche Museen verfassten u.a.: Michael Ames (1986), James Clifford (1988), Phyllis Mauch Messenger (1989), Sally Price (1992), Mieke Bal (2006), die Beiträge der Ausgabe „Réinventer les musées“ der Zeitschrift Africultures No.70, Juni 2007, Belinda Kazeem, Lauré al-Samarai Nicola und Peggy Piesche (2008) sowie die Aufsätze in einem Sammelband von Belinda Kazeem, Charlotte Martinz-Turek und Nora Sternfeld (2009). Kritiken an kolonialen musealen Praktiken wurden von den Kolonialisierten aber von Beginn der Kolonailisierung an auch selbst artikuliert. Leider waren mir diese ‚frühen‘ Proteste kaum schriftlich zugängig und sind bis heute nur wenig aufgearbeitet. Kazeem, Lauré al-Samarai und Piesche erwähnen solche Einsprüche in ihren Überlegungen zu kolonialen Praktiken europäischer Museen (2008). 2 Die Arbeit „unsettled objects“ wurde erstmals 1970 in der Kunstakademie Düsseldorf ausgestellt, an der Baumgarten in der Klasse von Joseph Beuys studierte. Weitere Ausstellungen in der BRD waren unter anderem: 1979 im Rautenstrauch Joest Museum, Köln; 1995 im Kunstmuseum Bonn. 1999/2000 in der Ausstellung „Kunstwelten im Dialog“, Museum Ludwig, Köln; 2000/2001 in der Jubiläumsausstellung zum 25-jährigen Bestehen der Karl-Schmidt-Rottluff Förderungsstiftung in Düsseldorf und Dresden; 2002 wurde sie von der Kunsthalle Hamburg als Dauerleihgabe angeschafft, wo sie zunächst Ausstellungsobjekt der Ausstellung „Gegenwärtig Feldforschung“, 2003/4, und dann als Teil des Museumsbestandes gezeigt wurde. Auch auf Baumgartens erster Retrospektive im Museum Kurhaus Kleve, 2006, war sie zu sehen. 3 Bal beschreibt mit dem Begriff des ‚Metamuseums‘ Museen, die ihre kolonialistische Konstituiertheit nicht einfach nur aufgeben, sondern zu einem Museum des Museums werden. Metamuseen ermöglichen ihr zufolge Reflexionen über ihren eigenen ideologischen Standort (2006: 77f). 4 Lothar Baumgarten hat mir für meine Forschung die Fotografien der Arbeit und ihr Storyboard zur Verfügung gestellt, wofür ich ihm an dieser Stelle ausdrücklich und ganz herzlich danke! 1

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tationen in vielen europäischen Museen und im Hinblick auf das Ziel einer Dekolonisierung europäischer Kultur nach wie vor dringend nötig. Die Fragen, wie mit den in Europa vorhandenen Artefakten aus Afrika, Ozeanien, Asien, Südamerika usw. umgegangen werden sollte, wie sie ausgestellt, ob sie überhaupt ausgestellt werden sollten und inwiefern dabei auf die kolonialistische Geschichte europäischer Museen eingegangen werden sollte, werden bis heute kontrovers diskutiert.5 Baumgarten ist einer der wenigen KünstlerInnen, die in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er Jahren solche Fragen bearbeiten. Seit seinem Studium (1968 – 71) analysiert er mit seiner Kunst Formen ethnologischer Wissensproduktion und insbesondere deren visuelle Präsentationen. Ich stelle daher zunächst zentrale Charakteristika seiner allgemeinen künstlerischen Praxis sowie deren Rezeption im Kontext des bundesdeutschen Kunstfelds vor, bevor ich daran anschließend seine Vorgehensweise an den Schnittstellen der Disziplinen Kunst und Ethnologie verorte, um daraus die Fragestellung zu konkretisieren, mit der ich die Arbeit „unsettled objects“ analysiere.

Verhandlungen von kultureller Differenz in Baumgartens künstlerischer Praxis Die kunsthistorische Rezeption erklärte Baumgartens Verhandlungen von ethnologischen Themen schnell zu seinem ‚Erkennungszeichen‘.6 Explizite Anerkennungen und fundierte Diskussionen hat seine inhaltlich-politische Ausrichtung im Kunstfeld jedoch erst in den letzten 20 Jahren erfahren. Dabei war sein Interesse für Ethnologie auch innerhalb der bundesrepublikanischen Kunstszene keine absolute Ausnahme. Mit ethnografischen/ethnologischen Methoden arbeiteten in den 1970er und 80er Jahren in der BRD außer Baumgarten vor allem auch die Künstler Nikolaus Lang und Rainer Wittenborn. Im Gegensatz zu Baumgarten befasste sich Lang stärker mit der Historie von Kulturen und arbeitete eher archäologisch. So bestand beispielsweise seine Arbeit „Peter’s Story“, 1986 – 89, aus einer Bilderreihe, in der er die Geschichte eines Aborigines aus der Kolonialzeit selbstironisch nachgestellt hatte und dabei historische Objekte und Praktiken der indi-

Für den Stand der aktuellen Debatten in der BRD s. beispielsweise die Beiträge des Sammelbandes von Cordula Grewe: „Die Schau des Fremden. Ausstellungskonzepte zwischen Kunst, Kommerz und Wissenschaft“ (2006) sowie den Bericht von Alma-Elisa Kittner und Ilka Potthast über die Tagung „Between Fetish & Art. Is sculpture transcultural, global, universal? im Januar 2011, konzeptionalisiert von Gabriele Genge (Universität Duisburg-Essen) und Beate Söntgen (Ruhr Universität Bochum). 6 Sowohl das Saur Allgemeines Künstlerlexikon (1993: 607) als z.B. auch ein Leporello der Hamburger Kunsthalle (2003) beschreiben dieses Interesse als Charakteristikum für Baumgartens Arbeit. 7 „Peter’s Story“ ist eine 32-teilige Fotoserie und erzählt die Geschichte eines Aborigines, der 1856 in SüdAustralien zu Unrecht des Todes an einem weißen Siedler beschuldigt und bei seiner Gefangennahme verletzt wurde, woraufhin er kurze Zeit später starb (Metken 1989: 35ff; Friese 1992: 11ff; Schneider und Wright 2006: 136). Die wie Stills eines Films anmutenden und paarweise angeordneten Bilder folgen keiner linearen Erzählweise und illustrieren die Geschichte nicht. Einige der Standfotos zitieren Motive aus der christlichen Ikonografie und integrieren offensichtlich europäische Erzählmuster. Die Arbeit lässt sich insofern nicht auf einen ernsthaften Anspruch festschreiben, das Leben der Aborigines nachzuvollziehen respektive ritualhaft nachzuempfinden. 5

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genen Bevölkerung Australiens präsentierte.7 Wittenborn wiederum führte Ende der 1970er Jahre ‚künstlerische Feldforschungen‘ durch. 1982 begab er sich dafür zum Beispiel mehrere Monate in ein durch den Bau eines großen Wasserkraftwerks bedrohtes Gebiet der Crees im nördlichen Quebec, Kanada. 8 Wie viele EthnologInnen in der Zeit engagierte sich Wittenborn für eine marginalisierte ethnische Gesellschaft. In Kooperation mit diesen nahm er eine Bestandsaufnahme der Region vor und präsentierte die verschiedenen Ergebnisse multimedial.9 Baumgarten wurde in den 1970er Jahren bekannt und etablierte sich auf dem ‚internationalen‘ (d.h. eigentlich ‚westlich‘ dominierten) Kunstmarkt. Schon 1972 stellte er auf der documenta 5 aus, bevor er seit den 1980er Jahren an renommierten Großausstellungen teilnahm. 1982 war eine Arbeit von ihm auf der documenta 7 zu sehen, 1984 vertrat er die BRD auf der Biennale in Venedig, und international war er besonders in den USA, Kanada, Frankreich und der Schweiz gefragt. Seine künstlerische Praxis ist nach wie vor meist situativ und flüchtig angelegt. Bekannt sind seine Inszenierungen von ungewöhnlichen Zusammenstellungen von Objekten im Wald, die er zwar fotografisch ‚dokumentiert‘, sie dann aber dem Zufall überlässt.10 In vielen Museen präsentiert er in situ Installationen, die nur für die Dauer der jeweiligen Ausstellung erhalten bleiben. In den meisten seiner nicht oder nur schwer erhalt- und somit auch vermarktbaren künstlerischen Arbeiten sind Verweise auf kolonialistische Geschichten und auf exotisierende Blickstrukturen enthalten.11 Auf der documenta 7, 1982, und auf der Venedig-Biennale, 1984, konfrontierte Baumgarten das überwiegend weiße Publikum beispielsweise mit Namen von indigenen ‚Völkern‘ und Gesellschaften, deren Geschichten in den weißen Dominanzkulturen weitestgehend vergessen sind. Als Beitrag zur documenta 7 applizierte er die Namen indigener Völker Südamerikas auf die weiße Wand des neoklassizistischen Museums Fridericianum und überschrieb somit eine humanistische Repräsentationsarchitektur mit dem Anderen, Fremden. In Venedig bedeckte er den Boden des deutschen Pavillons während der Biennale 1984 mit Marmorplatten, in die die Namen der großen Flüsse des Amazonas- und Orinoco-Wassersystems sowie von dort einheimischen Tieren eingeschrieben waren. Er legte damit die topografische Struktur des Amazonasbeckens quasi über

Er führte diese Forschung zusammen mit Claus Biegert durch. Biegert war zu der Zeit Mitglied von Survival International und hatte viel über die indigene Bevölkerung von Nordamerikas publiziert. 9 Wittenborn führte innerhalb dieses Projekts Interviews mit Vertretern der Cree, befragte den Manager des zuständigen Energiekonzerns usw. Diese Interviews wurden zusammen mit weiteren Ergebnissen und Visualisierungen ausgestellt (beispielsweise in der Städtischen Galerie in Regensburg 1982. Für eine ausführliche Beschreibung von Wittenborns Projekt und seiner künstlerischen Praxis s. Arndt Schneider (1996: 192ff) sowie Schneider und Christopher Wright (2006: 130ff). 10 Beispielhaft dafür sind Fotografien mit den Titeln „Kultur-Natur“, 1971, und „Verlorene Früchte“, 1969. Die Fotografie wird dabei jedoch nicht lediglich als Dokumentation verstanden, wie er es selbst in einem Interview mit Christian Rattenmeyer erklärte (2009). 11 Über Postkarten mit Abbildungen von diversen dieser ‚flüchtigen‘ Inszenierungen, die mittlerweile in vielen Museumsläden zu erwerben sind, scheint diese Vermarktungslücke in den letzten Jahren allerdings erfolgreich geschlossen worden zu sein. 8

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die Lagunen von Venedig. In einer Verkehrung kolonialer Machtverhältnisse überlagerte er die sogenannte Lagunenstadt mit der ‚Neuen Welt‘ Venezuelas. In Erinnerung gerufen wurde so die koloniale Vergangenheit und deren machtvolle Praxis der Namensgebung.12 Neben der Auseinandersetzung mit den Funktionen und Bedeutungen von Namen in imperialistischen Machtverhältnissen sind verschiedene (quasi-)ethnologische Visualisierungsweisen und entsprechende Blickgewohnheiten ein weiteres Thema von Baumgartens künstlerischer Praxis. Ein frühes Beispiel dafür ist die Arbeit „Amazonas-Kosmos“ von 1970. Auf den ersten Blick meint man, darin die fotografische Aufnahme eines Regenwaldes zu sehen, in die Namen unterschiedlicher indigener Gruppen handschriftlich eingeschrieben sind.13 Auf den zweiten Blick wird deutlich, dass nicht der Wald des Amazonas-Tieflandes, sondern Grünkohlstrünke fotografiert wurden. Das augenscheinlich Fremde, Andere, entpuppt sich letztlich als Eigenes und die Vorstellung vom Fremdem, hier von einem fremden Land, als durch die fotografische Inszenierung und den eigenen Blick generiert. Die nicht nur aus der Ethnologie bekannte Praxis des Bezeichnens und Ordnens wird durch die fotografische Inszenierung und Beschriftung imitiert, aber auch ironisiert und ausgestellt. Viele von Baumgartens Arbeiten führen den Betrachtenden vor, inwiefern Repräsentationen von different und exotisch Erscheinendem ihre Objekte und kulturelle Differenz erst selbst hervorbringen. Mediale Aspekte von (ethnografischen) Repräsentationen der Anderen werden dabei zur Ref lexion offengelegt, so auch in dem Film „Der Ursprung der Nacht. Amazonas-Kosmos“, 1978. Zu sehen sind in diesem Nahaufnahmen von Waldböden, Bäumen, Vögeln, Fröschen und Teichen. Zu hören meint der/die BetrachterIn verschiedenste Tiergeräusche. Kommentiert werden die überwiegenden Close-ups von ‚Natur‘ zuweilen mit Wörtern, die als Beschriftung über die Bilder gelegt sind oder von einer Stimme aus dem Off gesprochen werden. Die Herkunft dieser Begriffe kann der/die ZuschauerIn zwar der Botanik, Ethnologie oder auch Kunst zuordnen, sie bieten aber keine Erklärungshilfen und werden im Verlauf immer absurder: „konsonantische Geräusche“, „Gegend“. Erst am Ende des 98 Minuten langen Films erfährt der/die geduldige ZuschauerIn, dass die Bilder zwischen 1973 und 1977 in den Rheinwäldern aufgenommen wurden. Kameraführung, Kommentierung und der spezifische Ton erzeugen den Eindruck des unbekannten Anderen, Fremden und werden gleichzeitig in dieser Funktion auch entlarvt.14

12 Robert Houle kritisierte aus der Perspektive eines indigenen Künstlers Baumgartens Strategie der

Namenseinschreibungen (1992). Bezüglich einer Auflistung indianischer Stammesnamen im Walker Court der Art Gallery of Ontario, 1984/85, beanstandete er, dass es zum einen wiederum ein westlicher Künstler sei, der hier den Anderen eine Stimme gibt, und zum anderen, dass damit die spirituelle Integrität und die sakrale Bedeutung, die das gesprochene Wort innerhalb des indigenen Verweissystems hat, verletzt würde (Houle 1992). 13 Nur der/die informierte BetracherIn weiß, dass einer der Namen, „Tupamaro“, der Name einer radikalen politischen Gruppe in Uruguay ist (Govan 1993: 31). 14 Für ausführliche Analysen des Films s. Peggy Gale (1986) und Craig Buckley (2009).

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1978 änderte Baumgarten seine Strategie ethnologisch-künstlerischer Auseinandersetzungen und führte erstmals selbst eine Form von ‚Feldforschung‘ durch, indem er zwei Jahre bei dem indigenen Volk der Yãnomãmi am oberen Orinoko in Süd-West-Venezuela lebte. Mit zahlreichen Fotografien dokumentierte er weniger seinen Aufenthalt als das Leben der Indigenen im Amazonasgebiet. Die Fotografien unterscheiden sich in Motivwahl und Ausschnitt wenig von Konventionen ästhetisierender Fotografien von kulturell Anderen, die sich in den letzten 100 Jahren entwickelt haben. Sie evozieren die Annahme, darin die ‚fremde Wirklichkeit‘ sehen zu können. Kommentiert werden diese ethnografischen Aufnahmen von dem Tenor, Baumgarten habe, getrieben von dem Unbehagen an der eigenen Kultur, die der Anderen „von innen heraus begreifen“ wollen.15 Wenn die Fotografien im Kontext anderer Objekte ausgestellt sind, bleibt ihre Darstellungsweise jedoch nicht unkommentiert.16 In einer Retrospektive im ­Museum Kurhaus Kleve, 2006, wurde deutlich, dass Baumgarten der Frage nach der Darstellbarkeit und den Herkünften tradierter Repräsentationen von kulturell Anderen mit seiner Kunst bis heute nachgeht. In einer Wandarbeit thematisierte er kolonialistische Konnotationen von Farben und stellte sie in Zusammenhang mit der Entwicklung der Farbfilmfotografie.17 Insgesamt durchzieht Baumgartens künstlerische Praxis nicht bloß ein naives Interesse am Anderen, als vermeintlich besserer Gegenwelt, sondern auch die Auseinandersetzung mit ethnografischen/ethnologischen und vermeintlich wissenschaftlichen Darstellungsparametern von kultureller Differenz. Die Verhältnissetzungen zum Anderen werden als Blickverhältnisse ref lektierbar. Dass viele seiner dabei entstandenen Repräsentationen Darstellungen von ‚Natur‘ sind, ­w iderspricht dem nicht, sondern verdeutlicht die naturalisierenden, vermeintlich wissenschaftlichen Argumentationsstrukturen von Bildern von Anderen.

Die Rezeption Die kunsthistorische Rezeption hat zwar seit Beginn Baumgartens künstlerischer Lauf bahn die Verbindung zur Ethnologie hervorgehoben, dezidiert auseinander-

15 Zit. nach Ursula Wöll (2012). Wöll bespricht in dem zitierten Artikel die Ausstellung „Das Eckige und das

Runde“, die anlässlich der Schenkung verschiedener Objekte, Zeichnungen und Fotografien dieser Reise von Baumgarten an das Folkwang Museum Essen von diesem 2012 ausgerichtet wurde. 16 Auf der documenta 10, 1997, waren sie beispielsweise mit postkartengroßen Diapositiven von verschiedenen seiner Arbeiten und Installationen der Jahre 1968 – 1972 kombiniert. In seiner Retrospektive (Kleve, 2006) waren sie inmitten verschiedener historischer Schriften europäischer Wissenschaftler und Reisender über ‚die Neue Welt‘ präsentiert. Für eine ausführliche Beschreibung der verschiedenen Ausstellungsweisen dieser Fotografien s. Kaira M. Cabañas (2009). Für eine Diskussion, inwiefern sich mit den Kombinationen auch eine Opposition ergibt, die Baumgartens künstlerische Blickweise als ‚bessere‘ inszeniert und deren reduzierende und feststellende Effekte negiert, s. Craig Owens (1993: 106). 17 Siehe dazu den Katalogbeitrag von Cabañas (2005: 14ff).

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gesetzt mit seinen machtkritischen Verhandlungen von kolonialen Strukturen und Blickstrukturen sowie deren Fortwirkungen und in den Mittelpunkt gestellt wird sie aber erst seit den 1990er Jahren.18 Den Anfang machten die Ausstellung und der dazu herausgegebene Katalog „AMERICA Invention“, 1993, des Guggenheim Museums in New York. Die von Baumgarten zu diesem Katalog eingeladenen AutorInnen diskutieren aus unterschiedlichen Perspektiven insbesondere Baumgartens Praxis der Einschreibung von Namen indigener Völker als Verweis auf die Kolonialgeschichte.19 Auch die Kontextualisierung von Baumgartens Kunst auf der documenta 10, 1997, führte zu einer Sichtbarmachung der Kolonialismus-kritischen Aspekte in seiner Praxis. Paul Sztulman beschreibt im Kurzführer der d10 Baumgartens Kunst als Erforschung der Frage, „wie sich zwei Kulturen begegnen können, ohne sich gegenseitig ihre Integrität zu zerstören“ (1997: 30) und verortete die Arbeit in einen kritischen Zusammenhang, in dem nach hegemonialen Strukturen gefragt wird. Die documenta 10 war wiederum Anstoß zu Jürgen-Konrad Zabels Studie über „Bilder vom Anderen. Kunst und Ethnographie bei Lothar Baumgarten“ (2001). Zabel stellt in dieser Werkmonografie die Frage, wie sich Baumgarten, unter Beachtung der Geschichte des europäischen Ethnozentrismus, dem kulturell Anderen nähert (2001: 3 und 7). Er verortet Baumgartens Kunst dabei in Debatten um Globalisierung, Weltkunst und Globalkultur und schließt sie mit der Frage nach der Möglichkeit eines interkulturellen Dialogs zusammen (vgl. ebd.: 3). Die Einzelausstellung „LB Autofocus Retina“ des Museu d’Art Contemporani de Barcelona und der begleitende Katalog (2008) verfolgen eine erklärtermaßen postkoloniale Ausrichtung. Die Kuratorin Kaira Cabañas erläutert, dass die (überwiegend aus den USA stammenden) AutorInnen des Katalogs aus verschiedenen disziplinären Perspektiven über das Erbe des Kolonialismus, über moderne Anthropologie, über die Natur der dokumentarischen Fotografie und die ortsspezifische künstlerische Praxis schreiben (2008: 33). Während dieser Katalog bereits veröffentlichte Texte erneut zusammenstellt, ist der Katalog zu Baumgartens Einzelausstellung „Seven Sounds/Seven Circles“ im Kunsthaus Bregenz, 2009, der ebenfalls von Cabañas mitherausgegeben wurde, eine Anthologie von neuen Texten ‚junger‘ AutorInnen, wie Cabañas im Vorwort selbst das Projekt charakterisiert. Sie erklärt, dass der Katalog das Ziel hat, die Facetten von Baumgartens ästhetischer Praxis zu thematisieren, denen vorher im theoretischen Diskurs wenig Aufmerksamkeit

18 Die US-amerikanische Kunsthistorikerin Cabañas schreibt, dass die KritikerInnen von Baumgarten sich vor

den 1990er Jahren aufspalteten in solche, die ihm eine Fortführung des Primitivismus sowie ein Fortschreiben von Binaritäten vorwarfen (z.B. Buchloh 1989) und solche, die in der Arbeit ethnografische Qualitäten sahen und auf ‚authentische‘ Identitäten und Erfahrungen setzten (2008). Ähnliche Kritiken konnte ich in der BRD nicht ausmachen. 19 Als AutorInnen beteiligt waren: Michael Govan, Kurator der Ausstellung, die Kunstwissenschaftler Hal Foster und Craig Owens, der amerikanische Schriftsteller indigener Herkunft, N. Scott Momaday, und der Ethnologe Robert S. Grumet (1993). Zur Ausstellung s. retrospektiv auch Amy Rosenblum Martin (2009).

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zukam (2009: 7).20 In ähnlicher Weise ließe sich auch die Beteiligung von Baumgarten an der Gruppenausstellung „Un Coup de Dés“, 2008, in der Generali Foundation Wien beschreiben. Versammelt wurden in dieser Schau Kunstwerke von aktuellen KünstlerInnen, die thematisch anschließen an Auseinandersetzungen mit den Konventionen von Schrift und Sprache, wie sie bereits KünstlerInnen und DichterInnen wie Stéphane Malarmé, Lewis Carroll und Marcel Brodthaers vornahmen. Baumgarten hat in dem Katalog einen eigenen poetisch formulierten Text zu den „unsettled objects“ publiziert.21 Im Kontext dieser jüngeren postkolonialen Rezeption von Baumgartens Kunst ist die Arbeit „unsettled objects“ bereits mehrfach besprochen worden, zuerst von Michael Govan im Ausstellungskatalog „AMERICA Invention“ (1993). Govan beschreibt die Arbeit als Untersuchung musealer Repräsentationen vom Anderen und der darin sich vollziehenden ‚Begegnung‘ mit außereuropäischen Objekten im Museum. Er liest die im Katalog visualisierten Aufnahmen aus der Arbeit, die nicht auch in der Ausstellung zu sehen war, als Gegenstück zu Baumgartens Installation im Guggenheim Museum 1993.22 Christian Kravagna diskutiert sie im Kontext von Kritiken an künstlerischen und theoretischen ethnografisch-anthropologischen Reflexionen (2008). John J. Curley wiederum nennt sie in seinem Text über Baumgartens reflektierte Verwendung des Mediums Fotografie als ein Beispiel (2009). Keine der genannten AutorInnen ist jedoch der Narration nachgegangen, die sich in der Abfolge der Diaprojektionen ergibt, und nur am Rande besprochen wurde, dass in der Arbeit Möglichkeiten für eine kolonialismuskritische ‚Begegnung‘ mit den außereuropäischen Artefakten eröffnet werden.

Kunst und Ethnologie Die Diskussionen über Schnittstellen zwischen Kunst und Ethnologie sowie ­Problematisierungen ihrer Grenzziehungen sind gerade in den letzten Jahren theoretisch weiter vorangetrieben worden.23 Die dabei aufgeworfenen Fragen sind 20 Thomas Bartscherer verweist in seinem Beitrag beispielsweise auf die Bedeutung von Walter Benjamins

Passagenwerk für Baumgartens Arbeit (2009: 14ff). Dass Baumgartens Praxis mit den Kritiken an wissenschaftlichen Ansprüchen und Versprechen, wie sie im 20. Jahrhundert von Benjamin u.a. formuliert wurden, einhergeht, bestätigt auch meine Analyse. 21 Auf diesen werde ich im Folgenden noch eingehen. 22 In dem Katalogheft zur Ausstellung „AMERICA Invention“ des New Yorker Guggenheim Museum 1993 sind 27 der 80 Fotografien doppelseitig abgebildet und anders als in der Diaprojektion mit jeweils zwei Verben versehen, die am linken und rechten Bildrand das Bild quasi rahmen. 23 Im bundesdeutschen Kontext wurden solche Fragen beispielsweise auf der Tagung „Kunst und Ethnographie“ diskutiert, die von der Gesellschaft für Ethnographie e.V., dem Institut für Europäische Ethnologie der HumboldtUniversität zu Berlin sowie dem Museum Europäischer Kulturen der Staatlichen Museen zu Berlin ausgerichtet wurde und aus der ein gleichnamiger Tagungsband in der Reihe „Berliner Blätter“, hervorgegangen ist (Binder u.a. 2008). Konkreter auf die museale Repräsentation von ‚Fremden‘ fokussiert, aber an ähnlichen disziplinären Verschränkungen interessiert, waren die Tagung des Deutschen Historischen Instituts Washington, D.C., und der daraus entstandene Sammelband (Grewe 2006). Weitere Publikationen zu diesen Verschränkungen wurden verfasst von Alex Cole (2000) sowie von Schneider und Wright (2006).

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nicht neu. Schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat es Diskussionen darüber gegeben, inwiefern kulturelle Artefakte aus außereuropäischen Ländern als ‚Kunst‘ bezeichnet werden könnten, ob sie generell ‚lediglich‘ als ‚ethnografische Objekte‘ zu behandeln seien und wie sie zu präsentieren und zu analysieren sind. 24 In Deutschland sind diese Diskussionen – wie oben bereits erwähnt – 1933 abgebrochen und nach dem Zweiten Weltkrieg in der Kunstgeschichte zunächst nicht weitergeführt worden (Paul 2003). Mittlerweile sind die Kritiken, die an der europäischen Geste der Aneignung und Repräsentation von Objekten aus außereuropäischen Kulturen geäußert wurden, nicht mehr zu ignorieren und haben in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer zunehmenden kritischen Befragung des westlichen ‚Kunst-Kultur-Systems‘ geführt.25 Im Zusammenhang mit den Dekolonisationsbewegungen wurde der Ethnologie (deutlicher als der Kunst) erneut der Vorwurf gemacht, eine koloniale Wissenschaft zu sein (Schupp 1997). Die Auseinandersetzungen führten in den 1980er Jahren zu der sogenannten ‚Krise der Ethnologie‘, die im anglo-amerikanischen Raum auch als ‚Writing-Culture-Debatte‘ bezeichnet wird. EthnologInnen stellten die der Disziplin eigenen Möglichkeiten unter anderem unter ethischen Aspekten zur Disposition. In einer intensiven Methodenreflexion wurde diskutiert, inwiefern ethnologische Aussagen überhaupt möglich seien und welche Relevanz, welchen Zweck und welche Effekte ethnologische Forschungen haben (z.B. wurde über die Frage gestritten, wer von diesen profitiert).26 Viele der aufgeworfenen Fragen ähneln denen, die innerhalb repräsentationskritischer Ansätze seit den 1970er Jahren in der feministischen Medien- und Kunstwissenschaft diskutiert werden. Insbesondere das poststrukturalistische Verständnis von ‚Repräsentationen‘ als nicht abbildend, die Realität wiedergebend, sondern diese mit konstituierend (Hall 1997) stellt einen Punkt dar, in dem sich beide Kritiken/Krisen verkreuzen. Die Konvergenz dieser Fragen wurde allerdings sowohl

24 Für die Bezeichnung von Plastiken aus Afrika als ‚Kunst‘ hat sich in Deutschland vor allem der Kunsthistoriker

Carl Einstein eingesetzt (1915). Für eine ausführliche Diskussion seiner Publikationen s. Kiefer (1994) und Viktoria Schmidt-Linsenhof (2010). Auch der 1887 in die USA ausgewanderte Anthropologe Franz Boas formulierte massive Kritik an der zeitgenössischen Ausstellungspraxis von Objekten indigener Kulturen (s. der Sammelband von Hans-Walter Schmuhl 2009). 25 Clifford erläutert das Kunst-Kultur-System mit einem Diagramm, in dem er die wettstreitenden Bedeutungen und Institutionen aufführt (vgl. Clifford 2001: 294). Bal macht anhand der räumlichen und begrifflichen Aufteilung von europäischen Museen in Kunstmuseen, Völkerkunde- bzw. ethnologische Museen und Kunsthandwerks- und Kunstgewerbemuseen die unterschiedlichen Bewertungen der dort jeweils gezeigten Objekte, die einer kolonialistischen Ideologie entstammen und bis heute sinnstiftend sind, deutlich (Bal 2006: 72ff). Wie genau die Abwertung der nicht westlichen kulturellen Artefakte vorgenommen wird, hat insbesondere Price herausgearbeitet (1992). 26 Reflektiert wurden solche Fragen auch schon vorher, z.B. von Claude Lévi-Strauss (1955/1978). Zu der Krise der Ethnologie und ihren ‚Vordenkern‘ s. den Sammelband von Clifford und George Marcus: Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography (1986), der als Aufarbeitung und zugleich Höhepunkt dieser Debatte gilt.

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in Kunst/ Kunstgeschichte, Medienwissenschaft als auch in der Ethnologie kaum und nicht systematisch erörtert.27 Baumgarten hat sich einer Verknüpfung von Kunst und Ethnologie bereits in den späten 1960er Jahren angenommen.28 In dem erwähnten Katalog „AMERICA Invention“ (1993) hat er mit der Einladung von AutorInnen unterschiedlicher Disziplinen einer Verknüpfung auch auf theoretischer Ebene zugearbeitet. Die Arbeit „unsettled objects“ thematisiert ebenfalls repräsentationskritische Fragestellungen, die sowohl das kunsthistorische als auch das ethnologische Ordnungs- und Normensystem sowie ihre Interdependenzen betreffen. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wo und wie Baumgarten Fragen und Antworten hinsichtlich des Zu-sehenGebens und Bedeutens von Objekten außereuropäischer Kulturen in der Institution eines Museums und auf der beschriebenen Schnittstelle zwischen Ethnologie und Kunst thematisiert. Weiterhin frage ich, wo und wie Baumgartens Arbeit nicht unbedingt einen ‚Ausweg‘, aber eine andere Form des Blickens auf diese Objekte ermöglicht. Spezifisch an Baumgartens Strategie ist die offensichtliche Ref lexi­v ität, die er in viele seiner Arbeiten einbaut und die hier insbesondere die ethno­logischen und kunsthistorischen Weisen des Zu-sehen-Gebens betreffen. Pierre Bourdieus Überlegungen zu einer reflexiven Vorgehensweise in der Anthro­ pologie/Soziologie, die er unter dem Schlagwort der „Teilnehmenden Objektivierung“ zusammenfasste (2004), können in der Beschreibung von Baumgartens Strategie hilfreich sein. Bourdieu verstand unter diesem Schlagwort „die Objektivierung des Subjekts der Objektivierung, das heißt des analysierenden Subjekts – kurz, des Forschers selbst“ (ebd.: 172). Er schlägt eine Methode bzw. eine Vorgehensweise vor, deren Ziel es ist, die gesellschaftlichen Bedingungen zu ref lektieren, unter denen der Forschende eine subjektive Beziehung zu seinem Objekt aufbaut. Damit sind jedoch nicht bloß die gelebten Erfahrungen des individuellen Subjekts gemeint, die dieses Verhältnis mit bestimmen, sondern die soziale Umgebung, die den/die Anthro­ pologIn sowie die Annahmen, von denen er/sie bewusst oder unbewusst ausgeht, überhaupt erst hervorbringen (173f). Insofern Baumgartens Arbeit museale Präsentationsweisen von ‚ethnografischen Objekten‘, also letztlich (visuelle) Objektivierungen von kultureller Differenz und damit die Weise, in der die MuseumsbesucherInnen zu den ausgestellten Gegen-

27 Judith Laister plädiert für einen engagierten Austausch zwischen Kunst/Kunsttheorie und Ethnografie unter

der verdichteten Herausforderung einer visuellen Repräsentationskritik (2008: 25). Sie beschreibt, inwiefern sich die Krise der Ethnologie mit einer kritischen Analyse der visuellen Kultur trifft. Leider nennt sie die feministische Repräsentationskritik dabei nicht, obwohl gerade deren theoretische Verhandlungen hier produktive Dis­ kussionspartnerInnen wären. 28 Auch Schneider schreibt, dass KünstlerInnen wesentlich eher den genannten Fragen nachgegangen sind (Schneider 1996), bevor KunstwissenschaftlerInnen ethnologische Methoden mit denen der Kunst verglichen und auf ihre Anwendungsmöglichkeiten überprüften (z.B. Foster 1996) oder EthnologInnen nach ‚Antworten‘ auf die Krise der Ethnologie in der Kunst suchten (z.B. Schneider 1996 u. 2006, Laister 2008, Weiss 2008). Zu der Gefahr, dass Kunst dabei als machtfreier Möglichkeitsraum imaginiert wird, s. Laister (2008: 24) und Foster (1996).

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ständen in Beziehung zueinander gesetzt werden, in den ‚objektivierenden Blick‘ nimmt, scheint sie dem von Bourdieu formulierten Ansatz einer ‚teilnehmenden Objektivierung‘ zu entsprechen. Wie genau eine solche Reflexivität sich (bezüglich eines ethnografischen Museums) umsetzen lässt und wie dabei auch die spezifischen medialen Bedingungen der Disziplinen mit in Betracht gezogen werden, will ich im Folgenden anhand der „unsettled objects“ diskutieren. Renée Green hat an den Ausführungen von Hal Foster zu ethnologisch arbeitenden KünstlerInnen („artist as ethnographer“, 1996) kritisiert, dass er utopischen Aspekten und davon ausgehenden möglichen Impulsen von künstlerischen Praktiken keinen Raum gebe (1997: 155). Die dahinterstehende Überlegung aufnehmend und auf Baumgartens „unsettled objects“ anwendend, glaube ich, in dieser Arbeit einen ‚Moment‘ ausmachen zu können, der einen solchen Aspekt eröffnet, ohne dabei in eine primitivistische Projektion zurückzufallen. Die Diskussion dieser Möglichkeiten schließt meine Analyse ab.

„unsettled objects“, 1968/69 Die Arbeit „unsettled objects“ ist eine Lichtbildprojektion, bestehend aus 80 Diapositiven, die per Karussell in einer festgelegten Reihenfolge an die weiße Museums­ wand ‚geworfen‘ werden. 29 Die Projektion aller Bilder dauert 5,3 Minuten und entspricht einem Format von 80 bis 120 cm Breite mit entsprechender Höhe. Jedes einzelne Bild ist eine fotografische Aufnahme aus einem ethnologischen Museum und ist jeweils vier Sekunden lang zu sehen. Über nahezu jedes zweite Bild ist in serifenloser Schrift die Partizip-Perfekt-Form eines Verbs gesetzt (auf einzelne wurden auch zwei Verben montiert, die Worte befinden sich mal unten rechts, oben links oder auch mehr in der Bildmitte). Begriffe wie „imagined, selected, celebrated“30 usw. benennen die verschiedenen Umgangsweisen mit den Objekten im Kontext der Institution des Museums. Der Untertitel von Baumgartens Arbeit benennt das „Pitt Rivers Museum, Oxford“ als die verhandelte Institution. Doch auch wer diese nicht kennt, kann die Fotografien als Aufnahmen einer ethnologischen Sammlung, die nach typologischen Kriterien geordnet wurde und deren Präsentationsform aus dem späten 19. Jahrhundert stammt, identifizieren. So sind zum Beispiel alte Holzvitrinen mit jeweils verschiedenen Trommeln, Blasinstrumenten und Flöten usw. zu sehen [Abb. 34]. Die Vitrinen sind meist jedoch so fotografiert, dass ihr Inhalt aufgrund

29 Das erste Dia ist ein Titelblatt, auf dem Künstlername, Titel und Datierung angegeben sind. Für meine

Analyse habe ich die einzelnen Lichtbilder von 1 – 80 durchnummeriert. 30 Die Reihenfolge der Begriffe setzt sich folgendermaßen fort: obfuscated, studied, subtitled, restored, neglected, collected, decoded, fetishized, forgotten, reinvented, treasured, displayed, climatized, confined, counted, composed, owned, polished, valued, mythologized, protected, rationalized, classified, consumed, transformed, salvaged, neutralized, typified, admired, named, lost, disposed, politicized, registered, generalized, juxtaposed, bewildered, simulated, claimed, negotiated, stored, ignored.

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Nach dem Primitivismus?

Abb. 31 – 34 Lothar Baumgarten Unsettled objects 1968/69, Lichtbildprojektion, 80 Farbdiapositive

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‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz?

Abb. 35 – 38 Lothar Baumgarten Unsettled objects 1968/69, Lichtbildprojektion, 80 Farbdiapositive

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Nach dem Primitivismus?

Abb. 39 – 41 Lothar Baumgarten Unsettled objects 1968/69, Lichtbildprojektion, 80 Farbdiapositive

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‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz?

Abb. 42 – 44 Lothar Baumgarten Unsettled objects 1968/69, Lichtbildprojektion, 80 Farbdiapositive

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Nach dem Primitivismus?

von Lichtreflexen, Spiegelungen, Aufnahmewinkel oder Unschärfe nicht zu erkennen ist [z.B. Abb. 37, 39], der Blick auf die Objekte wird in diesen Aufnahmen eher verweigert. Im Fokus stehen dadurch weniger die einzelnen Objekte der Sammlung des Museums als vielmehr die Weisen ihrer Präsentation und Aufbewahrung. Ein Großteil der Fotografien zeigt aber auch einzelne Objekte oder Nah- bzw. Groß­ aufnahmen von einzelnen Details [z.B. Abb. 32, 33]. Doch auch diese Fotografien sind nicht immer eindeutig, insofern viele von ihnen unscharf sind oder sich durch andere Strategien einem Erfassen des Objekts verweigern. Keine der gezeigten 80 Fotografien gibt eine Aufsicht auf den Innenraum des Museums, wie es etwa mit der Überblick versprechenden Aufnahme versucht wird, die auf der Homepage des „Pitt Rivers Museum, Oxford“ eingestellt ist.31 Baumgartens Fotografien spielen vielmehr mit einem Gestus des Zeigens und Nicht-Zeigens, sie stellen Details und Vitrinen dar, aber keine Fotografie versucht, den Raum in seiner Gänze zu erfassen. Kein Objekt und keine Vitrine sind frontal aufgenommen, wie es dem Präsentationsmodus des Museums entsprechen würde. Stattdessen verunklaren die Aufnahmen den Ort, die Objekte und die Vitrinen. Folglich wird nicht nur über die Schriftinserts, sondern auch über die Aufnahmemodi eine Ref lexion der ­musealen Repräsentation, aber auch des Mediums Fotografie, als Technologie des Blickregimes, in dem die Objekte zu sehen gegeben werden, provoziert. Das Pitt Rivers Museum, Oxford, steht in Baumgartens Arbeit exemplarisch für ethnologische Museen und repräsentiert ein typologisches Sammlungsmodell, das auch 1968 schon weitgehend überholt und ideologiekritisch leicht angreif bar war. Henrietta Lidchi beschreibt das ethnologische Museum allgemein als System von Repräsentationen, das durch das Zeigen von Objekten Bedeutungen produziert (1997). Eine zentrale Bedeutung, die dabei hergestellt wird, ist kulturelle Differenz. Deren Herstellung verläuft in ethnologischen Museen primär (nicht ausschließlich) über Weisen des Zu-sehen-Gebens von Objekten.32 Über die zu sehen gegebenen Objekte wird beansprucht, die Lebens- und auch ‚Seinsweisen‘ von außereuropäischen Kulturen darzustellen. In der Art und Weise, wie diese als differente zu europäischen Kulturen inszeniert werden, wird nach wie vor in vielen Völkerkunde­ museen ein evolutionistisches Weltbild produziert, das eine kolonialistische Weltordnung weiter naturalisiert und legitimiert. Für diesen Herstellungsvorgang klassifizieren, strukturieren, ordnen und bestimmen ethnologische Museen die gezeigten Objekte und damit die visualisierten Kulturen. Die Arbeit „unsettled objects“ legt diese ‚stillschweigenden‘ Praktiken sowie Rezeptionshaltungen dar, wenn auf die Fotografien Begriffe montiert sind: imagined, selected, celebrated usw. Die Strategie, die musealen Praktiken per Schrift zu benennen und diese auf 31 Vgl. http://www.pitt-rivers-museum.ox.ac.uk/ (letzter Zugriff 16.05.2014). Überlegen ließe sich, dass in

zentralperspektivischen-fotografischen Aufnahmen von musealen Ausstellungsräumen der allumfassende, herrschaftliche Anspruch von klassischen Museen potenziert ist. Baumgarten wollte eine solche Perspektive bewusst vermeiden (vgl. 2008: 168). 32 Svetlana Alpers hat hervorgehoben, dass das europäische Konzept des Museums generell als „a way of seeing“ funktioniert und insbesondere an ein visuelles Interesse appelliert (1991).

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‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz?

die Abbildungen zu applizieren, erscheint zunächst simpel und fast schon banal. Bourdieu beschreibt seine Methode der ‚objektivierenden Objektivierung‘ ebenfalls als eigentlich simples Faktum der Aufdeckung und Veröffentlichung, das dennoch häufig als Sakrileg wahrgenommen würde (2004: 174). Das grundlegende, aber unsichtbare oder übersehene Annahmen und Voraussetzungen von Forschungsprojekten in einer solchen ‚Einfachheit‘ offengelegt werden, widerspricht der ­charismatischen Repräsentation von WissenschaftlerInnen und wissenschaftlichen Institutionen (wie dem Museum), die sich gerne als frei von sozialen Determinationen denken (ebd.).

Imagined, selected, celebrated … Das erste Bild der Lichtbildprojektion zeigt eine Vitrine, auf der ein Gegenstand liegt, der wie ein Fächer anmutet [Abb. 31]. Der Inhalt der Vitrine ist dadurch nur teilweise zu erkennen (vielleicht sind es Scherben oder Steine?). Der an einen Fächer erinnernde Gegenstand ist laut Govan eine Sichthilfe, mit der die Lichtreflexionen auf den Glasscheiben minimiert werden können, um einen besseren Blick auf die Objekte zu haben (1993: 27f).33 In Baumgartens Arbeit verstellt das Instrument, das das Sehen eigentlich verbessern soll, den Blick. Mit diesem Anfangsbild lässt sich gleich zu Beginn der Arbeit eine Aussage über eine wesentliche Eigenart des ethnologischen Museums beschreiben: Die ausgestellte Sammlung verspricht, andere Kulturen über ihre Objekte zu visualisieren, sie zu objektivieren. Die vermeintlichen Mechanismen der Bewahrheitung verstellen oder verstören (‚unsettle‘) den Blick jedoch vielmehr. Mit dem unten rechts auf das Bild montierten Begriff ‚imagined‘ (vorgestellt) wird die Aussage zugespitzt: Das, was wir sehen und wissen wollen, bleibt vorgestellt. Die ausgestellten Objekte evozieren Vorstellungen und ‚Bilder‘ von kulturell Anderen, sie geben die präsentierten Kulturen eben nicht ‚einfach‘ wieder. Das Zu-sehen-Geben und Anblicken wird so als ein produktiver Prozess benannt, der kulturelle Differenz als Konstruktion mit hervorbringt. ­Deutlich wird so gleich zu Beginn der Serie der Lichtbildprojektionen, dass eine einfache Wiedergabe der Realität anderer Kulturen nicht möglich ist, dass die zu sehen gegebenen Objekte nicht einfach ‚gesehen‘ und objektiv betrachtet, sondern vorgestellt, d.h. als Idee konstruiert und mit Zuschreibungen verknüpft werden. Der Blick, der die museale und visuelle Objektivierung anschauen und nachvollziehen will, wird auf die Unmöglichkeit der Erfüllung seines Wunsches verwiesen und seiner produktiven Effekte, der Vorstellungen, die er produziert, überführt. Das zweite Lichtbild führt diese Narration fort. Zu sehen sind zwei übereinanderstehende Tischvitrinen. Auch hier können die unter Glas präsentierten ­Objekte

33 Buckley vergleicht diese erste Aufnahme mit dem Motiv eines gekippten Quaders in einer weiteren Fotografie

von Baumgarten, „Finsternis gekreuzter Schatten“, 1968. Zum Einsatz des Materials Glas in verschiedenen Arbeiten von Baumgarten s. Buckley (2009).

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Nach dem Primitivismus?

nur mehr vermutet als genau identifiziert werden. Das partielle Verdecken und nicht direkte Zeigen der Ausstellungsstücke verhindert einen Blick, der sich als umfassender und beherrschender imaginieren will. Die Aufmerksamkeit wird dadurch auf den Akt des Anblickens selbst gelenkt.34 Die dritte Fotografie zeigt eine Vitrine mit Plastiken. Unter der Glasscheibe sind verschiedene, vermutlich aus Ton modellierte Köpfe erkennbar. Überschrieben ist die Aufnahme links oben mit dem Begriff ‚selected‘ (gewählt, ausgewählt). Eindeutig wird damit eine Bedeutung produzierende Praxis des ethnologischen Museums benannt: ‚das Auswählen‘. Offeriert wird, dass die Objekte weder zufällig in die Sammlung des Museums aufgenommen wurden, noch dass diese Sammlung selbstverständlich und umfassend, sondern selektiv ist.35 Die Reihe projizierter Fotografien wird im Folgenden erst mit einem durch Unschärfe rätselhaft erscheinenden Einzelobjekt fortgesetzt, bevor dann eine Großaufnahme von einer Kopfskulptur mit Haaren gezeigt wird, die im Halb­profil dargestellt und mit dem Begriff ‚celebrated‘ (gefeiert) überschrieben ist [Abb. 32]. Das nah an den Betrachtenden herangeholte Objekt wird in dieser Aufnahmeform mystifiziert, der ihm zugeschriebene Begriff beschreibt die Praxis des Ausstellens als eine, die die Objekte positiv besetzt und wertschätzt. Es stößt aber auch die Überlegung an, ob der Begriff die hier betriebene Praxis beschreibt, sie ironisiert oder ein Verweis auf den ursprünglichen Kontext ist, dem dieses Objekt möglicherweise entnommen wurde. Wenn nach einer weiteren Detailaufnahme von einer wolfsähnlichen Bugfigur ohne Beschriftung ein Modell eines Schiffes mit drei Figuren, das sich im Glas seiner Vitrine spiegelt, mit dem Begriff ‚obfuscated‘ (verwirrt/vernebelt) überschrieben ist, dann wird erneut etwas Rätselhaftes, Verunklärendes und Mystifizierendes hervorgehoben. Diese Bedeutung steht jedoch im Gegensatz zu den folgenden Begriffen. Nachdem die Lichtbildprojektionen 9 – 11 erst noch ohne Beschriftung die unscharfe Nahaufnahme einer kleinen Figur mit Kanu und dann zwei verschiedene Zusammenstellungen von unterschiedlichen Formen von Reusen abbilden, zeigen die nächsten fünf Aufnahmen jeweils mehrere Vitrinen. Davon sind zwei mit den Begriffen ‚studied‘ (untersucht) [Abb. 34], ‚subtiteld‘ (untertitelt) sowie eine Aufnahme mit zwei Begriffen: ‚restored‘ und ‚neglected‘ (wiederhergestellt/restauriert und vernachlässigt) [Abb. 35] überschrieben. ‚Studied‘, ‚subtitled‘ und ‚restored‘ beschreiben wissenschaftliche Praktiken, die eigentlich als aufklärend und erhaltend gelten. Sie widersprechen sowohl dem vorher angedeuteten verwirrenden, mystifizierenden Prozess als auch den mit diesen Wörtern überschriebenen Aufnahmen, auf denen nur Vitrinen zu erkennen

34 Die Aussage, dass Baumgartens Arbeit die Weise des Repräsentierens und der Beziehung zwischen den

Betrachtenden und den Objekten thematisiert, artikulieren auch Govan (1993: 29), Kravagna (2008) und Curley (2009: 60). 35 Dass die in Museen ausgestellten Objekte von KuratorInnen nach bestimmten Konzeptionen ausgewählt und zusammengestellt werden, ist BesucherInnen oft nicht bewusst. Dieses ‚Nicht-Wissen‘ ist für ExpertInnen zwar nahezu unvorstellbar, wurde mir aber während meiner Arbeit in der Kunstvermittlung und im Gespräch mit ‚Laien‘ immer wieder deutlich.

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‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz?

sind, der Blick auf die Objekte selbst aber durch Spiegelungen, Verwacklung und Unschärfe getrübt ist. Während ‚studied‘ eine gemeinhin objektiv geltende Tätigkeit beschreibt, betont ‚subtitled‘ wiederum den Bedeutung produzierenden Akt des Benennens und Untertitelns, was die wissenschaftliche Praxis als erklärende, aber nicht unbedingt neutrale Vorgehensweise denken lässt. Die zusammen auf ein Bild montierten Begriffe ‚restored‘ und ‚neglected‘ widersprechen sich bereits selbst. Das Museum wird als restaurierende und damit setzende, erhaltende, bewahrende Institution dargestellt, gleichzeitig aber auch als die Objekte in dieser Praxis des Sammelns, Aufbewahrens und Erhaltens vernachlässigend, ihnen nicht gerecht werdend.36 Lesen lässt sich das als Verweis auf den Prozess, in dem die Objekte aus ihrem originären kulturellen Zusammenhang entnommen und in einen neuen überführt wurden, wo sie nun ohne Anwendung ‚herumliegen‘.37 Dem Aufzeigen verschiedener Widersprüchlichkeiten folgt auch die weitere Narration: Die Fotografien 17 – 32 sind Aufnahmen von verschiedenen einzelnen Vitrinen mit unterschiedlichen Zusammenstellungen von Objekten. Aufgenommen wurden sie aus der Perspektive einer/s Betrachtenden, die/der in die Wandvitrinen und einige Tischvitrinen blickt. Zu lesen sind auf den Fotografien die Begriffe: ‚collected‘, ‚decoded‘, ‚fetishized‘, ‚forgotten‘, ‚reinvented‘, ‚treasured‘, ‚displayed‘, ‚climatized‘ (gesammelt, decodiert, fetischisiert, vergessen, wiedererfunden, wertgeschätzt, gezeigt, klimatisiert). Mit einigen dieser Termini werden vermeintlich neutrale wissenschaftliche und erhaltende Praktiken des Museums benannt, die in der Alltagssprache zunächst ‚positiv‘ konnotiert sind (gesammelt, decodiert, gezeigt, klimatisiert). Andere Wörter verweisen auf Bedeutung produzierende Akte (decodiert, wiedererfunden) sowie auf Prozesse, die über das, was als ‚rein‘ wissenschaftlich gilt, hinausgehen bzw. dem Anspruch des klassischen Museums sogar widersprechen: wie ‚fetishized‘ [Abb. 36] und ‚forgotten‘ (fetischisiert und vergessen). Die Objekte zu fetischisieren kann hier meinen, dass sie als Fragment behandelt, festgestellt und quasi ‚eingefroren‘ sind,38 in einer eher marxistischen Lesweise bedeutet es, dass ihnen ein bestimmter (Waren-)Wert, eine Art Eigenleben und ein vermeintlich ‚natürlicher‘ Wert zugesprochen wird. In psychoanalytischer Definition gelten sie als Fetische als Stellvertreter und Ersatz für ein anderes, nicht vorhandenes Objekt, dessen Verlust als Mangel wahrgenommen wird und daher mit Bedrohung verbunden ist, wodurch eine als Bedrohung erscheinende Differenz oder auch die Erinnerung an den gewaltvollen Akt der kolonialistischen Aneignung der Objekte nicht nur verdeckt, sondern auch geleugnet werden kann. Die Objekte 36 Kravagna verweist darauf, dass die Broschüre des Pitt Rivers Museums die Relevanz des Rettungsparadigmas,

sogenannte ‚primitive‘ Kulturen durch Aufbewahren zu ‚retten‘, betont (2008). 37 Die Arbeit provoziert in ihrer Besprechung in auffälliger Weise die Verwendung von weiteren Begriffen mit metaphorischem Charakter wie ‚herumliegen‘, ‚überführt werden‘ usw., wodurch die Objekte vermenschlicht werden, ein ‚Eigenleben‘ bekommen. Das scheint mir für ihre Form der Bedeutungsproduktion insofern symptomatisch zu sein, als sie einerseits im Fortsetzen der Bezeichnungen den Betrachtenden die Aussagen ‚nahebringt‘, indem sie mit ‚eigenen Worten‘ weiter gedacht werden kann, und andererseits den Objekten eine gewisse Widerstandskraft zuspricht, worauf ich im Folgenden noch eingehe. 38 Dieses Verständnis entstammt der Fototheorie, s. dazu Christian Metz (1990: 159).

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Nach dem Primitivismus?

zu vergessen, könnte bedeuten, dass sie innerhalb der europäischen Gesellschaft lediglich Relikte eines vergangenen kolonialistischen Interesses sind und in diesem Museum vergessen werden. Es lässt sie aber auch insofern als vergessene Artefakte denken, als sie ihrer Herkunftskultur im Kontext des Kolonialismus entwendet und in Europa in Vitrinen stillgestellt wurden. Mit diesen Aussagen wird die Form der Aneignung, Auf bewahrung und Präsentation infrage gestellt. Während mit den zuletzt genannten Begriffen eher der Umgang mit dem einzelnen Objekt beschrieben wurde, ist in den folgenden mehr der Sammlungscharakter bezeichnet. Auf der Ebene der Bilder ist entsprechend der Blick gleich auf mehrere Vitrinen freigegeben, überwiegend aus der Vogelperspektive von schräg oben. Beschriftet sind die Fotografien mit den Begriffen ‚confined‘, ‚counted‘, ‚composed‘, ‚owned‘, ‚polished‘ und ‚valued‘ [Abb. 37], ‚mythologized‘ [Abb. 38], ‚protected‘, ‚rationalized‘ (eingesperrt/eingeengt, gezählt, zusammengestellt, als Eigentum besitzend, poliert und gewertet, mythologisiert, beschützt, rationalisiert). Die oben beschriebenen Widersprüchlichkeiten setzen sich hier fort: Zählen, ­Polieren, Beschützen gelten eher als ‚positive‘ und nahezu ‚neutrale‘ wissenschaftliche Aktivitäten, Einsperren und Besitzen sind dagegen eher ­‚negativ‘ besetzt. In diesem Kontext wird auch ein einfaches ‚Zählen‘ zu einer zweifelhaften Umgangsweise. ‚Composed‘ und ‚owned‘ lassen sich als Offenlegung der ökonomischen Aspekte sowie als Verweis darauf, wie die Objekte in den Besitz des Museums gelangt sind, lesen. James Clifford hat in den 1980er Jahren dargelegt, dass im ‚Westen‘ das Sammeln von Objekten als Besitzanhäufen gilt und konstitutiver Bestandteil der westlichen Subjektvorstellung und Selbstdarstellung ist (2001: 285). Clifford argumentiert weiter, dass dieses Besitzen „in ein von Regeln beherrschtes, bedeutungsvolles Begehren transformiert“ wird (ebd.). In Baum­ gartens Arbeit ist auf ein Regelsystem unter anderem dann verwiesen, wenn ­Begriffe wie ‚zusammengestellt‘, ‚gewertet‘, ‚mythologisiert‘ und ‚rationalisiert‘ der Annahme von einer vermeintlich neutralen oder ungeregelten Sammelleidenschaft entgegenstehen. Verwiesen wird auf ein Sammeln als wertenden und ­bedeutungsproduzierenden Prozess. Der Begriff ‚rationalisiert‘ könnte auch als Hinweis auf einen Widerspruch zwischen der Zuschreibung an das außereuropäische Objekt als eher ‚intuitiv‘ erstellt und an die westliche Sammel- und Ausstellungspraxis als mehr ‚rational‘, gelesen werden. Diese Entgegensetzung würde einer primitivistischen Dichotomisierung entsprechen. Im Kontext der verschiedenen Verweise auf bedeutungs­ produzierende Prozesse liest sich der Begriff ‚rationalisiert‘ jedoch eher als Kritik an der Vorstellung von rationalisierten, vernunftmäßig erklärbaren Wahrnehmungs- und Darstellungsweisen. In den folgenden 43 Lichtbildern lassen sich weitere Formen von Widersprüchlichkeiten finden, mit der die Praktiken des Museums benannt werden. Verschiedene Aspekte werden durch einzelne Bilder, Montagen und Aufnahmemodi pointiert und hervorgehoben. So wird beispielsweise in der 53. Lichtbildprojektion über Unschärfe das Zu-sehen-Gegebene fast gänzlich unkenntlich gemacht. Zusammen mit dem eingeschriebenen Wort:

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‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz?

‚neutralized‘ (neutralisiert) lässt sich folgern, dass die Objekte soweit neutralisiert sind, dass sie unkenntlich werden, sich auf lösen und sich einer Erkenntnis entziehen [Abb. 39]. Neutralität, im Sinne von Unvoreingenommenheit oder Sachlichkeit wird einmal mehr als nicht möglich vorgeführt. Mit dem Begriff ‚typified‘ (typisiert), der über eine Zusammenstellung von verschiedenfarbigen Puppen gesetzt ist, wird deutlich gemacht, dass die ausgestellte Sammlung keine Wiedergabe einer ‚natürlichen Ordnung‘ ist, sondern nach bestimmten Vorstellungen klassifiziert wurde. Dass zwölf Dias später keine Gegenstände, sondern menschliche Schädel zu sehen sind, fällt perfiderweise fast nicht auf. Indem sie in die Sammlung eingereiht sind, werden sie ebenso wie die Waffen, Instrumente, ­Gefäße, Masken usw. zu nach Typen sortierten Anschauungsobjekten. Sie werden nicht – wie in der europäischen Moderne mit sterblichen Überresten von weißen Europäern üblich – als Totenschädel von zu betrauernden Personen behandelt, sondern als Forschungsobjekte oder Trophäen in ein ideologisches/taxonomisches System eingespeist, das sie registriert und der eigenen Ordnung unterwirft. Die Arbeit thematisiert diesen gewaltvollen Akt mit den Begriffen ‚politicized‘ und ‚registered‘ (politisiert und registriert) [Abb. 40]. Die 50. Fotografie zeigt eine Zusammenstellung von ‚Plastiken‘ mit der Beschriftung ‚transformed‘ [Abb. 41] und spielt darauf an, dass die Objekte aus ihrem originären Kontext entnommen und in einen anderen übersetzt wurden. Die doppelte Beschriftung der 71. Lichtbildprojektion, die eine Reihung von Vitrinen zeigt, mit ‚generalised‘ und ‚juxtaposed‘ (generalisiert und nebeneinandergestellt) lässt sich zuerst auf diese Vitrine, aber auch generell auf die Praxis, Objekte als Stellvertreter zu verstehen und sie in vermeintlich ‚natürliche‘, letztlich aber willkürliche Kategorien einzuteilen, beziehen. Die Abbildung, die mit ‚mythologized‘ markiert ist [Abb. 38], thematisiert einen ähnlichen Effekt, wenn ‚mythologisiert‘ als mit neuer Bedeutung angefüllt verstanden wird. Verwiesen wird so darauf, was Susan Stewart (1984) und Clifford (2001) angemahnt haben: Dass in ethnologischen Sammlungen zuerst Gegenstände von ihrem jeweiligen Kontext abgeschnitten werden, bevor sie dann metonymisch ein abstraktes Ganzes (eine Kultur) signifizieren. Des Weiteren werden in „unsettled objects“ eigentlich positiv besetzte Bezeichnungen wie ‚salvaged‘ (gerettet) konterkariert, wenn die fotografische Aufnahme ein unscharfes und daher kaum zu erkennendes Detail einer Plastik wiedergibt. In dieser Kombination stellt sich die Frage, in welcher Hinsicht dieses Artefakt als ‚gerettet‘ gelten kann. In ähnlicher Weise lässt die mit ‚stored‘ (gelagert) überschriebene Fotografie einiger an die Decke gehängter Vitrinen den Sinn dieser Auf bewahrungs- und Lagerungsform befragen. Dezidiert kritisiert wird das Museum auch in der letzten Lichtbildprojektion [Abb. 44]: Aufgenommen ist der Blick an die Decke des Museums. Diese besteht aus einem teilweise verglasten Satteldach, das mit einem Spitzbogenfenster im Giebel und mit den freistehenden und nach oben zusammenlaufenden Stahlstreben des neogotischen Bauwerks an eine Kirche erinnert. Überschrieben ist die Aufnahme dieses sakralisierten Raums mit dem

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Nach dem Primitivismus?

Begriff ‚ignored‘ (ignoriert). Einerseits werden die ausgestellten Artefakte sakralisiert und im übertragenen Sinne ‚heilig‘ gesprochen, einer christlichen ‚Obhut‘ unterstellt, andererseits werden sie darüber auch ignoriert und vernachlässigt, insofern sie stillgestellt sind, aus ihren originären Herkunftskulturen entnommen und im Land der (ehemaligen) Kolonisatoren nahezu funktionslos ‚verstauben‘. In der gesamten Lichtbildprojektion kommen immer wieder Abbildungen vor, die einzelne Objekte oder Details in Großaufnahme zeigen. Diese Fotografien formulieren andere Aussagen und lassen sich in die kritische Narration nur bedingt einfügen. Beispiel dafür sind die Lichtbilder 6, 9, 63 und 64 [Abb. 32, 33, 42, 43]. Durch Ausschnitt und Unschärfe lassen sie das jeweilige Objekt rätselhaft erscheinen. Gelenkt wird der Blick mit solchen Fotografien auf kuriose oder ungewöhnliche Aspekte. Diese Darbietungen analysieren weniger die Präsentationsweisen, sondern scheinen eher die Bewegung eines Museumsbesuchers/einer -besucherin nachzuahmen, der/die mal hier und mal dort schaut, dessen/deren Blick durch einzelne Elemente gefangen wird. Sie werden so aus der Ordnung des Museums hervorgehoben, durch die Unschärfe einiger Aufnahmen aber nicht unbedingt besser erkennbar.

Kritik und Faszination am ethnologischen Museum Die Arbeit „unsettled objects“ artikuliert nicht nur eine Kritik am Pitt Rivers ­Museum im Speziellen, sondern generell an ethnologischen musealen Praktiken, vor allem an ihren Repräsentationsweisen materieller Kultur. Gleichzeitig wird das System der Sammlung aber auch irritiert und gestört, insofern einige Aufnahmen den Blick auf einzelne Objekte und Details lenken, wodurch die Serialität des Museums aber auch die der Lichtbildprojektion unterbrochen und eine Faszina­tion zusätzlich provoziert oder zumindest ermöglicht wird. Einige der zur Pointierung der Kritik verwendeten Begriffe stammen aus den museumstheoretischen Debatten, die in den 1960er und 1970er Jahren in Westeuropa geführt wurden, auch wenn die Präsentation von außereuropäischen ­Objekten in diesen Diskussionen zunächst kaum mitgedacht wurden. Plädiert wurde zuerst für eine ‚Öffnung des Museums nach außen‘, womit nicht nur die Einbindung neuer ‚Besucherschichten‘ gemeint war, sondern womit auch die ­Bildungsaufgabe des Museums betont wurde. In den 1970ern nahm die Bildungseuphorie der 60er Jahre wieder ab und schlug sogar in eine Kritik an dieser um. Anstelle von Vermittlung stand nun der Dialog von KünstlerInnen/Kulturschaffenden und Publikum im Mittelpunkt (Otto 1999: 86). Der Slogan ‚Lernort contra Musentempel‘ beschreibt die theoretische Position in den 1970er Jahren, die sich einer ‚visuellen Kommunikation‘ zuwandte und Museen als ‚verstaubte Tempel‘, die ihren Objekten nicht angemessen seien, denunzierte. Dieser Kritik entsprechen in Baumgartens Arbeit insbesondere die Begriffe ‚restored‘, ‚neglected‘ und ‚forgotten‘. Die Bezeichnungen ‚traded‘ und ‚consumed‘ entstammen wiederum einer

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‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz?

eher marxistisch orientierten, ökonomiekritischen Rhetorik. Baumgartens Auseinandersetzung mit dem ethnologischen Museum geht nicht nur über diese Kritiken hinaus, vorgenommen wird eine dezidierte Kritik an kolonialistischen Strukturen ethnologischer Museen, wie sie in der westeuropäischen Wissenschaft theoretisch-analytisch erst rund 20 Jahre später (wieder) formuliert wurde.39 Thematisiert werden in den „unsettled objects“ insbesondere die Weisen des Zu-sehen-Gebens der kulturellen Objekte und die damit zusammenhängenden ideologischen Interpretationen und Projektionen, die den Blick auf die ethnografischen Artefakte strukturieren. Durch diese Thematisierung des Blickens und dessen Bedingungen wird der/die Betrachtende auf sein/ihr Blick-Verhältnis zu dem Gezeigten aufmerksam gemacht. Der Wunsch, sehen zu wollen, wird in dem Spiel von Zeigen und Nicht-Zeigen provoziert und verweigert, die Begriffe erläutern den dem Blick zugrunde liegenden projektiven, utopischen Charakter. Das museale Zeigen und Präsentieren, das gemeinhin als neutral und deskriptiv gilt, wird als interpretatorisch und spezifischen ideologischen Vorstellungen und Werten verhaftet vorgeführt. Wenn Bourdieu schreibt, dass es ihm um die gesellschaftlichen und historischen Bedingungen geht, die die Erfahrungen (deren Wirkungen und ­Grenzen) des wissenden Subjekts ermöglichen (2004: 173), dann sind es in Baumgartens Arbeit die (ebenso sozialhistorischen) Bedingungen, unter denen Blicke auf die Objekte möglich – oder auch nicht möglich (‚lost‘, ‚forgotten‘) – sind. Dekonstruiert wird die museale Form der Objektivierung dadurch, dass das System des Museums als von Widersprüchen durchzogen dargestellt wird.40 Gerade über diese dem ­Museum inhärente Dialektik werden in den „unsettled objects“ die musealen ­Praktiken infrage gestellt. Außerdem entgegnet die Benennung der verschiedenen Praktiken des Museums der Annahme, dass museale Repräsentationen eine scheinbar ‚natürliche‘ Ordnung ‚einfach‘ und ‚neutral‘ wiedergeben würden. Die typologische Argumentationsstruktur des Pitt Rivers Museum ist insbesondere in Fotografien mit Gruppierungen von ähnlichen Gegenständen oder mit Beschriftungen wie ‚typified‘ und ‚collected‘ verdeutlicht. Innerhalb einer typo­ logischen Ordnung wird versucht, über die Zusammenstellung ähnlicher Arte­fakte technologische Entwicklungen ‚der Menschheit‘ und die Veränderungen von F ­ ormen über Zeiträume sichtbar zu machen. Behauptet wird in dem Museum in Oxford nach wie vor, vermeintlich evolutionäre Verbindungen wie angebliche rassisierende Unterschiede beweisen zu können. Repräsentiert wird so auch eine Abwertung von und eine Machtausübung über bestimmte Kulturen (Curley 2009: 59). Begründet worden war die Sammlung in der Mitte des 19. Jahrhunderts von dem später in Pitt Rivers umbenannten General August Henry Lane Fox, der ein glühender

39 Einer der ersten Ethnologen, der nach 1945 ethnologische Ausstellungspraktiken für ihren kolonialen Gestus

kritisierte, war James Clifford (1988), vor ihm hatten auch Carl Einstein (1915) und Franz Boas (1887) die Praxen der Präsentation außereuoropäischer Objekte in Museen usw. kritisiert. 40 Die Abbildungen von 27 Fotografien aus „unsettled objects“ im „AMERICA Invention“-Katalog betonen diese Widersprüchlichkeiten, indem jede der Abbildungen mit zwei widersprüchlichen Begriffen versehen sind.

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Anhänger evolutionstheoretischer Forschungen war. 1883 übergab Rivers seine Sammlung der Stadt Oxford, von der sie bis heute in der tradierten typologischen Kategorisierungsweise ausgestellt wird. In Baumgartens Arbeit werden die ­evolutionstheoretische Ordnung und die darüber proklamierten rassisierenden Behauptungen und Projektionen weißer Überlegenheit über die vermeintlich ‚Primitiven‘ offengelegt.

Die Medien Fotografie, schriftlicher Kommentar und Lichtbildprojektion Einige der Schriftinserts können auch als Kommentare zum Medium Fotografie und dessen kolonialistischer Strukturiertheit gelesen werden (Curley 2009). So lassen sich Bezeichnungen wie ‚negotiated‘ und ‚reinvented‘ nicht nur auf die musealen Präsentationen und ihre Vermittlungspraxis beziehen, sondern auch auf die Vermitteltheit der Objekte durch Fotografie. Die Fotografie hat seit den 1960/70er Jahren im Kontext einer wieder stärker einem Realismus zugewandten, politisch motivierten Kunst als Medium neue Aufmerksamkeit bekommen (Foster 1996: 127). Abigail Solomon-Godeau hat dargelegt, dass sich in diesem Zusammenhang bereits die Annahme durchsetzte, dass eine einfache fotografische Wiedergabe ‚der Realität‘ nichts über die Realität auszusagen vermag und dass eine wirklich politische fotografische Praxis geplant und konstruiert sein muss (2003: 73).41 Eine beliebte künstlerische Strategie, auf die Konstruiertheit des Mediums zu verweisen, ist nicht erst seit den 1960/70er Jahren die Montage. Auch das Implementieren von Begriffen auf Fotografien, wie in den „unsettled objects“, kann als Montage beschrieben werden. Durch das ‚Einschreiben‘ von Schrift werden die Fotografien als Oberfläche, als Medium und damit als Träger von etwas zu Vermittelndem lesbar. Der Blick, der sich in die Abbildung ungestört ‚versenken will‘, wird darüber gestört. Ein ‚Einschreiben‘ von Wörtern auf Fotografie kann das Zu-sehen-Gegebene mit zusätzlichen Bedeutungen versehen oder die Bedeutungsproduktion des Motivs kommentieren und dadurch auf bestimmte Aussagen festlegen. Indem die Begriffe zu dem Dargestellten in Baumgartens Arbeit meist widersprüchlich sind, wird die Fotografie nicht als ‚einfache Wiedergabe der Realität‘ beansprucht. Die schriftlichen Kommentare sind aber auch nicht simple Interpretationen oder autoritäre Leseanweisungen.42 Die Aussagen entstehen erst in der Wechselwirkung zwischen Schrift und Fotografien, beide Medien werden so nicht als absolut, die ‚Realität‘ widerspiegelnd, vorgeführt. Die Fotografie-Wort-Kombination verweist neben

41 Solomon-Godeau schränkt gleichzeitig ein, dass dies nur eines der Themen und bei Weitem nicht das einzige

der Fotografie seit den späten 1960ern sei (2003). 42 Auch Bal hat in ihren Überlegungen, wie ein Museum seinen Status als Metamuseum ernster nehmen kann, dafür plädiert, die Wechselwirkungen zwischen visuellen und sprachlichen Darstellungsweisen zu nutzen und die eine als Kommentar zur anderen fungieren zu lassen (2006: 80). Baumgartens Arbeit zeigt mit der angelegten Widersprüchlichkeit eine mögliche Umsetzung davon auf.

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‚Unsichere Objekte‘ – Zeichen kultureller Differenz?

diesen Effekten aber auch auf den Künstler als Autor. Durch das Primat der Schrift über das Bild in der europäischen Geistesgeschichte betont die Kommentierung so zumindest tendenziell den Charakter einer autoritären Geste. Diese wird dadurch relativiert, dass die Begriffe auf die machtvollen Strategien des Museums aufmerksam machen. Autoritär erscheint der schriftliche Kommentar dadurch, dass die Form der Begriffe insofern ‚bestimmend‘ angelegt ist, als das Partizip Perfekt meist dazu verwendet wird, einen abgeschlossenen Zustand zu beschreiben. Als Signifikation von Objekten sind die Verben als Partizip Perfekt außerdem auch ‚Passivformen‘ und die bezeichneten Artefakte damit als passiv ausgewiesen. ­Demgegenüber erscheint nicht nur das Museum, sondern auch der Künstler als aktiv. Ambivalenter erweisen sich Baumgartens Einschreibungen, wenn einbezogen wird, dass Partizipien Mittelworte zwischen Verben und Adjektiven sind. Bourdieu hat mit Bezug auf Wittgenstein erläutert, dass Urteile, gerade geschmackliche Urteile, meist auf Adjektive reduziert werden und als solche zentral für ­K lassifikations- und Urteilsformen sind (2004: 178). Baumgartens Arbeit wiederholt diese Strategie und wendet sie gleichzeitig kritisch gegen solche Klassifika­ tionen. Offengelegt wird damit auch, dass die Urteile über die Objekte eben nicht neutral, sondern politisch motiviert sind. Gezeigt werden die Fotografien als Lichtbildprojektion. Auch diesem Medium, landläufig als Diaprojektion bezeichnet, ist eine spezifische Medialität und Geschichte zu eigen, die keineswegs neutral ist. Bevor die Lichtbildprojektion seit den späten 1960er Jahren zunehmend auch Teil von künstlerischen Installationen wurde, ist sie bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in kunsthistorischen Lehrveranstaltungen für die Reproduktion von Kunstwerken sowie für die Wiedergabe von Reisefotografien verwendet worden (bis sie in den 1990er Jahren von PowerPoint-Präsentationen und von der Videokamera abgelöst wurde). Sowohl für den kunsthistorischen Vortrag als auch für die Reisediashow ist die festgelegte Serialität der gezeigten Bilder ein zentrales Charakteristikum. Jens Ruchatz schreibt über die Diaprojektion in Reisevorträgen, „die angelegte Kongenialität von Reise und Projektion scheint aus heutiger Perspektive augenfällig: Im riesigen und leuchtenden Projektionsbild lassen sich nicht nur nahe und ferne Orte überwältigend evozieren, überdies vermag die Sequenzierung der Bilder hervorragend die Reisepraxis nachzuahmen, eine Folge von Sehenswürdigkeiten zu erleben“ (2000: 185). Die Reise strukturierte den Vortrag des Gereisten (ebd.). Baumgartens ­Projektion mimt weniger eine Reise, denn einen Gang durch ein ethnologisches Museum, in dem der/die BesucherIn mal hier- und mal dahin schaut, zwischen den Vitrinen entlangschlendert, sich einigen Objekten besonders zuwendet und diese entdeckt. Die Anspielung und gleichzeitige Abgrenzung von einer ReisefotoDiashow wird dort deutlich, wo die Arbeit nicht ein ‚So ist es gewesen‘ oder ‚Da bin ich gewesen‘ behauptet, sondern den Blick auf den Umgang mit den Objekten und auf das Zeigen und Ausstellen selbst lenkt. Entkommt die Arbeit aber auch der Assoziation als kunsthistorisches Medium, als ‚sinnvolle‘ Anthologie von Bildern? Heinrich Dilly (1979) und Donald Preziosi

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(1993) haben dargelegt, dass die Kunstgeschichte und ihre Methodik geprägt sind von Fotografie und Diaprojektion. Silke Wenk hat daran anschließend spezifiziert, dass mit der Verfahrensweise der Diaprojektion der Kommentar des Kunsthistorikers gleichzeitig mit dem Zeigen des Bildes möglich wurde und der Kommentar dadurch als mächtiger, aber auch als reduzierbarer galt (1999). Sie fasst zusammen: „Die Wahrheit scheint präsent, der Kommentar anschaulich. Die Autorität des Kunsthistorikers scheint gesichert“ (301). Baumgartens Beschriftung der Fotografien lässt sich mit dieser kunsthistorischen Kommentierung insofern vergleichen, als auch hier reduziert und gleichzeitig ein Kommentar artikuliert wird. Von daher schreibt sich unter diesem Aspekt abermals eine Autorität des Künstlers als Kommentator ein. Die serielle Projektion der kunsthistorischen Diaschau bietet außerdem eine Möglichkeit an, Einsicht in den vermeintlich organischen Zusammenhang der gezeigten Objekte zu bekommen. Erzählt wird eine Geschichte, die Sinn verspricht (Wenk 1999: 297). Wenk zeigt auf, dass sich die Argumentationen für die Diaprojektion in der Kunstgeschichte verbinden mit den Anforderungen an ein (zeitgenössisches) Museum: als ein Archiv, das die Dinge sammelt und vor Ort verfügbar macht. In dieser Beschreibung gleichen sich die Ansprüche an ein ethnologisches, ein historisches oder ein Kunstmuseum. Aber auch diese Strategie (der Serialisierung) nimmt Baumgarten auf und wendet sie dann schließlich gegen sich, indem sich zwar wie vorgeführt eine Narration ablesen lässt, insgesamt die festgelegte Reihenfolge der Projektion jedoch keinen systematischen Durchgang durch das Museum verfolgt, sondern der Eindruck erweckt wird, dass mal hier- und mal dahin geschaut wird, zwischendurch der Blick immer wieder auf einzelne faszinierende und irritierende Elemente fällt. Doch der Blick kann nicht verweilen, denn nach vier Sekunden folgt unauf haltsam das nächste Bild. Kontemplation ist nicht möglich. Auch die Begriffe ergänzen sich mal und sind dann wieder widersprüchlich zueinander. Indem die Lichtbildprojektionen über ein Diakarussell laufen, gibt es eigentlich keinen Anfang und kein Ende der Reihung, sondern die Abfolge bekommt eher einen unendlichen Charakter. Einer geordneten Serialität widerspricht auch der Gesamteindruck, den der/die BetrachterIn über das Museum erhält.

Unsettled, bewildered … Wunderkammer oder Museum? Ordnung oder Chaos? Einerseits verweist Baumgartens Arbeit also auf die museale Praxis des Ordnens und Klassifizierens, andererseits erscheint das Museum aber vielmehr als Durcheinander, als Chaos, oder – um ein Wort aus der Arbeit selbst zu verwenden – als ‚bewildered‘ (verwirrt).43 Während einige AutorInnen, z.B. Curley (2009), ‚unsettled‘

43 Auf einer Abbildung im Katalog „AMERICA Invention“ (1993) ist entsprechend dem Begriff ‚bewildered‘

‚classified‘ gegenübergestellt.

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mit ‚verstörend‘ übersetzen, bedeutet es laut Langenscheidts Wörterbuch auch: ungeklärt, unbeständig und unsicher, aber auch unbesiedelt, unbeglichen, unbezahlt. Danach werden die Objekte auch als nicht geordnet, nicht geklärt und als ohne Ort seiend, entwurzelt bezeichnet. Der ungeordnete Eindruck, den die Arbeit hypostasiert, entgegnet dem eigentlichen Sammlungskonzept des Pitt Rivers Museums. Weitere Elemente, wie zum Beispiel die Spiegelungen auf den Vitrinen, oder Aufnahmen, die die Vitrinen und andere Repräsentationsformen als ineinander geschachteltes und dichtgedrängtes Durcheinander präsentieren oder Objekte als neben und auf den Vitrinen stehend oder hängend zeigen, lassen das Museum eher als ein ungeordnetes Lager aussehen. Evoziert wird so mehr die Assoziation an ‚Kunst- und Wunderkammern‘ des 16. – 18. Jahrhunderts, die aus heutiger Perspektive wie eine ungeordnete Anhäufung ‚schöner‘ und kurioser Dinge wirken, aber auch als Ausdruck imperialistischer Sammelleidenschaft zu verstehen sind.44 In Baumgartens Darstellung des Pitt Rivers Museums vermittelt auch dieses den Eindruck von einer übermäßigen Fülle von Objekten und von einer exzessiven Form des Sammelns und Besitz­ anhäufens. Inszeniert wird die Sammlung durch die Fülle in einer Weise, in der diese sich quasi selbst torpediert, insofern die Vielzahl der Artefakte die Ordnung zur Unordnung werden lässt. Die Sammlung wird unüberschaubar, der Anspruch, die Objekte zu ordnen, sie nach ‚westlichen‘ Maßstäben zu klassifizieren, um sie zu ‚bewältigen‘ und begreifbar zu machen, erweist sich als uneingelöst. Deutlich wird darüber, dass die Objekte in doppelter Weise ‚unsettled‘ sind, im Sinne von nicht verortet sein, nicht sesshaft sein, ohne Ort sein: zum einen, weil sie aus ihrem ursprünglichen Kontext entnommen wurden, und zum anderen, weil sie sich in die Ordnungsversuche des Museums letztlich doch nicht oder zumindest nicht ‚gänzlich‘ einfügen lassen. Baumgartens Fotografien decken so den ordnenden und nach eigenen Maßstäben klassifizierenden Impetus des Museums auf und führen ihn gleichzeitig aber auch als gescheiterten oder auch als Akt, der scheitern muss, vor.45

44 Kunst- und Wunderkammern dienten nicht nur der Visualisierung des Besitzes und des Herrschaftsanspruches

der jeweiligen Besitzer, sondern auch der Konstitution eines fremden Anderen, von denen sich die europäische Kultur als Ganzes abgrenzen konnte (Schade und Wenk 2011: 152) Für eine ausführliche historische Analyse der Wunderkammern s. Steffen Siegel (2006), der beschreibt, wie bereits bei der Einrichtung dieser Kammern eine genaue Reflexion ihrer Anlage unabdingbar und eine Ordnung damit gegeben war. 45 Kravagna kommt in seiner Analyse von Baumgartens Arbeit zu dem Schluss, dass sie eine Orientierungslosigkeit vermittelt, die durch die Unmöglichkeit, bei einem Objekt zu verweilen, und durch die Masse an präsentierten Gegenständen entsteht (2008). Er sieht dadurch bei den BetrachterInnen den Wunsch evoziert, das zu sehende Material ordnen zu wollen. In dieser möglichen Identifikation mit dem Ordnungsbestreben des Museums besteht seiner Meinung nach die spezifische Qualität der Arbeit. Die Argumentation meiner Lektüre von Baumgarten nimmt einen anderen Verlauf, sie schließt Kravagnas Interpretation jedoch nicht aus. Curley kommt zu dem Schluss, dass die Objekte ‚unsettled‘, verstörend sind, weil sie auf imperiale Gewalt verweisen (2009). Auch diese Interpretation widerspricht meiner Analyse nicht.

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Ungeordnet und unscharf Die Fotografien von einzelnen Objekten betonen das Aus-der-Ordnung-Fallen und damit das Scheitern der Taxonomie. Besonders Fotografien, die nur ein Objekt scharf zeigen und die sie umgebenden Artefakte im ‚Unklaren‘ lassen, produzieren diese Bedeutung (z.B. Abb. 33). Als hätten sie sich aus ihren Kategorisierungen gelöst, ‚stechen‘ einige Objekte in der Präsentation der Lichtbildprojektion hervor. Viele Fotografien von einzelnen ‚nah herangeholten‘ Objekten, aber auch einige Aufnahmen von Gruppierungen von Objekten sind unscharf (z.B. Abb. 39). Über das nahe Zeigen einzelner Artefakte werden diese eigentlich deutlich und klar abgebildet, durch die Weichzeichnung verlieren sie jedoch ihre genauen Umrisse und fließen ineinander. Einer objektivierenden Betrachtungsweise, die analytisch genau die Objekte ins Visier nimmt, steht eine solche Abbildungsform entgegen. Die so verbildlichten Kopfplastiken, Figuren, Masken usw. bekommen etwas ­Geheimnisvolles, Verrätseltes. Wolfgang Ullrich beschreibt, dass ‚unscharfe Bilder‘ die ‚größte Faszination‘ ausüben und „zahllose Augen nicht mehr zur Ruhe kommen lassen“ (2002: 7). Er verweist darauf, dass Fotografen über diese „eine Aura des Geheimnisvollen und Besonderen ‚an zu fotografieren‘“ (ebd.) suchen. Als Entdeckung des 19. Jahrhunderts sei die Unschärfe kein ideologisch neutrales Mittel, denn sie gehöre als Weichzeichnung dem romantisch-antimodernen Wunsch nach Idylle und Abgeschiedenheit an. Unter Bezug auf Adam Müller beschreibt Ullrich, dass durch die Auflösung der Konturen ein Eindruck entsteht, der sowohl Erinnerungsbilder als auch „das künftig sinkende Alter“ (Müller zit. nach ebd.) assoziieren lässt.46 Bezogen auf die unscharfen Fotografien der „unsettled objects“ könnte in diesen so erneut eine primitivistische Zugangsweise gesehen werden. Auch in Baumgartens Arbeit würden die Objekte einen nostalgischen und anti-modernistischen Rekurs auf außereuropäische Kulturen, als ‚Kinder der Menschheit‘, bedienen.47 Zusammen mit Kommentierungen wie lost, forgotten usw. scheinen die Objekte auch hier in einer‚ ‚weit zurückliegenden Vergangenheit‘ verortet zu werden. Die Close-ups von diversen Objekten wiederholen außerdem eine Darstellungsweise, die Robert Goldwater als eine des Primitivismus beschrieben hat (1986: 109).48 Zwar entgegnen die fotografierten Ausstellungsstücke durch die verrätselnde Unschärfe einer

46 Zwei Einschränkungen der im Folgenden vorgenommenen Übertragung von Ullrichs Erläuterung der

Unschärfe auf Baumgartens Arbeit seien hier genannt: Ullrich und Müller führen die Herkunft der Unschärfe auf Landschaftsdarstellungen der Romantik zurück und grenzen daher die Weichzeichnung des Weitentfernten von dem des Nahen – wie sie bei Baumgarten vorkommt – ab. Außerdem warnt Ullrich vor einer naiven Metapherngläubigkeit, wenn Redewendungen wie ‚unscharfe Erinnerung‘ oder Ähnliches auf fotografische Erinnerungsbilder als verschwommen, grobkörnig usw. übertragen werden. 47 Potenziert wird der Aspekt des ‚Vergangenen‘ auch durch das Medium der Fotografie, das als Erinnerungsmedium für ‚Vergangenes‘ fungiert, s. dazu Roland Barthes (1989). 48 Ullrich spricht dem ‚scharfen‘ Sehen eine Aggressivität und Kontrolle zu, im Gegensatz dazu entkommen die Objekte als ‚unscharfe‘ einer beherrschenden und gewaltvollen Geste (2002: 10).

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wissenschaftlichen Objektivierung und Kontrolle, sie tendieren so aber auch dazu, erneut eine primitivistische Darstellungsweise und Faszination zu reproduzieren.49 Als Ort der Faszination hat das Pitt Rivers Museum auch andere KünstlerInnen angeregt: Rund 15 Jahre nach Baumgarten schrieb der englische Schriftsteller James Fenton ein Gedicht, in dem ein Erzähler davon berichtet, wie er in den Räumen des Oxforder Museums einen Ort der Faszination wiederentdeckt (1984). Aufgezählt werden einzelne Objekte und mysteriöse Dinge aus der Sammlung. In Fentons Gedicht wird, ähnlich wie in Baumgartens Aufnahmen von einzelnen Objekten, den Dingen etwas Rätselhaftes gelassen, was Clifford wiederum als Aufhänger für Überlegungen darüber nimmt, wie die außereuropäischen Artefakte ‚persönlich‘ und nicht im Rahmen der miteinander verschränkten Systeme Ethnologie und Kunst angeeignet werden könnten (1988/2001). 50 Er schreibt, „[d]iese Taktik – sie ist notwendigerweise persönlicher Art – würde den gesammelten Objekten die Fähigkeit zusprechen, etwas zum Ausdruck zu bringen, den Betrachter zu fesseln, statt nur zu erbauen und zu informieren. Afrikanische und ozeanische Objekte könnten wieder zu objets sauvages werden; Quellen der Faszination mit der Kraft zu beunruhigen“ (2001: 305). Auch mit Baumgartens Arbeit lässt sich eine andere als eine primitivistische Aneignungsweise nachvollziehen. In der Unterschiedlichkeit der hervorgehobenen Objekte und dadurch, dass sie rätselhaft bleiben sowie ‚zart‘ und ‚würdevoll‘ e­rscheinen, stören sie die museale wie die serielle Ordnung der ­Lichtbildprojektion.51 Sie gehen in der musealen Ordnung, deren Klassifizierungen und Objektivierungen eben nicht ganz auf. Dort, wo ein ‚Rest‘, ein Bedeutungsüberschuss bleibt, der sich nicht gänzlich, nicht vollkommen erfassen lässt, dort, wo die Sammelleidenschaft und der Wunsch, etwas wissen zu wollen oder die Objekte zu kontrollieren, sich nicht einlöst, entsteht ein Moment, in dem die Objekte ein ‚­Eigenleben‘ ­bekommen und eine Widerstandskraft entfalten können. Die Dia-Projektionen aus Baumgartens „unsettled objects“ lassen sich als (künstlerische) Form der ‚teilnehmen Objektivierung‘ beschreiben, wie Bourdieu sie für eine reflexive Wissenschaft, eine Wissenschaft, die ihre eigenen sozialhistorischen Bedingungen kritisch betrachtet, einforderte, aber auch selbst ausprobierte (2004).

49 Die Ausstellung „Kunstwelten im Dialog“ (1999/2000) kontextualisierte „unsettled objects“ inmitten von

Kunst des frühen 20. Jahrhunderts, wodurch eine solche primitivistische Lesart provoziert wurde. Der im Katalog zu der Arbeit abgedruckte und vermutlich stark redigierte Text von Baumgarten unterstützt einen Primitivismus in Teilen ebenfalls. 50 Clifford skizziert eine Geschichte des Sammelns und erläutert, dass außereuropäische Objekte erst aufgrund von empfundener ‚Schönheit‘ oder als Kuriosität gesammelt wurden, bevor mit dem 18. Jahrhundert die vollständige Erfassung der Objekte durch Klassifikation das Sammeln bestimmte. Das Pitt Rivers Museum sieht er als Höhepunkt dieser taxonomischen Vision (ebd.: 300f). Von Fentons Gedicht ausgehend entwickelt er eine Argumentation für „Andere Aneignungen“, die er als ein Begreifen der Objekte auf einer persönlicheren Ebene versteht (ebd.: 305). 51 Ullrich erläutert in seiner Studie über ‚Unschärfe‘ einen ähnlichen Effekt an fotografischen Porträts einer der ersten Fotografinnen, Julia Margaret Cameron. Er erklärt, wie sie mit Unschärfe erzielte, dass die Fotografierten darüber besonders zart und würdevoll erschienen. Ähnliche Effekte lassen sich auch für die Einzelaufnahmen der „unsettled objects“ beschreiben.

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Offengelegt werden in Baumgartens Arbeit die verschiedenen unbewussten, d.h. unref lektierten und unsichtbaren Mechanismen der musealen Objektivierung, wie Klassifikationen, Selektionen, Ordnungspraktiken, aber auch Vorannahmen, Denkweisen und Überzeugungen usw. Bewusst gemacht werden so die Teile des diskursiven Gefüges, in denen die Objekte zu sehen gegeben und gesehen werden und die zugleich die Bedingung darstellen, unter denen die/der BetrachterIn (auch von Baumgartens Arbeit) ethnografische Objekte anschaut. Insbesondere durch die Schriftinserts schafft die Diaprojektion von Baumgarten eine Distanz zur ­eigenen Wahrnehmung und befragt die vermeintliche Distanz zum Gegenstand der Präsentation vielmehr, als dass sie sie wiederholt – genau wie es Bourdieu als Methode der Anthropologie und eigentlich diverser Geisteswissenschaften vorschlug (vgl. ebd.: 178). Baumgarten wendet letztlich, wie von Bourdieu mehrfach gefordert, die Ethnologie auf sich selbst an, indem er mit ähnlichen Instrumenten deren Praktiken und Rituale konkret beschreibt. Aufgedeckt wird in Baumgartens künstlerischer Auseinandersetzung mit dem ethnologischen Museum aber auch die Unmöglichkeit des Anspruches, die Objekte ‚wissenschaftlich objektiv‘, neutral und ‚gänzlich‘ erfassen sowie einordnen zu können. Immer wieder lassen sich in der Arbeit ‚Momente‘ ausmachen, in denen offensichtlich wird, dass sich die Ordnung des Museums selbst ad absurdum führt und als Unordnung und Chaos erscheint. Gerade da, wo die ethnografischen Objekte nicht scharf abgebildet und zu sehen sind, scheinen sie eine Widerstandskraft gegen vereinnahmende Aneignungen zu produzieren. Eine solche Lesart stützt der von Baumgarten selbst verfasste Text zu den ­„unsettled objects“ im Ausstellungskatalog „Un Coup de Dés“ (2008). Baumgarten beschreibt in diesem in poetischer Weise, wie „unsettled objects“ die BetrachterIn mit einer ethnologischen Sammlung konfrontiert, mit deren Anspruch, mit der damit evozierten Sehnsucht und dem bedienten Begehren, aber auch damit, dass die Objekte ihrer ursprünglichen Funktion und Bedeutung entzogen wurden. Er beschreibt weiter, wie die Artefakte dort zwar unter anderem konserviert wurden, wie sie jedoch nicht verstummten. Ihre Sprachvielfalt wiederum beschreibt er als Verwirrung. Und weiter am Ende des Textes formuliert er: „Das Pitt Rivers ­Museum in Oxford, Großbritannien, ist ein zu preisendes, ­exemplarisches Beispiel für (­ bewusst) versäumte verjüngende Umschichtungen, und so ist es auf magische Weise zugleich zu einer betörenden Konserve des Kolonialismus und einer beginnenden ethnographischen Weltsicht des Unterschieds geworden“ (2009: 168). Ich will hier nicht spekulieren, was die genaue Intention des Künstlers gewesen sein könnte, verweisen lässt sich mit diesem Satz aber auf eine Doppelbödigkeit des ethnologischen Museums, die er mit den „unsettled objects“ herausarbeitet: dass es einerseits kolonialistische Strukturen des Aneignens, Sammelns, Ordnens und Blickens bezeugt und andererseits darin aber auch ein Durcheinander produziert, in dem sich eine andere, weniger imperialistische Aneignungsweise der Objekte und eine andere Verhältnissetzung zu diesen erproben lässt.

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Möglich wird so ein Blicken auf die Objekte, das das Verstörende an diesen ernst nimmt und gerade nicht versucht, sie wieder in eine Ordnung zu überführen und die Verstörung damit aufzulösen. In dem durch Baumgartens Arbeit provozierten Anblicken wird eine Faszination möglich, die nicht davon ausgeht, dass es ein ‚reines Sehen‘ dieser Objekte gibt, das aber die Andersheit – und möglicherweise manchmal auch Ähnlichkeit zu Objekten der eigenen Kultur – anerkennt. Entworfen wird ein Anblicken der Objekte ob ihrer Ästhetik, die nicht behauptet, dass diese universell verständlich sei, sondern die das Unverständliche stehen lässt und akzeptiert, das eine Übersetzung, ein Verstehen und ein Einordnen nicht immer möglich ist. Ein Anzeichen, das die Objekte belässt als: unsettled – ohne Ort, entwurzelt, unsicher, verunsichernd und verstörend. Das Kunstwerk von Baumgarten nimmt so gesehen im Kontext der vorliegenden Arbeit eine Gegenposition zum Primitivismusdiskurs ein und eröffnet andere Möglichkeiten der Annäherung an außereuropäische Artefakte, ohne das Faszinierende, das Unverständliche dieser Objekte durch eine behauptete wissenschaftliche Erklärbarkeit zu ersetzen.

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6. Gefesselt in tradierten Bildern? Ulrike Rosenbachs ‚­Kontaktversuch‘ mit alteritären ‚Frauenkulturen‘ (1977/78) Seit Beginn der 1970er Jahre entwickelt die Künstlerin Ulrike Rosenbach Performances und Videoarbeiten, in denen sie sich mit Fragen des Feminismus aus­ einandersetzt und mit Bildern von Weiblichkeit experimentiert. Rosenbach und andere feministisch orientierte Künstlerinnen erhoben im Kontext der sogenannten Zweiten Frauenbewegung mit ihrer Kunst den Anspruch, gegen ‚das Patriarchat‘1 zu rebellieren bzw. in dessen Strukturen zu intervenieren. Gesucht wurde dabei auch nach alternativen Bildern, Erzählungen und Geschichten von Frauen. Diese Suche war bei einigen Akteurinnen von der Annahme einer spezifisch ‚weiblichen‘ Kultur und Ästhetik geleitet.2 Rosenbachs künstlerische Praxis wird häufig als eine solche Suche beschrieben (vgl. Glüher 2004: 40). Vor allem Arbeiten, in denen Repräsentationen von Frauen differenter Kulturen vorkommen, sind

Die Verwendung des Begriffs ‚Patriarchat‘ im Singular negiert die Unterschiede zwischen Kulturen und den verschiedenen historischen Formen patriarchaler Hegemonie. Chandra Mohanty hat daher dafür plädiert, das Wort Patriarchate nur im Plural zu verwenden (2002). Inwiefern Rosenbachs Arbeiten selbst ein einheitliches Patriarchat voraussetzen, werde ich im Folgenden noch diskutieren. 2 Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen erregte 1976 mit ihrem Aufsatz „Über die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik?“ viel Aufmerksamkeit, weil sie sich der gängigen Annahme einer ontologisch begründeten ‚weiblichen Ästhetik‘ widersetzte. Bovenschen diskutierte in erster Linie die Kategorie ‚Frauenliteratur‘, thematisierte aber auch andere Künste. (Über die Forschung und Position von Bovenschen innerhalb der feministischen Kulturwissenschaft s. den Artikel von Inge Stephen, 2005). Susanne Lummerding ist 1994 der Frage nach einer ‚weiblichen Ästhetik‘ in den Arbeiten von Künstlerinnen nachgegangen. Das Vorhandensein eines einheitlichen, mit sich identischen Subjekts wird auf Grundlage von Jacques Lacans Psychoanalyse ebenso zurückgewiesen wie eine essentialistische Vorstellung von Weiblichkeit. Heute scheint diese Kritik an neuzeitlichen Subjektvorstellungen und Geschlechterkonstruktionen mittlerweile nahezu Konsens unter feministischen WissenschaftlerInnen zu sein. 1

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als „Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte der Frau“ gedeutet worden (vgl. Rinke 1982: 47, Hervorh. K.W.).3 Zwanzig Jahre später distanzierte sich die Künstlerin von ihrer frühen künstlerischen Praxis, denn sie befürchtete, „dass eine Entwicklung in diese Richtung auf einen neuen Biologismus hinauslaufen [könne], ein ‚Zurück-zur-Natur-Bewusstsein‘, wie ich es für Frauen in unserer Gesellschaft als diskriminierend erkenne“ (Rosenbach zit. nach Graulich 1999: 8). Bei einem genaueren Betrachten der frühen Arbeiten von Rosenbach wird ­jedoch deutlich, dass hier nicht unreflektiert alternative ‚natürliche‘ Weiblich­keiten und eine genuin ‚weibliche Kultur‘ repräsentiert werden. Vielmehr kann herausgestellt werden, dass die Suche nach alternativen Bildern von ‚Frauen‘ Fragen aufwirft, deren Beantwortung auch die visuelle und mediale Ebene nicht unbedacht lassen kann. Gerade durch die Verwendung von Video/Videokamera und durch den Akt der Performance wird offensichtlich, über welche Parameter Weiblichkeit (auch kulturelle differente Weiblichkeit) diskursiv hergestellt wird. In den Mitte der 1960er Jahre neu auf kommenden Kunstformen, wie der ­Videokunst und der Performance, sahen insbesondere feministische Künstlerinnen die Möglichkeit, nicht nur mit tradierten und als patriarchal identifizierten Darstellungen zu brechen, sondern auch, Vorstellungen von Wirklichkeit, Wahrnehmung, Repräsentation und Subjekt sowie ihre gegenseitigen Bedingtheiten zu ref lektieren.4 Viele Künstlerinnen betrachteten Video als künstlerische Option, mediale Bilder von Weiblichkeit kritisch zu ref lektieren und zu analysieren ­(Lehmann 2008: 83). Einigen Künstlerinnen galt Video dabei als Medium, das unbelastet und ‚frei‘ von Vorurteilen und männlich bestimmten Qualitätskriterien sei (vgl. Rosenbach 1987: 101). Video eröffnete so auch das Versprechen, Bilder ‚jenseits‘ klischierter Geschlechtervorstellungen kreieren zu können. Welche R ­ olle Repräsentationen kultureller Differenz in Rosenbachs Praxis spielen und inwiefern die dabei erhobenen Ansprüche auf nicht hegemoniale Reproduktionen auch für diese geltend gemacht werden können, werde ich im Folgenden anhand von drei Arbeiten Rosenbachs diskutieren. Außerdem interessiert mich die Frage, wie sich Rosenbach zu den kulturell differenten Weiblichkeitsbildern ins Verhältnis setzt. Rosenbach ist nicht nur eine der bekanntesten Künstlerinnen der Bundesrepublik Deutschland, die seit den frühen 1970er Jahren mit Fotografie, Video und Performance arbeitet, sondern auch eine der bekanntesten feministischen Künstlerinnen. Neben ihrem feministischen Engagement hat sie sich seit Beginn ihrer künstlerischen Lauf bahn selbst als feministische Künstlerin bezeichnet. 5 Als sie

Mary Kelly vermutet hinter Rosenbachs Auseinandersetzung mit Bildern von Weiblichkeit sowie dem Status von Frauen als Objekt ebenfalls die Annahme von einer essentiellen Weiblichkeit (1996: 95ff). 4 Sigrid Adorf hat dargelegt, dass in den Arbeiten von Videokünstlerinnen zu Beginn der 1970er Jahre Repräsentationskritiken angelegt sind. Am Beispiel des strategischen Medieneinsatzes verschiedener Arbeiten untersucht Adorf die Verzahnung von Körper- und Mediendiskursen sowie die Symptomatik einer Neuorientierung des Subjektdiskurses zu jener Zeit (2008). 5 So gründete sie beispielsweise 1976 eine Arbeitsgruppe mit dem Namen „Schule für kreativen Feminismus“ in Köln. 3

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1977 zur documenta 6 eingeladen und innerhalb der Abteilung für sogenannte Neue Medien ausgestellt wurde, begann ihr künstlerischer Erfolg (Paul 1998). Der Feminismus in der Bundesrepublik war zu dieser Zeit geprägt von einem differenztheoretischen Verständnis von Geschlecht und dem Streben nach einer Abschaffung aller Frauen diskriminierenden und als unterdrückend bezeichneten Strukturen. Gleichzeitig wurden Performance- und Videokunst zwar zunehmend institutionalisiert, von einer allgemeinen gesellschaftlichen Akzeptanz waren sie jedoch noch weit entfernt. Rosenbach hat sich in diesem ‚Klima‘ mittels Video und Performance (häufig in Kombination mit Fotografie) feministischer Themen angenommen. Inwiefern dabei tradierte Bilder von kultureller Differenz reproduziert oder durchkreuzt wurden, ist bis heute nicht oder nur selten thematisiert worden.6 Diskutieren werde ich die aufgeworfenen Fragen in einer Analyse der ­Performances „Frauenkultur – Kontaktversuch“ (1977), „Salto Mortale“ (1978) und „Meine Macht ist meine Ohnmacht“ (1978), die zusammen eine Trilogie bilden, sowie anhand ihrer Rezeption und Reproduktion.

„Frauenkultur – Kontaktversuch“ Rosenbach führte die Performance „Frauenkultur – Kontaktversuch“, 1977, an verschiedenen Orten auf [Abb. 45 – 51].7 Die Aktion bestand darin, dass sich die Künstlerin jedes Mal bekleidet mit einem enganliegenden weißen Catsuit und ausgerüstet mit einer Videokamera vor einer Reihe von Fotografien gemächlich hin und her rollte. In der Bewegung filmte sie die 65 Fotografien, die an der Längsseite des Aktionsraums oberhalb der Fußleiste an der Wand angebracht waren. Jede der Fotografien zeigt ein Porträt in der Optik des späten 19. Jahrhunderts. Über den Signifikanten Haut bzw. Hautfarbe und über traditionelle Kleidung, Schmuck und Haartrachten lassen sich die Fotografierten als überwiegend aus außereuropäischen Kulturen stammend identifizieren. Nur einige wenige scheinen durch ihre weiße Hautfarbe auch auf europäische Kulturen zu verweisen [Abb. 46]. In dieser Form erinnern die Fotografien an sogenannte ethnografische Porträts, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von europäischen Kolonisatoren in verschiedenen Ländern aufgenommen wurden, um später in Lexika und völkerkundlichen Büchern abgedruckt zu werden. 8 Gänzlich aus der Reihe fällt nur die

Eine Ausnahme ist eine Analyse von Barbara Paul zu Rosenbachs Arbeit „Herakles – Herkules – King Kong. Das Klischee ‚Mann‘“ von 1977 (1998). Paul analysiert Rosenbachs Auseinandersetzung mit dem King-KongMythos und die darin vorkommenden Anspielungen an schwarze Männlichkeit als Entgegensetzung zu weißer Weiblichkeit (ebd.: 206). 7 Im Folkwang Museum, Essen; in der National Gallery Melbourne (Australien). Günter Berghaus nennt als Einziger noch die Galerie Curtze, Wien, 1977, und ohne Angabe einer Institution in Bonn (2007: 331). 8 Rosenbach erwähnte während einer Präsentation ihrer Arbeiten, dass sie die Fotografien aus verschiedenen Enzyklopädien zusammengesucht habe (Vortrag auf der Tagung zur Ausstellung „Re-Act Feminism“ 2009 in der Akademie der Künste, Berlin.). 6

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Abb. 45 – 48 Ulrike Rosenbach Frauenkultur – Kontaktversuch 1977

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Fotografie am linken Ende, die als einzige eine weiße Frau mit zeitgenössischer Frisur und Kleidung zeigt [zu sehen auf Abb. 49]. Während sich die Künstlerin vor den Frauenfotografien hin und her bewegte, drehte sie sich in das Kabel der Videokamera ein, sodass sie vor dem letztgenannten Bild – dem der zeitgenössischen Frau – gänzlich eingerollt war. Akustisch begleitet wurde die Aktion laut Klaus Rinke von einem „dumpfen Tam-Tam einer Buschtrommel“ (1982: 47). Die Performance wurde dreimal aufgeführt, überwiegend mit Schwarz-WeißFotografien dokumentiert und in verschiedenen Publikationen abgedruckt (z.B. im Ausst.-Kat. „Fünf in Köln“ 1979, Ausst.-Kat. Ulrike Rosenbach 1982: 46ff; Gorsen 1987: 441; Berghaus 2007: 331). Der während der Aktion entstandene Video­ film wird in Rosenbachs Videografie genannt und wurde jüngst in der Ausstellung „Das im Entschwinden Erfasste – Videokunst im Museum Folkwang“, Essen, Juni/Juli 2010, ausgestellt, außerdem waren Fotografien von der Aktion auf der Art Cologne 2002 am Stand der Brigitte March Galerie, Stuttgart, zu sehen [vgl. die Videostandfotos, Abb. 51]. Neben dem Video ist die Arbeit in Form von Videostills und Fotografien in das kunsthistorische Bildrepertoire eingegangen. Ich stütze meine Analyse im Folgenden insbesondere auf diese Standbilder,9 die in verschiedenen Katalogen reproduziert worden sind, aber auch auf das dabei entstandene Video. Nach Rosenbachs eigener Aussage spielen Fotografien als Dokumentation ihrer Performances eine große Rolle (1982: 43). Sie sind in die Planung der Performance einbezogen und damit integrierter Bestandteil von Rosenbachs künstlerischer Praxis. Zentrales Element der Performance „Frauenkultur – Kontaktversuch“ wie auch ihrer fotografischen Dokumentation ist die Ansammlung von Fotografien, die vermutlich ursprünglich im Kontext kolonialer Machtverhältnisse des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Innerhalb dieses Kontextes stellten Fotografien aufgrund ihrer indexikalischen Verfasstheit einen prominenten Ort der Konstruktion und ‚Sichtbarmachung‘ des Anderen dar. Als solche waren sie an der Legitimierung, Naturalisierung und Hervorbringung kolonialer Machtverhältnisse beteiligt. ­Rosenbach überführt diese in eine Kunst, die daran arbeitet, tradierten Weiblichkeitsdarstellungen und als ‚männlich‘ entlarvten Blickweisen ‚etwas‘ entgegen­ zustellen. Dass sie dabei Elemente aus der Kolonialkultur verwendet, ist in der feministischen Kunst nicht nur der Bundesrepublik Deutschland der 1970er Jahre selten. Wie eine nicht zu löschende Erinnerung ‚tauchen‘ diese Elemente aus dem kollektiven Bildgedächtnis wieder auf und werden in einen anderen Kontext gesetzt. Gerade diese Aspekte machten mich neugierig, dem Transformationsprozess dieser kolonialistisch-ethnografischen Bilder und ihrer Bedeutungen nachzugehen.

Verena Kuni schreibt bezüglich solcher ‚Standbilder‘, dass dieser Begriff außer seiner technischen Bedeutung auch „das fotografische Bild, das eine(n) oder mehrere AkteurInnen im Moment einer Performance festhält, oder – […] festzuhalten – scheint“ meine (2004: 210). 9

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Abb. 49 – 50 Ulrike Rosenbach Frauenkultur – Kontaktversuch 1977 (Videostandfotos)

Abb. 51 Ulrike Rosenbach Frauenkultur – Kontaktversuch 1977 (Videostandfotos)

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Die ethnografischen Porträts Die meisten Rezensionen von Rosenbachs Performance „Frauenkultur – Kontaktversuch“ stellen die Anthologie der Fotografien in den Mittelpunkt ihrer Erläuterungen. Keiner der Rezensenten (und keine der wenigen Rezensentinnen) fragt allerdings, woher diese Fotografien stammen respektive stammen könnten, noch wird erwähnt, dass sie in dieser Aufreihung an Repräsentationen erinnern, wie sie in ethnografischen Museen und Enzyklopädien zur Darstellung ‚der Kulturen der Welt‘ und ihrer ‚Ordnung‘ lange Zeit beliebt waren und zum Teil immer noch sind. Postkolonial perspektivierte Forschungen haben dargelegt, dass die Fotografie an der Herstellung und Aufrechterhaltung kolonialer Machtverhältnisse beteiligt war.10 Aufgenommen aus der Perspektive der Kolonisatoren und den Stereotypen des ‚weißen Blicks‘ entsprechend konstruiert, dienten sie der Signifikation kultureller Differenz und angenommener Inferiorität. Die von Rosenbach verwendeten Aufnahmen zeigen Frauen, die vor einem als neutral geltenden hellen Hintergrund zum Teil frontal in die Kamera blickend, zum Teil im Profil dargestellt sind. Fast alle der Fotografierten sind bis zur Taille oder bis zum Brustansatz abgelichtet, einige sind nackt, andere in traditioneller Kleidung. Mit einer vermeintlich wissenschaftlichen Distanz in Foto­ studios aufgenommen, machen diese Porträts die Existenz der jeweils vertretenen Kultur oder Ethnie evident. Sie geben vor, über Kleidung und Haartracht, aber auch über die Physiognomie und körperliche Erscheinungen Auskunft zu geben. Die AbnehmerInnen dieser Fotografien waren zahlreich, und so wurden sie auf Ausstellungen, Messen, in Alben, Bildbänden und an anderen Orten zur Schau gestellt. Laut Thomas Theye waren es insbesondere auch Darstellungen von Weiblichkeit, die die Fotografierenden wie die Konsumenten interessierten (1989: 51). Die Fotografierten selbst sahen Theye zufolge die Aufnahmen häufig als Bedrohung an, so kamen viele der Fotografien nicht ohne physische Gewalt zustande. Aufschluss geben kolonialistische Fotografien daher vor allem über die „Formen des Kulturkontaktes, wie er in der fotografischen Aufnahme kulminierte“ (Theye 1989: 6). Nicht nur die physischen, sondern auch die struk­ turellen Gewalt- und Machtverhältnisse sind somit in die Fotografien eingeschrieben. Wie Rosenbach diese Form des Kulturkontaktes in ihrer Arbeit (um-) interpretiert und in den späten 1970er Jahre neu kontextualisiert, soll im ­Folgenden diskutiert werden.

10 Zum Konnex von Kolonialismus und Fotografie s. Thomas Theye (1989 und 2004), Michael Wiener (1990)

und den Sammelband „Colonialist Photography. Imag(in)ing Race and Place“ von Eleanor Hight und Gary D. Sampson (2002).

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Nach dem Primitivismus?

Die Rezeption: „Frauen aller Kulturen durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte“ Auch wenn keine der mir bekannten Rezensionen von Rosenbachs Arbeit die historische Herkunft der verwendeten Fotografien aus dem europäischen Kolonialismus thematisiert, so scheinen koloniale Wissensformationen jedoch das kollektive Bildgedächtnis zu strukturieren, aus dem die RezensentInnen ihre Interpretationen speisen. Das wird insbesondere dann deutlich, wenn versucht wird, in Rosenbachs Fotoanthologie nicht nur eine Sichtbarmachung von Frauen, sondern auch einer ‚Weltordnung‘ ausfindig zu machen. Rinke beispielsweise schreibt von einer endlos wirkenden Reihe von „Abbildungen der Frauen aller Kulturen durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte – Frauen im Patriarchat“ (1982: 47) und Gerhard Glüher bezeichnet die Abfolge als in „menschheitsgeschichtlich chronologischer Ordnung“ aufgereihtes Band von Frauenbildern (2004: 72), Günter Berghaus als „thousand years of women’s history“ (2007: 331). Ohne Anmerkungen zu Herkunft und Datierung der Aufnahmen lesen die RezensentInnen die Fotografien als zeitliche Abfolge. Nicht die Fotografien, sondern die fotografierten Frauen werden in dieser Lesart zu Zeichen zeitlicher und damit verknüpft auch kultureller Differenz. Rosenbachs Einrollen in das Kabel der Videokamera vor den Bildern wird als direkter Kommentar zu der angenommenen zeitlichen Abfolge gelesen: Dass Rosenbach vor der einzigen Fotografie einer zeitgenössischen weißen Frau am stärksten in das Kabel eingerollt ist, wird dementsprechend als Aussage verstanden, diese sei am stärksten vom Patriarchat dominiert. Die Frau am anderen Ende der Reihe, vor der Rosenbach fast völlig vom Kabel ‚befreit‘ ist, wird dagegen als aus einer ‚sehr frühen Kultur‘ stammend und zudem als Zeichen für größtmögliche Freiheit gedeutet (vgl. Schwieren 1979: o.P.). Glüher sieht in ihr „das Bekenntnis zu den frühgeschichtlichen sozialen Formen des matriarchalen Zusammenlebens“ (2004: 72) und Peter Gorsen eine Personifikation der matriarchalen Ackerbau­ kultur (1987: 440).11 In diesen Lesweisen wird eine evolutionstheoretische Weltvorstellung reproduziert und mit einer vermeintlichen Graduierung der ‚Freiheit von Frauen‘ verknüpft. Innerhalb dieser Ordnung werden Kulturen gemäß der ihnen zugeschriebenen ‚Entwicklungsstufe‘ auf einer hierarchischen Skala platziert. Dass die als ‚frühste‘ geltende Kultur gleichzeitig als diejenige angesehen wird, in der Frauen am ­‚freiesten‘ leben können, invertiert lediglich die evolutionstheoretische Annahme und Vorstellung von einer am weitesten entwickelten weißen, westlichen Kultur.

11 Rinke sieht in dem Grabholz, das die abgebildete Frau hält, gar das „Zeichen einer autonomen Funktion der

Frau als Ackerbäuerin“ (1982: 47). Auf den Fotografien von der Performance ist dieses leider nicht zu erkennen.

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Gefesselt in tradierten Bildern?

Die Arbeit provoziert damit eine Lektüre, die Kulturen entlang einer imaginären Entwicklungsskala aufreiht und dabei Wünsche von ‚freien‘ Lebensmöglichkeiten auf vermeintlich ‚frühe‘ Kulturen projiziert. Unter feministischen Vorzeichen wird darüber eine primitivistische Vorstellung reproduziert, die außereuropäische ­Gesellschaften als ‚bessere‘ Gegenwelten imaginiert. Glüher glaubt über die aufgefächerten Differenzen hinweg ein einheitliches Subjekt ‚Frau‘ zu erkennen, wenn die abgefilmten Fotografien auf dem Monitor zu einem einzigen Bild ‚der Frau‘ verschwimmen (2004: 73). In einer Überblendung von einem Bild Rosenbachs mit den Fotografien von signifikanterweise nackten schwarzen Frauen scheint auch die Künstlerin selbst in dieses eine Bild ‚der Frau‘ eingeschrieben zu werden [Abb. 50]. Verstärkt wird diese visuelle In-eins-Setzung weitergehend über die Assoziation von Rosenbachs weißem Anzug mit nackter Haut, worüber eine zusätzliche Verbindung zu den entblößten Frauendarstellungen geknüpft werden könnte. Rosenbach könnte so auch als Stellvertreterin für alle dargestellten Frauen bzw. generell ‚alle Frauen‘ gelesen werden. Folgt man dieser Lektüre, so ließen sich für Rosenbachs Arbeit zentrale Kritik­punkte geltend machen, die schwarze FeministInnen und postkoloniale TheoretikerInnen an der Wissensproduktion des weißen Feminismus formuliert haben.12 Kritisiert werden könnte, dass nicht nur die eigene ‚weiße‘ privilegierte Position der Künstlerin wie der BetrachterInnen unref lektiert und unmarkiert ist, sondern auch, dass ein homogenisierendes Bild von ‚Frau‘ hergestellt wird, das Machtverhältnisse zwischen Frauen unterschiedlicher Hautfarben und kultureller ­Herkünfte ausblendet. Darüber hinaus könnte eingewendet werden, dass der machtstrukturelle Kontext, aus dem die Bilder entnommen wurden, ungenannt bleibt und nicht gebrochen wird. Kulturelle Differenz wird – so scheint es –, wie im Primitivismus, weiterhin über zeitliche Differenz dargestellt und für eigene Zwecke – hier für die Produktion feministischer Kunst – vereinnahmt. In dieser Aneignung wird die kulturell Andere als visuelle Metapher für Unterdrückung und Ermächtigung gleichzeitig funktionalisiert. Die Vielzahl der Verbildlichungen kulturell differenter Frauen steht für das Bild der unterdrückten Frau und stellt gleichzeitig die Projektionsf läche für die ‚freie und unabhängige Frau‘ bereit. Resümieren ließe sich, dass die Performance zwar vordergründig den Anspruch erhebt, kulturell differente Frauen sichtbar zu machen, gleichzeitig aber eine Möglichkeit bietet, Annahmen eines evolutionären Weltbildes wieder einzuführen und diese auch noch unter vermeintlich feministische Vorzeichen zu stellen.

12 In den 1970er Jahren formierten sich vor allem in den USA schwarze Kritiken am weißen Feminismus. Sehr

bekannt geworden ist das 1974 in Boston, USA, gegründete Combahee River Collective, eine Gruppe, die vom Standpunkt schwarzer, lesbischer Feministinnen aus argumentierte und agierte (1979), sowie in der Bundesrepublik Deutschland Katharina Oguntoye, May Opitz und Dagmar Schultz (1986).

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Nach dem Primitivismus?

Eine repräsentationskritische und postkoloniale Relektüre Die aufgeführten Aspekte greifen meiner Ansicht nach jedoch für die Analyse der Performance zu kurz. Weder ist damit der Ausgangspunkt der Arbeit genügend erfasst – ich will nicht in Abrede stellen, dass sie die zitierten Lesarten provoziert – noch die letztlich dabei produzierten Bedeutungen und Aussagen. Folgende P ­ unkte machen die oben aufgeführte Lesart weniger eindeutig: Die Rollbewegung Rosenbachs kann stärker prozesshaft gedeutet werden.13 Unterstützt wird diese Lesart durch die etymologische Herkunft von ‚Evolution‘ im Lateinischen: volvere bedeutet wälzen, rollen, umdrehen. In dieser ursprünglichen Bedeutung wurde der Begriff weniger als linear fortschreitende Bewegung, denn mehr als vielschichtiger Prozess gedacht. Auch das permanente Ein- und wieder Ausrollen widerspricht einer Lektüre dieser Aktion als fortschreitende Kulturen signifizierend. Die Bedeutsamkeit von Rosenbachs Arbeit liegt demnach weniger oder zumindest nicht eindeutig auf dem Verweis auf eine wie auch immer bewertete Abstufung von Kulturen, sondern mehr auf einer rollenden, im Sinne einer prozesshaften und – durch das gleichzeitige Einwickeln in das Kabel – ­prägenden Eigenschaft von Kultur generell. Zusätzlich erinnert Rosenbachs Anthologie zwar an museale Präsentationsweisen von ethnografischen Fotografien und die damit in vielen Museen visualisierten evolutionstheoretischen Argumentationen, sie entspricht solchen aber insofern nicht, als die Fotografien am Boden aufgereiht sind. In dieser für Museen unüblichen Hängung sind sie dem Blick der BetrachterInnen entrückt. Erst die Reproduktionen in Katalogen oder z.B. auch in meiner Arbeit holen die Fotogr­afien wieder in Augenhöhe der BetrachterInnen und lassen einen ungestörten Blick auf die reproduzierten Aufnahmen und ihre Lektüre als zusammenhängend zu. Die Präsentation der Fotografien am Boden unterstützt das von Rosenbach mehrfach geäußerte Anliegen, Wahrnehmungsgewohnheiten zu stören und zu verändern (1982: 45). Viele Rezipienten sehen – wie bereits angedeutet – in der Performance einen Verweis auf matriarchale Kulturformen. So deuten Gorsen (1987) und Glüher (2004) Rosenbachs Aktion als Suche nach einer ‚Frauenkultur‘ im Sinne eines Matriarchats. Eine solche Interpretation wird auch durch den Titel und durch die Kommentare von Rosenbach selbst unterstützt.14 Das Thema ‚Matriarchat‘ war in den 1970er Jahren sehr präsent in der feministischen Bewegung. Problematisch an vielen Erzählungen über Matriarchate sind die damit verbundenen Vorstellungen von einer natürlichen, universellen und essentiellen Weiblichkeit sowie einer ‚weiblichen Ästhetik‘, für die weiblich dominierte und mittlerweile historische

13 Auf die Bedeutung des Prozesshaften in Rosenbachs künstlerischer Praxis hat Glüher hingewiesen (1997). 14 Rosenbach bestätigt eine solche Lesweise, wenn sie rückblickend und im Hinblick auf die hier besprochene

Performance artikuliert: „Eine Zeitlang hatte ich gehofft, mit Hinweisen auf frauenbestimmte Kulturen der Vergangenheit etwas zu erreichen, eine innere Verstärkung denke ich“ (1999: 8).

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Kulturen als Beweis angeführt werden. Rosenbachs ‚Kontaktversuch‘ würde innerhalb dieser Logik als Suche nach einer alle Frauen verbindenden, ‚ur-weiblichen‘ Eigenschaft verstanden werden müssen. Matriarchate können aber auch als Beweis dafür angeführt werden, dass das Patriarchat gerade keine historisch und kulturell universelle, überall gleiche Gesellschaftsform ist. Darüber hinaus kann der Verweis auf Matriarchate im Kontext der oben beschriebenen Suche nach anderen Weiblichkeitsbildern und -entwürfen sowie dem Anliegen, Kritik an patriarchalen Erzählungen zu artikulieren, auch auf die Aspekte von ‚Kultur‘ abzielen, die als ‚weiblich‘ gelten bzw. Frauen zugeordnet werden. Solche als feminin oder weiblich geltenden Kulturbereiche (z.B. textile Kultur) kommen in männlich dominierten Geschichts- und Kulturdarstellungen häufig nicht vor.15 Am Ausgangspunkt der Performance könnte auch der Wunsch gestanden haben, solche Aspekte von Kultur und Momente in einer von Frauen gelebten Realität ‚zu finden‘, die sich patriarchalen Machtstrukturen und -effekten widersetzen. Der Blick in Richtung anderer Kulturen ist dabei nicht abwegig, wenn auch die Gefahr besteht, universalistische Vorstellungen zu bedienen (der Begriff ‚Kultur‘ widerspricht einer solchen Vorstellung nicht per se). Gegen eine universalistische, essentialistische Vorstellung von einer ‚Frauenkultur‘, die über Fotografien signifiziert wäre, spricht außerdem, dass Rosenbachs Arbeit die Porträts der Frauen nicht ‚einfach‘ als Abbilder natürlicher Weiblichkeit präsentiert. Letzteres wird insbesondere in der Art und Weise deutlich, in der Rosenbach versucht, Kontakt zu der ‚Frauenkultur‘ aufzunehmen. Über den zweiten Teil des Titels „Kontaktversuch“ wird die Kontaktaufnahme als Anliegen der Performance betont. Die Interpretation dieses ‚Kontaktversuchs‘ als spirituelle oder ‚naturmythische‘ Verbindung erscheint mir jedoch zu voreilig. Für eine solche Deutung würde sprechen, dass vor allem spätere Arbeiten Rosenbachs einen rituellen und magischen, dabei auch spirituellen Charakter haben, insbesondere solche, in denen Symbole und Materialien wie das Pentagramm, der Kreis, Salz oder Feuer vorkommen (Lehmann 2008: 84). Auch die Performance „Frauenkultur – Kontaktversuch“ ist mit dem Hin- und Herrollen der Künstlerin kultisch aufgeladen, worin man nicht nur die Proklamation einer Nähe zu ‚primitiven‘ Kulturen vorgeführt sehen könnte, sondern auch eine spirituelle Verbindung im Sinne einer ‚transkulturellen Schwesterlichkeit‘. Für so naiv halte ich die Arbeit aber insbesondere dann nicht, wenn in Betracht gezogen wird, wie genau der Kontakt vorgenommen wird. Dieser lässt sich vor allem als ein ‚Blickkontakt‘ beschreiben. Auf der Seite der Künstlerin ist dieser Blick durch die Videokamera auf die Fotografien gerichtet. Rosenbach hält die Kamera die gesamte Zeit über vor ihr

15 Auch in der Philosophie ist von einer ‚weiblichen Kultur‘ gesprochen worden. So hat z.B. Georg Simmel

1902 eine solche konstatiert und damit für einen eigenständigen weiblichen, gesellschaftlich aufgewerteten Bereich von Frauen plädiert (1919). Rosenbachs Arbeit lässt sich nicht bruchlos in diese Tradition der Aufwertung einer genuin weiblichen Kultur einreihen. Ich verstehe ihre Arbeit auch nicht als bloße Visualisierung einer philosophischen Theorie, sondern mehr als Verfahren, um Fragen zu stellen. Fragen, die in der feministischen Bewegung allgemein diskutiert und von unterschiedlichen philosophischen Ansätzen gespeist wurden.

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Gesicht. Der Kontakt ist damit ein medial vermittelter. Mit einem solchen Verweis auf das Medium können die Fotografien einmal mehr nicht einfach als unmittelbares Abbild essentieller Weiblichkeit gelten. Die Fotografien von den Frauen scheinen vielmehr darauf befragt zu werden, inwiefern sich eine ‚Frauenkultur‘ im Sinne eines ermächtigenden Moments erkennen lassen kann. Überlegen ließe sich, ob Rosenbach einen Moment in den Fotografien zu finden sucht, der sich patriarchalen Codierungen und einem männlich dominierten Blickregime da entzieht, wo Fotografien auch einen Rest der Nicht-Lesbarkeit sowie Erfassbarkeit oder des Bedeutungsüberschusses beinhalten können.16 Auf der Seite der Fotografierten fällt die Betonung der Augenpartie auf, die zum Teil wie ein Zurück-Blicken erscheint [Abb. 46, 47]. In diesen Blicken liegt zumindest eine dezente Irritation hegemonialer Blickstrukturen, innerhalb derer die zu angeblickten Objekten gemachten Frauen den Blick eher nicht erwidern. Hier aber blicken viele der fotografierten Frauen direkt in die Kamera bzw. die Künstlerin oder die Betrachtenden an.17 Auch die zur Seite blickenden Frauen erscheinen stolz, indem sie sich selbstbewusst der Kamera zeigen und gleichzeitig doch ‚nichts preisgeben‘.18 Wenngleich Rosenbachs Aktion ein vereinnahmender und aneignender Gestus zu eigen ist bzw. ein solcher mehr als angedeutet wird, verweigern sich die Fotografien mit dem Zurück-Blicken einer re-kolonialisierenden Geste aber auch. Indem dieser Akt einen Moment des Widerstands beinhaltet und somit weibliche Handlungsfähigkeit bedeutet wird, lassen sich die Repräsentierten von der künstlerischen Arbeit und den Blicken der Betrachtenden nicht gänzlich einnehmen. Die Kamera besetzt eine zentrale Position und rückt dadurch die Augen und das Blicken in die Aufmerksamkeit. Rosenbach inszeniert damit das Blicken der Frauen ebenso wie ihr eigenes Durch-die-Videokamera-Blicken als widerständigen Akt oder zumindest als widerständigen Moment. Innerhalb dieser Lesart kann auch das Bild auf dem Monitor nicht einfach als Visualisierung der Annahme eines kollektiven einheitlichen Subjekts ‚Frau‘ verstanden werden, sondern als Reflexion über Strukturen von Repräsentationen und Blickverhältnissen. Anja Osswald hat anhand früher Videoarbeiten aus den 1970er Jahren dargelegt, dass in diesen das Subjekt nicht mehr als „widerspruchsfreies Schema der Ordnung unserer Beziehung zur Welt und uns selbst“ vorhanden ist, „sondern als ein in sich brüchiges“ (Osswald 2003: 253). Sigrid Adorf hat in eine ähnliche Richtung argumentiert und in Bezug auf feministische Videoarbeiten

16 Dieser Moment ließe sich mit Roland Barthes als der eines punctums beschreiben (1989). Eine ähnliche

Überlegung nimmt Kerstin Brandes ausführlich bezüglich einer Arbeit der afroamerikanischen Künstlerin Carrie Mae Weems vor (2011). 17 Das direkte Zurück-Blicken als widerständige künstlerische Strategie habe ich bereits in meiner Lektüre von Wolf Vostells Collage „Die Fluxisten sind …“, 1980, diskutiert. Verwiesen habe ich in diesem Kapitel außerdem bereits darauf, dass der Blick zurück nicht nur eine künstlerische Strategie, sondern auch eine aktivistische ist. Unter Bezug auf die Arbeit von Malek Alloula (1981/1994) kann diese Strategie außerdem als eine von subalternen Frauen ausgewiesen werden. 18 Einige der Fotografien bilden Frauen ab, die ‚grimmig‘ und böse zu blicken scheinen und darüber Widerstand gegen den fixierenden Akt des Mediums Fotografie leisten.

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zeigen können, inwiefern diese eine Gegenposition zu essentialistischen Tendenzen bilden und „ein Wechselverhältnis zwischen Selbstbild, visuellem Apparat und Bildtraditionen“ ref lektieren (2004: 73).19 Einher gingen diese von Osswald und Adorf analysierten künstlerischen Strategien und Positionen mit der Erkenntnis feministischer Kunst- und MedienwissenschaftlerInnen, dass das Repräsentations­ system von einer „Unausweichlichkeit der Geschlechterpositionen“ (Lindner u. Schade 1989: 334) geprägt ist. Ich habe bereits im Kapitel zu Wolf Vostell auf die Erkenntnisse von Laura Mulvey (1975) verwiesen, die aufgezeigt hat, dass für das Kino die Geschlechterverhältnisse selbst zentral sind und auf einer Unterteilung von aktivem männlichen Schauen und passivem weiblichen Angeschaut-Werden beruht. Die weibliche Figur werde dem dominierenden männlichen Blick entsprechend geformt. In der Performance von Rosenbach lässt sich der Aspekt des Blickverhältnisses insofern wiederfinden, als die Fotografien der Frauen der Kamera gegenübergestellt sind.20 Die abgefilmten Frauen werden darüber als medial produziert und für einen spezifischen Blick aufgenommen vorgeführt. Die Künstlerin selbst lässt sich demgegenüber allerdings nicht eindeutig einer Subjektposition zuordnen, sie geht nicht einfach in einer männlichen Betrachterposition auf. ­Rosenbach hat zwar die Kamera selbst in der Hand, sie ist jedoch auch den Blicken der ZuschauerInnen ausgesetzt und scheint darüber hinaus die Kamera mehr mechanisch als willentlich zu führen. Das Einrollen in das Kamerakabel ließe sich demzufolge weitergehend spezifizieren als Zeichen für die Verstrickung und Verwicklung in kanonisierte Subjekt-Objekt-Positionen. Der Monitor in Closed-Circuit-Installationen wurde in den 1970er Jahren immer wieder als Spiegel bezeichnet. Als Spiegel diente er dem Ref lektieren und der Ref lexion der eigenen Körper- bzw. Selbstrepräsentationen und Blickweisen. In der Aktion von Rosenbach sind auf dem Monitor die abgefilmten Frauen und damit das von der Künstlerin Angeblickte zu sehen [Abb. 51]. Die Bilder rotieren entsprechend Rosenbachs Bewegungen über den Videomonitor, sie sind nicht ‚ganz‘, nicht eindeutig, nicht festgestellt und meist nur fragmentarisch zu erkennen. 21 Die statischen ethnografischen Porträts werden von Rosenbach in Bewegung gebracht. Sie entziehen sich so einem fixierenden Blick, und damit bleibt nicht nur der männliche, sondern auch der ‚weiße Blick‘ unbefriedigt. Als unmöglich erweist sich – nimmt man die Funktion des Monitors als Spiegel ernst – die Spiegelung der Künstlerin selbst wie der BetrachterInnen in den abgefilmten Frauenporträts. Rosenbach eignet sich das neue Medium Video an und versucht, dem als ‚männlich‘ bestimmten und tradierten Repräsentationssystem zu entkommen bzw. diesem etwas entgegenzusetzen. In der Suche mittels Videokamera wird deutlich, dass die Frauenfotografien patriarchalen Darstellungsparametern entsprechen und medial

19 S. auch Adorf (2008). 20 Auch Kelly verweist auf Rosenbachs Auseinandersetzung mit der ‚männlichen Position‘ des Subjekts des

Blicks (1996: 97). 21 Zum Mythos vom ‚ganzen‘ Körper s. Schade (1987).

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konstruiert sind. Alternative, andere Weiblichkeitsbilder lassen sich darin nur schwer ausmachen. Auch auf den Blick der Künstlerin wie der BetrachterInnen wird in selbstref lexiver Manier hingewiesen, gerade wenn sich dessen Begehren nicht, oder zumindest nicht ungebrochen, einlöst. Resümieren lässt sich, dass vor allem anhand der Rezeption von Rosenbachs Performance gezeigt werden konnte, wie diese evolutionstheoretische, universalistische Lesweisen evoziert und partiell primitivistische Vorstellungen von außer­ europäischen Kulturen als ‚besseren‘ Gegenwelten aufruft. Mit der zweiten, repräsentationskritischen Lektüre wurde aber auch deutlich, dass sich die Performance mit der ‚Fesselung‘ durch tradierte Bilder auseinandersetzt und deren Fortwirken nicht nur stützt, sondern auch ausstellt.

„Salto Mortale“ Die Performance „Salto Mortale“ gilt als Fortsetzung von „Frauenkultur – Kontaktversuch“, thematisch knüpft sie an die Überlegungen zu ‚alternativen‘ ­Weiblichkeitsbildern an [Abb. 52 – 54]. Rosenbach hat die Performance in den Jahren 1977 – 78 in zwei verschiedenen Variationen aufgeführt. In der 1978 im Bonnefanten Museum Maastricht performten zweiten Variante verwendete sie erneut die ethno­g rafischen Porträts sowie weitere Bilder von Weiblichkeit. 22 Diese Aufführung ist wie „Frauenkultur – Kontaktversuch“ in dem Ausstellungskatalog „Fünf in Köln“ (1979) beschrieben und mit Fotografien dokumentiert. Ich fokussiere meine Analyse auf diese Variante und ihre Rekonstruktion über Text und Fotografien. Zu sehen ist auf den fotografischen Aufnahmen von der in Maastricht aufgeführten halbstündigen Performance, dass Rosenbach vor einem Tableau aus Fotografien auf einem Trapez hin und her schaukelte und dabei mit einer V ­ ideokamera operierte [Abb. 52]. Die Fototableauwand bestand aus sieben Reihen mit je 21 hochrechteckigen Schwarz-Weiß-Fotografien, die auf einer halbrunden Wand angebracht waren. Die bereits bekannten ethnografischen Porträts wurden mit weiteren ­Fotografien, darunter auch Porträts von Gruppen, ergänzt. In unregelmäßigen Abständen waren Aufnahmen von zeitgenössischen Frauen (schwarzer und weißer Hautfarbe) platziert,23 von denen einige aus feministischen Zusammenhängen zu stammen scheinen (auf einer Fotografie lässt sich als Graffiti das Wort „Frau“

22 Zuerst aufgeführt wurde die Aktion Salto Mortale (als Salto Mortale I) in Bremen auf dem Festival

„Pro Musica Nova“, 1977; eine weitere Aufführung von dieser Variante fand im Gemeente Museum, Den Haag, 1978 statt. 23 So befindet sich auf der linken Seite des Tableaus die Fotografie einer jungen schwarzen Frau mit weißem T-Shirt, Handtasche und Sonnenbrille und weiter rechts unten die einer jungen weißen Frau, die seitlich in die Kamera blickt, blondes offenes Haar trägt und mit einem schulterfreien Oberteil bekleidet ist.

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e­ rkennen). In der Mitte der Bildersammlung befanden sich neun fotografische Aufnahmen von mittelalterlichen Marienskulpturen [Abb. 54]. Direkt über diesen (zweite Reihe von oben) hatte Rosenbach die bekannte Fotografie von der palästinensischen Aktivistin Leila Chaled eingefügt. Chaled posiert auf dieser zur Ikone gewordenen Aufnahme mit Kufiya (Kopftuch aus einem sogenannten Palästinensertuch) und mit einer AK-47-Kalaschnikow in der Hand.24 (In den ersten Aufführungen von „Salto Mortale“, auf dem Festival „Pro Musica Nova“ in Bremen, 1977, und in der Ausstellung „feministische Kunst international“, im Gemeente Museum, Den Haag, 1978, hatte Rosenbach ausschließlich diese beiden Motive verwendet. Anstelle der verschiedenen Madonnenskulpturen zeigte sie dort Stefan Lochners „Madonna am Rosenberg“, um 1450, die sie vorher schon in andere Arbeiten einbezogen hatte).25 Vor der Fotowand in der halbrunden Rotunde und unterhalb der Schaukel hatte Rosenbach den Boden des Aktionsraums in Kreisform mit hellem Salz bedeckt. In der Mitte war ein Streifen freigelassen, der wie eine Gasse auf die Mitte des Tableaus hinführte und sich gleichzeitig direkt unter dem Bewegungsraum der Schaukel befand. Die Aktion verlief wie folgt: Rosenbach schaukelte auf dem Trapez sitzend vor der Fotowand hin und her. Ihre Arme hatte sie um die Seile gelegt, in den Händen und vor der Brust hielt sie die Videokamera. Bekleidet war sie mit einem rückenfreien schwarzen Oberteil und einem langen, weiten schwarzen Rock, an den kleine goldene Glöckchen geheftet waren und den sie über einer schwarzen, jeansähnlichen Hose trug. Ein Scheinwerfer stand rechts von dem Installationsaufbau und warf von dort einen Lichtkegel, sodass Rosenbachs Körper als Schatten auf die verschiedenen Frauenporträts, vor allem auf die Bilder von Chaled und den Madonnen, projiziert wurde. Rosenbachs offene Haare und der weite Rock bildeten ein Schattenbild, das betont weiblich war, sie aber auch wie eine rätselhafte Märchengestalt erscheinen ließ. Nach etwa der Hälfte der Performance veränderte Rosenbach ihre Haltung, sie verschob die Trapezstange in ihre Kniekehlen, ließ ihren Körper herunterhängen und schwang nun kopfüber vor den Bildern hin und her. Ihr schwarzer Rock fiel dabei wie eine Glocke über ihren Oberkörper. Mit der Videokamera, die sie während der gesamten Aktion in den Händen hielt, filmte sie nun ihr eigenes Gesicht. Über einen Bildschirm wurden die Aufnahmen der Kamera in einem Closed-Circuit-Verfahren den BetrachterInnen der Performance zu sehen gegeben.26 Die Aktion endete, indem die Künstlerin den Rock über ihren Kopf abstreifte und die Videokamera auf dem Boden ablegte.

24 Da die zweite Variante vielschichtiger ist und die ethnografischen Porträts erneut aufnimmt, werde ich diese

analysieren. 25 Von dieser Aktion ist ein Video vorhanden, das während der Schaukelbewegung entstand und beide Bilder abfilmte. 26 Letzteres schließe ich aus den Beschreibungen von Stephan von Wiese (1979: o.P.) und Rosenbach selbst (1979: o.P.).

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Die Suche nach anderen Weiblichkeitsbildern – ein tödlicher Salto? Der Titel der Performance bezeichnet eigentlich eine artistische Übung, die aus einem dreifachen Überschlag in großer Höhe besteht und – wie der Begriff unmissverständlich vermittelt – so schwierig ist, dass sie für den oder die ArtistIn gefährlich oder sogar tödlich sein kann. Vor dem Hintergrund der Arbeit „Frauenkultur – Kontaktversuch“ und der Suche nach widerständigen und ermächtigenden Momenten einer spezifischen ‚Frauenkultur‘ sowie nach anderen Weiblichkeitsdarstellungen liest sich der Titel wie eine Aussage über diese Suchbewegungen: Sie wird als kräftezehrend, fast unmöglich und nahezu lebensbedrohlich bezeichnet. Sich den fesselnden und einschnürenden Weiblichkeitsnormierungen der eigenen wie auch anderer Kulturen zu entziehen und widerständige Momente, Gegenentwürfe und ‚neue Bilder‘ zu finden, so könnte die Aussage der Performance lauten, kommt einem Salto mortale gleich. Verschiedene Feministinnen haben über die Anstrengungen und Gefahren, sich gängigen Geschlechtervorstellungen zu entziehen, geschrieben. Während der erste Teil der Trilogie noch eine Suche nach einer ‚Frauenkultur‘ beinhaltet, scheint der zweite Teil in Richtung einer feministischen Kritik zu argumentieren, die das Aufgeben tradierter Bilder von Weiblichkeit als tödlichen bzw. mit dem Tod gleichzusetzenden Akt wahrnimmt. Judith Butler (1991: 37ff) hat formuliert, dass das Widersetzen gegenüber und sich Entziehen aus tradierten Mustern der Zweigeschlechtlichkeit bedeutet, in den Gesellschaften nicht als Subjekt anerkannt zu werden und somit nicht intelligibel zu sein. Rosenbachs Aktion zieht hier zwar nicht die hegemoniale Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit in Zweifel, sondern sucht nach anderen Weiblichkeitsentwürfen. Darüber hinaus argumentiert sie aber ebenfalls, dass ein Abweichen von Geschlechternormen zu einem (sozialen) Tod führen kann.27 Rosenbach selbst konstatierte bezüglich der Performance, dass sie gelernt habe, „dass es in den nächsten Jahrzehnten schwer sein wird, das Ziel zu erreichen, Frauen eine unabhängige Kulturgrundlage zu geben, die es ihnen ermöglicht, sie selbst zu sein, ohne ständig auf anerzogene Verhaltensmuster der patriarchalischen Vergangenheit zurückverwiesen zu werden“ (1979: o.P.). Das sprichwörtliche ‚in der Luft hängen‘ sowie ‚keinen Boden unter den Füßen zu haben‘, das sie in der Aktion aufführte, kann als Visualisierung der Aussichtslosigkeit gelesen werden, hegemonialen Mustern zu entkommen oder etwas Ermächtigendes jenseits des Patriarchats auszumachen. Auch die im Feminismus umstrittene Vorstellung von einem ‚weiblichen Selbst‘, von dem auch Rosenbach spricht, sowie die Frage, ob es hinter den ‚Einschnürungen‘ respektive den gesellschaftlichen Prägungen eine solche ‚weibliche Identität‘ überhaupt gibt, ist mit der gefährlichen Aufführung

27 In „Haß spricht“ befasst sich Butler weiter mit den Positionen nicht intelligibel zu sein, nicht anerkannt zu

werden, mit sozialem Sein und Überleben als soziale Existenz (1998). Ich erwähne das hier, um deutlich zu machen, dass Rosenbach an feministischen Fragen arbeitet, die Ende der 1990er Jahre bis heute immer noch oder erneut diskutiert werden.

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Abb. 52 – 54 Ulrike Rosenbach Salto Mortale 1978

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signifiziert.28 Hatte in „Frauenkultur – Kontaktversuch“ noch Hoffnung bestanden, andere Weiblichkeitsbilder und -entwürfe zu finden, hier vor allem in anderen Kulturen, so scheint die Suche danach mit „Salto Mortale“ fast gänzlich aufgegeben bzw. als riskant und nahezu tödlich kommentiert zu werden. Nachdem sich in der Arbeit „Frauenkultur – Kontaktversuch“ die optimistische und primitivistische Suche nach einer besseren, matriarchalen Gegenwelt über ethnografische Fotografien bereits als problematisch erwies, werden die Bilder nun erneut, aber skeptischer, befragt. Die feministische Frage, wie sich patriarchale Entwürfe von Weiblichkeit ändern lassen, wird nicht aufgegeben, aber die (eigene) Hoffnung, solche anderen Weiblichkeitsbilder in Fotografien von kulturell differenten Frauen zu finden, wird nun kritisch betrachtet. Zur Debatte zu stehen scheint, wie Weiblichkeiten vor allem auch visuell konstituiert werden. In den Fokus gerät dabei insbesondere zweierlei: unterschiedliche mediale Repräsentationen von Weiblichkeit sowie die Inszenierung des weiblichen Körpers durch Pose und Kleidung. Rosenbach stellt dabei ihre eigene Position als Künstlerin in einem männlich dominierten Kunstbetrieb ebenso zur Diskussion wie ihr Verhältnis zu den in dem Tableau zusammen­ gestellten Frauenporträts.

Das Tableau von Weiblichkeitsbildern Die Fotowand kombiniert verschiedene Visualisierungen von Weiblichkeit. Während die Fotografien in „Frauenkultur – Kontaktversuch“ in einer einzigen Reihe angebracht waren, die von den meisten RezensentInnen als Zeitleiste interpretiert wurde, bildet die in „Salto Mortale“ vorgenommene Hängung ein Tableau. Eine Lektüre der Bilder als zeitliche Abfolge ist damit von vornherein ausgeschlossen. Vielmehr ergeben die einzelnen Fotografien eine Zusammenstellung von verschiedenen Weiblichkeitsbildern, die die Betrachtenden nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden suchen lassen. Auch daher ließe sich folgern, dass an die ‚Kontaktsuche‘ aus dem ersten Teil der Trilogie genau an dem Punkt angeknüpft wird, an dem eine Reflexion über die Darstellungsweise initiiert wurde. Das Verhältnis von Rosenbach zu den befragten Bildern scheint hier von vornherein ambivalent zu sein: Ihre Schaukelbewegung auf die Bilder zu und von ihnen weg kann als (noch) unentschiedene und somit offensiver fragende Haltung gelesen werden, als Anziehung und Abstoßung, Faszination und Ablehnung zugleich. Gleichwohl sich in dieser Performance keine Zeitleiste finden lässt, scheint Zeit dennoch eine wichtige Rolle zu spielen. So sind in dem Tableau mit den neun Marien historische Weiblichkeitsdarstellungen einer Aufnahme von einer zeitgenössischen Frau (Leila Chaled) zentral gegenübergestellt. in der vorgängigen Arbeit

28 Erst in den 1990er Jahren hat sich die Annahme durchgesetzt, dass Geschlecht und eine darauf basierende

vorgegebene Identität ‚Frau‘ nicht existiert. Butler gilt als die prominenteste Vertreterin dieses Ansatzes (1991).

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waren die ethnografischen Porträts und die Aufnahme einer zeitgenössischen weißen westlichen Frau auf einen Vergleich zwischen früheren mit einem aktuellen Weiblichkeitsbild reduziert worden. Im Unterschied dazu ist in „Salto Mortale“ die alteritäre Frauendarstellung (Chaled) eine aktuelle Aufnahme, während historische Weiblichkeit über die christlichen und damit eigenen, westlichen Figuren dargestellt wird (kulturelle Differenz wird hier nicht wie im Primitivismus mit ‚Rückständigkeit‘ oder ‚Vergangenem‘ gleichgesetzt). Rosenbach schaukelt in der Aktion direkt auf die Bilder zu und filmt sie ab. Auf den ersten Blick scheinen die Motive nicht nur zeitlich different, sondern auch inhaltlich gegensätzlich: einerseits die frommen Madonnenfiguren und andererseits die bewaffnete palästinensische Frau mit Kalaschnikow. Beim genauen Betrachten der beiden Bilder und insbesondere in ihrer auf dem Monitor zu sehenden Reproduktion, in der sie sich aufgrund des schnellen Schwenks fast überlagern, werden jedoch auch die Ähnlichkeiten der beiden Weiblichkeitsdarstellungen deutlich: Beide Figuren tragen einen S ­ chleier, und Chaled hat wie die Madonnenfiguren den Kopf zur Seite geneigt. Dort, wo zwei der Marienfiguren das Jesuskind halten, hält Chaled eine Kalaschnikow. Aufgrund dieser unübersehbaren Ähnlichkeiten kann die Paarung nicht einfach als simple Gegenüberstellung einer alternativen Heldinnenfigur zu einem überholten Weiblichkeitsideal gelten (vgl. Berghaus 2007: 331f). Die Madonnenfiguren repräsentieren ein Weiblichkeitsbild, das im christlichen Europa seit dem Mittelalter präsent ist und Jungfräulichkeit, Sittsamkeit, Unterwürfigkeit, aber auch Mütterlichkeit und Fürsorglichkeit als maßgebliche, vermeintlich natürliche weibliche Eigenschaften und Ideale signifiziert.29 Mariendarstellungen sind als Heiligen­ bildnisse zwar auch überhöht, sie weisen Frauen innerhalb der christlichen Weltvorstellung und deren Geschlechterordnung aber auch eine dem Mann unter­legene Position zu. Rosenbach hatte sich schon in früheren Arbeiten mit der Figur der Maria auseinandergesetzt (z.B. in „Glauben sie nicht, dass ich eine Amazone bin“, 1975) und sie auf ihre Vorbildfunktion für heutige Weiblichkeitsbilder befragt. Die Fotografie von Chaled dagegen scheint – zumindest zunächst – ein ganz anderes Bild von Weiblichkeit zu repräsentieren: Leila Chaled war seit Ende der 1960er Jahre ein führendes Mitglied der Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP) und ist in der Weltöffentlichkeit durch zwei Flugzeugentführungen (1969 und 1979) bekannt geworden. Das von Rosenbach verwendete Foto entstand 1972 und wurde sowohl in arabischen als auch in westlichen Ländern schnell zu einer Ikone für den palästinensischen Befreiungskampf. 30 Insbesondere in der deutschen Linken galt sie als Inbegriff des anti-patriarchalen und anti-imperialis-

29 Feministische Forschungen zu Madonnenbildern haben auch gezeigt, dass die Interpretation von diesen

als ‚lieblich‘, ‚sanft‘, ‚schön‘ und ‚sinnlich‘ Begrifflichkeiten sind, die vielmehr den Vorstellungen des 20. Jahrhunderts entsprechen als der Zeit ihres Entstehens. Für eine Zusammenfassung dieser Forschungen s. Paul (2008: 162ff). 30 Der Fotograf dieser Aufnahme von Chaled ist nicht bekannt.

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tischen Widerstands und verknüpfte sich mit einer Solidarität zu Palästina.31 Dass ihrem Bild in dieser Zeit, in der Frauen im Kontext der Zweiten Frauenbewegung nach anderen Weiblichkeitsbildern suchten, eine gewisse Attraktivität zu eigen war, ist nicht weiter verwunderlich. Sie stand für weibliches Selbstbewusstsein, Mut und kämpferischen Eigensinn. In ihrer 1973 auch auf Deutsch veröffentlichten Autobiografie ist zu lesen, wie auch Chaled sich in Palästina mit einem Patriarchat auseinandersetzen musste (1973: 45). Insofern erfüllten ihr Bild, ihre Geschichte, aber auch ihre eigenen Aussagen verschiedene Funktionen, die sie zur Feministin, zur weiblichen Heldin und zum alternativen Weiblichkeitsentwurf machten, ­eröffneten gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, sich in ein oppositionelles Verhältnis gegenüber Israel zu situieren. Im Lauf der 1970er Jahre wurde diese Lesweise von Chaleds Bild jedoch durch eine Kampagne der Massenmedien erschwert, die dazu führte, dass sich die feministische Bewegung Überlegungen zu dieser Form von Weiblichkeitsbildern machen musste. Vor allem im Jahr 1977, dem sogenannten ‚deutschen Herbst‘, waren Bilder von jungen militanten Frauen, die an nicht staatlichen und gewalttätigen Organisationen wie der RAF teilnahmen, zunehmend in den Massenmedien präsent. Mehr als ein Drittel der unter anderem mit Hilfe von Plakaten gesuchten RAFMitglieder waren weibliche Aktivistinnen. Das Verhalten der gesuchten Frauen, die oft aus gutbürgerlichen Familien kamen, widersprach konservativen Rollen­ vorstellungen. Die Medien reagierten darauf, indem sie in Berichterstattungen angstbesetzte Frauenbilder (Hexen, Amazonen, Flintenweiber) aktivierten, um damit ein Bedrohungsszenario in der BRD zu inszenieren. Irene Bandhauer-Schöffmann analysiert, wie die jungen Frauen der Terrorgruppen in der medialen Öffentlichkeit mit dem Feminismus verknüpft und ihre Aktionen als pervertierte und exzessive Emanzipation dargestellt wurden (2009). Feministinnen waren daher quasi gezwungen, zu diesem Diskurs, der sich dezidiert gegen den Feminismus wandte, Stellung zu beziehen. Bandhauer-Schöffmann legt dar, wie in verschiedenen feministischen Zeitschriften (z.B. in der Zeitschrift Emma, Oktober 1977) das Thema Terrorismus verhandelt wurde und man sich von den aktivistischen Frauen zunehmend distanzierte. Weibliche Terroristinnen, wie Chaled, konnten vor diesem Hintergrund nicht mehr einfach als alternative ­Heldinnen gefeiert werden. Rosenbach hat in demselben Jahr begonnen, mit der Fotografie einer als Terroristin bezeichneten palästinensischen Frau zu arbeiten. Die Fotografie entspricht jedoch nicht der Ikonografie angstbesetzter Frauenfiguren. Die genannten Ähn-

31 Das Bild von Chaled in der deutschen Linken analysierte Annette Vowinckel in ihrem Vortrag „Leila Khaled

und Souhaila Andrawes: Kulturelle Codierungen im Kontext der bundesdeutschen Palästinasolidarität“ im Rahmen der Tagung „Terrorismus, Geschlecht und Gesellschaft in den 1970er Jahren“ an der Universität Gießen am 28./29.1.2010 (vgl. die Rezension von Johannes Pause (2010) auf H-Soz-Kult, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin. de/tagungsberichte/id=3092, letzter Zugriff Juni 2014).

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lichkeiten zu den Mariendarstellungen lassen Chaled mehr wie eine Heilige und weniger wie ein ‚Flintenweib‘ erscheinen. Gerade in dieser Ähnlichkeit der eigentlich für Widerstand stehenden Ikone wird deutlich, dass sie tradierten Weiblichkeitsbildern entspricht. In der Weise, in der Chaled fotografisch festgehalten ­w urde, erfüllt sie ein Idealbild von Weiblichkeit. Der zur Seite geneigte Kopf, die niedergeschlagenen Augen und die schlanken, eleganten Hände signalisieren weniger Aktivität als weibliche Unterwürfigkeit. Ihr Gesicht erscheint zart und jugendlich (sogar jungfräulich?), nicht ein Charakterbild, sondern eine Projek­tionsfläche wird über diese fotografische Inszenierung kreiert. Nicht Widerständigkeit, Kämpfertum, Selbstständigkeit, sondern Unterordnung unter ein höheres (‚allgemeines‘) Ziel ist hier bedeutet. Die Ausweglosigkeit in der Suche nach alternativen Weiblichkeitsdarstellungen wird mit dem Ermöglichen der beschriebenen Ref lexion von Rosenbach auf die Bühne gebracht und befragt. Auch darüber wird deutlich: Die Suche nach einer ‚Frauenkultur‘ entspricht einem Salto mortale. Dass Chaled ethnisch markiert ist und aus dem sogenannten Orient bzw. aus Palästina kommt, ist aufgrund der ­Inszenierung der Fotografie inmitten der ethnografischen Porträts nicht wegzudenken. Allerdings scheint weniger der Aspekt zentral, dass sie Teil einer Organisation für die Befreiung Palästinas war, die in Teilen der deutschen Linken eine problematische und umstrittene Sympathie genoss. Vielmehr ist die Arbeit eine Ref lexion über alternative Frauenbilder und über das Versprechen, dass gerade alteritäre Frauenbilder produzieren. Indem Chaleds Fotografie inmitten von anderen kulturell differenten Weiblichkeiten platziert ist und auch zu diesen formale Ähnlichkeiten deutlich werden, sind sie der gleichen repräsentationskritischen Analyse unterzogen. Die formalen Ähnlichkeiten lassen sich vor allem in der Kleidung (im Schleier oder im entblößten Oberkörper) ausmachen, aber auch in den Körperhaltungen oder allgemeiner in ihren Silhouetten. Dadurch erscheinen auch die anderen porträtierten Frauen weniger als Alternativen zu dem europäischen Weiblichkeitsbild der Maria, sondern als entweder ähnlich oder – nach dem M ­ uster „Heilige oder Hure“ – konträr. Deutlich wird, dass auch sie Teil eines patriarchalen Bilderrepertoires sind. Mit dieser Kombination von Bildern lässt sich die Erkenntnis ableiten, dass die ethnografischen Porträts ebenso wie die zur Ikone gewordene Chaled auf den ersten Blick ein Versprechen von einer ‚weiblichen Kultur‘/‚Frauenkultur‘ und evtl. auch einer essentialistisch begründeten transkulturellen Schwesterlichkeit ‚jenseits‘ patriarchaler Macht geben. Auf den zweiten Blick stellen sich aber auch diese Bilder als von patriarchalen Darstellungsparametern bestimmt und innerhalb hegemonialer Strukturen existierend heraus. Offensichtlich wird, was Silvia Bovenschen ungefähr zeitgleich mit Rosenbachs Arbeit theoretisch beschrieben hat, wie in historischen Umbruchszeiten neue Diskurse entstehen, in denen alte Bilder gleichsam recycelt und den neuen Bedürfnissen angepasst werden (Bovenschen und Gorsen 1976). Rosenbachs Tableau ermöglicht die Erkenntnis, dass die Bilder von alteritärer (auch palästinensischer) Weiblichkeit von ähnlichen hegemonial

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männlichen Normen und Konventionen bestimmt sind wie die weißer Weiblichkeit. Aufgeworfen wird in dieser Zusammenstellung also eher die Frage, inwiefern Fotografien von Frauen differenter Kulturen (selbst solche, die in linken Zusammenhängen zirkulieren) ebenfalls ein Produkt patriarchaler und hegemonial ­weißer Strukturen sind und inwiefern sie Vorbildfunktionen erfüllen bzw. selbst nach Vorbildern erstellt wurden, über die sie dann zur Aufrechterhaltung bestehender Machtverhältnisse beitragen. Dass zwischen die ethnografischen Porträts auch Fotografien von zeitgenössischen Frauen gesetzt sind, die zum Teil aus feministischen Zusammenhängen stammen, verstärkt den fragenden Charakter der Performance. Wenn vereinzelt auch Aufnahmen von ethnisch markierten Männern in das Tableau integriert sind, kann das als Hinweis gelten, dass diese ebenso einem patriarchalen und ‚weißen‘ Blickregime unterliegen. Das Tableau stellt dieses Blickregime zur Debatte. So geht die Performance einem Paradox nach, das in „Frauenkultur – Kontaktversuch“ als Problem bereits aufschien und hier nun umso deutlicher wird: Die meisten der Weiblichkeitsbilder bergen ein reizvolles, ermächtigendes Versprechen, sie rekurrieren in ihrer Repräsentation jedoch auf patriarchale und weiße Strukturen sowie Darstellungsparameter.32

Einkleidungen von Weiblichkeit In „Salto Mortale“ wird die Aufmerksamkeit auf Kleidung als einem weiteren wichtigen Aspekt gelenkt. Kleidung wurde von der Künstlerin in der Aktion selbst in besonderer Weise in Szene gesetzt, sie bildet aber auch ein wesentliches Detail der Porträts im Tableau. Auffallend ist, dass sich Rosenbachs Kleidung von der in den vorangegangenen Aktionen getragenen unterscheidet. Während Rosenbach sonst meist in einem eng anliegenden weißen oder roten Trikot aufgetreten war, das ihrer eigenen Aussage zufolge zu einer maximalen Bewegungsfreiheit beitrug (Rosenbach 1982: 44), war sie in „Salto Mortale“ mit einem körperbetonten, ­r ückenfreien Oberteil aus schwarzem, glänzenden Stoff und einem als klassisch weiblich geltenden langen schwarzen Rock bekleidet. Die Länge und der ausgestellte Schnitt des Rockes entsprachen weder der gängigen Mode der späten 1970er Jahre noch der Alltagskleidung, wie sie in feministischen Zusammenhängen ­getragen wurde.33 Rosenbachs Kostümierung erinnert vielmehr an aufwendig

32 Selbst in den Mariendarstellungen ließe sich ein solches Versprechen weiblicher Ermächtigung, als

Versprechen von Teilhabe und der Zuschreibung besonderer Fähigkeiten, erkennen. 33 Karen Ellwanger und Annette Hülsenbeck haben dargelegt, dass in den 1970er Jahren in der Frauenbewegung eine Kleidung getragen wurde, die Informalität betonte und in Distanz zur herrschenden Mode stand (1988). Kleider und Röcke spielten dabei kaum eine Rolle. Rosenbachs Einkleidung setzte sich von dieser feministischen Bekleidungskultur ab, sie orientiert sich aber auch nicht an der gängigen Mode, die Tendenzen aus der Frauenbewegung durchaus aufnahm und männliche Bekleidung für Frauen elegant anpasste (ebd.).

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gestaltete und materialreiche Gewänder, wie sie von Porträts europäischer Herrscherinnen bekannt sind, die sich aber auch in den ethnografischen Frauenporträts finden lassen und in feministischen Kontexten als Verkleidung auf sogenannten ‚Frauenfesten‘ getragen wurden.34 Ähnlich der genannten Referenzen strahlt auch Rosenbachs schwarze Einkleidung etwas Elegantes, Feierliches aus und lässt sie festlich, aber auch selbstbewusst und in gewisser Weise mächtig erscheinen. Rosenbach wiederholt mit ihrem Schatten die Silhouette der in Kleidern porträtierten Frauen aus den verschiedenen Kulturen, projiziert diese zurück auf die Porträts und reiht sich damit in das Bildertableau ein. Hierin lässt sich erneut ein Verweis auf weibliche Machthaberinnen und auf matriarchale Kulturen sehen, auch eine Suche nach einem spirituellen Verständnis von ‚Weiblichkeit‘. Letzteres wird noch durch das in spirituellen Zeichensystemen bedeutsame Symbol des Kreises35 und dem verwendeten Salz, was ein ebenfalls spirituell aufgeladener Stoff ist,36 unterstrichen. Der Schattenwurf und das wiederholte Hin-und-her-Bewegen in der Luft sowie das Klingeln der Glöckchen erinnern an sagenhafte oder rätselhafte Figuren wie Hexen oder fliegende Wesen (z.B. ein großer Falter). Angerufen werden damit Erzählungen, die zwar Gefahr laufen, sich in spirituelle, mystische Vorstellungen zu f lüchten, die aber auch ein widerständiges Potential und damit ein ermächtigendes Versprechen gegenüber kulturell tradierten Codierungen von Weiblichkeit produzieren, insofern die darin konzipierten Frauenfiguren zumindest nicht nahtlos in der dominanten hegemonialen Bildkultur aufgehen.37 Unterstützt wird die Anspielung auf rätselhafte Figuren durch Rosenbachs offene Haare, die Darstellungen der Medusa aus der griechischen Mythologie ­assoziieren lassen. Angespielt wird damit auf eine weibliche Figur der europäischen Kulturgeschichte, die Rosenbach schon vorher als positiv besetztes Gegenbild zu den passiven und auf Schönheit reduzierten Venusdarstellungen verwendet hatte (in „Venusdepression – Medusaimagination“, 1977). Der griechischen

34 Frauenfeste sind seit den späten 1960er Jahren eine wichtige kollektive Praxis in der Geschichte der

Frauenbewegung. Insbesondere in den 1970er Jahren wurden verschiedene Feste in historischer Kostümierung ausgerichtet, die sich auf Göttinnen, Matriarchate und Priesterinnen beriefen. Eine historisierende und kritische, aber auch anerkennende Perspektive auf solche Feste nimmt Cillie Rentmeister ein (1998). 35 Seit Beginn ihrer künstlerischen Praxis hat Rosenbach immer wieder Arbeiten erstellt, in denen sie den Grundriss eines Kreises verwendet. Angerufen sind dabei Assoziationen an Erde, Welt, aber auch Ganzheit, Kreislauf der Natur und Rituale verschiedener Kulturen (von Wiese 1986: 28). Kreis und runde Formen sind immer wieder als ‚weiblich‘ benannt worden, so etwa auch von Paul Klee (s. dazu Egglhöfer 2011: 192) oder Georg Simmel (1919: 277). 36 Berghaus erläutert, das Salz würde in Rosenbachs Arbeiten auf einen frühen Kult der Magna Mater verweisen, eine allmächtige Mond- und Erden-Gottheit, die mal als liebende Mutter und mal als zerstörend galt (vgl. 2007: 331). Über diese Anspielung wird ein spirituelles Verständnis von Weiblichkeit weiter gestützt. 37 Zeitgleich mit Rosenbachs Anspielungen auf diese Mythen hat Bovenschen solche Bilderproduktionen in der Kunst von Frauen diskutiert. Sie beschreibt, dass „das Bild des Mannes von der Frau“ auch „das Bild der Frau von der Frau“ mitprägt, und zwar nicht einfach aus unreflektierter Affirmation, sondern weil dieses Kunstprodukt „wenn auch in verdeckter Form, Momente weiblicher Wahrheit, weiblichen Widerstands, weiblichen Andersseins, das darin dann als Geheimnis und Rätselhaftigkeit erscheint, in sich aufnahm“ (1979: 69). Über diese theoretische Position von Bovenschen reflektiert Stephen (2005: hier insbesondere S. 124).

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Mythologie zufolge ist der Blick der Medusa tödlich, womit ein ‚weibliches Blicken‘ erneut thematisiert wird. Die in Rosenbachs Performance angelegte und hier von mir verfolgte Assoziationskette reicht von festlicher weiblicher Kleidung und einem Feiern ‚weiblicher‘ (Bekleidungs-)Tradition über spirituell-mystische, ­sagenhafte und rätselhafte Anspielungen, aber auch die mythologische Frauenfigur der M ­ edusa zu einer Formation, die insgesamt eher ermächtigende Aspekte von Weiblichkeit betont. Den ermächtigenden Elementen wird in Rosenbachs Aktion aber auch etwas entgegengesetzt: Dadurch, dass die Bekleidung der Künstlerin den Blick auf ihren nackten Rücken zuließ, stellte sie auch eine visuelle Verbindung zu den wenig bis gar nicht bekleideten, entblößten fotografierten Frauen her, die im Kontext des europäischen Blickregimes als sexualisiertes Objekt zu sehen gegeben werden. Nackte weibliche Körper galten in den 1960er und 1970er Jahren durchaus als ‚natürliche Weiblichkeit‘ signifizierend und somit genuin ‚weiblich‘, hier aber wird dadurch, dass die Künstlerin in der zweiten Hälfte der Performance mit dem Kopf nach unten am Trapez hängt, sodass ihr Rock über ihren Oberkörper fällt und ihr Unterkörper den Blicken der ZuschauerInnen ausgesetzt ist, insbesondere ein Akt der Entblößung betont. Der herunterhängende Rock lenkt die Blicke auf ihren Unterkörper, der wiederum mit einer schwarzen, jeansähnlichen und eher männlich konnotierten Hose bekleidet ist. Das bei den ZuschauerInnen evozierte Begehren, unter dem Rock ‚mehr‘ sehen zu können, wird letztlich nicht eingelöst. Zwar spielt die Inszenierung damit, sich den Blicken der ZuschauerInnen preiszugeben, verhindert wird eine solche Präsentation aber nicht nur durch die Hose, auch der herunterhängende Rock verhindert ein Angeschaut-Werden und bildet so gleichzeitig eine Art Schutzraum, in den sich Rosenbach hüllt. Dabei verunmöglicht dieser ‚Raum‘ in dem Moment der Entblößung aber auch Rosenbachs Blick und schränkt sie dadurch stark ein. Der auf diese Weise verstellte Blick der Künstlerin bringt sie in die Position des Objekts und nicht in die des Subjekts des Blickes. Betont und gleichzeitig auch entgegnet wird dem Nicht-Blicken-Können dadurch, dass Rosenbach nun mit der Kamera ihre Augen abfilmt. Die Augen und darüber der ‚weibliche Blick‘ standen auch schon in „Frauenkultur – Kontaktversuch“ für einen wichtigen, ermächtigenden und widerständigen Moment. In „Salto Mortale“ bleibt dieser Moment weiter präsent, wird aber expliziter in einen Zusammenhang mit dem Zeigen und Nicht-Zeigen des weiblichen Körpers durch Kleidung gestellt. Der Rock hat hierbei eine ambivalente Funktion: Er bietet Schutz vor den Blicken anderer, er verunmöglicht aber auch das Blicken von Rosenbach selbst und verweist im Herunterhängen auf Entblößung. Gleichzeitig wird dabei mit einem Ent- und Verhüllen von Rosenbachs Körper und durch die visuellen Korrespondenzen auch mit denen der anderen Frauen gespielt. Ein Angeblickt-werden und Selbst-BlickenKönnen wird in Zusammenhang gebracht mit dem Zeigen und Verdecken des weiblichen Körpers. Thematisiert wird damit das Situiert-Sein in einem patriarchalen Blickregime. Bezüglich der Funktion der Kleidung wird jedoch keine eindeutige Aussage gemacht. Vielmehr scheint die Performance die Bedeutung weib-

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lich codierter Kleidung und darüber das Präsentieren des weiblichen Körpers zur Disposition zu stellen.38 Die Anspielung auf Praktiken des Zeigens und Ausstellens weiblicher Körper ist zusätzlich dadurch präsent, dass das körperliche Agieren auf der Schaukel an Varieté und Jahrmarkt erinnert. Die Bezugnahme auf populärkulturelle Praktiken im Kunstkontext und damit in einem eher bürgerlichen Zusammenhang ist nicht ohne Ironie. Im bürgerlichen Kulturverständnis gilt die körperliche Aktion von Frauen als etwas Anrüchiges, Unseriöses und nicht als etwas konzeptionell Durchdachtes, Ernstzunehmendes (vgl. Rosenbach 1979: o.P.). Thematisiert wird so nicht nur die Position von Frauen im patriarchalen Blickregime, sondern auch die damit verbundene ambivalente Situation der Künstlerin im Kunstbetrieb. Rosenbach changiert zwischen der Position, selbst Objekt des Blicks zu sein und dann eigentlich nicht blicken zu können, und der Position, Subjekt des Blicks zu sein und blicken zu können, insbesondere mittels Videotechnologie. Betont wird die Schwierigkeit und Gefahr, als Akteurin in einem männlich dominierten Kunstbetrieb zwar mittlerweile, wenn auch eingeschränkt, zugelassen zu sein, dabei aber nicht ernst genommen zu werden, weil es kaum/keine weiblichen im feministischen Sinne ‚positiven‘, das heißt unbelasteten ‚Vor-Bilder‘ gibt. Das Agieren als Künstlerin droht daher gerade im Erproben veränderter künstlerischer Methoden und Strategien nicht als Kunst, sondern als Populärkultur abgetan zu werden. Rosenbach spielt auf diesen Aspekt offensiv und ironisch zugleich an. Das Exponieren des eigenen Körpers in der Performancekunst gerade auch von feministischen Künstlerinnen in den 1970er Jahren hatte die Frage aufgeworfen, inwiefern mit dem eigenen Körper gearbeitet werden konnte, ohne diesen erneut einer männlichen Schaulust als Objekt darzubieten. Vor diesem Hintergrund war die Frage virulent, ob Nacktheit bzw. eine Nacktheit assoziierende Kleidung oder eher ein Verhüllen des Körpers nötig war, um sich patriarchalen Bildern und einem patriarchalen Blickregime zu widersetzen.39 Die so gestellte Frage findet ihren Widerhall in den Bildern des Tableaus, das wie ein Bühnenbild Rosenbachs Aktion in „Salto Mortale“ rahmt: Einige der Frauen auf den ethnografischen Porträts sind mit entblößtem Oberkörper abgebildet, andere dagegen bekleidet oder verschleiert. Auch unter den zeitgenössischen Fotografien lassen sich verschiedene Repräsentationen des weiblichen Körpers ausmachen, so ist mindestens eine zeitgenössische Aufnahme von einem weiblichen Ganzkörperakt vorhanden (4. Reihe von oben, sechste v.r.), eine andere zeigt eine blonde Frau mit einem schulterfreien Oberteil (2. Reihe von unten, siebte v.l.), weitere Frauen sind gänzlich bekleidet abgebildet, mit Chaled ist auch eine zeitgenössische Kopftuchträgerin dargestellt. Folgern lässt

38 Claudia Lupri sieht in der Arbeit „Frauenkultur – Kontaktversuch“ ebenfalls eine Auseinandersetzung mit

der Bedeutung von Kleidung (1989). Sie liest diese allerdings wiederum als einen Freiheitsgrad von Frauen anzeigend. 39 Rosenbach reflektierte darüber theoretisch anlässlich der Verleihung des Gabriele Münter Preises (1998: 96).

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sich, dass die Arbeit die Schwierigkeit bis Unmöglichkeit thematisiert, Weiblichkeit ‚jenseits‘ des Patriarchats und eines patriarchalen Blickregimes zu repräsentieren. In der Arbeit „Frauenkultur – Kontaktversuch“ hatten einige Rezensenten die zeitgenössische weiße Frau als am stärksten und eine außereuropäische Frau als am wenigsten von patriarchalen Strukturen beeinflusst gelesen. Für die Präsentationen der Porträts in „Salto Mortale“ macht diese Interpretation keinen Sinn, denn die Frauen sind hier eindeutig nicht in eine chronologische oder graduelle Ordnung gestellt, sondern, so ließe sich folgern, alle sind einem hegemonial männlichen (Blick-)Regime unterworfen. Dabei erzeugt die Arbeit jedoch nicht den Entwurf eines einzelnen Patriarchats. Vielmehr werden in dem Tableau Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen den kulturell differenten Formen der Einkleidung von Weiblichkeit offensichtlich. Deutlich wird dabei außerdem, wie die fotografischen Inszenierungen immer wieder auf ähnliche Darstellungsparameter in der Visualisierung von Weiblichkeit und hierbei auch kulturell differenter Weiblichkeit rekurrieren. Verwiesen wird damit zum einen darauf, dass alle verwendeten fotografischen Aufnahmen aus der Perspektive des weißen Blicks und für den weißen Blick erstellt wurden, zum anderen stellt die Arbeit die Annahme von einer eindeutig auszumachenden Graduierung einer ‚Unterdrückung‘ von Frauen unterschiedlicher Kulturen infrage. Letzteres lässt sich in dem Tableau anhand des Motivs des Schleiers pointieren.

Der Schleier Ab dem Moment, in dem Rosenbach am Trapez mit dem Kopf nach unten hängt und der Rock über ihren Oberkörper fällt [Abb. 53], ist sie verschleiert – wenn auch quasi falsch herum. Visuell nimmt sie damit das Motiv des Schleiers der Madonnenfiguren, aber auch der porträtierten verschiedenen alteritären Frauen auf (neben Schleiern, die das Haar bedecken, wie auch bei Chaled, ist ein Ganzkörperschleier auf dem 7. Foto v.re. in der 3. Reihe von oben zu sehen). Der Schleier wird so nicht nur als Phänomen differenter Kulturen, sondern ebenso als westliche und christliche vestimentäre Praxis vorgeführt.40 Damit relativiert die Zusammenstellung der Fotowand die Annahme von kulturellen Differenzen und verweist auf ähnliche Praktiken in der Einkleidung von Weiblichkeit. Außerdem wird die Verschleierung im Tableau weder als ‚schlechtere‘ Kleidungsform im Sinne von einengend, beschränkend noch als ‚bessere‘ den entblößten oder weniger bedeckten Körpern entgegengehalten. Vielmehr wirft die Zusammenstellung die Frage auf, ob überhaupt eine der Bekleidungspraktiken als ‚freier‘/’befreiter‘ als die anderen verstanden werden kann. Das westliche Entblößungs-Gebot, oder wie Silke Wenk es bezeich-

40 Der Tradition des Schleiers und des Bedeckens des Haares im Christentum sind Christina von Braun und Bettina Mathes nachgegangen (2007: insbesondere 60ff).

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net hat, Sichtbarkeitsgebot (2008: 41), das ein Entschleiern und das Zu-sehenGeben von viel nackter Haut mit einer ‚Befreiung‘ gleichsetzt, wird darüber ebenso infrage gestellt wie die Projektionen auf verschleierte Frauen (Chaled oder auch iranische Frauen) als besonders Widerständige, wie sie innerhalb ‚der Linken‘ gemacht wurden und immer noch werden. Aus heutiger Perspektive ist das Thema des Verschleierns und Verhüllens, aber auch des Enthüllens des weiblichen Körpers in Zusammenhang mit kultureller Differenz und einer Graduierung der ‚Freiheit‘ von Frauen wieder hochaktuell. Eine Lektüre des Tableaus, die diese Aspekte hervorhebt, ist vor dem Hintergrund zeitgenössischer Debatten über das Kopftuch bzw. den Schleier muslimischer Frauen daher besonders naheliegend. Die Bedeutungen der Einkleidungspraktiken muslimischer Frauen war aber auch schon in den 1970er Jahren Thema. Insbe­ sondere mit der Revolution im Iran Ende der 1970er Jahre wurde die Frage nach einer feministischen Haltung zum Schleier virulent. So schreibt Edith Laudowicz (1988: 127) in einem Rückblick: „Innerhalb der Frauenbewegung entbrennt erneut eine Diskussion über die Frage, ob Islam, Verschleierung und Orientierung auf einen religiösen Führer vereinbar sind mit dem Ziel der Frauenemanzipation. Während viele Linke (Männer und Frauen) einschließlich der iranischen Frauen das Anlegen des Schleiers als Protestmaßnahme gegen Verwestlichung und als Rückkehr zur eigenen nationalen Identität verteidigen und nur als vorrübergehende Maßnahme ansehen, bleiben zahlreiche weiße Feministinnen dieser Revolution mit ihren so offenkundig patriarchalen Zügen skeptisch gegenüber.“41 In Rosenbachs Performance ist die Frage nach einer feministischen Haltung zur Verschleierung thematisiert. Dabei widerspricht das Tableau in seiner Zusammenstellung der westlich tradierten Vorstellung, die eine Verschleierung von Frauen nahezu ausschließlich als Zeichen der Unterdrückung von diesen und weitergehend als Beleg für eine Rückständigkeit der islamischer Länder und ­Kulturen liest. Rosenbachs Arbeit deckt aber auch auf, dass ein Sich-Verschleiern nicht per se eine widerständige Praktik ist oder sich von westlichen Bildtraditionen unterscheidet. Ihre Arbeit ergreift keine Partei für oder gegen die Verhüllung von Frauen, sondern die Zusammenschau zeigt sowohl westliche als auch nicht ­westliche Frauen als patriarchalen Konventionen unterliegend, verweist dabei aber auch auf Möglichkeiten des Widerstands. Eine Möglichkeit der ‚absoluten Befreiung‘ von dieser Situation wird jedoch nicht in Aussicht gestellt – die Aktion ist ein Salto Mortale! In dieser Lektüre lassen sich die Frauenporträts weder als Abbild von natürlicher und transkultureller Schwesterlichkeit lesen noch als Signifikanten für ‚die Unterdrückten‘ eines universellen Patriarchats. Vielmehr werden die Versprechen und Projektionen aufgedeckt, die Bilder von kulturell differenten Weiblichkeiten bergen. Stand am Anfang der Trilogie vielleicht noch der Verdacht, eine

41 Über „Feministische Blicke auf die ‚andere Frau‘“ mit Schleier s. ebenfalls von Braun und Mathes (2007:

hier 210ff).

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Abb. 55 und 56 Ulrike Rosenbach Meine Macht ist meine Ohnmacht 1978

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Form der ‚Frauenkultur‘ im Sinne einer weiblichen Ermächtigung und andere Weiblichkeitsentwürfe in anderen Kulturen zu finden, erweist sich ein solcher Versuch nun als gefährlicher Salto Mortale.

Meine Macht ist meine Ohnmacht In dem letzten Teil der Trilogie erhalten die ethnografischen Fotografien abschließend noch mal eine andere Form der Aufmerksamkeit. Rosenbach verwendete sie in der dritten Performance erneut als Hintergrund für eine künstlerische Aktion. War die ‚Kontaktsuche‘ nach einer ‚Frauenkultur‘ in der vorgängigen Aktion als ‚Salto Mortale‘ kommentiert worden, setzte sich Rosenbach in dem dritten Teil mit der aussichtslos erscheinenden Situation von Frauen in patriarchalen Kulturen und den Möglichkeiten, aus dieser Situation heraus feministisch agieren zu können, auseinander. „Meine Macht ist meine Ohnmacht“ [Abb. 55, 56] lautet der aussagekräftige Titel dieser dritten Performance, der laut Glüher einem Zitat von Herbert Marcuse entlehnt ist (2004: 73).42 Rosenbach nimmt damit eine Position ein, die ähnlich wie Marcuse dafür plädiert, Eigenschaften, die Frauen zugeschrieben werden und zur Abwertung von Weiblichkeit und zur Begründung ihrer vermeintlichen Unterlegenheit verwendet werden, z.B. Passivität, einfach ‚positiv‘ umzucodieren. Die im September 1978 im Kunstmuseum Düsseldorf aufgeführte Performance bestand darin, dass Rosenbach drei Stunden lang, ohne sich zu bewegen, in einem großen weißen Netz hing, das an der Decke eines Ausstellungsraums aufgespannt war. Erika Kiff l hat die Aktion fotografisch dokumentiert [Abb. 55]. Zu sehen ist auf den Aufnahmen von der Aktion, dass Rosenbach für diese erneut ein schon mehrfach verwendetes weißes, eng anliegendes Trikot trug. Vor den Fenstern des Performance-Raums hingen die ethnografischen Porträts – diesmal allerdings nicht in Positivform, sondern als Negativbilder [Abb. 56]. Der Boden des Raums war auch in dieser Aktion mit einem Kreis aus Salz bedeckt, an der Decke direkt darüber war ein kreisrunder Spiegel angebracht. Durch einen Scheinwerfer wurde ein Schatten von Rosenbach auf die weiße Salzfläche projiziert, der wiederum von einer Videokamera abgefilmt und wie die Fotografien in ein Negativbild trans­ formiert und auf einem Monitor präsentiert wurde. Auf diesem Monitor wurde in unregelmäßigen Abständen folgendes Zitat von Marcuse gezeigt: „Die wuetende Ohmacht, die den Tod der vitalen Aktivitaet der Maennergesellschaft, ihrer zwanghaften Virilitaet einlaeutet, wo Frauen einen gegenteiligen Traum ­t raeumen, in Metamorphose denken, ihre zur OHNMACHT gewordene MACHT überwinden, sich verwandeln, sich neu denken.“ 43

42 Die genaue Herkunft des Zitats konnte ich nicht rekonstruieren, zu diesem Recherche-Ergebnis kommt auch

Glüher (2004: 83, Fußnote 30). 43 Zit. n. dem Screenshot im Ausst.-Kat. „Fünf in Köln“ (1979: o.P.).

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Während der gesamten Aktion war der Atem der Künstlerin und das von ihr gesprochene Wort ‚Frau‘ über Lautsprecher zu hören.44 Nach drei Stunden beendete Rosenbach die Aktion, indem sie langsam anfing, das Netz mit einer Schere zu durchschneiden, wodurch sie allmählich auf den Boden fiel.

Gefangen und ohnmächtig, aber vor welchem ‚Hintergrund‘? Das Hängen im Netz der Künstlerin vermittelt zusammen mit dem Titel eine ­Situation des ohnmächtigen Gefangenseins. Im Gegensatz zu „Salto Mortale“ ist hier fast keine Bewegung mehr möglich. Umgeben ist Rosenbach während dieser Aktion erneut von ethnografischen Fotografien von Frauen, diesmal allerdings wieder – wie auch schon in „Frauenkultur – Kontaktversuche“ – ausschließlich von diesen. Anders als in den vorangegangenen Aktionen nimmt sie jedoch mit den Frauenfotografien keinen ‚Kontakt‘ auf, weder mit einer Kamera, noch indem sie sich auf sie zu bewegt. Ins Verhältnis setzte sie sich zu den sie umgebenden Frauen­ porträts lediglich dadurch, dass ihr Schattenbild wie die Porträts in eine Negativform transformiert wurde. Wie bei den Frauenporträts sind weiße Elemente nun schwarz und schwarze in Weiß abgebildet, das per Video aufgenommene Schattenbild von Rosenbachs Körper erscheint dementsprechend in Weiß auf dem Monitor. So gleicht sich die Künstlerin optisch den porträtierten, kulturell differenten Frauen an, während sie eine ausweglose Situation inszeniert. Kommentiert wird diese Situation mit dem von ihr selbst gesprochenen Wort ‚Frau‘ und von dem Marcuse-Zitat. In dem Zitat wird die Macht, die Frauen in patriarchalen Gesellschaftsstrukturen besitzen, als Ohnmacht beschrieben. Diese Ohnmacht wird der „vitalen Aktivität der Männergesellschaft“ gegenübergestellt. Die Situation von Frauen ist demzufolge zwar eine ohnmächtige, sie wird jedoch auch als wütende beschrieben und als den Tod der „Aktivität der Männergesellschaft“, die als „zwanghafte Virilität“ konkretisiert wird, einläutend. Die gemeinte Ohnmacht ist dabei nicht als eine handlungsunfähige oder effektlose gedacht. In den nächsten Zeilen wird eine Handlungsfähigkeit genauer beschrieben: einen zur Männergesellschaft gegenteiligen Traum träumen, in Metamorphosen denken, Ohnmacht überwinden, sich verwandeln und sich neu denken. Hier stellt sich die Frage, in welche Richtung dieses Träumen, Sich-Verwandeln, Überwinden und Neu-Denken gehen soll und wie sich diese Aussage zu den in Negativbilder transformierten ethnografischen Frauenporträts verhält. Stephan von Wiese versteht die als Negativform gezeigten Frauenporträts als „verdunkelt und erloschen“ und „noch mehr in die Ferne gerückt“ (1979: o.P.). Seine Lektüre entspricht erneut einem evolutionistischen Weltbild. Die von ihm

44 Ähnliche auditive Effekte hat sie auch in anderen Arbeiten verwendet, so lief beispielsweise in der Installation

„Herakles – Herkules – King Kong“, 1977, ein 20-minütiges Videoband, auf dem Rosenbachs Gesicht zu sehen war und auf dem sie ununterbrochen das Wort ‚Frau‘ wiederholt, s. dazu Paul (1998: 203f).

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vorgenommene Lesart liegt insofern nahe, als die Transformation in Negativbilder gerade in der Filmsprache ein beliebtes Mittel ist, um auf Vergangenes und in der Erinnerung zumindest latent Vorhandenes zu verweisen. Da das Zitat jedoch von „in Metamorphosen denken“, von „sich verwandeln“ sowie „sich neu denken“ spricht, scheint eher der Aspekt der Verwandlung im Vordergrund zu stehen. Verstärkt wird eine solche Lektüre auch durch eine im gleichen Jahr erstellte Arbeit von Rosenbach, „Meine Verwandlung ist meine Befreiung“, 1978. Mit dem Zitat von Marcuse folgt Rosenbach einem Theoretiker, der Frauen zu einem ‚revolutionären Subjekt‘ erklärt hat und vom ‚subversiven Potential‘ des Feminismus innerhalb der patriarchalischen Gesellschaft schwärmte (vgl. ­Marcuse in einem Gespräch mit Bovenschen und Marianne Schuller, 1978: 66, über das Gespräch s. auch Stephen 2005: 123). Marcuse geht von der Auffassung aus, dass feminine Eigenschaften sozial determiniert seien (1975: 10), er stellt eine Theorie auf, nach der diese femininen Eigenschaften, insbesondere ‚Passivität‘ und ‚Rezeptivität‘, umgewertet und gegen männliche Prinzipien eingesetzt werden sollten: gegen destruktive Produktivität, Aggression und das Leistungsprinzip (1978: 65). Auch bei Rosenbach scheint es um eine Umwandlung zu gehen. Analog zum Vorschlag der Umbewertung als weiblich deklarierter Eigenschaften wandelt ­Rosenbach die Bilder von einer Positiv- in eine Negativform um: ihr eigenes Bild wird in einen schwarzen Schatten und dann in ein Negativbild transformiert, und auch die ethnografischen Frauenporträts sind in Negativform visualisiert. Obwohl diese Analogie nicht ganz aufgeht (die negative Bewertung wird über Positivbilder und die positive Umwertung über Negativbilder signifiziert), scheint die Künst­lerin Marcuse insofern zu folgen, als auch hier ‚Passivität‘ über das reglose Im-NetzHängen dargestellt ist. Bovenschen und Schuller kritisieren an Marcuses Theorie, dass dem Weiblichen dabei erneut eine Kreativität und eine aktive Subjektposition versagt würden und außerdem eine Umwertung der vermeintlich ‚weiblichen‘ Eigenschaften keine Lösung sei, da Weiblichkeit nur als männliche Projektion existiert. Diese Kritik ließe sich auch auf Rosenbachs Arbeit beziehen. Dass eine Umcodierung nicht einfach möglich ist, wird in ihrer Arbeit auch in dem Missachten der Codierungen von schwarzer und weißer Hautfarbe deutlich. So findet sich kein Hinweis in der Arbeit, dass die Transformationen von Rosenbachs Körper in Schwarz und dann wieder in Weiß bewusst auf Hautfarbe anspielen. Der Kontrast von Schwarz und Weiß wird hier nicht in Zusammenhang gebracht mit der rassistischen Differenzkonstruktion von Hautfarbe. Dass die rassisierten Zuschreibungen, die an Schwarz als Bezeichnung von Hautfarbe gemacht werden, im Konzept der Arbeit nicht mitref lektiert wurden, kann ein Vergleich mit der Arbeit „Wer hat Angst vor der schwarzen Frau“ von 1985 zeigen.45 Der Titel dieser Arbeit zitiert ein bekanntes Kinderspiel („Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“) und ersetzt die Männerfigur

45 Für eine kurze Beschreibung und Analyse der Arbeit s. Marlis Grüterich (1990: o.P.).

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Nach dem Primitivismus?

mit der einer Frauenfigur, ohne dabei allerdings die rassistische Konnotation mitzuref lektieren. Die ‚schwarze Frau‘ wird hier eingesetzt als eine rätselhafte weibliche Figur. Konzipiert ist die Arbeit als eine Installation, die aus einem Kreis aus Salz besteht, auf dem vier Schalen platziert sind. In jeder Schale befindet sich Asche, die beim Verbrennen von bekannten weißen Weiblichkeitsdarstellungen der europäischen Kunstgeschichte entstanden ist. An den Schalen lehnen kreisrunde Schilder mit dem Bild der ebenfalls weißen Medusa, wie Caravaggio sie malte.46 Zwischen den Schalen stehen außerdem drei Fernsehapparate. Gezeigt wird auf dem linken und rechten Monitor jeweils eine weiße Frau, die teilweise mit ihrem Rücken den gesamten Bildschirm ausfüllt und sich langsam umdreht; auf dem mittleren Monitor schwenkt eine weiße Frau den Kopf hin und her. Zwar ist in der Arbeit durchaus ein repräsentationskritischer Ansatz vorhanden, durch den Akt des Verbrennens, mit den dunkel gemalten Medusen und durch das Spiel mit dem Nicht-Zeigen des weiblichen Körpers auf den Bildschirmen dominiert jedoch ein Verweis auf rätselhafte Weiblichkeit. Dabei reproduziert die Arbeit die Konnotationen von rätselhaft, unheimlich, die bestimmten Formen von Weiblichkeit ebenso zugeschrieben werden wie Schwarzen jeglichen Geschlechts.47 Auch in „Meine Macht ist meine Ohnmacht“ werden verrätselte Bilder von Weiblichkeit aufgerufen. Doch die Umwertung geht auch hier nicht gänzlich auf: Wenn rätselhafte Weiblichkeit über ethnografische Porträts von schwarzen Frauen signifiziert wird, kann dies einer stereotypen Konnotation von schwarzer Haut­farbe nicht entkommen. Damit schleicht sich in die versuchte Umcodierung letztlich doch wieder eine primitivistische Positivierung vom ethnisch markierten oder kulturell differenten Anderen ein. Die Bilder kulturell differenter Frauen werden so im dritten Teil der Trilogie doch wieder für die Bedeutungsaufladung der eigenen Person und des eigenen Geschlechts funktionalisiert. Die Arbeit ähnelt damit primitivistischen Frauendarstellungen, die Bilder vermeintlich natürlicher Weiblichkeit und Alterität produzieren. Rosenbachs Versuch einer Umwertung von Zuschreibungen kann letztlich nicht tradierten patriarchalen und rassistischen Mythen entkommen. Ich will den Wunsch nach anderen, alternativen Weiblichkeitsbildern hier aber nicht generell verwerfen. Rosenbach hat mit der Frage nach solchen anderen Darstellungen Ende der 1970er Jahre einen wichtigen Aspekt des Feminismus bearbeitet, der momentan in gendertheoretischen und queeren Zusammenhängen erneut, aber in einer

46 Rosenbach verwendete das Bild der Medusa bereits in einer Performance „Venusdepression –

Medusaimagination“, die sie im Dezember 1977 im Palazzo Strozzi in Florenz mit vier Teilnehmerinnen ihrer „Schule für den kreativen Feminismus“ vor einem größeren Publikum aufgeführt hatte. Glüher liest dieses Bild als symbolisches ‚Sichwehren‘ gegen „die Unterdrückung des Mannes“ (2004: 43). 1985 arrangierte Rosenbach mit „Wer hat Angst vor der schwarzen Frau?“ eine Medienskulptur/Installation für die Ausstellung „Kunst nach 45“ in der Berliner Nationalgalerie und nutzte das Bild der Medusa erneut (vgl. ebd.). 47 Insbesondere im Mythos vom ‚schwarzen Kontinent‘ überlagern und verkreuzen sich rassisierende und geschlechterstereotype Zuschreibungen, für die Sigmund Freuds Erklärung von weiblicher Sexualität als ‚schwarzen Kontinent‘ ein prominentes Beispiel ist, für eine ausführliche und kritische Reflektion von diesem Mythos im Bereich des Visuellen s. Mary Ann Doane (1991).

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explizit nicht naturalisierenden Weise verhandelt wird. Denn die Frage bleibt: Wie lassen sich andere, nicht hegemoniale, patriarchale Bilder von Geschlecht finden, die nicht in einen Eskapismus verfallen, der in primitivistischer Manier in differenten Kulturen einfach bessere Gegenwelten sieht? Wie können ermächtigende Bilder von Weiblichkeit kreiert werden, ohne eine Geschlechterdichotomie und weiße Privilegierung weiter zu verstärken und ohne die lange Tradition der Hervorbringung von Weiblichkeit in patriarchalen weißen Zeichen- und Werte­ systemen außer Acht zu lassen?48 Innerhalb der Kunst der BRD nimmt Rosenbach mit ihrer künstlerischen Praxis eine feministische Position ein, die in anderen Kulturen nach positiven Bildern von Weiblichkeit sucht und einen Primitivismusdiskurs oder zumindest evolutionstheoretische Vorstellungen einer Graduierung von Kulturen damit zunächst zu reproduzieren scheint. Ähnlich wie andere KünstlerInnen in der BRD vor ihr (Beuys, Vostell), verknüpft sie Bilder von kultureller Differenz mit der Vorstellung von politischer Widerständigkeit. Außerdem scheint sie mit ihrer künstlerischen Praxis Partei für eine palästinensische Terroristin zu ergreifen und sich damit gegen den Staat Israel zu positionieren. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass Rosenbach in ihrer Arbeit derartige Solidaritätsbekundungen bzw. das Feiern einer weiblichen palästinensischen Ikone vielmehr befragt.49

48 Auf der Biennale in Venedig 2011 waren in der Ausstellung in den Arsenalen einige künstlerische Arbeiten

ausgestellt, die sich mit unterschiedlichen Mythen auseinandersetzten. Mir scheint, dass es aktuell ein neues Interesse an solchen Fiktionen und den Möglichkeiten, diese umzuschreiben, darin nach alternativen Bildern, anderen Lebensentwürfen usw. zu suchen, gibt. 49 Gleichwohl wird so auch in Rosenbachs künstlerisch feministischer Verhandlung von kultureller Differenz in der BRD deutlich, dass in dieser das historische Verhältnis zwischen der BRD und Israel (und damit auch dem Judentum) sowie darüber die Erinnerung an den nationalsozialistischen Genozid an den europäischen Juden (möglicherweise unbewusst) mitverhandelt wird.

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7. D  ie Faszination des Anderen – Parodien (klein-)bürgerlicher ­Fantasien in drei Arbeiten von Sigmar Polke (1968, 1975 und 1976) In der künstlerischen Praxis von Sigmar Polke finden sich Anspielungen auf viele Themen, die auch in anderen künstlerischen Arbeiten, die in diesem Buch besprochen wurden, vorkommen: Primitivismus, schwarze Bürgerrechtsbewegungen, ethnologische Forschungen und Präsentationsweisen sowie Geschlechtermodelle, die über Repräsentationen von kultureller Differenz verhandelt werden. In Form von Collagen, Montagen und anderen Formen der ‚Bildbearbeitung‘ hat sich der 2010 verstorbene und zu den bekanntesten deutschen Künstlern der zweiten H ­ älfte des 20. Jahrhunderts zählende Polke mit aktuellen Bildkulturen auseinandergesetzt. Viele seiner Kunstwerke lassen sich als eine Form der Bildkritik beschreiben. Sie gehen der Zirkulation von visuellen Repräsentationen nach, konstruieren Zusammenhänge zwischen Motiven und ermöglichen so, materielle und immaterielle Bilder auf ihre Herstellungsvoraussetzungen, diskursiven Aussagen sowie auf ihre unbewussten Funktionen und dahinterstehenden Bedürfnisse zu befragen. Einige seiner Arbeiten (vor allem aus der Zeit der späten 1960er bis 1970er Jahre) verhandeln Repräsentationen von kultureller Differenz, drei davon werde ich im Folgenden analysieren. Das Material, mit dem sich Polke in seiner künstlerischen Praxis auseinandersetzte und das er in seine Arbeiten einbezog, reicht von Bildern der ­Kunstgeschichte und anderen Motiven aus der sogenannten Hochkultur bis zu solchen aus ­Populär-, Alltags- und Subkultur. In den analytischen Blick genommen werden Vorstellungen, Mythen und Phänomene des Bürgertums wie des Kleinbürgertums.Nicht einfach abwertend, sondern kritisch und selbstref lexiv werden die Unterschiede und ­Gemeinsamkeiten von verschiedenen Bildkulturen in seiner Praxis zur Diskussion

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gestellt. Eine von ihm häufig verwendete künstlerische Methode ist, visuelle ­Repräsentationen aus unterschiedlichen Kontexten neu zu kombinieren, teilweise in andere Medien zu transformieren, zu kommentieren und so zur Disposition zu stellen.1 Schon früh befragte Polke Grenzen zwischen dem, was als ‚hohe‘, und dem, was als ‚niedere‘ Kultur gilt, und ging den Zirkulationen von Bildern sowie motivischen Verknüpfungen, Wiederholungen und Verbindungen nach. Seine Collagen ermöglichen den Betrachtenden, über intertextuelle Bilderpolitiken, die sie wieder­ holen, aber auch durchkreuzen und aufdecken, zu reflektieren. Dass Polke sich für kritische Gegendiskurse interessierte und diese sowohl in unterschiedlichen Subkulturen und politischen Bewegungen als auch in außereuropäischen Kulturen suchte, ist in seiner Ambition, dominante Diskurse zu befragen, aber diesen auch zu entgegnen, begründet. Subkulturen und das Interesse für außereuropäische Kulturen sind die Kontexte, auf die sich seine Arbeiten nicht nur bezogen, sondern in denen sie auch entstanden. Themen, Praktiken und Strategien der Hippie- und Studentenbewegung, der sogenannten Zweiten Frauenbewegung, verschiedener Jugendkulturen sowie von politischen AktivistInnen lassen sich in seinen Arbeiten ebenso wiederfinden wie kunsthistorisch bekannte Motive, Reisefotografien und gefundene Objekte.2 Die unterschiedlichen Formen seiner künstlerischen ‚Rebellion‘ gegen tradierte Strukturen entwickelte Polke in und mit diesen Bewegungen. Ästhetische Strategien, die aus Subkulturen bekannt sind, lassen sich dementsprechend in seinen Arbeiten wiederfinden. Die Rezeption hat diese Rebellion in Polkes künstlerischer Praxis mal mehr, mal weniger erkannt und benannt. Seine Verhandlungen von kultureller Differenz sind von der Rezeption bis heute fast gar nicht thematisiert worden. Wenig beachtet wurde, inwiefern seine Arbeiten eine Ref lexion über die Faszination am kulturell Anderen ermöglichen.3

Walter Grasskamp schreibt, dass Polke die kulturelle Vorherrschaft des Bildungsbürgertums in seiner Motivauswahl durchbrach, „indem er sich zu den Motiven bekannte, die dem deutschen Kleinbürgertum so lange […] untergejubelt worden waren“ (1986: 38). Den Begriff des Kleinbürgertums verwendete Polke auch für den Titel einer 10-teiligen Serie „Wir Kleinbürger. Zeitgenossen und Zeitgenossinnen“, 1976 (von der ich im Folgenden das Blatt „Neu Guinea“ bespreche). Polke hat sich für diesen Titel auf den Philosophen und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger bezogen, aber auch viele seiner anderen Arbeiten lassen sich auf die Auseinandersetzung mit dieser „Klasse dazwischen“ zurückführen (1976/2009). Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel haben die Serie zum Anlass genommen, Polkes künstlerisches Schaffen der 1970er Jahre in einem einjährigen Ausstellungsprojekt (in der Kunsthalle Hamburg 2009/10) und einem Katalog intensiv zu betrachten. In ihrem einleitenden Text legen sie dar, dass die von Enzensberger und in Folge auch von Polke eingenommene theoretische Position nicht mit dieser Klasse abrechnet, sondern ihr eine „kulturelle Hegemonie“ zuspricht (2009: 29). Weiterhin beschreiben Lange-Berndt und Rübel, dass Enzensbergers Theorie über die Kleinbürger diese als Klasse benennt, die „Kunst und Mode, Philosophie und Architektur, Kritik und Design erzeugt“ (Enzensberger zit. n. Lange-Berndt und Rübel 2009: 29), auch die Sphäre des Massenkonsums mit ihren Vorstellungen prägt und übersichtliche Weltbilder liebt – was Lange-Berndt und Rübel als Kritik an der damaligen Linken interpretieren. 2 Diese Kontexte von Polkes künstlerischer Praxis hat vor allem die Ausstellung „Sigmar Polke. Wir Kleinbürger!“ der Kunsthalle Hamburg (2009/10) heraus- und ausgestellt. 3 Eine Ausnahme stellt Viktoria Schmidt-Linsenhoffs Beitrag zum Katalog „Sigmar Polke. Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen“ (2009) und der Aufsatz in ihrer Monografie „Ästhetik der Differenz“ (2010) dar. Meine Analyse des Gemäldes „Neu Guinea“ ist im selben Katalog zu Polkes Serie „Wir Kleinbürger!“ in gekürzter Form veröffentlicht (2009). 1

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Besprechen werde ich im Folgenden drei Arbeiten: das Gemälde „Negerplastik“, 1968 [Abb. 57], das als eine Auseinandersetzung mit künstlerischen, aber auch populärkulturellen Referenzen auf afrikanische Plastiken4 beschrieben werden kann. Außerdem diskutiere ich eine Doppelseite einer von Polke mit anderen Kulturschaffenden 1975 erstellten Künstlerzeitschrift „Day by Day … They Take Some Brain Away“ [Abb. 60], die Visualisierungen von verschiedenen weißen und alteritären Männlichkeiten zusammenbringt und weiße Männlichkeitskonstruktionen aus dem Bereich des ‚alternativen Tourismus‘, des Militärs, des Sports usw. sowie deren kulturell differente Gegenbilder befragen lässt. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Analyse des Blattes „Neu Guinea“ aus der Serie „Wir K ­ leinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen“ von 1976 [Abb. 61], das eine ethnografische Fotografie in Malerei bearbeitet und den Bedeutungen der Fotografie für westliche Vorstellungen von kulturell Anderen nachgeht.

Parodie eines Motivs aus Kunst und Popkultur Das Gemälde „Negerplastik“, 1968 [Abb. 57], zählt zu Polkes sogenannten Stoff­ bildern und befindet sich seit 2001 als Dauerleihgabe eines privaten Sammlers im Kunstmuseum Bonn. Zentral ist eine schwarz-weiße Figur auf gelbem Stoff, den anthropomorphe Tierdarstellungen zieren. Die zentrale Figur erinnert – darauf verweist vor allem auch der Titel – an Plastiken aus afrikanischen Ländern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in dem vom Kolonialismus geprägten Europa von großem Interesse waren. Charakteristisch für viele dieser figürlichen Plastiken sind kubische, geometrische Formen, ein langer Oberkörper, im Vergleich dazu kurze, gekrümmte Beine sowie eine geringe Binnenstruktur. Die als ‚Beutestücke‘ im Kontext des Kolonialismus nach Europa gebrachten Objekte ‚wanderten‘ als Motiv in das primitivistische Bildrepertoire ‚moderner‘ KünstlerInnen (in Deutschland vor allem in das der Brücke-Künstler, z.B. Max Pechstein, Abb. 1). Die meisten Objekte wurden in Vitrinen und Regalen von sogenannten Völkerkundemuseen auf bewahrt. Einige schafften es zumindest als Vergleichsbeispiele in Kunst­ ausstellungen und nicht wenige landeten als Dekor in privaten und öffentlichen Innenräumen. Wenn Polke eine solche Figur auf gelben, gemusterten Stoff malt und außerdem einen rosa grundierten Papierstreifen mit gestischen Linien in drei Farben, der wie ein billiges Paradebeispiel von ‚moderner Kunst‘ erscheint, in das

Die Bezeichnungen ‚Plastiken aus Afrika‘ oder ‚afrikanische Plastik‘ vermeiden zwar die Wiederholung des massiv rassistisch aufgeladenen ursprünglichen Terminus, sind aber ebenfalls problematisch, weil sie eine Vielzahl heterogener Objekte aus unterschiedlichsten Kulturen subsumieren. Wenn ich im Folgenden den Begriff ‚Negerplastik‘ verwende, dann um diesen rassistischen Mythos zu dekonstruieren. Ich versuche ihn weitestgehend zu vermeiden und habe ihn teilweise durch den Terminus ‚afrikanische Plastik‘ ersetzt, aber auch damit ist vielmehr eine aus europäischer Perspektive vorgenommene Einschätzung als eine kunst- oder kulturhistorisch sinnvoll definierbare Kategorie benannt. 4

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Abb. 57 Sigmar Polke Negerplastik 1968, Dispersion auf Leinwand, 150 × 130 cm

Abb. 58 Tafel 38 in: Carl Einstein: Negerplastik. Berlin 1915/1992

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Abb. 59 Hannah Höch Negerplastik, aus der Serie: Aus einem ethnographischen Museum 1929, Fotomontage, 51,5 × 37,5 cm

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Bild integriert, ist die afrikanische Plastik sowohl als beliebtes Accessoire für ­Wohnungseinrichtungen als auch als Motiv der Kunst angesprochen. 1964 hatte Polke damit begonnen, auf gemusterten Dekorationsstoffen zu malen. Viele seiner Stoffbilder bestehen aus einem Untergrund, der vorher ­Gardine, Sofa- oder Sesselbezug gewesen zu sein scheint, und sind mit einem gemalten Motiv versehen, das gleichermaßen wie der textile Bildträger auf die westdeutsche kleinbürgerliche Wohnkultur der direkten Nachkriegszeit verweist: Nierentische, Palmen, ein Reiherpärchen usw. Das Gemälde „Negerplastik“, das eine solche Figur als Hauptmotiv ziert, reiht sich insofern in diese Aufzählung. Holzplastiken aus afrikanischen Ländern oder aus Ozeanien bzw. deren Imitate (sog. ‚Airport Art‘) waren in den 1960er Jahren in heimischen Wohnzimmern als Dekoration beliebt. Die kunsthistorische Rezeption liest das Stoff bild entsprechend als eine weitere Kritik Polkes an deutscher Konsumkultur.5 Da die Collage aber auch auf ‚moderne Kunst‘ anspielt und Letztere bzw. Vorstellungen davon, was diese ausmachen würde, insbesondere in den 1960er Jahren ein kritisch bearbeitetes Thema von Polke war, soll im Folgenden konkretisiert werden, inwiefern Polkes Collage sowohl auf Konsumkultur als auch auf ‚moderne Kunst‘ Bezug nimmt und welche Rolle kultureller Differenz dabei spielt. Der Titel gebende Begriff der ‚Negerplastik‘ war Ende der 1960er Jahre noch gebräuchlich.6 Dass Polke dieses Kompositum 1968 schon als absichtsvolles ironisches Zitat des rassistisch aufgeladenen Terminus verwendete, ist fraglich.7 Zumindest lässt sich das solchermaßen betitelte Bild als parodistisch-kritische Auseinandersetzung mit den Aneignungen, Wanderungen und den Zeichenfunktionen der damit bezeichneten Objekte interpretieren. Einen humoristischen Unterton hat das Bild nicht nur dadurch, dass es Objekte der mittlerweile lächerlich erscheinenden kleinbürgerlichen Wohnkultur der 1950er und 60er Jahre zitiert, sondern auch, weil es in eigentümlicher Weise Objekte aus der Populärkultur mit Elementen der sogenannten ‚hohen Kunst‘ kombiniert.8 Das Entnehmen unterschiedlicher Materialien und Motive aus verschiedenen Kontexten und ihr Zusammenbringen kann als Parodie bezeichnet werden. Barbara Paul erläutert Parodie als künstlerische Repräsentationsform, die in einer intertextuellen Herangehensweise besteht (2004). Bedeutung wird dadurch produziert, dass ein vorhandener Text verändert, eine an sich übliche diskursive Praktik abgewandelt und/oder performativ wiederholt wird

Für eine solche Kritik vgl. z.B. Martin Hentschel (1997). Der Ethnologe Hans Himmelheber veröffentlichte 1965 in einer ethnologischen Zeitschrift einen Artikel mit dem Titel „Schmuckhaft überladene Negerplastik“ (1965). In Kunstlexika oder im Brockhaus ist der Begriff seit 1920 nicht mehr aufgeführt. Diese Leerstelle in Nachschlagewerken begründet sich vermutlich eher in einem Desinteresse an den damit bezeichneten Artefakten als an einer absichtsvollen Vermeidung des Begriffs. Eine systematische Analyse der Geschichte der Verwendung des Begriffs wurde meines Wissens noch nicht vorgenommen. 7 Zu dem Begriff, seiner Verwendung und der Kritik daran s. meine Ausführungen zu der Arbeit „Die Fluxisten sind die Neger der Kunstgeschichte“, 1980, von Wolf Vostell in Kapitel 4. 8 Einschränkend zu erwähnen ist, dass diese Wohnkultur aktuell wieder in Mode kommt. 5 6

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(ebd.: 231).9 Inwiefern Polkes Collage eine Parodie auf die ‚Negerplastik‘ und damit auf die spezifische Kontinuität des Primitivismus in der BRD ist, die nicht nur die ‚hohe Kunst‘, sondern in wechselseitigem Austausch mit dieser auch die Populärkultur betrifft, soll im Folgenden diskutiert werden. Thematisierbar wird dabei auch, welche Annahmen über kulturelle Differenz den beiden Verweissystemen zugrunde liegen.

Dekonstruktion des Mythos ‚Negerplastik‘ Ein Vergleich von Polkes Figur mit afrikanischen Plastiken und auch mit den nachgemalten Figurationen aus den ersten Jahrzehnten nach 1900, z.B. mit Max Pechsteins „Stillleben mit Negerplastiken“, 1918 [Abb. 1], bringt Unterschiede hervor. Während die originalen Objekte aus Holz, Bronze oder Ton bestanden und damit eher bräunlich gefärbt waren, so wie sie auch die meisten KünstlerInnen visualisierten, ist Polkes Figur schwarz-weiß. Die von Pechstein gemalten Objekte wirken durch die betonten, schroffen Konturen und starken Farben bewegt, fratzenhaft und fast unheimlich. Polkes Figur dagegen erscheint aufgrund der überwiegend runden Formen und der einheitlichen Farbgebung statisch und eher harmlos. Insbesondere durch das Schwarz und die wenigen weißen Striche erinnert seine Figuration vielmehr an fotografische Reproduktionen der ‚Negerplastiken‘, wie sie in Bildbänden zu sogenannter ‚Stammes- und Weltkunst‘ in den ersten Jahrzehnten nach 1900 veröffentlich wurden.10 Ein Referenzwerk für viele KünstlerInnen und von der Kritik sowohl in Deutschland als auch Frankreich gefeiert wurde das 1915 publizierte Buch „Negerplastik“ des deutschen Kunsthistorikers Carl Einstein (Böhringer 1992: 157; SchmidtLinsenhoff 2011: 305). Einsteins Buch umfasst 119 schwarz-weiße fotografische Inszenierungen afrikanischer Plastiken und 24 Seiten Text, in dem er gleich auf der ersten Seite die Verachtung und die daraus folgenden Vorurteile kritisiert, mit denen die Objekte aus Afrika betrachtet werden. Entschieden wendet er sich gegen „Evolutionshypothesen“, gegen den „Fehlbegriff von Primitivität“ und die vielen Meinungen über afrikanische Menschen, die er als Beanspruchung einer „geradezu phantastischen Überlegenheit“ (1915/1992: 7) der Europäer denunziert. Seine Kritik war „im wilhelminischen Kulturbetrieb eine seltene Ausnahme“ (SchmidtLinsenhoff 2010: 306). Der Erfolg seines Buches war letztlich – wie er selbst beklagte – in den zahlreichen Abbildungen begründet, nur wenige hätten seinen Text

Die politischen Möglichkeiten der Parodie in Bezug auf die Transformation von Geschlechtsidentitäten und Geschlechterkonfigurationen hat Judith Butler (1991) hervorgehoben. Paul hat anknüpfend an Butlers Ausführungen diese auf künstlerische Verfahrensweisen angewendet und ergänzt, dass mit Parodie auch andere Identitätskonstruktionen und Alteritäten dekonstruiert werden können (2004). Sabine Hark hat, ebenfalls anknüpfend an Butler, die politischen Potentiale von Parodie mittels Camp-Praktiken herausgearbeitet (1998). 10 Zu der Popularität von Fotobüchern über ‚afrikanische Kunst‘, die ihren Höhepunkt nach dem Ersten Weltkrieg hatte, s. Schmidt-Linsenhoff (2011: 196ff und 309). 9

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verstanden (Neundorfer 2003: 64). Dabei enthält dieser frühe Überlegungen zur Methode einer transkulturellen Kunstgeschichtsschreibung. Ausgehend davon, dass die Kenntnisse über afrikanische Kunst vorläufig noch gering und unbestimmt seien, sowie im Bewusstsein der vorurteilsbeladenen kolonialistischen Perspektive plädiert er für eine streng formale Analyse der Objekte, die sich auf „bestimmte eigentümliche Einheiten des Raumschaffens und Schauens bezieht und sie umkreist“ (1915/1992: 10).11 Einstein beschreibt ausführlich inwiefern sich Raumordnung und Sehweise, die den afrikanischen Objekten zugrunde liegen, von denen der europäischen Tradition unterscheiden. Die Position, von der aus er diese Betrachtungen vornimmt, verortet er im aktuellen europäischen Kunstgeschehen, namentlich im Kubismus, von dem ausgehend er wiederum die europäische Kunstauffassung relativiert. Was Einstein jedoch nicht ref lektierte, ist die „Medialität des Anschauungsmaterials, das er dem Publikum bietet und nach dem er selbst am Schreibtisch gearbeitet haben dürfte“ (Schmidt-Linsenhoff 2011: 307). Die foto­ grafischen Reproduktionen der afrikanischen Plastiken in der „Negerplastik“ ­erschweren eigentlich das Sehen der Eigenheiten der afrikanischen Plastiken, die Einstein so ausführlich herausarbeitet [vgl. Abb. 58]. Polkes gemalte Plastik entspricht in der Frontalansicht und der flächenhaften und schematischen Ausgestaltung eher dem Eindruck, den die Fotografien von den afrikanischen Objekten vermitteln. Sie negieren nahezu nachdrücklich das Kubische, das Einstein in der ‚Negerplastik‘ so lobend hervorhebt. Meint man in der gesteigerten Einfachheit der von Polke gemalten Plastik ­zunächst noch die Übererfüllung von ästhetischen Ansprüchen einer auf Abstraktion ausgerichteten europäischen Moderne zu sehen, wirkt sie auf den zweiten Blick dafür jedoch viel zu ‚plump‘ und eher wie ein schematisches Zeichen.12 Ähnlich wie eine vereinfachte grafische Darstellung wird die ‚Negerplastik‘ bei Polke zu einem Piktogramm und offenbart darüber ihren Zeichencharakter. Was Roland Barthes als semiotisches Ereignis beschrieben hat (1964), kann anhand von Polkes Collage nachvollzogen werden: Ein Objekt oder ein Zeichen (ein in einem afrikanischen Land hergestelltes Objekt) wird zu einem Zeichen zweiter Ordnung, zum Mythos. Es wird seiner ursprünglichen Bedeutung und der gestalterischen Prinzipien (die es in seinem Herkunftsland hatte) sowie seiner Historie (der ­Geschichte von ‚der Reise‘ nach Europa) beraubt bzw. entleert, mit anderen, ‚neuen‘ Bedeutungen angefüllt, visuell umgestaltet und in eine westliche symbolische Ordnung (und ein westliches Schauen) einsortiert. Die Stufen, die links von der Figur nach oben aufsteigen, können als Visualisierungen von evolutionstheoretischen Weltmodellen gelesen werden, innerhalb deren ‚primitive Kulturen‘ und 11 In einem sechs Jahre später veröffentlichten Buch mit dem Titel „Afrikanische Plastik“ (1921) hat Einstein

seine Versuche, kulturhistorisches Wissen über die Objekte zu erforschen, publiziert. Schmidt-Linsenhoff sieht darin die Ernsthaftigkeit seines Anliegens bewiesen (2011: 305). 12 Nach der Lektüre von Einsteins Beschreibungen der „kubischen Raumfassung“ (1915/1992: 18 – 27) drängt sich fast der Eindruck auf, Polke hätte absichtlich die von Einstein erläuterten Prinzipien der afrikanischen Plastik negiert.

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deren Objekte auf der untersten Stufe platziert werden. Nach diesem Semiotisierungsprozess gilt die ‚Negerplastik‘ als ‚natürliches Zeichen‘ (sie steht für eine primitive, authentische und als ursprünglich menschlich geltende Kunst), der semiotische Charakter, der Akt, mit dem dieses Objekt mit der neuen, zweiten Bedeutung versehen wurde, wird geleugnet. Indem Polkes ‚gemalte Plastik‘ nahezu übertrieben schematisiert erscheint, kann sie als Verweis auf den Zeichenprozess, innerhalb dessen sie mit neuen Bedeutungen angefüllt und gleichzeitig als ­‚natürlicher Ausdruck‘ universeller, ur-menschlicher Kreativität behauptet wird, gelesen werden. Zusätzlich zu dem Verweis auf den semiotischen Konstruktionsprozess der ‚Negerplastik‘ finden sich in der Collage Verweise auf den Herstellungsprozess des materiellen Bildes. Am rechten Rand ist das Gemälde mit einem Kreppband abgeklebt, als hätte der Künstler vergessen, dieses von Malern verwendete Hilfsmittel zu entfernen. Der konkrete handwerkliche Prozess des Erstellens der Collage wird darüber sichtbar. Offensichtlich gemacht wird, dass das Bild zusammenmontiert, abgeklebt und aus Fragmenten zusammengesetzt ist. Auf Konstruiertheit verweist auch die Collage als Bildform selbst, was mit den hier zunächst relativ unverbunden erscheinenden Hauptelementen: gemalte Figur, Dekostoff und abstrakte Malerei, weiter betont ist. Durch diese Sichtbarmachung des konkreten und darüber auch des ideellen Herstellungsprozesses entgegnet Polkes Collage einem Naturalisierungsprozess von Kunst. Gerade die expressionistische Malerei und Bildhauerei wurde in Analogiesetzung zu außereuropäischen Kulturen als ‚natürlicher, künstlerisch-kreativer Ausdruck‘ betrachtet. Viele KünstlerInnen der sogenannten ­‚modernen Kunst‘ beanspruchten diese Analogiesetzung für sich bzw. ihre Kunst. In der direkten Nachkriegszeit wurde in der Bundesrepublik erneut eine Kontinuität der vermeintlich archaischen Formen behauptet und damit einer Kontinuität des Klassizismus entgegnet, wie sie die Nationalsozialisten proklamiert hatten (Grasskamp 1994).13 Die Lektüre der Collage als kritischer Verweis auf Versuche, ‚moderne‘, abstrakte Malerei zu naturalisieren, lässt sich anhand des rechten Bilddrittels der Collage untermauern. Kombinationen von abstrahiert (hier gestisch) gemalten Elementen und figurativen, exotisierten Darstellungen kommen in verschiedenen expressionistischen Gemälden vor. Ein Beispiel ist Ernst Ludwig Kirchners G ­ emälde „Schlafende Milly (Liegendes Negermädchen)“, 1911 [Abb. 3], in dem im Bild­ vordergrund ein weiblicher schwarzer Akt, rechts im Hintergrund eine abstrakte Figur und direkt links daneben ein geometrisches Element mit gestischen Pinselstrichen dargestellt sind. In einer ‚Zickzackform‘ nimmt das Element die bewegte Körperform der menschlichen Gestalt auf. Letztere ist weniger über Hautfarbe als über bestimmte Merkmale (Bewegtheit und großer Po) und den Bezug zur dargestellten schwarzen Weiblichkeit im Vordergrund als Andere/Nicht-Weiße markiert.

13 Vgl. meine Ausführungen zum Primitivismus in Kapitel 2.

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Provoziert wird so eine Lektüre, die die abstrakte und gestische, als ‚modern‘ geltende Malerei mit dem Körper alteritärer Weiblichkeit und beide wiederum mit einer vermeintlichen Primitivität, ‚Ursprünglichkeit‘ sowie Bewegtheit gleichsetzt. Polkes Zusammenstellung parodiert eine solchermaßen konstruierte Verknüpfung, indem die von ihm gestaltete Figur und die gestischen, aber reduzierten Linien im rechten Bildteil kaum Verbindungen erkennen lassen. Außer dass beide Elemente senkrecht ausgerichtet sind und der Arm der Figur den Teil mit der gestischen Malerei überschneidet, stehen sie ohne Zusammenhang nebeneinander. Der Blick, der erlernt hat, nach formalen Analogien in ‚moderner Kunst‘ oder zwischen Kunst und ‚primitiven‘ Menschen und Objekten zu suchen und diese als Beleg – hier für angenommene Gleichheit, ‚Ähnlichkeit‘ – zu verstehen, bleibt unbefriedigt. Aufgedeckt wird die Konstruiertheit dieser Analogiesetzung. Bekräftigt wird dieser parodistische Verweis auf die Konstruktion, indem gemusterter Stoff als Element der Popkultur und gestische Malerei als Element der ‚hohen Kunst‘ zusammen­ gebracht werden. Dass die gestischen Linien in Rot, Grün und Blau die Farben aus dem Dekorationsstoff aufnehmen, parodiert die ‚Dekorationslust‘.

Der ‚Stoff‘ kleinbürgerlicher Fantasien Innerhalb der bildenden Kunst und innerhalb der zur ‚modernen Ästhetik‘ ­erhobenen Gestaltungskonventionen war der Einsatz von Dekorationsstoff, insbesondere von bunt gemustertem Stoff, Ende der 1960er Jahre noch eine Provokation, bot so aber auch die Möglichkeit zur Intervention. Stoff ist als weiches Material, das seriell produziert wird, traditionell weiblich konnotiert und wird dem Bereich des Reproduktiven zugeordnet. Textilien gelten dem Kunsthandwerk bzw. dem Bereich der angewandten Kunst zugehörig. Polkes Integration von Stoff wurde in der Kunstgeschichte daher als Reaktion auf das Kunstsystem und hier vor allem auf den Subjektivitätskult der zeitgenössischen abstrakten Malerei gelesen (vgl. Grasskamp 1986: 37).14 Zusätzlich zu dem für die Kunst ungewöhnlichen Material irritiert in dem hier zu besprechenden Bild das Motiv des Kinderzimmer-Dekostoffes, das mit den menschenähnlichen Tieren im Kontext ‚Kunst‘ besonders lächerlich erscheint. Die Komik entsteht vor allem dadurch, dass die Darstellungen auf dem Dekostoff im Vergleich zu dem Verweissystem der Kunst als übertrieben und naiv wirken. Die Motive und die Repräsentationsstrategien der Populärkultur gelten in westlichen, bürgerlichen Gesellschaften insofern als kitschig und simplifizierend, weil hier offensichtlich unrealistische, fantastische Motive verwendet werden. Mit diesen Figurationen wird erst gar keine ‚Natürlichkeit‘ behauptet, sondern gerade das, was

14 Siegfried Gohr schreibt über die Materialverwendung von Polke: „Bei Polke dient der Stoff als Bildträger,

aber er ist zugleich schon Bild. Das Material Stoff als solches beinhaltet eine ästhetische Information, die von Polke genutzt wird“ (1984: 20).

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Nach dem Primitivismus?

der ‚Natur‘ zugeordnet wird – das Tier –, wird als Stoffmotiv offensichtlich zur Kunstfigur. Damit ist in Polkes Arbeit ein Element integriert, das mit Susan S ­ ontags Erläuterungen zu Camp beschrieben werden kann (1962/1968). Sontag schreibt: „Zum Wesen des Camp gehört […] die Liebe zum Unnatürlichen: zum Trick und zur Übertreibung“ und „Camp ist Kunst, die sich ernst gibt, aber durchaus nicht ernst genommen werden kann, weil sie ‚zu viel‘ ist“ (1968: 269). Sontag setzt das spielerisch Anti-Seriöse gegen die Ernsthaftigkeit der sogenannten ‚hohen Kultur‘. Was sie als ‚Camp-Erfahrungen‘ beschreibt, lässt sich auch für Polkes Arbeit analysieren: „Die Camp-Erfahrungen basieren auf der großen Entdeckung, dass die Erlebnisweise der hohen Kultur keinen Alleinanspruch auf Kultur hat“ (ebd.: 283). Gerade diese Aussage wird auch in Polkes Arbeit deutlich, wenn KinderzimmerDekostoff, abstrakte Malerei und ‚Negerplastik‘ zusammengebracht sind. Das Verweissystem der Populärkultur scheint der Kunst als Teil der sogenannten Hochkultur in Bezug auf die afrikanische Plastik Konkurrenz zu machen. Während im Primitivismus der ExpressionistInnen die Figuren aus Afrika und Ozeanien als ‚natürliche‘ und als Ausdruck ‚universeller Kreativität‘ verstanden wurden, stellt Polke dieser Annahme eine Analogiesetzung mit Camp entgegen. Darüber entlarvt sich nicht nur der Hoheitsanspruch der Kunst, sondern dekonstruiert wird auch die Hervorbringung der ‚Negerplastik‘ als Mythos, der mit spezifischen Bedeutungen und Projektionen angefüllt ist. Dadurch, dass das Muster des Stoffs, vor dem die Plastik platziert ist, aus vermenschlichten, kindlichen Tiermotiven besteht, wird auch der rassistische Topos vom infantilen Schwarzen in Erinnerung gerufen (Schmidt-Linsenhoff 2010: 342). Ausgehend von einem Verständnis der beiden Motive als Analogiesetzung, könnte darin auch ein Vergleich gelesen werden von der im Camp-Element überoffensichtlich dargestellten Fantasie von Tieren, die menschliche Verhaltensweisen ausführen, zu den weniger offensichtlichen, aber ebenso fantasiehaften und projizierten Bedeutungen, mit denen die ‚Negerplastik‘ als Mythos ausgestattet ist.

Afrikanische Plastiken – Zeichen für Modernität Objekte aus Afrika waren über die ‚Avantgardekunst‘ und nach 1945 gegen die NS-Kunstpolitik zum Inbegriff für ‚Modernität‘ und Fortschrittlichkeit geworden. Paradox war diese Bedeutungszuschreibung insofern, als die Kunst von denen, die als ‚primitiv‘ und in dieser Eigenschaft als ‚noch‘ ursprünglich kreativ und menschlich galten, als besonders ‚modern‘ verstanden wurde.15 Eine Aneignung und Vereinnahmung afrikanischer Plastiken blieb nicht auf die bildende Kunst beschränkt. Auch in der Wohnkultur avancierten sie und die Objekte, die dafür gehalten ­w urden, zum dekorativen Bestandteil von und Zeichen für einen ebenfalls als absolut 15 Dass dem Primitivismus immer schon ein Paradox zugrunde liegt, habe ich in Kapitel 2 unter Bezug auf Jill

Lloyd (1991) und Nana Badenberg (1999) erläutert.

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‚­modern‘ geltenden Lebensstil. Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte man an d ­ iese Formen des Bezugs auf Artefakte außereuropäischer Kulturen wieder an. Gerade in der BRD fungierte abstrakte Kunst und ihre Begründung in vermeintlich ­‚primitiven‘ Kulturen als Zeichen und Beweis für die vermeintliche ‚Weltoffenheit‘ und Modernität der BRD und als Gegensatz zur Kulturpolitik der Nazis. ‚Moderne Kunst‘ und afrikanische Plastiken wurden beliebte Einrichtungsaccessoires für private, aber auch öffentliche Räume, die ‚Modernität‘ anzeigen sollten. Die ‚Kommerzialisierung‘ der Objekte aus Afrika führte dazu, dass KunsthistorikerInnen und andere vermeintliche ExpertInnen diesen einen Echtheitswert und ‚Kunstwert‘ wieder absprachen.16 Die im Kleinbürgertum ‚angekommenen‘ fremden Objekte verloren ihren Modernitätsstatus dadurch teilweise auch wieder und wurden zum trivialen ­Gegenstand. Polkes Collage führt diese ‚Ankunft‘ vor, wenn die Plastik mit einem bunten Stoff und einem ebenfalls bunten Malereielement kombiniert wird. Das bunte und dicht gedrängt wirkende Ensemble der Collage widerspricht einer modernistischen Auffassung von Ästhetik (der Reduktion auf klare geometrische Formen und gedämpfte Farben). Die dargestellte Plastik erscheint in diesem Umfeld nun nicht mehr ‚modern‘, sondern vielmehr als trivialer Nippes. Das ­Wertesystem der Kunst wird über diesen parodistischen ‚Einbruch‘ kleinbürger­ licher Ästhetik aufgedeckt: Erkennbar oder zumindest thematisierbar wird, wie der Mythos der ‚Negerplastik‘ durch unterschiedliche, aber zusammenhängende Kontextualisierungen mit verschiedenen Bedeutungen, Projektionen und Werten aufgeladen wurde.

Historische Vorgängerin: Hannah Höch Fast vierzig Jahre vor Polke hatte sich die deutsche Künstlerin Hannah Höch in auffallend ähnlicher Weise kritisch mit der ‚Negerplastik‘ auseinandergesetzt und eine Arbeit mit dem gleichen Titel, 1929 [Abb. 59], erstellt, die Teil ihrer Serie „Aus einem ethnografischen Museum“ (1924 – 1934) ist. Höchs Arbeit ist eine Fotomontage, die Fragmente ethnologischer Abbildungen von einer Fang-Statue mit der Fotografie eines Babykörpers kombiniert. Viktoria Schmidt-Linsenhoff interpretiert die Montage von Höch als Thematisierung der Präsentation von sogenannten ‚Negerplastiken‘ im Museum, im Foto-Kunstbuch und in der illustrierten Presse, die eine enge Verschränkung der kulturindustriellen und künstlerischen Rezep-

16 Bennetta Jules-Rosette hat eine der wenigen Studien zu touristischer und ethnischer Kunst aus

außereuropäischen Ländern vorgenommen und unter anderem dargelegt, inwiefern eine weltweite Nachfrage nach besagten Objekten und der Kommerz mit einer gleichzeitigen Abwertung der Objekte als Kunst einhergehen (1984/2001). Sie beklagt, dass die Anleihen europäischer KünstlerInnen als ‚Primitivismus‘ gefeiert werden und gleichzeitig den neuen afrikanischen KünstlerInnen Kommerz und ein Korrumpieren der Traditionen vorgeworfen wird (2001: 219).

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tion und Aneignung betont (2010: 197f).17 Polkes Form der Dekonstruktion kann als Fortsetzung dieser analytischen Thematisierung durch Höch verstanden werden. Seine Collage fokussiert auf die Bedeutungsverschiebungen, die sich ergeben, wenn die Objekte quasi weiter wandern und in den Bereich der Populärkultur eingehen. Ob Polke diese Fortführung von Höchs Kritik bewusst vorgenommen hat oder nicht, ist hier nicht weiter relevant. An der Ähnlichkeit der beiden Arbeiten kann aufgezeigt werden, wie hartnäckig sich der Mythos von der ‚Negerplastik‘ innerhalb eines spezifisch deutschen Primitivismusdiskurses hielt und kritische künstlerische Verhandlungen evozierte, die – symptomatischerweise – bis heute wenig Aufmerksamkeit von der Kunstgeschichtsschreibung erhalten haben.

„Day by Day … They Take Some Brain Away“ Eine Künstlerzeitschrift von Achim Duchow, Astrid Heibach, Sigmar Polke und Katharina Steffen, 1975 Aus Polkes künstlerischer Praxis sind keine weiteren Bearbeitungen des künstlerischen Primitivismusdiskurses bekannt. Allgemein veränderte sich seine künstlerische Praxis in den 1970er Jahren. Moderne Kunst und Ölmalerei waren nun nicht mehr die vorrangigen Themen, gerieten aber auch nicht gänzlich aus dem Blick. Es kam, wie Petra Lange-Berndt und Dietmar Rübel schreiben, zu „einer Vielzahl von Editionen, Künstlerbüchern, Schablonen, Polaroids, Zeichnungen, Collagen, Tüchern, Gouachen, Filmen, Fotoarbeiten, Installationen und Interventionen“ (2009: 26), in denen in erster Linie die aktuelle Bildkultur zum Objekt kritischer Auseinandersetzungen wurde (ebd.: 22). Außerdem arbeitete Polke in den 70er Jahren häufig in Kollektiven und zum Teil spontanen Zusammenschlüssen mit FreundInnen und Bekannten (ebd.). Der Gaspelhof in Willich, ein von Polke und anderen angemieteter Gebäudekomplex zwischen Düsseldorf und Krefeld, ist der zur Legende gewordene Ort, an dem nicht nur KünstlerInnen, sondern auch viele andere Interessierte lebten, vorbeikamen und agierten. Hier erprobten ‚Polke und Co.‘18 verschiedene künstlerische und kooperative Strategien, die mit tradierten Vorstellungen von künstlerischer Meisterschaft brachen, die allerdings auch Anlass für Produktionen anderer Künstlermythen boten und weiter bieten. Kulturelle Differenz bleibt in den 1970er Jahren ein von Polke und seinen KollegInnen verhandeltes Thema, und auch die im Primitivismus proklamierte Nähe zum und die Faszination des kulturell Anderen ist immer noch Teil des

17 Auch Höchs Montage spielt auf den Topos der ‚Infantilität der Afrikaner‘ an, gleichzeitig widerspricht die

Eleganz der integrierten Abbildung einer Benin-Maske einem solchen aber auch (Schmidt-Linsenhoff 2010: 197). 18 Diese Formel wurde laut Lange-Berndt und Rübel von Peter Breslaw für die so kreierten Gemeinschaftsproduktionen gefunden (2009: 38). Ich verwende sie hier im Anschluss an die genannten AutorInnen. Dass Polke dabei als einziger namentlich erwähnt wird, scheint mir vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass er zum Teil auch von den beteiligten Personen selbst (vgl. z.B. der Aufsatz von Katharina Steffen, 2009) als zentrale Figur genannt wird.

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I­ nteresses. Schmidt-Linsenhoff analysiert in ihrem oben bereits zitierten Aufsatz (2009) Reisefotografien, die Polke selbst auf seinen Reisen in den 1970ern nach Pakistan und Afghanistan machte. Sie zeigt auf, wie schon die Rede über diese Unternehmungen einen Topos von Künstlerreisen wiederholt, der differente Kulturen als gänzlich Andere, Fremde dem Eigenen gegenüberstellt, wobei dichotome Differenzkonstruktionen von europäischer Vernunft und orientalischer Sinnlichkeit usw. reproduziert werden. Die Fotografien, die Polke auf seinen Reisen machte, bearbeitete er während des Entwicklungsprozesses so, dass die Motive zum Teil unkenntlich wurden, bspw. durch Knicke, Schwaden, Fingerabdrücke usw. Obgleich sich die Fotografien dadurch einer ‚bloßen‘ Dokumentation der zu sehen gegebenen Anderen verweigern, problematisiert Schmidt-Linsenhoff, dass die Motive auf europäische Stereotypisierungen von Armut und Orient zurückgreifen, die sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts etabliert hatten. Die Effekte der Bearbeitungen, die Polke an seinen Reisefotografien vorgenommen hat, führen ihr zufolge eher dazu, diese noch stärker geheimnisvoll verklärend wirken zu lassen (ebd.). Im Folgenden diskutiere ich eine Collage, die eine Doppelseite der von Polke und drei anderen AutorInnen/KünstlerInnen 1975 erstellten Künstlerzeitschrift mit dem Titel „Day by Day … They Take Some Brain Away“ bildet und kulturelle Differenz – vor allem deren Herstellung durch touristische Blicke – kritisch verhandelt. Vor dem Hintergrund der eigenen Reisen in andere Kulturen kann die Doppelseite auch als Befragung dieses eigenen (touristischen) Interesses gelesen werden. Polke veröffentlichte die Zeitschrift zusammen mit Achim Duchow, ­Astrid Heibach und Katharina Steffen, mit denen er in dieser Zeit häufiger kooperierte.19 Anstelle eines Kataloges und als zusätzliche künstlerische Arbeit zu seinem Beitrag zur Biennale in São Paolo, 1975, wurde die Zeitschrift in einer Auf lage von 800 Stück und in einer Größe von 41,7 × 29,6 cm publiziert. 20 Sie besteht aus 28 Bildseiten mit Collagen, die sich wiederum aus verschiedenen Fundstücken der visuellen Kultur, vorwiegend aber aus französischen, deutschen und englischsprachigen Printmedien, zusammensetzen. Integriert sind teilweise auch künstlerische Arbeiten von Polke. Die Publikation ist in hoher Farbdruckqualität hergestellt, die Collagetechnik ähnelt aber auch subkulturellen Publikationen und zuweilen der Ästhetik von Schülerzeitschriften. Was auf den ersten Blick willkürlich zusammengefügt wirkt und von Evelyn Weiss als „Phantasmagorie“ bezeichnet wird (vgl. 2000: 37), entpuppt sich bei genauerem Betrachten jedoch als sorgfältig

19 Achim Duchow lernte Polke 1971 an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg kennen, wo Duchow

studierte und Polke von 1970 bis 1971 Gastprofessor war, bevor er ab 1977 dort eine Professur innehatte. Duchow zog kurz nach ihrem ersten Zusammentreffen in Hamburg auf dem Gaspelhof in Willich ein und hat seitdem mit Polke zusammen viele gemeinsame Projekte durchgeführt (Lange-Berndt und Rübel 2009: 39). Auch die Künstlerin und Filmemacherin Astrid Heibach, Duchows Freundin, ist ebenso wie die Kulturanthropologin und Kunsthistorikerin Katharina Steffen, die eine Zeit lang Polkes Freundin war, an verschiedenen Projekten beteiligt. In der Weise wie Polke und Co. eine andere gemeinschaftliche Lebensform als die der heteronormativen Kleinfamilie ausprobierten, lassen sich Zusammenleben, Zusammenarbeiten und ein ‚kreativer‘ gemeinsamer Austausch nur schwer trennen. 20 Außer Polke waren zur Biennale noch Georg Baselitz und Blinky Palermo als Künstler der BRD eingeladen.

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­ urchdachte Collagen (Schmidt-Linsenhoff 2009: 349). Ebenso wie in der oben d analysierten Arbeit führt auch hier deren Intertextualität zu parodistischen Durchkreuzungen der reproduzierten Visualisierungen. Ins Visier genommen werden in der Zeitschrift Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit, aber auch bekannte Darstellungen von kultureller Differenz sowie deren Verkreuzungen und gegenseitige Konstitutionen. In ihrem „Versuch eines Vorworts“, das der Zeitschrift als einziger Text vorangestellt ist, zitiert Weiss, die 1975 bundesdeutsche Kommissarin der Biennale in São Paolo war, Polke aus einem persönlichen Gespräch mit den Worten „Hast Du gemerkt, dass wir durch Zufall Bilder ausgesucht haben, die alle mit dem Thema Frau zu tun haben? Lass uns ein Frauenbuch machen, wir sind ja im Jahr der Frau … Ein Buch mit einer Geschichte über Frauen oder die Geschichte einer Frau …“ (1976: o.P.). Entstanden ist entsprechend Polkes Aussage eine künstlerische Zeitschrift, die das von der sogenannten Zweiten Frauenbewegung initiierte Frauenjahr zum Anlass nimmt, Bilder von Weiblichkeit zu verhandeln. Auch wenn dieses Thema offensichtlich überwiegt, haben Polke und Co. ebenso Bilder von Männlichkeit als – innerhalb einer Zweigeschlechterordnung – komplementäre und konstitutive Gegenbilder künstlerisch befragt. Der Titel „Day by Day … They Take Some Brain Away“ ist dafür nicht einfach eine etwas platte Aussage über die Massenmedien, sondern dem David Bowie Song „All the mad men“ aus dem Album „The Man Who Sold the World“ (von 1970/71) entnommen (Lange-Berndt und Rübel 2009: 55). Auf dem Cover dieses Albums spielt Bowie mit tradierten Geschlechterrollen, indem er in einem rosaroten Satinkleid und mit langen blonden, gelockten Haaren auf einer Chaiselongue mit blauem Samtstoff in feminisierter Weise für die Kamera posiert. In dem zitierten Song geht es um die vermeintlich ‚Verrückten‘ der Gesellschaft und die Frage, wer eigentlich als ‚normal‘ gilt oder gelten kann. Wie Bowies Platte stellt auch die Zeitschrift Geschlecht und Repräsentationen von Geschlecht zur Debatte und hinterfragt hegemonial gesetzte Normalitäten und Normierungen. Wenn Bowie zu Beginn des Liedes „the unsane“ als seine Freunde tituliert, bevor er mit der letzten Strophe artikuliert: „Cause I’d rather stay here with all the madmen“, verweist das ebenso wie die kollektive AutorInnenschaft der Zeitschrift, zusammen mit den in der Zeitschrift vorhandenen Motiven von Gruppen, auf Überlegungen und Erprobungen von alternativen Lebensmodellen und von selbstgewählten Zugehörigkeiten. Passend zum Ort der Ausstellung, der Hauptstadt Brasiliens, sind in den Collagen immer wieder auch koloniale und neokoloniale Machtverhältnisse zu ehemals kolonisierten Ländern (hier vor allem Lateinamerikas) und deren BewohnerInnen thematisiert. Die hier zu besprechende Doppelseite führt vor, inwiefern die Anderen des heterosexuellen, weißen Mannes für dessen Konstruktion sowohl als Abgrenzungsmodelle als auch als Vorbilder und ‚Wahlverwandte‘ konstitutiv sind.21

21 Eine Analyse der gesamten Zeitschrift könnte zeigen, dass dies auch für die Collagen der übrigen Seiten

zutrifft, in denen vor allem Weiblichkeit als weiteres Anderes des männlichen Subjekts in den analytischen Blick gerückt wird.

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Abb. 60 Achim Duchow, Astrid Heibach, Sigmar Polke, Katharina Steffen Zweite Doppelseite der Zeitschrift Day by Day … They Take Some Brain Away 1975, Offsetdruck, 41,7 × 29,6 cm

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„All the madmen“ Insbesondere auf der ersten gestalteten Doppelseite der Zeitschrift „Day by Day … They Take Some Brain Away“ (1975) [Abb. 60] wird die Verknüpfung von Männlichkeit und kultureller Differenz in den Blick genommen. Allein in der Häufung verschiedener Repräsentationen von Maskulinität und den zahlreichen männlich konnotierten Posen und Praktiken, die zu sehen sind, ist der Doppelseite ein parodistischer Charakter zu eigen, der die Männlichkeitsinszenierungen lächerlich erscheinen lässt. Bowies Songtitel „All the Madmen“ und die Ambivalenz den so Bezeichneten gegenüber kommt einem beim Anblick dieser verschiedenen Aufführungen von Virilität in den Sinn und soll daher hier als Überschrift für den Beginn meiner Lektüre fungieren. Auf dem Hintergrund einer rot eingefärbten französischsprachigen Zeitung sind 17 Bilder – fast alle scheinen Zeitungen oder Zeitschriften entnommen zu sein – zu einem neuen ‚Text‘ zusammengefügt. In dieser Form kann die Doppelseite auch als ‚Palimpsest‘ bezeichnet werden, im Sinne einer mehrfach überschriebenen Seite, aber auch im Sinne poststrukturalistischer (vor allem literaturwissenschaftlicher) Kulturwissenschaft, die den Begriff für künstlerische Verfahren verwendet, in denen Materialien aus verschiedenen Medien angeeignet und zusammengebracht werden.22 Dieses Verfahren kann metaphorisch für die Grundannahme stehen, dass Bedeutungen nur dadurch entstehen, dass vorangehende Bedeutungen angeeignet und neu zusammengesetzt werden, d.h., dass sie nur im Rückgriff sowie im Verhältnis zu diesen vorher bereits existenten Bedeutungen entstehen können. Verwiesen wird mittels eines solchen Verfahrens auch darauf, dass ein ‚Werk‘ nicht ‚in‘ einem Autor entsteht, sich die Bedeutung dort nicht einfach herstellt, sondern dass sich dieser Sinn nur in einem quasi immer schon collagierten, aneignenden und zusammenbringenden Prozess formiert. Bedeutung wird in der Überlagerung von verschiedenen Texten oder/und Bildern produziert. Die Doppelseite von Polke und Co. zeigt auf, wie Konstruktionen von weißer Männlichkeit in Abgrenzung und unter gleichzeitigem Bezug auf kulturelle Differenz generiert werden. Größtes Element der Collage ist auf der rechten Seite eine Fotografie von weißen und schwarzen Männern, die mit einem besonderen Körperschmuck, sogenannten Penis-Hüllen, bekleidet sind und offensichtlich für eine Kamera posieren. Derartige Penis-Hüllen wurden (und werden vereinzelt auch heute noch) in verschiedenen Gesellschaften Papua-Neuguineas zu spezifischen Ritualen und Anlässen getragen. Auf der Fotografie wird durch die Mimik der drei Weißen schnell deutlich, dass sie die traditionelle Bekleidung der Indigenen zum eigenen touristischen Vergnügen und eher belustigend ausprobieren. Auf der linken Hälfte der doppelseitigen Collage ist eine fast gänzlich verblasste Fotografie

22 Zur Verwendung des Begriffs ‚Palimpsest‘ in kulturwissenschaftlichen Studien s. Metzler Lexikon der Literatur-

und Kulturtheorie (2001) sowie Klaus Krüger (2007). Zur Anwendung des Begriffs auf Polkes inhaltliche, aber auch formale Praxis s. Julia Gelshorn (2009: 416).

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von einer Demonstration der Black Panther Party in New York 1968 eingefügt. Auf gleicher Höhe und in ähnlichem Format wie die erstgenannte Fotografie bildet sie deren visuelles (aber auch inhaltliches) Pendant. Deutlicher erkennbar als die Demonstrierenden ist das Symbol des Schwarzen Panthers, das viermal auf Fahnen, die aus der Menschenmenge ragen, zu sehen ist und das ebenso wie der Schriftzug „Free“ und die Umrisse zweier Menschen nachgezeichnet wurde. Die beiden Schwarz-Weiß-Fotografien heben sich über ihre Größe und Zentralität sowie darüber, dass sie nicht wie die meisten anderen Collageelemente in rot eingefärbt wurden, ab. Sie spannen das Thema der Collage zwischen touristischem ‚going native‘ weißer Männer und der nur ‚schwach‘ wahrnehmbaren (oder wahrgenommenen?) schwarzen Freiheits- und Widerstandsbewegung gegen Rassismus auf. In wesentlich kleineren Formaten sind in einer Reihe oberhalb und unterhalb der beiden großen Fotografien weitere Visualisierungen weißer und schwarzer Männlichkeiten arrangiert. Nur einige wenige Bilder fallen aus der relativ ordentlichen Reihung heraus. Bis auf drei Ausnahmen sind diese kleineren Elemente alle rot eingefärbt, wodurch sie sich mit dem Hintergrund aus Zeitungen verbinden und – wie im Folgenden expliziert wird – das Thema Männlichkeit und kulturelle Differenz argumentativ auffüllen und kommentieren.

Von Touristen, Sportlern, Männern aus dem Militär und anderen Männerbünden Die meisten der zu sehen gegebenen Männlichkeiten dieses ‚Collagetextes‘ sind uniformiert. Die Einkleidungen reichen von militärischen Uniformen über ­Anzüge bis zu sportlichen Trikots. Viele der Männer sind mit Gewehren oder Pistolen dargestellt und lassen sich über die Uniformen Staatsorganen wie dem Militär oder der Polizei zuordnen. Die Darstellungen aus dem Bereich des Sports zeigen Aktivitäten wie Sumō-Ringen und Tauziehen, aber auch Siegerehrungen von Boxern und Leichtathleten. Gemeinsam ist fast allen Darstellungen der Verweis auf Kraft, Gewalt bzw. Gewaltandrohungen und Heldentum. Nicht zufällig finden sich in vielen Bildern verschiedene phallische Formen. Am markantesten ist das Zeichen des Phallus in den Penishüllen und in einer Unterhosenwerbung vorhanden, aber auch die verschiedentlich zu sehenden Gewehre und Waffen können als Phallussymbole decodiert werden, ebenso die Form des Zeppelins (oben links abgebildet) wie auch die des Pilzes (unten rechts in einer Grafik dargestellt). Welche Aussagen über Männlichkeit und kulturelle Differenz werden dabei gemacht? 23 Die große Fotografie auf der rechten Seite nehme ich aufgrund ihrer Dominanz als Ausgangspunkt meiner Lektüre. Sie ist einem Bericht der sogenannten Sensationspresse über weiße deutsche Urlauber in Papua-Neuguinea entnommen. Drei

23 Die konkrete Herkunft der einzelnen Elemente ist weder in der Collage selbst noch in den wenigen

Besprechungen der Zeitschrift benannt (das erwähnt auch Schmidt-Linsenhoff, 2009: 349ff).

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weiße Männer reihen sich in eine Gruppe von fünf schwarzen Männern ein. Nicht nur durch die Integration in die Gruppenaufstellung, sondern auch über den gleichen Körperschmuck werden sie einerseits Teil des Gruppenporträts und andererseits über Hautfarbe, aber auch über ihre Körperhaltung und vor allem über ihr zwischen Spott und Selbstironie changierendes Grinsen als verschieden, als Besucher und Touristen offensichtlich.24 Eine Differenz und Hierarchisierung stellt sich zwischen den weißen und schwarzen Männern außerdem über die zentrale Stellung, die erstere im Bildauf bau einnehmen, her. Einer der Europäer steht in der Mitte, und die Gruppe wird rechts von einem Indigenen gerahmt. Die drei Weißen überragen die anderen sowohl in der Größe ihrer Körper als auch der getragenen Fruchtbarkeitssymbole und nehmen durch ihre Gesten den meisten Raum ein. Das Gruppenbild, das dadurch entsteht, suggeriert keine Einheit, sondern vielmehr eine unüberwindbar scheinende Differenz. Erst bei genauerem Hinsehen ist erkenntlich, dass ein Schnitt kaum merkbar senkrecht über diesen Zeitungsausschnitt verläuft, die Fotografie also im Nachhinein montiert wurde, eventuell um den Verweis auf die Differenzkonstruktion und/oder den Konstruktionscharakter der Collage zu betonen. Die durch den Schnitt nur fragmentarisch wiedergegebene Bildunterschrift benennt die verkleideten weißen Männer als Touristen „auf der Suche nach Nervenkitzel“ und „dem einfachen Leben“.25 Die zusammengestückelte Zeitungsannonce wird in dem Collagezusammenhang lesbar als Darstellung einer touristischen Aktivität und als Form einer Projektion. Das Grinsen der Fotografierten fängt den lächerlichen Eindruck, den die nackten Weißen mit den überdimensionierten Fruchtbarkeitssymbolen machen, zumindest teilweise in Selbstironie auf, gibt aber auch eine gewisse Überheblichkeit preis. Offensichtlich wird mit diesem Collageelement die Aktualität der ­Faszination am Anderen als Fremdem, die zwischen Begehren und Abwehr, Bewunderung und Überheblichkeit bzw. Verachtung changiert, dabei eine Nähe zum Anderen imaginiert und sie gleichzeitig auch wieder leugnet, wie Homi K. Bhabha es für das FetischStereotyp als grundlegende Eigenschaft beschrieben hat.26 In der ambi­valenten Hoffnung, in außereuropäischen Kulturen ‚etwas‘ zu finden, was in der eigenen Kultur vermisst wird, wird ein Eskapismus fortgeführt, der dem des künstlerischen Primitivismusdiskurses strukturell vergleichbar ist. Insbesondere in vermeintlich linksalternativen und jugendbewegten Kontexten der 1970er Jahre galten Praktiken,

24 Ikonografische Vorbilder zu dieser Darstellungsweise lassen sich in ethnografischen Gruppenporträts von

Indigenen und in der Kostümierung weißer Kolonisatoren in tradierten Gewändern und mit Objekten aus der kolonisierten Kultur sehen. Gerade von Papua-Neuguinea, einst deutsche Kolonie, finden sich zahlreiche Fotografien in den Archiven deutscher Museen. 25 Konkret lesbar sind die Wörter: „Die drei Weißen, die sich mit einem Fruchtbarkeitssym“, direkt daran angesetzt ist das Wort „Papuas“. Die zweite Zeile lautet: „geschmückt haben gehören einer Touristen-Generation“ – wieder der Schnitt, und weiter geht es mit: „Urlaub suchen sie Strapazen, Nervenkitzel und das einfache Leben.“ 26 Die Collage von Polke und Co. macht mit diesem Element die Aktualität einer Ambivalenz dem Anderen gegenüber deutlich, die ich oben mit Homi K. Bhabha (2000) als primitivistisches Fetisch-Stereotyp beschrieben habe, über das kulturelle Differenz einerseits geleugnet wird (ich bin wie der Andere) und andererseits auch wieder betont werden muss (ich bin anders und eigentlich ‚besser‘ als der Andere).

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Rituale und Denkweisen ‚fremder Kulturen‘ vielen – auch KünstlerInnen – als ‚besser‘ und (Beuys ist dafür ein Beispiel) ‚Heil‘ versprechend. Mit der bekannten Formulierung der „Suche nach dem einfachen Leben“ wurden außereuropäische Gesellschaften erneut als ‚natürlichere‘, ‚intuitive‘, ‚ursprüng­liche‘ und ‚sexuell freie‘ usw. der eigenen als alternatives Lebensmodell gegenübergestellt, während sie gleichzeitig auch als ‚rückständig‘ angesehen wurden und die Annahme einer unüberwindbaren Differenz sowie einer weißen Überlegenheit weiterhin bestand. Der Ort der touristischen Inszenierung in der hier zu besprechenden Collage liegt im südpazifischen Raum. Dieser Raum (insbesondere Papua-Neuguinea) ist seit den späten 1960er/frühen 1970er Jahren nicht nur in der BRD erneut in die Aufmerksamkeit gerückt. 27 Nicht als ehemalige deutsche Kolonie (das scheint vergessen), sondern aus Interesse an den dort performten Geschlechterbeziehungen und damit einhergehenden Praktiken, Riten und Ritualen wandten sich WissenschaftlerInnen, aber auch andere ‚Interessierte‘ dieser Gegend zu. Schon in den 1970er Jahren war der südpazifische Raum in der europäischen Ethnologie bezüglich sexueller Praktiken und Geschlechterkonstruktionen erforscht worden ­(Schröter 2005). Die Ethnologin Susanne Schröter benennt Forschungen über Neuguinea als die ersten ethnologischen Forschungen zu Männlichkeit (2005: 56). Ihr z­ ufolge sind es gerade der große männliche Handlungsspielraum und die Männerbünde, die eine Faszination für viele (meist männliche) Forscher bis heute haben. Während in den ethnologischen Analysen dieser Geschlechterverhältnisse allerdings gezeigt werden konnte, wie Maskulinität in den melanesischen Gesellschaften kulturell hergestellt und Sexualität anders als in heteronormativen Kleinfamilien organisiert und gelebt wird, bezog sich das populärwissenschaftliche Interesse an diesen Kulturen in den 1970er Jahren eher auf eine neue Propagierung von ‚natürlicher Männlichkeit‘.28 Eine Wiederbelebung biologistisch-reduktionistischer Theorien von Männlichkeit stellt auch der Männlichkeitsforscher Robert W. Connell als für dieses Jahrzehnt bedeutsam heraus (2006: 66). Die Collage von Polke und Co. entlarvt diese Versuche, eine angesichts der Zweiten Frauenbewegung ­bedrohte Männlichkeit wieder neu zu versichern. Im Kontext der anderen Bilder von ­Männerbünden, Helden und Kraftprotzen liest sich die Kostümierung der Weißen mit Penishüllen als nur eine weitere Form der Inszenierung von naturalisierter Virilität. Die Suche nach ‚etwas‘ Heilversprechendem bei den ‚Primitiven‘ in NeuGuinea wird als Suche nach ursprünglicher, natürlicher Männlichkeit und männlicher Sexualität dargestellt und als Projektion eigener, den Protagonisten offensichtlich peinlicher, Vorstellungen und Wünsche offensichtlich. Ein erster flüchtiger Blick lässt die umliegenden Bilder in der Mehrzahl zunächst als gegensätzlich wahrnehmen. Die meisten entstanden im Bereich von Leistungssport, Militär sowie anderen Staatsgewalten und also eher in Zusammenhängen,

27 Das kann ein Blick auf die gehäuften Publikationen im populärwissenschaftlichen Bereich zu diesem Thema

belegen. 28 Zur Forschung über Männlichkeit in Neuguinea siehe Schröter (2005: 56) und Gilbert H. Herdt (1984).

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die durch Hierarchien, Disziplinierungen und strikte Regeln organisiert sind. Nackte Männer mit Penishüllen wirken gegenüber den uniformierten und trainierten Körpern dieser männlich geprägten Bereiche ‚alternativ‘.29 Beim zweiten Blick auf die verschiedenen Männlichkeiten wird jedoch deutlich, dass auch der als ‚alternativ‘ geltende Bezug auf das vermeintliche ‚Naturvolk‘ letztlich nur dazu dient, sich einer Vorstellung von ureigenem Mannsein zu versichern. In dem ­Bestreben, naturalisierte Virilität zu inszenieren, scheinen sich die meisten Repräsentationen und auch die darauf dargestellten Akteure zu ähneln. Vor allem die Verbildlichungen aus dem Bereich des Sportes visualisieren eine als natürlich vorgestellte Maskulinität und können als Vor-Bilder für eine solche erkannt werden: Zu sehen sind auf dem vierten Bild der oberen Reihe zwei – vermutlich japanische – Sum-Ringer mitten im angestrengten Kampf. Das fünfte Bild der unteren Reihe ist wiederum eine historische Fotografie (vermutlich der 1920er/30er Jahre), auf der zwei Boxer mit ihrem Trainer (alle drei sind weißer Hautfarbe) nebeneinander im Schulterschluss und Richtung Kameraobjektiv blickend abgelichtet sind. Der rechte Boxer erinnert entfernt an den deutschen Boxer Max Schmeling, der in den 1920er/30er Jahren Erfolge erzielte und noch heute zu den populären Helden der deutschen Sportgeschichte zählt. Rechts neben Letzterem ist ein bekanntes Bild von zwei schwarzen Sprintern aus dem Jahr 1968 ins Bild montiert, und über die linke, untere Ecke der Aufnahme aus Papua-Neuguinea ist eine kleine Aufnahme eines Tauziehwettbewerbs aus dem – laut Bildunterschrift – Polizeisport gesetzt. Der Sport wird in all diesen Visualisierungen nicht nur als körperliche Ertüchtigung und als Kraftakt, sondern auch als gemeinschaftsbildend und vorbildhaft vorgestellt. Connell hat dargelegt, dass Männlichkeit in der Massenkultur des späten 20. Jahrhunderts immer mehr über den Sport definiert wird (2006: 74). Mit der Collage von Polke und Co. ließe sich ergänzen, dass der Sport auch schon das gesamte 20. Jahrhundert über ein Ort war, an dem Männlichkeit definiert und zur Schau gestellt wurde. Darüber hinaus ist der Sport – der Collage zufolge – anscheinend auch ein Ort, an dem auch rassisierte, ethnisch oder kulturell Andere zu gefeierten Vorbildern werden können. Auf Polke und Co.s Doppelseite werden jedoch gerade nicht bekannte Helden der Sportgeschichte vorgeführt (gleichwohl sie mit assoziiert werden), sondern eher unbekannte Sportler aus verschiedenen Ländern und Zeiten (Deutschland, Japan und die USA). Dadurch – so ließe sich folgern – wird zum einen ein allgemeiner Eifer nach einer gelungenen virilen Performance naturalisierter Männlichkeit herausgestellt, zum anderen aber auch die Möglichkeit, über eine solche Inszenie-

29 Thomas Alkemeyer hat in seiner „politischen Geschichte des Körperkults“ dargelegt, dass mit der sogenannten 68er Bewegung in den alternativen Szenen sich ein Gegendiskurs zu den disziplinierenden Ordnungen formierte, der auf individuellen Lustgewinn zielte (2007: 16) und damit – so kann gefolgert werden – nicht trainierte, sportliche Körper als attraktiv galten, sondern eher schlaksige Körper, die bis zur Selbstzerstörung ausgemergelt wirkten.

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rung als Subjekt anerkannt zu werden. In der Collage verknüpfen sich diese Männlichkeitsbilder weitergehend mit Fotografien, die – ebenfalls unbekannte – Personen aus dem Bereich des Militärs und anderer Staatsgewalten abbilden. Auf der zweiten kleinen Fotografie der oberen Reihe sind zwei weiße Männer mit Sonnenbrillen und militärischen Uniformen inklusive Schirmmützen beim Schießen abgelichtet. Unten links und von der zentralen großen Fotografie teilweise verdeckt ist eine Frontalaufnahme von einem ähnlich gekleideten, aber frontal aufgenommenen Mann mit Gewehr zu erkennen. Alle drei erinnern weniger an das Bild deutscher soldatischer Männlichkeit, wie sie Klaus Theweleit in den 1970ern analysiert hat (1977), sondern eher an amerikanische Cops und Soldiers, die aus Filmen und Fernsehaufnahmen bekannt waren. Das erste Bild der unteren Reihe zeigt im Profil zwei Soldaten mit Helmen und Gewehren im Anschlag. Und auch die Bilder in der oberen rechten Ecke der Collage geben Personen, die dem Militär (eventuell Marine und Luftwaffe) oder einer anderen Staatsgewalt angehören, wieder. Auf dem fünften Bild der oberen Reihe sind mehrere Männer mit sogenannten ­‚Melonen‘ (Bowler Hats) auf einem Schiff zu sehen. Da dieser markante Hut hauptsächlich in England getragen wurde (und wird) und Winston Churchill einer seiner bekanntesten Träger war, liegt die Assoziation an englische Staatsmänner oder Politiker nahe. Die Fotografie rechts daneben zeigt einen Mann mit Schirmmütze (evtl. von der Marine), und in einem kleinen Bild, das über die rechte Ecke der Fotografie von den Touristen schräg in die Gesamtkomposition gesetzt ist, sind zwei Männer mit Helmen vor einem Hubschrauber abgelichtet, die die Bildunterschrift als Bundesgrenzschutz ausweist. Schon die Beschreibungen dieser Bilder verdeutlichen, dass in den meisten der Repräsentationen vordergründig über körperliche, kraftaufwendige Aktionen, vor allem aber über Pose, Kleidung und technische Geräte (insbesondere Waffen) maskuline Macht, Kraft und Potenz versinnbildlicht wird. Dass sich Duchow und Polke in den 1970er Jahren häufig zusammen und mit Waffen fotografieren ließen und Waffen verschiedentlich in Projekten der Clique um Polke vorkamen, ist im Kontext ihrer Auseinandersetzungen mit Geschlechterklischees kein Zufall und als Parodie der auch eigenen Faszination an militärischer und heroischer Männlichkeit zu verstehen.30 Gemeinsam sind den hier zusammengebrachten klischeehaften Bildern von Männlichkeit neben den jeweils einheitlichen Einkleidungen außerdem Verweise auf Kameradschaft, Männertruppen und -bünde. Parodiert werden solche, wenn der Mann mit Schirmmütze in der sechsten Fotografie der oberen Reihe nicht zu merken scheint, dass sein Kamerad, mit dem er den Blick

30 Beispielhaft dafür ist eine in zwei Reihen präsentierte Serie von 24 Fotografien, ohne Titel, 1975, die

fotografische Inszenierungen von Katharina Sieverding sowie von Polke und Duchow integrierte. Zu sehen sind in der ersten Reihe Fotografien von Sieverding als Aktmodell sowie Fotografien eines sich in Ektase befindenden Pakistani und in der unteren Reihe Aufnahmen von Duchow und Polke, die mit Gewehren posieren, sowie von Sieverding als Assistentin eines Messerwerfers und in einem Palmenwald.

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aufmerksam nach vorne gerichtet hat, ein Pudel ist. Viele der anderen Verbild­ lichungen zeigen mindestens zwei Männer, die als zusammengehörig zu erkennen sind (als Sports- oder Kriegskameraden). Die gemeinschaftliche Performance von Männlichkeit in den verschiedenen Bereichen wird als notwendiges Element zur Konstituierung naturalisierter hegemonialer Männlichkeit ausgestellt. Spätestens wenn Penishüllen dieses Element bilden, wirken sie – zumindest an den weißen Männern – lächerlich.31

Phallussymbole Der Körperschmuck der ungleichen Männergruppe der rechten Fotografie, der von der Bildunterschrift als „Fruchtbarkeitssymbole“ beschrieben ist, ist innerhalb der Collage besonders auffällig. Nicht nur die für westliche Betrachtende unbekannte und ungewöhnliche Einkleidung, auch die dadurch angedeutete Vergrößerung des männlichen Genitals zieht die Aufmerksamkeit auf sich. In der Collage finden sich weitere auf den Phallus verweisende Formen. Die aufgerichteten oder sich im Anschlag befindenden Waffen können analog zu den aufgerichteten Penishüllen ebenfalls als Phallussymbole gedeutet werden. Auch der Zeppelin, der vor dem Hintergrund eines dramatischen Wolkenhimmels mit Meer aufgenommen wurde, hat die Form eines Phallus (der Zeppelin hatte zwischen den beiden Weltkriegen gerade in Deutschland eine besondere Begeisterung ausgelöst und wurde sowohl militärisch als auch zivil genutzt). Eine weitere Phallusform kann in der über­ dimensionierten Darstellung eines Pilzes ausgemacht werden, zu sehen in der Grafik, die als viertes Bild der unteren Reihe in das Ensemble montiert wurde und einen indigenen Mann zeigt, der im Schneidersitz vor einem Fliegenpilz sitzt und einen großen Joint raucht. Überoffensichtlich und gleichzeitig parodistisch gebrochen wird der Phallus in der Unterhosenwerbung des dritten Bildes der oberen Reihe, die mit dem Schriftzug „Soviel Freiheit wie nötig, soviel Mann wie möglich. HOMIX-der Slip“ und dem Bild von einem männlichen Rumpf mit beworbener Unterhose kombiniert ist. Der Phallus stand und steht in verschiedenen Kulturen für (männliche) Fruchtbarkeit und Kraft, in der europäischen Kulturgeschichte ist der Phallus seit der griechisch-lateinischen Antike die bildliche Darstellung des Penis. Psychoanaly­

31 Pierre Bourdieu hat ebenfalls herausgestellt, dass sich der männliche Habitus konstruiert, „indem sich,

unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen“ (1997: 203). 32 Jacques Lacan und im Anschluss an ihn verschiedene TheoretikerInnen haben mit dem Begriff darauf verwiesen, dass es keine ontologisch begründbare Geschlechtsidentität gibt, die ‚vor‘ oder unabhängig von Sprache existiert (1975). Die Wendung von der Position des ‚Phallus-nicht-Habens‘ zu der Position des ‚PhallusSeins‘ erklärt Judith Butler mit Lacan wie folgt: „Wenn Lacan behauptet, dass das Andere, dem der Phallus fehlt, der Phallus ist, will er offenbar darauf hinweisen, dass die Macht des Phallus durch die weibliche Position des Nicht-Habens bedingt ist und dass das männliche Subjekt, das den Phallus ‚hat‘, die Andere braucht, die den Phallus bestätigt und somit im ‚erweiterten‘ Sinne der Phallus ist“ (1991: 75f).

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tische TheoretikerInnen haben die symbolische Funktion des Penis betont und damit dessen Vorrangstellung aufgezeigt, an dessen Haben oder Nicht-Haben­ (bzw. ‚Phallus-Sein‘)32 nicht nur Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch männliche Dominanz festgemacht wird (s. dazu Laplanche und Pontalis 1999: 385f ). ­Feministinnen der Zweiten Frauenbewegung haben den Phallus als das Symbol patriarchaler Herrschaft und einer patriarchalen Struktur des Begehrens benannt und diese Ausrichtung der Gesellschaft als Phallozentrismus kritisiert. Die ­Collage von Polke und Co. knüpft an diese Kritik an und verweist auf die Allgegenwärtigkeit von Phallussymbolen in der zeitgenössischen visuellen Kultur. Parodiert wird sie in der Collage durch die serielle Häufung der verschiedenen Phalli aus den ­unterschiedlichsten Bereichen, bis der Phallus mit so etwas Profanem wie einer Unterhosenwerbung an das körperliche Organ zurückgebunden und durch den Werbespruch weiter mit dem Schlagwort ‚Freiheit‘ verknüpft wird. Bezüglich des Diskurses um naturalisierte Männlichkeit deckt die Collage somit auf, über welche Repräsentationen und Formationen Virilität im 20. Jahrhundert als natürlich behauptet und wie diese letztlich wieder über den Signifikanten Phallus an das eine Organ, den Penis, geknüpft wird. Deutlich wird, dass diese Rückbindung von Männlichkeit an den biologischen Körper und an das als männlich geltende Geschlechtsorgan, das erst mit einer gewissen Größe Männlichkeit beweist („soviel Mann wie möglich“), immer wieder neu performt und somit hergestellt werden muss. Eine Performance, die angesichts von Veruneindeutigungen der Zweigeschlechtlichkeit durch Dandytypen wie Bowie und andere, aber auch angesichts eines Feminismus, der die männliche Hegemonie angreift, unter Rekurs auf vermeintlich ‚primitive‘ Völker erneuert werden muss, indem das ausschlaggebende Organ mit Hilfe von Schmuck vergrößert und die in Zweifel geratene Männlichkeit damit ‚geheilt‘ wird. Dass die Bemühungen dieser virilen Performance übertrieben und somit lächerlich erscheinen, macht die Fotografie dabei fast schon alleine deutlich. Zusammen mit den anderen Abbildungen wird überdeutlich, aus welchen ‚Bausteinen‘ Männlichkeit konstruiert und be-deutet wird und wie zentral der Phallozentrismus für diese Konstruktion ist.

Projektive Suche nach ‚Freiheiten‘ Ein weiterer Konnex, den die Collage aufgreift, ist der von Männlichkeit mit Vorstellungen von ‚Freiheit‘. Das Foto von den Männern, die bei den Papuas eine spezifische ‚Freiheit‘ suchen, eine ‚sexuelle Befreiung‘ von als einschränkend wahrgenommenen westlichen Männlichkeits- und Sexualitätsvorstellungen, ist nicht das einzige Element der Collage, das diese Bedeutungsverknüpfung offensichtlich macht. Auch der Zeppelin ist eine Versinnbildlichung von Freiheit, insofern er die Freiheit bietet, sich in der Luft zu bewegen, und gleichzeitig eher als männliche Technologie gilt. Eine andere Form von Freiheitsvorstellung signifiziert die Grafik mit dem Fliegenpilz und dem ‚kiffenden‘ – ebenfalls männlichen –

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I­ ndigenen. Diese von Polke selbst hergestellte Grafik ziert ein roter Pilz, der in Polkes künstlerischer Praxis mehrfach als Motiv vorkommt.33 Dass Fliegenpilze halluzinogene Wirkungen haben, gehörte in bestimmten Szenen und Bewegungen der 1970er Jahre zum Allgemeinwissen. Den bekanntesten literarischen Verweis auf diesen Effekt des rot-weißen Pilzes hat Lewis Carroll in seinem Märchen ­„ Alice im Wunderland“ (1863) vorgenommen, zu dem Polke wiederum 1972 ein Stoffbild erstellte, das Drogenrausch, aber auch kindliche Fantasien assoziieren lässt. W ­ ährend in Westeuropa und den USA der Fliegenpilz als hochgradig giftig verschrien war und ist, wurde und wird er in verschiedenen Kulturen (beispielsweise in Sibirien) im Zusammenhang mit mythisch-religiösen Ritualen als rauscherzeugende ­Substanz verwendet. Gerade linksalternative Sub- und Jugendkulturen der 1970er Jahre stellten die radikale Ablehnung von bewusstseinsverändernden Stoffen in westlichen Staaten als auch rassistisch und eurozentrisch motiviert infrage. Mit dem Wunsch nach Rauschzuständen anderer Kulturen wurden Stereotype von ‚primitiven Kulturen‘ als nicht rational, sondern rauschhaft, exzessiv und auf Vergnügen ausgerichtet aber auch reproduziert. Erneut wurde das, was der eigenen Kultur mangelt, in der anderen begehrt, in diese aber auch hineinprojiziert. Eine solche Tendenz findet sich auch in Polkes verschiedenen Darstellungen von Pilzen mit Angehörigen ‚indigener Völker‘, die an ‚Indianer‘ und ‚Schamanen‘ erinnern oder sich zumindest für solche Stereotypisierungen vereinnahmen lassen. So beispielsweise in einem Offsetdruck, der auch für ein Plakat zu einer Ausstellung Polkes in der Kunsthalle Kiel, 1975, verwendet wurde und dessen Titel aus einer rückwärts aufgeschriebenen Sequenz eines deutschen Volksliedes über einen Fliegenpilz gebildet ist: Mu Nieltnam Netorruprup.34 Allerdings verweist die Arbeit mit diesem Titel auch nicht einfach nur auf die ‚befreiteren‘ gänzlich Anderen, sondern mit der invertierten Liedsequenz wird Eigenes (deutsches Liedgut) exotisiert und somit darauf angespielt, dass das Begehren nach Rauschzuständen oder zumindest ein Interesse an Pf lanzen, die solche auslösen, sowie eine verdeckte Thematisierung davon auch in der eigenen Kultur vorhanden ist. Wenn das Motiv des kiffenden Indigenen nun in einer Collage zitiert wird, die Männlichkeitsmythen und verschiedene Vorstellungen und Projektionen von ‚Freiheit‘ dekonstruiert, dann kann das ebenfalls nicht nur als das Bild einer als Ausweg angepriesenen Gegenkultur verstanden werden, sondern als selbstironischer Kommentar zur eigenen Suche nach einer Form von Befreiung und ‚Freiheit‘ in differenten Kulturen und deren Praktiken. Wie projektiv und selbstbezogen eine solche Suche, aber auch die anderen ­visualisierten weißen männlichen Suchen nach ‚Freiheit‘ sind, wird weiter deutlich, wenn die zweite große Fotografie von der Demonstration der Black Panther in die

33 Zu dem Motiv des Pilzes in Polkes Praxis s. auch Lange-Berndt und Rübel (2009: 49). 34 Das Lied von Hoffmann von Fallersleben deutet zumindest mit der ersten Strophe an, dass es um einen

Fliegenpilz gehen könnte, in der zweiten scheint dann aber die Hagebutte gemeint zu sein, was in der dritten, gesprochenen Strophe bestätigt wird.

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Bildlektüre einbezogen und ihre kontrastive Aussage thematisiert wird. Die Fotografie ist nur als ‚Schatten‘ erkennbar, einzig die Symbole des schwarzen Panthers und des Wortes „Free“ wurden betont. Dadurch wird der Blick auf den gesamten und mehrfach zu findenden Slogan „Free Huey“ gelenkt. Auch wer die relativ bekannte Aufnahme vom 22. Juli 1968 einer Demo in New York nicht kennt, kann daraus schließen, dass hier Proteste gegen die Inhaftierung des schwarzen BlackPanther-Gründungsmitglieds Huey Newton zu sehen sind.35 Ziel dieser Proteste war sowohl die Befreiung Newtons als auch die Durchsetzung der Forderungen der Black Panther, deren erste Forderung die Freiheit und Selbstbestimmung von allen in den USA lebenden Schwarzen war. Im Zuge der ansteigenden Aufmerksamkeit für die Black Panther, zu der auch die Ikonisierung von Newton beigetragen hat, gründeten sich in mehreren Ländern, u.a. in der BRD, Solidaritätsgruppen, wodurch die Partei der Schwarzen gerade in linksorientierten Zusammenhängen bekannt wurde (Seibert 2008: 99ff). Wenn Polke und Co. die Fotografie in dieser fast gänzlich unerkennbar gewordenen Form verwenden, verweist das weder auf die Ikonisierung Hueys noch auf die körperlich sichtbaren Demonstranten. ­Hervorgehoben sind vielmehr die Zeichen der Bewegung und darüber deren ­inhaltliche Ziele. Diese kontrastieren in der Collage mit denen der weißen Touristengruppe auf der gegenüberliegenden Seite, und so ist man geneigt, die Aktionen der Black Panther im Kontrast zur touristischen Freiheitssuche als Kampf um eine ‚wirkliche Freiheit‘ zu benennen. Während die drei deutschen Männer mit Penishüllen in lächerlicher Weise nach Männlichkeitsbeweisen und ‚Freiheit‘ bei schwarzen Indigenen Melanesiens ‚suchen‘, kämpfen die Black-Panther-Mitglieder gegen reale Repressalien und existentielle Unfreiheiten, gegen Inhaftierung und weitere rassistische Praktiken und Strukturen, die Schwarze diskriminieren und ihnen gleichberechtigte Lebensweisen absprechen sowie verunmöglichen. Deutlich wird, dass die Motivationen, aus denen heraus die Black Panther agieren, gänzlich andere sind als die des touristischen ‚going native‘ – auch wenn beide das Schlagwort ‚Freiheit‘ verwenden. Expliziert wird, dass beide von unterschiedlich hierarchisierten Positionen aus sprechen und operieren sowie dass Rassismus in unterschiedlichen Formen weiter aktuell ist. Das Schattenhafte der Fotografie von der Demonstration kann darüber hinaus auch als Metapher für eine nur ‚schwache‘ öffentliche Wahrnehmung und ein Negieren dieser Kämpfe gegen Rassismus durch die weiße Öffentlichkeit gelesen werden. Gleichzeitig kann das ‚Aufscheinen‘ der Fotografie als Metapher für eine nicht zu löschende Erinnerung an die Geschichte der Sklaverei und für ein Fortwirken rassistischer Strukturen sowie vor allem für den schwarzen Widerstand 35 Nachdem Newton 1966 die Black Panther Party mit gründete, kam es im Oktober 1967 zu einer Schießerei zwischen Newton, einem anderen Mitglied der Black Panther und zwei weißen Polizisten. Newton wurde dabei schwer verletzt und des Mordes an einem Polizisten angeklagt, woraufhin er inhaftiert wurde. Ein Jahr später wurde er zu 2 bis 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach einer Anfechtung des Urteils gewann er im August 1970 den Prozess und wurde freigelassen. In der Zwischenzeit war er zu einem der bekanntesten Gesichter der Black Panther Party geworden.

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dagegen stehen. Diese Aussage wird durch die darunter liegenden kleineren Bilder aus den letzten zwanzig Jahren noch gestärkt. Direkt unter der Fotografie von der Demonstration ist ein grafisches Bilderrätsel in die Collage montiert, das ein ­L abyrinth mit mehreren verschlungenen Wegen darstellt. Am unteren Ende des Irrgartens sitzt auf einem Pferd ein weißer Kolonialherr – erkennbar an weißer Haut, weißem Anzug und Tropenhelm. Der so Ausgestattete befindet sich vor einem der vier Eingänge ins Labyrinth. An dessen anderem Ende ist ein schwarzer Junge abgebildet, der – nur mit einer kurzen Hose bekleidet – davonläuft. Um das Labyrinth herum bzw. aufseiten des weißen Kolonialherrn sind Hunde mit gereckten Köpfen gruppiert, die jeweils vor einem der Eingänge stehen. Überschrieben ist das Rätsel mit einer Aufforderung in französischer Sprache: „TOM S’EST ­ECHAPPE; AIDEZ LE BRAVE PLANTEUR A LE RETROUVER: LAQUELLE DE CES QUATRE MEUTES DE CHIENS DOIT-IL LACHER?“ („Tom ist entflohen, hilf dem mutigen Farmer, ihn wiederzufinden: Welchem der vier Hunde des Rudels muss er folgen?“). Neben diese Grafik ist eine Fotografie montiert, die Soldaten mit Gewehren zeigt. Zusammen entsteht so der Eindruck, dass die Soldaten dem Farmer ‚zur Seite‘ stehen würden. Eine solche Haltung oder Parteinahme fordert auch das Rätsel. Die Zusammenstellung der Collage steigert damit das in dem grafischen Bilderrätsel visualisierte Gewaltpotential des weißen mutigen Farmers und dessen Macht­ position. In dieser Übersteigerung wird die Normalität offensichtlich, mit der das Bilderrätsel den Rätselnden/Betrachtenden als Weißen adressiert und auffordert, die Position des mutigen Farmers einzunehmen sowie an der Machtposition ­gegenüber dem schwarzen infantilisierten Anderen teilzuhaben. Die weiße gewalttätige Machtposition wird als legitimierte erkennbar. Dass es sich bei dem ­Collageelement um ein Rätsel bzw. um ein Spiel handelt, potenziert den als Normalität geltenden Rassismus der Darstellung.36 Der weißen Machtposition wird innerhalb der Collage aber auch etwas entgegengesetzt: die protestierenden Schwarzen auf der Fotografie der Black-Panther-Demonstration scheinen in der collagierten Zusammenstellung den Soldaten und dem Kolonialherrn entgegenzustürmen. Sie sind auf der Fotografie zwar nur schwach erkennbar, dafür aber größer und dynamischer. Die Szenerie der Fotografie rechts neben dem Bilderrätsel ist dagegen wesentlich ‚harmonischer‘ und unbewegter. Ein Junge mit weißer Hautfarbe, der in einer süddeutschen, evtl. bayrischen Tracht gekleidet ist, trinkt Wasser aus einem steinernen Brunnen vor einem Panorama aus schneebedeckten Alpen. Mit diesem bis heute beliebten idyllischen Postkartenmotiv wird dem schwarzen ungehorsamen ‚Tom‘ das Gegenbild eines weißen Buben an die Seite gestellt. Während die Figur des schwarzen Jungen zur Hetzjagd auffordert, gilt die des weißen Knaben in weißem Hemd und Lederhosen (Letztere sind zwar nicht erkennbar, werden aber

36 Das Suchen nach einem geeigneten Weg in dem Bilderrätsel ähnelt gleichzeitig auch der Suche nach einer

Lektüre der Doppelseite selbst, beide ‚Wege‘ sind verschlungen und verlaufen weder gradlinig noch folgen sie einer sofort erkennbaren Ordnung.

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sofort mitassoziiert) als anrührend und als Sinnbild für die ‚deutsche Heimat‘. In dem Tableau diverser Männlichkeitsbilder steht es für eine romantische Vorstellung von männlicher (weißer) Jugend Deutschlands. Drei Bilder weiter, in dem letzten Bild der unteren Reihe, findet sich, quasi als Abschluss der gesamten C ­ ollage, noch eine bekannte Fotografie von schwarzem Widerstand gegen Rassismus und Hegemonie. Zu sehen sind die zwei schwarzen US-amerikanischen Sprinter T ­ ommie Smith und John Carlos, die 1968 während der Medaillenverleihung der Olympiade in Mexiko zur Musik der Nationalhymne der Vereinigten Staaten die Köpfe gesenkt und jeweils einen Arm mit geballter Faust nach oben gestreckt hatten. Sie bekundeten mit dieser Geste ihre Unterstützung der Black Panther Party im Kampf gegen Rassismus und die Verletzung von Menschenrechten in den USA. Innerhalb der Collage ist die Abbildung zunächst unscheinbar, weil sie sich in die Fotografien von internationalen Sportlern einreihen lässt. Als Sportler ziehen die beiden Schwarzen die Bewunderung und auch das Begehren von Weißen auf sich. Sie haben mit der gehobenen Faust während der Siegerehrung ein deutliches Zeichen gegen Rassismus und weiße Hegemonie gesetzt, worüber ihre Abbildung sich mit der großen Fotografie vom schwarzen Widerstand verknüpft. Dadurch, dass der institutionelle Zusammenhang der eines sportlichen Wettbewerbs ist, verbindet sich ihre Repräsentation auch mit den anderen Darstellungen, die auf männliche Kampfaktionen verweisen. Indem sie am Ende der unteren Reihung ins Bild gesetzt ist, kann sie als Schlussstatement verstanden werden, das hier schwarzen Widerstand gegen weißen Rassismus betont, diesen aber gleichzeitig in Verbindung zu Praktiken der Konstruktion von hegemonialer Männlichkeit setzt. Demzufolge kann in dem gesamten Tableau von Männlichkeitsbildern einer kritisch gewendeten oder besser: zur Kritik offengelegten Verknüpfung der ­Bedeutungen von Männlichkeit/Männerbünden/Kraft/Phallus/Freiheit gefolgt werden. In einer Lektüre, die weniger der Reihe nach von links nach rechts als mehr sprunghaft den verschiedenen Analogien nachgeht, habe ich beabsichtigt, dies vorzuführen. Aufzeigen lässt sich, dass die Konstruktion weißer Männlichkeit abhängig ist von dem gewaltvollen Ausschluss, der Abgrenzung von und der ­Beherrschung sowie Ausbeutung des schwarzen Anderen (signifiziert z.B. über das koloniale Bilderrätsel), dem sie hinterherläuft (im Bild des Farmers und auch der schwarzen Sprinter wird quasi hinterhergerannt) und den sie nicht nur abwertet, sondern auch begehrt bzw. für den Beweis natürlicher Virilität (über Penishüllen der Papuas) in einem nach wie vor umkämpften Feld der Geschlechter sogar benötigt. Während das westliche Bildreservoir für diese Bedürfnisse Visualisierungen bereithält, verblassen die Darstellungen von schwarzem Widerstand, der aber – so die Aussage vor allem auch der letzten Fotografie – weiter anhält und wirkmächtig ist, sich aber gleichwohl an weißen Männlichkeitskonstruktionen misst respektive messen muss. Resümieren lässt sich, dass Polke und Co. mit ihrer Collage eine parodistische Kritik an Männlichkeitskonstruktionen und am Verständnis von kultureller ­Differenz, d.h. den Zuschreibungen an und Verhältnissetzungen zum kulturell

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Differenten formuliert haben. Allerdings liegt in dem prominenten Verweis auf die schwarze Bürgerrechtsbewegung aus den USA und in der Verwendung eines kolonialistischen Bilderrätsels in Französisch auch eine Tendenz, Kolonialgeschichte und Rassismus nicht als auf Deutschland bezogen darzustellen. Dagegen spricht, dass die Fotografie mit den Penishüllen-Touristen eindeutig einer deutschsprachigen Zeitung entnommen wurde. Es findet sich zwar kein Verweis darauf, dass ein Teil von Papua-Neuguinea einst deutsche Kolonie war, aber zum einen kann in der Collage auch keine Abgrenzung von französischer und US-amerikanischer gegenüber einer als ‚deutsch‘ spezifizierten visuellen Kultur ausgemacht werden, und zum anderen wird mit dem vermutlich aus der Bild-Zeitung zitierten Artikel ­deutlich, dass primitivistische Projektionen und rassistische Praktiken auch von Deutschen ausgeführt werden und in Geschlechterkonstruktionen eingelassen sind bzw. sich mit diesen verschränken.

Verhandlungen kultureller Differenz in dem Zyklus „Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen“, 1976 Männerbünde in Melanesien, primitivistische Projektionen und allgemein kulturelle Differenz beschäftigten Polke weiter. In dem ein Jahr später erstellten und aus zehn Gouachen auf Papier bestehenden Zyklus „Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen“, 1976, sind zwei Blätter, „Neu Guinea“ [Abb. 61] und „Baumhaus“, enthalten, die sich diesem Themengebiet zuordnen lassen. Im Mittelpunkt dieses Konvoluts aus monumentalen Darstellungen (je in der Größe von 200 × 300 cm) steht „die malerische Reaktion auf eine medial vermittelte Welt“ (Lange-Berndt und Rübel 2009: 22), und so werden auch Darstellungen von kultureller Differenz auf die Bedeutung ihrer medialen Träger befragt. Die Motive, anhand derer die einzelnen Blätter diese medien- oder repräsentationskritische Reflexion vornehmen, sind insgesamt äußerst heterogen. Angespielt wird auf Wahrnehmungserfahrungen (auch psychedelischer Art), auf Konsum und Kapitalismus, auf ferne Länder und alte Gottheiten (ägyptische) sowie auf politische Aktionen (Demonstrationen und Terrorismus). Zitiert werden dabei sowohl einige wenige bekannte Bilder aus der dominanten Populärkultur, vor allem aber Bilder aus Subkulturen (hier vor allem aus Underground-Comics) und in der Dominanzkultur eher unbekannten Zusammenhängen. Die Gouachen verleugnen ihren Herstellungsprozess dabei nicht, und so lassen zum Beispiel leicht schief ins Bild gesetzte Motive auf nachgezeichnete Projektionen von Diaprojektoren schließen. Erkennbar werden per Schablone angebrachte Elemente. Nachzeichnungen und einige der ineinandergeschobenen Bilder wirken wie abgemalte Überblendungen. Insgesamt verwendete Polke auch in dieser Serie Herstellungsverfahren, die nicht auf subjektive Einfälle, sondern auf adaptierte Vorlagen schließen lassen, womit das praktische Vorgehen zum Prinzip für die inhaltliche Analyse von medialisierten Bildern erhoben wurde.

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Abb. 61 Sigmar Polke Neu Guinea, Blatt aus der Serie Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen 1976

Abb. 62 Männer aus dem Volk der Marind-Anim, Niederländisch Guinea 1921, Abb. aus dem Ausst.-Kat. Melanesien. Schwarze Inseln der Südsee, Rautenstrauch-Joest Museum für Völkerkunde, Köln 1971.

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Eine Reihenfolge der einzelnen Blätter ist nicht festgelegt, sie sollen erklärtermaßen immer wieder neu zusammengestellt werden.37 In dieser Anweisung kann schon ein Hinweis darauf gelesen werden, dass die Betrachtenden mit der Arbeit selbst aufgefordert sind, mit den Bildern im weitesten Sinne ‚umzugehen‘, d.h., sich mit den aufgeworfenen Fragen gedanklich zu befassen und nicht ‚einfach nur‘ Antworten abzulesen. Julia Gelshorn führt die Überlegung an, dass vorher e­ rstellte Arbeiten von Polke und Duchow (z.B. „Original + Fälschung“, 1973) stark didaktisch geraten waren und nun in diesem Zyklus auch Momente der Verunklärung und des Scheiterns von sinnlogischen Bezügen aufgenommen wurden (2009: 413f). Wenn Lange-Berndt und Rübel schreiben, dass die Blätter „die Frage nach dem Sinn vehement ans Publikum zurück[spielen]“ (2009: 25), verweisen sie in ähn­ licher Weise auf die eher offen gehaltenen Statements der einzelnen Blätter. Im Folgenden werde ich das Blatt „Neu Guinea“ daher bezüglich seiner Aussagen, aber auch der von ihm aufgeworfenen Fragen besprechen. Eine Verknüpfung zu anderen Blättern des Konvoluts liegt mit dem Blatt „Baumhaus“ insofern nahe, als beiden jeweils eine Abbildung aus dem Katalog zur Ausstellung „Melanesien. Schwarze Inseln der Südsee“, die 1971 im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln zu sehen war, zugrunde lag. Beide wurden von Polke in Malerei übersetzt. ­Sebastian Hackenschmidt hat das Blatt „Baumhaus“ analysiert (2009) und dabei zwei Fluchtpunkte ausgemacht: Einerseits liest er das Blatt vor dem Hintergrund primitivistischer Traditionen künstlerischer Avantgarden als Interesse an Neuguinea, und andererseits sieht er das „Baumhaus“ als Traum von einer einfachen Hütte, wie er z.B. mehrfach in der Geschichte der Literatur artikuliert wurde. Nach diesen überzeugenden Bezügen kommt er zu dem Schluss, dass es mehr als fraglich ist, dass Polkes „Baumhaus“ ein ungebrochenes Bild der Ursprünglichkeit vermittelt, sondern dass dieses als bereits vorgefertigtes Gegenbild vielmehr vorgeführt wird und insofern als eine skeptische und distanzierte Aneignung bezeichnet werden kann (vgl. ebd.: 144). Für das Blatt „Neu Guinea“ kann eine ähnliche Grundaus­sage formuliert werden, allerdings sind in diesem die fotografischen Aspekte der Verhältnissetzungen zu kulturell differenten Anderen zentral.

„Neu Guinea“, 1976 Auf dem Blatt „Neu Guinea“ [Abb. 61] überziehen rote, blaue, violette, orange, grüne, silberne und schwarze Farben weiße Papierbahnen. Die vibrierenden Flächen und Linien schließen sich zusammen, und sichtbar werden neun Figuren, die den Betrachtenden nahezu lebensgroß gegenüberstehen oder vor ihnen knien. Was

37 Zur Beschreibung und Analyse des gesamten Zyklus „Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen“

s. der gleichnamige Katalog (2009) und darin insbesondere die Einleitung von Lange-Berndt und Rübel sowie die Aufsätze von Wagner und Gelshorn.

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zunächst wie ein buntes Muster aussieht, wird als eine in Malerei übersetzte Fotografie erkennbar: Polke hat für dieses Blatt ein fotografisches, schwarz-weißes Gruppenporträt projiziert und vergrößert, um dann die Hell-Dunkel-Kontraste ohne Abstufungen mit unterschiedlichen Farben nachzumalen. Gefunden hat er diese Referenzfotografie, darauf hat Katharina Schmidt hingewiesen (1988: 193), in dem bereits genannten Kölner Ausstellungskatalog (1971: 130) [Abb. 62]. Die Fotografie zeigt Männer aus dem Volk der Marind-Anim und wurde 1921 als Postkarte der Kolonie Niederländisch-Neuguinea vertrieben. Ihr Motiv bleibt in Polkes Übersetzung sichtbar: Neun männlich wirkende Figuren, nur mit Kopf- und Körperschmuck bekleidet, posieren mit kulturellen Objekten unter freiem Himmel und blicken direkt in die Kamera. Mit diesem Motiv entspricht die Aufnahme Darstellungsparametern früher ethnografischer Fotografie. Solche wissenschaftlichen Visualisierungen – das haben postkolonial perspektivierte Forschungen dargelegt – hatten meist wenig mit der Erfahrung der Fotografierten gemeinsam, sie dienten der Markierung rassisierender und ethnisierter Differenz sowie der Legitimierung kolonialer Herrschaft.38 Wie die von Polke verwendete Aufnahme wurden sie häufig als Postkartenmotive publiziert und später in Archiven auf bewahrt. So befindet sich die von Sigmar Polke verwendete Fotografie im Koninklijk Instituut voor de Tropen, Amsterdam. Bis heute werden solche fotografischen Abbildungen noch als dokumentarische ausgestellt, ohne den kolonialistischen Entstehungskontext zu reflektieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was Polkes Transformation einer ethnografischen Fotografie in zeitgenössische Kunst repräsentiert und wie diese ‚uns Kleinbürgern‘ vorgeführt wird. „Neu Guinea“ provoziert bei den Betrachtenden ein Bewegungsspiel, erst aus der Entfernung wird das Abgebildete deutlich. Die Darstellung folgt – abgesehen von den Farbspritzern über den Rand hinaus – den Kontrasten der Fotografie. Gestört wird die Betrachtung durch den Einsatz der teilweise grellen Farbtöne, die sich zu Flächen zusammenschließen und mit dem Motiv mehr konkurrieren, als dass sie sich an die Konturen der visualisierten Elemente halten. Die Farb­ gebung erinnert an kartografische Darstellungsweisen, verhindert jedoch die Erfassung der abgebildeten Körper als einheitliche, ganze und erschwert die Orientierung im Bild.39 Der Katalog, aus dem Polke die Fotografie der Marind-Anim kopiert hat, grenzt diese wie auch weitere in ihm versammelte Aufnahmen von „pittoresken Erscheinungen“ der Tourismusbranche ab.40 Die Farbintensität macht deutlich, dass ­Polkes Transformation dieser ‚pittoresken Branche‘ durchaus nahesteht, die Farben steigern

38 S. dazu Thomas Theye (1989 und 2004), Michael Wiener (1990) und den Sammelband „Colonialist

Photography. Imag(in)ing Race and Place“ von Eleanor Hight und Gary D. Sampson (2002). 39 Einen Detailausschnitt aus „Neu Guinea“ integrierte Polke in eine seiner Collagen (1977), die im Besitz des Kasseler Kunstvereins ist und die das Erfassen des Motivs weiter erschwert. 40 Vgl. die implizite und explizite Argumentation im Vorwort des Kölner Katalogs über Melanesien, von Waldemar Stöhr (1971: 1).

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Nach dem Primitivismus?

das für weiße Blicke ungewöhnliche, exotische und auch unheimliche Aussehen der Fotografierten.41 Mit dieser Strategie erinnert Polkes Bild an Gemälde von Emil Nolde, der 1913 und 1914 Menschen aus Neuguinea malte und sie insbesondere über Farbe charakterisierte. Mit dunklen Farben verbildlichte Nolde Stereotypen vom barbarischen, bösen Wilden, mit hellen Farben solche des naiven, aber guten Wilden.42 Auch die von Polke verwendeten Farben rufen solche Stereotypisierungen auf, lassen aber keine einheitliche Deutung zu. Und so oszilliert Polkes Visualisierung der Männer aus Neuguinea nicht nur zwischen einer Darstellung als böse und gute, sondern auch zwischen einer Wahrnehmung als realistisch, dokumentarisch, abstrahierend und exotisierend. Die fremden Figuren sind dabei einerseits in tradierte Darstellungsformen gebannt, andererseits scheinen sie diesen zu entkommen und sich auf unheimliche Weise zu verselbstständigen. Letztlich rücken in diesem Spiel mit Bekanntem und Unbekanntem, Sichtbarem und Unsichtbarem auch der eigene Blick und die Art und Weise des Ins-Bild-Setzens ins Zentrum der Aufmerksamkeit.43 Indem Polkes Übersetzung wie eine Oberf lächenstruktur erscheint, verweist sie auf den medialen, vermittelten Charakter der Abbildung.44 Polke hat das Motiv außerdem leicht nach links versetzt auf die Papierbögen übertragen und – im Unterschied zu allen anderen Blättern der Serie – nicht die volle Fläche ausgenutzt. Das Bild wirkt dadurch wie eine Lichtbildprojektion. Die Darstellungsmethode, die die Kontraste der Fotografie wiederholt, bildet zusätzlich den spurenhaften und damit Evidenz versprechenden Charakter des Mediums Fotografie ab. Zudem erinnert die Farbsetzung an Flächen und Flecken auf alternden Fotografien, die aus physikalischen und chemischen Prozessen resultieren. Polke hebt so den Konstitutions- und Herstellungsprozess von Fotografien selbst hervor. Vergrößert und in seine Bestandteile zerlegt, scheint die Aufnahme aus dem Kölner Katalog auf die ihm zugesprochenen Eigenschaften kritisch befragt zu werden: auf die Möglichkeit, (auch weit entfernte) Wirklichkeit zu dokumentieren und zu bezeugen: „es-ist-so-gewesen“.45

41 Einen ähnlichen Effekt erzielen auch nachträgliche Kolorierungen von einzelnen Elementen auf ethnologischen

Schwarz-Weiß-Fotografien, wie sie um die Jahrhundertwende beliebt waren. 42 Eine Analyse der Farbikonografie und den damit zusammenhängenden rassistischen Implikationen nimmt Denise Daum vor (2004). 43 Ein ähnlicher Effekt entsteht, wenn man in einem Moment noch denkt, den ‚Fremden‘ direkt gegenüberzustehen, und im nächsten die leichte Schieflage des Bildes auffällt und es wie eine Lichtbildprojektion wirken lässt. 44 Dass das Blatt als eine Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie durch die Transformation von fotografischen Motiven in Malerei gelesen und rezipiert wurde, kann der Wiederabdruck der oben erwähnten Kasseler Collage, die zur Hälfte aus einem Detailausschnitt des Blattes bestand, im 20. Band der Zeitschrift Kunstforum International (1977) belegen, wo ein solcher zusammen mit anderen Fotografien von Polke als Teil einer Dokumentation mit dem Thema „Künstler fotografieren“ unter der Frage, wie diese das Medium im Hinblick auf ihre übrige künstlerische Praxis benutzen, abgebildet war (237). 45 Roland Barthes beschreibt mit dem „Es-ist-so-gewesen“ die Repräsentationsweise der Fotografie, er verweist dabei auf ihre spezifische Medialität (1989: 87).

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Die Faszination des Anderen

Indem Polkes Transformation des Fotos dessen chemische Konstitution sichtbar macht, wird auch das „Festgestellt-Sein“ der Fotografierten im Bild visualisiert. Der Fixierprozess wird wiederholt, aber auch verschoben und ausgestellt. Frantz Fanon hat den gewaltvollen Moment, in dem er als Schwarzer von dem weißen Blick erfasst wird, mit einer Metaphorik beschrieben, die auf diesen Prozess anspielt: „die Blicke des Anderen fixierten mich dort, genauso, wie eine chemische Lösung durch einen Farbstoff fixiert wird. […] Ich zerbarst in Stücke. Jetzt sind die Fragmente wieder durch ein anderes Selbst zusammengesetzt worden“ (Fanon zit. n. Hall 2004: 154).46 Eine ähnliche Aussage macht auch „Neu Guinea“ möglich. Der Akt des Fotografierens kann demnach – ähnlich wie Fanon es für den weißen Blick beschreibt – als seine Objekte macht- und gewaltvoll feststellend und nach ‚eigenen‘ Annahmen konstruierend (auseinandernehmend und zusammensetzend) vorgeführt werden. Sigmar Polkes Blatt legt demnach dar, dass die Referenzfotografie der Männer der Marind-Anim nicht in einem machtfreien Kontext entstanden ist und auch in der Übersetzung in Malerei nichts mit der Wirklichkeit von Neuguinea und seinen BewohnerInnen zu tun hat. Das Unheimliche der Darstellung lässt sich so letztlich als Visualisierung eigener Stereotype und Vorstellungen erkennen. Polke verwendet hier erneut eine Aufnahme von Männern aus Neuguinea und setzt sich erneut mit der Faszination auseinander, die die männerbündischen Konstruktionen dieser Gesellschaften in den 1970er Jahren auslöst, die als B ­ essere der eigenen Gesellschaft gegenübergestellt werden. Auch der Katalog, aus dem Polkes Bildvorlage für „Neu Guinea“ stammt, lässt sich dieser Tendenz zuordnen.47 Die Männer im Südpazifik werden in diesem Kontext als ursprünglichere und zeitlich differente, aber auch bessere Kultur der eigenen vorgehalten. Indem Polke eine Fotografie von diesen Männern in Malerei übersetzt und in seine medienref lexive Darstellung einfügt, wird ein Rückgriff auf vermeintlich zurückliegende Kulturen zwar mit assoziiert, aber als zivilisationskritische Projektion vielmehr vorgeführt und als medial vermittelt hinterfragt und nicht ‚einfach‘ reproduziert. Resümieren lässt sich, dass dieses Blatt die „schwindelerregende Anziehungskraft des Fremdartigen“ – wie Sontag eine der zentralen modernen Erlebnisweisen beschrieben hat (1968: 103) – auf visueller Ebene wiederholt und nachvollzieht, aber auch hinterfragt und als kolonialistisch darlegt. Indem das Motiv so in Bewegung gehalten wird, generiert es sich weniger als Abbildung von Stellvertretern eines fremden und als vergangen geltenden Volkes, sondern als Ref lexion über eine solche Repräsentation und ihre Funktionalisierung als Projektionsf läche ­eigentlich eigener (kleinbürgerlicher) Vorstellungen, Wünsche und Ängste.

46 Hier zit. nach Stuart Hall (2004), die Übersetzung in der deutschen Ausgabe von Fanons Buch „Schwarze

Haut, weiße Masken“ (1980: 79) lautet etwas anders. Da die von Hall zu meinen Ausführungen über Polkes „Neu Guinea“-Blatt passender ist, zitiere ich diese. 47 Im Vorwort des Katalogs werden die Völker Melanesiens als „letzte individuelle Volkskulturen“ gepriesen und der eigenen Zeit, „die wie nie zuvor überkommene Werte und Normen infrage stellt“, als positive Daseinsformen gegenübergestellt (1971: 1).

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8. P  rimitivismus überdreht? Exotisierende Selbstbildnisse und S ­ tereotype in Arbeiten der Neuen Wilden (1980er Jahre) In den achtziger Jahren formierte sich in der Bundesrepublik eine KünstlerInnenbewegung, die als Neue Wilde dafür gelobt wurden, dass sie sich wieder der Malerei zuwandten.1 Die Betitelung als Neue Wilde bedeutet zum einen eine Stilbeschreibung als ‚wild‘ im Sinne von ‚heftig‘, gestisch und zum anderen eine Analogiesetzung der KünstlerInnen mit ‚Wilden‘, wodurch Tiere, aber auch Menschen außereuropäischer und vermeintlich ‚unzivilisierter‘, ‚primitiver‘ Kulturen assoziiert werden. Ferner konnotiert der Begriff einen Ort außerhalb und jenseits einer ‚zivilisierten‘ Gesellschaft.2 Die Arbeiten, in denen sich KünstlerInnen wie Rainer Fetting, Elvira Bach und Walter Dahn als Andere selbst porträtieren (Fetting, „Selbstporträt als Indianer“, 1981; Bach, die in Interviews äußert, dass sie sich auch in ihren Bildern mit Frauen schwarzer Hautfarbe selbst darstellt, und Dahns „Selbstporträt als chinesischer Afrikaner“, 1984), scheinen für diese Bezeichnung sym­ ptomatisch. Interpretiert wird die Kunst der Neuen Wilden als erneute Hinwendung

Ein Großteil der bundesdeutschen Kunstkritik feierte die Bewegung als Rückkehr zur Malerei, obwohl gerade in der Berliner Kunstszene viele KünstlerInnen bei der Malerei geblieben waren. Nicht wenige KunstkritikerInnen lehnten die Kunst der Neuen Wilden dagegen als langweilig ab. Die Diskussionen spitzten sich mit der documenta 7, 1982, zu. 2 Ausstellungstitel wie „Heftige Malerei“ (1980) bezeugen, dass sich die Bezeichnung auch auf den Malstil bezog. Der Begriff Neue Wilde wurde erstmals von Wolfgang Becker verwendet, der diesen zunächst abwertend gemeint haben soll und sich später von seiner Wortschöpfung distanzierte (Nemeczek 1999: 45f). Die Bewegung entstand in mehreren deutschen Städten (vor allem in West-Berlin, Hamburg, Düsseldorf und Köln) und war von männlichen Künstlern dominiert. In Berlin formierten sich die Neuen Wilden beispielsweise um die Galerie am Moritzplatz, einer Künstlerselbsthilfe-Galerie, die 1977 gegründet wurde und den beteiligten jungen Künstlern zu dem Namen ‚die Moritzboys‘ verhalf (Kempas 1980). 1

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Nach dem Primitivismus?

zum Gegenständlichen und Figurativen sowie als Abkehr vom strengen Formalismus der Konzeptkunst und der Minimal Art, die in einer „ironischen und bewusst antiintellektuellen Kommentierung“ (Gehring 2003: 9) von analytischen Auseinandersetzungen bestand. Diedrich Diederichsen sieht in der Kunst der Neuen Wilden eine Gegenbewegung zu den technisch aufwendigen Verfahren von Installation und Videokunst (2003: 171f). Er liest die verschiedentlich als ‚hemmungs­lose Subjektivität‘ beschriebene Malerei als Reaktion auf die politische Krise der ‚neuen Linken‘ und/oder als eine Form, sich der Legitimation des eigenen Tuns bewusst zu entziehen, Kunst als Art Exil zu nutzen (ebd.). Augenfällig ist in der künstlerischen Praxis der Neuen Wilden der Bezug auf Strategien und Sujets der deutschen Expressionisten. Das schon in primitivistischen Darstellungen des Expressionismus über gestische Malerei sowie nackte und betonte Körperdarstellungen artikulierte Versprechen der Befreiung von tradierten und etablierten Normen und Werten lässt sich in Fettings und Bachs Arbeiten weiter mit geschlechtlichen und sexuellen Emanzipationsprojekten wie der Homosexuellenbzw. der Schwulen- und der Frauenbewegung verknüpfen. Deutlich wird in den Bezügen zum Expressionismus, die sowohl von den KünstlerInnen selbst als auch von den RezensentInnen vorgenommen werden, abermals die relativ unkritische Rezeption des Primitivismus in der BRD. Gleichzeitig ergeben sich durch die Verbindungen zu subkulturellen und politisch ambitionierten Zusammenhängen aber auch ‚neue‘ oder besser: verschobene Bedeutungsproduktionen und -aufladungen, die im Folgenden auf stereotype Tradierungen, aber auch im Hinblick auf mögliche subversive Implikationen analysiert werden. Bekannt ist, dass sich die Neuen Wilden an einem tradierten Bildrepertoire abarbeiten. Inwiefern aber wiederholen sie rassistische und stereotype Darstellungsweisen? Lassen sich auch kritische Reflexionen über Geschlecht, Sexualität oder kulturelle Differenz aus ihrer Kunst ableiten? Unter den genannten Aspekten ist die ‚neue Malerei‘ in der Kunstgeschichte bis heute nur selten betrachtet worden. KunstkritikerInnen feierten die Neuen Wilden in erster Linie als eine Kunstbewegung, die ‚deutsche Kunst‘ in den 1980er Jahren wieder im ‚internationalen‘ – sprich ‚westlichen‘ – Kunstbetrieb etablierte und eine ‚eigenständige‘ Malerei hervorbrachte (Klotz 1987). Proklamiert wurden über die Kunst der Neuen Wilden eine national deutsche Spezifität, eine künstlerische Neuerung und somit eine ‚Eigenständigkeit‘. Befördert durch diese Rezeption gingen die Neuen Wilden mit ihrer Protestkultur, die sich an Punk, Rock, Großstadtleben und Subkultur orientierte und auf einen Anti-Intellektualismus berief, relativ schnell in den ‚Mainstream‘3 der Kunstgeschichte ein. Feministische Kunst-

So waren beispielsweise die Berliner Neuen Wilden, nachdem sie 1977 in der selbstgegründeten Galerie am Moritzplatz ausstellten, bald an prominenten Orten zu sehen: 1981 auf der Ausstellung „A New Spirit in Painting“, London, und 1982 auf der documenta 7, Kassel, oder ebenfalls 1982 in der „Zeitgeist“-Ausstellung im MartinGropius-Bau, Berlin. Der Begriff des ‚Mainstream‘ bezeichnet hier in Bezug auf das Kunstsystem die Kunst, die insofern als ‚massentauglich‘ gilt, als sie prominent ausgestellt und z.B. als Kunstdruck reproduziert wurde. Zu einer ausführlichen Definition und Diskussion des Begriffs ‚Mainstream‘ im Zusammenhang mit dem Kunstbetrieb siehe die Ausführungen von Randy Rosen (1989). 3

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Primitivismus überdreht?

wissenschaftlerInnen haben in dem von den Neuen Wilden favorisierten gestischen Pinselduktus die erneute Proklamation des Selbstbildes vom genialen Schöpfer kritisiert, das sich über die große Geste als Ausdruck einer ‚inneren Haltung‘ artikuliert (z.B. Rosen 1989: 20ff; Schade 1994: 17). In der Selbstbeschreibung als ‚Wilde‘ und damit als Andere wiederholt sich außerdem die Vorstellung vom Künstler als Außenseiter und als marginalisierte Person, die Irit Rogoff als für den Künstlermythos gerade auch der deutschen Moderne als zentral beschrieben hat (1989: 23). Wie verhält sich dies zu der Referenz auf kulturelle Differenz und darüber hinaus zu einer Verortung von Fetting in der Homosexuellenbewegung und seiner offensiven Bezugnahme auf ‚schwule Ikonografie‘ sowie zu Bachs ­vehementer Proklamation einer ‚weiblichen Position‘ in der Kunst? Die Hinwendung zu einer gegenständlichen Darstellungsweise mit einer besonderen Vorliebe für fiktive Sujets und Übertreibungen (Fetting und Bach) sowie für karikaturhafte Darstellungen (Dahn) lassen die Visualisierungen weiterhin als ‚Spielereien‘ und Fantasien erscheinen. Die Verbildlichungen nicht weißer Körper behaupten nicht ernsthaft, ‚Realität‘ oder ‚Natur‘ abzubilden. Möglicherweise können sie daher auch als kritische Auseinandersetzungen mit tradierten Stereotypen gelesen werden. Daraus ergeben sich weitere Fragen: Welche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit kultureller Differenz in dieser künstlerischen Bewegung der 1980er Jahre? In welches Verhältnis setzen sich die von der Rezeption auf ihre ‚deutsche Herkunft‘ zurückgeführten KünstlerInnen zu Anderen? Weichen sie erneut auf das ‚mythische Andere‘ aus und wiederholen primitivistische Projektionen? Entstehen in den bewussten Positionierungen als ‚marginale‘ KünstlerInnen auch reflexive Momente bezüglich rassisierender Stereotype, oder wiederholen sie ‚einfach nur‘ ­bekannte Muster der Imagination von sich als Andere? Trotz der auf den ersten Blick relativ eindeutig erscheinenden Reproduktion von tradierten Stereotypen kann es produktiv sein, neben den Fragen nach deren Fortführungen auch nach Umarbeitungen und Neu-Codierungen zu suchen. Dafür ist es unerlässlich, sich die Verschiebungen genau anzusehen, die Kunst in verschiedenen Kontexten zu verorten und dabei auch nach subversiven Momenten zu fragen, die tradierte Bedeutungen zumindest prekär werden lassen. Fettings Gemälde funktionieren hauptsächlich über Denotationen und Konnotationen, die an Farbe und Körperinszenierungen geknüpft sind. Bachs Visualisierungen spielen häufig mit Lichtmodulationen, wie Schatten- und Gegenlichtdarstellungen, sowie mit Kontrastierungen von weißer und schwarzer Hautfarbe. Die Arbeiten Dahns lassen sich nicht so einfach in diese Gruppierung einreihen. Seine Malerei ist oft ironisch und hat Karikatur-ähnliche Tendenzen, wenngleich das auf seine Darstellungen von kultureller Differenz nicht unbedingt zutrifft. Allen drei KünstlerInnen gemeinsam ist, dass sie programmatisch ­bekannte Sujets wiederholen und diese in einer Weise transformieren, die als ‚Übertreibung‘ beschrieben werden kann. Fragen werde ich daher, ob sich diese Übertreibungen auch als ‚Überdrehung‘ beschreiben lassen. Den Begriff ‚überdreht‘ nahm das thealit. Frauen.Kultur.Labor, Bremen, zum Anlass für eine Tagung (2004) und

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Nach dem Primitivismus?

einen Sammelband (2006). Diskutiert wurde, ob der Begriff als Beschreibung einer kritischen Strategie dienen kann, die Bekanntes in einem neuen Kontext wiederholt und damit das Ergebnis ‚ver-rückt‘ erscheinen lässt (Bergermann, Hanke, Sick 2006). Die Metapher der ‚Überdrehung‘ macht außerdem einen nicht intendierten Moment denkbar, der aus einer Übertreibung heraus entsteht und dazu führt, dass der überdrehte Gegenstand am Ende nicht mehr in die ursprüngliche (hier z.B. stereotype, rassistische) Form passt. Ich gehe in diesem Kapitel in meinen Relektüren daher auch der Frage nach, ob in den Arbeiten der Neuen Wilden primitivistische Darstellungsweisen ‚überdreht‘ werden.

Rainer Fetting – „Selbstporträt als Indianer“ Das Gemälde „Selbstporträt als Indianer“, 1982 [Abb. 63], von Rainer Fetting ist schon über den Titel als eine In-eins-Setzung eines weißen Künstlers mit dem kulturell Anderen zu lesen.4 In expressiv-gestischer Malweise ist eine Figur visualisiert, die auch ohne den Titel aufgrund des Federschmucks und der Nacktheit unmissverständlich als ‚Indianer‘5 gelesen werden kann. Fetting greift mit dieser Darstellung auf ein Stereotyp zurück, das im europäischen und west-amerikanischen Bildgedächtnis als Signifikant für die indigene Bevölkerung Amerikas steht. Er übersetzt dieses tradierte Zeichen allerdings in eine abstrahierend-gestische Malweise, die für Indianerbilder eher untypisch ist. Ausnahmen stellen Gemälde des deutschen Expressionisten August Macke dar. Macke visualisierte die ‚Indianer‘ allerdings weniger als körperbetonte denn als der Landschaft untergeordnete kleine Figuren [Abb. 4].6 In Fettings Bild dagegen wird eine männliche Gestalt zu sehen gegeben, die nur mit Lendenschurz bekleidet ist und einen Bogen zum Schuss gespannt hält. Der Körper ist nicht dem Stereotyp entsprechend rot, sondern in reinem Ultramarinblau dargestellt, schwarze und weiße Schattierungen sowie die für die Neuen Wilden charakteristischen erkennbaren Pinselstriche modulieren

Fetting malte die Bilder der Indianerserie im Anschluss an einen Film, den er mit seinem Künstlerfreund Luciano Castelli 1981 im Super-8-Format auf Lanzerote drehte. Der Film ist mir leider nicht bekannt. Matthias Liebel hat diesen Film in seiner Dissertation über Luciano Castelli beschrieben (2006: 164ff): Unter dem Titel „A room full of mirrors“, der einem Song von Jimi Hendrix entliehen ist, filmten sich die beiden Künstler selbst in der Rolle jeweils eines ‚Indianers‘. Castelli hatte dafür seinen gesamten Körper rot, Fetting seinen – wie in seiner später gemalten Selbstdarstellung – blau eingefärbt. Auch die im „Selbstporträt als Indianer“ erkennbaren gelben Striche im Gesicht der Figur entsprechen seiner filmischen Verkleidung. Die Geschichte des Films entwickelt sich nicht als kontinuierliche Abfolge, sondern einzelne Szenen wurden ähnlich einer Collage aneinandergereiht. Dabei wird ein Plot erkennbar, der klassische ‚Indianerfilme‘ nachstellt. Musikalisch unterlegt ist die erste Hälfte des Films mit Hendrix’ Song „A room full of mirrors“, die zweite Hälfte mit Musik von Indigenen Nordamerikas und mit ‚folkloristisch‘ klingenden Eigenkompositionen, die die beiden Künstler selbst einspielten. Die Uraufführung des Films fand 1982 in einem Berliner Off-Kino statt. Der Film sowie einige als Fotografie mit Selbstauslöser aufgenommene Szenen daraus stellten die Vorlage für eine Reihe von Indianerbildern dar. 5 Wie schon in der Einleitung erwähnt, verwende ich den Begriff ‚Indianer‘ hier als Beschreibung eines Stereotyps und als Zitat einer Fremdbezeichnung. 6 Eine stärker körperliche Verbildlichung findet sich lediglich in Mackes Gemälde „Rote Frau“, 1912, das signifikanterweise indianische Weiblichkeit darstellt. 4

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seine Binnenstruktur und lassen ihn zusammen mit der Körpersilhouette muskulös und athletisch erscheinen. Das Blau entspricht der von Yves Klein als Internationales Klein Blau bezeichneten und verwendeten Farbe, die Teil von Kleins Konzept der behaupteten ­‚Immaterialisierung‘ und Auf lösung des Bildes als Bildfläche war. Wenn Fetting sie hier für die Darstellung eines Körpers auf einem relativ klassischen Tafelbild verwendet, widerspricht er Kleins Proklamation und wendet sich eher gegen dessen Habitus, sich als ‚geistig‘ bzw. ‚vergeistigter‘ Künstler zu geben.7 Die rote Feder am Hinterkopf von Fettings Figur samt Stirnband, die gelbe Nase und die ebenfalls gelben Stiefel sind die einzigen weiteren farbigen Elemente der Figur, die sich vor einem braunen Hintergrund, der einen nach rechts unten verlaufenden Berghang andeutet, und einer roten runden Sonne abhebt. Wenn auch die Farbgebung nicht der klassischen Indianer-Ikonografie entspricht, so sind doch die Attribute (Feder, Stiefel, Pfeil und Bogen) sowie die Situierung in einer an Darstellungen des ‚Wilden Westens‘ orientierten Naturlandschaft eindeutig. 8 Ein weiteres Element, das die kulturelle Differenz der Figur signifiziert, ist ihre Nacktheit. Nacktheit spielt in west-europäischen Darstellungen von sogenannten ‚Wilden‘ seit der frühen Neuzeit, aber auch schon in mittelalterlichen Darstellungen des Anderen eine Rolle (Frübis 1995: 114). Sie stand (und steht) im männlichen, am Antikenideal angelehnten Akt aber auch für männliche Tugenden (Walters 1984). Antike männliche Nacktheit als Akt wird in Fettings Figur durch die klassische Darstellung im Kontrapost und die Zurschaustellung des muskulösen Körpers zitiert. Verkreuzt werden so antikisierende Darstellungstraditionen heroischer Männlichkeit mit einer IndianerIkonografie zu einer Betonung viriler Körperlichkeit. Antikisierende Indianerdarstellungen lassen sich bis zu ihrer Entstehung kurz nach der sogenannten ‚Entdeckung‘ Amerikas zurückverfolgen. Muskulöse und körperbetonte Visualisierungen von ‚Indianern‘ finden sich insbesondere im 19. Jahrhundert in der europäischen und der entstehenden US-amerikanischen Malerei. Die ‚Indianer‘ fungierten in dieser bereits als Projektionsf läche für heroische Männlichkeit und erotische Fantasien.9 Fettings ‚Indianer‘ ist jedoch wesentlich offensiver sexualisiert. Der hyper­ maskuline Körper ist frontal und mit angespannten Muskeln zur Schau gestellt, sein Genital ist über die farbliche Hervorhebung und durch die Zentralität in der Bildkomposition offensiv betont. Zieht man die Kompositionslinien des Gemäldes nach, kreuzen sich diese in dem weiß markierten Geschlechtsteil, das leicht vom Bildmittelpunkt verschoben abgebildet ist. Die weißen Striche auf dem blauen

Diese Interpretation entspricht der These von Diederichsen, der in den Neuen Wilden eine Abkehr von dem Genie- und Malereifürstenkult der vorigen Künstlergenerationen sieht (2003). 8 Die Geschichte der Ikonografie europäischer Indianerdarstellungen reicht mindestens bis ins 16. Jahrhundert zurück und wurde insbesondere durch die Grafiken in den Reiseberichten des als Historikers arbeitenden Hans van Staden und des Kupferstechers und Verlegers Theodor de Bry geprägt. Nacktheit und Federn waren schon damals die wichtigsten Attribute der BewohnerInnen Amerikas. 9 Zu Indianerdarstellungen im 19. Jahrhundert s. Julie Schimmel (1991). 7

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Abb. 63 Rainer Fetting Selbstporträt als Indianer 1982, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 250 × 200 cm

Abb. 64 Rainer Fetting Grüner Bergindianer 1982, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 250 × 240 cm

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Körper deuten einen Lendenschurz an, sie lassen aber auch einen erigierten Penis assoziieren. Dieser phallische Eindruck wird weiter verstärkt durch die Betonung der Schuhe (nach Freud das phallische Zeichen schlechthin) und die schwarzblauen phallischen Formen im Bildhintergrund, links und rechts von der Figur. Stiefel sind in der Schwulenbewegung als homosexuelles Erkennungsmerkmal codiert.10 Im Zusammenhang damit, dass Fetting und sein Künstlerkollege Salomé sich öffentlich (z.B. in Interviews und auch in ihrer Malerei)11 als schwul bekannten, lässt sich der dargestellte Akt nicht nur als Betonung von Männlichkeit, sondern auch von männlicher Homosexualität lesen. Diese Zeichen sind als Codes für ‚Eingeweihte‘ erkennbar. Demnach steht die bogenschießende Figur in Fettings Gemälde nicht nur für als männlich geltende Tugenden wie Stärke, Kraft und Verteidigungswillen, sondern offensichtlich auch für gleichgeschlechtliche männliche Sexualität und homoerotisches Begehren. Die Kette von Signifikanten, die sich hier aneinanderreiht und die sich für viele der Bilder seiner Indianerserie bestimmen lassen, z.B. „Grüner Bergindianer“, 1982 [Abb. 64], wird auch in der Rezeption erwähnt. Der Bezug auf eine ‚schwule Ästhetik‘ oder auf Fettings öffentlich gemachte Homosexualität wurde jedoch selten explizit thematisiert. Beispielhaft hierfür ist ein Artikel in der Zeitschrift Kunstforum International von 1985, in dem Klaus Ottmann in poetischer Form schreibt: „Neger, Barbaren, Indianer in den Bildern von Rainer Fetting. […] Neger, Barbaren, Indianer: Heroen der anderen Welt, der Kultur der Anderen, Aus­ geschlossenen, Kolonialisierten, der négritude. Opfer und Opfernde in einem. Körper der Auflehnung. Körper der Unterdrückung. […] Rainer Fetting, Francesco Clemente, Salomé: sind diese Körper der Lust. Malen ist Sexualität. Geschlechtsakt“ (1985: 48). Ottmann setzt die scheinbar absichtlich mit rassistischen Begriffen Bezeichneten mit anderen ‚Unterdrückten‘ gleich, darüber hinaus benennt er sie als körperliche und verknüpft sie weiter mit Kunst und Sexualität. Sexualität wird nicht weiter expliziert und mit dem Akt des Malens analogisiert. Nicht weiße Hautfarbe wird als eine visuelle Metapher für Unterdrückung, aber auch für Auflehnung und Heldentum eingesetzt. Das Bild vom ‚Indianer‘ fungiert bei Fetting als Projektionsfläche, auf der sich Zeichen für gleich zwei Emanzipationsbewegungen einschreiben: Die Verwendung von ‚neuer wilder‘ Malerei einerseits und die Öffentlichmachung schwuler Beziehungsmodelle und Sexualpraktiken andererseits – wenn auch Letzteres vom ­dominanten Diskurs meist ignoriert wird. Indem ich diese Verweise in meiner Analyse berücksichtige, will ich weder Fettings sexuelle Orientierung aus den Bildern extrapolieren, noch umgekehrt sein Schwulsein in die Bilder hineinlesen.

10 Auch in der Kunstgeschichte kommen Stiefel in Darstellungen vor, die im Nachhinein als homoerotische

gedeutet wurden. So trägt beispielweise auch Donatellos David von 1450, der schon mehrfach als homoerotische Darstellung diskutiert worden ist, eng anliegende Stiefel (Randolph 2004). 11 Vgl. das Interview von Heinrich Klotz mit Fetting im Katalog „Die Neuen Wilden in Berlin“ (1987: 106) oder mit Susanne Timm im Katalog „4 × Fetting“ (1995: 21).

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Stattdessen geht es mir darum, eine ‚schwule Ikonografie‘, die sich historisch und kulturell spezifisch formierte, ebenso mit zu rezipieren, wie es mir lohnenswert erscheint, Fettings indianische Männlichkeitsdarstellung im Kontext einer homosexuellen Kunst- und Kulturszene zu betrachten.12 Zu fragen ist daher, ob und wie eine ‚homosexuelle Ästhetik‘ und eine offensiv schwule Künstlerpositionierung das zitierte Indianer-Stereotyp, in Kombination mit einer Selbstdarstellung, festschreibt oder verschiebt.

Primitivistischer Künstlermythos und transkulturelle Maskerade In den 1980er und 1990er Jahren ist (vorwiegend in US-amerikanischen Kulturwissenschaften) die Frage diskutiert worden, ob sexuell marginalisierte weiße Subjekte eine besondere Allianz zu nicht weißen Subjekten bilden können (Sieg 2002: 187). Darüber hinaus wurde diskutiert, ob die Perspektiven von weißen, sexuell marginalisierten Subjekten für die Analysen von politischen Implikationen von Weißheit und der (europäischen) Moderne eher geeignet seien (Mercer 1991: 200). Eine solche Fragerichtung will ich im Folgenden auch für die Analyse von Fetting produktiv machen. Sigrid Adorfs und Kerstin Brandes Anregungen zu einer queeren Bildbetrachtung folgend, soll es dabei nicht ausschließlich um die Frage von Affinität oder Ablehnung, Für- oder Gegensprechen gehen, sondern auch darum, queere13 Subtexte sichtbar zu machen (2008: 7). Aus feministischer Perspektive wurde die Kunst der Neuen Wilden vor allem dafür kritisiert, dass sie moderne Künstlermythen reproduziere. Sigrid Schade hat beispielsweise angemahnt, dass die gestische Malweise auf den Körper des Künstlers verweist, der mit diesem als Ausdruck seiner Meisterschaft agiert (Schade 1994: 17). Auch die riesigen Formate, die Fetting verwendet, sind als Selbstentwurf vom genialen Schöpfer kritisiert worden (Schade/Wenk 2005: 157). Gesteigert wird diese Naturalisierung des Künstlergenius noch durch den Vergleich mit ‚Wilden‘. Die Annahme einer ‚Nähe‘ von Künstlern zu ‚Wilden‘ oder ‚Primitiven‘ als eigentlichen Künstlern, die unverdorben und quasi ‚von Natur‘ aus künstlerisch begabt sind – selbstverständlich aber nicht den ‚Entwicklungsgrad‘ der europäischen Künstler erreichen –, hat Tradition und war insbesondere um 1900 herum eine beliebte primitivistische Erzählung.14 Fettings Inszenierung von sich als Anderer

12 Zur Diskussion der historischen Analyse von homoerotischen Konnotationen in kolonialen Diskursen s.

Robert Aldrich (2003). 13 Queer ist ein historischer und kontextgebundener Begriff, der sich aktuell durchgesetzt hat für Aktionen (im weitesten Sinne), Ästhetiken, Theorien usw., die sich radikal für eine Entnaturalisierung von Geschlecht und Sexualität einsetzen, sich aber auch gegen andere Normierungen wenden. Für eine ausführliche Definition des Begriffs und Verweise auf aktuelle Forschungen im Bereich der Visuellen Kultur dazu s. Adorf und Brandes (2008). Fettings Position bezeichne ich hier insofern als ‚queer‘, als sie sich gegen Heteronormativität richtet 14 Vgl. meine Ausführungen zu dieser Erzählung im zweiten Kapitel.

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geht also durchaus in einem modernen Künstlermythos auf und spielt dabei auch dem Topos des Künstlers als Außenseiter erneut zu. Wie Beuys knüpft auch Fetting mit seiner Strategie der Darstellung von sich selbst als kulturell Anderer an eine kulturgeschichtliche Tradition transkultureller Maskeraden, wie sie insbesondere im 17. Jahrhundert beliebt waren (Trauth 2008), an. Es bleibt aber die Frage, ob Fettings Selbstporträt als Indianer nicht stärker als transkulturelle Maskerade im Kontext schwuler Subkultur und Ikonografie gelesen werden muss. Ein mit Fettings Praxis vergleichbares historisches Beispiel für eine transkulturelle Maskerade, die auch ein homoerotisches Begehren artikuliert, stellt die Selbstinszenierung von T.E. Lawrence, besser bekannt als Lawrence of Arabia, in seinen autobiografischen Kriegsberichten, aber auch in der Verfilmung seiner Geschichte durch David Lean (1962), dar. Lawrence, ein englischer Archäologe, Soldat und Schriftsteller, der im Ersten Weltkrieg als britischer Offizier auf die arabische Halbinsel gesandt wurde, passte sich dem Leben der Beduinen an und kleidete sich gerne in arabische Gewänder. Kaja Silverman kommt anhand ihrer Analyse seiner Bücher zu dem Schluss, dass auch eine homosexuelle Perspektive koloniale und maskuline Privilegien ausüben kann (1992). Sie interpretiert ­L awrences Maskerade als sich selbst in ein erhöhtes Modell versetzend, das die Araber kopieren sollten. Auch im deutschen Diskurs lässt sich ein Beispiel finden: die Figur des Old Shatterhand aus Karl Mays Winnetou. Kathrin Sieg verweist für den deutschen Diskurs darauf, dass auch Old Shatterhand indianische Kleidung trug und ein ‚besserer Indianer‘ sein wollte, der die anderen ‚Ureinwohner‘ versuchte zu unterrichten, worauf hin er zum Apachen-Häuptling gemacht wird (2002: 199). Dass Old Shatterhands Beziehung zu Winnetou in Karl Mays berühmter Erzählung eine homosoziale ist, die mit erotischen Komponenten aufgeladen ist, haben bereits verschiedene WissenschaftlerInnen benannt (Hartmut Lutz 1985; Kathrin Sieg 2002/2009; Susanne Zantop 2002). Den genannten Beispielen ist gemeinsam, dass sie trotz mehr oder weniger expliziten homoerotischen Anspielungen weiterhin weiße Überlegenheitsfantasien unterstützen. Inwiefern Fettings Selbstinszenierung sich nicht nahtlos in hegemonial weiße heteronormative Politiken einreihen lässt, wird deutlich, wenn ich in einem nächsten Schritt Fettings Bilder im Kontext der westlichen Kulturgeschichte von Männerbildern betrachte.

Im Kontext (schwuler) Männerbilder Die Selbstdarstellung eines männlichen Künstlers als Objekt einer erotischen Schaulust ist in der westeuropäischen Kunstgeschichte selten.15 Generell ist der

15 Einschränkend kann hier auf die Arbeit von Barbara Lange zum Transvestismus als eine von Männern

ausgeübte kulturelle Praxis der Moderne verwiesen werden (2004).

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idealisierte Männerakt nach einigen wenigen Ausnahmen des Expressionismus, der Aktfotografie um 1900 und den heroischen Gestalten der nationalsozialistischen Kunst im Zuge des vorherrschenden Primats der Abstraktion im 20. Jahrhundert fast gänzlich verschwunden (Walters 1984: 211ff). Das Verschwinden des Männerkörpers in der Kunst entspricht dem Konstrukt von Männlichkeit als geistig und entkörperlicht.16 Demgegenüber lassen sich nackte posierende Männerkörper etwa seit den 1980er Jahren in der sogenannten Populärkultur finden. Das männliche Körperideal verschiebt sich in diesem Rahmen zu erotisierten Darstellungen und zu Inszenierungsstrategien, die zuvor den Ikonografien des weiblichen Aktes vorbehalten waren (Fend und Koos 2004: 2). Voraus ging dieser Exponierung des Männerkörpers eine Vervielfältigung von Männlichkeitsbildern seit den 1960er Jahren, die vor allem in der US-amerikanischen und westeuropäischen Jugendkultur entstanden. Männliche Körper durften seit Ende der 1960er Jahre auch gefühlsbetont, langhaarig, unsportlich usw. sein (Mosse 1997: 238). Die Schwulenszene hatte auf diese Körperbilder ihren Einfluss, so kamen androgyne Körperformen in den 1970ern und verstärkt in den 1980ern in Mode und führten zu effeminierten Männlichkeitsbildern (Mosse 1997: 240). George Mosse konstatiert, dass sich, trotz der Angriffe auf den muskelbepackten und durchtrainierten Mann, dieses Ideal auch in der Schwulenkultur weiterhin hartnäckig hielt (Mosse 1997: 245). Interpretiert werden könnte dieses Phänomen aber auch als ein Gegendiskurs zu dem Bild schwuler Männlichkeit als androgyn und effeminiert.17 ‚Muskulöse‘ Gegenbilder kamen vor allem aus der US-amerikanischen schwulen Kunstszene, wobei sich diese nicht trennscharf von der ­sogenannten Populärkultur abgrenzen lässt. Wichtig für diese Szene waren der Illustrator Tom of Finland und der Fotograf Robert Mapplethorpe. Finland wurde in den späten 1970er Jahren in New York durch seine Comics bekannt, in denen er erotische und muskulöse Männer mit großen Genitalien darstellte. Auch Mapplethorpe, der ebenfalls Ende der 1970er Jahre in New York berühmt wurde, fotografierte Männer, die – weniger offensiv als Finlands Arbeiten – mit homosexuellen und sadomasochistischen Zeichen und Metaphoriken versehen sind. Obwohl Finland (angeblich) fast ausschließlich in der Schwulenszene rezipiert wurde, trugen seine und Mapplethorpes Männlichkeitsentwürfe entschieden dazu bei, das Bild schwuler Männlichkeit über das eines weichlichen und effeminierten Mannes hinaus zu erweitern (Lucie-Smith 1994: 116). Finland und Mapplethorpe waren beide in der homosexuellen Subkultur und Kunstszene unterwegs. Zu ­dieser Szene stieß auch Fetting, als er 1978/79 (mit einem DAAD-Stipendium) in

16 In der Kunst nach 1945 arbeitet insbesondere Yves Klein daran, den Mythos vom männlichen Künstler als Entkörperlichtem aufrechtzuerhalten (s. dazu die Forschungen von Eiblmayr 1993: 71f und Wenk 1996: 282ff). 17 Die Darstellung eines gesunden, von Kraft nur so strotzenden und als schwul kodierten Körpers muss in den 1980er Jahren und dem Aufkommen von Aids auch als Gegendiskurs zu der gleichzeitigen massiven Stigmatisierung von Schwulen als deviant und krank gesehen werden.

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New York studierte (ebd.: 116).18 Alle drei erstellten Bilder von muskulöser Männlichkeit, die tradierte Ideale von Maskulinität fortführen. Mit ihren figurativen Darstellungen standen und stehen sie jedoch im Kontrast zur zeitgenössischen Kunst und entsprechen in der Exponierung von männlicher Körperlichkeit eher Bildern der Populärkultur. Gleichzeitig intervenieren sie aber auch in tradierte Darstellungsparameter von Männlichkeit, indem ihre Figuren mit offensiv homoerotischen Zeichen versehen sind.19 Sie tragen somit dazu bei, gesellschaftlich geächtete sexuelle Beziehungsformen als ‚positiv‘ und nicht ‚unnormal‘ zu visualisieren.20 Fettings Repertoire an homoerotischen Männlichkeitsdarstellungen ist breit gefächert, so stellt er auch eine ganze Reihe von Männlichkeitsbildern mit eher androgynem und effeminiertem Körper dar, die aber meist ebenso homo­ erotisch und sexualisiert konnotiert sind. Ein Großteil von Fettings Bildern kann somit als Auseinandersetzung mit bzw. als Versuch der Sichtbarmachung von Homosexualität und homoerotischen Darstellungen gelesen werden. Er sagte über seine künstlerische Praxis in den 1970er und frühen 1980er Jahren selbst: „Und da spielt eine wichtige Rolle dieses Öffentlichmachen von Privatheit, dass man sich nicht als Schwuler versteckt. Das wollte ich irgendwie auch immer in den Bildern ausdrücken und wusste damals aber nicht, wie ich da rankommen sollte“ (zit. nach Schmidt-Wulffen 1985: 37).

Queerer Exotismus? Fetting verwendet, ähnlich wie Mapplethorpe, für seine künstlerischen Verhandlungen von schwulen Männerbildern häufig Bilder von nicht weißen und kulturell differenten Männern. So hat Fetting neben seiner Indianerserie seit den 1980er Jahren zahlreiche Bilder von Schwarzen gemalt, die meist nackt sind und in verschiedenen Posen ihre muskulösen Körper zur Schau stellen, z.B. „Sitzender Desmond“, 1985 [Abb. 65], und „Seerosen Ricky“, 1983. 21 In seinem Repertoire finden sich außerdem auch Darstellungen von Arabern, so z.B. „Araber III“, 1983 [Abb. 66], und „Türkisches Bad“, 1983 [Abb. 67]. Letzteres zeigt eine orgiastische

18 Eine Ausstellung von Fettings Gemälden in der Kunsthalle Wilhelmshaven (2005) zeigte auch eine Fotografie

von Mapplethorpe und integrierte damit einen Verweis auf eine ähnliche künstlerische Strategie in das kuratorische Konzept. In dem zu der Ausstellung herausgegebenen Katalog ist ein Interview mit Fetting abgedruckt, in dem er sein Interesse an Mapplethorpes Themen benennt, sich für die Darstellungsweise aber nicht zu interessieren vorgibt (2005: 81). 19 Wichtig ist hier die Betonung des offensiven Zu-sehen-Gebens von ‚schwuler Ästhetik‘, da Homoerotik nicht notwendigerweise subversiv ist, sondern in männerbündischen Kontexten auch dazu beitragen kann, männliche Macht zu untermauern, worauf beispielsweise auch Adrian Randolph eingegangen ist (2004). 20 Zum Umgang mit dem Diktat der Sichtbarkeit und zur Problematik der Visualisierung als politische Strategie, die Ideale auch reproduzieren muss oder das ‚Normale‘ mit der ‚Abweichung‘ überblendet, um Anerkennung zu erhalten, s. einen Aufsatz von Hanne Loreck (2006). Eine ausführliche Diskussion der „Ambivalenzen der Sichtbarkeit“ und des Verhältnisses zur Anerkennung nimmt Johanna Schaffer vor (2008). 21 Eine Abbildung von „Seerosen Ricky“ befindet sich z.B. im Ausst.-Kat. Rainer Fetting. Studio d’Arte Cannaviello, Mailand; Galerie Silvia Menzel, Berlin, und Raab Galerie, Berlin. Berlin 1983, S. 37.

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Szene aus verschiedenen Körpern und Körperteilen. Über den Titel knüpft das Gemälde an die orientalisierende Ikonografie des Bades an und bedient Fantasien von gleichgeschlechtlichen ‚orientalischen‘ Sexualpraktiken im Harem und in öffentlichen Badehäusern. Fetting verfolgt in vielen Bildern die Strategie, bekannte Motive aus der europäischen Bildgeschichte zu verwenden und sie umzucodieren, indem er sie rassisiert oder ethnisch markiert und offensichtlich sexualisiert sowie als homoerotische expliziert. Verdeutlichen lässt sich dies beispielsweise an dem Gemälde „Sitzender Desmond“ [Abb. 65]. Die Pose des schwarzen Akts lässt sich auf die Figur im „Jüngling am Meeresufer“, 1837, von Hippolyte Flandrin zurückführen. Anders als Flandrins Jüngling hat Fettings Figur allerdings eine schwarze Hautfarbe und die Geschlechtsteile sind dargestellt. Die homoerotischen Konnotationen, die die Rezeption in die historische Referenz hineingelesen hat, sind bei Fetting über die Sexualisierung explizit gemacht. Durch die schwarze Hautfarbe schließt das Bild aber auch an die Ikonografie hierarchisierender, sexualisierter und objektivierender Darstellungen von Schwarzen an. Zu fragen ist daher, ob Fettings Darstellung von kulturell differenter Männlichkeit hier erneut exotisiert und fetischisiert oder ob sie tradierte heteronormative Muster subvertiert. Eine ähnliche Fragestellung diskutiert Kobena Mercer bezüglich der Fotografien von Mapplethorpe (1987 und 1991). Mercer kritisierte Mapplethorpes Zu-sehenGeben von schwarzen Körpern zunächst, weil er diese als objektiviert und als auf ein bloßes Objekt des Blicks reduziert sah (1987), später relativierte er seine Kritik und versuchte eine mehr ambivalente Herangehensweise (1991). Mercers zunächst artikulierte Kritik lässt sich auch für einen Großteil von Fettings malerischen Inszenierungen von alteritärer Männlichkeit und für die Indianerdarstellungen geltend machen. Während bei Mapplethorpe über dessen fragmentarische Körperdarstellungen ein Bruch mit der Objektivierung ausgemacht werden kann, was Mercer zu einer ambivalenteren Lesart führte (Mercer 1991: 171), 22 gibt Fetting fast immer den ganzen Körper zu sehen und steigert den objektivierenden Blick damit zusätzlich.23 Mercer verweist darauf, dass die vergeschlechtlichte Hierarchie zwischen Sehen und Gesehen-Werden in homoerotischen Repräsentationen nicht so rigide codiert ist, weil die sexuelle Gleichheit die Opposition zwischen aktivem Subjekt und passivem Objekt verf lüssigt (1991: 180). Er verortet ein Aufweichen der Blickhierarchie in der Reversibilität auf der Ebene des Blicks (ebd.). An Mercers Überlegungen anknüpfend ließe sich folgern, dass auch in Fettings Gemälden solche Aspekte auszumachen sind. In Fettings „Selbstporträt als Indianer“ steht schon die Bezeichnung einer eindeutigen Subjekt-Objekt Beziehung entgegen, Fetting macht sich hier selbst zum angeschauten Objekt. Außerdem zitiert Fettings Selbstporträt mit der Pose des Bogenschützen ein bis in die griechische Antike zurückführbares Motiv von heroischer Männlichkeit. Die Indianerdarstellung wird veredelt und homosexuell umgedeutet. Dabei fokus22 Schade diskutiert Mapplethorpes Fotografien in ähnlicher Weise (1987). 23 In dieser Hinsicht ließe sich Fettings Indianerdarstellung auch als Fetisch-Stereotyp beschreiben.

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Abb. 65 Rainer Fetting Sitzender Desmond 1985, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 220 × 180 cm

Abb. 66 Rainer Fetting Arab III 1983, Öl auf Leinwand, 70 × 60 cm

Abb. 67 Rainer Fetting Türkisches Bad 1983, Öl auf Leinwand, 290 × 360 cm

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siert Fettings Indianerfigur den Blick mit Richtung des Pfeils auf ein außerhalb des Bildes liegendes Ziel. Der Pfeil unterstreicht die Blickrichtung aus dem Bild heraus. Diese kann als visionärer Blick in die Zukunft und zusammen mit dem Sonnenaufgang im Hintergrund als ein Blicken in eine ‚bessere Zeit‘ gedeutet werden. Zusammen mit der homosexuellen Konnotierung lässt sich folgern, dass die Figur zumindest nicht ausschließlich erotisiertes Objekt ist, sondern ebenso als ein Zeichen für ein alternatives schwules Lebensmodell gedeutet werden kann. Als Selbstporträt tituliert wird offensichtlich, dass sich Fetting mit diesem Modell identifiziert. Fettings In-eins-Setzung mit dem ‚Indianer‘ korrespondiert insofern mit einem identifikatorischen Wunsch nach homosexuellen Subjekten und Sujets. Reversible Blickverhältnisse lassen sich auch in anderen Männerdarstellungen von Fetting ausmachen. So richten die Figuren in den Bildern „Sitzender Desmond“ [Abb. 65] und „Grüner Bergindianer“ [Abb. 64] den Blick auf den Betrachtenden und erwidern damit den begehrenden Blick. In „Araber III“ [Abb. 66] und ebenso im „Türkischen Bad“ [Abb. 67] sind die Augen besonders hervorgehoben. Abgewendet wird darüber, zusammen mit dem Wissen, dass sich der Künstler selbst als schwul outet, ein nur voyeuristisches und hierarchisches Blicken, verwiesen wird vielmehr auf eine gleichberechtigte Beziehung und eine Wechselseitigkeit im Begehren. Demnach sind in vielen von Fettings Gemälden durch das offensicht­ liche Posieren der Figuren, durch die Betonung des Blicks der Figuren selbst und nicht zuletzt in der In-eins-Setzung mit dem Anderen die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt verwischt und eindeutige Hierarchien nicht fixierbar. Den Eindruck, dass keine nur hierarchischen Blickverhältnisse evoziert werden, bestätig die Interpretation von Thomas Pöpper, der schreibt, dass die Darstellungen frei von „oberflächlichem Voyeurismus“ wären (2001: 9). Pöpper liest dies jedoch nicht aus den Bildern selbst heraus, sondern argumentiert in einer mehr biografischen und anekdotenhaften Lesweise und führt das Phänomen auf das enge Verhältnis, das Fetting zu seinen Modellen hat, zurück. Mercer betont den schockierenden und re-codierenden Effekt von Mapple­thorpes Bildern (1991: 183f), der – im Kontext der Kulturgeschichte des männlichen Aktes – sich auch für Fettings Bilder analysieren lässt. Schockierend wirken die Akte in dem Erheben des männlichen sexualisierten Körpers aus der Populärkultur in die ‚hohe Kunst‘24 und durch das explizite Darstellen von homosexuell konnotierten Sujets, die tradierte Männlichkeitsdarstellungen neu besetzten. Mercer beschreibt weiterhin, dass der Schock und das Überschreiten von tabuisierten Grenzen zentraler Teil des Avantgardekonzeptes war (1991). Überlegen ließe sich, ob dieser Aspekt auch Fettings Gemälden dazu verholfen hat, in den dominanten Kunst­betrieb aufgenommen zu werden. Innerhalb dieses Feldes sah man in Fettings Bildern Vorstellungen von Künstlerschaft aus der Moderne bestätigt und negierte die Durchkreuzung heteronormativer hegemonialer Männlichkeitsbilder oder 24 Die Kritik an traditionellen Einteilungen von ‚populärer‘ und ‚hoher‘ Kultur äußert Fetting auch in einem

Interview mit Timm im Ausst.-Kat. „4 × Fetting“ (1995: 16).

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neutralisierte sie unter dem Impetus der avantgardistischen Rebellion, die sich wiederum mit der Metapher des ‚Wilden‘ verbinden ließ. Eine Fotografie, die im Ausst.-Kat. „4× Fetting“ abgebildet ist, lässt sich als Versicherung des hierarchischen Verhältnisses zwischen dem weißen Künstler und seinen nicht weißen Modellen interpretieren. Zu sehen ist im Vordergrund der Künstler selbst mit Malerpalette, Leiter und Gemälde, weiter hinten steht – sozusagen als Staffage – ein nur mit weißer Unterwäsche bekleidetes schwarzes männliches Modell, dessen individuelle Gesichtszüge im dunklen Hintergrund untergehen.25 Während die Hierarchie zwischen weißem Künstler und nicht weißem Modell so festgeschrieben wird, lassen sich in vielen von Fettings Gemälden Konstellationen ausmachen, in denen die Beziehung zwischen Objekt und Subjekt uneindeutig und/oder reversibel und reziprok erscheint. Die Arbeiten können dadurch nicht pauschal als einfacher Exotismus und primitivistischer Eskapismus sowie ungebrochene weiße Überlegenheitsfantasie beschrieben werden. Sie sind von umgekehrten Blicken und einem wechselseitigen Begehren durchkreuzt, wodurch nicht nur Heteronormativität, sondern auch rassisierte Dominanzverhältnisse infrage gestellt werden. In dieser Hinsicht sind die Arbeiten von Fetting als ‚queer‘ zu beschreiben.

‚Deutsche‘ Wiedergutmachungsfantasie oder überdrehte Maskerade? Bezüglich der Kojoten-Performance von Joseph Beuys habe ich bereits erläutert, dass sich in der deutschen Kulturgeschichte eine Tradition von Indianerdarstellungen und der Begeisterung für diese ausmachen lässt. Hartmut Lutz legte dar, dass sich das Bild des ‚Indianers‘ im Kontext der Formierung einer deutschen Nation im 18./19. Jahrhundert als Projektionsfläche für ‚deutsche‘ Tugenden, wie beispielsweise die ‚Nähe zur Natur‘, eignete (1985 und 2002). Für die Winnetou-Darstellungen analysiert Lutz weiterhin eine homoerotische Faszinationskraft, die er als an die verdrängte polymorphe Sexualität der männlichen Leserschaft appellierend analysiert (2002). Fettings Selbstporträt setzt nun das homoerotische Begehren an der Indianerfigur offensiv ins Bild. Sieg hat für das Bild des ‚Indianers‘ nach 1945 herausgestellt, dass sich über dieses ‚Wiedergutmachungsfantasien‘ vornehmen ließen (2002). Wenn sich die BRD auf dem Kunstparkett mit einer Bewegung zurückmeldete, die sich schon über ihre Bezeichnung und in ihren Sujets mit außereuropäischen Kulturen sowie ethnischen oder kulturellen Minderheiten in eins setzt, könnte hier eine ähnliche Motivation zugrunde liegen. So ließe sich auch für Fettings Selbstinszenierung als ‚Indianer‘ das von Sieg in der besonderen Indianerbegeisterung der BRD analysierte Phänomen der ‚Verschiebung‘ von problematischer Geschichte vermuten. 25 Eine ähnliche fotografische Inszenierung ziert das Cover des Kataloges „Rainer Fetting. Pintures I Escultures“

vom Centre D’art Santa Monica, Barcelona (1989).

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Sieg sieht in der deutschen euphorischen Auseinandersetzung mit den ‚Indianern‘ unter anderem eine Verschiebung des nationalsozialistischen Genozids an die amerikanische Grenze und die Imaginierung der Deutschen auf die Seite der Opfer (2002). Der oben zitierte Kommentar von Ottmann könnte als eine solche Verschiebung gedeutet werden, da er zwar Ausgeschlossene thematisiert, aber lediglich „Neger, Barbaren und Indianer“ genannt werden (1985: 48). Demnach würde Fettings Selbstporträt als ‚Indianer‘ auch einem Diskurs der Verdrängung zuspielen, oder zumindest innerhalb eines solchen ‚lesbar‘ sein. Im Vergleich zu Beuys ist Fettings In-eins-Setzung mit einem ‚Indianer‘ jedoch nicht mythisch aufgeladen. Fetting behauptet nicht ernsthaft, ein ‚Indianer‘ zu sein, er imaginiert sich nicht als ‚realer‘ Anderer, sondern spielt vielmehr damit. Der theatralische Moment wird in dem fiktiven, abstrahierten und übertriebenen Motiv offensichtlich. Das Motiv kann insofern auch als ‚überdreht‘ gedeutet werden, als es so weit gesteigert und verändert ist, dass das Stereotyp verunsichert und als projiziertes Bild offensichtlich wird. In Fettings Gemälde geht es augenscheinlich nicht darum, Authentizität zu suggerieren, sondern der indianische Akt wird zum Signifikant für künstlerische Ambitionen und schwule Sexualität. Anders als bei Beuys wird der zeichenhafte Charakter des Indianerbildes hier nicht verleugnet, sondern dezidiert eingesetzt. Die Eigenschaften, die dem ‚Indianer‘ sowohl im Konzept des ‚guten‘ als auch des ‚schlechten Wilden‘ zugeschrieben werden, wie ‚Stärke‘ und ‚Mut‘, aber auch ‚sexuelle Potenz‘, werden dabei zwar aktualisiert und unter positiven Vorzeichen für die Darstellung von Eigenem umgedeutet, bleiben in der Inszenierung aber als Maskerade, Mimikry und als Spiel offensichtlich. Das Rollenspiel als ‚Indianer‘ wird auch von der Rezeption als solches gelesen: So schreibt Anna Seymour über die Indianerserie und den dazugehörigen Film von Fetting und Castelli: „Obwohl die Thematik Tradition hat (der ‚Wilde‘, ‚Zurück zur Natur‘, ‚Zurück zu primitiven Ritualen‘), ist uns auch bewusst, dass hier der Künstler und sein Freund ein Spiel spielen und dass sie Spaß daran haben“ (1983: 148). Seymour sieht in diesem Aspekt auch einen wesentlichen Unterschied zu den Expressionisten (ebd.). Und auch Max Faust schreibt, wenn Fetting und Castelli sich in ihren Bildern als ‚Indianer‘ präsentieren, „dann wird das Fiktionsspiel sichtbar, das Gegenwart, Geschichte, Karl May und Traumwelt an die eigene Person bindet“ (1983a: 70). Alexander Tolnay benennt das Rollenspiel explizit als Maskerade und als Verkleidung (1999: 6). Theatralität, Parodie, Drag, das Schlüpfen in Rollen und das spielerische ­Ausprobieren von verschiedenen Lebensentwürfen besitzt gerade in der Homo­ sexuellenbewegung Tradition. 26 Innerhalb queerer Geschlechtertheorien hat

26 Eine Tradition ist beispielsweise das queere Theater/die queere Performance in den USA, für die Personen wie zum Beispiel Jack Smith und Andy Warhol wichtig waren, die verschiedene Formen der Inszenierung auf die Bühne brachten, die Diederichsen als Antagonismen von Pose und Exzess beschreibt (2006: 163f), und von deren Kunst auch Fettings Darstellung in seiner Theatralität beeinflusst zu sein scheint.

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Judith Butler die subversiven Möglichkeiten von Drag und die Chance, darüber die Performativität von Geschlecht und kultureller Differenz vorzuführen, aufgezeigt (1991). An diese Diskussionen anknüpfend ließe sich auch für Fetting konstatieren, dass seine Maskerade als ‚Indianer‘ eine spielerische und parodistische ist, 27 die Mechanismen der Konstitution von Identitäten und auch die Imagination von sich als ein Anderer eher aufführt, als sie ernsthaft zu wiederholen. Die offenkundig fingierte Maskerade als ‚Indianer‘ von Fetting deckt so etwas auf, was bezüglich des deutschen Indianerstereotyps nicht thematisiert wird und verleugnet bleibt, aber unweigerlich vorhanden ist: ein homoerotisches Begehren. 28 Auch andere Bilder von stereotyper Andersheit aus Fettings künstlerischer Praxis sind nicht mit dem Anspruch einer realistischen Abbildung gemalt worden, so sagte Fetting beispielsweise auch über ein Bild mit dem Titel „Araber mit Kamel“, 1983: „Das alles ist kein realistisches Bild, weil es so etwas gar nicht gibt. Kein Araber trägt ein rotes Kopftuch und hält eine Peitsche in der Hand.29 Es gibt ihn nicht in dieser Form, wie er hier im Bild erscheint“ (Interview mit Klotz 1987: 105). Resümieren lässt sich, dass Fettings Bilder kultureller Differenz primitivistische und andere Stereotype (z.B. über Araber) zwar zitieren und seine Indianerdarstellungen durchaus innerhalb der Logik des spezifisch deutschen Diskurses lesbar sind, der die Ureinwohner Amerikas für die Fantasie einer ‚Wiedergutmachung‘ von kollektiver Schuld nutzt. Zugleich lässt sich aber auch konstatieren, dass­ Fettings Gemälde die bekannten Ikonografien und heteronormativen Ideale von einer queeren Perspektive aus subvertieren und darüber nicht nur schwulen ­L ebensformen zu einer Sichtbarkeit verhelfen, sondern auch verdrängte und im Indianerstereotyp versteckte homoerotische Fantasien aufdecken. Gerade in diesem homosexuellen oder queeren Umdeuten und Überdrehen liegt der Unterschied zu den Expressionisten, die zwar ähnliche Malweisen und Motive verwendeten, aber einer Vorstellung von Authentizität in der Abstraktion anhingen sowie letztlich bürgerlichen, heteronormativen Werten und Vorstellungen überwiegend ­verhaftet blieben.

27 Judith Butler unterscheidet mit Frederic Jameson zwischen Parodie und Pastiche. Während die Parodie eine

Sympathie mit dem Original bewahrt und dessen Kopie ist, bestreitet das Pastiche die Möglichkeit des Originals (1991: 226). Bezüglich Fettings Indianerdarstellung muss einschränkend konstatiert werden, dass seine Form der Parodie das Original, hier ‚den Indianer‘, letztlich jedoch nicht gänzlich bestreitet. 28 Über diese mögliche Lesweise als Aufdeckung von verdrängter Homoerotik reflektiert Fetting in dem bereits genannten Interview mit Timm im Ausst.-Kat. „4 × Fetting“ (1995: 21). 29 Eine Abbildung befindet sich im Ausst.-Kat. Rainer Fetting. Studio d’Arte Cannaviello, Mailand; Galerie Silvia Menzel, Berlin, und Raab Galerie, Berlin. Berlin 1983, S. 47.

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Elvira Bach – Aneignungen schwarzer Weiblichkeit? Elvira Bach ist eine der wenigen Frauen, die zu der Berliner Gruppe der Neuen Wilden gezählt wird und die bis heute auf dem Kunstmarkt bekannt ist. Die für sie charakteristischen Gemälde von großen, raumgreifenden Frauenfiguren haben es bis in den populären ‚Mainstream‘ geschafft. In den meist frontalen, flächigen und in kräftiger Farbgebung auf die Leinwand gebrachten Weiblichkeitsdarstellungen sind verschiedene Frauenbilder und -rollen visualisiert. Die Motive reichen von der Femme fatale bis zur Mutter, von der Verführerin bis zur Sport treibenden Frau. Weiblichkeit wird dabei nicht ohne Humor, mal als selbstbewusst und aktiv zur Schau gestellt, mal als in gesellschaftlichen Rollenvorstellungen gefangen vorgeführt. Fast immer mit hochhackigen Schuhen bekleidet entsprechen die ­voluminösen Frauenkörper in Bachs künstlerischer Praxis nicht dem gängigen Schönheitsideal des schlanken und zurückhaltenden, grazilen Models, sondern kreieren andere Bilder von Weiblichkeit, ähnlich wie beispielsweise Niki de Saint Phalle sie mit ihren „Nanas“ seit Mitte der 1960er Jahre entworfen hat.30 Wie de Saint P ­ halles Weiblichkeitsdarstellungen sind auch Bachs Frauenkörper sowohl mit weißer als auch mit schwarzer Hautfarbe [Abb. 68] visualisiert. Bach charakterisierte ihre schwarzen Figuren in einem Interview damit, dass sie das „afrikanische Element“ betonen.31 In verschiedenen Interviews gibt Bach an, sich in ihren figurativen Weiblichkeitsbildern immer selbst darzustellen.32 Durch den erkennbaren Pinselduktus schreibt sie sich auch gestisch, körperlich in ihre Gemälde ein. Zusammen mit dem Statement über die Selbstporträthaftigkeit ihrer Figuren ist die Künstlerin so in ihren Arbeiten doppelt präsent. Die Kunstgeschichte erkennt in Bachs Frauendarstellungen teilweise auch ihre ‚Schwestern‘ (vgl. Bergmann 1987). Aufgerufen und wiederholt wird mit diesen Kommentierungen ein Verständnis von Weiblichkeit als universelle, essentielle Identität, die an den Körper gebunden ist und mit dem Bild einer Frau signifiziert werden könnte. Die in den Bildern visualisierten unterschiedlichen Hautfarben werden unter eine vermeintlich globale ‚Schwesternschaft‘ subsumiert. Bekanntermaßen sind solche Vorstellungen – beispielsweise in der Zweiten Frauenbewegung – mit Konzepten von einem ‚ursprünglichen‘ und natürlichen Frausein verknüpft, wodurch Unterschiede zwischen Frauen negiert

30 Barbara Paul analysiert die temporäre Skulptur „Hon“, 1966, von Niki de Saint Phalle und zeigt deren

Oszillieren zwischen einer Naturalisierungsstrategie von Weiblichkeit und einem konzeptionellen Codierungsprozess auf (2010). 31 In einem Interview mit Ulrike Fuchs in der Zeitschrift „Der Kunsthandel“ äußerte sie: „Die Figuren zeigen Frauen, die von der Größe und Anlage zur Urfrau hin tendieren, die vom Volumen eher in Afrika als in Nordeuropa beheimatet sind. Indem ich überwiegend dunklere Farben für die Skulpturen gewählt habe, wollte ich das afrikanische Element stärker betonen“ (2001: 14). 32 Margarethe Jochimsen schreibt „Fast schlagartig entdeckt die Künstlerin ihr Thema, das sie bis heute nicht mehr losgelassen hat […], nämlich sich selbst, das ‚Immer Ich‘“ (1990: 9). 33 Siehe meine Ausführungen dazu und zu der Kritik schwarzer Frauen daran in Kapitel 5 zu Ulrike Rosenbachs Arbeiten.

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werden.33 Für universalistische Weiblichkeitsvorstellungen haben sich Visualisierungen etabliert, die häufig Ganzkörperdarstellungen von voluminösen Körpern sind und mit als feminin geltenden Merkmalen, z.B. breiten Hüften, für eine ‚selbstbestimmte Weiblichkeit‘ stehen. Solche Repräsentationen entsprechen einer Bildpolitik, die tradierte, als ‚weiblich‘ geltende Körperformen betont, diese auf vermeintliche Ur-Weiblichkeitsbilder aus der Steinzeit zurückführt, mit Zeichen für ‚Fruchtbarkeit‘ und ‚Mütterlichkeit‘ verknüpft und das gesamte Bild wiederum gegen das spätestens seit dem 20. Jahrhundert in der visuellen Kultur kolportierte weibliche Schönheitsideal anführt. Nicht reflektiert wird aus einer solchen Perspektive, die Weiblichkeit als Entität und nicht als Repräsentation denkt, welche Zuschreibungen mit diesen Bildern reproduziert werden. In Bachs Figuren finden sich Akzentuierungen von vermeintlich ursprünglichen femininen Charakteristiken in den breiten Hüften, dem zumeist üppigen Busen sowie in dicken Lippen und großen Augen. Gleichzeitig sind aber auch die Schultern besonders breit dargestellt, auffallend sind außerdem die häufig überdimensional großen Hände sowie die gesamte Körpergröße. Alle drei Merkmale gelten als männlich und werden mit Macht und Aktivität in Verbindung gebracht. Bachs Figuren sind außerdem meist ausgestattet mit zeitgenössischen Accessoires, z.B. mit kurzen Haaren und Kleidung in der Mode der 1980er Jahre, die teilweise dazu dienen, ihre Trägerinnen selbstbewusst und zuweilen gar a­ ggressiv wirken zu lassen, z.B. werden Pumps übergroß dargestellt. Durch die aufgezählten Darstellungsformen erhalten Bachs Frauengestalten aber auch etwas Monströses und Gewaltiges. Viele ihrer Figuren blicken die Betrachtenden direkt an, zusammen mit den abgebildeten Aktionen erscheinen die Figuren dadurch besonders aktiv, selbstbestimmt und nicht nur Männern überlegen. Häufig nehmen die Figuren den gesamten Bildraum ein oder gehen über diesen hinaus, vgl. das Gemälde „Ohne Titel“, 1985 [Abb. 68]. Suggeriert wird so eine Nähe zu den Betrachtenden, die eher eine überwältigende und bedrohliche und keine intime ist oder gar Verfügbarkeit anzeigt. In dieser ‚Gewaltigkeit‘ sind Bachs Figuren durchaus auch Gegenbilder zu tradierten weiblichen Körpernormen. Spekulieren ließe sich, dass es neben dem Reiz der Farbigkeit und der Figurationen in Bachs Bildern vor allem diese ‚alternativen‘ Frauenbilder sind, die ihren Erfolg begründen oder diesen zumindest begünstigen. Bachs Frauendarstellungen werden in der Rezeption allerdings nur selten als feministisch benannt und oft sogar als sich von einer solchen Position abhebende beschrieben. Anja Hesse kommentierte beispielsweise Bachs Figuren als: „Frauen, die ohne maskulines Pendant und jenseits jeder feministischen A ­ ttitüde die Leinwände bevölkern“ (1997).34 Auch die Künstlerin selbst distanziert sich immer wieder von feministischer Politik, in dem Magazin Cicero ist sie in einem Interview mit Christine Eichel zitiert mit den Worten: „Ich war nie eine ­Feministin. 34 Zit. nach der Ankündigung einer Ausstellung von Elvira Bach in der Galerie Andreas Baumgartl, Galerie für Zeitgenössische Kunst, München unter http://www.g-ab.de/bach.html (letzter Zugriff 17.11.2008).

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Ich empfand den Feminismus als eine Gruppenbewegung, deshalb war er mir zutiefst suspekt“ (2005: 126). Wie beliebt es unter einigen RezensentInnen ist, Bach eine feministische Position abzusprechen, zeigt sich darin, dass solche Aussagen umgehend zitiert werden, in diesem Fall z.B. sowohl von der Zeitung Die Welt als auch von der Berliner Morgenpost (je 7.04.05). In dem im Cicero erschienenen Interview beschreibt Bach, dass sich ihre Darstellungen überdies auch gegen die Unter­drückung von Erotik durch ‚den‘ Feminismus wenden: „Der Feminismus legt uns nahe, jede Erotik zu unterdrücken, man sollte zum Zeichen werden, wie die F ­ rauen im Islam, alles sollte zugedeckt und neutralisiert werden. […] Mein Credo dagegen war immer Haut zu zeigen und dennoch nicht verfügbar zu sein – das ist eine Frage von Stolz und Selbstbewusstsein“ (2005: 126). Ihre Formulierung entspricht nicht nur einem populären Vorbehalt gegen ‚den‘ ­Feminismus, sondern auch einer eurozentrischen Auffassung von islamischen Bekleidungspraktiken als nicht erotisch. Im weiteren Verlauf des Gesprächs ­beschreibt Bach ihre Ambitionen als Versuch, „die Kraft der Frau“ zu zeigen, „Schönheit aus[zu]stellen, ohne Objekt zu werden“ sowie Frauen als Frauen zu malen und nicht wie ihre männlichen Kollegen als Muse oder Modell (ebd.). Ergebnis ihrer Suche nach solchen ‚Gegenbildern‘ sind ihre großen, ‚schönen‘ und aktiven Frauendarstellungen. Trotz der Selbstbekenntnisse der Künstlerin gegen eine Zuordnung ihrer Kunst zum Feminismus lässt sich diese insofern dennoch als eine feministische – unter vielen verschiedenen feministischen Positionen – beschreiben. Poststrukturalistisch und repräsentationskritisch perspektivierte feministische KunstwissenschaftlerInnen haben idealisierte, voluminöse und ‚ganze‘ Frauenkörper als naturalisierend, mythisch, in einer dichotomen Geschlechterkonstruktion gefangen und somit letztlich als patriarchal kritisiert (z.B. Schade 1987). Auch für Bachs Darstellungen lässt sich diese Kritik geltend machen, gleichzeitig finden sich in ihnen aber auch produktive Thematisierungen von Weiblichkeit, die versuchen, diese um-, re- und ‚neu‘ zu codieren. Von Interesse für meine Arbeit ist, inwiefern sich diese Versuche mit Verhandlungen kultureller Differenz verknüpfen. Birgit Haehnel ist als einzige Autorin ähnlichen Fragen anhand Bachs ­Gemälde „Chardins Gartentisch“, 1985 [Abb. 69], nachgegangen (2000). Sie legt aus postkolonialer und feministischer Perspektive dar, dass Bach am dunkelhäutigen Akt weibliche Sexualität thematisiert, dabei zwar im Vergleich zu männlichen Künstlern mit einigen stereotypen Zuschreibungen bricht, andere aber auch fortschreibt (ebd.: 180). In ihrer Analyse hebt sie das provokant aktive Frauenbild, das Herausfordernde des Aktes sowie die Gegensätzlichkeit der Zeichen für Leidenschaft und Gefahr, „erotischer Lockung“ und abweisender Kälte positiv hervor (ebd. 180f). Letztlich versuche die Künstlerin jedoch, so Haehnel, über schwarze Körperlichkeit Authentizität und authentische weibliche Sexualität auszudrücken (ebd.: 182 und 192). In meiner Analyse des Gemäldes „Ohne Titel“, 1985, und verwandten Bildern komme ich zu ähnlichen Schlüssen, neben der Frage, ob ihre Darstellung schwarzer Weiblichkeit auch ambivalenter

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interpretiert werden kann, diskutiere ich außerdem Darstellungen von inter­ kulturellen Paaren.

„Ohne Titel“ Auf dem Gemälde „Ohne Titel“, 1985 [Abb. 68], ist in abstrahierender Malweise eine Frau in schwarzer Farbe dargestellt. Das Schwarz muss nicht zwingend als Hautfarbe gelesen werden, erhält aber im Kontext der Erzählungen von Bach (s.o.) und ihrer künstlerischen Praxis diese Bedeutung. Trotz der flächigen und wenig ausgestalteten Körperdarstellung ist die Figur als ‚weibliche‘ identifizierbar. Sie ist mit nicht zu übersehenden Brüsten und anderen ‚weiblichen‘ Körpermerkmalen, wie großen Augen und einem großen roten Mund, visualisiert. Anders als in den meisten von Bachs Gemälden ist sie ohne Kleidung zu sehen gegeben, die Scham ist nur mit weißen, v-förmigen Strichen angedeutet. Die Pose dieser Aktdarstellung präsentiert den Oberkörper frontal dem Blick der Betrachtenden, während der Unterkörper leicht nach rechts gedreht ist. Durch die eckige Körperform und mit den kurzen hochstehenden Haaren, den breiten Schultern, ihren überproportional großen Händen sowie den ausladenden Hüften wirkt die Figur besonders muskulös und als weibliche monströs. Gesteigert wird die imposante Körperlichkeit durch den harten Anschnitt der Haare und der Beine, durch die jeweiligen Bildkanten, aber auch durch die Umrandung der Silhouette mit weißer Farbe und verschiedenen Blautönen. Die farbliche Akzentuierung hat den Effekt, dass die Figur sich von dem ebenfalls dunklen Hintergrund abhebt und wie eine Gegenlichtaufnahme oder auch eine rätselhafte Erscheinung wirkt. Der Hintergrund ist in Altrosa und Grau gehalten, und die um die Figur angeordneten Symbole laden das Bild weiter mit Bedeutungen auf. Oben links ist ein roter Pfirsich zu sehen, unten links sind zwei schwarze Kirschen mit türkisfarbiger Umrandung dargestellt. Ebenfalls auf der linken Seite befindet sich in Höhe des Handgelenks ein dreieckiges Element, das aus kleinen Kreisen besteht und die abstrahierte Darstellung einer Obstschale auf einem Tisch ist. Dieses Dreieck wie auch die zwei langstieligen Blumen rechts neben der Figur finden sich in mehreren Gemälden mit schwarzen Frauenfiguren von Bach. Die Obstschale ist auf dem Gemälde „Chardins Gartentisch“, 1985 [Abb. 69], nicht nur besser identifizierbar, sondern mit dem Titel wird auch auf das kunsthistorische Vorbild verwiesen: das Gemälde „Der Erdbeerkorb“, 1760, des französischen Künstlers Jean Baptiste Chardin. Traditionell und so auch bei Chardin ist eine Obstschale, und vor allem eine Schale mit Beeren, in der westeuropäischen Kunst ein Vanitas-Symbol, aber auch ein Verweis auf Sinnlichkeit und Erotik. Ähnlich wie Fetting bedient sich Bach hier also eines bekannten kunsthistorischen Motivs und transformiert es in eine abstrahierende Malweise sowie in einen anderen thematischen Zusammenhang. Bach verwendet es als Ergänzung zu einem schwarzen weiblichen Akt. In „Chardins Gartentisch“ hält sich der Akt eine Erdbeere aufreizend über die Hüfte.

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Abb. 68 Elvira Bach Ohne Titel 1985, Dispersion auf Leinwand, 165 × 130 cm

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Abb. 69 Elvira Bach Chardins Gartentisch 1985, Kunstharz auf Leinwand, 180 × 200 cm

Abb. 70 Elvira Bach Claudette, wann bringst Du die Erdbeeren zurück 1985, Kunstharz auf Leinwand, 230 × 190 cm

Abb. 71 Elvira Bach Tollkirsche 1985, Kunstharz auf Leinwand, 190 × 230 cm

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Sinnlichkeit und Erotik, die bei Chardin durch die Erdbeeren angedeutet sind, werden hier in offensiverer Form auf den weiblichen Körper übertragen. Auch in dem Gemälde „Claudette, wann bringst du die Erdbeeren zurück“, 1985 [Abb. 70], wird der sexuelle Aspekt wenig versteckt visualisiert: Ein schwarzer weiblicher Akt posiert mit einer Schale mit Erdbeeren auf dem Kopf und scheint der Aufforderung im Titel zu folgen. Auf dem Gemälde „Tollkirsche“, 1985 [Abb. 71], ist eine weibliche nackte schwarze Figur mit hochhackigen Schuhen und extrovertierter Gestik dargestellt. Die Blumen auf ihrem Kopf und das Zeichen der giftigen, zur Tobsucht führenden schwarzen Tollkirsche betonen die Konnotation der Figur als wild, zügellos, wie dies auch in den anderen Weiblichkeitsdarstellungen mit Obst, z.B. auch in „ohne Titel“, latent vorhanden ist. Die Kombinationen von schwarzem weiblichem Akt und Früchten stehen in allen genannten Bildern unübersehbar für weibliche Sexualität. Die zwei lang­ stieligen Blumen mit kleinen weißen Blüten in der Aktdarstellung „Ohne Titel“ [Abb. 68] sind in allen genannten Bildern und auch bei Chardin ebenfalls vorhanden. Weiße Blumen symbolisieren in der Tradition der europäischen Kunstgeschichte Unschuld. Haehnel zufolge können sie aber auch als Zeichen für Weiß-Sein gedeutet werden (2000: 180). In Bachs Ikonografie bedeuten sie vor allem weibliche Sexualität. Sigmund Freud sah in der Blume ein weibliches Symbol, in das die Bienen kriechen, um es zu befruchten (Lassalle 2004: 186). Hélène Cixous verwendet in ihrem Theaterstück „Portrait de Dora“, 1975, in dem sie eine feministische Umschrift von Freuds Weiblichkeitstheorie vornimmt, ebenfalls weiße Blumen als Bild für spezifisch weibliche Sexualität (Lassalle 2004: 180). Bach bedient sich wie Cixous diese Zeichens und codiert es für weibliche Sexualität um.

Weibliche Sexualität als schwarze Sexualität Der sexualisierte weibliche Akt ist in dem Gemälde „Ohne Titel“ [Abb. 68] weniger für einen voyeuristischen Blick verfügbar, sondern als selbstbewusster, eigenmächtiger, aber auch als wild und zügellos präsentiert. Weibliche Sexualität ist in vielen Bildern von Bach nicht gemäß der europäischen Tradition der Kunst als passive und verfügbare oder als männliche Projektion dargestellt, 35 sondern als aktive, selbstbewusste und selbstbestimmte. Signifiziert wird diese Sexualität durch die oben beschriebene Körperpräsenz sowie durch die dargestellte Aktivität der Figuren, aber vor allem auch durch schwarze (Haut-)Farbe. Das Bild von weiblicher Sexualität, das dabei kreiert wird, verspricht, eine befreite, nicht entfremdete und jenseits patriarchaler Diskurse existierende Sexualität zu sein. Verwendet wird

35 Daniela Hammer-Tugendhat hat dargelegt, dass Sexualität in der abendländischen Kunst zwar fast

ausschließlich an und über Weiblichkeit und weibliche Körper dargestellt wurde, dass weibliche Sexualität selbst jedoch nicht oder nur als passive, verfügbare und als männliche Projektion vorkommt (2000).

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dafür das stereotype Bild sexualisierter schwarzer Weiblichkeit, das in der weißen Kulturgeschichte Europas und Nordamerikas Tradition hat. Bilder von starken und wollüstigen Frauen – wie die von Bach – existieren nicht per se außerhalb patriarchaler Diskurse. Christina von Braun hat in ihrer Kulturgeschichte zu Diskursen über weibliche Sexualität dargelegt, dass solche Bilder Teil patriarchaler Traditionen sind, die auf misogynen Einstellungen basieren. Von Braun geht in ihren Ausführungen nicht näher auf Hautfarbe ein (1987: 11).36 Ergänzen lässt sich mit May Opitz, dass das Bild der ‚wilden Frau‘ als schwarze, die große, überdimensionale Brüste hat und bedrohlich ist, bereits im Mittelalter entstanden ist (1986: 19f). Bis zum 18. Jahrhundert entwickelten sich daraus die Zuschreibungen von promiskuitiver und zügelloser Sexualität an schwarze Männer und Frauen. Im 18. Jahrhundert wurden im Zuge der sich auf Biologie berufenden Rassevorstellungen die Zuschreibungen besonders freizügiger Sexualität an Körpermerkmalen, insbesondere an Sexualorganen schwarzer Frauen, festgemacht, wie Sander Gilman aufgezeigt hat (1986). Diese Erkenntnis ergänzt sich mit der von Katharina Sykora, die darlegen konnte, dass vor allem im 18. Jahrhundert in Europa das Monströse mit Weiblichkeit, dem ethnisch Fremden und mit Sexualität gekoppelt ist (Sykora 1997). Diese Konstruktion galt als grotesk, hässlich und als Abweichung von der Norm. Visualisierungen dieser Körpervorstellungen und -zuschreibungen finden sich bis heute auch in der bildenden Kunst. Beispielhaft für den deutschen Expressionismus sind Ernst Ludwig Kirchners Darstellungen von schwarzen Frauen mit großem Gesäß [vgl. Abb. 3]. In diesen Bildern des frühen 20. Jahrhunderts wurde die fantasierte schwarze Sexualität positiv bewertet und offensiver als vorher begehrt. Rassistische Zuschreibungen bleiben in diesen jedoch unmissverständlich bestehen. bell hooks schreibt, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der betonte schwarze Hintern zwar nicht mehr als Indiz für ‚rassische Minderwertigkeit‘ gilt, aber dass sich die Faszination an ihm weiter hält und er immer noch für gesteigerte Sexualität steht (1994: 83). Die betont ‚großen‘ Körperformen von Bachs schwarzen Akten partizipieren an dieser tradierten Faszination sowie an den stereotypen Zuschreibungen, die solchen Bildern schwarzer Weiblichkeit weiter anhaften. Gilman kommt in seiner Studie zur Ikonografie von weiblicher Sexualität in der nordamerikanischen Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts zu der Erkenntnis, dass die Gegenwart von Schwarzen es den Weißen ermöglichte, ihre ‚weiße Welt‘ zu sexualisieren, während sie gleichzeitig Weißsein von Sexualisierung abtrennen konnten (1986). Wenn hooks zeigt, dass in der US-amerikanischen Popkultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Sexualität schwarzer Frauen sogar als freier und emanzipierter als die der Weißen gilt (1994: 86), scheint nicht nur das tradierte Stereotyp, sondern auch die Verschiebung von Sexualität auf

36 Von Braun geht einem Paradigmenwechsel Ende des 18. Jahrhunderts nach, innerhalb dessen sich das Bild

der von sogenannter Fleischeslust besessenen und teuflischen Frau wandelt zu einem, dass diese nun geradezu mit der Aura des Sakralen umgibt (1987: 11).

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Schwarze beibehalten zu werden. Anknüpfend daran lassen sich die Bedeutungen und Funktionen von schwarzer Weiblichkeit in Bachs Darstellungen weiter konkretisieren: Auch diese wenden das Bild schwarzer, sexuell aktiver Weiblichkeit zu einem Ideal, das einem adressierten weißen (und vermutlich eher weiblichen) Publikum eine emanzipierte, d.h. selbstbestimmte, ‚freie‘ und ‚wilde‘ Sexualität verspricht, dabei gleichzeitig die Möglichkeit bietet, Sexualität weiter von weißer Körperlichkeit abzukoppeln. Bachs Gemälde verwenden für das Konzept emanzipierter weiblicher Sexualität, das den Auslassungen und Theorien zum weiblichen Sex entgegnet, erneut das rassistische Stereotyp schwarzer, afrikanischer Frauen. Zwar gibt es im 20. Jahrhundert gerade in der Kunst immer wieder Tendenzen, über (weibliche) Monstrosität Stereotypisierungen und normative Grenzziehungen zu durchkreuzen (Paul 2007), in Bachs Darstellungen weiblicher Monstrosität wird jedoch ein tradiertes rassistisches und sexistisches Stereotyp motiviert, das vorgibt, ‚Natur‘ zu sein. Unterstützt wird diese Lesweise, wenn Bach davon spricht, dass ihre Figuren „zur Urfrau hin tendieren“, die sie eher in Afrika beheimatet sieht (Interview mit Ulrike Fuchs, 2001: 14). In der Kombination von Monstrosität und schwarzer Hautfarbe bleibt das Stereotyp der schwarzen Frau, die als wild, zügellos und letztlich immer noch als ‚primitiv‘ gilt, enthalten. Die zugeschriebenen Eigenschaften sind hier zwar positiv gewendet, schreiben aber schwarze Weiblichkeit erneut auf diese fest.

Im Gegenlicht Eine Ambivalenz ist in Bachs schwarzen Frauenbildern in dem Lichtkranz, der die meisten Figuren umgibt und die Gemälde wie eine Gegenlichtaufnahme erscheinen lässt, auszumachen. Betont werden dadurch die Konturen der dargestellten Person, sie wird dunkel vom Hintergrund abgehoben, und ihre schwarze Körperfarbe könnte dadurch auch dem Schatten geschuldet sein. Uneindeutig bleibt für die Betrachtenden, ob die Figur schwarzer Hautfarbe ist oder durch den Schatten wie ein ‚Loch im Licht‘ wirkt.37 Ermöglicht wird darüber eine weitere Bildlektüre, die die Sichtbarkeit und Erkennbarkeit von Hautfarbe unsicher werden lässt. Neben der dadurch auch betonten Verrätselung von Weiblichkeit und Schwarzen schwingt in dieser Form des Sichtbar/Unsichtbar-machens aber auch ein Infragestellen der Behauptungen von visueller Evidenz, die an die Sichtbarkeit der Hautfarbe geknüpft ist, mit. Ob die Frauenfigur schwarz ist oder nur aufgrund des Gegenlichts dunkel oder sogar nur als Schatten erscheint, bleibt – möglicherweise entgegen der Intention der Künstlerin selbst – uneindeutig.

37 Michael Baxandalls Studie zu dem Phänomen des Schattens trägt in der deutschen Übersetzung den Titel „Löcher im Licht“ (1998).

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Michael Baxandall hat in seiner Studie zum Schatten dargelegt, dass dieser allgemein wenig zusätzliche Auskunft über die Form der Dinge gibt, er sieht in den verschiedenen Darstellungen von Schatten vielmehr Oberf lächen und Raum definierende Phänomene (1998). Unter Bezug auf KünstlerInnen und TheoretikerInnen der Auf klärung führt Baxandall aus, dass Schatten ein Moment der Wahrnehmung ist, der vielmehr Auskunft über Licht, Atmosphäre und Distanz gibt, seine Lesbarkeit beruht auf einem Vorwissen oder auf Erfahrung.38 Baxandall stellt diese Erklärung den objektivierenden Verfahren der Moderne, zum Beispiel der heutigen Computergrafik, gegenüber. Bezieht man diese Überlegungen zum Schatten auf Bachs Arbeit, lässt sich die weibliche Figur in ihrer schattenhaften Präsenz vielmehr als Effekt der Wahrnehmung lesen. Damit behauptet sie keine sichtbare Evidenz von Hautfarbe, sondern verrätselt diese. Die Lichtmodulation, die Bach vornimmt, produziert damit auch eine Uneindeutigkeit, die die Erfassung von Hautfarbe als Wahrnehmungsphänomen vorführt, sie nicht festschreibt und als Lichtphänomen eher an Wahrnehmung als an Biologie koppelt. Untermauern lässt sich diese zusätzliche mögliche Lektüre mit einer Argumentation von Viktor Stoichita, der in seiner „kurzen Geschichte des Schattens“ darauf verweist, dass seit dem Höhlengleichnis von Platon und ausgehend vom Phänomen des Schattens das gemalte Bild auf Visualität als anschauende Erkenntnis eingeschränkt ist (1999). Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts betont er den Status des Schattens als Verdinglichung der Projektion. Folgern ließe sich, dass durch den Schatten die Bedeutungsproduktion in den Betrachtenden verlagert wird. Letztlich ließe sich eine solche Aussage auch in die Gegenlichtdarstellung von Bach hineinlesen: Die Figur erscheint als Projektion, als Lichtprojektion sowie im übertragenen Sinne als Projektion der eigenen Vorstellung. Die Decodierung der Figur wie auch ihre Konstitution würde so auf die Seite des Betrachtenden verlagert. Bachs im Kontext des Kunstfeldes aber überaus präsenten Anmerkungen verunmöglichen eine solche Lesweise nahezu und schreiben mit ihr erneut tradierte Zuschreibungen an Bilder schwarzer Weiblichkeit fest.

„Schwarz und bleich“ Auf dem Gemälde „Schwarz und bleich“, 1983 [Abb. 72], geht es ebenfalls um weibliche Sexualität. Diesmal ist eine weiße Frau dargestellt, allerdings kommt auch sie nicht ohne schwarze ‚Unterstützung‘ von schwarzen Figuren aus. Zu sehen ist sie in intimem körperlichen Kontakt mit einem schwarzen Mann. Die Frau liegt, ihren Körper dem Betrachtenden frontal zugewendet, auf dem Körper des Mannes, wobei der weibliche Körper nach links, der des Mannes nach rechts ausgerichtet

38 Der Schatten ist auch in der künstlerischen Praxis von Bachs Vorbild Chardin Mittel und Thema (Baxandall 1998: 151ff).

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Abb. 72 Elvira Bach Schwarz und bleich 1986, Kunstharz auf Leinwand, 230 × 380 cm

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ist. Die linke Hand der weiblichen und die rechte der männlichen Figur berühren sich in Höhe der weiblichen Scham. Unentschieden bleibt, ob die Hände sich hier einfach umfassen oder das weibliche Genital stimulieren. Während der Körper des Schwarzen unter dem der weißen Frau kaum zu erkennen ist, seine Augen geschlossen sind und er mit den Lippen einen Fuß der weiblichen Figur berührt, dominiert die weibliche Figur die Szene. Den Kopf auf den linken Arm gestützt, blickt sie direkt und selbstbewusst aus dem Bild. Ihre Haare werden zu einer schlangenähnlichen Gestalt, die das Paar umrankt. Das Thema Sexualität wird durch die Betonung der Haare und das phallische Zeichen der Schlange, das häufig verwendet wird, wenn kulturelle Differenz angezeigt werden soll, weiter verstärkt.39 Der linke Fuß der Weiblichkeitsdarstellung ist nackt, der andere hat die Form eines hochhackigen Damenschuhs. Die ‚weiße‘ Hautfarbe ist rosa mit roten, hell- und dunkelblauen, gelben und weißen Schattierungen. Weiße Hautfarbe wird so als eigentlich ‚farbige‘ zu sehen gegeben, wird thematisiert und fällt zusammen mit den anderen beschriebenen Elementen auf. Weiße Weiblichkeit erstrahlt also im Licht und im Bildvordergrund, der schwarze Körper verbindet sich dagegen mit dem Hintergrund. Er ist nicht als Objekt ausgestellt, sondern hat die Rolle, weibliche Lust zu bedienen sowie die Bühne für diese zu bilden. In der Geschichte der ‚westlichen‘ Kunst wurde die Kontrastierung von weißer und schwarzer Hautfarbe vor allem im 19. Jahrhundert dazu verwendet, um ­Weiße als Schönere und Überlegenere vorzuführen. 40 Bachs Titel, in der die weiße Hautfarbe als ‚bleich‘ eher negativ bezeichnet ist, versucht einer solchen Konnotierung entgegenzuwirken. Indem der Schwarze im Hintergrund und als sexueller sowie sinnlicher dargestellt ist, bekommt er aber auch wieder die Funktion der Staffage oder des Attributs für die Inszenierung von eigentlich weißen Angelegenheiten, hier der sexuell selbstbewussten, weißen Weiblichkeit. Bezieht man die Aussage der Künstlerin, sich immer selbst darzustellen, mit ein, erklärt sich die prominente Position der weiblichen Figur auch aus der Funktion des Selbstporträts. Nimmt man darüber hinaus biografische Aspekte in die Analyse auf – Bach ist mit einem Senegalesen verheiratet –, lässt sich die Darstellung als Visualisierung der eigenen interkulturellen Beziehung verstehen, die sie, wie so viele hauptsächlich männliche Künstler vor ihr, in ein Bildnis ihrer selbst mit einbezieht. Dennoch verbildlicht die Geste der männlichen Figur auch ein Begehren am weißen weiblichen Körper, wodurch das Stereotyp des lüsternen Schwarzen zumindest aufscheint. Zwar ist der Schwarze weder ausschließlich als Objekt noch als weißer Kontrolle und Projektion unterlegen zu sehen gegeben, wie es Silverman als Crux von stereotypisierenden Repräsentationen von Schwarzen dargelegt hat (1992: 143f), aber er bildet die Folie für weiße, weibliche und

39 Zur Bedeutung der Schlange in Bachs Arbeiten s. Fuchs (2001: 14). 40 Zur Kontrastierung von weißer mit nicht weißer Hautfarbe sowie zur Hierarchisierung unterschiedlicher

Hautfarben siehe die Arbeit von Silke Förschler zu Haremsdarstellungen, insbesondere anhand von Gemälden aus dem Orientalismus des 19. Jahrhundert legt sie diese Semantik dar (2010: 156f).

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vor allem sexuelle Emanzipation. Im Kontrast der beiden Akte wird deutlich, dass er sich nur auf den weiblichen Körper konzentriert, in seiner Sexualität gefangen scheint, während sie aus dem Bild blickt und sich selbstbewusst als Sex-Habende den Betrachtenden zeigt. Letztlich beweist die weibliche Figur mit ihrem Blick hier auch Selbstbewusstsein als weibliche Künstlerin. Die Kombination von schwarzem Mann und weißer Frau war im dominanten europäischen und nordamerikanischen Bildrepertoire lange Zeit in Erzählungen eingebunden, die den Schwarzen als besonders sexuell potent und als Gefahr für weiße Frauen darstellten. Diese Narration formierte sich zur Zeit der Sklaverei, als Weiße über die sexuellen Gelüste und die Potenz schwarzer Männer fantasierten, die sie sowohl fürchteten als auch insgeheim beneideten (Hall 2004: 149). Die „Fantasie des großen schwarzen Penis“, „die eine Angst vor einer Bedrohung nicht nur für alle weißen Frauen, sondern für die Zivilisation als solche“ vermittelt (Mercer 1994: 185), war auch in der ‚deutschen‘ Bildtradition bekannt.41 Bachs Bild versucht solche Paarungen und die Stereotypisierungen schwarzer, gefährlicher Männlichkeit umzucodieren.42 Die Schwarzen zugeschriebene sexuelle Potenz ist hier positiv ins Bild gesetzt, bleibt aber als stereotype Zuschreibung weiter präsent. Dass die Frau als die Dominante und über den Blick aus dem Bild heraus als selbstbewusst, sexuell aktiv erscheint, transformiert tradierte Stereo­t ype von Weiblichkeit zumindest teilweise. Trotz dieser Transformation unterscheidet sich die dargestellte Situation von einer bloßen Umkehrung der Geschlechter­ verhältnisse bei Beibehaltung einer rassistischen, weißen Ordnung, innerhalb derer weiße Frauen schwarzen Männern gegenüber die Position des kontrollierenden und blickenden Subjekts einnehmen, wie Aufnahmen von Leni Riefenstahl es inszeniert haben.43 Vergleichen lässt sich die vorgeführte Paarung eher mit Erzählungen, wie sie vor allem in Filmen seit den späten 1960er Jahren produziert werden, in denen über eine Liebesgeschichte zwischen einer weißen Frau und einem 41 Proklamiert wurde sie insbesondere in der ‚Schwarzen Schmach-Kampagne‘ am Ende des Ersten Weltkrieges.

Die Kampagne richtete sich gegen schwarze Soldaten der Besatzermächte, die in Deutschland stationiert waren. Von diesen ‚beherrscht‘ zu werden, stellte für die meisten Deutschen eine große Erniedrigung dar. Behauptet wurde, dass die anwesenden Schwarzen eine Gefahr für deutsche Frauen seien, auf Werbeplakaten und Münzen wurden sie als ‚Triebtäter‘ dargestellt. Für eine ausführlichere Besprechung der Kampagne s. Katharina Oguntoye u.a. (1986: 49ff). 42 Bach hat mehrere Bilder von einer weißen Frau in intimem Kontakt mit einem oder mehreren schwarzen Männern dargestellt. Ein weiteres Beispiel ist „Deutsch-dominikanische Freundschaft die Schneemänner schmilzen“, 1982. In diesem können die weißen Schneemänner auch als Zeichen für weiße Männer, die im Vergleich zum schwarzen Mann ‚vergehen‘, gelesen werden. Damit ist zwar erneut eine Differenz zwischen Schwarzen und Weißen aufgemacht, in dem humorvollen Darstellen von weißer Männlichkeit als Schneemann und als schmelzend würde ich aber viel mehr eine Kritik an patriarchalen weißen Männlichkeitsvorstellungen sehen als eine erneute Festschreibung von Differenz. 43 Zu den Fotografien von Leni Riefenstahl, auch zu der, die sie selbst mit einem Schwarzen aus dem Volk der Nuba zeigt, s. Ruth Noack (1997). Als Beispiel für eine Umkehrung von geschlechtlich codierten Blickpositionen, in der weiße Frauen den Blick haben und ein schwarzer Mann zum angeblickten Objekt wird, diskutiert sie eine Szene aus Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“, 1973. In dieser wird ein Marokkaner (Ali) von seiner weißen Freundin und deren Kolleginnen wie eine Preiskuh begutachtet und bewertet (1997: 188). Fassbinders Film geht dem prekären Objektstatus nach, der schwarzen Männern im weißen Blickregime zugeschrieben wird. Siehe dazu auch die Analyse von Kaja Silverman (1992: 143ff).

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schwarzen Mann die Unrechtmäßigkeit von rassistischen Unterscheidungen und Diskriminierungen vorgeführt wird, z.B. in dem Film „Guess who’s coming to dinner“ (deut. Titel „Rate mal, wer zum Essen kommt“, 1967, USA). Ein weiteres bekanntes filmisches, eigentlich aus der Literatur kommendes Motiv, in dem Herrschaftsverhältnisse zwischen Hautfarben wieder festgeschrieben werden und an das Bachs Bild auch erinnert, ist eines, in dem der ‚schwarze Kontinent‘ sowie der schwarze Körper als Folie weißer, weiblicher Emanzipation und ‚Selbstfindung‘ dient. Bekannt wurde dieses Motiv mit den Romanen der als ­Kolonialistin in Kenia lebenden Dänin Tania Blixen in den 1930er Jahren. Reaktualisiert wurde dieses Motiv 1985 mit der Verfilmung einer ihrer Romane unter dem Titel „Out of Africa“ (deut. Titel „Jenseits von Afrika“), USA. Aktuell erlebt das Motiv der sich in Afrika emanzipierenden Frau in deutschen Fernsehproduktionen eine erneute Renaissance. Bekannte nationale Schauspielerinnen wie Jutta Speidel und Iris Berben spielen Frauenfiguren, die im ‚großen weiten Afrika‘ ihre sogenannte ‚Selbstverwirklichung‘ finden. Die Beziehung einer weißen Frau zu einem schwarzen Mann, wie Bach sie darstellt, ist in den meisten dieser Filme allerdings absolut undenkbar.44 Vor dieser Folie droht Bachs Darstellung schwarzer Männlichkeit zwar einerseits ebenso als Bühne für weibliche (sexuelle) Selbstfindung gelesen zu werden, andererseits ist die Darstellung aber insofern provokant, als die sexuelle Beziehung zwischen einer Weißen und einem Schwarzen hier als ­lustvolle und annährend gleichwertige dargestellt wird. Der Schwarze ist weniger Objekt denn Sexualpartner. Sexualpartner für weiße Weiblichkeit, die hier zwar eine ­dominante, nicht aber unbedingt auch eine dominierende Position einnimmt.

… aber ‚überdreht‘ sind die Darstellungen nicht Klaus Gallwitz vergleicht Bachs Darstellungen von Schwarzen mit denen von Paul Gauguin und spielt auf Bachs Aufenthalt in Santo Domingo, Dominikanische Republik, 1982, an (1990: 16).45 Gallwitz liest Gauguins und Bachs künstlerische Praxis als vom Fernweh motivierte „Suche nach dem eigenen Ich“ und Bachs dabei als weibliche Variante, womit er den genannten Roman- und Filmmotiven von sich emanzipierenden weißen Frauen im ‚schwarzen Afrika‘ wieder verdächtig nahekommt. Gauguins Frauendarstellungen sind aus postkolonialer Perspektive bereits als rassistische und sexistische kritisiert worden (Pollock 1993). Anders nimmt sich Bachs Darstellung schwarzer Männerkörper vor diesem Vergleich aus. Zwar lässt

44 Eine jüngere Ausnahme, die einem kolonialistischen Blickregime auch nicht entkommt, ist die Bestseller-

verfilmung „Die weiße Massai“ von der deutschen Regisseurin Hermine Huntgeburth, 2005. In dem Film geht es um die Beziehung einer weißen Schweizerin zu einem Mann aus Kenia, der dem Stamm der Massai angehört. Dargestellt wird, wie die weiße Frau versucht, einem schwarzen Mann das romantische sexuelle Liebesideal beizubringen. 45 Darauf verweist auch Haehnel (2000: 181).

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sich auch hier eine primitivistische Projektion erkennen, die ein heterosexuell erfülltes Sexualleben und eine weiße weibliche emanzipierte Sexualität in die ­afrikanische Ferne projiziert, im Unterschied zu ihren männlichen Kollegen aus der Kolonialzeit stellt sie den Schwarzen jedoch weder als Objekt noch als unterlegen dar. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Beziehung zu einem Schwarzen ist darin außerdem die Visualisierung der eigenen Beziehung zu lesen, die sie mit dem Projekt, Bilder weiblicher (heterosexueller) Sexualität zu produzieren, verknüpft. Deutlich wird in ihren Verbildlichungen aber auch die Schwierigkeit, rassistischen und sexistischen Darstellungsparametern zu entkommen. Resümiert werden kann, dass Bachs figurative Darstellungsweise in „Schwarz und bleich“ zwar kein subversives Gegenbild zu kolonialistischen und rassistischen Darstellungsparametern bildet – dafür setzt sich die Arbeit zu wenig mit diesen auseinander –, aber dass sie dennoch ein Motiv vorführt, das zumindest versucht, andere Formen der Visualisierung von differenten Hautfarben zu finden. Im ­Unterschied dazu stehen ihre Bildnisse schwarzer Weiblichkeit, in denen es um die Neu-Verhandlung von weiblicher Sexualität geht und gleichzeitig tradierte Stereotype motiviert und stillschweigend angeeignet werden. Zwar mag es Bach gelingen, Weiblichkeitsbilder partiell umzucodieren, in den Bildern von schwarzer Weiblichkeit gelingt das jedoch nicht. Nahezu ungebrochen werden rassistische Stereotype von schwarzer Weiblichkeit wiederholt. Die Strategie, bestimmte Körper­ teile oder Attribute beispielsweise in der Größe zu übertreiben, führt gerade bezüglich von als weiblich geltenden Körperteilen zu erneuten Naturalisierungen und Authentifizierungen von Weiblichkeit und – wie dargelegt – auch von Schwarzsein. So produzieren Bachs Frauenbilder, obwohl sie mit dem Mittel der Über­ treibung arbeitet, Bedeutungen, die Weiblichkeit als identitäre, nicht maskeradenhafte und als natürliche darstellen. Bachs Übertreibungen von als feminin geltenden Elementen führen lediglich zu anderen Weiblichkeitsstereotypen, die diese erneut naturalisieren, eine ‚Überdrehung‘ im oben erläuterten Sinne stellt sich nicht ein.

46 Zu dieser losen Künstler-Verbindung, die nach einem Kölner Stadtteil benannt wurde, zählten neben Dahn

Hans Peter Adamski, Peter Bömmels, Georg Jirˇí Dokoupil (mit dem Dahn zeitweise viel zusammenarbeitete) und zwischenzeitlich auch Gerard Kever und Gerhard Naschberger.

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Walter Dahn – ‚Kölner Wilder‘, ‚chinesischer Afrikaner‘ und ‚die Präsenz des Objekts‘ Walter Dahn gehörte zur Kölner Gruppe der ‚wilden‘ Maler, die sich unter der Selbstbezeichnung „Mülheimer Freiheit“ in den 1980er Jahren ebenfalls mit tradierten Konventionen von Malerei auseinandersetzten.46 Gemeinsam ist vielen der Kölner Künstler (die Gruppierung bestand hauptsächlich aus Männern) eine Malweise, die nicht spontan und gestisch, sondern bewusst dilettantisch und respektlos anmutet und manchmal an Kinderzeichnungen oder ‚Kritzeleien‘ erinnert In Abgrenzung zu den meisten der als Neue Wilde bezeichneten KünstlerInnen ­wendete sich die „Mühlheimer Freiheit“ humorvoll gegen ein autonomes und selbst­imaginatives Künstlersubjekt, das sich in seinen Arbeiten subjektiv ‚ausdrückt‘ (Dickhoff 1993a: 11). Betont wird von vielen RezensentInnen eine Widerständigkeit der Kölner ‚Wilden‘, die darin bestehen würde, dass sich ihre Kunst und vor allem die Gemälde von Dahn als ironische Auseinandersetzung und kritische Referenz auf künstlerische Strategien und Motive der neueren, aber auch der modernen Kunstgeschichte interpretieren lassen (vgl. Dickhoff: 1993a: 11).47 Wie viele seine Kölner KollegInnen knüpfte auch Dahn erklärtermaßen an dadaistische und surrealistische Traditionen an und erhob das Kopieren und Zitieren von Motiven zur künstlerischen Methode. Dahn schöpft aus dem ihm zur Verfügung stehenden Bildreservoir (Dickhoff u.a. 1993b: 54) und umschreibt seine Praxis selbst als „Reisen innerhalb des ethnologischen Museums der Popkultur“ (van Nieuwen­ huyzen 1997: 16). In Interviews und eigenen Texten formulierte Dahn immer wieder sein Interesse an ‚Inhalten‘ sowie an einem gesellschaftskritischen Impetus, bei gleichzeitigem Anspruch, das Dargestellte zu einer ‚Präsenz‘ zu verdichten (Dahn 1986, Dickhoff u.a. 1993b: 52) und eine Ikonografie zu schaffen, die auf Anhieb lesbar sei (Grasskamp 1984: 20; Koepplin 1986: 9). Innerhalb dieser Suchbewegung, wie Malerei und Kunst fortgeführt und wie mit Kunst die Gesellschaft verändert werden könne (Dickhoff u.a. 1993b: 23), interessierte sich Dahn unter anderem für O ­ bjekte und Personen außereuropäischer Kulturen. Sowohl seine RezensentInnen als auch er selbst erwähnen, dass er in der Zeit nach seinem Studium, Ende der 1970er Jahre, begonnen habe, sich für Ausstellungen und Bibliotheken von Völker­k unde­ museen, insbesondere für das Rautenstrauch-Joest-Museum für Völker­k unde in Köln, zu begeistern und dort zu fotografieren (Felix 1989: 3; Dickhoff u.a. 1993b: 28). Ob diese Bezugnahmen auf Signifikanten für kulturelle Differenz, die vor allem in einigen seiner Gemälde vorkommen, ebenfalls einem kritischen Impetus ­unterliegen und ironisch zu verstehen sind, soll im Folgenden diskutiert werden.

47 Zum Beispiel erstellte Dahn mit Dokoupil zusammen Bilder, die das Pathos und die Ästhetik der Duschbilder

von Fetting insofern der Lächerlichkeit preisgeben, als anstelle von einem männlichen, duschenden Akt lediglich Füße unter einem Duschkopf dargestellt sind. Zu den ironischen Duschbildern von Dahn und Dokoupil s. Wolfgang Faust (1983b).

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Sein karikaturhaftes „Selbstporträt als chinesischer Afrikaner“, 1984 [Abb. 79], scheint auf den ersten Blick einer ironischen Haltung zu entsprechen. Die ein Jahr vorher zusammen mit seinem Künstlerfreund Jirˇ í Georg Dokoupil erstellte Serie von „Afrika-Bildern“ [Abb. 76, 77] wie auch die Ende der 1980er Jahre konzipierten „Ex-Voto-Bilder“ [Abb. 78] produzieren eine andere Bedeutung.

„Die Afrika-Bilder“ 1984 stellten Dahn und Dokoupil im Groninger Museum die gemeinschaftlich gemalten „Afrika-Bilder“ aus (alle Gemälde entstanden 1983). Der Einband des zur Ausstellung herausgegebenen Kataloges zitiert das Buchcover von Carl Einsteins „Negerplastik“ von 1915, [vgl. Abb. 73 und 74]. Wie Einsteins Einband ist auch der von Dahn/Dokoupil aus braun eingefärbtem, kartoniertem Material. Mittig platziert ist auf beiden Buchdeckeln eine kleine Grafik, die eine afrikanische Plastik darstellen soll, wobei die von Dahn/Dokoupil offensichtlicher ausgedacht erscheint als die von Einstein. Während Einstein seinen Einband ansonsten schmucklos ließ, ist das Cover von Dahn/Dokoupil zusätzlich mit einem exotisierten Balken versehen, der im oberen Teil die Namen der Künstler von dem Titel trennt. Das visuelle Zitat von Einsteins Buch belegt einmal mehr dessen weitreichende Rezeption unter bildenden KünstlerInnen bis in die 1980er Jahre hinein. Viktoria Schmidt-Linsenhoff hat herausgestellt, dass die Art, in der die fotografierten Objekte in Einsteins Publikation präsentiert wurden, nämlich vor einem nur scheinbar neutralen Hintergrund und optisch freigestellt, zu „unkontrollierten Projektionen“ (2010: 307) einlädt. Dahns/Dokoupils Gemälde scheinen dieser Einladung gefolgt zu sein. Erneut werden Stereotype über ‚Afrika‘ und seine BewohnerInnen reproduziert. Während einige primitivistisch arbeitende KünstlerInnen der Jahrhundertwende zumindest versuchten, konkrete Objekte detailgetreu zu kopieren und damit auch zu einer teilweisen Aufwertung und Sichtbarmachung von Artefakten z.B. aus Afrika beitrugen, ist bei Dahn und Dokoupil offensichtlich, dass es in ihrer Kunst nicht um konkretes Kopieren geht. Ihre Gemälde nehmen höchstens Charakteristika wie das Kubische von den in Einsteins Buch abgebildeten Objekten auf und reproduzieren ansonsten vielmehr Bilder, die in Europa als ‚afrikanisch‘ gelten, aber wenig mit kulturellen Artefakten aus Afrika gemeinsam haben.48 Beide Künstler waren in linker Subkultur als Musiker in der Punk- und NewWave-Bewegung aktiv und artikulierten sich gesellschaftskritisch, gleichzeitig wiederholten sie in ihren Gemälden kolonialistische Motive, die Anfang der 1980er

48 In dem Katalog „Walter Dahn. Irrationalismus und moderne Medizin. Arbeiten 1984 - 88“ (1988) ist ein Foto

von Dahns Schreibtisch abgebildet, auf dem unter anderem der Katalog „Primitivism in 20th Century Art“ von William Rubin (1984) liegt. Nach Einstein scheint nun Rubins Katalog das nächste Medium zu sein, dessen sich KünstlerInnen bedienten, um Anregungen zu erhalten und Projektionen vorzunehmen.

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Abb. 73 Walter Dahn und Jiˇrí Dokoupil Ausst.-Kat. Die Afrika Bilder, Groninger Museum 1984 (Cover)

Abb. 74 Carl Einstein Negerplastik Berlin 1915 (Buchcover)

Abb. 75 Martin Kippenberger Ausst.-Kat. Die I.N.P.-Bilder, Galerie Max Hetzler, Köln 1984 (Cover)

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Jahre bereits durch so viele unterschiedliche Medien zirkuliert waren, dass sie als Stereotype für kritische Blicke eigentlich schon überoffensichtlich gewesen sein mussten. Zumindest von heute aus betrachtet erinnern die „Afrikabilder“ eher an exotistische Dekorationen, wie sie in westlichen Möbelhäusern und Einrichtungsläden als ‚Kolonialstil‘ verkauft werden. Diese vermeintliche Überoffensichtlichkeit von stereotypen Darstellungen ließ in meiner Betrachtung der Bilder von Dahn zunächst den Verdacht (oder die Hoffnung?) auf kommen, hier würden die mittlerweile als ‚Kitsch‘ empfundenen, weil überoffensichtlichen Stereotype ‚überdreht‘ und so möglicherweise als rassistische offengelegt, ein genauerer Blick auf die Arbeiten und vor allem ihre Besprechungen enttäuschten diese Erwartung. Der Katalog enthält vier Farb-Abbildungen, drei Schwarz-Weiß-Abbildungen sowie 18 Miniaturdarstellungen (ebenfalls in S/W) von allen ausgestellten ­Gemälden. Alle Bilder sind im Original ausnahmslos in Brauntönen gemalte f lächige und kubistische Bildgefüge. Die Motive sind meist symmetrisch angeordnet, neben figurativen dominieren ornamentale Bildelemente. Reproduziert werden mit den Allusionen an Ornamentik Annahmen von einer ‚primitiven‘, dekorativen und in normierten Mustern verharrenden ‚afrikanischen Kunst‘. Motive wie ‚Masken‘, ‚Antilopen‘ und ‚Eidechsen‘ gelten als die Signifikanten für Afrika sowie afrikanisches ‚Leben‘ und produzieren eine ganze Reihe von stereotypen Konnotationen. Teilweise sind die Darstellungen mit Zeichen aus der europäischen Kultur­ geschichte, zum Teil sogar mit christlicher Symbolik kombiniert. Gleich das e­ rste Gemälde im Katalog zeigt unter dem Titel „Der braune Messias“ [Abb. 76] eine menschliche, männliche Figur, die an einem Kreuz hängt. Das Gesicht der in Braun gemalten Figur ähnelt dem einer ‚afrikanischen Maske‘, ihr männliches Genital ist – wie aus expressionistischen Gemälden mit afrikanischen Plastiken bekannt – übermäßig betont. Links und rechts vom Schaft des Kreuzes sind zwei Köpfe dargestellt, die in ihrer groben Malweise entfernt an Kopfplastiken aus Afrika erinnern. Um diese Darstellungen herum sind Elemente wie Tropfen, Kringel, aber auch Kreuze arrangiert. Nahegelegt wird vor allem in dem begleitenden Katalogtext von Wilfried Dickhoff eine Interpretation, die die Bilder „in ihrer ästhetischen Distanz, in ihrer transformierten Authentizität“ als „gegenwärtiger und ‚authentischer‘ als die vielen hohlen Simulationen von Expressivität und Obsession“ versteht [Hervorh. W. D.] (Dickhoff 1984a: 3f). Dickhoff apostrophiert eine ‚Wahlverwandtschaft‘ zwischen den deutschen Künstlern mit „der afrikanischen Skulptur“ (nicht mit afrikanischen KünstlerInnen), deren verbindendes Merkmal er in der „Magie der Form“ sieht, um die es auch Dahn und Dokoupil gehe (ebd.: 4). Verortet werden die beiden deutschen Künstler in der Tradition von Pablo Picasso (nicht in der Tradition afrikanischer KünstlerInnen). Nicht die Übernahme von Formen, schon gar nicht die lächerlichen stereotypen Verweise auf einen ganzen Kontinent, sondern die vermeintliche ‚Präsenz‘ der Arbeiten sowie der Aspekt, dass angeblich nichts symbolisiert wird (vgl. ebd.), werden hervorgehoben. Auf die eigentümliche Verbindung mit christlicher Ikonografie geht der Text nicht ein, obwohl auch das

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Abb. 76 Walter Dahn und Jiˇrí Dokoupil Der braune Messias 1983, Dispersion auf Nessel, 200 × 100 cm

Abb. 77 Walter Dahn und Jiˇrí Dokoupil Die fruchtbaren Brüste 1983, Dispersion auf Nessel, 160 × 145 cm

Abb. 78 Walter Dahn Ex-Voto 1987, Acryl auf Leinwand, 300 × 200 cm

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Gemälde „Natürliche Dreifaltigkeit“ ein christliches Motiv aufruft, das mit stereotypen, als ‚afrikanisch‘ geltenden Elementen verbunden wird. Wenn daneben der Satz: „Im Winde afrikanischer Savannen haben wir unser Farbpulver bereitet“ (11) abgedruckt ist, wird ein Bezug zur Natur hergestellt (das Stereotyp ‚Afrika als Natur‘ wird aufgerufen), und die Künstler erklären, in dieser gewesen zu sein. Diese Aussage scheint ihre Legitimation, ‚so zu malen‘ zu untermauern, ohne dass mit der poetischen Aussage wirklich suggeriert würde, dass die Künstler jemals in Afrika gewesen sind. Vielmehr werden die deutschen Künstler als ‚im Geiste‘ Ähnliche – ähnlich aber vielmehr zu ‚Afrika‘ als zu dort lebenden Kunst- und Kulturschaffenden – benannt. Dickhoff erläutert die Bilder weitergehend als künstlerische Entwicklung einer Zurücknahme eigener (europäischer) Anteile zugunsten von „afrikanischen ­Gestaltungsprinzipien“ (1984a: 4). Eine den Bildern an die Seite gestellte Künstleraussage betont das vermeintlich Unterordnende dieser Methode: „Hart mussten wir arbeiten als Leibeigene des Diktators Symmetrie“ (16). Die Übernahme der Symmetrie sieht Dickhoff dabei „nicht mehr nur [als] ein fröhliches Plagiat“, sondern als eine „ins Extrem getriebene Simulation“ (vgl. ebd.: 6). Wenn Dickhoff seine Aussage auf den Punkt zu bringen versucht, könnte zunächst der Eindruck entstehen, hier würden die Bezugnahmen europäischer KünstlerInnen auf afrikanische Objekte doch ‚überdreht‘: „Mit einem Wort: Dahn/Dokoupil potenzieren die Simulation, die so nichts mehr vorgaukelt, die nicht mehr so tut, als ob sie keine wäre“ (ebd.). Im weiteren Verlauf artikuliert er eine Aussage, die letztlich auch die Bilder produzieren: „Die ‚Afrika-Bilder‘ sind nicht falsch. Sie sind noch falscher als falsch und darin liegt ihre gegenwärtigste Kraft: die Verführung. Diese ist keine Zeichenwelt mehr, sondern reiner Schein, der sich im Gegensatz zum Zeichen nicht mehr dechiffrieren lässt, nur noch sich selbst symbolisiert und einfach das ist, was er ist: Faszination, Verzauberung, Intensität“ (ebd.: 7). Dickhoff argumentiert gegen eine Kunst, die sich offensiv mit kulturell vorhandenen Zeichen auseinandersetzt (seine daraufhin folgende Polemik gegen „die postMODErnen Künstler-Darsteller“ untermalt das) (ebd.: 7). Darüber hinaus sieht er in Dahns und Dokoupils Bildern eine Kunst, die jenseits von symbolischen Ordnungen und Zeichensystemen als ‚Präsenz‘ funktioniert. Dass er eine solche vermeintlich unmittelbare Kunst erneut unter Bezug auf außereuropäische Kulturen hergestellt sieht, führt eine primitivistische Annahme fort. Zwar wird hier weder die Nachahmung afrikanischer Objekte verleugnet, noch wird behauptet, dass es dezidierte Referenzobjekte gegeben hätte, die originalgetreu nachgeahmt worden wären. Hervorgehoben wird dagegen, dass afrikanische Kunst eine ‚magische Form‘ kreieren würde, eine ­‚Präsenz‘, die ohne Zeichencharakter funktioniert. Argumentiert wird, dass in den Arbeiten von Dahn und Dokoupil eine solche ‚Präsenz‘ ebenfalls vorhanden sei. Afrika bzw. Kunst aus Afrika wird zum einen weiterhin als an Darstellungsprinzipien und somit an Traditionen gebunden, nicht eigenständig kreativ und zum anderen als darin unmittelbar, präsent, magisch und damit jenseits von G ­ eschichte und Traditionen existent behauptet. Vor diesem Hintergrund erscheint auch der

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Bezug auf christliche Symbolik eher als Versuch, eine ‚magische Präsenz‘ herzustellen, die auch christlichen Kultobjekten zugesprochen wird. Dickhoff erläutert die ‚Wahlverwandtschaft‘ von Dahns/Dokoupils Kunst zu den afrikanischen Objekten damit, dass sie von einer ‚magischen Präsenz‘ sei (1984a). Der von ihm beschriebene Aspekt, offensichtlich Schein zu sein, erscheint dem Moment, den ich bei Fetting mit dem Begriff der ‚Überdrehung‘ beschrieben habe, ähnlich. Das übertriebene Imitieren oder Simulieren von afrikanischer Kunst wird hier jedoch in eine andere Richtung argumentiert. Es gilt als Übersteigerung der Präsenz, die in die ‚afrikanische Kunst‘ bzw. in deren Objekte projiziert wird. Bei den primitivistisch arbeitenden KünstlerInnen des frühen 20. Jahrhunderts sind es vor allem die Darstellungsformen und künstlerischen Ausdrucksweisen gewesen, die als ‚authentischer‘ und ‚unmittelbarer Ausdruck‘ galten. Baselitz spricht rund 50 Jahre später in erster Linie den Motiven eine Bedeutungslosigkeit im Sinne einer Unmittelbarkeit zu. Dahn/Dokoupil und ihr Rezensent Dickhoff verstehen ins­ besondere die Objekte als eine ‚magische Präsenz‘, die das Potential bereithalten, mit europäischen Konventionen von Malerei zu brechen (1984a). Eklatant ist die Insensibilität sowohl der Künstler selbst als auch der RezensentInnen gegenüber der in den Annahmen und ihren künstlerischen Umsetzungen vorgenommenen Reproduktionen von stereotypen Bildern und Zuschreibungen. Dahns/Dokoupils Gemälde schreiben ‚Afrika‘ mit ihren Bildern erneut auf bestimmte ‚primitive‘ Eigenschaften fest. Das passiert zum Beispiel, wenn auf dem Gemälde „Die große Jagd“ zwei große, Eidechsen ähnliche Tierfiguren sowie menschliche Figuren mit Schildern und Speeren dargestellt sind. ‚Afrikaner‘ werden mit diesen Signifikanten weiter als Rückständige, mit ‚primitiven‘ Mitteln Agierende sowie in einem prähistorischen Stadium Verharrende visualisiert. Zum einen kann so nicht behauptet werden, die Bilder würden ohne Zeichen auskommen, zum anderen wird mit Blick auf diese ‚Afrika-Darstellung‘ umso deutlicher, wie wenig reale Geschichte afrikanischer Länder von künstlerischem und kunsthistorischem Interesse war oder auch nur mitgedacht wurde. Dass auch die Stereo­ typisierung von sexualisierter schwarz-afrikanischer Weiblichkeit und Mütterlichkeit in der Serie nicht ausgelassen wird, wird mit dem Gemälde „Die fruchtbaren Brüste“ deutlich: In der Mitte ist eine Figur dargestellt, die – wie schon fast zu erwarten – sich an ihre ‚großen‘ Brüste fasst. Zusätzlich zu der Wiederholung von anderen, oben bereits benannten rassistischen Stereotypen, wird hier erneut ein Bild von Afrika als düster und rätselhaft, aber auch von sexualisierter schwarzer Weiblichkeit und Mutterschaft hergestellt. Die „Afrika-Bilder“ von Dahn/Dokoupil reproduzieren so diverse bekannte rassistische Stereotype und Primitivismen, wodurch deren Besprechung schon fast redundant und obsolet erscheint. Belegt werden kann damit, dass ein Primitivismus nicht nur konzeptuell, sondern auch visuell bzw. qua Motiv weiter fortgeführt wird und die dem Primitivismus zugehörige Annahme, dass in einer vermeintlichen Präsenz und Unmittelbarkeit von Objekten bzw. von Kunst ein universelles Element existiert, das KünstlerInnen und außereuropäischen Menschen ‚zugängig‘ wäre,

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in der Kunst der BRD weiter relativ ungebrochen vorkommt. Vor dem Hintergrund, dass Dahn und Dokoupil in ihrer Kunst eher dadaistisch agierten, offensiv Motive kopierten, sich gegen übertriebenes künstlerisches vor allem malerisches Pathos wendeten und damit gegen konservative Kunst- und Kulturvorstellungen rebellierten und dies mit Humor und Ironie taten, wird der in den „Afrika-Bildern“ mit der Suche nach einer ‚magischen Präsenz‘ reproduzierte Primitivismus fast noch verstärkt: Der letzte Ort, der nahezu frei von Ironie zu sein scheint und der eine Unmittelbarkeit und Präsenz bereithalten kann, wird in einem mythischen Afrika gesehen. Dahn und Dokoupil wenden sich zwar gegen eine subjektive Künstlerschaft, aber nicht gegen jegliche Vorstellung von authentischer Kunst. Die beiden Künstler halten zwar auch in den „Afrika-Bildern“ an ihrem Konzept, sich Darstellungen von überall her anzueignen, fest, produzieren aber in ihren „Afrika-Bildern“ etwas, das von den RezensentInnen und von ihnen selbst als ‚Authentisches‘ gelesen wird, etwas, das jenseits kulturell und gesellschaftlich bedingter Systeme existent ist und das sie in primitivistischer Tradition nun in einem mythischen Afrika (wieder) zu finden glaubten.

Das ist peinlich … Dahns und Dokoupils Serie bzw. der Katalog „Die Afrika-Bilder“ blieben nicht unkritisiert: Martin Kippenberger publizierte noch im selben Jahr (1984) einen Katalog mit einem Cover, das eine ironische Kritik an Dahns/Dokoupils Primitivismus in ihren „Afrika-Bildern“ vornimmt [Abb. 75]. Kippenbergers Katalog bestand aus dunkelgrünem, ebenfalls kartoniertem Material und ist von der Anordnung der Schrift und Bildelemente zunächst ähnlich zu dem von Dahn/Dokoupil. Sein Katalogtitel lautet „Die I.N.P.-Bilder“ und kommentiert mit der Abkürzung für „ist nicht peinlich“ ironisch die erneute Reproduktion von tradierten Stereotypen durch seine Kollegen. Anstelle der Grafik einer vermeintlich ‚afrikanischen Maske‘ ziert das Cover von Kippenberger einen gezeichneten sprichwörtlichen ‚Arsch mit Ohren‘. Indem Kippen­ berger nicht direkt auf den Primitivismus eingeht, sondern mit einer ‚dezenten‘, aber verständlichen und auch vulgären Visualisierung eines Schimpfwortes reagiert, wird das so Kritisierte als letztlich doch peinlich vorgeführt. Der Katalogtext folgt derselben dezenten Strategie, ebenfalls von Dickhoff geschrieben, bleibt der kommentierende und ironisierende Charakter von Kippenbergers Katalog-Cover unbenannt. Es findet sich lediglich ein Satz, der – nimmt man ihn aus dem assoziativen Textzusammenhang – die Bilder von Kippenberger von denen seiner Kölner Kollegen abgrenzt: „Die I.N.P.-Bilder lassen allerdings keine will­k ürlichen Projektionen zu“ (1984b: o.P.). Im Kataloginneren findet sich außerdem noch ein weiterer ironischer Verweis auf den Katalog von Dahn/Dokoupil. Während in Dahns/Dokoupils Katalog zwei afrikanisierte Fantasiefiguren mit Trommeln die Seitenzahl in der Fußzeile rahmen, hat Kippenberger an der gleichen Stelle (ohne Seitenangaben) stark verkleinert die beiden zu Ikonen gewordenen Personen aus der bekannten Fotografie der Erschie-

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ßung des Vietcong von Eddie Adams49 als Schwarz-Weiß-Bild eingefügt. Kippenberger verweist damit auf kolonialistische Verhältnisse und Gewalt. Vor dieser Folie werden die exotisierenden und primitivistischen Darstellungen in Dahns/ Dokoupils Publikation ‚noch peinlicher‘, vor allem, weil sich nicht entschuldigend argumentieren lässt, dass eine solche Ref lexion, die bewusst rassistische und ­kolonialistische Strukturen mitdenkt, Anfang der 1980er Jahre in der BRD noch nicht möglich gewesen wäre.

Vom autonomen Künstlersubjekt zur magischen Präsenz Mit den „Afrika-Bildern“ wenden sich Dahn/Dokoupil von einem autonomen, aus sich selbst heraus arbeitenden Künstlersubjekt ab und der ‚magischen Präsenz‘ des Objekts zu, die wiederum in außereuropäischen Kulturen ‚wiedergefunden‘ wird. Diese Annahme ist mit Dahns Ende der 1980er Jahren erstellten sogenannten „Ex-Voto-Bildern“, 1987 [Abb. 78], weiter fortgesetzt, obwohl diese Bilder eine Lektüre ermöglichen, die vielmehr über das Zirkulieren von Motiven und Objekten zwischen Kulturen und in unterschiedlichen Medien ref lektiert. Exvotos sind laut Dahns eigener Aussage „magische Skulpturen in heilender und Unheil bannender Funktion, die in Brasilien zum Beispiel nach wie vor in dieser medizinischen Weise funktionieren“ (Interview mit Dickhoff u.a. 1993b: 57). Dahn hat Abbildungen von solchen Objekten aus Katalogen abfotografiert und dann in ein Format vergrößert, das die Fotografien in grobe Rasterbilder transformiert. Diese Rasterbilder hat er als Folien per Projektor auf eine Leinwand projiziert und dann sorgfältig abgemalt.50 Die Technik der Übersetzung von Objekten in unterschiedliche Medien könnte eine Lektüre begründen, die darin eine Reflexion über den Transformationsprozess, dem ethnografische Objekte unausweichlich unterliegen, anstößt. Dahn geht es jedoch vielmehr um die „heilende und Unheil bannende Funktion“ dieser Objekte, die, so sagt er weiter, „für uns verloren zu sein [scheint]. Als Erinnerung ist sie allerdings noch da, und mehr als das: als Forderung aus der Erinnerung heraus ist es da. Und so zeige ich es auch“ (ebd.). In primitivistischer Manier sieht er auch in den mehrfach reproduzierten Objekten noch das vorhanden, was die westliche Gesellschaft ‚nicht mehr‘ hat und zu ihrer ‚Heilung‘ braucht. 51 Trotz offensichtlicher medialer Transformation, die gerade durch Anschnitte, Ausschnitte und Vergrößerung in den Bildern auch deutlich wird, schreibt er den Objekten weiterhin eine ‚magische Präsenz‘ zu. Zwar findet sich in dem zitierten

49 Die Fotografie ist auch Teil der Collage „Miss America“ von Wolf Vostell, siehe meine Ausführungen im

vierten Kapitel. 50 Diese Technik ist ähnlich zu der, die Sigmar Polke bereits in den 1970ern erprobte, in denen er sich ebenfalls mit Objekten oder Menschen außereuropäischer Kulturen auseinandersetzte (vgl. mein Kapitel dazu). Dahn gibt an verschiedenen Stellen an, sich ab einem bestimmten Zeitpunkt an Polke orientiert zu haben. 51 In diesem Punkt erinnern die Annahmen, die hinter Dahns künstlerischer Praxis stehen, an dessen Lehrer Joseph Beuys, der – wie im dritten Kapitel dargelegt – ebenfalls ‚Heilung‘ in ‚primitiven Kulturen‘ versprach.

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Interview auch ein von Dickhoff geäußerter und von Dahn bejahter Verweis darauf, dass die Bilder „sich zwischen Distanz – mittels Photographie, Aufrasterung und Projektor – und Unmittelbarkeit“ bewegen (Interview mit Dickhoff u.a. 1993b: 57), diese Unentschiedenheit führt jedoch weder zu einer Reflexion von kolonialistischen Machtverhältnissen, noch wird den Objekten innerhalb ihrer Vereinnahmung eine Widerständigkeit gelassen (wie etwa Baumgartens Arbeit die Objekte inszeniert). Vielmehr scheinen in dieser Technik die Objekte erneut für Eigenes angeeignet zu werden: für den Ersatz des verlorenen Künstlersubjekts. Die Abwendung von der Vorstellung eines autonomen Künstlersubjekts und einer originären und auratischen Kunst scheint bei dem Beuys-Schüler Dahn wie bei seinem Lehrer dazu zu führen, in anderen Kulturen nach Ersatz für eine Begründung von Kunst zu suchen. Dahn findet sie in der vermeintlich ‚magischen Präsenz‘ der Objekte, ohne die Geschichte, aufgrund derer diese Objekte in den Museen lagern, mit zu reflektieren. Dass Dahns eigener Künstlerstatus von einer solchen Mythologisierung nicht gänzlich ausgenommen ist, wird in der Besprechung des Selbstporträts als „chinesischer Afrikaner“ im nächsten Abschnitt diskutiert. 52

„Selbstporträt als chinesischer Afrikaner“ In einem Interview, das Dickhoff mit dem Künstler 1993 führte, stellte er Dahn die Frage, ob einige seiner Bilder, die er ab 1984 erstellt hatte, 53 als „nichtkolonisatorische Freiheitszeichen“ besprochen werden könnten. Dahn stimmt dem zu, merkt gleichzeitig aber auch einschränkend an, dass er mit der Verwendung solch hoher Ansprüche vorsichtig wäre, da diese sich oft nicht gezielt anpeilen und verfolgen lassen (Dickhoff u.a. 1993b: 57). Sowohl hinter dem Begriff „Freiheitszeichen“ als auch hinter der Einschränkung, dass sich solche Ansprüche nicht gezielt umsetzen lassen, steht – bei aller Vorsicht, zu der Dahns Antwort auch ermahnt – die Annahme, zu einer nicht kolonialistischen Situation im Sinne einer ‚Befreiung‘ kommen zu können.54 Wie genau diese ‚Aussage‘ gemeint ist bzw. wie Dahn diese mit seiner Kunst nach 1983 umsetzte, wird in dem „Selbstporträt als chinesischer

52 Weiterhin hat Dahn in ähnlicher Weise mit eigenen Fotografien aus sog. Völkerkundemuseen experimentiert.

So hat er diese beispielsweise mit dem Fotokopierer reproduziert, aber auch schon während der Entwicklung die Negative und Abzüge experimentell bearbeitet (s. die Abbildungen in Dickhoff 1988). 53 Dickhoff spricht hier zwar konkret Dahns Siebdruckbilder an, die er ab 1984 erstellte, die Weise, in der Dahn antwortet, macht aber nicht den Eindruck, dass er diese Aussage nicht auch auf andere Bilder beziehen würde (1993b: 57). Von dem „Selbstporträt als chinesischer Afrikaner“ existieren ebenfalls Siebdrucke (in Schwarz auf Packpapier, von 1985), sodass Dahns Antwort auch auf dieses bezogen werden kann. 54 Mit einer Beteiligung an der Plakat-Aktion „Kölner Künstler gegen Rassismus“ (1993) untermauerte Dahn seine nicht rassistische Haltung und signalisierte Engagement. Rassismus scheint in dieser Aktion von eher unbekannten KünstlerInnen allerdings vorwiegend auf rechtsradikale Handlungen fokussiert zu sein. In einer zu der Aktion gedruckten Broschüre ist jeder Beitrag mit einer Fotografie vertreten. Das Foto von Dahns Beitrag ist leider wenig aussagekräftig und gibt den Künstler vor der vermutlich von ihm gestalteten Plakatwand zu sehen. Bekleidet ist er mit einem T-Shirt, auf dem dieselben Sätze zu stehen scheinen, sie sind leider nicht vollständig zu lesen. Weitere Erläuterungen zu den Aktionen sind in der Broschüre leider nicht vorhanden.

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Abb. 79 Walter Dahn Selbstporträt als chinesischer Afrikaner 1984, Acryl auf Nessel, 250 × 200 cm

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Afrikaner“ deutlich, das Dahn ein Jahr nach den „Afrika-Bildern“ malte und das in der Darstellungsweise verschieden von diesen ist. Auch wenn man zunächst geneigt sein könnte, in dem Gemälde eine kritisch selbst-reflexive PrimitivismusKritik zu sehen, wird durch Dahns Kommentierungen sowie die Besprechungen, die sich auf Dahns Aussagen berufen, offensichtlich, dass eine andere Lektüreform zumindest intendiert ist. In diesen Besprechungen, die die Bedeutung des Selbstporträts vereindeutigen, lässt sich eine Argumentationslinie verfolgen, die z­ entrale Annahmen, die bereits in und zu den „Afrika-Bildern“ artikuliert wurden, fortsetzt. Diese Fortsetzung scheint zunächst der Tatsache entgegenzustehen, dass Dahn ab 1984 seine Darstellungsweise änderte. Diese Änderung stand angeblich in keinem Zusammenhang mit den „Afrika-Bildern“ und auch nicht mit dem ironischen Kommentar Kippenbergers. Zurückgeführt wird sie in verschiedenen Katalog­texten immer wieder auf ein ‚Erlebnis‘. Erzählt wird, dass Dahn von einigen SammlerInnen seiner Arbeiten für seine ‚malerische Oberfläche‘ gelobt wurde (Dickhoff 1993a: 48f; Felix 1989: 4f). Dieses Lob widersprach seiner Intention, die Bilder inhaltlich aufzuladen und die Idee über die Umsetzung zu stellen. Daher reduzierte er nach 1984 seine Zeichensprache noch weiter, um der Wahrnehmung seiner Kunst als ‚bloße Malerei‘ entgegenzuwirken. Er erstellte stärker zeichenhafte Bilder und erprobte sich neben einer Fortführung seiner Malerei nun zunehmend auch in Siebdruck, Spray-Bildern, Plastiken, Fotografie und später auch in Installationen. In seiner Malerei nutze er den Pinsel fortan wie einen Zeichenstift. In dieser veränderten Darstellungsweise stellt er 1984 das doppelt alterisierte Selbstporträt her. Das „Selbstporträt als chinesischer Afrikaner“, 1984 [Abb. 79], zeigt auf einem rosafarbenen Hintergrund ein mit schwarzer Farbe karikaturhaft gemaltes Brustporträt. Die Figur ist mit bloßem Oberkörper und einer Mütze dargestellt, um die Arme windet sich links und rechts eine Schlange, deren Kopf oberhalb des Kopfes der Figur nach oben ragt. Auffallend ist das Gesicht der männlich wirkenden Gestalt, das mit schmalen Augen, großer Nase und dicken Lippen die stereotypen Zeichen für Chinesen und Schwarzafrikaner vereint. Im Gegensatz zu Fettings „Selbstpor­ trät als Indianer“, 1982, ist Dahns Bildnis nicht eindeutig heroisch und maskulin, sondern erscheint durch den Gesichtsausdruck und die nur schemenhaft angedeutete und schwächliche Brustpartie eher effeminiert und jungenhaft, wofür es sowohl in stereotypen Darstellungen von ‚Chinesen‘ als auch von ‚Afrikanern‘ Vorbilder gibt. Gleichzeitig vermitteln die Größe des Porträts und das Kubische der Körperformen auch einen muskulösen Charakter. Die abstrahierte kubistische Dar­ stellungsweise ermöglicht es, eine Uneindeutigkeit hinsichtlich der Körperlichkeit zu visualisieren und eindeutige Zuschreibungen schwierig werden zu lassen. Das Motiv der Schlange ist ebenfalls nicht eindeutig einer der im Bild dargestellten ‚Ethnien‘ zuzuordnen, da sie fast in allen Kulturen als Symbol vorkommt,55 wodurch

55 Die Schlange wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts von Aby Warburg auf ihre verschiedenen Bedeutungen

in unterschiedlichen kulturellen Kontexten (auch im eigenen) analysiert (1996).

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sie zum Zeichen wird, das – wie in Bachs Gemälde „Schwarz und bleich“ – generell für kulturelle Differenz stehen soll. Durch diese mehrfache Uneindeutigkeit, aber auch durch die Karikatur-ähnliche Darstellungsweise sowie vor allem durch den Titel legt die Arbeit auf den ersten Blick (auf meinen ersten Blick) eine ironische Lesweise nah. Der Titel gibt eine Imagination des Künstlers als Afrikaner und auch als Chinese vor. Diese doppelte Imagination als Anderer könnte als Übertreibung/ Überdrehung verstanden werden, der beide Stereotype, aber auch das Begehren danach, ein Anderer zu sein, ad absurdum führt und selbst ironisch aufdeckt oder kommentiert. Auch das Rosa, mit dem das Selbstporträt dargestellt ist, durchkreuzt stereotype Darstellungen von Afrikanern und Chinesen und könnte in dieser Farbintensität als Übertreibung der für die Darstellung der Hautfarbe von Weißen verwendeten Farbe gelesen werden. Weiterhin könnte mit dem offensiven Bezug auf den Kubismus die unter diesem Label vorgenommene Adaption von Darstellungsweisen afrikanischer und ozeanischer Kulturen durch europäische Künst­ lerInnen humorvoll vorgeführt gesehen werden. Die betont f lächige und geometrisch schematisierte Darstellungsweise des Körpers als Verweis auf den Kubismus ist offensichtlich. Die Aussage des Bildes kann anders als in der zunächst nahe liegenden Lesweise auch als neutrale oder sogar positive Vorführung von Dahns eigenem Bezug wie auch des Bezuges der Kubisten auf nicht europäische Kulturen verstanden werden. Weniger ironisch, denn überzeugt davon, dass eine ‚Vermischung von Kulturen‘ möglich ist, würde Dahns Gemälde proklamieren, dass er sich von allen Kulturen etwas nimmt, sich zu eigen macht – jedoch nicht im Sinne eines ermächtigenden Aneignens, sondern im Sinne eines Aufnehmens und Vermischens.56 Die bezüglich der „Afrika-Bilder“ artikulierte Ambition, die eigenen Anteile zugunsten von afrikanischen Gestaltungsprinzipien zurückzunehmen, ist in dem Gemälde nicht nur als künstlerische Praxis, sondern als Selbstporträt und somit als Verweis auf die eigene Künstlerperson als aus mehreren Kulturen ‚gemischte‘ repräsentiert. Eine Reihe von KunstkritikerInnen, die Dahns Kulturvorstellungen erläutern, bestätigen diese Lektüre seiner eigentümlichen Selbstdarstellung als Verweis auf die ‚Vermischung‘ von unterschiedlichen kulturellen Traditionen und Darstellungsweisen. So benennt zum Beispiel Martin van Nieuwenhuyzen Dahns „Vorliebe für die Vermischung kultureller Kontexte“ (1997: 15). Als Vergleich und Bezugsperson für Dahn nennt er außerdem Elvis Presley, der ebenfalls die unterschiedlichsten Kultureinf lüsse „wie in einem Schmelztiegel“ vermengt habe (ebd.: 16). Auch Dickhoff erwähnt Presley und konkretisiert, dass dieser die „musikalische Revolte

56 Ich schreibe hier absichtlich von ‚Vermischung‘ und nicht etwa von der Vorstellung von hybriden Kulturen oder von Multikulturalismus, beides sind Begriffe, die sich im deutschen Sprachgebrauch erst später etablierten und beide meinen etwas anderes, als Dahn und seine RezensentInnen es hier nur mehr andeuten als durchdacht ausarbeiten. Zum Begriff der Hybridität, der sich gegen die Vorstellung von hermetisch abgeschlossenen Kulturen wendet, in seiner Begriffsgeschichte aber problematisch ist, s. Kien Nghi Ha (2005). Der Begriff des Multi­ kulturalismus beschreibt die Vorstellung von unterschiedlichen, aber in friedlicher Koexistenz nebeneinander lebenden Kulturen, s. dazu aus kritischer Perspektive Urte Böhm und Daniela Marx (2003).

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(minoritärer) weißer Jugendbewegung von schwarzer (minoritärer) Körperlichkeit her empfunden und artikuliert“ hat (1997: 62). 57 Er beschreibt Presley wie auch Beuys als Vorbilder für Dahn, in denen dieser gesehen habe, wie es „bei aller Diskursimmanenz“ doch möglich sei, „Identitätsgrenzen (zwischen Schwarz und Weiß, Nord und Süd, Mensch und Tier, Frau und Mann, ‚Geist‘ und ‚Materie‘ etc.) verschieben [zu] können“ (ebd.). Mit Verweisen auf Anleihen weißer, westlicher KünstlerInnen an anderen Kulturen kann dargelegt werden, dass die weiße europäische und US-amerikanische Kultur nie hermetisch abgeriegelt von anderen Kulturen, z.B. von der Kultur afroamerikanischer Widerstandsbewegungen oder von der Kultur kolonialisierter afrikanischer Völker, existiert und sich entwickelt hat. In diesen wechselseitigen Anleihen allerdings nur eine ‚bloße Vermischung‘ zu sehen, negiert die Machtverhältnisse, die zwischen weißen und schwarzen Kulturen bestanden und weiter bestehen. Nicht in die Überlegung einbezogen wird, dass die kulturellen ‚Einf lüsse‘ und Austauschprozesse nicht jenseits von Hierarchien und Machtverhältnissen verlaufen. Gerade in den Reproduktionen von Stereo­ typen in den „Afrika-Bildern“, aber auch in den im Selbstporträt zitierten Stereotypen von Afrikanern und Chinesen wird deutlich, dass Dahn weniger das aufnimmt, was andere Kulturen produziert haben, als was aus eurozentrischer Perspektive in diese hineinprojiziert wurde. Nicht ref lektiert wird in der Vorstellung von einer möglichen ‚einfachen Vermischung‘, dass sich Dahn Bilder von Anderen aneignet, um damit letztlich die eigene Künstlerperson zu inszenieren. Ergänzen lässt sich, dass er sich überdies auch als doppelt exotisch Anderer, als einer Minderheit angehörig und damit in gewisser Weise auch als Außenseiter repräsentiert. In dieser Lesart weicht der hehre, aber letztlich nicht ‚einfach‘ einlösbare Anspruch der ‚Vermischung der Kulturen‘ doch wieder der Auseinandersetzung mit oder vielmehr der mythischen Auf ladung von eigentlich Eigenem. Die Aufnahme von als kulturell different geltenden Eigenschaften oder Darstellungsformen erweist sich erneut, wie bezüglich anderer künstlerischer In-eins-Setzungen mit dem Anderen bereits dargelegt, als Funktionalisierung, um die eigene Künstlerperson in der Tradition moderner europäischer Künstlermythen erneut mit einem Außenseiterstatus aufzuladen. Dem von vielen RezensentInnen hervorgehobenen naiven Glauben an eine anzustrebende ‚einfache Vermischung‘ von Kulturen liegt letztlich ahistorisches Verständnis von kultureller Differenz zugrunde, das missachtet, dass Subjekte nicht nur in differenten Kulturen, sondern auch in unterschiedlichen, historisch

57 Dickhoff schreibt in einem anderen, früheren Text von der „Zerstörung ethnischer Differenz“ in Dahns

Bildern (1993b: 15). 58 Dass Dahn das gleiche Motiv auch in Siebdruck und in ähnlicher Weise als Bronzeskulptur hergestellt hat, ändert an den hier diskutierten produzierten Bedeutungen und Aussagen nichts. Wenn er sich in anderen Selbstporträts mit ähnlichen physiognomischen Merkmalen darstellt wie in dem hier besprochenen exotisierten Selbstporträt, verweist das zum einen darauf, dass er das Prinzip der ‚kulturellen Vermischung‘ in diesen weiter fortsetzt, und zum anderen möglicherweise auch darauf, dass er Ähnlichkeiten zwischen seinen eigenen Körpermerkmalen und den der verwendeten Stereotypen wahrnimmt.

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bedingten Positionen innerhalb von globalen Machtstrukturen konstituiert werden. Subjekte leben in Machstrukturen, die ihre Wirkmächtigkeit nicht einfach verlieren oder verlieren können und auch in Bildern nachhaltig fortwirken sind. Mit einer solchermaßen ‚naiven‘ Vorstellung einer möglichen ‚Vermischung‘, die eine eigene Privilegiertheit als Weißer ebenso wenig mitdenkt, wie sie die stereotypen Darstellungen ‚einfach‘ (möglicherweise durchaus bewusst und als ironisches Zitat) reproduziert, werden rassistische und eurozentrische Stereotype und Machtverhältnisse reproduziert. Walter Dahns Bilder sind – trotz guten Willens – ein Beispiel dafür.58 Darüber hinaus kommt er in den Verdacht, sich – wie viele ­andere – von der Geschichte des eigenen Herkunftslandes und der eigenen Kultur sowie von einer eigenen ‚deutschen Identität‘ lossagen zu wollen.

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9. Eigener Rassismus? Olaf Metzels Aktion „Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB“ (1982) In den vorausgegangenen Kapiteln konnte dargelegt werden, dass der/die kulturell Andere, der/die in ‚der Ferne‘ verortet ist, Thema in der bildenden Kunst der BRD vor 1990 war und dort als primitivistische Projektion, als involviert in Kriege und Kämpfe, als Objekt ethnologischer Forschungen usw. dargestellt wurde. Dagegen sind die Anderen in der Nähe, ‚MigrantInnen‘1, die in der ‚eigenen‘ Stadt leben, in der Nachbarschaft wohnen, am selben Ort arbeiten, bis 1990 kaum Thema in der Kunst. Den Geschichten und Erfahrungen der MigrantInnen, die seit Mitte der 1950er Jahre in die BRD kamen und als ‚Gastarbeiter‘ bezeichnet wurden, 2 war in der bildenden Kunst – wie in der bundesdeutschen Öffentlichkeit allgemein – nur an marginalen Orten Aufmerksamkeit zugekommen. Erst in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren sind die Erfahrungen und Geschichten von MitgrantInnen und ihren Nachkommen als wesentlicher Teil der historischen Formation der BRD anerkannt worden. Seither werden immer mehr Projekte initiiert, die sich mit Migrationsprozessen befassen und daran arbeiten, diese im kollektiven Gedächtnis der BRD zu verankern und die spezifischen Lebensrealitäten, die sie mit sich

Den Begriff ‚MigrantIn‘ verwende ich hier für Menschen, die im Zuge der Anwerbeabkommen (ab 1955) in die Bundesrepublik immigrierten. Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai und Sheila Mysorekar haben darauf verwiesen, dass die sowieso brüchige Kategorie ‚des/r MigrantIn‘ für diese Zeit durchaus noch Sinn macht, während sie heute zur Bezeichnung von jeglichen Anderen wesentlich zu undifferenziert ist und aufgrund der veränderten globalen Bedingungen zu kurz greift (2007: 11). 2 Ha schreibt, dass die Benennung dieses Datums als Anfang einer Migrationsgeschichte der BRD dann bedenklich ist, „wenn sie Fragen nach Brüchen und Kontinuitäten in der gesellschaftlichen Konzeption von Arbeitsmigration im Rahmen der historischen Entwicklung des deutschen Nationalstaats nicht zulassen“ (2003: 56). 1

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bringen, in Erinnerung zu halten.3 Eine künstlerische Arbeit, die vermutlich auch durch diesen Diskurs neue Aufmerksamkeit bekommen hat, ist die Aktion „Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB“ bzw. eine Fotografie von einem daraus entstandenen Wandrelief [Abb. 80] von Olaf Metzel aus dem Jahr 1982.4 Metzel hat die Aktion ursprünglich abseits vom dominanten Kunstbetrieb durchgeführt, in den letzten Jahren ist sie zunehmend in die Öffentlichkeit gerückt worden.

Dominant weiße Kunst- und Kulturinstitutionen werden herausgefordert Umstritten bleibt in dem neuerlichen Diskurs um und der öffentlichen Sichtbarmachung von Migrationsprozessen, welche historischen Fakten, Ereignisse, Erfahrungen, Bewegungen, Geschichten usw. wie erinnert werden, und vor allem, wer über diese sprechen darf.5 Während in den letzten Jahren häufig auf Metzels A ­ ktion verwiesen wurde, drohen migrantische Widerstandsbewegungen, obwohl sie die Kultur der BRD mitbeeinf lussten, herausforderten und auch zur Entstehung von Aktionen wie der von Metzel beigetragen haben, vergessen zu werden.6 Bis heute sind künstlerische Thematisierungen der Situation von MigrantInnen aus migrantischer Perspektive, die vor 1990 entstanden, im Kunstfeld der BRD wenig präsent.7 Das zeugt von den exklusiven Machtstrukturen bundesdeutscher Kulturinstitutionen, die sowohl thematisch als auch bezüglich der beteiligten kulturschaffenden Subjekte ‚weiß‘ gehalten wurden und teilweise weiter werden. 8 Davon auszugehen ist, dass die nahezu vergessenen migrantischen Widerstandsaktionen (z.B. die bundesweite Bewegung von wilden Streiks vor allem 1973,

Besonders umfangreich war das „Projekt Migration“, das von der Kulturstiftung des Bundes mitbegründet wurde und 2005 im Rahmen einer großen Ausstellung an verschiedenen Orten in Köln und in einem Katalog seine Ergebnisse veröffentlichte (Projekt Migration, 2005). 4 Dass die Fotografie von dem Wandrelief in den letzten Jahren vermehrt in Katalogen abgebildet wurde, geht auch einher mit dem Erfolg des Künstlers und einer zunehmenden Aufmerksamkeit, die Metzel in den letzten Jahrzehnten in der deutschen Kunstszene erhalten hat. 5 Hito Steyerl hat die Fragen, wer aus welcher Position worüber sprechen darf, bezüglich des deutschsprachigen Raums diskutiert und auf die Negierung von lokalen Geschichten der Migration und Minorisierung in der BRD aufmerksam gemacht (2002). Sie verweist darauf, „dass bestimmte kulturelle Mischformen und Genres im Rahmen eines globalen westlich dominierten Kapitalismus, der von lokalen Differenzen gespeist wird“ (2002: 3), als postkoloniale Kritik gegenüber anderen privilegiert werden. 6 Auf widerständige Praktiken von MigrantInnen in der BRD und das Vergessen von diesen haben insbesondere Ha, Lauré al-Samarai und Mysorekar sowie verschiedene Beiträge in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband „re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland“ aufmerksam gemacht (2007). 7 KünstlerInnen, die selbst migriert sind und vor 1990 im Bereich der Bildenden Kunst in Deutschland zu Migration, Rassismus oder kultureller Differenz arbeiteten, sind nach wie vor wenig bekannt. Einige Aufmerksamkeit erregte Vlassis Caniaris, ein Künstler griechischer Herkunft, der 1973 im Rahmen eines DAAD-Stipendiums nach Deutschland gekommen war und seinen Aufenthalt bis 1975 verlängerte. Seine Ausstellung „Gastarbeiter – Fremdarbeiter“ wurde 1975 und 76 an verschiedenen Orten in der BRD gezeigt. 8 Mark Terkessidis hat dargelegt, inwiefern die Vorstellung von Kultur, die in der Bundesrepublik von den meisten Kulturinstitutionen aufrechterhalten wird, eine ist, die weiterhin von einer ‚reinen‘ weißen, deutschen kulturellen Identität ausgeht und an der Abgrenzung einer ‚Hoch-‘ zur Populärkultur festhält (2010: 169ff). Dieses Verständnis wirkt sich sowohl auf die Inhalte als auch auf den Umgang mit Kulturschaffenden aus (ebd.). 3

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an der sich mehrere migrantische ArbeiterInnen in der Auto- und Stahlindustrie beteiligten) seit den 1970er Jahren dazu beigetragen haben, dass links­alternative deutsche Kulturschaffende die Situation und das Leben der MigrantInnen mit ihrer Kunst thematisierten.9 Insbesondere im Bereich Film entstanden eine Reihe von Produktionen, die sich mit dem Thema kritisch auseinandersetzten (z.B. „Angst essen Seele auf“, 1974, von Rainer Werner Fassbinder; „Palermo oder Wolfsburg?“, 1979/80, von Werner Schroeter). Wenn auch nicht alle diese Filme mit den gängigen Stereotypen brechen, lässt sich doch eine Debatte und Bewegung ausmachen, in der die Situation von und der Umgang mit MigrantInnen öffentlich gemacht und reflektiert wird. Bekanntestes Beispiel dieser Bewegung ist Günther Wallraffs Reportage „Ganz unten“, 1985/1988 als Buch und 1986 als Dokumentarfilm (Regie: Jörg Geförer) erschienen, für die er sich zwei Jahre lang als Türke ausgab und verschiedene gering bezahlte Jobs annahm. Wallraff stellte vor allem die Arbeitssituation der ‚Gastarbeiter‘ inklusive der massiven und verletzenden Ausgrenzungsund Ausbeutungserfahrungen dar. Seine Studie führte noch im Jahr ihres Erscheinens zu Überprüfungen von diversen Wirtschaftsunternehmen sowie der Situation von (migrantischen) LeiharbeiterInnen und zu einer Verschärfung der Gesetzgebung in diesem Bereich.10

Migration als Thema der bildenden Kunst Auch in der bildenden Kunst entstanden in diesem Zusammenhang einige wenige Arbeiten, die sich kritisch mit dem Thema Migration/MigrantInnen auseinandersetzten. Einer der ersten Künstler der BRD, die eine Kritik an dominanten Migrationsdiskursen formulierten, ist Klaus Staeck. Im Stil der Plakat- und Postkartenkunst erstellte er verschiedene Arbeiten, die rassistische Strukturen in Staat und Gesellschaft thematisieren. Ein Beispiel ist die Collage „Fremdarbeiter“, 1975, in der Staeck die Schwarz-Weiß-Fotografie eines Müllarbeiters mit einem sechs­ zackigen Stern in den Farben grün, weiß, rot versah.11 Angebracht auf Höhe der Brusttasche des abgebildeten Mannes zitiert dieses Element den Judenstern. Transformiert in die Farben der italienischen Flagge und mit der Betitelung „Fremd­ arbeiter“ nimmt die Collage von Staeck eine Analogiesetzung zwischen den zeitgenössischen, hier italienischen, ‚Gastarbeitern‘, denen in der BRD gering

In den letzten Jahren haben verschiedene WissenschaftlerInnen angefangen, diese Protestaktionen von ArbeitsmigrantInnen aufzuarbeiten (z.B. Jörg Huwer 2013). 10 Für Informationen zu den verschiedenen Überprüfungen von Wirtschaftsunternehmen und Strafverfahren, die durch Wallraffs journalistische Studie initiiert worden waren, s. eine Sonderausgabe von „Ganz Unten. Mit einer Dokumentation der Folgen“ von 1988. 11 Die Collage wird bis heute von der Edition Staeck als Postkarte vertrieben, s. http://www.staeck.de/edition/ index.html?d_Pk90056_Pk_Fremdarbeiter1512.htm (letzter Zugriff 6.06.2014) 9

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bezahlte Jobs und fast keine Sozialleistungen zugeteilt wurden, zu den jüdischen ‚Fremdarbeitern‘ im Nationalsozialismus vor.12 Eine weitere künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema ‚MigrantInnen‘ ist die 1976 in West-Berlin durchgeführte Aktion „Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst“ des deutschen Künstlers Ulay (eigentlich Frank Uwe Laysiepen). Ulay entwendete in dieser per Video dokumentierten Aktion das von Adolf Hitler einst verehrte und als Zeichen ‚deutschen Kulturguts‘ geltende Bild „Der arme Poet“, 1839, von Carl Spitzweg aus der Neuen Nationalgalerie und brachte es in eine von türkischen MigrantInnen bewohnte Wohnung in Berlin-Kreuzberg, um es dort an Stelle einer Reproduktion aufzuhängen.13 Von einer Telefonzelle aus informierte er die Galerie Mike Steiner über den Aufenthaltsort des Gemäldes.14 Ähnlich wie Staecks Postkartenmotiv zog auch Ulays Aktion eine Verbindung von der aktuellen Situation der ‚Gastarbeiter‘ in der BRD zur nationalsozialistischen Vergangenheit. Seine Aktion stellte allerdings die Frage der Verfügung über ‚Kultur‘ ins Zentrum. Indem er ein im Nationalsozialismus gefeiertes und danach weiterhin als wert­volles Objekt ‚deutscher Kultur‘ geltendes Gemälde in die Wohnung türkischer MigrantInnen brachte und durch die öffentliche Empörung, die das auslösen musste und tat, konnte er deutlich machen, dass Ausgrenzung nicht nur über ökonomische Ausbeutung (darauf hatte schon Staeck verwiesen), sondern auch über exklusive Vorstellungen von Kultur funktioniert. Mitte/Ende der 1970er Jahre erstellte Candida Höfer eine Fotoserie mit dem Titel „Türken in Deutschland“, die aus Aufnahmen bestand, die der Abwertung von MigrantInnen und ihrer spezifisch türkisch-deutschen Kultur entgegentrat. Höfer tat dies, indem sie Gruppen von türkischen MigrantInnen an privaten und öffentlichen Orten (Parkanalagen, Cafés, Wohnzimmer) fotografierte, in denen diese vorwiegend leben, wohnen, arbeiten, sich treffen usw. Im Vergleich zu Staecks und Ulays Arbeiten enthält Höfers Arbeit zwar keinen Bezug zur nationalsozialistischen Geschichte. Sie thematisiert allerdings ähnlich wie Ulays Aktion und auch wie die im Folgenden analysierte Arbeit von Metzel die alltägliche Lebenswelt der MigrantInnen in der BRD. Die Fotografien der Orte, die den MigrantInnen zugewiesen werden, die diese sich aber auch aneignen, dokumentieren ein Stück der Kultur von türkischen MigrantInnen in der BRD. Dragutin Trumbetaš ist einer der wenigen bekannt gewordenen Künstler, der bereits vor 1990 die Situation der sogenannten „Gastarbeiter“ aus migrantischer Perspektive darstellte.15 Nachdem er 1966 aus der Nähe von Zagreb nach Frankfurt

12 1982 verwendete Staeck das gleiche Bild als Cover für sein Buch „Macht Ali deutsches Volk kaputt?“, ersetzte

den Stern aber mit der türkischen Flagge. 13 Die Künstlerin Marina Abramovi´c, spätere Lebens- und Arbeitspartnerin von Ulay, dokumentierte die Aktion mit einer Videokamera. 14 S. die anlässlich der Ausstellung „SNAFU. Medien Mythen Mind Control“ (Hamburger Kunsthalle 2006) erschienene Zeitschrift, in der auch ein wenig aussagekräftiges Foto abgebildet ist. 15 Das Historische Museum, Frankfurt am Main, zeigte 2013 eine Sonderausstellung über „Dragutin Trumbetaš: Gastarbeiter“, im zur Ausstellung veröffentlichten Katalog sind viele seiner Arbeiten abgebildet.

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am Main gezogen war, kommentierte er in Zeichnungen, Collagen und Grafiken, aber auch in Gedichten und Erzählungen Erfahrungen und Erlebnisse von M ­ i­granten bei der Arbeit, in ihren Unterkünften, im Umgang mit Deutschen usw. Zu sehen waren seine Bilder ab Mitte der 1970er Jahre in Ausstellungen in kleineren Galerien in Frankfurt und in Büchern, in denen sie eigene oder Erzählungen von anderen migrantischen Schriftstellern illustrierten (z.B. „Gastarbeiter“, 1977 von der Büchergilde Gutenberg veröffentlicht). Im Vergleich zu den Arbeiten der in Deutschland geborenen KünstlerInnen vermitteln sie wesentlich eindrücklicher die schwierigen Bedingungen, unter denen MigrantInnen in den 1970er und 80er Jahren in Deutschland lebten und arbeiteten. Aber ebenso wie die Repräsentationen der genannten ‚deutschen‘ KünstlerInnen laufen sie teilweise auch Gefahr, Stereotype von Einwanderern (als schmutzig, kriminell, auf der Straße rumhängend usw.) zu bestätigen oder zumindest stereotyp gelesen zu werden. Inwiefern solche Bedeutungen und Lesweisen rund um die Aktion von Metzel entstehen (können), soll im Folgenden diskutiert werden.

Das Wandrelief – die fotografische Reproduktion – die Erzählung Im April 1982 wurde in der Berliner Zeitung sowie in der Süddeutschen Zeitung unter der Rubrik Immobilienmarkt jeweils eine Anzeige veröffentlicht, die lautete „Türkenwohnung Abstand 12.000 DM, VB“. Das Inserat stieß bei Wohnungs­ suchenden – vielleicht nicht nur aufgrund der hohen Ablöse-Summe – auf kein Interesse. Hätten sich Wohnungssuchende gemeldet, wären sie zu einer Besichtigung nach Berlin-Wedding eingeladen worden. Vorgefunden hätten sie nicht nur ein Wohnobjekt, sondern auch ein Kunstwerk, das aus einer leer stehenden und ‚besenreinen‘ 1-Zimmer-Wohnung bestand, deren eine Wand gänzlich mit einem Betonrelief überzogen war. Was letztlich wenige im Original sahen, ist durch eine Fotografie dokumentiert worden, die mittlerweile eine gewisse Prominenz im deutschen Kunstfeld erreicht hat [Abb. 80].16 Der Blick wird in dieser fotografischen Aufnahme auf ein Wandrelief freigegeben, das von drei Strahlern erleuchtet wird. Zur Aufführung kommt folgendes Szenario: Die gesamte Wand ist mit schwarz pigmentiertem Beton überzogen. In der Mitte prangt ein von der Decke bis zum Boden reichendes Hakenkreuz. Während die Balken der auf die Spitze gestellten Swastika glatt und geometrisch genau dargestellt sind, ist die übrige Fläche von Furchen und heftigen Spuren von Ausfräsungen überzogen. Die sich dabei ergebende Struktur folgt keiner erkennbaren

16 In der Öffentlichkeit scheint die Arbeit zunächst nicht oder nur wenig wahrgenommen worden zu sein.

Christine Hoffmanns artikulierte in ihrem Interview mit Metzel, dass die Arbeit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst habe (in Die Welt, 26.03.06), dies ist zumindest anhand schriftlicher Dokumente (Zeitungen/ Zeitschriften) nicht nachzuvollziehen. Luise Horn schreibt, dass niemand auf die Anzeige reagierte, nur der Vermieter sich empörte und Metzel sofort kündigte (1982).

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Ordnung, sondern überzieht die Wand mit Furchen, die mal bogenförmig, mal gerade und senkrecht, mal schräg verlaufen. Nur die Tür auf der rechten Seite wurde von dem Eingriff verschont. Zu sehen sind außerdem die angrenzenden Wände, zusammen mit der Tür situiert diese Perspektive die Betrachtenden in einem Raum. Gemeinsam mit der Heftigkeit der Bearbeitungsspuren und durch das eindringliche Schwarz verleihen die Größe des Wandreliefs und des Zeichens der Arbeit eine Monumentalität, die durch die Lichtführung noch gesteigert wird. Insgesamt erscheint die Szenerie durch die Beleuchtung auf der Fotografie de­ materialisiert und wie zu einer Vision überhöht. Ihrer Abbildung ist in fast allen Katalogen und Besprechungen die Erzählung des Entstehungsprozesses (in manchen Fällen vom Künstler selbst verfasst, z.B. im Ausst.-Kat. „Fokus Istanbul“, 2005: o.P.) an die Seite gestellt. Erzählt wird, dass Metzel 1982 eine 1-ZimmerWohnung in Berlin-Wedding anmietete, die ursprünglich von einer Familie türkischer Herkunft bewohnt worden war. Gerüchten zufolge war diese Familie, nachdem der Besitzer des Mietshauses gewechselt hatte, aufgrund von angeblich geplanten Sanierungen zum Auszug gezwungen worden. Bei der Wohnungs­ übergabe soll Metzel noch einen Großteil des Mobiliars und herumliegende Gegen­stände vorgefunden haben.

Die Fotografien – der Film – die Skizzen Der erste Schritt von Metzels Aktion bestand darin, den vorgefundenen Zustand der Wohnung fotografisch zu dokumentieren. Die dabei entstandenen Aufnahmen sind im Katalog zu einer Einzelausstellung von Metzel im Kunstraum München e.V. noch im Jahr ihrer Entstehung abgebildet worden.17 Zu sehen ist auf den im Münchener Katalog abgebildeten Aufnahmen ein Wohnzimmer samt Sofaecke mit Couchtisch, Aschenbecher, Wandbehang, Gardinen usw. [Abb. 81]. Eine zweite Fotografie zeigt ein Regal mit einer Hi-Fi-Anlage, eine Kommode, auf der Zettel liegen, an die Wand gelehnte Spanplatten, die vermutlich von einem auseinandermontierten Möbelstück stammen, und einen auf dem Boden liegenden Teddy. Zwei weitere Fotografien dokumentieren den Eingangsbereich der Wohnung mit einer Garderobe und einem daran hängenden Kinderanorak sowie einer ebenfalls an der Wand hängenden Luftaufnahme von Hamburg als Puzzlebild. Zusammen geben die Fotografien das Bild einer eher ärmlichen und aus zusammengewürfelten Möbelstücken eingerichteten Wohnung wieder, die überstürzt verlassen wurde. Kinderkleidung und Spielzeug wurden dabei ebenso zurückgelassen wie ein bereits auseinandergebauter Schrank. Diese Hinweise auf Kinder und auf ein unfreiwil-

17 Einige der Fotografien sind auch in dem Katalog zur Ausstellung „Klopfzeichen“ des Museums der bildenden

Künste Leipzig (2002) und im Katalog zur Ausstellung „Olaf Metzel. Noproblem“ des Von der Heydt-Museums Wuppertal (2007) reproduziert worden.

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Abb. 80 Olaf Metzel Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB 1982, Beton, Pigmente

Abb. 81 Olaf Metzel Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB 1982

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liges Zurücklassen von Eigentum unterstreichen die Tragik der Auszugserzählung. Die einzelnen Gegenstände, wie zum Beispiel das Bild von Hamburg oder ein Wandteppich, den eine Bergidylle ziert und der über eine Blumentapete gehängt ist, geben jedoch keinen Hinweis auf die ethnische Herkunft der ehemaligen ­BewohnerInnen, sondern zeigen ein soziales Milieu an. In einem zweiten Schritt zerstörte Metzel das komplette vorhandene Mobiliar mit einer Trennscheibe, während er gleichzeitig mittels einer an das Werkzeug montierten Videokamera diesen Prozess aufzeichnete. Aus den Aufnahmen entstand ein 2,5 Minuten langer Film. Auf den publizierten Videostills sind die sich ein­grabende Trennscheibe und die Spur, die sie über die Objekte zieht, zu sehen (vgl. Ausst.-Kat. München 1982). Luise Horn schreibt über den Film: „Das Auge verfolgt den Weg der Trennscheibe über die Wände, durch das aufgeklebte Puzzle einer Hafenstadt, über die Stereoanlage und vorbei an Vorhängen und Möbeln. Als Ton wurde die martialische Geräuschkulisse, die in jeder mit TV- und Killer-Automaten bestückten Spielhalle dröhnt, unterlegt und so eine brutalisierte Umwelt vertont, in der das Leben wenig Abenteuer bietet“ (1982: 20). Neben einigen wenig aussagekräftigen Videostills ist dieser gleichzeitige Prozess von Aufnahme und Zerstörung im Münchener Katalog (1982) und im Katalog „Fokus Istanbul“ (2002) über eine ­Fotografie des Werkzeugs dokumentiert. Im Münchener Katalog wurde die Geräuschkulisse zusätzlich durch eine Fotografie von Spielautomaten visualisiert. Ein dritter Schritt war, die Wohnung leerzuräumen und die Wand zu bearbeiten, bis das oben beschriebene Relief entstand. In dem 1982 veröffentlichten ­Katalog des Kunstraums München e.V. wurden neben den bereits genannten Fotografien einmalig auch acht Entwurfskizzen abgebildet. Laut Horn machte Metzel für Arbeiten, in denen er mit einer Trennscheibe in Beton schnitt, zuvor Zeichnungen, deren Bewegungen er dann an der Wand wiederholte (1982: 13). Die Skizzen lassen sich schwer entziffern. Einige können zumindest als Grundriss einer Wohnung bzw. eines Gebäudes erkannt werden. Gestrichelte Linien scheinen den geplanten Weg der Trennscheibe anzuzeigen. Zwei Darstellungen erinnern an das Wand­relief. Weitere Skizzen lassen zwar die Darstellung von Räumen assoziieren, können aber in ihrer Bedeutung von den Betrachtenden kaum entschlüsselt werden. Neben eindeutigen Zeichnungen, wie die von einem Sofa sowie von einer halben Swas­tika, bleiben die übrigen in ihrer Unlesbarkeit auf eine Funktion als Index für den entwerfenden Künstler selbst reduziert.

Die Rezeption Metzel zerstörte das Wandrelief noch im selben Jahr, es ist daher nur noch als foto­grafische Reproduktion erhalten. Zuerst besprochen und veröffentlicht wurde es im bereits genannten Katalog des Kunstraums München e.V. von 1982. Seither wird fast ausschließlich die Fotografie von dem Endergebnis der Aktion – dem Relief – rezipiert und publiziert. So wird sie nicht nur in Besprechungen von M ­ etzels

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künstlerischer Praxis immer wieder erwähnt und in Ausstellungskatalogen ­abgebildet (vgl. Schneede 1984, Grasskamp 1990, Heinrich 1992, Osterwold 1996, Metzel 2007, Barth 2009), sie kommt auch in Thematisierungen der Verwendung von nationalsozialistischen Motiven und Symbolen in der Kunst (Horn 1988, Gockel 1998, Osmond 2006) vor, in Diskussionen um Erinnerungsstrategien (Heinrich 1993), in Sammelbänden zu deutscher Kunst allgemein,18 in Darstellungen von Kunst der 1980er Jahre im Besonderen19 und kürzlich auch im Kontext türkischdeutscher Migrationsgeschichte (Ausst.-Kat. „Fokus Istanbul“ 2005). In jüngster Zeit war die Arbeit in Ausstellungen präsent: in „Fokus Istanbul“ (Berlin 2005), in der Leipziger Ausstellung „Klopfzeichen – Wahnzeichen“, hier wurde eine ­Rekonstruktion der „Türkenwohnung“ gezeigt (2002), und in der in Los Angeles, Nürnberg und Berlin ausgestellten Schau „Kunst und Kalter Krieg. Deutsche ­Positionen 1945 – 89“ (2009/10), in der sie über Fotografien und über den Film zu sehen gegeben wurde. Die Beschreibungen von Metzels Aktion sind erstaunlich ähnlich. Ausnahmslos wird sie als Thematisierung von ‚Ausländerfeindlichkeit‘20 gelesen. Die Interpretationen unterscheiden sich allerdings in der Verortung und deren Verknüpfungen. Während einige auf die Verbindung aktueller ‚Ausländerfeindlichkeit‘ mit dem Nationalsozialismus verweisen (Horn 1982: 20; Heinrich 1992: 18), dominiert gerade in jüngeren Besprechungen seit Ende der 1990er Jahre die Rede über Rechtsradikalismus (vgl. Gockel 1998: 59; Thomas 2002: 413). Horn schrieb als eine der ersten: „in dieser Skulptur wird klar, dass die Ausländerfeindlichkeit in einer historischen und politischen Linie mit dem Faschismus steht“ und es darum gehe, „eine Tendenz der Diskriminierung anschaulich zu machen“ (1982: 20). In ähnlicher Weise konstatiert auch Christoph Heinrich, dass die Arbeit einen Zusammenhang zwischen Faschismus und Fremdenhass thematisiert (1992: 18). Cornelia Gockel dagegen meint, dass die neofaschistischen ­Tendenzen in der BRD zum Thema werden (1998: 59), und auch Karin Thomas sieht in ihr „die anwachsende Virulenz und den mentalen Zusammenhang von Rechtsradikalismus und Fremdenhass“ aufgegriffen (2002: 413). Von Gockel und Thomas wird die Arbeit in erster Linie als ein Verweis auf Rassismus als Phänomen deklassierter Randgruppen dargestellt, wohingegen die frühen Interpretationen

18 In folgenden Publikationen ist sie abgebildet: im Katalog „Kunstlandschaft Bundesrepublik Deutschland –

Junge Kunst in deutschen Kunstvereinen“, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine (1984); in dem vom Institute of Contemporary Fine Arts herausgegebenen Katalog „Olaf Metzel Gerd Rohling Ina Barfuss Thomas Wachweger Festival of German Arts“ (1987); in dem von Eckhart Gillen herausgegebenen Katalog „Deutschlandbilder. Kunst aus einem geteilten Land“ (1997); in Karin Thomas’ Band „Kunst in Deutschland seit 1945“ (2002) sowie kürzlich im Ausst.-Kat. „Kunst und Kalter Krieg“ (2009). 19 Zu nennen sind hier der Katalog „Momente – zum Thema Urbanität“, herausgegeben vom Kunstverein Braunschweig (1986), sowie Schneede (1997) und der Ausst.-Kat. „Klopfzeichen“ (2002). 20 Der Begriff ‚Ausländer‘ sowie ‚Ausländerfeindlichkeit‘ wird in der Rezeption auf MigrantInnen bzw. ihre Abwehr durch ‚Inländer‘ bezogen. MigrantInnen können jedoch im eigentlichen Wortsinn keine Ausländer sein, da sie ‚im Land‘ leben. Insofern wiederholt der Begriff in diesem Fall den Ausschluss von MigrantInnen, indem er sie als nicht dazugehörig benennt.

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(Horn 1982 und Heinrich 1992) darauf eingehen, dass sich Metzels Aktion auch als Aussage zu einer Kontinuität nationalsozialistischer Strukturen lesen lässt. Die wenige Kritik, die der Arbeit gegenüber geäußert wird, bezieht sich auf das Hakenkreuz. So sieht Heinrich in der Aktion eine mangelnde Aussagekräftigkeit, weil das Hakenkreuz ein „abgenutzter Stempel“ sei (1992: 18). Auch Metzel selbst deutete in einem Interview an, dass die Aktion „mit dem Hammer daherkomme“ (2006).21 Ich war zunächst ebenso geneigt, die Arbeit als ‚platte Attitüde‘ abzutun. Einige KollegInnen, denen ich die Arbeit zeigte, bestätigten meine erste Reaktion. Doch gerade die Prominenz der Arbeit im deutschen Kunstfeld sowie das eigentümliche Spiel mit dem Zeichen des Hakenkreuzes und die Abwesenheit menschlicher Körper weckten meine Neugier. Genauer betrachten werde ich, inwiefern sie Rassismus gegenüber türkischen MigrantInnen nachvollziehbar macht und in welchen historischen Kontexten sie das tut.

Graffiti-Ästhetik – Zeichen von Zerstörung – Beton Das Hakenkreuz ist seit der Verwendung durch die Nationalsozialisten ein fast überall bekanntes, eindeutig lesbares Zeichen, das in der BRD, obwohl verboten, nach wie vor als Graffiti im öffentlichen Raum vorkommt und dabei häufig mit Parolen wie „Ausländer raus“ kombiniert wird. In den Verfahrensweisen des ­Schabens und Kratzens in Beton zitiert das Relief eine (meist unerlaubte) Artikulationspraxis, wie sie in und an öffentlichen Gebäuden zu sehen ist.22 Auch dadurch, dass die Arbeit außerhalb offizieller Institutionen installiert wurde, assoziiert man mit ihr hinterrücks erstellte und verbotene Zeichen. Während geritzte Zeichen im öffentlichen Raum jedoch eher klein und heimlich angebracht sind, beispiels­weise in öffentlichen Toiletten oder auf Parkbänken, steigert Metzel seine Einritzung zu einer gewissen Monumentalität. Das Hakenkreuz wiederum hat er in Form von Balken auf die Wand gesetzt, wodurch es auch an offizielle Denkmalsdarstellungen erinnert. Gleichzeitig ist der Raum, in dem das Zeichen präsentiert wird, offensichtlich ein privater, mit einer Tür abgeschlossener Raum. Über die fotografische Reproduktion wird dieser jedoch öffentlich gemacht. Somit spielten das Relief und seine Reproduktion mit Referenzen an das Öffentliche und Private, Offizielle und Heimliche. Vor dem Hintergrund einer gerade in Berlin aktiven HausbesetzerInnen-Szene, die durchaus medial präsent war, wird Metzels Aktion als provokante und politische gelesen worden sein. Zentral für die Darstellung der AktivistInnen, wie auch für das Relief, ist der nicht nur negativ konnotierte Akt der Zerstörung. Die fotogra­

21 vgl. Metzel in einem Interview mit Christiane Hoffmans in Die Welt, 26.03.2006. 22 Walter Grasskamp beschreibt die Strategie des Schabens und Kratzens als zur Graffitiästhetik gehörend

(1982).

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fische Reproduktion des Reliefs kann als die Mise en Scène des Effektes von Zerstörung beschrieben werden. Zerstörung wird von vielen RezensentInnen auch als Strategie von Metzels allgemeiner künstlerischer Praxis hervorgehoben (vgl. Osterwold 1996: o.P.; Horn 1982: 9f). In der „Türkenwohnung“ erscheint nicht nur das per Beton, Flex und Stemmeisen gewaltvolle ‚Einschreiben‘ in einen Raum als Verweis auf Zerstörung, sondern auch das filmisch dokumentierte Zerf lexen des Mobiliars sowie das Ausräumen und Säubern von den Spuren der Bewohner und des Arbeitsprozesses.23 In der Videodokumentation ist der Zerstörungsakt mit dem Geräusch von Spielautomaten (das Schüsse und andere Zerstörungsakte vertont) hinterlegt worden, was die Assoziation an physische Gewalt weiter steigert. Indem die akustische Untermalung auf Videospiele Bezug nimmt, die auch in den 1980er Jahren schon als kriegsverherrlichend und die Gewaltbereitschaft der Konsumenten steigernd galten, stellt sich auch die Konnotation an jugendliche Gewalttäter ein. Neben den Spuren der Bearbeitung unterstützt der im Relief verwendete Beton als in festem Zustand harte und nicht einfach zu entfernende Substanz die Bedeutung von Zerstörung und gewaltvollen Akten. Der Ikonografie von Beton und der Semantik dieses künstlichen Stoffs innerhalb Metzels künstlerischer Praxis ist Heinrich (1993) nachgegangen. Er beschreibt Beton als „unprätentiöses Material“ (ebd.: 141) und legt dar, dass der Beton „seine Tradition und seine Materialikonographie in erster Linie durch seine Bedeutung für die Architektur mit einbringt, für die dieser sich endgültig erst nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzte“ (ebd.: 142). 24 Insbesondere in den 1980er Jahren änderte sich die Bewertung des Betons. War er in der Nachkriegszeit in der Wohnarchitektur vielfach verwendet worden, um möglichst schnell und kostengünstig Wohnraum zu erstellen, hatte er seit den 1970 Jahren ein denkbar schlechtes Image (ebd.: 146). Das Bild der grauen ‚Sintflut Beton‘ stand nun vielmehr für rücksichtslose Gewinnmaximierung und brutale Repression (ebd.: 147). Dieser Bewertungswandel ging damit einher, dass in den 1980er Jahren vor allem an Wohngebäuden sichtbar wurde, dass der Zeitwert des Materials begrenzt war. Die Bauwirtschaft stand einer ständig größer werdenden Zahl sanierungsbedürftiger Stahlbetonbauten gegenüber, und die aufwendige und sehr kostspielige Betonsanierung rückte in die Schlagzeilen der Medien (ebd.: 148). Heinrich beschreibt die dabei evozierte Konnotation als ‚latente Aggressionskraft‘ (1993: 147), auch Metzels Arbeit attestiert dem Material diese Bedeutung.

23 Laut Metzels eigener Aussage war die Aktion ursprünglich nur als Videofilm geplant (im Gespräch mit

Marius Babias, Jungle World 27/1998). Die Projektskizze eines solchen wurde von Wulf Herzogenrath – damals Leiter des Kölnischen Kunstvereins – jedoch abgelehnt (vgl. Metzels Brief vom 16.10.1981, abgedruckt im­ Ausst.-Kat. München 1982). 24 In der Kunst wurde Beton nach dem Ersten Weltkrieg zunächst höchstens in der Bauplastik – und hier vor allem in Kriegsdenkmälern – verwendet. Die Avantgarde hingegen zögerte zunächst noch, Beton zu verwenden, nur Wilhelm Lehmbruck und Walter Gropius (für sein als Inkunabel des Betonmonuments gebautes Märzgefallenendenkmal) nutzten es für Denkmäler (Heinrich 1993).

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Überaffirmation als künstlerische Strategie Die verschiedenen Darstellungen von und Anspielungen auf Zerstörung, Aggression und Gewalt in Metzels Aktion legen die Assoziation an gewaltsame Über­griffe auf Wohnraum von MigrantInnen durch Neonazis, wie sie in den 1980er Jahren gerade wieder zugenommen hatten, nahe. 25 Über den Titel „Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB“ und die dazugehörige Erzählung vom erzwungenen Auszug (die zum Teil auch über die Fotografien visualisiert ist) wird diese Assoziation jedoch auch in Verbindung gebracht mit der Segregation von MigrantInnen über Wohnraum bzw. überteuerte Mietpreise. Die Arbeit signifiziert und betont demnach ausgrenzende, nicht nur physische, sondern auch strukturelle Gewalt mit einer Ästhetik der Zerstörung. Die künst­ lerische Praxis der Zerstörung steht – so ließe sich folgern – als Metapher für gewaltvolle Mechanismen der Ausgrenzung von MigrantInnen auf verschiedenen Ebenen. Metzel bedient sich für diese Bedeutungsproduktion der Strategie der Überaffirmation – die Zerstörung des Mobiliars der türkischen Familie, die ­monumentale Verwendung des Hakenkreuzes und auch die Wohnungsanzeige wiederholen zunächst rechtsnationalistische Zeichen und Praktiken. Er spielt ­insofern damit, selbst der Täter zu sein. Die Zeichen und Praktiken werden jedoch übertrieben, überzeichnet und somit auch vorgeführt. Den Betrachtenden wird, so meine These, dabei eine ambivalente Position angeboten, die nicht nur eine distanzierte, im Sinne von: ‚rassistisch sind immer nur die anderen‘, ist. Gerade weil der Akt der Zerstörung nicht nur negativ konnotiert ist, sondern als nachvollziehbarer in Szene gesetzt sowie durchaus auch lustvoll besetzt ist, wird dem/der Betrachtenden die Möglichkeit eröffnet, sich in den zerstörerischen Akt lustvoll ‚einzufühlen‘, diesen ‚nachzuempfinden‘, um in einem zweiten Schritt diese Lust als eigene zu ref lektieren, Rassismus auch als eigenen zu erkennen. Mit der ­Bezeichnung ‚ästhetische Erfahrung‘ beschreibe ich in Anschluss an Christian Kravagna (2000) einen Effekt einer künstlerischen Arbeit, bei der nicht nur eine Botschaft decodiert und theoretische Erkenntnisse vermittelt werden, sondern bei der eine Form von Erfahrung angestoßen wird, die insofern spezifisch ist, als sie die Möglichkeit bietet, etwas ‚nachzuempfinden‘, etwas ‚nachzufühlen‘. Damit kann es der ästhetischen Erfahrung – wie Kravagna schreibt – „gelingen, mir sowohl die ganze Unmittelbarkeit der Alltagserfahrung zu rekonstruieren als auch jenes Distanzmoment zu eröffnen, das die Selbstbeobachtung der Wahrnehmung erlaubt“ (2000: 26).26 Eine solche Form der ästhetischen Erfahrung kann möglicherweise vor allem der ursprünglich als Endprodukt der Aktion geplante Film eröffnen. Indem der

25 Den Anstieg rechtsradikaler Gewalt beschreibt auch Terkessidis in seiner Historiografie der Migration in der

BRD (Terkessidis 2000: 31). 26 Kravagna bezieht sich in seinen Ausführungen auf Adrian Piper und ihre Argumentationen bezüglich politischer Kunst (1996).

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Zerstörungsprozess des Inventars von diesem so nah wie möglich zum zerstörenden Akt (mit einer an die Flex montierten Kamera) aufgenommen und auch wiedergegeben wurde, suggerierte er nicht nur eine Unmittelbarkeit der filmischen Dokumentation, sondern die betrachtende Person kann sich in die Position des Akteurs bzw. des Zerstörers versetzen. Was der Film zugespitzt zeigt, wird in einer offensichtlich vermittelten Form auch in der Betrachtung der Fotografie des Endergebnisses und dessen Nachbauten evoziert: Eröffnet wird den Betrachtenden die Möglichkeit, über die sichtbaren und gut ausgeleuchteten Spuren im Beton den Arbeits- bzw. Zerstörungsprozess (lustvoll) nachzuvollziehen. Sowohl im Film als auch durch das Wandrelief entsteht ein ambivalentes Spiel, in dem die Zerstörung als Bedrohung, aber gleichzeitig auch als ästhetisches Vergnügen und Lust empfunden werden kann. Wenn die Bilder von Zerstörung hier für gewaltvolle und rassistische Strukturen stehen, dann geht Metzels Arbeit über eine schlichte A ­ nalyse von letzteren hinaus: Rassismus wird als auch eigener und nicht nur außerhalb oder abgekoppelt von dem Betrachtenden existierend ‚erfahrbar‘.

Hakenkreuze in der Kunst und die Imagination von sich als Täter Die Strategie, sich von der Position des Täters bzw. der Täterin nicht nur zu distanzieren, sondern diese als auch eigene zu imaginieren und zu ref lektieren, wendete in der Kunst Anfang der 1980er Jahre nicht nur Metzel an. Seit Ende der 1970er Jahre wurden solche Vorgehensweisen ebenso wie die Verwendung des Hakenkreuzes oder anderer nationalsozialistischer Motive und Symbole als Tabubruch und als Form der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus erprobt.27 Ausgelöst wurde dadurch eine (nach den Diskussionen Ende der 1960er Jahre erneute) kontroverse Debatte über das Wie des Umgangs mit und der visuellen Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit. Die Wiederholung von nationalsozialistischen Motiven war vor allem hinsichtlich der Frage, ab wann von einer kritischen Wendung dieser Zitate gesprochen werden konnte, umstritten. Der Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher Georg Bussmann wendete sich gegen den Vorwurf, dass jegliche Wiederholung von nationalsozialistischer Symbolik auch eine Verherrlichung des Nationalsozialismus bedeuten würde und automatisch Gefahr liefe, Faschismus wieder gesellschaftsfähig zu machen (vgl. Bussmann 1987 und 1988).28 Vielmehr gingen er und andere davon aus, dass die künstlerischen Arbeiten mit der Tabuisierung von Symbolen der Nazis brechen und sich von einer

27 Bussmann sieht schon in der Verwendung des Hakenkreuzes immer auch ein Kreisen um die eigene Rolle als Künstler (1988: 331). 28 Bussmann kuratierte 1988 die Ausstellung „Arbeit in Geschichte – Geschichte in Arbeit“ (Kunsthaus und Kunstverein Hamburg), in der er entsprechende künstlerische Arbeiten zusammenstellte, im Katalog sind die Arbeiten der KünstlerInnen jeweils einzeln besprochen. Eine weitere Entgegnung gegen den Faschismusvorwurf formuliert er in seinem Beitrag zum Katalog „Inszenierungen der Macht“ (1987). Eine Zusammenfassung der Debatte um die „Faschismusrezeption in der deutschen Gegenwartskunst“ hat Gockel vorgenommen (1998).

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als moralisierend und pädagogisch aufgefassten Form der Auseinandersetzung mit Geschichte vorhergehender Generationen distanzieren. In die Kritik geraten waren insbesondere Gemälde, die Zeichen aus dem Bereich des Militärischen monumental und lautstark affirmieren (z.B. von Markus Lüpertz), und solche, die in ihrer Ästhetik an Blut-und-Boden-Mythen erinnern (z.B. von Anselm Kiefer). Unter Verdacht kamen aber auch Arbeiten, die den Versuch unternahmen, im subjektiven Nachvollzug die Geschichte durchzuarbeiten. Ein Beispiel ist die Foto­ serie „Besetzungen“, 1969 – 1975, von Anselm Kiefer, auf denen er sich an verschiedenen Plätzen Europas, die während des Zweiten Weltkrieges von der deutschen Wehrmacht besetzt waren, mit einem zum Hitlergruß erhobenen Arm inszenierte.29 Eine ähnliche Strategie verfolgte Felix Droese, indem er eine seiner abstrakten Skulpturen mit „Ich habe Anne Frank umgebracht“ betitelte (1982). In diesen Vorgehensweisen liegt weniger eine Polemik denn der Versuch, die Täterposition einzunehmen und damit den eigenen Anteil an Geschichte gegenwärtig zu halten und von der Position der Täter heraus zu verstehen.30 Andere KünstlerInnen legen den Schwerpunkt auf die Ironisierung der Diskussion um das Tabu des Hakenkreuzes, so etwa Martin Kippenberger, der ein Bild mit geometrischen Formen, die den Haken des Hakenkreuzes ähnlich sind, tituliert mit dem Satz: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“, 1984. Bussmann sieht in den Arbeiten einen „Affront gegen die Generation der 68er“ und „Zweifel an der alles klären und erklären wollenden Macht historischer Wissenschaft und deren abschließendem Urteil“ (1988: 329). Metzels Aktion lässt sich ebenfalls in dieser Richtung verorten. Demnach liegt in der Vehemenz, mit der das geritzte Hakenkreuz auf dem Wandrelief dargestellt wird, eine Ironisierung des Tabus eines Zeichens, dass letztlich immer noch im öffentlichen Raum zu finden ist.31 Horn verweist darauf, dass die schwarz betonten Einfräsungen auf der rechten Wand einen Haken bilden und damit ironisch suggerieren, dass „wir den Faschismus gern als Geschichte abgehakt wissen wollen“ (Horn 1982: 20). Metzel schreibt sich in die Debatte um ‚Hakenkreuze in der Kunst‘ mit einer Arbeit ein, die ironisch auf den Wunsch aufmerksam macht, problematische Geschichte zu vergessen. Dem ‚Vergessen-Wollen‘ entgegnet er mit dem übergroßen Zitat eines im öffentlichen Raum immer noch vorhandenen Zeichens, das für eine Kontinuität nationalsozialistischer und rassistischer Einstellungen steht. Eine solche rassistische Kontinuität proklamiert seine Arbeit aber nicht lediglich für

29 An anderen Arbeiten von Anselm Kiefer entzündeten sich Kritiken, weil – wie Sabine Kampmann resümiert –

viele seiner Arbeiten Symbole, Gesten, Orte oder Namen, die mit dem Nationalsozialismus assoziiert werden, in einer Weise (mit Monumentalität und Pathos) zitieren, die den Verdacht des Neo- oder Kryptofaschismus aufkommen lassen (2005: 120ff). 30 Bussmann sieht in der Abwehr dieser Arbeiten „letztlich eine Angst vor der Konfrontation mit der Möglichkeit, von eben diesen Ideen selbst eingenommen zu werden oder sie bei sich selbst zu entdecken“ (324) 31 Darauf hat Metzel selbst immer wieder hingewiesen, z.B. im Wuppertaler Katalog (2007: 70).

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eine kleine Randgruppe Neonazis, sondern für die bundesdeutsche Gesellschaft allgemein, was sich unter anderem in der Ausgrenzung von MigrantInnen (über die Verweigerung von Wohnraum) zeigt. Heinrich konstatiert bezüglich Metzels Arbeit: „Hier werden keine Schuldigen angeklagt“, und es würden keine Angaben gemacht, „wer der Ankläger, wer der (fingierte) Urheber ist – und ob man sich als Betrachter mit ihm identifizieren kann“ (1992: 18). Verwiesen wird in der Tat weniger auf konkrete Personen als auf verschiedene rassistische und diskriminierende Strategien von gewaltvoller Ausgrenzung, die weniger im Einzelnen verortet werden als in einer Gesellschaft. Verstärkt wird dieser Eindruck auch dadurch, dass das Relief fotografisch wie eine Vision, eine negative Vision von einer Gesellschaft, inszeniert ist. Dass Metzel dabei mit der machtvollen Position des Urhebers selbst spielt und in der Aktion das Imaginieren an diese Position auch den Betrachtenden angeboten wird, widerspricht dem nicht, sondern lässt sich, ähnlich wie die genannte Fotoserie von Kiefer und das Bekenntnis von Droese, als ein Versuch interpretieren, Rassismus/ rassistische Praktiken von ‚innen heraus‘ zu dekonstruieren.32 Mit diesem Versuch steht seine Aktion im Gegensatz zu einer Praxis, sich als Opfer oder als a­ usgegrenzte Andere zu imaginieren, wie es in der deutschen Erinnerungskultur und auch in künstlerischen Verhandlungen von Alterität zu beobachten ist.33 Mit dem Einnehmen der Position des Täters wird ein „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ von Geschichte möglich. Sigmund Freud hat mit diesen Begriffen eine Technik beschrieben, die es Patienten gestattet, vergessene oder verdrängte Erinnerungen als Tat zu reproduzieren (1914/1982). Birgit Rommelspacher verweist auf diese Technik als Notwendigkeit für eine Reflexion darüber, dass „der Umgang mit der Vergangenheit für uns Deutsche nicht nur Voraussetzung, sondern auch Modell sein [wird] für den Umgang mit anderen, mit Fremden, mit Bedrohlichen, mit uns selbst“ (1998: 207). Unter Bezug auf Freud plädiert sie dafür, „das Vergangene gegenwärtig zu machen“, die Vergangenheit in uns wirken zu lassen, d.h., die dabei hochkommenden Gefühle auszuhalten. So kann das vergangene Geschehen einer aktuellen Bewertung unterzogen werden (ebd.). Dieser Schritt des Durcharbeitens heißt ihr zufolge, auch für die nachfolgenden Generationen,

32 Die pädagogischen Aspekte von künstlerischen Arbeiten, die es den Betrachtenden ermöglichen, Geschichte

zu erfahren, sich einzufühlen, diskutiert Ernst van Alphen in Bezug auf spielerische Holocaust-Repräsentationen (2006: 180ff). Von Alphen hebt die Produktivität von Arbeiten hervor, die es ermöglichen, sich mit dem Täter zu identifizieren. 33 Die Praxis, sich in der Erinnerung an den nationalsozialistischen Genozid auf die Seite der Opfer zu imaginieren, wurde insbesondere in den Entwürfen für das „Denkmal der ermordeten Juden“, Berlin, deutlich (s. den Sammelband der NGBK, Berlin, 1995, darin insbesondere die Aufsätze von Gabriele Werner, Silke Wenk und James Young sowie eine ausführlichere Variante des Aufsatzes von Wenk, 1997, und jüngst Ulrike Jureit und Christian Schneider, 2010). Die künstlerische Position, sich als (ausgegrenzte) Andere darzustellen und zu imaginieren, ist in der vorliegenden Arbeit schon mehrfach aufgezeigt worden, s. insbesondere mein Kapitel zum Primitivismus.

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sich bewusst zu werden, dass die eigenen Vorfahren am Genozid an JüdInnen und Sinti und Roma mit schuldig waren, aber auch, eine rassistische Mentalität in uns zu erkennen und sich diese bewusst zu machen (ebd.). Metzels Arbeit ermöglicht eine solche Bewusstwerdung in Form einer ‚ästhetischen Erfahrung‘, sie macht Rassismus als auch eigenen erkennbar, indem sie nicht nur an die national­ sozialistische Ideologie erinnert, sondern deren ausgrenzende Umgangsweisen, Praktiken und Strukturen zu zeitgenössischen in Bezug setzt, Ähnlichkeiten und Kontinuitäten aufzeigt und darüber hinaus diese ästhetisch vermittelt als auch eigene erfahrbar macht. Der Nationalsozialismus ist in der Arbeit dabei nicht nur über das Hakenkreuz, sondern auch über die Farbsymbolik Schwarz (das Wandrelief), Rot (der Boden) und Weiß (die Tür, Decke und die Seitenwände) signifiziert. Das Weiß der Tür erscheint durch die Beleuchtung aber auch als Gold (zumindest in den Reproduktionen) und denotiert in der Kombination Schwarz-Rot-Gold auch auf die Farben der Flagge der BRD. In diesem Farbenspiel wird eine mehrdeutige Lesweise der Arbeit weiter gestützt, die diese als Verweis nicht nur auf eine nationalsozialistische Vergangenheit, sondern auch auf rassistische Normalität der 1980er Jahre interpretiert. Aufgenommen wird dieses Vexierspiel auch mit der Analogisierung, die im Begriff ‚Türkenwohnung‘ zu dem im Nationalsozialismus gebräuchlichen Wort ‚Judenwohnung‘ liegt.

Türkenwohnung – Judenwohnung Als ‚Judenwohnungen‘ wurden im nationalsozialistischen Deutschland zunächst Wohnungen bezeichnet, in die Juden zwangsweise umziehen mussten, wodurch sie in sogenannte ‚Ghettos‘ umgesiedelt wurden. Nach den Deportationen wurden die Wohnungen unter diesem Begriff oft mitsamt des Mobiliars an im National­ sozialismus privilegierte Personen weitervermittelt bzw. zur weiteren Benutzung angeboten, wie auch Metzel dies mit der ‚Türkenwohnung‘ tat. In diesem Kontext lesen sich das ‚Auslöschen‘ jeglicher Spuren der ursprünglichen BewohnerInnen des Hauses und der peinlich saubere Raum wie der Begriff der Säuberung bzw. der ‚ethnischen Säuberung‘ als beschönigende und entwirklichende Metaphern für die Vertreibung ethnisierter oder rassisierter Subjekte. Die visuelle Umsetzung dieses Euphemismus führt das Gewaltvolle und Aggressive der Metaphorisierung und der damit einhergehenden Vorstellungen (‚reines Volk‘) und Maßnahmen vor und verknüpft sie mit dem als deutsch geltenden Ideal von Sauberkeit und Reinlichkeit.34 Die dargestellte Sauberkeit erweist sich so letztlich

34 Zusätzlich ließe sich die unversehrte Tür zusammen mit dem außer der Wand unversehrten Wohnraum als

Zeichen für bürgerliche ‚Normalität‘ lesen, das nebenstehende Wandrelief mit Hakenkreuz, das vordergründig als Gegensatz gilt, erweist sich damit als Teil dieser ‚west-deutschen‘ gesellschaftlichen Normalität.

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als die Visualisierung einer nationalsozialistischen und rassistischen Ideologie. Über die Notwendigkeit, aktuellen Rassismus mit nationalsozialistischer Vergangenheit zusammenzudenken, besteht in vielen Geistes- und Kulturwissenschaften relative Einigkeit. Die Verwendung von Hakenkreuzen in der Kunst ist allerdings – wie dargelegt – umstritten, und auch die Analogisierung der Situationen von türkischen MigrantInnen mit denen der Juden im Nationalsozialismus wurde problematisiert. Leslie Adelson legt dar, dass gerade in den 1970ern der Slogan „Die Türken sind die Juden von heute“ in der deutschen Linken als Metapher kursierte (2000).35 Sie kritisiert (literarische) Repräsentationen, die türkische MigrantInnen lediglich zu Stellvertretern für deutsche Juden machen und damit wichtige – auch strukturelle – Unterschiede negieren sowie die Situation türkischer MigrantInnen darüber wiederum nur indirekt thematisierten. Adelson verweist auf Micha Brumlik, der mit Blick auf antirassistische Kinder- und Jugendarbeit davor warnt, über eine vorschnelle Analogisierung Widerstand gegen Rassismus plausibel machen zu wollen (1991). Brumlik zeigt auf, dass Antisemitismus und ‚Ausländerfeindlichkeit‘ zwar in psychologischer Hinsicht gemeinsame Wurzeln haben, sich ideologisch jedoch unterscheiden. Ein derartiger Vorwurf scheint zunächst auch für Metzels Arbeit zulässig. Dagegen einwenden ließe sich jedoch, dass gerade die Verknüpfung der Wohnsituation der ArbeitsmigrantInnen mit dem Nationalsozialismus aus mehrfachen Gründen für die Geschichte der Situation von und den Umgang mit den als ‚Gastarbeitern‘ Angeworbenen in der BRD signifikant ist.

Segregation von Wohnraum Kien Nghi Ha hat dargelegt, dass gerade die Wohnsituation einen Kristallisationspunkt der Situation von MigrantInnen darstellt (2003). Er erinnert daran, dass die gesetzliche Regelung zur Unterbringung von ArbeitsmigrantInnen bis 1973 von einem Gesetz bestimmt wurde, das auf Verordnungen von 1934 auf baut. Untergebracht waren die angeworbenen ArbeiterInnen bis 1973 zu einem großen Teil in denselben Gemeinschaftsunterkünften, die im Nationalsozialismus der Unterbringung von sogenannten Fremd- und Zwangsarbeitern gedient hatten. Kurz vor dem Anwerbestopp von ArbeitsmigrantInnen im Jahr 1973 wurden die Gemeinschaftsunterkünfte abgeschafft, und viele MigrantInnen zogen in unsanierte Mietwohnungen, die häufig überteuert vermietet wurden (Terkessidis 2000: 27).

35 Auch Migranten nahmen diese Analogisierung vor, so hielten türkische Jugendliche laut Eva Weber auf einer

Demonstration in Berlin in den 1980er Jahren ein Transparent mit der Aufschrift „Wir wollen nicht die Juden von morgen werden“ (1988: 33). Der Künstler Akbar Behkalam, der im Iran aufgewachsen war, in Istanbul an der Akademie der Schönen Künste studiert hatte und 1976 nach Berlin übersiedelte, übernahm diesen Slogan 1982 als Titel für ein Gemälde, s. Weber (1988: 33).

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Perfiderweise wird auf diese untragbare Wohnsituation angespielt, wenn ­ igrantInnen, so Ha, in der Gesellschaft als „Kellerwanzen“ und „Schweine“ M beschimpft werden (2003: 80). Dementsprechend droht auch Metzels Arbeit in dem Ansprechen der Wohnsituation das genannte Stereotyp erneut fortzuschreiben.36 Allerdings dominiert in Metzels Arbeit gerade die Abwesenheit der türkischen Familie. Diese Absenz führt den Betrachtenden vielmehr vor, was nicht da ist. Thematisiert wird damit die Ausgrenzung von MigrantInnen aus Wohnraum und auf einer weiteren Ebene auch die Nichtthematisierung migrantischer ­Lebenssituationen in der BRD. Verschiedentlich ist beschrieben worden, dass es gerade zu Beginn der 1980er Jahre zu einer allgemeinen Auf heizung der Stimmung in der BRD gegen jegliche People of Color kam. In den Debatten um ‚Integration‘37 wurde insbesondere die sogenannte Ghettobildung problematisiert und als gefährlich inszeniert. 1975 erließ das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung eine ‚Zugangssperre‘. ­Städte und Kreise konnten sich zu überlasteten Siedlungsgebieten erklären, und im Pass von MigrantInnen wurde ein Vermerk eingetragen, dass bestimmte Städte als ­No-go-Area galten (Terkessidis 2000: 28). Verstärkt wurde so einerseits eine ­Segregation von MigrantInnen im urbanen Raum (die bis heute demografisch zu verzeichnen ist) und andererseits eine Redeweise darüber, die diese Segregation kriminalisiert (der Begriff des Ghettos wurde mit den berüchtigten ‚amerikanischen Zuständen‘ in Zusammenhang gebracht). Die behördliche Übertreibung der ­negativen Folgen der Ansiedlung von MigrantInnen zusammen mit der Sorge über die angebliche ‚Asylantenf lut‘ zu Beginn der achtziger Jahre führten zu einer ­allgemeinen Auf heizung der Stimmung in der BRD (ebd.: 30).38 Vor diesem historischen und gesellschaftlichen Hintergrund nimmt sich M ­ etzels Arbeit als eine dezidierte Stellungnahme aus. Es geht hier nicht darum, rassisierenden und diskriminierenden Stereotypen von ‚türkischen MigrantInnen‘ etwas entgegenzustellen, sondern um die Darstellung des Umgangs mit den türkischen MigrantInnen in Deutschland. Entgegen einer Problematisierung und Skandalisierung der vermeintlichen Ghettobildung von MigrantInnen, wie sie beispiels­weise in Politik und Presse vorgenommen wurden, verweist Metzels Arbeit in der ­beschriebenen Weise auf rassistische Strukturen der bundesrepublikanischen Gesellschaft.

36 Wenn einige Rezipienten im Anschluss an Metzel erwähnen, dass der Anstoß zu seiner Arbeit eine Aussage

des Innensenators Lummer war, der sinngemäß gesagt habe, dass man Türken drei Meter gegen den Wind riechen könne (vgl. z.B. Heinrich 1992: 45, Barth 2009: 11), scheinen sie mit dieser Erzählung genau dem Vorwurf, Metzels Arbeit würde ein ähnliches Stereotyp bedienen, entgegentreten zu wollen. 37 Zur problematischen und historisch veränderlichen Definition von ‚Integration‘ in der Bundesrepublik s. Terkessidis (2010: 39ff). 38 Zur Situation der 1980er Jahre verweist Ha auf eine Umfrage des konservativen Allensbach-Instituts vom Mai/Juni 1982, nachdem 82 % der Befragten der Ansicht waren, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben würden (2003: 88). Diese Zahl deckt sich mit den Ergebnissen einer Untersuchung über die Rückkehrmotive türkischer RemigrantInnen, in der 83 % der Befragten ‚Ausländerfeindlichkeit‘ in Deutschland angaben (ebd.).

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Raum – privater Wohnraum – das ‚Öffentliche‘ Das Gewaltvolle der rassistischen Strukturen wird in Metzels Aktion weiterhin auch über das Konzept ‚Raum‘ expliziert. Raum wird in vielen kulturwissenschaftlichen Forschungen meist als ein Gebilde verstanden, das durch ein BeziehungsWechselspiel von Handlungen und Strukturen konzipiert wird. In der Nachfolge von Henri Lefebvre wird er als soziale Konstruktion definiert, das heißt auch als Verräumlichung im Sinn von Performativität sozialer Beziehungen (Nierhaus 2002: 16). Feministische Forschungen haben dargelegt, dass Räume kulturelle Darstellungssysteme sind, die auch Geschlecht generieren. Postkoloniale Forschungen haben einen ebensolchen Effekt für die Konstruktion von kultureller Differenz zeigen können, und auch Metzels Arbeit verdeutlicht einen solchen Effekt, führt dabei aber gleichzeitig auch das Gewaltvolle und Verletzende an dieser Herstellung und Zuteilung von Raum vor.39 In der Aktion „Türkenwohnung“ geht es um einen ganz spezifischen Raum: den Wohnraum, der über die dokumentarischen Fotografien einerseits als individuell gestalteter, andererseits aber auch durch die thematisierte Vertreibung der Familie und die offenkundige Enge der Wohnung als regulierter und regulierender vorgeführt wird. Deutlich gemacht wird so, dass ein Besitzen und Beanspruchen von Wohnraum mit einer sozialen Position einhergeht. Die Wohnung ist in der europäischen Kulturgeschichte der Ort des Privaten und Intimen. Walter Benjamin charakterisierte die Wohnung des 19. Jahrhunderts als „Gehäuse“, „als Futteral des Menschen“ (1991: 292). Irene Nierhaus hat dargelegt, dass mit dem Entstehen des Bürgertums und nach der Trennung von Berufsarbeit und Wohnen Wohnen als die Ausprägung einer Privatsphäre galt (2001). Sie zeigt auf, wie sich die Verräumlichungen der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert in Städten durchsetzten und damit zu einem grundlegenden Signum des Privaten in der modernen Gesellschaft wurde. „Bedingung dafür war, dass die Wohnung als Einheit (Wohneinheit) nach außen geschlossen wurde“ (ebd.: 201f). Zwar wurde versucht, diese Vorstellung von Wohnung und Wohnen in der Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufzugeben, in der Praxis jedoch bestehen die Vorstellung und der Wunsch nach einem ‚Gehäuse‘ weiter. Metzels Arbeit durchbricht diese Signifizierung des Wohnraums als intim und abgeschlossen auf vielfältige Weise. Dies schafft die Aktion nicht nur über die Öffentlichmachung des privaten Raums, sondern auch über das Hineinholen von unverputztem Beton, wie er eigentlich nur im Außenbereich an Häusern verwendet wird. Außerdem lässt der Akt, in einer Wohnung etwas zu zerstören und ein Graffiti anzubringen, ein unerwünschtes Eindringen in privaten Wohnraum assoziieren. Das ‚Futteral‘ ist so nach außen gekehrt und das ‚Gehäuse‘ geöffnet worden.

39 Zu Raumtheorien aus feministischer und geschlechtertheoretischer Perspektive s. die verschiedenen Beiträge

in dem Sammelband von Irene Nierhaus und Felicitas Konecny (2002). Für Raumtheorien aus postkolonialer Perspektive ist Homi K. Bhabhas Konzept des „Third Space“ (1998) maßgeblich.

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Mit Nierhaus lässt sich außerdem aufzeigen, dass auch die Angst vor dem Nicht-Kontrollierbaren und vor etwas/jemandem, das/der in den Stadtraum eindringt, Teil des bürgerlichen Diskurses ist: „Der Aspekt der Angst ist historisch ein fundamentales Element der Stadtplanung und des Städtebaus, was sich in baulichen Schutzmaßnahmen gegen äußere und innere Feinde ausdrückt, in Stadtmauern, aber auch in urbaner Zonierung, wie dem Ghettoisieren ethnischer und sozialer Gruppen“ (Nierhaus 2001: 203). Die Bedrohung wird nach Nierhaus als ‚Dunkles‘ vor- und dargestellt. Die tradierten Signifikationen des Dunklen im bürgerlichen Stadtraum sind nach Nierhaus die ‚dunklen Ecken‘, die zum „eigentlichen sozialen Imaginationsraum von Gefahr und Verbrechen“ wurden (ebd.: 203). In Metzels Arbeit lässt das Schwarz des Betons ebenso etwas Dunkles und Unheimliches assoziieren. Mit diesem ‚Dunklen‘ wird ein angstbesetztes Motiv aus der bürgerlichen Wohnkultur angerufen, wie es Nierhaus zufolge vor allem in Kriminalromanen generiert wurde (ebd.). In der Aktion „Türkenwohnung“ sind allerdings die eigentlich dem ‚Dunklen‘ zugeordneten ghettoisierten türkischen MigrantInnen offensichtlich die Leidtragenden, und der vermutlich deutsche Vermieter40 und die rassistische Ausgrenzung stellen die gewaltausübende, bedrohliche und ‚dunkle‘ Macht dar. Mit dieser motivischen Umkehrung wird die Bedrohlichkeit für die MigrantInnen verdeutlicht und im Aufgreifen und gleichzeitigen Verschieben der Darstellungskonvention bürgerlichen Wohnraums für europäische und weiße BetrachterInnen eher nachvollziehbar gemacht. Es ließe sich einwenden, dass Nierhaus sich in ihren Erläuterungen der Bedeutung des Wohnraums auf die Anfänge des Bürgertums konzentriert und die ­Situation für die 1980er Jahre und somit auch für die Interpretation von Metzels Aktion eine veränderte ist. Die Wohnung ist längst nicht mehr der Raum des gehobenen Bürgertums, sondern gilt vielmehr als Wohnform des ‚sozial schwachen Milieus‘. Folgern ließe sich hier, dass die Wohnung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht mehr bürgerlichen Komfort und Kultiviertheit bedeutet, dass sie aber auch heute noch Schutzraum und Intimität verspricht. Vorgeführt wird in Metzels Arbeit dementsprechend in zugespitzter Weise, dass selbst ein Wohnraum, der nicht genügend Komfort bietet und bereits dem untersten sozialen Milieu zugeordnet ist, für die türkische Familie nicht zu beanspruchen ist. Eine weitere Bedeutung des bürgerlichen Innenraums ist, wie unter anderem von Benjamin dargelegt (1991), dass dieser mit der Vorstellung von einem ‚psychischen Innen‘ eng verknüpft ist. Zu Darstellungen von Wohnräumen konkretisiert Nierhaus: „Die Bild-Raum-Settings zur Darstellung bürgerlicher Innerlichkeit und Individualität bestehen aus der verlebendigten Ding-Fülle, die erzählt“, im Gegensatz dazu steht die Verbildlichung ohne Dinge, „wo keine Dinge sind, schweigt die Erzählung und erscheint als Leere“ (2001: 208). Diese Verknüpfung aufnehmend, liest sich die Arbeit auch als Verweis auf die psychische Gewalt, die nicht nur in

40 Zumindest gehen die Besprechungen von einem weißen, deutschen und männlichen Vermieter aus.

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der Verweigerung von Wohnraum, sondern auch durch das Negieren und Ver­gessen migrantischer Situation und Geschichte(n) ausgeübt wird. Anhand der Zerstörung des Schützenden und Privaten des Wohnraums macht die Aktion von Metzel das Gewaltvolle und Verletzende von rassistischer Ausgrenzung deutlich. Vor dem Hintergrund moderner europäischer Erfahrung und Vorstellung von einem eigenen Wohnraum wird dies für (deutsche) BetrachterInnen möglicherweise nachempfindbar.

Die Repräsentation des Künstlers versus die Repräsentation der MigrantInnen Sowohl der Künstler als auch die migrantische Familie sind in der Arbeit nicht über ihre Körper, sondern vielmehr über die Spuren, die beide hinterlassen haben, repräsentiert. Genau in diesen unterscheiden sie sich aber erheblich voneinander. Die MigrantInnen sind als Familie benannt, die auf engem Raum (visualisiert über die Fotografien) zusammengelebt hat und ohne ‚Kampf‘ und Widerstand die Wohnung überstürzt aufgeben musste. Ihr Bild ist das einer Gruppe, die nicht nur als macht- und gewaltlos, sondern auch besitzlos und ärmlich dargestellt ist. Das Bild des Künstlers dagegen ist das eines individuellen Kreativen, der zwar immer wieder auch als besitzlos dargestellt wird, dafür aber auch als aktiv, widerständig, mächtig und einfallsreich. Letztlich ist er es, der sich die Wohnung anmietete und aneignete. Damit kann er als weißer Deutscher das, was den ursprünglichen ­Bewohnern versagt blieb, mit relativer Leichtigkeit durchführen. Metzel erzählte dementsprechend in einem Interview, er habe dem Vermieter einfach gesagt, er sei Installateur.41 In der zerstörerischen und monumentalen Rhetorik, die in der Arbeit verwendet wird, ist Metzel als Künstler außerdem insbesondere über die körperlich kraftvollen, großen und Gewalt signifizierenden Gesten präsent. Er nutzt den der Kunst zugestandenen Freiraum, um sich als provokant und mutig zu generieren. Das Einnehmen der Position des Täters kann so auch zu einer Heldenerzählung werden. Von der Kritik wird er immer wieder als ‚geistiger Ursprung‘ der Idee der Aktion hervorgehoben. So beispielsweise, wenn im Münchener K ­ atalog von 1982 die Planskizzen abgedruckt sind, die auf ein konzipierendes Subjekt im Hintergrund verweisen, oder wenn die Erzählungen immer wieder darauf rekurrieren, was Metzel gedacht, geplant und getan habe. Mit diesen Repräsentationen wird er implizit auch in eine relativ gesicherte Position als männlicher weißer ‚deutscher‘ Künstler gehoben und den MigrantInnen als gegensätzlich gegenübergestellt. Die Überlegung, dass Metzel diese Position qua Hautfarbe und Herkunft zugesprochen wird, bleibt den Betrachtenden überlassen. Wenn einige der RezipientInnen Metzel Gemeinsamkeiten mit den MigrantInnen zuschreiben, werden damit weniger die inszenierten gegensätzlichen Bilder

41 Vgl. Metzel im Gespräch mit Babias, Jungle World (27/1998)

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relativiert (oder ambivalenter dargestellt) als dem Mythos vom Künstler, der am Rande der Gesellschaft lebt, zugetragen. Entnannt werden dabei ebenso Metzels Strategie, sich als Täter zu imaginieren, als auch die vorhandenen sozialen Unterschiede zwischen einem deutschen, weißen Künstler und einer um 1980 herum in die BRD immigrierten türkischen Familie. So stellt beispielsweise Horn eine Analogie zwischen Metzel und ‚den Ausländern‘ her, indem sie das Wandrelief als vergleichbar mit Aktionen von MigrantInnen sieht, die ihrer Verzweifelung und ihrer berechtigten Wut Ausdruck verleihen würden (1982). Horn erkennt hier zwar den Beitrag migrantischer Bewegungen zur Kultur und die Vergleichbarkeit von subkulturellen, politischen Strategien mit Kunst an, konstruiert aber auch eine Gemeinsamkeit zwischen Metzel und denen, die sie als ‚Ausländer‘ beschreibt. Vorhandene Unterschiede – z.B. zwischen dem Zustand, Wut zu haben und einen Effekt von dieser nachzuahmen – werden dadurch negiert. Im Katalog zur Aus­ stellung „Klopfzeichen“ (2002) findet sich eine noch stärker mythologisierende Narration. Die Besprechung der „Türkenwohnung“ beginnt hier mit der Erzählung, dass Metzel sich ein Jahr zuvor aus Geldnot „illegalen Zutritt“ zu einer Laden­ wohnung verschafft habe, um dort ein Atelier zu installieren (2002: 61). Um in diesen Raum einzudringen, habe er ein Loch in eine Wand gestemmt und aus dem anfallenden Schutt eine Skulptur geformt. Mit dieser Erzählung, die sich als Vorgeschichte zur Aktion „Türkenwohnung“ generiert, wird ebenfalls eine Analogie zwischen der Lebenssituation des Künstlers zu der sozialen Position der türkischen Familie gezogen. Zwar soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass beide in dieser Zeit Geld- und Wohnungsnot litten, aber im Unterschied zu den MigrantInnen war Metzels Geldnot nicht an seine Herkunft und Hautfarbe gebunden, seine Situation entsprach vielmehr auch der beliebten Trope vom an Geldmangel leidenden Künstler, die von heute aus eher romantisierend wirkt. Somit läuft die Argumentation einer Gemeinsamkeit oder Analogie zwischen Metzel und der türkischen Familie in der Rezeption Gefahr, in eine mythische In-eins-Setzung (wie ich sie in vielen künstlerischen Arbeiten in den voranstehenden Kapiteln ausmachen konnte) zu verfallen und damit sowohl das Spielen mit der Besetzung der Täterposition als auch bestehende soziale Unterschiede zwischen deutschen, weißen Künstlern und nicht weißen MigrantInnen zu entnennen. Die implizite Repräsentation von Metzel und der migrantischen Familie als gegensätzlich droht wiederum eine Dichotomie zu verstärken, die Metzel als Helden inszeniert und – neben dem wichtigen Verweis auf die soziale Situation in der BRD Anfang der 1980er Jahre – die MigrantInnen als ohnmächtige festschreibt.

Exkurs: Der kunsthistorische Kontext der 1980er Jahre Im kunsthistorischen Kontext ist Metzels Arbeit mit der künstlerischen Strategie der Zerstörung auch eine Verweigerung gegenüber Harmoniesehnsucht, dem ‚schönen Schein‘ und dem Begehren nach Ganzheit. In den 1980er Jahren ist sie

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vor allem aber auch als Gegenposition zur aktuell gefeierten und vermarkteten ‚Neuen Malerei‘ zu verstehen. Den tendenziell farbintensiven Gemälden der Neuen Wilden, die sich in neo-expressionistischer Manier wieder dem Objekt und der figurativen Malerei zuwenden, setzt Metzel eine schwarz eingefärbte, gewaltvolle, aggressive und zerstörerische Ästhetik entgegen. Das Hakenkreuz als eindeutiges Zeichen sowie die Thematisierung von sozialen Ausgrenzungsmechanismen kontrastieren mit den Motiven der neuen MalerInnen, die ihre Arbeiten als ­sinnentleert und als Verweigerung jeglichen kritischen Inhalts kommentieren.42 Die Aktion „Türkenwohnung 12.000 DM Abstand VB“ artikuliert sich hingegen explizit kritisch und verweist auf die zerstörerischen Wirkungen, die die Kontinuität rassistischer Ideologien auf verschiedenen Ebenen zur Folge hat. Gegen das Spielerische, Realitätsferne und ‚überdreht‘ Künstliche, das gerade die Neuen Wilden aus Berlin in ihren Bildern inszenierten, beruft sich Metzels Arbeit auf ‚soziale Realität‘. Während sich seine ‚wilden‘ KollegInnen als ‚Indianer‘, als ­Schwarze usw. selbst darstellen, imaginiert er sich als Täter und eröffnet auch den ­Betrachtenden eine solche Möglichkeit. Gemeinsam ist der ‚wilden‘ Bearbeitung des Betonreliefs von Metzel und den expressiven Malereien der Neuen Wilden allerdings die Betonung der ‚authentischen‘ künstlerischen Geste, die als Opposition zu Ordnungen, reiner Funktionalität und formalen sowie ideellen Normenvorstellungen verstanden wird.43 Beide geben so die Vorstellung eines dahinterstehenden aktiven und mit Körpereinsatz arbeitenden – hier zusätzlich widerständigen – Künstlersubjekts nicht auf, nur dass Metzels Aktion den expressionistischen Gestus als zerstörerischen umgesetzt hat, worin auch eine Ironisierung der Arbeitsweise der KollegInnen liegt.44 Die Situierung seiner Arbeit außerhalb der üblichen Kunstinstitutionen und innerhalb sozialen Wohnraums ist nicht nur Ausdruck einer Verweigerung von Vermarktung (die den Neuen Wilden vorgeworfen wurde), darüber hinaus wird auch der Anspruch erhoben, das über Metaphern visualisierte Geschehen gleichzeitig möglichst real nachempfindbar zu machen, indem es ‚vor Ort‘ implementiert wird. Die ‚Türkenwohnung‘ (und gemeint ist hier wirklich die Wohnung, nicht die Aktion) wird damit auch zur Stellvertreterin für das ‚reale Leben‘, für Echtheit und Lebensnähe, während die ‚weiße Zelle‘ in Galerien und Museen als abgehoben, elitär und Marktgesetzen folgend gilt. Auch dass das Wandrelief nur einmal existierte (außer in der fotografischen Reproduktion) sowie von ihm eigenhändig zerstört wurde, verstärkt den Ansatz, sich einer Vermarktung zu verweigern. Einer Authentifizierung der 42 Vgl. meine Ausführungen zu den Neuen Wilden in Kapitel 8. 43 So schreibt beispielsweise Tilman Osterwold über die Strategie der Zerstörung in Metzel künstlerischer

Praxis: „sie erarbeitet sich die Gestaltungsvolumina und ambivalenten Wirkungskräfte sowohl in realen als auch irrealen Bereichen: eine authentisch eigengesetzliche, autonome Standortbestimmung gegenüber form-inhaltlichen Vorgaben, die zu den gesicherten Indizien eines harmonisierten und durch die Kulturgeschichte romantisierten Lebensgefühls der Beständigkeit ewiger Wahrheiten und Werte gehören“ (1996: o.P.). 44 Auch mit der Platzierung der Arbeit im Wedding und nicht in Kreuzberg – obgleich dieser bekanntermaßen auch einen hohen Ausländeranteil hat – distanziert er sich von den Neuen Wilden, die ihr Domizil in Kreuzberg hatten.

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Arbeit selbst sowie des Künstlersubjekts verweigert sich Metzel bzw. Metzels Aktion jedoch nicht ganz. So widersteht Metzels Arbeit mit der Besetzung der Täter-Position zwar einer Tradition, in der KünstlerInnen sich an die Stelle der kulturell Anderen imaginieren, sich mit diesen in eins setzen (auch wenn die Rezeption immer noch Wege findet, das im Nachhinein zu tun). Mit der ‚Lautstärke‘ und den großen Gesten, mit denen die Aktion daherkommt, tendiert sie aber auch dazu, tradierte Mythen über männliche weiße Künstlersubjekte zu reproduzieren.

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Schluss Dass sich primitivistische Darstellungen auch nach 1960 in der Kunst der BRD finden lassen, ist nicht weiter verwunderlich. Vor allem die Vorstellungen, über den Bezug zu kulturell Anderen eigenen Normen und Konventionen entkommen und etwas entgegensetzen zu können sowie in ihnen Vorbilder für Kunst, politische Ambitionen oder generell Lebensentwürfe zu finden, wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts reaktualisiert. Meine Fallanalysen haben aber auch ergeben, dass künstlerische Arbeiten bereits vor 1990 Kritiken an Primitivismen artikulierten und der medialen Vermittlung derer, die als different gelten, skeptisch gegenüberstanden. Hierarchisierende Verhältnissetzungen zwischen Eigenem und Anderem wurden problematisiert. Deutlich wurde, dass viele der künstlerischen Auseinandersetzungen mit Einsprüchen von Dekolonisationsbewegungen und antirassistischen Politiken gegen ‚westliche‘, weiße Überlegenheitsansprüche und Gewaltstrukturen einhergehen. Die Proteste gegen eine weiße Machtdominanz, wie sie seit Langem von verschiedenen AktivistInnen und Intellektuellen of Color formuliert wurden und werden, sind – auch das ist im Verlauf meiner Relektüren offensichtlich geworden – in den Diskurs des bundesdeutschen Kunstfeldes durchaus eingegangen. Wenngleich die meisten Arbeiten, die kulturelle Differenz verhandeln (vor allem diejenigen, die kritisch argumentieren), marginal blieben und erst in den letzten 15 Jahren in Ausstellungen und Publikationen vereinzelt gezeigt wurden. Von der Kunstgeschichtsschreibung wurden sie unter dem Aspekt der kulturellen Differenz lange Zeit fast gar nicht und wenn, dann häufig eher stereotyp rezipiert. Ob die einzelnen Arbeiten überzeugend Machtkritiken artikulieren und wo sie Stereotype sowie rassistische und sexistische Strukturen – teilweise gleichzeitig mit den Kritiken – auch fortführen, habe ich in den jeweiligen Kapiteln mit

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Hilfe postkolonialer und feministischer Theorien diskutiert. Wesentlich für diese Vorgehensweise war, die Arbeiten im Kontext gesellschaftspolitischer Debatten, Bewegungen und Diskursformationen zu verorten, aus denen heraus sie argumentieren und/oder in die sie sich einschreiben. Manche Darstellungsweisen, Motive, Begriffe, Verhältnissetzungen und Bezüge, deren Verwendung von­ heute aus zweifelhaft erscheinen, ergeben innerhalb der Logik ihrer konkreten historischen Kontexte durchaus Sinn und erweisen sich als politisch ambitioniert. In diesem Schlusskapitel sollen nun die herausgearbeiteten künstlerischen Strategien und Muster erneut betrachtet und dabei vor allem die Unterschiede herausgestellt werden, die sie untereinander, aber auch zu dem frühen Primi­ tivismus aufweisen. Eine künstlerische Strategie, die ich in den ausgewählten Arbeiten mehrfach ausmachen konnte, sind Gleich- oder In-eins-Setzung der KünstlerInnen mit kulturell Anderen (vgl. meine Ausführungen zu den Arbeiten von Beuys, Vostell, Fetting, tendenziell auch Rosenbach, Bach). Über diese von den KünstlerInnen selbst vorgenommene und von der Rezeption teilweise bestärkte Verhältnissetzung zu den als randständig geltenden Anderen wird ein zentraler Aspekt des Künstlermythos der Moderne wiederholt: die Vorstellung von der gesellschaftlichen Marginalität des Künstlers. Bereits die sogenannte künstlerische Avantgarde sah darin eine „heroische, kulturell privilegierte Form des Daseins“ (Rogoff 1998: 24), dem zusätzlich ein gewisses Rebellentum anhaftete. Nachdem im National­ sozialismus ‚moderne Kunst‘ als ‚entartet‘ diffamiert worden war, scheint die Imagination von sich als Anderer unter KünstlerInnen besonders attraktiv und positiv konnotiert gewesen zu sein. Zusätzlich bot diese Form der Verhältnissetzung den in den 1940er bzw. Anfang der 1950er Jahre geborenen KünstlerInnen die Möglichkeit, sich von Deutschland als dem ‚Land der Täter‘ zu distanzieren und in weite Ferne zu imaginieren. Die In-eins-Setzung von Joseph Beuys, dem einzigen hier besprochenen Künstler, der zu Kriegsbeginn ‚schon‘ 18 Jahre alt und als Soldat am Zweiten Weltkrieg beteiligt war, lässt sich interpretieren als ­Überdeckung der Erinnerung an die eigenen Kriegshandlungen mit kolonialistischen Bildern. Aber Beuys’ B ­ ehauptung, ein Schamane zu sein, und seine Selbst­ inszenierung als Indianer à la Edward Curtis und Winnetou (1974), die ich als primitivistisch und als rassistische Stereotypen reproduzierend sowie künstlermythologisch kritisiert habe, ist auch ein Statement gegen die Frontenbildung des Kalten Krieges. Beuys erhob mit seinen In-eins-Setzungen eben auch Einspruch in eine aus seiner Perspektive zu rationale Weltsicht, die vor allem die dominanten ‚westlichen‘ Mächte – bei Beuys stellvertretend: die USA – einnehmen würden. Während er mit seinen Inszenierungen insbesondere kolonialistische Fantasien von weißer Männlichkeit wiederholt, argumentiert er gleichzeitig gegen eine ­hierarchische Weltordnung. Die Verhältnissetzungen zu kulturell Anderen der beiden Künstlerinnen, ­Rosenbach und Bach, Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre, müssen von den primitivistischen Künstlermythen ihrer männlichen Kollegen unterschieden

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Schluss

werden. Als Künstlerinnen in der Kunstszene nach wie vor unterrepräsentiert,1 ist die Position des Außenseiters als romantisierte Selbststilisierung für sie unmöglich. Vielmehr ist die marginalisierte Position die Realität, von der aus sie ihre Teilhabe am Kunstfeld erkämpfen müssen. Rosenbach tut das im Kontext der sogenannten zweiten Frauenbewegung. Ihre von mir besprochene Video-Performance-Trilogie ist vor allem eine Suche nach etwas die Frauen verschiedener Kulturen und Zeiten Verbindendem, nach etwas Ermächtigendem und zugleich nach ‚anderen Bildern von Weiblichkeit‘. Im Kontext einer feministischen Bewegung, die Einspruch gegen eine ausschließlich um Männer zentrierte Geschichtsschreibung und Weltordnung erhebt, ist diese Suche durchaus nachvollziehbar. Als Videokünstlerin stößt sie dabei jedoch auch auf die mediale und patriarchale Konstituiertheit der für ihre Suche verwendeten Repräsentationen alteritärer Frauen. Die anfangs so verheißungsvollen Versprechen weißer, feministischer Bündnispolitiken werden in der Arbeit selbst als problematische offengelegt. Elvira Bach reklamiert ihren Platz als neo-expressionistische Malerin im Kunstbetrieb gerade darüber, dass sie sich von einer feministischen Gesinnung distanziert. Gleichwohl arbeitet auch sie seit den 1980er Jahren mit ihren expressiven, voluminösen, schwarzen Frauenfiguren an Selbstdarstellungen, die dem tradierten und von FeministInnen viel kritisierten Bild der passiven und sexuell verfügbaren Frau widersprechen. Ähnlich verhält es sich mit ihren Darstellungen ‚interkultureller Paarungen‘, die sie selbst als weiße Frau im intimen und gleichberechtigten Kontakt mit einem schwarzen Mann abbilden sollen. Auch mit diesen versucht sie tradierten Vorbildern – hier von Paaren mit unterschiedlichen Hautfarben – zu entkommen. Wenngleich ich aufzeigen konnte, dass sie mit beiden Bildmotiven rassistische Stereotype vielmehr festschreibt, als tradierte Geschlechterbilder aufbricht, unterliegt ihren Motiven und Strategien dennoch das Anliegen, aufwertende Darstellungsweisen für weiße Frauen und schwarze Männer zu finden, worin sie sich von den Traditionen männlicher Maler, wie Gauguin und den Expressionisten, mit denen sie gerne verglichen wird, unterscheidet. Der Anspruch, mit tradierten Motiven zu brechen, unterliegt auch Rainer Fettings „Selbstporträt als Indianer“, 1982, sowie weiteren seiner Darstellungen alteritärer Männlichkeit. Kontext seiner Gemälde sind die Ästhetiken und Widerstandspraktiken schwuler Subkultur. Bezieht man dies in die Lektüre seiner stereo­ typen Selbstdarstellungen als Indianer mit ein, dann erweisen sich diese als ­Maskerade und Übertreibung, und als solche auch als Subversion von hetero­ normativen Männlichkeitsidealen. Erneut wird dabei ein emanzipatives Bestreben (hier nach einer ‚schwulen Ästhetik‘) mit der Darstellung von kultureller Differenz verknüpft und für das eigene Künstlerbild angeeignet. Seine Inszenierung steht aber auch im Gegensatz zu Beuys, der behauptet, die Figur des Schamanen wirklich angenommen zu haben, oder zu Bach, die eine ‚Urweiblichkeit‘ proklamiert. F ­ ettings

1

Zu der Situation von Künstlerinnen im Kunstbetrieb der Moderne bis heute s. Julia Voss (2011).

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Indianerinszenierungen geben explizit nicht vor, real zu sein, sondern sind ‚überdrehte‘ Bilder, mit denen auch eine verbindende, ‚homosexuelle Ästhetik‘ gesucht wird. Von der kunsthistorischen Rezeption werden solche ‚Überdrehungen‘ nur selten zur Kenntnis genommen. Es dominiert die Rede über die Neuen Wilden als gefeierte neue ‚deutsche Kunst‘. Demgegenüber sehen sich konzeptionell arbeitende Künstler (zeitgleich) marginalisiert. Und so skandiert Vostell 1980 „Die Fluxisten sind die Neger der Kunstgeschichte“. Kritisiert habe ich die Gleich- und In-eins-Setzung in diesem Titel einer Collage aufgrund der Verwendung eines rassistischen Begriffs als Metapher für die vermeintliche eigene Ausgeschlossenheit. Unter Einbezug der Bildebene konnte ich jedoch auch darlegen, dass Vostells Collage zugleich ein Versuch der Solidarisierung ist, der über ähnliche künstlerisch-aktivistische Strategien und politische Ziele Bündnisse zu knüpfen sucht. Vostell arbeitete mit seiner künst­ lerischen Praxis insbesondere daran, in massenkulturelle Repräsentationen zu intervenieren, und wendete sich gegen verschiedene Gewaltformen und Macht­ verhältnisse. Seine Arbeiten stehen im Kontext einer angesichts der Brutalität des Vietnamkriegs und der USA als kolonialistisch auftretender Kriegsmacht sich formierenden Anti-Kriegsbewegung. Mit der Collage „Miss America“, 1968, nimmt er eine bekannte fotografische Aufnahme von der Erschießung eines Vietcong, die auch von Friedensaktivisten argumentativ verwendet wurde, in seine Arbeit auf und bezieht Position gegen den Vietnamkrieg sowie die von den dominanten M ­ edien lancierten Bilder. Dargelegt habe ich, dass in der Gegenüberstellung der zur Ikone gewordenen Fotografie mit einer dekadenten weiblichen Allegorie für die USA nicht nur tradierte Geschlechterrollen reproduziert werden, sondern dass den Betrachtenden (vor allem den ‚deutschen‘) so auch das Angebot eröffnet wird, sich von der Seite der Täter zu distanzieren und sich auf die der Opfer zu imaginieren. Festzuhalten ist aber auch, dass mit dem Blick auf die Gräueltat die Brutalität der kriegsführenden Mächte offensichtlich werden sollte. Vostell hat sich mit der ­Wirkung von Bildern brutaler Gewalt gegen Andere in mehreren Arbeiten aus­ einandergesetzt und diese Frage auch mit Bildern vom Genozid an den Juden zusammengebracht. Im Unterschied zu den unreflektierten Darstellungen exotischer Welten primitivistischer Verhandlungen thematisiert Vostell die Rolle der Medien in kolonialen Machtverhältnissen. Auch in anderen künstlerischen Arbeiten finden sich Reflexionen über die Art und Weise der medialen Vermittlung von kultureller Differenz, die sich von primi­ tivistischen Positionen unterscheiden. Lothar Baumgarten befragt mit seiner künstlerischen Praxis vor allem ethnografische Darstellungsweisen. Mit seiner DiaSchau „unsettled objects“, 1968, kommentiert er die Repräsentations- und Ordnungsstrukturen eines nach typologischen Gesichtspunkten organisierten – und mittlerweile historischen – Völkerkundemuseums in Oxford, Großbritannien. Die Arbeit geht einher mit Kritiken an der Institution des Museums, wie sie in den 1960er/70er Jahren verschiedentlich artikuliert wurden, fokussiert dabei aber auf die hegemonialen Weisen des Zu-sehen-Gebens von kultureller Differenz.

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Schluss

Damit knüpft er an Einsprüche an, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in­ Deutschland schon von einzelnen KünstlerInnen (z.B. Hannah Höch) und ­WissenschaftlerInnen (z.B. Carl Einstein 1915/1992) – unter anderem gegen den Primitivismus – formuliert worden waren, die aber in den ersten vier Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in der BRD nahezu vergessen wurden. Baumgartens Dia-Schau ermöglicht weitergehend auch die Ref lexion der spezifischen Effekte der in der Arbeit verwendeten Medien Fotografie und Dia sowie des Blicks der Betrachtenden selbst und eröffnet Überlegungen zu einer (nicht-primitivistischen) Annäherungsmöglichkeit an ethnografische Objekte. Die Arbeiten von Sigmar Polke, in denen kulturelle Differenz eine Rolle spielt, thematisieren ebenfalls deren mediale Repräsentationen. Sie stellen insbesondere die Faszination am Anderen, ‚Fremden‘ in den Mittelpunkt. Parodiert werden Projektionen und Vorstellungen, die mit außereuropäischen Objekten im Primitivismus und seinen Fortsetzungen verbunden werden (z.B. mit der „Negerplastik“, 1968), aber auch solche, die mit Darstellungen alteritärer Männlichkeit in unterschiedlichen Zusammenhängen, wie Sportveranstaltungen, Widerstandsbewegungen, allgemein Populärkultur (vgl. „Day by Day …“, 1975), oder mit ethnografischen Repräsentationen (Neu Guinea, 1976) einhergehen. Die Ambivalenzen gegenüber denen, die als Andere, kulturell differente gelten und die man einerseits fürchtet, abwertet und belächelt, aber andererseits auch begehrt, beneidet und bewundert, werden darüber offengelegt. Eigene Einstellungen gegenüber Anderen sind auch das Thema von Olaf ­Metzels Aktion „Türkenwohnung“, 1982. Als einer der wenigen befasst sich Metzel mit der gesellschaftlichen Situation der ‚Gastarbeiter‘ in der BRD. Den Umgang der ‚deutschen‘ Bevölkerung mit den zwischen 1961 und 1973 aus der Türkei angeworbenen ArbeiterInnen setzt er in Bezug zu dem Umgang mit den Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Der Vergleich von Juden im NS mit Türken in der BRD ist heute eher umstritten, mit der von Metzel auf die Wohnsituation fokussierten Bezugnahme lässt sich jedoch auf rassistische Kontinuitäten und Ähnlichkeiten der thematisierten Gewaltstrukturen verweisen, die in den 1970er Jahren (noch) virulent waren. Ein wesentlicher Aspekt dieser Aktion ist, dass Metzel selbst eher die Rolle des rassistischen Täters mimt und auch den Betrachtenden die Option eröffnet, sich in diese Position zu denken. Rassismus wird darüber als auch eigener erfahrbar und kann gerade nicht auf andere verschoben oder verleugnet werden. Am Ausgangspunkt meiner Arbeit stand die These, dass in der Verhandlung von kultureller Differenz die Erinnerung an den Nationalsozialismus und seine menschenverachtende Politik auch dann mitverhandelt wird, wenn sie nicht – wie in Metzels Arbeit – explizit thematisiert ist. Beweisen kann ich diese These nicht. Ausmachen konnte ich in der Rezeption Formulierungen, die darauf schließen lassen, dass in der Lektüre einiger Arbeiten unweigerlich auch die Geschichte des nationalsozialistischen Genozids mit erinnert wird (vgl. die Kapitel zu Beuys und Fetting). Vostell gibt selbst einen Hinweis auf eine gleichzeitige Verhandlung, wenn

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er die oben erwähnte Fotografie des erschossenen Vietcong in einer späteren ­Installation erneut verwendet und mit fotografischen Aufnahmen eines Konzen­ trationslagers kombiniert. Deutlich wird, dass beide Bilder ähnliche Fragen aufwerfen. Darüber hinaus sind weniger ‚eindeutige Indizien‘ erkennbar, sondern die ‚Mitverhandlung‘ lässt sich eher als Subtext beschreiben. Zu überlegen ist in diesem Zusammenhang, was sich daraus schließen lässt, dass sich nur zwei Künstler mit kultureller Differenz im explizit deutschen Kontext auseinandersetzen (Metzel und wesentlich dezenter: Polke). Nicht nur, dass die deutsche Kolonialgeschichte nirgendwo vorkommt, sämtliche Verhandlungen spielen auch dann zentral auf andere Orte an, wenn es um Kritik an der Dominanz der ‚westlichen Welt‘ geht: Beuys’ Aktion formuliert in erster Linie Kritik an den USA, Vostell bezieht mit seiner Anti-Vietnamkriegs-Arbeit ebenfalls Position gegen die USA, seine andere Collage thematisiert die Apartheid in Südafrika. Das von Baumgarten kritisch kommentierte Völkerkundemuseum befindet sich in Großbritannien. Und in Rosenbachs Performances ähnlich wie in Bachs Gemälden werden Frauen außereuropäischer Kulturen dem westlichen Patriarchat gegenübergestellt. Ein weiteres Ergebnis meiner Analysen ist demzufolge, dass die meisten KünstlerInnen sich nicht nur in fremde Welten zu f lüchten scheinen und ­Potential für Widerstand eher in diffus lokalisierten ‚anderen Ländern‘ sehen, sondern auch Rassismus-Kritik eher gegenüber anderen Orten üben. Dass rassistische Strukturen und Verhältnisse bis 1990 eher im Ausland thematisiert und wenig auf die BRD bezogen wurden, ist in ähnlicher Weise bereits für die Wissenschaft dargelegt und bemängelt worden. Naheliegend ist die Schlussfolgerung, dass sich problematische Phänomene und Strukturen leichter in anderen Ländern als im eigenen kritisieren lassen und problematische (eigene) ­Geschichte darüber verlagert und auch verleugnet werden kann.2 Kathrin Sieg hat mit ihren Studien auf ähnliche Mechanismen der Verlagerung und Verleugnung in kulturellen Produktionen der BRD (und der DDR) aufmerksam gemacht (2002 und 2009). Sie konnte darlegen, wie diese gleichzeitig mit den Diskussionen um die ‚Schuld‘ der deutschen Bevölkerung in den Jahren der Strafprozesse gegen deutsche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auftraten (2009).3 Solche und ähnliche Mechanismen ausfindig zu machen und theoretisch zu ­befragen, scheint mir weiter nötig. Zu analysieren ist, inwiefern Fragen und Konf likte, mit denen sich die sogenannten Nachkriegsgenerationen angesichts des nationalsozialistischen Genozids konfrontiert sahen, (unbewusst) auf andere

Detlef Hoffmann konstatiert, dass die meisten KünstlerInnen wie auch die meisten Studierenden der deutschen Nachkriegsgeneration sich aufgrund einer eigenen Verwicklung in die Geschichte (sie sprechen die gleiche Sprache wie die Täter, wollen aber mit den Opfern auf einer Seite stehen) weniger mit dem Genozid an den Juden auseinandersetzten, sondern mehr mit anderen Themen wie dem Krieg der USA in Vietnam (2009: 258). 3 Kathrin Sieg hat überzeugend dargelegt, wie in den beliebten Inszenierungen von „Winnetou“ in Bad Segeberg seit 1952 der Ort, an dem rassistische Übergriffe verübt und geahndet werden, in den ‚Wilden Westen‘ verlagert wurde und wie damit die Verhandlungen von Kollektivschuld aufgegriffen, aber auch umgeschrieben werden konnten (2009). 2

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Schluss

­ egime, Gesellschaften und Orte verschoben wurden (und weiter werden) sowie R welche Effekte dies auf rassistische, antisemitische und patriarchale Strukturen hat. Die Aufmerksamkeit auf mögliche Verlagerungen und Verschiebungen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Genozid zu richten, bedeutet auch, nach ähnlichen Mustern und Strategien in der Thematisierung des Antisemitismus und Rassismus der Nationalsozialisten und der anderer (kolonialistischer) Rassismen zu forschen. An Beuys’ Kojoten-Aktion konnte ich darlegen, dass sich in seiner Arbeit Muster der „opferidentifizierte[n] Erinnerungskultur“ (Jureit und Schneider 2010: 10) wiederfinden lassen. Sowohl der Wunsch nach der Identifizierung mit den Opfern als auch nach der ‚Erlösung‘ von Schuld, die laut Ulrike Jureit und Christian Schneider immer noch die bundesdeutsche Vergangenheitsbearbeitung bestimmen (ebd.; vgl. auch Wenk 1995; 1997), wird in der Performance von Beuys mit dem Kojoten bedient. Eine ähnliche Imagination von sich auf die Seite des Opfers habe ich aber auch in der Collage „Miss America“ von Vostell ausgemacht. Formen der In-eins-Setzung konnte ich außerdem in den Arbeiten von Bach, ­Fetting, Dahn und tendenziell auch Rosenbach finden. In ihnen steht die Suche nach etwas Verbindendem, gegen patriarchale und heteronormative Hegemonien Gerichtetem im Vordergrund, gleichwohl ist die Ähnlichkeit zur Opferidentifizierung auch hier vorhanden. Inwiefern Strategien der In-eins-Setzung mit kulturell Anderen mit der Opferidentifikation der auf den NS bezogenen Erinnerungskultur vergleichbar sind und ob darüber hinaus weitere Ähnlichkeiten zwischen der Verhandlung von kultureller Differenz und der der Ermordung von Juden im Nationalsozialismus vorhanden sind,4 gilt es ebenfalls weiter analytisch-theoretisch zu befragen.5 Dabei geht es nicht ausschließlich darum, etwas exklusiv ‚Deutsches‘ zu finden, sondern die Verwobenheiten der Erinnerungen an die Kolonialgeschichte und den National­ sozialismus sowie deren Fortsetzungen herauszuarbeiten und zu theoretisieren, sie aber nicht in Konkurrenz zueinander zu stellen.6 In meinen Fallanalysen hat sich die Aufmerksamkeit auf solche Verwobenheiten als durchaus sinnvoll für künstlerische Arbeiten der BRD erwiesen, möglicherweise sind sie aber auch in anderen nationalen Geschichten vorhanden. Insgesamt scheint mir die Frage nach dieser spezifischen Verwobenheit für die Durcharbeitung und Erinnerung der

In Lothar Baumgartens Dia-Arbeit kommen beispielsweise zwei Fotografien von menschlichen Schädeln vor, die er mit ‚registered‘ und ‚politicized‘ kommentiert hat [vgl. Abb. 40] und die an die industriell und bürokratisch organisierte Ermordung von Millionen Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Kommunisten im Nationalsozialismus erinnern, aber auch an die menschlichen Gebeine, die im Kontext eines äußerst brutalen Kolonialismus in europäische Sammlungen gelangt sind. 5 Dafür sind auch weitere Forschungen zur Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Genozid nötig, die längst nicht aufgearbeitet sind. So hat Kathrin Hoffmann-Curtius mit ihrer Studie „Bilder zum Judenmord“ (2014) jüngst und entgegen landläufiger Meinungen dargelegt, dass es bis zum Auschwitz-Prozess sowohl in der DDR als auch in der BRD künstlerische Stellungnahmen zur Ermordung der Juden gegeben hat. Von der Kunstgeschichte sind diese Arbeiten bislang nicht beachtet worden. Leider lag mir die Studie erst nach Fertigstellung meiner Forschungsarbeit vor und konnte in den Analysen nun nicht mehr berücksichtigt werden. 6 Eine in dieser Hinsicht überzeugende Forschungsperspektive für die Herausbildung eines postkolonialen Gedächtnisses in der spezifischen zeitgeschichtlichen Konstellation der Bundesrepublik Deutschland hat Astrid Messerschmidt entworfen (2008). 4

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verschiedenen Geschichten und ihren Fortsetzungen zukünftig ebenso nötig zu sein wie für die Ausgestaltung zukünftiger Politiken und Verhältnissetzungen. Gezeigt haben meine Analysen weiterhin, dass Gleich- oder In-eins-Setzungen mit denen, die als Andere gelten, immer auch kontextabhängig und nicht per se zu verurteilen oder zu verwerfen sind, sondern auch als Bündnispolitiken gemeint sein können (z.B. Vostell). Während ich diesen Schluss für die Veröffentlichung überarbeite, gehen in Frankreich und anderen Ländern Menschen auf die Straße, um gegen den am 07.01.2015 verübten Anschlag auf die Redaktion des französischen Satire-Magazins Charlie Hebdo in Frankreichs Hauptstadt zu protestieren.7 Angesichts der damit zusammenhängenden brutalen Geiselnahme in einem ­jüdischen Supermarkt in Paris8 , aber auch angesichts der Proteste gegen eine vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes“, wie sie sich aktuell in einigen deutschen Städten formieren, rufen in den letzten Tagen einige Demonstranten auch „Wir sind alle Juden!“ und „Wir sind alle Moslems!“. Eine solche Solidaritätsbekundung wendet sich gegen Ausgrenzungen aufgrund von Religion oder Herkunft sowie gegen essentialisierte Identitätszuschreibungen. Das ist etwas grundlegend anderes als die romantisierte Imagination von sich als marginalisiertem Anderen, oder die Verwendung von Bildern kultureller Differenz als Metapher für die eigene Selbstinszenierung. Diese Solidarisierung scheint aber auch schwieriger zu sein als „Je suis Charlie“ zu rufen. Vor diesem Hintergrund scheint es mir für postkoloniale, anti-rassistische und feministische Analysen und Kritiken jedweder Verhältnissetzungen von Eigenem und Anderen notwendig, diese immer in ihren jeweiligen Kontexten zu verorten und differenziert zu betrachten, anstatt sie aufgrund von verwendeten Begriffen, Bildern oder Mustern per se zu verurteilen. Es gilt, den Blick zu schärfen für die Ambivalenzen und Widersprüche, die sich in den (auch visuell konstituierten) Differenzkonstruktionen ausmachen lassen. Kritisch zu analysieren bleibt, wo Machtstrukturen weiter gestützt, verschleiert oder naturalisiert und Hierarchien reproduziert werden. Herauszuarbeiten ist aber auch, wo sich Veränderungen und Verschiebungen ergeben und wo Verhältnissetzungen als strategische verstanden werden müssen, die durchaus (oder zumindest für den Moment) widerständiges Potential besitzen. Repräsentationen können hegemoniale Verhältnissetzungen stützen, sie können diese aber auch stören, ihnen entgleiten oder sich gegen dominante Diskurse wenden. In meinen Relektüren künstlerischer Verhandlungen von kultureller Differenz in der BRD, 1960 – 1990, haben sich viele der besprochenen Arbeiten als weniger eindeutig erwiesen als zunächst angenommen. Verschiedentlich konnte ich darlegen, wie kolonialistische Bilder und Annahmen reproduziert und nahezu gleichzeitig auch Kritiken und Reflexionen formuliert werden, die mit postkolonialen Theorien (zumindest tendenziell) mitgehen. Sicher lässt sich aus

Grund für den islamistisch motivierten Anschlag, bei dem 12 Menschen erschossen wurden, waren sogenannte Mohammed-Karikaturen, die das Magazin mehrfach publiziert hatte. 8 Bei der Geiselnahme kamen weitere vier Menschen ums Leben. 7

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Schluss

meinen Relektüren auch herauslesen, an welchen Stellen ich meinte, gegen eine zu unkritische Rezeption anschreiben zu müssen, und wo es mir ein Anliegen war, herauszustellen, dass auch subversive Ansätze und Aspekte vorhanden sind. ­Plädieren möchte ich dafür, die Einsprüche in Dominanzverhältnisse in post­ koloniale Analysen von Verhandlungsprozessen kultureller Differenz stärker mit einzubeziehen.9 Mir geht es hier nicht darum, die von mir besprochenen Arbeiten nachträglich als ‚postkoloniale‘ zu bestimmen oder die Fortschreibungen von Primitivismen und anderen stereotypen Vorstellungen und Repräsentationen zu ‚entschulden‘, aber übersehen werden darf nicht, dass Herausforderungen von hegemonialen Bildern und Annahmen, wie sie vor allem durch die Kritiken von Kolonialisierten und Subalternen artikuliert wurden und werden, durchaus ihre Effekte (hier: auf Kunst und Kultur in der BRD) hatten und haben. Das nicht zu benennen und zu diskutieren, macht diese Widerstände abermals unsichtbar. Zugleich scheint es notwendig zu sein, zu akzeptieren, dass auch kritische und reflektierte Verhandlungen nicht (niemals?) widerspruchslos und gänzlich frei von jeglichen Spuren vorgängiger Auseinandersetzungen sind. Diese Ambivalenzen gilt es, in machtkritischen Analysen differenziert zu benennen und aufzuzeigen, aus welchen historischen Konstellationen und Konflikten sie sich ergeben.

Christian Kravagna hat jüngst für eine Perspektive in der Kunstgeschichte plädiert, die an historischen Konstellationen ansetzt, in denen das koloniale Weltbild und die Hegemonie westlicher Vorstellungen herausgefordert wurden (2013: 113). 9

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Nach dem Primitivismus?

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Nach dem Primitivismus?

Kataloge von Gruppenausstellungen (1979) Fünf in Köln. Michael Buthe, Sigmar Polke, Ulrike Rosenbach, G ­ erhard Rühm, Alf Schuler. Kölnischer Kunstverein, Köln. (1986) Momente – zum Thema Urbanität. Kunstverein Braunschweig. (1987) Olaf Metzel, Gerd Rohling, Ina Barfuss, Thomas Wachweger. Hg. vom Institute of Contemporary Fine Arts, Festival of German Arts, London. (1999) Kunstwelten im Dialog. Von Gauguin zur Globalen Gegenwart. Museum Ludwig Köln, hg. von Marc Scheps u.a., Köln. (2002) Klopfzeichen. Kunst und Kultur der 80er Jahre in Deutschland. Wahnzimmer, hg. im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung, Museum der bildenden Künste Leipzig, Folkwang Museum Essen, Leipzig: Faber & Faber. (2005) Fokus Istanbul. Urbane Realitäten. Martin-Gropius Bau, Berlin und Künstlerhaus Bethanien GmbH. (2005) Projekt Migration. Kölnischer Kunstverein, Köln: Dumont. (2009) Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945 – 89. Los Angeles County Museum of Modern Art, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Deutsches Historisches Museum Berlin, Köln: DuMont.

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Max Pechstein, Stillleben mit Negerplastiken, 1918, Öl auf Leinwand, 67 × 90 cm. Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf/Leihgabe aus Privat­besitz. In: Ausst.-Kat. Kunstwelten im Dialog. Von Gauguin zur Globalen ­Gegenwart, Museum Ludwig Köln, hg. von Marc Scheps u.a. Köln 1999, S. 114, Tafel 39. © 2015 Pechstein Hamburg/Tökendorf. Abb. 2: Ernst Ludwig Kirchner, Mit Schilf werfende Badende, 1909, Farbholzschnitt, 20 × 29 cm. V. Jahresmappe der Brücke, 1910, Sammlung der Kunsthalle Bremen. In: Ausst.-Kat. 100 Jahre Brücke. Druckgraphiken, Zeichnungen und Gemälde aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen, hg. von Wulf Herzogenrath und Anne Buschhoff. Bremen 2005, S. 59, Tafel 18. Abb. 3: Ernst Ludwig Kirchner, Schlafende Milly (Liegendes Negermädchen), 1911, Öl auf Leinwand, 64 × 92 cm. Sammlung der Kunsthalle Bremen. In: Ausst.-Kat. 100 Jahre Brücke. Druckgrafiken, Zeichnungen und Gemälde aus der Sammlung der Kunsthalle Bremen, hg. von Wulf Herzogenrath und Anne Buschhoff. Bremen 2005, S. 87, Tafel 34. Abb. 4: August Macke, Indianer auf Pferden, 1911, Öl auf Holz, 44 × 60 cm. Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München. In: Ausst.-Kat. I like America. Fiktionen des Wilden Westens, Schirn Kunsthalle Frankfurt, hg. von Pamela Kort und Max Hollein. München u.a. 2006, S. 332, Abb. 355. Abb. 5: HP Zimmer, Wandernder Malanggan (Suche nach dem Ornament), 1963/64, Öl auf Leinwand, 200 × 250 cm. Schenkung Otto van de Loo, Kunsthalle Emden. In: Sammlungs-Kat. Meisterwerke der Kunsthalle in Emden, Bd. II, hg. von Achim Sommer. Köln 2002, S. 289. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015.

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Nach dem Primitivismus?

Abb. 6: Heimrad Prem, Rumänisches Dorf, 1974, Lederpappenrelief, Acryl auf Leder­ pappe, 70,5 × 95 cm. Schenkung Otto van de Loo, Kunsthalle Emden. In: Sammlungs-Kat. Meisterwerke der Kunsthalle in Emden, Bd. II, hg. von Achim Sommer. Köln 2002, S. 203. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 7: Georg Baselitz, Neger (2. Hadendoa), 1972, Öl auf Leinwand, 200 × 162 cm. Essl Museum, Klosterneuburg, Wien. In: Ausst.-Kat. Georg Baselitz. Gemälde und Skulpturen 1960 – 2008, hg. von Toni Stoss und dem Museum der Moderne Salzburg. Salzburg 2009, S. 85. Abb. 8: Georg Baselitz, Schwarze Mutter mit schwarzem Kind, 1985, Öl auf Leinwand, 330 × 250 cm. Fundació ‚la Caixa’, Barcelona. In: Ausst.-Kat. Baselitz. Bilder, die den Kopf verdrehen, hg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Leipzig 2004, S. 120. Abb. 9: Michael Buthe, Hommage an die Sonne, 1972, Installationsansicht auf der documenta 5. In: Ausst.-Kat. Michael Buthe. Michel de la Sainte Beauté. Kunstmuseum Düsseldorf, hg. von Stephan Wiese und Sylvia Martin. Heidelberg 1999, S. 198. Abb. 10 – 21: Joseph Beuys, I like America and America likes me, 1974, Fotografien der Performance: Caroline Tisdall. In: Tisdall, Caroline: Coyote. München 1988 (3. Auflage), S. 25, 29, 31, 33, 39, 45, 51, 77, 57, 59, 126, 139. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 22: Schamane des Tungusenvolkes (Amurgebiet). In: Findeisen, Hans: Schamanentum. Dargestellt am Beispiel der Besessenheitspriester nordeurasiatischer Völker. Stuttgart 1957, Abb. 1. Abb. 23: Filmstill aus: Der Schatz im Silbersee, Winnetou I, Deutschland/Frankreich/ Jugoslawien 1962, R: Harald Rein. Abb. 24: Edward Curtis, Firing Pottery Santa Clara, 1926, Fotografie aus der Serie: The North American Indian, Vol. XVII. In: Curtis, Edward S.: Die Indianer Nordamerikas. Köln u.a. 2005, S. 493. Abb. 25: Wolf Vostell, Die Fluxisten sind die Neger der Kunstgeschichte, 1980, 190 × 240 cm, Bleifolie, ausgestopfter Wolf, Micro TV, Holz, Kleider, Fotokameras und Acryl auf Leinwandfoto. Slg. Gino Di Maggio. In: Kat. Vostell. Das plastische Werk. 1953 – 87. Mailand 1988, S. 289. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 26: Wolf Vostell, Miss America, 1968, 200 × 120 cm, Siebdruck und Lasurfarbe, Verwischung auf Leinwandfoto. Sammlung Museum Ludwig, Köln. In: Osterwold, Tilman: Pop Art. Köln 1999, S. 119. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 27: Wolf Vostell, Nur die 1, 1968, 121,5 × 88,5 cm, Objektgrafik in verglastem Holzkasten, Farbseriegrafie nach collagierten und bearbeiteten Zeitungsfotos auf Papier; aufgeklebte Nylonstrümpfe (und Strumpfpackung). In: Ausst.-Kat. Wolf Vostell: die Druckgrafik, Städtische Galerie Villa Zanders, Bergisch Gladbach; Kunsthalle Bremen; Museo Vostell Malpartida, Cáceres/Spanien. Bergisch Gladbach 2005, S. 43. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 28: Wolf Vostell, Mania, 1973, 120 × 120 cm, Quelle zum Environment, Bleistift, ­Fotografie, verschiedene Elemente. In: Ausst.-Kat. Wolf Vostell, Kestner-Gesellschaft Hannover. Hannover 1977, S. 134. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015.

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 29: Wolf Vostell, So leben wir Abend für Abend vor dem Fernsehschirm, (Serie Umfunktionierungen), 1968, 122,5 × 202 cm, Öl und Siebdruck auf Leinwand. Sammlung: Schenkung Otto van de Loo, München. Kunsthalle Emden. In: SammlungsKat. Meisterwerke der Kunsthalle in Emden. Band II, Schenkung Otto van de Loo. Hg. von Achim Sommer. Köln 2002, S. 271. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 30: Wolf Vostell, E.d.H.R. (Elektronischer dé-coll/age Happening Raum), (Hommage a Dürer), 1968/1969, Fotografien, diverse Materialien, Technologie: Peter Saage. In: Ausst.-kat. Wolf Vostell. Dé-coll/agen 1954 – 69. Décoll/agen. Plakate, Verwischungen, Objekte, Happening Partituren, Happening Fall Outs, Elektronische Verwischungen, Elektronische Objekte. Edition 17, Galerie René Block, Berlin. Berlin 1969, S. 341. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 31 – 44: Lothar Baumgarten, Unsettled objects, Pitt Rivers Museum Oxford, 1968/69, Lichtbildprojektion, 80 Diapositive. In: Ausst-Kat. Un Coup de Dés. Bild gewordene Schrift. Ein ABC der nachdenklichen Sprache, Generali Foundation, Wien, hg. von Sabine Folie. Köln 2008, S. 163, 165, 167, 169. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 45 – 47: Ulrike Rosenbach, Frauenkultur – Kontaktversuch, 1977, Performance. Foto: Archiv der Künstlerin. In: Ausst.-Kat. Fünf in Köln. Michael Buthe, Sigmar Polke, Ulrike Rosenbach, Gerhard Rühm, Alf Schuster, Kölnischer Kunstverein, Köln 1979, (o.P.). © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 48: Ulrike Rosenbach, Frauenkultur – Kontaktversuch, 1977, Performance. Foto: Archiv der Künstlerin. In: Ulrike Rosenbach (Hg.): Ulrike Rosenbach. Videokunst. Foto. Aktion/Performance. Feministische Kunst. Köln 1982, S. 49. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 49: Ulrike Rosenbach, Frauenkultur – Kontaktversuch, 1977, Performance. In: Kat. Ulrike Rosenbach. Wege zur Medienkunst 1969 bis 2004, hg. von Gerhard Glüher. Köln 2005, S. 26. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 50: Ulrike Rosenbach, Frauenkultur – Kontaktversuch, 1977, Performance. In: Kat. Ulrike Rosenbach. Wege zur Medienkunst 1969 bis 2004, hg. von Gerhard Glüher. Köln 2005, S. 26. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 51: Ulrike Rosenbach, Frauenkultur – Kontaktversuch, 1977, Performance. Videostandfotos: Archiv der Künstlerin. In: Ulrike Rosenbach (Hg.): Ulrike Rosenbach. Videokunst. Foto. Aktion/Performance. Feministische Kunst. Köln 1982, S. 50. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 52 – 54: Ulrike Rosenbach, Salto Mortale, 1978, Performance. Foto: Archiv der Künstlerin. In: Ausst.-Kat. Fünf in Köln. Michael Buthe, Sigmar Polke, Ulrike Rosenbach, Gerhard Rühm, Alf Schuster, Kölnischer Kunstverein, Köln 1979, (o.P.). © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 55: Ulrike Rosenbach, Meine Macht ist meine Ohnmacht, 1978, Performance. Foto: Erika Kiffl. In: Buschmann, Renate; Marburger, Marcel René und Friedrich Weltzien (Hg.): Dazwischen. Die Vermittlung von Kunst. Festschrift für Antje von Graevenitz. Berlin 2005, S. 114, Abb. 3. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015.

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Nach dem Primitivismus?

Abb. 56: Ulrike Rosenbach, Meine Macht ist meine Ohnmacht, 1978, Performance. Aufnahme von den Fotografien vor den Fenstern. Archiv der Künstlerin. In: Ausst.-Kat. Fünf in Köln. Michael Buthe, Sigmar Polke, Ulrike Rosenbach, Gerhard Rühm, Alf Schuster. Kölnischer Kunstverein, Köln 1979, (o.P.). © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 57: Sigmar Polke, Negerplastik, 1968, Dispersion auf Leinwand, 150 × 130 cm. Privatbesitz, Dauerleihgabe Kunstmuseum Bonn. In: Ausst.-Kat. Sigmar Polke –  Die drei Lügen der Malerei. Hg. von der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD. Ostfildern-Ruit 1997, S. 113. © The Estate of Sigmar Polke, Cologne/VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 58: Tafel 38. In: Carl Einstein: Negerplastik. Hg. von Rolf Baacke. Berlin 1915/1992. Abb. 59: Hannah Höch, Negerplastik, aus der Serie: Aus einem ethnographischen ­Museum, 1929, Fotomontage, 51,5 × 37,5 cm. National Gallery of Modern Art, ­Edinburgh. In: Viktoria Schmidt-Linsenhoff: Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert. Band 2: Abbildungen. Marburg 2010, S. 110. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 60: Achim Duchow, Astrid Heibach, Sigmar Polke, Katharina Steffen, Zweite Doppelseite der Zeitschrift „Day by Day… They Take Some Brain Away”, 1975, Offsetdruck, 41,7 × 29,6 cm. Privatbesitz, Hamburg. In: Lange-Berndt, Petra und Dietmar Rübel (Hg.): Sigmar Polke. Wir Kleinbürger. Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Die 1970er Jahre. Köln 2009, S. 314/315. © The Estate of Sigmar Polke, Cologne/ VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 61: Sigmar Polke, Neu Guinea, Blatt aus der Serie Wir Kleinbürger! Zeitgenossen und Zeitgenossinnen, 1976, Gouache, Goldbronze und Acrylfarbe auf Papier auf Leinwand, 207 × 295 cm. Privatbesitz, Hamburg. In: Lange-Berndt, Petra und Dietmar Rübel (Hg.): Sigmar Polke. Wir Kleinbürger. Zeitgenossen und Zeitgenossinnen. Die 1970er Jahre. Köln 2009, Falttafel, o.P. © The Estate of Sigmar Polke, Cologne/VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 62: Männer aus dem Volk der Marind-Anim, Niederländisch Guinea, 1921, Fotografie. Koninklijk Instituut voor de Tropen zu Amsterdam. In: Ausst.-Kat. Melanesien. Schwarze Inseln der Südsee, Rautenstrauch-Joest Museum für Völkerkunde. Köln 1971, S. 130. Abb. 63: Rainer Fetting, Selbstporträt als Indianer, 1982, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 250 × 200 cm. Galerie Karl Pfefferle, München. In: Ausst.-Kat. Obsessive Malerei. Ein Rückblick auf die Neuen Wilden. Museum für Neue Kunst, Karlsruhe, hg. von Götz Adriani. Ostfildern-Ruit 2003, S. 38. Abb. 64: Rainer Fetting, Grüner Bergindianer, 1982. Dispersionsfarbe auf Leinwand, 250 × 240 cm. In: Judith Collins u. a. (Hg.): Die Maltechniken der modernen Kunst. München 1985, S. 153. Abb. 65: Rainer Fetting, Sitzender Desmond, 1985. Dispersionsfarbe auf Leinwand, 220 × 180 cm. Raab Boukamel Galleries, London. In: Lucie-Smith, Edward: Rasse, Klasse, Sex in der zeitgenössischen Kunst. Basel 1994, S. 117.

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 66: Rainer Fetting, Arab III, 1983. Öl auf Leinwand, 70 × 60 cm. In: Ausst.-Kat. Rainer Fetting. Studio d’arte Cannaviello, Mailand; Galerie Silvia Menzel, Berlin und Raab Galerie, Berlin. Berlin 1983, S. 27. Abb. 67: Rainer Fetting, Türkisches Bad, 1983, Öl auf Leinwand, 290 × 360 cm. In: Ausst.Kat. Rainer Fetting, Studio d’Arte Cannaviello, Mailand; Galerie Silvia Menzel, Berlin und Raab Galerie, Berlin. Berlin 1983, S. 29. Abb. 68: Elvira Bach, Ohne Titel, 1985, Dispersion auf Leinwand, 165 × 130 cm. Galerie Karl Pfefferle, München. In: Kat. Kunst der Gegenwart, hg von Klaus Honnef. Köln 1994, S. 119. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 69: Elvira Bach, Chardins Gartentisch, 1985, Kunstharz auf Leinwand, 180 × 200 cm. Privatsammlung Mannheim. In: Ausst.-Kat. Elvira Bach, Kunstverein Mannheim, Kunsthalle Wilhelmshaven und Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz, hg. von Margarethe Jochimsen. München 1990, Tafel 27. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 70: Elvira Bach, Claudette, wann bringst Du die Erdbeeren zurück, 1985, Kunstharz auf Leinwand, 230 × 190 cm. Privatsammlung, München. In: Ausst.-Kat. Elvira Bach, Kunstverein Mannheim, Kunsthalle Wilhelmshaven und Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz, hg. von Margarethe Jochimsen. München 1990, Tafel 26. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 71: Elvira Bach, Tollkirsche, 1985, Kunstharz auf Leinwand, 190 × 230 cm. Privatsammlung Frankfurt. In: Ausst.-Kat. Elvira Bach, Kunstverein Mannheim, Kunsthalle Wilhelmshaven und Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz, hg. von Margarethe Jochimsen. München 1990, Tafel 28. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 72: Elvira Bach, Schwarz und bleich, 1986, Kunstharz auf Leinwand, 230 × 380 cm. Sammlung Kaess-Weiss, Stuttgart. In: Ausst.-Kat. Elvira Bach, Kunstverein Mannheim, Kunsthalle Wilhelmshaven und Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz, hg. von Margarethe Jochimsen. München 1990, Tafel 29. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 73: Cover. Ausst.-Kat. Die Afrika Bilder, Walter Dahn und Jirˇí Dokoupil, Groninger Museum. Groningen 1984, o.P. Abb. 74: Buchcover, Carl Einstein: Negerplastik. Berlin 1915/92. Abb. 75: Cover. Ausst.-Kat. Die I.N.P.-Bilder, Martin Kippenberger, Galerie Max Hetzler, Köln 1984. © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne. Abb. 76: Walter Dahn und Jirˇí Dokoupil, Der braune Messias, 1983, Dispersion auf ­Nessel, 200 × 100 cm. In: Dahn, Walter und Georg Jirˇí Dokoupil: Die Afrika-Bilder. Ausst.-Kat. Groninger Museum. Groningen 1984, S. 9. Abb. 77: Walter Dahn und Jirˇí Dokoupil, Die fruchtbaren Brüste, 1983, Dispersion auf Nessel, 160 × 145 cm, Paul Maenz, Köln. In: Dahn, Walter und Georg Jirˇí Dokoupil: Die Afrika-Bilder. Ausst.-Kat. Groninger Museum. Groningen 1984, S. 19. Abb. 78: Walter Dahn, Exvoto, 1987, Acryl auf Leinwand, 300 × 200 cm. In: Dickhoff, Wilfried (Hg.): Walter Dahn. Irrationalismus und Moderne Medizin. Arbeiten 1984 – 88. Köln 1988, Abb. 72.

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Nach dem Primitivismus?

Abb. 79: Walter Dahn, Selbstporträt als chinesischer Afrikaner, 1984, Acryl auf Nessel, 250 × 200 cm. Berlin, Sammlung Marx. In: Walter Dahn. Gemälde 1981 – 1985. Ausst.-Kat. hg. von Wilfried Diekhoff, Kunsthalle Basel, Museum Folkwang Essen, Stedelijk Van Abbemuseum Eindhoven. Essen 1986. Abb. 80: Olaf Metzel, Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB, 1982, Beton, Pigmente. In: Ausst.-Kat. Olaf Metzel. Skulptur. Hg. von Kunstraum München e.V. München 1982, Tafel 93. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015. Abb. 81: Olaf Metzel, Türkenwohnung Abstand 12.000 DM VB, 1982, Dokumentarfoto, s/w, 21 × 29,6 cm. In: Ausst.-Kat. Olaf Metzel. Skulptur, hg. von Kunstraum München e.V. München 1982, Tafel 69. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015.

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Dank Auch ich habe meine Arbeit nicht nur allein und in Isolation geschrieben, sondern in verschiedenen institutionellen, kollegialen und freundschaftlichen Zusammenhängen. All jenen, die mich in diesen Kontexten dabei unterstützt haben, zu denken, zu schreiben, das Geschriebene in Frage zu stellen, weiterzumachen und mein Projekt zum Abschluss zu bringen, sei hier ganz herzlich gedankt! An erster Stelle und ganz besonders bedanke ich mich bei den drei Betreuerinnen meiner Doktorarbeit: Silke Wenk, Barbara Paul und posthum Viktoria SchmidtLinsenhoff für ihr Vertrauen in mein Vorhaben, für ihre Anregungen und Hilfestellungen sowie für die Förderung meines Projektes. Sehr herzlich danke ich den Mitgliedern des Promotionskollegs „Kulturwissenschaftliche Geschlechter­ forschung“ der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg für die lehrreichen Diskussionen und die produktive Zusammenarbeit, die vor allem in der Anfangszeit meines Projektes hilfreich waren. Ebenso herzlicher Dank gilt allen Beteiligten des Graduiertenkollegs „Identität und Differenz. Geschlechterkonstruktionen und Interkulturalität“ der Universität Trier für die regen interdisziplinären Debatten und wertvollen Hinweise. An dieser Stelle sei auch der Deutschen Forschungs­ gemeinschaft für die Gewährung eines dreijährigen Stipendiums ausdrücklich gedankt. Während der gesamten Zeit des Schreibens war das „­ Methodenkolloquium kunst- und kulturwissenschaftlicher Geschlechterforschung“ der Universitäten Oldenburg und Bremen für mich eine immense Unterstützung und ein Ort, an dem einzelne Kapitel ausführlich besprochen wurden; den OrganisatorInnen und allen Mitgliedern danke ich von ganzem Herzen für diese Bereitschaft und ihre konstruktive Kritik. Ein ganz herzlicher Dank geht an all jene, die mit mir immer wieder Textteile und Argumentationen diskutiert und mir verschiedentlich freundschaftlich-

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Nach dem Primitivismus?

kollegial geholfen haben: Silke Förschler, Josch Hoenes, Liesbeth Minnaard, Patricia Mühr und Melanie Ulz. Für hilfreiche, ermutigende Gespräche und kenntnisreiche Hinweise in unterschiedlichen Phasen und Zusammenhängen danke ich außerdem herzlich Angelika Bartl, Kerstin Brandes, Silke Büttner, Karen Ellwanger, Iris Edenheiser, Didier Houénoudé, Kathrin Heinz, Alexandra Karentzos, ­Matthias Krispin, Nanna Lüth, Tanja Maier, Irene Nierhaus, Sigrid Schade, Kerstin Schankweiler, J. Seipel, Herbert Uerlings und Henrike Wenzel. Herzlich bedanke ich mich auch bei den Studierenden, die in Seminaren mit mir über mein Forschungsthema diskutiert haben. Lothar Baumgarten danke ich ausdrücklich für das vertrauensvolle Bereit­stellen von nicht publiziertem Bildmaterial während der Forschungsphase! Herzlich bedanke ich mich bei Ulrike Schuff für das sorgfältige Lektorat, bei Sally Johnson für die professionelle Erstellung des Layouts und bei Jörg Burkhard vom transcript Verlag für die Betreuung des Publikationsprozesses. Meinen FreundInnen gebührt ebenfalls herzlichster Dank: Tanja Ellinghaus, Lutz Gramberg, Nicole Jung mit Annalena, Frederike Neimann mit Gustaf, Liesbeth und Carl, Kerstin Ratzke, Barbro Schönberger und meinem ‚Bremer Freundeskreis‘ danke ich dafür, dass sie mir freundschaftlich und anerkennend zur Seite gestanden haben. Besonders inniger Dank aber gilt Sarah, Frank und meinen Eltern für ihre geduldige, großzügige und vielfältige Unterstützung.

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Studien zur visuellen Kultur Angelika Bartl Andere Subjekte Dokumentarische Medienkunst und die Politik der Rezeption 2012, 244 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2039-9

Angelika Bartl, Josch Hoenes, Patricia Mühr, Kea Wienand (Hg.) Sehen – Macht – Wissen ReSaVoir. Bilder im Spannungsfeld von Kultur, Politik und Erinnerung 2011, 216 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1467-1

Heike Derwanz Street Art-Karrieren Neue Wege in den Kunst- und Designmarkt 2013, 340 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2423-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Studien zur visuellen Kultur Antke Engel Bilder von Sexualität und Ökonomie Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus 2009, 258 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-915-2

Claudia Mareis Design als Wissenskultur Interferenzen zwischen Design- und Wissensdiskursen seit 1960 2011, 450 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1588-3

Sigrid Schade, Silke Wenk Studien zur visuellen Kultur Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld 2011, 232 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb. , 22,80 €, ISBN 978-3-89942-990-9

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Studien zur visuellen Kultur Silke Büttner Die Körper verweben Sinnproduktion in der französischen Bildhauerei des 12. Jahrhunderts

Yvonne Volkart Fluide Subjekte Anpassung und Widerspenstigkeit in der Medienkunst

2010, 374 Seiten, kart., zahlr. Abb., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1544-9

2006, 302 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-585-7

Kathrin Heinz Heldische Konstruktionen Von Wassily Kandinskys Reitern, Rittern und heiligem Georg September 2015, ca. 340 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1944-7

Philipp Weiss Körper in Form Bildwelten moderner Körperkunst 2010, 274 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1550-0

Josch Hoenes Nicht Frosch – nicht Laborratte: Transmännlichkeiten im Bild Eine kunst- und kulturwissenschaftliche Analyse visueller Politiken 2014, 274 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-2524-0

Marion Hövelmeyer Pandoras Büchse Konfigurationen von Körper und Kreativität. Dekonstruktionsanalysen zur Art-Brut-Künstlerin Ursula Schultze-Bluhm 2007, 284 Seiten, kart., zahlr. Abb., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-633-5

Renate Lorenz Aufwändige Durchquerungen Subjektivität als sexuelle Arbeit 2009, 236 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1196-0

Johanna Schaffer Ambivalenzen der Sichtbarkeit Über die visuellen Strukturen der Anerkennung 2008, 200 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-993-0

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Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Siegfried Mattl, Christian Schulte (Hg.)

Vorstellungskraft Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2014

Dezember 2014, 136 Seiten, kart., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-2869-2 E-Book: 12,99 € ISBN 978-3-8394-2869-6 Vorstellungs- oder Einbildungskraft bezeichnet die Fähigkeit zur Erzeugung innerer Bilder, die entweder Wahrnehmungen erinnernd reproduzieren oder produktiv Gegebenheiten überschreiten. Vorstellungen konstruieren imaginativ zukünftige Szenarien oder erzeugen – wie in der Kunst – ästhetische Alterität. Die interdisziplinären Beiträge dieser Ausgabe der ZfK untersuchen Figurationen und Agenturen des Imaginären: von den Todes- und Jenseitsimaginationen der christlichen Kunst, den Denk- und Sehräumen in Kunst und Medizin über Rauminszenierungen der Moderne, dem frühen Amateurfilmdiskurs bis hin zur Techno Security und Big Data. Der Debattenteil befasst sich unter dem Titel »Transparenz und Geheimnis« mit medien- und kulturwissenschaftlichen Zugängen zu Dispositiven der Überwachung.

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