Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr: Eine rechtsvergleichende Untersuchung nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten von Amerika und Regelwerken internationaler Organisationen [1 ed.] 9783428513529, 9783428113521

Aufgabenstellung der vorliegenden Schrift ist die Anwendung der Grundsätze der Rechtsscheinhaftung des deutschen Rechts

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Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr: Eine rechtsvergleichende Untersuchung nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten von Amerika und Regelwerken internationaler Organisationen [1 ed.]
 9783428513529, 9783428113521

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Schriften zum Internationalen Recht Band 138

Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr Eine rechtsvergleichende Untersuchung nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten von Amerika und Regelwerken internationaler Organisationen

Von

Markus S. Rieder

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MARKUS S. RIEDER

Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr

Schriften zum Internationalen Recht Band 138

Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr Eine rechtsvergleichende Untersuchung nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten von Amerika und Regelwerken internationaler Organisationen

Von

Markus S. Rieder

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-11352-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Jasmin und Anna-Fiona

Vorwort Rechtsscheinhaftung, elektronischer Geschäftsverkehr und Rechtsvergleich – es scheint, als seien die drei im Titel dieser Schrift auftauchenden Schlagworte nur schwer unter einen „Hut“ zu bringen. Große Brückenschläge sind erforderlich, namentlich um Rechtsscheinhaftung und elektronischen Geschäftsverkehr miteinander zu verbinden. Gerade in dieser Herausforderung liegt der Reiz des Themas. Die Arbeit versucht, praxisrelevante und praxistaugliche Antworten für bislang wenig durchdachte Fragenkreise aus dem Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs zu geben und gleichzeitig diese Antworten dogmatisch abzuleiten und zu verankern. Dieser Versuch war von Anfang an ein Unterfangen mit ungewissem Ausgang. Am Ende stehen ganz unterschiedliche Ergebnisse: Zunächst eine ganze Reihe von neuen Erkenntnissen zu einzelnen Rechtsscheintatbeständen im elektronischen Geschäftsverkehr, dann aber auch Erkenntnisse allgemeinerer Natur, einerseits beruhigend, andererseits auch teilweise besorgniserregend. Beruhigend, was namentlich die unter Beweis gestellte Leistungsfähigkeit des bisherigen deutschen Rechts im Umgang mit neuartigen Herausforderungen anbelangt. Beruhigend auch, soweit es um die Fruchtbarkeit juristischer Dogmatik einerseits und des rechtsvergleichenden Blickwinkels andererseits geht. Teilweise besorgniserregend dagegen, wenn die Leistungsfähigkeit moderner Gesetzgeber auf dem Prüfstand steht. Angesichts dieser Erkenntnisse bleibt dem deutschen Recht, gerade im elektronischen Geschäftsverkehr, weiterhin die intensive Begleitung durch die Rechtswissenschaft zu wünschen. Die Arbeit lag der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-MaximiliansUniversität München im Sommersemester 2003 als Dissertation vor. Mein Dank gilt an erster Stelle meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Claus-Wilhelm Canaris für die Betreuung der Arbeit und namentlich die großen Freiheiten, die mir dabei überlassen wurden. Herrn Prof. Dr. Helmut Köhler danke ich für die sorgfältige und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank schulde ich nicht zuletzt dem Verlag für die Aufnahme in die vorliegende Schriftenreihe. Die Bearbeitung befindet sich auf dem Stand von Juni 2003. München, im Juli 2003

Markus S. Rieder

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Grundlagen

25

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

I. Der elektronische Geschäftsverkehr im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

1. Begriff und Gegenstand des elektronischen Geschäftsverkehrs . . . . . . . . . . . . .

26

a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

b) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

2. Technische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

a) Rechnertechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

b) Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

c) Intranets und Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

3. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

a) Wirtschaftlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

b) Gesellschaftlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

c) International . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

II. Elektronische Handlungen und Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

1. Rechtserhebliche elektronische Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

2. Formen elektronischer Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

a) Einfache elektronische Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

b) Erklärungen mit eingescannter Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

c) Kennwortgeschützte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

d) Erklärungen mit digitaler Signatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

e) Biometrisch signierte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

f) Sonstige Erklärungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

III. Eigenarten des elektronischen Geschäftsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

1. Dematerialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. Deterritorialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

10

Inhaltsverzeichnis 3. Detemporalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

4. Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

5. Technikbetontheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

6. Das Vertrauensproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

I. Vorbemerkung zur Rolle des Rechts im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . .

65

II. Rechtsakte der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

1. Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

2. Signaturrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

3. Fernabsatzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

III. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

1. Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG) . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Umsetzung europäischer Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

3. Weitere Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

IV. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

1. Signaturregelungen auf Einzelstaatenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

a) Anwendungsbereich der Signaturgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

b) Rechtswirkungen elektronischer Unterschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

2. Einheits- und Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

V. Regelwerke internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

VI. Nachbemerkung: Internationale Zuständigkeit und internationales Privatrecht im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

§ 3 Gegenstand und Plan der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

II. Die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . .

90

1. Rechtsscheintatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

2. Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

a) Gutgläubigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Inhaltsverzeichnis

11

b) Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

c) Vertrauensdisposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

d) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

e) Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

3. Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Der Plan der Untersuchung; rechtsvergleichende Rahmenbedingungen . . . . . . . 101 1. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Bedeutung und Rahmenbedingungen der Rechtsvergleichung für die Untersuchung der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Die Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs . . . . . . . . . . . . . 102 b) Aufgabe der Rechtsvergleichung im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Eingrenzung der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 d) Grundsätzliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten der zu untersuchenden Rechtskreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 e) Inhaltliche Schwerpunkte der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . 109 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

2. Kapitel Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr

111

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Die Anwendung des § 172 BGB auf elektronische Vollmachtserklärungen . . . . 115 1. Problemstellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Auslegungsbedarf und Auslegungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (1) Allgemeine Grundsätze der Wortlautauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (2) Wortlautauslegung und technische Neuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (3) Möglichkeit elektronischer „Urkunden“ nach dem allgmeinen Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

12

Inhaltsverzeichnis c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 d) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 e) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 (1) Allgemeine Grundsätze der teleologischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . 127 (2) Normzweck (I): Der Legitimationszweck der Vollmachtsurkunde . . 128 (3) Legitimationszweck und die verschiedenen elektronischen Erklärungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 (4) Normzweck (II): Der strukturelle Zusammenhang zwischen Aushändigung, Vorlage und Rückgabe nach § 172 Abs. 2 Alt. 1 BGB . . 135 f) Richtlinienkonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 g) Auslegungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Analoge Anwendung des § 172 Abs. 1 BGB auf elektronische Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (1) Vollmachts-Attributzertifikate nach SigG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (2) Vollmachts-Attributzertifikate außerhalb des SigG-Rechtsrahmens 143 (3) Die weiteren Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung; Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Power of attorney im Recht der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Folgerungen für den elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

§ 5 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (II): Sonstige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Der Blankettmißbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Das elektronische Blankett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Das elektronische Blankett im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Erkennbarkeit des Blanketts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Automatische Namens- und Adreßzeilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Unbefugte Kennwortverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Normallfall eines Blankettmißbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Unbefugte Kennwortverwendung i.e.S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4. Digitale Signaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Inhaltsverzeichnis

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5. Biometrisch signierte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6. Blankettmißbrauch im Recht der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 7. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 II. Die Quittung nach § 370 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Die elektronische Quittung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 III. Die verbriefte Forderung nach § 405 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Elektronische Verbriefung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Detemporalisierung beim Zusammenhang von Vorlage und Abtretung? . . . . 169 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 IV. Wertpapierrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Dematerialisierung im Wertpapierrecht; Ausblick ins Recht der USA . . . . . . 172 V. Zusammenfassung: Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände und Dematerialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 § 6 Nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände: Scheinvollmachten und verwandte Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Die Rechtsscheinvollmachten nach § 171 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Die Verwendung elektronischer Postadressen bei § 171 BGB . . . . . . . . . . . . . . 177 3. Öffentliche Bekanntmachung durch elektronische Post und Internet . . . . . . . 178 4. Digitale Signaturen und Vollmachts-Attributzertifikate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 5. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 II. Die weiteren Rechtsscheinvollmachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Duldungsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Die Anscheinsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Die Ladenvollmacht nach § 56 HGB und die Rechtsscheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

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Inhaltsverzeichnis d) Das Handeln unter fremdem Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 e) Fälschung und Verfälschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Rechtsscheinvollmachten in Internet und Intranets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Elektronische Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Einfache elektronische Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Eingescannte Unterschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Kennwortgeschützte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 (1) Grundsätzliche Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (2) Einschränkung bei Familienangehörigen aufgrund Art. 6 GG? . . . . . 198 (3) Besonderheiten bei Handeln Minderjähriger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (4) Besonderheiten bei Handeln von Verbrauchern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 d) Digital signierte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 e) Biometrisch signierte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4. Agency by estoppel und apparent authority im Recht der USA . . . . . . . . . . . . . 202 a) Apparent authority und ihre Unterscheidung von agency by estoppel . . . 202 b) Agency by estoppel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Apparent authority und agency by estoppel im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Der Scheinkaufmann, der Scheingesellschafter und die Scheingesellschaft . . . . 208 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 a) Scheinkaufmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Scheingesellschafter & Scheingesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Scheinkaufmann kraft Internetauftritt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 3. Scheingesellschafter und Scheingesellschaft im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4. Purported Partner und Purported Partnership im Recht der USA . . . . . . . . . . . 216 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Elektronischer Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 IV. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Inhaltsverzeichnis

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§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände: Unterlassen und Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 I. Unterlassen nach §§ 170 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Widerrufsmöglichkeiten im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . 224 a) § 170 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) § 171 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) § 172 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Das Schweigen des Kaufmanns auf Anträge nach § 362 HGB und verwandte Fälle nach §§ 75h und 91 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Elektronisches Erbieten, elektronische Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 3. Detemporalisierung im Hinblick auf Reaktionszeit des Kaufmanns? . . . . . . . 231 4. Acceptance by silence im Recht der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 5. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 III. Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Dematerialisierung und elektronisches Bestätigungsschreiben . . . . . . . . . . . . . 238 3. Detemporalisierung und Reaktionszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4. Internetangebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 5. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im Recht der USA . . . . . . . . . . . . . 241 6. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 IV. Das Handelsregister als Beispiel eines registergebundenen Scheintatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Das elektronische Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Blätter i.S.v. §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 4. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

16

Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung im elektronischen Geschäftsverkehr

252

§ 8 Vorüberlegungen zur Möglichkeit neuartiger Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 I. Bestandsaufnahme der Ergebnisse des 2. Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Theorie und System der Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Theorie- und Systembildung in der Jurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Rechtsscheinhaftung als juristische Theorie und inneres System . . . . . . . . . . . 255 III. Bedingungen der Möglichkeit neuer Rechtsscheintatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 IV. Die Bedeutung des Rechtsvergleichs bei der Untersuchung neuer Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 V. Weiteres Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 § 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Erklärendenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Rechtsscheintatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 a) Aussagen der Signaturgesetze und der Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . 262 b) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 (1) Zum Vertrauenstatbestand und dessen Stärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (2) Zum Maß des Verkehrsschutzbedürfnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 c) Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (1) Fehlende Urkundenqualität und (teilweise) fehlende Schriftform . . . 270 (2) Zeitabhängigkeit des Rechtsscheintatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (3) (Teilweise) fehlende Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 d) Dogmatische Verortung des Ergebnisses; paradigmatische Problemlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 2. Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 a) „Künstlicher“ Rechtsscheintatbestand? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 b) Fehlende oder fehlerhafte Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

Inhaltsverzeichnis

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c) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (1) Die Unbehelflichkeit der Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (2) Zurechnung nach dem Risikoprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (3) Fehlendes Erklärungsbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 (4) Willensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 (5) Abhandenkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (6) Weitere Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (7) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 d) Abgrenzung von den Fällen der Fälschung und Verfälschung . . . . . . . . . . . 287 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 5. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 II. Erklärungsintegrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 1. Rechtsscheintatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2. Weitere Voraussetzungen; Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 3. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 III. Weitere Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 1. Zeitstempeldienste und Abgabezeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Funktionsweise von Zeitstempeldiensten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Vollmacht und Vollmacht-Attributzertifikat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 3. Weitere Attribute eines Attributzertifikates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4. Pseudonyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 5. Verzeichnisdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 6. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 IV. Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Deutsche Zertifizierungsstellen außerhalb des SigG-Rahmens . . . . . . . . . . . . . 297 a) Rechtsscheintatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (1) Sicherheitsstandard mit SigG vergleichbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 (2) Sicherheitsstandard unterhalb SigG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Weitere Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 2. Zertifizierungsstellen aus dem EU Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 2 Rieder

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Inhaltsverzeichnis 3. Sonstiges Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 4. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

§ 10 Die sonstigen elektronischen Erklärungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 I. Kennwortgeschützte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 1. Grundsätzliche Eignung als Rechtsscheintatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Das Erfordernis hinreichender Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 3. Zeitbedingtheit der Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 4. Zurechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 a) Das Risikoprinzip allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 b) Fehlendes Erklärungsbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 c) Willensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 d) Abhandenkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 e) Weitere Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 f) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 5. Die weiteren Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung; Rechtsfolgen . . . . 317 6. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 II. Biometrisch signierte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 1. Rechtsscheintatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 2. Weitere Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 3. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 III. Einfache elektronische Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 IV. Erklärungen mit eingescannter Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Rechtsscheintatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Weitere Voraussetzungen; Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 3. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 V. Weitere neuartige elektronische Unterschriftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

Inhaltsverzeichnis

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§ 11 Rechtsvergleichende Untersuchung materiellrechtlicher Zuordnungsregeln für elektronische Erklärungsformen im Recht der USA und in internationalen Regelwerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 I. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. Das Utah Digital Signature Act 1995 und die ABA Guidelines 1996 als Beispiele technologiespezifischer Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 a) Vertrauenswürdigkeit digital signierter Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (1) Schriftformäquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (2) Beweisrechtlicher Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 b) Zurechenbarkeit und Sorgfaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 c) Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 d) Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 2. Das Illinois Electronic Commerce Security Act 1998 als Beispiel einer technologieneutralen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Vertrauenswürdigkeit elektronisch signierter Erklärungen . . . . . . . . . . . . . 334 (1) Schriftformäquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 (2) Grundstruktur der Zuordnungsvorschrift § 10-130 IECSA . . . . . . . . 335 (3) Tatbestandsvoraussetzungen des § 10-130 IECSA . . . . . . . . . . . . . . . . 337 (4) § 10-130 IECSA als materiellrechtliche Zuordnungsvorschrift . . . . 339 (5) Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 c) Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 (1) Zurechnungsvoraussetzungen nach § 10-130(a) IECSA . . . . . . . . . . . 340 (2) Kritik der Zurechnungsgrundsätze in § 10-130(a) IECSA . . . . . . . . . 342 (3) Zurechnung für den Sonderfall digitaler Signaturen . . . . . . . . . . . . . . . 343 (4) Zurechnung bei sonstigen elektronischen Erklärungsformen . . . . . . 344 (5) Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 d) Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 e) Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 3. Uniform Electronic Transactions Act 1999 (UETA) und Uniform Computer Information Transations Act 1999 (UCITA) als Beispiele von Einheitsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 a) Der beweisrechtliche Charakter des § 9 UETA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 b) Die Regelungen des UCITA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 4. Der nicht tragfähige Vergleich zur unbefugten Telefonbenutzung . . . . . . . . . 349 5. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 2*

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Inhaltsverzeichnis II. Das UNCITRAL Modellgesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr 1996 351 1. Vertrauenswürdigkeit elektronischer Unterschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 a) Gleichstellung und Diskriminierungsverbot nach Art. 5 UMEG . . . . . . . 351 b) Elektronische Originale nach Art. 10 UMEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 c) Materiellrechtliche Zuordnung elektronischer Erklärungen nach Art. 13 UMEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 2. Zurechnungsgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 3. Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 4. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356

4. Kapitel Ergebnisse

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§ 12 Ergebnisse zur Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 I. Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . 358 1. Der elektronische Geschäftsverkehr und seine Handlungsformen . . . . . . . 358 2. Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . 359 3. Grundlagen der Rechtsscheinhaftung und der Rechtsvergleichung . . . . . . 359 4. Herkömmliche urkundengebundene Rechtsscheintatbestände . . . . . . . . . . . 360 5. Herkömmliche nicht urkundengebundene Scheintatbestände, insbesondere Scheinvollmachten und verwandte Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 6. Herkömmliche Scheintatbestände, die durch Unterlassen verwirklicht werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 7. Das Handelsregister im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . 366 8. Grundsätze für die Untersuchung neuartiger Rechtsscheintatbestände . . . 366 9. Digital signierte Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 10. Weitere elektronische Erklärungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 11. Ergebnisse des Rechtsvergleichs mit USA und UNCITRAL bezüglich neuartiger materiellrechtlicher Zuordnungsregeln für elektronische Erklärungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

Inhaltsverzeichnis

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II. Gegenüberstellung herkömmlicher und neuer Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 1. Bezugspunkt des Scheintatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 2. Zugrundeliegende Verhaltensform des Verpflichteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Gründe für den Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 4. Zurechnungsgrundsätze bei herkömmlichen und neuen Rechtsscheintatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 III. Folgerungen für das innere System der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Zur Leistungsfähigkeit der Rechtsscheintheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 a) Die Wichtigkeit methodischen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 b) Neue paradigmatische Problemlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 c) Neue inhaltliche Aspekte der Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 2. Ertrag der rechtsvergleichenden Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 a) Ertrag für die deutsche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Ertrag für ausländische Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 3. Handlungsbedarf in Gesetzgebung und Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . 378 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399

Abkürzungsverzeichnis Soweit unten nicht aufgeführt, werden deutsche Quellen zitiert nach Kirchner / Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Aufl. 2003, englische und US amerikanische Quellen nach Harvard Law Review Association (Hrsg.), The Bluebook – A Uniform System of Citation. ABA Abl. AblEG ALI Allg.M. Am Jur 2d B2B B2C BRDrs. BTDrs. CRI DE-NIC DSB EDI EDV EGV EGV-RL Einl E-SIGN EU EuGH FAZ FCC FernAbsG FernAbsRL FormAnpG ICANN IECSA Ill. Comp. Stat. IuKDG

American Bar Association Ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften American Law Institute Allgemeine Meinung American Jurisprudence Second Edition Business to Business Business to Consumer Bundesratsdrucksache Bundestagsdrucksache Computerrecht International Deutsches Network Information Center Datenschutz Berater Electronic Data Interchange Elektronische Datenverarbeitung EG Vertrag, Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaften Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr Einleitung Electronic Signatures in Global and National Commerce Act Europäische Union Europäischer Gerichtshof Frankfurter Allgemeine Zeitung für Deutschland Federal Communications Commission Gesetz über Fernabsatzverträge Fernsabsatzrichtlinie Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr (Formanpassungsgesetz) Internet Corporation for Assigned Names and Numbers Illinois Electronic Commerce Security Act Illinois Compiled Statues Informations- und Kommunikationsdienstegesetz

Abkürzungsverzeichnis ITRB ITSEC Lit. m.a.W. m.E. MüKo m.w.Nachw. NCCUSL Nova L. Rev. PIN R / R2d [ . . . ] RGRK

SigG SigRL SigV SZ TAN TDDSG TDG TKG Überbl UCC UCITA UDSA UETA UMEG UMES U.Pitt.L.Rev. Vorbem. WWW

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Informationstechnologie Rechtsberater Information Technology Security Evaluation Criteria Literatur Mit anderen Worten Meines Erachtens Münchener Kommentar zum BGB Mit weiteren Nachweisen National Conference of Commissioners on Uniform State Laws Nova Law Review Persönliche Identifikationsnummer American Law Institute, Restatement of the Law / Restatement of the Law Second Edition [Rechtsgebiet] Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs (Reichtsgerichtsrätekommentar, s. Literaturverzeichnis) Signaturgesetz Signaturrichtlinie Signaturverordnung Süddeutsche Zeitung Transaktionsnummer Teledienstedatenschutzgesetz Teledienstegesetz Telekommunikationsgesetz Überblick Uniform Commercial Code Uniform Computer Information Transactions Act Utah Digital Signature Act Uniform Electronic Transactions Act UNCITRAL Modellgesetz über elektronischen Geschäftsverkehr (1996) UNCITRAL Modellgesetz über elektronische Signaturen (2001) University of Pittsburgh Law Review Vorbemerkung World Wide Web

1. Kapitel

Grundlagen § 1 Der elektronische Geschäftsverkehr Das Thema der vorliegenden Schrift ist die „Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr.“ Sie will nicht die Grundlagen der Rechtsscheinhaftung von vorne aufrollen und neu begründen; das haben andere mit großer Sorgfalt getan.1 Vielmehr geht es darum, aufbauend auf die heutigen Erkenntnisse zur Rechtsscheinhaftung zu versuchen, deren Anwendung auf das neuartige Gebiet des elektronischen Geschäftsverkehrs aufzuzeigen. Einleitend werden die Grundlagen der Untersuchung dargestellt. Dazu gehören zunächst im vorliegenden § 1 in tatsächlicher Hinsicht als Untersuchungsobjekte der elektronische Geschäftsverkehr in seinen mannigfaltigen Erscheinungsformen (I.), die Vielfalt der ihn bestimmenden elektronischen Handlungen und Erklärungen (II.) sowie die ihn prägenden Eigenarten (III.). Im nachfolgenden § 2 wird der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs in Deutschland und – dem näher zu schildernden rechtsvergleichenden Ansatz dieser Arbeit folgend – in ausgewählten ausländischen bzw. internationalen Regelwerken skizziert.2 In § 3 erfolgt schließlich eine Darstellung der allgemeinen Grundsätze der Rechtsscheinhaftung und daraus abgeleitet der Plan der Untersuchung.

I. Der elektronische Geschäftsverkehr im Überblick In einem ersten Schritt ist der Begriff des elektronischen Geschäftsverkehrs zu klären, um anschließend seinen Gegenstand und seine technischen Grundlagen erörtern zu können. Weiterhin verdienen die gegenwärtige und mögliche zukünftige Bedeutung des elektronischen Geschäftsverkehrs in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und internationaler Hinsicht eine kurze Betrachtung.

Grundlegend Canaris, Vertrauenshaftung, insb. 9 ff., 411 ff. Dem mit dem elektronischen Geschäftsverkehr und den ihn bestimmenden rechtlichen Rahmenbedingungen vertrauten Leser wird anheim gestellt, die Erläuterungen in § 1 und § 2 zu überspringen. 1 2

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1. Kap.: Grundlagen

1. Begriff und Gegenstand des elektronischen Geschäftsverkehrs a) Begriff Elektronischer Geschäftsverkehr im Sinne der vorliegenden Schrift umfaßt sämtliche rechtserheblichen Handlungen und Erklärungen, die mit Hilfe von Rechnern erstellt und auf elektronische Weise (z. B. über Telekommunikationsnetze) übertragen werden. Einleitend ist zu bemerken, daß der Begriff des elektronischen Geschäftsverkehrs – auch wenn es mittlerweile ein „Gesetz über die rechtlichen Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (EGG)“ gibt (BGBl. 2001 I 3721) – bislang nicht gesetzlich definiert ist. In der Literatur hatte sich lange Zeit – auch bedingt durch die relative Neuartigkeit des Phänomens – keine einheitliche Definition durchsetzen können. Um einen brauchbaren Begriff zu erhalten, der die ihn kennzeichnenden Merkmale vollständig angibt,3 sind sowohl der allgemeine Sprachgebrauch wie auch die besondere juristische Aufgabe des Begriffes zu beachten.4 Dies versucht die vorstehende Begriffsbildung, wenngleich beim elektronischen Geschäftsverkehr die Schwierigkeiten besonders groß sind. Der Streit beginnt nämlich sogar schon einen Schritt vor der eigentlichen Begriffsbestimmung, nämlich bei der Frage, ob „elektronischer Geschäftsverkehr“ wirklich die richtige Bezeichnung für das rechtstatsächliche „Phänomen“ ist, um das es geht. Eine behutsame Annäherung an die Begriffsbildung ist also angezeigt. Inhaltlich geht es bei dem zu bezeichnenden und zu definierenden rechtstatsächlichen „Phänomen“ darum, daß rechtserhebliche Erklärungen und Tatbestände aller Art – Willenserklärungen, geschäftsähnliche Handlungen, Realakte, Prozeßhandlungen und öffentlichrechtliche Handlungsformen – seit mehreren Jahren zunehmend in elektronischer Form und mittels neuer elektronischer Medien (Internet und Intranets) durch die Benutzung von vernetzten Rechnern und Telekommunikationseinrichtungen getätigt werden können.5 Die Versuche, dieses „Phänomen“ mit einer prägnanten Bezeichnung zu versehen, zeugen von einer verwirrenden Begriffsvielfalt. Neben dem sich mehr und mehr durchsetzenden Begriff „elektronischer Geschäftsverkehr“6 ist bzw. war die Rede von „electronic commerce“,7 3 Zur Bedeutung des Begriffs und zur Unterscheidung zwischen Begriff und Typus s. Larenz / Canaris, Methodenlehre, 37 ff. 4 Canaris, Lücken, § 1, 15. 5 Vgl. Geis, NJW 1997, 3000, der von einer „Medienwende“ von der „traditionellen Rechtskultur der Schriftlichkeit“ zur „postindustriellen Kommunikationsgesellschaft“ spricht; ferner Schumacher, CR 1998, 758. 6 Verwendet z. B. bei v. Bernstorff, RIW 2000, 14; Grewlich, RIW 2000, 337, 340; Kuner, MMR 1999, 185; Lehmann, ZUM 1999, 180 ff.; Reimer, DuD 1999, 162; Rieß, DuD 1997, 284; Rott, NJW-CoR 1998, 420, 421; Schippan, ZUM 1997, 813; Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 1 ff.; Waldenberger, EuZW 1999, 296, 302; Wiebe, 7 (passim). 7 Z. B. bei v. Bernstorff, RIW 2000, 14; Hermanns / Sauter, 1999; Miedbrodt, DuD 1998, 389; Pichler, NJW 1998, 3234; Scheffler / Dressel, CR 2000, 378; Schippan, ZUM 1997, 813; Schumacher, CR 1998, 758; Waldenberger, EuZW 1999, 296.

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr

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„e-commerce“ und „elektronischem Handel“.8 Im deutschen Sprachraum findet sich außerdem die Bezeichnung „elektronischer Rechtsverkehr“,9 zwischenzeitlich auch „moderner Rechtsgeschäftsverkehr“.10 Der Terminus „Telekooperation“ fand dagegen nur bis Mitte der 90er Jahre häufigere Verwendung und ist danach mehr und mehr verschwunden.11 Vielfache Verwendung fand auch die Wortschöpfung „Multimedia“,12 die aber ihren Modestatus bereits wieder eingebüßt zu haben scheint.13 Im vorliegenden Zusammenhang fallen auch die Vokabeln „Informationsgesellschaft“14, „Online“, „Cyberspace“15 und „Internet“.16 SZ v. 17. 09. 1999, 28. Etwa Bundesnotarkammer, AnwBl. 5 / 1994, 229 f. & DuD 1995, 713 f.; Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182; dies., CR 1996, 123 f.; dies., NJW 1996, 305 f.; dies., CR 1996, 375 ff.; dies., NJW 1997, 2301 f. = DVBl. 1997, 893 f.; Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3; Leistenschneider, 321 ff.; Roßnagel, BB 2000, Heft 10, „Die erste Seite“; Seidel, CR 1993, 409 ff.; Schneider, CR 1988, 868 ff. Vgl. ferner auch die Schriftenreihe „Der elektronische Rechtsverkehr“ hrsg. von Roßnagel in Zusammenarbeit mit TeleTrusT Deuschland e.V. 10 Entwurf des Bundesjustizministeriums eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 9. 5. 1999 (Formanpassungsgesetz – FormAnpG), BMJ I B1-3414 / 2; dazu Brisch, Computer und Recht aktuell – Textform und elektronische Form, CR 1999, 537. Ferner Entwurf desselben Gesetzes, Stand 05. Juni 2000 und Regierungsentwurf BTDrs. 14 / 4987 v. 14. 12. 2000. Dort finden sich auch ohne erkennbare Systematik Begriffe wie „moderner Rechtsverkehr“, „elektronischer Geschäftsverkehr“ und „Geschäfts- und Rechtsverkehr“. Endgültige Gesetzesfassung BGBl. 2001 I 1542 ff. 11 Etwa Bizer, DuD 1992, 169, 170; Hammer, CR 1992, 435; ders., DuD 1996, 147; Kilian, BB 1997, 1004 ff.; Kumbruck, DuD 1994, 20; Roßnagel, DuD 1995, 582 ff. 12 Bericht des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie & Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuß) gem. § 56a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Technikfolgenabschätzung, hier Multimedia – Mythen, Chancen und Herausforderungen, BTDrs. 13 / 2475 vom 28. 09. 1995; Salomony, in: Lehmann, Internet und Multimediarecht (Cyberlaw), 2 f.; Weinknecht / Bellinghausen, S. 1 „Multimedia, das Wort des Jahres 1995, ist immer noch in aller Munde und wird es wohl noch einige Jahre bleiben.“ 13 Drastisch Hoeren, MMR 1999, 1: „,Multimedia‘ – das Modewort des Jahres 1997 – gibt es nicht mehr. Der Begriff ist verbraucht, erweist sich als nichtssagend, hat seinen Rang an andere Modewörter verloren.“ 14 Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 2, spricht vom „Faszinosum einer quasi-omnipotenten Informationsgesellschaft.“ 15 Der Begriff Cyberspace soll deutlich machen, daß es sich bei der durch Vernetzung von Rechnern entstandenen Welt zunehmend um eine eigenständige „Dimension“, einen eigenen „Weltraum“ (engl. space) handelt. Dazu Mayer, NJW 1996, 1782 ff. 16 Dabei ist eine Dominanz englischsprachiger Vokabeln festzustellen (so auch v. Herget / Reimer, DStR 1996, 1288), die aber nicht immer zwingend ist: „Zurückhaltung ist gegenüber einer allzu unkritischen Übernahme von Anglizismen angebracht“ (so richtig Hilgendorf, NJW 2000, 345). Die Begriffe „elektronischer Brief“ und „elektronische Post“ sind beispielsweise ebenso verständlich wie „electronic mail“ und „email“. Hervorzuheben ist insoweit die Wahl des Begriffs „elektronische Post“ in Art. 5 Abs. 1 lit. c) und 11 Abs. 3 der amtlichen deutschen Fassung der EU Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (vgl. nachf. Fn.). Leider hat der diese Vorschriften umsetzende deutsche Gesetzgeber geglaubt, sich in § 312b Abs. 2 BGB (i.d.F.d. Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts v. 26. 11. 2001, 8 9

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1. Kap.: Grundlagen

Der allgemeine Sprachgebrauch ist daher für die juristische Begriffsbildung wenig hilfreich, hat sich doch ein einheitlicher Gebrauch bislang nicht durchgesetzt. Besonderes Augenmerk gilt folglich der besonderen juristischen Aufgabe, die der zu findende Begriff zu erfüllen hat. Die vorliegende Untersuchung hat sich unter dieser Prämisse für den Begriff „elektronischer Geschäftsverkehr“ entschieden. Dieser Begriff ist mittlerweile am meisten verbreitet – wenngleich man von einem allgemeinen Sprachgebrauch noch weit entfernt ist –, hat bereits Eingang gefunden in Rechtsakte auf europäischer und deutscher Ebene17 und schafft damit die geringsten Gefahren im Hinblick auf Unverständlichkeit oder Mißverständlichkeit. Er paßt zur deutschen Begriffstradition, die Begriffe wie den „kaufmännischen Geschäftsverkehr“ kennt, und bringt den rechtsgeschäftlichen Bezug deutlich zum Ausdruck. Schließlich paßt der Begriff auch zum internationalen Sprachgebrauch, in dem sich das englische Pendant „electronic commerce“ als die am meisten verwendete Bezeichnung durchgesetzt hat. Die gegen den Begriff „elektronischer Geschäftsverkehr“ bisweilen vorgebrachte Polemik18 ist unberechtigt. Zwar mag es zutreffen, daß über das Internet bislang kaum Handel abgewickelt wird, sondern abgesehen von der „online“-Bestellung wesentliche Teile eines Rechtsgeschäfts (Bestätigung, Lieferung, Bezahlung) nach wie vor oft „offline“, d. h. auf herkömmlichen Wegen, durchgeführt werden. Davon gibt es aber Ausnahmen, und auch für diese muß das Recht eine Antwort geben.19 Ferner kann es in naher Zukunft durchaus eine verstärkte Abwicklung des gesamten Geschäfts online geben. Im übrigen ist auch die Bestellung wesentlicher Teil des Rechtsgeschäfts (oft sogar der wesentliche Teil, soweit es um den Inhalt des Geschäfts geht), und für diesen stellen sich nun einmal aufgrund des neuen elektronischen Mediums neue Rechtsfragen. Der Begriff „Multimedia“ paßt dagegen weniger zu dem Interessenschwerpunkt der vorliegenden Untersuchung. „Multimedia“ bedeutet den „Mix der gängigen Medien Text, Bild, Ton und Video BGBl. I 3138) für die Begriffswahl „E-Mail“ entscheiden zu müssen. – Auch für „e-commerce“, „e-business“, „e-government“ u. dgl. lassen sich deutsche Begriffe finden. Bisweilen allerdings ist die Verwendung englischer Fachausdrücke, die sich eingebürgert haben und für die sich kein deutsches Äquivalent herausgebildet hat, nicht zu vermeiden, wie z. B. bei den Begriffen „Internet,“ „Intranet“ und „online“. 17 Neben dem bereits zitierten EGG s. auf europäischer Ebene: Richtlinie 1999 / 93 / EG vom 13. 12. 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABlEG L 13 / 12 v. 19. 1. 2000 (nachfolgend: SigRL), Richtlinie 2000 / 31 / EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABlEG L 178 / 1 v. 17. 7. 2000 (nachfolgend: EGV-RL). Dort wird – an sich nicht ganz genau – auch der öffentlich-rechtliche Bereich (Verwaltung, Steuern, Sozialwesen, Justiz) in den Begriff des elektronischen Geschäftsverkehrs miteinbezogen. 18 Z. B. Hoeren, MMR 1999, 1 („inhaltsleer“ und „falsch“). 19 Dazu bereits Köhler, AcP 182 (1982), 126, 129 ff. (zu Anbahnung, Vornahme und Abwicklung von automatisierten Rechtsgeschäften); ferner Hermanns, in: Hermanns / Sauter, 87, Moritz, CR 2000, 61, 62.

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auf einem einzigen Trägermedium (CD-ROM oder online)“20, die „Konvergenz von Fernsehen, Computer und Telekommunikation.“21 Der Begriff stellt mehr die Verbindung verschiedener Medien in den Vordergrund. Darauf kommt es vorliegend aber weniger an. Nahezu bedeutungslos für die hiesige Untersuchung sind das Medien- und das Telekommunikationsrecht. Diese bilden lediglich die Grundlage, auf der sich auf elektronischem Wege Geschäfte abschließen lassen. Auf Inhalt und rechtliche Behandlung dieser Geschäfte haben sie keinen Einfluß. Maßgebend ist allein das allgemeine Zivilrecht. Eigentlich noch besser und treffender wäre der Begriff „elektronischer Rechtsverkehr“. Er umfaßt nämlich auch die Bereiche öffentlich-rechtlicher Handlungsformen und die Rechtspflege; auf beide paßt die Bezeichnung „Geschäftsverkehr“ an sich nicht genau.22 Allerdings ist dieser Begriff international eher weniger verständlich und auch in Deutschland weitaus weniger verbreitet. Die oben angeführten europäischen Rechtsakte lassen vermuten, daß sich „elektronischer Geschäftsverkehr“ als Begriff durchsetzen wird.23 Nachdem nun – gleichsam als Vorrede – gesagt ist, warum in dieser Untersuchung der Begriff „elektronischer Geschäftsverkehr“ verwendet wird, erweist sich die Begründung für den hier vorangestellten Begriffsinhalt als relativ einfach. „Geschäftsverkehr“ wird, wie schon erwähnt, in einem – vielleicht ungewöhnlichen aber durch die o.g. Gründe gerechtfertigten – weiten Sinn verstanden, Rechtsgeschäfte, geschäftsähnliche Handlungen, öffentlich-rechtliche Handlungsformen und Prozeßhandlungen umschließend. Daß letztlich nicht in allen Teilbereichen dieses weit verstandenen „Geschäftsverkehrs“ die Rechtsscheinhaftung dieselbe Rolle spielen kann, leuchtet zwar von vorneherein ein, sollte aber nicht Weinknecht / Bellinghausen, 4. Hoeren, MMR 1999, 1; ähnlich Engel-Flechsig / Maennel / Tettenborn, NJW 1997, 2981; Grewlich, RIW 2000, 337, 338; Künstner / Knöpke, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 2 Rn. 1; Schneider, Handbuch des EDV-Rechts, 2. Aufl. 1997, Kap. O Rn. 12, 1664. 22 Dem entspricht auch der Ansatz in den USA in dem noch näher zu beleuchtenden „Uniform Electronic Transactions Act 1999“ (nachfolgend: UETA, abrufbar unter http: / / www.nccusl.org und http: / / www.upenn.edu / bll / ucl / uecicta / eutast84.htm), wo nicht mehr von „electronic commerce“, sondern von „electronic transactions“ die Rede ist und wo die Definition von „transactions“ ausdrücklich nicht nur den Geschäfts- und Handelsverkehr, sondern auch die Verwaltung und Rechtspflege („governmental affairs“) umfaßt, vgl. UETA § 2(16). Im übrigen ist auch im Bereich der Verwaltung und der Justiz die Vokabel „Geschäft“ gebräuchlich. Man spricht beispielsweise von der „Geschäftsstelle“ des Gerichts und dem „Geschäftsanfall“ der Behörden und Gerichte. 23 Sehr exakt die Terminologie des österreichischen Signaturgesetzes: „elektronischer Geschäfts- und Rechtsverkehr“ (Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage (1999 der Beilagen): Bundesgesetz über elektronische Signaturen (Signaturgesetz – SigG), Stenogr. Prot. des Nationalrates XX. GP, Beilage 2065, 1), die auch den öffentlichen Bereich (Behörden und Gerichte) umfassen soll (a. a. O., 5 f.). Allerdings wird man dieser Begriffsbildung eine gewisse Schwerfälligkeit und damit eingeschränkte Alltagstauglichkeit attestieren müssen. 20 21

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1. Kap.: Grundlagen

daran hindern, im Interesse der Vollständigkeit das Untersuchungsobjekt „Geschäftsverkehr“ möglichst weit zu fassen. „Elektronisch“ zielt auf das Medium, in dem sich der so verstandene Geschäftsverkehr abspielt. Gemeint ist die Erstellung rechtserheblicher Erklärungen auf einem Rechner und ihre Übertragung auf digitale, magnetische, optische, elektromagnetische oder ähnliche Weise, beispielsweise durch Telekommunikationsnetze, Draht, Funk u.ä.24

b) Gegenstand Elektronischer Geschäftsverkehr, verstanden als die Tätigung von Rechtsgeschäften und sonstigen Rechtsakten mittels vernetzter Rechner, ist kein Aliud zum normalen Geschäftsverkehr, sondern ist Geschäftsverkehr mit herkömmlichen Inhalten, aber abgewickelt über neue Medien.25 Daher erstreckt sich der elektronische Geschäftsverkehr potentiell auf nahezu alle existierenden Rechts- und Geschäftsbereiche. Ein kurzer Blick in die Tagespresse und Veröffentlichungen aus jüngerer Zeit mögen als Beleg dienen.26 Da ist etwa die Rede von virtuellen Waren- und Versandhäusern27, Automobilproduktion und Automobilhandel28, Verlagsgeschäften („online publishing“), EDI (Electronic Data Interchange) – auch via Internet –,29 computergesteuerten Börsengeschäften, Vertrieb von Versicherungen, Softwareproduktion, Reisebüros und Leistungen der Immobilien- und Woh24 Ähnlich Hermanns / Sauter, 3, 4, 13, 14 (für den dort bevorzugten, inhaltlich identischen Begriff Electronic Commerce); Strauß / Schoder, in: Hermanns / Sauter, 61, 62; Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 1. Die hier gewählte weite Definition des Begriffes „elektronisch“ entspricht internationalen Gepflogenheiten, vgl. etwa § 5-105 Illinois Electronic Commerce Security Act (nachfolgend: IECSA; dazu Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 155), § 2(5) UETA (s. dort Anm. 4 des offiziellen Kommentars), § 102(26) Uniform Computer Information Transactions Act (nachfolgend: UCITA, abrufbar bei http: / / www.nccusl.org) und UNCITRAL Model Law on Electronic Commerce 1996, Umsetzungsanleitung (Guide to Enactment) Nr. 7 (abrufbar unter http: / / www.uncitral.org). 25 Grauel, Markenartikel 2 / 1999, 48. 26 Vgl. nur die Aufzählungen bei Abel, MMR 1998, 644; Koehler, MMR 1998, 289; Kowallik, DStR 1999, 223, 224. 27 SZ v. 27. 08. 1999, L 1, Delta / Matsuura, § 9.03[I] mit weiteren Beispielen. 28 FAZ v. 01. 02. 2001, 30; SZ Beilage Technik v. 7. 10. 1999, V2 / 5 (Autohandel), SZ v. 01. 09. 1999 V2 / 11 (Gebrauchtwagenhandel), FAZ v. 09. 09. 1999, 28 (Neuwagenkonfiguration). 29 Beim EDI handelt es sich um den Austausch standardisierter elektronischer Erklärungen, v.a. zwischen Unternehmen und meist in großem Umfang, beispielsweise Kaufaufträge, Rechnungen, Zahlungsanweisungen u.a.m. Dazu Borgwardt, CR 1992, 189 f.; Delta / Matsuura, § 9.01; Fritzemeyer / Heun, CR 1992, 129 ff. & 198 ff.; Geis, BB 1996, Beil. 15, 12, 13; ders., NJW 1997, 3000, 3003 f.; Hoeren, CR 1995, 513 ff. (zu Beweisklauseln); Kilian, DuD 1993, 606 ff.; ders., in: Kilian / Heussen, Computerrechts-Handbuch, Kap. 23; MüllerBerg, DuD 1993, 87 ff.; Niebling, WiB 1997, 1054 ff.; Raubenheimer, CR 1993, 19 ff. (Steuer und Buchführung); Reeder, in: Geis, Die Digitale Kommunikation, 31 ff.; Reiser / Werner, WM 1995, 1901 ff. (EDIFACT); Walden, CR 1994, 1 ff.; Weinland, DuD 1997, 593 ff.

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nungsmakler.30 Ein weiteres großes Feld stellen Bankgeschäfte dar, die sich vom ec-Kartenverkehr31 und dem Bildschirmtext-System (Btx)32 der 80er Jahre zum „Online Banking“ und „Internet Banking“ fortentwickeln.33 Daneben entstehen völlig neue Berufsbilder, wie etwa das des „Web-Designers“, der die Gestaltung von Internet-Seiten (sogenannter „homepages“ oder „websites“) übernimmt.34 Hinzu kommt die Verlagerung traditionell durch persönlichen Kontakt geprägter Rechtsverhältnisse, wie etwa Bildung35 und Arbeit (letztere in Form der sog. Telearbeit36), auf vernetzte Rechner. Darüber hinaus ergreift der elektronische Geschäftsverkehr auch den Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Rechts-

30 Zu internetspezifischen Vertragsformen s.a. Büchner, in: Lehmann, Electronic Business in Europa, 335 ff.; Meyer / Specht / Friemel, in: Bräutigam / Leupold, Online-Handel, 14 ff. Zu letzteren SZ v. 01. 10. 1999, V2 / 1 31 Einschließlich der sog. elektronischen Point-of-Sale (POS) Zahlungssysteme; dazu Müglich, CR 1992, 75 ff. 32 Btx ist eine sehr frühe Form des elektronischen Geschäftsverkehrs, die auf Ideen aus den 60er Jahren beruht und nach ersten Erprobungen in den 70er Jahren in Deutschland seit Anfang der 80er Jahre existiert; Paefgen, AfP 1991, 365 f. Zu den rechtlichen Grundlagen s. Paefgen, JuS 1988, 592 f.; ders., AfP 1991, 365, 366; ferner, insb. aus bankrechtlicher Sicht, Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 527ee ff.; allgemein Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, 1 ff. Btx fand bis zum 01. 12. 2000 Verwendung, insbesondere im elektronischen Bankverkehr; SZ v. 13. 09. 2000, 25. Zum Nachfolgestandard HBCI s. Zwißler, DuD 1999, 45. – Einer der Vorteile des Btx war, daß es sich um ein von der Deutschen Telekom AG (früher: Deutsche Bundespost) betriebenes Intranet handelte, daher in geringerem Maße Angriffen von außen als etwa das Internet ausgesetzt war. Auf den Sicherheitsstandard von Btx wird im Rahmen von § 6 und § 10 noch zurückzukommen sein. Die über Btx angebotenen Leistungen enthielten neben der Möglichkeit, Bankgeschäfte abzuwickeln, auch Angebote von Versandhäusern und kostenpflichtige Informationsangebote, z. B. über Reisepläne, Wetterberichte, Nachrichten u.v.a.m.; vgl. Auerbach, CR 1988, 18, 19; Paefgen, JuS 1988, 592. 33 SZ v. 19. 10. 1999, 29, wo ein leitender Angestellter einer deutschen Großbank mit der Bemerkung zitiert wird, jede Bankleistung sei heute eine IT (= Informationstechnologie)Leistung. Ferner Hagemann / Schaup / Schneider, DuD 1999, 5 ff.; Hoeren, WM 1996, 2006 ff.; Lacher, in: Wiegand, E-Banking, 1 ff.; Kleiner, in: FS Keller, 718 ff.; Münch, NJWCoR 1989, 7 ff.; Petersen, DuD 1997, 403 ff.; ders., DuD 1997, 647 ff.; Pichler, NJW 1998, 3234 (Kreditkartenzahlung im Internet); v. Rottenburg, WM 1997, 2381 ff. (Direktbanking). Die gegen den elektronischen und internetgestützten Bankverkehr gerichtete Polemik von Haft, in: FS Schippel, 35, 37 („Fragwürdigkeit“, der Kunde nehme seiner Bank Arbeit ab, müsse dafür noch Gebühren bezahlen und trage obendrein zum Abbau von Arbeitsplätzen im Bankgewerbe bei) ist überzogen und unberechtigt. Immerhin erzielt der Kunde auch einen geldwerten Vorteil an Komfort (keine Bindung an Banköffnungszeiten, Bedienbarkeit von zu Hause oder vom Arbeitsplatz aus) und Schnelligkeit (raschere Abwicklung von Transaktionen). – Allgemein zum bargeldlosen und elektronischen Zahlungsverkehr Schön, AcP 198 (1998), 401 ff.; Werner, MMR 1998, 232 ff. & 338 ff. 34 SZ v. 27. 08. 1999, L1. Zu Webdesignverträgen Cichon, Internetverträge, 103 ff. 35 Dazu SZ v. 21. 09. 99, L6; ferner Schlußbericht der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, BTDrs. 13 / 11004, 48 ff. 36 Dazu Boemke, BB 2000, 147 ff. m.w.Nachw.; SZ vom 21. 8. 1999, 53.

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1. Kap.: Grundlagen

pflege.37 So soll die Vergabe öffentlicher Aufträge per Internet möglich sein,38 Anträge, Erklärungen und Bescheide (insbesondere in der Steuerverwaltung) sollen in elektronischer Form (per elektronischer Post) erstellt und übermittelt werden („E-Government“).39 In der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind elektronische Grundbücher, Handelsregister und sonstige öffentliche Register bereits seit einigen Jahren möglich40 und werden zunehmend Realität.41 In der streitigen Gerichtsbarkeit verdienen zwei Pilotprojekte zum vollelektronischen Mahnverfahren (AG Mayen)42 und zum elektronischen Finanzgerichtsprozeß (FG Hamburg) besondere Erwähnung.43 Der durch das FormAnpG geschaffene § 130a ZPO erlaubt neuerdings die Einreichung von Schriftsätzen in der Form elektronischer Dokumente. Bei aller Vielfalt liegt – neben den reinen Unterhaltungsdiensten – der Hauptanwendungsbereich des elektronischen Geschäftsverkehrs derzeit in Geschäftsfel37 Wertvolle Vorarbeit hat eine bereits im Jahr 1994 abgeschlossene Simulationsstudie geleistet, deren Ergebnisse allerdings unter dem Vorbehalt zwischenzeitlich teilweise dramatisch vorangeschrittener technischer Entwicklung betrachtet werden müssen; vgl. Roßnagel u. a., Simulationsstudie). 38 SZ v. 22. 09. 1999, 23; Mitteilung in NJW 2003, Heft 13, X („Erste elektronische Vergabe von Bauleistungen“). 39 SZ v. 23. 02. 2000, V2 / 24; SZ v. 23. 06. 2000, V2 / 14; NJW Informationen, NJW 2000, Heft 1, XLIII, Heft 9, XLVIII; Peters, CR 2003, 68 ff.; Roßnagel, NVwZ 2000, 622, 623; Entschließung des Bundesrates zur Anpassung des Bundesrechts zur Erprobung digitaler Verwaltungsdienstleistungen (elektronische Bürgerdienste), BRDrs. 231 / 00 (Beschluß) und Pressemitteilung Nr. 91 / 2000 des Bundesrates, abgedruckt NVwZ 2001, 782. Zur Anpassung von Formvorschriften im öffentlichen Recht s. etwa Eifert / Schreiber, MMR 2000, 340 ff.; Rossnagel, NJW 2003, 469. Zur Einführung der digitalen Signatur in der Bundesverwaltung s. Mitteilung in NJW 2002, Heft 6, X f. 40 Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz, BGBl. 1993 I, 2382. Dazu Heitmann, BB 1999, 1720 f. 41 Dazu etwa Heitmann, BB 1999, 1721 (elektronische Grundbücher in Sachsen); NJWInformationen, NJW 2000, Heft 45, XLIV & 2002, Heft 6, XXIV (Münchener Handelsregister ist elektronisiert); ferner der durch das Gesetz über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation v. 10. Dezember 2001 (ERJuKoG) erweiterte elektronische Abruf nach §§ 9, 9a HGB; BGBl. 2001 I 3422. 42 NJW-Informationen, NJW 1999 Heft 40, XVI & NJW 2001, Heft 8, XV (Mahnbescheidsanträge per elektronischer Post mit digitaler Signatur; geplant ferner online Anträge am Bildschirm). – Das herkömmliche automatisierte Mahnverfahren (§ 690 Abs. 3 ZPO) basiert noch auf der physischen Übertragung von Datenträgern (z. B. Disketten), also gerade nicht auf der Nutzung vernetzter Rechner und zählt daher noch nicht zum elektronischen Geschäftsverkehr in dem hier verstandenen Sinn. 43 Zu letzterem vgl. Pressemitteilung NJW 1999 Heft 36, XIV, Grotheer, BB 1999, Heft 34, I (Projektbeginn 02. 08. 1999); Schneider, AnwBl. 2000, 106 f. Klagen und sonstige Schriftsätze wurden per elektronischer Post über das Internet mit Verschlüsselung und digitaler Signatur (einschließlich einer sog. „Smartcard“) versendet und zugestellt. Nach dem erfolgreichen Abschluß des dreijährigen Feldversuchs bietet das FG Hamburg seit 01. 05. 2002 auf Grundlage des § 77a FGO i.V.m. einer Landesverordnung die Möglichkeit, Klagen und Schriftsätze per elektronischer Post (verschlüsselt und digital signiert) einzureichen. Viefhues, CR 2002, 548. – Zur Situation in USA und Australien s. Griese, DAJV-NL 3 / 02, 88 ff.

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dern, die Fragen des klassischen Zivilrechts aufwerfen, und zwar sowohl im unternehmerischen und kaufmännischen Bereich (sog. „B2B“-Verkehr, also „business to business“) als auch im Verhältnis Unternehmer – Verbraucher (sog. „B2C“-Verkehr, d. h. „business to consumer“).

2. Technische Grundlagen Durch Telekommunikationsleitungen verbundene bzw. vernetzte Rechner bilden die technische Grundlage des elektronischen Geschäftsverkehrs. Die wichtigste Form der Vernetzung stellt – neben sog. Intranets – der Anschluß eines Rechners an das sog. Internet dar. a) Rechnertechnologie Erforderlich und ausreichend für die Teilnahme am elektronischen Geschäftsverkehr ist ein handelsüblicher Rechner (Personalcomputer; die „Hardware“), ausgestattet mit entsprechenden Rechnerprogrammen (Software), insbesondere Programmen, mit denen das Internet arbeitet (Internetprotokoll). Dazu gehören z. B. ein Programm, mit dem man Internetseiten lesen kann (sog. „Web-Browser“) und Anwendungsprogramme, etwa zum Verschicken und zum Empfang elektronischer Post („e-mail“). Schließlich ist noch ein ISDN-Telefonanschluß oder bei Verwendung eines analogen Telefonanschlusses ein sog. Modem (Modulator / Demodulator) zur Übertragung von Rechnerdaten über das Telefonnetz erforderlich.44 Wichtig ist, daß die verwendeten Technologiebausteine möglichst weitgehend kompatibel zu anderen Systemen sind, um eine breite, ggf. weltweite Nutzung und Vernetzung zu ermöglichen.45 Die Fortentwicklung und Verbreitung des elektronischen Geschäftsverkehrs wird durch den stetigen Preisverfall von Hard- und Software46 stark gefördert.47 Hinzu kommt die in den vergangenen Jahren rasch gestiegene Ausstattung von Unternehmen, Universitäten, Gerichten, Behörden und Verbrau44 Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168; v. Herget / Reimer, DStR 1996, 1288, 1289; Hoeren, Rechtsfragen des Internet, Rn. 6 ff.; Kröger / Kuner, Internet für Juristen, 3. Aufl. 2001, 6 ff.; Mayer, NJW 1996, 1782, 1783. Zur technischen Entwicklung s.a. Schlußbericht der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, BTDrs. 13 / 11004, 28 ff. 45 Hermanns / Sauter, 13, 19. 46 Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 7; ähnlich Grewlich, RIW 2000, 337, 340. Unberechtigt daher – jedenfalls mittlerweile – die Kritik von Haft, in: FS Schippel, 35, 37 („aufwendige Geräte und ,Modems‘“, „womöglich einen ISDN-Anschluß“). 47 Genauer müßte man von einer ebenso stetigen wie rasanten Fortentwicklung der Rechnertechnologie bei in etwa gleichbleibenden Preisen sprechen, die zu einer extrem schnellen Veralterung eines einmal gekauften Produktes führt. Das führt zur Halbierung der Preise für Rechnerleistung etwa alle achtzehn Monate; Rißmann / Loos / Mei-Pochtler / Dean, in: Hermanns / Sauter, 141, 142.

3 Rieder

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1. Kap.: Grundlagen

chern mit leistungsfähigen Rechnern, die es einer immer größeren Personenzahl erlaubt, am elektronischen Geschäftsverkehr teilzunehmen.48

b) Telekommunikation Weiteres Kennzeichen des elektronischen Geschäftsverkehrs ist, wie bereits erwähnt, die Verbindung bzw. Vernetzung von Rechnern insbesondere über Telekommunikationseinrichtungen.49 Mit deren Hilfe werden elektronische Geschäfte und sonstige rechtserhebliche Erklärungen vom Rechner des Erklärenden zum Rechner des Erklärungsempfängers übertragen. Auch hier begünstigt die technische und rechtliche Entwicklung die Verbreitung des elektronischen Geschäftsverkehrs in besonderer Weise, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen ermöglicht die moderne ISDN Technik äußerst hohe Übertragungsgeschwindigkeiten und damit Zeit- und Kostenersparnis.50 Hinzu kommt zweitens, daß die Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte in Europa (und bereits früher in den USA) zu einem Rückgang der Telefongebühren und damit zu einem den elektronischen Geschäftsverkehr begünstigenden Absinken der Transaktionskosten geführt hat.51 Die Versendung elektronischer Post, auch mit umfangreichen Anlagen, Bilddateien u.ä. an einen beliebigen Ort der Welt, an dem eine entsprechende Empfangseinrichtung vorhanden ist, erfolgt heute buchstäblich in Sekundenschnelle und zum Preis von Pfennigbeträgen, während herkömmliche Post ein Vielfaches an Zeit und Geld kostet. Gerade bei längeren Erklärungen ist auch das Telefax weitaus langsamer und teurer als elektronische Post.

c) Intranets und Internet Eine Möglichkeit, Rechner zu vernetzen, ist der gesonderte Aufbau eines eigenen Netzwerks für eine bestimmte Zahl von Rechnern.52 Ein solches geschlosse48 Vgl. Abel, MMR 1998, 644, 647, der bereits im Jahr 1998 konstatierte „wo es Aktenordner gibt, gibt es auch Computer.“ 49 Überblick zu den telekommunikationsrechtlichen Grundlagen bei Schneider, Handbuch des EDV-Rechts, Kap. B Rn. 593 ff., 256 ff. 50 Kröger / Kuner, Internet für Juristen, 7. 51 Dazu Grewlich, RIW 2000, 337, 340; Ehring, Grundlagen und Entwicklung der Liberalisierung der Telekommunikationsmärkte in Europa – zugleich ein Beitrag zu Art. 90 EGV, in: Hoeren / Queck, Rechtsfragen der Informationsgesellschaft, 32 ff. Die mittlerweile im wesentlichen abgeschlossene Öffnung der Telekommunikationsmärkte wurde bereits 1990 von der EU angestoßen und in der Folgezeit von den Mitgliedstaaten mit unterschiedlicher Intensität umgesetzt; vgl. Richtlinie 90 / 388 / EWG über den Wettbewerb auf dem Markt für Telekommunikationsdienste, ABlEG Nr. L 192 v. 24. 7. 1990, 10; Entschließung des Europäischen (Telekom)Rates v. 22. 7. 1993 (ABlEG Nr. C 213 v. 6. 8. 1993, 1) zur Liberalisierung des Sprachtelefondienstes und der Telekommunikationsinfrastruktur. 52 Dazu Kuner, Internet für Juristen, 2. Aufl. 1999, 69 ff.

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nes Netz nennt man „Intranet“ (im Gegensatz zu dem sogleich zu beschreibenden „Internet“). Charakteristikum eines Intranets ist die begrenzte Teilnehmerzahl. 53 Zu jedem Zeitpunkt stehen Zahl und Identität der Teilnehmer eindeutig fest. Außenstehende haben ohne Genehmigung des Netzwerkbetreibers keinen Zugang zu dem Intranet. Intranets finden heute vielfache Verwendung innerhalb von Unternehmen. Dabei werden die Rechnerarbeitsplätze der Mitarbeiter über zentrale Rechner (sog. „server“) verbunden. Anders verhält es sich beim sog. Internet. Das Internet ist ein mittlerweile weltweites, privates Rechnernetz,54 das sich aus einem Netzwerk entwickelt hat, welches ursprünglich militärischen und später wissenschaftlichen Zwecken diente, und bei dem im Laufe der Zeit die Nutzung für Geschäfts- und private Unterhaltungszwecke hinzugekommen ist.55 Ursprünglich, in den 60er Jahren, wurde das Internet nach den besonderen Bedürfnissen des Verteidigungsministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika entwickelt.56 Ziel war ein Rechnernetz, das nicht von einem einzigen zentralen Rechner abhängig war; denn bei einem erfolgreichen Angriff auf einen solchen Zentralrechner würde das gesamte Netzwerk zerstört. Stattdessen wurde ein Netzwerk geschaffen, das keinen Zentralrechner hatte und dessen Teile unabhängig voneinander operieren konnten (dezentrale Struktur).57 Charakteristikum des Internets ist daher seine praktische Unzerstörbarkeit. Das Internet ist so konzipiert, daß sich Erklärungen vom Erklärenden ihren Weg zum Empfänger über eine Vielzahl einzelner Rechner „suchen“, gesteuert durch ein bestimmtes, „Protokoll“ genanntes Programm. Fällt ein Rechner auf dieser „Strecke“ aus, wird die Erklärung durch das Protokoll automatisch über andere Rechner „umgeleitet“. Auch die großflächige Zerstörung vieler einzelner Rechner kann die Übertragung der Erklärung normalerweise nicht verhindern.58 Im Laufe der 70er 53 Teilweise finden sich auch als „Extranets“ bezeichnete Netzwerke. Damit sind beispielsweise Netzwerke gemeint, die ein Herstellerunternehmen mit seinen Fachhändlern unterhält. In Wirklichkeit handelt es sich auch dabei wegen des geschlossenen Teilnehmerkreises um ein Intranet. Die Bezeichnung „Extranet“ wird in diesen Fällen oft nur verwendet, um beispielsweise das Händlernetzwerk von einem separaten, rein herstellerinternen Intranet abzugrenzen. Für die vorliegende Untersuchung bringt diese Unterscheidung keinen Erkenntnisgewinn und wird deshalb nicht weiter verfolgt. 54 Genauer betrachtet ist es sogar eine Vielzahl von Rechnernetzen, die untereinander verknüpft sind. Neumann, DRiZ 1997, 402. 55 Ausführlicher zur nachfolgend in Grundzügen dargestellten geschichtlichen Entwicklung des Internets s. Bierekoven, 2 ff.; Kröger / Kuner, Internet für Juristen, 1 ff.; ferner Köhler / Arndt, 2 f.; Mayer, NJW 1996, 1782, 1783; Sieber, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht, Teil 1, Rn. 1 ff.; Federrath / Pfitzmann, in: Moritz / Dreier, E-Commerce, Rn. A 1 ff.; Wenning, jur-pc 1995, 3321. Zur heutigen und zukünftigen Bedeutung s. Ohliger, in: Hoeren / Sieber, a. a. O., Rn. 69 ff. und 88. 56 Hoeren, Rechtsfragen des Internet, Rn. 1. 57 Mayer, NJW 1996, 1782, 1783. 58 Darin lag ursprünglich, als das Internet für militärische Zwecke erdacht wurde, der Schwerpunkt. Man wollte damit auch im Falle eines atomaren Vernichtungsschlages des Gegners noch in der Lage sein zu kommunizieren. Allerdings ist zu bedenken, daß jedenfalls

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1. Kap.: Grundlagen

und 80er Jahre wurde das Internet verstärkt durch Forschungseinrichtungen genutzt. Im Jahr 1995 schließlich entschied sich die US Regierung, das Internet nicht mehr zu subventionieren, sondern zu privatisieren. Seither steht es auch für private und kommerzielle Nutzung jedermann und praktisch auf der ganzen Welt zur Verfügung.59 Daher ist heute das zweite Hauptmerkmal des Internet seine Offenheit, d. h. es steht jedermann offen, seinen Rechner mit überall im Handel erhältlicher Hard- und Software an das Internet anzuschließen, entweder durch eine direkte Verbindung zum Internet oder über einen Internet-Diensteanbieter.60 Es gibt keine Zugangsbeschränkungen und keine Zugangskontrollen, ebensowenig existiert eine Internetzentrale, wo das Internet kontrolliert oder gar abgeschaltet werden könnte.61 Dadurch hat das Internet einen internationalen öffentlichen oder sozialen Raum neuen Typs geschaffen, den „Cyberspace“,62 und etabliert sich mehr und mehr als alltägliches Medium.63 Für die kommerzielle Nutzung des Internet ist das sog. „World Wide Web“ („WWW“) von besonderer Bedeutung, das z.T. fälschlich mit dem Internet gleichgesetzt wird.64 Beim WWW handelt es sich nicht um ein Rechnernetz, sondern um einen Internetdienst, bestehend aus einem System von Dateien mit einheitlichem Format, die durch Verweise miteinander verbunden sind.65 Die Kommunikation im WWW erfolgt über sog. „Adressen“, an die Nachrichten gesandt und von denen Nachrichten abgerufen werden können. Eine Adresse besteht aus zwei Teilen, dem derzeit ein Großteil des Datenaustauschs über eine begrenzte Zahl von (Groß)Rechnern erfolgt. Eine gezielte Zerstörung aller oder einer erheblichen Zahl dieser Rechner könnte in der Tat das Internet empfindlich treffen. Die Benutzung wäre dann zwar nicht ausgeschlossen, aber u.U. nur extrem verlangsamt möglich und damit praktisch nicht mehr brauchbar. Dazu SZ v. 01. 08. 2000, V2 / 10. 59 Das Internet ist in ca. 200 Staaten verfügbar; Hagemann / Schaup / Schneider, DuD 1999, 5. In Deutschland nutzten 1999 ca. 16%, 2000 ca. 28% und 2001 bereits ca. 43% der Bevölkerung das Internet, weltweit liegt die Internetpenetration dagegen derzeit bei lediglich 5% bei einem enormen Nachholbedarf unter den Entwicklungsländern; FAZ v. 2. 11. 2000, 30 und v. 21. 08. 2001, 15. 60 Wie z. B. T-Online, America Online, Compuserve etc.; Kuner, Internet für Juristen, 2. Aufl. 1999, 25 ff. In der Regel fallen hierbei sowohl Telefonkosten als auch laufende, an den Diensteanbieter zu entrichtende Kosten an. Zwar gibt es auch – angeblich – „kostenlose“ Zugangsmöglichkeiten, doch sind diese oft mit Nachteilen verbunden, z. B. häufige Werbung, langsame Übertragungszeiten oder Netzwerküberlastung; dazu Kuner, a. a. O., 30. – Bei den Internetdiensten sind reine Zugangsanbieter, die sich auf die Verschaffung des Internetzugangs beschränken, und Inhaltsanbieter zu unterscheiden. Letztere bieten neben dem Internetzugang auch Zugang zu Informationen, die nur den Kunden des Inhaltsanbieters zugänglich sind, z. B. Nachrichten, Diskussionsgruppen, Freizeitinformationen, Fahrpläne, Börseninformationen, Veranstaltungsprogramme u.v.a.m. 61 Mayer, NJW 1996, 1782, 1783. 62 Mayer, NJW 1996, 1782, 1783. 63 Hermanns / Sauter, 427, 430. 64 Mißverständlich z. B. v. Herget / Reimer, DStR 1996, 1288. 65 Borges, ZIP 1999, 130, 131 m.w.Nachw.; Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168; Hoeren, Rechtsfragen des Internet, Rn. 24 ff.

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr

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Namen des Rechners, mit dem kommuniziert werden soll (sog. „Domain-Name“), und einem Zusatz (sog. „Top-Level-Domain-Name“), beispielsweise in Form einer Länderkennung („.de“ für Deutschland) oder einer Eigenschaftskennung („.com“ für kommerzielle Organisationen, „.edu“ für Bildungseinrichtungen u.ä.).66 Zuständig für die Vergabe von Rechnernamen sind die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und die von ihr akkreditierten Stellen, in Deutschland beispielsweise u. a. das Deutsche Network Information Center (DE-NIC) an der Universität Karlsruhe.67 Hauptverwendungszwecke des Internets sind heute Informationsbeschaffung und Kommunikation. Die Informationsbeschaffung wird durch sog. Suchmaschinen erleichtert, d. h. Rechnerprogramme, mit deren Hilfe man einen bestimmten Bereich des Internets nach bestimmten Begriffen durchsuchen kann.68 Kommunikation kann sowohl an die Allgemeinheit gerichtet sein, z. B. durch Einrichten einer Internetseite auf einem Rechner69 oder Werbung, als auch individuell erfolgen, z. B. durch Austausch elektronischer Post und sonstiger elektronischer Erklärungen.70 Die Kommunikation kann sich auf soziale Kontakte beschränken oder rechtserheblich bzw. rechtsverbindlich gestaltet sein. Aus den Hauptmerkmalen Unzerstörbarkeit und Offenheit ergeben sich gleichzeitig vier wesentliche Risiken der Internetnutzung.71 Erstens hat der Erklärende zunächst keine Möglichkeit, die Identität seines Gegenübers sicher festzustellen; Abhilfe kann hier nur die Verwendung sicherer Identifizierungsmittel, z. B. digitaler Signaturen, schaffen. Zweitens weiß er im voraus nicht, über welche Rechner seine Erklärung zum Empfänger weitergeleitet wird. Da es keine Zugangskontrollen gibt, ist es einem Eindringling („Hacker“) möglich, einen der Übertragungspunkte gleichsam „anzuzapfen“ und durchlaufende Erklärungen abzufangen, zu lesen, ggf. zu verändern oder sie sonst zu mißbrauchen.72 Auch dagegen gibt es Sicherungsmittel, v.a. in Form der Verschlüsselungstechnologie (Kryptographie), die allerdings bislang nur wenig verwendet werden. In den allermeisten Fällen wird bislang beispielsweise elektronische Post unverschlüsselt versendet, gleich einer Postkarte, die im Prinzip jedermann lesen kann. Hinzu kommen drittens GeBorges, ZIP 1999, 130, 131. http: / / icann.org; http: / / www.nic.de; Kuner, Internet für Juristen, 2. Aufl. 1999, 6. ICANN ist eine gemeinnützige Gesellschaft nach dem Recht des US Bundesstaates Kalifornien, die im Oktober 1998 gegründet worden ist. Dazu näher Kleinwächter, MMR 1999, 453. Zu den Vertragsbeziehungen bei der Registrierung eines Domain-Namens Cichon, Internetverträge, 87 ff. 68 Kröger / Kuner, Internet für Juristen, 16 ff. 69 Kuner, Internet für Juristen, 2. Aufl. 1999, 63 ff. 70 Kuner, Internet für Juristen, 2. Aufl. 1999, 47 ff. Weitere Beispiele sind die vielfältigen Diskussionsforen im Internet (LISTSERV-Gruppen, USENET-Gruppen); dazu Kuner, a. a. O., 55 ff. 71 Zum folgenden auch Kröger / Kuner, Internet für Juristen, 47 ff. 72 Kuner, NJW-CoR 1995, 413; Schallbruch, Jura 1998, 386, 387. 66 67

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1. Kap.: Grundlagen

fahren durch sog. Viren, also Rechnerprogramme, die in andere Programme oder Rechner eingeschleust werden und absichtlich so konzipiert sind, daß sie dort Schaden verursachen, beispielsweise durch Zerstörung von Daten oder Lahmlegung des Rechners. Schutz dagegen bieten in gewissem Umfang Antivirenprogramme, mit denen Daten, die aus dem Internet bezogen werden, vorab auf Viren überprüft werden können. Schließlich besteht eine vierte Gefahr der Internet-Nutzung darin, daß sich „Hacker“ in einen Rechner unbefugt „einloggen“ können, und diesen entweder lahmlegen, oder sich unbefugt vertrauliche Daten beschaffen u.ä. Diese Gefahr besteht allerdings i.d.R. nur für Rechner, die ständig am Internet angeschlossen sind. Die Auffassungen, wie hoch die praktische Relevanz dieser Sicherheitsrisiken ist, gehen weit auseinander. Gerade in der Vergangenheit wurden die Risiken vielfach als sehr hoch oder gar zu hoch eingeschätzt.73 Mittlerweile scheint sich eine gemäßigtere Bewertung durchzusetzen, deren Kern sich in dem Satz zusammenfassen läßt, das Internet sei nicht unsicherer als herkömmliche Kommunikationsmittel.74 In der Tat können auch mit herkömmlicher Post versandte Briefe abgefangen oder Telefon- und Telefaxanschlüsse abgehört werden.75

3. Bedeutung a) Wirtschaftlich Dem elektronischen Geschäftsverkehr wird ganz überwiegend eine enorme wirtschaftliche Bedeutung beigemessen.76 Das liegt v.a. an mit Zeit- und Kostenersparnis einhergehenden Effizienzsteigerungen (Senkung der Transaktions-, Büro- und 73 Etwa Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 6, der davon ausgeht, der Sicherungsbedarf beim elektronischen Geschäftsverkehr sei erheblich größer als beim papierfixierten Geschäftsverkehr, insbesondere aufgrund einer „beängstigend voranschreitenden Computerkriminalität.“ Ähnlich, mit starker Betonung der Notwendigkeit Verschlüsselungstechnologien einzusetzen Roßnagel, Die Infrastruktur sicherer und verbindlicher Telekooperation, 10 ff. 74 So z. B. Kuner, Internet für Juristen, 2. Aufl. 1999, 48 ff., ähnlich Delta / Matsuura, § 9.03[A]. Dieselbe Auffassung liegt einer Stellungnahme der American Bar Association (ABA) zu der Frage zugrunde, ob ein Rechtsanwalt datenschutzrechtliche und das Berufsgeheimnis betreffende Vorschriften des US amerikanischen Rechts verletzt, wenn er mit einem Mandanten unverschlüsselt per elektronischer Post kommuniziert. Entgegen der früheren Auffassung der ABA soll dies nach amerikanischem Recht jetzt zulässig sein, da elektronische Post in der Regel nicht weniger sicher sei als die herkömmlichen Kommunikationsmittel Post, Telefax und Telefon, s. American Bar Association Standing Committee on Ethics and Professional Responsibility, Formal Opinion No. 99-413, 10. 03. 1999, Protecting the Confidentiality of Unencrypted E-Mail (Volltext: http: / / www.abanet.org / cpr / fo99-413-html; Pressemitteilung: http: / / abanet.org / media / apr99 / ethics. html). 75 Kuner, Internet für Juristen, 2. Aufl. 1999, 31. 76 Schlußbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, BTDrs. 13 / 11004, 36 ff.; FAZ v. 02. 11. 2000, 30.

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr

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Archivierungskosten)77 und Komfortgewinnen für die Beteiligten,78 neuen Methoden der Kundengewinnung,79 neuartigen Tätigkeitsfeldern80 sowie an der Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs, die jedem Anbieter und Nachfrager gleichsam die ganze Welt als Markt erschließt.81 Insbesondere im europäischen Bereich werden vielfach aber auch besondere Gefahren, insbesondere für Verbraucher, gesehen,82 mit denen Bedarf nach verbraucherschützendem gesetzgeberischen Handeln begründet wird.83 Schwierig ist es, verläßliche Wachstumsprognosen abzugeben.84 Ein Blick in entsprechende Veröffentlichungen zeigt große Divergenzen, weitgehende85 Einigkeit besteht allenfalls in dem Glauben an ein außerordentlich starkes Wachstum.86 Auch insoweit ist allerdings Vorsicht geboten. So haben sich beispielsweise 77 Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 185; Köhler, AcP 182 (1982), 126, 129; ders., NJW 1998, 185; Schmid, in: Hermanns / Sauter, 31, 38; Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 6 & 7, The Economist v. 26. 02. 2000, 19. Erste Studien haben auch im Bereich der Telearbeit deutliche Effizienzsteigerungen ergeben, SZ v. 21 / 22. 8. 1999, 53. Zu Recht ist zwar darauf hingewiesen worden, daß es sich beim elektronischen Geschäftsverkehr insgesamt bislang mehr um potentielle als tatsächlich genutzte Möglichkeiten handelt; drastisch Bizer / Fox, DuD 1997, 66 „Wir verbrauchen dank EDV soviel Papier wie nie zuvor – mit steigender Tendenz.“ Das ändert aber nichts an dem vorhandenen Potential; immerhin sind etwa die Hälfte aller Kosten in Unternehmen sog. Transaktionskosten, und Schätzungen gehen davon aus, daß zwischen 5 und 20% der Gesamtkosten eines Unternehmens eingespart werden können; FAZ v. 02. 11. 2000, 30. 78 Internetangebote sind jederzeit verfügbar und von nahezu jedem beliebigen Ort abrufbar. Produktpräsentationen, beispielsweise in bewegter Form (Animation) können informativer gestaltet werden als in herkömmlichen Katalogen; Abel, MMR 1998, 644; Borges, ZIP 1999, 130. 79 Brisch, CR 1998, 492, 493. 80 Grewlich, RIW 2000, 337, 338, der von Inhalteproduzenten, „content packager“, „service provider“ und Netzbetreibern spricht. 81 Plastisch Däubler-Gmelin, WM 1999, 169: „Je kleiner die Welt wird, desto größer werden die Märkte.“ Das traf zunächst besonders auf den Büro- und Dienstleistungsbereich zu (dazu Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 1), gilt mittlerweile aber auch für Beschaffung und Vertrieb von Waren. Dazu Borges, ZIP 1999, 565 („globaler Marktplatz“); Moritz, CR 2000, 61. 82 Genannt werden die fehlende Möglichkeit der Warenbesichtigung und -erprobung, besondere Risiken bei Vertragsabwicklung und -rückabwicklung, Probleme bei der Rechtsdurchsetzung im Ausland und Verletzungen der Privatsphäre durch aggressive Werbemethoden; Bodewig, DZWir 1997, 447 f.; Borges, ZIP 1999, 130 f. 83 Vgl. insb. die Fernabsatzrichtlinie der EU, s. u. § 2. 84 Hermanns / Sauter, 3, 6 sprechen von einer „großen Bandbreite“ der verfügbaren Statistiken. 85 Kritisch beispielsweise Hoeren, NJW 2000, 188, 190. 86 Allgemein siehe Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (EGV-RL), Erwägungsgrund (2) („Die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs in der Informationsgesellschaft bietet erhebliche Beschäftigungsmöglichkeiten [ . . . ] und wird das Wirtschaftswachstum [ . . . ] anregen [ . . . ]“. – Einige wenige Beispiele mögen die Unterschiedlichkeit der Prognosen belegen:

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1. Kap.: Grundlagen

anfängliche Vorhersagen im Hinblick auf die Entstehung neuer Arbeitsplätze als zu euphorisch erwiesen; gleichzeitig führt der elektronische Geschäftsverkehr auch zur Vernichtung herkömmlicher Arbeitsplätze.87 Vorsichtigere Schätzungen gehen davon aus, daß weniger völlig neuartige Internet-Unternehmen die großen „Gewinner“ des elektronischen Geschäftsverkehrs sein werden, sondern „herkömmliche“ Unternehmen, die Teile ihres Geschäfts (z. B. in Materialbeschaffung, Verwaltung, Marketing und Vertrieb) auf elektronischen Geschäftsverkehr umstellen.88 Gegenwärtig vollzieht sich der Großteil des elektronischen Geschäftsverkehrs im Verhältnis von Unternehmen zueinander, also im kaufmännischen Bereich („Business to Business“ – „B2B“), und erst ein geringerer Teil im Bereich Unternehmen – Privatpersonen („Business to Consumer“ – „B2C“)89, auch insoweit allerdings mit erheblichen Wachstumserwartungen.90  So prognostizierte die Zeitschrift The Economist (21. 08. 1999, 51) für 1999 ein Geschäftsvolumen von weltweit ca. US$ 12 Milliarden, im Jahr 2002 ca. US$ 41 Milliarden. Dabei soll der Umsatz in Europa von ca. US$ 3 Mrd. (1998) auf nahe US$ 30 Mrd. (2001) wachsen, in USA dagegen von US$ 25 Mrd. (1998) auf US$ 158 Mrd. (2001) (The Economist, 11. 09. 1999, 83).  Eine andere Studie gibt für die USA bereits 1998 ein Volumen von US$ 43 Mrd. an, und prognostiziert dort für 2003 US$ 1.3 Bio., weltweit US$ 3.2 Bio., was mehr als 9% des Gesamtumsatzes der amerikanischen Wirtschaft und ca. 5% des Weltumsatzes entspräche (Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 3 – 5).  Eine weitere Studie errechnete für 1999 weltweit einen Umsatz von US$ 111 Mrd. (zitiert nach SZ v. 17. 09. 1999, 28).  Der Verband der deutschen Internet-Wirtschaft erwartete für 2001, daß mehr als ein Drittel aller Geschäfte digital abgewickelt werden (SZ v. 27. 08. 1999, L1).  Allein im Bereich der Teledienste sollte nach einer bereits älteren Studie eine Steigerung von 0,5 Mrd. DM p.a. in 1996 auf 13 Mrd. DM p.a. in 2000 möglich sein (Handelsblatt Nr. 126, vom 03. 07. 1996, 4).  Die WTO hat im 1998 eine Prognose aufgestellt, wonach im Jahr 2000 weltweit Geschäfte mit einem Volumen von rund 300 Milliarden Dollar im Internet abgeschlossen werden sollen; zitiert bei Abel, MMR 1998, 644 mit Fn. 6. – Weltweit wird für den elektronischen Geschäftsverkehr im Jahr 2003 ein Umsatz von mehr als 1,4 Billionen Euro erwartet (Wissmann, EuZW 2000, 289; ähnlich Moritz, CR 2000, 61 – 2 Billionen DM). 87 FAZ v. 2. 11. 2000, 30. Für 1999 wurden 6000 neue Arbeitsplätze prognostiziert (SZ v. 21. / 22. 8. 1999, V1 / 1). Immerhin entstehen neue Berufsbilder (z. B. „Mediengestalter für Digital- und Printmedien“) und es werden neue Studiengänge und sogar Lehrstühle für „E-Commerce“ (Stuttart) eingerichtet (SZ a. a. O.). 88 FAZ v. 15. 02. 2001, 30; Schrempp, BB 2000, Heft 33, „Die erste Seite“; The Economist, 21.-27. 8. 1999, 51 f. – Der Einbruch an den Kapitalmärkten bei jungen Unternehmen mit Tätigkeitsschwerpunkt im elektronischen Geschäftsverkehr während der Jahre 2000, 2001 und 2002 hat ein übriges zur vorsichtigeren Bewertung des im elektronischen Geschäftsverkehrs steckenden ökonomischen Potentials getan; FAZ a. a. O. 89 Schätzungen gehen von einem unternehmerisch-kaufmännischen Anteil von 80 – 90% und einem „Endverbraucher“-Anteil von 10 – 20% aus; Hermanns / Sauter, 13, 22; Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 3 – 5; The Economist v. 26. 02. 2000, 19. 90 Borges, ZIP 1999, 130 m.w.Nachw.; Hermanns / Sauter, 13, 23; SZ v. 23. 02. 2000, V2 / 18.

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr

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Bei aller prognostischen Unsicherheit wird man gleichwohl von einer hohen Bedeutung des elektronischen Geschäftsverkehrs für die Wirtschafts- und Rechtsordnung ausgehen dürften. In Zukunft wird der elektronische Geschäftsverkehr kein Nischendasein führen, sondern integraler Bestandteil der gesamten Wirtschaftstätigkeit sein, einschließlich mittelständischer Unternehmen.91 Hinzu kommt, daß der elektronische Geschäftsverkehr auch das Geschäftsgebaren der Marktteilnehmer verändert. Nachfrager haben verbesserte Vergleichsmöglichkeiten und damit umfangreichere Informationen über das nachgefragte Produkt. Anbieter können stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Nachfrager eingehen und anstatt auf Vorrat zu produzieren („build to stock“, „push-Ansatz“ im Vertrieb) vermehrt genau diejenigen Produkte herstellen und vertreiben, die der einzelne Nachfrager wünscht („build to order“, „pull-Ansatz“ im Vertrieb).92 Dem Handel als Vermittler zwischen Hersteller und Verbraucher werden ein Bedeutungsverlust und damit „schwere Zeiten“ vorhergesagt.93

b) Gesellschaftlich Die Bedeutung des elektronischen Geschäftsverkehr geht über die rein wirtschaftliche Dimension weit hinaus. Er erlangt gesellschaftliche Bedeutung zum einen durch den erleichterten Zugang zu Informationen und erhöhte Markt- und Produkttransparenz, die zu einer Stärkung des Verbrauchers und Bürgers führen (Informationsgesellschaft).94 „Ähnlich revolutionäre Auswirkungen [ . . . ] wie einstmals die Erfindung der Schrift“ werden für möglich gehalten.95 Auf absehbare Zeit, so wird prognostiziert, werden allerdings lediglich 10 – 15% der Weltbevölkerung von den Errungenschaften der Informationsgesellschaft profi91 So Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 7. Zu Änderungen in den Wirtschaftsstrukturen durch elektronischen Geschäftsverkehr s. Salmony, in: Lehmann, Electronic Business in Europa, 1 ff. 92 Dazu Hermanns / Sauter, 3, 5. 93 Hermanns / Sauter, 13, 16. 94 Däubler-Gmelin, WM 1999, 169; Grewlich, RIW 2000, 337, 338; Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 6 & 7; Würtenberger, in: Leipold, Rechtsfragen des Internet und der Informationsgesellschaft, 3 ff.; ausführlich Schlußbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft“, BTDrs. 13 / 11004. – Bei der Schaffung der Rahmenbedingungen der Informationsgesellschaft hat die EU einen wesentlichen Anteil; vgl. Aktionsplan der EU vom Juli 1994 „Europas Weg in die Informationsgesellschaft“, KOM (94) 347 endg.; Mitteilung der Kommission „Die Informationsgesellschaft – von Korfu bis Dublin“ / „Die Bedeutung der Informationsgesellschaft für die Politik der Europäischen Union“, KOM (96) 395 endg.; Grünbuch „Leben und Arbeiten in der Informationsgesellschaft“, KOM (96) 389 endg.; schließlich EGV-RL Erwägungsgrund (9), der einen Zusammenhang zwischen Informationsgesellschaft und dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung herstellt. 95 Erber-Faller, CR 1996, 375, 380; ähnlich Grewlich, RIW 2000, 337, 339.

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1. Kap.: Grundlagen

tieren.96 Daher droht ein „digitaler Graben“ („digital divide“) aufzureißen zwischen Teilnehmern am elektronischen Rechtsverkehr und denen, die mangels technischer Ausrüstung und / oder Kenntnisse nicht daran teilnehmen (können).97 Die Gefahr besteht, daß letztere zu einer neuen Art von „Analphabeten“ der Informationsgesellschaft herabsinken. Hier wird man im Hinblick auf die heranwachsende Generation vor allem Eltern und Schulen mit ihrer Erziehungsaufgabe in der Pflicht sehen müssen. Dem voll geschäftsfähigen Erwachsenen wird man dagegen letztlich, trotz vielfältiger staatlicher Aktionsprogramme,98 die eigene Verantwortung für ein „lebenslanges Lernen“ nicht abnehmen können.

c) International Die bereits angedeutete Internationalität 99 und Offenheit des Internets und die weite Verbreitung der englischen Sprache über die gesamte Welt bedingen die Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs; die Rede ist vom „global village“, dem „globalen Dorf“.100 Den USA kommt dabei bislang unbestritten eine Führungsrolle zu,101 wobei Europa zugetraut wird, in den nächsten Jahren stark aufzuholen und die USA unter Umständen sogar zu überrunden.102 Besondere Aufmerksamkeit verdienen die sog. Entwicklungsländer. Das Fehlen technischer Grundvoraussetzungen (Rechner, Programme, Telekommunikationsinfrastruktur) kann wie erwähnt zu einer neuen Kluft zwischen „arm“ und „reich“ führen. Andererseits bietet der elektronische Geschäftsverkehr, sind die technischen Grundvoraussetzungen erst einmal geschaffen, die Chance zu um so schnellerem AufWüthrich / Philipp, in: Hermanns / Sauter, 49, 59. FAZ v. 13. 03. 2001, 5 m.d. Hinweis auf fehlende Strom- und Telefonanlagen und weitverbreitetes Analphabetentum auf dem afrikanischen Kontinent. 98 Vgl. etwa das europaweite Programm der EU Kommission „eEurope 2002, Aktionsplan für eine Informationsgesellschaft für alle“ vom Juni 2000, abrufbar unter http: / / europa.eu. int / comm / information_society / eeurope / documentation / index_de.htm. Programmschwerpunkte sind „ein billigeres, schnelleres und sicheres Internet“, „Investitionen in Menschen und Fertigkeiten“ und „Förderung der Nutzung des Internets.“ 99 Arnold, CR 1997, 526; Kuner, CR 1997, 643. 100 Borges, ZIP 1999, 565; Immenhäuser / Wichtermann, in: dies., Vernetzte Welt – globales Recht, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler, 1998, 5; ferner Hermanns / Sauter, 13, 19 f.; Hermanns, in: Hermanns / Sauter, 87, 93; Kilian, BB 1997, 1004, 1007; Schmid, in: Hermanns / Sauter, 31, 32; Wissmann, EuZW 2000, 289 („Globalisierung für jedermann). Ausführlich aus unternehmerischer Sicht auch Wißmeier, in: Hermanns / Sauter, 157 ff. 101 SZ v. 17. 09. 1999, 28 (nach einer Studie von Andersen Consulting). Danach soll in den USA der elektronische Handel ein Drittel des gesamten Wirtschaftswachstums von 1995 – 1998 beigetragen haben, SZ a. a. O. 102 Die in der vorangegangenen Fußnote zitierte Studie hält dies im Jahr 2002 für möglich, bezogen auf den Anteil der USA und Europas am Weltumsatz im elektronischen Geschäftsverkehr, SZ a. a. O. Nach einer Studie der OECD soll dagegen im Jahr 1998 der Anteil Europas am weltweit durch elektronischen Geschäftsverkehr umgesetzten Volumen lediglich 20% betragen haben; zitiert bei Hermanns / Sauter, 13, 21. 96 97

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr

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holen, sowohl im Bildungsbereich (Internet als Informations- und Lernquelle) wie auch im geschäftlichen Verkehr.

II. Elektronische Handlungen und Erklärungen 1. Rechtserhebliche elektronische Handlungen Nach der Beschreibung des elektronischen Geschäftsverkehrs in seinen allgemeinen rechtstatsächlichen Grundlagen und vor einer Erörterung der möglichen damit zusammenhängenden Rechtsscheinfragen ist es angezeigt, die rechtlich relevanten Handlungsformen im elektronischen Geschäftsverkehr, die Auslöser für die in dieser Schrift zu untersuchenden Rechtsscheinfragen sein können, systematisch zusammenzustellen. Maßgebliche Bedeutung haben insoweit elektronische Handlungen und Erklärungen. Sie enthalten die Nachricht, die Kommunikation, auf die es den Beteiligten (Erklärender und Erklärungsempfänger bzw. Handelnder und Handlungsgegner) ankommt. Sie sind die Handlungsmechanismen, die Rechtsscheinfragen nach sich ziehen können. Da sie sich in ihren einzelnen Ausprägungen und Eigenarten z.T. deutlich von herkömmlichen Handlungen und Erklärungen unterscheiden, werden sie vorab näher vorgestellt. Elektronische Handlungen und Erklärungen werden auf Rechnern erzeugt, z. B. mit Hilfe eines Textverarbeitungsprogrammes oder eines Programmes zur Erstellung elektronischer Post, und anschließend – vereinfacht gesprochen – mittels Datenleitungen auf elektronischem Wege, z. B. über das Telefonnetz103, auf einer Internetseite abgerufen oder an den Rechner des Empfängers versandt.104 Der Gegenstand einer elektronischen Handlung oder Erklärung kann sowohl rechtserheblich sein als auch im nicht rechtserheblichen, sozialen oder gesellschaftlichen Bereich liegen.105 Für die vorliegende Untersuchung interessieren naturgemäß nur erstere. Rechtserhebliche elektronische Handlungen und Erklärungen können – entsprechend der hier verwendeten weiten Definition des elektronischen Geschäftsverkehrs – in den verschiedensten Arten auftreten, in denen rechtserheb103 Der Rechner des Erklärenden ist dabei direkt oder mittels eines Verbindungsgerätes, eines sog. „Modems“, an das Telefonnetz angeschlossen. Es kann sich entweder um ein eigens dafür eingerichtetes Netz handeln (z. B. unternehmensinterne Intranets) oder um das allgemeine Telefonnetz, über das auch die herkömmlichen Telefongespräche geführt werden. 104 Hoppmann, RDV 1996, 115, 117; Koch, Internet-Recht, 130. In der Regel geht die Erklärung bei elektronischer Post vom Erklärenden zunächst an einen Großrechner (sog. „server“) und wird von dort entweder direkt (bei Intranets) oder über eine Vielzahl weiterer, nicht von Anfang an festgelegter Rechner (beim Internet) an einen weiteren Großrechner (server) versendet, auf dem alle für den Empfänger eingehenden Erklärungen gesammelt werden. Von dort kann sie der Empfänger dann nach Belieben abrufen, ähnlich einem Briefkasten (man spricht daher auch von einer „mail box“). 105 Z. B. private Post, Einladungen, Verabredungen, Gedankenaustausch, Diskussion, Literatur u.v.a.m.

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1. Kap.: Grundlagen

liche Handlungen und Erklärungen allgemein vorkommen, also u. a. als Rechtsgeschäfte und geschäftsähnliche Handlungen, als Prozeßhandlungen und – zumindest denkbar – auch als Hoheitsakte, wie z. B. Verwaltungsakte und gerichtliche Entscheidungen.106 Daß elektronische Erklärungen, auch wenn sie nicht unmittelbar von Menschenhand, sondern von einem Rechner aufgrund vorheriger Programmierung erstellt worden sind (sog. „automatisierte Erklärungen“107 bzw. „Computererklärungen“108), echte Willenserklärungen sein können, ist heute allgemein anerkannt109 und soll daher hier nicht weiter vertieft werden. Bei Rechtsgeschäften ist v.a. an den elektronischen Vertragsschluß zu denken, aber auch an die Erfüllung eines Vertrages auf elektronischem Weg, z. B. durch Überlassung von Rechnerprogrammen über ein Netzwerk (Internet oder Intranet). Daneben sind auch einseitige elektronische Rechtsgeschäfte möglich, z. B. Kündigung, Anfechtung, und – denkbar in der Zukunft – Testament. Als Beispiele geschäftsähnlicher Handlungen seien die elektronische Mahnung und die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung 106 Zur Unterscheidung dieser Arten rechtserheblicher Erklärungen allg. Erman-Palm, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Einl § 104, Rn. 2 ff.; ausführlich Flume, AT §§ 1 ff. (1 ff.); ferner Jauernig-Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, vor § 104, Rn. 23 f.; Palandt-Heinrichs, Überbl v § 104, Rn. 1 ff.; RGRK-Krüger-Nieland, vor § 104, Rn. 2 ff, 12 f., 39 ff.; Soergel-Hefermehl, vor § 104, Rn. 17 ff.; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Einl. zu §§ 104 – 185, Rn. 15 ff., Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 84 ff. – Ob demgegenüber die elektronische Willenserklärung, wie Wiebe meint, einen „eigenständigen Typus“ darstellt, kann jedenfalls in rechtsdogmatischer Sicht dahinstehen. Anders mag es für die von Wiebe hervorgehobene kommunikationstheoretische Sichtweise sein. Vgl. Wiebe, 199. 107 Vgl. dazu Medicus, AT Rn. 256; Paefgen, JuS 1988, 592. 108 Köhler, AcP 182 (1982), 126, 132; Heun, CR 1994, 595; Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3, 9. 109 Grund dafür ist, daß auch noch so komplizierte Rechner – jedenfalls bislang – keine eigenen, autonomen Entscheidungen treffen, sondern nur von Menschenhand vorprogrammierte Operationen ausführen können, und daß der Betreiber des Rechners letztlich darüber entscheiden kann, ob er eine automatisierte Erklärung in den Rechtsverkehr gelangen läßt oder nicht. Heute allg.M., vgl. z. B. AG Frankfurt / Main, CR 1990, 469 m.Anm. Redeker m.w.Nachw.; v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 15; Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3, 7; Graf Fringuelli / Wallhäuser, CR 1999, 93 m.w.Nachw.; Heun, CR 1994, 595 f.; Hohenegg / Tauschek, BB 1997, 1541, 1542; Köhler, AcP 182 (1982), 126, 133; Köhler / Arndt, Recht des Internet, 63; Koch, Internet-Recht, 130 ff.; ders., in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtexts, 51, Kuhn, Rechtshandlungen, 54 ff.; Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 58; Mehrings, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht Teil 13.1 Rn. 37 ff. m.w.Nachw.; ders., MMR 1998, 30, 31; Moritz, CR 2000, 61, 62; Paefgen, JuS 1988, 592, 593; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 116 Rn. 1; Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1012; Schwerdtfeger, Cyberlaw, 7, 16 f.; Soergel-Hefermehl, vor § 116, Rn. 30; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Einl. zu §§ 104 – 185, Rn. 5 ff. m.w.Nachw.; Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 12 f.; a.A. vereinzelt früher, etwa Susat / Stolzenberg, MDR 1957, 146 f.; Clemens, NJW 1985, 1998, 2001 ff. – Anlaß für eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Regelung – etwa nach dem Beispiel der US amerikanischen §§ 2(6), 14 UETA betreffend sog. „electronic agents“ – besteht daher in Deutschland nicht. Dazu Wildemann, CRI 2000, 109, 110. Auch bedarf es nicht der Postulierung eines neuen „eigenständigen Typus der elektronischen Willenserklärung“ (so aber Wiebe, 199), um die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen rechtsdogmatisch bewältigen zu können.

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nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. genannt. Bei den Prozeßhandlungen kommen z. B. Klageerhebung und -erwiderung, Rechtsmitteleinlegung usw. in Betracht (s. jetzt § 130a ZPO i.d.F.d. FormAnpG). Ein elektronischer Steuerbescheid ist als eine Form eines elektronischen Verwaltungsaktes denkbar. Gleichermaßen könnten eines Tages Gerichtsentscheidungen in rein elektronischer Form erstellt, bekanntgemacht und zugestellt werden. Zu den elektronischen Realakten zählen u. a. die Einrichtung und Unterhaltung einer Internetseite mit Informationsangeboten, Werbung oder geschäftlichen Informationen.110

2. Formen elektronischer Erklärungen Für die Rechtsscheinhaftung, mit der sich diese Schrift befaßt, haben die verschiedenen Formen elektronischer Erklärungen eine besonders hohe Bedeutung. Oft ist eine wie auch immer geartete Erklärung Grundlage oder Ausgangspunkt eines Rechtsscheintatbestandes (so etwa, wie in §§ 4 ff. näher ausgeführt, bei §§ 170 ff. BGB, denkbar zumindest bei den Rechtsscheinvollmachten, immer beim Blankettmißbrauch, ferner bei der registerrechtlichen Rechtsscheinhaftung, möglich bei Scheingesellschaft und Scheinkaufmann).111 Im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs gibt es verschiedene neuartige Erscheinungsformen elektronischer Erklärungen, die in unterschiedlichem Maße Grundlage oder Anknüpfungspunkt für Rechtsscheinüberlegungen sein können. Diese Erklärungsarten werden nachfolgend erläutert.112 Ausgangspunkt für die Entwicklung verschiedener elektronischer Erklärungsformen ist die Überlegung, daß es maßgeblich auf die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit einer Erklärung ankommt.113 Im herkömmlichen Geschäftsverkehr existieren dafür gewohnte und erprobte vertrauenswürdige Mechanismen, z. B. Namensnennung (bei mündlichen Erklärungen), Vorzeigen des Personalausweises, Schriftform und eigenhändige Unterschrift, Briefpapier mit Briefkopf, Unterschriftsstempel o.ä. Vertrauenswürdigkeit wird im elektronischen Geschäftsverkehr vielfach als noch wichtiger angesehen. Elektronischer Geschäftsverkehr 110 Zur Internet-Werbung Gummig, ZUM 1996, 573 ff. – Dagegen dürften Realakte der Verbindung, Vermischung, Verarbeitung, Besitzerlangung und Besitzaufgabe (dazu Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Einl. zu §§ 104 – 185, Rn. 21 f.) in elektronischer Form eher selten sein. In Betracht kommt allenfalls die Schaffung eines urheberrechtlich geschützten Werkes (dazu Staudinger-Dilcher, a. a. O., Rn. 21). Insoweit dürften aber keine Rechtsscheinprobleme auftreten. 111 Daneben kann natürlich auch ein Realakt Anknüpfungspunkt sein (so etwa das tatsächliche Dulden bei den Rechtsscheinvollmachten, das tatsächliche Auftreten im Geschäftsverkehr bei Scheinkaufmann und Scheingesellschaft) sowie schlichtes Schweigen (z. B. beim kaufmännnischen Bestätigungsschreiben oder i.R.d. § 362 HGB). Dazu näher unten §§ 4 ff. 112 Eine Untergliederung bei den Realakten hat sich dagegen bislang soweit ersichtlich nicht durchgesetzt; daher werden sie an dieser Stelle nicht weiter unterteilt. 113 Däubler-Gmelin, WM 1999, 169; Hoeren, NJW 1998, 2849, 2853 f.

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1. Kap.: Grundlagen

zeichnet sich durch seine Neuheit aus, und die mit Neuem verbundene Unsicherheit nährt besonderes Mißtrauen, also gerade das Fehlen von Vertrauen.114 Anonyme elektronische Willenserklärungen sind demgegenüber eher die Ausnahme und kommen nur dort vor, wo – ähnlich den Bargeschäften des täglichen Lebens – jedenfalls von seiten des anonym Handelnden sofort erfüllt wird und Leistungsstörungen nicht zu besorgen sind.115 Bei elektronischen Erklärungen hat sich daher eine Reihe von Möglichkeiten herausgebildet, sie so zu gestalten, daß der Erklärende erkennbar und identifizierbar wird. Anerkannte Prüfsteine für die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit einzelner Verfahren im Bereich elektronischer Erklärungen sind folgende Kriterien:116 Dokumentiert das Verfahren den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung (Rechtsbindungswille)? Ermöglicht das Verfahren die Identifizierung des Erklärenden (Authentizität)?117 Ist es geeignet, die Integrität des Dokumentes nachzuweisen (d. h. läßt es Veränderungen, die nach Abgabe und vor Zugang – ggf. durch Dritte – vorgenommen wurden, erkennen; Erklärungsintegrität)?118 Führt das Verfahren dazu, daß der Erklärende die Erklärung nicht abstreiten kann (Nichtabstreitbarkeit, d. h. kann der Empfänger mit Sicherheit davon ausgehen, daß der Erklärende die Erklärung tatsächlich mit Abgabewillen abgegeben und nicht etwa ein unbefugter Dritter an seiner Stelle gehandelt hat)?119 Diese Kriterien stimmen im übrigen im wesentlichen mit den Funktionen überein, die auch die herkömmliche, i.d.R. als ausreichend vertrauenswürdig angesehene Schriftform mit eigenhändiger Unterschrift erfüllt (Abschluß-, Echtheits-, Warn-, Identitäts- und Beweisfunktion).120 114 Dazu Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), nach Fn. 35 und bei Fn. 73, m.w.Nachw. 115 M.H., CI 2000, 113. – Auch diese Art von Geschäften kommt im elektronischen Geschäftsverkehr vor. Einige Anbieter von Waren im Internet verlangen beispielsweise gleich mit der Bestellung die sofortige Bezahlung durch elektronische Übermittlung der Kreditkartennummer des Bestellers. Auch in diesen Fällen ist die Person des Bestellers aber nicht völlig gleichgültig. Immerhin ist eine Lieferadresse für Waren erforderlich. Überdies ist die Haftung des Kreditkarteninhabers bei Mißbrauch in der Regel auf einen relativ geringen Betrag beschränkt. Soweit allerdings dieser Betrag nicht überschritten wird oder sofort elektronisch zu liefernde („downloading“) „Waren“ oder Dienstleistungen Vertragsgegenstand sind, spielt die Identität des Käufers bzw. Bestellers in der Tat so gut wie keine Rolle. 116 Vgl. Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 31 – 32. Ähnlich Eisele, DuD 1995, 401. 117 Wo es auf die Identität des Erklärenden ankommt, spielt dieses Kriterium eine besonders wichtige Rolle, da es im elektronischen Rechtsverkehr kaum andere Möglichkeiten der Identifizierung gibt; Smedinghoff / Bro, a. a. O., bei Fn. 33. 118 Delta / Matsuura, § 9.03[O][1]; Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168; Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 186; Haas, in: FS Heinrichs, 262 f.; Moritz, CR 2000, 61, 62; Reimer, DuD 1999, 162; Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann 127, 128 f.; Waldenberger, BB 1996, 2365 f. 119 Smedinghoff / Bro, a. a. O., bei Fn. 79 – 80. Bei Transaktionen von hohem Wert und hohem Verlustrisiko ist dieses Kriterium besonders bedeutsam. 120 Dazu Bizer, DuD 1992, 169, 171 m.w.N.; Bundesnotarkammer, DuD 1995, 713; Ebbing, CR 1996, 271, 275; Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 186 m.w.Nachw.; dies.,

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Die gegenwärtig fünf wichtigsten Identifizierungstechniken sind das Eintippen des Namens am Ende der elektronischen Erklärung, das Anfügen einer digitalisierten, eingescannten eigenhändigen Unterschrift am Ende der elektronischen Erklärung, die Sicherung durch ein persönliches Kennwort, die Anfügung einer sog. digitalen Signatur und schließlich die Verwendung sog. biometrischer Verfahren.121 Diese fünf Verfahren sollen im folgenden näher erläutert werden, da sie grundlegend für die anschließenden Rechtsscheinbetrachtungen sein werden. Daneben gibt es natürlich die Möglichkeit, aufgrund zukünftiger neuer technischer Entwicklungen weitere Verfahren zur „sicheren“ Identifizierung des Erklärenden einzusetzen. a) Einfache elektronische Erklärungen Einfache elektronische Erklärungen122 im Sinne dieser Untersuchung sind elektronische Erklärungen, die lediglich mit dem Namen des Erklärenden versehen sind, ähnlich einer mit Schreibmaschine erstellten Erklärung, die am Ende den getippten Namen enthält, ohne eigenhändige Unterschrift. In dieser Form wird heute die überwiegende Zahl elektronischer Post („e-mail“) erstellt und versendet. Der Vorteil dieser Erklärungsform liegt in ihrer Einfachheit und Unkompliziertheit. Nachteile sind der mangelnde Schutz des Erklärenden vor Übereilung und die leichte Fälschbarkeit, sowohl durch den Erklärenden (der schlicht einen falschen Namen eintippen kann), als auch durch Dritte (die eine Nachricht abfangen und verändern können), als auch durch den Empfänger.123 Ein weiterer Nachteil ergibt sich aus der möglicherweise schwierigen Beweisbarkeit des Geschäftsinhalts, die ebenfalls auf der leichten nachträglichen Fälschbarkeit beruht.124 Gleichwohl sind einfache elektronische Erklärungen für elektronischen Geschäftsverkehr nicht völlig ungeeignet, sondern im Gegenteil derzeit in Form elektronischer Post sogar sehr weit verbreitet. Aus den Umständen kann sich ergeben, daß sie trotz ihrer theoretisch leichten Fälschbarkeit den Parteien praktisch hinreichende Sicherheit bezüglich Identität des Erklärenden und Integrität der Erklärung geben, z. B. bei eher geringwertigen Transaktionen oder bei Geschäften innerhalb eines für Außenstehende nicht zugänglichen Intranets, bei dem sich die Beteiligten kennen und einander vertrauen. Gleichwohl kommen auch durchaus „werthaltige“ CR 1996, 375, 377; Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3, 18 f.; Hammer, CR 1992, 435, 439; Köhler, AcP 182 (1982), 126, 147 f.; Malzer, DNotZ 1998, 96, 103; Rihaczek, DuD 1994, 127, 131. 121 Vgl. den Überblick bei Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 27. 122 Z.T. auch „schlichte elektronische Erklärungen“ genannt; so etwa Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 134. 123 Dazu Ceranski, FLF 1996, 59, 60; Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168, 169. 124 Aber AG Hannover, ITRB 2001, 31, wonach das elektronische Sendeprotokoll eines Programms zum Versenden elektronischer Post geeignet sein kann, Abgabe und Zugang einer per elektronischer Post versandten einfachen elektronischen Erklärung zu beweisen.

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1. Kap.: Grundlagen

Transaktionen via Internet in der Form einfacher elektronischer Erklärungen vor; in diesen Fällen vertrauen die Beteiligten i.d.R. darauf, daß aufgrund der sehr hohen Zahl von elektronischen Erklärungen, die zu einem beliebigen Zeitpunkt über das Internet versendet werden, praktisch das Fälschungs- und Mißbrauchsrisiko eher gering ist, ebenso wie zwar jeder Telefon- und Faxanschluß theoretisch mit relativ einfachen technischen Mitteln abgehört werden kann, dies aber praktisch so selten ist, daß kaum jemand seine diesbezüglichen Telekommunikationsanschlüsse besonders absichert.

b) Erklärungen mit eingescannter Unterschrift Eine weitere Form, elektronische Erklärungen abzugeben, ist die Anfügung einer eingescannten Unterschrift.125 Dazu wird eine herkömmliche eigenhändige Unterschrift entweder auf Papier aufgebracht, dann mittels eines elektronischen Lesegerätes („Scanner“) in digitale Daten umgewandelt und im Rechner gespeichert. Oder aber die eigenhändige Unterschrift erfolgt von vorneherein auf einem besonderen Lesegerät mit Bildschirm oder besonders präpariertem Papier, das die Schriftzüge sofort in digitale Form umwandelt und speichert.126 Nach Fertigstellung einer elektronischen Erklärung kann diese Unterschrift am Ende der Erklärung angefügt und versendet werden. Beim Empfänger erscheint die Erklärung und ein faksimiliertes Bild der Unterschrift des Erklärenden. Diese Erklärung kann der Empfänger abspeichern, nach Wunsch auch über einen Drucker ausdrucken. Der Rechnerausdruck sieht aus wie eine Kopie oder eine per Telefax empfangene Nachricht.127 Der Sicherheitsgewinn bei eingescannten Unterschriften ist allerdings nur gering, wenn nicht auch der Zugang zu der eingescannten Unterschrift entsprechend abgesichert wird, z. B. durch ein besonderes Kennwort oder ein biometrisches Merkmal.128 125 Entgegen Koch, Internet-Recht, 130, sollte man auch das Computerfax mit eingescannter Unterschrift als „elektronische“ Erklärung auffassen, da sie die typischen Merkmale einer elektronischen Erklärung im Sinne der hiesig verwendeten Definition – Erzeugung auf einem Rechner und Versendung über Datenleitungen – unzweifelhaft erfüllt. 126 Vgl. dazu auch die Beschreibung von Lake, NY Times v. 27. 9. 2000. Davon zu unterscheiden sind biometrische Schrifterkennungsverfahren, bei denen hinzukommt, daß der Schriftzug elektronisch analysiert und mit einem gespeicherten Musterschriftzug verglichen wird; dazu näher sogleich. 127 Der Vorteil gegenüber der Benutzung eines herkömmlichen Telefaxgerätes liegt in der Zeit- und Arbeitsersparnis. Das Dokument braucht nicht mehr ausgedruckt, unterschrieben, auf das Faxgerät gelegt und „durchgefaxt“ zu werden. Auch muß der Empfänger das empfangene Dokument nicht erst vom Faxgerät holen, sondern erhält es gleich auf den Rechnerbildschirm. Ein weiterer Vorteil liegt darin, daß es der Empfänger, wenn er elektronische Aktenführung betreibt, nicht erst selbst einscannen muß, sondern sofort abspeichern und so Medienbrüche zwischen Papier und elektronischer Form vermeiden kann. 128 Zum geringen Sicherheitswert der eingescannten Unterschrift allein s. Begründung zu § 2 Nr. 1 SigG 2001 in BTDrs. 14 / 4662, 18.

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr

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Bis zum Jahr 2000 hatte die Verwendung eingescannter Unterschriften zwar im Geschäftsverkehr Verbreitung gefunden, nicht aber im prozessualen Verkehr, da innerhalb der Obergerichte umstritten war, ob die Verwendung eingescannter Unterschriften – anders als die Benutzung herkömmlicher Telefaxtechnologie – prozessuale Unterschriftserfordernisse, etwa für bestimmende Schriftsätze, erfüllt.129 Mittlerweile hat der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zugunsten der Verwendbarkeit eingescannter Unterschriften entschieden130 und der Gesetzgeber in §§ 130 Nr. 6, 130a ZPO i.d.F.d. FormAnpG ihre Verwendung sogar ausdrücklich erlaubt.

c) Kennwortgeschützte Erklärungen Kennwortgeschützte Erklärungen kommen v.a. innerhalb ständiger Geschäftsbeziehungen vor. Bei Beginn der Geschäftsbeziehung einigen sich die Parteien auf die ausschließliche Benutzung eines bestimmten Rechnerprogramms (Software) zum Abschluß von Geschäften. Ebenfalls zu Beginn erhalten einer oder beide Geschäftspartner ein persönliches Kennwort, ohne das ein Zugang zu dem für den Abschluß des Geschäftes verwendeten Rechnerprogramm nicht möglich ist. Vor Abgabe einer elektronischen Erklärung muß der Erklärende durch Verwendung des Kennworts Zugang zu dem Programm erhalten. Der Empfänger einer Erklärung kann dann davon ausgehen, daß die Erklärung tatsächlich von dem Kennwortinhaber (oder einer von ihm ermächtigten Person, der er das Kennwort mitgeteilt hat) stammt, vorausgesetzt die Datenübertragung erfolgte so, daß nicht die naheliegende Gefahr des Eingriffs bzw. der Manipulation durch einen Dritten besteht. Als Kennwörter kommen Geheimzahlen, Geheimwörter, Buchstaben-Zahlen-Kombinationen in Betracht, ebenso persönliche Identifikationsnummern („PIN“), ggf. kombiniert mit einzelnen Transaktionsnummern („TAN“).131 Praktische Verwendung finden Kennwörter beim Bildschirmtext, im elektronischen Bankverkehr („online banking“), bei den verschiedensten Informations- und Kommunikationsdiensteanbietern132 und auch bei unternehmensinternen Intranets.133 129 Bejahend BSG NJW 1997, 1254; BVerwG NJW 1995, 2121; verneinend BGH BB 1999, 656 (Vorlage an den GmSOGB). 130 GmSOGB NJW 2000, 2340. 131 Das bedeutet, daß der Erklärende zunächst mit der PIN Zugang zu der Software erlangen muß, und dann für jede einzelne Transaktion eine TAN aus einer vorher vereinbarten oder vom Empfänger vorherbestimmten Liste von Transaktionsnummern verwenden muß. Die Verwendung zweier Kennwörter für einen Geschäftsabschluß bedeutet erhöhte Sicherheit. 132 Sog. Internetprovider und Onlinedienste. Erstere beschränken sich darauf, dem Kunden den Zugang zum Internet zu vermitteln, letztere bieten i.d.R. Internetzugang und zusätzliche eigene per Rechner abrufbare Leistungen, z. B. eigene Diskussionsforen, Wetterdienste, Reisedienste etc. Zugang zu den Leistungen des jeweiligen Dienstes wird nur nach Eingabe des persönlichen Kennwortes in den Rechner gewährt.

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1. Kap.: Grundlagen

Ein Nachteil kennwortgeschützter Systeme besteht darin, daß sie in der Regel nur für ständige Geschäftsverbindungen taugen, bei denen zu Anfang eine bestimmte Software festgelegt und ein bestimmtes Kennwort vereinbart oder zugeteilt werden muß. Mehr oder weniger einmalige oder sporadische Geschäftsabschlüsse zwischen ansonsten nicht miteinander bekannten Parteien eignen sich eher nicht für Kennwortschutz. Gerade die Wahrnehmung der vielfältigen – entgeltpflichtigen 134 – Leistungsangebote im Internet erfordert daher andere Sicherungsmechanismen. Denn hier besteht oft ein Interesse der Parteien zu wissen, mit wem man es zu tun hat und ob das Gegenüber vertrauenswürdig ist.135 Ein weiterer Nachteil kennwortgeschützter Systeme ist die große Zahl verschiedener Kennworte, die der einzelne sich merken bzw. sicher aufbewahren muß. Je mehr verschiedene Kennwortschutzsysteme jemand benutzt, um so unüberschaubarer wird die Vielzahl von Kennworten, zumal oftmals aus Sicherheitsgründen ein häufiger Kennwortwechsel empfohlen wird. Die Versuchung ist groß, eine „Kennwortliste“ zu erstellen, die bei nicht sicherer Verwahrung katastrophale Folgen für den einzelnen haben kann.136 Schließlich wird auch die Sicherheit von Kennwortschutzsystemen mit zunehmenden Rechnerleistungen, die zum „Knacken“ von Kennworten eingesetzt werden können, immer fraglicher. Vereinzelt ist daher schon prophezeit worden, Kennwortschutzsysteme würden bald ausgedient haben.137 Das ändert aber nichts an ihrer vielfältigen Verwendung in Vergangenheit, Gegenwart und zumindest naher Zukunft, die eine juristische Untersuchung, auch im Hinblick auf die Rechtsscheinproblematik, durchaus rechtfertigt.138 133 Vielfach dienen unternehmensinterne Intranets vorwiegend der Kommunikation im Unternehmen. Allerdings sind auch Geschäftsabschlüsse denkbar, z. B. in bezug auf besondere Mitarbeiterangebote, die ein Hersteller gewährt. Ebenso ist denkbar, daß Mitarbeiter eines Unternehmens via Intranet untereinander Transaktionen vornehmen, etwa den privaten Verkauf von Gegenständen, die Vereinbarung privater Dienstleistungen o.ä. Ob dies durch das Unternehmen gestattet ist, ist eine andere Frage und hat auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts i.d.R. keinen Einfluß. 134 Viele Leistungen im Internet sind kostenlos, z. B. Informationsangebote öffentlicher oder wissenschaftlicher Einrichtungen. In der Anfangszeit der öffentlichen Nutzung des Internet in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren diese kostenlosen Angebote weit überwiegend. Daneben sind aber auch immer mehr Angebote hinzugekommen, die nur gegen Entgelt wahrgenommen werden können und mit denen sich die ensprechenden Anbieter zumindest einen Teil ihres Lebensunterhalts erwerben wollen. Spätestens seit dem Aufkommen dieser entgeltlichen Angebote dürfte der Mythos vom Internet als „rechtsfreiem Raum“ endgültig der Vergangenheit angehören; dazu Wenning, jur-pc 1995, 3321. 135 Dieses Interesse kann im übrigen auch bei unentgeltlichen Angeboten bestehen. Falls die angebotene Leistung beim Empfänger Schäden verursachen kann, wird der Empfänger Identität und Sitz des Leistenden zur Durchsetzung etwaiger Ersatzansprüche wissen wollen. Ist dies nicht gewährleistet, ist besondere Vorsicht bei Bezug der Leistung (z. B. durch Herunterladen vom Internet auf den eigenen Rechner, sog. „downloading“) angebracht. Überwiegt das Schadensrisiko den Nutzen der Leistung, wird ein vernünftig Handelnder von der Inanspruchnahme der Leistung von vorneherein absehen. 136 Dazu Kumbruck, DuD 1994, 20, 22 f. 137 So etwa Bobrowski, DuD 1999, 159.

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d) Erklärungen mit digitaler Signatur Digitale Signaturen139 basieren auf einem aufwendigen technischen Verfahren,140 das nachfolgend in seinen Grundzügen näher erläutert wird. Von digitalen Signaturen erhofft man sich vielfach einen Durchbruch bei der Erstellung „sicherer“ elektronischer Erklärungen (der allerdings bislang aufgrund der Komplexität des technischen Verfahrens ausgeblieben ist); sie gelten als „Basistechnologie des elektronischen Rechtsverkehrs.“141 Dementsprechend haben digitale Signaturen, deren Grundidee schon in den Jahren 1976 – 78 entwickelt worden ist,142 in den letzten Jahren (seit etwa 1995) von allen beschriebenen Sicherungsverfahren am meisten praktische (und auch gesetzgeberische) Aufmerksamkeit erfahren. Die digitale Signatur ist eigentlich keine „Unterschrift“,143 sondern eine Art Siegel bezüglich der Identität des Erklärenden (Authentizität) und der Integrität seiner Erklärung.144 Klarstellend ist festzuhalten, daß digitale Signaturen nicht die Existenz 138 Zumal, worauf noch näher einzugehen sein wird, Kennwortschutzsysteme (und zwar Btx) historisch die ersten Identifizierungsverfahren waren, die Rechtsscheinprobleme in der Praxis aufgeworfen haben. 139 Auch hier herrscht eine gewisse begriffliche Verwirrung. Während ältere Veröffentlichungen z.T. noch von „elektronischer Signatur“ sprechen (etwa Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3), hat sich mittlerweile – nicht zuletzt aufgrund der gesetzlichen Terminologie des SigG 1997 („Gesetz zur digitalen Signatur“; Legaldefinition der digitalen Signatur in § 2 Abs. 1 SigG 1997) für das nachfolgend beschriebene Verfahren die Bezeichnung „digitale Signatur“ durchgesetzt. Dem steht die Terminologie der SigRL („elektronische Signaturen“) nicht entgegen, da dort „elektronische Signatur“ als Oberbegriff verwendet wird (Art. 2 Nr. 1 SigRL), der u. a. auch digitale Signaturen umfaßt. 140 Schumacher, CR 1998, 758, 760. 141 Roßnagel, NJW 1998, 3312, 3313. 142 Diffie / Hellman, New Directions in Cryptography, 1976; fortentwickelt von Rivest, Shamir und Adleman zum auch heute noch gebräuchlichen RSA-Verfahren. Dazu näher Fox, DuD, 1997, 69; Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 25. 143 Nachdrücklich gegen die Bezeichnung als „Unterschrift“ Bizer, DuD 1995, 459, 460; Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168, 169. Allerdings hilft auch die Verwendung des Fremdwortes „Signatur“ insoweit nicht weiter; denn übersetzt bedeutet es eben nichts anderes als „Unterschrift“. Da sich der Begriff „digitale Signatur“ durchgesetzt hat, wird er auch in dieser Untersuchung verwendet, wenngleich seinen Kritikern zuzugeben ist, daß es sich um eine eigentlich unzutreffende Bezeichnung handelt. 144 Vgl. Legaldefinition § 2 Abs. 1 SigG 1997: „Eine digitale Signatur im Sinne dieses Gesetzes ist ein mit einem privaten Signaturschlüssel erzeugtes Siegel [Hervorh. d. Verf.] zu digitalen Daten, das mit Hilfe eines zugehörigen öffentlichen Schlüssels, der mit einem Signaturschlüssel-Zertifikat einer Zertifizierungsstelle oder der Behörde nach § 3 versehen ist, den Inhaber des Signaturschlüssels und die Unverfälschtheit der Daten erkennen läßt.“ Ferner Baum, DuD 1998, 199, 201; Bieser, CR 1996, 565, 566; Scheffler / Dressel, CR 2000, 378, 379. – Auch der Vergleich mit einem „Siegel“ hinkt indes; ein herkömmliches Siegel auf einem Umschlag ermöglicht die Prüfung, ob eine Erklärung von einem Dritten auf dem Transportweg eingesehen wurde, nicht dagegen ob die Erklärung ihrem Inhalt nach verändert oder gar ausgetauscht wurde. Ein Siegel auf der Erklärung selbst bestätigt lediglich die Identität des Erklärenden, vergleichbar seiner eigenhändigen Unterschrift. Die Integrität der Erklärung ergibt sich nicht aus dem Siegel, sondern allenfalls aus erkennbaren Fälschungs-

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einer gesetzlichen Regelung, etwa in Form des SigG, voraussetzen, sondern die erforderliche Sicherheitsinfrastruktur auch von privater Hand aufgebaut werden kann. Dementsprechend bestimmte auch § 1 Abs. 2 SigG 1997 von Anfang an: „Die Anwendung anderer Verfahren für digitale Signaturen ist freigestellt, soweit nicht digitale Signaturen nach diesem Gesetz durch Rechtsvorschrift vorgeschrieben sind.“145 Nachfolgend werden die beiden Hauptfunktionen der digitalen Signatur, Sicherstellung der Nachrichtenintegrität und der Identität des Erklärenden, kurz und unabhängig vom gesetzlichen Rahmen dargestellt. Maßgeblich für die Sicherstellung der Nachrichtenintegrität ist die Verwendung sog. asymmetrischer Verschlüsselungstechnologie (Kryptographie)146,147. Der Erklärende erstellt zunächst seine elektronische Erklärung. Sodann erzeugt er auf dem Rechner mittels eines allgemein bekannten mathematischen Verfahrens (Algorithmus) einen „Fingerabdruck“ der Erklärung, der aus einer unverständlichen Aneinanderreihung von Buchstaben und Zahlen besteht (sog. „hash Funktion“148). Das Besondere an dem Algorithmus besteht in drei Eigenschaften. Erstens führt schon die geringste Veränderung der elektronischen Erklärung (z. B. ein Satzzeichen oder ein einzelner Buchstabe) zu einem anderen „Fingerabdruck“ der Erspuren auf dem Dokument. Bei der digitalen Signatur ermöglicht dagegen die Signatur selbst die Prüfung der Erklärungsintegrität. 145 Inhaltsgleich jetzt § 1 Abs. 2 SigG 2001. – Unmittelbar nach Inkrafttreten des SigG 1997 gab es zwar noch kaum solche Vorschriften. Mittlerweile hat der Gesetzgeber in Gestalt des § 126a BGB eine „elektronische Form“ eingeführt, der – jedenfalls derzeit – nur durch digitale Signaturen nach dem SigG 2001 genügt werden kann. 146 Weitere Einzelheiten zur Funktionsweise z. B. bei Fox, DuD 1997, 69 ff.; Koch, Internet-Recht, 179 ff. 147 Über die Verwendung kryptographischer Verfahren durch Privatleute, insbesondere die Verbringung außer Landes (was bei länderübergreifenden Internetgeschäften sehr schnell geschehen kann), ist in den vergangenen Jahren eine zum Teil erbitterte Debatte geführt worden (sog. „Kryptokontroverse“). Kern der Auseinandersetzung ist die Frage, ob aus Gründen der nationalen Sicherheit und der effizienten Strafverfolgung die private Verwendung von Kryptographie entweder ganz verboten oder von staatlicher Genehmigung abhängig oder völlig freigestellt sein soll. Insbesondere der Export in andere Länder sollte nach einer Auffassung genehmigungspflichtig sein. Die Erteilung der Genehmigung sollte wiederum davon abhängen, daß bei einer Behörde oder anderen Stelle ein „Nachschlüssel“ zu dem exportierten Verfahren hinterlegt wird („key escrow“), der es Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden ermöglichen würde, mit diesem Verfahren verschlüsselte Erklärungen zu lesen. Zur Kryptokontroverse vgl. etwa Bizer, DuD 1997, 203 ff. m.w.Nachw.; Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168, 170; Hamm, DuD 1997, 186 ff.; N.N., DSB 1 / 1996, 1 ff.; Kelm / Kossakowski, DuD 1997, 192 ff.; Kuner, NJW-CoR 1995, 413, 414 ff. – Die Kryptokontroverse hat für digitale Signaturen allerdings kaum Bedeutung erlangt. Sehr früh zeichnete sich ein Konsens ab, daß etwaige Verbote oder Genehmigungsvorbehalte sich nicht auf digitale Signaturverfahren beziehen sollten; denn bei digitalen Signaturen wird die eigentliche Erklärung selbst ja nicht verschlüsselt, sondern lediglich der von ihr hergestellte „Fingerabdruck“ (hash Funktion), so daß die im „Klartext“ versandte Erklärung ohnehin Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden zugänglich wäre (vorbehaltlich der allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen für Abhörmaßnahmen und Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis). 148 Von engl. „hash“ = zerhacken. Zu Hash-Funktionen vgl. Dobbertin, DuD 1997, 82 ff.

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klärung; zweitens ist es extrem unwahrscheinlich, daß zwei verschiedene Erklärungen zufällig zu demselben „Fingerabdruck“ führen; und drittens ist es technisch praktisch ausgeschlossen, aus der Kenntnis des „Fingerabdrucks“ durch „Rückrechnung“ die ursprüngliche Erklärung zu ermitteln.149 Den „Fingerabdruck“ – nicht notwendig den Erklärungstext selbst150 – verschlüsselt der Erklärende mit einem asymmetrischen Verschlüsselungsverfahren unter Verwendung eines nur ihm bekannten geheimen „Schlüssels“,151 der üblicherweise auf einer Chipkarte (sog. Smartcard) gespeichert ist.152 Das Ergebnis ist wieder eine unleserliche Aneinanderreihung von Buchstaben und Zahlen. Letzteres ist die „digitale Signatur“. Aus der Kenntnis der digitalen Signatur läßt sich wiederum nicht durch „Rückrechnen“ der private Signaturschlüssel ermitteln, wenn der Erklärende eine entsprechend leistungsstarke Verschlüsselungstechnologie anwendet.153 Anschließend versendet der Erklärende die Erklärung im „Klartext“ (der Inhalt der Erklärung selbst braucht also nicht verschlüsselt zu werden, wenn der Erklärende darauf keinen Wert legt) und daran angehängt die digitale Signatur. 149 Dobbertin, DuD 1997, 82, 83 ff.; Eisele, DuD 1995, 401, 403. Theoretisch ist denkbar, daß zwei ganz verschiedene Erklärungen denselben „Fingerabdruck“ liefern (sog. Kollision). Praktisch ist das ausgeschlossen (bzw. hinreichend unwahrscheinlich), wenn man eine hinreichend sichere hash-Funktion verwendet; Dobbertin, a. a. O. 150 Es sei denn, der Erklärungsinhalt soll beim Transport geheimgehalten werden. Das ist durch Verschlüsselung des Erklärungsinhalts möglich, hat aber mit digitalen Signaturen nichts zu tun. 151 Bei einem asymmetrischen Verschlüsselungsverfahren werden zwei verschiedene Schlüssel verwendet, einer zum Verschlüsseln einer Nachricht (hier: des „Fingerabdruckes“), ein anderer zum Entschlüsseln. Die Schlüssel gehören zusammen und bilden ein „Schlüsselpaar“. Ein Schlüssel muß geheim gehalten werden, der andere kann allgemein bekannt sein. – In der Verwendung eines Schlüsselpaares besteht der entscheidende Unterschied zu symmetrischen Verschlüsselungsverfahren. Bei diesen gibt es nur einen „Schlüssel“, der sowohl vom Erklärenden zur Verschlüsselung als auch vom Empfänger zur Entschlüsselung verwendet wird. Der Nachteil symmetrischer Verfahren besteht darin, daß der Erklärende den geheim zu haltenden Schlüssel dem Empfänger in irgendeiner Weise mitteilen muß. Dies birgt die Gefahr, daß ein Eindringling den Schlüssel bei der Übermittlung abfängt und kopiert. Gerade bei Geschäften unter Abwesenden, bei denen sich die Parteien vorher nicht kennen, gibt es keinen sicheren Weg, den Schlüssel geheim zu übermitteln. Für diese Fälle taugt nur die im Text beschriebene asymmetrische Verschlüsselungstechnologie. 152 Berger, DuD 1999, 206, 207; Bieser, CR 1996, 564, 565. Kernstück der Chipkarte, einer Plastikkarte im Scheckkartenformat (85,6  53,9  0,76 mm), ist der integrierte Mikrochip, ein Rechner im Kleinstformat, der die Karte zu ihren vielen Funktionen befähigt. Näher zur technischen Funktionsweise Kruse / Peuckert, DuD 1995, 142 ff. 153 Theoretisch kann jeder private Schlüssel allein durch „Ausprobieren“ aller in Betracht kommenden Schlüssel herausgefunden werden. Bei hinreichend „starker“ Verschlüsselung ist der Aufwand an Zeit und Geld hierfür aber so groß, daß ein Herausfinden durch Ausprobieren praktisch ausgeschlossen ist; Fox, DuD 1997, 69. Die „Stärke“ einer solchen Technologie hängt von der „Länge“ des Schlüssels ab. Derzeit wird eine Länge von 128 Bit als sicher angesehen. Zu beachten ist, daß mit dem Fortschreiten der Rechnertechnologie und der Rechnerleistung ein „Knacken“ des Schlüssels eher möglich wird. Nach einiger Zeit kann daher der Einsatz „stärkerer“ bzw. „längerer“ Schlüssel notwendig werden, um sichere Kommunikation zu gewährleisten.

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1. Kap.: Grundlagen

Der Empfänger der Erklärung erstellt seinerseits mit demselben Algorithmus zunächst den „Fingerabdruck“ der eingegangenen Erklärung („Zweitabdruck“). Anschließend entschlüsselt er mit dem – ggf. allgemein bekannten – sog. öffentlichen Schlüssel, der zu dem geheimen Schlüssel des Erklärenden gehört, die digitale Signatur.154 Das führt dazu, daß der ursprüngliche „Fingerabdruck“ wieder zum Vorschein kommt. Nun kann der Empfänger den ursprünglichen „Fingerabdruck“ mit dem „Zweitabdruck“ vergleichen. Stimmen sie überein, weiß der Empfänger, daß die Nachricht, nachdem der Erklärende die digitale Signatur angebracht hat, nicht verändert worden ist. Stimmen sie dagegen nicht überein, muß die Erklärung inhaltlich verändert worden sein, nachdem der Erklärende die digitale Signatur angebracht hat, z. B. durch den Erklärenden selbst oder einen Dritten. Dadurch stellt der Empfänger die Erklärungsintegrität fest. Klarzustellen ist, daß der Empfänger, wenn er eine Veränderung feststellt, nicht den Inhalt der ursprünglichen Erklärung erfährt. Ebenso weiß er nicht, ob die Erklärung während des Transports von einem unbefugten Dritten – ohne verändert worden zu sein – eingesehen wurde, wenn ursprünglicher „Fingerabdruck“ und „Zweitabdruck“ übereinstimmen.155 Vielmehr ermöglicht ihm die digitale Signatur lediglich festzustellen, ob überhaupt eine Veränderung der Erklärung stattgefunden hat. Falls ja, ist er gewarnt, und kann sich beim Erklärenden über den wahren ursprünglichen Erklärungsinhalt vergewissern.156 Die Verwendung der asymmetrischen Verschlüsselungstechnologie alleine ermöglicht es dem Empfänger einer Erklärung noch nicht, die Identität des Erklärenden festzustellen. Dazu ist vielmehr ein vertrauenswürdiger Dritter erforderlich, der dem Empfänger gegenüber die Identität des Erklärenden ausweist und bestätigt.157 Diese Funktion erfüllt die sog. Zertifizierungsstelle (vgl. § 2 Abs. 2 SigG 1997158, auch genannt „Zertifizierungsinstanz“, „Trust Center“, „Trusted Third Party“ bzw. neuerdings im SigG 2001 „Zertifizierungsdiensteanbieter“).159 Zuverlässige und fachkundige Zertifizierungsstellen sind „Dreh- und Angelpunkt“ einer Sicherheitsinfrastruktur für digitale Signaturen, da nur sie gewährleisten, daß der Erklärungsempfänger Gewißheit über die Identität des Erklärenden erlangen kann.160 154 Der Erklärende kann den öffentlichen Schlüssel seiner Erklärung anfügen oder in einem Verzeichnis (ähnlich einem Telefonbuch) veröffentlichen. 155 Dazu müßte der Erklärende den Erklärungsinhalt selbst verschlüsseln. 156 Voraussetzung ist aber natürlich, daß der Empfänger die Signatur überhaupt sorgfältig prüft; dazu Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 134 ff. 157 Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 27 ff.; Roßnagel, Die Infrastruktur sicherer und verbindlicher Telekooperation, 23. Das läßt Haas, in: FS Heinrichs, 262 ff., außer acht. 158 „Eine Zertifizierungsstelle im Sinne dieses Gesetzes ist eine natürliche oder juristische Person, die die Zuordnung von öffentlichen Signaturschlüsseln zu natürlichen Personen bescheinigt [ . . . ].“ 159 Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn. 61 ff. 160 Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn. 44.

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Der Erklärende kann sich von einer Zertifizierungsstelle auf Antrag ein Zertifikat (sog. Signaturschlüsselzertifikat) ausstellen lassen, das bescheinigt, daß der Erklärende tatsächlich der rechtmäßige Inhaber der verwendeten Signatur ist (genauer: des privaten Schlüssels, mit dem die Signatur erzeugt werden kann).161 Das Zertifikat ist eindeutig einem bestimmten einmaligen privaten Schlüssel zugeordnet und erfüllt so die Funktion eines „digitalen Ausweises“. Der Erklärende fügt das Zertifikat seiner digital signierten Erklärung bei. Der Empfänger kann bei der Zertifizierungsstelle elektronisch abfragen, ob die verwendete digitale Signatur (bzw. der zu ihrer Erzeugung verwendete private Schlüssel) tatsächlich dem Namen zugeordnet ist, den der Erklärende als seinen Namen angegeben hat. Für eine zuverlässige Identifizierung sind die nachfolgenden Aspekte besonders bedeutsam. Zunächst muß die Zertifizierungsstelle bei der Vergabe der Zertifikate die Identität des Antragstellers zuverlässig überprüfen, vgl. § 5 Abs. 1 SigG 1997 & 2001 (z. B. durch Vorlage eines Personalausweises oder Reisepasses).162 Anschließend händigt die Zertifizierungsstelle dem Antragsteller den privaten Schlüssel aus – es sei denn, der Antragsteller erzeugt das Schlüsselpaar auf seinem eigenen Rechner –,163 beispielsweise gespeichert auf einer Chipkarte, aus der der private Schlüssel nicht ausgelesen werden kann und die gegen unbefugten Zugriff gesichert ist (z. B. durch PIN oder sog. biometrische Verfahren, wie etwa Fingerabdruck, Gesichtserkennung oder eigenhändige Unterschrift per Eingabestift auf einem Display).164 Ferner muß der Antragsteller zuverlässige technische Komponenten verwenden (insb. zur Speicherung und Anwendung von Signaturschlüsseln, zur Erzeugung oder Prüfung digitaler Signaturen,165 zum Darstellen zu signierender Daten und zum Nachprüfen von Zertifikaten). Schließlich muß gewährleistet sein, daß die Zertifizierungsstelle selbst zuverlässig arbeitet (so auch § 4 Abs. 2 SigG 1997 & 2001). Entweder der Empfänger kennt die Zertifizierungsstelle und vertraut ihr, oder ein weiterer Dritter übernimmt die Gewähr für die Zuverlässigkeit. Unter dem SigG übernimmt eine staatliche Aufsichtsbehörde diese Funktion: Der Betrieb einer Zertifizierungsstelle war zunächst unter dem SigG 1997 von einer staatlichen Genehmigung abhängig, die von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (§ 66 TKG)166 Fox, DuD 1997, 106. Im Rechtsrahmen des SigG kann nach § 2 Abs. 2 SigG 1997, § 2 Nr. 7 SigG 2001 nur eine natürliche Person Signaturinhaber sein. Zwingend ist dies nicht; eine außerhalb des durch das SigG gesetzten Rahmens operierende Zertifizierungsstelle kann auch Zertifikate für juristische Personen oder sonstige Personenvereinigungen ausstellen. 163 Auch das ist möglich, wird aber unter Sicherheitsaspekten kritisch gesehen; vgl. Nehl, DuD 1997, 2 ff.; Rihaczek, 1992, 14 ff. 164 Bieser, DSB 1997, Nr. 9, 1, 3 f.; Roßnagel, NJW-CoR 1994, 96, 100. Zu biometrischen Verfahren vgl. sogleich unten. 165 Insoweit muß gewährleistet sein, daß keine ungewollten Signaturen entstehen und das „richtige“, nicht etwa ein „untergeschobenes“ Dokument signiert wird; dazu Bieser, DSB 1997, Nr. 9, 1, 3 f. 166 Zum Aufgabenbereich der Behörde im Zusammenhang mit digitalen Signaturen vgl. im einzelnen Roßnagel, MMR 1998, 468 ff. 161 162

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1. Kap.: Grundlagen

auf Antrag erteilt wurde (§ 4 Abs. 1 SigG 1997), wenn der Antragsteller, der eine Zertifizierungsstelle betreiben wollte, seine Zuverlässigkeit nachwies (§ 4 Abs. 2 – 6 SigG 1997).167 Mit der Genehmigung war ein weiteres Zertifikat verbunden, in dem die Identität der Zertifizierungsstelle bestätigt wurde. Der Erklärungsempfänger, der eine Signatur überprüfte, konnte über das Zertifikat der Zertifizierungsstelle überprüfen, daß die Zertifizierungsstelle staatlich genehmigt und insoweit zuverlässig war.168 Unter der Geltung des SigG 2001 ist der Genehmigungsvorbehalt einer repressiven staatlichen Aufsicht gewichen (§§ 4 Abs. 1, 19 f. SigG 2001). Das Zertifikat kann nicht nur als „Ausweis“ bezüglich der Schlüsselinhaberschaft dienen, sondern auch noch weitere Angaben über Merkmale („Attribute“) des Schlüsselinhabers enthalten, z. B. Vertretungsmacht, Organstellung, berufsrechtliche Zulassungen u.ä. (sog. Attribut-Zertifikat, § 5 Abs. 2 SigG 1997 & 2001).169 Die Zertifizierungsstelle kann auch noch als weitere Dienstleistung einen Zeitstempeldienst anbieten, der die Erklärung mit einem Zeitstempel versieht und dadurch bescheinigt, daß die Erklärung der Zertifizierungsstelle mit einem bestimmten Inhalt zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgelegen hat, so daß spätere Vor- oder Rückdatierungen einer Erklärung nicht unbemerkt möglich sind.170 Ist die Sicherheit einer digitalen Signatur aus welchem Grund auch immer beeinträchtigt, muß die Möglichkeit bestehen, die Signatur durch „Sperren“ oder „Widerruf“ außer Kraft zu setzen (vgl. § 8 SigG 1997 & 2001).171 Der große Vorteil digitaler Signaturen ist ihre hohe Sicherheit. Im Hinblick auf Abschluß-, Echtheits- und Identitätsfunktion werden sie der herkömmlichen eigenhändigen Unterschrift in funktioneller Hinsicht jedenfalls als gleichwertig, wenn 167 Sicherheitsanforderungen an den Betrieb an einer Zertifizierungsstelle wurden u. a. in Maßnahmenkatalogen der Regulierungsbehörde nach §§ 12 Abs. 2 (Sicherheitskonzept), 16 Abs. 6 SigV 1997 (Anforderungen an die technischen Komponenten) – nunmehr §§ 2, 15 SigV 2001 (BGBl. 2001 I 3074) – konkretisiert. Die Kataloge hatten nur empfehlenden, keinen verbindlichen Charakter (Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn. 55). Daneben bestehen vielfältige andere Möglichkeiten, die Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. 168 Man spricht auch von der Regulierungsbehörde als „Wurzelinstanz.“ 169 Oder Verfügungsberechtigung über ein Bankkonto oder sonstige Merkmale; dazu auch Berger, DuD 1999, 206, 208. Zum Planen einer Zertifizierungsstelle für einheitliche Berufszulassungsattribute, BRAK-Mitt. 4 / 1999, 178 f. – Praktisch können Attribut-Zertifikate zu einer bedeutsamen Arbeitserleichterung führen, indem sie z. B. eine Prüfung des Handelsregisters erübrigen können; vgl. Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 207. – Für die vorliegende Arbeit interessiert wegen § 172 BGB v.a. das in § 4 noch näher zu untersuchende VollmachtsZertifikat. 170 Vgl. §§ 2 Abs. 4 SigG 1997, 2 Nr. 14 SigG 2001. Eine Zertifizierungsstelle, die im Rechtsrahmen des SigG 1997 arbeiten wollte, mußte einen Zeitstempeldienst anbieten, § 9 SigG 1997. Mittlerweile ist das Anbieten von Zeitstempeldiensten fakultativ, § 9 SigG 2001. Maßgeblich ist in jedem Fall die gesetzliche Zeit i.S.v. § 1 Zeitgesetz (v. 25. 7. 1978, BGBl. I 1110); Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 58. 171 Zur technischen Funktionsweise der Sperrung Berger, DuD 1999, 206, 209.

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nicht gar als überlegen angesehen;172 bei der Warnfunktion hängt der Vergleich von der technischen Ausgestaltung ab,173 bei der Beweisfunktion von einer tatsächlichen Anerkennung in der Gerichtspraxis in einer mit §§ 415 ff. ZPO vergleichbaren Weise.174 Unterschriften i.S.v. § 126 BGB sind sie dagegen nach h.M. nicht, auch nicht analog § 126 BGB, da es an der Strukturidentität fehlt und gerade bei Formvorschriften Analogien aus Rechtssicherheitsgründen Bedenken begegnen.175 Ihr „Komfort“ ist bislang aufgrund ihrer noch geringen Verbreitung eher problematisch. Vor Verwendung einer digitalen Signatur muß sichergestellt sein, daß auch der Empfänger der Erklärung über die notwendigen Rechnerprogramme zur Verifizierung der Signatur verfügt. Im übrigen erfordert auch die digitale Signatur einen weiteren Mechanismus zur Sicherung gegen unbefugte Verwendung, also beispielsweise ein Kennwort (sog. Kombination von Besitz (der Chipkarte) und Wissen) oder eine biometrische Sicherung für die Chipkarte, auf der der private Schlüssel gespeichert ist, mit dessen Hilfe die Signatur erzeugt wird.176

e) Biometrisch signierte Erklärungen Bei biometrischen Identifizierungsverfahren interessieren insbesondere Begriff und Verwendungsmöglichkeiten, technische Wirkungsweise und ihre besondere persönlichkeitsrechtliche Problematik. Biometrie ist die rechnergestützte, auto172 Eisele, DuD 1995, 401; Kilian, DuD 1993, 606 ff.; Maennel, MMR 1999, 187, 190; Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 105 ff. Ferner Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr, BTDRs. 14 / 4987 v. 14. 12. 2000, 15 ff. (zu § 126 a). 173 Zweifel bestehen allenfalls im Hinblick auf die Warnfunktion der eigenhändigen Unterschrift, wenn durch einfachen „Mausklick“ eine Unterschrift erzeugt werden kann. Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 107 f.; Erber-Faller, CR 1996, 375, 378. Dem kann allerdings durch die technische Ausgestaltung des Signaturvorgangs begegnet werden, Roßnagel u. a., a. a. O., 108. Zudem ist zu erwarten, daß mit zunehmender Verbreitung digitaler Signaturen auch insoweit ein Gewöhnungsprozeß bei den Beteiligten einsetzen wird; so wohl auch BTDrs. 14 / 4987, 17 (r. Sp.). 174 Bizer, DuD 1992, 169, 172 f. Auch ohne Gleichstellung mit herkömmlichen Urkunden i.S.v. §§ 415 ff. ZPO läßt sich daher, und zwar über § 286 Abs. 1 ZPO, ein hoher Beweiswert digitaler Signaturen erzielen. Es trifft also nicht zu, wenn behauptet wird, digitale Signaturen hätten keine besonderen prozessualen Wirkungen (so aber Malzer, DNotZ 1998, 96, 112). Vgl. nunmehr ausdrücklich § 292a ZPO sowie die Begründung dazu in BTDrs. 14 / 4987, 23 ff. 175 Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 201. Mittlerweile sind qualifizierte elektronische Signaturen nach dem SigG 2001 allerdings gem. § 126a BGB der herkömmlichen Schriftform grundsätzlich gleichgestellt. 176 Wobei sich kennwortbasierte Zugangsverfahren für Chipkarten bei Simulationsstudien als zum Teil recht unsicher erwiesen haben, vgl. Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 145. Zu weiteren Fehler- und Fälschungsszenarien Pordesch / Nissen, CR 1995, 562 ff.; ferner kritisch zur Kennwortsicherung privater Schlüssel Reimer, DuD 1999, 162.

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1. Kap.: Grundlagen

matisierte Identifizierung von Personen aufgrund personengebundener Merkmale, z. B. Schriftzug, Fingerabdruck, Netzhaut, Regenbogenhaut (Iris), Hand- und Fingergeometrie, Gesicht oder Stimme.177 Allen biometrischen Merkmalen ist gemein, daß sie (mehr oder minder) einmalig und damit nicht oder nur sehr eingeschränkt übertragbar sind.178 Biometrische Verfahren ermöglichen die rasche und sehr zuverlässige Identifizierung von Personen.179 Die Zuverlässigkeit wird zum Teil sogar als höher eingeschätzt als bei sonstigen Identifizierungsverfahren (wie z. B. Kennwörter oder eigenhändige Unterschrift).180 Biometrische Verfahren sind, außer zur „Unterzeichnung“ elektronischer Erklärungen, in vielfältiger Weise verwendbar, z. B. in den Bereichen Militär, nationale Sicherheit, Strafverfolgung, Strafvollzug, Verwaltung (Verhinderung von Sozialhilfebetrug, Erteilung von Genehmigungen, Führerscheinen, Personalausweis, Flughafenkontrolle) und im privaten Bereich (Gebäudezugang, Rechnerzugang, Geldautomaten, Smartcards, Kreditkarten, elektronischer Geschäftsverkehr, Zeit- und Anwesenheitserfassung).181 Biometrische Verfahren bestehen i.d.R. aus fünf Schritten: Datenaufnahme, Vorverarbeitung, Extraktion der Merkmale, Klassifizierung und Referenzbildung.182 Je nach Sicherheitsgrad lassen sich drei Arten biometrischer Verfahren unterscheiden.183 Sog. fortgeschrittene Biometrie („high biometrics“) verwendet sehr sichere (im Sinn von einmalige) Körpermerkmale, wie z. B. Netzhaut, Iris und Fingerabdrücke. Beim sog. Netzhaut-Scanning wird die – bei jedem Menschen einzigartige – Netzhautstruktur mit Hilfe eines elektronischen Scanners abgebildet.184 Ähnliches geschieht bei der Iris-Wiedererkennung; auch die Iris (Regenbogenhaut) des Menschen ist einzigartig und unveränderlich.185 Die Abnahme von Fingerabdrücken geschieht heute statt auf Papier auf einem Scanner186 und stellt derzeit 177 Behrens / Roth, DuD 2000, 327; Borking / Verhaar, DuD 1999, 138; Laßmann, DuD 1999, 135; Reimer, DuD 1999, 162; Woodward, 59 U. Pitt. L. Rev. 97, 99 f. (1997); ferner SZ v. 25. 11. 1997, 16. 178 Borgwardt / Verhaar, DuD 1999, 138, 139; Schröter, DuD 1999, 160; Tönnesen, DuD 1999, 161. 179 Historischer Ursprung der Biometrie ist die Kriminalistik (Identifizierung durch Fingerabdruck); dazu Weichert, CR 1997, 369 f. 180 Bleumer, DuD 1999, 155; Donnerhacke, DuD 1999, 151; Schröter, DuD 1999, 160; Woodward, 59 U. Pitt. L. Rev. 97, 101 (1997). 181 Bleumer, DuD 1999, 155; Gundermann / Köhntopp, DuD 1999, 143; Woodward, 59 U. Pitt. L. Rev. 97, 98, 109 ff., 151 (1997). 182 SZ v. 23. 02. 2000, V2 / 3; Wirtz, DuD 1999, 129 ff. 183 Unterscheidung nach Woodward, 59 U. Pitt. L. Rev. 97, 102 ff. (1997). 184 Im US Bundesstaat Illinois wird seit 1990 Netzhautscanning zur Identifizierung und Kontrolle von Strafgefangenen verwendet (Woodward, a. a. O., 109 f.). Nachteile dieses Verfahrens bestehen darin, daß Augenkrankheiten die Netzhautstruktur verändern, und daß naher Kontakt zur Person erforderlich ist, worunter möglicherweise die öffentliche Akzeptanz des Verfahrens leiden kann (Woodward, a. a. O., 103). 185 Probleme bestehen hier hinsichtlich Akzeptanz, hoher Kosten und hoher Speicherintensität (Woodward, a. a. O., 104). – Zu einem Pilotprojekt im Bankbereich vgl. SZ v. 23. 02. 2000, V2 / 3.

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die reifste und meistverwendete biometrische Technologie dar.187 Dabei ergeben sich allerdings auch Fälschungsmöglichkeiten. Ein Fälscher kann z. B. den Fingerabdruck einer Person aufzeichnen und reproduzieren.188 Einfache Biometrie („lesser biometrics“) stützt sich auf nicht völlig einzigartige persönliche Merkmale. Ein Beispiel bietet die Fingergeometrie. Dabei werden Finger dreidimensional, also nach Länge, Breite und Tiefe, durch einen Scanner vermessen.189 Ähnlich funktioniert die sog. Gesichtserkennung, die besonders einfach zu verwenden, aber auch besonders einfach zu überlisten ist, beispielsweise durch Veränderungen (Bart) oder aufgrund von Verletzungen, ebenso durch Personen, die sich sehr ähnlich sehen.190 Ein weiteres Beispiel ist die Stimmerkennung.191 Schließlich gibt es die biometrische Unterschriftserkennung. Dabei werden mit Hilfe eines Rechners Merkmale wie die Geschwindigkeit der Stiftführung, Druck, Richtung u. a. vermessen.192 Möglich ist zwar auch, die Unterschrift mittels eines Eingabestiftes, der über einen Rechnerbildschirm (Display) geführt wird, in den Rechner einzugeben, eine mit dieser Unterschrift versehene Erklärung zu versenden, und dem Empfänger die Identifizierung der Unterschrift auf herkömmliche Art und Weise (durch bloßes Betrachten, ggf. Vergleich mit früheren Unterschriften) zu überlassen.193 Letzteres findet insbesondere bei den in den vergangenen Jahren stark sich verbreitenden „Notepads“ (Rechner in Notizblockformat) statt.194 Richtigerweise sollte man aber, wenn der Empfänger die Unterschrift „mit bloßem Auge“, also ohne technische Hilfsmittel, verifiziert, nicht von Biometrie sprechen. Vielmehr handelt es sich um eine bloße eingescannte Unterschrift in dem oben erörterten Sinn, und als solche sollte sie auch behandelt werden. 186 Die Handelskette Woolworth, Australien, verwendet beispielsweise Fingerabdrucke bei ca. 100.000 Angestellten zur Zeit- und Anwesenheitserfassung. Vorteile sind hohe Akzeptanz und relativ geringe Kosten. Nachteile sind das Bedürfnis nach Körperkontakt mit dem Scanner und die Gefahr schlechter „Abdrucke“ aufgund von Körperfetten, schmutzigen Fingern oder abgenutzten Fingerabdrücken (Kratzer, Verletzungen, Schwerarbeit) – Woodward, a. a. O., 105. 187 Bleumer, DuD 1999, 155, 156. Zu automatischen Fingerabdruck-Identifizierungssystemen (AFIS) s. Weichert, DuD 1999, 167. 188 Woodward, a. a. O., 105, Fn. 55. 189 Walt Disney World in Orlando, Florida, verwendet Fingergeometrie zur Kontrolle von Jahreskarteninhabern. Coca Cola vewendet Hand-Scanning zur Zeit- und Anwesenheitskontrolle. Nachteil ist u. a. die eingeschränkte oder fehlende Brauchbarkeit nach einer erheblichen Handverletzung (Woodward, a. a. O., 106). 190 Woodward, a. a. O., 106. 191 Dieses Verfahren eignet sich besonders für Identifizierung am Telefon. Nachteile sind hoher Speicherbedarf, Veränderbarkeit der Stimme (Krankheit, Aufregung), Versprecher und Hintergrundgeräusche (Woodward, a. a. O., 106 f.). 192 Dazu Bachofer, NJW-CoR 1993, 25. Nachteile sind Probleme mit langfristiger Zuverlässigkeit, fehlende Genauigkeit und hohe Kosten (Woodward, a. a. O., 107). 193 Bachofer, NJW-CoR 1993, 25. 194 Bachofer, a. a. O.

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1. Kap.: Grundlagen

Schließlich ist als dritte Art die noch stark in der Entwicklung begriffene experimentelle Biometrie („esoteric biometrics“) zu nennen. Dazu zählen Verfahren wie z. B. Venenvermessungen (Abbildung von Blutbahnenmustern, z. B. des Handrückens)195 und chemische Analysen von Körpergerüchen.196 Eine weitere Unterscheidung in statische und dynamische biometrische Verfahren differenziert danach, ob das herangezogene personengebundene Merkmal vom Inhaber selbst variiert werden kann. Ist dies nicht der Fall (z. B. Fingerabdruck, Gesichtserkennung), spricht man von statischer Biometrie. Besteht eine Variierungsmöglichkeit (z. B. Wechsel der Worte bei Sprach- und Unterschriftserkennung), liegt ein dynamisches Verfahren vor. Dynamische Verfahren haben den Vorteil, bei Ausspähen des Merkmals durch Unbefugte einfach geändert werden zu können, ohne daß das gesamte System gesperrt werden muß (ähnlich einem Kennwortwechsel bei Kompromittierung des Kennworts).197 Die Diskussion um die Verwendung biometrischer Verfahren weist aufgrund ihrer persönlichkeitsrechtlichen Brisanz eine zusätzliche Dimension auf, die bei den oben beschriebenen anderen Identifizierungsmethoden so nicht gegeben ist.198 Problematisch an biometrischen Verfahren ist die Wiedererkennung von Personen in beliebigen Lebenssituationen (Anonymitätsverlust) und die Gewinnung von Informationen über Gefühlsverfassung und Gesundheit der identifizierten Person bei Gelegenheit der Identifizierung.199 Iris und Netzhaut können beispielsweise Hinweise auf Diabetes, Arteriosklerose, Bluthochdruck und ggf. sogar AIDS geben. Fingerabdrücke können auf Leukämie und Brustkrebs und angeblich möglicherweise sogar Homosexualität hinweisen.200 Daher kann die Verwendung nur bei freiwilliger (und aufgeklärter) Benutzung als persönlichkeitsrechtlich unbedenklich gelten, problematisch ist dagegen der zwangsweise Einsatz durch Behörden und andere Stellen. Es gibt allerdings auch technische Ansätze, die es erlauben sollen, biometrische Verfahren einzusetzen, ohne daß dem anderen Teil biometrische Daten der identifizierten Person erkennbar werden.201 Insgesamt läßt sich feststellen, daß biometrische Verfahren bislang am wenigsten verbreitet sind.202 Feldversuche haben allerdings ergeben, daß einigen bio195 Vorteile sind die Größe der Muster und ihre Unveränderlichkeit. Auch entstehen keine kriminellen „Assoziationen“ wie bei der Abnahme von Fingerabdrücken (Woodward, a. a. O., 108). 196 Woodward, a. a. O., 108 f. 197 Tönnesen, DuD 1999, 161 ff. 198 Gundermann / Köhntopp, DuD 1999, 143, 146 ff.; Woodward, a. a. O., 99; Wirtz, DuD 1999, 129, 133. Ferner Probst, DuD 2000, 322 ff. 199 Bleumer, DuD 1999, 155; Borgwardt / Verhaar, DuD 1999, 138 ff.; Weichert, CR 1997, 369 ff. 200 Woodward, a. a. O., 115 f. m.w.Nachw. 201 Dazu Bleumer, DuD 1999, 155. 202 Zu praktischen Erfahrungen vgl. etwa Pampus, DuD 2000, 349 ff.; Thiel, DuD 2000, 351 ff. Hohe Erwartungen in die Biometrie setzt z. B. Veit, DuD 2000, 354 ff. – Auch im

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr

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metrischen Verfahren aufgrund ihrer Benutzerfreundlichkeit und Bequemlichkeit überwiegend eine hohe Akzeptanz seitens der Benutzer entgegengebracht wird.203 Ein gravierender Vorteil beispielsweise gegenüber Kennwörtern ist, daß Kennwörter über die Jahre geradezu inflationär zugenommen haben und die Gefahr des Vergessens (oder der ungewollten Aufdeckung einer Kennwortliste) immer größer wird; biometrische Merkmale hat man dagegen stets „bei sich“, ohne sich an sie erinnern zu müssen. Denkbar – und aus Sicherheitsgründen wünschenswert – erscheint eine stärkere zukünftige Verbreitung als „sekundärer“ Sicherungsmechanismus, beispielsweise gegen die unbefugte Benutzung einer eingescannten Unterschrift oder einer digitalen Signatur. Dadurch könnten die aus den genannten Gründen problematischen Kennwörter als Sicherungsmechanismus abgelöst werden.204 Zur primären Gewährleistung von Integrität und Authentizität einer Erklärung in offenen Netzen wie dem Internet sind sie dagegen, anders als digitale Signaturen, bislang nicht geeignet.205

f) Sonstige Erklärungsformen Sonstige „sichere“ Unterschriftsverfahren, die über die hier beschriebenen Methoden der eingescannten Unterschrift, des Kennwortschutzes, digitaler Signaturen und biometrischer Verfahren hinausgehen, sind bislang nicht verbreitet, werden aber möglicherweise in Zukunft entwickelt und verwendet werden. Eine Möglichkeit besteht beispielsweise in der Versendung von Telefaxen mit mehreren sog. Kontrollziffern, die per Telefonüberprüfung eine Feststellung der Authentizität und Integrität der Telefaxerklärung ermöglichen sollen. Das Verfahren soll auch auf elektronische Post anwendbar sein.206

III. Eigenarten des elektronischen Geschäftsverkehrs Der elektronische Geschäftsverkehr weist gegenüber dem herkömmlichen Geschäftsverkehr einige Eigenarten auf, die auch für die rechtliche Behandlung von allgemeiner Bedeutung sind und deshalb vorab kurz beleuchtet werden sollen. Ob Zusammenhang mit Notepads werden biometrische Unterschriften bislang wenig verwendet. Die Hauptanwendung von Notepads liegt nach wie vor in ihrer Benutzung als Terminkalender, Notizblock und Adreß- und Telefonverzeichnis. Das kann sich allerdings in Zukunft ändern. Ab ca. 2002 sollen markttaugliche Identifizierungseinheiten, die an herkömmliche Rechner angeschlossen oder in sie integriert sind, zur Verfügung stehen; SZ v. 25. 11. 1997, 16. 203 Etwa Büllingen / Hillebrand, DuD 2000, 339 ff.; Thiel, DuD 2000, 351, 353. 204 SZ v. 25. 11. 1997, 16. 205 Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 23; Schwemmer, DuD 2000, 70. 206 Benzler, CR 2000, 411 f.

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1. Kap.: Grundlagen

man dabei von neuen „Paradigmen“ sprechen kann,207 mag einstweilen dahinstehen. Im Anschluß an Hoeren208 seien sechs solcher Eigenarten genannt:

1. Dematerialisierung Immaterielle Wirtschaftsgüter treten neben materielle, herkömmliche Wirtschaftsgüter, und auch die Kommunikation unter den Wirtschaftsteilnehmern erfolgt in immer stärkerem Maße über dematerialisierte Medien (elektronische Post). Dematerialisierung wird uns nachfolgend an verschiedenen Stellen begegnen, wo die Rechtsordnung herkömmlicherweise für einen Rechtsscheintatbestand eine Urkunde, nach herkömmlichem Verständnis v.a. eine auf Papier verkörperte Erklärung, fordert, wie etwa bei § 172 Abs. 1 BGB, beim Blankett, beim Umlaufpapier, beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben, beim Handelsregister und der Bekanntmachung einer Handelsregistereintragung. Wie die Erörterungen im 2. Kapitel zeigen werden, kommt das geltende deutsche Recht mit der Dematerialisierung überwiegend gut zurecht, soweit Rechtsscheinfragen berührt sind. Allerdings werden auch Grenzen offenbar werden (insbesondere bei § 172 Abs. 1 BGB und im Recht der Umlaufpapiere).

2. Deterritorialisierung Elektronischer Geschäftsverkehr ist ein globales Phänomen. Als solches wirft es schwierige Fragen der internationalen Zuständigkeit und des anwendbaren Rechts auf und gibt internationalen Rechtsharmonisierungs- und -vereinheitlichungsbestrebungen neuen Auftrieb. Der rechtsvergleichende Blick über den Bereich nationalen Rechts hinaus bietet sich daher besonders an und wird – in einem notwendigerweise begrenzten Rahmen – auch Gegenstand der Erörterungen dieser Schrift sein. Naturgemäß wird sich der Blick dieser Untersuchung auf die USA als Vorreiter des elektronischen Geschäftsverkehrs und auf internationale Organisationen als Vorreiter internationaler Rechtsharmonisierung richten.

3. Detemporalisierung Elektronischer Geschäftsverkehr ermöglicht extrem verkürzte Kommunikationszeiten, beispielsweise im Wege elektronischer Post. Auch sonst ist gerade das Internet geradezu von einem Geschwindigkeitsrausch beseelt.209 Das kann sich beispielsweise auf die Berechnung von Fristen auswirken, die das Gesetz nicht 207 208 209

So Hoeren, NJW 1998, 2849 ff. A. a. O. Hoeren, NJW 2000, 188, 189; Schrempp, BB 2000, Heft 33, „Die erste Seite.“

§ 1 Der elektronische Geschäftsverkehr

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exakt durch Zeitangabe, sondern allgemein durch konkretisierungsbedürftige Begriffe („unverzüglich“ i.S.v. § 121 Abs. 1 BGB, „regelmäßige Umstände“ i.S.v. § 147 Abs. 2 BGB etc.) oder gar nicht ausdrücklich regelt (wie etwa bei § 130 Abs. 1 BGB). Auch bei den Rechtsscheintatbeständen wird uns dieses Phänomen wieder begegnen, so etwa beim Schweigen des Kaufmanns auf Anträge (§ 362 HGB) oder auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben. Dabei wird es erforderlich sein, abzugrenzen zwischen faktischer Zeitersparnis, darüber hinausgehenden etwaigen legitimen Erwartungen des Geschäftsverkehrs an eine im Vergleich zum herkömmlichen Geschäftsverkehr beschleunigte Bearbeitung und einer rechtlich unbeachtlichen, wenngleich möglicherweise internettypischen, unberechtigten Geschwindigkeitserwartung. 4. Selbstregulierung Dieses Phänomen wird in den nachfolgenden Erörterungen in § 2 zum Verhältnis zwischen Recht und elektronischem Geschäftsverkehr noch näher zu beleuchten sein. Für die hier inmitten stehenden Rechtsscheinbetrachtungen hat die Selbstregulierung eine geringere Bedeutung. Hauptstoßrichtung der Befürworter von Selbstregulierung sind die Bereiche Daten- und Verbraucherschutz und das Wettbewerbsrecht, weniger die Kernbereiche des Zivil- und Handelsrechts, zu denen auch die Rechtsscheinhaftung gehört, und die freies unternehmerisches und selbstbestimmtes Handeln erst ermöglichen, nicht beschränken. In einem abgewandelten Sinn wird uns jedoch die Selbstregulierung begegnen als Schaffung neuer Systeme elektronischer Erklärungen mit den dazugehörigen Infrastrukturen, beispielsweise Zertifizierungssysteme für digitale Signaturen außerhalb des Rechtsrahmens des deutschen Signaturgesetzes (SigG).

5. Technikbetontheit Die technischen Grundlagen des elektronischen Geschäftsverkehrs wurden bereits kurz vorgestellt. Ohne Zweifel ist das Leben des am Geschäftsverkehr Teilnehmenden dadurch technisch komplizierter geworden. Im vorangegangenen Abschnitt wurden bereits verschiedene neue technische Formen, rechtserhebliche Erklärungen abzugeben und zu „unterschreiben“ beschrieben (insbesondere digitale Signaturen). Diese Schrift geht zum einen die Frage nach, wie diese neuen Erklärungsformen sich in das bestehende System der Rechtsscheinhaftung einfügen lassen (dazu ausführlich im 2. Kapitel), zum anderen untersucht sie, ob sich daraus neuartige Rechtsscheintatbestände ergeben können (3. Kapitel).

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1. Kap.: Grundlagen

6. Das Vertrauensproblem Der Vertrauensgedanke spielt im herkömmlichen Geschäftsverkehr ohne Zweifel eine herausragende Rolle.210 In rechtstatsächlicher Hinsicht besteht im elektronischen Geschäftsverkehr ein gesteigertes Vertrauensproblem. Die Geschäftspartner, die sich via Internet „begegnen“, erfahren voneinander keinerlei herkömmliche persönliche Merkmale, wie etwa Aussehen, Ansehen, Sprache etc., die eine Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers (Ist er der, für den er sich ausgibt? Stammt die empfangene Erklärung von ihm oder hat ein anderer sie unter seinem Namen abgegeben? Ist die Erklärung auf dem Transportweg verändert worden? Ist er leistungsbereit und -fähig? Etc.) ermöglichen.211 Für dieses Vertrauensproblem gibt es – in Grenzen – technische Abhilfe durch neuartige Erklärungs- und Unterschriftsformen, wie etwa Kennwortverfahren, die digitale Signatur oder biometrische Erkennungsverfahren. Es drängt sich geradezu auf, die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung als Ausprägung der Vertrauenshaftung auf diese Erklärungs- und Unterschriftsformen anzuwenden, wie dies im 2. und 3. Kapitel aufgezeigt werden wird.

IV. Zusammenfassung Elektronischer Geschäftsverkehr befaßt sich mit elektronischen Handlungen und Erklärungen die mittels vernetzter Rechner erstellt und ausgetauscht werden. Wesentliche technische Grundlagen sind Rechnertechnologie, Telekommunikation und das Internet. Der elektronische Geschäftsverkehr nimmt wirtschaftlich, gesellschaftlich und international eine bedeutende Rolle ein. Rechtliche relevante Handlungsformen im elektronischen Geschäftsverkehr sind elektronische Erklärungen und Realakte. Elektronische Erklärungen bilden das kommunikative Herzstück des elektronischen Geschäftsverkehrs und können in allen seinen Bereichen auftreten. Rechtserhebliche elektronische Erklärungen kommen in verschiedenen Formen als einfache elektronische Erklärungen, solche mit eingescannter Unterschrift, mit Kennwortschutz, digitaler Signatur und biometrischen Sicherungsmechanismen vor. Auch die Entwicklung weiterer Sicherungsmechanismen in der Zukunft ist nicht ausgeschlossen. Die verschiedenen Sicherungsverfahren weisen unterschiedliche Grade an Sicherheit und Komfort auf. Am komfortabelsten, aber unsichersten ist die – am weitesten verbreitete – einfache elektronische Erklärung. Höchste Sicherheit bietet wohl die digitale Signatur, verbunden mit einer biometrischen Sicherung des Zugangs zu den Signierkomponenten. Zu den auch die rechtliche Behandlung prägenden Eigenarten („Paradigmen“) des elektronischen Geschäftsverkehrs gehören die Dematerialisierung, die Deterri210 211

Dazu ausführlich Canaris, Vertrauenshaftung. s. a. Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 128 f.

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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torialisierung, die Detemporalisierung, die Selbstregulierung, die Technikbetontheit und das Vertrauensproblem.

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs I. Vorbemerkung zur Rolle des Rechts im elektronischen Geschäftsverkehr Welche Rolle dem Recht bei der Behandlung des elektronischen Geschäftsverkehrs zukommt, ist nicht unumstritten.212 Klar ist allerdings erstens, daß der elektronische Geschäftsverkehr, namentlich wo er via Internet abgewickelt wird, sich nicht im rechtsfreien Raum bewegt,213 und zweitens, daß der elektronische Geschäftsverkehr überwiegend keine auf sich selbst beschränkten, völlig neuen Rechtsfragen aufwirft.214 Klar ist aber auch, daß der elektronische Geschäftsverkehr zu einem grundlegenden Wandel der Geschäftsbeziehungen führt, der sich wie bereits erörtert v.a. in drei „Paradigmen“ äußert: Dematerialisierung (Übergang von der papiergebundenen zur dematerialen, elektronischen Kommunikation), Deterritorialisierung (Internationalität des Internet) und Detemporalisierung (Übertragungen in Sekundenschnelle an jeden Ort der Welt).215 Die Elemente Materie, Raum und Zeit erscheinen in einem neuen Blickwinkel. Umstritten ist, wie das Recht bzw. die Rechtsordnung mit diesen „Paradigmen“ umgehen sollen. Dazu finden sich im wesentlichen drei Antworten: Eine weniger verbreitete Ansicht geht explizit oder implizit von einem Primat des Rechts über die Technik aus.216 Angesichts der Tatsache, daß die technische 212 Noch schwieriger ist die Ausdifferenzierung der Rollen innerhalb der Rechtsordnung, insbesondere zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung; dazu unten § 3. 213 Wenning, jur-pc 1995, 3321. Bei allen tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung über nationale Grenzen hinweg ist das Bedürfnis nach Rechtsbindung und Rechtssicherheit nicht wegzudiskutieren, sobald geschäftlicher Verkehr entsteht. Daran ändert auch eine von einem Teil der Internetnutzer eingehaltene „Netiquette“ (freiwillige Verhaltensregeln für das Internet) nichts, sobald es Teilnehmer gibt, die sich nicht daran halten. Dazu Mayer, NJW 1996, 1782, 1789 ff. 214 Hoeren, NJW 1998, 2849. 215 Hoeren, NJW 1998, 2849 ff. Ferner Nimmer / Krauthouse, 31 Idaho L. Rev. 937 ff. (1995), die für das Recht der USA einer entschlossenen Fortentwicklung der bisherigen Dogmatik zu einer neuen, speziell auf den elektronischen Geschäftsverkehr zugeschnittenen Dogmatik das Wort reden. 216 So etwa Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3, die annehmen, auf der Ebene des elektronischen Rechtsverkehrs „stellt das Recht nun der Technik eine neue Aufgabe“ – nämlich die Schaffung von Übermittlungsmöglichkeiten für elektronische Willenserklärungen, die Authentizität und Integrität der Erklärung sicherstellen, sprich die digitale Signatur. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Dinge sich eher genau umgekehrt verhalten: Das Recht (Signatur-

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1. Kap.: Grundlagen

Entwicklung meist dem Recht vorauseilt,217 wird man diese These kaum halten können. Eine zweite, namentlich von Haft vertretene Auffassung nimmt eine Bewertung der Spielarten des elektronischen Geschäftsverkehrs vor und will aus der so gewonnenen Wertigkeit Prioritäten für die rechtliche und rechtswissenschaftliche Behandlung ableiten.218 Ob sich die von Haft aufgezeigten Prioritäten so wie von ihm dargelegt verwirklichen lassen, mag dahinstehen.219 Fest steht jedenfalls, daß die Frage, ob eine bestimmte Anwendung der Rechnertechnologie im elektronischen Geschäftsverkehr nach dem persönlichen Geschmack Einzelner „richtig“ oder „falsch“ ist, für das Recht keine Rolle spielen kann, auch nicht im Sinn von Prioritäten. Tatsächlich existierenden legalen und legitimen Formen des elektronischen Geschäftsverkehrs dürfen auf diese Weise nicht – auch nicht vorübergehend – von Rechts wegen Aufmerksamkeit und Schutz versagt werden. Eine dritte, in mehreren Facetten auftretende und insgesamt als herrschend zu bezeichnende Auffassung geht von einem mehr oder weniger starken Primat der neuen Technologien und einer „assistierenden“ oder reagierenden Rolle des Rechts aus. In einer gemäßigteren Ausprägung fordert diese Auffassung etwa „die Gewährleistung von Privatautonomie und Rechtssicherheit im Zeitalter neuer Medien.“220 Dazu „muß die Auslegung von Rechtsnormen dem folgen, was sich in der nicht-juristischen Umwelt ereignet hat.“221 Allerdings dürfe das Recht gesetz aus dem Jahr 1997) läuft der Technik hinterher; digitale Signaturverfahren gehen wie oben bei § 1 erörtert technisch bereits auf die Jahre 1976 – 78 zurück; mit einigem Recht wird man daher sagen können, daß die Reaktion des Rechts mithin immerhin ca. 20 Jahre auf sich warten ließ. 217 So auch Borking / Verhaar, DuD 1999, 138, 141. 218 Haft, in: FS Hippel, 35 ff. Haft identifiziert überwiegend „falsche Anwender“ mit „falschen Anwendungen“, z. B. digitales Fernsehen und Radio, Multimedia-CD und interaktives Pay-TV (36). Auch „ernsthafte“ Anwendungen wie „Telebanking“, „Teleshopping“ und „Fernwirkdienste“ hält er für fragwürdig (37). Demgegenüber fordert Haft einen professionellen Umgang mit professionell wichtigen Informationen und diesbezügliche wissenschaftliche Forschung (39) zur Verbesserung juristischer Entscheidungen (46). In Abkehr vom bisherigen Systemdenken müssen sich Juristen nach Haft einem „kybernetischen“ Denken (Denken in „vernetzten Systemen“) zuwenden. Darin sieht er die Chancen der Informationsgesellschaft für das Recht, insbesondere in den Bereichen „Retrieval“ (Sachverhaltserfassung, Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, Ersetzung von Sachverständigen durch Datenbanken), „Darstellung“ (Textverarbeitung, elektronische Wortarchive, Haft prophezeit ein neues „Zeitalter der Mündlichkeit im Recht“ (60)), und „Entscheidung“ (Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe durch Eingabe aller bisherigen Gerichtsentscheidungen in einen Rechner (62)). 219 Der Vorschlag, das Systemdenken in der Jurisprudenz ganz aufzugeben und stattdessen Entscheidungen durch Eingabe aller bisherigen Gerichtsentscheidungen in einen Rechner zu finden, ist weder in methodologischer noch in praktischer Hinsicht auch nur ansatzweise überzeugend. Zur Bedeutung des Systemdenkens im deutschen Recht vgl. nur Canaris, Systemdenken; Larenz / Canaris, Methodenlehre, 263 ff. 220 Bizer, DuD 1995, 459, der an anderer Stelle aber die „Freiheit der Anbieter“ dem „Regulierungsziel der Beweissicherheit“ unterordnen will; Bizer, DuD 1998, 118. 221 H.P. Westermann, NJW 1997, 1, 6; ähnlich Wissmann, EuZW 2000, 289 („Dem technischen muß daher nun der rechtliche Fortschritt folgen.“).

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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den Herausforderungen der Automatisierung „nur entsprechen, soweit nicht der Schutz der Interessen der Allgemeinheit und Dritter entgegensteht.“222 Bereits weitergehend sind Forderungen etwa der Art, das Recht müsse so gestaltet sein, daß es dem elektronischen Rechtsverkehr keine Schranken, z. B. in Form herkömmlicher Schriftformerfordernisse, entgegensetze.223 Eng verwandt mit dieser Auffassung ist der vehemente Ruf nach Selbstregulierung der Wirtschaft anstelle staatlicher Reglementierung des elektronischen Geschäftsverkehrs,224 in den teilweise auch die Rechtsprechung einstimmt.225 Im Grundsatz haben sich die Gesetzgeber sowohl der USA226 als auch der EU227 dieser Auffassung angeschlossen, wenngleich in Europa eine gewisse Tendenz zu mehr staatlicher Regulierung zu verzeichnen ist.228 Köhler, AcP 182 (1982), 126, 129. So etwa Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 40. Ähnlich Graf Fringuelli / Wallhäuser, CR 1999, 93, 96, die in Frage stellen, ob das geltende Recht der heutigen Kommunikationstechnik noch gerecht werde. 224 Vgl. etwa SZ v. 25. 11. 1997, 16; SZ v. 14. 9. 1999, 25 und V2 / 10; Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 1997, 7. Ferner in dieselbe Richtung weisend Alliance for Global Business (AGB) (Vertretung eines Großteils der im elektronischen Geschäftsverkehr tätigen Wirtschaft), wo von einem Primat der Selbstregulierung ausgegangen wird und staatliche Regelungen im wesentlichen nur in den Bereichen geistiges Eigentum, Besteuerung und Beseitigung von Wettbewerbsschranken für notwendig befunden werden. Kritisch dagegen Hoeren, NJW 1998, 2849, 2852 f. 225 Besonders pointiert LG München I, CR 2001, 50 m. Anm. Mankowski, CR 2001, 30 = ITRB 2001, 33: „Leitbild der Rechtsprechung [sollte] der mündige Bürger sein, der seine Rechte und Interessen frei von staatlicher Belehrung und Gängelung eigenverantwortlich wahrnimmt.“ 226 Absichtserklärung des Weißen Hauses, A Framework for Global Electronic Commerce, 01. 07. 1997 (http: / / www.ecommerce.gov / framewrk.htm). Danach kommt dem privaten Sektor eine Führungsrolle und den Regierungen lediglich eine unterstützende Aufgabe zu in Form der Schaffung einfacher rechtlicher Mindeststandards bzgl. Besteuerung (Internet als zoll- und steuerfreie Zone), elektronische Verträge (Vertragsfreiheit, technologische Neutralität), Privatsphäre, Sicherheit, geistiges Eigentum und Marktzugang (insb. im Telekommunikationssektor). 227 s. etwa Aktionsplan der EU „eEurope 2002 – Eine Informationsgesellschaft für alle“, Juni 2000, 20 (abrufbar unter http: / / europa.eu.int / comm / information_society / eeurope /documentation / index_de.htm). 228 Schippan, ZUM 1997, 813, 816; SZ v. 12. 10. 99, 27. Ferner Däubler-Gmelin, WM 1999, 169, wonach es maßgeblich auf „Zuverlässigkeit der elektronischen Kommunikation, weitestgehende Freiheit des Verkehrs, Datenschutz und wirksamen Verbraucherschutz“ ankommt. Insbesondere beim Verbraucherschutz ist in den USA eher eine gewisse Zurückhaltung zu bemerken; vgl. etwa § 5 UETA Legislative Note Nr. 4 a.E.: „Consumers and others will not be well served by restrictions which preclude the employment of electronic technologies sought and desired by consumers.“ Ähnlich LG München, CR 2001, 50 f. (zur Frage ob bei einem Internet-Zeitschriftenabonnement ein Verkaufsprospekt i.S.v. § 8 VerbrKrG in herkömmlicher Schriftform abgefaßt sein muß): „Wer die Vorteile dieses neuen Mediums nutzen will, muß auch gewisse damit verbundene Nachteile, die in seinem Verantwortungs- und Risikobereich liegen, tragen. [ . . . ] Es liegt 222 223

5*

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1. Kap.: Grundlagen

II. Rechtsakte der Europäischen Union Auch der elektronische Geschäftsverkehr wird – wie das Zivilrecht allgemein229 – in zunehmendem Maße durch europäisches Recht bestimmt. Einer Globalisierung und internationalen Vereinheitlichung des Rechts des elektronischen Geschäftsverkehrs wird dabei z.T. lautstark das Wort geredet.230 Der europäische Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr ist seit dem Jahr 2000 in Europa weitgehend rechtlich vereinheitlicht.231 Tragende Säulen sind dabei die Richtlinien über den elektronischen Geschäftsverkehr (EGV-RL), zu elektronischen Signaturen (Sig-RL) und zu Geschäften im Fernabsatz (FernAbsRL).

1. Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr Die EGV-RL ist am 17. 07. 2000 in Kraft getreten und mußte von den Mitgliedstaaten bis 17. 01. 2002 umgesetzt worden sein (Art. 22 Abs. 1 EGV-RL).232 Sie soll ein Mindestmaß an Rechtssicherheit im elektronischen Geschäftsverkehr in der EU schaffen.233 Kernpunkt ist der freie Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten gemäß dem Herkunftslandprinzip (Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 EGV-RL). Zu diesem Zweck sollen gem. Art. 1 nicht im Interesse eines diesen zukunftsweisenden Weg wählenden Verbrauchers, die von diesem gewünschte Nutzung des neuen Mediums dadurch zu erschweren, daß ihm vor Tätigung des Geschäfts zunächst noch Prospektmaterial in herkömmlicher Schriftform zur Verfügung gestellt werden muß. [ . . . ] Richtigerweise sollte aber Leitbild der Rechtsprechung der mündige Bürger sein, der seine Rechte und Interessen frei von staatlicher Belehrung und Gängelung eigenverantwortlich wahrnimmt.“ 229 Man denke nur an den privatrechtlichen Verbraucherschutz durch die Richtlinien zu mißbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen (ABlEG 1993 L 95 / 29), über den Verbraucherkredit (ABlEG 1997 L 42 / 48 und ABlEG 1990 L 61 / 14), über Haustürgeschäfte (ABlEG 1985 L 372 / 31), über Pauschalreisen (ABlEG 1990 L 158 / 59), über Time-SharingVerträge (ABlEG 1994 L 280 / 83), über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABlEG 1985 L 210 / 29) und über irreführende Werbung (ABlEG 1984 L 250 / 17). – Grundlegend zur Systembildung im europäischen Zivilrecht Grundmann, Systembildung. 230 Vgl. Zitate bei Schippan, ZUM 1997, 813, 816. – Diese Forderung wird sich realistischerweise nicht vollumfänglich durchsetzen lassen, betrifft doch der elektronische Geschäftsverkehr, wie erwähnt, nahezu alle Teilbereiche des Rechts, und eine so weitgehende internationale Rechtsvereinheitlichung wird schwerlich zu erreichen sein. Sie ist auch gar nicht notwendig, wie etwa der nachfolgend auszuführende Blick auf die USA lehrt, wo schon innerhalb eines Landes gleichsam 51 verschiedene Rechtsordnungen bestehen, ohne das Wirtschaftsleben in erkennbarer Weise unzumutbar zu beschränken. 231 Dazu ausführlich die Beiträge von Salmony, Lehmann, Maennel, Tettenborn, Freytag und Roßnagel, in: Lehmann, Electronic Business in Europa, 1 – 160. 232 Richtlinie 2000 / 31 / EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABlEG Nr. L 178 / 1 v. 17. 7. 2000. 233 Scherer / Butt, DB 2000, 1009.

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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Abs. 2 EGV-RL die Rechtsvorschriften angeglichen werden, die für die Dienste der Informationsgesellschaft gelten, insbesondere im Hinblick auf Niederlassung, kommerzielle Kommunikation, elektronische Verträge, Haftung von Vermittlern, Verhaltenskodizes, außergerichtliche Streitbeilegung, Klagemöglichkeiten und Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten. Dagegen soll die Richtlinie keine Anwendung auf die Tätigkeiten der Notare und die Vertretung von Mandanten vor Gericht finden (Art. 1 Abs. 5 EGV-RL). Im einzelnen enthält die EGV-RL u. a. Regelungen über Informationspflichen von Informationsdiensten gegenüber Kunden (Art. 5 EGV-RL), die Kennzeichnung kommerzieller Kommunikation (Art. 6 EGV-RL), Schutzmöglichkeiten gegen unerwünschte elektronische Werbung (Art. 7 EGV-RL), und die rechtliche Anerkennung elektronischer Verträge (außerhalb des Bereichs notarieller Beurkundungen, des Familien- und Erbrechts), d. h. die Gleichstellung (bestimmter) elektronischer Erklärungen und Unterschriften mit der herkömmlichen Schriftform und eigenhändigen Unterschrift (Art. 9 – 11 EGVRL). Vorgesehen ist insbesondere, daß der Vertragschluß bei Verbraucherverträgen erst mit Zusendung einer Empfangsbestätigung durch den Diensteanbieter wirksam werden soll (Art. 11 Abs. 1 EGV-RL).234

2. Signaturrichtlinie Am 20. 01. 2000 ist die EU Richtlinie über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturrichtlinie – SigRL) in Kraft getreten, die von den Mitgliedstaaten bis zum 19. 07. 2001 umzusetzen war.235 Hauptzweck der SigRL ist die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens für elektronische Signaturen.236 Ihr Ansatz ist – anders als das deutsche SigG 1997 – methoden- und technologieneutral (Erwägungsgrund 8).237 Sie unterscheidet zwischen elektro234 Näher zur EGV-RL v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 16 f.; Brisch, CR 1999, 235 ff.; Geis, MMR 2000, 667 ff.; Grauel, Markenartikel, 2 / 1999, 48 f.; Hoeren, MMR 1999, 192 ff; Kilches, Medien & Recht, 1999, 3 ff.; Lehmann, ZUM 1999, 180 ff.; ders., EuZW 2000, 517 ff.; Maennel, MMR 1999, 187 ff.; Moritz, CR 2000, 61, 68 ff.; Spindler, MMR 1999, 199 ff.; Waldenberger, EuZW 1999, 296 ff.; Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 86 ff. 235 Richtlinie 1999 / 93 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABlEG Nr. L13 vom 19. 01. 2000, 12. Dazu bzw. zu den einzelnen Entwurfsstadien v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 18; Brisch, CR 1998, 482 ff.; Büllesbach / Miedbrodt, CR 2000, 751 ff.; Geis, MMR 1998, 236 ff.; Gravesen / Dumortier / van Eecke, MMR 1999, 577 ff.; Grimm / Fox, DuD 1998, 407 ff.; Kilian, BB 2000, 733 ff.; Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 84 ff.; Moritz, CR 2000, 61, 68; Müglich, MMR 2000, 7 ff.; Redeker, CR 2000, 455; Roßnagel, MMR 1998, 331 ff.; ders., MMR 1999, 261 ff.; Schumacher, CR 1998, 758, 760 f.; ders., CR 1999, 473 ff.; Welsch / Bremer, DuD 2000, 85 ff. Zum Stand der Umsetzung in den Mitgliedstaaten Dumortier / Rinderle, CRi 2001, 5 ff. 236 Brisch, CR 1998, 492, 493. 237 Brisch, CR 1998, 492, 494. Letztlich läuft aber auch die SigRL zumindest derzeit auf die digitale Signatur hinaus, da es momentan keine andere Technologie gibt, die die Anforde-

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1. Kap.: Grundlagen

nischen Signaturen allgemein und sog. „fortgeschrittenen elektronischen Signaturen“ (Art. 2 SigRL). Der Begriff elektronische Signatur umfaßt sämtliche Daten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind und die zur Authentifizierung dienen (Art. 2 Nr. 1 SigRL). Darunter fallen sämtliche in § 1 erörterten elektronischen Erklärungsformen (einfache elektronische Erklärung, eingescannte Unterschrift, Kennwortschutzsysteme, digitale Signaturen, biometrische Verfahren). Eine fortgeschrittene elektronische Signatur ist nach der Legaldefinition in Art. 2 Nr. 2 SigRL eine elektronische Signatur, die vier weitere Anforderungen erfüllen muß: (1) sie ist ausschließlich dem Unterzeichner zugeordnet; (2) sie ermöglicht die Identifizierung des Unterzeichners; (3) sie wird mit Mitteln erstellt, die der Unterzeichner in seiner alleinigen Kontrolle halten kann; und (4) sie ist so mit den Daten, auf die sie sich bezieht, verknüpft, daß eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann. Wegen der Voraussetzung (4) kommen nach derzeitigem Stand der Technik praktisch nur digitale Signaturen als fortgeschrittene elektronische Signaturen in Betracht. Fortgeschrittene elektronische Signaturen, die bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllen (Vorliegen eines sog. „qualifizierten Zertifikates“ und Erstellung mittels einer „sicheren Signaturerstellungseinheit“), müssen von den Mitgliedstaaten wie herkömmliche Unterschriften behandelt und als Beweismittel in Gerichtsverfahren zugelassen werden (Art. 5 Abs. 1 SigRL). Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines qualifizierten Zertifikates und sicherer Signaturerstellungseinheiten sind in den Anhängen I – III SigRL im einzelnen im Sinne deskriptiver Mindestanforderungen aufgeführt. Zu den technischen Voraussetzungen, nach denen Systeme und Produkte als vertrauenswürdig angesehen werden können (etwa im Sinne bestimmter Technologien oder technischer Sicherheitskriterien), trifft die SigRL keine weiteren Aussagen.238 Entgegen § 4 Abs. 1 S. 1 SigG 1997 verbietet es Art. 3 Abs. 1 SigRL den Mitgliedstaaten, Zertifizierungsdiensteanbieter einer staatlichen Genehmigungspflicht zu unterwerfen; Art. 3 Abs. 2 SigRL sieht demgegenüber für die Mitgliedstaaten die Option eines freiwilligen „Akkreditierungssystems“ vor. Zertifizierungsstellen, die sog. qualifizierte Zertifikate anbieten, müssen von den Mitgliedstaaten einem mindestens den Anforderungen von Art. 11 SigRL genügenden Haftungsregime unterworfen werden. Über die Regelungen des Art. 5 Abs. 1 hinaus bezweckt die SigRL keine Harmonisierung nationalen Vertragsrechts insgesamt (Erwägungsgrund 17, Art. 1 Abs. 2). rungen der SigRL an „fortgeschrittene elektronische Signaturen“ erfüllen würde. So auch Büllesbach / Miedbrodt, CR 2000, 751, 752; Grimm / Fox, DuD 1998, 407, 408; Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 87; Roßnagel, MMR 1998, 331, 332; Schwemmer, DuD 2000, 70, 71. – Andererseits trifft es aber auch nicht zu, wenn das deutsche SigG in seiner Ursprungsfassung aus dem Jahr 1997 als „technikneutral“ bezeichnet wird; so aber Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Entwicklungen bei den neuen Informationsund Kommunikationsdiensten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG), BTDrs. 14 / 1191 v. 18. 06. 1999, 17 r. Sp. 238 Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 88.

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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3. Fernabsatzrichtlinie Die FernAbsRL hat den Zweck, die verschiedenen Verbraucherschutzregelungen im Bereich des Fernabsatzes zu harmonisieren und die Verbraucher vor irreführenden und aggressiven Verkaufsmethoden zu schützen.239 Sie war bis zum 04. 06. 2000 in nationales Recht umzusetzen. Sie regelt im Sinne eines unverzichtbaren Mindeststandards240 Verträge, bei deren Abschluß Fernkommunikationstechniken verwendet wurden, also z. B. im Internet geschlossene Verträge, Bestellungen per Telefon oder Telefax, Videotext und Katalogbestellungen (Anhang I zur FernAbsRL). Nicht erfaßt sind Homebanking, Finanzdienstleistungen, Immobilienverträge und Verträge mit Abrechnung über das öffentliche Telefonnetz. Art. 4 FernAbsRL verpflichtet den Unternehmer, den Verbraucher über seine Identität und die wesentlichen Vertragsinhalte (Eigenschaften der Leistung, Preis, Zahlungsmodalitäten etc.) zu informieren. Der Verbraucher hat gem. Art. 6 FernAbsRL ein Widerrufsrecht, das innerhalb von sieben Werktagen nach Erhalt der Ware ausgeübt werden muß.241 Kein Widerrufsrecht soll bestehen bei Verträgen, die „online“ erfüllt werden, z. B. durch Herunterladen von Informationen oder Rechnerprogrammen.242

III. Deutschland 1. Informations- und Kommunikationsdienstegesetz (IuKDG) Der deutsche Gesetzgeber hat bereits im Jahr 1997 auf Bundesebene in Form des Informations- und Kommunikationsdienstegesetzes (IuKDG) auf die durch den elektronischen Geschäftsverkehr gestellten Aufgaben reagiert; das IuKDG ist im wesentlichen am 01. 08. 1998 in Kraft getreten.243 Es handelt sich um ein Arti239 Richtlinie 97 / 7 / EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz vom 20. 05. 1997, ABlEG Nr. L 144 vom 4. 6. 1997, 9; abgedruckt in NJW 1998, 212 und EuZW 1997, 596. Dazu Arnold, CR 1997, 526 ff.; Bermanseder, MMR 1998, 342; v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 17 f.; Bodewig, DZWir 1997, 447; Borges, ZIP 1999, 130, 135 f.; Bülow, DZWir 1998, 89 ff.; Gößmann, MMR 1998, 88 ff.; Heinrichs, in: FS Medicus, 177 ff. (insb. zum Widerrufsrecht); Kilches, Medien & Recht, 1997, 276 ff.; Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1015; Schmittmann, DuD 1997, 636 ff.; Thorn, IPRax 1999, 1 ff. – Die FernAbsRL hat für die hier interessierenden Fragen der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr nur geringe Bedeutung. Insbesondere betrifft Art. 8 FernAbsRL (und in dessen Gefolge § 676h BGB) keine Rechtsscheinfragen, wie noch zu zeigen sein wird. Gleichwohl wird die FernAbsRL hier kurz erläutert, um einen vollständigen Überblick über den EU Rechtsrahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr zu geben. 240 Zum Mindestschutzcharakter Moritz, CR 2000, 61, 66. 241 Der die FernAbsRL umsetzende neu eingefügte § 361a BGB (a.F.) bzw. jetzt § 312d Abs. 1 1 i.V.m. § 355 BGB gewähren sogar eine zweiwöchige Widerrufsfrist. 242 Moritz, CR 2000, 61, 67. 243 BGBl. 1997 I, 1870. Kommentierung bei Roßnagel, Multimedia-Dienste. Ferner EngelFlechsig, DuD 1997, 474 ff.; Engel-Flechsig / Maennel / Tettenborn, NJW 1997, 2981 ff.;

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1. Kap.: Grundlagen

kelgesetz, das eine Vielzahl von Regelungsbereichen umfaßt, insbesondere die Nutzung von Telediensten,244 den Datenschutz bei Telediensten,245 digitale Signaturen,246 sowie Änderungen in den Bereichen Straf- und Ordungswidrigkeitenrecht247 und Urheberrecht.248, 249 Besondere Bedeutung für die vorliegende Schrift haben, wie sich zeigen wird, digitale Signaturen, denen sich die Gesetzgeber weltweit seit 1995 gewidmet haben, ausgehend von den USA,250 wenig später in Deutschland251 und dann wie beschrieben auch auf Ebene der Europäischen Union. In kurzer Zeit hat sich geradezu eine Flut von Literatur zur digitalen Signatur entwickelt.252 Der Trend hat sich auch durch die von der SigRL veranlaßte NeuRoßnagel, NJW 1998, 1 ff.; Tettenborn, EuZW 1997, 462 ff.; Will, NJW 1998, 962 f. – Zeitgleich ist der von den Ländern abgeschlossene Mediendienste-Staatsvertrag (MDStV) in Kraft getreten (s. etwa Bay. Landtag Drs. 13 / 7716 v. 26. 03. 1997, 1). Der MDStV wurde aufgrund der unklaren bundesstaatlichen Kompetenzverteilung im Hinblick auf sog. Mediendienste (deren Dienste, im Gegensatz zu den sog. Telediensten, nicht für individuelle Nutzung bestimmt sind, sondern sich an die Allgemeinheit richten, z. B. Fernseheinkauf, Videoon-demand, elektronische Presse) für notwendig erachtet, enthält aber hinsichtlich Zugangsfreiheit, Verantwortlichkeit und Datenschutz weitgehend mit dem IuKDG wort- bzw. inhaltsgleiche Regelungen. Zusätzlich enthält der MDStV Regelungen, die mit der meinungsbeeinflussenden Funktion der Mediendienste zusammenhängen (z. B. Anbietertransparenz, Trennung von Kommentar und Bericht, Wahrheitsprüfung, Gegendarstellung und Jugendschutz). Dazu Kommentierung bei Roßnagel, Recht der Multimedia-Dienste, 4. Teil; ferner Bräutigam, WiB 1997, 855 ff.; Engel-Flechsig / Maennel / Tettenborn, a. a. O., 2982; Kilches, Medien & Recht, 1997, 183 ff. 244 Teledienstegesetz – TDG, Art. 1 IuKDG. 245 Teledienstedatenschutzgesetz – TDDSG, Art. 2 IuKDG. 246 Signaturgesetz – SigG, Art. 3 IuKDG. Vgl. dazu den Evaluierungsbericht Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Entwicklungen bei den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG), BTDrs. 14 / 1191 v. 18. 06. 1999. Allg. zur Evaluierung von Gesetzen Neuser, DuD 1999, 284. 247 Art. 3, 4 IuKDG. 248 Art. 7 IuKDG. 249 Weniger bedeutsam sind die Regelungen in Art. 6 IuKDG (Änderung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften), Art. 8 IuKDG (Änderung des Preisangabengesetzes) und Art. 9 IuKDG (Änderung der Preisangabenverordnung). Art. 10 IuKDG regelt die Rückkehr zum einheitlichen Verordnungsrang, Art. 11 IuKDG das Inkrafttreten. 250 Überblick bei Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, bei Fn. 11 (1999); http: / / www.mbc.com / ds_sum.html). Einzelheiten vgl. unten 3. Kapitel. 251 Gesetz über die digitale Signatur (Signaturgesetz – SigG 1997), BGBl. 1997 I 1872, in Kraft getreten am 01. 08. 1997; ferner Signaturverordnung (SigV 1997) vom 08. 10. 1997, BGBl. 1997 I 2498, in Kraft getreten am 01. 11. 1997. Zur Historie des Gesetzes Bieser, CR 1996, 564 ff. (Vor-Entwurf SigG 1997). 252 Vgl. etwa die seitenlange Aufzählung bei Roßnagel, Multimedia-Dienste, Einl SigG 5. Ohne auch nur annähernde Vollständigkeit seien hier genannt Abel, MMR 1998, 644, 646 f.; Baum, DuD 1998, 199 ff. & DuD 1999, 511 ff.; Berger, DuD 1999, 206 ff.; Bergmann / Streitz, jur-pc 1 / 1996, 36 f.; Bieser, CR 1996, 564 ff.; ders., DSB 1997 Nr. 9, 1 ff.; Bieser / Kersten, Elektronisch unterschreiben – Die digitale Signatur in der Praxis, 1999; Bizer, DuD 1992, 169 ff.; Delta / Matsuura, Law of the Internet, § 9.03[O][1]; Deville / Kalthegener,

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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fassung des SigG im Jahr 2001 fortgesetzt.253 Die praktischen Erfahrungen sind bislang allerdings eher gering.254

2. Umsetzung europäischer Rechtsvorschriften Der deutsche Gesetzgeber hat die vorstehend erläuterten EU Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt, und zwar durch das Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen des elektronischen Geschäftsverkehrs (EGG),255 das SigG 2001,256 das NJW-CoR 1997, 168, 169; Eisele, DuD 1995, 402; Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 186; dies., CR 1996, 375, 378; Fox, DuD 1998, 386 ff. & DuD 1999 508 ff.; Fischer, NVwZ 1999, 1284 ff.; Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3, 5 ff.; Geis, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht Teil 13.2 Rn. 10 ff.; ders., NJW 1997, 3000 ff.; Grimm, DuD 1997, 286; Haas, in: FS Heinrichs, 262 ff.; Hammer, CR 1992, 435 ff.; Hein / Rieder, DuD 1997, 469 ff.; dies., Computer Law Reporter, Bd. 27, Nr. 1, März 1998, 7 ff.; Hoeren / Schüngel, Rechtsfragen der digitalen Signatur; Hohenegg / Tauschek, BB 1997, 1541, 1544 ff.; JKN, DSB 11 / 1997, 6 ff.; Koch, Internet-Recht, 153 ff.; Köhler / Arndt, Recht des Internet, 74 ff.; Kumbruck, DuD 1994, 20 ff.; Kuner, NJW-CoR 1996, 108 ff.; ders., CR 1997, 643 ff.; ders., DuD 1999, 227 f.; Malzer, DNotZ 1998, 96 ff.; Mense, DB 1998, 532 ff.; Mertes, CR 1996, 769 ff.; Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht Teil 13.3; Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich; Müller-Berg, DuD 1993, 87 ff.; Nehl, DuD 1997, 2 ff.; Neumann, DRiZ 1997, 402 f.; Pordesch / Nissen, CR 1995, 562; Raßmann, CR 1998, 36 ff.; Rieß, DuD 1997, 284; Rihaczek, DuD 1991, 568 ff.; ders., DuD 1992, 14 ff.; Roßnagel, NJW-CoR 1994, 96 ff.; ders., DuD 1997, 75 ff.; ders., DuD 1997, 287; ders., MMR 1998, 75 ff.; ders., NJW 1998, 3312 ff.; ders., RDV 1998, 5 ff.; ders., MMR 1999, 342 ff.; ders., NVwZ 2000, 622 ff.; Rott, NJW-CoR 1998, 420 ff.; v. Rottenburg, WM 1997, 2381, 2390 ff.; Schumacher, CR 1998, 758 ff.; Taupitz / Kritter, JuS 1999, 839, 845 f.; Thot, 123 ff.; Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127 ff. 253 BGBl. 2001 I 876 ff. (Inkrafttreten 22. 05. 2001). Zum SigG 2001 s. BTDrs. 14 / 4662 v. 16. 11. 2000 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); ferner etwa Blum, DuD 2001, 71 ff.; Büllesbach / Miedbrodt, CR 2000, 751, 753 ff.; Welsch, DuD 2000, 408 ff. Zur neuen SigV 2001 (BGBl. 2001 I 3074) vgl. Entwurf mit Begründung vom 16. 08. 2001 (abrufbar http: / / www.dud.de); ferner Miedbrodt, DuD 2001, 79 ff.; Roßnagel, NJW 2001, 1817 ff. & BB 2002, 261. 254 Dazu etwa Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Entwicklungen bei den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG), BTDrs. 14 / 1191 v. 18. 06. 1999, 17 ff.; Belke, DuD 2000, 74 ff.; Camphausen, DuD 1998, 382 ff.; Esser-Wellié / Hufnagel, AfP 1998, 174, 175; Miedbrodt, DuD 1998, 194 ff. (USA); dies., Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 182; Roßnagel, NVwZ 2000, 622, 629 f.; Thiel, DuD 2000, 77 ff.; Tettenborn, MMR 1999, 517, 520 f. – Anfang 1999 wurde in Deutschland die erste Zertifizierungsstelle nach dem SigG 1997 genehmigt (betrieben von der Deutschen Telekom AG), bis Ende 1999 sollten drei bis sieben weitere hinzukommen (SZ v. 24. 8. 1999, V2 / 10 und SZ v. 21. 12. 1999, V2 / 12). Ferner BRAK-Mitt. 4 / 1999, 178 f. Ende 2000 gab es mit der Deutschen Telekom, der Deutschen Post und der Bundesnotarkammer insgesamt erst drei nach dem SigG genehmigte Zertifizierungsstellen (Pressemitteilung der Bundesnotarkammer vom 15. 12. 2000, abgedruckt in NJW Heft 3 / 2001, XIV). Im März 2001 kamen nochmals fünf neue Zertifizierungsstellen nach SigG (DATEV eG; Steuerberaterkammern Nürnberg, Saarland und Bremen; Medizon AG) hinzu (Roßnagel, NJW 2001, 1817). 255 BGBl. 2001 I 3721; dazu Bröhl, MMR 2001, 67 ff.; Härting, DB 2001, 80 ff.

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1. Kap.: Grundlagen

Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr (FormAnpG)257 und das Fernabsatzgesetz (FernAbsG), welches mittlerweile wieder abgeschafft und in wesentlichen Teilen im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts ins BGB (dort §§ 312b ff.) übernommen wurde.258 Während das erste und das letztgenannte Gesetz für die vorliegende Untersuchung eher nur am Rand eine Rolle spielen, bedürfen SigG 2001 und FormAnpG einer näheren Betrachtung. Das SigG 2001 enthält im wesentlichen dieselbe Dreiteilung elektronischer Signaturen wie die SigRL in (einfache) elektronische Signaturen (§ 2 Nr. 1 SigG 2001), „fortgeschrittene elektronische Signaturen“ (§ 2 Nr. 2 SigG 2001, praktisch nur durch digitale Signaturtechnik erfüllbar) und „qualifizierte elektronische Signaturen“ (§ 2 Nr. 3 SigG: qualifiziertes Zertifikat und Erstellung mittels sicherer Signaturerstellungseinheit). Daneben führt das SigG in Umsetzung des entsprechenden Vorschlags der SigRL als vierte Kategorie die qualifizierte elektronische Signatur mit Anbieter-Akkreditierung ein (§ 15 SigG) mit der Besonderheit, daß im letzteren Fall die Einhaltung der Anforderungen des SigG durch ein öffentliches Gütesiegel bestätigt wird. Das SigG 2001 enthält besondere Vorschriften für Zertifizierungsstellen (neuerdings in Übereinstimmung mit der europäischen Terminologie „Zertifizierungsdiensteanbieter“ genannt), die qualifizierte Zertifikate vergeben (§§ 4 ff. SigG 2001),259 die freiwillige Akkreditierung solcher Zertifizierungsstellen (§§ 15 f. SigG 2001), technische Sicherheit (§ 17 SigG 2001 – Produkte für elektronische Signaturen, § 18 SigG 2001 – Anerkennung von Prüf- und Bestätigungsstellen) und behördliche Aufsicht über Zertifizierungsstellen (§§ 19 f. SigG 2001). Die Schlußbestimmungen regeln Bußgeldvorschriften (§ 21 SigG 2001), Kosten und Beiträge (§ 22 SigG 2001), ausländische Signaturen (§ 23 SigG 2001) und die Ermächtigung zum Erlaß der SigV (§ 24 SigG 2001). Zu beachten ist, daß sämtliche Vorschriften in §§ 4 ff. SigG 2001 nur für Zertifizierungsstellen Dazu Nachw. s. o. BGBl. 2001 I 1542 ff. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDRs. 14 / 4987 v. 14. 12. 2000; Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß), BTDrs. 14 / 5561 v. 14. 03. 2001. Dazu etwa Büllesbach / Miedbrodt, CR 2000, 751, 754 f.; Gesellschaft für Informatik, DuD 2001, 38 ff.; Roßnagel, NJW 2001, 1817, 1825. 258 Gesetz über Fernabsatzverträge (FernAbsG), BGBl. 2000 I 897 v. 29. 06. 2000, am 30. 06. 2000 in Kraft getreten. Zur Gang der Gesetzgebung s. BTDrs. 14 / 2658 v. 09. 02. 2000 (Gesetzentwurf der Bundesregierung); 14 / 3195 v. 12. 04. 2000 (Bericht des Rechtsausschusses); 14 / 3527 v. 07. 06. 2000 (Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses); Überblick bei Günther, CI 2000, 97 ff., kritisch Hensen, ZIP 2000, 1151 f.; ferner Meents, CR 2000, 610 ff. – Zur Überführung in die §§ 312b ff. BGB vgl. Meub, DB 2002, 359 ff. 259 Insbesondere allgemeine Anforderungen an den Betrieb einer Zertifizierungsstelle (§ 4), Anforderungen an die Vergabe qualifizierter Zertifikate (§ 5), Inhalt der Unterrichtungspflicht gegenüber dem Antragsteller (§ 6), Mindestinhalt qualifizierter Zertifikate (§ 7), Sperrung qualifizierter Zertifikate (§ 8), qualifizierte Zeitstempel (§ 9), Dokumentationspflichten der Zertifizierungsstelle (§ 10), Haftung der Zertifizierungsstelle (§ 11), Deckungsvorsorge (§ 12, insb. Versicherungsschutz), Einstellung der Tätigkeit (§ 13) und Datenschutz (§ 14). 256 257

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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gelten, die qualifizierte Zertifikate für qualifizierte elektronische Signaturen i.S.v. § 2 Nr. 3 SigG 2001 ausstellen.260 Alle anderen Zertifizierungsstellen arbeiten außerhalb des Rechtsrahmens des SigG 2001. Das FormAnpG hat einen neuen § 126 Abs. 3 BGB geschaffen, demzufolge die schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden kann, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.261 Gem. § 126a Abs. 1 BGB setzt die elektronische Form voraus, daß die Erklärung mit dem Namen des Erklärenden und einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem SigG 2001 versehen ist. § 126b BGB n.F. schafft darüber hinaus den einheitlichen Tatbestand der sog. Textform,262 die voraussetzt, daß eine Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben wird. Die Textform findet als eine Art erleichterte Schriftform überall dort Anwendung, wo dies gesetzlich oder durch Parteivereinbarung vorgesehen ist. Neben §§ 126 ff. BGB ändert das FormAnpG noch eine ganze Reihe weiterer Gesetze.263 Besondere Hervorhebung verdienen §§ 130 Nr. 6, 130a ZPO n.F., die für Schriftsätze die elektronische Form für zulässig erklären, und § 292a ZPO, der einen Anscheinsbeweis für die Echtheit einer in elektronischer Form i.S.v. § 126a BGB n.F. vorliegenden Erklärung statuiert.

3. Weitere Rechtsgrundlagen Entsprechend der breiten wirtschaftlichen Anwendungsbereiche des elektronischen Geschäftsverkehrs entstehen Rechtsfragen auf breiter Basis.264 Besonders 260 Einzige Ausnahme ist die Datenschutzvorschrift des § 14 SigG 2001, die nach § 14 Abs. 3 SigG 2001 auch für sonstige Zertifizierungsstellen gilt. Von Technologieneutralität kann daher nur der äußeren Form nach gesprochen werden, materiell bezieht sich das SigG 2001 wie das SigG 1997 ausschließlich auf die digitale Signaturtechnik. So auch Roßnagel, NJW 2001, 1817, 1819. 261 Ausgeschlossen ist die elektronische Form beispielsweise bei Zeugnissen (§ 630 BGB n.F.), Bürgschaftserklärungen (§ 766 S. 2 BGB n.F.), Schuldversprechen und -anerkenntnis (§§ 780, 781 BGB n.F.) 262 Die Einführung der Textform war bis zuletzt umstritten, vgl. auch Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrs. 14 / 5561 v. 14. 03. 2001, 19. 263 Z. B. Bundeskleingartengesetz, FGG, GBO, ArbGG, SGG, VwGO, FGO, GKG, KostO, BRAGO, VerbrKrG, MHG, SchuldRAnpG, WEG, HGB, BörsG, KAGG, UmwG, AktG, GmbHG, KrWG, VAG, VVG, NachwG, PflVersG etc. Das FormAnpG enthält insoweit entweder Vorschriften, die die Textform (statt der bisherigen Schriftform) gestatten oder die elektronische Form explizit ausschließen. 264 Auch die Vertreter einer weitestgehenden Selbstregulierung der Wirtschaft sehen staatlichen Handlungsbedarf in den Bereichen Schutz der Privatsphäre, Verbraucherschutz, Schutz geistigen Eigentums, offener Internetzugang, Transaktionssicherheit bei elektronischen Verträgen, Besteuerung und Gleichbehandlung von Internet- und herkömmlichen Unternehmen, vgl. Weißes Haus, „A Framework for Global Electronic Commerce“, 01. 07. 1997 (http: / / www.ecommerce.gov / framewrk.htm); SZ v. 12. 10. 1999, 27.

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1. Kap.: Grundlagen

bedeutsam sind die Rechtsgebiete allgemeines Zivilrecht und Vertragsrecht (elektronische Willenserklärungen und Vertragsschlüsse), Beweisrecht (elektronische „Dokumente“ im Prozess), Sicherheitsinfrastruktur (trust centers für zuverlässige elektronische Erklärungen), Datenschutzrecht, Urheberrecht (insb. Datenbanken, „online“-Dienste), Wettbewerbsrecht („online“-Vertrieb, „online“-Marketing) und Steuerrecht.265 Daneben gelten natürlich allgemeine Rechtsvorschriften, etwa des Strafrechts, auch im elektronischen Geschäftsverkehr (z. B. verbotenes Anbieten pornographischer Inhalte auf Internet-Seiten).

IV. USA Die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) sind der Rechtskreis mit der größten gesetzgeberischen Aktivität im elektronischen Geschäftsverkehr und mit der größten Erfahrung im Umgang mit elektronischen Erklärungen und Unterschriften. Den USA wird daher in dieser Arbeit in rechtsvergleichender Hinsicht ein besonderes Augenmerk gelten. Allgemein läßt sich voranstellen, daß sowohl auf Einzelstaaten- wie auch auf Bundesebene eine starke Tendenz zur Selbstregulierung der Wirtschaft vorherrscht. Staatliche Regelungen beschränken sich i.d.R. auf Minimalstandards im Hinblick auf die Themen Schutz der Privatsphäre, Verbraucherschutz, Schutz des geistigen Eigentums, offener Zugang zum Internet, Transaktionssicherheit, Besteuerung und Gleichbehandlung von Internet- und herkömmlichen Geschäften. Im folgenden wird die für die vorliegende Schrift besonders bedeutsame Gesetzgebung auf Einzelstaaten- und Bundesebene zu elektronischen Unterschriften kurz in der Reihenfolge ihrer historischen Entwicklung dargestellt.

1. Signaturregelungen auf Einzelstaatenebene Auf Ebene der US Einzelstaaten findet sich seit 1995 eine außerordentlich rege Gesetzgebungstätigkeit zu elektronischen Unterschriften. Die diesbezügliche Problematik stellte sich dort von Anfang an in weitaus schärferer Form als beispielsweise in Deutschland. Nach herkömmlichem US Recht bedürfen beispielsweise Warenkäufe ab einem Kaufpreis von US$ 500,– der Schriftform (§ 2-201(1) UCC266). Daher stellte sich schon sehr viel früher die praktisch entscheidende Frage, ob elektronisch abgeschlossene Verträge der Schriftform genügen. Zwar werden in den USA Schriftformerfordernisse insgesamt großzügiger interpretiert als Vgl. die Auflistung bei Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 3. Einheitliches Handelsgesetzbuch Uniform Commercial Code, dessen Art. 2 auf sämtliche Kaufverträge über bewegliche Sachen anwendbar ist (auch ohne Beteiligung von Kaufleuten), Fundstelle: http: / / www.law.cornell.edu / ucc / 2 / 2-201.html. Im Zuge der Überarbeitung von Art. 2 UCC ist geplant, die Betragsgrenze auf US$ 5.000,– anzuheben; § 2-201(1) UCC i.d.F.d. Entwurfs v. Juli / August 2002 (Fundstelle: http: / / www.nccusl.org). 265 266

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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dies etwa in Deutschland für § 126 BGB (vor Einführung des § 126 Abs. 3 BGB durch das FormAnpG) galt; Telefax und Telegramm wurden von jeher sowohl für das Schriftlichkeits- als auch das Unterschriftserfordernis als ausreichend angesehen.267 Gleichwohl herrschte für elektronische Erklärungen, z. B. per elektronischer Post und via Internet, große Rechtsunsicherheit, die die einzelstaatlichen Gesetzgeber auf den Plan rief. Die nachstehende überblicksartige Einteilung der einzelstaatlichen Signaturgesetze befaßt sich v.a. mit deren Anwendungsbereich und den Rechtswirkungen elektronischer Signaturen.

a) Anwendungsbereich der Signaturgesetze In praktisch allen 50 Einzelstaaten der USA gibt es entweder bereits Gesetze über elektronische Signaturen oder Entwürfe zu solchen Gesetzen,268 die sich im Hinblick auf ihren Anwendungsbereich in vier verschiedene Ansätze zusammenfassen lassen.269 Die erste Gruppe von Gesetzen ist sowohl technik- wie auch sicherheitsneutral, d. h. diese Gesetze gelten für alle elektronischen Signaturen (im Sinne der dort jeweils enthaltenen Definitionen).270 Ein zweiter Ansatz kann als technikneutral und sicherheitsspezifisch bezeichnet werden. Nach diesen Gesetzen sind nur an „sichere“ elektronische Unterschriften bestimmte günstige Rechtsfolgen geknüpft. Dabei bedeutet „sicher“ – sehr ähnlich der SigRL und dem SigG 2001 (dort „fortgeschritten“ bzw. „qualifiziert“ genannt) – Einmaligkeit, Identifizierbarkeit, ausschließliche Kontrolle des Ausstellers und Feststellbarkeit der Echtheit des Dokuments.271 Eine dritte Gruppe von Gesetzen ist technik- und sicherheitsspezifisch; sie enthalten Regelungen nur zu digitalen Signatu267 Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, bei Fn. 42 ff. (1999) m.w.Nachw.; White / Summers, 70 f. m.w.Nachw.; Wilkerson, 41 Kan. L. Rev. 403 ff. (1992) m.w.Nachw. Grund für die großzügigere Interpretation des § 2-201 UCC ist v.a. die von § 126 BGB abweichende Zwecksetzung. Während der Schriftform nach § 126 BGB insbesondere Warn- und Beweisfunktion zukommt, beschränkt sich der Zweck des § 2-201 UCC darauf, im Sinne eines Beweisanzeichens zu indizieren, daß ein Kaufvertrag geschlossen worden ist („to indicate that a contract for sale has been made“; White / Summers, 73). Daher verlangt § 2-201 UCC abweichend von § 126 BGB auch lediglich eine Unterschrift derjenigen Partei, gegen die Rechte aus dem Vertrag hergeleitet werden sollen („the party against whom enforcement is sought“). Macneil, in: Schlesinger, 1091; Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 369. 268 Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 111 ff.; Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, bei Fn. 11 (1999). 269 Zum nachfolgenden m.w.Nachw. vgl. Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, bei Fn. 57 ff. (1999). 270 Dieser Ansatz findet sich z. B. in Gesetzen der Bundesstaaten Arizona, Florida, Indiana, Mississippi, Ohio, Oregon, South Carolina, Texas, Virginia, West Virginia, Wisconsin, sowie im Uniform Electronic Transactions Act § 2(8); Smedinghoff / Bro, a. a. O. 271 Dieser Ansatz findet sich z. B. in Gesetzen von Alaska, Kalifornien, Georgia, Idaho, Illinois, Iowa, Kansas, Kentucky, Maryland, Nebraska, North Carolina, Oklahoma und Rhode Island, Smedinghoff / Bro, a. a. O.

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1. Kap.: Grundlagen

ren.272 Schließlich gibt es eine vierte Art von Gesetzen, die man als „definitionslos“ bezeichnen kann. In ihnen findet sich keine Definition des Begriffs „elektronische Unterschrift.“273 Die einzelnen Gesetze unterscheiden sich ferner bezüglich ihres Anwendungsbereichs im Hinblick darauf, für welche Arten von Geschäften und Rechtsakten elektronische Unterschriften verwendet werden dürfen.274 Im Regelfall enthalten die Gesetze eine Anerkennung elektronischer Unterschriften für alle Arten von Geschäften und Rechtsakten, in einigen Staaten ist die Verwendung elektronischer Unterschriften auf bestimmte Arten von Geschäften (z. B. Steuererklärungen, sonstige Erklärungen gegenüber Behörden) beschränkt. Wieder andere Gesetze regeln lediglich Geschäfte mit bestimmten Parteien (z. B. nur zwischen Behörden, unter Beteiligung mindestens einer Behörde, oder unter Beteiligung einer Bank u.ä.).

b) Rechtswirkungen elektronischer Unterschriften In vielen amerikanischen Signaturgesetzen findet sich keine ausdrückliche Regelung zu den Rechtswirkungen einer elektronischen Unterschrift.275 Im übrigen aber finden sich zwei verschiedene Ansätze, der materiell-rechtliche und der beweisrechtliche. Der materiell-rechtliche Ansatz zeichnet sich dadurch aus, daß in dem jeweiligen Signaturgesetz die Vertrauenswürdigkeit der Unterschrift zur Voraussetzung für die Anerkennung als rechtsverbindliche Unterschrift erhoben wird. Dort werden i.d.R. vier Voraussetzungen für die Vertrauenswürdigkeit aufgestellt, die im wesentlichen mit den Kriterien der EU SigRL übereinstimmen: (1) Einzigartigkeit, (2) Verifizierbarkeit, (3) ausschließliche Kontrolle des Inhabers, und (4) Feststellbarkeit der Integrität der Erklärung.276 Dem steht der beweisrechtliche Ansatz gegenüber, demzufolge jede elektronische Unterschrift materiell-rechtlich als Unterschrift anerkannt wird, aber nur bei Verwendung bestimmter, als „sicher“ einzustufender elektronischer Unterschriften besteht die Vermutung der Urheberschaft des Senders und / oder der Integrität der Erklärung.277 Die Einstufung als 272 So z. B. Gesetze in Minnesota, Missouri, New Hampshire, Utah und Washington; Smedinghoff / Bro, a. a. O. 273 Z. B. in Connecticut, Delaware, Louisiana, Nevada, Tennessee und Wyoming; Smedinghoff / Bro, a. a. O. 274 Dazu Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, bei Fn. 68 – 72 (1999). 275 Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, Fn. 81 (1999). 276 Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, Fn. 81 (1999). Dieser Ansatz findet sich z. B. in Gesetzen der Bundesstaaten Alaska, Kalifornien, Georgia, Idaho, Illinois, Iowa, Kansas, Kenntucky, Maryland, Nebraska, New Hampshire, North Carolina, Oklahoma und Rhode Island; Smedinghoff / Bro, a. a. O., m.w.Nachw. 277 Den beweisrechtlichen Ansatz haben z. B. Illinois und South Carolina gewählt; dazu ausführlich m.w.Nachw. Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, Fn. 82 – 83 (1999).

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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„sicher“ kann sich dabei u. a. aufgrund Parteivereinbarung oder aufgrund Verwendung bestimmter, staatlich als sicher zertifizierter Technologien ergeben. Die Zertifizierung als „sicher“ hängt wiederum im wesentlichen von der Einhaltung der o.g. Kriterien (1) bis (4) ab.278 Daher sind sich materiell-rechtlicher und beweisrechtlicher Ansatz in ihren Voraussetzungen recht ähnlich, sie knüpfen an das Vorliegen dieser Voraussetzungen jedoch unterschiedliche Rechtsfolgen. Der beweisrechtliche Ansatz wird auch von einigen technologiespezifischen Signaturgesetzen (digitale Signatur) gewählt. Dabei knüpft die Vermutung allein an die Vertrauenswürdigkeit im Hinblick auf Erklärendenidentität und Erklärungsintegrität, die sich daraus ergibt, daß eine bestimmte, als sicher eingestufte Technologie (digitale Signaturen) verwendet wird und ein Signaturzertifikat einer staatlich genehmigten oder anerkannten Zertifizierungsstelle vorliegt.279 Die Gesetze über elektronische Unterschriften, namentlich jene, die auf digitale Signaturen abstellen, enthalten i.d.R. gesetzlich normierte Pflichten für den Signaturinhaber, insbesondere keine wahrheitswidrigen Angaben in einem Zertifikatantrag zu machen, sein Zertifikat vor der erstmaligen Benutzung zu überprüfen und den privaten Schlüssel sorgfältig geheim zu halten.280 Der Signaturinhaber ist gehalten, bei Kompromittierung des privaten Schlüssels das Zertifikat unverzüglich zu widerrufen.281 2. Einheits- und Bundesgesetze Bereits im Jahr 1997 hat die Regierung der Vereinigten Staaten in einer politischen Absichtserklärung zu den Rahmenbedingungen für weltweiten elektronischen Rechtsverkehr dem privaten Sektor eine Führungsrolle zuerkannt und die Aufgabe der Regierungen darin gesehen, den privaten Sektor durch einfache rechtliche Mindeststandards zu unterstützen.282 In den folgenden vier Jahren haben bundesweite Regelungsinitiativen wesentlich zu einer Vereinheitlichung bzw. zumindest Harmonisierung des bedrohlich sich zersplitternden Einzelstaatenrechts beigetragen. Zum Ganzen Smedinghoff / Bro, a. a. O., bei Fn. 84. So z. B. in Minnesota, Missouri, Utah und Washington; Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, Fn. 92 (1999). 280 Dazu abwegig Myers, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 909, bei Fn. 77 (1999): die Zurechnung nur einfacher Fahrlässigkeit sei ein zu geringer Sorgfaltsmaßstab, daher werden Signaturinhaber zu sorglos sein und sich haftbar machen. Demgegenüber fordert Myers „absolute“ Haftung zum Schutz (!) der Signaturinhaber. Daß damit weitaus mehr Signaturinhaber haftbar sind, verkennt Myers offenbar völlig (wohl auch verleitet durch eine – durch die in USA weit verbreitete ökonomische Analyse des Rechts geförderte – Überbetonung des Präventionsgedankens im Schadensersatzrecht). 281 Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, Fn. 101 (1999). 282 The White House, A Framework for Global Electronic Commerce, 01. 07. 1997 (Fundstelle: http: / / www.ecommerce.gov / framewrk.htm). 278 279

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1. Kap.: Grundlagen

Im Bereich der bundesweiten sog. Modellgesetze (model laws) ist zunächst das Einheitsgesetz über elektronische Transaktionen von 1999 zu nennen (Uniform Electronic Transaction Act – UETA).283 Das UETA wurde von der National Conference of Commissioners on Uniform State Laws (NCCUSL)284 erarbeitet und wird den Einzelstaaten zur Übernahme in ihr Recht empfohlen.285 Das UETA als solches hat nur Modellcharakter, keine unmittelbare Rechtswirkung, weder auf Bundes-, noch auf Staatenebene. Inhaltlich beschäftigt sich das UETA mit der Gleichsetzung elektronischer Unterschriften im Rechts- und Geschäftsverkehr mit herkömmlichen Unterschriften (Diskriminierungsverbot). Die UETA-Regeln sind abstrakt und technologieneutral gehalten; jede elektronische Unterschrift erfüllt nach § 7 UETA die Anforderungen herkömmlicher Schriftformvorschriften (anders §§ 126 Abs. 3, 126 a BGB n.F., wonach eine qualifizierte elektronische Signatur – praktisch eine digitale Signatur – erforderlich ist). „Elektronische Unterschrift“ ist in § 2(8) UETA definiert als „electronic sound, symbol, or process attached to or logically associated with a record and executed or adopted by a person with the intent to sign the record.“

Dabei bedeutet „record“ (Aufzeichnung) gem. § 2(13) UETA „information that is inscribed on a tangible medium or that is stored in an electronic or other medium and is retrievable in perceivable form.“

Anwendbar ist das UETA nach § 3(a) i.V.m. § 2(16) grundsätzlich auf sämtliche privaten, kaufmännischen und behördlichen Rechtshandlungen (mit Ausnahme v.a. des Erbrechts und der Art. 2A ff. UCC), wenn die Parteien sich über die Verwendung elektronischer Medien einig sind (§ 5(b) UETA).286 Im übri283 Fundstelle: http: / / www.upenn.edu / bll / ucl / uecicta / eutast84.htm; dazu Boss, 23 Nova L. Rev. 583, 608 ff. (1999); Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, bei Fn. 11 – 13 (1999). 284 Die NCCUSL ist ein in den USA hoch angesehenes Gremium aus Rechtswissenschaftlern und -praktikern, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Modellgesetze zu erarbeiten, die den Einzelstaaten zur Übernahme in Staatenrecht empfohlen werden. Die seit 1892 bestehende NCCUSL war in ihrer Tätigkeit sehr erfolgreich und hat mit über 200 Gesetzesvorschlägen einen erheblichen Betrag zur Vereinheitlichung insbesondere des auf Einzelstaatenrecht beruhenden Zivilrechts in den USA geleistet. Erfolgreichstes Modellgesetz, das alle Einzelstaaten (z.T. mit gewissen Modifikationen, insbesondere im Falle Louisanas) übernommen haben, ist der bereits erwähnte Uniform Commercial Code (UCC), der eine Kodifikation u. a. von Warenkaufverträgen, Leasingverträgen, Handelspapieren, des Wertpapierrechts und des Kreditsicherungsrechts enthält. Vgl. Blumenwitz, 70 f.; Rheinstein, Rechtsvergleichung, § 12 Fn. 17 (93); Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 247. Zu weiteren Informationen s.a. http: / / www.nccusl.org. 285 Streng genommen handelt es sich also nicht um Regelungen auf Bundesebene. Da jedoch bei Übernahme durch eine größere Zahl von Einzelstaaten ein über diese Einzelstaaten hinausgehendes einheitliches Recht entsteht, werden die NCCUSL Einheitsgesetze hier beim Bundesrecht behandelt. Zur Übernahme des UETA in einzelstaatliches Recht vgl. die Übersicht bei http: / / www.mbc.com / ecommerce / legislative_8.asp?state=all. 286 Das UETA legt insoweit einen großzügigen Maßstab an. Die Aushändigung einer Visitenkarte mit einer elektronischen Postanschrift kann nach den Umständen (insbesondere im

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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gen läßt das UETA die Vorschriften des Vertragsrechts (z. B. zum Irrtum) unberührt.287 Hinzu kommt das NCCUSL Einheitsgesetz über Computerinformationsverträge (Uniform Computer Information Transations Act – UCITA).288 Es regelt umfassend den Vertragstyp „Computerinformationsvertrag“, d. h. alle Verträge, die Computerinformationen, ihre Erstellung, Veränderung, Übertragung oder Lizensierung zum Gegenstand haben (§ 102(a)(11) UCITA). Darunter fallen z. B. Verträge über die Erstellung und Überlassung von Software, aber auch Computerdatenbanken und sonstiger auf Rechnern speicherbarer Informationen, wie z. B. Verträge über online-Zugang und online Informationen (§§ 611 ff. UCITA), nicht aber der Vertrieb beweglicher Sachen (Bücher, Gebrauchtwagen etc.) über das Internet. Das UCITA regelt anwendbares Recht, Gerichtsstand, Vertragsschluß, Vertragsinhalt, Auslegung, Gewährleistung, Übertragung von Rechten, Vertragserfüllung, Vertragsbeendigung, Leistungsstörungen und Rechtsbehelfe. Das UCITA erkennt ferner – wie das UETA – elektronische Erklärungen und Unterschriften als wirksam an.289 Nicht unerwähnt bleiben sollen schließlich die Bemühungen, Art. 2 des Uniform Commercial Code v.a. im Hinblick auf die Erfordernisse des elektronischen Geschäftsverkehrs, insbesondere Vertragsschlüsse in elektronischer Form, zu überarbeiten.290 Für den vorliegenden Zusammenhang ist v.a. die geplante Öffnung herkömmlicher Schriftform- und Unterschriftserfordernisse für elektronische Erklärungsformen von Bedeutung. Am 01. 10. 2000 trat schließlich das Bundesgesetz über elektronische Signaturen in Kraft (Electronic Signatures in Global and National Commerce Act – E-SIGN).291 Das E-SIGN Gesetz gilt für Geschäfte, die zwischenstaatlichen oder internationalen Handel beinhalten oder betreffen (§ 101(a)) und bestimmt (ähnlich wie Art. 5 EGV-RL), daß Rechtsgeschäfte und Unterschriften nicht allein deshalb für unwirksam angesehen werden dürfen, weil sie in elektronischer Form vorunternehmerischen Bereich) genügen, um das Einverständnis zu signalisieren, rechtserhebliche Erkälrungen in elektronischer Form zu empfangen (§ 5 UETA Anm. 4A). 287 § 3(d) UETA und UETA Prefatory Note. 288 Das Modellgesetz stammt aus dem Jahr 1999 und wurde mittlerweile in den Jahren 2000 und 2002 überarbeitet; Fundstelle: http: / / www.law.upenn.edu / bll / ucl / ucita / cita10st.htm. Dazu Lejeune, CR 2000, 201; ders., Der E-Commerce Vertrag. Zum Stand der Umsetzung in den Einzelstaaten s. http: / / www.mbc.com / ecommerce / legislative_1_2. asp?state=all; ferner http: / / www.nccusl.org. 289 UCITA soll in Zukunft als Art. 2B UCC (Lizenzen) fungieren. 290 Zuletzt National Conference of Commissioners on Uniform State Laws, Proposed Amendments to Uniform Commercial Code Art. 2 – Sales, American Law Institute Tentative Draft, Juli / August 2002 (Fundstelle: http: / / www.law.upenn.edu / library / ulc / ulc.htm). 291 106th Congress, 761, abrufbar unter http: / / frwebgate.access.gpo.gov / cgi-bin / getdoc.cgi?dbname=106_cong_bills&docid=f.S761eur.txt.pdf; dazu Büllesbach / Miedbrodt, CR 2000, 751, 756 f.; Luigs, K&R 2002, 533 ff.; Miedbrodt, DuD 2000, 541 ff. 6 Rieder

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1. Kap.: Grundlagen

genommen wurden (Diskriminierungsverbot). Ausgenommen sind u. a. Geschäfte des Erb- und Familienrechts (§ 103(a)) sowie bestimmte Prozeßhandlungen und Gerichtsentscheidungen (§ 103(b)(1)). Auf einen Verbraucher finden die Bestimmungen nur Anwendung, wenn dieser der Verwendung elektronischer Formen seine in § 101(c) näher geregelte Zustimmung gegeben hat. Elektronische Unterschriften im Sinne des E-SIGN Gesetzes sind (vergleichbar den Definitionen in der SigRL, dem SigG 2001 und dem UETA) alle elektronischen Symbole, Verfahren oder Klänge, die an einen Vertrag oder ein sonstiges Dokument angehängt oder logisch mit ihm verbunden werden und die von einer Person mit dem Willen zu unterzeichnen verwendet werden (§ 106(5)). Die Einzelstaaten sind nach E-SIGN § 102(a) darauf beschränkt, entweder das UETA in ihr Recht zu übernehmen oder Gesetze zu erlassen, die mit den Vorschriften des E-SIGN Gesetzes übereinstimmen. Ausdrücklich untersagt ist den Einzelstaaten der Erlaß zwingender technologiespezifischer Regelungen oder der Zwang zur bestimmten technischen Standards (§ 102(a)(2)(A)(ii) E-SIGN). Erlaubt ist dagegen weiterhin die nähere Ausgestaltung der Rechte und Pflichten der Beteiligten im Hinblick auf elektronische Signaturen.292 Gestattet ist insbesondere gem. § 101(e), elektronischen Geschäften oder Dokumenten die rechtliche Anerkennung zu versagen, wenn das Geschäft bzw. das Dokument nicht in einer Form erstellt wurde, in der die Aufbewahrung und exakte Wiedergabe möglich ist. Behörden dürfen darüber hinaus für sie betreffende elektronische Erklärungen besondere Anforderungen im Hinblick auf Exaktheit, Integrität und Zugänglichkeit aufstellen, wenn es zur Erreichung wichtiger öffentlicher Zwecke erforderlich ist (§ 104(b)(3)(A) E-SIGN). Das E-SIGN Gesetz ist nach dem Willen des Gesetzgebers als Übergangslösung konzipiert, bis sich das UETA in den Einzelstaaten durchgesetzt hat.293 Teil II des E-SIGN Gesetzes (§§ 201 f.) regelt bestimmte Wertpapiere, Teil III (§ 301) die Förderung des elektronischen Geschäftsverkehrs auf internationaler Ebene, u. a. durch Übernahme der Prinzipien des UNCITRAL Modellgesetzes für den elektronischen Geschäftsverkehr von 1996 und durch den Verzicht auf jegliche Diskriminierung elektronischer Signaturen aus anderen Ländern (§ 301(2) (A)&(D)).

V. Regelwerke internationaler Organisationen Neben gesetzlichen Regelungen einzelner Staaten zum elektronischen Geschäftsverkehr finden sich seit mehreren Jahren Regelwerke internationaler Orga292 Zum Umfang des Vorrangs des E-SIGN Gesetzes vor einzelstaatlichen Regelungen Nimmer, CRI 2000, 97, 100 ff.; Bierekoven, 317. 293 Report of the Senate Committee on Commerce, Science and Transportation on 761, 106th Congress, Calendar No. 243, Report 106 – 131, 30 July 1999, 2, abrufbar unter http: / / frwebgate.access.gpo.gov / cgi-bin / getdoc.cgi?dbname=106_cong_reports&docid=f. sr131.106.pdf.

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

83

nisationen zu verschiedenen Aspekten des elektronischen Geschäftsverkehrs mit empfehlendem Charakter und ohne unmittelbare Rechtsverbindlichkeit für Staaten und deren Bürger. Besondere Beachtung im vorliegenden Zusammenhang verdienen die Regelwerke der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL). UNCITRAL ist eine seit 1973 bei den Vereinten Nationen eingerichtete Kommission für Internationales Handelsrecht, zu deren Aufgaben es gehört, die Harmonisierung des Handelsrechts auf globaler Ebene voranzutreiben.294 Zu diesem Zweck erarbeitet die UNCITRAL in verschiedenen Arbeitsgruppen u. a. Konventionen und Modellgesetze.295 Das bisher erfolgreichste Regelwerk ist das im April 1980 verabschiedete Übereinkommen über internationale Kaufverträge (UN-Kaufrecht).296 Die UNCITRAL Regelwerke haben den Charakter einer Empfehlung an die Einzelstaaten, die in nationales Recht übernommen und ggf. nach nationalem Recht an die jeweiligen Gegebenheiten angepaßt werden kann.297 Nachfolgend werden die beiden Regelwerke der UNCITRAL zum elektronischen Geschäftsverkehr und zu elektronischen Signaturen näher vorgestellt. Von Bedeutung ist zum einen das UNCITRAL Modellgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr aus dem Jahr 1996 (UMEG 1996),298 das trotz seines „Alters“ nach wie vor zu den modernen Regelwerken über elektronischen Geschäftsverkehr zu zählen ist und mit seinem Regelungsansatz die Rechtsentwicklung in den USA und in Europa stark beeinflußt hat.299 Die wichtigsten Prinzipien, auf denen das Modellgesetz beruht, sind: (1) Vereinfachung des elektronischen Geschäftsverkehrs im innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Verkehr; (2) Wirksamkeit von Geschäften, die mit Hilfe neuer Informationstechnologien abgeschlossen wurden; (3) Förderung der Verbreitung neuer Informationstechnologien; (4) Förderung der Rechtseinheit; und (5) Unterstützung bestehender Handelsbräuche.300 Das UMEG 1996 verfolgt bei der Umsetzung dieser Prinzipien einen technikneutralen, sicherheitsspezifischen Ansatz.301 Art. 5 UMEG 1996 bestimmt, daß 294 v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 18; UN Resolution 2205 (XXI) v. 17. 12. 1966 und UNResolution 3108 (XXVII) v. 12. 12. 1973. 295 v. Bernstorff, a. a. O. 296 So Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 25. 297 v. Bernstorff, a. a. O. 298 UN Generalversammlung Beschluß 51 / 162 vom 16. Dezember 1996, geändert 1998 (Fundstelle: http: / / uncitral.org / english / texts / electcom / ml-ec.htm). Dazu Thot, 85 ff. Zur Geschichte des UMEG 1996 s.a. offizielle Umsetzungsanleitung (Guide to Enactment) Nr. 125 ff. 299 Insbesondere das Signaturgesetz des US Bundesstaates Illinois, das im Rahmen der Erörterungen des 3. Kapitels noch eine herausragende Rolle spielen wird, orientiert sich stark am UMEG 1996; v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 19; Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 124 (Fn. 561). 300 Umsetzungsanleitung Nr. 43. 301 Art. 7 Abs. 1 UMEG & Umsetzungsanleitung Nr. 14, 31. Dazu v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 18 ff.; Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, bei Fn. 65 (1999); Thot, 86 f.

6*

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1. Kap.: Grundlagen

elektronischen Erklärungen Rechtswirkung, Gültigkeit oder Durchsetzbarkeit nicht allein wegen ihrer elektronischen Form versagt werden dürfen (Diskriminierungsverbot).302 Eine elektronische Unterschrift genügt dem Unterschriftserfordernis, wenn sie folgende Merkmale aufweist: (1) Identifizierbarkeit des Erklärenden, (2) erkennbarer Rechtsbindungswille des Erklärenden, (3) Zuverlässigkeit des Unterschriftsverfahrens (abhängig vom konkreten Anlaß des Rechtsgeschäfts, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls) und (4) Prinzip des funktionellen Äquivalents, d. h. es kommt darauf an, ob unter den Umständen des einzelnen Falles die elektronische Signatur funktionsmäßig der herkömmlichen eigenhändigen Unterschrift gleichwertig ist.303 Das UMEG 1996 zielt v.a. auf geschäftlichen bzw. unternehmerischen Rechtsverkehr, kann aber auch für Verbrauchergeschäfte in nationales Recht umgesetzt werden.304 In Ergänzung zum UMEG 1996 hat die UNCITRAL ein Modellgesetz über elektronische Signaturen erarbeitet und im Jahr 2001 formell verabschiedet (UMES 2001).305 Das UMES 2001 ergänzt und konkretisiert die Bestimmungen des UMEG 1996 insbesondere im Hinblick auf digitale Signaturen, wenngleich es formell – ebenso wie die SigRL und das SigG 2001 – einen technologieneutralen Ansatz wählt.306 Das Unterschriftserfordernis wird gem. Art. 6(1) UMES 2001 erfüllt, wenn der Unterschriftsmechanismus die nach den Umständen angemessene Zuverlässigkeit bietet. Nach Art. 6(3) UMES 2001 gilt eine Signatur immer dann als hinreichend zuverlässig, wenn sie dem Unterzeichner eindeutig zugeordnet ist, die Unterschriftserstellungseinheit in seiner ausschließlichen Kontrolle gehalten werden kann und nachträgliche Änderungen der Unterschrift und des Erklärungsinhalts feststellbar sind. Das entspricht im wesentlichen den Anforderungen an fortgeschrittene bzw. qualifizierte elektronische Signaturen nach der SigRL bzw. dem SigG 2001 und trifft praktisch derzeit nur auf digitale Signaturen zu. Neben UNCITRAL gibt es andere internationale Initiativen, die sich ebenfalls mit elektronischem Geschäftsverkehr und elektronischen Unterschriften befassen.307 Ihre Bedeutung sowohl rechtspraktisch als Vorbilder für nationale GesetzUmsetzungsanleitung Nr. 46. Umsetzungsanleitung Nr. 15 ff. 304 Umsetzungsanleitung Nr. 25 – 27. Insgesamt zielt das UMEG 1996 eher auf einen besonders weiten Anwendungsbereich; Umsetzungsanleitung Nr. 29. 305 Abrufbar unter http: / / www.uncitral.org. 306 Vgl. UMES Umsetzungsanleitung Nr. 3 ff., 32, 69, 87. 307 Vgl. z. B. die Veröffentlichung der Internationalen Handelskammer (ICC), „GUIDEC – General Usage for International Digitally Ensured Commerce,“ Paris 1997 (abrufbar unter: http: / / www.iccwbo.org / home / guidec / guidec.asp,); dazu Bierekoven, Der Vertragsschluß via Internet im internationalen Wirtschaftsverkehr, 2001, 393 ff. Dieses Regelwerk ist weniger ausführlich als die UNCITRAL Regelwerke. Es enthält keine Regelung zur Rechtsscheinhaftung, sondern sieht nur einen verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch gegen den Signaturinhaber bei gefälschter oder sonst unzulässig veränderter Nachricht vor (Abschnitt VII 2 cmt. 3). 302 303

§ 2 Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs

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gebung als auch rechtswissenschaftlich im Hinblick auf die hier interessierende Rechtsscheinfrage ist jedoch ungleich geringer. Daher erschien es vertretbar, auf ihre Erörterung in der vorliegenden Untersuchung zu verzichten.

VI. Nachbemerkung: Internationale Zuständigkeit und internationales Privatrecht im elektronischen Geschäftsverkehr Die wegen der Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs bedeutsamen Fragen, welches Gericht international zuständig308 und welches Recht auf eine Transaktion anzuwenden ist, soll in dieser Arbeit ausgespart bleiben, da sie keinen unmittelbaren Bezug zur Problematik der Rechtsscheinhaftung haben.309 Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle allerdings die Tatsache, daß internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht im elektronischen Geschäftsverkehr aufgrund der Internationalität des Mediums Internet besonders schwierige Fragen aufwerfen. Die Prinzipien des Herkunftslandes und des freien Warenverkehrs liegen in scharfem Widerstreit mit dem Schutzbedürfnis des Erklärungsempfängers, insbesondere wenn es sich um Verbraucher handelt.

VII. Zusammenfassung Zu den wichtigsten Rechtsgrundlagen des elektronischen Geschäftsverkehrs zählen auf Ebene der EU die EGV-RL, die SigRL und die FernAbsRL, in Deutschland das IuKDG, das SigG (1997 & 2001) und das FormAnpG. In den USA sind neben der Vielzahl einzelstaatlicher Signaturgesetze v.a. das UETA und das UCITA als Modellgesetze und das E-SIGN Gesetz als Bundesgesetz von Bedeutung. Im Hinblick auf die Regelwerke internationaler Organisationen verdienen insbesondere die UNCITRAL Modellgesetze über den elektronischen Rüßmann, NJW 2000, 198. Zur internationalen Zuständigkeit s. Pichler, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 31; zum anwendbaren Recht im elektronischen Geschäftsverkehr vgl. etwa Borges, ZIP 1999, 565 ff. (insb. i.H.a. Verbraucherschutzvorschriften); Ernst, BB 1997, 1057, 1058; Hoeren, Rechtsfragen des Internet, Rn. 277 ff., 392 ff.; Kuner, CR 1996, 453 ff. (mit interessanten Beispielen aus der Praxis); Mehrings, CR 1998, 613 ff.; ders., in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 13.1 Rn. 1 ff.; Moritz, CR 2000, 61, 65; Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1010 f.; Thorn, IPRax 1999, 1, 3 ff.; Ultsch, DZWir 1997, 466, 471; Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 130 ff. – Zum anwendbaren Recht speziell bei Rechtscheinvollmachten Ruthig, Vollmacht und Rechtsschein im IPR, 1996. – Skeptisch zur Leistungsfähigkeit des IPR im Internetbereich Hoeren, WM 1996, 2006, der statt dessen eine Internationalisierung des materiellen Rechts für unumgänglich hält; ähnlich Wissmann, EuZW 2000, 289 („einheitlicher, internationaler Rechtsstandard für E-Commerce-Transaktionen“). Demgegenüber darf nicht vergessen werden, daß auch ein Wettbewerb der Regelungsideen Vorteile bergen kann; dazu etwa Grundmann, Systembildung, 13 ff. 308 309

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1. Kap.: Grundlagen

Geschäftsverkehr von 1996 und über elektronische Signaturen von 2001 besondere Aufmerksamkeit.

§ 3 Gegenstand und Plan der Untersuchung I. Einführung In den beiden vorangegangenen Abschnitten wurden der elektronische Geschäftsverkehr, die wichtigsten rechtlich relevanten Handlungsinstrumente in ihrer tatsächlichen Funktionsweise und der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs vorgestellt. Die Erörterungen dieses Abschnitts geben einen Überblick über die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung und vervollständigen das notwendige Rüstzeug für die Untersuchung der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr (II.). Bevor allerdings die Rechtsscheinhaftung in ihren allgemeinen Grundsätzen dargestellt wird, sind einige Anmerkungen angezeigt, warum diese Untersuchung sich die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr zum Gegenstand gemacht hat. Abschließend wird der Plan der Untersuchung skizziert (III.). Veröffentlichungen zum elektronischen Geschäftsverkehr insbesondere in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden nicht müde, Rechtssicherheit durch gesetzliche Neuregelungen anzumahnen.310 Nur so sei ein Erfolg des elektronischen Geschäftsverkehrs in Deutschland und anderswo möglich. Der Gesetzgeber wurde in die Pflicht genommen, durch möglichst einfache, aber den Rechtsverkehr nicht belastende Regelungen Rechtssicherheit zu schaffen. Mittlerweile ist der Gesetzgeber – beispielsweise in Deutschland, Europa und den USA – in vielen Fällen dieser Forderung der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis nachgekommen, insbesondere durch Erlaß von Gesetzen über elektronische Signaturen und deren Rechtswirkungen. Es darf indes nicht übersehen werden, daß – auch und gerade – im elektronischen Geschäftsverkehr gesetzgeberische Lösungen nur eine begrenzte Leistungsfähigkeit haben können. Nicht alle Rechtsfragen eignen sich für eine gesetzliche Kodifikation. Überdies übersteigen Neuheit und Vielgestaltigkeit der Sachverhalte vielfach das Vermögen eines Gesetzgebers. Eine vorschnelle Regelung kann sich angesichts anhaltender, teilweise stürmischer technischer und wirtschaftlicher Entwicklungen schnell als unausgereift, verfehlt, veraltet und mehr belastend denn fördernd auswirken;311 Behutsamtkeit ist daher angesagt.312 Daß 310 Vgl. etwa Bergmann / Streitz, CR 1994, 77, 79; Brisch, CR 1999, 235, 244; Ceranski, FLF 1996, 59, 60; Erber-Faller, CR 1996, 375, 379 f.; Geis, CR 1993, 653, 656; Graf Fringuelli / Wallhäuser, CR 1999, 93, 97 (zu § 126 BGB); Hermanns / Sauter, 427, 429; Moritz, CR 2000, 61; Rihaczek, DuD 1994, 127, 132; Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 22. 311 So auch Englisch, 44; Kuner, DuD 1999, 227 f.; Rott, NJW-CoR 1998, 420, 428. So erging es dem deutschen SigG 1997, das zunächst mit einem stark technologiespezifischen

§ 3 Gegenstand und Plan der Untersuchung

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gesetzgeberisches Handeln in sich dynamisch entwickelnden Bereichen wohl überlegt sein will, ist im übrigen spätestens seit der berühmten Kontroverse zwischen Thibaut und Savigny ein Gemeinplatz,313 der gerade für den elektronischen Geschäftsverkehr wieder in Erinnerung gerufen werden sollte.314 Der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit technischen Innovationen kommt daher mindestens ebenso hohe Bedeutung zu wie gesetzgeberischem Handeln: „Aufgabe der Juristen ist es, die neuen technischen Möglichkeiten mit Mitteln des geltenden Rechts zu bewältigen.“315 Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs darf die Anbindung an die allgemeine Rechtsdogmatik nicht verlieren.316 Es besteht nicht der geringste Anlaß, der längst überwundenen These Kirchmanns aus dem Jahr 1847 von der „Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ durch eine Überbetonung gesetzgeberischen Aktionsbedarfs zu einer unverdienten Wiedergeburt zu verhelfen. Immerhin kommen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft auch auf der Basis des geltenden Rechts mit technischen Innovationen bislang vielfach gut zurecht.317 Ausgehend von der Prämisse der Jurisprudenz, daß das geltende Recht im großen und ganzen in sich vernünftig ist,318 kommt Wissenschaft und Rechtspraxis die wichtige Rolle zu, für gesetzlich nicht im Detail geregelte oder regelbare Fragen Lösungen zu erarbeiten und so zur Rechtsverwirklichung beizutragen.319 Ihre Rolle kann sich nicht darauf beschränken, einzelne Auslegungsfragen und etwaige Lücken neuer Gesetze zum elektronischen Geschäftsverkehr zu durchleuchten. Wirkliche Rechtssicherheit für den elektronischen GeschäftsverAnsatz (digitale Signaturen) angetreten war, bereits kurze Zeit später aber aufgrund der technologieneutralen EU SigRL grundlegend überarbeitet werden mußte. 312 Ähnlich P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287, 328, der gesetzgeberische Eingriffe nur nach Ausschöpfung methodischer Mittel der Rechtsanwendung (Auslegung, Analogie) für gerechtfertigt hält; sowie Köhler, in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtexts, 51, der eine Integration neuer Technologien in das Recht nur bei gesetzgeberischer Beschränkung auf das Grundsätzliche für möglich hält und die Rechtsfortentwicklung und -verfeinerung als Aufgabe von Wissenschaft und Praxis ansieht. 313 Thibaut, Über die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, 1814; Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814; beide abgedruckt bei Hattenhauer, 61 ff. und 95 ff. 314 So bemängelte der Bundesrat in seiner ablehnenden Stellungnahme zum SigG 1997 – m.E. zu recht – u. a. das Fehlen einer Haftungsregelung, einer Versicherungspflicht für Zertifizierungsstellen und eines Konzeptes für Folgeänderungen im Zivil-, Prozeß- und Verwaltungsverfahrensrecht; BRDrs. 966 / 96, 19 ff. (auszugsweise abgedruckt in DuD 1997, 289 f.). Erst mit dem SigG 2001 und dem FormAnpG 2001, also vier Jahre später, und nur aufgrund des mit der Umsetzung der SigRL verbundenen Zwangs, hat der deutsche Gesetzgeber dem Rechnung getragen. – Gegen eine Überschätzung der Bedeutung neuer gesetzlicher Regelungen für elektronische Signaturen auch Kuner, DuD 1999, 227 f. 315 Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 152. 316 So richtig Hilgendorf, NJW 2000, 345. 317 So auch P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287, 327 (für die Anwendung des Sachbegriffs auf Computerprogramme u.ä.). Ähnlich Thot, 5. 318 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 17. 319 Zum Anteil der Jurisprudenz an der Rechtsverwirklichung Larenz, JuS 1971, 449, 450.

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1. Kap.: Grundlagen

kehr setzt darüber hinaus die gründliche Untersuchung gesetzlich nicht oder nicht abschließend geregelter Rechtsgrundsätze und -institute in ihrer Anwendung auf den elektronischen Geschäftsverkehr nach wissenschaftlichen Methoden voraus, d. h. in dem Streben nach Erkenntnis in einem rational nachvollziehbaren Denkverfahren und in planmäßig methodischem Vorgehen.320 Ziel – auch für den elektronischen Geschäftsverkehr – ist ein System von Aussagen über geltendes Recht.321 Grund zur Befürchtung, mit dem überkommenen Instrumentarium der Jurisprudenz ließen sich die neuartigen Probleme des elektronischen Geschäftsverkehrs ohnehin nicht lösen, besteht nicht. Anerkanntermaßen kann ein „Wandel der Normsituation“ auch ohne gesetzgeberisches Einschreiten zu einer veränderten Auslegung führen; Begriffe und Denkformen der Jurisprudenz sind ausreichend variabel, um auch in der Anwendung auf zunächst unvorhergesehene Situationen flexibel gehandhabt werden zu können.322 Soweit – wie gerade im elektronischen Geschäftsverkehr – Rechtsprechung bislang nicht oder nur in geringem Umfang vorhanden ist, kann das Zusammenwirken von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung besonders fruchtbar sein.323 Zwar trifft es zu, daß neuartige Technologien, die der Gesetzgeber noch nicht kennen konnte, gesetzgeberisches Handeln erfordern können, wenn sie ihrer Natur nach neuartige Regelungen notwendig machen, wie das beispielsweise mit dem Aufkommen des Straßenverkehrs zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall war.324 Aber auch das setzt die Durchdringung der Frage voraus, ob die bestehenden Regelungen insoweit wirklich unvollständig und neuartige Regelungen erforderlich sind.325 Bei alledem soll selbstverständlich nicht geleugnet werden, daß es zu den Aufgaben der Jurisprudenz auch gehört, Vorschläge für gesetzliche Reformen oder eine Änderung der Rechtsprechung zu machen.326 Nur setzt eben auch das die vorherige wissenschaftliche Durchdringung der Materie und die Bestimmung wirklichen Handlungsbedarfs voraus,327 einschließlich der Ausschöpfung sämtlicher Methoden der Auslegung und ggf. der Rechtsfortbildung intra, praeter, extra und möglicherweise contra legem.328 Hier tut sich dem Betrachter gegenwärtig eine Larenz, JuS 1971, 449, 452. Larenz / Canaris, Methodenlehre, 17. 322 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 34 & 54. 323 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 56. Ferner Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 81 unter Hinweis auf die Aufgabe der Dogmatik, der Rechtsprechung vorauszuarbeiten. 324 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 197. 325 Für „höchste Sparsamkeit“ beim Erlaß neuer Gesetze bereits Savigny, 16; abgedruckt bei Hattenhauer, 95, 106. 326 Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 75; Larenz / Canaris, Methodenlehre, 16 & 57. 327 Beispielhaft der Nachweis Redekers, ITRB 2001, 46 ff., daß entgegen einem allenthalben erschallenden Ruf nach Tätigkeit des Gesetzgebers die vor Einführung des § 126a BGB bestehenden herkömmlichen Formvorschriften den elektronischen Geschäftsverkehr praktisch überhaupt nicht behindert hatten. 328 Zu den Stufen der Rechtsfortbildung s. Larenz / Canaris, Methodenlehre, 252. 320 321

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gravierende Lücke auf. Während es an – wichtigen – Veröffentlichungen zu neuen Gesetzen, beispielsweise wie bereits aufgezeigt zum deutschen Signaturgesetz (SigG), wahrhaft nicht mangelt, und auch allgemeine Lehren wie die des Vertragsschlusses und fehlerhafter Willenserklärungen im elektronischen Geschäftsverkehr durchaus eingehender untersucht worden sind,329 haben gerade die im wesentlichen auf Rechtsprechung und Rechtswissenschaft beruhenden allgemeinen Grundsätze der Rechtsscheinhaftung bisher, wie im Verlauf dieser Arbeit deutlich werden wird, in ihrer Anwendung auf den elektronischen Geschäftsverkehr nur sehr geringe Beachtung in Wissenschaft und Praxis gefunden. Das ist angesichts des o.g. Rufs nach Rechtssicherheit besonders erstaunlich, ist doch der durch die Rechtsscheinhaftung vermittelte Verkehrsschutz sowohl wichtiger Garant von Rechtssicherheit als auch gleichzeitig „sinngebende Mitte“ der Rechtsscheinhaftung.330 Das Fehlen einer Untersuchung zur Anwendung der – weitgehend gesetzlich nicht explizit geregelten331 – Rechtsscheingrundsätze auf den elektronischen Geschäftsverkehr mag auch mit einer bisweilen anzutreffenden Scheu vor Dogmatik und einer statt dessen bevorzugten Flucht in eine (angeblich) „ganz herrschende Meinung“332 zu tun haben; jedenfalls handelt es sich um eine Lücke, zu deren Schließung diese Untersuchung einen Beitrag leisten will.333 Dabei wird sich zeigen, daß Elektronik und elektronischer Geschäftsverkehr – wie übrigens im Bereich der Rechtsgeschäftslehre auch334 – nicht zu einem grundlegenden Umbau des Systems der Rechtsscheinhaftung nötigen, gleichwohl aber zu interessanten Ausdifferenzierungen und Fortentwicklungen führen.

329 Beispielsweise bei Bierekoven, Der Vertragsschluß via Internet im internationalen Wirtschaftsverkehr; Cordes, Form und Zugang von Willenserklärungen im Internet; Kuhn, Rechtshandlungen; Mehrings, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht, Teil 13.1.; Süssenberger, Das Rechtsgeschäft im Internet; Thot, Elektronischer Vertragsschluß – Ablauf und Konsequenzen; Wildemann, Vertragsschluß im Netz. 330 Canaris, Vertrauenshaftung, 527. 331 Canaris, Vertrauenshaftung, Vorwort. 332 So ausdrücklich Mehrings, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.1 Rn. 21 (zum Themenkreis Vertragsschluß im Internet): „Eine Befassung mit den zahlreichen dogmatischen Grundlagen ist nicht beabsichtigt, soweit sich zu einer Frage eine „ganz herrschende Meinung“ gebildet hat und dieser Meinung gefolgt wird.“ Unklar auch Englisch, Vorwort, die einerseits am wissenschaftlichen Anspruch festhält, andererseits aber keine „hochdogmatische Abhandlung“ vorlegen will. 333 Dabei mußten aus Raumgründen die neben der Rechtsscheinhaftung existierenden weiteren Tatbestände der Vertrauenshaftung ausgeklammert werden. Allgemein zu weiteren Formen des positiven Vertrauensschutzes, insbesondere – in der Terminologie Canaris’ – Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit, Erklärungshaftung und Anvertrauenshaftung, vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 273 ff., 528 ff.; Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129 ff. Ebenfalls grundsätzlich ausgeklammert bleibt der negative Vertrauensschutz, also die Haftung auf das negative Interesse, es sei denn der Sachzusammenhang zur Rechtsscheinhaftung ergibt zwangsläufig Überlegungen zum negativen Vertrauensschutz. 334 Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 527 f. m.w.Nachw.

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1. Kap.: Grundlagen

II. Die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung im deutschen Recht Grundlage der Untersuchung sind die allgemeinen Grundsätze der Rechtsscheinhaftung, wie sie von Rechtswissenschaft und -praxis entwickelt worden sind. Grundlegend dazu sind bis heute die Ergebnisse der Arbeit von Canaris,335 die hier in ihren allgemeinen Grundsätzen zusammengefaßt vorangestellt werden sollen,336 und die, wie sich zeigen wird, auch angesichts zwischenzeitlich ergangener Rechtsprechung und weiterer Untersuchungen nach wie vor Gültigkeit haben.337 Bevor auf die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Rechtsscheinhaftung im einzelnen eingegangen wird, sind einige Vorbemerkungen zum dogmatischen Standort der Rechtsscheinlehre, insbesondere zu ihrem Verhältnis zur Rechtsgeschäftslehre, erforderlich. Rechtsgeschäfte sind ihrem Wesen nach „Geltungserklärungen“, also Erklärungen, mit denen die Parteien kraft Selbstbestimmung (als Ausfluß der Privatautonomie) Rechtsfolgen in Geltung setzen.338 Rechtsscheinlehre – als Unterfall der Lehre von der Vertrauenshaftung – und Rechtsgeschäftslehre sind jeweils dogmatisch selbständig und voneinander unabhängig.339 Tragender Grund der Rechtsgeschäftslehre ist die Selbstbestimmung kraft 335 Canaris, Vertrauenshaftung. Dort auch eine Zusammenfassung und Kritik vorangegangener allgemeiner Rechtsscheintheorien; Canaris, Vertrauenshaftung, 9 ff. 336 Nähere Ausführungen zu einzelnen Rechtsscheintatbeständen folgen in den jeweiligen Abschnitten dieser Schrift (insb. 2. Kapitel). 337 Zuletzt erneut Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129 ff. mit ausf. Beispielen aus der Rspr. des BGH. Krit. etwa Flume, AT II § 10, 5 (132 f.) („Es gibt kein ,eigenständiges Rechtsinstitut‘ der Vertrauenshaftung“); Hopt, AcP 183 (1983), 608, 640 ff. („Krise des Vertrauens als Rechtsbegriff“). Unzutreffend auch Soergel-Hefermehl, 12. Aufl. 1987, vor § 116, Rn. 66, der jedes praktische Bedürfnis nach Vertrauenshaftung negiert mit der Begründung, das Erklärungsbewußtsein sei nicht Tatbestandsmerkmal einer Willenserklärung. Zunächst trifft es schon nicht zu, daß auf das Erklärungsbewußtsein als konstitutivem Element einer Willenserklärung verzichtet werden könnte (näher s. u.). Selbst wenn man aber dieser Auffassung anhängt, wird dadurch die Lehre von der Vertrauenshaftung und insbesondere von der Rechtsscheinhaftung nicht überflüssig (dazu Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 140 ff.). Wie in den nachfolgenden Ausführungen im einzelnen dargelegt wird, lassen sich beispielsweise die anerkannten Institute der Scheinvollmachten (Duldungs- und Anscheinsvollmacht; Scheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung) und des Blankettmißbrauchs gerade nicht mit rechtsgeschäftlichen Mitteln erklären, will man die Rechtsgeschäftslehre nicht bis zur Unkenntlichkeit erweitern und entstellen. 338 Canaris, Vertrauenshaftung, 413; ders., in: Bydlinski u. a., Das Bewegliche System, 103, 115; Flume, AT II, § 1, 1. 339 Canaris, Vertrauenshaftung, 412, 424 ff.; ders, in: Bydlinski u. a., Das Bewegliche System, 103, 115. Nicht überzeugend dagegen die a.A. v. Craushaars, AcP 174 (1974), 1, 6 ff., der Rechtsgeschäft und Vertrauensschutz in unzulässiger Weise vermengt und das Vorliegen einer Willenserklärung nur davon abhängig machen will, daß aus Empfängersicht eine Willenserklärung gegeben ist und der Erklärende die Möglichkeit freier Willensbestimmung hatte. Die dadurch entstehende uferlose Weite des Begriffs der Willenserklärung widerspricht eindeutig dem Gesetz, das beispielsweise in § 118 Abs. 1 BGB bereits die Nichtigkeit des

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Privatautonomie, bei der Rechtsscheinlehre ist es das Vertrauensprinzip. Privatautonomie und Vertrauensprinzip stehen selbständig nebeneinander und sind nicht voneinander ableitbar.340 Sie ergänzen sich jedoch in dem Sinne, daß die Rechtsscheinlehre – und die Vertrauenshaftung ganz allgemein – Schutzlücken ausfüllt, die die Rechtsgeschäftslehre offenläßt.341 Weiterhin bestehen Parallelen sowohl im Hinblick auf Voraussetzungen und Rechtsfolgen. Rechtsgeschäftliche Vorschriften, z. B. über die Geschäftsfähigkeit und Willensmängel, sind in gewissem, noch näher zu erläuternden Umfang auf die Rechtsscheinhaftung entsprechend anwendbar.342 Trotz der dogmatischen Selbständigkeit der Rechtsscheinlehre führt sie zu rechtsgeschäfts-gleichen Rechtsfolgen, nämlich grundsätzlich Erfüllungshaftung.343 Nach dieser – zwangsläufig zusammenfassenden – dogmatischen Vorbetrachtung können die Elemente der Rechtsscheinhaftung näher erläutert werden. Wesentliche Merkmale sind der Rechtsscheintatbestand, das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden, Zurechenbarkeit und die Rechtsfolgen der Rechtsscheinhaftung.344

1. Rechtsscheintatbestand „Als Vertrauenstatbestand kommt grundsätzlich jeder Sachverhalt in Betracht, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu erwecken.“345 Aufgrund der besonderen Härte, die die Rechtsscheinhaftung für den Verpflichteten bedeutet (er ist Erfüllungsansprüchen ausgesetzt) und ihrer daraus folgenden rechtsethischen Schwäche, müssen an das Vorliegen einer hinreichenden Vertrauensgrundlage besonders strenge Anforderungen gestellt werden;346 es muß sich entweder um einen starken Vertrauenstatbestand handeln oder aber es muß ein erhöhtes VerkehrsGeschäfts bei bewußter Setzung des äußeren Tatbestands einer Willenserklärung setzt. Das muß erst recht gelten, wenn der Erklärende dies sogar unbewußt tut; Canaris, NJW 1984, 2281 (Anm. zu BGH NJW 1984, 2279). Zur dogmatischen Selbständigkeit der Vertrauenshaftung zuletzt ausführlich Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129 ff., insb. 191 ff. 340 Canaris, Vertrauenshaftung, 414 ff. 341 Canaris, Vertrauenshaftung, 440 ff. 342 Ausf. Canaris, Vertrauenshaftung, 451 ff. 343 Canaris, Vertrauenshaftung, 433. Die Rechtfertigung dafür liegt in der Setzung eines zurechenbaren Rechtsscheintatbestandes; a. a. O. 344 Dieses „Schema“ ist heute im wesentlichen allgemein anerkannt. Bisweilen finden sich leicht unterschiedliche Bezeichnungen oder Prüfungsreihenfolgen, ohne daß sich aber erhebliche inhaltliche Unterschiede ergeben. Baumbach / Hopt, HGB, § 5 Rn. 9 ff. geht beispielsweise nach dem Schema Rechtsscheingrundlage, Zurechenbarkeit, Schutzbedürftigkeit (= Gutgläubikkeit im hiesigen Sinn), Kausalität (= Kausalität plus Vertrauensdisposition plus Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand im hier verstandenen Sinne) vor. 345 Canaris, a. a. O., 491. 346 Canaris, a. a. O., 527.

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1. Kap.: Grundlagen

schutzbedürfnis vorliegen.347 Das heißt allerdings nicht, daß der Rechtsscheintatbestand immer in einer Urkunde bestehen müßte, wie schon die §§ 170 ff. BGB zeigen, welche Mitteilung und Urkunde grundsätzlich gleichstellen. Urkunden sind – das folgt ebenfalls aus der gesetzlichen Gleichstellung mit der Mitteilung – grundsätzlich auch kein „stärkerer“ Vertrauenstatbestand als andere Grundlagen des Rechtsscheins.348 Dagegen liegt kein Rechtsscheintatbestand vor, wenn die wahre Rechtslage objektiv erkennbar ist (z. B. bei einem formnichtigen Vertrag). Dann kommen lediglich eine Haftung aus culpa in contrahendo und höchst ausnahmsweise auch Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit in Betracht.349 Grundsätzlich sind zwei Arten von Rechtsscheintatbeständen zu unterscheiden: Zunächst gibt es sog. „künstliche“ Tatbestände, die durch das Gesetz selbst geschaffen und zur Grundlage des Vertrauensschutzes erhoben werden, wie z. B. das Vereins-, Güterrechts- und das Handelsregister.350 Bei ihnen sind Inhalt und Reichweite ausschließlich von der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung abhängig.351 I.d.R. verzichtet das Gesetz gänzlich auf das Zurechnungserfordernis.352 Daneben stehen „natürliche äußere Tatbestände“, also tatsächliche Zuordnungsverhältnisse (z. B. Besitz) und menschliches Verhalten, insbesondere Urkunden, mündliche Erklärungen und konkludentes Verhalten.353 Bei ihnen richten sich Feststellung, Inhalt und Reichweite nach den „natürlichen“ Grundsätzen der Auslegung, also den Regeln über die Auslegung von Willenserklärungen; das kann nur von Fall zu Fall ermittelt werden.354 Maßgeblich ist eine „objektive Auslegung“ unter besonderer Berücksichtigung von Treu und Glauben, der Verkehrssitte und der konkreten Umstände des Einzelfalles; jede Formalisierung verbietet sich.355 Bei den natürlichen äußeren Tatbeständen kommt es – anders als bei den künstlichen Tatbeständen – unstreitig auf die Zurechnung an.356 Bei allen Rechtsscheintatbeständen ist dagegen i.d.R. unerheblich, ob der Tatbestand einen Kundgabesinn gerade gegenüber dem Vertrauenden hat.357 In bezug auf den Inhalt eines Rechtsscheintatbestandes gelten folgende vier Grundsätze: Der Tatbestand kann sich nur auf eine gegenwärtige, bereits bestehende Lage beziehen, nicht auf ein künftiges Ereignis; bezüglich letzterem besteht 347

Dazu Canaris, a. a. O., 533, Fn. 43a; zust. Kühne, 18 RabelsZ 261, 281 (1972); Singer,

91 ff. 348 349 350 351 352 353 354 355 356 357

Canaris, a. a. O., 14 f. Canaris, a. a. O., 542 f. Canaris, a. a. O., 492. Canaris, a. a. O., 493. Canaris, a. a. O., 493, Fn. 7. Canaris, a. a. O., 492. Canaris, a. a. O., 493 f. Canaris, a. a. O., 494. Canaris, a. a. O., 493. Canaris, a. a. O., 493.

§ 3 Gegenstand und Plan der Untersuchung

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allenfalls eine „Wahrscheinlichkeit“, aber eben kein „Schein.“358 Der Tatbestand kann sich zweitens nur auf eine rechtlich mögliche Lage, nicht eine rechtlich unmögliche beziehen (z. B. formlos gültiger Grundstückskauf).359 Drittens kann es immer nur um den Schein einer bestimmten Rechtslage, nicht um einen „Tatsachenschein“ gehen.360 Und schließlich muß sich der Scheintatbestand auf ein Verhalten desjenigen beziehen, dessen Einstandspflicht begründet werden soll.361 Hinsichtlich Dauer und Zerstörung eines Rechtsscheintatbestandes ist wieder zwischen natürlichen äußeren und künstlichen Tatbeständen zu unterscheiden. Erstere sind dadurch gekennzeichnet, daß die kundgegebene Lage im Augenblick der Abgabe der Erklärung besteht. Die Zerstörung des Rechtsscheintatbestandes erfolgt dann durch den actus contrarius, z. B. Rückgabe der Urkunde (bei §§ 175, 371 BGB) bzw. Kraftloserklärung (bei § 176 BGB direkt bzw. analog bei Blankett und Schuldschein).362 Bei den künstlichen Tatbeständen wird der Tatbestand erst durch die Änderung des Registers beseitigt.363

2. Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden Auf seiten des Vertrauenden müssen im einzelnen fünf Voraussetzungen vorliegen: guter Glaube, Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes, Vertrauensinvestition (Disposition), Kausalzusammenhang zwischen Vertrauen und Vertrauensinvestition sowie ein schutzwürdiger Erwerbsvorgang.

a) Gutgläubigkeit Positive Kenntnis der wahren Rechtslage schadet immer, bei Unkenntnis der wahren Rechtslage ist dagegen je nach Rechtsscheintatbestand zu differenzieren:364 Bei Tatbeständen mit besonders hoher Richtigkeitsgewähr (z. B. Vereins-, Güterrechts- und Handelsregister, s. §§ 68 S. 1, 1412 Abs. 1 HS 1 BGB, 15 Abs. 1 HGB) ist außer bei positiver Kenntnis nur dann der gute Glaube zu verneinen, 358 Canaris, a. a. O., 495. Bei zukünftigen Ereignissen kommt allenfalls Schadensersatz wegen Schutzpflichtverletzung (culpa in contrahendo) in Frage, a. a. O., 543. 359 Canaris, a. a. O., 495 f. 360 Canaris, a. a. O., 496. Bei Vertrauen auf einen „Tatsachenschein“ kommt dagegen allenfalls eine Vertrauenshaftung auf das negative Interesse in Betracht, a. a. O. Ferner Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 175. 361 Canaris, Vertrauenshaftung, 497. Ausnahmsweise kann er sich auch auf einen Dritten beziehen, der Vertretungsmacht hatte, a. a. O., 545 Fn. 24. 362 Canaris, a. a. O., 498 f. 363 Canaris, a. a. O., 500 f. Problematisch ist das, wenn mehrere mitzuwirken haben und das betreffende Register einen vorläufigen Rechtsbehelf (z. B. Widerspruch im Grundbuch) nicht kennt (so z. B. das Handels-, Güterrechts- und Vereinsregister), a. a. O. 364 Dazu und zum folgenden Canaris, a. a. O., 504 ff.

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1. Kap.: Grundlagen

wenn der Vertrauende – analog § 162 BGB – „geradezu die Augen vor der wahren Rechtslage verschließt.“ Bei sonstigen Rechtsscheintatbeständen schaden jedenfalls evidente Mängel, insbesondere Leichtgläubigkeit des Vertrauenden. Im übrigen ist bei der Statuierung von Sorgfaltsanforderungen Zurückhaltung geboten, wenn nicht der durch die Rechtsscheinhaftung vermittelte Verkehrsschutz entwertet werden soll. Prüfungsobliegenheiten bestehen nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die Anlaß zu Mißtrauen oder zu erhöhter Vorsicht geben, wie z. B. das Verstreichen einer längeren Zeit seit Schaffung des Rechtsscheintatbestandes oder Anhaltspunkte dafür, daß sich der andere Teil in einem Irrtum befindet.365 Auch bei schwach ausgeprägten Tatbeständen, wie z. B. dem Besitz, sind keine besonderen Sorgfaltsanforderungen anzuerkennen, sondern höhere Anforderungen an die Feststellung des Rechtsscheintatbestandes selbst zu stellen.366 Insgesamt wird man die Regeln über den Mißbrauch der Vertretungsmacht entsprechend anwenden können. Danach müssen massive Verdachtsmomente vorliegen, die einen Mißbrauch objektiv evident erscheinen lassen und daher begründete Zweifel beim Erklärungsempfänger erwecken müssen.367

b) Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand Grundsätzlich ist Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes erforderlich, da ansonsten lediglich „blindes“, nicht schutzwürdiges Vertrauen vorliegt.368 Kenntnis verlangt das Gesetz beispielsweise ausdrücklich bei Urkunden (§§ 172 Abs. 1, 405 BGB).369 Daher wird man aus Gründen der inneren Einheit und Folgerichtigkeit im Wege der teleologischen Reduktion Kenntnis beispielsweise auch bei § 171 Abs. 1 BGB fordern müssen.370 Ausreichend ist, daß der Dritte die wesentlichen Grundlagen und Umstände kennt, aus denen sich der Rechtsscheintatbestand ergibt; eine in allen Einzelzeiten klare und richtige Vorstellung vom Rechtsscheintatbestand ist nicht erforderlich.371 Kenntnis kann durch beglaubigte Abschriften oder Fotokopien und durch Dritte vermittelt werden, allerdings nicht durch den, 365 Auch Soergel-Leptien, § 173 Rn. 3; Staudinger-Schilken (2001), § 173 Rn. 2. Ferner Mugdan I 744 = Prot II 8377 („Vorzeigung einer sehr alten Vollmacht“). 366 In ähnlicher Weise wird man, wie näher zu erläutern sein wird, bei über das Internet vermittelten Rechtsscheintatbeständen nicht vorschnell Nachforschungspflichten und bei deren Nichtbeachtung Bösgläubigkeit postulieren dürfen, sondern mit besonderer Sorgfalt schon das Bestehen eines Rechtsscheintatbestandes prüfen müssen. 367 Vgl. statt aller Palandt-Heinrichs, § 164 Rn. 13 f. m.w.Nachw. 368 Canaris, a. a. O., 507. 369 Allerding ist die Haftung ausgeschlossen, wenn die Urkunde zurückgegeben wurde (§ 172 Abs. 2 BGB direkt bzw. analog), Canaris, a. a. O., 509. 370 Canaris, a. a. O., 509 f.; Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173 Rn. 4; MüKo-Schramm, § 173 Rn. 9. 371 Canaris, Handelsrecht, § 6 Rn. 76; ders., Vertrauenshaftung, 509; ähnlich BGHZ 61, 59, 64.

§ 3 Gegenstand und Plan der Untersuchung

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der sich selbst der fraglichen Rechtsposition berühmt.372 Eine Ausnahme vom Erfordernis der Kenntnis macht die h.L. lediglich beim Registerschutz.373

c) Vertrauensdisposition Als Vermögensdisposition oder Vertrauensinvestition genügt die Vornahme des fraglichen Rechtsgeschäfts oder jede sonstige wirtschaftlich nicht völlig unerhebliche Disposition, z. B. ein Vertragsschluß, eine Stundung, eine Kreditgewährung, das Unterlassen, sich um einen anderweitigen Geschäftsabschluß zu bemühen, oder das Unterlassen der Geltendmachung einer Forderung (im Vertrauen auf einen neuen Mitschuldner). Weitere Aufwendungen, z. B. zur Erfüllung, sind dagegen nicht erforderlich.374 Immerhin aber muß es sich um eine Disposition im rechtsgeschäftlichen Verkehr, nicht im „reinen Unrechtsverkehr“, handeln.375 Ausnahmsweise ist gar keine Disposition erforderlich, so z. B. bei der Scheingenehmigung, Scheinannahme oder bei sonstigen einseitigen Rechtsgeschäften gegenüber dem Vertrauenden. Hier genügt das bloße subjektive Vertrauen auf das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts, da der Natur der Sache nach für einen Mitwirkungsakt des Vertrauenden kein Raum ist, und sein Schutz nicht von dem Zufall der gewählten Rechtskonstruktion (z. B. Kündigung statt Aufhebungsvertrag) abhängen soll.376 d) Kausalität Das Vertrauen auf den Rechtsscheintatbestand muß ursächlich für die Vermögensdisposition des Vertrauenden sein. Zu fragen ist also, ob sich der Vertrauende auch dann genauso verhalten hätte, wenn er die wahre Rechts- oder Sachlage gekannt hätte.377 Diese Frage ist nicht zu verwechseln mit dem Erfordernis der Kenntnis des Rechtsscheintatbestands.

e) Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorgangs Grundsätzlich ist von der Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorgangs auszugehen. Ausnahmen bestehen, wenn kein Verkehrsgeschäft (z. B. Rückerwerb vom NichtCanaris, Vertrauenshaftung, 510. Dazu Canaris, a. a. O., 507 ff., der auch insoweit Kenntnis fordert. 374 Zum Ganzen Canaris, a. a. O., 511. 375 Canaris, Handelsrecht, § 6 Rn. 74. 376 Canaris, Vertrauenshaftung, 512 f. 377 Canaris, a. a. O., 515. Richtigerweise ist von einer Umkehrung der Behauptungs- und Beweislast auszugehen, die Kausalität wird also vermutet, a. a. O., 516; ders., Handelsrecht, § 6 Rn. 77 m.w.Nachw. (auch zur insoweit uneinheitlichen Rspr. des BGH). 372 373

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1. Kap.: Grundlagen

berechtigten, Erwerbsvorgänge zwischen GmbH und alleinigem GesellschafterGeschäftsführer u.ä.) vorliegt, die Beziehung der Parteien auf einer unerlaubten Handlung beruht oder es sich um einen unentgeltlichen Rechtserwerb handelt (Wertung der §§ 816 Abs. 1 S. 2, 523 f. , 600 BGB).378

3. Zurechenbarkeit Das Merkmal der Zurechnung stellt die subjektive Beziehung des in Anspruch Genommenen zu dem Rechtsscheintatbestand dar. Das hinter der Zurechnung stehende rechtsethische Prinzip ist die Selbstverantwortung der Person für ihr Verhalten und ihren Geschäftskreis.379 Grundsätzlich ist daher für Rechtsscheinhaftung Zurechnung erforderlich.380 Eine gewisse Ausnahme besteht nur im Rahmen eines „reinen Rechtsscheinprinzips“, wo sich der Rechtsschein beispielsweise auf den Fortbestand einer einmal kundgegebenen „drittgerichteten“ Rechtstatsache richtet,381 oder aber in den Fällen der §§ 892 oder 935 Abs. 2 BGB, wo der staatliche Mitwirkungsakt oder das gesteigerte Verkehrsschutzbedürfnis den Verzicht auf das Zurechnungserfordernis rechtfertigen.382 Zurechnung scheidet folglich mangels Selbstverantwortung grundsätzlich von vorneherein aus bei vis absoluta, fehlender Zurechnungsfähigkeit (analog §§ 104 ff. BGB) und Verhalten eines Dritten (Vertretung ohne Vertretungsmacht, Abhandenkommen, Fälschung / Verfälschung).383 Im übrigen aber ist der Zurechnungsmaßstab nach wie vor umstritten. Das lange Zeit herrschende384 sog. Veranlassungsprinzip stellt von vorneherein keinen tauglichen – ja sogar eigentlich überhaupt keinen – Zurechnungsmaßstab dar, da es auf eine reine Kausalbetrachtung hinausläuft und den für die Zurechnung maßgeblichen wertenden Gesichtspunkt der Selbstverantwortung gerade nicht zum Tragen bringt.385 Auch das von der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur vertretene Verschuldensprinzip386 sollte für die Rechtsscheinhaftung aufgegeben werden.387 Schon auf den ersten Blick erscheint eine zwangsläufig auf Canaris, Vertrauenshaftung, 516 f. Canaris, a. a. O., 468. 380 Fehlt es an der Zurechenbarkeit, greifen auch die übrigen Institute der Vertrauenshaftung – § 179 BGB direkt bzw. analog, Haftung wegen schuldhafter Schutzpflichtverletzung und Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit – grundsätzlich nicht ein, Canaris, a. a. O., 547 f. 381 Canaris, a. a. O., 517, 528. 382 Canaris, a. a. O., 471. 383 Canaris, a. a. O., 468 f. 384 Nachweise bei Canaris, a. a. O., 473 Fn. 1. 385 Canaris, a. a. O., 469, 473 ff.; Koller, WM 1981, 210, 211. 386 Z. B. BGH NJW 1956, 1673 f., NJW 1981 1727, 1728, BGHZ 5, 111, 116 (Anscheinsvollmacht), Palandt-Heinrichs, § 173 Rn. 16, Staudinger-Schilken (2001), § 167 Rn. 40 f.; MüKo-Schramm § 167 Rn. 50. 387 Canaris, a. a. O., 476 ff. 378 379

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den Einzelfall abstellende Verschuldensprüfung den Bedürfnissen des Verkehrsschutzes nicht entgegenzukommen, ganz im Gegensatz zu dem verkehrsfreundlichen Risikoprinzip.388 Hinzu kommt, daß die gesetzlich normierten Fälle der Rechtsscheinhaftung – §§ 171 f. BGB, 56 HGB, § 794 BGB, Art. 10, 17 WG, 13, 22 ScheckG – nicht auf ein Verschulden abstellen, so daß die Kombination von Rechtsscheinhaftung und Verschuldensprinzip als systemwidrig gewertet werden muß.389 Maßgeblich ist vielmehr das sog. Risikoprinzip, wonach der Erklärende für „Mängel“ und „Gefahren“ einzustehen hat, die seiner „Sphäre“ anhaften.390 Allerdings bedeutet allein die Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Erklärung noch nicht eine Gefahr, für die der Erklärende einzustehen hätte; ebenso ließe sich nämlich argumentieren, der andere Teil habe sich durch sein Vertrauen dieser Gefahr freiwillig ausgesetzt.391 Erforderlich ist vielmehr die Schaffung eines erhöhten Risikos, oder eines Risikos, das der eine Teil abstrakt eher beherrschen kann als der andere.392 Daraus ergeben sich im einzelnen folgende sechs Grundsätze:  Erstens führt die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheintatbestands grundsätzlich immer zur Zurechnung, z. B. die bewußte Abgabe einer unrichtigen oder fehlerhaften Erklärung (Irreführungsrisiko) oder die wissentliche Schaffung einer erhöhten Mißbrauchsgefahr durch Aushändigung von Urkunden (Mißbrauchsrisiko bei Vollmachtsurkunde, Blankett u.ä.).393 Der wissentlichen Schaffung eines Scheintatbestandes kommen ein hoher rechtsethischer Wert und eine entsprechend große Überzeugungskraft zu.394  Zweitens führt die bewußte Kundgabe bei Unkenntnis der Unrichtigkeit des Kundgegebenen (Richtigkeitsrisiko) grundsätzlich nicht zur Zurechnung (z. B. unbekannte Einwendungen bei § 405 BGB);395 anders ist es aufgrund erhöhten Verkehrsschutzbedürfnisses bei „drittgerichteten“ Rechtstatsachen, also RechtsCanaris, a. a. O., 477. Canaris, a. a. O., 477 ff. 390 Namentlich Canaris, a. a. O., 479 ff., 517 f.; ähnlich Koller, WM 1981, 210, 211 für das Wertpapierrecht; zustimmend auch Kuhn, Rechtshandlungen, 228; für das Risikoprinzip auch v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 20 f. – Auf dem Boden des geltenden Rechts nicht gefolgt werden kann dagegen der Auffassung von Wiebe, 154 ff., der bei elektronischen Willenserklärungen das Risikoprinzip als Zurechnungsmaßstab auch im rechtsgeschäftlichen Bereich, nicht nur im Bereich der Vertrauenshaftung, anwenden will. Vor der dadurch entstehenden uferlosen Weite und Konturlosigkeit könnte man die Rechtsgeschäftslehre dann auch nicht mehr durch „§ 242 BGB als überwölbendes Prinzip“ retten, eher im Gegenteil. So aber Wiebe, 335 f. 391 Canaris, a. a. O., 481. 392 Canaris, a. a. O., 482. Dagegen geht es nicht um die konkrete Beherrscharbarkeit im einzelnen Fall; das wäre eine unzulässige reine Verschuldensbetrachtung. 393 Canaris, a. a. O., 482 f. 394 Canaris, a. a. O., 29. 395 Canaris, a. a. O., 130. 388 389

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scheintatbeständen, die zur Grundlage von Geschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen bestimmt sind (z. B. Vollmachten, Gesellschaften, Blanketterklärungen).396 Dann ist konsequenterweise auch die Anfechtung wegen dieses Irrtums ausgeschlossen.  Wer drittens gar ohne Erklärungsbewußtsein einen Rechtsscheintatbestand schafft, haftet nach richtiger Ansicht grundsätzlich nicht, es sei denn das Fehlen des Erklärungsbewußtseins beruht auf einem Irrtum über die verkehrsmäßigtypisierte Bedeutung des Verhaltens (z. B. beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben, bei § 362 HGB oder § 170 Abs. 2 BGB) oder auf spezifischen Organisationsrisiken eines kaufmännischen (oder kaufmannsähnlichen) Betriebes (Fälle der Tatsachenunkenntnis, z. B. beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben, bei § 362 HGB und bei der Anscheinsvollmacht).397 Im letzteren Fall ist insbesondere das Mißbrauchsrisiko virulent (Unterschlagen eines Bestätigungsschreibens durch einen Angestellten; Gerieren als Vertreter bei der Anscheinsvollmacht).398 Die Rechtsprechung, die demgegenüber im Bereich der Rechtsgeschäftslehre glaubt, auf das Erklärungsbewußtsein als konstitutivem Element einer Willenserklärung gänzlich verzichten zu können,399 müßte diesen ihren 396 Canaris, a. a. O., 132 f.; 484 f.; ähnlich v. Craushaar, AcP 174 (1974), 1, 13, der Irrtümer bei „besonders intensivem“ oder „störempfindlichen“ Vertrauen des Erklärungsempfänger für unbeachtlich ansehen will. 397 Canaris, a. a. O., 218 ff., 228 ff., 517. Ebenso Langenbucher, Risikozuordnung, 24 ff. Auf den gewöhnlichen bürgerlichen Verkehr – außerhalb kaufmannsähnlicher Betriebe – lassen sich diese Grundsätze dagegen nicht ausdehnen; a. a. O., 230 ff. 398 Canaris, a. a. O., 487. 399 BGHZ 91, 324, 327 = NJW 1984, 2279 m. abl. Anm. Canaris; 109, 171, 177; BGH NJW 1995, 953. Zum Meinungsstand vgl. Eisenhardt, JZ 1986, 875, 876 ff.; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 23 ff. Zuletzt dagegen wieder Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 142. Diese Rechtsprechung ist systemwidrig und war obendrein durch die jeweils zur Entscheidung stehenden Sachverhalte nicht veranlaßt. Auch dem BGH ist offenbar mittlerweile klar geworden, daß er sich damit auf dem Irrweg befindet, wie namentlich die letztgenannte Entscheidung zeigt. – Im einzelnen: Im ersten Fall lag schon dem äußeren Tatbestand nach gar keine Willenserklärung (Bürgschaft), sondern eine Wissenserklärung vor („haben wir übernommen“). Im zweiten Fall hätte es der Konstruktion einer wirksamen Willenserklärung (Zustimmung des Zwangsverwalters) gar nicht bedurft, da durch die dort unstreitige Fahrlässigkeit des Zwangsverwalters schon rein faktisch ein Schaden entstanden war (fehlende Durchsetzbarkeit von Rückforderungsansprüchen aufgrund Zahlungsunfähigkeit des unberechtigten Empfängers), für die der Zwangsverwalter richtigerweise ebenfalls nach § 152 ZVG haften sollte. Nach der letztgenannten Enscheidung schließlich soll jedenfalls das Bewußtsein vorhanden sein müssen, daß eine Willenserklärung möglicherweise erforderlich ist, wenn der Erklärende sich auf Rechtsfolgen zulasten Dritter, z. B. einen Widerruf, berufen will. Warum in diesem Fall eine Art „rudimentäres“ Erklärungsbewußtsein erforderlich sein soll, bei Erklärungen, die Rechtsfolgen ohne Drittbezug oder nur zugunsten Dritter auslösen, dagegen nicht, bleibt auf der Basis der Rechtsgeschäftslehre unergründlich, zumal die Unterscheidung zugunsten-zulasten eine fragwürdige ist, gibt es doch eine Vielzahl von Erklärungen, die sowohl rechtliche Vorteile wie auch Nachteile beinhalten (vgl. nur die Rechtsprechung zu § 107 BGB). Die letzte Entscheidung kann daher nur dahin verstanden werden, daß der BGH selbst nunmehr Zweifel an seiner – unnötigerweise – entwickelten Lehre von der

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Schritt konsequenterweise auch für die Rechtsscheinhaftung vollziehen.400 Damit, verbunden mit dem von der Rechtsprechung favorisierten Verschuldensprinzip, entstünde eine dem geltenden bürgerlichen Recht völlig fremde, sehr weitgehende Erfüllungshaftung für fahrlässig geschaffene Scheintatbestände, ohne daß der Erklärende sich der Schaffung eines Scheintatbestandes bewußt sein müßte. Im Ergebnis würden dadurch die Grenzen zwischen Rechtsgeschäftslehre und Rechtsscheinlehre bis zur Unkenntlichkeit verwischt, und es entstünde eine der überwundenen Erklärungstheorie des 19. Jahrhunderts gleichkommende Situation.  Das Verhalten Dritter ist – viertens – bei Vorliegen von Vertretungsmacht zurechenbar. Wegnahme von Rechtsscheinträgern durch Dritte, also Abhandenkommen, ist dagegen nach dem Rechtsgedanken der §§ 172 Abs. 1, 935 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht zurechenbar.401 Anders ist es nur bei Umlaufpapieren (§ 935 Abs. 2 BGB) und Urkunden, die aufgrund ihrer Bestimmung als Grundlage für Rechtsgeschäfte mit einer unbestimmten Personenvielzahl als umlaufpapierähnlich zu qualifizieren sind (beispielsweise Vollmachtsurkunden i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB).402 Aber auch bei insoweit fehlender Zurechnung ist der Erklärende analog § 122 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er – wie i.d.R. – eine überflüssige Gefahr für den Rechtsverkehr heraufbeschworen hat, indem er wissentlich den äußeren Tatbestand einer Willenserklärung geschaffen und die Urkunde vor ihrer Begebung unterzeichnet hat.403 Ebensowenig wie die Wegnahme sind i.d.R. Fälschungen und Verfälschungen zurechenbar, da insoweit das Handeln eines Dritten vorliegt, das der Aussteller im Regelfall nicht abstrakt besser beherrschen kann als der Empfänger.404 Anders ist es nach richtiger Ansicht, wenn der Aussteller einer Urkunde ein erhöhtes Fälschungs- oder Verfälschungsrisiko geschaffen (z. B. die besondere Begünstigung einer (Ver)Fälschung) und eben dieses erhöhte Risiko sich verwirklicht hat. Denkbar ist das insbesondere bei Wertpapieren und wertpapierähnlichen drittgerichteten Rechtsscheintatbeständen wie etwa Blanketten (z. B. zu große Leerräume zwischen einzelnen Ziffern).405 fahrlässig abgegebenen Willenserklärung und den sich daraus bei folgerichtiger Betrachtung ergebenden extrem weitgehenden, unbilligen Rechtsfolgen hat. Damit befindet sich der BGH sicherlich auf dem richtigen Weg. Konsequenterweise sollte der mit BGHZ 91, 324 beschrittene Irrweg endgültig und vollständig aufgegeben werden. 400 So wohl in der Tat Kindl, Rechtsscheintatbestände, 28 (für die Frage des Kundgabebewußtseins bei § 171 f. BGB). 401 Dazu BGHZ 65, 13, 14 (abhanden gekommene Vollmachtsurkunde); Canaris, a. a. O., 487 f. 402 Canaris, a. a. O., 487 f. 403 Canaris, a. a. O., 548. 404 Dazu Canaris, a. a. O., 487 f. und jüngst BGH NJW 2001, 2968, 2969. 405 Canaris, a. a. O., 246 ff. & 488. Anders die h.M., BGHZ 47, 95; BGH NJW 1986, 2834, 2835 f.; Langenbucher, Risikozuordnung, 34 (zum Wechsel). 7*

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 Unterlassen ist – fünftens – ebenfalls nach Maßgabe des Risikoprinzips zurechenbar, v.a. bei Verwirklichung kaufmännischer Organisationsrisiken (§ 362 HGB, kaufmännisches Bestätigungsschreiben). Voraussetzung ist, daß ein Handeln des zu Verpflichtenden möglich und erforderlich war.406  Begrenzt wird die Zurechnung – sechstens – durch die analoge Anwendung der Regeln über die Geschäftsfähigkeit und – grundsätzlich – die Willensmängel.407 Irrtümer sind allerdings in drei Fällen unbeachtlich: Irrtümer über die Bedeutung verkehrsmäßig typisierten Verhaltens,408 Irrtümer bei Tatbeständen, die „drittgerichtet“ in dem Sinne sind, daß sie für den Abschluß von Geschäften mit einer Vielzahl von Personen bestimmt sind,409 und schließlich Irrtümer innerhalb der Grenzen kaufmännischer Organisationsrisiken. Liegt ein beachtlicher Irrtum vor und scheitert folglich die Zurechnung an einem Willensmangel i.S. der §§ 118 ff. BGB, entsteht kein Erfüllungsanspruch, sondern dem Vertrauenden steht lediglich ein Schadensersatzanspruch analog § 122 BGB zu.410 Ob es dazu einer besonderen (Anfechtungs)Erklärung bedarf, ist umstritten.411

4. Rechtsfolgen Sind die Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung erfüllt, hat der Vertrauende einen Anspruch auf positiven Vertrauensschutz, also einen Anspruch auf Vertrauensentsprechung (Gleichstellung des Scheintatbestandes mit der Wirklichkeit; Erfüllungsanspruch), nicht lediglich Ersatz des Vertrauensschadens („negativer Vertrauensschutz“).412 Der Vertrauensschutz ist dabei auf die Person des Vertrauenden beschränkt, d. h. nur er, nicht aber der Haftende, kann sich auf Vertrauensschutz berufen. Streitig ist, ob dem Vertrauenden ein Wahlrecht zukommt, sich auf den Rechtsschein oder die tatsächliche Lage zu berufen. Während die h.M. ein Wahlrecht verneint413, soll nach anderer Ansicht uneingeschränkt ein Wahlrecht bestehen.414 Nach einer vermittelnden Ansicht besteht jedenfalls kein Wahlrecht bei Rechtsscheintatbeständen Canaris, a. a. O., 489 f. Canaris, a. a. O., 518; MüKo-Gitter, vor § 104 Rn. 57 ff. (zur fehlenden Geschäftsfähigkeit). Ausführlich zu Willensmängeln ferner Kindl, Rechtsscheintatbestände. 408 Canaris, a. a. O., 220. 409 Canaris, a. a. O., 455. 410 Canaris, a. a. O., 548. 411 Verneinend Canaris, a. a. O., 455 Fn. 12; bejahend Kindl, a. a. O., 81 f. 412 Canaris, a. a. O., 518; ders., Handelsrecht, § 6 Rn. 80. 413 H.M., z. B. BGHZ 86, 273 = NJW 1983, 1308; MüKo-Schramm, § 167 Rn. 62 m.w.Nachw. (für die Anscheinsvollmacht). 414 Uneingeschränkt für ein Wahlrecht Canaris, Handelsrecht, § 6 Rn. 86; ebenso für die Duldungs- und Anscheinsvollmacht Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 33; w.Nachw. zur Gegenmeinung auch bei MüKo-Schramm, a. a. O. 406 407

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mit besonderer Verkehrserheblichkeit (typisierte Rechtsscheintatbestände), also bei Anscheinsvollmacht, kaufmännischem Bestätigungsschreiben und Schweigen des Kaufmanns auf Anträge nach § 362 HGB.415 Nimmt man ein Wahlrecht an, kann der Vertrauende entsprechend dem Rechtsgedanken des § 465 BGB (a.F.) seine Wahl abändern, bis der andere Teil sich verbindlich einverstanden erklärt hat oder eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Begrenzt wird das Wahlrecht außerdem durch die Grundsätze der Verwirkung. Wählt der Vertrauende die Scheinrechtslage, kann der andere Teil die dieser Scheinrechtslage entsprechenden Gegenrechte geltend machen. Dritte können die Wahl der Scheinrechtslage nicht erzwingen; nach einer bindenden Wahl können sie sich aber auf die gewählte Rechtslage berufen.416 Der Vertrauende erwirbt in schuldrechtlicher und dinglicher Hinsicht ein vollwertiges Recht, das veräußerbar und vererblich ist und als Kreditgrundlage dienen kann. Ihm steht ein vollwertiger Erfüllungsanspruch mit allen Konsequenzen zu. So kann er z. B. trotz „an sich“ fehlender Gegenseitigkeit aufrechnen und sich auf die §§ 352, 369 HGB (Zinssatz, kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht) berufen.417 Fehlt es an einer der Voraussetzungen für die Rechtsscheinhaftung, kann gleichwohl ein Schadensersatzanspruch in Betracht kommen, insbesondere analog § 122 BGB, aus culpa in contrahendo oder positiver Forderungsverletzung.

III. Der Plan der Untersuchung; rechtsvergleichende Rahmenbedingungen 1. Vorgehensweise Die vorliegende Untersuchung zeigt zunächst im 2. Kapitel auf, wie die anerkannten Institute der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr Anwendung finden. Anschließend wird im 3. Kapitel der Frage nachgegangen, ob im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs aufgrund der verschiedenen Formen elektronischer Erklärungen neuartige Rechtsscheintatbestände vorzufinden und wie sie ggf. im einzelnen rechtlich zu behandeln sind. In einem 4. Kapitel werden die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefaßt und die sich aus ihr ergebenden Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung aufgezeigt. Die Gliederung des 2. Kapitels geht von urkundengebundenen Rechtsscheintatbeständen aus (§§ 4 und 5), wendet sich anschließend Rechtsscheintatbeständen zu, die auf sonstigem positiven Handeln beruhen (§ 6) und behandelt abschließend Rechstscheintatbestände kraft Unterlassen sowie registergebundene Rechtsscheintatbestände am Beispiel des Handelsregisters (§ 7). §§ 4 und 5 werden in besonderem Maß Anlaß geben, über das den elektronischen Geschäftsverkehr prägende Prinzip der Dematerialisierung nachzudenken, für § 6 gilt daßelbe in bezug auf das Detemporalisie415 416 417

Baumbach / Hopt, HGB, § 5 Rn. 15. Zum Ganzen Canaris, Vertrauenshaftung, 519 f. Zum Vorstehenden Canaris, a. a. O., 521 ff.

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rungsprinzip. Schon aus Raumgründen kann die Untersuchung im 2. Kapitel das System der Rechtsscheinhaftung nicht in allen Teilbereichen ausleuchten. Sie beschränkt sich auf jene Rechtsscheintatbestände, die für den elektronischen Geschäftsverkehr die größte Bedeutung haben und stellt diese exemplarisch heraus. Behandelt werden daher die wichtigsten bürgerlich- und handelsrechtlichen Rechtsscheininstitute, ohne auf die Gebiete des Vereins-, Familien-, und Arbeitsrechts einzugehen, da letztere – jedenfalls derzeit – für den elektronischen Geschäftsverkehr eher von geringerer Bedeutung sind.418 Auch innerhalb des bürgerlichen und des Handelsrechts ist eine Schwerpunktsetzung nach der praktischen Bedeutung einzelner Tatbestände notwendig und sinnvoll, wie sie aus den Abschnittsüberschriften der nachfolgenden Paragraphen ersichtlich wird.419 Im 3. Kapitel werden nach Vorüberlegungen zur Möglichkeit neuer Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr (§ 8) zunächst digitale Signaturen (§ 9), anschließend die weiteren Formen elektronischer Erklärungen untersucht (§ 10), bevor rechtsvergleichend auf materiellrechtliche Zuordnungsvorschriften in US amerikanischen und internationalen Regelwerken eingegangen wird (§ 11).

2. Bedeutung und Rahmenbedingungen der Rechtsvergleichung für die Untersuchung der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr a) Die Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs Dem elektronischen Geschäftsverkehr, mehr noch als dem herkömmlichen Rechtsverkehr, haftet von vorneherein – wie bereits in § 1 erläutert – ein starker internationaler Aspekt an. Zwar muß nicht jede elektronisch angebahnte, abgeschlossene oder abgewickelte Transaktion Auslandsbezug haben; auch rein nationale Geschäfte kommen selbstverständlich vor. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Internet, dem für den elektronischen Geschäftsverkehr eine zentrale Rolle zukommt, ein globales Medium ohne nationale Grenzen ist; die Geschäftspartner brauchen nicht einmal zu bemerken, daß sie nationale Grenzen überschreiten. In weitaus größerem Umfang kann es daher bei elektronischem Geschäftsverkehr über das Internet zu Auslandsberührungen kommen. Jede Untersuchung zum elektronischen Geschäftsverkehr, die sich allein auf das deutsche Recht beschränken wollte, müßte aufgrund des globalen Charakters des elektronischen Geschäftsverkehrs als unvollständig gelten. Daher enthält diese Schrift 418 Allg. hierzu Canaris, Vertrauenshaftung, 76, 126 (Vereinsrecht), 79 ff., 126, 140 (Familienrecht), 254 ff. (Arbeitsrecht). 419 Nicht eingegangen wird insbesondere auf den Scheinreeder (Canaris, a. a. O., 182) und die Sonderproblematik des § 25 HGB sowie der verwandten Tatbestände der §§ 27, 28, 130 und 173 HGB (Canaris, a. a. O., 183 ff).

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jeweils am gegebenen Ort eine Untersuchung bzw. einen Ausblick auf für die deutsche Rechtsanwendung und Rechtswissenschaft wichtige außerdeutsche Rechtsregeln, die das in Deutschland mit dem Institut der Rechtsscheinhaftung geregelte jeweilige rechtstatsächliche Problem im elektronischen Geschäftsverkehr behandeln, allerdings thematisch begrenzt auf bestimmte Jurisdiktionen und bestimmte Aspekte der Rechtsscheinhaftung.

b) Aufgabe der Rechtsvergleichung im allgemeinen Der Rechtsvergleichung geht es nicht nur um eine bloße Gegenüberstellung verschiedener Rechtsregeln, sondern um die Untersuchung des gleichen als problematisch empfundenen Lebenssachverhaltes oder Interessenkonfliktes,420 auch wenn andere Jurisdiktionen dafür andere Instrumente als die Rechtsscheinhaftung im deutschen Sinne entwickelt haben. Eine gewisse Loslösung von den vertrauten Denkformen der Rechtsscheinhaftung ist daher in jedem Fall für das Verständnis förderlich.421 Ferner muß der Blick auch auf außerrechtliche Phänomene gerichtet werden, wie beispielsweise Handelsbräuche und kaufmännische Sitten.422 Ziel der Rechtsvergleichung ist zum einen, aus dem entdeckten „Vorrat an Lösungen“ anderer Rechtsordnungen Anregungen für eigenes rechtspolitisches Handeln zu erlangen.423 Darüber hinaus kann die Rechtsvergleichung aber auch – in bestimmten, im einzelnen umstrittenen Grenzen – einen Beitrag zur Auslegung nationalen Rechts liefern, etwa dort, wo eine Regelungslücke besteht, die in einer anderen Rechtsordnung eine bestimmte, für das eigene Recht „passende“ Lösung gefunden hat.424 Umgekehrt ist Rechtsvergleichung selbstverständlich keine „Einbahnstraße“; auch das deutsche Recht kann wertvolle Anregungen für ausländische Rechtsordnungen enthalten.425 Ob sich die für die Rechtsvergleichung insgesamt herausschälende Erkenntnis, daß „gleiche Bedürfnisse des Rechtsverkehrs in allen entwickelten Rechtsordnungen der Welt auf gleiche oder sehr ähnliche Weise gelöst werden,“426 420 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 11; grundsätzlich zustimmend insoweit Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 84 mit dem zutreffenden Hinweis auf die Bedeutung der Dogmatik bei dieser Herangehensweise. 421 Recht weitgehend insoweit Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 11, 33. Dagegen weist Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 77 ff. auf die Wichtigkeit dogmatischen und systematischen Denkens gerade in der Rechtsvergleichung zutreffend hin. – Unabhängig davon dürfen jedenfalls die Unterschiede der Rechtskreise gerade in der Rechtsquellen- und Methodenlehre auch nicht überschätzt werden. Zweigert / Kötz, a. a. O., 71. 422 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 37. 423 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 12, 14. 424 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 16 ff. Zustimmend Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 93. 425 Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 85 ff. mit Beispielen; Beispiele ferner bei Kötz, in: FG 50 Jahre BGH II, 825 ff., insb. 838. 426 So Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 39, die insoweit von einer „praesumptio similitudinis“ sprechen. Ähnlich Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 93.

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1. Kap.: Grundlagen

auch für die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr bewahrheitet, werden die nachfolgenden Untersuchungen zeigen. Auch ob bei unterschiedlichen Lösungen eine der anderen überlegen ist, oder ob unter rechtspolitischen Gesichtspunkten vielleicht sogar eine Kombination verschiedener Lösungsmodelle vorzugswürdig wäre,427 soll an gegebener Stelle beleuchtet werden.

c) Eingrenzung der rechtsvergleichenden Untersuchung Bevor die für das deutsche Recht gefundenen Ergebnisse mit den Vorschriften und Regeln anderer Rechtskreise verglichen werden können, ist aufgrund der Fülle außerdeutscher Rechtsregeln eine Eingrenzung der supra- und internationalen Untersuchung unabdingbar. Es ist eine allgemeine Erfahrung der Rechtsvergleichung, „daß der Ertrag in keinem angemessenen Verhältnis zur aufgewandten Mühe stünde, würde man seine Bemühungen nicht auf einen engen Rechtskreis beschränken.“428 Die Rechtsprobleme des elektronischen Geschäftsverkehrs, einschließlich Fragen der Rechtsscheinhaftung, sind durch Spezialität und Aktualität gekennzeichnet. Insoweit empfiehlt sich v.a. der Blick auf Rechtsordnungen, die durch ihr Experimentieren in besonderem Maße einen gewissen Reichtum an Erfahrungen ansammeln konnten.429 Das wird besonders deutlich werden bei den Regelungen zu elektronischen Signaturen, wie sie die einzelnen US Bundesstaaten seit 1995 entwickelt haben.430 Der Blick auf die USA rechtfertigt sich daher nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht aufgrund der wichtigen Handelsbeziehungen zwischen USA und Deutschland, sondern gerade auch aus rechtswissenschaftlicher Sicht, da die USA im elektronischen Geschäftsverkehr eine führende Rolle einnehmen431 und dort ein besonders großer „Fundus“ an Rechtsregeln über elektronischen Geschäftsverkehr und elektronische Signaturen vorhanden ist, von dem auch aus deutscher Sicht interessante Impulse für die Rechtsentwicklung ausgehen können. Nicht zuletzt sind amerikanische Regeln deshalb von Interesse, Dazu Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 46. Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 40. 429 Vgl. Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 41. 430 Damit soll nicht gesagt werden, daß nicht auch andere Rechtskreise über weit entwikkelte Regeln zum elektronischen Geschäftsverkehr verfügen, denen sich möglicherweise auch interessante Erkenntnisse zur Frage der Rechtsscheinhaftung abgewinnen ließen. Ihre Darstellung würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Zur fortschrittlichen Regulierungssituation beispielsweise in Singapur s. Büllesbach / Miedbrodt, CR 2000, 751, 755 f. Einen Überblick über die Regulierungssituation in Europa vor Inkrafttreten der SigRL geben Boriths Müller / Roessler, DuD 1999, 497. Die hier vorgenommene Einschränkung erscheint auch deshalb vertretbar, weil jene Rechtskreise rechtspraktisch eine deutlich geringere Bedeutung für aus Deutschland betriebenen elektronischen Geschäftsverkehr haben. – Für eine globale Regulierung im Wege eines Orientierungsinstrumentes von der Art eines „soft law“ plädiert Grewlich, RIW 2000, 337 ff. 431 Dazu Künstner / Knöpke, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 2 Rn. 50. 427 428

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da die USA noch immer den größten Anteil von Internet-Benutzern aufweisen und schon allein dadurch einen starken Einfluß auf den elektronischen Geschäftsverkehr haben.432 Die zweite Säule für rechtsvergleichende Erkenntnisse über Rechtsscheinhaftung bzw. materiellrechtliche Zuordnungsregeln für elektronische Erklärungsformen sind die in § 2 beschriebenen UNCITRAL Regelwerke, namentlich das UNCITRAL Modellgesetz über elektronischen Geschäftsverkehr von 1996, das von allen internationalen Regelwerken ersichtlich die größte Aufmerksamkeit und Breitenwirkung (beispielsweise als Regelungsvorbild für US amerikanische Einzelstaatengesetze) gefunden hat.

d) Grundsätzliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten der zu untersuchenden Rechtskreise Die rechtsvergleichende Untersuchung muß sich von vorneherein die vier wesentlichen Unterschiede zwischen dem deutschen Rechtskreis (der dem Civil Law zugehört) und dem angloamerikanischen Rechtskreis (Common Law) deutlich machen. Für den Vergleich mit US amerikanischen Vorschriften liegt diese Vorüberlegung auf der Hand. Aber auch UNCITRAL Regelwerke sind aufgrund der internationalen Besetzung der UNCITRAL Gremien vom Rechtsdenken des Common Law mindestens ebenso geprägt wie vom Civil Law. Erstens ist das kontinentale Recht Europas, einschließlich des deutschen Rechts, von Denken in Begriffen und Systemen beherrscht, während im Common Law eher induktives Problemdenken vorrangig ist.433 Zu recht ist allerdings darauf hingewiesen worden, daß auch ein case law ohne theoretisches und dogmatisches Denken nicht auskommen kann.434 Immerhin verfolgt zumindest die herrschende Auffassung in den USA einen norm- und regelorientierten methodologischen Ansatz, der im Grundsätzlichen mit kontinentaler Methodologie vergleichbar ist.435 Zweitens haben Gerichtsentscheidungen nach kontinentalem Verständnis allenfalls eine faktische, aber keine normative Bindungswirkung für den Rechtsanwender, wohingegen die dem Common Law zugehörigen Länder Präzedenzfällen eine solche Bindungswirkung zusprechen (doctrine of stare decisis), wenngleich dieser Unterschied praktisch auch nicht überbewertet werden darf, zumal gerade in USA die doctrine of stare decisis im Vergleich etwa zu Großbritannien stark aufgeweicht ist436 und im Schumacher, CR 1998, 758, 759. Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 253. 434 Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 60 f. m.w.Nachw. Ferner Esser, Grundsatz und Norm, 183 ff. 435 Dazu etwa Fikentscher, in: FS 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, 141 ff., insb. 156; ausf. ferner ders., Methoden des Rechts, 256 ff. Schließlich Canaris, in: FS Kitagawa, 59, 60 f. 436 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 253 ff. 432 433

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1. Kap.: Grundlagen

übrigen, wie sich zeigen wird, für die vorliegende Untersuchung Rechtsprechung mangels Vorhandensein ohnehin eine recht untergeordnete Rolle spielen wird. Ein dritter Unterschied bezieht sich auf die Gesetzesauslegung: Auch hier unterscheidet sich die systematisch-teleologische Auslegung in Deutschland von der traditionell punktuellen, engen Auslegung im anglo-amerikanischen Rechtsbereich, wenngleich auch hier eine Annäherung des letzteren an teleologische Kriterien (jedenfalls im Sinne einer verobjektivierten Regelungsabsicht des Gesetzes) festzustellen ist.437 In einem vierten Bereich, nämlich im Verfahrensrecht, bestehen dagegen nach wie vor erhebliche Unterschiede (Beweisrecht, Geschworenengerichte),438 die allerdings für die vorliegende materiellrechtliche Untersuchung im wesentlichen ohne Bedeutung sind. Zusammenfassend dürfte für diese Arbeit allenfalls der unterschiedliche Denkansatz (Begriffs- und Systemdenken versus Problemdenken) einen gewissen Unterschied zwischen deutschem und amerikanischem Recht ausmachen. Insgesamt gilt allerdings, daß die praktischen Unterschiede zwischen Civil Law und Common Law in der Regel geringer sind als es vom theoretischen Ausgangspunkt her scheinen mag.439 Speziell für die Rechtsgeschäftslehre und das Vertragsrecht dagegen werden drei wichtige Unterschiede insbesondere zwischen US amerikanischem und deutschem Recht die rechtsvergleichende Bearbeitung deutlich beeinflussen:440 Erstens gibt es im US Recht ein eigenständiges Handelsrecht im deutschen Sinn eines Sonderprivatrechts für Kaufleute nicht (mehr).441 Das aus dem Mittelalter stammende englische „law merchant“ ist im 17. und 18. Jahrhundert mit dem das bürgerliche Recht regelnden Common Law verschmolzen worden.442 Zweitens 437 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 259 ff. Weniger weitgehend wohl noch Fikentscher, Methoden des Rechts, 262 ff. Eine am Zweck orientierte Auslegung von Rechtsgeschäften ist auch im Recht der USA anerkannt; s. nur Calamari / Perillo, § 1.2 (3): „The redefining of a term based on the purpose for which the term was used in its particular context is one of the subtle techniques of the legal art.“ 438 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 265 ff. 439 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 482. 440 Natürlich gibt es darüber hinaus weitere Besonderheiten des anglo-amerikanischen Vertragsrechts, etwa die berühmte Lehre von der Consideration, abweichende Regeln über Zugang und Zeitpunkt des Vertragsschlusses (z. B. die sog. Mailbox Rule), Sondervorschriften über die Auslegung und den Beweis des Inhalts schriftlicher Verträge (Parol Evidence Rule), andere Irrtumsregeln, die besondere Lehre von den Bedingungen (Conditions), das Vorhersehbarkeitskonzept beim vertraglichen Schadensersatz, Strafschadensersatz, andersartige Schriftformerfordernisse und das stark abweichende Verständnis der ungerechtfertigten Bereicherung (Restitution). Dazu ausführlich die Standardwerke zum US Vertragsrecht, etwa von Calamari / Perillo, Corbin und Williston. Die letztgenannten Unterschiede haben allerdings für das Anliegen dieser Arbeit, die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, eher geringfügigere Auswirkungen als die drei im Text oben genannten und sollen daher an dieser Stelle nicht vertieft werden. 441 Müller, in: Sandrock, Vertragsgestaltung, Rn. 196 (UK) und 381 (USA) jeweils m.w.Nachw.; Ruthig, 83. 442 Tochtermann, Anscheinsvollmacht, 18.

§ 3 Gegenstand und Plan der Untersuchung

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herrscht im US Vertragsrecht die sog. „objective theory of contract“,443 wonach tatsächlich vorhandenes Erklärungsbewußtsein kein Tatbestandsmerkmal einer wirksamen Willenserklärung ist; auch die – bei vorliegendem Handlungswillen aber fehlendem aktuellen Erklärungsbewußtsein – fahrlässig abgegebene Willenserklärung (im Sinne der Rechtsprechung des deutschen BGH) ist eine wirksame Willenserklärung,444 die allerdings anfechtbar (voidable) sein kann.445 Die amerikanischen Gerichte stellen in der Regel erhöhte Anforderungen an die Feststellung von Fahrlässigkeit, wenn Erklärungsbewußtsein fehlt, etwa weil der Betreffende ein Vertragsangebot, das er unterzeichnete, für eine nicht rechtserhebliche Erklärung hielt.446 Drittens gewährt das US amerikanische Recht grundsätzlich bei Leistungsstörungen (Vertragsverletzungen – breach of contract) nur Sekundär443 Der Begriff ist allerdings umstritten; krit. z. B. Corbin, § 106 (474 ff.). Die Wahl des Begriffs spielt eine geringere Rolle. Entscheidend ist der nachfolgend näher präzisierte Inhalt, wonach es nicht nur für die Auslegung sondern auch die Wirksamkeit (einschließlich des subjektiven Tatbestands) einer Willenserklärung nach amerikanischem Recht in sehr starkem Maße auf die nach außen (objektiv) erkennbaren Umstände, dagegen nur in sehr geringem Umfang auf den inneren Willen des Erklärenden ankommt. 444 So ausdrücklich Restatement (Second) of Contracts § 19 Abs. 2 (nachfolgend: R2d Contracts): „The conduct of a party is not effective as a manifestation of his assent unless he intends to engage in the conduct [= Handlungswille, d. Verf.] and knows or has reason to know [Hervorhebung d. Verf.; = „potentielles Erklärungsbewußtsein“] that the other party may infer from his conduct that he assents.“ Zur Bedeutung von „reason to know“ s. a. Anm. b. & c. zu R2d Contracts § 19. Ganz h.M., Calamari / Perillo, § 2.2 a.E. (27) („A party’s intention will be held to be what a reasonable person in the position of the other party would conclude the manifestation to mean“); ferner ebda., § 9.42 (379); Corbin, § 106 (476) („[ . . . ] one of the parties is bound in accordance with the intention and understanding of the other party [ . . . ] if (and only if) the one party knew or had reason to know [Herv. d. Verf.] the intention and understanding of the other and the latter had no reason to know [Herv. d. Verf.] that a difference existed.“), ferner ebda., 477; Holmes, 309 („The law has nothing to do with the actual state of the parties‘ minds. In contract, as elsewhere, it must go by externals, and judge parties by their conduct“); Tochtermann, Anscheinsvollmacht, 16 ff.; Williston, Bd. 1, § 21 (37 ff.) & § 95A (350 ff.) jeweils m.w.Nachw. Zusammenfassend 17A Am Jur 2d Contracts § 27 (55 f.), § 224 (228 f.) & § 227 (231 f.) jeweils m.w.Nachw. Für Beispiele aus der Rechtsprechung s. International Transp. Assn. v. Atlantic Canning Co., 216 Ia 339, 249 N.W. 240 (Unterzeichnung eines Vertragsangebots im Glauben es sei ein Fragebogen; Fahrlässigkeit verneint); Lewis v. Clay, 67 LJ QB 224 (Unterzeichnung von Umlaufpapieren im Glauben es handele sich um private Familienpapiere; Fahrlässigkeit verneint); National By-Products Inc. v. U.S., 186 Ct.Cl. 546, 405 F.2d 1256, 1271 (kein verbindliches Angebot da Beklagte kein potentielles Erklärungsbewußtsein hatte); Nyulasy v. Rowan, 17 Vict LR 663; Ponzoni v. Kraft General Foods, Inc., 774 F.Supp. 299, 315 (irrtümlich zusammen mit einem Stapel Unterlagen abgegebene Willenserklärung wirksam); Spitze v. Baltimore & O. R. Co., 75 Md. 162, 23 A 307 (Unterzeichnung eines Anspruchsverzichts im Glauben es handele sich um eine Quittung); Stern v. Moneyweight Scale Co., 42 App. DC 162 (Bestellung im Glauben, ein Meßgewicht zu versenden; Fahrlässigkeit verneint). 445 s. nur R2d Contracts § 19 Abs. 3. 446 Dazu ausf. m.w.Nachw. aus der Rechtsprechung Williston, § 95A (351 f.)

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1. Kap.: Grundlagen

ansprüche in Form von Schadensersatz447 und nur ganz ausnahmsweise Primäransprüche auf Erfüllung im deutschen Sinn (sog. specific performance), wenn dies vertraglich ausdrücklich vereinbart wurde oder wenn ein bloßer Schadensersatzanspruch „inadequate“ wäre.448 Ein Anspruch auf Erfüllung kommt v.a. in Betracht, wenn der Gläubiger ein besonderes Interesse an dem Vertragsgegenstand hat, z. B. bei Grundstücken und Grundstücksrechten („interest in land“), sowie bei einzigartigen beweglichen Sachen („unique goods“), wie z. B. Antiquitäten und Kunstgegenständen, ferner bei Patenten, Gesellschaftsanteilen und auf dem Markt gegenwärtig nicht verfügbaren Gütern,449 nicht aber generell bei Stückschulden.450 Umgekehrt scheidet specific performance von vorneherein aus, wenn die Vollstreckung sehr schwierig wäre oder die geschuldete Leistung in einer Dienstleistung besteht.451 Leistungen, die durch Rechtsgeschäft mittels elektronischer Erklärung / elektronischer Unterschrift erworben werden können, werden oft nicht „einmalig“ im Sinne der Voraussetzungen eines Erfüllungsanspuches im dargestellten Sinne sein, so daß sich nach amerikanischem Rechtsverständnis praktisch die Frage kaum stellt, ob die Haftung des Unterschriftsinhabers auf Erfüllung oder Schadensersatz zielt (anders aber bei ausdrücklicher Vereinbarung oder Geschäften über Antiquitäten o.ä.). Gleichwohl ist auch in den USA der „breach of contract“ hinreichend sanktioniert, da in USA die Schadensfestsetzung durch Geschworene (jury) erfolgt, was einen – mit § 287 ZPO nicht vergleichbaren – faktischen Druck auf den Schuldner erzeugen kann, den Vertrag zu erfüllen.452 Weiterhin ist die insgesamt geringere Ausprägung der Vertrauenshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut in den USA zu beachten. Aufgrund der im Vergleich zur „notorischen Enge des deutschen Deliktsrechts“453 flexiblen und zugleich zentralen deliktischen negligence-Haftung im amerikanischen Recht besteht dort ein weitaus geringeres rechtspolitisches Bedürfnis nach einer eigenständigen Ausformung des Gedankens der Vertrauenshaftung.454

447 Zum vertraglichen Hauptanspruch nach US-amerikanischem Recht vgl. Hay, Einführung, 87 ff.; Kühne, 18 RabelsZ 261, 280 (1972); Reimann, Einführung, 50 ff.; Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, 1932, 139; eingehend Calamari / Perillo, Kap. 16, 610 ff.; zum „Wahlrecht“ des Schuldners zwischen Erfüllung und Schadensersatz: Elsing / Van Alstine, 100 Rn. 244. Für den Warenkauf s. ausdrücklich § 2-712 ff. UCC; dazu White / Summers, 195 ff. 448 Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 477 ff. 449 Calamari / Perillo, § 16.3 (615 f.) m.w.Nachw. 450 Allgemein Rheinstein, a. a. O., 138 ff.; Zweigert / Kötz, a. a. O., 478 f. Für den Warenkauf s. § 2-716 UCC; dazu White / Summers, 227 ff. 451 Calamari / Perillo, § 16.5 (617 f.) & § 16.10 (623) m.w.Nachw.; Zweigert / Kötz, a. a. O., 479 f. 452 Döser, NJW 2000, 1451, 1454; krit. White / Summers, 232 m.w.Nachw. 453 Hopt, AcP 183 (1983), 608, 640. 454 Hopt, a. a. O.

§ 3 Gegenstand und Plan der Untersuchung

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e) Inhaltliche Schwerpunkte der rechtsvergleichenden Untersuchung Inhaltlich ist die rechtsvergleichende Betrachtung v.a. auf das Thema elektronische Unterschriften innerhalb des 3. Kapitels fokussiert. Bezüglich der im 2. Kapitel zu untersuchenden Rechtsscheintatbestände erfolgen rechtsvergleichende Ausführungen dagegen eher global und am Rande. Aufgrund der Vielzahl der verschiedenen Rechtsscheintatbestände, wie sie im deutschen Recht vorkommen, fällt diese Beschränkung nicht leicht. Sie ist indes unumgänglich, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen. Die Wahl fiel deshalb auf elektronische Unterschriften, weil dieser Bereich zum einen am meisten gesetzgeberische Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren erfahren hat, zum zweiten weil von ihm die größten Impulse für eine internationale Rechtsangleichung bzw. -harmonisierung ausgehen, so daß insoweit auch das praktische Bedürfnis nach einem Vergleich der existierenden bzw. in Ausarbeitung befindlichen Regelwerke am größten ist. Die rechtsvergleichende Kernfragestellung im 3. Kapitel lautet daher, wie die verschiedenen ins Auge gefaßten Regelwerke das rechtstatsächliche Problem behandeln, daß eine elektronische Erklärung mit einer elektronischen Unterschrift versehen ist, die nicht vom Unterschriftsinhaber, sondern von einem Dritten abgegeben worden ist. Nach deutschem Recht ist insoweit, wie im 3. Kapitel zu zeigen sein wird, in erster Linie an die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände zu denken, so daß primär – wenn die durch das Risikoprinzip vorgegebenen Zurechnungsgrenzen eingehalten sind – eine Erfüllungshaftung zu prüfen ist, und in zweiter Linie Schadensersatzansprüche aus c.i.c., pFV oder § 122 BGB analog in Betracht kommen. Welche materiellrechtlichen Zuordnungsregeln die ausgewählten ausländischen Jurisdiktionen insoweit vorsehen, wird rechtsvergleichend erörtert.

IV. Zusammenfassung Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die rechtswissenschaftliche und rechtsdogmatische Durchdringung der durch den elektronischen Geschäftsverkehr im Zusammenhang mit der Rechtsscheinhaftung aufgeworfenen Fragen. Sie hält kritische Distanz zu einem vorschnellen Ruf nach gesetzgeberischer Abhilfe, leugnet aber selbstverständlich nicht, daß ein Bedürfnis nach gesetzgeberischer Aktivität im Einzelfall bestehen kann. Grundlage der Untersuchung sind die Erkenntnisse zu den allgemeinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Rechtsscheinhaftung, namentlich Rechtsscheintatbestand, Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden, Zurechnung (nach hiesiger Auffassung gemäß Risikoprinzip) und Erfüllungshaftung. Herkömmliche Rechtsscheintatbestände werden einer Analyse ihrer Anwendung im elektronischen Geschäftsverkehr unterzogen, bevor die Existenz und Ausgestaltung neuartiger Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr untersucht wird. Beide Themenkomplexe werden wegen der Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs in dem gebotenen Umfang rechtsvergleichend durchleuchtet mit dem Ziel, sowohl das jeweilige geltende Recht einer Kritik zu

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1. Kap.: Grundlagen

unterziehen, als auch ggf. Anregungen für gesetzliche Neugestaltung zu erlangen. Der Rechtsvergleich konzentriert sich auf materiellrechtliche Zuordnungsregeln für elektronische Erklärungsformen nach dem Recht der USA und den Regelwerken der UNCITRAL. Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Civil Law und Common Law werden voraussichtlich für den Fokus der vorliegenden Arbeit eine eher geringe Bedeutung aufweisen. Wichtig wird sein, daß namentlich im Recht der USA ein eigenständiges Handelsrecht fehlt, das Fehlen des Erklärungsbewußtsein grundsätzlich kein Zurechnungshindernis darstellt und der Schuldner eines vertraglichen Anspruchs grundsätzlich nur auf Schadensersatz, nicht aber auf Erfüllung haftet.

2. Kapitel

Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr § 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände eignen sich besonders als Ausgangspunkt der Untersuchung, da der elektronische Geschäftsverkehr geradezu „urkundenfeindlich“ ist (Prinzip der Dematerialisierung), andererseits aber nunmehr aufgrund der Rechtsvorschriften der EGV-RL, des SigG 2001 und der §§ 126 ff. BGB n.F. eine grundsätzliche Gleichstellung (zumindest bestimmter) elektronischer Formen mit herkömmlichen Urkunden bestehen soll. Nachfolgend wird dieses Spannungsverhältnis zuerst anhand von Vollmachtsurkunden, im anschließenden § 5 in bezug auf Blankette, Quittungen, verbriefte Forderungen und Umlaufpapiere erörtert.

I. Grundlagen Die §§ 170 ff. BGB enthalten mehrere Rechtsscheintatbestände, 1 nämlich neben dem hier interessierenden Fall der Aushändigung einer Vollmachtsurkunde an den Vertreter und Vorlage derselben gegenüber dem Dritten durch den Vertreter (§ 172 Abs. 1 BGB) die weiteren, in § 5 näher zu beleuchtenden Fälle der Kundgebung einer Innenvollmacht nach außen durch besondere Mitteilung an einen Dritten (§ 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB) oder durch öffentliche Bekanntmachung (§ 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB). In allen drei Konstellationen handelt es sich um die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheintatbestandes. Hinzu kommt der Schutz des Vertauens 1 Daß es sich um Rechtsscheintatbestände, und – insbesondere entgegen Flume, AT II § 49, 2a und c; § 51, 9 – nicht um eine rechtsgeschäftlich begründete Vertretungsmacht handelt, ist heute ganz h.M.; vgl. BGHZ 40, 65, 67; 40, 297 (304); 102, 60, 62 & 64; BGH NJW 1991, 1225; Canaris, Vertrauenshaftung, 32 ff. m. Nachw. zur Gegenansicht; Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 154; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 7 ff. m.w.Nachw. zu Rspr. und Lit.; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 6 m.w.Nachw.; Medicus, AT Rn. 927; MüKo-Schramm, § 170 Rn. 1 m.w.Nachw., § 171 Rn. 1; Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173 Rn. 1 m.w.Nachw.; RGRKSteffen, § 167 Rn. 10 und § 171 Rn. 1; Soergel-Leptien, § 170 Rn. 1; Staudinger-Schilken (2001), § 171 Rn. 2 f.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

auf den Fortbestand einer Außenvollmacht nach § 170 BGB, der in § 6 (Unterlassen) zu untersuchen sein wird.2 Der Rechtsscheintatbestand besteht bei § 172 Abs. 1 BGB in dem Inverkehrbringen (nicht schon der Schaffung) einer über eine Innenvollmacht ausgestellten Urkunde.3 Zweck der Vorschriften ist es, einen gutgläubigen Dritten so zu stellen, als wäre eine Außenvollmacht erklärt worden.4 Auf seiten des Vertrauenden ist Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand erforderlich. Das folgt aus dem Erfordernis der Urkundenvorlage. Vorlage bedeutet, daß die Urkunde dem Dritten zu seiner sinnlichen Wahrnehmung unmittelbar zugänglich gemacht wird.5 Die Vorlage ist nicht bei jedem Geschäftsabschluß von Neuem erforderlich; der Dritte trägt bei weiteren Geschäftsabschlüssen das Risiko einer inzwischen erfolgten Rückgabe der Urkunde.6 Vorgelegt werden muß nach h.M. entweder das Original oder eine Ausfertigung; Fotokopien und beglaubigte Abschriften reichen nicht aus; Gleiches gilt grundsätzlich für Bezugnahmen.7 Grund dafür ist nach h.M. die Tatsache, daß Kopien in beliebiger Zahl angefertigt werden können und nicht nach § 175 BGB zurückgegeben werden müssen; sie besagen daher nichts über den Verbleib der Vollmachtsurkunde und den Fortbestand der Vollmacht.8 Hinzufügen könnte man unter dem Gesichtspunkt des systematischen Zusammenhangs zu § 174 BGB, daß auch dort die Vorlage des Originals (Urschrift oder Ausfertigung) erforderlich ist, weil dem Erklärungsempfänger gerade die Echtheitsprüfung ermöglicht werden soll.9 Nach a.A. reicht dagegen eine Fotokopie aus; die Haftung soll jedoch nicht bestehen, wenn sich das Original wieder im Besitz des Ausstellers befindet.10 Der Argumentation der h.M. wird man entgegenhalten wollen, daß es neben der Rückgabe der Urkunde noch zwei weitere Möglichkeiten gibt, den Rechtsscheintatbestand zu „zerstören“, nämlich die Kraft2 Auch insoweit ist überwiegend anerkannt, daß es sich um Rechtsscheinhaftung handelt; Canaris, Vertrauenshaftung, 134 ff.; MüKo-Schramm, a. a. O.; Palandt-Heinrichs, a. a. O. 3 Canaris, Vertrauenshaftung, 39. 4 Kindl, Rechtsscheintatbestände, 12 m.w.Nachw. 5 RGZ 56, 63, 66; 97, 273, 275; BGHZ 76, 76, 78; 102, 60, 63; Erman-Palm, § 172 Rn. 7; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 17; RGRK-Steffen, § 172 Rn. 5; Soergel-Leptien, § 172 Rn. 4; Staudinger-Schilken (2001), § 172 Rn. 3. 6 Kindl, Rechtsscheintatbestände, 19. 7 BGHZ 102, 60, 63 = NJW 1988, 697, 698 m.w.Nachw.; BGH NJW 2002, 2325, 2326 m.w.Nachw.; Erman-Palm, § 172 Rn. 7; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 17 f.; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 9; Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173 BGB Rn. 6; RGRK-Steffen, § 172 Rn. 2; Soergel-Leptien, § 172 Rn. 4; Staudinger-Schilken (2001), § 172 Rn. 4. 8 BGH a. a. O. Gleichwohl kann nach dieser Ansicht auch bei fehlender Vorlage des Originals eine Vollmacht nach allgemeinen Rechtsscheingrundsätzen vorliegen (gleichsam als Duldungsvollmacht a fortiori), so z. B. wenn ein die Erklärung beurkundender Notar in die Urkunde aufnimmt, ihm habe die Vollmachtsurkunde im Original vorgelegen (BGHZ 102, 60, 64 ff.). 9 AllgM, BGH NJW 1981, 1210, 1994, 1472; Erman-Brox § 174 Rn. 2; Flume, AT II § 49 2b; MüKo-Schramm, § 174 Rn. 4; Soergel-Leptien, § 174 Rn. 2; Staudinger-Schilken (2001), § 174 Rn. 3. 10 Canaris, Vertrauenshaftung, 509.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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loserklärung nach §§ 172 Abs. 2, 176 BGB und – jedenfalls nach h.M. – die Mitteilung durch den Geschäftsherrn an den Geschäftsgegner.11 Dann wäre es an sich nicht einzusehen, warum es nicht dem Geschäftsherrn überlassen bleiben soll, für welche Gestaltungsmöglichkeit er sich entscheidet. Aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt jedenfalls nicht zwingend, daß es sich um das Original handeln muß, das ausgehändigt und vorgelegt wird. Allerdings bleibt zu bedenken, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Rückgabe die primäre Möglichkeit zur Beendigung des Rechtsscheintatbestandes sein sollte.12 Von Anfang an war klar, daß jedes Zurückbehaltungsrecht ausgeschlossen sein sollte.13 Die Kraftloserklärung war dagegen nur als Schutzmöglichkeit in besonderen Umständen gedacht, „sei es daß die Urkunde verloren gegangen oder vom Bevollmächtigten nicht zu erlangen ist,“ um „dem Mißbrauche der Vollmachtsurkunde vorzubeugen.“14 Die Erklärung gegenüber sämtlichen Geschäftsgegnern ist bei einer Vielzahl solcher Personen ebenso schwerfällig und dem Geschäftsherrn nicht ohne weiteres zuzumuten. Daher ist tatsächlich entsprechend der h.M. die Aushändigung des Originals erforderlich. Ferner muß der Vertrauende gutgläubig in dem Sinne sein, daß er die wahre Rechtslage nicht kennt und auch nicht kennen muß (vgl. § 173 BGB i.V.m. § 172 Abs. 2 BGB).15 Die weiteren Voraussetzungen Vertrauensinvestition, Kausalität und schutzwürdiger Erwerbsvorgang sind in § 172 Abs. 1 BGB nicht ausdrücklich angesprochen, gelten aus systematischen Gründen aber auch hier. Die Zurechnung birgt keine Probleme im Hinblick auf die Frage Verschuldensoder Risikoprinzip, soweit es sich um die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheintatbestandes handelt, der Geschäftsherr also die Bevollmächtigung kundgibt in dem Wissen, daß gar keine Vollmacht zugrundeliegt; in diesem Fall führen Verschuldens- und Risikoprinzip ohnehin zum selben Ergebnis.16 Fraglich sind dagegen die Problemkreise Willensmängel und Abhandenkommen. Während ur11 Canaris, Vertrauenshaftung, 137; MüKo-Schramm, § 172 Rn. 13a m.w.Nachw.; a.A. Flume, AT II § 51, 9. 12 „Hat der Vollmachtgeber den Bevollmächtigten mit einer Vollmachtsurkunde ausgerüstet, so entspricht dem Erfordernisse der gleichartigen Kundgebung des Erlöschens der Vollmacht die Rücknahme der Urkunde.“ Mugdan I 485 = Mot I 239. Ebenso Soergel-Leptien, § 172 Rn. 5. 13 Mugdan I 485 = Mot I 239. 14 Mugdan I 485 = Mot I 239; ferner Prot I 235 = Jakobs / Schubert, AT II 884; Mugdan I 839 = Denkschr 31; RGRK-Steffen, § 176 Rn. 1. 15 Genau genommen regelt § 173 BGB nur den Fall des Erlöschens. Darüber hinaus ist der Dritte aber ebensowenig schutzwürdig, wenn er weiß bzw. wissen muß, daß die Vollmacht von vorneherein nicht wirksam erteilt war; h.M., RGZ 108, 127; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 13 m.w.Nachw.; MüKo-Schramm, § 173 Rn. 2; Soergel-Leptien, § 173 Rn. 2; Staudinger-Schilken (2001), § 171 Rn. 11. – Auch hier bestehen keine generellen Nachforschungspflichten; anderes gilt nur bei besonderen Umständen, die zu Zweifeln am Fortbestand der Vollmacht Anlaß geben; Erman-Palm, § 173 Rn. 3. 16 Allerdings sei hier nochmals daran erinnert, daß sich in §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB gerade keine Stütze für das von Rechtsprechung und h.L. propagierte Verschuldensprinzip findet.

8 Rieder

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

sprünglich die Geltendmachung von Willensmängeln generell für zulässig erachtet wurde, hatte sich später die Ansicht durchgesetzt, daß Willensmängel bei §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB generell unbeachtlich sein sollen.17 Mittlerweile steht die wohl h.L. wieder auf dem Standpunkt, daß eine rückwirkende Beseitigung des Rechtsscheins wegen Willensmängeln grundsätzlich zulässig ist.18 Canaris schlägt insoweit eine Mittellösung vor:19 Ist die Vollmacht auf den Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Personenzahl gerichtet, ist die Anfechtung aufgrund der Stärke des Verkehrsschutzbedürfnisses generell ausgeschlossen. In den übrigen Fällen einer Vollmacht, die sich auf eine begrenzte Personenzahl bezieht, ist die Anfechtung wegen Willensmängel, die lediglich die zugrundeliegende Innenvollmacht betreffen, ausgeschlossen. Dagegen sind Willensmängel, die die Kundgabe selbst betreffen, also die Mitteilung, Bekanntmachung oder die Ausstellung und Aushändigung der Urkunde, beachtlich und berechtigen analog §§ 119 ff. BGB zur Anfechtung. Im übrigen findet § 172 Abs. 1 BGB auch dann Anwendung, wenn der Geschäftsherr die Vollmacht im irrigen Glauben an ihr Bestehen kundgegeben hat, also nicht wissentlich, sondern irrig einen Rechtsscheintatbestand geschaffen hat.20 Da die Einzelheiten der Anfechtbarkeit für den elektronischen Geschäftsverkehr keine über den herkömmlichen Geschäftsverkehr hinausgehende eigenständige Bedeutung haben, kann auf eine Vertiefung des Streitstandes an dieser Stelle verzichtet werden.21 Aushändigung der Vollmachtsurkunde bedeutet willentliches Inverkehrbringen.22 Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht kann der Rechtsscheintatbestand bei § 172 Abs. 1 BGB dem Geschäftsherrn deshalb bei Abhandenkommen der Urkunde nicht zugerechnet werden.23 Das folgt zum einen schon aus dem 17 Nachw. zu beiden Ansichten bei Canaris, Vertrauenshaftung, 37 Fn. 20 (zur älteren Auffassung) und 35 Fn. 17 (zur neueren Auffassung). 18 Zum Streitstand m.w.Nachw. s. Kindl, Rechtsscheintatbestände, 33 f. Für die heute h.L. Flume, AT II § 49, 2c; Medicus, AT Rn. 947 und BürgR Rn. 97; MüKo-Schramm, § 171 Rn. 8 f. und § 172 Rn. 6; RGRK-Steffen, § 171 Rn. 3; Soergel-Leptien, § 171 Rn. 4 und § 172 Rn. 3; Staudinger-Schilken (2001), § 171 Rn. 9; grundsätzlich auch Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 8. A.A. Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173 Rn. 1; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1979), § 171 Rn. 9 und § 172 Rn. 10. 19 Vertrauenshaftung, 37 f.; ebenso v. Craushaar, AcP 174 (1974), 1, 16 f. Ablehnend Kindl, Rechtsscheintatbestände, 75; MüKo-Schramm, § 171 Rn. 11; Soergel-Leptien, § 171 Rn. 4. 20 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 108, 110, der darin konstruktiv einen Einwendungsausschluß im Stellvertretungsrecht erblickt und den tieferen Grund für diese erweiterte Zurechnung darin sieht, daß die Vollmacht ein „drittgerichtetes“ Rechtsgeschäft ist, das eine besondere Gefährdung des Rechtsverkehrs beinhaltet; a. a. O., 132 f. 21 Ausführlich dazu Kindl, Rechtsscheintatbestände, 33 ff. 22 Erman-Palm, § 172 Rn. 6; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 11; MüKo-Schramm, § 172 Rn. 5; Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173 Rn. 5; Soergel-Leptien, § 172 Rn. 3; Staudinger-Schilken (2001), § 172 Rn. 2. 23 BGHZ 65, 13 = JZ 1976, 132 m. Anm. Canaris; ders., Vertrauenshaftung, 38 m. Nachw. z. Gegenansicht in Fn. 25; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 17 (anders aber offenbar 257); MüKo-Schramm, § 172 Rn. 5 m.w.Nachw.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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Begriff „aushändigen“, zum anderen aus dem Rechtsgedanken der §§ 794, 935 Abs. 2 BGB, wonach etwas anderes nur bei Umlaufpapieren, aber eben nicht bei gewöhnlichen bürgerlichrechtlichen Urkunden gilt. Das trifft auch dann zu, wenn der Geschäftsherr den Diebstahl fahrlässig ermöglicht hat;24 denn nach richtiger Auffassung ist dem geltenden bürgerlichen Recht eine lediglich auf Fahrlässigkeit beruhende Erfüllungshaftung fremd. Eine Ausnahme kann allenfalls dann gelten, wenn die Urkunde zum Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen bestimmt war, da die Urkunde dann einem „Umlaufpapier“ ähnlich wird und ein besonders starkes Verkehrsschutzbedürfnis anzuerkennen ist.25

II. Die Anwendung des § 172 BGB auf elektronische Vollmachtserklärungen 1. Problemstellung und Gang der Untersuchung Bei § 172 Abs. 1 BGB stellt sich die Frage, ob elektronische Erklärungen „Urkunden“ i.S. dieser Vorschrift sein können, die dem Vertreter „ausgehändigt“ und von diesem dem Erklärungsempfänger „vorgelegt“ werden können. Diese Frage ist nicht lediglich akademisch; denn mittels § 172 Abs. 1 BGB kann der gem. § 171 Abs. 1 BGB bereits bestehende Bereich der Rechtsscheinhaftung erheblich ausgeweitet werden. Denkbar ist z. B., daß der Vollmachtgeber gegenüber dem Vertreter in einer elektronischen Erklärung (z. B. in elektronischer Post) erklärt, er habe ihn bevollmächtigt, und der Vertreter „legt“ diese Erklärung dem Geschäftspartner „vor“, z. B. indem er die elektronische Post einfach an ihn weiterleitet. Die Urkundsqualität elektronischer Erklärungen im Zusammenhang mit § 172 Abs. 1 BGB ist bislang – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur nicht behandelt worden, ebensowenig die sich daran anschließenden Fragen der Aushändigung an den Vertreter und der Vorlage gegenüber dem Dritten. Wenngleich das Gesetz keine Definition des Begriffes „Vollmachtsurkunde“ enthält, könnte man geneigt sein, die Frage (vor)schnell zu verneinen, soweit es um Erklärungen unter der Geltung des bisherigen § 126 BGB geht, und sie ebenso (vor)schnell zu bejahen, soweit Erklärungen betroffen sind, auf die §§ 126 Abs. 3, 126 a BGB i.d.F. des FormAnpG anwendbar sind. Nach verbreiteter Ansicht soll eine Vollmachtsurkunde i.S.v. § 172 BGB nämlich die Einhaltung der Form des § 126 BGB voraussetzen.26 Der Begriff „Urkunde“ wiederum setzte bei § 126 BGB i.d.F. vor dem FormAnpG – ebenso wie bei §§ 415 ff. ZPO und auch im StrafBGH, a. a. O.; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 17. Canaris, Vertrauenshaftung, 39. 26 So etwa Soergel-Leptien, § 172 Rn. 2; Staudinger-Schilken (2001), § 172 Rn. 1; a.A. MüKo-Schramm, 3. Aufl., § 172 Rn. 2, der auf das Unterschriftserfordernis verzichten will (anders jetzt ders., 4. Aufl., § 172 Rn. 2). 24 25

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

recht – eine verkörperte Erklärung voraus.27 Verkörpert aber sind elektronische Erklärungen nicht, auch wenn sie beispielsweise auf einer Festplatte, einer Diskette, einem sog. Server28 oder einem sonstigen Medium gespeichert sind.29 Seit Inkrafttreten des FormAnpG sind dagegen Erklärungen mit qualifizierten elektronischen Signaturen i. S. d. SigG 2001 herkömmlichen schriftlichen Erklärungen gleichgestellt. Indes ist diese Argumentation alles andere als zwingend. Weshalb für § 172 BGB die Form des § 126 BGB gelten soll, ist schon nicht einsehbar. Wenn argumentiert wird, die weitreichenden Rechtsfolgen des § 172 BGB erforderten Schriftform nach § 126 BGB, so ist dem entgegenzuhalten, daß das Gesetz überall dort, wo Schriftform gelten soll, dies auch ausdrücklich anordnet. Gleichsam „un27 Vgl. nur BGHZ 65, 300, 301; Schreiber, 32 ff., jeweils m.w.Nachw. Ferner Lütticke, 228. Ferner s. Nachw. unten bei der systematischen Auslegung. 28 D. h. einem zentralen Großrechner, an den eine Vielzahl von Einzelrechnern im Wege der Vernetzung angeschlossen ist und der diese Einzelrechner „bedient“ (engl. serve). 29 Ganz h.M. für § 126 BGB a.F.; s. BGHZ 121, 224 = JZ 1993, 1005 ff. (Bürgschaft) m. zust. Anm. Vollkommer / Gleußner; MüKo-Einsele, § 126 Rn. 5, 14 m.w.Nachw.; ErmanPalm, § 126 Rn. 2, 11, 11a; Bierekoven, 111 ff.; Fritzemeyer / Heun, CR 1992, 129, 131; Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3, 18; Härting, Internetrecht, Rn. 96; v. Herget / Reimer, DStR 1996, 1288, 1291; Heun, CR 1995, 2 ff.; Hoeren, WM 1996, 2006; ders., Rechtsfragen des Internet, Rn. 284; Hohenegg / Tauschek, BB 1997, 1541, 1543 ff.; Koch, Internet-Recht, 153; Köhler / Arndt, Recht des Internet, Rn. 128; Larenz / Wolf, AT § 27 Rn. 23 ff.; Mallmann / Heinrich, ZRP 2000, 470; Malzer, DNotZ 1998, 96, 103; Melullis, MDR 1994, 109, 112; Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 40 ff.; Moritz, CR 2000, 61, 62; Palandt-Heinrichs, § 126 Rn. 2; RGRK-Krüger-Nieland, § 126 Rn. 22; Roßnagel, NJW-CoR 1994, 96; Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1013; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), § 126 Rn. 20; Thot, 67 f.; Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 133 f.; w. Nachw. bei Ebbing, CR 1996, 271, 273, der selbst aber Textdateien als „elektronische Urkunden“ bei „zeitgemäßer Auslegung“ des § 126 BGB a.F. anerkennen will; ebenso Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 33. Ferner Ernst, NJW-CoR 1997, 165 ff. (für Anwendung des § 126 BGB a.F.); Graf Fringuelli / Wallhäuser, CR 1999, 93, 94 ff. (Verkörperung ja, aber Wahrnehmbarkeit ohne Hilfsmittel nein; i.ü. keine eigenhändige Unterschrift). Ebenso die ganz h.M. für §§ 415 ff. ZPO; s. Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, Übers. § 415 Rn. 7; Auerbach, CR 1988, 18, 23; Bergmann / Streitz, Beweisführung durch EDV-gestützte Dokumentation, CR 1994, 77, 78; Britz, Urkundenbeweisrecht und Elektroniktechnologie, 135; Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168, 172; Fritzemeyer / Heun, CR 1992, 129, 132; Geis, NJW 1997, 3000 f.; Hammer / Bizer, DuD 1993, 689 f.; Heun, CR 1995, 2 ff.; Hoeren, CR 1995, 513; ders., WM 1996, 2006; ders., Rechtsfragen des Internet, Rn. 286; Köhler / Arndt, Recht des Internet, Rn. 128; Malzer, DNotZ 1998, 96, 105 f.; Raubenheimer, CR 1993, 19; Redeker, NJW 1984, 2390, 2394; Roßnagel, NJW 1998, 3312, 3314; Schreiber, in: MüKo-ZPO, § 415 Rn. 6; Stein / Jonas / Leipold, ZPO, vor § 415 I Rn. 1; Thot, 71 ff.; Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 129 f.; Zöller /Geimer, ZPO, vor § 415 Rn. 2. A.A. bereits Jöstlein, DRiZ 1973, 409, 412; ferner Ebbing, CR 1996, 271, 274; Kilian, DuD 1993, 606, 609. Kritisch gegenüber der h.L. auch Hoeren, CR 1995, 513 (Fn. 3); Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 23 f., 36 ff.; von Sponeck, CR 1991, 269, 272 f.; Hohenegg / Tauschek, BB 1997, 1541, 1542. Für eine analoge Anwendung der §§ 415 ff. ZPO auf bestimmte Formen elektronischer Erklärungen Abel, MMR 1998, 644, 645 ff.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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geschriebene“ Schriftformerfordernisse gibt es grundsätzlich nicht. Es gibt auch keinen einheitlichen, für alle Vorschriften geltenden Urkundsbegriff,30 aus dem Erkenntnisse für § 172 BGB etwa derart abgeleitet werden könnten, daß bei § 172 BGB wie bei §§ 126 BGB a.F., 415 ff. ZPO zwangsläufig immer eine verkörperte Erklärung vorliegen müsse. Die neu eingeführten §§ 126 Abs. 3, 126 a BGB haben im vorliegenden Zusammenhang aus zwei Gründen keine grundsätzliche Bedeutung. Zum einen stellen sie nur Erklärungen mit qualifizierter elektronischer Signatur der herkömmlichen Schriftform gleich, geben also schon deshalb für die hier ebenfalls interessierenden weiteren Erklärungsformen (einfache elektronische Erklärung, eingescannte Unterschrift, Kennwort, digitale Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens, biometrische Verfahren) von vorneherein nichts her. Zum zweiten bedarf es erst einer sorgfältigen Überprüfung, ob die bei § 172 Abs. 1 BGB maßgeblichen teleologischen Erwägungen die Übernahme des in §§ 126 Abs. 3, 126 a BGB gewählten Modells erlauben. Das bedeutet, daß ohne die Beachtung der Besonderheiten (insbesondere teleologischer Art) des § 172 BGB ein dogmatisch fundiertes Ergebnis zur Frage elektronischer Vollmachtsurkunden nicht gefunden werden kann. 2. Auslegung a) Auslegungsbedarf und Auslegungskriterien Anders als etwa beim Begriff „Sache“ (§ 90 BGB) hat der Gesetzgeber gerade auf eine allgemeine Definition des Begriffs „Urkunde“ verzichtet.31 Notwendig ist vielmehr, einen sich aus § 172 BGB ergebenden Urkundsbegriff zu entwickeln, der an den spezifischen Funktionen ansetzt, die die Vollmachtsurkunde bei § 172 Abs. 1 BGB erfüllt.32 Zunächst ist § 172 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die beschriebene Problemstellung nach Wortlaut, Bedeutungszusammenhang (Systematik), Wille des Gesetzgebers (historische Auslegung) und Gesetzeszweck (Teleologie) auszulegen. Zu prüfen ist ferner ggf. eine richtlinienkonforme Auslegung anhand einschlägiger 30 Anders, ohne Begründung, Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 44 für den Urkundenbegriff in § 126 BGB und §§ 415 ff. ZPO. Unklar auch Erman-Palm, § 172 Rn. 4, der einerseits auf § 126 BGB verweist, andererseits aber lediglich ein „unterzeichnetes [ . . . ] Schriftstück“ verlangt. 31 Vgl. Lütticke, 228. Interessanterweise wird sogar der Sachbegriff nicht einheitlich verwendet. So fallen unter „Sachen“ i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB nach allgemeiner Auffassung auch unkörperliche Gegenstände, z. B. Rechte; statt aller Palandt-Heinrichs, § 119 Rn. 27. Man kann allerdings durchaus zweifeln, ob es sich insoweit noch um Auslegung oder bereits um Analogie handelt; für Auslegung aber die ganz h.M., a. a. O. 32 Für eine am Zweck von Formvorschriften orientierte Begriffsbildung auch GmSOGB, NJW 2000, 2340, 2341 (Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Computerfax mit eingescannter Unterschrift); Ebbing, CR 1996, 271, 274 u. 276; Römermann / van der Moolen, BB 2000, 1640, 1642.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

europarechtlicher Vorschriften.33 Sofern die Auslegung nicht zum Ziel führt, ist anschließend ggf. die Möglichkeit der Rechtsfortbildung zu prüfen. Zum Verhältnis der Auslegungskriterien zueinander ist folgendes zu bemerken.34 Der Wortlaut ist gleichzeitig Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung. Ein spezieller Wortlaut des Gesetzes geht dem allgemeinen Sprachgebrauch vor. Im Zweifel ist das Gesetz so auszulegen, daß der Bedeutungszusammenhang gewahrt bleibt. Im Rahmen des Wortsinns und des Bedeutungszusammenhangs ist diejenige Auslegung zu bevorzugen, die der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und dem Zweck der Norm am ehesten gerecht wird. Normvorstellungen einzelner an der Gesetzgebung beteiligter Personen sind nicht maßgeblich, sondern allenfalls wertvolle Hilfen für das Verständnis des Norminhalts. Reichen Wortlaut, Bedeutungszusammenhang und Regelungsabsicht des Gesetzgebers zur Feststellung des Auslegungsergebnisses nicht aus, kommt es auf objektiv-teleologische Kriterien an (Sachstruktur, Rechtsprinzipien, Vermeidung von Wertungswidersprüchen).35 Letzlich nehmen teleologische Kriterien den höchsten Rang ein.

b) Wortlautauslegung Nach Klärung der allgemeinen Grundsätze der Wortlautinterpretation und der besonderen Regeln für die Wortlautauslegung bei technischen Neuerungen ist zu prüfen, ob elektronische Vollmachts-„urkunden“ nach dem Wortlaut der Norm des § 172 Abs. 1 BGB denkbar sind.

(1) Allgemeine Grundsätze der Wortlautauslegung Der mögliche Wortsinn ist zugleich Ausgangspunkt und Grenze der Auslegung.36 Maßgeblich ist der allgemeine Sprachgebrauch, oder, falls vorhanden, 33 Ob es sich bei der richtlinienkonformen Auslegung um ein eigenes Auslegungskriterium handelt, mag zweifelhaft erscheinen. Bei Palandt-Heinrichs, Einl. Rn. 36 wird sie z. B. ebenso wie die verfassungskonforme Auslegung als Unterfall der systematischen Auslegung behandelt. Bei Larenz / Canaris, Methodenlehre, 159 ff. erscheint die verfassungskonforme Auslegung dagegen (wohl) als besonderer Fall der objektiv-teleologischen Auslegung, was dafür spräche, auch die richtlinienkonforme Auslegung darunter zu fassen. Welcher Auffassung der Vorzug zu geben ist, mag dahinstehen. Möglicherweise ist eine vollständig befriedigende Einordnung auch deshalb schwierig, weil die Methode der richtlinienkonformen Auslegung vom EuGH ohne Rücksicht auf die deutschen Auslegungsgrundsätze entwickelt worden ist. Dementsprechend wird die richtlinienkonforme Auslegung hier getrennt von den übrigen Auslegungskriterien behandelt. 34 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 163 ff. 35 Auch und insbesondere verfassungsrechtlich verankerte rechtsethische Prinzipien sind dabei allgemein von hoher Bedeutung (verfassungskonforme Auslegung), spielen aber hier ersichtlich keine Rolle und werden daher nachfolgend nicht vertieft. 36 Canaris, Lücken, § 10 (23) m.w.Nachw.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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ein besonderer Sprachgebrauch des Gesetzes; beides ist oft nicht eindeutig.37 Bei juristischen Fachausdrücken ist grundsätzlich der Sprachgebrauch des historischen Gesetzgebers maßgeblich, es sei denn, die Bedeutung war im Entstehungszeitpunkt des Gesetzes nicht genau festgelegt, oder Zweck bzw. Grundgedanke der Vorschrift erfordern eine Abweichung vom historischen Sprachgebrauch.38 Abweichungen von an sich präzisen juristischen Ausdrucksweisen kommen nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen eines besonderen Grundes in Betracht.39 Äußerste Grenze der Auslegung ist jedenfalls der mögliche Wortsinn im allgemeinen Sprachgebrauch.40

(2) Wortlautauslegung und technische Neuerungen Die Bedeutung des Wortlauts einer Vorschrift kann sich mit der Zeit ändern. Gerade bei älteren Gesetzen wie dem BGB kann ein „Wandel der Normsituation“ eine veränderte Auslegung erforderlich machen.41 „Ein Problem, das für einige Zeit, eben für seine Zeit, befriedigend gelöst war, bekommt ein neues Ansehen, wenn sich in den Lebensverhältnissen oder in der Rechtsordnung etwas Bedeutendes geändert hat.“42 Begriffe und Denkformen der Jurisprudenz müssen innerhalb bestimmter Grenzen variabel sein und in der Anwendung auf unvorhergesehene Situationen flexibel gehalten werden können, durch Auslegung oder Rechtsfortbildung.43 Das gilt in besonderem Maße für technische Veränderungen und technischen Fortschritt. Die für die Begriffsbildung maßgebliche Verkehrsanschauung kann sich infolge technischen Fortschritts ändern,44 so daß juristische Begriffe gleichsam mit solchen Entwicklungen „mitwachsen“ können, auch ohne Gesetzesnovellen.45 In den Worten Westermanns: „Hier muß die Auslegung von Rechtsnormen dem folgen, was sich in der nicht-juristischen Umwelt ereignet hat.“46 Allerdings darf die Zeitgebundenheit der Gesetzesauslegung auch nicht überbetont werLarenz / Canaris, Methodenlehre, 141. Larenz / Canaris, Methodenlehre, 144 f. 39 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 142 f. (beispielsweise weite Auslegung des Begriffs „Sache“ in § 119 Abs. 2 BGB abweichend von der Legaldefinition in § 90 BGB, vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 119 Rn. 27 m.w.Nachw.). 40 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 143. 41 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 34. 42 Larenz, JuS 1971, 449, 453. 43 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 54 & 173. 44 P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287, 302 (insb. zum Sachbegriff). 45 P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287, 304 (zum Sachbegriff); Ebbing, CR 1996, 271, 273 („zeitgemäße Auslegung“ im Kontext des § 126 BGB und elektronischer Erklärungen). 46 H.P. Westermann, NJW 1997, 1, 6. In ähnlicher Weise spricht sich Ebbing, CR 1996, 271, 273 gegen eine „Ächtung neuer Kommunikationsmedien“ (im Zusammenhang mit § 126 BGB) aus. Allgemein für die Berücksichtigung eines seit Erlaß des Gesetzes eingetretenen Wertewandels u. a. durch extensive Auslegung auch Langenfeld, Vertragsgestaltung, Rn. 16. 37 38

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

den. Bloße Wandlungen der Zeit- und Modeströmungen reichen keinesfalls aus, um eine traditionell gewonnene Auslegung durch eine neue zu ersetzen; erforderlich ist vielmehr ein grundlegender Wandel des allgemeinen Wertbewußtseins.47 Sach- und zeitgerechte Begriffsbildung darf daher nicht mit rechtspolitischem Wunschdenken verwechselt werden. Rechtspolitische Forderungen sind gerade kein geltendes Recht.48 Die nachfolgenden Beispiele mögen als Anschauungsmaterial dienen, bevor wir uns der Begriffsbestimmung bei § 172 BGB zuwenden: Schon das Reichsgericht sah sich – im Hinblick auf prozessuale Erklärungen per Telegramm – außerstande, sich dem technischen Fortschritt zu verschließen; eine andere Behandlung „würde vom Verkehr nicht verstanden, sondern mit Recht als Rückschritt empfunden werden.“49 Der GmSOGB hat diese „Rechtsprechung, die dem technischen Fortschritt auf dem Gebiet der Telekommunikation Rechnung trägt“, für die Übermittlung fristwahrender bestimmender Schriftsätze per Computerfax mit eingescannter Textdatei fortgesetzt.50 Bereits zuvor hat die Rechtsprechung das Schriftformerfordernis bei bestimmenden Schriftsätzen (§ 130 Nr. 6 ZPO) großzügiger als bei § 126 BGB interpretiert, und seit langem per Telefax (herkömmmlicher Art) übermittelte Schriftsätze zugelassen.51 Ähnliches geschieht auch in anderen Bereichen. So hat der Sachbegriff (§ 90 BGB) Anpassungen und Fortentwicklungen erfahren, die sich aus dem Aufkommen von Elektrizität, dem Verkauf von Unternehmen und schließlich in neuester Zeit Rechnersoftware ergeben haben.52 Auch im Wertpapierrecht wird beispielsweise eine zeit- und sachgerechte Begriffsbildung für den Urkundsbegriff in § 783 BGB für den Fall einer ec-Scheckkarte befürwortet, mit der Begründung, es müsse ausreichen, daß der Automat den Magnetstreifen „lesen“ könne.53 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 136. Larenz, JuS 1971, 449, 453. 49 RGZ 139, 45, 47; ferner 151, 82, 86 (unter Bezugnahme auf die „heutigen Verhältnisse für die Abgabe prozessualer Erklärungen“). 50 GmSOGB, NJW 2000, 2340, 2341 auf Vorlage des BGH (NJW 1998, 3649 = BB 1999, 656 = CR 1999, 144); krit. Düwell, NJW 2000, 3334. Vgl. bereits zuvor BVerwGE 81, 32, 40; BVerwG NJW 1995, 2121; BSG NJW 1997, 1254 = MDR 1997, 374; BFH / NV 1998, 604 v. 11. 11. 1997. – Daß damit, wie Römermann / van der Molen, BB 2000, 1640, 1641 ausführen, nicht allein technischer Fortschritt unterstützt, sondern in erster Linie Abhilfe gegen Fristversäumnis geschaffen werden soll, versteht sich von selbst. Das ändert aber nichts daran, daß die Rechtsfindung des GmSOGB sich stark am technischen Fortschritt orientiert hat, wie er auch selbst in der zitierten Textstelle bekundet. – Noch weitergehend jetzt BVerfG CR 2003, 28 zur Fristwahrung durch nicht unterzeichnetes Computerfax. 51 Dazu BGH NJW 1983, 1498; Bizer, DuD 1992, 169, 171 f.; Thomas-Putzo, ZPO, § 129 Rn. 13 m.w.Nachw. 52 Ausf. P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287 ff. m.w.Nachw. 53 Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 527b. Dem steht nicht entgegen, daß nach umstrittener, aber nunmehr immerhin vom BGH bestätigter Auffassung ec-Karten keine „über die Forderung vorhandenen Urkunden“ i.S.v. § 836 Abs. 3 1 ZPO darstellen (BGH, Beschl. v. 14. 02. 2003 – IX a ZB 53 / 03, WM 2003, 625). In besagtem Beschluß argumen47 48

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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(3) Möglichkeit elektronischer „Urkunden“ nach dem allgmeinen Sprachgebrauch Die Definition des Reichsgerichts, wonach unter Vollmachtsurkunde ein unterschriebenes oder mit notariell beglaubigtem Handzeichen versehenes Schriftstück zu verstehen ist, das die Person des Bevollmächtigten und den Inhalt seiner Vollmacht bezeichnet,54 ist für heutige Problemstellungen im Zusammenhang mit elektronischem Geschäftsverkehr und elektronischen Erklärungen offenbar wenig hilfreich. Zunächst ist daher zu überlegen, ob elektronische „Urkunden“ nach dem allgemeinen Sprachgebrauch denkbar sind. Wenn nicht, käme von vorneherein nur eine Analogie zu § 172 BGB in Betracht.55 Zuzugeben ist, daß die Subsumtion von elektronischen Erklärungen unter den Begriff „Vollmachtsurkunde“ nicht in den unstreitigen, eindeutigen Bedeutungskern des Begriffes fällt. Sie kann aber durchaus noch dem „Bedeutungshof“ des Begriffes zugeordnet werden.56 Für eine Einordnung noch in den Bedeutungshof des Begriffes spricht beispielsweise, daß in der Alltagssprache der Begriff „Urkunde“ i.d.R. in ähnlicher Weise gebraucht wird, wie die Begriffe „Schriftstück“, „Dokument“, „Unterlage“.57 „Dokument“ umfaßt aber nach gängigem Sprachgebrauch auch Erklärungen und Schriftstücke in elektronischer Form.58 Insoweit wird man einen tiefgreifenden Wandel des alltiert der BGH gerade nicht mit dem Wortlaut, sondern dem Zweck der Vorschrift, woraus im Umkehrschluß wohl gefolgert werden kann, daß der BGH insoweit gerade keine Bedenken im Hinblick auf den Wortlaut hat. 54 RGZ 124, 386; JW 1934, 2394; ebenso Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173 Rn. 5. 55 Zu Unrecht nimmt Abel – ohne nähere methodologische Begründung – an, die Behandlung elektronischer Erklärungen als „Urkunden“ i.S.v. §§ 415 ff. ZPO könne allenfalls im Wege der Analogie geschehen; Abel, MMR 1998, 644, 645. 56 Erst bei Überschreiten des „Bedeutungshofs“ wäre die Wortlautgrenze und damit die Grenze der Auslegung erreicht; dann könnte allenfalls Rechtsfortbildung im Wege der Analogie weiterhelfen. Dabei mag es sein, daß z.T. mit den Mitteln der Analogie dieselben Ergebnisse erzielt werden wie durch Auslegung; so z. B. P. Bydlinski, AcP 198 (1998), 287, 305 (zur Anwendung des Sachbegriffs auf Computerprogramme). Allerdings ist zu beachten, daß sich insoweit jedenfalls die Argumentationslast verschiebt. Wer auslegt, kann sich darauf berufen, seine Ergebnisse ergäben sich immerhin aus dem Gesetz. Wer Rechtsfortbildung betreibt, muß erst deren Notwendigkeit und Zulässigkeit überzeugend darlegen. 57 Vgl. bereits Duden, Band 8, Sinn- und sachverwandte Wörter und Wendungen, 1972. Auch Kindl, Rechtsscheintatbestände, 16, definiert Urkunde i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB als „Schriftstück (Herv. d. Verf.), in dem der Vollmachtgeber erklärt, daß er dem in der Urkunde Bezeichneten Vollmacht erteile oder Vollmacht erteilt habe.“ 58 So nunmehr ausdrücklich §§ 126a Abs. 2 BGB, 371 2 ZPO; ferner spricht Abel, MMR 1998, 644, 645 von „digitalen Dokumenten“. Die weit verbreiteten Textverarbeitungsprogramme Word und Wordperfect sprechen bei Textdateien ebenfalls von „documents“ oder „Dokumenten“ („Word-Dokument“, „Wordperfect-Dokument“). Der Einwand (etwa Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 40 m.w.N.), es fehle schon an der Schriftlichkeit, weil die Erklärung nicht aus Schriftzeichen, sondern letztlich aus einem binären Code der Ziffern 0 und 1 zusammengesetzt sei, greift nicht, da der Code mit Hilfe entsprechender Rechnerprogramme in alphabetischen Schriftzeichen dargestellt werden kann und soll. Auch ein herkömmliches Papierdokument besteht zunächst lediglich aus „Strichen“, „Punkten“

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

gemeinen Sprachgebrauchs konstatieren müssen, der auch in Teilbereichen bereits in die Rechtsordnung Einzug gehalten hat. Das elektronische Grundbuch heißt weiterhin Grund-„buch“, nicht „Verzeichnis“ o.ä.; auch das elektronische Handels„register“ hat seinen Namen behalten und der elektronische Bundesanzeiger kann Gesellschafts-„Blatt“ für Veröffentlichungen einer Aktiengesellschaft sein (§ 25 AktG).59 Läßt daher der allgemeine Sprachgebrauch elektronische „Urkunden“ zu, ist weiter zu untersuchen, ob es eine spezifisch juristische, vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichende Verwendung des Begriffs „Urkunde“ gibt. So haben beispielsweise die Begriffe „Zustimmung“, „Einwilligung“ und „Genehmigung“, die im allgemeinen Sprachgebrauch synonym verwendet werden, im Zivilrecht eine je eigene Bedeutung zugewiesen bekommen haben (vgl. die Legaldefinitionen in §§ 183 S. 1, 184 Abs. 1 BGB). Beim Urkundenbegriff ist das nicht der Fall. Zwar ist der Urkundenbegriff ein Rechtsbegriff, der in verschiedenen Zusammenhängen verschiedene Bedeutungen haben kann. Jedoch ist der Begriff Urkunde nicht von vorneherein mit einem spezifisch juristischen Inhalt belegt, der anders oder gar enger wäre als der allgemeine Sprachgebrauch.

c) Systematische Auslegung Die Bedeutung eines Begriffes wird oftmals erst aus dem Regelungszusammenhang klar.60 Insoweit mag v.a. der Blick auf den Urkundenbegriff und potentielle Dematerialisierungsphänomene in anderen Rechtsgebieten und -vorschriften lohnend erscheinen. Sollte sich herausstellen, daß elektronische Erklärungsformen nicht oder nur in eng umgrenztem Umfang zulässig sind, spräche das unter systematischen Gesichtspunkten eher gegen eine Anerkennung elektronischer Vollmachtsurkunden. Sollten umgekehrt jegliche elektronischen Erklärungsformen in anderen Vorschriften generell zulässig sein, bedürfte es besonderer Gründe, sie bei § 172 BGB für nicht zulässig zu erachten. Ist weder das eine noch das andere der Fall, kann immerhin noch ein gewisser Trend in Richtung für oder gegen Dematerialisierung denkbar sein, und auch daraus sind Rückschlüsse auf § 172 BGB nicht ausgeschlossen. Wirft man einen genaueren Blick auf Vorschriften, die den Urkundsbegriff und verwandte Begriffe enthalten, stellt man in der Tat ein recht buntes Bild an Vorschriften und Meinungen fest:

und „Linien“, und erst das im Lesen geschulte Verständnis des Betrachters läßt diese zu sinnhaften Schriftzeichen werden. 59 Vgl. Registerverfahrenbeschleunigungsgesetz, BGBl. I 2182 ff. v. 24. 12. 1993; Transparenz- und Publizitätsgesetz vom 19. 07. 2002 (BGBl. I 2681). 60 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 145 f.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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 Bei § 126 BGB a.F. verneinte die h.M. wie bereits erwähnt die Urkundsqualität elektronischer Erklärungen mangels Verkörperung und / oder unmittelbarer Wahrnehmbarkeit sowie mangels eigenhändiger Unterschrift.  Bei §§ 415 ff. ZPO kam sie mangels Verkörperung und / oder unmittelbarer Wahrnehmbarkeit wie beschrieben zum selben Ergebnis.  Bei § 783 BGB dagegen zeigt sich bereits eine gewisse Aufweichung: Nach Canaris fallen bei sach- und zeitgerechte Auslegung auch Scheckkarten unter den dortigen Urkundsbegriff.61  Bei §§ 129, 130 ZPO (i.d.F. vor dem FormAnpG) hatte die h.M. das Schriftformerfordernis bereits dahingehend aufgeweicht, daß auch für bestimmende Schriftsätze eine Übermittlung per Telefax, ja sogar per Computerfax mit eingescannter Unterschrift ausreicht.62  Bei § 8 VerbrKrG a.F. (Versandhandelsprivileg) – vor der Neufassung durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts – mußte nach traditioneller Auffassung ein „Verkaufsprospekt“ verkörpert sein, nach neuerer, bestrittener Ansicht fiel dagegen auch einer Internetseite darunter.63  Im Rahmen des § 2 AGBG – ebenfalls bereits vor dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts – stellte sich die Frage, ob der Kunde bei im Internet mitgeteilten AGB zumutbare Möglichkeiten der Kenntnisnahme hat. Ursprünglich wurde das nur bei kürzeren AGB bejaht, bei längeren dagegen herkömmliches Druckwerk gefordert.64 Nach neuerer Auffassung ist daran nicht mehr festzuhalten. Mit fortschreitender Technik wurde es immer einfacher und bequemer, auch längere AGB am Bildschirm, durch Herunterladen oder durch Ausdrucken zur Kenntnis zu nehmen; damit können auch umfangreichere AGB zumutbar sein.65 Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 527b. GmSOGB, NJW 2000, 2340, 2341 auf Vorlage des BGH (NJW 1998, 3649 = BB 1999, 656 = CR 1999, 144); zust. Römermann / van der Moolen, BB 2000, 1640 ff. Vgl. bereits zuvor BVerwGE 81, 32, 40; BVerwG NJW 1995, 2121; BSG NJW 1997, 1254 = MDR 1997, 374; BFH / NV 1998, 604 v. 11. 11. 1997; aus der Literatur statt aller Thomas-Putzo, ZPO, § 129 Rn. 13 m.w.Nachw. 63 Bejahend LG München I, CR 2001, 50 m. Anm. Mankowski, CR 2001, 30 = ITRB 2001, 33 (mit der bemerkenswerten Feststellung „Leitbild der Rechtsprechung [sollte] der mündige Bürger sein, der seine Rechte und Interessen frei von staatlicher Belehrung und Gängelung eigenverantwortlich wahrnimmt“); bestätigt durch OLG München, NJW 2001, 2263 ff. m.Anm. Lorenz, NJW 2001, 2230; Köhler, NJW 1998, 185, 188 (zunehmende Akzeptanz in der Bevölkerung, keine unnötige Erschwerung des Geschäftsverkehrs); Waldenberger, BB 1996, 2365, 2370; verneinend Borges, ZIP 1999, 130, 134 f. (arg. nachträgliche Änderbarkeit, geringerer Komfort bei Einsichtnahme); Palandt-Putzo, 60. Aufl. 2001, § 8 VerbrKrG Rn. 2; Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1015. – Eine vergleichbare Fragestellung ergibt sich i.R.d. Anhang I zu Art. 2 Nr. 4 FernAbsRL („Katalog“). 64 Borges, ZIP 1999, 130, 135 m.w.Nachw. 65 v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 16; Ernst, BB 1997, 1057 f.; ders., NJW-CoR 1997, 165, 167; Graf Fringuelli / Wallhäuser, CR 1999, 93 f.; Köhler, MMR 1998, 289, 292; Köhler / Arndt, Recht des Internet, 86 f.; wohl auch Köhler, NJW 1998, 185, 189; ferner Löhnig, NJW 61 62

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Anders war es nur beim mittlerweile eingestellten Btx, wo i.d.R. maximal Text im Umfang einer halben Schreibmaschinenseite auf dem Bildschirm angezeigt werden konnte und die Möglichkeiten, im Text zu „blättern“, diesen zu speichern und auszudrucken i.d.R. sehr begrenzt waren oder ganz fehlten.66 Richtigerweise kann es nur darauf ankommen, ob die AGB in lesbarer und übersichtlicher Form ausdruckbar und mit dem Vertragsformular unveränderbar zu verbinden sind.67 Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Vorschriften, bei denen aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung im Gegensatz zur vorher bestehenden Rechtslage eine eigenhändige Unterschrift nicht mehr erforderlich ist, um neuzeitlicher Bürotechnik entgegenzukommen68 und Massenvorgänge leichter bearbeiten zu können,69 so z. B. bei:  § 8 MHG a.F. (Mieterhöhung, jetzt § 559b BGB),  § 793 Abs. 2 S. 2 BGB (Schuldverschreibung auf den Inhaber),  § 13 S. 1 AktG (Aktien und Zwischenscheine),  § 408 Abs. 2 S. 3 HGB (Frachtbriefe),  §§ 3 Abs. 1 S. 2, 39 Abs. 1 S. 1 HS. 2, 43 Nr. 4 HS 2 VVG (bestimmte versicherungsvertragliche Urkunden).70

Ähnliche Erleichterungen hat der Gesetzgeber in § 690 Abs. 3 ZPO,71 § 239 Abs. 4 HGB,72 14 Abs. 4 UStG, 146 Abs. 5 AO73 und § 37 Abs. 4 VwVfG (und entsprechende Landesgesetze) sowie § 119 Abs. 4 AO (maschinell erstellte, nicht unterschriebene Verwaltungsakte) geschaffen. Gem. § 361a Abs. 3 Satz 1 BGB (i.d.F. vor dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts) reichte im Fern1997, 1688 f.; Mehrings, BB 1998, 2373, 2378 f.; Thot, 76; Waldenberger, BB 1996, 2365, 2368; Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 45. 66 Koehler, MMR 1998, 289, 291 f. m.w.Nachw. zur Btx-Rechtsprechung i.H.a. AGB. 67 So auch Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168; ähnlich Moritz, CR 2000, 61, 65; Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1014 m.w.Nachw. – Art. 10 Abs. 3 EGV-RL sieht nun ausdrücklich vor, daß die AGBn dem Verbraucher (lediglich) „so zur Verfügung gestellt werden, daß er sie speichern und reproduzieren kann.“ Dazu Lehmann, EuZW 2000, 517, 519. 68 Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168, 171. 69 Seidel, CR 1993, 409, 411. 70 Weitere Beispiele finden sich im Regierungsentwurf zum FormAnpG, BT-Drs. 14 / 4987 v. 14. 12. 2000, der für diese Vorschriften die Einführung der neuen zivilrechtlichen „Textform“ begründet. 71 Maschinell lesbare Mahnanträge ohne eigenhändige Unterschrift sind zulässig, wenn die maschinelle Form „dem Gericht für seine maschinelle Bearbeitung geeignet erscheint.“ Es kommt daher lediglich auf die technische Ausstattung an; unmittelbare Wahrnehmbarkeit ohne technische Hilfsmittel ist gerade nicht erforderlich. 72 Handels-„bücher“ auf elektronischen Datenträgern sind zulässig, sofern sie „lesbar gemacht werden können.“ 73 Elektronische Rechnungen als „Urkunde“.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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absatzgeschäft die Information des Verbrauchers u. a. über sein Widerrufsrecht – statt der in bisherigen Verbraucherschutzgesetzen vorgesehenen herkömmlichen Schriftlichkeit, vgl. etwa §§ 4 VerbrKrG, 2 Abs. 1 HaustürWG a.F. – mittels eines dauerhaften Datenträgers, was auch per elektronischer Post möglich sein soll.74 Mittlerweile hat der Gesetzgeber auf viele dieser Fälle die einheitliche sog. Textform nach § 126b BGB i.d.F.d. FormAnpG für anwendbar erklärt und so eine gewisse Vereinheitlichung geschaffen. Auch im Wertpapierrecht sind gewisse Dematerialisierungstendenzen bemerkbar. Dort ist bereits vor geraumer Zeit durch die Entwicklung vom Brief- zum Bucheffektenverkehr ein gewisser Funktionsverlust des Wertpapiers zugunsten reiner Buchungsvorgänge eingetreten.75 So besteht nach h.M. die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs auf der Basis eines reinen Buchungsvorgangs, ohne daß es auf Besitz der Wertpapierurkunde und Verkörperung des Wertpapiers ankäme.76 Der elektronische Buchungsvorgang vermag daher den körperlichen Vorgang aufgrund funktioneller Äquivalenz, insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit der verwendeten Buchungs- und Abwicklungsverfahren zu ersetzen.77 Auch die Legitimationsfunktion des Wertpapiers wird im Effektengiroverkehr im praktischen Ergebnis durch die Vertrauenswürdigkeit des Bankverkehrs ersetzt.78 Daran anknüpfend ist überlegt worden, ob auch im Bereich des klassischen Wertpapierverkehrs die Innehabung eines Papiers durch die Einschaltung vertrauenswürdiger Stellen zur Hinterlegung ersetzt werden kann.79 Gleichwohl gilt für das deutsche Wertpapierrecht nach wie vor, daß die traditionelle Papierbindung noch nicht vollständig durch elektronische Datenverarbeitung ersetzt werden kann.80 Schließlich hat die Datenbankrichtlinie im Bereich der gewerblichen Schutzrechte zur verstärkten Anerkennung der Information als Schutzgut geführt81 und dadurch für dieses Rechtsgebiet eine gewisse Dematerialisierung eingeleitet. Ob weitergehende gewerbliche Informationsschutzrechte entstehen, bleibt abzuwarten.82 74 BTDrs. 14 / 2658 v. 9. 2. 2000, 40; krit. Meents, CR 2000, 610, 612 mit dem Hinweis, daß der Unternehmer ohne Verwendung herkömmlicher schriftlicher Unterlagen den Zugang der Belehrung kaum wird beweisen können. Das übersieht aber wohl die praktischen Gegebenheiten. Ein Beweis ist im herkömmlichen Schriftverkehr auch nur per Einschreiben mit Rückschein garantiert; ob dieser Aufwand lohnt, gerade bei geringerwertigen Geschäften, ist mehr als fraglich. 75 Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rn. 2050. 76 Ausführlich (und kritisch) hierzu Einsele, 161 ff. Ferner Zöllner, in: FS Raiser, 249, 267. 77 Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rn. 2048 a.E. 78 Zöllner, in: FS Raiser, 249, 260 f. 79 In diese Richtung bereits Zöllner, in: FS Raiser, 249, 270. 80 Lütticke, 301. 81 Richtlinie 96 / 6 / EG v. 11. 3. 1996, ABlEG Nr. L 77 v. 27. 3. 1996, 20. 82 Dazu Hoeren, NJW 1998, 2849, 2850.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Sie verdeutlichen, daß im deutschen Recht elektronische Erklärungsformen weder ein Schattendasein führen noch bereits vollständig und in jeder Erscheinungsform zulässig sind. Deutlich erkennbar ist indes eine fortschreitende Dematerialisierung,83 z.T. aufgrund gesetzlicher Bestimmungen (z. B. § 690 Abs. 3 ZPO, HGB, UStG, AO), z.T. durch sachund zeitgerechte Auslegung herkömmlicher Rechtsbegriffe.84 Daraus ergibt sich zumindest, daß systematische Gesichtspunkte die Anerkennung elektronischer „Vollmachtsurkunden“ weder verhindern noch erzwingen. Eine Anerkennung elektronischer Vollmachtsurkunden wäre aber immerhin im Einklang mit dem festgestellten Dematerialisierungstrend. d) Historische Auslegung Ziel der historischen Auslegung ist der über die Zeit fortgeschriebene, normative Sinn des Gesetzes.85 Nach richtiger Ansicht kommt es nicht auf die subjektiven Vorstellungen (und Vorstellungsgrenzen) des historischen Gesetzgebers an, sondern auf die zutage liegende Grundabsicht des Gesetzgebers und die darin erkennbar getroffenen Wertentscheidungen, zumal die Normvorstellungen der Gesetzesverfasser i.d.R. hinter den Anwendungsmöglichkeiten einer Vorschrift zurückbleiben.86 Die Auslegung darf sich daher einerseits nicht über die erkennbare Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers hinwegsetzen (es sei denn, es läge ein Widerspruch zu anerkannten Rechtsprinzipien oder zum Verfassungsrecht vor), andererseits darf die Auslegung aber auch nicht verkennen, daß jedes Gesetz bei seiner Anwendung eine Wirksamkeit entfaltet, die über die subjektiven Vorstellungen des historischen Gesetzgebers hinausgeht.87 Maßgeblich ist dann, welcher objektivierte gesetzgeberische Wille im Gesetz einen eindeutigen Niederschlag gefunden hat.88 Hoeren, NJW 1998, 2849 f. Selbst bei § 126 BGB a.F. schien die Rspr. einer an technischen Weiterentwicklungen orientierten Auslegung nicht völlig abgeneigt zu sein, wie Köhler (AcP 182 [1982], 126, 144 ff. m.w.Nachw.) gezeigt hat: War im Gemeinen Recht noch die Verkehrssitte etwa für die Gültigkeit einer faksimilierten Unterschrift entscheidend (RGZ 14, 94, 97 – Obligationen), haben das RG (RGZ 74, 339 – Orderschuldverschreibung) und zunächst auch der BGH (BGH NJW 1970, 1078; MDR 1971, 479 – zu § 18 1. BMietG) auf der strengen Einhaltung des Eigenhändigkeitserfordernisses – auch im Angesicht der Anforderungen des modernen Massenverkehrs – bestanden. Im Jahr 1977 hat der BGH dagegen (im Zusammenhang mit dem Schriftformerfordernis des § 93i Abs. 3 GenG) zumindest offengelassen, ob aufgrund der Massenhaftigkeit eines Vorgangs u.U. auch eine faksimilierte, nicht eigenhändige Unterschrift ausreichen kann (BGH WM 1977, 339). Eine Analogiebildung ist bislang allerdings weiterhin abgelehnt worden (Köhler, AcP 182 [1982], 126, 152 ff.; zust. offenbar Rott, NJWCoR 1998, 420, 421). Neuerdings sieht § 126b BGB eine „Textform“ vor, die indes nur bei spezialgesetzlicher „Ermächtigung“ greift. 85 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 140. 86 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 149 ff. 87 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 138 f. 88 Canaris, in: FS Medicus, 25, 55. 83 84

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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Die Materialien zu § 172 BGB enthalten keine Einzelheiten zum Urkundenbegriff.89 Allenfalls findet sich der Hinweis, als Vollmachtsurkunde „kann nur diejenige Urkunde betrachtet werden, welche ersichtlich zum Nachweise der Legitimation ertheilt ist.“90 Der Wille des Gesetzgebers des § 172 BGB steht der Annahme elektronischer Urkunden daher nicht entgegen, weil der historische Gesetzgeber die Problematik elektronischer Erklärungen nicht kennen konnte91 und jedenfalls im Gesetz eine Beschränkung von Vollmachtsurkunden etwa auf verkörperte Erklärungen im herkömmlichen Sinn keinen eindeutigen Niederschlag gefunden hat.92 Der moderne Gesetzgeber des FormAnpG wußte zwar um die Problematik elektronischer Erklärungen, hat aber soweit ersichtlich der Sondersituation des § 172 BGB keinerlei Beachtung geschenkt.

e) Teleologische Auslegung Da die Auslegung nach dem Wortlaut, der Systematik des Gesetzes und nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, kommt es entscheidend auf die objektiv-teleologische Auslegung des § 172 BGB an. Nach einer kurzen Darstellung der allgemeinen Grundsätze der teleologischen Auslegung geht die nachfolgende Erörterung ein auf den besonderen Legitimationszweck der Vollmachtsurkunde (einschließlich möglicher Besonderheiten verschiedener elektronischer Erklärungsformen) sowie den strukturellen Zusammenhang zur Beendigung des Rechtsscheintatbestandes durch Urkundenrückgabe (§ 172 Abs. 2 Alt. 1 BGB).

(1) Allgemeine Grundsätze der teleologischen Auslegung Ansatzpunkte der objektiv-teleologischen Interpretation sind der Zweck der Vorschrfit, die Strukturen des geregelten Sachbereichs und rechtsethische Prinzipien (einschließlich ihres Bezugs zur Rechtsidee); unerheblich ist, ob sich der Gesetzgeber der objektiv-teleologischen Kriterien bewußt war.93 Im Zweifel wird anzunehmen sein, daß das Gesetz eine der Sache angemessene Regelung bezweckt.94 Aus dem Gleichheitssatz folgt, daß die objektiv-teleologische Auslegung Wertungswidersprüche zu vermeiden suchen muß.95 Im vorliegenden ZuVgl. Mugdan I 484 = Mot I 238. Prot I 235 = Jakobs / Schubert, AT II 884. 91 Ebenso zur Frage, ob Internetseiten einen Verkaufsprospekt i.S.v. § 8 VerbrKrG darstellen können Köhler, NJW 1998, 185, 188. 92 Dazu allg. Canaris, in: FS Medicus, 25, 55. 93 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 154. 94 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 154. 95 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 155. 89 90

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

sammenhang spielen der Zweck96 der Vollmachtsurkunde sowie die Sachstruktur der §§ 172 ff. BGB die entscheidende Rolle, während rechtsethischen Prinzipien angesichts der geringen rechtsethischen Relevanz von Formvorschriften97 und verwandten Tatbeständen wohl keine tragende Rolle zukommen wird.

(2) Normzweck (I): Der Legitimationszweck der Vollmachtsurkunde Hauptzweck einer Vollmachtsurkunde nach § 172 BGB ist die Legitimation des Vertreters.98 Maßgeblich ist daher, ob gemessen an diesem Zweck des Urkundsbegriffs in § 172 Abs. 1 BGB elektronische Erklärungen ein „funktionelles Äquivalent“99 zu herkömmlichen, papiergebundenen Urkunden darstellen können. Aus dieser spezifischen Zwecksetzung der Vollmachtsurkunde folgt zugleich die Unmaßgeblichkeit der Urkundenbegriffe in § 126 BGB und §§ 415 ff. ZPO; denn letztere haben eine ihnen eigene, abweichende Zwecksetzung. Der spezifische Zweck des Urkundsbegriffs bei § 126 Abs. 1 BGB liegt in der Klarstellung und Beweissicherung.100 Der Zweck des § 172 Abs. 1 BGB – Legitimation – ist mit dem des § 126 BGB nicht deckungsgleich. Die Form des § 126 BGB ist bei § 172 Abs. 1 BGB eben gerade nicht vorgeschrieben.101 Auch die eigenhändige 96 Beim spezifischen Zweck des in Rede stehenden prozessualen Schriftformerfordernisses für die Beurteilung der Übersendung bestimmender Schriftsätze per Computerfax mit eingescannter Unterschrift setzt auch GmSOGB, NJW 2000, 2340, 2341 an; zust. Römermann / van der Moolen, BB 2000, 1640, 1642. 97 Dazu Larenz / Canaris, Methodenlehre, 316. 98 MüKo-Schramm, § 172 Rn. 1; RGRK-Steffen, § 172 Rn. 1 f. 99 Zu diesem Begriff z. B. Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 186; Kilian, DuD 1993, 606. Ähnlich Köhler, AcP 182 (1982), 126, 149 („funktionelle Gleichwertigkeit“); Roßnagel, NJW-CoR 1994, 96, 98. Im amerikanischen Recht vgl. bereits Nimmer / Krauthouse, 31 Idaho L. Rev. 937, 944 (1995), im Bereich internationaler Organisationen vgl. UNCITRAL Modellgesetz über elektronischen Geschäftsverkehr (1996), Umsetzungsanleitung Nr. 16 (http: / / www.uncitral.org / english / texts / electcom / ml-ec.htm). Gerade letztere Textstelle verdeutlicht zu Recht, daß der „functional equivalent approach“ nichts anderes ist als teleologische Auslegung („based on an analysis of the purposes and functions (Hervorh. d. Verf.) of the traditional paper-based requirement with a view to determining how those purposes or functions could be fulfilled through electronic-commerce techniques“). 100 MüKo-Einsele, § 126 Rn. 1. Dabei ist zusätzlich zu beachten, daß Formvorschriften ohnehin oft schärfer schneiden, als es zur Verwirklichung der sie tragenden Ordnungsziele des Gesetzgebers erforderlich ist; Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 369. Der Verkörperungsgedanke dürfte in der Vergangenheit gerade bei § 126 BGB oft überbewertet worden sein; denn wie der Gesetzgeber des FormAnpG selbst zugesteht: „auch eine stofflich verkörperte Erklärung ist nicht vor ihrer Zerstörung geschützt“ (Regierungentwurf zum FormAnpG, BTDRs. 14 / 4987 v. 14. 12. 2000, Begründung zu § 126a, 16 r.Sp. („Perpetuierungsfunktion“)). 101 So zu Recht MüKo-Schramm, 3. Aufl., § 172 Rn. 2; a.A. allerdings die h.M., vgl. RG JW 1934, 2394; Erman-Brox, § 172 Rn. 4; MüKo-Schramm, 4. Aufl., § 172 Rn. 2; SoergelLeptien, § 172 Rn. 2; Staudinger-Schilken (2001), § 172 Rn. 1.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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Unterschrift schreibt § 172 Abs. 1 BGB jedenfalls nicht ausdrücklich vor.102 Beim – relativ engen103 – prozessualen Urkundenbegriff geht es hauptsächlich um die Fälschungssicherheit und Verkehrsfähigkeit (Vorlagefähigkeit und jederzeitige Wahrnehmbarkeit) von Urkunden.104 Wollte man darauf abstellen, stünde sehr schnell fest, daß elektronische Erklärungen auch bei „funktioneller“ Betrachtung vielfach keine „Urkunden“ in diesem Sinne sein können. Herkömmliche Vollmachtsurkunden sind ohne Zweifel im Vergleich zu elektronischen Erklärungen in erhöhtem Maße fälschungssicher.105 Ebenso fehlt elektronischen Erklärungen zumindest teilweise, beispielsweise wenn sie lediglich auf Festplatten, nicht aber tragbaren Medien (CD-Rom, Diskette etc.) gespeichert sind, die Verkehrsfähigkeit (Vorlagefähigkeit).106 Hinzu kommt, daß sie nur mit Hilfe eines Rechners und entsprechenden Rechnerprogrammen wahrnehmbar sind.107 Einfache elektronische Erklärungen sind daher im Prozeß lediglich Augenscheinsobjekte und unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 286 ZPO. Daran hat auch das FormAnpG zu Recht nichts geändert.108 Der Beweismittelstatus im Prozeß kann daher nicht über die materiellrechtliche Frage der Urkundsqualität bei § 172 Abs. 1 BGB entscheiden.109 MüKo-Schramm, 3. Aufl., § 172 Rn. 1. So Englisch, 5, 21. 104 Abel, MMR 1998, 644, 645; MüKo-ZPO / Schreiber, § 415 Rn. 4, 6 m.w.Nachw.; ähnlich Ebbing, CR 1996, 271, 274. 105 Abel, MMR 1998, 644, 645 f. So auch die amerikanische Literatur, in der als wichtige Funktionen einer Unterschrift unter einem Dokument die Identifizierung des Erklärenden, die Gewährleistung der Integrität der Urkunde und die Nichtabstreitbarkeit der Erklärung für den Erklärenden hervorgehoben werden, vgl. etwa Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723, bei Fn. 31 – 33 und 79 – 80 (1999). 106 Abel, MMR 1998, 644, 647 f. 107 Koch, Internet-Recht, 152. A.A. Abel, MMR 1998, 644, 647 f., wonach es ausreicht, daß jederzeit – wenn auch mit Hilfe üblicher technischer Hilfsmittel – vom Urkundeninhalt Kenntnis genommen werden kann. Angesichts der weiten Verbreitung von Rechnern könne man das bei elektronischen Erklärungen heute bejahen; unmittelbare Wahrnehmbarkeit ohne jegliches technisches Hilfsmittel sei auch bei herkömmlichen Urkunden nicht immer vollständig gegeben (Leselampe, Lesebrille, Übersetzer bei Fremdsprachen). 108 Darin liegt im übrigen kein Verstoß gegen die SigRL. Diese schreibt in Art. 5 Abs. 2 SigRL den Mitgliedstaaten zwar vor, dafür Sorge zu tragen, daß einer elektronischen Signatur – und dazu gehört nach der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 1 SigRL auch der lediglich am Ende einer einfachen elektronischen Erklärung eingetippte Name – die rechtliche Wirksamkeit und die Zulässigkeit als Beweismittel in Gerichtsverfahren nicht allein deshalb abgesprochen wird, weil sie in elektronischer Form vorliegt. Die SigRL läßt dagegen die einzelstaatlichen Vorschriften über die freie gerichtliche Würdigung von Beweismitteln ausdrücklich unberührt (Erwägungsgrund 21 a.E.). Der deutsche Gesetzgeber darf einfache elektronische Erklärungen also weiterhin als Augenscheinsobjekte behandeln, die nach § 286 ZPO der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegen, und muß für sie keine dem Urkundenbeweis vergleichbaren Beweisregeln einführen. 109 Dagegen kann nicht eingewendet werden, daß auf diese Weise ein „Auseinanderfallen“ von materieller und prozessualer Rechtslage entstünde. Immerhin sind Vollmachtsurkunden in einfacher elektronischer Form prozessual nicht wertlos, sondern als Augenscheinsobjekte 102 103

9 Rieder

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

(3) Legitimationszweck und die verschiedenen elektronischen Erklärungsformen Ob eine elektronische Erklärung hinreichende Legitimationswirkung aufweist, bemißt sich nach den Erwartungen der betroffenen Verkehrskreise. Die erforderliche „Stärke“ der Legitimationswirkung hängt daher ab vom Empfänger, dem die Erklärung vorgelegt wird. Aus seiner Sicht hat eine Vollmachtsurkunde i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB die Bedeutung, daß er sich auf das Vorliegen von Vertretungsmacht verlassen kann, und nicht erst Rücksprache beim Geschäftsherrn nehmen muß. Um diese Wirkung zu erzeugen, muß der Urkunde eine gewisse „Vertrauenswürdigkeit“ anhaften. Nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinlehre stellt eine herkömmliche Urkunde grundsätzlich keinen stärkeren Vertrauenstatbestand dar als eine mündliche Erklärung oder – so wird man jetzt hinzufügen dürfen – eine elektronische Erklärung. Nimmt man hinzu, wie im 1. Kapitel gesagt, daß elektronische Erklärungen grundsätzlich jedenfalls ebenso sicher wie Telefon und Telefax sind, kann man jedenfalls nicht aus Gründen der Sicherheit elektronischen Erklärungen die Anerkennung als Urkunden i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB verweigern. Fraglich ist zunächst, ob eine einfache elektronische Erklärung eine für § 172 Abs. 1 BGB ausreichende Legitimationswirkung entfalten kann. Eine Erklärung, die ebensogut von einem Dritten bzw. dem angeblichen Vertreter durch einfache Fälschung hergestellt worden sein könnte, entfaltet die für § 172 BGB erforderliche Vertrauenswürdigkeit i.d.R. nicht, da ein redlicher Empfänger sich nicht ohne weiteres auf sie verlassen würde. Eine einfache elektronische Erklärung ist leicht zu fälschen, ohne daß dies dem Empfänger erkennbar wird. Daher wird sich ein redlicher Empfänger auf eine einfache elektronische Erklärung als Legitimationsmittel in vielen Fällen nicht verlassen, insbesondere wenn die Beteiligten einander nicht kennen und ihre Erklärungen in einem „anonymen“ Rahmen, z. B. via Internet, abgewickelt werden. Das muß aber nicht immer so sein. Denkbar ist, daß der grundsätzliche Mangel an Vertrauenswürdigkeit, der einfachen elektronischen Erklärungen als solchen anhaftet, durch weitere Umstände des Einzelfalles ausgeglichen wird. Möglich ist z. B., daß die Erklärungen innerhalb eines Intranets abgegeben werden, dessen Zugang wirkungsvoll kontrolliert wird und innerhalb dessen die Beteiligten die Zuversicht haben, daß nur vertrauenswürdige Personen am Geschäftsverkehr innerhalb des Intranets teilnehmen. Maßstab können hier nur die Umstände des Einzelfalles sein. Entscheidend ist, ob sich ein redlicher Verkehrsteilnehmer nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung dieser Umstände auf die einfache elektronische Erklärung als Legitimationsmittel verlassen würde. taugliche Beweismittel, die der freien richterlichen Würdigung nach § 286 ZPO unterliegen, ebenso wie alle anderen Beweismittel (Zeugen, Sachverständige usw.), für die die ZPO keine Beweisregeln enthält. So hat beispielsweise das AG Hannover (ITRB 2001, 31) im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung mit Hilfe einer einfachen elektronischen Erklärung (EmailSendeprotokoll) den Beweis für Abgabe und Zugang einer elektronischen Erklärung als erbracht angesehen.

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Ähnliche Überlegungen gelten für die Erklärung mit eingescannter Unterschrift. Nach der hier vertretenen Auffassung ist für die Frage, ob eine „Vollmachtsurkunde“ vorliegt, einzig ausschlaggebend, ob die konkret verwendete Erklärungsform nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles einem redlichen Empfänger als hinreichendes Legitimationsmittel für die vom Vertreter für sich in Anspruch genommene Vertretungsmacht ausreichen würde. Das kann bei elektronischen Erklärungen mit faksimilierter Unterschrift der Fall sein, muß aber nicht. Auch hier kommt es auf die konkreten Sicherheitsumstände an, nicht aber auf die nach h.M. fehlende Schriftform i.S.v. § 126 BGB.110 Stammt die Erklärung, die die Vollmacht enthält, von einem dem Dritten nicht bekannten Geschäftsherrn und hat der Dritte keine weitere Kenntnis über die vom Geschäftsherrn verwendeten Sicherungsmechanismen zum Schutz gegen unbefugte Verwendung seines Unterschriftsfaksimiles, wird er bei redlichem Handeln die elektronische Erklärung mit faksimilierter Unterschrift nicht ohne weiteres als hinreichende Legitimation akzeptieren. Anders kann es sein, wenn weitere Umstände hinzutreten, die dem Dritten stärkere Sicherheit verschaffen, etwa die Tatsache, daß die Beteiligten sich kennen oder in einem geschlossenen Intranet handeln, innerhalb dessen nach bisheriger Erfahrung Fälschungen u.ä. nicht zu besorgen sind.111 Auch bei kennwortgeschützten Erklärungen ist auf die Erwartungen eines redlichen Empfängers an die Legitimation des Vertreters nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles abzustellen. Ob Kennwortschutz ausreichende Sicherheit bietet, hängt sowohl vom gewählten Kennwortschutzverfahren, als auch von den weiteren Umständen des Falles ab. Ist das Verfahren als solches unsicher (z. B. zu kurze Kennworte, etwa nur bestehend aus drei Buchstaben oder drei Zahlen, offene Übertragung des Kennworts über das Internet), fehlt es grundsätzlich an der ausreichenden Legitimationswirkung, und es müssen – wie bei einfachen elektronischen Erklärungen und elektronischen Erklärungen mit faksimilierter Unterschrift – weitere Umstände hinzutreten, die eine dem redlichen Dritten als ausreichend erscheinende Legitimationswirkung erzeugen. Ist das Kennwortschutzverfahren dagegen hinreichend sicher, brauchen solche Umstände nicht hinzuzutreten; die Erklärung legitimiert hinreichend und ist als Vollmachtsurkunde anzuerkennen. Fraglich ist aber, wo im Hinblick auf den Grad der Sicherheit die Grenze zu ziehen ist. Hier verbieten sich pauschale Antworten. Der zu fordernde Sicherheitsgrad hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Höherwertige Transaktionen werden einen höheren Sicherheitsstandard erfordern. Gleiches gilt für Vollmachtserklärungen, die zum Ab110 Dazu Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1013. Daran hat auch das FormAnpG nichts geändert, da die elektronische Form nach §§ 126 Abs. 3, 126a BGB die Verwendung qualifizierter elektronischer Signaturen nach dem SigG 2001 voraussetzt. Anders aber nun die h.M. zur Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Computerfax mit eingescannter Unterschrift; s. GmSOGB, NJW 2000, 2340 f. = BB 2000, 1645. 111 Wie Köhler, AcP 182 (1982), 126, 148 ff. gezeigt hat, kann die faksimilierte Unterschrift der eigenhändigen i.S.v. § 126 BGB durchaus funktionell äquivalent sein.

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schluß von Geschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen ermächtigen und die daher durch das Gesamtgeschäftsvolumen zu einer erheblichen Belastung des Geschäftsherrn führen können. Allgemein läßt sich sagen, daß der Sicherheitsgrad eines Kennwortschutzverfahrens beispielsweise um so höher ist, je längere Kennwörter verwendet werden, wenn Groß- und Kleinbuchstaben unterschieden werden, Umlaute, Zahlen und Satzzeichen erlaubt sind und Kennwörter häufiger gewechselt werden.112 Digital signierte Erklärungen mit angehängten Vollmachten in digitaler Form sind eine gleichsam typische Erscheinungsform digitaler Signaturen, und zwar in Form sog. „Attribut-Zertifikate.“113 Das Signaturzertifikat kann beliebige Angaben über die Vertretungsmacht im Volltext enthalten, also z. B. eine gesamte Vollmachts-„Urkunde“ (vgl. § 5 Abs. 2 SigG 1997). Innerhalb des SigG-Rechtsrahmens kann der Geschäftsherr bei der Zertifizierungsstelle jederzeit und ohne Angabe von Gründen die Sperrung des Attribut-Zertifikates veranlassen, ohne daß dem Vertreter / Zertifikatinhaber davon Mitteilung gemacht werden muß (§§ 3 Abs. 2, 9 Abs. 1 u. 2 SigV 1997, 8 Abs. 2 SigG 2001, 7 SigV 2001). Auch hier stellt sich daher die Frage, ob eine elektronische Erklärung in Form eines Vollmachts-Zertifikates i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB hinreichende Legitimationswirkung entfalten kann.114 Nach dem hier vertretenen Ansatz ist wiederum auf die Legitimationswirkung aus Sicht eines redlichen Dritten, der mit dem Vollmachts-Zertifikat konfrontiert wird, abzustellen. Maßgeblich muß immer der tatsächliche Sicherheitsgrad sein.115 Digital signierte Erklärungen sind, jedenfalls wenn sie sich innerhalb des SigG-Rechtsrahmens bewegen, sogar mindestens ebenso fälschungssicher (i.S.v. Erklärungsintegrität) wie herkömmliche Urkunden.116 Man könnte allerdings einwenden, die Möglichkeit technischer Überalterung und die damit einhergehende abnehmende Sicherheit spreche gegen die Annahme einer „Urkunde“ i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB. Jedoch verfängt dieser Einwand im Ergebnis nicht. Zunächst sind digitale Signaturen in der Regel mit einer begrenzten Gültigkeitsdauer versehen,117 innerhalb derer vermutlich eine radikale Verringerung der Sicherheit aufgrund veränderter technischer Gegebenheiten nicht eintreten wird. Tritt ein Sicherheits112 Kennwörter mit weniger als sechs Zeichen, die nicht neben Buchstaben auch Ziffern und Sonderzeichen enthalten, werden z.T. bereits als zu unsicher angesehen. Eine Mindestlänge von acht Zeichen soll erforderlich sein. Vgl. 21. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Schleswig-Holstein, 1999, 90 / 91, zitiert nach CR 1999, 736. 113 Auch „qualifizierende Zertifikate“ genannt, vgl. Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 206 ff. 114 Auch für digitale Signaturen ist diese Frage, soweit ersichtlich, bislang nicht vertieft worden. Offengelassen, aber eine Gleichstellung jedenfalls de lege ferenda befürwortend bei Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 208. 115 Zu Möglichkeiten des Sachverständigenbeweises bei digitalen Signaturen vgl. Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 230 ff. 116 Abel, MMR 1998, 644, 647; Graf Fringuelli / Wallhäuser, CR 1999, 93, 100. 117 Maximal fünf Jahre für Signaturen nach dem SigG 1997, § 7 SigV 1997. Beginn und Ende der Gültigkeit sind im Zertifikat anzugeben, § 7 Abs. 1 Nr. 5 SigG 1997 & 2001.

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verlust ein, kann die elektronische Erklärung mit einer neuen, sicheren Signatur versehen werden (vgl. §§ 6 SigG 1997 a.E., 6 Abs. 1 S. 2 SigG 2001). Dies ist zwar „komplizierter“ als bei herkömmlichen Urkunden, wo das Maß der durch sie gewährten Sicherheit – jedenfalls nach dem Willen des Gesetzes – nicht von der Zeit abhängt. Das ändert aber nichts an der Funktionsäquivalenz im Hinblick auf den Legitimationszweck von Signaturen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt sicher sind. Die Möglichkeit zukünftig abnehmender Sicherheit darf nicht schon jetzt zur Versagung des durch die Rechtsscheinhaftung gewährten Schutzes führen.118 Für digitale Signaturen innerhalb des Rechtsrahmens des SigG 1997 gilt eine „Sicherheitsvermutung“ nach § 1 SigG 1997, für solche nach SigG 2001 liegt ein Sicherheitsrahmen mit vergleichbarer Wirkung vor.119 Ein redlicher Dritter wird eine solchermaßen signierte Erklärung als hinreichende Legitimation akzeptieren, es sei denn die Sicherheitsvermutung ist aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise erschüttert.120 In gleicher Weise wird ein redlicher Dritter ein Voll118 Dies wäre ein durch nichts gerechtfertigter Systembruch. Auch in anderen Rechtsbereichen wird nicht so vorgegangen. Dabei sei nur auf die Rechtsprechung zum ec-Kartenmißbrauch hingewiesen. Über lange Zeit galten die bei ec-Karten verwendeten Sicherungsmechanismen (Kennwortschutz u. a.) als sicher, so daß bei einem Mißbrauch durch Dritte zu vermuten war, daß der Karteninhaber den Mißbrauch grob fahrlässig ermöglicht hat. Vgl. z. B. OLG Frankfurt / Main, WM 2002, 2101 = WuB I D 5 a. – 1.03 (Meder); LG Bonn WM 1995, 575 ff., LG Frankfurt / Main DuD 2000, 109 ff.; LG Hannover WM 1998, 1123 f.; LG Stuttgart NJW-CoR 1999, 432 (Ls.); ferner LG Wiesbaden DuD 1999, 299 = NJW-CoR 1999, 372 (Ls.) (Online Nutzung); AG Charlottenburg von Berlin WM 1998, 1124 ff., AG Dinslaken WM 1998, 1126 f.; AG Essen WM 1998, 1127; AG Hohenschönhausen WM 2002, 1057; AG Osnabrück WM 1998, 1127 f.; AG Regensburg WM 2002, 2105. Im Lauf der 90er Jahre hat sich diese Sicherheit nach Meinung einiger Gerichte aus Gründen der technischen Weiterentwicklung so verringert, daß nunmehr eine solche Annahme nicht mehr gerechtfertigt sei. Vgl. etwa OLG Hamm NJW 1997, 1711, 1712 f. m. zust. Anm. Hortmann, DuD 1997, 532 u. abl. Anm. Niehoff, DuD 1997, 534; OLG Frankfurt / Main, WM 2002, 1055, 1057; OLG Stuttgart NJW-RR 2002, 1274 (zwar grundsätzlich Anscheinsbeweis, im konkreten Fall aber Erschütterung gelungen); LG Dortmund, CR 1999, 556; LG Berlin WM 2003, 128; AG Berlin-Mitte NJW-CoR 1999, 432, bestätigt durch LG Berlin NJW-RR 1999, 1213 = CR 1999, 416 f. (kein Anscheinsbeweis grobfahrlässigen Verhaltens, sondern Annahme eines Ausspähens aufgrund der Gewohnheiten des Karteninhabers); AG Duisburg DuD 2000, 240 f. = NJW-CoR 1999, 498 f. (Ls.); AG Frankfurt / Main DuD 1999, 168 ff. (aufgehoben durch LG Frankfurt / Main, DuD 2000, 109 ff.); AG München NJW-RR 2001, 1056; AG Wildeshausen WM 1998, 1128 ff. Zum Ganzen Bruns, MMR 1999, 19 ff.; umf. Nachweise auch bei Wiebe, 432 (Fn. 262). Gleichwohl hat die – von Anfang an bestehende Möglichkeit – einer derartigen Verringerung der Sicherheit die Rechtsprechung nicht veranlaßt, von vorneherein auf die Vermutung grob fahrlässigen Verhaltens zu verzichten. 119 So die Begründung der Bundesregierung zum SigG 2001, BTDrs. 14 / 4662 v. 16. 11. 2000, 28 l.Sp. 120 Auch der Wille des Gesetzgebers des SigG steht der Annahme eines Rechtsscheintatbestandes i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Zwar hat der Gesetzgeber zunächst bei der Schaffung des SigG im Jahr 1997 bewußt vorläufig auf Gleichstellung digital signierter Er-

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machtszertifikat akzeptieren, das außerhalb des SigG-Rechtsrahmens erstellt wurde, wenn die konkrete Sicherheitsinfrastruktur einen dem SigG vergleichbaren Sicherheitsstandard bietet. Weicht der Sicherheitsstandard vom SigG-Standard deutlich nach unten ab, wird man die Legitimationswirkung nicht automatisch bejahen können. Dann kommt es auf eine wertende Gesamtschau aller Umstände an, insbesondere konkreter Sicherheitsstandard, von der Vollmacht erfaßtes Transaktionsvolumen und die Frage, ob die Vollmacht zum Abschluß von Geschäften mit einer unbeschränkten Vielzahl von Personen ermächtigen soll. Fraglich ist zuletzt, ob eine biometrisch signierte elektronische Erklärung eine „Urkunde“ sein kann. Die Problematik ist bislang in Rechtsprechung und Literatur ungeklärt.121 Auch hier ist wieder zu fragen, ob eine für einen redlichen Empfänger hinreichende Legitimationswirkung vorliegt. Die Frage kann nur in Abhängigkeit vom konkreten Sicherheitsgrad des verwendeten Verfahrens und den sonstigen Begleitumständen beantwortet werden. Die Analyse gleicht daher sehr stark der Untersuchung bei kennwortgeschützten Erklärungen und digital signierten Erklärungen mit digitalen Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß bezüglich des Legitimationszwecks der Vollmachtsurkunde eine Anwendung des § 172 BGB auf elektronische Erklärungen möglich ist. Zu prüfen bleibt innerhalb der objektiv-teleologischen Auslegung, ob innerhalb der §§ 172 ff. BGB Sachstrukturen existieren, die eine Anerkennung elektronischer Vollmachtsurkunden gleichwohl ausschließen oder jedenfalls einschränken.

klärungen mit schriftlichen Erklärungen nach § 126 BGB und Urkunden i.S.v. §§ 415 ff. ZPO verzichtet (vgl. BTDrs. 13 / 7385, 26), obwohl bereits bei Erlaß des SigG 1997 Vorschläge für die Einführung einer elektronischen Form existierten (so z. B. der Vorschlag der Bundesnotarkammer zur elektronischen Form, abgedruckt mit Erläuterungen bei Seidel, Das Recht des elektronischen Geschäftsverkehrs, 100 ff.). Damit hat der Gesetzgeber aber allenfalls eine Entscheidung im Hinblick auf die Rechtsfolgen des § 125 BGB, d. h. die Nichtigkeit bestimmter formgebundener Rechtsgeschäfte getroffen. Eine Aussage über die Eignung von Attribut-Zertifikaten als Rechtsscheintatbestand i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB läßt sich daraus nicht ableiten, da es beim Rechtsscheintatbestand nicht zwingend auf die Schriftlichkeit i.S.v. §§ 125 f. BGB ankommt, sondern auf eine Erklärungsform, die die Legitimationswirkung einer Vollmachtsurkunde i.S.v. § 172 Abs. 1 BGB erfüllt. 121 Insgesamt sind biometrische Verfahren bislang noch kaum Gegenstand rechtlicher Erörterungen. Eine scheinbar frühe Ausnahme bildet Bachofer, NJW-CoR 1993, 25 ff., demzufolge auf einem Notepad erstellte, biometrisch signierte Erklärungen (Eingabestift) Schriftformerfordernisse nach §§ 126 Abs. 1, 127 BGB und für bestimmende Schriftsätze in der ZPO (§ 130 Nr. 6 ZPO) erfüllen sollen, und zwar entgegen der Telefax-Rechtsprechung zu §§ 126, 766 BGB. Bei Licht betrachtet handelt es sich allerdings bei dem von Bachofer beschriebenen Verfahren lediglich um eingescannte Unterschriften und gerade nicht um eine biometrische Prüfung der Unterschrift.

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(4) Normzweck (II): Der strukturelle Zusammenhang zwischen Aushändigung, Vorlage und Rückgabe nach § 172 Abs. 2 Alt. 1 BGB Wie erwähnt sind neben dem Zweck der Vorschrift die Sachstrukturen des Regelungsbereichs für die objektiv-teleologische Auslegung von zentraler Bedeutung. Bei § 172 BGB läßt sich der Begriff der Urkunde nicht ohne Berücksichtigung des strukturellen Zusammenhangs zwischen Schaffung des Rechtsscheintatbestands durch Aushändigung und Vorlage der Urkunde einerseits und dessen Beendigung mittels „Rückgabe“ der Urkunde andererseits (§ 172 Abs. 2 Alt. 1 BGB) bestimmen. Schon vom historischen Gesetzgeber wurde die Rückgabe der Urkunde wie erläutert als actus contrarius der Aushändigung und wichtigste Form der Beendigung des Rechtsscheintatbestandes gesehen. Aushändigung, Vorlage und Rückgabe beziehen sich jeweils auf das Original der Vollmachtsurkunde. Bei elektronischen Erklärungen besteht die Besonderheit, daß die Unterscheidung zwischen Original und Kopie außerordentlich problematisch ist. Dazu werden im wesentlichen drei Auffassungen vertreten: Eine Auffassung geht davon aus, daß es ein Original im Sinne einer einmaligen Urfassung der elektronischen Erklärung grundsätzlich nicht gibt, sondern lediglich Inhalte, die sich speichern und ausdrucken lassen (These von der fehlenden Originalität elektronischer Erklärungen).122 Die Urfassung wird auf einem Rechner durch Eingabe erzeugt, in elektronischer Form versandt und auf dem Rechner des Empfängers oder der Empfänger wieder sichtbar gemacht, ähnlich dem Verfahren bei der Versendung eines Telefaxes. Da das empfangene Telefax lediglich als Kopie und nicht als Original gilt,123 muß dies auch für elektronische Erklärungen gelten. Nach dieser Auffassung gibt es daher für elektronische Erklärungen kein Original, sondern nur Kopien.124 Die Gegenauffassung geht davon aus, daß die Kategorien „Original“ und „Kopie“ im herkömmlichen Sinn der Eigenart elektronischer Erklärungen nicht gerecht werden, sondern auch elektronische Erklärungen – jedenfalls für bestimmte Vorschriften – als Original gelten können (These von der Originalität elektronischer Erklärungen).125 Ihren Niederschlag hat diese Auffassung beispielsweise 122 So auch GmSOGB, NJW 2000, 2340, 2341 (Computerfax mit eingescannter Unterschrift); Redeker, CR 2000, 455, 459; ders., ITRB 2001, 46, 48. Allenfalls könnte man annehmen, das Original bestehe aus jenen Informationen, die im Arbeitsspeicher des Rechners enthalten sind. Das führt indes nicht weiter, das dieses „Original“ in dem Augenblick zerstört wird, in dem es auf einem anderen Medium, beispielsweise der Festplatte des Rechners, gespeichert wird; so auch § 12 UETA Anm. 2. 123 Vgl. etwa Palandt-Heinrichs, § 126 Rn. 11; Thomas-Putzo, ZPO, § 129 Rn. 13. 124 So in der Tat ABA Richtlinien für digitale Signaturen Anm. 5.5.3 (dazu näher unten § 11); Zusammenfassung UCITA, abrufbar unter http: / / www.nccusl.org / uniformact_summaries / uniformacts-S-ucita.htm. 125 Ebenso Ebbing, CR 1996, 271, 276, der für eine teleologische Begriffsbildung beim „Original“ plädiert, bei § 174 BGB allerdings tatsächlich ein Original im herkömmlichen Sinne verlangt.

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in der amerikanischen Gesetzgebung gefunden. § 101(d)(3) E-SIGN erkennt auch elektronische Erklärungen als Originale an, wenn sie den Erklärungsinhalt exakt wiedergeben, zugänglich bleiben und später exakt reproduzierbar sind (z. B. durch Ausdruck). In ähnlicher Weise bestimmte in USA bereits vorher Rule 1001(3) der Federal Rules of Evidence, daß auch jeder Ausdruck oder jede andere lesbare Ausgabe einer elektronischen Erklärung für Zwecke des amerikanischen Beweisrechts, das grundsätzlich im Prozeß die Vorlage des Originals einer schriftlichen Erklärung fordert, als Original zu behandeln ist, wenn die Erklärung korrekt angezeigt wird (ggf. unter Darlegung warum die Anzeige korrekt ist).126 Eine vergleichbare Regelung findet sich auch § 12(a)&(d) UETA.127 Dieser Auffassung wird man zugute halten müssen, daß sie am ehesten der Verkehrsauffassung entspricht. Der Erstempfänger einer elektronischen Erklärung wähnt sich i.d.R. nicht im Besitz lediglich einer Kopie. Auch derjenige, an den eine elektronische Erklärung weitergeleitet wird (beispielsweise durch den Befehl „Weiterleiten“ im Programm der elektronischen Post), hat eher den Eindruck, ein elektronisches „Original“ erhalten zu haben, denn eine bloße Kopie. Nach einer vermittelnden Auffassung soll jedenfalls die Erstspeicherung einer elektronischen Erklärung auf einem auswechselbaren Massenspeicher (Diskette, CD-ROM) als Original anzuerkennen sein, grundsätzlich aber nicht beispielsweise eine Zweitspeicherung.128 Welcher der drei Auffassungen für § 172 BGB der Vorzug zu geben ist, kann nur aus der Sachstruktur der §§ 172 ff. BGB beantwortet werden. Die vermittelnde Auffassung dürfte aufgrund ihrer fehlenden Praktikabilität nicht weiterhelfen. Die Aushändigung einer elektronischen Erklärung auf einem auswechselbaren Massenspeicher dürfte eine seltene Ausnahme sein. Vielmehr erfolgen die meisten Erklärungen per Telefonnetz, beispielsweise als elektronische Post; darin liegt gerade der entscheidende Zeit- und Komfortgewinn des elektronischen Geschäftsverkehrs. Entscheidende Bedeutung kommt bei § 172 BGB dem Umstand zu, daß die Funktion des Originals nicht nur in der Legitimation besteht, sondern auch in der Rückgabefähigkeit und damit in einer Eigenschaft, die Voraussetzung für die gesetzlich wichtigste Methode der Beendigung des Rechtsscheintatbestands ist. Rückgabe bedeutet nach herkömmlichem Verständnis Verlust jeglichen Besitzes beim Bevollmächtigten und Besitzverschaffung beim Geschäftsherrn.129 Voraussetzung dafür ist die Einmaligkeit der Vollmachtsurkunde. Das kann im elektronischen Bereich – jedenfalls bisher – mangels Unterscheidung zwischen Original und Kopie grundsätzlich nicht abgebildet werden.130 Im elektronischen Geschäfts126 Dazu Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 123. Vergleichbare Regelungen finden sich auch in einzelstaatlichen Prozeßordnungen und Signaturgesetzen; ebda., 135 f. 127 Dazu ausf. Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 152 f. 128 Abel, MMR 1998, 644, 649 (für §§ 415 ff. ZPO). 129 MüKo-Schramm, § 172 Rn. 12. 130 So auch Boriths Müller / Roessler, DuD 1999, 497, 500.

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verkehr kann eine Rückgabe nicht einfach dadurch geschehen, daß der Vertreter die Urkunde an den Geschäftsherrn per elektronischer Post zurückschickt. Das mag auf den ersten Blick zwar naheliegen, führt jedoch als solches gerade nicht zum „Besitzverlust“ beim Vertreter, weil die meisten gängigen Programme für elektronische Post die ursprüngliche Nachricht weiterhin speichern, so daß der Vertreter sie jederzeit weiterverwenden kann. Er wäre weiterhin im Besitz eines „Originals“ (im Sinne der zweitgenannten Auffassung), und ein Dritter könnte nicht beurteilen, ob das elektronische „Original“ durch eine rein interne Rücksendung seine legitimierende Kraft verloren hat. Erforderlich wäre vielmehr eine vollständige Löschung der ursprünglichen Urkunde (sowie aller Kopien). Erst dadurch träte vollständiger Besitzverlust beim Vertreter ein.131 Aber auch diese Lösung ist kein elektronisches Äquivalent zur Rückgabe einer herkömmlichen Urkunde, da der Geschäftsherr i.d.R. keine Überprüfungsmöglichkeit hat, ob der Vertreter tatsächlich alle Versionen der elektronischen Urkunde gelöscht hat. Gerade diese Sicherheit, daß der Rechtsscheintatbestand beendet ist, will das Gesetz dem Geschäftsherrn mit der Rückgabe der Urkunde aber verschaffen. Daraus folgt, daß § 172 BGB nur dann auf elektronische Erklärungen angewendet werden könnte, wenn man bereit wäre, bei elektronischen Erklärungen die Rückgabe als Beendigungsmethode schlicht entfallen zu lassen. Das hieße den Geschäftsherrn entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers auf den langwierigen und daher gefährlichen Weg der öffentlichen Kraftloserklärung zu verweisen.132 Um den Geschäftsherrn so zu schützen wie es der Regelungsabsicht des Gesetzgebers enspricht, muß ihm aber die einfache und schnelle Möglichkeit der Urkundenrückgabe zur Verfügung stehen. Ansonsten entstünde eine für den Geschäftsherrn außerordentlich gefährliche weil nur sehr schwer zu beendende Bindung durch einen Rechtsscheintatbestand. Dabei ist daran zu erinnern, daß der Rechtsscheinhaftung von vorneherein eine besondere rechtsethische Schwäche innewohnt, die durch die Stärke des Rechtsscheintatbestandes, des Verkehrsschutzbedürfnisses oder der Zurechnungsfaktoren ausgeglichen werden muß. Eine derart weitgehende Bindung des Geschäftsherrn wie sie bei Ausschluß einer Rückgabe elektronischer Urkunden entstünde, wäre wohl durch keinen der drei genannten Faktoren gerechtfertigt: Ein besonders starker Rechtsscheintatbestand – der über die Stärke der herkömmlichen Papierform hinausgeht – liegt keinesfalls vor. Ein überdurchschnittlich starkes Verkehrsschutzbedürfnis ist ebensowenig zu er131 Ob daneben noch eine Rücksendung an den Geschäftsherrn erforderlich ist, mag zweifelhaft erscheinen. Immerhin sorgen die meisten Programme für elektronische Post dafür, daß von vorneherein beim Geschäftsherrn bei der Aushändigung der Urkunde eine „Kopie“ auf dem Rechner des Geschäftsherrn abgespeichert wird. Die Rücksendung wäre also nicht erforderlich, um „Besitz“ des Geschäftsherrn an der Urkunde zu begründen. 132 Darauf daß die Mitteilung gegenüber jedem Geschäftspartner gerade bei Vollmachtsurkunden, die sich auf den Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl beziehen, mangels Praktikabilität den Geschäftsherrn nicht ausreichend schützt, wurde bereits hingewiesen.

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kennen. Zwar besteht generell ein erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis bei Vollmachten, die zum Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl ermächtigen. Doch ist auch diese Konstellation unter § 172 BGB bereits im herkömmlichen Geschäftsverkehr denkbar, und dort hat der Gesetzgeber gleichwohl die einfache und schnelle Beendigungsmöglichkeit durch Urkundenrückgabe zwingend vorgesehen. Gleiches gilt für die Stärke der Zurechnungsfaktoren. Zwar ist die bei § 172 BGB zugrundeliegende wissentliche Schaffung eines Rechtsscheintatbestandes der stärkste Zurechnungsgrund überhaupt. Dieser ist bei elektronischen Vollmachtsurkunden aber nicht stärker als bei herkömmlichen Urkunden, und bei letzteren ist wiederum zwingend die Beendigung durch Rückgabe vorgeschrieben. Hier findet die Dematerialisierung eine eindeutige dogmatische Grenze im geltenden Recht. Der Verzicht auf die Rückgabe als Beendigungsmethode würde zu einem durch nichts gerechtfertigten schweren Wertungswiderspruch innerhalb der §§ 172 ff. BGB (stärkere Bindung im elektronischen Geschäftsverkehr als im herkömmlichen) führen. Voraussetzung für die Anwendung des § 172 BGB auf elektronische Erklärungen ist, daß es gelingt, einmalige und daher rückgabefähige elektronische Vollmachtsurkunden zu schaffen. Technisch ausgeschlossen ist dies nicht. Denkbar sind beispielsweise Verzeichnis- bzw. Registrierungsmodelle.133 Nur die im Verzeichnis abrufbare Erklärung würde dann als „ausgehändigt“ und „vorgelegt“ gelten, und in der Löschung im Verzeichnis wäre ein funktionelles Äquivalent der Rückgabe zu sehen. Allerdings ist zu bedenken, daß hier die Wortlaut- und damit die Auslegungsgrenzen deutlich überschritten werden. Von „Aushändigung“, „Vorlage“ und „Rückgabe“ kann nach dem Wortsinn im allgemeinen Sprachgebrauch schlichtweg nicht mehr die Rede sein, wenn eine Erklärung in ein Verzeichnis eingetragen, von einem Dritten eingesehen und später auf Veranlassung des Geschäftsherrn wieder im Verzeichnis gelöscht wird. Diesbezüglich ist allenfalls Rechtsfortbildung durch Analogie denkbar, was im folgenden (unten 3.) zu untersuchen sein wird.

133 Zu Attributzertifikaten bei digitalen Signaturen s. u. bei 3. – Ein Verzeichnismodell schlägt – für den herkömmlichen Geschäftsverkehr – in der Tat der amerikanische Revised Uniform Partnership Act (RUPA (1994)) (Fundstelle: http: / / www.nccusl.org) für die Vertretungsmacht eines Personengesellschafters vor, das bei elektronischer Registerführung ohne weiteres auf den elektronischen Geschäftsverkehr und damit elektronische Vollmachtsurkunden ausgedehnt werden könnte. Nach § 303 RUPA (1994) ist der Inhalt einer registrierten Gesellschaftervollmacht in einer mit §§ 170 ff. BGB vergleichbaren Weise „verbindlich“. Dritte können sich auf eine solche registrierte Vollmacht verlassen, solange sie nicht gelöscht wird. Zum Schutz der Gesellschaft erfolgt eine Löschung von Amts wegen nach fünf Jahren. Soll die Vollmacht fortbestehen, kann sie erneut registriert werden. – Ähnliche Überlegungen für digitale Signaturen bei ABA Richtlinien Anm. 5.5.5 und für elektronische Wertpapiere bei § 16 UETA Anm. 5.

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f) Richtlinienkonforme Auslegung Bevor auf die Möglichkeiten einer analogen Anwendung des § 172 BGB auf bestimmte, verzeichnisgebundene Vollmachtsurkunden eingegangen wird, soll kurz überlegt werden, ob das nach nationalem Recht gefundene Auslegungsergebnis einschlägigem europäischen Recht standhält. Wenngleich die Auslegung nach den herkömmlichen Kriterien nationalen Rechts eine Anerkennung elektronischer Vollmachtsurkunden nicht ermöglicht, wäre prinzipiell denkbar, daß die richtlinienkonforme Auslegung einschlägiger EU Richtlinien zu einem abweichenden Ergebnis führt, um dem Zweck der Richtlinien zum Durchbruch zu verhelfen (effet utile).134 In Betracht kommen insbesondere die EGV-RL und die SigRL. Hinsichtlich elektronischer Erklärungen, die von diesen beiden Richtlinien erfaßt sind, gilt ein EU-rechtliches Diskriminierungsverbot, d. h. die in den Mitgliedsstaaten für den Vertragsabschluß geltenden Rechtsvorschriften dürfen weder Hindernisse für die Verwendung elektronischer Verträge bilden noch dazu führen, daß diese Verträge auf Grund des Umstandes, daß sie auf elektronischem Wege zu Stande gekommen sind, keine rechtliche Wirksamkeit oder Gültigkeit haben.135 Zur Rechtsscheinhaftung lassen sich daraus zunächst keine Aussagen ableiten, da die Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung nicht zwingend formgebunden sind. Allerdings verlangt die EGV-RL auch, daß die für den Vertragsabschluß geltenden Rechtsvorschriften die tatsächliche Benutzung elektronischer Verträge nicht verhindern (Art. 9 – 11 EGV-RL).136 Das Verhinderungsverbot in tatsächlicher Hinsicht geht über die bloße Überwindung traditioneller Formvorschriften wie des § 126 BGB hinaus. Es ließe sich daher argumentieren, daß diejenigen Grundsätze der Rechtsscheinhaftung (neben § 172 BGB auch der Blankettmißbrauch und das kaufmännische Bestätigungsschreiben), die einen Bezug zu schriftlich fixierten Dokumenten haben und gleichzeitig für den Vertragsschluß von Bedeutung sind, im Lichte der EGVRL und der SigRL europarechtskonform so ausgelegt werden sollen, daß sie der Verwendung elektronischer Erklärungsformen keine Hindernisse bereiten. Indes ist diese Argumentation alles andere als zwingend. Was die SigRL betrifft, so fordert diese lediglich gem. Art. 5 Abs. 1 lit a), daß fortgeschrittene elektroni134 Zur richtlinienkonformen Auslegung zusammenfassend Palandt-Heinrichs, Einl. Rn. 36a m.w.Nachw. Aus der Rspr. des EuGH s. etwa EuGH Slg. 1984, 1891, 1909; 1984, 1921, 1942; 1987, 3969, 3986; 1989, 3533, 3546; 1990-I, 4135, 4159; NJW 1994, 921, 922; 2473, 2474; 1997, 3365. Für die deutsche Rspr. s. BGH NJW 1993, 1594, 1595; 1998, 2208, 2210. – Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung gilt im übrigen auch bereits vor Ablauf der für die Richtlinie vorgesehenen Umsetzungsfrist mit der Maßgabe, daß ein deutsches Gericht jedenfalls die Möglichkeit hat, eine nationale Rechtsvorschrift in richtlinienkonformer Auslegung anzuwenden; BGHZ 138, 55 ff. = NJW 1998, 2208, 2210 (vergleichende Werbung und § 1 UWG). – Zustimmend insb. i.H.a. die Umsetzung der SigRL Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 150. 135 Dazu Büllesbach / Miedbrodt, CR 2000, 751, 752 f. 136 Dazu Moritz, CR 2000, 61, 69.

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sche Signaturen, die auf einem qualifizierten Zertifikat beruhen und die von einer sicheren Signaturerstellungseinheit erstellt werden, die rechtlichen Anforderungen an eine Unterschrift in bezug auf in elektronischer Form vorliegende Daten in gleicher Weise erfüllen wie handschriftliche Unterschriften in bezug auf Daten, die auf Papier vorliegen. Darüber hinaus bezweckt die SigRL keine Harmonisierung des nationalen Vertragsrechts (Erwägungsgrund 17, Art. 1 Abs. 2). Daraus ergeben sich keine zwingenden Folgerungen für die Frage der Rechtsscheinhaftung bei § 172 BGB. Die Regelungen über fortgeschrittene elektronische Signaturen beziehen sich lediglich auf Schriftform und eigenhändige Unterschrift, also nationale Vorschriften wie den deutschen § 126 BGB, nicht aber § 172 BGB. Für andere als die genannten fortgeschrittenen Signaturen statuiert die SigRL schon gar keine weiteren Pflichten der Mitgliedstaaten. Aus der SigRL lassen sich daher auch unter dem Aspekt der richtlinienkonformen Auslegung keine Erkenntnisse für § 172 BGB abgewinnen. Für die EGV-RL wird man annehmen müssen, daß die Vorschrift des § 172 BGB für den Vertragsschluß jedenfalls keine zentrale Bedeutung einnimmt. Hinzu kommt, daß die Sachstruktur (Rückgabeproblematik) ohne gravierenden Gerechtigkeitsverlust zulasten des Urkundenausstellers nicht überwindbar scheint. Die von der EGV-RL bezweckte tatsächliche Durchsetzung elektronischer Formen kann daher die aus der Sachstruktur folgenden Bedenken nicht aufwiegen oder ausräumen. Auch die EGV-RL verlangt daher nicht die Anwendung des § 172 BGB auf elektronische Urkunden.

g) Auslegungsergebnisse Elektronische Erklärungen könnten im Hinblick auf Wortlaut, Systematik, Wille des Gesetzgebers und Legitimationszweck als „Urkunden“ im Sinn dieser Vorschrift anerkannt werden, und zwar ohne daß FormAnpG oder SigG (1997 & 2001) insoweit entscheidende Zäsuren darstellen würden. Die unmittelbare Anwendung des § 172 BGB auf elektronische Erklärungen scheitert indes am strukturellen Zusammenhang zwischen Aushändigung, Vorlage und Rückgabe der Vollmachtsurkunde, der die im elektronischen Bereich grundsätzlich nicht abbildbare Einmaligkeit des Originals der Vollmachtsurkunde voraussetzt. Daran ändern auch die SigRL und die EGV-RL nichts. Einmaligkeitsäquivalente wie z. B. Verzeichnislösungen scheitern dagegen an der Wortlautgrenze des § 172 BGB. Für sie kommt allenfalls eine im folgenden zu prüfende Analogie in Betracht.

3. Analogie Zunächst werden die allgemeinen Grundsätze der Analogie zusammengefaßt. Anschließend ist zu prüfen, ob § 172 BGB auf bestimmte einmaligkeitsäquivalente Verzeichnislösungen analog angewendet werden kann.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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a) Allgemeine Grundsätze Rechtsfortbildung ist die Fortsetzung der Auslegung über die Grenze des möglichen Wortsinns hinaus, und zwar entweder innerhalb der Teleologie des Gesetzes (gesetzesimmanente Rechtsfortbildung) oder zwar über die Teleologie des Gesetzes hinaus, aber innerhalb der Prinzipien der Gesamtrechtsordnung.137 Die Befugnis des Richters zur Rechtsfortbildung folgt aus dem Rechtsverweigerungsverbot.138 Der Übergang zwischen Auslegung und Analogie ist fließend; beide bedienen sich weitgehend derselben Kriterien, stellen also insbesondere auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und objektiv-teleologische Kriterien ab.139 Voraussetzung der Rechtsfortbildung ist eine „Lücke“ des Gesetzes, d. h. gemessen an der Regelungsabsicht des Gesetzes eine planwidrige Unvollständigkeit desselben.140 Davon zu unterscheiden ist der rechtspolitische Fehler, der grundsätzlich nur durch ein Tätigwerden des Gesetzgebers korrigiert werden kann.141 Lücken können offen sein in dem Sinn, daß eine Regelung schlicht fehlt, oder verdeckt, d. h. eine an sich vorhandene Regelung paßt nicht (teleologische Reduktion). Es kann sich um eine bewußte anfängliche Lücke handeln, mit der der Gesetzgeber Rechsprechung und Wissenschaft die Lösung der Problematik überlassen wollte, oder um eine unbewußt anfängliche Lücke, also einen Irrtum des Gesetzgebers. Nachträgliche Lücken können durch wirtschaftliche oder technische Fortschritte entstehen, die dem Plan des Gesetzgebers widersprechen.142 Die Füllung einer Lücke im Wege der Analogie setzt voraus, daß im Hinblick auf die maßgeblichen Wertungen des geregelten Sachverhalts der ungeregelte dem geregelten Sachverhalt im wesentlichen gleicht und etwa verbleibende Unterschiede nicht von solcher Art oder solchem Gewicht sind, daß sie die gesetzliche Wertung ausschließen. Lückenfeststellung und -ausfüllung fallen dabei u.U. praktisch zusammen.143 b) Analoge Anwendung des § 172 Abs. 1 BGB auf elektronische Erklärungen (1) Vollmachts-Attributzertifikate nach SigG Da der Gesetzgeber der Rückgabe der Vollmachtsurkunde entscheidende Bedeutung beigemessen hat, setzt eine Analogie voraus, daß ein elektronisches ÄquivaLarenz / Canaris, Methodenlehre, 187. Larenz / Canaris, Methodenlehre, 189. 139 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 188. 140 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 193 f. Lücken können auch und gerade aufgrund fortschreitender technischer und wirtschaftlicher Entwicklung entstehen; dies., 200; Wiebe, 53. 141 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 191 ff. 142 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 198 ff. 143 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 202 & 220. 137 138

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

lent zur Einmaligkeit der herkömmlichen Originalvollmachtsurkunde, die den Vertreter legitimiert, besteht. Das ist bei elektronischen Erklärungen grundsätzlich nicht der Fall, wie oben im Rahmen der Auslegung festgestellt wurde. Einzige ersichtliche Ausnahme von praktischer Bedeutung144 sind digitale Signaturen nach dem SigG, die als Attribut eine Bevollmächtigung enthalten. Dabei gibt es zwei Gestaltungsmöglichkeiten: Entweder der Vertreter veranlaßt die Zertifizierungsstelle, Angaben über seine Vertreterposition in das Signatur-Zertifikat aufzunehmen, worüber die Zertifizierungsstelle den Geschäftsherrn in Kenntnis zu setzen und dieser dem Vorgehen zuzustimmen hat (§§ 5 Abs. 2 SigG, 3 Abs. 2 S. 1 SigV). Oder aber der Vertreter fügt eine vom Geschäftsherrn ausgehändigte Vollmachtsurkunde dem Zertifikat bei; auch in diesem Fall ist die Zustimmung des Geschäftsherrn erforderlich. Der Geschäftsherr hat jederzeit die Möglichkeit, dem Attributzertifikat durch Sperrung nach § 8 Abs. 2 SigG 1997 & 2001 seine Wirksamkeit zu nehmen, ohne daß der Vertreter oder Dritte dem widersprechen oder sich sonst widersetzen könnten. Funktional entspricht dieser Ablauf den Anforderungen des § 172 BGB. Das Attributzertifikat erfüllt den Legitimationszweck der Vorschrift; es ist insbesondere innerhalb des Rechtsrahmens des SigG hinreichend sicher, nach der Wertung der §§ 126 Abs. 3, 126a BGB sogar ebenso sicher wie eine herkömmliche Urkunde, die die Schriftform des § 126 BGB erfüllt. Das Attribut zugunsten des Vertreters kann nur mit dem Willen des Geschäftsherrn geschaffen werden, entweder durch Aushändigung oder Zustimmung. Der Dritte prüft das Attribut durch Rückfrage beim Verzeichnisdienst, was der Vorlage der Vollmachtsurkunde im herkömmlichen Geschäftsverkehr entspricht. Der Geschäftsherr hat jederzeit die Möglichkeit, die Wirkung des Attributes einfach und schnell durch Sperrung zu beenden, vergleichbar mit der Rückgabe einer Vollmachtsurkunde nach § 172 Abs. 2 BGB. Da das Gesetz keine Regelung dazu enthält, ob einem Attributzertifikat dieselbe Wirkung wie einer herkömmlichen Vollmachtsurkunde zukommen kann, ist das Gesetz insoweit unvollständig. Es handelt sich um eine offene Unvollständigkeit, die nachträglich aufgrund technischer Neuerungen entstanden ist. Ob die Unvollständigkeit planwidrig ist, hängt davon ab, ob – erstens – der Sachverhalt des § 172 BGB herkömmlicher Art mit dem ungeregelten Sachverhalt der Attributzertifikate im wesentlichen vergleichbar ist, und ob – zweitens – etwaige Unterschiede lediglich von solcher Art und solchem Gewicht sind, daß sie die gesetzliche Wertung des § 172 BGB nicht ausschließen. Daß herkömmliche Vollmachtsurkunden und der bei Attributzertifikaten geltende Ablauf im wesentlichen vergleichbar sind, folgt bereits aus der obigen Darstellung des Ablaufs bei Attributzertifikaten. In beiden Fällen handelt es sich um ein sicheres Legitimationszeichen, das einmalig ist. Dem Besitz einer herkömmlichen Originalurkunde entspricht im elektro144 Die oben angesprochenen möglichen Verzeichnislösungen für Vollmachtsurkunden allgemein haben jedenfalls gegenwärtig keine praktische Relevanz und werden nachfolgend nicht weiter erörtert.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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nischen Geschäftsverkehr die Kontrolle über die elektronische Erklärung,145 hier durch die jederzeitige Sperrungsmöglichkeit. Zu etwaigen Unterschieden ist folgendes zu bemerken: Im herkömmlichen Geschäftsverkehr trägt der Geschäftsherr das Risiko, daß sich der Vertreter zunächst seinem Herausgabeverlangen widersetzt und zwischenzeitlich weitere Geschäfte im Namen des Geschäftsherrn tätigt. Zwar macht er sich dadurch dem Geschäftsherrn gegenüber ersatzpflichtig, an der rechtsgeschäftlichen Bindung des Geschäftsherrn gegenüber dem gutgläubigen Dritten ändert das aber nichts. Bei § 8 Abs. 2 SigG kann dagegen der Vertreter die Sperrung des Zertifikates durch den Geschäftsherrn weder verhindern noch auch nur verzögern. Dafür kann es bei der Verzeichnisstelle zu Prozeßlaufzeiten bei der Sperrung kommen,146 die zulasten des Geschäftsherren gehen. Gegebenenfalls steht dem Geschäftsherrn ein Schadensersatzanspruch gegen die Zertifizierungsstelle wegen schuldhafter Verzögerungen zu. Diese Unterschiede fallen indes nicht ins Gewicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die Sperrung eines Attributzertifikates i.d.R. schneller und unproblematischer möglich sein wird als die Rückerlangung einer Vollmachturkunde. Daher würde es sogar einen schwer erträglichen Wertungswiderspruch darstellen, wenn der Geschäftsherr im elektronischen Geschäftsverkehr nicht an ein von ihm autorisiertes Vollmachts-Zertifikat gebunden wäre, während § 172 Abs. 1 BGB für den herkömmlichen Geschäftsverkehr bei Aushändigung einer Vollmachtsurkunde eine solche Bindung vorsieht, obwohl die Beendigung des Scheintatbestandes im elektronischen Geschäftsverkehr noch einfacher ist als im herkömmlichen. Die Unvollständigkeit des Gesetzes ist folglich planwidrig; gleichzeitig ergibt sich nach der Art dieser Lücke auch die Vergleichbarkeit der Interessenlage zwischen geregeltem und nicht geregeltem Fall.147 Eine analoge Anwendung des § 172 BGB auf Vollmachts-Attributzertifikate nach dem SigG ist möglich.

(2) Vollmachts-Attributzertifikate außerhalb des SigG-Rechtsrahmens Die vorstehenden Überlegungen gelten zunächst nur für qualifizierte elektronische (bzw. digitale) Signaturen nach SigG, da nur auf sie die jederzeitige und rasche Sperrungsmöglichkeit des § 8 Abs. 2 SigG Anwendung findet. Fraglich ist die Behandlung von digitalen Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens, für die § 8 Abs. 2 SigG nicht gilt. Allenfalls denkbar ist, daß die außerhalb des SigGRechtsrahmens operierende Zertifizierungsstelle dem Geschäftsherrn faktisch oder auch vertraglich dieselbe Sperrungsmöglichkeit einräumt, die § 8 Abs. 2 SigG gewährt. Ist das nicht der Fall, fehlt es von vorneherein an einer Analogiebasis zu § 172 Abs. 1 BGB, da es an einem elektronischen Äquivalent der Rückgabe i.S.v. So auch § 16 UETA Anm. 3. Dazu Bertsch / Pordesch, DuD 1999, 514. 147 Zu diesem Zusammenfallen von Lückenfeststellung und -ausfüllung Larenz / Canaris, Methodenlehre, 220. 145 146

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

§ 172 Abs. 2 BGB fehlt. Ob umgekehrt die faktische oder vertragliche Sperrungsmöglichkeit ausreicht, ist fraglich. Eine rein faktische Durchführung von Sperrungswünschen wird man nicht als hinreichend betrachten können, da es der Zertifizierungsstelle jederzeit freisteht, diese ihre Praxis zu ändern. Eine vertragliche Verpflichtung gegenüber dem Geschäftsherrn wird zunächst unmittelbar nicht vorliegen. Ein Vertragsverhältnis besteht im Ausgangspunkt nur zwischen Zertifizierungsstelle und Zertifikat-Inhaber. Denkbar wäre allenfalls, eine Bestimmung in den AGB der Zertifizierungsstelle, die mit dem Inhalt des § 8 Abs. 2 SigG im wesentlichen identisch sein müßte, als Vertrag zugunsten des Geschäftsherrn gem. §§ 328 ff. BGB aufzufassen. Wenn das nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Parteiwillen gewollt ist, spricht nichts dagegen, auch auf solche digitalen Signaturen (bzw. mit ihnen verknüpfte Vollmachts-Zertifikate) § 172 Abs. 1 BGB analog anzuwenden. (3) Die weiteren Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung; Rechtsfolgen Allgemein gilt auch hier für die Zurechnung das Risikoprinzip. Fehler des Geschäftsherrn sind diesem ohne weiteres zuzurechnen, wie z. B. ein verspätet abgesendeter Antrag an die Zertifizierungsstelle, das Vollmachts-Zertifikat sperren zu lassen. Fraglich ist allenfalls die Behandlung von Fehlern, die bei der Zertifizierungsstelle entstanden sind, etwa die Eintragung eines falschen Vollmachtsumfangs, das Vergessen einer Umfangsbeschränkung oder die verspätete Sperrung des Zertifikats trotz rechtzeitigen Antrags des Geschäftsherrn. Da der Geschäftsherr der Ausstellung eines Vollmacht-Zertifikates zustimmen muß (§§ 5 Abs. 2, 3 Abs. 2 S. 1 SigV 1997 & 2001, § 5 Abs. 2 S. 2 SiG 2001), ist ihm das Risiko, daß aufgrund von Fehlern bei der Zertifizierungsstelle falsche Vollmachts-Zertifikate in den Rechtsverkehr gelangen und dort als Vertrauensgrundlage verwendet werden, zuzurechnen. Will sich der Geschäftsherr gegen das Risiko der § 172 Abs. 1 BGB absichern, muß er von der Ausstellung einer Vollmachtsurkunde gänzlich Abstand nehmen. War bei der Schaffung des Rechtsscheintatbestandes ein Willensmangel i.S.v. §§ 118 ff. BGB ursächlich, kann die Zurechnung ebenfalls scheitern, und es kommt nur ein Schadensersatzanspruch analog § 122 BGB in Frage.148 Unbeachtlich sind allerdings Willensmängel, die sich rein auf die zugrundeliegende Innenvollmacht beziehen. Generell ist die Berücksichtigung jeder Art von Willensmängeln ausgeschlossen bei Vollmachten, die auf den Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl gerichtet sind. Das wird bei in AttributZertifikaten mitgeteilten Vollmachten häufig der Fall sein. Bei Abhandenkommen des Vollmacht-Zertifikates scheidet die Zurechnung grundsätzlich aus, da § 172 BGB „Aushändigung“ verlangt. Allenfalls ein Ersatz148

Canaris, Vertrauenshaftung, 548.

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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anspruch analog § 122 BGB ist denkbar, wenn in dem „Halten“ eines fehlerhaften Attribut-Zertifikats eine überflüssige Gefahr für den Rechtsverkehr zu sehen ist.149 Eine Ausnahme gilt allerdings, wenn der Geschäftsherr das Abhandenkommen fahrlässig ermöglicht hat, und das Attribut-Zertifikat zum Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen bestimmt war (Umlaufpapierähnlichkeit). Für die Rechtsfolgen gelten wiederum die allgemeinen Regeln. Der Geschäftsherr ist an die Rechtslage, so wie sie im Vollmachts-Zertifikat zum Ausdruck kommt, gebunden. Die Verwendung von Vollmachts-Zertifikaten kann sich damit als sehr gefährlich erweisen, denn jede einzelne digital signierte Erklärung mit Vollmachts-Zertifikat setzt einen Rechtsscheintatbestand. Dessen Beseitigung für die Zukunft ist nur durch Sperrung des Zertifikats oder Kraftloserklärung möglich. Der Geschäftsherr kann sich allenfalls durch eine kurze Gültigkeitsdauer der Signatur schützen.

4. Power of attorney im Recht der USA Eine power of attorney nach amerikanischem Recht ist einer Vollmachtsurkunde nach deutschem Verständnis vergleichbar.150 Powers of attorney werfen daher im wesentlichen dieselben Rechtsfragen auf wie jede andere Vollmacht auch.151 Herkömmlicherweise handelt es sich bei der power of attorney um eine schriftliche und unterzeichnete Vollmachtsurkunde,152 die aus sich selbst Anzeichen ihrer Echtheit erkennen läßt153 und den Namen des Vertreters benennt.154 Bestimmte powers of attorney, z. B. zur Vornahme von Grundstücksgeschäften oder bestimmter Versicherungsgeschäfte, können in dafür vorgesehenen staatlichen Registern eingetragen werden.155 Ebenso wie im deutschen Recht gemäß §§ 172, 173 BGB gilt eine durch eine Vollmachtsurkunde dokumentierte Vollmacht als fortbesteVgl. dazu Canaris, Vertrauenshaftung, 548. Vgl. die Definition bei 3 Am Jur 2d Agency § 23 (528): „A power of attorney is an instrument in writing by which one person, as principal, appoints another as his agent and confers upon him the authority to perform certain specified acts or kinds of acts on behalf of the principal.“ m.w.Nachw. aus der Rechtsprechung. Teilweise wird der Begriff noch weiter verstanden als jede formalisierte Vertretungsmacht, die aber nicht notwendigerweise schriftlich abgefaßt werden müsse (so § 3 UETA Anm. 2). Durch diese Weite verliert der Begriff indes an Unterscheidungskraft. Vorliegend wird die erstgenannte Definition, die die Parallele zur Vollmachtsurkunde deutlich werden läßt, vorgezogen. 151 3 Am Jur 2d Agency § 23 (529). 152 Zusammenfassend 3 Am Jur 2d Agency § 25 (530); ferner White v. Breen, 106 Ala. 159, 19 So. 59; Realty Growth Investors v. Council of Unit Owners (Del Sup) 453 A.2d 450. 153 3 Am Jur 2d Agency § 25 (530) mit Verweis auf Rucci’s Estate, 58 Pa. D&C 210. 154 Kurman v. Kurman, 11 Misc.2d 1035, 174 NYS. 2d 128. Zustimmend 3 Am Jur 2d Agency § 25 (530). 155 3 Am Jur 2d Agency § 27 (531). 149 150

10 Rieder

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

hend, wenn sie der Vertreter einem Dritten vorlegt, der weder weiß noch wissen muß, daß die Vertretungsmacht erloschen ist, wie sich aus § 130 R2d Agency156 ergibt.157 Eine Beendigung der Scheinvollmacht ist nur durch Benachrichtigung des Dritten möglich, nicht durch Bekanntmachungen an die Allgemeinheit. 158 Die Rechtsscheinproblematik von powers of attorney ist in zweifacher Hinsicht weit weniger kompliziert gelagert als im deutschen Recht bei § 172 BGB. Durch das Abstellen auf Schriftformerfordernisse und aufgrund der E-SIGN und sonsti156 Restatement (Second) on Agency. Restatements sind private Kodifikationen einzelner Rechtsgebiete, die vom American Law Institute (ALI) herausgegeben werden. Sie haben nicht die Qualität einer bindenden Rechtsquelle, sondern geben den Stand der Rechtsentwicklung aus der Sicht der Verfasser wieder. Gleichwohl genießen die Restatements hohes Ansehen und werden vielfach von Gerichten und der Literatur herangezogen. Dazu Tochtermann, Anscheinsvollmacht, 1 bei Fn. 4; Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 246 f. 157 § 130 R2d Agency: „Apparent authority of agent having indicia of authority If the principal entrusts to the agent a power of attorney or other writing which manifests that the agent has authority and which is intended to be shown to third perons, and it is retained by the agent and exhibited to third persons, the termination of the agent’s authority by causes other than incapacity or impossibility does not prevent him from having apparent authority as to persons to whom he exhibits the document and who have no notice of the termination of the authority.“ Aus der Rechtsprechung s. Continental Ins. Co. v. Gazaway, 216 Ga.App. 125, 453 S.E.2d 91, 93, 94. – Daß auch Kennenmüssen beim Dritten die Bindung des Geschäftsherrn ausschließt, ist ausdrücklich in R2d Agency § 135 ausgesprochen. 158 § 136 Abs. 2 lit (d) i.V.m. Abs. 1 lit. (a) & (b) R2d Agency: „Notification Terminating Apparent Authority (1) Unless otherwise agreed, there is a notification by the principal to the third person of revocation of an agent’s authority or other fact indicating its termination: (a) when the principal states such fact to the third person; or (b) when a reasonable time has elapsed after a writing stating such fact has been delivered by the principal (i) to the other personally; (ii) to the other’s place of business; (iii) to a place designated by the other as one in which business communications are received; or (iv) to a place which, in view of the business customs or relations between the parties is reasonably believed to be the place for receipt of such communication by the other. (2) Unless otherwise agreed, a notification to be effective in terminating apparent authority must be given by the means stated in Subsection (1) with respect to a third person: (a) who has previously extended credit to or received credit from the principal through the agent in reliance upon a manifestation from the principal of continuing authority in the agent; (b) to whom the agent has been specially accredited; (c) with whom the agent has begun to deal, as the principal should know; or (d) who relies upon the possession by the agent of indicia of authority entrusted to him by the principal. (3) Except as to the persons included in Subsection (2), the principal can properly give notification of the termination of the agent’s authority by: (a) advertising the fact in a newspaper of general circulation in the place where the agency is regularly carried on; or (b) giving publicity by some other method reasonably adapted to give the information to such third parties.“

§ 4 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (I): § 172 BGB

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gen Gesetzgebung in USA ist klargestellt, daß zumindest jetzt auch elektronische powers of attorney möglich sein müssen.159 Zum zweiten besteht im amerikanischen Recht keine mit der deutschen Rückgabeproblematik vergleichbare Situation, da das amerikanische Recht schon im herkömmlichen Geschäftsverkehr die Beendigung des Scheintatbestandes nur durch Mitteilung gegenüber dem Dritten, nicht aber durch Rückgabe der power of attorney zuläßt. Das mag nach deutschem Verständnis für den Geschäftsherrn sehr hart erscheinen. Man wird dem Aussteller einer power of attorney in USA nur raten können, sich anderweitig zu schützen, beispielsweise indem er keine powers of attorney ausstellt, die zum Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen ermächtigen, indem er den Vertreter sorgfältig auswählt, ihn durch strenge Berichtspflichten u.ä. überwacht, Zustimmungsvorbehalte in die power of attorney aufnimmt, zeitliche und summenmäßige Grenzen einführt etc.

III. Folgerungen für den elektronischen Geschäftsverkehr Wenngleich der Wortlaut des § 172 Abs. 1 BGB die Subsumtion elektronischer Erklärungen unter den Begriff der Vollmachtsurkunde grundsätzlich zulassen würde, scheitert die direkte Anwendung der Vorschrift an dem vom Gesetzgeber gewollten strukturellen Zusammenhang zwischen Aushändigung, Vorlage und Rückgabe der Vollmachtsurkunde. Lediglich bei digitalen Signaturen nach dem SigG kann § 172 Abs. 1 BGB wegen der in § 8 Abs. 2 SigG für den Geschäftsherrn vorgesehenen jederzeitigen Sperrmöglichkeit analog angewandt werden. Dasselbe gilt für digitale Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens, sofern generell ein vergleichbarer Sperrmechanismus durch AGB bzw. Certification Practice Statements o.ä. sichergestellt ist. Im übrigen findet die dem elektronischen Geschäftsverkehr eigene Dematerialisierung bei Vollmachtsurkunden eine mit Mitteln der Auslegung und Rechtsfortbildung nicht übersteigbare Grenze im geltenden Recht. Sofern insoweit Handlungsbedarf gesehen wird, könnte nur der Gesetzgeber helfen, beispielsweise durch die Schaffung einer elektronischen Registrierungsmöglichkeit von Vollmachtsurkunden (vergleichbar dem amerikanischen Modell für die Vollmacht eines Personengesellschafters). Diesem Register könnten dann mit §§ 170 ff. BGB vergleichbare Rechtsscheinwirkungen zugeordnet werden, wobei insoweit eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zu den Wirkungen des Registers zu begrüßen wäre. Im US amerikanischen Recht sind elektronische powers of attorney jedenfalls mittlerweile unproblematisch zulässig. Aufgrund der eingeschränkten Beendigungsmöglichkeiten (nur Mitteilung gegenüber dem Dritten) ist dort erhöhte Vorsicht geboten. Wenn man das amerikanische Modell für vorzugs159 Zweifel mag man für die Rechtslage vor Inkrafttreten dieser Gesetze haben. Vieles spricht indes dafür, daß auch insoweit bereits die elektronische Form den herkömmlichen, insgesamt großzügiger interpretierten amerikanischen Schriftformerfordernissen entsprach. So nachdrücklich für § 2-201 UCC bereits Wilkerson, 41 Kan. L. Rev. 403 ff. (1992).

10*

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

würdig hielte, ließe es sich in Deutschland jedenfalls nur nach einer Gesetzesänderung (Streichung der Rückgabe in § 172 Abs. 2 BGB) einführen, nicht aber durch Auslegung oder Rechtsfortbildung. Wegen der daraus resultierenden ungewöhnlich weitreichenden Bindung des Geschäftsherrn ist die Übernahme des amerikanischen Regelungsmodells m.E. aber nicht empfehlenswert. Der Rechtsvergleich bietet insoweit keine umsetzbaren Anregungen für das deutsche Recht. Vor der unkritischen Übernahme ausländischer Regelungen kann daher auch an dieser Stelle nur nochmals eindringlich gewarnt werden.

§ 5 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (II): Sonstige Nach Untersuchung der Vollmachtsurkunden in § 4 folgen nun Blankette (I), Quittungen (III) verbriefte Forderungen (III) und Umlaufpapiere (IV).

I. Der Blankettmißbrauch 1. Grundlagen Der sog. Blankettmißbrauch ist gesetzlich nicht geregelt, sondern ein von Rechtsprechung und Lehre entwickeltes Institut der Rechtsscheinhaftung. Schon deshalb wird diesem Institut im nachfolgenden 3. Kapitel, wenn es um die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände geht, besondere Beachtung zu schenken sein. Ein „Blankett“ liegt vor, wenn ein Schriftstück vom Aussteller zwar unterschrieben ist, aber ansonsten nur eine unvollständige oder überhaupt keine Erklärung enthält.160 Es muß sich nicht unbedingt um eine handschriftliche Unterschrift handeln; auch Urkunden mit gedruckten Unterschriften kommen für eine Rechtsscheinhaftung in Betracht, wenn solche Urkunden üblicherweise zum Abschluß von Geschäften verwendet werden.161 Wird das Blankett absprachegemäß vervollständigt („perfiziert“), ergeben sich keine Schwierigkeiten; Stellvertretungsregeln finden zumindest entsprechende Anwendung,162 und für Rechtsscheinhaftung ist weder Raum 160 Canaris, Vertrauenshaftung, 54; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 119; MüKo-Schramm, § 172 Rn. 14. Eine bloße „Oberschrift“ reicht nach der Rspr. anstelle einer Unterschrift nicht; BGHZ 113, 48, 53 f.; a.A. Kindl, Rechtsscheintatbestände, 131 f. (für die offene Blankettausfüllung). 161 Canaris, a. a. O., 59. 162 Dazu ausführlicher Canaris, a. a. O., 56 m. Nachw. bei Fn. 9; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 124 f., auch zur abweichenden Botentheorie, die schon deshalb nicht zu befriedigen vermag, weil der Ausfüllende nicht gleich einem Boten eine bereits fertige Willenserklärung lediglich überbringt, sondern eine angefangene Erklärung vervollständigt bzw. – bei einem leeren Blatt mit bloßer Unterschrift – eine fehlende Erklärung inhaltlich erst erstellt, und damit eine dem Handeln eines Vertreters vergleichbare Tätigkeit ausübt.

§ 5 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (II): Sonstige

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noch Bedarf. Problematisch ist die abredewidrige Vervollständigung. Besteht keine Vertretungsmacht und greifen die Regeln der Duldungs- und Anscheinsvollmacht nicht ein, fehlt es an sich an einer rechtsgeschäftlichen Bindung des Blankettausstellers. Das ist unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes aus der Sicht des Erklärungsempfängers unbefriedigend. Denn wer „auf den Bestand einer schriftlichen Willenserklärung vertraut, weil er ihr nicht ansehen kann, daß es sich um ein abredewidrig ausgefülltes und in Verkehr gebrachtes Blankett handelt, ist mindestens ebenso schutzwürdig wie der, welcher angesichts einer schriftlichen Vollmachtsurkunde auf den Fortbestand der Vollmacht vertraut“.163 Dogmatische Grundlage dafür ist richtigerweise die Rechtsscheinhaftung.164 Im einzelnen ist zwischen „offener“ und „verdeckter“ Blankettausfüllung zu unterscheiden.165 Bei „offener“ Blankettausfüllung, also in Gegenwart des Dritten, der auf die dadurch zustandekommende Erklärung vertraut, ergibt sich die Rechtsscheinhaftung aus einer Analogie zu § 172 BGB aufgrund der Ähnlichkeit zwischen einer Vollmachtsurkunde und einem Blankett.166 Trotz bestehender Unterschiede – v.a. bezüglich des Umfangs der Vertretungs- bzw. Ausfüllungsbefugnis – ist beiden gemein, daß sie jedenfalls das „Ob“ einer solchen Befugnis beinhalten.167 Der Besitz eines Blanketts stellt daher einen Rechtsscheintatbestand dar.168 Der Umfang der Ausfüllungsbefugnis ergibt sich aus Treu und Glauben sowie den Umständen des Einzelfalles. Zu fragen ist, ob sich ein vernünftiger Verkehrsteilnehmer bei redlicher Einstellung und Beachtung seines wohlverstandenen eigenen Interesses auf das Geschäft einlassen würde. Maßgeblich sind insbesondere der Rahmen des Üblichen, Angaben über die Summe, die Art des Geschäfts und der Grad des Vervollständigungsbedürfnisses; je „leerer“ das Blankett ist, um so weniger bedeutende Geschäfte sind vom Rechtsscheintatbestand gedeckt.169 Die durch diese Einzelfallbetrachtung entstehende Rechtsunsicherheit muß hingenommen werden. Alternativ müßte man entweder einen Rechtsscheintatbestand ganz verneinen, und dadurch einen noch schwerwiegenderen Nachteil in Form des Verlusts an Verkehrsschutz hinnehmen oder aber den Umfang des Rechtsscheintatbestands sehr 163 BGHZ 40, 65, 68 = NJW 1963, 1971; daran anschließend BGHZ 40, 297, 305, BGH WM 1973, 750, 751; DB 1992, 2493; zustimmend MüKo-Schramm, § 172 Rn. 14 ff.; Soergel-Hefermehl, § 119 Rn. 16; Soergel-Leptien, § 172 Rn. 6; Staudinger-Schilken (2001), § 172 Rn. 8. 164 BGHZ 40, 65, 67; 40, 297, 304 f.; 132, 119, 127 f.; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 37; RGRK-Steffen, § 172 Rn. 3. Gegen die abweichende „Vollmachtstheorie“ zu Recht Canaris, a. a. O., 55 ff. 165 Terminologie nach Canaris, a. a. O., 54; ihm folgend Wurm, JA 1986, 577, 579. 166 Canaris, a. a. O., 57; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 129 f.; Medicus, AT Rn. 913; MüKo-Schramm, § 172 Rn. 17; RGRK-Steffen, § 172 Rn. 3; Soergel-Leptien, § 172 Rn. 6; Wurm, JA 1986, 577, 579. 167 Canaris, a. a. O., 57; Müller, AcP 181 (1981) 515, 524. 168 Canaris, a. a. O., 58; Soergel-Hefermehl, § 119 Rn. 16. 169 Canaris, a. a. O., 59; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 38; Müller, AcP 181 (1981) 515, 526 ff. Ähnlich Kindl, Rechtsscheintatbestände, 130 f.

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weit fassen und dadurch die Interessen des Ausstellers gegen die Gebote der Privatautonomie unzulässig hintanstellen. Beides ist nicht gangbar. Erfolgt die Ausfüllung des Blanketts „verdeckt“, also nicht in Gegenwart des Dritten, besteht im Ergebnis ebenfalls weitgehend Einigkeit, daß der Aussteller auf Erfüllung haftet.170 Dogmatische Grundlage ist auch insoweit nicht eine rechtsgeschäftlich herbeigeführte Bindung; insbesondere § 120 BGB läßt sich nicht fruchtbar machen, da er anerkanntermaßen bei einer bewußten Abweichung des Boten nicht anwendbar ist.171 Vielmehr muß auch hier für eine Haftung der Ausstellers der Rechtsscheingedanke herangezogen werden, wenngleich dies nicht mehr mittels Analogie zu § 172 Abs. 1 BGB begründet werden kann, weil der Dritte nur noch die „fertige“ Erklärung zu Gesicht bekommt und darauf vertraut, daß sie inhaltlich richtig ist und der Überbringer Botenmacht hat. Vielmehr wird man auf eine Analogie zur „offenen“ Blankettausfüllung abstellen müssen.172 Rechtsscheintatbestand ist der Besitz der bereits vervollständigten Urkunde. Der Umfang des Rechtsscheintatbestandes ergibt sich auch insoweit aus Treu und Glauben und den Umständen des Einzelfalles. Hier ist zu fragen, ob ein Vertragsschluß durch eine von einem Boten überbrachte schriftliche Erklärung üblich ist.173 Bei wirtschaftlich besonders schwerwiegenden Geschäften wird das eher nicht der Fall sein. Ergänzend kann auch beim Blankett § 172 Abs. 2 BGB analog angewandt werden, d. h. der Dritte wird gegen ein nicht nach außen kundgetanes Erlöschen der extern erteilten Ausfüllungsbefugnis geschützt. Analog § 176 BGB kann das Blankett für kraftlos erklärt werden.174 Ferner kann der Geschäftsherr durch Erklärung gegenüber dem Dritten den Rechtsscheintatbestand beenden bzw. zerstören. Für die Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden gelten die allgemeinen Grundsätze, wonach der Vertrauende das Fehlen der Ausfüllungsbefugnis weder kennen noch aufgrund Fahrlässigkeit darüber in Unkenntnis sein darf, er den Rechtsscheintatbestand, also die Blanketturkunde, kennen muß, und eine auf dem Rechtsscheintatbestand beruhende schutzwürdige Vertrauensinvestition vornehmen muß. Bei offener Blankettausfüllung weiß der Vertrauende, daß es sich um ein Blankett handelt. Bei verdeckter Blankettausfüllung dagegen muß dieses Wissen nicht immer vorliegen. Ebensogut ist möglich, daß der Vertrauende gar keine Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 39. Canaris, a. a. O., 64 f.; Palandt-Heinrichs, § 120 Rn. 3 m.w.Nachw. 172 Canaris, a. a. O., 65; zust. Müller, AcP 181 (1981) 515, 526; Wurm, JA 1986, 577, 579 und Kindl, Rechtsscheintatbestände, 132 f. mit zutreffender Argumentation gegen die Gegenansicht von Reinicke / Tiedtke, JZ 1984, 550, 552 und Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB, Rn. 736 b a.E. Mit der Anerkennung der verdeckten Blankettausfüllung wird der Bereich der Einzelanalogie allmählich verlassen, und der Übergang zu einem „allgemeinen“ Prinzip der Einstandspflicht für einen wissentlich geschaffenen Rechtsschein wird deutlich; Canaris, a. a. O. 173 Canaris, a. a. O., 66. 174 Canaris, a. a. O., 139 und 148. 170 171

§ 5 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (II): Sonstige

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Kenntnis davon hat, daß Aussteller und Ausfüller der Urkunde unterschiedliche Personen sind. Schließlich wird dem Vertrauenden lediglich das fertige Schriftstück präsentiert, und er muß davon ausgehen, daß „alles in Ordnung“ ist. Letztere Fallgestaltung erfüllt streng genommen nicht die Voraussetzungen, die an die Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand zu stellen sind. „Blindes Vertrauen“ ist, wie eingangs in § 3 ausgeführt, gerade nicht geschützt. Indes handelt es sich nicht um lediglich „blindes Vertrauen“. Immerhin nimmt der Vertrauende wahr, daß die Erklärung nicht vom Erklärenden selbst, sondern von einem anderen überbracht wird. Auch wenn sich der Vertrauende über die Entstehung der Erklärung wenig oder gar keine ausdrücklichen Gedanken macht, wird er zumindest das sachgedankliche Mitbewußtsein haben, daß dafür jedenfalls zwei Möglichkeiten bestehen: Entweder hat der Erklärende die Erklärung selbst vollständig erstellt und den Überbringer lediglich als Boten eingeschaltet, oder aber der Erklärende hat ein Blankett erstellt, das der Überbringer – verdeckt, d. h. für den Vertrauenden nicht sichtbar – ausgefüllt hat. Damit nimmt der Vertrauende zumindest das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes in Kauf und kennt zugleich dessen wesentliche Grundlagen – Ausfüllung des Blanketts durch einen Dritten. Dies reicht für die erforderliche Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes aus. Auch hier gilt für die Gutgläubigkeit, daß dem Erklärungsempfänger keine überzogenen Nachforschungspflichten auferlegt werden dürfen.175 Bei „offener“ und „verdeckter“ Blankettausfüllung ergibt sich die Zurechnung aus der bewußten Hervorrufung des Rechtsscheins durch Inverkehrbringen des Blanketts;176 Verschuldens- und Risikoprinzip führen insoweit zum selben Ergebnis.177 Darüber hinaus will Canaris – ebenso wie bei §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB und der Duldungsvollmacht – interne Einwendungen gegen die Ausfüllungsbefugnis präkludieren.178 Für Willensmängel gilt: Eine Anfechtung in den Fällen des § 123 Abs. 1 BGB ist unstreitig zulässig.179 Ebenso eindeutig ist nach hiesiger Auffassung, daß bei fehlendem Erklärungsbewußtsein des Blankettausstellers keine Zurechnung erfolgen kann.180 Umstritten ist dagegen, ob der Aussteller mit der Begründung anfechten kann, der Blankettnehmer habe seine Befugnis mißbraucht. Richtigerweise wird man die Frage – anders als die früher h.M.181 – verneinen müssen.182 Bei Zugrundelegung des Risikoprinzips ergibt sich das zwangBGH DB 1992, 2492, 2493; zur Gutgläubigkeit ferner Medicus, AT Rn. 914. Canaris, a. a. O., 58; Soergel-Hefermehl, § 119 Rn. 16. 177 Ausdrücklich auf Risikoerwägungen abstellend auch BGH, DB 1992, 2493, 2494 („Sphäre“, „betriebsinterne Sicherheitsvorkehrungen“). 178 Canaris, a. a. O., 120. 179 Canaris, a. a. O., 61. 180 Canaris, a. a. O., 61. 181 RGZ 108, 183, 185. W.Nachw. zum älteren Schrifftum bei Kindl, Rechtsscheintatbestände, 121, Fn. 17. 182 H.M., BGH WM 1996, 762, 764; Canaris, a. a. O., 60; Erman-Palm, § 119 Rn. 11, 33 und § 126 Rn. 8; Flume, AT II § 23, 2c (455 f.); Medicus, AT Rn. 913; MüKo-Schramm, § 172 175 176

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los daraus, daß der Aussteller mit Inverkehrbringen des Blanketts bewußt das Risiko eines solchen Mißbrauchs schafft. Auch bei § 172 BGB ist eine Anfechtung mit der Begründung, es liege ein Mißbrauch der Vollmachtsurkunde vor, ausgeschlossen.183 Bei Abhandenkommen des Blanketts scheidet eine Zurechnung entsprechend dem Rechtsgedanken der §§ 172 Abs. 1, 935 Abs. 1 BGB aus; weitergehende wertpapierrechtliche Zurechnungsgesichtspunkte sind auf Blanketterklärungen gerade nicht anwendbar.184

2. Das elektronische Blankett Die Grundsätze des Blankettmißbrauchs können auch bei elektronischen Erklärungen eine Rolle spielen. Denkbar wäre etwa, daß der Erklärende einen elektronischen Brief verfaßt, der eine unvollständige rechtsgeschäftliche Erklärung enthält. Anschließend gewährt er einem Dritten Zugang zu seinem Rechner oder verschickt die unvollständige Erklärung an den Dritten, der Dritte vervollständigt die Erklärung abredewidrig und leitet sie an den Empfänger weiter, der auf den Inhalt der Erklärung vertraut.185 Dabei kann es vorkommen, daß der Dritte die Vervollständigung in Gegenwart des Empfängers vornimmt oder der Blankettaussteller dem Empfänger von vorneherein mitteilt, er werde ein Blankett erstellen, das ein Dritter vervollständigen und an den Empfänger weiterleiten werde (ähnlich der „offenen“ Blankettausfüllung“). Ebenso kann der Fall auftreten, daß der Empfänger vom Dazwischentreten eines Dritten gar nichts erfährt (vergleichbar der „verdeckten Blankettausfüllung“).

a) Das elektronische Blankett im allgemeinen Ob eine elektronische Erklärung als „Blankett“ im Sinne der Lehre vom Blankettmißbrauch aufgefaßt werden kann, ist bislang – soweit ersichtlich – in RechtRn. 17; Palandt-Heinrichs, § 119 Rn. 10 und §§ 170 – 173 Rn. 8; RGRK-Krüger-Nieland, § 119 Rn. 8 und § 126 Rn. 10; RGRK-Steffen, § 173 Rn. 3; Soergel-Hefermehl, § 119 Rn. 16; Soergel-Leptien, § 172 Rn. 6; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), § 119 Rn. 15. Grundsätzlich auch Kindl, Rechtsscheintatbestände, 136 ff. 183 Canaris, a. a. O., 60. 184 Canaris, a. a. O., 62. Auch eine Annäherung an Umlaufpapiere, die bei § 172 Abs. 1 BGB und den Scheinvollmachten grundsätzlich in Betracht kommt, nämlich wenn es sich um eine Vollmacht zum Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen handelt, dürfte beim Blankett ausgeschlossen sein; typischerweise bezieht sich ein Blankett auf ein oder mehrere Geschäfte mit ein und derselben Person, nicht eine unbestimmte Personenvielzahl. 185 Keiner näheren Erläuterung bedarf dagegen der Fall, daß ein bereits existierendes herkömmliches Blankett mittels EDV lediglich vervollständigt wird. Insoweit sind bereits die herkömmlichen Grundsätze des Blankettmißbrauchs ohne weiteres anwendbar; Kuhn, Rechtshandlungen, 213 f.

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sprechung und Lehre nicht behandelt worden. Allerdings hat das Reichsgericht entschieden, daß eine Postkarte mit gedruckter Unterschrift des Prinzipals ein Blankett im hiesigen Sinne darstellen kann.186 Für eine entsprechend großzügige Auffassung auch bei elektronischen Erklärungen spricht aus der Sicht des Empfängers, daß er ebenso wie bei einer herkömmlichen Blanketterklärung der Erklärung die abredewidrige Vervollständigung nicht ansehen kann. Dagegen kann allerdings eingewendet werden, daß die herkömmliche Lehre vom Blankettmißbrauch auf Erklärungen in Schriftform abstellt, die einfache elektronische Erklärung aber – wie bereits oben zu § 172 BGB ausgeführt – nahezu unstreitig die Anforderungen an die Schriftform nach § 126 BGB und an eine Urkunde i.S.v. §§ 415 ff. ZPO mangels Verkörperung der Erklärung nicht erfüllt. Neuerdings ist zwar die sog. elektronische Form (qualifizierte elektronische Signaturen nach SigG 2001) der Schriftform gleichgestellt (§§ 126 Abs. 3, 126a BGB i.d.F.d. FormAnpG), nicht aber z. B. einfache elektronische Erklärungen, Erklärungen mit eingescannter Unterschrift oder Kennwortschutz und biometrisch signierte Erklärungen sowie digital signierte Erklärungen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens. Zwingend ist dieser Einwand allerdings nicht, da zunächst kein Grund besteht, die ohnehin praeter legem entwickelte Lehre vom Blankettmißbrauch auf schriftliche Erklärungen i.S.v. § 126 BGB oder Urkunden i.S.v. §§ 415 ff. ZPO zu beschränken. Maßgeblich muß vielmehr der hinter dieser Lehre stehende Zweck sein. Nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung kommt es für das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes darauf an, ob ein Sachverhalt vorliegt, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu erwecken.187 Herkömmliche Urkunden stellen grundsätzlich keinen stärkeren Vertrauenstatbestand dar als Erklärungen in anderer Form. Im übrigen gibt die Anlehnung der Lehre vom Blankettmißbrauch an den gesetzlich geregelten Fall der Rechtsscheinhaftung in § 172 BGB einen wichtigen Fingerzeig. Bei § 172 BGB verlangt das Gesetz das Vorliegen einer „Vollmachtsurkunde.“ Die vorstehenden Ausführungen in § 4 zur Anwendung des § 172 BGB im elektronischen Geschäftsverkehr haben ergeben, daß bei einer sach- und zeitgerechten Betrachtung des Urkundsbegriffs in § 172 BGB elektronische Erklärungen trotz ihrer teilweise leichten Fälschbarkeit und geringen Beweissicherheit als „Urkunden“ i.S.v. § 172 BGB in Betracht kommen können, wenn sich aus den sonstigen Umständen eine für einen redlichen Dritten hinreichende Legitimationswirkung der elektronischen Erklärung ergibt.188 Grundsätzlich ist daher die Möglichkeit elektronischer Blankette anzuerkennen.189

RGZ 105, 183. Canaris, a. a. O., 491. 188 Wenngleich die Anwendung des § 172 BGB auf einfache elektronische Erklärungen aus anderen Gründen – s. Rückgabeproblematik – scheitern muß. 189 In ähnlicher Weise wird Rechtsscheinhaftung analog den Grundsätzen zum Blankettmißbrauch bei Aushändigung und anschließendem Mißbrauch einer ec-Karte bejaht; Langenbucher, Risikozuordnung, 216 f. 186 187

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b) Erkennbarkeit des Blanketts Problematisch ist allerdings, daß es sehr schwierig sein kann zu erkennen, ob überhaupt ein Blankett vorlag, oder ob eine bereits vollständige Erklärung nachträglich von einem Dritten ergänzt oder abgeändert (d. h. verfälscht) wurde. Elektronischen Erklärungen ist es i.d.R. nicht anzusehen, ob ein bestimmter Textteil von vorneherein Bestandteil der Erklärung war oder nicht, und ebenso wenig ob eine etwaige nachträgliche Hinzufügung an einer Stelle geschah, die der Erklärende speziell zu diesem Zweck freigelassen hatte (dann: Blankett) oder ob es sich um eine Hinzufügung zu einem fertigen Erklärungstext handelte (nachfolgend: verdeckte Zusätze). Dies ist allerdings nicht unbedingt ein lediglich elektronische Erklärungen betreffendes Phänomen; auch bei herkömmlichen vollständigen Erklärungen kann ein Überbringer verdeckt Zusätze anbringen, bei denen der Empfänger zunächst nicht erkennen kann, ob sie urspünglicher Bestandteil der Erklärung oder nachträglich hinzugefügter Text sind. Bei elektronischen Erklärungen stellt sich die Problematik lediglich in einer besonderen Schärfe, da bei ihnen oft an jeder beliebigen Stelle verdeckte Zusätze vorgenommen werden können, die nachträglich nicht als solche erkennbar sind. Der Unterschied ist also ein quantitativer, kein qualitativer. Er kann keinesfalls dazu führen, von vorneherein die Anwendung der Grundsätze über den Blankettmißbrauch auf elektronische Erklärungen abzulehnen. Sendet der Erklärende etwa eine elektronische Post an den Ausfüllenden, die an bestimmten Stellen erkennbar unvollständig ist (z. B. Preis, Garantiedauer, Liefermenge etc.) und vervollständigt der Ausfüllende die Erklärung, so liegt geradezu der klassische Fall der offenen Blankettausfüllung vor, und es gibt keinen Grund, diesen abweichend von einem herkömmlichen, papiergebundenen Blankett zu behandeln. Dann aber wird man die verdeckte Blankettausfüllung ebenso wie im herkömmlichen Geschäftsverkehr auch im elektronischen Geschäftsverkehr analog zur offenen Ausfüllung zu behandeln haben, unbeschadet der Problematik, daß für den Empfänger u.U. nicht mehr nachvollziehbar ist, ob es sich vormals um ein Blankett oder lediglich eine unbefugt ergänzte, von vorneherein an sich vollständige Erklärung handelte.190 Zurechenbar ist der Scheintatbestand aber nur, wenn tatsächlich objektiv ein Blankett vorliegt; sonst handelt es sich um eine nicht zurechenbare Verfälschung.

c) Automatische Namens- und Adreßzeilen Zweifelhaft ist, ob es sich um ein Blankett handelt, wenn der Inhaber eines elektronischen Postanschlusses die von vielen Programmen angebotene Option einer automatischen Unterschrifts- und Adreßzeile aktiviert hat. Diese Funktion führt 190 Insoweit kann eine gewisse Abhilfe durch Zugriff auf die elektronische Postablage geschaffen werden. Im übrigen kann auch die Auslegung der Erklärung ergeben, ob sie vollständig ist oder nicht.

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dazu, daß nach dem manuellen Erstellen einer elektronischen Nachricht automatisch ein Abschnitt am Ende der Nachricht angefügt wird, der Namen, Adresse, ggf. Telefonnummer, Abteilungsbezeichnung, Titel u.ä. des Anschlußinhabers angibt. Erlangt ein Unbefugter Zugang zu einem dergestalt eingerichteten elektronischen Postprogramm, braucht er nur noch eine Nachricht zu erstellen und zu versenden; der Name des Anschlußinhabers erscheint dann beim Empfänger automatisch. Fraglich ist daher, ob schon die dergestalt vorprogrammierte Eingabeoberfläche eines solchen Programmes als Blankett zu qualifizieren ist. Dies ginge aber eindeutig zu weit. Der Anschlußinhaber ist hier weit weniger am Inverkehrbringen einer unvollständigen Erklärung beteiligt als beim herkömmlichen Blankett, wo er immerhin eine Urkunde mit seinem Namen versehen und aus der Hand geben muß. Die bloße interne Vorbereitung und Einstellung der Benutzeroberfläche eines Rechnerprogrammes zur Anfertigung und Versendung elektronischer Post kann dem nicht gleichgesetzt werden. Rechtsscheintatbestand ist das Inverkehrbringen des Blanketts, nicht schon seine Erstellung (anders im Recht der Umlaufpapiere). Im Regelfall wird es im übrigen auch am Erklärungsbewußtsein und damit an der Zurechenbarkeit fehlen. Anders ist dagegen der Fall zu beurteilen, daß der Geschäftsherr das elektronische Postprogramm startet, eine Nachricht zu erstellen beginnt (damit die automatische Namens- und Adreßzeile bereits kreiert) und dann einen Dritten an seinen Rechner läßt, der die Erklärung abredewidrig vervollständigt und anschließend absendet. Insoweit ist nicht zu ersehen, warum der Geschäftsherr dann nicht an den Erklärungsinhalt gebunden sein soll.

3. Unbefugte Kennwortverwendung Praktisch besonders bedeutsam ist die Frage der rechtsgeschäftlichen Bindung des Kennwortinhabers bei unbefugter Verwendung seines Kennworts durch einen Dritten. Betrachtung verdient zunächst der „Normalfall“ eines Blankettmißbrauchs unter Verwendung von Kennwortschutz. Anschließend wird auf den bisweilen im Zusammenhang mit Blankettmißbrauch erörterten Fall der unbefugten Kennwortverwendung eingegangen.

a) Normallfall eines Blankettmißbrauchs Folgendes Szenario ist denkbar: Der Kennwortinhaber stellt mit Hilfe des Kennwortes den Zugang zu dem für die Erstellung elektronischer Erklärungen verwendeten Rechnerprogramm her, fertigt eine unvollständige Erklärung an, überläßt sie einem Dritten, dieser vervollständigt sie abredewidrig und leitet sie an den Empfänger weiter. Die Problematik spitzt sich auf die Frage zu, ob die Legitimationswirkung der eigenhändig unterschriebenen Urkunde mit der einer kennwort-

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

geschützten Erklärung vergleichbar ist.191 Wiederum lassen sich in bezug auf das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes die zu § 172 BGB gefundenen Ergebnisse fruchtbar machen. Die Anwendbarkeit der Grundsätze über den Blankettmißbrauch ist danach bei mit herkömmlichen Erklärungen vergleichbarer Legitimationswirkung – d. h. bei Verwendung eines für einen redlichen Empfänger hinreichend sicheren Kennwortschutzverfahrens – zu bejahen. Zurechnung setzt auch hier die wissentliche Schaffung und Überlassung eines Blanketts durch den Kennwortinhaber voraus, etwa dergestalt, daß der Kennwortinhaber nach Erstellung des Blanketts dem Handelnden den Zugang zu seiner Anlage selbst eröffnet hat.192

b) Unbefugte Kennwortverwendung i.e.S. Fraglich ist, ob nicht nur die abredewidrige Vervollständigung eines elektronischen „Blanketts“ einen Rechtsscheintatbestand darstellt, sondern auch bereits die unbefugte Kennwortverwendung als solche. Denkbar ist beispielsweise, daß der Kennwortinhaber einem Dritten sein Kennwort mitteilt oder so verwahrt, daß sich ein Dritter Zugang verschaffen kann. Der Dritte gibt dann unter Verwendung des Kennwortes elektronische Erklärungen unter dem Namen des Kennwortinhabers ab. Eine pauschale Anwendung der Grundsätze über den Blankettmißbrauch mag auf den ersten Blick aufgrund gewisser vordergründiger Gemeinsamkeiten naheliegen.193 Aus Empfängersicht besteht in der Tat kein Unterschied zur abredewidrigen Vervollständigung eines Blanketts. Das Kennwort erscheint bei dieser Betrachtung gleichsam als Blanketterklärung ähnlich einem vollständig leeren Blatt Papier, das lediglich mit einer Unterschrift versehen ist. Beiden Erklärungen kann der Empfänger ihre „Fehler“ nicht ansehen. Auch aus Sicht des Kennwortinhabers läßt sich eine Parallele ziehen; denn in beiden Fällen gibt er ein Instrument aus der Hand, mit dem sich elektronische Erklärungen unter seinem Namen erstellen lassen. Es bestehen aber auch zwei gravierende Unterschiede zum Blankettmißbrauch im herkömmlichen Sinn. Erstens erstellt der Aussteller beim herkömmlichen Blankettmißbrauch selbst eine – wenn auch unvollständige – Erklärung, die er aus der Hand gibt, damit ein anderer sie nach gewissen Instruktionen vervollständigt, der dann aber abredewidrig handelt. Das bedeutet, daß der Aussteller mit Erklärungsbewußtsein und sogar mit weitgehend konkretisiertem Geschäftswillen handelt. Das ist beim Kennwortmißbrauch nicht notwendigerweise der Fall. Der Kennwort191 Zweifelnd Kuhn, Rechtshandlungen, 213 f., der die Grundsätze des Blankettmißbrauchs aber wohl anwenden will, wenn eine gleichartige Legitimationswirkung vorliegt. 192 Kuhn, a. a. O., 213, der allerdings ohne weiteres auch den Fall zurechnen will, daß der Kennwortinhaber einem anderen sein Kennwort selbst anvertraut. Dabei handelt es sich indes um einen Fall der unbefugten Kennwortverwendung im nachfolgend erörterten Sinn, für den die dort ausgeführten Besonderheiten gelten. 193 So offenbar Palandt-Heinrichs, § 173 Rn. 8.

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inhaber gibt möglicherweise lediglich das Kennwort preis oder verwahrt es an zugänglicher Stelle, und der Dritte erstellt die gesamte Erklärung vollständig selbständig, ohne jeglichen Geschäftswillen des Kennwortinhabers. Der zweite Unterschied besteht darin, daß beim Blankettmißbrauch das Auftreten eines Dritten offen zutage tritt, entweder als Vervollständiger des Blanketts (bei „offener“ Ausfüllung) oder als Überbringer der vervollständigten Erklärung (bei „verdeckter“ Ausfüllung). Beim Kennwortmißbrauch ist das Handeln des Dritten dagegen gänzlich unsichtbar; der Empfänger geht von einer Erklärung aus, die der Kennwortinhaber selbst vollständig erstellt und übermittelt hat, ohne Einschaltung eines weiteren Boten. Eine Anwendung der Grundsätze der „offenen“ Ausfüllung scheidet daher von vornherein aus. Auch eine Heranziehung der Grundsätze über die „verdeckte“ Ausfüllung ist in unmittelbarer Anwendung nicht möglich. Dort beruht die Rechtsscheinhaftung auf dem Schein, der durch eine Erklärung erzeugt wird, die vollständig ist und von einem Boten übermittelt wird. An der Erkennbarkeit eines Boten fehlt es dagegen beim Kennwortmißbrauch. Denkbar ist allenfalls eine analoge Anwendung der Grundsätze über den verdeckten Kennwortmißbrauch. Die Unvollständigkeit des Rechts liegt offen zutage. Fraglich ist, ob diese Unvollständigkeit planwidrig ist. Dazu sind, wie bei § 172 BGB erörtert, zwei Voraussetzungen erforderlich: erstens muß im Hinblick auf die maßgeblichen Wertungen des geregelten Sachverhalts der ungeregelte dem geregelten Sachverhalt im wesentlichen gleichen und zweitens dürfen etwa verbleibende Unterschiede nicht von solcher Art oder solchem Gewicht sein, daß sie die gesetzliche Wertung ausschließen. Die erste Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn eine Fallgestaltung vorliegt, die mit dem Erklärungsbewußtsein und konkretisierten Geschäftswillen des Ausstellers beim herkömmlichen Blankettmißbrauch vergleichbar ist. Das ist nur der Fall, wenn der Kennwortinhaber das Kennwort einem anderen mit der Bestimmung überlassen hat, für ihn rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben. Erfährt der andere das Kennwort zufällig, etwa durch Zusehen am Bildschirm, durch offen zugängliche Verwahrung oder wird ihm das Kennwort lediglich zur Verwahrung anvertraut, liegt ein mit dem Blankettmißbrauch vergleichbarer Fall von vorneherein nicht vor. Noch viel weniger vergleichbar ist der Fall, daß sich der andere eigenmächtig Zugang zum Kennwort verschafft (Abhandenkommen). Liegt allerdings ein Fall der Kennwortüberlassung zur Erstellung bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungen vor und gibt der Erklärende unter dem Kennwort des Inhabers rechtsgeschäftliche Erklärungen anderen Inhalts ab, wird man in der Tat von einer mit dem verdeckten Blankettmißbrauch vergleichbaren Fallgestaltung ausgehen müssen. Die maßgeblichen Wertungen der Grundsätze des Blankettmißbrauchs, den Dritten ebenso zu schützen wie wenn der Erklärende mit einer Vollmachtsurkunde ausgestattet wäre und keinen Unterschied zwischen offener und verdeckter Ausfüllung zu machen, erlauben es, von einer vergleichbaren Interessenlage zu sprechen. Zu prüfen ist bleibt, ob verbleibende Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht sind, daß sie gleichwohl eine Analogie ausschließen. Der einzig feststell-

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bare verbleibende Unterschied ist die vollständig fehlende Erkennbarkeit des Benutzers des Kennworts, während beim verdeckten Blankettmißbrauch der Ausfüllende immerhin noch als Bote in Erscheinung tritt. Diesen Unterschied wird man indes nur als geringfügig bezeichnen können. Auch bei der verdeckten Blankettausfüllung hat das Auftreten des Ausfüllenden als Boten für den Erklärungsempfänger und den Blankettaussteller keine maßgebliche Bedeutung. Allenfalls kann es den Empfänger zum Nachdenken darüber veranlassen, ob die Erklärung tatsächlich vollständig vom Aussteller angefertigt oder verdeckt perfiziert wurde. Im Normalfall wird sich ein Empfänger darüber aber keinerlei Gedanken machen. Die Frage, ob ihm Verkehrsschutz gewährt wird, kann davon jedenfalls nicht abhängen. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Vergleichbar erscheint zum einen der Fall des Unterschriften-Faksimilestempels. Auch dort wird das Auftreten eines anderen nicht erkennbar; gleichwohl bestehen im Ergebnis keine Bedenken gegen die Bindung des Stempelinhabers. Ein zweites Beispiel ist das Handeln unter fremdem Namen. Wie in § 5 erörtert wird, ist das Handeln unter fremdem Namen, bei dem für den Erklärenden nicht erkennbar wird, daß es in Wahrheit um drei Personen geht, ebenso zu behandeln wie das Handeln in fremdem Namen, bei dem erkennbar drei verschiedene Personen auftreten. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß im Wege der Einzelanalogie zur verdeckten Blankettausfüllung eine rechtsgeschäftliche Bindung beim Kennwortmißbrauch dann anzunehmen ist, wenn ein hinreichend sicheres Kennwortschutzverfahren gegeben ist und der Kennwortinhaber einem anderen sein Kennwort zu dem Zweck überlassen hat, bestimmte rechtsgeschäftliche Erklärungen zu erstellen und der andere abredewidrig rechtsgeschäftliche Erklärungen anderen Inhalts abgibt.194 Der Umfang der kraft Rechtsscheinhaftung anzunehmenden Ausfüllungsbefugnis ist ebenso wie bei einem blanko unterschriebenen leeren Blatt Papier denkbar gering. Nur Geschäfte im Rahmen des im Zusammenhang mit dem betreffenden Kennwort Üblichen sind davon gedeckt. Häufen sich solche Geschäfte in unüblicher Weise, wird man dem Erklärungsempfänger eine Nachforschungspflicht aufzuerlegen haben, bei deren Nichterfüllung er als bösgläubig zu gelten hat. Im Streitfall ist bei Verwendung hinreichend sicherer Identifizierungsverfahren von einem Anscheinsbeweis dergestalt auszugehen, daß der Inhaber des Merkmals dieses selbst verwendet hat, ein Dritter mit seiner Zustimmung das Merkmal verwendet oder sich aufgrund Nachlässigkeit des Inhabers bzw. Verwirklichung organisatorischer Risiken aus seiner Sphäre Zugang zu dem Identifizierungsmerkmal verschaffen konnte.195 Im bürgerlichen Verkehr hilft der Anscheinsbeweis dem Erklärungsempfänger im Hinblick auf die Rechtsscheinhaftung keinesfalls weiter, da die letzte Alternative – Fahrlässigkeit bzw. Verwirklichung von Organisationsrisiken – im rein bürgerlichen Verkehr nicht zurechenbar ist. Anders scheint es auf 194 195

Ebenso Langenbucher, Risikozuordnung, 292 f. Langenbucher, Risikozuordnung, 150 m.w.Nachw.

§ 5 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (II): Sonstige

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den ersten Blick im kaufmännischen Verkehr zu sein: dort ist die Verwirklichung spezifisch kaufmännischer Organisationsrisiken nach allgemeinen Regeln grundsätzlich zurechenbar. Allerdings ist zu beachten, daß es vorliegend um die Grundsätze des Blankettmißbrauchs, mithin die bewußte Schaffung eines Scheintatbestandes geht. Für die Zurechnung von Erklärungen, die mit Hilfe eigenmächtig verschaffter Identifizierungsmittel erstellt wurden, ist kein Raum, so daß auch insoweit der Anscheinsbeweis nicht weiterhilft.196 In §§ 9 und 10 wird zu erörtern sein, ob bei Anerkennung neuer Scheintatbestände (Signaturmißbrauch, Kennwortmißbrauch) eine andere Beweislastverteilung anzuerkennen ist.

4. Digitale Signaturen Die Besonderheit digitaler Signaturen liegt – wie eingangs in § 1 beschrieben – darin, daß Veränderungen im Erklärungsinhalt, die nach Anbringen der Signatur erfolgen, für den Erklärungsempfänger jedenfalls insoweit erkennbar sind, als er zwangsläufig merkt, daß Veränderungen vorgenommen worden sind, wenngleich er nicht den Wortlaut der ursprünglichen Erklärung und den Inhalt der Veränderungen erfährt. Daher wird der Empfänger auch in einem Blankettszenario bemerken, daß die Erklärung nachträglich verändert worden ist. Nimmt er daraufhin Rücksprache beim Signaturinhaber, wird sich ein abredewidriges Handeln des Dritten rasch aufklären lassen. Bestätigt der Signaturinhaber die Erklärung trotz abredewidrigen Handelns, ist er rechtsgeschäftlich gebunden, ähnlich der Bindung bei Bestätigung eines als gefälscht erkannten Schecks. Verläßt er sich ohne Erkundigungen auf die Erklärung, so wie er sie erhalten hat, fehlt es schon nach allgemeinen Grundsätzen an einem Rechtsscheintatbestand, da eine nachträglich veränderte digital signierte Erklärung gerade kein Vertrauen in irgendeine Richtung begründet, sondern geradezu eine Warnleuchte dafür darstellt, daß etwas mit der Erklärung nicht in Ordnung ist. Der tragende Gesichtspunkt der herkömmlichen Blanketthaftung, daß der Empfänger der Erklärung die abredewidrige Vervollständigung nicht ansehen kann, ist hier nicht gegeben. Denkbar wäre allenfalls, daß der Signaturinhaber dem Empfänger von vorneherein mitteilt, die digitale Signatur werde „nicht stimmen“, weil ein Dritter die Erklärung nachträglich vervollständige. Überschreitet der Dritte seine Ausfüllungsbefugnis, ist die Lage ebenso wie bei den einfachen elektronischen Erklärungen; die digitale Signatur spielt keine Rolle, da sie „nicht stimmt“ und keine Vertrauensgrundlage bilden kann. Es kommt dann lediglich darauf an, ob schon die einfache elektronische Erklärung nach den ober erörterten Grundsätzen ausreichende Grund196 Etwas anderes kann allenfalls im Hinblick auf eine Schadensersatzhaftung des Merkmalsinhabers gegenüber dem Erklärungsempfänger aus pVV gelten. Insoweit greift aber ohnehin schon bezüglich der Pflichtverletzung und des Verschuldens der Rechtsgedanke des § 280 Abs. 1 2 BGB, so daß es eines gesonderten Anscheinsbeweises wohl nicht mehr bedarf.

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lage für eine Haftung aus abredewidriger Blankettausfüllung sein kann. Allerdings ist dieser Fall reichlich hypothetisch und man fragt sich, was die digitale Signatur dabei überhaupt soll. Praktisch dürfte der Fall daher nicht vorkommen. Schließlich ist der Fall denkbar, daß der Erklärende eine unvollständige einfache elektronische Erklärung erstellt, die ein Dritter abredewidrig vervollständigt und anschließend digital signiert. Verwendet der Dritte eine eigene digitale Signatur, erkennt der Empfänger, daß ein Dritter gehandelt hat; Stellvertretungsrecht findet Anwendung. Verwendet der Dritte dagegen die digitale Signatur des Erklärenden, handelt es sich nicht um einen Fall des Blankettmißbrauchs, sondern um einen allgemeinen Fall des Signaturmißbrauchs.197 Ob dieser eine Rechtsscheinhaftung begründen kann, wird im 3. Kapitel näher untersucht werden. Zusammenfassend wird man sagen können, daß der Blankettmißbrauch bei digitalen Signaturen keine eigenständige Rolle spielt.198

5. Biometrisch signierte Erklärungen Bei biometrisch signierten Erklärungen ist ein Blankettmißbrauchsszenario wieder denkbar: Der Merkmalsinhaber erstellt eine mit einem biometrischen Merkmal versehene unvollständige Erklärung und gibt sie einem Dritten, der sie abredewidrig vervollständigt und an den Empfänger weiterleitet. Insoweit kommt es wieder auf die zu § 172 BGB gefundenen Ergebnisse an. Bei mit herkömmlichen schriftlichen Urkunden vergleichbarer Legitimationswirkung wird man von einer Anwendbarkeit der Grundsätze über den Blankettmißbrauch ausgehen müssen. Ein Rechtsscheintatbestand liegt daher vor. Auf seiten des Vertrauenden ergeben sich keine Besonderheiten. Für die Zurechenbarkeit ist wieder auf das Risikoprinzip abzustellen. Danach kann auch hier nur ein wissentlich in Verkehr gebrachtes, nicht aber ein abhanden gekommenes oder lediglich verfälschtes Blankett, zugerechnet werden. Die unbefugte Verwendung eines biometrischen Merkmals beurteilt sich nach den zur unbefugten Kennwortverwendung gefundenen Grundsätzen. Zur Beweislastverteilung, insbesondere zur Unbehelflichkeit eines Anscheinsbeweises, gelten die Ausführungen zu Kennwortschutzverfahren (oben 3. b)) entsprechend.

6. Blankettmißbrauch im Recht der USA Traditionell gab es im anglo-amerikanischen Rechtsraum die Lehre vom Blankettmißbrauch nur bei Wertpapieren, nicht bei sonstigen Schriftstücken.199 Im 197 Gegen eine Anwendung der Regeln über den Blankettmißbrauch in diesem Fall auch Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 206. 198 So wohl auch Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 206. 199 Zum englischen Recht s. Mank, 99 ff.; grundlegend Wilson & Meeson v. Pickering, (1946) K.B. 422, 427. Anders aber bereits (Anwendung über Umlaufpapiere hinaus) Willis-

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amerikanischen Recht ist heute indes die verdeckte abredewidrige Blankettausfüllung auch außerhalb des Wertpapierrechts als Rechtsscheintatbestand anerkannt,200 wie in §§ 31 Abs. 2, 177A R2d Agency201 zum Ausdruck kommt. Dogmatische Grundlage der Haftung bei verdeckter Blankettausfüllung soll estoppel sein.202 Die offene Blankettausfüllung führt nach amerikanischem Recht dagegen überraschenderweise nur dann zur Bindung des Ausstellers, wenn der Ausfüller tatsächlich ausfüllungsbefugt war; eine abredewidrige offene Blankettausfüllung wird als nicht zurechenbare „Fälschung“ gewertet.203 Ein Grund für die Ablehnung der Haftung bei offener Blankettausfüllung mag in den strengeren amerikanischen Nachforschungspflichten (dazu näher unten bei § 6 II 4) zu erblicken sein. In den USA dürfte nach der Verkehrssitte zu erwarten sein, daß der Dritte sich beim Geschäftsherrn erkundigt, wie es um die Ausfüllungsbefugnis des Vertreters bestellt sei. Spätestens seit Inkrafttreten des E-SIGN Gesetzes und dem darin enthaltenen Diskriminierungsverbot für alle Formen elektronischer Erklärungen (ebenso auch das UNCTITRAL Modellgesetz über elektronischen Geschäftsverkehr 1996) dürften der Anwendung der Blankettgrundsätze auf Erklärungen in elektronischer Form keine Hindernisse mehr entgegenstehen. Da die offene Blankettausfüllung praktisch eher selten ist und die verdeckte Ausfüllung die Regel bildet, dürften die praktischen Ergebnisse im Recht der USA weitgehend mit den zum deutschen Recht gefundenen Grundsätzen und Resultaten übereinstimmen. Fraglich sind auch insoweit die Fälle der unbefugten Kennwortverwendung bzw. unbefugten Verwendung eines biometrischen Merkmals. Analog zum deutschen Recht wird ton, § 36 (100) m. Verweis auf Patterson v. Clifford F. Reid Inc., 132 Cal.App. 454, 23 P.2d 35. Zur älteren US Rechtsprechung, die eine Bindung des Ausstellers bei Blankettmißbrauch ablehnte s. 17A Am Jur 2d Contracts § 189 (199). 200 So § 177 A R2d Agency Anm. b; Tochtermann, Anscheinsvollmacht, 30. 201 § 31 R2d Agency: „Estoppel to deny authorization (1) [ . . . ] (2) If a principal entrusts to an agent an executed document containing blanks, and the agent fills the blanks without authority and delivers the document to a third person, who changes his position in reliance thereon without notice that the principal did not fill the blanks before the execution of the instrument, the principal is subject to liability to the third person as if the instrument had been completed by the principal or by an agent properly authorized to fill the blanks.“ § 177A R2d Agency: „Agent authorized to fill blanks Where a principal entrusts an agent with an executed document containing blanks with authority to fill the blanks, and the agent fills the blanks in an unauthorized way, a person receiving the document from the agent (a) is not entitled to hold the principal thereon, if he had notice that the agent filled the blanks. (b) is entitled to hold the principal, if without notice that the blanks were unfilled when given to the agent.“ 202 § 177A R2d Agency Anm. b. 203 Aus der Rechtsprechung vgl. Monte Carlo Motors, Inc. v. Volkswagenwerk GmbH, 177 Cal.App. 2d 107, 1 Cal.Rptr. 920; ferner 3 Am Jur 2d Agency § 275 (778). 11 Rieder

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

man die Grundsätze über die verdeckte Blankettausfüllung anwenden können, soweit der Geschäftsherr das Kennwort bzw. das biometrische Merkmal zum Abschluß bestimmter Rechtsgeschäfte ausgehändigt hat.

7. Ergebnisse Die Grundsätze über den Blankettmißbrauch lassen sich in unmittelbarer Anwendung auch auf den elektronischen Geschäftsverkehr und elektronische Erklärungen übertragen. Das geltende Recht ermöglicht bereits eine weitgehende Dematerialisierung, begünstigt durch den Umstand, daß die Rechtsscheinhaftung von vorneherein nicht urkundenfixiert ist. Keinerlei Bedeutung hat dagegen die gesetzliche Dematerialisierung der Formvorschriften des BGB nach Maßgabe des FormAnpG, da § 126a BGB nur für digitale Signaturen nach SigG 2001 gilt, und die Grundsätze des Blankettmißbrauchs bei Verwendung digitaler Signaturen praktisch gerade keine Rolle spielen. Elektronische Blanketterklärungen, die eine hinreichende Legitimationsfunktion entfalten (aufgrund der Verläßlichkeit der gewählten elektronischen Form oder aufgrund sonstiger Begleitumstände), sind wie Blankette herkömmlicher Art zu behandeln. Im Einzelfall kann sogar die automatische Unterschrifts- und Adreßzeile eines elektronischen Postprogramms ein Blankett darstellen. Zu beachten ist allerdings, daß diese Grundsätze in unmittelbarer Anwendung nicht das Problem der unbefugten Verwendung von Identifizierungs- und Legitimationsmitteln (z. B. Kennwort, digitale Signatur, biometrisches Merkmal) lösen können. Lediglich die Überlassung des Identifizierungsmerkmals zur Erstellung rechtsgeschäftlicher Erklärungen kann in Einzelanalogie zu den Grundsätzen des verdeckten Blankettmißbrauchs gelöst werden, nicht aber die eigenmächtige Erlangung des Identifizierungsmerkmals durch einen Dritten oder die unbefugte Verwendung eines Merkmals, das ohne jeden rechtsgeschäftlichen Bezug offengelegt bzw. überlassen worden ist. Diesbezüglich sind Überlegungen zur Schaffung bzw. Anerkennung neuartiger Rechtsscheintatbestände (vgl. 3. Kapitel) erforderlich. Da es nur auf den auch in den USA anerkannten verdeckten Blankettmißbrauch ankommt, führt die Tatsache, daß eine Rechtsscheinhaftung für offene Blankettausfüllung in USA nicht anerkannt ist, hier praktisch zu keinen abweichenden Ergebnissen. Der Rechtsvergleich fördert daher auch hier keine neuen Erkenntnisse zutage, trägt aber immerhin zu einer Bestätigung der Lösungen des deutschen Rechts bei.

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II. Die Quittung nach § 370 BGB 1. Grundlagen Gemäß § 370 BGB gilt der Überbringer einer Quittung als ermächtigt, die Leistung in Empfang zu nehmen, sofern nicht dem Leistenden bekannte Umstände der Annahme einer solchen Ermächtigung entgegenstehen. Dogmatische Grundlage ist nach heute ganz herrschender und richtiger Ansicht die Rechtsscheinhaftung.204 Eine entsprechende Regel existiert auch im Recht der USA.205 Rechtsscheintatbestand ist die Vorlage einer Quittung bei Erbringung der geschuldeten Leistung. Darunter ist ein schriftliches Empfangsbekenntnis (§ 368 S. 1 BGB) des Gläubigers zu verstehen, d. h. herkömmlicherweise ein eigenhändig unterschriebenes, auf eine bestimmte Forderung bezogenes, einseitiges Bekenntnis, eine Leistung erhalten zu haben, die die Forderung ganz oder teilweise tilgt.206 Die Quittung muß echt sein;207 eine gefälschte oder verfälschte Quittung stellt lediglich den Schein eines Scheins dar. Ausreichend ist aber auch ein abredewidrig ausgefülltes Quittungsblankett (in Übereinstimmung mit den oben erörterten Grundsätzen über den Blankettmißbrauch).208 Die Quittung muß dem Schuldner zum Zeitpunkt der Leistung vorgelegt (nicht notwendigerweise übergeben oder ausgehändigt) werden.209 Auf seiten des Vertrauenden ist zunächst Kenntnis von der Quittung sowie guter Glaube erforderlich. Letzterer fehlt nach dem eindeutigen Wortlaut von § 370 BGB nur bei positiver Kenntnis. Allerdings bezieht sich diese positive Kenntnis auf Tatsachen, die der Ermächtigung des Überbringers entgegenstehen. Keinesfalls erforderlich ist, daß der Schuldner die Folgerung zieht, es fehle an der Ermächtigung, um als bösgläubig eingestuft werden zu können. Bezüglich der Zurechenbarkeit ergeben sich hier zunächst keine Streitpunkte zwischen Verschuldens- und Risikoprinzip. Da es sich bei § 370 BGB um die bewußte Schaffung eines Rechtsscheintatbestandes handelt (vergleichbar §§ 170 ff. 204 BGHZ 40, 297, 304; Canaris, Vertrauenshaftung, 53; Erman-H.P. Westermann, § 370 Rn. 1; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 251 f. m.Nachw. zur abw. Ansicht des RG; MüKoWenzel, § 370 Rn. 2; Palandt-Heinrichs, § 370 Rn. 1; RGRK-Weber, § 370 Rn. 1; SoergelZeiss, § 370 Rn. 1; Staudinger-Olzen (2000), § 370 Rn. 2. 205 Nash v. Union Mut. Ins. Co., 43 Me 343; 3 Am Jur 2d Agency § 137 (645). 206 Kindl, Rechtsscheintatbestände, 249 m.w.Nachw.; Palandt-Heinrichs, § 368 Rn. 2 f. 207 Heute allg. Meinung, vgl. etwa RGZ 73, 347, 350; BAG NJW 1961, 622; Erman-H.P. Westermann, § 370 Rn. 2; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 249; MüKo-Wenzel, § 370 Rn. 3; RGRK-Weber, § 370 Rn. 3; Soergel-Zeiss, § 370 Rn. 5. 208 BGHZ 40, 297, 304 f.; Erman-H.P. Westermann, § 370 Rn. 2; MüKo-Wenzel, § 370 Rn. 3; Palandt-Heinrichs, § 370 Rn. 2; RGRK-Weber, § 370 Rn. 3; Soergel-Zeiss, § 370 Rn. 5; Staudinger-Olzen (2000), § 370 Rn. 4. 209 Heute allg. Meinung, s. Kindl, Rechtsscheintatbestände, 250 m.w.Nachw.; MüKo-Wenzel, § 370 Rn. 4; Palandt-Heinrichs, § 370 Rn. 3.

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BGB), führen beide Theorien zum selben Ergebnis. Umstritten ist dagegen, ob auch eine abhanden gekommene Quittung dem Gläubiger zurechenbar ist. Die ganz h.M. bejaht dies, v.a. unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien. 210 Nach anderer und richtiger Ansicht folgt dagegen aus der Wertung des § 172 Abs. 1 BGB, daß das gerade nicht der Fall ist.211 Allenfalls bei Umlaufpapierähnlichkeit könnte eine Ausnahme zugelassen werden. Eine Quittung ist aber gerade einem Umlaufpapier nicht ähnlich, da für gewöhnlich nach Übergabe an den Schuldner keine weiteren Übertragungen erfolgen. Selbst wenn man der h.M. folgen wollte, wird man zugeben müssen, daß die Zurechnung bei Abhandenkommen außerhalb des Bereichs der Umlaufpapiere eine systemwidrige Ausnahmeerscheinung im Recht der Rechtsscheinhaftung darstellt, die jedenfalls nicht als Grundlage für eine Fortbildung des Systems der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr herangezogen werden sollte.

2. Die elektronische Quittung Im elektronischen Geschäftsverkehr stellt sich zunächst die Frage, ob eine Quittung auch in elektronischer Form ausgestellt werden kann. Dagegen scheint zunächst – jedenfalls für die Zeit vor Inkrafttreten des FormAnpG – der Wortlaut des § 368 S. 1 BGB („schriftliches Empfangsbekenntnis“) zu sprechen, der in der Tat überwiegend als Schriftlichkeit im Sinne von § 126 BGB verstanden wird, unter ausdrücklicher Ablehnung bloßer Stempel, faksimilierter Unterschriften, EDVAusdrucke und Kassenbons.212 Ob daran in dieser Strenge festzuhalten ist, erscheint zweifelhaft. Immerhin kann die materielle Beweiskraft eines nicht eigenhändig unterschriebenen Empfangsbekenntnisses derjenigen einer der Form des § 126 BGB ensprechenden Quittung gleichstehen, wenn unstreitig oder erwiesen ist, daß das Empfangsbekenntnis vom Gläubiger abgegeben worden ist.213 Noch wichtiger ist die Parallele zu den Überlegungen bei § 172 Abs. 1 BGB. Die Quittung hat ebenso wie die Vollmachtsurkunde eine Legitimationsfunktion, die sich schon aus dem Wortlaut des § 370 210 Etwa Erman-H.P. Westermann, § 370 Rn. 1; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 254 ff.; Larenz, SchuldR I, 14. Aufl. 1987, § 18 III, 247; MüKo-Wenzel, § 370 Rn. 4; Palandt-Heinrichs, § 368 Rn. 3; RGRK-Weber, § 370 Rn. 5; Soergel-Zeiss, § 370 Rn. 3; Staudinger-Olzen (2000), § 370 Rn. 8. Neuerdings werden immerhin Quittungen mit qualifizierter elektronischer Signatur gem. §§ 126 Abs. 3, 126a BGB für zulässig erachtet, Palandt-Heinrichs, a. a. O. 211 Canaris, Vertrauenshaftung, 53 f. Denkbar ist dann allenfalls ein Schadensersatzanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger aus pVV wegen unsorgfältiger Verwahrung der Quittung. 212 BGH NJW-RR 1988, 881; MüKo-Wenzel, § 368 Rn. 3; Palandt-Heinrichs, § 368 Rn. 3; Soergel-Zeiss, § 368 Rn. 5; Staudinger-Olzen (2000), § 368 Rn. 10; a.A. für faksimilierte Unterschriften Köhler, AcP 182 (1982), 126, 151; ders., in: FS Schippel, 209, 217. 213 BGH NJW-RR 1988, 881.

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BGB („gilt als ermächtigt“) klar ablesen läßt. Demgegenüber treten die weiteren Funktionen der Schriftform, die bestimmte elektronische Erklärungsformen möglicherweise nicht in äquivalenter Weise abbilden können, in den Hintergrund. Unter Zugrundelegung der Analyse bei § 172 BGB wird man elektronischen Erklärungen grundsätzlich die Eigenschaft als Quittung nicht allein wegen der elektronischen Form absprechen können. Ein teleologischer Einwand gegen die Anerkennung elektronischer Quittungen wie die Rückgabeproblematik bei § 172 BGB besteht bei § 370 BGB nicht. Der maßgebliche Unterschied zu § 172 Abs. 1 BGB besteht darin, daß der einzige rasche und effektive Beendigungsmechanismus in der Rückgabe der Vollmachtsurkunde besteht, zumal wenn die Vollmachtsurkunde zur Vornahme von Rechtsgeschäften gegenüber einer unbestimmten Personenvielzahl ermächtigt. Bei § 370 BGB ist die Gefährlichkeit für den Gläubiger weitaus geringer. Die von ihm ausgestellte (d. h. echte) Quittung bezieht sich i.d.R. auf eine ganz bestimmte Schuld eines ganz bestimmten Schuldners. Dem Gläubiger ist es ein Leichtes, dem Schuldner Mitteilung zu machen, daß ein bestimmter Quittungsüberbringer nicht die in § 370 BGB bezeichneten Rechte hat. Damit tritt Bösgläubigkeit des Schuldners ein, und § 370 BGB greift nicht mehr. Das Hauptargument bei § 172 Abs. 1 BGB gegen die Anwendung der Vorschrift auf elektronische Erklärungen – die mangelnde Rückgabefähigkeit – greift also bei § 370 BGB gerade nicht. Dies in Verbindung mit der Pflicht des Gesetzgebers nach der EGV-RL zur tatsächlichen Förderung des elektronischen Geschäftsverkehrs muß zur Anerkennung elektronischer Quittungen führen, und zwar konsequenterweise nicht nur für digitale Signaturen nach dem SigG, sondern für alle Formen elektronischer Erklärungen.214 Auf Grundlage der E-SIGN und UNCITRAL Diskriminierungsverbote gilt dieses Ergebnis auch für Erklärungen, die jenen Regeln unterliegen. Im Hinblick auf digitale Signaturen bleibt anzumerken, daß ein Attributzertifikat mit (Leistungs)Empfangsvollmacht keine Quittung mit den Wirkungen des § 370 BGB darstellt, da sich ein solches Zertifikat nicht auf eine bestimmte Forderung bezieht und i.d.R. auch nicht bei Erfüllung vorgelegt, geschweige denn dem Schuldner ausgehändigt wird. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Dematerialisierung im elektronischen Geschäftsverkehr soweit Quittungen betroffen sind schon nach herkömmlichem Recht bewältigt werden kann, ohne daß es entscheidend auf die Neuerungen des FormAnpG ankäme.

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So im Ergebnis bereits Köhler, AcP 182 (1982), 126, 151 (Faksimilestempel).

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III. Die verbriefte Forderung nach § 405 BGB 1. Grundlagen § 405 BGB bestimmt, daß der Schuldner, der über die Schuld eine Urkunde ausgestellt hat, einem gutgläubigen Zessionar gegenüber, dem die Forderung unter Vorlage der Urkunde abgetreten worden ist, nicht einwenden kann, die Eingehung der Schuld sei nur zum Schein erfolgt oder mit dem Zedenten sei rechtsgeschäftlich ein aus der Urkunde nicht ersichtlicher Abtretungsausschluß vereinbart worden, es sei denn der Zessionar kannte bei der Abtretung den Sachverhalt oder mußte ihn kennen.215 Die Vorschrift ermöglicht den gutgläubigen Erwerb verbriefter Forderungen. Unstreitig handelt es sich bei § 405 BGB um eine Rechtsscheinregelung.216 Rechtsscheintatbestand ist die Vorlage einer Schuldurkunde i.S.v. § 405 BGB bei der Abtretung. Die Schuldurkunde ist ein Schriftstück, das zum Beweis einer Forderung bestimmt ist, und muß daher sowohl die Person des Gläubigers bezeichnen als auch die Bestimmung der Identität der Forderung und die Legitimation des Zedenten ermöglichen.217 Die Abtretung muß nach h.M. in zeitlichem Zusammenhang zur Vorlage erfolgen.218 Auf seiten des Vertrauenden ist die Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand durch die bereits erwähnte Vorlage gegeben. Die Gutgläubigkeit ist in § 405 BGB ausdrücklich geregelt als schuldlose Unkenntnis vom wahren Sachverhalt. Nach dem Wortlaut (vgl. die Legaldefinition des Kennenmüssens in § 122 Abs. 2 BGB) schadet bereits leichte Fahrlässigkeit. Allerdings wird man hier – gerade auch im Hin215 Im Recht der Abtretung (§§ 398 ff. BGB) finden sich noch weitere Rechtsscheintatbestände, insbesondere die §§ 407 f. BGB; dazu jüngst vertiefend Kindl, Rechtsscheintatbestände, 283 ff. Für den elektronischen Geschäftsverkehr haben sie keine besondere Bedeutung und werden deshalb hier nicht eigens erörtert. Dasselbe gilt für § 409 Abs. 1 S. 1 BGB; dazu Kindl, Rechtsscheintatbestände, 287 ff. Etwas anderes gilt lediglich für die Abtretungsanzeige durch Ausstellung und Vorlage einer Urkunde nach § 409 Abs. 1 S. 2 BGB. Insoweit gelten die zu den Begriffen „Urkunde“ und „Vorlage“ angestellten Überlegungen bei §§ 172, 370 und 405 BGB entsprechend – sofern man entgegen der h.M. in § 409 BGB überhaupt einen Fall der Vertrauenshaftung erblicken will. Für die h.M., die in § 409 BGB einen Fall des absoluten Verkehrsschutzes (ohne Rücksicht auf die Redlichkeit des Schuldners) erblickt vgl. nur Canaris, Vertrauenshaftung, 2 sowie die umfangreichen Nachweise bei Kindl, Rechtsscheintatbestände, 288 (Fn. 3); ferner Palandt-Heinrichs, § 409 Rn. 5 m.w.Nachw. 216 BGHZ 12, 105, 109; eingehend Canaris, Vertrauenshaftung, 86 f.; ferner Kindl, Rechtsscheintatbestände, 263; Larenz, SchuldR I, 14. Aufl. 1987, § 34 I (576); Palandt-Heinrichs, § 405 Rn. 3; Staudinger-Busche (2000), § 405 Rn. 3 & 5. Auf rechtsvergleichende Betrachtungen wird diesbezüglich nachfolgend wegen der Spezialität der Materie verzichtet. 217 Allg. M., Erman-H.P. Westermann, § 405 Rn. 2; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 264; MüKo-Roth, § 405 Rn. 5; Palandt-Heinrichs, § 405 Rn. 3; Staudinger-Busche (2000), § 405 Rn. 7. 218 Erman-H.P. Westermann, § 405 Rn. 2; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 265; PalandtHeinrichs, § 405 Rn. 3; Staudinger-Busche (2000), § 405 Rn. 10 f.

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blick auf die Interpretation des § 173 BGB – mit überzogenen Nachforschungspflichten zurückhaltend sein müssen; Fahrlässigkeit liegt deshalb nur vor, wenn Zweifel im Hinblick auf den wahren Sachverhalt für den neuen Gläubiger evident sind.219 Da es sich um einen bewußt geschaffenen Rechtsschein handelt (§ 405 BGB verlangt Aushändigung durch den Schuldner), führen Verschuldens- und Risikoprinzip bei der Zurechnung zum selben Ergebnis. Im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 935 Abs. 1 BGB ist anerkannt, daß bei Abhandenkommen der Urkunde keine Zurechnung des Rechtscheins erfolgen kann.220 Umstritten ist die Behandlung von Willensmängeln.221 Rechtsfolge ist der Ausschluß zweier Einwendungen: der des Scheingeschäfts (§ 117 BGB) und der des rechtsgeschäftlichen Abtretungsausschlusses (§ 399 Alt. 2 BGB). Unstreitig gilt § 405 BGB entsprechend für die Einwendung des § 116 S. 2 BGB (geheimer Vorbehalt) und für eine Abtretung der Forderung zum Schein.222 Über eine darüber hinausgehende, erweiterte Anwendung des § 405 BGB herrscht Streit. Namentlich Canaris plädiert dafür, § 405 BGB auch anzuwenden, wenn der Schuldner das Bestehen der Forderung ausdrücklich oder konkludent nach außen kundgetan hat.223 Ferner sollen dem Schuldner grundsätzlich alle ihm bekannten gesetzlichen Einwendungen abgeschnitten sein sowie diejenigen rechtsgeschäftlichen Einwendungen, welche der Forderung ihre Verkehrsfähigkeit im wesentlichen nehmen.224 Die h.M. folgt dieser erweiterten Anwendung nicht.225 Da der Streit für den elektronischen Geschäftsverkehr keine über den herkömmlichen Geschäftsverkehr hinausgehende Bedeutung hat, soll er an dieser Stelle nicht vertieft werden.

Kindl, Rechtsscheintatbestände, 266. Erman-H.P. Westermann, § 405 Rn. 2; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 278; MüKoRoth, § 405 Rn. 6; Palandt-Heinrichs, § 405 Rn. 3; RGRK-Weber, § 405 Rn. 8; Soergel-Zeiss, § 405 Rn. 2. 221 Für Erheblichkeit Canaris, Vertrauenshaftung, 87 f.; Erman-H.P. Westermann, § 405 Rn. 4; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 281. Für Unerheblichkeit Palandt-Heinrichs, § 405 Rn. 3; Soergel-Zeiss, § 405 Rn. 2. 222 Kindl, Rechtsscheintatbestände, 267 m.w.Nachw. 223 Canaris, Vertrauenshaftung, 90 ff. Für den Fall der ausdrücklichen Kundgabe vorsichtig zustimmend Larenz, SchuldR I, § 34 I (577) (bei Fn. 3). 224 Canaris, a. a. O., 95 ff. 225 BGHZ 25, 27, 30; Erman-H.P. Westermann, § 405 Rn. 3; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 269 ff.; Larenz, AT § 33 II (642 f.); RGRK-Weber, § 405 Rn. 2; Soergel-Zeiss, § 405 Rn. 1; Staudinger-Busche (2000), § 405 Rn. 30 ff. Nicht gänzlich ablehnend MüKo-Roth, § 405 Rn. 13 f. (Vertrauensschutz bzgl. Einwendungen, über die in der Urkunde vernünftigerweise Angaben erwartet werden dürfen). 219 220

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

2. Elektronische Verbriefung Zu der bei § 405 BGB erforderlichen Form werden im wesentlichen drei Meinungen vertreten. Die strengste Auffassung verlangt eine Urkunde i.S.v. § 416 ZPO.226 Nach h.M. muß es sich zumindest um eine verkörperte Gedankenerklärungen handeln,227 die Form des § 126 BGB würde daher genügen. Die dritte, namentlich von Canaris vertretene Richtung will dagegen § 405 BGB unter Berufung auf §§ 170 ff. BGB und den Grundsatz, daß eine mündliche Erklärung kein schwächerer Vertrauenstatbestand als eine Urkunde ist, sogar auch auf ausdrückliche und konkludente mündliche Erklärungen ausdehnen.228 Nach der ersten Auffassung wären nicht einmal Erklärungen mit qualifizierter elektronischer Signatur ausreichend, um eine elektronische Verbriefung darzustellen, da selbst ihnen auch nach Inkrafttreten des FormAnpG keine prozessuale Urkundsqualität zukommt. Nach der zweitgenannten Auffassung wird man jedenfalls die elektronische Form i.S.v. §§ 126 Abs. 3, 126a BGB für ausreichend erachten müssen, während nach der dritten Auffassung ohne weiteres sämtliche Formen elektronischer Erklärungen vom Anwendungsbereich des § 405 BGB erfaßt würden.229 Welcher Auffassung der Vorzug zu geben ist, hängt maßgeblich von objektiv-teleologischen Kriterien ab. Ratio legis des § 405 BGB ist ausschließlich gesteigerter Vertrauensschutz in die öffentliche Bekanntmachung einer Schuld.230 Eine darüber hinausgehende Beweisfunktion im Hinblick auf das Bestehen der Forderung, etwa dergestalt, daß die Forderung im Wege des Urkundenprozesses durchgesetzt werden kann, verfolgt § 405 BGB nicht. Der Vertrauensschutzfunktion kann auch durch elektronische Erklärungen jedweder Form Rechnung getragen werden, sofern sie hinreichend vertrauenswürdig sind. Sofern die Erklärungsform selbst keine Sicherungsmechanismen enthält (wie z. B. die einfache elektronische Erklärung oder die Erklärung mit eingescannter Unterschrift), kommt es wie bei § 172 BGB und § 370 BGB auf die Begleitumstände an. Einer Schriftform i.S.v. § 126 BGB oder gar einer Urkunde im prozessualen Sinn bedarf es dazu nicht. Geeignet und ausreichend sind entsprechend sichere Kennwortschutzsysteme, digitale Signaturen (auch außerhalb des SigG-Rechtsrahmens) und hinreichend sicher gestaltete biometrische Verfahren.

Erman-H.P. Westermann, § 405 Rn. 2. Staudinger-Busche (2000), § 405 Rn 5; wohl auch MüKo-Roth, § 405 Rn. 5. 228 Vertrauenshaftung, 90 ff. 229 Bei der von § 405 BGB verlangten Vorlage entstünden jedenfalls weitaus geringere Schwierigkeiten als die durch den strukturellen Zusammenhang mit der Rückgabe erörterten Probleme im Rahmen von § 172 Abs. 1 BGB. Ein Rückgabeanspruch steht dem Schuldner bei § 405 BGB, wenn er einmal die Urkunde ausgestellt hat, nicht zu. 230 So auch Staudinger-Busche (2000), § 405 Rn. 2 a.E. 226 227

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3. Detemporalisierung beim Zusammenhang von Vorlage und Abtretung? Zu überlegen bleibt abschließend, ob der für den zeitlichen Zusammenhang zwischen Vorlage und Abtretung anzusetzende Zeitraum aufgrund der abgekürzten Transportzeiten bei elektronischer Kommunikation reduziert werden muß (Detemporalisierung im elektronischen Geschäftsverkehr). M.a.W.: folgt aus der Verwendung elektronischer Formen besondere Eile für Vornahme der anschließenden Abtretung? Die Frage wird man verneinen müssen. Zeitlicher Zusammenhang ist bei § 405 BGB nicht zu eng zu verstehen. Ausgeschlossen ist die Anwendung des § 405 BGB nur, wenn die einzige Vorlage lediglich bei einer früheren Abtretung erfolgt ist.231 4. Ergebnis § 405 BGB ist nach hiesiger Auffassung bei hinreichender Legitimationswirkung auch auf elektronische Erklärungen anwendbar. Ohne weiteres gilt das i.d.R. für Kennwortschutzverfahren, digitale Signaturen und biometrische Verfahren. Bei einfachen elektronischen Erklärungen bedarf es einer Einzelfallbetrachtung. Die Dematerialisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs stellt § 405 BGB daher vor keine Probleme, zu deren Lösung der Gesetzgeber bemüht werden müßte. Die Detemporalisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs führt bei § 405 BGB zu keiner abweichenden (d. h. verkürzten) Beurteilung des zwischen Vorlage und Abtretung erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs.

IV. Wertpapierrecht Auch im Wertpapierrecht stellt sich die Frage nach der Anwendung der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, und zwar um so dringlicher, als derzeit der überwiegende Teil des elektronischen Geschäftsverkehrs im kaufmännischen und unternehmerischen Bereich abgewickelt wird, wo das Bedürfnis nach wertpapiergetragenen Transaktionen besonders augenfällig ist.

1. Grundlagen Im Wertpapierrecht ist seit langem ein gesteigertes Verkehrsschutzbedürfnis anerkannt, das sich in der „Lehre vom Einwendungsausschluß“ durchgesetzt hat. Dogmatisch handelt es sich auch hier um Rechtsscheinhaftung.232 Rechtsgrundlagen sind insbesondere §§ 794, 796 BGB (Inhaberpapiere), Art. 16 Abs. 2, 17 231 232

RGZ 111, 47; Palandt-Heinrichs, § 405 Rn. 3. Kritik der älteren sog. Kreationstheorie bei Canaris, Vertrauenshaftung, 233.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

WG (Wechsel), Art. 21, 22 ScheckG (Schecks) und §§ 363, 364 HGB (kaufmännische Orderpapiere). Die wertpapierrechtliche Rechtsscheinproblematik wird v.a. in vier Problemkreisen diskutiert, nämlich Mängel des Begebungsvertrages, Fehlen eines Begebungsvertrages, Willensmängel bei der Ausstellung und Zurechnung.233 Die nachfolgende Erörterung folgt ihrem Aufbau nach allerdings dem allgemeinen „Schema“ der Rechtsscheinhaftung, und erläutert die Problemkreise an der dogmatisch jeweils angezeigten Stelle. Rechtsscheintatbestand im Wertpapierrecht ist nicht erst das Inverkehrbringen der das Wertpapier verkörpernden Urkunde, sondern bereits deren Ausstellung; das folgt aus dem gesteigerten Verkehrsschutzbedürfnis im Wertpapierrecht.234 Ein Rechtsscheintatbestand liegt dagegen nicht vor, wenn eine Einwendung schon aus der Urkunde selbst ersichtlich ist (sog. inhaltliche oder urkundliche Einwendung), z. B. eine auf dem Wertpapier vermerkte Stundungseinrede, Teilleistung oder die gesetzlich zulässigen Haftungsausschlußklauseln nach Art. 9 Abs. 2 HS 1, 15 WG.235 Dasselbe gilt für ein formnichtiges Wertpapier, es sei denn, bei den fehlenden Merkmalen handelt es sich um solche, die typischerweise auch bei einem Blankett offenbleiben, so daß der Schein eines gültigen Blanketts entsteht.236 Mängel des Begebungsvertrages sind präkludiert, da er ein Rechtsgeschäft ist, das als Grundlage für den Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen dient.237 Aber auch das gänzliche Fehlen eines Begebungsvertrages kann nicht eingewendet werden, wie sich aus § 794 BGB ergibt. Denn nicht erst das Inverkehrbringen der Urkunde begründet einen Rechtsscheintatbestand, sondern eben bereits deren Ausstellung.238 Auf seiten des Vertrauenden sind Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand, Gutgläubigkeit,239 Vertrauensinvestition, Kausalität und Schutzwürdigkeit des ErCanaris, Vertrauenshaftung, 234. Canaris, Vertrauenshaftung, 235; Erman-Hantl-Unthan, § 794 Rn. 2; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 372; MüKo-Hüffer, § 794 Rn. 3 a.E.; Staudinger-Marburger (2002), Vorbem. zu §§ 793 – 808a Rn. 18 und § 793 Rn. 16. 235 Canaris, Vertrauenshaftung, 242. 236 Canaris, Vertrauenshaftung, 242 f. 237 Canaris, Vertrauenshaftung, 234; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 372. 238 Auf weitere bei einigen Wertpapierarten geltende Besonderheiten kann nicht vertieft eingegangen werden. So erzeugen beispielsweise kaufmännische Orderpapiere i.S.v. § 363 Abs. 2 HGB zwar einen Rechtsschein dahingehend, daß der Vertrag geschlossen, z. B. der Lagerhalter das Gut erhalten hat und keine aus dem Wertpapier nicht erkennbaren Haftungsbeschränkungen vereinbart worden sind, nicht aber im Hinblick auf das Fehlen „typusfremder“ Einwendungen, also z. B. zufälliger Untergang des Lagergutes. Die Zurechenbarkeit setzt die Kaufmannseigenschaft voraus. In ähnlicher Weise begründen Aktien zwar einen Rechtsschein im Hinblick auf das Fehlen „persönlicher“ Einwendungen zwischen dem Veräußerer und der Gesellschaft, nicht aber in bezug auf das Fehlen bestimmter satzungsmäßiger Beschränkungen. Der Inhalt der Aktie wird vielmehr erst durch die Satzung und Beschlüsse der Gesellschaftsorgane näher bestimmt. Zum Ganzen Canaris, Vertrauenshaftung, 251 f. 233 234

§ 5 Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (II): Sonstige

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werbsvorganges erforderlich. Der Erwerbsvorgang ist nicht schutzwürdig, wenn das Wertpapier überhaupt noch nicht in Umlauf ist. Geschützt wird also nur ein späterer dritter Erwerber, nicht aber ein unmittelbar an der Ausstellung oder Begebung Beteiligter.240 Ferner muß die Übertragung des Wertpapiers in typisch wertpapierrechtlicher Form – typischerweise Indossament – erfolgt sein, also nicht beispielsweise durch gesetzlichen Erwerb, Erbgang oder Zession.241 Die Schutzwürdigkeit fehlt ebenfalls, wenn kein Verkehrsgeschäft vorliegt, also z. B. bei Indossierung eines Wechsels durch eine GmbH an ihren einzigen Gesellschafter oder beim Rückerwerb des Nichtberechtigten. Schließlich fehlt nach h.L. die Schutzwürdigkeit beim unentgeltlichen Erwerb.242 Für die Zurechnung ist richtigerweise wieder das Risikoprinzip maßgeblich.243 Willensmängel bei der Ausstellung sind gutgläubigen Dritten gegenüber grundsätzlich unerheblich; das ergibt sich daraus, daß das Wertpapier zur Grundlage von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl bestimmt ist.244 Aufgrund des erhöhten Verkehrsschutzbedürfnisses im Wertpapierrecht ist es auch unerheblich, ob der Zeichner überhaupt erkannt hat, ein Umlaufpapier zu unterzeichnen, wenn er dies zumindest erkennen konnte.245 Das Abhandenkommen hindert bei Umlaufpapieren die Zurechnung nicht (Rechtsgedanke des § 935 Abs. 2 BGB).246 Zurechnung scheidet bei Fälschung und Verfälschung grundsätzlich aus; denn dann schafft nicht der Namensträger, sondern ein Dritter den Rechtsscheintatbestand.247 Ein gefälschtes Wertpapier ist jedoch zurechenbar, wenn sich der Namensträger das Wertpapier in Kenntnis der Fälschung zu eigen macht, etwa indem er einem Erwerbsinteressenten bestätigt, das Papier gehe in Ordnung, obwohl er die Fälschung erkannt hat.248 Dagegen ist nach h.M. die Zurechnung selbst dann 239 Vgl. z. B. Art. 10, 16 Abs. 2 WG (bereits grobe Fahrlässigkeit schadet), 17 WG (nur Vorsatz schadet). 240 Canaris, Vertrauenshaftung, 238. 241 Canaris, Vertrauenshaftung, 239; dort auch zu weiteren Formen typisch wertpapierrechtlicher Übertragung. 242 Canaris, a. a. O., 240 f., der allerdings auch bei unentgeltlichem Erwerb einen schutzwürdigen Erwerbsvorgang grundsätzlich bejaht. 243 Canaris, Vertrauenshaftung, 236 f.; Koller, WM 1981, 210, 211. Wenn herkömmlicherweise das sog. „Veranlassungsprinzip“ herangezogen wird, gilt auch hier der Einwand, daß es sich dabei um ein reines Kausal- und eben kein Zurechnungsprinzip handelt. Für die wertpapierrechtliche Rechtsscheinhaftung bestehen allerdings im Ergebnis nur geringfügige Unterschiede, da die Risikozurechnung aufgrund des gesteigerten Verkehrsschutzbedürfnisses sehr weit geht; Canaris, a. a. O., 237 und 246 ff. 244 Canaris, Vertrauenshaftung, 236; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 388; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 37; BGH NJW 1973, 282, 283. 245 Baumbach / Hefermehl, Art. 17 WG Rn. 45; Hueck / Canaris, Wertpapierrecht, § 9 II 3 d; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 389. A.A. noch Canaris, Vertrauenshaftung, 249. 246 Köhler, AcP 182 (1982), 126, 138. 247 Canaris, Vertrauenshaftung, 237, 243. 248 Canaris, Vertrauenshaftung, 243.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

ausgeschlossen, wenn der Unterzeichner des Papiers die Möglichkeit einer Verfälschung besonders begünstigt hat.249 Dagegen spricht aber das Risikoprinzip: ein derart erhöhtes Verfälschungsrisiko, das vom Unterzeichner beherrschbar ist, kann durchaus zugerechnet werden.250 Dasselbe gilt bei einem zunächst formnichtigen, nachträglich von einem Dritten vervollständigten Wertpapier: Wurde die nachträgliche Vervollständigung durch den ursprünglichen Aussteller besonders begünstigt – z. B. durch Offenlassen von Zwischenräumen zur Vervollständigung –, ist der dadurch geschaffene Rechtsschein zurechenbar.251 Gleichermaßen ist die mißbräuchliche Verwendung von Originalformularen mit faksimilierter Unterschrift zurechenbar.252 2. Dematerialisierung im Wertpapierrecht; Ausblick ins Recht der USA Schon mit Scheckkarte, ec-Karte und Kreditkarte ist eine gewisse Loslösung des Wertpapierrechts vom traditionellen Papier eingeleitet worden. Auf die Besonderheiten des Effektengiroverkehrs wurde bereits im Zusammenhang mit der systematischen Auslegung des Urkundenbegriffs bei § 172 BGB hingewiesen.253 Die Frage drängt sich auf, ob es nicht möglich ist, gänzlich elektronische Wertpapiere zu schaffen. In vielen Fällen würde mit der Möglichkeit elektronischer Übertragung eine Vervielfältigung der Umschlagsmöglichkeiten einhergehen, z. B. im Seehandelsverkehr (Konnossemente).254 Nach gegenwärtigem deutschem Recht sind elektronische Wertpapiere nicht möglich.255 Auch § 126a BGB betrifft lediglich die Schriftform, nicht die Transportfunktion, auf die es im Wertpapierrecht entscheidend ankommt.256 V.a. in USA gibt es seit einiger Zeit Überlegungen zu elektronischen Wertpapieren, beispielsweise digital signierten Schecks.257 Unabdingbare Voraussetzung bei Wertpapieren, die auch im elektronischen Geschäftsverkehr abgebildet werden muß, ist die Einmaligkeit von Wertpapierurkunden, da nur sie Transportfunktion und Umlauffähigkeit ermöglicht.258 Ähnlich wie bei § 172 Nachw. bei Canaris, Vertrauenshaftung, 247. Canaris, Vertrauenshaftung, 247 f.; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 386 f. 251 Canaris, Vertrauenshaftung, 248. 252 Koller, WM 1981, 210, 213 f. 253 Einsele, Wertpapierrecht als Schuldrecht, 1995; Zöllner, in: FS Raiser, 249 ff. 254 Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 186. 255 Ausführlich Lütticke, insb. 221 ff. Gegen elektronische Wertpapiere mangels Umlauffähigkeit auch Langenbucher, Risikozuordnung, 307. 256 Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 186. 257 Dazu etwa Delta / Matsuura, § 9.03[D]): Der Aussteller unterschreibt den Scheck mit digitaler Signatur, der Einlöser identifiziert sich bei der Bank mit digitaler Signatur. Ebenso denkbar sind digitale Bankschecks mit Zahlungsgarantie der Bank. 258 Ebbing, CR 1996, 271, 276; Fritzemeyer / Heun, CR 1992, 129, 131 (Transportfunktion und Zirkulationsfähigkeit erfordern herkömmliche Schriftform); Oberndörfer, CR 2002, 249 250

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BGB stößt die Dematerialisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs an dogmatische Grenzen des geltenden Rechts. Anders als bei § 172 BGB ist hier mit einer Analogie etwa für die Fälle digital signierter Erklärungen nicht weiterzukommen.259 Abhilfe kann im Wertpapierrecht nur der Gesetzgeber durch Einführung eines elektronischen Äquivalentes zur herkömmlichen, einmaligen Wertpapierurkunde schaffen, begleitet von detaillierten Regeln zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines solchen Regelungsmodells. Den Vorschlag eines gesetzlichen Rahmens für elektronische Wertpapiere enthält beispielsweise § 16 UETA, der eine Verzeichnislösung propagiert, die die Einmaligkeit eines elektronischen Wertpapiers („authoritative copy“) sicherstellen soll.260 Auf ein elektronisches Wert358. – Das mag zwar auch möglich sein durch Abschluß eines Rahmenvertrages, in dem die Beteiligten vereinbaren, sich so behandeln zu lassen, als läge ein herkömmliches Wertpapierverhältnis vor (so der Vorschlag bei Bundesnotarkammer, DuD 1995, 713, 714 und ErberFaller, MittBayNot 1995, 182, 186). Die vertraglich fingierte „Umlauffähigkeit“ eines solchen „Wertpapiers“ ist dann allerdings auf die am Rahmenvertrag als Parteien beteiligten Personen beschränkt. 259 Zu „unausfüllbaren Lücken“ s. Larenz / Canaris, Methodenlehre, 221. 260 § 16 UETA: „Transferable Records. (a) In this section, „transferable record“ means an electronic record that: (1) would be a note under [Article 3 of the Uniform Commercial Code] or a document under [Article 7 of the Uniform Commercial Code] if the electronic record were in writing; and (2) the issuer of the electronic record expressly has agreed is a transferable record. (b) A person has control of a transferable record if a system employed for evidencing the transfers or interests in the transferable record reliably establishes that person as the person to which the transferable record was issued or transferred. (c) A system satisfies subsection (b), and a person is deemed to have control of a transferable record, if the transferable record is created, stored and assigned in such a manner that: (1) a single authoritative copy of the transferable record exists which is unique, identifiable, and, except as otherwise provided in paragraphs (4), (5) and (6), unalterable; (2) the authoritative copy identifies the person asserting control as: (A) the person to which the transferable record was issued; or (B) if the authoritative copy indicates that the transferable record has been transferred, the person to which the transferable record was most recently transferred; (3) the authoritative copy is communicated to and maintained by the person asserting control or its designated custodian; (4) copies or revisions that add or change an identified assignee of the authoritative copy can be made only whith the consent of the person asserting control; (5) each copy of the authoritative copy and any copy of a copy is readily identifiable as a copy that is not the authoritative copy; and (6) any revision of the authoritative copy is readily identifiable as authorized or unauthorized. (d) Except as otherwise agreed, a person having control of a transferable record is the holder, as defined in [Section 1-201(20) of the Uniform Commercial Code], of the transferable record and has the same rights and defenses as a holder of an equivalent record or writing under [the Uniform Commercial Code], including, if the applicable statutory requirements under [Section 3-302(a), 7-501, or 9-308 of the Uniform Commercial Code] are satisfied, the rights and defenses of a holder in due course, a holder to which a nego-

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

papier könnten dann ohne weiteres die eingangs erläuterten herkömmlichen Rechtsscheinvorschriften des deutschen Wertpapierrechts angewendet werden.261

V. Zusammenfassung: Urkundengebundene Rechtsscheintatbestände und Dematerialisierung Die Untersuchung der urkundengebundenen Rechtsscheintatbestände in ihrer Anwendung auf die dematerialisierte Welt des elektronischen Geschäftsverkehrs hat fünf bemerkenswerte Ergebnisse erbracht: Erstens ist festzustellen, daß sich urkundengebundene Rechtsscheintatbestände bereits nach herkömmlichem Recht (vor Einführung des FormAnpG) weitgehend im elektronischen Rechtsverkehr abbilden lassen (z. B. Blankett, Quittung, § 405 BGB). Das liegt v.a. daran, daß die Rechtsscheinhaftung allgemein keinen Unterschied zwischen urkundengebundenen und nicht urkundengebundenen Rechtsscheintatbeständen kennt und die untersuchten urkundengebundenen Rechtsscheintatbestände Regelungszwecke (Legitimation beim Blankett und bei der Quittung, Bekanntmachung bei § 405 BGB) haben, die nicht mit denen des § 126 BGB oder der §§ 415 ff. ZPO identisch sind. Zweitens ist bemerkenswert, daß die Vorschriften des FormAnpG für die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, soweit urkundengebundene Rechtsscheintatbestände betroffen sind, zu keiner konstitutiven Erweiterung des Anwendungsbereichs der Rechtsscheinhaftung führen. Sämtliche gewonnenen Ergebnisse lassen sich auch auf Basis des vor dem FormAnpG geltenden Rechts begründen. Dort wo die Grenzen des geltenden Rechts erreicht werden (§ 172 BGB, Wertpapierrecht), hilft dagegen auch das FormAnpG nicht weiter. tiable document of title has been duly negotiated, or a purchaser, respectively. Delivery, possession, and indorsement are not required to obtain or exercise any of the rights under this subsection. (e) Except as otherwise agreed, an obligor under a transferable record has the same rights and defenses as an equivalent obligor under equivalent records or writings under [the Uniform Commercial Code]. (f) If requested by a person against which enforcement is sought, the person seeking to enforce the transferable record shall provide reasonable proof that the person is in control of the transferable record. Proof may include access to the authoritative copy of the transferable record and related business records sufficient to review the terms of the transferable record and to establish the identity of the person having control of the transferable record.“ 261 In USA sind das v.a. die Vorschriften in §§ 3-404 ff. UCC (Fundstelle: http: / / www.law.cornell.edu.), wonach grundsätzlich keine Haftung für gefälschte oder unautorisierte Wertpapiere besteht (§ 3-404(a) UCC). Anders ist es aber bei Handeln von Angestellten (kaufmännische Organisationsrisiken, § 3-405 UCC) und wenn der Aussteller die Fälschung fahrlässig ermöglicht (§ 3-406 UCC, dann Schadensteilung gemäß den Verschuldensanteilen des Ausstellers und der Bank).

§ 6 Nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände

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Drittens sind auch teleologische Grenzen der Dematerialisierung erkennbar geworden, insbesondere bei § 172 BGB und im Wertpapierrecht. Bei § 172 BGB ist – mit Ausnahme digitaler Vollmachts-Zertifikate – die Rückgabeproblematik elektronisch nicht befriedigend zu lösen, da elektronische Erklärungen grundsätzlich nicht wie ein herkömmliches Originalschriftstück einmalig sind. An der Einmaligkeitsproblematik scheitert auch nach geltendem Recht die Anerkennung elektronischer Wertpapiere. Viertens ist in dogmatischer Hinsicht eine allmähliche Fortentwicklung des Systems der Rechtsscheinhaftung durch vorsichtige Einzelanalogie erkennbar geworden. § 172 BGB kann analog angewendet werden auf Vollmachts-Zertifikate. Die Problematik der unbefugten Verwendung eines Kennworts, einer digitalen Signatur oder eines biometrischen Merkmals nach Aushändigung des Kennworts, der Signatur bzw. des Merkmals zum Abschluß bestimmter Rechtsgeschäfte kann analog zu den Grundsätzen der verdeckten Blankettausfüllung gehandhabt werden. Im Wertpapierrecht kann dagegen nur der Gesetzgeber Regelungsmodelle für elektronische Umlaufpapiere schaffen. Fünftens hat die rechtsvergleichende Betrachtung für Blankette und Quittungen keine das deutsche Recht befruchtende Erkenntnisse gebracht. Anders ist es um die Möglichkeit elektronischer Wertpapiere bestellt, wo beispielsweise das Regelungsmodell nach § 16 UETA die Diskussion in Deutschland befruchten könnte.

§ 6 Nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände: Scheinvollmachten und verwandte Tatbestände Als die wichtigsten nicht urkundengebundenen Rechtsscheintatbestände werden in diesem Abschnitt die Scheinvollmachten nach § 171 BGB (I.), die weiteren Fälle der Scheinvollmacht (II.) sowie die Tatbestände Scheinkaufmann, Scheingesellschafter und Scheingesellschaft (III.) untersucht. Naturgemäß wird der Schwerpunkt nicht auf Fragen der Dematerialisierung liegen. Die Untersuchung wird vielmehr allgemein darauf abstellen, ob spezifische Verhaltensweisen, Handlungsmöglichkeiten und Erklärungsformen des elektronischen Geschäftsverkehrs (z. B. die Benutzung elektronischer Post, eines Intranets oder des Internet sowie die verschiedenen Formen elektronischer Erklärungen) die Voraussetzungen der erörterten nicht urkundengebundenen Rechtsscheinregeln erfüllen können.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

I. Die Rechtsscheinvollmachten nach § 171 BGB 1. Grundlagen Der Rechtsscheintatbestand besteht bei § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB in der besonderen Mitteilung einer Innenvollmacht einem Dritten gegenüber, bei § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB in der öffentlichen Bekanntmanchung einer Innenvollmacht. Zweck der Vorschriften ist es, einen gutgläubigen Dritten so zu stellen, als wäre eine Außenvollmacht erteilt worden.262 Auf seiten des Vertrauenden ist Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand erforderlich. Das folgt bei § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB schon zwingend aus der Mitteilung. Bei § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist nicht ausdrücklich geregelt, ob der Dritte die öffentliche Bekanntmachung kennen muß, dies ist jedoch aus Gründen der Folgerichtigkeit zu fordern.263 Ferner muß der Vertrauende gutgläubig in dem Sinne sein, daß er die wahre Rechtslage nicht kennt und auch nicht kennen muß (vgl. § 173 BGB i.V.m. § 171 Abs. 2 BGB).264 Die weiteren Voraussetzungen Vertrauensinvestition, Kausalität und schutzwürdiger Erwerbsvorgang sind in § 171 Abs. 1 BGB nicht ausdrücklich angesprochen, gelten aus systematischen Gründen aber auch hier. Die Zurechnung birgt zunächst keine Probleme im Hinblick auf die Frage Verschuldens- oder Risikoprinzip, soweit es sich um die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheintatbestandes handelt, der Geschäftsherr also die Bevollmächtigung kundgibt in dem Wissen, daß gar keine Vollmacht zugrundeliegt; in diesem Fall führen Verschuldens- und Risikoprinzip ohnehin zum selben Ergebnis. § 171 Abs. 1 BGB findet darüber hinaus aber auch dann Anwendung, wenn der Geschäftsherr die Vollmacht im irrigen Glauben an ihr Bestehen kundgegeben hat, also nicht wissentlich, sondern irrig einen Rechtsscheintatbestand geschaffen hat.265 Ebenso wie bei § 172 BGB ist eine rückwirkende Beseitigung des Rechtsscheins wegen Willensmängeln nach richtiger Ansicht grundsätzlich zuzulassen.266 Kindl, Rechtsscheintatbestände, 12 m.w.Nachw. So auch Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173, Rn. 4; MüKo-Schramm, § 171 Rn. 12. 264 Genau genommen regelt § 173 BGB nur den Fall des Erlöschens. Darüber hinaus ist der Dritte aber ebensowenig schutzwürdig, wenn er weiß bzw. wissen muß, daß die Vollmacht von vorneherein nicht wirksam erteilt war; h.M., RGZ 108, 127; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 13 m.w.Nachw.; MüKo-Schramm, § 173 Rn. 2; Soergel-Leptien, § 173 Rn. 2; StaudingerSchilken (2001), § 171 Rn. 11. – Auch hier bestehen keine generellen Nachforschungspflichten; anderes gilt nur bei besonderen Umständen, die zu Zweifeln am Fortbestand der Vollmacht Anlaß geben. Erman-Palm, § 173 Rn. 3. 265 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, 108, 110 & 132 f. 266 Zum Streitstand m.w.Nachw. s. Kindl, Rechtsscheintatbestände, 33 f. Für die heute h.L. Flume, AT II § 49, 2c; Medicus, AT Rn. 947 und BürgR Rn. 97; MüKo-Schramm, § 171 Rn. 8 f. und § 172 Rn. 6; RGRK-Steffen, § 171 Rn. 3; Soergel-Leptien, § 171 Rn. 4 und § 172 Rn. 3; Staudinger-Schilken (2001), § 171 Rn. 9; grundsätzlich auch Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 8. A.A. Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173 Rn. 1; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1979), § 171 Rn. 9 und § 172 Rn. 10. 262 263

§ 6 Nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände

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Ist die Vollmacht allerdings auf den Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Personenzahl gerichtet, ist die Anfechtung aufgrund der Stärke des Verkehrsschutzbedürfnisses generell ausgeschlossen. Dasselbe gilt für die Anfechtung wegen Willensmängeln, die lediglich die zugrundeliegende Innenvollmacht betreffen. Dagegen sind Willensmängel, die die Kundgabe selbst betreffen, also die Mitteilung, Bekanntmachung oder die Ausstellung und Aushändigung der Urkunde, beachtlich und berechtigen analog §§ 119 ff. BGB zur Anfechtung. Abhandenkommen und Fälschung spielen bei § 171 BGB rein tatsächlich eine geringere Rolle, sind aber auch hier nicht zurechenbar.

2. Die Verwendung elektronischer Postadressen bei § 171 BGB Die besondere Mitteilung einer Innenvollmacht an einen Dritten kann schriftlich oder mündlich, ausdrücklich oder konkludent,267 also auch durch einfache elektronische Erklärung (z. B. elektronische Post) erfolgen. Unproblematisch handelt es sich um einen Fall des § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Zu beachten ist, daß die Person des Vertreters in der Regel genau mit Namen und Wohnort bezeichnet werden muß.268 Statt des Wohnorts wird man auch eine geschäftliche Adresse für ausreichend halten müssen. Fraglich ist, ob allein die Angabe einer elektronischen Postadresse in der Mitteilung ausreicht. Das wird man verneinen müssen, soweit sich aus der elektronischen Postadresse nicht einmal der vollständige Nachname des Vertreters ergibt, z. B. bei Verwendung lediglich des Vornamens (markus@. . .de) oder von Initialen (markusr@. . .de) oder eines abgekürzten Nachnamens (markusrie@. . .de), es sei denn der vollständige Name wird anderweitig in der Mitteilung bekanntgegeben. Ist der Nachname erkennbar vollständig angegeben, kommt es auf den Einzelfall an, ob sich daraus Name und Wohnort mit hinreichender Sicherheit ermitteln lassen. Bei privaten elektronischen Postanschlüssen ist das in aller Regel nicht der Fall. Der Adresse [email protected] oder [email protected] kann ein Dritter den Wohnort der Person nicht ansehen. Anders kann es im Einzelfall bei geschäftlichen Anschlüssen sein. Ist das Unternehmen, für das der Vertreter tätig ist, mit einer Homepage im Internet vertreten, und findet sich dort eine Liste der Mitarbeiter mit Standortbezeichnung (große Rechtsanwaltskanzleien folgen beispielsweise dieser Praxis), kann sich ein Dritter leicht Kenntnis über die Geschäftsadresse des Vertreters verschaffen. Insoweit sind allerdings strenge Anforderungen an die Leichtigkeit der Kenntnisverschaffung zu stellen. Keinesfalls können dem Dritten aufwendige Nachforschungen zur Wohn- oder Geschäftsadresse zugemutet werden. Im Regelfall wird daher 267 Erman-Palm, § 171 Rn. 3; RGRK-Steffen, § 171 Rn. 3; Soergel-Leptien, § 170 Rn. 3; Staudinger-Schilken (2001), § 171 Rn. 4. 268 Vgl. RGZ 124, 383, 386; RG JW 1929, 576; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 15; Soergel-Leptien, § 170 Rn. 3. Staudinger-Schilken (2001), § 171 Rn. 6 verlangt dagegen nur den Namen des Bevollmächtigten.

12 Rieder

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

allein die Angabe einer elektronischen Postadresse nicht ausreichen, um die Person des Vertreters ausreichend zu kennzeichnen.

3. Öffentliche Bekanntmachung durch elektronische Post und Internet Fraglich ist, ob eine öffentliche Bekanntmachung i.S.v. § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB durch die Veröffentlichung auf einer Seite des Internets oder eines Intranets bzw. durch „Massenmailings“ erfolgen kann. Die „öffentliche Bekanntmachung“ muß an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet sein, herkömmlicherweise durch Zeitungsanzeigen, Aushänge, Postwurfsendungen, Handzettel und Handelsregistereinträge, nicht aber beispielsweise Gewerberegistereinträge. 269 Es muß sich um ein Medium handeln, zu dem sich jeder Teilnehmer am bürgerlichen Rechtsverkehr grundsätzlich Zugang verschaffen kann.270 Das ist beispielsweise beim Gewerberegister nicht der Fall. Beim Internet dagegen ist an sich jedem der Zugang möglich, vorausgesetzt er verfügt über die erforderliche technische Ausrüstung und einen Internetzugang. Zwar ist die Benutzung des Internets bislang in Deutschland noch weit weniger verbreitet als die Zeitungslektüre. Andererseits aber reicht herkömmlicherweise die Veröffentlichung in nur einer Zeitung aus, auch wenn nicht jeder gerade diese Zeitung liest. Ebenso kann die Tatsache, daß nicht jeder das Internet benutzt und gerade die Seite (Homepage) besucht, auf der die Vollmacht veröffentlicht ist, nichts daran ändern, daß die Vollmacht, wenn sie im Internet bekanntgemacht wird, sich an einen unbestimmten Personenkreis richtet. Ein entgegenstehender Wille des Vollmachtgebers oder seine Unkenntnis von den Rechtsfolgen des § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB sind unbeachtlich. Im übrigen ist daran zu erinnern, daß die Bekanntmachung nur zugunsten desjenigen wirkt, der sie auch kennt. Die „öffentliche“ Bekanntmachung an einer besonders „versteckten“ Stelle des Internets ist daher praktisch ebenso wirkungs- und für den Geschäftsherrn risikolos wie die Bekanntmachung in einer obskuren Zeitung, die von den potentiellen Geschäftspartnern des Geschäftsherrn nicht gelesen wird. An einer öffentlichen Bekanntmachung würde es dagegen fehlen, wenn der Zugang zu der Internetseite auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt ist, z. B. durch Kennwortschutz. Dann aber wird man in der Bekanntmachung eine Mitteilung gegenüber jedem einzelnen Zugangsberechtigten sehen müssen, so daß bereits § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB zur Anwendung kommt. Dasselbe gilt für unternehmensinterne Intranets: Veröffentlichungen richten sich nur an die Mitarbeiter des Unternehmens, also einen beschränkten Personenkreis. Jedem einzelnen von ihnen 269 Erman-Palm, § 171 Rn. 3; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 16; Palandt-Heinrichs, §§ 170 – 173 Rn. 4; Soergel-Leptien, § 170 Rn. 3; Staudinger-Schilken (2001), § 171 Rn. 8. 270 MüKo-Schramm, § 171 Rn. 10.

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gegenüber liegt aber eine „besondere Mitteilung“ i.S.v. § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB vor, wenn eine Bevollmächtigung im Intranet bekanntgegeben wird. Dasselbe gilt schließlich für „Massenmailings“, also die Versendung einer elektronischen Erklärung mittels elektronischer Post an eine Vielzahl von Adressaten. Da es sich dabei immer um einen – wenngleich großen – beschränkten Adressatenkreis handelt, scheidet § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB aus; dafür liegt § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB vor. Bei Kundgabe i.S.v. § 171 Abs. 1 BGB spielt die Wahl der elektronischen Erklärungsform (einfache elektronische Erklärung, eingescannte Unterschrift, Kennwort, digitale Signatur, Kennwortschutz) keine Rolle.

4. Digitale Signaturen und Vollmachts-Attributzertifikate Fraglich ist, ob der von einer Zertifizierungsstelle angebotene Verzeichnisdienst mit Attribut-Zertifikaten die Wirkungen des § 171 Abs. 1 BGB entfalten kann. § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB scheidet schon deshalb aus, weil die in einem Verzeichnis geführten Angaben keine adressatengerichtete Mitteilung an bestimmte Personen darstellen. Eher in Betracht kommt dagegen § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB. Wiederum ist darauf abzustellen, ob die Bekanntmachung an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet ist, so daß sich jeder Teilnehmer am bürgerlichen Rechtsverkehr grundsätzlich Zugang verschaffen kann. Die Parallele zu Handelsregistern drängt sich auf. In der Tat sind Verzeichnisdienste nach dem SigG öffentlich in dem soeben beschriebenen Sinn; jeder Empfänger einer digital signierten Erklärung, der über die erforderlichen technischen Einrichtungen verfügt (welche ihrerseits jedermann auf dem Markt frei zugänglich sind), kann Attribut-Zertifikate anhand der Verzeichnisdienste überprüfen. § 5 Abs. 1 S. 2 SigG 2001 bestimmt ausdrücklich, daß Zertifikate nach dem SigG „jederzeit für jeden über öffentlich erreichbare Kommunikationsverbindungen nachprüfbar und abrufbar zu halten“ sind.271 Die Veröffentlichung von Attribut-Zertifikaten erfolgt zwar nicht durch den Geschäftsherrn selbst, ihre Erstellung bedarf aber seiner Einwilligung (§ 5 Abs. 2 SigG 2001; § 5 Abs. 2 SigG 1997), und mit Erstellung ist gleichzeitig die o.g. Veröffentlichungspflicht verbunden. Innerhalb des Rechtsrahmens des SigG ist daher von einer öffentlichen Bekanntmachung von AttributZertifikaten durch die von den Zertifizierungsstellen zu unterhaltenden Verzeichnisdienste auszugehen. Für Zertifizierungsstellen, die außerhalb des SigG-Rechtsrahmens operieren, aber nach den gleichen Grundsätzen vorgehen (Erteilung von Attribut-Zertifikaten nur bei Einwilligung des Geschäftsherrn; Unterhaltung eines jederzeit für jedermann zugänglichen Verzeichnisdienstes) gilt daßelbe. Maßgeblich sind insoweit insbesondere deren Allgemeine Geschäftsbedingungen und Certification Practice Statements. 271 Eine lediglich sprachlich etwas anders gefaßte Regelung enthielt bereits § 5 Abs. 1 SigG 1997.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Interessanterweise erfüllen daher Vollmachts-Zertifikate sowohl den Tatbestand des § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB als auch des § 172 BGB (analog, s. o. § 4). Das ist weiter nicht bedenklich. Auch im herkömmlichen Geschäftsverkehr kann eine Vollmacht sowohl öffentlich bekanntgemacht sein (z. B. im Handelsregister) und gleichzeitig in Form einer Urkunde dem Vertreter ausgehändigt worden sein. Die Beendigung des Scheintatbestandes bei § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB geschieht gem. § 171 Abs. 2 BGB „in derselben Weise“ wie die Kundgabe, d. h. durch Löschung des Zertifikates aus dem Verzeichnis nach dessen Sperrung. Die Beendigung bei § 172 BGB analog erfolgt ebenfalls durch Sperrung des Zertifikates.

5. Ergebnisse Die Identifizierung des Vertreters allein mittels elektronischer Postadresse reicht bei § 171 BGB ohne Hinzutreten weiterer identifizierender Umstände grundsätzlich nicht. Kundgebung i.S.v. § 171 BGB per elektronischer Post, Intranet und Internet sind möglich. Kundgebung im Internet stellt grundsätzlich eine öffentliche Bekanntgabe dar. Eine öffentliche Bekanntgabe ist auch in der Aufnahme in den Verzeichnisdienst einer nach dem SigG operierenden Zertifizierungsstelle zu sehen. Dasselbe gilt für Zertifizierungsstellen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens, die sich im Hinblick auf den Verzeichnisdienst per AGB Regeln unterwerfen, die mit denen des SigG vergleichbar sind.

II. Die weiteren Rechtsscheinvollmachten 1. Grundlagen Neben § 171 BGB existiert eine ganze Reihe von teils gesetzlich geregelten, überwiegend aber von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft entwickelten Rechtsscheinvollmachten. Dazu zählen insbesondere die Duldungs- und Anscheinsvollmacht (dazu a) und b)), die Ladenvollmacht nach § 56 HGB und verwandte Tatbetände der Einräumung einer Stellung (dazu c)), des Handelns unter fremdem Namen (dazu d)) sowie der Fälschung und Verfälschung (dazu e)).272

272 Nicht erörtert werden weitere mit der Scheinvollmacht verwandte Tatbestände, wie die Scheinbotenschaft, Scheineinwilligung, Scheingenehmigung, Scheinermächtigung und Scheingehilfenschaft; dazu allg. Canaris, a. a. O., 66 ff. Diese Tatbestände spielen für den elektronischen Geschäftsverkehr eine eher untergeordnete Rolle und tragen keine Erkenntnisse von allgemeinerer Bedeutung bei.

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a) Duldungsvollmacht Duldungs- und Anscheinsvollmacht werden oft in einem Atemzug genannt. Da jedoch nach wie vor Streit über die Anwendungsbereiche und die dogmatischen Grundlagen der beiden Institute besteht, erscheint eine getrennte Erörterung vorzugswürdig.273 Eine Duldungsvollmacht liegt nach der Formulierung des BGH vor, „wenn der Vertretene das ihm bekannte Verhalten des Vertreters duldet und diese Duldung vom Geschäftsgegner nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte dahin gedeutet werden darf, daß der Vertreter vom Vertretenen Vollmacht, für ihn zu handeln, erhalten hat.“274

Die Einordnung der Duldungsvollmacht als – wissentlich geschaffener – Rechtsscheintatbestand, und nicht als rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung, ist seit langem umstritten, kann heute aber als herrschend angesehen werden.275 Das Institut der Duldungsvollmacht ist unstreitig im gesamten bürgerlichen Recht anwendbar.276 Dogmatische Grundlage sind der in §§ 170 – 172 BGB enthaltene Rechtsgedanke bzw. Gewohnheitsrecht.277 Rechtsscheintatbestand ist die Duldung eines Vertreterhandelns durch den Geschäftsherrn, das nach Treu und Glauben so gedeutet werden darf, als sei der Vertreter bevollmächtigt. 278 Dieses Verhalten muß „in der Regel von einer gewissen So auch Canaris, Vertrauenshaftung, 39. BGH LM Nr. 4 zu § 167 BGB 2. Leitsatz. W.Nachw. zur Rspr. bei MüKo-Schramm, § 167 Rn. 46. 275 BGH LM § 164 Nr. 34, § 167 Nr. 15; NJW-RR 1990, 404; NJW 1997, 312, 314; Canaris, Vertrauenshaftung, 40 ff. m.w.Nachw. in Fn. 30, 31; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 2, 23 f.; Erman-Palm, § 167 Rn. 7; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 23 m.w.Nachw.; Medicus, AT Rn. 930; MüKo-Schramm § 167 Rn. 50; RGRK-Steffen, § 167 Rn. 11; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 16; Staudinger-Schilken (2001), § 167 Rn. 30 und 32; Staudinger-Gursky (2001), § 182 Rn. 20. Nach a.A. soll es sich um eine stillschweigende oder konkludente rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung handeln; Flume, AT II, § 49, 3 (828), Palandt-Heinrichs § 173 Rn. 11; w.Nachw. bei Kindl, Rechtsscheintatbestände, 84 (Fn. 5). Demgegenüber weist Canaris, a. a. O., 39 f., zu Recht darauf hin, daß dazu entweder das Verhalten des Geschäftsherrn dem Vertreter als schlüssige Erteilung einer Innenvollmacht oder dem Dritten als schlüssige, konstitutive Erteilung einer Außenvollmacht erscheinen müßte; beides wird i.a.R. nicht der Fall sein. Das verkennt auch Palandt-Heinrichs, a. a. O., der sich allein auf den fehlenden Bevollmächtigungswillen bezieht, und glaubt, dessen Fehlen durch das Verbot des venire contra factum proprium überwinden zu können. – Daß es daneben Fälle einer konkludenten rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung durch Dulden mit rechtsgeschäftlichem Willen und entsprechendem Zugang dieser konkludenten Willenserklärung geben kann, steht im übrigen außer Zweifel, nur lassen sich damit eben gerade nicht die Fälle der Duldungsvollmacht (i.e.S.) erfassen; dazu nur Staudinger-Schilken (2001), § 167 Rn. 29 ff. Für eine Beschränkung des Begriffs Duldungsvollmacht auf die Fälle der bloßen Deklaration einer angeblichen Innenvollmacht auch Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 156. 276 RG JW 1927, 1089; DR 1942, 172; BGH MDR 1953, 345; Canaris, a. a. O., 42; MüKo-Schramm, § 167 Rn. 48. 277 Canaris, a. a. O., 42; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 87. 278 Erman-Palm, § 167 Rn. 14; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 20. 273 274

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Häufigkeit und Dauer“ sein; ein einzelner Umstand kann nur ausreichen, wenn er mit großer Deutlichkeit für eine Bevollmächtigung spricht.279 Es kann beispielsweise in der Genehmigung früherer Geschäftsabschlüsse über einen längeren Zeitraum liegen, in der Überlassung von Legitimationszeichen, deren Benutzung nur Personen gestattet ist, die in bestimmtem Umfang Vollmacht besitzen (z. B. Briefpapier, Wertmarken), oder in der Übertragung von Aufgaben, die üblicherweise mit einer Vertretung verbunden sind.280 Der bloße Besitz von Legitimationszeichen beim Vertreter reicht dagegen nicht aus, da der Besitz auch unbefugt, also ohne Duldung des Geschäftsherrn erlangt sein kann.281 Auf seiten des Vertrauenden ist Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes, also der Duldung, erforderlich. Gutgläubigkeit bedeutet, daß der Vertrauende die wahre Rechtslage, das Fehlen einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht, weder kennt noch kennen muß.282 Vertrauensdisposition, Kausalität und Schutzwürdigkeit bestimmen sich nach allgemeinen Regeln.283 Die Zurechenbarkeit folgt zunächst daraus, daß der Rechtsscheintatbestand bei der Duldungsvollmacht immer wissentlich geschaffen wird. Unkenntnis des Geschäftsherrn kann sich allenfalls im Hinblick auf Einwendungen gegen die Innenvollmacht beziehen. Namentlich Canaris plädiert in Anlehnung an §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB dafür, den Geschäftsherrn mit solchen Einwendungen zu präkludieren.284 Fälle des Abhandenkommens haben keine praktische Relevanz, allenfalls Willensmängel. Ein Irrtum des Geschäftsherrn über die Bedeutung seines Verhaltens scheidet von vornherein aus, da er das Handeln des Vertreters ja kennen muß.285 Ein Irrtum darüber, daß sein Handeln so gedeutet wird, als habe er den Vertreter bevollmächtigt, wird praktisch kaum vorkommen.286 Im übrigen sind Willensmängel i.S.v. §§ 116 ff. BGB grundsätzlich beachtlich, es sei denn, es liegt die Deklaration einer Vollmacht vor, die auf den Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen gerichtet ist (was bei der Duldungsvollmacht durchaus der Fall sein kann).287 279 BGH NJW-RR 1986, 1169; zustimmend Kindl, Rechtsscheintatbestände, 91. Ferner Erman-Palm, § 167 Rn. 14; RGRK-Steffen, § 167 Rn. 11; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 21; Staudinger-Schilken (2001), § 167 Rn. 37. 280 Erman-Palm, § 167 Rn. 16; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 94 f. 281 Erman-Palm, § 167 Rn. 16. 282 Statt aller Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 31 m.w.Nachw. 283 Dazu Erman-Palm, § 167 Rn. 21; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 23. 284 Canaris, a. a. O., 112 f. 285 Canaris, a. a. O., 43. 286 Canaris, a. a. O., 44. Kommt er doch einmal vor, wird man ihn – nach den Regeln über das fehlende Erklärungsbewußtsein – richtigerweise für beachtlich halten müssen; Canaris, a. a. O., 43. Zustimmend Kindl, Rechtsscheintatbestände, 99 f. 287 Canaris, a. a. O., 45; ders., Handelsrecht, § 16 Rn. 25; v. Craushaar, AcP 174 (1974), 1, 23. Ähnlich MüKo-Schramm, § 167 Rn. 52 m.w.Nachw. Generell gegen jede rückwirkende Beseitigung von Rechtsscheinvollmachten Soergel-Leptien, § 167 Rn. 22. Generell für Anfechtbarkeit RGRK-Steffen, § 167 Rn. 19.

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Anzumerken bleibt noch, daß bei der Duldungsvollmacht § 171 Abs. 2 BGB analog angewandt werden kann, die Duldungsvollmacht also solange bestehen bleibt, wie der Geschäftsherr sie nicht extern widerrufen hat. Grundlage der Analogie ist die Gleichstellung von ausdrücklichem Verhalten (Kundgabe nach § 171 Abs. 1 BGB) und konkludentem Verhalten (Dulden bei der Duldungsvollmacht), die auch sonst das bürgerliche Recht beherrscht.288 Bei einer Duldungsvollmacht, die ausschließlich einem bestimmten Dritten gegenüber bestand, ist eine Mitteilung an diesen erforderlich. Bestand die Duldungsvollmacht dagegen gegenüber einer unbestimmten Personenmehrheit, reicht es, wenn der Geschäftsherr gegenüber beliebigen Dritten die Duldung beendet.289

b) Die Anscheinsvollmacht Auch bei der Anscheinsvollmacht geht es um die Deklaration einer in Wahrheit nicht bestehenden Vollmacht durch konkludentes Verhalten.290 Die dogmatische Einordnung als Fall der Rechtsscheinhaftung ist hier nahezu allgemein anerkannt.291 Eine Anscheinsvollmacht liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn der Vertretene das Verhalten des Vertreters „zwar nicht kannte, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte kennen und verhindern können und der Geschäftsgegner das Verhalten des Vertreters nach Treu und Glauben dahin auffassen durfte, daß es dem Vertretenen bei verkehrsmäßiger Sorgfalt nicht habe verborgen bleiben können und daß dieser es also dulde.“292

Der wesentliche Unterschied zur Duldungsvollmacht besteht im subjektiven Bereich, d. h. darin, daß die Vertretene das Verhalten des Vertreters zwar nicht kennt, aber kennen müßte.293 Im übrigen ist auch hier erforderlich, daß der falsus procurator i.d.R. mehrfach Geschäfte abgeschlossen hat und der Geschäftsherr deren Wirksamkeit nicht nach außen beanstandet hat,294 beispielsweise durch Verwendung von Briefpapier mit aufgedrucktem Briefkopf des Geschäftsherrn oder Verwendung eines Firmenstempels.295

Zum Ganzen Canaris, Vertrauenshaftung, 138. Canaris, a. a. O., 147. 290 Canaris, a. a. O., 191. 291 Canaris, Handelsrecht, § 16 Rn. 16. 292 BGH LM Nr. 4 zu § 167 BGB 1. Leitsatz. W. Nachw. zur Rspr. bei Kindl, Rechtsscheintatbestände, 83 und 100 (Fn. 1). Zust. Soergel-Leptien, § 167 Rn. 20. 293 Canaris, Vertrauenshaftung, 39, 191; Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 155 (Fn. 108). 294 Canaris, Vertrauenshaftung, 498; ders., Handelsrecht, § 16 Rn. 19; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 26 m.w.Nachw.; MüKo-Schramm, § 167 Rn. 58 m.w.Nachw.; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 21. 295 Dazu mit weiteren Beispielen Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 27. 288 289

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Nach der Rspr. und einem Teil der Literatur ist auch die Anscheinsvollmacht im gesamten bürgerlichen Recht anwendbar.296 Dagegen sind im Schrifttum beachtliche Einwände erhoben worden, namentlich die Unvereinbarkeit mit der Irrtumsregelung des BGB und die Feststellung, daß mit der Anerkennung der Anscheinsvollmacht im bürgerlichen Recht bloße Fahrlässigkeit zu einer Erfüllungshaftung führen würde, ein Konzept, das dem BGB – wie auch §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB zeigen – in Wirklichkeit fremd ist; statt dessen kann Fahrlässigkeit im bürgerlichen Recht allenfalls zu einer Schadensersatzhaftung, z. B. aus c.i.c., führen.297 Nach dieser Gegenansicht sind die Grundsätze der Anscheinsvollmacht grundsätzlich nur im Handelsrecht anwendbar, im bürgerlichen Recht dagegen ausnahmsweise nur, wenn der Geschäftsherr einen kaufmannsähnlichen Betrieb führt, also eine für einen Dritten regelmäßig nicht durchschaubare arbeitsteilige Organisation unterhält.298 Diese Gegenansicht überzeugt. Gegen die h.M. spricht nicht zuletzt auch, daß bis heute ein praktisches Bedürfnis für die Anerkennung der Anscheinsvollmacht im bürgerlichen Recht nicht erkennbar geworden ist, wie Analysen der einschlägigen BGH Rechtsprechung gezeigt haben.299 Von einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung der Anscheinsvollmacht im bürgerlichen Recht kann, anders als bei der Duldungsvollmacht, nicht gesprochen werden, da die diesbezügliche Rechtsprechung von Anfang an starken Widerspruch erfahren hat.300 Unabhängig von der Anwendbarkeit der Anscheinsvollmacht im bürgerlichen Recht ist im Hinblick auf die Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden nach allgemeinen Grundsätzen Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand erforderlich, also das Wissen, daß ein Vertreter gehandelt und der Geschäftsherr das zwar hätte verhindern können, aber nicht verhindert hat.301 Kenntnis und fahrlässige Unkenntnis 296 RG DR 1942, 172; BGH NJW 1951, 309; BGHZ 105, 45, 48. W. Nachw. zur Rspr. bei Kindl, Rechtsscheintatbestände, 102 (Fn. 7). Aus der Lit. s. Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 30; MüKo-Schramm, § 167 Rn. 56 (Richterrecht); Palandt-Heinrichs, § 173 Rn. 14; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 17; w. Nachw. bei Canaris, Vertrauenshaftung, 48 f., Fn. 71, 72. Ferner v. Craushaar, AcP 174 (1974), 1, 22, der aber immerhin im bürgerlichrechtlichen Verkehr andere, für den Erklärenden weniger belastende Maßstäbe für die Risikoverteilung als im Handelsverkehr ansetzen will. 297 Canaris, Vertrauenshaftung, 48 ff.; ders., Handelsrecht, § 16 Rn. 17; ders., in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 158 m.w.Nachw.; Flume, AT II § 49, 4; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 104 ff., insb. 109; Larenz, AT 7. Aufl. 1988 § 33 I a (640), Medicus, AT Rn. 969 ff.; Staudinger-Schilken (2001), § 167 Rn. 31. 298 Canaris, a. a. O., 192 ff.; grds. zust. RGRK-Steffen, § 167 Rn. 12. 299 Canaris, Vertrauenshaftung, 52; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 111 ff. Die Analysen zeigen beispielsweise, daß dort wo die Anscheinsvollmacht in der Rspr. thematisiert wurde, es oft um Rechtsanwälte, Hofbesitzer und Verwandte des Geschäftsherrn ging, so daß auch mit einer Analogie zu §§ 1 ff. HGB die Anwendbarkeit der Anscheinsvollmacht hätte begründet werden können. Vgl. ferner Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 158 (insb. Fn. 124). 300 Kindl, Rechtsscheintatbestände, 114 f. Das gestehen auch die Verfechter der Anscheinsvollmacht im bürgerlichen Recht zu; so z. B. MüKo-Schramm, § 167 Rn. 56; Staudinger-Schilken (2001), § 167 Rn. 31 a.E. A.A. RGRK-Steffen, § 167 Rn. 12.

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vom Fehlen einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht schaden.302 Für Vertrauensdisposition, Kausalität und Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorganges gelten die allgemeinen Voraussetzungen.303 Die Frage der Zurechenbarkeit ist wiederum umstritten. Überwiegend wird das Verschuldensprinzip herangezogen, wie sich schon aus der Formulierung des BGH („bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte kennen und verhindern können“) ergibt.304 Richtigerweise kann es aber auch hier nicht auf ein Verschulden ankommen, sondern auf das Risikoprinzip (nach richtiger Ansicht auf kaufmännisches Betriebsrisiko, da eine Anwendung im bürgerlichrechtlichen Verkehr ausscheidet).305 Denn für eine Rechtspflichtverletzung, die für ein Verschulden im allgemeinen Bedingung ist, bestehen oft keine Anhaltspunkte. Zu Recht nimmt Canaris an, es bestehe keine allgemeine Rechtspflicht, andere im Rechtsverkehr vor Irreführung zu bewahren.306 Vielmehr wird sich derjenige eine Irreführung zurechnen lassen müssen, der für den Rechtsverkehr ein erhöhtes Risiko durch die arbeitsteilige Organisation seines Betriebes geschaffen hat.307 In Bezug auf Willensmängel herrscht im Ergebnis weitgehende Einigkeit: Die Zurechnung scheidet beispielsweise aus, wenn der Vertretene durch eine nach § 123 BGB erhebliche Täuschung daran gehindert wurde, vom Handeln des Anscheinsvertreters Kenntnis zu nehmen oder wenn ein Irrtum vorliegt, der auch bei einer echten Außenvollmacht zur Anfechtung berechtigen würde.308 Im übrigen scheidet die Berücksichtigung von Willensmängeln nach allgemeinen Grundsätzen immer dann aus, wenn die Anscheinsvollmacht auf den Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen gerichtet ist (was häufig der Fall sein kann).309 301 Dazu BGH Urt. v. 14. 03. 2000, XI ZR 55 / 99 (Rechtsscheinvollmacht bei unbefugter Verwendung eines Faksimilestempels); MüKo-Schramm, § 167 Rn. 66 („keine besonders strengen Anforderungen“). 302 Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 31; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 66. 303 Dazu Erman-Palm, § 167 Rn. 21; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 23. 304 BGHZ 5, 111, 116; ebenso Erman-Palm, § 167 Rn. 18; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 22; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 66, der annimmt, das Nichterkennen des Vertreterhandelns müsse dem Vertretenen im Sinne eines Organisationsverschuldens vorwerfbar sein. Für Verschuldensprinzip auch Staudinger-Schilken (2001), § 167 Rn. 40. W. Nachw. bei Canaris, Vertrauenshaftung, 194 bei Fn. 28; MüKo-Schramm, § 167 Rn. 59. 305 Canaris, Handelsrecht, § 16 Rn. 20. 306 Canaris, Vertrauenshaftung, 194. 307 Canaris, Vertrauenshaftung, 194 f.; ähnlich v. Craushaar, AcP 174 (1974) 1, 20 f. Tendenziell für das Risikoprinzip auch MüKo-Schramm, § 167 Rn. 60 ff. 308 So auch Canaris, Vertrauenshaftung, 196; MüKo-Schramm, § 167 Rn. 65; StaudingerDilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 77. 309 Canaris, Vertrauenshaftung, 196; ders., Handelsrecht, § 16 Rn. 25. I. Erg. ähnlich Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 77, der eine rückwirkende Anfechtung – außer bei § 123 BGB – grundsätzlich für ausgeschlossen hält. Noch weiter-

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Rechtsfolge bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht ist nach bestrittener Ansicht des BGH nicht etwa ein Wahlrecht des Dritten zwischen Geltendmachung der Anscheinsvollmacht gegenüber dem Geschäftsherrn und Berufung auf § 179 BGB gegenüber dem falsus procurator, sondern zwingend die Anwendung der Grundsätze über die Anscheinsvollmacht.310

c) Die Ladenvollmacht nach § 56 HGB und die Rechtsscheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung Eine besondere gesetzliche Regelung der Scheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung findet sich für das Handelsrecht in § 56 HGB.311 Danach gilt, wer in einem Laden oder in einem offenen Warenlager angestellt ist, als ermächtigt zu Verkäufen und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden oder Warenlager gewöhnlich geschehen.312 Der Rechtsscheintatbestand besteht in der Anstellung im Laden bzw. Warenlager.313 Darunter ist jedes dem Publikum zugängliche, wenn auch nur vorübergehend benutzte Verkehrslokal zu verstehen, unabhängig davon, ob der Geschäftsraum hierzu besonders ausgestattet ist oder nicht.314 Das umfaßt auch Verkaufsflächen im Freien, Geschäftspassagen, Stände auf Ausstellungen und Messen, nicht aber Kontore und Fabrik- oder Büroräume, die regelmäßig nicht mit Kundenkontakt befaßt sind.315 Ausreichend ist nach h.M., wenn das Geschäft im Laden angebahnt und außerhalb des Ladens abgeschlossen worden ist.316 Geschäftsherr kann nur ein Kaufmann oder eine kaufmannsähnliche Person (dann gehend (d. h. ohne ausdrückliche Ausnahme für die Fälle des § 123 BGB) Soergel-Leptien, § 167 Rn. 22. 310 BGHZ 86, 273; ebenso K. Schmidt, in: FS Gernhuber, 449 ff.; a.A die h.L., vgl. Canaris, Handelsrecht, § 16 Rn. 21 m.w.Nachw. 311 Für Rechtsscheinhaftung als dogmatische Grundlage die ganz h.L.; vgl. nur Canaris, Vertrauenshaftung, 189 f. m.w.Nachw.; ders., Handelsrecht, § 16 Rn. 5 m.w.Nachw.; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 216 ff.; K. Schmidt, HandelsR, § 16 V 2 (491 f. – „Vermutungsund Rechtsscheinregel“) m.w.Nachw.; Staub / Joost, § 56 Rn. 7. – Der Fall des § 54 HGB, der dogmatisch ebenfalls der Rechtsscheinhaftung zuzuordnen ist (Canaris, Handelsrecht, § 15 Rn. 11 ff.), spielt dagegen für den elektronischen Geschäftsverkehr keine besondere Rolle und wird daher hier nicht weiter vertieft. 312 § 56 HGB steht damit §§ 171 f. BGB und der Duldungsvollmacht sehr nahe; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 221 m.w.Nachw. 313 Canaris, Vertrauenshaftung, 190. 314 K. Schmidt, HandelsR, § 16 V 3b (494); Staub / Joost, § 56 Rn. 18. 315 RGZ 69, 307, 308 f.; Weber, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 56 Rn. 6; Heymann / Sonnenschein / Weitemeyer, § 56 Rn. 3 ff.; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 215 m.w.Nachw.; MüKo-HGB-Lieb / Krebs, § 56 Rn. 12 f.; K. Schmidt, a. a. O.; Schlegelberger / Schröder, § 56 Rn. 2; Staub / Joost, § 56 Rn. 19. 316 RGZ 108, 48, 49; Heymann / Sonnenschein / Weitemeyer, § 56 Rn. 8; K. Schmidt, HandelsR, § 16 V 3c (494); Schlegelberger / Schröder, § 56 Rn. 2; a.A. MüKo-HGB-Lieb / Krebs, § 56 Rn. 19 f.; Staub / Joost, § 56 Rn. 24.

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§ 56 HGB analog) sein.317 Ob ein Geschäft „gewöhnlich“ ist, bemißt sich nicht nach den Gepflogenheiten des konkreten Ladenlokales, sondern nach der Branchenüblichkeit.318 Nach allgemeinen Grundsätzen muß der Dritte von der Anstellung Kenntnis haben und gutgläubig sein (entsprechend § 54 Abs. 3 HGB im Sinne schuldloser Unkenntnis der wahren Rechtslage), ohne daß damit besondere Nachforschungspflichten des Kunden gemeint wären.319 Zweck des § 56 HGB ist es gerade, Dritte von einer Nachforschungspflicht freizustellen, wo eine Nachfrage nach der Bevollmächtigung vom Verkehr als untunliche Einmischung in die Angelegenheiten des Geschäftsherrn gesehen würde.320 Zurechenbarkeit setzt voraus, daß der falsus procurator mit Wissen des Geschäftsherrn im Laden bzw. Warenlager mit Kundenkontakt tätig, also „angestellt“ i.S.v. § 56 HGB ist.321 Schuldhafte Unkenntnis reicht bei § 56 HGB nicht aus, sondern führt allenfalls zu einer Haftung nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht.322 Ein Irrtum des Geschäftsherrn über die Bedeutung der Anstellung nach § 56 HGB ist ohne Belang, ansonsten wäre § 56 HGB praktisch weitgehend bedeutungslos.323 Liegen die Voraussetzungen des § 56 HGB vor, billigt die wohl h.M. dem Kunden kein Wahlrecht zu.324 Über den Anwendungsbereich des § 56 HGB hinaus gilt nach Rspr. und h.L. der Satz, daß eine Scheinvollmacht überall dort anzunehmen ist, wo der Prinzipal einem anderen nach außen eine Stellung einräumt, die typischerweise mit einer bestimmten Vollmacht verbunden ist, unabhängig von atypischen internen Bindungen.325 Die Scheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung ist daher eng mit der Canaris, Handelsrecht, § 16 Rn. 10. Heymann / Sonnenschein / Weitemeyer, § 56 Rn. 9; MüKo-HGB-Lieb / Krebs, § 56 Rn. 32 f.; Schlegelberger / Schröder, § 56 Rn. 4; K. Schmidt, HandelsR, § 16 V 3e (496); Staub-Joost, § 56 Rn. 40. 319 Zur Gutgläubigkeit Canaris, Vertrauenshaftung, 190 m.w.Nachw.; ferner Heymann / Sonnenschein / Weitemeyer, § 56 Rn. 20; K. Schmidt, HandelsR, § 16 V 3 f. (496); Staub / Joost, § 56 Rn. 44. 320 BGH NJW 1975, 2191; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 220. 321 RGZ 108, 48, 49; BGH NJW 1975, 2191; Baumbach-Hopt, § 56 Rn. 2; Canaris, Vertrauenshaftung, 190 m.w.Nachw.; ders., Handelsrecht, § 16 Rn. 7 m.w.Nachw.; Weber, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 56 Rn. 5; Heymann / Sonnenschein / Weitemeyer, § 56 Rn. 6 f.; MüKo-HGB-Lieb / Krebs, § 56 Rn. 14; Schlegelberger-Schröder, § 56 Rn. 2; K. Schmidt, HandelsR, § 16 V 3d (495); Staub / Joost, § 56 Rn. 11. 322 H.M.; RGZ 108, 48, 49 f.; BGH JR 1990, 59, 61; Canaris, Vertrauenshaftung, 190; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 225 ff.; MüKo-HGB-Lieb / Krebs, § 56 Rn. 15. A.A. z. B. Düriger-Hachenburg-Hoeniger, 3. Aufl. 1930, § 56 Anm. 1. 323 Ganz h.M.; s. nur Canaris, a. a. O., 190; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 227 ff. m.w.Nachw. 324 MüKo-HGB-Lieb / Krebs, § 56 Rn. 34; K. Schmidt, HandelsR, § 16 V 3h (497); a.A. Staub / Joost, § 56 Rn. 46. 325 Canaris, a. a. O., 191 m.w.Nachw.; Soergel-Leptien, § 167 Rn. 30. 317 318

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Duldungsvollmacht verwandt. Die Scheinvollmacht ergibt sich hier statt aus dem Dulden eines Vertreterhandelns aus der Einräumung einer bestimmten Stellung.326 Allerdings ist sorgfältig zu ermitteln, ob eine bestimmte Stellung tatsächlich verkehrstypisch mit einer Vollmacht ausgestattet ist, und wenn ja in welchem Umfang. Die bloße Führung eines Titels reicht, abgesehen von den Fällen „Prokurist“ und „Handlungsbevollmächtigter“ i.d.R. nicht aus.327 Ebensowenig genügt, daß der als Vertreter Auftretende irgendwie in den Betrieb oder die Organisation des Geschäftsherrn eingegliedert ist und dessen Briefpapier, Firmenstempel oder Rechnungsformulare verwendet.328 Die Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden und die Zurechnung, insbesondere i.H.a. Willensmängel, bestimmen sich wie bei der Duldungsvollmacht.329 Stützt sich die Annahme einer Scheinvollmacht lediglich auf die Führung eines bestimmten Titels, sind an die Gutgläubigkeit strenge Anforderungen zu stellen.330 Analog §§ 171 Abs. 2, 173 BGB besteht die Scheinvollmacht, bis der Geschäftsherr dem Stellvertreter die eingeräumte Stellung nach außen nimmt; eine besondere Mitteilung an einen Dritten oder eine ausdrückliche Erklärung an die Öffentlichkeit ist nicht notwendig.331 Unerheblich sind wie erwähnt Irrtümer des Geschäftsherrn über die Bedeutung der Einräumung der Stellung.

d) Das Handeln unter fremdem Namen Handeln „unter“ fremdem Namen liegt vor, wenn ein Dritter nicht als Vertreter des Geschäftsherrn auftritt, sondern vorgibt, dieser selbst zu sein. Handelt der Dritte mit Vertretungsmacht, wird der Geschäftsherr analog §§ 164 ff. BGB verpflichtet, es sei denn, nach den für den Erklärungsempfänger erkennbaren Umständen des Falles liegt ein Eigengeschäft des Handelnden vor.332 Liegt keine Vertretungsmacht vor, kommt auch bei Handeln unter fremdem Namen eine Rechtsscheinhaftung in Betracht. Ein Rechtsscheintatbestand liegt in Anlehnung an die bisher erörterten Fälle der Scheinvollmacht vor, wenn der Namensträger einen Scheintatbestand dahingehend geschaffen hat, daß wirklich er selbst gehandelt habe, z. B. durch Erfüllung entsprechender Verträge in früheren derartigen Fäl326 Canaris, a. a. O., 46, mit näherer Begründung zum Vorliegen eines echten Rechtsscheintatbestandes. Kindl, Rechtsscheintatbestände, 91 f., behandelt die Rechtsscheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung sogar als Fallgruppe der Duldungsvollmacht. 327 Canaris, a. a. O., 191. 328 Kindl, Rechtsscheintatbestände, 92 f. 329 Canaris, a. a. O., 47 f. 330 Canaris, a. a. O., 191. 331 Canaris, a. a. O., 146 f. 332 Heute h.M.; s. BGHZ 45, 193 ff. = NJW 1966, 1069 f.; Flume, AT II § 44 IV; Medicus, AT Rn. 908 m.w.Nachw.; Palandt-Heinrichs, § 164 Rn. 10 m.w.Nachw.; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. 8 a.E. zu §§ 116 – 144.

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len.333 Der Vertrauende muß gutgläubig sein und Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand haben. Die Zurechnung erfolgt nach denselben Maßstäben wie bei Duldungs- und Anscheinsvollmacht.

e) Fälschung und Verfälschung Im bürgerlichen Recht spielen Fälschung und Verfälschung eine untergeordnete Rolle. Die bewußte Schaffung eines Rechtsscheins bei einer von einem Dritten gefälschten oder verfälschten Urkunde wird sehr selten sein. Die fahrlässige Ermöglichung einer Fälschung ist im bürgerlichen Recht grundsätzlich nicht zurechenbar.334 Auch das normale Fälschungs- und Verfälschungsrisiko, das bei jeder Urkunde besteht, ist mangels eines erhöhten Risikos für den Rechtsverkehr nicht zurechenbar; erforderlich ist vielmehr eine gefahrerhöhende, mangelhafte Ausfüllung der Urkunde.335

2. Rechtsscheinvollmachten in Internet und Intranets Das für Rechtsscheinvollmachten relevante Handeln eines falsus procurator kann ohne weiteres auch im Internet oder einem Intranet erfolgen. Die bei Duldungsvollmacht erforderliche positive Kenntnis des Geschäftsherrn wird bei einem Internetauftritt des falsus procurator im Einzelfall nachzuweisen sein; allein daraus, daß auch der Geschäftsherr im Internet an anderer Stelle vertreten ist, läßt sich aufgrund der schieren Größe des Internets noch keine Kenntnis ableiten. Anders kann es möglicherweise sein, wenn der falsus procurator auf der Internetseite des Geschäftsherrn oder im unternehmensinternen Intranet des Geschäftsherrn auftritt. Dann stellt sich die Frage, ob man die Kenntnis des Geschäftsherrn fingieren oder zumindest vermuten kann. Eine Fiktion, etwa nach § 166 BGB, wäre allerdings ein Zirkelschluß, da es ja gerade darum geht, überhaupt erst Vertretungsmacht zu begründen. Auch eine Vermutung wäre nicht gerechtfertigt; aufgrund des Umfangs heutiger Internetseiten und Intranets besteht keinesfalls eine tatsächliche Vermutung, daß der Geschäftsherr den gesamten Inhalt seiner Seite bzw. seines Intranets kennt. Allenfalls ein gewisses Indiz wird man diesbezüglich annehmen können, mehr nicht. Bei der Anscheinsvollmacht ist dagegen nur Kennenmüssen (nach der herrschenden Verschuldenstheorie) bzw. die Verwirklichung des typischen Risikos kaufmänCanaris, a. a. O., 68. Canaris, a. a. O., 69 f. 335 Canaris, a. a. O., 70 mit Fn. 19. Vgl. ferner die Rspr. zur Fälschung von Überweisungsaufträgen, Schecks, ec- und Kreditkarten, z. B. BGH NJW 1994, 3344 ff.; ZIP 1997, 910 ff.; BGHZ 91, 221 ff.; 114, 238 ff. 333 334

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nischer Betriebsorganisation erforderlich (Risikotheorie). Wendet man mit der h.M. die Anscheinsvollmacht auch im bürgerlichen Recht an, ergibt sich eine theoretisch sehr weitreichende Haftung des Geschäftsherrn. Nicht nur der Auftritt eines falsus procurator auf der eigenen Internetseite des Geschäftsherrn, sondern ggf. auch an einer anderen Stelle des Internets wäre dann möglicherweise zurechenbar. Dagegen mag man einwenden, die Zurechnung eines Auftritts anderswo und die damit einhergehende Pflicht, das gesamte Internet zu überwachen, stelle den Geschäftsherrn vor unzumutbare Anforderungen. Dem muß man allerdings entgegenhalten, daß Rechtspflichten, das Internet nach bestimmten Informationen abzusuchen, kein vollkommenes Novum sind. So gibt es in den USA seit 1995 eine obergerichtliche Rechtsprechung, wonach beispielsweise Investoren, Darlehensgeber oder Rechtsanwälte Gesetzgebung und Rechtsprechung, die im Internet veröffentlicht ist, kennen müssen (sog. duty to browse).336 In ähnlicher Weise könnte man den Geschäftsherrn in der Pflicht sehen, das Internet nach dem Auftritt eines falsus procurator, beispielsweise unter Zuhilfenahme geeigneter Suchprogramme, abzusuchen. Noch weitergehend könnte man diese Pflicht auch auf Geschäftsherrn ausdehnen, die selbst gar nicht im Internet auftreten. Diese Überlegungen zeigen, zu welch uferloser Weite die Anwendung der Anscheinsvollmacht in Kombination mit dem Verschuldensprinzip, so wie es herrschender Meinung entpräche, führen kann. Diese Gefahren lassen sich vermeiden, beschränkt man die Anscheinsvollmacht auf den kaumännischen und kaufmannsähnlichen Verkehr und nimmt man die Zurechnung nach dem Risikoprinzip vor. Danach ist nur ein durch arbeitsteilige unternehmerische Organisation verursachtes erhöhtes Risiko der Irreführung des Rechtsverkehrs zurechenbar. Der Geschäftsherr muß sich das Auftreten eines falsus procurator auf der Internetseite des Geschäftsherrn zurechnen lassen; durch deren Einrichtung hat er ein erhöhtes Risiko geschaffen. Den Auftritt an einer sonstigen Stelle im Internet muß er sich dagegen nicht zurechnen lassen; insoweit liegt keine mit einer kaufmännischen Organisation verbundene Gefahr, sondern ein allgemeines „Lebensrisiko“ vor. Bei Duldungs- und Anscheinsvollmacht ist zu beachten, daß ein Handeln des falsus procurator in fremdem Namen vorliegen muß, beispielsweise ein Auftreten als autorisierter Händler eines Hersteller-Geschäftsherrn. Bei bloßem Handeln unter dem Namen des Geschäftsherrn muß für eine Rechtsscheinhaftung hinzukommen, daß der Geschäftsherr das Verhalten bei früheren Anlässen geduldet hat, und der Vertrauende dies weiß. Das wird recht selten der Fall sein.337 Schließlich sind auch Anwendungsfälle des § 56 HGB und der weiteren Grundsätze über die Rechtscheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung im Kontext 336 Whirlpool Financial Corporation v. GN Holdings, Inc., 67 F3d. 605 (7th Cir. 1995), Rehearing, en banc, denied 1995 U.S.App. LEXIS 31066 (7th Cir. Oct. 31, 1995) m. Anm. v. Bender / Zahn / Tigges, AnwBl. 3 / 1996, 158 ff.; s. a. Havenick v. Network Express, 981 F.Supp. 480, 514 (E.D.Mich. 1997) und Marks v. CDW Computer Ctrs., 122 F.3d 363, 368 (7th Cir. 1997). 337 Dazu BGH Urt. v. 14. 03. 2000, XI ZR 55 / 99 (Mißbrauch eines Faksimilestempels).

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von Internet und Intranets denkbar. Für § 56 HGB müßte ein Internetauftritt als „Laden“ oder „Warenlager“ des Geschäftsherrn gelten können. Das ist durchaus vorstellbar. Wer beispielsweise seinem Internetauftritt eine Rufnummer für telefonische Information und Bestellungen beifügt, wird sich an den Geschäften festhalten lassen müssen, die der Telefonist in Namen des Geschäftsherrn abschließt, auch wenn der Geschäftsherr den Telefonisten nicht rechtsgeschäftlich bevollmächtigt haben sollte.338 Es besteht kein Grund, den Prinzipal zu bevorzugen, der aus Kostenersparnisgründen keinen Laden bzw. kein Warenlager mit der Möglichkeit persönlichen Kundenkontakts unterhält, sondern seinen Vertrieb via Internet und fernmündlich organisiert. Grundsätzlich gleiches gilt für die Internetveröffentlichung des Geschäftsherrn, er habe jemanden eine bestimmte Stellung verliehen, die typischerweise mit Vertretungsmacht verbunden ist. Wie generell ist auch hier beim Umgang mit bloßen Titeln allerdings Vorsicht geboten. Fälschungen und Verfälschungen einer Homepage im Internet oder einem Intranet sind dagegen nach allgemeinen Grundsätzen im bürgerlichen Verkehr nicht zurechenbar. Im kaufmännischen Verkehr wäre zumindest ein risikoerhöhendes Verhalten Zurechnungsvoraussetzung. Allein im Unterhalten einer Homepage kann ein erhöhtes Risiko jedenfalls nicht erblickt werden.

3. Elektronische Erklärungen a) Einfache elektronische Erklärungen Bei einfachen elektronischen Erklärungen kommt eine Haftung nach den Grundsätzen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht in Betracht, wenn ein Dritter unter dem Namen des Geschäftsherrn z. B. einen einfachen elektronischen Brief erstellt und per elektronischer Post versendet, vorausgesetzt der Empfänger weiß, daß ein Dritter gehandelt hat und der Geschäftsherr dagegen nicht einschreitet. Darauf, daß einfache elektronische Erklärungen als besonders unsicher gelten, kommt es für die Regeln über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht nicht an.339 Selbst bei herkömmlichen mündlichen Erklärungen, die man gewiß als mindestens ebenso „unsicher“ ansehen muß, beispielsweise wenn sie telefonisch erfolgen, wenden Rechtsprechung und Wissenschaft ohne Bedenken jene Regeln an. Denkbar ist auch, daß sich die Duldung durch den Geschäftsherrn aus einer einfachen elektronischen Erklärung, z. B. einem elektronischen Brief, ergibt. Diese Fälle weisen keine 338 Für Anwendung des § 56 HGB auf telefonische Geschäftsabschlüsse auch Staub / Joost, § 56 Rn. 25 mit Hinweis auf RG SeuffArch 80 (1926) Nr. 48. Enger dagegen wohl Weber, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 56 Rn. 7 f., der zwar Geschäftsabschlüsse per Telefon, Telefax und elektronischer Post aus einem herkömmlichen „Laden“ oder „Warenlager“ heraus unter § 56 HGB subsumiert, dagegen „im Hinblick auf den eng gefassten Wortlaut des § 56“ eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Personal in anderen Räumen nicht für möglich hält. 339 A.A. wohl Ultsch, DZWir 1997, 466, 470.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Besonderheiten gegenüber herkömmlichen Erklärungen und herkömmlichem Verhalten eines Geschäftsherrn auf. § 56 HGB dürfte für einfache elektronische Erklärungen keine Anwendungsfälle haben, da Anknüpfungspunkt dort die tatsächliche Einräumung einer bestimmten Stellung ist, nicht die Abgabe einer Erklärung. Fälschung und Verfälschung einfacher elektronischer Erklärungen sind regelmäßig nicht zurechenbar, da die dafür erforderliche Schaffung eines erhöhten Risikos für den Rechtsverkehr fehlen wird. Die leichte Fälschbarkeit einfacher elektronischer Erklärungen gehört zu ihrem Wesen. Eine Zurechnung würde daher voraussetzen, schon die Verwendung einfacher elektronischer Erklärungen als Schaffung eines erhöhten Risikos zu qualifizieren. Dies ginge aber deutlich zu weit. Vielmehr wissen beide Geschäftspartner um die leichte Fälschbarkeit; der Empfänger bedarf insoweit gar keines erhöhten Verkehrsschutzes. Bei Zweifeln ist er vielmehr gehalten, beim Geschäftsherrn Rücksprache zu nehmen.

b) Eingescannte Unterschriften Auch hier gilt für Zwecke der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, daß sowohl die Erklärung des falsus procurator als auch die Duldung durch den Geschäftsherrn in Form einer elektronischen Erklärung, auch mit eingescannter Unterschrift, erfolgen kann. Auch hier dürfte § 56 HGB keinen Anwendungsbereich haben. Problematisch erscheinen hier Fälschung und Verfälschung. Wer Zugang zu der eingescannten Unterschrift erlangt, kann leicht „täuschend echte“ Erklärungen unter dem Namen des Geschäftsherrn abgeben. Fraglich ist daher, ob die Vorhaltung bzw. Verwendung einer eingescannten Unterschrift eine erhöhte Gefahr für den Rechtsverkehr, vergleichbar der gefahrerhöhenden, mangelhaften Ausfüllung einer Urkunde, darstellt. Das kann man nicht generell annehmen. Ob gefahrerhöhendes Verhalten vorliegt, hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere der Sicherung des Zugangs zur eingescannten Unterschrift. Dann stellt sich die Frage, ob ein bestimmter Zugangsmechanismus, z. B. ein Kennwort, hinreichend sicher ist, um einen Rechtsscheintatbestand zu begründen. Das aber ist eine den Zugangsmechanismus betreffende Frage und soll daher getrennt, z. B. nachfolgend beim Kennwortschutz, erörtert werden. Die Verwendung einer eingescannten Unterschrift als solche reicht jedenfalls nicht aus, um von einer per se erhöhten Gefahr für den Geschäftsverkehr sprechen zu können, die eine Zurechnung von Fälschungen und Verfälschungen rechtfertigen würde.

c) Kennwortgeschützte Erklärungen Die Anwendung der Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht auf kennwortgeschützte Erklärungen unter fremdem Namen wurde bislang in

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Rechtsprechung und Literatur vor allem für die Anwendung Bildschirmtext (Btx) behandelt, und zwar bereits in den achtziger und frühen neunziger Jahren. Daher wird der Problematik auch hier breiterer Raum eingeräumt.340 Unproblematisch ist zunächst der Fall, daß der Kennwortinhaber einem Dritten die Verwendung seines Kennwortes gestattet und der Dritte daraufhin unter diesem Kennwort eine elektronische Erklärung abgibt, die den gestatteten Rahmen oder Umfang nicht überschreitet. Solches Verhalten stellt in der Regel Handeln unter fremdem Namen nach herkömmlichen, allgemein anerkannten Grundsätzen dar, ist also analog §§ 164 ff. BGB zu behandeln und dem Geschäftsherrn zuzurechnen.341 Der Kennwortinhaber wird bei bestehender Vertretungsmacht wirksam verpflichtet.342 Problematisch ist dagegen der Fall der unbefugten Kennwortverwendung durch einen Dritten. Bereits in § 4 wurde festgestellt, daß die Grundsätze des verdeckten Blankettmißbrauchs analog angewendet werden können, soweit der Kennwortinhaber einem anderen das Kennwort zum Zwecke des Abschlusses bestimmter Rechtsgeschäfte mitteilt, und der andere anschließend abredewidrig andere Geschäfte abschließt, die aber noch nach Inhalt, Umfang und Häufigkeit dem für das betreffende Kennwort Üblichen entsprechen. Nicht über den verdeckten Blankettmißbrauch lösbar sind dagegen die Fälle, in denen der Kennwortinhaber sein Kennwort dem Dritten mitteilt, ohne ihm den Abschluß von Geschäften zu erlauben, oder er das Kennwort offen bzw. unsorgfältig verwahrt, so daß Dritte Zugang erlangen können, oder die Fälle in denen Dritte sich eigenmächtig das Kennwort verschaffen, etwa durch Diebstahl oder „Abhören“ des Telekommunikationsanschlusses des Kennwortinhabers, über den das Kennwort bei Transaktionen übermittelt wird.343 Ob diese Fallgestaltungen über die Figuren der Rechtsscheinvollmachten zu handhaben sind, soll nachfolgend beleuchtet werden. Zunächst ist zu untersuchen, ob in diesen Fällen grundsätzlich eine Haftung nach den Regeln über die Scheinvollmacht in Betracht kommt. Anschließend werden Einzelfragen bei Handeln von Familienangehörigen, Minderjährigen und Verbrauchern erörtert.

340 Dabei besteht kein prinzipieller Unterschied zwischen Btx und anderen kennwortgeschützten Anwendungen. Ausführungen speziell zu Btx können daher insoweit verallgemeinert werden; umgekehrt lassen sich allgemeine Überlegungen zu kennwortgeschützten Systemen auf die spezielle Anwendung Btx übertragen. Daß es Unterschiede im Detail gibt, ist selbstverständlich, beispielsweise im Hinblick auf den unterschiedlichen Sicherheitsgrad verschiedener Anwendungen, abhängig beispielsweise von der „Länge“ der Kennworte, der Häufigkeit ihrer Änderung, der zusätzlichen Verwendung von Transaktionsnummern (TAN), dem Vertraulichkeitsschutz der Übertragungswege für das Kennwort u.a.m. 341 Auerbach, CR 1988, 18, 20; Borsum / Hoffmeister, NJW 1985, 1205; Kuhn, Rechtshandlungen, 193 ff. 342 Kuhn, Rechtshandlungen, 193 ff. 343 Auerbach, CR 1988, 18, 21.

13 Rieder

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(1) Grundsätzliche Behandlung Ausgangspunkt ist die – allgemein anerkannte – Annahme, daß die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht auch für Handeln unter fremdem Namen gelten.344 Daher wird man von einem Rechtsscheintatbestand im Sinne einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht auszugehen haben, wenn ein Dritter, dem keine Vertretungsmacht erteilt worden ist, unter dem Namen des Kennwortinhabers und unter Verwendung seines Kennwortes Rechtsgeschäfte tätigt, und der Kennwortinhaber dagegen nicht einschreitet, sondern entsprechende Rechnungen anstandslos bezahlt, Aufträge ausführt, Anfragen beantwortet etc.345 Insoweit bestehen keine Besonderheiten gegenüber dem herkömmlichen Geschäftsverkehr. Der auf seiten des Vertrauenden zu fordernde gute Glaube bereitet bei unbefugter Kennwortverwendung keine Schwierigkeiten. Wer weiß, daß ein Dritter ohne Befugnis eine elektronische Erklärung unter dem Namen des Kennwortinhabers mit Hilfe dessen Kennworts abgegeben hat, verdient keinen Schutz. Problematisch ist dagegen die Kenntnis des Vertrauenden vom Rechtsscheintatbestand. Zwar reicht aus, wie eingangs in § 3 erörtert, daß der Dritte die wesentlichen Grundlagen und Umstände kennt, aus denen sich der Rechtsscheintatbestand ergibt; eine in allen Einzelheiten klare und richtige Vorstellung vom Rechtsscheintatbestand ist nicht erforderlich.346 Der Erklärungsempfänger muß nicht notwendigerweise das Verhalten des Geschäftsherrn wahrgenommen haben; es genügt Kenntnis des äußeren Bildes, das der Vertreter zu zeichnen vermochte und auf das der Rechtsverkehr vertraut.347 Blindes Vertrauen des Erklärungsempfängers, mit der Erklärung werde schon alles in Ordnung sein, reicht dagegen für die Annahme einer Duldungs- oder Rechtsscheinvollmacht nicht aus. Auf das Erfordernis der Kenntnis zu verzichten, wäre allenfalls in dem hier nicht tangierten Bereich des Registerschutzes diskutabel.348 Etwa Canaris, Vertrauenshaftung, 68 f. für die Duldungsvollmacht. Canaris, Vertrauenshaftung, 68. Dagegen will Kuhn offenbar u.U. schon das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes verneinen (Rechtshandlungen, 211). Nach Kuhn soll nämlich im Fall der Anscheinsvollmacht der Erklärungsempfänger „bei einer erkennbar mittels EDV erstellten oder fernübermittelten Erklärung“ um die unvermeidliche Mißbrauchsgefahr wissen. Daher dürfe er nur aufgrund besonderer Umstände davon ausgehen, daß der Erklärende den Mißbrauch hätte vermeiden können; somit fehle bereits der Rechtsscheintatbestand. Diese Auffassung trifft nicht zu. Die angeblich fehlende Vertrauenswürdigkeit elektronischer Erklärungen kann für die Duldungs- und Anscheinsvollmacht keine Rolle spielen. Auch im herkömmlichen Geschäftsverkehr kommt es darauf nicht an. Ansonsten könnte man annehmen, schon das Auftreten eines Dritten ohne ausdrückliche Vertretungsmacht sei so verdächtig, daß sich der Erklärungsempfänger grundsätzlich nicht darauf verlassen darf. Damit würden Duldungs- und Anscheinsvollmacht ad absurdum geführt. Maßgeblich für das Vorliegen des Rechtsscheintatbestandes ist allein, ob ein Dritter für den Kennwortinhaber handelt und dieser nicht dagegen einschreitet. 346 Canaris, Handelsrecht, § 6 Rn. 76; ähnlich BGHZ 61, 59, 64. 347 RGRK-Steffen, § 167 Rn. 15. Vgl. BGH LM BGB § 167 Nr. 13. 348 Dazu Canaris, Vertrauenshaftung, 507 ff., der auch insoweit Kenntnis fordert. 344 345

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Der Erklärungsempfänger muß daher im allgemeinen wissen, daß der Geschäftsherr in früheren Fällen entsprechende Geschäfte anstandslos erfüllt hat.349 Weiß der Erklärungsempfänger dagegen nicht, daß der Geschäftsherr in früheren Fällen sich das Handeln eines unter seinem Namen handelnden Dritten zu eigen gemacht hat – und das wird der Normalfall sein350 – bereitet die Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand erhebliche Schwierigkeiten.351 Dies wird häufig übersehen, von der Rechtsprechung der Instanzgerichte352 ebenso wie in der Literatur.353 Demgegenüber hat der BGH erst kürzlich erneut auf die Bedeutung des Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand (und darauf aufbauend der Kausalität und der Vertrauensdisposition) hingewiesen.354 Im übrigen entspricht das auch der Rechtslage in den USA.355 So auch RGRK-Steffen, § 167 Rn. 14 f. So auch Kuhn, Rechtshandlungen, 208 f.; Dörner, AcP 202 (2002), 363, 389. 351 So richtig Borsum / Hoffmeister, Bildschirmtext und Vertragsrecht, 53 ff.; dies., NJW 1985, 1205, 1206, ebenso Münch, NJW-CoR 1989, 7, 9 (mittlere Spalte). Auch Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 527 ff. geht davon aus, daß diese Regeln nicht direkt anwendbar sind, wenn er eine Weiterbildung (Hervorhebung d. Verf.) der Regeln über die Anscheinsvollmacht und der Scheinvollmacht kraft Einräumung einer Stellung fordert. 352 Beispielsweise OLG Oldenburg CR 1993, 558, 559 (m. zust. Anm. Paefgen); OLG Köln, NJW-RR 1994, 177, 178 (das – ohne auf das Problem der Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand einzugehen – von einer Haftung „aus dem Gesichtspunkt der Anscheinsvollmacht“ ausgeht); AG München, CR 1998, 566 f. (das ohne nähere Begründung eine Anwendung der Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht für denkbar hält); zustimmend offenbar Medicus, AT Rn. 969. 353 s. etwa Gößmann, in: Schimansky / Bunte / Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 55 Rn. 26; Hoeren, Rechtsfragen des Internet, Rn. 283; Köhler in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtextes, 62 f. (Haftung aus Anscheinsvollmacht sobald der Kennwortinhaber erfährt, daß ein Dritter das persönliche Kennwort kennt; wiederholtes Auftreten des Dritten mit dem Kennwort sei nicht notwendig); Lachmann, NJW 1984, 405, 408 (der ohne weitere Differenzierung bei unbefugter Kennwortverwendung eine Anscheinsvollmacht annimmt, und zwar auch ohne wiederholtes Auftreten des falsus procurator); Rutke, in: Scherer, Telekommunikation und Wirtschaftsrecht, 1988, 150 (der über das Problem der Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand völlig hinwegsieht und darüber hinaus bei der Anscheinsvollmacht auf das Merkmal mehrmaligen Auftretens verzichten will); Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1014; Thot, 114 ff.; Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 25 f. – Wieder anders Wiebe, 426, der offenbar bei Handeln unter fremdem Namen – ohne nähere Erörterung der Problematik – die Regeln über die Scheinvollmachten gänzlich für unanwendbar hält. 354 BGH Urt. v. 14. 03. 2000, XI ZR 55 / 99. Der Fall beschäftigt sich mit dem angeblichen Mißbrauch eines Faksimilestempels und die daraus möglicherweise folgende Haftung der Beklagten (einer Klinik) aus dem Gesichtspunkt der Anscheinsvollmacht. Eine vom Kläger an die Beklagte übersandte Forderungsaufstellung war bei der Beklagten mit der Bemerkung „Einverstanden“ versehen und unter Verwendung des Faksimilestempels des Geschäftsführers der Beklagten abgezeichnet worden. Das OLG hatte die Beklagte zur Zahlung des in der Aufstellung ausgewiesenen Forderungsbetrags (auf Basis eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses) verurteilt und angenommen, der Geschäftsführer der Beklagten habe entweder selbst unterschrieben bzw. seinen Faksimilestempel angebracht, oder ein Dritter aus dem Betrieb der Beklagten habe den Stempel unbefugt – aber der Beklagten kraft Anscheins-vollmacht zurechenbar – benutzt. Dem tritt der BGH entgegen. Der Kläger hatte (ungeschickterweise) vorgetragen, er sei von der eigenhändigen Unterschrift des Geschäftsführers der Beklagten ausgegangen, die Existenz eines Faksimilestempels sei ihm nicht bekannt 349 350

13*

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Allerdings ist zu bedenken, daß das Kenntniselement teilweise durchaus gewisse Abschwächungen erfahren hat, beispielsweise bei der verdeckten Blankettausfüllung, um Wertungswidersprüche zur offenen Blankettausfüllung zu vermeiden. In ähnlicher Weise356 wird man bei Handeln unter fremdem Namen eine Abschwächung des Kenntniselementes für vertretbar erachten müssen, da ansonsten ein Wertungswiderspruch zum Handeln in fremdem Namen entstünde. Handelt der Vertreter unter dem Namen des Geschäftsherrn, wird dem Geschäftspartner – anders als beim Handeln in fremdem Namen – die Existenz eines Dreipersonenverhältnises in aller Regel nicht bewußt. Wollte man die Regeln über die Rechtsscheinvollmacht bei Handeln unter fremdem Namen nur dann anwenden, wenn der Geschäftspartner erfährt, daß ein vom Geschäftsherrn verschiedener Vertreter aufgetreten ist, würde man dieses Rechtsinstitut eines wesentlichen Teils seines Anwendungsbereichs berauben. Das ist schwer einsehbar, da es wertungsmäßig nach allgemeinen Regeln gerade keinen Unterschied macht, ob der Vertreter in oder unter dem Namen des Geschäftsherrn auftritt. Für die Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand muß es daher ausreichen, daß der Vertreter durch mehrmaliges Handeln unter dem Namen des Kennwortinhabers vermochte, nach außen den Eindruck zu erwecken, als habe der Kennwortinhaber selbst das jeweilige Geschäft getätigt.357 Hervorzuheben ist, daß auf das Kriterium des „i.d.R. mehrmaligen Auftretens“ nicht verzichtet werden kann. Das wäre nach allgmeinen Regeln nur der Fall, wenn ein einmaliger Umstand mit großer Deutlichkeit für eine Bevollmächtigung spräche. Das aber ist trotz der oben zitierten vereinzelten abweichenden Meinungewesen, im übrigen habe der Geschäftsführer der Beklagten den Stempel nur selbst benutzt. Dann kann in der Tat, wie der BGH zu Recht annimmt, nicht von der Kenntnis eines Rechtsscheintatbestandes ausgegangen werden. – Anders wäre nach hiesiger Ansicht zu entscheiden gewesen, hätte der Kläger (was auch realistischer erscheint) vorgetragen, er habe sich keine Gedanken darüber gemacht, ob eine eigenhändige oder gestempelte Unterschrift vorliege, und ob der Geschäftsführer selbst oder ein Dritter mit Zugang zum Stempel gehandelt habe; er sei lediglich davon ausgegangen, alles sei in Ordnung. Dann hätte man wohl das sachgedankliche Mitbewußtsein vom Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes annehmen können. Der Fall dürfte daher für den Kläger eher aufgrund ungeschickten Tatsachenvortrags als aus streng juristischen Gründen verloren gegangen sein. 355 Vgl. § 159 R2d Agency Anm. b: „On the other hand, others who do not know of manifestations for which the principal is in some manner responsible acquire no rights against the principal because of apparent authority by entering into a transaction with the agent in the belief that the agent is authorized. This is true although they are reasonable in believing the agent to be authorized, as where they rely upon a skillful forgery or the statements of reputable persons who have been misled by the agent.“ 356 Der Schluß von der verdeckten Blankettausfüllung auf das Handeln unter fremdem Namen ist methodologisch durchaus legitim; die beiden Institute liegen in der praktischen Fallgestaltung oft nahe beisammen und bilden dogmatisch nebeneinanderliegende Teile einer „Typenreihe“, wie Canaris (Vertrauenshaftung, 66 ff. & 107) gezeigt hat. 357 Daraus folgt nur Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand; klarstellend sei nochmals darauf verwiesen, daß das Handeln des Vertreters allein für das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes und dessen Zurechenbarkeit gerade nicht ausreicht.

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gen, die insoweit sämtlich ohne nähere Begründung vorgetragen werden, bei Kennworten nicht ersichtlich.358 Eine andere Frage ist, ob eine Fortbildung der Grundsätze über Scheinvollmachten dergestalt möglich ist, daß auch in den Fällen erstmaliger unbefugter Kennwortverwendung eine Erfüllungshaftung kraft Rechtsscheins entstehen kann. Dieser Frage wird im 3. Kapitel nachgegangen, wenn neue, für den elektronischen Geschäftsverkehr spezifische Erscheinungsformen der Rechtsscheinhaftung untersucht werden. Die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht in herkömmlicher Ausprägung lassen jedenfalls eine so weitgehende Haftung nicht zu. Die weiteren Voraussetzungen auf seiten des Empfängers, wenn einmal Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand gegeben sein sollte, also Vertrauensinvestition, Kausalität und Schutzwürdigkeit sind dagegen eher unproblematisch und bestimmen sich nach allgemeinen Grundsätzen. Genauerer Betrachtung bedarf dagegen wiederum das Merkmal Zurechenbarkeit. Bei der Duldungsvollmacht muß der Kennwortinhaber positive Kenntnis davon haben, daß ein Dritter sein Kennwort zur Abgabe elektronischer Erklärungen verwendet und dagegen keine Gegenmaßnahmen ergreifen. Bei der Anscheinsvollmacht ist nach h.M. das Verschuldensprinzip, nach a.A. das Risikoprinzip maßgeblich.359 Bezeichnenderweise wird auch von den Vertretern des Verschuldensprinzips teilweise angenommen, es dürften keine überspannten Anforderungen an das Kennenmüssen gestellt werden, insbesondere bei arbeitsteiligem Mitwirken zahlreicher Personen am Zustandekommen einer Willenserklärung.360 Inhaltlich entspricht das dem Risikoprinzip. Dann sollte man ehrlicherweise aber gleich vom Risikoprinzip ausgehen, das hier deshalb Zurechnung gebietet, weil der Geschäftsherr auch die Vorteile der Arbeitsteilung erntet. Erneut zeigt sich die Überlegenheit des Risikoprinzips als Zurechnungsmaßstab. Auch hier sei nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Grundsätze über die Anscheinsvollmacht indes nach richtiger Ansicht nur zulasten kaufmännischer bzw. kaufmannsähnlicher Personen gelten. Überläßt der kaufmännische bzw. kaufmannsähnliche Kennwortinhaber das Kennwort einem Dritten, so wird er sich die unter seinem Kennwort abgegebenen Erklärungen zurechnen lassen müssen. Zwar schafft die Verwendung eines Kennwortschutzsystems als solche noch keine erhöhte Gefahr für den Rechtsverkehr, wohl aber die Überlassung des Kennwortes an einen Dritten. Anders als bei der in § 4 erörterten Analogie zur verdeckten Blankettausfüllung ist hier nicht Voraussetzung, daß das Kennwort zum Abschluß von bestimmten Rechtsgeschäften überlassen wurde. Zurechenbar ist auch der Fall, daß Kennworte aufgrund der Betriebsorganisation für nicht befugte Betriebsangehörige zugänglich sind. Nicht zurechenbar ist dagegen das Abhandenkommen, d. h. die aktive Ausspähung eines geschützt aufbewahrten Kennwortes durch einen Unbe358 359 360

So auch Stempfle, in: Bräutigam / Leupold, Online-Handel, 567 (Rn. 249). Für Verschuldensprinzip bei Kennwortmißbrauch z. B. Auerbach, CR 1988, 18, 21 Kuhn, Rechtshandlungen, 211.

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fugten (sei er betriebsangehörig oder betriebsfremd). Eine solche Ausspähung stellt kein spezifisches Risiko der Betriebsorganisation dar, sondern stellt unrechtmäßiges Handeln im Rahmen eines über Betriebsrisiken hinausgehenden allgemeinen Risikos dar.

(2) Einschränkung bei Familienangehörigen aufgrund Art. 6 GG? Namentlich von Redeker wurde im Zusammenhang mit Btx die Auffassung vertreten, die Anwendung der Grundsätze über Duldungs- und Anscheinsvollmacht bei kennwortgeschützten elektronischen Erklärungen sei einzuschränken, wenn der unbefugt Handelnde Familienmitglied des Kennwortinhabers ist. Dies ergebe sich aus dem durch Art. 6 GG geschützten Vertrauensverhältnis innerhalb der Familie. Der Geschäftspartner müsse damit rechnen, daß mehrere Familienmitglieder das Kennwort kennen. Das Fälschungsrisiko sei dann ein normales Risiko, das nicht der Kennwortinhaber trage.361 Diese Auffassung ist abzulehnen.362 Ihr wird man entgegenhalten müssen, daß das Problem der Setzung eines Rechtsscheintatbestandes durch Familienangehörige nicht auf kennwortgeschützte elektronische Erklärungen beschränkt ist, sondern auch im herkömmlichen Rechtsverkehr vorkommt (z. B. im Betrieb mitarbeitende Familienangehörige, deren Verhalten die Voraussetzungen einer Duldungs-, Anscheins- oder Ladenvollmacht erfüllt). Gleichwohl hat aber bislang niemand ernsthaft behauptet, die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung seien generell durch Art. 6 GG eingeschränkt. Genau diese Einschränkung müßte man dann konsequenterweise fordern. Das angeblich durch Art. 6 GG geschützte Vertrauensverhältnis innerhalb der Familie würde dann generell das Vertrauen des Erklärungsempfängers überwiegen. Für eine so weitgehende Einschränkung der Grundsätze der Vertrauenshaftung bietet Art. 6 GG keinen Anhaltspunkt. Man wäre aus Gründen der inneren Einheit und Folgerichtigkeit der Rechtsordnung sogar gezwungen, noch einen Schritt weiter zu gehen und über die Rechtsscheinhaftung hinaus ganz generell Haftungs- und Ersatzansprüche entsprechend einzuschränken. Das aber widerspräche ganz eklatant dem Haftungskonzept des BGB, das beispielsweise auch keine Einschränkung der Schadensersatzansprüche des Vermieters gegen Mieter 361 Redeker, NJW 1984, 2390, 2394 mit dem nicht ganz verständlichen Verweis auf Canaris, Vertrauenshaftung, 70 Fn. 19. Interessanterweise bestimmt das Gesetz über die Sicherheit im elektronischen Geschäftsverkehr des US Bundesstaates Illinois (Illinois Electronic Commerce Security Act, 5 Ill. Comp. Stat. 175 – IECSA), daß die in dem Gesetz vorgesehene Zurechnungsvorschrift nicht gilt für „transactions intended primarily for personal, family, or household use. . .“, § 10-130(b). Dazu näher unten bei § 11. 362 So auch Köhler, in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtextes, 61 ff.; Kuhn, Rechtshandlungen, 201, 221; Paefgen, Anm. zu OLG Oldenburg CR 1993, 559, 562. Auch die Rechtsprechung macht keine Einschränkungen für Familienangehörige, vgl. etwa. OLG Köln NJW-RR 1994, 177 ff. = CR 1993, 552 ff. = VersR 1993, 840 ff. (Ehefrau), OLG Oldenburg NJW 1993, 1400, 1401 = CR 1993, 558, 559 m. Anm. Paefgen (Kind).

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wegen Beschädigungen der Mietsache enthält, wenn solche Beschädigungen durch Familienangehörige bzw. Kinder des Mieters verursacht worden sind. Die Auffassung von Redeker wäre auch kaum praktikabel. Der Erklärungsempfänger kann nicht unterscheiden, ob die Erklärung vom Kennwortinhaber, einem Familienmitglied oder einem Dritten stammt. Dann wäre es ein leichtes, zur Umgehung vertraglicher Bindungen stets geschäftsunfähige bzw. beschränkt geschäftsfähige (§ 179 Abs. 3 S. 2 BGB) Familienmitglieder „vorzuschieben“. Es trifft schlicht nicht zu, innerhalb der Familie sei ein Mißbrauch normales Risiko, im geschäftlichen Bereich dagegen nicht. Eher ist es gerade umgekehrt: Im arbeitsteiligen Geschäftsleben liegt es eher noch näher, Dritten (Mitarbeitern, Assistenten, Sekretärinnen etc.) ein Kennwort zu überlassen, anstatt eine weitere – ggf. kostenpflichtige – Kennung für jeden einzelnen anzuschaffen. Auch vom Ergebnis her führt die Auffassung von Redeker letztlich nicht zu einer „Entlastung der Familie.“ Der Erklärungsempfänger wäre auf Ersatzansprüche verwiesen (§ 179 BGB gegen den Handelnden, c.i.c. gegen den Geschäftsherrn), für die auch „die Familie“ aufkommen muß, nur mit dem Unterschied, daß es sich nicht um Erfüllungsansprüche handelt; finanziell ergibt sich aber letztlich in vielen Fällen nur ein geringer Unterschied.363 In Wirklichkeit stellt die Auffassung Redekers einen zwar im Ansatz begrüßenswerten, in seiner konkreten Ausgestaltung aber erfolglosen Versuch dar, die uferlose Weite der Anwendung von Anscheinsvollmachtsprinzipien – noch dazu gepaart mit dem Verschuldensprinzip – im reinen bürgerlich-rechtlichen Verkehr einzuschränken. Nach richtiger Ansicht ergibt sich schon aus dem limitierten Anwendungsbereich der Anscheinvollmacht auf kaufmännische und kaufmannsähnliche Geschäftsherrn, daß z. B. Eltern für die Rechtsgeschäfte ihrer Kinder mittels moderner Kommunikationsmedien nicht in dem Umfang haften, wie er von der h.M. zu Btx postuliert worden ist.364 (3) Besonderheiten bei Handeln Minderjähriger? Ist der Kennwortinhaber minderjährig, ergeben sich keine besonderen Probleme. Entweder der gesetzliche Vertreter hat in die Tätigung von Rechtsgeschäften mittels des Kennwortmechanismus eingewilligt, so daß dem Minderjährigen auch etwaiges Handeln Dritter zugerechnet werden kann (analog § 107 BGB). Oder aber eine solche Einwilligung besteht nicht; dann fehlt es an der Zurechnungsfähigkeit des Minderjährigen. Anders liegt es, wenn ein Minderjähriger unbefugt das Kennwort eines voll Geschäftsfähigen zum Abschluß von Rechtsgeschäften verwendet. Da Kenntnis vom Rechtsschein erforderlich ist, wird der Erklärungsempfänger zwar möglicherweise 363 Wollte man auch die Ersatzansprüche wegen Art. 6 GG einschränken, entstünde wieder der o.g. Wertungswiderspruch zum allgemeinen Haftungssystem des BGB. 364 So auch Canaris, Handelsrecht, § 16 Rn. 18; Canaris, in: FG 50 Jahre BGH I, 129, 159.

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wissen, daß es sich bei dem handelnden Dritten um einen Minderjährigen handelt. Dies hindert aber – analog § 165 BGB – die Annahme einer Rechtsscheinhaftung nicht. Weiß der Erklärungsempfänger gar nicht, daß der Handelnde Minderjähriger ist, gilt im Ergebnis wegen § 165 BGB (der nicht auf Kenntnis des Erklärungsempfängers abstellt) nichts anderes.365 Falls keine rechtsgeschäftliche Bindung entsteht und der minderjährige unbefugt Handelnde wegen § 179 Abs. 3 S. 2 BGB ebenfalls nicht haftet, kommt eine Haftung des Kennwortinhabers nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo in Betracht.366

(4) Besonderheiten bei Handeln von Verbrauchern? Bisher hatte die Tatsache, daß der Geschäftsherr Verbraucher ist, für die Rechtsscheinhaftung keine Bedeutung. Eine Änderung könnte sich auf den ersten Blick aus dem – im Zuge der Umsetzung der EU Fernabsatzrichtlinie, namentlich deren Art. 8 – neu geschaffenen § 676h BGB ergeben. Danach trägt im Verhältnis zwischen Kreditinstitut und Kunde ersteres das Risiko der mißbräuchlichen Verwendung von Zahlungskarten. Die Vorschrift ist zwar auf Rechtsscheinhaftungsgrundsätze nicht unmittelbar anwendbar. Bei Zahlungskarten kommt Rechtsscheinhaftung i.S. einer Primärhaftung nämlich nicht in Betracht. Vielmehr geht es bei Zahlungskarten nur darum, ob im Rahmen eines bereits bestehenden Auftrags- bzw. Geschäftsbesorgungsverhältnisses eine wirksame Weisung i.S.v. § 665 BGB vorliegt, die einen Aufwendungsersatzanspruch des Auftragnehmers nach §§ 670, 675 BGB auslösen kann. Gleichwohl könnte man überlegen, ob sich § 676h nicht ein allgemeiner Rechtsgedanke dahingehend entnehmen ließe, daß Verbraucher bei mißbräuchlichen Transaktionen im elektronischen Geschäftsverkehr nicht haften sollen. Immerhin bestehen ähnliche Vorschriften z. B. in USA, welche die Haftung von Verbrauchern für die mißbräuchliche Verwendung von Kreditkarten und bei elektronischen Überweisungen auch bei Verschulden des Verbrauchers grundsätzlich auf relativ geringe Höchstbetrage (z. B. US$ 50) beschränken.367 Der Annah365 So im Ergebnis auch, ohne Erörterung des Problems, OLG Oldenburg NJW 1993, 1400, 1401 = CR 1993, 558, 559 m. Anm. Paefgen; Mehrings, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht, Teil 13.1 Rn. 130 a.E. 366 Köhler, in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtextes, 63. – Im übrigen können Kennwortinhaber und Erklärungsempfänger in ihrer Rahmenvereinbarung verabreden – auch per AGB –, daß der Kennwortinhaber den Schaden zu tragen hat, der daraus entstehen kann, daß der Erklärungsempfänger von einem eintretenden Mangel in der Geschäftsfähigkeit des Kennwortinhabers oder seines gesetzlichen Vertreters unverschuldet keine Kenntnis erklangt (gebilligt von BGHZ 52, 63). Allerdings muß eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung auf das negative Interesse beschränkt sein (entsprechend dem Rechtsgedanken des § 122 BGB), eine Haftung für das Erfüllungsinteresse würde gegen § 9 AGBG verstoßen. Zum Ganzen Köhler, a. a. O., 55 & 64 f. 367 15 U.S.C. 1643(a)(1)(B) (1994), 12 C.F.R. 226 (1994) (Kreditkartenmißbrauch); 15 U.S.C. 1693g(a) (1994), 12 C.F.R. 205.6 (1994) (elektronische Überweisungen); ebenso Illinois Electronic Commerce Security Act 1998, 5 Ill. Comp. Stat. 175, § 10-130(b).

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me eines allgemeinen Rechtsgedankens steht indes der hinter § 676h BGB stehende erklärte gesetzgeberische Wille entgegen, wonach die Vorschrift nur die bereits vor ihrem Inkrafttreten bestehende Rechtslage klarstellen will, daß bei einer dem Kunden nicht zurechenbaren oder gänzlich fehlenden Weisung ein Stornoanspruch des Kunden gegen das Kreditinstitut besteht.368 Grund für die Kodifizierung dieser bestehenden Gesetzeslage war das diesbezügliche Fehlen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, so daß der deutsche Gesetzgeber befürchten mußte, ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung wäre Art. 8 FernAbsRL möglicherweise nicht hinreichend klar und deutlich in deutsches Recht umgesetzt worden.369 Inhaltliche Änderungen des bereits vor Schaffung des § 676h BGB bestehenden Rechts sind damit nicht verbunden. Aus § 676h BGB lassen sich daher keine Sonderbestimmungen für Verbraucher innerhalb des Systems der Rechtsscheinhaftung ableiten.

d) Digital signierte Erklärungen Zunächst gilt im Zusammenhang mit Duldungs- und Anscheinsvollmacht, daß sowohl das Handeln des Vertreters als auch des Geschäftsherrn in Form digital signierter Erklärungen erfolgen kann. Bei Handeln unter fremdem Namen durch Verwendung der digitalen Signatur (bzw. des privaten Signaturschlüssels) des Geschäftsherrn ist die Rechtslage vergleichbar mit den kennwortgeschützten Erklärungen. Duldungs- und Anscheinsvollmacht setzen voraus, daß der Geschäftsherr in früheren Fällen entsprechend getätigte Geschäfte erfüllt hat. Die Anscheinsvollmacht ist überdies nur im kaufmännischen Verkehr anwendbar. Sie kann wie bei kennwortgeschützten Erklärungen herangezogen werden, wenn die Signaturerstellungseinheit einem anderen überlassen wurde (egal ob zur Vornahme bestimmter Rechtsgeschäfte oder ohne rechtsgeschäftlichen Bezug) oder wenn sie innerhalb der Betriebsorganisation offen zugänglich ist, nicht dagegen bei Ausspähung einer geschützt verwahrten Signaturerstellungseinheit.

e) Biometrisch signierte Erklärungen Biometrische Verfahren nehmen eine Sonderstellung insofern ein, als bei ihnen aufgrund der Einmaligkeit der zugrundeliegenden Körpermerkmale ein Handeln unter fremdem Namen kaum denkbar ist. Möglich wäre allenfalls, daß ein Dritter z. B. das Fingerabdruckmuster des Geschäftsherrn kopiert und mit dessen Hilfe für den Erklärungsempfänger ersichtlich eine elektronische Erklärung unter dem Namen des Geschäftsherrn abgibt. Dann wären auch hier die zu Kennwortschutz und digital signierten Erklärungen erläuterten Grundsätze und Ergebnisse anwendbar. 368 369

Gesetzesbegründung BTDrs. 14 / 2658, 19 ff., insb. 22 l.Sp. und 49 l.Sp. BTDrs. 14 / 2658, 22 l. Sp.

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4. Agency by estoppel und apparent authority im Recht der USA Der nachfolgende Blick auf mit den Rechtsscheinvollmachten vergleichbare Regelungskonzepte im Recht der USA beschränkt sich notwendigerweise auf die Vorstellung grundlegender Strukturen und die Ableitung allgmeiner Folgerungen für den elektronischen Geschäftsverkehr. Detaillierte dogmatische Untersuchungen zu den betroffenen Rechtsinstituten des US Rechts kann diese Arbeit aus Raumgründen dagegen nicht leisten. Dadurch würde sich auch der Schwerpunkt zu sehr vom elektronischen Geschäftsverkehr wegbewegen hin zu allgemeinen zivilrechtsdogmatischen Instituten und daher der Zielsetzung dieser Arbeit widersprechen. Eingangs ist nochmals hinzuweisen auf Hauptunterschiede zwischen deutschem und amerikanischem Zivilrecht (namentlich Vertragsrecht) im Hinblick auf die in USA fehlende grundlegende Unterscheidung zwischen bürgerlichem und Handelsrecht, das Fehlen des Erklärungsbewußtseins als konstitutivem Element eines Rechtsgeschäfts und das grundsätzliche Fehlen einklagbarer vertraglicher Primäransprüche. a) Apparent authority und ihre Unterscheidung von agency by estoppel Vollmachtserteilung ist im amerikanischen Recht eine Vereinbarung zwischen Geschäftsherrn und Vertreter.370 Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, haftet grundsätzlich nicht der Geschäftsherr, sondern der falsus procurator, es sei denn, es liegt eine Außenvollmacht (apparent authority) und / oder eine Vollmacht kraft estoppel vor.371 Wenngleich in der amerikanischen Literatur bisweilen nicht klar zwischen den Begriffen apparent authority und agency by estoppel unterschieden wird,372 besteht – jedenfalls nach dem Restatement (Second) on Agency – ein bedeutsamer dogmatischer Unterschied. Apparent authority ist in § 8 R2d Agency geregelt.373 Der Begriff apparent authority umfaßt danach jede VollmachtserteiThot, 91; 3 Am Jur 2d Agency 521 (1974). Thot, 92; 3 Am Jur 2d Agency 774, 807 – 8 (1974). 372 Tochtermann, Anscheinsvollmacht, 3 m.w.Nachw. – Exemplarisch für die unklare Unterscheidung Reuschlein / Gregory, 35 & 58 ff.; 3 Am Jur 2d Agency § 19 bei Fn. 23 (524) & § 81 (590). Die Anmerkungen zu § 8 R2d Agency versuchen dagegen zwischen den beiden Begriffen zu differenzieren (vgl. Anm. d), und kommen zu dem Ergebnis, daß apparent authority sich aus vertragsrechtlichen Grundsätzen ableite, während authority by estoppel deliktsrechtlichen Urspungs sei. Die Vertrauenshaftung als „dritte Spur“ der Haftung und eigentliche dogmatische Grundlage war den Verfassern des Restatements offenbar nicht geläufig. 373 § 8 lautet: „Apparent authority is the power to affect the legal relations of another person by transactions with third persons, professedly as agent for other, arising from and in accordance with the other’s manifestation to such third persons.“ Instruktiv die in den offiziellen Anmerkungen aufgeführten Beispiele, die sowohl Fälle des § 171 BGB (Anm. a, Beispiele 1, 2, 4), der § 172 Abs. 1 BGB (Anm. b, Beispiel 5) und der Duldungsvollmacht (Anm. b, Beispiel 6) unter den Begriff der apparent authority subsumieren. 370 371

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lung des Geschäftsherrn („manifestation of authority“) gegenüber einem Dritten innerhalb der Grenzen der objective theory of contract (d. h. einschließlich der Fälle nur „potentiellen“ Erklärungsbewußtseins bzw. „fahrlässiger“ Willenserklärungen).374 Apparent authority umfaßt daher sowohl die rechtsgeschäftlich erteilte Außenvollmacht als auch Rechtsscheinvollmachten im deutschen Sinn. Gegenstück zur apparent authority ist die Innenvollmacht (real oder actual authority).375 Apparent authority kann durch die Einräumung einer bestimmten Stellung begründet werden.376 Die nach deutschem Recht gemäß bzw. analog § 56 HGB zu behandelnden Fälle werden in USA unter apparent authority subsumiert.377 Der Dritte muß von den die apparent authority begründenden Umständen Kenntnis haben.378 Die Außenvollmacht wirkt zugunsten des Dritten solange, bis er von ihrem Erlöschen Kenntnis erlangt bzw. erlangen müßte.379 Die Wirkung der Außenvollmacht kann entweder durch Mitteilung gegenüber dem Dritten oder durch Bekanntmachung an die Allgemeinheit (z. B. durch Zeitungsmitteilung) beendet werden.380 Das entspricht den deutschen §§ 170, 171 BGB,381 die bei der Formulierung der apparent authority in § 8 R2d Agency sogar Pate gestanden haben.382 Die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheines wie bei §§ 170, 171 BGB wird auch in USA ohne weiteres zugerechnet.383 Rechtsfolge der apparent authority ist die rechtsgeschäftliche Berechtigung und Verpflichtung des Geschäftsherrn.384 Agency by estoppel ist in § 8B R2d Agency definiert.385 Agency by estoppel beruht nicht auf rechtsgeschäftlichem Willen des Geschäftsherrn, sondern auf dem So die Abgrenzung bei § 8 R2d Agency Anm. d. Tochtermann, Anscheinsvollmacht, 1. Implied authority als konkludente Vollmacht ist wiederum ein Unterfall der real / actual authority, und hat – obwohl dies in der Rspr. z.T. nicht klar unterschieden wird – mit Rechtsscheinvollmacht nichts zu tun; Tochtermann, a. a. O., 6 ff. 376 Tochtermann, a. a. O., 23 f.; 3 Am Jur 2d Agency § 79 bei Fn. 40 (mit den Beispielen „general manager“, „president“ und „partner); ebenso § 8B R2d Agency Anm. a. 377 Reuschlein / Gregory, § 14 & 23 (33 & 61). 378 § 8B R2d Agency Anm. b. 379 § 125 R2d Agency Anm. a; Reuschlein / Gregory, § 46, 92; Tochtermann, a. a. O., 31. 380 § 136 Abs. 1 & 3 R2d Agency. 381 Ruthig, 84 f. 382 Rabel, Conflict of Laws Bd. III, 128. 383 Ruthig, a. a. O., 86. 384 Tochtermann, a. a. O., 34 f. Wichtig ist insbesondere die Berechtigung; anders ist es bei agency by estoppel, wo der Geschäftsherr lediglich verpflichtet, aber nicht berechtigt wird, s. § 8 R2d Agency Anm. d, Bsp. 9 und näher unten. 385 § 8B lautet: „A person who is not otherwise liable as a party to a transaction purported to be done on his account, is nevertheless subject to liability to persons who have changed their positions because of their belief that the transaction was entered into by or for him, if (a) he intentionally or carelessly caused such belief, (b) knowing of such belief and that others might change their positions because of it, he did not take reasonable steps to notify of the facts.“ 374 375

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

nicht rechtsgeschäftlichen Gerechtigkeitsprinzip „estoppel“ (dazu näher s. u.).386 Agency by estoppel entspricht daher vom Anwendungsbereich her den deutschen Rechtsscheinvollmachten. Daraus ergibt sich, daß in einem Fall sowohl apparent authority wie auch agency by estoppel vorliegen können (Anspruchskonkurrenz).387 b) Agency by estoppel Agency by estoppel ist eine Ausprägung des allgemeinen estoppel Grundsatzes. Dieser ist ein dem Bereich der equity388 zugehöriges Gerechtigkeitsprinzip, das Ähnlichkeit mit dem auf Treu und Glauben beruhenden deutschen Verbot des venire contra factum proprium hat.389 Voraussetzungen des equitable estoppel sind: (1) das Verursachen eines nicht den Tatsachen entsprechenden Tatsachenoder Rechtsscheins (representation of existing facts); (2) Vorsatz oder Fahrlässigkeit beim Verursacher; (3) Vertrauen eines Dritten auf den Schein (reliance); (4) weder Kenntnis noch Kennenmüssen beim Dritten; und (5) Vertrauensdisposition des Dritten (alteration of a party’s position).390 Rechtsfolge des equitable estoppel ist, daß der Verursacher des Scheins dem Vertrauenden die wahre Sach- oder Rechtslage nicht entgegenhalten kann.391 Der Vertrauende kann vom Verursacher Ersatz des durch die Vertrauensdisposition eingetretenen Schadens verlangen, wobei der Vertrauensschaden i.d.R. die Untergrenze, das Erfüllungsinteresse i.d.R. die Obergrenze des Schadensersatzes bildet.392 Estoppel wirkt lediglich als Einwendungsausschluß, begründet selbst aber keine Ansprüche: „Estoppel operates as a shield, not as a sword.“393 Daraus läßt sich eine interessante Parallele zu den allgemeinen Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung nach deutschem Recht ziehen: Der Rechtsscheintatbestand ist in (1) angesprochen, Zurechnung in (2), die Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden – Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand, Gutgläubigkeit, Vertrauensdisposition – in (3), (4) und (5). § 8 R2d Agency Anm. d. § 141 R2d Agency Anm. b. 388 Equity ist die Summe aller Gerechtigkeitsgrundsätze, die historisch herangezogen wurden, um Härten bei der strengen und wörtlichen Anwendung der überkommenen Grundsätze des common law zu vermeiden. Ursprünglich konnten Grundsätze der equity nur in speziell dafür eingerichteten Gerichten geltend gemacht werden. Heute werden common law und equity überwiegend als Teile eines einheitlichen materiellen Rechts gesehen. Zweigert / Kötz, Rechtsvergleichung, 184 ff. 389 Ausführlich Tochtermann, Anscheinsvollmacht, 37 ff. § 8 R2d Agency Anm. d und § 8B Anm. a stellen darüber hinaus auf die deliktsrechtliche Herkunft (torts) des estoppel Grundsatzes ab. Wichtiger erscheint im vorliegenden Zusammenhang indes die Herkunft aus dem Rechtskreis der equity. 390 Ruthig, 84; Tochtermann, Anscheinsvollmacht, 40. 391 Ruthig, 84; Tochtermann, a. a. O., 42. 392 Tochtermann, a. a. O., 44. 393 Nachw. bei Tochtermann, a. a. O., 42. 386 387

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Agency by estoppel als Gegenstück insbesondere zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht deutschen Rechts hat folgende Voraussetzungen:394 (1) Verursachung des Rechtsscheins einer Bevollmächtigung;395 (2) wissentliche Verursachung oder sonstige Zurechenbarkeit des Rechtsscheins; (3) Vertrauen auf den Rechtsschein; (4) Kenntnis des Rechtsscheintatbestands 396 und Gutgläubigkeit des Vertrauenden (weder Kenntnis noch Kennenmüssen der wahren Rechtslage); sowie (5) Kausalität und nachteilhafte Vertrauensdisposition.397 Der Umfang der Rechtsscheinvollmacht bestimmt sich nach dem bei vergleichbaren Vertretern Üblichen.398 Die Anforderungen an die Zurechenbarkeit sind umstritten. V.a. die ältere Rechtsprechung verlangte grobe Fahrlässigkeit, in anderen Entscheidungen wurde darauf abgestellt, ob der Geschäftsherr eine Sorgfaltspflicht gerade gegenüber dem Vertrauenden hatte.399 Im Lauf der Zeit hat sich die Diskussion von den Sorgfaltspflichten wegbewegt. Heute wird zumeist darauf abgestellt, ob der Geschäftsherr „näher daran“ war, den Rechtsschein zu vermeiden als der Dritte.400 § 8B R2d Agency spricht davon, ob der Geschäftsherr „carelessly“ gehandelt oder ob er „reasonable steps“ unternommen hat, um den Anschein der Bevollmächtigung zu vermeiden. Insoweit kann man durchaus von einer Annäherung an das hier für das deutsche

394 Tochtermann, a. a. O., 49; 3 Am Jur 2d Agency § 79 (586) m.w.Nachw.; Müller, in: Sandrock, Vertragsgestaltung, Bd. II, § 14 D, 751, Rn. 380. 395 Möglich ausdrücklich oder konkludent, durch Tun oder – bei Rechtspflicht zum Handeln – auch durch Unterlassen; Tochtermann, a. a. O., 50 ff.; 3 Am Jur 2d Agency § 79 (584) m.w.Nachw. Nicht ausreichend ist dagegen – ebenso wie im deutschen Recht – das Handeln des Vertreters allein ohne Hinzutreten von (zurechenbarem) Verhalten des Geschäftsherrn; 3 Am Jur 2d Agency § 79 (586) m.umf.Nachw. 396 Reuschlein / Gregory, § 23 (61 & 64); 3 Am Jur 2d Agency § 80 (588) m.w.Nachw (Fn. 49). 397 Umf. Nachw. bei 3 Am Jur 2d Agency § 80 (587 bei Fn. 47). Umstritten ist, ob bereits ein Vertragsschluß als nachteilhafte Vertrauensdisposition anzusehen ist, oder ob der Eintritt eines Schadens (beispielsweise durch Erfüllung des Vertrags) erforderlich ist. Zweifelnd § 8B R2d Agency Anm. e; zum Streitstand Tochtermann, a. a. O., 67 ff. 398 3 Am Jur 2d Agency § 80 (589) m.w.Nachw. (Fn. 52). 399 Einfache Fahrlässigkeit genügen läßt 3 Am Jur 2d Agency § 79 (585) m.w.Nachw. aus der Rspr. 400 Nachw. bei Tochtermann, a. a. O., 56 ff. Vielfach wird diesbezüglich auch der Satz bemüht „Where one of two innocent parties must suffer from the wrongful act of another, the loss should fall upon the one who, by his conduct, created the circumstances which enabled the third party to perpetrate the wrong and cause the loss.“ 3 Am Jur 2d Agency § 81 (591); aus der Rechtsprechung s. etwa Interstate Financial Corp. V. Appel, 134 Ga.App. 407, 215 S.E.2d 19; Hunsaker v. Rhodehouse, 77 Idaho 119, 289 P.2d 319; Bailey v. Hoover, 233 Ky 681, 26 S.W.2d 522; Skye Realty Co. v. Diversified Ins. Agency, Inc. (La.App. 3d Cir.) 221 So.2d 871; Pokorny v. Williams, 199 Or. 17, 260 P.2d 490; Harrison v. Auto Secur. Co., 70 Utah 11, 257 P. 677, 57 ALR 388. – Dieser Grundsatz zeigt deutliche Verwandtschaft zum Risikoprinzip der deutschen Rechtsscheinhaftung, wenngleich er nach hiesigem Verständnis ungenau ist, soweit er auf die Unschuld („innocence“) bzw. Schuld der Beteiligten abstellt, und unvollständig, soweit er lediglich von „loss“ spricht, ohne zu präzisieren, ob es sich um Erfüllungs- oder Schadensersatzhaftung handeln soll.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Recht vertretene Risikoprinzip sprechen,401 mit dem Unterschied allerdings, daß im US Bereich bekanntermaßen eine Unterscheidung zwischen bürgerlichem und Handelsrecht im deutschen Sinne nicht getroffen wird.402 Irrtümer des Geschäftsherrn sollen die Zurechnung ausschließen, es sei denn der Irrtum beruht auf grober Fahrlässigkeit.403 Die relativ großzügige Zurechnung nach allgemeinen Fahrlässigkeitsgesichtspunkten korrespondiert mit im Vergleich zum deutschen Recht schärferen Nachforschungspflichten des Vertrauenden. Nach amerikanischem Recht hat der Vertrauende Bestehen und Umfang der behaupteten Vollmacht im Rahmen wirtschaftlich vernünftiger Sorgfalt und Vorsicht („reasonable diligence and prudence“) zu überprüfen und ggf. entsprechende Nachforschungen anzustellen.404 Rechtsfolge der agency by estoppel ist, daß der Geschäftsherr das Fehlen der Vertretungsmacht nicht einwenden kann.405 In Übereinstimmung mit dem generellen Fehlen vertraglicher Primäransprüche im US amerikanischen Recht bedeutet das allerdings grundsätzlich lediglich eine Schadensersatzhaftung.406 Aus dem „estoppel as a shield“ Gedanken folgt, daß der Geschäftsherr sich nicht selbst aktiv auf die Wirksamkeit des Vertrags berufen kann.407

c) Apparent authority und agency by estoppel im elektronischen Geschäftsverkehr Die Beendigung der apparent authority, also der Dritten gegenüber kundgetanen Außenvollmacht kann ebenso wie in Deutschland nur durch Mitteilung nach außen erfolgen. Insoweit stellen sich dieselben Fragen wie bei § 171 Abs. 2 BGB und es ist zu erwarten, daß das US amerikanische Recht insoweit zu vergleichbaren Lösungen kommt wie das deutsche, zumal §§ 170 ff. BGB, wie erwähnt, eine geUngenau dagegen Tochtermann, a. a. O., 61 – „Veranlassung“. Handelsrechtliche Sonderregelungen, etwa im Sinne unserer Prokura, Ladenvollmacht oder des deutschen Handelsregisters bestehen in USA folglich nicht; Müller, in: Sandrock, Vertragsgestaltung, Bd. II, § 14 D, 751, Rn. 381. 403 Tochtermann, a. a. O., 65. 404 Ausf. 3 Am Jur 2d Agency § 82 ff. (591 ff.) m.w.Nachw. Beispielhaft s. Anchor Crane & Hoist Service Co. v. Sumrall Personnel Service, Inc., 620 S.W.2d 653 (Tex.Civ.App. Dallas) („reasonably prudent person using diligence and discretion“); UA-Columbia Cablevision of Westchester, Inc. v Fraken Builders, Inc (2d Dept.) 96 App.Div.2d 509, 464 N.Y.S. 2d 814, appeal dismissed 60 N.Y.2d 838, 470 N.Y.S. 2d 141, 458 N.E.2d 382; West Indiana Industries, Inc. v. Vance / Sons AMC-Jeep (CA5 Tex) 671 F.2d 1384, reh.den. (CA5 Tex) 679 F.2d 248 & reh.den. (CA5 Tex) 679 F.2d 248; Murray v. Standard Pecan Co., 309 Ill. 226, 140 N.E. 834, 31 ALR 604; Elliot Valve Repair Co. v. B.J. Valve & Fitting Co. (Tex.App. Houston 1st Dist.) 675 S.W.2d 555; Cauman v. American Credit Indem. Co., 229 Mass. 278, 118 N.E. 259. 405 Tochtermann, a. a. O., 71. 3 Am Jur 2d Agency § 297 (801) (wo apparent authority und authority by estoppel als gleichbedeutend verstanden werden). 406 Tochtermann, a. a. O., 2. 407 Tochtermann, a. a. O., 72 f. 401 402

§ 6 Nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände

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wisse Vorbildwirkung auf das Institut der apparent authority nach amerikanischem Recht gehabt haben. Apparent authority und agency by estoppel dürften aus zwei Gründen einen erheblich weiteren Anwendungsbereich haben als den Rechtsscheinvollmachten richtigerweise im deutschen Recht zukommt. Zum einen finden die beiden Institute im gesamten Privatrechtsverkehr Anwendung, da es an einer Unterscheidung zwischen bürgerlichem und Handelsrecht fehlt. Zum zweiten führt die Tatsache, daß Erklärungsbewußtsein kein konstitutives Element des Rechtsgeschäfts ist, zu der Folge, daß auch fahrlässig verursachte Rechtsscheintatbestände zurechenbar sein können, während im deutschen Recht insoweit richtigerweise das Risikoprinzip heranzuziehen ist. Im Ergebnis entspricht daher der Rechtszustand in den USA weitgehend der deutschen h.M. zur Anscheinsvollmacht, die dieses Institut auch im bürgerlichrechtlichen Verkehr anwenden und die Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip bemessen will. Für den elektronischen Geschäftsverkehr kann das zu sehr weitreichenden Konsequenzen führen, etwa im Hinblick auf den fahrlässigen Umgang mit Kennworten oder elektronischen Signiereinheiten, wohingegen nach deutschem Recht richtigerweise nur der risikoerhöhende Umgang im Rahmen kaufmännischer Organisationen zur Zurechnung führen kann. Immerhin wird vertreten, die bloße Gewährung des Zugangs zu Büroräumen, von denen aus ein Dritter im Namen des Anschlußinhabers Verträge abschließt, reiche nicht für die Begründung einer Vollmacht durch estoppel aus.408 Ob das unter Zugrundelegung der recht niedrig angesetzten Zurechnungsvoraussetzungen aufrechterhalten werden kann, erscheint in höchstem Maße zweifelhaft. Immerhin aber wird man anerkennen müssen, daß die verschärften Nachforschungspflichten des Erklärungsempfängers im amerikanischen Recht ein gewisses Korrektiv zur Weite der Fahrlässigkeitszurechnung beim Geschäftsherrn bilden. Festzuhalten bleibt, daß nach der in Deutschland zur Anscheinsvollmacht herrschenden Meinung ein solches Korrektiv nicht besteht, die Haftung des Geschäftsherrn in Deutschland nach der h.M. daher noch weiter geht als in USA.

5. Zusammenfassung Scheinvollmachten können im Internet, in Intranets und bei den verschiedenen Formen elektronischer Erklärungen eine Rolle spielen. Allerdings haben namentlich Duldungs- und Anscheinsvollmacht – entgegen der zum Bildschirmtext ergangenen Rechtsprechung und der sich dazu äußernden Literatur – im elektronischen Geschäftsverkehr eine eher geringe Bedeutung, wenn es um den praktisch häufigsten Fall des Handelns eines Dritten unter dem Namen eines Kennwort- oder Signaturinhabers geht. Um so dringender stellt sich die im 3. Kapitel zu beleuchtende Frage nach der Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände. 408

Thot, 95 f.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

III. Der Scheinkaufmann, der Scheingesellschafter und die Scheingesellschaft Nachfolgend werden Rechtsscheinfragen beim Scheinkaufmann und bei der Scheingesellschaft untersucht.409 1. Grundlagen a) Scheinkaufmann410 Die Stellung eines Scheinkaufmanns kann sich aus seinem Auftreten im Geschäftsverkehr ergeben.411 Wer im Geschäftsverkehr als Kaufmann auftritt, ohne Kaufmann zu sein, setzt einen Rechtsscheintatbestand, der dazu führen kann, daß er sich wie ein Kaufmann behandeln lassen muß.412 Dies kann beispielsweise geschehen durch das Führen einer Firma oder eines Firmenzusatzes (z. B. „e.K.“), die Erteilung von als „Prokura“ bezeichneten Vollmachten, das Schalten von Anzeigen, die Eintragung im Branchenverzeichnis des Fernsprechbuchs, das Eröffnen und Unterhalten eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs,413 den Hinweis auf Be409 Die Bedeutung des elektronischen Geschäftsverkehrs im Handels- und Gesellschaftsrecht beschränkt sich selbstverständlich nicht auf diese beiden Fragenkreise. Insbesondere im Aktienrecht gibt es Überlegungen zur elektronischen Erteilung von Vollmachten und Weisungen bei der Stimmrechtsausübung und zu virtuellen Internet-Hauptversammlungen, die der Internationalität heutiger Aktienportfolios Rechnung tragen soll; dazu rechtpolitisch Däubler-Gmelin, WM 1999, 169. Zum elektronisch geführten Aktienregister vgl. bereits das Namensaktiengesetz (NaStraG, BGBl. 2000 I 123). Daraus ergeben sich allerdings keine grundsätzlich neuen Rechtsscheinfragen, so daß eine Erörterung im vorliegenden Zusammenhang nicht veranlaßt ist. 410 Nicht näher eingegangen wird im folgenden auf die mögliche Problematik eines „Scheinunternehmens“ i.H.a. § 14 BGB und die daran möglicherweise geknüpften Rechtsfolgen, insbesondere Informationspflichten nach dem BGB, der BGB-Info-VO und dem TDG, sowie die Frage der Anwendbarkeit der §§ 474 ff. BGB. M.E. ist die Figur eines „Scheinunternehmers“ i.S.v. § 14 BGB abzulehnen. Die an §§ 13, 14 BGB anknüpfende verbraucherschützende Sondergesetzgebung dient im Gegensatz zum Handelsrecht nicht der Rechtsklarheit, Publizität und dem Vertrauensschutz im Rechtsverkehr, sondern dem Ausgleich vermuteter wirtschaftlicher Ungleichheit (MüKo-Micklitz, § 14 Rn. 20). Für Rechtsscheinerwägungen ist daher von vorneherein kein Raum; es kann vielmehr nur auf die wirkliche Rechtslage ankommen (gegen eine Anwendung der Rechtsscheinhaftung auf nichtkaufmännische Unternehmer grds. auch Baumbach / Hopt, § 1 Rn. 10). 411 Abzugrenzen davon ist der Kaufmann kraft Eintragung nach § 5 HGB, bei dem es sich gerade nicht um einen Rechtsscheintatbestand handelt, sondern um eine Norm, die objektive Rechtssicherheit bezweckt, ohne Rücksicht auf den etwa fehlenden guten Glauben eines Dritten; BGH NJW 1982, 45; Baumbach / Hopt, § 5 Rn. 1; K. Schmidt, HandelsR, § 10 III 1 (298); MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 10; Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 4 f.; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 11. 412 MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 6; Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 5 Rn. 11 ff. Für Rechtsscheinhaftung und gegen abweichende Begründungsversuche auch ausführlich Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 9 ff.

§ 6 Nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände

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stehen mehrerer Geschäftslokale, Äußerungen gegenüber einzelnen usw.414 Im einzelnen ist dabei allerdings auch Vorsicht geboten; allein etwa die Verwendung von AGB oder aufwendigem Briefpapier reicht für sich nicht aus, den Anschein der Kaufmannseigenschaft zu begründen.415 Auf seiten des Vertrauenden sind Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand und Gutgläubigkeit sowie Vertrauensinvestition, Kausalität und schutzwürdiger Erwerbsvorgang nach allgemeinen Grundsätzen erforderlich.416 Im Hinblick auf Gutgläubigkeit gilt auch hier, daß Nachforschungspflichten grundsätzlich nicht bestehen, es sei denn unter besonderen Umständen, beispielsweise bei einem Rechtsscheintatbestand, der schon vor längerer Zeit gesetzt und durch den Lauf der Zeit abgeschwächt worden ist.417 Bezüglich der Kausalität nimmt die Rechtsprechung an, es liege nach den Erfahrungen des täglichen Lebens nahe, daß das Rechtsgeschäft im Vertrauen auf den Rechtsschein abgeschlossen worden ist, und gewährt insoweit eine Beweiserleichterung (prima facie Beweis).418 Die Zurechnung ist unproblematisch, wenn der Betroffene weiß, daß er in Wahrheit kein Kaufmann ist, aber als solcher auftritt.419 Auch wenn er sich irrtümlich für keinen Kaufmann hält, ist ihm der Rechtsscheintatbestand zuzurechnen, da die Kaufmannseigenschaft eine für Dritte bedeutsame Eigenschaft ist, für die der Betroffene das Richtigkeitsrisiko trägt.420 Schließlich kann der Scheintatbestand selbst dann zuzurechnen sein, wenn der Betroffene gar nicht wußte, daß er als Kaufmann auftrat, also ohne Erklärungsbewußtsein handelte. Richtigerweise 413 Ob ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb vorliegt, beurteilt sich nach dem Gesamtbild, insbesondere der Art der Geschäftstätigkeit (Leistungsumfang, grenzüberschreitende Tätigkeit, Teilnahme am Wechsel- und Frachtverkehr), deren Umfang (Umsatz, Anlage- und Betriebskapital), Zahl und Funktion der Mitarbeiter sowie Größe und Organisation des Geschäfts (Geschäftslokal, Betriebsstätten, Auslandsfilialen); Baumbach / Hopt, § 3 Rn. 3. 414 BGHZ 17, 13, 14; Baumbach / Hopt, § 5 Rn. 10; Kindler, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 5 Rn. 56 ff.; Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 20 ff. Krit. K. Schmidt, HandelsR, § 10 VIII 2 (324 ff.) 415 So richtig Kindler, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 5 Rn. 62; MüKo-HGB-Lieb, § 15 Rn. 89. Anders wohl noch Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 5 Rn. 13; Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 21. 416 Zur Kausalität Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 5 Rn. 17. – Der Streit, ob bezüglich der Gutgläubigkeit außer Kenntnis auch fahrlässige oder nur grob fahrlässige Unkenntnis schaden, hat praktisch wenig Bedeutung, da auch die Vertreter der ersteren Auffassung allgemeine Nachforschungspflichten ablehnen und Fahrlässigkeit nur bei Evidenz annehmen. Vgl. etwa Canaris, Handelsrecht, § 6 VII 3a (Evidenz) einerseits und K. Schmidt, HandelsR, § 10 VIII 3b aa) (329 f.) andererseits (grobe Fahrlässigkeit). Ferner Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 18. 417 BGHZ 17, 13, 15; Baumbach / Hopt, § 5 Rn. 17; Kindler, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 5 Rn. 72; Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 5 Rn. 16a; Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 24. 418 BGHZ 17, 13, 19; zust. Kindler, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 5 Rn. 77. Weitergehend im Sinn einer Beweislastumkehr Canaris, Vertrauenshaftung, 516; Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 36. 419 Canaris, Vertrauenshaftung, 180; Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 5 Rn. 14. 420 Canaris, a. a. O., 180; Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 5 Rn. 14.

14 Rieder

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

wird man dafür aber verlangen müssen, daß die Bedeutung seines Verhaltens verkehrsmäßig oder gesetzlich typisiert ist, wie z. B. das Führen einer Firma.421 Beruht der Rechtsschein auf dem Handeln eines Dritten, so ist dieses dem Scheinkaufmann zuzurechnen, wenn der Dritte mit seiner Billigung in seiner Sphäre tätig geworden ist (ggf. unter Heranziehung der Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht).422 Ein Verschulden ist bei alledem unerheblich.423 Rechtsfolge der Scheinkaufmannschaft ist zunächst die grundsätzliche Anwendung handelsrechtlicher Vorschriften so als ob der Scheinkaufmann wirklich Kaufmann wäre, z. B. im Hinblick auf §§ 352, 353 HGB (höhere Zinsen), § 362 HGB (Vertragsschluß durch Schweigen), § 347 HGB (Haftung für kaufmännische Sorgfalt), Anwendung der Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben usw.424 Der Scheinkaufmann haftet auf das Erfüllungsinteresse (positiver Vertrauensschutz), nicht nur den Vertrauensschaden.425 Im übrigen sind die Rechtsfolgen, insbesondere die Anwendbarkeit handelsrechtlicher Sondervorschriften auf den Scheinkaufmann stark umstritten. Richtigerweise wird man differenzieren müssen. Zwar kann sich der Scheinkaufmann nicht „aktiv“ gegenüber Dritten auf ihm günstige Sondervorschriften berufen, die sich aus der Kaufmannseigenschaft ergeben.426 Jedoch besteht kein Grund, ihm die Berufung auf diese Vorschriften verteidigungsweise zu versagen, wenn er als Kaufmann in Anspruch genommen wird.427 Handelsrechtliche Vorschriften, die von zwingenden Schutznormen des BGB abweichen, wie etwa §§ 348, 350, 363 HGB, sind allerdings nach richtiger Ansicht jedenfalls bei nicht unternehmerisch tätigen Personen nicht anwendbar, da sonst der Betroffene durch einfaches Auftreten als Kaufmann diese zu seinem Schutz bestehenden Vorschriften außer Kraft setzen könnte.428 Umstritten ist ferner die Anwendbarkeit der §§ 366, 369 HGB (Schutz des guten Glaubens an die Verfügungsmacht; kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht).429 421 Canaris, a. a. O., 180 f. Fehlt es daran, kommt eine Haftung auf das negative Interesse analog § 122 BGB oder aus culpa in contrahendo in Frage; Canaris, a. a. O., 181. – Anders wohl Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 5 Rn. 13b ff., der auf Sorgfaltspflichtverletzungen und damit – nach hiesiger Ansicht verfehlt – auf das Verschuldensprinzip abstellt. 422 Kindler, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 5 Rn. 66; Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 28. 423 Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 15 ff. Ferner Baumbach / Hopt, § 5 Rn. 11, der allerdings objektive Vorhersehbarkeit und bei Unterlassen einen Sorgfaltspflichtverstoß verlangt. 424 Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 37 ff. 425 Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 41. 426 BGHZ 17, 13, 16; 36, 273, 278; Baumbach / Hopt, § 5 Rn. 15 m.w.Nachw. 427 So auch Canaris, a. a. O., 181, 171 f. 428 Canaris, a. a. O., 181; ders., Handelsrecht, § 6 Rn. 23 ff.; Kindler, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 5 Rn. 80; Staub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 45. A.A. MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 90. 429 Einzelheiten bei Canaris, Vertrauenshaftung, 181 f., der beide Normen für anwendbar hält.

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Auch hier ist die Frage des Wahlrechts zugunsten des Vertrauenden problematisch. Richtigerweise wird man ein Wahlrecht bejahen müssen, allerdings mit der Einschränkung, daß sich der Vertrauende, entsprechend dem Bedürfnis nach rascher Rechtsklarheit im Handelsverkehr, nach verhältnismäßig kurzer Zeit entscheiden muß, ob er den Scheinkaufmann an der wahren (bürgerlichrechtlichen) oder der scheinbaren (handelsrechtlichen) Rechtslage festhalten will, soll das Wahlrecht nicht verwirkt werden.430

b) Scheingesellschafter & Scheingesellschaft Bei Scheingesellschafter und Scheingesellschaft sind drei Fallgruppen zu unterscheiden: Erstens geht es um Fälle der Rechtsscheinvollmacht eines (tatsächlichen) Gesellschafters einer (tatsächlich bestehenden) Gesellschaft. Diese Fälle unterscheiden sich prinzipiell nicht von den oben erläuterten Fällen der Rechtsscheinvollmacht und werden daher hier nicht mehr weiter vertieft. Zweitens sind die Fälle bedeutsam, in denen ein Dritter auftritt als wäre er Gesellschafter einer (tatsächlich existierenden) Gesellschaft (Scheingesellschafter).431 Schließlich ist drittens die Fallgruppe zu behandeln, daß eine Gruppe von Personen, die keinen Gesellschaftsvertrag (oder keinen Vertrag des fraglichen Typs) geschlossen haben, so auftreten als wären sie Gesellschafter (Scheingesellschaft).432 Bei der Scheingesellschaft stehen praktisch die Schein-BGB-Gesellschaft und die Scheinhandelsgesellschaften im Mittelpunkt des Interesses.433 Zur Fallgruppe der Scheingesellschaft gehört auch die Konstellation, daß die Mitglieder einer BGB-Gesellschaft wie eine Handelsgesellschaft (OHG oder KG) auftreten, beispielsweise durch Äußerungen kaufmännischer Art an die Öffentlichkeit (wie etwa Anzeigen, Firmenführung434), durch Eröffnen und Unterhalten eines kaufmännischen GeschäftsStaub / Brüggemann, Anh. § 5 Rn. 43. Ferner Canaris, Vertrauenshaftung, 519. BGHZ 17, 13 ff.; BB 1970, 684 f.; NJW 1972, 1418, 1419; Baumbach / Hopt, § 128 Rn. 5; Canaris, Vertrauenshaftung, 168; Boujong, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 105 Rn. 214; MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 92; Schlegelberger-K. Schmidt, § 105 Rn. 231. 432 Boujong, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 105 Rn. 211. Auch hier ist, soweit es um Handelsgesellschaften geht, die Abgrenzung zu § 5 HGB zu beachten. Ferner abzugrenzen ist die Scheingesellschaft von der sog. fehlerhaften Gesellschaft, bei der zwar ein Gesellschaftsvertrag vorliegt, der aber mit Mängeln behaftet ist; dazu allg. Canaris, Vertrauenshaftung, 172 ff.; Palandt-Sprau, § 705 Rn. 17. 433 Geringe Bedeutung kommt im elektronischen Geschäftsverkehr ferner den Scheinkapitalgesellschaften zu, die schon im herkömmlichen Geschäftsverkehr kaum vorkommen werden; dazu allgemein Canaris, Vertrauenshaftung, 167. 434 BGHZ 17, 13 ff.; BB 1970, 684 f.; NJW 1972, 1418, 1419; Baumbach / Hopt, § 128 Rn. 5; Canaris, Vertrauenshaftung, 168; MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 92 f.; Schlegelberger-K. Schmidt, § 105 Rn. 228 ff. Dieses Merkmal hat allerdings durch die Neuregelung der Rechtsformzusätze im Firmenrecht an Bedeutung verloren; Canaris, Handelsrecht, § 6 Rn. 29 ff. – Für das US amerikanische Recht, das nicht zwischen BGB-Gesellschaft und Handelsgesellschaften unterscheidet, hat diese Fallgruppe von vorneherein keine Bedeutung. 430 431

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

betriebes, durch Äußerungen gegenüber einzelnen435 oder durch Verwendung irreführender Gesellschaftszusätze in der Firmierung (z. B. „OHG“ oder „KG“).436 Dogmatische Grundlage der Rechtsscheinhaftung beim Scheingesellschafter einer BGB-Gesellschaft und bei der Schein-BGB-Gesellschaft sind die Grundsätze der Rechtsscheinvollmachten. Bei der OHG und KG ordnet bereits das Gesetz die Alleinvertretungsmacht der OHG-Gesellschafter und der KG-Komplementäre sowie die persönliche Haftung der Mitglieder an, so daß es insoweit zur dogmatischen Herleitung einer Rechtsscheinhaftung – anders als bei der BGB-Gesellschaft – keines Rückgriffs auf die Grundsätze der Scheinvollmacht bedarf. Vielmehr genügt es, wenn der in Anspruch Genommene – zurechenbar – den Rechtsschein seiner Mitgliedschaft in einer Gesellschaft hervorgerufen hat.437 Nach allgemeinen Grundsätzen muß der Vertrauende den Rechtsscheintatbestand kennen und gutgläubig sein. Zurechenbarkeit setzt voraus, daß der Betroffene entweder selbst als Gesellschafter aufgetreten ist oder wissentlich geduldet hat, daß ein Dritter ihn als solchen behandelte.438 Schuldhafte Unkenntnis reicht dagegen nicht.439 Auf seiten der Gesellschaft entsteht eine Haftung für die Handlungen des Scheingesellschafters schon dann, wenn die Zurechnungsvoraussetzungen in der Person eines vertretungsberechtigten Gesellschafters vorliegen.440 Im übrigen sind die Rechtsfolgen einer Scheingesellschaft umstritten, insbesondere im Hinblick auf die Fähigkeit nach § 124 Abs. 1 HGB, unter ihrer Firma zu klagen und verklagt zu werden, im Hinblick auf die Insolvenzfähigkeit und hinsichtlich der Frage, ob sich Scheingesellschafter auf für sie günstige Vorschriften berufen können.441 2. Scheinkaufmann kraft Internetauftritt? Fraglich ist, welches Auftreten im elektronischen Geschäftsverkehr ausreichend sein kann, um eine Kaufmannseigenschaft nach Rechtsscheingrundsätzen zu be435 BGHZ 17, 13, 14; Baumbach / Hopt, § 5 Rn. 10; Schlegelberger-K. Schmidt, § 105 Rn. 228 ff. 436 Dazu vgl. LG Stuttgart, IPRax 1991, 118 und Fischer, IPRax 1991, 100 ff. (dort „A.G.“). 437 Canaris, a. a. O., 169. 438 Canaris, a. a. O., 169. 439 Canaris, a. a. O., 169. 440 Canaris, a. a. O., 169. 441 Zum Streitstand Canaris, a. a. O., 170 ff., der passive Parteifähigkeit und uneingeschränkte Insolvenzfähigkeit annimmt und dem Scheingesellschafter das Recht gewähren will, wenn er in Anspruch genommen wird, sich jedenfalls verteidigungsweise auf ihm günstige Vorschriften (z. B. § 159 HGB bei Inanspruchnahme aus § 128 HGB) zu berufen, um den Scheingesellschafter nicht schlechter und den Dritten nicht besser zu stellen, als wäre der Scheingesellschafter echter Gesellschafter. – Der Streit braucht hier nicht entschieden zu werden, da er keine spezifische Relevanz für Fragen des elektronischen Geschäftsverkehrs hat.

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gründen. Die bloße Verwendung bestimmter elektronischer Erklärungsformen, beispielsweise digital signierter Erklärungen, wird man heute nicht mehr als ein Indiz werten können, das auf einen kaufmännischen Geschäftsbetrieb hindeutet, da diese Erklärungsformen auch Privatpersonen ohne weiteres zugänglich sind und von diesen verwendet werden. Ebenso ist das Unterhalten einer eigenen Internetseite (Homepage) allein sicherlich nicht ausreichend, da auch viele Internetseiten existieren, die keinerlei geschäftlichen Bezug haben, beispielsweise rein private Seiten oder Seiten mit informativem, kulturellem oder nicht-kommerziell unterhaltendem Gehalt. Maßgeblich sind vielmehr Bezeichnung und Inhalt einer Internetseite. Enthält die Internetseite geschäftlichen Inhalt, Werbung für eigene Produkte oder Dienste oder wird gar eine Firma oder ein Firmenzusatz verwendet, kommt Kaufmannschaft nach Rechtsscheingrundsätzen durchaus in Betracht. Fraglich ist, ob die bloße Bezeichnung des Namens der Seite mit dem Zusatz „.com“ ausreichen kann. „.com“ ist der Top-Level Domainzusatz für kommerzielle Organisationen442 und könnte als das Äquivalent des handelsrechtlichen Firmenzusatzes im elektronischen Geschäftsverkehrs gewertet werden. Allerdings ist insoweit Vorsicht geboten. Firmenzusätze sind in § 19 HGB geregelt, haben also einen gesetzlich typisierten Inhalt, über dessen genaue Bedeutung jedermann sich vollständige Klarheit verschaffen kann. Die Bezeichnung „.com“ hat eine vergleichbare gesetzliche Regelung oder Typisierung jedenfalls bislang nicht erfahren. Sie steht nicht zwingend für einen kaufmännischen Geschäftsbetrieb im Sinne des deutschen Handelsrechts. Im internationalen Gebrauch wird die Top-Level Domain „.com“ beispielsweise auch von Rechtsanwaltskanzleien verwendet, die nach deutschem Verständnis gerade keine Kaufleute, sondern Freiberufler sind und allenfalls in bestimmten Bereichen als kaufmannsähnliche Personen im Wege der Analogie handelsrechtlichen Vorschriften unterworfen werden können. Das bloße „.com“, beispielsweise als Vermerk in einer elektronischen Nachricht über die Internetpräsenz des Absenders wird also ohne weitere Umstände nicht ausreichen, um eine Scheinkaufmannschaft kraft Auftreten zu begründen. Ein gewichtiges Indiz, zusammen v.a. mit dem Inhalt der entsprechenden Internetseite, ist es aber allemal. Fraglich kann weiterhin sein, ob schon das Angebot von Waren und Dienstleistungen via Internet den Anschein eines kaufmännischen Geschäftsbetriebes begründet. Auch hier ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Grundvoraussetzung ist der Anschein, daß die Verkaufstätigkeit auf eine grundsätzlich unbestimmte Vielzahl von Geschäften gerichtet ist.443 Darüber hinaus wird man insbesondere den Anschein des Umfangs der geschäftlichen Tätigkeit und den Grad der Professionalität der Produktpräsentation abstellen können. Im Zweifel wird man Kröger / Kuner, Internet für Juristen, 13. Canaris, Handelsrecht, § 2 Rn. 6. – Wer also beispielsweise im Zuge einer Haushaltsauflösung eine Vielzahl unterschiedlicher Waren im Internet anbietet, wird dadurch weder zum Gewerbetreibenden, noch erweckt er einen entsprechenden Anschein. 442 443

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

nach der Wertung des § 1 Abs. 2 HGB eher für das Vorliegen eines kaufmännischen Geschäftsbetriebes entscheiden müssen. Ob freilich allein aufgrund der weltweiten Zugriffsmöglichkeit auf eine deutsche Internetseite ein so starker Auslandsbezug anzunehmen ist, daß darauf schon der Anschein eines kaufmännischen Geschäftsbetriebes gestützt werden kann (immer unterstellt, deutsches Recht findet auf den entsprechenden Vertrag Anwendung), scheint doch recht fraglich. Wer lediglich Informationen über seine geschäftliche Tätigkeit auf einer Internetseite veröffentlicht, erfüllt die Merkmale eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs noch nicht. Anders kann es dagegen sein, wenn Waren und Dienstleistungen über das Internet in vielen verschiedenen ausländischen Staaten bestellt und ggf. auch bezahlt werden können. Auch hier wird man aber im Einzelfall auf den erkennbaren Umfang der geschäftlichen Tätigkeit abstellen müssen. Wer lediglich ein bestimmtes Produkt in geringeren Mengen anbietet, wird nicht allein durch den Internet-Vertrieb ins Ausland zum Kaufmann kraft Rechtsschein werden. Für die sonstigen Voraussetzungen der Scheinkaufmannschaft gelten die o.g. allgemeinen Grundsätze. Insbesondere ist unerheblich, ob sich der Scheinkaufmann selbst für einen solchen hielt.

3. Scheingesellschafter und Scheingesellschaft im elektronischen Geschäftsverkehr Tritt ein Nichtmitglied als Gesellschafter einer Gesellschaft auf, so kann dies auch mit Mitteln des elektronischen Geschäftsverkehrs geschehen, beispielsweise durch Angaben auf der Internet-Seite des Nichtmitglieds, durch Äußerungen in Form elektronischer Erklärungen u.ä. Der Anschein der Mitgliedschaft kann auch durch eine entsprechende Angabe in einem Attribut-Zertifikat für digitale Signaturen entstehen. Die Zurechenbarkeit bei der Gesellschaft folgt in diesem Fall schon daraus, daß die Gesellschaft dieser Angabe gem. §§ 5 Abs. 2 SigG 1997 & 2001 zustimmen muß, bevor die Zertifizierungsstelle sie in das Zertifikat aufnehmen darf. Fehlt diese Zustimmung und erteilt die Zertifizierungsstelle gleichwohl ein entsprechendes Attribut-Zertifikat, liegt zwar der Rechtsscheintatbestand einer Gesellschafterstellung vor, dieser ist der Gesellschaft aber im Normalfall nicht zurechenbar.444 Davon unberührt ist die etwaige Haftung der Zertifizierungsstelle für Schäden, die Dritten daraus entstehen. Möglich ist ferner, daß eine – u.U. nach ausländischem Recht verfaßte – Gesellschaft mit einer Gesellschaftsbezeichnung „OHG“ oder „KG“445 oder einer zum Verwechseln ähnlichen Bezeichnung („O.H.G.“, „OH.G.“, „K.G.“, „k.G.“ etc.) in Deutschland, beispielsweise via Internet, auftritt. Dann muß sie sich als Scheinhandelsgesellschaft behandeln lassen, auch wenn sie an sich, beispielsweise nach 444 Anders kann es in besonders gelagerten Fällen sein, etwa wenn die Zertifizierungsstelle eine Tochtergesellschaft der Gesellschaft ist. 445 Oder „AG“ oder „GmbH“; dann liegt allerdings keine Scheinhandelsgesellschaft, sondern eine Scheinkapitalgesellschaft vor; dazu Fischer, IPRax 1991, 100, 103 („A.G.“).

§ 6 Nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände

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ihrem ausländischen Gründungsstatut, anders verfaßt ist.446 Der für ausländische Gesellschaften geführte Streit zwischen der sog. Sitztheorie und der sog. Gründungstheorie447 ist insoweit ohne Bedeutung. Nach der Sitztheorie kommt ohnehin deutsches Recht zur Anwendung, wenn die Gesellschaft ihren tatsächlichen Sitz in Deutschland hat. Selbst wenn man der Gründungstheorie folgt und grundsätzlich das Recht des Gründungsstaates anwendet, auch wenn die Gesellschaft ihren tatsächlichen Sitz in Deutschland hat, stehen die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung selbständig neben dem Gründungsstatut. Maßgeblich für die Rechtsscheinhaftung ist das Auftreten im deutschen Geschäftsverkehr. Wer im deutschen Geschäftsverkehr einer Vereinigung begegnet, die mit „OHG“, „KG“ oder ähnlichem firmiert, erwartet grundsätzlich, daß er es mit einer Handelsgesellschaft nach deutschem Recht zu tun hat, es sei denn, es liegen deutliche Anhaltspunkte dafür vor, daß es sich um eine ausländische Gesellschaft handelt, die nicht der Struktur einer deutschen Handelsgesellschaft entspricht. Die Anwendung deutscher Rechtsscheingrundsätze ist durch die Schaffung des Scheins einer deutschen Handelsgesellschaft in Deutschland gerechtfertigt und unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes auch geboten. Ein Rechtsscheintatbestand liegt daher in den beschriebenen Fällen vor. Für die Voraussetzungen auf seiten des vertrauenden deutschen Verkehrsteilnehmers gelten keine Besonderheiten. Er muß den Rechtsscheintatbestand kennen, d. h. die Firmierung als Handelsgesellschaft zur Kenntnis genomDazu Fischer, IPRax 1991, 100, 103 (zur Schein-AG). Dazu Fischer, IPRax 1991, 100 ff. – Der Streit betrifft die Frage, nach welchem Recht eine Gesellschaft zu beurteilen ist, die in einem Staat A gegründet wurde, aber im Staat B ihren tatsächlichen Gesellschaftssitz (kraft Tätigkeit der Gesellschaft) hat. Nach der Sitztheorie kommt es auf den tatsächlichen Gesellschaftssitz an; folglich kommt das Recht des Staates B zur Anwendung. Erfüllt die Gesellschaft nicht die Gründungsvoraussetzungen des Staates B (z. B. dortige Handelsregistereintragung), wird sie möglicherweise als nicht existent behandelt, kann beispielsweise u.U. nicht einmal als Gesellschaft klagen oder verklagt werden. Die Gründungstheorie wendet dagegen das Recht des Gründungsstaates an. Die h.M. in Deutschland, namentlich die Rspr., folgte bislang der Sitztheorie; BGHZ 53, 181, 183; 97, 269, 271; Fischer, IPRax 1991, 100 m.w.Nachw. Diese geriet allerdings bereits im Gefolge der CentrosEntscheidung des EuGH (EuGH ZIP 1999, 438; dazu EWirR Art. 52 EGV 1 / 99, 259 – Neye; BGH EWiR § 50 ZPO 1 / 2000, 793 – Roth m.w.Nachw.) ins Wanken. Der österreichische OGH gab bereits unter ausdrücklicher Berufung auf Centros die bis dahin auch in Österreich herrschende Sitztheorie zugunsten der Gründungstheorie auf (öOGH, AG 2000, 333 ff.). Mittlerweile hatte der 7. Senat des BGH dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens die Frage vorgelegt, welches Recht für innerhalb der EU verfaßte Gesellschaften maßgeblich ist (BGH AG 2000, 473 ff. = EWiR § 50 ZPO 1 / 2000, 793 – Roth; krit. Kindler, RIW 2000, 649 ff.). In seiner Überseering Entscheidung legte sich der EuGH insoweit nicht eindeutig auf eine Theorie fest, sondern entschied lediglich, daß einer ausländischen Gesellschaft im Inland nicht die Rechts- und Parteifähigkeit abgesprochen werden darf. EuGH, Urt. v. 05. 11. 2002 – Rs. C-208 / 00; Überseering BV / NCC, DB 2002, 2425 = ZIP 2002, 2037 = GmbHR 2002, 1137 = BB 2002, 2402. Letzteres ist allerdings seit dem – kurz vorher ergangenen – Urteil des 2. Senats des BGH, BB 2002, 2031, ohnehin für Deutschland nicht der Fall. Der 7. Senat wendet nunmehr die Gründungstheorie an (BGH DStR 2003, 947). – Zum Überseering Urteil s. etwa Eidenmüller, ZIP 2002, 2233; Forsthoff, DB 2002, 2471; Kallmeyer, DB 2002, 2521; Leible /Hoffmann, RIW 2002, 925; Lutter, BB 2003, 7; Zimmer, BB 2003, 1. Ferner jetzt EuGH DB 2003, 22 / 9 (Inspire Art). 446 447

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

men haben und im Vertrauen darauf eine Vermögensdisposition vorgenommen, also beispielsweise mit der vermeintlichen Handelsgesellschaft ein (Online-)Geschäft abgeschlossen haben. Dabei ist nicht Voraussetzung, daß für den Vertrauenden die Eigenschaft als Handelsgesellschaft conditio sine qua non für den Geschäftsabschluß war. Es reicht aus, daß er geglaubt hat, mit einer Handelsgesellschaft zu tun zu haben und damit zumindest das sachgedankliche Mitbewußtsein hatte, daß deutsches Handelsgesellschaftsrecht zur Anwendung komme. Im Hinblick auf die Zurechnung bewendet es wie auch sonst bei der Anwendung des Risikoprinzips. Das gilt auch für ausländische Gesellschaften, die in entsprechender Weise in Deutschland auftreten. Ob der Gesellschaft bzw. ihren Gesellschaftern bzw. den für sie Handelnden bewußt war, mit der entsprechenden Bezeichnung in Deutschland den Rechtsscheintatbestand einer Handelsgesellschaft zu setzen, ist ohne Bedeutung. Voraussetzung ist lediglich Erklärungsbewußtsein in dem Sinne, daß das Wissen vorliegt, in Deutschland im Geschäftsverkehr aufzutreten. Welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus nach deutschem Recht ergeben, muß dagegen der Gesellschaft, den Gesellschaftern oder den Handelnden nicht bewußt sein. Das mag im Einzelfall hart und ungerecht erscheinen, beispielsweise wenn die Bezeichnung „OHG“ oder „KG“ nach dem Willen der Gesellschafter und nach der einschlägigen ausländischen Sprache eine ganz andere Bedeutung haben sollte. Mit diesem Einwand können Gesellschaft und Gesellschafter aber nicht durchdringen. Mit diesem Problem ist auch eine aus Deutschen bestehende Scheinhandelsgesellschaft konfrontiert. Wer sich in den geschäftlichen Verkehr in einem Land begibt und die sich ihm dort bietenden Chancen nutzt und Vorteile zieht, muß sich auch auf die ggf. zu seinen Ungunsten wirkende Anwendung des Rechts dieses Landes gefaßt machen. Ein Anfechtungsrecht wegen Bedeutungsirrtums ist ihm insoweit nicht zuzugestehen.

4. Purported Partner und Purported Partnership im Recht der USA a) Grundsätze Da im amerikanischen Recht eine starre Unterscheidung zwischen Kaufmann und Nichtkaufmann nicht existiert, haben auch Fragen der Scheinkaufmannschaft keine praktische Bedeutung. Die Definition des Begriffs „merchant“ in § 2-104(1) UCC umfaßt beispielsweise bereits ausdrücklich den Fall, daß sich jemand so geriert, als habe er besonderes Wissen oder Geschick im Hinblick auf Warenkäufe.448 Der Kaufmannsbegriff des UCC enthält daher von vorneherein die Fälle, § 2-104(1) UCC: „,Merchant‘ means a person who deals in goods of the kind or otherwise by his occupation holds himself out as having knowledge or skill peculiar to the practices or goods involved in the transaction or to whom such knowledge or skill may be attributed by his employ-

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welche in Deutschland nach Scheinkaufmannsregeln abgehandelt werden. Anders verhält es sich dagegen im Personengesellschaftsrecht. Auch im amerikanischen Recht sind insoweit drei Fallgestaltungen zu unterscheiden. Erstens kann apparent authority auch Vertretungsmacht eines Gesellschafters für die Gesellschaft begründen bzw. erweitern,449 insbesondere im Hinblick auf Geschäfte im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit der Gesellschaft.450 Daneben existiert – vergleichbar der agency by estoppel – das Institut des partnership by estoppel (kodifiziert zunächst in § 16 Uniform Partnership Act 1914 (UPA)), das neuerdings „purported partner“ genannt wird (s. § 308 Revised Uniform Partnership Act, „RUPA (1994)“),451 ohne daß insoweit ein inhaltlicher Unterschied bestünde.452 Danach ment of an agent or broker or other intermediary who by his occupation holds himself out as having such knowledge or skill.“ Auch die geplante Neufassung von § 2-104(1) UCC (Stand: Juli / August 2002) dürfte daran nichts ändern; der Wechsel in der Formulierung „holds himself out“ zu „is held out by occupation as having“ dürfte dahin zu verstehen sein, daß es maßgeblich auf den Empfängerhorizont ankommt (Fundstelle: http: / / www.nccusl.org). 449 Reuschlein / Gregory, § 195 (290). Ferner 59A Am Jur 2d § 277 (384). 450 § 301(1) Revised Uniform Partnership Act (RUPA) (1994): „Partner agent of partnership. (1) Each partner is an agent of the partnership for the purpose of its business. An act of a partner, including the execution of an instrument in the partnership name, for apparently (Hervorh. d. Verf.) carrying on in the ordinary course of the partnership business or business of the kind carried on by the partnership binds the partnership, unless the partner had no authority to act for the partnership in the particular matter and the person with whom the partner was dealing knew or had received notification that the partner lacked authority. (2) An act of a partner which is not apparently (Hervorh. d. Verf.) for carrying on in the ordinary course of the partnership business or business of the kind carried on by the partnership binds the partnership only if the act was authorized by the other partners.“ 451 § 308 RUPA (1994) lautet: „Liability of purported partner. (a) If a person, by words or conduct, purports to be a partner, or consents to being represented by another as a partner, in a partnership or with one or more persons not partners, the purported partner is liable to a person to whom the representation is made, if that person, relying on the representation, enters into a transaction with the actual or purported partnership. If the representation, either by the purported partner or by a person with the purported partner’s consent, is made in a public manner, the purported partner is liable to a person who relies upon the purported partnership even if the purported partner is not aware of being held out as a partner to the claimant. If partnership liability results, the purported partner is liable with respect to that liability as if the purported partner were a partner. If no partnership liability results, the purported partner is liable with respect to that liability jointly and severally with any other person consenting to the representation. (b) If a person is thus represented to be a partner in an existing partnerhsip, or with one or more persons not partners, the purported partner is an agent of the persons consenting to the representation to bind them to the same extent and in the same manner as if the purported partner were a partner, with respect to persons who enter into transactions in reliance upon the represenation. If all of the partners of the existing partnership consent to the representation, a partnership act or obligation results. If fewer than all of the partners of the existing partnership consent to the representation, the person acting and the partners consenting to the representation are jointly and severally liable.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

entsteht – zweitens – Scheinmitgliedschaft in einer existierenden Personengesellschaft, wenn der Scheingesellschafter wissentlich als Gesellschafter im Geschäftsverkehr auftritt und ein Dritter darauf vertraut. Ebenso möglich ist – drittens – das gemeinsame Auftreten mehrerer als Gesellschafter im Geschäftsverkehr bei Fehlen eines Gesellschaftsvertrages mit der Folge eines „partnership by estoppel“ (bzw. „purported partnership“), also einer Scheingesellschaft.453 Als Auftreten im Geschäftsverkehr kommt dabei jegliches Verhalten in Betracht (Erklärungen, Zusicherungen, konkludentes Verhalten),454 insbesondere die Bezeichnung als Gesellschafter, Aufnahme des Namens einer Person in den Gesellschaftsnamen, in öffentlich zugänglichen Unterlagen (z. B. Grundbuch, Alkohollizenz), auf Türschildern, in Werbeanzeigen, ggf. auch auf Visitenkarten oder auf Briefpapier.455 Indiz für eine Scheingesellschaft ist auch das nach außen erkennbare Teilen von Gewinn und Verlust,456 die Ausstellung von Schecks oder die Unterzeichnung von Verträgen,457 oder die Abgabe einer Steuererklärung für die Gesellschaft.458 Nicht ausreichend ist dagegen eine nicht näher qualifizierte geschäftliche Zusammenarbeit.459 Zurechenbar ist der Scheintatbestand nur, wenn der Scheingesellschafter von den den Rechtsscheintatbestand begründenden Tatsachen weiß; Kennenmüssen reicht nach neuerer Ansicht nicht aus.460 Bei bloßem Kennenmüssen kommt da(c) A person is not liable as a partner merely because the person is named by another in a statement of partnership authority. (d) A person does not continue to be liable as a partner merely because of a failure to file a statement of dissociation or to amend a statement of partnership authority to indicate the partner’s dissociation from the partnership. (e) Except as otherwise provided in subsections (a) and (b), persons who are not partners as to each other are not liable as partners to other persons.“ Zur Geschichte des UPA s. RUPA (1994), Prefatory Note 1; ferner etwa Bromberg / Ripstein, Partnership I, 1988, App. A, A:5. Fundstelle für RUPA: http: / / www.nccusl.org, ferner abgedruckt bei Bromberg / Ripstein, Partnership I, 1992 Supplement, 156 f. 452 59A Am Jur 2d Partnership Cumulative Supplement May 2000, § 674 (35). 453 Bromberg / Ripstein, § 2.12 (2:108). Ferner zusammenfassend 59A Am Jur 2d Partnership § 145 f. (313 ff.) & ausf. §§ 673 ff. (571 ff.) jeweils m.w.Nachw. 454 59A Am Jur 2d Partnership § 686 (579). 455 Etwa Harris v. North, 78 W.Va. 76, 88 S.E. 603, 1 ALR 356; 59A Am Jur 2d Partnership § 688 (580). Anders aber Brown v. Gerstein, 17 Mass.App. 558, 460 N.E.2d 1043, review denied 391 Mass. 1105, 464 N.E.2d 73 (keine Haftung der Sozietät bei bloßer Benutzung des Kanzleibriefpapiers durch einen früheren Sozius; m.E. zweifelhaft). 456 59A Am Jur 2d Partnership § 684 (578). 457 Branscome v. Schoneweis (CA7 Ill.) 361 F.2d 717; Gustafson v. Taber, 125 Mont. 225, 234 P.2d 471; Green v. Taylor, 98 Ky. 330, 32 S.W. 945. 59A Am Jur 2d Partnership § 690 (581). 458 Roberts v. Roberts, 113 Colo 128, 155 P.2d 155. 59A Am Jur 2d Partnership § 692 (582). 459 Bromberg / Ripstein, § 2.12 (2:109 ff.) m.w.Nachw. 460 So § 308(a) 2 RUPA (1994) und Comment („there is no duty of denial“); s.a. § 308(c)&(d) RUPA (1994); ferner Bromberg / Ripstein, § 2.12 (2:111 f.); weitergehend wohl

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gegen eine Anscheinsvollmacht nach den oben erörterten Grundsätzen der apparent authority bzw. der agency by estoppel in Betracht.461 Nicht erforderlich ist das Bewußtsein, einen Rechtsscheintatbestand zu schaffen.462 Auf seiten des Dritten ist nach ganz h.M. erforderlich: Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes, Gutgläubigkeit (weder Kenntnis noch Kennenmüssen bezüglich des fehlenden Gesellschafterstatus), Kausalität und Vertrauensdisposition.463 Nach einer vereinzelt vertretenen Mindermeinung ist Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand nicht erforderlich, wenn der Scheintatbestand nicht nur gegenüber einzelnen, sondern allgemein bekannt gemacht wurde.464 Im Hinblick auf das Kennenmüssen geht das amerikanische Recht tendenziell von stärkeren Nachforschungspflichten aus als das deutsche, wenngleich Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, daß v.a. bei Unterlassen relativ naheliegender Nachforschungen eine Haftung verneint werden kann.465 Das RUPA (1994) enthält keine näheren Bestimmungen zu dieser Frage. Rechtsfolge ist die Haftung des Scheingesellschafters und die Verpflichtung der Mitgesellschafter, als wäre der Scheingesellschafter wirklicher Gesellschafter.466

59A Am Jur 2d Partnership § 675 (573) (fahrlässige Untätigkeit soll schaden, nachdem der Scheingesellschafter von den Umständen erfährt, die den Rechtsscheintatbestand begründen; allerdings ist kaum denkbar, daß solche Untätigkeit lediglich fahrlässig und nicht wissentlich geschieht). 461 § 308 RUPA (1994) Comment; Bromberg / Ripstein, § 2.12 (2:113). 462 Bromberg / Ripstein, § 2.12 (2:112); 59A Am Jur 2d Partnership § 686 (580). Aus der Rspr. vgl. O’Brien & Gere Engineers, Inc. v. Taleghani (ED Pa.), 525 F.Supp. 750, am’d on other grounds (ED Pa.) 540 F.Supp. 1114, aff ’d without op. (CA3 Pa.) 707 F.2d 1394 and aff ’d without op. (CA3 Pa.) 707 F.2d 1395. 463 Bromberg / Ripstein, § 2:12 (2:113 – 115); 59A Am Jur 2d Partnership § 678 ff. (574 ff.) jeweils m.w.Nachw. Insbesondere die Vertrauensdisposition („reliance“) ist in § 308(b) 1 RUPA (1994) angesprochen. 464 So Anderson Hay & Grain Co. v. Dunn, 81 NM 339, 467 P.2d 5; Gilbert v. Howard, 64 NM 200, 326 P.2d 1085. Dazu 59A Am Jur 2d Partnership § 678 (575). Anders die h.M.; s. § 308(a) 2 RUPA (1994), wonach bei Bekanntmachungen an die Allgemeinheit lediglich unerheblich ist, ob der Scheingesellschafter weiß, daß er gerade gegenüber einem Dritten als Gesellschafter ausgegeben wird. Auf das Erfordernis der Kenntnis des Dritten verzichtet die Vorschrift dagegen nach ihrem eindeutigen Wortlaut gerade nicht. 465 Etwa C.E. Johnson & Co. v. Marsh, 111 Vt 266, 15 A.2d 577, 131 ALR 502 (Pflicht zur Prüfung von Verträgen bzw. Erkundigungspflicht); 59A Am Jur 2d Partnership § 681 (577); Herman Kahn Co. v. A.T. Bowden & Co., 80 Ark 23, 96 S.W. 126; Anfeson v. Banks, 180 Iowa 1066, 163 N.W. 608; Gamble Robinson Co. v. Carousel Properties (Mont), 688 P.2d 283; Hempstead v. Allen, 126 Mont. 578, 255 P.2d 342; West Side Trust Co. v. Gascoig-ne, 39 NJ Super. 467, 121 A.2d 441; Cox Enterprises, Inc. v. Filip (Tex. Civ. App. Austin), 538 S.W.2d 836 (Gutgläubigkeit). 466 § 308(a) 3 RUPA (1994); Bromberg / Ripstein, § 2:12 (2:118).

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

b) Elektronischer Geschäftsverkehr Wollte man der o.g. Mindermeinung folgen, wonach Kenntnis des Dritten bei allgemein bekannt gemachten Tatsachen nicht erforderlich sein soll, käme nach amerikanischem Recht bei einer Bekanntmachung der den Scheintatbestand begründenden Umstände im Internet eine Rechtsscheinhaftung des Scheingesellschafters und der (Schein-)Gesellschaft auch ohne Kenntnis des Dritten vom Scheintatbestand in Betracht. Das Internet übernähme dadurch eine dem deutschen Handelsregister vergleichbare Funktion, wo ebenfalls Kenntnis des Dritten nicht erforderlich ist. Damit würde indes der Vertrauensschutz überspannt, denn letztlich vertraut der Dritte in diesem Fall auf gar nichts. Im übrigen sind die für den elektronischen Geschäftsverkehr zu erwartenden Ergebnisse mit denen des deutschen Rechts vergleichbar, zumal die Zurechnung im amerikanischen Recht in diesem Fall nicht allgemein nach dem Verschuldensprinzip erfolgt, sondern nur bei Kenntnis. Auch für das amerikanische Recht dürfte eine „.com“ Internetseite allein für die Begründung einer Scheingesellschaft nicht ausreichen. Die Problematik der Rechtsscheinhaftung kraft Firmenzusatzes dürfte in USA wegen des dortigen insoweit weniger strengen Firmenrechts eine geringere Bedeutung haben als in Deutschland. Das mag im Einzelfall umgekehrt die Situation in Deutschland verschärfen, wenn ein amerikanisches Unternehmen diesbezüglich vor dem Hintergrund des eigenen großzügigeren Rechts einen Firmenzusatz wählt und via Internet auch in Deutschland verwendet, der in Deutschland den Schein einer Handelsgesellschaft begründet.

5. Zusammenfassung Die Problemkreise Scheinkaufmannschaft, Scheingesellschaft und Scheingesellschafter lassen sich mit dem bestehenden System der Rechtsscheinhaftung gut bewältigen. Aus spezifischen Handlungsweisen im elektronischen Geschäftsverkehr, wie z. B. der Verwendung von „.com“ Top-Level Domains und der Internationalität einer Internetpräsenz, können sich Indizien für eine Scheinkaufmannschaft oder Scheinhandelsgesellschaft ergeben, zwingend ist der Schluß auf einen Rechtsscheintatbestand in diesen Fällen aber nicht. Die Ergebnisse sind ähnlich für das Recht der USA. Man mag als unbefriedigend empfinden, daß für die Rechtsscheinhaftung gleichsam das „Ziellandprinzip“ gilt, also das Recht des Staates Anwendung findet, indem der Betrachter einer Internetseite sich befindet. Jedenfalls für das deutsche und amerikanische Recht verliert die Problematik aufgrund der vergleichbaren Ergebnisse aber an Schärfe.

§ 6 Nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände

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IV. Ergebnisse Nach der Untersuchung der nicht urkundengebundenen Rechtsscheintatbestände erscheinen drei Ergebnisse von allgemeinerer Bedeutung: Erstens ist das herkömmliche System der Rechtsscheinhaftung ohne weiteres in der Lage, auch neuartige Handlungs- und Erklärungsformen wie elektronische Post und Internet zu bewältigen. Deutlich geworden ist das etwa bei § 171 BGB, bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, bei § 56 HGB und auch beim Scheinkaufmann und der Scheingesellschaft. Bedarf nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung besteht insoweit nicht. Zweitens sind die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Instituts der Anscheinsvollmacht bei Erklärungen mit besonderen Legitimationszeichen (Kennwort, digitale Signatur, biometrische Merkmale) deutlich geworden. Richtigerweise kann die Anscheinsvollmacht über die Fälle des verdeckten Blankettmißbrauchs hinaus analog fruchtbar gemacht werden bei unbefugter Verwendung eines Legitimationszeichens, das innerhalb einer kaufmännischen Betriebsorganisation überlassen oder zugänglich gemacht wurde. Nicht anwendbar ist die Anscheinsvollmacht bei erstmaliger unbefugter Verwendung, oder generell im bürgerlichen Verkehr oder bei Abhandenkommen bzw. eigenmächtiger Ausspähung des Legitimationszeichens. Ob und inwieweit in den letztgenannten drei Fällen ein neuartiger Rechtsscheintatbestand in Betracht kommt, wird im 3. Kapitel zu prüfen sein. Drittens hat der Blick auf vergleichbare Institute im Recht der USA indirekt den hier vertretenen Ansatz (Anwendbarkeit der Anscheinsvollmacht nur im Handelsverkehr; Zurechnung nach dem Risikoprinzip) bestätigt. Während die h.M. in Deutschland das Institut der Anscheinsvollmacht im gesamten bürgerlichen Verkehr auf Basis des Verschuldensprinzips und ohne Statuierung besonderer Nachforschungspflichten des Erklärungsempfängers propagiert und so zu einer unhaltbar weiten Haftung des angeblichen Geschäftsherrn gelangt, enthält das amerikanische Recht einen ausgewogeneren Ansatz. Zwar folgt das amerikanische Recht auch im Regelfall dem Verschuldensprinzip, das es – mangels Unterscheidung zwischen bürgerlichem und Handelsverkehr – im gesamten Privatrechtsverkehr anwendet. Jedoch postuliert das amerikanische Recht Nachforschungspflichten des Erklärungsempfängers, die mit der Weite des Verschuldensprinzips beim Geschäftsherrn korrespondieren und es angemessen einschränken. Die Ergebnisse dieses Ansatzes sind allerdings sehr viel mehr vom Einzelfall abhängig und daher weniger vorhersehbar als nach dem hier vertretenen verkehrsfreundlichen Risikoprinzip und der ebenfalls verkehrsfreundlichen Negierung besonderer Nachforschungspflichten.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände: Unterlassen und Handelsregister In §§ 4 und 5 wurden urkundengebundene Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr untersucht, in § 6 Rechtsscheinvollmachten (und verwandte Tatbestände) als nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände. Bislang wurde deutlich, daß das System der Rechtsscheinhaftung die durch den elektronischen Geschäftsverkehr aufgeworfenen Fragestellungen grundsätzlich gut bewältigen kann, ggf. unter Rückgriff auf bewährtes methodologisches Instrumentarium der teleologischen Auslegung und vorsichtiger Einzelanalogien. Gleichzeitig sind die Grenzen des geltenden Rechts deutlich geworden, so etwa bei § 172 BGB, im Wertpapierrecht und beim Mißbrauch von Kennworten und anderen Legitimationszeichen. Die nachfolgenden Erläuterungen des § 7 beziehen sich zum einen auf drei Gruppen von Rechtsscheintatbeständen, die das Unterlassen einer Handlung (oft innerhalb einer angemessenen Frist) zum Gegenstand haben, namentlich das Fortbestehen der nach außen kundgegebenen Vertretungsmacht bei §§ 170, 171 Abs. 1, 172 Abs. 2 i.V.m. § 173 BGB (im folgenden abgekürzt §§ 170 ff. BGB), das Schweigen des Kaufmanns auf Anträge nach § 362 HGB (und die verwandten Fälle kaufmännischen Schweigens in §§ 75 h, 91 a HGB bei unbefugtem Handeln von Handlungsgehilfen und Handelsvertretern) und das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben. Soweit es bei diesen Rechtsscheintatbeständen auf eine Reaktion des zu Verpflichtenden innerhalb einer bestimmten Frist ankommt, wird die im elektronischen Geschäftsverkehr charakteristische Detemporalisierung und ggf. ihre Auswirkung auf Fristlänge und Fristlauf kritisch zu beleuchten sein. Im übrigen untersucht dieser Abschnitt noch das Handelsregister als registergebundenen Scheintatbestand und seine Anwendung im elektronischen Geschäftsverkehr.

I. Unterlassen nach §§ 170 ff. BGB 1. Grundlagen § 170 BGB schützt das Vertrauen in den Fortbestand einer Außenvollmacht, also einer Vollmacht, die durch Erklärung gegenüber einem Dritten erteilt wurde, bis dem Dritten das Erlöschen von dem Vollmachtgeber angezeigt wird, es sei denn, der Dritte kannte das Erlöschen der Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder mußte davon Kenntnis haben (§ 173 BGB). Entsprechende Regelungen treffen §§ 171 Abs. 2, 172 Abs. 2 BGB für die Fälle, daß die Bevollmächtigung durch besondere Mitteilung, öffentliche Bekanntmachung oder Aushändigung einer Vollmachtsurkunde an den Vertreter kundgetan wurde. Dogmatisch handelt es sich dabei nicht um die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheins, sondern um den möglicherweise unbewußten Rechtsschein des Fort-

§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände

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bestands einer Rechtslage.467 Der Rechtsscheintatbestand besteht in dem Unterlassen468 des Geschäftsherrn, die Außenvollmacht extern zu widerrufen (§ 170 BGB), bzw. ihr Erlöschen extern deklaratorisch anzuzeigen (§ 171 Abs. 1 BGB) bzw. die Vollmachtsurkunde einzuziehen (§ 172 Abs. 1 BGB). Die §§ 170, 171 Abs. 2, 172 Abs. 2, 173 BGB gelten nicht nur bei ursprünglichem Vorliegen einer rechtsgeschäftlich erteilten Vertretetungsmacht, sondern auch, wenn von vorneherein lediglich eine nach außen kundgemachte Scheinvollmacht zugrundeliegt.469 Auch die Scheinvollmacht muß daher durch einen nach außen kundgegebenen actus contrarius beseitigt werden. Auf seiten des Vertrauenden ist gem. § 173 BGB Gutgläubigkeit (weder Kenntnis noch Kennenmüssen der wahren Rechtslage) sowie nach allgemeinen Grundsätzen Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand erforderlich; letztere fällt praktisch mit der Gutgläubigkeit zusammen, da sie sich in der Kenntnis des Unterlassens erschöpft. Fraglich ist die Zurechnung des Unterlassens. Das Veranlassungsprinzip ist bei Unterlassungen von vorneherein unbrauchbar, da es auf reine Verursachung, und nicht auf – wertende – Zurechnung abstellt.470 Auch auf das Verschuldensprinzip stellt das Gesetz ersichtlich nicht ab, da die Haftung beispielsweise auch dann besteht, wenn der Geschäftsherr gar keine Möglichkeit hatte, die Vollmachtsurkunde (§ 172 BGB) zurückzuerlangen.471 Schließlich scheint auch das Risikoprinzip zunächst zu keiner befriedigenden Lösung zu führen, wenn man auf das Unterlassen als Rechtsscheintatbestand abstellt. Denn auch nach dem Risikoprinzip dürften jene Fälle nicht zurechenbar sein, in denen der Geschäftsherr keine Möglichkeit zum Handeln hat.472 Ausreichend für die Zurechnung ist vielmehr, daß der Geschäftsherr zurechenbar eine Außenvollmacht i.S.v. § 170 BGB bzw. einen Scheintatbestand i.S.v. §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB geschaffen hat. Damit hat er das Risiko gesetzt, daß der Fortfall dieser Tatbestände nicht rechtzeitig kundgetan werden kann und ist daher „näher daran“, dieses Risiko zu tragen. Letztlich kommt also auch hier das Risikoprinzip zum tragen, wenngleich mit einem „vorverlagerten“ Anknüpfungspunkt.473 Eine vergleichbare Regel, wonach die extern kundgegebene Vollmacht extern widerrufen werden muß, enthält auch das amerikanische Recht.474 467 Canaris, Vertrauenshaftung, 133 ff.; überzeugend gegen die Auffassung Flumes (AT II § 51, 9), eine extern erteilte oder nach außen kundgegebene (§§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 1 BGB) Vollmacht könne nur extern widerrufen werden. Insbesondere bei der Prokura wäre ein Widerruf gegenüber allen Geschäftspartnern praktisch kaum durchführbar; Canaris, a. a. O., 134 f. 468 Canaris, Vertrauenshaftung, 136; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 21. 469 Canaris, a. a. O., 145. 470 Canaris, a. a. O., 136, 474 f. 471 Canaris, a. a. O., 136. 472 Canaris, a. a. O., 136. 473 Canaris, a. a. O., 136 f.; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 30. 474 3 Am Jur 2d Agency § 52 (553); Baum v. Rice-Stix Dry Goods Co., 203 Ark 581, 157 SW.2d 767; Johnson v. Christian, 128 US 374, 32 L.Ed. 412, 9 S.Ct. 87.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

2. Widerrufsmöglichkeiten im elektronischen Geschäftsverkehr a) § 170 BGB Die Anzeige nach § 170 BGB ist an keinerlei Form gebunden; sie ist daher auch durch einfache elektronische Erklärung (z. B. elektronische Post) möglich. Unerheblich ist, in welcher Form die Außenvollmacht ursprünglich erteilt wurde, mündlich, herkömmlich schriftlich oder durch elektronische Erklärung. Dasselbe gilt für Erklärungen mit eingescannter Unterschrift, kennwortgeschützte, digital oder biometrisch oder anderweitig signierte Erklärungen.

b) § 171 Abs. 2 BGB Bei § 171 Abs. 2 BGB ist fraglich, wie der Rechtsschein beseitigt werden kann, da die Vorschrift Widerruf in „derselben Weise“ wie die Kundgebung verlangt. Die Art und „Weise“ des Widerrufs bezieht sich zunächst lediglich auf die für die Kundgebung gewählte Alternative des § 171 Abs. 1 BGB. Erfolgte die Kundgebung durch besondere Mitteilung gegenüber dem Erklärungsempfänger (§ 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB), muß auch der Widerruf durch besondere Mitteilung erfolgen;475 in den Fällen des § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB ist für den Widerruf demzufolge öffentliche Bekanntmachtung erforderlich. Im übrigen aber spricht § 171 Abs. 2 BGB nur von „derselben Weise“, gerade nicht von „derselben Form“. Eine durch einfache elektronische Erklärung erfolgte Mitteilung kann daher in jeder Form, mündlich, herkömmlich schriftlich oder elektronisch „aus der Welt geschafft“ werden.476 Umgekehrt wird man auch bei ursprünglicher Mitteilung in herkömmlicher Erklärungsform (mündlich, schriftlich) einen Widerruf der Kundgebung in elektronischer Form, einschließlich der Form einfacher elektronischer Erklärungen zulassen müssen. Bei § 171 Abs. 1 Alt. 1 BGB setzt das allerdings voraus, daß der Erklärungsempfänger über einen elektronischen Postanschluß verfügt und dessen Benutzung zu rechtsgeschäftlichen Zwecken nicht ausgeschlossen ist; ansonsten fehlt es am Zugang (§ 130 BGB).477 Näherer Betrachtung bedarf auch die zulässige Widerrufsform bei § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB (öffentliche Bekanntmachung). Für den Widerruf ist nicht daßelbe Kommunikationsmittel erforderlich; ausreichend ist Gleichwertigkeit, d. h. ZuErman-Palm, § 171 Rn. 7. So auch MüKo-Schramm, § 171 Rn. 15. 477 So bereits Ultsch, NJW 1997, 3007, 3008; ders., DZWir 1997, 466, 468. Ferner etwa Bierekoven, 27 ff.; Mehrings, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht, Teil 13.1, Rn. 80 f.; Regierungsentwurf zum FormAnpG, BTDrs. 14 / 4987 v. 14. 12. 2000, 11 l. Sp.; Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum FormAnpG, BTDrs. 14 / 5561 v. 14. 03. 2001, 19 r. Sp.; Dörner, AcP 202 (2002), 363, 367. I. Erg. auch Dietrich, K&R 2002, 138 ff. 475 476

§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände

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gänglichkeit für den im wesentlichen gleichen Personenkreis.478 Wirksam ist der Widerruf mit Zugänglichkeit der Widerrufserklärung, nicht erst mit Kenntnisnahme durch den Erklärungsempfänger.479 Erfolgte die Kundgabe auf einer bestimmten Seite des Internets oder eines Intranets, kann der Widerruf daher unproblematisch auf derselben Seite erfolgen. Problematisch ist dagegen, wenn der Widerruf auf einer anderen Seite oder gar in einem anderen Medium erfolgt. Das ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, fraglich ist dann aber Gleichwertigkeit i.S.v. Zugänglichkeit für den im wesentlichen gleichen Personenkreis. Faßt man den Begriff Zugänglichkeit weit, in einem „abstrakten“ Sinn, wird man jedenfalls im geschäftlichen Verkehr das gesamte Internet sowie mindestens überregionale Tageszeitungen für „zugänglich“ halten müssen. Das hätte zur Folge, daß beispielsweise eine in einer überregionalen Tageszeitung kundgegebene Vollmacht durch Widerruf an irgendeiner Stelle des Internets beseitigt werden könnte. Dies wäre aber zu weitgehend. Viele Internetseiten sind in einem konkreten Sinne gerade nicht „zugänglich“, wenn sie nämlich nicht in einem bestimmten Suchservice aufgenommen sind. Allein die abstrakte Zugänglichkeit durch Ausprobieren oder zufälliges Wissen um eine bestimmte Internetseite kann aber nicht ausreichen. Das würde den Verkehrsschutz entwerten und zudem Mißbrauch Tür und Tor öffnen. Zugänglichkeit muß daher, um zu sinnvollen Ergebnissen zu führen, in einem „konkreten“ Sinn verstanden werden, der auf die konkreten Informationsmöglichkeiten und -gewohnheiten des durch die Vollmacht angesprochenen Personenkreises abstellt. Haben diese Personen beispielsweise bei Kundgabe der Vollmacht in einem Intranet nur Zugang zu bestimmten Teilen des Intranets, ist ein Widerruf in einem anderen, diesen Personen von vorneherein nicht zugänglichen Teil desselben Intranets unwirksam. Ebenso unwirksam dürfte ein Widerruf sein, der an einer von der Kundgabestelle verschiedenen Stelle des Intranets erfolgt, die die angesprochenen Personen üblicherweise nicht besuchen. Die Veröffentlichung des Widerrufs an einer anderen Stelle ist dagegen unschädlich, wenn diese im allgemeinen auch von den angesprochenen Personen besucht wird, z. B. eine Rubrik über allgemeine Unternehmensnachrichten und Neuigkeiten. Ähnliches muß für das Internet gelten. Eine Veröffentlichung auf einer Seite, die zu besuchen die angesprochenen Personen im allgmeinen keinen Anlaß haben, ist nicht ausreichend. Ebensowenig reicht die Veröffentlichung an einer „versteckten“ Stelle derselben Internetseite. Widerruf in einer lokalen oder überregionalen Tageszeitung als herkömmliches Medium des Widerrufs wird dagegen auch bei ursprünglicher Kundgabe in einem Intranet oder im Internet ausreichen. Ein Medienwechsel in die umgekehrte Richtung (Kundgabe in herkömmlicher Tageszeitung, Widerruf im Internet) wird dagegen selten möglich sein. Eher denkbar ist in diesem Fall ein Widerruf in einem Intranet, wenn die angesprochenen Personenkreise sämtlich Zugang zu dem Intranet haben und der Widerruf dort an einer Stelle veröffentlicht wird, die üblicherweise von diesen Personen besucht wird (z. B. allgemeine Unterneh478 479

Erman-Palm, § 171 Rn. 8; MüKo-Schramm, § 171 Rn. 16. MüKo-Schramm, a. a. O.

15 Rieder

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

mensnachrichten oder Nachrichten aus der betreffenden Fachabteilung, der alle angesprochenen Personen angehören).

c) § 172 Abs. 2 BGB Wie die Überlegungen bei § 4 ergeben haben, existiert derzeit kein elektronisches Äquivalent zur Rückgabe einer herkömmlichen Urkunde. Einzige Ausnahme ist die Sperrung von Attribut-Zertifikaten bei digitalen Signaturen. Die Sperrung hat nach den bereits erläuterten einschlägigen Vorschriften des SigG bzw. der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Certification Practice Statements der Zertifizierungsstellen zu erfolgen. Neben der Rückgabe spielt die Kraftloserklärung nach §§ 172 Abs. 2 Alt. 2, 176 BGB i.V.m. §§ 204, 205 ZPO als besonders schwerfälliges Verfahren eine nur untergeordnete Rolle. Eine dritte, nicht in § 172 Abs. 2 BGB erwähnte Möglichkeit, den Rechtsscheintatbestand zu beenden, besteht nach h.M. darin, die Vollmacht gegenüber dem bzw. den Dritten zu widerrufen.480 Bei einer Vielzahl von Dritten ist auch dieses Verfahren allerdings sehr schwierig und umständlich. Besonderheiten im elektronischen Verkehr ergeben sich dabei nicht. Lediglich technische Erleichterungen sind denkbar, beispielsweise bei der Verwendung von Massenmailings zum schnellen und effizienten Widerruf oder von Adreßgruppen in der Anredezeile eines elektronischen Postprogramms, vorausgesetzt es werden damit alle betroffenen Dritten erreicht.

3. Ergebnisse Bei §§ 170, 171 Abs. 2 BGB ergeben sich im elektronischen Geschäftsverkehr keine neuartigen Probleme. Elektronische Handlungs- und Erklärungsformen können praktisch ohne Einschränkung zur Beendigung des Rechtsscheintatbestandes genutzt werden. Bei § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB muß das für den Widerruf gewählte Medium in einem konkreten Sinn dem gleichen Personenkreis zugänglich sein, dem die öffentliche Bekanntmachung zugänglich war. Bei § 172 BGB stellt die Sperrung eines Vollmachts-Zertifikates das elektronische Äquivalent zur Rückgabe einer Vollmachtsurkunde dar.

480

MüKo-Schramm, § 172 Rn. 13a.

§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände

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II. Das Schweigen des Kaufmanns auf Anträge nach § 362 HGB und verwandte Fälle nach §§ 75h und 91 HGB Zunächst gilt im bürgerlichrechtlichen Verkehr ebenso wie im Handelsverkehr der Grundsatz, daß Schweigen keinen Erklärungswert (weder im Sinn einer Zustimmung noch im Sinn einer Ablehnung) hat.481 Davon zu unterscheiden sind stillschweigende (oder: konkludente) Willenserklärungen, die auf schlüssigem Verhalten beruhen und mit Rechtsscheinhaftung nichts zu tun haben.482 Weiterhin kann das Schweigen als Erklärungszeichen vereinbart worden sein (beredtes Schweigen); auch dann stellt es eine echte Willenserklärung dar, und für Rechtsscheinbetrachtungen ist kein Raum.483 Ferner existieren außerhalb des Systems der Rechtsscheinhaftung die Fälle des normierten Schweigens, in denen der Schweigende verpflichtet gewesen wäre, sich zu äußern, wobei sich die Äußerungspflicht nach h.M. sowohl aus einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung wie auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergeben kann (§ 242 BGB).484 Für die Rechtsscheinhaftung selbst sind insbesondere die Fälle des § 362 HGB (sowie die verwandten Fälle §§ 71h, 91a HGB) und des kaufmännischen Bestätigungsschreibens (dazu unten III.) von Interesse.

1. Grundlagen Gem. § 362 Abs. 1 HGB gilt das Schweigen eines Kaufmanns, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt, auf einen Antrag als Annahme desselben, wenn ihm der Antrag von jemandem zugeht (§ 130 BGB), mit dem er entweder in Geschäftsverbindung steht (§ 362 Abs. 1 S. 1 HGB) oder dem gegenüber er sich – individuell, nicht durch Veröffentlichungen485– zur Besorgung solcher Geschäfte erboten hat (§ 362 Abs. 1 S. 2 HGB), und zwar unabhängig davon, ob dem Kaufmann bewußt war, daß ihm ein Antrag zugegangen war (Tatsachenunkenntnis) und / oder daß sein Schweigen die Wirkung einer Annahme hat (Schlüssigkeitsirrtum).486 Anwendungsfälle des § 362 HGB sind insbesondere 481 Statt aller Canaris, in: FS Wilburg, 77; Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 116 Rn. 7; K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 1a (548) m.w.Nachw. 482 Dazu Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 116 Rn. 6. 483 Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 116 Rn. 7. Ferner Canaris, in: FS Wilburg, 77, 78. 484 Palandt-Heinrichs, Einf. v. § 116 Rn. 8 f. In den Fällen der §§ 108 Abs. 2 S. 1, 177 Abs. 2 S. 2 und 415 Abs. 2 S. 2 BGB gilt das Schweigen als Ablehnung, bei §§ 416 Abs. 1 S. 2, 455 S. 2, 516 Abs. 2 S. 2, 1943 BGB, 362 Abs. 2, 377 Abs. 2 HGB als Zustimmung. Einschränkend bezüglich einer aus § 242 BGB hergeleiteten Widerspruchspflicht – entgegen BGHZ 1, 354, 355 – die h.L., Baumbach / Hopt, § 346 Rn. 32; Canaris, Vertrauenshaftung, 226; ders., in: FS Wilburg, 77, 82 ff.; Flume AT II, § 35 II 4; K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 1a (549). 485 K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2b & d (553 & 557 f.). 486 Canaris, Vertrauenshaftung, 188 f.

15*

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Bank- und Börsengeschäfte,487 aber auch sonstige Dienstleistungsgewerbe,488 nicht dagegen Kaufgeschäfte.489 Die Besonderheit des § 362 Abs. 1 HGB liegt in der darin statuierten Erfüllungshaftung.490 Das ist mit rechtsgeschäftlichen Mitteln nicht zu erklären, wie Canaris überzeugend nachgewiesen hat.491 Richtigerweise ist statt dessen der Rechtsscheingedanke heranzuziehen.492 Der Rechtsscheintatbestand besteht im Schweigen des Kaufmanns über das Ende einer angemessenen Bedenkzeit hinaus. Die Bedenkzeit ist dabei relativ kurz zu bemessen; nach dem Wortlaut des § 362 HGB ist eine unverzügliche Antwort erforderlich. Unverzüglich bedeutet wie in § 121 Abs. 1 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“.493 Auf seiten des Vertrauenden ist nach richtiger Ansicht insbesondere Gutgläubigkeit erforderlich.494 Die Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes ergibt sich gleichsam von selbst; an ihr fehlte es nur, wenn der Vertrauende Nachricht von einer Ablehnung des Antrags erhielte, dann aber läge schon kein Rechtsscheintatbestand vor. Nicht erforderlich bei der Scheinannahme ist eine weitergehende Vertrauensinvestition.495 Problematisch ist hingegen die Frage der Zurechnung. Klar ist zunächst, 487 Baumbach / Hopt, § 362 Rn. 3; Heymann / Horn, § 362 Rn. 6; Eckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 12. 488 Oder einer Person, die in ähnlicher Weise wie Kaufleute am Verkehr teilnimmt, § 362 Abs. 1 HGB analog; Canaris, Vertrauenshaftung, 206. Noch weitergehend (alle Unternehmensträger) K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2d (555). 489 Eckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 13; K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2d (555 f.): Kommission, Spedition, Lagergeschäfte, Fracht, Maklergeschäfte, Reisevermittlung, Verwaltungs- und Treuhandverträge, Aufträge an Detektivbüros, Anlageberatung, Unternehmensberatung. – Für Rechtsanwälte dürfte dagegen, selbst wenn man § 362 HGB für (analog) anwendbar hält und die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift gegeben sind, die Norm des § 44 BRAO (Schadensersatzpflicht – nicht Erfüllungshaftung – bei nicht rechtzeitiger Ablehnung des Mandats) eine abschließende Spezialregelung darstellen. 490 Im Gegensatz zum BGB, wo die Verletzung des § 663 BGB lediglich zu einer Schadensersatzhaftung (negatives Interesse, § 249 BGB) führen kann; dazu Baumbach / Hopt, § 362 Rn. 2; Canaris, Vertrauenshaftung, 197. 491 Canaris, a. a. O., 197 ff; ders., Handelsrecht, § 25 Rn. 1. Ausführlich auch Kindl, Rechtsscheintatbestände, 142 ff. 492 Baumbach / Hopt, § 362 Rn. 3 („Vertrauenshaftung“); Canaris, Vertrauenshaftung, 200; ders., Handelsrecht, § 25 Rn. 3; Eckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 2; Schlegelberger-Hefermehl, § 362 Rn. 16; wohl auch Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 50. Anders K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2c (553) („Vertrauensschutzgedanke(n) nicht im engen Sinn einer Rechtsscheinhaftung“); MüKo-HGB / Welter, § 362 Rn. 15 a.E. („Fiktion“ bzw. „gesetzlich typisierte Erklärung“). 493 MüKo-HGB / Welter, § 362 Rn. 30 (innerhalb weniger Tage, bei erkennbarer Eilbedürftigkeit innerhalb von Stunden oder am Folgetag); Eckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 22 (grundsätzlich noch am selben Tag bei typischem Geschäft mittleren Umfangs); Schlegelberger-Hefermehl, § 362 Rn. 17 (Antwort noch am selben Tag erforderlich); K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2d ff) (559) m.w.Nachw. 494 Baumbach / Hopt, § 362 Rn. 5; Canaris, Vertrauenshaftung, 201; ferner Eckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 35. 495 Canaris, a. a. O. Damit entfällt auch das Erfordernis der Kausalität zwischen Rechtsscheintatbestand und Vertrauensinvestition. Die Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorganges

§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände

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daß die Zurechnung nicht davon abhängt, ob der Kaufmann sich der Bedeutung seines Schweigens bewußt war; ansonsten würde § 362 Abs. 1 HGB praktisch leerlaufen.496 Fraglich ist aber die Zurechnung, wenn der Kaufmann von dem Antrag keine Kenntnis erlangt hat. Nach einer Auffassung soll die Zurechnung davon abhängen, ob die Unkenntnis verschuldet ist, nach a.A. kommt es entsprechend § 130 BGB auf ein Verschulden nicht an.497 Richtigerweise wird man auch hier auf das Risikoprinzip abstellen können und eine Zurechnung dann vornehmen müssen, wenn die Unkenntnis in einem inneren Zusammenhang zu einem im Geschäftskreis des Kaufmanns liegenden Risiko steht; dazu gehören neben einer schlichtweg mangelhaften Betriebsorganisation beispielsweise plötzliche unaufschiebbare Geschäftsreisen, Urlaub und Krankheit, nicht aber beispielsweise Unfälle außerhalb des Büros.498 Willensmängel, die für das Schweigen kausal waren – mit Ausnahme des schon genannten Schlüssigkeitsirrtums –, schließen die Zurechnung aus.499 Rechtsfolge des § 362 HGB ist das Zustandekommen des Vertrags nach Ablauf der angemessenen Reaktionszeit ohne Widerspruch. Nach h.M. können sich beide Parteien auf § 362 HGB berufen; ein Wahlrecht soll dem Antragenden nicht zustehen.500 Daneben behandeln auch §§ 75h, 91a HGB Fälle kaufmännischen Schweigens trotz Kenntnis, daß ein Handlungsgehilfe bzw. Handelsvertreter im Namen des Kaufmanns mit einem Dritten ein Geschäft abgeschlossen hat, obwohl ihm die dazu erforderliche Vertretungsmacht fehlt. Widerspricht der Kaufmann nach Kenntniserlangung nicht unverzüglich, gilt das Geschäft als von ihm genehmigt. Auch insoweit lassen sich die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung fruchtbar machen.501 dürfte bei § 362 Abs. 1 HGB i.d.R. unproblematisch sein, da es sich um entgeltliche Geschäfte handeln wird. 496 Ebenso Canaris, Vertrauenshaftung, 202; ders., Handelsrecht, § 25 Rn. 4; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 165 ff. m.w.Nachw.; Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 48; MüKo-HGB / Welter, § 362 Rn. 42; Schlegelberger-Hefermehl, § 362 Rn. 19. 497 So etwa Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 49; w.Nachw. bei Canaris, Vertrauenshaftung, 202 f. und bei Fn. 34, 35; ders., Handelsrecht, § 25 Rn. 4. 498 Canaris, Vertrauenshaftung, 204 f.; zustimmend Kindl, Rechtsscheintatbestände, 168 ff.; in der Sache ebenso K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2d ff) (560), der allerdings – dogmatisch abweichend von der hier vertretenen Auffassung – im Risikoprinzip eine „sachgerechte Anwendung des Verschuldensprinzips gegenüber dem Unternehmensträger“ erblickt. Ähnlich MüKo-HGB / Welter, § 362 Rn. 30. – In einem Grenzbereich liegen m.E. Straftaten Angestellter; Canaris, a. a. O., 205 mit Fn. 45, 46 will auch dieses Risiko noch zurechnen. 499 Canaris, Vertrauenshaftung, 205 f.; Eckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 33 f.; Schlegelberger-Hefermehl, § 362 Rn. 21; K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2e bb) (562 f.); ähnlich Kindl, Rechtsscheintatbestände, 173 ff. 500 Baumbach / Hopt, § 362 Rn. 5; Düringer / Hachenburg / Breit, 3. Aufl. 1932, § 362 Anm. 18; Hopt, AcP 183 (1983), 608, 688; K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2e aa) (561). 501 Canaris, Vertrauenshaftung, 213 f. Ähnlich wohl Löwisch, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 91a Rn. 1 (Vertrauenstatbestand).

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

2. Elektronisches Erbieten, elektronische Anträge § 362 HGB setzt keine bestimmte Form des Erbietens und des Antrags voraus. Damit kann das Erbieten auch mittels elektronischer Post oder sonstiger elektronischer Erklärungsformen geschehen.502 Fraglich ist die Abgrenzung des Erbietens von einer nicht zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung führenden öffentlichen Bekanntmachung bei sog. Massenmailings, also Massenschreiben in elektronischer Form. Im herkömmlichen Geschäftsverkehr wird danach abgegrenzt, ob der Adressatenkreis erkennbar offen ist (z. B. Postwurfsendungen, dann § 362 HGB nicht anwendbar) oder ob er bestimmt ist bzw. den Eindruck einer gezielten Abgrenzung vermittelt.503 Ein bestimmter Adressatenkreis liegt bei Massenmailings vor, da jeder Adressat einzeln in der Adressatenliste der Nachricht aufgeführt sein muß. Jedenfalls zugunsten der dort aufgeführten Adressaten gilt § 362 BGB. Etwas anderes gilt bei Kunden, die die elektronische Nachricht lediglich per Weiterleitung durch einen ursprünglichen Adressaten erhalten haben. Man könnte allenfalls auf den Gedanken kommen, auch zugunsten der Weiterleitungs-Empfänger § 362 HGB dann anzuwenden, wenn der usprüngliche Absender und Kaufmann bewußt eine solche Weiterleitung gefördert, dazu aufgefordert oder dies zumindest in Kauf genommen hat. Dies wäre aber wohl zu weitgehend, da dann jedenfalls eine Abgrenzbarkeit des Adressatenkreises nicht mehr gegeben wäre. Gleichermaßen sind auch Anträge per elektronischer Post grundsätzlich geeignet, die Rechtsfolgen des § 362 HGB auszulösen. Fraglich ist, ob das auch gilt, wenn ein Kaufmann (oder eine kaufmannsähnliche Person) seine elektronische Postadresse nur für Zwecke verwenden will, die nicht im rechtsgeschäftlichen Bereich liegen, also z. B. private Kommunikation, bloße Werbung, Teilnahme an Informations- und Diskussionsforen o.ä. Für die Frage des Zugangs und des Zugangszeitpunktes einer Willenserklärung (§ 130 BGB) wird – wie bei § 171 BGB unter I. erörtert – von der h.M. in der Tat die Auffassung vertreten, daß rein privat genutzte elektronische Postadressen anders zu behandeln seien als rechtsgeschäftlich genutzte. Diese Unterscheidung kann aber für § 362 HGB dahinstehen. Wer sich i.S.v. § 362 HGB zur Besorgung von Geschäften erbietet und zugleich im geschäftlichen Verkehr eine elektronische Postadresse benutzt oder diese bekanntgibt, muß nach heutigen geschäftlichen Gepflogenheiten auch damit rechnen, daß Anträge i.S.v. § 362 HGB per elektronischer Post eingehen. Elektronische Erklärungen sind Erklärungen unter Abwesenden.504 Der Antrag geht dann grundsätzlich an dem Tag zu, an dem er bei der vom Kaufmann verwendeten Mailbox eingeht, unabhängig davon, ob der Kaufmann sie auf seinen RechEckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 16. Heymann / Horn, § 362 Rn. 9; Eckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 16; K. Schmidt, HandelsR, § 19 II 2d cc) (558 f.). Ähnlich Düringer / Hachenburg / Breit, 3. Aufl. 1932, § 362 Anm. 15. 504 H.M., vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 148 Rn. 6; Schröder, Tele-Shopping, 229 ff. m.w.Nachw. 502 503

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ner herunterlädt. Bei Einlegung in die Mailbox zur „Unzeit“ (nach Schluß der üblichen Geschäftszeiten) erfolgt der Zugang am nächsten Werktag.505 Etwas anderes würde nur gelten, wenn der Kaufmann in seinem Erbieten ausdrücklich klarstellt, in welcher Form er Anträge entgegennimmt, insbesondere daß er keine Anträge in Form elektronischer Erklärungen via elektronischer Post entgegennehme. Dann liegt insoweit schon kein Erbieten vor, und die Rechtsfolgen des § 362 HGB können nicht eintreten. Liegt ein Erbieten – ausdrücklich oder konkludent – auch im Hinblick auf elektronische Anträge vor, muß der Kaufmann die sich daraus ergebenden Risiken tragen (Zurechnung nach Risikoprinzip), etwa das Risiko, daß er auf einen per elektronischer Post eingegangenen Antrag nicht rechtzeitig Zugriff erlangt, weil beispielsweise der Großrechner (Server), auf dem seine elektronische Post eingeht und von dem er sie sich „abholt“, ausgefallen oder überlastet ist oder dort eine eingegangene Erklärung verlorengegangen ist.

3. Detemporalisierung im Hinblick auf Reaktionszeit des Kaufmanns? Fraglich ist weiterhin, ob bei elektronisch übermittelten Anträgen eine andere, nämlich kürzere Bedenk- und Reaktionszeit des Kaufmanns gilt. Dieselbe Frage stellt sich für die Ablehnungfrist des Kaufmanns bei §§ 75h, 91a HGB. Hauptsächlich drei Gründe könnten für eine Fristverkürzung ins Feld geführt werden. Erstens liegt ein großer Vorteil der elektronischen Kommunikation gegenüber der herkömmlichen, papiergebundenen Kommunikation in der dadurch erzielbaren Zeitersparnis.506 Hinzu kommt zweitens, daß eine Antwort auf eine elektronische Nachricht besonders einfach und bequem getätigt werden kann, nämlich lediglich durch Bedienen des „Antwort“-Feldes auf dem Rechnerbildschirm. Schließlich besteht drittens auch oft die Erwartungshaltung des Erklärenden, auf eine elektronische Erklärung schneller eine Antwort zu erhalten als auf eine Erklärung in herkömmlicher Form.507 Keiner der drei Gründe kann richtigerweise zu einer generellen Verkürzung der Reaktionszeit des Kaufmannes führen; maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalles.508 So ist der Zeitvorteil elektronischer Post beispielsweise 505 Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 132; ders., DZWir 1997, 466, 468; ders., NJW 1997, 3007 f. 506 Umfrageergebnissen zufolge sollen etwa zwei Drittel der befragten Unternehmen eine Verkürzung der Durchlaufzeiten (Zeitraum zwischen Bestellung und Auslieferung eines Produktes) erwarten; Strauß / Schoder, in: Hermanns / Sauter, 61, 69. 507 Dazu Hoeren, NJW 2000, 188, 189: „Im Internet ist zunächst der enorme Geschwindigkeitsrausch auffällig. Alles muß schnell gehen.“ – In diese Richtung wohl auch Eckert, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 362 Rn. 22, der aus dem Eingang per Telefax offenbar die Notwendigkeit besonders rascher Antwort (noch am selben Tag) ableiten will.

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gegenüber dem seit langem gebräuchlichen Telefax normalerweise regelrecht zu vernachlässigen.509 Gleichwohl hat die Einführung des Telefaxes nach zutreffender Ansicht nicht dazu geführt, die Reaktionszeit des Kaufmannes generell erheblich zu verkürzen. Auch die Bequemlichkeit, mit der eine Antwort verfaßt werden kann, gibt letztlich keinen Ausschlag. Der maßgebliche Zeitaufwand für den Kaufmann besteht in der inhaltlichen Prüfung des Antrags und der Überlegung, ob er ihn akzeptieren will.510 Diese Überlegungsfrist wird durch die Form, in der der Antrag abgegeben wird, nicht berührt.511 Ohne Bedeutung ist schließlich eine nicht weiter gerechtfertigte Erwartungshaltung bezüglich besonders „rascher“ Bearbeitung elektronisch verfaßter Anträge, da diese Erwartung nach dem soeben Gesagten – identischer Zeitaufwand für inhaltliche Prüfung – grundsätzlich schlichtweg unberechtigt ist. An nach Treu und Glauben unberechtigten Erwartungen muß sich der Kaufmann nicht messen lassen, es sei denn er hat besondere Schritte unternommen, die im Einzelfall diese Erwartung doch berechtigt erscheinen lassen, etwa indem er die besonders rasche Erledigung elektronischer Anträge einzeln oder allgemein, z. B. durch Werbung, zugesichert hat.512 Für den Beginn der Bedenkzeit ist zu beachten, daß der Kaufmann die Pflicht hat, während der üblichen Geschäftszeiten regelmäßig den Eingang elektronischer Post zu überprüfen, und zwar mehrmals täglich, da Nachrichten jederzeit eintreffen können.513 Auch bei §§ 75h, 91a HGB hängt die angemessene Überlegungsfrist vom Einzelfall ab, beispielsweise von Inhalt und Tragweite des Geschäfts, davon ob das Geschäft außergewöhnlich ist oder dem alltäglichen Geschäftsanfall entspricht, in welchem Umfang Nachforschungen und Überprüfungen von Einzelheiten des Geschäftsabschlusses erforderlich sind u. dgl. mehr. Die elektronische Benachrichtigung hat auf die Überlegungsfrist als solche grundsätzlich keinen Einfluß. Etwas 508 Ebenso Koch / Maurer, WM 2002, 2481, 2486. Anders offenbar Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1012 für den vergleichbaren Fall des § 147 Abs. 2 BGB, die schon eine Überlegungszeit von einem Tag (!) für zu lang halten. Moritz, CR 2000, 61, 62 f., meint sogar es sollte „dem Unternehmer binnen Minuten möglich sein, Lagebestand und Bonität des Kunden zu prüfen“ und hält ebenfalls eine Annahmeerklärung spätestens am nächsten Tag für erforderlich. Dabei wird übersehen, daß sich eben nur die Transportzeiten verkürzen. Sicher kann der einzelne Antrag – wie übrigens auch im herkömmlichen Geschäftsverkehr! – „binnen Minuten“ bearbeitet werden. Das ändert aber nichts daran, daß der Unternehmer u.U. auch noch anderes zu tun hat und nicht sofort auf eine eingehende Erklärung reagieren kann oder will, es sei denn solche Erklärungen werden automatisch bearbeitet. – Unklar auch Härting, Internetrecht, Rn. 90 („Grundsatz der Korrespondenz der Beförderungsmittel“). 509 Anders kann es bei sehr umfangreichen Erklärungen oder Unterlagen sein. 510 Ebenso für § 147 Abs. 2 BGB Bierekoven, 40; v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 15; Köhler / Arndt, Recht des Internet, 70; Schwerdtfeger, Cyberlaw, 7, 21. 511 So auch Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 55. 512 So auch Schwerdtfeger, Cyberlaw, 7, 21 für § 147 Abs. 2 BGB. Zum Zeitersparnispotential im elektronischen Geschäftsverkehr aus unternehmerischer Sicht vgl. Sauter, in: Hermanns / Sauter, 101, 104. 513 Köhler / Arndt, Recht des Internet, 66 f. (für § 130 BGB); Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1013. s. a. Ultsch, NJW 1997, 3007.

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anderes gilt nur aufgrund besonderer Umstände, etwa übergeordneter Vereinbarungen zwischen den Parteien oder sonstiger Zusagen des Geschäftsherrn im Hinblick auf eine besonders kurze Bearbeitungsdauer.

4. Acceptance by silence im Recht der USA Schweigen hat auch im US amerikanischen Vertragsrecht grundsätzlich keinen Erklärungswert, mit Ausnahmen, die denen des deutschen Rechts ähneln (vereinbartes Schweigen, bisherige Geschäftsbeziehung).514 Eine allgemeine, dem deutschen § 362 HGB entsprechende Regel, wonach das Schweigen eines Kaufmanns auf Anträge Annahme bedeutet, kennt das amerikanische Recht nicht. Teilweise wird angenommen, daß Schweigen Annahme bedeuten kann, wenn der Schweigende zur Abgabe von Anträgen aufgefordert hat; diese Ansicht ist indes umstritten, und eine klare Linie der Rechtsprechung hat sich bisher nicht herausgebildet.515 Anerkannt ist in USA der mit § 91a HGB vergleichbare Fall, daß ein Handelsvertreter von einem Dritten eine Bestellung einwirbt und erhält, und der Geschäftsherr anschließend für einige Zeit schweigt.516 Teilweise wird als dogmatische Grundlage der vertraglichen Bindung kraft Schweigens das estoppel-Prinzip angeführt, also ein dem Vertrauensprinzip ähnlicher Grundsatz.517 Für die hier interessierenden Fragen des elektronischen Geschäftsverkehrs lassen sich daher dem Recht der USA aus rechtsvergleichender Sicht im wesentlichen keine zusätzlichen Erkenntnisse abgewinnen. 5. Ergebnisse Bei § 362 HGB kann sowohl das Erbieten wie auch der Antrag des Kunden grundsätzlich in jeder beliebigen, auch elektronischen Form geschehen, es sei denn der Kaufmann hat sich eindeutig gegen bestimmte Erklärungsformen verwahrt. Ein mittels elektronischer Post übersandter Antrag geht dem Kaufmann grundsätz514 s. etwa Calamari / Perillo, § 2.18 (80 ff) m.w.Nachw.; Macneil, in: Schlesinger, 1073 ff. Ferner § 72 R2d Contracts: „(1) Where an offeree fails to reply to an offer, his silence and inaction operate as an acceptance in the following cases and in no others (Herv. d. Verf.) . . .“ Zusammenfassend und einführend 17A Am Jur 2d Contracts § 103 (120 ff.). 515 Macneil, in: Schlesinger, 1082 ff. m.w.Nachw. 516 Calamari / Perillo, § 2.18 (82). z. B. Ammons v. Wilson & Co., 176 Miss. 645, 170 So. 227 (1936); Ercanbrack v. Crandall-Walker Motor Co., 550 P.2d 723 (Utah 1976); Hendrickson v. International Harvester Co., 100 Vt. 161, 135 A. 702 (1927). 517 Z. B. Bivans Corp. v. Community Nat. Bank, 15 Mich.App. 178, 166 N.W.2d 270; Letres v. Washington Co-operative Chick Ass’n, 8 Wash. 2d 64, 111 P.2d 594; Shakman v. United States Credit System Co., 92 Wis. 366, 66 N.W. 528; Tanenbaum Textile Co. v. Schlanger, 287 N.Y. 400, 404, 40 N.E.2d 225, 227 (1942) (dictum). Dazu Calamari / Perillo, § 2.18 (83); ferner 17A Am Jur 2d Contracts § 103 (122).

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

lich schon dann zu, wenn die elektronische Nachricht für den Kaufmann abrufbar ist (Ausnahme: nachts oder am Wochenende). Die Reaktionszeit des Kaufmanns verkürzt sich grundsätzlich nicht schon dadurch, daß eine elektronische Erklärungsform gewählt wurde. Die Transportzeit für die Antwort ist dagegen praktisch auf Null reduziert. Dasselbe gilt für die Reaktionszeit bei §§ 75h, 91a HGB. Der rechtsvergleichende Ausblick auf das Recht der USA bringt insoweit keine nennenswerten Erkenntnisse.518

III. Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben 1. Grundlagen Im Handelsrecht gilt nach st. Rspr. und h.L. der Grundsatz, daß der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens dessen Inhalt gegen sich gelten lassen muß, wenn er ihm nicht unverzüglich widerspricht.519 Unter einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben versteht die Rechtsprechung ein 518 Die von Macneil, in: Schlesinger, 1108 ff. durchgeführte Analyse der im amerikanischen Recht anerkannten Fälle des Schweigens mit vertragsbegründender Wirkung hat übrigens ergeben, daß vier Faktoren eine besondere Rolle spielen, die erstaunliche Überschneidungen mit den allgemeinen Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung nach deutschem Recht aufweisen: Erstens kommt dem geschäftlichen bzw. kaufmännischen Charakter des Vertrages besonders Gewicht zu. Dem entspricht, daß nach deutschem Recht nur im Handelsverkehr und bei sonstigen Geschäften mit erhöhtem Verkehrsschutzbedürfnis (Außenvollmachten bei §§ 170 ff. BGB) dem Schweigen die Wirkung eines Rechtsscheintatbestandes zukommt. Zweitens neigen amerikanische Gerichte eher dazu, dem Schweigen eine vertragsbegründende Wirkung zuzusprechen, wenn die Partei, die sich auf den Vertrag beruft, im Vertrauen auf das Bestehen eines Vertrags Dispositionen getroffen hat. Auch nach deutschem Recht ist das eine Voraussetzung der Rechtsscheinhaftung auf seiten des Vertrauenden. Drittens kommt es im amerikanischen Recht z.T. auf Art und Bedeutung des Vertrages an. Eine gewisse Parallele mag man im deutschen Recht in §§ 362, 75h, 91a HGB erkennen. Viertens schließlich sind amerikanische Gerichte darauf bedacht zu verhindern, daß eine Partei ungerechtfertigt wirtschaftliche Vorteile zum Nachteil der anderen erzielt. Dem mag es entsprechen, daß Rechtsfolge nach deutschem Recht grundsätzlich Haftung auf das positive Interesse ist. 519 Vgl. Nachw. in den nachfolgenden Fn. Die v.a. in den 70er und frühen 80er Jahren des 20. Jahrhunderts teilweise vorgebrachte grundsätzliche Kritik gegen die konstitutive, vertragsbegründende Wirkung kaufmännischer Bestätigungsschreiben ist offenbar wieder verstummt und hat zu Recht keine nennenswerte Anhängerschaft gefunden, nicht zuletzt weil die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben über Jahrzehnte hinweg in Rspr. und Wissenschaft unangefochten Anerkennung gefunden und dadurch jedenfalls gewohnheitsrechtliche Verfestigung erfahren haben. Dazu ausf. Kindl, Rechtsscheintatbestände, 189 ff. m.w.Nachw., der im Grundsatz der h.M. folgt, aber den Anwendungsbereich des Rechtsinstituts enger fassen will; a. a. O., 195 ff. Neuerdings aber wieder einschränkend MüKo-Kramer, § 151 Rn. 12 ff., der die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens nur „ergänzende“ und „konkretisierende“ Inhalte anwenden will, nicht aber auf offen oder logisch widersprüchliche.

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„Schreiben [ . . . ], durch das ein Kaufmann in unmittelbarem Anschluß an voraufgegangene konkrete Vertragsverhandlungen seinem Verhandlungspartner seine Auffassung über das Zustandekommen und den Inhalt der getroffenen vertraglichen Vereinbarung mitteilt. Wesentlich ist dabei, daß sich das Schreiben nach seinem äußeren Erscheinungsbild als Bestätigung der voraufgegangenen Verhandlungen darstellt, unzweideutig das Vereinbarte in seinen entscheidenden Punkten herausstellt und der Empfänger den Eindruck gewinnen muß, der Bestätigende werde und dürfe nach der Gepflogenheit des redlichen kaufmännischen Geschäftsverkehrs sein Schweigen als Zustimmung zu dem Inhalt werten.“520

Erfolgt kein unverzüglicher Widerspruch des Empfängers, ist der Vertrag mit dem aus dem Bestätigungsschreiben ersichtlichen Inhalt rechtsverbindlich, auch wenn er Abweichungen von einer bereits zuvor getroffenen Vereinbarung enthält, es sei denn, der Bestätigende hat das Ergebnis der vorangegangenen Vertragsverhandlungen bewußt unrichtig wiedergegeben oder das Bestätigungsschreiben weicht inhaltlich so weit vom Verhandlungsergebnis ab, daß der Bestätigende vernünftigerweise nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen konnte. Das Schweigen des Empfängers führt mit Ablauf der Widerspruchsfrist zur Änderung, Ergänzung bzw. – wenn vorher noch kein Vertrag geschlossen war – zum Zustandekommen des Vertrages.521 Dogmatische Grundlage soll nach verbreiteter Auffassung Handelsbrauch, kaufmännische Verkehrssitte oder Gewohnheitsrecht sein.522 Nach anderer und richtiger Ansicht lassen sich auch hier die Grundsätze der Vertrauenshaftung (genauer: Rechtsscheinhaftung) fruchtbar machen.523 Rechtsscheintatbestand ist – ähnlich wie bei § 362 Abs. 1 HGB – das Schweigen des Kaufmanns nach Zugang des Bestätigungsschreibens.524 Im nichtkaufmän520 BGH WM 1970, 1314 f. Davon zu unterscheiden ist die schlichte „Auftragsbestätigung“, bei der es sich lediglich um eine Annahmeerklärung in Form eines Bestätigungsschreibens handelt und für die die Grundsätze über das kaufmännische Betätigungsschreiben nicht gelten. MüKo-HGB / K. Schmidt, § 346 Rn. 150; RGRK-Piper, § 147 Rn. 10 f.; K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 3d (576 f.); Soergel-Wolf, § 147 Rn. 27 f.; Staub / Koller, § 346 Rn. 69 ff. 521 Statt aller Palandt-Heinrichs, § 148 Rn. 8; aus der Rspr. vgl. nur RGZ 54, 176, 179; BGHZ 7, 187, 189; 11, 1, 3; ferner Canaris, a. a. O., 206. 522 Baumbach / Hopt, § 346 Rn. 17; Heymann / Horn, § 346 Rn. 49 (Gewohnheitsrecht); Medicus, AT Rn. 440; MüKo-HGB / K. Schmidt, § 346 Rn. 141 ff.; Palandt-Heinrichs, § 148 Rn. 8; Schlegelberger-Hefermehl, § 346 Rn. 120 (Handelsbrauch); K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 1b (564 – Gewohnheitsrecht); Soergel-Wolf, § 147 Rn. 31; Staub / Koller, § 346 Rn. 61. Ähnlich Erman-Palm, § 148 Rn. 6 (Handelsbrauch); RGRK-Piper, § 147 Rn. 9 („unter Kaufleuten herrschende Verkehrssitte“). 523 Canaris, Vertrauenshaftung, 206 ff.; Ebenroth, ZVglRWiss. 78 (1977), 161, 193 f.; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 53 – 55; wohl auch Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 50 (unklar dagegen Rn. 36). Ferner besonders deutlich OLG Düsseldorf, DB 1963, 929, OLG Köln OLGZ 68, 394. Auch BGH NJW 1964, 1223, 1224 spricht von Vertrauensschutz und Rechtsschein. W. Nachw. zur Rspr. bei Kindl, Rechtsscheintatbestände, 180 (Fn. 9). Kritisch zum Rechtsscheingedanken K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 1c (565). 524 Canaris, Vertrauenshaftung, 208. Mißverständlich Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 54, der meint, Voraussetzung für einen Rechtsscheintat-

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nischen Verkehr finden die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben entsprechende Anwendung auf Parteien, die zumindest in kaufmannsähnlicher Weise am Geschäftsverkehr teilnehmen, wie z. B. Unternehmer, die nicht Kaufleute sind, Rechtsanwälte, die in eigenem Namen handeln, Wirtschaftsprüfer, Makler und Architekten.525 Rechtsscheinhaftung scheidet aus, wenn der Empfänger des Schreibens rechtzeitig nach Zugang (unerheblich ist insoweit die tatsächliche Kenntnisnahme) widerspricht.526 Ein etwaiger Widerspruch muß unverzüglich i.S.v. § 121 Abs. 1 BGB, also ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen. Im Großhandel sind ein bis zwei Tage üblich, drei Tage können noch rechtzeitig sein, ein Widerspruch erst nach acht Tagen soll dagegen auf alle Fälle verspätet sein.527 Die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens sind nicht anwendbar bei sich kreuzenden Bestätigungsschreiben oder wenn der Absender des Bestätigungsschreibens selbst um eine Antwort gebeten hat.528 Ferner fehlt es auch schon am Rechtsscheintatbestand, wenn der Absender im Bestätigungsschreiben die vorangegangenen Abreden treuwidrig verfälscht wiedergegeben hat529 oder sich der bestand sei der Zugang eines aufgrund vorangegangener Verhandlungen übersandten Bestätigungsschreibens. Wie hier wohl auch Kindl, Rechtsscheintatbestände, 181. Zum Zugang im einzelnen Soergel-Wolf, § 147 Rn. 39. 525 BGHZ 40, 42; BGH NJW 1987, 1940, 1941; Baumbach / Hopt, § 346 Rn. 18; Canaris, Handelsrecht, § 25 Rn. 45 f.; Kort, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 346 Rn. 50; Erman-Palm, § 147 Rn. 14; Heymann / Horn, § 346 Rn. 64; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 183; Roth, in: Koller / Roth / Mork, HGB, § 346 Rn. 24; Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 45; Medicus, AT Rn. 441; RGRK-Piper, § 147 Rn. 24; Schlegelberger-Hefermehl, § 346 Rn. 136; Soergel-Wolf, § 147 Rn. 41; Staub / Koller, § 346 Rn. 25 ff. Nach Canaris, a. a. O., Rn. 45 und Flume, AT II § 36, 2 (663), ist für den Bestätigenden nicht einmal Kaufmannsähnlichkeit erforderlich. Großzügig auch K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 2 (567 ff. – Unternehmensträgerschaft reicht auf Empfängerseite, allerdings mit der zirkulär anmutenden Begründung, die Grundsätze seien zulasten dessen anwendbar, von dem der Verkehr Widerspruch erwartet; ob von einem Nichtkaufmann i. S. d. HGB ein Widerspruch erwartet werden darf, ist gerade die Frage). 526 BGH NJW 1962, 246 f.; NJW 1972, 820 f.; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 187 m.w.Nachw.; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 55. Richtigerweise fehlt es in diesem Fall schon am Rechtsscheintatbestand; erst das Schweigen trotz angemessener Reaktionsfrist erzeugt den Schein der Zustimmung, vorher existiert überhaupt kein Schein. Anders Staudinger-Dilcher, a. a. O., der bei rechtzeitigem Widerspruch die „Schutzwürdigkeit“ des Absenders entfallen lassen will. 527 BGH LM Nr. 10 zu § 346 (Ea) HGB; Kort, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 346 Rn. 70 (drei Tage im herkömmlichen Postverkehr, im Telefaxverkehr schneller); Erman-Palm, § 147 Rn. 11; Heymann / Horn, § 346 Rn. 54; Roth, in: Koller / Roth / Mork, HGB, § 346 Rn. 31; MüKo-HGB / K. Schmidt, § 346 Rn. 160; RGRK-Piper, § 147 Rn. 22; K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 4c (579); Soergel-Wolf, § 147 Rn. 42; Staub / Koller, § 346 Rn. 88. 528 BGH BB 1961, 954; 1962, 349; BGH NJW 1964, 1269 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, 209; Kort, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 346 Rn. 58; Heymann / Horn, § 346 Rn. 55; Roth, in: Koller / Roth / Mork, HGB, § 346 Rn. 30; MüKo-HGB / K. Schmidt, § 346 Rn. 164; RGRKPiper, § 147 Rn. 21; Soergel-Wolf, § 147 Rn. 38; Staub / Koller, § 346 Rn. 75 ff.; StaudingerDilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 54. 529 RGZ 95, 48, 51; 129, 347, 349; BGHZ 7, 187, 190; 40, 42, 45; BGH BB 1961, 954 und 1344 f.; Kort, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 346 Rn. 66; MüKo-HGB / K. Schmidt, § 346

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Inhalt des Bestätigungsschreibens ohne Verschulden des Absenders vom Vereinbarten so weit entfernt hat, daß mit dem Einverständnis des anderen Teils redlicherweise nicht mehr gerechnet werden kann.530 Umstritten ist schließlich die richtige Adressierung des Bestätigungsschreibens. Nach wohl h.M. genügt die Adressierung gegenüber dem Verhandlungspartner, auch wenn dieser keine Vertretungsmacht für den Abschluß des Geschäfts hat.531 Nach der Gegenansicht muß das Bestätigungsschreiben dagegen an die Geschäftsführung oder zumindest einen Prokuristen adressiert sein.532 Die Zurechnung soll nach einer Ansicht scheitern, wenn der Widerspruch schuldlos unterlassen wurde, etwa wenn der Empfänger den Vertragsinhalt noch von einer schriftlichen Bestätigung seinerseits abhängig gemacht hatte.533 Auch insoweit sind m.E. Zweifel angebracht. Zurechnungsmaßstab kann nicht das Verschuldens-, sondern nur das Risikoprinzip sein.534 Der Empfang eines Bestätigungsschreibens löst keine Pflichten oder Obliegenheiten aus, die schuldhaft verletzt werden können. Entscheidend ist vielmehr, ob der nicht rechtzeitige Widerspruch im inneren Zusammenhang mit den typischen Organisationsrisiken des kaufmännischen Betriebs des Empfängers steht. Bleibt dem Empfänger der Zugang des Schreibens aufgrund eigener Organisationsrisiken unbekannt – reisebedingte Abwesenheit, Unterschlagung, nicht rechtzeitige Weiterleitung durch einen Angestellten u.ä. –, ist ihm sein Schweigen ebenso zuzurechnen wie bei § 362 Abs. 1 HGB.535 Die Zurechnung scheitert nicht daran, daß der Empfänger die Bedeutung seines Schweigens nicht erkennt oder irrtümlich davon ausgeht, das Bestätigungsschreiben stimme mit den voraufgegangenen Vertragsverhandlungen überRn. 162; ders., HandelsR, § 19 III 5a (579 ff.); Staub / Koller, § 346 Rn. 80 ff. StaudingerDilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 55 stellt auf die fehlende „Schutzwürdigkeit“ des Absenders ab. Krit. zur Fallgruppe der Unredlichkeit des Absenders MüKoKramer, § 151 Rn. 41. 530 BGH NJW 1980, 1680, 1681; Canaris, Vertrauenshaftung, 208; ders., Handelsrecht, § 25 Rn. 41; Kort, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 346 Rn. 62; Erman-Palm, § 147 Rn. 7; Heymann / Horn, § 346 Rn. 60; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 186; Roth, in: Koller / Roth / Mork, HGB, § 346 Rn. 30; MüKo-Kramer, § 151 Rn. 35 ff.; Palandt-Heinrichs, § 148 Rn. 15; RGRK-Piper, § 147 Rn. 16 f.; K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 5b (581 f.); SoergelWolf, § 147 Rn. 36; Staub / Koller, § 346 Rn. 83 ff. Vgl. auch BGH WM 1973, 1376. Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 55 will dagegen auch in diesem Fall die „Schutzwürdigkeit“ des Absenders entfallen lassen. Ferner Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 42. 531 BGH NJW 1990, 386; zust. MüKo-HGB / K. Schmidt, § 346 Rn. 152; Staub / Koller, § 346 Rn. 109. 532 Canaris, Handelsrecht, § 25 Rn. 30 f. 533 BGH NJW 1970, 2104; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 55. 534 So auch Canaris, Handelsrecht, § 25 Rn. 35; i.Erg. zust. K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 4c (578). 535 Canaris, Vertrauenshaftung, 209; ders., Handelsrecht, § 25 Rn. 35; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 209; Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 49.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

ein.536 Zulässig ist nach h.L. jedoch eine Irrtumsanfechtung mit der Begründung, das Bestätigungsschreiben sei mißverstanden worden bzw. es sei während der vorangehenden Vertragsverhandlungen ein Irrtum unterlaufen.537 Nach wohl h.L. gilt dies aber nur bei schuldlosem Irrtum.538 Für die Anfechtung gelten im übrigen §§ 119, 121, 122 BGB analog.

2. Dematerialisierung und elektronisches Bestätigungsschreiben Im elektronischen Geschäftsverkehr stellt sich die Frage, ob auch in elektronischer Form verfaßte Erklärungen als „Schreiben“ gelten können. Zwar wird man herkömmlicherweise unter einem „Bestätigungsschreiben“ ein auf Papier verfaßtes Dokument verstehen. Gleichwohl bestehen im Ergebnis keine durchgreifenden Bedenken gegen die Einbeziehung elektronischer Erklärungen in die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben.539 Der Wortlaut „Schreiben“ spricht nicht dagegen, da auch elektronische Erklärungen geschrieben sind. I.d.R. werden sie über eine Tastatur eingetippt, genauso wie bei herkömmlichen Schriftstücken, die per Schreibmaschine oder PC erstellt worden sind. Eine eigenhändige Unterschrift wird soweit ersichtlich auch für herkömmliche Bestätigungsschreiben nicht gefordert. Gesetzlich normierte Anforderungen an das Bestätigungsschreiben gibt es aufgrund des gewohnheitsrechtlichen Charakters des Rechtsinstituts ohnehin nicht. In teleologischer Hinsicht können elektronische Erklärungen die Zwecke eines Bestätigungsschreibens, insbesondere die Fixierung des Inhaltes eines Rechtsgeschäfts, ebenso gut erfüllen wie Erklärungen in herkömmlicher Schriftform. Auch eine per elektronischer Post versandte Erklärung kann daher ein kauf536 Unstr., s. etwa BGH NJW 1969, 1711 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, 209; ders., Handelsrecht, § 25 Rn. 34; Kort, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 346 Rn. 72; Erman-Palm, § 147 Rn. 12; Heymann / Horn, § 346 Rn. 58; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 208 f. m.w.Nachw.; Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 48; Medicus, AT Rn. 442; MüKo-HGB / K. Schmidt, § 346 Rn. 167; Palandt-Heinrichs, § 148 Rn. 8; RGRK-Piper, § 147 Rn. 23; K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 6b (589 f.); Soergel-Wolf, § 147 Rn. 45; Staub / Koller, § 346 Rn. 118 & 120; StaudingerDilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 73. 537 Ausführlich zu weiteren Einzelfragen Canaris, Vertrauenshaftung, 210 ff.; ders., Handelsrecht, § 25 Rn. 38; ferner Larenz / Wolf, AT § 30 Rn. 49; Schlegelberger-Hefermehl, § 346 Rn. 135; Soergel-Wolf, § 147 Rn. 45; Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 74; offengelassen BGH NJW 1969, 1711. Unklar RGRK-Piper, § 147 Rn. 23. 538 Erman-Palm, § 147 Rn. 12 m.w.Nachw.; Heymann / Horn, § 346 Rn. 58; Roth, in: Koller / Roth / Mork, HGB, § 346 Rn. 34; Medicus, AT Rn. 442; ders., BürgR, Rn. 58, 65; MüKoKramer, § 119 Rn. 65 ff.; K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 6b (590); w.Nachw. auch bei Canaris, Handelsrecht, § 25 Rn. 38. A.A. Staub / Koller, § 346 Rn. 121; Kort, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 346 Rn. 73 (Schuldlosigkeit nicht erforderlich). 539 Ernst, NJW-CoR 1997, 165, 167; MüKo-HGB / K. Schmidt, § 346 Rn. 151; Staub / Koller, § 346 Rn. 66; Holzbach / Süßenberger, in: Moritz / Dreier, E-Commerce, Rn. C 79 f.; Wiebe, 424 f. So auch OLG Hamm NJW 1994, 3172 ohne weitere Erörterung für ein per Telefax übersandtes Bestätigungsschreiben; dazu Schmittmann, NJW 1994, 3149.

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männisches Bestätigungsschreiben darstellen,540 ebenso elektronische Erklärungen in jeder anderen Form (eingescannte Unterschrift, Kennwort, digitale Signatur, biometrisches Erkennungsmerkmal etc.). Je nachdem, welcher Auffassung man zur Frage der Adressierung des Bestätigungsschreibens folgt (dazu s. o.), ist es entweder unschädlich, die „BestätigungsE-Mail“ an den bisherigen Verhandlungspartner zu senden (so müsste konsequenter Weise die h.M. entscheiden541), oder aber der Absender muß sich vergewissern, eine elektronische Postadresse zu verwenden, die der Geschäftsführung oder zumindest einem Prokuristen zugeordnet ist.

3. Detemporalisierung und Reaktionszeit Wie bei § 362 HGB ist auch hier zu überlegen, ob die Bedenkzeit, innerhalb derer der Empfänger widersprechen muß, bei Erklärungen in elektronischer Form gegenüber herkömmlichen Erklärungsformen verkürzt ist. Wiederum lassen sich die bei § 362 HGB genannten Argumente für eine Verkürzung – verkürzte „Post“Laufzeiten, bequemere Antwortmöglichkeit, Erwartungshaltung des Absenders – anführen; aus den bei § 362 HGB genannten Gründen sind sie jedoch auch hier grundsätzlich nicht stichhaltig. Maßgeblich ist vielmehr die Zeit, die der Empfänger vernünftigerweise braucht, um das Bestätigungsschreiben inhaltlich zu prüfen. Diese Zeit wird durch die Verwendung elektronischer Erklärungsformen nicht verkürzt. Ausnahmen gelten nur im Einzelfall, wenn der Empfänger des Schreibens eine besonders rasche Prüfung zugesagt oder auf sonstige Weise die berechtigte Erwartung in eine rasche Bearbeitung geweckt hat. Im übrigen verkürzt sich lediglich die Transportzeit, wenn ein elektronisches Medium gewählt wird.542 Gleichwohl wird man nicht annehmen können, der Empfänger sei in jedem Fall gezwungen, per elektronischer Post zu widersprechen, sofern ihm dieser Kommunikationsweg zur Verfügung steht. Da er die Beweislast für den Widerspruch trägt, muß es ihm vielmehr gestattet sein, auch die „langsamere“ Variante des Einschreibens mit Rückschein zu wählen.543

So auch Schwerdtfeger, Cyberlaw, 7, 18. So in der Tat Staub / Koller, § 346 Rn. 109. 542 So wohl auch K. Schmidt, HandelsR, § 19 III 4c (579). Ebenso Kort, in: Ebenroth /Boujong / Joost, § 346 Rn. 70, der im Telefaxverkehr schnelleres Reagieren verlangt als im herkömmlichen Postverkehr; auch dies darf sich richtigerweise aber nur auf die Transportzeit beziehen. 543 Staub / Koller, § 346 Rn. 87. 540 541

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

4. Internetangebote Schließlich ließe sich noch erwägen, ob schon die elektronische Antwort auf ein im Internet veröffentlichtes Warenangebot nach den Grundsätzen über das kaufmännische Bestätigungsschreiben zu beurteilen sein kann. Man könnte geneigt sein, die Frage mit der Begründung zu verneinen, das Internetangebot stelle in aller Regel keinen bindenden Antrag i.S.v. § 145 BGB dar. Die Anwort des anderen Teils wäre als Antwort auf eine invitatio ad offerendum ihrerseits lediglich Antrag i.S.v. § 145 BGB. I.d.R. wird man in Internetangeboten nach herkömmlichem deutschen Recht tatsächlich lediglich eine invitatio ad offerendum, ähnlich einer Zeitungsannonce,544 erblicken können, beispielsweise weil der Verkäufer zunächst seinen Warenbestand und ggf. die Bonität des Kaufinteressenten überprüfen will.545 Gleichwohl kann im Einzelfall ein bindender Antrag vorliegen, wenn der Anbietende aus Sicht des redlichen Empfängers den Rechtsbindungswillen kundtut, mit jedem Nachfrager einen Vertrag schließen zu wollen, wie z. B. bei Informationen, die zum Herunterladen gegen Entgelt angeboten werden, bei persönlichem Anschreiben einzelner Kunden per elektronischer Post oder ggf. sogar bei Teleshopping-Angeboten.546 Wenn also ein bindender Antrag vorliegt, scheiden die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben jedenfalls nicht schon deshalb aus, weil vorher noch kein Vertragsschluß stattgefunden hätte.547 Dennoch kommen die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens aus anderen Gründen nicht zur Anwendung. Erstens ist nach der Rechtsprechung eine voraufgegangene Vertragsverhandlung erforderlich, also ein geschäftliches Gespräch über den abzuschließenden Vertrag548 oder sonstiger (rechts)geschäftDazu MüKo-Kramer, § 145 Rn. 10; Palandt-Heinrichs, § 145 Rn. 2. So auch AG Butzbach, NJW-RR 2003, 54; v. Bernstorff, RIW 2000, 14, 15; Härting, Internetrecht, Rn. 89; Moritz, CR 2000, 61, 62; Köhler / Arndt, Recht des Internet, 64 f.; Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1012; Schröder, Tele-Shopping, 209 ff. m.w.Nachw.; allg. Palandt-Heinrichs, § 145 Rn. 2 & § 312b Rn. 4; ferner Hoeren, Rechtsfragen des Internet, Rn. 281 m.w.Nachw.; Scheffler / Dressel, CR 2000, 378, 380; Schwerdtfeger, Cyberlaw, 7, 17; differenzierend Wildemann, Vertragsschluß im Netz, 28 ff. – Ebenso als Vergleichsbasis könnte man Selbstbedienungsauslagen in einem Supermarkt heranziehen. Dort ist umstritten, ob ein verbindlicher Antrag i.S.v. § 145 BGB schon durch das Auslegen der Ware oder erst durch das Vorlegen der Ware an der Kasse abgegeben wird. Offengelassen in BGHZ, 51, 55 f.; Antrag durch Auslage grundsätzlich bejahend Medicus, AT Rn. 363; w. Nachw. zum Streitstand bei MüKo-Kramer, § 145 Rn. 10. 546 Hoffmann, NJW Beilage zu Heft 14 / 2001, 7*; Holzbach / Süßenberger, in: Moritz / Dreier, E-Commerce, Rn. C 347; Scherer / Butt, DB 2000, 1009, 1012; Schlechtriem, in: Leipold, Rechtsfragen des Internet und der Informationsgesellschaft, 127, 137; Schwerdtfeger, Cyberlaw, 7, 18; Wiebe, 450 f. 547 Canaris, Handelsrecht, § 25 Rn. 20. 548 BGH NJW 1990, 386; NJW 1974, 991, beide m.w.Nachw. Zustimmend Erman-Palm, § 147 Rn. 8; Kindl, Rechtsscheintatbestände, 184. 544 545

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licher Kontakt.549 Wenn die vertragsbegründenden Willenserklärungen ohnehin schriftlich fixiert sind, beispielsweise auf einer Internetseite, besteht von vorneherein kein Bedürfnis, Unsicherheiten und Unstimmigkeiten im Wege eines Bestätigungsschreibens zu beseitigen.550 Es liegt also in diesem Fall in aller Regel genau genommen begrifflich schon kein kaufmännisches Bestätigungsschreiben vor.551 Zweitens ist für eine Bindung nach den Grundsätzen über das kaufmännische Bestätigungsschreiben jedenfalls zusätzlich erforderlich, daß der Inhalt des Bestätigungsschreibens nicht dergestalt vom Inhalt des Antrags / Angebots abweicht, daß der Absender des Bestätigungsschreibens redlicherweise nicht mit einer Billigung durch den Empfänger rechnen konnte. Bei Angeboten im Internet wird man davon auszugehen haben, daß der Anbieter jegliche Abweichung – jedenfalls ohne vorherige Verhandlung – von den von ihm veröffentlichten Konditionen ablehnt.552

5. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im Recht der USA Im Hinblick auf die vertragsbegründende Wirkung einseitiger Bestätigungsschreiben nahm das amerikanische Recht zunächst, im Gefolge des englischen Rechts, eine ablehnende Haltung ein; ein dem deutschen Bestätigungsschreiben entsprechender Handelsbrauch hatte sich in USA zunächst nicht in dieser Deutlichkeit herausgebildet.553 Eine Änderung hat sich durch die written confirmation rule des § 2-207 UCC ergeben,554 die gem. § 2-201(2) UCC auch für formbedürftige

549 Staub / Koller, § 346 Rn. 67; Kort, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 346 Rn. 57 & 83 (vorangegangene Online-Vereinbarungen über Internet ausreichend). 550 Ebenso Kindl, Rechtsscheintatbestände, 184. 551 Anders kann es sein, wenn zumindest eine telefonische Verhandlung über ein Internetangebot stattgefunden hat. Ebenso Staub / Koller, § 346 Rn. 67 für den herkömmlichen Geschäftsverkehr. 552 Generell für eine strenge Handhabung der zulässigen inhaltlichen Abweichungen bei Bestätigungsschreiben Canaris, Handelsrecht, § 25 Rn. 25. 553 Dazu ausführlich Ebenroth, ZVglRWiss. 78 (1978) 161, 167 ff. 554 § 2-207 UCC: (1) A definite and seasonable expression of acceptance or a written confirmation which is sent within a reasonable time operates as an acceptance even though it states terms additional to or different from those offered or agreed upon, unless acceptance is expressly made conditional on assent to the additional or different terms. (2) The additional terms are to be construed as proposals for addition to the contract. Between merchants such terms become part of the contract unless: (a) the offer expressly limits acceptance to the terms of the offer: (b) they materially alter it; or (c) notification of objection to them has already been given or is given within a reasonable time after notice of them is received. Dazu Calamari / Perillo, § 2.21(b) (97 ff.); Ebenroth, ZVglRWiss. 78 (1978) 161, 169 ff.; White / Summers, § 1 – 3, 29 ff.

16 Rieder

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Kaufverträge i.S.v. § 2-201(1) UCC gilt.555 Nach § 2-207(1)&(2) S. 1 UCC stellt im bürgerlichen Rechtsverkehr eine Annahme unter Hinzufügung vom Antrag abweichender oder zusätzlicher Klauseln – anders als im deutschen Recht (§ 150 Abs. 2 BGB) – eine Annahme des ursprünglichen Antrags dar verbunden mit dem Antrag, die zusätzlichen Klauseln dem dann bereits geschlossenen Vertrag hinzuzufügen. Unter Kaufleuten i.S.v. § 2-104 UCC werden die zusätzlichen Klauseln gem. § 2-207(2) S. 2 UCC ggf. durch Schweigen den anderen Teils Vertragsbestandteil. Im Unterschied zum deutschen Recht werden nach dem Wortlaut des § 2-207(2) S. 2 UCC allerdings tatsächlich nur die in der written confirmation enthaltenen zusätzlichen Klauseln (additional terms), nicht aber vom geschlossenen Vertrag abweichende Bestimmungen (different terms) durch das Schweigen des Empfängers Vertragsbestandteil.556 Umstritten ist die Behandlung abweichender Bestimmungen beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben. Nach einer Ansicht sind sie schlicht unbeachtlich, wenn nicht der andere Teil ausdrücklich zustimmt, nach einer weiteren Ansicht finden statt ihrer die dispositiven Regelungen des UCC Anwendung, nach einer Dritten Ansicht soll schließlich trotz abweichenden Wortlauts § 2-207(2) S. 2 UCC Anwendung finden.557 Schweigen führt nach § 2-207(2) S. 2 UCC nicht zur Annahme, wenn der vorangegangene Antrag des Schweigenden ausdrücklich die Annahme des anderen Teils auf die im Antrag enthaltenen Bestimmungen begrenzt, oder die zusätzlichen Klauseln zu einer wesentlichen Änderung des Antrags führen (material alteration), oder der Antragende innerhalb angemessener Frist den zusätzlichen Klauseln widerspricht. Dogmatische Grundlage dürfte nach dem offiziellen Kommentar zu der Vorschrift Auslegung nach dem Empfängerhorizont bzw. Handelsbrauch sein.558 555 § 2-201 UCC: (1) A contract for the sale of goods for the price of $500 or more is not enforceble by way of action or defense unless there is some writing sufficient to indicate a contract for the sale has been made between the parties and signed by the party against whom enforcement is sought or by his authorized agent or broker. A writing is not insufficient because it omits or incorrectly states a term agreed upon but the contract is not enforceable under this paragraph beyond the quantity of goods shown in such writing. (2) Between merchants if within a reasonable time a writing in confirmation of the contract and sufficient against the sender is received and the party receiving it has reason to know its contents, it satisfies the requirements of subsection (1) against such party unless written notice of objection to its contents is given within 10 days after it is received. 556 Ebenroth, ZVglRWiss. 78 (1978) 161, 170. MüKo-Kramer, § 151 Rn. 19 ff. will diese Auffassung – der übrigens auch das österreichische Recht im Anschluß an Bydlinski folgt – auch für das deutsche Recht anwenden. 557 Calamari / Perillo, § 2.21(b) (101 f.); ausf. ferner White / Summers, § 1 – 3 (29 ff.). 558 „Comment: . . . (6) If no answer is received within a reasonable time after additional terms are proposed, it is both fair and commercially sound to assume that their inclusion has been assented to. . ..“ Zitiert nach Macneil, in: Schlesinger, 1073, 1075. Vereinzelt wird allerdings auch vertreten, Vertragsschluß durch Schweigen sei generell auf das Rechtsprinzip estoppel zurückzuführen; s. z. B. Tanenbaum Textile Co. v. Schlanger, 287 N.Y. 400, 404, 40 N.E.2d 225, 227 (1942) (dictum); dazu auch Calamari / Perillo, § 2.18 (82 f.).

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Die relativ neue Vorschrift des § 2-207 UCC hat in USA vielfältige, zum Teil heftige Kritik erfahren.559 Sie gilt als unklar und mißglückt und wird möglicherweise im Zuge der Reformüberlegungen zu Art. 2 UCC in ihrer bisherigen Form nicht weitergeführt.560 Für die Anwendung der Grundsätze im elektronischen Geschäftsverkehr dürften sich keine Abweichungen zur Rechtslage in Deutschland ergeben, sowohl was die elektronische Form561 als auch die maßgeblichen Reaktionszeiten anbelangt. Auch nach amerikanischem Recht ist ein Internet-„Angebot“ grundsätzlich kein bindender Antrag, sondern eine invitatio ad offerendum.562

6. Ergebnisse Kaufmännische Bestätigungsschreiben können auch in jeder elektronischen Form verfaßt werden. Die Reaktionszeit des Empfängers verkürzt sich bei Verwendung elektronischer Erklärungsformen grundsätzlich nicht. Internetangebote können nicht durch „kaufmännisches Bestätigungsschreiben“ durch den Kunden einseitig abgeändert werden. Auch im Recht der USA können elektronische Formen für written confirmations i.S.v. § 2-207 UCC verwendet werden. Konstitutive Wirkung kommt dort allerdings nur zusätzlichen, nicht widersprechenden neuen Vertragsbestimmungen zu, ähnlich der Rechtslage in Österreich und der von Kramer auch für Deutschland vertretenen Auffassung. Ob die Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs hier zu einer internationalen Angleichung der Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben führen wird, bleibt abzuwarten.

559 Vgl. Calamari / Perillo, § 2.21(b) (97 ff.) m.w.Nachw.; White / Summers, § 1 – 3 (29 ff.) m.w.Nachw. 560 Zu den Reformüberlegungen im Hinblick auf Art. 2 UCC und zum Entwurfsstand vgl. National Conference of Commissioners on Uniform State Laws, Proposed Amendments to Uniform Commercial Code Art. 2 – Sales, American Law Institute, Entwurf Juli / August 2002 (Fundstellen: http: / / www.nccusl.org und http: / / www.law.upenn.edu / library / ulc / ulc.htm). 561 Dazu Calamari / Perillo, § 19.35 (763). Zur geplanten Öffnung des Art. 2 UCC hinsichtlich elektronischer Erklärungsformen vgl. zuletzt National Conference of Commissioners on Uniform State Laws, Proposed Amendments to Uniform Commercial Code Art. 2 – Sales, American Law Institute, Entwurf Juli / August 2002 (Fundstelle: http: / / www.law.upenn.edu / library / ulc / ulc.htm), insb. Prefatory Note vi („accomodate electronic commerce“) und §§ 2-103 (Definitionen), 2-201 (Formvorschriften bei elektronischem Vertragsschluß), 2-207 (Bestätigungsschreiben). 562 Dazu m.w.Nachw. Wildemann, CRI 2000, 109, 110; dies., Vertragsschluß im Netz, 66 f. Allgemein zu Schaufensterauslagen, Supermarktregalen, Werbeunterlagen, Rundschreiben, Preislisten etc. s. Calamari / Perillo, § 2.6(e) (36 ff.).

16*

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

IV. Das Handelsregister als Beispiel eines registergebundenen Scheintatbestandes Nach der Erörterung urkundengebundener, nicht urkundengebundener und durch Unterlassen verwirklichter Rechtsscheintatbestände erfolgt zum Abschluß des 2. Kapitels die Untersuchung der Rechtsscheinhaftung im Handelsregister mit Blick auf ihre Anwendungen im elektronischen Geschäftsverkehr. Ein Rechtsvergleich mit den USA scheidet hier von vorneherein aus. Ein vom bürgerlichen Recht getrenntes Handelsrecht nach deutschem Verständnis (Sonderprivatrecht der Kaufleute) gibt es in USA wie bereits erläutert nicht (mehr). Demgemäß gibt es in USA auch keine dem deutschen Recht vergleichbaren handelsrechtlichen Registertatbestände.563 1. Grundlagen Rechtsscheinhaftung im Handelsregister tritt in drei Varianten auf: Erstens schützt § 15 Abs. 1 HGB – ebenso wie §§ 68, 1412 Abs. 2 BGB – den guten Glauben an den Fortbestand einer bestimmten eintragungspflichtigen Rechtstatsache.564 § 15 Abs. 1 HGB regelt allerdings nur die sog. „negative Publizität“, also den Fall, daß eine eintragungspflichtige Tatsache nicht eingetragen und nicht bekanntgemacht worden ist, nicht aber den Fall, daß eine Eintragung falsch ist.565 Ergänzt wird der Registerschutz – zweitens – durch § 15 Abs. 3 HGB, der den guten Glauben an die unrichtige Bekanntmachung (nicht: Eintragung) einer eintragungspflichtigen Tatsache schützt.566 Dagegen enthält das Gesetz keine ausdrückliche Regelung zur Frage des Gutglaubensschutzes bei unrichtigen Eintragungen. Gleichwohl ist – drittens – seit langem gewohnheitsrechtlich anerkannt, daß einem Gutgläubigen auch insoweit Schutz zu gewähren ist.567 Es gilt der Satz: „Wer eine unrichtige Erklärung an das Handelsregister abgibt, kann an dieser von einem gutMüller, in: Sandrock, Vertragsgestaltung, Bd. II, § 14 D, 751, Rn. 381. Canaris, Vertrauenshaftung, 151. – § 15 Abs. 2 HGB enthält dagegen keinen Rechtsscheintatbestand; MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 9; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 32. 565 Baumbach / Hopt, § 15 Rn. 4 ff.; Canaris, Handelsrecht, § 5 Rn. 4; Gehrlein, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 15 Rn. 4. – Umstritten, im folgenden aber ohne spezifische Relevanz für den elektronischen Geschäftsverkehr, ist ferner die Frage, ob § 15 Abs. 1 HGB auch gilt, wenn die Voreintragung der sich ändernden eintragungspflichtigen Tatsache gänzlich fehlt; die h.M. bejaht dies, vgl. nur MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 20 ff. m.ausf.Nachw. zum Streitstand. 566 Baumbach / Hopt, § 15 Rn. 16 ff. Die Vorschrift geht zurück auf Art. 3 VI der Ersten Richtlinie des Rats der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts in den sechs Mitgliedstaaten (Publizitätsrichtlinie), ABlEG Nr. L 65 / 8 v. 14. 3. 1968; dazu K. Schmidt, HandelsR, § 14 III 1c (405 f.). – Sie wird vielfach als mißglückt und ihrem Wortlaut nach zu weitgehend empfunden, und es gibt mehrere, im einzelnen umstrittene Bemühungen, sie auf ein „vernünftiges“ Maß zu reduzieren; K. Schmidt, a. a. O., § 14 III 2 (406 ff.). 567 Canaris, Vertrauenshaftung, 156 f. m.w.Nachw. 563 564

§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände

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gläubigen Dritten festgehalten werden.“ Und ferner: „Wer eine unrichtige Eintragung im Handelsregister schuldhaft nicht beseitigt, kann an dieser von einem gutgläubigen Dritten festgehalten werden.“568 Dogmatische Grundlage ist in allen drei Fällen richtigerweise der Rechtsscheingedanke.569 Der Vertrauende braucht nach h.M. den Rechtsscheintatbestand in den beiden ersten Fallgruppen nicht zu kennen;570 nach anderer Ansicht besteht Rechtsscheinschutz nur, wenn der Rechtsscheintatbestand kausal für das Handeln des Dritten war,571 und Kausalität setzt Kenntnis jedenfalls der vertrauensbegründenden Tatsachen beim Dritten voraus.572 Er muß ferner gutgläubig sein, wobei umstritten ist, ob analog § 15 Abs. 1 und Abs. 3 HGB nur positive Kenntnis573 oder analog § 173 BGB bereits einfache Fahrlässigkeit schadet.574 Für die Zurechnung gelten folgende Grundsätze. Bei § 15 Abs. 1 HGB soll nach h.M. Zurechnung nicht erforderlich sein (reines Rechtsscheinprinzip).575 Nach a.A. wird dem Geschäftsherrn die fehlende Eintragung trotz Eintragungspflicht als Unterlassen in Form der wissentlichen Schaffung eines Rechtscheins zugerechnet. Fehler des Registergerichts sind nach dem Risikoprinzip zurechenbar, das insoweit allerdings an seine äußersten Grenzen ausgedehnt wird.576 § 15 Abs. 3 HGB enthält seinem Wortlaut nach keine Zurechnungsgesichtspunkte. Gleichwohl wäre es verfehlt, darin ein „reines“ Rechtsscheinprinzip unabhängig von jeglichen Zurechnungsschranken zu erblicken;577 dies würde für den Betroffenen eine durch Verkehrsschutzgesichtspunkte nicht zu rechtfertigende unangemessene wirtschaftliche Härte bedeuten und damit zu einem für die Rechtsscheinhaftung insgesamt system568 Canaris, Handelsrecht, § 6 Rn. 2; MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 99 m.w.Nachw.; K. Schmidt, HandelsR, § 14 III 1 (404 f.); Staub / Hüffer, § 15 Rn. 41, 59. 569 Canaris, a. a. O., 151; ders., Handelsrecht, § 5 Rn. 4 m.w.Nachw.; Roth, in: Koller / Roth / Mork, HGB, § 15 Rn. 3; MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 6; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 6. Gegen die früher weit verbreitete Lehre von der Erklärung an die Öffentlichkeit zu Recht Canaris, Vertrauenshaftung, 153 ff. 570 Baumbach / Hopt, § 15 Rn. 9 m.w.Nachw.; MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 31; K. Schmidt, HandelsR, § 14 II 2 d (395); Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 15 Rn. 10; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 24; Einzelheiten auch bei Canaris, Handelsrecht, § 5 Rn. 16 ff. Bei Fallgruppe 3 ist dagegen Kenntnis erforderlich; K. Schmidt, HandelsR, § 14 III (404) m.w.Nachw. 571 Canaris, Vertrauenshaftung, 157 m.w.Nachw. 572 Canaris, Handelsrecht, § 5 Rn. 7. 573 Canaris, a. a. O., § 5 Rn. 13. 574 BGH JZ 1971, 334; MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 102 m.w.Nachw. 575 BGHZ 115, 80; Baumbach / Hopt, § 15 Rn. 6; Heymann / Sonnenschein / Weitemeyer, § 15 Rn. 14; Roth, in: Koller / Roth / Mork, HGB, § 15 Rn. 10 f.; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 21 f., mit der Konsequenz, daß § 15 Abs. 1 HGB auch zulasten Geschäftsunfähiger gelten würde; so auch BGHZ 115, 80. 576 Canaris, a. a. O., § 5 Rn. 20; zust. MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 26; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 21. 577 So aber Brox, Rn. 73; Hofmann, JA 1980, 264, 270; Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 15 Rn. 26.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

widrigen Ergebnis führen.578 Überwiegend wird auch hier einem „Veranlassungsprinzip“ das Wort geredet.579 Richtigerweise sollte wiederum das Risikoprinzip als Grundlage und Grenze der Zurechnung herangezogen werden, wobei es in diesem Fall aber bis an äußerste Grenzen auszudehnen ist, so daß beispielsweise auch Fehler des Gerichts oder des Bekanntmachungsorgans bei der Bekanntmachung noch der Sphäre des Betroffenen zuzurechnen sind, wenn er die Eintragung und Bekanntmachung in die Wege geleitet hat. Dagegen erfolgt keine Zurechnung, wenn die Bekanntmachung ohne sein Zutun geschieht, bei vis absoluta, Mängel der Geschäftsfähigkeit, Fälschung, Verfälschung und Vertretung ohne Vertretungsmacht.580 Für den gewohnheitsrechtlich anerkannten Fall der falschen Eintragung ist nach h.M. zu unterscheiden: Bei Herbeiführen einer falschen Eintragung durch positives Tun soll das Veranlassungsprinzip gelten, bei Nichtbeseitigung einer falschen Eintragung das Verschuldensprinzip.581 Nach hiesiger Ansicht kann dem nicht gefolgt werden; das Veranlassungsprinzip ist in Wahrheit kein Zurechnungsprinzip, sondern eine reine Kausaltheorie, und das Verschuldensprinzip ist im Zusammenhang mit der Rechtsscheinhaftung sowohl unangemessen als auch systemwidrig; maßgeblich ist vielmehr das Risikoprinzip.582 Zuzurechnen sind demnach zunächst die – seltenen – Fälle der wissentlichen Schaffung eines Rechtsscheins. Hinzu kommen nicht wissentlich geschaffene Eintragungen, bei denen derjenige, in dessen Angelegenheit die Eintragung vorzunehmen war, ein seiner Sphäre zuzuordnendes erhöhtes Risiko für den Rechtsverkehr geschaffen hat.583 Das ist bei einer unrichtigen Anmeldung zweifellos der Fall. War die Anmeldung dagegen richtig, hat aber das Gericht falsch eingetragen, liegt kein aus der Sphäre des Anmeldenden rührendes erhöhtes Risiko vor, so daß die Zurechnung zu unterbleiben hat.584 Zuzurechnen ist die falsche Eintragung jedoch auch bei richtiger Anmeldung, wenn der Betroffene die Berichtigung trotz Kenntnis der Unrichtigkeit unterläßt. Bei fehlender Canaris, Vertrauenshaftung, 162 ff.; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 48. Gehrlein, in: Ebenroth / Boujong / Joost, § 15 Rn. 33; Heymann / Sonnenschein / Weitemeyer, § 15 Rn. 34 f.; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 48; w. Nachw. bei K. Schmidt, HandelsR, § 14 III 2d (408, bei Fn. 78). 580 Canaris, a. a. O., 165 f. Inhaltlich entspricht dies der einem „Veranlassungsprinzip“ folgenden h.M., vgl. vorige Fn. MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 74 fordert insoweit bezeichnenderweise, „das Veranlassungsprinzip als Risikoprinzip zu begreifen.“ Ähnlich Roth, in: Koller / Roth / Mork, HGB, § 15 Rn. 29 („allgemeine Rechtsscheingrundsätze“). 581 Nachw. bei Canaris, a. a. O., 159. 582 Canaris, Vertrauenshaftung, 159. 583 Da es sich bei Handelsregistereintragungen um Erklärungen handelt, die für eine unbestimmte Personenvielzahl bestimmt sind, besteht ein erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis, so daß auch die nicht wissentliche Schaffung eines Rechtsscheins grundsätzlich zugerechnet werden kann; Canaris, a. a. O., 157. 584 Canaris, a. a. O., 160. Die h.M. kommt zum selben Ergebnis; allerdings ist das auf der Basis des von ihr vertretenen Veranlassungsprinzips nicht konsequent, was Canaris, a. a. O., zu Recht bemängelt. 578 579

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Kenntnis von der Unrichtigkeit ist die Zurechnung dagegen ausgeschlossen, es sei denn, die Unkenntnis beruht auf einem risikoerhöhenden Verhalten, wie z. B. dem Verzicht auf die Benachrichtigung durch das Registergericht gem. § 130 Abs. 2 S. 2 FGG.585 Willensmängel schließen die Zurechnung nicht aus, da Handelsregistereintragungen an eine unbestimmte Personenvielzahl gerichtet sind, insoweit also ein erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis besteht.586 Rechtsfolge des § 15 Abs. 1 HGB ist nach h.M. ein – in Einzelheiten umstrittenes – Wahlrecht des Vertrauenden, sich auf die Rechtslage nach Register oder die wahre Rechtslage zu berufen.587 Ein Wahlrecht besteht ferner bei § 15 Abs. 3 HGB.588 2. Das elektronische Handelsregister Durch das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz aus dem Jahr 1993589 wurden mit §§ 8a, 9a HGB, 125 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FGG Vorschriften geschaffen, die im Rahmen eines automatisierten Verfahrens die Übermittlung von Daten aus dem maschinell geführten Handelsregister durch Abruf ermöglichen; mittlerweile steht der elektronische Abruf jedermann offen, § 9a HGB i.d.F.d. ERJuKoG v. 10. 12. 2001.590 Eintragungsanträge und Handelsregisterbekanntmachungen erfolgen dagegen nach wie vor auf herkömmlichen Medien, nicht elektronisch: § 12 Abs. 1 HGB schreibt für Anmeldungen die öffentlich beglaubigte Form vor,591 § 10 Abs. 1 HGB ordnet an, daß Bekanntmachungen im Bundesanzeiger und mindestens einem anderen „Blatt“ zu erfolgen haben. Letztere Blätter werden vom Gericht im voraus für ein Jahr festgelegt (§ 11 HGB). 585 Canaris, a. a. O., 160 f. Die h.M. kommt auf Basis des Verschuldensprinzips zum selben Ergebnis, was aber kaum haltbar erscheint, ist es doch schwer vorstellbar, dem Betroffenen die Wahrnehmung der gesetzlichen Möglichkeit des § 130 Abs. 2 2 FGG als Verschulden anzulasten; so auch Canaris, a. a. O., 161. 586 Canaris, a. a. O., 158. 587 BGH NJW-RR 1987, 1318, 1319; 1990, 737, 738; Canaris, Handelsrecht, § 5 Rn. 24 m.w.Nachw.; ders., Vertrauenshaftung, 518 ff.; Heymann / Sonnenschein / Weitemeyer, § 15 Rn. 13; MüKo-HGB / Lieb, § 15 Rn. 34 ff.; Schlegelberger-Hildebrandt-Steckhan, § 15 Rn. 9; Staub / Hüffer, § 15 Rn. 26 f. Krit. K. Schmidt, HandelsR, § 14 II 4 (392 ff.). Zu weiteren umstrittenen Einzelheiten des Wahlrechts (sog. Rosinentheorie) vgl. BGHZ 65, 309, K. Schmidt, HandelsR, § 14 II 4 (399 ff.). 588 Staub / Hüffer, § 15 Rn. 57. 589 Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung registerrechtlicher und anderer Verfahren vom 20. 12. 1993 (BGBl. I 2182), in Kraft seit 25. 12. 1993; Regierungsentwurf BRDrs. 360 / 93 vom 25. 05. 1993, BTDrs. 12 / 5553 vom 12. 08. 1993. Dazu Holzer, NJW 1994, 481 ff. 590 Gesetz über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation v. 10. 12. 2001, BGBl. 2001 I 3422. Dazu Remmert / Viefhues, K&R 2002, 57 ff.; Ries, GmbHR 2002, R 233 f.; Noack, in: FS Ulmer, 1245, 1248 ff. 591 Auch Pläne, Einsicht in das Handelsregister via Internet zu ermöglichen ändern daran nichts. Dazu SZ v. 07. 07. 2000, 27; Schemmann / Solveen, ZIP 2001, 1518, 1520.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Damit scheiden für die Anmeldung elektronische Erklärungen, und seien sie aufgrund digitaler Signaturen noch so verläßlich, derzeitig eindeutig aus. Auch das FormAnpG hat daran nichts geändert; es sieht eine Modifizierung des § 12 Abs. 1 HGB oder gar allgemein eine Substituierbarkeit der öffentlich beglaubigten Form durch elektronische Formen nicht vor.592 Der Zeitpunkt, in dem eine Eintragung in ein elektronisch geführtes Handelsregister wirksam wird, ist gem. § 8a Abs. 2 HGB der Zeitpunkt, in dem die Eintragung in den für die Handelsregistereintragungen bestimmten Datenspeicher aufgenommen ist und auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden kann. Erst ab diesem Zeitpunkt ist eine Eintragung abrufbar und erst ab dann greifen die Publizitätswirkungen des Handelsregisters.593 Vereinzelt wird überlegt, ob aus der mittlerweile jedermann eröffneten Möglichkeit des elektronischen Abrufs von Handelsregistereintragungen Folgerungen für eine veränderte Auslegung des § 15 HGB zu ziehen seien. Begründet wird dies mit der These, daß sich durch den elektronischen Abruf das Bedeutungsverhältnis zwischen Eintragung und Bekanntmachung umkehre. Während der Rechtsverkehr bisher auf die Bekanntmachungen geachtet habe, weil die Einsichtnahme der Eintragungen zu schwerfällig gewesen sei, werde er nunmehr kaum mehr auf die Bekanntmachungen zurückgreifen, sondern sich viel stärker auf die Möglichkeit elektronischer Einsichtnahme stützen.594 Diese These ist indes durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Sie ist zunächst im Tatsächlichen empirisch überhaupt nicht belegt; sie stellt gegenwärtig nichts als eine reine Vermutung dar. Im übrigen war und ist ohne die Hilfe von – mittlerweile existierenden, kommerziellen – Datenbanken auch die Überprüfung von Bekanntmachungen außerordentlich beschwerlich. Mit der Möglichkeit des Online-Abrufs der amtlichen Eintragungen und des Online-Zugriffs auf private Bekanntmachungsdatenbanken wurden vielmehr gleichermaßen „bequeme“ Informationsmöglichkeiten geschaffen. Folgerungen für ein verändertes Verständnis des im Wortlaut unverändert gebliebenen § 15 HGB und seiner gewohnheitsrechtlichen Weiterungen lassen daraus jedenfalls de lege lata gerade nicht ableiten.

3. Blätter i.S.v. §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 HGB Bei der Bekanntmachung stellt sich die Frage, ob als „Blatt“ i.S.v. §§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 HGB auch ein elektronisches Publikationsorgan in Frage kommt. Denkbar wäre etwa eine Tageszeitung, die nur in elektronischer Form erscheint. Weder §§ 10, 11 HGB noch §§ 32 ff. HRV treffen dazu eine nähere Aussage. Soweit ersichtlich, ist die Frage bislang weder in Rechtsprechung noch Literatur thema592 593 594

Zu Überlegungen de lege ferenda s. Schemmann / Solveen, ZIP 2001, 1518 ff. Baumbach / Hopt, § 8a Rn. 2. Noack, in: FS Ulmer, 1245, 1252 ff.

§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände

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tisiert worden. Fest steht, daß das Registergericht in der Wahl der „Blätter“ – im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens595 – frei ist; an das Ergebnis der vorgeschriebenen gutachtlichen Anhörung der Industrie und Handelskammer (§§ 11 Abs. 2 S. 1 HRV) ist das Gericht ebensowenig gebunden wie an etwaige Anweisungen der Landesjustizverwaltung.596 Der Wortlaut „Blatt“ deutet sicherlich auf ein traditionelles Publikationsorgan hin. Indes wird man hier „Blatt“ als Synonym für „Tageszeitung“ oder „periodische Veröffentlichung“ zu verstehen haben, und in diesem Sinne ist „Blatt“ nicht auf papiergebundene Veröffentlichungen beschränkt. Dies gilt um so mehr, als der neu gefasste § 25 S. 1 AktG den sog. elektronischen Bundesanzeiger als „Gesellschaftsblatt“ bestimmt. Gleichermaßen dürften sich zwar die subjektiven Vorstellungen des Gesetzgebers bzw. deren Grenzen ausschließlich auf papiergebundene Veröffentlichungen beschränkt haben. Auf letzteres kommt es aber, ebenso wie im Zusammenhang mit dem Urkundenbegriff bei § 172 Abs. 1 BGB, nicht an. Maßgeblich ist allenfalls, ob konkrete, gegen die vorgeschlagene Auslegung sprechende gesetzgeberische Absichten im Gesetz einen eindeutigen Niederschlag gefunden haben. Das ist nicht ersichtlich. Systematische Erwägungen sprechen nicht gegen eine Subsumtion elektronischer Veröffentlichungen unter den Begriff „Blatt“ in § 10 Abs. 1 HGB. Insbesondere die Formulierung in § 25 S. 2 AktG n.F. („andere Blätter oder elektronische Informationsmedien“) lässt sich nicht als zwingendes Argument dafür anführen, daß „Blätter“ stets aus herkömmlichem Papier zu bestehen hätten, weil andernfalls der bereits erwähnte Wortlaut des § 25 S. 1 AktG n.F., der den elektronischen Bundesanzeiger gerade als „Blatt“ der Gesellschaft zulässt, keinen Sinn ergäbe; vielmehr wäre dann zu erwarten gewesen, daß der Gesetzgeber insgesamt nach einem neuen Begriff statt des Terminus „(Gesellschafts-)Blatt“ sucht. Ausschlaggebend sind daher letztlich teleologische Überlegungen. Zweck der Bekanntmachung nach § 10 Abs. 1 HGB über den Bundesanzeiger hinaus in einem „Blatt“ ist es, interessierten Dritten die Möglichkeit zu verschaffen, von eintragungspflichtigen Tatsachen bzw. Änderungen Kenntnis zu erlangen.597 Insoweit gleicht der Zweck des § 10 Abs. 1 HGB dem der „öffentlichen Bekanntmachung“ i.S.v. § 171 Abs. 1 BGB. Der Unterschied besteht von der Formulierung her darin, daß § 10 Abs. 1 HGB mit der Wortwahl „Blatt“ deutlich enger erscheint als die allgemein formulierte „öffentliche Bekanntmachung“ bei § 171 Abs. 1 BGB, die neben Zeitungsanzeigen z. B. auch Aushänge umfaßt.598 Letztere sind bei § 10 Abs. 1 HGB aufgrund des Wortlauts sicherlich ausgeschlossen, Zeitungsanzeigen dagegen bilden einen Bereich, in dem sich die beiden Vorschriften überlappen. Bei § 171 Abs. 1 BGB sind elektronische 595 Zur gerichtlichen Überprüfung dieser Ermessensentscheidung OLG Celle, BB 1997, 2292 f. und LG Berlin, BB 1997, 955. 596 MüKo-HGB / Bokelmann, § 11 Rn. 2 m.w.Nachw. 597 MüKo-HGB / Bokelmann, § 11 Rn. 5. 598 Palandt-Heinrichs, § 170 – 173 Rn. 4.

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2. Kap.: Die Anwendung der wichtigsten anerkannten Rechtsscheintatbestände

Publikationen unzweifelhaft erfaßt. Da die Zwecksetzung der beiden Vorschriften vergleichbar ist, sollte dies auch für § 10 Abs. 1 HGB gelten. Dagegen könnte man einwenden, daß nicht jeder angesprochene Verkehrsteilnehmer eine jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf eine etwaige elektronische Publikation hat. Dieser Einwand ist indes nicht stichhaltig. Auch bei herkömmlichen Veröffentlichungen ist nicht gewährleistet, daß jeder betroffene Verkehrsteilnehmer gerade auf die Ausgabe, in der die Veröffentlichung erfolgt, ohne weiteres zugreifen kann. Gesetzlich gewollt ist lediglich eine gewisse gestreute Breitenwirkung, durch die eine möglichst weitgehende öffentliche Information erreicht wird. Solange die Breitenwirkung eines elektronischen Publikationsorgans mit der Breitenwirkung eines zulässigen herkömmlichen „Blattes“ vergleichbar ist, besteht kein Grund, diesem elektronischen Publikationsorgan die Anerkennung als „Blatt“ i.S.v. § 10 Abs. 1 HGB zu versagen. Für Fragen der Rechtsscheinhaftung im Zusammenhang mit § 15 HGB kann eine Bekanntmachung daher auch in der Form eines elektronischen Publikationsorgans erfolgen.

4. Ergebnisse Von den in diesem Kapitel untersuchten Kategorien der Rechtsscheinhaftung – urkundengebundene, nicht urkundengebundene, durch Unterlassen verwirklichte und registergebundene Scheintatbestände – nehmen die registergebundenen Tatbestände sich, was den elektronischen Geschäftsverkehr anbelangt, (noch) am traditionellsten aus. Anmeldungen zur Eintragung ins Handelsregister setzen nach wie vor die Verwendung der öffentlich beglaubigten Form voraus, für die es im elektronischen Geschäftsverkehr – auch nach Einführung des FormAnpG – (noch) kein Äquivalent gibt. Ebenso wie im Wertpapierrecht könnte auch hier nur der Gesetzgeber Abhilfe schaffen. Nur in geringem Umfang, beispielsweise bei den „Blättern“ i.S.v. § 10 Abs. 1 HGB sind auch nach derzeitigem Recht elektronische Medien bereits verwendbar.

V. Zusammenfassung Die Untersuchung des Schweigens im elektronischen Geschäftsverkehr hat neben der Vielzahl der Einzelergebnisse zwei Aspekte von allgemeinerer Bedeutung deutlich werden lassen. Erstens schafft die dem elektronischen Geschäftsverkehr eigene Dematerialisierung für die hier untersuchten Rechtsscheintatbestände grundsätzlich keinerlei Schwierigkeiten. Anträge i.S.v. § 362 HGB und kaufmännische Bestätigungsschreiben können auch in jeder elektronischen Form abgegeben werden. §§ 170 ff. BGB sind insoweit ebenfalls für sämtliche Handlungsweisen und Erklärungsformen des elektronischen Geschäftsverkehrs offen. Eine Ausnahme besteht lediglich für Eintragungsanträge zum Handelsregister, die ohne gesetz-

§ 7 Weitere herkömmliche Rechtsscheintatbestände

251

geberisches Handeln weiterhin in elektronischer Form nicht möglich sein werden. Zweitens spielt die Detemporalisierung im elektronischen Geschäftsverkehr für die hier behandelten Scheintatbestände grundsätzlich keine Rolle, es sei denn der Kaufmann hätte im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände die berechtigte Erwartung in eine besonders kurze Bedenk- und Bearbeitungszeit geweckt.

3. Kapitel

Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung im elektronischen Geschäftsverkehr § 8 Vorüberlegungen zur Möglichkeit neuartiger Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr Die Untersuchung des 2. Kapitels hat nicht nur gezeigt, wie sich die herkömmlichen Rechtsscheintatbestände im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs anwenden lassen, sondern auch ihre Grenzen augenfällig werden lassen. Wie bereits an verschiedenen Stellen angekündigt sollen im 3. Kapitel die Möglichkeiten erörtert werden, für den Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs neue Rechtsscheintatbestände anzuerkennen und in das System der Rechtsscheinhaftung einzufügen. Die Überlegungen in diesem Abschnitt sollen die dogmatischen und rechtsvergleichenden Grundlagen dafür aufbereiten. Gerade das Thema der Vertrauenshaftung setzt eine ständige Reflexion über methodologische Grundfragen, insbesondere die Problematik der Rechtsfortbildung und der juristischen Systemund Theoriebildung voraus.1 Ausgangpunkt ist eine Bestandsaufname der Ergebnisse des 2. Kapitels (I.). Anzuschließen sind einige zusammengefaßte Bemerkungen zur Theorie und zum System der Rechtsscheinhaftung aus dogmatischer Sicht (II.), bevor die Voraussetzungen für die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände allgemein formuliert (III.), die Bedeutung der Rechtsvergleichung bei der Untersuchung neuer Rechtsscheintatbestände herausgestellt (IV.) und die einzelnen Schritte des weiteren Vorgehens skizziert werden können (V.).

I. Bestandsaufnahme der Ergebnisse des 2. Kapitels Die vorangegangenen Untersuchungen haben ergeben, daß in vielen Fällen das geltende Recht – ggf. unter zeit- und sachgerechter teleologischer Auslegung – die durch den elektronischen Geschäftsverkehr für die Rechtsscheinhaftung aufgeworfenen Probleme ohne weiteres, d. h. ohne Rechtsfortbildung und ohne gesetzgebe1

Canaris, Vertrauenshaftung, VII (Vorwort).

§ 8 Vorüberlegungen zur Möglichkeit neuartiger Rechtsscheintatbestände

253

rische Aktivität, bewältigen kann. Genannt seien etwa §§ 170, 171, 370, 405 BGB, 10, 56, 75h, 91a, 362 HGB, Duldungs- und Anscheinsvollmacht, Scheinkaufmann, Scheingesellschafter, Scheingesellschaft sowie kaufmännisches Bestätigungsschreiben. Gleichwohl wurden auch die Grenzen des geltenden Rechts erkennbar. Teilweise konnte noch durch Rechtsfortbildung im Wege vorsichtiger Einzelanalogie abgeholfen werden. Deutlich wurde das bei der analogen Anwendung des § 172 BGB auf Vollmachts-Attributzertifikate, bei der analogen Anwendung der Grundsätze der verdeckten Blankettausfüllung auf die Überlassung von Legitimationszeichen zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen und der analogen Anwendung der Anscheinsvollmacht im Handelsverkehr bei Überlassung oder Zugänglichkeit von Legitimationszeichen innerhalb der Betriebsorganisation. Im übrigen aber blieben auch einige Probleme, die nach geltendem Recht ohne Tätigwerden des Gesetzgebers nicht lösbar sind, wie beispielsweise die Anwendung des § 172 BGB auf sonstige elektronische Erklärungsformen außerhalb von Vollmachts-Attributzertifikaten, die Frage elektronischer Wertpapiere und die Abgabe elektronischer Erklärungen an das Handelsregister. Gleichsam dazwischen – also zwischen Einzelanalogie und gesetzgeberischer Tätigkeit – verbleibt ein Bereich, der bislang in dieser Arbeit noch nicht ausgelotet wurde: die Gesamtanalogie auf Grundlage des allgemeinen Systems der Rechtsscheinhaftung. Schwerpunkt des 3. Kapitels wird der Versuch sein, diesen Ansatz fruchtbar zu machen für diejenigen Fälle der unbefugten Verwendung elektronischer Erklärungsformen und Legitimationszeichen, die durch die geringe Reichweite der Einzelanalogien zur verdeckten Blankettausfüllung und zur Anscheinsvollmacht nicht erreicht werden können.

II. Theorie und System der Rechtsscheinhaftung Nach einigen einleitenden Bemerkungen zu Theorie- und Systembildung in der Jurisprudenz wird aufgezeigt, inwieweit die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung als juristische Theorie und als juristisches System begriffen werden können, bevor im nächsten Unterabschnitt (III.) erläutert werden kann, unter welchen Voraussetzungen Theorie und System der Rechtsscheinhaftung fortgebildet werden können.

1. Theorie- und Systembildung in der Jurisprudenz Begriff, Theorie und System sind zentrale Elemente der juristischen Methodenlehre. Die Grundsätze der juristischen Begriffsbildung wurden bereits einleitend in § 1 kurz dargestellt. Unter einer Theorie versteht man über bloße Problemlösungshypothesen hinausgehende, nach einheitlichen Kriterien geordnete (d. h. systematisch zusammenhängende) allgemeine Sätze, verbunden mit der Angabe der hinter den Sätzen stehenden Grundwertungen und veranschaulichenden paradigmati-

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

schen Beispielen.2 Eine Theorie muß frei von logischen und wertungsmäßigen Widersprüchen sein (Konsistenz) und überprüft werden können (Falsifizierbarkeit).3 Die Aufgabe juristischer Theorien ist eine dreifache: dogmatische Einordnung eines Problems, Feststellung der Vereinbarkeit einer Lösung mit dem geltenden Recht und Verdeutlichung des materiellen Gerechtigkeitsgehalts einer Lösung.4 Unter dem äußeren System ist ein logisches System aus abstrakten Begriffen zu verstehen. Das innere System ist dagegen wertorientiert, arbeitet mit leitenden rechtsethischen Prinzipien sowie funktionsbestimmten (nicht: abstrakten) Begriffen, und faßt rechtliche Typen zu Typenreihen und beweglichen Teilsystemen zusammen.5 Rechtsethische Prinzipien sind richtunggebende Maßstäbe rechtlicher Normierung, die vermöge ihrer eigenen Überzeugungskraft rechtliche Entscheidungen zu rechtfertigen vermögen; sie bedürfen der Konkretisierung.6 Kennzeichnend für den Typus ist, daß anders als beim Begriff die einzelnen ihn konstituierenden Merkmale nicht notwendigerweise vollständig und in der gleichen Stärke, sondern nur mehr oder weniger verwirklicht sind. Die Einzelelemente des Typus können daher als bewegliches System im Sinne Wilburgs aufgefaßt werden.7 Typenreihen mit fließenden Übergängen („je mehr desto“) stellen einen wichtigen Beitrag zur Systembildung dar (Beispiel: BGB Gesellschaft – nichtrechtsfähiger Verein – OHG – rechtsfähiger Verein).8 Ein inneres System ist stets fragmentarisch, da nicht alle Normen sich darin einfügen lassen (z. B. § 25 HGB im System der Vertrauenshaftung) und offen, da stets die Möglichkeit besserer Erkenntnis oder eines Wertewandels besteht.9 Theorie- und Systembildung hängen zusammen.10 Eine Theorie kann helfen, ein Problem in ein inneres System einzuordnen. Sie kann ferner dazu dienen, die Vereinbarkeit einer bestimmten Lösung mit dem System des geltenden Rechts zu überprüfen. Durch die Verdeutlichung des Gerechtigkeitsgehalts einer Lösung kann eine Theorie schließlich auch zum Ausbau und zur Fortbildung des Systems des geltenden Rechts beitragen.

2 Dazu und insbesondere zur Bedeutung paradigmatischer Problemlösungen als Bestandteil juristischer Theorien s. Canaris, JZ 1993, 377 ff.; ders., in: FS Kitagawa, 59, 66 ff.; Larenz / Canaris, Methodenlehre, 277 ff. 3 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 279 ff. 4 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 275 ff. 5 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 264 f.; 299, 310 ff. 6 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 302 f. 7 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 293 ff. 8 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 299. 9 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 314 ff. 10 Dazu auch Larenz / Canaris, Methodenlehre, 275 ff.

§ 8 Vorüberlegungen zur Möglichkeit neuartiger Rechtsscheintatbestände

255

2. Rechtsscheinhaftung als juristische Theorie und inneres System Die Regeln der Rechtsscheinhaftung lassen sich sowohl als juristische Theorie als auch als inneres System im soeben beschriebenen Sinn auffassen. Die beiden Elemente einer juristischen Theorie – allgemeine Sätze und paradigmatische Anwendungsbeispiele – lassen sich wie folgt kurz veranschaulichen. Die die Rechtsscheinhaftung kennzeichnenden allgemeinen Sätze bestehen in den bekannten und im 2. Kapitel ausführlich erläuterten Voraussetzungen (Rechtsscheintatbestand, Anforderungen auf seiten des Vertrauenden, Zurechenbarkeit) und Rechtsfolgen (positiver Vertrauensschutz). Paradigmatische Beispiele sind die im 2. Kapitel ebenfalls besprochenen anerkannten Fallgruppen, etwa die §§ 170 ff. BGB, die Rechtsscheinvollmachten, das Blankett, §§ 370 und 405 BGB, Scheinkaufmann, Scheingesellschaft, kaufmännisches Bestätigungsschreiben, § 15 HGB etc. Ihre Leistungsfähigkeit hat die Rechtsscheintheorie vielfältig unter Beweis gestellt, als es um die dogmatische Einordnung der rechtstatsächlichen Probleme ging (z. B. Scheinvollmachten, kaufmännisches Bestätigungsschreiben u.v.a.m.). Auch zu der Frage, ob eine bestimmte Lösung mit dem geltenden Recht vereinbar ist, liefert sie wichtige Erkenntnis (z. B.: Ist Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand erforderlich? Ist die abhandengekommene Quittung zurechenbar? Etc.). Der Gerechtigkeitsgehalt einer durch die Rechtsscheintheorie herbeigeführten Lösung wird durch die Anbindung an allgemeine Rechtsprinzipien wie z. B. den Verkehrsschutz, das Risikoprinzip oder die Privatautonomie verdeutlicht. Gleichzeitig bilden die herkömmlichen Rechtsscheintatbestände ein inneres System im Sinne innerer Einheit und Folgerichtigkeit. Leitende Prinzipien sind der Vertrauens- und Verkehrsschutz einerseits, die Privatautonomie des Erklärenden andererseits. Die anerkannten Scheintatbestände lassen sich, wie Canaris gezeigt hat, in einer Typenreihe nach abnehmender Intensität der Zurechnungsfaktoren – wissentliche Schaffung des Scheintatbestandes, bewußte Kundgabe, fehlendes Erklärungsbewußtsein – zusammenstellen.11 Auch das innere System der Rechtsscheinhaftung ist wie alle juristischen Systeme offen, insbesondere für Erweiterungen und Vervollständigungen aufgrund neuer Erkenntnisse. Bei den gegenwärtig anerkannten Rechtsscheintatbeständen handelt es sich nicht um ein einmalig und gesamthaft vorgegebenes System, sondern um eine von Lehre und Rechtsprechung herausgearbeitete Systematik von einzelnen Rechtsscheintatbeständen, die teilweise gesetzlich geregelt sind (z. B. §§ 170 ff. BGB, § 362 HGB), teilweise erst von Rechtsprechung und Wissenschaft entdeckt bzw. entwickelt wurden (z. B. Rechtsscheinvollmachten, Blankettmißbrauch, Scheinkaufmann, Scheingesellschafter, Scheingesellschaft, Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben). Daher ist das System der Rechtsscheinhaftung erweiterungsfähig sowohl um gesetzlich geregelte Tatbestände wie auch praeter legem entwickelte. Letztere können entweder in Einzelanalogie zu gesetzlich geregelten Tatbeständen 11

Vgl. nur die Gliederung der Darstellung bei Canaris, Vertrauenshaftung.

256

3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

auftreten oder aber als Konkretisierungen des allgemeinen Systems der Rechtsscheinhaftung, wie es in § 3 vorgestellt wurde.

III. Bedingungen der Möglichkeit neuer Rechtsscheintatbestände Um solche Konkretisierungen des allgemeinen Systems der Rechtsscheinhaftung soll es im 3. Kapitel gehen. Maßgeblich ist, daß im Einzelfall die in § 3 beschriebenen allgemeinen Voraussetzungen für eine Rechtsscheinhaftung vorliegen. Für die nachfolgenden Untersuchungen sind jeweils gedanklich drei Schritte zu vollziehen:  Grundvoraussetzung und erster Prüfstein ist die Frage, ob ein Tatbestand vorliegt, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu begründen. Zu beachten ist, „daß die Rechtsscheinhaftung wegen ihrer weitreichenden Rechtsfolgen regelmäßig eine besondere Härte für den Handelnden darstellt und daß ihre rechtsethische Überzeugungskraft daher grundsätzlich nicht sonderlich groß ist.“12 Gerade bei der Schaffung bzw. Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände verdient diese Einschränkung besondere Beachtung. Vorsicht ist geboten. Das Augenmerk muß sich dabei insbesondere richten auf die besondere Stärke des Vertrauenstatbestandes, den erhöhten Grad des Verkehrsschutzbedürfnisses und das Gewicht der Zurechnungsfaktoren.13  Zweiter Prüfstein für die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände ist der Abgleich potentieller neuer Rechtsscheintatbestände mit bereits existierenden paradigmatischen Beispiels- bzw. Anwendungsfällen der Rechtsscheinhaftung, wie etwa den Rechtsscheinvollmachten, dem Blankettmißbrauch usw.  Ist ein neuer Rechtsscheintatbestand anerkennungswürdig, sind in einem dritten Schritt die weiteren Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Rechtsscheinhaftung nach den allgemeinen Voraussetzungen zu untersuchen. Zu bestimmen ist ferner, wer im Streitfall die Darlegungs- und Beweislast für die einzelnen Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung trägt.

Bei den im ersten Prüfschritt genannten drei Merkmalen – Vertrauenstatbestand, Verkehrsschutzbedürfnis, Zurechnung – stellt sich die Frage nach ihrer Qualifikation als Tatbestandsmerkmale, bloße Topoi oder – gleichsam in der Mitte zwischen beiden14 – als Elemente eines „beweglichen Systems“ im Sinne Wilburgs15. Um feste Tatbestandsmerkmale handelt es sich deshalb nicht, weil die Merkmale in Canaris, Vertrauenshaftung, 9. Canaris, Vertrauenshaftung, 533, Fn. 43a. 14 Zu dieser „Reihung“ Canaris, in: Bydlinski u. a., Das Bewegliche System, 103, 104. 15 Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im Bürgerlichen Recht – Rede, gehalten bei der Inauguration als Rector magnificus der Karl-Franzens-Universität in Graz am 22. November 1950. 12 13

§ 8 Vorüberlegungen zur Möglichkeit neuartiger Rechtsscheintatbestände

257

unterschiedlich starker Ausprägung auftreten können und nur in ihrer konkreten Zusammenschau eine Antwort auf die Frage erlauben, ob ein Rechtsscheintatbestand vorliegt. Schwieriger ist zwischen den verbleibenden Alternativen – Topoi oder bewegliches System – zu entscheiden. Canaris hat für die anerkannten Rechtsscheintatbestände angenommen, Stärke des Verkehrsschutzbedürfnisses und Stärke der Zurechnung könnten nicht als Elemente eines beweglichen Systems aufgefaßt werden, weil die Rechtsfolge – Rechtsscheinhaftung auf Erfüllung – nicht einzelfallabhängig gebildet wird, sondern generell feststeht.16 Damit bliebe gleichsam im Wege der Subtraktion nur die Qualifikation als Topoi übrig. Das ist erstaunlich, zum einen weil es sich um eine sehr begrenzte Zahl von Elementen (drei) handelt, zum anderen weil diese drei Elemente in einer unauflöslichen Beziehung zueinander insoweit stehen, als alle drei Elemente in einer gewissen Ausprägung vorhanden sein müssen, daher gerade nicht in der für Topoi typischen Weise beliebig austauschbar sind. Intuitiv läge es daher näher, ein bewegliches System anzunehmen. Bleibt allerdings der schon erwähnte Einwand Canaris’. Bei näherem Hinsehen erkennt man aber, daß der Einwand eben nur für die anerkannten Rechtsscheintatbestände gilt. Dort steht in der Tat die Rechtsfolge bereits generell fest. Hier geht es jedoch um die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände. Insoweit steht die Rechtsfolge keineswegs generell fest; sie muß vielmehr erst mit Hilfe der besagten drei Merkmale ermittelt werden. Fest steht lediglich, daß es für die Rechtsfolge nur zwei Alternativen im Sinne einer „Ja“ – „Nein“ Entscheidung gibt, nämlich Annahme eines Rechtsscheintatbestandes oder dessen Ablehnung. Das aber spricht nicht gegen die Qualifizierung der Merkmale als Elemente eines beweglichen Systems. Zwar besteht die besondere Leistungsfähigkeit des beweglichen Systems gerade darin, in besonderer Weise flexible Rechtsfolgen zu erzeugen, doch schließt das nicht aus, ein bewegliches System auch dann anzunehmen, wenn im Einzelfall lediglich zwei Rechtsfolgen denkbar sind.

IV. Die Bedeutung des Rechtsvergleichs bei der Untersuchung neuer Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr Die vorstehenden rechtsdogmatischen Ausführungen mögen den in dieser Schrift verfolgten rechtsvergleichenden Ansatz, namentlich was den Vergleich mit dem Recht der Vereinigten Staaten von Amerika anbelangt, als fragwürdig oder gar grundsätzlich verfehlt erscheinen lassen. Die Frage drängt sich auf, ob nicht zwei der in dieser Arbeit bereits erwähnten grundlegenden Unterschiede zwischen deutschem und amerikanischem Recht eine rechtsvergleichende Betrachtung von vorneherein als fruchtlos erscheinen lassen müssen. Zum einen wurde schon eingangs dargelegt, daß amerikanisches Rechtsdenken in weit geringerem Umfang dogmatisch angelegt ist als deutsches. Das zeigt sich gerade im hier zentralen Be16

Canaris, in: Bydlinski u. a., Das Bewegliche System, 103, 109.

17 Rieder

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

reich der Rechtsscheinhaftung; denn immerhin existiert eine geschlossene Theorie oder gar ein inneres System der Rechtsscheinhaftung im amerikanischen Rechtsdenken überhaupt nicht. Das haben die fallweisen Erörterungen vergleichbarer amerikanischer Regelungskonzepte im 2. Kapitel, die auf ganz unterschiedlichen dogmatischen Grundlagen stehen bzw. für die dogmatische Grundlagen im deutschen Sinne oft gar nicht eindeutig auszumachen sind, deutlich gezeigt. Hinzu kommt die im amerikanischen Recht grundsätzlich fehlende Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundäransprüchen. Gerade diese Unterscheidung ist aber zentral für die Abgrenzung der Rechtsscheinhaftung von sonstigen Fällen der Vertrauenshaftung. Welcher Erkenntnisgewinn soll daher ausgerechnet aus einem Vergleich mit dem Recht der USA fließen? In rechtsdogmatischer Hinsicht sicherlich keiner oder allenfalls ein geringer. Ganz anders aber in exemplarischer und rechtsharmonisierender Hinsicht. Gerade im amerikanischen Recht findet sich eine sonst nirgendwo vorhandene Fülle an Problemlösungsversuchen, insbesondere auf dem Feld elektronischer Unterschriften. Es wäre höchst unwahrscheinlich, wenn die in Deutschland mit Hilfe der Rechtsscheinhaftung dogmatisch zu erfassenden rechtstatsächlichen Probleme in USA nicht an der einen oder anderen Stelle ebenfalls erkannt und einer – wenn auch dogmatisch vielleicht anders einzuordnenden – Lösung zugeführt worden wären. Dann aber lohnt immerhin der Blick auf die dort gefundene Lösung und der Vergleich mit der Lösung nach deutschem Recht. Hinzu kommt der aus der Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs folgende Bedarf nach Harmonisierung unterschiedlicher nationaler Rechtsordnungen. Da den USA im elektronischen Geschäftsverkehr bislang international eine Schrittmacherfunktion zukam, ist auch eine Befassung mit den in den USA geschaffenen Rechtsregeln zum elektronischen Geschäftsverkehr unumgänglich. Marktteilnehmer aus den USA orientieren sich maßgeblich an den dortigen Regeln, und Marktteilnehmer aus anderen Ländern, mit denen sie in geschäftliche Beziehung treten, werden damit unweigerlich konfrontiert. Selbstverständlich darf das allein nicht zu einer unkritischen Übernahme ausländischer Regelungsmodelle führen, bloß um der Harmonisierung willen. Die Tatsache, daß ein bestimmtes Problem in einem anderen Land in einer bestimmten Art und Weise gelöst wird, hat zunächst nur empirischen Erkenntniswert, für sich allein aber noch keine rechtsethische Überzeugungskraft. Gleichwohl lohnt auch die Kenntnis der Unterschiede, sowohl rechtspraktisch wie auch rechtswissenschaftlich. Im übrigen ist Rechtsvergleichung in keinem Fall eine Einbahnstraße; auch von Deutschland können daher Impulse für die Rechtsentwicklung in einem anderen Land ausgehen. Schließlich kann Endergebnis auch die – für den internationalen Geschäftsverkehr möglicherweise belastende oder zumindest ernüchternde – Erkenntnis sein, daß eine Harmonisierung bestimmter Problembereiche derzeit nicht besteht und vielleicht auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist. Ähnliche Überlegungen gelten für den Vergleich mit UNCITRAL Regelwerken. Auch dort ist rechtsdogmatischer Erkenntnisgewinn weder zu erwarten noch über-

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

259

haupt wichtig. Wichtig sind vielmehr auch hier das Studium der gefundenen Lösungen für dieselben oder vergleichbare rechtstatsächliche Probleme und der Aspekt der internationalen Harmonisierung nationaler Rechtsordnungen.

V. Weiteres Vorgehen Aufbauend auf der im 2. Kapitel gewonnenen Erkenntnis von der begrenzten Leistungsfähigkeit einzelner Analogien zur verdeckten Blankettausfüllung und zur Anscheinsvollmacht untersuchen die nachfolgenden Abschnitte verschiedene Formen elektronischer Erklärungen im Hinblick auf ihre Eignung als Rechtsscheintatbestände.17 Den Anfang machen digitale Signaturen, denen aufgrund ihrer Komplexität ein eigener längerer Abschnitt gewidmet wird (§ 9). Anschließend folgt die Untersuchung kennwortgeschützter Erklärungen sowie der sonstigen in § 1 vorgestellten elektronischen Erklärungsformen (§ 10). § 11 schließlich widmet sich materiellrechtlichen Zuordnungsregeln für verschiedene Formen elektronischer Erklärungen nach dem Recht der USA und nach UNCITRAL Regelwerken.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur Bei digitalen Signaturen stellt sich die Rechtsscheinfrage mit besonderer Dringlichkeit. Sie stellen nach wie vor die praktische einzige wirklich verläßliche Lösung für sichere elektronische Kommunikation dar, wenngleich die zunächst in sie gesetzten Hoffnungen mittlerweile aufgrund der nach wie vor nur spärlichen Verbreitung in der Praxis einer gewissen Ernüchterung gewichen sind.18 Zwar haben Kritiker den Gesetzgeber von Anfang an vor einer einseitigen technologiespezifischen Ausrichtung des elektronischen Geschäftsverkehrs und der damit einhergehenden rechtlichen Regelungen auf digitale Signaturen gewarnt.19 Gleichwohl darf nicht vergessen werden, daß digitale Signaturen bis dato die fortgeschrittenste 17 Sonstige neuartige Handlungsformen im elektronischen Geschäftsverkehr, wie etwa das Auftreten im Internet oder die Schaffung eines Intranets geben dagegen keinen Anlaß, einen neuartigen Rechtsscheintatbestand zu postulieren. Sie werden daher nachfolgend nicht weiter thematisiert. 18 Beispielhaft für die ursprüngliche Begeisterung: „Die digitale Signatur erobert langsam, aber sicher alle Bereiche der Geschäftswelt,“ SZ-Technik Beilage v. 7. 10. 1999, V2 / 1. So sollten digitale Signaturen beispielsweise die herkömmlichen Kennwortschutzsysteme im elektronischen Bankverkehr (z. B. „PIN“ und „TAN“ beim Onlinebanking) ablösen (SZ, a. a. O.). Ein Unternehmen (DATEV) plante bereits 1999 die Einrichtung einer Zertifizierungsstelle für einheitliche Berufszulassungsattribute, BRAK-Mitt. 4 / 1999, 178 f. Charakteristisch für die jetzige nüchterne Betrachtung etwa Lüdemann / Adams, K&R 2002, 8, 11 („Schattendasein“). 19 Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 116 ff. m.w.Nachw.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

und am vielseitigsten verwendbare Methode für die Gewährleistung sicherer elektronischer Kommunikation darstellen. Sie sind sicherer als einfache elektronische Erklärungen und solche mit eingescannter Unterschrift, und vielseitiger als kennwortgeschützte Systeme (letztere erfordern eine Rahmenvereinbarung, eignen sich nicht für einmalige Transaktionen und setzen eine geschützte Kennwortübertragung voraus). Biometrische Verfahren sind bislang weniger weit fortentwickelt, zumindest was ihre praktische Verwendbarkeit für sichere elektronische Kommunikation anbelangt. Andere Verfahren zur Erzeugung sicherer elektronischer Erklärungen mögen vielleicht in Zukunft entwickelt werden, sie gibt es derzeit aber eben noch nicht.20 Im folgenden wird untersucht, ob sich bei Verwendung digitaler Signaturen für die „Unterzeichnung“ elektronischer Erklärungen neuartige Rechtsscheintatbestände ergeben können. Denkbar ist dabei eine Rechtsscheinhaftung v.a. im Hinblick auf die Identität des Erklärenden (I.) und die Integrität der Erklärung (II.). Weiterhin werden Einzelfragen bezüglich des Zeitpunkts, in dem eine Erklärung erstellt wurde, bezüglich Attribut-Zertifikaten, Pseudonymen und Verzeichnisdiensten erörtert (III.). Dabei werden unter I. – III. zunächst digitale Signaturen untersucht, die innerhalb des Rechtsrahmens des SigG erstellt wurden, anschließend digitale Signaturen außerhalb des SigG Rechtsrahmens (IV.).

I. Erklärendenidentität Fehler in bezug auf die Identität des Erklärenden können bei Verwendung digitaler Signaturen in mehrfacher Hinsicht auftreten.21 Denkbar ist etwa, daß der Antragsteller bei der Zertifizierungsstelle unter falschem Namen auftritt, seine angebliche Identität mit gefälschten Papieren nachweist und sich so eine falsche „elektronische Identität“ verschafft. Hinzu kommt möglicherweise, daß die Zertifizierungsstelle ihre Pflicht zur zuverlässigen Identifizierung des Antragstellers (z. B. mittels Bundespersonalausweises oder Reisespasses, § 3 Abs. 1 SigV 1997 & 2001) verletzt. Ein Auftreten mit falscher Identität ist auch möglich, wenn der Signaturinhaber einem Dritten den Zugang zur Signatur verschafft oder ermöglicht, so daß dieser mittels der Signatur elektronische Erklärungen unter dem Namen des Signaturinhabers abgeben kann. Dasselbe Ergebnis kann eintreten, wenn ein Dritter in den Machtbereich der Signaturinhabers eindringt und es ihm gelingt, sich eigenmächtig die Signatur (bzw. genauer: den privaten Schlüssel) zu verschaffen. Ferner kann ein Dritter versuchen, den privaten Schlüssel durch Raten oder Ausprobieren zu ermitteln. Gelingt dem Signaturinhaber nicht die rechtzei20 Auch sog. technologieneutrale Gesetze wie die SigRL und das SigG 2001 laufen derzeit praktisch auf digitale Signaturen hinaus, da nur diese die Erklärungsintegrität, die von jenen Gesetzen zur Voraussetzung für die Anerkennung als „sichere“ elektronische Signatur erhoben wird, gewährleisten können. Die Offenheit dieser Regelungen für andere Technologien ist daher gegenwärtig allenfalls eine theoretische bzw. symbolische. 21 Zum folgenden Haas, in: FS Heinrichs, 261, 268; Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 186.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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tige Sperrung des Zertifikates (§ 8 SigG), kann es zu Geschäftsabschlüssen mit dem Signaturzertifikat des Inhabers kommen, und es stellt sich die Frage, ob dieser wirksam verpflichtet worden ist. Beweisrechtliche Regelungen wie der neue § 292 a ZPO machen diese Überlegungen nicht überflüssig, im Gegenteil. Die Vermutung der Urheberschaft kann vom Signaturinhaber u.U. entkräftet werden. Selbst wenn ihm das gelingt und feststeht, daß die Erklärung von einem Dritten unter Mißbrauch der digitalen Signatur des Signaturinhabers signiert worden ist, stellt sich nach wie vor – ja geradezu erst recht – die Frage, ob diese nicht vom Signaturinhaber stammende Erklärung ihm unter Rechtsscheingesichtspunkten zugerechnet werden kann.

1. Rechtsscheintatbestand Soweit ersichtlich, ist die Frage der Rechtsscheinhaftung bei digitalen Signaturen in der Rechtsprechung bislang nicht behandelt worden. In der Literatur gibt es nur wenige Äußerungen zu der Fragestellung. Dabei haben sich Befürworter22 und Gegner23 einer Rechtsscheinhaftung gefunden. Auf beiden Seiten fehlt es allerdings an einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Problematik, die im folgenden versucht werden soll. Dabei werden zunächst das SigG und die SigV samt jeweiliger Materialien auf etwaige Aussagen zur Rechtsscheinhaftung beleuchtet; anschließend folgen Erwägungen aufgrund allgemeiner Grundsätze der Rechtsscheinhaftung.

22 Börms, in: Geis, Die digitale Kommunikation, 96; Dörner, AcP 202 (2002), 363, 369; Englisch, 96 ff.; Rapp, 97 ff.; Ultsch, DZWir 1997, 466, 473; ders., in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 136 ff. Wohl auch Palandt-Heinrichs, § 126a Rn. 12 (der allerdings auf die „Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht“ und die „für Blanketturkunden entwickelten Grundsätze“ zurückgreifen will). Dem folgend Soergel-Marly, § 126a Rn. 29 und MüKo-Einsele, § 126a Rn. 21, wobei nach letzterer der Schlüsselinhaber „nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung [ . . . ] zum Schadensersatz verpflichtet sein“ soll, ohne daß die Erfüllungshaftung nach Rechtsscheingrundsätzen thematisiert wird. Im Grundsatz wohl auch aus der Fünten, Die Haftung der Zertifizierungsstellen nach dem Signaturgesetz, 2000, 27 ff. (allerdings unter Beschränkung auf Blankett- und Anscheinsvollmachtsgrundsätze). – Ferner Roßnagel u. a., Simulationsstudie, 206, die lediglich im Ergebnis annehmen, der Signaturmißbrauch müsse zulasten des Signaturinhabers gehen, wenn er einem Dritten die Signatureinheit überlassen hat, ohne dogmatisch zu qualifizieren, ob es sich um Rechtsscheinhaftung handelt. 23 Z. B. Fritzsche / Malzer, DNotZ 1995, 3, 15 f., und Hammer / Bizer, DuD 1993, 689, 694, die die Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht für ausreichend halten. Daß man damit über eng begrenzte Einzelanalogien nicht hinauskommt, wurde bereits oben bei § 6 dargelegt. Ferner Stempfle, in: Bräutigam / Leupold, Online-Handel, 568 (Rn. 255) und Malzer, DNotZ 1998, 96, 112. Letzterer spricht der digitalen Signatur jeglichen materiellen Inhalt ab, ohne die Frage der Rechtsscheinhaftung zu thematisieren.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

a) Aussagen der Signaturgesetze und der Gesetzesmaterialien Im SigG 1997 und im SigG 200124 finden sich keine ausdrücklichen Regelungen zur Frage der Rechtsscheinhaftung. § 6 SigG 1997 spricht lediglich davon, die Zertifizierungsstelle habe den Antragsteller u. a. über die „Zuordnung der mit einem privaten Signaturschlüssel erzeugten digitalen Signaturen“ zu unterrichten. Wie diese Zuordnung erfolgt (und folglich auch welchen konkreten Inhalt die Unterrichtung nach § 6 SigG 1997 haben soll!), darüber hüllen sich das SigG 1997 und die zugehörigen Gesetzesmaterialien in Schweigen. § 6 Abs. 2 SigG 2001 führt ebenso nicht weiter, wenn es dort heißt, der Zertifizierungsdiensteanbieter habe den Antragsteller darüber zu unterrichten, daß eine qualifizierte elektronische Signatur im Rechtsverkehr die gleiche Wirkung habe wie eine eigenhändige Unterschrift, wenn durch Gesetz nicht ein anderes bestimmt sei. Damit sind ausweislich der Gesetzesmatierialien 25 lediglich die Wirkungen der neuen elektronischen Form nach § 126 a BGB angesprochen, also nicht Rechtsscheinfragen. In den Gesetzesmaterialien zum SigG 1997 ist nur allgemein von „Zurechnung“ der Signatur die Rede. So heißt es in der Begründung zu § 6 SigG 1997: „Darüber hinaus sollen die Signaturschlüssel-Inhaber auch darüber unterrichtet werden, daß ihnen mit ihrem Signaturschlüssel erzeugte Signaturen aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Kombination von Maßnahmen (vgl. Begründung zu § 2 Abs. 1) zugerechnet werden können; es sei denn, das Signaturschlüssel-Zertifikat war zum Zeitpunkt der Signaturerzeugung gesperrt oder die Frist, nach der eine neue Signatur geboten ist (das Nähere regelt die Rechtsverordnung nach § 16 Nr. 7), ist in sicherheitsrelevantem Maß überschritten, oder andere Fakten stehen entgegen.“26

Diese Textstelle spricht ausdrücklich nur von „zurechnen“, nicht von einem Rechtsscheintatbestand,27 außerdem bleiben die genauen Umstände, unter denen eine Zurechnung erfolgen soll, unklar („können“), so daß damit – wenn überhaupt – nur ein Verweis auf die allgemeinen Regeln der Rechtsscheinhaftung gemeint sein kann. Offen bleibt auch, ob die Zurechnung davon abhängt, daß die Zertifizierungsstelle ihre nach § 6 SigG 1997 bestehende Unterrichtungspflicht gegenüber dem Antragsteller tatsächlich erfüllt hat. Die Gesetzesmaterialien zu § 6 SigG 24 Obwohl das SigG 2001 eine technologieneutrale Regelung sein will, findet es aufgrund der Definition „fortgeschrittener elektronischer Signaturen“ nach derzeitigem Stand der Technik lediglich auf digitale Signaturen Anwendung. Daher wird das SigG 2001 nur im Rahmen von § 9 erörtert, nicht beispielsweise auch bei § 10 und § 11. Im folgenden wird auch von „digitalen Signaturen nach dem SigG 2001“ die Rede sein anstatt der gleichbedeutenden, aber schwerfälligen Terminologie des Gesetzes „qualifizierte elektronische Signaturen“, es sei denn der Sachzusammenhang erfordert zur Vermeidung von Verwechslungen letzteren Begriff. 25 BTDrs. 14 / 4662, 22. 26 BTDrs 13 / 7385 32 r. Sp. 27 Wie noch zu zeigen sein wird, kann die Textstelle allerdings sinnvoll nur als Aussage zum Rechtsscheintatbestand, nicht zur Zurechnung verstanden werden.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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2001 sind demgegenüber noch kryptischer und sprechen – eher unverständlich – davon, die Unterrichtung des Signaturinhabers sei „aus Gründen des Vertrauensschutzes zwingend erfoderlich, da andernfalls die Gefahr besteht, daß ungewollt qualifizierte elektronische Signaturen erzeugt werden [ . . . ].“28

Ebensowenig zur Begründung eines Rechtsscheintatbestandes können die Ausführungen in den Materialien zu § 15 SigG 2001 (freiwillige Akkreditierung) herangezogen werden. Zwar ist dort die Rede davon, die nach der Vorschrift vorgesehenen Gütezeichen würden zu einer Markttransparenz führen, „die für die Schaffung eines raschen Vertrauensschutzes im täglichen Rechts- und Geschäftsverkehr unerläßlich ist [ . . . ]“,29

doch ist damit ersichtlich lediglich ein tatsächlicher Vertrauensschutz im Sinne einer Marke gemeint, deren Güte der Verkehrsteilnehmer vertraut. Mit Vertrauenshaftung im juristischen Sinn hat dies dagegen nichts zu tun. In der Begründung zu § 4 SigV 1997 ist – statt von Zurechnung – von „Gültigkeit“ die Rede: „Es liegt alleine in der Verantwortung des Antragstellers, die notwendigen Maßnahmen, über die er unterrichtet wurde, zu treffen. Soweit er notwendige Maßnahmen (z. B. Verwendung geeigneter technischer Komponenten) unterläßt, ändert dies nichts an der Gültigkeit der mit seinem privaten Signaturschlüssel erzeugten digitalen Signaturen.“30

Auch diese Textstelle kann bestenfalls als mehrdeutig bezeichnet werden. So ist noch nicht einmal klar, ob sie auch die Erzeugung digitaler Signaturen durch einen Dritten meint, oder nur den – hier nicht interessierenden – Fall betrifft, daß der Signaturinhaber selbst eine unsichere Signatur erzeugt, an den sich aber keine Rechtsscheinfragen knüpfen. Unklar ist dabei weiterhin, ob lediglich die Gültigkeit der Unterschrift als solcher gemeint ist, oder ob darüber hinaus eine Aussage über die Zuordnung oder Zurechnung der Erklärung zu einer bestimmten Person getroffen werden soll. Der Bericht der Bundesregierung zur Evaluation des SigG 1997 vom 18. 06. 1999 beschreibt zwar das SigG 1997 als organisatorisch-technischen Rahmen, „bei dessen Einhaltung digitale Signaturen einer bestimmten Person zuzuordnen sind, und die Signatur als sicher vor Fälschung sowie signierte Daten als sicher vor Verfälschung gelten können (vgl. § 1 Abs. 1 SigG).“31 BTDrs. 14 / 4662, 22 l. Sp. BTDrs. 14 / 4662, 27 r. Sp. 30 Begründung zu § 4 SigV 1997, abrufbar unter http: / / www.iid.de / iukdg / sigv_begr.html. Die SigV 2001 knüpft daran praktisch unverändert an, s. Begründung zu § 6 SigV 2001, abrufbar unter http: / / www.dud.de. 31 Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Entwicklungen bei den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG), BTDrs. 14 / 1191 v. 18. 06. 1999, 17 l. Sp. 28 29

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

Von „Zuordnung“ spricht aber nur der Bericht, der Gesetzestext tut dies gerade nicht in § 1 Abs. 1 SigG 1997. Im übrigen wird aus der zitierten Passage des Berichts nicht deutlich, ob es sich um Ausführungen zu einem Rechtsscheintatbestand, zur Zurechnung oder lediglich zur Wirksamkeit digital signierter Erklärungen handeln soll. Ergänzend sprach der Referentenentwurf zum FormAnpG 32 von einer Identitätsvermutung und einer Vollmachtsvermutung. Diese Passage war im Regierungsentwurf und in der Gesetz gewordenen Fassung der §§ 126, 126a BGB n.F. so nicht mehr enthalten. Im übrigen folgt daraus noch nichts für die Frage eines etwaigen Rechtsscheintatbestandes. Auch einen Umkehrschluß wird man nicht ziehen können, da Vermutung und Rechtsscheintatbestand scharf voneinander zu trennen sind: Nur wenn es dem Signaturinhaber gelingt, die Identitäts- und Vollmachtsvermutung zu widerlegen, steht fest, daß ein Dritter gehandelt hat. Möglicherweise ist der Signaturinhaber aber kraft Rechtsscheinhaftung gleichwohl an das Handeln des Dritten gebunden.33 Aus alledem folgt, daß sich aus dem SigG, der SigV und den dazu gehörigen Gesetzesmaterialien sowohl für die Fassung von 1997 als auch die Fassung von 2001 keine klaren Aussagen für oder gegen die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes ableiten lassen. Entscheidend ist daher, ob nach allgemeinen Grundsätzen ein Rechtsscheintatbestand vorliegt.34 b) Allgemeine Grundsätze Abzustellen ist auf die in § 8 herausgearbeiteten allgemeinen Anforderungen an das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes und die Einreihung in die bestehenden paradigmatischen Problemlösungen. Voraussetzung für das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes ist ein Sachverhalt, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu erwecken, der aber gleichzeitig die rechtsethische Schwäche der 32 Vom 9. 5. 1999, BMJ I B1-3414 / 2, dazu Brisch, CR 1999, 537. Ferner Referentenentwurf BMJ Stand 05. Juni 2000. 33 A.A. offenbar Stempfle, in: Bräutigam / Leupold, Online-Handel, 568 (Rn. 255), der aber übersieht, daß aus der Streichung einer geplanten Vorschrift zur Vollmachtsvermutung noch keine zwingenden Auslegungsergebnisse für die Frage der allgemeinen Grundsätze der Rechtsscheinhaftung – welche der Gesetzgeber soweit ersichtlich in ihrer Allgemeinheit gar nicht in den Blick genommen hatte – gewonnen werden können. Im übrigen müßte Stempfle dann die – von ihm gar nicht thematisierte – Frage beantworten, ob ein solchermaßen systemwidriger angeblicher gesetzgeberischer Wille, wie ihn Stempfle zu erkennen meint, im Hinblick auf den Vorrang teleologischer Auslegung überhaupt Maßgeblichkeit für das Auslegungsergebnis beanspruchen könnte. 34 So auch Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn 48 („Konsequenzen für den Fall, daß sich ein Antragsteller nicht an die Regeln hält, seine Karte z. B. bei Verlust nicht unverzüglich sperren läßt oder nicht evaluierte Software einsetzt, ergeben sich ausschließlich aus dem allgemeinen Recht sowie möglicherweise zusätzlich aus der Vertragsbeziehung zwischen Antragsteller und Zertifizierungsstelle“).

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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Rechtsscheinhaftung (Erfüllungshaftung) durch die Faktoren Stärke des Vertrauenstatbestandes, erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis und Gewicht der Zurechnungsfaktoren kompensiert.35

(1) Zum Vertrauenstatbestand und dessen Stärke Die Eignung eines digitalen Signaturverfahrens, beim Empfänger einer digital signierten Erklärung Vertrauen in die Identität des Erklärenden zu wecken, hängt objektiv vom Sicherheitsstandard der verwendeten Sicherheitsinfrastruktur ab. Bei digitalen Signaturen innerhalb des Rechtsrahmens des SigG (1997 und 2001) ist der Sicherheitsstandard praktisch sehr hoch36 und war ursprünglich zusätzlich gesetzlich in Form einer Sicherheitsvermutung (§ 1 Abs. 1 SigG 1997) gewährleistet.37 In der Neufassung des SigG 2001 ersetzen technisch-organisatorische Maßnahmen die Sicherheitsvermutung, entfalten aber letztlich eine ähnliche Wirkung.38 Dabei darf auch nicht außer Acht bleiben, daß die Sicherheit von Papierdokumenten aufgrund immer raffinierterer und leichter verfügbarer Fälschungstechniken (Farbkopierer etc.) zunehmend sinkt,39 ohne daß die Rechtsordnung dem herkömmlichen Papierdokument die Anerkennung als Vertrauensgrundlage bislang entzogen hätte. Neuen Technologien gegenüber dürfen keine übertriebenen, herkömmliche Medien noch übersteigenden Anforderungen gestellt werden. Die fünf wesentlichen Kernelemente des Sicherheitskonzepts nach dem SigG sind die sichere Personenidentifikation, die zuverlässige Schlüsselzuordnung durch ein Signaturschlüssel-Zertifikat, die Verwendung sicherer technischer Komponenten, die Bindung des privaten Schlüssels durch Besitz (z. B. Chipkarte) und Wissen (z. B. PIN oder Paßwort) an die Person, und die Letztverantwortung des Signaturinhabers für die Erstellung sicherer digitaler Signaturen.40 Canaris, Vertrauenshaftung, 9, 491, 533 (Fn. 43a). In Kombination mit einer sog. SmartCard erfüllen digitale Signaturen „höchste Sicherheitsanforderungen“, so SZ-Technik Beilage v. 7. 10. 1999, V2 / 4. Zu dem durch digitale Signaturen vermittelten Vertrauen auch Wiebe, 253 ff. 37 Dazu Roßnagel, NJW 1998, 3312 ff., der darin letztlich eine Art gesetzlich angeordneten Anscheinsbeweis sieht. 38 BTDrs. 14 / 4662 28 l.Sp., wonach bei akkreditierten Zertifizierungsstellen der Nachweis der umfassend geprüften Sicherheit an die Stelle der Sicherheitsvermutung treten soll. Dazu Roßnagel, NJW 2001, 1817, 1822. 39 Roßnagel, NJW-CoR 1994, 96; Schneider, CR 1988, 868, 873. – Die Prüfung herkömmlicher Unterschriften durch Laien führt auch sonst oft zu falschen Ergebnissen; Pordesch / Nissen, CR 1995, 562, 565. 40 Dazu s. Begründung zu § 2 Abs. 1 SigG 1997, BT Drs. 13 / 7385, 29 r. Sp.; ferner Roßnagel, NJW 1998, 3312, 3314. Die Sicherheitskomponenten lassen sich auch auf andere Weise systematisieren, etwa in technische Sicherheit (betreffend die verwendete Hard- und Software), Anwendungssicherheit (betreffend die sichere Nutzung und Nutzbarkeit der Hard- und Software), organisatorische Sicherheit (z. B. innerhalb einer Zertifizierungsstelle) und personelle Sicherheit (betreffend das Handeln der beteiligten Personen); dazu Miedbrodt, Signatur35 36

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

Erstens: Die sichere Identifikation erfolgt durch Personalausweis, Reisepaß oder auf andere geeignete Weise (§§ 5 Abs. 1 SigG 1997 & 2001, 3 Abs. 1 S. 1 SigV 1997 & 2001). Zweitens: Die zuverlässige Schlüsselzuordnung durch ein Signaturschlüssel-Zertifikat ist dadurch gewährleistet, daß eine Zertifizierungsstelle, die Zertifikate ausstellt, strengen Sicherheitsanforderungen41 und einer staatlichen Überwachung unterliegt (Einzelheiten dazu ergeben sich aus §§ 4, 13 SigG 1997, 4 ff., 19 ff. SigG 2001). Das ursprünglich im SigG 1997 enthaltene Genehmigungserfordernis für den Betrieb einer Zertifizierungsstelle, die SigG-Zertifikate ausstellen will, hatte von seiner Bedeutung her von vorneherein weniger den Charakter eines Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt – außerhalb des SigG-Rahmens ist jedermann ohne Einschränkung der Betrieb einer Zertifizierungsstelle gestattet – sondern den des „Angebots einer staatlichen Dienstleistung“,42 mit der der Staat im Sinne einer besonderen Akkreditierung die Gewähr für die Sicherheit der von der genehmigten Stelle ausgestellten Zertifikate übernimmt.43 Mittlerweile ist im Zuge der Umsetzung der SigRL, die ein staatliches Genehmigungserfordernis ausdrücklich untersagt (Art. 3 Abs. 1 SigRL), das Genehmigungserfordernis zugunsten eines ausdrücklich so bezeichneten freiwilligen Akkreditierungsverfahrens fallengelassen worden (§§ 15 f. SigG 2001). Drittens: Das SigG 1997 schreibt in § 14, das SigG 2001 in §§ 5 Abs. 5, 17 die Verwendung sicherer technischer Komponenten vor.44 In bezug auf den regulierung im Rechtsvergleich, 54 ff. – Vorliegend wird die in der Begründung zum SigG 1997 gewählte Systematisierung beibehalten. 41 Nach § 4 Abs. 1 SigG 2001 sind insbesondere erforderlich Zuverlässigkeit, Fachkunde, Deckungsvorsorge (§ 12 SigG 2001) und ein geeignetes Sicherheitskonzept. 42 So Roßnagel, MMR 1998, 75, 77. 43 So auch Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 63. 44 Je nach Anwendung mußten ursprünglich die Sicherheitsstufen ITSEC E2 bis E4 erfüllt sein. Dazu Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn 75 ff. – ITSEC steht für „Information Technology Security Evaluation Criteria“ und stellt einen internationalen Maßstab für die Bewertung der Sicherheit von informationstechnischen Komponenten und Systemen dar. Die ITSEC Skala reicht von E1 bis E6, wobei E6 für die höchste Sicherheitsstufe steht. Vgl. Begründung zu § 17 Abs. 1 SigV 1997 mit Verweis auf Ratsempfehlung 95 / 144 / EG vom 07. 04. 1995. Seit 01. 07. 2000 kommen als Maßstab auch die Gemeinsamen Kriterien für die Prüfung und Bewertung der Sicherheit von Informationstechnik (Common Criteria for Information Technology Security Evaluation – BAnz. 1999 1945 – ISO / IEC 15408) in der jeweils geltenden Fassung in Betracht mit den Prüfstufen EAL 3 bis 5; vgl. § 17 SigV 1997 i.d.F.d. 1. SigVÄndV v. 22. 06. 2000, BGBl. I 981. Dadurch soll die internationale Anerkennung digitaler Signaturen erleichtert werden; NJW Informationen, NJW 2000 Heft 28, LIII; Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Entwicklungen bei den neuen Informations- und Kommunikationsdiensten im Zusammenhang mit der Umsetzung des Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG), BTDrs. 14 / 1191 v. 18. 06. 1999, 17 r. Sp. Die Neufassung des SigG im Jahr 2001 und die zugehörige neue SigV 2001 behalten diese Zweispurigkeit bei.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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Schlüsselgenerator (§ 16 Abs. 1 SigG 1997) bedeutet das, es muß sichergestellt sein, daß jeder Schlüssel einmalig ist, der private Schlüssel für die nächsten sechs Jahre nicht aus dem öffentlichen Schlüssel errechnet werden kann (§ 17 SigV 1997), der private Schlüssel geheim gehalten und nicht aus seinem Speichermedium (z. B. Chipkarte) ausgelesen werden kann, der private Schlüssel nicht duplizierbar ist, und sicherheitsrelevante Veränderungen für den Benutzer erkennbar sind. Die Zertifizierungskomponente, mit der eine digitale Signatur erstellt wird, muß einen gesetzlich normierten Sicherheitsstandard erfüllen.45 Der von jeder Zertifizierungsstelle zu betreibende Verzeichnisdienst muß Auskunft über Existenz und Sperrung von Zertifikaten geben (§ 5 Abs. 1 S. 2 HS 2 SigG 1997 & 2001). Die Gültigkeitsdauer von Signaturschlüssel-Zertifikaten ist auf maximal fünf Jahre begrenzt (§ 7 SigV 1997, § 14 Abs. 3 SigV 2001 für qualifizierte Zertifikate). Viertens: Weiterhin stellt das SigG Anforderungen in bezug auf die Sicherheit des privaten Schlüssels in Form von Verhaltensanforderungen an den Antragsteller (Obliegenheiten, nicht Rechtspflichten).46 Danach obliegt dem Antragsteller die Geheimhaltung des privaten Signaturschlüssels und die Sperrung des Zertifikats bei Verlust oder Beendigung der Teilnahme am digitalen Signaturverfahren (§§ 4 SigV 1997, 6 SigV 2001).47 Er hat ferner für die Geheimhaltung der persönlichen Identifikationsdaten zu sorgen, die den Zugang zum privaten Schlüssel erlauben, z. B. die persönliche Identifikationsnummer (PIN) für die Chipkarte, auf der der private Schlüssel – nicht auslesbar – gespeichert ist. Bei Verdacht der Preisgabe hat er entweder die sofortige Änderung der Identifikationsdaten oder die sofortige Sperrung des Zertifikats zu veranlassen. Digitale Signaturen sind aufgrund technischen Fortschritts nach sechs Jahren aufzufrischen (§ 17 Abs. 2 SigV 1997), oder auch schon früher, wenn aufgrund gestiegener Rechnerleistung oder eines erfolgreichen Angriffs Dritter die Sicherheit des zur Schlüsselgenerierung verwendeten Algorithmus nicht mehr gewährleistet ist. Fünftens: Schließlich liegt der Sicherheitskonzeption des SigG die Prämisse zugrunde, daß die Verantwortung für die Vertrauenswürdigkeit der vom Anwender verwendeten Komponenten beim Anwender selbst liegt, nicht in der Technologie (Letztverantwortung des Verwenders). Einer verifizierten digitalen Signatur, d. h. nach Feststellung der Integrität der Daten und der Gültigkeit des Signaturzertifikates, kann der Empfänger nicht ansehen, wie sie entstanden ist.48 Damit übereinstimmend heißt es in der Begründung zu § 4 SigV 1997: Gem. § 16 Abs. 2 SigV 1997 den Sicherheitsstandard ITSEC E2. Vgl. Begründung zur § 16 Abs. 3 SigV 1997, wonach der Benutzer selbst entscheiden soll, welches Maß an Sicherheit er haben will. 47 Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn. 105. 48 Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn. 100. Zu Einzelheiten des Signaturvorgangs und der Präsentation signierter Daten vgl. Podersch, DuD 2000, 89 ff.; zur Interoperabilität von Signaturprüfungen Hammer, DuD 2000, 96 ff. 45 46

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

„Es liegt alleine in der Verantwortung des Antragstellers, die notwendigen Maßnahmen, über die er unterrichtet wurde, zu treffen. Soweit er notwendige Maßnahmen (z. B. Verwendung geeigneter technischer Komponenten) unterläßt, ändert dies nichts an der Gültigkeit der mit seinem privaten Signaturschlüssel erzeugten digitalen Signaturen.“

In dieselbe Richtung zielt die Begründung zu § 14 Abs. 2 SigG 1997: „Soweit eine Person für die Aufbereitung zu signierender Daten oder die Prüfung signierter Daten technische Komponenten ohne entsprechende Sicherheitsvorkehrungen einsetzt, trägt sie das Risiko falscher Ergebnisse.“49

Diese fünf Kernelemente des Sicherheitskonzepts nach dem SigG stellen einen Tatbestand dar, der geeignet ist, Vertrauen in die Identität des in der elektronischen Erklärung mittels digitaler Signatur Ausgewiesenen zu begründen.50 Ein Rechtsscheintatbestand in bezug auf die Identität des Erklärenden kommt daher nach allgemeinen Grundsätzen in Betracht. Die Identität des Erklärenden ist eine gegenwärtige, rechtlich mögliche Rechtslage mit Bezug auf ein Verhalten des Signaturinhabers, nämlich die Zuordnung einer elektronischen Erklärung zu einer Person. Ohne Bedeutung für die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes ist es, wenn die Sicherheitsvermutung nach § 1 Abs. 1 SigG 1997 im Einzelfall durch den Nachweis widerlegt wird, daß der Schlüsselinhaber seine Obliegenheiten nicht erfüllt hat. Denn die digitale Signatur kann abstrakt immer noch als sicher angesehen werden, und dann erst stellt sich die Frage nach dem Rechtsscheintatbestand in einem konkreten Fall. Aufgrund des hohen Sicherheitsniveaus des SigG (1997 & 2001) handelt es sich um einen besonders starken Vertrauenstatbestand. Nicht erforderlich ist, daß es sich um digitale Signaturen mit Akkreditierung i.S.v. § 15 SigG 2001 handelt; auch sonstige qualifizierte elektronische Signaturen nach dem SigG 2001 weisen, wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, ein für die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes ausreichendes Maß an Sicherheit auf. Signaturen mit Akkreditierung stellen gleichsam „erst recht“ einen Rechtsscheintatbestand dar, dessen Stärke aufgrund der besonders strengen Voraussetzungen der Akkreditierung noch über die Stärke des durch nicht akkreditierte qualifizierte elektronischen Signaturen geschaffenen Scheintatbestandes hinausgeht.51 49 BTDrs. 13 / 7385 35, r. Sp. Ebenso, aber drastischer Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn. 127: „Digital Signieren heißt nicht, sich wohl behütet, vor allen Dummheiten geschützt, haftungsrechtlich maximal abgesichert und rechtlich nahezu unverbindlich durch das Leben zu zeichnen. . . . Und wer mit einer ungeprüften Software aus unbekannter Quelle signiert, ist nicht anders zu behandeln als derjenige, der planlos Blankounterschriften verteilt, Durchschläge unbesehen signiert oder mit Bleistift zeichnet . . .“ 50 Nach der Begründung zu § 2 Abs. 1 SigG 1997 (BTDrs. 13 / 7385, 29 r. Sp.) „ermöglicht die digitale Signatur einen zuverlässigen Rückschluß auf die Person, die sie erzeugte.“ Soweit praktische Erfahrungen vorliegen, deuten diese auf außerordentlich hohe Sicherheit hin. So soll z. B. im Bereich der Deutschen Bank zwischen 1989 und 1998 kein einziger Schadensfall aufgrund manipulierter oder gefälschter Daten bei der Verwendung von PublicKey-Kryptosystemen vorgekommen sein. Raßmann, CR 1998, 36, 40 f.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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(2) Zum Maß des Verkehrsschutzbedürfnisses Digitale Signaturen werden typischerweise zum Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen verwendet. Darin liegt gerade ihr großer Vorteil gegenüber herkömmlichen Sicherungsmechanismen wie z. B. Kennwortsicherungsverfahren. Dementsprechend besteht bei digitalen Signaturen ein erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis im Hinblick auf die Identität des Erklärenden. Dies unterstreicht zum einen das Zwischenergebnis, daß ein tauglicher Rechtsscheintatbestand vorliegt, und wird zum anderen auch bei der Frage der Zurechnung (dazu unten) von Bedeutung sein. Klarzustellen ist abschließend, daß ein Rechtsscheintatbestand nur vorliegt, wenn tatsächlich ein gültiges Signaturschlüsselzertifikat, das die Anforderungen des SigG erfüllt, gegeben ist. Ein durch Zeitablauf oder Widerruf ungültig gewordenes Zertifikat stellt dagegen keinen Rechtsscheintatbestand dar, sondern nur den insoweit ungeschützten „Schein des Scheins.“52 Gleichwohl kann eine Haftung (auf Erfüllung oder Schadensersatz) aus anderen Gesichtspunkten in Frage kommen, beispielsweise aufgrund eines fehlerhaften Eintrags (bzw. der nicht rechtzeitigen Löschung) des unwirksam gewordenen Zertifikats in einem Verzeichnisdienst. Zur Beendigung des Rechtsscheintatbestandes nach allgemeinen Grundsätzen gilt folgendes: §§ 170, 171 Abs. 2 BGB sind ohne weiteres auf digitale Signaturen entsprechend anzuwenden. Das bedeutet, daß eine einem Dritten mitgeteilte oder öffentlich bekanntgemachte Befugnis eines „Vertreters“, die digitale Signatur des „Geschäftsherrn“ zu nutzen, ebenso widerrufen bzw. beseitigt werden muß, wie sie bekanntgegeben worden ist. § 172 Abs. 2 BGB findet dagegen keine Anwendung, da die schriftliche Mitteilung einer Signaturverwendungsbefugnis einer Vollmachtsurkunde gerade nicht gleichsteht; denn das Rechtsgeschäft kommt nicht aufgrund der Vorlage der Verwendungsbefugnisbescheinigung zustande, sondern schlicht durch Verwendung der digitalen Signatur.

c) Mögliche Einwände Dem auf der Basis allgemeiner Grundsätze gefundenen Ergebnis stehen möglicherweise Einwände entgegen, die sich speziell aus der hier betrachteten Materie digitaler Signaturen ergeben. Nahe liegt der Einwand fehlender Urkundenqualität und (teilweise) fehlender Schriftform (1), der Einwand zeitabhängiger Sicherheit (2) und der Einwand (teilweise) fehlender Haftung der Zertifizierungsstellen (3).

51 s.a. Begründung zu § 15 SigG 2001, BTDrs. 14 / 4662, 28 l. Sp., wo akkreditierten Signaturen im Ergebnis eine „Art ,Sicherheitsvermutung‘“ zugesprochen wird. 52 A.A. offenbar Englisch, 100.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

(1) Fehlende Urkundenqualität und (teilweise) fehlende Schriftform Digital signierte Erklärungen erfüllen nach h.M. nicht den Begriff der Urkunde im prozessualen Sinn, wie bereits in § 4 erläutert wurde. Daran hat auch der neue § 292a ZPO nichts geändert. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber in den Materialien sogar ausdrücklich gegen eine Gleichstellung digital signierter Erklärungen mit Urkunden im prozessualen Sinn ausgesprochen.53 Gleichermaßen erfüllen vor Einführung des § 126a BGB abgegebene digital signierte Erklärungen nach h.M., wie ebenfalls bei § 4 bereits erläutert, die Schriftform des § 126 BGB nicht, unabhängig davon, ob es sich um digitale Signaturen nach dem SigG oder außerhalb des SigG-Rechtsrahmens handelt. Unter der Geltung des § 126a BGB sind qualifizierte elektronische Signaturen nach dem SigG 2001 der Schriftform gleichgestellt, nicht aber digitale Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens. Gegen die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes ließe sich vorbringen, die Entscheidung des Gesetzgebers, digitalen Signaturen Urkundsqualität und (teilweise) Schriftformäquivalenz abzusprechen, zwinge zur Verneinung eines Rechtsscheintatbestandes. Das wäre aber nicht stichhaltig. Ein zwingender Zusammenhang zwischen Urkunds-qualität und Rechtsscheintatbestand besteht ebensowenig wie zwischen Schriftformäquivalenz und Rechtsscheinhaftung. Zwar ist es richtig, daß einige Rechtsscheintatbestände herkömmlicherweise urkundengebunden sind (vgl. § 4), ebensogut gibt es aber auch nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände (vgl. § 5). Urkunden stellen nicht generell einen stärkeren Scheintatbestand dar als sonstige Äußerungen oder Verhaltensweisen. Gleiches gilt für die Schriftform. Aus der fehlenden Urkundenqualität und der (teilweise) fehlenden Schriftform lassen sich daher keine stichhaltigen Einwände gegen das nach allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung gefundene Ergebnis ableiten. (2) Zeitabhängigkeit des Rechtsscheintatbestandes Ernster zu nehmen ist der Einwand, der Annahme digital signierter Erklärungen als Rechtsscheintatbestände stehe entgegen, daß die Sicherheit digitaler Erklärungen und damit der Bestand des Scheintatbestandes zeitabhängig sei und daher von vorneherein als Rechtsscheintatbestand nicht in Frage komme. In der Tat ist die Zertifizierungsstelle nach § 6 Abs. 1 S. 2 SigG 2001 verpflichtet, „den Antragsteller darauf hinzuweisen, daß Daten mit einer qualifizierten elektronischen Signatur bei Bedarf neu zu signieren sind, bevor der Sicherheitswert der vorhandenen Signatur durch Zeitablauf geringer wird.“

Indes ist auch dieser Einwand im Ergebnis nicht stichhaltig. Die Zeitabhängigkeit des Sicherheitsstandards ist ein generelles Problem von Sicherheitssystemen, das nicht auf die Thematik der Rechtsscheinhaftung begrenzt ist. Diesbezüglich sei erneut auf die schon in § 4 erwähnte Problematik des Mißbrauchs von ec-Karten 53

Regierungsentwurf BTDrs. 14 / 4987 25.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

271

hingewiesen. Bei den im Bankverkehr seit längerem verwendeten ec-Karten ist in den 90er Jahren eine gewisse Unsicherheit eingetreten, die offenbar auf technischer Fortentwicklung von Verfahren zur Kennworterrechnung und langdauernder Verwendung eines „Generalschlüssels“ beruhte.54 Waren die Gerichte ursprünglich ganz überwiegend der Auffassung, das ec-Kartensystem sei sicher, haben sich in den letzten Jahren die Stimmen gemehrt, die diese Sicherheit jedenfalls nicht mehr ohne weiteres annehmen. Unabhängig davon, welche Auffassung im Streit um die Beweislastverteilung bei ec-Kartenmißbrauch richtig ist, bleibt festzuhalten, daß die von Anfang an bestehende Möglichkeit, daß ein solcher Streit entstehen könnte, niemanden von vorneherein davon abgehalten hatte, zunächst eine Vermutung des grob fahrlässigen Umgangs mit der Karte durch den Kunden aufzustellen. Ein Wandel der Auffassung über das Maß der gegebenen Sicherheit in umgekehrter Richtung läßt sich zur Telefaxtechnologie beobachten. Die noch ganz herrschende, auch höchstrichterlich gefestigte Rechtsprechung geht davon aus, daß ein „OKVermerk“ im Sendebericht des Absenders keinen Anscheinsbeweis dafür begründet, daß die Telefaxerklärung beim Empfänger auch tatsächlich zugegangen ist.55 Aufgrund technischer Fortschritte in der Übertragungssicherheit bei Telefaxgeräten sieht sich diese Rechtsprechung nunmehr obergerichtlich in Frage gestellt.56 Die Zeitbedingtheit des Sicherheitsstandards kann daher kein „K.O.-Kritierium“ für die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes sein. Zuzugeben ist, daß es sich dabei um ein für die Rechtsscheinhaftung neues Phänomen handelt. Herkömmliche Rechtsscheintatbestände, seien sie urkundengebunden oder nicht, behalten i.d.R. ihre Gültigkeit unabhängig von der Zeit. Allenfalls spielt die Zeit bereits jetzt für die Gutgläubigkeit des Erklärungsempfängers eine Rolle, da anerkanntermaßen bei erheblichem Zeitablauf Erkundigungspflichten entstehen können. Daraus erhellt zumindest, daß Zeitgebundenheit insgesamt kein vollständig neuartiges Problem im Rahmen der Rechtsscheinhaftung darstellt. Vielmehr wird die Zeitgebundenheit nunmehr bereits als Element in die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes gleichsam „vorverlagert“. (3) (Teilweise) fehlende Haftung § 11 SigG 2001 regelt die Haftung von unter dem SigG-Rechtsrahmen operierenden Zertifizierungsstellen gegenüber Dritten, die auf Zertifikate, Verzeichnisdienste oder Zeitstempeldienste der Zertifizierungsstelle vertrauen und aufgrund Zum technischen Hintergrund instruktiv Hortmann, DuD 1997, 532 f. Statt aller BGH NJW 1995, 665 = CR 1995, 143 m. Anm. Wiebe = JZ 1995, 628 ff. m. Anm. Fritzsche. Ferner etwa OLG München, CR 1994, 155 m. Anm. Jaeger und LG Darmstadt, ebda., m. Anm. Jaeger. W. Nachw. zum älteren Streitstand bei Erber-Faller, MittBayNot 1995, 182, 183 bei Fn. 11. 56 So hat das OLG München angenommen, ein OK-Vermerk rechtfertige „angesichts der inzwischen hohen Übertragungssicherheit einen Beweis des ersten Anscheins“ (NJW-CoR 1999, 367). 54 55

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

von Fehlern der Zertifizierungsstelle Schäden erleiden. Für digitale Signaturen, die außerhalb SigG 2001 oder unter dem SigG 1997 erstellt wurden, sieht das Gesetz keine ausdrückliche Haftungsregelung vor. Gegen die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes könnte daher im Hinblick auf die beiden letzten Fallgruppen eingewendet werden, Zertifizierungsstellen hafteten gegenüber Dritten nicht für fehlerhafte Zertifikate und Dienstleistungen, so daß das Vertrauen in die Richtigkeit von Zertifikaten nicht durch eine entsprechende Verantwortung auf der Gegenseite (Zertifizierungsstelle) gerechtfertigt wäre. Es läge daher schon kein Tatbestand vor, der geeignet wäre, in eine bestimmte Richtung Vertrauen zu begründen. Dieser Einwand ist indes aus zwei Gründen nicht stichhaltig. Erstens ist schon der Ausgangspunkt der Argumentation nicht korrekt. Ein notwendiger Zusammenhang zwischen Vertrauenstatbestand und Haftung eines an der Schaffung des Tatbestandes beteiligten Dritten (weder Erklärender noch Erklärungsempfänger) besteht nicht ohne weiteres. Zwar ist insbesondere in den Fällen der reinen Rechtsscheinhaftung, z. B. bei § 892 BGB, die Haftung dessen, der an der Schaffung eines Rechtsscheintatbestands mitwirkt, eine rechtsethische Rechtfertigung für die besondere Härte des reinen Rechtsscheinprinzips.57 Dagegen besteht kein allgemeines Erfordernis der unbeschränkten Haftung dessen, der an der Schaffung eines Rechtsscheintatbestandes schuldhaft mitwirkt, insbesondere gegenüber Dritten, zu denen der Handelnde nicht in vertraglichen Beziehungen steht. Allerdings führt das Bestehen einer Haftungsgrundlage zweifelsohne zu einer Verstärkung des Rechtsscheintatbestandes wegen verstärkter Vertrauenswürdigkeit, vermag also das nach allgmeinen Gesichtspunkten der Rechtsscheinhaftung gefundene Ergebnis zumindest weiter abzusichern. Zweitens trifft es nach richtiger Auffassung gar nicht zu, daß für vor Umsetzung der SigRL entstandene digital signierte Erklärungen sowie für digitale Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens eine Haftung der Zertifizierungsstelle gegenüber Dritten nicht besteht. Zuzugeben ist, daß eine ausdrückliche gesetzliche Haftungsbestimmung, etwa i. S. d. § 11 SigG 2001, fehlt. Daher kann die Frage nur auf Grundlage des allgemeinen deutschen Haftungsrechts beantwortet werden, wie dies auch dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers des SigG 1997 entspricht, der auf das Drängen aus Wissenschaft und Praxis nach Schaffung einer speziellen Haftungsnorm lapidar geantwortet hatte: „Mögliche Haftungsfragen sind aus den jeweiligen Verantwortlichkeiten und dem allgemeinen Haftungsrecht zu beantworten (jeder haftet für sein schuldhaftes Handeln oder Unterlassen).“58 Ob Zertifizierungsstellen gegenüber Dritten59 für die Folgen aus der Ausstellung unrichtiger Zertifikate oder der fehlerhaften Erbringung sonstiger ZertifizieCanaris, Vertrauenshaftung, 471 f. BTDrs. 13 / 7385, 27 (Allgemeiner Teil der Begründung zu Art. 3, Abschnitt V, „Haftungsfragen“). 59 Unproblematisch ist dagegen die Haftungsgrundlage gegenüber dem Signaturinhaber; diese ergibt sich aus dem zwischen beiden bestehenden Vertrag. 57 58

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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rungsdienste haften, ist demgemäß in der Literatur – Rechtsprechung gibt es dazu soweit ersichtlich nicht – einigermaßen umstritten. Daß Ansprüche aus Vertrag an sich mangels Vertrag zwischen Zertifizierungsstelle und Erklärungsempfänger, und Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB (und § 1 Abs. 1 ProdHaftG) schon wegen fehlender Rechtsgutsverletzung – normalerweise wird es sich um reine Vermögensschäden handeln – ausscheiden, ist offensichtlich.60 Kontrovers diskutiert wird v.a. eine Haftung nach den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter61 und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz.62 In der Tat wird man die Anwendung der Grundsätze über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wegen der Vielzahl der möglichen Anspruchsteller für sehr bedenklich halten müssen. Immerhin ist die digitale Signatur geradezu prädestiniert, für den Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen verwendet zu werden. Auch der Schutzgesetzcharakter der Vorschriften des SigG (oder einiger Vorschriften des Gesetzes) ist zweifelhaft. Wer allerdings glaubt, den Schutzgesetzcharakter schon mit dem Einwand ablehnen zu können, das SigG schaffe lediglich einen administrativen Rahmen und sei daher nicht dazu bestimmt, den einzelnen Verkehrsteilnehmer zu schützen,63 greift zu kurz. Denn schon das Konzept einer Zertifizierungsstelle beinhaltet zwangsläufig, daß sie nicht nur gegenüber der Allgemeinheit, sondern gegenüber jedem Signaturempfänger als „vertrauenswürdiger Dritter“ auftritt.64 Ihre gesamte Tätigkeit rechtfertigt Timm, DuD 1997, 525, 526 f. Bejahend z. B. Emmert, CR 1999, 244 ff; Haas, in: FS Heinrichs, 267, 272 ff.; Leier, MMR 2000, 13 ff.; verneinend Breme, 87 ff.; Englisch, 92 (mangels Erkennbarkeit des Kreises der Anspruchsberechtigten); aus der Fünten, 183 ff.; Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 72 ff.; Timm, DuD 1997, 525, 526. – Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 148, will dagegen dem Dritten Ansprüche aus Vertrag zugunsten Dritter zusprechen, da seiner Ansicht nach der Vertrag zwischen Zertifikatinhaber und Zertifizierungsstelle ein Werkvertrag zugunsten Dritter ist, bei dessen Verletzung der Dritte eigenständige vertragliche Schadenserstzansprüche gegen die Zertifizierungsstelle habe. Auch an dieser Auslegung der Vereinbarung zwischen Antragsteller und Zertifizierungsstelle bestehen m.E. mangels Erkennbarkeit des Kreises der vertraglich Begünstigten erhebliche Zweifel. 62 Generell verneinend Englisch, 92 f.; Haas, in: FS Heinrichs, 267, 278 ff.; Leier, MMR 2000, 13 ff.; Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 78 ff.; Timm, DuD 1997, 525 ff. Bejahend Breme, 106 ff. (für § 5 Abs. 1 S. 1 & 2, Abs. 2, Abs. 4 S. 1, § 7 SigG 1997); Emmert, CR 1999, 244 ff. (für § 5 Abs. 1, 2, 4 u. 5, §§ 7, 8, 9, 14 SigG, §§ 3, 7, 8, 10, 11, 12, 16 SigV, nicht aber §§ 11 – 13 SigV – jeweils Fassungen von 1997); aus der Fünten, 199 ff. (generell bejahend bei Vorschriften, die Sicherheitsanforderungen aufstellen) Koch, InternetRecht, 1998, 167 (für §§ 5 Abs. 1, 6, 12 Abs. 2 S. 2 SigG 1997); wohl auch Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 147 f. (für § 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 4, Abs. 5, § 6 SigG 1997). Restriktiv auch Roßnagel, Multimedia-Dienste, Einl SigG 5, Rn. 134 ff. (keine Haftung für Vermögensschäden Dritter ohne Diskussion von § 823 Abs. 2 BGB), § 7 SigG 5 Rn. 79; anders aber ders., a. a. O., § 8 SigG 5 Rn. 71 (§ 8 SigG 1997 als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten eines zur Sperrung des Zertifikates Antragsberechtigten, allerdings ohne nähere Begründung). 63 So Haas und Timm, jeweils a. a. O. 64 So auch Federrath, DuD 1997, 98; Hein / Rieder, DuD 1997, 469, 470; Roßnagel, MMR 1998, 75, 76 („entscheidend für die Vertrauenswürdigkeit von Signaturverfahren“). – An spä60 61

18 Rieder

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

sich allein aus dem Bedürfnis des Dritten, die Identität des Erklärenden vertrauenswürdig bestätigt zu bekommen. Wer annimmt, das SigG (1997 oder 2001) stelle lediglich im „Allgemeininteresse“ eines sicheren administrativen Rahmens Anforderungen an Zertifizierungsstellen auf, muß dem Gesetzgeber damit letztlich bescheinigen, mit dem SigG ein Regelwerk geschaffen zu haben, das zur Bewältigung der durch digitale Signaturen aufgeworfenen Regelungsprobleme gänzlich ungeeignet ist. Richtigerweise ist denn im Hinblick auf den Schutzzweck eines Gesetzes auch ausreichend für die Annahme eines Schutzgesetzes i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB, daß Individualschutz eines der gesetzgeberischen Anliegen ist, selbst wenn auf die Allgemeinheit gerichtete Zwecke ganz im Vordergrund stehen.65 Das wird man beim SigG auch in seiner ursprünglichen Fassung ohne weiteres annehmen können. Bei dieser Betrachtung sprechen daher gute Gründe dafür, jene SigG-Normen als Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB in Betracht zu ziehen, die für die Tätigkeit der Zertifizierungsstelle als vertrauenswürdiger Dritter von Bedeutung sind.66 Entscheidend ist vielmehr der Einwand, daß keine einzige Norm des SigG 1997 strafbewehrt67 und nicht einmal § 267 StGB vom BGH als Schutzgesetz anerkannt ist.68 Straf- oder Bußgeldbewehrung sind in der Tat gewichtige Indizien (wenngleich nicht conditio sine qua non) für die Annahme eines Schutzgesetzes. Deliktischer Vermögensschutz über § 823 Abs. 2 BGB bei fehlender Strafbewehrung sollte – im Anschluß an Canaris – nur gewährt werden, wenn sich die nicht strafoder bußgeldbewehrten Normen „als Typisierung und (maßvolle) Ergänzung von § 826 BGB verstehen lassen oder das Fehlen einer Straf- bzw. Bußgeldbewehrung verglichen mit verwandten Tatbeständen eine Gesetzeslücke darstellt.“69 terer Stelle (285) stellt Haas, a. a. O., ausdrücklich darauf ab, daß Grundvoraussetzung für den Erfolg des SigG das „Vertrauen der Allgemeinheit in die Tätigkeit der Zertifizierungsstellen“ sei. Das übersieht Haas indes zu Anfang seiner Ausführungen, wo er die Funktionsweise digitaler Signaturen erklärt und dabei lediglich auf den Aspekt der Erklärungsintegrität abstellt (Haas, a. a. O., 262 ff.). 65 MüKo-Mertens, § 823 Rn. 162 m.w.Nachw.; BGHZ 100, 13, 14 f. 66 Nicht für stichhaltig erachte ich den weiteren Einwand von Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 81, der Gesetzgeber habe sich bewußt gegen eine Ausgestaltung als Schutzgesetz entschieden, da ihm ein Rechtsgutachten von Timm bekannt gewesen sei, das auf Basis des bis dahin bestehenden Entwurfes die Schutzgesetzqualität verneint habe, und der Gesetzgeber in dieser Kenntnis den Entwurf insoweit unverändert habe Gesetz werden lassen. Wer von den einzelnen Ausschußmitgliedern oder sonstigen Parlamentariern welche Kenntnis von die Gesetzgebung begleitenden Rechtsgutachten gehabt haben mag, kann keine Rolle spielen. Immerhin ist dieses Gutachten nach hiesiger Auffassung unrichtig, und ob es die einzelnen Abgeordneten gekannt und für zutreffend gehalten haben, ist vollends ungewiß. Maßgeblich für die Auslegung (einschließlich der historischen Auslegung) ist allein der objektiv erkennbar gewordene Wille des Gesetzgebers, nicht der subjektive Wille einzelner Mitglieder des historischen Gesetzgebers (Larenz / Canaris, Methodenlehre, 149 ff.) und schon gar nicht Spekulationen über den möglichen Einfluß eines falschen Rechtsgutachtens auf den Gesetzgebungsprozeß. 67 Haas, a. a. O. mit Verweis auf Canaris, in: 2. FS Larenz, 27, 58 ff. 68 Haas, a. a. O. mit Verweis auf BGHZ 100, 13, 15 ff. 69 Canaris, in: 2. FS Larenz, 27, 68 & 76.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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Danach könnten allenfalls die in § 21 SigG 2001 enumerierten bußgeldbewehrten Pflichten des SigG 2001 als Grundlage für Schutzgesetze anerkannt werden. Für das SigG 1997 wird man dagegen weder eine Typisierung und (maßvolle) Ergänzung von § 826 BGB noch eine Gesetzeslücke ausmachen können. Die Nähe zu § 826 BGB, der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, ist schon mangels ausreichender subjektiver Elemente bei der Zertifizierungsstelle nicht gegeben. In aller Regel werden haftungsrelevante Fehler auf typischen Nachlässigkeiten bei Organisation, Auswahl technischer Komponenten und Produkte oder Auswahl von Mitarbeitern beruhen, wo jede Nähe zu Sittenwidrigkeit und Vorsatz fehlt. Auch eine Gesetzeslücke wird man nicht annehmen können. Das SigG 1997 sieht eine umfassende behördliche, also verwaltungsrechtliche Aufsicht über die Tätigkeit der Zertifizierungsstellen vor (Genehmigungspflicht nach § 4 SigG 1997, umfassende Befugnisse zur Sicherstellung der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften in § 13 SigG 1997). Wenngleich eine Vielzahl vergleichbarer öffentlichrechtlicher Verwaltungsvorschriften bußgeldbewehrt ist, wird man nicht automatisch von einer Gesetzeslücke sprechen können; immerhin muß es dem Gesetzgeber unbenommen sein, auch nicht bußgeldbewehrte Regelungen zu schaffen. Für digitale Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens fehlt es von vorneherein an gesetzlichen Vorschriften, so daß bei ihnen schon daran (nicht erst an fehlender Strafbewehrung) eine Haftung der Zertifizierungsstellen aus § 823 Abs. 2 BGB scheitert. Zusammenfassend kann daher eine Haftung der Zertifizierungsstellen wegen Schutzgesetzverletzung mit einiger Sicherheit lediglich bei Verletzung einer der in § 21 SigG 2001 enumerativ aufgezählten Vorschriften angenommen werden. Dort spielt die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB wegen der ausdrücklichen Haftungsnorm des § 11 SigG 2001 aber eine praktische eher untergeordnete Rolle. Offen bleibt die Haftungsfrage daher für digitale Signaturen nach dem SigG 1997 und für digitale Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens. Für diese Fälle ist im Anschluß an Canaris70 mangels Strafbewehrung anzunehmen, daß deliktischer Vermögensschutz Dritter bei Fehlern einer Zertifizierungsstelle ausscheidet, dafür aber kommt eine Haftung aus culpa in contrahendo wegen Inanspruchnahme besonderen „persönlichen“ Vertrauens in Betracht.71 Dieser Ansatz wurde bislang in der Literatur zu Unrecht vernachlässigt.72 Das ist um so unverständlicher als die Tätigkeit der Zertifizierungsstelle immerhin geradeIn: 2. FS Larenz, 27 ff. Zur Haftung für Schutzpflichtverletzungen als „dritter Spur“ zwischen Delikts- und Vertragshaftung eingehend Canaris, in: 2. FS Larenz, 27, 84 ff.; ders., ZHR 163 (1999), 206, insb. 220 ff. Alternativ könnte man dieses Konzept auch als Berufshaftung im Rahmen der c.i.c. auffassen; dazu Canaris, a. a. O., 219 f. und Baumbach / Hopt, HGB, § 347 Rn. 22. Das Erfordernis „persönlichen“ Vertrauens darf nicht als personaler Kontakt mißverstanden werden, sondern dient lediglich zur Abgrenzung von Fällen, in denen jemand Vertrauen nicht für seine eigene Person, sondern für jemand anderen (einen Geschäftsherrn oder Auftraggeber) in Anspruch nimmt; Canaris, a. a. O., 232. 72 s. aber aus der Fünten, 163 ff. 70 71

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

zu darauf „gerichtet“73 ist, als Vertrauensgrundlage beim Empfänger einer Erklärung im Hinblick auf deren Integrität und Authentizität zu dienen.74 Diese Betrachtungsweise trifft den Kern der Problematik weitaus besser als die erkennbar aus Verlegenheit geborenen bisherigen Überlegungen zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter und zur Verletzung angeblicher Schutzgesetze. Darüber hinaus hat dieser Ansatz den Vorteil, grundsätzlich für alle digitalen Signaturen, auch solche nach dem SigG 1997 und solche außerhalb des SigG-Rahmens, brauchbar zu sein. Für digitale Signaturen nach dem SigG 2001 tritt die Haftung aus c.i.c. in Anspruchskonkurrenz zur Haftung aus § 11 SigG 2001 und zur Haftung aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 21 SigG 2001 i.V.m. dem jeweiligen Schutzgesetz. Aus der fehlenden spezialgesetzlichen Haftungsregelung außerhalb des SigG 2001 lassen sich daher keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes hinsichtlich der Erklärendenidentität ableiten. Vielmehr erhöht das gefundene Ergebnis – Haftung für alle Zertifizierungsstellen nach c.i.c. – die Stärke des gefundenen Rechtsscheintatbestandes erheblich.

d) Dogmatische Verortung des Ergebnisses; paradigmatische Problemlösungen In dogmatischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob dieses Ergebnis allein auf die allgemeinen Prinzipien der Rechtsscheinhaftung gestützt werden kann, oder ob es auch im Wege der Einzelanalogie aus anerkannten Rechtsscheintatbeständen abzuleiten ist. §§ 170 ff. BGB, die Rechtsscheinvollmachten und die „offene“ Blankettausfüllung scheiden aus, da bei ihnen der Rechtsscheintatbestand bereits erfordert, daß der Verpflichtete mit Bezug auf einen Dritten handelt, diesem also etwa eine Vollmachtsurkunde aushändigt, dem Erklärungsempfänger eine Bevollmächtigung mitteilt, das Auftreten eines Dritten duldet, einem Dritten eine bestimmte Stellung verleiht oder ihm ein Blankett aushändigt, und der Erklärungsempfänger davon Kenntnis hat (Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes!). Daran fehlt es bei unbefug73 Zur „Gerichtetheit“ vertrauensbegründender Erklärungen bei culpa in contrahendo Canaris, in: 2. FS Larenz, 27, 95 & 108. 74 Auch die Begründung zum Regierungsentwurf des § 11 SigG 2001 (BTDrs. 14 / 4662, 25) spricht von einem „Schaden nach dem Leitbild des Vertrauensschadens in § 122 BGB.“ Immerhin spricht ja bereits der Wortlaut des § 11 SigG 2001 von „vertrauen“. Um so unverständlicher und geradezu falsch ist es daher, wenn in der Stellungnahme des Bundesrates (abgedruckt in BTDrs. 14 / 4662, 37) und in der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie vom „deliktischen Charakter der Regelung“ gesprochen wird (BTDrs. 14 / 5324, 25). Die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates erkennt immerhin, daß es sich beim Vertrauen auf den Zertifikatinhalt um „eine zentrale und unverzichtbare Haftungsvoraussetzung“ handelt (BTDrs. 14 / 4662, 40 l. Sp.), offenbar ohne zu bemerken, daß darin auch die dogmatische Grundlage der Haftung zu erblicken ist, zumal unmittelbar anschließend im Text – unter Verwerfung der Konstruktion mittels Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte – behauptet wird, mit der gewählten Formulierung sei „der deliktische Charakter der Haftungsbestimmung nunmehr eindeutig bestimmt.“

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ter Signaturverwendung. Ansatzpunkt für eine Einzelanalogie kann daher allenfalls die „verdeckte“ Blankettausfüllung sein,75 wenngleich der Übergang zur Anwendung eines allgmeinen Prinzips der Rechtsscheinhaftung deutlich zutage tritt. Verdeckte Blankettausfüllung hilft nur bei Aushändigung des privaten Schlüssels zur Abgabe bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungen. Das jetzt gefundene Ergebnis stellt demgegenüber eine Erweiterung auf ein allgemeines Prinzip der Rechtsscheinhaftung für die unbefugte Verwendung einer digitalen Signatur dar. Weniger geeignet als Ausgangspunkt für eine weitergehene Einzelanalogie ist dagegen die Anscheinsvollmacht, die nur im kaufmännischen Verkehr zur Anwendung kommt und bei der das Erfordernis mehrmaligen Auftretens zu Schwierigkeiten führt. Insgesamt wird man sagen können, daß die unbefugte Signaturverwendung innerhalb einer Typenreihe zwischen verdeckter Blankettausfüllung und den Rechtsscheinvollmachten liegt (vorbehaltlich der näheren Ergründung der noch offenen Zurechnungsfragen, dazu s. u.).

2. Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden Gutgläubigkeit heißt, der Erklärungsempfänger hat keine Kenntnis und muß auch keine Kenntnis davon haben, daß ein Dritter, und nicht die durch die digitale Signatur ausgewiesene Person die digital signierte Erklärung abgegeben hat.76 Auch hier ist beim Kennenmüssen mit Nachforschungspflichten zurückhaltend umzugehen. Ohne verdachtsbegründende Momente besteht keine Nachforschungspflicht des Erklärungsempfängers. Ein Verdacht kann sich z. B. ergeben, wenn ein im Vergleich zu bisherigen Transaktionen ungewöhnliches Geschäft nach Gegenstand oder Umfang vorliegt.77 Dagegen wird man vom Erklärungsempfänger nicht erwarten dürfen, die oft sehr umfänglichen Geschäftsbedingungen und -beschreibungen (Certification Practice Statements – CPS) der Zertifizierungsstelle auf mögliche Probleme im Hinblick auf die Vertrauenswürdigkeit einer Signatur durchzuforschen.78 Bei einmaligen Geschäftskontakten werden daher kaum erkennbare Verdachtsmomente vorliegen. Zeitablauf dürfte – anders als bei vielen anderen Rechtsscheintatbeständen – für die Gutgläubigkeit allenfalls eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Ist bereits so viel Zeit verstrichen, daß die Sicherheit So auch Englisch, 97; Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 136. s. Dörner, AcP 202 (2002), 363, 369. 77 Ähnlich auch Regelungen einzelner US Bundesstaaten zur Frage, ob der Erklärungsempfänger auf eine digitale Signatur vertrauen durfte; vgl. Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 147 m.w.Nachw. Sofern allerdings das Signaturzertifikat selbst ausdrückliche Verwendungsbegrenzungen enthält, liegt bei Geschäften, die diese Grenzen überschreiten, von vorneherein schon kein Scheintatbestand vor, und Fragen der Gutgläubigkeit spielen keine Rolle. 78 Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 148. Vgl. dazu etwa Fox, DuD 1999, 230 und das Certification Practice Statement der Firma Verisign Inc. unter http: / / www.verisign.com / repository / CPS1.0. 75 76

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

der digitalen Signatur als solche erschüttert ist, fehlt es schon an einem Vertrauenstatbestand, und auf die Gutgläubigkeit kommt es gar nicht mehr an. Ist die digitale Signatur trotz Verstreichens einer gewissen Zeit seit Ausstellen des Zertifikates nach wie vor sicher, bestehen keinerlei besonderen Erkundigungspflichten des Empfängers über die Pflicht, die Signatur überhaupt zu verifizieren, hinaus. Dabei wird erkennbar, ob die Signatur noch gültig oder bereits gesperrt worden ist. Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes erfordert die Kenntnis, daß die elektronische Erklärung digital signiert ist und die Verifizierung der digitalen Signatur.79 Wer die Signatur nicht verifiziert, sondern lediglich darauf vertraut, es werde schon alles in Ordnung sein, weiß nur, daß ein Rechtsscheintatbestand vorliegen kann, nicht aber daß tatsächlich einer vorliegt. Bezüglich Vertrauensinvestition und Kausalität ergeben sich keine Besonderheiten. Im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorgangs mag man annehmen, daß der unentgeltliche Erwerber keinen Schutz verdient, doch werden digital signierte elektronische Erklärungen über unentgeltliche Erwerbstatbestände ohnehin sehr selten sein.

3. Zurechenbarkeit Hier stellen sich mehrere Fragen. Problematisch ist zunächst, ob es sich bei digitalen Signaturen um einen „künstlichen“ oder einen „natürlichen äußeren“ Rechtsscheintatbestand handelt. Ferner ist fraglich, ob die Zurechnung von der ordnungsgemäßen Aufklärung des Signaturinhabers durch die Zertifizierungsstelle (§ 6 SigG) abhängt. Schließlich ist zu untersuchen, wie die allgemeinen Zurechnungsgrundsätze vorliegend Anwendung finden.

a) „Künstlicher“ Rechtsscheintatbestand? Zunächst könnte man erwägen, bei digitalen Signaturen nach dem SigG auf das Zurechnungserfordernis zu verzichten, weil möglicherweise ein „künstlicher“ Rechtsscheintatbestand, vergleichbar den öffentlichen Registern, vorliegen könnte. Dafür spricht, daß auch digitale Signaturen in einem öffentlich zugänglichen Verzeichnis geführt werden (Verzeichnisdienst der Zertifizierungsstelle, § 5 Abs. 1 S. 2 HS 2 SigG). Ursprünglich bestanden sogar Bestrebungen, die Zertifizierung digitaler Signaturen als öffentliche Aufgabe zu begreifen und auszugestalten.80 Daß Zer79 Anders als bei Duldungs- und Anscheinsvollmacht (s. o. § 6) ist die Kenntnis des Empfängers, daß ein Dritter gehandelt und der Geschäftsherr nicht eingegriffen hat, gerade nicht erforderlich. Diese Kenntnis wäre hier sogar schädlich, da sie im Hinblick auf den Rechtsscheintatbestand digitale Signatur zur Bösgläubigkeit führen würde. Dann könnte in der Tat allenfalls eine Rechtsscheinvollmacht zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung des Geschäftsherrn führen, und zwar völlig unabhängig von der Verwendung digitaler Signaturen. 80 Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (Informations- und Kommuni-

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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tifizierungsdienste nunmehr nicht durch staatliche Behörden geführt werden, schließt die Annahme eines „künstlichen“ Rechtsscheintatbestandes nicht zwingend aus. Maßgeblich sind vielmehr die inhaltlichen, hohen Anforderungen an den sicheren Betrieb von Zertifizierungsstellen, die einer staatlichen Überwachung unterliegen. Ebenso besteht ein Rechtssicherheitserfordernis, das dem bei öffentlichen Registern ähnlich ist. Die Wortwahl „zurechnen“ in der bereits zitierten Begründung zu § 6 SigG könnte man als unbeachtlich ansehen, da – wie noch zu zeigen sein wird – diese Wortwahl ersichtlich ein Versehen ist, und eigentlich stattdessen von „Rechtsscheintatbestand“ die Rede sein müßte. Gleichwohl wird man im Ergebnis das Vorliegen eines „künstlichen“ Rechtsscheintatbestandes eindeutig verneinen müssen. Bislang sind nur öffentlich geführte Register als künstliche Rechtsscheintatbestände anerkannt. Angesichts der weitreichenden Folgen für den Verpflichteten bei einem Verzicht auf das Zurechnungserfordernis sind an die Anerkennung als „künstlicher“ Rechtsscheintatbestand besonders strenge Voraussetzungen zu stellen. Zwar wird man nicht annehmen können, daß dazu stets eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich ist. Sehr wohl aber ist erforderlich, daß das Gesetz im Ergebnis eindeutig auf Zurechnung verzichtet. Das ist beim SigG gerade nicht der Fall. Im Gegenteil, die Gesetzesmaterialien sprechen, wie oben bereits ausgeführt, ausdrücklich von „zurechnen.“81 Wenngleich die dort verwendete Terminologie unscharf ist, da sie eigentlich die vorrangige Frage betrifft, ob überhaupt ein Rechtsscheintatbestand vorliegt, so wird man doch dem Gesetzgeber unterstellen dürfen, mit der Wahl des Begriffs „zurechnen“ Rechtsfolgen im Sinne des für natürliche äußere Rechtsscheintatbestände geltenden Zurechnungsprinzips im Auge gehabt zu haben, und nicht einen „zurechnungslosen“ Rechtsscheintatbestand schaffen zu wollen. Die Annahme eines zurechnungslosen gesetzlichen Rechtsscheintatbestandes würde auch zu unbilligen Ergebnissen führen, da der Signaturinhaber in eine viel zu weitgehende Erfüllungshaftung, etwa auch für abhanden gekommene und gefälschte Zertifikate verstrickt würde. Hinzu kommt, daß der Zweck digitaler Signaturen lediglich darin besteht, für den elektronischen Geschäftsverkehr ein funktionelles Äquivalent zur eigenhändigen Unterschrift zur Verfügung zu stellen, nicht aber radikal weitergehenden Rechtsschutz im Sinne eines zurechnungslosen Rechtsscheintatbestandes zu gewähren. Es existiert auch gar kein Bedürfnis nach derart radikalem Rechtsscheinschutz, auch nicht aufgrund des im elektronischen Geschäftsverkehr verwendeten neuen Mediums Internet. Daher ist letztlich von einem natürlichen äußeren Rechtsscheintatbestand auszugehen.

kationsdienste-Gesetz – IuKDG) vom 21. 02. 1997, BRDrs. 966 / 96, 20 („öffentliche Aufgabe“), ferner abgedruckt in BTDrs. 13 / 7385, 58 l. Sp. 81 Begründung zu § 6 SigG 1997, BTDrs. 13 / 7385 32 r. Sp.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

b) Fehlende oder fehlerhafte Aufklärung Fraglich ist, ob dem Signaturinhaber der Rechtsscheintatbestand dann nicht zugerechnet werden kann, wenn er entgegen § 6 SigG nicht ordnungsgemäß über die Notwendigkeit, sichere technischen Komponenten zu verwenden, aufgeklärt wurde, und die Verwendung unsicherer Komponenten ursächlich für die Entstehung des Rechtsscheintatbestandes war. Dafür könnte die Begründung zu § 4 SigV 1997 sprechen, wonach es alleine in der Verantwortung des Antragstellers liegt, die notwendigen Maßnahmen, „über die er unterrichtet wurde“ (Hervorhebung d. Verf.), zu treffen.82 Daraus ließe sich im Umkehrschluß folgern, daß der Antragsteller für das Unterlassen notwendiger Maßnahmen, über die er nicht unterrichtet wurde, nicht die alleinige Verantwortung tragen soll. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß in diesen Fällen die Zurechnung scheitern muß. Näher liegt vielmehr, daß bei nicht ordnungsgemäßer Aufklärung die Verantwortung eben nicht „allein“ beim Antragsteller liegt, sondern „geteilt“ wird, etwa dergestalt, daß dem Antragsteller zwar nach wie vor der Rechtsscheintatbestand – in den allgemeinen, durch das Risikoprinzip gezogenen Grenzen – zugerechnet wird, der Antragsteller aber für die aus der kraft Rechtsscheinhaftung eintretenden Nachteile einen Schadensersatzanspruch gegen die zur Aufklärung verpflichtete Zertifizierungsstelle hat. Nur diese Auslegung wird dem System der Rechtsscheinhaftung gerecht. Zurechnung nach dem Risikoprinzip stellt darauf ab, ob der Signaturinhaber ein erhöhtes Risiko geschaffen hat, das er abstrakt besser beherrschen kann als der Erklärungsempfänger. Dabei kann es auf individuelle Kenntnis von adäquaten Sicherungsmaßnahmen nicht ankommen; dadurch würde ein der Rechtsscheinhaftung fremdes Verschuldenselement eingeführt. Ein solcher Systembruch ist durch nichts gerechtfertigt, zumal die aus der Begründung zu § 4 SigV 1997 ableitbaren Bedenken durch die soeben ausgeführte Schadensersatzlösung entkräftet werden können.83 Anspruchsgrundlage ist der zwischen Antragsteller und Zertifizierungsstelle geschlossene Vertrag.

82 Ähnlich und daher ebenso unklar Roßnagel, Multimedia-Dienste, 5 SigG § 6 Rn. 38, der meint, die Vernachlässigung erforderlicher Sicherheitsmaßnahmen, über die der Signaturinhaber unterrichtet worden ist, habe keine Auswirkungen auf die Zurechenbarkeit der digitalen Signatur. Offen bleibt sowohl, wann eine digitale Signatur allgemein zurechenbar ist, als auch was gelten soll, wenn im Einzelfall eine Unterrichtung nicht oder nicht ordnungsgemäß stattgefunden hat. 83 In ähnlicher Weise hängt die Haftung des Bankkunden für Schäden aufgrund Mißbrauchs oder unbefugter Verwendung einer ec-Geldautomatenkarte nicht davon ab, ob ihn die Bank über die mit dem Geldautomatensystem verbundenen Risiken und die Notwendigkeit einer Geheimhaltung der PIN aufgeklärt hat (wenngleich mangelnde Aufklärung ein Mitverschulden der Bank begründet); Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. 1988, Rn. 527 q.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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c) Allgemeine Grundsätze Steht damit fest, daß es sich um einen „natürlichen äußeren“ Rechtsscheintatbestand handelt und die Zurechnung nicht von der vorherigen vollständigen Aufklärung des Antragstellers durch die Zertifizierungsstelle abhängt, stellt sich nun die Frage nach Inhalt und Grenzen der Zurechnung. (1) Die Unbehelflichkeit der Gesetzesmaterialien Die Gesetzesmaterialien erweisen sich abermals als nicht hilfreich, ja geradezu mißverständlich. In der Begründung zu § 6 SigG 1997 ist davon die Rede, digitale Signaturen könnten zugerechnet werden, „es sei denn, das Signaturschlüssel-Zertifikat war zum Zeitpunkt der Signaturerzeugung gesperrt oder die Frist, nach der eine neue Signatur geboten ist ( . . . ), ist in sicherheitsrelevantem Maß überschritten, oder andere Fakten stehen entgegen. Ist die Nutzung des Signaturschlüssels laut Signaturschlüssel-Zertifikat gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 7 auf bestimmte Anwendungen nach Art und Umfang beschränkt, so erstreckt sich die Zurechnung nur auf den vorgegebenen Rahmen.“84

Dem wird man entgegenhalten müssen, daß alle im „es sei denn“-Satz genannten Kriterien nicht Fragen der Zurechnung betreffen, sondern schon den Rechtsscheintatbestand entfallen lassen. Ein gesperrtes oder durch Zeitablauf unsicher gewordenes Zertifikat ist schon nicht geeignet, Vertrauen zu begründen. Dasselbe gilt für ein nach Art und Umfang beschränktes Zertifikat bei Geschäften, die Art oder Umfang überschreiten. Es handelt sich gerade nicht um Merkmale, die herkömmlicherweise die Zurechnung entfallen lassen, da es nicht um Umstände jenseits des abstrakt vom Signaturinhaber besser beherrschbaren Risikobereichs geht. Die Gesetzesmaterialien vermögen daher zur Aufhellung der Zurechnungsfrage nichts bezutragen, sondern führen geradezu in die Irre. (2) Zurechnung nach dem Risikoprinzip Vielmehr ist auch hier der Rückgriff auf allgemeine Zurechnungsregeln, namentlich das Risikoprinzip, erforderlich und allein zielführend.85 Die bloße Verwendung digitaler Signaturen setzt noch kein erhöhtes, eine Zurechnung begründendes Risiko.86 Wohl aber entsteht bei Überlassung an einen Dritten ein erhöhtes Mißbrauchsrisiko, das sich der Signaturinhaber zurechnen lassen muß (bewußte Schaffung eines Rechtsscheintatbestandes). Anders als bei der in § 5 erläuterten 84 85

BTDrs. 13 / 7385 32 r. Sp. Ebenso Ultsch, DZWir 1997, 466, 473; ders., in: Immenhäuser / Wichtermann, 127,

137. 86 Ähnlich bereits Köhler, AcP 182 (1982), 126, 138, wonach das bloße Betreiben einer Datenverarbeitungsanlage für die Zurechenbarkeit nicht ausreicht.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

Einzelanalogie zur verdeckten Blankettausfüllung kommt es nicht darauf an, ob die Überlassung zum Abschluß bestimmter Rechtsgeschäfte erfolgt ist. Jeder rechtsgeschäftliche Bezug reicht, ebenso wie bei der Einzelanalogie zur Anscheinsvollmacht in § 6 (ohne Begrenzung auf den Handelsverkehr und auch bereits beim erstmaligen Auftreten). Ein Attributzertifikat mit unrichtigen (zu hohen) Vollmachtslimits ist auch bei Unkenntnis der Unrichtigkeit zurechenbar, weil es einen Rechtsscheintatbestand darstellt, der die Grundlage für den Abschluß von Geschäften mit einer unbegrenzten Vielzahl von Personen bildet. Begrenzt wird die Zurechnung nach allgemeinen Regeln grundsätzlich durch das Erfordernis des Erklärungsbewußtseins, durch die Regeln über Willensmängel i.S.v. §§ 116 ff. BGB und entsprechend §§ 172 Abs. 1, 935 Abs. 1 BGB bei Abhandenkommen der digitalen Signatur, genauer gesagt des privaten Signaturschlüssels bzw. des Mediums, auf dem er gespeichert ist (z. B. Chipkarte). Ob und in welchem Umfang das für digitale Signaturen gilt, ist im folgenden näher zu beleuchten.

(3) Fehlendes Erklärungsbewußtsein Von dem Grundsatz, daß bei fehlendem Erklärungsbewußtsein eine Zurechnung nicht möglich ist, gibt es wie eingangs in § 3 erwähnt drei Ausnahmen. Erstens kann ein Verhalten ohne Erklärungsbewußtsein bei verkehrsmäßiger Typisierung des Verhaltens zugerechnet werden, wie das etwa bei §§ 170 Abs. 2 BGB, 56, 362 HGB und beim kaufmännischen Bestätigungsschreiben der Fall ist. Dementsprechend könnte man überlegen, ob jede Überlassung eines privaten Signaturschlüssels, egal ob mit oder ohne rechtsgeschäftlichem Bezug, zugerechnet werden kann. Die Frage ist richtigerweise zu verneinen. Die Überlassung eines privaten Signaturschlüssels ohne rechtsgeschäftlichen Bezug hat gerade keine verkehrsmäßig typisierte Bedeutung. Verkehrsmäßig typisierte Bedeutung kommt allenfalls der Überlassung des Schlüssels zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen zu. Dann aber handelt der Überlassende ohnehin mit Erklärungsbewußtsein. Die zweite Ausnahme vom Grundsatz der fehlenden Zurechnung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein betrifft die Tatsachenunkenntnis aufgrund spezifischer kaufmännischer (bzw. unternehmerischer) Organisationsrisiken, wie sie etwa in der Zurechnung trotz fehlender Weiterleitung von Anträgen bei § 362 HGB oder kaufmännischer Bestätigungsschreiben zum Ausdruck kommt. Gleiches gilt bei § 56 HGB und bei der Anscheinsvollmacht. Damit vergleichbar ist die unbefugte Benutzung digitaler Signaturen, die aufgrund der Eigenarten der unternehmerischen Organisation des Signaturinhabers einem Angestellten zugänglich sind. Als Beispiele kommen in Betracht die private Nutzung eines betrieblichen Rechners durch Mitarbeiter, die Benutzung durch Unbefugte aufgrund offen zugänglicher, laufender Rechner oder die Benutzung offen „herumliegender“ Chipkarten. Anders als im Rahmen der Einzelanalogie zur Anscheinsvollmacht bei § 6 wird man hier nicht mehr mehrmaliges Auftreten fordern müssen. Mehrmaligkeit ist bei der An-

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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scheinsvollmacht Element des Scheintatbestandes, nicht der Zurechnung. Der Scheintatbestand wird bei digitalen Signaturen bereits durch die Sicherheit des technischen Verfahrens begründet. Zu beachten ist, daß die Zugänglichkeit privater Signaturschlüssel außerhalb kaufmännischer Organisationen, z. B. im Privathaushalt, nicht nach vorstehenden Grundsätzen zugerechnet werden kann. Die dritte Ausnahme betrifft das Wertpapierrecht, wo vertreten wird, die Erkennbarkeit des Skripturaktes reiche bei „untergeschobenen“ Wertpapieren zur Begründung der Zurechnung aus, auch wenn kein aktuelles Erklärungsbewußtsein vorhanden sei.87 Auf den ersten Blick könnte man versucht sein, auf dieser Grundlage den Fall der untergeschobenen Erklärung, die mit einer digitalen Signatur versehen wird, zu lösen. In der Tat kann ein Rechnerprogramm so gestaltet bzw. manipuliert werden, daß dem Signaturinhaber eine (andere) Erklärung untergeschoben wird, die er signiert ohne es zu bemerken. Gleichwohl gibt die Parallele zum Wertpapierrecht nichts her. Ausschlaggebend für die erweiterte Zurechnung im Wertpapierrecht ist die Verkehrsfähigkeit des durch das Unterschieben erstellten Umlaufpapiers. Eine untergeschobene elektronische Erklärung, auch wenn sie digital signiert ist, hat keine vergleichbare Verkehrsfähigkeit. Festzuhalten bleibt daher vorerst (vorbehaltlich der sich hinsichtlich der Frage des Abhandenkommens ergebenden Folgerungen, dazu unten (5)), daß fehlendes Erklärungsbewußtsein auch bei digitalen Signaturen grundsätzlich die Zurechnung hindert; anders ist es nur bei privaten Signaturschlüsseln, die innerhalb kaufmännischer Organisationen zugänglich sind.

(4) Willensmängel Auch von dem Grundsatz, daß die Zurechnung bei Willensmängeln scheitert, gibt es drei Ausnahmen. Die erste Ausnahme betrifft wieder die verkehrsmäßig typisierte Bedeutung des Verhaltens (s. §§ 170 Abs. 2 BGB, 56, 362 HGB, kaufmännisches Bestätigungsschreiben). Auch hier spielt diese Ausnahme eine untergeordnete Bedeutung. Wie beim Erklärungsbewußtsein erwähnt, wird man allenfalls der Überlassung eines privaten Signaturschlüssels zu rechtsgeschäftlichen Zwecken die verkehrsmäßig typisierte Bedeutung beimessen können, der Empfänger des Schlüssels sei zum Abschluß von Rechtsgeschäften unter dem Namen des Signaturinhabers befugt. Wo dann noch ein Irrtum des Signaturinhabers eine Rolle spielen kann, ist nicht erkennbar. Die zweite Ausnahme betrifft Tatbestände, die zum Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen bestimmt sind, wie es beispielsweise der Fall sein kann bei § 172 BGB oder beim Blankett. Diese Ausnahme trifft auf digitale Signaturen typischerweise zu. Ihr besonderer Vorteil besteht gerade darin, sich zum Abschluß von Geschäften mit jedermann zu eignen, 87

Dazu Kindl, Rechtsscheintatbestände, 388.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

der über entsprechende technische Einrichtungen verfügt. Anders als bei Kennwörtern, die grundsätzlich nur im Rahmen einer definierten Zweierbeziehung und – bei Transaktionsnummern – z.T. sogar nur für ein einziges Geschäft verwendet werden, ist bei digitalen Signaturen die Zahl der möglichen Geschäftspartner grundsätzlich offen. Daher wird man jede Aushändigung eines Signaturschlüssels nach dieser Ausnahme zurechnen können, auch soweit dem ein Willensmangel zugrunde liegen sollte (beispielsweise Irrtum über die Person des Empfängers). Die dritte Ausnahme betrifft wiederum kaufmännische Organisationsrisiken. Auf die Ausführungen zum fehlenden Erklärungsbewußtsein kann verwiesen werden. Da Willensmängel bereits nach der zweiten Ausnahme (unbestimmte Personenvielzahl) im gesamten bürgerlichen Rechtsverkehr unbeachtlich sind, kommt es auf diese, speziell auf den Handelsverkehr zugeschnittene Ausnahme, nicht mehr an. Zusammenfassend kann man sagen, daß Willensmängel bei der Aushändigung privater Signaturschlüssel wegen der Ausnahme „unbestimmte Personenvielzahl“ insgesamt unbeachtlich sind.88

(5) Abhandenkommen Der Grunsatz, daß Abhandenkommen nicht zur Zurechnung führen kann, gilt nahezu uneingeschränkt.89 Insbesondere gelten keine Ausnahmen für kaufmännische Organisationsrisiken. Die einzige Ausnahme des geschriebenen Rechts findet sich im Recht der Umlaufpapiere (s. §§ 794, 935 Abs. 2 BGB). Diese Ausnahme kann vorsichtig ausgedehnt werden auf Fälle, in denen eine mit einem Umlaufpapier ähnliche Umlauffähigkeit gegeben ist. Für Vollmachtsurkunden i.S.v. § 172 BGB kann das im Einzelfall zu bejahen sein.90 Fraglich ist, ob einem privaten Signaturschlüssel entsprechende Umlaufpapierähnlichkeit zugesprochen werden kann. Das kann nicht vorschnell mit Hinweis auf die fehlende Urkundsqualität digital signierter Erklärungen abgelehnt werden. Immerhin geht es nicht um die Qualität als Wertpapier, sondern die mögliche teleologische Ähnlichkeit zu einem Umlaufpapier, wie sie bei einer Vollmachtsurkunde ebenfalls zu bejahen ist. Maßgebliches Charakteristikum ist insoweit in der Tat die Bestimmung zum „Umlauf“ im Rechtsverkehr, für die Umlaufpapiere paradigmaEbenso Dörner, AcP 202 (2002), 363, 389 f. Ebenso für digitale Signaturen Englisch, 98; Ultsch, DZWir 1997, 466, 473; ders., in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 139. Anders Köhler, AcP 182 (1982), 126, 138, der im elektronischen Geschäftsverkehr trotz Abhandenkommens zurechnen will, wenn der Anlagenbetreiber Unternehmer ist. Noch weitergehend Bizer / Hammer, DuD 1993, 689, 694, die auf der – fragwürdigen – Basis einer Analogie zu §§ 164 ff. BGB generell auch bei Abhandenkommen zurechnen wollen. Differenzierend dagegen Dörner, AcP 202 (2002), 363, 390 ff., der bei schuldhaft ermöglichtem Abhandenkommen zurechnen will. 90 Canaris, Vertrauenshaftung, 39. 88 89

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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tisch sind und die Vollmachtsurkunden, die einer unbestimmten Personenzahl zur Legitimation vorgelegt werden, ebenfalls anhaftet. Die Legitimationsfunktion kommt einem Signaturzertifikat mindestens ebenso zu wie der Vollmachtsurkunde. Hauptzweck des Zertifikates ist, wie in § 1 beschrieben, die sichere Identifizierung des Erklärenden, mithin die Legitimation hinsichtlich der Identität gegenüber jedermann, der über entsprechende Empfangseinrichtungen verfügt. Können demnach digital signierte Erklärungen auch bei Abhandenkommen der Signaturerstellungseinheit grundsätzlich zugerechnet werden, stellt sich die Frage, ob das nur gilt, wenn dem Abhandenkommen im übrigen ein nach dem Risikoprinzip zurechenbares Verhalten zugrundeliegt. Auf Basis der Parallele zum Wertpapierrecht wird man zunächst von entsprechenden Zusatzanforderungen Abstand nehmen wollen. Immerhin sind bei § 935 Abs. 2 BGB weder Verschulden noch risikoerhöhendes Verhalten noch Beherrschbarkeit des Diebstahlsrisikos Zurechnungsvoraussetzung. Im Ergebnis würde das zu einer sehr weitreichenden und für den Signaturinhaber daher außerordentlich gefährlichen Haftung führen. Indes muß die Parallele zum Wertpapierrecht auch folgerichtig zu Ende gedacht werden. Im Wertpapierrecht liegt das risikoerhöhende, zurechenbare Verhalten bereits in der Schaffung, nicht erst im Inverkehrbringen der Wertpapierurkunde, also einer Urkunde, deren Bestimmung es ist, aus der Hand ihres Ausstellers gegeben zu werden und im Rechtsverkehr umzulaufen. Die bloße Schaffung eines Signaturzertifikates ist damit nicht vergleichbar, sondern erst dessen Verwendung. Kommt der private Schlüssel vor Verwendung durch den Inhaber abhanden, so muß erst noch ein risikoerhöhendes Verhalten des Inhabers hinzukommen, um eine Zurechnung begründen zu können.91 Risikoerhöhend ist insbesondere die Nichtbeachtung der gesetzlichen Obliegenheiten des Signaturinhabers nach dem SigG.92 Wenn aber schon die Fälle des Abhandenkommens bei Verletzung gesetzlicher Inhaberobliegenheiten zurechenbar sind, dürfte es unter Wertungsgesichtspunkten nicht zulässig sein, Zurechnung bei bloßem Ausspähen oder Zugänglichkeit der Signatur oder Überlassung ohne rechtsgeschäftlichen Bezug auf den Bereich kaufmännischer Organisationsrisiken zu beschränken. Erst recht müssen dann auch diese Fälle – auch im bürgerlichrechtlichen Verkehr – zurechenbar sein, wenn der Inhaber seine gesetzlichen Obliegenheiten nicht beachtet hat. Bei Abhandenkommen stellt sich die weitere Frage, ob Zurechnung dann möglich ist, wenn der Signaturinhaber nicht innerhalb angemessener Frist die Sperrung des Zertifikates nach § 8 SigG veranlaßt und danach durch Dritte unter dem Namen des Signaturinhabers digital signierte elektronische Erklärungen abgege91 Für Zurechnung bei schuldhaftem Abhandenkommen auch Dörner, AcP 202 (2002), 363, 392 f. 92 Auch hier vermag das Risikoprinzip der Sache besser gerecht zu werden. Die Anhänger des Verschuldensprinzips müßten erst die gesetzlichen Obliegenheiten als „Pflichten“ (wem gegenüber?) umqualifizieren, deren „Verletzung“ dann als fahrlässig zu qualifizieren wäre. Dazu, daß es sich um Obliegenheiten, keine Rechtspflichten handelt auch Roßnagel, Multimedia-Dienste, 5 SigG § 6 Rn. 37.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

ben werden. Auch diese Frage wird man bejahen müssen, da insoweit ein vom Signaturinhaber beherrschbares Risiko vorliegt, für das die Wertung der §§ 172 Abs. 1, 935 Abs. 1 BGB unmittelbar keine Aussage enthält, da eine Vollmachtsurkunde nach § 172 Abs. 1 BGB nicht in gleicher Weise gesperrt oder „aus dem Verkehr gezogen“ werden kann und der Eigentümer einer abhanden gekommenen beweglichen Sache i.S.v. § 935 Abs. 1 BGB dieser nicht ohne weiteres den ihr anhaftenden Rechtsschein (§ 1006 BGB) zerstören kann. Genau genommen wird insoweit nicht das Abhandenkommen als solches zugerechnet, sondern das risikobehaftete Verhalten (Unterlassen) nach Abhandenkommen. Wie sich bereits aus § 170 Abs. 2 BGB ergibt, ist dieses Unterlassen bei nach außen kundgegebenen Rechtsscheintatbeständen ohne weiteres zurechenbar.

(6) Weitere Einzelfälle Die Ermittlung des privaten Schlüssels durch Ausprobieren oder sonstiges Erraten des privaten Schlüssels führen nicht zur Zurechnung. Daß die Zurechenbarkeit nach geltendem deutschem Recht über die bereits erörterten Grenzen hinaus weder innerhalb der Familie (Art. 6 GG) noch bei Verbrauchern in besonderer Weise beschränkt ist, wurde bereits eingangs in § 5 (Duldungs- und Anscheinsvollmacht) ausgeführt. § 676h BGB betrifft, wie ausgeführt, nur Zahlungskarten, nicht Rechtsscheinfragen, und enthält auch keinen darüber hinausgehenden Rechtsgedanken, der eine Einschränkung der Zurechnung bei Verbrauchern rechtfertigen würde.

(7) Zusammenfassung Digital signierte Erklärungen, die von einem Dritten unter dem Namen des Signaturinhabers abgegeben werden, sind dem Signaturinhaber zurechenbar, wenn er die Signaturerstellungseinheit einem Dritten überlassen hat, Dritten unter Außerachtlassung der Obliegenheiten nach dem SigG den Zugang ermöglicht hat oder wenn sie unter Verletzung der genannten Obliegenheiten abhanden gekommen ist. Abhandenkommen ohne weiteres risikoerhöhendes Verhalten des Signaturinhabers ist nicht zurechenbar. Diese Zurechnungsgrundsätze gelten gleichermaßen im bürgerlichen wie im Handelsverkehr. Ein Anscheinsbeweis oder gar eine Beweislastumkehr zulasten des Signaturinhabers, etwa vergleichbar dem bargeldlosen Zahlungsverkehr, wo unter bestimmten Voraussetzungen angenommen wird, der Karteninhaber habe entweder selbst gehandelt oder sei mit seinem Kennwort grob fahrlässig umgegangen,93 kommt vorliegend nicht in Betracht. Rechtsscheinfragen stellen sich nur, wenn der Signaturinhaber selbst nicht die Erklärung abgegeben hat und es ihm gelingt, den gesetzlichen Anscheinsbeweis des § 292a ZPO zu erschüttern. Dann aber gibt es keinen 93

Dazu jüngst vertiefend Langenbucher, Risikozuordnung, 147 ff.

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Erfahrungssatz, der als Basis eines Anscheinsbeweises herhalten könnte, aus dem sich ergäbe, daß eine digitale Signatur dem Signaturinhaber zurechenbar wäre. Dazu wäre erforderlich, daß in aller Regel ein Dritter nur dann unter dem Namen des Signaturinhabers handeln kann, wenn dieser den privaten Schlüssel bewußt überlassen, risikoerhöhend zugänglich gemacht oder risikoerhöhend so verwahrt hat, daß er abhanden kommen konnte. Das trifft nicht zu. Ebenso ist ein Abhandenkommen ohne risikoerhöhendes Verhalten des Inhabers oder ein Ausspähen denkbar. Anders mag es allenfalls in besonderen Fällen sein, etwa wenn der Schlüsselinhaber das Kennwort, mit dem der private Schlüssel gesichert ist, auf der Smartcard des privaten Schlüssels vermerkt o.ä.

d) Abgrenzung von den Fällen der Fälschung und Verfälschung Gegen das soeben gefundene Ergebnis könnte eingewendet werden, es stehe in Widerspruch zu dem im 2. Kapitel erläuterten Grundsatz, daß Fälschungen und Verfälschungen im deutschen Recht nicht zurechenbar sind. Immerhin stellt es die Fälschung einer elektronischen Erklärung dar, wenn ein Dritter unter dem Namen des Signaturinhabers eine Erklärung erstellt, ohne dem Empfänger erkennbar zu machen, daß die Erklärung nicht vom Signaturinhaber stammt. Für sich genommen ist eine derartige Fälschung nicht zurechenbar. Das widerspricht indes nicht dem gefundenen Ergebnis. Vorstehend wurde nicht einfach die Zurechenbarkeit von Fälschungen angenommen, sondern genau begründet, wann Umstände, die zu der Fälschung hinzukommen, ausreichend sind, um Zurechnung zu begründen. Das wurde bei Überlassung, risikoerhöhter Zugänglichkeit und risikoerhöhtem Abhandenkommen bejaht. Eine Fälschung allein reicht nach wie vor nicht aus. Das ist im übrigen kein Novum digitaler Signaturen. Eine vergleichbare Konstellation begegnet im herkömmlichen Geschäftsverkehr bei der verdeckten Blankettausfüllung. Auch dort kann man das Handeln des Ausfüllers als (teilweise) Fälschung bzw. Verfälschung begreifen, die für sich allein sicherlich nicht zurechenbar ist. Hinzu kommt aber eben die Überlassung des Blanketts durch den Aussteller, die die Zurechnung begründet.

4. Rechtsfolgen Rechtsfolge der Rechtsscheinhaftung ist die wirksame rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Signaturinhabers, in bezug auf dessen Identität ein Rechtsscheintatbestand geschaffen wurde. Das gilt auch, wenn dem Signaturinhaber der Entlastungsbeweis nach § 292 a ZPO gelingen sollte. Denn danach steht nur fest, daß er die Erklärung nicht selbst abgegeben hat. Die Frage, ob ihm die von einem Dritten unter seinem Namen verfaßte bzw. abgegebene und digital signierte Erklärung nach Rechtsscheingrundsätzen zurechenbar ist, ist mit § 292a ZPO gerade noch nicht beantwortet.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

5. Ergebnisse Nach dem SigG digital signierte elektronische Erklärungen stellen einen Rechtsscheintatbestand im Hinblick auf die Identität des Erklärenden dar. Es handelt sich insoweit um einen „starken“ Rechtsscheintatbestand, als ein hohes technisches Sicherheitsmaß besteht und die Zertifizierungsstelle für Schäden Dritter aus schuldhaftem Fehlverhalten nach den Grundsätzen der c.i.c. haftet. Da digitale Signaturen zur Erstellung von Erklärungen und zum Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl bestimmt sind, besteht ein erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis. Der Erklärungsempfänger muß die Signatur tatsächlich verifizieren, ansonsten fehlt es an der Kenntnis vom Scheintatbestand. Zurechenbar ist eine von einem Dritten digital signierte Erklärung beim Schlüsselinhaber, wenn dieser seinen privaten Schlüssel dem Dritten überläßt bzw. offenlegt, risikoerhöhend zugänglich macht oder ein Abhandenkommen risikoerhöhend (d. h. unter Verstoß gegen die gesetzlichen Obliegenheiten nach dem SigG) ermöglicht. Willensmängel sind wegen der Drittgerichtetheit des Scheintatbestandes unerheblich. Eine Beweiserleichterung für die Voraussetzungen der Zurechnung, etwa in Form eines Anscheinsbeweises zugunsten des Erklärungsempfängers, kommt nicht in Betracht. Rechtsfolge ist die rechtsgeschäftliche Bindung des Schlüsselinhabers an den Inhalt der ihm zugerechneten Erklärung.

II. Erklärungsintegrität Nachfolgend soll, aufbauend auf den Ergebnissen des vorangegangenen Abschnitts, die Rechtsscheinproblematik im Hinblick auf die zweite Hauptfunktion digitaler Signaturen, die Integrität einer elektronischen Erklärung zu gewährleisten, untersucht werden. Die Erklärungsintegrität ist eine neuartige, digitalen Signaturen eigene Funktion, die über das hinausgeht, was eine eigenhändige Unterschrift leisten kann. Am ehesten läßt sie sich als eine Art Siegelfunktion beschreiben. Beim Siegel kann der Erklärungsempfänger feststellen, ob die Erklärung auf dem Transportweg durch Unbefugte eingesehen worden ist. Bei digitalen Signaturen kann der Empfänger zwar nicht die Einsichtnahme durch Unbefugte, aber Veränderungen durch Unbefugte feststellen. Der Empfänger ist allerdings darauf beschränkt festzustellen, daß irgendwelche Veränderungen stattgefunden haben, er vermag nicht zu erkennen, welche das sind, und ob sie den Sinn der Erklärung inhaltlich verändern.94 Denkbar ist, daß ein Dritter, der aus welchem Grund auch immer den privaten Schlüssel kennt, die vom Signaturinhaber digital signierte und abgesandte elektronische Erklärung abfängt, die ursprüngliche digitale Signatur „abtrennt“ und entfernt, die Erklärung inhaltlich verändert, mit dem privaten Schlüssel des Signaturinhabers erneut signiert und anschließend an den Empfänger versendet. Dieser wird bei Überprüfung der Erklärung davon ausgehen, daß sie 94

Möglicherweise wurden nur Satzzeichen oder Rechtschreibung korrigiert.

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vom Signaturinhaber stammt (Erklärendenidentität, s. o. I.) und während des Transports nicht verändert worden ist (Erklärungsintegrität). Gegenstand der nachfolgenden Erörterungen ist die Frage, ob ausnahmsweise solche Verfälschungen den Signaturinhaber binden können.

1. Rechtsscheintatbestand Erneut ist auf die allgemeinen Anforderungen an die Anerkennung eines Rechtsscheintatbestandes und die Einreihung in bislang ermittelte paradigmatische Problemlösungen abzustellen. Mit den anerkannten Rechtsscheintatbeständen ist die Funktion der Erklärungsintegrität kaum vergleichbar. Allenfalls denkbar wäre ein Vergleich zur Vermutung der Vollständigkeit und Abgeschlossenheit einer Urkunde, die aber eben nur eine Vermutung darstellt, keinen Rechtsscheintatbestand, und überdies sich nicht auf spätere Veränderungen an der Urkunde bezieht, sondern auf das Fehlen von nicht in der Urkunde enthaltenen weiteren Abreden.95 Eine Ähnlichkeit besteht immerhin zu den Fällen der Fälschung und Verfälschung, soweit diese im Einzelfall einmal zurechenbar sein sollten. Im Ergebnis wird man auch im Hinblick auf die Erklärungsintegrität einen Rechtsscheintatbestand annehmen müssen. Das Sicherheitskonzept des SigG und damit die Stärke des Vertrauenstatbestandes beziehen sich gleichermaßen auf Erklärendenidentität wie auf Erklärungsintegrität und sind daher in bezug auf beide Funktionen in gleicher Weise geeignet, Vertrauen zu begründen. Auch die Integrität einer Erklärung stellt eine gegenwärtige Rechtslage, nicht nur einen Tatsachenschein dar; denn sie bezieht sich auf den rechtsgeschäftlichen Inhalt einer Erklärung. Da digital signierte Erklärungen auch im Hinblick auf den Erklärungsinhalt Grundlage von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Vielzahl von Personen darstellen, ist auch für die Erklärungsintegrität ein besonderes Verkehrsschutzbedürfnis anzuerkennen. Die zur Erklärendenidentität gefundenen Ergebnisse lassen sich daher ohne Schwierigkeiten auf die Erklärungsintegrität übertragen, soweit es um die Frage geht, ob grundsätzlich ein Rechtsscheintatbestand vorliegt.

2. Weitere Voraussetzungen; Rechtsfolgen Auf seiten des Vertrauenden gelten die allgemeinen Anforderungen. Gutgläubigkeit kann fehlen, wenn der Erklärungsempfänger aufgrund der bisherigen Vertragsverhandlungen fest von einem bestimmten Erklärungsinhalt ausgeht oder ausgehen muß, die digital signierte Erklärung dann aber einen Inhalt aufweist, der stark von dem zu erwartenden Inhalt abweicht. Allerdings wird nicht jede Abweichung zur Bösgläubigkeit führen. Als Maßstab können hier die bereits in § 7 erörterten 95 BGH NJW 1980, 1680, 1681; MüKo-Einsele, § 125 Rn. 36 f. m.w.Nachw.; PalandtHeinrichs, § 125 Rn. 15.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben und die dort tolerierbaren Abweichungen herangezogen werden. Danach darf der Inhalt der Erklärung nicht so weit von dem nach den Umständen des Einzelfalles zu erwartenden Inhalt abweichen, daß der Empfänger verstängerweise nicht mehr davon ausgehen kann, die Erklärung mit diesem Inhalt stamme von dem Signaturinhaber. Kritisch zu beurteilen ist etwa die Einfügung einer in vorangegangenen Verhandlungen durch den anderen Teil ausdrücklich abgelehnten Vertragsklausel, eine erhebliche Preisabweichung oder die Einfügung von Bestimmungen zu einem bislang nicht in den Verhandlungen erörterten Themenbereich. Maßgeblich sind aber auch hier jeweils die Umstände des Einzelfalles. Die übrigen Voraussetzungen – Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes, Vertrauensinvestition, Kausalität und Schutzwürdigkeit ergeben keine besonderen Schwierigkeiten. Für die Zurechnung gelten zunächst die unter I. dargelegten Grundsätze. Danach muß dem Erklärenden die Tatsache zurechenbar sein, daß der eingreifende Dritte den privaten Schlüssel kennt. Wie oben erläutert, sind Überlassung, risikoerhöhte Zugänglichkeit und auf risikoerhöhendem Verhalten basierendes Abhandenkommen zurechenbar. Eine darüber hinausgehende Zurechnung der durch den Dritten bewerkstelligten Verfälschung ist nicht erforderlich. Grundsätzlich ist eine Verfälschung zwar gerade nicht zuzurechnen. Hier geht es aber nicht um die – gleichsam isolierte – Zurechnung einer Verfälschung, sondern es liegt bereits ein zurechenbares Verhalten des Signaturinhabers vor, das dem Dritten die Verfälschung ohne weiteres ermöglicht. Ein Anscheinsbeweis für die Zurechnung ist hier ebensowenig veranlaßt wie bei der Erklärendenidentität. Besteht der zurechenbare Rechtsschein der Erklärungsintegrität, ist der Erklärende an die verfälschte Erklärung mit ihrem abgeänderten Inhalt rechtsgeschäftlich gebunden. 3. Ergebnisse Eine digital signierte elektronische Erklärung stellt auch einen starken Scheintatbestand im Hinblick auf die Integrität der Erklärung dar. Zurechnung erfolgt nach denselben Grundsätzen wie bei der Erklärendenidentität (bewußte Überlassung bzw. Offenlegung, risikoerhöhende Zugänglichkeit, risikoerhöhend ermöglichtes Abhandenkommen, Unbeachtlichkeit von Willensmängeln).

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III. Weitere Merkmale 1. Zeitstempeldienste und Abgabezeitpunkt a) Funktionsweise von Zeitstempeldiensten Zertifizierungsstellen können, wie in § 9 SigG 2001 ausdrücklich erwähnt, Zeitstempeldienste anbieten. Zertifizierungsstellen, die innerhalb des Rechtsrahmens des SigG 1997 operieren wollten, waren dazu sogar gemäß §§ 2 Abs. 4, 9 SigG 1997, 16 Abs. 5 SigV 1997 verpflichtet. Der Signaturinhaber kann die elektronische Erklärung, ggf. anonymisiert oder verschlüsselt, an die Zertifizierungsstelle versenden. Dort wird die Erklärung mit einem Zeitstempel versehen, der den Zeitpunkt des Eingangs bei der Zertifizierungsstelle angibt. Anschließend sendet die Zertifizierungsstelle die Erklärung zurück an den Signaturinhaber. Dieser kann die Erklärung versehen mit dem Zeitstempel an den Empfänger versenden.96 Die praktische Bedeutung des Zeitstempeldienstes ist umstritten. Zum Teil wird angenommen, Zeitstempeldienste seien überflüssig, da die Vertragsparteien die Zeitstempelfunktion auch selbst erbringen könnten.97 Dem wird man nicht uneingeschränkt folgen können. Es sind sehr wohl Fälle denkbar, bei denen der Zeitpunkt der Abgabe einer Erklärung entscheidend ist, beispielsweise bei Widerrufserklärungen im Rahmen von Haustür-, Verbraucherkredit- oder Fernabsatzgeschäften. Möglich ist ferner, daß die Parteien vereinbaren, den Server der Zertifizierungsstelle als Zugangsort zu wählen (Zertifizierungsstelle als Empfangsvertreter), so daß der Zeitpunkt des Zeitstempels zugleich Zugangszeitpunkt ist.98 Denkbar ist auch, daß sich eine oder beide Vertragsparteien gegen die nachträgliche Veränderung einer Erklärung oder eines Erklärungsteils absichern wollen, und deshalb die Erklärung mit einem Zeitstempel versehen, um später nachweisen zu können, daß die Erklärung zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Inhalt hatte. Vorstellbar ist das etwa bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die bei einem Vertragschluß im Internet zugrundegelegt werden und i.d.R. nur in elektronischer Form im Internet zur Verfügung stehen. Der Vertragspartner des Verwenders kann sich gegen nachträgliche Veränderungen der AGB schützen, indem er die AGB seiner Willenserklärung anfügt, digital signiert und mit einem Zeitstempel versieht.99 Schließlich können Zeitstempel ganz allgemein für Fragen der Fristwahrung, etwa bei Vertragskündigungen, Anfechtungserklärungen und Prozeßhandlungen eine Rolle spielen. Zwar kommt es insoweit in der Regel nicht auf die Abgabe, sondern den Zugang einer Erklärung an. Bei elektronischen Erklärungen ist jedoch 96 Zur Funktionsweise s. a. Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn. 68 ff., 98 & 111 f. 97 So etwa Mertes / Zeuner, a. a. O., Rn. 111 f. 98 Deville / Kalthegener, NJW-CoR 1997, 168, 171. 99 Dazu auch Waldenberger, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.4 Rn 43.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

die Transportzeit i.d.R. extrem verkürzt auf wenige Minuten oder manchmal sogar Sekunden, so daß nahezu gleichzeitig mit der Abgabe auch Zugang vorliegen kann. Rechtsscheinhaftungsszenarien sind im Zusammenhang mit Zeitstempeldiensten insofern denkbar, als durch den falschen Zeitstempel für den Erklärungsempfänger eine günstige Situation entstehen kann, an der er den Signaturinhaber möglicherweise festhalten will. So könnte der Signaturinhaber etwa erklären, er halte sich an einen Antrag für eine bestimmte Dauer ab Abgabe des Antrags gebunden. Wird die Abgabe durch einen falschen Zeitstempel dokumentiert, durch den der Anschein entsteht, die Erklärung sei erst später abgegeben worden, stellt sich die Frage, ob aus Rechtsscheingründen die Annahmefrist nicht bereits ab tatsächlicher Abgabe, sondern erst ab Zeitstempel zu laufen beginnt. Fraglich könnte auch sein, ob tatsächlich rechtzeitige, aber fälschlich als verspätet gestempelte Widerrufserklärungen nach Verbraucherschutzgesetzen aus Rechtsscheingrundsätzen für verspätet angesehen werden dürfen.

b) Rechtsscheinhaftung Für einen Rechtsscheintatbestand ist ein Sachverhalt erforderlich, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu begründen. Dabei muß es sich um eine Rechtslage, nicht einen „Tatsachenschein“ handeln. Zeitstempeldienste können aber nur dokumentieren, wann eine Erklärung bei der Zertifizierungsstelle zwecks Stempelung eingegangen ist. Dies ist eine rein tatsächliche Frage. Der Zeitstempel bezieht sich nicht darauf, wann die Erklärung vom Signaturinhaber endgültig abgegeben wurde; denkbar ist, daß der Signaturinhaber nach Empfang der gestempelten Erklärung mit der Absendung an den Empfänger noch gezögert hat. Erst recht gibt der Zeitstempel keine Auskunft darüber, wann die Erklärung beim Empfänger zugegangen ist. Nur die Rechtzeitigkeit einer Erklärung kann eine Rechtslage darstellen. Dafür begründet der Zeitstempel aber kein Vertrauen. Zeitstempel stellen daher keinen Rechtsschein dar, sondern dienen allenfalls einem Tatsachenbeweis. Im übrigen sind auch keine paradigmatischen Problemlösungen bekannt, mit denen der durch einen falschen Zeitstempel geschaffene Schein vergleichbar wäre.

2. Vollmacht und Vollmacht-Attributzertifikat Die Rechtsscheinfrage wurde für eine Gruppe von Attribut-Zertifikaten, die Vollmachts-Zertifikate, bereits im Zusammenhang mit § 172 BGB erörtert. Aufgrund der im vorliegenden Paragraphen gefundenen Ergebnisse lassen sich die bereits zu § 172 BGB festgestellten Resultate noch untermauern. Daraus folgt, daß für Vollmachts-Zertifikate die Rechtsscheinqualität auf doppelte Weise begründet werden kann, auf der Grundlage einer Analogie zu § 172 Abs. 1 BGB wie auch als Ableitung aus dem allgemeinen System der Rechtsscheinhaftung. Aus letzterem ließe sich sogar eine erweiterte Zurechnung (risikoerhöhende Zugänglichkeit,

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risikoerhöhend ermöglichtes Abhandenkommen) begründen, doch spielt dies bei der bewußten Schaffung eines Scheintatbestandes nach § 172 BGB ohnehin keine Rolle. 3. Weitere Attribute eines Attributzertifikates Fraglich bleibt, ob auch für andere Attribute, wie z. B. berufsrechtliche Zulassungen, Mitgliedschaften u.ä. Rechtsscheinhaftung in Betracht kommt. So ist etwa denkbar, daß ein Attribut von Anfang an nicht besteht, die Zertifizierungsstelle aber gleichwohl ein Attribut-Zertifikat ausstellt, oder aber daß das Attribut später wegfällt und lediglich nicht oder nicht rechtzeitig auf dem Zertifikat gestrichen wird. Soweit das Attribut eine gegenwärtige, rechtlich mögliche Rechtslage darstellt, ist ein Rechtscheintatbestand grundsätzlich möglich, wenngleich neben der Vollmacht keine weiteren paradigmatischen Problemlösungen bekannt sind, bei denen bislang ein vergleichbares Attribut eine Rechtsscheinhaftung begründen würde. Grenzen wird man allerdings dort zu ziehen haben, wo über die Interessen von Erklärendem und Erklärungsempfänger hinaus Interessen Dritter oder öffentliche Interessen berührt sind. So kann man beispielsweise nicht annehmen, ein unrichtiges Attribut-Zertifikat, das eine in Wahrheit nicht bestehende Rechtsanwaltszulassung bestätigt, könne zu einer wirksamen Prozeßvertretung in einem Zivilprozeß vor dem Landgericht (§ 78 Abs. 1 ZPO) führen. Dagegen spricht das Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten Rechtspflege und das Interesse des Gerichts, in Streitigkeiten mit erheblichem Streitwert bei der Verhandlung und Entscheidungsfindung durch sachkundige Prozeßvertreter unterstützt zu werden.100 Im übrigen stellt sich natürlich die Frage, inwieweit die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung überhaupt auf dem Gebiet des Prozeßrechts und der Prozeßhandlungen gelten. Diese Frage kann hier nicht weiter vertieft werden. Grundsätzlich aber gilt, daß die bürgerlich-rechtlichen Regeln über Rechtsgeschäfte, zu denen auch die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung gehören, nicht auf Prozeßhandlungen anwendbar sind.101

4. Pseudonyme Das SigG gestattet es dem Signaturinhaber, unter einem Pseudonym digital signierte elektronische Erklärungen abzugeben. Das Pseudonym muß im Signaturzertifikat als solches gekennzeichnet sein (§§ 5 Abs. 3, 7 Abs. 1 Nr. 1 SigG). Nach dem SigG 1997 durfte die Zertifizierungsstelle die sich hinter dem Pseudonym ver100 Demgegenüber betreffen die Vorschriften der §§ 87 ZPO, 67a Abs. 2 VwGO, 14 Abs. 1 S. 4 VwVfG den Fall, daß eine Vollmacht als fortbestehend gilt, solange ihr Erlöschen dem Gericht oder der Behörde nicht angezeigt wird. Hier dagegen geht es um das Nichtbestehen der Zulassung selbst, nicht lediglich den Wegfall der Vollmacht. 101 Staudinger-Dilcher (12. Bearb. 1980), Vorbem. zu §§ 116 – 144, Rn. 87.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

steckende Identität nur für Zwecke der Strafverfolgung, des Verfassungsschutzes und bei „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ aufdecken (§ 12 Abs. 2 SigG 1997), also nicht zur Verfolgung lediglich zivilrechtlicher Ansprüche durch den Erklärungsempfänger.102 Mittlerweile gestattet § 14 Abs. 2 SigG 2001 immerhin die Aufdeckung vor Gerichten „im Rahmen anhängiger Verfahren nach Maßgabe der hierfür geltenden Bestimmungen“, beispielsweise im Zivilprozeß durch Vernehmung einer Auskunftsperson der Zertifizierungsstelle als Zeuge.103 Die Frage nach der Rechtsscheinhaftung stellt sich hier in bezug auf Erklärendenidentität und Erklärungsintegrität ebenso wie bei gewöhnlichen Signaturen. Eine abweichende rechtliche Behandlung ist nicht veranlaßt. Bezüglich der Erklärungsintegrität ist das selbstverständlich, ergeben sich doch insoweit durch die Verwendung eines Pseudonyms keinerlei Unterschiede. Fragwürdig mag allenfalls erscheinen, ob im Hinblick auf die Erklärendenidentität ein anderes Ergebnis angezeigt ist. Immerhin ist das Pseudonym als solches gekennzeichnet, der Erklärungsempfänger weiß also, daß der Erklärende nicht den Namen und die Identität trägt, die im Signaturzertifikat angegeben ist. Das ändert aber nichts daran, daß er darauf vertraut, daß die Erklärung von demjenigen stammt, der das Pseudonym beantragt hat, und nicht von einem beliebigen Dritten. Ähnliche Grundsätze gelten im übrigen auch im sonstigen Rechtsverkehr, etwa bei § 126 BGB. Auch dort genügt für die Wahrung der gesetzlichen Schriftform die Verwendung eines Pseudonyms, solange die in Betracht kommende Person ohne Zweifel feststeht.104 Gleiches nimmt 102 Zweck der Pseudonymregelung ist im wesentlichen der Datenschutz. Dem Erklärungsempfänger, z. B. einem virtuellen Kaufhaus oder Diensteanbieter, soll die Erstellung virtueller Käufer- oder Kundenprofile erschwert werden (vgl. Begründung zu § 5 Abs. 3 SigG 1997, BTDrs. 13 / 7385, 31, r. Sp.; ferner Bizer / Bleumer, DuD 1997, 46). Welcher Erklärungsempfänger sich auf Pseudonyme einläßt, hängt vom Einzelfall ab. In jedem Fall wird ein vernünftig handelnder Empfänger nur gegen sofortige Gegenleistung (i.d.R. Bezahlung) oder gegen Zahlungsgarantie durch einen – nicht unter Pseudonym handelnden – Dritten leisten, da er ansonsten kaum eine Chance hat, an sein Geld zu gelangen (so auch Bizer / Bleumer, a. a. O.; Roßnagel, DuD 1997, 75, 79). Bei Warenlieferungen wird die Wahrung des Pseudonyms aufgrund der Notwendigkeit einer Lieferadresse schwierig sein. Anders ist es bei Lieferungen (z. B. Software) und Leistungen, die elektronisch abgewickelt werden und sofort an den Rechner des Pseudonyminhabers geleitet werden können. Dort dürfte sich das Hauptanwendungsfeld für Pseudonyme ergeben. Wo umgekehrt der Verkäufer oder Dienstleister ein Pseudonym verwendet, sollte der Käufer oder Besteller sinnvollerweise ganz vom Vertragschluß absehen, da etwaige Sekundäransprüche (Gewährleistung, Schadensersatz etc.) praktisch völlig wertlos wären. Zum Konzept eines aus mehreren Pseudonymen pro Person bestehenden „Identitätsmanagements“ s. Schneider / Pordesch, DuD 1998, 645 ff. 103 So die Begründung BTDrs. 14 / 4662, 27 zum Regierungsentwurf. In ihrer jetzigen Fassung ist die Vorschrift allerdings ein zahnloser Papiertiger. Damit es überhaupt zu einem anhängigen Verfahren kommt, in dessen Rahmen ein Gericht eine Beweiserhebung durchführen kann, muß der Kläger erst einmal die Identität des unter einem Pseudonym handelnden potentiellen Beklagten kennen. Anders ist eine Klagezustellung gar nicht möglich. Wirklich geholfen ist daher dem Kläger erst, wenn ein vorprozessual durchsetzbarer materieller Auskunftsanspruch gegen die Zertifizierungsstelle besteht. Darüber schweigen die Gesetzesmaterialien. Insoweit zu Recht kritisch Roßnagel, NJW 2001, 1817, 1821. 104 MüKo-Einsele, § 126 Rn. 16; Palandt-Heinrichs, § 126 Rn. 9.

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die Rechtsprechung auch für die Unterschrift unter bestimmende Schriftsätze an (§ 130 Nr. 6 ZPO).105 Daher gelten auch für die Erklärendenidentität die oben entwickelten Rechtsscheingrundsätze.

5. Verzeichnisdienste Zertifizierungsstellen sind nach dem SigG verpflichet, öffentlich zugängliche Verzeichnisse der von ihnen ausgestellten Signaturzertifikate zu führen, vergleichbar mit Telefonbüchern, die es Verkehrsteilnehmern ermöglichen, sich über Existenz, Gültigkeitsdauer und ggf. Beschränkungen von Zertifikaten jederzeit zu informieren (§§ 5 Abs. 1 S. 2 SigG, 8 SigV 1997).106 Auch dabei sind Fehler, Falscheintragungen und fehlende Eintragungen möglich, auf die sich der Erklärungsempfänger als Vertrauensgrundlage stützen kann. Denkbar wäre beispielsweise, die fehlende Veröffentlichung der Sperrung eines Zertifikates entsprechend § 15 Abs. 1 HGB zuzurechnen, oder entsprechend § 15 Abs. 3 HGB die fehlerhafte Bekanntmachung eines Zertifikates (z. B. die Angabe einer Vertretungsmacht falschen Umfangs in einem in dem Verzeichnis aufgeführten Attribut-Zertifikat). Fraglich ist, ob im Verzeichnis eines solchen Dienstes ein Rechtsscheintatbestand erblickt werden kann. Das wird man schon deshalb verneinen müssen, weil ein Verzeichnis nur rein tatsächliche Mitteilungen enthält, mithin keinen Bezug zu einer Rechtslage hat, wie es aber Grundvoraussetzung für einen Rechtsscheintatbestand ist. Dem kann man nicht entgegenhalten, daß bei dieser Sichtweise auch in den Fällen der übrigen öffentlichen Register, die im Kern nichts anderes als Verzeichnisse sind, eine Rechtsscheinhaftung ausgeschlossen sein müßte. Zwar ist zuzugeben, daß gesetzliche Register ganz im Gegenteil mit besonders starkem Rechtsscheinschutz – i.d.R. Verzicht auf das Zurechnungserfordernis – ausgestattet sind. Das liegt aber entscheidend an den bei öffentlichen Registern existierenden gesetzlichen Vorschriften, die eine Rechtsscheinhaftung anordnen (z. B. §§ 68 S. 1, 1412 Abs. 1 HS 1, Abs. 2 BGB, 15 Abs. 1 HGB). Erst dadurch wird die rein tatsächliche Eintragung in den Rang einer Rechtslage gehoben. Daran fehlt es bei Verzeichnissen nach dem SigG; dort gibt es keine Vorschrift, die diesen Verzeichnissen negative oder positive Publizität einräumen würde. Darin kann auch keine Lücke des Gesetzes erblickt werden. Voraussetzung dafür wäre eine Unvollständigkeit des Gesetzes und gleichzeitig eine Regelungsabsicht des Gesetzgebers, die eine gesetzliche Regelung erforderlich erscheinen läßt.107 Öffentlicher Registerschutz ist besonders weitreichender Rechtsschutz bei Daten, die für den Rechtsverkehr von existentiell wichtiger Bedeutung sind und auf Grundlage eines dafür vorgesehenen Registerverfahrens mit einer besonders hohen BGH NJW 1996, 997 (Unterschrift mit einem Teil des Doppelnamens ausreichend). Dazu Mertes / Zeuner, in: Hoeren / Sieber, Handbuch Multimediarecht Teil 13.3 Rn. 86 ff. 107 Larenz / Canaris, Methodenlehre, 193 f. 105 106

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Richtigkeitsgewähr ausgestattet sind. Alle bisherigen Registertatbestände beruhen auf ausdrücklicher gesetzlicher Regelung. Ohne eine solche Regelung wäre auch ein rechtssicheres Registerverfahren kaum denkbar. Im übrigen gilt gerade für den vorliegenden Fall von Verzeichnisdiensten für digitale Signaturen, daß ihre Bedeutung für den Rechtsverkehr bei weitem nicht an die des Vereins-, Güterrechts- und Handelsregisters heranreicht. Eine analoge Anwendung anerkannter Publizitätsvorschriften auf Signaturverzeichnisse scheidet daher mangels Regelungslücke aus.

6. Ergebnisse Das für Vollmacht-Attributzertifikate in § 4 in Einzelanalogie zu § 172 BGB gefundene Ergebnis konnte auch aus den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung abgeleitet und auf sonstige bürgerlich-rechtliche Attribute ausgedehnt werden. Aus Zeitstempel- und Verzeichnisdiensten ergeben sich keine neuen Rechtsscheintatbestände. Pseudonyme sind für Zwecke der Rechtsscheinhaftung ebenso zu behandeln wie Erklärungen mit dem richtigen Namen.

IV. Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens Die vorangegangenen Erörterungen behandelten schwerpunktmäßig Rechtsscheinfragen bei digitalen Signaturen, die innerhalb des durch das SigG gesetzten Rechtsrahmens erzeugt und genutzt werden. Gem. § 1 Abs. 2 SigG ist die Anwendung anderer Verfahren für digitale Signaturen grundsätzlich freigestellt,108 und es gibt eine Reihe von Gründen, warum Teilnehmer am elektronischen Geschäftsverkehr einen anderen Technologie- und Rechtsrahmen bevorzugen können. So erlaubt das SigG beispielsweise nicht die Vergabe digitaler Signaturen an juristische Personen, Personengesellschaften und sonstige Personenvereinigungen, sondern lediglich an natürliche Personen, § 2 Abs. 3 SigG 1997 bzw. § 2 Nr. 7 SigG 2001. Ferner existieren innerhalb von Intranets oft andere technische Standards, die nicht mit den Anforderungen des SigG und der SigV an technische Komponenten übereinstimmen. So kann es etwa bei unternehmensinternen Intranets und bei Intranets liegen, die einem geschlossenen Kundenkreis, z. B. im Bankverkehr, zugänglich sind. Ausländische Zertifizierungsstellen werden oft nicht die sehr technologiespezifischen Anforderungen des deutschen SigG (insb. in der Fassung von 1997) erfüllen. Dasselbe gilt für global operierende Zertifizierungsstellen.109 108 Es sei denn, eine Rechtsvorschrift schreibt die Verwendung digitaler Signaturen nach dem SigG vor, § 1 Abs. 2 SigG 1997. Solche Vorschriften waren in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des SigG (1997 – 1999) selten. Mit Inkrafttreten des § 126 a BGB, der für die elektronische Form qualifizierte elektronische Signaturen nach dem SigG verlangt, hat sich das geändert. 109 Der stark technologiespezifische Ansatz mit detaillierten Anforderungen an die einzelnen technischen Komponenten hatte dem SigG 1997 deutliche Kritik eingebracht. Vgl. etwa

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Die Funktionsweise digitaler Signaturen außerhalb des SigG-Rahmens ist grundsätzlich dieselbe wie innerhalb, soweit die Kernfunktionen jeder digitalen Signatur, Identität des Erklärenden und Integrität der Erklärung sicherzustellen, betroffen sind. Lediglich in Randbereichen können sich Unterschiede ergeben. So kann es beispielsweise sein, daß eine Zertifizierungsstelle außerhalb des SigG-Rahmens keine Zeitstempeldienste anbietet, keine Pseudonyme ermöglicht, Pseudonyme vergibt und nicht als solche kennzeichnet, bestimmte Attribut-Zertifikate nicht anbietet oder Attribute über die nach SigG vorgesehenen Attribute hinaus anbietet. Die wesentlichen Abweichungen in der rechtlichen Behandlung digitaler Signaturen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens bestehen darin, daß solche Signaturen nicht die elektronische Form nach § 126a BGB erfüllen, nicht am gesetzlichen Anscheinsbeweis nach § 292a ZPO teilnehmen und nicht dem Haftungsregime der §§ 11 SigG 2001, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 21 SigG 2001 unterliegen. Nachfolgend wird untersucht, inwieweit sich die zum SigG gewonnenen Ergebnisse auf digitale Signaturen übertragen lassen, die auf Zertifikaten von Zertifizierungsstellen beruhen, die nicht unter dem SigG operieren, und zwar im Hinblick auf deutsche, sonstige europäische und außereuropäische Zertifizierungsstellen.

1. Deutsche Zertifizierungsstellen außerhalb des SigG-Rahmens a) Rechtsscheintatbestand Für das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes bezüglich Erklärendenidentität und Erklärungsintegrität kommt es wie auch sonst darauf an, ob ein Tatbestand vorliegt, der geeignet ist, in diese beiden Richtungen Vertrauen zu begründen unter Berücksichtigung der besonderen rechtsethischen Schwäche der Rechtsscheinhaftung und mit Blick auf die Kriterien Stärke des Vertrauenstatbestandes, Vorliegen eines erhöhten Verkehrsschutzbedürfnisses und Ausprägung der Zurechnungsgesichtspunkte. Das hängt zunächst entscheidend von dem Grad der Sicherheit ab, der sich aus dem von der Zertifizierungsstelle eingerichteten Sicherheitskonzept ergibt. Maßgebliche Bestandteile des Sicherheitskonzeptes sind, wie beim SigG, die zuverlässige Identifizierung von Antragstellern, der zuverlässige Betrieb der Zertifizierungsstelle, die Verwendung ausreichend sicherer technischer KompoHoeren, NJW 1998, 2849, 2853; Kuner, CR 1997, 643 ff.; Roßnagel, DuD 1997, 75, 78 ff. – Aufgrund der Verpflichtung zur Umsetzung der – jedenfalls auf den ersten Blick – technologieneutralen EU Signaturrichtlinie war der deutsche Gesetzgeber gezwungen, von diesem technologiespezifischen Ansatz insofern abzurücken, als er auch anderen „fortgeschrittenen elektronischen Signaturen“ die rechtliche Anerkennung – v.a. im Hinblick auf Schriftform und Beweismittelstatus – nicht versagen darf. Indes ist auch hier wieder darauf hinzuweisen, daß sowohl SigRL als auch SigG 2001 bei genauerem Hinsehen im praktischen Ergebnis ebenso technologiespezifisch sind wie das SigG 1997, da bislang nur digitale Signaturen die Anforderungen an „fortgeschrittene elektronische Signaturen“ i.S.d. SigRL und i.S.d. SigG 2001 erfüllen können.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

nenten durch die Zertifizierungsstelle und den Signaturinhaber und ausreichende Vorkehrungen gegen ungewollte Preisgabe des privaten Schlüssels. Um einen Rechtsscheintatbestand begründen zu können, muß das Sicherheitskonzept in den Einzelbestandteilen nicht mit dem des SigG identisch sein, sondern im Ergebnis einen akzeptablen Sicherheitsstandard bieten. Welcher Sicherheitsstandard akzeptabel ist, wird nachfolgend untersucht. Vorab sei nochmals darauf hingewiesen, daß auch hier die Haftungsfrage letztlich keinen Unterschied macht, wenngleich diese sich bei digitalen Signaturen außerhalb des SigG-Rahmens in noch schärferer Form stellt, da insoweit die Vorschriften des SigG schon gar nicht anwendbar sind und daher von vorneherein nicht als Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zur Begründung einer Haftung der Zertifizierungsstelle gegenüber Dritten herangezogen werden können. Gleichwohl verbleibt nach hiesiger Ansicht – wenn man das Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter richtigerweise mangels Erkennbarkeit des geschützten Personenkreises (potentiell jedermann) nicht zur Anwendung gelangen läßt – eine Haftung kraft Schutzpflichtverletzung aus culpa in contrahendo. Im übrigen ist erneut festzuhalten, daß eine schadensersatzrechtliche Verantwortung der Zertifizierungsstelle gegenüber Dritten nicht Voraussetzung für die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes ist, sondern den Rechtsscheintatbestand, wenn er aus anderen Gründen anzunehmen ist, allenfalls verstärken kann. In vielen Fällen wird sich die Rechtsscheinfrage nicht aus einem Fehlverhalten der Zertifizierungsstelle, sondern allein aus einem zurechenbaren Verhalten des Signaturinhabers ergeben. Dann ist die Haftung der Zertifizierungsstelle in der Tat für die Rechtsscheinbeziehung zwischen Signaturinhaber und Erklärungsempfänger ohne Bedeutung. (1) Sicherheitsstandard mit SigG vergleichbar Ist der Grad der Sicherheit im Ergebnis vergleichbar mit dem Rechtsrahmen des SigG, wird man ohne weiteres von einem Rechtsscheintatbestand nach allgemeinen Voraussetzungen ausgehen können. Das SigG steht dem nicht entgegen. Dem SigG und den Gesetzesmaterialien läßt sich nämlich nicht entnehmen, daß der Rechtsscheinschutz von vorneherein auf Signaturen nach dem SigG beschränkt sein soll.110 Im Gegenteil, Zweck des SigG ist ausdrücklich die Schaffung eines freiwilligen Rechtsrahmens (§ 1 Abs. 2 SigG). Diese Freiwilligkeit wäre wertlos, wenn der Schutz allgemeiner Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze auf Signaturen nach dem SigG beschränkt wäre. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 2 Nr. 10 SigG 2001, wo „sichere Signaturerstellungseinheiten“ als Software- und Hardwareeinheiten zur Speicherung und Anwendung des jeweiligen Signaturschlüssels definiert sind, „die die Anforderungen dieses Gesetzes [ . . . ] erfüllen.“ Daraus folgt nicht im Umkehrschluß, daß alle Signaturerstellungseinheiten, die die 110 Auch Börms, in: Geis, Die digitale Kommunikation, 96, bejaht einen Rechtsscheintatbestand, ohne auf das Bestehen des SigG abzustellen.

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Anforderungen des SigG 2001 nicht erfüllen, per se als unsicher zu gelten hätten. Das SigG kennt vielmehr in § 15 Abs. 1 und 2 SigG 1997 und § 23 Abs. 2 und 3 SigG 2001 selbst das Kriterium des gleichwertigen Sicherheitsstandards, wenn es um die Anerkennung ausländischer Signaturzertifikate geht (genauer dazu unten 2. und 3.). Die Ermittlung, ob ein gleichwertiges Sicherheitsmaß vorliegt, hat sich auf alle Umstände des Einzelfalles zu erstrecken und kann mitunter sehr aufwendig sein.111 Im Streitfall dürfte ein Sachverständigengutachten unumgänglich sein. Aufgrund des bislang noch recht eingeschränkten Umfangs an Erfahrungsmaterial sind auch widersprüchliche Gutachten und in deren Gefolge widersprüchliche Gerichtsentscheidungen nicht auszuschließen. Das liegt in der Natur der Sache und ist kein Spezifikum digitaler Signaturen.112 Ein Gericht hat gem. § 286 ZPO nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden; Beweisregeln, etwa in Form der gesetzlichen Vermutung nach § 1 Abs. 1 SigG 1997 oder des gesetzlichen Anscheinsbeweises nach § 292 a ZPO stehen dem Gericht außerhalb des SigG-Rahmens gerade nicht zur Verfügung. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit wird mit der Zeit und mit zunehmender Verwendung digitaler Signaturen abnehmen. Denkbar ist beispielsweise, daß sich einige wenige als sicher geltende Verfahren herauskristallisieren, die entweder breite Verwendung finden oder doch jedenfalls als Orientierungspunkte für andere Verfahren gelten können.

(2) Sicherheitsstandard unterhalb SigG Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob auch ein unter dem SigG-Standard liegendes Maß an Sicherheit ausreichend sein kann. Das SigG gibt darauf keine Antwort. Insbesondere § 15 SigG 1997 bzw. § 23 SigG 2001, die von gleichwertiger Sicherheit sprechen, haben insoweit keine Bedeutung. Diese Vorschriften betreffen nämlich nur die Frage, wann mit ausländischen Zertifikaten versehene Signaturen den Signaturen gemäß SigG gleichgestellt sind, und daher die Anforderungen von Gesetzen erfüllen können, die speziell eine Signatur nach SigG verlangen (z. B. § 126 a BGB, § 292 a ZPO). Davon zu trennen ist die Frage, ob eine nicht gleichwertige Signatur die allgemeinen Anforderungen der Rechtsscheinhaftung erfüllen kann. Diese Frage wird man grundsätzlich bejahen müssen, solange das konkrete 111 Dieser Aufwand ist aber kein Grund, Rechtsscheinschutz generell zu versagen. – Im übrigen ist dieser Aufwand kein Anlaß zur Kritik am SigG, etwa dergestalt, das SigG sei in seinem Anwendungsbereich zu beschränkt und zwinge in den nicht von ihm erfaßten Fällen zu solch großem Aufwand. Bei technologieneutralen Gesetzen dürfte der insgesamt zu betreibende Aufwand nämlich noch größer sein, sind dort doch für jedes Verfahren entsprechend aufwendige Ermittlungen erforderlich. Das SigG bietet dem Rechtsverkehr wenigstens ein Verfahren an, bei dem das nicht notwendig ist. 112 So ist es auch bei dem kennwortgeschützten System Btx zu widersprüchlichen Entscheidungen gekommen, vgl. oben § 6. Bei ec-Karten ist seit mehreren Jahren keine einheitliche Linie der Rechtsprechung mehr vorhanden, vgl. oben § 4.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

Sicherheitsmaß noch geeignet ist, beim Erklärungsempfänger tatsächlich Vertrauen in die Integrität der Erklärung und Identität des Erklärenden zu begründen. Wo dabei die Grenze verläuft, ist eine Frage des Einzelfalles und kann – wie bei kennwortgeschützten Erklärungen – nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden. Dabei spielt beispielsweise eine Rolle, welche Sicherheitserwartungen die Parteien allgemein hatten, wie „wertvoll“ oder wichtig die Transaktion für sie war, ob konkrete Vereinbarungen im Hinblick auf das Signaturverfahren bestanden, oder ob eine Seite der anderen ein bestimmtes Signaturverfahren „aufgezwungen“ hat.113 Das Gericht ist dabei wiederum an Beweisregeln nicht gebunden, sondern entscheidet nach seiner freien Überzeugung (§ 286 ZPO). Die im Einzelfall erforderlichen Ermittlungen des Gerichts können daher auch hier sehr aufwendig sein.

b) Weitere Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung Bezüglich der Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden bedarf zunächst das Erfordernis der Gutgläubigkeit näherer Betrachtung. Unproblematisch ist der Fall, daß der Erklärungsempfänger die wahre Rechtslage, also z. B. den wahren Urheber der Erklärung oder ihren ursprünglichen, wahren Inhalt kennt. Fraglich sind dagegen die Anforderungen beim Kennenmüssen. Gemeint ist der Fall, daß in Wahrheit ein anderer Urheber der Erklärung ist oder die Erklärung nachträglich verändert worden ist, der Empfänger aber aufgrund der beigefügten digitalen Signatur von der Urheberschaft des Signaturinhabers bzw. der Integrität der Erklärung ausgeht. Dann stellt sich die Frage, ob der Empfänger bei einer digitalen Signatur außerhalb des SigG generell verpflichtet ist, Nachforschungen über das durch diese Signatur gewährleistete Maß an Sicherheit anzustellen, um sich nicht den Vorwurf der Bösgläubigkeit gefallen lassen zu müssen, falls ein geringes Maß an Sicherheit ursächlich war für eine Beeinträchtigung der Erklärendenidentität oder der Erklärungsintegrität. Diese Frage wird man indes verneinen müssen. Liegt ein zu geringes Maß an Sicherheit vor, fehlt es schon am Rechtsscheintatbestand, und die Frage der Gutgläubigkeit stellt sich nicht mehr. Ist dagegen ein ausreichendes Maß an Sicherheit vorhanden, braucht sich der Erklärungsempfänger nicht erst darüber zu vergewissern, sondern darf der Erklärung von vorneherein vertrauen, es sei denn es bestehen im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Sicherheit bzgl. Identität des Erklärenden oder Integrität der Erklärung. Im Ergebnis gelten daher die Überlegungen für die Bejahung der Gutgläubigkeit bei digitalen Signaturen innerhalb des Rechtsrahmens des SigG entsprechend.114 113 Vgl. insoweit die ähnlichen Kriterien gem. § 10-115(a) Illinois Electronic Commerce Security Act, nach denen sich bemißt, ob ein Sicherheitsverfahren für elektronische Signaturen hinreichend sicher ist, um die Signatur als „sichere elektronische Signatur“ zu qualifizieren, die gegenüber einfachen Signaturen bestimmte rechtliche Vorteile (z. B. Beweisvermutungen) genießt. Dazu Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 159.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand bedeutet, wie bei digitalen Signaturen nach SigG, das Wissen, daß eine digitale Signatur verwendet worden ist und die Verifizierung der Signatur. Wer die Signatur nicht verifiziert, weiß nur, daß ein Rechtscheintatbestand vorliegen kann, nicht aber, daß tatsächlich einer vorliegt. In Bezug auf die Vertrauensdisposition, den Kausalzusammenhang und die Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorganges ergeben sich keine Besonderheiten. Die Zurechnung bemißt sich wie bei digitalen Signaturen gemäß SigG nach dem Risikoprinzip. Auf eine besondere Aufklärung des Signaturinhabers kommt es dabei nicht an, auch nicht wenn der Signaturinhaber Verbraucher ist. Bei Schäden aufgrund unterlassener Aufklärung kommt allenfalls eine Schadensersatzpflicht der Zertifizierungsstelle gegenüber dem Signaturinhaber in Betracht. Der im Interesse des Erklärungsempfängers bestehende Verkehrsschutz hängt davon hingegen nicht ab. Im übrigen gelten die Ausführungen zu digitalen Signaturen innerhalb des SigG-Rechtsrahmens entsprechend.

2. Zertifizierungsstellen aus dem EU Ausland Gem. § 15 Abs. 1 SigG 1997 sind digitale Signaturen, die mit einem öffentlichen Signaturschlüssel überprüft werden können, für den ein ausländisches Zertifikat aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder aus einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vorliegt, digitalen Signaturen nach dem SigG gleichgestellt, „soweit sie gleichwertige Sicherheit aufweisen.“ Die Gesetzesmaterialien zum SigG enthalten zur Frage der gleichwertigen Sicherheit keine näheren Ausführungen.115 Gleichwertigkeit kann daher nur im Einzelfall unter Betrachtung aller Umstände ermittelt werden. Ein Gericht wird dabei auf § 286 ZPO abstellen. Auch hier können umfangreiche Ermittlungen und Sachverständigengutachten unumgänglich sein. Liegt Gleichwertigkeit vor, sind die zu digitalen Signaturen nach dem SigG 1997 angestellten Rechtsscheinüberlegungen voll übertragbar. Fraglich kann daher nur die Behandlung digitaler Signaturen sein, die nicht vollständig gleichwertige Sicherheit aufweisen. Auch hier wird man, wie bei deutschen Signaturzertifikaten auf das konkrete Sicherheitsmaß abstellen müssen. Ist dieses ausreichend, um Vertrauen in die Identität des Erklärenden und Integrität der Erklärung zu begründen, ist von einem 114 Gleichwohl kann das Unterlassen weiterer Nachforschungen sich zum Nachteil des Erklärungsempfängers auswirken. Falls im Ergebnis wegen mangelnder Sicherheit kein Rechtsscheintatbestand vorliegt, entsteht keine rechtsgeschäftliche Bindung des Signaturinhabers, und der Erklärungsempfänger ist auf Sekundäransprüche gegen den Signaturinhaber und ggf. einen tatsächlich handelnden Dritten beschränkt. Denkbar wäre etwa ein Anspruch gegen den Signaturinhaber aus culpa in contrahendo bzw. positiver Forderungsverletzung wegen Verwendung eines unsicheren Signaturverfahrens. Insoweit muß sich der Erklärungsempfänger ggf. das Unterlassen weiterer Untersuchungen im Hinblick auf die Sicherheit des Verfahrens als Mitverschulden (§ 254 BGB) anrechnen lassen. 115 BTDrs. 13 / 7385, 36 l. Sp.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

Rechtsscheintatbestand auszugehen. Auch insoweit ist die – ggf. aufwendige – Betrachtung des einzelnen Falles entscheidend. Mit Inkrafttreten des SigG 2001 hat sich für die Anerkennung digitaler Signaturen mit Zertifikaten aus dem EU Ausland insoweit eine Erleichterung ergeben, als gem. § 23 Abs. 1 S. 1 SigG 2001 elektronische Signaturen, für die ein ausländisches qualifiziertes Zertifikat aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder aus einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vorliegt und die Art. 5 Abs. 1 SigRL entsprechen, qualifizierten elektronischen Signaturen nach dem SigG 2001 gleichgestellt sind, ohne daß es auf den Nachweis gleichwertiger Sicherheit ankäme.116 Für Zwecke der Rechtsscheinhaftung hat diese Gleichstellung indes keine unmittelbare Bedeutung, denn dafür kommt es allein nach den Grundsätzen deutschen Rechts darauf an, ob ein hinreichender Vertrauenstatbestand gegeben ist. Aus der SigRL folgen keine weitergehenden Anerkennungspflichten für Zwecke der Rechtsscheinhaftung, da die SigRL lediglich Marktzugang (Verbot eines Genehmigungserfordernisses), Form- und Beweismittelfragen, Haftung und Datenschutz, nicht aber Rechtsscheinfragen regelt und es für letztere folglich bei der vollen und uneingeschränkten Regelungsbefugnis des nationalen (hier: deutschen) Gesetzgebers bewendet.

3. Sonstiges Ausland Nach § 15 Abs. 2 SigG 1997 sind auch digitale Signaturen mit Zertifikaten aus anderen als in § 15 Abs. 1 SigG 1997 genannten Staaten digitalen Signaturen nach dem SigG 1997 gleichgestellt, wenn sie gleichwertige Sicherheit aufweisen und zusätzlich überstaatliche oder zwischenstaatliche Vereinbarungen über die Anerkennung der Zertifikate getroffen sind. Die Gesetzesmaterialien geben der Erwartung Ausdruck, es werde weltweit zu entsprechenden überstaatlichen oder zwischenstaatlichen Anerkennungen kommen.117 Liegen Gleichwertigkeit und eine Anerkennungsvereinbarung vor, ist die digitale Signatur wie eine deutsche Signatur unter dem SigG 1997 zu behandeln. Fehlt eine Anerkennungsvereinbarung, besteht kein Anlaß, Rechtsscheinschutz generell zu versagen. Vielmehr ist die Signatur dann wie jede andere Signatur außerhalb des SigG-Rahmens zu behandeln, d. h. es kommt auf das im Einzelfall gewährte Maß an Sicherheit an. Ist dieses Maß mit dem Sicherheitsmaß des SigG 1997 vergleichbar, ist Rechtsscheinschutz wie beim SigG 1997 zu gewähren. Liegt das Sicherheitsmaß darunter, kommt es wie bei 1. und 2. im Einzelfall darauf an, ob es noch geeignet ist, tatsächlich Vertrauen in die Identität des Erklärenden und die Integrität der Erklärung zu begründen. 116 Für digitale Signaturen mit Anbieter-Akkreditierung i.S.v. § 15 Abs. 1 SigG 2001 ist für eine Gleichstellung dagegen nach wie vor der Nachweis gleichwertiger Sicherheit erforderlich, § 23 Abs. 2 SigG 2001. 117 BTDrs. 13 / 7385, 36 l. Sp. Kritisch zum SigG 1997 aus internationaler Sicht Kuner, CR 1997, 643 ff.

§ 9 Die Erklärungen mit digitaler Signatur

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§ 23 Abs. 1 S. 2 SigG 2001 hat die Anerkennungsmöglichkeiten für elektronische Signaturen aus Drittstaaten auf drei Varianten erweitert: Erstens, wenn eine fortgeschrittene elektronische Signatur mit qualifiziertem Zertifikat und sicherer Signaturerstellungseinheit i.S.v. Art. 5 Abs. SigRL vorliegt, der Zertifizierungsdiensteanbieter aus dem Drittstaat die Anforderungen der SigRL erfüllt und innerhalb der EU akkreditiert ist (§ 23 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SigG 2001); zweitens, wenn eine Signatur i.S.v. Art. 5 Abs. 1 SigRL vorliegt und ein EU Zertifizierungsanbieter, der die Anforderungen der SigRL erfüllt, für das Zertifikat „einsteht“ (§ 23 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SigG 2001); und drittens, wenn eine elektronische Signatur i.S.v. Art. 5 Abs. 1 SigRL vorliegt und das Zertifikat bzw. der Zertifizierungsdiensteanbieter im Rahmen einer bi- oder multilateralen Vereinbarung zwischen der EU und Drittstaaten oder internationalen Organisationen anerkannt ist (§ 23 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SigG 2001). Ebenso wie § 15 Abs. 2 SigG 1997 hat § 23 Abs. 1 S. 2 SigG 2001 keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Rechtsscheinhaftung. Auch bei digitalen Signaturen aus Drittstaaten kommt es auf die Erfüllung eines für die Annahme eines Rechtsscheintatbestandes ausreichenden Sicherheitsstandards an, den das Gericht im Einzelfall zu prüfen und nach § 286 ZPO zu würdigen hat.

4. Ergebnisse Inländische und ausländische Signaturen außerhalb des SigG-Rahmens sind für Zwecke der Rechtsscheinhaftung zu behandeln wie Signaturen innerhalb des SigG-Rahmens, wenn sie ein mit dem SigG vergleichbares Maß an Sicherheit gewährleisten. Ob ein darunterliegendes Maß an Sicherheit ausreicht, ist eine Frage des Einzelfalles. Dem Empfänger obliegen jedenfalls im Rahmen der Rechtsscheinhaftung keine Prüfpflichten im Hinblick auf das Sicherheitsmaß.

V. Zusammenfassung Digitale Signaturen geben Anlaß zur Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände im Hinblick auf die Identität des Erklärenden, die Integrität der Erklärung und bestimmte, in Attribut-Zertifikaten bestätigte privatrechtlich relevante Attribute, insbesondere Vollmachten. Aufgrund des bei digitalen Signaturen erhöhten Verkehrsschutzbedürfnisses erfolgt eine sehr weitreichende Zurechnung, auch im Hinblick auf Willensmängel, risikoerhöhend ermöglichter Zugang und risikoerhöhend ermöglichtes Abhandenkommen. Keine Rechtsscheintatbestände ergeben sich dagegen aus Zeitstempeln, Verzeichnisdiensten und sonstigen in Attributzertifikaten testierten Attributen. Ob es sich um Signaturen innerhalb oder außerhalb des SigGRechtsrahmens handelt, spielt keine Rolle, solange das verwendete Signaturverfahren die im Einzelfall erforderliche hinreichende Sicherheit bietet.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

§ 10 Die sonstigen elektronischen Erklärungsformen Nach Untersuchung digitaler Signaturen in § 9 sollen in diesem Abschnitt die weiteren elektronischen Erklärungsformen auf ihre Eignung als neuartige Rechtsscheintatbestände beleuchtet werden: kennwortgeschützte Erklärungen (I.), biometrisch signierte Erklärungen (II.), einfache elektronische Erklärungen (III.), solche mit eingescannter Unterschrift (IV.) und schließlich potentielle neuartige Erklärungsformen (V.).

I. Kennwortgeschützte Erklärungen Kennwortgeschützte Erklärungen sind bislang weit verbreitet. Sie kommen u. a. vor in den Bereichen Bildschirmtext (Btx), unternehmensinterne Intranets und Internetdienste (Internetprovider und Onlinedienste). Kennworte können dabei sowohl als Zugangssicherung eingesetzt werden, d. h. ohne Eingabe des Kennwortes erlangt der Teilnehmer gar keinen Zugang zu einem bestimmten Leistungsangebot (so z. B. bei den Internetprovidern und Onlinediensten), als auch als Identifizierungsmittel für ein einzelnes Rechtsgeschäft, z. B. eine Überweisung beim OnlineBankverkehr oder die Abgabe eines Angebots im Rahmen einer Internet-Versteigerung. Wie schon im Zusammenhang mit Duldungs- und Anscheinsvollmachten erörtert, birgt das berechtigte Handeln eines Dritten unter dem Kennwort des Kennwortinhabers keine besonderen Probleme; es ist als Handeln unter fremdem Namen analog §§ 164 ff. BGB zu behandeln. Problematisch ist der Fall der unbefugten Kennwortverwendung durch Dritte. Duldungs- und Anscheinsvollmacht kommen, wie oben gezeigt (§ 6), nur zur Anwendung, wenn mehrmaliges Handeln vorliegt und auch dann nur in den Grenzen der Anwendung der Anscheinsvollmacht im Handelsverkehr. Auch die Grundsätze über den verdeckten Blankettmißbrauch helfen – in vorsichtiger Einzelanalogie – allenfalls bei Überlassung des Kennwortes zur Abgabe bestimmter rechtgeschäftlicher Erklärungen. Gleichwohl wird man auch über diese Fälle hinaus ein Schutzbedürfnis des Empfängers nicht verleugnen können, da er in aller Regel den unbefugt handelnden Dritten nicht wird ausfindig machen und seine Ansprüche (§ 179 BGB) nicht wird durchsetzen können.118 Daher stellt sich die Frage, ob in den Fällen unbefugter Kennwortverwendung im Wege der Rechtsfortbildung eine neue Art von Rechtsscheintatbestand anzuerkennen ist, wenn ja, wie die übrigen Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung für diesen Fall anzuwenden sind und welche Rechtsfolgen sich ergeben. Die Frage, ob bei unbefugter Kennwortverwendung von einem Rechtsscheintatbestand auszugehen ist, wurde bislang in Rechtsprechung und Literatur v.a. im 118

Auerbach, CR 1988, 18, 20; Borsum / Hoffmeister, NJW 1985, 1206, 1206.

§ 10 Die sonstigen elektronischen Erklärungsformen

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Zusammenhang mit der kennwortgeschützten Anwendung Bildschirmtext erörtert. Die dabei geäußerten Ansichten sind aber ohne weiteres verallgemeinerungsfähig und auf andere kennwortgeschützte Systeme übertragbar. Die überwiegende Meinung zu Btx geht in der Tat vom Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes aus (wenngleich manchmal unter der nicht exakten Prämisse, es handele sich um Duldungs- oder Anscheinsvollmacht).119 Nur vereinzelt wird ein Rechtsscheintatbestand gänzlich abgelehnt.120 Im übrigen konzentriert sich die Diskussion vor allem auf die Frage, ob es für das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes auf den Sicherheitsgrad des verwendeten Kennwortschutzverfahrens ankommt.121 Umstritten ist außerdem die Frage, wie weit der Rechtsscheintatbestand reicht, insbesondere im Hinblick auf den finanziellen Umfang einer Transaktion.

1. Grundsätzliche Eignung als Rechtsscheintatbestand Entsprechend den in § 8 angestellten Vorüberlegungen müssen die allgemeinen Voraussetzungen für einen Rechtsscheintatbestand vorliegen; ferner ist ein potentieller neuer Rechtsscheintatbestand in die Reihe paradigmatischer Problemlösungen möglichst reibungsfrei einzufügen (beispielsweise als Unterfall oder verwandter Fall einer anerkannten paradigmatischen Problemlösung). Um als Vertrauenstatbestand allgemein in Frage zu kommen, muß ein Sachverhalt vorliegen, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu erwecken und der gleichzeitig in bezug auf Stärke des Vertrauenstatbestandes, Grad des Verkehrsschutzbedürfnisses 119 OLG Oldenburg, CR 1993, 558, 559 m. zust. Anm. Paefgen (Anscheinsvollmacht); OLG Köln, NJW-RR 1994, 177, 178; OLG Köln CR 2003, 55; LG Koblenz, NJW 1991, 1360 (ein Rechtsscheintatbestand ergebe sich beim Btx-Kennwortschutzsystem „jedenfalls uneingeschränkt im kaufmännischen Bereich“; dagegen OLG Oldenburg, CR 1993, 558, 559 m. auch insoweit zust. Anm. Paefgen, a. a. O., 561); LG Bonn DUD 2003, 105, 107; AG München CR 1998, 566; Auerbach, CR 1988, 18, 21; Borsum / Hoffmeister, Bildschirmtext und Vertragsrecht, 58 ff.; dies., NJW 1985, 1205, 1206 (neuer Scheintatbestand); Dörner, AcP 202 (2002) 363, 369 (neuer Scheintatbestand); Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, 96; Gößmann, in: Schimansky / Bunte / Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 55 Rn. 26; Härting, Internetrecht, Rn. 125; Köhler, in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtextes, 51, 61; Kuhn, Rechtshandlungen, 215 ff.; Paefgen, Bildschirmtext aus zivilrechtlicher Sicht, 71 f.; ders., Anm. zu OLG Oldenburg, CR 1993, 559, 562; Redeker, NJW 1984, 2393 f.; ders., in: Scherer, Telekommunkation und Wirtschaftsrecht, 135. Wohl auch Wiebe, 429. 120 Etwa Münch, NJW-CoR 1989, Heft 4, 9; Probandt, UFITA 98 (1984), 8, 18 & 27; Stempfle, in: Bräutigam / Leupold, Online-Handel, 568 (Rn. 252); unklar Vandenberghe, in: Scherer, Nationale und europäische Perspektiven der Telekommunikation, 151. 121 Unabhängig vom Sicherheitsgrad wollen einen Rechtsscheintatbestand bejahen: Friedmann, Köhler, Kuhn (a. a. O., 219 bei Fn. 293), und Paefgen, jeweils a. a. O. Nach Redeker, NJW 1984, 2393, soll es bei unsicheren Identifizierungsverfahren jedenfalls an der Schutzwürdigkeit des Erklärungsempfängers fehlen. Ausdrücklich auf den Sicherheitsgrad stellen ab Auerbach und Borsum / Hoffmeister, jeweils a. a. O. Eine Rechtsscheinhaftung mangels hinreichend sicheren Verfahrens wohl ablehnend auch OLG Köln CR 2003, 55; ferner LG Bonn DuD 2003, 105, 107.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

und Gewicht der Zurechnungsfaktoren ausreicht, die aus den weitreichenden Rechtsfolgen (Erfüllungshaftung) folgende rechtsethische Schwäche der Rechtsscheinhaftung zu überwinden.122 Da eine gesetzliche Regelung fehlt, kann es sich nur um einen „natürlichen äußeren Tatbestand“ handeln. In der Tat wird man kennwortgeschützten Identifizierungsverfahren – vorbehaltlich noch näher zu erläuternder Sicherheitsanforderungen – die Eignung als Rechtsscheintatbestand nicht absprechen können. Kennworte werden im Rechtsverkehr als Legitimationsmittel eingesetzt und verstanden, vergleichbar mit Blanketturkunden, Geschäftsstempeln, Vordrucken, Firmenbriefpapier, Vollmachtsurkunden oder dem Auftreten bei Duldungs- und Anscheinsvollmacht.123 Im Besonderen drängt sich der Vergleich zu Unterzeichnungsmaschinen und Faksimilestempeln auf; auch dort wird eine Rechtsscheinhaftung unter Bezug auf die Grundsätze des Blankettmißbrauchs ohne weiteres bejaht.124 Insoweit stellen sie einen Sachverhalt dar, der grundsätzlich geeignet ist, Vertrauen in die Urheberschaft einer elektronischen Erklärung und die Identität des Erklärenden zu begründen.125 Der Empfänger kann der Erklärung im übrigen nicht ansehen, daß sie auf einer mißbräuchlichen Kennwortverwendung beruht, ebensowenig wie man bei § 172 Abs. 2 BGB der Vollmachtsurkunde den fehlenden Fortbestand der Vertretungsmacht und dem Blankett die abredewidrige Ausfüllung ansehen kann. Die rechtsethische Schwäche der Rechtsscheinhaftung ist allerdings im folgenden im Auge zu behalten. Abhängig von dem konkreten Sicherheitsgrad des verwendeten Kennwortschutzverfahrens bemißt sich die Stärke des Vertrauenstatbestandes. Ein besonderes Verkehrsschutzbedürfnis wird dagegen i.d.R. nicht vorliegen, da Kennwortschutzsysteme nur in vorher definierten Zweierbeziehungen verwendet werden können, also nicht etwa eine unbestimmte Personenvielzahl betroffen ist. Das Gewicht der Zurechnungsfaktoren wird unten näher präzisiert. Im Hinblick auf die anerkannten paradigmatischen Problemlösungen der Rechtsscheintheorie wird man den Fall der unbefugten Kennwortverwendung als Fortentwicklung der Einzelanalogie zur „verdeckten“ Blankettausfüllung126 und Canaris, Vertrauenshaftung, 9, 491, 533 (Fn. 43a). So zutreffend Kuhn, a. a. O., 215 ff. 124 Köhler, AcP 182 (1982), 126, 138; Koller, WM 1981, 210, 213. Dazu ferner BGH, Urt. v. 14. 03. 2000, XI ZR 55 / 99 6. 125 Borsum / Hoffmeister, Bildschirmtext und Vertragsrecht, 59; Redeker, in: Scherer, Telekommunikation und Wirtschaftsrecht, 114; Rutke, ebda., 148; Kuhn, a. a. O., 220 f., der bei einseitig festgelegtem Kennwortschutzverfahren zusätzlich fordert, daß die das Verfahren festlegende Partei die andere über die Identifikationsfunktion des Kennwortschutzes aufklärt. Angesichts der mittlerweile stark fortgeschrittenen Verbreitung kennwortgeschützter Verfahren wird man das heute (die Arbeit von Kuhn wurde 1991 abgeschlossen) nicht mehr zu verlangen brauchen. Unzutreffend Vandenberghe, in: Scherer, Nationale und europäische Perspektiven der Telekommuniation, 151, der Codenummern – im Zusammenhang mit Telebanking und Teleshopping – grundsätzlich nicht für geeignete Identifikationsmerkmale hält. 126 Für eine Anknüpfung an den Blankettmißbrauch auch Köhler, in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtexts, 51, 61. 122 123

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der Einzelanalogie zu den Rechtsscheinvollmachten127 ansehen können. Auch bei der verdeckten Blankettausfüllung erhält der Empfänger eine aus seiner Sicht vollständige Erklärung, ohne erkennen zu können, wer sie erstellt bzw. vervollständigt hat. Der wesentliche Unterschied besteht in der Erkennbarkeit des Auftretens des Dritten. Bei der „verdeckten“ Blankettausfüllung tritt er erkennbar als angeblicher Bote auf, bei der unbefugten Kennwortverwendung bleibt sein Handeln dem Empfänger gänzlich verborgen. Es ist allerdings nicht einzusehen, warum der Empfänger einer Erklärung weniger geschützt sein sollte, wenn er davon ausgeht, eine vollständige Erklärung vom Erklärenden selbst zu erhalten, als wenn ein – vermeintlicher – Bote auftritt. Die unbefugte Kennwortverwendung läßt sich daher als Fortentwicklung und verwandter Fall der paradigmatischen Problemlösung Blankettmißbrauch auffassen. Gleichzeitig erfüllt sie die Anforderungen an einen Rechtsscheintatbestand nach allgemeinen Prinzipien. Als eine Fortentwicklung der Anscheinsvollmachten läßt sich der neuartige Rechtsscheintatbestand insoweit begreifen, als die Fälle betroffen sind, in denen sich ein Dritter Zugang zum Rechner verschafft, eigenmächtig handelt und der Geschäftsherr nicht dagegen einschreitet (allerdings vorbehaltlich der noch näher zu erörternden Zurechnungsgesichtpunkte, dazu unten). Daraus ergeben sich gleichzeitig Folgerungen für den Umfang der von der Kennwortverwendung gedeckten Geschäftsabschlüsse. Beim Blankettmißbrauch gilt, je „leerer“ das Blankett ist, um so unbedeutendere Geschäfte sind vom Rechtsscheintatbestand gedeckt.128 Da das Kennwort einem völlig „leeren“ Blankett, das lediglich mit einer Unterschrift versehen ist, gleichsteht, ist der Geschäftsumfang von vorneherein stark eingeschränkt auf die alltäglichen und allgemein für die Verwendung des betreffenden Kennworts üblichen Geschäfte. Bei lediglich privat genutzten Kennwortschutzsystemen wird man davon ausgehen müssen, daß sich der Rechtsscheintatbestand auf Rechtsgeschäfte beschränkt, die keine „hohen“ Verpflichtungen enthalten129 bzw. sich im Rahmen des „Üblichen“130 bewegen. Maßgeblich sind die Grundsätze von Treu und Glauben sowie die Umstände des Einzelfalles. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls können sich auch bei Fehlen ausdrücklich vereinbarter summenmäßiger Begrenzungen Obergrenzen für das vom Rechtsscheintatbestand erfaßte Geschäftsvolumen ergeben. Eine solche Annahme liegt beispielsweise nahe, wenn über einen längeren Zeitraum nur erheblich geringwertigere Transaktionen erfolgt sind und dann plötzlich ein Geschäft erfolgen soll, das den bisherigen Rahmen vollkommen „sprengt“. Dann wird der Empfänger nach Treu und Glauben und mit Rück127 So der Anknüpfungspunkt von Borsum / Hoffmeister, NJW 1985, 1205, 1206, die von einer „Rechtsscheinsvollmacht neuer Art (Btx-Rechtsscheinsvollmacht)“ als dogmatischer Grundlage ausgehen. 128 Canaris, a. a. O., 59; Larenz / Wolf, AT § 48 Rn. 38; Müller, AcP 181 (1981) 515, 526 ff. Ähnlich Kindl, Rechtsscheintatbestände, 130 f. 129 Kuhn, a. a. O., 224. 130 Köhler, in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtextes, 60 f.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

sicht auf die Verkehrssitte nicht darauf vertrauen können, daß der Kennwortinhaber die Erklärung abgegeben hat.131 Im übrigen ist daran zu erinnern, daß der zu fordernde Sicherheitsstandard vom Einzelfall abhängt; daher kann bei einer besonders hochwertigen Transaktion u.U. der von dem System gewährte Standard nach Treu und Glauben nicht ausreichend sein, um überhaupt einen Rechtsscheintatbestand zu begründen.132 Problematisch ist ferner, ob §§ 170, 171 Abs. 2, 172 Abs. 2, 173 BGB entsprechend angewendet werden können, ob also eine Kennwortverwendungsbefugnis nach internem Widerruf nach außen fortbesteht. Voraussetzung ist dafür zunächst, daß ein Tatbestand nach §§ 170 ff. BGB vorliegt, also eine Kundgabe gegenüber einem Dritten oder eine öffentliche Bekanntmachung oder die Mitteilung in einer Urkunde, die ausgehändigt und vorgelegt wird. Bei § 171 Abs. 2 BGB wird man dann eine entsprechende Anwendung bejahen können. Bei § 172 Abs. 2 BGB sind jedoch starke Zweifel angebracht. Zwar kann eine Urkunde zurückgegeben werden, nicht aber ihr Inhalt. Maßgeblich bei der Kennwortverwendung ist aber der Inhalt, nämlich das Kennwort selbst. Wird dieses aus der Hand gegeben, kann es nicht mehr so an den Inhaber „zurückgegeben“ werden, daß der ursprüngliche Empfänger jeglichen Besitz daran verliert, wie § 172 Abs. 2 BGB fordert. Prozessual hat der Anspruchsteller, also i.d.R. der Erklärungsempfänger, nach allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen des Rechtsscheintatbestandes.133

131 Dabei werden sich Abgrenzungsprobleme nicht vermeiden lassen. Problematisch wird etwa der Fall der Benutzung entgeltlicher Onlinedienste sein. Grund zu Mißtrauen kann z. B. die plötzliche gehäufte Nutzung oder eine einmalige, besonders langandauernde Nutzung sein. Ob der Onlinediensteanbieter noch darauf vertrauen darf, hier habe tatsächlich der Kennwortinhaber gehandelt, wird nicht zuletzt von den bisherigen Nutzungsgewohnheiten des Kennwortinhabers abhängen. Gegen diese Einzelfallbetrachtung kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, sie sei praxisfern, weil das gesamte Abrechnunswesen oft vollautomatisiert sei. Das ist Sache der betrieblichen Organisation des Onlinedienstes. Wenn er den betriebswirtschaftlichen Nutzen aus einer dergestalt rationalisierten Organisation zieht, muß er auch die rechtlichen Nachteile daraus tragen. Zu einer Rechtsänderung kann das jedenfalls nicht führen. 132 So kann es etwa liegen, wenn ein Hersteller seinen Mitarbeitern über das unternehmensinterne Intranet den Kauf von unternehmenseigenen Produkten anbietet, dabei auf eine besondere elektronische Identifizierung des Käufers verzichtet und als Käufer den annimmt, über dessen – kennwortgeschützten – Rechner die Bestellung abgewickelt wurde. Angenommen, das Kennwort ist relativ kurz, Rechner werden im Unternehmen oft unbeaufsichtigt eingeschaltet gelassen und Kennwörter werden nicht sorgfältig verwahrt. Dann wird sich das Unternehmen die Unsicherheit seiner eigenen Sicherheitsinfrastrukur nach Treu und Glauben entgegenhalten lassen müssen, und es kann bei hochwertigen Transaktionen (z. B. Autokauf) nicht auf Rechtsscheinhaftung rekurrieren. 133 Kuhn, a. a. O., 255.

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2. Das Erfordernis hinreichender Sicherheit Wie bereits erwähnt, gehen hier die Auffassungen auseinander. Richtigerweise wird man aber nicht einfach jedes kennwortgeschützte System als Rechtsscheinträger ansehen können. Dem Sicherheitsgrad kommt im Gegenteil entscheidende Bedeutung schon für das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes zu, da bei Unterschreiten einer – im Einzelfall zu bestimmenden – Sicherheitsschwelle nicht mehr von einem Tatbestand ausgegangen werden kann, der geeignet wäre, Vertrauen in eine bestimmte Richtung zu begründen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die rechtsethische Schwäche des Rechtsscheinprinzips. Da vorliegend das Verkehrsschutzbedürfnis nicht stark ausgeprägt ist, müssen die Faktoren Stärke des Vertrauenstatbestandes und Gewicht der Zurechnungsfaktoren nachhaltiger vorhanden sein, um überhaupt einen Rechtsscheintatbestand begründen zu können. Die Stärke des Vertrauenstatbestandes hängt wiederum entscheidend vom Grad der Sicherheit ab, die ein Kennwortschutzsystem gegen Mißbrauch bietet. Die gegen diese Sichtweise vorgebrachten Einwände sind nicht stichhaltig. Bisweilen wird behauptet, die unterschiedliche Behandlung von „sicheren“ und „unsicheren“ Systemen führte zu erheblicher und nicht hinzunehmender Rechtsunsicherheit.134 Ein gewisser Mangel an Rechtssicherheit ist zwar zuzugeben, kann aber sicher nicht durch ein großzügiges Hinweggehen über die anerkannten allgemeinen Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung (Rechtsscheintatbestand, Schutzwürdigkeit des Vertrauens) gelöst werden. Eher wäre im Gegenteil zu folgern, daß aus Rechtssicherheitsgründen Kennwortschutzsysteme überhaupt nicht als Rechtsscheintatbestand fungieren können. Ein solcher Verzicht auf Gerechtigkeit im Einzelfall stellte aber einen durch nichts gerechtfertigten Systembruch dar, kommt es doch auch bei den übrigen „natürlichen äußeren“ Rechtsscheintatbeständen in bezug auf Inhalt und Reichweite auf die Umstände des Einzelfalles an; anerkanntermaßen verbietet sich jede Formalisierung.135 Das ist im übrigen kein singulärer Sachverhalt. Auch bei digitalen Signaturen ist beispielsweise für die Anerkennung bestimmter ausländischer Zertifikate der Nachweis „gleichwertiger Sicherheit“ erforderlich (s. §§ 15 SigG 1997, 23 SigG 2001). Damit stellt sich die nicht einfach zu beantwortende Frage, wann ein Kennwortschutzsystem ausreichend sicher ist, so daß es dem Empfänger als Vertrauensgrundlage dienen kann. Inhalt und Reichweite des Rechtsscheintatbestandes sind nach den Regeln über die Auslegung von Willenserklärungen von Fall zu Fall zu 134 Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, 96; Paefgen, Bildschirmtext aus zivilrechtlicher Sicht, 71 f., ders., Anm. zu OLG Oldenburg CR 1993, 559, 562 („schwer in den Griff zu bekommendes Maß an Rechtsunsicherheit“). In diese Richtung wohl auch Wiebe, 430, der „nur bei völlig unzureichenden Identifikationsverfahren“ eine Haftung ausschließen will, dann allerdings auf der Ebene der Zurechnung korrigierend eingreift, und beispielsweise eine Haftung bei Btx bejaht, bei einer „bloßen“ E-Mail-Adresse mit Paßwortschutz dagegen eine Haftung ablehnt (a. a. O., 436). 135 Canaris, a. a. O., 493 f.

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entscheiden, unter besonderer Berücksichtigung von Treu und Glauben, der Verkehrssitte und der konkreten Umstände des Einzelfalles.136 Daher lassen sich nur Kriterien und Beispiele aufzählen; eine abschließende, für alle Fälle verwendbare Definition kann es nicht geben.137 Maßgeblich sind dabei insbesondere drei Faktoren: Art und Beschaffenheit des verwendeten Kennwortes und dessen Übermittlung, Inhalt und Bedeutung des Rechtsgeschäfts und Vereinbarungen der Parteien. Im Hinblick auf Art und Beschaffenheit des Kennworts ist von folgendem auszugehen: Der Sicherheitsgrad der Erklärung hängt maßgeblich von der „Länge“ des Kennworts ab, davon ob auch Großbuchstaben und Sonderzeichen verwendet werden können, ob das Kennwort regelmäßig geändert wird, ob eine bestimmte Zahl falscher Kennworteingaben (z. B. drei) zur automatischen Sperrung des Kennworts führt, und ob zusätzlich zu einem Zugangskennwort (PIN, persönliche Identifikationsnummer) ein weiteres Kennwort für jede einzelne Transaktion (TAN, Transaktionsnummer) verwendet wird.138 Begriffe der Alltagssprache oder gar der Name des Kennwortinhabers oder ihm nahestehender Personen sollten nicht verwendet werden dürfen.139 Nicht geheime Informationen, wie etwa Kreditkarten-, Kontooder Personalausweisnummern, scheiden dagegen schon von vorneherein als Vertrauensgrundlage aus.140 Dagegen wird man kaum allein darauf abstellen können, ob ein Dritter das Kennwort in einem offenen System erlauschen kann.141 Zum einen werden dadurch weitere Risiken, etwa durch die Aufbewahrung des Kennworts, und dessen Auslesbarkeit aus einer Chipkarte, übersehen. Zum anderen ist ein Abhören mit heutigen technischen Mitteln relativ leicht möglich. Schutz würde insoweit nur Verschlüsselung mittels kryptographischer Verfahren bieten. Geschieht dies, spricht das in der Tat für die erhöhte Sicherheit des verwendeten Kennwortschutzverfahrens. Unabdingbar für die Anerkennung als Rechtsscheintatbestand wird es in aller Regel nicht sein.142 Denn auch bei herkömmlichen Rechtsscheintatbeständen besteht keine absolute Sicherheit,143 sondern lediglich ein für 136 Canaris, a. a. O., 493 f. Anschaulich hierzu die Ausführungen des LG Bonn CR 2002, 293 zum Fall einer Internetauktion mit nicht hinreichend sicherem Kennwortschutzverfahren. 137 s.a. ABA Richtlinien Anm. 1.35.3: „Computer security is a matter of degree rather than an absolute.“ 138 Vgl. auch Borsum / Hoffmeister, Bildschirmtext und Vertragsrecht, 58 ff.; dies., NJW 1985, 1205, 1206. Z.T. wird eine Länge von mindestens sechs Zeichen mit Zahlen und Sonderzeichen oder mindestens acht Zeichen als Voraussetzung für ausreichende Sicherheit gefordert; vgl. 21. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Schleswig Holstein, 1999, 90 / 91 (zitiert nach CR 1999, 736). 139 M.H., CI 2000, 113, 116. 140 So auch M.H., CI 2000, 113, 116. 141 So aber Borsum / Hoffmeister, Bildschirmtext und Vertragsrecht, 60. 142 Ausnahmsweise mag es anders sein bei besonders „hochwertigen“ Transaktionen, die über eine bekanntermaßen unsichere Telekommunikationsverbindung abgewickelt werden. 143 Auch Erklärungen in herkömmlicher Schriftform können gefälscht werden. Das hat aber noch niemanden veranlaßt, das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes, z. B. bei einer

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den Rechtsverkehr nach Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte hinreichende Sicherheit. Die völlig ungeschützte Übermittlung des Kennworts, z. B. über das Internet, wird allerdings i.d.R. gegen das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes sprechen.144 Ob ein bestimmtes Kennwort ausreichend sicher ist, kann nicht losgelöst von Inhalt und Bedeutung des Rechtsgeschäfts betrachtet werden. Transaktionen mit geringem Wert rechtfertigen nicht den Aufwand, der angesichts einer besonders hochwertigen Transaktion angemessen ist.145 Betragsmäßige Grenzen wird man nicht festlegen können. Auch hier entscheiden die Umstände des Einzelfalles, u. a. die Finanzkraft der Parteien. Auch bei einer im einzelnen Fall geringwertigen Transaktion kann sich das Bedürfnis nach einem höheren Sicherheitsgrad ergeben, wenn zwischen den Parteien Geschäfte mit großer Häufigkeit abgeschlossen werden und daher das Gesamtvolumen ein beträchtliches Maß erreicht. Andererseits können „flankierende“ Umstände, die für Sicherheit sorgen, z. B. ein geschlossenes Intranet, auch bei höherwertigen Geschäften ein geringeres Sicherheitsmaß beim Kennwort kompensieren. Schließlich wird man auf Grundlage der Vertragsfreiheit den Parteien das Recht einräumen müssen, im Wege der Vereinbarung festzulegen, daß das von ihnen verwendete Kennwortschutzsystem einen Rechtsscheintatbestand darstellen soll, auch wenn das Sicherheitsmaß dieses Systems allein nach der Verkehrssitte als nicht ausreichend zu werten wäre. Da Kennwortschutzsysteme ohnehin auf einer Rahmenvereinbarung aufbauen, bietet es sich geradezu an, insoweit Vereinbarungen zu treffen.146 Im Gerichtsverfahren ist die Frage, ob hinreichende Sicherheit vorliegt, im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) zu beantworten. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit mag für den Rechtsverkehr zunächst unbefriedigend erscheinen, liegt aber in der Natur der freien richterlichen Beweiswürdigung147 und wird zumindest dadurch abgemildert, daß bereits eine jedenfalls im Ergebnis gefestigte – Rechtsscheinhaftung bejahende – Rechtsprechung zu dem Vollmachts- oder Blanketturkunde, kategorisch zu verneinen. Fragen der Fälschung spielen allenfalls im Rahmen der Zurechnung eine Rolle. 144 LG Bonn CR 2002, 293, bestätigt durch OLG Köln CR 2003, 55. 145 M.I., CI 2000, 113, 116. Zur Kosten-Nutzen-Analyse ferner ABA Richtlinien Anm. 1.35.3. 146 Einschränkungen wird man bei der Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) machen müssen. Der Anbieter eines Kennwortschutzverfahrens hat dessen technische Sicherheit in der Hand; M.H., CI 2000, 113, 116. Wer die AGB stellt, kann darin jedenfalls nicht einerseits die Verwendung eines objektiv unsicheren Systems festlegen und andererseits per AGB dieses als Rechtsscheintatbestand definieren. Darin läge eine nach Treu und Glauben nicht hinzunehmende Benachteiligung des anderen Vertragsteils, die nach § 307 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 BGB unzulässig ist. 147 Dies begrüßend und Beweisregeln im Sinne der §§ 415 ff. ZPO ablehnend Englisch, 42 ff.

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weitverbreiteten Btx-System vorliegt148 und sich daher Geschäftspraxis und zukünftige gerichtliche Entscheidungen an dem durch Btx gewährleisteten Sicherheitsstandard orientieren können. Auch der möglicherweise erhebliche Aufwand, der erforderlich ist, um die hinreichende Sicherheit unter Beweis zu stellen, muß hingenommen werden. Dies ist z. B. auch in den USA für die dort geltenden Beweisaufnahmevorschriften im Hinblick auf elektronische Erklärungen eine Selbstverständlichkeit.149 Auch §§ 15 SigG 1997, 23 SigG 2001 gehen wie selbstverständlich davon aus, daß die gleichwertige Sicherheit bestimmter ausländischer Zertifikate gerichtlich aufgeklärt werden kann.

3. Zeitbedingtheit der Sicherheit Nicht auszuschließen ist allerdings, daß sich der zu fordernde Sicherheitsstandard ändern kann, wenn aufgrund neuer technischer Entwicklungen eine Kompromittierung von kennwortgeschützten Systemen deutlich einfacher werden sollte. Das ist jedoch wie bereits in § 9 beschrieben ein generelles Problem von Sicherheitssystemen, das nicht auf die Thematik der Rechtsscheinhaftung begrenzt ist und im übrigen auch in der Dogmatik der Rechtsscheinhaftung (s. Gutgläubigkeit des Empfängers) kein Novum darstellt.

4. Zurechenbarkeit a) Das Risikoprinzip allgemein Zurechenbarkeit bemißt sich richtigerweise, wie in den anderen Fällen der Rechtsscheinhaftung auch, nach dem Risikoprinzip.150 Danach muß der Kennwortinhaber ein erhöhtes Risiko geschaffen haben, das er zumindest eher als der Empfänger beherrscht und das er maßgeblich zu seinem eigenen Nutzen eingegangen ist.151 Hinzu kommt, daß die Zurechnungsfaktoren ein gewisses Gewicht erreichen müssen, um die rechtsethische Schwäche des Rechtsscheinprinzips überwinden zu 148 Ferner zur Sicherheit von Btx einerseits LG Aachen CR 1997, 153; LG Wiesbaden CR 1998, 691; andererseits AG München CR 1998, 566 („Trojanisches Pferd“); AG Pinneberg CR 1998, 692. 149 Dazu etwa Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 154. 150 So auch Canaris, Bankvertragsrecht, Erster Teil, 3. Aufl. 1988, Rn. 527 ff. (Sphärengedanke); Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, 97 ff.; Hellner, in: FS Werner, 274 (Sphärengedanke); Kuhn, Rechtshandlungen, 226 ff. Kritisch zum Sphärengedanken dagegen Vandenberghe, in: Scherer, Nationale und europäische Perspektiven der Telekommunikation, 149, 152 f. – Borsum / Hoffmeister schließlich stellen auf „unsorgfältige“ Aufbewahrung des Kennwortes sowie „schuldhafte“ Erzeugung des Rechtsscheins und damit – verfehlt – auf das Verschuldensprinzip ab (Bildschirmtext und Vertragsrecht, 60 f.; dies., NJW 1985, 1205, 1206). 151 Kuhn, a. a. O., 229.

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können. Bei wissentlicher Kennwortüberlassung liegt der insoweit unproblematische Fall der wissentlichen Schaffung eines Rechtsscheins, die stärkste Form der Zurechnung, vor. Unerheblich ist, ob die Überlassung zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen erfolgt oder nicht. Überläßt der Kennwortinhaber das Kennwort einem Dritten, der das Kennwort dann unbefugt verwendet, schafft er insoweit bewußt ein erhöhtes, seinem eigenen Nutzen dienendes Risiko. Daher ist dem Kennwortinhaber das Ergebnis der Kennwortverwendung, z. B. ein Vertragsschluß, zuzurechnen, egal ob er sich des mit dem Kennwort verbundenen Scheins bewußt war (Auslegung nach dem Empfängerhorizont).152 Entsprechendes gilt anerkanntermaßen beispielsweise beim Blankettmißbrauch und beim Mißbrauch von Faksimilestempeln. Schwieriger sind die nachstehend untersuchten Fälle fehlendes Erklärungsbewußtsein, Willensmängel / Täuschung153 und Abhandenkommen.

b) Fehlendes Erklärungsbewußtsein Ist das Kennwort einem Dritten ohne bewußte Überlassung seitens des Kennwortinhabers zugänglich, fehlt es beim Inhaber am Erklärungsbewußtsein. Ohne Erklärungsbewußtsein kann richtigerweise keine Zurechnung stattfinden, es sei denn es liegt eine von drei Ausnahmen vor: Irrtum über verkehrsmäßig typisierte Verhaltensbedeutung, Schaffung eines Umlaufpapiers und Tatsachenunkenntnis aufgrund spezifisch kaufmännischer Organisationsrisiken. Die erste Ausnahme spielt hier keine Rolle. Wie bei digitalen Signaturen hat allenfalls die Überlassung des Kennworts zu rechtsgeschäftlichen Zwecken eine typisierte Bedeutung; in diesem Fall liegt aber bereits Erklärungsbewußtsein vor. Anders als bei digitalen Signaturen läßt sich auch die zweite Ausnahme – Umlaufpapiere – nicht fruchtbar machen, da Kennworte gerade nicht für Erklärungen gegenüber einer unbestimmten Personenvielzahl taugen, sondern nur gegenüber dem jeweiligen Systempartner. Lediglich die dritte Ausnahme hat vorliegend Bedeutung, ähnlich wie im Fall einer Anscheinsvollmacht.154 Im rein bürgerlichrechtlichen Verkehr ist dagegen die Anscheinsvollmacht und konsequenterweise der Kennwortmißbrauch nicht anwendbar. Zu recht wurde daher darauf hingewiesen, daß Eltern nicht für Verbindlichkeiten verantwortlich sind, die Kinder mittels moderner Kommunikationsmedien unter Verwendung kennwortgesicherter Zugangsmodalitäten erzeugen.155 Damit zeigt sich, daß es in Wahrheit gar nicht des – von Redeker eingeführten (s. o. § 6) – Rückgriffs auf Art. 6 GG bedarf, um den Fall des Btx-Mißbrauchs durch 152 Kuhn, a. a. O., 229; Langenbucher, Risikozuordnung, 292 f. (Debitzahlung mittels ec-Karte und PIN); Wiebe, 432 f. 153 Z. B. der Dritte gibt sich am Telefon als Mitarbeiter der Informationstechnologieabteilung des Unternehmens aus und fragt angeblich „dienstlich“ nach dem Kennwort. 154 Canaris, Handelsrecht, § 16 Rn. 17 f. 155 Canaris, Handelsrecht, § 16 Rn. 18.

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Familienangehörige zu erfassen. Vielmehr ergibt sich die Lösung schon aus den richtig verstandenen Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung selbst. Für den Bereich kaufmännischer bzw. unternehmerischer Organisationen ist zu berücksichtigen, daß die bloße Benutzung der Telekommunikation und eines bestimmten Kennwortschutzverfahrens allein noch keine erhöhte Gefahr schaffen, die Grundlage der Zurechnung sein könnten.156 Nach dem Sphärengedanken sind dem Kennwortinhaber jene Risiken zuzurechnen, die er abstrakt gesehen eher beherrschen kann als der Empfänger.157 Dazu zählen etwa die Sicherung der Räumlichkeit, in der der Rechner sich befindet, die sichere Aufbewahrung und das häufige Ändern von Paßwörtern und Gefahren durch die Weitergabe des Kennwortes innerhalb einer betrieblichen Organisation158 und die Vermeidung von gefährlich offenem Umgang mit dem Kennwort.159 Abhandenkommen schließt allerdings – vorbehaltlich der nachfolgenden näheren Erörterung – eine Zurechnung wegen des Rechtsgedankens der §§ 172 Abs. 1, 935 Abs. 1 BGB aus.

c) Willensmängel Bei wissentlicher Schaffung des Rechtsscheintatbestandes, z. B. Anvertrauen des Kennwortes an einen Dritten, bleibt es wie bereits ausgeführt grundsätzlich bei der rechtsgeschäftlichen Bindung des Kennwortinhabers.160 Allerdings gelten die Regeln über Willenserklärungen entsprechend.161 Der Kennwortinhaber kann daher anfechten, wenn bei der Schaffung des Rechtsscheintatbestandes ein nach §§ 119, 120 BGB relevanter Irrtum oder eine Situation i.S.v. § 123 BGB vorlag.162 Bei Anfechtung analog §§ 119, 120 BGB ist analog § 122 BGB Ersatz des Vertrauensschadens zu leisten.163 Ausgeschlossen ist die Geltendmachung von Willensmängeln lediglich in drei Ausnahmefällen: Irrtümer über die verkehrsmäßig typisierte Bedeutung des Verhaltens, Irrtümer mit einem inneren Zusammenhang zu spezifisch kaufmännischen Organisationsrisiken und Irrtümer bei Tatbeständen, die Grundlage von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl sind. Die erste Ausnahme führt dazu, daß eine Anfechtung nicht mit der Begründung Erfolg haben kann, der Kennwortinhaber sei sich der Bedeutung einer KennwortKuhn, a. a. O., 229 f. Nicht entscheidend ist die konkrete Beherrschungsmöglichkeit; dies wäre ein Fahrlässigkeitsmaßstab; Kuhn, a. a. O., 231. 158 Kuhn, a. a. O., 231 f. 159 Z. B. der Kennwortinhaber notiert es an leicht einsehbarer Stelle oder läßt den Rechner, nachdem er das Kennwort eingegeben hat, unbeaufsichtigt. 160 Kuhn, a. a. O., 237. 161 Kuhn, a. a. O., 238 f. 162 Vgl. das bereits erwähnte Beispiel des vorgetäuschten Anrufs aus der Technologieabteilung. 163 Kuhn, a. a. O., 239. 156 157

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überlassung zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen nicht bewußt gewesen. Die zweite Ausnahme führt dazu, daß ein nicht wissentlich geschaffener Rechtsscheintatbestand im Handelsverkehr den Kennwortinhaber auch dann bindet, wenn er sich über die Legitimationsfunktion seiner Kennung in einem Irrtum befunden hätte.164 Im bürgerlichrechtlichen Geschäftsverkehr tritt dagegen nur eine Haftung analog § 122 BGB ein.165 Im übrigen unterliegt der Kennwortinhaber der anfänglichen Erklärungshaftung auf das negative Interesse nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo und der positiven Forderungsverletzung.166 Die dritte Ausnahme ist auf kennwortgeschützte Systeme – anders als digitale Signaturen – nicht anwendbar. Die Eigenart eines Kennwortes liegt darin, daß es normalerweise nur zwischen zwei bestimmten Parteien benutzt werden kann, dabei allerdings zum Abschluß einer Vielzahl von Geschäften. Die Vielzahl der Geschäfte ist unter dem Gesichtspunkt des erhöhten Verkehrsschutzbedürfnisses nicht mit einer Vielzahl von Personen gleichzusetzen.167 Zwar mag auch die Rückabwicklung einer Vielzahl von Geschäften zwischen denselben Vertragspartnern aufwendig sein; sie ist aber weit eher zumutbar als die Rückabwicklung einer Vielzahl von Geschäften, an denen verschiedene Personen beteiligt sind. Wenn zwei Parteien die Benutzung eines Kennwortschutzsystemes vereinbaren, steht es ihnen frei, vereinfachende oder pauschalierende Regelungen in bezug auf eine solche Rückabwicklung zu treffen; diese Möglichkeit ist bei einer Personenvielzahl in weit geringerem Umfang gegeben. d) Abhandenkommen Einschränkend ist ferner zu berücksichtigen, daß nach der Wertung der §§ 172 Abs. 1, 935 Abs. 1 BGB eine Zurechnung bei Abhandenkommen des Kennwortes grundsätzlich ausscheiden muß,168 auch insoweit kommt allenfalls ein Schadensersatzanspruch analog § 122 BGB in Betracht wegen Schaffung einer überflüssigen Gefahr für den Rechtsverkehr.169 Eine Ausnahme kann zwar aufgrund erhöhten Verkehrsschutzbedürfnisses bei Rechtsscheintatbeständen bestehen, die umlaufpapierähnliche Qualitäten haben. Das ist bei Kennworten aber – anders als bei digitalen Signaturen – nicht der Fall. Kennworte sind von vorneherein auf definierte Zweipersonenbeziehungen beschränkt.170 Kuhn, a. a. O., 241. Kuhn, a. a. O., 241 ff. 166 Kuhn, a. a. O., 243 f. 167 Gegen ein erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis bei kennwortgeschützten Erklärungen auch Langenbucher, Risikozuordnung, 146 (für elektronische Überweisungen). 168 Köhler, in: Hübner u. a., Rechtsprobleme des Bildschirmtextes, 61 ff. 169 Dazu Canaris, Vertrauenshaftung, 548. 170 Ebenso Langenbucher, Risikozuordnung, 325 (für wertspeichernde Zahlungsinstrumente). A.A. wohl Wiebe, 434, wenn dem Kennwortinhaber „Sorgfaltsverletzungen vorzuwerfen sind“, ohne allerdings auf die Wertung der §§ 172 Abs. 1, 935 Abs. 1 BGB einzugehen. 164 165

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e) Weitere Einzelfälle Nicht zuzurechnen sind ferner die Fälschung von Magnetstreifenkarten oder die Entdeckung des Kennwortes durch Ausprobieren oder Ausspähen.171 Weitergehende Einschränkungen sind hingegen nicht anzuerkennen. Teilweise wird etwa angenommen, die Zurechnung scheide bei Verwendung unsicherer Kennwortschutzverfahren durch den Empfänger aus.172 Richtigerweise wird man dann aber schon das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes verneinen müssen.173 Schließlich wird teilweise vertreten, Fehler auf dem Übertragungsweg seien nicht zurechenbar.174 Dabei wird indes verkannt, daß der Empfänger dieser Gefahr ebenso fern steht. Anders mag es sein, wenn eine Partei aus der Benutzung eines bestimmten Telefonnetzes oder -anschlusses besonderen Nutzen zieht oder die Verwendung dieses Mediums der anderen Partei aufdrängt. In den meisten Fällen werden aber beide Parteien gleichermaßen von der Benutzung des gewählten Übertragungsnetzes profitieren. Dann aber muß es bei der gesetzlichen Wertung des § 120 BGB bleiben, wonach die richtige Übermittlung grundsätzlich Sache des Erklärenden ist.175 Allenfalls bewußte Änderungen durch Dritte sind nicht zurechenbar (wobei daran zu erinnern ist, daß bei völlig ungeschützter Kennwortübertragung i.d.R. mangels hinreichender Sicherheit schon kein Rechtsscheintatbestand vorliegt).

f) Beweislast Beachtung verdient schließlich noch die Beweislast für die Zurechenbarkeit. Grundsätzlich obliegt sie dem Anspruchsteller.176 Vertreten wird teilweise, der Anspruchsgegner, also der Kennwortinhaber, müsse sich in bestimmten Fällen entlasten, etwa in der Weise, daß zunächst vermutet werde, der Erklärende habe die mißbräuchliche Kennwortnutzung ermöglicht.177 Dem wird man aber entgegenhalten müssen, daß im bürgerlichrechtlichen Verkehr Zurechnung ein bewußtes Überlassen des Kennwortes voraussetzt, im Handelsverkehr darüber hinaus nur risikoerhöhende Zugänglichkeit zugerechnet werden kann, keinesfalls aber Abhandenkommen. Deshalb kann es keinen Anscheinsbeweis oder gar eine Vermutung zu171 172 173 174

Kuhn, a. a. O., 232. Ferner LG Konstanz CR 2002, 609. Kuhn, a. a. O., 233. So richtig Kuhn, a. a. O., 234. Kuhn, a. a. O., 232; Redeker, in: Scherer, Telekommunikation und Wirtschaftsrecht,

136. 175 Ebenso Canaris, Bankvertragsrecht, Erster Teil, 3. Aufl. 1988, Rn. 527 ff a.E. für Fehler im Bereich der Deutschen Bundespost. 176 Kuhn, a. a. O., 255. 177 LG Wiesbaden, DuD 1999, 299 = NJW-CoR 1999, 372. Ähnlich – wenngleich zu pauschal – Friedmann, Bildschirmtext und Rechtsgeschäftslehre, 109. Umstritten insbesondere auch im Bankverkehr; dazu zuletzt eingehend Langenbucher, Risikozuordnung, 147 ff. (für Anscheinsbeweis bei hinreichend sicherem Identifizierungsverfahren, a. a. O., 150).

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rechenbaren Verhaltens geben; denkbar ist in jedem Fall ein Abhandenkommen, das Zurechnung ausschließt. Vorstellbar ist allenfalls ein Anscheinsbeweis für fahrlässiges Verhalten beim Kennwortinhaber, das reicht aber für Zurechnung nicht aus (anders ggf. für Schadensersatzansprüche aus c.i.c. oder pFV).

5. Die weiteren Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung; Rechtsfolgen Bei den Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden ergeben sich keine Besonderheiten.178 Guter Glaube bedeutet, daß der Empfänger über die unbefugte Kennwortverwendung in Unkenntnis sein muß.179 Für die Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes reicht es aus, wenn der Empfänger weiß, daß die Erklärung über ein kennwortgeschütztes System abgegeben wurde.180 Das wird aufgrund des Rahmenvertrages zwischen Kennwortinhaber und Empfänger regelmäßig der Fall sein. Die Vertrauensdisposition wird meist in dem entsprechenden Vertragsschluß liegen. Kausalität und Schutzwürdigkeit ergeben sich aus den allgemeinen Regeln. Regelmäßige Rechtsfolge bei Vorliegen der Voraussetzungen der Rechtsscheinhaftung ist positiver Vertrauensschutz im Sinne eines Anspruches auf Vertrauensentsprechung, nicht lediglich Ersatz des Vertrauensschadens (negativer Vertrauensschutz).181 6. Ergebnisse Sichere kennwortgeschützte Erklärungen stellen in Anlehnung an die paradigmatischen Problemlösungen des verdeckten Blankettmißbrauchs und des Mißbrauchs von Faksimilestempeln einen Rechtsscheintatbestand dar. Hinreichende Sicherheit bemißt sich nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte. Der Umfang des Rechtsscheintatbestandes ist grundsätzlich nicht auf geringwertige Transaktionen beschränkt, sondern bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Zurechenbar ist der Rechtsschein bei willentlicher Kennwortüberlassung und darüber hinaus bei vorhandenem Erklärungsbewußtsein. Fehlt dieses, kann eine Zurechnung nur im kaufmännischen Verkehr bei risikoerhöhender Zugänglichkeit erfolgen. Im bürgerlichrechtlichen Verkehr kann dann nur analog § 122 BGB Schadensersatz verlangt werden. Kuhn, a. a. O., 226. Selbstverständlich kommt es nicht darauf an, ob es sich beim Adressaten um einen „persönlichen“ Empfänger oder eine vom Empfänger installierte Datenverarbeitungsanlage handelt. Dazu Kuhn, a. a. O., 225. 180 Dazu Kuhn, a. a. O., 225. 181 Canaris, Vertrauenshaftung, 518. 178 179

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

Anders als digitale Signaturen, die geradezu als neues paradigmatisches Beispiel für einen drittgerichteten Rechtsscheintatbestand erscheinen, handelt es sich bei Kennworten um ein neues paradigmatisches Beispiel für einen nicht drittgerichteten Scheintatbestand. Daraus folgt eine grundsätzlich unterschiedliche Behandlung der Problemfelder Willensmängel und Abhandenkommen. Technologieneutrale Signaturgesetze können aufgrund ihres pauschalierenden Ansatzes diese Unterschiedlichkeit nicht hinreichend berücksichtigen.

II. Biometrisch signierte Erklärungen Soweit ersichtlich, ist die Frage, ob bei biometrisch signierten elektronischen Erklärungen Rechtsscheinhaftung in Betracht kommt, bislang in Rechtsprechung und Literatur nicht erörtert worden.182 Für den Einsatz zur „Unterzeichnung“ elektronischer Erklärungen eignen sich wohl nur Verfahren der „hohen Biometrie“, wie Fingerabdrücke sowie Iris- und Netzhautscanning (letzteres z. B. bei Bankautomaten) und bestimmte Verfahren einfacherer Biometrie, z. B. Fingergeometrie und Unterschriftserkennung. Gegenwärtig eignen sich biometrische Verfahren – ebenso wie kennwortgeschützte Systeme – nur im Rahmen dauernder Geschäftsbeziehungen, da dem Erklärungsempfänger vorab das maßgebliche biometrische Merkmal bekannt sein muß, so daß er eine eingehende Erklärung entsprechend verifizieren kann. Für einmalige, „anonyme“ Transaktionen wäre auch bei biometrischen Verfahren ein vertrauenswürdiger Dritter erforderlich, bei dem das relevante biometrische Merkmal zuverlässig gespeichert ist und mit dem der Erklärung beigefügten Merkmal zuverlässig verglichen werden kann. Für den Aufbau einer solchen Sicherheitsinfrastruktur gibt es derzeit, soweit ersichtlich, keinerlei Bestrebungen. Das schließt aber nicht aus, daß zukünftig entsprechende Initiativen entstehen können. Aufgrund der derzeit fehlenden Drittgerichtetheit biometrischer Erkennungsverfahren sind diese eher in der Nähe des neuen paradigmatischen Beispiels Kennwortschutz als bei den typischerweise drittgerichteten digitalen Signaturen anzusiedeln. Biometrische Verfahren dienen von vorneherein lediglich der Zuordnung einer Person zu einer elektronischen Erklärung, also der Feststellung der Erklärendenidentität (Authentizität), nicht aber – wie etwa digitale Signaturen – auch der Überprüfung der Erklärungsintegrität oder des Erklärungszeitpunkts. In Bezug auf die Erklärendenidentität können auch bei biometrischen Verfahren Mißbrauchs- und Fehlerszenarien auftreten. Erforderlich ist dazu, daß ein Dritter eine täuschend echte „Kopie“ des verwendeten biometrischen Merkmals erlangt, entweder weil der Merkmalsträger ihm das Merkmal freiwillig überläßt oder der andere es durch 182 Allenfalls findet sich in Literatur zur digitalen Signatur gelegentlich der bereits erwähnte Hinweis, daß eine Kombination aus digitaler Signatur und biometrischer Sicherung der Chipkarte, auf der der private Signaturschlüssel gespeichert ist, als besonders sicher anzusehen sei.

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Täuschung, Drohung oder eigenmächtig erlangt. Die Erstellung einer „Kopie“ ist allerdings bei hoher Biometrie sehr aufwendig oder gar unmöglich. Bei einfacherer Biometrie kommt sie schon eher in Betracht, etwa durch eine Gesichtsmaske im Fall der Gesichtserkennung. Je nach verwendetem Erkennungssystem kann es auch möglich sein, daß eine Kopie des biometrischen Merkmals selbst nicht erforderlich ist, sondern eine Kopie des in Rechnersprache umgewandelten Merkmals ausreicht. Die „Rechnerkopie“ kann dann in das Erkennungsgerät eingegeben und so die Täuschung über die Identität durchgeführt werden. Eine weitere Fehlerquelle besteht in der Möglichkeit, daß der Identifizierungsmechanismus eine Person Y fälschlicherweise für die Person X hält und ihr gestattet, unter dem Namen X Erklärungen abzugeben (sog. „false acceptance“). 183

1. Rechtsscheintatbestand Ein Rechtsscheintatbestand in bezug auf die Identität des Erklärenden liegt vor, wenn ein Sachverhalt gegeben ist, der geeignet ist, im Hinblick auf die Erklärendenidentität hinreichendes Vertrauen zu begründen und der die rechtsethische Schwäche der Rechtsscheinhaftung durch die konkrete Ausprägung der Kriterien Stärke des Vertrauenstatbestandes, erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis und Grad der Zurechnungskriterien zu kompensieren vermag. Bei entsprechendem Sicherheitsgrad ist das auch hier der Fall, ebenso wie bei Kennwortschutz und digitalen Signaturen. Wo die Mindestgrenze der Sicherheit liegt, läßt sich auch hier nicht allgemein sagen, sondern hängt vom Einzelfall ab, insbesondere der Art und Weise der Übertragung des Merkmals zusammen mit der Erklärung, den Vereinbarungen der Parteien, der Bedeutung und dem Umfang der Transaktion u. a. Hier Klarheit zu schaffen, wird Aufgabe der Rechtsprechung sein, ebenso wie in der Vergangenheit beim kennwortgeschützten Btx-System. Anzumerken ist, daß auch statische Verfahren, d. h. solche, bei denen das persönliche Identifizierungsmerkmal vom Merkmalsträger nicht abgeändert werden kann, nicht von vorneherein als Rechtsscheintatbestand ausscheiden. Maßgeblich ist immer der konkrete Sicherheitsgrad. „Herkömmliche“ paradigmatische Problemlösungen sind auch bei biometrisch signierten Erklärungen der verdeckte Blankettmißbrauch (bei Überlassung des Merkmals) bzw. die Rechtsscheinvollmachten (bei Zugänglichkeit des Merkmals und Nichteinschreiten des Inhabers). Mit Blick auf „neue“ paradigmatische Problemlösungen können biometrische Merkmale bei den Kennworten (nicht digitalen Signaturen) angesiedelt werden. 183 Borgwardt / Verhaar, DuD 1999, 138, 140. Möglich ist das, wenn die Merkmale der beiden Personen so ähnlich sind, daß das Identifizierungssystem sie verwechselt. Der umgekehrte Fall einer „false rejection“ (d. h. Person X wird nicht als solche vom System erkannt, so daß sie keine Erklärung in ihrem eigenen Namen abgeben kann), birgt dagegen keine Rechtsscheinproblematik (dafür aber möglicherweise eine schadensersatzrechtliche gegen den Systembetreiber, wenn Person X dadurch, daß sie eine Erklärung nicht abgeben konnte, beispielsweise ein vorteilhafter Geschäftsabschluß entgangen ist).

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

2. Weitere Voraussetzungen Auf seiten des Vertrauenden bedeutet guter Glaube, wie üblich, daß der Erklärungsempfänger die wahre Rechtslage weder kennt noch kennen muß. Auch bei biometrischen Verfahren gibt es keinen Anlaß, dem Erklärungsempfänger besondere Nachforschungspflichten aufzuerlegen. Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes bedeutet das Wissen, daß eine biometrische „Signatur“ vorliegt und die Verifizierung derselben. Bezüglich Vertrauensinvestition, Kausalzusammenhang und Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorgangs ergeben sich keine Besonderheiten. Die Zurechenbarkeit bei dem, dessen Identität sich aus der Verifizierung der biometrischen „Signatur“ ergibt, bemißt sich nach dem Risikoprinzip. Allein die Verwendung einer biometrischen „Signatur“ stellt noch kein erhöhtes Risiko dar, das als Grundlage der Zurechnung dienen könnte. Folglich ist dem Merkmalsinhaber eine durch „false acceptance“ ermöglichte, unter seinem Namen abgegebene Erklärung eines Dritten grundsätzlich nicht zurechenbar, es sei denn, der Merkmalsinhaber hat das Risiko einer „false acceptance“ zurechenbar (im Sinne des Risikoprinzips) erhöht. Wird dagegen ein von vorneherein unsicheres Merkmal verwendet, handelt es sich schon um keinen Rechtsscheintatbestand. Händigt der Signaturinhaber einem Dritten eine Kopie des biometrischen Merkmals aus („reale“ Kopie oder Rechnerkopie), sind ihm elektronische Erklärungen, die mit Hilfe dieses Merkmals unter seinem Namen abgegeben werden, zuzurechnen (wissentliche Schaffung eines Scheintatbestands). Bei fehlendem Erklärungsbewußtsein kann eine Zurechnung – ebenso wie bei Kennworten – grundsätzlich nicht erfolgen. Die Ausnahme „Irrtum über verkehrsmäßig typisierte Verhaltensbedeutung“ spielt wie bei Kennworten keine Rolle. Lediglich die Ausnahme für kaufmännische Organisationsrisiken kann hier zu erweiterter Zurechnung führen, beispielsweise wenn ein Angestellter die ihm zugängliche biometrische Signatur verwendet, um unter dem Namen des kaufmännischen Geschäftsherrn ein privates Rechtsgeschäft zu tätigen (risikoerhöhende Zugänglichkeit). Willensmängel i.S.v. §§ 116 ff. BGB führen grundsätzlich nicht zur Zurechnung. Anders ist es bei Irrtum über die verkehrsmäßig typisierte Verhaltensbedeutung. Das betrifft nur den kaum denkbaren Fall, daß der Merkmalsinhaber einem Dritten das Merkmal zu rechtsgeschäftlichen Zwecken überläßt und gleichwohl nicht erkennt, daß der Rechtsverkehr davon ausgeht, der Dritte sei zur Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen jeder Art (im Rahmen etwaiger aus den Umständen sich ergebender Begrenzungen) berechtigt. Eine weitere Ausnahme gilt für kaufmännische Organisationsrisiken. In dem oben genannten Fall des Angestellten, der ein ihm zugängliches Merkmal für private Geschäftsabschlüsse verwendet, kann der Merkmalsinhaber nicht einwenden, er habe davon keine Tatsachenkenntnis gehabt oder habe sich in einem Irrtum über eine wesentliche Eigenschaft des Angestellten (nämlich seine Ehrlichkeit bzw. Loyalität) befunden. Die dritte Ausnahme, die Zurechnung ohne Rücksicht auf Willensmängel ermöglicht, das erhöhte Ver-

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kehrsschutzbedürfnis wegen der Betroffenheit einer unbestimmten Personenvielzahl, spielt bei biometrischen Merkmalen derzeit keine Rolle. Ebenso wie Kennwortschutzsysteme sind biometrische Verfahren jedenfalls bislang auf definierte Zweipersonenbeziehungen zugeschnitten und können nicht wie digitale Signaturen gegenüber jedermann ohne vorherige Vereinbarung verwendet werden. Etwas anderes kann gelten, wenn zukünftig für biometrische Verfahren eine den Zertifizierungsstellen für digitale Signaturen vergleichbare Sicherheitsinfrastruktur aufgebaut werden sollte. Dann würden solche Verfahren auch einer unbestimmten Vielzahl von Personen gegenüber anwendbar und eine Anfechtung wegen Willensmängeln bei Erstellung und Inverkehrbringen des Identifizierungsmittels wäre nicht zulässig. Keine Zurechnung erfolgt bei Abhandenkommen. Die einzige Ausnahme, Umlaufpapierqualität bzw. -ähnlichkeit, trifft bei biometrischen Merkmalen jedenfalls solange nicht zu, wie für sie keine den digitalen Signaturen vergleichbare Verzeichnisinfrastruktur besteht, die eine Verwendung gegenüber beliebigen Dritten ohne vorherige Vereinbarung ermöglichen würde. Sollte das eines Tages der Fall sein, würde man die Zurechnung bei risikoerhöhend ermöglichtem Abhandenkommen und bei nicht rechtzeitiger Sperrung trotz Handlungsmöglichkeit des Merkmalsinhabers – wie bei digitalen Signaturen – zu bejahen haben. Im übrigen ist zu beachten, daß dem Erklärungsempfänger ein Ersatzanspruch analog § 122 BGB oder aus culpa in contrahendo oder positiver Forderungsverletzung zustehen kann, wenn der Merkmalsinhaber in bezug auf das Abhandenkommen eine unnötige Gefahr für den Rechtsverkehr geschaffen (§ 122 BGB) bzw. fahrlässig gehandelt hat (c.i.c., pFV), auch wenn eine Zurechnung für eine Rechtsscheinhaftung (= Erfüllungshaftung) nicht möglich ist.

3. Ergebnisse Biometrisch signierte Erklärungen können einen Rechtsscheintatbestand im Hinblick auf die Erklärendenidentität darstellen. Anders als digitale Signaturen sind biometrische Identifizierungsverfahren – jedenfalls derzeit – mangels entsprechender Verzeichnisdienste nicht für den Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl bestimmt. Daher beschränkt sich die Zurechnung auf das „Normalmaß“ der Fälle bewußter Schaffung eines Rechtsscheintatbestands und kaufmännischer Organisationsrisiken.

III. Einfache elektronische Erklärungen Denkbarer Ausgangspunkt für Rechtsscheinüberlegungen bei einfachen elektronischen Erklärungen mag etwa der Fall sein, daß ein unbefugter Dritter eine elektronische Erklärung unter dem Namen des angeblich Erklärenden erstellt und an 21 Rieder

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

den Empfänger übermittelt, der darauf vertraut, daß der angeblich Erklärende sein Geschäfts- oder Vertragspartner ist. Ein wichtiges Anwendungsbeispiel ist der Widerruf i.S.v. § 355 Abs. 1 BGB in Form elektronischer Post.184 Erste Voraussetzung wäre ein Tatbestand, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu begründen, und zwar unter Berücksichtigung der besonderen rechtsethischen Schwäche der Rechtsscheinhaftung, aufgrund derer Stärke des Vertrauenstatbestandes, Grad des Verkehrsschutzbedürfnisses und Gewicht der Zurechnungsfaktoren besonders eingehend betrachtet werden müssen. Sehr schnell kommt man zu dem Schluß, daß bei einfachen elektronischen Erklärungen eine über die herkömmlichen Scheintatbestände hinausgehende Rechtsscheinhaftung ausscheidet. Kennzeichen einfacher elektronischer Erklärungen ist das Fehlen jeglicher Sicherheitsmechanismen; sie sind ohne besonderen Aufwand fälschbar.185 Es ist also nicht gewährleistet, daß die Erklärung von dem in ihr genannten Erklärenden tatsächlich abgegeben und auf dem Transportweg unverändert geblieben ist, und der Erklärungsempfänger hat keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte, diesbezügliches Vertrauen zu fassen. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Erklärung in einer Umgebung abgegeben wurde, die grundsätzlich als „sicher“ gelten kann, etwa ein Intranet mit bekannten Teilnehmern. Denn auch im herkömmlichen Geschäftsverkehr wird unter vergleichbaren „vertrauenswürdigen Umständen“ die reine Fälschung einer Erklärung dem angeblichen Erklärenden nicht zugerechnet. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage beispielsweise von den Fällen des § 172 Abs. 1 BGB, wo sich aus den Umständen des Einzelfalles auch bei einer Vollmachtsurkunde in der Form einer einfachen elektronischen Erklärung hinreichende Legitimationswirkung und damit Eignung als Rechtsscheintatbestand ergeben kann. Denn bei § 172 Abs. 1 BGB geht es um eine tatsächlich vom Geschäftsherrn getätigte Erklärung, der man ohne Hinzutreten weiterer Umstände aus den genannten Gründen Mißtrauen im Hinblick auf ihre Echtheit entgegenbringen könnte, wobei aber dieses Mißtrauen durch das Hinzutreten der bei der Erörterung des § 172 Abs. 1 BGB geschilderten weiteren Umstände beseitigt oder kompensiert werden kann. In dem hier interessierenden Zusammenhang geht es um eine nicht vom angeblichen Erklärenden stammende Erklärung, die ein Dritter verfasst hat, der sich als der Erlärende ausgibt. In dieser Konstellation erfolgt schon im herkömmlichen Geschäftsverkehr grundsätzlich keine Zurechnung, und ebenso wenig besteht im elektronischen Geschäftsverkehr Anlaß, darin einen Rechtsscheintatbestand zu erblicken. Hinzu kommen muß vielmehr ein Umstand, aus dem sich für den Erklärungsempfänger ein besonderes Vertrauen in die Echtheit der Erklärung ergibt. Das allgemeine Vertrauen im Rechtsverkehr, eine Erklärung werde schon von dem erstellt worden sein, der als ihr Ersteller in der Erklärung erscheint, ist dagegen jedenfalls nicht s. etwa Palandt-Heinrichs, § 355 Rn. 7. AG Bonn NJW-RR 2002, 1363; LG Bonn CR 2002, 293; Stempfle, in: Bräutigam / Leupold, Online-Handel, 567 (Rn. 249 a.E.); Ultsch, in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 136. 184 185

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nach den Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung geschützt,186 auch wenn dies im Einzelfall mißlich erscheinen mag.187 Damit fehlt es bereits an einer besonderes Vertrauen begründenden Tatsache als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Rechtsscheintatbestands.188 Auf einen Vergleich mit den anerkannten paradigmatischen Problemlösungen der Rechtsscheintheorie kommt es daher gar nicht mehr an. Dem Ergebnis steht nicht entgegen, daß einfache elektronische Erklärungen praktisch i.d.R. als ebenso sicher gelten können wie per Telefon oder Telefax übermittelte Erklärungen. Daraus folgt lediglich, daß zumindest dort, wo bei Telefon und Telefax nach allgemeinen Regeln Rechtsscheinhaftung vorliegen kann, dies aus Gründen der inneren Einheit und Folgerichtigkeit auch für einfache elektronische Erklärungen zu gelten hat, so z. B. in einem Fall der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht, in dem der Geschäftsherr das Auftreten des Vertreters in Form einfacher elektronischer Erklärungen duldet. Dabei handelt es sich aber gerade nicht um neuartige Rechtsscheintatbestände, die den Gegenstand dieses Kapitels bilden, sondern um herkömmliche Rechtsscheintatbestände in der Form einfacher elektronischer Erklärungen, die bereits im 2. Kapitel behandelt worden sind.

186 OLG Köln CR 2003, 55 mit dem zutreffenden Hinweis, daß der gleiche Gedanke der Rechtsprechung zugrunde liegt, die bei telefonischer Übermittlung einer Kreditkartennummer das Mißbrauchsrisiko dem Erklärungsempfänger auferlegt. OLG Frankfurt / Main, NJW 2000, 2114 f. (mit Erwägungen zur Risikobeherrschung auf 2115). Gegen Rechtsscheinhaftung mangels Rechtsscheintatbestand auch Langenbucher, Risikozuordnung, 261. Zweifelhaft ist auch, ob schon die Überlassung einer ec-Karte zum POZ-Lastschriftverkehr analog den Grundsätzen des Blankettmißbrauchs einen Rechtsscheintatbestand begründen kann; dafür Langenbucher, Risikozuordnung, 216 f. 187 Zu denken ist insbesondere an den Fall des § 355 Abs. 1 BGB und die Frage, ob der Empfänger einer Widerrufs-Email nicht in seinem Vertrauen darauf, es mit dem wahren Vertragspartner zu tun zu haben, zumindest deshalb geschützt werden muß, weil er von seinem Vertragspartner eine unterschriftliche Erklärung nicht verlangen kann. Gleichwohl ginge es zu weit, dem Vertragspartner dieses – aufgrund gesetzgeberischer Entscheidung – bestehende Risiko aufzubürden, zumal dies der generellen verbraucherschützenden Funktion des § 355 BGB zuwider laufen würde. Der Widerrufsempfänger kann sich immerhin bei seinem Vertragspartner vergewissern. 188 Ultsch, DZWir 1997, 466, 470; ders., in: Immenhäuser / Wichtermann, 127, 136; ähnlich Köhler, AcP 182 (1982), 126, 138. Unzutreffend und widersprüchlich dagegen Brauner, Das Erklärungsrisiko beim Einsatz von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, 1988, 122 ff. und 137 ff. Einerseits (a. a. O., 122 ff.) will Brauner – nicht erkennend, daß jegliche Vertrauensgrundlage fehlt – die „weisungslose Erstellung einer Computererklärung“ ohne weiteres mit dem abredewidrigen Ausfüllen eines Blanketts gleichstellen. Andererseits (a. a. O., 137 ff.) will er aber doch auf die Sicherheit des Identifikationsystems (im Hinblick auf Btx, also ein kennwortgeschütztes System) abstellen. Unklar auch Thot, 111, der pauschal meint, der Absender müsse sich Erklärungen, die durch eine EDV-Anlage übermittelt wurden – offenbar ohne weitere Voraussetzungen – als seine eigenen Willenserklärungen zurech nen lassen.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

IV. Erklärungen mit eingescannter Unterschrift Auch bei elektronischen Erklärungen mit eingescannter Unterschrift stellt sich die Frage, ob es dem Unterschriftsinhaber nach Rechtsscheingrundsätzen zugerechnet werden kann, wenn ein Dritter unter Verwendung der eingescannten Unterschrift Rechtsgeschäfte unter dem Namen des Unterschriftsinhabers abschließt.

1. Rechtsscheintatbestand Wiederum kommt es darauf an, ob ein Tatbestand vorliegt, der Grundlage für hinreichendes Vertrauen darstellt und der die rechtsethische Schwäche des Rechtsscheinprinzips durch Stärke des Vertrauenstatbestandes, Grad des Verkehrsschutzbedürfnisses und Gewicht der Zurechnungsfaktoren kompensieren kann. Gegen das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes könnte sprechen, daß jedermann von einem unterschriebenen Schriftstück einen entsprechenden Scan herstellen kann; danach wäre die mit einer eingescannten Unterschrift versehene Erklärung nicht sicherer als eine einfache elektronische Erklärung. Andererseits ist als Vergleichstatbestand im herkömmlichen Geschäftsverkehr auf die faksimilierte Unterschrift hinzuweisen, beispielsweise in Form eines Unterschriftsstempels. Insoweit ist anerkannt, daß mittels eines Unterschriftsstempels abgegebene Erklärungen für den Geschäftsherrn nach Rechtsscheingrundsätzen bindend sein können, auch wenn ein Dritter unbefugt gehandelt hat,189 und zwar ungeachtet der Tatsache, daß mit entsprechenden technischen Hilfsmitteln von einem unterschriebenen Schriftstück auch ein entsprechender Unterschriftsstempel erzeugt werden kann. Dogmatische Grundlage hierfür ist der verdeckte Blankettmißbrauch. Eingescannte Unterschriften stellen gleichsam einen elektronischen Unterschriftsstempel dar. Sie sind ein Tatbestand, der geeignet ist, Vertrauen bezüglich der Echtheit einer Erklärung zu erwecken, vorausgesetzt die eingescannte Unterschrift wird nicht völlig ungeschützt über das Internet übertragen. Die Stärke des Vertrauenstatbestandes ist eher gering einzuschätzen; der Empfänger erhält eine elektronische Erklärung mit einem eingescannten individuellen Schriftzug, den er intuitiv für den Schriftzug des Namensträgers hält (meist ohne eine Überprüfung anhand eines Referenzschriftzuges). Die Sicherheit dieses „Verfahrens“ dürfte deutlich geringer sein als beispielsweise die Verwendung digitaler Signaturen, von Kennwörtern oder biometrischen Merkmalen.190 Der Grad des Verkehrsschutzbedürfnisses ist demgegenüber vergleichsweise hoch, da eingescannte Unterschriften aufgrund 189 Etwa Köhler, AcP 182 (1982), 126, 138; Koller, WM 1981, 210, 213 f. (insbesondere bei Wertpapieren). Ferner BGH Urt. v. 14. 03. 2000, XI ZR 55 / 00, 6. 190 Auch das von Schmid, CR 1999, 609, 613 f., für gerichtliche Schriftsätze per Computerfax vorgeschlagene „Web of Trust“ stützt sich auf die Verwendung zusätzlicher Sicherungsmechanismen (digitale Signatur) und läßt das Vorliegen einer elektronischen Erklärung mit eingescannter Unterschrift allein gerade nicht genügen.

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der Akzeptanz handschriftlicher Unterzeichnungen (auch ohne Vorhandensein eines Referenzschriftzugs beim Empfänger) potentiell zum Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl eingesetzt werden können. Insoweit sind eingescannte Unterschriften mit digitalen Signaturen vergleichbar. Zur Stärke der Zurechnungsfaktoren sind unten noch weitere Überlegungen anzustellen. Paradigmatische Problemlösung ist wie beim Faksimilestempel der Rückgriff auf die (fortentwickelten) Grundsätze zum verdeckten Blankettmißbrauch. Von einer Fortentwicklung dieser Grundsätze ist deshalb die Rede, weil durchaus ein gewisser Unterschied zwischen verdeckter Blankettausfüllung und unbefugter Verwendung eines Faksimilestempels bzw. einer eingescannten Unterschrift besteht. Beim Blankett beginnt der Verpflichtete immerhin die Erstellung der Urkunde mit eigener Hand, und sei es nur, daß er seine Unterschrift auf ein leeres Blatt Papier setzt. Bei Faksimilestempel und eingescannter Unterschrift hält er dagegen nur eine „Anlage“ vor, mit deren Hilfe ein Faksimile seiner Unterschrift erzeugt werden kann. Gleichwohl ist darin kein wertungsmäßiger Unterschied zu erblicken (vorausgesetzt die Grenzen der Zurechnung werden, wie unten näher zu erläutern ist, richtig gezogen). In beiden Fällen ermöglicht der Geschäftsherr die Erstellung einer Erklärung unter seinem Namen, der man später nicht mehr ansehen kann, daß sie von einem Dritten inhaltlich bestimmt worden ist.

2. Weitere Voraussetzungen; Rechtsfolgen Auf seiten des Vertrauenden verdient das Tatbestandsmerkmal Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes besondere Betrachtung. Anders als bei der offenen Blankettausfüllung weiß der Empfänger nicht, daß ein Dritter die Erklärung erstellt bzw. perfiziert. Anders als bei der verdeckten Blankettausfüllung weiß er möglicherweise nicht einmal, daß überhaupt ein Dritter – und sei er nur Überbringer einer bereits perfizierten Erklärung – in die Transaktion eingeschaltet war. Das schadet indes nicht; es reicht, wenn der Empfänger das sachgedankliche Mitbewußtsein hat, die Erklärung stamme entweder vom Geschäftsherrn oder einem Dritten, der mit Zustimmung des Geschäftsherrn die Erklärung unter dessen Namen erstellt bzw. perfiziert hat. Dieses Mitbewußtsein wird in aller Regel vorhanden sein.191 Zurechnung bemißt sich nach dem Risikoprinzip. Von vorneherein nicht zurechenbar ist der Fall, daß eine nicht zum Zwecke des Einscannens abgegebene Unterschrift mißbraucht wird. Es geht vielmehr nur um die Fälle, in denen jemand bewußt einen Scan hergestellt und ein anderer unter dessen Mißbrauch 191 Einen interessanten Fall, in dem das scheinbar nicht der Fall war, behandelt BGH Urt. v. 14. 03. 2000, XI ZR 55 / 00 (6). Dort hatte der Erklärungsempfänger ausdrücklich vorgetragen, der Stempelinhaber habe diesen stets selbst verwendet. Dieser Vortrag schließt sachgedankliches Mitbewußtsein im o.g. Sinn in der Tat aus. Konsequenterweise hat der BGH daran eine Rechtsscheinhaftung scheitern lassen. Allerdings wird man darin einen Einzelfall zu erblicken haben, der sich weniger durch das Fehlen sachgedanklichen Mitbewußtseins als durch recht ungeschickten Prozeßvortrag auszeichnet.

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damit eine nicht autorisierte Erklärung abgegeben hat. Bewußte Überlassung der eingescannten Unterschrift bzw. bewußte Zugänglichmachung sind stets zurechenbar. Bloße risikoerhöhte Zugänglichkeit ist nur im Rahmen kaufmännischer Organisationsrisiken (fehlendes Erklärungsbewußtsein) zurechenbar. Abhandenkommen ist grundsätzlich nicht zurechenbar. Eine Ausnahme kommt nur bei Umlaufpapierähnlichkeit in Frage, d. h. bei Urkunden, die zum Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl bestimmt sind. Bei digitalen Signaturen wurde das – unter der weiteren Voraussetzung risikoerhöhender Ermöglichung des Abhandenkommens – bejaht. An sich läge es nahe, vergleichbare Überlegungen für eingescannte Unterschriften anzustellen. Immerhin sind auch sie wegen der generellen Akzeptanz individueller Schriftzüge als Identifikationsmittel gegenüber einer unbestimmten Vielzahl von Personen verwendbar. Allerdings ist zu bedenken, daß eingescannte Unterschriften von vorneherein einen eher schwachen Rechtsscheintatbestand darstellen. Anders als bei Kennworten, digitalen Signaturen oder biometrischen Merkmalen erfolgt kein objektiver Vergleich mit einem Referenzidentifikationsmittel, sondern der Empfänger vertraut intuitiv auf den individuellen Schriftzug. Eine Zurechnung abhanden gekommener eingescannter Unterschriften wäre im Hinblick auf die rechtsethische Schwäche der Rechtsscheinhaftung allgemein und die geringe Stärke des Rechtsscheintatbestandes im besonderen nicht zu rechtfertigen. Der Verkehrsschutz erfordert eine Zurechnung abhanden gekommener eingescannter Unterschriften nicht, da die Parteien alternativ auch digitale Signaturen verwenden können, die einen weitaus höheren Sicherheitsstandard bieten und auch bei Abhandenkommen zugerechnet werden können. Mangels Zurechenbarkeit abhanden gekommener eingescannter Unterschriften und mangels Zurechenbarkeit bloßer Zugänglichkeit im bürgerlichen Rechtsverkehr kommt ein Anscheinsbeweis oder gar eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Zurechnung nicht in betracht. Rechtsfolge ist auch hier Haftung auf das positive Interesse.

3. Ergebnisse Eingescannte Unterschriften stellen einen Rechtsscheintatbestand dar, vergleichbar herkömmlichen Faksimilestempeln. Zurechenbarkeit setzt bewußte Überlassung bzw. Zugänglichmachung voraus. Bloße Zugänglichkeit ist nur im Rahmen spezifisch kaufmännischer Organisationsrisiken zurechenbar. Bei Abhandenkommen erfolgt keine Zurechnung. Der Anspruchsteller hat die Voraussetzungen der Zurechnung zu beweisen.

V. Weitere neuartige elektronische Unterschriftsformen Bislang sind weitere neuartige „sichere“ elektronische Unterschriften nicht verbreitet. Ihre weitere Entwicklung ist aber nicht ausgeschlossen. Eine Kernfunktion jeder neuartigen elektronischen Unterschriftsmethode wird die sichere Zuordnung

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der elektronischen Erklärung zu einer Person sein (Erklärendenidentität). Ob weitere Kernfunktionen geleistet werden können, z. B. Erklärungsintegrität, Abgabeund Zugangszeitpunkt usw., bleibt abzuwarten.192 Auch bei neuartigen elektronischen Unterschriften wird es Fehler- und Mißbrauchsfälle geben, die die Rechtsscheinfrage aufkommen lassen. Auf Grundlage der vorangegangenen Erörterungen zu den bisher bekannten Unterschriftsmethoden – einfache elektronische Erklärungen, eingescannte Unterschriften, Kennwortschutz, digitale Signaturen und biometrische Verfahren – wird man sagen können, daß auch bei neuartigen elektronischen Unterschriften ein Rechtsscheintatbestand wird vorliegen können, wenn die Unterschriftsmethode so sicher ist, daß der Erklärungsempfänger darauf vertrauen kann, die durch die Unterschrift ausgewiesene Person habe tatsächlich die elektronische Erklärung erstellt und abgegeben, und die rechtsethische Schwäche der Rechtsscheinhaftung daher durch die Kriterien Stärke des Vertrauenstatbestandes, Verkehrsschutzbedürfnis und Zurechnungsmerkmale kompensiert wird. Wo die Grenze für das zu fordernde Maß an Sicherheit liegt, wird sich wiederum nur im Einzelfall bestimmen lassen. Die Erfahrungen mit den bislang existierenden Unterschriftsmechanismen, für die eine Rechtsscheinhaftung in Betracht kommt, können dabei als Orientierung dienen. Als paradigmatische Problemlösungen herkömmlicher Art kommen auch hier Blankett und Faksimilestempel in Betracht, „neue“ paradigmatische Problemlösungen sind digitale Signatur, Kennwort, biometrische Verfahren und eingescannte Unterschriften. Auf seiten des Vertrauenden gelten die in den vorangegangenen Abschnitten erfolgten Ausführungen entsprechend. Für die Gutgläubigkeit werden auch bei neuartigen elektronischen Unterschriften keine besonderen Nachforschungspflichten gelten. Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes wird erforderlich sein, in dem Sinn, daß der Erklärungsempfänger von der Verwendung einer elektronischen Unterschrift der betreffenden Art weiß und diese auch verifiziert. Für die Zurechnung wird das Risikoprinzip ausschlaggebend sein. Die Verwendung einer neuartigen elektronischen Unterschrift als solche wird noch keine Zurechnung begründen, wohl aber die Überlassung des Unterschriftsmechanismus an einen Dritten. Grenze wird auch hier das Abhandenkommen sein. Bei bloß risikoerhöhendem bzw. sorgfaltswidrigem Umgang mit dem Unterschriftsmechanismus kommt eine Rechtsscheinhaftung im bürgerlichen Rechtsverkehr mangels Zurechenbarkeit grundsätzlich nicht in Betracht, sondern allenfalls ein Schadensersatzanspruch analog § 122 BGB (negatives Interesse) bzw. bei Verschulden nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo und der positiven Forderungsverletztung. Anders ist es im Handelsverkehr, wo risikoerhöhte Zugänglichkeit im Rahmen kaufmännischer (bzw. unternehmerischer) Organisationsrisiken zugerechnet werden kann. Eine weitere Ausnahme wird bei Identifizierungsmechanismen, die zur Erstellung von Erklärungen 192 Vgl. dazu die in § 1 beispielhaft erwähnte Methode der Authentifizierung und Integritätsprüfung bei Telefaxen und elektronischer Post mittels dreier Kennzahlen; Benzler, CR 2000, 411 f.

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gegenüber einer unbestimmten Personenvielzahl geeignet sind, anzuerkennen sein, wenn der Mechanismus dem Inhaber durch dessen risikoerhöhendes Verhalten abhanden kommt und es sich um einen „starken“ Rechtsscheintatbestand handelt (vgl. insoweit die Ausführungen zu digitalen Signaturen einerseits und eingescannten Unterschriften andererseits).

VI. Zusammenfassung Kennwortgeschützte, biometrisch signierte und mit eingescannten Unterschriften versehene Erklärungen kommen als Rechtsscheintatbestände für die Identität des Erklärenden in Betracht und sind in einander ähnlichem Umfang zurechenbar. Anders als bei digitalen Signaturen ist die Zurechnung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein auf den Bereich kaufmännischer Organisationsrisiken beschränkt. Eine Zurechnung bei Abhandenkommen ist gar nicht möglich. Einfache elektronische Erklärungen eignen sich nicht als neuartige Rechtsscheintatbestände. Sollten neuartige elektronische Erklärungs- und Identifizierungsformen eingeführt werden, käme es auf eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der Ergebnisse zu digitalen Signaturen, Kennwortschutz, biometrischen Verfahren und eingescannten Unterschriften an.

§ 11 Rechtsvergleichende Untersuchung materiellrechtlicher Zuordnungsregeln für elektronische Erklärungsformen im Recht der USA und in internationalen Regelwerken I. USA Wie eingangs in § 2 aufgezeigt, existiert gerade im US amerikanischen Rechtsraum eine Vielzahl unterschiedlicher Regelwerke für elektronische Erklärungen und Unterschriften. Fragen, die sich mit dem deutschen Konzept der Rechtsscheinhaftung näher beleuchten lassen, sollen nachfolgend anhand einzelner, exemplarisch herausgegriffener Gesetze untersucht werden, und es wird aufgezeigt, wie das amerikanische Recht auf die rechtstatsächliche Problematik reagiert, die in Deutschland mit Hilfe des Systems der Rechtsscheinhaftung gelöst werden kann. Zunächst ist festzuhalten, daß das bereits eingangs in § 2 vorgestellte E-SIGN Gesetz, das als Bundesgesetz innerhalb seines Anwendungsbereichs Vorrang vor einzelstaatlichen Regeln hat, keine allgemeinen Regeln zur Vertrauenswürdigkeit und Zurechenbarkeit elektronischer Erklärungen und Unterschriften enthält. Maßgeblich für Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist und bleibt insoweit vielmehr das einzelstaatliche Recht (soweit dieses keine mit den Anforderungen des

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E-SIGN Gesetzes an die Anerkennung elektronischer Transaktionen unvereinbaren Regeln enthält). Bei den einzelstaatlichen Regelungen ist eine Auswahl unumgänglich und auch sinnvoll. Es haben sich Regelungsmodelle herausgebildet, für die einzelne Gesetze gleichsam exemplarisch untersucht werden können. Beleuchtet werden zunächst das Utah Digital Signature Act 1995 und die ABA Guidelines 1996 als Beispiele technologiespezifischer Regelungen. Das Illinois Electronic Commerce Security Act 1998 ist dagegen ein prominenter Beispielsfall eines technologieneutralen Staatengesetzes. Ferner ist auf die Modellgesetze Uniform Electronic Transactions Act 1999 und Uniform Computer Information Transactions Act 1999 / 2002 einzugehen. Abschließend erfolgen einige Anmerkungen zur Fruchtbarkeit bzw. Unfruchtbarkeit des bisweilen herangezogenen Vergleichs zur unbefugten Telefonbenutzung. Die Annäherung an die amerikanischen Regelwerke erfolgt durch Untersuchung der Vertrauenswürdigkeit elektronischer Erklärungen, der Voraussetzungen der Zurechnung, der Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden und der Rechtfolgen. Damit soll eine weitgehende Vergleichbarkeit mit den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Rechtsscheinhaftung nach deutschem Recht hergestellt werden.

1. Das Utah Digital Signature Act 1995 und die ABA Guidelines 1996 als Beispiele technologiespezifischer Regelungen Im Jahr 1995 erließ Utah als erster US Bundesstaat ein Gesetz über elektronische Unterschriften, und zwar als technologiespezifisches Gesetz über digitale Signaturen, das 1996 aktualisiert worden ist (Utah Digital Signature Act – UDSA).193 Ebenfalls im Jahr 1996 veröffentlichte die Amerikanische Anwaltsvereinigung (American Bar Association – ABA) Richtlinien zur rechtlichen Behandlung digitaler Signaturen (ABA Richtlinien).194 UDSA und ABA Richtlinien sind damit die historisch ersten detaillierten Regelungen zu elektronischen Unterschriften im Recht der USA, und verdienen schon aus diesem Grund besondere Beachtung. Hinzu kommt, daß beide einen dem deutschen SigG 1997 vergleichbaren, auf digitale Signaturen beschränkten technologiespezifischen Ansatz wählten. In Übereinstimmung mit den Bestimmungen des E-SIGN Gesetzes schreiben die beiden Regelwerke nicht die Verwendung digitaler Signaturen vor, sondern stellen lediglich einen Rechtsrahmen für diejenigen Verkehrsteilnehmer zur Verfügung, die digitale Signaturen verwenden wollen.195 Dabei soll nicht verschwiegen wer193 Utah Code Ann. §§ 46-3-101 ff.; abrufbar unter http: / / www.le.state.ut.us. Dazu Bierekoven, 262 ff.; Hein / Rieder, DuD 1997, 469 ff.; Kuner, NJW-CoR 1996, 108 ff.; Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 125 ff.; Thot, 128 ff. 194 American Bar Association – Information Security Committee, Digital Signature Guidelines – Legal Infrastructure for Certification Authorities and Secure Electronic Commerce, 1996; abrufbar unter http: / / www.abanet.org / scitech / ec / isc / dsgfree.html. Dazu Hein / Rieder, DuD 1997, 469, 472; Kuner, NJW-CoR 1996, 108 ff.

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den, daß UDSA und ABA Richtlinien zwar größte Aufmerksamkeit erfahren haben, sich aber nicht als Vorbild für andere Regelungen durchsetzen konnten.196 Utah selbst hat beispielsweise darüber hinaus auch das technologieneutrale UETA mit Wirkung vom 20. Mai 2000 ohne wesentliche Modifikationen in Einzelstaatenrecht übernommen und damit den Rechtsrahmen für elektronische Signaturen über digitale Signaturen hinaus erweitert.197 Daher ist das UDSA nach wie vor für digitale Signaturen maßgeblich.198 Ergänzt wird es durch eine Ausführungsverordnung, die Utah Digital Signature Act Rules.199 Inhaltlich sind UDSA und ABA Richtlinien einander weitgehend ähnlich, so daß sie zusammen betrachtet werden können. a) Vertrauenswürdigkeit digital signierter Erklärungen (1) Schriftformäquivalenz Das UDSA (§§ 401, 403) und die ABA Richtlinien (§§ 5.1, 5.2) stellen digital signierte Erklärungen schriftlichen unterschriebenen Erklärungen gleich. Daraus folgt zumindest, daß im Falle anerkannter Rechtsscheintatbestände eine Rechtsscheinhaftung grundsätzlich nicht mit der Begründung verneint werden kann, es liege keine schriftliche Erklärung vor, es sei denn aus besonderen teleologischen Gesichtpunkten des Gesetzes würde im Einzelfall etwas anderes folgen (wie etwa bei § 172 BGB im Hinblick auf die Rückgabeproblematik oder im Wertpapierrecht bezüglich der Einmaligkeit des Umlaufpapiers). Zur Frage der Rechtsscheinhaftung bzw. einer materiellrechtlichen Bindung des Signaturinhabers an nicht von ihm persönlich abgegebene digital signierte Erklärungen treffen beide Regelwerke im übrigen keine Aussagen.200 195 § 401(2) UDSA: „Nothing in this chapter precludes any symbol from being valid as a signature under other applicable law [ . . . ].“ und § 403(2) UDSA: „Nothing in this chapter precludes any message, document, or record from being considered written or in writing under other applicable state law.“ 196 Miedbrodt, DuD 1998, 389, 391; dies., Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 116. 197 Utah Code §§ 46-4-101 ff., abrufbar unter http: / / www.le.state.ut.us. Das entspricht der ausdrücklichen Zielsetzung des UETA, Gesetze über digitale Signaturen zu untermauern und zu ergänzen; vgl. UETA Prefatory Note, 1, abrufbar unter http: / / www.nccusl.org. 198 Unzutreffend daher die bisweilen vertretene Auffassung, technologiespezifische Regelungen wie das UDSA seien mit Erlaß des E-SIGN Gesetzes hinfällig geworden (so aber z. B. Fry, A Preliminary Analysis of Federal and State Electronic Commerce Laws, abrufbar unter http: / / www.nccusl.org / uniformact_articles / uniformacts-article-ueta.htm). Die Ausschlußklausel des § 102(a) E-SIGN greift schon deshalb nicht, weil der Zweck des UDSA nicht darin besteht, Regelungen des E-SIGN zu modifizieren. Vielmehr bestehen UDSA und E-SIGN unabhängig und selbständig nebeneinander. Die Auffassung von Fry liefe auf das offenkundig widersinnige Ergebnis hinaus, daß es einem Einzelstaat verwehrt wäre, auch nur in irgendeiner Weise digitale Signaturen gesetzlich zu regeln, obwohl das E-SIGN gerade keine Regelungen speziell zu digitalen Signaturen enthält. 199 Utah Administrative Code Rule R 154-10 i.d.F.v. 2. 12. 1998, abrufbar unter http: / / www.rules.state.ut.us.

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(2) Beweisrechtlicher Ansatz Gesetzlich geregelt ist die Beweislastverteilung bezüglich Erklärendenidentität und Abgabewille. Beides wird bei einer digital signierten Erklärung vermutet (§ 406 UDSA, § 5.6(2) ABA Richtlinien).201 Der Signaturinhaber kann nach den ABA Richtlinien die Vermutung widerlegen durch den Beweis, daß wesentliche Vorschriften der Richtlinien nicht eingehalten wurden, daß Täuschung oder Irrtum vorlagen oder sonstige Tatsachen gegeben sind, die die Vermutung nicht gerechtfertigt erscheinen lassen.202

b) Zurechenbarkeit und Sorgfaltspflichten Für Fragen der Zurechenbarkeit – bzw. deren Äquivalent unter dem von UDSA und ABA Richtlinien gewählten beweisrechtlichen Ansatz – spielen folgende Regelungen eine Rolle. Der Schlüsselinhaber ist zu sorgfältiger Verwahrung des privaten Schlüssels verpflichtet,203 beispielsweise durch Kennwortsicherung.204 Die Pflicht ist strenger als die Sorgfaltspflichten eines EC- oder Scheckkarteninhabers.205 Ferner unterliegt der Schlüsselinhaber der Pflicht, das Zertifikat sofort

200 Unklar dazu Oei, in: Smedinghoff, Online Law, 55 mit Vergleichen zu Faksimilestempeln und elektronischen Zahlungsanweisungen nach Art. 4A UCC, wobei nicht klar wird, ob eine verschuldensunabhängige oder verschuldensabhängige materiellrechtliche Bindung eintreten soll. Aus den Vorschriften des UDSA und der ABA Richtlinien läßt sich jedenfalls eine materiellrechtliche Bindung nicht ablesen. 201 Die ABA Richtlinien enthalten ferner in § 5.6(3) die Vermutung der Erklärungsintegrität. Zu den Vermutungen Miedbrodt, Signaturregulierung im Rechtsvergleich, 136. Kritisch zu dieser Beweislastverteilung, wenn ein Verbraucher Schlüsselinhaber ist Biddle, 33 San Diego L. Rev. 1143, 1168 ff. (1996). – Unklar ist innerhalb der ABA Richtlinien, wie sich die Vermutungen des § 5.6 zu der Definition des Begriffs „nonrepudiation“ in § 1.20 verhalten sollen (definiert als „strong and substantial evidence of the identity of the signer of a message and of message integrity, sufficient to prevent a party from successfully denying the origin, submission or delivery of the meassage and the integrity of its contents“). Der Begriff „nonrepudiation“ spielt in den ABA Richtlinien weiters keine erkennbare Rolle. Er soll jedenfalls mehr als lediglich eine „nackte widerlegliche Vermutung“, aber weniger als eine „rechtskräftige Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts“ bedeuten (ABA Richtlinien Anm. 1.20.1). Gemeint ist damit offenbar nur das – wie auch immer im Einzelfall zu begründende – Ergebnis, daß der in Anspruch Genommene eine mit seinem privaten Schlüssel signierte Erklärung und deren Inhalt nicht als nicht von ihm stammend zurückweisen kann. Da die Richtlinien und die Anmerkungen hierzu zur Begründung bzw. Konstruktion dieses Ergebnisses (materiellrechtlich oder beweisrechtlich) gerade keine Ausführungen enthalten, führt der Begriff nonrepudiation im vorliegenden Zusammenhang letztlich nicht weiter. 202 § 5.6 ABA Richtlinien, Anm. 5.6.3. 203 § 4.3 ABA Richtlinien; § 305(1) UDSA. 204 § 4.3 ABA Richtlinien, Anm. 4.3.1. 205 § 4.3 ABA Richtlinien, Anm. 4.3.2.

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widerrufen oder sperren zu lassen, wenn der private Schlüssel beeinträchtigt worden ist.206 Aus § 402 UDSA folgt im Umkehrschluß, daß dem Signaturinhaber Fälschung und Verfälschung zugerechnet werden können, wenn aus der Sicht des Erklärungsempfängers das Vertrauen auf die digitale Signatur „vernünftig“ war.207 Hinzukommen muß aber wohl eine Pflichtverletzung des Signaturinhabers. Wenn die Verantwortung für die Fälschung / Verfälschung allein im Bereich der Zertifizierungsstelle liegt, haftet dagegen ausschließlich diese (nach näherer Maßgabe der Haftungsbeschränkungen nach § 309(2) UDSA). Auch wenn die Vermutung der Erklärendenidentität widerlegt wird, bleibt der Signaturinhaber dem Dritten ggf. auf Schadensersatz haftbar.208

c) Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden Für die Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden – im Rahmen des beweisrechtlichen Ansatzes des UDSA und der ABA Richtlinien – gilt: Der Erklärungsempfänger darf sich grundsätzlich auf digitale Signaturen verlassen („right to rely“), und der Erklärende ist an die digital signierte Erklärung gebunden.209 Der Empfänger darf allerdings dann nicht auf eine digitale Signatur vertrauen, wenn er weiß oder wissen müßte, daß der Signaturinhaber eine der ihm gesetzlich auferlegten Pflichten verletzt hat, oder wenn sein Vertrauen auf die Gültigkeit der Signatur aus anderen Gründen nach den Umständen des Einzelfalles nicht „vernünftig“ ist.210 Zu den Umständen des Falles gehören u. a. Umstände, die der Erklärungsempfänger kennt oder kennen muß, der Wert und die Bedeutung der signierten Erklärung, die bisherige Geschäftsbeziehung zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger, Umstände, die im besonderen auf die (Un-)Zuverlässigkeit der Erklärung hindeuten, und der Handelsbrauch.211 Dies stimmt im wesentlichen mit den Anforderungen an den guten Glauben nach deutschem Recht überein. Im Hinblick auf die Beweislast bestimmt § 406(3)(c) UDSA, daß der Erklärungsempfänger insoweit als gutgläubig vermutet wird, als er nicht weiß, daß der Erklärende eine Pflicht als Signaturinhaber verletzt hat oder nicht rechtmäßiger Inhaber des privaten Signaturschlüssels ist. Die amerikanischen Regeln äußern sich nicht ausdrücklich zu der Frage, ob und ggf. wann den Erklärungsempfänger eine Nachforschungspflicht trifft. Vor dem Hintergrund der im allgemeinen schärferen Nach§ 4.4 ABA Richtlinien und Anm. 4.3.5. Die Vorschrift lautet in ihrem S. 1: „Unless otherwise provided by law or contract, the recipient of a digital signature assumes the risk that a digital signature is forged, if reliance on the digital signature is not reasonable under the circumstances.“ 208 ABA Richtlinien Anm. 3.7.3 a.E. 209 Utah Code Ann. § 46-3-402; §§ 5.2, 5.3, 5.6 ABA Richtlinien. Dazu Oei, in: Smedinghoff, Online Law, 55. 210 § 5.3 ABA Richtlinien. 211 § 5.4 ABA Richtlinien. 206 207

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forschungspflichten des amerikanischen Rechts bei den Vergleichsfällen zu den herkömmlichen Rechtsscheintatbeständen (z. B. Scheinvollmachten) ist anzunehmen, daß auch hier für den Empfänger strengere Maßstäbe gelten als nach deutschem Recht. Auch insoweit korrespondiert die strengere Nachforschungspflicht mit der Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip.

d) Ergebnisse UDSA und ABA Richtlinien stellen digital signierte Erklärungen mit Erklärungen in herkömmlicher Schriftform gleich. Auffallend sowohl am UDSA als auch an den ABA Richtlinien ist ihre starke Einzelfallbetrachtung, insbesondere i.H.a. reasonableness standards. Dadurch erreichen die Regelwerke eine Flexibilität, die dem deutschen SigG 1997 – welches auf genau definierte Sicherheitskritierien und staatlich freigegebene Technologien abstellte – fehlte. Für die hier interessierende Frage der Rechtsscheinhaftung enthalten die beiden Regelwerke dagegen keine Bestimmungen, sondern bleiben bei – mit dem neuen § 292a ZPO vergleichbaren – Vermutungsregelungen stehen. Was gelten soll, wenn es dem Signaturinhaber im Einzelfall gelingen sollte, die Vermutungsregelung zu widerlegen, also nachzuweisen, daß tatsächlich ein Dritter gehandelt hat, bleibt nach beiden Regelwerken (wie auch nach dem deutschen SiG 1997 und SigG 2001) offen. Nicht einmal ein Hinweis findet sich, ob dann allgemeine Rechtsgrundsätze (etwa agency by estoppel o.ä.) heranzuziehen sind.

2. Das Illinois Electronic Commerce Security Act 1998 als Beispiel einer technologieneutralen Regelung a) Einführung Das Illinois Electronic Commerce Security Act 1998 (IECSA) wurde am 20. Mai 1998 vom Parlament verabschiedet212 und ist am 1. Juli 1999 in Kraft getreten.213 Das Gesetz folgt – ähnlich der SigRL und dem SigG 2001 – einem technologieneutralen Ansatz, der jedoch, soweit „fortgeschrittene“ bzw. „sichere“ elektronische Signaturen betroffen sind, letztlich auch auf digitale Signaturen hinausläuft.214 Gem. § 1-105 IECSA hat sich die Auslegung an der Förderung des elektronischen Geschäftsverkehrs zu orientieren.215 Das Gesetz verstößt nicht gegen die Vorgaben 5 Ill. Comp. Stat. 175; Fundstelle: http: / / mbc.com / ecommerce / legis / ill-ecsa.html. § 99-1 IECSA. 214 Von den in § 5-105 IECSA enthaltenen knapp 30 Definitionen betreffen interessanterweise mehr als die Hälfte Begriffe, die ausweislich der Gesetzesbegründung ausschließlich für digitale Signaturen von Bedeutung sind. 215 Eine Art „effet utile“ Auslegungsprinzip, wie es auch für das Europarecht bekannt ist. 212 213

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des E-SIGN Gesetzes216 und ist daher durch das E-SIGN Gesetz nicht präkludiert. § 5-105 IECSA definiert Unterschrift („signature“) als jedes Symbol und jedes Sicherheitsverfahren, das eine Person mit dem Willen verwendet, eine (herkömmliche oder elektronische) „Aufzeichnung“ (record) zu „unterzeichnen“ (authenticate). Im folgenden näher interessierende Sondervorschriften gelten für „sichere elektronische Unterlagen“ (definiert in § 10-105 IECSA) und „sichere elektronische Unterschriften“ (definiert in § 10-110 IECSA).

b) Vertrauenswürdigkeit elektronisch signierter Erklärungen (1) Schriftformäquivalenz Ähnlich wie UDSA und die ABA Richtlinien stellt das IECSA in § 5-115(a) elektronische Erklärungen grundsätzlich der Schriftform gleich, mit dem Unterschied allerdings, daß das IECSA alle elektronischen Erklärungen (nicht nur solche mit „qualifizierten elektronischen Signaturen“ i.S.v. § 126a BGB) der Schriftform gleichstellt. Daher können auch hier Rechtsscheintatbestände nicht mit der Begründung verneint werden, es liege keine Urkunde im herkömmlichen Sinn vor. Eine Ausnahme gilt nach § 5-115(b)(1) IECSA bei eindeutigem Widerspruch zum erkennbaren Willen des Gesetzgebers und nach § 5-115(b)(3) IECSA bei Unterlagen, die als einmaliges und übertragbares Dokument Rechte oder Pflichten verbriefen.217 Dasselbe Regel-Ausnahme-Prinzip enthalten §§ 5-120, 5-125 IECSA für die Gleichstellung elektronischer Unterschriften mit herkömmlichen Unterschriften und elektronischer Dokumente mit Originalen im herkömmlichen Sinn. Beide Ausnahmetatbestände ließen sich – wenn es sich um deutsche Vorschriften handeln würde – als Begründung für die Nichtanwendung des § 172 Abs. 1 BGB auf elektronische Erklärungen (Ausnahme: digitale Signaturen) heranziehen und bestätigen so indirekt die zu § 172 BGB nach deutschem Recht gefundenen Ergebnisse. § 5-125(c) enthält sogar ausdrücklich das Erfordernis, daß es sich um ein Dokument handeln muß „that can be possessed by only one person“, um als Original eines „unique and transferable instruments“ gelten zu können. Das entspricht dem nach deutschem Recht für Umlaufpapiere gefundenen Ergebnis.

216 Vgl. insb. § 5-110 IECSA (keine Unwirksamkeit einer Erklärung oder Unterschrift allein wegen elektronischer Form) und § 5-115 IECSA (elektronische Erklärungen genügen grundsätzlich der Schriftform). 217 Grund dafür ist, daß nach gegenwärtigem Stand der Technik für das Einmaligkeitserfordernis kein elektronisches Äquivalent existiert; § 5-115 IECSA Anm. 7(c). Praktische Bedeutung hat das v.a. für Wertpapiere.

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(2) Grundstruktur der Zuordnungsvorschrift § 10-130 IECSA § 10-120(a)&(b) IECSA statuiert bei Vorliegen näher bestimmter Voraussetzungen im Sinne des in § 2 erläuterten prozeßrechtlichen Ansatzes die widerlegliche Vermutung, daß ein sicheres elektronisches Dokument inhaltlich nicht verändert wurde (Erklärungsintegrität) und eine sichere elektronische Unterschrift von dem abgegeben wurde, zu dem sie gehört (Erklärendenidentität). Über die Vermutungsfälle des § 10-120 IECSA hinaus regelt § 10-130(a) IECSA die Zuordnung („attribution“) einer mit einer sicheren elektronischen Signatur unterschriebenen Erklärung. Allerdings besteht eine Ausnahme nach § 10-130(b) IECSA für Geschäfte im privaten, familiären oder verbraucherischen Rahmen; in Übereinstimmung mit einschlägigen Bundesgesetzen (Truth in Lending Act 1994, Electronic Fund Transfer Act 1994) ist beispielsweise die Haftung von Verbrauchern bei Kreditkartenund Überweisungsmißbrauch auf geringfügige Beträge (z. B. maximal US$ 50,–) begrenzt. Die einschlägigen Vorschriften lauten wie folgt (die wichtigsten legaldefinierten Termini sind kursiv gedruckt und die Definitionen werden angegeben): § 10-130. Attribution of signature. (a) Except as provided by another applicable rule of law, a secure electronic signature is attributable to the person to whom it correlates, whether or not authorized, if: (1) the electronic signature resulted from acts of a person that obtained the signature device or other information necessary to create the signature from a source under the control of the alleged signer, creating the appearance that it came from that party; (2) the access or use occurred under circumstances constituting a failure to exercise reasonable care by the alleged signer; and (3) the relying party relied reasonably and in good faith to its detriment on the apparent source of the electronic record. (b) The provisions of this Section shall not apply to transactions intended primarily for personal, family, or household use, or otherwise defined as consumer transations by applicable law, including but not limited to, credit card and automated teller machine transactions, except to the extent allowed by applicable consumer law. § 5-105. Definitions. „Electronic“ includes electrical, digital, magnetic, optical, electromagnetical, or any other form of technology that entails capabilities similar to these technologies. „Electronic record“ means a record generated, communicated, received, or stored by electronic means for use in an information system or for transmission from one information system to another. „Electronic signature“ means a signature in electronic form attached to or logically associated with an electronic record. „Trustworthy manner“ means through the use of computer hardware, software, and procedures that, in the context in which they are used: (a) can be shown to be reasonably resistant to penetration, compromise, and misuse; (b) provide a reasonable level of relia-

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bility and correct operation; (c) are reasonably suited to performing their intended functions or serving their intended purposes; (d) comply with applicable agreements between the parties, if any; and (e) adhere to generally accepted security procedures. § 10-110. Secure electronic signature. (a) If, through the use of a qualified security procedure, it can be verified that an electronic signature is the signature of a specific person, then such electronic signature shall be considered to be a secure electronic signature at the time of verification, if the relying party establishes that the qualified security procedure was: (1) commercially reasonable under the circumstances, (2) applied by the relying party in a trustworthy manner, and (3) reasonably and in good faith relied upon by the relying party. (b) A qualified security procedure for purposes of this Section is a security procedure for identifying a person that is: (1) previously agreed to by the parties, or (2) certified by the Secretary of State in accordance with Section 10-135 as being capable of creating, in a trustworthy manner, an electronic signature that: (A) is unique to the signer within the context in which it is used; (B) can be used to objectively identify the person signing the electronic record; (C) was reliably created by such identified person (e.g., because some aspect of the procedure involves the use of a signature device or other means or method that is under the sole control of such person), and that cannot be readily duplicated or compromised; and (D) is created, and is linked to the electronic record to which it relates, in a manner such that if the record or the signature is intentionally or unintentionally changed after signing the electronic signature is invalidated. § 10-115. Commercially reasonable; reliance. (a) The commercial resaonableness of a security procedure is a question of law to be determined in light of the purposes of the procedure and the commercial circumstances at the time the procedure was used, including the nature of the transaction, sophistication of the parties, volume of similar transactions engaged in by either or both of the parties, availability of alternatives offered but rejected by either of the parties, cost of alternative procedures, and procedures in general use for similar types of transactions. (b) Whether reliance on a security procedure was reasonable and in good faith is to be determined in light of all the circumstances known to the relying party at the time of the reliance, having due regard to the: (1) information that the relying party knew or should have known at the time of reliance that would suggest that reliance was or was not reasonable; (2) the value or importance of the electronic record, if known; (3) any course of dealing between the relying party and the purported sender and the available indicia of reliability or unreliability apart from the security procedure; (4) any usage of trade, particularly trade conducted by trustworthy systems or other computer-based means; and (5) whether the verification was performed with the assistance of an independent third party.

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§ 10-125. Creation and control of signature devices. Except as provided by another applicable rule of law, whenever the creation, validity, or reliability of an electronic signature created by a qualified security procedure under Section 10-105 or 10-110 is dependent upon the secrecy or control of a signature device of the signer: (1) the person generating or creating the signature device must do so in a trustworthy manner; (2) the signer and all other persons that rightfully have access to such signature device must exercise reasonable care to retain control and maintain the secrecy of the signature device, and to protect it from any unauthorized access, disclosure, or use during the period when reliance on a signature created by such device is reasonable; (3) in the event that the signer, or any other person that rightfully has access to such signature device, knows or has reason to know that the secrecy or control of any such signature device has been compromised, such person must make a reasonable effort to promptly notify all persons that such person knows might foreseeably be damaged as a result of such compromise, or where an appropriate publication mechanism is available (which, for State agencies, may include the official newspaper designated pursuant to Section 4 of the Illinois Purchasing Act where appropriate), to publish notice of the compromise and a disavowal of any signatures created thereafter.

Nachfolgend werden die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des § 10-130 IECSA erläutert (3.) und sein materiellrechtlicher Gehalt untersucht (4.). (3) Tatbestandsvoraussetzungen des § 10-130 IECSA § 10-130(a) IECSA enthält im wesentlichen vier Tatbestandsvoraussetzungen: (a) eine sichere elektronische Signatur, (b) Zugang eines Dritten zu der Signatur durch den Machtbereich des Signaturinhabers, (c) Fahrlässigkeit des Signaturinhabers und (d) gutgläubige Vertrauensdisposition des Empfängers. Voraussetzung (a) entspricht dem Rechtsscheintatbestand nach deutscher Dogmatik, (b) und (c) sind mit Zurechnungsgesichtspunkten vergleichbar, (d) betrifft die Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden. Voraussetzung (a) wird unmittelbar nachfolgend näher untersucht, Zurechnung unten bei b) und die Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden unten bei c). Um als sicher gelten zu können, muß die Signatur – erstens – durch eine „qualified security procedure“, also ein qualifiziertes Sicherheitssystem überprüfbar sein, das – zweitens – nach den Umständen des Falles wirtschaftlich angemessen ist („commercially reasonable under the circumstances“), von dem Erklärungsempfänger – drittens – in vertrauenswürdiger Weise („trustworthy manner“) angewendet wird und auf das sich – viertens – der Erklärungsempfänger vernünftig und gutgläubig („in good faith“) verlassen hat (§ 10-110(a) IECSA), wobei – fünftens – die Zeitbedingtheit der Sicherheit zu beachten ist. Erstens: Eine „qualified security procedure“ muß in der Lage sein, den Erklärenden zu identifizieren und darüber hinaus entweder von den Parteien vereinbart 22 Rieder

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oder vom Illinois Secretary of State als solche zertifiziert worden sein (§ 10-110(b) IECSA). Soweit es sich um staatlich zertifizierte Sicherheitssysteme handelt, gelten gem. § 10-110(b)(2)(A)-(D) für die Sicherstellung der Erklärendenidentität die bekannten vier Voraussetzungen, die in vergleichbarer Weise auch Art. 2 Nr. 2a SigRL und § 2 Nr. 2a SigG 2001 statuieren: Einzigartigkeit,218 objektive Identifizierbarkeit,219 Verläßlichkeit (insbesondere durch ausschließliche Kontrolle des Unterschriftsinhabers über das Signaturverfahren)220 und Feststellbarkeit inhaltlicher Veränderungen.221 Anders als die deutsche SigV, die insoweit genau definierte technische Informationssicherheitsstufen festlegt, stellt das IECSA auf ein flexibles, einzelfallbezogenes Sicherheitsmaß ab (reasonableness standard).222 §§ 15-101, 15-105 IECSA erkennen an, daß insoweit gegenwärtig v.a. digitale Signaturen als qualified security procedures in Betracht kommen. Wichtiges Kritierium für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit einer digitalen Signatur ist das Certification Practice Statement der Zertifizierungsstelle.223 Letztlich bemißt sich die Sicherheit digitaler Signaturen nach der Einhaltung staatlich befürworteter Sicherheitsstandards bzw. einer Einzelfallbewertung durch ein erkennendes Gericht (§ 15-105 IECSA). Ebenso wie § 2.3 ABA Richtlinien bestimmt § 15-201 IECSA, daß Vertrauen von Erklärungsempfängern auf digitale Signaturen vorhersehbar ist. Zweitens: Ob das qualifizierte Sicherungsverfahren „commercially reasonable under the circumstances“ ist, hängt gem. § 10-115 IECSA von den Umständen des Einzelfalles ab, inbesondere der Art des Sicherungsverfahrens, seiner Umsetzung im konkreten Fall, Inhalt und Bedeutung des Geschäfts, dem Wissensstand der Parteien, dem Umfang vergleichbarer Transaktionen zwischen den Parteien, der Verfügbarkeit alternativer Sicherungsverfahren und deren Kosten sowie den Sicherungsverfahren, die im allgemeinen für vergleichbare Arten von Geschäften verwendet werden.224 Drittens: Die Anwendung des Sicherungsverfahrens durch den Erklärungsempfänger in „trustworthy manner“ hängt nach den Kriterien der Definition in § 5-105 218 Nach der Gesetzesbegründung erfüllen insbesondere die herkömmliche eigenhändige Unterschrift, biometrische Verfahren und digitale Signaturen dieses Erfordernis; § 10-110 IECSA Anm. 8(a). 219 Die Gesetzesbegründung geht davon aus, daß nur Kennworte und digitale Signaturen diesem Kriterium entsprechen; eine eigenhändige Unterschrift soll dagegen nicht „objektiv“, sondern nur aufgrund einer subjektiven Wertung identifizierbar sein; § 10-110 IECSA Anm. 8(b). 220 Erfüllbar durch digitale Signaturen und notarielle Beurkundung; § 10-110 IECSA Anm. 8(c). 221 Ohne daß die Gesetzesbegründung dazu Stellung nimmt ist festzuhalten, daß derzeit nur digitale Signaturen dieses Erfordernis erfüllen können. 222 Vgl. die Definition von „trustworthy manner“ in § 5-505 IECSA sowie Anm. 1 dazu: „general, yet flexible, standard“ und „computer security is a matter of degree [ . . . ] it varies depending upon the circumstances and context in which it is applied.“ 223 § 5-105 IECSA „Certification practice statement“ Anm. 5. 224 s.a. § 10-105 IECSA Anm. 5(a) und § 10-110 IECSA Anm. 6(a).

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IECSA v.a. von den verwendeten Rechnerprogrammen, Schlüssellängen und sonstigen Umständen des Einzelfalls ab.225 Viertens: Ob das Vertrauen des Erklärungsempfängers angemessen und in good faith ist, bemißt sich gem. § 10-115 IECSA nach seiner Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis relevanter Umstände, Wert und Bedeutung der Transaktion, der bisherigen Geschäftsverbindung der Parteien, Handelsbräuchen und etwa in das Verfahren einbezogener Dritter.226 Inwieweit Nachforschungspflichten des Erklärungsempfängers bestehen, lassen das Gesetz und die zugehörigen Materialien offen. Dogmatisch gehört dieser Punkt zu den Voraussetzungen auf seiten des Erklärungsempfängers, nicht zum Rechtsscheintatbestand. Er wird daher näher unter d) erläutert. Fünftens: Die Formulierung des Gesetzes in § 10-110 stellt auf die Sicherheit eines Dokumentes und einer Unterschrift im Zeitpunkt der Überprüfung ab und erkennt damit ausdrücklich die Zeitbedingtheit der Sicherheit an.227 Die Voraussetzungen, an die §§ 10 130(a), 10-110 IECSA das Vorliegen einer sicheren elektronischen Signatur knüpfen, stellen im deutschen Sinn einen Tatbestand dar, der geeignet ist, Vertrauen in die Identität des Erklärenden zu begründen. Ohne Parteivereinbarung kommen nur digitale Signaturen in Betracht. Die Parteien können aber auch Kennwortschutzsysteme, biometrische Verfahren und wohl auch eingescannte Unterschriften vereinbaren. Bei letzteren mag man allerdings Zweifel haben, ob sie überhaupt i.S.v. § 10-110(a)(1) IECSA „in a trustworthy manner“ angewendet werden können. Immerhin setzt „trustworthy manner“ voraus, daß ein vernünftiges Maß an Fälschungssicherheit und Zuverlässigkeit gegeben ist. Das hängt bei eingescannten Unterschriften vom Einzelfall ab, wird aber wohl – zumal das Verfahren immerhin von den Parteien vereinbart sein muß – zu bejahen sein. Wegen des Erfordernisses der Parteivereinbarung können eingescannte Unterschriften nach IECSA nicht gegenüber einer Vielzahl unbekannter Dritter als Rechtsscheintatbestand fungieren.

(4) § 10-130 IECSA als materiellrechtliche Zuordnungsvorschrift Die Regelung des § 10-130(a) IECSA, zu der soweit ersichtlich Rechtsprechung bislang nicht existiert, ist eindeutig materiellrechtlicher Art, nicht nur eine prozessuale Vermutung.228 Ob sie allerdings eine Erüllungshaftung oder eine Schadensersatzhaftung begründet, ist äußerst unklar. So heißt es in der Gesetzesbegründung einerseits, die Vorschrift bewirke, daß der Signaturinhaber für Schäden des Erklärungsempfängers haftbar sei,229 daß der Signaturinhaber für Erklärungen mit sei225 226 227 228

22*

s.a. § 10-105 IECSA Anm. 5(b) und § 10-110 IECSA Anm. 6(b). § 10-105 IECSA Anm. 5(c), § 10-110 IECSA Anm. 6(c). So auch ausdrücklich § 10-105 IECSA Anm. 6, § 10-110 IECSA Anm. 10. So auch Bierekoven, 299.

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ner sicheren elektronischen Unterschrift „zur Verantwortung gezogen werden kann“ bzw. „haftbar gemacht werden kann“230 und daß die Vorschrift den durch das Verhalten eines unbefugten Dritten entstehenden Schaden zuordne.231 Diese Stellen deuten eher auf eine Schadensersatzhaftung hin. Andererseits heißt es an einer weiteren Stelle in der Gesetzesbegründung, der Signaturinhaber sei an die Erklärung „gebunden“.232 Im Gesetzestext selbst ist von „attributable“, also zuzuordnen, die Rede, und gerade nicht von „liability“, „liable“, „loss“ o.ä. Liegt damit eine Interpretation im Sinne einer Erfüllungshaftung näher (wenngleich die Frage auch im amerikanischen Recht aus den bekannten Gründen eine weitaus geringere praktische Tragweite hat als im deutschen Recht233), so wird gleichzeitig die Nähe zur Rechtsscheinhaftung im deutschen Sinn besonders deutlich, wenn es in § 10-130(a)(1) IECSA a.E. heißt: „creating the appearance that it came from that party“ = „den Anschein schaffen, von jener Partei zu stammen“ (Hervorh. d. Verf.). (5) Ergebnisse § 10-130 IECSA enthält eine materiellrechtliche Zuordnungsvorschrift für sichere elektronische Unterschriften, die von einem Dritten unter dem Namen des Unterschriftsinhabers abgegeben werden. Im deutschen Sinn handelt es sich um einen Rechtsscheintatbestand. Die Sicherheitskriterien des IECSA sind technologisch flexibler gehalten als die des deutschen SigG. Gleichwohl kommen ohne abweichende Parteivereinbarung lediglich digitale Signaturen als sichere elektronische Unterschriften in Betracht. Wenn die Parteien Kennworte, biometrische Merkmale oder eine eingescannte Unterschrift als sichere elektronische Unterschrift vereinbaren, findet § 10-130 IECSA auch auf diese Erklärungsformen Anwendung.

c) Zurechnung (1) Zurechnungsvoraussetzungen nach § 10-130(a) IECSA Im Hinblick auf Zurechenbarkeit enthält § 10-130(a)(1)&(2) IECSA eine doppelte Voraussetzung. Die Vorschrift bestimmt zunächst, daß es darauf ankommt, ob der unbefugt handelnde Dritte die Signatureinheit aus dem Macht- und Kontroll229 § 10-120 IECSA Anm. 5 a.E.: „However, under Section 10-110 [ . . . ] he may nevertheless be liable for losses caused to the relying party [ . . . ].“ 230 § 10-130 IECSA Anm. 1 („can be held accountable [ . . . ]“); § 10-130 IECSA Anm. 3 („held liable for the signature“). 231 § 10-130 IECSA Anm. 2 („loss“). 232 § 10-130 IECSA Anm. 3 a.E. („the purported sender will be bound“). 233 Gänzlich bedeutungslos ist die Frage freilich nicht. Denkbar wäre etwa der Verkauf einer Antiquität mittels digital signierter elektronischer Erklärungen. Elektronisch abgewickelte Grundstücksgeschäfte dürften dagegen zumindest mittelfristig noch Zukunftsmusik bleiben.

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bereich des Signaturinhabers („source under the control of the alleged signer“) erlangt hat, und scheint damit auf Risikogesichtspunkte abzustellen. § 10-130(a)(2) IECSA verlangt darüber hinaus, daß eine Sorgfaltspflichtverletzung des Signaturinhabers hinzukommen muß („failure to exercise reasonable care“). Die in § 10125 IECSA geregelten Sorgfaltspflichten betreffen sowohl die sorgfältige Verwahrung von Signatureinheiten wie die unverzügliche Mitteilung gegenüber möglichen Erklärungsempfängern bei Kompromittierung der Signatureinheit.234 Angelehnt sind diese Pflichten ausweislich der Gesetzesmaterialien an § 3-406 UCC (Scheckfälschung),235 wonach derjenige, dessen Fahrlässigkeit zur Fälschung eines Schecks beigetragen hat, gegenüber dem, der gutgläubig den Scheck eingelöst hat, die Fälschung oder Verfälschung nicht einwenden kann.236 Letztlich stellt § 10-130 IECSA mithin auf eine Kombination aus Risikoprinzip und Verschuldensprinzip (letzteres allerdings mit wertpapierrechtlichem Einschlag bzw. wertpapierrechtlicher Strenge) ab. In der wertpapierrechtlichen Literatur finden sich als Beispiele für fahrlässiges Verhalten des Scheckausstellers: Verwahrung eines Unterschriftsstempels in unverschlossener Schublade, Ausstellung von Blankoschecks, keine routinemäßige Überprüfung der Bücher, Verstoß gegen allgemein übliche Regeln kaufmännischer Organisation(!), Zuständigkeit eines Angestellten für Tätigung von Einnahmen und Ausgaben gleichzeitig sowie fehlende Überprüfung von Referenzen eines Bewerbers bei der Einstellung.237 Soweit digitale 234 Besonders ausformuliert werden diese Pflichten nochmals speziell für digitale Signaturen in §§ 20-101 ff. IECSA. 235 § 3-406 UCC: (a) A person whose failure to exercise ordinary care substantially contributes to an alteration of an instrument or to the making of a forged signature on an instrument is precluded from asserting the altertation or the forgery against a person who, in good faith, pays the instrument or takes it for value or for collection. (b) Under subsection (a), if the person asserting the preclusion fails to exercise ordinary care in paying or taking the instrument and that failure substantially contributes to the loss, the loss is allocated between the person precluded and the person asserting the preclusion according to the extent to which the failure of each to exercise ordinary care contributed to the loss. (c) Under subsection (a), the burden of proving failure to exercise ordinary care is on the person asserting the preclusion. Under subsection (b), the burden of proving failure to exercise ordinary care is on the person precluded. 236 § 10-125 IECSA Anm. 3. – In dieser Anmerkung werden als weitere Vergleichsfälle die Beispiele unbefugte Nutzung von Online-Diensten und unbefugte Telefonbenutzung genannt. Bei ersterer geht es um unbefugte Kennwortverwendung, damit eine besondere Fallgruppe elektronischer Unterschriften, die gerade keine „sicheren elektronischen Unterschriften“ i.S.v. § 10-130 IECSA darstellen und daher wenig zur Erhellung der vorliegenden Problematik beitragen können. Die für unbefugte Telefonverwendung geltenden Spezialvorschriften (staatlich genehmigte tariffs der Telefongesellschaften) sind nicht verallgemeinerungsfähig, wie noch näher zu erläutern sein wird. Soweit man im übrigen die Haftung bei unbefugter Online-Nutzung auf die Rechtsgrundlagen der unbefugten Telefonbenutzung stellen wollte, folgte schon daraus die fehlende Verallgemeinerungsfähigkeit der unbefugten Online-Benutzung. 237 White / Summers, 572 f.

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Signaturen in einem kaufmännischen Betrieb verwendet werden, scheint diese Risikoverteilung in der Tat angemessen und entspricht im übrigen weitgehend den Maßstäben des Risikoprinzips im Sinne der deutschen Rechtsscheintheorie. Für einen privaten Signaturinhaber müssen dagegen weniger strenge Organisationsmaßstäbe gelten. Es kommt insoweit darauf an, wie ein Privatmann üblicherweise seine Geschäfte organisiert. Im übrigen bestimmt § 10-130(b) IECSA pauschal die Unanwendbarkeit auf private, familiäre und verbraucherische Transaktionen.

(2) Kritik der Zurechnungsgrundsätze in § 10-130(a) IECSA Die Zurechnungsvorschriften in § 10-130 IECSA sind in doppelter Hinsicht kritikwürdig. Erstens vermag es nicht zu überzeugen, Verbrauchergeschäfte von der Zurechnung sicherer elektronischer Unterschriften gänzlich auszunehmen. Warum bei Verbrauchergeschäften pauschal der Unternehmer das Risiko einer nicht vom Signaturinhaber stammenden Erklärung tragen soll, ist dogmatisch nicht einsichtig. Die Vorschrift könnte als Freibrief für Verbraucher zu riskantem Umgang mit ihren Signiereinheiten mißverstanden werden. Sehr viel überzeugender wäre es, bei grundsätzlicher Anwendbarkeit auch auf Verbrauchertransaktionen die Zurechnungsfaktoren in einer für private Rechtsgeschäfte passenden Weise einzuschränken, etwa nach dem deutschen Vorbild, wonach prinzipiell nur die wissentliche Schaffung eines Scheintatbestandes zugerechnet werden kann, bei digitalen Signaturen wegen ihrer Drittgerichtetheit allerdings auch risikoerhöhte Zugänglichkeit und risikoerhöhtes Abhandenkommen. Zweitens – und das erscheint noch wichtiger – ist es dogmatisch höchst bedenklich, das bekanntlich von einem besonderen Verkehrsschutzbedürfnis238 geprägte Wertpapierrecht als Maßstab für Zurechnungsfragen im Rahmen einer sehr abstrakten Vorschrift wie § 10-130(a) IECSA heranzuziehen. Bezeichnenderweise ist die legislative Begründung auch nicht sehr tiefgehend: „This Section seeks to allocate the risk of loss between two innocent parties . . .“239 Um Schuld und Unschuld („innocence“) geht es aber gerade nicht, sondern um die Frage Verkehrsschutz oder Privatautonomie und den Ausgleich dieses Konfliktes mit Hilfe des Risikoprinzips. Bei Geschäften, die mittels Verwendung elektronischer Unterschriften abgeschlossen werden, kann nicht von vorneherein von einem Verkehrsschutzbedürfnis vergleichbar dem Recht der Umlaufpapiere ausgegangen werden. Vor der bisweilen vertretenen Annahme, im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs bestehe unabhängig von dem Inhalt des Geschäfts immer ein dem Wertpapierrecht vergleichbares erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis,240 kann nur eindringlich gewarnt 238 Für das deutsche Wertpapierrecht Canaris, Vertrauenshaftung, 232. Für Art. 3 UCC vgl. White / Summers, 507 ff. (doctrine of holder in due course, entspricht der deutschen Lehre vom Einwendungsausschluß). 239 § 10-130 Anm. 3.

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werden. Dies würde zu einer Überdehnung des Verkehrsschutzes zulasten des Erklärenden und damit letztlich zu einer unzulässigen Verkürzung der Privatautonomie führen, zumal im Recht der USA ohnehin schon das Verschuldensprinzip gilt und das Erklärungsbewußtsein nicht konstitutives Element einer Willenserklärung ist. Die Tatsache, daß im elektronischen Geschäftsverkehr aufgrund der Neuheit der Kommunikationsmedien und der fehlenden Erfahrung bisweilen – nicht immer – besondere Unsicherheiten (im Vergleich zum herkömmlichen, papiergebundenen Rechtsverkehr) herrschen, rechtfertigt nicht die einseitige generelle Besserstellung des Empfängers einer elektronischen Erklärung und wäre im übrigen auch dem Ziel, den elektronischen Geschäftsverkehr zu fördern, höchst abträglich, da der verstärkte Schutz des Erklärungsempfängers zwangsläufig zulasten des Erklärenden bzw. Unterschriftsinhabers geht, und dieses erhöhte Risiko bei letzterem den abschreckenden Effekt haben kann, dem elektronischen Geschäftsverkehr fernzubleiben. Auch die angebliche besondere Anonymität des elektronischen Geschäftsverkehrs rechtfertigt für sich genommen keine andere Beurteilung. Zwar trifft es zu, daß im elektronischen Bereich Rechtsgeschäfte zwischen zwei einander völlig unbekannten Partnern über weite Entfernungen hinweg abgeschlossen werden können. Dies ist aber kein Novum des elektronischen Geschäftsverkehrs, sondern auch im herkömmlichen, papiergebundenen Rechtsverkehr möglich – man denke nur an den Versandhandel. Im übrigen ist diese Anonymität auch im elektronischen Geschäftsverkehr nicht zwingend, da auch langjährige Geschäftspartner auf diese Art des Geschäftsverkehrs zurückgreifen können, und insoweit ein erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis überhaupt nicht zu erkennen ist. Eine dogmatisch tragfähige Grundlage für die generelle Anleihe im Recht der Umlaufpapiere ist daher weder aus dem Blickwinkel des deutschen noch des amerikanischen Rechts ersichtlich. (3) Zurechnung für den Sonderfall digitaler Signaturen Für den konkreten Anwendungsfall digitaler Signaturen wird man der Parallele zum Wertpapierrecht folgen können, wie für Signaturen nach dem deutschen SigG bereits nachgewiesen wurde (Drittgerichtetheit). Zwar sind digitale Signaturen derzeit die einzigen „sicheren elektronischen Signaturen“, auf die § 10-130 IECSA – ohne anderweitige Parteivereinbarung – überhaupt Anwendung findet, das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die pauschale Anwendung des Wertpapiergedankens auf mögliche zukünftige sichere Signaturverfahren unzulässig ist, vielmehr einer eingehenden Untersuchung des einzelnen Falles bedarf. Insoweit zeigt sich die Gefährlichkeit eines – angeblich – „technologieneutralen“ Gesetzgebungsansatzes, der in Wirklichkeit doch nur auf eine bestimmte Technologie abstellt, auf diese Technologie passende Regeln aufstellt, die aber so abstrakt und weitgehend („overbroad“) formuliert sind, daß sie bei Entstehung neuer Techno240 In diese Richtung wohl Smedinghoff / Bro, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 723 (1999), bei Fn. 73 ff.

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logien mehr Schaden als Nutzen stiften, der dann vom Rechtsanwender erst wieder im Wege teleologischer Reduktion bzw. vorsorglicher abweichender Parteivereinbarungen mühsam eingegrenzt werden muß. Für das deutsche Recht wurde zu digitalen Signaturen begründet, daß Willensmängel, risikoerhöhend ermöglichtes Abhandenkommen und fehlendes Erklärungsbewußtsein wegen des bei digitalen Signaturen bestehenden erhöhten Verkehrsschutzbedürfnisses und ihrer Umlaufpapierähnlichkeit die Zurechnung nicht hindern. Im Ergebnis kann daher eine Zurechnung nach deutschem wie Illinois Recht unter nahezu gleichen Voraussetzungen erfolgen. Immerhin existiert hierfür in § 10-130 IECSA eine gesetzliche Grundlage, während sich der deutsche Gesetzgeber – dem das IECSA bei der Neufassung des SigG bekannt sein mußte – insoweit vollständig in Schweigen hüllt.

(4) Zurechnung bei sonstigen elektronischen Erklärungsformen Haben die Parteien die Verwendung eines anderen Identifizierungsverfahrens (Kennwortschutz, Biometrie, eingescannte Unterschrift) i.S.v. § 10-110(b)(1) IECSA vereinbart, das nach § 10-110(a) IECSA den Umständen nach angemessen und vertrauenswürdig umgesetzt war, kommt § 10-130(a) IECSA zur Anwendung, und bei Gutgläubigkeit des Empfängers ist die Erklärung dem Signaturinhaber zuzuordnen, wenn die Erklärung von einem Dritten unter dem Namen des Signaturinhabers abgegeben wurde und dieser Dritte die Signatur bzw. die zur Erstellung der Signatur notwendigen Informationen aus dem Kontroll- und Risikobereich des Signaturinhabers erlangt hat. Hier erweist sich die von den Gesetzesmaterialien des IECSA gezogene Parallele zum Recht der Umlaufpapiere endgültig auch als praktisch problematisch. Anders als digitale Signaturen sind kennwortgeschützte und biometrische Signaturverfahren – jedenfalls derzeit – von vorneherein nicht zur Verwendung gegenüber einer unbestimmten Personenvielzahl bestimmt, sondern müssen – wie sich auch aus § 10-110(b)(1) IECSA ergibt – jeweils zwischen den Vertragsparteien vereinbart sein. Der Vereinbarungszwang gilt auch für eingescannte Unterschriften, da diese nicht schon kraft Gesetzes als sichere elektronische Unterschriften gelten. Dann aber fehlt für diese elektronischen Erklärungsformen im Gegensatz zu digitalen Signaturen die Nähe zu den Umlaufpapieren, so daß die herkömmlichen Grenzen der Zurechnung zu beachten sind, und keinesfalls uneingeschränkt Abhandenkommen und Fälschungen zugerechnet werden können.

(5) Ergebnisse Die Zurechnungsvorschriften des § 10-130 IECSA vermögen weder im Hinblick auf den Ausschluß von Verbrauchergeschäften noch bezüglich der pauschalen Parallele zum Recht der Umlaufpapiere dogmatisch zu überzeugen. Für den Anwendungsfall digitaler Signaturen ergeben sich praktisch keine bedeutenden Abwei-

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chungen zu den für das deutsche Recht nach dem Risikoprinzip gefundenen Ergebnissen. Bei anderen vereinbarten Identifizierungsmechanismen wird man den Parteien nur raten können, einschränkende Zurechnungsvorschriften zu vereinbaren.

d) Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden Auf seiten des Vertrauenden sind gem § 10-130(a)(3) IECSA Vertrauensinvestition und Gutgläubigkeit erforderlich. Dabei schaden Kenntnis und fahrlässige Unkenntnis. Ob und wann konkrete Nachforschungspflichten bestehen, bleibt nach dem Gesetz und den zugehörigen Materialien offen. Denkbar sind zwei Ansätze. Auf Basis der allgemein strengeren Nachforschungspflichten im amerikanischen Recht läge es nahe, auch hier entsprechend streng vorzugehen (strenger Ansatz). Die in der Gesetzesbegründung gezogene Parallele zu § 3-406 UCC weist allerdings in die gegenteilige Richtung (wertpapierrechtlicher Ansatz). § 3-406(b) UCC bestimmt, daß bloße Fahrlässigkeit des Scheckeinlösers gerade nicht zum völligen Ausschluß der Präklusion nach § 3-406(a) UCC führt, sondern zu einer Schadensteilung entsprechend der jeweiligen Verschuldensbeiträge. „Gutgläubigkeit“ des Scheckeinlösers i.S.v. Art. 3 UCC bedeutet lediglich „honesty in fact and the observance of reasonable commercial standards of fair dealing,“ d. h. nur positive Kenntnis und treuwidriges (nicht: jedes sorgfaltswidrige) Verhalten schaden.241 Auf § 10-130 IECSA übertragen würde der wertpapierrechtliche Ansatz bedeuten, daß fahrlässige Unkenntnis des Vertrauenden von der Fälschung nur dann den Scheintatbestand ausschließt, wenn darin gleichzeitig treuwidriges Verhalten zu erblicken ist, d. h. wenn besondere Nachforschungspflichten verletzt wurden, also besonderer Anlaß bestand, Nachforschungen anzustellen und der Vertrauende das unterlassen hat. Im übrigen aber würde Fahrlässigkeit zu einer Schadensteilung im Sinn von § 3-406(b) UCC führen,242 vergleichbar im deutschen Recht dem Rechtsgedanken des § 254 BGB bzw. einem eigenständigen Anspruch auf Ersatz des der Fahrlässigkeit des Vertrauenden entsprechenden Teils des Schadens.243 Bei Annahme des Standards aus § 3-406 UCC ergäben sich mit dem deutschen Recht vergleichbare Ergebnisse (keine besonderen Nachforschungspflichten). Für den Sonderfall digitaler Signaturen ist der wertpapierrechtliche Ansatz folgerichtig. Sowohl Zurechnung als auch Gutgläubigkeit des Empfängers bemessen sich nach den auf weitgehenden Verkehrsschutz angelegten wertpapierrechtlichen Maßgaben. Für andere, privatautonom vereinbarte Sicherungsmechanismen ist der White / Summers, 574. White / Summers, 574. Selbst der Fahrlässigkeitsbegriff i.S.v. § 3-406(b) UCC verlangt nach der Definition in § 3-103(a)(7) UCC grundsätzlich keine besonderen Nachforschungen bei Einlösung eines Schecks durch eine Bank. Dazu White / Summers, 577. 243 Anspruchsgrundlage hierfür ist § 3-406(b) UCC selbst (White / Summers, 575); im deutschen Recht wäre es pVV. 241 242

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wertpapierrechtliche Ansatz nach amerikanischem Recht bei der Gutgläubigkeit dagegen genauso dogmatisch verfehlt wie bei der Zurechnung. Nach den insoweit besser passenden allgemeinen Grundsätzen des amerikanischen Rechts gilt sowohl für die Zurechnung als auch für die Gutgläubigkeit ein allgemeines (kein wertpapierrechtlich modifiziertes) Verschuldensprinzip. Nur so kann innerhalb der materiellrechtlichen Zuordnungsvorschriften für verschiedene elektronische Erklärungsformen innere Einheit und Folgerichtigkeit erzielt werden. Wegen der insoweit bestehenden Rechtsunsicherheit können wohl nur einschränkende Vereinbarungen der Parteien praktische Abhilfe schaffen.

e) Ergebnisse Besondere Beachtung verdient das IECSA schon wegen der ausdrücklichen Regelung der „attribution“ sicherer elektronischer Unterschriften in einer materiellrechtlichen Norm, die über die im deutschen Recht (§ 292a ZPO), im Utah Gesetz und in den ABA Richtlinien enthaltenen Vermutungsregelungen hinausgeht. Damit wird ein Tatbestand kodifiziert, der nach deutschem Recht ausschließlich auf nicht ausdrücklich gesetzlich geregelte Rechtsgrundsätze der Rechtsscheinhaftung gestützt werden muß. Soweit ersichtlich ist das IECSA insoweit einzigartig – mit Ausnahme einer praktisch identischen Bestimmung im Iowa Electronic Commerce Security Act 1999, die auf § 10-130 IECSA zurückgehen dürfte.244 Das Gesetz enthält bezüglich des Vorliegens eines Rechtsscheintatbestandes (im deutschen Sinn) begrüßenswert flexible Regelungen, die digitale Signaturen und bei entsprechender Parteivereinbarung Kennwörter, Biometrie und eingescannte Unterschriften umfassen. Als problematisch erweist sich die vom IECSA gezogene generelle Parallele zum Wertpapierrecht im Rahmen der Zurechnung und der Gutgläubigkeit des Empfängers. Für digitale Signaturen mag das noch angehen, da sich insoweit praktisch wegen der Nähe digitaler Signaturen zum Wertpapierrecht keine Probleme ergeben. Anders ist es aber bei sonstigen elektronischen Erklärungsformen. Dieselben Schwierigkeiten setzen sich beim Thema Gutgläubigkeit fort. Trotz dieser dogmatischen Untiefen im Detail ergeben sich insgesamt erstaunliche Übereinstimmungen zu den für digitale Signaturen gefundenen deutschrechtlichen Ergebnissen. Bei Kennworten, biometrischen Verfahren und eingescannten Unterschriften – soweit diese i.S.v. § 10-130 IECSA als Sicherungsverfahren vereinbart wurden – weichen die Resultate dagegen erheblich voneinander ab. Während nach deutschem Recht in nur sehr engem Rahmen eine Zurechnung unbefugter Benutzung möglich ist, wendet das IECSA auch insoweit den aus dem Recht der Umlaufpapiere entlehnten weiten Zurechnungsmaßstab und großzügigen Gutgläubigkeitsmaßstab für digitale Signaturen an. 244 1999 Iowa House Bill 624. Vgl. die Zusammenstellung weiterer sog. „attribution“-Vorschriften, die letztlich aber rein beweisrechtlichen Charakter haben bei http: / / www.mbc. com / ecommerce / legislative_4.asp?state=all.

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3. Uniform Electronic Transactions Act 1999 (UETA) und Uniform Computer Information Transations Act 1999 (UCITA) als Beispiele von Einheitsgesetzen a) Der beweisrechtliche Charakter des § 9 UETA § 7 UETA regelt die Gleichstellung der elektronischen mit der herkömmlichen Schriftform und elektronischer Signaturen mit herkömmlichen Unterschriften mit den bereits von UDSA, ABA Richtlinien und IECSA bekannten Folgen für die grundsätzliche Anwendbarkeit traditionell urkundengebundener Rechtsscheintatbestände auf elektronisch verfaßte und signierte Erklärungen. Die Zuordnung („attribution“) elektronischer Urkunden und Unterschriften ist in § 9 UETA245 geregelt. Zuordnung erfolgt immer, wenn die Erklärung „act of the person“, also Handlung der Person ist, § 9(a) S. 1 UETA. „Act of the person“ kann gem. § 9(a) S. 2 UETA auf jede mögliche Art und Weise nachgewiesen werden, auch „a showing of the efficacy of any security procedure applied to determine the person to which the electronic record or electronic signature was attributable.“

Die Rechtsfolgen einer solchen Zurechnung ergeben sich aus den Umständen des Einzelfalles und sonstigem anwendbaren Recht, § 9(b). Das UETA trifft daher selbst keine Zuordnungsregel, sondern verweist insoweit auf bestehendes Recht und allgemeine Rechtsgrundsätze außerhalb des UETA.246 Neuartige Rechtsscheintatbestände bzw. damit vergleichbare Tatbestände schafft das UETA – anders als das IECSA – daher nicht.247 Die Formulierung des § 9(a) UETA („shown“, „showing“) sowie die Ausführungen in den offiziellen Anmerkungen zu § 9 UETA248 deuten stark darauf hin, daß § 9 UETA rein beweisrechtlich, nicht materiellrechtlich zu verstehen ist, wenngleich bislang Rechtsprechung zu dieser Frage wie zu der Vorschrift insgesamt fehlt. Der Ansatz des UETA ist daher inso245 § 9. Attribution and effect of electronic record and electronic signature. (a) An electronic record or electronic signature is attributable to a person if it was the act of the person. The act of the person may be shown in any manner, including a showing of the efficacy of any security procedure applied to determine the person to which the electronic record or electronic signature was attributable. (b) The effect of an electronic record or electronic signature attributed to a person under subsection (a) is determined from the context and surrounding circumstances at the time of its creation, execution, or adoption, including the parties‘ agreement, if any, and otherwise as provided by law. 246 So ausdrücklich UETA Prefatory Note, 3. Dem folgend der Entwurf eines neuen § 2-212 UCC (Stand: Juli / August 2002, http: / / www.nccusl.org). 247 So ausdrücklich § 9 UETA Anm. 1: „This section does not alter existing rules of law regarding attribution. The section assures that such rules will be applied in the electronic environment.“ 248 Vgl. Anm. 3 („evidence of forgery or counterfeiting may be introduced to rebut the evidence of attribution“) und Anm. 4 („Of course security procedures will be another piece of evidence available to establish attribution“).

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weit mit dem des § 292a ZPO vergleichbar (wenngleich § 292a ZPO nur für digitale Signaturen nach SigG 2001 gilt). Der Begriff „attribution“ ist in § 9 UETA – anders als in § 10-130 IECSA – beweisrechtlich, nicht materiellrechtlich zu verstehen.249 b) Die Regelungen des UCITA Die Regelungen des UCITA sind letztlich für die Frage der Rechtsscheinhaftung (bzw. eines materiellrechtlichen amerikanischen Äquivalents zur Rechtsscheinhaftung im deutschen Sinn) ebensowenig ergiebig wie die des UETA. § 107(a) UCITA bestimmt, daß Erklärungen und Unterschriften nicht allein deshalb als unwirksam angesehen werden dürfen, weil sie in elektronischer Form vorliegen. Auf die Verwendung „sicherer“ elektronischer Unterschriften kommt es dabei (ebenso wie bei UETA und E-SIGN) nicht an. Auch unter UCITA können daher herkömmliche urkundengebundene Rechtsscheintatbestände grundsätzlich in elektronischer Form anerkannt werden. Ebenso wie im UETA ist „attribution“ eher technisch und beweisrechtlich geregelt, und zwar in § 212.250 Die Vorschrift des § 108 dagegen – zu der es ersichtlich bislang keine Rechtsprechung gibt – betrifft lediglich die Frage, ob eine Erklärung überhaupt als unterschrieben anzusehen ist, nicht wem Erklärung und Unterschrift zuzurechnen sind.251 Nach § 212(a) UCITA können So wohl auch Bierekoven, 312 f. § 212. Determining Attribution. (a) An electronic authentication, display, message, record, or performance is attributed to a person if it was the act of that person or its electronic agent, or if the person is bound by it under agency or other law. The party relying on attribution of an electronic authentication, display, message, record, or performance to another person has the burden of establishing attribution. (b) The act of a person may be shown in any manner, including a showing of the efficacy of an attribution procedure. (c) The effect of an electronic act attributed to a person under subsection (a) is determined from the context at the time of its creation, execution, or adoption, including the parties‘ agreement, if any, or otherwise as provided by law. (d) If an attribution procedure exists to detect errors or changes in an electronic authentication, display, message, record, or performance, and was agreed to or adopted by the parties or established by law, and one party conformed to the procedure but the other party did not, and the nonconforming party would have detected the change or error had that party also conformed, the effect of noncompliance is determined by the agreement but, in the absence of agreement, the conforming party may avoid the effect of the error or change. § 102(5) UCITA definiert „attribution procedure“ als „a procedure to verify that an electronic authentication, display, message, record, or performance is that of a particular person or to detect changes or errors in information. The term includes a procedure that requires the use of algorithms or other codes, identifying words or numbers, encryption, or callback or other acknowledgment.“ 251 § 108. Proof and effect of authentication. (a) Authentication may be proven in any manner, including a showing that a party made use of information or access that could have been available only if it engaged in conduct or operations that authenticated the record or term. 249 250

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nur eigene Erklärungen und im Rahmen des Stellvertretungsrechts oder nach sonstigem Recht252 zurechenbar erfolgte Erklärungen zugerechnet werden. Gem. § 212(b) UCITA kann der Nachweis, daß es sich um eine eigene Erklärung des Unterschriftsinhabers handelt, auch dadurch geführt werden, daß der Erklärungsempfänger die Wirksamkeit des verwendeten Identifizierungsverfahrens nachweist. Diese Vorschrift ist wiederum rein beweisrechtlich, nicht materiellrechtlich.253

4. Der nicht tragfähige Vergleich zur unbefugten Telefonbenutzung Im Zusammenhang mit der Zuordnung elektronischer Erklärungen, insbesondere bei Kennwortschutzsystemen, wird in USA u. a. auch der Telefonmißbrauch als Regelungsvorbild bzw. Analogiebasis diskutiert254 – zu Unrecht, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden. Nach US amerikanischem Recht soll der Inhaber eines Telefonanschlusses bei unbefugter Benutzung bzw. Mißbrauch seines Anschlusses „haften,“ da er am besten in der Lage sei, die über seinen Anschluß geführten Telefonate zu kontrollieren. Das führt indes schon im Ansatz in die Irre. Nach der Rechtsprechung folgt die Haftung für Telefonmißbrauch aus den von den Telefongesellschaften aufgestellten behördlich genehmigten Nutzungsbedingungen und -tarifen (sog. Tariffs).255 Diese Tariffs sind alleinige Haftungsgrundlage. Die Gerichte erkennen ihnen quasi-gesetzliche Wirkung zu. Sie bestimmen, daß der Anschlußinhaber für alle Gespräche haftet, die von seinem Anschluß aus geführt werden, unabhängig davon, ob der Gesprächsführer dazu die Erlaubnis hatte oder nicht. Die Rechtmäßigkeit der Tariffs wird von den Gerichten nur auf ihre Angemessenheit (reasonableness) geprüft, wobei der Genehmigungsbehörde sogar noch ein gewisser Gestaltungsspielraum eingeräumt wird.256 (b) Compliance with a commercially reasonable attribution procedure adopted by the parties or required by law for authenticating a record authenticates the record as a matter of law. 252 In den offiziellen Anmerkungen zu § 212(a) UCITA (dort Anm. 2, 103 – Stand: Entwurf Juli / August 2002) wird als Beispiel die freiwillige Weitergabe eines Kennworts genannt. Keine Zurechnung soll dagegen grundsätzlich bei Abhandenkommen statt finden. 253 So wohl auch Bierekoven, 210 f.; Wiebe, in: Lejeune, Der E-Commerce Vertrag nach amerikanischem Recht, F Rn. 24 ff. 254 In diese Richtung z. B. § 10-130 IECSA Anm. 2; Myers, 17 J. Marshall J. Computer & Info. L. 909, bei Fn. 85 – 86; Oei, in: Smedinghoff (Hsrg.), Online Law, 55; Thot, 96 ff. m.w.Nachw. 255 Grundlegend Southwestern Tel. & Tel. Co. v. Sharp, 118 Ark. 541, 177 S.W. 25 (Ark. 1915); dem folgend z. B. American Message Centers v. FCC, 50 F.3d 35, 38 (D.D.C. 1995); MCI Telecommunications Corp. v. Ameri-Tel, Inc., 852 F.Supp. 659, 669 (N.D.Ill. 1994); AT&T Co. v. New York City Human Resources Admin., 833 F.Supp. 962, 968 (S.D.N.Y. 1993); American Telephone and Telegraph Co. v. Jiffy Lube International, Inc., 813 F.Supp. 1164, 1165. 256 Vgl. die oben genannten Entscheidungen American Message Centers, MCI Telecommunications Corp., AT&T, American Telephone and Telegraph Co.

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Ein allgemeiner oder verallgemeinerungsfähiger Gedanke der Vertrauens- oder gar Rechtsscheinhaftung läßt sich daraus nicht entnehmen. Eher wird man von einer fast systemwidrigen Ausnahmeregelung sprechen müssen, die absoluten Verkehrsschutz gewährt und keinesfalls als Vergleichsbasis für elektronische Erklärungen, seien sie kennwortgeschützt oder digital signiert, herangezogen werden können.257 5. Ergebnisse Der beweisrechtliche Ansatz zur Zuordnung elektronischer Erklärungen und Unterschriften zu einer Person, wie er im UDSA, in den ABA Richtlinien, im IECSA, im UETA und im UCITA geregelt ist, findet sich in US amerikanischen Gesetzen recht häufig,258 die darüber hinausgehende Frage, was gilt, wenn dem Signaturinhaber der Nachweis gelingt, daß er die Erklärung tatsächlich nicht abgegeben hat, bleibt dagegen meist – wie auch im geschriebenen deutschen Recht – offen. Einzige Ausnahme bildet insofern das Gesetz des Bundesstaates Illinois (und die ihm nachgebildete Regelung im Electronic Commerce Security Act des Bundesstaates Iowa), das eine der deutschen Rechtsscheinhaftung sehr nahestehende Zuordnungsvorschrift enthält. Die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien des IECSA zur Vergleichbarkeit elektronischer Signaturen mit Wertpapieren sind dogmatisch außerordentlich angreifbar und nur im Ergebnis – da sie praktisch nur auf digitale Signaturen anwendbar sind – zufällig weitgehend zutreffend und decken sich in erstaunlichem Maß mit den zum deutschen Recht gefundenen Ergebnissen. Anders ist es bei Vereinbarung von Kennwortschutz, Biometrie oder eingescannten Unterschriften, wo das IECSA zu einer nach deutschem Recht inakzeptabel weiten Zurechnung führt. Erneut offenbaren sich die Tücken sog. technologieneutraler Gesetzgebungsansätze.

257 Noch viel weniger vermag es natürlich zu überzeugen, wenn ein hiesiges Gericht (LG Berlin, Urt. v. 11. 07. 2001, 18 O 63 / 01) auf Basis des allgemeinen deutschen bürgerlichen Rechts annimmt, der Anschlußinhaber hafte für jede Telefonverbindung von seinem Rechner aus, egal ob diese dem Anschlußinhaber bewußt war oder nicht. Zu recht ablehnend Härting, FAZ v. 12. 09. 2001, 30. 258 Vgl. die vollständige Zusammenstellung bei http: / / www.mbc.com / ecommerce / legislative_7.asp?state=all.

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II. Das UNCITRAL Modellgesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr 1996 1. Vertrauenswürdigkeit elektronischer Unterschriften a) Gleichstellung und Diskriminierungsverbot nach Art. 5 UMEG Art. 5 UMEG 1996 bestimmt, daß einer Information die Rechtsverbindlichkeit nicht allein deshalb versagt werden darf, weil sie in elektronischer Form abgegeben wurde. Die Regelung stimmt insoweit mit der EGV-RL der EU überein. Hauptstoßrichtung dieses Diskriminierungsverbots ist die Überwindung herkömmlicher Formvorschriften, z. B. § 126 BGB. Darüber hinaus läßt sie den Schluß zu, daß herkömmliche urkundengebundene Rechtsscheintatbestände grundsätzlich auch in elektronischer Form geschaffen werden können.259

b) Elektronische Originale nach Art. 10 UMEG Ausdrücklich regelt das Modellgesetz die Frage des Originals. Wird vom nationalen Recht verlangt, daß ein Original der Erklärung oder Nachricht vorliegen muß, kann dieses Erfordernis gem. Art. 8 – 10 UMEG 1996 insbesondere auch dadurch erfüllt werden, daß die elektronische Nachricht jederzeit wieder abrufbar vorhanden ist (Art. 10(1)(a)). Dieser Gedanke läßt sich allerdings nicht für Fälle wie den deutschen § 172 Abs. 1 BGB fruchtbar machen. Der spezifische Grund warum bei § 172 Abs. 1 BGB das Original erforderlich ist – die jederzeitige vollständige Rückgebbarkeit – stellt genau das Gegenteil dessen dar, was i.d.R. Grund für die Pflicht zur Vorlage des Originals ist – die jederzeitige Einsehbarkeit. Die Regelung des Modellgesetzes kann daher nicht über die Rückgabeproblematik hinweghelfen. Erforderlich ist insoweit ein technische oder gesetzgeberische Lösung, wie sie z. B. bei digitalen Attribut-Zertifikaten existiert (jederzeitige Widerrufsmöglichkeit des Geschäftsherrn und Löschung in einem öffentlich zugänglichen Zertifikatverzeichnis).

c) Materiellrechtliche Zuordnung elektronischer Erklärungen nach Art. 13 UMEG Nach Art. 13 UMEG 1996 kann eine Erklärung dem Unterschriftsinhaber auch dann zugeordnet („attribution“) werden, wenn er sie selbst nicht abgegeben hat. Die Vorschrift lautet wie folgt:

259 Deutschland hat immerhin fünf Jahre gebraucht, um die Vorschläge des UMEG 1996 in den Vorschriften des FormAnpG von 2001 umzusetzen.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

Art. 13. Attribution of data messages. (1) A data message is that of the originator if it was sent by the originator himself. (2) As between the originator and the addressee, a data message is deemed to be that of the originator if it was sent: (a) by a person who had authority to act on behalf of the originator in respect of that data message; or (b) by an information system programmed by, or on behalf of, the originator to operate automatically. (3) As between the originator and the addressee, an addressee is entitled to regard a data message as being that of the originator, and to act on that assumption, if: (a) in order to ascertain whether the data message was that of the originator, the addressee properly applied a procedure previously agreed to by the originator for that purpose; or (b) the data message as received by the addressee resulted from the actions of a person whose relationship with the originator or with any agent of the originator enabled that person to gain access to a method used by the originator to identify data messages as its own. (4) Paragraph (3) does not apply: (a) as of the time when the addressee has both received notice from the originator that the data message is not that of the originator, and had reasonable time to act accordingly; or (b) in a case within paragraph (3)(b), at any time when the addressee knew or should have known, had it exercised reasonable care or used any agreed procedure, that the data message was not that of the originator. (5) Where a data message is that of the originator or is deemed to be that of the originator, or the addressee is entitled to act on that assumption, then, as between the originator and the addressee, the addressee is entitled to regard the data message as received as being what the originator intended to send, and to act on that assumption. The addressee is not so entitled when it knew or should have known, had it exercised reasonable care or used any agreed procedure, that the transmission resulted in any error in the data message as received. (6) The addressee is entitled to regard each data message received as a separate data message and to act on that assumption, except to the extent that it duplicated another data message and the addressee knew or should have known, had it exercised reasonable care or used any agreed procedure, that the data message was a duplicative.

Voraussetzung der materiellrechtlichen Zurordnung ist das Vorliegen einer der beiden in Art. 13 Abs. 3 genannten Alternativen.260 Die erste Alternative besteht darin, daß der Erklärungsempfänger ein Identifizierungsverfahren verwendet, mit dem sich der Unterschriftsinhaber einverstanden erklärt hat (auch einseitig oder gegenüber einer Zwischenperson), und es sich nach diesem Verfahren um eine Erklärung des Erklärenden handelt (Zuordnung kraft Vereinbarung). Die zweite Alternative stellt darauf ab, daß die Erklärung auf die Handlung eines Dritten zurück260

Dazu auch Thot, 121 ff.

§ 11 Rechtsvergleichende Untersuchung materiellrechtlicher Zuordnungsregeln

353

geht, dessen Beziehung zum Unterschriftsinhaber oder zu einem seiner Vertreter es dem Dritten ermöglichte, Zugang zum elektronischen Signaturverfahren des Unterschriftsinhabers zu gewinnen (Zuordnung aufgrund der Risiken des eigenen Geschäftskreises). Art. 13 basiert auf Art. 5 des UNCITRAL Modellgesetzes über internationale Kredittransfers.261 Während es sich im ersten Fall um Zuordnung kraft rechtsgeschäftlicher Vereinbarung handelt, liegt im zweiten Fall ein materiellrechtlicher gesetzlicher Zuordnungstatbestand vor, vergleichbar einem Vertrauenstatbestand im deutschen Sinne. Dem scheint zwar auf den ersten Blick der Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 und der Umsetzungsanleitung (Nrn. 83 ff.) zu widersprechen, wenn dort von „assumption“ oder „presumption“, also „Vermutung“ und damit einem beweisrechtlichen Tatbestand die Rede ist.262 Der Sachzusammenhang sowohl der Vorschrift wie auch der Umsetzungsanleitung verdeutlicht indes, daß es sich nicht um eine lediglich beweisrechtliche Vorschrift handeln kann. Die Wirkung des Art. 13Abs. 3 lit. b) besteht gerade darin, daß die Erklärung dem Signaturinhaber auch dann zugeordnet wird, wenn er nachweisen kann, daß ein Dritter gehandelt hat und diesem keine Vertretungsmacht zustand.263 Das ist aber keine beweisrechtliche Vermutung, sondern eine materiellrechtliche Regelung.264 Im übrigen verwendet auch Art. 13 Abs. 2 eine unklare, beweisrechtlich klingende Formulierung („is deemed“ = „gilt“, „wird vermutet“) für die eindeutig materiellrechtlichen Tatbestände der Vertretungsmacht und der automatisierten Erklärung.265 Umsetzungsanleitung Nr. 83. Art. 5 des letztgenannten Modellgesetzes (abrufbar unter http: / / www.uncitral.org / english / texts / payments / ml-credittrans.htm) lautet in den relevanten Passagen:„Obligations of sender. (1) A sender is bound by a payment order or an amendment or revocation of a payment order if it was issued by the sender or by another person who had the authority to bind the sender. (2) When a payment order or an amendment or revocation of a payment order is subject to authentication other than by means of a mere comparison of signature, a purported sender who is not bound under paragraph (1) is nevertheless bound if (a) the authentication is in the circumstances a commercially reaonsable method of security against unauthorized payment orders, and (b) the receiving bank complied with the authentication. (3) [ . . . ] (4) A purported sender is, however, not bound under paragraph (2) if it proves that the payment order as received by the receiving bank resulted from the actions of a person other than (a) a person or former employee of the purported sender, or (b) a person whose relationship with the purported sender enabled that person to gain access to the authentication procedure. The preceding sentence does not apply if the receiving bank proves that the payment order resulted from the actions of a person who had gained access to the authentication procedure through the fault of the purported sender. (5) [ . . . ] (6) [ . . . ]“ 262 Unklar insoweit Bierekoven, 345 f. 263 So auch eindeutig Umsetzungsanleitung Nr. 87. 264 Es wäre auch nicht zielführend, von einer „unwiderleglichen Vermutung“ zu sprechen, da eine Vermutung, die nicht widerlegt werden darf, gerade keine reine Beweisfunktion hat, sondern materiellrechtliche Wirkung. 261

23 Rieder

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

2. Zurechnungsgesichtspunkte Art. 13 Abs. 3 UMEG 1996 stellt seinem Wortlaut nach deutlich auf Aspekte des Risikoprinzips ab, wenn es heißt, daß der Dritte aufgrund seiner Beziehung zum Unterschriftsinhaber oder einem seiner Vertreter die Möglichkeit hat, sich Zugang zur elektronischen Unterschrift zu verschaffen (Verantwortung für die Risiken des eigenen Geschäftskreises). Dieser Ansatz ist vor dem Hintergrund des deutschen Zurechnungsmaßstabs Risikoprinzip grundsätzlich positiv zu bewerten. Allerdings wäre zu begrüßen, wenn die Zurechnung nicht bei der „Beziehung“ des Dritten zum Unterschriftsinhaber stehenbliebe, sondern generell an die Frage gekoppelt würde, ob der Unterschriftsinhaber – über seine „Beziehungen“ zu Dritten hinaus – abstrakt gesehen eine erhöhte Gefahr für den Rechtsverkehr geschaffen hat. Umgekehrt ist die durch Art. 13 Abs. 3 UMEG vorgezeichnete Zurechnung auch zu weit, da im bürgerlichrechtlichen Verkehr – jedenfalls nach deutschrechtlichen Vorstellungen – grundsätzlich nur die wissentliche Schaffung eines Rechtsscheins zugerechnet werden kann. Allerdings wird man zugestehen müssen, daß das UMEG vorwiegend auf den Handelsverkehr zugeschnitten ist, und dort auch nach deutschem Recht eine weitergehende Zurechnung spezifisch kaufmännischer bzw. unternehmerischer Organisationsrisiken zulässig und geboten ist. Ferner geht die Regelung in Art. 13 Abs. 3 zu weit, wenn sie keine Einschränkungen für Fälle von Abhandenkommen und Fälschungen enthält. Für die Konstellationen, in denen die Erklärung bzw. der Unterschriftsmechanismus nicht auf den Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl gerichtet ist, schießt diese Regelung über ihr Ziel hinaus. Gleichwohl bleibt es den staatlichen Gesetzgebern selbstverständlich unbenommen, bei der Übernahme oder Umsetzung des Modellgesetzes solche Erweiterungen und Einschränkungen vorzunehmen, die innerhalb der jeweiligen nationalen Rechtsordnung die innere Einheit und Folgerichtigkeit wahren. Problematisch ist insbesondere das Fehlen jeglicher Einschränkungen auf den Handelsverkehr bei Kennwortschutzsystemen, eingescannten Unterschriften und biometrisch signierten Erklärungen, die fehlende Differenzierung zwischen digitalen Signaturen einerseits und sonstigen elektronischen Erklärungsformen andererseits in der Frage des Abhandenkommens und insgesamt die zu weitgehende und undifferenzierte Parallele zum Recht des internationalen Bankkredittransfers, dessen spezifisch bankrechtliche Wertungen und Risikoverteilungen nicht unbesehen auf Alltagsgeschäfte Privater übertragbar sind. 265 Das einleitend in § 2 vorgestellte Modellgesetz über elektronische Signaturen von 2001 (UMES 2001) enthält im übrigen keinerlei Konkretisierung zu Art. 13 UMEG 1996 über den elektronischen Geschäftsverkehr. Art. 8(1) UMES 2001 regelt zwar die Sorgfaltspflichten des Signaturinhabers und Art. 8(2) bestimmt, daß der Signaturinhaber bei Pflichtverletzungen „haftbar“ (liable) sein soll. Die Ausgestaltung der Haftung – insbesondere Erfüllungs- oder Schadensersatzhaftung – soll dagegen bewußt den umsetzenden Staaten überlassen bleiben. UMES 2001, Umsetzungsanleitung Nrn. 102 a.E., 132, 136.

§ 11 Rechtsvergleichende Untersuchung materiellrechtlicher Zuordnungsregeln

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Nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 erfolgt die Zurechnung unabhängig von einem Verschulden des Unterschriftsinhabers; das ist vom Standpunkt des Risikoprinzips aus folgerichtig. Dagegen soll es nach der offiziellen Umsetzungsanleitung, einem kommentierenden Begleittext zum Modellgesetz, auf die Fahrlässigkeit des Unterschriftsinhabers ankommen.266 Das würde zwar mit der Herkunft des Art. 13 Abs. 3 aus dem Recht des internationalen Kredittransfers übereinstimmen, doch ist diese – vom Modellgesetz selbst gezogene – Parallele höchst problematisch. Art. 5 des Modellgesetzes über internationale Kredittransfers mag für die darin geregelten Bankgeschäfte in der Tat eine passende Risikoverteilung enthalten. Die dahinterstehenden speziellen bankrechtlichen Wertungen sind aber nicht ohne weiteres auf sämtliche elektronischen Erklärungen und Signaturen erweiterbar. Insbesondere die Fälle des Abhandenkommens und der Fälschung werden damit nicht befriedigend gelöst. Das Modellgesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr ist daher bezüglich der Zurechnungsfaktoren eher lückenhaft und unausgereift. 3. Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden Art. 7 Abs. 4 lit. a) UMEG 1996 regelt die Gutgläubigkeit des Erklärungsempfängers. Er ist nicht gutgläubig, sobald er davon erfährt (positive Kenntnis), daß die Erklärung nicht von dem Unterschriftsinhaber stammt und der Empfänger ausreichend Zeit hatte, sich darauf einzustellen. Ebenso fehlt es an der Gutgläubigkeit, wenn der Empfänger wissen muß, daß die Nachricht nicht von dem angeblich Erklärenden stammt. Aussagen zu konkreten Nachforschungspflichten trifft das Modellgesetz nicht. Maßgeblich muß hier das innere System der nationalen Rechtsordnung sein, in die das Modellgesetz übernommen werden soll. Während im deutschen Recht Nachforschungspflichten systemfremd erschienen, würde im US amerikanischen Recht der Verzicht auf Nachforschungspflichten einen gewissen Wertungswiderspruch darstellen. Keine Aussagen finden sich zu den Fragen Kenntnis des Rechtsscheintatbestandes, Vertrauensinvestition, Kausalität und Schutzwürdigkeit des Erwerbsvorganges. Insoweit müssen nationalstaatliche Regelungen und Prinzipien das Modellgesetz ergänzen. 4. Ergebnisse Art. 13 UMEG 1996 enthält eine nicht vollständig befriedigende Regelung zur Rechtsscheinhaftung. Klar ist, daß trotz des mißverständlichen Wortlauts „assumption“ keine lediglich beweisrechtliche, sondern eine materielle Regelung getroffen ist. Die maßgeblichen Zurechnungsgesichtspunkte und -hauptprobleme (Risikoprinzip, Abhandenkommen, Fälschungen, Irrtum etc.) arbeitet das Modell266

23*

UMEG 1996 Umsetzungsanleitung Nr. 87.

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3. Kap.: Die Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände und ihre Anwendung

gesetz nicht mit hinreichender Klarheit und den erforderlichen Differenzierungen zwischen verschiedenen Formen elektronischer Erklärungen heraus. Ob schließlich Erfüllungs- oder Schadensersatzhaftung die Folge sein sollen, überläßt Art. 13 ausweislich der Umsetzungsanleitung (Nr. 92) dem materiellen Recht des umsetzenden Staates. Das IECSA, das maßgeblich vom Modellgesetz beeinflußt ist, hat diese Punkte zwei Jahre später bereits eingehender und sachgerechter geregelt. Immerhin aber ist anzuerkennen, daß das Modellgesetz schon 1996 grundsätzlich mit der Problematik der Rechtsscheinhaftung vertraut war. Um so erstaunlicher ist es, daß der deutsche Gesetzgeber weder im SigG 1997 noch im SigG 2001 darauf offenbar auch nur einen Gedanken verwendet hat.

III. Zusammenfassung Als wichtigste Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung lassen sich folgende vier Punkte festhalten: Erstens haben sich besonders im Falle der USA die von vorneherein beschränkten Erwartungen an die Signaturgesetzgebung (fehlende Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundäransprüchen, geringere dogmatische Durchdringung der Vertrauenshaftung) grundsätzlich bestätigt. Die allermeisten amerikanischen Signaturgesetze sprechen die Rechtsscheinproblematik gar nicht an. Soweit es doch geschieht (Illinois und Iowa) sind die Resultate zum Vorliegen eines Scheintatbestandes begrüßenswert, bezüglich Zurechnung und Gutgläubigkeit vermögen sie dogmatisch nicht zu befriedigen, wenngleich für den Sonderfall digitaler Signaturen praktisch im Ergebnis weitgehend Übereinstimmung erzielt werden kann. Die lediglich topisch gezogene Parallele zum Wertpapierrecht (oder gar zum Telefonmißbrauch) kann dogmatisch nicht überzeugen. Zweitens lassen sich ähnliche Ergebnisse für das UNCITRAL Modellgesetz von 1996 festhalten: positiv hinsichtlich des Vorliegens eines Scheintatbestandes und des Problembewußtseins bezüglich materiellrechtlicher Zuordnung, weniger positiv bezüglich der dogmatischen Durchdringung von Zurechnungs- und Gutgläubigkeitsfragen. Auch hier läßt der bloß topische Bezug zum Recht internationaler Kredittransfers dogmatischen Tiefgang vermissen. Drittens wird man dem deutschen Signaturgesetzgeber vorwerfen müssen, sich rechtsvergleichend nicht hinreichend umgesehen zu haben. Während prominente amerikanische und internationale Regelwerke schon 1996 bzw. 1998 die materiellrechtliche Zuordnungsproblematik erkannt und jedenfalls praktisch einigermaßen brauchbare Lösungsvorschläge erarbeitet hatten, schweigen sich das deutsche SigG von 2001 und das FormAnpG aus demselben Jahr beharrlich zu der Thematik aus. Gerade in Deutschland hätte man vom Gesetzgeber eine intensivere Befassung mit Rechtsscheinthemen wegen der hierzulande fundamentalen Unterscheidung von Primär- und Sekundäransprüchen und der hervorragenden dogmatischen Aufarbeitung der Vertrauenshaftung vor nunmehr bereits drei Jahrzehnten erwar-

§ 11 Rechtsvergleichende Untersuchung materiellrechtlicher Zuordnungsregeln

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ten dürfen. Dann könnten die dogmatischen Grundlagen des deutschen Rechts und die daraus abgeleiteten Ergebnisse für die weitere internationale Entwicklung der Fragestellung sehr viel besser fruchtbar gemacht werden. Die fehlende gesetzliche Regelung in Deutschland erschwert allerdings die rechtsvergleichende Befruchtung von Deutschland aus erheblich. Hier bewahrheitet sich die schon eingangs aufgestellte These, daß Rechtsvergleichung eben keinesfalls nur als Einbahnstraße für den unbesehenen Import ausländischer Regeln ins nationale Recht mißverstanden werden darf. Viertens ist deutlich geworden, daß dogmatisches Denken gerade im Bereich der Rechtsscheinhaftung unverzichtbar ist. Die Gebrechlichkeit und Unzulänglichkeit topischen oder einzelfallbezogenen Herangehens ist sowohl in Illinois (Parallele zum Wertpapierrecht und Telefonmißbrauch) als auch bei der UNCITRAL (Parallele zum Recht internationaler Kredittransfers) offenbar geworden.

4. Kapitel

Ergebnisse § 12 Ergebnisse zur Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung In diesem letzten Abschnitt werden zunächst die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel zusammengefaßt (I.), herkömmliche und neuartige Rechtsscheintatbestände anschließend nach verschiedenen Kriterien gegenübergestellt (II.) und abschließend Folgerungen für das innere System der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr aufgezeigt (III.).

I. Die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr 1. Der elektronische Geschäftsverkehr und seine Handlungsformen  Elektronischer Geschäftsverkehr befaßt sich mit elektronischen Handlungen und Erklärungen die mittels vernetzter Rechner erstellt und ausgetauscht werden. Wesentliche technische Grundlagen sind Rechnertechnologie, Telekommunikation und das Internet. Der elektronische Geschäftsverkehr nimmt wirtschaftlich, gesellschaftlich und international eine bedeutende Rolle ein.  Rechtliche relevante Handlungsformen im elektronischen Geschäftsverkehr sind elektronische Erklärungen und Realakte. Elektronische Erklärungen bilden das kommunikative Herzstück des elektronischen Geschäftsverkehrs und können in allen seinen Bereichen auftreten. Rechtserhebliche elektronische Erklärungen kommen in verschiedenen Formen als einfache elektronische Erklärungen, solche mit eingescannter Unterschrift, mit Kennwortschutz, digitaler Signatur und biometrischen Sicherungsmechanismen vor. Auch die Entwicklung weiterer Erklärungsformen in der Zukunft ist nicht ausgeschlossen. Die verschiedenen Erklärungsformen weisen unterschiedliche Grade an Sicherheit und Komfort auf. Am komfortabelsten, aber unsichersten ist die – am weitesten verbreitete – einfache elektronische Erklärung (elektronische Post). Höchste Sicherheit bietet wohl die digitale Signatur, verbunden mit einer biometrischen Sicherung des

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

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Zugangs zu den Signierkomponenten, erfordert aber auch vergleichsweise höchsten technischen Aufwand.  Zu den auch die rechtliche Behandlung prägenden Eigenarten („Paradigmen“) des elektronischen Geschäftsverkehrs gehören die Dematerialisierung, die Deterritorialisierung, die Detemporalisierung, die Selbstregulierung, die Technikbetontheit und das Vertrauensproblem.

2. Der Rechtsrahmen des elektronischen Geschäftsverkehrs  Zu den wichtigsten Rechtsgrundlagen des elektronischen Geschäftsverkehrs zählen auf Ebene der Europäischen Union die EGV-RL, die SigRL und die FernabsatzRL, in Deutschland das IuKDG, das SigG (1997 & 2001) und das FormAnpG. In USA sind neben der Vielzahl einzelstaatlicher Signaturgesetze v.a. das UETA und das UCITA als Modellgesetze und das E-SIGN Gesetz als Bundesgesetz von Bedeutung. Im Hinblick auf die Regelwerke internationaler Organisationen verdienen insbesondere die UNCITRAL Modellgesetze über den elektronischen Geschäftsverkehr (1996) und über elektronische Signaturen (2001) besondere Aufmerksamkeit.

3. Grundlagen der Rechtsscheinhaftung und der Rechtsvergleichung  Rechtsscheinhaftung setzt einen Rechtsscheintatbestand, das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf seiten des Vertrauenden und Zurechenbarkeit voraus. Der Vertrauende muß gutgläubig sein, den Rechtsscheintatbestand kennen, und darauf bauend (Kausalität) eine Vertrauensdisposition treffen, die keinen nicht schutzwürdigen Erwerbsvorgang betreffen darf. Zurechnung bemißt sich richtigerweise nach dem Risikoprinzip, wonach im bürgerlichen Verkehr grundsätzlich nur die wissentliche Schaffung eines Scheintatbestandes, im Handelsverkehr darüber hinaus die nicht wissentliche Schaffung im Zusammenhang mit spezifischen Organisationsrisiken eines unternehmerischen Betriebs zurechenbar ist. Bei drittgerichteten Scheintatbeständen ist ferner das Richtigkeitsrisiko zurechenbar. Abhandenkommen ist nur bei Umlaufpapieren und umlaufpapierähnlichen Scheintatbeständen zurechenbar. Fälschung und Verfälschung können ausnahmsweise zugerechnet werden, wenn der Aussteller der Erklärung ein erhöhtes Fälschungs- bzw. Verfälschungsrisiko bezüglich der Echtheit der Erklärung geschaffen hat. Unterlassen ist v.a. bei Verwirklichung kaufmännischer Organisationsrisiken zurechenbar. Willensmängel sind grundsätzlich beachtlich; anders bei verkehrsmäßig typisiertem Verhalten, drittgerichteten Scheintatbeständen und kaufmännischen Organisationsrisiken. – Rechtsfolge der Rechtsscheinhaftung ist positiver Vertrauensschutz.

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4. Kap.: Ergebnisse

 Die Internationalität des elektronischen Geschäftsverkehrs verlangt nach rechtsvergleichender Betrachtung. Fokus ist die Untersuchung des gleichen als problematisch empfundenen Lebenssachverhaltes oder Interessenkonfliktes, nicht die Auffindung identischer dogmatischer Figuren oder Rechtsinstitute. Hauptunterschied zwischen den Rechtskreisen common law und civil law für Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist das unterschiedliche methodische Herangehen (Systemdenken versus Problemdenken). Speziell im Vertragsrecht ist in USA das Fehlen eines eigenständigen Handelsrechts, die objective theory of contract und das grundsätzliche Fehlen einklagbarer Erfüllungsansprüche (specific performance) zu beachten.

4. Herkömmliche urkundengebundene Rechtsscheintatbestände  Bei § 172 BGB ergab bereits die Auslegung der Vorschrift, daß elektronische Erklärungen im Hinblick auf Wortlaut, Systematik, Wille des Gesetzgebers und Legitimationszweck als „Urkunden“ im Sinn dieser Vorschrift anerkannt werden könnten, und zwar ohne daß FormAnpG oder SigG (1997 & 2001) insoweit entscheidende Zäsuren darstellen würden. Die unmittelbare Anwendung des § 172 BGB auf elektronische Erklärungen scheitert indes am strukturellen Zusammenhang zwischen Aushändigung, Vorlage und Rückgabe der Vollmachtsurkunde, der die im elektronischen Bereich grundsätzlich nicht abbildbare Einmaligkeit des Originals der Vollmachtsurkunde voraussetzt. Daran ändern auch die SigRL und die EGV-RL nichts. Einmaligkeitsäquivalente wie z. B. Verzeichnislösungen scheitern dagegen an der Wortlautgrenze des § 172 BGB. Auf Vollmacht-Attributzertifikate nach dem SigG (bzw. einer vergleichbar operierenden Zertifizierungsstelle außerhalb des SigG) ist § 172 BGB analog anwendbar. Im übrigen findet die dem elektronischen Geschäftsverkehr eigene Dematerialisierung bei Vollmachtsurkunden eine mit Mitteln der Auslegung und Rechtsfortbildung nicht übersteigbare Grenze im geltenden Recht. Sofern insoweit Handlungsbedarf gesehen wird, könnte nur der Gesetzgeber helfen, beispielsweise durch die Schaffung einer elektronischen Registrierungsmöglichkeit von Vollmachtsurkunden (vergleichbar dem amerikanischen Modell für die Vollmacht eines Personengesellschafters). Diesem Register könnten dann mit §§ 170 ff. BGB vergleichbare Rechtsscheinwirkungen zugeordnet werden, wobei insoweit eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zu den Wirkungen des Registers zu begrüßen wäre. Im US amerikanischen Recht sind elektronische powers of attorney jedenfalls mittlerweile unproblematisch zulässig. Aufgrund der eingeschränkten Beendigungsmöglichkeiten (nur Mitteilung gegenüber dem Dritten) ist dort erhöhte Vorsicht geboten. Wenn man das amerikanische Modell für vorzugswürdig hielte, ließe es sich in Deutschland jedenfalls nur nach einer Gesetzesänderung (Streichung der Rückgabe in § 172 Abs. 2 BGB) einführen, nicht aber durch Auslegung oder Rechtsfortbildung. Wegen der daraus resultierenden ungewöhnlich weitreichenden Bindung des Geschäftsherrn ist die Übernahme

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

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des amerikanischen Regelungsmodells wohl aber nicht empfehlenswert. Der Rechtsvergleich bietet insoweit keine umsetzbaren Anregungen für das deutsche Recht. Vor der unkritischen Übernahme ausländischer Regelungen kann daher nur eindringlich gewarnt werden.  Die Grundsätze über den Blankettmißbrauch lassen sich in unmittelbarer Anwendung auch auf den elektronischen Geschäftsverkehr und elektronische Erklärungen übertragen. Das geltende Recht ermöglicht bereits eine weitgehende Dematerialisierung, begünstigt durch den Umstand, daß die Rechtsscheinhaftung von vorneherein nicht urkundenfixiert ist. Keinerlei Bedeutung hat dagegen die gesetzliche Dematerialisierung der Formvorschriften des BGB nach Maßgabe des FormAnpG, da § 126a BGB nur für digitale Signaturen nach SigG 2001 gilt, und die Grundsätze des Blankettmißbrauchs bei Verwendung digitaler Signaturen praktisch gerade keine Rolle spielen. Elektronische Blanketterklärungen, die eine hinreichende Legitimationsfunktion entfalten (aufgrund der Verläßlichkeit der gewählten elektronischen Form oder aufgrund sonstiger Begleitumstände), sind wie Blankette herkömmlicher Art zu behandeln. Im Einzelfall kann sogar die automatische Unterschrifts- und Adreßzeile eines elektronischen Postprogramms ein Blankett darstellen. Zu beachten ist allerdings, daß diese Grundsätze in unmittelbarer Anwendung nicht das Problem der unbefugten Verwendung von Identifizierungs- und Legitimationsmitteln (z. B. Kennwort, digitale Signatur, biometrisches Merkmal) lösen können. Lediglich die Überlassung des Identifizierungsmerkmals zur Erstellung rechtsgeschäftlicher Erklärungen kann in Einzelanalogie zu den Grundsätzen des verdeckten Blankettmißbrauchs gelöst werden, nicht aber die eigenmächtige Erlangung des Identifizierungsmerkmals durch einen Dritten oder die unbefugte Verwendung eines Merkmals, das ohne jeden rechtsgeschäftlichen Bezug offengelegt bzw. überlassen worden ist. Diesbezüglich sind Überlegungen zur Schaffung bzw. Anerkennung neuartiger Rechtsscheintatbestände erforderlich. Da es nur auf den auch in den USA anerkannten verdeckten Blankettmißbrauch ankommt, führt die Tatsache, daß eine Rechtsscheinhaftung für offene Blankettausfüllung in USA nicht anerkannt ist, hier praktisch zu keinen abweichenden Ergebnissen. Der Rechtsvergleich fördert daher auch hier keine neuen Erkenntnisse zutage, trägt aber immerhin zu einer Bestätigung der Lösungen des deutschen Rechts bei.  Unter Zugrundelegung der Analyse bei § 172 BGB wird man nach richtiger Ansicht – anders wohl die h.M. – elektronischen Erklärungen grundsätzlich die Eigenschaft als Quittung mit der Rechtsscheinwirkung nach § 370 BGB nicht allein wegen der elektronischen Form absprechen können. Die Dematerialisierung im elektronischen Geschäftsverkehr kann daher, soweit Quittungen betroffen sind, schon nach herkömmlichem Recht bewältigt werden, ohne daß es entscheidend auf die Neuerungen des FormAnpG ankäme.  § 405 BGB ist nach hiesiger Auffassung bei hinreichender Legitimationswirkung auch auf elektronische Erklärungen anwendbar. Ohne weiteres gilt das i.d.R. für Kennwortschutzverfahren, digitale Signaturen und biometrische Ver-

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4. Kap.: Ergebnisse

fahren. Bei einfachen elektronischen Erklärungen bedarf es einer Einzelfallbetrachtung. Die Dematerialisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs stellt § 405 BGB daher vor keine Probleme, zu deren Lösung der Gesetzgeber bemüht werden müßte. Die Detemporalisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs führt bei § 405 BGB zu keiner abweichenden (d. h. verkürzten) Beurteilung des zwischen Vorlage und Abtretung erforderlichen zeitlichen Zusammenhangs.  Ähnlich wie bei § 172 BGB stößt die Dematerialisierung des elektronischen Geschäftsverkehrs im Wertpapierrecht an dogmatische Grenzen des geltenden Rechts. Anders als bei § 172 BGB ist hier mit einer Analogie etwa für die Fälle digital signierter Erklärungen nicht weiterzukommen. Abhilfe kann im Wertpapierrecht nur der Gesetzgeber durch Einführung eines elektronischen Äquivalentes zur herkömmlichen, einmaligen Wertpapierurkunde schaffen, begleitet von detaillierten Regeln zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines solchen Regelungsmodells. Im amerikanischen Recht findet sich insoweit durchaus interessantes Anschauungsmaterial (z. B. § 16 UETA), von dem rechtsvergleichend profitiert werden könnte.  Zusammenfassend kann zur Anwendung urkundengebundener Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr folgendes festgehalten werden: Erstens ist festzustellen, daß sich urkundengebundene Rechtsscheintatbestände bereits nach herkömmlichem Recht (vor Einführung des FormAnpG) weitgehend im elektronischen Rechtsverkehr abbilden lassen (z. B. Blankett, Quittung, § 405 BGB). Das liegt v.a. daran, daß die Rechtsscheinhaftung allgemein keinen Unterschied zwischen urkundengebundenen und nicht urkundengebundenen Rechtsscheintatbeständen kennt und die untersuchten urkundengebundenen Rechtsscheintatbestände Regelungszwecke (Legitimation beim Blankett und bei der Quittung, Bekanntmachung und Legitimation bei § 405 BGB) haben, die nicht mit denen des § 126 BGB oder der §§ 415 ff. ZPO identisch sind. – Zweitens ist bemerkenswert, daß die Vorschriften des FormAnpG für die Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr, soweit urkundengebundene Rechtsscheintatbestände betroffen sind, zu keiner konstitutiven Erweiterung des Anwendungsbereichs der Rechtsscheinhaftung führen. Sämtliche gewonnenen Ergebnisse lassen sich auch auf Basis des vor dem FormAnpG geltenden Rechts begründen. Dort wo die Grenzen des geltenden Rechts erreicht werden (§ 172 BGB, Wertpapierrecht), hilft dagegen auch das FormAnpG nicht weiter. – Drittens sind auch teleologische Grenzen der Dematerialisierung erkennbar geworden, insbesondere bei § 172 BGB und im Wertpapierrecht. – Viertens ist in dogmatischer Hinsicht eine allmähliche Fortentwicklung des Systems der Rechtsscheinhaftung durch vorsichtige Einzelanalogie erkennbar geworden. § 172 BGB kann analog angewendet werden auf Vollmachts-Attributzertifikate. Die Problematik der unbefugten Verwendung eines Kennworts, einer digitalen Signatur oder eines biometrischen Merkmals nach Aushändigung des Kennworts, der Signatur bzw. des Merkmals zum Abschluß bestimmter Rechtsgeschäfte kann analog zu den Grundsätzen der verdeckten Blankettausfüllung

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

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gehandhabt werden. Im Wertpapierrecht kann dagegen nur der Gesetzgeber Regelungsmodelle für elektronische Umlaufpapiere schaffen. – Fünftens hat die rechtsvergleichende Betrachtung für Blankette und Quittungen keine das deutsche Recht befruchtende Erkenntnisse gebracht. Anders ist es um die Möglichkeit elektronischer Wertpapiere bestellt, wo beispielsweise das amerikanische Regelungsmodell des § 16 UETA die Diskussion in Deutschland befruchten könnte.

5. Herkömmliche nicht urkundengebundene Scheintatbestände, insbesondere Scheinvollmachten und verwandte Tatbestände  Bei § 171 BGB reicht die Identifizierung des Vertreters allein mittels elektronischer Postadresse ohne Hinzutreten weiterer identifizierender Umstände grundsätzlich nicht. Kundgebung i.S.v. § 171 BGB per elektronischer Post, Intranet und Internet sind möglich. Kundgebung im Internet stellt grundsätzlich eine öffentliche Bekanntgabe dar. Eine öffentliche Bekanntgabe ist auch in der Aufnahme in den Verzeichnisdienst einer nach dem SigG operierenden Zertifizierungsstelle zu sehen. Dasselbe gilt für Zertifizierungsstellen außerhalb des SigG-Rechtsrahmens, die sich im Hinblick auf den Verzeichnisdienst per AGB Regeln unterwerfen, die mit denen des SigG vergleichbar sind.  Scheinvollmachten können im Internet, in Intranets und bei den verschiedenen Formen elektronischer Erklärungen eine Rolle spielen. Insbesondere muß sich der kaufmännische Geschäftsherr das Auftreten eines falsus procurator auf der Internetseite des Geschäftsherrn nach dem Risikoprinzip zurechnen lassen. Das von der h.M. propagierte Verschuldensprinzip würde hier zu möglicherweise uferloser Weite (Nachforschungen im Internet insgesamt) führen. § 56 HGB ist auf Internetangebote mit telefonischer Bestellmöglichkeit entsprechend anwendbar. Duldungs- und Anscheinsvollmacht haben – entgegen der zum Bildschirmtext ergangenen Rechtsprechung und der sich dazu äußernden Literatur – im elektronischen Geschäftsverkehr eine eher geringe Bedeutung, wenn es um den praktisch häufigsten Fall des Handelns eines Dritten unter dem Namen eines Kennwort- oder Signaturinhabers geht, da mehrmaliges Auftreten und Kenntnis vom Scheintatbestand erforderlich sind. Um so dringender stellt sich die im 3. Kapitel beleuchtete Frage nach der Anerkennung neuer Rechtsscheintatbestände. Soweit Duldungs- und Anscheinsvollmacht anwendbar sind, unterliegen sie keinen zusätzlichen Einschränkungen unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 GG (Ehe und Familie) oder des § 676h BGB (Handeln von Verbrauchern). – Im Recht der USA existieren mit den Instituten apparent authority und agency by estoppel Konzepte, die mit den Rechtsscheinvollmachten nach deutschem Recht vergleichbar sind. Sie lassen es im gesamten Privatrechtsverkehr bei der Zurechnung nach dem Verschuldensprinzip bewenden, statuieren allerdings als Gegengewicht schärfere Nachforschungspflichten des Erklärungsempfängers als

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4. Kap.: Ergebnisse

im deutschen Recht. Insgesamt folgt daraus für das amerikanische Recht geringerer Verkehrsschutz und verstärkte Einzelfallgerechtigkeit. Immerhin ist die amerikanische Lösung – obgleich unter Verkehrsschutzgesichtspunkten rechtspolitisch fragwürdig – für Zurechnung und Gutgläubigkeit dogmatisch folgerichtig, während die deutsche h.M. nach wie vor das verkehrsfeindliche Verschuldensprinzip mit einem verkehrsfreundlichen Gutgläubigkeitsmaßstab in dogmatisch nicht vertretbarer Weise amalgamieren will.  Die Problemkreise Scheinkaufmann, Scheingesellschaft und Scheingesellschafter lassen sich auch im elektronischen Geschäftsverkehr mit dem bestehenden System der Rechtsscheinhaftung gut bewältigen. Aus spezifischen Handlungsweisen im elektronischen Geschäftsverkehr, wie z. B. der Verwendung von „.com“ Top-Level Domains und der Internationalität einer Internetpräsenz, können sich Indizien für eine Scheinkaufmannschaft oder Scheinhandelsgesellschaft ergeben, zwingend ist der Schluß auf einen Rechtsscheintatbestand in diesen Fällen aber nicht. Die Ergebnisse sind ähnlich für das Recht der USA. Man mag als unbefriedigend empfinden, daß für die Rechtsscheinhaftung gleichsam das „Ziellandprinzip“ gilt, also das Recht des Staates Anwendung findet, in dem der Betrachter einer Internetseite sich befindet. Jedenfalls für das deutsche und amerikanische Recht verliert die Problematik aufgrund der vergleichbaren Ergebnisse aber an Schärfe.  Im Hinblick auf nicht urkundengebundene Rechtsscheintatbestände erscheinen drei allgemeine Ergebnisse von zentraler Bedeutung: Erstens ist das herkömmliche System der Rechtsscheinhaftung ohne weiteres in der Lage, auch neuartige Handlungs- und Erklärungsformen wie elektronische Post und Internet zu bewältigen. Deutlich geworden ist das etwa bei § 171 BGB, bei der Duldungs- und Anscheinsvollmacht, bei § 56 HGB und auch beim Scheinkaufmann und der Scheingesellschaft. Bedarf nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung besteht insoweit nicht. – Zweitens sind die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Instituts der Anscheinsvollmacht bei Erklärungen mit besonderen Legitimationszeichen (Kennwort, digitale Signatur, biometrische Merkmale) deutlich geworden. Richtigerweise kann die Anscheinsvollmacht über die Fälle des verdeckten Blankettmißbrauchs hinaus analog fruchtbar gemacht werden bei unbefugter Verwendung eines Legitimationszeichens, das innerhalb einer kaufmännischen Betriebsorganisation überlassen oder zugänglich gemacht wurde. Nicht anwendbar ist die Anscheinsvollmacht bei erstmaliger unbefugter Verwendung, oder generell im bürgerlichen Verkehr oder bei Abhandenkommen bzw. eigenmächtiger Ausspähung des Legitimationszeichens. In diesen drei Fällen gewinnt die Frage nach der Anerkennung neuartiger Rechtsscheintatbestände besondere Bedeutung. – Drittens hat der Blick auf vergleichbare Institute im Recht der USA indirekt den hier vertretenen Ansatz (Anwendbarkeit der Anscheinsvollmacht nur im Handelsverkehr; Zurechnung nach dem Risikoprinzip) bestätigt. Während die h.M. in Deutschland das Institut der Anscheinsvollmacht im gesamten bürgerlichen Verkehr auf Basis des Verschuldensprinzips und ohne Statuierung

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

365

besonderer Nachforschungspflichten des Erklärungsempfängers propagiert und so zu einer unhaltbar weiten Haftung des angeblichen Geschäftsherrn gelangt, enthält das amerikanische Recht einen dogmatisch ausgewogeneren, aber stark auf Einzelfallgerechtigkeit zielenden Ansatz.

6. Herkömmliche Scheintatbestände, die durch Unterlassen verwirklicht werden  Bei §§ 170, 171 Abs. 2 BGB ergeben sich im elektronischen Geschäftsverkehr keine neuartigen Probleme. Elektronische Handlungs- und Erklärungsformen können praktisch ohne Einschränkung zur Beendigung des Rechtsscheintatbestandes genutzt werden. Bei § 171 Abs. 1 Alt. 2 BGB muß das für den Widerruf gewählte Medium in einem konkreten Sinn dem gleichen Personenkreis zugänglich sein, dem die öffentliche Bekanntmachung zugänglich war. Bei § 172 BGB stellt die Sperrung eines Signatur-Attributzertifikates das elektronische Äquivalent zur Rückgabe einer Vollmachtsurkunde dar.  Bei § 362 HGB kann sowohl das Erbieten wie auch der Antrag des Kunden grundsätzlich in jeder beliebigen, auch elektronischen Form geschehen, es sei denn der Kaufmann hat sich eindeutig gegen bestimmte Erklärungsformen verwahrt. Ein mittels elektronischer Post übersandter Antrag geht dem Kaufmann grundsätzlich schon dann zu, wenn die elektronische Nachricht für den Kaufmann abrufbar ist (Ausnahme: außerhalb normaler Geschäftszeiten). Die Reaktionszeit des Kaufmanns verkürzt sich grundsätzlich nicht schon dadurch, daß eine elektronische Erklärungsform gewählt wurde. Die Transportzeit für die Antwort ist dagegen praktisch auf Null reduziert. Dasselbe gilt für die Reaktionszeit bei §§ 75h, 91a HGB. Der rechtsvergleichende Ausblick auf das Recht der USA bringt insoweit keine nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisse.  Kaufmännische Bestätigungsschreiben können auch elektronisch verfaßt werden; auf die Einhaltung der sog. elektronischen Form nach § 126a BGB n.F. kommt es nicht an. Die Reaktionszeit des Empfängers ist nicht grundsätzlich kürzer als im herkömmlichen Geschäftsverkehr. Internetangebote können nicht nach den Grundsätzen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens abgeändert werden. Auch nach amerikanischem Recht sind elektronische Bestätigungsschreiben zulässig. Allerdings ist dort das materielle Recht des kaufmännischen Bestätigungsschreibens derart im Fluß, daß gegenwärtige rechtsvergleichende Erkenntnisse für Deutschland daraus nicht gewonnen werden können, es sei denn man wollte auch für Deutschland einem eingeschränkteren Anwendungsbereich (z. B. nur für ergänzende, nicht aber widersprechende Bestimmungen) das Wort reden.  Die Untersuchung des Schweigens im elektronischen Rechtsverkehr hat neben der Vielzahl der Einzelergebnisse zwei Aspekte von allgemeinerer Bedeutung deutlich werden lassen. Erstens schafft die dem elektronischen Geschäftsver-

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4. Kap.: Ergebnisse

kehr eigene Dematerialisierung für die hier untersuchten Rechtsscheintatbestände grundsätzlich keinerlei Schwierigkeiten. Anträge i.S.v. § 362 HGB und kaufmännische Bestätigungsschreiben können auch in jeder elektronischen Form abgegeben werden. §§ 170 ff. BGB sind insoweit ebenfalls für sämtliche Handlungsweisen und Erklärungsformen des elektronischen Geschäftsverkehrs offen. – Zweitens spielt die Detemporalisierung im elektronischen Geschäftsverkehr für die hier behandelten Scheintatbestände grundsätzlich keine Rolle, es sei denn der Kaufmann hätte im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände die berechtigte Erwartung in eine besonders kurze Bedenk- und Bearbeitungszeit geweckt.

7. Das Handelsregister im elektronischen Geschäftsverkehr  Von den im 2. Kapitel untersuchten Kategorien der Rechtsscheinhaftung – urkundengebundene, nicht urkundengebundene, durch Unterlassen verwirklichte und registergebundene Scheintatbestände – nehmen die registergebundenen Tatbestände sich, was den elektronischen Geschäftsverkehr anbelangt, (noch) am traditionellsten aus. Anmeldungen zur Eintragung ins Handelsregister setzen nach wie vor die Verwendung der öffentlich beglaubigten Form voraus, für die es im elektronischen Geschäftsverkehr – auch nach Einführung des FormAnpG – (noch) kein Äquivalent gibt. Ebenso wie im Wertpapierrecht könnte auch hier nur der Gesetzgeber Abhilfe schaffen. Nur in geringem Umfang, beispielsweise bei den „Blättern“ i.S.v. § 10 Abs. 1 HGB sind auch nach derzeitigem Recht elektronische Medien bereits verwendbar.

8. Grundsätze für die Untersuchung neuartiger Rechtsscheintatbestände  Voraussetzung für die Anerkennung eines neuen Rechtsscheintatbestandes ist ein Tatbestand, der geeignet ist, in bestimmter Richtung Vertrauen zu begründen, und die Überwindung der rechtsethischen Schwäche der Rechtsscheintheorie durch die Faktoren Stärke des Vertrauenstatbestandes, Grad des Verkehrsschutzbedürfnisses und Gewicht der Zurechnungsfaktoren. Potentielle neue Rechtsscheintatbestände sind mit bereits existierenden paradigmatischen Beispiels- bzw. Anwendungsfällen der Rechtsscheinhaftung abzugleichen. Schließlich sind die weiteren Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Rechtsscheinhaftung nach den allgemeinen Voraussetzungen zu untersuchen.  Die Bedeutung der Rechtsvergleichung mit Vorschriften der USA und der UNCITRAL bei der Untersuchung neuartiger Rechtsscheintatbestände liegt weniger im Feld der Dogmatik als in der Chance, unterschiedliche Problemlösungsversuche zu ergründen, und in der Aussicht, Möglichkeiten und Grenzen einer Rechtsharmonisierung auf internationaler Ebene zu ermitteln.

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

367

9. Digital signierte Erklärungen  Nach dem SigG digital signierte elektronische Erklärungen stellen einen Rechtsscheintatbestand im Hinblick auf die Identität des Erklärenden dar. Es handelt sich insoweit um einen „starken“ Rechtsscheintatbestand, als ein hohes technisches Sicherheitsmaß besteht und die Zertifizierungsstelle für Schäden Dritter aus schuldhaftem Fehlverhalten – jedenfalls u. a. – nach den Grundsätzen der c.i.c. haftet. Da digitale Signaturen zur Erstellung von Erklärungen und zum Abschluß von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl bestimmt sind, besteht ein erhöhtes Verkehrsschutzbedürfnis. Der Erklärungsempfänger muß die Signatur tatsächlich verifizieren, ansonsten fehlt es an der Kenntnis vom Scheintatbestand. Zurechenbar ist eine von einem Dritten digital signierte Erklärung beim Schlüsselinhaber, wenn dieser seinen privaten Schlüssel dem Dritten überäßt bzw. offenlegt, risikoerhöhend zugänglich macht oder ein Abhandenkommen risikoerhöhend (d. h. unter Verstoß gegen die gesetzlichen Obliegenheiten nach dem SigG) ermöglicht. Willensmängel sind wegen der Drittgerichtetheit des Scheintatbestandes unerheblich. Eine Beweiserleichterung für die Voraussetzungen der Zurechnung, etwa in Form eines Anscheinsbeweises zugunsten des Erklärungsempfängers, kommt nicht in Betracht. Rechtsfolge ist die rechtsgeschäftliche Bindung des Schlüsselinhabers an den Inhalt der ihm zugerechneten Erklärung.  Eine digital signierte elektronische Erklärung stellt auch einen starken Scheintatbestand im Hinblick auf die Integrität der Erklärung dar. Zurechnung erfolgt nach denselben Grundsätzen wie bei der Erklärendenidentität (bewußte Überlassung bzw. Offenlegung, risikoerhöhende Zugänglichkeit, risikoerhöhend ermöglichtes Abhandenkommen, Unbeachtlichkeit von Willensmängeln).  Das für Vollmacht-Attributzertifikate in § 4 in Einzelanalogie zu § 172 BGB gefundene Ergebnis kann auch aus den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung abgeleitet und auf sonstige bürgerlich-rechtliche Attribute ausgedehnt werden. Aus Zeitstempel- und Verzeichnisdiensten ergeben sich keine neuen Rechtsscheintatbestände. Pseudonyme sind für Zwecke der Rechtsscheinhaftung ebenso zu behandeln wie Erklärungen mit dem richtigen Namen.  Inländische und ausländische Signaturen außerhalb des SigG-Rahmens sind für Zwecke der Rechtsscheinhaftung zu behandeln wie Signaturen innerhalb des SigG-Rahmens, wenn sie ein mit dem SigG vergleichbares Maß an Sicherheit gewährleisten. Ob ein darunterliegendes Maß an Sicherheit ausreicht, ist eine Frage des Einzelfalles. Dem Empfänger obliegen jedenfalls im Rahmen der Rechtsscheinhaftung keine Prüfpflichten im Hinblick auf das Sicherheitsmaß.

368

4. Kap.: Ergebnisse

10. Weitere elektronische Erklärungsformen  Sichere kennwortgeschützte Erklärungen stellen in Anlehnung an die paradigmatischen Problemlösungen des verdeckten Blankettmißbrauchs und des Mißbrauchs von Faksimilestempeln einen Rechtsscheintatbestand dar. Hinreichende Sicherheit bemißt sich nach den Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte. Der Umfang des Rechtsscheintatbestandes ist grundsätzlich nicht auf geringwertige Transaktionen beschränkt, sondern bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalles. Zurechenbar ist der Rechtsschein bei willentlicher Kennwortüberlassung und darüber hinaus bei vorhandenem Erklärungsbewußtsein. Fehlt dieses, kann eine Zurechnung nur im kaufmännischen Verkehr bei risikoerhöhender Zugänglichkeit erfolgen. Im bürgerlichrechtlichen Verkehr kann dann nur analog § 122 BGB Schadensersatz verlangt werden.  Biometrisch signierte Erklärungen können einen Rechtsscheintatbestand im Hinblick auf die Erklärendenidentität darstellen. Anders als digitale Signaturen sind biometrische Identifizierungsverfahren – jedenfalls derzeit – mangels entsprechender Verzeichnisdienste nicht für den Abschluß von Rechtsgeschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl geeignet. Daher beschränkt sich die Zurechnung auf das „Normalmaß“ der Fälle bewußter Schaffung eines Rechtsscheintatbestands und kaufmännischer Organisationsrisiken.  Eingescannte Unterschriften stellen einen Rechtsscheintatbestand bezüglich der Erklärendenidentität dar, vergleichbar herkömmlichen Faksimilestempeln. Zurechenbarkeit setzt bewußte Überlassung bzw. Zugänglichmachung voraus. Bloße Zugänglichkeit ist nur im Rahmen spezifisch kaufmännischer Organisationsrisiken zurechenbar. Bei Abhandenkommen erfolgt keine Zurechnung. Der Anspruchsteller hat die Voraussetzungen der Zurechnung zu beweisen.  Einfache elektronische Erklärungen sind nicht geeignete Grundlage für die Anerkennung neuer Scheintatbestände bezüglich Erklärendenidentität oder Erklärungsintegrität. Neuartige elektronische Erklärungsformen sind ggf. einer Analyse anhand der neuen paradigmatischen Beispiele (digitale Signatur, Kennwortschutz, Biometrie, eingescannte Unterschrift) zu unterziehen.

11. Ergebnisse des Rechtsvergleichs mit USA und UNCITRAL bezüglich neuartiger materiellrechtlicher Zuordnungsregeln für elektronische Erklärungsformen  Die meisten US amerikanischen Vorschriften enthalten für die hier interessierende Frage der Rechtsscheinhaftung keine Bestimmungen, sondern bleiben bei – mit dem neuen § 292a ZPO vergleichbaren – Vermutungsregelungen stehen.  Einzige Ausnahme für das Recht der USA – neben der identischen Vorschrift in Iowa – bildet § 10-130 IECSA, der eine materiellrechtliche Zuordnungsvor-

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

369

schrift für sichere elektronische Unterschriften enthält, die von einem Dritten unter dem Namen des Unterschriftsinhabers abgegeben werden. Im deutschen Sinn handelt es sich um einen Rechtsscheintatbestand. Die Sicherheitskriterien des IECSA sind technologisch flexibler gehalten als die des deutschen SigG. Gleichwohl kommen ohne abweichende Parteivereinbarung lediglich digitale Signaturen als sichere elektronische Unterschriften in Betracht. Wenn die Parteien Kennworte, biometrische Merkmale oder eine eingescannte Unterschrift als sichere elektronische Unterschrift vereinbaren, findet § 10-130 IECSA auch auf diese Erklärungsformen Anwendung.  Die Zurechnungsvorschriften des § 10-130 IECSA vermögen weder im Hinblick auf den Ausschluß von Verbrauchergeschäften noch bezüglich der pauschalen Parallele zum Recht der Umlaufpapiere dogmatisch zu überzeugen. Für den Anwendungsfall digitaler Signaturen ergeben sich praktisch keine bedeutenden Abweichungen zu den für das deutsche Recht nach dem Risikoprinzip gefundenen Ergebnissen. Bei anderen vereinbarten Identifizierungsmechanismen wird man den Parteien nur raten können, einschränkende Zurechnungsvorschriften zu verabreden. Insoweit offenbaren sich erhebliche Tücken sog. technologieneutraler Gesetzgebungsansätze.  Art. 13 UMEG 1996 enthält eine nicht vollständig befriedigende Regelung zur Rechtsscheinhaftung. Klar ist, daß trotz des mißverständlichen Wortlauts „assumption“ keine lediglich beweisrechtliche, sondern eine materielle Regelung getroffen ist. Die maßgeblichen Zurechnungsgesichtspunkte und -hauptprobleme (Risikoprinzip, Abhandenkommen, Fälschungen, Irrtum etc.) arbeitet das Modellgesetz nicht mit hinreichender Klarheit und den erforderlichen Differenzierungen zwischen verschiedenen Formen elektronischer Erklärungen heraus. Ob schließlich Erfüllungs- oder Schadensersatzhaftung die Folge sein sollen, überläßt das Modellgesetz dem materiellen Recht des umsetzenden Staates. Das IECSA, das maßgeblich vom Modellgesetz beeinflußt ist, hat diese Punkte zwei Jahre später bereits eingehender und sachgerechter geregelt. Immerhin aber ist anzuerkennen, daß das Modellgesetz schon 1996 grundsätzlich mit der Problematik der materiellrechtlichen Zuordnung elektronischer Erklärungen vertraut war. Um so erstaunlicher ist es, daß der deutsche Gesetzgeber weder im SigG 1997 noch im SigG 2001 darauf offenbar auch nur einen Gedanken verwendet hat.

II. Gegenüberstellung herkömmlicher und neuer Rechtsscheintatbestände im elektronischen Geschäftsverkehr Nach der Zusammenstellung der in dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse unter I. werden nachfolgend herkömmliche und neuartige Rechtsscheintatbestände gegenübergestellt. Kriterien der Gegenüberstellung sind der Bezugspunkt des Scheintatbestandes (1.), die zugrundeliegende Verhaltensform des Verpflichteten (2.), Gründe für den Vertrauensschutz (3.) und die Zurechnungsgrundsätze (4.). 24 Rieder

370

4. Kap.: Ergebnisse

1. Bezugspunkt des Scheintatbestandes Bezugspunkt des Scheintatbestandes kann die Identität des Erklärenden, ein rechtliches Attribut, die Integrität einer Erklärung, die Annahme eines Rechtsgeschäfts oder der Verlust von Einwendungen sein. Tabelle 1

Identität

Attribut

 §§ 170 ff.  VerfälBGB schung  Duldungsund Anscheinsvollmacht  56 HGB  Scheinkaufmann / -Gesellschaft  § 370 BGB  offene Blankettausfüllung (Ausfüllungsbefugnis)

Herkömmliche Rechtsscheintatbestände

 Handeln unter fremdem Namen  Verdeckte Blankettausfüllung  Fälschung

Neue Rechtsscheintatbestände

 Attribut Digitale Zertifikat Signatur  Kennwort  Biometrie  Eingescannte Unterschrift

Annahme eines Geschäfts

Integrität

 Digitale Signatur

   

§ 362 HGB § 75h HGB § 91a HGB Kaufmännisches Bestätigungsschreiben

Einwendungsverlust  § 405 BGB  Wertpapierrecht





Die Gegenüberstellung zeigt, daß neuartige Rechtsscheintatbestände nur im Hinblick auf Erklärendenidentität, Attribute und Erklärungsintegrität vorkommen. Für die Annahme eines Geschäfts ebenso wie für den Einwendungsverlust fehlt es an ausdrücklichen Vorschriften für neue Scheintatbestände.

2. Zugrundeliegende Verhaltensform des Verpflichteten Dem Scheintatbestand kann insbesondere eine Urkunde, formloses tatsächliches Verhalten bzw. eine mündliche Erklärung sowie Unterlassen zugrundeliegen.

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

371

Tabelle 2 Tatsächliches Verhalten / formlose Erklärung

Urkunde Herkömmliche Rechtsscheintatbestände

    

Neue Rechtsscheintatbestände

 Attribut-Zertifikat

§ 172 BGB Blankett § 370 BGB § 405 BGB Wertpapier

Unterlassen

 §§ 170 f. BGB  Duldungs- und Anscheinsvollmacht  Scheinkaufmann / -Gesellschaft  § 56 HGB  (Ver)Fälschung

 Fortbestand bei §§ 170 ff. BGB  §§ 362, 75h, 91a HGB  kaufmännisches Bestätigungsschreiben  Handelsregister

   

 Digitale Signatur (unterlassene Sperrung im Verzeichnis)

Digitale Signatur Kennwort Biometrie Eingescannte Unterschrift

Die Gegenüberstellung zeigt, daß neue Scheintatbestände in allen drei Bereichen auftreten; am häufigsten finden sich allerdings das formlose tatsächliche Verhaltensweisen bzw. formlose Erklärungen.

3. Gründe für den Vertrauensschutz Den Vertrauensschutz rechtfertigende Gründe sind insbesondere die Drittrichtung eines Rechtsgeschäfts, der typisierte Charakter einer Erklärungsform, kaufmännische Organsationsrisiken, Schuldnerschutz, Mißbrauchsgefahr und Umlauffähigkeit.1 Dabei können für eine paradigmatische Problemlösung mehrere Gründe in Betracht kommen. Tabelle 3 zeigt, daß gerade die mit einer Erklärungsform einhergehende Mißbrauchsgefahr häufig anzutreffender Rechtfertigungsgrund für Vertrauensschutz bei neuartigen Scheintatbeständen ist. Ebenso häufig kommen kaufmännische Organisationsrisiken zum Tragen. Schuldnerschutz kommt dagegen mangels ausdrücklicher neuer gesetzlicher Bestimmungen nicht vor. Auch der typisierte Charakter einer Erklärungsform hat bei neuartigen Scheintatbeständen (noch) keine Bedeutung. Bedeutsam ist schließlich, daß die digitale Signatur gleich viermal genannt ist, sich also auf vier verschiedene Rechtfertigungsgründe stützen kann. Erneut zeigt sich daran, daß digital signierte Erklärungen einen ungewöhnlich starken Scheintatbestand darstellen.

1

24*

Dazu ausf. Kindl, Rechtsscheintatbestände, 393 ff.

 §§ 362, 75h, 91a HGB  Kaufmännisches Bestätigungsschreiben

 §§ 171 f. BGB  Scheinkaufmann und -Gesellschaft  § 405 BGB  Wertpapier  Handelsregister  Ggf. Rechtsscheinvollmachten  Ggf. Blankett

 Digitale Signatur

Herkömmliche Rechtsscheintatbestände

Neue Rechtsscheintatbestände



Typisierte Erklärungsform

Drittrichtung des Rechtsgeschäfts

 Digitale Signatur  Kennwort  Biometrie  Eingescannte Unterschrift

 Anscheinsvollmacht  § 56 HGB  §§ 362, 75h, 91a HGB  Kaufmännisches Bestätigungsschreiben  Handelsregister  Ggf. Scheinkaufmann und Scheingesellschaft

Kaufmännische Organisationsrisiken

Tabelle 3



 § 405 BGB  § 370 BGB

Schuldnerschutz

Umlauffähigkeit  Wertpapier

 Digitale Signatur

Mißbrauchsgefahr  §§ 170 ff. BGB  Scheinvollmachten  Scheinkaufmann und -Gesellschaft  Handeln unter fremdem Namen  Blankett  § 405 BGB

 Digitale Signatur  Kennwort  Biometrie  Eingescannte Unterschrift

372 4. Kap.: Ergebnisse

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

373

4. Zurechnungsgrundsätze bei herkömmlichen und neuen Rechtsscheintatbeständen Tabelle 4

Grundsatz Keine Rechtsscheinhaftung ohne Zurechnung mit Ausnahme von Fällen der reinen Rechtsscheinhaftung

Anwendung auf herkömmliche Rechtsscheintatbestände Reine Rechtsscheinhaftung bei §§ 892, 935 Abs. 2 BGB

Anwendung auf neue Rechtsscheintatbestände Keine reine Rechtsscheinhaftung bei digitalen Signaturen

 Beantragung eines unrichWissentliche Schaffung eines  Irreführungsrisiko bei tigen Attribut-Zertifikates Scheintatbestandes führt bewußter Abgabe einer  Überlassung digitaler immer zur Zurechnung unrichtigen Erklärung, Signaturen, Kennwörter, z. B. §§ 170, 171 BGB biometrischer Merkmale  Schaffung einer erhöhten oder eingescannter UnterMißbrauchsgefahr durch schriften Aushändigung von Urkunden, z. B. § 172 BGB, Blankett Bewußte Kundgabe bei Unkenntnis der Unrichtigkeit des Kundgegebenen führt grundsätzlich nicht zur Zurechnung, außer bei Scheintatbeständen, die Grundlage von Geschäften mit einer unbestimmten Personenvielzahl sind

 Vollmachten  Scheingesellschaft  Ggf. Blankett

Fehlendes Erklärungsbewußtsein schließt Zurechnung grundsätzlich aus, außer bei:  Irrtum über verkehrsmäßig typisierte Bedeutung des Verhaltens (Ausnahme 1);  Tatsachenunkenntnis aufgrund spezifisch kaufmännischer Organisationsrisiken (Ausnahme 2); und  Wertpapieren (Ausnahme 3)

 Keine Anwendung der  Keine Anwendung der Anscheinsvollmacht im Anscheinsvollmacht auf bürgerlichen Verkehr Btx-Mißbrauch innerhalb  Zu Ausnahme 1: kaufmänder Familie nische Bestätigungsschrei-  Zu Ausnahme 1: nicht bei ben, §§ 362, 56 HGB, digitalen Signaturen, § 170 Abs. 2 BGB Kennworten, Biometrie  Zu Ausnahme 2: kaufmänund eingescannten Unternische Bestätigungsschreischriften ben, §§ 362, 56 HGB,  Zu Ausnahme 2: risikoAnscheinsvollmacht erhöhte Zugänglichkeit  Zu Ausnahme 3: Erkennbei digitalen Signaturen, barkeit des Skripturakts Kennworten, Biometrie reicht und eingescannten Unterschriften  Zu Ausnahme 3: nicht bei untergeschobener digitaler Signatur

 Attribut-Zertifikat mit unrichtigen Limits

374

4. Kap.: Ergebnisse

Fortsetzung Tabelle 4

Grundsatz

Anwendung auf herkömmliche Rechtsscheintatbestände

Anwendung auf neue Rechtsscheintatbestände

 §§ 794, 935 Abs. 2 BGB  § 172 BGB  nicht bei § 370 BGB (a.A. h.M.)

 risikoerhöhtes Abhandenkommen bei digitalen Signaturen  nicht bei Kennwörtern, Biometrie und eingescannten Unterschriften

Fälschung und Verfälschung  zu große Leerräume bei sind nicht zurechenbar außer Wertpapier oder Blankett bei Schaffung und Verwirklichung eines erhöhten Risikos bezüglich der Echtheit durch den Ersteller der Erklärung

 bei digitalen Signaturen etc. ist nicht die Fälschung / Verfälschung als solche zurechenbar, sondern die risikoerhöhte Zugänglichkeit bzw. ggf. das risikoerhöhte Abhandenkommen

Abhandenkommen ist nicht zurechenbar außer bei Umlaufpapieren und Umlaufpapierähnlichkeit

Unterlassen ist bei Verwirklichung kaufmännischer Organisationsrisiken zurechenbar

 § 362 HGB  kaufmännisches Bestätigungsschreiben

Willensmängel schließen die  Zu Ausnahme 1: § 170 Zurechnung aus, außer bei Abs. 2 BGB, § 362 HGB,  Irrtum über verkehrsmäkaufmännisches ßig Bestätigungsschreiben typisierte Verhaltens Zu Ausnahme 2: § 172 bedeutung (Ausnahme 1); BGB, Scheingesellschaft,  Irrtum bei Tatbeständen, Blankett die Grundlage für Ge Zu Ausnahme 3: § 362 schäfte mit unbestimmter HGB, kaufmännisches Personenvielzahl sind Bestätigungsschreiben (Ausnahme 2);  Irrtum im Rahmen spezifisch kaufmännischer Organisationsrisiken (Ausnahme 3)



 Zu Ausnahme 2: Vollmacht-Attributzertifikat  Zu Ausnahme 3: digitale Signatur, nicht: Kennwort, Biometrie, eingescannte Unterschrift

Im wesentlichen finden sich für die herkömmlichen Grundsätze und Anwendungsbeispiele auch Entsprechungen bei den neuen Scheintatbeständen. Lediglich die verkehrsmäßig typisierte Erklärungsbedeutung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein und bei Willensmängeln hat (noch) keinen Anwendungsfall bei den neuen Scheintatbeständen. Ebenso ist es beim Unterlassen. Besondere Bedeutung kommt der Drittrichtung und Wertpapierähnlichkeit digitaler Signaturen zu, die sehr weitreichende Zurechnung zur Folge haben und dadurch diese Erklärungsform für den Signaturinhaber besonders riskant werden lassen.

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

375

III. Folgerungen für das innere System der Rechtsscheinhaftung im elektronischen Geschäftsverkehr Aus den Ergebnissen dieser Arbeit lassen sich Folgerungen allgemeinerer Art zur Leistungsfähigkeit der Rechtsscheintheorie (1.), zur Bedeutung der Rechtsvergleichung im elektronischen Geschäftsverkehr (2.) und zum Handlungsbedarf in Gesetzgebung und Rechtswissenschaft ableiten (3.).

1. Zur Leistungsfähigkeit der Rechtsscheintheorie Die vorliegende Untersuchung hat die Wichtigkeit methodischen Vorgehens deutlich werden lassen (a)), neue paradigmatische Problemlösungen hervorgebracht (b)) und neue inhaltliche Aspekte der Rechtsscheinhaftung aufzeigen können (c)).

a) Die Wichtigkeit methodischen Vorgehens Wie ganz zu Anfang erwähnt erfordert die Beschäftigung mit der Vertrauenshaftung eine beständige Reflexion über methodologische Grundfragen, insbesondere Auslegung, Rechtsfortbildung, Theorie- und Systembildung.2 Die Unentbehrlichkeit methodologischen Rüstzeugs hat sich an mehreren Stellen gezeigt. Bei § 172 BGB waren es Auslegung und Einzelanalogie. Bei der unbefugten Verwendung von digitalen Signaturen, Kennworten, biometrischen Merkmalen und eingescannten Signaturen konnte zunächst im Wege der Einzelanalogie zum verdeckten Blankettmißbrauch und zur Anscheinsvollmacht eine gewisse Abhilfe bei bewußter Überlassung zum Abschluß bestimmter Rechtsgeschäfte geschaffen werden. In umfassender Weise konnten dagegen neue Scheintatbestände aus der allgemeinen Theorie der Rechtsscheinhaftung abgeleitet werden. Hilfreich war die Tatsache, daß die Theorie der Rechtsscheinhaftung von vorneherein nicht auf Urkunden im herkömmlichen Sinn fixiert ist. Im Wertpapierrecht und beim Handelsregister mußte allerdings festgestellt werden, daß nur der Gesetzgeber Abhilfe schaffen kann; Auslegung und Rechtsfortbildung stoßen dort an ihre Grenzen.

b) Neue paradigmatische Problemlösungen Die Ergebnisse dieser Arbeit führen zu einer maßvollen Erweiterung des Rahmens für die Entwicklung weiterer Problemlösungen.3 Auf Grundlage der anerkannten paradigmatischen Problemlösungen verdeckter Blankettmißbrauch, Mißbrauch von Faksimilestempeln und Rechtsscheinvollmachten konnten neue para2 3

Canaris, Vertrauenshaftung, Vorwort VII. Dazu allg. Canaris, JZ 1993, 377, 391.

376

4. Kap.: Ergebnisse

digmatische Problemlösungen gefunden werden; namentlich die unbefugte Verwendung digitaler Signaturen bei wissentlicher Zugänglichmachung, risikoerhöhter Zugänglichkeit und risikoerhöhtem Abhandenkommen sowie die unbefugte Verwendung von Kennworten, Biometrie und eingescannter Unterschrift bei wissentlicher Zugänglichmachung und im Handelsverkehr im Rahmen spezifisch kaufmännischer Organisationsrisiken. Die Verbreiterung der Basis paradigmatischer Problemlösungen trägt zugleich zur Festigung der Rechtsscheintheorie bei.4 Folgende Typenreihe läßt sich aufstellen: § 172 BGB – offene Blankettausfüllung – verdeckte Blankettausfüllung / Faksimilestempel – digitale Signatur / Kennwort / Biometrie / eingescannte Unterschrift – Rechtsscheinvollmachten.

c) Neue inhaltliche Aspekte der Rechtsscheinhaftung In dreierlei Hinsicht hat die Arbeit neue inhaltliche Aspekte der Rechtsscheinhaftung zutage treten lassen. Neu ist zunächst der Rechtsscheintatbestand bei digitalen Signaturen hinsichtlich der Erklärungsintegrität. Zwar kann auch im herkömmlichen Geschäftsverkehr bei Verfälschung ein Scheintatbestand hinsichtlich der Integrität und des Inhalts einer Erklärung vorkommen, wegen der grundsätzlich nicht möglichen Zurechnung der Verfälschung hat dieser Fall bislang jedoch keine praktische Relevanz erlangt. Mit digitalen Signaturen ist das anders geworden. Ein Novum ist zweitens die starke Abhängigkeit des Rechtsscheintatbestandes von technischer Sicherheit und sonstigen Sicherheitsfaktoren. Bislang stützten sich Scheintatbestände auf Urkunden oder sonstige menschliche Verhaltensweisen, die intuitiv bzw. subjektiv entweder als sicher oder nicht sicher galten. Bei digitalen Signaturen, Kennworten und biometrischen Merkmalen kommt es auf eine umfassende technische Beurteilung durch Sachverständige an. Neu ist schließlich drittens die Tatsache, daß das Vorliegen eines Rechtsscheintatbestandes zeitbedingt ist. Wenn der verwendete Sicherungsmechanismus bei digitalen Signaturen, Kennworten und biometrischen Merkmalen mit Zeitablauf unsicher wird, fehlt es ab dem Eintritt der Unsicherheit am Rechtsscheintatbestand.

2. Ertrag der rechtsvergleichenden Untersuchung a) Ertrag für die deutsche Rechtsordnung Die Erwartungen an die Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung amerikanischer und internationaler Regelwerke waren von vorneherein weniger dogmatischer als vielmehr exemplarischer und rechtsharmonisierender Natur. In dogmatischer Hinsicht haben sich die begrenzten Erwartungen denn auch bestätigt. Das topische Problemdenken in § 10-130 IECSA (Wertpapierrecht, Telefon4

Dazu Canaris, JZ 1993, 377, 383.

§ 12 Ergebnisse und Folgerungen für das System der Rechtsscheinhaftung

377

mißbrauch) und Art. 13 UMEG 1996 (internationale Kredittransfers) hat geradewegs in die Irre geführt. Auch in exemplarischer Hinsicht war der Ertrag eher gering. Bei den herkömmlichen Scheintatbeständen hat sich das amerikanische Recht zum Teil als zu weitgehend (§ 172 BGB), zu einzelfallorientiert und zu wenig verkehrsfreundlich (Scheinvollmachten) oder als zu sehr im Fluß erwiesen (kaufmännisches Bestätigungsschreiben). Bestenfalls ergaben sich bereichsweise Übereinstimmungen mit dem deutschen Recht (verdeckte Blankettausfüllung). Anderes hat sich nur für das Wertpapierrecht ergeben, wo das amerikanische Recht Lösungsmodelle für elektronische Wertpapiere enthält, die auch in Deutschland aufmerksam studiert werden sollten. Bei den neuen Scheintatbeständen fiel positiv auf, daß es immerhin vereinzelt Vorschriften gibt, die die Problematik thematisieren (was dem deutschen Gesetzgeber bis heute nicht gelungen ist), namentlich § 10-130 IECSA und Art. 13 UMEG 1996. In rechtsharmonisierender Hinsicht schließlich hat sich immerhin ergeben, daß trotz unterschiedlichen dogmatischen Ansatzes bei den neuen Scheintatbeständen, soweit der praktisch wichtigste Fall digitaler Signaturen betroffen ist, im Ergebnis keine gravierenden Unterschiede bestehen. Für Kennworte, biometrische Verfahren und eingescannte Unterschriften ist der Befund dagegen eher ernüchternd aufgrund der weitreichenden Zurechnung (einschließlich Abhandenkommen) außerhalb Deutschlands. Bei den herkömmlichen Scheintatbeständen verbleiben ebenfalls deutliche Unterschiede aufgrund der wenig verkehrsfreundlichen Einzelfallorientierung (Verschuldensprinzip und Nachforschungspflichten) in USA. Für sämtliche betrachteten Rechtskreise hat sich die beschränkte Leistungsfähigkeit sog. technologieneutraler Vorschriften – jedenfalls für die vorliegende Thematik der Rechtsscheinhaftung – erwiesen.

b) Ertrag für ausländische Rechtsordnungen Wie mehrfach betont ist Rechtsvergleichung keine vom Ausland ins Inland führende Einbahnstraße. Gerade die Ergebnisse dieser Arbeit bestätigen die These eindrucksvoll. Die ausdifferenzierte und sachgerechte deutsche Zurechnungsdogmatik auf Basis des Risikoprinzips hat sich – gerade im Vergleich zu den untersuchten ausländischen Zurechnungs- und Zuordnungsvorschriften – als ausgesprochen leistungsfähig erwiesen. Insoweit wäre eine Befruchtung ausländischen Rechts durch die deutsche Zurechnungsdogmatik mehr als wünschenswert. Allerdings wird man realistischerweise die Aussichten insoweit als eher gering einschätzen müssen. Selbst wenn auf amerikanischer und internationaler Ebene rechtsvergleichendes Interesse am deutschen Recht vorhanden sein sollte, würden die fehlende gesetzliche Regelung und der von der h.M. mit dem Verschuldenszprinzip beschrittene Irrweg einer eingehenden Befassung mit dem deutschen Recht von seiten des Auslands erhebliche praktische Hindernisse in den Weg legen.

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4. Kap.: Ergebnisse

3. Handlungsbedarf in Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Drängendste Aufgabe für die Gesetzgebung dürfte die Schaffung elektronischer Äquivalente für Wertpapiere und die Ermöglichung elektronischer Anträge zum Handelsregister sein. Für den Wertpapierbereich sind aus dem amerikanischen Recht wertvolle Anregungen zu beziehen. Dem Gesetzgeber wird man ferner eine gründlichere dogmatische Durchdringung des elektronischen Geschäftsverkehrs als bisher empfehlen müssen. Angesichts anderer Fehlleistungen des Gesetzgebers (z. B. der dogmatischen Einordnung des § 11 SigG als deliktischer Haftungsnorm) wird man insoweit allerdings keine zu kühnen Hoffnungen hegen dürfen. Schließlich sollte in Zukunft auch mit vermeintlich technologieneutralen Gesetzgebungsansätzen vorsichtig umgegangen werden. Entweder der Gesetzgeber durchdenkt wirklich sämtliche Anwendungsfälle elektronischer Erklärungsformen oder aber er beläßt es bei konkreten Regeln zu der Anwendungsform, die gedanklich allein Pate stand (z. B. digitale Signaturen). Die Rechtswissenschaft darf sich durch die Ergebnisse dieser Arbeit bestätigt sehen. Leistungs- und Entwicklungsfähigkeit der weitgehend ungeschriebenen Regeln der Rechtsscheintheorie wurden erneut unter Beweis gestellt. Die weitere dogmatische Begleitung der Gesetzgebung durch die „organisch fortschreitende Rechtswissenschaft“,5 etwa bei elektronischen Wertpapieren oder elektronischen Eintragungsanträgen zu Registern, ist angesichts der dogmatisch teilweise wenig überzeugenden bisherigen Leistungen des Gesetzgebers im Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs unumgänglich. Auch ein selbstbewußter Rechtsvergleich und der Versuch, überzeugende Lösungen des deutschen Rechts, namentlich in der Zurechnungsdogmatik, im Ausland oder auf internationaler Ebene zu Gehör zu bringen, stünden der deutschen Rechtswissenschaft gut an.

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Savigny, 161; abgedruckt bei Hattenhauer, 95, 192.

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Sachwortverzeichnis ABA Guidelines, ABA Richtlinien 329 ff. Abhandenkommen 96, 99, 113 f., 144 f., 152, 157, 164, 167, 171, 177, 182, 197, 221, 282 ff., 284 ff., 290, 293, 303, 313 ff., 321, 326 ff., 342, 344, 349, 354 ff., 364, 367 ff., 374, 376 f. acceptance by silence 233 agency by estoppel 202, 204, 206, 217, 219, 333, 363 Analogie 57, 87, 117, 121, 126, 139 ff., 149 f., 158 ff., 173, 175, 183 f., 197, 213, 222, 253, 255, 259, 261, 276 f., 282, 284, 292, 296, 304, 306 f., 361 ff., 375 Anscheinsvollmacht 89, 96, 98, 183 ff., 219, 221, 253, 259, 261, 277, 282, 286, 304 ff., 313, 323, 363 f., 370 ff. apparent authority 146, 196, 202 ff., 217, 219, 363 Attribut, Attributzertifikat 56, 132, 134, 141 ff., 165, 175, 179 f., 214, 226, 253, 260, 282, 292 f., 295 ff., 303, 351, 360, 362, 365, 367, 370 f., 373 f. Aufklärung 280, 301 Aushändigung 97, 111, 113 ff., 135 ff., 142 ff., 147, 153, 167, 175, 177, 222, 276 f., 284, 360, 362, 373 äußeres System siehe System automatisierte Erklärung 44, 353 Bestätigungsschreiben 45, 62 f., 98, 100 f., 139, 210, 222, 227, 234 ff., 250, 253, 255, 282 f., 290, 365 f., 370 ff., 377 Beweislast 95, 159 f., 209, 230, 256, 271, 286, 308, 316, 326, 331 f. beweisrechtlicher Ansatz 79, 331 Biometrie 57 ff., 318 f., 344, 346, 350, 368, 370 ff., 376 biometrisch signierte Erklärung 57 ff., 134, 153, 160, 201, 318 f., 328, 354, 368

Blankett, Blankettausfüllung, Blanketterklärung, Blankettmißbrauch, 45, 62, 90, 93, 97 ff., 139, 148 ff., 170, 174 f., 193, 196 f., 221, 253, 255 f., 259, 261, 276 f., 282 f., 287, 304, 306 f., 311, 313, 317, 319, 323 ff., 327, 361 ff., 368, 370 ff. Blätter 248 f. Computererklärung 44, 323 Dematerialisierung 62, 64 f., 101, 111, 122, 125 f., 138, 147, 162, 165, 169, 172 ff., 238, 250, 359 ff., 366 Detemporalisierung 62, 65, 169, 222, 231, 239, 359, 362, 366 Deterritorialisierung 62, 65, 359 digitale Signatur 51 ff., 61, 63 ff., 74 f., 79 f., 84, 87, 102, 117, 132 f., 138, 142 f., 147, 159 f., 162, 165, 168 f., 179, 214, 221, 239, 259 f., 262 f., 265, 267 ff., 287 f., 296 f., 301 f., 318, 321, 324, 326 f., 329 f., 332 ff., 338 ff., 358, 361, 364, 367 ff., 376 Diskriminierung, Diskriminierungsverbot 80, 82, 84, 139, 161, 165, 351 Duldungsvollmacht 112, 151, 181 ff. EGV Richtlinie 28, 39, 41, 68 ff., 81, 85, 111, 124, 139 f., 165, 351, 359 f. einfache elektronische Erklärung 47, 64, 70, 117, 129 f., 153, 159 f., 168, 177, 179, 191 f., 224, 260, 304, 321, 323 f., 327 f., 359, 368 eingescannte Unterschrift 59, 70, 117, 134, 179, 192, 239, 324 ff., 339 f., 344, 346, 368 ff., 376 f. Einräumung einer Stellung 90, 180, 186 ff., 195

400

Sachwortverzeichnis

Electronic Signatures in Global and National Commerce Act / E-SIGN 81 ff., 85, 136, 146, 161, 165, 328 ff., 334, 348, 359 elektronische Erklärung 44, 47 f., 52, 64, 70, 76 f., 81 f., 105, 109 f., 115 ff., 122, 126, 128 ff., 152 ff., 160, 162, 165, 168 f., 175, 177, 179, 191 ff., 198, 201, 224, 230 f., 234, 238 f., 248, 253, 260, 278, 283, 285, 288, 290 f., 293, 304, 312, 320 ff., 327 ff., 334, 346, 350, 358, 360 f., 365, 367 f. elektronische Handlung 43, 226, 365 elektronische Post 27, 34, 37 f., 61 f., 115, 136 f., 154 f., 177 f., 221, 224, 230 f., 238 f., 358, 364 elektronische Quittung 164 elektronische Signatur 51, 57, 69 f., 74 f., 77, 80 ff., 104, 140, 153, 260, 262 f., 268, 270, 296 f., 300, 302 f., 330 f., 337 elektronische Urkunde 116, 121 f., 140 elektronische Verbriefung 168 elektronischer Antrag 230 f. elektronischer Geschäftsverkehr 26 ff., 45, 58, 62, 65, 89, 220, 358 elektronischer Rechtsverkehr 27, 29 elektronisches Blankett 152 ff., 162, 361 elektronisches Erbieten 230 elektronisches Original siehe Original E-Mail siehe elektronische Post Erklärendenidentität 79, 260, 276, 289 f., 294 f., 297, 300, 318 f., 321, 327, 331 f., 335, 338, 367 ff. Erklärungsbewußtsein 90, 98, 107, 110, 151, 155 ff., 182, 202 f., 207, 209, 216, 255, 282 ff., 313, 317, 320, 326, 328, 343 f., 368, 373 f. Erklärungsintegrität 46, 52, 54, 79, 132, 274, 288 ff., 294, 297, 300, 318, 327, 331, 335, 368, 370, 376 estoppel 161, 202 ff., 217 ff., 233, 242, 333, 363 Fälschung 48, 59, 96, 99, 129, 131 f., 154, 161, 171 f., 174, 177, 180, 189, 191 ff., 198, 246, 263, 265, 287, 289 f., 311, 316, 322, 332, 341, 344 f., 354 f., 359, 369 ff., 376 Familie, Familienangehörige 198 f., 286, 314, 363, 373

Fernabsatz, Fernabsatzgesetz, Fernabsatzrichtlinie 39, 71, 74, 123, 200 f., 291, 359 fortgeschrittene elektronische Signatur 70, 74, 84, 139 f., 262, 297, 303, 333 Gleichstellung 57, 69, 92, 100, 111, 132 f., 183, 270, 302, 334, 347, 351 gutgläubig, Gutgläubigkeit 91, 93, 112 f., 125, 143, 151, 166, 170 f., 176, 182, 187 ff., 204 f., 209, 212, 219, 223, 228, 244 f., 271, 277 f., 289, 300, 312, 327, 332, 337, 341, 344 ff., 355 ff., 364 Haftung 96, 108, 112, 150, 160 f., 174, 187, 190 ff., 197, 200, 212 ff., 219 ff., 269, 271 ff., 298, 315, 335, 349, 354, 365 Handeln in fremdem Namen 158, 196 Handeln unter fremdem Namen 158, 188 f., 193 ff., 201, 304 Handelsregister 32, 56, 62, 92 f., 101, 178 ff., 220, 244 ff., 296, 366, 371 ff. historische Auslegung 126 Identität siehe Erklärendenidentität Illinois Electronic Commerce Security Act / IECSA 30, 198, 333 ff., 350, 356, 368 f., 376 f. Informations- und Kommunikationsdienstegesetz / IuKDG 71 ff., 359 Inneres System siehe System Integrität siehe Erklärungsintegrität Internet 34 ff., 189, 212, 240 Internetauftritt 189, 191, 212 f. Intranet 34 ff., 47, 49, 130 f., 175, 178 ff., 189 ff., 225, 296, 304, 311, 322, 363 juristische Theorie siehe Theorie kaufmännisches Bestätigungsschreiben siehe Bestätigungsschreiben Kausalität 95, 113, 170, 176, 182, 185, 195, 197, 205, 209, 219, 229, 245, 278, 290, 317, 355, 359 Kenntnis vom Rechtsscheintatbestand 94, 112, 151, 170, 176, 184, 189, 195 ff., 204, 209, 219, 223, 255, 288, 301, 363, 367 Kennwortmißbrauch 156 ff., 197, 313

Sachwortverzeichnis Kennwortschutz, kennwortgeschütze Erklärung 49 ff., 64, 70, 131 ff., 153 ff., 160, 168 f., 178 f., 192 f., 197 f., 201, 228, 260, 300, 304 ff., 339, 344, 349 f., 354, 358, 361, 368 künstlicher Rechtsscheintatbestand 92, 278 f. Ladenvollmacht 186 f., 198 Legitimation, Legitimationszweck, Legitimationszeichen 125, 127, 128 ff., 142, 153 f., 156, 160, 162, 164, 166, 169, 174, 182, 221 f., 253, 285, 306, 315, 322, 360 ff. Lücke 141 Minderjährige 199 f. Multimedia 27 f. Nachforschung, Nachforschungspflichten 94, 113, 151, 158, 161, 167, 176 f., 187, 206 ff., 219, 221, 232, 277, 300 f., 320, 327, 332 f., 339, 345, 355, 363, 377 natürlicher äußerer Rechtsscheintatbestand 92 f., 274 ff. negativer Vertrauensschutz 100, 317 öffentliche Bekanntmachung 111, 168, 176, 178, 222, 224, 249, 308, 365 Original 112 f., 135 ff., 172, 175, 334, 351, 360 paradigmatische Problemlösung 254 ff., 264, 276, 289, 292 f., 305 ff., 318 ff., 327, 366 ff., 375 persönliche Identifikationsnummer siehe PIN PIN 49, 55, 259, 265, 268, 279, 310, 313 positiver Vertrauensschutz 210, 255, 317, 359 power of attorney 145 ff. Pseudonym 260, 293 ff., 367 purported partner, -ship 216 ff. qualifizierte elektronische Signatur 57, 74 f., 80, 84, 116 f., 131, 143, 153, 164, 168, 262 f., 268, 270, 296, 302 f., 334 Quittung 163 ff., 175, 361 f. 26 Rieder

401

Reaktionszeit 229, 231 ff., 239, 243, 365 Rechtsscheinhaftung 90 ff., 253 ff., 375 ff. Rechtsscheintatbestand 91 ff., 256 f., 261 ff., 289, 297, 305, 319, 324 Rechtsscheinvollmacht siehe Scheinvollmacht Rechtsvergleich, Rechtsvergleichung 101 ff., 257 f., 328 ff., 376 f. Regelungslücke siehe Lücke richtlinienkonforme Auslegung 118, 139 f. Risikoprinzip 97 ff., 109, 113, 151, 160, 163, 167, 171 f., 176, 185, 190, 197, 205 ff., 216, 221, 223, 229, 231, 237, 245 f., 255, 280 ff., 301, 312, 320, 325, 328, 341 ff., 354 f., 359, 363 f., 369, 377 Rückgabe 93, 112 f., 127, 135 ff., 141 ff., 165, 168, 175, 226, 330, 351, 360, 365 Scheingesellschaft, Scheingesellschafter 45, 211 f., 214 ff., 253 ff., 364, 372 ff. Scheinkaufmann 45, 208 ff., 212 ff., 253 ff., 364, 370 ff. Scheintatbestand siehe Rechtsscheintatbestand Scheinvollmacht 45, 85, 90, 146, 152, 171 ff., 189 ff., 202 ff., 211 f., 223, 255 f., 276 ff., 307, 319, 333, 363, 372, 375 ff. Schriftform 45 f., 58, 68 ff., 75 ff., 116 f., 131, 140, 142, 153, 165, 168, 172, 239, 269 f., 294, 297, 310, 333 f., 347 Schriftformäquivalenz 270, 330, 334 schutzwürdiger Erwerbsvorgang 95 f., 113, 171, 176, 185, 209, 228, 278, 301, 320, 355, 359 Schweigen 45, 63, 101, 210, 222, 227 ff., 234 ff., 365 Sorgfaltspflicht, Sorgfaltspflichten 205, 331, 341, 354 specific performance 108, 360 System, Systemdenken 253 ff., 375 ff. systematische Auslegung 122 ff. TAN 49, 193, 259, 310 Technikbetontheit 63, 359 technologieneutral 69, 75, 80, 84, 87, 260, 262, 297, 299, 318, 329, 333, 343, 350, 369, 377 f.

402

Sachwortverzeichnis

technologiespezifisch 79, 82, 86, 259, 296 f., 329 Telefonbenutzung 341, 349 Telekommunikation 34, 120, 314, 359 Telekooperation 27 teleologische Auslegung 106, 127 ff. Theorie, Theoriebildung 253 ff., 374 Transaktionsnummer siehe TAN unbefugte Kennwortverwendung 155 ff., 307, 317, 341 unbefugte Telefonbenutzung siehe Telefonbenutzung UNCITRAL Modellgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr / UMEG 83 f., 351 ff., 369, 377 UNCITRAL Modellgesetz über elektronische Signaturen / UMES 84, 354 Uniform Computer Information Transactions Act / UCITA 30, 81, 85, 135, 347 ff., 359 Uniform Electronic Transactions Act / UETA 29 f., 44, 67, 80 ff., 134 ff., 143, 145, 173, 330, 347 ff., 359, 362 f. Unterlassen 95, 100 f., 205, 211, 219, 222 ff., 245, 272, 280, 286, 301, 359, 365 f., 370 ff. Urkunde, Urkundsbegriff 57, 62, 75, 92 ff., 107 ff., 115 ff., 121 ff., 149 ff., 159, 166 ff., 170 ff., 189, 192, 226, 249, 269 ff., 264 f., 326, 334, 337, 360, 370 ff. Utah Digital Signature Act / UDSA 329 ff. Veranlassungsprinzip 96, 171, 223, 246 Verbraucher 33, 39, 41, 63, 67 ff., 75 f., 82, 84, 124 f., 193, 200 f., 208, 286, 291 f., 301, 323, 331, 335, 342, 363, 369 verbriefte Forderung 166 ff. Verfälschung siehe Fälschung Verkehrsschutzbedürfnis 96 f., 114 f., 137 f., 169 ff., 177, 234, 246 f., 256 f., 265, 269, 288 f., 297, 305 f., 309, 315, 319, 322, 324, 327, 342 ff., 366 Verschuldensprinzip 96 ff., 113, 185, 190, 197, 199, 207, 210, 220 ff., 229, 246 f., 285, 312, 333, 341, 343, 346, 363 f., 377

Vertrauensdisposition 95, 182, 185, 185, 204 f., 219, 301, 317, 337, 359 Vertrauensproblem 64 f., 359 Vertrauensschutz 89 ff., 100, 167, 208, 210, 220, 228, 235, 255, 263, 317, 359, 369, 371 Verzeichnisdienst 142, 179 f., 260, 267, 269, 271, 279, 295 f., 303, 327, 363, 367 f. Vollmachts-Attributzertifikat, VollmachtsZertifikat 132, 141 ff., 175, 179 ff., 253, 292, 360, 362, 367 Vollmachtserklärung 115 ff., 131 Vollmachtsurkunde 97, 99, 111 ff., 128 ff., 145, 148 f., 152 f., 164 f., 222 f., 269, 276, 284 ff., 306, 322, 360, 365 Wertpapier, Wertpapierrecht 80, 82, 97, 99, 120, 125 f., 139, 152, 160 f., 169 ff., 222, 250, 253, 283 ff., 324, 330, 334, 341 ff., 362 f., 370 ff., 376 ff. Widerruf 56, 71, 79, 98, 125, 183, 223 ff., 269, 291 f., 308, 322 f., 332, 351, 365 Willensmangel 91, 100, 113 f., 144, 151, 167, 170 f., 176 f., 182, 185, 188, 229, 247, 282 ff., 288, 303, 313 f., 318, 320 f., 344, 359, 367, 374 Wortlaut, Wortlautauslegung 113, 118 ff., 127, 137, 147, 163 ff., 191, 219, 228, 238, 242, 244 f., 248 f., 276, 353 ff., 360, 369 Wurzelinstanz 56 Zeitstempeldienst 56, 271, 291 f., 297 Zertifizierungsstelle, Zertifizierungsdiensteanbieter 51, 54 ff., 63, 69 f., 73 ff., 79, 87, 132, 142 ff., 179 f., 214, 226, 259 ff., 288, 291 ff., 297 ff., 301 ff., 321, 332, 338, 360, 363, 367 Zurechnung, Zurechenbarkeit 79, 92, 96 ff., 109 ff., 137 f., 149 ff., 156, 159, 164, 167, 170 f., 176, 185, 188 ff., 197 ff., 204 ff., 216, 220, 223, 228 f., 231, 237, 245 ff., 255 ff., 262 ff., 269, 277 ff., 284 ff., 295, 297, 301, 306 f., 309 ff., 312 ff., 325 f., 328, 331 ff., 337, 340 ff., 345 ff., 354 ff., 364, 366 ff., 373 ff.