Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [95]

Table of contents :
Michael Diefenbacher: Dr. Wilhelm Doni f (L Juni 1930 - 14. Juli 2008) XI
Thomas Brakmann: Die Verbreitung des ,Geistlichen Rosengarten“ im
Kontext religiöser Lektüre und dominikanischer Ordensreform ... 1
Bernd Ernsting: Raffael in Nürnberg? Ein wiederentdecktes italienisches
Gemälde aus dem Kunstkabinett von Paulus Praun................. 35
Helge Weingärtner: Das Tucherservice.................................................... 63
Hartmut Bock: Die Familiengeschichtsschreibung der Welser............. 93
Gerhard Seibold: 400 Jahre Nürnberger Stiftungsgeschichte am Beispiel
der Jobst Friedrich von Tetzel’schen und der Johann Carl von Schlüsselfelder
sehen Stiftung ....................................................................... 163
Herbert Schott: Die Feierlichkeiten zur Einverleibung der freien
Reichsstadt Nürnberg in das Königreich Bayern 1806 ..................... 243
Karoline Feulner: Ein Beitrag zur Rezeption Albrecht Dürers im 19.
Jahrhundert: Die sieben Transparente der Nürnberger Dürerfeier von
1828 ...................................................................................................... 275
Hans Huchzermeyer: Franz Hofmann (1920-1945) - ein unbekannter
fränkischer Komponist ....................................................................... 317
Manfred F. Fischer: Egidienplatz und Pellerhaus. Entstehung und Bewertung
eines Nürnberger Nachkriegs-Ensembles ........................... 347
Herbert May: Eine Melange aus Alt und Neu. Zur Diskussion um den
Umgang mit dem Pellerhaus in den 1950er Jahren............................. 385
Buchbesprechungen................................................................................. 405
Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte .......................................... 467
Jahresbericht über das 130. Vereinsjahr 2007 .......................................... 481
Abkürzungen ........................................................................................... 485
V
Lit
BUCHBESPRECHUNGEN
Quellen und Inventare
Gerhard Rechter (Bearb.) / Jürgen Wyschkon (Mitarb.): Die Archive der Familienstiftung
von Crailsheim. Familienkonsulentie und Herrschaft Rügland, Altes und
Neues Archiv (Bayerische Archivinventare 55). München 2007. (Eugen Schäler) 405
Paul Johann Anselm von Feuerbach: Alltag im Alten Bayern. Die frech-sexy’en Reportagen
des alten Ritters von Feuerbach aus dem Bayern von 1730-1830 / Eingeleitet,
ausgewählt und nacherzählt von Gerold Schmidt. Norderstedt 2006. (Hartmut
Frommer) ................................................................................................................... 406
Topographie, Stadtteile und Landgebiet
Franz Schiermeier: Stadtatlas Nürnberg. Karten und Modelle von 1492 bis heute.
Hg.: Stadtarchiv Nürnberg / Staatsarchiv Nürnberg / Stadtmuseum Nürnberg.
München 2006. (Clement Wächter)........................................................................... 408
Wolfgang B a u m a n n u.a. (Hg.) / Hajo Dietz u.a. (111.): Der Nürnberg-Atlas. Vielfalt
und Wandel der Stadt im Kartenbild. [Köln] 2007. (Clemens Wächter)................... 408
Nürnberg um 1933. Fotografien von Kurt Triest. Mit einem Vorw. und einer Einl. von
Helmut Beer (Nürnberger Fotobücher 4). Nürnberg 2007. (Petronilla Ehrenpreis) 411
Godehard Schramm: 888 Meter Heimat. Nürnberg - von einer Straße aus erzählt.
Nürnberg 2007. (Daniela Stadler)............................................................................. 412
Barbara Ohm: Fürth - Geschichte der Stadt. Fürth 2007. (Andreas Jakob)................... 413
Bernd Windsheimer / Wolf-Martin Hergert (Mitarb.): Geschichte der Stadt Fürth.
München 2007. (Andreas Jakob) ............................................................................... 413
Politische Geschichte, Recht und Verwaltung
Markus Urban: Die Konsensfabrik. Funktion und Wahrnehmung der NS-Reichsparteitage,
1933-1941. Göttingen 2007. (Siegfried Zelnhefer) .......................................... 415
Bilder für die Welt. Die Reichsparteitage der NSDAP im Spiegel der ausländischen
Presse, hrsg. von Friedrich Kießling und Gregor Schöllgen (Beihefte zum Archiv
für Kulturgeschichte 61). Köln [u.a.] 2006. (Daniela Stadler)................................... 418
Thomas Greif: Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im Dritten Reich (Mittelfränkische
Studien 18). Ansbach 2007. (Helmut Baier)............................................ 419
Der Luftkrieg gegen Nürnberg 1942-1945. Nürnberger Zeitzeugengespräch 02. Januar
2005. Nürnberg 2005. DVD (32 Minuten). (Alexander Schmidt)............................. 421
Nürnberger Zeugen des 2. Weltkriegs sprechen. Krieg - Gefangenschaft - Bomben -
Zerstörung - Besetzung - Neubeginn. Nürnberg 2005. DVD (55 Minuten) mit
Begleitheft (Alexander Schmidt) ............................................................................... 422
Christoph Friederich (Hg.): Zwangsarbeit in Erlangen während des Zweiten Weltkriegs.
(Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen 6). Erlangen 2007. (Gerhard
Jochem)....................................................................................................................... 424
Herbert R. Reginbogin ... (Hg.): Die Nürnberger Prozesse. Völkerstrafrecht seit 1945.
Internationale Konferenz zum 60. Jahrestag. München 2006. (Hartmut Frommer) 425
Francisco Muiioz Conde / Marta Munoz Auniön: „Das Urteil von Nürnberg“.
Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer
(1961). Berlin 2006. (Hartmut Frommer) ................................................................. 425
Jochanan Shelliem (Hg.): Als Gefängnisarzt im Nürnberger Prozess. Das Tagebuch des
Dr. Ludwig Pflücker. Marburg 2006. (Hartmut Frommer)....................................... 425
VI
Martina Behr und Maike Corpataux: Die Nürnberger Prozesse. Zur Bedeutung der
Dolmetscher für die Prozesse und der Prozesse für die Dolmetscher (InterPartes 2).
München 2006. (Hartmut Frommer)......................................................................... 425
Maik Kopleck (Hg.): Past-Finder Nürnberg. Stadt- & Reiseführer. Stuttgart 2007.
(Hartmut Frommer) ................................................................................................. 425
Markus Urban: Die Nürnberger Prozesse. Kurzführer (Historische Spaziergänge 5).
Nürnberg 2008. (Siegfried Zelnhefer) ....................................................................... 425
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine
Wolfgang Protzner / Christiane Köglmaier-Horn (Hg.): Culina Franconiae. (Beiträge
zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 109.112). Stuttgart [Teil I] 2007, Teil II 2008.
(Walter Gebhardt)..................................................................................................... 430
Kunst
Frank Matthias Kammei (Bearb.): Verborgene Schönheit. Spätgotische Schätze aus der
Klarakirche in Nürnberg. Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg,
10. Mai — 5. August 2007. Nürnberg 2007. (Georg Stolz) .............................. 431
Oliver Linke / Christine Sauer: Zierlich schreiben. Der Schreibmeister Johann Neudörffer
d.Ä. und seine Nachfolger in Nürnberg (Beiträge zur Geschichte und Kultur
der Stadt Nürnberg 25) (Jahresgabe der Typographischen Gesellschaft München
2007). München [u.a.J 2007. (Horst-Dieter Beyerstedt)............................................ 432
Gerd Unverfehrt: „Da sah ich viel köstliche Dinge.“ Albrecht Dürers Reise in die
Niederlande. Göttingen 2007. (Anja Grebe)............................................................ 434
Martin Sonnabend (Hg.): Albrecht Dürer - Die Druckgraphiken im Stadel Museum.
Katalog zur Ausstellung im Guggenheim Museum Bilbao, 26. Juni bis 9. September
2007 und im Städel Museum, 27. September 2007 bis 6. Januar 2008. Köln 2007.
(Anna Scherbaum)..................................................................................................... 435
Carolin Kraft: Dürer und die Kunst des 17. Jahrhunderts. Facetten künstlerischer
Rezeption (Schriften zur Kunstgeschichte 15). Hamburg 2007. (Anja Grebe)........ 437
Claudia-Alexandra Schwaighofer: Die Kunst der Nachahmung. Dürer, Carracci und
Parmigianino in den Reproduktionsgraphiken der Nürnbergerin Maria Katharina
Prestel (1747-1794) (Cultural and interdisciplinary studies in art 2). Stuttgart 2006.
(Bettina Keller) ......................................................................................................... 438
Spätromantik im Industriezeitalter - Die Nürnberger Künstlerfamilie Ritter. Katalog
zur Ausstellung der Gemälde- und Skulpturensammlung der Museen der Stadt
Nürnberg im Museum Industriekultur 28. September bis 2. Dezember 2007. Nürnberg
2007. (Andrea Meier) ........................................................................................ 440
Claus Pese: Jugendstil aus Nürnberg. Kunst, Handwerk, Industriekultur. Stuttgart
2007. (Edith Luther) ................................................................................................. 441
Wolfgang König / Rudolf Weichselbaum: Carl Sigmund Luber. Leben und Werk als
Entwerfer der Jugendstilkeramik von Johann von Schwarz, 1896-1906. Einbeck
2006. (Edith Luther) ................................................................................................. 442
Kultur, Sprache, Literatur, Musik
Kurt Neubauer (Hg./Ill.): Stadtgeheimnisse. Nürnberger Sagen neu erzählt. Nürnberg
2007. (Hartmut Frommer) ........................................................................................ 443
Wilhelm Weglehner: Nahkampf. Eine Jugend in der Stadt der Reichsparteitage.
Roman. Nürnberg 2005. (Daniela Stadler)............................................................... 444
Martin Weiß-Paschke: Reichsparteitag. Kriminalroman. Nürnberg2006. (Herbert Schott) 445
VII
Kirchengeschichte, Judentum
Gerhard Weilandt: Die Sebalduskirche in Nürnberg. Bild und Gesellschaft im Zeitalter
der Gotik und Renaissance (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte
47). Petersberg 2007. (Horst-Dieter Beyerstedt) ........................................ 446
Hermann Rusam: „Judensau“-Darstellungen in der plastischen Kunst Bayerns. Ein
Zeugnis christlicher Judenfeindschaft (Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und
Judentum 90, Sonderheft). Hannover: Evang.-Luth. Zentralverein für Begegnung
von Christen und Juden 2007..................................................................................... 449
Wolfgang Kraus / Berndt Hamm / Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine ...
Synagogen-Gedenkband Bayern. Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern,
Oberbayern, Schwaben / erarb. von Barbara Eberhardt und Angela Hager. Lindenberg
im Allgäu 2007. (Gerhard Jochem)............................................................. 451
Jacob Rosenthal: „Die Ehre des jüdischen Soldaten“. Die Judenzählung im Ersten
Weltkrieg und ihre Folgen (Campus-Judaica 24). Frankfurt/New York 2007.
(Gerhard Jochem) ..................................................................................................... 452
Personen und Familien
Franz Fuchs (Hg.): Die Pirckheimer. Humanismus in einer Nürnberger Patrizierfamilie
(Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 21). Wiesbaden
2006. (Horst-Dieter Beyerstedt) ..................................................................... 453
Hermann Glaser: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Weltgeist in Franken (Auf den Spuren
der Dichter und Denker durch Franken 7). Gunzenhausen 2008. (Ernst-Friedrich
Schultheiß) ......................................................................................................... 456
Alfred Kröner: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert - Die Familie Feuerbach in
Franken. (Aufklärung und Kritik / Sonderheft 6). Nürnberg 2002. (Hartmut
Frommer) ................................................................................................................... 457
Alfred Kröner: Paul Johann Anselm und Ludwig Andreas Feuerbach als Exponenten
des Bürgertums im 19. Jahrhundert. Leben und Wirkungen (Schriftenreihe der
Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg 2) (Aufklärung und Kritik / Sonderheft
12). Nürnberg 2007. (Hartmut Frommer).......................................................... 457
Hermann Glaser / Rainer Lindenmann / Max Ackermann: Die Feuerbachs. Eine
deutsche Familie im 19. Jahrhundert. Gunzenhausen 2006. (Hartmut Frommer) 457
Josef Winiger: Ludwig Feuerbach. Denker der Menschlichkeit. Eine Biographie (Aufbau-
Taschenbuch 2056). Berlin 2004. (Hartmut Frommer) ...................................... 457
Reinhard Spree / Irmgard Robertson (Mitarb.): Eine bürgerliche Karriere im deutschen
Kaiserreich. Der Aufstieg des Advokaten Dr. jur. Hermann Ritter von Pemsel
in Wirtschaftselite und Adel Bayerns. Aachen 2007. (Georg Seiderer)............... 460
Franco Ruault: „Neuschöpfer des deutschen Volkes“. Julius Streicher im Kampf gegen
„Rassenschande“ (Beiträge zur Dissidenz 18). Frankfurt am Main [u.a.] 2006.
(Ingmar Reither)....................................................................................................... 462
Gerhart Herold / Carsten Nicolaisen (Hg.): Hans Meiser. (1881-1956). Ein lutherischer
Bischof im Wandel der politischen Systeme. München 2006. (Hartmut
Frommer) ................................................................................................................... 463
Michael Kerstan: Souris Arche. Kurt Leo Sourisseaux und die Nürnberger Operette ab
1950. Leipzig 2008. (Emst-Friedrich Schultheiß)....................................................... 464

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

95. Band 2008

Nürnberg 2008 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftlcitung: Dr. Michael Diefenbacher, Dr. Wiltrud Fischer-Pache, Dr. Clemens Wächter Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich. Für unaufgefordert eingereichte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

Zum Druck des Bandes trugen durch Zuschüsse bzw. Spenden bei: Die Stadt Nürnberg, der Bezirk Mittelfranken, die Sparkasse Nürnberg, die Freiherr von Haller’sche Forschungsstiftung Nürnberg. Der Verein dankt dafür bestens.

Umschlagbild: Sebastian I. Welser, Sieger im Gesellenstechen 1528 (Wclser-Archiv, BGB We I, Fol. 68 b, siehe Beitrag von Hartmut Bock, S. 93-162)

Gesamtherstcllung: w VDS-Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt/Aisch Gedruckt auf holzfreies, chlorfrei gebleichtes, säurefreies und alterungsbeständiges Papier. Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Marientorgraben 8, 90402 Nürnberg) ISSN 0083-5579

Bayerische Staatsbibliothek München

INHALT Michael Diefenbacher: Dr. Wilhelm Doni f (L Juni 1930 - 14. Juli 2008)

XI

Thomas Brakmann: Die Verbreitung des ,Geistlichen Rosengarten“ im Kontext religiöser Lektüre und dominikanischer Ordensreform ...

1

Bernd Ernsting: Raffael in Nürnberg? Ein wiederentdecktes italieni­ sches Gemälde aus dem Kunstkabinett von Paulus Praun.................

35

Helge Weingärtner: Das Tucherservice....................................................

63

Hartmut Bock: Die Familiengeschichtsschreibung der Welser.............

93

Gerhard Seibold: 400 Jahre Nürnberger Stiftungsgeschichte am Beispiel der Jobst Friedrich von Tetzel’schen und der Johann Carl von Schlüs­ selfelder sehen Stiftung .......................................................................

163

Herbert Schott: Die Feierlichkeiten zur Einverleibung der freien Reichsstadt Nürnberg in das Königreich Bayern 1806 .....................

243

Karoline Feulner: Ein Beitrag zur Rezeption Albrecht Dürers im 19. Jahrhundert: Die sieben Transparente der Nürnberger Dürerfeier von 1828 ......................................................................................................

275

Hans Huchzermeyer: Franz Hofmann (1920-1945) - ein unbekannter fränkischer Komponist .......................................................................

317

Manfred F. Fischer: Egidienplatz und Pellerhaus. Entstehung und Be­ wertung eines Nürnberger Nachkriegs-Ensembles ...........................

347

Herbert May: Eine Melange aus Alt und Neu. Zur Diskussion um den Umgang mit dem Pellerhaus in den 1950er Jahren.............................

385

Buchbesprechungen.................................................................................

405

Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte ..........................................

467

Jahresbericht über das 130. Vereinsjahr 2007 ..........................................

481

Abkürzungen ...........................................................................................

485

V

Lit

BUCHBESPRECHUNGEN Quellen und Inventare Gerhard Rechter (Bearb.) / Jürgen Wyschkon (Mitarb.): Die Archive der Familien­ stiftung von Crailsheim. Familienkonsulentie und Herrschaft Rügland, Altes und Neues Archiv (Bayerische Archivinventare 55). München 2007. (Eugen Schäler) Paul Johann Anselm von Feuerbach: Alltag im Alten Bayern. Die frech-sexy’en Repor­ tagen des alten Ritters von Feuerbach aus dem Bayern von 1730-1830 / Eingeleitet, ausgewählt und nacherzählt von Gerold Schmidt. Norderstedt 2006. (Hartmut Frommer) ...................................................................................................................

405

406

Topographie, Stadtteile und Landgebiet Franz Schiermeier: Stadtatlas Nürnberg. Karten und Modelle von 1492 bis heute. Hg.: Stadtarchiv Nürnberg / Staatsarchiv Nürnberg / Stadtmuseum Nürnberg. München 2006. (Clement Wächter)........................................................................... Wolfgang B a u m a n n u.a. (Hg.) / Hajo Dietz u.a. (111.): Der Nürnberg-Atlas. Vielfalt und Wandel der Stadt im Kartenbild. [Köln] 2007. (Clemens Wächter)................... Nürnberg um 1933. Fotografien von Kurt Triest. Mit einem Vorw. und einer Einl. von Helmut Beer (Nürnberger Fotobücher 4). Nürnberg 2007. (Petronilla Ehrenpreis) Godehard Schramm: 888 Meter Heimat. Nürnberg - von einer Straße aus erzählt. Nürnberg 2007. (Daniela Stadler)............................................................................. Barbara Ohm: Fürth - Geschichte der Stadt. Fürth 2007. (Andreas Jakob)................... Bernd Windsheimer / Wolf-Martin Hergert (Mitarb.): Geschichte der Stadt Fürth. München 2007. (Andreas Jakob) ...............................................................................

408 408 411 412 413 413

Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Markus Urban: Die Konsensfabrik. Funktion und Wahrnehmung der NS-Reichsparteitage, 1933-1941. Göttingen 2007. (Siegfried Zelnhefer) .......................................... Bilder für die Welt. Die Reichsparteitage der NSDAP im Spiegel der ausländischen Presse, hrsg. von Friedrich Kießling und Gregor Schöllgen (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 61). Köln [u.a.] 2006. (Daniela Stadler)................................... Thomas Greif: Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im Dritten Reich (Mittel­ fränkische Studien 18). Ansbach 2007. (Helmut Baier)............................................ Der Luftkrieg gegen Nürnberg 1942-1945. Nürnberger Zeitzeugengespräch 02. Januar 2005. Nürnberg 2005. DVD (32 Minuten). (Alexander Schmidt)............................. Nürnberger Zeugen des 2. Weltkriegs sprechen. Krieg - Gefangenschaft - Bomben Zerstörung - Besetzung - Neubeginn. Nürnberg 2005. DVD (55 Minuten) mit Begleitheft (Alexander Schmidt) ............................................................................... Christoph Friederich (Hg.): Zwangsarbeit in Erlangen während des Zweiten Welt­ kriegs. (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen 6). Erlangen 2007. (Gerhard Jochem)....................................................................................................................... Herbert R. Reginbogin ... (Hg.): Die Nürnberger Prozesse. Völkerstrafrecht seit 1945. Internationale Konferenz zum 60. Jahrestag. München 2006. (Hartmut Frommer) Francisco Muiioz Conde / Marta Munoz Auniön: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961). Berlin 2006. (Hartmut Frommer) ................................................................. Jochanan Shelliem (Hg.): Als Gefängnisarzt im Nürnberger Prozess. Das Tagebuch des Dr. Ludwig Pflücker. Marburg 2006. (Hartmut Frommer).......................................

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424 425

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Martina Behr und Maike Corpataux: Die Nürnberger Prozesse. Zur Bedeutung der Dolmetscher für die Prozesse und der Prozesse für die Dolmetscher (InterPartes 2). München 2006. (Hartmut Frommer)......................................................................... Maik Kopleck (Hg.): Past-Finder Nürnberg. Stadt- & Reiseführer. Stuttgart 2007. (Hartmut Frommer) ................................................................................................. Markus Urban: Die Nürnberger Prozesse. Kurzführer (Historische Spaziergänge 5). Nürnberg 2008. (Siegfried Zelnhefer) .......................................................................

425 425 425

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine Wolfgang Protzner / Christiane Köglmaier-Horn (Hg.): Culina Franconiae. (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 109.112). Stuttgart [Teil I] 2007, Teil II 2008. (Walter Gebhardt)..................................................................................................... Kunst Frank Matthias Kammei (Bearb.): Verborgene Schönheit. Spätgotische Schätze aus der Klarakirche in Nürnberg. Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürn­ berg, 10. Mai — 5. August 2007. Nürnberg 2007. (Georg Stolz) .............................. Oliver Linke / Christine Sauer: Zierlich schreiben. Der Schreibmeister Johann Neudörffer d.Ä. und seine Nachfolger in Nürnberg (Beiträge zur Geschichte und Kul­ tur der Stadt Nürnberg 25) (Jahresgabe der Typographischen Gesellschaft München 2007). München [u.a.J 2007. (Horst-Dieter Beyerstedt)............................................ Gerd Unverfehrt: „Da sah ich viel köstliche Dinge.“ Albrecht Dürers Reise in die Niederlande. Göttingen 2007. (Anja Grebe)............................................................ Martin Sonnabend (Hg.): Albrecht Dürer - Die Druckgraphiken im Stadel Museum. Katalog zur Ausstellung im Guggenheim Museum Bilbao, 26. Juni bis 9. September 2007 und im Städel Museum, 27. September 2007 bis 6. Januar 2008. Köln 2007. (Anna Scherbaum)..................................................................................................... Carolin Kraft: Dürer und die Kunst des 17. Jahrhunderts. Facetten künstlerischer Rezeption (Schriften zur Kunstgeschichte 15). Hamburg 2007. (Anja Grebe)........ Claudia-Alexandra Schwaighofer: Die Kunst der Nachahmung. Dürer, Carracci und Parmigianino in den Reproduktionsgraphiken der Nürnbergerin Maria Katharina Prestel (1747-1794) (Cultural and interdisciplinary studies in art 2). Stuttgart 2006. (Bettina Keller) ......................................................................................................... Spätromantik im Industriezeitalter - Die Nürnberger Künstlerfamilie Ritter. Katalog zur Ausstellung der Gemälde- und Skulpturensammlung der Museen der Stadt Nürnberg im Museum Industriekultur 28. September bis 2. Dezember 2007. Nürn­ berg 2007. (Andrea Meier) ........................................................................................ Claus Pese: Jugendstil aus Nürnberg. Kunst, Handwerk, Industriekultur. Stuttgart 2007. (Edith Luther) ................................................................................................. Wolfgang König / Rudolf Weichselbaum: Carl Sigmund Luber. Leben und Werk als Entwerfer der Jugendstilkeramik von Johann von Schwarz, 1896-1906. Einbeck 2006. (Edith Luther) .................................................................................................

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Kultur, Sprache, Literatur, Musik Kurt Neubauer (Hg./Ill.): Stadtgeheimnisse. Nürnberger Sagen neu erzählt. Nürnberg 2007. (Hartmut Frommer) ........................................................................................ Wilhelm Weglehner: Nahkampf. Eine Jugend in der Stadt der Reichsparteitage. Roman. Nürnberg 2005. (Daniela Stadler)............................................................... Martin Weiß-Paschke: Reichsparteitag. Kriminalroman. Nürnberg2006. (Herbert Schott)

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VII

Kirchengeschichte, Judentum Gerhard Weilandt: Die Sebalduskirche in Nürnberg. Bild und Gesellschaft im Zeitalter der Gotik und Renaissance (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstge­ schichte 47). Petersberg 2007. (Horst-Dieter Beyerstedt) ........................................ Hermann Rusam: „Judensau“-Darstellungen in der plastischen Kunst Bayerns. Ein Zeugnis christlicher Judenfeindschaft (Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum 90, Sonderheft). Hannover: Evang.-Luth. Zentralverein für Begegnung von Christen und Juden 2007..................................................................................... Wolfgang Kraus / Berndt Hamm / Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern. Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben / erarb. von Barbara Eberhardt und Angela Hager. Lin­ denberg im Allgäu 2007. (Gerhard Jochem)............................................................. Jacob Rosenthal: „Die Ehre des jüdischen Soldaten“. Die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen (Campus-Judaica 24). Frankfurt/New York 2007. (Gerhard Jochem) .....................................................................................................

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Personen und Familien Franz Fuchs (Hg.): Die Pirckheimer. Humanismus in einer Nürnberger Patrizierfamilie (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 21). Wies­ baden 2006. (Horst-Dieter Beyerstedt) ..................................................................... Hermann Glaser: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Weltgeist in Franken (Auf den Spu­ ren der Dichter und Denker durch Franken 7). Gunzenhausen 2008. (Ernst-Fried­ rich Schultheiß) ......................................................................................................... Alfred Kröner: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert - Die Familie Feuerbach in Franken. (Aufklärung und Kritik / Sonderheft 6). Nürnberg 2002. (Hartmut Frommer) ................................................................................................................... Alfred Kröner: Paul Johann Anselm und Ludwig Andreas Feuerbach als Exponenten des Bürgertums im 19. Jahrhundert. Leben und Wirkungen (Schriftenreihe der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg 2) (Aufklärung und Kritik / Sonder­ heft 12). Nürnberg 2007. (HartmutFrommer).......................................................... Hermann Glaser / Rainer Lindenmann / Max Ackermann: Die Feuerbachs. Eine deutsche Familie im 19. Jahrhundert. Gunzenhausen 2006. (Hartmut Frommer) Josef Winiger: Ludwig Feuerbach. Denker der Menschlichkeit. Eine Biographie (Auf­ bau-Taschenbuch 2056). Berlin2004. (Hartmut Frommer) ...................................... Reinhard Spree / Irmgard Robertson (Mitarb.): Eine bürgerliche Karriere im deut­ schen Kaiserreich. Der Aufstieg des Advokaten Dr. jur. Hermann Ritter von Pemsel in Wirtschaftselite und Adel Bayerns. Aachen 2007. (Georg Seiderer)............... Franco Ruault: „Neuschöpfer des deutschen Volkes“. Julius Streicher im Kampf gegen „Rassenschande“ (Beiträge zur Dissidenz 18). Frankfurt am Main [u.a.] 2006. (Ingmar Reither)....................................................................................................... Gerhart Herold / Carsten Nicolaisen (Hg.): Hans Meiser. (1881-1956). Ein lutheri­ scher Bischof im Wandel der politischen Systeme. München 2006. (Hartmut Frommer) ................................................................................................................... Michael Kerstan: Souris Arche. Kurt Leo Sourisseaux und die Nürnberger Operette ab 1950. Leipzig 2008. (Emst-Friedrich Schultheiß).......................................................

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MITARBEITER MVGN 85 (2008) Bai er, Helmut, Dr., Archivdirektor i.R., Düsseldorfer Straße 62, 90425 Nürnberg Beyerstedt, Horst-Dieter, Dr., Archivoberrat, Thumenberger Weg 38, 90491 Nürnberg Bock, Hartmut, Dr., Physiker, Unternehmensberater, Behringstraße 30, 65779 Kelkheim Brakmann, Thomas, Dr. des., Historiker und Archivar, Wellendorfer Straße 207, 49124 Georgsmarienhütte Diefenbacher, Michael, Dr., Ltd. Archivdirektor, Ringstraße 17, 91560 Heilsbronn Ehrenpreis, Petronilla, Dr., Oberstudienrätin, Hans-Sachs-Gymnasium Nürnberg, Löbleinstraße 10 Ernsting, Bernd, Dr., Kunsthistoriker, Wieselweg 4, 50996 Köln Feulner, Karoline, M.A., Kunsthistorikerin, Johannes-Gutenberg-Universität, Institut für Kunstgeschichte, Binger Straße 26, 55122 Mainz Fischer-Pache, Wiltrud, Dr., Archivdirektorin, Keßlerplatz 7, 90489 Nürn­ berg Fischer, Prof. Dr. Manfred F., Landeskonservator i.R., Pfahlplätzchen 1, 96049 Bamberg Frommer, Hartmut, Dr., Stadtrechtsdirektor i.R., Judengasse 25, 90403 Nürnberg Gebhardt, Walter, Bibliotheksamtsrat, Drausnickstraße 8, 91052 Erlangen Grebe, Anja, Dr., Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Publizistin, Dr.Mack-Straße 41, 90672 Fürth Huchzermeyer, Hans, Dr., Prof., Wittemoor 12a, 32425 Minden Jakob, Andreas, Dr., Archivoberrat, Stadtarchiv Erlangen, Cedernstraße 1, 91051 Erlangen Jochem, Gerhard, Archivamtmann, Mostgasse 8, 90402 Nürnberg Keller, Bettina, Dr., Kunsthistorikerin, Universität Erlangen, Institut für Kunstgeschichte, Schloßgarten 1, 91054 Erlangen Luther, Edith, Dr., Kunsthistorikerin, A.W. Faber-Castell Unternehmens­ verwaltung GmbH & Co.KG, Nürnberger Straße 2, 90546 Stein May, Herbert, M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fränkisches Frcilandmuseum Bad Windsheim, Stadtheimatpfleger Nürnberg, Kraftshofer Hauptstraße 195, 90427 Nürnberg Meier, Andrea, Dr., Kunsthistorikerin, Leonrodstraße 66, 80636 München Reit her, Ingmar, Dr., Historiker, Kunst- und Kulturpädagogisches Zentrum der Museen in Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Kartäuser­ gasse 1, 90402 Nürnberg

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Scherbaum, Anna, Dr., Kunsthistorikerin, Kunst- und Kulturpädagogi­ sches Zentrum der Museen in Nürnberg, Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg Schmidt, Alexander, Dr., Historiker, Goldweiherstraße 16, 90480 Nürnberg Schüler, Eugen, Konrektor i.R., Heinrich-Krauß-Straße 3, 91126 Schwa­ bach Schott, Herbert, Dr., Archivdirektor, Staatsarchiv Nürnberg, Archiv­ straße 17, 90408 Nürnberg Schultheiß, Ernst-Friedrich, Dr., Oberstudienrat i.R., Postfach 190119, 90118 Nürnberg Seibold, Gerhard, Dr., Dipl. rer. pol., Öttinger Weg 2, 74564 Crailsheim Seiderer, Georg, Dr., Univ.-Prof., Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg, Department Geschichte, Kochstraße 4, 91054 Erlangen Stadler, Daniela, M.A., Historikerin, Löbleinstraße 32, 90409 Nürnberg Stolz, Georg, Baumeister St. Lorenz i.R., Stadtheimatpfleger, Kuckucks­ weg 6, 90768 Fürth Wächter, Clemens, Dr., Universitätsarchivar, Archiv der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Schuhstraße la, 91052 Erlangen Weingärtner, Helge, M.A., Kunsthistoriker, Am Paulusstein 2, 90411 Nürnberg Zeinhefer, Siegfried, Dr., Presseamtsleiter, Stadt Nürnberg, Fünferplatz 2, 90403 Nürnberg

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DR. WILHELM DONI f 1. Juni 1930- 14. Juli 2008

Am 14. Juli 2008 verstarb 78-jährig unser langjähriges Vorstandsmitglied Dr. Wilhelm Doni. Er trat 1971 dem Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg bei und wurde 1988 in den erweiterten Vorstand gewählt, dem er bis 2006 ange­ hörte. Wilhelm Doni ist am 1. Juni 1930 in Würzburg geboren. Nach der Schul­ ausbildung (Abitur 1949) und dem Wirtschaftsstudium legte er in Nürnberg 1953 das Examen als Diplom-Kaufmann ab, 1964 promovierte er in Münster/ Westfalen zum Dr. rer. pol. In der Tradition seiner Vorfahren als Fischer, Fährleute und Schiffer seit dem 17. Jahrhundert und seines Elternhauses - Wil­ helm wuchs auf dem Binnenschiff seiner Eltern auf - führte ihn sein Berufsweg 1953 zunächst zur Rhein-Schifffahrts-Spedition in Mannheim und dann über mehrere Stationen von Unternehmen und Verbänden der Binnenschifffahrt zum Schifffahrtsverband Weser in Bremen, dessen Geschäftsführung er 1964 übernahm. Am 1. Juni 1968 wechselte Wilhelm Doni - „entdeckt“ und angeworben vom damaligen Vorsitzenden der SPD-Rathausfraktion Willy Prölß, unserem heutigen Vereinsvorsitzenden - als Berufsmäßiger Stadtrat in den Dienst der Stadt Nürnberg. Er leitete bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden am 31. Mai 1992 das städtische Wirtschaftsreferat, war also verantwortlich für die Bereiche öffentliche Einrichtungen, Wirtschafts- und Verkehrsförderung, Lie­ genschaftswesen, Wohnungswesen und Stadterneuerung. Als Donis heraus­ ragende Leistungen fallen in diese Zeit die An- und Einbindung Nürnbergs in das damalige westdeutsche Fernstraßennetz, der Ausbau des Rhein-MainDonaukanals mit Planung, Gründung und Ausbau des Nürnberger Hafens, der Ausbau des Nürnberger Flughafens und des Messestandorts Nürnberg am neuen Messeplatz in Langwasser. Besonders mit seinem Namen verbunden bleibt die Umwandlung des Industriestandortes Nürnberg aus einem Zentrum der „klassischen“ Industrie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu einer modernen Dienstleistungsmetropole, für die Namen wie die DATEV oder die GfK AG stehen. Diese Umstrukturierung einer ganzen Region hat Doni 1976 einmal mit den Worten „Nürnberg ist der Lastesel Bayerns“ Umrissen. Aus dieser Tätigkeit wuchs Wilhelm Doni die Mitarbeit in vielen Gremien zu. Er gehörte qua Amt dem Aufsichtsrat der Flughafen Nürnberg GmbH an, deren stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender er vom 19. Juli 1972 bis zum 7. Dezember 1990 war, dem Aufsichtsrat der NürnbergMesse sowie dem Auf­ sichtsrat der wbg Nürnberg GmbH Immobilienunternehmen. Er war an der

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Michael Diefenbacher

Gründung des 1. FCN Dachvereins beteiligt, dessen erster Vorsitzender er 1996 wurde, war von 1968 bis 1995 Vorstandsmitglied (seit 1971 Vorsitzender und seit 1995 Ehrenmitglied) des Verkehrsvereins Nürnberg e.V. und enga­ gierte sich im Kreisverband Nürnberg-Stadt des Bayerischen Roten Kreuzes (1994-2000 Schatzmeister, 2001-2005 Mitglied im Haushaltsausschuss). Um das Bild von Donis sozialem und kulturellem Interesse abzurunden, seien an dieser Stelle nur noch zwei weitere Institutionen genannt, in denen er an vor­ derster Front mitgewirkt hat - der Mozartverein Nürnberg und die Maximi­ lians-Augenklinik Nürnberg e.V. Im Mittelpunkt seiner Verbandsaktivitäten stand jedoch zweifellos der Deutsche Wasserstraßen- und Schifffahrtsverein Rhein-Main-Donau (DWSV): Seit 1969 war er in dessen Vorstand tätig, 1992 übernahm er vom ehemaligen Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter den Bundesvorsitz, den er 2001 an den heutigen Nürnberger Wirtschatsreferenten Dr. Roland Fleck weitergab. Besonders am Herzen lag Wilhelm Doni auch die umfangreiche, binnenschifffahrtshistorisch einmalige Bibliothek des DWSV, die er gerne in Nürnberg beheimatet gesehen hätte (der Verfasser dieses Nachrufs vermittelte sie in Absprache mit ihm nach Regens­ burg). Bei all diesem politischen, kulturellen und sozialen Engagement - 1994 erhielt Wilhelm Doni hierfür das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse - ist seine aus der privaten Freude an Geschichte, speziell an der Nürnberger Stadtgeschichte erwachsene Zuwendung zum Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg umso höher zu werten. Bis zu seinem freiwilligen Ausscheiden bereicherte Doni regelmäßig auf den halbjährig abgehaltenen Vorstandssitzungen unsere Ver­ einsarbeit, und bis zu seinem Tode war er - sooft er konnte - regelmäßiger Gast unserer Vortragsabende. Der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg wird Dr. Wilhelm Doni stets ein ehrendes Gedenken bewahren. Michael Diefenbacher

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MVGN 95 (2008)

Nachruf Dr. Wilhelm Doni

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DIE VERBREITUNG DES „GEISTLICHEN ROSENGARTEN“ IM KONTEXT RELIGIÖSER LEKTÜRE UND DOMINIKANISCHER ORDENSREFORM Von Thomas Brakmann Einleitung Der dominikanische Ordenschronist Johannes Meyer (1422-1485) berichtet im dritten Buch seines 1468 abgeschlossenen Reformwerkes ,Buch der Reformacio Predigerordens“ von der Nürnberger Witwe Katharina Holtzhusin. Diese wollte in das Nürnberger Dominikanerinnenkloster St. Katharina eintreten, das sich allerdings der Reform verwehrte. Daher lebte sie, wie Meyer berichtet, in der weit gaistlich. Eines Tages erfuhr sie zusammen mit ihrer Stieftochter Katharina von den predigern zu Nürenberg so vil gutes von der balgen junckfrowen sant Katberina de Senis, des Ordens der penitencie s[ant] Dominici, und von yrem balgen bichtiger maister Raymundus'. Tief beein­ druckt von dem Gehörten wollten nun beide in einen observanten Dominika­ nerinnenkonvent eintreten. Sie verließen Nürnberg und schlossen sich nach einigen Umwegen 1419 als Laienschwestern dem Domimkanermnenkloster St. Birgitta in Schönensteinbach an, das 1397 der Observanzbewegung einge­ gliedert wurde2. Als bekannte und sehr volksnahe Persönlichkeit des Dominikanerordens avancierte Katharina von Siena schnell zum Aushängeschild des Prediger­ ordens und zum Modell einer modernen Spiritualität, das geistlich Interessierte und Religiöse gleichermaßen ansprach. Die dominikanischen Ordensreformer sahen offenbar in Katharina von Siena eine Leitfigur ihrer Observanzbewe­ gung, die im 15. Jahrhundert mehr oder minder fast alle Orden ergriff. Ihr Leben sollte den Schwestern in den zu reformierenden Konventen aber offen­ bar auch den in der Welt lebenden Laien, wie unser Beispiel in der Nürnberger Predigt zeigt, ein leuchtendes Vorbild sein, das es zu verehren und nachzu'

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Vgl. Johannes Meyer: Buch der Reformacio Predigerordens I-V, hrsg. v. Benedictus Maria Reichert (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens 2 u. 3), Leipzig 1908/09, Bd. I—III, S. 102. Meyer berichtet die Geschichte im Kontext seiner Ausführungen zum frommen und regeltreuen Leben von neunzehn Schwestern in dem ersten observanten Frauenkonvent in der Dominikanerprovinz Teutonia, dem 1397 reformierten Kloster Schönen­ steinbach im Eisass. Vgl. Sabine von Heusinger: Johannes Mulberg OP (| 1414). Ein Leben im Spannungsfeld von Dominikanerobservanz und Beginenstreit (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, NF 9), Berlin 2000, S. 29 f.

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Thomas Brakmann

ahmen galt.3 Geht man allein von der literarischen Überlieferung im Reich aus, so gehörte Katharina zu den bekanntesten Heiligengestalten des Prediger­ ordens. Katharina von Siena wurde um 1347 als 23. Kind des Färbers Jacopo Benincasa und seiner Frau Lapa in Siena geboren.4 Zwischen 1362 und 1364 trat sie nach großen Widerständen der eigenen Familie in den Laienorden der Domini­ kanerinnen ein, die so genannten „Büßerinnen“ (bzw. „Tertiarinnen“). 1374 hatte Katharina sich vor dem Generalkapitel der Dominikaner in Florenz wegen ihrer ungewöhnlichen Lebensweise zu verantworten. Leben und Lehre Katharinas wurden als rechtgläubig befunden, allerdings wurde ihr Raimund von Capua, ihr späterer Biograph, als Beichtvater und geistlicher Mentor zur Seite gestellt. In den folgenden Jahren bis zu ihrem Tod widmete sie sich der Pflege von Pestkranken und versuchte durch eine umfangreiche Briefkorres­ pondenz und zahlreiche Reisen Einfluss auf das politische Geschehen ihrer Zeit zu nehmen: Ihr Ziel war die Rückkehr des Papstes aus Avignon nach Rom, die radikale Reform der Kirche, die Aussöhnung der italienischen Stadtstaaten untereinander und mit dem Papst sowie die Bindung aller Söldnertruppen in Italien für einen Kreuzzug. Ihr Leben war durchsetzt von zahlreichen mysti­ schen Erlebnissen, die in ihren Briefen, ihrem mystischen Hauptwerk, dem „Dialog der Göttlichen Vorsehung“, und in ihren Gebeten ihren Niederschlag gefunden haben. Die umfassendste und vielleicht wichtigste Darstellung ihres Lebens ist die ,Legenda Maior“, die von ihrem Beichtvater und dem späteren dominikanischen Ordensgeneral Raimund von Capua abgefasste lateinische Vita Katharinas. Sie schildert ausführlich das mystische, karitative und poli­ tische Engagement der dominikanischen Laienschwester. Am 29. April 1380 starb Katharina von Siena 33-jährig in Rom. Ihr Beichtvater und Freund, Raimund von Capua, wurde um 1330 geboren.5 Nach dem Studium der Rechte in Bologna trat er um 1348 in den Domini­ kanerorden in Orvieto ein. Das Generalkapitel in Florenz bestimmte ihn 1374 zum Beichtvater Katharinas, die er bis 1378 auf ihren Reisen begleiten sollte. Kurz nach Katharinas Tod wurde Raimund am 12. Mai 1380 auf dem General-

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Vgl. Sabine von Heusinger: Catherine of Siena and the Dominican Order, in: Mario Ascheri (Hrsg.): Siena e il suo territorio nel rinascimento - Renaissance Siena and its territory, Siena 2000, S. 43-51. Zu Katharina von Siena vgl. u.a. Hanno Helbling: Katharina von Siena. Mystik und Politik, München 2000, S. 146-149. - Jörg Jungmayr (Hrsg.): Die Legenda Maior (Vita Catharinae Senensis) des Raimund von Capua. Edition nach der Nürnberger Handschrift Cent. IV.75; Übersetzung und Kommentar, Bd. 1: Einleitung und Text, Berlin 2004, S. vii-x. Zu Raimund von Capua vgl. A.W. van Ree: Raymond de Capue, elements biographiques, in: Archivum fratrum praedicatorum 33 (1963), S. 159-241.

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Die Verbreitung des „Geistlichen Rosengarten“

kapitel der Dominikaner in Bologna zum Ordensgeneral der römischen Obedienz gewählt. In den folgenden Jahren unternahm Raimund einige Visita­ tionsreisen durch Ungarn und Böhmen und besuchte im Anschluss daran zahlreiche deutsche Klöster. Die Reform der deutschen Dominikanerprovinz brachte er mit der Ernennung Konrads von Preußen 1389 zum Prior des Reformkonventes von Colmar maßgeblich auf den Weg.6 Zwischen 1385 und 1395 verfasste Raimund die lateinische Vita der Katharina von Siena. Ihre Ab­ sicht war, die Propagierung und die Etablierung der Ziele der dominikanischen bzw. Reform- und Observanzbewegung voranzutreiben und natürlich die Kanonisation Katharinas zu erreichen.7 Letztere sollte allerdings erst 1461 unter Papst Pius II. erfolgen. 1396 reiste Raimund persönlich nach Nürnberg, um auf Bitten des Rates die Reform des dortigen Dominikanerkonventes durchzusetzen, was ihm auch gelang. Nach weiteren Reisen durch das Deutsche Reich starb Raimund am 5. Oktober 1399 in Nürnberg und wurde in der Kirche des dortigen Dominikanerklosters beigesetzt. Raimunds Ziel, die Durchsetzung der Kirchen- und Ordensreform, sollte durch die Ausweitung des Katharinenkultes unter Laien und (dominika­ nischen) Ordensfrauen vorangetrieben werden. Dazu brauchte es neben der europaweiten Verbreitung der ,Legenda Maior“ auch volkssprachige Übertra­ gungen dieser Vita in die jeweiligen Landessprachen. Erste Übersetzungen der Vita entstanden bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Im Reich hatte den mit Abstand größten Erfolg eine um 1400 wahrscheinlich im Nürnberger Domini­ kanerkloster entstandene Übersetzung, die sich selbst als ,Ein Geistlicher Rosengarten“ bezeichnet.8 Die Überlieferungswege des ,Geistlichen Rosengar­ ten“ bieten Hinweise für die gezielte Buchproduktion und -distribution im Rahmen der Ordensreform in der Dominikanerprovinz Teutonia. Dieser Entwicklung geht die veränderte, positive Einstellung der Ordensreformer zur literarischen Selbstpastoration von Laien, sowie von Ordensfrauen wie Ordensmännern gleichermaßen voraus. In den Reformkonventen sollte näm­ lich fortan die klösterliche Privat- und Tischlektüre gepflegt werden, um so maßgebliche Rcforminhalte zu verinnerlichen.

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Vgl. Franz Egger: Beiträge zur Geschichte des Predigerordens. Die Reform des Basler Kon­ vents 1429 und die Stellung des Ordens am Basler Konzil 1431-1448 (Europäische Hochschul­ schriften, Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 467), Bern u.a. 1991, S. 17-23. Vgl. Jungmayr: Die Legenda Maior (wie Anm. 4), S. xxvii f. Edition und Untersuchung der Vita »Ein Geistlicher Rosengarten« war Teil der Dissertation des Verfassers. Vgl. Thomas Brakmann: ,Ein Geistlicher Rosengarten' — eine Vita zwischen Ordensreform und Laienfrömmigkeit im 15. Jahrhundert: Studien zur Überlieferung und Edition der volkssprachigen Vita der Katharina von Siena, Diss. [masch.-schr.], Münster (WWU) 2005/06 (in Druckvorbereitung).

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Thomas Brakmann

Diesem Bemühen um die geistliche Unterweisung von lateinunkundigen Ordensfrauen, Laien und Laienbrüdern, einem der wesentlichen Merkmale der monastischen Reform im 15. Jahrhundert, verdankt der ,Geistlichen Rosen­ garten1 seine Entstehung und Verbreitung. Es sollte auf dem Weg der litera­ rischen Selbstpastoration oder der Tischlesung auf die Lebensgestaltung des Einzelnen Einfluss genommen werden. In einem ersten Teil dieses Beitrages sollen daher einige Aspekte der gestiegenen Bedeutung geistlicher Literatur für die Frömmigkeit von Laien und Ordensfrauen im 15. Jahrhundert dargestellt werden. In einem zweiten Abschnitt wird die Verbreitung des ,Geistlichen Rosengarten“ im Kontext dieser frömmigkeitsgeschichtlichen Umbrüche und im Rahmen der Literaturdistribution der Konvente untereinander, die vielfach durch gemeinsam angeführte Reformprojekte geknüpft wurden, skizziert. Dies lässt Rückschlüsse auf die Bedeutung der Lektüre auch legendarischer Texte für die Verbreitung observanter Ideale zu. I. Volkssprachige geistliche Literatur und Frömmigkeit im 15. Jahrhundert Zahlreiche Untersuchungen zur Frömmigkeits- und Bildungsgeschichte des Spätmittelalters dokumentieren eine Zunahme der Lesefähigkeit in allen Gesellschaftsschichten; laikale Bildung, Lese- und Schreibfertigkeiten sowie Literaturfähigkeit erlangen insbesondere in den Städten einen hohen Stellen­ wert.9

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Vgl. die weitergehenden Ausführungen zu diesem Thema bei Werner Williams-Krapp: Alles volck wil in yetziger zit lesen vnd schriben. Zur literarischen Laienunterweisung im 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 16 (1997), S. 11-22. Werner Williams-Krapp: Literatur in der Stadt. Nürnberg und Augsburg im 15. Jahrhundert, in: Normative Zentrierung/Normative Centering, hrsg. v. Rudolf Suntrup u. Jan R. Veenstra (Mcdieval to early Modern Culture/Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit 2), Frankfurt/M. u.a. 2003, S. 161-173. - Werner Williams-Krapp: .Praxis pietatis“. Heilsverkündi­ gung und Frömmigkeit der ,illiterati‘ im 15. Jahrhundert, in: Die Literatur im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hrsg. v. Werner Röcke u. Marina Münkler (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart 1), München/Wien 2004, S. 139-143, S. 631. - Zur Reformation als „urban event“ und die Bedeutung der Verbreitung von Literatur in der spätmittelalterlichen Stadt vgl. Bernd Moeller: Stadt und Buch. Bemer­ kungen zur Struktur der reformatorischen Bewegung in Deutschland, in: Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland, hrsg. v. Wolfgang J. Mommsen in Verbindung mit Peter Alter u. Robert W. Scribner (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 5), Stuttgart 1979, S. 25-39.

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Die Verbreitung des „Geistlichen Rosengarten“

1) Spätmittelalterliche Literaturexplosion Seit dem 12. Jahrhundert setzt sich gegen Widerstände die Überzeugung durch, dass die Lektüre volkssprachiger geistlicher Texte Laien10 zu ihrem Seelenheil dienlich sein könnte.11 Diese Entwicklung beschleunigte und verstärkte sich im 14. und besonders dann im 15. Jahrhundert.12 Dieses große Bedürfnis der „simplices“ nach volkssprachigen Handschriften führte zu einer „explosionsarti­ gen“ Steigerung der Produktion deutschsprachiger Codices seit den 1420er Jahren. Über 80 Prozent der erhaltenen Handschriften tradieren religiöse Texte. Die Mehrzahl von ihnen stammt aus den 20er bis 70er Jahren des 15. Jahrhunderts, ehe sich dann der Buchdruck der großen Nachfrage nach

10 Vom 13. zum 14. Jahrhundert verändert sich die Bedeutung des Begriffs „Laie“. So stellt Georg Steer fest, dass „die traditionelle antike, früh- und hochmittelalterliche Scheidung von Jitteratus' als dem lese-, schreib- und lateinkundigen Kleriker und ,illiteratus‘ als dem lese-, schreib- und lateinunkundigen, nur der eigenen Muttersprache mächtigen Laien“ keine Gültig­ keit mehr besitze (vgl. Georg Steer: Der Laie als Anreger und Adressat deutscher Prosaliteratur im 14. Jahrhundert, in: Zur deutschen Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts; Dubliner Colloquium 1981, hrsg. v. Walter Haug, Timothy R. Jackson u. Johannes Janota, Heidelberg 1983, S. 354-367, hier S. 355). „Laie“ bezeichnet im Rahmen dieser Untersuchung den nicht­ klerikalen, geistlich aber durchaus interessierten Menschen, der über Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Lateinischen verfügt und auch von seiner Umgebung als verstanden, vernonfftig oder auch klug bezeichnet wird (ebd., S. 360). Davon abzugrenzen ist der einfältige Laie, der weder der lateinischen Sprache noch des Lesens oder Schreibens insgesamt mächtig war. Daneben betont Georg Steer die kirchenrechtliche Seite des Begriffs „Laie“: So haben auch die Mitglieder von Ordensgemeinschaften, die keine Weihe empfangen (also Angehörige von Drittordenshäusern, sowie Laienbrüder und Ordensschwestern) und damit keinen Anteil an der Jurisdiktionsgewalt der Kirche haben, als Laien zu gelten (ebd., S. 362). - Bemerkenswert ist, dass auch der um 1400 von Zerbolt von Zutphen verfasste Traktat ,De libris teutonicalibus' ebenfalls zwischen weltlich lebenden und geistlich lebenden Laien unterscheidet. Vgl. auch Gunhild Roth: Sündenspiegel im 15. Jahrhundert. Untersuchungen zum pseudo-augustinischen .Speculum peccatoris' in deutscher Überlieferung (Deutsche Literatur von den Anfän­ gen bis 1700, Bd. 12), Bern u.a. 1991, S. 476 f. 11 Vgl. Georg Steer: Zum Begriff ,Laie‘ in deutscher Dichtung und Prosa des Mittelalters, in: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit; Symposion Wolfenbüttel 1981, hrsg. v. Ludger Grenzmann u. Karl Stackmann (Germanistische-Symposien-Berichtsbände 5), Stuttgart 1984, S. 764-768, hier S. 765. - Klaus Schreiner: Laienbildung als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft. Religiöse Vorbehalte und soziale Wider­ stände gegen die Verbreitung von Wissen im späten Mittelalter und in der Reformation, in: ZHF 11/3 (1984), S. 257-354, bes. S. 262-278. 12 Die rasante handschriftliche und drucktechnische Verbreitung volkssprachiger Gebrauchs- und Erbauungsliteratur erreichte immer größere und breitere Leserschichten. Zu diesem kulturellen Umbruch vgl. Utz Maas: Lesen - Schreiben - Schrift. Die Demotisierung eines professionellen Arkanums im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Schriftlichkeit, hrsg. v. Wolfgang Klein (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 59), Göttingen 1985, S. 55-81, hier S. 62 f.

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volkssprachiger Literatur annahm.13 Obschon der Hauptteil dieses geistlichen Schrifttums monastischer Provenienz war, ist die zunehmende Zahl von in der Welt lebenden Laien, die volkssprachige Codices besaßen, signifikant. Dieses große Interesse des lesefähigen Publikums an geistlicher Literatur ist nicht überraschend, gilt doch das 15. Jahrhundert insgesamt als eines der „kir­ chenfrömmsten Zeiten des Mittelalters“ überhaupt,14 in dem eine gestiegene Heilssehnsucht mit zahlreichen religiösen Aktivitäten, wie eben der Aneig­ nung von religiösem bzw. geistlichem Wissen, korrespondierte. Die rasante Zunahme der geistlichen Literatur hängt insbesondere mit dem aufkommen­ den Anspruch des Einzelnen zusammen, einen eigenverantwortlichen Heils­ weg zu beschreiten. Dies erforderte natürlich auch eine Belehrung, wie das Heil zu erlangen sei. Daneben vereinfachten die wachsende Alphabetisierung15 und die verbilligte Handschriftenproduktion16 den Zugang zu geistlicher Literatur. Laikale Bildung und Literaturfähigkeit gewannen zunehmend an Bedeutung, insbesondere in den Städten,17 wo vor allem die Frauenklöster und die Laien der städtischen Oberschicht nachhaltig die „Literaturexplosion“ beförderten. Letztere liehen sich Handschriften aus Klöstern aus, wie es Be­ richte aus Basel und Augsburg zeigen. In Nürnberg legte der Rat sogar eine eigene Bibliothek an.18 Auch Laien und lateinunkundige Kleriker suchten und

13 Vgl. Werner Williams-Krapp: Die Heiligen und der Bücherabsatz. Zu den Lübecker Drucken von „Der Heiligen Leben“, in: Lübeckische Blätter 157/3 (1992), S. 31-34, hier S. 31. 14 Vgl. Bernd Moeller: Frömmigkeit in Deutschland um 1500, in: Archiv für Reformations­ geschichte 56 (1965), S. 5-31, hier S. 22. - Gunter Zimmermann: Spätmittelalterliche Fröm­ migkeit in Deutschland: eine sozialgeschichtliche Nachbetrachtung, in: ZHF 13 (1986), S. 6581, hier S. 68. 15 Bernd Moeller spricht von ca. drei bis fünf Prozent der Bevölkerung, die zu Beginn der Reformationszeit lesen konnten. Vgl. Moeller: Stadt (wie Anm. 9), S. 30-39. - Robert Scribner konstatiert für ein urbanes Umfeld eine Lesefähigkeit von bis zu 30 Prozent; hinsichtlich der Gesamtbevölkerung legt er aber einen ähnlichen Wert wie Moeller an. Vgl. Robert W. Scribner: How many could read? Comments on Bernd Moeller’s ,Stadt und Buch“, in: Stadtbürgertum und Adel in der Reformation (wie Anm. 9), S. 44—45. 16 Besonders begünstigt dadurch, dass Papier nur etwa 1/10 soviel kostete wie Pergament. Vgl. Uwe Neddermeyer: Von der Handschrift zum gedruckten Buch. Schriftlichkeit und Lese­ interesse im Mittelalter und in der frühen Neuzeit; quantitative und qualitative Aspekte (Buch­ wissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München 61), Wiesbaden 1998, S. 256-267. 17 Vgl. die zusammenfassenden Ausführungen bei Uwe Boch: Katechetische Literatur im fünf­ zehnten Jahrhundert. Stephan von Landskron (f 1477): ,Die Hymelstrasz“, Diss. [masch.-schr.], Tübingen 1992, S. 238-250. 18 Bücher waren in der Regel einer Funktionalität unterworfen. Daher breiteten sich unabhängige Bibliotheken erst aus, nachdem im Spätmittelalter ein öffentlicher und privater Nutzen für Bibliotheksgebäude aufkam. Vgl. Klaus Schreiner: Bücher, Bibliotheken und ,Gemeiner Nut­ zen“ im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit. Geistes- und sozialgeschichtliche Beiträge zur

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erhielten nun Zugang zu Bildungsmedien, zumal es seit dem Hochmittelalter eine immer stärkere Abhängigkeit aller Formen des öffentlichen Lebens von geschriebenen Dokumenten gab und damit die gesellschaftliche Notwendig­ keit des Lesens zunahm.19 Der Wandel des Leseverhaltens, die Erschließung neuer Bildungsmöglichkeiten, die zunehmende Berücksichtigung der Volks­ sprache und die Erweiterung des Adressatenspektrums weg von einer latein­ kundigen Elite und hin zu größeren, volkssprachig geprägten Kreisen der Bevölkerung kennzeichnet die Situation im Reich wie in Europa am Ausgang des Mittelalters. 2) Klosterreform und Literaturverbreitung Neben der um sich greifenden laikalen Bildung und Literaturfähigkeit war das 15. Jahrhundert durch die Zeit kirchlicher Reformen bestimmt. Nahezu alle Orden förderten Observanzbewegungen in ihren Zweigen, die sich nicht allein auf den monastischen Bereich beschränkten. Für die süddeutschen Domini­ kanerinnenklöster, die bestimmend für die Rezeption der Vita ,Ein Geistlicher Rosengarten“ waren, begannen diese Reforminitiativen mit der Ankunft des dominikanischen Ordensgenerals Raimund von Capua in Nürnberg im Jahre 1396.20 Die Benediktiner, die Zisterzienser, die Augustiner und die franziskanischen Orden unterstützten ebenfalls in ihren weiblichen Zweigen Reformvorhaben; allerdings war diesen Projekten wenig Erfolg beschieden.21 In den Nieder­ landen und in Norddeutschland regte gerade die ,Devotio moderna“ zur Bildung von Reformkongregationen bei den Augustinerchorherren und Augustiner­ chorfrauen an. Diesen Reformen war eine veränderte Haltung gegenüber dem Medium Buch in den Händen von Laien bzw. gegenüber volkssprachiger Literatur allgemein gemeinsam. Sie alle hoben einstimmig die Bedeutung von konventsöffentlicher und individueller Lektüre hervor. Entsprechend strebten

Frage nach der .utilitas librorum“, in: Bibliothek und Wissenschaft 9 (1975), S. 202-249, hier S. 202-227. 19 Vgl. Schreiner: Laienbildung (wie Anm. 11), S. 257-262. 20 Zur frühen Observanz und deren Scheitern vgl. von Heusinger: Johannes Mulberg (wie Anm. 2), S. 11-38. 21 Vgl. Dieter Mertens: Monastische Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts. Ideen — Ziele Resultate, in: Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449); Konstanz-Prager Historisches Kolloquium (11.-17. Oktober 1993), hrsg. v. Ivan Hlaväcek u. Alexander Patschovsky, Konstanz 1996, S. 157-181.

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sie einen Ausbau ihrer Bibliothek an, um ihre Reformideale auch vermitteln und verankern zu können.22 Die Impulse zu einer laikalen Rezeption volkssprachiger Literatur gingen gegen Ende des 14. Jahrhunderts vom Klerus selbst aus, der damit mit be­ stehenden Traditionen brach, um so die aktuellen gesellschaftlichen Entwick­ lungen, d.h. die zunehmende städtische Laienbildung, aufzugreifen.23 Diese laikale Buchkultur griff ohnehin immer mehr um sich und ebnete zu guter Letzt der Reformation den Weg. Die spätmittelalterliche Reformbewegung verfolgte einerseits restaurative Ziele, ging es doch darum, den ungelehrten Gläubigen ausschließlich über den kirchlich-sakramentalen Heilsweg zum Seelenheil zu führen und damit den Klerus zu stärken.24 Andererseits strebte sie einen Bruch mit dem bestehenden Verbot bzw. der großen Skepsis gegenüber der privaten geistlichen Lektüre in der Volkssprache, insbesondere der Bibel, durch Laien bzw. lesefähiger „simplices“ an, um die Beschäftigung dieser Gruppen mit muttersprachlicher Literatur im Sinne einer literarischen Selbst­ pastoration zu fördern. Den Reformtheologen ging es um ein vertieftes Liturgie- und Bibelverständnis unter den Gläubigen, das durch volkssprachige geistliche Texte transportiert werden sollte; schließlich habe auch Jesus selbst in seiner Muttersprache gepredigt.25 Diese „Demokratisierung der Schriftlich­ keit im 15. Jahrhundert“26 erhielt ihre theologische Grundlegung durch die praktisch-seelsorglich orientierte Theologie insbesondere eines Johannes Gerson (1363-1429). Ziel dieser neuen theologischen Richtung, die Berndt

22 Vgl. Werner Williams-Krapp: Observanzbewegungen, monastische Spiritualität und geistliche Literatur im 15. Jahrhundert, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 20 (1995), S. 1-15, hier S. 4, Anm. 11. - Verwiesen sei auch auf die Rechtfertigung der eingeschränkten Laienlektüre bei den modernen Devoten in Zerbolts Schrift ,De libris teutonicalibus1. Vgl. Thomas Kock: Die Buchkultur der Devotio moderna. Handschriftenproduk­ tion, Literaturversorgung und Bibliotheksaufbau im Zeitalter des Medienwechsels (TraditionReform-Innovation 2), Frankfurt/M. 1999, S. 192. 23 Vgl. auch Schreiner: Laienbildung (wie Anm. 11), S. 348. 21 Vgl. Volker Leppin: Mystische Frömmigkeit und sakramentale Heilsvermittlung im späten Mittelalter, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 112 (2001), S. 189-204, hier S. 194. 25 Vgl. Schreiner: Laienbildung (wie Anm. 11), S. 287-304. - Klaus Schreiner: Volkssprache als Element gesellschaftlicher Integration und Ursache sozialer Konflikte. Formen und Funk­ tionen volkssprachiger Wissensverbreitung um 1500, in: Europa 1500. Integrationsprozesse im Widerstreit; Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit, hrsg. v. Ferdinand Seiht u. Winfried Eberhard, Stuttgart 1987, S. 468-495, hier S. 471 f. 26 Vgl. Werner Williams-Krapp: Johann Geiler von Kaysersberg in Augsburg: Zum Predigtzyklus ,Berg des Schauens“, in: Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts, hrsg. v. Johannes Janota u. Werner Williams-Krapp (Studia Augustana 7), Tübingen 1995, S. 265-280, hier S. 265.

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Hamm „Frömmigkeitstheologie“27 und Georg Steer „Anwendungsscho­ lastik“28 nannte, war die Vermittlung von religiösen Grundlagenkenntnissen an alle Gläubigen. Die Hochschultheologie sollte durch eine einfache Darbietung und im Sinne einer frommen Lebensgestaltung fruchtbar gemacht werden.29 Zentrales Medium dieser literarischen Selbstpastoration war die volksspra­ chige Literatur, die insbesondere die gehobenen Schichten ansprach. Die Aus­ einandersetzung lesefähiger „simplices“ mit geistlichem Schrifttum wurde im Laufe des 15. Jahrhunderts so selbstverständlich, dass selbst die Lektüre volks­ sprachiger Bibelübersetzungen in Frauenklöstern toleriert wurde.30 Im Gegen­ satz dazu lehnte man kirchlicherseits die selbstständige Beschäftigung der „indocti“ mit der Heiligen Schrift überwiegend als gefährlich ab.31 Auch den benediktinischen Reformbewegungen, insbesondere der so ge­ nannten ,Wiener Schule“ mit ihren Reformtheologen Heinrich von Langen­ stein und Nikolaus von Dinkelsbühl, ging es um die Vermittlung von Glau-

27 Vgl. dazu Berndt Hamm: Frömmigkeit als Gegenstand theologiegeschichtlicher Forschung. Methodisch-historische Überlegungen am Beispiel von Spätmittelalter und Reformation, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 74 (1977), S. 464^197. - Berndt Hamm: Frömmigkeits­ theologie am Anfang des 16. Jahrhunderts. Studien zu Johannes Paltz und seinem Umkreis (Beiträge zur historischen Theologie 65), Tübingen 1982. 28 Vgl. Georg Steer: Geistliche Prosa, in: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250-1370; zweiter Teil: Reimpaargedichte, Drama, Prosa, hrsg. v. Ingeborg Glier (Geschichte der deut­ schen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 3,2), München 1987, S. 306-370, hier S. 340. 29 So ist die Praxis überliefert, so genannte „Katechismus-Tafeln“ in Kirchen aufzuhängen, anhand derer die Gläubigen die Basistexte des christlichen Glaubens erlernen sollten. Vgl. auch Schreiner: Volkssprache (wie Anm. 25), S. 478 f. - Christoph Burger: Theologie und L.aienfrömmigkeit. Transformationsversuche im Spätmittclalter, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit: Politik-Bildung-Naturkunde-Theologie; Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1983 bis 1987, hrsg. v. Hartmut Boockmann, Bernd Moeller u. Karl Stackmann, red. v. Ludger Grenz­ mann (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen: Philologisch-Histo­ rische Klasse, Folge 3, Nr. 179), Göttingen 1989, S. 400-420, hier S. 402 f. 30 So sieht die Bibliotheksordnung des ,Ämterbuches‘ des Johannes Meyer vor, unter den Buch­ staben „A“ die materien der bibel zu verzeichnen, unter dem Buchstaben „B“ die glos und die uslegung der beligen Uber die bibel. Vgl. Karl Christ: Mittelalterliche Bibliotheksordnungen für Frauenklöster, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 59 (1942), S. 1-29, hier S. 26. - Albert Bruckner: Scriptoria Medii Aevi Helvetica. Denkmäler Schweizerischer Schreibkunst des Mittelalters, Bd. 12: Das alte Bistum Basel, Genf 1971, S. 36. 31 Vgl. Schreiner: Laienbildung (wie Anm. 11), S. 287-325. - Klaus Schreiner: Laienfrömmigkeit Frömmigkeit von Eliten oder Frömmigkeit des Volkes? Zur sozialen Verfaßtheit laikaler Fröm­ migkeitspraxis im späten Mittelalter, in: Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter: Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge, hrsg. v. Klaus Schreiner, unter Mitarb. v. Elisa­ beth Müller-Luckner (Schriften des Historischen Kollegs; Kolloquien 20), München 1992, S. 1— 78, hier S. 72-74. - Schreiner: Volkssprache (wie Anm. 25), S. 491 f.

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benswahrhciten an Laien.32 Einem lateinunkundigen Publikum wurde die bis­ lang nicht zugängliche lateinische Literatur in volkssprachige Fassungen über­ setzt.33 Von Wien aus initiierte diese Schule auch eine bedeutende benediktinische Reformbewegung, die so genannte „Melker Reform". In den ihr zugehörigen Benediktinerklöstern traten auch die Konversen bzw. die Laien­ brüder als Rezipienten der volkssprachigen Literatur auf,34 für die sogar eigene „Laienbrüderbibliotheken“ eingerichtet wurden. Maßgebliche Autoren bzw. Übersetzer waren Heinrich von Langenstein, Ulrich von Pottenstein, Thomas Peutner, Stephan von Landskron und Nikolaus von Dinkelsbühl, die sich insgesamt auf aszetisch-erbauliche Literatur sowie monastische Grundlagen­ texte konzentrierten. Allen gemeinsam ist, dass sie ein standesübergreifendes Publikum ansprechen wollten. Kennzeichnend für die regulierten Konvente war die Hochschätzung von individueller und gemeinsamer (volkssprachiger) Lektüre und damit auch der Aufbau entsprechender Bibliotheken, schon um diesen Ansprüchen Genüge leisten zu können.35 Ähnlich wie in den englischen Frauenklöstern des Spät­ mittelalters dürften die Ordensfrauen über die Fähigkeit der volkssprachigcn Lektüre und über geringe Lateinkenntnisse verfügt haben.36 Religiöse Erfah­ rung wurde nun über die Lektüre angeeignet, nicht wie noch im 13. und 14. Jahrhundert, wenn auch nur als Ideal, in Form des persönlichen Nacher­ lebens bzw. Nachempfindens.37 Das Einüben und die Regulierung dieser

32 Vgl. Thomas Hohmann: „Die recht gelerten maister“. Bemerkungen zur Übersetzungsliteratur der Wiener Schule des Spätmittelalters, in: Die Österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050-1750), unter Mitwirkung v. Fritz Peter Knapp, hrsg. v. Herbert Zeman, Teil 1 (Die Österreichische Literatur: eine Dokumentation ihrer literaturhistorischen Entwicklung 1), Graz 1986, S. 349-365. 33 Vgl. Hohmann: Bemerkungen (wie Anm. 32), S. 356. 34 Vgl. Christian Bauer: Geistliche Prosa im Kloster Tegernsee. Untersuchungen zu Gebrauch und Überlieferung deutschsprachiger Literatur im 15. Jahrhundert (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 107), Tübingen 1996, S. 7-28. 33 Generell zum Zusammenhang von spätmittelaltcrlichem Reformstreben und zunehmender Schriftkultur vgl. Klaus Schreiner: Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funk­ tionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen; Akten den inter­ nationalen Kolloquiums 17.-19. Mai 1989, hrsg. v. Hagen Keller, Klaus Grubmüller u. Nikolaus Staubach (Münsteraner Mittelalter Schriften 65), München 1992, S. 37-75. 36 Vgl. Marilyn Oliva: The Convent and the Community in late Medieval England. Female Monasteries in the Diocese of Norwich, 1350-1540, Woodbridge 1998, S. 64 f. 37 Auch wenn es im 15. Jahrhundert weiterhin trotz der Abwertung erlebnismystischer Erfahrun­ gen Tendenzen gab, affektiven Zugängen zu Gott den Vorrang von rationalen einzuräumen. Vgl. Barbara Steinke: Paradiesgarten oder Gefängnis? Das Nürnberger Katharinenkloster zwischen Klosterreform und Reformation (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe 30), Tübingen 2006, S. 159-168.

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„reformierten“ Spiritualität sollten im Wesentlichen mit Hilfe von geistlichen Texten geschehen, wie ein anonymer wohl dominikanischer Autor mit Be­ rufung auf Humbert von Romans schreibt: Augustinus will, dass die Schwestern emsig lesen, wann dy diern gotz soll stetiglich lesen... Das sind dy waffen, damit dy schwestren den tüfel vertreibent. Das sind dy wercktzeüg, da mit man ewig selligkait erkriegt. Die Lektüre vermittelt den Schwestern klare Anweisungen zur Gestaltung eines christlichen Lebens.38 Es dürfte alles andere als ein Zufall sein, dass auf dem Hintergrund dieser Anweisungen im Laufe des 15. Jahrhunderts große Bibliotheken in Dominikanerinnenklöstern entstanden, die von Bibliotheka­ rinnen verwaltet werden mussten. 3) Lesen und Schreiben in spätmittelalterlichen Frauenklöstern Da der Lektüre in den spätmittelalterlichen Klöstern eine derart hohe Bedeu­ tung zukam, pflegten gerade die regulierten Konvente eine Art Schulbetrieb, in dem die Schwestern lesen lernten. So war es offenbar in den observanten Dominikanerinnenklöstern von großer Bedeutung, dass die Schwestern lesen konnten und auch regelmäßig lasen.39 Johannes Meyer beschreibt in seinem 1454 verfassten ,Ämterbuch‘, einer selektiv angelegten Übersetzung des ,Liber de instructione officialium ordinis praedicatorum' des fünften dominikani­ schen Ordensmeisters Humbert von Romans aus der Mitte des 13. Jahrhun­ derts,40 im 10. Kapitel (, Von der Noviczen Schul, do man die Noviczen in allen Sachen getreulichen vnderwysen sol vnd leren ...‘),41 dass die Novizinnen während des Noviziates singen und lesen lernen sollten (fol. 68r), die Psalmen für das Stundengebet auswendig zu lernen hätten (fol. 68') und die regel und constitucion studieren müssten (fol. 68v). Auch sollte den Novizinnen immer wieder zur Einweisung in die Gewohnheiten des geistlichen Lebens des 38 Vgl. Anton Hauber: Deutsche Handschriften in Frauenklöstern des späteren Mittelalters, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 31 (1914), S. 341-373, hier S. 348. - Vergleichbare pro­ grammatische Äußerungen finden sich auch im Umfeld der .Devotio moderna1 (Kock: Buch­ kultur [wie Anm. 22], S. 185-192) sowie bei den meisten anderen Ordensgemeinschaften (Bauer: Prosa [wie Anm. 34], S. 7-28). 39 Vgl. auch Marie-Luise Ehrenschwendtner: Die Bildung der Dominikanerinnen in Süddeutsch­ land vom 13. bis 15. Jahrhundert, Diss. [masch.-schr.], Tübingen 1999, S. 137-155. 40 Zum Ämterbuch vgl. Claudia Engler-Maurer: ,Ein news puch‘. Die .Bibliothek1 des Domini­ kanerinnenklosters St. Michael in der Insel, in: Berns grosse Zeit: Das 15. Jahrhundert neu entdeckt, hrsg. v. Ellen J. Beer, Norberto Gramaccini, Charlotte Gutscher-Schmid u. Rainer C. Schwinges, Bern 1999, S. 482-489, S. 486 f. 41 Das ,Ämterbuch1 wird zitiert nach der Handschrift: Karlsruhe, Badische Landesbibliothek [BLB], K 1177, hier fol. 67\

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Klosters Passagen aus dem „Nottel“ vorgelesen werden (fol. 73v-74r). Zudem gehörte die Schulung in die richtige Anwendung der liturgischen Bücher zum Curriculum der angehenden Ordensfrauen (fol. 74r). Unter dem Punkt Wie sii die Noviczen vnderwysen soll, das sie jr zeit nit vnüczlich verlieren (fol. 78r) führt Meyer aus, dass die Tischlesung wie die übrigen Lesungen der Collation, in der Kirche und in der privaten Lektüre ausdrücklich der Erbauung dienen sollten (fol. 78v). Die Schwestern sollten neben ihrer Arbeit lesen oder schryben oder betten oder bedencken (fol. 79r). Ausdrücklich sah Johannes Meyer einen Schreibunterricht für alle und sogar einen Lateinunterricht (kunst der gramaticka fol. 79r) für einige Schwestern vor. In der Regel stellte dieser Unter­ richt eine Ergänzung der elementaren Schulausbildung dar, welche die Frauen vor ihrem Eintritt in das Kloster im Kontext der städtischen Bildungskultur erfahren hatten. Allerdings sollten die Schwestern die Kenntnisse nicht zu weltlicher kunst oder zu suptilen dingen, sondern nur zu der göttlichen kunst anwenden (fol. 79r). Meyer erklärt ausdrücklich einige geistliche Werke zur Standardliteratur der Schwestern, darunter explizit Heiligen- und Märtyrer­ legenden (collaciones patrum, das ist die red der altvetter vnd der altvetter leben, das leben vnd die marter der heiligen... vnd ander des gelych der büch er, fol. 79v; vgl. auch fol. 11 lv), ohne allerdings explizit die Vita der Katharina von Siena zu erwähnen.42 Unmissverständlich hält Meyer die Novizinnen zur permanenten, aber mäßigen Lektüre an (fol. 79'). Sie geschehe aber nicht um des Wissens willen, sondern um sich im Hören des Wortes zu erbauen und die geistlichen Werte der Gemeinschaft zu verinnerlichen (fol. 79V). Die Bildung der Dominikanerinnen sollte sich auf alle Konventsmitglieder erstrecken. Auch die Leyschwestern meisterin soll den Laienschwestern vor lesen von der regel von der constitucion von den ordinaciones der obern (fol. 90r), ihnen das Credo und das Pater Noster in der Volkssprache und in Latein vermitteln (fol. 90v) sowie die Zahl der anstatt des Offiziums zu betenden Grundgebete 42 Zum weiteren Lektürekanon der Novizinnen gehörte [Karlsruhe, BLB, K 1177, fol. 79r]: VW denn gemein- [79”] glichen in den selben biiehern lesen weren also, daz ist das buch hugonis von der zucht, vnd das buch von dem closter der seien, die betrachtung sancti Bernhardi, die Betrachtung vnd gebet sancti anßhelmi, collationes patrum, das ist die red der altvetter, vnd der altvetter leben, vnd die marter der heiligen, das buchlin der weyßheit das do heißet horologium eterne sapiencie, vnd das buchlin das do heißet Stimulus amoris, vnd das buchlin das do heißet von dem nachvolgen Cristi, das buch von der minn gottes, das buch barlam, das buch von den tugenden vnd vntugenden vnd an der des gelych der bucher. - Vgl. auch Burkhard Hasebrink: Tischlesung und Bildungskultur im Nürnberger Katharinenkloster: ein Beitrag zu ihrer Rekonstruktion, in: Schule und Schüler im Mittelalter, hrsg. v. Martin Kintzinger, Sönke Lorenz u. Michael Walter (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 42), Köln u.a. 1996, S. 187-216, hier S. 195 f. - Auch Gerhard Zerbolt empfiehl Laien in seinem Werk ,De libris teutonicalibus1 die Lektüre von Heiligenlegenden. Vgl. Kock: Buchkultur (wie Anm. 22), S. 187.

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lehren. Johannes Meyer ermutigte auch ausdrücklich die Dominikanerinnen, Handschriften aus der Konventsbibliothek zu entleihen und zum eigenen Studium mit in ihre Zellen zu nehmen.43 Auch wenn die Anzahl von lesenden und schreibenden Schwestern und Laienbrüdern von Konvent zu Konvent differiert haben dürfte, ist die große Zahl von Religiösen nicht zu übersehen, die als Schreiber oder Leser von volkssprachigen Texten auftreten. Dabei dürfte ähnlich wie bei den modernen Devoten der Schreibvollzug zum „exercitium“ für die Dominikanerinnen ge­ zählt haben.44 Johannes Meyer selbst berichtet von der eifrigen Schreibtätigkeit der Schwestern von Schönensteinbach, Schlettstadt und Colmar,45 wobei es sich aber um ein Abschreiben von Codices handeln dürfte, nicht um ein eigen­ ständiges Verfassen von Texten. Die volkssprachige Literatur wurde meist unmittelbar für ein Publikum mit nahezu ausschließlich muttersprachlicher Lesekompetenz verfasst, obschon die Texte vielfach lateinischen Vorlagen entlehnt waren. Bedeutende Autoren der Zeit waren neben den bereits genannten Frömmigkeitstheologen für den dominikanischen Bereich Johannes Nider und Johannes Meyer, die beide ent­ schlossen die Reform ihres Ordens vorantrieben und sich aktiv in der religiö­ sen Bildung der „illiterati“ engagierten. Besonders Meyer setzte energisch auf Vorbilder aus den Reihen des Dominikanerordens, die seiner Ansicht nach zur observanten Lebensführung motivierten. Die volkssprachigen Texte waren gleichermaßen an Laien wie an die Konventualinnen in den süddeutschen Frauenklöstern adressiert, die im Spätmittelalter weitestgehend volkssprachig gewesen sein dürften.46 Dies zeigt sich insbesondere an den zahlreichen Über­ setzungen geistlicher Texte, die im 15. Jahrhundert gerade in monastischen

43 Vgl. Bruckner: Scriptoria (wie Anm. 30), S. 38: So etliche swestern hiieher von ir wendt lehnen und etwas zit bruochen in ir zellen, so sol si [die Buchmeisterin] es anschriben an ein sunder register... . 44 Für die Devoten, allerdings ohne Berücksichtigung der Dominikanerinnen, vgl. Nikolaus Stau­ bach: Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna, in: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991), S. 418-461, hier S. 428^139. 45 Vgl. Meyer: Reformacio I-III (wie Anm. 1), S. 103. - Meyer: Reformacio IV-V (wie Anm. 1), S. 101, S. 114. 46 Vgl. Werner Williams-Krapp: Die deutschen und niederländischen Legendäre des Mittelalters: Studien zur ihrer Uberlieferungs-, Text- und Wirkungsgeschichte (Texte und Textgeschichte 20), Tübingen 1986, S. 356-365. - Jeffrey F. Hamburger: Frauen und Schriftlichkeit in der Schweiz im Mittelalter, in: Bibliotheken bauen: Tradition und Vision / Building for books: Traditions and Visions, hrsg. v. Susanne Bieri u. Walther Fuchs, Basel u.a. 2001, S. 71-121, hier S. 82 f. - Marie-Luise Ehrenschwendtner: Puellae litteratae: the use of the Vernacular in the Dominican Convents of Southern Germany, in: Medieval Women in their Communities, ed. by Diane Watt, Cardiff 1997, S. 49-71, hier S. 49-67.

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Kreisen Verbreitung fanden.47 Dieser Befund gilt - bei aller Unsicherheit der Überlieferung - gleichermaßen für die Bibliotheken der Dominikanerinnen, der Benediktinerinnen48 und der Zisterzienserinnen Süddeutschlands.49 Die wenigen lateinischen Texte, die nahezu allen Dominikanerinnen bekannt gewe­ sen sein dürften, waren das ,Pater Noster“, das ,Ave Maria“, das ,Te Deurn1 und die Psalmen.50 Vgl. auch Klaus Grubmüller: Geistliche Übersetzungsliteratur im 15. Jahrhundert. Überlegun­ gen zu ihrem literaturgeschichtlichen Ort, in: Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Hartmut Boockmann (Abhandlungen der Akade­ mie der Wissenschaften in Göttingen; Philologisch-Historische Klasse, Folge 3, Nr. 206), Göttingen 1994, S. 59-74, hier S. 70. r RttnititMm Rumanl# und I.i4mu*i*l*v Pnrtm IVnifiuu UvrTliftMi irlinulwl «im I, aiiiUi'ImIW vnn Nurntiw^ uRum

Abb. 7: Johann Phillipp Walther: Stich nach dem Transparent der Dürerfeier 1828 von Adam Eberle: Dürers Verklärung (Raffael und Dürer am Throne der Kunst). (GNM, Graphische Sammlung, Kapsel 1499)

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Abb. 8 a (links): Ferdinand Fellner: Vorzeichnung, Städel Museum, Frankfurt am Main, Nachlass Ferdinand Fellner, Nr. 120, 25,5 x 9,6 cm, Bleistift. Abb. 8 b (rechts): Ferdinand Fellner: Vorzeichnung, Städel Museum, Frankfurt am Main, Nachlass Ferdinand Fellner, Nr. 243, 24,2 x 20,2 cm, Feder über Bleistift, aquarelliert.

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Abb. 9:

Franz Pforr: Dürer und Raffael vordem Throne der Kunst, um 1810, Radierung nach Carl Hoff, um 1810, 15,7 x 23,2 cm. (Privatbesitz)

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Die sieben Transparente der Nürnberger Dürerfeier von 1828

wegs euphorisch war.40 Auch kann man feststellen, dass sämtliche bei der Dürerfeier in Nürnberg gehaltenen Reden, Ansprachen und Toaste eher un­ politischen Inhaltes und ohne politische Appelle waren. Das Fest hatte einen demokratischen Charakter, welcher der königlich-preußischen Gesinnung beispielsweise der Berliner Feier diametral gegenüberstand.41 Doch sind die nationalen Aspekte so wie der Vergleich von Cornelius mit dem Wartburgfest nicht zu stark zu bewerten. In erster Linie war das DürerFest ein Künstlerfest, ohne aggressive politische Aussage bzw. Zielsetzung, aber mit politischer Präsenz. Diese ergab sich aus der kulturell-historischen Gesinnung der teilnehmenden Künstler, die ihre Identität mit dem Wunsch einer deutschen Kulturnation verbanden und so eine deutsch-nationale kollek­ tive Einheit herzustellen bestrebt waren, vor allem auf der Ebene der Künstler­ schaft.42 Die Stellung der Künstler zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich durch neue private Auftraggeber - denn die napoleonischen Kriege hatten z.B. einen nahezu völligen Rückgang der kirchlichen und staatlichen Kunstför­ derung ausgelöst - radikal verändert. Die jungen Künstler mussten sich nun der harten Konkurrenzsituation des modernen Kunstmarktes stellen. Nach diesen die Existenz bedrohenden Entwicklungen suchte man neue Orientierung und Sicherheit in der Künstlergemeinschaft, quasi als neue Form der zünftischen Gemeinschaft.43 Versuche, diese Zusammenkunft deutscher Künstler zu einer Verbindung für gemeinsame künstlerische Zwecke zu benutzen, erwiesen sich zwar als verfrüht; allein es war doch ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, ein Bewußtsein deutscher Künstlergemeinschaft in allen lebendig geworden,44 berichtete der aktive Teilnehmer E. Förster. Auch dass das Fest friedlich ge­ feiert wurde, spricht für diesen Aspekt, denn es wurde kein Umsturz der ge­ sellschaftlichen Ordnung geplant, sondern vielmehr ein Treffen und Kennen40 Dagegen ist dem Preußischen König bei der Berliner Dürerfeier 1828 ein eigenes Gedicht gewidmet worden. Vgl. Blumenthal (wie Anm. 12), S. 245. 41 Lüdecke/Heiland (wie Anm. 7), S. 392; Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), S. 30; Görner (wie Anm. 24), S. 210; Hartmann (wie Anm. 36), S. 4; Blumenthal (wie Anm. 12), S. 76. 42 Nipperdey (wie Anm. 30), S. 300 und 305f.; Blumenthal (wie Anm. 12), S. 105; Bernhard Gie­ sen: Kollektive Identität, Frankfurt am Main 1999, S. 179. 43 Werner Hofmann: Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts, München 1960, S. 47; Claude Keisch: Der Ruhm ein Traumgesicht. Kunst und Künstler in Allegorien und Historiendarstellungen des 19. Jahrhunderts, Berlin 1972, S. 1; Volker Pirsich: Die DürerRezeption in der Literatur des beginnenden 19. Jahrhunderts, in: MVGN 70 (1983), S. 319; Schubert, Bernhard: Der Künstler als Handwerker. Zur Literaturgeschichte einer romantischen Utopie, Königstein/Ts. 1986, S. 23; Frank Büttner: Die Kunst der Künstler und Mäzene. Die Dekorationen zum römischen Künstlerfest 1818, in: Romantik und Gegenwart, hrsg. v. U. Bischoff, Köln 1988, S. 31; Nipperdey (wie Anm. 30), S. 542; Gerd-Helge Vogel: Wirklichkeit und Wunschbild. Nürnberg, Albrecht Dürer und die alten Meister in den künstlerischen Konzeptionen der Frühromantik, in: AGNM 1998, S. 17. 44 Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 70.

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lernen aller deutschen Künstler abgehalten - ohne politische Reden, Flugblät­ ter oder Ähnliches.45 Die sieben Transparente46 Die Münchner Künstlergruppe um Peter Cornelius entwickelte selbst die Idee der Gestaltung von sieben Transparentgemälden zu Ehren des „Meisters Dürer“.47 Diese sollten unentgeltlich von den Künstlern geschaffen und zur Dürerfeier im großen Rathaussaal ausgestellt werden.48 Peter Cornelius hatte außerdem eingehende Erfahrung mit der Anfertigung kolossaler Transparente und deren Einsetzbarkeit.44 Beschlossen wurde folgen­ des Bildprogramm: Albrecht Dürer kommt in die Lehre zu Wolgemut (Ferdi­ nand Fellner)50; Dürers Vermählung mit Agnes Frey (Wilhelm Kaulbach)51; 45 Leuschner (wie Anm. 30), S. 60. 46 Die Transparente (= lat. transpicere: durchsehen, durchscheinen), auch Leuchtbilder genannt, wurden auf ölgetränktem Stoff, auf Pergament, dünnen Leinwänden oder speziell getränktem Papier mit Wasserfarben oder verdünnter Ölfarbe gemalt. Vermittels einer dahinter aufgebau­ ten Lichtquelle schien das Bild selbst aus sich zu leuchten und erhielt so eine besondere illusio­ nistische, mystische Wirkung. Das Licht war also nicht nur aufgemalt, sondern war vor allem im abgedunkelten Raum als wirkliches Licht direkt erfahrbar. Auch die Färb- und Raum­ wirkung veränderte sich durch den optischen Effekt der Lichtquelle. Vgl. Alscher Ludger/ Günter Feist u.a. (FIrsg.): Lexikon der Kunst. Architektur, Bildende Kunst, Angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie, Leipzig 1994, S. 394. 47 Ursprünglich, nach Anregung von Campe, wurde von den Organisatoren beschlossen, die Fensterseite des Rathaussaales mit den Transparenten zu dekorieren. Doch wegen der immen­ sen Größe des Saales einigten sich die Münchner Künstler darauf, nur sieben Transparente zu gestalten und diese an der östlichen Schmalseite aufzustellen. Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 179f. 48 Vgl. Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nr. 31, S. 121; Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 179; Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), S. 51. 49 So gestaltete er z.B. 1821 anlässlich der Vermählung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen ein großes allegorisches Transparent, das bei der Huldigungsfeier vor dem Düssel­ dorfer Rathaus gezeigt wurde. Somit stehen die Nürnberger Transparente in einer nazarenischen Tradition der festlichen Ausschmückung von Künstlerfesten. Birgit Verwiebe: Licht­ spiele, Stuttgart 1997, S. 67f. 50 Fellner wurde am 12. Mai 1799 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Abschluss eines Jurastudiums arbeitete er an der Münchner Akademie bei Cornelius (1825-1831). Sein Oeuvre umfasst ca. 20 Ölgemälde und zahlreiche Illustrationen. Er verstarb 1859. Friedrich von Boetticher: Malerwerke des neunzehnten Jahrhunderts. Beitrag zur Kunstgeschichte, 2 Bde., Dresden 1891—1901,1. Bd., S. 310; Volkmar Schauz: Ferdinand Fellner (1799-1859). Ein Beitrag zur illustrativen Kunst des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1976, S. 50-51. 51 Der aus Arolsen stammende Kaulbach wurde 1805 geboren. Er studierte zunächst in der Aka­ demie in Düsseldorf bei Cornelius und folgte diesem 1826 nach München, wo er beispielsweise an den Fresken des Odeons und an den Hofgartenarkaden der Residenz mitarbeitete. Neben monumentalen Werken schuf er auch verschiedene Illustrationen und Zeichnungen, z.B. „Reinecke Fuchs“. Kaulbach wurde zum Hofmaler ernannt und gestaltete u.a. 1845 das Trep-

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Dürer am Sterbebett seiner Mutter (Ernst Förster)52; Dürer wird von den Malern zu Antwerpen bewirtet (Hermann Stilke)53; Dürer im Sturm auf der Schelde (Ferdinand Fellner); Dürer im Sarge liegend (Carl Hermann)54 und Dürers Verklärung (Adam Eberle)55.56 Die teilnehmenden Künstler um Peter Cornelius begannen vermutlich aus Zeitgründen bereits in München mit den Vorarbeiten und brachten die fertig gestellten Kartons mit in die Dürerstadt.57 Als Werkstatt wurde ein Zimmer im Rösselschen Kaffeehaus zu Verfügung gestellt. Unterkunft fanden sie in Nürn-

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penhaus des Neuen Museums Berlin. 1849 wurde er zum Akademiedirektor in München er­ nannt. Kaulbach starb in München 1874; Andreas Oppermann/Adolf Stern. Adolf: Das Leben der Maler nach älteren und neueren Kunstschriftstellern, Leipzig 1864, S. 482; Boetticher (wie Anm. 50), I. Bd., S. 690; Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. 20, S. 23f. Förster, im Jahr 1800 in Münchengosserstädt geboren, studierte zunächst Theologie und Philo­ sophie und wechselte 1820, nachdem er Cornelius kennenlernte und dieser ihn auf den Künst­ lerberuf aufmerksam machte, zu Wilhelm Schadow. Ab 1825 arbeitete er bei Cornelius. Förster wandte sich überwiegend der Literatur und der Kunstgeschichtsschreibung zu. So editierte er z.B. nach dem Tod von Ludwig Schorn (1842) das „Kunst-Blatt“. Da Förster der älteste Schüler der Corneliusgruppe war und als eine Art Sprecher fungierte, hatte er vermutlich einen wesent­ lichen Anteil an der ikonographischen Gestaltung der Transparente. Vgl. Förster (wie Anm. 5), S. 76; Boetticher (wie Anm. 50), 1. Bd., S. 335; Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. XII, S. 135; Mende, Transparente (wie Anm. 2), S. 186; Goddard (wie Anm. 7), S. 117. Der am 29. Januar 1803 in Berlin geborene Stilke besuchte zunächst die Berliner Akademie, wechselte aber schon 1821 nach Düsseldorf zu Cornelius. Dort arbeitete er beispielsweise an den Glyptothekfresken und der Ausmalung der Hofgartenarkaden mit. Seit 1850 hielt er sich in Berlin auf, wo er vier Jahre später zum Professor an der Berliner Akademie ernannt wurde. Daneben zeichnete er Illustrationen für die Cotta sehen Klassikerausgaben (1840) von Goethe und Schiller. In Berlin starb Stilke im Jahr 1860. Boetticher (wie Anm. 50), II. Bd., S. 840; Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. 32, S. 50. Hermann wurde 1802 in Dresden geboren. 1822 ging er zu Cornelius nach Düsseldorf und folgte diesem 1825 nach München. 1841 zog er mit Cornelius nach Berlin, wo er 1880 verstarb. Boetticher (wie Anm. 50), I. Bd., S. 530; Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. 16, S. 491. Der am 27. März 1804 in Aachen geborene Adam Eberle begann seine Ausbildung an der Düs­ seldorfer Akademie, wo er später als einer der ersten Schüler bei Peter Cornelius lernte. 1825 folgte er diesem nach München und beteiligte sich dort an den Deckengemälden der Glypto­ thek. 1829 ließ ihn Cornelius nach Rom kommen. Dort lithographierte Eberle die DanteDecke in der Villa Massimo. In Rom starb er am 18. April 1832. Boetticher (wie Anm. 50), I. Bd., S. 261; Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. 10, S. 300. Vgl. Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nr. 31, S. 123; vgl. auch: Blätter für literarische Unterhaltung, Nr. 106, o.A. 1828, S. 421; Münchner Tagsblatt (wie Anm. 17), S. 426; Förster (wie Anm. 5), S. 67; Lionel von Donop: Katalog der Handzeichnungen, Aquarelle und Olstudien in der königlichen National-Galerie in Berlin, Berlin 1902, S. 218 Nr. 2; Eberhard Lutze: Vom Bieder­ meier bis zum Kaiserreich. Ein Jahrhundert deutscher Aquarelle, Zeichnungen und Graphiken, Nürnberg 1941, Nr. 188-193; Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 180; Schauz (wie Anm. 7), S. 326; Blumenthal (wie Anm. 12), S. 69. So berichtet Förster: Es ging alles gut und rasch vonstatten, und wir zogen eine Woche vor dem Feste in Nürnberg ein (um die Bilder dort zu malen) und wurden auf das herzlichste und gast­ freundlichste aufgenommen. Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 68.

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berger Familien und verpflegt wurden sie auf Stadtkosten im „Goldenen Rad­ brunnen“.58 Die sechs Münchner Künstler, welche die Kartons entworfen hatten, wur­ den von etwa 30 auswärtigen Künstlern bei der Ausführung der großforma­ tigen Transparente unterstützt.59 Die Gehilfen beschäftigten sich vor allem mit den dekorativen Elementen, d.h. den Bildunterschriften, den Rahmen etc. Einige der freiwilligen Gehilfen stammten ebenfalls aus der Münchner Gruppe um Peter Cornelius und hatten zusammen bereits an der Ausmalung der Glyp­ tothek bzw. den Fresken der Flofgartenarkaden in München gewirkt. Es halfen beispielsweise Joseph Binder, Philipp Schilgen, Eugen Napoleon Neureuther, Carl Stürmer und Philipp von Folz, die Transparente zu vollenden.60 Leider sind nicht mehr alle der teilnehmenden Künstler bekannt. Der einzige er­ wähnte, der nicht zu dem Münchner Freundeskreis zu zählen ist, war Robert Reinick61, der, wie sein Freund Förster schreibt, mit seltenem Geschick und Geschmack und der liebenswürdigsten Lust Ansichten aus Nürnberg in unsre Bilder malte, so dass ihm, wo es nur ging, ein Fenster dafür geöffnet wurde [■■■]■“

58 Vgl. Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nr. 34, S. 134; vgl. auch: Nürnbergsche Denkblätter (wie Anm. 5), S. 135; Adolph Cornill: Johann David Passavant. Ein Lebensbild (Neujahrsblatt des Vereins für Geschichte und Altertumskunde zu Frankfurt am Main), Frankfurt 1865, S. 14. 59 Die große Anzahl der Gehilfen wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass die für die Künstler vorgesehenen 30 Freikarten für das Oratorium am 6. April im Rathaussaal nicht ausreichten, denn letztlich mussten ca. vierzig Karten ausgegeben werden. Auch das Abschlussessen für die ausführenden Künstler, das am 8. April durch den Magistrat ausgerichtet wurde, ist für unge­ fähr 40 Teilnehmer geplant worden. Vgl. Acta des Magistrates der Königlich Bayerischen Stadt, in: StadtAN C 7/1 Nr. 11219, fol. 17v, 19v, 39r; Cornill (wie Anm. 58), S. 14; Mende, Trans­ parente (wie Anm. 3), S. 180; Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), S. 51. 60 Joseph Binder (1805-1863) stammte aus Wien und war von 1827 bis 1834 Schüler von Corne­ lius in München. Thieme/Becker (wie Anm. 6), 4. Bd., S. 37; Lüdecke/Heiland (wie Anm. 7), S. 386; Philipp Schilgen (1792-1857) kam aus Osnabrück, war Schüler von Cornelius in Düssel­ dorf und seit 1825 in München. Er beteiligte sich an den Fresken der Flofgartenarkaden. Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. 30, S. 66; Eugen Napoleon Neureuther (1806-1882) war Schüler seines Vaters Ludwig Neureuther, dann bei Wilhelm Kobell und Peter Cornelius. Er schuf vor allem dekorative Arbeiten in der Glyptothek und in den Hofgartenarkaden. Thieme/ Becker (wie Anm. 6), Bd. 25, S. 420; Karl Stürmer (1803-1881) war Schüler des Vaters Heinrich Stürmer in Berlin. Seit 1821 war er bei Cornelius in Düsseldorf, dem er 1825 nach München folgte. Teilnahme an der Ausmalung der Glyptothek sowie zwei Fresken in den Hofgarten­ arkaden. Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. 32, S. 241; Philipp von Foltz (1805-1877), seit 1825 an der Münchner Akademie bei Cornelius. Gehilfe bei den Fresken der Glyptothek und Teil­ nahme an der Freskierung der Hofgartenarkaden. Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. 12, S. 157. 61 Robert Reinick (1805-1852) war Dichter, Maler und Grafiker. Er war Schüler von Karl Begas d.A. in Berlin. Thieme/Becker (wie Anm. 6), Bd. 28, S. 134; Lüdecke/Heiland (wie Anm. 7), S. 389. 62 Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 69.

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In der Regel waren derartige Transparente vor allem auch wegen ihren Dimensionen in Gemeinschaftsarbeit entstanden.63 Offen bleibt allerdings die Frage, aus welchem Material die Transparente ausgeführt wurden, denn die Quellen geben leider bei diesen Details keine Auskunft. Vermutlich wurden sie auf ein geöltes dünnes Papier oder einer Leinwand mit verdünnter Ölfarbe ge­ malt.64 Die über zwei Meter65 hohen Transparente wurden auf der östlichen Schmalseite des Rathaussaales auf einem erhöhten, gegenüber der Musik­ empore stehenden Podium in einer Art konkaven Ellipse positioniert. In der Mitte des Veranstaltungsraumes wurde eine Büste Albrecht Dürers aufge­ stellt.66 Abends aber strömte Alles: Künstler, Bürger, Fremde von nah und fern nach dem alterthümlichen Rathaussaale [...]. Die bekannten Räume waren in den Chor einer Kirche umgewandelt, aus welchem ihnen jene Lichtbilder ent­ gegenstrahlten, die Hauptmomente aus Dürers Leben darstellendH Die riesi­ gen Transparente sind von hinten her beleuchtet worden, dies wurde von Heideloff und dem Mechaniker Kuppler umgesetzt, und sie dominierten so den abgedunkelten Rathaussaal.68 Grimm beschreibt den Eindruck folgender­ maßen: Als der Tag anfing sich zu neigen, gingen wir weg, um den Abend im großen Rathaussaal beim Oratorium von Friedrich Schneider zuzubringen [...] er führte mich [...] in den Saal, wo alles dunkel und die Transparente nur allein erleuchtet waren. Der Saal war gestopft voll und wurde nur durch ein großes 63 Verwiebe (wie Anm. 49), S. 66. 64 Dafür, dass Ölfarben verwendet wurden, spricht die Tatsache, dass die Transparente als „Gemälde“ bezeichnet wurden. Bei einer Verwendung von Wasserfarben (Aquarellfarben, Gouachefarben) hätte man von Aquarellen gesprochen. Außerdem arbeitete man mit Pinsel und Palette, wie Passavant überlieferte. Auch dieses Faktum schließt Aquarellfarben aus. Vgl. Cornill (wie Anm. 58), S. 14; Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 180; Verwiebe (wie Anm. 49), S. 21, Büttner (wie Anm. 12), S. 44. 65 Genauer 7 bayerische Fuß und 9 Zoll (Höhe) und 5 bayerische Fuß und 1 Zoll (Breite). Dies entspricht einer Größe von 2,26m x 1,48 m (1 bayer. Fuß = 0,291859 m, 1 Zoll = 'h bayer. Fuß). Es ist leider unbekannt, ob die angegebene Größe mit Umrahmung oder ohne zu verstehen ist; vgl. Albert Christoph Reindel: Verzeichnis aller der Commune gehörigen Gemälde, welche sich teils im Landauer Kloster, teils in der Frauenkirche und auf der Burg befinden. Revidiert am 5. September 1843, zit. nach Wilhelm Schwemmer: Aus der Geschichte der Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg, in: MVGN 40 (1949), S. S. 202 Nr. 269; Gustav Weiß: Glas, in: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken Band 3: Glas, Keramik und Porzellan - Möbel, Intarsie und Rahmen - Lackkunst, Leder, Stuttgart 1986, S. 58. 66 Vgl. Blätter für literarische Unterhaltung (wie Anm. 56), S. 422; vgl. auch Mende, Transparente (wie Anm. 2), S. 177 und 180f. 67 Zit. nach Cornill (wie Anm. 58), S. 16. 68 Vgl. Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 181; Mende, Dürer-Haus (wie Anm. 5), S. 6; Mat­ thias Mende: Albrecht Dürer - ein Künstler in seiner Stadt. Mit Beiträgen von Rudolf Endres, Franz Machilek und Karl Schlemmer, hrsg. von den Museen der Stadt Nürnberg und der Albrecht-Dürer-Haus Stiftung e.V. Nürnberg, Nürnberg 2000, S. 122.

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rundes Fenster erleuchtet, freilich nur spärlich, weil es draußen schon nicht mehr hell war. [...] Als alles vorbei war [das Oratorium von Schneider], wurden die Bilder in der Nähe betrachtet und die Unterschriften gelesenH Ähnlich gotischen Altarbildern waren die Transparente von einem spitz bogigen Rahmen umgeben, der die theatralische, beeindruckende Wirkung verstärkte. Die Bilder wurden nicht einfach nur gezeigt, sondern wirkten wie gotische Kirchenfenster und verwandelten so den Saal in eine Art Sakralraum.70 Ein Zeitzeuge beschreibt diese wie folgt: An der Westseite befand sich das Orchester, die Ostseite, welche, wie bekannt, gemalte Kirchenfenster hat, war durch eine große Nische in Gestalt einer Emporenkirche, zu welcher Stufen hinanfuehrten, verkleidet. In diesem Chore und an den breiten Vorderwaenden desselben waren die sieben Transparente, gleichsam wie Fenster aufgestellt. Spitzbogen mit gothischen Verzierungen enthielten ueber jedem Bilde drey kleine transparente Portraets und reichten durch gothische Architektur verziert in das Himmelsgewoelbe der Niesche, welche mit goldenen Sternen geziert war. Der Raum zwischen den Bildern war durch Genien gefuellt, welche auf einer Tafel Duerers Fertigkeit in einzelnen Zweigen der Kunst andeuteten. Eine Inschrift bezeichnete unter jedem Bilde den Stoff. Dieser ist groeßtentheils aus dem in Campe’s Reliquien erwaehnten Tagebuche Duerers geschoepft.7' Das genaue ikonographische Programm der Rahmengestaltung ist leider nicht bei allen Szenen bekannt. Die Form der Umrahmungen kann anhand von Beschreibungen72 und zweier Skizzen Fellners rekonstruiert werden (Abb. 8a/b).75 Fellners Skizzenblatt zu der ersten Szene der Folge zeigt deutlich das Grundschema der die Szenen rahmenden Spitzbogen: Ein großer Vierpass bil­ det die Spitze der Rahmenkomposition. Unter diesem befinden sich zwei Drei­ pässe. Die Überleitung zum Hauptbild leisten vier Halbkreise, deren Enden mit gotischen Krabben besetzt sind. In den Pässen lokalisiert man bei Fellner oben den Evangelist Lukas, unten links den heiligen Eligius und rechts St. Andreas. Diese sind in den Farben hellgrün, hellblau, violett, gelb und braun aquarelliert und geben so eine Vorstellung von der ursprünglichen Farbigkeit.74 Auch Förster bestätigt dieses Kompositionsschema: Da die Bilder in die Rahmen gotischer Fenster gefaßt waren, blieben in der Höhe drei Rosetten und unten ein Sockel. Bei den anderen Bildern waren die Rosetten mit den Bild­ nissen großer Zeitgenossen (nur am ersten mit bezüglichen Heiligen), der Sockel 69 Zit. nach Grimm (wie Anm. 18), S. 22f. 70 Grote (wie Anm. 13), S. 86; Goddart (wie Anm. 7), S. 117; Giulia Bartrum: Albrccht Dürer and his Legacy. The graphic Work of a Renaissance Artist, London 2002, S. 46. 71 Zit. nach Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nr. 34, S. 134. 72 Ebd. und Förster (wie Anm. 5), S. 68. 73 Vgl. Anm. 7. 74 Schauz (wie Anm. 7), S. 326.

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aber mit den bezeichneten Stellen aus A. Dürers Tagebuch und einem Briefe Pirckheimers ausgefüllt,75 Es ist zu vermuten, dass die Rahmungen extra für die Transparente angefertigt wurden und diese nicht in möglicherweise vorhan­ dene gotische Fenster eingepasst wurden. Für diese Ansicht spricht auch die Tatsache, dass Heideloff für eine Illumination für die Dürerfeier am Tiergärt­ nertor ein spezielles Gerüst hersteilen ließ.76 Leider ist die farbliche Wirkung der ehemaligen, in bunter Farbenpracht glänzenden77 Transparentbilder nicht mehr vorstellbar. Die kolorierte Stich­ serie Walthers (Abb. 1-7) gibt in Bezug zu diesem Problem zwar einen An­ haltspunkt, es existieren aber keine Beweise, ob es sich bei der Kolorierung um die Original-Farbigkeit handelt. Jedoch muss man sich den optischen Eindruck ähnlich von Kirchenfenstern vorstellen, deren bunte Reflexionen die gegen­ überliegenden Wände in farbiges Licht tauchen. Eine vermutlich beein­ druckende Wirkung der über zwei Meter hohen Szenen. Als Grundlage für die Themenwahl diente den Cornelius-Schülern das Buch von F. Campe „Reliquien von Albrecht Dürer“78, das wie bereits erwähnt zum Dürerfest erschien.79 Dabei handelte es sich um eine zusammenfassende Aus­ gabe des schriftlichen Dürer-Nachlasses, von dem Teile erst im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts durch Christoph Gottlieb von Murr und Johann Ferdi­ nand Roth veröffentlicht wurden.80 Bei der Edition wurde Campe durch den sachkundigen Bamberger Joseph Fleller unterstützt, der dafür die Arbeit an einem fast abgeschlossenen Band einer Dürer-Biographie unterbrach.81 Die Künstler entschieden sich für die Darstellung von historisch nachweis­ baren Ausschnitten aus Dürers Leben, die durch die textliche Grundlage aus Dürers eigener Hand - die unter jedem Bild nachzuprüfen war - beweisbar waren.82 Sie lehnten bewusst die üblichen Künstlerlegenden und Anekdoten

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Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 68. Vgl. Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nr. 35, S. 140. Zit. nach Zeitung für die elegante Welt, 24. April 1828, Leipzig 1828, Spalte 635. Campe (wie Anm. 25). Vgl. Förster (wie Anm. 5), S. 67. ln den Reliquien finden sich: Dürers Familienchronik, Dürers Briefe an Pirckheimer, Ge­ schäftsbriefe an Heller und andere dichterische Versuche Dürers, das niederländische Reise­ tagebuch, Zitate aus Dürers Büchern, Pirckheimers Elegie auf Dürers Tod sowie dessen Prosa­ nachruf, ein Brief an Tscherte, Zitate aus verschiedenen Handschriften und Büchern sowie letztlich der Brief König Ludwigs L, der zur Errichtung des Nürnberger Denkmales auffor­ derte. 81 Das Material hatte Heller (1758-1849) selbst für einen dritten Band seiner Dürermonographie vorgesehen, aber Campe, der sich dafür im Vorwort bedankt, zur Verfügung gestellt; Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), S. 67; Mende, Künstler seiner Stadt (wie Anm. 68), S. 416. 82 Mende, Dürer-Haus (wie Anm. 5), S. 6.

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bzw. Topoi der Künstlerdarstellung ab. Dagegen zeigten die Transparente wie das Leben Dürers „wirklich“ war. In diesem Punkt unterscheidet sich das Programm von seinen möglichen Vorbildern83, da alle Episoden - außer dem Mittelbild, der Verklärung Dürers mit Raffael - das „Privatleben“ Dürers als bürgerlichen Lebenslauf behandeln.84 Cornelius ließ seinen Schülern bei der Wahl der Szenen freie Hand85, einzig bei dem siebten Bild86, das die Mitte des Zyklus bilden sollte, legte er sein Veto ein. Ursprünglich war von den Schülern das Thema „Dürer am Sonntag-Mor­ gen neben seiner Staffelei mit der Bibel in der Hand“ geplant worden.87 Doch Cornelius war von unserer Auffassung nicht sehr erbaut; er vermißte darin den höheren poetischen Schwung und glaubte, das Ganze wenigstens an einer Stelle über das,Gewöhnliche' erheben zu müssen88 und favorisierte für das Mittel­ bild, das in der Gesamtwirkung eine für ihn maßgebliche Schlüsselstellung hatte, eine allegorische Komposition, bei der sich Albrecht Dürer und Raffael vor dem Thron der Kunst freundschaftlich die Hände reichen.89 So fragte Cornelius laut seinem Schüler Förster: Wie darf bei einem Ehrenfeste des größ­ ten deutschen Künstlers der größte italienische fehlen ? Das darf sie nicht irren, daß sie einander im Leben nicht gesehen. Im Geiste waren sie doch vereint, und im Himmel wie in der Geschichte haben sie sich die Hände gegeben?0 Die Münchner Künstlergruppe bemühte sich bei der Gestaltung der Trans­ parente91 um eine Authentizität des Dargestellten, d.h., dass sie sich vor allem von Dürers Werk inspirieren ließ und sich die historische Kleidung der Figuren an den überlieferten Selbstbildnissen und Portraits der Hauptpersonen oricn83 Vgl. Franz und Johannes Riepenhausen: „Zwölf Umrisse zum Leben Raffaels von Urbino“, 1833, Stichserie, o. a. 84 Matthias Mende: Das Dürer-Stammbuch. Eine graphische Sammlung aus dem 19. Jahrhundert, in: Das Dürer-Stammbuch von 1828, hrsg. von den Museen der Stadt Nürnberg, Nürnberg 1973, S. 35; Büttner (wie Anm. 12), S. 45; Blumenthal (wie Anm. 12), S. 69. 85 Die Auswahl der Gegenstände wie die Verteilung der Rollen erfolgte ohne Zutun des Meisters. Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 67. 86 Mende spricht vom vierten. Vgl. Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 188. 87 Vgl. Förster (wie Anm. 5), S. 67. Teply fügt die verworfene Szene in ein Gedenkblatt ein, vgl. Joseph Teply: Gedenkblatt zur Einweihung des Dürer-Denkmals, (60 x 43 cm), Lithographie, Nürnberg, Museen der Stadt; Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 189 und 193. 88 Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 67. 89 Diese stand freilich zu unserm Dürer am Sonntagmorgen und all unsem bürgerlich gemütlichen Bildern im grellsten Widerspruch. Zit. nach Förster (wie Anm.5), S. 67-68. 90 Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 66ff.; vgl. auch: Cornill (wie Anm. 58), S. 16; Mende, Trans­ parente (wie Anm. 3), S. 180; Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), S. 8 und 51; Grote (wie Anm. 13), S. 86; Büttner (wie Anm. 12), S. 45 und 133; Blumenthal (wie Anm. 12), S. 69; Bartrum (wie Anm. 70), S. 46. 91 Auf Bildbeschreibungen muss leider verzichtet werden, diese sind u.a. nachzulesen bei Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 181 ff.

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tierte. Dürer wird im Zyklus der romantischen Dürer-Ikonographie ent­ sprechend dargestellt, die auf Heideloff zurückgeht.92 Bekannt wurde dieser Typus in der Öffentlichkeit durch das eiserne Bildnismedaillon am DürerPirckheimer-Brunnen (1821) auf dem Maxplatz von Nürnberg.93 Daneben orientierte sich beispielsweise Kaulbach, neben der Heideloff-Variante, bei seiner Dürerdarstellung an den Selbstbildnissen (Autonome Bildnisse sowie Assistenzbildnisse) des Nürnberger Meisters, wobei nicht ein spezielles als Vorbild genannt werden kann. Dürer wird, wie er sich selbst z.B. 1498 und 1500 malte, mit einem langen ovalen Gesicht, einer langen geraden Nase und dem Vollbart, dessen Enden leicht gezwirbelt sind, gezeigt.94 Die Augen sind mandelförmig.95 Charakteristisch für den Künstler sind die mit einem Brenn­ eisen geformten Locken, die schulterlang herabfallen, und die „Alexander­ locke“96, nämlich die beiderseits des Scheitels in die Stirn fallenden Haarsträh­ nen.97 Auch in Ludwig Tiecks romantischem Roman „Lranz Sternbalds Wan­ derungen“ wird Dürer nach diesem Selbstportrait beschrieben.98 Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass dieser hochromantische Heideloff-Typus des Malers, der durch das eigene Werk Dürers überliefert wurde, als das wirkliche historische Abbild galt und demnach für alle Transparente verwendet wurde. Die Kleidung Dürers wurde je nach Szene in historischen Formen verändert, wobei Dürer oft eine Schaube trägt. Auch das Nürnberger Denkmal, dessen Grundsteinlegung gefeiert wurde, sowie die Medaille von Jakob Daniel Burgschmiet, die zum 300. Todestag geprägt wurde, folgen dieser romantischen Dürerikonographie.99

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Erstmals verwendet wurde der ikonographische Typus von Christian Geißler als Umschlag­ kupfer. Matthias Mende: Dürer Medaillen. Münzen, Medaillen, Plaketten von Dürer, auf Dürer, nach Dürer, hrsg. von den Stadtgeschichtlichen Museen der Stadt Nürnberg und der AlbrechtDürerhaus-Stiftung e.V., Nürnberg 1983, S. 292. Norbert Götz: Um Neugotik und Nürnberger Stil. Studien zum Problem der künstlerischen Vergangenheitsrezeption im Nürnberg des 19. Jahrhunderts (NF 23), Nürnberg 1981, S. 44ff.. Albrecht Dürer: „Selbstbildnis von 1498“, 1498 (0, 52 x 0, 41 cm) Öl auf Holz, Museo del Prado, Madrid und Albrecht Dürer: „Selbstbildnis von 1500“, 1500 (0, 67 x 0, 49 cm) Öl auf Lindenholz, Bayerische Staatsgemäldesammlung, München. Ob die Künstler der Transparente die charakteristische Mongolenfalte Dürers beachteten, kann aufgrund der schlechten Abbildungen leider nicht dargelegt werden. Nach Alexander dem Großen benannt (gest. 323 v. Chr.), vgl. httpW: www.sci.uni klu. ac.at/ archeo/alltag/17frisur.htm [05.01.05]. Kaulbach selbst trug seine Haare beim Dürerfest in dieser Manier, so dass er große Beachtung genoss. Mende, Dürerdenkmal (wie Anm. 13), S. 172. Dürer war groß und schlank, lieblich und majestätisch fielen seine lockigen Haare um seine Schläfe [sic!] und Schultern, sein Gesicht war ehrwürdig und doch freundlich, [...] und seine schönen braunen Augen sahen feurig, aber sanft unter seiner edlen Stirn hervor. Zit. nach Lud­ wig Tieck: Franz Sternbalds Wanderungen, Berlin 1797, S. 71. Jakob Daniel Burgschmiet: Medaille auf den 300. Todestag Albrecht Dürers, 1828, Bronzeguss, GNM, Nürnberg. Mende: Dürer Medaillen (wie Anm. 92), S. 291-292.

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Dürers Frau Agnes Frey oder seine Mutter Barbara Dürer wurden ebenfalls möglichst portraitnah wiedergegeben. Kaulbach schuf bei der Szene der Hochzeit (Abb. 2) einen neuen Typ der Agnes Frey, der nicht den geläufigen Dar­ stellungen des 19. Jahrhunderts entsprach.100 Inspirieren ließ er sich von den verschiedenen Zeichnungen Dürers, die die historische Physiognomie der Nachwelt überlieferten.101 Vor allem die Federzeichnung seiner Frau, die im Jahr seiner Heirat entstanden ist, sowie die Zeichnung in Halbfigur von 1497 können hier zum direkten Vergleich herangezogen werden. Demnach ent­ sprechen bei Kaulbach das runde Gesicht, dessen weiche Züge, das Kinn und die langen zum Zopf geflochtenen Haare der wirklichen Physiognomie der Braut.102 Nicht nur die abgebildeten Zeitgenossen und Dürer selbst tragen durch Bildquellen vermittelte, also wahrscheinlich wahrheitsgetreue Züge, sondern auch die Interieurs finden sich in Details im Dürer Kupferstich „Hieronymus im Gehaus“103 wieder. So ist in dem Transparent „Dürers Eintritt in die Lehre bei Wohlgemut“ (Abb. 1) beispielsweise die Fensterfront mit den Butzen­ scheiben, den drei vertikalen Fensterbahnen und der bogenförmigen Fenster­ laibung fast identisch. Fellner variiert lediglich mit einem zugezogenen Vor­ hang und einem geöffneten Fenster. Auch die Bohlenbalkendecke und ein Regalbrett, wenn auch bei Fellner vereinfacht, finden sich auf dem Stich wie­ der.104 Bei Försters „Dürer am Sterbebette seiner Mutter“ (Abb. 5) erinnert das

100 Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 183; für die herkömmliche Ikonographie der „bösen“ Agnes vgl. Johann Anton Williard nach Simon Wagner: Der Tod Albrecht Dürers, 1829, Litho­ graphie, gedruckt in der Königlichen Steindruckerei Dresden; Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), Kat.-Nr. 40g, S. 9. 101 „Agnes Dürer“, 1494 (15,6 x 0,98 cm) Feder; „Agnes Dürer in Halbfigur“, 1497 (21,6 x 16,4 cm) Silberstift auf milchig Helllila grundiertem Papier, weiß gehöht; „Agnes Dürer“, 1504 (30,4 x 19,9 cm) Silberstift „Agnes Dürer“, 1519 (39,5 x 29,2 cm) Pinsel auf grau grundiertem Papier, weiß gehöht; „Agnes Dürer in niederländischer Tracht“, 1521 (40,7 x 27,1 cm) Metallstift auf braun-dunkelviolett grundiertem Papier; „Frau Agnes Dürer (Skizzenbuch der niederländi­ schen Reise)“, 1520/21 (12,9 x 19,0 cm) Silberstift; „Agnes Dürer“, 1522 (42,8 x 31,2 mm) Blcizinngriffel auf grün grundiertem Papier. 102 Interessant ist auch der Aspekt, auf den Mende aufmerksam macht, dass es bei den Vorlagen oft nicht möglich war, die genauen historischen Daten zu berücksichtigen. So musste Wolgemut beispielsweise von Fellner verjüngt werden. Fellner griff bei dem Portrait von 1516 physiognomische Charakteristika auf, etwa die prägnante Nase etc., verjüngte aber das Gesicht so, dass es sich logisch in die Handlung des Jahres 1486 einfügen konnte. Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 181. 103 Albrecht Dürer: „Der Heilige Hieronymus im Gehäus“, 1514, Kupferstich (24, 7 x 18,8 cm) Berlin Kupferstichkabinett. 104 Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 181.

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Interieur stark an ein Werk Dürers, den „Tod Mariens“105 aus dem Marien­ leben. Förster zeigte das Bett lediglich von einem anderen Betrachterstand­ punkt aus. Man erkennt den durch einen Knoten zurückgeschlagenen Bett­ vorhang auf der rechten Bettseite, die fünf Quasten des Baldachins sowie das leicht hervortretende Brett an der Rückwand des Bettes, über dem Kopf der Sterbenden. Es ist mit einer Art Zahnschnitt verziert und wird von zwei kleinen Pilastern getragen.106 Man kann zusammenfassend feststellen, dass bei allen Transparenten ein Wille erkennbar ist, das „wirkliche Mittelalter“, wie man es durch das Werk Dürers überliefert sah, beispielsweise mit Butzenscheiben und Bohlenbalken­ decke, vermitteln zu wollen. So hatte sich vor allem Fellner mit historischen Trachten beschäftigt und diese in einem Musterbuch zusammengestellt, das er auch anderen Malern zur Verfügung stellte.107 Daneben versuchte man Dürers Tagebucheintragungen zu „illustrieren“, indem man sich sehr exakt an Dürers schriftliche Überlieferung gehalten hat, die auch als Bildunterschriften zu lesen war.108 Des weiteren griffen die Corneliusschüler bei der Gestaltung der Trans­ parente auf traditionelle Bildtypen zurück. Kaulbach verwendet bei der Hoch­ zeit Dürers (Abb. 2) den christlichen Bildtypus einer Sposalizio.109 Diese Bildform wurde ursprünglich zur Darstellung der Hochzeit der Heiligen Josef und Maria verwendet. Das Kompositionsschema geht vermutlich auf Giotto zurück, der diesen Aufbau bei einer Szene aus dem Leben Mariae in der Paduakapelle verwendete.110 Auch bei Kaulbach steht, wie bei Giotto, in der rechten Bildhälfte Maria und ihr symmetrisch gegenüber Josef. Der Priester befindet sich zentral zwischen der Gruppe, etwas nach hinten versetzt. Die Teilnehmer der Zeremonie sind bei Dürer, im Gegensatz zu Giotto, isokephalisch direkt hinter Albrecht Dürer und Agnes Frey aufgereiht. Er orientierte sich bei der Verteilung der Figuren vor allem an Dürers „Die Ver­ mählung Mariens“ aus dem Marienleben. Die Schrittstellung seiner Frau, mit 105 Albrecht Dürer: „Der Tod Mariens“ (aus dem Marienleben), 1510 (ca. 29,5 x 21,0 cm) Holz­ schnitt. 106 Goddard (wie Anm. 7), S. 119. 107 Vgl. Förster (wie Anm. 5), S. 66. I0S Vgl. Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nummer Nr. 34-35, S. 135—138. '0, Hugo Kehrer: Dürers Selbstbildnisse und die Dürerbildnisse, Berlin 1934, S. 83; Mende, Trans­ parente (wie Anm. 3), S. 183; Keisch (wie Anm. 43), S. 6; Goddard (wie Anm. 7), S. 118; Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), S. 34, er führt als weiteres Beispiel Andrea Orcagna: „Vermählung der Maria“, nach 1356, Marmor, Orsanmichele, Florenz, an. 110 Bondone di Giotto: „Die Hochzeit der Jungfrau”, Freskenzyklus in der Arenakapelle, 1304— 1306 (200 x 185 cm), Fresko, Arenakapelle, Padua; Renate Liebenwein-Krämer: Säkularisierung und Sakralisierung. Studien zum Bedeutungswandel christlicher Bildformen in der Kunst des 19. Jahrhunderts, Diss. Frankfurt a.M. 1977, S. 59-60.

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dem vorgestellten Fuß, der durch das Kleid bis zum Knöchel verdeckt wird, findet sich dagegen fast identisch auf Raffaels Sposalizio wieder. Es ist also anzunehmen, dass Kaulbach beide Vorbilder studierte.111 Die Komposition der stark orthogonalen Verkürzung der Liegefigur des Transparentes von Herrmann (Abb. 6) entspricht dem Schema des „Christo in Scurto“ 112 von Mantegna. Vor allem die - vor Mantegnas Werk entstandene Handzeichnung von Jacopo Bellini vom „Tod Mariä“113 zeigt deutliche kom­ positioneile Ähnlichkeiten. So ist bei Bellini Maria wie Dürer auf einem sich zentralperspektivisch nach hinten verkürzenden Podest bzw. Sarg aufgebahrt. Dieser wird von Kandelabern umgeben. Links und rechts befinden sich die Apostel isokephalisch in einer strengen Linie dem Fluchtpunkt entlang. Auch die Raumsituation des Gewölbes, das sich nach hinten fortsetzt, ist ähnlich gestaltet.114 Mende vermutet, dass Hermann diese verkürzte Perspektive aus Lucas Cranachs Epitaph „Der Sterbende“115 übernahm. Dieses Bild war erst 1815 in der Nikolaikirche zu Leipzig entdeckt worden und vor allem durch Goethes Erwähnung allgemein bekannt gewesen.116 Außer der zentralperspek­ tivisch verkürzten Liegefigur, die sich in einem Bett befindet, gibt es ansonsten keinerlei Übereinstimmungen mit der Komposition von Hermann. Weder das Figurenrepertoire noch das Podest bzw. der Sarg sind auf Cranachs Epitaph zu sehen. Diese beiden Beispiele zeigen, dass neben dem Versuch einer möglichst authentischen Darstellung der Protagonisten auch auf traditionelle Bildtypen zurückgegriffen wurde. Daraus ergibt sich die Fragestellung, wie diese Tat­ sache zu bewerten ist bzw. ob, wie Mende behauptet, dadurch ein Bezug zur christlichen Ikonographie hergestellt werden kann. Dieser Aspekt wird, nach der Behandlung des thematisch eine Sonderstellung einnehmenden Mittelbil­ des, eingehend diskutiert werden. 111 Raffael von Urbino: „Die Vermählung Mariä“ (Sposalizio), 1504 (170 x 117 cm) Öl auf Holz, Pinacoteca di Brera , Mailand; Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 183. 112 Andrea Mantegna: „Beweinung Christi“ (Christo in scurto), um 1490-1500 (66 x 81 cm) Tem­ pera auf Holz, Pinacoteca di Brera, Mailand. 113 Jacopo Bellini: „Tod Mariae“, Handzeichnung im Londoner Skizzenbuch, British Museum, London. IH Hans Jantzen: Mantegnas Cristo in Scurto, in: Stephaniskos. Ernst Fabricius zum 6.9.1927, Freiburg/Breisgau 1927, S. 11-15, hier S. 11; Hubert Schrade: Über Mantegnas Christo in scurto und verwandte Darstellungen. Ein Beitrag zur Symbolik der Perspektive, in: Neue Hei­ delberger Jahrbücher 1930, S. 75-111, S. 80; Kurt Rathe: Die Ausdrucksfunktion extrem ver­ kürzter Figuren (Studies of the Warburg Institute, edited by F. Saxl, Vol. 8), London 1938 (reprint 1968), S. 12; Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 187. 115 Lucas Cranach d. Ä.: „Der Sterbende“, 1518 (0,30 x 0,92 cm) Schmidburg Epitaph aus St. Nikolai, Museum der bildenden Künste Leipzig. 116 Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 187.

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Italia und Germania - Nazarenisches Gedankengut Das Mittelbild Adam Eberles (Abb. 7) bildet in vielen Punkten eine Ausnahme und fällt thematisch völlig aus der Reihe des ansonsten logisch in chronolo­ gischer Abfolge - orientiert an historischen Fakten - gestalteten Zyklus. Zwar tragen auch hier die Personen historische Kostüme, aber die Handlung spielt in einer unwirklichen, fiktiven Landschaft. Dominiert wird das Bild von einer allegorischen Figur, die nicht in den „Reliquien Albrecht Dürers“ auftaucht. Selbst die Begegnung beider Künstler hat, wie bereits Cornelius seinen Schü­ lern sagte, nie wirklich stattgefunden. Auch das direkte Vorbild ist nicht in Dürers Werk zu finden, sondern bei den Nazarenern. Dies ist aus der Tatsache zu erklären, dass das von den Schülern entwickelte ursprüngliche Bildpro­ gramm aus Respekt gegenüber der Autorität ihres Lehrers in künstlerischen Fragen umgeändert wurde.117 Da Cornelius der Initiator der Idee einer Alle­ gorie war, ist zu vermuten, dass er auch bei der Komposition eigene Ideen ein­ brachte bzw. Eberle in seine gewünschte Richtung lenkte, denn Cornelius müssen die Bilder seiner nazarenischen Freunde Pforr (Abb. 9) und Over­ beck118, die als direkte Vorbilder angeführt werden können, durchaus bekannt gewesen sein. Das Transparent visualisiert frühromantische Ideen, die den Cornelius-Schülern weitgehend fremd waren.119 Cornelius versuchte Eberle mit folgenden Worten zu überzeugen: Das darf sie nicht irren, daß sie einander im Leben nicht gesehen. Im Geiste waren sie doch vereint, und im Himmel wie in der Geschichte haben sie sich die Hände gegeben.120 Diese Vorstellung wurde bereits 1797 in Wackenroders „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“121, dem wichtigsten Kunstmanifest der Frühromantik, formu­ liert.122 Dürer, der Vertreter der nordischen Kunst, galt bei den Lukasbrüdern 117 Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 188. 118 Franz Pforr: „Dürer und Raffael vor dem Throne der Kunst“, Radierung nach Carl Hoff, um 1810 (15,7 x 23, 2 cm) Privatbesitz, München (Abb. 9 aus: Staatliche Graphische Sammlung München (Hrsg.): Germania und Italia, München 2002, S. 77), und Friedrich Overbeck: „Dürer und Raffael vor dem Throne der christlichen Kunst“, um 1810 (25, 5x 20 cm) Bleistift, Privatbesitz. 119 Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 189; Büttner (wie Anm. 12), S. 46; Blumenthal (wie Anm. 12), S. 70. 120 Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 67. 121 Tieck veröffentlichte anonym den Text Wackenroders 1796 (im Werk selbst ist 1797 angegeben). Er überarbeitete den Text seines Freundes äußerlich und ergänzte vier Kapitel. Das zentrale Kapitel „Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers“ stammt aus der Feder von Wackenroder. Vgl. Richard Benz: Nachwort in: Ludwig Tieck/Wilhelm Heinrich Wacken­ roder: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, Stuttgart 1955, S. I25f. 122 - und siehe! Da standen, abgesondert von allen, Raffael und Albrecht Dürer Hand in Hand leibhaftig vor meinen Augen und sahen in freundlicher Ruhe schweigend ihre beisammen­ hängenden Gemälde an. Zit. nach Ludwig Tieck/Wilhelm Heinrich Wackenroder: Herzens­ ergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, Stuttgart 1979, S. 58.

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als der christliche Künstler mittelalterlicher Prägung, der sieh an der Natur orientierte, und Raffael, der Gegenpol, verkörperte die ideale Schönheit. Beide Künstler verbanden ihre charakterlichen Anlagen mit ihrer Werkaussage zu einer harmonischen Einheit.123 Dürer und Raffael wurden von den Nazarenern zu zwei verehrungswürdigen Symbolgestalten stilisiert. Das Ziel der nazarenischen Kunstauffassung wurde die Verbindung bzw. Vermählung der altdeut­ schen Kunst mit der Frührenaissance, d.h. die Gleichberechtigung von italieni­ scher und deutscher Kunst. Dieser Aspekt einer formulierten Freundschaft von eigentlich konträren Kunstauffassungen wird vor allem durch das Reichen der Hände im Zentrum des Bildes von Fellner bekräftigt. Auch scheint die Allegorie der Kunst, durch ihre offene Geste der Arme, beide Künstler zusam­ menbringen zu wollen - sozusagen als Sinnbild der Verbindung von Norden und Süden im Dienste der Kunst, die als Allegorie die Szene beschützt. Be­ stätigt durch Vasaris124 Beschreibung einer gegenseitigen Wertschätzung der beiden Künstler durch ihre Werke, ohne dass sie sich je begegnet wären, fand man daneben weitere Parallelen der beiden Vorbilder. So verband beide auch der gemeinsame Todestag am 6. April.125 Die Künstler Pforr und Overbeck gestalteten die bildliche Umsetzung dieses Manifestes bzw. Kunstideales der Nazarener von einer neuen christ­ lichen deutschen Kunst. Wobei Overbeck sein künstlerisches Ideal in der italie­ nischen Kunst zur Zeit Raffaels verwirklicht fand und Pforr die deutsche Kunst der Dürerzeit favorisierte. Beide Künstler verschmolzen in dieser Wunschideologie, so redete z.B. Overbeck seinen Freund Pforr mit dem Namen Albrecht an. Sie verkörperten selbst durch ihre persönlichen Vorlieben, charakterlichen Eigenschaften und künstlerische Ausbildung ihre Ideale. Wei­ terentwickelt wurde dieser Bildgedanke durch Overbecks Werk „Italia und Germania“126, das ungefähr im Jahr der Dürerfeicr fertiggestellt wurde. Auch bei dieser an Pforrs Freundschaftsbild „Sulamith und Maria“ orientierten Komposition sind die so unterschiedlichen Charaktere der Italia und Ger­ mania freundschaftlich, gleichberechtigt vereint, ihre Hände innig ineinander123 Keisch (wie Anm. 43), S. 4; Brigitte Heise: Johann Friedrich Overbeck. Das künstlerische Werk und seine literarischen und autobiographischen Quellen (pictura et poesis 11), Köln u.a. 1999, S. 165. 124 Dürer hätte Raffael ein Selbstportrait geschenkt, worauf ihm Raffael eine Gegengabe sandte. Vgl. Giorgio Vasari: Das Leben Raffaels. Nach der Ausgabe von 1568 neu übersetzt von Hana Gründler und Victoria Lorini, kommentiert und hrsg. v. Hana Gründler , Berlin 2004, S. 61. 125 Liebenwein-Krämer (wie Anm. 110), S. 265; Pirsich (wie Anm. 43), S. 323; Werner Hofmann: Das entzweite Jahrhundert, München 1995, S. 614; Büttner (wie Anm. 12), S. 45; Heise, Over­ beck (wie Anm. 123), S. 165. Bei Heise als Italia und Germania Motiv bezeichnet; Brigitte Heise: Endlich in Rom. Deutsche Künstler des 19. Jahrhunderts in Italien, Lübeck 2002, S. 43. 126 Friedrich Overbeck: „Italia und Germania“, 1811-1828 (94, 4 x 104,7 cm) Öl auf Leinwand, Bayerische Staatgemäldesammlung München, Inv. WAF 755.

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liegend.127 Wie Overbeck in einem Brief an Cornelius schreibt, war dies sein Ziel: Es sind die beiden Elemente gleichsam, die sich allerdings einerseits fremd gegenüberstehen, die aber zu verschmelzen nun einmal meine Aufgabe, wenigstens in der äußeren Form meines Schaffens, ist und bleiben soll, und die ich deshalb in schöner, inniger Befreundung mir denke.'n Doch warum taucht bei den sieben Transparenten der Dürerfeier, einem Zyklus, der das Leben Dürers darstellen will, plötzlich im zentralen Bild Raffael von Urbino auf? Dies ist vermutlich ein Hinweis darauf, dass sich die deutsche Kunst - verkör­ pert durch Dürer als dem Künstler-Genie - nicht neben Italien und dessen Künstlern der Hochrenaissance zu verstecken braucht. So wird Raffaels Füh­ rungsanspruch, der seit dem 18. Jahrhundert besteht129, durch die Gegenüber­ stellung mit Dürer gleichsam relativiert. Dies schreibt bereits Wackenroder: Nicht bloß unter italienischem Himmel, unter majestätischen Kuppeln und korinthischen Säulen; - auch unter Spitzgewölben, kraus-verzierten Gebäuden und gothischen Thürmen, wächst wahre Kunst hervor.130 Diese Kunst ist zwar von anderem Charakter als die italienische Kunst der Hochrenaissance, aber sie ist nicht minder wertvoll. Cornelius wollte diese durch den Lukasbund ent­ wickelte Komposition in deren Chiffre des freundschaftlichen Miteinanders, in das er eingeweiht war, auf die Zielsetzung der Dürerfeier übertragen und damit den Nationalstolz bestätigen. Zugleich zeigt die Allegorie die Anerkennung Dürers durch seine Zeitgenossen, die mit Raffael dargestellt sind.131 127 Franz Pforr: „Sulamith und Maria“, 1811, Öl auf Holz (34 x 32 cm) Schweinfurt, Sammlung Georg Schäfer. Berthold Hinz: Dürers Gloria, in: Dürers Gloria. Kunst, Kult, Konsum, Aus­ stellungskatalog Berlin 1971, Berlin 1971, S. 18; Liebenwein-Krämer (wie Anm. 110), S. 250f.; Paul Eich: Über das Verhältnis der Nazarener zum Mittelalter, in: Klaus Gailwitz (Hrsg.): Die Nazarener, Frankfurt am Main 1977, S. 30; Petra Kuhlmann-Hodick: Das Kunstgeschichtsbild. Zur Darstellung von Kunstgeschichte und Kunsttheorie in der deutschen Kunst des 19. Jahr­ hunderts (Europäische Hochschulschriften XXVI1I/163), 2 Bde., Frankfurt am Main 1993, S. 422-425; Peter Vingau-Wilberg,: Zur Dürer-Verehrung in der Romantik und zu Franz Pforrs Streben nach dem „Sichtbaren“ in der Kunst, in: AGNM, Nürnberg 1998, S. 29; Staatliche Gra­ phische Sammlung München (wie Anm. 118), München 2002, S. 76. 128 Brief Overbecks an Wenner, Rom 31. Januar 1829; zit. nach Heise: Rom (wie Anm. 125), S. 43. 129 Beispielsweise geprägt durch Mengs, Winckelmann und Goethe. Christian Lenz: Goethe und die Nazarener, in: Gailwitz, Nazarener (wie Anm. 127), S. 303. 130 Zit. nach Tieck/Wackenroder (wie Anm. 122), S. 59. 1,1 Vgl. Blätter für literarische Unterhaltung (wie Anm. 56), S. 422; vgl. auch: Max Kunze (Hrsg.): Italia und Germania. Deutsche Klassizisten und Romantiker in Italien, Berlin 1975/76, S. 69; Pirsich (wie Anm. 43), S. 325; Dieter Wuttke: Nürnberg als Symbol deutscher Kultur und Geschichte (Gratia 16), Bamberg 1987, S. 10; Kuhlmann-Hodick (wie Anm. 127), S. 423; Vin­ gau-Wilberg (wie Anm. 127), S. 29; Peter Vingau-Wilberg: Das deutsche Raffael-Bild und die beginnende Wertschätzung Dürers in der Romantik, in: Gedenkschrift für Richard Harprath, hrsg. von Wolfgang Liebenwein, München 1998, S. 485; Katja Block: Wackenroder und der romantische Dürerkult, in: Dürer und die Literatur. Bilder - Texte - Kommentare (Fußnoten zu Literatur Heft 49), hrsg. von Reinhard Heinritz, Bamberg 2001, S. 68.

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Allerdings wird von dem Augenzeugen-Bericht aus dem Kunstblatt die Komplexität der Allegorie kritisiert, die aus der Reihe fällt.132 An dem Beispiel der Szene „Raffael und Dürer am Throne der Kunst“ kann man auch die unter­ schiedlichen Kunstanschauungen von Cornelius im Verhältnis zu seinen Schü­ lern erkennen. Dieses ganz nach der Auffassung von Cornelius gestaltete Bild wurde von den Schülern rigoros abgelehnt. Die Schüler favorisierten einen eher naturalistischen Stil, der an historisch-treuen Darstellungen orientiert war, der der idealistischen, schwärmerischen, nazarenischen Kunstidee ihres Lehrers diametral gegenüberstand. Einzig Carl Hermann wich von der histori­ sierenden Kunstauffassung seiner Freunde ab und näherte sich den ideellen Prinzipien von Cornelius. Aus diesem Grund befinden sich auf seinem Trans­ parent „Dürer auf der Totenbahre“ drei Künstler aus der Entstehungszeit der Transparente: Der dänische Bildhauer Berthel Thorwaldsen, der ehemalige Nazarener Overbeck und der Bildhauer Rauch, der den Auftrag für das Dürer­ denkmal erhalten hatte. Diese drei zur Dürerfeier eingeladenen Gäste konnten nicht kommen und schickten Absagen - auf diese Weise sorgte Herrmann trotzdem für ihre Gegenwart.133 Was thun Thorwaldsen und Rauch bei Dürer? Doch das Alles macht uns nicht gescheidter und besserl34, fragt Johann Friedrich Böhmer in einem Brief an Passavant 1828 mit Berechtigung. Denn in der Folge der Transparente, die sich möglichst genau an die Quellen zu halten ver­ suchten, widerspricht diese Gestaltung den Prinzipien der Cornelius-Schüler. Aus diesem Grund sind diese Portraits vermutlich auch erst nach der Dis­ kussion um das allegorische Mittelbild in die Abschlussszene „Dürer auf der Totenbahre“ eingefügt worden.135 Albrecht Dürer - ein neuer Christus? Die Übernahme von Bildtypen, die ursprünglich aus der christlichen Ikono­ graphie stammen, galten für Mende als Indiz für eine Theorie einer Sakralisierung Dürers, der bei den sieben Transparenten in Analogie zu Christus gesetzt werden sollte. Dürer würde demnach bei den Feierlichkeiten in Nürnberg in einer Art Ersatzreligion quasi zum Heiligen stilisiert und verehrt werden. Das Leben Dürers war seiner Meinung nach von den Cornelius-Schülern ähnlich

02 Kunst-Blatt (wie Anm. 9) Nr. 9, S. 138. 133 Vgl. Förster (wie Anm. 5), S. 68; vgl. auch: Cornill (wie Anm. 58), S. 16; Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 187. 134 Zit. nach Johannes Janssen: (Hrsg.): Johann Friedrich Böhmers Briefe, Band I (1815-1849), Freiburg/Br. 1868, S. 175. 135 Vgl. Förster (wie Anm. 5), S. 66; vgl. auch Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 188; Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), S. 32, Schauz (wie Anm. 50), S. 40.

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den Heiligenlegenden illustriert worden und Dürer somit ein „göttlicher Rang“ zugewiesen worden.136 Nach Mende finden sich durch die Präsentation der Transparente, der Dekoration des Saales und der Gestaltung der Feier verschiedene Elemente, die aus der christlichen Tradition übernommen wurden. Er führt beispielsweise die Aufstellung der Transparente im Osten des Saales, ähnlich einem gotischen Kirchenchor, an. Des weiteren macht er auf die gotischen Rahmungen mit Rosetten oder auch auf die Predella des Mittelbildes, das ähnlich einem Altar aufgebaut ist, aufmerksam. Daneben unterstützten auch der Ablauf der Feier­ lichkeiten und der Inhalt verschiedener verlesener Festgedichte seine These Mende weist hier auf das Festlied137 „Wie schön leucht’t [sic!] uns der Morgen­ stern“ von E. Förster hin, das zur Morgenandacht am Johannisfriedhof verle­ sen wurde. Auch die Inschrift der Illumination am Tiergärtnertor „O gib uns, Vater Dürer, Deinen Segen, Dass treu wie Du, die deutsche Kunst wir pflegen; Sei unser Stern bis an das Grab“138, wird in diesem Zusammenhang aufgeführt. Schließlich gelangt er zur Feststellung, dass bei der Dürerfeier 1828 die Grenze zwischen Gottesdienst und profaner Gedächtnisfeier in auffälliger Weise'19 ver­ schwommen war. Die sieben Transparente werden von Mende mit Dürer als „neuem“ Christus interpretiert: In der ersten Szene des Zyklus „Dürer kommt in die Lehre zu Wolgemut“ (Abb. 1) von Fellner, knüpft er Verbindungen zum Leben Christi. Als Anhaltspunkt dient ihm dabei das Bild im Hintergrund, das von einem Gesellen Wolgemuts gemalt wird. Es zeigt die Geißelung Christi. Dies sei nicht zufällig ausgewählt worden, sondern aufgrund der Tagebuchnotiz Dürers, in der er berichtet, dass er unter den Gesellen manches ertragen musste. Wie also Christus in der Passion an der Geißelsäule litt, musste auch Dürer in seiner Lehrzeit leiden. Bei der zweiten Szene, der Hochzeit Dürers mit Agnes Frey (Abb. 2), weist der Kunsthistoriker auf das kompositorische Vorbild der Sposalizio hin. Durch die Verwendung dieses formalen Schemas, das ursprünglich aus der Ikonographie des Marienlebens stammt, würde die Kompositions-Form säkularisiert werden. Mende folgt hier der Auffassung Lankheits, der etwa die Nibelungenillustration „Die Vermählung Kriemhilds“140 von Schnorr von Carolsfeld auf die Marienikonographie und damit 136 Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 190. 137 E. Förster: Großer Meister, bist erstanden/Grabesbanden/Fesseln Keinen!/Gott mag uns auch Dir vereinen!., zit. nach Blumenthal (wie Anm. 12), S. 204. 138 Zit. nach Berliner Kunst-Blatt (wie Anm. 14), S. 73. 139 Zit. nach Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 190. 140 Julius Schnorr von Carolsfeld: „Vermählung Kriemhilds“, Zeichnung, München, Staatliche Graphische Sammlung. Vgl. Klaus Lankheit: Nibelungen-Illustration der Romantik. Zur Säku-

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ebenfalls auf das Schema einer Sposalizio zurückführt.'41 Ähnlich einer Wun­ derdarstellung Christi interpretiert er die folgende Szene, das Gastmahl in Ant­ werpen (Abb. 3). Dies hat seiner Meinung nach seinen Ursprung bei dem Bild­ typus der „Hochzeit zu Kana“, bei der Christus Wasser zu Wein verwandelt hatte. Auch Fellners „Dürer im Sturm auf der Schelde“ (Abb. 4) soll Parallelen zur christlichen Metaphorik aufweisen. Wie etwa Christus den Sturm auf dem See Genezareth beruhigt, bringt Dürer das Schiff wieder sicher in den Hafen wobei Mende hier die Stirnlocke des Petrus erwähnt, die eindeutig auf Fellners Transparent Georg Kötzler tragen soll.142 Schließlich wird der tote Dürer, laut Mende, wie der Leichnam Christi aufgebahrt (Abb. 6). Die stark verkürzte Darstellung des Christo in Scurto wird bewusst in einer Christus-Analogie auf den Künstler Dürer angewandt. Auch die drei Frauen, die Dürer auf der linken Seite die letzte Ehre erweisen, finden sich als die „Drei Marien am Grabe Christi“ wieder. Die Szene, die den Tod seiner Mutter behandelt, kann nicht in diesem Zusammenhang interpretiert werden, da hier nicht Dürer selbst der Hauptprotagonist ist, sondern seine Mutter.143 Gegenüber der Interpretation von Mende zeigen Büttner und Kosefeld144 neue Ansätze profanen Charakters, die durch die von der Autorin angeführten Feststellungen z.B. des politischen Charakters der Dürerfeier sowie anderer möglichen ikonographischen Vorbilder unterstützt werden. Verschiedene Ele­ mente der Dürerfeier sind in der Tat offensichtlich aus der christlichen Tradi­ tion übernommen worden oder erinnern an diese, so etwa die Aufstellung der Transparente als Äquivalent eines Kirchenchores. Aber in diesem Zusammen­ hang ist es vielmehr wichtig, den Stellenwert dieser Motive und der Traditionen im Zcitkontext zu hinterfragen. Demzufolge müssen auch ikonographische Deutungen dem Vorstellungshorizont des 19. Jahrhunderts gemäß interpretiert werden.'45

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larisation christlicher Bildformen im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Kunstwissenschaft 7 (1953), S. 95 ff, S. 104f. Lankheit (wie Anm. 140), S. 104. Kötzler ist laut den Tagebuchaufzeichnungen Dürers namentlich als Teilnehmer der Schiffsreise erwähnt, vgl. Campe (wie Anm. 25), S. 109, Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 190-191. Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 190-191; Liebenwein-Krämer (wie Anm. 110), S. 269ff. Dieser Interpretation schließen sich Hinz, Hutchison, Pirsich, Goddard, Liebenwein-Krämer, Kuhlmann-Hodick und Kuhlemann an. Kosfeld hebt besonders den bürgerlichen Aspekt der Inhalte der Transparente hervor. So zeigen vier Transparente bürgerliche Lebensstationen. Laut Kosfeld erbrachten die Transparente den historisch korrekten Beweis, dass Dürer ein bürgerliches Leben geführt hatte. Dies entsprach einem Dürerbild, das durch ein interessiertes Kunstpublikum in die Sphäre bürgerlicher Lebensformen und Lebensstationen wie Tod der Eltern, Heirat etc. verlegt wurde. Anne G. Kosfeld: Bürgertum und Dürerkult. Die bürgerliche Gesellschaft im Spiegel ihrer Feiern, in: Renaissance, hrsg. von G.U. Großmann u.a., München/Berlin 1992, S. 10. Büttner (wie Anm. 13), S. 46.

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So endete beispielsweise der Topos des „Christus in Scurto“, der bei der Darstellung des toten Dürer von Herrmann verwendet wurde (Abb. 6), bereits im Barock und wurde laut Büttner erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Es gebe außerdem keine Indizien, dass den Schülern von Cornelius bzw. den Nazarenern dieses Darstellungsschema als eine für den toten Christus mög­ liche Kompositionsform bekannt gewesen war. Bei der Überlegung, warum Hermann Dürer auf diese Art zeigte, weist Büttner auf die logische Deutung einer gebräuchlichen Totenaufbahrung146 hin. Diesen Aspekt unterstützen auch die Dekorationselemente wie z.B. Leuchter, Blumen, Kränze, Palmwedel sowie die Figurenanordnung. Das Bild ist eine Form der würdevollen Toten­ ehrung, die aber nicht als Sakralisierung bezeichnet werden kann.147 Ähnlich verhält es sich mit der Vermählungsdarstellung von Kaulbach (Abb. 2). Auch hier wird in erster Linie eine normale Trauung wiedergegeben. Die Personen sind in der Form des üblichen Ritus angeordnet. Der Priester verbindet, dem liturgischen Akt entsprechend, die Hände der Ehepartner mit dem Manipel und liest dabei die liturgischen Texte aus dem Buch, das er in der anderen Hand hält, ab. Die Eheschließung an sich stellt ohne Zweifel eine Sakramentshand­ lung dar - allerdings dürfe man nicht jedes Brautpaar mit Maria und Joseph identifizieren.148 Bei der konsequenten Verfolgung dieser profanen Ansätze von Büttner lassen sich auch bei den anderen Transparenten Beweise für diese neue Deutung finden. Bei Stilkes Bild des Banketts Dürers in Antwerpen (Abb. 3) fehlen beispielsweise eine Vielzahl von Schlüsselelementen, so dass Mendes These der Rezeption der Wunderdarstellung Christi auf der Hochzeit zu Kana widerlegt wird. Man vermisst die Hochzeitsgesellschaft mit dem Brautpaar, die am Boden aufgestellten großen Krüge, als Hinweis auf die bevorstehende Verwandlung des Wassers zu Wein, die Weinprobe und vor allem den Segensgestus Christi.149 Es finden sich auch keine kompositionellen Vorbilder in der Hochzeit-zu-Kana-Ikonographie.150 Vielmehr ist als Anre­ gung für die Komposition Dürers „Fußwaschung“151 aus der kleinen Holz­ schnittpassion anzuführen, bei der sich Übereinstimmungen der Figuren­ anordnung finden. Es sitzt hier ebenfalls am rechten Bildrand die das Bild 1,6 So entspricht auch die Aufbahrung Mariens bei Bellinis „Tod Mariae“, der Aufbahrung bei der kirchlichen Feier des Totenoffiziums. Vgl. Rathe (wie Anm. 80), S. 12. 147 Büttner (wie Anm. 12), S. 47. 148 Ebd. 149 Ebd. 150 Vgl. Hieronymus Bosch: „Hochzeit zu Kana“ (93 x 72 cm) Rotterdam, Museum Boymans-vanBeuningen; vgl. auch Paolo Veronese: „Hochzeit zu Kana“, 1562-63, (66,9 x 99,0 cm), Paris, Louvre. 151 Albrecht Dürer: „Die Fußwaschung“, („Die kleine Holzschnittpassion“), um 1509 (12,7 cm x 0,97 cm) Holzschnitt.

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dominierende Person, bei „Dürers Fußwaschung“ der Jünger Petrus, die leicht nach vorne zum Betrachter hin gedreht ist. In der linken Hälfte des Vorder­ grundes kniet ein Mann, der dieser zugewandt ist, wie bei Stilkes Komposition der Knecht, als Pendant zu Christus bei der Fußwaschung. Hinter diesem steht eine weitere Person, die Vertikale des linken Bildrandes aufgreifend, wie bei Stilke Antorff Ratsbot, der laut der Tagebucheintragung Dürer den Wein, den zwei seiner Knechte brachten, schenkte.152 Auch die Geste von Dürer wird bereits durch den Bericht des zeitgenössischen Beobachters im Kunst-Blatt als Dankesgeste gedeutet, so dass man davon ausgehen kann, dass sich auch dem zeitgenössischen Betrachter ein Bezug zur Hochzeit zu Kana nicht offen­ barte.153 Auch wenn die Fußwaschung als mögliches Vorbild aus der Passion Christi stammt, kann nicht konstatiert werden, dass Dürer in Analogie zu Christus gesetzt werden sollte. Noch deutlicher lässt sich dieser Gedanken­ gang bei der Komposition Fellners „Dürer im Sturm auf der Schelde“ (Abb. 4) nachvollziehen. Bei diesem finden sich deutliche Parallelen zur ikonographischen Darstellung Dantes.154 Der Vergleich mit der „Dante-Barke“155 von Delacroix weist Übereinstimmungen vor allem der Hauptprotagonisten auf. Dürer steht - ähnlich wie Dante - aufrecht in dem Boot. Vor allem die ab­ wehrende Geste der Hand, bei Dante die rechte, bei Dürer die linke Hand, und der fast um neunzig Grad abgewinkelte Unterarm sind ähnlich. Auch Dantes Berührung mit der Hand Vergils findet ihre Entsprechung in Dürers Auffor­ derung des Steuermannes. Auch bei anderen Dante-Darstellungen der Fahrt über den Styx finden sich die genannten Merkmale.151’ Vergleiche mit der christ­ lichen Ikonographie des Themas „Christus auf dem See Genezareth“ geben keine Anhaltspunkte. Denn Christus ist in der Regel schlafend und in einer Ecke des Schiffes liegend mit einem Heiligenschein dargestellt.157 Es gibt auch 152 Vgl. Campe (wie Anm. 25), S. 80. 153 Er ist eben im Begriffe sich vom Sessel zu erheben. Seine Hand ist schon zum Dank geneigt, und sein Gesicht spricht ein demüthiges Erstaunen aus über alle die Herrlichkeit, so ihm geboten wird. Zit. nach Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nr. 9, S. 137. 154 Cornelius war die Dante-Ikonographie durch seine Entwürfe für den Dante-Saal im Casino Massimo (1817) vertraut; Büttner (wie Anm. 12), S. 97; Frank Büttner: Die Kunst, die Künstler und die Mäzene. Die Dekorationen zum römischen Künstlerfest von 1818, in: Romantik und Gegenwart, Festschrift für Jens Christian Jensen, hrsg. v. U. Bischoff, Köln 1988, S. 26. 155 Eugene Delacroix: „Die Dante Barke“, 1822, (189 x 246 cm), Öl auf Leinwand, Louvre, Paris. 156 Vgl. auch Bartolomeo Pinelli: „Barque de Dante“, 1808, braune Tinte (430 x 580 cm) Kopen­ hagen, Thorvaldsen Museum, oder Gustave Dore: „Der Styx“ (Illustrationen zu Dantes Gött­ licher Komödie). 157 Und er war hinten auf dem Schiff und schlief auf einem Kissen. Markus 4, 38; Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer, so dass auch das Schiff mit Wellen bedeckt ward. Und er schlief. Matthäus 8, 24. Bildliche Darstellungen vgl. u.a. Harmensz van Rijn Rembrandt: „Christus auf dem See Genezaret“, 1633 (159,5 cm x 127,5 cm) Öl auf Leinwand, Isabelle Stewart Gardner Museum, Boston.

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Varianten, bei denen Christus mit Gelassenheit über die Naturgewalten befielt. Dies ist bei Fellner ebenfalls nicht zu finden. Diese fehlenden wichtigen ikonographischen Motive sind es, die einen Vergleich mit der Darstellung „Dürers im Sturm auf der Schelde“, mit „Christus auf dem See Genezareth“, völlig ausschließen. In den Szene des Werkstatt-Eintrittes bei Wolgemut sowie im Mittelbild von Eberle (Abb. 1 und 7) sieht Büttner lediglich Anspielungen auf z.B. das Leiden Dürers oder die Tradition der Sacra Conversazione, bei der nun Eieilige durch Künstler und deren Mäzene abgelöst werden. Büttner weist bei seiner Inter­ pretation der Transparente auf die wichtige Aussage von Cornelius hin, der bei dem Zyklus den hohem poetischen Schwung158 vermisste. Daraus könnte man schließen, dass der Lehrer die traditionellen Motive und deren Anspielungen nicht besonders schätzte. Des Weiteren finden sich bei den Nazarenern, deren Gedankengut Cornelius anhing, nur in Ausnahmen Darstellungen von Heili­ gen bzw. Gottesdarstellungen. Demnach lehnt Büttner einen „göttlichen Rang“ Dürers strikt ab, da dies der Auffassung von Cornelius widerstrebt hätte. Dürer und Raffael blieben Mittler, wie in Eberles Szene am Thron der Kunst dargestellt, die durch ihre außergewöhnlichen Leistungen versuchten, das Göttliche durch ihre Kunst zu zeigen.159 Die Deutung, Dürer in Analogie zu Christus zu setzten, erscheint vor allem in der unbewussten Assoziation des Rezipienten mit der Erscheinung Dürers mit Christus begründet. Dies räumt auch Mende ein. Etwa, dass der durch das Selbstbildnis Albrecht Dürers von 1500 geprägte Betrachter automatisch Be­ ziehungen zu Christus hergestellt hat. Denn dieses geht durch die Frontalität seiner Pose auf die Vera Icon Darstellungen zurück. Das durch die Assimila­ tion der eigenen Gesichtszüge durch mittelalterliche Triangulations- und Pro­ portionssysteme nach dem Bilde Christi konstruierte Gemälde entspricht unserer Vorstellung von Christus, dem auch, vermutlich bewusst, der roman­ tische Heideloff-Typus der Dürerikonographie folgt. Das Gesicht mit dem Vollbart und dem mittelgeschcitelten Haar sowie die langen Locken lassen den Betrachter unbewusst Parallelen zu Christus ziehen.160 Doch Büttner hat überzeugend gezeigt, dass man nicht zu schnell ikonographische Parallelen mit einer sakralisierenden Interpretation gleichsetzten darf. Da die Transparente zweckgebunden für die Dürerfeier in Nürnberg als ephemere Dekoration geschaffen wurden, ist es wichtig, sie im Gesamtzusam­ menhang der Feier zu analysieren. Die einzelnen Elemente der Feier selbst weisen so gut wie keine sakralen Motive auf. Sowohl die Idee des Stammbuches 158 Zit. nach Förster (wie Anm. 5), S. 67. 159 Büttner (wie Anm. 12), S. 46ff. 160 Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 191; Liebenwein-Krämer (wie Anm. 110), S. 308.

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durch Reindel als auch des Dürerdenkmales durch den König verfolgten in erster Linie das Ziel einer Verehrung des anerkannten Künstlers. Das Festpro­ gramm ist eher durch nationale Elemente wie z.B. den Festzug oder den Fackelzug geprägt. So finden sich auch bei den Gegenständen, die dem Grund­ stein beigelegt wurden, und den sonstigen Aufführungen wie der Sinfonie Ludwig van Beethovens oder dem Theaterstück „Albrecht Dürer“ keinerlei weitere Beweise, die Mendes Theorie bestätigen würden. Ob die morgendliche Versammlung an Dürers Grab am Johannisfriedhof am Ostersonntag, die vermutlich kurzfristig unter den Künstlern organisiert wurde, in Beziehung zur Auferstehung Christi gesetzt werden kann, bleibt ebenso zu bezweifeln.161 Auch ist es denkbar, dass der Termin der Feier, der auf den Ostersonntag fiel, nicht absichtlich auf diesen Tag gelegt wurde, sondern mit der Feier in Berlin abgesprochen wurde. Die Aufführung des von Mende angeführten Oratoriums „Christus der Meister“ stellt eine klare, wie Büttner schreibt „Anspielung“ dar. Vielleicht wurde dieses Stück aber auch aufgrund des Ostersonntages ausgewählt. Auch die Inschrift auf der Illumination am Tiergärtnertor, bei der um den Segen Dürers gebeten wird, zeigt deutliche religiöse Bezüge. Auffällig ist die Namensgebung des von Campe herausgegebenen Buches der „Reliquien von Albrecht Dürer“, da dieser Titel eindeutig auf Reliquien von Fleiligen und deren Verehrung hinweist. Fakt ist, dass die Transparente ähnlich wie gotische Altar­ bilder gerahmt und präsentiert wurden. Allerdings entspricht dies auch der damaligen Mode, der Gotikbegeisterung der Zeit. Darüber hinaus liegt die Betonung der Szenenauswahl der Transparente auf den bürgerlichen Lebens­ stationen Dürers, wie Kosfeld feststellte. Sein Lebenslauf wurde als vorbildlich und fromm dargestellt, dem es nachzueifern galt - so dass Dürer als Vorbild für die neue Künstlergeneration gesehen werden kann und nicht als Heiliger einer neuen Surrogatreligion.162 Die Künstlergeneration, die sich erst eine neue Stel­ lung in der Gesellschaft sichern musste und in Nürnberg auch überregional vertreten war, sehnte sich nach einem anerkannten, durch den König unter­ stützten, sorgenfreien Leben, wie sie es sich bezüglich Dürers Leben erträumt hatten. Dies spiegelt sich auch in der Sehnsucht nach einem einheitlich deut­ schen Künstlerverein wieder, dessen Gründung in Nürnberg scheiterte. Bei den überlieferten schriftlichen Quellen von Teilnehmern der Feier lassen sich keine sakralisierenden Elemente finden, so sieht z.B. der Berichterstatter aus dem Kunst-Blatt Dürers perspektivisch verkürzte Darstellung und dessen

161 Mende, Vater Dürer (wie Anm. 13), S. 30. 162 Mende, Transparente (wie Anm. 3), S. 190.

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Frontalität als bei Toten häufig vorkommend an.163 Wenn eine Christusähnlich­ keit offensichtlich gewollt gewesen wäre, hätte der Augenzeuge sich in seinem Bericht vermutlich dazu geäußert.164 Vielmehr wird z.B. bei Erzählungen über die Feier von Teilnehmern der Gedanke der Einheit und der Freundschaft der Künstler betont.165 Zusammenfassend erkennt man, dass es sich bei den erwähnten beiden Gruppen von möglichen kompositorischen Vorbildern gerade um die in Wackenroders „Herzensergießungen“ als Ideale „schlichter Kunstfrömmig­ keit“ bezeichneten handelt. Denn diese sah der Klosterbruder in der italieni­ schen Malerei der Renaissance und in der deutschen Kunst des 15. und 16. Jahr­ hunderts verwirklicht.166 Die Mittelalter-Illusion wurde durch die Präsentation der Transparente vervollständigt, etwa durch die gotischen Rahmen, wobei das Gotische als Inbegriff des deutschen Mittelalters galt. Auch der Nürnberger Rathaussaal schien der geeignetste Ort zu sein, da er mit dem „Triumphzug Kaiser Maximilians“ ein wirkliches Werk aus der Dürerzeit besaß und so zum Gesamteindruck beisteuerte. Epilog Abschließend stellt sich die Frage, warum das Nürnberger Dürerfest einen so großen überregionalen Zulauf und Erfolg hatte. Warum fühlten sich so viele, vor allem junge Künstler mit dieser Stadt und deren berühmtem Künstler ver­ bunden? In erster Linie ist dies Wackenroder zu verdanken, der mit den „Her­ zensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ ein romantisch-ver­ klärtes Idealbild Nürnbergs schuf. Beeindruckt von dem Erscheinungsbild der Dürerstadt, die er durch einen Besuch kennenlernte167, und die um 1800 die spätmittelalterliche Architektur konserviert zu haben schien, schreibt er die Lobhymnen auf die ehemalige freie Reichsstadt nieder - Gesegnet sei mir deine goldene Zeit, Nürnberg! Nürnberg war zur Zeit von Wackenroders Besuch nicht über den Stadtmauerring hinausgewachsen und bot der expandierenden 143 Der Körper liegt in der Verkürzung gerade vor uns, der Kopf ganz en face ist, wie häufig bey Todten, etwas vorgeneigt, wodurch er fast senkrecht zu stehen kommt. Zit. nach Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nr. 9, S. 138. 164 Vgl. Kunst-Blatt (wie Anm. 9), Nr. 35, S. 137. 165 Vgl. Förster (wie Anm. 5), S. 70. 166 Vgl. Tieck/Wackenroder (wie Anm. 122), S. 58, S. 80, S. 90ff.; Eich (wie Anm. 127), S. 27f.; Sabine Fastert: Die Entdeckung des Mittelalters. Geschichtsrezeption in der nazarenischen Malerei des 19. Jahrhunderts, München/Berlin 2000, S. 33. Eine Ausnahme bildet allein die mögliche Parallele zur Dante-Ikonographie bei dem Transparent „Dürer im Sturm auf der Schelde“. 167 Wackenroder besuchte am 22. Juli 1793 Nürnberg. Vgl. Benz (wie Anm. 121), S. 128. 168 Zit. nach Tieck/Wackenroder (wie Anm. 122), S. 60.

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modernen Metropole Berlin, aus der Wackenroder stammte, einen extremen Gegensatz, sowohl im pittoresken altertümlichen Erscheinungsbild als auch in den ökonomischen und politischen Strukturen.169 Mit Albrecht Dürer entwarf der Schriftsteller den frommen, tugendhaften und angesehenen Handwerker, der eingebunden in die mittelalterliche Gesellschaft seine Kunstwerke ohne Angst um die eigene Existenz schaffen konnte. Nürnberg bot dazu die pas­ sende Kulisse eines wunderbaren Mittelalters, in der der Künstler durch seine Religiosität, seine Moralität, seine Arbeitsweise und Weltauffassung integriert war. Wie oft hab ich mich in jene Zeit zurückgewünscht!'70 So erscheint Wackenroders Vision als ein Vergleich der guten intakten vergangenen Epoche, die im Gegensatz zur jetzigen für die Künstlerexistenz haltlosen Zeit steht. Infolge dieser Mittelalterrenaissance erwachten auch alte Handwerkszweige wie etwa die Glasmalerei, die ihren Ursprung im Mittelalter hatte und deren Technik nahezu völlig vergessen war, zu neuer Blüte.171 Doch dies war faktisch ein Scheinmittelalter, eine Utopie, die mit der wirklichen Zeit Dürers sowie dem heutigen Geschichtsverständnis des Mittelalters wenig gemein hatte. Denn historisch korrekt ist Nürnberg eine Stadt der frühen Neuzeit, die wesentlich von der Reformation geprägt wurde und in diesem Zeitraum wirt­ schaftlichen und kulturellen Aufschwung erfuhr. Auch Dürer selbst ist kein Mensch des Mittelalters, sondern gehörte z.B. mit Willibald Pirckheimer einer neuen Generation von Humanisten an, die den alten Glaubenssätzen der Kirche kritisch gegenüberstanden. Er ist auch nicht den werkstattgebundenen Handwerkskünstlern zuzuschreiben, die durch eine zünftische Gewerbeord­ nung geschützt waren, noch arbeitete er in unmittelbarer höfischer oder kirchlicher Abhängigkeit. Denn er genoss das Privileg einer kaiserlichen Rente, die ihm ohne Bindung an vorgeschriebene Aufträge gezahlt wurde. Er hatte einen unabhängigen Status außerhalb der gesellschaftlichen Normen, dieses Selbstbewusstsein wurde auch in seinem Werk und durch sein Auftreten sichtbar.172 Die schwärmerische, von Wackenroder inspirierte Dürerbegeisterung endete mit der Nürnberger Dürerfeier 1828. Sie wurde abgelöst von einer rationa­ leren Sicht auf den Künstler, die sich vor allem an dem schriftlichen Nachlass Dürers orientierte. 1827 erschien der erste Band der unvollendet gebliebenen 169 Bernhard Schubert: Der Künstler als Handwerker. Zur Literaturgeschichte einer romantischen Utopie, Königstein im Taunus 1986, S. 36; Gerd-Helge Vogel: Wirklichkeit und Wunschbild. Nürnberg, Albrecht Dürer und die Alten Meister in den künstlerischen Konzeptionen der Frühromantik, in: AGNM, Nürnberg 1998, S. 13. 170 Zit. nach Tieck/Wackenroder (wie Anm. 122), S. 51. 171 Schubert (wie Anm. 169), S. 54f; Vogel (wie Anm. 169), S. 13-18. 172 Heinz Lippuner: Wackenroder/Tieck und die bildende Kunst. Grundlegung der romantischen Ästhetik, Zürich 1965, S. 108; Fasten (wie Anm. 166), S. 33.

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Dürer-Monographie von Heller, und ein Jahr später erschienen Campes „Reli­ quien“, die auf der Dürerfeier verteilt wurden. In den Transparenten ist diese neue Sicht auf das Leben Dürers zu erkennen. Die Cornelius-Schüler orien­ tierten sich an den Tatsachen, die sie in den „Reliquien“ gelesen hatten, ohne fantastisches Beiwerk einer Traumvision oder ähnliches. Ihr Ziel war nicht, Religion und Kunst zu vereinigen, sondern Dürers Lebensstationen aufzu­ zeigen. Ihr Mentor Cornelius war der ideellen, gefühlsbetonten romantischen Auffassung Dürers, durch seine Mitwirkung an dem allegorischen Mittelbild deutlich geworden, noch mehr verschrieben.173 Diese neuen interpretatorischen Ansätze ebneten den Weg für eine Gegenposition zum romantischen Dürerkult, der in den folgenden Jahren eine wissenschaftliche Dürer-For­ schung evozierte.174

173 Lippuner (wie Anm. 172), S. 46; Mende, Dürerdenkmal (wie Anm. 13), S. 164. 174 Görner (wie Anm. 24), S. 210; Mende, Dürerhaus Ansichten (wie Anm. 27), S. 13.

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FRANZ HOFMANN (1920-1945) EIN UNBEKANNTER FRÄNKISCHER KOMPONIST Von Hans Huchzermeyer

Februar 1945, im Inferno der Eroberung und Zerstörung von Königsberg und Pillau, verliert sich die Spur des erst 24-jährigen Nürnberger Komponisten Franz Hofmann, dessen letztes Lebenszeichen ein Brief an seine Frau ist, verfasst am 11. Februar 1945 in einem Lazarett in Pillau:1 Die wahre Größe des Menschen liegt in seinen Kunstschöpfungen, durch die er die Welt, die er erleiden muss, durch eine Welt ersetzt, die er mit seinem schöpferischen Geist beherrscht. Dieser Satz des Kunstphilosophen Andre Malraux scheint in besonderer Weise zur Charakterisierung von Leben und Werk Franz Hofmanns geeignet zu sein. Bereits früh entwickelte sich bei ihm ein Spannungsverhältnis zum totalitären Staat, der den einzelnen nur noch als Mittel zum Erreichen seiner Ziele betrachtete. Den vielfältigen Tendenzen einer Entpersönlichung setzte Franz Hofmann die Musik entgegen, die seit seiner Kindheit wesentlich zur harmonischen Entfaltung seiner Persönlichkeit beigetragen hatte. Sie bedeutete ihm Trost und Zuflucht. Und selbst in extre­ men Situationen wie Kampfhandlungen oder als Homo patiens im Lazarett war es die Macht der Musik, die verhinderte, dass Selbstaufgabe oder Lähmung Platz griffen. Der drohenden Deformation seiner Individualität und der Ver­ kümmerung seiner schöpferischen Phantasie im Verlauf des Krieges begegnete Franz Hofmann mit zunehmenden Kompositionsaktivitäten, so als ob er die Vernichtung seiner physischen Existenz vorausahnte. Als Musicus poeticus (im Sinne der barocken Musica poetica der Schütz-Zeit2) strebte er im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten an, in schöpferischer Freiheit und Verantwortung vollendete und vollständige Kompositionen zu hinterlassen. Und jetzt, mehr als 60 Jahre nach dem Tod von Franz Hofmann, ist es Zeit, dieses - über­ wiegend kammermusikalische - Werk eines fränkischen Komponisten der unverdienten Vergessenheit zu entreißen.3 1 2 3

Privatnachlass Franz Hofmann im Besitz von Frau Sophie Hagemann-Hofmann. Hans H. Eggebrecht: Heinrich Schütz. Musicus poeticus, Göttingen 1955, S. 33. Für die freundliche Überlassung bzw. Einsichtnahme in zahlreiche Materialien (kompositori­ scher Nachlass, Briefe, Fotografien etc.) sowie für die wertvollen Informationen über Franz Hofmann ist der Autor der Witwe, Frau Sophie Hagemann-Hofmann (Nürnberg), zu tiefem Dank verpflichtet. Ebenso möchte er der Schwester von Franz Hofmann, Frau Ilse Bertisch (Nürnberg), für weitere Auskünfte und Unterlagen sehr herzlich danken. Der Musiknachlass Franz Hofmann befindet sich jetzt in der Hochschule für Musik Nürnberg.

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Franz Joseph Dominik Hofmann wurde geboren am 13. Dezember 1920 in Forchheim/ Oberfranken als Sohn des in Nürnberg tätigen Studienprofessors Joseph Flofmann (geb. am 26. Januar 1892 in Rothhausen/Unterfranken, gest. am 24. September 1947 in Nürnberg) und seiner Ehefrau, der Volksschulleh­ rerin Maria Rosina, geborene Wittig (geb. am 20. Mai 1890 in Aschaffenburg, gest. am 19. Mai 1957 in Nürnberg). Zur Familie gehörte weiterhin die jüngere Schwester Ilse, die 1924 in Forchheim geboren wurde, später Medizin studierte und mit einem Arzt verheiratet war.

Abb. 1:

Die Eltern Joseph und Maria Hofmann mit ihren Kindern Franz und Ilse

Die Großeltern väterlicherseits waren der Hauptlehrer Joseph Hofmann (1863 - um 1940) und seine Ehefrau Anna Maria Josepha, geb. Hattemer (1868 - um 1945), die beide ebenfalls aus Lehrerfamilien stammten. Die Großeltern müt­ terlicherseits waren der später in Forchheim tätige Oberstudiendirektor Franz Joseph Wittig (1862 - nach 1945) und seine Ehefrau Maria Barbara Anna, geb. Schäfer (1864 - nach 1940). Hier waren die Urgroßeltern Handwerker (Mau­ rer- bzw. Malermeister). Das Geburtshaus von Franz Hofmann war das an der Luitpoldstraße gelegene Progymnasium in Forchheim. Hier befand sich die Dienstwohnung seines Großvaters mütterlicherseits, des Gymnasialdirektors Wittig.

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MVGN 95 (2008) Franz Hofmann (1920-1945) - Ein unbekannter fränkischer Komponist

Die prägenden Kräfte für den Lebensweg von Franz Hofmann liegen auf der Hand. Die Eltern wie die beiden Großväter waren sämtlich Pädagogen, die dem Kind wie dem Jugendlichen eine sorgfältige und vielfältige Ausbildung in vielen Bereichen angedeihen ließen. In besonderem Maße stand er unter der liebevollen Obhut seines Großvaters Wittig, der nach seiner Pensionierung nach Nürnberg verzog und die Erziehung stark beeinflusste. Nach dem sonn­ täglichen Kirchgang pflegte er, der Altphilologe, den Enkel in den Sprachen Latein und Griechisch zu examinieren. So durfte abwechselnd nur in einer der beiden Sprachen gesprochen werden. Ebenso ergaben sich aber auch für Franz Hofmann von Kindesbeinen an vielgestaltige Begegnungen mit der Musik. Die Mutter war nicht nur als Lehre­ rin, sondern auch als Organistin tätig. Nebenher leitete sie einen Kirchenchor. Großvater Wittig besaß eine geschulte Stimme und soll in der Lage gewesen sein, sämtliche Baritonpartien aus Oper und Konzert, notfalls auch vom Blatt, zu singen. Großvater Hofmann, als Lehrer auf dem Lande tätig, spielte, ob­ wohl er keine Note gekannt haben soll, im sonntäglichen Gottesdienst die Orgel und vermochte alles, was er hörte, sofort auf dem Klavier zu spielen. Eine besonders prägende Rolle auf die musikalische Ausbildung des Kindes ging jedoch von der einzigen Schwester der Mutter, Grete Wittig (1896-1978), einer Musiklehrerin, aus. Tante Grete, wie sie genannt wurde, blieb unverhei­ ratet und wohnte ebenfalls im Hause der Großeltern Wittig. Sie hatte ihre pianistische Ausbildung am Nürnberger Konservatorium bei Karl Rast erfahren. Nebenher verfasste sie Gedichte, von denen später Franz Hofmann zwölf Texte vertonte. Sie erkannte das musikalische Talent des Jungen und erteilte ihm in den nächsten Jahren systematisch Klavierunterricht. Offensichtlich ver­ stand sie es, den Jungen so zu fesseln, dass er voll Begeisterung ganz in der Musik aufging. Besonders beliebt war das stundenlange Vierhändigspielen. Grete Wittig wurde so während der ganzen Schulzeit Franz Hofmanns engste Vertraute, die ihn in jeder Beziehung förderte. Sie sorgte auch dafür, dass die frühen musikalischen Neigungen von weiteren qualifizierten Lehrern recht­ zeitig gefördert wurden. So veranlasste sie, dass der Junge von ihrem ehemali­ gen Lehrer am Nürnberger Konservatorium, Karl Rast (1893-1978), am Kla­ vier unterrichtet wurde. Und ebenso gelang es ihr, dass Franz Hofmann, der bereits früh die Lust zum Komponieren zeigte - im 14. Lebensjahr fertigte er erste kleinere Kompositionen an -, als 15-jähriger als Privatschüler vom ehe­ maligen langjährigen Direktor des Nürnberger Konservatoriums Carl Rorich (1869-1941) angenommen wurde. Rorich unterrichtete ihn bis zur Einberu­ fung zum Arbeitsdienst in Theorie und Kompositionslehre; er war so begeis­ tert von seinem Schüler, dass er ihn wie einen Sohn liebte. Als Franz Hofmann ihm seine dreisätzige Klaviersonate fis-Moll (heute verschollen), die erste grö-

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ßere eigene Komposition im Stil von Brahms, vorspielte und widmete, war Rorich so gerührt und erfreut, dass er ihm spontan seinen Blüthner- Konzert­ flügel schenkte. Franz Hofmann, der ab Frühjahr 1931 das Humanistische Neue Gymna­ sium in Nürnberg besuchte, absolvierte ab dem 16. Lebensjahr gleichzeitig ein Studium am Städtischen Konservatorium der Musik in Nürnberg mit dem Hauptfach Klavier (Klasse Karl Rast) und dem Nebenfach Violine (Klasse Seby Horvath).

STÄDTISCHES KONSERVATORIUM DER MUSIK IN NÜRNBERG.

JAHRES-ZEUGINIS. Herr Franz H o f o a n n geboren am 13.Dezember 1920

Iu

_____________

Porohheia

he» da» STÄDTISCHE KONSERVATORIUM DER MUSIK in NÜRNBERG

vom

16.September 1936 ^ lum

besucht und sich bei

sehr großen

14.Juli 1938 Fähigkeiten und

im 2._ylr# sehr lobenswertem

Betragen umstehende Noten in den einzelnen Lehrgegen­ ständen erworben.

NÜRNBERG, d.n

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Di. DIREKTION d., STÄDTISCHEN KONSERVATORIUMS d.. MUSIK:

Abb. 2:

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Jahreszeugnis 1938 (Titelseite) des Städtischen Konservatoriums der Musik in Nürnberg (Direktor: Max Gebhard)

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Franz Hofmann (1920-1945) - Ein unbekannter fränkischer Komponist

Exkurs: Carl Rorich (1869-1941)4 Der in Nürnberg geborene Carl Philipp Rorich studierte Musik in Würzburg an der damaligen königlichen Musikschule, einer Anstalt mit überregionalem Ansehen. Das Kompositionsstudium erfolgte bei Max Meyer-Olbersleben (1850-1927), der seit 1876 Lehrer und Professor in Würzburg war und vor allem als Chordirigent und durch die Komposition von Liedern und Chor­ werken bekannt wurde. Ab 1892 war Rorich als Lehrer für Theorie und Musikgeschichte an der Großherzoglichen Musikschule in Weimar tätig, 1897 wurde er dort zum Musikdirektor, 1911 zum Mitglied der musikalischen Sach­ verständigenkammer ernannt. Von 1904 bis 1909 leitete er außerdem den Phil­ harmonischen Verein. 1914 kehrte Rorich in seine Heimatstadt Nürnberg als Direktor der Städtischen Musikschule zurück. Diese Schule, die Keimzelle der

Abb. 3:

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Vortragssaal des Nürnberger Konservatoriums 1934, einmontiert ein Porträt von Carl Rorich und eine Außenaufnahme des später im Krieg zerstörten Gebäudes

Alfred Einstein (Hrsg.): Das Neue Musiklexikon. Nach dem Dictionary of Modern Music and Musicians, hrsg. von Arthur Eaglefield-Hull, übersetzt und bearb. von Alfred Einstein, Berlin 1926, S. 539; Hans Joachim Moser: Musik Lexikon, 2. Auflage, Berlin 1943, S. 776; Thomas Röder, Artikel Nürnberg, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG) II, hg. von Ludwig Finscher, Sachteil Bd. 7, Kassel 1997, Sp. 499-508, hier Sp. 505.

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heutigen Musikhochschule, wurde 1883 gegründet, fußend auf einer bereits 1821 initiierten Städtischen Singschule. In den Jahren von 1914 bis 1934 baute nun Carl Rorich als amtierender Direktor diese Institution zu einer vollwer­ tigen Musikfachschule aus, die seit 1919 den Status eines Städtischen Konser­ vatoriums der Musik besaß. Anfang 1934 im Rahmen der 50-Jahr-Feier des Konservatoriums trat Carl Rorich in den Ruhestand, sein Nachfolger (bis 1945) wurde Max Gebhard. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Neuauf­ bau als „Fachakademie für Musik“ beziehungsweise „Meistersinger-Konser­ vatorium“, bis 1999 die Zusammenlegung des Nürnberger Konservatoriums mit dem Leopold-Mozart-Konservatorium in Augsburg zur Musikhochschule Nürnberg-Augsburg in gemeinsamer kommunaler Trägerschaft und schließ­ lich 2008 die Verstaatlichung dieser Flochschule und Einrichtung einer eigen­ ständigen Staatlichen Hochschule für Musik Nürnberg erfolgte. Carl Rorich, der 1941 in Nürnberg starb, hinterließ ein Werk von über 100 Kompositionen. Er schrieb Lieder, Chöre, Klavierstücke, Kammermusiken in unterschiedlicher Besetzung, ein Märchenspiel in drei Akten und eine Operette sowie Orchester­ werke (unter anderem eine Sinfonie, Suiten und Ouvertüren). Mehrere Werke gab er für den theoretischen Unterricht heraus (erschienen bei Cranz, Leipzig): Elementar-Vorstudien für das polyphone Klavierspiel op. 60, Materialien für den theoretischen Unterricht op. 62 (1908) sowie „Die Lehre von der selbstän­ digen Stimmführung“ op. 85 (1930).5 Exkurs: Karl Rast (1893-1978)6 Der aus Steingaden/Oberbayern stammende Karl Rast begann sein Musikstu­ dium in den Jahren von 1911 bis 1913 an der Musikschule in Augsburg (Kla­ vier, Orgel, Violine), um es dann von 1913 bis 1914 an der Akademie der Ton­ kunst in München fortzusetzen. Die Ausbildung wurde unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg, an dem Karl Rast als Soldat teilnahm. Nach dem Krieg schloss er seine Ausbildung als Pianist in München bis 1921 ab. Die Lehrer in München waren neben anderen der Pianist und Dirigent Berthold Kellermann (1853-1926), der Komponist und Organist Anton Beer-Walbrunn (1864-1929) sowie der Pianist und Komponist August Schmid-Lindner (1870-1959). Der in Nürnberg geborene Liszt-Schüler Kellermann begann seine musikalische Aus­ bildung an der 1865 gegründeten Musikschule Ramann in seiner Geburtsstadt, eine private Lehranstalt, die Lina Ramann bis 1890 leitete. Von 1919 bis 1920 übernahm Karl Rast ein Lehramt an der Augsburger Musikschule, von 1920 bis 1925 war er als Volksschullehrer tätig, 1925 wurde er an das Nürnberger 5 6

Erich H. Müller (Hrsg.): Deutsches Musiker- Lexikon, Dresden 1929, Sp. 1173f. Ebd., Sp. 1113f.

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Franz Hofmann (1920-1945) - Ein unbekannter fränkischer Komponist

Konservatorium berufen und war dort seit 1934 bis zu seiner Pensionierung fast 25 Jahre Leiter einer Ausbildungsklasse für Klavierspiel. Er veranstaltete eigene Klavierabende und war gefragter Begleiter bekannter Solisten. Seit sei­ nem Studium in München galt Karl Rasts besondere Liebe der Musik Max Regers - seine Lehrer Schmid-Lindner sowie Beer-Walbrunn waren eng mit Max Reger, der 1901 nach München verzog, befreundet die er auch seinen Schülern zu vermitteln suchte. Karl Rast starb 1978 in Nürnberg. Exkurs: Seby Elorvärth (1883—1954)7 Der aus Braunau am Inn stammende Violinist Seby Horvath, Sohn des Stadt­ kapellmeisters Seby Horvath in Schärding, trat bereits seit dem zehnten Lebensjahr als Solist in Konzerten auf. Er erfuhr seine Ausbildung in Passau, am Mozarteum in Salzburg bei Gustav Adolf Finke (geb. 1854, Violine) und Joseph Friedrich Hummel (1841-1919, Theorie) sowie an der Wiener Staats­ akademie bei Arnold Josef Rose (1863-1946, Violine). Nach einer Tätigkeit als erster Konzertmeister in verschiedenen österreichischen Orchestern wurde Horvath 1909 erster Konzertmeister und Solist am Philharmonischen Orches­ ter in Nürnberg und 1921 Violinlehrer am dortigen Konservatorium. Des Wei­ teren trat er als Solist und mit dem von ihm gegründeten Horvath-Streich­ quartett öffentlich auf; er war ein Befürworter der modernen Musik. Seby Horvath starb 1954 in Wasserburg/Inn. Bevor Franz Hofmann in die Violinklasse von Seby Horvath aufgenommen wurde, hatte er bereits einige Jahre Geigenunterricht von Willi Horvath8 (geb. 1917 in Nürnberg), einem älteren Schulkameraden und Sohn von Seby Hor­ vath, gleichfalls Student am Konservatorium, erhalten. Da in dem sehr gast­ freundlichen Haus von Seby Horvath viel musiziert wurde, bildete sich hier rasch ein Kreis gleichgesinnter Freunde. Neben Franz Hofmann und Willi Horvath gehörten noch die Pianistin Edith Horvath (1918-1993), der Pianist Ernst Gröschel (1918-2000) sowie die Geigerin Sophie Hagemann (geb. 1918) dazu. Alle stammten aus Nürnberg und waren neben dem Besuch des Gymna­ siums Schüler des damaligen Städtischen Konservatoriums. Ernst Gröschel, Sohn des Kapellmeisters und Komponisten Ernst Ludwig Gröschel (geb. 1896 in Nürnberg), erhielt bereits mit fünf Jahren ersten Klavierunterricht und setzte diesen 1927 mit neun Jahren ebenfalls bei Karl Rast am Konservatorium

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Ebd., Sp. 601; Manfred H. Grieb (Hrsg.): Nürnberger Künstlerlexikon. 4 Bände, München 2007, S. 704. Herrn Willi Horvath (Nürnberg) darf ich für die freundlichen Auskünfte zu seiner Person und Familie, zum Freundeskreis von Franz Hofmann sowie für weitergehende Informationen zur Militärmusik und zur Reichhochschule für Musik in Wien sehr herzlich danken.

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Abb. 4:

Scby Horvath 1946

Abb. 5:

Franz Hofmann 1939

fort. 1934 bis 1938 schlossen sich zusätzlich das Studium der Geige und des Dirigierens sowie der musiktheoretischen Fächer an. Willi Fforväths Schwester Edith erhielt Klavierunterricht ab dem elften Lebensjahr bei Georg Krug und Sophie Hagemann begann ihr Violinstudium ebenfalls mit elf Jahren bei Scby Horvath. Die beiden Freundinnen Edith Horvath und Sophie Hagemann traten bereits im Kindesalter in kleinen Konzerten als Duo auf. Franz Hofmann wurde kurze Zeit nach dem am 15. März 1939 erfolgten Abitur zum Arbeitsdienst und bei Ausbruch des Krieges im September 1939 zur Wehrmacht einberufen. Sein Freund Willi Horvath hatte nach dem Abitur 1936 zunächst ein Jahr in Nürnberg ausschließlich bei seinem Vater studiert, um dann das Violinstudium ab 1937 bei Max Strub (1900-1966), der von 1932 bis 1945 zunächst als Assistent, dann als Nachfolger von Carl Flesch an der Berliner Musikhochschule tätig war, fortzusetzen. Auch er wurde nach Ab­ schluss des Arbeitsdienstes eingezogen, und zwar als Trompeter im Berliner Wachregiment. Mit der Wiederaufrüstung Deutschlands nach 1935 erhöhte sich auch die Zahl der Militärkapellen; neben Infanterie- und Marinemusik­ korps traten ab 1937 Luftwaffenmusikkorps. Wachbataillone nahmen neben 324

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Abb. 6:

Franz Hofmann (1920-1945) - Ein unbekannter fränkischer Komponist

Franz Hofmann (Pfeil) als Hornist im Musikkorps der Luftwaffe in Wien

anderen auch repräsentative Aufgaben wahr, ebenso führten viele Militärkapel­ len Symphonie- und Kirchenkonzerte sowie Kammermusikaufführungen durch. 1940 gelang es Willi Horvath, als Trompeter in das Wachbataillon nach Wien versetzt zu werden und gleichzeitig die Funktion des Konzertmeisters des diesem Truppenteil angeschlossenen großen Symphonieorchesters (diri­ giert von bekannten Dirigenten der damaligen Zeit) zu übernehmen. Darüber hinaus war Horvath von 1940 bis zur akademischen Prüfung 1942 Schüler und anschließend bis 1944 Assistent von Wolfgang Schneiderhan (1915-2000), der ab 1937 die Stelle des Konzertmeisters der Wiener Philharmoniker innehatte und ab 1938 Professor für Violine an der Wiener Musikakademie war. Dem Einfluss Willi Horvaths war es wesentlich zu verdanken, dass sein Nürnberger Freundeskreis 1940 ebenfalls nach Wien gelangte. Dem Musikkorps der Luft­ waffe wurden Franz Hofmann zunächst als Trompeter, dann als Hornist, Ernst Gröschel als Trompeter und Richard Horvath (geb. 1920, gefallen 1945), Bru­ der von Willi Horvath und eigentlich Cellist, als Hornist zugeteilt. Neben dieser Tätigkeit als Hornist, wobei er sich bei Bedarf auch als Pianist, Geiger oder Bratscher zu betätigen hatte, war es Franz Hofmann gleichzeitig gestattet, an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst (Reichshoch­ schule für Musik Wien) im Hauptfach Dirigieren (Leopold Reichwein) und im Nebenfach Klavier (Friedrich Wührer) zu studieren. Eine jähe Unterbrechung

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erfuhr diese Ausbildungsphase durch die Versetzung von Franz Hofmann in eine Strafkompanie nach Polen Ende 1940, da er sich öffentlich sehr kritisch über die musikalischen Qualitäten des Leiters des Musikkorps geäußert hatte. Mit Hilfe von Freunden gelang es jedoch, dieses missliche Intermezzo zu beenden. Am 17. Juni 1943 legte er als Externer die Reifeprüfung im „Haupt­ fach Kapellmeisterschule“ mit vorzüglichem Erfolg ab; die „Künstlerische Reife“ wurde ihm zuerkannt. Ernst Gröschel, der das Konservatorium in Nürnberg 1938 mit der Reife­ prüfung abgeschlossen hatte, gelang in Wien ebenfalls die Aufnahme in die Reichshochschule für Musik und der Besuch der Meisterklassen von Friedrich Wührer (Klavier) und Leopold Reichwein (Dirigieren). Darüber hinaus erhielt er noch kurzzeitig Impulse vom betagten Pianisten Emil von Sauer (1862— 1942), einem Schüler von Nikolai Rubinstein und Franz Liszt. Ebenso wie Franz Hofmann schloss Ernst Gröschel das Studium mit der Reifeprüfung 1943 ab. Anschließend war er als Repetitor an der Wiener Staatsoper und dann bis Kriegsende als Solorepetitor am Deutschen Opernhaus in Prag tätig. Auch Edith Horvath setzte nach Abitur und Musikstudium in Nürnberg ab 1940 in Wien ihr Klavierstudium wie Franz Hofmann und Ernst Gröschel in der Meisterklasse von Friedrich Wührer mit erfolgreichem Examen fort. Exkurs: Friedrich Wührer (1900-1975)’ Der Pianist Friedrich Wührer, gebürtig aus Wien, studierte von 1915 bis 1920 an der Wiener Musikakademie bei Franz Schmidt (1874-1939) Klavier, bei Joseph Marx (1882-1964) Musiktheorie und Komposition und bei Ferdinand Löwe (1865-1925) Dirigieren. Bereits ab 1921 bis 1932 unterrichtete er selbst Klavier, ab 1926 als Professor, an dieser Institution. Weitere Lehrtätigkeiten folgten in Berlin, Mannheim, Kiel und von 1939 bis 1945 wieder an der Wiener Musikakademie. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er bis 1972 Dozent der Sommerakademie des Salzburger Mozarteums, von 1952 bis 1958 Professor an der Musikhochschule in Mannheim und von 1956 bis 1968 an der Akademie in München. Neben seiner pädagogischen Tätigkeit begann Wührer schon ab 1923 eine Solistenkarriere, die ihn durch fast alle Erdteile führte. Der Schwer­ punkt des Pianisten, der mit Max Reger und Hans Pfitzner befreundet war, lag auf der Musik der Wiener Klassik, der Romantik und der Spätromantik.

9 Einstein (wie Anm. 4), S. 716; Müller (wie Anm. 5), Sp. 1609; Moser (wie Anm. 4), S. 1062; Klaus Umbach: Friedrich Wührer, in: Neue Zeitschrift für Musik 118 (1957), S. 592; Wolfgang Behrens: Artikel Friedrich Wührer, in: MGG 2, hg. von Ludwig Finscher, Personenteil Bd. 17, Kassel 2007, Sp. 1187f.

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Gleichzeitig pflegte er die neue Musik eines Bartök, Strawinsky, Prokofjew und Hindemith. Bereits Mitte der zwanziger Jahre setzte er sich aber auch für die Werke der atonalen und zwölftönigen Periode des Schönberg-Kreises ein. Die eigenen Kompositionen umfassen Lieder und Klavierwerke sowie ein Streichquartett. Exkurs: Leopold Reichwein (1878-1945)10 Der Dirigent Leopold Reichwein war zunächst Kapellmeister in seiner Ge­ burtsstadt Breslau, dann in Mannheim, Karlsruhe und von 1913 bis 1921 an der Wiener Hofoper. Als Nachfolger von Franz Schalks übernahm er 1921 die Stelle des Konzertdirektors der Gesellschaft der Musikfreunde sowie die Lei­ tung des Singvereins in Wien. Von 1926 bis 1938 leitete Reichwein die Bochumer Symphoniker. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich

Abb. 7:

Sophie Hagemann und Franz Hofmann 1942

10 Einstein (wie Anm. 4), S. 521; Müller (wie Anm. 5), Sp. 1125; Moser (wie Anm. 4), S. 744; Joseph Wulf: Musik im Dritten Reich. Eine Dokumentation, Gütersloh 1963, S. 156 und S. 428430.

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am 13. März 1938 wirkte Reichwein, der sich in deutschen Zeitungsinterviews selbst als „nationalsozialistischen deutschen Künstler“ bezeichnete, wieder in Wien als Direktor an der Staatsoper und als Leiter der Kapellmeisterklasse der Akademie für Musik und Darstellende Kunst. Reichwein komponierte neben Liedern zwei Opern (1903 und 1907), eine Operette (1919) sowie eine Musik zu Goethes „Faust“; er starb kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs (Suizid) in Wien. Sophie Hagemann, die inzwischen mit Franz Hofmann nicht nur in musika­ lischer, sondern auch in privater Freundschaft verbunden war, folgte nicht mit nach Wien. Nachdem sie am Nürnberger Konservatorium 1938 die Reifeprü­ fung mit sehr gut und 1939 die Abschlussprüfung für Pädagogik bestanden hatte, besuchte sie von 1939 bis zum Abschluss 1942 die Meisterklasse von Wilhelm Stross (1907-1966) in München, der dort seit 1934 Professor für Vio­ line an der Akademie der Tonkunst war. 1942 wurde Sophie Hagemann als Professorin für Violine an die Hochschule für Musik und Theater der Stadt Mannheim berufen. In dieser Zeit versuchte sie, Kompositionen von Franz Hofmann aufzuführen. So schreibt die Nürnberger Zeitung am 9. Februar 1942 über die Uraufführung der 1940 entstandenen f-Moll Sonate für Violine und Klavier, die am 6. Februar 1942 in Nürnberg durch Sophie Hagemann zusammen mit dem Pianisten Georg Krug vom Nürnberger Konservatorium erfolgte: Die jugendliche Violinistin, die als gründliche Beherrscherin ihres Instrumentes und durch ihr herzliches, impulsives Musizieren in unserem Musikleben immer mehr an Bedeutung gewinnt, hatte ein Programm darge­ boten, das ihr reichste Gelegenheit bot, ihr Können, ihre künstlerische Gesin­ nung und ihr Stilgefühl zu beweisen. ... inmitten dieser anspruchsvollen Werke stand die Violinsonate eines sehr begabten jungen Nürnberger Komponisten Franz Hofmann - die durch Formgebundenheit überraschte und die könnerisch durchgeführte Einfälle und gesangliche expressivo-Stellen beachtlichen For­ mats enthielt. Das mutige Eintreten der Geigerin für das Werk eines jungen zeitgenössischen Kollegen, das sie aus der Taufe hob und mit allen Zeichen einer gestaltungsstarken Ausschöpfung darbot, war hoch anzuerkennen. Wir haben ja so manchmal schon die Gelegenheit gehabt, Sophie Hagemanns Geigenkunst zu würdigen und können auch diesen Abend als einen großen Erfolg buchen.“" Am 14. Juli 1944 heirateten Franz Hofmann und Sophie Hagemann in Nürnberg. Gegen die Einwände der katholischen Familie Franz Hofmanns fand auf Wunsch der Braut eine evangelische Trauung statt. Diese für die dama­ lige Zeit sicherlich schwierige Entscheidung spricht für die Eigenständigkeit

11 Nürnberger Zeitung vom 9.2.1942.

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Abb. 8:

Hochzeitsphoto 1944

und das Selbstbewusstsein der jungen Leute. Mit der Heirat kündigte Sophie Hagemann ihre Position in Mannheim auf und zog zu ihrem Mann nach Wien. Mit der Auflösung des Luftwaffenmusikkorps in Wien Ende September 1944 wurde Franz Hofmann sofort als Obergefreiter dem Fallschirm-Panzer­ korps Hermann Göring zugeteilt. Dieser Verband, der vorher in Frankreich, Norwegen, Nordafrika und Italien gekämpft hatte, wurde 1944 nach der erfolgreichen Sommeroffensive der sowjetischen Armee bis an die Grenzen des Reiches an die Ostfront verlegt und bis zur Kapitulation der Wehrmacht am 9. Mai 1945 in Ostpreußen, Polen, Schlesien und Sachsen eingesetzt.12 Auf Be-

12 Franz Kurowski: Fallschirmpanzerkorps „Hermann Göring“, Würzburg 2007, S. 280-282.

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fehl Görings vom 24. September 1944 wurde eine Vergrößerung der bisherigen Fallschirm-Panzer-Division HG zum Fallschirmpanzerkorps HG vor allem durch Teilung bestehender Verbände, aber auch durch Zuführung neuer Ein­ heiten vorgenommen. Die Aufstellung erfolgte bei Modlin, am Zusammenfluss von Weichsel und Bug, 50 Kilometer nordwestlich von Warschau gelegen. Diese Festung war eine der letzten Stützpunkte, die nach dem deutschen An­ griff auf Polen am 28. September 1939 kapitulierte. Als Standort der neu aufzu­ stellenden Fallschirm-Panzer- Ersatz- und Ausbildungsbrigade HG wurde Rippin (Rypin) in Westpreußen bestimmt.'3 Es ist anzunehmen, dass Franz Hofmann Ende September 1944 dieser Brigade in Rippin zugeteilt wurde. Beim Personal dominierten die jungen Jahrgänge von 1920 bis 1928, die sich überwiegend freiwillig zu den Hermann-Göring-Verbänden gemeldet hatten. Es mutet aus heutiger Sicht wie ein teuflisches Unterfangen an, einen nur im musikalischen, keinesfalls jedoch im Kriegshandwerk erfahrenen jungen Mann unfreiwillig (so die Aussage von Frau Sophie Hagemann-Hofmann) dieser Elite-Panzerdivision der deutschen Luftwaffe zuzuordnen (bei Kriegsende hatten von den ca. 60.000 Soldaten, die durch das Fallschirmpanzerkorps HG gegangen waren, nur etwa 15.000 überlebt).14 Am 15. Oktober 1944 begann die russische Offensive gegen die Heeresgruppe Nord in Ostpreußen mit dem Ziel, Königsberg und die Ostsee zu erreichen, um die deutschen Truppen in Kurland von ihren Versorgungslinien abzuschneiden. Das am 6. Oktober 1944 alarmierte und noch im Umbau begriffene Fallschirmpanzerkorps wurde durch Bahntransport nach Tilsit und Insterburg verlegt und ab Mitte Oktober östlich von Gumbinnen in die Schlacht um Ostpreußen verwickelt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch Franz Hofmann, der jetzt der 8. Kompanie Fallschirm Panzergrenadier-Regiment 4 (Hermann Göring“ angehörte, bereits im Zentrum der Abwehrkämpfe in dieser Region. Dies erschließt sich aus der ersten Komposition, dem 3. Streichquartett in F, die Franz Hofmann nach dem Aufbruch aus Wien fertigte. Denn an den Ent­ stehungsdaten der einzelnen Sätze (Hofmann führte stets ein Skizzenbuch, von denen das des Jahres 1944 erhalten ist, und ein Notenbüchlein im Gepäck mit sich) lässt sich die nach Osten gerichtete Truppenbewegung ablesen. Während drei Sätze vom 30. September bis 5. Oktober noch in der westpreußischen Kreisstadt Rippin im Dobriner Land geschrieben wurden, vollendete Franz Hofmann am 16. Oktober 1944 als letztes den zweiten Satz in der Land­ gemeinde Grünheide im Kreis Gumbinnen, im nordöstlichen Ostpreußen gelegen. 15 Ebd., S. 299-302. 14 Ebd., S. 367. 15 Privatnachlass Franz Hofmann im Besitz von Frau Sophie Hagemann-Hofmann.

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Während in der Nähe von Gumbinnen das Panzerkorps in heftige Abwehr­ kämpfe verwickelt ist, schreibt Franz Ffofmann von der Front: Mit einem Kameraden sitze ich hinter einer Scheune, unserem , Bunker'. Wir haben tüch­ tigen Artilleriebeschuss und können nichts anderes als warten, bis es wieder ruhiger wird - und hoffen, dass es uns nicht erwischt. Den ersten Ausfall bei unserer Bedienung hatten wir schon, ein junger Bursch starb uns unter den Händen. Es ist furchtbar traurig, da Zusehen zu müssen. Es war ein unglück­ licher Zufall, dass es ihn erwischte. Ach .... es kracht und pfeift um uns und so klein sitzt man in seinem Loch! Sogar die berüchtigte Stalinorgel haben wir gegenüber liegen. Alles andere als schön. Trotzdem - es klingt wie ein Hohn gedeiht die ,Kleine Sonate' für Dich und klingt so gar nicht nach Krieg, im Gegenteil - sie träumt von einer schönen Zeit, einem Musikzimmer, in dem ich mit meinem Fraule musiziere, von einem Familienidyll und viel viel Glück. Ein Stück Notenpapier habe ich doch noch in meiner Aktentasche entdeckt und mit der Reinschrift angefangen. Und dann hoffe ich auf etwas Notenpapier von Dir, damit ich weiter schreiben kann, ich schrieb Dir ja darum. Trotz Granaten und Feuer!'b In einem anderen Brief wird mutig und gleichzeitig resignierend auf die Widersinnigkeit des Krieges hingewiesen: Wie unsinnig ist alles. Die Menschen bringen sich um, spähen nach einer Lücke beim Gegner, um Blut fließen zu lassen. Die Menschen, die zuhause so glücklich sein könnten, müssen an der Front in Dreck und Speck sein, fern von ihren Lieben zuhause, immer ein Ende vor Augen. Man möchte sich auflehnen dagegen - aber was hilft’s?Xb Trotz der Kampfhandlungen stellte Franz Ffofmann vom 30. Oktober bis zum 6. November 1944 die beiden ersten Sätze der in seinem Brief angespro­ chenen Kleinen Sonate G-Dur fertig (er gab sie einem Kameraden in den Heimaturlaub mit), und am 9. November 1944 vollendete er noch das Prälu­ dium der Solosonate für Violine (per Feldpost nach Hause gesandt). Am 10. November 1944 erlitt Franz Hofmann im Kreis Gumbinnen schwere Granatsplitterverletzungen an Hinterkopf und rechter Hüfte. Eine notfallmäßige Versorgung erfolgte im Lazarett Insterburg (11. November); der weitere Transport führte dann über Tapiau (12. November) nach Königsberg, wo er am 13. November endgültig operiert wurde. Den telefonisch benach­ richtigten Angehörigen, Ehefrau (sie lebte mittlerweile wieder in Nürnberg), Eltern und Schwester, gelang es unter abenteuerlichen Bedingungen, am 17. November 1944 in Königsberg anzukommen und bis zum 22. Januar 1945 bei Franz Hofmann zu bleiben. Das erste, was Franz Hofmann seiner Frau

16 Ebd.

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entgegenrief, war: Ach, und ich dachte, du hättest deine Geige dabei und spiel­ test mir Bach vor!'7 Obwohl Franz Hofmann nicht gehfähig war und immer wieder unter hohen Fieberschüben litt, komponierte er auf Briefpapier, auf dem die Ehefrau Notenlinien gezogen hatte, den zweiten Satz der Solosonate und gab ihn ihr beim Abschied am 22. Januar 1945 mit. Hier im Lazarett erfuhr Franz Hof­ mann auch, dass sein Trio für Flöte, Violine und Viola aus dem Jahre 1943 bei einem Kompositionswettbewerb in Prag 1944 den ersten Preis erhalten hatte.18 Die Rückreise der Angehörigen erfolgte zunächst vom Seehafen Pillau aus drei Tage mit dem Schiff nach Danzig, sieben Tage mit dem Zug nach Berlin und von dort dann nach Nürnberg. Am 22. Januar 1945 hatte auch der letzte Zug Königsberg in Richtung Berlin verlassen, und Ende Januar wurde die Stadt von der russischen Armee ein­ geschlossen. Kurz zuvor wurde Franz Hofmann noch in das Lazarett im circa 45 Kilometer entfernt liegenden Pillau verlegt, da von dort die letzten Schrei­ ben stammen. Die Kriegs- und Handelsmarine versuchte von hier aus bis zum 25. April 1945, dem Tag als Pillau fiel, möglichst viele Flüchtlinge, Verwundete und Soldaten in Richtung Westen zu evakuieren. Es gelang sogar noch im Februar 1945, den Ring um Königsberg aufzusprengen und eine Verbindung zum Hafen Pillau herzustellen. Auf diese Weise konnte noch ein kleiner Teil der Bevölkerung mit Transportschiffen fliehen. Insgesamt dürften bis Ende des Krieges etwa 625.000 Flüchtlinge Ostpreußen über den Pillauer Hafen verlas­ sen haben. Mit dieser Hoffnung auf Abtransport schrieb Franz Hofmann am 6. Februar 1945 aus Pillau an seine Ehefrau: Das ersehnte Schiff will nicht kom­ men, trotzdem habe ich den dritten Satz der,Kleinen Sonate' fertig gemacht.'9 Das letzte in Nürnberg angekommene Schreiben datiert vom 11. Februar 1945, es wurde einem Kameraden mitgegeben und am 17. Februar 1945 im Westen in Bückeburg von der Post abgestempelt. Franz Hofmann teilt hier mit, dass nur die gehfähigen Verwundeten verschifft würden, die anderen, wie er, jedoch bleiben müssten. Seit diesem Zeitpunkt gilt Franz Hofmann als vermisst. Königsberg kapitulierte am 9. April, Pillau wurde am 25. April 1945 erobert. Man kann vermuten, dass Franz Hofmann entweder an Komplikationen seiner schweren Verletzungen verstarb oder beim Großangriff auf Pillau umkam. Willi Horvath, der wie Ernst Gröschel den Krieg überlebte, übernahm 1949 als Nachfolger von Seby Horvath in Nürnberg die renommierte Violinklasse und wirkte als Dozent für Violine und Kammermusik bis 1981. Als Solist und 17 Auskunft von Frau Sophie Hagemann-Hofmann. 18 Unterlagen hierzu fehlen. 19 Privatnachlass Franz Hofmann im Besitz von Frau Sophie Hagemann-Hofmann.

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mit der im Jahre 1955 erfolgten Neugründung des „Horvath-Streichquartetts“, das bis 1995 konzertierte, sowie als Lehrer übernahm er erfolgreich das künst­ lerische Erbe seines Vaters; wie dieser war er Mitglied im Künstlerverein. Darüber hinaus engagierte er sich viele Jahre im Vorstand des Nürnberger Mozartvereins.20 Edith Horvath betätigte sich nach dem Kriege als Solistin und als Beglei­ terin, so bildete sie zum Beispiel mit ihrem Bruder ein Duo. Sie war in Nürn­ berg mit dem gymnasialen Musiklehrer Richard Maar verheiratet. Ernst Gröschel unternahm, freischaffend in Nürnberg tätig, als Solist und als Begleiter zahlreiche Konzertreisen im In- und Ausland. Neben dem „Duo modern“ mit Sophie Hagemann-Hofmann, das sich besonders zeitgenössi­ scher Musik widmete, war er ab 1954 Pianist in der Kammermusikvereinigung der Bamberger Symphoniker. Er war eines der Gründungsmitglieder des von dem Komponisten Werner Heider geleiteten „ars nova ensembles nürnberg“. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, angeregt durch den Pianisten Frederic Lamond (1869-1948), begann er sich, später zunehmend, der historischen Auf­ führungspraxis zu widmen und spielte Werke von Beethoven, Mozart und Haydn auf historischen Instrumenten, teils aus dem Germanischen National­ museum Nürnberg stammend, ein. Ernst Gröschel zählt zu den Vorreitern der historischen Aufführungspraxis. 1957 wurde er für seine Verdienste mit dem Förderungspreis der Stadt Nürnberg, 1989 mit dem Wolfram-von-Eschenbach-Preis des Bezirkes Mittelfranken und 1994 mit dem Friedrich-Baur-Preis für Musik ausgezeichnet.21 Sophie Hagemann-Hofmann nahm nach dem Krieg ihre pädagogische wie ihre Konzerttätigkeit als Geigerin wieder auf. Mit Ernst Gröschel bildete sie das „Duo modern“. Sie unternahm Konzertreisen durch fast alle westeuro­ päischen Länder, eingeschlossen Aufnahmen an verschiedenen Rundfunkan­ stalten. 1952 besuchte sie einen Meisterkurs bei Wolfgang Schneiderhan in Luzern. Diese Konzerttätigkeit musste sie einschränken, als sie 1963 als Do­ zentin für Violine und als Seminarleiterin an das Nürnberger Konservatorium berufen wurde - eine Position, die sie bis zur Pension 1983 bekleidete. Von 1956 bis 1993 war sie außerdem künstlerische Leiterin der Kammermusik­ gruppe der Firma Siemens. Bereits im Krieg von 1942 bis 1945 sowie in den ersten Jahren danach brachte Sophie Hagemann-Hofmann in Nürnberg, Wien, Breslau, Mannheim und München einige Werke von Franz Hofmann zur Aufführung. Unter20 Grieb (wie Anm. 7), S. 704. 21 Ebd., S. 511 f.; Stadtlexikon Nürnberg, Datenbank im Stadtarchiv Nürnberg, Stand 2004.

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Abb. 9:

Sophie Hagemann-Hofmann 1946

Stützung erfuhr sie durch Ernst Gröschel und Karl Rast. Obwohl sie sich dann in der Folgezeit - allerdings mit geringem Erfolg - stets bemühte, das Werk ihres Mannes in Erinnerung zu rufen, ist doch erst in den letzten Jahren mit dem wieder zunehmenden Interesse an spätromantischen Stilformen eine erfreuliche Wiederentdeckung zu beobachten. So wurde zum Beispiel das 3. Streichquartett 1995 vom Bamberger Streichquartett uraufgeführt und auf einer CD eingespielt. Und vom Quintett für Horn und Streichquartett liegt aus dem Jahre 1996 eine Uraufnahme mit Mitgliedern der Wiener Philharmoniker vor.22 Das Horn-Quartett wurde im WWV-Verlag Wien (Wiener Waldhorn­ verein) publiziert, weitere Kompositionen werden derzeit sukzessive vom CTE-Verlag in Nürnberg (Sammlung Eschler) herausgegeben. Im Oktober 1997 wurde eine Bronzetafel im Treppenhaus des HerderGymnasiums in Forchheim, in dem Franz Hofmann zur Welt kam, angebracht - zum Gedenken an einen Musiker und Komponisten, der von der faschisti­ schen Diktatur in den Krieg gezwungen und seiner Zukunft beraubt wurde. Ende 2006 rief Sophie Hagemann-Hofmann die „Franz Hofmann und Sophie 22 CD-Aufnahmen: Streichquartett Nr. 3 in F, Berton 12001; Quintett für Horn und Streicher, Berton 12001 sowie Aricord Digital CDA-19610.

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Hagemann Stiftung“ in Nürnberg ins Leben, die den Zweck hat, die Aus- und Weiterbildung junger Streicher zu fördern und das Andenken an den gefal­ lenen Ehemann zu wahren und zu pflegen. Trotz der von Franz Hofmann als zunehmend widrig empfundenen Lebens­ umstände seit dem Abitur und einer Lebenszeit von nur 24 Jahren ist das kompositorische Schaffen recht umfangreich. Das angefügte chronologische Werkverzeichnis weist insgesamt 37 Kompositionen auf; es wurde vom Autor nach den ihm von Sophie Hagemann-Hofmann zur Verfügung gestellten Manuskripten und Unterlagen zusammengestellt. Es handelt sich bis auf ein Werk ausschließlich um Kammermusik für Klavier, Streicher und Bläser in unterschiedlichen Besetzungen sowie um insgesamt 34 Liedvertonungen für eine Singstimme mit Klavierbegleitung. Lediglich die zweisätzige e-Moll Sonate für Violine und Orgel aus dem Jahre 1942 wurde durch Hinzufügen eines weiteren Satzes („Aria“) 1943 zu einem Orchesterwerk für Sologeige, Holzbläser, zwei Hörner und Streicher umgearbeitet. Dieses Kammerkonzert sollte 1944 mit Sophie Hagemann als Solistin und den Wiener Philharmonikern uraufgeführt werden. Zu einer Realisation kam es jedoch aufgrund der zuneh­ menden Kriegseinwirkungen in Wien und durch die Versetzung von Franz Hofmann an die Ostfront nicht mehr.

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Aus dem abgebildeten Diagramm sind die Zahl der Kompositionen pro Jahr von 1935 bis 1944 und das Lebensalter, in dem die einzelnen Werke kompo­ niert wurden, erkennbar. Aus der Schülerzeit sind insgesamt 15 Kompositio­ nen erhalten. Da sich die Kompositionen 1 bis 4 im Notenheft II und die Kompositionen 5, 6 und 9 bis 12 im Notenheft III befinden, kann vermutet werden, dass in einem (nicht auffindbaren) Notenheft I einige weitere kleine

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Kompositionen aufgezeichnet wurden. Bei diesen ersten kleinen Werken handelt es sich um solide, reizvolle Schülerarbeiten, die zum Teil unter dem Einfluss des Kompositionslehrers Carl Rorich entstanden sind und unter denen das viersätzige 1. Streichquartett in c-Moll und die verschollene fis-Moll Klaviersonate des erst 15-Jährigen hervorstechen. Im Jahr des Abiturs findet sich keine Komposition und auch 1940, dem ersten Jahr beim Militär in Wien, findet Franz Hofmann nur für ein Werk Zeit und Muße. Es ist die Violinsonate f-Moll, die er seiner späteren Frau Sophie widmet mit der Anmerkung: Wenn’s auch noch nicht so recht gelang, gemeint ist es gut.25 Franz Hofmann, im Grunde ein fröhlicher und sonniger Mensch, litt sehr unter der Militärzeit. Sein Trost war die Musik, das Komponieren. Rastlos war er tätig, wie wenn er geahnt hätte, dass ihm nur noch wenig Zeit bliebe. Diese erhöhte kompositorische Produktivität lässt sich ebenfalls aus dem Diagramm ablesen. Im Jahre 1941 beschäftigt sich Franz Hofmann ausschließlich mit Fiedvertonungen und legt Ende des Jahres ein Konvolut von 24 Fiebesliedern für eine Singstimme mit Klavierbegleitung vor. 1942 und 1943 werden neun anspruchsvolle Kammermusikwerke geschaffen, und 1944, das Jahr, das im November infolge der schweren Verletzungen in der Katastrophe endet, sind es sogar 11 umfangreiche Kompositionen. Dieses bemerkenswerte Faktum muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass sich - zu zeigen an den Komponisten der vergangenen Jahrhunderte - in der Regel die höchste Krea­ tivität erst in der Febensspanne zwischen 25 und 45 Jahren findet. Franz Hofmanns allzu knapp bemessene Schaffensperiode von nur zehn Jahren steht unter keinem guten Stern. Sie fällt genau in die zwölf Jahre des „Dritten Reiches“. Streng genommen beschränkt sich damit die eigentliche schöpferische Phase sogar nur auf die Kriegsjahre von 1940 bis 1944. Das Jahr 1933 stand innenpolitisch ganz unter dem Zeichen der nationalsozialistischen Machtentfaltung, von der auch das gesamte Musikleben betroffen war. Das Musikschaffen wurde nach politisch definierten Kriterien umgestaltet und der Reichsmusikkammer als übergeordnete Instanz unterworfen. Komponisten, die nicht die gleichen Zielsetzungen, auch in ästhetischen Fragen, wie das faschistische System befolgten, wurden totgeschwiegen, durften nicht aufge­ führt werden oder mussten Deutschland verlassen. Das traf insbesondere auf die Vertreter der „Neuen Musik“ zu, als deren Repräsentanten Schönberg, Berg und Webern in Wien sowie Hindemith, Bartok, Kodaly und Strawinsky beispielhaft zu nennen sind.24 Zunehmend erkannte Franz Hofmann, dass die historische Zäsur im Jahr 1933 die vielfältigen musikalischen Entwicklungs23 Musiknachlass Franz Hofmann in der Hochschule für Musik Nürnberg. 24 Fred K. Prieberg: Musik im NS-Staat, Frankfurt am Main 1982, S. 34-77; Wulf (wie Anm. 10), S. 110-141.

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fäden gewaltsam abgerissen hatte. Speziell während der Wiener Militärzeit, in der er an der jetzt gleichgeschalteten „Reichshochschule für Musik Wien“ zum Kapellmeister und Pianisten ausgebildet wurde, kam ihm dieser Kontinuitäts­ bruch zum Bewusstsein. Wiederholt äußerte er in dieser Zeit, wie sehr er darunter leide, dass es ihm unmöglich sei, die verschiedenen stilistischen Rich­ tungen seiner Zeit kennenzulernen. Sein Lehrer Leopold Reichwein hatte sich offiziell in die ideologischen Strukturen des NS-Staats eingeordnet und auch Friedrich Wührer war jetzt gehalten, „entartete Musik“ zu meiden. Gerade er war in den 20er Jahren in Konzerten der Wiener Schule aufgetreten, so zum Beispiel 1923 mit den George-Liedern op. 15 von Arnold Schönberg, 1924 in Barcelona mit dessen Pierrot lunaire op. 21, wo er an Stelle von Eduard Steuer­ mann den Klavierpart übernahm, oder 1925 mit den drei kleinen Stücken für Violoncello und Klavier op. 11 von Anton von Webern. Welche Möglichkeiten, eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln, besaß nun Franz Hofmann? Seit Mitte der 20er Jahre entstanden fußend auf der Sing- und Orgelbewegung kirchenmusikalische Erneuerungsbewegungen, die die Kirchenmusik radikal reformieren wollten. In Ablehnung der romanti­ schen Musikauffassung des 19. Jahrhunderts griff man zunächst ausschließlich auf die Kunst des 16. bis 18. Jahrhunderts zurück. Der kirchenmusikalische Neubeginn war somit anfangs historistisch-restaurativ geprägt. Dann setzte jedoch das Bestreben ein, die Kompositionen der Bach- und der Vor-Bach-Zeit mit den Techniken der Gegenwart neu zu formulieren. Inner- wie außerkirch­ lich wurde jedoch auch Kritik laut am Historismus dieser kirchenmusikali­ schen Erneuerungsbewegung. Stattdessen forderte man ein Festhalten an den musikalischen Traditionen des 19. Jahrhunderts im Sinne von beispielsweise Max Reger, Hans Pfitzncr und Richard Strauss.25 Die Analyse des Werkes von Franz Hofmann lässt erkennen, dass die neuen Möglichkeiten des Tonsatzes im Bereich der Kirchenmusik nicht von prägen­ der Bedeutung für den jungen Musiker waren. Hierfür sind mehrere Gründe zu nennen. Die Änderungen der zeitgenössischen Kirchenmusik unter den ideologischen Bedingungen der Erneuerungsbewegung lassen sich in besonde­ rer Weise im Bereich der evangelischen, weniger der katholischen Kirchen­ musik nachweisen. Eine der stärksten Begabungen innerhalb der neuen evan­ gelischen Kirchenmusik war Hugo Distier (1908-1942), der zwölf Jahre älter war als Franz Hofmann und der wie dieser gleichfalls aus Nürnberg stammte. Franz Hofmann - die Mutter und ein Großvater übten eine Organistentätig­ keit aus - entstammte jedoch dem konservativen katholischen Bildungsbür25

Jörg Fischer: Evangelische Kirchenmusik im Dritten Reich, in: Archiv für Musikwissenschaft 46 (1989), S. 185-234.

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gertum süddeutschen Gepräges, absolvierte eine traditionelle humanistische Schulausbildung und genoss bereits als Gymnasiast musikalischen Unterricht in Theorie und Komposition bei Carl Rorich, einem Reger-Anhänger, dessen Werk der Vergangenheit verpflichtet ist. In diesem Umfeld dürfte er also ebenso wie in seiner Kirchengemeinde mit der Kultur und der Musik des 19. Jahrhunderts, nicht jedoch mit neueren kompositorischen Tendenzen kon­ frontiert worden sein. Somit konnte Franz Hofmann weder die neue Kirchen­ musik in ihrer Verbindung von Tradition und Zeitgenössischem noch die „Neue Musik“, die sich in der Zeit vor 1933 durch weit radikalere komposito­ rische Tendenzen auszeichnete, kennenlernen. Von noch entscheidender Be­ deutung für Franz Hofmann war allerdings die starke Beschneidung und Iso­ lierung der deutschen Musikentwicklung im Dritten Reich, die verhinderte, dass junge Komponisten dem ästhetischen Pluralismus der damaligen Zeit auf angemessene Weise näher kamen, ihren Erfahrungshorizont damit erweiterten und ihre Kompositionspraxis noch mehr differenzierten. Sie suchten deshalb häufig ihre Orientierung an den Kompositionen der Spätromantik und versuchten, das 19. Jahrhundert musikalisch fortzusetzen. Entsprechend steht ebenso das vorwiegend kammermusikalische Schaffen des Franz Hofmann - beeinflusst auch durch seine Lehrer Rorich, Rast, Hor­ vath, Wührer und Reichwein wie durch seinen musikalischen Freundeskreis in der Nachfolge von Brahms, Reger, Pfitzner und Strauß. Es wäre sicherlich verfehlt, wenn man seine Kompositionen aus Sicht der heutigen pluralistischen Musikkultur einem einseitigen ästhetischen Wertsystem unterwerfen würde. Trotz der Rückgriffe auf klassisch-romantische Musiktraditionen wie auf etablierte Formtypen (Präludium, Chaconne, Aria, Giga), wobei seine Liebe besonders der Musik Max Regers galt, sollte man diese Musik nicht als epigo­ nal charakterisieren. Vielmehr ist es Franz Hofmann in konsequenter Ausnut­ zung der Gegebenheiten gelungen, in seinen Kammermusikwerken eine über­ wiegend eigene Tonsprache zu finden und in ästhetischen Fragen weitgehend eigenen Zielsetzungen zu folgen. Der Plan, auch größere Orchesterwerke zu­ nehmend in das Schaffen einzubeziehen, wurde durch den tragisch frühen Tod vereitelt. Hofmanns zum Teil hochexpressive Musik weist zahlreiche inno­ vative kompositorische Ansätze auf, verlässt jedoch selten die Grenzen der Tonalität. Es handelt sich um eine technisch anspruchsvolle Gebrauchsmusik im besten Sinne. Trotz der eingeschränkten Möglichkeiten der Realisierung durch die Kriegsereignisse hat Franz Hofmann stets versucht, seine Komposi­ tionen mit letztem Verantwortungsbewusstsein zu formen. Es ist zutiefst tragisch, dass Franz Hofmann, gerade 24 Jahre alt, mitten im Schaffen und mitten in der eigenen Entwicklung zum Komponisten und vielleicht auch zum Dirigenten das Opfer schrecklicher Zeitumstände wurde. 338

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Werkverzeichnis Franz Hofmann 1

Scherzo für Klavier (vollendet 23. März 1935)

2

Menuett in E-Dur für Violine und Klavier (vollendet 16. Mai 1935)

3

Rondo in G-Dur für Violine und Klavier (vollendet 17. Mai 1935)

4

Kleine Melodie für Klavier (vollendet 1935)

5

Drei Menuette für Streichquartett (vollendet 475. August 1935)

6

1. Streichquartett c-Moll (vollendet 27. Juni 1936) 1. Allegro maestoso 2. Adagio con moto 3. Allegretto scherzando 4. Allegro vivace

7

Praeludium für Klavier (vollendet 22. September 1936)

8

Sonate für Klavier fis-Moll - verschollen „Carl Rorich gewidmet“ (dreisätzig, vollendet 1936)

9

Zwei Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung (komponiert wahrscheinlich 1936) Erfüllung Muttertag Text: Grctel Ungemach

10

Requiem für eine Alt-Stimme mit Klavierbegleitung „Meiner lieben Tante gewidmet“ (vollendet 23. März 1937) Text: Conrad Ferdinand Meyer

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11

Wiegenlied fiir’s Peterle für eine Singstimme mit Klavierbegleitung „Meinem kleinen Vetter“ (vollendet 1. Juni 1937) Text: Richard Dehmel

12

Morgengebet für eine Alt-Stimme mit Klavierbegleitung (vollendet 2. Juni 1937) Text: Joseph von Eichendorff

13

Zwei Lieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung (komponiert wahrscheinlich 1937) Heissah, Sausewind Liebe im Lenz Texte: Grete Wittig Druck: Sammlung Eschler, Nürnberg K 264a

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Thema mit Variationen für Klavier „Meiner lieben Mama“ (vollendet 20. Februar 1938) Thema: Andante semplice 1. Cantabile, sempre legato 2. Con fuoco 3. Tempo del tema 4. Leggermente 5. ohne Angabe 6. Scherzando 7. Allegro 8. Con espressione 9. Vivace 10. Con umore 11. Grazioso 12. A la burla 13. Adagio Coda, con fuoco

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Vier kleine Inventionen für Flöte, Klarinette und Fagott (vollendet 6. April 1938) 1. Allegretto, quasi andante 2. Andante con gran espressione 3. Allegretto scherzando 4. Moderato, ma con umore

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Sonate f-Moll für Violine und Klavier „Meiner lieben Sophie in Dankbarkeit“ „Wenns auch noch nicht so recht gelang, gemeint ist es gut“ (vollendet in Wien am 3. September 1940) 1. Ziemlich langsam und ausdrucksvoll 2. Langsam und mit grossem Ausdruck 3. In raschem Zeitmass UA: Nürnberg 6. Februar 1942

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Liebeslieder für eine Singstimme mit Klavierbegleitung „Dir dank ich diese Lieder - Dir bringe ich sie wieder“ (komponiert Februar bis Dezember 1941) Kleines Liebeslied Text: P. Aumüller Werbung Text: J. G. Jacobi Andenken Text: J. von Eichendorff Kleines, liebes Mädel Text: G. Wittig All mein Denken Text: G. Wittig Von Dir ... zu Dir Text: G. Wittig Abendgebet Text: Th. Storm Du hast mein Flerz gefangen Text: H. Löns „Du“ Text: G. Wittig Wanderliedchen Text: G. Wittig Sehnsucht Text: R. Huch Glückes genug Text: D. v. Liliencron Flerzenswunsch Text: J. G. Jacobi Schön ist’s wenn zwei Sterne Text: J. Kerner Wir beide sind verbunden Es klingt ein leiser Ton Text: G. Wittig Im Volkston Text: G. Wittig Ich hab ein Liebchen Text: J. v. Eichendorff Lausche Seele Text: G. Zottmann Wiegenlied Text: G. Wittig Diese Augen Text: J. Ringelnatz Liebchen vor deiner Tür Text: G. Wittig Es ist Nacht Text: Ch. Morgenstern Gib mir deine lieben Hände Text: G. Wittig UA: Wien, Nürnberg, München, Coburg Druck: Sammlung Eschler, Nüirnberg G 600

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Sonate e-Moll für Violine und Orgel „Für meine Sophie“ (komponiert in Wien vom 31. Juli 1941 bis 13. Januar 1942) 1. Präludium. Mäßig schnell 2. Chaconne. Frei im Zeitmaß UA: Nürnberg 25. Oktober 1942 Druck: Sammlung Eschler, Nürnberg K 264a (Diese Komposition wurde - um einen Satz erweitert - 1943 zum Kam merkonzert für Sologeige, Ffolzbläser, 2 Hörner und Streicher umge arbeitet)

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Trio d-Moll für Violine, Cello und Klavier (vollendet in Wien am 13. Juni 1942) 1. In mässig raschem, aber energischen Zeitmass 2. Langsam und einfach 3. Frisch und lebendig, aber nicht zu schnell

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Sinfonische Variationen für Geige und Klavier „Meiner lieben Sophie“ (vollendet in Wien am 3. Oktober 1942) Thema: Langsam und einfach 1. Leicht beschwingt 2. Flüssig und sehr leicht, doch nicht zu schnell 3. Mit Ausdruck, nicht schleppend 4. Innig, sehr gehalten 5. Sehr lebhaft 6. ohne Angabe 7. Sehr schnell 8. Sehr langsam und mit größtem Ausdruck 9. In ruhig fließendem Zeitmaß 10. Im freien Zeitmaß einer Chaconne UA: Mannheim 10. Juni 1943

21

Skizzen. 5 kleine Klavierstücke 1. Heft „Meinem hochverehrten Lehrer, Professor Karl Rast in Dankbarkeit“ (komponiert 1942) 1. Tempo di marcia 2. Un poco andante e con espressione 3. presto e leggero 4. Lento misterioso 5. Vivace, con fuoco UA: Nürnberg 13. Dezember 1942

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5 Klavierstücke 2. Heft „Meinem lieben Freund Ernst Gröschel!“ (vollendet in Wien am 21. Dezember 1942) 1. Zum Auftakt. Schnell und stürmisch 2. Leicht bewegt und graziös 3. Burleske, sehr schnell 4. Langsam, mit großem Ausdruck 5. Ausklang, sehr bewegt und schwungvoll UA: Wien 3. Mai 1945

23

2. Streichquartett cis-Moll (komponiert in Wien vom 19. Januar bis 4. März 1943) 1. Lebhaft und mit Schwung 2. Thema mit Variationen Thema: ziemlich ruhig Leicht bewegt, duftig In ruhig fliessender, wiegender Bewegung Sehr energisch, doch nicht zu schnell Sehr zart, etwas bewegt Äußerst lebhaft Ziemlich schnell und fließend Mäßig bewegt, nach und nach steigernd 3. Äußerst lebendig Druck: Sammlung Eschler, Nürnberg K 256

24

Lied für eine Alt-Stimme mit Klavierbegleitung „Meiner heben Mutter in Dankbarkeit“ (vollendet am 7. Mai 1943) An eine Mutter Text. Hilde Rave

25

Kammerkonzert für Sologeige, Holzbläser, 2 Hörner und Streicher „Meiner lb. Sophie gewidmet“ (vollendet in Wien am 1. September 1943) 1. Präludium (ruhig fliessend-lebhaft) 2. Aria (sehr ruhig und ernst) 3. Chaconne (breit - in festem, immer leicht bewegtem Zeitmass) UA: Coburg 26. Juni 1950 Druck: Solostimme, Sammlung Eschler, Nürnberg K 264

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Trio A-Dur für Flöte, Violine und Bratsche „Für uns“. Eine kleine Hausmusik (komponiert in Wien/Klagenfurt, vollendet in Wien am 13. Oktober 1943) 1. „Zuerst ein nicht allzu schneller, etwas besinnlicher Satz,..." 2. „...dann ein sehr bewegtes, übermütiges Scherzo,...“ 3. „...nun ein ruhiger, ernster Satz,...“ 4. „...und zum Schluss sehr lebhaft und ausgelassen!“ UA: Wien 14. Dezember 1943 Druck: Sammlung Eschler, Nürnberg K 252

27

Quintett h-Moll für Flöte, Klarinette, Violine, Viola und Cello (vollendet 27. Januar 1944) 1. Ziemlich fließend, mit Ausdruck 2. Ruhig, doch nicht schleppend 3. Sehr lebhaft UA: Nürnberg 25. Januar 1947

28

Trio für Klarinette, Viola und Cello (vollendet 10. April 1944) 1. Recht lebhaft und lustig 2. In ruhigem Zeitmaß eines Menuetts 3. Ruhig mit Ausdruck 4. Wieder lebhaft und lustig

29

Zwei Lieder zu unserer Trauung am 14. Juni 1944 für Sopran, Violine und Orgel (vollendet am 20./23. April 1944) 1. Ich gehöre zu Dir wie zum Herzen das Lied — Ruhig und einfach 2. Von deinen Händen weiß ich nur dies - Ruhig fließend, mit großem Ausdruck UA: Nürnberg 14. Juni 1944

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Quintett a-Moll für Horn, 2 Geigen, Bratsche und Cello (vollendet in Wien am 11. Juni 1944) 1. Ruhig bewegt, später lebhaftes Zeitmaß 2. Ruhig und innig 3. Sehr lebhaft UA: Wien 1985 Druck: Verlag WWV Wien No K 76

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Serenade (Sextett) in B-Dur für Oboe, Klarinette, Fagott, Violine, Viola und Cello (vollendet 9. Juli 1944) 1. Sehr beschwingt 2. Mäßig bewegt, doch leicht und heiter 3. Sehr schnell

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Sonate im alten Stil d-Moll für Geige und Klavier „Meiner lieben Frau“ (vollendet in Malacky - Wien am 19. Juli 1944) 1. Präludium 2. Aria 3. Menuetto 4. Giga UA: Nürnberg 18. November 1945

33

Kleine Musik G-Dur für Geige und Bratsche „Für mein geliebtes Fraule! Geschrieben in einer für uns so schönen und glücklichen Zeit.“ (vollendet in Wien 19. August 1944) 1. Lebhaft und heiter 2. Sehr schnell 3. Ruhig und ausdrucksvoll 4. Beschwingtes Menuettzeitmaß 5. Äußerst lebhaft UA: Nürnberg 25. Januar 1947 Druck: Sammlung Eschler, Nürnberg K 262

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Serenade für Violine, Viola und Cello „Meiner über alles geliebten Frau“ (komponiert in Wien vom 23. bis 27. August 1944) 1. Sehr lebhaft 2. Mäßig schnell 3. Sehr schnell 4. Bewegt und heiter Druck: Sammlung Eschler, Nürnberg K 254

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3. Streichquartett in F (die Sätze 1, 3 und 4 komponiert in Rippin vom 30. September bis 5. Oktober, der 2. Satz wurde am 16. Oktober 1944 in Grünheide abgeschlossen) 1. Etwas bewegt 2. Ruhig und innig 3. Leicht und duftig, nicht zu schnell 4. Lebhaft und ausgelassen UA: Schcinfeld 24. Juni 1995

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Sonate für Violine Solo (unvollendet) 1. Präludium (vollendet im Felde am 9. November 1944) 2. Langsam (vollendet im Lazarett in Königsberg am 22. Januar 1945) UA: Forchheim 1954

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Kleine Sonate G-Dur für Violine und Klavier (unvollendet) (komponiert im Felde vom 30. Oktober bis 6. November 1944) 1. Ziemlich bewegt 2. Sehr ruhig 3. Satzbezeichnung unbekannt, vollendet im Lazarett in Pillau am 6. Februar 1945, verschollen UA: Nürnberg 25. Januar 1947 Druck: Sammlung Eschler, Nürnberg 261

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EGIDIENPLATZ UND PELLERHAUS Entstehung und Bewertung eines Nürnberger Nachkriegs-Ensembles Von Manfred F. Fischer 1. Einleitung Der vorliegende Beitrag entstand für die Sektion „Stadtplanung und Denkmal­ pflege nach 1945“ beim XXIX. Deutschen Kunsthistorikertag in Regensburg 2007. Er wurde verfasst nach der überraschenden Nachricht über anstehende Veränderungen an einem bedeutenden Objekt der Bau- und Kunstgeschichte in Nürnberg, das bis dahin in seiner Würdigung gleichsam unangefochten zu sein schien wegen seiner allgemeinen kulturgeschichtlichen und gesellschaft­ lichen Akzeptanz bei allen Fachleuten für Architektur und Denkmalpflege. Der Beitrag ist notwendig, obwohl er vor Ort dem Einen oder Anderen angesichts der neuesten Entwicklungen und Entscheidungen nicht mehr aktuell erscheinen mag, da inzwischen durch manche Beschlüsse und Ereig­ nisse gleichsam Fakten geschaffen seien. Er ist auch noch immer wichtig, da offenbar Entschiedenes, ja bereits Beginnendes in der endgültigen Zielsetzung noch undeutlich ist und klarer Konturierung bedarf, um nicht einer diffusen Eigendynamik zu erliegen. Zur Äußerung berechtigt mich die in einem langen einschlägigen Berufs­ leben gewonnene Kenntnis aller Entscheidungsvarianten des Themas, aber auch eine persönliche lange Zeitzeugenschaft seit 1945, mit intensiven opti­ schen und seelischen Erinnerungen an das zertrümmerte Nürnberg und alle Phasen seines Wiederaufbaues. Da die Generation derjenigen, die den Wieder­ aufbau des zerstörten Nürnberg gestaltet haben, dies nicht mehr selbst erklären kann, ist es Aufgabe des Flistorikers, dies nach bestem Wissen zu versuchen, damit heutige Urteile und Entscheidungen in Kenntnis aller Fakten und mit Würdigung aller Aspekte gefällt werden. Die Thematik in Regensburg 2007 war also aktuell gewesen. Ihre Begrün­ dung beim vorbereitenden „call for papers“ musste aber kritisch hinterfragt werden. In diesem Text von Hartmut Ritschel und Wolfgang Schöller' war Bezug genommen worden auf den Antagonismus von Stadt- und Wirtschafts­ entwicklung zu einer eher zum Beharren neigenden Denkmalpflege beim 1

Siehe Hartmut Ritschel / Wolfgang Schöller: XXIX. Deutscher Kunsthistorikertag, Universität Regensburg, 14.-18. März 2007, Call for Papers, in: Kunstchronik (Mitteilungsblatt des Ver­ bandes deutscher Kunsthistoriker e. V., 59, Heft 3), März 2006, S. 136f.

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Wiederaufbau kriegszerstörter historischer Stadtkerne in Deutschland mit vie­ len Fällen von Vergeblichkeit für das Anliegen der letzteren. Doch beklagten die Autoren auch eine oft festzustellende Interesse- und Teilnahmelosigkeit der Denkmalpflege und bezogen sich hierbei explicit auch auf den Wettbewerb „Peilerhaus und Egidienplatz in Nürnberg“ von 1953. Solche kritischen Töne sind spätestens seit den 70er Jahren in der Literatur zum Nürnberger Wieder­ aufbau festzustellen. Zu nennen ist hier Karlheinz Hemmeters Beitrag in der Dokumentation der Kriegsschäden an Baudenkmalen in der damaligen Bun­ desrepublik von Niels Gutschow und Hartwig Beseler - sowohl dort als auch nochmals später in der Einzelveröffentlichung für Bayern2, in diesem Falle abweichend von der abwägenderen einführenden Beurteilung durch Hartwig Beseler.3 Solch deutliches Unbehagen an Ergebnissen und offenbar vermeid­ baren Verlusten wirkt weiter bis in die heute gängige Reiseliteratur, zum Bei-

Abb. 1:

2

3

Nürnberg, Egidienplatz nach Norden, Stich von Christian Friedrich Traugott Duttenhofer, um 1822. (Foto: Nürnberg, Stadtgeschichtliche Museen)

Hartwig Beseler / Niels Gutschow (Hrsg.): Kriegsschicksale deutscher Architektur. Verluste Schäden - Wiederaufbau. Eine Dokumentation für das Gebiet der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. 2 (Süd), Neumünster 1988, S. 1429, bearb. von Karlheinz Hemmeter, sowie mit erwei­ terter Bildredaktion Karlheinz Hemmeter: Bayerische Baudenkmäler im Zweiten Weltkrieg, Verluste - Schäden - Wiederaufbau (Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmal­ pflege 77, München 1995, S. 170-174. Siehe Hartwig Beselers Zusammenfassung in Beseler / Gutschow (wie Anm. 2), S. IX-XV.

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Egidienplatz und Peilerhaus als Nachkriegs-Ensemble

spiel bei den Reiseführern des Baedeker. Dies ist umso bemerkenswerter, als auf der anderen Seite die so häufig diskutierten Rekonstruktionsprojekte der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit durchaus sehr kritisch diskutiert wer­ den.4 Die Streitfrage „Pellerhaus“ in Nürnberg muss also als typisch für eine gerade in unseren Tagen aktuelle Debatte angesprochen werden. Hier stehen nach 50 Jahren angesichts eines grundsätzlichen Wandels der Beurteilung erneut Entscheidungen an. Eine neue Generation teilt frühere Wertsetzungen nicht mehr, sie hat offenbar andere Vorstellungen und Wünsche und formuliert dies in deutlicher Kritik am Handeln der Großväter. Die Debatte berührt sowohl die seit Mitte der 80er Jahre überall in Deutsch­ land gewachsene Bereitschaft zum kopierenden Bauen oder - besser gesagt zum historisierenden und mit historischen Formen dekorierenden Andern Vorgefundener Situationen, die als allzu karge Antwort der ersten Nachkriegs­ zeit auf die Zerstörungen und daher als unbefriedigend angesehen werden. Gleichzeitig sind die Bauschöpfungen der 50er Jahre heute einer schwierigen Realität zwischen notwendigem Bauunterhalt und aktuellen Spekulationen zu einer besseren Ausnützung vorhandener innerstädtischer Flächen ausgesetzt. Angesichts des mühsamen Kaschierens mit zumindest der Suggestion des Alten steht somit auch die Denkmalpflege vor einer Zerreißprobe, zumal auch an ihr selbst die Entwicklung zur Diskussion um den „postmodernen Denk­ malkult“ nicht spurlos vorübergegangen ist.5 Im Falle der Nürnberger Kritik an einer vermeintlichen Interesselosigkeit der Denkmalpfleger kann man die Quelle für diese lokale Debatte leicht aus­ machen. Sie wird seit Jahren geführt und in Tagesentscheidungen mit wech­ selnden Ergebnissen eingebracht durch den „Verein Altstadtfreunde e.V.“ in Nürnberg, der sich seit langem - unter seinem früheren Vorsitzenden Erich Mulzer - um den aus seiner Sicht angemessenen Umgang mit den wenigen erhaltenen Resten der historischen Altstadt ebenso gekümmert hat wie um die 4

5

Vgl. Kai Kappel: Der Umgang mit Ruinen und Trümmersteinen des Zweiten Weltkrieges, in: Architektur der Wunderkinder. Aufbruch und Verdrängung in Bayern 1945-1960, Katalog, Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München, 3. Februar - 30. April 2005, hrsg. von Winfried Nerdinger / Inez Florschütz, Salzburg / München 2005, S. 25-31. Hierzu auch Gott­ fried Korff: Denkmalisierung. Zum „Europäischen Denkmalschutzjahr“ 1975 und seinen Fol­ gen, in: Die Denkmalpflege 63, Heft 2 (2005), S. 133-144; Jürgen Tietz: Welche Vergangen­ heit für unsere Zukunft? Das „Europäische Denkmalschutzjahr“ 1975 und die Folgen, ebd., S. 145-150. Vgl. Wilfried Lipp / Michael Petzet (Hrsg.): Vom modernen zum postmodernen Denkmal­ kultus? Denkmalpflege am Ende des 20. Jahrhunderts, 7. Jahrestagung der Bayerischen Denk­ malpflege, Passau 14.-16. Oktober 1993 (Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denk­ malpflege 69), München 1994; Rekonstruktion in der Denkmalpflege. Überlegungen - Defini­ tionen - Erfahrungsberichte (Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmal­ schutz 57), Bonn 1997.

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Altstadtverträglichkeiten geplanter Veränderungen und Neubauten. Aus­ gangspunkt war 1972 eine verdienstvolle geographische Dissertation Mulzers an der Universität Erlangen-Nürnberg gewesen, die als Summe bisherigen Unbehagens und als Programm zugleich verstanden werden muss.6 Mulzers 1972 publizierte Kritikpunkte sind trotz aller Veränderungen in der inzwi­ schen erreichten Erkenntnisstruktur über den Wiederaufbau Nürnbergs nach 1945 weiterhin wirksam und zu beachten.7 Dennoch erscheint eine Korrektur an der Grundsätzlichkeit solcher Aus­ sagen nötig, damit die Debatte als erkenntnisoffener Dialog weitergeführt werden kann. Täten wir dies nicht, dann geriete die Denkmalwelt unserer Tage, zu der auch viele Bauten der Wiederaufbauzeit - gerade in den Städten mit star­ ken Kriegsschäden - gehören, in eine doppelte Gefahr: Abbruch oder Zerstö­ rung einerseits, zumindest aber mangelnde Akzeptanz als Denkmal anderer­ seits, und zwar auf der Welle der heute populistisch so oft erfolgreichen Beschlüsse, Verlorenes wenigstens durch Kopien oder Nachbau wiederzu­ gewinnen. Die Position der Denkmalpfleger ist somit in der Öffentlichkeit häufig Missverständnissen oder bewusster Fehlinterpretation ausgesetzt, indem sie mit ihrem Auftrag zur Pflege des substanziell Vorhandenen als weltfremd gegenüber Forderungen und Erwartungen der Öffentlichkeit dargestellt wird, die mehr das Bild, mehr den schönen Anblick, mehr die Fassade sieht, mehr den neuen Glanz als den schützenswerten Gegenstand selbst, man vergleiche hier die vielen einschlägigen Artikel der letzten Jahre in der Tageszeitung „Die Welt“ des hier besonders engagierten Journalisten Dankwart Guratzsch.8 6

8

Erich Mulzer: Der Wiederaufbau der Altstadt von Nürnberg 1945 bis 1970 (Erlanger geo­ graphische Arbeiten, hrsg. vom Vorstand der Fränkischen Geographischen Gesellschaft 31), Erlangen 1972. Zu Mulzer siehe Inge Lauterbach: In memoriam Erich Mulzer, 1929-2005, in: Nürnberger Altstadtberichte 31 (2006), S. 3-8. Mulzer hat von 1973 bis zu seinem Rücktritt aus Gesundheitsgründen 2004 die Arbeit des Vereins als Vorsitzender geprägt. Man kann Mulzers Arbeit geradezu als einen Gegenpol zu manchen zeitgleichen offiziellen Nürnberg-Publikationen aus Anlass der fünfhundertsten Wiederkehr des Geburtstages Albrecht Dürers bezeichnen, zum Beispiel die im städtischen Auftrag erstellte Publikation von Gerhard Pfeiffer (Hrsg.): Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt, München 1970. Dies zeigt deutlich ein Vergleich mit dem darin enthaltenen Beitrag von Adam Horn: Erneue­ rung des Stadtbildes, S. 496-502. Allzu unkritisch wird hier in einer Selbstdarstellung städti­ schen und staatlichen Wirkens konstatiert, die Wiederherstellung des Nürnberger Altstadtbil­ des gehöre schlechthin zu den besten Leistungen des deutschen Städtebaues nach dem Zweiten Weltkrieg. Vgl. Manfred F. Fischer: Einführungsreferat zu „Konservatorenauftrag und heutige Denkmal­ herausforderung“, Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundes­ republik Deutschland 1993 in Heidelberg (Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Arbeits­ heft 4), Stuttgart 1995, S. 13-15. Der hier und vielfach später wiederholt vorgetragene Ruf des Autors nach einem neuen Denkmalbegriff variiert Gedanken, die schon am 10. Januar 1974 der

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Nun sollen aktuelle Initiativen auch beim Pellerhaus in Nürnberg das jetzige, als unbefriedigend empfundene Nebeneinander von Ruinenteil und Neubau wieder mittels einer Rekonstruktion ändern. Jüngst hat im Sommer 2005 der Steinmetz und Bildhauer Harald Pollmann angeregt, zumindest die Sandsteinfassade des rückwärtigen Flügels am Pellerhaus im Hof des heutigen Baukomplexes original und maßstabsgetreu nachzubauen aufgrund einer Dokumentation aus den 30er Jahren bzw. mit Analogieschlüssen. Will man Zeitungsberichten glauben, so träumt mancher in Nürnberg gar von einer kompletten Rekonstruktion des Hofes.9 Dies hat ein großes Interesse weit über die Stadt hinaus gezeitigt, und man sammelt Geldmittel zu diesem Zwecke. Der Verein „Altstadtfreunde“ hat sich des Themas angenommen und ein Spen­ denkonto mit diesem Ziel eingerichtet. In der Stadtverwaltung gab es erst einen Dissens zwischen Fachreferenten und Politikern. Mit gutem Gespür für die vermutete „communis opinio“ legte auch der Stadtrat sich mit Beschluss vom 10. Mai 2006 auf die Unterstützung der Initiative fest. Die technisch-fachlichen Voraussetzungen für einen rekonstruierenden Arkadenausbau im Hof werden nun geprüft. Geld aus der Stadtkasse steht bisher freilich nicht zur Verfügung. Es wird auf Spenden gesetzt, wofür der o. a. Verein in die Pflicht genommen wird.10 So hat die Debatte einen hohen politischen Stellenwert. Uber 60 Jahre nach Kriegsende, über 50 Jahre nach dem Entstehen der heute vorhandenen Situation ist also auch in Nürnberg die Debatte um Idealrekonstruktionen angekommen, um Rückbauten missliebig gewordener Ergebnisse des Nachkriegs-Wiederaufbaues, eine Akzeptanzdebatte um eine Phase unserer gebau­ ten Umwelt und das zur gleichen Zeit, da diese von Denkmalpflegern, Kunst­ historikern und Architekten als eine stringent ablesbare abgeschlossene Epoche unserer kulturellen Entwicklung bewertet wird. Dem steht die Würdigung entgegen, die in der neuesten Ausgabe des DehioHandbuches von 1999 zu lesen ist und die den heutigen Erkenntnisstand mit fachlicher Autorität in nüchterner Sprache wiedergibt: 1956/57 unter Einbe­ ziehung erhaltener (und wiederhergestellter) Teile des Vorgängerbaus von Fritz und Walter Mayer. Der Vorgängerbau, 1944 bereits schwer beschädigt und zuletzt im Januar 1945 ausgebrannt, war eines der prächtigsten Bürgerhäuser

Publizist Armin Möhler in der gleichen Tageszeitung mit der Schlagzeile „Denkmalschutz in Zukunft ohne Patina?“ und mit der Forderung nach synthetischer Evokation angesichts des bedrohlichen Schrumpfens des Vorrates an lebendiger Vergangenheit propagiert hatte, damals fast unbemerkt von der Fachwelt. 9 Siehe Süddeutsche Zeitung, 18. Juli 2006. 10 Siehe Nürnberger Altstadtberichte 31 (2006), S. 18, Beilage Faltblatt.

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des auch in Deutschland beginnenden Barock, 1602-05 von Jakob Wolff d. Ä. für den Kaufmann Martin Peiler errichtet

Die Denkmalwürdigkeit dieses Komplexes aus Neubau und Ruinen-Integration steht also außer Zweifel. Nun gilt es, tiefer zu blicken und die Ereig­ nisse nach 1945 nochmals Revue passieren zu lassen. An diesem Beispiel kann eine Fachdiskussion die Bewertungskriterien schärfen, Argumentationshilfe für die öffentliche Debatte bieten und Missverständnisse in den eigenen Reihen beseitigen. Da ich als Autor sowohl Denkmalpfleger war und bin, und auch zum Teil als sicher damals noch unkritischer Zeitzeuge unmittelbar nach 1945 den Weg Nürnbergs aus der „Steppenlandschaft“ durch den Wiederaufbau bis heute stets mit großem Interesse vor Ort verfolgt habe, bin ich mir des mehr­ fachen Wandels auch meiner eigenen Bewertungen bewusst. Gleichzeitig aber wuchs auch die Distanz, die zu einem rational begründbaren Handeln nötig ist. Wie war also damals die Öffentlichkeit, wie waren auch die Vertreter der Denkmalpflege inhaltlich vorbereitet, als sie nach 1945 Entscheidungen treffen mussten, wissend, aus Not handeln zu müssen, aber auch ahnend, dass spätere Generationen ihnen keine Kritik ersparen würden? 2. Katastrophenerlebnis und Ruinenerfahrung Der Umgang mit Zerstörung und ihren Folgen, also mit Ruinen, ist in der Praxis der Denkmalpflege Teil des täglichen Umganges mit Denkmalen. Ihre Erhaltung, sei es in romantischer Art mit sichtbaren Zeichen der Naturein­ wirkung oder in archäologischer Aufbereitung, ist eine Daueraufgabe. Eine Ausnahme ist dabei die Erfahrung dessen, was ich die „Ereignisruinen“ nenne. Dem spontanen Zerstörungserlebnis folgt immer die fachimmanente und öffentlich diskutierte Frage: Soll man wiederaufbauen? Oder soll man die zerstörte Form belassen und ihr eine Sonderrolle geben, da sie ihre Urfunktion von Architektur, nämlich zu bergen und Hülle zu geben, nicht mehr erfüllen kann? Die Frage steigert sich bei massenweisem Ruinenerlebnis zur Kata­ strophe. Ereignis-Ruinen werden nur gemeinsam mit einer privaten oder gesellschaftlichen Verlusterfahrung erlebt. Diese verbietet offenbar erst einmal jede Art von Ästhetisierung und Historisierung wie bei anderen, rein ästhe­ tisch erfahrenen Ruinen. Hier entstehen also neue kollektive Erfahrungen. 11 Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bayern I, Franken, 2. Auflage, bearb. von Tilmann Breuer / Friedrich Oswald / Friedrich Piel u. a., München / Berlin 1999, S. 765f. Zur denkmalpflegerischen Bewertung siehe jüngst auch Paul Huber: Das ehemalige Pellerhaus in Nürnberg. Kontroverse um Ruinencharakter und Verhältnis zu denkmalgeschütztem Nach­ kriegsbau, in: Denkmalpflege Informationen, hrsg. vom Bayerischen Landesamt für Denkmal­ pflege 135 (Nov. 2006), S. 22-24 sowie K.H. / H.M. (Bearb.): Nachkriegs-Wiederaufbau und moderner Kulissenkitsch, Bayern, in: Die Denkmalpflege 65, Heft 2 (2007), S. 164f.

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Um 1945 waren Stadtplaner, Architekten und Denkmalpfleger noch intensiv geprägt von Grundsätzen, die sich um 1900 in der Debatte um die Zukunft des Heidelberger Schlosses als konsensfähig erwiesen hatten. Die intensive Be­ schäftigung mit der Stadt als Organismus im Zeichen ihrer Erneuerung und Angleichung an einen rapiden Wandel in Funktion und Nutzung in den 20er Jahren schlug sich 1928 nieder beim „Tag für Denkmalpflege und Heimat­ schutz“ in Würzburg und Nürnberg, mit wichtigen Beiträgen von Theodor Fischer, Ernst May und Karl Gruber. Im Jahre 1933 bei der Tagung der Denk­ malpfleger in Kassel schwor dann, schon unter deutlichem politischem Zun­ genschlag der Zeit, Wilhelm Pinder die Versammelten mit dem Referat „Ret­ tung der deutschen Altstadt“ ein. Er propagierte die Bereinigung aus einer ganzheitlichen Sicht, unter Ausmerzen dessen, was schlecht sei, womit er vor allem das späte 19. Jahrhundert, aber auch die unpassende Moderne meinte. Unter diesem Aspekt liefen dann die meisten der sogenannten „Entschandelungsprogramme“ in vielen deutschen Städten.12 1933 hatte der damalige Altmeister der Denkmalpflegerzunft, Paul Clemen selbstkritisch ebenfalls eine Summe gezogen.13 Als hätte er geahnt, was auf die deutschen Städte zukam, äußerte er sich dort auch zum Stellenwert der Ruine in der modernen Stadt. Er gab ihr nur in Ausnahmefällen und gleichsam über dem Leben schwebend einen Sinn, als mahnenden Einzelfall, aber ansonsten unerträglich dort, wo nicht durch lange Tradition Ruinen zum Selbstver­ ständnis von Städten, ja gleichsam zum Bildungsgut gehörten. Als dann, be­ ginnend mit dem Frühjahr 1942 und kulminierend 1945, die Zerstörungen ganze Innenstädte nicht nur mit einzelnen Ruinen versahen, sondern fast als ganzes zu Trümmerlandschaften machten, da standen die Denkmalpfleger vor dem gleichen Entscheidungsnotstand wie alle fachlich und politisch für die Zukunft der ihrer historischen Tiefendimension beraubten Orte Verantwort­ lichen. Aus der Fülle der Äußerungen als Antwort auf die verheerenden Kriegsfol­ gen können hier nur wenige zitiert werden. Bezeichnend ist das allen Autoren gemeinsame Erlebnis, das sie mit dem häufig benützten Wort „apokalyptisch“

12 Siche Werner Durth / Niels Gutschow: Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940-1950 (Schriften des Deutschen Architektur­ museums zur Architekturgeschichtc und Architekturtheorie), Bd. 1 (Kap. 5), Braunschweig / Wiesbaden 1988, S. 237-284; Thomas Scheck: Denkmalpflege und Diktatur. Die Erhaltung von Bau- und Kunstdenkmälern in Schleswig-Holstein und im Deutschen Reich zur Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1995, S. 114-132.; Wolfram Lübbeke: Entschandelung - Uber einen ästhetisch-städtebaulichen Begriff der „Denkmalpflege“ im Nationalsozialismus, in: Die Denkmalpflege 65, Heft 2 (2007), S. 146-156. 13 Paul Clemen: Die deutsche Kunst und die Denkmalpflege. Ein Bekenntnis, Berlin 1933, S. 10-14.

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beschrieben.14 Allgemeiner Konsens war, dass die Eigenart der alten Stadt beim Aufbau bzw. Wiederaufbau zu wahren sei, dass man aber dennoch aus dem Geiste der eigenen Zeit planen solle. Dies war eine schwere Entscheidung, die zu sehr unterschiedlichen Antworten führte: zu bewussten Reparaturen und Wiederherstellungen zerstörter bzw. beschädigter Objekte, auch ganzer Stra­ ßen- und Ortsbilder, zu allen Varianten konservativen Bauens aus der Tradi­ tion der jeweiligen Stadt, bis zu intensiven Eingriffen, meist aus Gründen der Anpassung an neue Bedürfnisse, vor allem des Verkehrs. Meist überwog dabei die Übereinstimmung, dass im reinen Kopieren des Untergegangenen das Heil nicht liegen könne. Wilhelm Rave oder Hermann Decken äußerten sich 1947 mit der Überzeugung, dass vor allem mit dem Stadtgrundriss die wichtigste Urkunde der Stadt für die Zukunft zu bewahren sei.15 Fast rührend war der Beitrag des Dresdners Bauhistorikers Eberhard Hempel zu diesem Thema von 1948 unter dem Titel „Ruinenschönheit“. Die Aussicht reflektierend, dass man wohl noch auf viele Generationen mit Trümmern im baulichen Umfeld werde leben müssen, bemühte er die Baugeschichte Roms, um die künstlerische Herausforderung eines solchen Schicksals ästhetisch zu überhöhen.16 Sehr grundsätzlich formulierte es am 10. Oktober 1945 der greise Fritz Schumacher in seinem berühmten Vortrag zum Wiederaufbau Hamburgs im dortigen Rat­ haus, einem ergreifenden Dokument vor allem in dem Tonband-Mitschnitt von damals.17 Typisch für eine ganze Generation von Architekten und Stadt­ planern ist bei ihm vor allem die Bereitschaft, auch nach den Zerstörungen sich nicht von Zufälligkeiten des Erhaltenen leiten zu lassen, sondern gleich dem Chirurgen auch Einschnitte zur Verbesserung von Fehlentwicklungen vor­ nehmen zu können. Dennoch würdigte Schumacher gerade hier deutlich die Eigenart der nun zertrümmerten Städte Deutschlands als eine Galerie von Charakterköpfen mit einer ganz spezifischen, eigenartigen Kultur, die noch in ihrer Zerstörung eine ungeheure Anziehungskraft ausübe. 1947 finden wir ähnliche Äußerungen nochmals von Paul Clemen und Fritz Schumacher, die beide kurz darauf verstarben, in Georgs Lills Band „Kunst­ pflege“ als erster Sammelpublikation zum Thema Denkmalpflege als Ersatz

14 Es findet sich zum Beispiel bei Schumacher (wie Anm. 17), bei Paul Clemen: Zum Geleit, in: Die Denkmalpflege. Beiträge zur Geschichte und Pflege deutscher Architektur und Kunst, im Aufträge der deutschen Denkmalpfleger hrsg. von Georg Lill, Berlin 1947, S. 8-11 und bei Georg Lill: Um Bayerns Kulturbauten. Zerstörung und Wiederaufbau (Geistiges München, kulturelle und akademische Schriften 2), München 1946. 15 Zit. bei Durth / Gutschow (wie Anm. 12), Bd. 1, Kap. 5, S. 237-284. 16 Eberhard Flempel: Ruinenschönheit, in: Zeitschrift für Kunst 2 (1948), S. 76-91. 17 Fritz Schumacher: Zum Wiederaufbau Hamburgs. Rede im Hamburger Rathaus am 10. Okto­ ber 1945, Hamburg 1945. Tondokument im Tonarchiv des NDR Hamburg.

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der alten Fachzeitschrift der Denkmalpfleger.18 Am deutlichsten kann man die Position der staatlichen Denkmalpflege Bayerns in einem Beitrag Georg Lills von 1946 erkennen.19 Lill zog eine Summe aus der neuen Situation, die deut­ liche Grenzen der Wünsche und Möglichkeiten aufzeigte. Sein Text ist eine einzige Klage über die Verluste, ohne schon die Entscheidungen zur Rettung oder Wiedergewinnung in Einzelfällen würdigen zu können. Dennoch ver­ wahrte er sich gegen einen rein historisierenden Wiederaufbau, sondern er sprach vom „organischen“ Weiterführen aus dem Rhythmus der alten Städte, vielfach nach einer These des zeitlich Beschränkten, der Notlösung in vielen Fällen also. Dauerzustände als Ziel seien nur an wenigen Objekten möglich, ein Zwischenstadium von ein bis drei Generationen sei realistisch. Exakte Wieder­ herstellung hänge vom jeweiligen Grad der Zerstörung ab. Lill war also wie seine ganze Generation noch von den Grundsätzen geprägt, welche die deutschen Denkmalpfleger in den Debatten um 1900 gefunden hatten. Ähnlich hat auch sein Amtsnachfolger Joseph Maria Ritz im Jahre 1954 den ersten Rückblick auf fast ein Jahrzehnt Wiederaufbau kommentiert.20 3. Nürnberg als Objekt der Entscheidungen Wie wirkte sich dies nun in Nürnberg aus? Die Daten der Zerstörung der welt­ berühmten Altstadt sind bekannt. Seit 1942 hatten insgesamt 28 Luftangriffe schwere Verwüstungen angerichtet, derjenige vom 2. Januar 1945 die schlimm­ sten.21 Der Zerstörungsgrad besonders in der Altstadt und in benachbarten Stadtteilen ist in Bildern gut dokumentiert. Man kann von einer Auslöschung der Substanz und vieler Strukturen sprechen. Kaum ein Gebäude in der inneren Stadt war ohne einen Schaden davongekommen. Von den 1942 noch als „historisch“ benannten, also nach heutigem Verständnis als Denkmale ver­ mutbaren 2.580 Bauten - allerdings ohne Berechnung der damals noch nicht

18 Vgl. Paul Clemen in: Lill: Denkmalpflege (wie Anm. 14) sowie Fritz Schumacher: Die Betreu­ ung des Alten beim Wiederaufbau, ebd., S. 12-14. 19 Siehe Lill: Kulturbauten (wie Anm. 14), Nachdruck in Hemmeter: Baudenkmäler (wie Anm. 2), S. VII-XVIII. 20 Joseph Maria Ritz: Wiederaufbau und Denkmalpflege, in: Bayerland 56 (September 1954), S. 321-339, Nachdruck in Hemmeter: Baudenkmäler (wie Anm. 2), S. XIX-XX1I. 21 Manche Quellen berichten von insgesamt 59 Angriffen. Weitere Schäden entstanden noch bei heftigen Erdkämpfen bei der Einnahme der Stadt durch die amerikanischen Truppen. Siehe Erich Mulzer: Die Zerstörung der Nürnberger Altstadt im Luftkrieg, in: Nürnberger Altstadt­ berichte 4 (1979), S. 45-70; Irene Handfest: Der Luftkrieg in Nürnberg. Quellen des Stadt­ archivs zum 2. Januar 1945, Ausstellungskatalog Nürnberg 1985; Der Luftkrieg gegen Nürn­ berg. Der Angriff und die zerstörte Stadt, hrsg. von Michael Diefenbacher / Wiltrud FischerPache (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 33), Nürn­ berg 2004 (mit vielen Fachbeiträgen).

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angemessen bewerteten Objekte des 19. und 20. Jahrhunderts - hatten nur zehn Prozent den Bombenkrieg gänzlich oder weitgehend wiederherstellbar überstanden. Der Weg vom Hauptbahnhof zum Beispiel durch die zerstörte Innenstadt zu den Resten der ebenfalls schwer beschädigten Kaiserburg führte über engste Fußpfade zwischen Trümmerhaufen, vorbei an den wie Gerippe im Gegenlicht stehenden Resten der mittelalterlichen Kirchen, an Fassadenhöhlen ohne jeglichen Raum dahinter. Es war ein Weg durch ein Chaos, das heute nur noch durch Bilddokumentationen vermittelt werden kann, aber in seiner Ein­ dringlichkeit letztlich unreproduzierbar ist. Daher ist auch die Berechtigung zur Kritik an späteren Einzelentscheidungen nur unter dem Vorbehalt des größeren Überblickes und Abstandes über die inzwischen historisch gewor­ denen Fakten möglich. Welche Grundsätze galten nun für Nürnberg? Die Veränderungen in der planerischen, statistischen Sozial- und Raumstruktur in der Nürnberger Alt­ stadt, als Voraussetzung für alle Einzelentscheidungen nach 1945, hat 1972 Erich Mulzer bereits gründlich dargelegt. Auch der Wiederaufbau nach 1945 ist mehrfach aus Sicht der bewertenden Fachleute und ersten Kommentatoren dargestellt worden. So seien hier nur die wichtigsten Entscheidungsdaten genannt: Das von der Stadtverwaltung am 6. September 1948 eingesetzte „Kurato­ rium für den Aufbau der Stadt Nürnberg“, kurz „Aufbaukuratorium“ ge­ nannt, das bis 1955 sehr häufig getagt hat, mit zahlreichen Unterausschüssen und Beiräten, sollte Erfahrungen und Vorschläge aus Politik, Fachvertretern und Verwaltung bündeln. Sein Baukunstbeirat22 hatte zum Beispiel schon am 20. April 1950 für den Wiederaufbau den Grundsatz formuliert, dass das Stadt­ bild so typisch wie möglich im städtebaulichen Ausdruck und in der baukünstlerischen Entfaltung erhalten werden müsse. Dass man noch lange Zeit mit Ruinen leben müsse, dafür sprach die Evidenz. Die damalige geistige Situation als gemeinsame Anschauung aller Beteiligten findet sich dokumen­ tiert in der Handakte des Nürnberger Oberbürgermeisters für die Sitzungen des Aufbaukuratoriums. Dort findet sich eine Abschrift von einigen aktuellen Äußerungen des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuß, die 1953 soeben publiziert worden waren und für die Kuratoriumsmitglieder mittei­ lenswert schienen. Heuß, als Gast bei der in Hamburg stattfindenden Haupt­ versammlung des Städtetages im November 1953, hatte auf ein Referat von Benno Reifenberg erwidert, der seinerseits Bezug auf Paul Clemen genommen 12 StadtAN C 29 (Direktorium A) Nr. 417. Auf diesen Beschluss wurde später seitens des Auf­ baukuratoriums immer wieder Bezug genommen. Das Aufbaukuratorium wurde 1955 mit einem gedruckten Tätigkeitsbericht aufgelöst.

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hatte, welcher wiederum im Mainzer Dom von der Fortdauer der Grundzüge beim Aufbau der zerstörten Städte gesprochen hatte. Heuß nahm dies in Hamburg in seinem Grußwort „Ein Diskussionsbeitrag“ auf und sprach gegen die theoretische Idee, zum Beispiel in seiner Heimatstadt Heilbronn nach der Wiederherstellung des historischen Rathauses alte Fachwerkhäuser am Markt wiederaufzubauen. Es gehe beim Aufbau um den Rhythmus der alten Städte: Nur dies dazu: ja nicht das Restaurative als Aufgabe sehen! das wäre sinnlos. Das wäre zu teuer und würde meist Geschmacklosigkeiten bringen. Es würde auch ein Verrat sein an dem, was an inneren Möglichkeiten, an Aufgaben, an rein zivilisatorischen Gegebenheiten des neuen Wohn- und Bürobaus dasteht. Aber ich würde an manchen Stellen die Halbruinen lassen, nicht als Denkmal der Bombennächte - auch das kann einen Sinn haben - sondern will, daß dort, wo die Gegebenheiten nicht vorhanden sind, man keinen Krampf hineinlegen soll.2' Am 5. Dezember 1953 zitierte das Aufbaukuratorium auf einer Sitzung wiederum den Baukunstbeirat, der den Nürnberger Geist beim Aufbau be­ mühte. Es gehe um Erhaltung bzw. Wiedergewinnen des Eigentümlichen und Einmaligen des Wesens der Stadt. Nicht die Einzelform sei damit gemeint, sondern der souveräne reichsstädtische Geist. Man solle neben das echte Alte das echte Neue stellen, aber es eben maßstäblich taktvoll einordnen.24 Man be­ fand sich also weitgehend in Übereinstimmung über die generellen Ziele des Wiederaufbaues, wie vergeblich und letztlich illusionär die verzweifelten Evo­ kationen vergangener Größe auch gewesen sein mögen. Geschichte war in ihrer Substanz dahin, eine neue Gegenwart konnte sie nicht wieder zum Leben erwecken, sondern sie musste eine eigene Antwort finden. Erste Gedanken zum Wiederaufbau der Altstadt in Nürnberg hatte 1945 das Stadtplanungsamt vorgelegt. Der bisherige Baudezernent Heinz Schmeissner war damals noch in alliierter Haft. Wie lauteten aber die wichtigsten Grund­ sätze für den Wiederaufbau im einzelnen? Das Wichtigste waren der histo­ rische Mauerring und die mittelalterlichen Sakralbauten, deren Wiederher­ stellung als nötig angesehen wurde. Ein erster „Grundplan zum Wiederaufbau der Altstadt von Nürnberg“ vom 8. Dezember 1945 führte dies weiter. 1947 kam es zu den bekannten Wettbewerben, welche die Weichen stellten. Am 2. Januar 1947 wurde der sogenannte Laienwettbewerb gestartet, der die inte­ ressierten Bürger zu ganz allgemeinen, kurzen Vorschlägen animierte. Im März 1947 folgte dann der bekannte Architekten-Wettbewerb mit vielen interessan23 StadtAN C 29 (Direktorium A) Nr. 418. Die Äußerung von Theodor Heuß findet sich in: „Rückblick auf Hamburg“, in: Der Städtetag. Zeitschrift für kommunale Praxis und Wissen­ schaft N.F. 6/11 (November 1953), S. 580—582. 24 Bei der 23. Plenarsitzung. StadtAN C 39 (Aufbaukuratorium), Nr. 25.

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ten Ideen und Vorschlägen für die Stadtverwaltung, so auch für den Egidienplatz und seine Randbauten.25 So hatte zum Beispiel Wilhelm Schlegtendal damals in seinen gezeichneten Luftbildern ein äußerlich wiederhergestelltes Pellerhaus als möglich angesehen, ohne freilich funktionale Aussagen daraus abzuleiten. Dies war also der Rahmen für Nürnberg. Die Wiederaufbaudis­ kussion hatte vor allem die Altstadt im Blick gehabt.26 Dennoch ergab sich in der Folge dessen eine große Bandbreite der möglichen Wege, bei der es keine sogenannte „Idealantwort“ geben konnte, so dass also der Vorwurf des Ver­ sagens und der Kleinmütigkeit nur von dem erhoben werden kann, der meint, zu einer irrtumsfreien Lehrentscheidung befähigt oder befugt zu sein. Die allgemeine Wiederaufbau-Debatte in Nürnberg ist von der Forschung gut durchgearbeitet.27 Im Hintergrund stand der Wunsch zum Wiedererstehen einer letztlich zerstörten Stadt, zwar ohne sie kopieren zu wollen bzw. zu können, aber doch im verzweifelten Wunsch, aus der Besinnung auf geistige Inhalte des Zerstörten Anregungen für die Neugestaltung zu gewinnen. 4. Die Situation am Egidienplatz und Pellerhaus In vielen historischen Bildern ist bis 1945 am Egidienplatz eine sehr eindrucks­ volle Platzsituation dokumentiert. Im Sebalder Viertel nördlich der Pegnitz gelegen, war er einer jener typischen hakenförmigen Plätze, wie sie vor allem von Alfred Lichtwark, auch von Fritz Schumacher, immer wieder als beson­ ders raumwirksam gepriesen worden waren nach dem alten Musterbeispiel der Piazza San Marco in Venedig28: Das merklich von der Theresienstraße her ansteigende Gelände weitete sich leicht nach Norden. Etwas zurücktretend prägte der 1699 neu errichtete barocke Baukörper des traditionsreichen Gym­ nasiums, gefolgt von der kräftig den Winkel markierenden Zweiturmfassade der Egidienkirche, die Ostseite. Die Westseite zeigte eine eindrucksvolle Rei25 Durth / Gutschow (wie Anm. 12), Bd. 1, S. 237-284 und Bd. 2, S. 975-1017; Nerdinger / Flor­ schütz (wie Anm. 4), S. 118-122. 26 Auch die Literatur konzentriert sich völlig auf die Altstadt-Planungen und nennt die Um­ gebung und die Vorstädte allenfalls unter dem Aspekt der bereits älteren Verkehrsplanungen für Nürnberg als Ganzes. 22 Siehe Mulzer: Wiederaufbau (wie Anm. 6). Vgl. Durth / Gutschow (wie Anm. 12) und Nerdin­ ger / Florschütz (wie Anm. 4) sowie Heinz Schmeissner: Die Planung des Wiederaufbaues, in: Jubiläumsjahrbuch 900 Jahre Nürnberg, Nürnberg 1950, S. 35-41; Ingrid Brock: Der Wieder­ aufbau von Nürnberg - Vergleich mit Danzig, in: Probleme des Wiederaufbaus nach 1945, Dokumentation der Jahrestagung 1986 in Danzig, Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denk­ malpflege e. V., Bamberg 1991, S. 54-76. 28 Siehe hierzu Manfred F. Fischer: Der Hamburger Rathausmarkt und die Piazza San Marco in Venedig, zur Chronik eines Mißverständnisses, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte der Bibliotheca Hertziana Rom 20 (Tübingen) 1983, S. 85-105.

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hung bedeutender traufständiger Altstadthäuser, nach Norden hin ansteigend, mit dem sogenannten Tucherschen Stiftungshaus (Nr. 7) von 1720, mehrfach umgebaut, als optischem Pendant zur Schule gegenüber. Schließlich folgte als nördlicher Abschluss und Höhepunkt des Platzes die Abfolge von Peststadel im nordwestlichen Winkel, sogenanntem „Schwarzen Peilerhaus“ und Peiler­ haus selbst mit seinem hohen Zwerchgiebel (Nr. 23, 1600 von Martin Peiler erworben, 1602-05 Bau des Vorderhauses, 1605-07 Bau der Hofanlage, 1616 Zufügung des Chörleins an der Fassade) von Jakob Wolff d.Ä.29 Hieran schloss sich nach Osten das ehemalige Imhoffhaus (Nr. 25/27) an mit zwei einst reichen Höfen, 1827 von Georg Zacharias Plattner erworben und von Karl Alexander Heideloff mit gotischen Motiven an der breit gelagerten Fassade überzogen, die mehrmals umgebaut und denkmalpflegerisch bzw. in den 30er Jahren gestalterisch „reinigend“ überarbeitet worden war. Vom Raum östlich davon wirkten nur Teile in das Straßenbild hinein. Eindrucksvolle Denkmäler zieren bis heute den Platz: seit 1826 steht das Melanchthon-Denk-

Abb. 2:

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Nürnberg, Egidienplatz und Umgebung, Fliegeraufnahme vor 1945. (StadtAN A 41 Re151 -V)

Reinhold Schaffer: Das Peilerhaus in Nürnberg, Nürnberg / Berlin 1934; 125 Jahre Stadtarchiv Nürnberg, eine Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg, Juli-September 1990, Katalog, bearb. von Horst-Dieter Beyerstedt und Herbert Schmitz (Ausstellungskataloge des Stadtarchivs Nürnberg 5), Nürnberg 1990.

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mal vor der Schule, seit 1905 das Kaiser-Wilhelm-Denkmal nach Süden gerich­ tet auf hohem Sockel vor dem Pellerhaus. Es war also ein Stadtraum von großer Dichte. Sehen wir uns aber diesen Raum im Sebalder Stadtteil nach 1945 an, so erken­ nen wir an gleicher Stelle eine „Trümmerwüste“ im wahrsten Sinne des Wortes. Die schon immer zu den bekanntesten Erinnerungsbildern der Stadt gehö­ rende Abfolge des Platzes mit dem berühmten, wenngleich in der NürnbergWürdigung stets als Sonderfall dargestellten Pellerhaus als Perle der Renais­ sance-Architektur in Nürnberg - all dies war unrettbar dahin, zu Trümmern und zu Staub zerfetzt und zerstoben. Man nannte das Areal ringsum denn auch bald die „Nürnberger Steppe“. Wer die Zerstörungsphotos betrachtet, der kann das Ausmaß des Verlustes ermessen.30 Vom Rand der Platzgruppe war kaum noch etwas erhalten. Einzig die ausgebrannte Ruine von St. Egidien mit ihren südlichen Anbauten gab einen Zielpunkt für einen sinnvollen Wieder­ aufbau oder Neubau als städtebauliche Lösung. Im Norden war das Pellerhaus weit mehr vernichtet als man es heute aufgrund seiner gegenwärtigen Erschei-

Abb. 3:

Nürnberg, Egidienplatz und „Sebalder Steppe“ nach 1945, Fliegeraufnahme. (StadtAN A 41 Re-62-II)

30 Siehe die umfangreiche Fotodokumentation im ehemaligen Bildarchiv des Nürnberger Hoch­ bauamtes, heute in das Stadtarchiv integriert.

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nung vermuten würde. Seine Nachbarbauten, also das sogenannte „Schwarze Pellerhaus“ und der historische Peststadel, waren zum Teil gänzlich zerstört, teils aber auch in einem durchaus wiederherstellbaren Zustand. Der Hof des Peilerhauses hatte schon beim Luftangriff am 3. Oktober 1944 Schäden erlit­ ten. Das Haus selbst wurde am 2. Januar 1945 fast völlig vernichtet. Es brannte wie auch der benachbarte Peststadel völlig aus. Wenige Tage darauf stürzte die zunächst noch stehengebliebene Renaissance-Fassade zusammen. Alle Bauten an der Westseite des Platzes waren gleichsam fortgeblasen, einzig vom soge­ nannten Tucherpalais stand noch ein Rest der mehrfach veränderten Fassade aufrecht, gleichsam als Schatten der Geschichte. Als fast grotesk wirksames Denkmal stand noch im Blickpunkt das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. Dies war die Ausgangslage, als nach den ersten grundsätzlichen Beschlüssen zum Wiederaufbau Nürnbergs auch für diesen Bereich der Sebalder Stadthälfte mit Sonderwettbewerben die entsprechenden Entscheidungen gefällt wurden. Doch nochmals zum Pellerhaus selbst: Die Bilddokumente zeigen, dass die Fassade des Hauses bis auf Teile des rustizierten Sockelgeschosses gänzlich eingestürzt war. Auch diese Sockelzone zeigte in ihrer östlichen Hälfte eine erhebliche Bresche. Die große Eingangshalle des Hauses war mit ihren Gewöl­ ben ebenfalls zerstört. Ebenso waren die Seitenflügel und das Rückgebäude größtenteils eingefallen. Einzig von den berühmten Arkaden mit ihrem Schmuckreichtum waren einige Teile vor Ort stehengeblieben, weniger freilich als man heute wieder sehen kann. Man muss also von einer fast völligen Ver­ nichtung des Hauses sprechen. Nur wenige Stücke der Ausstattung und einige skulpierte Bauteile konnten geborgen werden, wobei einschränkend darauf verwiesen werden muss, wie sehr alle damaligen Notmaßnahmen durch die strikte Bewirtschaftung aller technischen Mittel und Materialien eingeschränkt waren. Von Bedeutung für die späteren Entscheidungen war, dass die Stadt das Peller­ haus schon 1929 erworben und als Nutzer das Stadtarchiv dort eingerichtet hatte, dass also bereits eine gewisse Nutzungstradition vorlag. Die Möbelfirma Eysser, Vorbesitzer des Peilerhauses seit 1882, blieb auch nach 1929 bis ca. 1934 Nutzer des Hauses und seines westlichen Nebengebäudes. Schon in den ersten Entscheidungen und Projektionen war vorgesehen, den Bereich des Egidienplatzes in Fortführung der bisherigen Nutzung als Kulturzentrum auszubauen (also mit dem Stadtarchiv, erweitert durch andere Bildungseinrichtungen), den durch den Platz führenden Verkehr aber soweit als möglich zu verlegen.31

11 Die Entwicklung der Entscheidungsfindungen ist knapp, aber gründlich dargestellt bei Ger­ hard Pfeiffer: Das neue Dienstgebäude des Stadtarchivs Nürnberg, in: Archivalische Zeitschrift 57 (München 1961), S. 131-143.

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Abb. 4:

Nürnberg, Ruine des Peilerhauses nach 1945, nach Beräumung und Schutzmaßnahmen, Blick von Nordosten in den Hof. Aus den Beilagen zum Wettbewerb 1953. (StadtAN A 40-Fi-E-62)

Nach den Kriegszerstörungen waren das Stadtarchiv, die Stadtbibliothek und diejenige der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften dann pro­ visorisch in einer Kaserne in der Bärenschanzstraße untergebracht, ein unhalt­ barer Zustand. So beschloss der Stadtrat nach Prüfung anderer Standorte, zum Beispiel auch am Kornmarkt, im Bereich des Egidienplatzes, also am alten Ort das neue kulturelle Zentrum zu errichten. Man wollte im Frühjahr 1955 damit 362

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beginnen; über die Planungen und den Wettbewerb hat Schmeissner 1953 berichtet.32 Der Wettbewerb für den Egidienplatz und seine Umgebung hatte eine doppelte Zielvorstellung. Er wurde von der Stadtverwaltung im Herbst 1952 vorbereitet und ausgeschrieben. Er war ein Ideenwettbewerb, ausgelobt ge­ meinsam mit der gemeinnützigen Wohnbaugessellschaft Gagfah, für die Schaf­ fung einer Wohnanlage westlich des Platzes und mit der Schaffung des neuen Bibliothekszentrums im Bereich der Ruinenreste des ehemaligen Pellerhauses bzw. auf dem Grundstück des alten Imhoff-Hauses im Norden des Platzes. Für letzteren Komplex war anfangs eine Gliederung in mehrere Bauabschnitte vorgesehen. Teilnahmeberechtigt waren Architekten aus der näheren Umgebung, also aus Franken und der Oberpfalz. Das Preisgericht bestand aus Politikern der Stadt, aus städtischen Beamten, Sachverständigen für Denkmalpflege, Woh­ nungswesen, Bibliotheks- und Archivwesen sowie freien Architekten wie Robert Vorhoelzer und Sep Ruf, der dann den Vorsitz der Jury übernahm.33 Mit 14 Fotos, mit Plänen und Ansichtszeichnungen der früheren Bebauung und der jetzigen Situation sowie mit einem - freilich in den Winkeln bereinig­ ten - Grundriss des Pellerhauses wurden die Angaben der Ausschreibung bereichert. Rückfragen wurden am 22. Januar 1953 beantwortet. Solche kamen vor allem zum Peilerhaus. Man beantwortete Fragen nach geborgenen Resten des Baues, nämlich dass kaum Wesentliches erhalten und verwendbar sei. Eine mehr theoretische Frage nach der technischen Wiederaufbaumöglichkeit des Hauses wurde positiv beantwortet. Aufgrund der vorhandenen Dokumenta­ tion sei es technisch möglich, das Peilerhaus in alter Form als Kopie wiederaufzubauen. So waren die Teilnehmer also frei in ihren Vorschlägen, und bindende Vorschriften denkmalpflegerischer Art gab es nicht. Nach Ablauf der Abgabefrist waren 29 Arbeiten eingegangen, so dass das Preisgericht am 16. April 1953 zusammentreten konnte. Die Kernfrage ist heute wieder die nach der Einstellung der staatlichen Denkmalpflege im Gremium. Zu den Grundbedingungen gehörte damals aber nicht allein die 32 Heinz Schmeissner: Bericht über den Wettbewerb für den Neubau der städtischen Bibliotheken in Nürnberg, in: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 2/2 (1953), S. 1-4. Siehe auch Walter Mayer: Zum Neubau der städtischen Bibliotheken (Stadtbibliothek, Stadtarchiv und Bibliothek der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) in Nürnberg, in: ebd. 4/3 (1955), S. 21-24; Bildbericht „Die Grundsteinlegung der Stadtbibliothek am 7. April 1956“, in: ebd. 5/1 (1956), S. 1. 33 StadtAN C 30/1, Nr. 212. 33 Ebd.

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denkmalpflegerische Frage, sondern die nach Funktionszuweisungen für den Wettbewerbsbereich im Rahmen des gesamten Wiederaufbaues der Altstadt. Da dies in jüngerer Zeit als ein „Versagen“ der Denkmalpflege immer wieder angesprochen wird, sei der Wortlaut der damaligen Erklärung hier nochmals genau zitiert. Der Chef des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Dr. Joseph Maria Ritz, erklärte laut Protokoll bei der Eröffnungssitzung des Preisrichter­ gremiums, an dem er mit Stimme teilnahm, am 16. April 1953: Die Denkmal­ pflege muß verlangen, daß der Platz in seiner alten Begrenzung wieder her­ gestellt wird. Die Egidienkirche wird erhalten und wieder aufgebaut werden, das Tucherpalais erscheint hier als ein notwendiger Akzent. Das Peilerhaus ist in seiner Fassade völlig zerstört. Die Denkmalpflege ist nicht der Überzeugung, daß diese als Kopie wieder aufgebaut wird, dagegen müssen die noch stehenden Teile des alten Hofes erhalten bleiben und gegebenenfalls wieder benützt werden. Es bleibt ein noch zu entscheidendes Problem, ob man als Erinnerungs­ wert und städtebauliche Notwendigkeit eine Giebellösung an dieser Stelle braucht. Auch vom Peststadel ist noch sehr viel Substanz erhalten?* Soweit also die offizielle Stellungnahme, die zur Ruine des Peilerhauses grundsätzliche Klarheit zu den denkmalpflegerischen Anforderungen formulierte, darüber hinaus aber auch das Umfeld nicht vergaß. Zur Beurteilung dieser fachlichen Äußerung ist aber auch die Gesetzeslage für die Wirkungsmöglichkeiten der staatlichen Denkmalpflege anzusprechen. Es gab für das Münchner Landesamt für Denkmalpflege damals nur die Möglichkeit zur Beratung mit Fachautorirät, also keinerlei gesetzliche Durchsetzungsmöglichkeiten. Man muss dem­ nach die Einwirkungsmodalitäten anders beurteilen als es heute der Fall wäre35 und anders, als es bisweilen unterstellt wird. Das Ergebnis des Wettbewerbes sei kurz vorgestellt36: Von 29 Einsendungen kamen sieben in eine engere Wahl. Schließlich wurden vier Preise vergeben sowie zwei Sonderpreise für Teillösungen wie für die Bedürfnisse der Biblio­ thek bzw. für den Wohnungsbau. Den ersten Preis erhielt der in Nürnberg nicht unbekannte Fritz Mayer mit seinem damals noch studierenden Sohn Walter aus Nürnberg. Sie gaben der Inkorporation der Reste des Peilerhauses eine dreidimensional gestaltete Sonderform, behandelten sie also als eigenen Baukörper. Sie wollten den Fassadensockel rekonstruieren, aber anfangs nicht als Eingang zum Gesamtkomplex; dieser sollte weiter östlich liegen. Der die Nordwand des Platzes dominierende Neubaukörper sollte eine gleichsam das Verlorene paraphrasierende Neugestaltung mit „Würdeformen“ werden. 35 Erst jüngst sind wieder Beschränkungen eingetreten durch Gesetzes-Novellierungen und durch Änderungen von Zuständigkeiten. 36 StadtAN C 30/1 Nr. 212 sowie A 4/X Nr. 7-14, 271-273.

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Abb. 5:

Nürnberg, Ideenwettbewerb Egidienplatz 1952/1953, 1. Preis: Fritz und Walter Mayer, Nürnberg, Gesamtansicht des Platzes nach Norden. (StadtAN A 4/X Nr. 10/5)

Westlich des ehemaligen Pellerhauses, also dort, wo heute noch die Reste der Mauern des „Schwarzen Pellerhauses“ und kümmerliche Reste der Umfas­ sungen des später abgebrochenen Peststadels stehen, also eine bis heute unbefriedigende Situation, sah Mayer die Optionsfläche für eine spätere Erweiterung der Bibliothek vor. Seine Vorschläge für die Wohnbebauung durch die Baugenossenschaft Gagfah folgten streng dem historischen west­ lichen Rand des Platzes mit einer Reihung einfacher, leicht gegeneinander versetzter traufständiger Häuser, das Aufsteigen der Platzfläche nach Norden aufnehmend. In diese Gestaltung ist die Fassade des ehemaligen Tucherpalais integriert, jedoch wesentlich vereinfachend und mit einer übergreifenden Dachgestaltung. Wer war der Preisträger? Was kannte man von seinem bisherigen Werk in Nürnberg? Der Architekt Fritz (Friedrich) Mayer wurde am 17. April 1889 im mittelfränkischen Windsbach geboren. Er stand also 1953 bereits im 64. Lebensjahr. In seinem Büro arbeitete schon sein Sohn Walter mit, obwohl noch Student. Mayer war sicher kein überregional besonders berühmter Architekt gewesen. Seine Ausbildung hatte er an Bauschulen und mit einer Handwerks­ lehre begonnen, was ihm aber eine solide Materialkenntnis vermittelt hatte. 365

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Sicher wird ihn die ebenso zur Solidität verpflichtende Arbeit im Büro von Ludwig Ruff in Nürnberg weiter geprägt haben. Schon 1925 hatte er sich als freischaffender Architekt etabliert. In Nürnberg, seinem vorwiegenden Wir­ kungsfeld, hatte er sich sehr bald erfolgreich betätigt. Neben dem Wohnungs­ bau als seiner eigentlichen Domäne wurde er schließlich 1928/30 bekannt mit dem Ehrenmal für die Nürnberger Gefallenen des Ersten Weltkrieges am Luitpoldhain beim Dutzendteich, dessen Pfeiler mit gereihten Bögen in der großen Fernwirkung einen gemäßigten Klassizismus signalisieren. Nach 1945 hat Mayer wesentliche Beispiele zum Wiederaufbau Nürnbergs beigesteuert, vor allem im Wohnungsbau. So war er am Entstehen der heutigen Physiogno­ mie Nürnbergs beteiligt und stand für einen spezifisch fränkischen Regionalstil der Nachkriegszeit. 1958 erhielt er den Kunstpreis der Stadt Nürnberg verliehen.37 Zum Vergleich seien die zwei von der Jury an nächster Stelle plazierten Ent­ würfe vorgestellt, da aus ihnen gerade die Besonderheit des Mayerschen Planes hervorgeht; sie sind alle dokumentiert, auch mit Modellfotos. An zweiter Stelle 1321

Abb. 6:

Nürnberg, Ideenwettbewerb Egidienplatz 1952/1953, 2. Preis: Albrecht Braunschweig, Ludwig Rase, Edwin Schricker, Heinz Ernstberger, Nürnberg, Ansicht des Platzes nach Norden. (StadtAN A 4/II Nr. 254/3-4)

37 Nürnberger Künstlerlexikon, Bildende Künstler, Kunsthandwerker, Gelehrte, Sammler, Kul­ turschaffende und Mäzene, vom 12. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Manfred H. Grieb, München / Leipzig 2007, Bd. 2, S. 985.

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Abb. 7:

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Nürnberg, Ideenwettbewerb Egidienplatz 1952/1953, 3. Preis: Oskar Scharrer, Peter Salzbrenner, Manfred Scharrer, Nürnberg, Ansicht des Platzes nach Norden. (StadtAN A 4/11 Nr. 255)

stand das Architektenteam Albrecht Braunschweig, Ludwig Rase, Edwin Schricker und Heinz Ernstberger, ebenfalls aus Nürnberg. Auch sie haben sich um die Integration der Pellerhaus-Ruine in den Neubau bemüht, doch weniger entschieden. Den Platz sollte hier nach Norden ein breiter Riegel begrenzen, die Aussagen zur Bebauung im Westen davon sind hingegen seltsam undeut­ lich. Den dritten Platz nahm der Vorschlag von Oskar Scharrer, Peter Salz­ brenner und Manfred Scharrer ein, ebenfalls aus Nürnberg, mit einem noch stärker betonten Querriegel im Norden des Egidienplatzes, aber mit dem Ein­ gang zum Gesamtkomplex an der alten Stelle des Pellerhauses. Vom Wettbewerb bis zum Beginn des Baus selbst gab es mehrfache und grund­ legende Modifikationen im Programm, damit auch in der räumlichen Organi­ sation, ohne freilich den Grundentwurf des Architekten zu ändern, ihn viel­ mehr in immer weiterer Klarheit präzisierend und zu größerer formaler Deut­ lichkeit führend. Am Anfang des Prozesses hatten finanzielle Erwägungen und solche zum Bauablauf gestanden. Ursprünglich war eine klare Abfolge dreier Bauabschnitte angedacht gewesen, beginnend mit der Maßnahme auf dem Grundstück des ehemaligen Imhoffhauses. Erst ein zweiter Bauabschnitt hätte dann das ehemalige Peilerhaus mit den Vortrags- und Ausstellungsräumen betroffen. Das Grundstück wäre also hierbei auf längere Zeit noch als Ruine

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belassen worden. Erst für spätere Zeiten waren Erweiterungen nach Westen zum Grundstück des ehemaligen „Schwarzen Peilerhauses“ und des Pest­ stadels in den Planungsüberlegungen enthalten. Hier hatte nun der Stadtkäm­ merer die Forderung erhoben, die ersten beiden Schritte zu einer einzigen Gesamtmaßnahme zusammenzuziehen. Aus allen diesen Überlegungen kristallisierte sich nach mehrmaliger Planänderung die später ausgeführte Abfolge der baulichen Maßnahmen heraus. Gerhard Pfeiffer hat dies sehr prä­ zis dargestellt.38 Entscheidend wurde in der Folge die Verlegung des Einganges nach Westen in den alten Haupteingang des Pellerhauses. Manches ergab sich auch aus rein technischen, statischen und organisatorischen Gründen bzw. aus Gründen des Bau- und Finanzierungsablaufes. Erst in dieser Überarbeitungs­ phase ist auch die Beschäftigung mit den Ruinenresten in ihr entscheidendes Stadium getreten, und erst jetzt kam es zum teilweisen Wiederaufbau im Erdgeschoss, zu Ergänzungen auch von historischen Detailformen, die der wirkungsvollen Inszenierung der Ruine als Hauptdurchgangsbereich für alle anderen Funktionen des Baukomplexes dienten.39 Erst aus der funktional nöti­ gen Erhöhung des obersten Geschosses für die Technikteile der Aufzüge ent­ stand zur Vermeidung von Turmaufbauten die jetzige Form des Daches mit seiner markanten Bogenreihung. So entstand ein integrales Miteinander aus Ruine und Neubau.40 Den endgültigen Auftrag erhielt Mayer dann am 27. Mai 1953, doch die viel­ fachen Umplanungen verzögerten die Grundsteinlegung bis zum 7. April 1956. Die Einweihung geschah am 14. Dezember 1957. Die einzelnen Schritte der damaligen Baumaßnahmen und ihre Auswirkung auf den Umgang mit den nach Kriegsende erst notdürftig gesicherten Resten des Pellerhauses und seines einst so prachtvollen Hofes hat Herbert May jüngst anhand der Bauakten akribisch zusammengestellt. Sie sind im Anschluss an den vorliegenden Beitrag als eigener Beitrag zu lesen. Sie bereichern unsere Kenntnis der Vorgänge, korrigieren einige Fehlmeinungen und einige gerade in unseren Tagen oft zitierte Missverständnisse, ergänzen also die vorliegende Darstellung. Unab­ hängig davon geschahen am Platze der Wiederaufbau der Egidienkirche mit vereinfachtem Innenraum und des Gymnasiums im Osten bzw. der Woh­ nungsbau an der Westseite.

38 Pfeiffer (wie Anm. 31). 39 Schon die den Wettbewerbsunterlagen beigegebenen Fotos der Ruine des Pellerhauses zeigen deutliche Spuren von verschiedenen Sicherungsmaßnahmen. Zur Beräumung von Schutt waren zeitweise die Schienen einer Feldbahn im Hof des Hauses verlegt, der teilweise auch noch ephemer bewohnt wurde, vgl. die vielen erhaltenen Fotoaufnahmen des amerikanischen Armee-Fotographen Ray D’Addario. *° Vgl. die Darlegung bei Pfeiffer (wie Anm. 31), S. 138.

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Abb. 8:

Nürnberg, der Hof des ehemaligen Pellerhauses 1958, mit Ruinenintegration, Blick nach Südwesten. (StadtAN A 38 N 125/VI)

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5. Ergebnis und Ergebnis-Kritik Die Debatte um den Nürnberger Wiederaufbau war anfangs geprägt von spontanem Gefallen oder Nichtgefallen, vor allem vom Erleben des Neuen, das vom Ruinenerleben fortführte und Zukunft und Aufschwung symbolisierte, natürlich auch vom Vergleich mit dem meist unrettbar Verlorenen. Nach den Grundsatzentscheidungen und den ersten sichtbaren Erfolgen sowohl bei der denkmalpflegerischen Wiederherstellung vieler Bauten bzw. beim Neubau gab es anfangs auch einige grundsätzliche Kritik. Schon 1953, also nach dem großen Wettbewerb, war es zum Streit mit den Modernisten gekommen. Schon damals hatte zum Beispiel Eleinrich Henning angesichts der ersten Ergebnisse der Wiederaufbauentscheidungen sehr polemisch vom Mittelalter aus dritter Hand gesprochen. Ihm behagte diese allzu schnuckelig ausgefallene Evokation von Verlorenem, mit Erkern, Gauben, Giebeln nicht.41 So war die Debatte also gänzlich anders als die heutige Kritik der Nachgeborenen. Die Literatur zur Bewertung von Neubauten im historischen Gewände ist in letzter Zeit sehr angeschwollen. Dazu hat sicher auch die öffentliche kri­ tische Debatte seit 1975 beigetragen. Einen zweiten Schub brachte die Wende von 1989/90. Die Kritik in Nürnberg kam meist aus dem Lager der „Alt­ stadtfreunde“, die sich nach Kriegsende am 25. Januar 1950 unter dem Vorsitz des Arztes und Burgenforschers Hellmut Kunstmann42 als Verein formierten, erst von manchem belächelt, auch bekämpft, da nämlich oft lästig, später aber hofiert als eine politische Größe und als „Stimme von der Basis“. Der Verein „Altstadtfreunde e.V.“ mit gegenwärtig 6.000 Mitgliedern, der sich bei mehr als 220 Baumaßnahmen eingebracht und diese im Sinne seiner Ziele beeinflusst hat, war vor über 30 Jahren gegründet worden, um gegen die Sorglosigkeit und gegen Defizite der Zeit nach dem ersten Wiederaufbau anzukämpfen, gegen die zunehmende Vernachlässigung der wenigen noch aus dem Krieg geretteten und nicht beschädigten Häuser der Altstadt. Er ist in neuer Form seit dem 30. Oktober 1973 durch Erich Mulzers Vorsitz stark in seiner Ausrichtung geprägt worden. Er hat große Verdienste, war Teil der Bürgerbewegung der 60er Jahre in vielen Altstädten, ohne die das bekannte sogenannte Denkmal­ schutzjahr 1975 nicht entstanden wäre. Insofern stellt der Verein einen wich­ tigen kulturellen Faktor dar, wenngleich er in der Baukultur-Debatte meist eine rein konservative Haltung eingenommen hat. Hier sei nur auf das in der Öffentlichkeit heftig umstrittene sogenannte KÖMA-Projekt von 1967 ver­ wiesen, eine monströse Planung mit weitgehender Überbauung der Stadt41 Zit. nach Durth / Gutschow (wie Anm. 12), S. 999. 42 Siehe: Leben und Wirken des Dr. Flellmut Kunstmann. Dokumentation seiner Veröffent­ lichungen, hrsg. von Johannes E. Bischoff (Fränkische Schweiz, Zeitschrift des FränkischenSchweiz-Vereins 33 / Sonderheft 1), Erlangen 1981, S. 6 und 32-35.

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mauer mit Graben, das dann aber fallengelassen wurde.43 Ebenso hat er sich auch beim Projekt des heftig diskutierten und dann durch Bürgerentscheid zu Fall gebrachten sogenannten Augustinerhofes von 1990/91 eingebracht.44 Erich Mulzer hat sich im zweiten Kapitel seines Buches von 197245 auch kritisch zur Begleitung der Nürnberger Grundsatzbeschlüsse durch die staat­ liche und städtische Denkmalpflege geäußert. Besonders vermisste er den Mut zum kopierenden Wiederaufbau bei einigen Bauten, speziell auch beim Peiler­ haus, wohingegen er bei Burg, Mauer, einigen Staatsbauten und vor allem den großen mittelalterlichen Kirchen die Wiederherstellung in alter Form lobend feststellte. Flier besteht also ein Dissens in der Wertung, und so wundert es nicht, dass Mulzer den Neubau anstelle des historischen Peilerhauses mit der Integration der Ruinenteile mit dem Begriff ortskonträr belegt im Gegensatz zu ortsspezifisch, was immer man darunter verstehen soll. Überhaupt kartiert er eine große Zahl von Wiederaufbauten tadelnd mit diesem Begriff für das nach seiner Ansicht Unpassende. Dieses Begriffspaar führt uns aber in eine Debatte zurück, die schon das ganze 19. Jahrhundert allgemein und besonders in Nürn­ berg bei der Suche nach einem Nürnberger Stil als sinnvolle Architektur­ sprache in der historischen Altstadt geprägt hatte.46 Sie tangierte stets auch denkmalpflegerische Entscheidungen, ist aber als ein denkmalpflegerisch ver­ wertbares Kriterium nur schwer zu handhaben. Gab es Berechtigung zu dieser Kritik? Sicher, es gab auch in Nürnberg Ver­ säumnisse und Fehlentscheidungen. Einige Straßendurchbrüche in der histo­ rischen Altstadt waren aus heutiger Erfahrung überflüssig und kosteten wert­ volle Substanz. Der ausgebrannte Peststadel im Westen des Peilerhauses hätte erhalten und einer angemessenen Nutzung zugeführt werden können. Wann entstand aber das heftigste Ärgernis, das vielleicht auch bei Mulzer zum aus­ lösenden Faktor seines Engagements geworden ist, wann entstand die Störung des mit dem Aufbau Erreichten? 1971 wurde nach einem Wettbewerb von 1969 nördlich des Pellerhaus-Komplexes auf dem ansteigenden Gelände, also in dominierender Stellung, ein Schulbau errichtet, der alle bisher mühsam und behutsam erreichten Formendialoge von Ruine und Neubau brutal über­ schnitt. Völlig zu Recht prangerte Mulzer dies an. Städtebaulich und stadt-

43 Kurz dokumentiert in: Wolfgang Baumann und Herbert Wiglenda (Bearb.): Stadtvisionen, in: Der Nürnberg Atlas. Vielfalt und Wandel der Stadt im Kartenbild, hrsg. von Wolfgang Bau­ mann / Michael Diefenbacher / Hiltrud Herbers u. a., Nürnberg 2007, S. 206f. 44 Ebd. 45 Mulzer: Wiederaufbau (wie Anm. 6), S. 111-147. 46 Vgl. hierzu Norbert Götz: Um Neugotik und Nürnberger Stil. Studien zum Problem der künstlerischen Vergangenheitsrezeption in Nürnberg im 19. Jahrhundert (Nürnberger For­ schungen 23), Nürnberg 1981.

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räumlich übergreifende Bezüge wurden gerade in dieser Zeit Gegenstand ein­ gehender wissenschaftlicher Forschung. Die übergreifende Sehweise der Wir­ kung baulicher Veränderungen in größerem städtebaulichen Zusammenhang hat damals Uwe Paschke - allerdings an einer kaum durch größere Kriegszer­ störungen beeinträchtigten Stadt wie Bamberg - in seiner Erlanger kunsthisto­ rischen Dissertation dargestellt.47 Aspekte wie Ensemble- oder Umgebungs­ schutz sind erst seit dem bayerischen Denkmalschutzgesetz von 1972 zu gesetzlich einforderbaren Kriterien denkmalpflegerischen Handelns in Bayern geworden. Der Vorwurf des vorschnellen Rückzuges der Denkmalpflege von der möglichen Kopierbarkeit der Pellerhausruine ist unter diesem Aspekt also letztlich theoretisch, vor allem, da wir historisch gewordene Fakten erst einmal akzeptieren müssen. Da aber heute in der öffentlichen Debatte auch bestehende Denkmale immer mehr in den Sog retrospektiver Veränderungs- bzw. gar Rückgewin­ nungswünsche geraten, sind die verantwortlichen Denkmalpfleger inzwischen an einer doppelten Front gefordert: Sie müssen einerseits das rechte Verständ­ nis für ihre berufliche und gesetzlich definierte Aufgabe untermauern, anderer­ seits müssen sie das Verständnis für ihr Fachurteil auch über eine inzwischen abgeschlossene Epoche von ca. 60 Jahren weiter fördern. Erst mit beidem können Bewertungen und Kritik verteilt werden. Sicher hatte Erich Mulzer aus seiner damaligen, zeitbedingt kämpferischen Situation vieles kritisch gesehen und er hätte sich eine schon von Anfang an rigorosere und stärker auf historische Kopien wie in einigen anderen europäischen Städten ausgerichtete Wiederaufbaupolitik auch für Nürnberg gewünscht. Seine Publikation von 1972 ist zumindest in ihrem zweiten Teil eine Streitschrift, die das Programm des dann von ihm als Vorsitzenden dominierten Vereins der Altstadtfreunde vorwegnahm. Völlig verständlich ist es auch, dass in einer Stadt wie Nürnberg nach der nahezu einer Auslöschung gleichkommenden Zerstörung im Bombenkrieg seit 1961 der Verlust weiterer 22 Objekte der wenigen verbliebenen historischen Substanz Protest hervorrufen musste. Wer immer daran entscheidend beteiligt gewesen war, eine Bürgerinitiative regte sich in diesen Jahren verständlicherweise, wie in vielen Städten der damaligen Bundesrepublik. Zur Erinnerung sei an die heftigen Diskussionen zur heute fast absurd erscheinenden Bedrohung des Zeughauses in Augsburg erinnert oder an die gewaltigen Verluste in der Altstadt von Kempten, um nur zwei süddeutsche Beispiele zu nennen. 47 Uwe K. Paschke: Die Idee des Stadtdenkmals. Ihre Entwicklung und Problematik im Zusam­ menhang des Denkmalpflegegedankens. Mit einer Darstellung am Einzelfall: der Stadt Bam­ berg (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 45), Nürnberg 1972.

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Solchen negativen Erfahrungen setzte Mulzer das an anderen Orten erlebte rekonstruierende Kopieren als Antwort entgegen, dessen stärkere Verfolgung er sich bei den Nürnberger Entscheidungen nach 1945 gewünscht hätte. Hier zeigte sich ein fundamentaler Unterschied zur Anschauung von Denkmal­ pflege und Stadtplanung direkt nach 1945. Sicher gehört es zu den vermeid­ baren Verlusten, wenn man in Nürnberg so bedeutende historische Bauten wie den Peststadel neben dem Pellerhaus, die Fleischhalle im Stadtzentrum oder den Weiserhof bzw. das Hirsvogelhaus nicht als Kopie wiederzugewinnen versucht hat, obwohl theoretisch und nach der Quellenlage die Möglichkeit dazu nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Wer es damals hätte durchführen wollen, hätte wohl einen auch heute verständlichen Grund finden können. Damals aber überwogen andere Schwerpunkte bei der Rettung von Ruinen. Im Vordergrund, um gleichsam die Seele der Stadt wieder zu beleben, stand die Wiederherstellung der großen mittelalterlichen Kirchen, natürlich auch die Burg als Stadtsymbol und der gewaltige Ring der alten Stadtmauer, eine Selten­ heit höchsten Ranges - also alles Kernobjekte der Stadt, alle aber in einem Ausmaß beschädigt und versehrt, das sich ein heutiger Betrachter nur noch schwer vorstellen kann. Wer hier ein Versagen der staatlichen Denkmalpflege beklagt, übersieht die Komplexheit der damaligen Entscheidungen, übersieht überhaupt den gesamten Rahmen wirtschaftlicher Entscheidungsmöglichkei­ ten, und schließlich kennt er nicht die Gesetzesrealität, denn mehr als eine all­ gemeine moralische Autorität hätte damals, ohne jegliche gesetzliche Eingriffs­ möglichkeit, die kleine Fachbehörde in München nicht in die Bresche werfen können. Jenseits der Frage nach der Wiederherstellung zerstörter Denkmale, die bei der künftigen Entwicklung der Altstadt als sogenannte Leitbauten dienen konnten, erhebt sich aber auch die letztlich unbeantwortbare Frage nach dem jeweils Angemessenen, also: was ist normgebend, was passt zur bestehenden historischen Stadt - eine Diskussion seit der Historismus-Debatte des späten 19. Jahrhunderts48, die gerade hier in Nürnberg immer auf öffentlicher Bühne intensiv diskutiert worden ist. Die Unterscheidung Mulzers in „ortsspezi­ fische“ Neubauten beim Wiederaufbau, im Suchen nach dem Neuen und doch auch Alt-Vertrautes Signalisierenden oder aber „ortskonträre“ - wie eben am Beispiel des Wiederaufbaues der Pellerhaus-Ruine - hält einer kritischen Prü­ fung nicht stand, rettet auch niemanden vor Irrtümern und möglichen Fehlern, konnte nach 1945 und kann auch heute niemandem Sicherheit geben. 48 Siehe Götz (wie Anm. 46); Michael Brix: Nürnberg und Lübeck im 19. Jahrhundert, Denkmal­ pflege, Stadtbildpflege, Stadtumbau (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts, Fritz Thyssen Stiftung, Arbeitskreis Kunstgeschichte 44), München 1981; Michael Petzet: Denkmalpflege in Nürnberg, in: Denkmalpflege Information, hrsg. vom Bayerischen Landesamt für Denkmal­ pflege, Ausgabe A Nr. 45, München 1984, S. 1-10.

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6. Versuch einer Beschreibung und vergleichenden Analyse Es ist also nötig, eine fachliche Analyse der jetzigen Situation vorzunehmen und diese der Öffentlichkeit zu vermitteln. Denn dem Historiker stellen sich die Quellen nur in ihrer gegenwärtigen Beschaffenheit und nicht in ihrem spekulativen bzw. präsumtiven Anderssein dar. Erste und wichtigste Erkennt­ nis ist, dass der heutige Baukomplex mit den Resten des Peilerhauses nichts Isoliertes in einer sonst gänzlich anders gearteten Stadt ist, sondern Teil eines in der nördlichen Nürnberger Altstadt noch immer beachtlichen, sehr prägenden Raum- und Platzgefüges von hohem Rang. Dessen Wiederaufbau hat, mit Aus­ nahme der Übergänge im Süden und Nordosten, die Raumkanten und Höhen­ proportionen von früher ebenso beachtet und aufgenommen wie die alten Dominanten mit der zumindest äußerlich wiederhergestellten Egidienkirche, dem Gebäude des Gymnasiums an der Ostseite, der Tucherpalais-Fassade im Westen und den Ruinenresten des ehemaligen Peilerhauses im Norden. Bei der Wohnbebauung dominieren heute, nach dem völligen Verlust der alten Substanz, traufständige, hell verputzte Zeilenbauten mit knappen Umriss­ formen und steilen, ruhigen Ziegeldächern in aufsteigender, in Tiefe und Höhe versetzter Abfolge auf leicht zurückgenommenen, sandsteinverkleideten Sockelgeschossen mit einfachen stehenden, geteilten Fenstern, die jeweils im Obergeschoss in gestreckteren Proportionen ein zartes, attika-artiges horizon­ tales Band bilden - eine Verbeugung gleichsam vor der benachbarten neuen

Abb. 9:

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Nürnberg, Egidienplatz, heutiger Zustand (Foto: M. F. Fischer)

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Pellerhausfassade und ihrem östlichen Anbau der bisherigen Stadtbibliothek. Weiterhin bestimmend sind in architekturbezogener Position auch die beiden alten Denkmäler für Philipp Melanchthon und Kaiser Wilhelm I. Bezeichnend für diesen so bescheidenen wie subtilen Gesamtrahmen ist nun aber die gleichsam narrative Dichte von Informationen, die sich in Form von Memoria-Versuchen als Tafeln, Inschriften und Objekten auf den wieder­ erstandenen Bauten zeigt. Der Verlusterfahrung antwortet hier ein intensives Sprechen im Medium des Kleindenkmals, in Form kollektiver „Erinnerun­ gen“. Wer den Platz umstreift, findet zum Beispiel an den Westseite, beginnend von Norden, am neuen Haus Egidienplatz 15 eine Inschrift, die an die Beschießung des Vorgängerbaues im Markgrafenkrieg 1552 erinnert, mit einer eingelassenen Steinkugel.49 Am Haus Egidienplatz 13 erinnert eine Tafel an den bedeutenden früheren Bewohner Anton Koberger.50 Daneben ist ein einfacher, zweigeschossiger neuer Erker mit Wappenschmuck angebracht. Der kleine Verbindungsbau Egidienplatz 9 zeigt ein Engelsrelief mit der Inschrift „Ave Maria gratia plena“. Egidienplatz 7, also das alte und neue Tucherpalais, ist beim Wiederaufbau in vielen Details sehr verändert worden.51 Nach Süden, wo einst kleine Nebenbauten gestanden hatten, nahm Fritz Mayer darauf beim Haus Nr. 3 in Form eines kleinen Gebäudes mit durchlaufenden Loggienbal­ kons und zarten Metallbrüstungen Bezug. Der südliche Eckbau Egidienplatz 1 steht quer zur Reihe, mit dem Giebel zum Platz. Er ist mit einer Statue des Hl. Sebaldus auf einer Konsole nahe der Ecke geschmückt. An der Ostseite des Platzes wird am Haus Nr. 4 mit einer Tafel darauf verwiesen, dass hier einst der Maler Johann Adam Klein geboren wurde.52 So verdichtet sich mit vielen Informationen die jetzige Erscheinung des Platzes und seiner Randbauten durch eine reliquienartige Inkorporation von Erinnerungsstücken und Spolien als ein Blick gleichsam in seine Geschichtlichkeit. Es ist eine Wanderung in die Tiefe gesellschaftlicher Erinnerung an Ort und Stelle.53 " ZUR ERINNER UNG AN / DIE BESCHIESSUNG / IM MARKGRAFENKRIEG / 1552 50 HIER STAND DAS HAUS / IN DEM ANTON KOBERGER / EINER DER

BEDEUTENDSTEN / BUCHDRUCKER UND / BUCHHÄNDLER SEINER ZEIT / LEBTE UND ARBEITETE /1470-1513 51 Vom Gebäude stand nach 1945 nur noch die Fassade aufrecht. Beim Wiederaufbau wurde vor allem das Obergeschoss mit seinen Fenstern im Maßstab verändert, ebenfalls die Dach­ silhouette. Damit wurde es gestalterisch seiner neu entstandenen Nachbarschaft eingebunden.

52 AN DIESER STELLE /STAND BIS ZUM /JAHR 1945 DAS HAUS/ IN WELCHEM DER MALER / JOHANN ADAM / KLEIN / AM 24. 11. 1792 / GEBOREN WURDE 53 ln ähnlicher Weise sind nach dem Kriege in Lübeck Fragmente von Bauskulpturen von den am Palmsonntag 1942 beim Bombenangriff zerstörten Bürgerhäusern in der berühmten Meng­ straße in abnehmender gestalterischer Dichte an den Neubauten in der Straßenzeile (Nr. 34/36, 30/32, 26/28) als Überleitung zu den wenigen erhaltenen Resten der historischen Bebauung im Westen der Straße als Erinnerung an den Ort verbaut worden. Dies war eine andere Vorgehens-

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Höhepunkt und neben der Zweiturmfassade von St. Egidien optischer Hauptzielpunkt ist an der Nordseite des Platzes der Bau der Stadtbibliothek und des Stadtarchivs als städtisches Kulturzentrum mit der Integration der geretteten Reste des Peilerhauses. Wie schon dargelegt, ist diese Integration nur durch einen interpretierenden, künstlerisch gestaltenden Umgang mit der Kriegsruine möglich gewesen, mit Korrekturen, Ergänzungen, auch Entfer­ nung von Teilen im Zusammenhang mit dem damit untrennbar verbundenen Neubau, durch den der Gesamtkomplex nunmehr erschlossen wurde. So wurde zu diesem Zweck die große Bresche im östlichen Teil der kräftig rustizierten Erdgeschossfassade sorgfältig in exakter Rekonstruktion geschlos­ sen. Die dahinter liegende große Eingangshalle erhielt ihr reiches Schmuckrippen-Gewölbe zurück. Der fünfgeschossige Neubau darüber, der Magazin­ räume aufnahm, hat zum Platz hin, gerahmt von zwei lisenenartig breiten Mauerstreifen aus sorgfältig bearbeiteten Hausteinen, eine siebenachsige Rasterfassade aus hellem Backsteinmauerwerk, der eine gittermäßige Reihung aus balkonartigen Galerien vorgehängt ist, eine leichte vordere Ebene bildend, an äußerst schlanken, hellen Metallstäben hängend, durch das untere, markan­ ter ausgebildete Balkongitter und mit sieben Rundbögen an der Dachkante deutlich als Einheit zusammengefasst. Vier nach Osten exzentrisch ange­ brachte hohe Masten auf Metallkugeln deuten auf dem Dach auf die Nachbar­ schaft zur Rechten und markieren so auch weithin die Mitte des Platzes. Dieser deutlich der verlorenen Fassade des alten Hauses Reverenz erweisenden Plasti­ zität antwortet am östlichen Anbau - anstelle des alten Imhoffhauses -, der das eigentliche funktionale Zentrum des Komplexes birgt, eine sehr flächige, nicht minder sorgfältig ausgeführte Fassade, ebenfalls mit Sandsteinstreifen gerahmt, um ein Geschoss niedriger, auf einem zweigeschossigen Sockel mit eng gestellten Stützen, der den Niveau-Ausgleich herstellt. Im Inneren geht der Neubau eine innige Verbindung mit den erhaltenen und zum Teil mit kleinen Stützelementen rückwärts gesicherten Ruinenteilen der noch als Ruine den ganzen Reichtum des ehemaligen Hofes des Peilerhauses ahnen lassenden historischen Gestalt ein. Die Detailgestaltung des Neubaues tritt hier deutlich gegenüber der Platzfassade im Dialog mit den historischen Resten zurück, als grazile Hintergrund-Folie gleichsam, mit zarten Profilen. Rings um den Hof bilden die Ruinenteile und der Neubau also zwei Tiefen­ schichten. Alle Besucher müssen nach Eintritt in den Baukomplex die rekon­ struierte Halle durchqueren. Sie erhalten einen Einblick in den Hof mit seinen historischen Architektur-Resten einschließlich des später hierher versetzten Apollobrunnens, bevor sie, sich nach rechts wendend, den Neubauteil mit weise als die in manchen anderen Städten zu beobachtende Verteilung von Fragmenten in neuem räumlichem und optischem Zusammenhang einer sogenannten „Traditionsinsel“.

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Abb. 10: Nürnberg, Egidienplatz mit ehemaligem Pellerhaus, heutiger Zustand. (Foto: M. F. Fischer)

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seinem Hof und seinen Funktionsräumen erreichen. Diesem Eindruck ent­ spricht am Äußeren des Baues eine auch dort angebrachte Erinnerungstafel mit der Inschrift: HIER STAND DAS PELLERHAUS WELTBERÜHMTES RENAISSANCEGEBÄUDE ERRICHTET 1602-1605 DURCH JAKOB WOLFF D./Ä. ZERSTÖRT 1945 WIEDERAUFBAU MIT INSTANDSETZUNG ERHALTENER HISTORISCHER BAUTEILE So wirkt jedes Detail in einem Gesamtkonzept, das als Ganzes ein Dokument der Wiederaufbauzeit darstellt. Ein Beleg für die damals noch erwogene, aber nie vollzogene Option auf Erweiterung des Baukomplexes nach Westen ist die erhaltene Erdgeschoss­ mauer des ehemaligen sogenannten „Schwarzen Pellerhauses“ sowie westlich davon eine Mauer, die an den früheren Peststadel erinnert. Die hier ange­ brachte Inschrifttafel mit den Worten: HIER STAND DER PESTSTADEL TETZELGASSE 30 1480 ERBAUT ALS KORNHAUS REMISE FÜR PESTWAGEN 1864 SCHULHAUS 1921 AMTSGEBÄUDE 1945 ZERSTÖRT gibt die Ereignisse und späteren Beschlüsse aber nur unvollständig wieder - als Dokument des schlechten Gewissens oder einer Verschleierung? Es muss noch einmal zurückgekehrt werden zur Wahrnehmung und Wir­ kung von Ruinen. Seien sie antiker oder mittelalterlicher Herkunft, auf dem 378

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freien Lande oder im städtischen Umraum, man lebte gleichsam mit ihnen, sie boten eine tägliche ästhetische Erfahrung an so bekannten Orten wie Pau­ linzella, Eldena, Walkenried, Chorin oder Gnadenberg, ja auch in Städten wie in Bautzen mit St. Nikolai (seit 1634) oder, gleich mehrfach im Stadtbild in Visby auf Gotland.54 Sie wurden belassen als gleichsam „gefundene“ Ruine, die man pflegte und erhielt, ob gegen die Natureinwirkung oder bewusst mit ihr. Im Vergleich dazu sind die meisten Nachkriegs-Ruineninszenierungen in Deutschland und Europa Beispiele für einen „gestaltenden Umgang“ mit Rui­ nen, für bewusst gestaltete Kunstwerke, also Ereignisruinen, zwar belassen im Einzelfall, aber fast immer mit einem mahnenden Charakter versehen. Das massenhafte Ruinenerlebnis führte allenthalben zu neuen Antworten und führte fast immer in der einen oder anderen Form zum Mahnmal als neuer Gattung. Als häufiges Argument zur Legitimation eigener aktueller, als Fehlerver­ besserung bezeichneter Änderungswünsche ist daher der Hinweis darauf zu vernehmen, dass seinerzeit bei den auf eine Zerstörung folgenden Maßnahmen der Ruineninterpretation der Vorgefundene ruinöse Befund ohnehin nicht immer original erhalten, sondern verändert worden sei. Man kann es nicht entkräften. Es bedarf dessen auch nicht. Es war ja ganz selbstverständlich, dass gerade Kriegsruinen, die in ihrem gewaltbedingten Zustand als Träger einer Botschaft erhalten werden sollten, zu diesem Zwecke erst einmal einer Beräumung mancher Trümmersituationen, auch der Herstellung einer neuen Statik bedurften, um ihren Zweck zu erfüllen, häufig auch zur Aufnahme interpre­ tierender Zutaten und Ergänzungen. Erst die Herstellung eines Bildes machte den Gegenstand also aussagestark. Schon Paul Clemen hatte 1933 die Fort­ existenz von reinen Ruinen in den heutigen Großstädten als etwas Unmög­ liches bezeichnet.55 Wilhelm Hausenstein fand nach 1945 angesichts der Rui­ nenlandschaften in München, dass die moderne Großstadt keine noble Ruine mehr biete.56 Wer zum Beispiel die vielen Fotografien der Südfront des 1944 durch Sprengbomben beschädigten Siegestores am Nordende der Ludwigstraße in München vergleicht, über die Sicherung bis 1948, dann bis 1958 zur heutigen, auf Josef Wiedemann zurückgehenden Gestalt, mit der bekannten Mahnmal-

54 Vgl. Manfred F. Fischer: Die Ruine der ehemaligen Flauptkirche St. Nicolai in Hamburg, das ewige Mahnmal, in: Vom Umgang mit kirchlichen Ruinen, Tagungsdokumentation Mai 1991 (Denkmalpflege Hamburg 8), Hamburg 1992, S. 32-52, insbes. S. 43—48. 55 Clemen (wie Anm. 13), S. 11. 56 Wilhelm Hausenstein: Licht unter dem Horizont, Tagebücher 1942 bis 1946, München 1967, S. 164 (6. Oktober 1943).

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Inschrift37, der kann deutlich die Spuren eines solchen interpretierenden Um­ ganges erkennen. Als Beispiel sei auch die Äußerung von Gustav Oelsner von 1951 erwähnt, als bei der Ruine der neugotischen Hauptkirche St. Nikolai in Hamburg das im Krieg stark beschädigte, aber reparaturfähige Hauptschiff größtenteils abgebrochen worden und nur der gigantisch hohe Turm übrig geblieben war. Oelsner empfand die Wunde des ehemaligen Schiffsansatzes am Turm als störend und schlug vor, sie künftig zu beranken. Nur ein solcher Not­ verband könne nach seiner Überzeugung das Objekt als Mahnmal akzeptabel machen.58 Deutlich sieht man solche Bildhaftigkeiten der Erscheinung auch am Beispiel der bekannten, Palmarum 1942 beim ersten großen Fliegerangriff auf eine deutsche Stadt in die Tiefe des Südturmes in die ehemalige Schinkelkapelle gefallenen Glocken von St. Marien in Lübeck, an originaler Stelle belassen und dann 1947-51 anlässlich der 700-Jahr-Feier der Kirche als Mahnmal gestaltet, von allen Besuchern am stärksten als ein momenthaftes Einhalten der Zeit empfunden. Wir sehen auch hier immer ein „Bild“ von der Ruine, in einer ins­ zenierten, gestalteten Form.59 So entstanden die Doppelexistenzen von Bauten, in und mit denen Neues entstand, das aber das Versehrte Alte gleichsam in Schutz nahm und inkor­ porierte, nach Art der klassischen Bilingue. Zu den ältesten Beispielen für diese Art des Umganges mit Ereignisruinen gehört der Vorschlag des römischen Architekten Giuseppe Valadier, die 1823 bei einem verheerenden Brand zer­ störte Patriarchalbasilika St. Paolo fuori le mura in Rom nur in ihrem Chor­ raum und Querschiff neu wiederaufzubauen, das riesige fünfschiffige Lang­ haus aber als Ruine und gleichsam als räumliches Vorfeld stehenzulassen.60 Was hier gleichsam nur ein romantisches Gedankenexperiment gewesen war, begeg­ net uns nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges gleich mit vielen Bei­ spielen: Beim Neubau der 1891-95 in neuromanischen Formen erbauten und im Krieg stark beschädigten Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirchc in Berlin war die Ruine anfangs immer mehr beräumt worden. In den von Egon Eiermann 1959-63 errichteten Neubau wurde erst auf Druck der Öffentlichkeit die Ruine im Zuge einer Umplanung integriert, als mahnende, an das von früher Vertraute erinnernde Silhouette.61 Eiermann vollzog hier in Berlin das, was er

57 Beseler / Gutschow (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 141 Of. 58 Siehe Fischer (wie Anm. 54), S. 38. 59 Manfred F. Fischer: Die Glocken von St.Marien. Ein vorläufiger Bericht zu einem Mahnmal in Lübeck, in: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 82 (2002), S. 265-293. 60 Paolo Marconi: Giuseppe Valadier, Rom 1964, S. 215-237. 61 Heinrich Trost: Vom Umgang mit kirchlichen Ruinen in Berlin, in: Tagungsdokumentation (wie Anm. 54), S. 56.

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zuvor schon bei dem Wettbewerb für St. Nikolai in Hamburg vorgeschlagen hatte.62 Besonders vielfältig an Ruinenintegrationen im Zuge des Wiederauf­ baues sakraler Bauten ist die reichhaltige Kirchenlandschaft der Stadt Köln. Aus der Fülle an Varianten sei nur nur das populärste Beispiel genannt, nämlich die Pfarrkirche St. Kolumba. In die gesicherten Reste des im Krieg stark zer­ störten Baues hat 1949/50 Gottfried Böhm den kleinen Zentralbau „Madonna in den Trümmern“ integriert.63 Zur gleichen Zeit gestaltete in München Hans Döllgast die ebenso ruinöse, von Georg Friedrich Ziebland in frühchristlichen Formen gestaltete Klosterkirche St. Bonifaz (1835-47) unter Verwendung des südlichen Teiles des Schiffes neu, indem er dieser „Rumpfbasilika“ einen Neu­ bau im Norden entgegenstellte, auch hier eine Zwiesprache zwischen Ruine und Neubau mit hoher Spannung.64 Etwas später geschah ähnliches in Würz­ burg, als 1956/57 Reinhard Riemerschmid dem Stumpf des Turmes der schwer beschädigten Kirche St. Johannis nahe der Residenz nicht nur einen Neubau des Kirchenschiffes gegenüberstellte, sondern ihn mit zwei sehr schlanken Turmspitzen aus Beton flankierte, eine der Berliner Lösung Eiermanns nicht unähnliche Gestaltung.65 Nicht vergessen werden darf die bis heute weitläufigste Anlage einer Ruineninszenierung dieser Art: Die am 14. November 1940 bei einem deut­ schen Luftangriff zerstörte Kathedrale der mittelenglischen Stadt Coventry wurde, im Zuge des schon 1947 begonnenen Wiederaufbaues, einem Wettbe­ werb von 1951 folgend, von Sir Basil Spence bis 1962 mit einem völligen Neu­ bau der Kathedrale zu einem Paar zusammengefügt, eine Bilingue von großer Eindrücklichkeit.66 Im Bereich des Profanbaues sei noch auf den Neubau des Stadttheaters in Münster/Westfalen verwiesen. Der ehemalige Romberger Hof war im Krieg fast völlig zerstört worden; einen Teil der Gartenfassade, die erhalten geblieben war, integrierten die Architekten in ihren Neubau. Nach ersten Planungen seit 1950 war auch eine Rekonstruktion des Romberger Hofes erwogen worden. Das Team Deilmann, von Hausen, Rave und Ruhnau führte den sehr modernen Theaterbau dann 1954-56 aus und behandelte den

62 Siehe Fischer (wie Anm. 54), S. 40. 65 Werner Geis: „Madonna in den Trümmern“. Das Schicksal der Pfarrkirche St. Kolumba in Köln, in: Tagungsdokumentation (wie Anm. 54), S. 100-114. Vgl. auch St. Kolumba, in: Colonia Romanica. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln e.V. X (Kölner Kirchen und ihre mittelalterliche Ausstattung 1), Köln 1995, S. 241-255 (bearb. von Christoph Bellot). M Nerdinger / Florschütz (wie Anm. 4), S. 275-281 (Katalog Nr. 5.21). 65 Ebd., S. 286 (Katalog Nr. 5.28). 66 Zur Planungs- und Baugeschichte siehe Louise Campbell: Coventry Cathedral. Art and architecture in post-war Britain (Clarendon studies in the history of art), Oxford 1996.

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historischen Fassadenrest als eine bewusst der Funktion des Gebäudes entsprechende architektonische Kulisse.67 Nürnberg, und zwar nicht allein das Pellerhaus mit seinem Hof, sondern seine Einbindung in die Gesamtgestaltung des Egidienplatzes und der dort stehenden alten, neu interpretierten und neu erstellten Bauten, kann also in diesem Sinne als Teil eines europäischen Kontextes angesehen und gewürdigt werden. Der Platz mit seinen Randbauten und dem Neubau von Bibliothek und Archiv mit der inkorporierten Ruine sind Dokument einer Zeitströmung, die sich in besonderer Weise mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges aus­ einandergesetzt hat und damit eine bis in unsere Tage mahnende Botschaft transportiert. 7. Schlussfrage Was nährt also die gegenwärtige Akzeptanz-Debatte, so dass politische Ent­ scheidungen sehr emotional ausfallen? Oder sind diese nur populistisch, wie eben Politik oft ist? Ist der Ruf nach Rekonstruktionen nur eine vorüber­ gehende Mode, wie wir sie auch an vielen anderen Orten wirksam sehen, beginnend mit der Gestaltung am Römerberg in Frankfurt am Main und bis zu den aktuellen Rekonstruktionen von Fassaden gesprengter historischer Schlös­ ser fortwirkend? Mit der Analyse mancher inzwischen dort entstandener Situationen als Denkmal, als Platzensemble, als besonders wertvoller Teil des Stadtbildes allein kann es nicht sein Bewenden haben, da dies die offenbar bestehenden Akzeptanzprobleme nicht aus der Welt schafft. Manche aktuelle Entscheidungen lassen sich ohnehin nicht mehr verschieben. Es stehen zum Beispiel beim Pellerhaus-Ensemble auch Funktionsänderungen für den ganzen Baukomplex an, die sich architektonisch auswirken werden. Was also ist zu tun? Wer immer seine Stimme aus denkmalpflegerischer, bauge­ schichtlicher Sicht erhebt, wird heute sicher folgende Rahmenentscheidungen für Platz und Gebäude als vorrangig benennen müssen: - Zuerst muss darauf verwiesen werden, dass als Grundlage allen Handelns ein sorgfältiger Umgang mit der gesamten den Platz bestimmenden Architektur nötig ist. Dies betrifft vor allem die aus der Wiederaufbauzeit stammenden, noch immer konservativ handwerklich bestimmten Details am Bau. Billigprodukte und Ersatzmaterialien könnten hier nur Verheerendes bewirken. 67 Beseler / Gutschow (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 667f.; Niels Gutschow / Regine Stiemer: Dokumen­ tation Wiederaufbau der Stadt Münster 1945-1961, Münster 1982, S. 223-234.

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- Wenn zur Zeit Prüfaufträge seitens der Verwaltung bearbeitet werden, so sind diese auf die Vollständigkeit des Prüfungsinhaltes hin zu befragen und gegebenenfalls um Fehlendes zu ergänzen. Nach Jahrzehnten bedarf auch die bautechnische Struktur der Ruinenteile und ihrer Sicherungen einer Überprüfung ihrer weiteren Funktionstüchtigkeit. - Was immer an bildhauerlichen Ergänzungen und Rekonstruktionen den jetzt vorhandenen Ruinenteilen im Hof hinzugefügt werden mag, um das historische Bild wieder zu vervollständigen: es ist vor allem im Hinblick auf die Verträglichkeit des zu verwendenden neuen Steinmateriales mit dem seit Jahrzehnten der Witterung ausgesetzten Bestand gründlich zu überprüfen. - Pflegemaßnahmen auch an den Neubauteilen des ehemaligen Pellerhauses sind dringend geboten. Bei der Erhaltung der oft sehr grazilen Details und Materialien ist besondere Sorgfalt nötig. - Jegliche Entscheidung zum Umgang mit dem jetzigen Pellerhaus-Ensemble muss auch eine Aussage über den künftigen Umgang mit der jetzigen Brache westlich des Baukomplexes zum Inhalt haben. - Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass auch die Freifläche des Egidienplatzes einer gründlichen Bereinigung bedarf. Das betrifft sowohl den ruhenden Verkehr, das Parkkonzept also, wie auch das Grünkonzept. Die gänzlich amorphe Verteilung von Bäumen, die inzwischen auch viel zu hoch ge­ wachsen sind, zerstört die Raumwirkung wie auch die so bedeutsame Platzierung der Denkmäler in diesem Raum. So ist also viel zu tun, wenn aus der gegenwärtigen Debatte ein wirklich zukunftsweisendes Gesamtkonzept erarbeitet werden soll. Hierzu muss gedul­ dige Überzeugungsarbeit geleistet werden, andererseits bedarf es auch des Einforderns partnerschaftlichen Verhaltens aller Beteiligten. Die Verantwortung für die Auswirkungen und die Folgen und Reichweite ihrer heutigen Ent­ schlüsse und Handlungen kann der jetzt handelnden Generation niemand abnehmen. Denn trotz mancher Meinungsverschiedenheiten über Erreichtes oder Versäumtes bleibt die Conclusio bestehen, mit der 1955 Wilhelm Schwemmer seine Beschreibung des Egidienplatzes geschlossen hatte: Aber auch nach dem Wiederaufbau wird noch sehr viel von der alten Substanz übrig bleiben und von der großen Vergangenheit Nürnbergs künden, die auf das engste mit der Geschichte des Reiches verbunden war. Geheimnisvoll werden sich auf diesem Platz auch in Zukunft Vergangenheit und Gegenwart die Hände reichen,68

68 Wilhelm Schwemmer: Der Egidienplatz und seine Kunstdenkmäler im Wandel der Jahrhun­ derte, in: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 4 (1955), S. 9-11.

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EINE MELANGE AUS ALT UND NEU Zur Diskussion um den Umgang mit dem Pellerhaus in den 1950er Jahren Von Herbert May

Die im Herbst 2005 angestoßene Diskussion um die Rekonstruktion des Pei­ lerhofes mit Rückgebäude und Seitenflügel wirft die Frage nach den Entschei­ dungsprozessen in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Umgang mit einem der bedeutendsten Bürgerhäuser Nürnbergs auf. Wie kam es zu der Melange aus Neubau des Vorderhauses und Bestandssicherung beziehungsweise Teilre­ konstruktion der Hofanlage, die nun schon ein halbes Jahrhundert die bauliche Situation am nördlichen Rand des Egidienplatzes prägt? War das Belassen der Pellerhof-Ruine den fehlenden finanziellen Mitteln geschuldet, oder wollte man damit ein Mahnmal gegen den Wahnsinn des Krieges schaffen? Welche baulichen Alternativen wurden diskutiert und wann sind die Weichen für die noch heute gültige Bebauung endgültig gestellt worden? Fragen, auf die der folgende Beitrag eine Antwort zu geben versucht. Er steht in engem Zusammenhang mit dem vorangehenden Aufsatz von Manfred Fischer, der das Pellerhaus im Kontext der Nachkriegsentwicklung des gesamten Egidienplatzes betrachtet. Das Pellerhaus als Teil einer Gesamtplanung für den Egidienplatz Das Aufbaukuratorium, ein vom Nürnberger Stadtrat zur Bewältigung des Wie­ deraufbaus gebildetes, ehrenamtlich arbeitendes Sachverständigenkollegium, befasste sich im Juni 1951 erstmals mit der Standortfrage hinsichtlich der Unter­ bringung der Stadtbibliothek, der Bibliothek der Hochschule für Wirtschafts­ und Sozialwissenschaften und vor allem des Stadtarchivs, das von 1932 bis in die Kriegsjahre bereits im Pellerhaus untergebracht gewesen war.1 Doch sollte es noch über ein Jahr dauern, bis die Diskussion um die Gestalt eines derartigen Bibliotheks- und Archivgebäudes konkreter wurde. Nachdem der Stadtrat im Oktober 1952 eine erste Baurate in Höhe von 400.000 DM bewilligt hatte, empfahl der Kulturbeirat der Aufbaukommission am 6. November 1952 mit großer Mehrheit die Errichtung des Bibliotheks- und Archivgebäudes am Egi­ dienplatz.2 Der Bauausschuss des Stadtrates griff vier Tage später die Anregung der Aufbaukommission auf und sah wegen der Schwierigkeiten im Hinblick auf die denkmalpflegerische Behandlung der Peilerhausruine als ersten Bauabschnitt 1 2

Gerhard Pfeiffer: Das neue Dienstgebäude des Stadtarchivs Nürnberg, in: Archivalische Zeit­ schrift, 57. Jg. (1961), S. 132. Ebd.

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Abb. 1:

Das Pellerhaus, Aufnahme 1940. (StadtAN A 38 H-71-XI)

einen Neubau im Bereich des östlich an das Pellerhaus anschließenden, kriegs­ zerstörten Imhoffschen Hauses vor. Erst in einem zweiten Bauabschnitt sollte das Grundstück des ehemaligen Pellerhauses mit Vortrags- und Ausstellungs­ räumen bebaut werden, und in einem dritten Bauabschnitt war ein nördlich anschließender Erweiterungsbau vorgesehen, der jedoch erst in weiter Zukunft ausgeführt werden sollte.3 Am 20. November 1952 wurde dieses Gutachten des Bauausschusses vom Stadtrat zum Beschluss erhoben. Auf dieser Grundlage kam es dann Mitte Dezember 1952 zur Ausschrei­ bung des „Ideenwettbewerbs für den Wiederaufbau des Egidienplatzgebietes“. Erwartet wurde von den Wettbewerbsteilnehmern folgende grundsätzliche Vorklärung der Aufgabe: 1. Wiederbebauung der Nord- und Westseite des Egidienplatzes aus städte­ baulicher Hinsicht 2. Erfüllung des vorgesehenen Wohnungsbauprogramms 3. Befriedigung der Raumbedürfnisse des Archivs und der Bibliotheken.4 3 4

Ideenwettbewerb über die Wiederbebauung des Egidienplatzes in Nürnberg, Januar-März 1953, o.O. [Nürnberg], o.J. [1953], S. 4. Pfeiffer (wie Anm. 1), S. 134.

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Die Vorschläge der Wettbewerbsteilnehmer hatten sich an den oben genannten drei Bauabschnitten zu orientieren. Beim zweiten Bauabschnitt sollen die noch erhaltenen Teile des Peilerhauses nach Möglichkeit in den Neubau mit einbezo­ gen werden [...]. Die Frage eines Wiederaufbaues des Peilerhauses in alter oder in neuer Form soll durch den Wettbewerb einer Klärung näher gebracht wer­ dend Für Joseph M. Ritz, den Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege, kam angesichts des Totalverlustes der Wiederaufbau in Form einer Kopie des Peiler­ hauses allerdings nicht in Betracht.56 Das echt Alte neben das echt Neue stellen - der Entwurf von Fritz und Walter Mayer Am 16. April 1953 trat das Preisgericht zusammen und beriet über die ins­ gesamt 29 eingegangenen Arbeiten. Den Vorsitz des Preisgerichtes hatte der Architekt Sep Ruf inne. Dem Gremium gehörten insgesamt 21 Personen an, darunter Oberbürgermeister Otto Bärnreuther, Baureferent Heinz Schmeißner und der schon erwähnte Leiter des Landesamtes für Denkmalpflege, Joseph M. Ritz. Der erste Preis ging an die Nürnberger Architekten Fritz und Walter Mayer.7 Fritz Mayer (1889-1964) war nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit seinem Sohn Walter an zahlreichen Wiederaufbaumaßnahmen der Nürn­ berger Altstadt beteiligt. Doch auch schon vor dem Krieg hatte er an namhaf­ ten Bauprojekten mitgewirkt, so zum Beispiel an der Errichtung der Ehrenhallc im L.uitpoldhain (1928/29). In der Bewertung durch das Preisgericht heißt es über den Mayer-Entwurf: Die gesamte Konzeption ist erfreulich, sie trifft die Atmosphäre des Egidienberges. Die gesamte Anlage des Bibliotheksbaues entspricht durchaus den Anforde­ rungen. [...] Der alte Bestand des Peilerhauses ist glücklich verwendet und wird einer neuen lebendigen Funktion zugeführt. Bei der äußeren Gestaltung wäre zu wünschen, daß der neue, auf den alten Grundmauern des Peilerhauses auf­ gesetzte Fassadenteil entschiedener von den übrigen Fassaden abgesetzt wäre.8 Walter Mayer selbst sprach sich dezidiert gegen eine Rekonstruktion des Pellerhauses aus: Grundsätzlich sind wir der Meinung, das Pellerhaus in seine

5 6 7 8

Ideenwettbewerb (wie Anm. 3), S. 4. Pfeiffer (wie Anm. 1), S. 134; Heinz Schmeißner: Bericht über den Wettbewerb für den Neubau der städtischen Bibliotheken in Nürnberg, in: Mitteilungen der Stadtbibliothek Nürnberg, 2. Jg. (1953), Heft 2, S. 2. Schmeißner (wie Anm. 6), S. 3. StadtAN C 30/1 Nr. 212, Niederschrift über die Sitzung des Preisgerichts für den Ideen­ wettbewerb über die Wiederbebauung des Egidienplatzgebietes in Nürnberg am 16.4.1953.

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Abb. 2:

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Der Peilerhof. Blick nach Süden zum Vorderhaus. Aufnahme 1935. (StadtAN A 44 C6167-30)

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alten Gestalt nicht wieder entstehen zu lassen. So gut eine Nachahmung auch sein mag, es bleibt doch eine Kopie. Wer gäbe das Geld für solch eine kost­ spielige Arbeit, zumal der Nutzungszweck des Gebäudes im Falle der Nachbil­ dung auch eine offene Frage wäre.’’ Am 27. Mai 1953 wurde dem Architekturbüro Mayer der Auftrag zur Erstellung der Baupläne erteilt, über die der Nürnberger Baukunstbeirat ein Jahr (26. Mai 1954) später wie folgt urteilte: Der Baukunstbeirat stimmt dem Projekt im Prinzip zu. Über den Vorschlag für die Gestaltung des Neubaus anstelle des früheren Pellerhauses werden verschiedene Meinungen geäußert. Der Baukunstbeirat ist der Auffassung, daß für diesen Bau später immer noch Änderungsvorschläge gemacht werden können, wenn der erste Bauabschnitt, das ist der östliche Flügel, errichtet ist. [...] Oberbaurat Schwemmet ist dafür, daß der Punkt des früheren Pellerhauses nicht zu stark betont wird, daß viel­ mehr eine freie Variante des früheren Zustandes gefunden wird.10 Prinzipiell vertrat der Baukunstbeirat für den Wiederaufbau der Nürnberger Altstadt eine Position der Wahrhaftigkeit, Echtheit und Klarheit, dem der Mayer-Entwurf entsprach. In der bedeutsamen Resolution vom 5. Dezember 1953 erläuterte der Baukunstbeirat die Grundlagen für den Wiederaufbau: Nürnberg charak­ teristisch nürnbergisch erhalten heißt also: diese Stadt lebendig erhalten und neben das echt Alte das echt Neue stellen. [...] Ein besonderes Kennzeichen unseres baukünstlerischen Strebens ist Wahrhaftigkeit, Echtheit und Klarheit. Wenn dabei heute bei manchen Bauten die menschlich-wärmende seelische Ausdruckskraft noch vermisst wird, so wissen wir, das diese keineswegs gewon­ nen werden kann durch Zurückgreifen auf alte Formen, sondern nur durch mutiges Weiterschreiten ins völlig Neue. [...] In den Gebieten mit großer situa­ tionsverändernden Zerstörungen kann bei aller maßstäblichen Anpassung die charakteristische Wirkung auch durch kontrapunktische Gestaltung neuer Bauten erreicht werden. Entscheidungen sind hier nur von Fall zu Fall möglich (Beispiel: Bibliotheksbauten am Egidienberg mit Flachdach).u Neue Weichenstellung - das Peilerhaus im ersten Bauabschnitt Uber eineinhalb Jahre waren nun vergangen, ohne dass ein Spatenstich am nördlichen Rand des Egidienberges erfolgt wäre. Im Januar 1955 kam es schließlich zu einer entscheidenden Planänderung, die dem Projekt eine neue 9 Walter Mayer: Zum Neubau der städtischen Bibliothek in Nürnberg, in: Mitteilungen der Stadtbibliothek Nürnberg, 4. Jg. (1955), Heft 3, S. 21. 10 Bauordnungsbehörde Nürnberg, Bauakt Egidienplatz 25/27, Abschrift vom Auszug aus dem Protokoll der 160. Sitzung des Baukunstbeirates am 26.5.1954. 11 StadtAN C 39 Nr. 25, Resolution des Baukunstbeirates zum Problem des Aufbaus der Nürn­ berger Altstadt vom 5.12.1953.

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Abb. 3:

Das zerstörte Peilerhaus, Aufnahme 1945. Das Vordergebäude ist nur noch am Rustika­ sockel und den Fensterformaten im Erdgeschoss erkennbar. (StadtAN A 39 Fi-E-20)

Richtung und Dynamik verlieh. Entsprechend den Wettbewerbsbedingungen sollte zunächst bekanntlich nur der Bereich östlich des Peilerhauses in einem ersten Bauabschnitt bebaut werden. Um den Platz nach Norden jedoch voll­ ständig zu schließen und das Pellerhaus nicht auf unbestimmte Zeit an städte­ baulich derartig exponierter Lage als Ruine zu belassen, kam nun der Gedanke auf, das Pellerhaus gleich in den ersten Bauabschnitt mit einzubeziehen.12 Stattdessen sollte der an der Rückseite des Komplexes vorgesehene Magazinneubau aufgeschoben werden. Man hoffte, trotz der Planänderung die ermittelten Gesamt-Baukosten in Höhe von 3.185.509 DM nicht zu überschreiten. Die Planänderung fand die Zustimmung des Bauausschusses, des Baukunst­ beirates und des Stadtrates. Der Baukunstbeirat legte in seiner Sitzung vom 13. Januar 1955 Wert darauf, dass die Front am Egidienplatz einschließlich des früheren Pellerhauses in einem Zuge gebaut wird.'3 12 Pfeiffer (wie Anm. 1), S. 136. 13 Bauordnungsbehörde Nürnberg, Bauakt Egidienplatz 25/27, Abschrift vom Auszug aus dem Protokoll der 177. Sitzung des Baukunstbeirates am 13.1.1955.

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Gleich darauf begann das Architekturbüro Mayer mit der Umarbeitung der Pläne und schlug vor, den Innenhof des Pellerhauses unter Verwendung der erhaltenen Arkaden durch Überbau eines Glasdaches als Lese- und Vortrags­ saal zu gestalten. Die Unterbringung der Bücherausleihe sollte in einem auf Kosten der hohen Erdgeschosshalle einzuziehenden Zwischengeschoss des Pellerhauses erfolgen. Dieser Vorschlag fand bei Baureferent Heinz Schmeißner und Baudirektor Paul Seegy allerdings keine Zustimmung.14 Sie rieten dem Bauausschuss, die Ruine des Pellerhofes zu belassen - also auf die Nutzung als Lesesaal zu verzichten - und auch vom Einzug eines Zwischengeschosses im Peilerhaus abzusehen, um den Charakter der großen Erdgeschosshalle nicht zu zerstören. Nun sollte der Eingang in den Gesamtkomplex vom Pellerhaus erfolgen, womit der Halle im Erdgeschoss eine erhöhte Bedeutung zukam. Die neuerlichen Pläne des Architekturbüros Mayer, die den Vorschlag von Schmeißner und Seegy berücksichtigten, sahen erhebliche Rekonstruktionen der Arkadenbögen im Bereich der westlichen und östlichen Hofgalerie (vor allem im ersten Obergeschoss) wie auch des Hinterhauses vor. Walter Mayer beurteilte des neuen Entwurf wie folgt: Wir gehen also durch das alte Portal des Pellerhauses, gelangen in die Eingangshalle und finden, daß doch noch erhebliche Teile der alten Bausubstanz erhalten wurden. Es soll also das Erdgeschoß ergänzt und auch außen mit seinem Rustikamauerwerk wieder aufgebaut werden. Geradeaus zu hat man einen Blick in die Ruine des berühm­ ten Hofes. Wir hoffen, daß auch hier langsam Stück für Stück wieder zusam­ menwachsen wird. Je zwei Gewölbe links und rechts des Einganges können für Ausstellungszwecke genutzt werden. Gerade in einem historischen Kleid wer­ den die schönen, wertvollen Bücher und Handschriften so ausgestellt werden könne, wie der Besucher es wünscht. Es wird sogar möglich sein, im Ruinenhof die Stimmung zu erwecken, in einer Sommerabendstunde ein kleines Konzert aufzuführen. Nüchtern betrachtet können die beiden historischen Räume, Ein­ gangshalle und Hof, ohne den Bibliotheksbetriebe zu stören, erreicht werden. Die Freunde des alten Pellerhauses werden die prachtvolle Wendeltreppe begehen können und dabei die reich verzierte Treppenuntersicht bewundern. [...] Bezüglich des Lesesaals wurden mehrere grundlegende Gedanken zu Papier gebracht. So trug man sich lange Zeit mit der Absicht, den Lesesaal in die Hofruine einzubauen, also die Erdgeschossarkaden des Hofes mit einem Glas­ dach abzudecken. Zweifellos eine erwägenswerte Lösung, aber mit so empfind­ lichen Nachteilen für den Bibliotheksbetrieb und auch für die gestalterische Seite einer Peilerhofarchitektur, daß man doch auf die erste Lösung zurückkam.

14 Pfeiffer (wie Anm. 1), S. 136.

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Es wird ein neuer Lesesaal gebaut und der schöne Hof in seinem ursprünglichen Charakter eines echten, offenen Nürnberger Bürgerhaushofes belassen.'5 Am 8. Juni 1955 billigte der Stadtrat die geänderten Pläne: ln der Frage, oh der eigentliche Peilerhof als Lesesaal ausgebaut werden soll oder die Ruine des Fellerhöfes denkmalpflegerisch unberührt zu belassen, wird die zweitgenannte Lösung präferiert. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege hat für diesen Fall 50.000 DM zugesagt.16 In der „Nürnberger Zeitung“ vom 9. Juni 1955 heißt es unter der Über­ schrift „Pellerhof wird wieder aufgebaut“: Der historische Hof[...\ soll wieder voll zur Wirkung kommen [...] Das geschieht vor allem auf Wunsch des Lan­ desamtes für Denkmalpflege, das sich dafür auch bereit erklärte, 50.000 DM zur Verfügung zu stellen. Auch die Fassade am Egidienplatz - und das ist besonders zu begrüßen - bleibt erhalten, soweit sie noch steht.'7

Abb. 4:

Situation im Mai 1950. Der Schutt ist weitgehend weggeräumt, der Treppenturm hat zwischenzeitlich eine Abdeckung erhalten. (StadtAN A 39 Fi-E 118)

15 Mayer (wie Anm. 9), S. 22ff. 16 NN, 9.6.1955 17 NZ, 9.6.1955.

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Stark einsturzgefährdet - die Pellerhaus-Ruine Über ein Jahrzehnt lang war die Pellerhaus-Ruine ungesichert und ungeschützt den Witterungseinflüssen ausgesetzt gewesen - mit der Folge, dass der Zahn der Zeit sprichwörtlich am lädierten Bauwerk nagte und die Ruine sich stark einsturzgefährdet zeigte. Deutlich wurde dies bei einem Ortstermin der Bau­ ordnungsbehörde am 2. November 1955: Die Ruinenteile des Peilerhauses sind durch die jahrelangen Witterungseinflüsse stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Besonders einsturzgefährdet erscheint die östliche Hälfte. Die Ost­ brandmauer, die schon nach dem Kriege in der oberen Hälfte neu errichtet wurde, hängt stark über und ist ausgebaucht. Der untere Teil dieser Mauer ist nur Mauerwerk aus Findlingen. Stark verwittert und porös. Mit ihrem Funda­ ment steht sie zum Teil auf einem Gewölbeansatz des anschließenden Kellers. Der ab 1. Obergeschoß in der östlichen Hälfte und im Südteil des Pellerhauses befindliche Bauteil (Pfeiler, Bögen und Mauerwerk) sind [!] ebenfalls nicht mehr standsicher, da die Sandsteine durch Brand und Witterungseinflüsse aus­ gebrochen sind und der noch stehende Rest so spröde ist, daß man mit der Hand Sandsteinteile lösen kann. Da die Ruinenteile des Pellerhauses in der östlichen Hälfte beseitigt werden, jedoch durch H II/D sichergestellt werden müssen, wäre der Arbeitsvorgang der Bauleitung richtiger gewesen, zuerst die sicher­ heitsgefährdenden Bauteile abzutragen und dann erst mit dem Baugrubenaus­ hub zu beginnen. Schon die Verwendung der Presslufthämmer erzeugen Er­ schütterungen, die einen Einsturz der fraglichen Bauteile herbeiführen können. Es wurde deshalb angeordnet, daß im Bereich der Ostbrandmauer des Peller­ hauses (mit Granitsteinen aufgemauert) keinerlei Arbeiten und auch keine Lagerung von Baustoffen und dergl. durchgeführt werden - solange der sicher­ heitsgefährdende Zustand beseitigt bzw. die Bauteile so gesichert oder abgetra­ gen sind, daß eine Einsturzgefahr unmöglich ist. Herr Arch. W. Mayer erklärte, daß in den nächsten Tagen die Vergabe der Steinmetzarbeiten, die auch die Ab­ tragung und Sicherstellung der Ruinenteile des Pellerhauses enthält, erfolgen wird.™ Die Nürnberger Baufirma Feiler lehnte in Anbetracht der außerordent­ lich schwierigen Abbruch- und Auswechslungsarbeiten in den Ruinenteilen des Pellerhauses die Verantwortung ab und bat die Firma „Spannbetonwerk Fran­ ken GmbH“ aus Fürth um Unterstützung und Übernahme der Arbeiten.19

18 Bauordnungsbehörde Nürnberg, Bauakt Egidienplatz 25/27, Aktenvermerk. 19 Bauordnungsbehörde Nürnberg, Bauakt Egidienplatz 25/27, Kopie des Schreibens von Hanns Fellner an Spannbetonwerk Franken GmbH vom 20.1.1956.

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Abb. 5:

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Der Peilerhof im November 1955. Der Blick geht nach Süden zu den Resten des Vorder­ gebäudes, rechts der Treppenturm. (StadtAN A 38 L-103-VIII)

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Abb. 6:

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Blick vom Vorderhaus in den Peilerhof mit den Resten des Rückgebäudes. Aufnahme April 1955. (StadtN A 38 L-97-XII)

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Die baulichen Erinnerungen pietätvoll erhalten -

zur Einweihung des Gebäudes Nach einer Bauzeit von 20 Monaten - die Grundsteinlegung erfolgte am 4. April 1956 - wurde der Gebäudekomplex am 14. Dezember 1957 feierlich eingeweiht. Heinz Schmeißner hob in seiner Einweihungsrede die geglückte Verschmelzung alter Substanz mit neuen Formen hervor.20 In der Pressebe­ richterstattung der darauffolgenden Tage („Nürnberger Nachrichten“, „Nürn­ berger Zeitung“) wurde die Melange aus Alt- und Neubau angemessen ge­ würdigt:21 Die baulichen Erinnerungen [des Peilerhauses] sind hei der Erstel­ lung des Archiv- und Bibliotheksneuhaus pietätvoll erhalten und in letzterem miteinhezogen worden. Gelobt wurde die Harmonie des Hauses, mit dem aus Ehrfurcht vor alter Baukunst und aus heutigem Können ein wichtiges Zeugnis für den Nürnberger Wiederaufbau entstand. [...] Das besonders Reizvolle dieses Bauprojektes [...] liegt in der glücklichen Verbindung der modernen Bautechnik mit den erhalten gebliebenen Überresten des unvergesslichen Pellerhauses. [...] Immer neue Blicke tun sich dem Besucher auf, wenn er aus den lichtdurch­ fluteten Gängen, Hallen oder dem Lesesaal einen Blick in die so unterschied­ lichen Innenhöfe wirft. - Unter der Überschrift „Geglückte Verschmelzung alter Bausubstanz mit neuen Formen“ vermerkten die „Nürnberger Nachrich­ ten“ am 16. Dezember 1957 wohlwollend, dass aus berechtigtem Stolz [...] die Stadt Nürnberg auf ihre Weihnachts-Glückwunschkarten in diesem Jahr das Bild des Egidienberges mit den Silhouetten der Kirche und der Ansicht des Bibliotheksbaues drucken und in alle Welt versenden [lässt]. - Einen Tag später heißt es in den derselben Zeitung unter der Überschrift „Neuzeitliches Bauen mit alter Substanz verbunden“: Das Ergebnis [in Bezug auf das Gebäude] rief bei allen Besuchern das uneingeschränkte Lob hervor. [...] Nürnberg hat mit diesem Neubau ein in ganz Deutschland beachtetes Kulturzentrum erhalten, dessen geistige Konzentrierung durch die baulichen Besonderheiten noch unter­ strichen werden [!]. Zum Umgang mit der historischen Hofarchitektur Die anlässlich der Einweihung von Heinz Schmeißner so gelobte Verschmel­ zung alter Substanz mit neuen Formen bezog sich ganz wesentlich auf die nach der Kriegszerstörung übriggebliebenen Reste des Pellerhofes mit seiner Arkadenarchitektur. Für die gesamten, auch das Vorderhaus (Hallengewölbe, Rustikamauerwerk des Erdgeschosses) betreffende denkmalpflegerischen Arbeiten wurden bis zur Einweihung knapp 200.000 DM ausgegeben — ange20 NN, 6.12.1957 21 NN, NZ, 14.-17.12.1957.

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sichts einer Gesamtbausumme von über drei Millionen DM nicht gerade viel.22 Am 13. April 1957 hatte das Architekturbüro Mayer einen nachträglichen detaillierten Kostenplan für die „Wiederinstandsetzungsarbeiten im Hof des Peilerhauses, Bauteil IV“ eingereicht. Dabei fielen 33.761,72 DM für Stein­ metzarbeiten, 9.957,30 DM für Erd-, Maurer- und Stahlbetonarbeiten, 1.100,00 DM für Asphaltarbeiten, 1.000,00 für Flaschnerarbeiten und 10.000,00 DM für die Brunnenanlage im Hof. Die Gesamtsumme belief sich somit auf 55.819,02 DM.23 Ausgeführt wurden diese Arbeiten im Sommer und Herbst 1957. Aus einer Aktennotiz des Hochbauamtes vom 13. Dezember 1957 - also unmittelbar vor der Einweihung des Gebäudekomplexes - wird deutlich, dass die Arbeiten im Pellerhof noch nicht als abgeschlossen betrachtet wurden: Nach Rücksprache mit den Architekten und Besichtigung des Hofes wurde festgestellt, dass die jetzt vorhandenen Mittel einschließlich der vom Landesamt für Denkmalspflege zur Verfügung gestellten 50.000 DM vor allem für das Abtragen der baufälligen Ruinenteile und das Wiederaufrichten einschl. der erforderlichen Sicherungen und Verankerungen benötigt wurden, dazu kam noch die Ergänzung der Sandsteinbrüstung im 1. Obergeschoss. Um aber die Ruinenteile endgültig zu sichern und auch architektonisch das Bild abzu­ runden, wäre noch ein Betrag von rund 50.000 DM erforderlich. Dabei ist an folgende Maßnahmen gedacht: Abdichten der Terrassenflächen im 1. Ober­ geschoss. Eindecken der Brüstungen und Gesimse mit Kupferblech. Stärkere Verankerung der hohen Arkadenbogen an der Westseite. Ergänzen der Mauer­ teile und des Chörleins am ehemaligen Rückgebäude. Wiederherstellen der Gewölbe an den nördlichen Arkadenfeldern. Wiederherstellen des rückwärti­ gen Treppenaufgangs und des alten Brunnenbeckens.24 Im September 1958 genehmigten der Bauausschuss und anschließend auch der Stadtrat zusätzliche 60.000 DM für weitere und vorläufig abschließende denkmalpflegerische Maßnahmen zur Ergänzung des historischen Peilerhofes. [...] Es handelt sich vornehmlich um die Ergänzung und Sicherung der archi­ tektonischen Aufbauten im I. Stockumgang des Hofes, in der Hauptsache um reich profilierte Steinmetzarbeiten.25 In der Niederschrift der Bauausschuss­ sitzung heißt es, dass diese Maßnahmen auf lange Sicht den Abschluß derarti11 Untere Denkmalschutzbehörde Nürnberg, Archiv, Akt „Pellerhaus Egidienplatz 23“, Schrei­ ben des Architekturbüros Mayer vom 5.12.56. 23 Untere Denkmalschutzbehörde Nürnberg, Archiv, Akt „Pellerhaus Egidienplatz 23“, Kosten­ plan des Architekturbüros Mayer vom 13.4.1957. 24 Untere Denkmalschutzbehörde Nürnberg, Archiv, Akt „Pellerhaus Egidienplatz 23“, Akten­ notiz, Hauptamt für Hochbauwesen, Abteilung Hochbau II/D, 13.12.57. 25 Untere Denkmalschutzbehörde Nürnberg, Archiv, Akt „Pellerhaus Egidienplatz 23“, Vorlage zum Bauausschuss, 12.9.1958.

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Abb. 7:

Der westliche Seitenflügel mit dem Treppenturm. Aufnahme April 1955. (StadtAN A 39 Fi-E-484)

ger Arbeiten an diesem Gebäude bedeuten. Zum Zeitpunkt x in fernen Jahren, wenn die Erweiterung Bücherspeicher kommt, können sich vielleicht wieder denkmalspflegerische Arbeiten für ein weiteres Geschoß als notwendig erwei­ sen.11' Mit der Bauleitung der erst im Januar 1960 abgeschlossenen Arbeiten im

Pellerhof wurde wiederum das Architekturbüro Mayer beauftragt. 26 Untere Denkmalschutzbehörde Nürnberg, Archiv, Akt „Pellerhaus Egidienplatz 23“, Auszug aus Niederschrift über Bauausschusssitzung, 15.9.58.

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Resümee und Bewertung Den entscheidenden Impuls für das heutige Erscheinungsbild des Pellerhauses mitsamt dem Innenhof stellte die im Januar 1955 vom Stadtrat gebilligte Ent­ scheidung dar, das Gebäude nicht - wie ursprünglich geplant - in einem zeit­ lich noch unbestimmten zweiten Bauabschnitt neu zu errichten, sondern es gleich in den ersten Bauabschnitt mit einzubeziehen. Die Befürchtung stand im Raum, der ursprünglich vorgesehene zweite Bauabschnitt werde nicht zeitnah erfolgen — mit der Konsequenz, die Ruine an dieser städtebaulich exponierten Lage am Egidienplatz zunächst belassen zu müssen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits fast zwei Jahre vergangen, seit das Architekturbüro Mayer den Ideenwettbewerb um den Bibliotheks- und Archivneubau gewonnen hatte. Eine Zeit, in der von Architektenseite mit dem Baureferat sowie der Archivund Bibliotheksleitung um Detailänderungen der Baupläne diskutiert und gerungen und das genaue Nutzungs- und Anforderungsprofil eines zentralen Bibliotheks- und Archivbaus ausgelotet wurde. Die neuen Entwürfe des Architekturbüros Fritz und Walter Mayer sahen nun eine Integration des Pellerhaus-Grundstücks in die Neubauplanungen vor. Der Innenhof sollte unter Verwendung der erhaltenen Arkaden durch Über­ bau eines Glasdaches als Lese- und Vortragssaal gestalten werden. Für ein der Bücherauslcihe vorbehaltenes Zwischengeschoss im Vorderhaus hätte ferner das Netzgewölbe der großen Erdgeschoss-EIalle geopfert werden müssen. Im Einvernehmen mit den Architekten schlugen Baureferent Heinz Schmeißner und Baudirektor Paul Seegy dem Bauausschuss vor, die Ruine des Peilerhofes zu belassen und auf die Nutzung als Lesesaal zu verzichten und auch vom Einzug eines Zwischengeschosses im Pellerhaus abzusehen, um den Charakter der großen Erdgeschoss-Halle nicht zu zerstören. Nun konnte der Eingang in den Gesamtkomplex vom Pellerhaus erfolgen, womit der Halle im Erdgeschoss eine erhöhte Bedeutung zukam. Die Architekten Mayer nahmen diese Vorschläge in ihre Planung auf. Im Mai 1955 präsentierten sie die neuen Pläne, die schließlich auch umgesetzt wurden. Die Grundsteinlegung erfolgte am 7. April 1956, praktisch ein Jahr nach der letzten Planänderung und drei Jahre nach der Auftragserteilung an das Architekturbüro Mayer: Ein dreijähriges Ringen um einen städtebaulich und nutzungstechnisch akzeptablen Entwurf sowie - vor allem in der Schluss­ phase - um den Umgang mit dem historischen Erbe des Pellerhauses. Eine Rekonstruktion des Pellerhauses stand offenbar - nach dem derzeiti­ gen Kenntnisstand - nicht ernsthaft zur Debatte, auch wenn der Ideenwett­ bewerb verschiedene Vorschläge in dieser Richtung erbrachte. Doch sprach sich das Landesamt für Denkmalpflege in Person seines Leiters Joseph M. Ritz 399

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Abb. 8:

Die Stadtbibliothek kurz nach der Fertigstellung. Aufnahme 1958. (StadtAN A 38 N116-11)

bereits in einer frühen Phase (Dezember 1952) dagegen aus. Auch der Sieger des Wettbewerbs, Walter Mayer, verwarf den Rekonstruktionsgedanken, ins­ besondere mit dem Hinweis auf die schwierige Nutzungsfrage. Noch 1987 äußerte sich Walter Mayer rückblickend in diesem Sinne: Der Umgang mit den Ruinen [...] war eine besondere Aufgabe, denn man war sich einig, daß man noch Erhaltenes sorgsam pflegen und in die künftige neue Bausubstanz sinnvoll einbinden wollte. An eine getreue Rekonstruktion der zum Teil stark zerstörten Kunstwerke dachte damals niemand. Diese Haltung war nicht nur aus den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen geboren; man hielt gänzlich Zerstör­ tes für verloren und wollte Neues aus eigenen kreativen Leistungen wachsen sehen. Diese Haltung bewog uns zum Beispiel auch dazu, bei dem Wettbewerb für die Gestaltung des Egidienplatzes mit dem ehemaligen Peilerhaus eine Lösung vorzuschlagen, die die noch erhaltenen Ruinenteile der Fassade des ehemaligen Peilerhauses in eine Neukonzeption der Stadtbibliothek einband. Das alte Peilerhaus zu kopieren, stand für uns nie zur Debatte.17

27 Walter Mayer: Der Wandel Nürnberger Architektur zwischen Tradition und Moderne. Rede zur 20. Charter-Feier des Lions Club Nürnberg-Noris am 16.5.1987 (unveröff. Manuskript).

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Es bleibt mehr als zweifelhaft, ob nach der Entscheidung vom Januar 1955, den Peilerhof nicht als Lesesaal für die Bibliothek zu nutzen, bereits klare Vorstellungen über die nunmehrige Gestalt des Hofes existierten. Dass erst im April 1957 - ein Jahr nach Grundsteinlegung - ein genauer Kostenplan zur Bestandssicherung und Teilrekonstruktion der Hofarchitektur vorgelegt wurde, spricht eindeutig gegen ein frühzeitiges Konzept im Umgang mit der Pellerhof-Ruine. Vielmehr ist ein sukzessives Vorgehen zu konstatieren, denn im September 1958 - und damit etliche Monate nach Einweihung des Gebäudekomplexes - wurden weitere Steinmetzarbeiten im Hof mit einem Kostenvolumen von 60.000 DM genehmigt, die erst Anfang 1960 beendet waren. Bei Einweihung des Pellerhauses am 14. Dezember 1957, das doku­ mentieren Fotografien aus jener Zeit, waren die Hofgalerien im Obergeschoss noch nicht geschlossen, der heutige Zustand - mit den geschlossenen Galerien - wurde erst mit der letztgenannten Baumaßnahme hergestellt. Ziel dieser Maßnahme war es, ein geschlossenes Bild des Hofes zu erhalten.28 In diesem Sinne ist auch die Aussage von Walter Mayer zu bewerten, wenn er sagt, dass wir hoffen, daß auch hier [im Pellerhof] langsam Stück für Stück wieder zusammenwachsen wird.29 Dies mag in der Weise interpretiert werden, dass mit der Teilrekonstruktion der Galerien eine ungefähre Vorstellung, eine Ahnung von der einstigen Größe und Pracht dieses Hofes vermittelt werden sollte, welche durch die verbliebenen Ruinenstümpfe nicht mehr zu vermitteln war. Dass diese Maßnahmen im Pellerhof auf lange Sicht den Abschluss derartiger Arbeiten bedeuteten, wurde im Bauauschuss explizit so formuliert. Eine Fortführung der Arbeiten in ferner Zukunft schloss man im Bauausschuss zwar nicht aus, koppelte dies jedoch an die Einbindung in ein Nutzungs­ konzept in Gestalt des zu einem unbestimmten Zeitpunkt geplanten Bücher­ speichers. Das in der jüngsten Diskussion immer wieder vorgebrachte Argu­ ment, die vollständige Rekonstruktion sei durchaus erwogen worden und nur am Geld gescheitert, ließ sich anhand der vorliegenden Quellen bislang nicht verifizieren. Selbst im Zuge des gut dokumentierten Maßnahmenpakets von 1958/60 wird von keiner Seite eine derartige Willensbekundung geäußert. Dass von der verbliebenen Originalsubstanz des Pellerhauses und -hofes, vor allem an der Hofseite des Haupthauses, noch beträchtliche Teile abgebro­ chen wurden, scheint der nach über zehn Jahren seit der Zerstörung immer schlechter werdenden, den Witterungseinflüssen weitgehend ungeschützt aus­ gesetzten Bausubstanz geschuldet gewesen zu sein. Mit der Sicherung der Ruine zu Beginn des Jahres 1956 war die beauftragte Baufirma aufgrund der 28 NN, 16.9.1958. 29 Mayer (wie Anm. 9), S. 22.

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Abb. 9:

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Der Pellerhof kurz nach der Einweihung der Stadtbibliothek. Blick nach Süden auf den Neubau von Fritz und Walter Mayer, rechts der Treppenturm des alten Pellerhauses. Aufnahme 1958. (StadtAN A 38 N-125-VI)

MVGN 95 (2008) Pellerhaus-Diskussion in den 1950er Jahren

gravierenden Probleme völlig überfordert, so dass sie den Auftrag zurück­ geben musste. Belege dafür, dass die damals Verantwortlichen den ruinösen Pellerhof als sichtbares Zeichen für den Wahnsinn des Krieges und damit als „Narbe“ im Stadtbild erhalten wissen wollten, lassen sich bislang ebenfalls nicht finden. Es scheint eher so, dass man sich der Ruinen in der dargestellten Weise aus Respekt vor der einzigartigen und weithin bekannten bauhistorischen Bedeu­ tung des Peilerhauses annahm. In diesem Sinne sind auch die in Zusammen­ hang mit der Einweihung des Gebäudes am 14. Dezember 1957 stehenden Äußerungen in der Presse zu werten, in denen von dem pitätvollen Umgang mit dem historischen Erbe die Rede ist und von der Ehrfurcht vor alter Baukunst und der glücklichen Verbindung der modernen Bautechnik mit den erhalten gebliebenen Überresten des unvergesslichen Pellerhauses.

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BUCHBESPRECHUNGEN Quellen und Inventare ................................................................................................ Topographie, Stadtteile und Landgebiet .................................................................... Politische Geschichte, Recht und Verwaltung .......................................................... Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine................................................................ Kunst.............................................................................................................................. Kultur, Sprache, Literatur, Musik................................................................................ Kirchengeschichte, Judentum...................................................................................... Personen und Familien ................................................................................................

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Quellen und Inventare Gerhard Rechter (Bearb.) / Jürgen Wyschkon (Mitarb.): Die Archive der Fami­ lienstiftung von Crailsheim. Familienkonsulentie und Herrschaft Rügland, Altes und Neues Archiv (Bayerische Archivinventare 55). München: Generaldirektion der Staat­ lichen Archive Bayerns 2007. XLI1, 1185 S. in 2 Teilbd. € 39,In rund zwei Jahrzehnten ist es dem Ltd. Archivdirektor des Staatsarchivs Nürn­ berg, Dr. Gerhard Rechter, gelungen, nach den 1987, 1990 und 1997 edierten „Quellen und Studien zur Genealogie und Besitzgeschichte“ der Familie von Seckendorff nun­ mehr mit der wissenschaftlichen Erschließung der von Crailsheim’schen Archive erneut einen unschätzbaren Beitrag zur fränkischen Adelsgeschichte vorzulegen. Es bedarf keiner sonderlichen Prognose, dass auch diese akribische, über 18 Jahre (sic!) erfolgte Inventarisierung des Crailsheim’schen Archivmaterials bei der Ausarbeitung von Dis­ sertationen resp. Publikationen, deren thematische Ansätze den sogenannten „niede­ ren“ Adel Frankens beinhalten oder auch nur tangieren, künftig zum unverzichtbaren Arbeitsbuch gehören und als Beleg für präzise wissenschaftliche Forschung dienen wird. Zumal es sich bei Familie von Crailsheim in der Tat um eines der „besitzstärksten Geschlechter des fränkischen Ritteradels“ handelt, dessen „Burgen und Schlösser noch heute von Schwäbisch Hall bis Bamberg zu finden sind“ (Prof. Rumschöttel). Wer schon bisher Gerhard Rechters Arbeiten zur Familie von Seckendorff für eigene For­ schungen nutzen konnte, wird sich in Struktur und Gliederung der beiden vorgelegten Teilbände rasch einiesen und dabei erahnen können, welche gigantische Arbeit auch hier geleistet wurde, um die Informationsfülle aus ca. 450 laufenden Fachbodenmetern des im Staatsarchiv Nürnberg verwahrten Crailsheim’schen Archivmaterials (resp. aus den einstigen Findbehelfen für die Reihe „Bayerische Archivinventare“) gleich für meh­ rere Ansätze wissenschaftlicher Forschungen zu öffnen. Denn durch das ausführliche Inventar „Altes Archiv“ und „Neues Archiv“ (u.a. Herrschaft, Famflie, Rechnungs­ wesen, Reichsritterschaft, Untertanen etc.) sowie die Konkordanzen und unerlässlichen Indices werden - um nur ein Beispiel zu nennen - gleichsam fakultätsübergreifend sogar zur Soziologie und Genealogie der einstigen Crailsheim’schen Untertanen bislang ungeahnte Quellen angeboten. So erhält der in vielen Werken nolens volens eher regio­ nal statistisch eingegrenzte Begriff der Fornikation bzw. der Fornikantentrauungen hier

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Buchbesprechungen

einen präzisen personalen und vor allem namentlichen Bezug. Dass die ausführlichen Indices ab S. 993, gegliedert in „Orte nach Ländern und Verwaltungsbezirken“, „Schriftgut einzelner Rittergüter“, „Orte und topographische Namen“, „Personen“ und „Sachen“, und selbst die kleine, abschließende Karte der Crailsheim’schen Ritter­ güter eine ungemein zeitsparende Handhabung beider Bände ermöglichen, versteht sich bei Arbeiten des Archivars Gerhard Rechter ohnehin. Wer als Leser erfährt, welchen latenten Gefahren das nunmehr beispielhaft inventarisierte Archivmaterial im Lauf der Jahrhunderte ausgesetzt war (es sei nur an die Auseinandersetzungen zwischen 1696 und 1717 im Fall Campo erinnert oder an die Verluste durch die große „Wasserflut“ 1732 - unsachgemäße Lagerungen und Verluste aus Unachtsamkeit gar nicht gerech­ net), der wird umso dankbarer den nunmehr gesicherten, durch die Bearbeiter erschlos­ senen Quellenfundus zu schätzen wissen und gerne dem Geleitwort des derzeitigen Administrators der Familienstiftung, Guido Frh. v. Crailsheim, zustimmen: „Wenn für die Erhaltung der Kulturgüter ... der Staat mitunter erhebliche Zuschüsse zur Verfü­ gung stellt oder, wie im Falle des Archivs, eigene Leistungen erbringt, so ist dies eines von vielen Mosaiksteinchen gemeinsamen Engagements, ohne das unsere Zivilgesell­ schaft auf Dauer nicht lebensfähig ist.“ Deshalb muss - so darf man hinzufügen - auch in einer angeblich geschichtslosen „Spaßgesellschaft“ weiterhin die Grunderkenntnis wirksam bleiben, dass neben den Burgen und Schlössern - wie im vorliegenden Fall erneut eindrucksvoll bewiesen - das überlieferte, gesicherte und erschlossene Schriftgut des Adels zur historischen Identität unserer Kulturlandschaft gehört, weil auch über diese „Sprache“ historisches Bewusstsein durch alle Generationen definiert und in mehrfachem Sinne „begründet“ werden kann. Lehrende und Forschende müssen das aussagebereite Angebot nur nutzen, es gegebenenfalls didaktisch aufbereiten und an die Lernwilligen weitergeben. Eugen Schäler

Paul Johann Anselm von Feuerbach: Alltag im Alten Bayern. Die frech-sexy’en Reportagen des alten Ritters von Feuerbach aus dem Bayern von 1730-1830 / Eingeleitet, ausgewählt und nacherzählt von Gerold Schmidt. Norderstedt: Books on Demand 2006. 357 S. € 29,90 Aus Paul Johann Anselm von Feuerbachs Zeit im Münchner Justizministerium (ab 1805) und als Gerichtspräsident in Bamberg (ab 1814) und Ansbach (ab 1817 bis zu seinem Tod 1833) ist gleichsam als Nebenprodukt insbesondere der Stellungnahmen in Gnadensachen für den König die Sammlung von „Merkwürdigen Criminalfällen“ (1808/11 - vollständige Neubearbeitung 1828/29 als „Aktenmäßige Darstellung merk­ würdiger Verbrechen“) entstanden - bis heute neben dem Kaspar-Hauser-Buch sein populärstes Werk. Mir liegt der 2. Neudruck (Scientia Aalen 1984) der 3. unveränderten Auflage von 1849 sowie ein schöner Auswahlband „Merkwürdige Verbrechen“ (bei Eichborn Frankfurt am Main 1993) vor. Gerne spricht man von einem „deutschen Pitaval“ - indes geht das sprachliche, fachliche und didaktische Niveau weit über jede Kriminalberichterstattung hinaus.

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MVGN 94 (2007) Quellen und Inventare Genau das verkennt Gerold Schmidt, wenn er Feuerbach ständig als „Chronisten“, „Berichterstatter“ oder gar als „altbayrischen Boulevard-Blättchen-Reporter“ apostro­ phiert. Schmidts Absicht der „erstmaligen Nutzung als bunte Chronik und reiche Quelle zur bayerischen Sozial-, Sitten- und Ortsgeschichte sowie zur Biografie in Bayern“ kann auf diesem Wege nicht realisiert werden. Mit äußerster Präzision und sprachlicher Wucht betrachtet und deutet Feuerbach Verbrechen und - weltweit als erster in einer tiefen psychologischen Sicht - Verbrecher; dass daraus nicht so leicht der Alltag in Bayern erschlossen werden kann, liegt auf der Hand. Es kann nicht gut gehen, wenn der „Nacherzähler“ zu den Kapiteln Schule/Ausbildung, „Kuckuckseier“, „Handlungsspekulation“, Handwerker sowie „Weiberlust im Bette der Babette“ Bruchstücke aus den Feuerbach-Fällen weitgehend zusammenhanglos nebeneinander stellt, ergänzt durch eigene Raisonnements, die über Kolportage nicht hinausgehen, und allerdings einige wertvolle Sachverhaltsergänzungen. Von den ca. 30 Feuerbach-Fällen sind acht aus Altbayern, zwölf aus Schwaben/ Neuburg/Oberpfalz und zwölf aus Franken. Schmidts Begriff des „Alten Bayern“ bleibt apokryph, zumal nur zwei Fälle aus vorköniglicher Zeit stammen. Feuerbach jedoch unterscheidet genau, zumal vor Inkrafttreten „seines“ Strafgesetzbuches 1813 in den neuerworbenen Landesteilen entweder die Carolina oder preußisches Recht galt. Der Einbruch einer neuen Rechtsgesinnung in eine sich neu ordnende Welt ist das Faszinosum des Feuerbachschen Werkes: von veraltertem Wein in veralteten Schläuchen kann keine Rede sein. Ob G. Schmidt sein selbst gestecktes Ziel bei besserem Durch­ blick hätte ereichen können, bleibt dennoch zweifelhaft. Anzunehmen ist, dass das Zer­ hacken von Kriminalgeschichten in einzelne Aspekte der Alltagskultur immer nur zu zerhackten Ergebnissen führen kann, wenn der Autor dabei alles, was mit Strafrecht und Verbrechen zu tun hat, „weitgehend beiseite räumen“ will. Obschon die Nacherzählung überwiegend in wörtlichen Übernahmen der Versatz­ stücke besteht, findet keinerlei Zitathinweis statt. G. Schmidt will seinen „Querschnitt nach Lebensbereichen“ „eher feuilletonistisch“ lesbar machen - was nicht gelingt, weil seine eigenen Beiträge gerade durch Unlesbarkeit (wie: „ein flotter Reporter, der altbayerisch up to date ist, lässt so keine story enden“ oder „heiße Nächte auf der Streu mit altbayerischen Straßennymphen -!- und Priesterbetten“) gekennzeichnet sind. Der Verzicht auf jeglichen Quellennachweis schmerzt dort, wo G. Schmidt einen guten und wichtigen wissenschaftlichen Beitrag dadurch erbracht hat, dass er offenkundig alle Namens- und Ortsangaben Feuerbachs anhand von Kirchenbüchern u.a. bestätigt bzw. in den wenigen Fällen der Aliasnamen verifiziert hat. In jedem Fall ist G. Schmidt darin zuzustimmen, dass für den Historiker in der „aktenmäßigen Darstellung“ noch verborgene Schätze zu heben sind. Deshalb abschließend eine Auflistung alle Nürnberg betreffenden Fälle - deren Vollständigkeit erst durch die Bemühungen Gerold Schmidts möglich geworden ist: (I): Die vielfache Giftmörderin von 1808 Anna Margaretha Zwanziger wurde 1760 in Nürnberg im Gasthaus zum Schwarzen Kreuz geboren und lebte dort auch bis zu ihrer Verheiratung 1778.

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Buchbesprechungen

(XII): Der unzurechnungsfähige Epileptiker Johann Georg Sörgel aus Hersbruck begeht 1824 einen Mord („Ein Beitrag zur Geschichte der Seelenkrankheiten“). (XIII): Ludwig Christian von Olnhausen ermordet 1800 in Gutzberg hinter Stein seinen Bruder „für eine Handlungs-Spekulation“ - es geht um die Fortführungsaus­ sichten der Förster- und Reuterschen Handlung im Nürnberg des drohenden Staats­ bankrottes. (XXIII): Der Großpfragner Bäumler in der Königstraße wird zusammen mit seiner Magd umgebracht vom Raubmörder Johann Paul Förster (Verf. einer „Abenteuerlichen Lebens- und Liebesbeschreibung“), Gärtner aus Johannis, wo er und seine Familie zu einer „Sekte frommer Auserwählter“ hielt. (XXIX): Bauer Abraham aus Winkelhaid wird im Winter 1816 auf dem Weg von Fischbach nach Birnthon vom vorzeitig aus dem Straf-Arbeitshaus entlassenen Johann Walliser aus Zerzabelshof (23 J.) ermordet. (XXX): Im Hausflur des Wirtshauses Zur Höll bei den Fleischbänken wird anfangs 1817 der wohlbemittelte Goldarbeiter und Geldverleiher Christoph Reuter erschlagen; die gründliche Untersuchung des Stadtgerichtes (von deren Qualität der Bericht Zeugnis gibt) setzt sämtliche Verdächtigten außer Verfolgung. Wer freilich diese Fälle näher erkunden will, ist gut beraten, wenn er sich nicht des besprochenen Bandes, sondern des Feuerbachschen Originals bedient.

Hartmut Frommer

Topographie, Stadtteile und Landgebiet Franz Schiermeier: Stadtatlas Nürnberg. Karten und Modelle von 1492 bis heute. Hg.: Stadtarchiv Nürnberg / Staatsarchiv Nürnberg / Stadtmuseum Nürnberg. München: Schiermeier 2006. 212 S. mit zahlr. Kt. und Abb. € 94,Wolfgang B a u m a n n u.a. (Hg.) / Hajo Dietz u.a. (111.): Der Nürnberg-Atlas. Viel­ falt und Wandel der Stadt im Kartenbild. [Köln]: Emons 2007. 224 S. mit zahlr. Kt. und Abb. € 49,80 Zwei neu erschienene Atlanten, Stadtatlas Nürnberg und Nürnberg-Atlas, be­ reichern seit kurzem die auf kartographische Darstellungen bezogene Literatur zur Ge­ schichte und Gegenwart Nürnbergs. Wenngleich beide ähnlich betitelt sind und somit auf den ersten Blick vielleicht gleichgelagert erscheinen mögen, verfolgen sie doch völlig differierende Ansätze und richten sich an unterschiedliche Adressatenkreise. Der opulent in Leinenkassette publizierte Stadtatlas beinhaltet historisches Karten­ material, das auf verschiedenartige Weise wiedergegeben wird. Den Kern des Werkes stellen - erstens - die 17 im Format von etwa 90 x 85 cm reproduzierten Nürnberger Stadtkarten (der Prospekt von Hieronymus Braun 1608 sogar im Maß zweier Blätter) aus sowohl reichsstädtischer wie auch bayerischer Zeit dar, wenn nötig topographisch

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet fokussiert auf den inneren Stadtbereich. Qualität und Größe der Kartendrucke erfreuen nicht nur in bibliophiler Hinsicht, sondern ermöglichen auch die Heranziehung der­ selben als Arbeitsmittel. Zweitens ist der Kassette eine CD mit 30 Karten in Form von Bilddateien beigegeben. Die meisten dieser Karten sind auch - drittens - in den Begleit­ band aufgenommen, welcher in chronologischer Reihung insgesamt 60 großformatige Abbildungen auf Klapptafeln enthält, die jeweils von einem den Entstehungszusam­ menhang erläuternden ausführlichen Text begleitet werden. Neben dem bereits erwähnten Braunschen Prospekt haben in die Kassette beispiels­ weise Eingang gefunden die Nürnberger Umgebungskarte von Erhard Etzlaub 1492, der Rundprospekt von Stefan Gansöder 1577/81, ein Stadtplan mit der Landwehr von Hans Bien 1620, die Landkarte des Nürnberger Territoriums von Matthäus Ferdinand Cnopf 1764, verschiedene Stadtkarten einzelner städtischer Vermessungen des 19. und 20. Jahrhunderts und der Generalbebauungsplan von Hermann Jansen 1923 sowie die Stadtmodelle aus den Jahren 1540, 1618, 1935/39, 1950 und 2006 - aber auch Spezi­ fischeres wie etwa eine Karte des Hochwassers 1784, des Wasserleitungsnetzes 1910 oder der Kriegsschäden in der Altstadt 1945. Die Auswahl der reproduzierten Karten ist schlüssig über die Jahrhunderte gestreut, und neben repräsentativen und bekannten Werken aus der Frühen Neuzeit steht zahl­ reiches Jüngeres. So machen etwa die im Abstand weniger Jahre aufeinanderfolgenden Stadtpläne von 1888 und 1895 die rasanten Veränderungen der Gründerzeitepoche mit der Verdichtung der Vorstädte deutlich; ersichtlich wird hier beispielsweise auch die reißbrettartig projektierte, nur in Teilen zur Ausführung gekommene Stadtentwicklung wie etwa nördlich und südlich des Ludwigskanals. Allenfalls, und im Kontext des Gesamtwerkes als Marginalie zu betrachten, vermisst man eine Gesamtübersicht der reproduzierten Karten und Modelle, da nicht alle Objekte der Kartenbeilage und der CD auch im Begleitband abgedruckt und erläutert sind und die Kenntnis um das Vorhandensein einer bestimmten Karte die Heranziehung aller drei Inhaltsverzeichnisse erfordert. Am Rande bemerkt mag vielleicht in diesem Zusammenhang den eiligen Rezipienten auch die Wiedergabe der Positionsblätter von 1860/62 etwas irritieren: Während der Begleitband nur dasjenige von Nürnberg 1862 enthält, ist jenes als großformatige Kartenreproduktion sowie auf der CD in Form einer Montage mit den Umgebungsblättern aufgenommen - was freilich im Erklärungstext des Begleitbandes korrekt aufgeschlüsselt wird. Ein ausführlicher einleitender Beitrag von Franz Schiermeier erläutert in einem großen Bogen die Entwicklung der Kartographie in Nürnberg, Wirkungsstätte bedeu­ tender Kartographen in der Frühen Neuzeit und frühzeitig Zentrum des Druckgewer­ bes. Ehedem bedeutend als Handelsgut sowie notwendig zur Organisation der eigenen Verwaltung wie auch als Grundlage für die Auseinandersetzungen mit den territorialen Nachbarn vermag das Kartenmaterial heute dazu verhelfen, baugeschichtliche Entwick­ lungen nachzuvollziehen und historische Zusammenhänge zu erkennen wie etwa die militärische Bedeutung der Stadtbefestigungen. Der Autor skizziert in diesem Zusam­ menhang auch die Viten bedeutender Kartographen und geht auf die bayerische Lan-

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desvermessung des 19. Jahrhunderts ein sowie auf die Verbreitung der Karten durch Kartenverlage, das Nürnberger Vermessungswesen und die Entstehung der verschiede­ nen Stadtmodelle. Den Reproduktionsteil des Begleitbandes einleitend umreißen zwei Karten die naturräumlichen Grundlagen des Stadtgebietes in Form einer Geologischen Karte und einer Reliefkarte. Den Begleitband beschließen - neben Literatur und Quel­ lenangaben - ein sehr hilfreicher biographischer Apparat zu den Urhebern und Verle­ gern der Pläne sowie statistische Angaben zur Bevölkerungsentwicklung der Stadt. In der heutigen Zeit, in der Kartenmaterial - per Internet stets aktuell griffbereit und vom Nutzer vielfältig druck- und modifizierbar - in seiner langlebigen Wertigkeit oft nur noch wenig geschätzt wird, ist der Wert vorliegender Kassette für die wissenschaftliche historische Forschung nicht hoch genug zu veranschlagen, stellt sie doch zahlreiches bis­ lang nur über Archivbesuche zugängliches Material in praktikabler Form einem breiten Publikum bereit. Ebenso hoch zu veranschlagen ist der verlegerische Mut, das wirtschaft­ liche Risiko für ein solch aufwendiges Projekt zu tragen. So ist trotz des - durchaus begründeten - Anschaffungspreises dem ansprechend gestalteten und in technisch hoher Qualität produzierten Werk der Weg nicht nur in öffentliche Bibliotheken, sondern auch in manch regionalgeschichtlich interessierte bibliophile Privathand zu wünschen. Ein völlig anderes Konzept hegt dem Nürnberg-Atlas zugrunde, der nicht das histo­ rische Kartenbild per se zum Inhalt hat, sondern Themenfelder kartographisch umsetzt. Mit Luftbildern von Hajo Dietz, Nürnberg Luftbild, und Fotos von Herbert Liedei ausgestattet und einige historische Aufnahmen und Quellenabbildungen beinhaltend besticht er durch die zahlreichen eigens zu den behandelten Themen angefertigten Kar­ ten, welche den speziellen Ansatz des Werkes ausmachen: Behandelt werden in etwa hundert Beiträgen Themen aus der Geschichte und Gegenwart Nürnbergs, die sich durch kartographische Darstellung sinnfällig, in einigen Fällen nachgerade in singulärer Weise erschließen lassen. Etwa ein Drittel des Buchumfangs umfasst - in dieser Rezen­ sion näher interessierende - Themen zur Stadtgeschichte und wurde vorrangig von Historikern und Archivaren verfertigt, den Rest der knapp 70 Beiträger umfassenden Autorenschaft stellen in erster Linie Geographen sowie Repräsentanten und Mitarbei­ ter der Stadtverwaltung. Der Wert dieser historischen Beiträge erschließt sich möglicherweise erst auf den zweiten Blick. Vielleicht mag der Leser zunächst manch Dargestelltes als bekannt einordnen, die Verbindung zur kartographischen Umsetzung jedoch verschafft schließlich die neuen Ein- oder Überblicke. Singulär oder zumindest hier erstmals gesammelt greif­ bar sind beispielsweise die Darlegung der räumlichen Verteilung von Klöstern und Sozialeinrichtungen im reichsstädtischen Nürnberg, unter dem Thema Beziehungen der Stadt zu Kaiser und Reich' die topographische Darstellung der Routen Friedrichs III. bei seinem Einzug in Nürnberg 1442 und 1471 und die Visualisierung des reichsstädti­ schen Landgebietes ebenso wie die Lokalisierung der Märkte, Mühlen und Brauereien und eine Überblicksdarstellung zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ver­ waltung und Regierung. Altbekanntes tritt neben neue Aufarbeitungen. Während bei­ spielsweise die kartografische Darstellung der Eingemeindungen wie auch diejenige der

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet Ausmaße der Kriegszerstörungen bekannt, aber unter diesem Buchthema aufgrund der Erwartungen des Rezipienten natürlich unverzichtbar ist, bietet etwa die Verortung der sogenannten „Judenhäuser“ auf der Karte mit den Orten des nationalsozialistischen Unrechtsregimes dem Forscher wertvolle neue Hilfestellungen. Diesem ersten Themenfeld „Stadtgeschichte“ folgen fünf weitere, die an Gegenwart und Zukunft der Stadt orientierte Beiträge beinhalten und von denen zur Erläuterung beispielhaft einige herausgegriffen seien: „Bausteine der Stadt“ (Straßennamen, Wohn­ siedlungen, Vorkommen der Chörlein, Verwendung verschiedener Naturwerksteine, Verschwinden der alten Ortskerne), „Wirtschaft und Verkehr“ (Strukturwandel, Messe, Universität, Einzelhandel, Knoblauchsland), „Stadtnatur“ (Geologie der Stadt, Natur­ schutzgebiete, Temperaturentwicklung, Wasserwirtschaft, Reichswald), „Stadtkultur“ (Stadt der Menschenrechte, Festivalisierung der Stadt, Weihnachtsmarkt, Glaubens­ gemeinschaften, Kinolandschaft) und „Stadtvisionen“ (Planungsvisionen der Vergan­ genheit und Zukunft). Beide Atlanten dürfen in jeder Hinsicht als neue Standardwerke zur historischen Kartografie beziehungsweise zur kartografisch orientierten Darstellung Nürnberger Geschichte bezeichnet werden und geben dem der Regionalgeschichte zugewandten Historiker eine Vielzahl an Materialen an die Hand, die bislang in dieser Qualität und Zusammenstellung nicht auf dem Buchmarkt greifbar waren. Clemens Wächter

Nürnberg um 1933. Fotografien von Kurt Triest. Mit einem Vorw. und einer Einl. von Helmut Beer (Nürnberger Fotobücher 4). Nürnberg: Tümmel 2007. 120 S. mit 115 Abb. €39,Eine Auswahl von Fotografien des jüdischen Fotografen Kurt Triest war bereits in der Sommerausstellung des Nürnberger Stadtarchivs 2006 mit sehr großem Erfolg der Öffentlichkeit präsentiert worden. Zum 100. Geburtstag des Fotografen legte nun Helmut Beer, Leiter des Bild-, Film- und Tonarchivs des Stadtarchivs Nürnberg, in der von ihm herausgegebenen Reihe „Nürnberger Fotobücher“ einen Band vor, der einen größeren Ausschnitt aus dem Oeuvre des Fotografen zeigt. Der Band enthält eine umfangreiche Einleitung (S. 7-22), der über 100 Abbildungen folgen, darunter auch 5 Bilder in Farbe. Die Einleitung gibt eine biographische Skizze des Fotografen, der 1907 in Nürnberg geboren wurde und im Jahre 1938 aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Tel Aviv/Palästina emigrierte. Kenntnisreich kommentiert der Herausgeber das künstlerische Werk Triests, der zeitgleich mit der Fotografin Lala Aufsberg seine Heimatstadt und deren Bewohner im Bild festhielt. Die für den Band ausgewählten Fotografien entstanden 1932-1936 und zeigen Ansichten der Nürnberger Altstadt, nächtliche Straßenszenen und das geschäftige Treiben am Haupt- und Obstmarkt. Bilder, die den Aufstieg und die Machtübernahme der Nationalsozialisten thematisieren, sind nicht zu finden. Triests Interesse galt Situa­ tionen des Alltagslebens. Seine Aufnahmen vom Waschtag am Ölberg oder vom Markt-

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geschehen auf dem Hauptmarkt dokumentieren den von harter Arbeit geprägten, kargen Alltag vieler Nürnberger zu Beginn der 30er Jahre, den Feste und Ereignisse für kurze Zeit unterbrachen. Dies spricht aus Triests eindrucksvollen Fotografien von den gut besuchten Buden am Christkindlesmarkt oder von den Zuschauern bei den kurz­ weiligen Vorführungen rund um den Bayerischen Flugtag. Zeitgeschichtlich interessant ist auch die im Band enthaltene kleine Fotoserie vom Abbau des Neptunbrunnens, der im Sommer 1934 vom Hauptmarkt entfernt wurde. Besonderer Beachtung wert ist jedoch die Foto-Dokumentation über die Nürnber­ ger Artistenfamilie Schäfer im Stadtteil Schweinau. Die Bilder bestechen durch ihre Unmittelbarkeit, so als seien sie unbemerkt im Vorbeigehen gemacht worden. Hier ver­ band sich ganz besonders künstlerisches Können mit technischer Qualität. Triest ver­ wendete das neue Leica-System, das Serienaufnahmen und beeindruckende Schnapp­ schüsse ermöglichte, z.B. von den Artisten beim Trapezschwung oder dem begeisterten Publikum während und vor der Vorstellung. Dass Triest den Menschen, die er foto­ grafierte, zugetan war, zeigen insbesondere die Fotografien von den Straßenartisten nach der Vorstellung. Der empfehlenswerte Fotoband, der durch seine fundierte Einleitung und die gelun­ gene Bildauswahl überzeugt, ist bestens geeignet, die Erinnerung an einen der wich­ tigsten Nürnberger Fotografen und seinen Blick auf das Nürnberg der 30er Jahre wachzuhalten. Die in dem Band enthaltenen fünf Farbbilder von den Blumen- und Marktständen auf dem Hauptmarkt, die der Fotograf noch kurz vor seiner Emigration im Jahre 1936 anfertigte, lassen erahnen, welch exzellente Fotografien noch hätten entstehen können, hätte Triest nicht einem unmenschlichen Regime entfliehen müssen. Petronilla Ehrenpreis

Godehard Schramm: 888 Meter Heimat. Nürnberg - von einer Straße aus erzählt. Nürnberg: Carl 2007. 208 S. €19,50 Der 1943 in Konstanz am Bodensee geborene und im fränkischen Thalmässing aufgewachsene Schriftsteller Godehard Schramm hat unter dem Titel ,888 Meter Hei­ mat“ ein sehr persönliches und, wie der Untertitel schon verrät, ungewöhnliches Nürn­ berg-Buch verfasst. Schramm, längst in Nürnberg heimisch geworden, kam 1968 in die Stadt, seit 1974 wohnt er mit seiner Familie in der Schweppermannstraße 41 im Stadtteil Gärten hinter der Veste. Bereits 1998 hatte Schramm in einem Beitrag für das Studio Franken des Bayerischen Rundfunks ,seine“ Straße in O-Tönen porträtiert. Ein darauf­ hin von ihm für den Nürnberger Stadtanzeiger verfasster Artikel zum gleichen Thema rief ein großes Echo in der Nachbarschaft hervor. Bis 2006 hatten sich so viele Anek­ doten bei ihm angesammelt, dass er sich entschloss, diese für das vorliegende Buch zu verwenden. ln 20 Kapiteln, die jeweils in kleine Abschnitte unterteilt sind und abgesehen vom einleitenden Kapitel auch in anderer Reihenfolge gelesen werden können, skizziert Schramm sein Bild der Nordstadt. Zunächst lässt er kurz sein bisheriges Leben Revue

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet passieren und wird zum Zeitzeugen für das Nürnberg der späten 1960er und der 1970er Jahre. „Die .richtige“ Seite war .links““, was ihm im Nachhinein als Vereinfachung erscheint. Schramm sieht sich als Außenseiter, begreift sein Schriftstellerdasein „... als Versuch, eine eigene Welt der vorhandenen entgegenzustellen“ (S. 9). Von dieser eige­ nen Welt handeln die Geschichten im Buch, ergänzt um Erzählungen aus der Nachbar­ schaft. Er geht dabei durch die angeblich 888 Meter lange Schweppermannstraße, vom Friedrich-Ebert-Platz bis zur Rollnerstraße, und erzählt in der ihm eigenen Sprache von den Menschen, Geschäften und Lokalen, die es noch gibt und von denen, die verloren sind, aber einmal selbstverständlich zum Stadtteil gehörten. Schramm bleibt aber nicht nur im Viertel, sondern begibt sich auch auf Exkursionen wie in den Tiergarten, zum Johannisfriedhof oder zum Christkindlesmarkt. Godehard Schramms ,888 Meter Heimat“ laden insbesondere Nordstädter, aber nicht nur diese, zum Schmökern und Quer-Blättern ein. Er hält den Alltag der Bewoh­ ner, all die .kleinen“ Stadtteilgeschichten, die sonst untergehen würden wie der Laden an der Ecke, fest, durchaus humorvoll, manchmal vielleicht zu klischeehaft, aber immer liebevoll und mit Respekt. Daniela Stadler

Barbara Ohm: Fürth - Geschichte der Stadt. Fürth: Jungkunz 2007. 391 S. mit zahlr. Abb. und Kt. € 36,80 Bernd Windsheimer / Wolf-Martin Hergert (Mitarb.): Geschichte der Stadt Fürth. München: Beck 2007. 143 S. mit zahlr. Abb. und Kt. € 16,90 Nicht zuletzt durch seine Entstehung an einer wichtigen Straße zwischen den Königspfalzen Frankfurt, Forchheim und Regensburg sowie die jahrhundertelange „Dreiherrschaft“ von Bamberger Dompropst, Markgraf von Ansbach und Reichsstadt Nürnberg gehört das 1007 erstmals urkundlich erwähnte, 1808 zur Stadt erhobene Fürth, das nach 1945 zur heute fünftgrößten Großstadt in Bayern expandierte, geschichtlich zweifellos zu den interessantesten, in seiner Art einzigartigen Orten in Franken. Weitere spannende Themen sind seine höchst komplizierte und für die gesamte Region wichtige Kirchengeschichte - St. Lorenz in Nürnberg war einst Tochterkirche von St. Martin in Fürth, St. Sebald Filiale der Fürther Tochter Poppenreuth -, die Geschichte seiner großen jüdischen Gemeinde, seine nicht erst im 19. und 20. Jahrhun­ dert bedeutende Wirtschaft und Industrie, seine große historische Innenstadt mit schö­ nen Barockhäusern und die eindrucksvollen Straßenzüge des 19. Jahrhunderts, die Fürth das Prädikat „Denkmalsstadt“ verleihen. Gleichwohl lag und liegt es bislang in der Aufmerksamkeit der Historiker und des großen Publikums viel zu sehr im tiefen Schlagschatten der großen Schwesterstadt Nürnberg. „Wer vor dem Jubiläumsjahr 2007 Details zur Stadt nachschlagen wollte, blätterte in Adolf Schwammbergers Fürth von A bis Z. Ein Geschichts-Lexikon aus dem Jahr 1968 oder gar in Georg Tobias Christoph Fronmüllers Chronik von Fürth von 1872“. Vor dem Hintergrund dieser vom Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung in seinem Grußwort zur großen Stadtgeschichte der langjährigen Stadtheimatpflegerin Barbara

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Ohm angesprochenen Tatsache ist ihre umfassende und geradezu opulent präsentierte Darstellung ebenso zu loben wie der kürzere historische Überblick von Bernd Windsheimer. Ausgehend von Überlegungen über „die Urkunde Heinrichs II. von 1007“ spannt Ohm in 35 hauptsächlich thematisch strukturierten Kapiteln ebenso kenntniswie detailreich den Bogen von „Fürths Anfang“ über „die ersten Fürther Kirchen“ und den „Markt Fürth“ bis zu den „Eingemeindungen des Jahres 1972“, der „Gänsbergsanierung, Stadtentwicklung und neuen Südstadt“, der „Wirtschaft im Strukturwandel“ und dem „kulturellen Aufschwung“. In ähnlicher Weise gliedert Windsheimer die Für­ ther Geschichte von „der frühen Besiedelung bis zur ersten urkundlichen Erwähnung“ chronologisch über „1007 bis 1634: Vom mittelalterlichen Marktort bis zur Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg“ bis zu „1945 bis heute. Von der .Kleineleute-Großstadt* zur Denkmalsstadt“ in sieben große, jeweils mehrfach unterteilte Abschnitte. Beide Bücher vermitteln auf verschiedene Art und Weise das lebendige Bild einer bemerkenswert geschichtsträchtigen Stadt. Gut ausgewählte historische und oft geradezu poetische aktuelle Fotos und leicht, bei Windsheimer manchmal etwas zu salopp geschriebene, in der Regel informative und vergnügliche Texte laden zum Blättern, zum Lesen und viel­ leicht sogar zu einem Besuch der für viele Nachbarn aus der Umgebung wohl ziemlich unbekannten und unterschätzten Stadt ein. Die Schwachstelle beider Bücher ist die Darstellung der Anfänge des Ortes. Im Unterschied zu den großen geschichtlichen Jubiläen der vergangenen Jahre in Nürnberg (2000), Erlangen und Herzogenaurach (2002), Forchheim (2005) und Bamberg (2007) wurde in Fürth die Gelegenheit nicht genutzt, um die Sicht der älteren, die vorurkund­ liche Zeit durch standardisierte Bilder von Königshöfen und einem von einer hochorga­ nisierten Reichsverwaltung systematisch betriebenen Landesausbau darstellenden Ge­ schichtsschreibung zu hinterfragen. Dies ist um so mehr zu bedauern, als sich sogar Dissertationen in erstaunlichem Umfang auf solche doch eher populär ausgerichtete Jubiläumsschriften stützen und sie als wichtigste Quelle zur Ortsgeschichte heranzie­ hen. Stattdessen wird gerade für die frühe Geschichte eine großenteils überholte Litera­ tur benutzt, und es bleiben neue Forschungsansätze weitgehend außer Acht. So halten beide Autoren Fürth, ungeachtet seiner Ersterwähnung 1007, ohne jeden urkundlichen oder archäologischen Beweis für „spätestens 743“ (Ohm, S. 23) entstanden und damit um mindestens noch einmal volle 250 Jahre, d.h. um mehr als ein Viertel seiner nach­ weisbaren Geschichte, älter! Die Begründung dafür ist einfach: Das Martinspatro­ zinium der abgegangenen Kirche im Talgrund deutet auf eine fränkische Königskirche, zu der selbstverständlich ein - jedoch auch hier nicht lokalisierter - als Militäranlage verstandener und mit ziemlichen Allgemeinplätzen begründeter Königshof gehörte. Die auf -bach endenden Orte der Gegend verweisen ins 7./8. Jahrhundert (Ohm, S. 19f.). Dabei gäbe es genügend Ansätze für eine andere Sicht und viele Fragen. Wenn, wie Ohm erfreulich deutlich herausarbeitet, der für Fürth zutreffende Orts-, Grafen- und Gauname 1007 erst nachträglich in die vorgefertigte Schenkungsurkunde eingetragen wurde und es sich bei den umfangreichen Zubehörungen (Gehöfte, Dörfer, Kirchen etc.) um eine „pauschale Formulierung“ handelt, kann man daraus einen bereits konkret vorhandenen „hochkarätigen Königsgutkomplex“ oder sogar eine direkte Beteiligung

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des Ortes „an der großen Politik“ (Windsheimer, S. 13) annehmen? Wenn Fürth zu Beginn des 11. Jahrhunderts schon so bedeutend war, warum wurde dann 1002 der große Nordgauwald (der spätere Sebalder Reichswald) bis zur Erlanger Schwabach nicht von hier, sondern von (Herzogen)Aurach aus verwaltet? Wie lässt sich die Ent­ wicklung Fürths in die der Region einordnen, wo sich Ende des lO./Anfang des 11. Jahrhunderts die Ersterwähnungen von Orten häufen? Gehörte die westlich der Red­ nitz, d.h. eigentlich im fränkischen Rangau (vgl. Ohm, S. 21) und damit im Bistum Würzburg gelegene Martinskapelle zu der 1007 verschenkten Siedlung „Furti“, die der Urkunde zufolge (östlich des Flusses) im baierischen Nordgau lag, der hier Teil des Bistums Eichstätt war? Wie lässt sich die ungewöhnliche Lage des Ortes in zwei Gauen bzw. Bistümern für seine Siedlungsentwicklung und Kirchengeschichte interpretieren (bei keinem anderen Ort in der Region übergreift der mittelalterliche Kirchensprengel diese alten Grenzen derart auffällig)? Gab es auch in Fürth, von der auf einer leichten Bodenerhebung stehenden Martinskirche aus, wo bestenfalls Platz für eine kleine hoch­ wassersichere Siedlung gewesen sein kann, eine den Fluss und die Gaugrenze über­ greifende Siedlungsentwicklung, wie sie etwa in Erlangen stattgefunden haben muss? Kann auch ein Nordgauort militärischer „Stützpunkt gegen Bayern“ (Ohm, S. 21) gewesen sein, oder lag er für diese These nicht auf der falschen Seite? Lassen sich für Fürth nicht auch bescheidenere Anfänge vorstellen, etwa als Haltepunkt an dem namengebenden Flussübergang, etwa vergleichbar mit der Situation in Altenfurt, wo sich eine winzige romanische Kapelle erhalten hat? Etwas problematisch sind auch manche in Hinblick auf das ersehnte Alter und die Bedeutung der Siedlung ungeprüft übernommene Aussagen, etwa wenn es heißt, die Kirche in Poppenreuth sei bereits im 9. Jahrhundert errichtet worden (Windsheimer, S. 10), die Michaelskirche sei „höchstwahrscheinlich“ St. Martin geweiht gewesen, weil sie angeblich genau auf den Sonnenaufgang des Martinstages (11. November) ausgerich­ tet war (Windsheimer, S. 16), oder Behauptungen wie etwa, Fürth habe „eine typisch fränkische Friedhofsbefestigung aufzuweisen“ gehabt, „keine Stadtrechte [...] und daher auch keine Stadtmauer“ (Windsheimer, S. 17; Ohm, S. 35), oder wenn die durchaus übliche ungeregelte Bebauung als Symptom der Dreiherrschaft gesehen wird, unter der „es keine verbindlichen Bauvorschriften gab“ (Windsheimer, S. 21). Diese Kritik ist jedoch marginal gegenüber der erbrachten Gesamtleistung, die Geschichte Fürths von zwei durchaus unterschiedlichen Standpunkten aus informativ und interessant darzustellen. Andreas Jakob

Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Markus Urban: Die Konsensfabrik. Funktion und Wahrnehmung der NS-Reichsparteitage, 1933-1941. Göttingen V & R unipress 2007. 462 S. mit Abb. € 58,„Wer den Geist des nationalsozialistischen Deutschlands begreifen will, der muß seinen tiefsten und erhebendsten Ausdruck, der muß den Reichsparteitag in Nürnberg erleben!“, formulierte Reichspressechef Otto Dietrich am 6. September 1937 zu Beginn

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des „Reichsparteitags der Freiheit“ beim Empfang für die Medien. Die nationalso­ zialistischen Berufspropagandisten hatten immer ein ausgeprägtes Verhältnis zum Superlativ. Allein: Dietrich traf mit seinen glaubenserfüllten Worten einen wesentlichen Kern der zwischen 1933 und 1938 alljährlich stattfindenden Reichsparteitage der NSDAP in Nürnberg. Die Kongresse, Sondertagungen, Vorbeimärsche, Appelle und Feiern waren Aushängeschilder der „Bewegung“. Doch sie waren auch weit mehr. Den vielfältigen Fragen nach „Funktion und Wahrnehmung der NS-Reichsparteitage, 1933-1941“, so der Untertitel, geht fdistoriker Markus Urban in seinem Buch „Die Konsensfabrik“, sehr differenziert und kenntnisreich nach. Bei der Arbeit handelt es sich um die leicht veränderte Version der Dissertation des Autors, die im Sommer­ semester 2006 von der philosophischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg angenommen wurde. Die flüssig zu lesende Arbeit gliedert Urban in fünf Kapitel: „I. Idee, Struktur und Entwicklung der größten Massenveranstaltungen“, „II. Präsentation und Wahrneh­ mung am Ort des Geschehens“, „III. Mediale Darstellung und Wahrnehmung im Deut­ schen Reich“, „IV. Wahrnehmung im Ausland am besonderen Beispiel Großbritan­ niens“ und schließlich „V. Die sakrale Dimension der Reichsparteitage“. Urban fasst prägnant die Intentionen der Veranstalter zusammen: Es ging um die offizielle Legitimation des Parteitags als Rechenschaftsbericht und um neue Aufgaben­ stellungen, die Beeindruckung von Teilnehmern und Außenstehenden, die Stärkung der Partei, die Probemobilmachung für die „klassenlose Volksgemeinschaft“ und die Selbst­ darstellung gegenüber dem Ausland. Darüber hinaus bot das „Nürnberger Hofzere­ moniell“ der NS-Elite eine Standortbestimmung im autoritären Staat, und es ging um die Erzeugung eines möglichst hohen „Erlebniswerts“ bei Hitlers „Familientag“. Die „emotionale Komponente“ spielte stets eine zentrale Rolle. Die Teilnahme der sehr heterogenen Gruppen am Reichsparteitag war in der Regel attraktiv und von hohem Erlebniswert. Ein Schwerpunkt des Buches liegt auf der medialen Darstellung der Parteitage vom Rundfunk über den Film bis zur Presse und die damit verbundene Wahrnehmung. Auch wenn insbesondere die dem Nationalsozialismus positiv gegenüberstehenden Ausländsdeutschen als Echo auf die Hörfunkübertragungen zum Teil euphorische Rückmeldungen lieferten („Es war für uns ein Gottesdienst, weil aus allem deutlich sprach: der Glaube an unseren Führer Adolf Hitler und die Liebe zu unserer alten Mutter, unser großes Vaterland und unser Volk.“) verfehlten die zahllosen Übertragun­ gen oft ihre Wirkung. Bei den Hörern stellte sich ein Übermüdungseffekt ein. Die inhaltliche Botschaft rückte in den Hintergrund, allenfalls der „emotional transportierte Gesamteindruck [übte] einen relevanten Einfluss“ aus. Nicht nur die „chaotische Vorbereitung“ bei der Übertragung der Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ war nach Urban ein „propagandistisches Desaster“. In den instrumentalisierten Zeitungen und Zeitschriften, aber auch zahlreichen Büchern, fanden die Parteitage ausführlich ihren Widerhall. Urban arbeitet heraus, dass

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auch klassische Medien nicht die erhoffte Wirkung erzielten: „Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Reichsparteitage als auf emotionale Wirkung setzende Masseninszenierung für die Darstellung im dokumentarischen Sachbuch denkbar schlecht eigneten.“ Noch so viele gedruckte Worte und Bilder mochten jedoch nicht verhindern, dass sich auch in der Bevölkerung Widerspruch gegen die Reichsparteitage vor allem als Veranstaltung mit Geldverschwendungscharakter bemerkbar machte. In dem sehr aufschlussreichen Exkurs „Ablehnung und Kritik“ führt Urban eindrucksvoll entsprechende Beispiele auf. Die Arbeit von Markus Urban steht auf einem breiten Fundament. Er hat nicht nur auf dem Stand der Wissenschaft aufgebaut, sondern beträchtliche Quellen für seinen Zusammenhang neu erschlossen. Mit „Die Konsensfabrik“ hat die Forschung zu den größten Veranstaltungen im nationalsozialistischen Feierjahr eine wichtige Weiterfüh­ rung erfahren. Gleichwohl stößt Urban immer wieder auch an Grenzen. Etwa, wenn er bei der Analyse der Parteitage in ihrem Charakter als religiöse Veranstaltung feststellen muss: „Obwohl ja - wie gezeigt - der sakrale Charakter der Parteitagsinszenierungen im Dritten Reich sukzessive gestärkt wurde, gestaltet es sich keineswegs einfach, zeitge­ nössische Rückmeldungen hierzu zu finden.“ Die Parteitage sollten den Teilnehmern ein Gemeinschaftserlebnis bescheren und aus dem Zusammentreffen mit der Führung für „neue Energie im Alltag sorgen“. Die Par­ teitage waren „Messen“ in doppeltem Sinn: Sie waren Leistungsschau und zugleich der Ort, an dem die „nationalsozialistische Säkularreligion“ in einem Umfang zur Ent­ faltung kam wie sonst nirgendwo. Urban macht aber deutlich, dass die „Wirkung der Reichsparteitage bis 1938 begrenzt blieb“, insbesondere beim spezifischen Zielpubli­ kum der ausländischen Gäste. Ihre eigentlichen Intentionen vermittelten die Reichsparteitage im Wesentlichen nur beim tatsächlichen Geschehen. Urban kommt zum Schluss: „Dem Regime gelang es zwischen 1933 und 1938 trotz aller Anstrengungen nicht, die in allen Jahren bestehende Kluft zwischen dem realen Partcitagserlebnis vor Ort und der medialen Darstellung zu überbrücken. Letztlich bot sich nur den Teilnehmern und Besuchern der Nürnberger Veranstaltungen die Möglichkeit, die Inszenierungen in ihrer vielschichtigen Bedeutung zu verstehen. Denn trotz neuartiger Lichtarchitektur und groß angelegtem Lautspre­ chereinsatz bildete das physische Zusammentreffen zwischen Führer und Gefolgschaft den eigentlichen Inhalt der Reichsparteitage. (...) Medial kam die bedeutende Funktion des Parteitags, dem Rezipienten kurzzeitig ein Gefühl der Partizipation zu verschaffen, einzig in Leni Riefenstahls Triumph des Willens zur Darstellung. (...) Für einen Moment konnte so jeder Einzelne - wenn auch nur scheinbar - zum Subjekt der Macht werden. (...) Die Begeisterung selbst wurde zur propagandistischen Botschaft, weit mehr als Ideologie oder Politik.“ Siegfried Zelnhefer

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Friedrich Kießling, Gregor Schöllgen (Hg.): Bilder für die Welt. Die Reichspartei­ tage der NSDAP im Spiegel der ausländischen Presse (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 61). Köln [u.a.]: Böhlau 2006. VII, 214 S. mit Abb. € 24,90 Herausgeber Friedrich Kießling sowie sechs weitere Autoren haben für die vorlie­ gende Studie einen Aspekt der medialen Rezeption der Reichsparteitage im Ausland, die ausländische Presseberichterstattung sechs europäischer Länder (Großbritannien: Detlev Clemens, Frankreich: Claus W. Schäfer, Tschechoslowakei: Martin Kastler, Österreich sowie Einführung: Friedrich Kießling, Italien: Antonie Beck, Sowjet­ union: Matthias Stadelmann) sowie der USA (Sylvia Taschka), näher beleuchtet. Bei den Reichsparteitagen der NSDAP handelte es sich zunächst um auf das Deutsche Reich bezogene Veranstaltungen, dennoch kam ihnen eine nicht zu unterschätzende außenpolitische Bedeutung zu, wie die Untersuchung der ausländischen Presse zeigt. Wie die Herausgeber in ihrem Vorwort betonen, liegt hier erstmals eine systema­ tische Untersuchung der ausländischen Presseberichterstattung zu den Reichspartei­ tagen vor. Die Länderauswahl wird allerdings nicht weiter begründet. So wäre es sicher aufschlussreich, ergänzend zur vorliegenden Veröffentlichung, angesichts des Kriegs­ verlaufs insbesondere die Berichterstattung Polens auszuwerten. Markus Urban referiert in seiner Dissertation zum Stellenwert der Reichsparteitage in Deutschland, die unter dem Titel ,Die Konsensfabrik1 erschienen ist (vgl. Besprechung S. 415ff.), die Bedeutung ausländischer Zeitungen für die Leser in Deutschland, die hier eine Möglich­ keit sahen, sich abseits der gleichgeschalteten deutschen Presse zu informieren. Er ver­ weist hier speziell auf die Presse der neutralen Schweiz (Urban, S. 310-312). Bemerkenswert ist, dass die eigens in Nürnberg geschaffene Architektur und die Inszenierung der Reichsparteitage die ausländischen Korrespondenten wohl weit weni­ ger beeindruckten, als von Seiten der Nationalsozialisten sicherlich erhofft, geht man von der Tatsache aus, dass diese Punkte eher am Rande Erwähnung fanden. Trotz der gerade auf visuelle Reize abzielenden Gestalt der Reichsparteitage wurden Fotografien nicht in größerem Umfang zur Illustration der Meldungen aus Nürnberg verwendet. Die beabsichtigte Außendarstellung, das Vorhaben, durch die ausländische Presse ein besonders positives Bild des Nationalsozialismus vermittelt zu wissen, schlug offenbar fehl (s. hierzu auch Urban, S. 88f.). Die hier untersuchten Zeitungen, wobei es in diesem Punkt keine Rolle spielte, ob sie der Pressezensur unterlagen oder nicht, sahen die Reichsparteitage in erster Linie als Möglichkeit, etwas über die außenpolitischen Ziele der Nationalsozialisten zu erfahren. Es fällt auf, dass Parteitagsreden, insbesondere von Hitler, in allen Ländern teilweise oder ganz abgedruckt und besprochen werden. Die Journalisten nutzten die Gelegen­ heit, dem Leser hier außerdem ein Bild vom Wesen des Nationalsozialismus zu vermit­ teln. Wie diese Darstellung letztendlich von der Leserschaft aufgenommen wurde, kann allenfalls vermutet werden. Fast alle Kommentatoren zeigten sich von der Organisation der Reichsparteitage beeindruckt. Der durch die Massenaufmärsche, Lichteffekte und die Architektur beabsichtigten Faszination waren zwar manche Reporter zunächst erlegen, jedoch verlor die Szenerie zunehmend ihren Reiz.

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MVGN 94 (2007) Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Die amerikanischen Printmedien scheinen unter den hier ausgewerteten die einzigen gewesen zu sein, die auch etwas ausführlicher die Stadt Nürnberg schilderten. Das Bild der romantischen mittelalterlichen Stadt war Ausgangspunkt vieler der Artikel. Auch die besondere Verbindung Hitlers zu Nürnberg, die die Wiener Neuesten Nachrichten hervorhoben, wurde betont. Ansonsten spielte die Stadt als Sehenswürdigkeit wohl keine größere Rolle in der ausländischen Presse. Möglicherweise bleibt dieser Aspekt in der vorliegenden Studie auch unerwähnt, da dieses Moment vermutlich nicht im Fokus der Beiträger lag. Interessant ist der Umgang in der Berichterstattung mit den während des Reichs­ parteitags 1935 erlassenen so genannten Nürnberger Gesetzen. In Italien fanden sie keine Erwähnung. Die sowjetische Presse berichtete vom Erlass der Gesetze und pran­ gerte sowohl die Hetze gegen den Kommunismus als auch gegen die Juden an. Groß­ britannien, die Tschechoslowakei und die USA unterrichteten ihre Leser ausführlich über den Erlass der Gesetze und waren sich in ihrer Ablehnung einig. In Frankreich fand sich nur in einer Zeitung eine Erwähnung der Nürnberger Gesetze, auf eine Be­ wertung hatte man wohl verzichtet. Fast alle der untersuchten österreichischen Zeitun­ gen druckten die Gesetze zwar im Wortlaut ab, enthielten sich aber eines Kommentars. Die Reichsparteitage, so die Herausgeber, trugen entscheidend zum Deutschlandbild im Ausland bei, was sich in der Untersuchung auch daran gezeigt habe, dass man auf die Parteitage noch Monate später wieder Bezug nahm. Kießling notiert in seiner Einfüh­ rung: „Schließlich ist etwas zu bemerken, was bis heute anhält: Die Bilder der Reichs­ parteitage verselbständigen sich und stehen mehr und mehr für das nationalsozia­ listische Deutschland insgesamt.“ (S. 23) In diesem Zusammenhang ist die Anmerkung der Herausgeber zu verstehen, wonach der Blick auf die ausländische Presse auch dazu beitragen kann, unsere Vorstellung von den Reichsparteitagen, die überwiegend durch die nationalsozialistische Überlieferung, insbesondere durch die offiziellen Foto- und Filmaufnahmen, geprägt ist, zu relativieren. Um das Gesamtbild abzurunden, wären außerdem, wie es Markus Urban für Deutschland geleistet hat, die Rundfunk- und Filmberichterstattung oder auch persönliche Ansichten ausländischer Reichsparteitags­ besucher heranzuziehen und eventuell mit der Berichterstattung anderer Großereig­ nisse, wie zur Olympiade 1936 in Berlin, zu vergleichen. Daniela Stadler

Thomas Greif: Frankens braune Wallfahrt. Der Hesselberg im Dritten Reich (Mittel­ fränkische Studien 18). Ansbach: Selbstverl. des Historischen Vereins für Mittelfranken 2007. IX, 627 S. mit 171 Abb. € 29,Der Redakteur des „Evangelischen Sonntagsblatt“ in Rothenburg o.d.T. legt mit diesem Buch seine umfangreiche Dissertation zu einem Thema vor, das bislang in der NS-Geschichtsschreibung, auch der engeren Heimat, kaum Aufmerksamkeit gefunden hatte und im Wesentlichen nur als eine Randerscheinung fränkischer NS-Geschichte behandelt worden war. Das mag mit daran liegen, dass dieser Berg in der Zeit des NSRegimes engstens mit Julius Streicher, dem Gauleiter Frankens in den Jahren

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1933-1939, verbunden gewesen ist, der wie kaum ein anderer von den NS-Größen Abscheu und Ekel erregte. Der Autor führt dies darauf zurück, dass erst Mitte der 1990er Jahre solche NS-Orte in den Blickwinkel von Historikern gerückt sind. Ver­ ständliche Gründe auch für diejenigen, die im Schatten dieses Berges das Geschehen nur zu gerne dem Vergessen anheim gegeben haben wollten. Damals war es anders. Strei­ cher brachte eine riesige Menschenmenge auf die Beine, wenn er nach Sonnwend zum „heiligen Berg der Franken“ rief, wo dann eine der größten NS-Veranstaltungen im sog. Dritten Reich nach bestimmten Regeln zelebriert wurde. Nach Greif war der Hesselberg eine „Kultstätte der politischen Religion des Natio­ nalsozialismus“, ein nicht unumstrittener Begriff. Unbestritten hatte diese höchste Erhebung Mittelfrankens eine weit zurückreichende Bedeutung, auf die der Autor umfänglich eingeht. Die Gegend um den Hesselberg schien für diese Art von neuem Kult als ein landwirtschaftlich bestimmtes Gebiet mit „fast ausschließlich dörflich­ kleinstädtischer Bevölkerung“ prädestiniert. Spätestens nach der Reichsgründung 1871 war ein nationalprotestantisches Denken, ausgerichtet auf das Reich, mit seinem laten­ ten Antisemitismus vorherrschend. Dass der größenwahnsinnige Gauleiter diese Tradition gemäß der allgemeinen NSIdeologie mit einem von ihr gepflegten Germanenkult in Verbindung brachte, ist nur zu verständlich. Für Streicher ging es aber vordergründig nicht um die Wiederauferstehung eines vermeintlichen Germanentums, er gebrauchte die jährliche Feier als einen der Höhepunkte seines Wirkens und seiner Selbstdarstellung als Paladin seines ihm stets in außerordentlicher Weise seit dem Marsch auf die Feldherrnhalle 1923 zugetanen „Führers“. 1928 begannen die politischen Kundgebungen, ausgezeichnet 1930 mit dem Auftritt Hitlers; diese „Frankentage“ dienten seit 1933 als eine Art Heerschau des mittelfränkischen Nationalsozialismus und waren die größte regelmäßig wiederkeh­ rende Propagandaschau der NSDAP in ganz Bayern (1935 mit 100.000 Teilnehmern). Für das Volk war solches ausladendes Feiern neben der nicht unwillkommenen politischen Indoktrination, der es sich aus Überzeugung nicht entgegenzustellen brauchte, wohl auch eine willkommene Abwechslung im täglichen Feben. Es war ein Volksfest mit umfangreichem sportlich-kulturellem Programm. Mit der Sonnwendfeier gehörte die Hesselbergveranstaltung zum nationalsozialistischen Feiertagskalender. Aber nicht nur als Wallfahrtsstätte der „neuen Volksgemeinschaft“ wurde der Berg missbraucht, hier verkündete Streicher stets seine hasserfüllten stereotypen antisemiti­ schen Parolen. Ab 1935 trat dann die antikirchliche Agitation der Entkonfessionalisierungsbestrebungen des Regimes hinzu; Göring gehörte zu den Haupthetzern. Die evangelische Kirche hatte sich seit 1935 vom Treiben auf dem Berg distanziert. Das Spektakel hatte sein Ende mit dem Kriegsausbruch und dem politischen Tod des Gauleiters, als er im Frühjahr 1940 entmachtet, aber nicht seiner Würden entkleidet, ins Exil auf seinen Hof bei Cadolzburg die restlichen Jahre bis zu seiner Verhaftung durch die Alliierten und seiner Hinrichtung am 16. Oktober 1946 als einer der Hauptkriegs­ verbrecher verbringen musste. Eine der zehn Adolf-Hitler-Schulen des Reiches war auf der Westseite des Berges geplant. Mit Kriegsausbruch wurden die Planungen eingestellt.

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MVGN 94 (2007) Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Im Krieg als militärischer Stützpunkt für die Luftbeobachtung benutzt, übernahm den Hesselberg nach dem Krieg die evangelische Kirche; die Evangelisch-Lutherische Volkshochschule wurde errichtet. Zugleich setzte damit eine Vergangenheitsverdrän­ gung ein; kein Wort wurde mehr über die unselige NS-Geschichte verloren. Heute erinnert nichts mehr an die „Frankentage“. Seit 1951 wird dort regelmäßig der baye­ rische Kirchentag veranstaltet. Der Autor hat sehr gründlich gearbeitet, alle ihm erreichbaren, auch ferner liegende Quellen ausgeschöpft und ebenso Zeugen befragt. Die sehr umfangreiche Dissertation, deren Detailfülle schier unübersehbar ist, bietet in zwölf Hauptkapiteln erstmalig alles nur Wissenswerte zum Hesselberg und seinem Missbrauch als „Täterort“ für „Hit­ lergläubigkeit“, Neuheidentum, Antisemitismus, Volksgemeinschaft und Kriegsbereit­ schaft. Dem Text beigegeben sind eine „Dokumentation wichtiger Originalquellen“, meist Reden und Redeauszüge aus den Jahren 1928 bis 1939, das Hesselberglied, einschlägige Gedichte und einige andere Unterlagen. Quellen- und Literaturverzeichnis, ein aus­ führlicher Bildnachweis, Orts- und Personenregister fehlen nicht. Helmut Baier

Der Luftkrieg gegen Nürnberg 1942-1945. Nürnberger Zeitzeugengespräch 2. Januar 2005. Nürnberg: Stadtarchiv 2005. DVD (32 Minuten) € 20,Die DVD der Videoproduktion Hans Batz im Auftrag des Stadtarchivs Nürnberg dokumentiert in Ausschnitten ein Zeitzeugengespräch vom 2. Januar 2005, das anläss­ lich des 60. Jahrestags des Bombenangriffs vom 2. Januar 1945 auf Initiative des Stadt­ archivs Nürnberg stattfand. Unter der Moderation von Professor Wolfgang Benz (Zen­ trum für Antisemitismusforschung, Berlin) berichten fünf Zcitzeugen - Elisabeth Lutz, Marianne Seitzinger, Margarete Mann, Karl Riegel und Hans Wächter -, wie sie diesen für die Bewohner und die Altstadt Nürnbergs besonders verheerenden Luftangriff erlebt haben. Die Zeitzeugen saßen dabei auf einer Bühne vor einem dicht besetzten Zuschauerraum. Nach einer Einleitung des Moderators, welche die Bedeutung des Zeugnisses der Mitlebenden betonte, aber auch die damit zusammenhängenden Probleme für die histo­ rische Forschung benannte, widmete sich die erste Befragungsrunde einer kurzen Schil­ derung dessen, wie die Zeitzeugen jeweils den 2. Januar 1945 erlebt und überlebt haben. Die zweite Runde ging der Frage nach, wie sich der Alltag der Zeitzeugen durch die Bombenangriffe und deren existentielle Bedrohung verändert hat. Die dritte Runde schließlich thematisierte die psychologischen Folgen des Bombenkriegs für die Zivilbe­ völkerung. Die Beschränkung auf ein konkretes Ereignis, den Bombenangriff vom 2. Januar, führt in der ersten Runde zu einer relativ dichten und eindrucksvollen Beschreibung des Angriffs aus unterschiedlicher Perspektive. Die hektische Flucht in den Bunker, die Ungewissheit, wie es Verwandten und Freunden ergehen mag, das Entsetzen über das

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zerstörte Nürnberg schildern die Zeitzeugen angesichts der großen zeitlichen Distanz gefasst und sachlich, aber dennoch packend. Dies gelingt in der zweiten Runde nicht in gleicher Weise. Hier sind unter anderem die direkte Konfrontation mit dem Tod und die Frage, wie eine derartige Bedrohung den Alltag veränderte, das Thema. Dabei wird von den Zeitzeugen nicht nur ein sehr hohes Vermögen der Selbstreflexion abverlangt, sondern auch eine sehr exakte Erinnerungsfähigkeit und der Mut, auch über existen­ tielle Gefühle vor einem dicht besetzten, abgedunkelten Saal zu sprechen. So bleiben in der zweiten Runde für den Betrachter der DVD doch einige Fragen offen. Es wird aber dennoch deutlich, dass sich für nahezu alle Zeitzeugen ihr Lebensalltag durch den Angriff grundlegend veränderte. Die dritte Runde schließlich führte zu einem relativ einhelligen Ergebnis: Das Ziel der Alliierten, durch den Bombenkrieg die Bevölkerung zu demoralisieren, wurde nur sehr eingeschränkt erreicht. Die Zeitzeugen schildern eher, dass die Angriffe fatalistisch hingenommen wurden, man sich nur noch um das Überleben sorgte und den Durchhalteparolen schon lange reserviert gegenüberstand. Stalingrad und der Kriegsverlauf, nicht die Bombenangriffe seien, so einer der Zeitzeugen, der eigentliche Einschnitt und Bruch gewesen. Das Schreien für Hitler habe sich, so eine Zeitzeugin, schnell gelegt, als die Bomben fielen. Abschließend hebt Wolfgang Benz hervor, dass die Bombenangriffe für jeden Ein­ zelnen zuerst einmal eine individuelle Katastrophe seien. Aufgabe des Historikers sei es, die verschiedenen individuellen Erinnerungen zusammen zu führen, zu ordnen, zu bewerten und somit in das kollektive Gedächtnis zu überführen. Bedenkt man, dass letztlich nur eine Abendveranstaltung in Ausschnitten dokumen­ tiert wurde, ist das Ergebnis erstaunlich gut. Man hätte sich gerne auch etwas mehr als die vorgelegten 33 Minuten, die eine starke Kürzung der Veranstaltung bedeuten, ange­ sehen. Um mit Zeitzeugenaussagen wirklich wissenschaftlich arbeiten zu können, bedarf es individueller, vorbereiteter Interviews in einem geschützten Rahmen. Ein sol­ ches Projekt hat die Medienwerkstatt Franken („Als Nürnberg brannte“ ein Zeitzeu­ genprojekt, DVD-Box Nürnberg 2005) vorgelegt. Dennoch ist es verdienstvoll und wichtig, dass der Abend, 60 Jahre nach dem Angriff vom 2. Januar 1945, dokumentiert wurde. Die DVD des Stadtarchivs ist so auch ein Beitrag zum kollektiven Gedächtnis an den Bombenkrieg. Alexander Schmidt

Nürnberger Zeugen des 2. Weltkriegs sprechen. Krieg - Gefangenschaft - Bomben Zerstörung - Besetzung - Neubeginn. Nürnberg: Garnisonmuseum 2005. DVD (55 Minuten) mit Begleitheft (12 S.) € 14,90 Die DVD „Nürnberger Zeugen des Zweiten Weltkrieges sprechen“ versammelt Aufnahmen von sieben Zeitzeugen, die den Zweiten Weltkrieg aus unterschiedlicher Perspektive erlebt haben. Beigelegt ist ein zwölfseitiges Begleitheft, welches einen einordnenden Text, der in Teilen auch auf der DVD zu hören ist, sowie Kurzbiografien der Zeitzeugen bietet. Die wissenschaftliche Leitung hatte Michael Kaiser vom Garni­ sonmuseum Nürnberg.

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Der Zweite Weltkrieg erscheint in den Erinnerungen dieses Zeitzeugenprojekts vor allem aus der Perspektive deutscher Soldaten, die sich nach Jahrzehnten an Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs erinnern. Dies wäre an sich vor dem Hintergrund der Arbeit des Garnisonmuseums auch eine logische Beschränkung. Die DVD bezieht darüber hinaus auch zwei Frauen ein, in der Untertitelung als „Zivilperson“ bezeichnet, welche das Leben der Zivilbevölkerung schildern sollen. So soll die mit den Schlagworten „Krieg, Gefangenschaft, Bomben, Zerstörung, Besatzung, Neubeginn“ angedeutete, sehr ehr­ geizige Bandbreite der Themen wohl besser eingelöst werden. Die DVD kombiniert eine Kurzdokumentation des Zeitzeugenprojekts mit den Zeitzeugenaufnahmen selbst. Als Rahmenhandlung dient ein Treffen der Zeitzeugen am Hauptmarkt und in einem Saal. Hierbei werden Grunddaten des Zeitzeugenprojekts und der inhaltlicher Ansatz mitgeteilt. Dem folgen Ausschnitte aus sieben Zeitzeugen­ interviews. Jeder Interviewzusammenschnitt ist einleitend von einem Sprecher kom­ mentiert. Hier tut sich jedoch ein seltsames Ungleichgewicht auf. Der Kommentar kündigt die nachfolgenden Zeitzeugenaufnahmen sehr inhaltsreich und spannend an. Leider wird der Zuschauer aber in der Regel enttäuscht, denn es gelingt nicht einmal ansatzweise, das Leid des Krieges, den Alltag der Soldaten, geschweige denn die Realität des Bombenkrieges mit den Interviewzusammenschnitten einzufangen. Der Zweite Weltkrieg erscheint im Zusammenschnitt der subjektiven Erinnerungen der Zeitzeugen als eine anekdotische Abfolge von nicht zusammenhängenden Ereignissen und oft völlig nebensächlichen Geschehnissen. Wichtige und spannende Momente, etwa die Schilderung der Gefühle eines heimgekehrten Soldaten beim Anblick des zerstörten Nürnberg, sind ausgesprochen selten. Da die Interviews stark geschnitten sind und durch einen einführenden Text kom­ mentiert werden, hätte man mehr stringenten Inhalt, mehr Herausfiltern von wichtigen und charakteristischen Erinnerungsteilen erwarten können. Trotz aller eingeräumter Schwierigkeiten bei der Arbeit mit Zeitzeugen werden vorhandene Chancen nicht genutzt: Ein Zeitzeuge geriet in das jüdische Ghetto von Amsterdam, ein anderer in die unmittelbare Nähe von Auschwitz. Beide sagen aber zu Ghetto und Lager nichts oder ausgesprochen wenig. Warum wurde hier nicht stärker nachgefragt? Ausführlich darf dagegen ein Mitglied der Waffen-SS die Greueltaten der Roten Armee schildern. Ver­ brechen der Wehrmacht kommen nur an einer Stelle vor, in der eindrucksvoll das Erschrecken über 15 erhängte (deutsche) Soldaten geschildert wird, die offensichtlich Zweifel am Endsieg geäußert hatten. Die Opfer anderer Nationen werden in den Zeitzeugeninterviews kaum erwähnt. Besonders befremdlich ist es aber, dass der Zweite Weltkrieg auf dieser DVD, sieht man einmal von der Erwähnung des Ghettos Amsterdam ab, ohne jegliche Thematisierung des Schicksals der Juden stattfindet. Nicht einmal im Begeleitheft kommt das Wort Jude vor. Wenn die Judenverfolgung tatsächlich in den Erinnerungen der sieben ausgewähl­ ten Personen und der etwa 400 beteiligten Zeitzeugen des Projekts keine Rolle spielen sollte, so hätte dies eine wissenschaftliche Leitung des Projekts zumindest thematisieren müssen. Die DVD versteht sich „als Beitrag gegen das Vergessen, gegen Vereinheit-

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lichung und Pauschalierung“ (Begleitheft S. 5). Diesen Anspruch löst sie nicht ansatz­ weise ein - im Gegenteil: Präsentiert wird ein Geschichtsbild, in dem das Verbrechen des deutschen Angriffskrieges und das Leid des Krieges, ja selbst Handeln und Alltag der deutschen Soldaten im Anekdotischen und in der Schilderung nebensächlicher Ereignisse untergehen. Alexander Schmidt

Christoph Friederich (Hg.): Zwangsarbeit in Erlangen während des Zweiten Welt­ kriegs (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlangen 6). Erlangen: Stadtarchiv 2007. 232 S. mit zahlr. Abb. € 12,50 Vorläufer und Grundlage dieses Buches ist Christoph Uebeleins Magisterarbeit .„Fremdvölkische Arbeitskräfte*. Displaced Persons in Erlangen“ von 1990, die bereits 1991 vom Stadtarchiv veröffentlicht wurde, jedoch im Jahre 2000, als auch in der Siemensstadt die Entschädigung der ehemaligen, lokal eingesetzten Zwangsarbeiter diskutiert wurde, vergriffen war, weshalb man sich an eine Publikation machte, die das Thema breiter behandeln sollte. Das Ergebnis gliedert sich in einen Quellenteil mit den Berichten zweier ukrainisch­ russischer und eines niederländischen Zwangsarbeiters sowie zwei Forschungsarbeiten, einen knapp neunzigseitigen, erweiterten Neuabdruck des Textes von Uebelein mit einem kurzem Exkurs über Zwangsarbeiterbeschäftigung bei der Stadt Erlangen und einen Beitrag von Wolfgang Frobenius über „Abtreibungen an Ostarbeiterinnen 1943— 1945 in Erlangen“, einen besonders infamen Aspekt der Behandlung dieser Menschen durch das NS-Regime und seine ärztlichen Helfershelfer. Abgeschlossen wird der Band durch einen Abriss von Andreas Jakob über den Umgang mit der Zwangsarbeit und ihren Opfern nach 1945, der Entschädigungsproblematik und die praktische Rolle des Stadtarchivs bei der Nachweiserbringung und Forschung auf kommunaler Ebene. Neben der quellengestützten, detaillierten Faktendarstellung bezieht „Zwangsarbeit in Erlangen“ auch moralisch eindeutig Stellung: Die Verantwortlichen scheuen sich weder im Geleitwort des Oberbürgermeisters noch in der Einführung des Heraus­ gebers die um Jahrzehnte verspätete Verurteilung dieser Form des NS-Unrechts als beschämendes Versäumnis der nachkriegsdeutschen Politik, Wirtschaft und Bevölke­ rung beim Namen zu nennen. Mit seinen lebendigen Zeitzeugenberichten und solide in den freilich wie so oft lückenhaften archivischen Quellen recherchierten Informationen, die sowohl die ein­ zelnen Beschäftigungsbetriebe aufführen - die Siemens-Reiniger-Werke waren der mit Abstand größte Beschäftigungsbetrieb von „Fremdarbeitern“ (Feb. 1944: 854) - als auch Überblicks- und Einzelstatistiken bieten - der Höchststand an Zivilausländern und im Arbeitseinsatz befindlichen Kriegsgefangenen wurde in Stadt- und Landkreis im Sept. 1944 mit ca. 4300 erreicht - fasst das Buch den aktuellen Kenntnisstand erschöpfend zusammen. Die Stadt Erlangen hat damit beispielhaft für eine Kommune ihrer Größe .ihre Hausaufgaben gemacht* und gibt dem lokalhistorisch Interessierten ein Werk an die Hand, das seinem im Titel erhobenen, umfassenden Anspruch durchaus

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gerecht wird. Ebenso ermöglicht es regionale und überregionale Vergleiche mit den Verhältnissen an anderen Orten. Gerhard Jochem

Herbert R. Reginbogin ... (Hg.): Die Nürnberger Prozesse. Völkerstrafrecht seit 1945. Internationale Konferenz zum 60. Jahrestag. München: Saur 2006. 320 S. € 68,Francisco Munoz Conde / Marta Munoz Auniön: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961). Berlin: BWV, Berliner Wiss.-Verl. 2006. XIV, 89 S. € 27,Jochanan Shelliem (Hg.): Als Gefängnisarzt im Nürnberger Prozess. Das Tagebuch des Dr. Ludwig Pflücker. Marburg: Jonas-Verl. 2006. 151 S. mit Abb. und 1 AudioDVD. € 20,Martina Behr und Maike Corpataux: Die Nürnberger Prozesse. Zur Bedeutung der Dolmetscher für die Prozesse und der Prozesse für die Dolmetscher (InterPartes 2). München: Meidenbauer 2006. 93 S. mit Abb. € 19,90 Maik Kopleck (Hg.): Past-Finder Nürnberg. Stadt- & Reiseführer. Stuttgart: Geo Center, Touristik Medienservice 2007. 144 S. mit zahlr. Abb. und Kt. € 14,90 Markus Urban: Die Nürnberger Prozesse. Kurzführer (Historische Spaziergänge 5). Nürnberg: Sandberg-Verl. 2008. 73 S. mit zahlr. Abb. und Kt. € 6,80 1. Vom 17. bis 20. Juli 2005 veranstaltete in Nürnberg das Touro College Jacob D. Fuchsberg Law Center Central Islip/NY die Internationale Konferenz „Judging Nuremberg: The Laws, The Rallies, The Trials. Returning to Courtroom 600 on the 60th Anniversary of the Nuremberg Trials“. Bei Touro handelt es sich um eine angesehene wissenschaftlich Einrichtung, die dem orthodoxen Judentum nahesteht und weltweit 25 Colleges betreibt, darunter auch die private Hochschule Touro College Berlin, an der Mitherausgeber Reginbogin Recht und Geschichte lehrt, während Safferling heute den Marburger Lehrstuhl für Internationales Strafrecht innehat. Die in jeder Hinsicht hoch­ rangige Tagung wurde auch vom Oberlandesgericht Nürnberg, der Stiftung „Erinne­ rung, Verantwortung und Zukunft“, der Erlanger Juristenfakultät, der Deutsch-Ameri­ kanischen Juristen-Vereinigung und dem Bundesstaat New York unterstützt. Der nunmehr vorliegende Tagungsband enthält alle 33 Referate in den Original­ sprachen englisch oder deutsch (jeweils mit übersetzter Zusammenfassung). Wie die ganze Tagung ist auch jeder einzelne Beitrag wertvoll und wichtig: Spezielle Bedeutung und Herausforderung liegt aber nicht im Bereich der Fakten, sondern in der internatio­ nal doch stark vom (inzwischen weitgehend erreichten) deutschen Konsens abweichen­ den Sicht und Bewertung von „Nürnberg“ und seinem Fortwirken. Die Materialfülle ist so gewaltig, dass selbst eine Zusammenfassung (von den Herausgebern vorbildlich S. 11 ff. selbst besorgt) den Rahmen einer Rezension sprengt. Neben der Inhaltsangabe werden deshalb im Folgenden nur Fragen aufgerufen, die sich in besonderem Maße stellen.

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MVGN 95 (2008) Buchbesprechungen Die ersten vier Vorträge (I) befassen sich mit den differierenden Interessen der Alliierten und der US-Präponderanz. Vom Zeitzeugenbericht Whitney R. Harris’ (Stellvertreter von Justice Jackson) abgesehen, gehen die Referenten des II. Teils davon aus, „dass der Holocaust im Nürnberger Prozess bei weitem nicht die Rolle gespielt hat, die wir heute erwarten würden“. Es dürfte nicht zu bestreiten sein, dass im Mittelpunkt des Internationalen Militärtribunals (IMT) nicht die Opfer, sondern die Täter standen. Im IV. und V. Teil geht es um die alliierten Folgeprozesse und die nationale Verfol­ gung der NS-Kriminalität in Deutschland, Israel und Australien. Offenbar weltweit ist das gänzliche Unverständnis darüber, dass die Bundesrepublik sich erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts zur Zwangsarbeiterentschädigung durchringen konnte. Die Ge­ schichte der eigenen west- und ostdeutschen Aufarbeitung des Nazi-Unrechts wird von den ausländischen Autoren ebenso wie vom deutschen (Prof. Rüping, Uni Hannover) gleichermaßen als im Ganzen beschämend gesehen. Die großen Probleme geben indes die Teile III, VI und VII auf, die von den histo­ risch-politischen Perspektiven des Nürnberger Prozesses zu seiner Wirkungsgeschichte führen. Konkret: von Reginbogins Annahme, Deutschland habe bereits in bezug auf seine Verbrechen im Ersten Weltkrieg die Berücksichtigung humanitären Rechts konse­ quent verweigert, bis zur These der Touro-Gastprofessorin Bayefsky, wonach das IStGH-Statut eindeutig darauf abziele, „die legitimen Interessen der Vereinigten Staaten und Israels zu attackieren, indem kultureller Relativismus die Universalität der Menschenrechte in Frage stellt“ und damit „the Legacy of Nuremberg“ verrät. Die offenkundigen Verständigungsschwierigkeiten beruhen darauf, dass die amerikanische und israelische Seite als wesentlichen, wenn nicht sogar ausschließlichen Ertrag Nürnbergs die Ächtung der „Crimes against Humanity“, und zwar in der Übersetzung „gegen die Menschlichkeit“ (und nicht etwa „Menschheit“) betrachten, wodurch einer gewissen Beliebigkeit bei der Ausfüllung das Tor geöffnet ist. Demgegenüber muss festgehalten werden, dass Menschenrechtsfragen beim IMT eher peripher waren. Wesentliches Ziel der Nuremberg Principles ist - wie der in den Referaten immer wie­ der herangezogen Justice Jackson sehr deutlich macht - „der größten Bedrohung unse­ rer Zeit, dem Angriffskrieg“ und den die menschliche Zivilisation als solche verwüsten­ den Verbrechen entgegenzutreten. Diese Interpretation findet vollen Rückhalt beim deutschen Referenten (Prof. Kress, Uni Köln), nicht aber bei der amerikanischen Seite, die mit einiger Verwunderung die deutsche Führungsrolle bei Schaffung der Internatio­ nalen Strafgerichtsbarkeit zu Kenntnis nimmt und hinsichtlich der nationalen Umkehr der Deutschen, gegen die sich einst die Nuremberg Principles in erster Linie richteten, skeptisch bleibt. Als wichtige deutsche Referenten sind noch Dr. Klaus Kästner und Dr. Joachim Hauck zu erwähnen. Den Abschluss der Tagung bildete „eine andere Geschichte“ in Form eindrucksvoller Betrachtung von „Perspektiven der Befeiung“ anhand von Bil­ dern der Ankunft des Todeszuges von Dachau. Nachdenklich auch das Fazit: Die Be­ deutung von „Nürnberg“ für die Konstituierung der postmodernen Welt kann kaum überschätzt werden. Dies hat die hochkarätig besetzte Tagung zum sechzigsten Jahres-

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tag der Prozesseröffnung sehr deutlich gemacht. Die Touro-Konferenz hat aber auch gezeigt, dass die Gerechtigkeit der Nuremberg principles uns nicht einfach geschenkt wird, sondern immer wieder und im aufwändigen Diskurs erkämpft werden muss. Dazu gibt der Inhalt des besprochenen Bandes wichtige Hilfestellungen. 2. Bei der Touro Konferenz berichtete Prof. H. Reicher (Uni of Pennsylvania) sehr präzis aus den US-Akten über den Nürnberger Juristenprozess mit der conclusio, dass sich das gleichsam neutrale Recht dann, wenn es in „evil hands“ fällt, zum „instrument of the greatest brutalities, inflicting untold amounts of suffering, misery and loss of life“ wird. Auch das gemeinsame Werk von Vater Francisco (Strafrechtsprof., Uni Sevilla) und Tochter Marta Munoz (Filmwissenschaftlerin in Frankfurt/M.) handelt vom Nach­ folgeprozess-Fall III Vereinigte Staaten vs. Altstötter, Oeschey, Rothaug, Schlegelber­ ger u.a. - allerdings in der verfremdeten Form, die ihm der wichtigste Film von Stanley Kramer „Das Urteil von Nürnberg“ gegeben hat. Darin liegt bereits die Schwäche des (väterlichen) juristischen Teils begründet: weil seine Annahme, Film und Fall seien wesentlich deckungsgleich, nicht zutrifft, gelingt weder der Versuch, beide gemeinsam zu kommentieren, noch mehre Einzelfälle zusammenzufassen. So kommt es nicht nur zu Verwechslungen der Vorsitzenden Rothaug (durchgängig als „Rothgau“ bezeichnet) und Oeschey, sondern auch zur Vermengung der Einzelfälle: der reale Fall Katzenber­ ger (vgl. Frommcr/Westner in MVGN 85/1998, S. 315ff.) ist als Filmfall „Felsenstein“ kaum mehr exemplarisch dafür, wie ein Richterkollegium als Räuberbande ohne die winzigste Spur von Recht agiert. - Die Stärke des juristischen Teils liegt in der Wissen­ schaftsdogmatik: anhand von Edmund Mezger, dem gefeierten Inhaber des Münchner kriminologischen Lehrstuhls von Weimar bis Bonn, werden die inneren Verbindungen strafrechtlichen und nationalsozialistischen Gedankenguts sowie deren Auswirkungen bis tief in die deutsche (und spanische!) postfaschistische Epoche deutlich gemacht. Zum Problem, warum der Film von Stanley Kramer in Deutschland 1961 keine (und bis heute nur geringe) Chancen bekam, gibt die vorzügliche Untersuchung von Marta Munoz Auniön viele Gesichtspunkte von Gewicht. Der politisch gedachte Film eines McCarthy-verfolgten US-Filmemachers stieß auch bei der damals schon durchaus „linken“ deutschen Filmkritik (Enno Patalas!) auf weitgehende Ablehnung. Das spricht dafür, dass daran nicht nur die damals weit verbreitete Negierung und Verdrängung der Nürnberger Prozesse schuld war, sondern auch künstlerische und interpretatorische Gräben. So mag die von Marta M. herausgearbeitete Konzentration auf die Sicht des US-Richters dem deutschen Interesse an den Tätern nicht entsprochen haben. Insge­ samt ist das Buch ein weiterführender und unverzichtbarer Beitrag zur deutschen (und globalen) Rezeptionsgeschichte der Nürnberger Prozesse. Warum im Fall Katzenberger Christiane Kohls Buch „Der Jude und das Mädchen“ 1997 bei den Deutschen das geschafft hat, was Kramer 1961 mit seinem Film versagt blieb (während der Kohls Buch nachfolgende Film „Leo und Claire“ - von Muiioz zu Recht verworfen - kaum beach­ tet wurde) bleibt indes offene Frage. 3. Die Nacht vor dem Jahrtag der Prozesseröffnung am 20. November 2005 wurde für den Deutschlandfunk die „Lange Nacht vom Nürnberger Prozess“. Der Mitschnitt

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Buchbesprechungen

dieser Sendung auf Audio-DVD gibt sich als Beilage des zu besprechenden Bandes über den „Gefängnisarzt im Nürnberger Prozess“: In Wahrheit dürfte das Buch jedoch ein bloßes Nebenprodukt der vom Herausgeber J. Shelliem - einem renommierten Rund­ funkjournalisten - redigierten Sendung sein. Es geht um das mäßige Tagebuch eines mittelmäßigen Arztes, das als mittelmäßige Quelle bisher nur mäßig zugänglich war, weil ausschließlich in 21 Folgen der „Waldeckischen Landeszeitung“ 1952 publiziert. Der von der Wehrmacht 1944 entlassene und dennoch in US-Kriegsgefangenschaft geratene“ Dr. Pflücker erschien als 65-jähriger Urologe den Amerikanern der geeignete Mann zur ärztlichen Betreuung der eher ältlichen Nürnberger Angeklagten. Uber Bad Mondorf, wo ihn Göring noch im rotseiden-geblümten Schlafrock konsultierte, kam er am 10. Oktober 1945 in Nürnberg an und kümmerte sich - offenbar zu deren Zufrie­ denheit und mit deren Vertrauen - um die Gesundheit und vor allem auch den guten Schlaf der 22 beschuldigten Kriegsverbrecher, die er nach eigenem Bekunden nicht als solche, sondern „ausschließlich unter ärztlichen Gesichtspunkten“ wahrnahm. Diese seine Haltung ist Gegenstand der der Tagebuchpublikation beigegebenen Gutachten: Während der Hannoveraner Politologe Joachim Pereis ihm scharf Distanzlosigkeit zu den Nazis vorwirft, billigt Wolfgang Benz ihm „den Charme der Naivität“ und Iring Fetscher den mittleren Weg zu: viel Ehre für einen, der stets nur ein hinterer Mitläufer (und getreues Abbild graubrauner Akademikerschichten) gewesen sein dürfte. Nach­ dem er seine zum Tod verurteilten Patienten auf ihrem letzten Gang begleitet hatte (wobei seine größte Sorge darin bestand, nicht als Helfer in den Göring-Selbstmord hineingezogen zu werden), kehrte er auf eigenen Wunsch nach Bad Wildungen zurück, wo der Versuch erneuter ärztlicher Niederlassung misslang. Nach zurückgezogenen Jahren der Krankheit starb Dr. Pflücker 1955. Des Herausgebers „Annäherungen an das Leben des Dr. Ludwig Pflücker“ erschei­ nen mir wesentlich „frommen Familienerzählungen“ zu folgen. So dürften die letzten Jahre weniger von Schuldgefühlen und darauf beruhenden Depressionen als von Senilität geprägt gewesen sein. Das Tagebuch selbst enthält „nichts Sensationelles, nicht ein­ mal bemerkenswert Neues“ (W. Benz). Inhaltlich fällt es weit zurück hinter die Berichte der amerikanischen Gefängnispsychiater Kclley (US/D 1947), Gilbert (US 1947/D 1962) und Goldensohn (US 2004/D 2005). Ein Non-liquet bleibt: Wie kommt der alte und schwerkranke Mann 1952 dazu, ein Tagbuch zu schreiben, das haargenau dem entspricht, was diese bleierne Zeit über ihre verflossenen Helden hören wollte? Das Buch gibt hierüber keine brauchbare Auskunft - sein Versuch der Heroisierung des Verlegers der Waldeckischen Landeszeitung geht voll daneben. 4. Die „Lange Nacht“ des Deutschlandfunks lebt nicht wirklich von den Zitaten des Gefängnisarztes Pflücker, sondern erst vom Wechselspiel mit den Aussagen des Chef­ dolmetschers der Anklage Sonnenfeldt (vgl. MVGN 91/2003, S. 204), was Sinn macht, weil der aufgeweckte und aufmerksame „jüdische Flüchtlingsjunge“ als Zeitzeuge wesentlich ergiebiger ist. Dass neben Arzt und Psychiater es die Dolmetscher sind, die den Nürnberger Angeklagten menschlich am nächsten kamen (Göring: „Was ich wirklich brauche, ist ein guter Dolmetscher“), ist ein tragender Gesichtspunkt auch des von den beiden Übersetzerinnen Behr und Corpataux verfassten Heftes. Da bei IMT

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MVGN 94 (2007) Politische Geschichte, Recht und Verwaltung und Nürnberger Nachfolgeprozessen ca. 300 Dolmetscherinnen und Dolmetscher (sukzessive) eingesetzt worden sind, gibt es hier ein weites Feld von Prozess-Zeug­ nissen, das noch nicht voll erschlossen ist. Behr und Corpataux helfen weiter durch Berichte (neben dem aus Gardelegen stammenden Richard Sonnenfeldt über die Polin Marie-France Skuncke, die Schweizerin Patricia Vander Eist und den in Wien auf­ gewachsenen Siegfried Ramler) sowie präzise Fundstellen (zahlreich auch exklusiv im schwankenden Internet). Die Untersuchung erarbeitet im übrigen aber kenntnisreich die „zentrale Bedeu­ tung“ des Nürnberger Prozesses für die Dolmetscher: IBM stellte für das IMT einen bis dahin nur wenig gebrauchten sog. Speech-Translator zu Verfügung. Den Erfordernissen des Prozesses (der sonst nicht durchführbar gewesen wäre) entsprechend, konnte damit „zum ersten Mal in großem Maße simultan gedolmetscht werden. Infolge der erfolg­ reichen Anwendung des neuen Dolmetschermodus in Nürnberg übernahmen auch die Vereinten Nationen dieses System dauerhaft. Alsdann etablierte sich das Simultandol­ metschen mehr und mehr und ist heute aus dem multinationalen Kommunikations­ geschehen nicht mehr wegzudenken.“ Entscheidend für den Nürnberger Durchbruch war die Leistung der bunt zusammengewürfelten Übersetzerschar, bei denen nicht die Ausbildungsqualifikation, sondern die fachliche und politische Begeisterung des Beginns einer neuen Zeitrechnung das Agens war. Dass dieser Neubeginn auch beim Dolmetschen unter der Chiffre „Nürnberg“ steht, macht die vorgelegte „Studie zur Dolmetschwissenschaft“ zur Pflichtlektüre für jeden mit den Nürnberger Prozessen befassten Historiker (und Juristen). 5. Die beiden neu erschienenen Stadtführer behandeln ausschließlich (Kurzführer) oder zum Teil (PastFinder) die Nürnberger Prozesse und sind doch von ganz unter­ schiedlicher Qualität, wie bereits ihr Äußeres erkennen lässt. Während der Kurzführer die Bilder vom Prozess durch solche von Zyklon B und der Straße der Menschenrechte ergänzt, legt PastFinder mit Blick auf die mit Hakenkreuz- und falscher (dem Kleinen Stadtwappen entnommener) Stadtflagge geschmückte Vorburg größten Wert auf ein NS-Erscheinungsbild. Aber erst der Klappentext bekennt, dass einziges Ziel die „erfolgreiche Suche nach den Spuren der NS-Geschichte in Nürnberg und Franken“ (Fürth / Bayreuth / Umland) ist. Das geschieht gründlich: Neben der Judensau von St. Sebald bekommt z.B. auch die historisch höchst unbedeutende „Gestapo Leitstelle Nürnberg-Fürth, Palmenhofbunker“ eine lange und liebevolle Beschreibung. Nicht, dass es sich um ein plumpes Neo-Nazi-Machwerk handelte: Dem wird sowohl vom Sachverstand her als auch mit durchgängiger, wenn auch zuweilen recht formelhafter political correctness begegnet. Das Rätsel des PastFinder (in ähnlicher Form bereits für Berlin, München und den Obersalzberg erschienen) lüftet sich etwas dadurch, dass sowohl der Herausgeber als auch der von ihm angegebene Autor Robert Kuhn (gelernter Rechtsanwalt, bisher aber nur durch eine - irre - „Realsatire“ über die Tele­ kom hervorgetreten) der Werbebranche zuzurechnen sind: Man will ganz offenkundig den Dingen nicht auf den Grund gehen, sondern nur plakativ all das zeigen, was das NS-Interesse (vor allem am wohligen Schaudern) eines Touristen treffen könnte.

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Dass das alles auch anders und wesentlich besser geht, zeigt der Vergleich mit dem vom renommierten Verein Geschichte Für Alle herausgegebenen Kurzführer. Beispiel: Beide Führer befassen sich auf S. 75 bzw. S. 60f. mit dem Film „Das Urteil von Nürnberg“ - während es PastFinder halt um die Stars geht, bringt der Kurzführer vieles von dem, was auch oben in dieser Rezension angesprochen ist. Weil sich PastFinder weder um den Hintergrund noch um das tiefere Verständnis kümmert, bietet er letztlich nur das quälende Bild einer von den Nazis unrettbar gezeichneten Stadt (und ihrem Umland). Er ist auch auf englisch erschienen, kann aber keineswegs empfohlen werden. Statt dessen ist auf die fachlich und sachlich ausgezeichneten Kurzführer aus der Werkstatt von Geschichte Für Alle, zusätzlich hier noch auf den zum „Reichs­ parteitagsgelände Nürnberg“ zu verweisen, die beide ebenfalls in englisch, letzterer auch in italienisch vorliegen. Allerdings sollten die Kurzführer in der werblichen Auf­ machung noch etwas vom PastFinder lernen, um den Touristenzugriff zu erleichtern.

Hartmut Frommer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine Wolfgang Protzner / Christiane Köglmaier-Horn (Hg.): Culina Franconiae. (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 109.112). Stuttgart: Steiner [Teil I]. 2007. 512 S. mit Abb.

€ 80,-

II. 2008. 284 S. mit Abb.

€ 49,-

Essen ist ebenso alltäglich wie allgegenwärtig - für jeden Menschen. Je hungriger, desto mehr. Bis die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten Speis und Trank als freud­ volles Thema für sich richtig „entdeckt“ hat, brauchte es freilich erst eine Zeit des Über­ flusses. Wer will sich schon fortwährend mit der Verwaltung des Mangels beschäftigen? Der kiloreichen (Koch-)Bücherschwemme fügt sich nun ein gehaltvolles Werk an, das einer etwaigen Übersättigung des Marktes keinesfalls zum Opfer fallen sollte: „Culina Franconiae“ tischt durchaus auch „fränkische Spezialitäten“ auf, greift aber weit darüber hinaus. Angerichtet ist, was die lateinische Titclfassung verspricht - ein histo­ rischer Streifzug durch die Kost und Küche Frankens. Das Hauptinteresse der Autoren gilt dabei dem Alltagsessen und -trinken einfacher Leute, aber auch höfische Formen finden Eingang. Erstmals liegt somit eine fränkische Ernährungsgeschichte vor. Regionale Nahrungsformen, -beschaffung und -bereitung werden bis in die Steinzeit zurückverfolgt - mit der Erkenntnis, dass der Speiseplan vor 5.000 Jahren wesentlich abwechlungsreicher aussah als vor 500 Jahren. Den mittelalterlichen Gaumen erreichten meist nur Hirsebrei und Brot, Fleisch gab es nur selten, eher noch gepökelten Fisch. In zwei Teilbänden wird ein facettenreiches Kompendium ausgebreitet, das - um nur wenige Beispiele zu nennen - vom Ochsenhandel über den mühevollen Siegeszug der ungeliebten Kartoffel und ihren späten Triumph im „rohen Kloß“ bis zur Soldaten­ verpflegung und zum koscheren Essen reicht. Der Umgang mit Lebensmitteln war stets auch von ihrer schnellen Verderblichkeit geprägt. Dem fränkischen Pfarrerssohn Carl Linde haben wir es zu verdanken, dass die

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Konservierung kein unüberwindliches Hindernis mehr darstellt. Mit seiner Erfindung der Kältemaschine veränderte er gleichzeitig grundlegend die Nahrungsproduktion und -handbreite. Erst die neue Technik machte eine industrielle „Food“-Verarbeitung möglich - und diese wiederum die massenhafte Übersiedlung von ländlichen Selbstver­ sorgern in die Fabrikstädte im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Der Schnieglinger Metall­ kapselfabrik Louis Vetter, die dazu einen nicht unbedeutenden Mosaikstein lieferte, ist ein Abschnitt gewidmet. Als weitere Beiträge Nürnbergs zur Verköstigung werden weder Lebkuchen noch Bratwürste hervorgehoben; ein Kapitel widmet sich der Reichs­ stadt als Gewürzhandelszentrum, ein Menüheft des städtischen Rathauskellers eröffnet Einblicke in das Schlemmen der besseren Kreise um 1900. Daneben findet sich eher Randständiges, etwa zur Wildschweinhatz im Reichswald sowie zu auf Nürnberger Tellern gelandeten Aischgründer Karpfen. Die Herausgeber, beide Professoren für Didaktik der Geschichte an der Universität Bamberg, haben gemeinsam mit etwa hundert Studenten ein Werk geschaffen, das in 37 Einzelstudien nicht nur die jeweils sehr unterschiedliche Quellen- und Literaturlage umfassend aufarbeitet, sondern diese vielfach um eigene Feld-, Herd- und Tischfor­ schung anzureichern vermag. Eingestreute Rezepte und Originalzitate tragen zur Lebendigkeit der Texte bei, deren Spanne bis zu den kulinarischen Großangriffen der Fastfood-Industrie reicht. Leider fand Ernst Schuberts für die deutsche Gesellschafts­ geschichte Maßstäbe setzendes Opus magnum „Essen und Trinken im Mittelalter“ (Darmstadt 2006) keine Berücksichtigung mehr, seine Auswertung hätte gewiss weitere Früchte getragen. Die Vielzahl von Autoren provoziert eine etwas heterogene Struktur und damit naturgemäß auch Fehler, etwa die Verlegung von Quellen aus dem Stadt- ins Staatsarchiv Nürnberg (I, S. 477-499). Ob die beiden Herausgeber mit ihrer Wort­ schöpfung „Gourmonts“ anstatt Gourmands (II, S. 253-278) so etwas wie gefräßige „Berge-Esser“ kreieren wollten, bleibt dem Rezensenten indes unergründlich. Aber wer im Nachwort eine Leib und Seele so innig vereinende „kulinarische Futurologie“ entwirft, der darf sich über kleinliche Rechtschreibregeln gerne mal hinwegsetzen.

Walter Gebhardt Kunst Frank Matthias Kammei (Bearb.): Verborgene Schönheit. Spätgotische Schätze aus der Klarakirche in Nürnberg. Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum, Nürn­ berg, 10. Mai - 5. August 2007. Nürnberg: Verl, des Germanischen Nationalmuseums 2007. 124 S. mit zahlr. Abb. €23,Die ansprechend gestaltete und sehr gut bebilderte Publikation aus der Reihe der Ausstellungskataloge des Germanischen Nationalmuseums verdankt ihr Erscheinen dem lobenswerten Umstand der bergenden Übernahme und Präsentation des Kunst­ gutes der Nürnberger Klarakirche durch das GNM während der Restaurierungsphase des Gotteshauses. Wenn der schützende Aspekt dieser Bergung im Vorwort lobend herausgestellt wird, ist es umso bedauerlicher, dass die einzig nennenswerte Panne in der Organisation der

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kriegsbedingten Bergung des Kunstgutes nicht angesprochen wird. 19 Jahre lang friste­ ten die beiden Reliefteile des Kalvarienberges im Kreuzaltar der Klarakirche (Kat. Nr. 10) ein Dasein als „Bergekunst unbekannter Herkunft“ im nur etwa 300 m vom alten Standort entfernten Magazin der St. Lorenzkirche, bis sie 1984 wieder in den neu ge­ stalteten Altarschrein zurückkehren konnten (Lit.: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 9, 1984). Frank Matthias Kammei versucht in bekannt kompetenter Art anhand vorzüglich ausgewählter Dokumentationsbilder den romanischen Kirchenbau vor Augen zu stel­ len, um dann detailliert auf die frühere Ausstattung von Kirche und Kloster einzugehen. Seine Ausführungen werden durch die Beschreibung und Dokumentation der Ausgra­ bungsbefunde durch Melanie Langbein bestätigt. Der Geistliche der Kirche, Pater Karl Kern SJ, erläutert in seinem Beitrag die Not­ wendigkeit der Kirchensanierung und stellt das Projekt der „Offenen Kirche St. Klara“ als „Raum für die Seele“ vor. Er begründet und verteidigt das Konzept der durchge­ führten Restaurierung mit der weitgehenden Rückführung der früheren Eingangssitua­ tion, wobei die gewöhnungsbedürftige „Grotte“ am Eingangsbereich nur am Rande Erwähnung findet. Unter der Forderung „St. Klara braucht Klarheit“ musste wohl auch die monumentale Kreuzigungsgruppe von Veit Wirsberger, um 1510/15 (Kat. Nr. 9), ihren Standort wechseln. Sie befindet sich jetzt, leider recht eingeklemmt, zwischen den Fenstern der Westwand über der Empore. Der von Frank Matthias Kammei bearbeitete Katalogteil ist eine vorzügliche Zusammenstellung des kirchlichen Kunstgutes und als Grundlage für weitere Arbeiten unverzichtbar. Der Versuch, den in Vergleich gezogenen Ölberg in Fürth-Burgfarrnbach auf die Zeit um 1500 zu datieren, ist in Frage zu stellen. Nachzuweisen ist in den dortigen Gotteshausrechnungen ein Spesenbeleg für die Speisung hungriger Vertreter der Burgfarrnbacher Kirchengemeinde, als diese 1516 „gen Puchenpach [bei Erlangen] fuhren“, um den dort eben erst fertiggestellten Ölberg zu besichtigen, um einen ebensolchen „in maß vnd form wie der zu puchenpach“ in Auftrag zu geben. Die zweimalige irreführende Nennung des Ortes „Dornitz“ statt „Dormitz“ ist zu überlesen. Georg Stolz

Oliver Linke / Christine Sauer: Zierlich schreiben. Der Schreibmeister Johann Neudörffer d.Ä. und seine Nachfolger in Nürnberg (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 25) (Jahresgabe der Typographischen Gesellschaft München 2007). München [u.a.]: Typographische Ges. [u.a.] 2007. 160 S. mit 106 Abb. € 20,Seit Johann Neudörffer d.Ä. (1497-1563) und durch sein Wirken wesentlich mit­ bestimmt spielt Nürnberg eine herausragende Rolle in der Entwicklung der deutschen Schrift. Die wissenschaftliche Erforschung dieser Rolle ist dagegen seit Jahrzehnten eher bescheiden; so stammt die bisher einzige Monographie zu diesem Thema aus dem

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Jahre 1956. Das vorliegende Buch will einen Beitrag dazu liefern, diese Lücke zu schließen. Die Arbeit besteht aus zwei recht unterschiedlichen Teilen. Der erste Teil (S. 6-117) ist die überarbeitete Fassung einer Magisterarbeit über das kalligraphische Werk Johann Neudörffers d.Ä., die Oliver Linke 2004 am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der Univer­ sität Augsburg vorgelegt hat; der zweite Teil (S. 118-158) von Christine Sauer gibt einen Überblick über die Nürnberger Schreibmeister nach Neudörffer sowie eine Bibliogra­ phie der in der Stadtbibliothek Nürnberg erhaltenen Schreibmeisterbücher und -blätter. Ein für beide Teile gemeinsames Personenregister und ein Abbildungsnachweis runden den Band ab. Ziel der Magisterarbeit Linkes ist die systematische Erschließung des kalligraphi­ schen Gesamtwerks Neudörffers einschließlich seiner bislang noch unveröffentlichten Werke, um auf dieser Grundlage die künstlerische Entwicklung Neudörffers mit ihren Abhängigkeiten und Neuerungen nachzuvollziehen und sie in die schriftkünstlerische Entwicklung des 16. Jahrhunderts einzuordnen. Hierzu untersucht Linke nach zwei einführenden Kapiteln zum Leben Neudörffers und zur Schriftentwicklung seiner Zeit in chronologischer Folge akribisch die einzelnen Werke des berühmten Nürnberger Schreibmeisters unter nahezu jedem denkbaren Aspekt: Ausgaben und Varianten, Überlieferung und Lagerorte, Vorlagen, Neuerungen und Weiterverwendung der genauestens beschriebenen und interpretierten Buchstabenformen und Druckstöcke, die Funktion der Werke für die Tätigkeit Neudörffers und ihre (oft nur aus ihren Eigentümlichkeiten erschlossene) Datierung. Ein Werkverzeichnis Johann Neudörffers mit Angabe der heutigen Aufbewahrungsorte schließt diesen Teil der Arbeit ab. Bei einer wissenschaftlichen Erstlingsarbeit kann es nicht wundernehmen, dass sie nicht frei ist von kleineren Ungenauigkeiten und Fehlern, und ebensowenig überrascht es, dass diese dem Kunsthistoriker gehäuft in den Randbereichen seines Faches, in seinen (durchaus begrüßenswerten) Angaben zum historischen Umfeld Neudörffers, unterlaufen. So wird Neudörffers Wappen heraldisch unrichtig beschrieben, und es hat ihm auch nicht das Amt eines Hofpfalzgrafen „eingetragen“, sondern beides wurde ihm unabhängig voneinander verliehen; ein angehender Schulmeister wurde nicht „vom Rat bestellt und damit Bediensteter der Reichsstadt“, sondern erhielt die Genehmigung zu privater Berufsausübung (was Linke eine Seite später selbst so sagt); der Rat war nicht mit der Oberaufsicht über das Schulwesen „betraut“ (von wem denn?), sondern nahm sie für sich in Anspruch. Für die eigentliche Thematik der Arbeit, die künstlerische Entwicklung Neudörffers und seine Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Schrift, sind diese Ungenauigkeiten ohne Belang. Im zweiten Teil des Buches gibt Christine Sauer einen Überblick über die Nürn­ berger Schreibmeister nach Johann Neudörffer d.Ä. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich gegenüber den detaillierten Untersuchungen Linkes dieser Teil als ein geraffter Überblick auf das Wesentliche beschränken muss. Grundlage ihres Überblicks über die Weiterentwicklung der Schreibmeisterkunst nach Neudörffer ist der in der Stadtbiblio­ thek Nürnberg aufbewahrte Bestand an Schreibmeisterbüchern, der kleiner, weniger

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international und weniger gut erschlossen als der Bestand des Germanischen National­ museums, in seiner Dichte (wenn auch nicht Vollständigkeit) aber gerade für die ortsge­ schichtliche Forschung bedeutsam ist. In fünf Kapiteln behandelt Sauer knapp und präzise die Stellung und Ausbildung der Schreibmeister in Nürnberg, die „Kunstbüch­ lein“ der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, den Richtungsstreit um die „schickliche Zier der Versalien“ 1601/02, die Wiederherstellung der Schreibkunst durch Michael Baurenfeind im 18. Jahrhundert und die „Schreibmeisterblätter“ als eigenes Metier der Schreibmeister. Ergänzt wird dieser Überblick durch ein vollständiges Verzeichnis der in der Stadtbibliothek Nürnberg aufbewahrten Schreibmeisterbücher und -blätter, das auch die wenigen nicht in Nürnberg entstandenen Exemplare enthält. Das vorliegende Werk ist nicht nur als Nr. 25 in die Reihe „Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg“ der Stadtbibliothek Nürnberg aufgenommen worden, sondern ist zugleich die Jahresgabe 2007 der Typographischen Gesellschaft München für ihre Mitglieder. Dem äußeren Erscheinungsbild des Buches ist dies zugute gekom­ men. Papier und Schriftbild wirken angenehm auf das Auge, wenn auch die Anordnung der Fußnoten (teils am Rande, teils mehrspaltig nebeneinander am Seitenende) für den an wissenschaftliche Literatur gewöhnten Leser ungewohnt ist. Die mehr als 106 fast durchgehend farbigen Abbildungen erlauben nicht nur Nachvollzug und Überprüfung der inhaltlichen Aussagen der Autoren, sondern sind auch ästhetisch eine wahre Augenweide. Insgesamt ist so ein Buch entstanden, das ob seines speziellen Themas wohl nur für Fachleute interessant zu lesen, aber für jeden mit Genuss zu betrachten ist. Beide Arbeiten können und wollen - auch zusammengenommen - keine abschlie­ ßende Darstellung des Themas sein, und sie benennen auch selbst die Bereiche, die einer weiten Forschung bedürfen. Durch ihre Bestandsaufnahme und z.T. Erweiterung und Präzisierung der bisherigen Kenntnisse und die Zusammenstellung der vorhandenen, z.T. weit verstreuten Quellen haben sie aber eine wichtige Vorarbeit für diese Forschungen geleistet. Horst-Dieter Beyerstedt

Gerd Unverfehrt: „Da sah ich viel köstliche Dinge.“ Albrecht Dürers Reise in die Niederlande. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 260 S. mit Abb. € 36,90 Das sogenannte „Tagebuch der Niederländischen Reise“ ist der längste zusammen­ hängende autobiographische Text, den Albrecht Dürer hinterlassen hat (Sahm 2002). Der ungewöhnliche, mit vielen nüchternen Geschäftsnotizen durchsetzte Reisebericht erlaubt es nicht nur, Dürers Leben und Schaffen zwischen Juli 1520 und dem Sommer 1521 so präzise wie zu keinem anderen Zeitpunkt nachzuvollziehen, er ermöglicht auch eine erstaunliche Innensicht in die Interessen des Künstlers. Nicht zuletzt ist das „Tagebuch“ eine schier unerschöpfliche, wenngleich persönlich geprägte Fundgrube zur Kultur- und Alltagsgeschichte der Frühen Neuzeit. Umso schmerzlicher ist es, dass Dürers Originalmanuskript verloren ging. Die heutigen, vielfach sprachlich modernisierten Ausgaben beruhen auf zwei frühen Ab­ schriften des Textes, die vermutlich erst aus dem 17. Jahrhundert stammen und sprach-

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lieh teilweise differieren (Rupprich 1956). Bis heute existiert keine monographische, kritisch kommentierte Ausgabe des „Tagebuchs“, die eine wirklich sichere Grundlage für die Rekonstruktion von Dürers Ursprungstext und die weitere Analyse liefern würde. Eine solche kritische Edition wird auch von Gerd Unverfehrt nicht vorgelegt, noch enthält der vorliegende Band eine vollständige Wiedergabe von Dürers Reisenotizen. Im Gegensatz zur kommentierten französischen Ausgabe des „Journal de voyage aux Pays-Bas“ (1993) zitiert Unverfehrt den Text nur in Ausschnitten und erlaubt sich die Freiheit, die Abfolge der Ereignisse zu durchbrechen. Auch wenn er sich weitgehend an die Chronologie hält, stehen ähnlich dem Katalog zur Brüsseler „Europalia“-Aus­ stellung von 1977 („Albert Dürer aux Pays-Bas“) thematische Aspekte im Vordergrund. Den Leiter der Göttinger Universitäts-Kunstsammlung und Spezialisten für nieder­ ländische Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts interessieren vor allem sozialhistorische und realienkundliche Bezüge. Damit führt er den Ansatz der Göttinger Ausstellung zu „Dürers Dingen“ (1997) fort. Zurecht kritisiert Unverfehrt die bislang vielfach unzu­ länglichen, mitunter sogar fehlerhaften Identifizierungen der von Dürer erwähnten Namen mit realen Personen. Hier kann er ebenso Korrekturen anbringen wie bei der Identifizierung vieler rätselhafter Gegenstände, die Dürer als Geschenke erhält oder erwirbt, jedoch nicht näher beschreibt, auch wenn das genaue Aussehen und die Funk­ tion der „Meerruten“, „Pfeiflein“ oder des „Kalakut“ auch vom Autor nicht restlich geklärt werden konnten. So sinnvoll es gerade angesichts von Dürers aufzählendem, oft wiederholendem Sprachstil erscheinen mag, das „Tagebuch“ nicht Wort für Wort wiederzugeben, son­ dern in Form einer „Nacherzählung“ darzubieten, so sehr mag sich gerade der an Dürers besonderem Reise-Erleben interessierte Leser an der „zusammenfassendefn] Umstrukturierung des von Dürer vorgegebenen .Datenmaterials’“ (S. 11) stören. Indem Unverfehrt zudem die „kompromisslose“ Übertragung Moriz Thausings von 1872 als Grundlage wählt, gehen nicht nur Nuancen verloren. Durch die nüchtern modernisie­ rende Sprachfassung verliert der Reisebericht viel von seinem durch die Persönlichkeit des Künstlers geprägten Charme und Lokalkolorit. Sein Charakter als literarischer Text wird nivelliert, er wird zur Geschichtsquelle, deren kommentierende Nacherzählung allerdings aufschlussreich zu lesen ist. Unterstützt durch die 42 Illustrationen und einen informativen Anhang mit Preis- und Werklisten, verhilft Unverfehrt Dürers Reise zu neuer Anschaulichkeit. Anja Grebe

Martin Sonnabend (Hg.): Albrecht Dürer - Die Druckgraphiken im Stadel Museum. Katalog zur Ausstellung im Guggenheim Museum Bilbao, 26. Juni bis 9. Sep­ tember 2007 und im Städel Museum, 27. September 2007 bis 6. Januar 2008. Köln: DuMont-Literatur-und-Kunst-Verl. 2007. 260 S. mit 207 Abb. € 39,90 Das Frankfurter Städel Museum besitzt mit etwas über 550 Kupferstichen, Holz­ schnitten und Radierungen bis auf wenige Ausnahmen das gesamte druckgraphische

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Werk Albrecht Dürers in ausgezeichneter Qualität. Dieser kostbare, in weiten Teilen auch alte Bestand wurde im Jahre 1971 zuletzt gezeigt. Von September 2007 bis Anfang Januar 2008 gab es nun die Möglichkeit, einen Gutteil dieser Druckgraphiken in einer vom Stadel Museum konzipierten Ausstellung zunächst im Guggenheim Museum in Bilbao und darauf in der Graphischen Sammlung des Städel Museums zu betrachten. Der umfangreiche, bebilderte Katalog stellt die Sammlungsgeschichte der Dürergraphik im Städel vor und gibt einen exemplarischen Überblick über Dürers Schaffen in diesem Bereich. Er präsentiert in 165 Nummern eine Auswahl der wichtigsten Blätter der Sammlung und listet deren Gesamtverzeichnis auf. Frisch und prägnant, dabei durchaus den aktuellen Forschungsstand in seiner Problematik spiegelnd, referiert Martin Sonnabend in seiner Einleitung Grundzüge aus Feben und Werk des Druckgraphikers Dürer. Dabei äußert sich der Kurator der Aus­ stellung und Leiter der „Graphischen Sammlung bis zum 18. Jahrhundert“ auch zum Reichtum des Städel-Museums an Dürers Druckgraphik. Dieser geht auf den Stiftungs­ gründer des Instituts, den Kaufmann, Bankier und Kunstsammler Johann Friedrich Städel (1728-1816), zurück, dem ein frühes Inventarbuch, wohl kurz nach seinem Tode angelegt, bereits das nahezu vollständige druckgraphische CEuvre Dürers bescheinigt. 1819 erwirbt der Stiftungsvorstand die Sammlung des Bankiers Clemens Alois Hohwiesner, die Joseph Heller in seiner Dürer-Monographie von 1827 als die vollständigste nach der „Albertinischen Sammlung“ in Wien bezeichnet. Noch weitere Blätter kom­ men in dieser Zeit hinzu. Doch bleibt der immense Bestand nicht erhalten. Nach Vor­ gabe des Stifters ist es ausdrücklich erwünscht, nach dem Maßstab der Qualität zu sammeln. So werden von Graphiken, die in mehreren Abzügen vorhanden sind, nur die besten behalten. Blätter, die man für geringer hält, werden demnach als „Dubletten“ veräußert, um mit dem Erlös „Besseres“ zu erwerben. Sonnabend bedauert den aus dieser Praxis resultierenden Verlust der Vergleichsstücke. Er weist auf die Problematik der subjektiven, dem Geschmack der Zeit unterworfenen Auswahl hin, die in einer spektakulären Auktion im Jahr 1839 gipfelt, bei der 2500 Werke, darunter 500 von Dürer veräußert werden. Die versehentliche Aussonderung des inzwischen berühmten Adam und Eva-Stiches, den Joseph Meder Anfang der 1920er Jahre in der Wiener Kunsthandlung Artaria entdeckte, bleibt dagegen unerwähnt. Heute gilt das ehemals aus dem Städel stammende Blatt mit der seitenverkehrten 5 in der Datierung „1504“ als singuläres Glanzstück der Sammlung Otto Schäfer in Schweinfurt. Trotzdem beher­ bergt das Städel eine umfassende, qualitätsvolle Sammlung an Dürers Druckgraphik, die noch im 19. und 20. Jahrhundert um Einzelblätter ergänzt wird. Der Ankauf des frühen Abzuges des „Marientods“ (Kat. Nr. 81) im Jahr 1965 ist eine der letzten Erwerbungen. Zurecht betont Sonnabend, dass das Städel Museum lange seine Vorstellung von künst­ lerischer Bedeutung am Werk Dürers ausgerichtet hat. Er veranschaulicht dies an der Figur Dürers neben der Holbeins d. J. an der Fassade des Museums und der Tatsache, dass die an das 1878 eröffnete Museum grenzende Straße „Dürerstraße“ genannt wird. Die ersten Leiter des Museums, der Maler und Overbeck-Schüler Philipp Veit (1793— 1877) und der große Kenner und Forscher David Passavant (1787-1861) sind eng mit der Kunstrichtung der Nazarener verbunden. Dürer und Raffael gelten hier als ideale

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Vorbilder einer Sinn und Wahrheit stiftenden Kunst, die Ordnung in die moderne Zeit des 19. Jahrhunderts bringen sollen. Allerdings lassen nach der Aufwertung von Dürers Druckgraphik durch Passavant die Bemühungen um diese Sammlung nach. Sonnabend bedauert, dass die berühmte Sammlung des Frankfurter Kaufmanns Heinrich Anton Cornill d’Orville (1790-1875) nicht für das Institut gewonnen werden kann. Nach dem Missbrauch altdeutscher Kunst durch die nationalsozialistische Propaganda meidet man auch in Frankfurt am Main zunächst dieses Thema und die Beschäftigung mit Dürer. Erst im Jahr 1971, zum 500. Geburtstag des Künstlers, richten der Direktor Ernst Holzinger (1901-1972), ein bei Wölfflin über Dürer promovierter Kenner, und Kurt Schwarzweller (1911-1973), der Leiter der Graphischen Sammlung, eine um­ fassende Schau des Bestandes aus und publizieren dazu ein Begleitheft. Der umfangreiche, bebilderte Katalogteil des vorliegenden Bandes, zu dem Martin Sonnabend und Alexander B. Eiling fundierte Texte beisteuerten, behandelt in chro­ nologischer Ordnung die Exponate, darunter Besonderheiten aus dem alten Bestand vor 1861. Ins Auge fallen frühe Abzüge mit breitem Papierrand wie die Kupferstiche „Das große Pferd“ (Kat. Nr. 48) oder „Der Fahnenschwinger“ (Kat. Nr. 41). Von herausragender Qualität sind auch die Kaltnadelradierung „Die Heilige Familie, sechsfigurig“ im 1. Zustand nach Meder noch vor dem durchgestrichenem Gesicht Mariens (Kat. Nr. 139) oder der rare Frühdruck des Titelholzschnittes des „Marienlebens“ noch vor dem Text (Kat. Nr. 63). Bei jedem der abgebildeten Werke sind, soweit vorhanden, das Wasserzeichen, der Zustand nach Joseph Meder und auch die Provenienz genannt. Das anschließende „Verzeichnis aller Druckgraphiken Dürers im Städel Museum“ versteht sich als Auflistung, ohne die Angabe kennerschaftlicher Details. Einige der im Gesamtverzeichnis aufgeführten Blätter vermisst man im ausführlichen, illustrierten Teil des Katalogs, etwa den durchaus seltenen, hier in allen vier Stöcken vorhandenen Riesenholzschnitt „Die große Säule mit dem Satyr“ (B. 129), bei dem somit unklar bleibt, ob alle vier Teile der gleichen Ausgabe entstammen. Dennoch erweitern gerade dieses Gesamtverzeichnis und Sonnabends spannender Beitrag zur Sammlungsge­ schichte das exemplarische Katalogbuch um die sinnvolle Funktion eines Bestandskataloges, der den Corpus der Städel-Sammlung greifbar macht. Das schmale Katalog­ heft der Jubiläumsausstellung von 1971 ist damit abgelöst. Anna Scherbaum

Carolin Kraft: Dürer und die Kunst des 17. Jahrhunderts. Facetten künstlerischer Rezeption (Schriften zur Kunstgeschichte 15). Hamburg: Dr. Kovac 2007. 218 S. mit Abb. ' € 48,Wie kaum ein anderer Künstler wurde Albrecht Dürer auch Jahrhunderte nach seinem Tod von Künstlern und Sammlern geschätzt. Vor allem für die Jahrzehnte um 1600 stellte die ältere Forschung einen neuen Aufschwung der Beliebtheit Dürers fest, für den Hans Tietze 1928 den bis heute gebräuchlichen Begriff „Dürer-Renaissance“ prägte. Dieser Epoche ist, mit wenigen Ausblicken ins spätere 17. Jahrhundert, auch die 2007 abgeschlossene Heidelberger Magisterarbeit von Carolin Kraft gewidmet, die mit einem Geleitwort des Betreuers Andreas Tacke zügig im Druck erschienen ist.

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Buchbesprechungen

Das Buch ist neben einer kurzen Einleitung in zwei Hauptkapitel und ein drittes, thesenartig abschließendes Kapitel gegliedert. In der Einleitung setzt sich Kraft mit dem u.a. von Goldberg (1980) und Decker (1981) problematisierten Begriffen der „Nach­ ahmung“ und „Dürer-Renaissance“ auseinander, den sie durch den neutralen, wenn­ gleich wenig aussagekräftigen Terminus „Dürer-Rezeption“ ersetzt. Nur marginal erwähnt wird Rainer Stüwes noch unpublizierte Heidelberger Doktorarbeit von 1998 zu den Nürnberger Dürer-Kopien des 16. und 17. Jahrhunderts, auf welcher jedoch weite Teile der Magisterarbeit aufbauen. Das erste Kapitel zur „Dürer-Rezeption“ beginnt mit einer knappen Vorstellung des 1563 erlassenen Bilderdekrets des Konzils von Trient, in welchem Dürer eine vor­ bildhafte Rolle zugesprochen wird, wobei Kraft die Hintergründe für diese Wahl nicht näher analysiert. Die folgenden Unterkapitel sind dem Dürerlob in der Kunstliteratur und dem „Dürer-Kult“ der Kunstsammler des 16. und 17. Jahrhunderts gewidmet, die anhand weniger Beispiele weitgehend nach den Auswertungen der Sekundärliteratur referiert werden. Gleiches gilt für den Überblick über die „Dürer-Nachahmungen“ in der Malerei, den graphischen Künsten und der Plastik, denen sie einen „Katalog der plastischen Nachahmungen 1600-1651“ folgen lässt, der in stark verkürzter Form Daten aus dem von Herbert Beck und Bernhard Decker erstellten Werkkatalog im Frankfurter Ausstellungsband zu „Dürers Verwandlung in der Skulptur“ (1981) wie­ dergibt, ohne diese durch eigene Erkenntnisse zu bereichern. Den Hauptteil der Publi­ kation mit 27 Seiten bildet eine aus der Literatur kompilierte, ebenso lückenhafte wie hinsichtlich Authentizität und Datierungen der Werke unkritische Zusammenstellung der Dürer-Sammlungen Rudolfs II. und Maximilians I. von Bayern. Die Entscheidung der Autorin, die Werklisten jeweils nach den heutigen Aufbewahrungsorten zu sor­ tieren, steht ihrem angestrebten Ziel, „etwas über die Art und Weise der Rezeption Dürers“ in Erfahrung zu bringen, entgegen, da z.B. Rückschlüsse auf besonders beliebte Werke, Motive und Gattungen, aber auch die Reihenfolge des Erwerbs und damit die Interessen der Auftraggeber verhindert werden. Überraschenderweise folgert Kraft aus diesen Auflistungen, dass die Dürer-Rezep­ tion des 17. Jahrhunderts vor allem propagandistisch motiviert war. Hierbei verallge­ meinert die Autorin im kurzen Schlusskapitel die wenigen, aus der Literatur - mit Ausnahme des Katalogs zur Wiener Dürerausstellung 2003 wurden nur Publikationen bis 1998 berücksichtigt - destillierten Aussagen zu Rudolf II. und Maximilian I. auf eine ganze Epoche. Ihre resümierende Behauptung, dass „Dürer als Propagandamittel“ in genealogischer und machtkonsolidierender Weise eingesetzt worden sei, bleibt jedoch ohne entsprechende Begründung und ist angesichts der nur einem eingeschränkten Betrachterkreis zugänglichen Kunstsammlungen der beiden Fürsten grundsätzlich in Frage zu stellen. Anja Grebe

Claudia-Alexandra Schwaighofer: Die Kunst der Nachahmung. Dürer, Carracci und Parmigianino in den Reproduktionsgraphiken der Nürnbergerin Maria Katharina Prestel (1747-1794) (Cultural and interdisciplinary studies in art 2). Stuttgart: ibidemVerl. 2006. 214 S. mit Abb. €29,90

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Kunst

Mit ihrer der Nürnberger Stecherin Maria Katharina Prestel (1747-1794) gewidme­ ten Monographie verbindet Claudia-Alexandra Schwaighofer im wesentlichen zwei Anliegen: die Dokumentation und Würdigung des Werkes von Prestel, das beispielhaft die im 18. Jahrhundert zunehmend an Beliebtheit gewinnende Reproduktionsgraphik repräsentiert, sowie - im Kontext der in den letzten Jahrzehnten zunehmend interes­ sierenden Künstlerinnenviten - die Präsentation von Biographie und Werdegang der Graphikerin. Die einleitende Lebensbeschreibung von Prestel wird gemäß dem genderbezogenen Ansatz vor dem Hintergrund der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen dargelegt, denen Künstlerinnen im 18. Jahrhundert unterworfen waren, mit dem Ergebnis, dass Prestel sich trotz der Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann Johann Gottlieb im Gegen­ satz zu vielen ihrer Zeitgenossinnen als eigenständige Künstlerin profilieren konnte (S. 21-39). Im Folgekapitel gibt die Autorin einen Überblick über den künstlerischen Stellenwert von Zeichnungen und das Sammlungswesen im 18. Jahrhundert, um die Voraussetzungen für die Zunahme an Reproduktionsgraphiken - dem Betätigungsfeld der Maria Katharina Prestel - transparent zu machen (S. 40-50). Den in Deutschland zwischen 1776 und 1785 entstandenen graphischen Mappenwerken der Prestels, dem Praunschen, dem Schmidtschen und dem Kleinen Kabinett, denen Zeichnungen aus den Konvoluten privater Sammler zugrunde lagen, widmet Schwaighofer ein weiteres Kapi­ tel (S. 51-70). Anhand repräsentativer Beispiele erläutert die Autorin dann - gegliedert nach den Zeichnungstechniken der Vorlagen - die Arbeitsweise der Künstlerin und verdeutlicht, daß die Eigenheiten der jeweiligen zeichnerischen Vorlage die Wahl der graphischen Technik bedingte (S. 71-100). Als systematischer Bruch ist zu empfinden, daß mit der sich anschließenden Fokussierung auf die nach 1786 in England entstan­ denen Werke Prestels zunächst erneut biographische Hintergrundinformationen ange­ führt werden, bevor die der Kapitelüberschrift geschuldete Analyse von Reproduktio­ nen aus dem (Euvre Prestels wieder aufgenommen wird. Interessant ist die Erkenntnis, daß Prestel im Unterschied zu den in Deutschland geschaffenen Blättern in England, den Marktbedürfnissen folgend, ausschließlich Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts reproduzierte, der Ortswechsel also nicht nur biographisch, sondern auch künstlerisch eine Zäsur bedeutete (S. 100-114). Auch wenn der Untertitel der Werkmonographie den Leser in die Irre führt - die Reproduktionsgraphiken der Maria Katharina Prestel behandeln weder ausschließlich noch schwerpunktmäßig Vorlagen aus dem Werk Dürers, Carraccis und Parmigianinos - ist die aus einer Magisterarbeit hervorgegangene Werkmonographie über den feministischen Ansatz hinaus ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der Reproduk­ tionsgraphik im 18. Jahrhundert: Erstmals wurden sämtliche Graphiken, die Prestel eindeutig zugeschrieben werden konnten, in einem übersichtlich gegliederten Werkver­ zeichnis (S. 133-192) zusammengestellt. Gewisse Redundanzen bei der Ergebnispräsen­ tation beeinträchtigen zudem nicht den Erkenntnisgewinn, daß mit Maria Katharina Prestel eine Nürnberger Künstlerin auf dem Gebiet der Druckgraphik internationalen Erfolg beanspruchen konnte. Bettina Keller

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Buchbesprechungen

Spätromantik im Industriezeitalter - Die Nürnberger Künstlerfamilie Ritter. Kata­ log zur Ausstellung der Gemälde- und Skulpturensammlung der Museen der Stadt Nürnberg im Museum Industriekultur 28. September bis 2. Dezember 2007. Nürnberg 2007. 168 S. mit zahlr. Abb. € 18,Die städtischen Museen Nürnbergs nahmen den 100. Todestag des Historienmalers Paul Ritter (1829-1907) zum Anlass, ihm und seiner Familie eine Ausstellung zu wid­ men. Im Zentrum standen auch sein Bruder Lorenz (1832-1921), der als Zeichner und Graphiker tätig war, und dessen Sohn Wilhelm (1860-1949). Mit ihrem spätromanti­ schen Nürnberg-Bild setzte die Künstlerfamilie den „Mythos Nürnberg“ fort und trug maßgeblich zur Idealisierung der Stadt als des „Reiches Schatzkästlein“ bei, die auch noch im 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle für die Selbst- und Fremdwahrnehmung Nürnbergs spielte. Vorliegender Begleitkatalog zur Ausstellung ermöglicht die kunsthistorische Wie­ derentdeckung der Ritter. Von Seiten der jüngeren Forschung bisher vernachlässigt, bie­ ten die acht Aufsätze sowie der gut bebilderte, informative Katalogteil neben einer ersten Einordnung auch zahlreiche Ansätze zu weiteren Forschungsthemen: Ursula Kubach-Reutter stellt die Vorläufer und Entwicklungstendenzen der „Spätromantik im Industriezeitalter“ (S. 8-18) dar. Mit dem biographischen Hintergrund und künstle­ rischen Werdegang beschäftigt sich Silke Colditz-Heusl unter dem Titel „KünstlerBeziehungen im Leben des Paul Ritter - familiär, beruflich und freundschaftlich“ (S. 19-28). Obwohl nur Paul im Titel erwähnt wird, behandelt der Artikel fast gleich­ wertig auch Lorenz Ritter, der mit seinen taubstummen Bruder in sehr engem Aus­ tausch stand. Die Anregungen durch C. A. Heidcloff und G. Eberlein betont ebenfalls Andreas Curtius in „Paul, Lorenz und Wilhelm Ritter als Architekturmaler“ (S. 2938). Im Werk von J. A. Klein, C. G. Wilder und C. A. Heideloff zeigt er den Ausgangs­ punkt für die Ritter’schen Stadtansichten mit inszenierter Architektur auf. Im Beitrag „... Kunst und Industrie sind hier auf’s Glücklichste vereint!“ (S. 39-47) widmet sich Ludwig Sichelstiel den Arbeiten von Lorenz und Wilhelm Ritter für die Industrie und Gewerbeausstellungen. In „Paul Ritter und ,Die Einbringung der Reichskleinodien 1424“ - Auftrag und Ausführung“ (S. 48-57) konzentriert sich Ursula Kubach-Reut­ ter primär auf die Entstehungsgeschichte des wohl bekanntesten Ritter-Gemäldes. Unter dem Titel ,... mit Waffen und Schnitzwerken reich geschmückt.“ Paul Ritters Atelier im Schatten der Burg“ (S. 58-64) analysiert Ulrike Berninger die Inszenierung des Rittscher sehen Künstlertums anhand kunsthistorischer „Devotionalien“. Anschlie­ ßend fasst sie mit „Im Kostüm von Dürer, Sachs und Co. Nürnberger Feste und Künstlerfeiern in Wilhelminischer Zeit“ (S. 65-70) den Beitrag der Familie Ritter zu den Künstlerfesten und der Festkultur des Nürnberger Bürgertums um 1900 zusammen. Ruth Bach-Damaskinos beschreibt in „Nürnberg-Bilder im Industriezeitalter- Zum Einfluss der Fotografie auf die Stadtansichten der Künstlerfamilie Ritter“ (S. 71-79) die Vorteile des neuen Mediums und rundet damit den Band ideal ab. Denn in der Abgren­ zung zur Fotografie offenbart sich der Erfolg der Ritter: Im Gegensatz zur Fotografie glätteten ihre Werke die städtebaulichen Umbrüche der Urbanisierung, ließen ein stim­ mungsvolles Nürnberg-Bild entstehen und entsprachen damit einer spätromantischen Tendenz im Industriezeitalter. Andrea Meier

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MVGN 94 (2007) Kunst Claus Pese: Jugendstil aus Nürnberg. Kunst, Handwerk, Industriekultur. Stuttgart: Arnold Art Publ. 2007. 312 S. mit überw. Abb. € 49,80 Seit Veröffentlichung seiner Erlanger Dissertation über „Das Nürnberger Kunst­ handwerk des Jugendstils“ in der Reihe der Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 1980 gehört Claus Pese zu den profunden Kennern dieser Kunst­ epoche. Während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Konservator am Germani­ schen Nationalmuseum blieb er seinem spezifischen Interesse treu und publizierte unter anderem Beiträge zur Jugendstilkunst in Deutschland in verschiedenen Aus­ stellungskatalogen. Aus Anlass seines sechzigsten Geburtstags liegt nun eine veränderte Fassung seiner Dissertation mit hervorragend fotografiertem Bildmaterial in repräsentativer Auf­ machung vor. Was in Nürnberg nur entworfen, aber nicht ausgeführt wurde, ist in der Dissertation von 1980 und der zweiten verbesserten und ergänzten Auflage 1983 nach­ zulesen. Auf die in Nürnberg entstandenen kunsthandwerklichen Erzeugnisse beschränkt sich das vorliegende Werk, das zugleich als wissenschaftliche Begleitpubli­ kation zu der 2008 im Museum Industriekultur Nürnberg und im Bröhan-Museum Berlin präsentierten Ausstellung „Jugendstil aus Nürnberg“ vorlag. Pese erläutert in fünf einleitenden Kapiteln die spezifischen Voraussetzungen für die Entwicklung des Jugendstil-Kunsthandwerks in Nürnberg im Kontext kultur- und wirtschaftsgeschichtlicher Zusammenhänge. Während an der Kunstgewerbeschule in Nürnberg um 1900 noch weitgehend der historistische Formenkanon gepflegt wurde, förderte das Bayerische Gewerbemuseum in Kursen für Kunsthandwerker die Ten­ denzwende zum Jugendstil. Wegweisend für die Nürnberger Entwerfer und Produzen­ ten waren die kunstgewerblichen Meisterkurse am Bayerischen Gewerbemuseum, die Direktor Theodor von Kramer von 1901 bis 1913 durchführen ließ. Die Kursleitung übernahm jährlich wechselnd die Avantgarde der deutschen Jugendstilkunst Peter Beh­ rens, Richard Riemerschmid, Paul Haustein und Friedrich Adler. In 18 umfassenden Firmenmonographien mit Markenabbildungen, 266 farbig abge­ bildeten Objekten und 266 sachkundig ausgewählten zeitgenössischen Dokumentbele­ gen wird beispielhaft die in nur wenigen Jahren von 1897 bis 1914 in Nürnberg pro­ duzierte große Vielfalt und hohe künstlerische Qualität der kunsthandwerklichen Erzeugnisse des Jugendstils vorgestellt. Die Abhandlung umfasst die ganze Bandbreite der Produkte vom handwerklich hergestellten Einzelerzeugnis bis zum seriell gefer­ tigten Massenprodukt, eben „Kunst-Handwerk-Industriekultur“, wie im Untertitel bezeichnet. Der Anspruch, alle Lebensbereiche künstlerisch zu gestalten, wies in der Epoche des Jugendstils dem Kunsthandwerk eine führende Rolle zu. Das Spektrum kunsthand­ werklicher Techniken umfasst Kunstkeramik, den künstlerischen Zinn- und Bronze­ guss, Kupfer- und Silbertreibarbeiten, Elfenbein- und Holzschnitzereien, Schmuck und Textilien. Die Keramikfirma J. von Schwarz, seit 1897 mit dem Münchner Bildhauer Carl Sigmund Luber als künstlerischem Leiter, gehörte zu den Vorreitern für den

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Buchbesprechungen

Jugendstil in Nürnberg. Besonders die künstlerische Metallbearbeitung wurde für das Nürnberger Kunsthandwerk des Jugendstils charakteristisch. 1899 gründete Walter Scherf eine Zinngießerei, für die namhafte Entwerfer wie Josef Wackerle, Hermann Gradl d.Ä. und Friedrich Adler tätig waren. In der Werkstätte von J. C. Wich entstan­ den repräsentative Silberschmiedearbeiten. Mit Statuetten aus Elfenbein und kostbaren Ebenholzschnitzereien von Emil Kellermann gelangte die Jugendstilära vor dem Ersten Weltkrieg in Nürnberg in luxuriöser Prachtentfaltung zu einem Abschluss. Das wissenschaftliche Standardwerk beinhaltet ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis, Namens- und Ortsregister. Edith Luther

Wolfgang König / Rudolf Weichselbaum: Carl Sigmund Luber. Leben und Werk als Entwerfer der Jugendstilkeramik von Johann von Schwarz, 1896-1906. Einbeck: König-Weichselbaum 2006. XIII, 257 S. mit zahlr. Abb. € 58,Unter der künstlerischen Leitung von Carl Sigmund Luber fertigte der Nürnberger Keramikhersteller Johann von Schwarz wunderschöne Jugendstilkeramik, die heute von Kennern weltweit gesucht und gesammelt wird. Die in deutscher und englischer Sprache verfasste Monographie ist Ergebnis dieser Sammelleidenschaft und profunden Sachkenntnis über die kunstkeramischen Erzeugnisse, die in nur zehn Jahren zwischen 1896 und 1906 entstanden sind. Ausführlich wird die Geschichte der Familie und Firma von Schwarz geschildert, zu deren Erwerbszweig vor allem die Herstellung von Gas­ brennern aus Speckstein gehörte. Um den bei der Produktion technischer Keramik ent­ standenen Specksteinabfall zu verwerten, fertigte die Firma von Schwarz seit 1867 künstlerische Terrakottawaren und seit 1870 Fayencen im Stil des Historismus. Mit dem Eintritt Lubers in die Firma wurde 1896 die formgestaltcrische Neuausrichtung zum Jugendstil vollzogen. Charakteristisch für seine Werke sind präraffaelitisch anmutende zarte Frauendarstellungen auf Fliesen, Tabletts, Schälchen und Vasen. Die nach Entwür­ fen Lubers hergestellte Jugendstilkeramik wurde teilweise in Fadenrelieftechnik in Kombination mit Binnenmalerei und bei der Gefäßkeramik in aufwändigen Unter­ glasurmalereien ausgeführt. 1906 stellte die Firma von Schwarz die Produktion von Kunstkeramik ein. Erstmals wird der Entwerfer Carl Sigmund Luber (München 1868-1934) in einem Beitrag von Susanne Luber, der Enkelin des Bildhauers, biographisch fassbar. Nicht nur die kurze und bedeutende Schaffensperiode in Nürnberg wird erörtert, sondern auch seine spätere Tätigkeit als Leiter der kunstgewerblichen Abteilung bei der Hand­ werkskammer für Oberbayern in München seit 1908. Das Handbuch stellt die Jugendstilkeramik Lubers in einer Fotodokumentation mit 548 Objekten vor, außerdem ist der zeitgenössische Warenkatalog „Norica=Fayencen moderner Art entworfen von Bildhauer C. S. Luber“ und eine Preisliste von 1898 abgedruckt. Daran schließt sich das 1187 Nummern umfassende Werkverzeichnis mit Marken, Werknummern und Maßen an. Edith Luther

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Kultur, Sprache, Literatur, Musik Kurt Neubauer (Hg./Ill.): Stadtgeheimnisse. Nürnberger Sagen neu erzählt. Nürn­ € 24,80 berg: Tümmel 2007. 144 S. mit zahlr. Abb. Der Schatz an „Sagen, Legenden und Geschichten der Stadt Nürnberg“ (so die bekannte Sammlung J. G. Lotters von 1899) ist eindrucksvoller als bei jedem anderen deutschen Gemeinwesen. Unter uns wird keiner sein, dessen stadtgeschichtliches Inte­ resse nicht auch hier (s)einen Ursprung findet. Der Schatz sollte weiterhin tradiert werden können (was so selbstverständlich ist, dass es keiner Begründung bedarf), und die „Stadtgeheimnisse“ schaffen dazu unter schwierigen Bedingungen beste Vorausset­ zungen: das schönste Nürnberg-Buch seit längerem. „Nürnberger Sagen neu erzählt“ - das gelingt dann nicht, wenn in G. Berghofers „Nusskaspar“, H. Haberkamms „Säulen der Kaiserkapelle“ und P. Nackes „Winds­ kind“ der tiefere Nürnberg-Bezug fehlt bzw. gewaltsam „modernisiert“ wird wie bei der Verbindung der Kriminalfälle Paumgartner und Dr. Gsell oder des Teufels mit einem „hormonschweren“ zigarrenrauchenden Mafiosen. Überhaupt ist der Nürnber­ ger „Teifl“ - wie sich aus seinen Bildnissen (S. 4, 9) und dem köstlichen Mini-Drama von F. Kusz „Der Schusserbou“ unfehlbar ergibt - kein (katholischer) Versucher, sondern ein (lutherischer) Volkserzieher. Auch das andere Mini-Drama „Eingspäigl in Närrnberch“ ist ein Kabinettsstück von unschätzbarem Wert schon deshalb, weil Kusz hier die beiden Nürnberger Streiche (Spital und Henkersteg) Till Eulenspiegels aufgreift (der vielleicht als Nasreddin Hodscha sogar türkischen Migrantenkindern schmackhaft gemacht werden kann). Mit den bisher erwähnten Texten (und E. Tannerts „9-Uhr-Läuten“, wo endlich der reli­ giösen Kinderseelenschädigung durch Goethes „wandelnde Glocke“ Einhalt geboten wird) erschöpft sich der nicht-romantische Teil. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass das Bild unserer Stadt in den „Geschichten“ vor allem von der NürnbergRomantik geprägt ist. Teils geschieht dies schlicht dadurch, dass um Versatzstücke des romantischen Nürnbergs herum wie Johannisfriedhof (A. Jäger, „Die Eidechse“), Peter Henlein (E. Tannen, „Der Fluch der Zeit“), Christkindlesmarkt bzw. Rauschgoldengel (M. Kröner, „Die Erfindung des Handwerksmeisters“ - warum eigentlich kein Draht­ zieher?), St. Sebald (E. Tannert, „Das größte Wunder des Heiligen“) oder die Wärschdla (M. Kröner, „Nürnberger Originale“) schöne Geschichten erzählt werden. Freilich: Tannert erzählt nicht nur, er ironisiert auch, wenn er z.B. die Scbaldusfeste mit der „Blauen Nacht“ vergleicht. Geradezu unnachahmlich ist die sarkastische Distanz, auf die K. Schamberger beim „Wunderschönen Schönen Brunnen“ und „Wie der Kleinlein dem Eppelein sein Schönschreiber war“ geht. Das ist auch gut so. Seitdem wir von der Verantwortung dessen wissen, der vor allen uns „die deutscheste der deutschen Städte“ genannt hat, wissen wir auch von der Verantwortung derer, die deren Geschichten erzählen. Es gibt da ein Problem bei den ganzen (F. Sikora, „Die eherne Jungfrau“, P. Nacke, „Der böse Handel“) oder halben (A. Jäger, „Der goldene Becher“, H. Haberkamm,

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Buchbesprechungen

„Sagenhafter Jörg Graf“) Kriminalgeschichten, das zwar nicht ihren Wert, wohl aber ihren Sinn irgendwie begrenzt: Die harsche, grausame und blutrünstige Nürnberger Straf„justiz“ ist Fakt, wohl ohne guten Glauben in die Welt gesetzt vom Altdorfer Rechtsprofessor Siebenkees 1793 und einem der letzten Rechtskonsulenten Endtner 1801, von der deutschen Romantik (Brentano!) begierig aufgenommen und letztlich durch Bram Stoker 1894 weltweit verbreitet worden. Es ist (ver-)wunderlich, wie im „Bösen Handel“ Muffel- und Draculageschichte als Fluch über Nürnberg und Transsylvanien miteinander verwoben werden. In Wahrheit war es Bram Stoker, der Rumänien das Vampir- und Nürnberg das Eiserne-Jungfrau-Image verpasste, aus dem uns beide die Welt bisher noch nicht entlassen hat (vgl. z.B. die Rock-Gruppe Iron Maiden). Die den Erzählungen beigegebenen geschichtlichen Einblicke von N. Bennewitz sind sehr zurückhaltend. Insbesondere der Schutzverband Nürnberger Rostbratwürste ist enttäuscht, dass ausgerechnet die der Seele dieser Speise (wenn sie denn eine hat) so nahekommende Geschichte von M. Kröner nicht kommentiert wird, obwohl dort das sensationelle Entstehungsjahr 1313 erstmals sozusagen urkundlich mitgeteilt wird. Mag aber auch sein, dass Frau Bennewitz die Problematik der Dechiffrierung von Sagen zutreffend berücksichtigt hat. Schließlich: Die Seele des gesamten Bandes ist ohne jeden Zweifel der Herausgeber und hervorragende Illustrator Kurt Neubauer. Es mag offen bleiben, ob das Werk von unserer Jugend als Lesebuch angenommen werden wird. Für die Alten ist es in jedem Fall ein großes Geschenk. Wenn sie mit ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln darin blättern und zu jedem Bild die Geschichten erzählen, die sich dem Kundigen nahezu aufdrängen, dann hat das Buch seinen Zweck schon hundertfach erfüllt.

Hartmut Frommer

Wilhelm Weglehner: Nahkampf. Eine Jugend in der Stadt der Reichsparteitage. Roman. Nürnberg: Mabase-Verl. 2005. 294 S. mit Abb. € 19,80 Willi Weglehner, der sich in seinem ebenfalls 2005 erschienenen Roman ,Der Vieh­ händler“ bereits literarisch mit dem Erleben des Nationalsozialismus auf dem Land auseinandergesetzt hat, beleuchtet mit ,Nahkampf“ das Zeitgeschehen in der Stadt. Genauer gesagt, in der ,Stadt der Reichsparteitage“, also Nürnberg, wobei ein Teil der Erzählung, dem Verlauf der Geschichte folgend, nicht in der Stadt spielt. Die Roman­ figur Alfred Ellwanger, Sohn eines jüdischen Sattlers aus St. Johannis, verbringt zu­ nächst eine unbeschwerte Kindheit in Johannis und der Altstadt. Es folgt die bei ihm einsetzende Fassungslosigkeit über die zunehmenden Repressalien nach 1933, schließ­ lich die schmerzvolle Erfahrung der Ausgrenzung, Demütigungen und der Gewalt gegen Juden, die Ellwanger zur Flucht aus Deutschland veranlassen. Der Roman endet mit der Rückkehr Ellwangers nach Nürnberg 1945 in der Uniform eines britischen Sol­ daten. Dieser Lebenslauf erinnert nicht nur zufällig an Arno Hamburger, den Vorsit­ zenden der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, die Figur des Alfred Ellwanger

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wurde von Weglehner bewusst an Hamburger angelehnt, wenn auch verfremdet. Weglehner wollte das bewegende Schicksal Hamburgers in Romanform festhalten, ein Vorhaben, dem Hamburger zunächst sehr skeptisch gegenüber stand, der sich aber mit dem fertigen Roman dann doch zufrieden zeigte und auch ein Nachwort verfasst hat. ,Nahkampf“ spielt zwar an den historischen Schauplätzen in der Stadt und basiert auf Tatsachen, muss aber als Roman dennoch fiktiv bleiben. Das Einfühlen in die Welt eines am Anfang der Geschichte neun-jährigen Jungen zu Beginn der 1930er Jahre in Nürnberg hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. So könnte - die Betonung liegt auf könnte - es gewesen sein: Die Stadt ein einziger Abenteuerspielplatz. Schließlich die verwirrende Erfahrung, dass es in der Bande von St. Johannis plötzlich einen Unter­ schied machen soll, ob man Christ oder Jude ist, wo es doch eigentlich auf die Qualitä­ ten im ,Nahkampf‘, also die Fertigkeiten beim Raufen, Bandenmitglied gegen Banden­ mitglied, ankam. Später als Soldat die bittere Erkenntnis, welche Bedeutung das Wort .Nahkampf“ eigentlich hat. Von der Abendzeitung befragt, was er denn von der Erzählung halte und ob er stolz sei, ein Romanheld zu sein, erwiderte Hamburger: „Stolz? Das ist übertrieben, ich bin zufrieden damit. Jetzt gibt es halt doch was Schriftliches, falls ich nicht mehr dazu kommen sollte, meine Memoiren selber zu schreiben.“ (Abendzeitung v. 11.3.2006) Daniela Stadler

Martin Weiß-Paschke: Reichsparteitag. Kriminalroman. Nürnberg: Mabase-Verl. 2006. 357 S. €15,80 Historische Romane und Regionalkrimis haben in den letzten Jahren einen wahren Siegeszug erlebt. Vielleicht lag es deshalb nahe, einen Kriminalroman um ein Ereignis herum zu schreiben, das Nürnberg noch heute unfreiwilligen Ruhm beschert: die Reichsparteitage. Was kann man von einem solchen Buch erwarten oder wenigstens erhoffen? Zum einen ein Buch, das den Zeitgeist und die damalige Situation der Men­ schen in Nürnberg und der Parteitagsbesucher anschaulich und die Zeit und Umstände der Reichsparteitage wenigstens in einigen Aspekten nachvollziehbar macht, außerdem natürlich einen spannenden Kriminalroman. Der Roman spielt in den Tagen kurz vor und während des Reichsparteitags 1938. Der Autor schickt dabei seine Hauptfigur, Kriminalkommissar Scheuerlein, durch die Stadt Nürnberg. Zahlreiche Straßenbahnhaltestellen, Plätze, Gastwirtschaften, auch einige der Sehenswürdigkeiten werden genannt und kurz beschrieben, der Leser findet sich mitten in Nürnberg im Jahr 1938. Die Darstellung der Zeitumstände, der histo­ rischen Personen und Gegebenheiten ist allerdings missglückt. Der Leser erlebt eine Stadt, in der es von - man kann es nicht anders sagen - dummen heilschreienden Men­ schen wimmelt, während Scheuerlein und sein Mitarbeiter unerschütterliche Regime­ feinde sind. Das ist klassische Schwarz-Weiß-Malerei. Immer wieder versucht der Autor, Worte wie „braun“ oder „das Heil“ (sein Ausdruck für Hitler) einfließen zu lassen. Beispiele: Bei einer Lohengrin-Aufführung wird eingeschoben, dass er „diesmal

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Buchbesprechungen

eine braune Rüstung“ trage (S. 213); wenn die roten Rosen in einer Vase vor einem Standbild „verwelkten, würden sie sicher braun“ (S. 242). Solch plakative Hinweise finden sich zuhauf. Die vom Autor gemachten Bemerkungen z.B. zu Institutionen und Personen des Dritten Reiches sind leider oft schlecht recherchiert. Wenn er Streicher in der Nähe der SA ansiedelt (S. 17), so übersieht er dessen Kampf gegen SA-Vertreter kurz vor der Machtergreifung; wenn er „das obligatorische Führerbild“ in einem Schul­ raum sieht und bemerkt, dass „ein Schatten des sicher abgenommenen Kruzifixes nicht sichtbar“ sei (S. 31), so ist das sicher richtig, aber die große Aktion zur Abnahme der Kruzifixe in den bayerischen Schulen war erst 1941, drei Jahre nach der Romanhand­ lung. Wenn er einen in der Uniform der SS gekleideten Polizisten als Gestapobeamten bezeichnet (S. 39), irrt er sich, es gab zwar eine sog. Dienstrangangleichung, aber die wenigen Gestapobeamten, die in der SS waren, trugen als Staatsbeamte nicht deren Uniform im Dienst. Benno Martin, Polizeichef und angeblich schon 1938 SS-Brigadeführer, erlangte diesen Rang erst am 20.4.1941 (S. 72), Höherer SS-Führer war er auch nicht 1938, vielmehr wurde er 1942 Höherer SS- und Polizeiführer Main (S. 275). Eine Gestapo-Außenstelle Fürth (S. 316) gab es nicht, das mehrfach genannte Reichssicher­ heitshauptamt (S. 341, 355) wurde immerhin erst etwas über ein Jahr nach der Roman­ handlung errichtet, wie es schon 1938 eine Versetzung durchführen und Sitzungen abhalten konnte, ist demnach nicht nachvollziehbar. Die Darstellung der Gestapo in diesem Buch erinnert an schlechte amerikanische Filme, sie hat mit der modernen For­ schung, die spätestens seit dem ungemein befruchtenden Buch von Robert Gellately (deutsche Fassung 1993: Die Gestapo und die deutsche Gesellschaft) einsetzte, nichts mehr zu tun. Dass die Gestapo mit schwarzem Dienstwagen (S. 12 f.) auftritt, mit Tele­ objektiven und Mikrophonen Leute ausspioniert (S. 107), dass Beamte als „typische Ledermantelfigurjen]“ (S. 253, ähnlich S. 331) auftreten, dass sie Polizisten mit Wanzen abhört (S. 275) und natürlich personell gut ausgestattet ist, gehört ins Reich der Fabel, der Rezensent kann dies nach jahrelangem intensivem Studium der Würzburger Gestapoakten und zahlreicher Quellen zur Geschichte der Gestapo sicher mit Fug und Recht behaupten. Historisch ist der Roman also sehr fraglich. Und als Kriminalroman? Selbstverständlich wird ein Roman von jedem Leser anders beurteilt werden. Der Rezensent zumindest empfand das Buch keineswegs als spannend. Der Protagonist des Romans ermittelt zwar schließlich den Täter, allerdings lässt der Autor den Leser bezüglich der Hintergründe völlig im Dunkeln, ein Motiv erfährt man nicht, wahr­ scheinlich reicht es, dass der Täter aus dem Bereich von Partei und Staat, also der Verkörperung des Bösen im Jahre 1938, kommt. Herbert Schott

Kirchengeschichte, Judentum Gerhard Weilandt: Die Sebalduskirche in Nürnberg. Bild und Gesellschaft im Zeit­ alter der Gotik und Renaissance (Studien zur internationalen Architektur- und Kunst­ geschichte 47). Petersberg: Imhof 2007. 782 S. mit 413 Abb. € 135,— Uber 60 Titel umfasst eine Bibliographie der Literatur, die bisher über die Sebal­ duskirche, Teile von ihr oder einzelne ihrer Kunstwerke erschienen ist, darunter solche

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teils mehrere hundert Seiten starke Schwergewichte wie Magisterarbeiten, Dissertatio­ nen oder die detaillierte Dokumentation der Renovierung von 1888-1906. Ist es unter diesen Umständen überhaupt noch möglich, etwas Neues über die Sebalduskirche herauszufinden? Das in jeder Hinsicht gewichtige Werk Weilandts zeigt: Ja, es ist möglich, und sogar grundlegend Neues. Weilandt geht von einem neuen Ansatz der kunstgeschichtlichen Forschung aus, der Untersuchung des Zusammenspiels von Kunstwerken aller Gattungen mit dem um­ gebenden Raum vor dem Hintergrund ihrer Funktion für Auftraggeber und Benutzer (z.B. im Rahmen von Liturgie oder privater Andacht, aber auch zur gesellschaftlichen Repräsentation) sowie deren Veränderungen im Laufe der Zeit. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen also nicht Stilzugehörigkeit und Stilentwicklung der einzelnen Kunstwerke oder die hinter ihnen stehende Künstlerpersönlichkeit, sondern das Beziehungsgeflecht von Form und Inhalt in ihrer Bedeutung für das liturgische und gesellschaftliche Leben. Eine wesentliche Bedingung dieser Bedeutung ist die räumliche Zuordnung des einzelnen Kunstwerks, die sich aber im Laufe der Zeit vielfach völlig verändert hat. Methodischer Schwerpunkt der Forschung war daher die Rekonstruk­ tion der mittelalterlichen Aufstellung und Nutzung der einzelnen Kunstwerke durch die aufwändige Ermittlung und Auswertung aller erreichbaren archivalischen Nach­ richten. Im ersten Teil seines Werkes verfolgt Weilandt die architektonische und künstle­ rische Entwicklung der Sebalduskirche im Zeitverlauf von der romanischen Basilika über die gotische Kirche bis zu den tiefgreifenden Neuansätzen der Zeit um 1500. Diese Entwicklung hängt aufs engste mit der Geschichte der Reichsstadt Nürnberg selbst zusammen. Die Entstehung einer eigenständigen Stadtgemeinde im 13. Jahrhundert führte zum Bau der Sebalduskirche anstelle der bisherigen Peterskapelle, zunächst in enger Anlehnung an das Vorbild des Bamberger Doms als doppelchörige romanische Basilika mit Chorflankentürmen und Hochaltarpatrozinium des Heiligen Petrus. Dem stürmischen Aufschwung und dadurch gestiegenen Selbstbewusstsein der Reichsstadt im 14. Jahrhundert folgte als „architektonische Unabhängigkeitserklärung“ die Abwen­ dung vom Vorbild Bamberg mit dem der Bau des mächtigen Hallenchors und dem Wechsel zum Patrozinium des eigenen Stadtheiligen 1379 - letzteres also deutlich später, als die bisherige Forschung aufgrund des Kirchennamens meist angenommen hat. Während die frühen Skulpturen (Portalplastik, Skulpturen der Pfeiler und Altar­ patrone im Inneren) offensichtlich einer einheitlichen Planung folgen, begann mit der Zuweisung von Fenstern an einzelne Stifterfamilien im späten 14. Jahrhundert eine neue Phase der Ausstattung der Sebalduskirche: die Zuweisung privater „Einflussgebiete“ rund um die Fenster oder Altäre, oft in Verbindung mit Grablegen. Damit war die ein­ heitliche ikonographische Planung aufgegeben, wenn auch der Rat - insbesondere bei der Fernhaltung nicht-patrizischer Stifter - die Zügel fest in der Hand behielt und die neuen Stiftungen sich weiterhin ihrer Umgebung einfügten. Bemerkenswert ist aber die Tatsache, dass der neue private Einfluss nicht, wie anderswo, zur Abtrennung rein privater Seitenkapellen führte, sondern der Rat hier den öffentlichen Charakter der Seitenschiffe erfolgreich wahrte. In einem besonderen Kapitel untersucht Weilandt den

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Einfluss des neuen Fronleichnamskults des 14. Jahrhunderts auf die Ausstattung der Sebalduskirche, auf Sakramentsnische, Altarpatrozinien, Liturgie und Andachtsbild. Im zweiten Teil seiner Arbeit untersucht Weilandt die Hierarchie der Räume der Sebalduskirche als architektonisches und künstlerisches Abbild der Himmelsstadt. Entsprechend der Struktur der Himmelsstadt als eines hierarchischen Personenver­ bandes (Lebende, Tote, Heilige, Engel, Trinität) war auch die Sebalduskirche in hierarchische Teilräume gegliedert, die sich grob in Kern (Binnenchor des Ostchors, Langhaus) und Hülle (Westchor, Seitenschiffe, Chorumgang des Ostchors) gliedern lassen. Den höchsten Rang nahm der Binnenchor des Ostchors ein, dessen Bilderweh mit Christus, Maria, den Aposteln und dem in deren Kreis aufgenommenen Hochaltarpatron Sebaldus die höchste Stufe der himmlischen Hierarchie repräsentierte. Als dem Pfarrklerus vorbehahener Raum wurde er durch Chorgestühl und Altäre deutlich vom Rest der Kirche abgegrenzt, wobei die lettnerartige Reihung von Marien- und Apostelaltären am Choreingang zugleich den Fokus der Gemeindekirche des Lang­ hauses bildet. Dieses selbst wird durch die gleiche Bildweh (Christus, Apostel) deutlich als zum Kernbereich gehörig gekennzeichnet, blieb aber als Versammlungsraum der Gemeinde für Predigt und Veranstaltungen frei von Altären oder anderen Einrichtungs­ gegenständen. Der Westchor nimmt eine Sonderstellung ein, da er ursprünglich nach Bamberger Vorbild dem Kern der Kirche zugehörte, nach der Vollendung des gotischen Hallenchors aber zu einem Teil der Peripherie herabgestuft wurde. In eher systema­ tisch-hierarchischer als räumlicher Reihenfolge untersucht Weilandt im Folgenden die Aharretabcl der Nebenahäre sowie die Denkmäler bei Gräbern, Epitaphe etc., die sich, obwohl von privaten Stiftern stammend, mit Thema, Form und Größe ihrem jeweiligen Ort und den dort ausgeführten liturgischen Handlungen unterordneten. Die Seiten­ schiffe und der Chorumgang dienten als „Verkehrswege“ der Kirche für Prozessionen, aber auch dem Totengedenken der Nürnberger Geschlechter. Der dritte Teil wirft, beginnend mit der Kirchenrenovierung von 1493, einen Blick auf die Neuansätze der Zeit um 1500. Noch heute sind die geweißten Wände und die Reduzierung der Glasmalereien der Kirchenfenster das auffälligste Ergebnis der dama­ ligen Maßnahmen; darüber hinaus wurden jetzt erstmals auch bürgerliche Stifter in der Sebalduskirche zugelassen. Die künstlerisch tiefgreifendste Veränderung war aber die Loslösung der Kunstwerke aus ihrer örtlichen und liturgischen Einbettung zugunsten eines bis dahin unvorstellbaren repräsentativen und künstlerischen Eigenwerts. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildet das Sebaldusgrab, dem Weilandt eine bis ins Detail gehende Interpretation widmet. Das überraschende Ergebnis dieses Teils der Arbeit ist die Erkenntnis, das die Einführung der Reformation 1524/25 nicht etwa, wie bisher meist angenommen, einer überlebten Entwicklungsstufe spätmittelalterlicher Kunst, sondern im Gegenteil einem sehr dynamischen Neuanfang ein abruptes Ende bereitete. Der Ansatz Weilandts steht und fällt mit der Möglichkeit, die ursprünglichen Stand­ orte der einzelnen Kunstwerke, ihre jeweilige Funktion und deren spätere Veränderun­ gen heute noch archivalisch nachweisen zu können. Tatsächlich ist die Geschichte der Sebalduskirche so dicht dokumentiert, dass dies zwar nicht in allen Fällen, aber doch in

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erstaunlich großem Umfang möglich ist. In einem umfangreichen Katalogteil (S. 483728), gegliedert nach den Altären als den Zentren der einzelnen „Verehrungszonen“ und innerhalb dieser in die Abschnitte ,Altar - Retabel - Altarzubehör - Gräber und Totengedächtnisse beim Altar - weitere Objekte in der Altarumgebung“ trägt Weilandt nicht nur alle erreichbaren Informationen zur Geschichte jedes einzelnen dieser Aus­ stattungsstücke bis hin zu einzelnen Altartüchern und Gefäßen zusammen, sondern macht auch alle nachweisbaren Quellen zu ihnen und ihrer Nutzung, weithin durch wörtliche Wiedergabe der einschlägigen Textpassagen, dem Leser zugänglich. Die Genauigkeit der archivalischen Dokumentation und die Fülle prachtvoller, meist farbiger, bis ins Detail gehender Abbildungen - zum größten Teil aufwändige Neuauf­ nahmen - im gesamten Buch machen die Argumentation des Autors stets nachvoll­ ziehbar. Verbesserungsfähig wäre allerdings die Zitierweise der Archivalien, da im Ver­ zeichnis der ungedruckten Quellen zwar die Titel der Bibliothekswerke einzeln angegeben sind, für Archivalien aber durchgehend nur der Bestand, nicht die Signatur des Einzelarchivales; diese findet sich nur in der jeweiligen Fußnote und somit an eher versteckter Stelle. Ohne Hinweis im Inhaltsverzeichnis im Text versteckt sind leider auch zwei unverzichtbare Hilfsmittel für den Leser, die Grundrisse des romanischen bzw. gotischen Kirchenbaus mit den Ortsangaben der einzelnen Altäre und Kunst­ werke, ohne die ein Verständnis ihrer räumlichen Beziehungen kaum möglich ist (ein Tipp für den gründlichen Leser: Der erstere Grundriss ist auf S. 62, der zweite auf S. 75 - man wird gut daran tun, hier Lesezeichen einzulegen). Durch die intensive Quellensuche und die Identifizierung klar definierter „Ver­ ehrungszonen“ sind Weilandt auch in zahlreichen Einzelfällen neue Einsichten gelun­ gen, die die bisherigen Vorstellungen teils ergänzen, teils korrigieren: der Patroziniums­ wechsel erst 1379, die Datierung bzw. Neudatierung einzelner Figuren und Bildwerke, die Entdeckung einer Zone von Ablassbildern im südlichen Seitenschiff und die Identifizierung bisher nicht zuordenbarer Heiligenfiguren. Vielleicht am beein­ druckendsten in diesem Zusammenhang ist Weilandts Neuinterpretation der bislang rätselhaften griechischen Götter, Putten und Tiere am Sebaldusgrab, für die er als litera­ rische Quelle die „Histori Herculis“ des Pankratz Bernhaupt genannt Schwenter ausmacht und die er hierdurch überzeugend in ein geschlossenes ikonologisches Grabprogramm einordnen kann (eine kleine Korrektur zu Jupiters Liebesabenteuer auf S. 402: „Schwächen“ bedeutet nicht „täuschen“, sondern „schwängern“). Insgesamt hat Weilandt eine bewundernswerte Arbeit vorgelegt, die mindestens für Jahrzehnte, wenn nicht auf Dauer das maßgebliche Werk zur Sebalduskirche bleiben wird. Es bleibt zu wünschen, dass eines Tages auch die Lorenzkirche eine vergleichbare Untersuchung erfahren wird. Horst-Dieter Beyerstedt

Hermann Rusam: „Judensau“-Darstellungen in der plastischen Kunst Bayerns. Ein Zeugnis christlicher Judenfeindschaft (Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Juden­ tum 90, Sonderheft). Hannover: Evang.-Luth. Zentralverein für Begegnung von Christen und Juden 2007. 36 S. mit 20 Abb. € 5,-

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An einem Strebepfeiler des 1379 - 30 Jahre nach dem Abriss des Nürnberger Ghettos - errichteten Ostchors der Sebalduskirche, in sieben Metern Höhe unter der Konsole einer Heiligenfigur, befindet sich die Darstellung einer „Judensau“. Selbst nach den um sie geführten Auseinandersetzungen der letzten Jahre ist nicht anzunehmen, dass allzuviele Nürnberger diese unauffällige und nur schwer erkennbare Plastik kennen. Aus der historisch und moralisch motivierten Beschäftigung mit ihr ist die vorliegende Bro­ schüre entstanden. In einem ersten Kapitel gibt Rusam allgemeine Informationen zur Geschichte des „Judensau“-Motivs. Die bislang nachgewiesenen 48 Plastiken befinden sich ganz über­ wiegend im deutschsprachigen Bereich mit Zentren in Brandenburg und Mittelfranken mit angrenzenden Gebieten. Die ältesten, noch sehr unterschiedlichen Plastiken (seit ca. 1230) waren im Kircheninneren angebracht, dienten also nicht der Beschimpfung der Juden, sondern als warnendes Exempel für Christen. Später fanden sie ihren Platz an den Außenwänden und bildeten seit dem 14. Jahrhundert einen festen Typus aus. Popularisiert wurde das Motiv durch die Kreuzzugsbewegung, graphische Darstellun­ gen (älteste bekannte Graphik ein Holztafeldruck von 1470 im GNM) und durch die antijüdischen Schriften Luthers. Ab ca. 1820 verblasste das Motiv, ohne ganz vergessen zu werden. Das zweite Kapitel behandelt die Darstellungen der „Judensau“ in der plastischen Kunst Bayerns, alphabetisch geordnet nach den Standorten Bamberg (abge­ gangen und unsicher), Bayreuth, Cadolzburg, Freising (abgegangen und unsicher), Heilsbronn, Nürnberg, Kehlheim (beseitigt), Regensburg, Spalt und Theilenberg (Deu­ tung unsicher). Jedes der 1-4 Seiten umfassenden Einzelkapitel enthält eine Bestands­ aufnahme des Ist-Zustandes bzw. eine möglichst genaue Rekonstruktion, historische Informationen sowie Angaben zum heutigen Umgang mit dem ungeliebten Erbe. Das dritte Kapitel behandelt die Auswirkungen des „Judensau“-Motivs, die Rusam als sehr bedeutend einschätzt: Das Schmähbild habe - neben dem Ecclesia-Synagoga-Motiv eine Geisteshaltung geschaffen, verfestigt und verbreitet, die ihre Wirksamkeit auch nach dem Vergessen des Bildes selbst behalten und so den Holocaust mit vorbereitet habe. Vor diesem Hintergrund erörtert das vierte Kapitel unter dem programmatischen Titel „Hinsehen macht die Seele frei“ die verschiedenen Wege, mit den erhaltenen Exemplaren umzugehen. Ihre manchmal medienwirksam eingeforderte Entfernung wird von Rusam ausdrücklich abgelehnt: Sie seien von einem Schandbild für Juden zu einem Schandbild für Christen geworden und müssten deshalb als ein Stachel im Fleische der christlichen Gemeinde erhalten bleiben. Die von Rusam selbst als Beispiel vorbildlichen Umgangs mit einer „Judensau“-Plastik vorgestellte Bodenreliefplatte in Wittenberg sowie die Tatsache, dass diese informative und nachdenklich machende Broschüre von Organen der Heimatpflege wie auch von Seiten der evangelischen Kirche unterstützt wurde, sind sichtbare Zeichen, dass diese Auffassung zunehmend Anhänger gewinnt. Horst-Dieter Beyerstedt

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Wolfgang Kraus / Berndt Hamm / Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern. Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Ober­ bayern, Schwaben / erarb. von Barbara Eberhardt und Angela Hager. Lindenberg im Allgäu: Kunstverl. Fink 2007. 560 S. mit zahlr. Abb. und Kt. € 39,Die ambitionierte Zielsetzung des auf drei Teile - Mittel- und Unterfranken sollen als jeweils eigene Bände folgen - ausgelegten Werkes ist laut seiner Herausgeber nicht nur die Erfassung der über 200 „Synagogen, die um 1930 im Gebiet des heutigen Bayern bestanden“, sondern auch die Darstellung der „Geschichte der Gemeinden von ihrer Ersterwähnung bis zu ihrer Zerstörung in der NS-Zeit“ und nach 1945, sofern sie seit­ dem neu gegründet wurden (S. 16). Schon die im ersten Band enthaltenen 50 Beschreibungen von Synagogen bzw. Kultusgemeinden zwischen Hof und Kempten, Nördlingen und Straubing zeigen die Schwierigkeiten, die sich aus diesem Anspruch ergeben: Wegen des Grenzjahres können traditions- und einflussreiche jüdische Gemeinwesen auf dem Lande, die seit der zwei­ ten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Wegzug ihrer Mitglieder eingingen, nicht berücksichtigt werden. Umfang und Inhalt der einzelnen Artikel hängen primär von der Quellen- und Literaturlage bzw. dem Forschungsstand der beim Thema jüdische Geschichte in Bayern so wichtigen, haupt- und ehrenamtlichen Fachleute vor Ort ab, denen von den Bearbeitern immer wieder ausdrücklich gedankt wird. Deshalb stellt sich die Frage nach dem „Cui bono?“, wenn wie z.B. im Falle der oberfränkischen Land­ gemeinden Trabelsdorf, Walsdorf und Zeckendorf (S. 209-227) immer nur die Arbeiten einer Handvoll Autoren (darunter das bereits 1898 veröffentlichte Standardwerk von Adolf Eckstein „Geschichte der Juden im ehemaligen Fürstbistum Bamberg“) freilich akribisch zitiert und um Archivalienfunde ergänzt werden. Noch zweifelhafter er­ scheint der Nutzen von Einträgen wie dem für die oberpfälzische Kreisstadt Cham (S. 237-243), über deren jüdische Gemeinde Timo Bullemers 2003 erschienener, kom­ pakter Überblick „Die hiesigen Juden sind in Cham alteingesessen ..." bereits alle relevanten und recherchierbaren Fakten enthält. Die hier zusätzlich gegebene architek­ turhistorische Beschreibung der Fassade einer Gaststätte und ihres Festsaales, der auch als Betsaal der jüdischen Gemeinschaft diente, erbringt keinen Informationsgewinn. Dass die viel zu umfassenden konzeptionellen Vorgaben im Rahmen eines solchen Projekts nicht befriedigend erfüllt werden können, belegen am deutlichsten die Texte über die Großgemeinden Bamberg (S. 72-91), Regensburg (S. 261-285), Augsburg (S. 397-413) und besonders München (S. 360-385). Letzterer dominiert schon wegen seiner Seitenzahl das Buch, muss aber zwangsläufig auf dem Niveau einer knappen Synopse der einschlägigen Literatur, u.a. des einen eigenen Münchner ,SynagogenGedenkband“ darstellenden „Beth ha-Knesseth“ (Stadtarchiv 1999), stehen bleiben. Angesichts des ehrlichen Bemühens der Bearbeiter und ihrer Informationslieferan­ ten um wissenschaftlich solide Ergebnisse - Quellennachweise und Literaturverzeich­ nisse fehlen ebenso wenig wie ein Orts- und ein Personenregister - ist die Absicht der Herausgeber, man wolle u.a. „interessierte Laien ... zum Schmökern anregen“ (S. 16) für ein so hoch subventioniertes Projekt etwas tief gegriffen. Erkenntnisreicher wäre z.B.

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die landesweite Inventarisierung der jüdischen Friedhöfe, für die Peter Kuhns Pionier­ arbeit über Georgensgmünd (s. Rez. in MVGN 94 [2007], S. 397f.) als Leitbild dienen könnte. Gerhard Jochem

Jacob Rosenthal: „Die Ehre des jüdischen Soldaten“. Die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen (Campus-Judaica 24). Frankfurt/New York: Campus-Verl. 2007. 227 S. mit 22 Abb. € 29,90 Dieses Buch ist die vom Vf. selbst besorgte deutsche Fassung einer von der Hebrew University in Jerusalem angenommenen Dissertation und in mehrfacher Hinsicht bemerkens- und lesenswert, zunächst wegen seines Urhebers, Jacob Rosenthal, geboren 1922 in Nürnberg. Seine Biographie schafft einen unmittelbaren Zugang zum Thema: Die Beerdigung seines Vaters (vgl. S. 150f.), der hier 1924 an den Spätfolgen des Krieges starb, führte zu einem Eklat zwischen der jüdischen Gemeinde und den lokalen Vetera­ nenverbänden bzw. ihren jüdischen Mitgliedern. Der Vorgang war charakteristisch für die antisemitische Tendenz des (ehemaligen) Offizierskorps, die noch während des Krieges im Oktober 1916 in der Zählung der in der deutschen Armee dienenden Juden zum Ausdruck kam. Diesen selbstzerstörerischen ,Luxus“ der Ausgrenzung einer be­ deutenden Bevölkerungsgruppe leistete sich unter den kriegführenden Mächten bezeichnenderweise nur das Deutsche Reich. Gedanklich klar und methodisch stringent beschreibt Rosenthal Vorgeschichte, Durchführung und Folgen dieses diskriminierenden und von den Betroffenen als tiefe Demütigung empfundenen Aktes und liefert damit die erste monographische wissen­ schaftliche Darstellung des Vorgangs in deutscher Sprache, 91 Jahre nach dem histori­ schen Ereignis! An der mangelnden Relevanz des Themas kann es nicht gelegen haben, dass sich die deutsche Historiographie damit noch nicht intensiver auseinandergesetzt hat: Die „Judenzählung“ beendete den bei Kriegsbeginn von Kaiser Wilhelm II. ausge­ rufenen „Burgfrieden“ zwischen den gesellschaftlichen Gruppierungen und lieferte seitdem den Antisemiten im „Alldeutschen Verband“ und später den Nationalsozia­ listen die propagandistische Munition über „jüdische Drückebergerei“ und „Dolch­ stoß“, die sie für ihre Hetzkampagnen benötigten. Auf der anderen Seite prägte das Erlebnis, wegen der Religion aus der Schicksalsgemeinschaft der für das Vaterland kämpfenden und sterbenden Soldaten aussortiert zu werden, die Selbstwahrnehmung vieler Juden. Als Beleg zitiert der Vf. zahlreiche Stimmen prominenter und weniger prominenter jüdischer Deutscher, denen so die Aussichtslosigkeit ihres Wunsches nach völliger Assimilation schmerzhaft vor Augen geführt wurde und die sich deshalb nach 1918 desillusioniert neue Ziele steckten, indem sie sich etwa der zionistischen Bewe­ gung anschlossen. Selbst unter den Bedingungen der Weimarer Demokratie war der vom „Central­ verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ und dem „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ getragene Abwehrkampf gegen das Klischee vom Juden, der sich 1914/18 in den Schreibstuben des Militärs oder den Kriegswirtschaftsämtern vor dem

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Frontdienst gedrückt hatte, zum Scheitern verurteilt: Der bereits während des I. Welt­ kriegs begonnenen, akribischen Datensammlung durch jüdische Organisationen, deren Ergebnisse umfassend 1932 im Gedenkbuch „Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914-1918“ veröffent­ licht wurden, standen die angeblich nur für interne Zwecke des Kriegsministeriums erhobenen Zahlen gegenüber, die auch nach Kriegsende nie offengelegt wurden und so seitens der Antisemiten den willkommenen Stoff für haltlose Diffamierungen boten. Eine offizielle Ehrenerklärung für die Pflichterfüllung der jüdischen Soldaten verwei­ gerten militärische Führung und Politik sowohl im Kaiserreich wie auch während der Weimarer Jahre. Stattdessen stellte sich - für den Berufsstand der Archivare besonders beschämend - das Reichsarchiv unter seinem Präsidenten von Haeften - einem ehe­ maligen Offizier der Obersten Heeresleitung - 1933 sofort in den Dienst der neuen Herren und versuchte die Zahl der 12.000 jüdischen Gefallenen des Gedenkbuchs herunterzurechnen, ohne seine Quellen für eine Prüfung von neutraler Seite zugänglich zu machen. Diese von Rosenthal detailliert dargestellte (S. 171-176) Liebedienerei der Archivare zeigt ebenso wie ein weiteres Beispiel, an welch unerwarteten Stellen der Gesellschaft, vor allem im deutschen Militär, der Antisemitismus wie selbstverständlich zu Tage trat: Das Programm der Verschwörer des 20. Juli 1944 sah vor (vgl. S. 142f.), alle Juden in Deutschland unter Fremdenrecht zu stellen, die nicht selbst Kriegsteilnehmer oder deren Nachkommen waren oder deren Vorfahren nicht bereits am 1.7.1871 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hatten. Langfristig sollte die „jüdische Frage“ nach Mei­ nung Stauffenbergs & Co. durch die Aussiedlung der Juden in einen eigenen Staat in Nord- oder Südamerika gelöst werden. Angesichts solch unseliger Traditionen kann die Notwendigkeit des totalen Bruches und der Entwicklung des Leitbildes vom „Staatsbürger in Uniform“ für den Soldaten der Bundeswehr nicht angezweifelt werden. Tatsächlich wurden die Zahlen des Ge­ denkbuches für die jüdischen Gefallenen erst 1961 bei seiner Neuauflage von offizieller Seite durch den damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß anerkannt. Dem Vf. ist dafür zu danken, dass er in seiner Arbeit dieses zentrale Ereignis der deutsch-jüdischen Geschichte erforscht und seine komplexen Folgewirkungen in auch für interessierte Nicht-Fachleute lesbarer Form verständlich beschrieben hat. Niemand wäre dafür wohl geeigneter gewesen als der Sohn des jüdischen Nürnberger Front­ offiziers Dr. Otto Rosenthal. Gerhard Jochem

Personen und Familien Franz Fuchs (Hg.): Die Pirckheimer. Humanismus in einer Nürnberger Patrizier­ familie (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 21). Wies­ baden: Harrassowitz 2006. 172 S. mit 11 Abb. € 36,Nach ihrem Ausflug in gesamteuropäische Perspektiven im Jahre 2003 kehrte die Pirckheimer-Gesellschaft mit ihrem am 25./26. Juni 2004 in der Nürnberger Akademie

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abgehaltenen interdisziplinären Symposium in den innersten Kern ihres Arbeitsgebietes zurück. Ziel der gemeinsam mit dem Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg, dem Stadtarchiv und dem Bildungszentrum abgehaltenen Veranstaltung war nicht die Erar­ beitung eines Gesamtbildes der Familie, sondern die Vorstellung einzelner neuer For­ schungsergebnisse insbesondere zu Willibald und Caritas Pirckheimer. In seinem Eröffnungsvortrag „Hans Pirckheimer (f 1492), Ratsherr und Humanist“ (S. 9-44) behandelt Franz Fuchs den ersten Humanisten der Familie und Großvater Willibalds (nicht zu verwechseln, aber früher oft verwechselt mit dessen gleichnamigem Vater Dr. Johannes Pirckheimer). Im Zentrum der Betrachtung steht dessen politische Tätigkeit im Dienste der Reichsstadt im Fichte amtlicher Quellen (v.a. Briefbücher, Ratsbücher und Ratsverlässe), die entsprechend seiner in Padua erworbenen akademi­ schen Bildung vor allem die vier Kompetenzbereiche Kanonisches Recht, Begrüßung von Staatsgästen mit lateinischen Ansprachen, Rechtsreformation und Beziehungen zum Hochstift Eichstätt umfasste. Während Hans Pirckheimers amtliche Tätigkeit damit hinreichend erkennbar ist, harren seine eigenen humanistischen Schriften noch immer einer Auswertung und Edition. Niklas Holzberg „Zwischen biographischer und literarischer Intertextualität. Willibald Pirckheimers ,Apologia seu Podagrae Laus““ (S. 45-61) untersucht Pirck­ heimers Verteidigungsrede der personifizierten Gicht vor einem fiktiven Gerichtshof als ein amüsantes, aber auch an literarischen und biographischen Anspielungen reiches Spiel, das den Adressaten seines Werkes durch deren Kenntnis von seinen Lebens­ umständen und literarischen Vorlagen problemlos verständlich war, heutigen Lesern aber erst durch gelehrte Anmerkungen erläutert werden muss. Unter der Maske des komischen Selbstlobes der Gicht konnte Pirckheimer viele theologische und (kirchen-) politische Gedanken aussprechen, die er noch unter dem Eindruck der Bannandro­ hungsbulle ernsthaft nicht hätte öffentlich äußern können. Ähnlich stellt auch Hermann Wiegand „Willibald Pirckheimers ,Bellum Helveticum“ und die antike historiographische Tradition“ (S. 63-71) die Frage nach den literarischen und biographischen Bezügen dieses Alterswerks Pirckheimers in den Mittelpunkt seines Vortrags. Ungeachtet der Funktion seines historischen Hauptwerks als Rechtfertigungsschrift gegen Versagensvorwürfe bemühte sich Pirckheimer nach dem Vorbild Lukians und Tukydides’ um Unparteilichkeit und zeigte dabei - im Gegensatz gerade auch zu den süddeutschen Humanisten mit Ausnahme des Konrad Celtis - Verständnis für das Freiheitsstreben der Schweizer. Zugleich bedeutet seine an Sallust gemahnende Klage um das Fehlen einer aktuellen Zeitgeschichtsschreibung in Deutschland eine Kritik an der frühhumanistischen Weltchronistik eines Hartmann Schedel. Einen Übergang zu den folgenden Vorträgen zu Willibalds Schwester Caritas Pirck­ heimer bildet Helga Scheible „Willibald Pirckheimers Persönlichkeit im Spiegel seines Briefwechsels am Beispiel seines Verhältnisses zum Klosterwesen“ (S. 73-88). Sechs Schwestern und drei der fünf Töchter Willibalds lebten im Kloster, mit denen allen er einen lebhaften Breifwechsel unterhielt. Sein Kampf gegen die Dominikaner im Reuch-

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lin-Streit konnte Pirckheimers positive Einstellung gegenüber den Klöstern nicht be­ einträchtigen, die Reformation führte jedoch zu einem Umdenken. Jetzt hielt er es für einen Irrtum, seine Töchter ins Kloster gegeben zu haben, wollte sie aber auch nicht gegen ihren Willen herausholen und lehnte einen Bruch der Gelübde ab. Wichtig war ihm die Relativierung der Bedeutung der Werkgerechtigkeit. Unter dieser Voraus­ setzung war er auch zur Unterstützung geistlicher Wünsche der Nonnen bereit, wie die von ihm verfasste (und früher seiner Schwester Caritas zugeschriebene) Denkschrift zur Seelsorge im Klarakloster zeigt. Dagegen ließ ihn der von ihm vermutete geistige Hoch­ mut der Schwestern im Kloster Bergen um deren Seelenheil füchten, was ihn jedoch nicht hinderte, sie in geschäftlichen Dingen weiterhin zu unterstützen. Der noch wenig erforschten Gattung der „Hausbücher“ oder „Konventschroniken“ widmet sich der Vortrag von Eva Schlotheuber „Humanistisches Wissen und geistliches Leben. Caritas Pirckheimer und die Geschichtsschreibung im Nürnberger Klarissenkonvent“ (S. 89-118) am Beispiel der Nürnberger Konventschronik des Klara­ klosters. Entgegen der ursprünglichen Bildungsfeindschaft der observanten Franzis­ kaner erkannte der Orden ab 1443 die Notwendigkeit einer hinreichenden lateinischen Bildung der Nonnen für ihren liturgischen Dienst und die Durchsetzung der Kloster­ reform. Diese Bildung ermöglichte eine hohe Schriftlichkeit der Nonnenklöster, die sich außer in einer reichen Briefliteratur auch in den Hausbüchern oder Konvents­ chroniken äußerte, Aufzeichnungen wichtiger Entscheidungen und Ereignisse zur Ordens- und Klostergeschichte, die in späteren Entscheidungssituationen als Grund­ lage dienen sollten. Die in drei Fassungen vorliegende Nürnberger Konventschronik der Klarissen entspricht ähnlichen Werken in anderen Klöstern, übertrifft sie aber in ihrer Qualität, und auch die berühmten „Denkwürdigkeiten“ der Caritas Pirckheimer zeigen einen ähnlichen Ansatz. Anna Scherbaum und Claudia Wiener „Caritas Pirckheimer und das Bild der heiligen Familie im ,Marienleben‘ von Albrecht Dürer und Bcncdictus Chelidonius“ (S. 119-159) untersuchen akribisch die Entstehungsgeschichte dieses außergewöhn­ lichen Buchprojekts, die unterschiedlichen Konzeptionen Dürers und Chelidonius’, seine Stellung zur mittelalterlichen und humanistischen Text- und Bildtradition des Themas, zur Antike und zu den aktuellen theologischen Auseinandersetzungen um die unbefleckte Empfängnis Marias. Als Wunschadressatenkreis des Werkes stellt sich ein humanistisch gebildetes Publikum heraus, wobei die Verfasserinnen es bewusst offen­ lassen, ob wenigstens Chelidonius hierbei besonders die Nürnberger Klarissen im Auge hatte. Dagegen unterstreicht die Widmung des Werkes an Caritas Pirckheimer zweifels­ frei die Bedeutung, die ihr als Verkörperung eines aus Italien importierten huma­ nistischen Frauenideals von den Nürnberger Humanisten zugedacht wurde. Eine Miszelle von Klaus Arnold „Arigo - Heinrich Schlüsselfelder aus Nürnberg? Arrigho di Federigho della Magna / Heinricus Martellus in Florenz?“ (S. 161-167), Hinweise auf einschlägige Neuerscheinungen (S. 169-170) sowie ein Nachruf auf Agostino Sottili (1939-2004) (S. 171-172) beschließen den Band. Horst-Dieter Beyerstedt

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Hermann Glaser: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Weltgeist in Franken (Auf den Spuren der Dichter und Denker durch Franken 7). Gunzenhausen: Schrenk 2008. 144 S. mit zahlr. Abb. € 13,50 Das durch den Einschub farbig unterlegter „Kästchen“ mit Zitaten aus Hegel und moderner Literatur sowie zahlreicher Illustrationen ansprechend gestaltete handliche Bändchen versteht sich als „kleines Hegel-Lesebuch“ (Vorbemerkung, S. 1); den „.gan­ zen Hegel“ exemplarisch als „kulturgeschichtliches Zeugnis“ seiner Zeit „vorzustellen“ sowie dabei „die häufig anzutreffende Meinung“, seine Biografie enthalte keine „besonderen Vorkommnisse“ und verdiene „weniger Beachtung“, als „irrig“ (alle Zitate aus S. 1) zu erweisen, ist Ziel der ebenso detailreichen wie komprimierten Darstellung. Davon überzeugt Kapitel 1 („Philosoph des Geistes“, S. 2-39), dem es überzeugend ge­ lingt, verständlich und profund in wenigen geschickten prägnanten Strichen den Leser in die Grundthematik und -problematik seines umfassenden, jedoch schwer verständ­ lichen Systems einer teleologischen und zugleich theologischen Geschichtsdeutung einzuführen unter Einschluss des heiklen Themas „Hegel und die Folgen“ (S. 27-39), wobei ein vernichtendes Verdikt über nivellierende „doktrinäre ,Hegelei“‘ (S. 27) der Ausdeuter fällt und den „Massenmörder Stalin, der sich als Philosoph gerierte“ (S. 28) mit einbezieht - Ähnliches ließe sich entsprechend über das entgegen gesetzte Extrem, die nationalsozialistische Missdeutung und den dann aus dieser Irrsinnsdoktrin abgeleiteten Missbrauch einer Staatsvergottung, sagen. Die Kapitel III („Apotheose in Preußen“, S. 113-126) und IV („Hegel heute“, S. 127-132) folgen auf den Hauptteil (Kap. II „Hegel in Nürnberg“, S. 41-112), der sehr abwechslungs- und detailreich sein Wirken als Rektor und Professor des neu formierten Gymnasiums in der soeben zur königlich bayerischen Provinzstadt mutierten ehemaligen Reichsstadt behandelt: Als solcher hielt er nicht nur programmatische Ansprachen zum Schuljahresende, sondern wirkte bis in die Einzelheiten sowohl organisatorisch wie Atmosphäre bildend - gerade auch im eigenen Unterricht in den verschiedenen Klassenstufen; schließlich bemühte er sich auch ab 1813 als Lokalschulrat um die Struktur des gesamten Schulwesens der Stadt, was den „.Giganten des Geistes““ (S. 1) von einer ganz neuen Seite zeigt. Dass er es verstand, privat eine angesehene Rolle in der Nürnberger Gesellschaft zu spielen und nach der Einheirat in eine ihrer führenden Familien einen glücklichen Hausstand zu begründen - diese faszinierenden Facetten dieses Lebensabschnittes lassen etwaige Fra­ gen gar nicht aufkommen, wie er hier sozusagen .nebenher“ noch sein zweites philoso­ phisches Hauptwerk, die dreibändige „Wissenschaft der Logik“ (erschienen bei Johann Leonhard Schräg 1813-1816), verfassen konnte oder inwieweit dieses sowie seine Schulreden mit seiner praktischen Tätigkeit oder seinem schließlichen Gesamtsystem in Zusammenhang zu bringen sind, wozu der langjährige Nürnberger Schul- und Kultur­ referent (1964-1990) auch aus aktueller Sicht ein berufenes Urteil abgeben könnte. Bedauerlicherweise können Bildauswahl und -Unterschriften nicht das Niveau der Darstellung einhalten. Wirken die verschwommene moderne Ansicht (S. 64) wenig aussagekräftig für das Bamberg von 1806/08 oder die rauchenden Schlote der „Industriestadt Nürnberg [!], um 1800“ peinlich, so ist nach den richtigen Darlegungen von S. 54 entgegen der lesbaren Formulierung („pro licentia docendi“ des „Doctor“

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MVGN 94 (2007) Personen und Familien Hegel) das abgebildete Titelblatt natürlich nicht das seiner „Dissertation“ (S. 14), sondern seiner Habilitation als Universitätsdozent; der Vorspann „Arch(iv)-Nr. 75 bei Angaben von Beständen der Stadtbibliothek Nürnberg ist irreführend (S. 5, 13, 79), es genügt Signatur (übergenau Standort Teilbibliothek Egidienplatz, die Angabe „Peller-Haus“ [S. 101] verwirrt) Nor. J.B. 22 (1812), wie aus dem abgebildeten Titelblatt (S. 79) ersichtlich ist. Die Benennung des Gymnasiums schwankt und verwirrt (S. 5, 78, 88f.): In reichsstädtischer Zeit hieß es Gymnasium Aegidianum bzw. Egidiengymnasium, untergebracht im Barockbau von 1699, ab 1808 offiziell „Kgl. Studienanstalt zu Nürnberg“; der weiter im Volksmund geläufige Name wandelte sich wohl unter dem Einfluss des 1826 errichteten Melanchthondenkmals allmählich zur Bezeichnung nach seinem gefeierten geistigen Begründer, die aber von der 1889 erfolgten Teilung und Um­ benennung in „Kgl. Altes Gymnasium zu Nürnberg“ zweimal ministeriell negiert und der in den Neubau von 1911 in der Sulzbacher Straße auf dem Gelände des ehemaligen Merkelschen Gartenanwesens (s. Abb. S. 108) angesiedelten Anstalt erst 1933 als „Melanchthon-Gymnasium“ verliehen wurde. Der etwas bizarr klingende „estländische Baron Boris d’Yrkull“ (S. 8,144) entpuppt sich nach Korrektur des r zu x, das die in Fraktur gedruckte angegebene Originalstelle bietet, und nach Überführen der fran­ zösischen Namensform in eine deutsche als Mitglied der seit dem Mittelalter dort ansässigen baltischen Adelsfamilie von Uexküll. Aus besonderem Anlass ist zum Literaturverzeichnis nachzutragen die Neuerscheinung im Rahmen der opulenten großdimensionierten Gesamtedition: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Nürnberger Gymnasialkurse und Gymnasialreden (1808-1816) von Klaus Grotsch, 2 Bde. (Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke 10 in zwei Teilbänden), Hamburg: Felix Meiner Verlag 2006. Literaturverzeichnis, Anmerkungen, Personenverzeichnis (S. 133-137, 144f.) sowie Verlagsanzeigen (nach S. 137) runden die Schrift ab, die dem Leser schnelle und gute Orientierung von Glaser über Hegel verschafft. Ernst-Friedrich Schultheiß

Alfred Kröncr: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert - Die Familie Feuerbach in Franken. (Aufklärung und Kritik / Sonderheft 6). Nürnberg: Gesellschaft für Kritische Philosophie 2002. 120 S. mit 18 Abb. € 5,Alfred Kröner: Paul Johann Anselm und Ludwig Andreas Feuerbach als Expo­ nenten des Bürgertums im 19. Jahrhundert. Leben und Wirkungen (Schriftenreihe der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg 2) (Aufklärung und Kritik / Sonderheft 12). Nürnberg: Gesellschaft für Kritische Philosophie 2007. 196 S. mit 14 Abb.

€ 10,Hermann Glaser / Rainer Lindenmann / Max Ackermann: Die Feuerbachs. Eine deutsche Familie im 19. Jahrhundert. Gunzenhausen: Schrenk 2006. 144 S. mit zahlr. Abb. und 1 CD-ROM „Die Feuerbachs und ihre Frauen“. € 17,50 Josef Wi niger: Ludwig Feuerbach. Denker der Menschlichkeit. Eine Biographie (Auf­ bau-Taschenbuch 2056). Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verl. 2004. 398 S. mit 16 Abb. € 11,50

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Das Gedenken zum 200. Geburtstag des Philosophen Ludwig Feuerbach (vgl. die in MVGN 91 [2004] abgedruckte Rede „Wege zu Ludwig Feuerbach“ von Rolf Gröschner beim Festakt der Stadt) hat zu einer Intensivierung der Beschäftigung mit der Gesamt­ familie geführt, deren literarische Ergebnisse hier besprochen werden sollen. Die zehnjährigen Feuerbach-Bemühungen des Seniorstudenten Alfred Kröner haben sich gelohnt: Am Erlanger Lehrstuhl für Bayerische und Fränkische Landes­ geschichte sind so die beiden angezeigten Schriften als Magister- und Doktorarbeit entstanden. Mit dem selbst auferlegten Schwerpunkt „Die Feuerbachs in Franken“ betritt die Magisterarbeit in nicht unerheblichem Umfang Neuland und wird damit zugleich zum unentbehrlichen Wegweiser für alle, die sich mit diesem in seiner Kom­ plexität einmaligen Stück fränkischer ebenso wie deutscher Geistes-, Bildungs- und Sozialgeschichte befassen wollen. Aus kleinen hessischen Anfängen gelingt der Familie innerhalb eines Jahrhunderts der Aufstieg vom Pfarrer über Beamte mit Paul Johann Anselm F. zu einem der wirkungsmächtigsten Juristen überhaupt, dessen Sohn Ludwig Andreas F. zu einem Philosophen vergleichbarer Tragweite und - schon wieder als Finale - dem Enkel/Neffen Anselm F. zum postum an der Wende zum 20. Jahrhundert gefeiertsten deutschen Maler. Diese nicht nur in ihrer Vielfalt überraschende „Genie­ promotion“ wird darüber hinaus aber ergänzt durch eine Vielzahl weiterer Töchter/ Söhne und Enkel (nach Paul Johann Anselm F.) und Lebenspartner, die überwiegend das Mittelmaß weit übersteigen und jedenfalls als Zeugen ihrer Zeit durchaus Beach­ tung beanspruchen können für die Geschichte, die sich im übrigen seit Paul Johann Anselm Fs. Bruch mit Montgelas wesentlich um Nürnberg gruppierte. Mit seiner Ver­ setzung nach Bamberg war - wie Kröner schreibt - „für die Gesamtfamilie Feuerbach der Akkord Franken angeschlagen, der erst um 1880 wieder verklingen sollte“ - ebenso wie die „Gesamtfamilie“ selbst. Der Hauptteil der Magisterarbeit „Die Familien-Dynastie Feuerbach in Einzeldar­ stellungen“ ist - abgesehen davon, dass nach Sachlage keine „Dynastie“, sondern nur eine Familie vorliegt - eine verdienstvolle Zusammenfassung, die es so bisher nicht gibt. Außer den drei „Großen“ sei hier nur noch auf Joseph Anselm F., den schwerblütigen Archäologen in Speyer / Freiburg i.B. und Vater des Malers, Karl Wilhelm F., den hochbegabten Mathematiker (und Erfinder des „Feuerbachschen Kreises“) in Erlangen / Hof, der der Demagogenverfolgung zum Opfer fiel, und den hypochondrischen Rechts­ geschichtler Eduard August F. in Landshut / Erlangen hingewiesen. Das erhellt zugleich den spannungs- und schicksalsbeladenen Bogen, der die „Gesamtfamilie“ umgibt. Es ist davon auszugehen, dass dieser keineswegs mit der Kategorie „Genie und Wahnsinn“ gedeutet werden kann. Aber auch die Versuche Kröners mit der Kategorisierung „Bildungsbürger“ überzeugen nicht. In verstärktem Maße gilt das für die Promotionsarbeit, bei der ihm die Aufgabe gestellt war, allein Paul Johann Anselm F. und Ludwig Andreas F. als paradigmatische Exponenten des Bildungsbürgertums im 19. Jahrhundert näher zu untersuchen. Die sozialgeschichtliche Fragestellung dürfte bereits als solche falsch sein. „Paradigmatisch“ sind Vater und Sohn F. nicht für bestimmte Gesellschaftsschichten, sondern für zwei kurze Epochen: der Vater als Jurist

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der Entstehungszeit des modernen Verfassungsstaates 1800-1815, der Sohn als Philo­ soph des Vormärzes 1830-1848. Dies zu würdigen, kann nicht Aufgabe und Potenz Kröners sein: Seine eigenen Erkenntnisse sind kaum weiterführend. So ist die Aussage, der Vater gehöre der oberen, der Sohn aber der unteren Mittelschicht zu, nicht nur platt, sondern auch verdreht: nahezu unverzichtbar war und ist die Kompatibilität „Bildungs­ bürgertum“ mit fast allen „Schichten“ - und dafür freilich ist Familie F. „paradigma­ tisch“. Das schöne, wohl hauptsächlich von Hermann Glaser herausgegebene Bändchen „Die Feuerbachs“ müht sich mit fruchtlosen Definitionen des Bildungsbürgertums nicht ab. Vielmehr wird in Aufsätzen (als Autoren seien noch Friedhelm Sikora, Rein­ hard Knodt und Friedhelm Kroll erwähnt), Bildern, Diskussionen, Interviews und einem äußerst anregenden Hörbild eine Art Salongespräch über die Lebens- und Arbeitswelt der Feuerbachischen Frauen, Juristen, Künstler, Philosophen usw. geführt. Nach der (flüssigen!) Lektüre ist man dem von Glaser vorgegebenen Ziel um Einiges näher gekommen: fränkisch-deutsche Geistesgeschichte anschaulich zu machen und zu zeigen, „dass die Familie Feuerbach das 19. Jahrhundert in Deutschland in wichtigen Teilen veränderte“. Dabei ist m.E. das einigende Band nicht etwa die „Familie“, sondern das protestantisch-deutsche Bildungsideal, für das Vater, Sohn und Enkel jeweils exzellente Vertreter darstellen. Paul Johann Anselm F. war nicht nur der erste Protestant auf einem bayerischen Lehrstuhl, sondern auch der erste einflussreiche Träger dieser Bildung im bayerischen Staatsverband. Jüngst hat Heike Schmoll (Lob der Elite, München 2008) auf die Fundamentierung jeder deutschen Elite auf dem protestan­ tischen Bildungsethos hingewiesen. Dafür liefert die Familie Feuerbach gerade wegen der Mannigfaltigkeit ihrer Existenz einen überzeugenden Beweis. Wer seinen Wissenshunger über die äußeren (Kröner) und inneren (Glaser) Verhält­ nisse der „Gesamtfamilie“ gestillt hat und sich dann den drei „Großen“ zuwenden will, dem seien folgende Leseempfehlungen gegeben: - Zu Paul Johann Anselm F. ist grundlegend die Biographie von Gustav Radbruch (Bd. 6 der Radbruch-Gesamtausgabe Heidelberg 1997) - überzeugend schon deshalb, weil hier der wichtigste Jurist des 20. über den wichtigsten des 18./19.Jahrhunderts schreibt. - „So berühmt und gleichzeitig so unbekannt wie Ludwig Feuerbach ist sonst kein Philosoph der Neuzeit“ - mit diesen Worten beginnt die angezeigte Biographie von J. Winiger, der damit eine empfindliche Lücke (die rororo-Monographie von H.-M. Sass ist seit vielen Jahren vergriffen) ebenso sachverständig wie gut lesbar auffüllt. Das Buch schließt mit einer Darstellung des Endes am Rechenberg, wobei im Gegensatz zu Kröner die Rolle der Nürnberger Sozialdemokratie sachgerecht dargestellt wird. Hier ist auch auf die von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften heraus­ gegebenen Gesammelten Werke Ludwig Feuerbachs (Berlin 1967ff.) hinzuweisen, deren erster Band auch eine von Schuffenhauer verfasste Kurzbiographie enthält. Dem jüngst verstorbenen Nürnberger Georg Batz und seiner „Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft“ ist die Sicherung der Fertigstellung der Gesammelten Werke mit zu verdanken.

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MVGN 95 (2008) Buchbesprechungen - Gut geeignet für den Zugang zum Maler Anselm F. ist die rororo-Monographie von Daniel Küpper, Reinbek 1993. Welcher war und ist unser? Es gab vor dem Feuerbachjahr einen törichten Streit darüber, ob Ludwig oder Anselm die höhere Ehrengrab-Pflegeklasse auf dem Johannis­ friedhof zusteht. Als Tote gehören sie uns beide, wenn auch aus höchst unterschied­ lichen Gründen. Den Maler holte seine ehrgeizige Stiefmutter aus Venedig, um mit einem Grab in nächster Dürernähe den (erfolgreichen) Weg zur romantisierenden Künstlerlegende zu ebnen. Der Philosoph vollendete seinen Weg in Nürnberg aus freier Wahl - und wenn seine Beerdigung von der Sozialdemokratie zu ihrer ersten großen Manifestation in dieser Stadt gebraucht wurde, „so kann man sicher sein, dass dieser .Missbrauch' ihn innigst gefreut hätte“ (Winiger). Im übrigen aber stiftete das (ur­ sprünglich pompöse) Grabmal Theodor von Cramer-Klett, und der (sehr bürgerliche) Stadtrat beschloss schon drei Jahre später die Straßenbenennung. Der Jurist schließlich ruht in Frankfurt/M. Ihm gebührt das Verdienst, unsere Stadt von einer im letzten reichstädtischen Jahrhundert gänzlich verkommenen Strafrechtspflege zu befreien. Es steht der Stadt des Friedens und der Menschenrechte gut, daran zu erinnern, dass es Paul Johann Anselm war, der nur wenige Tage nach der bayrischen Besitzergreifung in Nürnberg die Folter abschaffte und einige Jahre später das seinerzeit in Europa modernste Strafgesetzbuch einführte. Mit Kaspar Flauser hat er im übrigen Nürnberg eines seiner größten Rätsel geschenkt. Keiner ist innerlich so mit dem Geist dieser Stadt verbunden wie Ludwig - aber alle Feuerbache zusammen sind aus der Geschichte Nürnbergs und Frankens keineswegs hinwegdenkbar! Hartmut Frommer

Reinhard Spree / Irmgard Robertson (Mitarb.): Eine bürgerliche Karriere im deutschen Kaiserreich. Der Aufstieg des Advokaten Dr. jur. Hermann Ritter von Pemsel in Wirtschaftselite und Adel Bayerns. Aachen: Shaker 2007. VII, 439 S. mit 27 Abb. € 49,80 Hermann Pemsel (1841-1916), Sohn eines Advokaten in Naila und Erlangen, gelang eine außerordentliche berufliche Karriere. 1869 lernte der junge Jurist den Nürnberger Industriellen Theodor Freiherrn von Cramer-Klett kennen, zu dem er rasch ein ver­ trauensvolles Verhältnis fand und der ihn 1872 zu seinem Generalbevollmächtigten machte. Die Beziehung zu Cramer-Klett bestimmte seinen weiteren Berufsweg: Als Mitglied des Gründungskomitees des Nürnberger Gewerbemuseums und der Auf­ sichtsräte bedeutender Unternehmen wie der Maschinenbau Aktiengesellschaft Nürn­ berg, der Bayerischen Vereinsbank und der Allgemeinen Gesellschaft für Dieselmoto­ ren sowie als Mitgründer der Münchner Rückversicherungsgesellschaft und der Allianz Versicherungsgesellschaft wurde Pemsel ein ungemein erfolgreicher Wirtschaftsanwalt, der ein Millionenvermögen hinterließ. Seit 1870 hatte Pemsel eine Anwaltskanzlei in Nürnberg inne; 1878 folgte er Cramer-Klett nach München, das ihm mehr Möglich­ keiten zu bieten schien.

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Im Mittelpunkt der Biographie des Wirtschaftshistorikers Reinhard Spree steht allerdings nicht das berufliche Wirken Pemsels, das beinahe eher am Rande einbezogen und in den Kontext der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Deutsch­ lands im 19. Jahrhundert gestellt wird. Im Vordergrund steht vielmehr das Privatleben Pemsels, stehen seine Kindheit, Jugend und akademische Bildung, die Verlobungszeit und Ehe mit Sophie Helbig, Tochter der Besitzerin der Erlanger Henninger-Brauerei, stehen Kindererziehung, Wohnen und Konsumgewohnheiten im Haushalt Pemsel: Exemplarisch widmet sich Spree bürgerlichen Lebensformen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, die im vorliegenden Fall besonders reizvoll scheinen, da Pemsel - auch seiner geistigen Prägung nach - dem Bildungsbürgertum angehörte und zugleich in einer engen Beziehung zum Wirtschaftsbürgertum stand, dem er sich in seinem auf­ wendigen Lebensstil annäherte. Die Schwabinger Villa, die er 1890 bauen ließ, drückte dies augenfällig aus. Die außerordentlich ergiebige Basis der detailreichen Darstellung ist in erster Linie die umfangreiche Korrespondenz aus dem Nachlass Pemsels, die Ausdruck einer inten­ siv gepflegten Briefkultur ist und zahlreiche Briefe enthält, die zwischen den häufig getrennt lebenden Ehegatten gewechselt wurden. Insgesamt ergibt sich so ein ungemein dichtes Bild, das die üppigen Ernährungsgewohnheiten und die Probleme mit den Dienstboten ebenso einschließt wie das reichlich zerrüttete Eheleben der Pemsels, die sich ihm immer wieder mit einem fluchtartig anmutenden Rückzug auf den Landsitz der Familie oder in den Kuraufenthalt entzogen: In ihm zeigt sich der patriarchalische Anspruch des Familienvaters letztlich ebenso wie dessen Grenzen. Da Pemsel bis in das Alter gegenüber neuen Entwicklungen aufgeschlossen blieb, kann Spree auch auf den Wandel großbürgerlicher Freizeitgewohnheiten im ausgehenden 19. Jahrhundert eingehen, zu denen neben häufigen Reisen neuartige Vergnügungen wie das Tennis und das Fahrradfahren gehörten. Auffällig unbestimmt bleibt dagegen Pemsels politische Haltung. Pemsel, der ein Werk Edouard Laboulayes ins Deutsche übersetzte, ist dem Liberalismus zuzurechnen, doch erlauben die sonst so ergiebigen Quellen offenbar nur wenig Aufschlüsse über konkrete parteipolitische Präferenzen oder deren Wandel. Berufs- und Privatleben scheinen für Pemsel einen deutlich höheren Stellenwert besessen zu haben als die Politik, was allerdings nicht näher thematisiert wird. Eher überraschend wirkt daher die dezidierte Einschätzung als „Pazifist“ (S. 250), die sich aus der liberalen Grundhaltung und dem präsentierten Material kaum ableiten zu lassen scheint. Mehr Sorgfalt hätte auf das Register verwendet werden können. So fehlt etwa die häufig erwähnte zweite Ehefrau Theodor von Cramcr-Kletts; bei dem Münchner „Veit, Dekan“ handelte cs sich um keinen geringeren als den späteren Kirchenpräsidenten der Evang.-Luth. Landeskirche Friedrich Veit, und bei dem Nürnberger Arzt „Dr. Merkel“ - den man unter M suchen würde - wohl um den für Nürnberg nicht ganz unbe­ deutenden Gottlieb von Merkel. Auch im Text stören zuweilen Unstimmigkeiten - so, wenn die Einwohnerzahl Nürnbergs um 1900 einmal mit 95.000 (S. 63) und einmal korrekt - mit 261.000 (S. 209) angegeben wird. Insgesamt ermöglichen die Darstellung

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und ihre unter vielfältigen Aspekten ausgeschöpfte Quellenbasis detaillierte Einblicke in bürgerliches Leben im Kaiserreich. Spree ist mit psychologischen Deutungen - zu Recht - zurückhaltend. Die Brüche unter der materiell saturierten bürgerlichen Fassade werden gleichwohl deutlich sichtbar. Georg Seiderer

Franco Ruault: „Neuschöpfer des deutschen Volkes“. Julius Streicher im Kampf gegen „Rassenschande“ (Beiträge zur Dissidenz 18). Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 2006. 565 S. mit Abb. € 86,Im Zusammenhang mit den Nürnberger Rassengesetzen wurde Adolf Hitler von Julius Streicher als „Neuschöpfer des deutschen Volkes“ bezeichnet. Die Zukunfts­ fähigkeit der „arischen Rasse“ propagierten die Nationalsozialisten jedoch nicht nur im Rahmen einer Heilslehre, sondern kommunizierten sie auch im Sinne eines biolo­ gistischen Weltbildes, dessen pseudowissenschaftliches begriffliches Inventar Franco Ruault dem Leser im Rahmen seiner voluminösen Dissertation immer wieder vor Augen führt, wenn es um die Analyse sowie die Bewertung von Begrifflichkeiten wie „Ausscheidung“, „Entartung“, „Volkskörper“ oder „Ungeziefer“ geht. Schließlich prägten die Aspekte Sexualisierung beziehungsweise Pornographie insbesondere die visuelle Darstellung des Kampfes gegen „Rassenschande“: Die zahlreichen, als histo­ rische Bildquellen überaus ergiebigen antisemitischen Darstellungen, die Ruault für seine Studie auswählte, illustrieren hierbei auf eindrucksvolle Weise insbesondere die Machart des Blattes „Der Stürmer“. Auch anhand der exemplarischen Behandlung ein­ zelner antisemitischer Hetzkampagnen (gegen Louis Schloss und Otto Mayer) macht der Autor deutlich, auf welch obszöne, vulgäre und aggressive Weise ein von Julius Streicher herausgegebenes Massenmedium zur Popularisierung und Inszenierung von „Rassenschande“ beitragen konnte. Die Genese beziehungsweise die Konstruktion der Begrifflichkeit „Rassenschande“ zeigt Franco Ruault zu Beginn auf. Wichtige Erkenntnisse liefert ihm zunächst vor allem die Untersuchung diverser rassistischer Konzepte, die im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte vor 1914 zu verorten sind. Mit einem Blick auf das Jahr 1918 skiz­ ziert Ruault dann eine entscheidende historische Konstellation, vor deren Hintergrund sich wesentliche Grundzüge der nationalsozialistischen Konzeption von „Rassen­ schande“ abzeichnen: Den Versailler Vertrag, den Verlust der Kolonien und die Erosion der patriarchalischen Gesellschaft erfuhren - so der Autor - insbesondere männerbündische Organisationen als „Schande an Mutter Deutschland“, als traumatische „Kastra­ tion“. Insbesondere für Männer wie Julius Streicher wurden daher die Dominanz über die deutsche Frau sowie der bedingungslose Kampf gegen den jüdischen Mann zu den entscheidenden Momenten hinsichtlich der Erhaltung von „Rassenreinheit“. Empfohlen sei Ruaults umfangreiche Publikation vor allem den Personen, die sich Geschichte erforschend oder Geschichte vermittelnd - in entsprechenden Nürnberger Institutionen betätigen. Der Autor entwickelt die zentralen Thesen stringent und setzt außerdem durch die Auswahl des Bildmaterials beziehungsweise die exemplarische

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Behandlung von Schwerpunktthemen didaktisch wertvolle Impulse. Auch die Ab­ schnitte zum Wesen und Wirken Julius Streichers ergeben in ihrer Gesamtheit ein eindrucksvolles Porträt des „Frankenführers“, dem sich bis dato noch kein deutsch­ sprachiger Autor im Rahmen einer ausführlichen Biografie gewidmet hat. Sperrig wirken dagegen ein unvermittelter sozialgeschichtlicher Exkurs zu Herr­ schaftsverhältnissen im England des 17. Jahrhunderts oder ein längeres Kapitel, in dem sich Ruault auf theoretische Entwürfe zum Geschlechterverhältnis und zu entsprechen­ den Gesellschaftsordnungen bezieht. lngmar Reither

Gerhart Herold / Carsten Nicolaisen (Hg.): Hans Meiser. (1881-1956). Ein luthe­ rischer Bischof im Wandel der politischen Systeme. München: Claudius-Verl. 2006. 253 S. mit Abb. € 9,80 Der 125. Geburts- und 50. Todestag von Hans Meiser im Jahr 2006 gab der Evang.Luth. Kirche in Bayern zweifachen Anlass ihres ersten Landesbischofs zu gedenken. Am Ende gab das Gedenken dann dem Stadtrat von Nürnberg (fast einstimmig) und von München (mit rot-grüner Mehrheit) Anlass, die jeweils nach dem Tod Meisers vorgenommenen Straßenbenennungen rückgängig zu machen. Wie kam es dazu? Die Causa „Bischof Hans Meiser und die bayerische Landeskirche im Nationalsozialismus“ war zum 40. Todestag vom Münchner Regionalbischof Bogdahn und dem Leserforum des Sonntagsblattes in einem Studientag aufgerufen worden, bei dem der renommierte Kirchenhistoriker Nicolaisen (Universität München) den schlüssigen Nachweis vorlegte: Meisers Beitrag „Die evangelische Gemeinde und die Judenfrage“ im Nürnberger Gemeindeblatt 1926 ist „eine Polemik, die das völkisch­ nationalsozialistische Dogma vom Kampf der Rassen und der vermeintlich rassischen Minderwertigkeit des Judentums weitgehend übernahm“. Nachdem Nicolaisens Vor­ trag mit breiten Zitaten der Artikelserie und passenderweise als Sonntagsblatt-Taschen­ buch (Johanna Haberer (Hrsg.): Er liebte seine Kirche. München: Claudius Verlag 1996) erschienen war, gingen München und Nürnberg davon aus, dass die Landeskirche sich des prononcierten Antisemitismus ihres ersten Bischofs bewusst geworden und in das Bedenken dessen eingetreten war. Das Erstaunen, ja Erschrecken war deshalb groß, als sich 2006 herausstellte, dass die Landeskirche das „Meisergedenkjahr“ ohne weiteres mit Gedenkbuch, -ausstellung und -gottesdienst begehen wollte, bei denen „jetzt Meisers Wirken über den gesamten Zeitraum seiner Wirksamkeit befragt und von den Themen her breit angelegt wird: u.a. mit Beiträgen über Meiser und die Judenfrage, innerkirchliche Gegner, sein Verhältnis zur Erlanger Theologischen Fakultät, seine Rolle bei den lutherischen Einigungs­ bemühungen bis hin zur Gründung der VELKD, sein Wirken im Rat der EKD und sein Verhältnis zur katholischen Kirche“ - so Landesbischof Friedrich im Vorwort des hier zu besprechenden Werkes, das trotz eines halben Dementis im Vorwort von den Auto­ ren selbst als Gedenkbuch bezeichnet und nur als solches den Abdruck der mit Meisers Wirken nicht in Verbindung stehenden Artikel von Ministerpräsident Beckstein und

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MVGN 95 (2008) Buchbesprechungen dem früheren Präsidenten der Bundeswehrhochsehule Lößl rechtfertigt. Der Band erfüllt das Programm des Vorworts durchaus - indes ist die Frage, ob kritische Befas­ sung mit dem Antisemiten Meiser in einem einzigen Beitrag „u.a.“ ausreicht, „Hans Meiser würdig zu gedenken“, angesichts des unermesslichen Leides, das der deutsche Antisemitismus im 20. Jahrhundert dem Volke Israel beschert hat, zweifellos zu ver­ neinen. Die segmentale Gedenkmethode führt dazu, dass N. A. Schulze auf der ersten Seite des Bandes in ihrem Beitrag zu Meiser in Kaiserreich und Weimarer Republik nicht mehr einfällt als ein gewisser „Geruch des Antisemitismus“ und H. Oelke ganz am Schluss („Wir erinnern uns: Hans Meiser“) von der Münchner „Erregungskultur“ wegen „angeblicher antisemitischer Entgleisungen“ Meisers spricht. Andererseits steht der Beitrag über „Hans Meiser und die Judenfrage“ des Kölner Theologen S. Hermle an Klarheit den Ergebnissen Nicolaisens nicht nach. In einer entscheidenden Sache geht er sogar weit darüber hinaus. Was Meiser 1926 noch deutlich von den Nazis schied dass für Christen Verhöhnung oder Beschimpfung der Juden nicht in Frage käme, viel­ mehr sich die christliche Nächstenliebe auch auf die jüdischen Bürger erstrecke: Meiser vergaß das alles 1933, 1935, 1938 und 1941 („das Gift des rassistischen Antisemitismus hatte die christliche Nächstenliebe zerfressen“) und sah sich sogar 1943 noch zu einem üblen antisemitischen Brief an den Reichsfinanzminister veranlasst - seine „offenkun­ dige antijüdische Haltung machte ein mutiges Engagement Meisers selbst dann un­ möglich, als der Massenmord an den Juden längst im Gange war“. Hermle soll freilich an der Stelle, wo er Meiser in Übereinstimmung mit der über­ wiegenden Mehrzahl der Protestanten Deutschlands sieht, unter Hinweis auf die For­ schungen von A. Töllner (vgl. die Rezension MVGN 94 [2007], S. 393) und persönliche Erfahrungen widersprochen werden: Jedenfalls im lutherischen Süddeutschland war der Übersprung vom hergebrachten Antijudaismus zum rassistischen Antisemitismus (von Treitschke bürgerlich und von Stoecker kirchlich salonfähig gemacht) das Werk einer kleinen kirchlichen Elite, die sich leider auf Franken konzentrierte und von Meiser, Althaus und Künneth angeführt wurde. Bezeichnend vielleicht auch die Wir­ kungsgeschichte: Der durch und durch rassenantisemitischen Predigt zum 10. Trini­ tatissonntag 1933, die der (mitnichten deutschchristliche) Dorfpfarrer Schlegel von Schwimbach hielt, steht die Predigt des württembergischen Dorfpfarrers von Jan zum Bußtag 1938 gegenüber, der mannhaft für die Opfer der „Reichskristallnacht“ eintrat. Es dürfte schwer zu bestreiten sein, dass die genannten Franken bekenntniswidrig eine gefährliche Irrlehre verbreiteten - was sie nach 1945 zwar einstelltcn, aber nie Zurück­ nahmen. Gerade deshalb und weil die fünfziger Jahre noch nicht zur offenen Auseinan­ dersetzung mit der schuldhaften Verstrickung in der Lage waren, muss dies heute nachgcholt werden. Als Anstoß dafür ist die Rücknahme der Straßenbenennung wohl tauglicher als der Gedenkband. Hartmut Frommer

Michael Kerstan: Souris Arche. Kurt Leo Sourisseaux und die Nürnberger Operette ab 1950. Leipzig: Henschcl 2008. 174 S. mit zahlr. Abb. € 14,90 Der Name des kleinen Motorbootes ist Chiffre für Ruhe- und Inspirationsinsel in den ereignis-, erlebnis- und erfolgreichen Bühnen- und Lebensstationen des in Nürn-

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Personen und Familien

berg legendär gewordenen Künstlers, dessen bezaubernde Persönlichkeit der Verfasser 2004 als Pressesprecher am Opernhaus aus nächster Nähe miterleben konnte und daher geradezu berufen ist, sie anschaulich zu beschreiben und zu beschwören: Nach dem Debüt in Würzburg führte der Weg Sourisseaux über Bamberg 1950 nach Nürn­ berg, wo er „Vom Buffo zum Bonvivant“ (S. 27-68) wird und ihm der ,,Künstlerische[r] Durchbruch - Regisseur“ (S. 69-85) gelingt - verdientermaßen, wenn seine verschie­ densten Talent- und Bewährungsproben vorüberziehen, passend illustriert, kompetent kommentiert und ausführlich erschlossen (umfangreiche Register im „Anhang“, S. 147— 173). Aus der Überfülle der Namen, Daten und Titel, die auch auf die im Dritten Reich protegierten und die verfemten Komponisten und deren entsprechende Berücksichti­ gung nach 1950 ausgewogen eingeht, ersteht eine umfassende Gesamtschau über die Blütezeit der Operette, die in Nürnberg eine - wenn nicht ihre - Hochburg hatte, zumal die bis 1971 bestehende Theaterehe mit Fürth ein eigenes Operettenensemble ermög­ lichte! Doch wozu die dafür stehenden Namen nach dem Alphabet hier aufzählen von A wie Anni Coty, mit ihrem Partner Karl Mikorey das Traumpaar, oder Willi Auer­ bach, der „Experte der leichten Muse“ (S. 40), über Edgar Schmidt-Bredow usw. über P wie den legendären „Pschi“ und seine Intendanten-Ära bis hin zu Z wie Der Zigeu­ nerbaron in der Regie von S., „der ersten Johann-Strauß-Produktion, die je auf spani­ schem Boden stattgefunden hat“ (S. 101) - und noch dazu im berühmten Gran Teatro del Liceu in Barcelona (25.1.1969)! Man lese, erinnere sich dankbar der Namen und der gelungenen und genossenen Aufführungen und schwelge darin! Aber mit diesem Z ist die Operette in Nürnberg noch nicht am Ende, selbst als für sie ab 1993 „schwere Zeiten“ anbrechen (S. 105f.); denn der von einer entschlossenen Stadtratsmehrheit und entsprechend ausgerichteten Kulturpolitik installierte GMD Eberhard Kloke musste auch als radikaler Traditionszertrümmerer während seiner Amtszeit bis 1998 immerhin noch fünf Operetten zulassen - darunter auch Der Zigeunerbaron, allerdings in anderer Inszenierung. Und als der GMD sich dann dazu verstieg, Herrn S. als „Mumie“ (S. 106) zu deklarieren, hatte es damit nicht sein Bewenden, sondern der so Bedachte spann, wie berichtet wird, das Diktum weiter und replizierte souverän-süffisant mit der Überset­ zung dieser Diffamierung ins Englische (mummy), die er, deutsch ausgesprochen, wie­ dergegeben habe: Der GMD habe ihn zu seiner „Mamrni“ gemacht! Auch der nach­ folgende intellektuelle Generalintendant Dr. Wulf Konoid (1996-2008) verkündete „als Honorarprofessor ... den Tod der Operette ex cathedra“ (S. 106), stellte nun diese Behauptung in seinem Erfolgs-Rückblick (Interview NZ 5.7.2008, S. 8) als „Missver­ ständnis“ hin, das er dahingehend berichtigte, „dass die Operette als kreative Gattung tot ist“; geradezu als Beweis gegen ihr in Abrede gestelltes und damit verkanntes Wesen liest sich da S. 107 über die völlig vermurkste „Premiere des Vogelhändlers zur Milleniumsfeier am Silvesterabend 1999“ mit der Bemerkung, dass der Auftritt des „72jährige(n) Souri als Prodekan“ Süffle „das Publikum für einen Moment versöhnt“ habe. Aber nicht nur von dieser (totgesagten?) kreativ-komödiantischen Seite zeigt sich S., auf dessen Ehrungen und andere Aktivitäten auf S. 86-105 u. 131 eingegangen wird; von einer ganz anderen Seite lernt man ihn im Originalton als „Der Rhetor“ (S. 109-130) kennen, so in seinen Gedenk- und Traueransprachen, u.a. für Karl Pschigode und Anni Coty, denen nun die vom 14.3.2008 für Carmen Pschigode noch hinzuzufügen ist.

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MVGN 95 (2008) Buchbesprechungen Diesen tief empfundenen Worten schließen sich die beherzigenswerten Gedanken in „Souris Vermächtnis“ (S. 132-138) an, in denen sich S.s Zitate mit den Darlegungen des Verf. verschränken und überleiten zum „Nachwort: Ist die Operette tot?“ (S. 139-143). Doch das letzte Wort behält - und da darf der Rezensent in die Diktion verfallen, in der die Nürnberger Zunge in jahrzehntelangem Sprachgebrauch den für sie schwierigen Namen liebevoll verkürzt hat - „unser Surri“ auf der Rückseite des Buchdeckels; dieser lapidare Satz enthüllt das Geheimnis seiner Leistung, das Schwerste bravourös zu meistern, nämlich das Leichte leicht und gefällig zu vermitteln, und dadurch die Zustimmung und Verehrung seines Publikums zu gewinnen: „Der Schlüssel zum Erfolg ist die Liebe zum Werk“. Ernst-Friedrich Schultheiß

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NEUE ARBEITEN ZUR NÜRNBERGER GESCHICHTE Zusammengestellt von Walter Gebhardt 10 Jahre Partnerschaft Region Nürnberg - Shenzhen/VR China: Dokumen­ tation / Norbert Schürgers ... - Nürnberg: Stadt Nürnberg, Amt für Inter­ nationale Beziehungen, 2008. - [ca. 120] S. 50 Jahre Wiederaufbau St. Sebald: Eine Ausstellung der Kirchengemeinde Nürnberg-St. Sebald unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly. [Begleitheft zur Ausstellung vom 8.9. bis 28.11.2007] / [Text und Bildrecherche Gerd Weber]. - Nürnberg: Bauhütte St. Sebald Nürnberg e.V., 2007. - 36 S. Adam, Wolfgang: Das kurze Leben des Nürnberger Dichters Wilhelm Kunze. Biographische Darstellung in Bildern, Dokumenten und Selbstzeugnissen. Mit Anhang und unveröffentlichten Texten. - 1. Aufl. - Oldenburg: IgelVerl., 2007. — 128 S. - (Reihe Literatur- und Medienwissenschaft 106). Adler, Helmut: 16. Juli 1645. Großfeuer im Nürnberger Lederer-Viertel. [Nürnberg 2007]. - 9 Bl. Adler, Helmut: Die „gemeynen Frawen“, das „älteste Gewerbe der Welt“, hal­ fen in der alten Reichsstadt Nürnberg beim Löschen. Eine stadthistorische Betrachtung. - [Nürnberg] 2007. - 6 Bl. Arenbergerova, Helena: Tabor Valka u Norimberku = Valka camp by Nuernberg. - Magisterarbeit Univ. Praha, 2006. - 145 Bl. - [Enth. engl. Zsfassung] Aschka, Fritz: Mein Nürnberg. - 1. Aufl. - Nürnberg: Verl. Nürnberger Presse, 2007.- 147 S. Baier, Helmut: Nürnbergs Kirchen von der Reichsstadtherrlichkeit unter die Krone Bayerns, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 76 (2007), S. 142-159. Bauernfeind, Martina: Gustav Adam Schwanhäusser (1840-1908), in: Frän­ kische Lebensbilder 21 (2006), S. 279-294. Beck, Hartmut: Vom Airfield zum Gewerbepark. Ein Fallbeispiel für inter­ kommunale Konversion, in: Natur und Mensch 2006, S. 9-19. Beinßen, Jan: Der Burgberg als Schweizer Käse. Warum sich die Nürnberger seit Jahrhunderten durch ihre Altstadt graben, in: Franken 2008, H. 1, S. 56-59. Bendlage, Andrea: „Umb friedens willen“. Obrigkeit und Exekutive in der Reichsstadt Nürnberg im 16. Jahrhundert, in: Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wiesbaden 2007, S. 57-75. Blickkontakt: 26 Augen auf Nürnberg / Bernd Michael Bauer ... Fotoklasse Dollhopf. Idee und Konzept: Gerd Dollhopf. - Nürnberg: Tümmel, 2007. 159 S. 467

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Bramkamp, Anja / Udo Meinel: Keine Idee für diesen Raum. In Nürnberg beherrscht Vandalismus die Stadtentwicklung. Gleichgültigkeit, gepaart mit Ideenlosigkeit und Gewinnstreben machte es möglich, dass der Milchhof von Otto Ernst Schweizer zum Abriss freigegeben wurde ..., in: Bauwelt 99 (2008), 13, S. 8-11. Breuer, Tilmann: Walter Haas (1928-2005). Nachruf, in: Jahrbuch der baye­ rischen Denkmalpflege 58/59. 2004/05 (2007), S. 233-240. Brons, Bernhard: Drei Pfarrer an Heilig Geist: Julius Schiller, Friedrich Rittei­ meyer, Georg Merkel. Dem Andenken meiner Mutter Barbara Trambauer und den „Tanten“ von der Hinteren Insel Schütt 40, in: St. Lorenz + Heilig Geist = St. Lorenz N.F. 56, Nürnberg 2007, S. 67-92. Brunner, Gerhard: Die Flächenwaldentwicklung des Nürnberger Reichswal­ des von 1830 bis 2000, in: Mitteilungen der Fränkischen Geographischen Gesellschaft 53/54. 2006/07 (2007), S. 123-151. Buchholzer-Remy, Laurence: Une ville en ses reseaux. Nuremberg ä la fin du Moyen Age. - Paris: Belin, 2006. - 383 S. - (Histoire et societe / Europes centrales). Burghard, Anngret: Die Medizinische Fakultät an der Hohen Schule zu Alt­ dorf und ihre Professoren. - Altdorf: Stadt Altdorf, 2007. - 32 S. - (Schrif­ tenreihe des Stadtarchivs Altdorf). Burschenschaft Bavaria : Festschrift zum 100. Stiftungsfest der Burschenschaft Bavaria 1907-2007 an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule Nürnberg / Text und Gestaltung: Otto Matzner. - Nürnberg 2007. 190 S. Chemie aus Leidenschaft: 75 Jahre AKEMI, in: Naturstein 2008, 4, S. 84-85. Costa, Joaquim da: Maria in den Straßen meiner Stadt. - Nürnberg: Portug. Mission, 2007. - 72 S. [Marienskulpturen in Nürnberg] Dickel, Hans: Die Akademie der bildenden Künste Nürnberg nach 1945 und die Didaktik ihrer Architektur (Sep Ruf), in: Zwischen deutscher Kunst und internationaler Modernität, Weimar 2007, S. 169-180. Diefenbacher, Michael: Kosten- und Leistungsrechnung am Beispiel des Stadt­ archivs Nürnberg, in: Internationale Archivsymposien in Brauweiler (D) (2005), Trier (D) (2006) und Hasselt (B) (2007). Annalen, Brussel 2008, S. 125-134. Dross, Fritz / Marion Maria Ruisinger: Zur Geschichte der Homöopathie in Franken, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 25 (2006), S. 181-227. Dyballa, Katrin: Der Engel am Schlüsselfelderschen Stiftungshaus, in: Nürn­ berger Altstadtberichte 32 (2007), S. 43-54. Eberhardt Bäte, Heidi: Portrait and pageantry. New idioms in the interaction between city and empire in sixteenth-century Nuremberg, in: Politics and 468

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Reformations: Essays in honor of Thomas A. Brady, Jr., [2] Communities, polities, nations, and empires, Leiden [u.a.] 2007, S. 121-141. Evaluierung schadstoffvermindernder Schutzmaßnahmen an den spätmittel­ alterlichen und frühneuzeitlichen national wertvollen Glasfenstern der Sebalduskirche in Nürnberg (Bayern) / [Referenten und Projektbeteiligte: Falko Bornschein ...]. - Stuttgart: Fraunhofer-IRB-Verl., 2006. - 146 S. (Bauforschung / Denkmalpflege D 1005). Fischer, Manfred F.: „... vor die neue Wirklichkeit der Stadt mahnend ihr altes Bild ...“. Das „unvergängliche Nürnberg“ in einem Bildband vor 60 Jahren, in: Kulturgut - aus der Forschung des Germanischen Nationalmuseums, H. 14 (2007), S. 13-16. [Eugen Kusch: Unvergängliches Nürnberg] Fränkische Impressionen: Das grafische Werk Konrad Volkerts 1906-1999. Ausstellung im Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg vom 9. Mai bis 13. Juli 2008. - Nürnberg 2008. - 7 Bl. Frank, Walter L.: Luftwaffenhelfer zwischen Schule, Luftkrieg und HJ. Schüler der Aufbauschule Schwabach als Luftwaffenhelfer in der Schweren Flak-Batterie 5./634 in Nürnberg-Schniegling Februar 1943 bis August 1944. Ein Bericht über junge Menschen, Zeitumstände und Politik. - 1. Aufl. - Berlin: Pro Business, 2006. - 152 S. Franzke, Jürgen: Das Nürnberger Bratwurstbuch. - Nürnberg: Tümmel, 2007. -116S. Freiraum: Flanns Fierpich. Ein Kunstprojekt in der St. Egidienkirche, Nürn­ berg [dokumentiert die Installation, 30. Juni bis 16. September 2006] / hrsg. von Walter Zahner. - 1. Aufl. - Nürnberg: Verl, für Moderne Kunst, 2007. 71 S. - (Katalog / DG, Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst 117). Fügl, Martin: Von der historischen Ereignisdichtung zur Volksballade? Die Dichtung „Eppele von Gailingen“ im Spiegel Nürnberger Fehdegeschichte, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 67 (2007), S. 49-71. Fuhrmann, Bernd: „Der Rat aber war zu rat mer ewigs gelts zu verkauffen“. Das kommunale Kreditwesen Nürnbergs im 15. Jahrhundert, in: Städtische Finanzwirtschaft am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, Frank­ furt am Main [u.a.] 2007, S. 139-167. Gaab, Hans / Uwe Lemmer: Astronomie auf der Kaiserburg Nürnberg. Zur Geschichte der ersten Volkssternwarte. Georg Christoph Eimmart / Ekke­ hard Wagner (Hrsg.). - Lauf a. d. Pegnitz: Europaforum-Verl., 2007. - 28 S. Gaab, Hans: Zum 300. Todestag von Maria Clara Eimmart (1676-1707), in: Regiomontanusbote 20 (2007), H. 4, S. 7-19. Galerie Bernsteinzimmer : Die erste Dekade. - Nürnberg 2008. 64 S. + 1 CD-ROM.

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Gemeinschaftshaus : 20 Jahre Partnerschaft Gemein­ schaftshaus Langwasser Nürnberg & Nowohuckie Centrum Kultury Kra­ kau = 20-lecie partnerstwa Gemeinschaftshaus Langwasser w Norymberdze & Nowohuckiego Centrum Kultury w Krakowie. Jubiläumsschrift / [Auto­ ren: Horst Kollan ; Liane Zettl]. - Nürnberg [u.a.]: Stadt Nürnberg/Amt für Kultur und Freizeit [u.a.], 2007. - 24, 24 S. Georg Stolz 80 Jahre. - Nürnberg: Verein zur Erhaltung der St. Lorenzkirche in Nürnberg e.V., 2008. - 83 S. - (St. Lorenz N.F. 58). Glauben in der Stadt Nürnberg von damals bis heute: Unterm Sternenmantel 1000 Jahre Bistum Bamberg 1007-2007 / Autoren: Horst-Dieter Beyerstedt ... Hrsg.: Theo Kellerer. - Nürnberg: Müller, 2007. - 56 S. Gobiirsch, Maria: Tanja und der 40-Tonner. Eine Nürnberger Bio-Gärtnerin ist Bayerns Bäuerin des Jahres, in: Franken 2007, H. 11, S. 64-66. Gobiirsch, Maria: Vom Teppich auf den grünen Rasen. Er gilt als einer der letzten Patriarchen in der deutschen Fußballszene ... Dabei ist der Franke Michael A. Roth einer der erfolgreichsten Unternehmer der Region, in: Franken 2007, H. 11, S. 28-30. Goeken-Haidl, Ulrike: 140 Jahre SPD Nürnberg 1866-2006. Geschichte der SPD in Nürnberg / hrsg. von der Nürnberg SPD anlässlich ihres 140. Grün­ dungstages am 24. Mai 2006. - Nürnberg 2006. - 105 S. Gotthard, Axel: „Reuter und Beuter“. Der Dreißigjährige Krieg in Fürth, um Nürnberg und in Mittelfranken, in: Fürther Geschichtsblätter 57 (2007), H. 2, S. 37-62. Greif, Thomas: Julius Streicher (1885-1946), in: Fränkische Lebensbilder 21 (2006), S. 327-348. Gresbeck, Friedrich: Vom Werden und Wachsen der M.A.N., in: Mitteilungen / Altnürnberger Landschaft 56 (2007), H. 1, S. 1-7. Hamm, Margot / Hartfrid Neunzert: Die Familie Cramer-Klett, in: Adel in Bayern, Augsburg 2008, S. 314-321. Hensel, Andrea: Kraftshof und Neunhof. - Zulassungsarbeit Univ. ErlangenNürnberg, 2008. - 108 Bl. + 1 CD-ROM. Himmel, Amelie: Eitel Klein. Eine Biographie, erstellt auf Grundlage des künstlerischen Nachlasses in Händen des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg und des Kunstmuseums Erlangen. - Nürnberg 2006. - 90 S. Hofmann-Druck : Hofmann-Druck 100 Jahre 1908-2008. Zwi­ schen Tradition und Fortschritt. - Nürnberg: Hofmann Infocom, 2008. 32 S. Irrerstraße 1 - Ein Bad für Nürnberg / [B. Reinecke ...]. - Nürnberg: Altstadt­ freunde Nürnberg e.V., 2007. - [6] S. [Faltbl.]

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J. A. Huck : 150jähriges Jubiläum J. A. Huck in Nürnberg. Ein Unternehmen, eine Familie, ein Ziel. - Nürnberg 2008. - [4] Doppelbl. in Mappe. Jäggi, Carola: Architektur im Spannungsfeld zwischen Stiftern, Orden, Stadt und Bischof. Überlegungen zu den Bauformen der Klarissen- und Domini­ kanerinnenkirchen in Nürnberg und Umgebung, in: Nonnen, Kanonissen und Mystikerinnen, Göttingen 2008, S. 223-238, S. [23]—[30] nach S. 436. Jakob, Reinhard: Martin Behaim (1459-1507). Ein Nürnberger in Portugal im Kontext der Entdeckungsgeschichte, in: Regiomontanusbote 20 (2007), H. 3, S. 25-34. Jörg, Christian: Trauerfeierlichkeiten für Kaiser Sigismund und König Albrecht II. Gedanken zu den Leistungen städtischer Führungsgremien und Gemeinschaften für den verstorbenen Herrscher während des Spätmittel­ alters, in: Campana pulsante convocati: Festschrift anläßlich der Emeritie­ rung von Prof. Dr. Alfred Haverkamp, Trier 2005, S. 257-289. Junginger, Mathias: „Wir sind auch da!“. Zur Konstruktion alevitischer Identität in der Diaspora am Beispiel Nürnbergs, in: Mitteilungen der Frän­ kischen Geographischen Gesellschaft 53/54. 2006/07 (2007), S. 71-103. Kelley, Winston / Gouvernor Kelley: Henry Wadsworth Longfellows Wochen­ ende in Nürnberg, in: Nürnberger Altstadtberichte 32 (2007), S. 89-94. Killinger, Wolfgang: Eine Osiander-Genealogie. Die frühen Osiander, in: Blät­ ter für fränkische Familienkunde 30 (2007), S. 81-116. Klinikum : 75 Jahre Klinik für Kinder und Jugendliche / [Koord. und Red.: Bernd Siegler ...]. - Nürnberg 2006. - 82 S. Knackmuß, Susanne: „KlausurUnterDruck“. Die observanten Frauenklösterein Opfer der „Kommunikationswende“ im frühen 16. Jahrhundert, in: Kommunikation im Spätmittelalter, Zürich 2005, S. 41-52. Knefelkamp, Ulrich: Die Neuen Welten bei Martin Behaim und Martin Wald­ seemüller, in: Novos mundos = Neue Welten, Dresden 2007, S. 73-87. Kölbel, Richard: Roland Graf von Fabcr-Castell (1905-1978), in: Fränkische Lebensbilder 21 (2006), S. 349-372. Komprath, Roberta Francisca: Kommunikation in letzter Stunde. Die Korres­ pondenz der Klöster St. Klara, Engelthal und Pillenreuth in der Reforma­ tionszeit. - Magisterarbeit Univ. Erlangen-Nürnberg, 2007. - 82 Bl. Krakau und Nürnberg in der europäischen Zivilisation: Materialien der inter­ nationalen Tagung im Internationalen Kulturzentrum Krakau, 6.-7. Dezem­ ber 2004 / Wiss. Red.: Jacek Purchla. - Krakau: International Cultural Centre Cracow, 2006. - 295 S. Kriecherl, Saftsäcke und Apfelschmarrn: Obst- und Gartenbau in Katzwang und Umgebung 1908-2008 / Hrsg, des Sammelwerkes: Winfried Helfrich. Red.: Sabine Dehnert ... - Nürnberg 2007. - 399 S.

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Kubach-Reutter, Ursula: Das Nürnberger Projekt zur Provenienzrecherche am Beispiel der Städtischen Kunstsammlungen, in: Kulturgutverluste, Pro­ venienzforschung, Restitution, München [u.a.] 2007, S. 119-124. Kuhnert, Joachim: Die Paumgartner von Holnstein und Auhof. Eine Familien­ geschichte im Spannungsfeld der Gegenreformation, in: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 123 (2007), S. 229-262. Kuhn, Christian: Totengedenken und Stiftungsmemoria. Familiäres Vermächt­ nis und Gedächtnisbildung der Nürnberger Tücher (1450-1550), in: Haus­ und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, Köln [u.a.] 2007, S. 121-134. Kulenkampff, Sabine: Fitzgerald Kusz. Fränkische Sprache als Musik des Febens, in: Franken 2007, H. 11, S. 42-44. Lala Aufsberg - Fotos von den NS-Reichsparteitagen 1937/38: Eine Ausstel­ lung des Stadtarchivs Nürnberg im Doku-Zentrum Reichsparteitagsgelände 24.11.2007 - 31.01.2008 / Verantw.: Helmut Beer. - Nürnberg 2007. - [6] S. [Faltbl.] Lane, Frank Peter: „Not for time but for eternity“. Family, friendship and fidclity in the poor clare monastery of Reformation Nürnberg, in: Vita Evangelica: Essays in honor of Margaret Carney, O.S.F. = Franciscan Studies 64 (2006), S. 255-279. Langbein, Melanie: Vom Holzhaus zur Badestube. Vorbericht über die Gra­ bung in der Irrerstraße 1 in Nürnberg, in: Beiträge zur Archäologie in Mit­ telfranken 8 (2008), S. 251-272. Laubinger, Andres: Die Kartause Marienzelle und das Nürnberger Patriziat. Zugleich ein Beitrag zu dem „Nürnberger Kartäuser“ Erhärt Groß, in: Kloster und Wirtschaftswelt im Mittelalter, Paderborn [u.a.] 2007, S. 125— 169. Lauterbach, Inge: Zum Gedenken an Hans Distier 1933-2006, in: Nürnberger Altstadtberichte 32 (2007), S. 95-96. Lemmel, Hans-Dietrich: Die Nürnberger Femmel in der Oberpfalz, in: Be­ richt zum Familientag der Femmel/Fämmel/Fämmlein in Rummelsberg bei Neumarkt/Oberpfalz 3.-5. Oktober 2003, Stuttgart [u.a.] 2007. S. 27-96. Liedei, Herbert / Hannelore Liedei: Auf den Spuren von Albrecht Dürer nach Italien = Sülle orme di Albrecht Dürer in Italia. Eine fotografische Ent­ deckungsreise / [Text: Jutta Tschoeke ...]. - Veitshöchheim: Hahn, 2006. 144 S. Liedei, Herbert / Klaus Schamberger: Das Nürnberger Fußball-Volksfest. Die Weltmeisterschaft 2006 zwischen Altstadt und Stadion. - Nürnberg: Tümmel, 2006.- 144 S.

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Lions-Club : Festschrift 40 Jahre Lions-Club NürnbergNoris. - Nürnberg 2007. - 51 S. Lübbeke, Wolfram: Entschandelung. Über einen ästhetisch-städtebaulichen Begriff der „Denkmalpflege“ im Nationalsozialismus, in: Die Denkmal­ pflege 65 (2007), S. 146-156. Lübbeke, Wolfram: Nürnberg als „altdeutsches“ Stadtdenkmal, in: ZeitSchichten, München [u.a.] 2005, S. 132-137. Machilek, Franz: Humanismus in Bamberg, Nürnberg und Kulmbach um 1500, in: 1000 Jahre Bistum Bamberg 1007-2007. Unterm Sternenmantel, Katalog, Petersberg 2007, S. 198-213. Maxtormauer - Modellvorhaben zur Konservierung stark salzbelasteter Partien der umweltgeschädigten mittelalterlichen Stadtmauer in Nürnberg: [Schlussbericht]. - Stuttgart: Fraunhofer-IRB-Verl., 2006. - 39 Bl. - (Baufor­ schung / Denkmalpflege D 1003). Meier, Adolf: Rektor Dr. Wilhelm Vogt, in: Meier, Adolf: Lebensbilder be­ deutender Wassertrüdinger, Weißenburg 2008, S. 84-148. Meier, Eva: Wo man Menschen mit langen Ohren und Riesenhänden begegnen konnte. Vor 500 Jahren starb der Nürnberger Martin Behaim, der als Erster die Erde auf einem Globus darstellte, in: Unser Bayern 56 (2007), 7, S. 3-5. Mende, Matthias: Zum Hochgrab des Konrad Groß (um 1340) im Nürnberger Heilig-Geist-Spital, in: Nürnberger Altstadtberichte 32 (2007), S. 55-70. Metzger, Pascal: „Arisierung“ eines „arischen“ Unternehmens? Der Abstieg der Nürnberger Maschinenfabrik Joh. Wilh. Spaeth in der NS-Zeit, in: Jahr­ buch für fränkische Landesforschung 67 (2007), S. 255-283. Meyer, Carla / Frank Grüner: Verse mit Sprengkraft? Lyrik als historisches Zeugnis über den Krieg im Nürnberg des 15. und im Wilna des 20. Jahrhun­ derts, in: Krieg - Vergleichende Perspektiven aus Kunst, Musik und Ge­ schichte, Heidelberg 2007, S. 85-113. Meyer, Carla: Wie und warum wird städtische Identität zum Thema? Nürn­ berg im Städtelob um 1500, in: Identität und Krise?, Münster 2007, S. 119136. Minning, Martina: Der Nürnberger Schreiner und Schraubenmacher Leon­ hard Danner in Diensten Kurfürst Augusts von Sachsen, in: Dresdener Kunstblätter 52 (2008), 1, S. 4-13. Müller, Gerhard: Landesbischof D. Hans Meiser- ein „antisemitischer Natio­ nalprotestant“?, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 76 (2007), S. 270-292. Obst- und Gartenbauverein : 75 Jahre Obst- und Gartenbauverein Altenfurt, Fischbach, Moorenbrunn 1932— 2007 / Verantw.: Irmgard Meyer. - Nürnberg 2007. - 95 S. 473

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Neue Arbeiten

Ollinger, Klaus: Kohle und Stahl. Leben und Werk der Industriemalerin Ria Picco-Rückert. - 1. Aufl. - Püttlingen: Ollinger, 2007. - 157, 108 S. Ostermayer, Vera / Thomas Bachmann: Der Engelsgruß von Veit Stoß in St. Lorenz, Nürnberg. - Nürnberg: Mabase-Verl., 2007. - 39 S. Pätzold, Kurt: Im Rückspiegel: Nürnberg. Der Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher 1945/46. - Köln: PapyRossa-Verl., 2006. - 254 S. (Neue kleine Bibliothek 117). Piechullek, Dieter: Nürnberg - Marktplatz der Geschichte. - Nürnberg: Seubert, 2007. - 68 S. Pohle, Jürgen: Martin Behaim (Martinho da Boemia). Factos, lendas e controversias. - la ed. - Coimbra: Centro Interuniversitärio de Estudos Germam'sticos, 2007. - 94 S. - (Cadernos do CIEG 26). Pollmann, Harald: Vom Weiterleben Alt-Nürnbergs im Historismus, in: Nürnberger Altstadtberichte 32 (2007), S. 71-88. Preiner, Michaela: Auf der Suche nach dem Extrem Werner Knaupp. „Ich habe nie Kunst für,Schöner Wohnen“ gemacht!“, in: Franken 2007, H. 11, S. 48-51. Raithel, Sabine: Ochsentrails. Wildwest in Franken, in: Franken 2007, H. 11, S. 38-41. Reiser, Marion: Zwischen Ehrenamt und Berufspolitik. Professionalisierung der Kommunalpolitik in deutschen Großstädten. - 1. Aufl. - Wiesbaden: VS, Verl, für Sozialwiss., 2006. - 284 S. - (Stadtforschung aktuell 107). Rößner, Volker: Der Prunkkachelofen der Firma Hausleiter im Rathaussaal von Bad Königshofen, in: Heimat-Jahrbuch des Landkreises Rhön-Grab­ feld 29 (2007), S. 392-411. Roller, Stefan: Pilsen oder Nürnberg? Zur Herkunft der Pilsener Kreuzigungs­ gruppe, in: Künstlerische Wechselwirkungen in Mitteleuropa, Ostfildern 2006, S. 203-221. Rosenberg, Leibi: Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (früher „Stür­ mer-Bibliothek“) in: Kulturgutvcrluste, Provenienzforschung, Restitution, München [u.a.] 2007, S. 167-171. Rosenberg, Leibi: Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (früher „Stür­ mer-Bibliothek“) in der Stadtbibliothek Nürnberg, in: Die Suche nach NSRaubgut in Bibliotheken, Marburg 2006, S. 51-60. Rosner, Maximilian: Die frühen Ansichtskarten der Kunstanstalt Franz Schemm. Ein Werkbuch zur Geschichte der Hersteller und Verlage von Ansichtspostkarten. - Nürnberg: Rosner, 2007. - 68 S. - (Materialien zur Geschichte des Sammelns von Ansichtspostkarten 4). Rusam, Hermann: Die acht Herrensitze des ehemals nürnbergischen Dorfes Erlenstegen, in: Mitteilungen / Bürgerverein Nürnberg-Jobst-Erlenstegen 2008, H. 1,S. 30-38. 474

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Neue Arbeiten

Scott, Tom: The city-state in the German-speaking lands, in: Politics and Reformations: Essays in honor of Thomas A. Brady, Jr., [2] Communities, polities, nations, and empires, Leiden [u.a.] 2007, S. 3-65. Seeghitz, Dieter: Quäkerspeisung, Dr. Rupprecht und große Not. - Zirndorf: Seeghitz, 2007. -21, [3] Bl. [Erinnerungen zum Treffen der 1. Klasse Reu­ tersbrunnenschule 1948/49] Seibold, Gerhard: Die Cammermeister genannt Camerarii. Beamte, Kaufleute, Wissenschaftler, Politiker, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 67 (2007), S. 107-160. Seiderer, Georg: Dokumentation zur Geschichte der Chemischen Unter­ suchungsanstalt der Stadt. - Schwabach [u.a.] 2006. - 60, 4 Bl. Seiderer, Georg: Der Luftkrieg im öffentlichen Gedenken. Wandlungen der Erinnerungskultur in Nürnberg und Würzburg nach 1945, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 67 (2007), S. 333-355. Seraphim, Hans-Christian / Johanna Seraphim: Das Heilig-Geist-Spital. Die jetzige Heilig-Geist-Kapelle samt ihrer Ausstattung und das geistliche Leben im Spital früher und heute, in: St. Lorenz + Heilig Geist = St. Lorenz N.F. 56, Nürnberg 2007, S. 93-103. Simultandolmetschen in Erstbewährung: Der Nürnberger Prozess 1945 / Hartwig Kalverkämper/Larisa Schippel (Hg.). Mit einer orientierenden Einführung von Klaus Kästner und einer kommentierten fotogr. Doku­ mentation von Theodoros Radisoglou sowie mit einer dolmetschwissen­ schaftlichen Analyse von Katrin Rumprecht. - Berlin: Lrank & Timme, 2008.- 336 S. Sippel, Sebastian: Ausländer in Nürnberg. Integration oder Ghettobildung?. Facharbeit Martin-Behaim-Gymnasium Nürnberg, 2007. - 26, 26 Bl. Die Situation Obdachloser in Nürnberg: Gibt es den Wünschen und Bedürf­ nissen entsprechend genügend soziale Angebote für Obdachlose in Nürn­ berg? Wie werden die vorhandenen Angebote von Obdachlosen einge­ schätzt? / Roth Sibylle ... - Nürnberg: Georg-Simon-Ohm-Hochschule, 2007.- 112 Bl. Sonnenberger, Franz: Von den Mühen der Ebene. Nürnberger Museumsalltag im Zeichen kommunaler Sparpolitik, in: Museum heute 32 (2007), S. 34-38. Sportvereinigung St. Johannis 07 : Festschrift 100 Jahre Sportver­ einigung Johannis 07 Nürnberg 1907-2007 / Red.: Ralf Stadelmann ... Nürnberg 2007. - [76] S. Spree, Reinhard / Irmgard Robertson (Mitarb.): Eine bürgerliche Karriere im deutschen Kaiserreich. Der Aufstieg des Advokaten Dr. jur. Hermann Ritter von Pemsel in Wirtschaftselite und Adel Bayerns. - Aachen: Shaker, 2007. VII, 439 S. - (Berichte aus der Geschichtswissenschaft). 476

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Sprotte, Jochen: Von 1303/1305 bis zum Jahr 2005. 700 Jahre Nürnberger Bier, 700 Jahre Nürnberger Brautradition, 333 Jahre Tucher-Bräu, Nürnberg, in: Jahrbuch / Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens 2005, S. 87-131. St. Lorenz im Laurentiusjahr 2008. - Nürnberg: Verein zur Erhaltung der St. Lorenzkirche in Nürnberg e.V., 2008. - 26 S. - (St. Lorenz N.L.60) Stets das richtige Maß: Vom Bratwurstmaß zur Umweltanalytik. Geschichte und Tätigkeiten der Umwehanalytik Nürnberg / [Autoren: Werner Balzer ...]. - Nürnberg: Stadtentwässerung und Umwehanalytik Nürnberg, 2007. 82 S. Stolz, Georg: Geschlüsselt und genormt bis in den Tod. Totenkopfstöcklein, Grabmale und Totenschilde, in: Mitteilungen / Altnürnberger Landschaft 56 (2007), H. 1, S. 47-54. Stolz, Georg: Veni Sancte Spiritus - Komm Heiliger Geist. Spitalkapelle, Schatzkammer, Pfarrkirche, Haus zum Heiligen Geist, in: St. Lorenz + Heilig Geist = St. Lorenz N.F. 56, Nürnberg 2007, S. 3-66. Stromer, Wolfgang von: Handel und Kulturaustausch zwischen Oberdeutsch­ land und dem östlichen Mitteleuropa im 15. Jahrhundert, in: Wanderungen und Kulturaustausch im östlichen Mitteleuropa, München 2006, S. 93-101. Trautwein, Renate: Die Anfänge der Frauenbildung in Nürnberg am Beispiel der Nürnberger Frauenarbeitsschulen und des Vereins „Frauenwohl“. Masterarbeit Ev. Fachhochschule Nürnberg, 2007. - 117 Bl. Vasold, Manfred: Die Not der frühen 1770er Jahre und der Niedergang des Ancien regime, dargestellt am Beispiel der Reichsstadt Nürnberg, in: Jahr­ buch für fränkische Landesforschung 67 (2007), S. 207-240. Vasold, Manfred: Die Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit in Nürnberg im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 70 (2007), S. 503-540. Verein für Münzkunde : 125 Jahre Verein für Münzkunde Nürn­ berg 1882-2007. Festschrift / Winfried Martin Stein. - Nürnberg 2007. 260 S. „ Verfolgt, vertrieben, ermordet“: Das Schicksal der Jüdinnen an einer Nürn­ berger Oberschule 1933-1945 / hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Schulge­ schichte des Städtischen Sigena-Gymnasiums Nürnberg unter der Leitung von Wolf M. Hergert. - Nürnberg: Sandberg-Vcrl., 2007. - 111 S. Vorbereitende Untersuchungen für das Gebiet St. Leonhard, Schweinau / Red.: Hans-Joachim Schlößl ... - Nürnberg: Wirtschaftsreferat/Amt für Wohnen und Stadterneuerung, 2008. - 68 S. Walter Scheidemandel: Bilder und Gemälde in verschiedenen Techniken. [Aus­ stellung in der Burg Parsberg 26. Mai - 17. Juni 2007] / Hrsg.: Theo Franz. - 1. Aufl. - Parsberg 2007. - 96 S. 477

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Neue Arbeiten

'Wandel der Gesellschaft - Wandel im Sport: 1. Nürnberger Sportdialoge. Dokumentation der Tagung vom 21. Juli 2007 / Verantw.: Jürgen Thiele­ mann. - 1. Aufl. - Nürnberg: SportService der Stadt Nürnberg, 2007. - 68 S. Weiss, Christian / Ralf Czarnietzki: Die Naturwerksteine der St.-SebaldKirche in Nürnberg, in: Natur und Mensch 2006, S. 61-68. Westphal, Sina: Der Haushalt des Nürnberger Stadtadeligen Anton Tücher im Jahr 1508, in: Scripta mercaturac 41 (2007), H. 1, S. 39-67. Widmann, Andre Maria: Alchemie in Franken. - Magisterarbeit Univ. Erlan­ gen-Nürnberg, 2007. - 136 Bl. Wiegel, Hildegard: Der Nürnberger Gelehrte Christoph Gottlieb von Murr (1733-1811) und seine Korrespondenz mit Jeremias Jakob Oberlin, in: Gelehrtennetzwerke in Straßburg am Ende des 18. Jahrhunderts, Leipzig 2007, S. 171-188. Windsheimer, Bernd: Baugenossenschaft des Eisenbahnpersonals Nürnberg und Umgebung. 100 Jahre Baugenossenschaft des Eisenbahnpersonals Nürnberg und Umgebung eG 1907-2007. - Nürnberg: Sandberg-Verl., 2007.- 154 S. Wir sind Brückenmenschen: Wie sich Christen und Muslime begegnen. Bio­ grafische Notizen [berichten Menschen, die verbunden sind mit dem Begeg­ nungszentrum Brücke-Köprü ... Nürnberg] / hrsg. von Hans-Martin Gloel. - Neuendettelsau: Erlanger Verl, für Mission und Ökumene, 2007. - 156 S. Wirth, Rüdiger: Ein wiederentdecktes sächsisches Bronzegeschütz des Nürn­ berger Stückgießers Endres Pegnitzer d.A., in: Mitteilungen des Freiberger Altertumsvereins 100 (2007), S. 111-122. Wittenberg, Reinhard / Claudia Wenzig (Mitarb.) / Florian Janik (Mitarb.): Lebensqualität, Kommunalpolitik und Kommunalwahlen in Nürnberg. Ausgewählte Ergebnisse aus Lehrforschungsprojekten der Jahre 2002 und 2006. - Regensburg: Roderer, 2007. -276 S. - (Soziologie 137) (Theorie und Forschung 859). Wohnungsunternehmen : Seit 1908 in Nürnberg daheim, bei uns zu Hause. [100 Jahre Wohnungsunternehmen Nürnberg-Ost]. - Nürn­ berg 2008. - 34 S. Woldt, Isabella: Krakau - Nürnberg. Wirtschaftliche Partnerschaft und Kunst­ transfer in der Frühen Neuzeit. Fallbeispiel: Das Callimachus-Epitaph von Veit Stoß und der Peter-Vischer-Werkstatt, in: Frankens Städte und Terri­ torien als Kulturdrehscheibe, Ansbach 2008, S. 56-86. Zeiß-Horbach, Auguste: Fürsprache für die Juden. Der Nürnberger Haupt­ prediger Christian Geyer und der Verein zur Abwehr des Antisemitismus, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 76 (2007), S. 215-232.

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Zeitler, John P.: Irrerstraße 1. Fotografische Impressionen einer archäologi­ schen Grabung, in: Nürnberger Altstadtberichte 32 (2007), S. 31-42. Zitzeisberger, Ralph: Zwischen Finanzkrise und Stildiskurs. Der Bau des alten Stadttheaters Nürnberg (1831-33). - Magisterarbeit Univ. Erlangen-Nürn­ berg, 2007. - 96, [52] Bl. Zugang: Friedhof & Kunst. Westfriedhof Nürnberg 15.09.-30.11.2007 / Red.: Günther Gebhardt. - Nürnberg: Stadt Nürnberg/Bestattungsanstalt, 2007. [ca. 40] S.

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JAHRESBERICHT ÜBER DAS 130. VEREINSJAHR 2007 Zusammengestellt von Wiltrud Fischer-Pache I. Bericht des Vorsitzenden Im Berichtsjahr fanden in den Monaten Januar bis Mai und Oktober bis Dezember mit Ausnahme der Ferienzeit jeweils am ersten Dienstag im Monat - im Fabersaal in der Nürnberger Akademie acht Vorträge statt. Anlässlich des 500. Todestags von Martin Behaim (29. Juli 2007) veranstaltete der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg gemeinsam mit dem Stadtarchiv Nürnberg am 21. Juli 2007 (vorverlegyt wegen der Sommerferien) im Bildungszentrum der Stadt Nürnberg ein wissenschaftliches Symposium zum Thema „Behaims Welt. Nürnberg im Zeitalter der Entdeckungen“. Die Veranstaltung war ein Teil des städtischen Themen­ schwerpunkts „Behaims Welt 1459-1507“. Referenten und Vortragsthemen sind im Teil II des Jahresberichts aufgelistet. An weiteren Veranstaltungen wurden drei Führungen bzw. Rundgänge und eine Tagesexkursion organisiert (im einzelnen siehe Teil II des Jahresberichts). Im Anschluss an den Februar-Vortrag wurde am 6. Februar 2007 in Anwesenheit von 32 Mitgliedern die Jahreshauptversammlung abgehalten. Neben den Routinesitzungen des engeren Vorstands und mehreren Redaktions­ sitzungen der Schriftleitung fanden im Berichtsjahr wie üblich im Juni und im Dezember die beiden regulären Vorstandssitzungen statt. Durch Tod verlor der Verein im Berichtsjahr fünf Mitglieder (2006: 12): Dr. Hans Bauer, Büchenbach Dr. Ernst Eichhorn, Nürnberg Dr. Gertrud Hering, Nürnberg Evi Scharrer, Nürnberg Arthur Sperck, Zirndorf Wir werden den Verstorbenen ein ehrenvolles Gedenken bewahren. Sieben Mitglieder (2006: 15) sind, teils aus Altersgründen, teils wegen Wegzugs, aus unserem Verein ausgetreten. Elf Mitglieder (2006: 22) durften wir neu begrüßen: Matthias Klaus Braun, Nürnberg Dr. Sabine Brenner-Wilczeck, Fürth

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Martin Knauer, Tübingen Annemarie Olaru, Nürnberg Heinrich Preiß, Wendelstein Irene Ramorobi, Nürnberg Michael Renner, Nürnberg Daniela Semann, Feucht Dr. Martina Switalski, Eckental Karsten Volland, Nürnberg Sina Westphal, Kiel Am 31.12.2007 zählte unser Verein 770 Mitglieder (31.12.2006: 771 Mitglieder). Termingerecht vor Weihnachten wurde Bd. 94 der MVGN mit einem Umfang von 430 Seiten ausgeliefert. In Vorbereitung ist die Drucklegung von Band 31 der Nürn­ berger Forschungen (Peter Fleischmann: Rat und Patriziat in Nürnberg). Die 3-bändige Habilschrift unseres Vereinsmitglieds Dr. Peter Fleischmann, Augsburg, wird im Herbst 2008 erscheinen. Die aktuellen Beiträge der MVGN (derzeit Band 91/2004, 92/2005 und 93/2006) können zum Preis von 8,- € pro Beitrag aus dem Internet heruntergeladen werden fwww.histotext.del. Diesen Service bietet unser Verleger, die Verlagsdruckcrci Schmidt in Ncustadt/Aisch, der natürlich in erster Linie für Nichtmitglieder interessant ist. Ältere Beiträge (mit Ausnahme jeweils der letzten fünf Jahrgänge) können, wie bereits im Jahresbericht über das 127. Vereinsjahr 2004 berichtet, kostenlos unter der Adresse www.bayerische-landesbibliothek-online.de eingesehen und ausgedruckt werden. Eine Volltext-Recherche ist hier allerdings noch nicht möglich. Zum Schluss des Jahres haben wir wiederum vielfachen Dank auszusprechen: allen Mitgliedern und Gönnern unseres Vereins, die unsere wissenschaftliche Arbeit durch ihre Mitgliedsbeiträge bzw. durch großzügige Spenden unterstützen, der Stadt Nürn­ berg, der Friedrich Freiherr von Haller’schen Forschungsstiftung, der Sparkasse Nürn­ berg und dem Bezirk Mittelfranken für die gewährten Druckkostenzuschüsse, ferner den Medien für die Ankündigung unserer Veranstaltungen und die Berichterstattung in der Presse. Unser ausdrücklicher Dank für die langjährige bewährte Zusammenarbeit gilt schließlich auch wieder der Verlagsdruckerei Schmidt in Neustadt/Aisch, die trotz großem Termindruck die pünktliche Auslieferung des vorliegenden Jahrbuchs möglich gemacht hat. Willy Prölß Michael Diefenhacher

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II. Übersicht über die Veranstaltungen Vorträge im Rahmen des Vortragsprogramms 9. Januar

Dr. Dominik Radimaier, Nürnberg: Eine Bibliothek als Spiegelbild des reichsstädtschen Mikrokosmos. Geschichte und Manuskripte der Welserschen Norica-Sammlung in der Paul Wolfgang Merkelschen Familienstiftung

6. Februar

Dr. Christine Sauer, Nürnberg: „daz ain frowen bild so wol kann arbaiten“ - Schreiberinnen und Buchmalerinnen aus dem Katharinenkloster zu Nürnberg

6. März

Dr. Martina Bauernfeind, Nürnberg: Die Anfänge der CSU in Nürnberg im Spiegel der Nachkriegszeit

17. April

Michael Kaiser, Nürnberg: Nürnberger Soldatenschicksale in Krieg und Gefangenschaft 19391955 - eine Zusammenfassung des Zeitzeugenprojekts des Garnisonsmuseum Nürnberg

21. Mai

Dr. Claus Pese, Nürnberg: Jugendstil aus Nürnberg. Handwerk zwischen Kunst und Industrie­ kultur (Sonderveranstaltung anlässlich des 60. Geburtstages unseres Mitgliedes Dr. Claus Pese im Aufseßsaal des Germanischen National­ museums)

2. Oktober

Carla Meyer, Heidelberg: lllustre Künder des Ruhms: Nürnberg um 1500 im Städtelob

6. November

Steven M. Zahlaus, Nürnberg Rosine Speicher - Motor der bürgerlichen Frauenbewegung in Nürnberg

4. Dezember

Dr. Walter Bauernfeind, Nürnberg: Georg Pencz als Kartograph der Reichsstadt Nürnberg

20. Juli

Symposium zum Thema „Behaims Welt 1459-1507. Nürnberg im Zeitalter der Entdeckungen“ anlässlich des 500. Todestags von Martin Behaim (gemeinsame Veranstaltung des Stadtarchivs Nürnberg, des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg und des Bildungszentrums der Stadt Nürnberg) Dr. Reinhard Jakob, München: Wer war Martin B.? Leben und Mythos Behaims“ Dr. Horst-Dieter Beyerstedt, Nürnberg: Reisen im Zeitalter der Ent­ deckungen: unterwegs von Nürnberg nach anderswo Dr. Ursula Timann, Nürnberg: Die Globenmacher - Von Nürnberger Glockengießern, Rechenmeistern und Illuministen

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Hans Gaab, Nürnberg: Ein Liebhaber der Sterne: Bernhard Walther Nürnberger Kaufmann und Astronom Prof. Dr. Günther Görz, Erlangen: Altes Wissen und neue Technik Die digitale Erschließung des Behaim-Globus Sonstige Veranstaltungen:

14. Juli

Dr. Martina Bauernfeind, Nürnberg, und Dr. Martina Switalski, Eckental: Tagexkursion „Die ehemalige Reichsstadt Weißenburg und ihre Umgebung“ Der Ausflug nach Weißenburg schloss die von Herrn Kölbel begon­ nene Exkursionsreihe „Die kleinen fränkischen Reichsstädte“ ab. Neben der ausführlichen Besichtigung Weißenburgs standen darüber hinaus thematische Abstecher in das Ellinger Schloss, zur „Fossa Caro­ lina“ und auf die Wülzburg auf dem Programm. 21. Juli Irene Ramorobi M.A., Nürnberg: Führung durch die Rangierbahnhof-Siedlung 22. September Dr. Martina Switalski, Eckental: Rundgang durch die Nürnberger Gartenstadt 28. September Dr. Hartmut Frommer, Nürnberg: Führung durch das neue „Henkerhaus“-Museum

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ABKÜRZUNGEN Abb. ADB AGNM AO KZ BayHStA BldLG B1FF BSB fl fol. GFF GNM Hg./Hrsg. Hs. HZ JbMFr JfL kr LKAN MANL MJb MVGN Ndr. NF NKL NN NUB NW NZ o.J. o.O. PfarrA

Abbildung Allgemeine Deutsche Biographie Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Archiv für Geschichte von Oberfranken Abendzeitung Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München Blätter für deutsche Landesgeschichte Blätter für Fränkische Familienkunde Bayerische Staatsbibliothek, München Gulden (florenus) Folio (Blatt) Gesellschaft für Familienforschung in Franken Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Herausgeber Handschrift Historische Zeitschrift Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken Jahrbuch für fränkische Landesforschung Kreuzer Landeskirchliches Archiv Nürnberg Mitteilungen der Altnürnberger Landschaft Mainfränkisches Jahrbuch Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Nachdruck Nürnberger Forschungen Nürnberger Künstlerlexikon Nürnberger Nachrichten Nürnberger Urkundenbuch Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte Nürnberger Zeitung ohne Jahr ohne Ort Pfarrarchiv

RV StadtA StadtAN

recto Reichsstadt Nürnberg Ratsverlässe Stadtarchiv Stadtarchiv Nürnberg

StAN StBN UB

Staatsarchiv Nürnberg Stadtbibliothek Nürnberg Universitätsbibliothek

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VHVO VSWG WA ZBLG ZRG

Verhandlungen des Historischen Vereins für die Oberpfalz Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Weiserarchiv Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte

486 Bayerische Staatsbibliothek

München