Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [86]

Table of contents :
Michael Diefenbacher: Dr. Gerhard Hirschmann f (10. November
1918-19. Juli 1999) ........................................... .. XIII
Bertold von Haller: Prof. Dr. Wolf gang Frhr. Stromer von
Reichenbach f (28. April 1922-8. September 1999) ............ XIX
Miloslav Polivka: Wirtschaftliche Beziehungen Nürnbergs mit
den „böhmischen Ketzern“ in den Jahren 1419 bis 1434.
Haben die Nürnberger mit den Hussiten Handel betrieben? 1
Siegfried Frhr. von Scheurl: Näher am Original. Zur Verfassung
der Reichsstadt Nürnberg 1516.............................................. 21
Corine Schleif: Das pos weyb Agnes Frey Dürer: Geschichte
ihrer Verleumdung und Versuche der Ehrenrettung ............ 47
Francesco Guidi Brus coli: Der Handel mit Seidenstoffen und
Leinengeweben zwischen Florenz und Nürnberg in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts.................................................... 81
Detlev PI eis s: Die Friedensquartiere der Schweden und Finnen
um Nürnberg 1648/49 ............................................................. 115
Herbert H i e k e: Geschichte der Nürnberger Ringbahn............... 173
Sibylle Kuß maul/Alexander Schmidt: Riemenschneider und das
flache Dach - Zum 100. Geburtstag des Nürnberger Kunsthistorikers
Dr. Justus Bier ....................................................... 191
Miszellen:
Werner Schultheiß: Ein neues Grübelportrait .......................... 201
Erhard Schraudolph: Die Zinneießerei Johann Lehmann und
Sohn ....................................................................................... 205
Clemens Wächter: Neue Literatur zur Geschichte der Juden in
Nürnberg, Fürth und der Fränkischen Schweiz.................... 211
V
Buchbesprechungen (siehe nächste Seite) ....................................... 219
Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte.................................... 271
Jahresbericht über das 121. Vereinsjahr 1998 ................................. 279
Abkürzungen .................................................................................... 285
VI
BUCHBESPRECHUNGEN
Peter Fleischmann: Nürnberg mit Fürth und Erlangen. Von der Reichsstadt zur
fränkischen Metropole, Köln 1997. (Ruth Bach-Damaskinos).................................. 219
Gerhard Grüner: Nürnberg in Jahreszahlen, Nürnberg 1999. (Udo Winkel) ................ 220
Armin Wolf: Die Entstehung des Kurfürstenkollegs 1198-1298. Zur 700-jährigen Wiederkehr
der ersten Vereinigung der sieben Kurfürsten, Idstein 1998. (Hansjörg
Frommer)....................................................................................................................... 221
Horst Pohl: Einflüsse auf die Vornamenwahl in Leipzig und Nürnberg vom 13. bis zum
18. Jahrhundert, Neustadt a. d. Aisch 1998. (Robert Schuh)...................................... 222
Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg. Bd. IV: Die lateinischen mittelalterlichen
Handschriften. Varia. 13.-15. und 16.-18. Jahrhundert. Bearb. von Ingeborg
Neske, Wiesbaden 1997. (Irene Stahl) ........................................................................ 225
Nadja Bennewitz: Weibliche Lebensformen im Mittelalter. Beginen und Seelfrauen in
der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1997. (Claudia Thohen)................................ 227
Nadja Bennewitz/Ulrike Bergmann/Bärbel Hartmann: Nürnbergs liederliche
Weyber. Auf den Spuren von auffälligen und straffälligen Frauen in Mittelalter und
Früher Neuzeit, Nürnberg 1997. (Claudia Thohen).................................................. 227
Die >Offenbarungen< der Katharina Tücher. Hrsg. v. Ulla Williams und Werner Williams-
Krapp, Tübingen 1998. (Alfred Wendehorst).............................................................. 228
Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440-1493). Nach Archiven und Bibliotheken geordnet,
hrsg. von Heinrich Koller und Paul Joachim Heinig. CD-ROM-Ausgabe, erarb.
von Dieter Rübsamen, Köln/Weimar 1998. (Reinhard Seyhoth).............................. 229
Paul-Joachim Heinig: Kaiser Friedrich III. Hof, Regierung und Politik, Köln/
Weimar/Wien 1997. (Reinhard Seyhoth) .................................................................... 229
Willibald Pirckheimer: Der Schweizerkrieg - De bello Suitense sive Eluetico. In lateinsicher
und deutscher Sprache. Neu übersetzt und kommentiert von Fritz Wille,
Baden (Schweiz) 1998. (Bernd Schneidmüller)............................................................ 233
Hans Recknagel: Die Nürnbergische Universität Altdorf und ihre großen Gelehrten,
Altdorf 1998. (Wolfgang Mährle) ................................................................................ 234
Das Pflegamt Hersbruck. Eine Karte des Paul Pfinzing mit Grenzbeschreibung von 1596.
Faksimile und Kommentar. Bearb. von Peter Fleischmann zusammen mit Walter
Heinz und Christof Heistermann, Nürnberg 1996. (Horst-Dieter Beyerstedt) .... 236
Von teutscher Not zu höfischer Pracht - 1648-1701 (Ausstellungskatalog des Germanischen
Nationalmuseums), Köln 1998. (Ulrike Swohoda).......................................... 236
Heidrun Ludwig: Nürnberger Naturgeschichtliche Malerei im 17. und 18. Jahrhundert,
Marburg a. d. Lahn 1998. (Eduard Isphording).......................................................... 238
Herbert Linder: Von der NSDAP zur SPD. Der politische Lebensweg des Dr. Helmuth
Klotz (1894-1943), Konstanz 1998. (Udo Winkel)...................................................... 241
Gerhard Jochem/Ulrike Kettner (Bearb.): Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der
Schoa, Nürnberg 1998. (Uwe Schaper)........................................................................ 242
Ansgar Di 11er/Wolf gang Mühl-Benninghaus (Hrsg.): Berichterstattung über den
Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46. Edition und Dokumentation
ausgewählter Rundfunkquellen, Potsdam 1998. (Hartmut Frommer) .. 243
Der Kreis. Eine Künstlergruppe in Nürnberg 1947-1997 (Ausstellungskatalog der Kunsthalle
Nürnberg), Nürnberg 1997. (Angela Lohrey).................................................... 244
Karlheinz Hemmeter: Bayerische Baudenkmäler im Zweiten Weltkrieg. Verluste -
Schäden - Wiederaufbau, München 1995. (Georg Stolz)............................................ 246
VII
Herbert Bäuerlein/Hartmut Beck: Bild und Erinnerung - Nürnberg in Farbbildern
1936 bis 1943, Nürnberg 1999 (Helmut Beer)......................................................... 247
Helmut Beer: Nürnberger Erinnerungen 10. Rund um die Altstadt - Nürnbergs
Vorstädte, Nürnberg 1998. (Hartmut Beck)............................................................. 248
Helmut Beer (Hrsg.) Nürnberger Bilder. Fotografien von Lala Aufsberg 1927-1961,
Nürnberg 1998. (Hartmut Beck).............................................................................. 249
Wasser marsch! Die Geschichte der Nürnberger Feuerwehr (Ausstellungskatalog des
Centrum Industriekultur), Nürnberg 1996. (Horst-Dieter Beyerstedt) ................. 250
Karlheinz Oechsler/Bernd Franta: Die MAN-Hochhurg. Nürnberger Feuerwehr
heute - Fahrzeuge und Modelle, Nürnberg 1997. (Horst-Dieter Beyerstedt).......... 250
Jenseits des Weißen Turms. Geschichte und Geschichten aus dem Jakober Viertel, Nürnberg
1997. (Georg Stolz)............................................................................................ 251
Martina Mittenhuber/Alexander Schmidt/Bernd Windsheimer: Arbeiterwohnungen,
Villen und Herrensitze. Der Nürnberger Nordosten, Nürnberg 1998. (Georg
Stolz) ................................................................................................................... 252
Das Pirckheimer-Gymnasium - ein Teil Gibitzenhofs, Gibitzenhof - ein Teil Nürnbergs,
Nürnberg 1999. (Helmut Beer)................................................................................ 253
Von Dörfern zu Stadtteilen. Zur Geschichte der Dörfer St. Leonhard, Sündersbühl und
Schweinau und ihrer sozialdemokratischen Bewegung. Hrsg, von der SPD
Leonhard-Schweinau anläßlich ihres 125jährigen Bestehens, Nürnberg 1998.
(Horst-Dieter Beyerstedt).......................................................................................... 254
Geschichte(n) aus Großgründlach. 1972-1997. 25 Jahre Vorstadtverein „Alt-Gründlach“,
hrsg. vom Vorstadtverein „Alt-Gründlach“, Erlangen/München 1997. (Horst-
Dieter Beyerstedt) ..................................................................................................... 255
Gerd Walther/Hartmut Beck: Bild und Erinnerung - Fürther Luftaufnahmen von 1916
bis 1945, Nürnberg 1998 (Helmut Beer)................................................................... 256
Heinz Burghart: Bayern! Deine Franken. Seit 2000 Jahren ein Staat. Vorbild für ein
föderatives Europa, Nürnberg 1998. (Rudolf Endres).............................................. 256
Enno Bünz/Dieter Rödel/Peter Rücke rt/Ekhard Schöffler: Fränkische Urbare.
Verzeichnis der mittelalterlichen urbariellen Quellen im Bereich des Hochstifts
Würzburg, Neustadt a.d. Aisch 1998. (Thomas Horling)........................................ 258
Andreas Ranft: Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spätmittelalterlichen
Reich, Sigmaringen 1994. (Klaus Rupprecht)................................. 259
Claudia Maue: Die Bildwerke des 17. und 18. Jahrhunders im Germanischen Nationalmuseum.
Teil 1: Franken. Bestandskatalog, Mainz 1997. (Peter Fleischmann)........ 262
Georg Seide rer: Formen der Aufklärung in fränkischen Städten. Ansbach, Bamberg
und Nürnberg im Vergleich, München 1997. (Uwe Müller).................................... 264
Kalchreuth 700 Jahre 1298-1998. Ein fränkisches Dorf im Wandel der Zeiten. Hrsg, von
der Gemeinde Kalchreuth, Rödental 1998. (Horst-Dieter Beyerstedt)................... 266
Enno Bünz/Klaus Walter Littger (Hrsg.): Klerus, Kirche und Frömmigkeit im
spätmittelalterlichen Bistum Eichstätt. Ausgewählte Aufsätze von Franz Xaver
Büchner, St. Ottilien 1997. (Stefan Miedaner)......................................................... 267
Historischer Städteatlas der Tschechischen Republik. Bd. 1: Leitmeritz (Litomerice), Bd.
2: Pardubitz (Pardubice), Bd. 3: Budweis (Ceske Budejovice), Bd. 4: Tetschen
(Decin), Bd. 5: Königgrätz (Hradec Krälove), Bd. 6: Schlan (Slany). Hrsg. v. Historischen
Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, Prag 1995-1998.
(Peter Fleischmann)................................................................................................... 269

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

86. Band 1999

Nürnberg 1999 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftleitung: Dr. Michael Diefenbacher, Dr. Wiltrud Fischer-Pache, Dr. Peter Fleischmann Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich. Für unaufgefordert eingereichte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

Zum Druck des Bandes trugen durch Zuschüsse bzw. Spenden bei: Die Stadt Nürnberg, der Bezirk Mittelfranken, die Stadtsparkasse Nürnberg. Der Verein dankt dafür bestens.

Gesamtherstellung: Verlagsdruckerei Schmidt GmbH, Neustadt/Aisch Gedruckt auf holzfreies, chlorfrei gebleichtes, säurefreies und alterungsbeständiges Papier. Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Egidienplatz 23, 90403 Nürnberg) ISSN 0083-5579

INHALT Michael Diefenbacher: Dr. Gerhard Hirschmann f (10. Novem­ ber 1918-19. Juli 1999) ........................................... ..

XIII

Bertold von Haller: Prof. Dr. Wolfgang Frhr. Stromer von Reichenbach f (28. April 1922-8. September 1999) ............

XIX

Miloslav Polivka: Wirtschaftliche Beziehungen Nürnbergs mit den „böhmischen Ketzern“ in den Jahren 1419 bis 1434. Haben die Nürnberger mit den Hussiten Handel betrieben?

1

Siegfried Frhr. von Scheurl: Näher am Original. Zur Verfassung der Reichsstadt Nürnberg 1516..............................................

21

Corine Schleif: Das pos weyb Agnes Frey Dürer: Geschichte ihrer Verleumdung und Versuche der Ehrenrettung ............

47

Francesco Guidi Brus coli: Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben zwischen Florenz und Nürnberg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts....................................................

81

Detlev PI eis s: Die Friedensquartiere der Schweden und Finnen um Nürnberg 1648/49 .............................................................

115

Herbert H i e k e: Geschichte der Nürnberger Ringbahn...............

173

Sibylle Kuß maul/Alexander Schmidt: Riemenschneider und das flache Dach - Zum 100. Geburtstag des Nürnberger Kunst­ historikers Dr. Justus Bier .......................................................

191

Miszellen: Werner Schultheiß: Ein neues Grübelportrait

..........................

201

Erhard Schraudolph: Die Zinneießerei Johann Lehmann und Sohn .......................................................................................

205

Clemens Wächter: Neue Literatur zur Geschichte der Juden in Nürnberg, Fürth und der Fränkischen Schweiz....................

211

V

Buchbesprechungen (siehe nächste Seite)

.......................................

219

Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte....................................

271

Jahresbericht über das 121. Vereinsjahr 1998

.................................

279

....................................................................................

285

Abkürzungen

VI

BUCHBESPRECHUNGEN Peter Fleischmann: Nürnberg mit Fürth und Erlangen. Von der Reichsstadt zur fränkischen Metropole, Köln 1997. (Ruth Bach-Damaskinos).................................. Gerhard Grüner: Nürnberg in Jahreszahlen, Nürnberg 1999. (Udo Winkel) ................ Armin Wolf: Die Entstehung des Kurfürstenkollegs 1198-1298. Zur 700-jährigen Wieder­ kehr der ersten Vereinigung der sieben Kurfürsten, Idstein 1998. (Hansjörg Frommer)........................................................................................................................ Horst Pohl: Einflüsse auf die Vornamenwahl in Leipzig und Nürnberg vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, Neustadt a. d. Aisch 1998. (Robert Schuh)...................................... Die Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg. Bd. IV: Die lateinischen mittelalter­ lichen Handschriften. Varia. 13.-15. und 16.-18. Jahrhundert. Bearb. von Ingeborg Neske, Wiesbaden 1997. (Irene Stahl) ........................................................................ Nadja Bennewitz: Weibliche Lebensformen im Mittelalter. Beginen und Seelfrauen in der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1997. (Claudia Thohen)................................ Nadja Bennewitz/Ulrike Bergmann/Bärbel Hartmann: Nürnbergs liederliche Weyber. Auf den Spuren von auffälligen und straffälligen Frauen in Mittelalter und Früher Neuzeit, Nürnberg 1997. (Claudia Thohen).................................................. Die >Offenbarungen< der Katharina Tücher. Hrsg. v. Ulla Williams und Werner WilliamsKrapp, Tübingen 1998. (Alfred Wendehorst).............................................................. Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440-1493). Nach Archiven und Bibliotheken geordnet, hrsg. von Heinrich Koller und Paul Joachim Heinig. CD-ROM-Ausgabe, erarb. von Dieter Rübsamen, Köln/Weimar 1998. (Reinhard Seyhoth).............................. Paul-Joachim Heinig: Kaiser Friedrich III. Hof, Regierung und Politik, Köln/ Weimar/Wien 1997. (Reinhard Seyhoth) .................................................................... Willibald Pirckheimer: Der Schweizerkrieg - De bello Suitense sive Eluetico. In latein­ sicher und deutscher Sprache. Neu übersetzt und kommentiert von Fritz Wille, Baden (Schweiz) 1998. (Bernd Schneidmüller)............................................................ Hans Recknagel: Die Nürnbergische Universität Altdorf und ihre großen Gelehrten, Altdorf 1998. (Wolfgang Mährle) ................................................................................ Das Pflegamt Hersbruck. Eine Karte des Paul Pfinzing mit Grenzbeschreibung von 1596. Faksimile und Kommentar. Bearb. von Peter Fleischmann zusammen mit Walter Heinz und Christof Heistermann, Nürnberg 1996. (Horst-Dieter Beyerstedt) .... Von teutscher Not zu höfischer Pracht - 1648-1701 (Ausstellungskatalog des Germani­ schen Nationalmuseums), Köln 1998. (Ulrike Swohoda).......................................... Heidrun Ludwig: Nürnberger Naturgeschichtliche Malerei im 17. und 18. Jahrhundert, Marburg a. d. Lahn 1998. (Eduard Isphording).......................................................... Herbert Linder: Von der NSDAP zur SPD. Der politische Lebensweg des Dr. Helmuth Klotz (1894-1943), Konstanz 1998. (Udo Winkel)...................................................... Gerhard Jochem/Ulrike Kettner (Bearb.): Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der Schoa, Nürnberg 1998. (Uwe Schaper)........................................................................ Ansgar Di 11er/Wolfgang Mühl-Benninghaus (Hrsg.): Berichterstattung über den Nürnberger Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46. Edition und Doku­ mentation ausgewählter Rundfunkquellen, Potsdam 1998. (Hartmut Frommer) .. Der Kreis. Eine Künstlergruppe in Nürnberg 1947-1997 (Ausstellungskatalog der Kunst­ halle Nürnberg), Nürnberg 1997. (Angela Lohrey).................................................... Karlheinz Hemmeter: Bayerische Baudenkmäler im Zweiten Weltkrieg. Verluste Schäden - Wiederaufbau, München 1995. (Georg Stolz)............................................

219 220

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VII

Herbert Bäuerlein/Hartmut Beck: Bild und Erinnerung - Nürnberg in Farbbildern 1936 bis 1943, Nürnberg 1999 (Helmut Beer)......................................................... Helmut Beer: Nürnberger Erinnerungen 10. Rund um die Altstadt - Nürnbergs Vorstädte, Nürnberg 1998. (Hartmut Beck)............................................................. Helmut Beer (Hrsg.) Nürnberger Bilder. Fotografien von Lala Aufsberg 1927-1961, Nürnberg 1998. (Hartmut Beck).............................................................................. Wasser marsch! Die Geschichte der Nürnberger Feuerwehr (Ausstellungskatalog des Centrum Industriekultur), Nürnberg 1996. (Horst-Dieter Beyerstedt) ................. Karlheinz Oechsler/Bernd Franta: Die MAN-Hochhurg. Nürnberger Feuerwehr heute - Fahrzeuge und Modelle, Nürnberg 1997. (Horst-Dieter Beyerstedt).......... Jenseits des Weißen Turms. Geschichte und Geschichten aus dem Jakober Viertel, Nürn­ berg 1997. (Georg Stolz)............................................................................................ Martina Mittenhuber/Alexander Schmidt/Bernd Windsheimer: Arbeiterwoh­ nungen, Villen und Herrensitze. Der Nürnberger Nordosten, Nürnberg 1998. (Ge­ org Stolz) ................................................................................................................... Das Pirckheimer-Gymnasium - ein Teil Gibitzenhofs, Gibitzenhof - ein Teil Nürnbergs, Nürnberg 1999. (Helmut Beer)................................................................................ Von Dörfern zu Stadtteilen. Zur Geschichte der Dörfer St. Leonhard, Sündersbühl und Schweinau und ihrer sozialdemokratischen Bewegung. Hrsg, von der SPD Leonhard-Schweinau anläßlich ihres 125jährigen Bestehens, Nürnberg 1998. (Horst-Dieter Beyerstedt).......................................................................................... Geschichte(n) aus Großgründlach. 1972-1997. 25 Jahre Vorstadtverein „Alt-Gründlach“, hrsg. vom Vorstadtverein „Alt-Gründlach“, Erlangen/München 1997. (HorstDieter Beyerstedt) ..................................................................................................... Gerd Walther/Hartmut Beck: Bild und Erinnerung - Fürther Luftaufnahmen von 1916 bis 1945, Nürnberg 1998 (Helmut Beer)................................................................... Heinz Burghart: Bayern! Deine Franken. Seit 2000 Jahren ein Staat. Vorbild für ein föderatives Europa, Nürnberg 1998. (Rudolf Endres).............................................. Enno Bünz/Dieter Rödel/Peter Rücke rt/Ekhard Schöffler: Fränkische Urbare. Verzeichnis der mittelalterlichen urbariellen Quellen im Bereich des Hochstifts Würzburg, Neustadt a.d. Aisch 1998. (Thomas Horling)........................................ Andreas Ranft: Adelsgesellschaften. Gruppenbildung und Genossenschaft im spät­ mittelalterlichen Reich, Sigmaringen 1994. (Klaus Rupprecht)................................. Claudia Maue: Die Bildwerke des 17. und 18. Jahrhunders im Germanischen National­ museum. Teil 1: Franken. Bestandskatalog, Mainz 1997. (Peter Fleischmann)........ Georg Seide rer: Formen der Aufklärung in fränkischen Städten. Ansbach, Bamberg und Nürnberg im Vergleich, München 1997. (Uwe Müller).................................... Kalchreuth 700 Jahre 1298-1998. Ein fränkisches Dorf im Wandel der Zeiten. Hrsg, von der Gemeinde Kalchreuth, Rödental 1998. (Horst-Dieter Beyerstedt)................... Enno Bünz/Klaus Walter Littger (Hrsg.): Klerus, Kirche und Frömmigkeit im spätmittelalterlichen Bistum Eichstätt. Ausgewählte Aufsätze von Franz Xaver Büchner, St. Ottilien 1997. (Stefan Miedaner)......................................................... Historischer Städteatlas der Tschechischen Republik. Bd. 1: Leitmeritz (Litomerice), Bd. 2: Pardubitz (Pardubice), Bd. 3: Budweis (Ceske Budejovice), Bd. 4: Tetschen (Decin), Bd. 5: Königgrätz (Hradec Krälove), Bd. 6: Schlan (Slany). Hrsg. v. Histo­ rischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften, Prag 1995-1998. (Peter Fleischmann)...................................................................................................

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VERZEICHNIS DER MITARBEITER Bach-Damaskinos, Ruth, M.A., Kunsthistorikerin, Graudenzer Straße 25, 90491 Nürnberg Beck, Hartmut, Prof. Dr., Universität Erlangen-Nürnberg, Erziehungswissenschaft­ liche Fakultät, Regensburger Str. 160, 90478 Nürnberg Beer, Helmut, Dr., Stadthistoriker, Nunnenbeckstr. 30, 90489 Nürnberg Beyerstedt, Horst-Dieter, Dr., Archivoberrat, Thumenberger Weg 38, 90491 Nürnberg Diefenbacher, Michael, Dr., Ltd. Archivdirektor, Ringstr. 17, 91560 Heilsbronn Endres, Rudolf, Prof. Dr., An den Hornwiesen 10, 91054 Erlangen Fischer-Pache, Wiltrud, Dr., Archivoberrätin, Keßlerplatz 7, 90489 Nürnberg Fleischmann, Peter, Dr., Archivoberrat, Arminiusstr. 7, 90402 Nürnberg Frommer, Hansjörg, Dr., Oberstudienrat, Burgunderplatz 2, 76185 Karlsruhe Frommer, Hartmut, Dr., Stadtrechtsdirektor, Judengasse 25, 90403 Nürnberg Gebhardt, Walter, Bibliotheksamtmann, Drausnickstr. 8, 91052 Erlangen Guidi Bru scoli, Francesco, Dr., Istituto di storia economica, Universitä degli Studi, Corso Italia 34,1-50123 Firenze Haller, Bertold Frhr. von, Stiftungsverwalter, Großgründlacher Hauptstr. 45, 90427 Nürnberg Hieke, Herbert, Realschullehrer, Graudenzer Straße 18a, 90491 Nürnberg Horling, Thomas, Hennebergstr. 48, 97453 Mainberg Isphording, Eduard, Dr., Bibliotheksrat, Koberberplatz 13, 90408 Nürnberg Kußmaul, Sibylle M.A., Historikerin, Jüdisches Museum Franken, Nürnberger Straße 3, 90762 Fürth Lohrey, Angela M.A., Kunsthistorikerin, Am Wasserschloß 8, 90552 Haimendorf Mährle, Wolfgang, Dr., Archivreferendar, Heubergstraße 25, 80188 Stuttgart Miedaner, Stefan, Dr., Archivleiter, Archiv des Bistums Augsburg, Hafnerberg 2/II, 86152 Augsburg Müller, Uwe, Dr., Archivdirektor, Walther-von-der-Vogelweide-Str. 88, 97422 Schweinfurt Pleiss, Detlev, Lohilampi, FIN-09220 Sammatti Polfvka, Miloslav, Dr., Historicky üstav Ceske adademie ved, Proseckä 76, CZ-190 00 Praha 9 Ru pp recht, Klaus, Dr., Archivrat, Titusstraße 47, 96049 Bamberg Schaper, Uwe, Dr., Archivdirektor, Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Postfach 60 04 49, 14404 Potsdam Scheurl, Siegfried Frhr. v., Dr. theol., Pfarrer, Studiendirektor i.R., Schornbaumstraße 20, 90475 Nürnberg Schleif, Corine, Prof. Dr., Univ. School of Art MA 11001, 85287 Tempe Arizona 1505, USA

IX

Schmidt, Alexander, M.A., Historiker, Geschichte für Alle e.V., Wiesentalstr. 32, 90419 Nürnberg Schneidmüller, Bernd, Prof. Dr., Universität Bamberg, Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte, 96045 Bamberg Schraudolph, Erhard, Dr., Historiker, Friedrich-Bauer-Str. 38, 91058 Erlangen Schuh, Robert, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Thoner Weg 10, 90425 Nürnberg Schultheiß, Werner, Dr., Richter, Pirckheimerstr. 38, 90408 Nürnberg Seyboth, Reinhard, Dr., Historiker, Stefan-Zweig-Weg 22, 93051 Regensburg Stahl, Irene, Dr., Herzog August Bibliothek, Postfach 1364, 38299 Wolfenbüttel Stolz, Georg, Baumeister St. Lorenz i.R., Stadtheimatpfleger, Kuckucksweg 6, 90768 Fürth Swoboda, Ulrike, M.A., Kunsthistorikerin, Vogelslohe 21, 91242 Ottensoos Thoben, Claudia M.A., Historikerin, Hochhäuser Str. 245, 26121 Oldenburg Wächter, Clemens, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg, Schuhstraße la, 91052 Erlangen Wendehorst, Alfred, Prof. Dr., Schronfeld 58, 91054 Erlangen Weissen, Kurt, Dr., Historiker, Gotthelfstr. 45, CH-4054 Basel Winkel, Udo, Dr., Sozialwissenschaftler, Kleinreuther Weg 16, 90408 Nürnberg

X

DR. GERHARD HIRSCHMANN f 10. November 1918 - 19. Juli 1999 Am 19. Juli 1999 erlöste der Tod Gerhard Hirschmann von mehrjährigem Lei­ den. Eine Reihe von Schlaganfällen hatten die letzten Jahre seines Lebens schwer beeinträchtigt. Bis dahin aber war er aktiv in der Forschung tätig ge­ blieben. Gerhard Hirschmann wurde unmittelbar vor dem Ende des Ersten Welt­ kriegs am 10. November 1918 in Nürnberg geboren. Sein protestantisches bil­ dungsbürgerliches Elternhaus - der Vater Karl Hirschmann (1878-1960) war Studienprofessor, die Mutter Helene Hirschmann, geborene Rasp (1882-1950), stammte aus einem Fabrikantenhaus und machte sich mit Erzählungen histori­ scher Stoffe mit Nürnberg-Bezug einen Namen als Schriftstellerin - haben ihn entschieden geprägt. So entdeckte Gerhard Hirschmann, weiterhin gefördert durch erlebte Erfahrungen der Großmutter und die Bibliothek des Großvaters, bereits als Schüler sein Interesse an Geschichte, die er am Nürnberger Melanchthon-Gymnasium bald zu seinem Lieblingsfach erkor. 1936 arbeitete er im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg erstmals mit archivalischen Quellen. Nach Unterbrechung seiner kaum begonnenen historischen Studien durch Mi­ litärzeit und Krieg - 1940 hörte Gerhard Hirschmann noch Vorlesungen über Geschichte und Urkundenlehre an der Universität Frankfurt/Main - schloß er 1948 das Studium der Geschichte, Philosophie, insbesondere Geschichtsphilo­ sophie, und Historischen Hilfswissenschaften an der Universität Erlangen mit einer Dissertation über die Nürnberger Patrizierfamilie Muffel ab. Bei seinem Geschichtsstudium bevorzugte er die Teildisziplinen der Kirchen-, Rechts-, Kunst- und Wirtschaftsgeschichte. Zum akademischen Lehrer wurde ihm Pro­ fessor Dr. Erich Frhr. von Guttenberg. Empfohlen vom Leiter des Landeskirchlichen Archivs, Prof. Dr. Karl Schornbaum, war Gerhard Hirschmann ab 1945 als unbezahlter Volontär am Staatsarchiv Nürnberg tätig, eine freiwillige Aufgabe, der er auch als Student nachging. Hierbei lernte es das Archivarshandwerk vom Tektieren der Archi­ valien bis zu nachmittäglichen Vorträgen über Diplomatik beim damaligen Amtsvorstand Dr. Fridolin Solleder, dem er sein Leben in treuer Verehrung verbunden blieb. Nebenbei verzeichnete der Student Gerhard Hirschmann im Auftrag Schornbaums Urkunden und Akten fränkischer Pfarrarchive vor 1800. 1949 bis 1953 absolvierte er am Staatsarchiv Nürnberg und - zusammen mit dem späteren Würzburger Rechtshistoriker Prof. Friedrich Merzbacher an der Archivschule München die Ausbildung für den höheren Archivdienst. 1953 kehrte er auf eigenen Wunsch an das Staatsarchiv Nürnberg zurück, wo er

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sich beim Abschluß der kriegsbedingten Archivalienrückführung wie bei der Verzeichnung der Differentialakten und der Ordnung der Akten zum Nürn­ berger Kriegsverbrecherprozeß auszeichnete. An wissenschaftlichen Arbeiten fielen in diese Zeit das Heft Eichstätt des Historischen Atlas von Bayern (1959) und die Geschichte des Industrieorts Stein bei Nürnberg (1962) sowie Hirsch­ manns Beschäftigung mit den Müllnerschen Annalen. 1962 wechselte Gerhard Hirschmann als Archivoberrat ans Stadtarchiv Nürnberg über. Hier bereitete er zunächst mit Archivdirektor Dr. Werner Schultheiß die Hundertjahrfeier des Stadtarchivs vor, die 1965 begangen wurde. In der Festschrift publizierte Hirschmann erstmals eine Beständeüber­ sicht, die eine auch heute noch brauchbare Orientierung für die älteren Be­ stände des Stadtarchivs bietet. 1970 übernahm Gerhard Hirschmann in Nach­ folge des krankheitshalber pensionierten Werner Schultheiß die Leitung des Stadtarchivs Nürnberg. Ihm wurde damit eine Institution anvertraut, die sich seit der Übernahme der städtischen Hauptregistratur 1966 um ca. ein Viertel vergrößert hatte. Da vorhandene Raumkapazitäten nicht ausreichten und projektierte Flächen (zweiter Bauabschnitt des Pellerhauses) von der Nürnberger Kulturverwal­ tung dem Schulhausneubau des Scharrer-Gymnasiums geopfert wurden, be­ gann für das Stadtarchiv Nürnberg die schwierige Zeit der Aufteilung auf meh­ rere Außendepots (Höchststand 1985/86: zehn Außenstellen neben der Zen­ trale im Pellerhaus), ein Zustand, der erst mit dem Umzug aller Bereiche des Archivs in die Norishalle im Jahr 2000 beendet sein wird. Gerhard Hirsch­ mann hat es während dieser schwierigen Zeit verstanden, den Betrieb des Ar­ chivs trotz aller Reibungsverluste aufrecht zu erhalten. Dem Archivar Gerhard Hirschmann verdankt das Stadtarchiv Nürnberg neben vielen Ordnungsarbeiten, die er anregte und betreute, die Bildung und Verzeichnung des reichsstädtischen Bestands B 11 (Ratskanzlei) sowie die Übernahme und Regestierung der sogenannten Bonner Urkunden - einer Ab­ gabe von ca. 600 Urkunden Nürnberger Provenienz der Universität Bonn an das Stadtarchiv Nürnberg. Seine besondere Sorge und Liebe aber galt den von ihm persönlich betreuten Nürnberger Patrizier- und Familienarchiven. Während seiner Zeit als Leiter des Stadtarchivs Nürnberg pflegte Gerhard Hirschmann die Verbandsarbeit. Sowohl als stellvertretender Vorsitzender als auch - von 1981 bis 1983 - als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bayeri­ scher Kommunalarchivare war er immer um ein kollegiales Verhältnis zwi­ schen staatlichen und kommunalen Archivaren in Bayern bemüht, wobei ihm hierbei seine „Herkunft“ aus dem staatlichen Archivdienst zu Hilfe kam. 1983 trat Gerhard Hirschmann als Ltd. Archivdirektor in den verdienten Ruhe­ stand.

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Die Liste von ungefähr 230 Publikationen aus der Feder des Historikers Dr. Gerhard Hirschmann belegt seine Produktivität als Wissenschaftler. Besonders hervorzuheben sind dabei die Monographie „Das Nürnberger Patriziat im Kö­ nigreich Bayern 1806-1918. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung" (Nürn­ berger Forschungen, Band 16, 1971), die Edition der Miillnerschen Annalen, von denen die beiden ersten Bände 1972 und 1984 erschienen sind (Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg, Bände 8 und 11), sowie die Kir­ chenvisitationen im Nürnberger Landgebiet der Jahre 1560/61 (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, Band 68, 1995). Aber auch als Herausgeber ist die wissenschaftliche Forschung Nürnbergs eng mit dem Namen Gerhard Hirschmanns verbunden: An erster Stelle ist hier die Schriftleitung der Publikationen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg zu nennen. Gerhard Hirschmann war Hauptschriftleiter von Band 57 (1970) bis Band 77 (1990) der „Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg ", und auch Band 10/1969 (Lore Sporhan-Krempel: Nürnberg als Nachrichtenzentrum zwischen 1400 und 1700) bis Band 24/1987 (Jutta Seitz: Nürnberg vor 125 Jahren. Die Medizinal-Topographie von 1862) der „Nürnberger Forschungen" betreute er maßgeblich. Daneben oblag ihm als Nürnberger Stadtarchivleiter die Herausgabe der Quellenreihe „Quellen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg", deren 29. Band 1998 erschienen ist. Gerhard Hirschmann besorgte die Herausgabe der Bände 8 (Müllners An­ nalen, Band 1,1972) bis Band 12 (75 Jahre kommunales Verhältniswahlrecht 75 Jahre SPD-Stadtratsfraktion Nürnberg 1908-1983, 1983). Zu seinem Amts­ antritt als städtischer Archivleiter initiierte er 1970 die Dissertationenschriften­ reihe der „Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte“, deren 60. Band zur Zeit bearbeitet wird. Gerhard Hirschmann war an der Heraus­ gabe der Bände 1 (Hartmut H. Kunstmann: Zauberwahn und Hexenprozeß in der Reichsstadt Nürnberg, 1970) bis 57 (Rainer Mertens: Johannes Scharrer. Profil eines Reformers in Nürnberg zwischen Aufklärung und Romantik, 1996) beteiligt. Neben den Tätigkeiten als Archivar und Wissenschaftler hat Gerhard Hirschmann in zahlreichen Gremien und Vereinen aktiv mitgearbeitet. An Gremien sind besonders zu nennen die Friedrich Freiherr von Hallersche For­ schungsstiftung (1970-1983) und das Kuratorium des Tucherschen Kultur­ fonds (ab 1990), zu dessen Initiatoren Gerhard Hirschmann zählte. Dem Ku­ ratorium gehörte er bis zu seinem Tode an, seit 1998 als Ehrenmitglied. Zu nen­ nen sind außerdem die Gesellschaft für Familienforschung in Franken, die Ge­ sellschaft für fränkische Geschichte, die Altnürnberger Landschaft und der Verein für bayerische Kirchengeschichte. Gerhard Hirschmanns besondere Liebe galt jedoch „seinem" Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg: Seit

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1947 und damit 52 Jahre lang war er Vereinsmitglied. Von 1966 bis 1991 gehörte er dessen engerem Vorstand an, zunächst als Schriftführer, von 1967 bis 1969 als Zweiter und von 1969 bis 1991 als Erster Vorsitzender. Seit 1991 ar­ beitete Gerhard Hirschmann bis zuletzt im erweiterten Vorstand mit. Eng ver­ bunden mit dieser jahrelangen ehrenamtlichen Tätigkeit war die bereits er­ wähnte Mitwirkung bei der Herausgabe der Vereinsschriften, der „Mitteilun­ gen“ und der „Forschungen“, und die Organisation des jährlichen Veranstal­ tungsprogramms. So verdanken die Vereinsmitglieder wie das interessierte Nürnberger Publikum Gerhard Hirschmann zwischen 1969 und 1991 allein über 170 Vorträge und 40 Exkursionen und Führungen, die bei den Zuhörern und Teilnehmern auf große Resonanz stießen. In seiner Funktion als Vereinsvorsitzender vertrat Gerhard Hirschmann Nürnberg im Verband der Bayerischen Geschichtsvereine, München, dessen Zweiter Vorsitzender er war, und im Beirat des Gesamtvereins der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine. 1988 widmete der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg seinem langjährigen Vorsitzenden und - seit 1991 - Ehrenvorsitzenden Dr. Gerhard Hirschmann als Festgabe zum 70. Geburtstag den 25. Band der „Nürnberger Forschungen“ mit einer Auswahl von 16 an anderer Stelle publizierten Aufsät­ zen aus der Feder des Jubilars (Aus sieben Jahrhunderten Stadtgeschichte. Aus­ gewählte Aufsätze von Gerhard Hirschmann, herausgegeben von Kuno Ulshöfer). Zehn Jahre später - 1998 - widmete der Vorstand und der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg seinem Ehrenvorsitzenden den 85. Band der „Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg“ zum 80. Ge­ burtstag. Dem Band ist neben einer Laudatio und einer umfangreichen Tabula Gratulatoria auch eine vollständige Bibliographie Gerhard Hirschmanns bei­ gegeben. 1979 wurde der Verstorbene mit der Medaille pro merito genealogiae der Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte und 1983 in Anerkennung seiner Leistungen als Wissenschaftler und Archivar mit dem Bundesverdienst­ kreuz am Bande ausgezeichnet. Mit Gerhard Hirschmann hat die deutsche Ar­ chivwelt einen weiteren Vertreter der Wiederaufbaugeneration nach dem Zweiten Weltkrieg und die Stadt- und landesgeschichtliche Forschung einen herausragenden Nürnberg-Kenner verloren. Michael Diefenbacher

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PROF. DR. WOLFGANG FRHR. STROMER VON REICHENBACH f 28. April 1922-8. September 1999

Wolfgang von Stromer entstammte einer der ältesten Nürnberger Patrizier­ familien, die aus dem staufischen Ministerialengeschlecht der Ramung von Kammerstein-Reichenbach-Schwabach hervorging und seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in Nürnberg urkundlich nachweisbar ist. Sein Großvater Otto Frhr. v. Stromer war Erster rechtskundiger Bürgermeister von Nürnberg (1867-91), sein Vater Ernst ein bedeutender Paläontologe und Verfasser eines lesenswerten Büchleins über die Familie („Unsere Ahnen in der Reichsstadt Nürnberg", gedruckt 1951), der Großvater mütterlicherseits Konservator für islamische Kulturdenkmäler in Kairo. Vielleicht erklärt dies schon, warum Wolfgang von Stromer sich in seinem Leben niemals durch die Grenzen wissenschaftlicher Fachgebiete einengen ließ. Er studierte Physik, doch dann mußte er in den Krieg ziehen. Seine beiden Brüder fielen, der jüngere noch im April 1945; er selbst geriet in russische Ge­ fangenschaft. Zwei Mal zum Tode verurteilt, weil er sich weigerte, an der rus­ sischen Giftgasproduktion mitzuarbeiten, überstand er diese schwere Zeit nur dank seines ungebrochenem Lebenswillens, und konnte endlich im Mai 1950 heimkehren. 1952 heiratete er Heidrun Rühle, Tochter des ehemaligen Direk­ tors des Kaiser-Friedrich-Museums in Posen. Noch im selben Jahr starb aber auch sein Vater. Er hatte ein schwieriges Erbe anzutreten, denn der Familiensitz Schloß Grünsberg bei Altdorf war durch Krieg und Besatzung schwer in Mitleiden­ schaft gezogen worden, außerdem galt es, die Rechte der Familie an der Tetzei­ stiftung zu sichern. Dies bewog Wolfgang von Stromer zum Jurastudium. Sein juristischer Sachverstand half ihm auch im späteren Leben, so manchen aus­ sichtslos erscheinenden Kampf erfolgreich zu bestehen. In den Jahren nach dem Krieg begann eine lebenslange, enge Freundschaft mit zwei - inzwischen auch verstorbenen - gleichgesinnten Angehörigen des Patriziats: mit Hubert Frhr. v. Welser und mit meinem Vater Helmut Frhr. v. Haller. Jurist der eine, Diplomingenieur der andere, hatte sie das Schicksal ebenfalls vor die Aufgabe gestellt, unvorbereitet und unter erschwerten Bedin­ gungen das Vätererbe für kommende Generationen zu bewahren. Gemeinsam diskutierten sie über die Beschaffung von Zuschüssen für die nötigen Reno­ vierungsmaßnahmen, die richtige Farbgebung an und in den historischen Gebäuden, Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Gesetzgebung in Fragen der Steuern und des Stiftungswesens und vieles andere. Gelegentlich wurden -

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im bescheidenen Rahmen des damals Möglichen - aber auch rauschende Feste gefeiert, während im Dachstuhl der Holzwurm nagte und der Wind durch die undichten Fenster pfiff. Andererseits tauschten sie untereinander Dubletten (oder was sonst entbehrlich erschien) aus Archiv und Bibliothek und stimmten darin überein, daß jeweils die eigene Familie das bedeutendste Geschlecht der alten Reichsstadt gewesen sei. Das Interesse, ja die Leidenschaft Wolfgang von Stromers für Geschichte verstärkte sich mit dem Studium alter Akten, das zur Wahrung historisch gewachsener Rechte notwendig wurde. Dazu kam das romantische Flair der wenngleich besonders im Winter nur unter schweren persönlichen Opfern be­ wohnbaren - Burg Grünsberg, die nicht nur das Familienarchiv, sondern auch viele, mitunter skurrile Altertümer barg. Den ersten kleineren Veröffentlichun­ gen, u.a. über das erste Auftreten der Pirckheimer in Nürnberg (1957), das Handelshaus und die Papiermühle der Stromer (1960) sowie den Ratsbau­ meister Wolf Jakob Stromer (1962) folgte 1963 seine Dissertation über die Handelsgesellschaft der Gruber-Podmer-Stromer, die er neben seinem Beruf als Staatsanwalt erarbeitete. Zu einem stehenden Begriff wurde der Titel seiner 1967 eingereichten Habi­ litationsschrift über die „Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450“. Aus über ganz Europa verstreuten Quellen schuf er ein faszinierendes Mosaik, das die enge Verflechtung von Geld und Politik, Wirtschaft und Kultur innerhalb eines kleinen Kreises durch Konnubium verbundener Familien aufzeigte. Der Zusammenhang zwischen technischen und wirtschaftlichen Innovationen (in der Papier- und Textilherstellung, in Bergbau und Metallverarbeitung, aber auch in der Buchführung, im Bankenwesen usw.), aus denen die Führungs­ schichten der Fernhandelszentren erst die Mittel für Mäzenatentum und künstlerische Glanzleistungen erwarben, blieb für Wolfgang von Stromer das zentrale Thema bis an sein Lebensende. Dabei konnte er immer wieder zeigen, daß die „technische Revolution“ schon im 14. und 15. Jahrhundert begonnen hatte, also noch mitten im angeblich so finsteren Mittelalter. Daneben befaßte er sich mit praktischen Problemen, etwa der Fleisch­ versorgung damaliger Großstädte. Daraus entstanden seine Publikationen über den internationalen Ochsenhandel, darunter 1979 eine unter dem bezeichnen­ den Titel „Wildwest in Europa“. Als mitunter belächelter Außenseiter (er hatte ja nie Geschichte studiert) ging er der Sache gern selbst auf den Grund, z.T. mit unkonventionellen Methoden. So wies er nach, daß die berühmten Hand­ werksdarstellungen - etwa des Drahtziehers - in den Hausbüchern der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung keineswegs immer wörtlich zu nehmen sind; die Technik (von der der Briefmaler ja oft keine Ahnung hatte) konnte einfach nicht so funktionieren, wie es die Abbildung zeigte. Intensiv beschäftigte ihn

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der Vergleich der Rialtobrücke in Venedig - das Modell dazu steht in Schloß Grünsberg - und der Fleischbrücke in Nürnberg, deren Bau höchste tech­ nische Anforderungen stellte. Daß für ihn die Nürnberger Lösung den ersten Preis davontrug, ist kein Wunder, war doch Wolf Jakob Stromer der leitende Baumeister. Wie hier, war auch sonst Ausgangspunkt seiner Forschungen oftmals die Geschichte der Stromer und der mit ihnen verwandten Familien (sei es Ulman Stromer als frühester Familienbiograph und Inhaber der ersten deutschen Pa­ piermühle, oder Peter Stromer als Erfinder der Nadelholzsaat). Er hatte jedoch immer auch den Aufstieg Nürnbergs zur Handelsmetropole sowie zum Nach­ richtenzentrum und Mittelpunkt technologischer Innovation im Blick. Stets verwies er auf die Gesamtleistung des Nürnberger Patriziats in dessen lange Zeit erfolgreicher Ratsherrschaft. Dabei verschwieg er jedoch keineswegs unrühmliche Verhaltensweisen, etwa bei der Vertreibung der Juden 1348/49. Wolfgang von Stromers zahlreiche Veröffentlichungen wären undenkbar ohne seine ausgedehnten und bis zuletzt gepflegten Kontakte zu Forschern aller Fachrichtungen, besonders auch in Osteuropa. Die dort oft unter schwie­ rigsten Verhältnissen gewährte Gastfreundschaft erwiderte er wie nur wenige seiner Kollegen im Westen. Von seinen häufigen Reisen, die ihn bis nach Turkestan führten, brachte er stets eine reiche Ausbeute neuer Erkenntnisse, aber auch abenteuerlicher Geschichten mit, die er gerne im Freundeskreis zum besten gab. Sein Erzählertalent kam ihm hier und bei zahlreichen Vorträgen zustatten - nicht zuletzt im Nürnberger Geschichtsverein, dessen Vorstand er seit 1970 angehörte. Daß die Weltgeschichte ohne die Stromer und ihre verzweigte Sippe nicht zu denken sei, wurde da bald jedem Zuhörer einsichtig. Mit seiner oftmals pointierten Meinung hielt er selten hinter dem Berg. Daß es ihm dabei um die Sache ging, wollte mancher nicht wahrnehmen, der sich in seinem Elfenbeinturm oder in seiner warmen Amtsstube angegriffen fühlte. Einige hoffnungsvoll begonnene Projekte drohten an persönlichen Differen­ zen zu scheitern und waren dann mitunter nur auf Umwegen zu verwirklichen. Dennoch hat er vieles erreicht, was ihm (der weder Parteibuch noch Kon­ fession vorzuweisen hatte, außerdem Krawatten kategorisch ablehnte) nie­ mand zugetraut hätte - nicht zuletzt den zielstrebigen Weg von seinem Lehr­ stuhl in Berlin (1978) über die Universität Bamberg an die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in Nürnberg. Dort brachte der mitunter als „kauzig“ geltende Professor zahlreichen Schülern die Faszination der Wirtschafts- und Technikgeschichte nahe. Vor­ lesungen hielt er auch noch lange Jahre nach seiner Emeritierung - sicher nicht nur (wie er selbstironisch meinte), weil das mit dem Anrecht auf einen günstig gelegenen Parkplatz verbunden war. Daß seine Leistungen auch außerhalb der

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Gelehrtenwelt Anerkennung fanden, zeigt die Verleihung des Bundesver­ dienstkreuzes I. Klasse. Mit der Verwaltung und Instandhaltung von Schloß Grünsberg und seinen historischen Forschungen eigentlich schon genug ausgelastet, hatte er nach dem Tod von General Friedrich Jobst v. Volckamer im Jahre 1989 auch noch die Verwaltung der Tetzeistiftung mit Schloß Kirchensittenbach zu über­ nehmen. Zusammen mit seiner zweiten Frau Natalie Fryde, die sich ebenfalls einen Namen als Wirtschaftshistorikerin machte, pendelte er nun zwischen den beiden ihm anvertrauten Schlössern hin und her. Die umfangreichen Waldun­ gen, die zu ihnen gehörten und nach dem Krieg gutes Geld gebracht hatten, waren inzwischen zu Sorgenkindern geworden - absterbende Bäume, sinkende Flolzpreise und die schwierige Suche nach geeignetem Personal verlangten nach immer neuen Auswegen, um den kostspieligen Bauunterhalt zu finan­ zieren. Ungeachtet aller Belastungen, die er getreu dem alten Stromerschen Wahl­ spruch „Spero dum spiro“ ertrug, war er ein Genießer, der das Leben liebte und kulinarische Köstlichkeiten nie verschmähte, weder zu Hause noch auf Reisen. Dabei war er ein Mann von Disziplin, ohne die er sein gewaltiges Arbeitspensum nicht bewältigt hätte. Trotz schwerer Krankheit gelang es ihm noch, sein umfangreiches Werk über die Frühgeschichte des Buch- und Bild­ drucks abzuschließen, das unter dem Titel „Von Turfan zum Karlstein. Die Seidenstraße als Mittler der Druckverfahren von Zentralasien nach Mittel­ europa" im nächsten Jahr erscheinen soll. Bis zuletzt war er auch bemüht, die Erhaltung von Schloß Grünsberg und dessen Inventar durch die Überführung in eine Stiftung auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen. Es bleibt zu hoffen, daß dieser Wunsch auch nach seinem Tod noch in Erfüllung geht. Es wäre dies ein bleibendes Denkmal der Erinnerung an das Leben eines außergewöhn­ lichen Menschen. Bertold Frhr. v. Haller

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WIRTSCHAFTLICHE BEZIEHUNGEN NÜRNBERGS MIT DEN „BÖHMISCHEN KETZERN“ IN DEN JAHREN 1419 BIS 1434 Haben die Nürnberger mit den Hussiten Handel betrieben? Von Miloslav Polfvka Es ist hinlänglich bekannt, daß unter der Regierung der Luxemburger, insbe­ sondere Karls IV., die Reichsstadt Nürnberg endgültig die führende Rolle im Handel Süddeutschlands mit den böhmischen Ländern übernommen hat. Da­ mit konnte Nürnberg Regensburg ablösen, das diese Position zuvor innege­ habt hatte.1 Die rasche Entfaltung der Beziehungen zwischen der Stadt an der Pegnitz und den böhmischen Ländern erhielt erst durch die Absetzung Wen­ zels IV. als römisch-deutscher König im Jahre 1400 einen Dämpfer, da sich die Nürnberger Ratsherren rasch für eine Unterstützung Ruprechts von der Pfalz aussprachen.2 Neun Jahre später schlugen sich auch im Bereich des Handels die drohenden nationalen Konflikte zwischen Tschechen und Deutschen nieder: und zwar sowohl nach der Veröffentlichung des Kuttenberger Dekrets3 als auch in den Jahren unmittelbar vor dem Ausbruch der Hussitenkriege

1 Friedrich Lütge: Der Handel Nürnbergs nach dem Osten im 15./16. Jahrhundert, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Bd. 1, Nürnberg 1967, S. 318-376. - Hektor Amman: Die wirtschaftliche Stellung der Reichsstadt Nürnberg im Spätmittelalter, Nürnberg 1970. - Ger­ hard Pfeiffer (Hrsg.): Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971, S. 46-54. - Wolfgang von Stromer: Der kaiserliche Kaufmann - Wirtschaftspolitik unter Karl IV., in: Kai­ ser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 63-73. - Paul-Joachim Heinig: Reichs­ städte, freie Städte und Königtum 1389-1450, Wiesbaden 1983, S. 17-54. - Alfred Höhn: Die Straßen des Nürnberger Handels, Nürnberg 1985. - Zur politischen Bedeutung Nürnbergs im späten Mittelalter neben den angeführten Arbeiten auch Helmut Müller: Die Reichspolitik Nürnbergs im Zeitalter der Luxemburgischen Herrscher 1346-1437, in: MVGN 58 (1971), S. 2-101. - Nürnberg, Kaiser und Reich. Katalog zur Ausstellung des Staatsachivs Nürnberg, Neustadt a.d. Aisch 1986. 2 Vgl. Pfeiffer (wie Anm. 1), S. 80-83, und Hans Schenk: Nürnberg und Prag. Ein Beitrag zur Ge­ schichte der Handelsbeziehungen im 14. und 15. Jahrhundert, Wiesbaden 1969. - Miloslav Polfvka: Nürnberg und die böhmischen Städte in der Hussitenzeit, in: Mediaevalia Historica Bohemica 2 (1992), S. 101-118. 3 Das sogenannte Kuttenberger Dekret wurde von König Wenzel IV. am 18. Januar 1409 erlassen und sicherte auf der Prager Universität der böhmischen Nation drei Stimmen, indem die bayeri­ sche, sächsische und polnische Nation eine Stimme behielt. Infolge dessen verließen deutsche Magister und Studenten Prag. Dazu Ferdinand Seibt: Johannes Hus und der Abzug der deut­ schen Studenten aus Prag 1409, in: Archiv für Kulturgeschichte 39 (1957), S. 159-165. Frantisek Smahel: The Kuttenberg Decree and the Withdrawal of the German Schools from Prague in 1409: A Discussion, in: History of University 4 (1984), S. 153-161. - Ders.: Die Pra­ ger Universität und Hussitismus, in: Die Universität in Alteuropa, hrsg. von Alexander Patschovsky und Horst Rabe, Konstanz 1994, S. 120-124.

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(1419-1434)4, als insbesondere in Prag immer häufiger antideutsche Stimmen laut wurden.5 Wenngleich weiterhin Handel betrieben wurde, fühlten sich die Nürnberger Kaufleute in Prag, wo sich die hussitische Bewegung am stärksten entfaltete, nicht mehr sicher.6 Die Situation spitzte sich allerdings erst nach dem Prager Fenstersturz im Sommer 1419 und zu Beginn des darauffolgenden Jah­ res zu. Erstmals waren insbesondere im Außenhandel bei den gerade ausbre­ chenden Kämpfen zwischen den beiden miteinander verfeindeten Glaubensla­ gern schwere Einbußen zu verzeichnen, so daß zuletzt die kirchliche und die weltliche Gewalt, repräsentiert durch Papst Martin V. und den römisch-deut­ schen König Sigismund, allen Christen jeglichen Handel mit den „böhmischen Ketzern“ strengstens untersagte.7 Es wäre freilich naiv anzunehmen, daß Gesetze und Verbote von allen Seiten respektiert worden seien. Aus den oben angedeuteten Gründen ging der Han­ del zwischen Nürnberg und seinen Partnern in den böhmischen Ländern nach 1419 wegen der unsicheren Verhältnisse (sowohl in Böhmen als auch an der fränkisch-böhmischen Grenze), wegen der kriegerischen Auseinandersetzun­ gen (Kreuzzüge gegen die Hussiten8) und wegen der ausgesprochenen kirchli­ chen und weltlichen Verbote zurück, kam aber nicht vollständig zum Erliegen. Allen Hindernissen zum Trotz begleiteten die Nürnberger ihre Waren auf die Burg Karlstein, nach Pilsen, Eger, Tachau und an andere Orte, wo sie sie den Händlern oder Verbraucher bürgerlicher oder adeliger Herkunft verkauften,

4 Zu den Hussitenkriegen, die auch als hussitische Revolution bezeichnet werden, gibt es sehr umfangreiche Literatur, vgl. Jarold K. Zeman: The Hussite Movement. A Bibliographical Study Guide, Ann Arbor 1977. Von der auf Deutsch publizierten Literatur ist hinzuweisen auf: Fried­ rich von Bezold: König Sigmund und die Reichskriege gegen die Hussiten, 3 Bd., Mün­ chen 1872, 1875, 1877. - Franz Machilek: Hus und die Hussiten in Franken, in: JfL 51 (1991), S. 15-37. Die umfangreichste und modernste Bearbeitung der Hussitenproblematik bringt Franti§ek Smahel: Hussitische Revolution, München (im Druck). 5 Frantisek Smahel: The Idea of the „Nation“ in Hussite Bohemia. An Analytical Study of the Ideological and Political Aspects of the National Question in Hussite Bohemia from the End of the 14th to the Eighties of the 15th Century, in: Historica 16 (1969), S. 143-247 und 17 (1969), S. 93-197. 6 Vgl. Schenk (wie Anm. 2), S. 57-70. 7 Papst Martin V. gab einen entsprechenden Befehl in einer am 1. März 1420 in Florenz ausge­ stellten Bulle. Vgl. Frantisek Palacky (Hrsg.): Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges vom Jahre 1419 an, 2 Bd., Prag 1873, hier Bd. 1, Nr. 12, S. 17 ff. Das Schreiben des rö­ misch-deutschen Königs Sigismund bei Andreas von Regensburg, Dyalogus de Hussitis, in: Constantin Höfler (Hrsg.), Geschichtsschreiber der hussitischen Bewegung in Böhmen, Bd. 1, Fontes Rerum Austriacarum, Vienna 1856, Abt. I, Bd. 2, S. 573. 8 Ausführlich schildert die einzelnen Kreuzzüge Bezold (wie Anm. 4) und Frantisek Michälek Barto§, Husitskä revoluce [Hussitische Revolution], 2 Bd., Prag 1965 f.

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Wirtschaftliche Beziehungen Nürnbergs mit den Hussiten

die sich zum „althergebrachten Glauben unter einer Gestalt“ bekannten, d.h. katholisch geblieben sind.9 Nicht nur die Nürnberger Kaufleute, sondern selbst die Reichsstadt lieferte nach Böhmen Geld und Ware (v.a. Waffen und Schießpulver), und sandte in böhmische Städte und Burgen Söldner, um die dortigen Katholiken angesichts der Hussitengefahr zu unterstützen. Manche Städte in Böhmen, wie z.B. Eger und Pilsen, waren deshalb bei der Reichsstadt verschuldet.10 Die Höhe der Schulden in Nürnberg wurde bisher leider noch nicht spezifiziert, eine Vor­ stellung kann man sich aber trotzdem auf Grund der bisher bekannten Anga­ ben machen. Die Quellen geben bei Eger die Verschuldung nach den Hussiten­ kriegen insgesamt (d.h. nicht nur bei Nürnberg) mit fast 100.000 Gulden und bei Pilsen mit ca. 70.000 Gulden an. Welchen Teil davon die Reichsstadt Nürn­ berg selbst tragen mußte, gelang bisher nicht aufzuschlüsseln.11 Darüber hinaus wurden um die Mitte der 1420er Jahre in Nürnberg die sogenannten „Nürn­ berger sechs“ ernannt, zu denen der Komtur des dortigen Deutschorden-Hau­ ses und fünf vornehme Bürger zählten, die zusammen mit Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg die weit im deutschen Reich eingesammelte „Hussensteuer“ für die Bekämpfung der Hussiten verwalten und verteilen sollten.12 9 Zu diesem Problemkreis Frantisek Graus: Die Handelsbeziehungen Böhmens zu Deutschland und Österreich im 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts, in: Historica 2 (1960), S. 77-110. Josef Janäcek: Der böhmische Außenhandel in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, Historica 4,1962, S. 43-47. - Josef Hejnic / Miloslav Polivka: Plzen v husitske revoluci [Pilsen in der hussitischen Revolution], Praha 1987, S. 283 ff. - Polivka (wie Anm. 2), S. 101 ff. - Jaroslav Cechura: Zum Konsumniveau in Ostmittel- und Westmitteleuropa in der ersten Hälfte des 15. Jahrhun­ derts, in: Festschrift für Ferdinand Seibt zum 65. Geburtstag, hrsg. von Winfried Eberhard, Hans Lemberg und Heinz-Dieter Heimann, München 1992, S. 185-196. - Unter dem Aspekt der Reichsfinanzen beschäftigte sich auch mit der internationalen wirtschaftlichen Bedeutung Nürnbergs Wolfgang von Stromer: Oberdeutsche Hochfinanz 1350-1450, Bd. 1-3, Wiesbaden 1970, v.a. Bd. 2, S. 219-294. 10 Beispiele dafür Miloslav Polivka: Böhmen in der Endphase der hussitischen Revolution und in­ ternationale Aspekte seiner Entwicklung, in: Historica 29 (1989), S. 161-224. Dieses Thema be­ darf jedoch einer gründlichen Erforschung, denn nur teilweise sind die Ausgaben der Reichs­ stadt Nürnberg für böhmische katholische Städte und Adelige angegeben bei Paul Sander: Die reichsstädtische Haushaltung Nürnberg dargestellt auf Grund ihres Zustandes von 1431-1440, Leipzig 1902. Zu den Ausgaben Nürnbergs in der Hussitenzeit auch Hejnic-Polivka (wie Anm. 9), S. 322 ff., insbesondere 325 f. 11 Zur Einschätzung von Eger vgl. in den edierten Quellen bei Heinrich Gradl (Hrsg.): Die Chro­ niken der Stadt Eger, in: Deutsche Chroniken aus Böhmen, hrsg. von Ludwig Schlesinger, 3. Bd., Prag 1884, S. 257 f. Für Pilsen vgl. Eduard Birke (Hrsg.), Monumenta Conciliorum generalium sec. decimi quinti, Wien 1873, S. 672. - Miloslav BSlohlävek (Hrsg.): DSjiny Plzn£ [Geschichte Pilsens], Plzen 1965, S. 84. 12 Die Rolle des Kurfürsten Friedrichs I. und der „Nürnberger sechs“ für die politischen Ereig­ nisse der Zeit schätzt v.a. Bezold (wie Anm. 4) entspechend ein, insbesondere im 2. Bd., S. 123-154. Vgl. auch Reinhard Seyboth: Friedrich VI. (I.), Burggraf von Nürnberg, Kurfürst

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Und nicht allein dies: Die Nürnberger Kaufleute schreckten offenkundig nicht einmal vor Bannsprüchen bzw. Verboten zurück und sie mieden auch die Kontakte zu den Hussiten nicht ganz vollständig. Zukünftige Untersuchungen werden zweifellos die Annahme bestätigen, daß die Nürnberger dabei keines­ wegs allein so handelten, sondern daß nach Böhmen und Mähren ausgeführte Waren auch von anderen Kaufleuten aus dem Reich oder aber durch deren tschechische Zwischenhändler in Gebiete gelangten, die von den Hussiten be­ herrscht waren. Es zeigt sich offenkundig, daß in den vom ständigen Krieg zerrütteten böhmischen Ländern trotz allem genügend Mittel vorhanden waren, damit die Einfuhr verschiedener Güter entweder durch Geld (Groschen-Währung) oder aber durch den Export der im Ausland bestellten Ware (z.B. Wachs, Edel- und Farbmetalle) gedeckt wurde. Verbotener Handel blühte vor allem immer des­ halb besonders, weil derartige riskante Unternehmungen sicher gute Gewinne versprachen. Die eine Seite konnte nicht ohne Waren auskommen, die andere zeigte mit deren Einfuhr ihre Bereitschaft zum Risko, doch konnte sie größere Gewinne machen. Ein Problem bei der Erforschung der Handelsbeziehungen zwischen Nürn­ berger Kaufleuten und den böhmischen Ländern offenbart sich vor allem in • der lückenhaften Überlieferung. Die Handels- und Handwerkstätigkeit lag in den Händen einzelner - in diesem Falle vornehmlich Nürnberger - Familien. Die weitaus dichtere Überlieferung in ihren Archiven setzt allerdings erst frühestens 50 Jahre später ein, also in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Dennoch wird es notwendig sein, für die Hussitenzeit diese bislang noch nicht vollständig ausgewerteten Familienarchive heranzuziehen. Auch gilt es zu be­ denken, daß die Aufbewahrung von Rechnungen und Korrespondenzen, die sich auf den strikt untersagten Handel mit den Hussiten bezogen, sicherlich riskant gewesen wäre, so daß an der Anhäufung von Handelseintragungen und Rechnungen in derartigen Fällen wohl kaum jemand ein ernstes Interesse ge­ habt haben dürfte. Abmachungen zwischen den beteiligten Partnern wurden nämlich offenkundig während der Reisen der Nürnberger zu ihren katholi­ schen Partnern nach Böhmen getroffen oder aber mit Hilfe von Vermittlern, von Brandenburg, in: Alfred Wendehorst (Hrsg.), Fränkische Lebensbilder 16, Neustadt a.d.A. 1996, S. 27-48. - Wolfgang Neugebauer: Die Hohenzollern, Bd. 1, Stuttgart-Berlin-Köln 1996, S. 32-54. Zum Engagement Friedrichs in den Hussitenkämpfen auch Miloslav Polivka: Nach­ richten zur böhmischen Geschichte als Beispiel für die Auswertung eines brandenburgischmarkgräflichen Rechnungsbestandes aus der Zeit der Hussitenkriege, in: JfL 52 (1992), S. 223-230. - Ders.: Dva prameny z norimberskych archivü k ceskym dSjinäm prvni tretiny 15. stoleti [Zwei Quellen aus den Nürnberger Archiven zur böhmischen Geschichte des ersten Drittels des 15. Jahrhunderts], in: Täborsky archiv 5 (1993), S. 20-31.

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die ohne Rücksicht auf ihr Glaubensbekenntnis für die Nürnberger Händler vetrauenswürdige Partner waren, die ein Interesse an dem risikobehafteten Handel suchten. Doch ließ sich nicht alles verheimlichen. Mitunter drangen Informationen nach außen, die Hussiten würden mit Hilfe von Nürnberger Kaufleuten wert­ volle Waren erhalten; andernorts wurden Verdächtigungen laut, so daß man die mitgeführte Ware beschlagnahmte und die deutschen Kaufleute in Gewahrsam nahm. Geschah dies, wurden derartige Händel dann allerdings zum Anlaß ge­ nommen, sie offiziell vor dem Rat zu verhandeln, der insbesondere auf die In­ tervention von Angehörigen der katholischen Partei in den böhmischen Län­ dern, die sich darüber beschwerten, daß Nürnberger Kaufleute mit den „Ket­ zern“ Handel trieben, antworten mußte. Oder aber, der Rat mußte sich im In­ teresse des politisch-ideologischen Schutzes der Stadt auf die Seite seiner Mit­ bürger stellen, die ihn, nachdem sie in Böhmen aufgegriffen wurden, um ein Gutachten mit der Bestätigung baten, sie seien als ehrwürdige Bürger der Reichsstadt Nürnberg nicht mit den Hussiten in Kontakt getreten. Ein derartiges „Versehen“ bildete damals den Anlaß für eine Korrespondenz der Reichsstadt Nürnberg mit verschiedenen Adressaten in den böhmischen Ländern. Da der Innere Rat dieser Stadt mit den Briefbüchern13 Zeugnisse über den geführten Schriftverkehr aufbewahrte, lassen sich in diesen einige interes­ sante Belege über derartige Verhandlungen und Handelsgeschäfte finden. Es handelt sich mit Sicherheit nur um einen Bruchteil aus der gesamten beidersei­ tigen Handelstätigkeit zwischen Nürnberger Kaufleuten und Hussiten, dessen Ausmaß sich allerdings kaum mehr als hypothetisch quantifizieren läßt. Einige Beispiele sind bereits partiell bekannt. Am besten ausgewertet hat diese Hans Schenk14, dessen Ausführungen sich freilich vervollständigen las­ sen. So reagierten die Nürnberger bereits am 17. August des Jahres 1422 auf die Vorwürfe König Sigismunds, der mitteilte, er habe vernommen, Nürnberger Kaufleute und Bürger würden den Ketzern in Prag und anderen Orten Böh­ mens einige (nicht näher erwähnte) Waren verkaufen und liefern. In einem Schreiben an Sigismund wiesen die Ratsherren derartige Verdächtigungen zurück und am gleichen Tag informierten sie auch den Reichskämmerer Albrecht von Kolditz, den sie um konkrete Nachrichten auf ein Schreiben baten, das ihnen Albrecht in dieser Angelegenheit bereits gesandt hatte.

13 Die Briefbücher des Inneren Rates der Reichsstadt Nürnberg, StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Briefbücher. 14 Schenk (wie Anm. 2), S. 77-79. Schenk stützt sich auf Eintragungen in StAN, Rst. Nbg., Brief­ bücher Nr. 5, fol. 214r und 214v-215r für das Jahr 1422 und für 1426 in Briefbücher Nr. 7, fol. 108, vgl. Palacky (wie Anm. 7), Nr. 420, S. 477 f.

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Der zweite, genauer dokumentierte Fall datiert vom Herbst des Jahres 1426. Der böhmische Adlige Johann [Hanusch] von Kolovrat15, ein bedeutender An­ hänger des römischen Königs Sigismund, nahm Hans Imhoff (1403-1452), den Angehörigen der vermögenden Nürnberger Familie, gefangen und kerkerte ihn auf der Burg Krasch [Krasov], nordwestlich von Pilsen, ein. Dies geschah bereits vor dem 18. Oktober 1426, da - nach Schenk - an diesem Tag die erste Bitte des Nürnberger Rates an Kolovrat gerichtet wurde, dieser möge Hans Imhoff freilassen.16 Letzterer soll angeblich dadurch Schuld auf sich geladen haben, daß er die veynd gots, der ganzen Cristenheit vnd vnsers gnedigsten Herren ... des römischen etc. künigs gesterckt, jn kawffmanschaft, speczrey vnd andre dink zugefürt vnd geraicht sülle haben. Die Nürnberger hatten seinen Vater Sebald befragt, der den geäußerten Verdacht bestritt. Interessant er­ scheint freilich Sebalds Argumentation. Zuerst verwahrte er sich nämlich dage­ gen, daz er seins teils söllicher sache gancz vnschuldig sey vnd den obgenant seynen sune das nie geheissen, sunder allweg haeftiklich verhotten hab; er hoff vnd getraw auch, sein sune süll söllicher sache auch vnschuldig seyn, vnd sich darynnen niht verhandelt haben. Die Nürnberger Ratsherren stellten sich denn auch ganz auf die Seite ihres Mitbürgers und waren fest davon überzeugt, daß der Verdacht nicht stimmen könne, wan vns ye kein söllichs von den vnsern gemeynt were.u Die Nürnberger Stadtrechnungen belegen, daß der Stadtdiener Hans Köppelwein dem Herrn von Kolovrat „on Hansen Imhof wegen, den er [Kolovrat] gefangen het wohl gerade diesen Brief nach Kraschau gebracht hat, und zwar kurz nach St. Gallus Tag (16. Oktober).18 Festzustellen bleibt noch, daß die Imhoffs bereits seit vielen Jahren intensive Handelsbeziehungen zu den böhmischen Ländern unterhielten und auch of­ fenbar nicht die Absicht hegten, diese während der Hussitenkriege zu unter­ brechen. So ließ etwa bei dem erwähnten Hans Imhoff Nikel von Raussendorf hofrichter zu Punzlaw19, Wertgegenstände hinterlegen und etwa Mitte des Jah­ res 1423 erkundigte er sich bei den Nürnbergern über den Verbleib des ver15 Zu seiner Rolle in der Hussitenzeit zusammenfassend Frantisek Kavka: Strana Zikmundova v husitske revoluci [Die Partei Sigismunds in der hussitischen Revolution], Praha 1947, S. 82 (un­ veröffentlichte Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität zu Prag). 16 Palacky (wie Anm. 7), Nr. 420, S. 475. 17 Palacky (wie Anm. 7), Nr. 420, S. 475. 18 StAN, Rst. Nbg, Losungamt, Stadtrechnungen, Nr. 179, fol. 310r. Der Eintrag kommt nach der Datierung Gallus Tag, ist jedoch nicht näher bestimmt. 19 Richtig wohl Nikolaus von Ratschendorf. Ratschendorf [Radcice] ist ein nördlicher Vorort von Reichenberg [Liberec] in Nordböhmen, vgl. Ernst Pfohl: Orientierungslexikon der Tschecho­ slowakischen Republik, Reichenberg 1931, S. 512. - Antonrn Profous: Mfstrn jmena v £echäch, jejich vznik, püvodnf vyznam a zmgny [Die Ortsnamen in Böhmen, ihre Herkunft, ursprüngli­ che Bedeutung und Veränderungen], Bd. 1-5, Praha 1947-1960, hier Bd. 3, Praha 1951, S. 512. Ob Nikel Hofrichter in Alt- oder Jungbunzlau [Starä oder Mladä Boleslav] - benachbarte Städte

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pfändeten Guts und vermutlich auch über das Schicksal des Hans Imhoff. Nikel von Raussendorf hatte nämlich ein auf den 7. Juli dieses Jahres datiertes Schreiben des Nürnberger Rates erhalten, in dem dieser dem Empfänger mit­ teilte, er hätte Imhoff vernommen, doch würde dieser Nikel selbst antworten.20 Der offenkundig beunruhigte Nikel wandte sich bald darauf erneut an den Nürnberger Rat, da dieser dem Absender bereits am 12. August 1423 mitteilte, man hätte Hans Imhoff noch einmal befragt, der jedoch versicherte, er habe die von Raussendorf ihm verpfändete Ware bislang nicht verkauft. Die Ratsherren fordern Nikel auf, er möge selbst zu Michaelis Tag (29. September) nach Nürn­ berg kommen, um vor Ort diese Angelegenheit zu klären.21 Hinsichtlich der weiteren Entwicklung in dieser Sache schweigen die Brief­ bücher allerdings. Am 9. November 1426 mahnten die Nürnberger erneut Imhoffs Freilassung an, dieses Mal bei der Stadt Pilsen, beim Burggrafen von Karlstein - Zdeslav Tluxa von Burenice, und bei Johann von Lestkov auf Waldeck, dem einstigen Unterkämmerer des Königreichs Böhmen. H. Schenk betont hier die Verschie­ bung in der Bestimmung der Personen, mit denen Hans Imhoff Handel be­ trieb: zu Recht verweist er auf die Tatsache, daß aus dem Brief hervorgeht, daß Imhoff vor allem den von Präge vnd Hussen Speczerey czugefürt süll haben.22 Diesen Umstand erwähnen bereits auch ältere Arbeiten zur Geschichte Nürn­ bergs, insbesondere ihre chronikalische Bearbeitung von Johannes Müllner. Er führt schließlich an, daß Herzog Johann von Münsterberg im gleichen Jahr Nürnberger Kaufleute bei Neus (Neisse in Schlesien) festgesetzt habe, um dem für die böhmischen Ketzer bestimmten Warenverkehr Einhalt zu gebieten.23

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nördlich von Prag - war, konnte ich definitiv nicht feststellen. Eher ist sein Titel mit Altbunzlau verbunden, vgl. Profous (wie Anm. 19), Bd. I, S. 110 f. Uber die in Altbunzlau anwesenden fürst­ lichen und später königlichen Ämter seit der ältesten Geschichte siehe Justin V. Präsek, Brandeis an der Elbe. Eine böhmische Stadt- und Schloßgeschichte, Prag 1915, S. 20 ff. und 109 ff. Nikolaus von Ratschendorf könnte kaum mit Nikolaus Bunzlau, Kanzler des Fürstentums Breslau, identisch sein. Über diesen vgl. Belege bei Wilhelm Altmann (Hrsg.): Regesta Imperii, Innsbruck 1897 (2. Lieferung), Bd. 2, S. 475. (Register). Ob Ratschendorfer Hofrichter in Schle­ sisch Bunzlau [Boleslawiec] war, konnte nicht festgestellt werden. StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 6, fol. 16r. StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 6, fol. 27r-v. StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 114. - Palacky (wie Anm. 7), UB I, Nr. 424, S. 477. Schenk (wie. Anm. 2), S. 78. Johannes Müllner: Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, 2. Teil (1351-1469), hrsg. v. Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1984, S. 255. Müllner verweist zum einen darauf, daß der Papst den Handel mit den Hussiten sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands verbo­ ten habe, und zum anderen darauf, daß Hans Imhoff im Jahre 1426 aufgrund des Verdachts ver­ haftet worden sei, er habe sich diesem Verbot widersetzt. Nähere Quellenangaben bringt Müll­ ner freilich nicht; den Wortlaut übernahm auch Johann Ferdinand Roth, Geschichte des nürnbergergischen Handels, Bd. I, Leipzig 1800, S. 165.

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Da Hans Schenk vornehmlich mit der lückenhaften, oben bereits erwähnten Edition F. Palackys arbeitete, entgingen ihm weitere Quellen und die erneute Zuspitzung des Streits um Hans Imhoff, der sich in anderen Eintragungen in den Briefbüchern erhalten hat. Die Tatsache, daß Hans Imhoff zu dieser Zeit Handel in Böhmen betrieb, bestätigt auch ein Schreiben der Nürnberger vom 13. August 1426. Gerichtet ist dies an den Nürnberger Büchsenmacher Diet­ rich genannt Lederhose, den die Nürnberger der Stadt Pilsen zu Hilfe gesandt hatten, damit dieser sie bei der Verteidigung gegen die Hussiten unterstütze. Aus dem Schreiben geht hervor, daß die Nürnberger mit Dietrichs Unterstüt­ zung Hans Imhoff einen Brief von dessen Mutter hatten zukommen lassen; zu­ gleich baten sie ihn, er möge Lederhose 13 Gulden, einem gewissen Herman Stolzen fünf Gulden und seinem Boten zehn Groschen vorschießen. Dieser Brief beweist, daß sich Hans Imhoff in Westböhmen aufhielt und das Ver­ trauen des Nürnberger Rates sowie Kontakte zu den nach Pilsen entsandten Söldnern besaß.24 Doch auch die ersten Nachrichten über Imhoffs Gefangenschaft stammen nicht erst vom 18. Oktober 1426, wie man auf der Grundlage der Interpreta­ tion H. Schenks meinen könnte, sondern bereits vom 27. September dieses Jah­ res, als die Nürnberger Kanzlei die ersten Schreiben ausfertigte, die hiervon Kenntnis geben.25 Im ersten Schreiben wandten sich die Nürnberger an den Herrn Johann von Kolovrat auf Krasch und teilten diesem mit, Hans Imhoffs Vater Sebald hätte ihnen offenbart, Kolovrat habe seinen Sohn gefangen ge­ nommen. Sie sahen darin einen Racheakt für irgendeinen, angeblich jedoch be­ reits beigelegten Streit, den Johann von Kolovrat zusammen mit seinem Bruder Friedrich nicht überwunden habe.26 Deshalb baten sie Johann von Kolovrat, er möge den Gefangenen freilassen. Am gleichen Tage wandten sie sich in eben­ dieser Angelegenheit an Zdeslav Tluxa von Burenice, den Burggrafen der kö­ niglichen Festung Karlstein. Kolovrat mußte freilich in seiner Antwort, deren Text leider nicht überliefert ist, die Anschuldigungen an Hans Imhoff dahinge­ hend präzisiert haben, dieser hätte sich durch den Handel mit den Hussiten schuldig gemacht.

24 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 43r. 25 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 103v-104r. 26 Zur friedlichen Regelung dieses Streits vgl. die nur in Regestenform erhaltene schriftliche Verfü­ gung vom 14. August 1419 in: StAN, Repertorium 2b (= Rst. Nbg., Losungamt, 7farbiges Al­ phabet, Urkunden), Bd. I, S. 207, Nr. 609. Das Original fehlt. Demnach sollten sich die Brüder von Kolovrat mit der Stadt Nürnberg vertragen von der Streitigkeit wegen um Friz von Egloffstein und Kunz Truckses von Holnstein unter Vermittlung Heinrich von Lazan, Hauptmann zu Breslau.

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Imhoffs Gefangenschaft dauerte fort, und so wandten sich am 16. Dezember die Nürnberger in dieser Angelegenheit an Herrn Heinrich von Plauen, den Reichshofrichter.27 Sie teilten ihm kurz mit, Hans Imhoff war von Herrn Jo­ hann Kolovrat gefangen genommen und beschuldigt worden, daz er den küs­ sen zugefurt und sie gespeiset sull haben; sie hätten sich bereits an etwieviel Erbern und frumen Cristen mit der Bitte gewandt, diese mögen ihm verzeihen, wenngleich sie davon ausgingen, er sei unschuldig und sie baten um seine Frei­ lassung.28 Noch am gleichen Tag wandten sich die Nürnberger Ratsherren mit einem ähnlichen Brief an den Herrn Hynek Krusina von Schwanberg, den Hauptmann des Kreises Pilsen29, und einen Tag später wiederum an den Burg­ grafen von Karlstein Zdeslav.30 Die Intensität des Streits ließ zwar in den kom­ menden Monaten nach, Kolovrat hielt Hans Imhoff aber weiterhin gefangen, da die Nürnberger noch in Briefen an König Sigismund und Bischof Johann von Agram am 15. März 1427 schrieben, sie würden zu ihm in dieser Sache ihren Schreiber Jobs Kapfer schicken.31 Der junge Imhoff kam letztlich aus seiner Gefangenschaft frei und er ging weiteren Inhaftierungen und Strafen aus dem Wege, die ihm für seine Übertre­ tungen von seiten der Kirche und des römischen Königs drohten. Dies geschah dann allerdings erst nach einer Intervention Sigismunds, und zwar vor dem 26. Februar 1429, wie ein auf diesen Tag ausgestelltes Schreiben bezeugt, das der

27 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 125v. Es handelt sich um Heinrich I. von Plauen (t 1446), seit 1426 Burggraf von Meißen, aber schon seit 1423 Stellvertreter des Markgrafen Frie­ drich I. von Brandenburg, königlichen Hauptmanns in Böhmen. Heinrich gehörten die Güter Königswart und Petschau und er war also ein direkter Nachbar Johanns Kolovrat. Zu Hein­ rich I. von Plauen Heinrich Gradl: Geschichte des Egerlandes (bis 1437), Prag 1893, 362 f. und passim. 28 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 125v. 29 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 125v. - Der Kreis Pilsen stellte seit 1420, nachdem sich hier mehrere Adelige und Städte in dem sog. Pilsener Landfrieden für den Kampf gegen die Hussiten vereinigt hatten, eine wichtige politische und militärische Kraft dar, die engere Bezie­ hungen zum königlichen Hof pflegte. Auch der Nürnberger Rat stand 1420 bis 1437 in Brief­ kontakt mit seinen Mitgliedern, wie z.B. diese Korrespondenz belegt. Leider fehlt eine kom­ plexe Bearbeitung dieses Themas. Vgl. aber Bezold (vgl. Anm. 4), Bd. 1, S. 104 f. - Vaclav Cepeläk: Dve prehledne mapy k dejinäm zäpadnich Cech. Mapa plzenskeho landfridu 1420-1434 [Zwei Übersichtskarten zur Geschichte Westböhmens. Landkarte des Pilsener Landfriedens 1420-1434], in: Sbornfk Pedagogickeho institutu v Plzni, Däjepis a zem£pis III (1961), S. 67-68. - Siehe weitere Angaben in Anm. 31. 30 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher 7, fol. 126r. 31 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 154r-v, 155r. Später, am 5. Mai 1427, antwortete der Nürnberger Rat einer gewissen Margarete Flecken, sie solle sich in einer Hans Imhoff betref­ fenden Angelegenheit an dessen Vater Sebald wenden, da Hans nicht in Nürnberg weile; vgl. StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 170r.

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römisch-deutsche König aus Nürnberg erhielt. Die Absender führten darin an, daß Sebald Imhoff sie über das Schicksal seines durch Johann von Kolovrat ge­ fangen genommen Sohnes informiert hätte. Erst nach Intervention König Si­ gismunds hatte er die Freiheit erlangt und sie baten den Herrscher um Unter­ stützung für ihren Mitbürger Hans Imhoff, der sich jetzt an den königlichen Hof begäbe.32 Ohne daß er diese Zusammenhänge kannte, äußerte Hans Schenk die Hy­ pothese, Hans Imhoff habe, wenn schon nicht auf Veranlassung des Nürnber­ ger Rates, so doch zumindest mit dessen Wissen gehandelt. Dieser wollte Mög­ lichkeiten einer Aufrechterhaltung des Handels mit den böhmischen Ländern sondieren, die für Nürnberg vor 1419 einen wichtigen Markt darstellten. Die neu aufgefundenen Quellen bestätigen somit Schenks Annahme.33 Auf die Frage, warum Hans Imhoff solange in Gewahrsam saß, nämlich mehr als zwei Jahre (eingekerkert wurde er zwischen dem 13. August und dem 27. September 1426, die Freilassung dürfte Anfang 1429 erfolgt sein), läßt sich keine eindeutige Antwort finden. Da es sich um einen Angehörigen einer be­ deutenden Nürnberger Familie handelte, könnte Kolovrat durch dessen Ge­ fangensetzung jedoch höchstwahrscheinlich exemplarisch ein abschreckendes Beispiel für andere gegeben haben. Die Gefangennahme schreckte jedoch Hans Imhoff nicht ab, er blieb auch in den nächsten Jahren in Böhmen. Zunächst ist seine enge Zusammenarbeit mit der Stadt Eger Anfang der dreißiger Jahren be­ legt, 1437-38 weilte er als offizeller Gesandter Nürnbergs in Prag.34 Wie schon oben erwähnt, wies Johannes Müllner auf einen anderen Fall hin, als Nürnberger Kaufleute wegen des Verdachts, sie machten Geschäfte mit den

32 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 8, fol. 117r. Die schriftliche Fassung von Sigismunds Inter­ vention bei Johann von Kolovrat konnte nicht aufgefunden werden. Obwohl Sigismund mit diesem böhmischen Adeligen und Parteigänger in schriftlichem Kontakt stand, wird ein Schrei­ ben dieses Inhalts nicht einmal in den Regesta Imperii XI, Altmann (wie Anm. 19), erwähnt, vgl. Altmann (wie Anm. 19), Register, Bd. 2, S. 515. Nicht ausgeschlossen werden kann, daß es zu Verhandlungen während einer Zusammenkunft Sigismunds mit Kolovrat kam oder, daß ein kö­ niglicher Bote bzw. ein anderer Anhänger des Herrschers Kolovrat zur Freilassung Imhoffs drängte. Zum Schicksal Johanns von Kolovrat Kavka (wie Anm. 15), S. 82. 33 Schenk (vgl. Anm. 2), S. 78 f. 34 Gradl (wie Anm. 27), S. 392 f. - Schenk (wie Anm. 2), S. 78 f. - Nach freundlicher Mitteilung von Ursula Schmidt-Fölkersamb, Staatsarchiv Nürnberg, bringen die Urkunden-Regesten Imhoff keine weiteren Angaben zur Gefangenschaft des Hans Imhoff. Die Familienkorrespondenz Im­ hoffs, die im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (Archiv, Reichsstadt Nürnberg XVIII, Imhoff) aufbewahrt wird, konnte leider nicht ausgewertet werden. Man kann auch vermuten, daß die Familie Imhoff nicht zu sehr auf die Freilassung des Hans drängte, weil er keine leibli­ chen Nachkommen hatte; deshalb schien er für die Familie nicht so interessant, vgl. Imhoff-A II Nr. 5/1. Für den Hinweis danke ich Frhrn. Dr. Andrian von Werburg.

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Ungläubigen, im Jahre 1426 inhaftiert wurden. Dem zwei Jahre später (27. De­ zember 1428) in der Schlacht gegen die Hussiten bei Altwirmsdorf35 gefallenen Herzog Johann schickten die Nürnberger am 16. August 1426 einen Brief36, in dem sie ihn aufforderten, er solle die vor Neisse (in Schlesien, nahe der böhmi­ schen Grenze) gefangengenommenen Nürnberger Kaufleute mit den beschlag­ nahmten Waren freilassen. Es handelte sich um Hansen Gruber und seiner gesellschaft, dem von Johanns Freund Lynhart Rewtheymer 80 Mark Bargeld ge­ nommen wurden. Paulus Tewfel und seine gesellschaft verlor: 200 Mark Bar­ geld und mehr als 130 polnische Tücher, vier Stein (= ca. 37 kg37) Pfeffer und ei­ nen halben Stein (= ca. 4,7 kg) Safran, Hans Meyr und seine gesellschaft büßten 74 Mark Bargeld ein, Hans Engelhard und seine Freunde wurden auch gefan­ gengenommen. Der Grund für diese Handlung kommt in dem zweiten, auf den gleichen Tag datierten (16. August) und an Herzog Johann abgesandten Brief des Nürnber­ ger Rates vor. Die Nürnberger verlangten wiederholt die nach dem Jakobstag (25. Juli) gefangengenommenen Kaufleute mit ihrer Ware freizulassen und be­ haupteten, ihre habe wäre für die heiligen bestimmt und Fremde nähmen an den Geschäften nicht teil.38 Am gleichen Tag sandten die Nürnberger an den Herzog noch einen dritten Brief, in dem sie mit gleichen Argumenten auf Bit­ ten der Bürgerin Barbara Stralyn baten, daß er Jacob Pinczberg frei läßt.39 Schenks These bestätigt offenkundig - leider allerdings erst für die Zeit sechs Jahre danach - ein anderes Beispiel. Dieses erweist sich als umso gewichtiger, da es den Nürnberger Rat selbst auf frischer Tat ertappt. Dieser hatte nämlich da­ von gewußt, daß unter Vermittlung von Händlern aus Eger, aber sogar auch über einen Kaufmann aus dem hussitischen Prag nach Nürnberg in nicht uner­ heblichem Umfang aus Kuttenberg stammendes Kupfermetall und Blei gekauft wurde. Es ist zewissen, daz Pauls Hemerlein gewortt hat mit Niclasen Bergfrider von Eger; daz er uns sol volgen lassen alles kutenisch kupfer; das er zu sei­ nen handen pringen mag, ye I centner umb VIII gülden.40 Dies notierte der Nürnberger Rat am 24. Mai 1429 und lieh gleich dem Egerer 200 Gulden aus. Bergfrieder mußte jedoch für diese Summe als Pfand VIIIIpücher, mit namen

35 Schlesien (Handbuch der historischen Stätten), hrsg. v. Hugo Weczerka, Stuttgart 1977, S. 321. 36 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 92r. 37 Errechnet nach den Angaben bei Fritz Verdenhalven: Alte Maße, Münzen und Gewichte aus dem deutschen Sprachgebiet, Neustadt a.d.A. 1968, S. 48. 38 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 92v. 39 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 92v. 40 Zur Namenformen von Kuttenberg - Kutnä Hora im Mittelalter vgl. Profous (wie Anm. 18), Bd. 1,S. 606-608.

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zwey grosse, IIII metele und III zilige hinlegen, die ligen in der losungstuben in einer versperrten trüben... Dieses Beispiel bestätigt das Nürnberger Inter­ esse an dem Handel mit der Ware, die zwar vermittelt, letztlich aber von den böhmischen Ketzern gekommen ist; es demonstriert aber auch die Weise, wie man die Geschäfte abwickelte.41 Das Erz ließen die Nürnberger Ratsherren ganz offiziell in der städtischen Hütte schmelzen und über den entsprechenden Ankauf führten sie Rech­ nung.42 Dies geschah nachweisbar spätestens in den Jahren 1432-1434, als Kut­ tenberg bereits seit einem Jahrzehnt (nämlich seit 1422) im Besitz der hussitischen Bruderschaften war und unter deren Verwaltung stand.43 Aus dem Verzeichnis der Nürnberger Schmelzhütte geht hervor, wieviel an Erzes, sich am 5. September 1433 dort befand. Der Nürnberger Schmelzer Ge­ org Madach hatte es dem Rat vorgelegt hat und es zeigte sich, daß in der Hütte und in dem danebenliegenden Turm eine Menge an gutem kupfer kuteinischen, anpley, an saigkupfer; an glet und hartpley ... lagt: Primo an kupfer 175 centner 35 Ib an allerley kuteinischen kupfer guts undpösy d.h. 5954,125 kg.44

41 StAN, Rst. Nbg., Amts- und Standbücher Nr. 269, fol. 1 (13). Das große Interesse der Nürn­ berger an dem Geschäft mit den Edelmetallen zeigte von Stromer (wie Anm. 9) - Ders.: Die Struktur von Produktion und Verteilung von Bunt- und Edelmetallen an der Wende vom Mit­ telalter zur Neuzeit und ihre bestimmenden Faktoren, in: Precious Metals in the Age of Ex­ pansion, Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte, Bd. 2, hrsg. v. Hermann Kellenbenz, Stuttgart 1981, S. 13-26, mit weiteren wichtigen Literaturhinweisen. Zu der Silberproduktion in den böhmi­ schen Ländern sind von grundlegender Bedeutung die Arbeiten von Jan Koran: Produkce strfbra v ceskych zemfch v minulosti [Die Silberproduktion in den böhmischen Landern in der Vergan­ genheit], in: Strfbro v dejinäch, technice a umenf, Prfbram 1971, S. 1-24, und Peter Spufford: Money and its Use in Medieval Europe, Cambridge / New York 1988. 42 StAN, Rst. Nbg, Losungamt, 7farbiges Alphabet, Akten Nr. 75 = Rechnungen der städtischer Schmelzer; erhalten sind sieben Hefte aus den Jahren 1432 bis 1434, bezeichnet jeweils als „Prodromus". 43 Zur Geschichte Kuttenbergs Jin Kejr: Prävnf zivot v husitske Kutne Hofe [Das Rechtsleben in dem hussitischen Kuttenberg], Praha 1958, S. 48-63. - Miloslav Polfvka: K „cernemu obchodu“ s kutnohorskou medf v husitske dobe [Zum „Schwarzhandel“ mit Kuttenberger Kupfer in der Hussitenzeit], in: Öasopis Matice Moravske 63 (1994), S. 25-34. Über die Kontakte in der Zeit nach 1434 vgl. Richard Klier: Nürnberg und Kuttenberg, in: MVGN 48 (1958), S. 51-78. Unter den hussitischen Brüderschaften sind die Taboriten, Prager und Orebiten (oder Waisen) zu verstehen, also die drei mächtigsten hussitischen Gruppierungen in Böhmen, vgl. Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, München 1993, Sp. 1144 f., Bd. 7, München 1995, Bd. 8, München 1997, Sp. 395-397. 44 StAN, Rst. Nbg., Losungamt, 7farbiges Alphabet, Akten Nr. 75 (= Prodromus 3), fol. 3v.-5r. Umgerechnet wurde nach den Angaben bei Sander (wie Anm. 10), S. 28 f., der für das Jahr 1449 ein nürnbergisches Gewichtspfund mit 475 Gramm angibt. In dem Artikel Polfvka (wie Anm. 36), S. 29-31, habe ich nicht mit den in Nürnberg üblichen und spezifischen Gewichtsmaßen ge­ rechnet, sondern mit den für den bayerischen Raum, vgl. Verdenhalven (wie Anm. 37), S. 39 f. und 53.

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Wirtschaftliche Beziehungen Nürnbergs mit den Hussiten

Obwohl die Nürnberger gewußt haben, daß Kupfer und Blei aus den von den Hussiten beherrschten Kuttenberger Erzgruben kommt, kauften sie in den Jahren 1432 bis 1433 über die Egerer Kaufleute Stöcker, Baumgartner und zwei nicht mit Namen bezeichnete 5051 kg und über einen nicht genannten Prager Kaufmann 1148 kg Kupfer für die gesamte Summe von 52 691 Gulden (1 Zent­ ner pro ca. 8,5 Gulden) ein. Weiter wurden von dem Egerer Geschäftsmann Haller noch 1914 kg Blei für 5742 Gulden (1 Zentner pro ca. 3 Gulden) ge­ holt.45 Man kann auch vermuten, daß es sich größtenteils um die v.a. aus Böh­ men und Kuttenberg stammenden Erze handelte. Von der Verrechnung Georg Madachs für die Jahre 1433 und 1434, datiert 6. September 1434, befanden sich in Nürnberger Lagern mehr als 4670 kg Kupfererz und zwar Kuttenberger Ur­ sprungs: an gutem und bösen kutenischen kupfer, anpley, saigkupfer.. 46 Werfen wir einen Blick auf weitere Beispiele, die in der Korrespondenz der Reichsstadt Nürnberg an Adressaten in Böhmen nach der Defenestration im Sommer 1419 Erwähnung finden, respektive in den Nürnberger Stadtrechnun­ gen. Schon zum 8. November 1424 belegt ein Eintrag in den Rechnungsbän­ den, die Nürnberger hätten selbst ihren Mitbürger Peter Quetrer mit zehn Wo­ chen Gefängnis bestraft von des zuführens wegen gen Beheim. Sein Aufseher, Hans Welczner, hat dafür eine bestimmte Geldsumme bekommen.47 Die Befürchtungen, die Waren der Nürnberger Kaufleute könnten in unbe­ fugte Hände gelangen, klingen auch in einem Schreiben an, das der Rat am 30. April 1425 an Wilhelm von Schaunberg auf Pirsenstein sandte. Wilhelm von Schönburg, der die westböhmische Herrschaft Pürstein inne hatte, hatte den Nürnberger Kaufmann Hans Pesteil gefangen genommen und dessen Ware festgehalten. Die Nürnberger versicherten Wilhelm in dem Brief, daß die Ware weder für die Stadt Tachau, mit der Wilhelm augenscheinlich verfeindet war, noch für sust kein außman bestimmt war, sondern für heiligen und baten Wil­ helm, den Nürnberger Kaufmann freizulassen.48 Ein weiteres interessantes Beispiel stellt ein Schreiben dar, das die Nürnber­ ger ihrem Rechtsberater, Dr. Conrad Konhofer, am 24. Februar 1426 sandten.49

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StAN, Rst. Nbg., Losungamt, 7farbiges Alphabet, Akten Nr. 75 (= Prodromus 3), fol. 6v. StAN, Rst. Nbg., Losungamt, 7farbiges Alphabet,Akten, Nr. 75 (= Prodromus 4), fol. 2v. StAN, Rst. Nbg., Losungamt, Stadtrechnungen Nr. 179, fol. 223v. StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 6, fol. 168v. Zu Schönburg bei Kaaden [Kadan] vgl. Böhmen und Mähren (= Handbuch der historischen Stätten), Joachim Bahlcke / Winfried Eberhard / Miloslav Polfvka (Hrsg.), Stuttgart 1998, S. 554. - Profous (wie Anm. 18), Bd. 4, S. 308, zu Pürstein siehe Profous (wie Anm. 18), Bd. 3, S. 344 f. 49 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 37v. - Palacky (wie Anm. 7), UB 1, Nr. 385, S. 432. Martin Weigel: Dr. Conrad Konhofer (t 1452). Ein Beitrag zur Kirchengeschichte Nürnbergs, in: MVGN 29 (1928), S. 169-297.

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Darin teilten sie mit, der Ochsenfurter Pfarrer Gottfried von Triest, der jetzt in Rom weile, habe ihnen einen Brief geschrieben, dessen Abschrift sie Konhofer in einem uns unbekannten Anhang beifügten. Dem Pfarrer zufolge kursierten in der Heiligen Stadt Nachrichten wie vnser kawfflewt mit den keczern zu Beheim im kawffen vnd verkawffen vil gemeynschaft gehabt sullen haben. Sie selbst berichteten, sie wüßten hiervon nichts und sie baten den Juristen, er möge sie beraten, wie sie Vorgehen und sich verteidigen sollten. Zu Beginn des Jahres 1427, nämlich am 11. Februar, antwortete der Nürn­ berger Rat den Pilsenern auf deren Brief, der das Handelsverbot betraf. Wir können davon ausgehen, daß es um eine Vermittlung des Kaufs mit dem Ziel ging, die Hussiten zu beliefern. Die näheren Umstände werden leider nicht er­ sichtlich, doch ein gewisser Kaspar aus St. Gallen, der von den Nürnbergern als Gast bezeichnet wird, hatte ungesetzlich mit dem Pilsener Bürger Mika Slawassowsky schon im Oktober 1426 Handel getrieben und war deshalb vom Nürnberger Landgericht belangt worden.50 Am 6. Oktober 1427 antwortete der Nürnberger Rat Trisram Zenger auf Schneeberg auf dessen Beschwerde, derzufolge die Nürnberger unlautere Hän­ del bei Mies zu einer Zeit getrieben haben sollen, als dort im Sommer 1427 während des Hussitenkreuzzuges die deutschen Kontingente lagerten.51 Die Nürnberger bezeichneten dies als Gerücht und baten den Adressaten, dieser möge ihnen konkrete Namen nennen, da man erst dann die Schuldigen vor Ge­ richt stellen könne.52 Ein weiteres Beispiel stellt die Gefangennahme des Nürnberger Bürgers Hans Gundelfing im Herbst 1428 dar. In zwei Briefen vom 19. und 26. No­ vember dieses Jahres wandten sich der Rat an Heinrich Nothaft von Wernberg, den weltlichen Verweser des Bistums Regensburg und Hauptmann des Bayeri­ schen Waldes, damit dieser bei seinem Bruder Imram interveniere. Dieser hatte

50 1426: StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 106r, 1427: StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 140v-141r. Dieser Streit muß bereits im Herbst 1426 ausgebrochen sein, da vom 9. Oktober 1426 einen Brief bekannt ist, der erstmals nicht näher erläuterte Probleme im Zusammenhang mit beiden Personen erwähnt. StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 106r. Die Namen von Kaspar aus St. Gallen und Mika Slawassowsky konnte ich nicht näher identifizieren. Im Register der Edition von Josef Strnad (Hrsg.), Listär krälovskeho mftsta Plzne a druhdy poddanych osad [Briefbuch der königlichen Stadt Pilsen und der einst untertänigen Stätten], Bd. 1-2, Pizeft 1891-1905, sind beide Namen nicht zu finden. 51 Zu der Schlacht bei Mies und anschließend bei Tachau: Bezold (wie Anm. 4), Bd. 2, S. 94-122. Vladimir Bystricky / Karel Waska: O vyhnänf krizäkü z Cech roku 1427. Husitske vftSzstvf u Stffbra a Tachova [Uber die Vertreibung der Kreuzritter aus Böhmen im Jahre 1427. Der Sieg der Hussiten vor Mies und Tachau], Pizeft 1982. 52 StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 7, fol. 203v.

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Gundelfing gefangen nehmen lassen, weil er in Böhmen bei den Ketzern Waren gekauft und diese nach Deutschland geführt habe. Die Nürnberger bedauerten diese Angelegenheit und hofften, daß Gundelfing dennoch nur mit Christen Handel getrieben habe.53 Der Verdacht, die Nürnberger würden tatsächlich mit den Hussiten Waren­ geschäfte abwickeln und sich aus diesem Grunde Wege über die Bastion des westböhmischen Katholizismus Pilsen bzw. unter Vermittlung einiger Pilsener Kaufleute suchen, bestätigen weitere Briefe. Am 2. Dezember 1428 wandten sich nämlich die Nürnberger Ratsherren an Herzog Johann von Bayern, dieser möge ein Geschäft erlauben, bei dem die Nürnberger Kaufleute Frank Rotschmid und Hans Kolben der Stadt Pilsen fünf Harnische verkaufen wollten. Die Ware wurde in Sulzberg, unweit der böhmischen Grenze, zurückgehalten, weil keinerlei Waffen, die den Hussiten in die Hände fallen könnten, nach Böh­ men ausgeführt werden durften. Bis Mitte Dezember erhoben die Nürnberger bei verschiedenen Parteien Einspruch, doch geht aus dieser Quelle nicht her­ vor, ob diese Intervention Erfolg hatte.54 Weitere Beispiele sind für das Jahr 1431 bezeugt. Zuerst wandten sich die Nürnberger am 5. Juli dieses Jahres an den Rat der Stadt Köln und dankten die­ sem, daß er einen namentlich nicht bekannten Augustiner bestraft habe, weil dieser in Predigten den Nürnbergern vorgehalten hatte, sie würden den Hussi­ ten victualia und ander notdurf verkaufen. In ihrem Schreiben verwahrten sich die Ratsherren gegen derartige Verdächtigungen, sondern hoben im Gegenteil den Anteil ihrer Stadt am Kampf gegen die Hussiten hervor.55 Bereits auf den 25. August 1431 ist ein weiterer Brief datiert, in dem die Nürnberger die Stadt Bischofteinitz56 und deren Burggrafen Zdenek Drska (bekannt aus der Schlacht bei Lipany) baten, man möge einen gewissen Hans, Diener des Nürnberger Bürgers Lang Heinz Wagenman, freilassen. Dieser Hans saß zusammen mit vier Pferden und einem Wagen in Bischofteinitz mit Gütern fest, die er unse­ rem guten Freund nach Prag bringen sollte. Dieser gute Freund könnte zu den Kelchgegnern gehört haben, deren Zahl selbst in den sich zum Hussitismus be­ kennenden Prager Städten nicht gering war. Es könnte sich aber auch um einen Kaufmann gehandelt haben, dem das Gewerbe und der daraus resultierende Gewinn Vorrang besaß gegenüber den konfessionellen und politischen Strei­ tigkeiten zwischen den verfeindeten Lagern. Daher baten die Nürnberger Drska und die Bischofteinitzer, sie mögen Hans mit seiner Ware ziehen lassen

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StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 8, fol. 87v, 91r-v. StAN, Rst. Nbg., Briefbücher Nr. 8, fol. 93r, 94r, 96r, 117v. Palacky (wie Anm. 7), UB 2, Nr. 748, S. 225 f. Bischofteinitz - Horsovsky Tyn, westlich von Pilsen.

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und ihm helfen.57 Dies ist ein weiterer Beleg dafür, daß Waren aus Nürnberg bis in das hussitische Milieu gelangen konnten. Ein Jahr später, im Juli und August 1432, setzten die Nürnberger einige Briefe auf, in denen sie die Stadt Eger und weitere Personen ersuchten, für die Freilassung ihres Bürgers Hans Tollinger einzutreten, der Waren nach Böhmen begleitet hatte und der nach der Anschuldigung, diese seien für die Hussiten bestimmt, gefangen genommen und durch den Hauptmann des Kreises Pilsen, den Herrn Hynek Krusina von Schwanberg, eingekerkert worden war.58 Ein eigenes Kapitel wären auf der anderen Seite die Aktionen, mit denen die Anhänger des Hussitismus auf den Handel der Nürnberger mit katholischen Partnern in Böhmen reagierten. Lediglich zur Illustration sei auf den Fall des Nürnberger Bürgers Eberhart Grefenberger verwiesen, der vermutlich im Jahre 1427 in der von den Hussiten beherrschten Stadt Tachau gefangenge­ nommen, anschließend nach Prag überführt und dort eingekerkert wurde, weil man ihm vorwarf, er hätte Handel betrieben, diesmal freilich mit Katholiken. Eine Prager frume Frau soll ihm als Eingekerkerten den Kontakt mit einem Mann vermittelt haben, der in Kreisen der Prager Burg verkehrte und der für das Versprechen eines Lösegeldes Grefenberger befreit haben soll. Der Lands­ berger Bürger Clasen Porten organisierte schließlich seine Reise von Prag nach Nürnberg. Portens Altruismus war freilich dadurch motiviert, daß ihm ein der Nürnberger Bürger Heinz Keczel bereits seit vielen Jahren eine gewisse Geld­ summe schuldete, die sich Porten mit dieser Reise zurückholen wollte.59 Die Quellen, die hier bislang aus den erwähnten Briefbüchern stammen, er­ gänzen im Hinblick auf zwei interessante Aspekte die Nürnberger Stadtrech­ nungen.60 Bereits vom 28. März 1425 stammt ein Eintrag, der sich auf die Ab­ rechnung einer Reise des Nürnberger Ratsherrn Peter Volkmeyr (Volckamer) nach Amberg bezieht. Hier waren Gespräche mit Herzog Otto von Bayern zufurens wegen den hussen gen Beheim vorgesehen. Es ging also um eine Waren­ lieferung an die Hussiten nach Böhmen, die der von den Nürnbergern besol­ dete Hauptmann Peter Heydenaber begleiten sollte, dessen Aufgabe jedoch gleichzeitig darin bestand, die Kelchanhänger zu bekämpfen.61 An dem Handel beteiligten sich nämlich nicht allein professionelle Kaufleute, sondern auch Kriegsleute, und zwar offenkundig von beiden Seiten.

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StAN, Rst. StAN, Rst. StAN, Rst. StAN, Rst. StAN, Rst.

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Nbg., Briefbücher Nr. 9, fol. 142v. Nbg., Briefbücher Nr. 10, fol. 19v, 20r, 21r-v, 23v-24r-v, 33v-34r. Nbg., Briefbücher Nr. 8, fol. 3v. Nbg., Losungamt Stadtrechnungen, Nr. 179, fol. 256r. Nbg., Losungamt, Stadtrechnungen Nr. 179, fol. 256r.

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Wirtschaftliche Beziehungen Nürnbergs mit den Hussiten

Die Rechnungen enthüllen freilich nur einen Bruchteil über die Methoden der Bestechung, die wohl jeder Zeit eigen waren. Als die hussitischen Verbände ihre vermutlich größte Heerfahrt an der Jahreswende 1429/1430 durchführten und Teile Frankens um Bamberg, Bayreuth, Kulmbach, ja selbst Nürnberg, be­ drohten, schickten die Nürnberger Ratsherren Peter Volkmeyer und später auch den Boten Johann Dum zu den Hussiten, damit diese von der Sicherheit wegen verhandelten. Die Gesandten ließen sich die mit den beiden Missionen verbundenen Reisekosten bezahlen.62 Wir wissen also, daß beiden die damit verbundenen Aufwendungen erstattet wurden. Die im Losungbuch für die Zeit nach dem 1. Februar 1430 gemachten Eintragungen zeigen, daß Volk­ meyer als Vertreter Nürnbergs mit den Hussiten zu einer Zeit verhandelte, als in Franken noch heftige militärische Auseinandersetzungen tobten und Nürn­ berg unmittelbar Gefahr drohte, also vor dem Abschluß des sog. Beheimsteiner Vertrages um den 11. Februar 1430.63 Die Zusammenkünfte der Nürnberger Gesandten mit den Hussiten verliefen nicht ergebnislos. Eine weitere Rech­ nung aus der Folgezeit belegt nämlich, daß die Stadt Hans Wildensteiner und Albrecht Strobel die Ausgaben, die mit dem Geleit für den Waisenhauptmann Benes Mokrovousky von Hustfrany verbunden waren, erstattete. Letzterer kam nach Nürnberg, wo er über Sicherheitsgarantien für die Stadt verhandelte und die beiden Nürnberger Bürger führten ihn anschließend zu seinen Trup­ pen zurück.64 Interessanter erweist sich freilich der nachfolgende Eintrag: Item dedimus 5500 gülden landswerung Benischen von Mokrobitz, darum wir einen quitbrief von im haben, und mer - 1000 gülden landswerung, die im und einem anderen in geheim wurden, darumb wir keinen quitbrief haben, als von semlicher teding wegen, als man die fünf here der hussen auß dem lannde weiset, vmb des willen, das man gross beschedigung vertragen wer und die mit iren heren vmb Pegnitz, Aw erbach und daselbst lagen.65 Benes Mokrovousky und ein Gefährte erhielten also demzufolge neben dem offiziellen Teil der vereinbarten Brand­ schatzung noch 1000 Gulden für ihre entgegenkommende Haltung bei den Verhandlungen über einen Abzug der fünf hussitischen Heere und für das Ver-

62 StAN, Rst. Nbg., Losungamt, Stadtrechnungen Nr. 179, fol. 446r-v, 475r. 63 Zu dieser Heerfahrt Bartos (wie Anm. 8), S. 62-66 - Detailliert Gerhard Schlesinger: Die Hussi­ ten in Franken. Der Hussiteneinfall unter Prokop dem Großen im Winter 1429/30, seine Aus­ wirkungen sowie sein Niederschlag in der Geschichtsschreibung, Kulmbach 1974. - Machilek (wie Anm. 4), S. 27-30. - Thomas Krzenck: Die große Heerfahrt der Hussiten 1429-1430 und der Bamberger Aufstand im Februar 1430, in: Mediaevalia Historica Bohemica 2 (1992), S. 119-140. Keiner der angeführten Autoren hat jedoch die überlieferten Rechnungen aus­ gewertet. 64 StAN, Rst. Nbg., Losungamt, Stadtrechnungen Nr. 179, fol. 446v.

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sprechen, sie würden die Gebiete um die Städtchen Pegnitz und Auerbach nicht verwüsten.66 Die im Titel unseres Beitrags gestellte Frage, ob die Nürnberger tatsächlich mit den Hussiten Handel betrieben, kann also positiv beantwortet werden. Die aufgeführten Beispiele beweisen, daß der Handel durch Nürnberger Bürger im Rahmen ihrer Familienunternehmen getätigt wurde. Sobald allerdings Schwie­ rigkeiten auftraten, stellte sich der Rat hinter die aus seiner Stadt stammenden Kaufleute. Offiziell leugnete er stets die Möglichkeit, man würde Handelsge­ schäfte mit den Hussiten abwickeln, da ihm nichts anderes übrigblieb. Das Bei­ spiel der Einfuhr von Kupfer bezeugt allerdings, daß selbst der Rat von Nürn­ berg Handelsbeziehungen zu den böhmischen Ländern auch dann unter­ stützte, wenn er wußte, daß die Vermittler aus dem hussitischen Milieu stam­ mende Güter lieferten. Die Quellen bieten zwar kaum Nachrichten, was Nürnberger Kaufleute nach Böhmen ausführten, dennoch kann man sich eine ungefähre Vorstellung machen, und zwar an Hand des Beipiels der Burg Karl­ stein.67 Es handelte sich auf der einen Seite um Lebensmittel - möglicherweise um Meeresfische, Südfrüchte und Gewürze, auf die auch die reichsten Kelchanhänger nicht verzichten wollten. Für wohlhabende hussitische Krieger waren offenbar neben Stoffen auch Waffen (auch Harnische) bestimmt, Ge­ genstand des Handels dürfte zweifellos auch Schießpulver bzw. wohl eher Sal­ peter gewesen sein - ein unverzichtbarer Bestandteil bei der Herstellung eben von Schießpulver, ohne das die weithin berühmte Schießkraft der hussitischen Heere nicht auskommen konnte. Für die Einfuhr von Salpeter in Europa besaß Venedig das Monopol und Nürnberg wurde einer der größten Importeure für die deutschen Länder, und zwar trotz der Sperre für das Geschäft mit Venedig, die König Sigismund schon 1412 verhängt hatte.68 Wenngleich in der Zeit der Hussitenkriege, das heißt zwischen 1419 und 1437, die Handelsbeziehungen zwischen Nürnberg und den böhmischen Län­ dern Beschränkungen unterlagen, kam es dennoch nicht zu einer Lahmlegung des Handels. Trotz der mit der Unsicherheit verbundenen Komplikationen, die die ständige Kriegführung in Böhmen bedeutete, darf vorausgeschickt werden, daß neben dem weiterhin funktionierenden Handel mit den katholischen Ge­ bieten in Böhmen auch der Handel mit jenen fortgeführt wurde, die sich zum Hussitismus bekannten. Die entscheidende Rolle spielten die Nachfrage und 65 66 67 68

StAN, Rst. Nbg., Losungamt, Stadtrechnungen Nr. 179, fol. 446v. Hierzu Bezold (wie Anm. 4), Bd. 3, S. 44-46. - Bartos (wie Anm. 8), Bd. 2, S. 68. Hejnic-Polfvka (wie Anm. 9), S. 285 ff. - Cechura (wie Anm. 9), S. 185 ff. Wolfgang von Stromer: Kaiser Sigismunds Kontinentalsperre gegen Venedig 1412-33. Kongressdrucksache der 5. Settimana del Istituto Internazionale di Storia Economica „F. Datini", Prato 1973.

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wohl der Preis sowie der hier lockende Gewinn, den der Schwarzhandel den Nürnberger Kaufleuten einbrachte. Auf der anderen Seite muß notwendiger­ weise zwischen den Bedürfnissen des von den Bruderschaften geprägten hussitischen Kollektivismus unterschieden werden, für den der Import von Waren des täglichen Bedarfs (vermutlich Lebensmittel und Salpeter) unerläßlich war, wobei freilich nicht übersehen werden darf, daß die vermögenden Anhänger des Kelches aus den Reihen des Adels, der Bürgerschaft bzw. der Kriegsge­ winnler, offenkundig nicht daran dachten, auf eine bessere Versorgung und Ausrüstung zu verzichten, die sie eben durch eine Einfuhr realisierten. Illu­ sionlos muß eingeräumt werden, daß auch die hussitischen Kaufleute an ihren Gewinn dachten, welcher ihnen der Verkauf von Mangelwaren zweifellos ein­ brachte.69 Nachdem 1436 die Basler und Iglauer Kompaktata unterzeichnet waren, die die Hussitenkriege beenden sollten, und der neu zum böhmischen König ge­ wählte und gekrönte römisch-deutsche Kaiser Sigismund den Frieden zwi­ schen dem Reich und dem Königtum Böhmen garantieren sollte70, schien es, die Handelsbeziehungen zwischen Nürnberg und Böhmen würden sich in­ folge der beiderseitigen Interessen schnell normalisieren. Der Weg dazu war aber länger und komplizierter. Obwohl die Nürnberger und die Nachfolger von Kaiser Sigismund und Albrecht von Habsburg - böhmische Könige La­ dislaus Posthumus (1440-57) und Georg von Podiebrad (1420-71) - in den vierziger bis siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts versucht hatten, mit diplo­ matischen Verhandlungen den Weg für den uneingeschränkten Handel zu eb­ nen, schwankte die Handelsintensität bis zum Anfang der achziger Jahre in­ folge der unruhigen politischen Verhältnisse in Böhmen. Erst dann gelang es, die früher so regen und engen Handelbeziehungen zu erneuern.71 69 Für die Unterstützung bei meinen Quellenstudien danke ich der Grantagentur der Tschechi­ schen Republik in Prag sowie der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bonn. Für die Hilfsbe­ reitschaft bei der Quellenarbeit im Staatsarchiv Nürnberg danke ich den Herren Dr. Gerhard Rechter und Dr. Peter Fleischmann, dem ich auch für sprachliche Korrektur dieses Beitrags sehr verbunden bin. Meine bisherige Bearbeitung der im Staatsarchiv Nürnberg aufbewahrten Quellen zu dieser Thematik bilanzierte ich in dem Artikel: Znovu ad fontes. Husitske Cechy v norimberskych pramenech [Wieder ad Fontes. Das hussitische Böhmen in den Nürnbergern Quellen], in: fiesky casopis historicky 97 (1999), S. 19-36 (mit deutscher Zusammenfassung). 70 Jörg K. Hoensch: Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit 1368-1437, Mün­ chen 1996, S. 429-464. - Frantisek Kavka: Posledm Lucemburk na deskem trünä. Kralem uprostred revoluce [Der letzte Luxemburger auf dem böhmischen Thron. Zum König inmitten einer Revolution], Praha 1998, S. 180-252. 71 Dazu vgl. Schenk (wie Anm. 2). - Hans Schenk: Die Beziehungen zwischen Nürnberg und Prag von 1450-1500, in: Der Außenhandel Ostmitteleuropas 1450-1650, Ingomar Bog (Hrsg.), KölnWien 1971, S. 185-203. - Josef Janäcek: Prag und Nürnberg im 16. Jahrhundert (1489-1618), ebd., S. 204-228. - Janäcek (wie Anm. 9).

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NÄHER AM ORIGINAL? ZUR VERFASSUNG DER REICHSSTADT NÜRNBERG 1516 Von Siegfried Frhr. von Scheurl Am 15. September 1516 schrieb der nürnbergische Ratskonsulent Dr. j.u. Chri­ stoph II. Scheurl in zehn Stunden die ihm besonders wichtigen Punkte der nürnbergischen Verfassung nieder. Er erfüllte damit eine schriftliche Bitte des ihm nahe stehenden Dr. theol. Johannes von Staupitz.1 Dieser umfangreiche Brief war die erste schriftliche Fassung der Nürnberger Staatsordnung. Am Schluß des Schreibens betonte Scheurl, alles sei in die Feder geflossen, wie ihm die Worte gerade in den Sinn gekommen seien. Auch habe er wegen großen Zeitdrucks den Text nicht mehr überlesen.2 So fehlen uns, nachdem das Original bisher verschollen ist, auch eine etwaige Abschrift und natürlich auch ein Entwurf, wie solche Unterlagen von zahlreichen Briefen des bekannten Humanisten auf uns überkommen sind. Wegen der als Vorbild anerkannten Staatsordnung Nürnbergs wurde der als persönliche Information gemeinte, politisch wichtige Brief schnell handschrift­ lich und später gedruckt in lateinischen und deutschen Fassungen verbreitet. Auch italienische Übersetzungen, wohl besonders für venetianische Interes­ senten, sind bekannt.3 Aber insgesamt ist die Forschung bis heute auf Wieder­ gaben angewiesen, die (lateinisch) mindestens stilistische Überarbeitungen ent­ halten oder als Übersetzungen unter dem Grundproblem leiden, auch bei be­ stem Willen immer zugleich Interpretation zu sein. Abschreiber und Überset­ zer benützten ihre Arbeit unbefangen auch dazu, eigene Akzente zu setzen. Ein Urheber-Schutzrecht gab es ja nicht. Wie sehr man mit Textentstellungen rechnete, ist dem Begleitbrief Johann Christoph Tuchers zur Übersendung einer lateinischen Fassung der Scheuri­ schen Epistel zu entnehmen.4 Er schreibt (lateinisch): Ich schicke Dir; hoch-

1 Zu Beginn der Adventszeit 1516 hielt sich Dr. Johannes von Staupitz, Generalvikar des Ordens der Augustiner-Emeriten, dem auch Dr. Martin Luther angehörte, in Nürnberg auf. Er predigte hier mehrmals und stand in Verbindung zum Humanistenkreis. Mit Dr. Christoph II. Scheurl hatte er Verbindung seit dessen Zeit als Rektor der Universität Wittenberg (1508-1512). 2 Im Schlußabschitt des Briefes erwähnt Scheurl seine Arbeit an der Herausgabe der Staupitzpre­ digten als Grund des Zeitdrucks, unter dem er derzeit stehe. 3 Siehe S. # die Chroniken der deutschen Städte Bd. 11, S. 783 Anm. 1. 4 StBN, Amb. 429 Bl. 2r-9 (lat.): zu 9r beigegeklebtes Bl. (Begleitbrief lat.); Bl. 23r-40r (deutsche Fassung der epistola). Der Begleitbrief ist undatiert und ohne namentlich genannten Adressaten. Außerdem lebten im fraglichen Zeitraum mehrere Johann Christoph Tücher. Der Berichterstat­ ter neigt dazu, als Verfasser ein Familienglied anzunehmen, das in den Nürnberger Ratslisten

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achtbarer und hochgelehrter Herr; jenen Brief über das Staatswesen der Reichs­ stadt Nürnberg, ... den ich, endlich daran erinnert, bei einem Freund, dem ich ihn vor längerer Zeit überlassen hatte, kürzlich aufgefunden habe ... Wenn Du etwas Widersinniges entdeckst, halte es der Originalhandschrift zugute, die ge­ radezu zerrissen und durch ihr Alter nahezu verbraucht war; bei anderen Stel­ len, denen Du eine derartige Zubilligung nicht beimessen kannst, wirst Du gemäß Deiner einmaligen Klugheit selbst eine Entscheidung treffen können ...

Eine im gleichen Handschriftenband stehende, als Verdeutschung5 des vor­ hergehenden lateinischen Textes bezeichnete Fassung des Scheurl-Briefes zeigt insgesamt die Großzügigkeit im Umgang mit vorliegenden Schriftstücken. Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen. Kapitel II des Briefs: Text T (lat. siehe unten): Der nürnbergische Rat ... 34 Patrizier und acht Plebeier ... Text A, (Schreibweise aktualisiert): aus den edlen Geschlechtern der alten Wappengenossen und acht aus der Gemein geklaubet. Kapitel III (T): Genannte: Es sind Leute, die ehrbar leben, ihren Lebensun­ terhalt nicht mit Arbeit der Hände suchen, mit Ausnahme einiger weniger her­ vorragender Handwerker ... (A): ... die Genannten: Es sind Leute eines ehrbaren Lebens und Wandels, die ihre Nahrung mit ehrlichen tapferen Gewerben und nicht mit verachteten Handwerken überkommen, ausgenommen etliche wenige Handwerksleute ... Im Unterschied zu diesen beiden Stellen dürfte im Briefschluß: mit Fleiß und Arbeit (A) gegenüber meine Mühe und Arbeit - labores et operas meas (T) auf mangelndem Textverständnis beruhen. Ob wir in der Bemerkung zur Originalhandschrift (autographum) einen Hinweis auf das Ende des Scheurischen Originalbriefes von 1516 bekommen,

1575-1610 als Christoph Tücher belegt ist, und zwar 1575-1579 als Scabinus und 1598-1610 als Konsul, in welcher Eigenschaft er 1599,1605,1607 und 1609 als Elector tätig wurde. Kann man unterstellen, daß dieser den bewußten Begleitbrief während seiner Ratsherrenzeit schrieb? Oder könnte eine Handschriftenprüfung zu jenem Hans Christoph Tücher führen, den Johannes Müllner 1625 als Leser seiner ,Relationes‘ erwähnt (Johannes Müllner, Die Annalen der Reichs­ stadt Nürnberg, Teil 2, hrsg. von Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1972, S. 22*)? Der lateinische Text lautet: Mitto tibi reverende et doctissime Domine epistolam illam de reipublicae Norimbergensis regimine ... donec tandem recortatus (!), apud amicum, cui superioribus temporibus concesseram, eam nuper invenerem (!) ... si quid praeter sensum invenies autographo quod plane di-

laceratum et vetustate prope consumptum erat attribue: aliis praeter eos quibus eiusmodi concedenda ne communices ipsemet pro singulari tua prudentia diiudicare poteris ... 5 StBN, Amb. 429 Bl. 23r:.. ist dieses verteutschet, waß hiervor in lateiniescher sprach zu finden. - Freilich ist dieser Satzteil nachträglich hinzu gefügt.

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Zur Verfassung der Reichsstadt Nürnberg 1516

sei vorläufig dahin gestellt, so wahrscheinlich dies dem Berichterstatter er­ scheint. Häufige Ausleihe und hohes Alter des Papiers machten die Hand­ schrift nach vielen (mehr oder minder sachgerechten) Abschriften unbrauch­ bar. In der Literatur begegnen vor allem fünf Drucke, die untereinander teilweise abhängig sind und jeweils wohl ganze Gruppen ähnlicher Veröffentlichungen repräsentieren: • Christiani Gastelli Tractatus de statu publico Europae, Noribergae 1675, S. 1205 ff. (= G) Als Vorbemerkung zu dem Brief stellt der Verfasser nur fest: De statu seu Regimine Rei-publicae Noricae epistolam hanc a Christophero Scheurl ...ad Reverendum Patrem ... compertum habeo. Den Hinweis auf eine Quelle suchen wir also vergebens. • Johannis Christophori Wagenseilii De ... Civitate Noribergen Commentatio ..., Altdorfi Noricorum 1697, S. 190 ff. (= W) In einer Vorbemerkung bezeichnet Wagenseil den Consiliarius j.u. Chri­ stoph Scheurl als Varro insuper.6 Anschließend beruft er sich auf den Theolo­ gen Johannes Säubert d.Ä. (1592-1646). Dieser Nürnberger Prediger hatte in seinem Werk Historia Bibliothecae R. Publ. Norib. 1643 Scheurls Bibliothek erwähnt. Auf S. 15 lesen wir dort: Bibliothecam sibi struxit amplissimam ipse ... (Dazu angeregt worden sei er durch das Vorbild Willibald Pirckheimers.) An­ schließend schreibt Wagenseil über den Brief: hanc igitur praesentamus. Also auch hier nichts über eine Gewährsperson des unmittelbaren Wortlauts. • Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, 11. Band/ Die Chroniken der fränkischen Städte. Nürnberg, 5. Band, Leipzig 1874, S. 783 ff. (= C) Der hier gebotene deutsche Text bietet eine Zusammenstellung der dem Herausgeber Carl Hegel bekannten Fassungen. Als Vorlagen nennt dieser auf S. 783 zwei deutsche Übersetzungen. In den Anmerkungen zitiert er häufig auch lateinische Satzteile. Diese gehen in der Mehrzahl auf Wagenseil zurück, weisen aber auch auf die handschriftliche Überlieferung hin.7 Leider ist die 6 M. Terentius Varro (v636), galt wegen seiner gründlichen und kritischen Forschungen über die altrömische Literatur für die Humanisten als großes Vorbild. Sein Biograph Ausonius Popmann schreibt in M. T. Varronis De Lingua Latina Libri qui supersunt Biponti (Zweibrücken) 1788, S. XI: ... non annis quam stilo vivacior fuit. An diese Einordnung mag man bei der Be­ zeichnung Dr. Christoph II. Scheurls als Varro insuper (überragender Varro) denken. 7 StAN, Rst. Nbg., Amts- und Standbücher Nr. 1, Bl. 2r-9. - StBN, Amb. 382 war 1999 nicht auf­ findbar. Dem Forscher bietet jedoch der in den Chroniken nicht erwähnte Band 429 Bl. 2r-40 (teils lat. teils deutsch) eine Fülle von Material.

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Notiz Gerhard Hirschmanns in Johannes Müllners ,Annalen'8 mißverständ­ lich: Die Epistel ist gedruckt in den Chroniken der deutschen Städte. Der latei­ nische Originaltext fehlt ja gerade. Nunmehr ist ein einem bisher noch nicht erschlossen gewesenen Teil des Scheurl-Archivs9 eine Handschrift aufgetaucht, die nach Duktus und Wasser­ zeichen10 wohl eher auf die Zeit um 1700 anzusetzen ist (= T). Aber dem Ge­ samteindruck nach muß sie von einem geradezu sklavisch treuen Abschreiber von einer Vorlage abgenommen sein, die dem Original von 1516 mindestens sehr nahe kommen dürfte. (Dem schmunzelnden Leser drängt sich sogar der Eindruck auf, daß in den letzten Kapiteln erkennbare Ermüdungserscheinun­ gen des Briefschreibers treu festgehalten sind.) Die Abweichungen der Drucke G und W von dieser Fassung untermauern diese Annahme und geben wert­ volle Hinweise. Denn wer einen Text bewußt ändert, verfolgt damit bestimmte Absichten. Einige besonders wichtige Beobachtungen, die sich bei einem Vergleich des „neuen" Textes (T) mit den bekanten Fassungen ergeben, seien aufgelistet. Ei­ nige Beispiele sollen jeweils deutlich machen, wie G und W den ursprünglichen Brief einerseits nicht nur in der Kapiteleinteilung übernehmen, aber gleichzei­ tig den schnell hingeworfenen Wortlaut nach den ihnen vorliegenden Überar­ beitungen und für ihre erwarteten Leser umformulieren. Offensichtliche Schreib- bzw. Druckfehler bleiben dabei sinnvollerweise außer Betracht, während der eingangs erwähnte Zeitdruck des Verfassers zu beobachten ist, ebenso die Entschuldigung, daß er sich den Verzicht auf nochmaliges Lesen des Schriftstücks im Vertrauen auf die persönliche Bezie­ hung und seine bisherige Erfahrung verständnisvollen guten Willens des vereh­ rungswürdigen Paters leiste. Auch etlicher inhaltlicher Mängel und Lücken des eilig verfaßten Textes ist er sich bewußt, für die er ebenfalls am Schlußabschnitt des Briefs um freundliches Verständnis bittet. Auch heutige Kritiker sollten das billigerweise nicht ankreiden. Eigens erinnert sei auch an Anmerkung 2. Jo-

8 Johannes Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teil 2, hrsg. v. Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1972, S. 482 Anm. 977. 9 Es handelt sich um das Scheurl-Archiv Schwarzenbruck (StadtAN E 20). Schloß Schwarzen­ bruck südostwärts von Nürnberg kam 1708 auf dem Erbwege von der Familie Schmidtmayr an eine Linie der Scheurl, 1876 kam es ebenso von den Scheurl an die Familie von Petz. Das im Schloß liegende Archiv, weithin aus Akten des ehemaligen Scheurischen Patrimonialgerichts be­ stehend, wurde - wie üblich - mit übergeben. Die neuen Eigentümer vertrauten es zur Verwah­ rung dem Stadtarchiv Nürnberg an. Dort inventarisiert Herr Karl Kohn seit 1990 die Bestände. 10 Wasserzeichen: Wappenschild (3 x 6,5 cm) mit Lilienmotiv, im Schild S und H.

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hannes Müllner konnte sich, als er unter Verwertung des Scheurl-Briefes die nürnbergische Verfassung in seinen Annalen darstellte11, mehr Zeit nehmen. Vor der Aufgliederung seien zwei Beispiele genannt, die die grundsätzliche Weiterentwicklung von T zu G und W besonders sinnfällig erhellen: Cap. I: T timor Dei\ G Dei cultus; W (später!) wieder Dei timor. Mit cultus trägt G dem Zeitgeist Rechnung. (Eine eingehendere Stellungnahme erübrigt sich wohl.) Cap. XXVI: T Eleemosyna; G Ecclesia; W = T. G bringt das Fehlen des um­ fassenden Bereichs Ecclesia zum Ausdruck. (Freilich hat Scheurl die staatlich­ kirchlichen Belange in Wirklichkeit mehrfach angesprochen.) Nun zu den auffälligsten Fortentwicklungen in Stil und Wortwahl: - Auflösung längerer Perioden in kurze Sätze: Cap. II und weiterhin wieder­ holt. - Ausfüllung einer Textlücke: Cap. XIV: T Lücke; G parentibus; W Lücke be­ lassen. - Gefälligere Wortwahl und Wortstellung, dem zeitgemäßen Sprachgebrauch angepaßte Formulierung: Bei G und W wiederholt (wobei der später ge­ druckte W durchaus nicht immer die Vorschläge von G übernimmt, sondern häufig T folgt): Wiederholt autem statt vero; nil statt nihil. Cap. III: T honor non est vulgaris; G und W non vulgaris est honor. Cap. XI: T Angeria; W angeria; G Angeria Losung. Cap. XIII: T Dum Caesar seu ...; G und W Deinde Caesareum sive Judi­ cium Imperiale ... Cap. XXVI: T und Wpossumus; G possum. Conclusio: T und G nec recudi nec relegi ...; W nec revidi nec relegi. T deductio; G eductio; W inductio; C12 = W. G und W Einschub: ad te (perscrihere); ^erlgeichbare „Verbesserungen“ finden sich in großer Zahl. - Sachlich richtigere Worte und Ausdrücke (gelegentlich auch fehlerhafte Textänderungen): Cap. II T sieben zuständige Senatoren (= Ratsherren); G und W berich­ tigen: drei. 11 Wie Anm. 8, S. 482-499. 12 Siehe Chroniken (wie Anm. 3), S. 804 Anm. 2, wo besonders auf Aurelius als Vornamen des Kirchenvaters Augustinus hingewiesen und Staupitz als bedeutende Gestalt des AugustinerEremiten-Ordens als Aurelianuspraesul herausgestellt wird.

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Cap. XIII: T und W decessus; G excessus (Ausscheiden oder Sterben). Cap. XX: T consensu\ G und Wpermissu. Cap. XXIII: G keine Überschrift: kein sichtbarer Grund. Ursache vielleicht das Fehlen der Überschrift beim vorherigen Kapitel? Cap. XXV: Tpraelectis; Gperfectis; Wpellectis (Hörfehler bei Diktat?). - Überflüssig Erscheindendes und geschichtlich Überholtes gelegentlich weg­ gelassen oder zeitgemäß berichtigt: Cap. III: T und W decreta; G edicta. Cap. X: T und Chron. totum dimidium diem\ G und W totum diem. Cap. XI: G Einschub: Losung-Schreiber/nunc Losung-Beamter, hodie et hi ex Patritiis sunt. T und W expendenda sunt, hi duo ... G aerario inserentur, hi tres... Cap. XII: T ad iuniores; G und W ad Patres; (C: an die andern rathern). Diese Beispiele dürften zweierlei deutlich machen: Die Fassungen Gasteils und Wagenseils sind auf T bzw. auf dessen Vorlage bezogen. Im Vergleich mit G und W wirkt T geradezu schlicht und jedenfalls ursprünglicher. Da die Überprüfung der beiden gedruckt vorliegenden Werke von 1675 und 1695 in wissenschaftlichen Bibliotheken keine Schwierigkeiten bereitet, kann auf deren - auch auszugsweisen - Abdruck verzichtet werden. Die bisher un­ veröffentlichte Handschrift T wird im Folgenden vollständig wiedergegeben, teilweise auch in Reproduktion, und das Verständnis durch eine möglichst wörtliche deutsche Übersetzung erleichtert.13

13 Lagerort der Handschrift, die aus vier Bogen (42,5 x 34 cm, Schreibraum 14,5 x 27 cm je Seite) besteht, ist das Stadtarchiv Nürnberg; die Signatur lautet E 20 Nr. A 79. Für die Möglichkeit der Veröffentlichung dankt der Berichterstatter der Familie von Petz als Eigentümer, dem Stadt­ archiv Nürnberg als Verwahrer und Herrn Karl Kohn für seinen Hinweis.

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Ad reyerendum patrem Johannem de Staupitz. Theologum et familiae Augustinianae Vicariumy de reipublicae Noriberg: regimine. Christophori ScheurlDr: Epistola in 25: Capita distincta.14 Caput I Praefatio est quod Senatus Noriberg: quaerit consilium et sapientiam a Deo Obsequia debita desiderat Paternitas tua, Reverende Praeses, quemadmodum Repub nostra regatur; reddi certior. Desidero ego tibi gerere morem, cui dare beneficium recipere est, nec moveor quod in describendis Magistratibus nostris, non habeo quem imiter; Pro tua prudentia ex paucis multa conijciei, qui non cupis in praesenti historiam me texere, sed regendi modum transeuntem attingere. Principio igitur non est hic populus ignarus omnem sapientiam, omnia consilia, omnia gubernacula a solo Deo pendere, iuxta illud Vulgatum: Homo proponit Deus disponit, quam rem tibi non demonstro, neque enim sus Minervam. Unde quoties res ardua consulitur; toftes Senatus rogatu, Clerus supplicationes, Quandoque etiam processiones indicit decernitque, propterea ex veteri ritu omni tertiaferia Paschae Ecclesiatim cantatur Missa Spiritus Sancti, hortatur populus rogare Deum. ut hi sibi praeficiantur, qui cum Dei timore coniunxere prudentiam, ut Magistratus distribuantur Viris, wo« zwn Magistratibus. Eius rei gratia mox dato signo conscendunt Praetorium Senatores, ««4 reliquis civibus honoratis, dicuntur Nominativ id est de Consilio maiori. Caput II De Numero Senatorum et eorum Nominibus Constat autem Senatus Noribergensis ex 42 quorum 34 sunt Patricij et 8 Plebeij: Patricij distribuuntur in 8 Antiquos Nominatos et 26 Burgomagistros, quorum tredecim sunt Consules et tredecim Scabini. Praeterea ex Burgomagistris tredecim dicuntur antiquioresy reliqui tredecim Juniores, horum nulla differentia, sed inter antiquiores septem vocantur Antiqui Domini seu Seniores, vel a numero Septemviri, Inter hos septem sunt Civitatis Capitanei, e£ Capitaneos duo Quaestores nos Loßunger dicimus, quorum prior Primatum obtinet. Caput III Qui dicantur Nominati et de officio eorum Consilium Maius xonstituunt Cives Nominati, horum non est numerus fixus, numerantur tarnen ferme ducenti hi dicuntur Nominativ et sunt qui honeste vivunt, qui victum manibus non quaeritant, praeter pauculos aegregios artifices, 14 Bei der Transkription des lateinischen Textes sind Groß- und Kleinschreibung sowie Satz­ zeichen beibehalten, wird v (z.B. in qualis usw.) mit u wiedergegeben, sind Schreibfehler zur leichteren Beurteilung des Textes beibehalten.

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horum signis magna fidei adhibetur; Duo Jure municipali tabulas signant, cum Caesareae leges septem testes requirant. Ex bis Senatores deliguntur; ipsi tres Electores Senatus eligunt, Quoties Senatus tributum imponit, aut bellum indicit, toties sententias ferre rogantur; quandoque etiam conveniunt audituri suspecta tempora, et quemadmodum Principes ad Francofurdinas nundinas conducere velint, intelligo mercatores Noribergenses, et id genus eorum officium, ferre testimonium, sequi Patrum decreta unde esse Nominatum honor non est vulgaris. Caput IIII De Electione Electorum Senatus Coacto igitur utpraefatus sum, maiori consilio, Nominatus quoque medio iuramento, eligit unum Consulem et unum Scabinum ex antiquis dominis, vel saltem antiquioribus Burgomagistris, similiter Senatus eligit tres antiquos Nominatos, hac lege ut maiora suffragia praevaleant, et duo eiusdem familiae non eligantur; neque is quiproximo Paschate elegit, Hi quinque dicuntur Electores SenatuSy quibus conscriptis nemo amplius est Senator; omnes sunt privati, omnia officia, omnes Magistratus vacant. Caput V Qualiter Electores sine intermissione eligant Senatum, et de eorum Potestate Dimissis cunctis, soli Electores, datoprius Jureiurando conclave ineunt, neque edunt donec sit perfecta Electio. Eligunt autem Senatum Universum praeter an­ tiquos Nominatos, quod ad omnes Senatores spectat, plaerumque veteres reeligunty quandoque tarnen iuniorem aliquem praetereunty vel qui propter senium, vel aliquam iustam causam vacationem petit, alioquin neminem nisi ex ardua causa (quippe non reelegi ignominia est.) praeterea in demortuorum loca novos sufficiunty Nam hoc solo die et per hos solos datur et non redditur toga. Propterea mortis tantum aut maximam necessitatemputa demerita gravia, bis permittitur eligere personamy aut etiam Antiquum Nominatum vocitare in Burgomagistrum, non vero augere dignitatem. Postremo iuniores Burgomagistros An­ tiquioribus cooptanty ut ita singulis quatuor septimanis binipraesinty non tarnen eiusdem Parentelae, quos etiam in Consules et Scabinos tunepartiuntury et sin­ gulis sua loca distribuunty Antiquos civium Magistros antiquis nominatis et bis utrisque artifices artificiose miscentes, quo ordine eo anno sententiae rogantur. Unde interprimos rogari, honore habetur; sicutprimum rogari futurum Quaestorem praesagit, quare ignaviam denotantes proverbium dicunt: Hic tot annis in uno pulvinari consedit. Quippe singulis Senatoribus, singula pulvinaria sternuntur. Sequenti quartaferia Nominatis publicant Electores, quibus maiora seu plura dedere suffragia, iterumque iuratur.

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Caput VI De Novi Senatus primo Officio Lectus novus Senatus mox quinta feria antiquos Nominatos, si qui desiderantur, sibi cooptat, deinde ad officia Magistratus et stipendiatos se convertit. Non est Magistratulus, officiolum seu etiam stipendiolum ita tenuey de quo non sententiae rogantur omnium. Si quispublice adulteratur; aut alioquin reprehensibiliter vivit aut agit, monetur; corrigitur, cancellatur; Propter hoc et reliquiorum offensionem. Primus Magistratus sicut honestissimus ita quoque laboriorissimus habetur; Quare semper primo Quaestori designatur et electio Collegae qui ferme proximus in antiquum Civium Magistrum eligendus venit, Singulis deinde viginti octo diebus, Senatus sibi praeficit duos alios Collegas, quo temporum scilicet qualitate in hunc modum, finito anno omnes 26 Burgimagistri gessere Magistratum ad quatuor septimanas, et si Pascha citius tardiusque celebratur; hoc accescit decrescitque postremo Consulatui. Caput VII De Burgimagistrorum Officio Burgimagistrorum est, totos dies impendere Reipublicae, turpe ducere totam noctem dormire, magnam dieipartem in foro autpraetorio versan, audire querelantes, componere, confessum iubere solvere, mandare pacem et id genus. Ad Antiquum Civium Magistrum spectat hospites honorare, literas resignare, le­ gere extra ordinem Senatum pro arbitrio die noctuque Senatum cogere, alioquin vesperi vocare singulos Senatores ad diem sequentem etiam medio iure iurando causas proponere quas ipse vulty sententias rogare, numerare diffinire, diffinata mendare, describi, Senatum dimittere interesse etiam Consilio Seniorum. Extra eius permissum nemo quicquam proponit, interea illius substitutus Junior Burgimagister in Praetorio ambulat, libellos supplices et literas aperit et porrigit, et si quae sunt similia. Caput VIII De Senatus Qualitate et Augmento Senatoriae dignitatis Omnis nostra Respublica versatur in manibus Patriciorum quorum scilicet Proavi etAttavi nobis quoque profuere. Advenae et Plebei nihilpossunt, neque plebeiorum est regere, quum omne regimen a Deo sit, et bene regere paucis admodum concessum, bis scilicet qui genio singulari a Summo rerum opifice et na­ tura quoque dotati conspiciuntur. Nemo igitur in Senatum, exceptis octo legitury nisi cuius Maiores togati fuere, praeter pauculos quosdam advenas, vel etiam nostrates multum honeste natos, sed hi togam junioris Burgimagistri non exuunt, Alioquin ex hoc genere Septemviri legunt antiquos Civium Magistros, et ex his Senatus Seniores Dominos, inde creantur Capitanei et Quaestores, Quare magnum ducitur Senatorem esse, maius Burgimagistrum, antiquumy Maximum Septemvirum et dum Quaestorem. Plurimae familiae numerantur quidem Se­ natoriaey multae antiquum Burgimagistrum non transcendunty paucae Septem-

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virum gigant, pauciores Capitaneum, paucissimae Quaestorem. De his non est lata certa lex, attamen in hunc modum ni fallor observatur. Unum praeterire nequeo, quod Doctoratus, quantumcunque Patricius, togae incapax censetur. Postremo ex una Genealogia duo leguntur Senatores, et inter hos unus tantum Septemvir. Caput IX Quemadmodum Senatus Maiores Magistratus et Officia conferat Si quando Septemvir; Quaestor aut id genus officialis in demortui aut decedentis locum sufficiendus est, duo Praesides quinque vocant, qui quatuor nominant eligibiles, quorum capita patres conscripti fabis committunt, atque hunc electum pronunciant in quem maiora suffragia declinant, hoc observato, ut cuius causa agitur, eius agnati omnes atque alij propinqui, usque ad certum gradum lege definitum patrum decretis haudquaquam intersint. Caput X De Salario Senatorum Quaestoribus constitutum est ingens Salarium, eis negotiari non licet. Septemviris, solvuntur aurei ferme quinquaginta praetera multa commoda et offi­ cia lucrosa distribuuntur his qui authoritate pollent, qualia sunt signare literas et testamenta et huiusmodi. Qui causa Reipublicae abest, huic singulis diebus datur dimidius aureus, olim dabatur integer. Quoties qui ad Rempub. accedit, toties illi signum porrigitur, qoties absque iusta causa Senatum negligit, toties signum remittere tenetur. Circumactis duo de triginta diebus, quodque signum redimitur quinquaginta denarij, tarde veniens quatuor denarios imponit pueris exposititijs. Antiquo Burgimagistro dantur Aurei octo, Juniori quatuor. Quotidie habetur Senatus ferme ad tres horas, eo dimisso, si opus est perseverant Seniores Domini, qui interdum etiam subsistente causa ardua, remotis caeteris, totum dimidium diem de Republica consultant. Caput XI De Quaestoribus Quaestorum summa dignitas et potestas est, ipsi soli aerario praesunt, habent collegam qui inter octo Artifices primatum obtinet, qui nomine plebis Quaesturam agit, eius officium januam aperire introeuntes et exeuntes conducere. Ha­ bent praeterea duos honestos cives, qui cuncta diligenter scribunt et rescribunt, Cum his Quaestores conveniunt, singulis diebus Lunae, Mercurij, Sabbathi, pomeridianis et totem septimanam, in quam Angaria incidit, vel etiam integrum mensem, ubi tributa solvuntur et totam ferme quadragesimam, quo tempore omnes omnium rationes audiunt et reliquis Septemviris reddunt. Quaecumque expendenda sunt, hi duo expendunt, quaecunque aerario inferenda sunt hi duo accipiunt, inferunt, tractant. Ipsi publicas literas et quaecumque signum iudiciale habent, signant, nullius secreti non conscij.

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Caput XII De Tribus Capitaneis Civitatis Committuntur bis claves reliquiarum, portarum, et signa etiam seu standarda civitatis, in horum iuratur; exortu tumultu ad hos recurritur; bis obeditur. Caput XIII De Senioribus Dominis Septem virorum regimen manu tenet Rempublicam Noribergensem, omnia secreta hi tractant, m7 arduum, wo« Consultant, priusquam ad juniores referant, reliqui in comparatione horum parum sciunt, parum possunt, apud hos summa potestas, quanquam aerarij conditionem et vix ipsi sciant, licet eis ut monstravimus, omnium acceptorum et expensarum ratio reddatur, nunquam unus semper duo eliguntur. Igitur uno mortuo expectatur sexti quoque decessus, vix semel aut iterum octavus electus prius, gravissimis scilicet reipublicae temporibus. Caput XIV De Antiquis Nominatis Antiqui Nominati censentur tanquam milites emeriti, ab omni ferme onere vacant, nullos Magistratus gerunt, nullas dignitates conscendunt, nisi forte in Burgimagistros juniores eliguntur, nam Antiquus Nominatus in antiquum civium Magistrum non evadit, rogati sententiam dicunt aut fabem porrigunt si libet. Qui tarde utpote per cognatos impeditus ad Rempublicam accedit et ascendere non speratur vel indignus indicatur, quifratrem habet Consulem, nam duo fratres Burgimagistratum difficulter sortiuntur qui auctoritate pollet et sapientia praestat: Sed de his............ non gignitur; qui maiores sortiti sunt Magistra­ tus, is inter antiquos Nominatos cooptatur quorum dignitas olim maior erat: hodie tres ex eis antiquis Burgimagistris pares connumerantur, potissimum quod Senatum eligunt, Reliqui quinque Antiquiores Civium Magistros sequuntur. Caput XV De Scabinis Tredecim Scabini per Electores designati, exceptis antiquis Dominis, in hoc gravantur quod tormentis intersunt, illorum errata testantur, sanguinem iudicant omnes, quanquam nihil iudicant quod patres prius non decrevere. Jurat autem quique Senator maiora suffragia ac si ipse decrevisset manibus et pedibus sequi. Caput XVI De Artificibus Octo Artificia dant octo Senatores, his constitutum certum salarium, liberum adesse, liberum abesse, liberum votum dare, honores non gerunt, quae patres decernunt, approbant. His suffragiis subscribunt quae maiori nituntur aequitate.

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Caput XVII De Quinque Viris Quinque viri nomen sortiuntur a numero, hi sunt duo civium Magistripraesentes, et duo qui proxime Magistratum posuere. quihus Senatum (!) quintum addit ex ordine, suhstituitque in Quaestorum locum, qui ab eo onere vacant, Propterea singulis quatuor septimanis mutantur. Hi diebus Lunae, Mercurij et Veneris tribuspomeridianis horispro tribunali cum scriba suo sedent, danturque singulis denarij 25. Hi causas audiunt iniuriarum et dirimunt, si quis leges excessit, corripiunt et mulctant, procedunt summarie de plano sine strepitu et figura iudicij: Libellum non recipiunt, procuratoremy Advocatum Assistentem non admittunty testimonia raro audiunt sacramento plaeraque dirimiunt, casus graviores ad Senatum referunt, ab eis non appellatur. Maximum arbitror hoc ci­ vitatis beneficium, et quum exprimere nequeo, tu pro tua prudentia facile colligere potes. Caput XVIII De Praefectis rei militaris Summa temporum difficultas borum numerum usque ad septem auxit, tribus tarnen onus principaliter incumbit, nam numero impari Nostrates gaudent, borum prior praefectus militum appellatur; habent conclave suum in quo conveniunt ubi opus est. Deputatur bis certum salarium, ac scribae aurei centum annui. Hi multa habent secreta qui ad rem militarem pertinent. Horum curae committuntur universi territorij villae, rustici, equi, currus et id genus alia, quae consulto praetereo, ad unguem haec habent descripta, noruntque, Decrevisse arbitranturparum referre, modo iustum sit bellum, an ex insidiis pugnetur. Unde quäle istorum sit officium, quae cura, qui labor, tu magis scire potes. Caput XIX De Praefectis Agri Norici Praefectura haec ante biennium instituta est, cum antea quaeque civitas, quodque castrum in unius Senatoris tutelam committebatur. Postea vero consultius visum est, creare quinque Senatores praefectos Universi territorij Nurenbergensis, illorumque fidei permittere quae bello acquisivimus Bavarico. Hi officialium rationes audiunt, bis permissa potestas limitata, pro Senatu omnia illa gerunt, habent et ipsi scribam, cui centum aurei solvuntur; singulis vero Prae­ fectis viginti quinque: His interdictum medio sacramento quorunque dona recipere, etiam esculenta, potulentave. Caput XX De Tuotoribus Viduarum et Pupillorum Eligit Senatus ex gremio suo tres supremos tutores, constituto annuo salario quadraginta aureorum, hi diebus Martis, Jovis et Sabbathi, horis pomeridianis praesente scriba suo pro tribunali sedent, non tarnen habent jurisdictionem contentiosam, sed quod iustum est iudicant, haereditates dividunt, ultimam volun-

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tatem exequuntur. Tutores dant, in demortui, suspecti aut excusantis locum alium sufficiunt, Istorum cura ut pecunia pupillaris foeneretur; hoc est, census gignat ut pupilli honeste educentur; sine horum consensu nullum praedium, nullus census pupillaris distrahitur. Tutorum rationes audiunt, eos liberant, legata pia exigunt, extorquent, exequuntur. Nisi hanc tutorum vigilantiam ante duodecim annos a Senatu Veneto patres mutuassenty plurima defunctorum Evlogia quotidie supprinerentur. Et quod non minus pulchrum ducitur; quaecunque fundationes beneficiorum, Institutiones operumpiarum, Ecclesiastici reditus, praediaque hi conscribunt atque in ordinem redigunt diligenter: Quan­ tum in ijs esty curant ut anniversaria, Missae et id genus Divina officia observentury ut quae semel Deo dicata sunt, sacerdotibus eius manuteneantur integra. Caput XXI De Syndico Civitatis et illius Collegis Syndicus id est Pfänder; eligitur ex consilio maiori, Eius interest familiarum querelas dirimere, ut viae publicae mundae sint, ut caroy panis et caetera quae in forum vehuntur; iusto pretio vendantur. Huic quatuor Senatores cooptantur qui diebus Martis Jovis et Sabbathi post meridiem artifices audiunt. Si quis contra statuta Municipalia emit, vendit, operatury aut imperfecte dolose laboraty hunc mulctanty Magistros creanty et ut paucis dicam officium Magistrorum Collegiorum apud alios, exercent apud nos hi quinque. Quoties conveniunt, toties his solvuntur denarij 25. Caput XXII De Praefectura Ecclesiastica Singulis Ecclesijs et Monastenjs, tarn in urbe quam extra urbem imo singulis Xenodochijs praeficiuntur singuli Senatores, qui tanquam speciales patroni causas horum agunt, apud Senatum horum negotia expediunty defendunt. Nostro Tuchero obvenitS. Sebaldus. S. Spiritus id est hospitale, S. Augustinus. S. Catharina. Nostro Ebnero commissa Diva Virgo, commissum Monasterium Vallis Angelorum, ubi Christina Ebnerin ex maioribus suis miraculis clara et beata colitur. Caput XXIII De Judicio Civitatis Ex Nominatis deligit Senatus octo cives honestosy qui ferme ex reditibus vivunty hi duo tribunalia seu duo mensas habent singulis diebus Lunaey Mercurijy Veneris tribus integris horis contentiones, praesidentibus semper duobus SenatoribuSy publice audiunt, interloqvuntur; diffiniunt, terminos observant, libellos exceptiones, replicas, duplicas accipiunt scriptas, procedunt servato iuris ordine, Causas tarnen usque ad 32 aureos audiunt summarie et plane. Reliquis diebus puta Martis, Jovis et Sabbathi totidem horis antemeridianis Acta legunt, senten-

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tias post promulgandas dictant, diffiniuntque. Si causae sunt arduae, utraque mensa coit, his Patres deputant Assessores, tres aut quatuor Doctores, quorum est Consulere et ius judicare tantum, Scabinorum dare suffragia, his appellantur Patres usque ad sexcentos aureos, dum Caesar; Judicium Imperiale. Coeuntibus dantur signa quae singula exactis quatuor septimanis redimuntur quartaparte aurei, Absenti nihil datur, nisi forte Reipublicae causa, imo signum reddere debet, sicut tardiuscule veniens quatuor denarios exposititijs pueris. Ju­ dex horum sententias exequitur; sanguinem judicat, tormentis adest, it ipsi salarium constitutum non contemnendum. Causas usque ad ß aureos audiunt Judicespedanei i.e. Jurati Nuntij, quorum quatuor sunt. Caput XXIIII De Judicio Rusticorum Huic Judicio cooptantur cives honesti etiam maioris consilii, quam primum uxores ducunt, absque numero praefinito. Cupit enim Senatus filios suos exerceri in hacschola seu palaestra, unde postea egrediuntur Scabini et Senatores, ibi discunt terminos et praxin, et spe lucelli indolem ostentant: apud hos etiam in duas menses divisos. litigant ibi rustici omnes nostris subiecti: Ob hos aliquando magnae nobis contentiones fuere cum Alberto Marchione, nam a quo quis judicatur, hunc in bellum sequitur, quare tarn maxima utilitas Civitati provenit. Rusticorum Judicium peragitur Sabbatho a prandio ad tres horas, cuilibet Scabino dantur sexaginta denarij, mane autem vel quo alio die quando praesente Doctore sententiae dictitantur; acta audiunt et diffiniunt, quadraginta. Caput XXV De Jure Consultis Senatus Patres in Senatum doctores non admittunt, quoties in sententijs discrepant, aut Casus Jurisprudentiam expostulat, toties duo ex se ordinant, qui peracto prandio Doctores consulant et postero die consulta referant: hoc accidit in septimana; ter, quater, quinquies, ubi Opus est. Horum Jurisperitorum sunt V. nam duo obiere: Habet insuper Senatus quatuor alios Advocatos juratos, qui publico stipendio, quanquam etiam non absque privato Civibus consulunt, quod alijs non es integrum, qui solum Senatum respiciunt. Dantur etiam stipendia Doctoribus Augustensibus et Ingolstadiensibus, ad quos Patres in rebus arduis confugiunt. Praeterea Doctorum officium in causis Reipublicae patrocinarj, ablegari, orare, causas appellationum domi legere, consulere sententiam dictare. Neque enim Patres judicant nisi recitatis actis et praelectis sententijs, duorum aut trium JC’torum quandoque plurium ubi discrepant, ita in oibus (= omnibus) et per omnia vigilantes se exhibent. Tribunalia unde ad eos appellatur, sunt fere duodecim. Salaria Doctorum q. ducenti aurei: Eorum officium laborare totum diem, et quandoque noctis aliquam partem, nunquam habere requiem. Collocantur autem inter Septemviros et Antiquos civium Magistros.

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Caput XXVI De Cancellaria Senatus Cancellariae praesunt duo, qui dicantur scribae Senatus, nullius secreti non conscij, consilio Senatus intersunt ambo, Septemvirali alter tantum; omnia decreta scribunt, literas dictant, legunt, sunt oculi Magistratus, Eorum salaria ducenti aurei, sub se habent sex substitutos, qui totum diem scribunt, eorum emolumenta centum aureos ascendunt. Conslusio Epistolae Habes Integerrime Pater labores et operas meas decem horarum, quas certe nec recudi nec relegi, prout quodque verbum in buccam venit, ita in calamo incidit. Tanta est mea arrogantia et confidentia de bonitate tua, qui meam officinam nusque aspernatus es. Scio quae tibi offert Albertus noster emuncta esse, culta esse, et qualia Coum Apellem et Aurelianumpraesulem decent. Unde non miror si placent, si ad stomachum faciunt (siehe deutsche Übersetzung!), sed non omnes possumus esse Düreri. Quod ad animi dotes pertinet, libenter illi cedo, in te amando, nec Alberto, nec cuiquam sum secundus, et interdum floribus et lacte litant, qui non habent thura. Debuissem forte ornatius et copiosius perscribere, praescertim de Eleemosyna et pijs operibus huius Civitatis, sed me sibi vendicat deductio sermonum tuorum, ubi negligentiam rependam. Quare haec qualicunque excusare et non ingrato animo suspicere digneris. Vale Pater Opt. Norib. 15. Decembr. Anno 1516.

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An den ehrwürdigen Vater Johannes von Staupitz, Theologen und Vikar der Familie der Augustiner, über die Verfassung der Reichsstadt Nürnberg. Ein Brief Dr. Christoph Scheurls aufgegliedert in 25 Kapitel15 Kapitel I Vorrede und Bemerkung, daß der nürnbergische Senat Rat und Weisheit von Gott sucht Schuldigen Gehorsam begehrt Deine väterliche Würde, ehrwürdiger Präses, (mit dem Wunsch) genauer unterrichtet zu sein darüber, wie unsere Republik regiert wird. Ich bemühe mich, dieses Ansinnen zu erfüllen für Dich, dem zu geben bedeutet, eine Wohltat zu empfangen. Auch belastet es mich nicht, daß ich niemanden habe, den ich bei der Beschreibung unserer Staatsämter nachah­ men könnte. Bei Deiner Klugheit wirst Du aus wenigem viel schließen, der Du nicht erwartest, daß ich in die Gegenwart die Geschichte einflechte, sondern die derzeitige Regierungsweise darstelle. Im Grund genommen weiß dieses Volk sehr wohl, daß alle Weisheit, aller Rat, alle Regierungsmaßnahmen allein von Gott abhängen, nach dem Sprichwort: Der Mensch denkt, Gott lenkt. Das zeige ich Dir nicht groß auf, so wenig wie das Schwein die Minerva (belehrt). Daher kommt es, daß, so oft eine besonders schwierige Sache zur Beratung ansteht, auf Ersuchen des Rats der Klerus Bußtage, gegebenenfalls auch Prozessionen ansagt und beschließt. Deshalb wird auch an jedem dritten Osterfeiertag in den Kir­ chen die Messe des Heiligen Geistes gesungen und das Volk ermahnt, Gott zu bitten, daß ihm solche Leute vorgesetzt würden, die mit Gottesfurcht Klugheit verbinden, daß die Ämter den Männern, nicht die Männer den leitenden Posten zugeteilt würden. Deshalb gehen die Ratsherren auf ein Zeichen hin alsbald in das Rathaus, zusammen mit den übrigen ehrbaren Bürgern, die man die Ge­ nannten nennt, d.h. die vom Größeren Rat. Kapitel II Über die Zahl der Ratsherren und ihre Bezeichnungen Der nürnbergische Rat besteht aus 42 Personen, wovon 34 Patrizier sind und acht aus dem Volk kommen. Die Patrizier werden eingeteilt in acht Alte Ge­ nannte und 26 Bürgermeister, wovon wieder dreizehn Konsuln und dreizehn Schöffen sind. Außerdem nennt man von den Bürgermeistern dreizehn die Äl­ teren, die restlichen dreizehn die Jüngeren. Innerhalb dieser besteht keinerlei Unterschied. Aber unter den Älteren nennt man sieben Alte Herren oder Seniores oder von der Zahl her die Septemvirn. Aus diesen sieben sind die Haupt-

15 Die Übersetzung ist zum leichteren Vergleich mit dem lateinischen Text und mit anderen Fas­ sungen des Briefes so wörtlich wie möglich gehalten.

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leute der Bürgerschaft und bei den Hauptleuten zwei Schatzmeister; die wir Losunger nennen. Deren vorderster hat die oberste Leitung. Kapitel III Die Genannten und ihre Aufgaben Den Größeren Rat bilden genannte Bürger; deren Zahl nicht festgelegt ist. Man zählt aber ungefähr zweihundert. Diese heißen Genannte. Es sind Leute, die ehrbar leben, ihren Lebensunterhalt nicht mit Arbeit der Hände sucheny mit Ausnahme einiger ganz weniger hervorragender Handwerker. Von ihren Zei­ chen macht man mit großem Vertrauen Gebrauch. Nach städtischem Recht un­ terzeichnen zwei von ihnen Testamente, wo doch kaiserliche Gesetze sieben Zeugen verlangen. Aus diesen werden Ratsherren gewählt, sogar drei Wahlher­ ren des Rats wählen sie. So oft der Rat eine Steuer auferlegt oder Krieg ansagt, so oft werden sie gefragt, ihre Meinung beizutragen. Auch wenn sie Zusam­ menkommen, um wegen gefährlicher Zeiten sich informieren zu lassen und wie sie Fürstlichkeiten - ich meine die Nürnberger Kaufleute - zu den Frankfurter Messen geleiten wollen. Solcher Art ist ihre Pflicht, ihr Zeugnis beizutragen, die Anordnungen der Väter zu befolgen, weshalb Genannter zu sein keine alltäg­ liche Ehre ist. Kapitel IV Über die Wahl der Wahlherren des Rats Wenn der Größere Rat, wie ich oben gesagt habe, einberufen ist, wählt auch der Genannte auf Grund seines Eides einen Consul und einen Schöffen aus den Alten Herren oder wenigstens aus den Älteren Bürgermeistern. Ähnlich wählt der Rat drei Alte Genannte unter der Bestimmung, daß größere Stimmrechte den Vorrang haben sollen, nicht zwei aus einer Familie gewählt werden dürfen noch derjenige, der in der jüngst vorausgegangenen Osterzeit gewählt hat. Diese fünf heißen die Wahlherren des Rats, nach deren Aufstellung niemand mehr Ratsherr ist. Alle sind abgesetzt, alle Pflichten, alle Ämter ruhen. Kapitel V Wie die Wahlherren ohne Aufschub den Rat wählen sollen, und über ihre Befugnisse Wenn alle entlassen sind, gehen allein die Wahlherren, nachdem sie den Eid geleistet haben, in das Konklave, und sie essen nicht, bis die Wahl durchgeführt ist. Sie wählen aber den gesamten Rat außer den Alten Genannten, was alle Ratsherren betrifft. Überwiegend wählen sie die alten wieder, gelegentlich frei­ lich übergehen sie einen Jüngeren oder wer altershalber oder aus einem recht­ schaffenen Grund Entlastung erbittet; aber sonst niemanden außer einem be­ sonders triftigen Grund (weil nicht wieder gewählt zu werden eine Schande ist). Außerdem wählen sie auf die Plätze Verstorbener neue nach. Denn nur an die­ sem Tag und nur für diese wird die Toga verliehen und nicht zurückgegeben.

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Nimm also bei einer solchen Entscheidung nur einen Todesfall oder als eine zwingende Notlage schwere Vergehen an. Die Wahlherren dürfen eine Person auswählen oder auch einen Alten Genannten in das Bürgermeisteramt berufen, nicht aber seine Würde noch höher stellen. Zuletzt ordnen sie Junge Bürgermei­ ster den Älteren zu, sodaß jeweils für vier Wochen je zwei regieren, freilich nicht von den gleichen Eltern. Diese teilen sie auch als Consuln und Schöffen ein und erteilen den einzelnen ihre Plätze. Dabei mischen sie Alte Bürgermeister und Alte Genannte und unter diese beiden kunstvoll Handwerker. Nach dieser Ordnung werden im laufenden Jahr die Meinungen erfragt. Daher es als Ehre gilt, unter den ersten gefragt zu werden, wie als erster gefragt zu werden, einen künftigen Losunger ankündigt. Deshalb bezeichnen sie solche, die Unschlüssigkeit kundtun, mit einer Re­ densart: Er bleibt so viele Jahre auf dem gleichen Polster sitzen, weil den ein­ zelnen Ratsherren einzelne Polsterkissen hingelegt werden. Am folgenden vier­ ten Feiertag eröffnen die Wahlherren den Genannten, wenn sie ihnen größere oder mehr Stimmrechte gegeben haben. Dann wird (neu) vereidigt. Kapitel VI Über die erste Aufgabe des neuen Rats Der gewählte neue Rat beruft alsbald am fünften Feiertag (Donnerstag) Alte Genannte, wenn dies erforderlich ist. Darauf wendet er sich den Ämtern und Gehaltsempfängern zu. Kein kleiner Amtsträger, kein kleiner Dienst oder auch ein kleines Gehalt ist so unbedeutend, daß über ihn nicht die Meinung aller er­ fragt würde. Wenn jemand als Ehebrecher bekannt ist oder sonstwie tadelns­ wert lebt oder sich benimmt, wird er ermahnt, getadelt, in die Schranken ge­ wiesen. Deshalb und wegen Anstößigkeit anderer gilt der erste Amtsträger als der ehrwürdigste und zugleich belastetste. Deshalb wird er immer für den er­ sten Losunger vorgesehen und die Wahl des Kollegen erwartet, der als nahezu nächster zum Alten Bürgermeister ansteht. An einzelnen der folgenden acht­ undzwanzig Tage wählt der Rat als Leiter für sich zwei andere Kollegen für natürlich befristete Zeit derart, daß nach Ablauf des Jahres alle 26 Bürgermei­ ster das Amt vier Wochen lang geführt haben. Wenn Ostern früher oder später gefeiert wird, kommt dies dem letzten Konsulat hinzu oder verkürzt dieses. Kapitel VII Vom Amt der Bürgermeister Aufgabe der Bürgermeister ist es, sich den ganzen Tag um das Gemeinwesen zu kümmern, (schändlich ist es, hintan zu halten, die ganze Nacht zu schlafen) einen großen Teil des Tages auf dem Markt oder im Rathaus zu sein, Beschwer­ den anzuhören, Streitigkeiten beizulegen, die Einlösung von Zusagen zu befeh­ len, Frieden anzuordnen und dergleichen. Einem Alten Bürgermeister steht es zu, Gastfreunden Ehre zu erweisen, Briefe gegen zu zeichnen, eingelaufene

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Briefe zu lesen, außer der Ordnung den Rat zu einer Meinungsbildung Tag und Nacht zusammen zu holen, ansonsten am Abend einzelne Ratsherren für den folgenden Tag - auch unter Berufung auf ihren Eid, Angelegenheiten nach sei­ nem Gutdünken vorzulegen, Stellungnahmen zu erfragen, zu zählen, zu for­ mulieren, Festgelegtes anzuordnen und zu beschreiben, den Rat weg zu schicken, auch am Rat der Älteren teilzunehmen. Ohne seine Erlaubnis legt niemand etwas vor. Zwischendurch geht der ihm unterstellte Jüngere Bürger­ meister im Rathaus herum, öffnet Bittschriften und Briefe und bringt sie auf den Weg und was dergleichen ist. Kapitel VIII würde

Von der Eigenart des Rats und vom Ansehen der Ratsherren­

Unser ganzes Staatswesen liegt in den Händen der Patrizier, deren Ahnen und Urahnen - das sei festgestellt - auch für uns nützlich waren. Neuzugezogene und Leute aus dem Volk haben keine Macht, noch steht es Leuten aus dem Volk zu zu regieren, weil alle Obrigkeit von Gott ist, und gut zu regieren nur wenigen gewissermaßen erlaubt ist, nämlich denen, die durch besondere Gesin­ nung vom höchsten Schöpfer der Dinge und auch als von Natur begabt gelten. Es wird also niemand in den Rat gewählt - mit Ausnahme von acht - wenn nicht seine Vorfahren Würdenträger waren, mit Ausnahme gewisser ganz we­ niger Zuzügler oder auch in hohem Ansehen geborener Einheimischer. Aber diese ziehen nicht die Toga eines Jungen Bürgermeisters aus, es sei denn, die Septemvirn wählen aus diesem Geschlecht Alte Bürgermeister und aus diesen der Rat Ältere Herren. Aus diesen werden Kriegsherren und Losunger gewählt. Daher gilt es als hohe Würde, Ratsherr zu sein, mehr, ein Bürgermeister; am höchsten Septemvir und dann Losunger zu sein. Die meisten Familien zählen zu den Ratsfähigen, viele kommen nicht über den Alten Bürgermeister hinaus, wenige bringen einen Septemvir hervor, noch weniger einen Kriegsherren, nur ganz wenige einen Losunger. Darüber gibt es kein ausführliches Gesetz; aber auf diese Weise wird - wenn ich mich nicht täusche - verfahren. Eines kann ich nicht übergehen: Ein Inhaber der Doktorwürde, wenn er auch ein noch so an­ gesehener Patrizier ist, gilt als unfähig, die Toga zu tragen. Zuguterletzt: Aus ei­ nem Geschlecht werden nur zwei in den Rat gewählt und von diesen nur einer zum Septemvir. Kapitel IX Wie der Rat die oberen Ämter und Dienststellen besetzt Wenn irgendwann einer als Septemvir, Losunger oder dergleichen Amtsträ­ ger auf den Platz eines Verstorbenen oder Ausgeschiedenen als Nachfolger zu setzen ist, berufen die zwei Vorsitzenden fünf aus dem Rat, die vier Wählbare benennen. Diese Persönlichkeiten überlassen die einberufenen Väter der Ab-

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Stimmung16 und erklären den für gewählt, auf den die meisten Stimmen hin­ neigen - unter Beachtung, daß, um dessen Sache es geht, dessen sämtliche Ver­ wandte und andere Nahestehende bis zu einem bestimmten, gesetzlich fest­ gelegten Grad, auf keinen Fall bei den Beschlüssen der Väter anwesend sein dürfen. Kapitel X Über die Besoldung der Ratsherren Für die Losunger ist ein beachtliches Gehalt festgesetzt. Ihnen ist es nicht er­ laubt, Handel zu treiben. Für die Septemvirn werden nahezu fünfzig Gulden frei gemacht. Außerdem bekommen sie viele Vorteile und gewinnreiche Aufga­ ben zugeteilt, sie, die durch ihre Autorität stark sind, als da sind Unterschriften unter Briefe, Testamente und dergleichen. Wer in Staatsangelegenheiten aus­ wärts ist, dem wird für jeden Tag ein halber Gulden gewährt - früher wurde ein ganzer gegeben. So oft einer zu einem staatlichen Dienst geht, so oft wird ihm ein Zeichen ausgehändigt, so oft er ohne rechten Grund den Rat vernachlässigt, so oft wird er angehalten, ein Zeichen zurück zu geben. Wenn achtundzwanzig Tage vorbei sind, wird jedes Zeichen um fünfzig Pfennige zurück gekauft. Wer zu spät kommt, legt vier Pfennige für Findelkinder ein. Einem Alten Bürger­ meister werden acht Gulden gegeben, einem Jungen vier. So oft Ratssitzungen bis nahezu drei Stunden gehalten werden, halten nach Entlassung die Älteren Herren weiter aus. Gelegentlich holen sie auch, wenn eine besonders schwierige Angelegenheit ansteht, die übrigen zurück und beraten den ganzen halben Tag über den Staat. Kapitel XI Über die Losunger Der Losunger höchste Würde und Macht ist: Sie allein stehen dem Geld­ wesen vor. Sie haben einen Kollegen, der den vordersten Rang unter den Hand­ werkern innehat, der das Steuerwesen im Namen des Volkes betreibt. Sein Dienst besteht darin, die Tür zu öffnen, und Eintretende sowie Hinausgehende zu begleiten. Außerdem haben sie zwei ehrbare Bürger, die alles zuverlässig aufschreiben und gegenschreiben. Mit ihnen kommen die Losunger zusammen an einzelnen Tagen, Montag, Mittwoch, Samstag an den Nachmittagen und die ganze Woche, in der die Losung eingelegt wird, oder auch den ganzen Monat, wo die Steuern gelöst werden, auch fast die ganze vierzigtägige Fastenzeit, wo sie alle die Erklärungen aller anhören und den übrigen Septemvirn erstatten. Was alles auszugeben ist, geben diese zwei aus, was in die Kasse einzulegen ist,

16 fabis committunt; faba = Bohne, hier wohl für die Stimmzeichen/ Stimmzettel gesetzt.

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empfangen diese beiden, legen es ein, gehen damit um. Sie selbst signieren alle staatlichen Briefe und was ein Gerichtssiegel trägt. Sie kennen alle Staatsge­ heimnisse. Kapitel XII Über die drei Kriegsherren der Bürgerschaft Diesen sind die Schlüssel zu den Reliquieny d.h. zu den Heiltümerny und zu den Stadttoren sowie die Feldzeichen oder Standarten der Bürgerschaft anver­ traut. Auf ihre Worte wird geschworen, wenn ein Tumult ausbricht, sucht man bei ihnen Zuflucht. Ihnen leistet man Gehorsam. Kapitel XIII Über die Älteren Herren Das Regiment der Septemvirn hält den nürnbergischen Staat in der Hand. Alle Geheimsachen behandeln diese. Es gibt nichts besonders Schwieriges, das sie nicht beraten, ehe sie es an die Jüngeren mitteilen. Die übrigen wissen im Vergleich mit ihnen nur wenig und können nur wenig tun. Bei ihnen liegt die oberste Macht. Obwohl nicht einmal sie selbst die finanzielle Lage genau ken­ nen, ist es ihnen erlaubt, wie wir gezeigt haben, daß ihnen über alle Einnahmen und Ausgaben Rechenschaft abgelegt wird. Niemals wird nur einer; immer werden zwei gewählt. Wenn also einer gestorben ist, wartet man auf das Aus­ scheiden auch des Sechsten. Kaum einmal oder noch ein zweites Mal wurde ein achter vorher gewählt, natürlich nur in Zeiten, die für den Staat besonders schwer waren. Kapitel XIV Über die Alten Genannten Die Alten Genannten gelten wie ausgediente Soldaten. Befreit von nahezu aller lästigen Pflicht führen sie keine Ämter, beteiligen sich bei keinen Würde­ verpflichtungen, wenn sie nicht vielleicht zu Jüngeren Bürgermeistern gewählt werden. Denn ein Alter Genannter steigt nicht zum Alten Bürgermeister auf. Auf Anfrage sagen sie ihre Meinung oder reichen ihr Los(zeichen), wenn es be­ liebt. Wer durch seine Verwandten gehindert erst spät in den Staatsdienst eintritt und dessen Aufsteigen nicht zu erwarten ist oder der als unwürdig gilt, wer einen Bruder hat, der Consul ist - denn zwei Brüder gewinnen nur schwerlich ein Bürgermeisteramt - wer durch sein Ansehen stark ist und durch Weisheit hervorragt. Aber aus diesen [...] erwächst nicht, wer höhere Ämter erreicht hat. Dieser wird aus den Alten Genannten ausgewählt, deren Würde einst noch höher war. Heute werden drei von ihnen den Alten Bürgermeistern als gleichrangig zugezählt, vor allem, weil sie den Rat wählen. Die übrigen fünf folgen den Älteren Bürgermeistern (stehen also im Rang unmittelbar nach den Älteren Bürgermeistern).

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Kapitel XV Über die Schöffen Dreizehn Schöffen werden durch die Wahlherren ausgesucht, mit Ausnahme der Alten Herren. Sie sind dadurch belastet, daß sie hei Folterungen dabei sind, der Gefolterten Verirrungen bestätigen, ^//e über Blutschuld richten, - obwohl sie nichts urteilen, ze>#s dze vorher beschlossen haben. Es beschwört aber jeder Ratsherr, der Stimmenmehrheit mit Händen und Füßen zu folgen, als hätte er es selbst beschlossen. Kapitel XVI Über die Handwerker Acht Handwerke stellen acht Ratsherren. Für diese ist ein Gehalt festgesetzt. Es steht ihnen frei, an Sitzungen teilzunehmen oder abwesend zu sein, ihre Stimme abzugeben. Ehrendienste leisten sie nicht; Beschlüssen der Väter geben sie ihre Zustimmung. Bei diesen Abstimmungen geben sie ihre Unterschrift für das, was sich auf die größere Billigkeit stützt. Kapitel XVII Über die Fünf Herren Die Fünf Herren bekommen ihre Bezeichnung von der Zahl. Es sind zwei gegenwärtige Bürgermeister, dazu zwei, di unmittelbar vorher das Amt inne hatten, der Rat gibt ihnen aus seiner Mitte einen Fünften bei, den er an die Stelle eines Losungers setzt, die von dieser Last befreit sind. Daher wird ihre Zusammensetzung alle vier Wochen verändert. Diese sitzen zu Gericht am Montag, Mittwoch und Freitag jeweils am Nachmittag drei Stunden zusammen mit ihrem Schreiber. Jeder bekommt 25 Pfennige. Sie hören Fälle von Unrecht und schlichten sie. Hat einer Gesetze übertreten, dann packen sie die Sache an und strafen. Sie gehen ohne Umstände und Getöse vor und ohne gerichtliche Form: Sie nehmen keine Klageschriften an, lassen einen Betreuer, Anwalt, Bei­ stand nicht zu, hören nur selten Zeugenaussagen und schlichten die meisten Fälle durch Eid. Schwere Fälle bringen sie vor den Rat. Von ihnen aus gibt es keine Appellation. Nach meiner Ansicht ist das die größte Wohltat für die Bür­ gerschaft, deren Bedeutung ich nicht ausdrücken kann. Aber Du kannst Dir mit Deiner Klugheit leicht ein Urteil bilden. Kapitel XVIII Über die Leiter des Kriegswesens Die übergroße Schwierigkeit unserer Zeit hat ihre Zahl bis auf sieben anwachsen lassen. Dennoch liegt die Last vor allem auf dreien; Denn die Einhei­ mischen haben ihre Freude an der ungeraden Zahl. Ihr Vorderster heißt Kriegs­ herr. Sie haben ihr abgeschlossenes Dienstzimmer, in dem sie bei Bedarf Zusam­ menkommen. Ihnen wird ein bestimmtes Gehalt zugestanden, ihrem Schreiber jährlich einhundert Gulden. Sie haben viele Geheimsachen im militärischen Bereich. Ihrer Sorge sind anvertraut die Dörfer; Bauern, Pferde, und anderes

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dergleichen des gesamten Territoriums, was ich bewußt übergehe. Als wichtig­ ste Hilfe haben sie Beschreibungen davon und kennen sie auch unmittelbar. Sie stehen im Ruf beschlossen zu haben, nur ganz wenig zu berichten, nur ob ein Krieg gerecht sei oder ob aus dem Hinterhalt gekämpft wird. Von da her kannst Du noch deutlicher wissen, welcher Art ihre Aufgabe, wie groß ihre Sorge, was für Mühe sie haben. Kapitel XIX Über die Pfleger des nürnb ergischen Landgebiets Dieses Amt wurde vor zwei Jahren eingerichtet, während vorher jeder Ort, jede Befestigung dem Schutz eines Ratsherren anvertraut wurde. Danach er­ schien es aber ratsamer, fünf Ratsherren als Pfleger des gesamten nürnbergischen Territoriums zu wählen und ihrer Treue anzuvertrauen, was wir durch den Bayerischen Krieg erworben haben. Sie hören die Abrechnungen der Amt­ leute an, ihnen ist begrenzte Macht überlassen. Sie leisten all das anstatt des Rats, haben auch selbst einen Schreiber; dem einhundert Gulden ausgezahlt werden, während den Pflegern selbst fünfundzwanzig zustehen. Ihnen ist es eidlich verboten, von irgend jemand Geschenke anzunehmen, auch Speisen oder Getränke. Kapitel XX Über die Vormünder der Witwen und Waisen Der Rat wählt aus seiner Mitte drei oberste Vormünder, wofür ein jährliches Gehalt von vierzig Gulden angesetzt ist. Diese sitzen in Anwesenheit ihres Schreibers am Dienstag, Donnerstag, Samstag jeweils am Nachmittag zu Ge­ richt, haben aber trotzdem keine Streitgerichtsbarkeit, sondern nur eine frei­ willige, d.h. sie geben keine näheren Bestimmungen, sondern urteilen, was Recht ist, teilen Erbschaften, vollstrecken einen letzen Willen. Sie geben Vor­ münder und setzen an den Platz eines verstorbenen oder verdächtigen oder ei­ nes, der sich entschuldigt, einen anderen. Ihre Sorge ist es, daß Mündelgeld wu­ chert, d.h. daß es Zinsen bringt und die Waisen ehrbar erzogen werden. Ohne ihre Zustimmung wird kein Grundstück, kein Waisenzins entfremdet. Sie hören die Abrechnungen der Vormünder, sie entlasten sie. Sie fordern fromme Zu­ wendungen ein, holen sie mit Nachdruck herein, vollstrecken sie. Hätten die Väter nicht diese wachsame Sorge für das Wohlverwahrte vor zwölf Jahren vom Rat von Venedig übernommen, dann würden die meisten Segnungen der Toten täglich zurück gehalten. Was man für nicht weniger schön hält: Was es an wohltätigen Gründungen gibt, was an Einrichtungen frommer Werke, kirchli­ chen Einkünften und Grundstücken, das schreiben sie zusammen und bringen sie geschickt in gute Ordnung. Soweit es an ihnen liegt, sorgen sie dafür, daß jährliche Zahlungen, Messen und dergleichen göttliche Pflichten beachtet wer­ den, damit, was einmal Gott zugesagt ist, seinen Priestern unversehrt bewahrt bleibt.

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Kapitel XXI Über den städtischen Pfänder und seine Kollegen Der Syndicus17 d.h. der Pfänder; wird aus dem Größeren Rat gewählt. Ihm ist aufgegeben, für die Sauberhaltung der öffentlichen Wege zu sorgen, dafür zu sorgen, daß Fleisch, Brot und das Übrige, das zum Verkauf auf den Markt ge­ fahren wird, zum rechten Preis verkauft wird. Ihm werden vier Ratsherren bei­ gegeben, die am Dienstag, Donnerstag und Samstag nachmittags die Hand­ werker anhören. Wenn einer gegen die Marktordnung kauft, verkauft, tätig ist oder in schlechter Qualität listig arbeitet, strafen sie ihn. Sie wählen Meister und, daß ich es kurz sage, diese fünf halten bei uns das Amt der Meisterkolle­ gien, wie es bei anderen heißt, in Ordnung. So oft sie Zusammenkommen, wer­ den ihnen 25 Pfennige erstattet. Kapitel XXII Über die Kirchenpfleger Den einzelnen Kirchen und Klöstern innerhalb und außerhalb der Stadt, gleichermaßen den einzelnen Fremdenunterkünften sind jeweils Ratsherren vorgesetzt, die wie spezielle Schutzherren ihre Angelegenheiten regeln, ihre Geschäfte vor den Rat bringen und für sie eintreten. Unserem Herrn Tücher kommen zu St. Sebald, Heiliggeist, d.h. das Spital, St. Augustin, St. Katharina. Unserem Herrn Ebner sind anvertraut Heilige Jungfrau (Frauenkirche), Klo­ ster Engelthal, wo Christina Ebner auf Grund ihrer Wunder berühmt ist und als Selige verehrt wird. Kapitel XXIII Über das Stadtgericht Aus den Genannten wählt der Rat acht ehrbare Bürger, die im wesentlichen von Zinseinkünften leben. Diese besetzen zwei Gerichte oder Tische an drei Wochentagen, nämlich Montag, Mittwoch und Freitag je volle drei Stunden. Sie hören öffentliche Streitfälle, wobei immer zwei Ratsherren den Vorsitz führen. Sie verhandeln, legen fest, beachten Grenzen, Klagschriften, Einwendungen und Wiederaufnahmen. Sie nehmen Zweitschriften an, gehen unter Beachtung der Rechtsordnung vor, hören aber die Streitfälle bis 32 Gulden allgemein und einfach. An den übrigen Wochentagen als Dienstag, Donnerstag und Samstag lesen sie ebenso viele Stunden am Vormittag Akten, diktieren und fassen in end­ gültige Formulierungen Beschlüsse, die zur Veröffentlichung bestimmt sind. Wenn es sich um besonders schwierige Streitfälle handelt, setzen sich beide Ti­ sche zusammen. Die Väter stellen ihnen als Assessoren drei oder vier Doktoren zur Seite. Diese sollen beraten und nur das festgelegte Recht urteilen. Sache der Schöffen ist es, abzustimmen. Von diesen aus wird bis sechshundert Gulden an die Väter appelliert, dann (bei höheren Streitwerten) an den Kaiser oder an das 17 Syndicus: Verteidiger, Vertreter der Gerechtsame.

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kaiserliche Gericht. Bei ihren Zusammenkünften werden ihnen Zeichen gege­ ben, die nach vier Wochen um einen viertel Gulden eingelöst werden. Wer ab­ wesend ist, erhält nichts, außer es geschieht zum Wohl des Staates. Vielmehr muß er ein Zeichen zurück geben wie einer, der zu spät kommt, vier Pfennige für die Findelkinder einlegen muß. Der Stadtrichter vollzieht ihre Beschlüsse, bestätigt ein Bluturteil, ist bei Folterungen dabei. Ihm selbst steht eine nicht zu verachtende Besoldung zu. Fälle bis zu fünf Gulden hören niedere Richter, d. h. geschworene Boten, deren wir vier haben. Kapitel XXIIII Über das Bauerngericht Diesem Gericht werden ehrbare Bürger des Größeren Rats zugewählt, die erst kürzlich geheiratet haben. Ihre Zahl ist nicht vorbestimmt. Denn der Rat möchte, daß seine Söhne sich in dieser Schule oder diesem Ringplatz üben, wor­ aus hernach Schöffen und Ratsherren hervorgehen. Dort lernen sie Grenzen und die praktische Arbeit und zeigen aus Hoffnung auf einen kleinen Gewinn ihre Fähigkeiten. Bei diesen ebenfalls in zwei Tische geteilten Gerichten prozes­ sieren alle Bauern, die den Unseren untertan sind. Darüber gab es für uns einst große Streitigkeiten mit Markgraf Albrecht. Denn von wem jemand Recht ge­ sprochen bekommt, dem folgt er in den Krieg, woraus dann der größte Nutzen für den Staat hervorgeht. Das Bauerngericht wird abgehalten am Samstag ab Mittag, nach dem „ Vorfrühstück bis drei Stunden. Jeder Schöffe erhält sech­ zig Pfennige. Wenn sie aber am Morgen oder an einem anderen Tag, wenn ein Doktor anwesend ist und die Beschlüsse durchgesprochen werden, die Vorgänge hören und klären, erhalten sie vierzig Pfennige. “

Kapitel XXV Über die Rechtskundigen des Rats Die Väter lassen zum Rat Doktoren nicht zu. So oft sie in ihren Meinungen uneins sind oder ein Fall Rechtskunde erfordert, ordnen sie aus ihren Reihen zwei ab, die nach dem Frühstück Doktoren zu Rate ziehen und am nächsten Tag die Ratschläge berichten sollen. Das ereignet sich in der Woche dreimal, viermal, fünfmal, wie es nötig erscheint. Dieser Rechtskundigen sind fünf; denn zwei sind verstorben. Darüber hinaus hat der Rat vier weitere geschworene Anwälte, die mit einem öffentlichen Stipendium, wenn auch nicht ohne priva­ tes Einkommen den Bürgern mit Rat zur Seite stehen, was den anderen nicht erlaubt ist, die nur für den Rat sorgen. Stipendien werden auch Augsburger und Ingolstädter Doktoren gegeben, zu denen die Ratsherren in heiklen Fällen ihre Zuflucht nehmen. Außerdem ist es Aufgabe der Doktoren, in Staatsangelegen­ heiten Schutz zu geben, abzuwehren, zu bitten, Appellationssachen daheim zu lesen, zu beraten, Urteile auszuarbeiten. Denn die Väter fällen keine rechtliche Entscheidung, ohne daß Akten rezitiert und Stellungnahmen zweier oder

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dreier Rechtskundiger, manchmal auch mehr, wenn sie auseinander gehen, vor­ gelesen wurden. So wachsam erweisen sie sich in allen und jeden Angelegenhei­ ten. Gerichte, von denen an sie appelliert wird, sind dabei an die zwölf! Das Gehalt der Doktoren beläuft sich auf etwa zweihundert Gulden. Ihre Pflicht ist es, den ganzen Tag zu arbeiten, manchmal auch einen Teil der Nacht, niemals Ruhe zu haben. Dafür sind sie zwischen den Septemvirn und den alten Bürger­ meistern angesiedelt. Kapitel XXVI Über die Schreibstube des Rats Die Schreibstube hat zwei Vorsteher, die Ratsschreiber heißen. Sie kennen alle Geheimsachen, nehmen beide an der Ratssitzung teil, nur der eine an den Sitzungen der Septemvirn. Sie schreiben alle Beschlüsse nieder; verfassen Briefe, lesen die einlaufenden, sind die Augen des Rats. Ihr Gehalt beträgt zweihun­ dert Gulden. Unter sich haben sie sechs Untergebene, die den ganzen Tag schreiben. Ihr Einkommen erreicht einhundert Gulden. BriefSchluß Hier hast Du, bester Vater, meine Mühe und Arbeit von zehn Stunden. Ich habe sie ganz gewiß weder durchgesehen noch überlesen. Wie mir jedes Wort in den Sinn kam, so ist es in die Feder geflossen. So groß sind meine Anmaßung und mein Vertrauen auf Deine gütige Gesinnung, nachdem Du meine Werk­ statt niemals verachtet hast. Ich weiß, was unser Albrecht Dir anbietet, ist aus­ gefeilt und vollendet und von solcher Art, wie es dem Coischen Apelles und dem Verfechter des Aurelius gut ansteht. Deshalb wundert es mich nicht, wenn seine Gaben Dein Wohlgefallen finden, wenn sie auf den Magen gehen.18 Aber wir können nicht alle Dürer sein. Was die Geistesgaben betrifft, weiche ich jenem gerne, in der Liebe zu Dir stehe ich weder Albrecht noch irgend jemandem nach. Zwischendurch opfern (eben) mit Blumen und Milch, die keinen Weihrauch haben. Vielleicht hätte ich schmuckreicher und ausführlicher be­ schreiben sollen, vor allem über Almosen und fromme Werke dieser Bürger­ schaft; aber es beansprucht mich für sich (und entschuldigt mich) die Heraus­ gabe Deiner Predigten, wo ich diese Nachlässigkeit abwäge. Deshalb wirst Du diese irgendwie zu entschuldigen und nicht einem undankbaren Sinn zuzu­ schreiben für angemessen halten. Leb wohl, bester Vater! Nürnberg, 11. Dezember 1516. 18 Bei Cicero: üble Laune bereiten. Ist an dieser Stelle ein Satzteil ausgefallen, der sich auf die begreifliche Ablehnung Scheurischer Geschenke bezog, etwa: während meine Gaben auf den Magen gehen?

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DAS POS WEYB AGNES FREY DÜRER: GESCHICHTE IHRER VERLEUMDUNG UND VERSUCHE DER EHRENRETTUNG1 Von Corine Schleif Über die Jahrhunderte hinweg wurde in verschiedenen Gattungen der Litera­ tur und bildenden Kunst die Person Agnes Frey Dürer als „böses Weib" und zanksüchtige Ehefrau konstruiert. Ihr wurde sogar vorgeworfen, daß sie per­ sönlich für den frühen Tod ihres Ehemannes Albrecht Dürer verantwortlich sei. Mit diesem Beitrag möchte ich die Entwicklung und Tradierung des schlech­ ten Rufes von Agnes Dürer untersuchen und hinterfragen. Zusätzlich werde ich die verschiedenen Bemühungen um ihre Rehabilitierung erörtern. Diese Untersuchung setzt sich mit der Kunstgeschichtsschreibung, der Nürnberger Quellenforschung und der lokalen Volksdichtung im Hinblick auf die Rezep­ tion der Person Albrecht Dürers seit dem 16. Jahrhundert auseinander. Um die Hintergründe der negativen Bilder verständlich zu machen, werde ich nach den spezifisch historischen Umständen und kulturellen Beweggründen fragen. Agnes Dürer und das Familienunternehmen Agnes Frey und Albrecht Dürer wurden am 7. Juli 1494 vermählt. Diese Ehe war, wie fast immer in dieser Zeit, von den Eltern arrangiert worden, um gegenseitige Vorteile für die Familien und Ehepartner zu erreichen. Der über­ geordnete Zweck einer Ehe war Sicherung von Wohlstand, wozu der wirt1 Der folgende Essay wurde 1998 eingereicht und bezieht sich auf Material, das ich im Rahmen ei­ nes umfangreicheren Forschungsvorhabens zur Erstellung einer Monographie über Agnes Frey Dürer und die Rollen der Künstlerehefrauen und -witwen in der Geschichte und Geschichts­ schreibung gesammelt habe. Es wird in diesem Aufsatz kein Anspruch auf Vollständigkeit der Text- und Bildstellen erhoben, die sich auf Agnes Frey Dürer beziehen. Anregungen habe ich bei Vorträgen über Agnes Frey 1988 bei der Sixteenth Century Studies Conference in St. Louis, 1993 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 1994 an der University of Texas in Austin und 1998 beim Symposium der Willibald Pirckheimer Gesellschaft erhalten. Ebenfalls bin ich vielen Kollegen zu Dank verpflichtet, die mir bei Gesprächen neue Wege ge­ zeigt haben, mich weitervermittelt haben und mir Informationen zukommen ließen. Alfred Michler hat bis zu seinem Tod bei der Forschung mitgewirkt. Ebenfalls möchte ich folgende Kollegen erwähnen: Irmtraud von Andrian-Werburg, Ruth Bach-Damaskinos, Horst-Dieter Beyerstedt, Wiltrud Fischer-Pache, Peter Fleischmann, Christine Göttler, Renate Liebold, Edith Luther, Franz Machilek, Matthias Mende, Dhira Mahoney, Rainer Schoch, Signe Schuh, Debora Schwartz, Petra Seegets, Jeffrey Chipps Smith, Juliann Vitullo, Matthias Walther und Diane Wolfthal. Das Women’s Studies Department an Arizona State University hat meine For­ schung in den Nürnberger Archiven und Bibliotheken unterstützt. Für hilfreiche Kritik bei der Vorbereitung dieses Manuskripts möchte ich mich besonders bei Volker Schier bedanken.

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schaftliche Erfolg eines Handwerksbetriebes gehörte.2 Frauen der Oberschicht konnten den sozialen Rang ihrer aus weniger hoch angesehenen Schichten stammenden Ehemänner positiv beeinflussen. So hatte die Familie Frey ihren Status durch die Eheschließung von Hans Frey mit der Patrizierin Anna Rum­ mel erheblich verbessert, deren Mutter aus der ebenfalls patrizischen Familie Haller stammte. Dieses bedeutete, daß Agnes Freys Eltern zu den etwa 90 elitären Familien Nürnbergs zählten, wenn auch auf einer niedrigeren Stufe, die Lazarus Holzschuher im Jahre 1511 aufgelistet hatte.3 Obwohl Agnes Frey und Albrecht Dürer beide aus erfolgreichen und angesehenen Familien des unternehmerischen Mittelstandes stammten, war es die Familie Frey, die weni­ ger als Handwerker, sondern vielmehr als Kaufleute betrachtet wurde und so­ mit in der Nürnberger Sozialhierarchie höher angesiedelt war als die Familie des Alteren Albrecht Dürer, die erst im Jahre 1455 aus Ungarn nach Nürnberg gekommen war. Ludwig Grote stellte fest, daß Albrecht Dürer von diesem höheren Prestige zu profitieren vermochte, was er u.a. durch die Beisetzung in der Grablege der Familie Frey auf dem Nürnberger Johannisfriedhof bestätigt sah.4 Generell waren die Werkstätten von Handwerkern, wozu auch Künstler­ werkstätten zu zählen waren, Familienbetriebe. Im Jahre 1509 kauften Al­ brecht und Agnes Dürer das Wohnhaus am Tiergärtnertor, das gleichzeitig als Werkstatt und Geschäftssitz diente. Zu dieser Zeit waren auch Dürers Mutter Barbara, sein Bruder Hans, sowie Mägde, Knechte, Lehrlinge und vermutlich auch Gesellen dort beschäftigt. Die Verantwortungsbereiche der Künstlerehe­ frauen waren gewiß unterschiedlich.5 So berichtet eine Quelle aus dem Jahr 1500, Adam Krafts Ehefrau habe bei der Instandsetzung des Sakramentshauses in der Lorenzkirche „Stain mel“ geklopft, vermutlich um aus dem Pulver Mörtel herzustellen.6 2 Herrad Schenk: Liebe - Ehe - Liebesehe. Die veränderten Grundlagen der auf Dauer angeleg­ ten Paarbeziehung, in: Über die Ehe: Von der Sachehe zur Liebesheirat. Eine Literaturausstel­ lung in der Bibliothek Otto Schäfer, Schweinfurt 1993, S. 10-12. 3 GNM Bibi. Hs. 16579: Abschrift: Lazarus Holzschuhers Beschreibung der 1511 lebenden Per­ sonen in den Nürnbergischen Erbern Familien, fol. 107r. 4 Ludwig Grote: Dürer, einmal anders gesehen. Seine Einnahmen und seine wirtschaftlichen Ver­ hältnisse (Vortragsbericht), in: MVGN 77 (1954), S. 9-11; Ludwig Grote: Vom Handwerker zum Künstler. Das gesellschaftliche Ansehen Albrecht Dürers, in: Festschrift für Hans Liermann zum 70. Geburtstag (Erlanger Forschungen, Reihe A. Geisteswissenschaften 16), Erlan­ gen 1964, S. 26-47, bes. 30. 5 Zu den Rollen der Ehefrauen in Künstlerwerkstätten um 1500 siehe: Corine Schleif, The Many Wives of Adam Kraft: Early Modern Artists’ Wives in Legal Documents, Art Historical Scho­ larship, and Historical Fiction, in: Georges-Bloch-Jahrbuch 5 (1998), S. 61-74. 6 GNM, Imhoff-Archiv Fase. 36, Nr. 2a; gedruckt in: Corine Schleif, Donatio et memoria. Stif­ ter, Stiftungen und Motivationen an Beispielen aus der Lorenzkirche in Nürnberg, München 1990, S. 247.

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Eine andere Rolle ist in einem Brief bezeugt, den der Ältere Albrecht Dürer am 24. August 1492 aus Linz schrieb, wo er für den Kaiser Friedrich III. arbei­ tete. Dieser war an frawen barbara türerin goldschmidin zu normberg adres­ siert. Er schreibt, grust mir das hausgesind alle gar ser und macht deutlich, daß seine Frau die Aufgabe hatte, den Gesellen Anweisungen zu geben, sie zu be­ aufsichtigen und sich um die Einkünfte zu kümmern.7 Am häufigsten erfüllten Frauen die Rolle der Geschäftsführerin, wobei sie normalerweise die Verant­ wortung für den Vertrieb übernahmen, vielleicht auch mit den Auftraggebern verhandelten. Über die Arbeitsteilung in der Dürer-Werkstatt informieren uns einige Quellen. Im Jahre 1505 verkaufte Agnes Dürer die Druckgraphiken ihres Man­ nes auf der Frankfurter Herbstmesse. Auch 1506 unternahm sie zu diesem Zweck eine Geschäftsreise zur Frankfurter Ostermesse.8 Offensichtlich agierte Agnes so selbständig, daß sie Albrecht, der sich zu dieser Zeit in Venedig auf­ hielt, nicht darüber informiert hatte. In einem Brief an seinen Freund Willibald Pirckheimer aus dem Jahr 1506 äußerte sich Albrecht besorgt, da sie seit lan­ gem nicht geschrieben hätte.9 Ein Vermerk in Dürers Tagebuch deutet darauf hin, daß Agnes viel gereist ist. Als sie Albrecht im Jahre 1520 in die Nieder­ lande begleitete, schrieb er, der Zöllner bei Lahnstein habe ihm eine Kanne Wein geschenkt, dann er kannt mein weib wohl und freuet sich, mich zu sehen.10 Dürers Mutter Barbara, die - wie eben erwähnt - eine wichtige Führungskraft in der Goldschmiedewerkstatt von Albrecht Dürers Vater war, beteiligte sich ebenfalls am Verkauf der Druckgraphiken ihres Sohnes. In ei­ nem Brief aus Venedig aus dem Jahr 1506 schrieb Albrecht an Pirckheimer, vnd sagent meiner muter; daz sy awff daz Heiltumb feill las habend Sehr wahr­ scheinlich verkaufte sie die Holzschnitte der Passionszyklen, die Dürer in den späten 90er Jahren angefertigt hatte. Die Verehrung der Passionsreliquien spielte bei der Heiltumsweisung die zentrale Rolle. Diese Darstellungen dien­ ten dazu, die Reliquien in der Heilserzählung zu kontextualisieren und sie zu tragbaren käuflichen Ergänzungen der flüchtigen alljährlichen Betrachtung zu transformieren. Eine solche fromme sowie geschäftliche Gelegenheit wollte die Dürer-Werkstatt nicht versäumen. Agnes Frey Dürer muß hohes Ansehen bei Dürers Auftraggebern genossen haben, denn sie erhielt öfters wertvolle Geschenke und Trinkgelder. Es ist be-

7 8 9 10 11

GNM, Hist. Archiv, Autographen K. 30. Hans Rupprich (Hrsg.): Dürers schriftlicher Nachlaß, Berlin 1956, 1, S. 49-50. Rupprich (wie Anm. 8) 1, S. 46. Rupprich (wie Anm. 8) 1, S. 150. Rupprich (wie Anm. 8) 1, S. 49.

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zeichnend, daß sie nicht nur ein Geschenk von dem Frankfurter Kaufmann und Auftraggeber Jakob Heller erwartete, sondern sogar ihren Mann auffor­ derte, brieflich danach zu verlangen. Später läßt sie durch Albrecht ihren Dank für das Geschenk übermitteln, das sie, wie er an Heller schreibt, euertwegen tragen will.12 Daraus ist abzulesen, daß sie in persönlichem Kontakt zu Heller stand, und es sich bei dem Geschenk wahrscheinlich um ein teures Kleidungs­ stück handelte. Nach der Fertigstellung der Tafeln mit den vier Aposteln über­ gab ihr sogar der als geizig geltende Nürnberger Rat als Anerkennung zwölf Gulden. Dies entsprach etwa einem Dreimonatsgehalt für einen Priester bei ei­ ner Altarpfründe in der Lorenz- oder Sebalduskirche. Im Tagebuch vermerkte Albrecht öfters, daß Agnes Geschenke erhielt. Tommaso Bombelli hatte Agnes 14 Ellen guten dicken „haraß“, also Arras (eine Mischung aus Seide, Wolle und Leinen), für einen Mantel geschenkt.13 Auch ein Kunde namens Felix, Haupt­ mann und Lautenschlager in Antwerpen, der viele Druckgraphiken von Dürer gekauft hatte, verehrte ihr eine kleine Schale aus Ahornholz.14 An einer ande­ ren Stelle schreibt Albrecht: jtem den Bernhart von Resten hab ich mit öhlfarben conterfet. Der hat mir dafür geben 8 gülden und mein weib geschenckt eine cronen und der Susanna [der Magd] ein gülden, gilt 24 stüber.15 Auch Albrechts Künstlerkollegen war Agnes wohl bekannt. So schreibt er, [...] und hab meister Jahn [Jean Mone], franczoß bildhauer, geschenckt ein ganczen truck; der hat meinr frawen geschenckt 6 gläßlein mit rosenwasser, sind gar köstlich ge­ macht.16 „Ehrengelder“ für Werkstattehefrauen waren gewisserweise üblich, aber sie weisen zugleich darauf hin, daß die beschenkten Gattinnen den Kun­ den nicht unbekannt waren. „Ehrungen“ sowie Trinkgelder wurden wohl nur an Werkstattangehörige, Bedienstete, aber auch im liturgischen Bereich Mes­ nern, Kalkanten oder Chorknaben geschenkt, die bei der Erfüllung eines Auf­ trages mitgewirkt hatten. Auch aus der erhaltenen Korrespondenz der Dürer-Werkstatt ist abzulesen, daß Agnes nicht nur bei den Geschäftspartnern und Kunden bekannt war, son­ dern auch bei Albrechts gebildeten und gelehrten Freunden, die zum Inhalt seiner Kunstwerke beitrugen. So schrieb Nikolaus Kratzer, der an der Univer­ sität in Oxford lehrte und als Astronom am Hof von Heinrich VIII. in England wirkte, Eur vnd eurer hausfrauen gesuntheit ist mir ain grosse freudt. Als Post­ skriptum fügt er hinzu, Gries mir in sunderheit eur hausfrauen.17 12 13 14 15 16 17

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Rupprich (wie Anm. Rupprich (wie Anm. Rupprich (wie Anm. Rupprich (wie Anm. Rupprich (wie Anm. Rupprich (wie Anm.

8) 8) 8) 8) 8) 8)

1, S. 1, S. 1, S. 1, S. 1, S. 1, S.

73. 154. 157. 167. 175. 111.

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Agnes Dürer war aber auch an der Verbreitung der Ideen ihres Mannes in­ teressiert, was sie durch die Übersetzung und Drucklegung seiner theoreti­ schen Arbeiten nach dessen Tod förderte. Im Schlußwort der zweiten Auflage der Unterweisung der Messung von 1538 führt sie Folgendes aus: Xu dem freuntlichen leser [...] Auch nachmals aufi genügsamer Verlegung Agnes Duererin seiner nachgelaßnen wittib in guth Latein gepracht, auf das solchs jres haußwirts kunst vnd arbeyt auch andern, welchen teutsche sprach vnbekandt, zu nutze moecht reychen.n Aus alledem wird deutlich, daß sich Agnes Dürer sowohl für das Familienunternehmen als auch für die Förderung von Dürers Schriften sehr engagierte und dafür Anerkennung erhielt. Die Beziehung zwischen Albrecht und Agnes muß eigens analysiert wer­ den.19 Gewiß war die Ehe in der spätmittelalterlichen Handwerkerschicht in erster Linie eine Arbeitsgemeinschaft. Dies schloß natürlich eine enge persön­ liche und intime Beziehung nicht aus, wie sie möglicherweise auch durch das gemeinsame wirtschaftliche Unternehmen intensiviert wurde. So wissen wir, daß Albrecht Agnes häufig porträtierte. Sieben Zeichnungen sind überkom­ men; dazu kommen einige vermutete Gesichter in seinen Altartafeln. Die erste Zeichnung, datiert 1497, heute in der Albertina in Wien, zeigt Agnes mädchen­ haft in einer nachdenklichen, unposierten Haltung (Abb. I).20 Diese Feder­ skizze hat einen spontanen, wenn nicht gar impulsiven Charakter, als ob sie schnell skizziert worden wäre. Es scheint, als hätte der Zeichner das Objekt seines Interesses in einem Moment der lässigen Selbstbesinnung festgehalten. Am unteren Rand schrieb Dürer die intime Bemerkung „mein Angnes“. Eine stärker ausgearbeitete Silberstiftzeichnung auf pastellviolettem Papier aus un­ gefähr derselben Zeit, ehemals in der Kunsthalle Bremen, wird als Porträt von Agnes angesehen (Abb. 2).21 Sie zeigt wiederum eine Frau in nachdenklicher Haltung, mit nach unten gerichteten Augen, nicht wie sie in der Öffentlichkeit aufgetreten wäre, sondern mit unbedeckten und hinten im Nacken zusammen­ gebundenen Haaren. So mag sie ausgesehen haben, als sie ihren Pflichten als Aufsicht in Haushalt und Werkstatt nachging. Formaler im Charakter ist die

18 Rupprich (wie Anm. 8) 3, S. 437. 19 Zu diesem Themenkomplex, sowie zum angeblichen „Dreiecksverhältnis“ zwischen Agnes, Albrecht und Willibald Pirckheimer befindet sich ein Beitrag in Vorbereitung für das Pirckheimer-Jahrbuch 14,1999. 20 Friedrich Winkler: Die Zeichnungen Albrecht Dürers, Bd. 1, Berlin 1936, Nr. 151, und die dort aufgeführte Literatur. 21 Gustav Pauli: Jugend=Bildnisse von Dürers Gattin, in: Jahrbuch der bremischen Sammlungen 5 (1912), S. 47-51; Winkler: Die Zeichnungen, Bd. 1 (wie Anm. 20), Nr. 178, und die dort auf­ geführte Literatur.

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Silberstiftzeichnung, die sich heute im Germanischen Nationalmuseum befin­ det (Abb. 3).22 Einige Kenner halten die Aufschrift - die Jahreszahl „1504“, das Künstlermonogramm und die Bezeichnung „Albrecht dürerin“ - für autogra­ phisch. Dies könnte als Hinweis dienen, daß er auf seine eheliche Bindung mit ihr sehr stolz war. Das einst gefaltete und jetzt teilweise sehr abgeriebene Por­ trät zeigt eine attraktive Agnes in Dreiviertel-Ansicht, wachsam und intensiv mit leicht erhobenem Blick. Ihre Haare sind mit einer einfachen Haube be­ deckt, nach der Art wie sie bei der handwerklichen Mittelschicht üblich war.23 Eine weitere Zeichnung von Agnes ist etliche Jahre später auf der gemeinsamen Reise in die Niederlande entstanden (Abb. 4).24 Dürer skizzierte mit braunem Metallstift auf violettem Grund ein eher formales Porträt, das aber durch die Beschriftung einen sehr privaten Charakter erhält. Dieses Bild in Halbfigur, jetzt im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in Berlin, zeigt Agnes als eine selbstbewußte und stattliche Frau von 45 Jahren. Friedrich Winkler beschreibt die liebevolle Ausführung und sorgfältige Be­ schriftung. Er beobachtet, daß Dürer uns seine Agnes als eine Frau mit regel­ mäßigen, kräftigen und wohlgefügten Zügen zeigt, denen Vornehmheit, Strenge und Kühle nicht zu bestreiten sind. Doch ist hier ein heiterer, freund­ licher Zug unverkennbar beigemischt. In dem langen, auf dem oberen Rand ge­ kritzelten Satz gibt Albrecht eine Erklärung zu seinem Bild: Das hat Albrecht Dürer noch seiner hawsfrawen conterfet zw Antorff [Antwerpen] in der niderlendischen kleidung imjor 1521 do sy aneinder zw der e gehabt betten 26lh jor. Besonders während seiner Auslandsreisen war Albrecht Dürer, vielleicht sogar noch mehr als viele andere Reisende seiner Zeit, von Kleidern und Trachten sehr beeindruckt. Seinem Tagebuch der Reise in die Niederlande fügte er sogar ein paar Schnitte bei.25 In dieser Zeichnung zeigt er Agnes stolz und souverän in der Antwerpener Tracht. Offensichtlich hatten beide Freude an solchen Ver­ kleidungen, wodurch sie das Fremde gemeinsam erleben konnten. Ebenfalls zeigt er, daß es ihm genau präsent ist, wie lange sie miteinander verheiratet wa­ ren. Seine Beschriftung bezeugt eine bewußte und geschätzte langjährige Ver­ bundenheit, die offenkundig als facettenreiche Partnerschaft zu definieren war. Eine weitere Zeichnung, heute in der Albertina, entstand im Juli des gleichen

22 Friedrich Winkler: Die Zeichnungen Albrecht Dürers, Bd. 2, Berlin 1937, Nr. 283, und die dort aufgeführte Literatur. 23 Jutta Zander-Seidel hatte dankenswerterweise die Kopfbedeckungen der Portraits diesbezüg­ lich angesehen. Siehe ihren Aufsatz: Das erbar gepent. Zur ständischen Kleidung in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert, in: Waffen und Kostümkunde 1984, S. 119-140. 24 Friedrich Winkler: Die Zeichnungen Albrecht Dürers, Bd. 4, Berlin 1939, Nr. 814 und die dort aufgeführte Literatur. 25 Rupprich (wie Anm. 8) 1, S. 178.

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Jahres (Abb. 5).26 Als Albrecht zusammen mit Agnes in Köln war, stellte er in seinem Heft ein Mädchen in der kölnischen Tracht dar. Auf der anschließenden Heimreise nach Nürnberg skizzierte er rechts auf demselben Blatt ein Bild von Agnes mit der Überschrift awff dem rin mein weib pey popart. Gezeigt wird eine Frau, die sehr konzentriert in die Ferne hinausblickt. Dieses Bild er­ scheint, wie die Federzeichnung von 1497 (Abb. 1), als ein flüchtiger Augen­ blick, den Dürer spontan festhalten wollte. Ein Jahr später schuf er ein weite­ res Porträt, heute im British Museum, London (Abb. 6).27 Auch dieses Bild trägt eine Aufschrift von Dürers eigener Hand: Albrecht Dürer nach Hausfrowen conterfett. Mit zwei Ausnahmen spricht er von sich selbst in der dritten Person, als ob ihm bewußt gewesen wäre, daß sich die Nachwelt für diese Bil­ der als Dokumente interessieren wird. Einige Gesichter in Albrecht Dürers Vorzeichnungen und Gemälden wer­ den auch mit Agnes Frey Dürer in Verbindung gebracht. Allgemein anerkannt ist etwa die heilige Anna bei der Darstellung der Anna Selbdritt auf der im Jahr 1519 gemalten Tafel im Metropolitan Museum in New York (Abb. 7), sowie die dazugehörige Vorstudie, eine Federzeichnung in Grau und Weiß auf grauem Grund, jetzt in der Albertina (Abb. 8).28 Es wird vermutet, daß Dürer sich entschied, die Merkmale der Agnes auf die Physiognomie der Heiligen zu projizieren, da die heilige Anna die Patronin kinderloser Frauen war; Albrecht und Agnes blieben ohne Kinder. Weitere Bildnisse werden mit den Gesichtszügen der Agnes Frey assozi­ iert.29 So taucht die Vermutung auf, Agnes habe als Modell für das Angesicht der Frau gedient, die in Dürers Rosenkranzfest, jetzt in Prag, vor seinem eige­ nen Selbstbildnis steht, sowie für das Gesicht Mariens im Dresdner Altar. Zu­ sätzlich sollen noch vier weitere Zeichnungen ihre Züge festhalten. Selbst bei Beschränkung der Betrachtung auf die explizit bezeichneten Porträts von Agnes ist ein kontinuierliches Interesse von Albrecht Dürer an seiner Frau wohl unbestreitbar. 26 Winkler, Bd. 4 (wie Anm. 24), Nr. 780 und die dort aufgeführte Literatur. 27 Winkler, Bd. 4 (wie Anm. 24), Nr. 900 und die dort aufgeführte Literatur. 28 Nürnberg 1300-1550, Kunst der Gotik und Renaissance (Ausstellungskat. Germanisches Na­ tionalmuseum Nürnberg und Metropolitan Museum of Art, New York), München 1986, Nr. 144; Gabriel von Terey, Die Bildnisse von Dürers Gattin, in: Kunstchronik, N.F. 26, 1914/15, Sp. 391; Gustav Pauli: Die Bildnisse von Dürers Gattin, in: Zeitschrift für bildende Kunst 50 (1915), S. 69-76; Friedrich Winkler: Die Zeichnungen Albrecht Dürers, Bd. 3, Berlin 1938, Nr. 574, und die dort aufgeführte Literatur. 29 Paul Weber: Zu Dürers Ehe, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 23 (1900), pp. 316-317; Pauli: Die Bildnisse von Dürers Gattin (wie Anm. 28); Friedrich Haack, Funde und Vermutun­ gen zu Dürer und zur Plastik seiner Zeit, Erlangen 1916; [C. Willnau]: Ein Jugendporträt der Agnes Dürer entdeckt, in: Antiquitätenzeitung, 37 (1929), S. 248.

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Die Geschichte der Agnes Dürer als „böses Weib“ Agnes’ schlechter Ruf beruht auf einem im November 1530 verfaßten Brief von Willibald Pirckheimer an den Reichsarchitekten Johann Tscherte in Wien. Ob der Brief abgesandt wurde, ist nicht bekannt. Von diesem Schreiben exi­ stiert aber in Nürnberg ein Konzept Pirckheimers, das sich heute in der Stadt­ bibliothek befindet.30 Mitte des 18. Jahrhunderts wurde dieses Papier in einem Haus am Egidienberg gefunden, das früher Pirckheimers Tochter Felicitas und Schwiegersohn Hans Imhoff gehörte. Es befand sich, zusammen mit anderen persönlichen Unterlagen Pirckheimers sowie Korrespondenz, die an ihn adres­ siert war, in einem zwischen den Wänden eingebauten Schrank in der Haus­ kapelle.31 Der Inhalt des Schreibens war jedoch vorher bekannt und wurde in der Literatur oft zitiert, möglicherweise aus einer Kopie, über deren Existenz und Aufbewahrungsort nichts mehr bekannt ist. In diesem Brief, den Pirckhei­ mer zweieinhalb Jahre nach dem Tod Albrecht Dürers verfaßt hatte, beschwert er sich heftig über die Witwe Agnes Frey Dürer und macht sie sogar für seinen frühzeitigen Tod verantwortlich. Der Grundton des langen Schreibens offenbart einen extrem verbitterten und wohl auch kränkelnden Willibald Pirckheimer. Offensichtlich enttäuscht über Verlust von Macht und Einfluß in Nürnberg, äußert Pirckheimer seine Mißbilligung über das Marburger Religionsgespräch, das Philipp von Hessen ein Jahr zuvor einberufen hatte; ferner drückt er sein Mißfallen über die Städte aus, die sich für die Reformation entschieden hatten und beschwört die Gefahr, die von den Zünften ausgehe, welche das Stadtregiment in Augsburg und an­ derswo übernähmen. Der eigentliche Grund seines Schreibens ist jedoch viel banaler: Pirckheimer war auf der Suche nach Hirschgeweihen für seine Samm­ lung. Er beginnt seinen Brief aber mit einer Art Klage über den Verlust des ge­ meinsamen Freundes: Ich hab warlich an Albrechten der festen freunt eynen, so ich auf erdreych gehabt hab, verloren, vnd dauert mich nichtz höher,; dann das er so eynes hart­ seligen todes verstorben ist, welchen ich nach der verhengnus gotte niemandt dann seyner hausfrawen zu Sachen kan, die im seyn hertz eyngenagen vnd der maß gepeyniget hat, das er sich dest schneller von hinen gemacht hat, dann er was ausgedort wie eyn schaub [Strohbund, nach Grimm], dorft niendert keynen guten muet mer suchen, oder zu den leutenn geen; also het das pos weyb seyn sorg, das ir doch warlich nit not gethan hat; zu dem hat sy ime dag vnd nacht anglegen, zu der arbeyt hertiglich gedrungen, alleyn darumb, das er gelt 30 StBN Pirck 936. 31 Emil Reicke (Hrsg.): Willibald Pirckheimers Briefwechsel I (Humanistenbriefe, Veröffent­ lichungen der Kommission für Erforschung der Geschichte der Reformation und Gegenrefor­ mation 4), München 1940, S. VII-XIII.

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verdienet vnd ir das ließ, so er stürb, dann sy allweg verderben hat wollen, sj dann noch thuet, vnangesehen das ir Albrecht pis in die sex tausent gülden wert gelassen hat; aber da ist keyn genügen, vnd in summa ist sy alleyn seins dodes eyn vrsach. Ich hab sy selbs oft für ier argwenig, streflich wesen gepeten vnd sy gewarnet vnd ir forgesagt, was das end hie von seyn würd, aber damit hab ich nichtz anderst dann vndank erlangt, dann wer diesem man wol gewolt vnd vmb in gesest ist, dem ist sy feynt worden, das warlich den Albrecht mit dem höchsten wekümert hat vnd ine vnder die erden pracht hat. Ich hab ir seid seynes dodes nie gesehen, sy auch nit zu mir wollen lassen, wie wol ich ir dan noch in fil Sachen hilflich gewest pin, aber da ist keyn vertrauen; wer ir widerpart halat vnd nit aller such recht gibt, der ist ir verdeck dich, dem wird sy auch alspald feynt, dar vmb sy mir lieber weyt von mir dann vmb mich ist. Es sind ja sy vnd ier Schwester nitpübin [Buben], sonder wie ich nit zweyfel, der eren fromm vnd ganz gotzförchtig frawen, es solt aber eyner lieber eyn pübin, die sich sunst freuntlich hielt, haben dann solch nagent, argwenig vnd kiefend from frauen, pey der er weder dag noch nacht rue oderfrid haben kont.32

Später im Brief kommt Pirckheimer zu seinem Anliegen sowie zum angeb­ lichen Grund seines Unmuts über Agnes Dürer: Er beauftragte Tscherte, ihm einige Hirschgeweihe von Hartmann von Lichtenstein zu besorgen - Hirschgehürn, so Pirckheimer, die gar fil schöner vnd großer solten seyn dann die meynen. Ferner schreibt er, Albrecht hat auch etliche gehüren gehabt vnd vn­ der denselben gar eyn schöns, welches ich geren gehabt het, aber sy hat sy heymlich vnd vmb eyn Spott sambt andern fil schönen dingen hinweg geben [...].33 Die Spannungen eines Dreiecksverhältnisses treten hier deutlich zu Tage. Pirckheimer hatte Agnes Dürer seit dem Tod Albrechts nicht gesehen. Er be­ hauptet aber, er hätte der neuen Witwe Beistand angeboten; sie wäre allerdings mißtrauisch und lehnte seine Hilfe ab. Er war offensichtlich verletzt - natürlich auch noch zutiefst getroffen vom Verlust seines besten Freundes. Er wollte ein Andenken an seinen verstorbenen Freund; sie - als Ehefrau und Erbin - stand dazwischen und verweigerte es ihm. Er behauptet, sie wäre schon immer schwierig gewesen, er habe früher versucht, mit ihr zu reden, um ihr zu helfen, wollte sie aber jetzt nicht sehen. Ferner wirft er ihr vor, sie sei geldgierig, gei­ zig, übermäßig fromm und streng, und habe dadurch sogar den Tod seines Freundes verursacht.34 32 Rupprich (wie Anm. 8) 1, S. 284. 33 Rupprich (wie Anm. 8) 1, S. 284-288. 34 Die komplizierte Dreiecksbeziehung und ihre Hintergründe habe ich in einem in Vorbereitung befindlichen Aufsatzes soziologisch und psychologisch zu deuten versucht. Diese überarbei­ tete Version eines beim Symposium „Wissen und Gesellschaft in Nürnberg um 1500“ gehalte­ nen Vortrages erscheint im Band 14 des Pirckheimer-Jahrbuches.

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Wie, wann und vor allem warum wurden aber die persönlichen und nur pri­ vat geäußerten Vorwürfe Pirckheimers in die Geschichtsschreibung aufgenom­ men und weiter tradiert? In der kurzen Biographie, die Johann Neudörfer im Jahre 1547 verfaßte, ist weder die Rede von Konflikten zwischen Alb recht und Agnes noch sind verächtliche Bemerkungen über Agnes zu lesen. Ebenfalls ist in Carel van Manders Het Leven der Doorluchtighe Nederlandtsche en hoogkduytsche Schilders aus dem Jahre 1604 keine Erwähnung von der Ehefrau Agnes zu finden. Jedoch scheint die Legende der bösen Frau Agnes in Nürnberg bereits im frühen 17. Jahrhundert Fuß gefaßt zu haben, denn in mehreren Abschriften ist eine kurze Biographie überkommen, die Pirckheimers negatives Urteil der Agnes Dürer in geraffter Form wiedergibt: sie [Agnes] war ein kiffend eiffer zannksuchtig geitzig waib bei dero er wenig freud und gute tag gehabt, und bey solchem bossen Ehe über dem Albrecht Dürer sich hoch zu verwundern das er in seiner Arbeith den lust so hoch verständig behalten und fortgesetzt hat, wie an sein in truckgefertigten Büchern [...].35 Dieses Schriftstück wird häufig mit dem Nürnberger Maler, Sammler und Dürer-Verehrer Johann Hauer (1586-1660) in Verbindung gebracht, der sich für Dürers Schriften interes­ sierte, und das Buch der Maler sowie an Neudörfer angelehnte Lebens­ beschreibungen von Nürnberger Künstlern verfaßte. In einem Brief an Johann Saubertus schreibt Hauer von Dürers bösem Ehweib Xantippa, wobei Hauer Dürer lobte für seine Ausgeglichenheit, Vernunft und Geduld in der Ehe. Ob Hauer Pirckheimers Konzept gelesen hatte, bleibt unklar.36 Gewiß hatte sich hier bereits bei Hauer der Charakter der Agnes als Gegenpol zu Albrecht her­ auskristallisiert. Wenn Hauer direkten Zugang zu Pirckheimers Brief an Tscherte hatte, dann hatte er gezielt die Vorwürfe gegen Agnes extrahiert. Es war aber Joachim von Sandrart, der diesen schweren Tadel in erheblich erweiterter und ausgeschmückter Form im Jahre 1675 in seiner Teutschen Aka35 StAN, Rst. Nürnberg, Ratskanzlei, A-Laden 145, Nr. 15 (19). 36 Informationen über Johann Hauer verdanke ich den freundlichen Mitteilungen von Friedrich von Hagen, Andreas Tacke und Ursula Timann. Uber Hauer siehe: Andreas Tacke: Nürnberger Flach- und Atzmaler, Kunsthändler, Verleger und Dürerforscher des 17. Jahrhunderts, in: An­ dreas Tacke (Hrsg.): Quellen zur Kunst des Barock. Die Nürnberger Malerbücher des 17. und 18. Jahrhunderts, bearbeitet von Heidrun Ludwig, Andreas Tacke und Ursula Timann in Zu­ sammenarbeit mit Klaus Frhr von Andrian-Werburg und Wiltrud Fischer-Pache, Genealogien, Viten und Register von Friedrich von Hagen, München 1999, im Druck; sowie Franz Fuhse: Zur Dürerforschung im 17. Jahrhundert, in: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmu­ seum 1895, S. 66-75, bes. S. 69 und 73; Jean Louis Sponsel: Sandrarts Teutsche Academie, kri­ tisch gesichtet, Dresden 1896, S. 17 u. 85; Moritz Thausing: Dürers Briefe, Tagebücher und Reime. Wien 1872 (Quellenschriften 3), S. XIII; Konrad Lange und Franz Fuhse: Dürers schriftlicher Nachlass, Halle 1893, S. 2; Rupprich (wie Anm. 8) 1, S. 12.

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demie der edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste veröffentlichte, in einem Buch, das auch später als wichtiges Nachschlagewerk ins Lateinische übersetzt wieder aufgelegt wurde.37 Damit wurde der Geschichte Autorität, Permanenz und Publizität verliehen. Sandrart berichtet, Agnes habe Albrecht sehr geplagt; Pirckheimer und andere Freunde hätten versucht, zu intervenieren, und da sie ihnen nicht zuhören wollten, hätten sie Albrecht geraten, ohne Agnes Wissen heimlich in die Niederlande abzureisen, was er auch getan haben soll. In Wahr­ heit unternahmen Albrecht und Agnes diese Reise gemeinsam. Sandrart be­ nutzte nicht nur die eben zitierte Passage (ohne seine Quelle zu nennen), die oft in Verbindung mit Hauer gebracht wird.38 Noch ausschlaggebender er­ scheint die Verwendung eines längeren Exzerpts des Pirckheimer Briefs über Albrecht Dürer und seine Ehefrau Agnes. Seiner Intention entsprechend ließ er die Passagen über die Hirschgeweihe und Pirckheimers sonstige Unzufrieden­ heiten weg. Sandrarts Nachschlagewerk ist gewiß für die hartnäckige Verbrei­ tung dieser irreführenden Angaben verantwortlich. Interessanterweise wußte aber Sandrart nicht, daß der Brief von Pirckheimer stammte. Die Überschrift lautet: Extract eines Schreibens Herrn Georg Hartmans an Hern Büchler. Wie es zu dieser Verwechslung gekommen ist, bleibt unklar. Möglicherweise han­ delte es sich hier aber nicht um einen Zeitzeugen Dürers, sondern um den 1564 verstorbenen Georg Hartmann, einen Mathematicus, Theologen und Vikar an der Sebalduskirche. Vielleicht liegt hier eine Abschrift von Pirckheimers Brief vor.39 Da Sandrart es mit Namen oft nicht so genau nimmt, besteht die Mög­ lichkeit, daß eine Verwechslung mit Hartmann von Liechtenstein stattfand, der an anderer Stelle in Pirckheimers Brief genannt wird. Bei Sandrart stehen je­ doch die Zeilen über Agnes losgelöst von jeglichem Kontext. Auch wenn auf die Frage, „wie“ diese Schmähschrift aufgenommen worden ist, noch keine klare Antwort erzielt wurde, kann man der Frage nach dem „warum“ nachgehen. Offensichtlich wurde die Person der Künstlergattin als große Hürde für den Künstler aufgebaut, damit auf Dürer das Bild eines auto­ nomen Künstlers projiziert werden konnte, der ohne Unterstützung von Werkstatt, Familie oder Ehefrau seine Werke schuf, somit auf einen „KünstlerHelden“, der gegen Widerstand kämpfte und siegte.

37 Arthur Peltzer (Hrsg.): München 1925, S. 68-73. 38 Der Wortlaut bei Sandrart stimmt fast, aber nicht ganz, mit dem Text der Kurzbiographie im Staatsarchiv überein. 39 Doppelmayr lobt Hartmann auch als Erfinder wissenschaftlicher Instrumente. Siehe Johann Gabriel Doppelmayr: Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg 1730, S. 56-8. Fuhse gibt Georg Hartmann als eine der Quellen Hauers an. Siehe S. 74.

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Während der folgenden zwei Jahrhunderte rollt der Mythos der üblen Ehe­ frau Agnes durch die biographischen Schriften über Albrecht Dürer „wie ein Schneeball“, der neue Anekdoten mit immer größerer Kraft mit sich reißt, als ob diese der Fiktion zusätzliche Substanz und Glaubwürdigkeit verleihen wür­ den. Im Jahre 1728 publizierte Heinrich Arend in Goslar die erste monogra­ phische Dürerbiographie. In diesem Gedächtnis Albrecht Dürers diente die Fi­ gur Agnes Dürer mehreren Zwecken. Das Motiv der „bösen Agnes“ bildete sowohl den Anfang als auch das Ende seiner Lebensbeschreibung. Zu Beginn seiner Abhandlung stellt Arend die Frage, ob Dürers Ehefrau Modell für seine Marienbilder stand. In der lang ausschweifenden Antwort betont er, Dürer habe es schlecht in der Ehe getroffen; wenn er es vorher geahnt hätte, wäre er wie Michelangelo ledig geblieben. Ferner bemerkt er, Agnes Dürer war ein gar unangenemer schätz, deren gäntzliche bildung sowol des gesichts als leibes nicht gar viel liebreitzendes hatte. Er schließt den Absatz mit den Worten, Wäre es nun erweislig, daß Dürer ein vergnügen daran gefunden, von einem so unarti­ gen vorbilde das allerartigste abbild zu machen, und es folglig daher nicht all­ zuschön geraten, so wäre er doch insoweit zu entschuldigen, weil er gehoffet durch dergleichen liebkosungen sein böses weib zu gewinnend Später, bei der Schilderung von Dürers Tod, taucht Agnes erneut auf: Und mir deucht Agnese wurde nunmehr; wiewol zu spät, inne, daß der kummer das hertz beunruhige, den schlaff verstöre, den verstand verlähme, die geister erschöpffe, und die sele foltere, wenigstens hatte sie nun zeit, solches in der einsamkeit zu überlegen, nachdem ihr mann zu größesten leidwesen aller künstler den 6 Apr. 1528 und also eben vor 200 jahren, die schuld der natur allen, außer sich selbst, zu früh, und zwar merklig in der marter woche bezahlet hatte, denn er mußte auch in seinen tode bezeigen, daß er ein martyrer sey41 Noch ein drittes Mal wird von der Gestalt der „bösen Agnes“ Gebrauch gemacht. Es handelt sich um die Wi­ derlegung einer alten Legende, wonach Dürer in Armut verstarb und nicht ein­ mal genügend Mittel für ein ordentliches Begräbnis hinterlassen haben soll. Arend behauptet, daß solche beschuldigung gantz ungegründet sey, sintemal seine nicht allzufreigebige frau soviel erkarget, daß man sie mit recht reich kön­ nen nennen41 Wie Matthias Mende in seinem zur Faksimile-Ausgabe der Arendschen Biographie beigefügten Nachwort beobachtete, war Agnes Frey nicht nur seelisch, sondern auch körperlich als Gegenbild zum tugendreichen und wohlgestalteten Albrecht Dürer konstruiert. Er wurde dadurch auch als eine Art heiliger Künstler moralisch gepriesen.43 40 § 10. 41 §21. 42 §21. 43 Mende (Hrsg.), Unterschneidheim 1978 (nicht paginiert).

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Auch Nachschlagewerke des 18. Jahrhunderts vereinnahmten die „böse Agnes“ mit vergleichbaren Absichten. In seinen 1730 veröffentlichten Nach­ richten von Nürnberger Mathematikern und Künstlern wagte es Johann Dop­ pelmayr, eine Passage aus der von Camerarius geschriebenen Einleitung des Vorworts zu Dürers Proportionslehre zu ändern, um Camerarius eine negative Aussage über Agnes anzudichten. Das von Doppelmayr geschickt manipu­ lierte Zitat benutzt er als Beleg in einer Fußnote. Camerarius schrieb, Sedpriusquam absolvere omnia et correcta edere, ut cupierat posset, morte est ereptus, placida illa quidem et optabili, sedprofecto, nostro quidem iudicio, praematura. Erat autem si quid omnium in illo viro quod vitii simile videretur; unica infinita diligentia, et in se quoque inquisitrix saepe parum aequa. (Aber bevor er [Dü­ rer] alles vollenden und korrigiert herausgeben konnte, wie er es gewollt hatte, wurde er vom Tod weggerissen; jener war gewiß angenehm und wünschens­ wert, aber freilich, zumindest unserer Meinung nach, zu früh. Wenn aber ir­ gendetwas an diesem Mann einem Laster ähnlich zu sein schien, dann als einzi­ ges die kein Ende nehmende Gründlichkeit, die zugleich Prüferin, auch sich selbst [Dürer] gegenüber oftmals zu wenig gnädig war.) Doppelmayr fügte das Wort uxor in Parenthese nach inquisitrix hinzu. Zwischen den Worten von Ca­ merarius zitierte er Sandrarts Zeilen aus dem Pirckheimer-Brief, in dem be­ richtet wird, Dürer sei „ausgedorrt“. Ferner verdreht er die Sätze, womit sug­ geriert wird, der Tod sei wünschenswert, da er durch ihn von seiner ihn „prü­ fenden“ Frau erlöst wurde.44 In der 1759 gedruckten Allgemeinen Künstlerhistorie ... behauptete Georg Wolfgang Knorr, Albrecht Dürer sei auf Anraten seiner Freunde in die Nie­ derlande gereist, um Agnes auf bessere Gedanken zu bringen. Der Text fährt fort, es hatte auch dieses Unternehmen eine dem Ansehen nach gewuenschte Wuerkung, da sie von seinen Freunden, absonderlich Wilibald Pirkheimern, zu­ gleich sehr hart angegangen wurde, daß sie ihre Lebens Art kuenftighin ver­ nünftiger einrichten solte. Sie versprach unter Vergiessung einer grossen Menge Thraenen alles, was man nur wolte; worauf Pirckheimer an den Duerer nachricht ertheilte, daß er sich wieder bey ihr einfinden moechte, welches er auch that. Alleine die versprochene Besserung waehrete nicht lange, sondern diese Boßhaffte fieng ihre vorige Lebens-Art wiederum an, und verursachte endlich, daß Duerer in eine abnehmende Krankheit verfiel, woran er auch den 6. April 1528. staerb.45 Knorr berichtete auch von einer früheren Behauptung unbe-

44 Doppelmayr (wie Anm. 39), S. 182-190, bes. 189. Für die freundliche Hilfe bei der Übersetztung danke ich Sieglinde van de Klundert. 45 Allgemeine Künstler=Historie oder berühmter Kuenstler Leben, Werke, und Verrichtungen, mit vielen nachrichten von raren alten und neuen Kupferstichen, Nürnberg 1759, S. 23-24.

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kannter Provenienz, wonach Albrecht bei seiner Rückkehr in die Stadt seine Frau bettelnd bei St. Johannis angetroffen hätte. Er betont, es sei Dürers Fleiß zu verdanken, daß er nicht arm, sondern sogar reich geworden war. Dadurch wird klar, daß die fingierten Lebensereignisse dazu dienten, Agnes Dürer im­ mer negativer zu charakterisieren und - als eigentliches Ziel - Albrecht Dürer als immer tugendreicher darzustellen. In Leipzig publizierte David Gottfried Schoeber im Jahr 1769 ein Werk, des­ sen hoher Anspruch bereits im Titel deutlich wird: Albrecht Dürers, eines der groeßesten Meister und Kuenstler seiner Zeit, Leben, Schriften und Kunst­ werke, aufs neue und viel vollstaendiger; als von andern ehemals geschehen. Bei Schoeber diente der andauernde Streit zwischen dem „gütigen“ Albrecht und der „üblen“ Agnes als Leitmotiv einer lang ausgedehnten, teilweise pathetisch geschilderten Lebensbeschreibung. Dürer erwartete eine angenehme Gehuelffin, zur Erleichterung seines Lebens, fand sich aber bald nach der Hoch­ zeit mit ihr betrogen. Sobald sie im Haus war versuchte sie ihm auch um die Herrschaft zu bringen. Sie sei auch nicht intelligent oder kultiviert genug - wie andere schlaue Weiher - um ihr Machtstreben zu vertuschen. Laut Schoeber waren ihre Sitten [...] schlecht und ihr Sinn unbeugsam,46 Die Figur der Agnes, die Schoeber kreiert, entsprach nicht den Erwartungen der Zeit, wonach Män­ ner des Bürgertums sich um geschäftliche Angelegenheiten kümmerten und Frauen um kulturellen Dinge.47 Das störrische Temperament der Agnes machte er für alle Reisen Dürers verantwortlich. Sie war muerrisch, zaenkisch, geitzig, herrschen, unverstaendig und doch hochmuethig, und mit einem Wort, ein boeses Weib.™ Immer wieder fuhr er weg, um ihr zu entfliehen. Im Jahre 1523 soll er in die Niederlande gefahren sein, ohne ihr etwas davon zu sagen, oder ihren Segen und Abschiedskuß zu verlangen,49 Da sie in der Abwesenheit ihres Man­ nes keine Einkünfte hatte, wandte sie sich immer wieder an Willibald Pirckheimer, der sie ermahnte, Dürer hätte sonst bey guten Freunden ruhig und vergnuegt leben koennen und würde nur dann wieder nach Hause fahren, wenn ihm versichert werde, daß seine Frau ihre ganze Auffuehrung aendern wolle. Wie Schoeber beschreibt, hatte Pirckheimer erstmals bei ihr einen Erfolg. Sie gab lauter englische Worte, sie begleitete solche mit heißen, oder vielmehr er­ bitterten Thraenen, sie versprach alles auf der Welt, was man nur von einer frommen Frau verlangen konnte, und insonderheit, daß sie ihrer Zunge einen

46 S. 14. 47 Ute Frevert: „Mann und Weib, und Weib und Mann“ Geschlechter-Differenzen in der Mo­ derne, München 1995. 48 S. 14. 49 S. 27.

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Abb. 1:

Albrecht Dürer, Federzeichnung, 1497. (Graphische Sammlung Albertina, Wien)

Abb. 2:

Albrecht Dürer, Silberstiftzeichnung, 1497. (Kunsthalle Bremen, Kriegsverlust)

Abb. 3:

Albrecht Dürer, Silberstiftzeichnung, 1504. (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg)

Abb. 4:

Albrecht Dürer, Metallstiftzeichnung, 1521. (Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin)

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Abb. 5:

Albrecht Dürer, Silberstiftzeichnung, 1521. (Graphische Sammlung Albertina, Wien)

Abb. 6:

Albrecht Dürer, Bleizinngriffel, 1522. (British Museum London)

Abb. 7:

Albrecht Dürer, Öl und Tempera auf Leinwand, 1519. (Metropolitan Museum of Art New York)

Abb. 8:

Albrecht Dürer, Pinselzeichnung, 1519. (Graphische Sammlung Albertina, Wien)

Agjres Aleertjpu, rtri CanjxLAi. w» Abb. 9:

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Johann Friedrich Leonard, Schabkunstblatt, um 1670. (Stadtgeschichtliche Museen Nürnberg)

Abb. 10 Albrecht Dürer, Pinselzeichnung, 1508. (Graphische Sammlung Albertina, Wien)

Abb. 11: Medaillon. (Germanisches Nationalmuseum Nürnberg)

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Abb. 12: Georg Andreas Will, Nürnbergische Muenz-Belustigungen, Band 1. (Foto: Volker Schier)

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geschaerften Zaum anlegen, und ihre kuenftige Besserung, durch die That und folgendes gutes Verhalten beweisen wollte.50 Aber langfristig trugen weder die Worte Pirckheimers noch die „Zucht“ und Ermahnungen ihres Vaters Früchte, und kurze Zeit nach Dürers Rückkehr sei sie wieder zanksüchtig gewesen und zeigte, daß ungeachtet ihres vielen Versprechens gegen Pirckheimer; der Mohr eben so schwarz, als vorher; geblieben sei. Schoeber fährt fort, unserm Duerer wurde nun sein Leben recht schwer; denn da er zeithero ruhige, friedliche und vergnuegte Tage genossen; da er in der Welt die Menschen kennen lernen, und den Unterschied einer guten und boesen Ehe wohl eingesehen, so wurde durch die Last, die er taeglich mit seiner Frau zu tragen hatte, der Koerper endlich ausgezehret, matt und krank, worauf endlich auch sein Abschied von der Welt, ohne, daß man es sich noch so bald und geschwind vermuthet, Anno 1528. den 6. April in der Marterwoche erfolgete.51 Gewiß waren wenig Einzelheiten über das persönliche Leben Albrecht Dürers bekannt. Aus Sandrarts Passagen kon­ struiert Schoeber eine Lebensgeschichte, die Albrecht Dürer als tugendreich und heldenhaft präsentiert, indem er Agnes Dürer als das üble „Andere“ ge­ staltet. Die Biographen verdrängten die Realitäten, daß die Künstlerwerk­ stätten als Familienbetriebe geführt wurden. Besonders in den pietistischen evangelischen Kreisen des 18. Jahrhunderts lösten sich langsam die altherge­ brachten schlicht-nüchternen Vorstellungen der Ehe auf, und es entwickelte sich die Erwartungen von einer gefühlsbetonten Beziehung. Agnes Dürer wird in diesem Zusammenhang als eine schlechte Ehefrau beschrieben, da sie mitt­ lerweile der mit Weiblichkeit verbundenen Vorstellungen der Zärtlichkeit und Intimitätsbereitschaft nicht entsprach.52 Auch die Nürnberger Gelehrten befaßten sich weiterhin mit dieser Thema­ tik. Im Jahre 1781 wurde der vollständige Brief von Willibald Pirckheimer an Johann Tscherte in dem Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Litteratur abgedruckt.53 Der Herausgeber Christoph Gottlieb von Murr war deutlich bestrebt, historische Tatsachen und „Wahrheiten“ festzuhalten und weiterzugeben. Kurz davor waren die Papiere Pirckheimers in dem Haus am Egidienberg entdeckt worden. Aus diesem Fundus druckte Murr die Briefe, die Dürer aus Venedig an Pirckheimer gesandt hatte sowie Pirckheimers Konzept dieses Briefes an Tscherte. Murr fügt jedoch dem Brief die aufschlußreiche Be­ merkung hinzu, daß eine fast eben so alte Copie vorhanden sei. Pirckheimers

50 S. 28-29.

51

S-

3a

52 Harrad Schenk: Freie Liebe - wilde Ehe. Über die allmähliche Auflösung der Ehe durch die Liebe, München 1987, bes. Kap. 4. 53 Teil X, Nürnberg 1781, S. 36-47.

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gekränkte und verbitterte Einstellung einerseits, seine Beschäftigung mit Hirschgeweihen andererseits, ist deutlich aus dem Kontext abzulesen. Jedoch lenkt Murr seine Leser wieder auf die gängige Deutung, wie es aus seinen vor­ angestellten Worten abzulesen ist: Schreiben Herrn Wilibald Pirkheimers, von Duerers Absterben, und von seiner gottlosen Xantippe. Hierdurch schloß er sich auf sehr unkritische Weise der vorherrschenden Agnes-feindlichen Ten­ denz in der Literatur an. Selbst Pirckheimer nannte Agnes in seinem Brief „fromm" und keineswegs „gottlos". In seiner in Leipzig erschienenen Dürer-Biographie Leben Albrecht Due­ rersy des Vaters der deutschen Kuenstler aus dem Jahre 1791 widmete Johann Friedrich Roth Dürers Verheirathung und unglueckliche Ehe ein ganzes Kapi­ tel. Roth analysierte ebenfalls die Beziehung zwischen Albrecht und Agnes, je­ doch erstmals dadurch, daß er Dürers Schriften im Hinblick auf Äußerungen zu seinen Eltern und Schwiegereltern auswertete und die Passagen mit denen über seine Frau verglich. Roth bemerkt den ehrfürchtigen Stil, den Albrecht für die ältere Generation verwendet. Dieser wich vom schlichten Stil ab, den Dürer benutzt, wenn er über seine Frau schreibt. Roth übersah jedoch, daß da­ mals ein differenzierter Umgang mit der Elterngeneration üblich war. Er be­ schuldigte auch Dürers Vater, daß er die Ehe arrangiert hatte. Eine unter­ schwellige Polarisierung der Geschlechter macht sich schon in dem rhetori­ schen Stil von Roth bemerkbar: Damit das schoene Geschlecht - wenn viel­ leicht einer von demselben diese Schrift von ungefaehr in die Haende fallen sollte - nicht argwoehne, als ob mein Unheil von dieser Frau Agnes zu unbillig waere, so will ich ihre Zeitgenossen selbst reden lassen. Diese moegen ihre Aus­ sage verantworten - ich wasch meine Haende.5* Es folgen zwei Hinweise auf den angeblichen Brief von Georg Hartmann an Herrn Büchler (nach Sandrart) sowie auf das angebliche Zitat von Camerarius (nach Doppelmayr). Zusätzlich zitierte Roth aus Pirckheimers Brief an Tscherte (nach Murr). Aus Pirckheimers verbitterten und enttäuschten persönlichen Bemerkungen, aus der Verfäl­ schung Doppelmayrs und der falschen Zuschreibung Sandrarts wurde eine Kette angeblicher „Zeitzeugen" kreiert. Roth stellte jedoch den Anspruch nach historischer Authentizität, was für seine Schrift weitreichende Konsequenzen nach sich zog. Das Aufkommen und die Etablierung des Mythos der „bösen Agnes" ließ sich ebenfalls in der bildenden Kunst des 18. Jahrhunderts beobachten. Um 1670 schuf der Nürnberger Graphiker Johann Friedrich Leonard ein Schab­ kunstblatt, das ein auf einem Sockel ruhendes plastisches Brustbild einer jun-

54 S. 18.

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gen Frau mit losen Haaren zeigt (Abb. 9). Rechts reproduzierte Leonard das Dürer-Monogramm in Verbindung mit der Jahreszahl 1508. Am unteren Rand trägt das Werk als Titel die Bezeichnung: Agnes Alberti Düreri Conjux. Der Kopftypus geht auf eine Vorzeichnung aus dem Jahr 1508 zurück, die Dürer für sein Gemälde der Lucretia angefertigt hatte (Abb. 10). Sehr wahrscheinlich war jedoch das unmittelbare Vorbild des Blattes das Medaillon eines unbe­ kannten Dürer-Nachahmers aus dem 16. oder frühen 17. Jahrhundert (Abb. 11). Georg Andreas Will bezeugt, daß bereits dieses Medaillon als Porträt der Agnes Dürer verstanden wurde. Der Abbildung des Medaillons in seinen Numbergischen Muenz-Belustigungen stellt er die folgende kommentierende Überschrift voran: Agnes Duererin, unsers beruehmten Albrecht Dürers Haus­ kreutz, ein gegoßnes Schaustück von 1508 (Abb. 12).55 Eine erstaunliche Verwandlung durch Bild und Text läßt sich hier beobach­ ten: Das vom Schmerz verzerrte Antlitz der antiken Heldin und Märtyrerin Lucretia, wird geradezu zum weiblichen Idealbild einer Schaumünze transfor­ miert. Im 17. Jahrhundert wurde das Bild als ein von Dürer gestaltetes Porträt seiner Ehefrau rezipiert. Im 18. Jahrhundert wurde durch geringe Veränderung (Zusammenrückung der Augen und nach unten gezogene Mundwinkel) die weiche Schönheit gebrochen und durch eine kantige Härte ersetzt. Wills Auf­ schrift läßt keinen Zweifel daran, daß Dürers Ehefrau einen schlechten Cha­ rakter hatte. Gegenstand des achtseitigen Begleittextes ist Dürers „Haus­ kreuz". Will strickt unter Verwendung der zuvor erwähnten Zitate ein Kon­ strukt voller Haßtiraden, dessen Wortwahl kaum zu übertreffen ist. In diesem Zusammenhang erwähnt Will den Kupferstich des jungen Brautpaares, das vom Tod verfolgt wurde.56 Dies interpretiert er als Vorahnung Albrechts, daß Agnes ihn zu Tod plagen würde. Will unterstellt Agnes außerdem, daß ihre Stiftung eines Stipendiums symptomatisch für ihren Hochmut sei. Er geht so weit zu behaupten, daß sie wirklich die Moerderin ihres verdienstvollen Man­ nes war. Will macht Agnes Dürer zur Stellvertreterin für „böse Frauen" schlechthin, indem er Albrecht Dürer als Maertyrer der weiblich Bosheit sieht.57

55 Mein Dank gilt Gisela Goldberg, die mich auf diese Werke aufmerksam gemacht hat. Siehe: Gi­ sela Goldberg, Bruno Heimberg, Martin Schawe: Albrecht Dürer. Die Gemälde der Alten Pina­ kothek, München 1998, S. 440-461; Matthias Mende: Dürer-Medaillen: Münzen, Medaillen, Plaketten von Dürer, auf Dürer, nach Dürer, Nürnberg 1983, S. 112-114; Georg Andreas Will, Der Nürnbergischen Muenz-Belustigungen, Bd. I, Altdorf 1764, S. 369. 56 Adam von Bartsch: Le Peintre-Graveur, Wien 1808, Bd. 7, 94; Walter Strauss: The Intaglio Prints of Albrecht Dürer, New York 1981, Nr. 20. 57 Will (wie Anm. 55), S.369-376.

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Für Wilhelm Wackenroder - häufig als Vater der deutschen Romantik be­ zeichnet - verkörperte Dürer alle männlichen Tugenden des deutschen Mittel­ alters. In seinem Aufsatz Ehrengedächtnis unseres ehrwürdigen Ahnherrn Alhrecht Dürers von einem kunstliebenden Klosterbruder, der im Journal für Deutschland im Jahr 1797 erschien, behauptete Wackenroder, Agnes habe Albrecht 34 Jahre lang gepeinigt und geplagt und sei schließlich der Grund für seinen Tod gewesen. Pirckheimer und andere Freunde wären Dürers einzige Freyorte gewesen.58 Agnes war für ihn weniger die schlechte Ehefrau, als „das Andere“ schlechthin, das im Gegensatz zu Dürers musischem Wesen stand. Adam Weise publizierte 1819 in Leipzig die Biographie Albrecht Dürer und sein Zeitalter. Er unternimmt hierbei den Versuch, die deutsche Kunst, die ihre Blütezeit mit Dürer erreicht hätte, auf eine Ebene mit der italienischen Kunst zu heben. In diesem Werk benutzt Weise ebenfalls die „böse Agnes“ als Folie, um das sanfte Gemüt Albrechts hervorzuheben. Weise zitiert Dürer nach der Familien-Chronik: und als ich anheim kommen war; handelt Hans Frey mit meinem Vater; und gab mir zu ihr 200 Gulden. Dazu kommentierte Weise: Auf diese Art wurde er durch die zwei Väter verhandelt, und da auf eine Zuneigung von beiden Seiten keine Rücksicht genommen worden, blieb dem Sohn für die reinen Empfindungen der Liebe das Herz verschlossen. Seit dem 18. Jahrhun­ dert wurde immer größerer Wert auf die Entscheidungen des Einzelnen - auch bei Eheschließungen - gelegt, eine Einstellung, die der Verfasser geschickt dazu benutzt, die Leser in die Schilderung der gegensätzlichen Charaktere von Al­ brecht und Agnes einzuführen. Sein [Dürers] sanfter Charakter vermochte nicht in der Folge den harten Sinn seiner Frau zu besänftigen; vielmehr diente seine Milde nur dazu, ihren Uebermuth zu vermehren. Doch das wahrhaft fromme Gemüth Dürers ertrug sein Schicksal standhaft. In seiner Werkstätte vergass er, was ihn sonst unfreundlich ansprach, hier bildete er sich seine Welt von Gestalten so rein, wie er empfand. Hier schuf er jene holden Jungfrauen voll sittlicher Demuth und Bescheidenheit, nach dem Urbilde, das er im Spiegel seiner Seele erblicktet Mehrmals wurde Dürers Frömmigkeit betont. So schreibt Weise: Doch das edle Herz Dürers, durch Religion gehoben, begegnete dem bösen Willen mit Sanftmuth.60 Sein Ableben wurde folgenderweise erklärt: Doch sein fühlendes Herz, nur empfänglich für die zarten Eindrücke, musste endlich durch die unmenschliche Härte seiner Gattin, durch ihren Geiz, der sei­ nem Körper keine Erholung gönnte, und die Missgunst derselben, die ihm jede Freude des Lebens störte, endlich diesen vergifttenden Einwirkungen unter-

58 S. 14-15. 59 S. 43. 60 S. 76.

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liegen, und dieser grosse Mann, der erste deutsche Maler, starb an einer auszeh­ renden Krankheit,61 An mehreren Stellen betont Weise hingegen, daß Dürer von seinen Freunden die Unterstützung erfuhr, die er von seiner Ehefrau nicht erhielt. Weise muß auch die bisherige Schmähliteratur über Agnes gesammelt haben: er wiederholt das Beispiel von Wills Schaumünze unter der Bezeich­ nung Dürers Hauskreuz; auch zitiert er Pirckheimers Brief an Tscherte, den er bei Murr gefunden hatte. Die „böse Agnes“ zieht sich wie ein dramatisches Leitmotiv durch das Buch: Ungeachtet aller dieser Auszeichnungen seines an­ haltenden Fleisses und des Ertrags desselben, scheint doch in seinen letzten jahren der böse Dämon seiner Frau ihn mehr als je geplagt, und sie scheint, wie sie an Jahren alterte, auch an Gehässigkeit böser Leidenschaften zugenommen zu haben; denn abgerechnet den Geitz, verfolgte sie ihn auch durch Missgunst und Eifersucht, so dass sie auf diese Art selbst den geselligen Umgang mit seinen Freunden, die ihm noch einzige Erholung, störte. Natürlich konnte sein krän­ kelnder Körper; unter dem selbst der Geist gebeugt wurde, ihr keine Kraft ent­ gegen stellen, und so schwanden seine letzten Lebenskräfte, welche sich in einer völligen Auszehrung auflösten,62 Noch mehr als andere Autoren stilisierte Weise durch die Gestalt der bösen Agnes die Figur Dürers zum tragischen ro­ mantischen Helden. Aus Anlaß der Grundsteinlegung des Nürnberger Dürer-Denkmals im Jahre 1828 widmete Johann Christoph Wilder fünf Strophen eines Gedichts der Person Agnes Frey. Gewisserweise entwickelte er hierdurch das romanti­ sche Idealbild Weises weiter: Die vom Vater ausgehandelte Mitgift von 200 Gulden war kein Ausgleich für eine so böse Ehefrau. Dürer habe große „Ent­ behrungen“ in der Liebe auf sich genommen, da er Agnes allein wegen seiner Frömmigkeit, aus Respekt seinem Vater gegenüber, sowie aufgrund der „deut­ schen Sittlichkeit“ treu geblieben sei. Selbst die Kunst sei kein Ersatz für die Liebe, da Marmorbilder das Herz und die Seele nicht erwärmen können. In ei­ ner Anspielung auf die Verse bei Paulus (2 Kor. 12, 7) behauptete Wilder, Agnes sei die Dorne, die Albrecht ertragen müsse. Unter der Überschrift Agnes Frei ist bei Wilder Folgendes zu lesen: Hast du auf Deinem Wandern Nicht manches Aug* gesehen, Das auch auf dich mit Liebreiz hat geblicket? Soll Dir denn nicht, wie Andern, Der Stern der Liebe stehen Zur Seite, daß Du Dich auch fühlst beglücket? 61 S. 53-54. 62 S. 80.

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Du, den so oft entzücket Das Schöne, das die Seele Still in sich hat getragen, Darfst Du es nicht auch wagen, Daß sich Dein Herz die Auserkörne wähle? Soll Dir nicht schon im Leben Der Liebe Lohn die höchste Wonne geben ? Du bist zurückgekommen In unverdorb ’ner Schöne, Es hat die Kunst den reichen Geist genähret! Wie warst Du nicht willkommen, Als Liebster seiner Söhne, Dem Vater der sein Hoffen sah gewähret? Und wohl in Dir geehret Hat man das frische Regen; Was Dir sich aufgeschlossen, Hat selbst den Kunstgenossen Bestätiget das seltene Vermögen, Zu dem sich schon entfaltet Der Genius, der in der Brust Dir waltet! Hast du, o Kunst, verliehen Nicht Manchem, der dir dienet, Auch Frauengunst, die süße Lust mag schenken? Und ihm sollty nicht erblühen Die Saat, die Vielen grünet, Er muß sich auf die Schaale nur beschränken? Wohl mag der Vater denken, Daß er in treuen Händen Da dürft’ die Tochter wissen, Wenn sie nur treu beflissen Dem Gatten hätte mögen Freude spenden! Doch ach - was sie entbehret, Das hat ihr auch die Mitgift nicht gewähret! Denn Marmorbilder schauen Kann man, die kalt uns lassen, Weil Herz und Seele sie nicht warm durchdringen! Nur wo in holden Frauen Wir auch das Herz umfassen, Wird sich der rechte Bund der Liebe schlingen.

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Das konntest du nicht bringen, Weil es dir nicht verliehen, Dem Gatten, dem du ferne Gestanden, der dich gerne Mit edlem Geiste möchte zu sich ziehen! Und doch hat ohne Klagen Die Dornen auch der sanfte Mann getragen. Und wo der Väter Wille Gehandelt, wo vergessen Des Herzens Stimme ward beim würdigen Sohne, Wie er die Pflicht erfülle, Das hat er nur ermessen, Daß mit Gehorsam er dem Vater lohne! O Hand des Schicksals, schone Ihn, der solch Opfer brachte, Statt frei zu seyn, in Banden Von Agnes ist gestanden, Wo Raphael wohl andre Wonne lachte! Die sittig deutsche Weise, Sie dienet Dürern wohl zum höchsten Preise!63

Diese normative Sichtweise, die das Gedicht mustergültig zusammenzufassen vermag, war derart in das kollektive Bewußtsein der Nürnberger Bildungs­ schicht eingebrannt, daß ein Hinweis in der Literatur genügte, um diesen Topos abzurufen. Bei den Feierlichkeiten auf dem Johannisfriedhof zum 300sten Todestag im Jahr 1830 wurde Dürer mit folgendem Ausspruch geradezu ge­ huldigt, religiöse Begeisterung und frommer Sinn bewahrte ihm mitten unter der Last häuslichen Unfriedens und drückender Arbeit die ungeschwächte Hei­ terkeit6* Das Charakterbild der mittlerweile zur Legende verkommenen Agnes fand eine weniger ernste und lockerere Tradierung in der Öffentlichkeit. Schon im 19. Jahrhundert gehörte die Hausfrau zu den Figuren, die auch in ironisieren­ der Weise diffamiert wurde, wodurch die männliche Geschlechterpolitik durch das Mittel des Humors verharmlost wurde. Im Jahr 1840 schrieb der Nürnber­ ger Dichter Johann Wolfgang Weickert Dürer im Munde seines Volkes: ein

63 S. 15-16. 64 E. Lösch: Einige Worte, am Grabe Albrecht Dürers, zur Feier seines Todestages, den 18. April 1830, Nürnberg 1830, S. 7.

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Dialog. Es handelt sich um ein Gespräch in Versform zwischen einem Frem­

den, der in der Hochsprache verschiedene Fragen stellt: über das Dürer-Denk­ mal, über das Zeitalter Dürers und über dessen Leben. Sein Widerpart ist ein Nürnberger Handwerker, der ihm im Nürnberger Dialekt weitschweifend Antwort gibt. Folgendermaßen hört sich die Schilderung Weickerts zur Ehe­ schließung an: Nau is der Dürer in die Fremd Und is vöier Jauher ausblieb ’n, Wer wafl war er goar wieder ham Hait niht seih Vater geschwinder als mers denkt Zu hohb9ns9n a Frau ohg'henkt, Die Jumpfer Agnes Freyi

Zum Arbeitsleben in der Werkstatt, sowie zu Dürers Männerfreundschaften dichtet er: Dau sögn 9s nehr dös Haus recht oh, Dös haut der Dürer kaft Und is mit seiner Frau neihzugn Und haut drinn g’lebt und geschafft. Haut gemoahlt und g9stoch9n Tog für Tog, Allah er mog thou wos er mog Der Frau is niht g’noug g9wös9n. Sie haut halt immer kneift und zankt Und haut kan Fried niht göben. An Anderer hait9s broav durchg9mangt Den dös is a Hundslöhb 9n Allah der Dürer läßtes halt göih. Und denkt: Wos nutzt9s, ih währ wühl höi Noh Cameraden hohb9n.b5

Noch viel schwermütiger fallen die Verse eines anderen Volksdichters aus, der aus Anlaß des 400. Geburtstags von Dürer im Jahre 1871 in einer Strophe über Dürers Zuflucht in der Einöde des Nürnberger Reichswaldes schreibt: Am Brünnlein auf des Schmausenbuckes Höhen Einsam er saß oft nah9 der Quelle dort, Doch mit den Zeitgenossen konnte sehen Man ihn auch an der Buchenklinge Ort, 65 Dürer im Munde seines Volkes: ein Dialog, Nürnberg 1840, S. 9-11.

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Fern seinem Weib Agnes, die gleich Xantippe, Die Frau des Sokrates, war schlimm an Sinn, Bis trennte ihn von ihr des Todes Hippe, Und Grabesfriede wurde zum Gewinnt Hier verdichten sich viele Vorstellungen, die in der Romantik auf Dürer projiziert wurden: Naturnähe, Einsamkeit, ein schweres Leben und Todes­ sehnsucht. Die böse Agnes, einer Xantippe gleich, nährte alle diese sozialen Konstrukte, die zu diesem Künstlerbild gehörten. Durchaus humorvoll sind die Strophen eines anderen Dichters, der zur gleichen Gelegenheit einige Versen schuf, wobei hier, wie im zuvor zitierten Gedicht, eine Verleumdung hinter der Fassade des Gelächters kaschiert wird. Agnes wurde gefragt, wie es Albrecht im Himmel jetzt so ginge. Sie ant­ wortete: Der ist der Selb3 noch wie auf Erden Thät auch dorten nicht anders werden; Bummelt da in den Wolken herum, Mit einem aparten Colegium, Mit Ulrich von Hutten, mit Raphael, Mit des liederlichen Pirkheimers Seel, Mit einem Schiller und Herrn von Göthe, Ja selbst mit Heine, der giftigen Kröte [.. ./.67 Versuche der Ehrenrettung Trotz alledem war bereits im Jahr 1840 eine zunächst noch leise Kritik zu hören: Moritz Maximilian Mayer wandte sich in seiner biographischen Skizze, die er zur Enthüllung des Dürer-Denkmals verfaßt hatte, erstmals gegen das so negative Bild von Agnes Dürer: Wird nun gleichwohl von dieser Ehe, welche kinderlos blieb, gesagt, daß sie eine höchst unglückliche gewesen sey, und wird Frau Angnes ein mürrisch, zänkisch, geizig, unverständig und hochmüthig Weib, eine Xantippe genannt so ist dieses doch nicht gegründet, und zeigt, wie wenig die jenigen welche dies sagen, Dürers Privatleben kennen, wie wenig sie wissen, welchen Glauben Herr Wilibald Pirkheimer, welcher der Urheber die­ ser bösen Meinung von Dürers Frau ist, in diesem Punkte verdient.68 66 Auf das vierhundertjährige Geburtstagsjubiläum Albrecht Dürers zu Nürnberg am 21. Mai 1871. 67 Gedenkbuch der vierhundertjährigen Geburtstagsfeier Albrecht Dürer’s, Nürnberg 1872, S. 40-41. 68 Albrecht Dürer, Nürnberg 1840, S. 5.

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In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden diese kritischen Stimmen vernehmlicher, als Moritz Thausing sowohl in seiner Dürer-Biogra­ phie aus dem Jahr 1860 als auch ausführlicher in einem zweiteiligen nachfol­ genden Aufsatz die Quellenlage über Agnes Dürer kritisch überprüft und den Brief Pirckheimers untersucht. Thausing hinterfragt Pirckheimers Motive, um die noch fortdauernde Verleumdung der Agnes erstmals nach wissenschaft­ lichen Kriterien zu durchleuchten.69 Thausing, der auch wenige Jahre später ei­ nige Dürer-Quellen veröffentlichte,70 beginnt mit einer Analyse der Beziehung zwischen Albrecht und Agnes an Hand der von Dürer selbst geschilderten und von beiden Ehegatten gemeinsam unternommenen Reise in die Niederlande. Er verweist auf die von Dürer erwähnten Geschenke an seine Frau, die sie von ihm und von anderen erhalten hatte; er betont, daß Albrecht Agnes häufig portraitiert hatte und er erwähnt die Grüße, die Freunde an sie ausrichten ließen. Mit besonderer Geschicklichkeit entkräftet Thausing die gängigen Vorwürfe gegen Agnes, indem er die Legenden mit bezeugten Gegenbeispielen konfron­ tierte. Er macht die Leser darauf aufmerksam, daß Christoph Scheurl und Jo­ hann Neudörfer Agnes Dürer stets mit Achtung in ihren Schriften erwähnt hatten. Zu dem häufig wiederholten Vorwurf, Dürer habe seine Eltern und Schwiegereltern höher geachtet und geehrt als seine Ehefrau führt Thausing aus, daß Albrecht Agnes sicher auf eine vergleichbare Art in einem Nachruf ge­ lobt hätte, wenn sie vor ihm gestorben wäre. Auch Doppelmayrs Zitat des Camerarius hatte Thausing als verändert entlarvt. Primär widmete er sich dem Brief Pirckheimers an Tscherte, der die ganze Legendenbildung ausgelöst hatte. Thausing vermutet, Pirckheimer habe den Brief an Tscherte erst Wochen vor seinem Tod geschrieben, als er an einer ganzen Reihe körperlicher Gebrechen litt. Dieses sieht Thausing als den Schlüssel zum Verständnisse dieser zwar geschwätzigen, aber durch und durch galligen Epistel. Sucht man jedoch nach dem Motiv dieses leidenschaftlichen Invektiven Pirckheimers, findet man - laut Thausing - den Sammeleifer und die damit verbundene Sehnsucht des Verfassers nach möglichst prachtvollen Hirschgeweihen. Dies wird durch einen Eintrag in Pirckheimers Nachlaß­ inventar bestätigt, wonach die Hirschen Gehurn, so am Gang herumgehangen sind, im Wert von etwa 25 Gulden geschätzt wurden.71

69 Albrecht Dürer. Geschichte seines Lebens und seiner Kunst (1860), Nachdruck, Berlin 1926, S. 87-110; Dürers Hausfrau. Ein kritischer Beitrag zur Biographie des Künstlers, in: Zeitschrift für bildende Kunst 4 (1869), S. 33-42, 77-86. 70 Moritz Thausing: Dürers Briefe, Tagebücher und Reime, Wien 1872 (Quellenschriften 3). 71 Dürers Hausfrau (wie Anm. 69), S. 81-82.

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Auch betont Thausing, wie großzügig Agnes war, da sie, obwohl sie nach dem Gesetz von 1522 dazu nicht verpflichtet war (sie hatte in Gütergemein­ schaft mit Albrecht gelebt), doch schon zu Lebzeiten die Brüder auszahlte. Thausing zitiert aus dem Gerichtsbuch (wenn auch ohne genaue Quellenan­ gabe), daß Agnes dem Endres und dem Hans Dürer jeweils ein Viertel (1.106 fl. 6 Pfd. 22 Pfg.) - 553 Fl. 3 Pfd. 11 Pfg. in bar gegeben hatte und für den Rest ihr Wohnhaus am Tiergärtnertor verpfändete. Dieses hätte sie getan aus eigner Bewegniß und gutwilliger Freundschaft, die sie von ihres obgedachten Hauswirts wegen zu ihnen als ihren lieben Schwägern trage. Ebenfalls erwähnt Thausing das von Agnes Dürer gegründete Stipendium für einen Nürnberger Theologie­ studenten an der Universität Wittenberg, das er als Indiz für ihre Großzügig­ keit wertet. Thausings Untersuchung mündet in die folgende Aussage: Die Sage von der Xanthippe Dürer’s ist somit keine ursrpüngliche Volkstradition, sondern eine auf literarischem Wege erst in den späteren Jahrhunderten ver­ breitete Gelehrtenfabel.72 Bis heute bleibt die Untersuchung von Thausing die ausführlichste Kritik an der Legende der Agnes Dürer. Kurze Zeit später, um die Arbeit von Thausing zu untermauern, gab der Nürnberger Lehrer und Ar­ chivar Georg Wolfgang Karl Lochner den Text aus dem Brief im Nürnberger Stadtgerichtsbuch heraus, der von der Auszahlung an die beiden Schwäger von Agnes Dürer berichtet.73 Im Anschluß an diese Veröffentlichungen entbrannte eine heftige Auseinan­ dersetzung um die Person der Agnes Frey Dürer, als jahrzehntelang, ja gewis­ serweise bis zum heutigen Tag, unterschiedliche Autoren immer wieder ver­ suchten, sie für ihre Interessen zu (miß)brauchen. Schon ein Jahr nach Thau­ sings Aufsatz erschien ein zweiseitiger Artikel von Wilhelm Büchner, in dem er sich gegen die Analyse von Thausing wendet.74 In knappen Worten behauptet er, daß Thausing viel zu weit geht. Zu der Skizze auf dem Rhin bei Popard (Abb. 5) bemerkte Büchner: Wir finden in dem stechenden Auge, in dem sinn­ lichen Munde, den zusammengekniffenen Kinnbacken genau das Konterfei, wie es zu Pirkheimer’s Schilderung passt. Auch findet Büchner eine weitere Stelle in Dürers Schriften, die er für seine Belange umdeutet. Es handelt sich hier um Dürers Nachruf auf seine Mutter: ... viel andre schwere merkliche Krankheit, hat grosse Armut gelitte, Verspottung, Verachtung, höhnische Worte, Schrecken und grosse Widerwärtigkeit; doch ist sie nie rachselig gewest. Büchner ist der Meinung, nur die Schwiegertochter hätte der Ursprung für

72 Dürers Hausfrau (wie Anm. 69), S. 84-85. 73 Agnes Dürer und ihre Schwäger, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, N.F. 16 (1869), Sp. 229-232. 74 Frau Agnes Dürer, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, N.F. 17 (1870), S. 392-396.

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diese „Verspottung“ und „höhnischen Worte“ sein können. Zum Schluß seiner Argumentation weist er auf die Notwendigkeit einer textkritischen Unter­ suchung der Stellen in Dürers Briefen hin, die möglicherweise auf Agnes Dürer bezogen werden können. Im Jahre 1879 setzte Lochner seine Bemühung um eine Ehrenrettung der Agnes Dürer durch die Edition des vollständigen Briefs von Pirckheimer an Tscherte fort, um den Kontext, in den die üble Nachrede eingebettet war, deutlich aufzuzeigen.75 Die von Büchner angeregte Textanalyse erschien erst 25 Jahre später und fiel zu Gunsten von Agnes Dürer aus.76 Im Jahr 1900 gab Paul Weber bekannt, daß er ein verstecktes Portrait der Agnes Dürer in der Tafel mit dem Rosenkranzfest entdeckt habe, das Dürer im Jahr 1506 in Venedig gemalt hatte. Er führt hierzu aus: Mitten in einer fremden Umgebung, fern der Heimath und seiner Häuslichkeit, hat Dürer so die Zu­ sammengehörigkeit mit seinem Weibe öffentlich documentieren wollen.77 In den Jahren 1902 und 1903 greift erneut ein Nürnberger Archivar in die Debatte ein. Albert Gümbel veröffentlichte in der Kunstchronik das Testament der Agnes Dürer, das die Bestimmungen für das von ihr gestiftete Stipendium für einen Nürnberger Handwerkersohn, der das Studium der Theologie in Wittenberg aufnahm, genau festlegte. Explizit schreibt Gümbel in seiner Ein­ leitung, daß er Agnes Dürer selbst zu Wort kommen lassen wollte.78 Im Jahre 1905 publizierte der Nürnberger Archivar Emil Reicke eine Pas­ sage aus einem Brief, den der Humanist und Bamberger Kanonikus Lorenz Beheim an Albrecht Dürer im Jahr 1519 geschrieben hatte. Beheim rät seinem Freund von einer anstrengenden Reise nach Spanien oder England ab und empfielt ihm lieber seiner Frau zu dienen, oder viel mehr sich von ihr bedienen zu lassen.79 Als einzigen Kommentar zu der von ihm entdeckten Quelle führt Reicke aus: Ob an dieser Stelle ein Tadel gegen Dürers Frau ausgedrückt sein soll, indem etwa Beheim meint, sie diene ihrem Manne nicht genug, wage ich nicht zu entscheiden. Im gleichen Jahr erschien ebenfalls in der Frankfurter Zeitung ein weiterer kurzer und bissiger Artikel über Albrecht Dürer und seine

75 Repertorim für Kunstwissenschaft 2, S. 35. 76 Siehe M. Zucker: Dürers schriftlicher Nachlaß, in: Christliches Kunstblatt 1895, S. 172-176; M. Zucker: Zu Dürers letztem Venezianischen Brief, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 18 (1895), S. 433-434. Weitere kritische Anmerkungen hat Rupprich hinzugefügt (wie Anm. 8) 1, S. 60. In dem in Vorbereitung befindlichen Aufsatz für das Pirckheimer-Jahrbuch (wie Anm. 34) gehe ich ausführlicher auf die Briefe ein. 77 Zu Dürers Ehe, in: Repertorium für Kunstwissenschacht 23 (1900), S. 316-317. 78 Agnes Dürerin und ihre Stipendienstiftung, in: Kunstchronik N.F. 14 (1902/1903), Sp. 126-130. 79 Zu Agnes Dürer, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 5. April.

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Frau.*0 Unter anderem legt der Verfasser das Zitat aus Reickes Quelle so aus,

daß Agnes Albrecht doch nicht genug „gedient“ hätte. Der unbekannte Verfas­ ser nimmt Bezug auf den Artikel Die Frauen Dürers, Holbeins und Del Sartos von Edmund Bayer aus der Kölnischen Volkszeitung, in der die negativen Pas­ sagen über Künstlerehefrauen gesammelt hatte.81 Meistens wurden die neu entdeckten und erneut edierten Quellen völlig ignoriert, was vor allem für die Kunstgeschichtsschreibung zutrifft, da Kunst­ historiker zunehmend bestrebt waren, Kunstgeschichte nur kunstimmanent zu betreiben. Als Paradebeispiel kann Gustav Pauli dienen, der in dem Aufsatz Die Bildnisse von Dürers Gattin in der Zeitschrift für bildende Kunst aus dem Jahr 1915 die von Albrecht angefertigten Porträts der Agnes zu interpretieren versuchte. Er betont, auch hier [bei Agnes] scheint sich der Geist den Körper ge­ baut zu haben. Es bedurfte schon des entschlossenen Enthusiasmus eines Thausing, um in dieser Frau eine Schönheit ersten Ranges zu erblicken. Zu einem Porträt aus dem Jahr 1521 (Abb. 4) bemerkt er: In dem Zug des Mundes glaubt man einen Anflug von guter Laune zu finden, die man sich gern als den Aus­ druck der Befriedigung über den stattlichen Aufputz deuten möchte. Die Au­ gen freilich lächeln nicht mit. In der anderen Zeichnung, die Dürer im Jahr 1521 (Abb. 5) ausgeführt hatte, erkennt Pauli einen Gesichtsausdruck merklich ins Unfreundliche verändert, die Mundwinkel sind herabgesunken, so daß das Kinn kampfbereit hervortritt, die weitgeöffneten Augen blicken starr und hart. Zur Silberstiftzeichnung von 1504 (Abb. 3) beobachtet er: Der fest geschlossene Mund mit der schmalen Oberlippe und der starre Blick der Augen deuten eher auf Energie als auf Intelligenz. Uber Dürers Skizze der jugendlichen Agnes von 1497 (Abb. 1) schreibt Pauli: Von der Haltung läßt sich nur soviel sagen, daß sie die Dargestellte von jedem Verdacht weiblicher Koketterie freispricht}2 In der feministischen Kritik an der Kunst und ihrer Geschichte wird betont, daß die Kunst sowie auch die Frau zum Objekt des Männerblickes wird. Oft lenkt die Kunst den Männerblick auf die Frau. Seit dem Ende des 16. Jahrhun­ derts verstehen Kunstkritiker und Kunsthistoriker ihre Aufgabe darin, die Kunst ihrem beurteilenden Blick zu unterwerfen.83 Pauli schreibt als Kunst­ historiker, aber er beurteilt nicht die Zeichnungen, auch nicht den Künstler.

80 8. April. 81 Über die Künstlerehefrauen bei Vasari und Van Mander siehe Corine Schleif: The Roles of Wo­ men in Challenging the Canon of „Great Master“ Art History, in: Adele Seeff and Susan Amussen (Hrsg.), in: Attending to Early Modern Women, Newark 1999, S. 74-92. 82 Jg. 50, S. 69-76, hier S.69 u. 72. 83 Schleif: The Roles of Women in Challenging the Canon of „Great Master“ Art History (wie Anm. 80).

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Auch Albrechts Einstellung zu Agnes, die er durch seine Portraits ausdrückt, wird nicht von Pauli analysiert. Paulis Wertschätzung gilt allein der Frau Agnes Dürer. Seine abschätzigen Beobachtungen machen deutlich, daß sie seinem weiblichen Schönheitsideal nicht entspricht. Paulis Aufsatz veranschaulicht Georg Simmels These von 1911, daß die Schönheit das „weibliche Prinzip" oder Wesensmerkmal der Frau sei. Frauen haben in sich selbst schön zu sein und nicht, wie Männer, etwas zu bedeuten, was außerhalb von ihnen liegt.84 Aber Pauli analysierte auch den inneren Charakter der Agnes Dürer durch ihre äußerliche Erscheinung. Hier kommt sie nicht nur als Einzelperson schlecht weg, sondern durch ihre weibliche Anatomie wurde sie kategorisch für ein ganzes Geschlecht betrachtet. Schon zu Beginn seiner Abhandlung beschreibt Pauli Agnes Frey als, eine Frau aus guter Familie, leidlich wohlhabend, mit re­ gelmäßigen Gesichtszügen, sparsam, gottesfürchtig und züchtig, aber unlie­ benswürdig und beschränkt - eine von Tausenden! Solche Vorurteile im Be­ reich der konstruierten Geschlechterdifferenz hatten bekanntlich am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts Hochkonjunktur.85 In den frühen Jahrzehnten unseres Jahrhunderts waren es populäre Veröf­ fentlichungen, die Agnes Freys Ehrenrettung bewirkt haben. Viele Aufsätze, die in den kulturellen oder literarischen Feuilletons der Tagespresse erschienen, zeigten sich darüber empört, daß die Kunsthistoriker weiterhin die „Fakten" ignorieren und den Mythos der „üblen Agnes Dürer" perpetuieren. Ludwig Justi verfaßte zum Beispiel eine kompakte Abhandlung der wichtigsten Statio­ nen der Agnes-Dürer-Rezeption in einem im Jahr 1905 erschienenen Artikel in der Frankfurter Zeitung, den er mit folgendem Vorwurf gegen das Fach Kunst­ geschichte beendete: Aber die Kunstgeschichte ist ja leider eine voraussetzungs­ lose Wissenschaft in ganz besonderem Sinn, jeder fühlt sich berechtigt, seine Weisheit öffentlich zum besten zu gebend Besonders verdienstvoll war ein Artikel, den Hermann Federschmidt im Sonntags-Kurier der Münchener Zeitung im Jahr 1924 veröffentlichte. Konse­ quent deckte er die Geschichte des Mythos auf, indem er die Spuren von

84 Georg Simmel: Weibliche Kultur, in: Simmel, Philosophische Kultur, Berlin 1986; Frevert (wie Anm. 47), bes. S. 133-155. 85 Zu dieser Zeit sind polemische Schriften erschienen, z.B. Paul Möbius: Uber den physiologi­ schen Schwachsinn des Weibes, Halle 1900, sowie Otto Weininger: Geschlecht und Charakter, Wien 1908. Zu diesem Thema siehe Karin Hausen: Die Polarisierung der „Geschlechtscharak­ tere“ - Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976 (Industrielle Welt 21), S. 363-399. 86 Nochmals die Dürerin, 27. April.

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Pirckheimers Brief an Tscherte von Sandrart bis zur Dürer-Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts verfolgte.87 Jedoch ist in diesen Jahren auch ein populärer Aufsatz erschienen, der erneut auf althergebrachte Weise von Agnes Dürer als geizig und aufdringlich dar­ stellt. In der Süddeutschen Frauenzeitung, einer Beigabe der Münchner-Augs­ burger Abendzeitung, faßte Berta Witt verschiedenste „üble“ Nachrichten über Agnes Dürer zusammen.88 Sie unterstellt Agnes, daß sie Albrechts Kun­ den belästigt und bedrängt habe. Ferner pflegte sie von Käufern größerer Werke bei der Ablieferung ein Trinkgeld zu erbitten, als einem angestammten Haus­ frauenrecht. Witt überträgt hier Vorkommnisse aus der Geschichte in die Ge­ genwart. Offensichtlich widerspricht die Eigeninitiative der Agnes Dürer im 16. Jahrhundert dem Frauenbild von Witt im 20. Jahrhundert. Agnes Dürer wird hier zum negativen Vorbild für ein weibliches Publikum stilisiert. Die meisten Veröffentlichungen im populären Bereich der Zeit unternah­ men eine Verteidigung, so auch der Artikel Albrecht Dürers Heirat und Haus­ stand, im Evangelischen Gemeindeblatt Nürnberg vom 8. April 1928. In die­ sem Beitrag skizzierte der Verfasser die Geschichte der Verleumdung und ver­ suchte die Leser über ihre eigene Befangenheit durch neuzeitliche Vorstellun­ gen von einem romantischen Liebeswerben aufzüklären. Im Jahr 1928 setzte sich Eduard Flechsig in Die Furchey Unterhaltungsblatt der fränkischen Tagespost erneut mit Pirckheimers Brief auseinander.89 Er zeigte auf, wie Pirckheimer am Ende seines Lebens mit vielen seiner früheren Bekannten und Freunden - so auch mit Lazarus Spengler - zerstritten war, daß jedoch die Geschichtsschreibung auf Grund der Anschuldigungen aus der Fe­ der eines verbitterten und kränklichen Mannes kein negatives Bild von Speng­ ler zeichnet. Trotz dieser Proteste hat sich die Mehrheit der Verfasser von Dü­ rer-Monographien unseres Jahrhunderts entschieden, die Informationen von Thausing und den Nürnberger Archivaren weiter zu ignorieren. Leicht wird dabei der Eindruck einer verkehrten Welt erzeugt: Die Mehrzahl der Unterhal­ tungsblätter in der Lokalpresse beinhalten wissenschaftlich fundierte Kritik, wohingegen der Inhalt der kunsthistorischen Zeitschriften und Bücher eher den Seiten der Boulevardpresse ähnelt!

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11. Mai; Auch für die vorliegende Arbeit diente sein Aufsatz als Ausgangspunkt. Allerdings entspechen seine unvollständigen und fehlerhaften bibliographischen Angaben nicht wissen­ schaftlichen Maßstäben. 21.Sept. 1924. 22. Feb.

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Eduard Flechsig war eine bemerkenswerte Ausnahme, da er auch in seiner im Jahr 1928 erschienenen zweibändigen Monographie die „Verleumder“ von Agnes Frey tadelt, daß sie die Zitate aus dem Kontext gerissen hätten.90 Auch zeichnet Wilhelm Waetzoldt 1935 ein gemäßigtes Bild der Agnes Dürer in sei­ ner Monographie und setzt sich mit einigen Behauptungen, die bei der Legen­ denbildung der Agnes-Figur entstanden waren, kritisch auseinander.91 Erwin Panofsky hingegen baute in seiner biographischen Abhandlung zu Dürer von 1943 das negative Bild von Agnes für die Kunsthistoriker wieder auf. Er analysiert die Beziehung zwischen Albrecht und Agnes nicht für sich, sondern er webt seine Werturteile in eine Reihe unterschiedlicher zeitgemäßer Diskurse der Kunstgeschichte ein. Seine Worte hatten auch deshalb eine große Tragweite und verdienen hier besondere Aufmerksamkeit: Der Charakter der Frau Dürers ist schon lange Gegenstand lebhafter Kon­ troverse gewesen. In jungen Jahren sah sie recht gut aus und war sie harmlos, aber später wurde sie zu einer etwas abschreckenden Person. Nach der Ansicht Einiger war sie eine friedliche, gute Ehefrau, die unter der Vernachlässigung durch ihren berühmten Mann litt; nach der Ansicht anderer war sie eine rich­ tige Xanthippe, die was in ihrer Macht stand, tat, um sein Leben unglücklich zu machen und die praktisch seinen Tod herbeiführte, indem sie ihn zwang, un­ aufhörlich zu arbeiten, um ihr gemeinsames Einkommen zu mehren. Beide Parteien sind sich darin einig, daß die kinderlose Ehe nicht glücklich war, und dafür sprechen in der Tat viele Anzeichen. [...] Agnes Frey meinte, daß der Mann, den sie geheiratet hatte, ein Maler in dem spätmittelalterlichen Sinne wäre, nämlich ein rechtschaffener Handwerker; der Bilder macht, wie der Schneider Mäntel und Anzüge; aber zu ihrem Unglück entdeckte ihr Mann, daß Kunst zugleich eine göttliche Gabe war und ein geistiges Vollbringen, das humanistisches Wissen, Kenntnis der Mathematik und die allgemeinen Errun­ genschaften einer höheren Kultur verlangte. Dürer wuchs einfach über die Ver­ standeskräfte und den sozialen Gesichtskreis seiner Frau hinaus, und keinem von beiden ist zu verübeln, daß sie sich dabei unbehaglich fühlten. Er liebte die Gesellschaft von Gelehrten und Wissenschaftlern, verkehrte mit Bischöfen, Pa­ triziern, Adligen und Fürsten auf fast gleichem Fusse und zog gemeinhin der häuslichen Atmosphäre die der ‘Stuben\ Studierzimmer und Bibliotheken vor. Sie konnte nicht verstehen, warum er sie alleine zu Hause ließ und wegging, um mit kenntnisreichen, gebildeten Freunden über Mythologie oder Mathematik zu sprechen, und warum er Stunden um Stunden damit zubrachte, Traktate

90 Albrecht Dürer. Sein Leben und seine Künstlerische Entwickelung, Berlin 1928,1931. 91 Dürer und seine Zeit, Wien 1935. Siehe bes. S. 16-19.

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über die Theorie der menschlichen Proportionen oder über beschreibende Geo­ metrie zu verfassen, anstatt, was sie praktische Arbeit genannt hätte, zu be­ treiben.92 Dieses assoziative Geflecht kettet eine Reihe von polaren Gegensätzen an­ einander: Renaissance gegen Mittelalter, Fortschritt gegen Rückständigkeit, das Außerhäusliche gegen das Häusliche, Kunst gegen Handwerk, geistige Lei­ stung gegen körperliche Arbeit, das Musische gegen das Materielle, die huma­ nistische Bildung gegen praktische Tätigkeit, das Wissen gegen das Tun, (Ehe)Mann gegen (Ehe)Frau. Panofsky legt diese Rhetorik Agnes Frey als Ge­ genpol zu Albrecht Dürer in den Mund. Obwohl Panofsky behauptet kein Ur­ teil zu fällen, als er den beiden Ehegatten gegensätzliche Grundhaltungen zu­ schreibt, ist es jedoch evident, daß er die Seiten in dieser Gegenüberstellung, die Agnes Frey verkörpert haben soll, als minderwertig betrachtet und daß sie vielem dessen, was als das weibliche Wesen konstruiert wird, entsprechen. Da er die Kunstgeschichte als „humanistische Disziplin“ propagierte, kam es ihm gelegen, den Renaissancemann Dürer als gebildet, intellektuell und freischaf­ fend zu verherrlichen, indem er Agnes Dürer als Gegenpol schuf. Dadurch wurde alles, was zu den unternehmerischen und kaufmännischen Bestrebun­ gen der Dürer-Werkstatt gehörte, Albrecht Dürer abgenommen. Mit Panofskys Worten gewann das alte Schmähbild der Agnes Dürer erneut Legitimation. In einer gerafften Form tradiert auch James Snyder den alten Mythos der Agnes in seinem erstmals im Jahr 1985 erschienenen Lehrbuch Northern Renaissance Art, ein Buch, das ein großes Publikum an nordamerika­ nischen Hochschulen erreicht.93 Im Jahr 1986 diente Panofskys Passage über Agnes Dürer als Aufhänger für ein einleitendes Essay zum Ausstellungskatalog Nürnberg 1300-1550, Kunst der Gotik und Renaissance mit dem Titel Zwischen Kunst und Handwerk, Kunst und Künstler im mittelalterlichen NürnbergDiese bislang letzte große internationale Ausstellung zur deutschen Kunst der Dürerzeit wurde gemein­ sam vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und dem Metropolitan Museum of Art in New York veranstaltet. Durch das Zitat konnte der Autor eine Brücke bauen. Er beruft sich auf den berühmten deutsch-jüdischen Emi­ granten und Vater der amerikanischen Kunstgeschichte, dessen Bücher als Pro­ grammschriften der Kunstgeschichte mittlerweile fast gleichermaßen auf bei-

92 Hier in der deutschen Übersetzung: Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers, München 1977, S. 7-9; zuerst erschienen als: The Life and Art of Albrecht Dürer, Princeton 1943. 93 Northern Renaissance Art, New York, S. 321. 94 Rainer Brandl, München 1986, S. 51-74, hier S. 51.

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den Seiten des Atlantiks gelten. Noch vordergründiger jedoch war das Ziel, den Ort Nürnberg und die Zeit um 1500 - worüber die Ausstellung handelte hervorzuheben. Die Figur der Agnes Frey Dürer war nur Mittel zum Zweck. Geschlechterpolitik war also in vielen anderen Diskursen eingebettet. In ihrer 1990 erschienenen Dürer-Biographie diskutiert Jane Hutchison ebenfalls die Themen der Kinderlosigkeit, Albrechts Italienreisen und die an­ geblich unterschiedliche Neigungen des Ehepaares als Indizien für eine „nach heutigen Kriterien" erfolglose Ehe. Die Autorin distanzierte sich von der Ver­ unglimpfung der Agnes Dürer in der Vergangenheit.95 Auch Joseph Koerner be­ zeichnet die Ehe in seinem 1993 veröffentlichten Dürer-Buch als „unhappy".96 Völlig unterschiedlich wurde die „unglückliche Ehe" von Robert Smith be­ trachtet.97 Er verwendete ebenfalls die Quellen, die in der traditionellen Litera­ tur ausgewählt wurden, um als Indiz für die angebliche Ablehnung Agnes durch Albrecht zu fungieren, daß Dürer respektvoller über seine Eltern ge­ schrieben habe und daß er Freundschaften mit Pirckheimer und anderen Män­ nern bevorzugt habe. Seine These lautet jedoch, daß Albrecht eine Abneigung gegenüber Agnes hatte, da er homosexuell und frauenfeindlich war. Auch in der zeitgenössischen populären Literatur werden unterschiedliche Charakterbilder verbreitet. Eine einfühlsame Charakterskizze zeichnet Peter Strieder 1985 in seiner kurzen Studie über Agnes Dürer in dem Band Frauen­ gestalten in Franken9*. Obwohl er seinen Beitrag mit dem Vorbehalt schließt, Agnes teile das Schicksal derer, die am Maß eines Genies gemessen würden, bringt er eine durchaus positive Aussage über Agnes hohes Ansehen unter Zeitgenossen, ihre Geschäftstüchtigkeit, ihre Beziehung zu ihrem Ehemann, sowie ihre Achtung seiner theoretischen und wissenschaftlichen Neigungen. Ein Vergleich von Strieders Überlegungen zu Agnes in dem genannten Essay mit den Bemerkungen über sie in seiner Dürer-Monographie verdeutlicht, wie Agnes Dürer verstanden wird, wenn sie im Hinblick auf ihre eigenen Verdien­ ste betrachtet wird und nicht als Gegensatz zu einem Künstlergenie geschaffen wird.99 In seiner Dürer-Monographie von 1996 spricht Ernst Rebel die Verleum­ dung der Agnes im Kontext der „Nachgeschichte" direkt an. Dabei kommt sie

95 Albrecht Dürer. A Biography, Princeton 1990, bes. S. 40, 42, 83, 92, 139, 185; ins Deutsche übersetzt: Albrecht Dürer. Eine Biographie, Frankfurt 1994. 96 The Moment of Self-Portraiture, Chicago 1993, S. 31. 97 Robert Smith: Dürer, Sexuality, Reformation, in: Jack Lindsay (Hrsg.), Culture & History, Sydney 1984, S. 304-334. 98 Inge Meidinger-Geise (Hrsg.), Würzburg. 99 Peter Strieder: Dürer, Königstein 1981, S. 20.

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besser weg als in den meisten Dürer-Monographien zuvor. Jedoch ist es be­ denklich, daß für diesen Autor die Kinderlosigkeit der Agnes Dürer ein Grund für ihr geschäftliches Engagement darstellte. Auch kann die folgende Behaup­ tung nicht akzeptiert werden: Besäßen wir nicht von ihr wenigstens das eine oder andere markante Bildnis, wir hätten nichts als einen Namen}00 Ebenfalls im Jahre 1996 veröffentlichte Ulrike Halbe-Bauer den vermeint­ lich biographischen Roman Mein Agnes. Das Buch, das ein viel breiteres Pu­ blikum als die wissenschaftlichen oder auch populärwissenschaftlichen Ab­ handlungen ereichen will, bezweckt eine Revision des herkömmlichen Bildes der Agnes Dürer. Dieses Bild geht konform mit den Bestrebungen der soge­ nannten ersten Generation der feministischen Arbeiten, da angeblich weibliche Tugenden hervorgehoben werden. Der große Wäschetag wird ausführlich be­ schrieben, und Albrechts Beschäftigung mit Aktzeichnungen ruft bei Agnes Gefühle der Peinlichkeit hervor. Frauenspezifische Werte, die als solche in spä­ teren Jahrhunderten sozial konstruiert wurden, etwa Sauberkeit, Häuslichkeit und Sittsamkeit, werden neben den angeblichen Tugenden der Männer beson­ ders gelobt. Dabei wird aber auch der alten Mythos, daß die beiden Ehepartner gegensätzlich waren, als „natürlich“ und verständlich hingestellt. Das Bild des „bösen Weibes“ oder bestenfalls „naiven Weibes“ Agnes Dürer entwickelte sich zu einem festen Mythos, den die kritischen Stimmen der wohlwollenden Autoren nicht auszulöschen vermochten. Warum bleibt der Mythos so lange bestehen? Die Antwort ist vielleicht in der Beliebtheit der an­ deren größeren Mythen zu suchen, für deren Konstruktion die „böse Agnes“ vereinnahmt wurde.

100 Albrecht Dürer, München 1996, bes. S. 448—451.

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DER HANDEL MIT SEIDENSTOFFEN UND LEINENGEWEBEN ZWISCHEN FLORENZ UND NÜRNBERG IN DER ERSTEN HÄLFTE DES 16. JAHRHUNDERTS* Von Francesco Guidi Bruscoli Der folgende Artikel ist keine umfassende Darstellung des Nürnberger Han­ dels des 16. Jahrhunderts und verzichtet auch auf die Einarbeitung der umfang­ reichen Literatur zu diesem Thema. Dies soll nur ein kleiner Beitrag zur Ge­ schichte der Beziehungen zwischen den oberdeutschen Städten und Florenz sein, in dem die Ergebnisse der Analyse von unpublizierten Quellen aus dem Staatsarchiv in Florenz (Archivio di Stato) vorlegt werden. Dabei konzentriert sich die Untersuchungsperspektive auf die Aktivitäten zweier florentinischer Handelshäuser (Torrigiani und Olivieri), welche nacheinander während etwa 30 Jahren in Nürnberg präsent waren. Von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an nahm die Zahl der nach Mit­ tel- und Osteuropa auswandernden Italienern stark zu, nachdem sie bereits in den davorliegenden Jahrzehnten im Geschäft mit dem Transfer von deutschen Geldern an den päpstlichen Hof sehr große Gewinne erzielt hatten.1 Diese Entwicklung hat wirtschaftliche und sozio-ökonomische Ursachen, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts sind Quellen zur italienischen Präsenz in dieser Region sehr selten; danach nimmt ihre Zahl in den italienischen und lokalen Archiven deut­ lich zu. Unter den Historikern, die sich mit diesen italienischen - insbesondere toskanischen und florentinischen - Kaufleuten in Mittel- und Osteuropa be­ schäftigt haben, sind besonders Hermann Kellenbenz und Bruno Dini zu erwähnen.2

* Die Übersetzung aus dem Italienischen ins Deutsche ist von Dr. Kurt Weissen, dem ich sehr dankbar bin. 1 Zu diesem Thema siehe die jüngste Arbeit von Arnold Esch: Überweisungen an die apostolische Kammer aus den Diözesen des Reiches unter Einschaltung italienischer und deutscher Kauf­ leute und Bankiers. Regesten der vatikanischen Archivalien 1431-1475, in: Quellen und For­ schungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 78 (1998), S. 262-387. 2 Hermann Kellenbenz, Gli operatori economici italiani nell’Europa centrale ed orientale, in: «Aspetti della vita economica medievale», Atti del Convegno di Studi nel X Anniversario della morte di Federigo Melis. Firenze-Pisa-Prato, 10-14 marzo 1984, Firenze 1985, S. 333-358; vom selben Autor stammt auch eine Schrift über die Beziehungen zwischen Deutschland und Florenz: Mercanti tedeschi in Toscana nel Cinquecento, in: Studi di storia economica toscana nel Medioevo e nel Rinascimento in memoria di Federigo Melis, Pisa 1987, pp. 203-229. Vgl. auch Bruno Dini, L’economia fiorentina e l’Europa centro-orientale nelle fonti toscane, in: Archivio Storico Italiano 153 (1995), S. 633-655.

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In den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts ist bereits die Präsenz einer klei­ nen Gruppe von Florentinern in Nürnberg bekannt: Raffaello Vecchietti, Iacopo Bettoni, Niccolö Antinori, Gabriele Bettini und Gaspare Gucci. Diese er­ streckten ihren Aktionsradius auf weite Teile Deutschlands und Polens.3 Am besten dokumentiert sind bis jetzt die Handelsgesellschaften der Saliti, denen Marco Spallanzani zwei Artikel gewidmet hat.4 Schon 1512 gab Zanobi Saliti 400 Gulden in eine Accomandita-Gesellschaft an Bernardo Acciaioli, der damit in Deutschland Handel treiben sollte.5 Tatsächlich kann 1515 in Nürnberg eine Gesellschaft unter den Namen von Bernardo Acciaioli und Bernardo Saliti, dem Sohn von Zanobi, nachgewiesen werden. 1518 wurde der Vertrag erneu­ ert, wobei das Geschäftskapital in der Höhe von 6.500 Gulden teilweise aus dem nicht verteilten Gewinn der alten Gesellschaft stammte. Uber die Ge­ schichte dieser Unternehmung ist aus den folgenden zehn Jahren nichts be­ kannt. 1527 arbeitete sie allein unter dem Namen von Piero Saliti, dessen Vater Zanobi das gesamte Kapital von 14.000 Gulden eingeschossen hatte. Im März dieses Jahres wurde der Firmenname in Piero e Giovan Battista di Zanobi Saliti e compagni geändert und die Eigenmittel auf 10.000 Gulden in Bargeld und Handelsware reduziert. Im folgenden Jahr fand diese Handelsgesellschaft ein abruptes Ende, was jedoch nicht zum Wegzug von Piero führte, denn wir fin­ den ihn in späteren Jahren als Geschäftsführer in den Gesellschaften anderer florentinischer Unternehmer.6 Viel weniger ist bislang über andere florentinische Handelshäuser bekannt, die in diesen Jahren über eine Niederlassung in Deutschland verfügten. Lorenzo Villani, der 1517 auf den Messen von Leipzig und Frankfurt anwesend war, hatte seine Karriere als Faktor in der Gesellschaft von Piero Saliti begon­ nen. Er hat vermutlich in den Dreißiger Jahren in Frankfurt eine eigene Unter­ nehmung gegründet.7 1527 waren in Nürnberg mit Sicherheit die Gesellschaf­ ten von Tommaso Lapi und von Iacopo Bertoni (vermutlich der oben erwähnte Bettoni) aktiv.8 Kurze Zeit später arbeiteten in Nürnberg Gherardo Bartolini e compagni, die 1543 belegt werden können, und 1551 machte hier auch eine 3 Dini: L’economia fiorentina (wie Anm. 2), S. 638-639. Kellenbenz: Gli operatori economici italiani (wie Anm. 2), S. 352-353. 4 Marco Spallanzani: Le compagnie Saliti a Norimberga nella prima metä del Cinquecento (un primo contributo dagli archivi fiorentini), in: Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege. Festschrift für Hermann Kellenbenz, hrsg. v. Jürgen Schneider, Nürnberg 1978, Bd. 4, S. 603-620. Und: Tessuti di seta fiorentini per il mercato di Norimberga intorno al 1520, in: Studi in memoria di Giovanni Cassandro, Roma 1991, Bd. 3, S. 995-1016. 5 Dini: L’economia fiorentina (wie Anm. 2), S. 639. 6 Spallanzani: Le compagnie Saliti (wie Anm. 4), S. 604-607. 7 Kellenbenz: Gli operatori economici italiani (wie Anm. 2), S. 351. 8 Spallanzani: Le compagnie Saliti (wie Anm. 4). S. 612-613.

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Filiale von Cosimo Bonsi Geschäfte.9 In den folgenden Abschnitten beschrän­ ken wir uns auf die Darstellung anderer Handelsfirmen, die den Familien Torrigiani und Olivieri gehörten und von 1521 bis 1551 in Nürnberg nacheinander präsent waren. 1. Die Gesellschaften der Torrigiani (1521-1541) Die ersten Nachrichten über Raffaello Torrigiani10 stammen aus dem Jahre 1515, als er sich in Frankfurt aufhielt. Zur gleichen Zeit betrieb er bereits eine Handelsgesellschaft in Florenz, welche unter seinem eigenen Namen und demjenigen seines Bruders Ridolfo firmierte. In Deutschland handelte er mit Seidenstoffen und mit goldgewirkter Seide. Zu seiner Kundschaft zählte auch der königliche Hof in Krakau.11 Die Torrigiani, die sich vermutlich in einer er­ sten Phase an die Antinori12 angelehnt hatten, eröffneten auch in Nürnberg eine Niederlassung, die am 1. August 152113 erstmals urkundlich erwähnt wird. Leider sind weder die Teilhaber noch das Geschäftskapital dieser Unterneh­ mung bekannt. Es ist einzig überliefert, daß Giovanni Olivieri14 ein Angestell9 Archivio di Stato di Firenze (=ASF), Galli Tassi 1926, c. 8r; Galli Tassi 1946, cc. 194-195. 10 Raffaello Torrigiani, gehörte zu einer Familie, die in Florenz im Quartier S. Spirito, Gonfaloni Nicchio und Drago lebte. Er war der Sohn von Luca (geb. 1430) und von Lucrezia del maestro Ridolfo. Er war 1526 Priore und hatte mit seiner Frau Alessandra Minerbetti drei Söhne und vier Töchter: Luca (geb. 1520), Andrea (geb. 1526), Antonio (geb. 1529), Cammilla, Alessandra, Silvia und Gostanza. Sein Bruder Ridolfo war Teilhaber in den Gesellschaften von Florenz und Nürnberg. Dieser heiratete Bartolomea Capponi und hatte zwei Kinder: Bastiano und Ginevra (ASF, Manoscritti 603, Carte Pucci XII, 13). Raffaello Torrigiani starb 1545, nachdem er als Handelsherr ein großes Vermögen gewonnen hatte. Bei seinem Tod schrieb Girolamo Ubaldini in Rom an Giovanni Olivieri in Florenz, sono avisato della morte di Raffaello Torrigiani al quäle Iddio abbi dato bona requie, che certo qua ci siamo maravigliati abbia testato tal somma. Piacerä al Signore lassarla goder a5 sua figlioli (ASF, Galli Tassi 1962, ins. 3, Brief vom 13. Juni 1545). („man hat mich über den Tod von Raffaello Torrigiani unterrichtet, dem Gott eine gute Ruhe be­ reiten möge. Wir haben uns hier gewundert, welch großes Vermögen er erwerben konnte. Es möge dem Herrn gefallen, daß seine Kinder es genießen können.") 11 Kellenbenz: Gli operatori economici italiani (wie Anm. 2), S. 352. 12 Tatsächlich findet sich im Gesellschaftsvertrag der Torrigiani-Firma für die Jahre 1526-31 die Bemerkung, man habe sich entschlossen, so zu verfahren chome son solid quando erono conpagni cbo gli Antinori („wie sie es gewohnt waren, als sie zusammen mit den Antinori Teilhaber waren“), (ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10, c. \v). 13 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10, cc. Iv-'br. 14 Giovanni di Piero di Benvenuto Olivieri begann seine kaufmännischen Aktivitäten in Florenz, wo er zwischen 1511 und 1514 bei Paolo e Amadio Giocondi e compagni angestellt war. Zu Beginn der Zwanziger Jahre wanderte er nach Nürnberg aus. Nach seiner Rückkehr nach Florenz arbeitete in seiner Heimatstadt und in Deutschland in der Leitung des Familienunter­ nehmens. Er heiratete zweimal: 1538 mit Ginevra Federighi und 1553 mit Nannina Recchi. Er starb 1574, vermutlich in Impruneta (in der Nähe von Florenz), und wurde in S. Marco in Florenz bestattet. Weitere Informationen finden sich bei Francesco Guidi Bruscoli, Benvenuto Olivieri, i mercatores fiorentini e la Camera apostolica nella Roma di Paolo III Farnese (1534-1549), Firenze 1999, Kapitel 2, Abschnitt 2.

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ter dieser Firma war und wie sein Gehalt im Laufe der Jahre erhöht wurde: 25 rheinische Gulden im ersten Jahr, 35 im zweiten, 45 im dritten, 60 im vierten und 70 im fünften; e ragonevolmente detto salario arebbe a finire il dl chomincia la ragone, ch’e ddiprimo di ghosto passato 1526, maper farli pik bene siamo chontenti duri il suo salario insino addiprimo di ghosto 1527, che viene a eser stato sey anni a ssalarioP Der Vertrag der Nachfolgegesellschaft (siehe die Transkription im Anhang A) wurde tatsächlich am 1. August 1527 geschlossen, wobei beschlossen wurde, die Geschäfte um ein Jahr rückwirkend zu rechnen: für die zusätzlichen zwölf Monate erhielt Giovanni 80 rheinische Gulden. Für die sechs Jahre in den Diensten der Torrigiani wurde ihm also ein Totalsalär in der Höhe von 315 Gulden ausbezahlt.16 In die neue Gesellschaft, welche die Geschäfte der alten weiterführte, wurde Giovanni als Teilhaber aufgenommen. Sein Anteil am Gewinn wurde auf 3 Schilling (soldi) und 4 Pfennig (denari) für jedes erarbeitete Pfund (lira) festge­ setzt, was einem Anteil von 16,7% entsprach. Er mußte dafür kein Geld einbringen, sondern verpflichtete sich, a ghoverno di detta ragone17 in Deutsch­ land, während die Torrigiani in Florenz blieben. Das Geschäftskapital von 4.200 rheinischen Gulden wurde von den Brüdern Torrigiani aufgebracht. Sie legten das Kapital allerdings nicht in Bargeld ein, sondern in tanti drappi d'oro, d'ariento e di seta, chyal prexente la vechia ragone si truova, per ilprezo in che gli stanno chome ay loro libri apparen. Im Vertrag wurde weiter festgehalten, daß alle drappi di Firenze e di Lucca e di Genova e dyogni altro luogho19, wel­ che nach Nürnberg importiert wurden, über das Mutterhaus in Florenz zu be­ ziehen waren. Raffaello versprach, daß alle Gewebe bei ihm V2 Dukaten pro Elle weniger kosten werden20. Sollte dies zur Lieferung einer schlechteren Qualität führen, so würde man versuchen, dies so gut wie möglich zu vertu15 Sinngemäße Übersetzung: Laut den ursprünglichen Abmachungen hätten seine Lohnansprüche mit dem Auslaufen des Gesellschaftsvertrages am vergangenen 1. August 1526 enden sollen. Um ihm einen Gefallen zu tun, erklären wir uns aber bereit, sein Gehalt bis zum 1. August 1527 wei­ ter zu bezahlen, so daß er dann sechs Jahre seinen Lohn erhalten haben wird. 16 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10, cc. Iv-'br. 17 Sinngemäße Übersetzung: die Geschäftsleitung der genannten Gesellschaft auszuüben. 18 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10, c. Ir. Sinngemäße Übersetzung: In vielen Tüchern aus Gold, Sil­ ber und Seide, die sich zur Zeit in der alten Gesellschaft befinden. Sie werden nach dem Wert eingesetzt, der für sie in ihren Büchern steht. 19 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10, c. Ir. Sinngemäße Übersetzung: Tücher aus Florenz, Lucca, Ge­ nua und allen anderen Orten. 20 Die florentinische Elle wurde in 20 Soldi und 240 Denari unterteilt und entsprach 58,4 cm (Angelo Martini: Dizionario di metrologia, Torino 1883, rist. Roma 1976, S. 206). Die Nürnberger Elle stand zur florentinischen im Verhältnis von 0,875/1 oder, umgekehrt, von 1/1,143. Sie war also etwa 66,7 cm lang. (Spallanzani: Tessuti di seta fiorentini (wie Anm. 4), S. 997, Anm. 7; Hermann Kellenbenz: Handelsbräuche des 16. Jahrhunderts. Das Medersche Handelsbuch und die Welserschen Nachträge, Wiesbaden 1971, S. 47). In unserem Fall waren die Gewebe erst

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sehen (farli tanto piu sebarsi e ’ngegniarsi sieno piü si puö in vista chome e paxati). Auf den Tuchen, die aus der eigenen Produktion nach Nürnberg ge­ schickt wurden, wollten die Torrigiani auf jede Provision verzichten, während auf die von anderen Fabrikanten und Händlern gekauften ein Aufschlag von 1% als Provision und Spesen zu bezahlen waren. Andererseits durfte die Nürnberger Niederlassung 3% des auf Florentiner Ware erzielten Umsatzes für sich behalten. Die Florentiner berechneten im Gegenzug auf Lieferungen aus Nürnberg ebenfalls eine Provision in der Höhe von 1%; auf den Verkauf von Gold und Silberbarren wurden 2%o verrechnet.21 Nur Giovanni hatte das Recht, sich jährlich bis zu 50 Gulden zinslos vom Kapital auszuleihen. Für höhere Kredite an ihn oder Ausleihungen an andere Partner war ein Zins von 16% vorgesehen. Olivieri mußte den Torrigiani in Florenz alle drei Monaten über den Geschäftsgang rapportieren und ihnen ein­ mal im Jahr eine Bilanz schicken. Es war ihm untersagt, selber größere Ge­ schäfte zu initiieren, ohne vorher die maggiori (Hauptteilhaber) in Florenz um Erlaubnis gefragt zu haben. Sollte es zwischen den Partnern zu Streitigkeiten kommen, so wollten sie sich da merchanti dabbene (als redliche Kaufleute) ver­ halten und sich dem Urteil eines Dreiergremiums (ein Vertreter für jede Partei und ein Abgesandter des Gerichtshofs der Kaufleute, der Mercanzia) unter­ werfen. Für Verstöße gegen die vertraglichen Abmachungen wurden schwere Stra­ fen vorgesehen. In der Regel sollte die Buße 1.000 Gulden betragen. Sollte Gio­ vanni Geschäfte in eigenem Namen abschließen oder ohne Erlaubnis der Tor­ rigiani, so hätte er 500 Gulden zu bezahlen, e questo sifaper buono uso, dato non si dubitay ma perche non avengba a detti Torrigani chom}e advenuto a qualch’altra conpagnia della nazioney nuovamente in queste bande.22 Schließ­ lich wurde Giovanni auch noch eine Buße von 1.000 Dukaten angedroht, falls er sich ohne Erlaubnis der Torrigiani in Deutschland verheiraten sollte, perche potrebbe far danno assai alla ragioneP Da der Gesellschaftsvertrag das einzige erhaltene Schriftstück dieser Firma ist, kann allein über eines ihrer Geschäfte berichtet werden, das zum Zeitpunkt des Übergangs von der alten auf die neue Unternehmung bereits bestand. Es kurze Zeit vorher nach Deutschland gebracht worden, so daß ihr Wert in Florentiner Währung festgehalten wurde, vermutlich beziehen sich die angegebenen Maßeinheiten deshalb auch auf die florentinischen. 21 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10, c. 1 r-v. 22 Sinngemäße Übersetzung: Dies geschieht aus gutem Grunde, denn es soll den genannten Torri­ giani nicht dasselbe widerfahren, was anderen florentinischen Gesellschaften kürzlichen in Nürnberg zugestoßen ist. 23 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10, cc. 3r-4r. Sinngemäße Übersetzung: Weil dies der Gesellschaft ziemlich schaden könnte.

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handelt sich dabei um ein Tauschgeschäft mit zwei deutschen Handelshäusern, den Chrapffen und den Oberlinder. Die Florentiner tauschten Seide, in die Goldfäden eingewoben waren, gegen Zobelfelle und 22.850 dossi (Pelze), wel­ che in den corpo (Geschäftskapital) der neuen Gesellschaft aufgenommen wur­ den.24 Als die im Vertrag vorgesehenen fünf Geschäftsjahre abgeschlossen waren, wurde in direktem Anschluß daran eine neue Unternehmung unter neuem Namen und mit anderen Beteiligungsverhältnissen gegründet. Raffaello Torrigiani, der maggiore blieb, ließ seinen Namen aus der Firma streichen und setzte dafür seinen Sohn Luca und Giovanni Olivieri ein. Ridolfo Torrigiani gab seine Partnerschaft auf, dafür wurden als neue Teilhaber der Florentiner Schiatta di Niccolö Ridolfi und der Venezianer Francesco di Giorgio Cameli aufgenom­ men.25 Das Geschäftskapital wurde auf 4.000 rheinische Gulden in moneta di craizze sesanta per fiorino26 festgesetzt, die wiederum in Form der Bestände in Goldtuchen und Seide aus der alten Gesellschaft übernommen wurden. Vom Gewinn standen Raffaello 50% zu, während die anderen drei Teilhaber je 16,7% erhalten sollten. Das governo (Geschäftsleitung) der auf zehn Jahre li­ mitierten Gesellschaft wurde Olivieri und Ridolfi übertragen. Bereits nach fünf Jahren, im August 1536, sollte eine Bilanz erstellt, alle Gläubiger zufriedenge­ stellt und Raffaello seine 4.000 Gulden ausbezahlt werden. Die Gewinne, che a dDio piazia non sian picholli27 sollten hingegen nicht verteilt werden, son­ dern waren als corpo für die nächsten fünf Jahre und für den Einkauf von Tu­ chen vorgesehen. Sollte keiner der Teilhaber spätestens sechs Monate vor Ab­ schluß des zehnten Jahres die Auflösung verlangen, so sollte die Gesellschaft ein weiteres Jahr bestehen blieben. Als giovane (Lehrling, junger Angestellter) wurde Girolamo Cini eingestellt, doch wurde sein Salär nicht überliefert.28 In weiteren Artikeln wurden die üblichen Bestimmungen festgehalten, wie sie bereits auch im ersten Gesellschaftsvertrag formuliert waren: die Regelung der Beziehung zwischen der Niederlassung in Nürnberg und den Torrigiani in Florenz und der Wunsch, daß auch der Tod eines der Teilhaber die Gesellschaft nicht auflösen möge. Gleichlautend wurden auch die Pflichten der giovani und die Sanktionen übernommen, die Raffaello das Recht zur Entlassung der An­ gestellten zugestand. Falls diese Maßnahme dann auch von einem Dreiergre­ mium gut geheißen wurde, so war der Entlassene verpflichtet, dalle bande (aus 24 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10, c. 4r. 25 1529 war Franz Cameli Agent der Gesellschaft in Leipzig: Kellenbenz: Gli operatori economici italiani (wie Anm. 2), S. 352. 26 Craizze = Kreuzer. 27 Sinngemäße Übersetzung: Es möge Gott gefallen, daß sie nicht klein sind. 28 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 11, cc. Ir, 2r.

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der Gegend) von Deutschland, Polen und Böhmen für mindestens zwölf Jahre zu verschwinden. Dadurch sollte verhindert werden, daß er die Geschäfte nele bande di Darizk, Lubecho e Polonia der Nürnberger Gesellschaft auf irgend­ eine Weise stören konnte. Schließlich wurde noch schriftlich festgelegt, daß Olivieri, Ridolfi und Cameli täglich nicht mehr als zwei Gulden verspielen durften, denn das Spielen e chapo di magior inportanza che chossa che ci sia a ruinar una ragione.29 Bereits gegen Ende der ersten fünf Jahre zeigten sich zwischen Raffaello Torrigiani und seinen Partnern verschiedene Unstimmigkeiten.30 Am 1. Fe­ bruar 1536 wurde deshalb ein chontratto deWalbitrato (Schiedsgerichtsabkom­ men) unterzeichnet, in dem die Florentiner Guglielmo di Ridolfo da Sommaia und Girolamo di Napoleone Cambi als Schiedsrichter in der bestehenden Kon­ troverse bestimmt wurden. Sollten sich die beiden nicht auf ein Urteil einigen können, so hatten sie das Recht, einen dritten Schiedsrichter beizuziehen. Giovanni Olivieri forderte in einer Schrift vom 28. Februar, daß ihm der maggiore Rechenschaft für die Jahre 1526-31 ablege, denn per anchora non ho auto un soldo in anni 4 V2.31 Darüber hinaus verlangte er die 500 Dukaten, wel­ che ihm aus dem Verkauf von una incepta di sete del Reame [di Napoli] (Seide aus dem Königreich Neapel) zustanden, welche der Unternehmung 4.000 Du­ katen eingebracht hatten. Schließlich verlangte er neben weiteren kleineren Be­ trägen auch, daß die Lieferungen von gold- und silbergewirkten Stoffen, wel­ che die Torrigiani von Florenz nach Nürnberg schickten, sieno ridotti a prezzi iusti e onesti a quelli tenpi nel modo e forma come per gValtri s’usava achostumare: che per esermi io fidato si ricevea e prezzi metteva a suo modo e trovandoci si grande sua razione?2 Da die Muttergesellschaft in Florenz allein das Recht hatte, der Nürnberger Niederlassung italienische Seide zu liefern, war im Vertrag von 1527 bestimmt worden, Raffaello sollte dare per mezo duchato d’oro in oro il braccio mancho che quello e stato messo alla vechia ragone, ma farli tanto piü scharsi e ’ngegniarsi sieno piii si puö in vista chome e paxati.^ Diese Gewohnheit hatte man offensichtlich weitergeführt, wodurch sich 29 Der Gesellschaftsvertrag in ASF, Galli Tassi 1824, fase. 11, cc. Sinngemäße Übersetzung: Das Spielen ist eine der wichtigsten Ursachen für den Ruin einer Gesellschaft. 30 Alle hier folgenden Informationen mit Bezug auf diesen Streit beruhen auf einer Reihe nicht nummerierter loser Blätter in ASF, Galli Tassi 1938. 31 Sinngemäße Übersetzung: Er habe in den vergangenen Al/i Jahren keinen Pfennig gesehen. 32 Sinngemäße Übersetzung: Die Preise sollen so gesenkt werden, daß sie wieder recht und gerecht sind, wie ich mir das früher gewohnt war. Ich habe ihm Vertrauen geschenkt, doch hat er die Preise zu seinen eigenen Gunsten so hoch angesetzt, daß er selber grossen Gewinn erzielte. 33 Sinngemäße Übersetzung: Er solle jede Elle Stoff um einen halben Dukaten billiger geben als wie dies in der alten Gesellschaft üblich war. Es kann auch schlechtere Qualität sein, doch sollen sie gleich aussehen wie die früher gelieferten.

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Giovanni zu Gunsten der Florentiner Gesellschaft, an der er nicht beteiligt war, betrogen fühlte. Am 28. Februar 1538 wurde erklärt, daß Giovanni Gläubiger in Höhe von 4.865,7 rheinischen Gulden sei. Von diesen waren 2.607,1 sein Anteil am Ge­ winn aus den Jahren 1526-31.34 Im Gegenzug wurden ihm Schulden über 2.855,2 Gulden belastet. Die Schlußabrechnung sah deshalb vor, daß Raffaello an Giovanni 2.010,5 Gulden zahlen sollte, wovon 1.739,2 in bar. Torrigiani akzeptierte diesen Spruch nicht sofort, so daß Olivieri am 9. März forderte, daß im der tocco gegeben werden sollte. Dies war ein gerichtlicher Akt, durch den dem Schuldner eine letzte Frist für die Begleichung seiner Schulden gesetzt wurde, nach deren Verstreichung er mit seiner Einkerkerung rechnen mußte. Erst jetzt reagierte Raffaello und ließ Giovanni die Summe anweisen. Der Streit ging jedoch weiter und zog auch die anderen Teilhaber mit hinein. Raffaello zeigte sich dermaßen hartnäckig und widerspenstig, daß sich Gio­ vanni Olivieri und Schiatta Ridolfi trotz eines weiteren Urteils zu ihren Gun­ sten genötigt sahen, sich mit einer Supplik direkt an Cosimo I. zu wenden, um Raffaello zu zwingen, seine Bücher den Partnern zu öffnen. In Anbetracht der Dauer und der Heftigkeit, mit der dieser Streit von beiden Seiten ausgetragen wurde, ist es schwer vorstellbar, daß die gemeinsame Gesellschaft in Nürnberg nach Abschluß der ersten fünf Geschäftsjahre bis 1541 weitergeführt wurde. Hier brechen die Quellen über diese Unternehmung ab. Es ist nicht bekannt, ob die Torrigiani damit ihr mehr als zwanzigjähriges Engagement in Deutschland beendeten. Andere Dokumente erlauben uns aber, die weiteren kaufmännischen Aktivitäten von Giovanni Olivieri, der bereits in den ersten Jahren des fünften Jahrzehnts zusammen mit seinen Vettern Michele und Alessandro eine Gesellschaft in Deutschland gründete, weiter zu verfolgen. 2. Die Olivieri Die Familie Olivieri war in Florenz im Quartier S. Maria Novella, Gonfalone Lion Bianco niedergelassen. Der Beruf von Paolo di Benvenuto Olivieri (geb. 1462) ist unbekannt, aber es scheint, daß er nicht aus einer der traditionsreichen 34 Olivieris Anteil am Gewinn belief sich auf 76. Es ist aber wahrscheinlich, daß die genannte Summe nicht allein aus der Aufteilung des Profits entstand, sondern auch weitere Gelder ent­ hielt, die ihm zustanden. Es ist deshalb nicht zulässig, aus diesem Betrag auf den tatsächlichen Gewinn der Gesellschaft zu schließen, der sich multipliziert mit 6 auf 15.642,6 Gulden belaufen hätte. Dies hätte einem jährlichen Gewinn von 3.128,5 entsprochen, dem nur ein Geschäfts­ kapital von 4.200 Gulden gegenüber stand. Dies wäre eine dermaßen riesige Rendite, daß sie als völlig unwahrscheinlich erscheinen muß.

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Händler- und Bankiersfamilien stammte. Dennoch ist es seinen drei ältesten Söhnen, die er zusammen mit seiner Gattin Caterina Belcari hatte, und einem Neffen gelungen, ein Netz von untereinander verbundenen Gesellschaften zu bilden, die in verschiedenen Geschäftsfeldern tätig waren. Es handelte sich da­ bei um Michele (1493-1554), Alessandro (1494-1562), Benvenuto (1496-1549) und um den bereits erwähnten Giovanni di Piero.35 Kurz nach 1520 begannen Alessandro, Benvenuto und Giovanni, die damals alle um die 25 Jahre alt waren, mit dem Sammeln von Erfahrungen in den Nie­ derlassungen von Landsleuten in Neapel, Rom und Nürnberg. Sie folgten da­ bei offensichtlich einem klaren Plan, der zum Aufbau eines eigenen Gesell­ schaftsnetzes führen sollte. In der Stadt im süditalienischen Königreich waren seit vielen Jahren Florentiner als Händler und Bankiers tätig; der päpstliche Hof hatte seit dem Ende des 14. Jahrhunderts die Toskaner angezogen, die dort nach der Wahl von Papst Leo X. aus der Medici-Familie noch günstigere Ver­ hältnisse vorfanden; Nürnberg schließlich stellte einen wichtigen Ausgangs­ punkt für die Märkte in Mittel- und Osteuropa dar und bot deshalb gute Aus­ sichten für ertragreiche Geschäfte. In Florenz blieb Michele zurück, über des­ sen Jugendjahre nichts bekannt ist. Es ist aber wahrscheinlich, daß auch er seine Karriere als Angestellter in einer der großen Handels- und Bankunternehmen begonnen hatte. Wenige Jahr später wanderten auch die jüngeren Brüder aus, doch hatten sie weniger Glück und starben jung: Raffaello (1500-1527), Salvestro (1503-22), Francesco (1506-1527) und Lorenzo (1507-1532) gingen nach Rom, während Jacopo (1498-1524) sich nach Valenzia begab. Wenn diese Unternehmungen auch wenig Erfolg hatten, so zeigen sie doch, mit welcher Energie diese Fami­ lie Risiken einging, um den eigenen Horizont zu erweitern. Im Jahrzehnt zwischen 1540 und 1550 führte die Strategie der Olivieri zu den größten Erfolgen. Florenz blieb das Zentrum der Familieninteressen und diente als Angelpunkt, denn von hier aus wurden die Aktivitäten aller Nieder­ lassungen in Italien und auf den anderen europäischen Handelsplätzen kon­ trolliert. Nur die Römer Gesellschaft gewann mehr Selbständigkeit, denn hier gründete Benvenuto eine eigene Gesellschaft und erwarb sich Ruhm und Ver­ mögen, indem er sich ganz auf die Geschäfte mit der apostolischen Kammer spezialisierte. Wichtig ist vor allem die Analyse der Achse Neapel-Florenz-Nürnberg. Mi­ chele, der älteste der im Geschäft aktiven Familienmitglieder, wirkte als trait d’union, denn er verfügte in allen drei Gesellschaften über eine Teilhaberschaft; 35 Weitere Informationen über die Familie Olivieri bei Guidi Bruscoli: Benvenuto Olivieri (wie Anm. 14), besonders in Kapitel 2. Zu Giovanni vgl. auch hier Anm. 14.

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sein Vetter Giovanni war an der Muttergesellschaft in Florenz und der Filiale in Nürnberg beteiligt (in der deutschen Niederlassung konnte er selber viele Erfahrungen sammeln); Alessandro hatte seine geschäftliche Basis in Neapel, doch war er auch mit Kapital an der Gesellschaft in Nürnberg beteiligt. Von Neapel aus waren weitere kleinere Gesellschaften der Familie im Königreich aktiv: eine unter den Namen von Donato di Michele Olivieri (geb. 1543) und Francesco di Donato Vecchietti in Cosenza, eine unter der Firma von Paolo di Michele Olivieri (1536-65) und Giandonato di Alessandro Barbadori in L’Aquila und schließlich die nur schlecht dokumentierte Nieder­ lassung in Bari (Paolo Olivieri e Ippolito Franciotti e compagni). Von hier aus wurde Rohseide nach Florenz geschickt, um dort mehr oder weniger kostbare Seidenstoffe zu weben, die dann auf verschiedenen Handelsplätzen Europas, darunter auch Neapel und Nürnberg, vermarktet wurden. Die Niederlassung in Nürnberg hatte innerhalb dieser Strategie die Auf­ gabe, als Drehscheibe für den Handel mit florentinischer Seide auf den Märk­ ten in Mittel- und Osteuropa zu dienen. Gleichzeitig wurden von hier aus Rohlinge aus der lokalen Manufaktur, und kleinere Mengen an Gold und Silber nach Italien geschickt. Leider sind die Geschäftsbücher dieser Unternehmung nicht erhalten, doch können aus denjenigen der Florentiner Zentrale verschie­ dene Fakten über ihre innere Geschichte gewonnen werden, denn die beiden hatten ja dieselben Teilhaber. Im März 1543 belief sich das Geschäftskapital von Michele, Giovanni e Alessandro Olivieri e compagni di Norimberga auf 3.214,3 Dukaten (= 4.500 rheinische Gulden berechnet mit einem Wechselkurs von 1 Dukaten =1,4 rhei­ nische Gulden), wovon die Hälfte von den Olivieri in Florenz stammte, die an­ dere Hälfte von den Olivieri in Neapel.36 1545 wurde ein Kapital in der Höhe von 7.500 Dukaten ausgewiesen (= 10.500 rheinische Gulden): offensichtlich war die alte Gesellschaft in der Zwischenzeit aufgelöst und durch eine neue mit denselben Teilhabern aber erhöhtem corpo gebildet worden. Es ist festzuhalten, daß diesmal das Geld allein von den Olivieri in Florenz eingelegt wurde. Von Michele kamen 3/4, von Giovanni V4.37

36 ASF, Galli Tassi 1926, cc. 3z>, 4r-v> 9r. Beim Transfer des Geldes nach Nürnberg über Bankiers aus Lucca in Lyon erlitten die Olivieri durch den Währungswechsel einige Verluste: bei Niccolö, Adriano e Paolo Burlamacchi e compagni etwa 80 Dukaten und 592 bei Giovanni e Filippo Balbani e compagni. Diese wurden zu gleichen Teilen auf die Gesellschaften in Florenz und Neapel aufgeteilt, (c. 4r). 37 ASF, Galli Tassi 2294, cc. 196, 325, 326.

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Die Tabelle 1 gibt einen Überblick über das Kapital und die Teilhaber der bisher besprochenen Gesellschaften, die über etwa 30 Jahre aktiv waren. Tabelle 1: Die Gesellschaften der Torrigiani und Olivieri in Nürnberg, 1521 bis etwa 1550. Das Geschäftskapital ist in rheinischen Gulden be­ wertet. Datum

Name der Gesellschaft

Kapital

Teilhaber

Gewinn s./lira

01.08.21-31.07.26

01.08.26-31.07.31

Raffaello e Ridolfo Torrigiani e c.

Raffaello e Ridolfo Torrigiani e c.

}

4.200

%

Raffaello Torrigiani

}

>

Ridolfo Torrigiani

}

}

Raffaello Torrigiani

s. 16.8 83,3

Ridolfo Torrigiani Giovanni Olivieri

01.08.31-31.07.41

1543

Luca Torrigiani, Giovanni Olivieri e c.

Michele, Alessandro, Giovanni

4.000

4.500

3.4

16,7

Raffaello Torrigiani

s. 10

50,0

Giovanni Olivieri

s.

3.4

16,7

Schiatta Ridolfi

s.

3.4

16,7

Francesco Cameli

s.

3.4

16,7

M., G. Olivieri e c. di Firenze

Olivieri e c.

s.

s. 10

50,0

di Napoli

s. 10

50,0

Michele Olivieri

s. 15

75,0

Giovanni Olivieri

s.

25,0

M., A. Olivieri e c.

1545-46

Michele, Alessandro, Giovanni Olivieri e c.

10.500

5

Der letzte Beleg zu dieser Unternehmung datiert vom 12. November 1551, als der bilancio de libro azurro segnato A di Michele, Alexandro e Giovanni Olivieri e compagni di Bergo erstellt wurde. In diesem Dokument (s. Anhang C) fallen die avanzi di nostra ragione in Höhe von 10.758,3 rheinischen Gulden auf, denn dies ist eine außerordentlich hohe Summe, vor allem wenn sie in Be­ ziehung zur Gesamtforderung aller Gläubiger gesetzt wird, die 11.475 betrug. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß es sich bei diesem Betrag um den Nettoge­ winn der Gesellschaft gehandelt hat; es fehlt insbesondere die Position Ge­ schäftskapital, die in der Bilanz an dieser Stelle aufgeführt sein müßte. In An­ betracht dessen scheint es wahrscheinlicher, daß hier corpo und die Differenz des Kontos avanzi e disavanzi zusammengerechnet wurden. Leider ist aber nur der corpo zu Beginn des Jahres 1546 bekannt, als er 10.500 rheinische Gul­ den betrug. Welche Änderungen das Geschäftskapital in den fünf Jahren bis

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zur Erstellung der erwähnten Bilanz erfahren hat, läßt sich nicht mehr ermitteln. Da auch jeder Hinweis auf die Geschäftsdauer, für die hier bilanziert wurde, fehlt, ist es unmöglich, irgendeine Aussage über den Erfolg dieser Unternehmung zu machen. Bei der Durchsicht der Schuldnerliste sind in erster Linie die Konten von Cosimo Bonsi auffällig. Er war Inhaber einer eigenen Gesellschaft in Nürn­ berg, wie aus den beiden als Schuldner aufgeführten Konten dieser Unter­ nehmung zu ersehen ist, doch stand er offensichtlich auch in sehr enger Ver­ bindung mit den Olivieri. In einem Brief aus dem Jahre 1545 schreibt Michele an seinen Vetter Giovanni von nostro (unserem) Bonsi und im Buch der Debitori e creditori des Florentiner Mutterhauses wird von loro (ihrem) Cosimo Bonsi gesprochen, womit Bezug auf die Olivieri in Nürnberg genommen wurde. In der Bilanz von 1551, von der Bonsi bezeichnenderweise eine Kopie erhielt, belief sich Bonsis Kontokorrent unter den Debitoren auf 2.735 Gulden. Dies erscheint sehr hoch, wenn es mit dem Konto der drei Olivieri proprii in Höhe von 5.119 Gulden verglichen wird.38 Aus der Bilanz ist auch der geschäftliche Aktionsradius der Olivieri-Filiale in Nürnberg zu erkennen, der sich auf Kunden aus Nürnberg, Köln, Halle, Leipzig, Prag und Straubing erstreckte. 3. Import florentinischer Seide und Seidengewebe nach Nürnberg Wie bereits erwähnt wurde, dienten die Niederlassungen in Deutschland (zu­ erst diejenigen der Torrigiani, dann die der Olivieri) den Hauptunternehmen in Florenz als Stützpunkt für den Verkauf florentinischer Seidenprodukte auf den Märkten in Mittel- und Osteuropa. In beiden untersuchten Firmenstrukturen verfügte die Florentiner Unternehmung jeweils über exklusive Lieferrechte von in Florenz hergestellten Geweben an die Filiale in Deutschland. Die glei­ chen Bestimmungen galten allerdings auch in umgekehrter Richtung: die Toch­ ter im Norden durfte allein Ware, meist nicht sehr kostbare Stoffe, an die Un­ ternehmung in Florenz senden. In diversen vertraglichen Abmachungen wur­ den die Details dieser Exklusivrechte und die damit verbundenen Provisionen festgehalten. Für die folgende Analyse des Seidenhandels ist es nützlich, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, daß die Olivieri-Gesellschaft in Florenz als Verbin­ dung zwischen den Unternehmen in Neapel und Nürnberg fungierte. In der Praxis sandte die neapolitanische Gesellschaft, die auch von den viel kleineren Niederlassungen in Cosenza und L’Aquila unterstützt wurde, Rohseide nach 38 ASF, Galli Tassi 1962, ins. 3, Brief vom 25. April 1545; Galli Tassi 1946, cc. 194-195.

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MVGN 86 (1999)

Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben

Florenz. In der Stadt am Arno wurden daraus Stoffe gewoben, in die teilweise Gold- und Silberfäden eingearbeitet waren, die mit aus Deutschland stammen­ dem Edelmetall hergestellt worden waren. Die Fertigprodukte wurden ver­ marktet, wobei Nürnberg einen der Zielmärkte darstellte. Über den Verkauf in Deutschland sind leider kaum Erkenntnisse zu gewinnen, da aus dieser Unter­ nehmung keinerlei Dokumente erhalten geblieben sind. Dank den archivierten Büchern aus Florenz sind wenigstens über die beiden ersten Phasen dieses Vor­ gangs Fakten überliefert.39 Zwischen September und November 1545 wurden beispielsweise in Florenz zehn Ballen Rohseide, die aus dem Königreich Neapel stammten, auf Rech­ nung der Olivieri in Nürnberg an florentinische Seidenfabrikanten verkauft. Diese Ware war zuvor von Donato Olivieri e Francesco Vecchietti e compagni in Cosenza gekauft und nach Florenz geschickt worden. In Tabelle 2 ist zu be­ achten, daß jede Zeile dem Verkauf eines Ballens Seide entspricht und die Emp­ fänger in der Quelle immer eindeutig als setaioli (Seidenfabrikanten) gekenn­ zeichnet sind. Tabelle 2: Verkauf von Rohseidenballen aus dem Königreich Neapel in Florenz auf Rechnung der Olivieri in Nürnberg (September-No­ vember 1545). 1 Ducaten = 7 Lire di piccioli Datum

07-09-45 07-09-45 07-09-45 23-09-45 24-09-45 26-09-45 24-10-45 24-10-45 24-10-45 23-11-45 TOTAL

Herkunft40

Torre e Squillace Montalto Montalto Montalto Montalto Montalto Montalto Montalto Licatura Licatura 10 Ballen

Gewicht

Preis pro

in Pfund41

Einheit

236,50 215,35 217,00 240,35 240,30 239,55 241,35 241,05 242,40 235,25 2349,10

Lire di piccioli 14,65 14,20 14,25 14,20 14,25 14,20 14,25 14,20 16,00 16,20

Empfänger

Gesamtpreis

Dukaten P. Gondi e P. Velluti e comp. Giovanni Mormorai e comp. Paolo Tolomei e comp. Rinaldo Corsini e comp. Gherardo Barbadori e comp. Cristofano Bucetti e comp. Paolo Tolomei e comp. Jacopo Sangalletti e comp. Bastiano Antinori e comp. Paolo Tolomei e comp.

495,66 437,32 441,75 488,04 489,59 486,69 491,79 489,05 554,67 544,82 4919,38

Quelle: ASF, Galli Tassi 2294, c. 230d.

39 Einen Überblick über die verschiedenen Phasen vom Kauf der Seide, über die Produktion bis zum Verkauf der Fertigprodukte in Florenz vgl. die grundlegende Arbeit von Florence Edler de Roover: Andrea Banchi setaiolo fiorentino del Quattrocento, in: Archivio Storico Italiano 150 (1992), S. 877-963. Von derselben Autorin: L’Arte della Seta a Firenze nei secoli XIV e XV, hrsg.

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Francesco Guidi Bruscoli

Innerhalb von ungefähr zweieinhalb Monaten wurden also zehn Ballen Seide nach Florenz geschickt, die zusammen 2.349,1 Pfund wogen und einen Wert von 4.919,4 Dukaten darstellten. Die Qualität der Seide schwankte zwi­ schen der besten, die aus Licatura kam und 16-16,2 lire (= ca. 2,3 Dukaten) per Pfund kostete, und der schlechtesten aus Montalto, die zum Preis von 14,2-14,25 lire (=ca. 2 Dukaten) gekauft werden konnte. Nicht einmal das Ge­ wicht der Ballen war in jedem Fall gleich, wenn es sich auch in der Regel zwi­ schen 235 und 240 Pfund bewegte. Zweimal betrug es jedoch nur wenig mehr als 215 Pfund.42 Zwischen Oktober und Dezember mußten auf allen Seidenballen Zoll in Höhe von 114,8 Dukaten bezahlt werden: die gabella di Firenze und die gabella delpasso. Das Wiegen der Ware und diverse Spesen beliefen sich auf wei­ tere 26,6 Dukaten.43 Diese zusätzlichen Kosten bewirkten eine Verteuerung der Ware ab dem Kauf um 2,9%. Die im Auftrag der Olivieri in Nürnberg nach Florenz transportierte Seide wurde in der meisten Fällen hier von den einheimischen Seidenfabrikanten weiterverarbeitet. Es kam aber auch vor, daß die Rohseide direkt nach Deutschland weitergeführt wurde. Dies war beispielsweise 1543 der Fall, als 6 Ballen Seide aus den Abruzzen nach Frankfurt geschickt wurden. Diese Lie­ ferung gehörte zur Hälfte den Olivieri in Florenz, zu 5/12 den Nürnbergern und zu 1/12 und Giandonato Barbadori, der Teilhaber in der Gesellschaft von L’Aquila war.44 In den Seidenfabriken wurde nicht nur die gelieferte Rohseide verarbeitet, denn zur Steigerung des Wertes wurden häufig auch Gold- und Silberfäden in die Stoffe eingewoben. Für diesen Zweck (vielleicht als Bezahlung offener Rechnungen) waren möglicherweise die Goldlieferungen bestimmt, die zwi­ schen Juli 1544 und März 1546 von den Nürnbergern an Piero Tolomei e

40 41

42

43 44

v. Sergio Tognetti, Firenze 1999. Spezifisch auf das 16. Jahrhundert bezieht sich die Studie von Roberta Morelli: La seta fiorentina nel Cinquecento, Milano 1976. Squillace ist eine Ortschaft in der heutigen Provinz Catanzaro; Montalto gehört zur Provinz Cosenza. Das Gewicht des Pfunds variierte von Ort zu Ort: in Florenz galt es 339,54 Gramm; im König­ reich Neapel hingegen 320,76 Gramm (vgl. Martini: Dizionario di metrologia (wie Anm. 20), S. 207, 396). Viele Jahre später, 1581, setzten die in Neapel niedergelassenen Händler alle aus Kalabrien stammenden Seidenballen auf ein Gewicht von 275 Pfund fest. (Giulio Fenicia: Politica economica e realtä mercantile nel Regno di Napoli nella prima metä del XVI secolo (1503-1556), Bari 1996, S. 51, Anm. 144). ASF, Galli Tassi 2294, c. 248s. ASF, Galli Tassi 1926, c. 9v.

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Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben

compagni, ihren bevorzugten Seidenhersteller, nach Florenz gingen. Es han­ delte sich dabei um drei Mengen oro di Colonia a 2 bolli. Ihr Gewicht belief sich auf 5, 6 x/i und 9 3/4 centi, total also 21 x/a centi, mit einem Wert von 191,7 Dukaten (ein cento war zwischen 9 und 9,4 Dukaten wert).45 In jedem Fall hatten die Olivieri in Florenz eine Vermittlerrolle inne, auch wenn die Geschäfte auf Rechnung der Nürnberger Gesellschaft ausgeführt wurden. Die Seidenfabrikanten bezahlten nicht immer mit Bargeld, sondern häufig auch mit fertigen Stoffen. Es findet sich deshalb in der Florentiner Bilanz von 1543 neben dem Betrag, den die setaioli bezahlt hatten, die Bemer­ kung che del resto s’e havuto drappipe5 nostri di Norimbergo.46 Wenn die fertigen Stoffe auf Anordnung der Olivieri in Nürnberg nach Nordeuropa geschickt wurden, so geschah dies wiederum durch die Vermitt­ lung ihrer Gesellschaft in Florenz. Bis zum 15. April 1545 sandten Michele e Giovanni Olivieri e compagni Seide und goldgewirkte Seide im Gesamtwert von 6.279,9 Dukaten nach Deutschland; leider ist aber nicht bekannt, wann diese Rechnung eröffnet wurde.47 Die Tabelle 3 gibt eine Liste der Lieferungen vom 21. Juli 1544 bis zum 6. Juni 1545. Sie gibt an, von welchem setaiolo die Seide stammte, den Typ des Gewebes, den Preis pro Verkaufseinheit und den Gesamtpreis. Falls es möglich war, den Stückpreis zu ermitteln, so wird dieser zwischen eckigen Klammern angegeben. Da die Angaben in den Büchern zu wenig präzis sind, ist es nicht möglich die genaue Menge zu nennen, doch stell­ ten alle Sendungen zusammen einen Wert von 3.653,2 Dukaten dar, wovon 3.308,8 in der oben genannten Summe der bis zum 15. April verkauften Tuche enthalten sind. Wie zu sehen ist, wurde mit 13 setaioli zusammengearbeitet. Dabei spielte si­ cherlich eine Rolle, daß jeder dieser Produzenten seine Spezialitäten hatte, doch war auch wichtig, daß so innerhalb kurzer Zeit eine gewisse Menge an Stoffen verschiedener Qualität beschafft werden konnte. Das Angebot an Pro­ dukten war tatsächlich sehr breit, und umfaßte neben den billigen tafettä und ermisini auch kostbare Gewebe, in die Goldfäden eingewoben waren. Für die anschließende Periode läßt sich eine derartige Aufstellung nicht ma­ chen, doch wissen wir immerhin, daß die Olivieri in Nürnberg vom 16. April bis zum 7. September 1545 Stoffe in 4 casse e uno cassotto im Wert von 3.447,1

45 ASF, Galli Tassi 2294, cc. 84s-d, 232d. 46 ASF, Galli Tassi 1926, cc. 3r, 4r. Wie weiter unten gezeigt wird, wurden die Tücher nicht in jedem Fall mit Bargeld bezahlt, sondern mit deutscher Waren getauscht. Sinngemäße Überset­ zung: Für den Restbetrag haben wir Tücher für unsere Filiale in Nürnberg erhalten. 47 ASF, Galli Tassi 2294, c. 183s.

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Francesco Guidi Bruscoli

Tabelle 3: Nach Nürnberg geschickte florentinische Seide, 21. Juli 1544 - 6. Juni 154548 Datum

Ware

Lieferant

Preis

pro

Einheit

Gesamt­ preis

(Dukaten) 21-07-44 rede di N. Machiavelli e c.

piü domaschi in 1 e in 2 camini di sete stiette

240,7

10-11-44 B. Antinori e c.

2 drappi d’oro

246,7

13-11-44 B. Antinori e c.

1 pezza di teletta d’oro

13-11-44 P. Tolomei e c.

1 pezza di teletta gialla d’oro tirato a 2 ori

86,0 Duk. 3 / Elle

135,8

[Ellen 45,3] 03-12-44 L. e N. Bardi e c.

1 broccatello rosso in 1 camino (Ellen 59,5)

Lire 6,3 / Elle

53,8

03-12-44 L. e N. Bardi e c.

telette gialle piane d’oro tirato a 2 ori

Duk. 2,7/Elle

165,7

(Ellen 60,25) 05-12-44 P. Tolomei e c.

1 pezza di ermisino nero (Ellen 35, Pfund 6,2)

L. 24/Pf, [D. 0,6/Elle]

09-12-44 B. e R. Machiavelli e c.

2 pezze di velluti rossi di chermisi di Spagna

[Duk. 1,6/Elle]

11-12-44 rede di N. Machiavelli e c.

piü drappi di seta stietti

11-12-44 L. e rede di B Steccuti e c.

piü drappi di seta stietti

11-12-44 R. Corsini e c.

ermisini neri (Pfund 44,35)

Lire 24 / Pfund

11-12-44 F. Antinori e c.

broccatelli (Ellen 82,5)

Lire 5,2 / Elle

11-12-44 P. Corsini e c.

piü drappi d’oro e stietti

21,7 134,6

(Ellen 84,25) 499,8 352,9 152,9 61,3 207,3

16-12-44 N. e B. Del Nente e c.

7 pezze leggiere di taffettä (Pfund 76,3)

[Lire 18,1 / Pfund]

16-12-44 rede di N. Machiavelli e c.

2 pezze di ermisini neri (Pfund 22,2)

Lire 25,5 / Pfund

14-02-45 B. Antinori e c.

piü drappi d’oro e di seta stietti

455,0

14-02-45 B. Antinori e c.

1 pezza di raso rosso d’argento in 1 camino a 2 ori

114,8

14-02-45 C. Dini, A. Michelozzi e c. 2 pezze di domaschi in 2 camini

196,9 81,9

101,0

13-05-45 D. Angiolieri e c.

piü drappi d’oro, d’argento e stietti

231,4

06-06-45 P. Gondi, P. Velluti e c.

1 broccatello rosso e 1 domasco pagonazzo

113,0

Quelle: ASF, Galli Tassi 2294, cc. 81,131,142

Dukaten kauften und bis zum 4. März 1546 für weitere 3.242,5 Dukaten ausgaben. Es kann folglich festgestellt werden, daß in etwas weniger als zwei Jah­ ren für 12.969,5 Dukaten bei florentinischen Seidenfabrikanten Gewebe einge­ kauft wurde.49 48 Zum besseren Verständnis dieser Aufstellung hier eine kleine Zusammenstellung der wichtig­ sten italienischen Fachwörter: arricciato = gekräuselt, Frise; bottana = gewöhnlicher wattiger Stoff; broccatelli = Brokatelle; cangiante = schillernd; chermisi = karmesinrot; crudo = unge­ färbt; domasco = Damast; ermisino = leichter Seidenstoff; incarnato = fleischfarben; paonazzo = violett; raso = Satin; stietto/schietto = rein, lauter; tafettä = Taft; tela = Leinen; teletta = Sei­ dentücher; tinto = gefärbt; velluto = Samt; zetano = dem Satin ähnliche Seide von mittlerer Qua­ lität. 49 ASF, Galli Tassi 2294, c. 183s.

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Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben

Im Anhang B findet sich eine nota de’prezzi delle drapperie d’oro, d’argento e stietti, die Raffaello Torrigiani e compagni di Firenze an Luca Torrigiani e Giovanni Olivieri e compagni di Norimberga zwischen Oktober und Novem­ ber 1531 geschickt haben. Darin werden verschiedene Stoffarten aufgelistet, welche nach Deutschland verkauft wurden, und der durch die Torrigiani ge­ schätzte Marktpreis, der in Dukaten oder Lire per Elle ausgedrückt wurde (1 Dukaten = 7 Lire). Es fehlt leider eine Angabe der Mengen, die in den Nor­ den transportiert wurden. Wenn auch keine quantitativen Aussagen möglich sind, so können doch qualitative Analysen vorgenommen werden. Dieses Do­ kument zeigt, welche Produkte besonders kostbar waren und welche Farben und Verarbeitungsarten die Kundschaft bevorzugte. Diese Feststellungen gel­ ten sicherlich nicht nur für das Jahr dieser Aufstellung, sondern haben wohl auch für den angrenzenden Zeitraum Gültigkeit. Die kostbarsten Tücher waren zweifelsohne die aricciati (Frise), welche zwi­ schen 6,5 und 16 Dukaten per Elle gehandelt wurden. Von hervorragender Machart müssen die zwei aricciati a 3 orifondo d’oro tirato ariccio d’oro filato gewesen sein, welche den Nürnbergern für 15 und 16 Dukaten verrechnet wurden; der Verkaufspreis lag vermutlich noch über diesem Betrag, so daß es nicht leicht war, für diese Ware Kunden zu finden, denn non se ne trova a un grande pezzo el chapitale.50 Aber auch die anderen aricciati (rossi und gialli, mit oder ohne Gold- oder Silberverziehrung) galten mit 6,5 bis 9 Dukaten weit mehr als jeder andere Stoff auf der Liste. Noch weiter auseinander geht die Preisspanne bei den telette, welche in den Bereich der mittel- bis hochpreisigen Ware gehörten, und bei den domaschi. Bei den ersten war eine teletta galla aricciata cangante fondo d’oro ti­ rato aricciata d’argento filato mit einem Preis von 6,25 Dukaten per Elle die teuerste. Die meisten dieser Gewebe waren goldseiden und manchmal auch mit eingewobenen Silberfäden. Dies erklärt, weshalb auch telette dipiü colori a uno oro, die poverixime e brutte waren, dennoch 3 Dukaten per Elle wert sein konnten. Die domaschi, von denen mehr als zehn verschiedene Typen aufgezählt wer­ den, können in zwei Untergruppen eingeteilt werden: diejenigen mit Gold­ fäden und diejenigen ohne diesen Zusatz. Bei den ersten variierte der Wert zwi­ schen 4,5 Dukaten per Elle für die domaschi broccati larghi d’oro tirato und 2 Dukaten für die domaschi a poste d’oro con andari di seta. Auch in diesem Fall konnte der reine Wert der verarbeiteten Ware Produktionsmängel teilweise

50 Sinngemäße Übersetzung: für ein großes Stück davon findet man das Geld nicht.

97

Francesco Guidi Bruscoli

aufwiegen, so daß domaschi neri e rossi broccati d’oro filato, obwohl brutisimi, (sehr unschön) 4 Dukaten per Elle wert waren. Die anderen kamen als neri, bigi, colorati oder canganti in den deutschen Handel und wurden bloß auf 0,7 bis 1,1 Dukaten geschätzt. Ebenfalls 4,5 Dukaten war ein broccato rosso di lacca di pelo a uno bastone wert. Doch waren die Aussichten, dieses Stück verkaufen zu können, sehr gering, denn Vavemo in 3A d’anni opiu, bruttisimo, amachato (verbeult), pieno difascie (voller Rümpfe) che Vamicho lo rimandö e non se ne trova el chapitale. Viel günstiger waren hingegen die broccatelli di seta a uxo di telette, die nur 8-8,5 Lire galten, also nur wenig mehr als ein Dukaten. In dieselbe Preisklasse gehörten auch die rasi (rossi, chermisi,pagonazzi und incarnati), die velluti (di lacha, pagonazzi, chermisi, incarnati, rossi und verdi) und die zetani (fondo dore und pelo nero). Sie kosteten zwischen 1 und 2 Du­ katen per Elle. Die leichteren und damit auch billigeren Stoffe waren die ermisini und die tafettä. Die ersten waren neri, colorati oder cangi und wurden zu Preisen um 1 Dukaten per Elle gehandelt. Größer war die Bandbreite bei den Preisen der tafettä, doch überstiegen sie nie 1 Dukaten, denn die teuersten waren die colorati a Vermisina di braccia 6, für welche 36,5 Lire per Pfund eingesetzt wurde, was einem Preis von 0,87 Dukaten per Elle entspricht. Ein Gewebetyp wurde vornehmlich in der Farbe schwarz geliefert und zwar in verschiedenen Verarbeitungsarten con corde oder senza corde, wobei der Wert auf 0,43 Dukaten bis 0,66 Dukaten per Elle veranschlagt wurde. Tabelle 4: Florentinische Seidengewebe in den Beständen der Torrigiani-Gesellschaft in Nürnberg im Jahre 1531. Die Werte sind in Dukaten per Elle angegeben. Mindestwert

Höchstwert

ariccati

6,5

16,0

telette

2,7

6,3

broccati / broccatelli

Art der Ware

1,1

4,5

domaschi

0,7

4,5

velluti

1,6

1,8

zetani

1,2

1,4

rasi

1,1

1,5

ermisini

1,0

1,2

tafettä

0,4

0,9

Quelle: ASF, Galli Tassi 1950, c. 353

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MVGN 86 (1999)

Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben

Die hier besprochenen Preisangaben beziehen sich vermutlich auf den Zeitpunkt, als die Ware in Florenz für den Transport nach Nürnberg aufgegeben wurde. Die Verkaufspreise in Deutschland waren sicherlich höher, da die Nürnberger Gesellschaft ihre eigene Marge auf diese Beträge schlug. Leider sind keinerlei Angaben über diese Zahlen überliefert, so daß wir keine Aussa­ gen über Gewinne machen können. In den Schriften der Saliti-Gesellschaft sind ein paar Verkaufspreise florentinischer Stoffe aus den Jahren 1518-19 zu finden.51 Im Hinblick auf die möglichen Preisschwankungen, die sich zwischen 1518 und 1531 eingestellt haben mögen, und der Unmöglichkeit, die Stoffe in den beiden Gesellschaften mit einander zu vergleichen, können diese Zahlen nicht für eine Interpretation der hier diskutierten Fakten herangezogen werden. 4. Export von tele della Magnia nach Italien Die Nürnberger Gesellschaft zahlte ihre Ausstände bei der Hauptunter­ nehmung in Florenz teilweise auch mit der Lieferung von Waren. Bei diesem Tauschhandel wurden den florentinischen setaioli verschiedene Waren aus dem Norden geschickt, um die Rechnungen für gelieferte Seide zu bezahlen. Auf­ grund der überlieferten Fakten läßt sich das genaue Ausmaß dieser Zahlungs­ abwicklung nicht mehr eruieren. Auf jeden Fall machten die Tuche den größ­ ten Anteil aus, doch waren diese im Vergleich mit den Stoffen, die in umge­ kehrter Richtung transportiert wurden, bedeutend billigere Ware. Aus Deutschland kamen tele tinte aus verschiedenem, häufig nicht spezifiziertem Material (Baumwolle, Leinen, Hanf usw.), nach Florenz. Wie einige Buchhal­ tungseinträge klar machen, erhielt der Empfänger diese Stoffe per il merchato fatto con esso loropiüfa a drappi.52 Bei anderen Fällen handelte es sich auch um reine Verkaufsgeschäfte. Die Tabelle 5 zeigt die Stoffmenge, welche ungefähr innerhalb eines Jahres an verschiedene Kunden in Italien geschickt wurde. Meist waren die Empfänger florentinische Seidenfabrikanten.

51 Spallanzani: Tessuti di seta fiorentini (wie Anm. 4), S. 1005, Tab. 4. Weitere Angaben zu den Preisen für Seidengewebe vor allem in Mailand in der Mitte des 16. Jahrhunderts finden sich bei Aldo De Maddalena: «Excolere vitam per artes». Giovanni Antonio Orombelli mercante auroserico milanese del Cinquecento, in: De Maddalena, Dalla cittä al borgo. Awio di una metamorfosi economica e sociale nella Lombardia spagnola, Milano 1982, S. 40. 52 Sinngemäße Übersetzung: für den Stoffhandel, der mit ihm vor einiger Zeit gemacht wurde.

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Tabelle 5: Deutsche Tücher, die in Florenz auf Rechnung der Olivieri in Nürnberg verkauft wurden (Februar 1545 - März 1546). 1 Dukaten = 7 Lire di piccioli53 Datum

Empfänger

Art

der

Ware

Stückzahl

Preis

pro

Einheit Teil 21-02-45

P. Tolomei e c. setaioli

tele bottane tinte basse

tot.

110

Lire di piccioli 6,0

Gesamtpreis in Dukaten Teil

06-05-45

P. Tolomei e c. setaioli

tele bottane tinte basse

8

6,0

6,9

13-06-45

P. Tolomei e c. setaioli

tele bottane tinte basse

53

6,0

45,4

24-07-45

P. Tolomei e c. setaioli

tele bottane tinte basse

119

6,0

102,0

24-07-45

P Tolomei e c. setaioli

tele bottane tinte alte

353

7,0

353,0

24-07-45

P. Tolomei e c. setaioli

tele bottane tinte basse

31

6,0

26,6

07-09-45

P. Tolomei e c. setaioli

tele tinte

112

6,0

96,0

16-01-46

P. Tolomei e c. setaioli

tele tinte basse

392

6,0

336,0

02-03-46

P. Tolomei e c. setaioli

tele tinte basse

137

6,0

117,4

6,0

342,9

1177,6

1315 21-02-45

B. Antinori e c. setaioli

tele bottane tinte basse

400

16-01-46

B. Antinori e c. setaioli

tele tinte basse

224

6,0

192,0

09-02-46

B. Antinori e c. setaioli

tele tinte basse

302

6,0

258,9

15-05-45

D. Angiolieri e c. setaioli

tele bottane tinte basse

424

6,0

363,4

07-09-45

P. Gondi, P. Velluti e c. setaioli

tele tinte basse

66

6,0

56,6

16-01-46

P. Gondi, P. Velluti e c. setaioli

tele tinte basse

280

6,0

240,0

02-03-46

P. Gondi, P. Velluti e c. setaioli

tele tinte basse

34

6,0

29,1

6,0

131,1

793,8

926

363,4

424

325,7

380 L. Steccuti e c. setaioli

tele bottane tinte basse

153

07-03-45

L. Steccuti e c. setaioli

tele bottane tinte basse

127

6,0

108,9

07-09-45

L. Steccuti e c. setaioli

tele tinte basse

64

6,0

54,9

6,0

157,7

21-02-45

294,9

344 16-01-46

G. Barbadori e c. seaioli

tele tinte basse

184

21-02-45

R. Mormorai e c. setaioli

tele bottane tinte basse

102

6,0

87,4

07-03-45

R. Mormorai e c. setaioli

tele bottane tinte basse

18

6,0

15,4

31-07-45

R. Mormorai e c. setaioli

tele bottane tinte strette

4

6,0

3,4

157,7

184

106,2

124 11-02-46

G. Ubaldini e c. di Roma

tele tinte basse

16-01-46

P.E Gucci e c. setaioli

tele tinte basse

102

4,654

67,4

6,0

58,3

67,4

102 68

tot

94,3

53 Die Liste folgt nicht einem chronologischen Prinzip, sondern gruppiert die Einträge nach den Kunden. 54 Dieser anormale Wert entstand, weil die Zahlung in römischen Goldscudi erfolgte, die dann in die Silberwährung und schließlich in Dukaten umgerechnet wurden.

100

MVGN 86 (1999) Datum

Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben

Empfänger

Art

der

Ware

Stückzahl

Preis

pro

Einheit Teil

02-03-46 P.F. Gucci e c. setaioli

tele tinte hasse

25

24-09-45 G. Dell’Osso e c. linaioli

tele tinte

53

tele tinte hasse

15

tot.

Lire di piccioli

Gesamtpreis

Dukaten Teil

6,0

21,4

5,6

42,4

6,0

12,9

4,5

0,6

4,5

3,7

79,7

93

42,4

53 16-01-46

L. Panciatichi e c

13-06-45

Michele Olivieri

tela bottana azzurra

1

16-01-46

Michele Olivieri

tele tinte hasse

6

12,9

15

4,3

7 02-03-46 L. Berardi e c. setaioli

tele tinte hasse

6

tela bottana tinta Stretta

1

6,255

5,3 5,3

6 06-08-45

Giovanni Olivieri

TOTAL

tot

5,0

0,7

1

0,7

3974

3432,0

Quelle: ASF, Galli Tassi 2294, cc. 163,228

Zwischen dem 21. Februar 1545 und dem 2. März 1546 wurden also 3.974 Stück tele tinte im Wert von 3.432 Dukaten nach Italien geschickt. Dies ent­ spricht einem Durchschnittspreis von 0,86 Dukaten oder 6,05 Lire per Stück. Der wichtigste Kunde war die Seidenfabrikation Paolo di Neri Tolomei e compagni, an welche in diesem Zeitraum 962 Stück tele (bottane) tinte hasse zu 6 lire per Stück und 353 Stück tele bottane tinte alte zu 7 Lire (= 1 Dukaten). Insgesamt waren es 1.315 Stück mit einem Wert von 1.177,6 Dukaten. An zwei­ ter Stelle war Bastiano di Alessandro Antinori e compagni setaioli, denen für 926 Stück tele (bottane) tinte hasse 793,8 Dukaten belastet wurden, also 6 lire per Stück. Zum selben Preis gingen weitere umfangreiche Lieferungen an die folgenden Seidenfabrikanten: Daniello di Bartolomeo Angiolieri e compagni, die sich in einer einzigen Lieferung 424 Stück im Wert von 363,4 Dukaten aus Deutschland kommen ließen; Piero Gondi e Piero Velluti e compagni, welche 380 Stück für 325,7 Dukaten erhielten; Lorenzo di Bartolomeo Steccuti e compagni, für die zwischen Februar und September 1545 344 Stück für 294,9 Dukaten bestimmt waren; Gherardo di Girolamo Barbadori e compagni, die 184 Stück zum Preis von 157,7 Dukaten bezahlten; Roberto Mormorai e com­ pagni, an die 124 Stück für 106,2 Dukaten gingen.

55 In diesem Fall ist die Zahl höher als die normalen 6,0, da dieser Stoffe als Gegenwert für broccatello rosso gerechnet wurde, den die Olivieri in Nürnberg gekauft hatten.

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Francesco Guidi Bruscoli

Mehr als 100 Stück bestellten auch Girolamo Ubaldini e compagni in Rom, die für 102 Stück nur 67,4 Dukaten bezahlen mußten.56 Weiter finden sich auf der Kundenliste die Gesellschaften von Pier Francesco di Rinieri Gucci setaioli mit 93 Stück tele tinte hasse zum Preis von 79,1 Dukaten, Gaspare di Niccolö DelPOsso linaioli mit 53 einfachen tele tinte zum Stückpreis von 5,6 (Total: 42,4 Dukaten), Lorenzo di Gualtieri Panciatichi e compagni setaioli mit 15 tele tinte hasse für 12,9 Dukaten und Lorenzo di Giovanni Berardi e compagni setaioli, die 6 Stück als Gegenwert für einen an die Olivieri in Nürnberg ver­ kauften hroccatello rosso bekamen. Die beiden maggiori ließen sich nach Florenz ein paar Stück für den persön­ lichen Gebrauch senden: Michele Olivieri schenkte seiner Gattin, Luisa Cambi, eine tela hottana azzurra und erstand 6 tele tinte hasse per fare materassi (Matrazen); Giovanni kaufte eine tela hottana tinta Stretta für die eigene Magd, Caterina de’ Risaliti. In beiden Fällen lag der Preis wesentlich unter demjenigen, der den Kunden verrechnet wurde, denn er schwankte nur zwi­ schen 4,5 und 5 lire; angenommen, die beiden Olivieri, die ja Partner in der Ge­ sellschaft in Nürnberg waren, mußten nur den Einstandspreis bezahlen, so ließe sich daraus eine Gewinnmarge von 20-25% beim Verkauf an firmen­ externe Kunden errechnen. In der Tabelle 6 werden die im etwa selben Zeitraum von Deutschland nach Florenz verkauften tele line crude aufgeführt. Sie sind hier in einer eigenen Aufstellung aufgeführt, da über sie viel mehr Einzelheiten, von der Material­ beschreibung bis zur Länge der Stücke, überliefert sind. Etwa die Hälfte dieser Stoffe war für Giovanni Mormorai e compagni bestimmt, ein weiteres Drittel für Paolo Tolomei e compagni. Diese beiden Kunden waren setaioli. Der Rest ging an einzelne Kunden, die Partner in Florenz oder ihnen nahestehende Per­ sonen, welche auch diese Ware zu bedeutend günstigeren Bedingungen erste­ hen konnten als die fremden Kunden.57 Neben den oben beschriebenen Stoffen wurden auch andere Waren aus Deutschland exportiert. Dazu gehörte das bereits erwähnte Edelmetall, Gold und Silber: am 16. Januar 1545 gingen beispielsweise an Federigo de* Ricci e compagni del hanco zwei Silberbarren mit einem Gesamtgewicht von 150 Pfund und einem Wert von 1.526,8 Dukaten. Einer dieser Barren mußte für den Transport in zwei Stücke gebrochen werden per esser troppo grande.58 Aus 56 Mit dieser Gesellschaft war Benvenuto Olivieri, der Bruder von Michele und Alessandro verbunden. Er war folglich ebenfalls ein Vetter von Giovanni. Weitere Informationen über ihn bei Francesco Guidi: Benvenuto Olivieri (wie Anm. 14), Kapitel 2, Abschnitt 4. 57 ASF, Galli Tassi 2294, c. 158s-d. 58 Der erste Barren wog 67.4.12 Mark per 15.12 Loth per Nürnberger Mark, entsprechend 47.2.12 Pfund in Florenz. Der zweite Barren wog 2 Mark 142.15 zu 15.11 Loth per Mark; nach der

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Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben

Tabelle 6: Nach Italien exportierte tele line crude della Magnia, 1544-1545 Datum

Empfänger

bis 07-44 Giovanni Mormorai e c.

Warenart

tele line

setaioli

crude

09-02-45 Giovanni Olivieri

tele line

Stück CANNE59 CANNE

LIRE

LIRE

Total­

PER

PER

PER

preis

Stück

Stück

CANNA (Dukaten)

16

279,50

17,47

48,0

2,75

109,8

2

33,25

16,62

23,1

1,39

6,6

1

19,50

19,50

31,5

1,62

4,5

1

18,25

18,25

29,4

1,61

4,2

1

18,25

18,25

25,2

1,38

3,6

7

62,00

8,86

44,3

5,00

44,3

3

37,50

12,50

31,3

2,50

13,4

31

468,25

crude 09-02-45 G. Panuzi

tele line crude

09-02-45 Giandonato Barbadori

tele line crude

09-02-45 Michele Olivieri

tele line crude

13-03-45 Paolo Tolomei e c. setaioli

tele line crude

13-03-45 Paolo Tolomei e c. setaioli

tele line crude

186,4

Quelle: ASF, Galli Tassi 2294, c. 158

dem Norden kamen weiter Lederwaren, wie die im Sommer 1545 von den Olivieri in Florenz an Cristofano Buontalenti e compagni cuoiai verkauften 3 Bal­ len vacchette (Rindsleder), wofür inklusive aller Zölle 61,9 Dukaten bezahlt wurden.60 Auch Felle wurden exportiert, wie das Fell eines lupo cerviere (Luchs), für das Piero Tolomei e compagni setaioli im März 1545 12 Dukaten bezahlten.61 Im Hinblick auf Menge und Wert stellten die Tuche die wichtigste Export­ ware dar. Nicht eindeutig geklärt ist, was die Seidenfabrikanten mit diesen Stoffen von schlechter Qualität machten. Einen kleinen Teil davon werden sie als Packmaterial für den Schutz ihrer eigenen viel kostbareren Produkte ver­ wendet haben. Wichtiger war aber wohl der Handel, den sie damit trieben. Sie

Teilung gelangte er nach Florenz in zwei Stücken zu 51.6.8 und 48.8.12 Pfund (ASF, Galli Tassi 2294, c. 121 d). In der deutschen Stadt galt 1 Loth 14,91 Gramm; in der Regel gingen 16 auf 1 Mark (Martini: Dizionario di metrologia (wie Anm. 20), S. 415). Sinngemäße Übersetzung: da er zu groß war. 59 In Florenz galt eine canna mercantile 4 braccia (Ellen) und war 2,335 m lang, (Martini: Diziona­ rio di metrologia (wie Anm. 20), S. 206). 60 ASF, Galli Tassi 2294, c. 217s-d. 61 ASF, Galli Tassi 2294, c. 158s.

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konnten dadurch ihr Sortiment verbreitern und neben den teuren Seiden für die Oberschicht auch ein Material für den täglichen Gebrauch aller sozialen Schichten anbieten. Von Kleidern über Vorhänge zu Bändern, Bortenware und vielen anderen Verwendungszwecken, wie etwa die bereits erwähnten 6 Tücher, die Michele Olivieri kaufte per fare materassi. Es waren sicherlich Wa­ ren, die von den setaioli auf dem lokalen Markt en detail verkauft wurden oder en gros an andere Unternehmer weiterverkauft wurden. Um diese Fragen ge­ nau klären zu können, müßten die Bücher dieser Händler untersucht werden können. Das zur Verfügung stehende Quellenmaterial hat uns unausweichlich nach Florenz geführt, wo Michele e Giovanni Olivieri e compagni als Zwischen­ händler zwischen der Gruppe von wohlbetuchten Fabrikanten, die Seide für den deutschen Markt herstellten, und der Tochterunternehmung in Nürnberg fungierten. Zum Schluß kehren wir aber noch einmal nach Deutschland zurück, um ein paar allgemeine Aussagen über die Aktivitäten der Olivieri in dieser nördlichen Region festzuhalten. Giovanni, wie bereits mehrfach erwähnt, war der Wegbereiter. Zunächst konnte er in der Niederlassung der Torrigiani viel Erfahrung sammeln und vom Gehaltsempfänger zum aktiven Partner aufsteigen, der seinen Anteil am Gesellschaftskapital durch Arbeit abgalt. Schließlich errang er soviel Bedeu­ tung, daß sein Name auch in die Firmenbezeichnung aufgenommen wurde. Nach einem abrupten und wenig angenehmen Abschied aus dieser Unter­ nehmung gründete er zusammen mit Kapital, das aus den Familienunter­ nehmen in Florenz und Neapel kam, seine eigene. Die Verbindung dieser drei Gesellschaften war der zentrale Schritt, der das Geschäft mit dem Export von florentinischer Seide nach Deutschland und von dort aus in andere Regionen Mittel- und Osteuropas erfolgreich machte. Auf diesem Wege kamen im Zeit­ raum von elf Monaten Tuche im Wert von über 3.600 Dukaten nach Deutsch­ land. Da keine buchhalterischen Aufzeichnungen der Nürnberger Niederlassung erhalten sind, ist über die Kunden dieser kostbaren Waren in Deutschland fast nichts bekannt. Wir wissen hingegen, daß aus Deutschland große Mengen ver­ schiedenartiger Tücher nach Italien exportiert wurden, um dadurch die Sei­ deneinkäufe wenigstens teilweise kompensieren zu können. Die hier analysier­ ten Dokumente zeigen nur einen kleinen Ausschnitt aus der mehr als zehn­ jährigen Geschäftstätigkeit von Michele, Alessandro e Giovanni Olivieri e compagni, die noch 1551 in Nürnberg nachgewiesen werden können.

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Anhang A Gesellschaftsvertrag für «Raffaello e Ridolfo Torrigiani e compagni», 1. August 152762 [verso] + 1527 Scriptta della conpagnia di Norinbergo fra Torrigani e Giovanni Ulivieri, chominciata sino addi primo d’aghosto 1526. Et finiscie addi primo d’aghosto 1531 [c. Ir] + YHS Marie. Addi primo d’aghosto 1527, i Norinbergho Sia noto e manifesto a chi leggerä la presente schritta chome questo di sopradetto Raffaello e Ridolfo Torrigani, benche Ridolfo sia absente ma Raffa­ ello per lui prexente, da una parte e Govanni di Piero Ulivieri dall’altra parte anno fermo una conpagnia per farsi a Norinbergho, dove detti Torrigani al prexente Pänno; la quäle conpagnia vogliono chanti in «Raffaello e Ridolfo Torrigani e conpagni», chome ’1 prexente chanta, e chon Pavenente segnio; ed a ghoverno di detta ragone ä eser Govanni sopradetto. E s’obrighono a darli di corpo f. quatromila dugento di Reno in tanti drappi d’oro, d’ariento e di seta, ch’al prexente la vechia ragone si truova, per il prezo in che gli stanno chome a’ loro libri appare. La quäle ragone vogliono habbi cominciato insino addi primo d’aghosto 1526 paxato, che chosi detti Torrigani per loro partichulare scriptte in Firenze ordinorno, e duri e durar debba anni cinque, che verrä a finire addi primo d’aghosto 1531; e avanti la fine habbi Puna parte a Paltra a notifichare se mexi innanzi, per non si notifichando s’intenda ch’e ferma per uno anno piü. E perche e detti Torrigani anno a mettere detto chorpo et tenerla sortita in modo che verranno a ochupare tutto lo stato loro e per eser di ghrandissima inportanta, vogliono a ogni loro bene plascito senza accezione alchuna potere infra detto tenpo di v anni finire la ragone e dare al detto Govanni quello tanto si gli aspettassi d’utili e mettere altro in queJ modi ch’a loro parrä; e per questo non resti Govanni sudetto libero, anzi resti medesimamente senpre ubrighato alPobrigho ha con detti Torrigani e chosi anchora resti ubrighato finito la conpagnia, chome per detta ubrighazione si discie e non s’intenda in chonto alchuno alterata. E sono d’achordo che tutti e drappi di Firenze e di Lucca e di Genova e d’ogni altro luogho, che detta ragone per istare assortita arä di bexognio, habbi 62 ASF, Galli Tassi 1824, fase. 10.

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a comettere a detti Torrigani di Firenze e none ad altri; e que’ di Firenze habbino alla loro Arte di Seta a far fare quelli che ssono chonsueti fare per la Magnia e darli a questa ragone per i tenpi e prezi li stietti e d’oro filato, chome son soliti d’avere ed äno la vechia ragone dove detto Govanni n’ä ttenuto le schriptture in e drappi d’oro et d’ariento tirato si faranno. Detto Raffaello promette [c. 1t>] li farä dare per mezo duchato d’oro in oro il braccio mancho che quello e stato messo alla vechia ragone, ma farli tanto piü scharsi e ’ngegniarsi sieno piü si puö in vista chome e paxati. Et quanto e drappi d’oro e ariento con ricco o altri straordinari, il prezzo gornalmente sia rimexxo in Rafaello et Ridolfo; e quanto alla somma o quantitä del mandare d’Italia nella Magnia, chosi drappi di Firenze chome di Luchcha o Genova o altri luoghi, detti Torri­ gani poxino mandare gornalmente quel tanto parrä loro che sia, secondo detti della Magnia chonrisponderanno a’ tenpi nel pagamento; e di questo e detti Torrigani non vogliono eser ubrighati a piü una somma che un’altra, se non mandare quanto a lloro parrä. E tutti e drappi di Firenze ch’alla loro bottegha fasciessino fare, non abino e detti di Firenze a ttenere provisione alchuna, ma usciti di bottegha a tutte spexe, tenpo et risicho di detti della Magnia, chome son soliti quando erono conpagni cho gli Antinori; e tutti gli altri drappi, chosi di Firenze chome d’altre bande, che detti Torrigani aranno a provedere, habino e debino tenere uno per cento oltre all’altre spexe chorrerano nel mandare govani o chomettere, ma non abino a dare ad altro prezo o tenpo che chanperenno loro; e di chosi sono d’achordo. E sono d’achordo che detti Torrigani poxxino mandare a detta ragone della Magnia tutte quelle merchanzie parrä loro per finirle a provisione, salvo drappi di nexxuna sorta, se ggä non fussi qualche braccio di ricco che per tenere sortita la ragone mandassino; ma altri drappi no. Et debino detti della Magnia tenere di provisione tre per cento di quello rischoteranno; e quello non rischotexxino, niente debbino avere. E questo si fa perch’aprino gli ochi al chiedere. E vogliono che detta conpagnia chominci e duri chome di sopra e detto; e alla fine d’exxa sia tenuto detto Govanni Stare allo stralco e finire le drapperie si troverrä di detta ragone, paghare tutti e chredittori e rendere e f. quatro mila dugento d’oro in oro in danari contanti, coe f. di Reno. E delli utili, che Iddio [c. 2r] gli choncieda ghrandi, se ne dä a detto Govanni s. tre danari quatro per lira; e ’l resto, ch’e s. sedisci danari otto, sono di Raffaello e Ridolfo per istrybuirli nel modo et forma che in fra detto Raffaello e Ridolfo, per una schriptta fatta avanti, si dichiara; e chosi danno, se danno vi fussi, che Idio ghuardi, ciaschuno vadi a lire e s. E si debba ciaschuno sua parte sattisfare, nonistante legge o statuto che ‘n chontrario parlassi. E sono d’achordo, per non ispolpare la conpagnia, nexxuno di detti con­ pagni poxxa trarre danari alchuno; in parte salvo Govanni Ulivieri poxxa trarre

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f. cinquanta di Reno Panno; e traendo piü lui od altri, che ‘1 sudetto habbi quel tale a rrifare la ragone a sedisci per cento a chapo d’anno. E finita la ragone, la prima chosa detto Govanni habbi raghuagliare e chonpagni di quello arä tratto lui per errata, secondo la tratta. E vogliono che tutti e drappi di seta e d’oro ed ogni sorta merchanzia, che 11a nuova subito si chonti dalla vechia per li prezi e tenpi che fra loro saranno d’achordo; e Ile spexe di stanza, salari, chomangiari e chavagli, tutto habbi a ire so­ pra della vechia ragone insino a Tutti Santi proximi 1527; e di poi vadi sopra della nuova, salvo ch’e porti di robe, ghabelle et dazi vadino a di chi sono le merchanzie e che Govanni Ulivieri sia tenuto da Tutti Santi in lä risquotere et tenere e dare diligente conto della vecchia e di tutto quello rischoterä detta nuova ragone. Per tal faticha di risquotere et tenere chonto e rimettere, habbi avere detta ragone nuova un per cento per altre spexe che si fasciexxino per ris­ quotere detti debitti. E vogliono che detto Govanni ogni quarto d’anno in robe mandi la copia del finito, levando dal gornale chosi il finito chon chonputo; et ogni anno mandare il bilanco in robe a Firenze diligentemente a fine. Le chose con buono ordine si ghovernino e proveghino. [c. 2v] E vogliono, quando parrä a Raffaello et Ridolfo trasferirsi da Firenze alla Magnia, tutte le spexe di chavagli e chomangiari vadino a chonto di detta ragone e non debbino aver salario o premio alchuno. E vogliono che detti Torrigani habino autoritä lasciar qui i Norimbergho e poter mandare da Firenze nella Magnia uno govane o piü, a spexe di detta ra­ gone; e Govanni habbi accettare chon que* patti e chonvenzioni aranno fatto detti Torrigani; e Govanni non poxxa ne debba torre persona a servizio di detta conpagnia sanza licenza di detto Raffaello et Ridolfo; chosi, di chavagli e d’altre spexe tutto habbi a sehuire Pordine di detti Torrigani; e chontrafacciendo, tutte le spexe o danno vadi sopra di detto Govanni. E sono d’achordo che detta conpagnia non poxxa prendere robe a provisione di persona sanza spressa licienza di Raffaello o Ridolfo e che Govanni non poxxa fare chosa alchuna in proprio sotto suo nome o d’altri sotto alchuno quisito cholore;63 e facciendo, tutto Putile sia della conpagnia e il danno suo; e inoltre per ogni volta chascarä in pena di ducati cinqueciento d’oro in oro; e questo si fa per buono uso, dato non si dubita, ma perche non avengha a detti Torrigani chonTe advenuto a qualch’altra conpagnia della nazione, nuovamente in queste bande. E perche il detto Govanni e stato a salario e ragonevolmente detto salario arebbe a finire il di chomincia la ragone, ch’e ddi primo di ghosto passato 1526, 63 Veraltet für «in nessun modo» = in keiner Weise.

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ma per farli piü bene siamo chontenti duri il suo salario insino addi primo di ghosto 1527, che viene a eser stato se’ anni a ssalario; il quäle salario e, chome si vede per l’achordo et ubrighazione fatta fra detto Govanni e e Torrigani qui in Norinbergho, che ’l primo anno e d’avere f. venticinque di Reno, quinto [lies: «secondo»] xxxv, terzo xxxxv, [c. 3r] quarto sesanta, quinto settanta, sesto ottanta, che in detti anni sei viene avere f. treciento quindisci di Reno, e quali anno andare a chonto di ragone vechia di qui; ma ss’ä achonciare in Firenze in questo modo ch’e sottoschriptto questa schrippta: tutto quello e debittore detto Govanni se ne facci credittori e debittori e nostri di Firenze di chonto vechio in chorrente, che faranno buone a detto Govanni e su detti f. cccxv di Reno; e quello restassi debittore ordini a’ detti nostri dove se n’abbino a valere, che chosi bixognia s’achonci detta schriptta. E piü sono d’achordo che nexxuno di detti conpagni poxxa prestare danari a persona di conto della ragone, o in alchun modo che 11a ragone venga a patire; e prestando quello, tale habbi a rifare la ragone a 16 per cento a chapo d’anno, eciettunto quando fussi per utile e nesciexxitä della ragone; e di questo n’apparire richordo a richordanze di conpagnia, per che chonto e a che fine si son prestati. E sono d’achordo che di tutte merchanzie manderä detta conpagnia a loro di Firenze, che e d’altri non poxxono mandare, detti di Firenze debbino prendere uno per ciento e non piü di provisione, ma d’ariento o d’oro conta solo dua per mille. E sono d’achordo che di tutti gl’utili che farä questa ragone s’abbi a dare un per cento protter Deo; e ciaschuno stribuischa la parte sua secondo la tratta. E in chaso che in sudetto tenpo, o di poi alla fine di detta ragone, schadessi fra detti conpagni diferenza alchuna, vogliono e sono d’achordo per non piatire ma fare da merchanti dabbene: se ne facci conpromexxo in Firenze, tante volte quanto schadrä, chon chiamare uno per parte; e, non s’achordando fra un mexe, trarre undisci della borsa [c. 3^] del richorso della Merchantia di Firenze e difettarne cinque per uno; e quello sarä di poi tratto sia terzo e habbi tenpo un altro mexe a gudichare cho dua primi albitri; e questo tante volte si facci quanto sarä nesciessario; e vogliono esere ubrighati di non potere andare a magistrato alchuno e quella parte v’andassi sia forsata a fare chonpromexxo, rinuziando a ogni legge o statuto che in chontrario parlaxxi. E per fede di sciö ciaschuna di dette parte s’obrighano a quanto per questa schriptta si chontiene, sotto pena di f. mille d’oro in oro per ciaschuna volta si chontrafasciexxi per quella parte che non arä oservato l’abbi a paghare a quella oservassi. E di questa schriptta se ne farä tre copie d’uno medesimo tinore: dua per dare a Raffaello e Ridolfo, ciaschuno una, e 11a terza a Govanni Ulivieri. Le

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quäle due di Raffaello e Ridolfo saranno di mano di Govanni detto e quella di Govanni sarä di mano di Rafaello; e non la fanno fare a terze persone perche non vogliano si sappi e fatti loro, ma vogliono che vagli in ogni luogho chome se per contratto o chon testimoni fussino fatte. E per tale sudette chause le sudette parte si sottoschriverrano di loro propria mano; e perche Ridolfo e al prexente in Firenze, Raffaello suo fratello promette a Govanni che rRidolfo sottoschriverrä altrimenti di suo proprio oservare. E piü sono d’achordo che ttogliendo il detto Govanni donna nella Magnia, sanza esprexxa licienza de’ sudetti Torrigani, s’intende eser chaschato in pena di ducati mille d’oro per pagharli a detti Torrigani; e questo perche non avengha a llui chome [c. 4r] a qualchun altro ’taliano, perche potrebbe far danno assai alla ragone. E perche insino addi xxij di maggo paxato si fe* un baratto a se mezi di zibellini chon Andrea Chrapffen di Norinbergho e addi vj di gugnio paxato un baratto di 22.850 dossi chon Glhaser Oberlinder, ne’ qua’ baratti s’e mexxe piü drappi d’oro e di seta di conto di ragone vechia, siamo d’achordo che quelli si chontino e sieno per parte del chorpo ch’ä rricevere questa ragone della ragone vechia per chonto de’ sudetti Torrigani, chome e in e prezi che lli stanno; e questo si fa per isvechiare la ragone vechia e fare che 11a nuova n’abbi di tal merchanzia aver chura lei. E piü sono d’achordo che in chaso, che Iddio ghuardi, Raffaello et Ridolfo in questo tenpo manchassi, per tal chausa la ragone non s’intenda finita, anzi seghuiti nel medesimo modo chon le medesime autoritä chome prima e ssia chonto dell’erede di quello tale manchassi. Io Raffaello di Lucha Torrigani sono contento et hobrighomi per me quanto per questa schriptta si contiene; als! che Ridolfo mio fratello similmente sottoschriverrä alla ricieuta di questa schriptta, che si li manderä altrimenti a Govanni di mio proprio oservare; e per fede della veritä 6 fatto questi versi di mia propria mano questo anno, mese e di sopraschriptto, in Norinbergho. Io Giovanni di Piero Ulivieri sono chontento e obrighomi a quanto per questa scriptta si chontiene; e per fede di ciö mi sono sottoscriptto di mia propria mano questo anno, mexe e di soprascriptto, in Noribergho. Io Ridolfo di Lucha Torigani sono chontento e obrighato a quanto di sopra in questa schritta si chontene; e per fede di cö mi sono sottoschritto di mia propa mano questo di v di maggo 1528, a Chalcinaia.

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Anhang B Liste der 1531 von Florenz nach Nürnberg geschickten Tücher64 + Yhs Marie 1535 Apresso nota de’ prezzi delle drapperie d’oro, d’argento e stietti mandate Raffaello Torrigani e comp, di Firenze a Lucha Torrigani e Giovanni Ulivieri e comp, di Norimbergo da poi al chomincio della loro ragione comincata l’anno 1531. E finiscie d’aghosto proximo 1536 e prima. Alli 31 d’ottobre 1531 ci mandorno piü drappi d’oro, d’argento e stietti a piü prezzi come apresso, che furno le prime draperie mandorno: tellette d’oro e argento tirato ordinarie per una pezza di teletta galla chon Opera per domaschi in uno (camino) colorati di once 2 braccio per domaschi cangi e stietti in ij camini per Alli 13 di novembre 1531 piü altri drappi apresso piü telette e rasi d’oro per 2 pezze di telette d’argento per una teletta galla aricata cangante fondo d’oro tirato aricata d’argento filato domaschi neri e cholorati in uno camino di once 2V4 incircha domaschi brochati larghi d’oro tirato per brochati di pelo, hopera minuta per teletta galla a uno oro per telette di piü colori a uno oro poverixime e brutte per arriccato a 3 ori fondo d’oro tirato ariccio d’oro filato per schuffie arriccato simile chon simile opera, che tutti dui sono in pie e non se ne trova a un grande pezzo el chapitale, per telette d’argento tirato per domascho bigio ordinario in uno camino per arriccato rosso in uno camino per teletta cangante di pagonazzo a gelosia per arriccato gallo fondo d’oro tirato aricio d’oro filato e arriccato simile fondo d’oro tirato aricio d’argento per

duc. duc. duc. duc.

4!A 33A -.18 -.14

duc. duc.

4 474

duc.

6V3

duc. duc. duc. duc. duc.

1 472 3 di grossi 274 3

duc. 16

duc. 15 duc. 473 duc. -.19 duc. 9 duc. 474 duc.

8

64 ASF, Galli Tassi 1950, c. 353r-v. Die Lektüre wurde durch den Vergleich mit c. 354r erleichtert, wo in einem Auszug für jeden Warentyp die Preise aufgelistet sind. Daraus ließ sich ableiten, daß es sich bei den oben genannten Beträgen um Stückpreise handelt. In der Regel sind es Dukaten per florentinische Elle, einige Male auch Dukaten per Pfund oder Lire per Pfund (1 Dukaten = 7 Lire).

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Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben

arricato rosso chon poste d’argento per telette in uno camino a nodi scolti d’oro tirato e telette piane d’oro tirato per domaschi a poste d’oro filato con andari di seta per domaschi a grilande d’oro filato per domascho rosso di lacha simile per domaschi neri e rossi brochati d’oro filato brutisimi per uno brochato rosso di lacca di pelo a uno bastone s’aposto e Pavemo in 3A d’anni o piü, bruttisimo, amachato, pieno di fascie che Pamicho lo rimandö e non se ne trova el chapitale domaschi canganti e stietti in 2 camini di once 1 denari 12 in 14 per braccio chon salda domaschi simili di tela peso e bontä chon la salda per domaschi e rasi neri a ristagni e rasi a stuoie ripieni di filaticci secondo noi velluti di lacha sfacati e volti per ermisini cangi e stieti di cholore di braccia 6V3 per libra

tafettä colorati a Permisina di braccia 6, libra

duc. 6V2 duc. duc. duc. duc. duc.

5 2 2V2 27j 4

duc.

4'/2

duc. -.1472 duc. -.15 duc. 1.2 duc. 1.16 duc. 67t lire 36 V2 lire 26V2 lire 27 lire 27 lire 21 duc. 574 duc. 5 duc. 378 duc. 3.17

tafettä neri simili 6, libra tafettä colorati con corde di braccia 6, libra tafettä neri senza corde di braccia 6 tafettä neri con corde di braccia 7 ermisini colorati senza corde ermisini neri di braccia 5 tafettä neri chon corde di braccia 43A, libra tafettä neri senza corde di braccia 6V4, libra veluti rossi chermisi per duc. 2xh e a 23A braccio veluti pagonazzi chermisi e incarnati duc. 2 e duc. 2.8 braccio rasi rossi chermisi duc. 1.8 e duc. IV22 braccio rasi pagonazzi chermisi e incarnati duc. 1.3, duc. 1.4 e IV4 braccio duc. 1.11.6 velluti verdi statoci 3 anni in Firenze65 duc. 1.8 zetani fondo dore e pelo nero a 6 gricce duc. 1.4 zetani cholore simile in uno pelo ordinari brochatelli di seta a uxo di telette lire 8 e lire 8V2 braccio Questo e quanto di tali prezzi di draperie abiamo avere.

65 Das Papier ist teilweise zerrissen und der Text deshalb nicht vollständig erhalten.

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Francesco Guidi Bruscoli

Anhang C Bilanz des «Libro azzurro segnato A di Michele, Alessandro e Giovanni Olivieri e compagni di Norimberga», 12. November 1551.66 [verso] + Bilancio de libro azurro segnato A di Michele, Alexandro e Giovanni Olivieri e compagni di Bergo levato questo di 12 di novembre e da­ tone copia a Coximo Bonsi questo di xxv di gennaio + 1551 Bilancio de libro azurro segnato A di Michele, Alexandro e Giovanni Oli­ vieri e compagni di Norimbergo per l’adrieto levato questo di 12 di novembre 1551. In Firenze DEBITORI Anzi Wolff di Bergo, a 71 Adam Nichlas da Alle, a 79 Aghostino Tham procuratore di Lipizzi, a 80 Silvestro von der Malsbach gentilomo, a 164 Giovan Ambrogio Bonanome di Verona per conto alli d’altanti di Francesco Chaffera, a 168 Iorg Choger da Straubing, a 204 Ans Rottnecher di Bergo atiene al Bonanon, a 224 Nicolö Rosmam di Posona, che f. 50 ne atiene al Bonanome, a 225 Mattes Kimench da Colonia, a 238 Caterina Wodoliz di Pragha, a 282 Nicholö Rausch di Progha, atiene al Bonanome per f. 40 el resto a nnoi della somma, a 283 Hans Honrott da Iolmstallor, atiene al Bonanome, resto, a 346 Martino Desua di Progha, atiene a nnoi, alli di Napoli e al Bonanome, a 360 Ans Ewaltt da Wertam sartore, a 36 Rasoy di nostro conto in Levante in mano d’Ilarione Ciachi e ordine di Giovanni da Filicaia, a 453 Michele e Giovanni Olivieri e compagni di Firenze che gPänno a riscotere dal Sanghaletto, a 456 Batista Della Chiesa, a 474 Sebastiano Leder di Norimbergo, a 480

66 ASF, Galli Tassi 1946, cc. 194-195.

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f. 198. 3.1 f. 117. 7.5 f. 3.12.4 f. 73.13.4 f. 292. 2.3 f. 34. f. 97. 2.8 f. 136.19.6 f. 19. -.1 f. 124.17.3 f. 13.10.2 f. 10.17.3 f. 8. 8.3 f. 12.19.4 f. 247.11.4 f. 164. 6.2 f. 20.19.2 f. 7. 3.-

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Der Handel mit Seidenstoffen und Leinengeweben

Gherardo Ochsseider di Norimbergo, di questo ne atiene al Bonanome e altri parte, a 480 f. 477. 0. 8 Luigi di Giovanni Risaliti per suo conto, a 496 f. 128. 6. 8 Coximo Bonsi per suo corente, a 513 f. 2735. 6.10 48. 5. 7 Giovan Battista Ridolfi e compagni d’Ancona, a 532 f. Curado Ximist di Norimbergo maestro di rasoi, ne atiene li 2h> a 3. - . Giovanni da Filichaia, a 535 f. Michele, Alexandro e Giovanni Olivieri propii, a 546 f. 5118.15. 8 Coximo Bonsi e compagni di Norimbergo per nostro conto de’ tempi, a 548 f. 692.12. 6 6. 3. 2 Averardo Salviati e compagni di Lione, a 550 f. Coximo Bonsi e compagni di Norimbergo per corente, a 552 f. 656. 6. 1 Uno barile di n° 3 mandato da Norimbergo-a Firenze drentovi le scripture di questa ragione e per 8.13. conpimento d’esso 82 pezzi di bende stagnate, a 553 f. [TOTAL] f. 11474. 4. 7 CREDITORI Francesco Kaffera di Verona, a 155 Drappi delli Olivieri di Napoli f. Ax/i che s’änno a riscotere da Martino Desua di Progha, a 329 Seboltt Obsselder di Norimbergo, a 490 Stefano Bonanome di Verona per suo conto de’ tenpi che sono le piü parte in tristi debitori, a libro, a 532 Michele e Giovanni Olivieri e compagni di Firenze per corente, a 544

f.

292. 2. 3

f. f.

4.10. -.16. 4

f.

398. 1. 4

f.

-.14. 5

Paulo Peruzzi d’Ancona, a 545 Avanzi di nostra ragione, a 551 [TOTALE]

f. 20. 9. 2 f. 10758. 6. 8 f. 11475. 0. 2

[Differenz]

f.

-.15. 7

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DIE FRIEDENSQUARTIERE DER SCHWEDEN UND FINNEN UM NÜRNBERG 1648/49 Von Detlev Pleiss 1. Wozu Friedensquartiere? Der Frieden zwischen Schweden und dem Heiligen Römischen Reich Deut­ scher Nation wurde am 14./24. Oktober 1648 in Osnabrück geschlossen. Quartiere für die im Reich stehenden Truppen waren darin nur für eine kurze Übergangszeit vorgesehen. Der Übergang vom Kriegs- zum Friedenszustand sollte in sieben Etappen erfolgen: 1. 2. 3. 4. 5.

Unterzeichnung des Vertrages durch die Bevollmächtigten. Öffentliche Kundgebung am folgenden Tag. Abfertigung der Friedenskuriere. Waffenstillstand sofort nach Eintreffen der Kuriere. Anzahlung von drei der fünf Millionen Taler zur Befriedigung der schwedi­ schen Soldatesca binnen zwei Monaten, also bis Weihnachten 1648. Dieses Geld (1,8 Millionen in bar, der Rest in Assignationen) sollte von den Reichs­ ständen eingesammelt und nach Reichskreisen an bestimmten Legstätten, für Franken in Nürnberg, niedergelegt werden. 6. Ratifikation des Vertrages ebenfalls bis Weihnachten 1648. 7. Abzug bzw. Abdankung der Truppen unmittelbar danach. Es sollte anders kommen. Die Verzögerungen begannen schon bei der Abfertigung der Kuriere. Noch stand der Kampf um Prag auf des Messers Schneide. Als die Kampfhandlungen endlich abgebrochen wurden, hielten die schwedischen Armeen größere Teile Deutschlands besetzt als alle anderen Kriegsteilnehmer. Eigene Feldarmeen unterhielten zu diesem Zeitpunkt noch der Kaiser, Bayern, Hessen, Spanien, Frankreich, Lothringen und die General­ staaten der Niederlande, de facto auch der niederrheinisch-westfälische Reichskreis unter Führung des Kurfürsten von Köln. Die schwedischen Diplomaten scheinen an den vereinbarten raschen Truppenabzug nicht recht geglaubt zu haben. Jedenfalls entwarfen sie in den letzten Wochen der fünfjährigen Verhandlungen noch eine Ordo Executionis Paris, also Friedensausführungsbestimmungen, die nicht Bestandteil des eigentlichen Vertrages waren. In diese fügten sie in letzter Stunde noch die Bestimmung 4f ein, die ihren Militärs die Möglichkeit offenhielt, den Truppen­ abzug zu verzögern, wenn es mit der Ausführung irgendeines Punktes des

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umfangreichen Vertragswerks hakte.1 Tatsächlich schifften die ersten Finnen in schwedischem Dienst sich erst im August 1649 nach der Heimat ein, und die letzten zogen im September 1650 aus Süddeutschland ab. Aus zwei Monaten wurden 22. Es ist nicht leicht, zwischen vorgeschobenen und wahren Gründen zu un­ terscheiden. Daß die schwedische Königin den Friedensvertrag schon im No­ vember 1648 ratifizierte, ihre Vertreter in Deutschland aber die Auswechslung der Urkunden bis Februar 1649 hinauszögerten, gibt schon einen Hinweis dar­ auf, wo die bremsenden Kräfte zu suchen sind. Viele hohe Offiziere in den schwedischen Armeen, Regimentschefs und Generäle, waren keine Untertanen der schwedischen Krone, sondern selbständige Kriegsunternehmer, Vertrags­ partner. Sie kamen u.a. aus Böhmen, Deutschland, England, Frankreich, Schottland und der Schweiz, und sie hatten Risikokapital in die Anwerbung ih­ rer Truppen gesteckt. Auch finnische Obristen und Generäle führten neben ihren ,Haustruppen* ein oder zwei in Deutschland angeworbene, sprachlich und kulturell bunt gemischte Regimenter. Die in Münster und Osnabrück vereinbarte Summe von fünf Millionen Reichstalern reichte zwar, aus, um dem Generalissimus 80.000, jedem General mindestens 10.000, jedem geworbenen Reiter 30 und jedem ausgehobenen Musketier acht Taler in die Hand zu drücken. Doch hatten die hohen Offiziere auf mehr gehofft. Alexander Erskein, ihr Vertreter auf dem Friedenskongreß, hatte als Minimum 20 Millionen fordern lassen und damit Empörung bei Deut­ schen aller Konfessionen hervorgerufen. Die schwedische Königin Christina, im Alter von 18 Jahren Anno 1644 an die Regierung gelangt, hatte Adler Salvius, den Mann ihres Vertrauens in Münster und Osnabrück, angewiesen, bis auf fünf Millionen herunterzugehen und damit die eigenen Militärs desavou­ iert. Christina war es auch, die im Stockholmer Reichsrat nach dem Friedens­ schluß auf schleunigen Truppenabzug drängte und Briefe an ihren Vertreter nach Nürnberg schrieb, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: er habe insonderheit vor allem die Finnen mit dem Fürterlichsten überzusetzen. Und auf weitere Verzögerungen hin: A Dieu, j’espere de vous bientost mes ordres executez.2 Ihre Krönungsfeierlichkeiten sollten nach der Heimkehr der Sol­ daten stattfinden. 1 Die Version der Mainzer Kanzlei (de ordine et modo, wie nacheinander geschehen solle, StA Münster, Fürstbistum, Landesarchiv, Militaria 99) stimmt nicht ganz überein mit der von Antje Oschmann: Der Nürnberger Exekutionstag 1649-1650. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 17), Münster 1991, S. 82, benutzten Quelle. 2 Christina an Karl Gustav 4.8.1649 und 5.1.1650, Riksarkiv Stockholm, E 135. Antwort Karl Gustavs dd Nürnberg 28.8.1649, ebd., Germanica 16. Vgl. Oschmann (wie Anm. 1), S. 335.

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Friedensquartiere der Schweden und Finnen 1648/49

Die alten Haudegen, die ihre Haut 36 Jahre lang vom Eismeer bis zum Bo­ densee, von Moskau bis vor Brüssel für Schwedens Aufstieg zur führenden Mi­ litärmacht Europas zu Markte getragen hatten, fühlten sich von dem jungen Frauenzimmer und ihrem Spezialdelegaten3 unter Wert abgefertigt. Sie ließen sich vom Abschluß der fünfjährigen diplomatischen Verhandlungen in Westfa­ len nicht übermäßig beeindrucken, sondern richteten sich in den besetzten Ge­ bieten häuslich ein und kassierten, jeder an seinem Ort, was neben der Abfin­ dung noch zu kassieren war: Monatsgagen, Spesen, Geschenke, hier und da auch noch Straßenzölle und Schutzgelder. Wenn sie sich schon mit weniger als erhofft begnügen mußten, so wollten sie es wenigstens bar auf die Fland. Zah­ lungsanweisungen, wie sie der Friedensvertrag vorsah, lehnten sie - mit weni­ gen Ausnahmen - ab. Sie fühlten sich als Gläubiger und waren nicht gewillt, die Waffen aus der Hand zu legen, ehe ihre Forderungen erfüllt waren. Dieser Erklärungsansatz ist nur einer unter mehreren möglichen. Er ergibt sich aus dem brieflichen Gedankenaustausch der Obristen und Generäle und aus dem Benehmen, das sie 1648 bis 1650 an den Tag legten. Er führt zu der These, daß die beim Friedensschluß vereinbarte rasche Abdankung und Ab­ führung der Truppen nicht zuletzt am hinhaltenden Widerstand hoher schwe­ discher Offiziere scheiterte.4 Ein weiterer Grund ist in Schwedens inneren Verhältnissen zu suchen. Das Land war auf die Heimkehr seiner Nationaltruppen nicht ausreichend vorbe­ reitet. Es waren weit mehr Soldaten ausgehoben und angeworben worden, als das Unterhaltssystem (,äldre indelningsverket() im Frieden verkraften konnte. Der Vorschlag des Gouverneurs von Finnland, jeweils acht heimkehrende Sol­ daten auf eine wüste Hofstelle zu setzen, zeigt den Grad der Not.5 2. Die Friedensnachricht Die Nürnberger Chronisten6 sind sich nicht ganz einig, wann die Nachricht vom Westfälischen Frieden in der Stadt eintraf, ob in der Nacht vom 18. auf 3 Die Offiziere kannten Salvius als knauserigen Kriegsbankier und Verwalter der französischen Subventionen, der seit 1631 im sicheren Flamburg saß und an einem internationalen Kreditnetz zur Finanzierung des Kgl. Schwedischen in Teutschland geführten Krieges webte, nicht ohne selbst davon zu profitieren. Christina hatte Salvius4 Erhebung in den Adelsstand 1648 gegen starken Widerstand des Reichskanzlers Oxenstierna durchgesetzt. 4 Briefwechsel finnländischer Obristen und Generäle, Universitetsbibliotek Lund, samling de la Gardie, Forbus 13 (Paykull), Forbus 14 (Ritter), Forbus 15 (Ruth), Forbus 22 (A.Wittenberg), Forbus 3:1 (mit Beschwerden deutscher Städte); vgl. ebd., Kristina, Kapsel 5, 6. Briefe an den Generalissimus 1648-1650, Riksarkiv Stockholm, Stegeborg-samling. Briefe an den Feldse­ kretär des Generalissimus 1648-1650, ebd., samling Wolfsberg. 5 Karl K. Tigerstedt: Ur Per Brahes brefvexling, Helsingfors 1880, S. 55 f. 6 StadtAN F 1 Nr. 44 ,Continuirte Nürnbergische Chronica, VII. tom., von Anno 1596 bis uff jetzige Zeit4 enthält 601 beschriebene Seiten, ist in Holz gebunden und das Werk eines Bürgers,

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den 19. Oktober 1648 alten Kalenders oder in der Nacht darauf. Sie stimmen jedoch im Wochentag überein: ein Freitag sei es gewesen. Die Friedensnach­ richt verbreitete sich demnach mit einer Geschwindigkeit von jedenfalls mehr als einhundert Kilometern am Tag längs der Achse Westfalen - Wien. Die Stimmung in der Stadt wollte zunächst überschäumen. Nur im stillen Kämmerlein des Chronikschreibers hielt sich Skepsis: der endliche Schluß soll zu Münster geschehen sein jüngsthin den 14. diß. Der Graf von Nassau wurde eingelassen, zeigte solches eilends etlichen Herren des Rats an, solches immer Einer dem Anderen, daß also bei eiteler Nacht ein Wundern und Herum­ schicken gewest. Jedermann sagte: es ist Friede, Friede. Aber es war noch nicht Alles ausgangen, wie es wohl sein sollte. Viel thumskühne tolle Leute liefen des andern Tags in der Stadt herum, als nit anders, als wenn sie seihst dabei gewe­ sen. Aber es wird zur Execution und Anderm noch viel gehören. In gedachter Stadt Münster wie auch zu Bonn und anderen Orten hat man zwar Dankfest gehalten. Ist aber zu besorgen, es sei ein blauer Dunst.7 Feldmarschall Karl Gustav Wrangel erschien am 2. oder 3. November in der Stadt, in seiner Begleitung die Generäle Robert Douglas und Gustav Adolf Löwenhaupt. Den Beobachtern fiel auf, mit wie wenig Pomp die Herren emp­ fangen wurden.8 Wrangels Frau war schon einen Tag früher gekommen, zog aber bald nach Schweinfurt um. Wrangels Armee wälzte sich vom 4. bis 6. No­ vember durch die Nürnberger Landschaft. Sie bestand aus mehr als 50 Regi­ mentern, die Regimenter meist aus acht Kompanien. Unter den Kompanien gab es solche, deren Mannschaftsstärke auf unter 40 Köpfe abgesunken war. 9V2 Regimenter blieben auf Nürnberger Territorium sitzen. Die Botschaft vom Frieden bewirkte zunächst Unsicherheit im Verhalten der Soldaten wie der Bürger. Sollte der Soldat nun sein Brot bezahlen wie jeder andere wandernde Handwerks bursche? Tatsächlich berichtet ein Zeitgenosse aus der ersten Novemberwoche: die Soldaten zahlten Alles doppelt, das Brot wurde geschwind teurer;9 Die Bäcker in der Stadt sperrten ihre Läden zu, die Leute auf dem Land lie­ fen weg. War nicht Frieden? Warum wurden die Soldaten jetzt nicht abge­ dankt? Nicht nur in Nürnberg gab es Ansätze zu einer aus Hunger und Kriegs­ müdigkeit gespeisten Novemberrevolution. Mitte des Monats traf Generalmader sich nicht zu den Herren zählte. Vgl. StadtAN F 1 Nr. 47. Die überregional vielzitierte Imhoffsche Chronik (StadtAN F 1 Nr. 14) scheint in dieser Zeit teils aus Nr. 47 geschöpft zu ha­ ben, so am 20. Oktober, teils aus Nr. 44, so am 21. Dezember 1648. 7 StadtAN F 1 Nr. 44, S. 470. In Nürnberg, Stadt und Land, wurde das erste organisierte Frie­ densdankfest am 11. Februar 1649 gehalten, ebd., S. 492. 8 StadtAN F 1 Nr. 14 und Nr. 47 haben den 2. November, Nr. 44 den 3. November 1648. 9 StadtAN F 1 Nr. 44 S. 474.

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jor Hammerstein ein mit dem speziellen Auftrag, die Quartiere zu sichern.10 Als er am Sonntag, dem 26. November, in seinem Hauptquartier zu Großreuth nach Dankgottesdienst und Friedenspredigt den Waffenstillstand nochmals feierlich ausblasen und verlesen ließ, hörte man aus dem Haufen aufsässige Rufe: dann brauche man ja auch dem General nicht mehr aufzu warten. Vier der Vorlauten wurden am folgenden Tag arkebusiert. Die Soldaten, von denen ein großer Teil ja gar nicht wußte, wie Menschen in Frieden leben, vermochten ihr Benehmen auch gegenüber den Zivilisten nicht gleich grundlegend zu ändern. Unser Gewährsmann berichtet über greuliche Zerstörung, Verwüstung und Jammern; [die Soldaten] rauben, stehlen, plün­ dern alles, brauchten das aufgescheitete Holz nahe bei den Dörfern nit, sondern brachen gleich Stiegen, Tische, Bänke, Betten ab; auch [den] Allerärmsten zo­ gen sie Schuh und Strümpf aus, ließen sie in der Kälte fortlaufen und das war also der Laugengruß und die Letze, wie etliche Räubersdieb den Bauern in die Stuben, auf die Tisch oder Wand schrieben. Ist also die Bauer- und Landschaft hierum seit Anno 1632 nit so ruinirt und verderbet worden.n Mit der Politik des Rats war er nicht zufrieden. Die Herren hätten ja den Wrangel fast hierher genötigt. War es so? 3. Die Interimsquartiere (November bis Dezember 1648) Den schwedischen Feldmarschall Karl Gustav Wrangel hatte die Nachricht vom Westfälischen Friedensschluß auf dem Marsch von Bayern nach Böhmen in der Gegend von Feuchtwangen erreicht. Seine Armee, 56V2 Regimenter stark, davon 361/2 zu Roß, setzte sich in Franken.12 Allein auf Nürnberger Ge­ biet drängten sich in diesen beiden Monaten neun Regimenter zu Roß:13 Generalleutnant Douglas: Amt Velden, Amt Reicheneck, Hauptmannschaft Eschenbach. Generalleutnant Steinbock: Hauptmannschaft Mögeldorf, Gostenhof, Pop­ penreuth, Fürth, Farrnbach, Zirndorf, Eibach. Generalmajor Axel Lillie: Hauptmannschaft Rückersdorf, Neunhof, Buckenhof, Eschenau und fünf Hersbrucker Dörfer.

10 Rundschreiben an die Landpfleger vom 13.11.1648 in StAN, Rst. Nbg., Schwedische Kriegs­ akten 77 (unpaginiert). 11 StadtAN F 1 Nr. 44, S. 475 f. Vgl. S. 482: Wrangel fast genötiget. 12 Truppenliste, eingereicht von Generalquartiermeister Cornelius van den Bussche am 21./11.11.1648, in den Bamberger Kreistagsakten, Staatsarchiv Würzburg (StAW), Historischer Saal VII/456. 13 StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3053; Landpflegamt, Briefbuch 105, 14. November 1648; B-Laden, Akten S I L 198, Nr. 16.

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Obrist Frölich: Amt Betzenstein, Stierberg, Hiltpoltstein, Hohenstein, Hauptmannschaft Diepoltsdorf. Obrist Henrik Horn: Hauptmannschaft Gräfenberg, Pinzberg, Zaunsbach, Oberrüsselbach. Obrist Kettler: Amt Engelthal, Hauptmannschaft Ottensoos, Leinburg. Obrist Pentz: Hofmark Altdorf, Hauptmannschaft Ludersheim, Feucht, Wendelstein. Obrist Fritz Reichart: Hauptmannschaft Ziegelstein, Gründlach, Vach, Kraftshof, Hausen, Lonnerstadt. Obrist Terzky/Görzky: Happurg und Hersbrucker Dörfer außer Ober­ und Unterkrumbach, Reichenschwand, Oberndorf und Leuzenberg. Horns und Frölichs Reiter wurden auch auf die in ihren Quartiergebieten wohnenden rothenbergischen Untertanen gelegt. Zu den neun Regimentern kamen noch vier Kompanien Dragoner von Wrangels Leibregiment unter Oberst(leutnant) Gründel. Sie wurden in das Amt Lichtenau und in die Haupt­ mannschaft Immeldorf verlegt nach Sachsen, Rohr, Buchschwabach, Hergersbach, Enderndorf, Büchenbach. Ein schwedisches Regiment hatte zu dieser Zeit in der Regel acht, in einigen Fällen zwölf und mehr Kompanien. Ab Januar 1649 wurde der Regimentsstab im Unterhalt generell wie eine zusätzliche Kompanie gerechnet. Die Sollstärke einer in Finnland oder Schweden aufgestellten Kompanie war 150 Mann zu Roß, 125 Mann zu Fuß. Rechnet man, daß bei Kriegsende die Ist-Stärke nur noch die Hälfte der Soll-Stärke betrug, so kommt man doch auf wenigstens sechstausend Reiter, die im November-Dezember 1648 um Nürnberg quartier­ ten. Im Regiment der finnischen Reiter Henrik Horns lag die Ist-Stärke zu die­ ser Zeit bei zwei Dritteln der Soll-Stärke. Hinzuzurechnen ist der Troß von Jungen, Weibern, Kindern, Mägden, Mar­ ketendern etc., der im bescheidensten bisher gefundenen Beispiel zur Zeit der Friedensquartiere halb so stark war wie die reguläre Truppe.14 Die bayerisch-kaiserliche Armee unter Gronsfeld rechnete im März 1648, unweit Nürnberg um Thierhaupten liegend, bei 40.000 Mann Kampfstärke mit täglich 140.000 zu stopfenden Mündern. Hier war der Troß also 2xh mal stär­ ker als die Truppe. Die Schweden rechneten mit fast derselben Proportion: 70.000 Mann unter Waffen ergaben für sie bei Kriegsende 240.000 Verpfle­ gungsportionen am Tag.15 14 Eine Kompanie Finnen zu Fuß unter Obrist Ritter in Colditz. Universitetsbibliotek Lund, Sammlung de la Gardie, Forbus 3:1. 15 Theodor Lorentzen: Die schwedische Armee im 30jährigen Kriege und ihre Abdankung, Leip­ zig 1894, S. 148.

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Anders als im Herbst 1632 nach Gustav Adolfs mißglücktem Sturm auf Wal­ lenstein s Lager blieb die Stadt Nürnberg selbst dieses Mal von gewöhnlicher Einquartierung verschont. Diplomaten, Offiziere, Agenten und Händler dage­ gen wurden in Gasthäusern und teils auch in Privathäusern von Patriziern be­ reitwillig aufgenommen. Sie brachten Glanz, Geld und Geschäftigkeit herein. Nicht alles Geld, das jetzt in der Stadt umgesetzt wurde, stammte aus Steuern und Darlehen der Nürnberger selbst. Schwedens Krieger hatten, beginnend im Baltikum, ausgreifend bis nach Aarhus 1644, Bregenz 1647 und Prag 1648, aus einem großen Teil Europas gute Beute herausgeholt. Nun kamen noch Nürn­ berger Krumen dazu.16 Aus Schweden, das seit Jahren am Rande des Bankrotts balancierte, kam - wiederum im Unterschied zu 1632 - nun nicht einmal mehr Kupfergeld. Den Untertanen auf dem Lande zwischen Lichtenau und Lonnerstadt, Velden und Farrnbach blieb von all den Naturalien und Tagegeldern, mit denen sie die ruhende Armee unterhielten, nur die gleich nach dem Frieden er­ höhte Umsatzsteuer auf Bier und Wein sowie ab und zu ein Botenlohn. Hand­ werker und Kaufleute in der Stadt, deren Lieferungen an vornehme Schweden unbezahlt blieben, wurden aus dem Stadtsäckel entschädigt.17 Entsprechende Beispiele für das Landgebiet konnten bisher nicht gefunden werden. Welle der Verweigerung Mit dem Friedensschluß schien die Grundlage des in 30 Jahren eingespielten Zusammenlebens von Bauern, Bürgern und Soldaten entfallen: die Einen ernähren, bedienen und bezahlen die Anderen. Als die Soldaten nur kurz stutz­ ten und dann weiterhin ihren Unterhalt forderten, als hätte sich nichts geän­ dert, kam es verbreitet zu passivem Widerstand, in Nürnberg vereinzelt auch zu Widerstand mit der Waffe in der Hand. Viele Leute zogen vom Land mit Vieh und Futter fort in die Stadt oder in eine Burg und überließen ihren Peini­ gern nur den kalten Herd.18 Es kam so weit, daß selbst für Regimentsobristen kein Heu mehr aufzutreiben war. Einige Ratsverlässe19 aus der zweiten Hälfte jenes November lassen den Umfang der Verweigerungsbewegung erkennen: 16. November: Es sei eine hohe Notdurft, die Untertanen in Gehorsam zu halten. Stadtsoldaten sollten in alle Pflegämter geschickt werden. Zur Kon16,Schwedische Subsidien* ab 1647 siehe St AN, Rst. Nbg., Ämterrechnungen V/742, 743; D-Laden, Akten 3062. ,Schwedische Satisfaktion* ab 1648 siehe Rst. Nbg., B-Laden, Akten S I L 198, Nr. 21. 17 So der Brauer Schmaus, Metzger Bezold, Fischer Amberger, Barbier Schütte, Krämer Eyrich, ein Hufschmied und eine Wäscherin, deren Forderungen sich Anfang November 1648 auf 534 fl summierten, StAN, Rst. Nbg., Schwedische Kriegsakten 77. 18 Jeder suchte Sicherheit in möglichster Nähe. Die Gaiganzer und Ermreuther z.B. zogen mit Sack und Pack und Vieh ins Schloß Kunreuth. StAN, Rst.Nbg., D-Laden, Akten 3037. 19 Hier nach den Abschriften in StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3036.

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trolle seien auch einige Ratsherren dorthin abzuordnen. Die Leute, die vom Lande mit viel Proviant in die Stadt drängten, sollten an den Toren scharf kon­ trolliert werden. All ihr Vieh sei aufzuschreiben. Für Lieferung an die schwe­ dische Armee sei Steuererleichterung zu gewähren. 20. November: die für Proviant und Einquartierung zuständigen Herren der Stadt sollten sich zusammentun und beraten, wie die Versorgung der Soldaten sicherzustellen sei. Da die Untertanen sich in die Sach nicht schicken, seien Be­ schlagnahmungen und Viehschlachtungen von Amts wegen zu erwägen. Auch das in die Stadt verbrachte Heu sei, wiewohl Privateigentum, doch antastbar. Und auf die Klage von Generalmajor Hammerstein, daß kein Mensch auf den Dörfern sich befinde: man solle etliche Bauern oder doch wenigstens die Be­ ständner aus der Stadt hinausschaffen in ihre Dörfer, damit sie dort auf die Feuer acht gäben und Holz heranführten.20 Dafür sollten sie nach Abzug der Völker Holz ohne Pfand erhalten. 22. November: Weitere Klagen schwedischer Regimenter, daß ihnen von den Untertanen die Notdurft nicht herbeigeschafft werde. Drei Dörfern, die der Stiefel des Generals Hammerstein besonders hart drückte, wurde mit Ratsverlaß vom 2. Januar 1649 die Hälfte der ,zehnfachen Kriegssteuer4 erlassen (Großreuth, Kleinreuth und Thon). Viele Bauern aber hatten, ehe das Jahr 1648 zu Ende ging, die Hoffnung auf Ruhe, Recht und Frieden schon wieder fahren lassen. Der Text der geplanten Dankgottesdienste mußte geändert werden.21 Den Amtsdienern wurde auf ihre Fragen nach den Kosten der fortlaufenden Einquartierung oft schon keine Antwort mehr gege­ ben.22 Wozu, wenn das Elend doch kein Ende nahm? Diese Verweigerungsbewegung, von der auch aus dem Würzburgischen und aus den Reichsdörfern berichtet wird, ist bisher weder in der regionalen noch in der überregionalen Literatur eingehender behandelt worden. Im Nürnbergischen flackert sie nach den Truppenverschiebungen zur Jahreswende noch ein­ mal auf, dann allmählich schicken sich die Untertanen in die Sach. Das alte Spiel,Bauer hol, Bauer schaff, Bauer spring4 konnte weitergehen. In Velden al­ lerdings hielten sich noch Ende März 1649 dorthin geflüchtete Nürnbergische Untertanen, welche anderweit Reuter zu verpflegen haben, auf, und in Mosen-

20 Die Soldaten weigerten sich also, das nahe bei den Dörfern aufgescheitete Holz selbst in die Häuser zu tragen. Nach Kriegsgewohnheit stand ihnen ein Mindest-,Service' zu, der Holz, Licht, Salz, Sauer und Lagerstatt umfaßte. 21 Wegen des Friedens das corrigirte Gebet nach Risselbach getragen. StAN, Rst. Nbg., Ämter­ rechnungen VII/1926, Hiltpoltstein 24. Januar 1649. Das Gebet wurde am zweiten Sonntag im Februar verrichtet, StadtAN F 1 Nr. 44 S. 492. 22 StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3044.

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hof, Amt Hersbruck, beschwerten sich noch im April zwei Bauern über den dritten im Bunde, Hans Fleischmann, wegen Unterhalts ihres einquartierten Reuters, daß er deswegen hinweggezogenP Wenigstens einmal knisterte die Unzufriedenheit der Soldaten mit dem zeit­ weise verschlechterten Service auch vor dem Rathaus in der Stadt. Was in den Akten ,Exorbitantien4 und ,Insolentien4 heißt und dem Regiment Steinbock zur Last gelegt wird24, würde heute wohl gewalttätige Demonstration4 oder ,Randale4 genannt werden. Die Herren schafften Geld herbei. Das Regiment wurde abgeführt. Zu Weihnachten kehrte Ruhe ein - wenigstens in der Stadt. Mit den Wölfen heulen? Die zentral beim Rat der Stadt verrechneten Kosten des Wrangelschen Durch­ marsches in der ersten Novemberwoche 1648 beliefen sich auf 39.980 fl, die Kosten der nachfolgenden sechswöchigen ,Hammersteinschen Einquartie­ rung4 auf 54.823 fl. Das waren zwei ansehnliche, aber nicht die größten Stücke aus dem großen Subventionskuchen, mit dem Nürnberg die Schweden in den letzten beiden Kriegs- und den ersten beiden Friedensjahren unterstützte. Ins­ gesamt waren es 767.586 fl ohne die Naturalien. Für Schwedens Gegner, die bayerischen Truppen, fielen in derselben Zeitspanne 245.860 fl ab.25 Daß die Nürnberger Herren - anders als der Kaiser, Kursachsen oder die Reichsstadt Straßburg - von dem Westfälischen Friedensschluß so wenig Aufhebens mach­ ten, daß sie die Taschen der schwedischen Generäle und Obristen weiter füllen halfen und ihre Bauern streng zur weiteren Versorgung der schwedischen Sol­ daten anhielten, war eine rasche Entscheidung mit weitreichenden Folgen. Es ist fraglich, ob bei einer Obstruktionspolitik nach sächsischem Muster der ,Konvent der Generalitäten4 über die Ausführung der Friedensbestimmungen nach Nürnberg gelegt worden wäre. Bischof Johann Philipp Schönborn von Würzburg und Mainz, Kurfürst und Erzkanzler des Reiches, warf ebenfalls seine Netze aus. Auch die schwedische Entscheidung, Henrik Horns im Nürnbergischen liegendes teures Reiterregiment als erstes Regiment überhaupt heimzusenden, war nur mit gutem Geld in vertraulichen Gesprächen zu errei­ chen. Der Bamberger Vorwurf, Nürnberg habe sich zum Teil auf Kosten ärme­ rer Stände früh freigekauft, trifft, wie noch zu zeigen sein wird, zu. Aber hatte

23 StAN, Rst. Nbg., Landpflegamt, Briefbuch 105, an Velden 24.3., an Hersbruck 7.4.1649. 24 StAN, Rst. Nbg., Schwedische Kriegsakten 78, S. 34, 185. Steinbocks Quartiermeister lag noch am 19. Dezember 1648 im Tafelhof. 25 StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3062. Vergleiche das,Losung-Stuben conto a parte‘, das, von Georg Abraham Pömer kontrolliert, für das Jahr 1649 Hilfszahlungen an die Schweden in Höhe von 144.172 fl enthält, StAN, Rst. Nbg., Ämterrechnungen V/743.

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nicht der Kaiser hierzu das Vorbild gegeben, als er den schnellen Abzug des Gros der schwedischen Streitkräfte aus Böhmen schon Ende 1648 mit einer Sonderzahlung von 200.000 Talern über den Westfälischen Frieden hinaus ver­ galt? Die in Nürnberg im Mai 1649 ausgehandelten 84.000 fl Bargeld - ob sie nun lediglich vorzeitig oder zusätzlich gezahlt wurden, ist nebensächlich - hat­ ten jedenfalls durchschlagende Wirkung auf sämtliche sieben Reichskreise, die dem Friedensvertrag zufolge die schwedischen fünf Millionen Taler ,satisfactio militiae* teils in bar, teils in Schuldscheinen zu späteren Terminen zahlen soll­ ten. Nach Horns Abzug, der als Präzedenzfall dienen mußte und auf bambergischem, würzburgischem und hennebergischem Gebiet einem bewaffneten Inkasso-Zug gleichkam, versteiften sich die schwedischen Militärs darauf, nur noch Bargeld anzunehmen. Keine Hilfe aus Münster und Osnabrück Der Fränkische Kreis hatte, nach eigener Aussage nichts Böses ahnend, seit dem 6./16. November 1648 in Bamberg getagt, um über die praktischen Folgen des Friedensschlusses zu beraten.26 Er versuchte zunächst, die Quartiernahme der einströmenden Regimenter abzuwenden. Kurz entschlossen nahmen dar­ aufhin die schwedischen Generäle die Austeilung selbst vor. Damit waren die Tatsachen geschaffen, die fortdauernde Ohnmacht der Stände des Reiches vor den schwedischen Waffen demonstriert, und die Bürger und Bauern mußten, wollten sie nicht im Regen flüchtig umherirren, wieder in ihren Häusern den Soldaten aufwarten. Die in Bamberg versammelten Vertreter Frankens schrie­ ben eine Beschwerde nach Münster und Osnabrück. Die dort auf eine Fortset­ zung des Friedenskongresses wartenden deutschen Diplomaten wandten sich an den schwedischen Gesandten Johan Oxenstierna, ältesten Sohn des Reichs­ kanzlers Axel. Der machte ihnen klar, daß gegen den festen Willen der Ge­ neräle keine noch so schöne Rede helfe, weder Demosthenes noch Cicero, son­ dern nur Geld. Bis sie das bekommen hätten, würden die alten Kameraden nicht wanken und nicht weichen, sondern beieinander stehen bleiben.27 In und um Nürnberg standen zu dieser Zeit 9j/2 Regimenter, mehr als 20.000 Menschen mit vielleicht 10.000 Pferden, und warteten auf den Ablauf der Zweimonatsfrist, die in Münster vereinbart worden war.

26 StAW, Historischer Saal VII/456. - StadtA Rothenburg, Buch 705, Eintrag 7. November 1648. 27 Beschwerde der Fränkischen Stände dd Bamberg 22. November 1648, StAW, Historischer Saal VII/456. Streitgespräch mit Oxenstierna bei Johann Gottfried Meiern: Acta Pacis Westphaliae Publica VI, Hannover 1736, S. 714 f. ,Cicero‘ in Band V, S. 819.

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Bewegung zum Jahreswechsel Ob die eine Million und 800.000 Taler Bargeld gleich 18 Tonnen Gold wirklich und vollständig am Heiligabend katholischen Kalenders 1648 da lagen, wo sie nach dem Buchstaben des Westfälischen Friedensvertrages liegen sollten, scheint niemand nachgeprüft zu haben. Selbst wenn an dem bestimmten Tag gleichzeitig Kassensturz in allen sieben Kreislegstätten - für Franken in Nürnberg - gemacht worden sein sollte, brauchte das Melden, Summieren und Te­ stieren Zeit. Außerdem hielten die Schweden die Unterschrift ihrer Königin unter den Friedensvertrag, im November 1648 geleistet, bis zum Februar 1649 zurück. Das gab den Generälen Gelegenheit, weitere Fakten zu schaffen. We­ nige Tage nach Ablauf der Zweimonatsfrist gab K. G.Wrangel in Bamberg eine neue Quartieraufteilung bekannt. Mindestens 18 Regimenter sollten um die Jahreswende aus Franken in sechs andere Reichskreise verlegt werden. Bayern, Burgund und Österreich wurden nicht belästigt. Auf Nürnberger Gebiet ver­ blieben von 76 berittenen Kompanien nur sieben Kompanien aus Henrik Horns finnischem Regiment. 18 Kompanien zu Fuß kamen neu hinzu. Diesmal behielt der Rat das Einquartierungsrecht auch in der Praxis, und er ließ sich Zeit damit. An die zehn Tage lagen alle acht Kompanien Horns und sein Stab dichtgedrängt bei Gräfenberg. Etlichen Gräfenbergern riß in diesen Tagen der Geduldsfaden, und sie entwichen auf Hiltpoltsteiner Gebiet.28 Dann endlich trafen die in Nürnberg gedruckten Billets (Boletten, Poletten)29 und der Verteilplan ein. In diesen Tagen bekamen die Gemeinen kein Geld, sondern nur Obdach in Rüsselbach30 und Verpflegung aus Gräfenberg. Währenddessen reiste Amtspfleger Jobst Heinrich Roggenbach durch die Quartiere, welche eben diese Finnen sieben Wochen lang innegehabt hatten, und legte auf Geheiß des Rats zwei getrennte Rechnungen an, je eine über die Kosten der Durchzüge und der Dauerquartiere.31 Sein Schmalfolioverzeichnis enthält mehr Details als jede andere bisher gefundene, über die Finnen bei Nürnberg berichtende Quelle. Sie enthält vermutlich nicht alle Kosten, da manche Quartierwirte ent-

28 StAN, Rst. Nbg., Ämterrechnungen VII/1926, Bl. 18. 29 In Finnland bis heute volkstümlich für Wertmarke: ,poletti‘. Sie lagen in Nürnberg schon am 30. Dezember gedruckt bereit, StAN, Rst. Nbg., Landpflegamt, Briefbuch 105 (an sieben Pflegämter). 30 StAN, Rst. Nbg., Landpflegamt, Briefbuch 105, an Gräfenberg 10. Mai 1649. StAN, Rst. Nbg., Ämterrechnungen, Hiltpoltstein 1649, Bl. 32'. 31 StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3037. Horns Finnen betrifft das Verzeichnis der Uncosten

seither der schwedischen Völker Einquartierung ehe selbe ausgeteilt und voneinander gelegt worden, in/-/ Grävenberg, Zaunspach, Pintzberg und Hausen. Actum 29. Dec. 1648 und den 2.,3.,9. und 10. Januar 1649. Diese Tagesdaten könnten mit den Abmarschtagen der Kompanien Zusammenhängen.

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wichen waren, andere keine Auskunft gaben. Immerhin enthält sie auf 24 be­ schriebenen Seiten Ausgaben der verschiedensten Art von Bier und Bettfedern bis zu verbrannten Brettern und ausgebrochenen Eggenzähnen und auch die Namen von 30 Quartierwirten. Die Offiziere schütteten wohl keine Bettfedern aus, aber sie begnügten sich auch nicht mit Brot, Bier, Branntewein und Braten. Oberst Horn bekam seine Weihnachtsdelikatessen, darunter 30 Pfund Stockfisch und 426 Fl, ins Quartier Rüsselbach geliefert.32 Dem Oberstleutnant Löwenhaupt lieferte Hüll zehn Pfund Schmalz. Höfles, Kasberg und Kemmathen belieferten den Major Uggla mit Pfeffer, Heringen und einem neuen Sattel. Rittmeister Friedrich Jochim­ sohn und seine Leute in Letten - er selbst bei Christoph Schwimmer - spra­ chen besonders stark dem Obstler zu und trieben sehr viel Allotria in Stuben und Stadeln. Diese Reiter sind die einzigen, bei denen auch Duback auf der Rechnung steht. Rittmeister Elias Botvedsson lag in Igensdorf. Egloffsteiner Hüll, Hartenreuth und Schweinsthal lieferten ihm für 45 Tage Geld und Natu­ ralien. Rittmeister Arfved Heinrichsohn, ein Branntweinkunde auch er, wurde von Guttenburg aus beliefert. Ein namentlich nicht genannter Rittmeister lag zu Dachstadt. Demnach hätten im November und Dezember 1648 in der Hauptmannschaft Gräfenberg mindestens sechs Kompanien gelegen. Das separate Verzeichnis der Durchzugsschäden in wehrenden schwedischen Hin- und Wie der-Marche betrifft dieselben Orte, dieselbe Zeit und beläuft sich auf das Vierfache.33 Welche Truppen diese hohen Kosten verursachten, ist nicht gesagt. Die drei Kompanien Frölichscher Reiter, die ihre Interimsquartiere im Amt Betzenstein gehabt hatten, brachen von dort mit guter Disziplin, ohne Klagen am 21. Dezember in Richtung Sammelplatz Simmelsdorf auf.34 Die Lage um Nürnberg ab Januar 1649 Nach Abschluß der Truppenbewegungen lagen statt vorher 76 Kompanien aus zehn Regimentern nur noch 19 Kompanien aus drei Regimentern im Nürnber­ ger Land.35 Zwölf dieser Kompanien (mit Stabskompanien vierzehn) waren zu­ dem vergleichsweise billiges Fußvolk, dem viel weniger Geld, Heu und Hafer

32 StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3053. 33 StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3044, Summarum der Durchzugsschäden 10.796 fl. Vgl. D-Laden, Akten 3037, Summarum der Einquartierungskosten 2.876 fl. 34 StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3059, Amtspfleger H. J. Ebner aus Betzenstein am 21. De­ zember 1648 an die Herren Landpfleger und Kriegsräte in Nürnberg. 35 StadtA Schweinfurt, Handschrift 103-11 (Bauschs Collectaneen), S. 1984 ff. Die Regimentsstäbe wurden ab 1.1.1649 generell wie eine zusätzliche Kompanie gerechnet. Das erhöht die Nürn­ berger Ziffer um 2 zu Fuß.

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gereicht werden mußte als den vorigen Reitern. Didrik Dürings und William Forbes* Musketiere lagen u.a. in Schweinau und Wendelstein auf dem ,platten Land*, wie der norddeutsche Oberst es nennt: Es hat zwar der Obrist Forbes und ich uns auf das platte Land nicht wollen verlegen lassen, haben uns auch auff Ihre Excellenz andere Vertrauung beruffen, worauf sie sich höchlich be­ klagt den großen Schaden des erlitten Marches und Einquartierung der zehn Regimenter. Daß wir auch endlich, nachdem wir acht Tage bey Nürnberg zu­ gebracht, der Herren belieben die Einlogierung haben annehmen müssen. Undt seindt wir zimblich weitläuftig verleget bei den Bauern, welche die Ge­ meine unterhalten. Den Officirern soll das ihrige von der Stadt Nürnberg ge­ reichet werdten. Ihre Städte müssen sie zu den Satisfactionsgeldern gebrauchen ... Hiesige Squadron ist auff vier Meil Weges delogiret .36 Der Schotte Forbes, seit 1634 im Deutschen Krieg, schreibt 1654 in seinen Memoiren: Ich umb Neujahr anno 649 mitt meinem Regiment in das Nürnbergische Gebieth marchiret ... undt nachdem ich neun Monate dar gelegen, bekam Ordre von Ihrer Königlichen Hoheit, ins Herzogthumb Bremen zu gehen ...37 Düring persönlich bekam eine Unterkunft im ehemaligen Kloster Engelthal, wo es ihm aber nicht behagte. Lieber wollte er ins Wirtshaus.38 Im Oktober 1649 wurde er mit seinen Nürnberger Kompanien nach Schweinfurt verlegt. Von dort zog er im Juli 1650 via Mellrichstadt und Meiningen an die Küste. Forbes selbst, in Nürnberg meist Vorbusch geschrieben, lag in Limpurg. Ende September 1649 zog er mit seinem Regiment auf der Route Coburg nach Gotha ab. Ein Teil von Dürings Regiment lag ab Januar 1649 an der Tauber, je zwei Kompanien auf Rothenburger und Deutschordensgebiet. Statt ihrer hatte Nürnberg vier Kompanien der Schweinfurter Garnison zu versorgen und zwar, wie es scheint, den national-schwedischen Teil des Regiments Steinecker unter Ingolf Bengtsson, Johan Dietrichsen und einem jungen Wrangel. Um ihren Unterhalt gab es vom ersten Tag an Arger.39

36 Didrik Düring an K.G.Wrangel dd Engelthal bei Hersbruck 13. Januar 1649, Riksarkiv Stock­ holm, Skogkloster-samling, Repro im v.Düringschen Familienblatt Nr. 92 (1978), S. 44. 37 Aus einem ,Memoriale‘ mit 24 Seiten Kriegserinnerungen, Universitetsbibliotek Lund, Samm­ lung de la Gardie, Forbus 1:2. Abdruck in: Stader Jahrbuch 1995, Stade 1996, S. 133-153. 38 StAN, Rst. Nbg., Landpflegamt, Briefbuch 105, an Engelthal 16. April 1649. 39 StAN, Rst. Nbg., Schwedische Kriegsakten 78, S. 199 ff. Die übrigen in Franken verbleibenden Regimenter und ihre Quartiergebiete sind aufgelistet in den Collectaneen des Schweinfurter Arztes Johann Lorenz Bausch, bei dem K.G.Wrangel Quartier nahm, StadtA Schweinfurt, Ha 103-11, S. 1984-1994.

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Dürings und Forbes4 Leute scheinen im ersten Halbjahr 1649 in der Nürnber­ ger Landschaft kaum Ärger verursacht zu haben. Im Briefbuch des Land­ pflegamtes erscheinen sie in fünf Monaten so oft wie die Finnen an einem Tag. 4. Die Friedensquartiere der finnischen Reiter (Januar bis Juni 1649) Henrik Horns Reiter werden nach Kriegsende im internen Schriftverkehr der Nürnberger Ämter durchgängig,Schwedische4 oder ,Hornische4 genannt. Diese Unschärfe war vermutlich gewollt. In den ersten Jahren des Kgl Schwe­ dischen in Teutschland geführten Kriegs hatten eben diese aus Finnlands Süden rekrutierten Reiterbauern bei schwedenfreundlich schreibenden Kriegsbe­ richterstattern besondere Aufmerksamkeit gefunden. Auch in Nürnberg wur­ den sie 1632 als ,Finnen4, ,Finnländer4 erkannt und aus dem Völkergewimmel der Heere Gustav Adolfs hervorgehoben, obwohl sie darin nur eine Minder­ heit von ca. 2% ausmachten. Überliefert ist, daß sie und ihre Landsleute von der Savolaxer Seenplatte sich beim Bau der Feldbefestigungen rings um die Stadt als zähe Gräber auszeichneten40, und daß sie die einzigen waren, die eine Redoute von Wallensteins Lager eroberten.41 Gustav Adolf unterschied in sei­ ner berühmten Peter-und-Pauls-Predigt im Lager bei Altdorf42 zwischen Schweden und Finnen, dasselbe tat sein Neffe Karl Gustav bei Kriegsende in einer gedruckten Bestandsaufnahme aller Truppen auf deutschem Boden in schwedischem Dienst.43 Die Herren Reichs- und Kriegsräte in Stockholm taten es jederzeit, und Königin Christina befahl 1649 zuvörderst die Finnen aus Nürnberg nach Hause.44 Die Reiter selbst bezeichneten sich nach wie vor als Fienen und Schweeden.45 Die auffällige Änderung im Nürnberger amtlichen Sprachgebrauch kann hier nicht näher untersucht werden.

40 Zuletzt Franz Willax: Die Befestigungsanlagen Gustav Adolfs von Schweden um Nürnberg 1632, in: MVGN 82 (1995), S. 185-236. Finnen S. 194, 215. 41 Zuletzt Helmut Mahr: Wallensteins Lager bei Zirndorf und die Schlacht an der alten Veste 1632, in: Gustav Adolf, Wallenstein und der 30jährige Krieg in Franken (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 15), München 1982, S. 67-71. 42 Es existiert eine Vielzahl verschiedener Mitschriften und gedruckter Versionen, u.a.: StAW, Ar­ chiv Birkenfeld, Akten Militär III;,Gustav Adolf spricht*, in: Frankenwarte 1931, Nr. 49 (Wert­ heimer Version); A. Buff: Hildburghausen zur Zeit des 30jährigen Krieges, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins, Meiningen 1937, S. 108 (Weimarer Version). 43 Geographische Mappa, wie auch die Namen der Generalen und Regimenter, o.J., aber jedenfalls 1648 oder 1649 gedruckt bei Jeremias Dümler in Nürnberg, ein Exemplar in Stadtbibliothek Dortmund, Pressefrühdruck 805. 44 Bestätigung in Karl Gustavs Brief an Christina, Nürnberg 28. August 1649, Riksarkiv Stock­ holm, Germanica 16. 45 Sind alle Fienen und Schweeden, davon keiner seinen Namen schreiben kann, Amtmann Wild dd Sonnenfeld 21.6.1649, StAC LA B 3710, Bl. 44.

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Bevor wir nun das Zusammenleben von Bauern, Bürgern und Soldaten unter Friedensbedingungen genauer betrachten, zunächst ein Blick auf Herkunft, Kriegserfahrung und soziale Zusammensetzung der ausgewählten Truppe und auf ihre früheren Kontakte mit Nürnberg. Die Herkunft der ,Hakkapeliter‘46 Die Hakkapeliter der ersten Generation, die noch zu Gustav Adolfs Lebzeiten 1630 bis 1632 nach Deutschland kamen - insgesamt 14 Kompanien ä regulär 150 Mann - stammten aus der ganzen Breite des finnischen Südens von Äbo/Turku bis Wiborg. Nur zwischen den heutigen Städten Lahti und Jyväskylä streckte sich längs des Päijänne-Sees ein schmaler Streifen ihres Her­ kunftsgebiets weit nach Norden. Die Rekrutierung der Regimenter aus be­ stimmten Landschaften, nach denen sie ihren Namen bekamen, von Gustav Adolf 1626 begonnen, wurde in der Verfassung (,regeringsformen‘) von 1634 festgeschrieben. Finnland hatte planmäßig drei Regimenter zu Roß und sieben Regimenter zu Fuß zu stellen, jedes Regiment zu acht Kompanien ä 125 Mann zu Fuß oder 150 zu Roß. De facto stellte es aber schon zu Gustav Adolfs Zei­ ten mehr, und es wurden immer mehr, so lange der Krieg währte. Dem über­ wiegend finnischsprachigen Küstenstreifen am Bottnischen Meerbusen ge­ stand Gustav Adolf nur eine einzige Kompanie mit Reiterplanstellen zu; die Zahl der Fußknechte aus demselben Gebiet aber stieg von acht Kompanien 1631 auf achtzehn Kompanien 1648.47 Als 1650 Inventur gemacht wurde, stellte es sich heraus, daß 41% der Infanterie und 50% der Kavallerie Schwe­ dens aus Finnland und Österbotten kamen.48 Das Fußvolk wurde ausgehoben, die Reiter geworben. Als Werbemittel dienten Steuererleichterungen und an­ dere Vergünstigungen. Ein Bauernhof z.B., der im Jahr 30 Silbertaler Steuern zahlte, wurde von dieser Abgabenlast frei, wenn er statt dessen einen Reiter mit Pferd, Hiebschwert und Pistolen ins Feld stellte. Auch mit der Aushebung von Fußsoldaten wurde er fortan nicht mehr belästigt. Diese ,utskrivning‘ genannte Amtshandlung wurde von einem königlichen Kommissar in Verbindung mit

46 Nach ihrem Kampfruf: ,Hakkaa päälle* / Hau drauf! Das Wort erscheint bislang in keinem deutschsprachigen Lexikon, nur in Übersetzungen der Werke finnischer Historiker, zuerst Leipzig 1874 (Yrjö Koskinen) und Gotha 1896 (Magnus Schybergson). Handschriftlich als ,Hagapieca‘ in Pappenheim/Altmühl 7. Oktober 1632, BayHStA, Kurbayern, Äußeres Archiv 2417, Bl. 360 (Bericht eines Spähers). 47 Regiment Österbotten von Lappfjärd bis Kemi mit 13 Kompanien unter Nils Baät, davon 9 in Franken. Regiment Norrbotten unter Didrik v.Capelle mit 3 Kompanien aus der Region OuluTornio und 2 Kompanien aus Tornio-Kalix. 48 Riksarkiv Stockholm, Sammlung Oxenstierna af Södermöre E 805, Mappe 1649-1654. Vgl. ebd., Sammlung Skogkloster E 8569.

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den örtlichen Priestern und sog. Heimatkapitänen vorgenommen, und zwar im Prinzip einmal jährlich, so lange der Deutsche Krieg währte. Sie rekrutierten nicht selten Kriegsunwillige, was zu Fluchtversuchen, gewalttätigen Festnah­ men, Zwangstransporten und einem ausufernden Leihsoldatenwesen führte. Der Reiterdienst hingegen war eine vertragliche Verpflichtung, die man frei­ willig auf sich nahm und auch wieder aufkündigen konnte, wenngleich in der Praxis nicht während eines Feldzuges. Der Hofinhaber brauchte nicht persön­ lich zu reiten, er konnte auch einen Sohn, Bruder, Schwager, Schwiegersohn(kandidaten) oder Knecht ausrüsten. Wenn trotzdem viele Bauern selbst ins Feld zogen, und zwar auch noch gegen Ende des langen Krieges, so deutet das darauf hin, daß es neben der Steuerersparnis noch andere Motive gab. Klei­ nere Höfe, die alleine nicht auf 30 Taler Jahressteuer kamen, konnten zusam­ men einen Reiter rüsten. Billiger als reguläre Reiter waren Dragoner, die moto­ risierte Infanterie jener Zeit. Bayerns erster Hofhistoriograph J. J. Balde sah solche ,Hippocentauren‘ 1632 beim Angriff auf Ingolstadt.49 In Finnland stellte man Dragonereinheiten erst nach Gustav Adolfs Tod und verstärkt in den 1640er Jahren auf. Sie wurden nicht nach Deutschland geschickt, sondern ins Baltikum. Märsche und Stationen Der dreißigjährige schwedisch-polnische Krieg (1599-1629), der zwischen Gu­ stav Wasas Söhnen und Enkeln um die Macht in Schweden, Finnland, Estland, Livland und Teilen Rußlands geführt wurde, war 1629 in Altmark gestillt wor­ den und sollte erst 1655 wieder aufflammen. Gustav Adolf hatte seinem Cou­ sin Sigismund 1621 Livland mit Riga abgenommen, 1626 bei Wallhof an der Düna hatten seine Finnen zum ersten Mal Polens gefürchtete Lanzenreiter be­ siegt50, und 1627-28 führte er zwischen Pillau, Dirschau und Danzig einen Krieg um die Zolleinnahmen an der Weichselmündung, in dem wiederum die finnischen Reiter eine hervorragende Rolle spielten.51 In den zwanzig Jahren des ,Kgl. Schwedischen in Teutschland geführten Krieges4 füllten sich Flugblätter, Postzeitungen, Nachrichtenmagazine und Kriegsbücher mit Namen finnischer Helden, deren ein kleiner Teil noch in J. F.

49 Suecus adest, date tela viri/-/ Suecus adest. Jakob Balde, Magni Tillii parentalia, in: Werke-Gesamtausgabe München 1729, Bd.VIII, 41-46, eine Art Kriegstagebuch aus der Zeit des ersten Schwedeneinfalls in Bayern. 50 Seither wurden sie als ,Haccapeli‘ besungen: Suecorum Finnommque legiones, quorum ardor novam Haccapelorum peperit vocabulum, Benedict Skytte, Oratio in excessum Gustavi Magni, Leiden 1635, S. 18. 51 Israel Hoppes, Burggrafen zu Elbing, Geschichte des Ersten Schwedisch-Polnischen Krieges in Preußen, hrsg. v. M.Toeppen, Leipzig 1887, S. 195, 250-259 et passim.

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Gauhens Heldenlexicon, Leipzig 1716, und Zedlers Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Halle und Leipzig 1732-1750, zu finden ist52, ein größerer Teil in den schwedisch- und finnischsprachigen Lexica bis in unsere Zeit. Der Name, der zumindest im deutschen und italienischen Sprachraum am häufigsten erwähnt wird, wenn auch in allerlei verdrehten Formen, ist der von Torsten Stahlhandschuh (Torsto Stolhanski, Turpo Stallansky, Stalhaulch, Statehomes, Lo Stallans, Lo Stallo). Die Schweden schrieben ihn ,Stälhandske‘, er selbst unterschreibt in Deutschland mit ,Stallhans‘, später ,Stollhanscha\ Er landete als Chef einer Schwadron (halbes Regiment) 1630 in Pommern, stieg bis 1633 auf zum Chef eines Armeekorps und starb 1644 im Blitzkrieg gegen Dänemark. Er selbst und seine finnischen Reiter wurden in der schweden­ freundlichen Presse der Jahre 1631/32 mit dem Mythos der Unüberwindlichkeit53 umgeben. Es war Stahlhandschuhs Regiment, das Henrik Horn, gerade 27 Jahre alt, 1646 übernahm und bis zur Heimkehr führte. Zweiter Mann wurde Ludwig Graf Löwenhaupt, damals 23 Jahre alt. Das letzte Jahrzehnt des ,Kgl.Schwedischen in Teutschland geführten Krieges4 war eine Zeit der schnel­ len Karrieren. Die Bewegungen in Umrissen: Das letzte Aufgebot 1646: H. Horn segelt mit einer Hälfte des Regiments Anfang Juli von Helsingfors nach Wismar und begibt sich von dort zu A.Wittenbergs Armee in Schle­ sien. L. Löwenhaupt segelt mit der anderen Hälfte von Halmstad nach Wismar und begibt sich von dort nach Westfalen. Seine Finnen entscheiden das Gefecht bei Frankenberg am 9. November zugunsten der schwedentreuen Hessen Kas­ seler Linie gegen die kaisertreuen Hessen Darmstädter Linie und legen sich in Winterquartiere bei Saalfeld/Thüringen. 1647: Löwenhaupts Schwadron zieht via Fulda, Lohr, Wertheim tauberaufwärts bis zum Anschluß an Wrangels Hauptarmee bei Nördlingen. Zurück via Hof, das vom 8.-16. Juni belagert wird, nach Eger. Dort erfolgt die Vereinigung mit der anderen Hälfte des Regiments unter Horn. Die Winterquartiere wer­ den diesmal an der mittleren Weser bei Hildesheim bezogen. 1648: Das ganze Regiment zieht mit Wrangels Armee via Schweinfurt (25. Februar), Neustadt/Aisch (1.-9. März) nach Nürnberg, wo Ende März Muni­ tion abgeholt wird. Im Mai gelingt der Vorstoß über den Lech nach Bayern, das bis zum Inn besetzt und bis Oktober leergegessen wird.

52 Zwei Horn, zwei Löwenhaupt, Slang, Stallhans, Tott, Wittenberg. 53 Den Tenor faßte der böhmische Emigrant Venceslaus Clemens in die Formel gens durata geht nttllis superabilis armis (frostgehärtetes Volk, mit keinen Waffen zu schlagen), in: Gustavi II. victoriarum series, Leiden 1632.

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Soziale Zusammensetzung Das Regiment war von Haus aus zweisprachig. Die gemeinen Reiter stammten wohl etwa zu gleichen Teilen aus überwiegend schwedischsprachigen und überwiegend finnischsprachigen Orten. Wer Schwedisch als Muttersprache hatte, stammte in der Regel von den Einwanderern aus Schweden ab, die im 12. und 13. Jahrhundert - parallel zum Vordringen der Deutschen im Baltikum die Küstenstriche des heutigen Finnland besiedelt hatten. Die soziale Zusammensetzung war nicht stabil, sonder veränderte sich im Laufe des Krieges. Das Regiment wurde zweimal zu großen Teilen neu aufge­ stellt, 1635/36 und 1645/46. Kleineren Ersatz gab es fast jedes Jahr. Noch im letzten Kriegsjahr wurden 216 Reiter nach Deutschland in Marsch gesetzt.54 Auch die Rittmeister wechselten. Manche machten Karriere in anderen Regi­ mentern, andere nahmen ihren Abschied, nur einer fiel.55 Drei Rittmeister des ersten Aufgebots wurden 1639 geadelt.56 Bei Kriegsende war von den acht Ritt­ meistern nur einer, Johan Galle, länger als zehn Jahre im Amt. Bei den gemei­ nen Reitern waren es mehrere. Manche hatten 30 und mehr Dienstjahre auf dem Buckel, als sie von Deutschland aus ihren Abschied einreichten. Die Uberlebensrate ist nicht einmal annäherungsweise bekannt. In Finnland wie in Schweden herrscht bis heute die diffuse Vorstellung, es seien sehr Viele ausge­ zogen und sehr Wenige heimgekehrt. Eine exakte Nachprüfung wäre durchaus möglich, denn von den meisten der ca. dreißigtausend finnischen Kriegsteil­ nehmer existieren Angaben, wann und wo sie zum Dienst angenommen, ver­ schifft, gefallen, gefangen, entlassen, krank zurückgelassen, abkommandiert, heimgesandt, hingerichtet, von Bauern erschlagen oder ausgerissen sind.57 Stahlhandschuhs eigene Kompanie kann als Beispiel für den Wandel in der sozialen und lokalen Herkunft dienen. Das erste Aufgebot wurde 1630 aus den Dörfern dicht um Äbo/Turku rekrutiert. Die Kompanie, die 1636 mit ihm nach Deutschland segelte, stammte aus den nördlich und östlich vom heutigen Hel­ sinki gelegenen Orten Sibbo und Helsinge. 1639 kamen seine Leute aus den Kirchspielen Esbo, Kyrkslätt, Sjundeä, Lojo, Pojo und Tenala, alle zwischen

54 Riksarkiv Stockholm, E 8569 (K.G.Wrangels Feldarchiv). 55 Hans Duesse im Nachtgefecht bei Wetter an der Ruhr 6.12.1633. Er wurde in der Dortmunder Reinoldikirche beigesetzt. 56 Svenska riksrädets protokoll VII, Stockholm 1895, 20.8.1639. 57 Außerhalb der umfangreichen Sammlung von Musterrollen, Lohnlisten und Ausschreibungsli­ sten im Kriegsarchiv Stockholm finden sich Rollen verschiedenen Typs in K.G. Wrangels Feld­ archiv und in der Sammlung des Reichskanzlers Axel Oxenstierna, beide Reichsarchiv Stock­ holm, in der Sammlung De la Gardie in Lund, in den ,länsräkenskaper‘ im Nationalarchiv Hel­ sinki, im Nachlaß des Kriegspräsidenten Alexander Erskein im StA Stade und in den Archiven deutscher Städte.

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Fielsinki und Finnlands Südspitze gelegen. Das letzte Aufgebot, nun unter Fienrik Fiorn, kam wieder aus Sibbo und Borgä.58

Fiofinhaber Söhne Brüder Schwäger Enkel Diener Gesamt:

1636 45 16 6 5 0 39 111

1639 12 10 4 6 3 85 120

1648 28 15 1 11 1 54 110

Von den Reitern, die 1649 Friedensquartiere um Nürnberg bezogen, saß die Mehrheit schon mindestens zehn Jahre im Sattel. Aber nur eine Minderheit war von Fiaus aus so wohlhabend, daß sie den Fiöchstsatz von 30 Silbertalern Steu­ ern im Jahr absetzen konnte.59 Steuerklasse der Reiterbauern, Fi. Fiorns Regiment, Steuerjahr 1648: bis 10 Taler Kompanie: H. Fiorns E. Löwenhaupts J. Galles61 C. Ugglas J. Quants E. Perssons F. Jochimssons A. Fiinderssons

2 4 0 10 0 0 1 3

10-20 Taler 58 69 55 44 17 20 28 27

20-30 Taler60 65 52 70 71 108 105 96 95

58 Herkunft 1630 aus Krigsarkiv Stockholm, rullor 1630-1633, volym 9. Herkunft 1636 aus Kansallisarkisto Helsinki, VA 7888, Bl. 311. Herkunft 1639 aus Kansallisarkisto Helsinki, VA 7906, Bl. 447. Herkunft 1648 aus l.c., VA 7941, Bl. 475. 59 Krigsarkiv Stockholm, regementsräkenskaper, provinsialbok Tavastlands och Nylands län pro Anno 1648, S. 69-149: Special-Jordebok pd H.Hindrich Horns cavalleriregemente pro anno

1648. 60 Schwedische Reichstaler. 1 deutscher Reichstaler galt damals in Finnland 3 bis 4 schwedische Reichstaler Silberwährung. 61 Wechselte kurz vor dem Frieden mit Ludwig Löwenhaupt zum Regiment zu Roß Ostgöta. An seiner Stelle rückte Uggla zum Major auf, und Elias Botvedsson wurde Rittmeister der achten Kompanie.

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In Horns, Ugglas und Quants Kompanien ritten überwiegend die Bauern selbst oder ihre nächsten Verwandten. In Löwenhaupts und Perssons Kompa­ nien lag ihr Anteil bei 50%. Die übrigen drei Kompanien dagegen bestanden bei Kriegsende überwiegend aus Lohndienern, ,tienare‘, die nicht zur Familie des Rüstbauern gehörten. Der Oberst Henrik Henriksson Horn kam als jüngstes von sieben Kindern am 22. Mai 1618 in Stockholm zur Welt. Seinen 30. Geburtstag erlebte er in Nürnberg. Sein Vater, der Jurist und Diplomat Henrik Karlsson Horn, war ein Bruder des in Franken bestens bekannten Feldmarschalls Gustav Karlsson Horn, der sich 1632 mit Tilly um Bamberg stritt, 1634 bei Nördlingen gefangen genom­ men und sieben Jahre in bayerischer Haft gehalten wurde. Onkel Gustav saß bei Kriegsende im Reichskriegsrat und konnte seine schützende Hand über Henrik halten, als dieser mit falschen Papieren (Regimentsrollen) aus Deutsch­ land heimkehrte und sich flugs zum zweiten Mal verheiratete. Während seiner Nürnberger Zeit war Henrik H. Horn ein junger Witwer ohne Kinder mit klangvollem Namen, gut aussehend, wohlhabend - alles in allem eine ebenso verlockende Partie wie sein Oberstleutnant Ludwig Löwenhaupt, der ja dann tatsächlich ein fränkisches Fräulein zur Frau nahm.62 In Nürnberg zum ersten Mal erwähnt wird Henrik Ende März 1648, als er dort mit neun Compagnien Schweden und Finnen zu Roß Munition für Wrangels Armee abholt und bei seinem Auszug eine Spionin enttarnt wird.63 Seine Kriegerkarriere begonnen hatte er als Volontär ohne Dienstgrad in der Armee seines Onkels Gustav, der er 1633 von Heilbronn bis Konstanz folgen durfte. Den zweiten Anlauf 1635/36 unter Lennart Torstensson in Preußen, Branden­ burg und Anhalt unternahm er schon als Kapitänleutnant der Leibkompanie. Danach zog er wiederum heim und ordnete seine Erbangelegenheiten in Liv­ land. Zum dritten Mal in den Deutschen Krieg zog er 1641 als Rittmeister im Regiment Uppland. Schon im folgenden Jahr kehrte er um, heiratete und ord­ nete sein finnisches Erbe. Daß er Ende 1643 zum Chef des Regiments zu Roß aus Kurland ernannt wurde, beruhte sicher nicht nur auf militärischen Meriten. Die Ernennung wurde auch nicht wirksam, weil ein Mann mit noch besseren Beziehungen, der spätere Generalissimus und König, nach derselben Charge griff. Erst Ende 1645 gelang Henrik der Sprung an die Spitze eines Regiments. Nun war es das mittelfinnische, durch Stahlhandschuhs Tod freigewordene. 62 Ein schwedisch-finnischer Schwiegersohn im Hause Hohenlohe, in: Jahrbuch Württembergisch-Franken 1991, S. 157-162. 63 StadtAN F 1 Nr. 47, sowie fast wortgleich die Imhoffsche Chronik, ebd., F 1 Nr. 14, Bd. 4, S. 2192. An der Schreibweise der Offiziersnamen ist zu erkennen, daß hier nicht die Imhoffsche Chronik die ursprüngliche ist.

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Seine vier Ehefrauen gebaren ihm vier Söhne und fünf Töchter. Alle vier Frauen liegen neben ihm begraben. Henrik Horn überlebte sieben Kriege in Deutschland, Rußland, Polen, Livland, Preußen, Dänemark und Norwegen und starb am 22. Februar 1693 als langjähriger Gouverneur der schwedischen Herzogtümer Bremen und Verden in Stade. Sein Haus- und Grundbesitz lag über das ganze schwedische Großreich verstreut und füllt ein Kopialbuch von mehr als hundert Seiten.64 Ab 1651 adressierte die königlich schwedische Kanzlei an ihn als ,Friherre tili Marienburg, Herre tili Hesslöe, Wenden och Kanckas*. Das Gut Kanckas bei Äbo/Turku in Finnland war der Familien­ stammsitz väterlicherseits. Matthäus Merian der Jüngere hat ihn zur Zeit der Friedensquartiere in Franken auf Kupfer konterfeit. Quartieraufteilung, erster Akt Jobst Heinrich Roggenbach war ein geplagter Mann. Über ihn, den Pfleger von Gräfenberg, liefen auch an den Weihnachtstagen die Boten vom Rathaus nach Rüsselbach ins Hornische Hauptquartier und zurück. Am Heiligen Abend 1648 sandten ihm die Herren noch rasch die Nachricht von der erneuten Ein­ weisung dieses Regiments in Nürnberger Gebiet und dazu die Aufforderung, er solle sich in der Stille erkundigen, wie stark an Offizieren und Reitern, so­ wohl berittenen wie unberittenen sei, damit man sich bei der Repartition [Ver­ teilung] danach richten könnet Am ersten Feiertag wurde Horn ungeduldig. Wo blieben die Listen mit den Quartieradressen und -poletten für sieben seiner Kompanien? Er selbst wollte aufbrechen. Seine Fischgründe66 lagen von nun an drei, vier Tagereisen weiter nördlich. Der Rat ließ sich mit die Christfeiertag entschuldigen und verlangte seinerseits die Rolle des Regiments als Grundlage der Quartieraufteilung.67 Tatsächlich hat sich im Staatsarchiv Nürnberg - wohl als einziges Dokument aus finnischer Soldatenhand - ein Doppelbogen ohne Datum und Unterschrift erhalten, der zwischen Weihnachten und Silvester 1648 in Horns Rüsselbacher Hauptquartier geschrieben sein dürfte: Verzeich­ nis, was sich an Offizieren und gemeinen Reutern bei den sieben Compagnien befinden thun.6S Das Regiment hatte acht Kompanien, aber die Leibkompanie

64 Riksarkiv Stockholm, E 4335. 65 StAN, Rst. Nbg., Landpflegamt, Briefbuch 105, an Gräfenberg 24.12.1648. 66,Geldfischer* nennt Manasse Flentsch, Organist der Reichsstadt Windsheim, die hohen schwe­ dischen Offiziere im letzten Eintrag seines Tagebuches Anno 1648 mit gutem Grund. Stadt­ archiv Windsheim, Chronica Windshemiana. 67 StAN, Rst. Nbg., Landpflegamt, Briefbuch 105, nach Gräfenberg 26.12.1648. 68 StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3037.

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und der Stab waren ja auf Henneberg angewiesen. Die Stärke der im Nürnbergischen verbleibenden sieben Kompanien wird gleichmäßig mit je einem Ritt­ meister, Leutnant, Kornett, Quartiermeister, Feldscher, Schmied, Schreiber, je zwei Trompetern, je drei Korporalen und je 95 gemeinen Reitern angegeben, dazu bei jeder Kompanie drei Wagen mit je vier Bagagepferden. Diese Stärke­ meldung war, wie sich zeigen wird, schematisch geschönt. Reiter ohne Pferde Die Absicht der Nürnberger Herren, zwischen berittenen und unberittenen Reitern zu unterscheiden, zielte auf Einsparungen beim Futtergeld, entsprach aber der gültigen schwedischen Kammerordnung. Diese wurde, weil es Streit gab, in den folgenden Wochen von M. G. De la Gardie, dem General över heia den svenska och finska militien pä tysk hotten, vom Oberbefehlshaber K. G. Wrangel und von Generalissimus Karl Gustav bestätigt: Geld nur für am Quartierort anwesende Soldaten, Futter nur für am Ort vorhandene Pferde. Dennoch wurde diese Bestimmung auf unterer Ebene nicht beachtet, im Nürnbergischen ebensowenig wie im Ansbachischen, Coburgischen oder Würzburgischen. Es war keine Kleinigkeit, ein ganzes Regiment Pferde in der Nürnberger Landschaft über den Winter zu bringen, nachdem die wilde Einquartierung im November und Dezember 1648 schon wenig übriggelassen hatte. Im April 1649 mußte Hafer für die Offizierspferde von weither geholt werden. Viele Pferde fielen trotzdem um, ehe das junge Grün herauskam. Deren Reiter ver­ langten dann Bargeld statt Futter nach dem Motto: einmal Reiter, immer Rei­ ter. Es wurde ja auch Löhnung für tote Soldaten gezahlt, warum dann nicht Futtergeld für umgefallene Pferde? Dieser Punkt ging an die Soldaten, und zwar im ganzen Reichskreis. Irgendein Wirt oder kleiner Beamter wurde im­ mer schnell schwach, und war irgendwo einmal etwas über und wider die Ordinanz gewährt worden, sprach sich das wie ein Lauffeuer herum, und alle ver­ langten ein Gleiches. Quartieraufteilung, zweiter Akt Es scheint, daß die Genauigkeit der Nürnberger Herren in puncto Mann­ schaftsstärke kleine Erfolge zeitigte. Statt der angemeldeten 95 wurden nur 94 ,Köpf‘ von Jost Quants Kompanie in und um Fürth einlogiert, von Elias Botvedssons Kompanie in und um Unterzaunsbach nur 91, von Friedrich Jochimssons Kompanie zunächst nur 70. Demnach scheint man im Rathaus ge­ naue Rollen besessen zu haben, auf denen jeder Mann mit Dienstgrad, Name und Adresse verzeichnet stand. Solche Rollen konnten für ein finnisches Fuß-

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regiment im Osnabrücker Stadtarchiv gefunden werden; für Didrik Dürings multinationales Fußregiment in Schweinfurt ist ihre Existenz bezeugt.69 In Nürnberg nahm man zunächst die kurz nach Weihnachten eingereichte Rolle her und trug für jeden Kompaniechef einen Ort ein, an dem er persönlich sein Quartier bekommen sollte: Obristleutnant Erich Löwenhaupt in Reicheneck, Major Clas Uggla in Fiiltpoltstein oder Betzenstein, Jost Quant in Wendel­ stein, Friedrich Jochimsson in Reichenschwand, Erich Persson in Velden, Arfved Hindrichsson in Gräfenberg, Elias Botvedsson in Unterzaunsbach. Dann, am 30. Dezember 1648, ließen die Nürnberger Flerren sieben Boten abgehen, und zwar nach Betzenstein, FFersbruck, Hohenstein, Lauf, Lichtenau, Reicheneck und Velden. Der Betzensteiner Bote dürfte auch Gräfenberg und Hiltpoltstein bedient haben. Die Pfleger in den Ämtern wurden angewie­ sen, ihre jeweilige Compagnie oder Anzahl Reuter so lange in nur zwei oder drei Dorfschaften beisammen zu halten, bis der genaue Verteilungsplan nehenst den gedruckten Poletten bei ihnen eintreffe. Plan und Poletten gingen noch heute hinaus.70 ,Noch heute4 ist als Absichtserklärung zu verstehen. Die Kunst, die Uhr am Jahresende anzuhalten, muß in Nürnberg damals schon be­ kannt gewesen sein. Doch läßt sich aus dem Rundschreiben so viel entnehmen, daß a) am 30. Dezember 1648 mit der Ankunft der Finnen in ihren neuen Quartierbezirken stündlich gerechnet wurde, und daß b) nicht nur der Vertei­ lungsplan, sondern auch die einzelnen Quartierzettel - Poletten, Baletten, Billets genannt - in Nürnberg zentral vorgefertigt wurden.71 Die örtlichen Beam­ ten brauchten sie dann nur noch, mit einer Hausadresse versehen, den Reitern bzw. den sie begleitenden Boten in die Hand zu drücken. Zentral vorgeschrieben wurden lediglich Zahl und Dienstgrad der Soldaten, die auf die nürnbergischen Untertanen eines Orts entfielen.72 Wer in welchem Haus landete, das bestimmte der örtliche Beamte, in der Praxis sicher oft im Einklang mit Dorfältesten und Nachbarn. Aber es kam auch zu Belegungen, die gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Untertanen verstießen. Sie waren

69 Osnabrücker Mitteilungen 95 (1990), S. 76. StadtA Schweinfurt, Ha 103, S. 2039 f. 70 StAN, Rst. Nbg., Landpflegamt, Briefbuch 105. Am 30. April 1649, als wiederum sieben Äm­ ter in Sachen Reiterquartiere angeschrieben werden, sind Gräfenberg und Hiltpoltstein als Adressaten eigens erwähnt, Lauf und Lichtenau aber weggelassen. 71 Original-Poletten konnten in Nürnberg bisher nicht gefunden werden. Es gibt sie z.B. für die Kulmbacher Gegend in StAW, Guttenberg-Steinenhausen, Kirchlauterer Akten 44. 72 Es existieren zwei Ausfertigungen für jede Kompanie, eine frühere in hellbrauner, eine spätere in fast schwarzer Tinte. Die spätere Ausfertigung gibt mehr Details bei Löwenhaupt und bei Quant. StAN, Rst. Nbg., D-Laden, Akten 3037.

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zum Teil auf eigenmächtigen Quartiertausch der Soldaten, zum Teil aber wohl auch auf Beamtenwillkür zurückzuführen. Einquartierungsbescheide eigneten sich auch als Denkzettel für säumige Steuerzahler.73 Zahl und Dienstgrad der Soldaten, die einem Ort zugewiesen wurden, soll­ ten die steuerliche Leistungsfähigkeit der dort wohnenden Untertanen wider­ spiegeln. Das Streben nach Genauigkeit und Gerechtigkeit in der Zuteilung kostete Zeit. Die Herren im Rathaus schafften ihr 665-Reiter-Pensum, von Heiligabend an gerechnet, in gut zwei Wochen. Die Oberaufsicht scheint Herr Holzschuher gehabt zu haben. Nur bei einer Kompanie, der Gräfenberger, brachten sie die zentrale Vorsteuerung nicht ganz zu Ende. Prompt gab es dort mehr Probleme als anderswo. Der um die Jahreswende erstellte zentrale Quar­ tierverteilungsplan wurde in den folgenden Monaten nur in wenigen Fällen geändert.74 Oberst Henrik Horns Compagnie Diese Kompanie und der Regimentsstab zogen aus dem Nürnberger Land ins Hennebergische. Sie trafen am 2.1.1649 in Schleusingen ein. Der Oberst gab seine Stärke mit 96 Köpfen an, den Stab eingeschlossen mit 128 Pferden. Sie wurden auf Römhild, Schleusingen, Suhl, Ilmenau - jeweils Stadt und Amt sowie auf das Amt Kündorf-Benshausen verteilt. Ab Anfang Februar über­ nahm die alte Pflege Coburg 30 Reiter aus dem Römhildischen, das damals von Coburg aus regiert wurde. Henneberg-Römhild und Henneberg-Schleusingen gehörten zum Fränkischen, Coburg zum Obersächsischen Reichskreis. Die südlich des Thüringer Waldes gelegenen sächsischen Gebietsteile wurden in dieser Phase de facto wie ein Teil Frankens bequartiert.75 Für seinen Regimentsstab verlangte H. Horn so viel Geld, als sei es eine neunte Kompanie. Er nahm auch Geld für abwesende Offiziere. Insgesamt kassierte er von Januar bis Juni 1649 aus Henneberg 13.091 Reichstaler.76

73 So geschehen mit österbottnischen Musketieren in Dettelbach 1649. StadtA Dettelbach, Rats­ protokoll 14.4.1649. Einlegung von Finnen den Steuerschuldnern angedroht in StadtA Schweinfurt, Ratsprotokoll 2.5.1634. 74 StAN, Rst. Nbg., D^Laden, Akten 3037. Kalchreuth, Kolmreuth, fünf Orte um Herpersdorf, drei Orte um Obertrubach. Verantwortlich zeichneten die Herren Paumgartner und Holz­ schuher. 75 StA Meiningen, GHA III, Nr. 1044, unpaginiert. 76 Riksarkiv Stockholm, E 8569 (K. G. Wrangels Feldarchiv). Quittungen dazu in StA Meiningen, GHA III, Nr. 1041.

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Oberstleutnant Erich Löwenhaupts Compagnie. ,94 Köpf