Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [94]

Table of contents :
Reinhard Seyboth: Nürnbergs Rolle auf den Reichsversammlungen
und Städtetagen des ausgehenden 15. Jahrhunderts........................ 1
Michael Diefenbacher: Der Handel des Nürnberger Patriziats nach
Osten - Das Beispiel Tücher um 1500 ............................................. 49
Philip Hahn: Das Colersche Hausbuch und seine Leser aus dem Nürnberger
Raum. Benutzerspuren an den Exemplaren im Germanischen
Nationalmuseum, der Nürnberger Stadtbibliothek und der
Bibliothek der Universität Erlangen-Nürnberg............................. 81
Walter Gebhardt: Menschliches Schicksal in Pamphleten. Oder: Von
der Unfreiheit, sein Leben zu lassen ............................................... 109
Jochen Haeusler: Die Nürnberger Hofmusikanten von St. Petersburg 131
Georg Seiderer: Von der Lebensmittelüberwachungsanstalt zur Umweltbehörde.
Zur Geschichte der Chemischen Untersuchungsanstalt
der Stadt Nürnberg ............................................................. 161
Peter Schönlein: Rathenauplatz. Geschichte einer Umbenennung in
Nürnberg.......................................................................................... 197
Robert Thoms: Der Nürnberger Archivar Hans Karl Strehl (1907-1993) 211
Reinhard Jakob: Die Ehrenrettung des deutschen Seefahrers Martin
Behaim. Die Kolonialhistorikerin und Frauenpolitikerin Hedwig
Fitzier und ihr sensationeller Quellenfund..................................... 227
Martina Bauernfeind: Die schwierigen Anfänge der CSU in Nürnberg
im Spiegel des Wiederaufbaus von 1945-1975 ................................ 245
Buchbesprechungen.................................................................................. 283
Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte ........................................... 409
Jahresbericht über das 129. Vereinsjahr 2006 ........................................... 419
Abkürzungen ............................................................................................ 427
V
BUCHBESPRECHUNGEN
Quellen und Inventare
Kurt-Ulrich Jäschke / Peter Thorau (Bearb.): Regesta Imperii, VI: Die Regesten des
Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VII. 1273-1313, Abt. 4:
Heinrich VII. 1288/1308-1313, Lfg. 1: 1288/1308 - August 1309, Wien u.a. 2006.
(Karl Borchardt).............................................................................................................. 283
Eckard Lullies (Bearb.): Das Lehnbuch der Schenken von Reicheneck von 1331, Neuhaus
2005. (Karl Borchardt) .......................................................................................... 284
Topografie, Stadtteile und Landgebiet
Lorenz Bomhard / Rainer Elpel: Nürnberg. In der Mitte Europas, Nürnberg 2006.
(Horst-Dieter Beyerstedt).............................................................................................. 287
Hartmut Beck / Manfred Gillert: Nürnberg aus der Luft = Nuremberg from the air,
Cadolzburg 2005. (Helmut Beer).................................................................................. 288
Walter Steinmaier: St. Jobst. Das Aussätzigenspital am Empfangsweg des Kaisers. Herrscherkult
und Siechenhaus, Nürnberg 2006. (Horst-Dieter Beyerstedt).................. 289
Schniegling, Wetzendorf und Alt-Doos. Geschichte und Geschichten aus dem Westen
Nürnbergs. Nürnberg 2006; Gostenhof, Muggenhof, Eberhardshof & Kleinweidenmühle.
Geschichte eines Stadtteils, Nürnberg 2005. (Horst-Dieter Beyerstedt) 291
Hermann Rusam / Rudi Viertel: Die Parkanlage Platnersberg in Nürnberg-Erlenstegen.
1906-2006, Nürnberg 2006. (Horst-Dieter Beyerstedt).............................................. 294
Robert Giersch / Andreas Schiunk / Bertold Frhr. von Haller: Burgen und Herrensitze
in der Nürnberger Landschaft, Lauf a. d. Pegnitz 2006. (Peter Fleischmann) 295
Ewald Glückert: Burgen, Schlösser, Herrensitze. Wehr- und Herrschaftsbauten im Stadtgebiet
von Lauf a. d. Pegnitz, Oschersleben 2005. (Ruth Bach-Damaskinos).......... 296
Behringersdorf, Malmsbach, Schwaig. Bilder aus dem Leben einer Gemeinde im Nürnberger
Land - einst und jetzt, Schwaig 2005. (Horst-Dieter Beyerstedt).................. 298
Manfred Gillert / Hartmut Beck: Luftimpressionen - Fränkisches Seenland. Altmühlsee,
Brombachsee, Igelsbachsee, Rothsee, Nürnberg 2004. (Helmut Beer) .................... 298
Politische Geschichte, Recht und Verwaltung
Jirf Fajt (Hg.): Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses
Luxemburg 1310-1437, München/Berlin 2006. (Karl Borchardt) ............................ 299
Stefan Mühlhofer: Die Politik der fränkischen Reichsstände auf den Reichstagen von
1521-1555, Husum 2006. (Reinhard Seyboth) ................................................ 300
Alois Schmid (Hg.): 1806 - Bayern wird Königreich. Vorgeschichte, Inszenierung, europäischer
Rahmen, Regensburg 2006. (Georg Seiderer) .............................................. 302
200 Jahre Franken in Bayern 1806 bis 2006: Katalog/Aufsätze zur Landesausstellung 2006
im Museum Industriekultur Nürnberg, 2 Bde. Augsburg 2006. (Georg Seiderer) . . 304
Michael Diefenbacher / Gerhard Rechter (Hg.): Vom Adler zum Löwen. Die Region
Nürnberg wird bayerisch 1775-1835, Neustadt a. d. Aisch 2006. (Helmut Baier) 307
Walter L. Frank: Luftwaffenhelfer zwischen Schule, Luftkrieg und HJ, Berlin 2006.
(Eugen Schäler) .............................................................................................................. 311
Oscar Schneider u.a.: Vertrauen und Verantwortung. 60 Jahre CSU-Bezirksverband
Nürnberg-Fürth-Schwabach (1945-2005), Nürnberg 2006. (Andreas Jakob) ........ 313
transit nürnberg. Zeitschrift für Politik und Zeitgeschichte. Heft 1: Gegen Rassismus und
Diskriminierung, Nürnberg 2007. (Steven M. Zahlaus) ............................................ 314
VI
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine, Sport
Uwe Israel: Fremde aus dem Norden. Transalpine Zuwanderer im spätmittelalterlichen
Italien. Tübingen 2005. (Helmut Flachenecker) ..................................................... 317
Die Griechen in Nürnberg von 1960 bis 2006. Ein Koffer voller Träume ... Historischer
Rückblick mit biographischen Schilderungen von drei Generationen [Originaltitel
griechisch], Nürnberg 2006. (Ernst-Friedrich Schultheiß)........................................ 319
Martina Bauernfeind: 150 Jahre Schwanhäußer in Nürnberg. Der Grundbesitz der
Familie im Stadtteil Gärten hinter der Veste und Umgebung, Nürnberg 2005.
(Andreas Jakob)......................................................................................................... 321
Claudia Thoben: Prostitution in Nürnberg. Wahrnehmung und Maßregelung zwischen
1871 und 1945, Nürnberg 2007. (Hartmut Frommer)............................................. 322
Gesa Büchert / Peter Löw: Zum Merkur, bitte! Geschichte und Geschichten einer
Nürnberger Hoteladresse, Nürnberg 2005. (Martina Bauernfeind) ....................... 324
Bernd Windsheimer: 50 Jahre Airport Nürnberg. Geschichte der Luftfahrt in Nürnberg
1955-2005, Nürnberg 2005. (Helmut Beer) ............................................................. 326
Rainer Plappert (Hg.): Faszination Fußball - ein Spiel bewegt die Region. Katalog zu
einer Ausstellung der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Erlangen 2006.
(Walter Bauemfeind) ............................................................................................... 327
Kunst, Architektur
Manfred H. Grieb (Hg.): Nürnberger Künstlerlexikon, München 2007. (Alexander
Seelos) ...................................................................................................................... 328
Sven Hauschke: Die Grabdenkmäler der Nürnberger Vischer-Werkstatt (1453-1544).
Petersberg 2006, (Peter Zahn) .................................................................................. 333
Norbert Wolf: Albrecht Dürer 1471-1528. Das Genie der deutschen Renaissance, Köln
u.a. 2006. (Anna Scherbaum) .................................................................................... 338
Anja Grebe: Albrecht Dürer. Künstler, Werk und Zeit, Darmstadt 2006. (Martin Hirsch) 339
Kristina Herrmann Fiore (Hg.): Dürer e l’Italia. Roma, Scuderie del Quirinale, 10
marzo - 10 giugno 2007, Milano 2007. (Peter Zahn) .............................................. 340
Anna Scherbaum: Albrecht Dürers „Marienleben“. Form, Gestalt, Funktion und sozialhistorischer
Ort, Wiesbaden 2004. (Franz Machilek) .............................................. 343
Hartmut Scholz: Albrecht Dürer und das Mosesfenster in St. Jakob in Straubing, Berlin
2005. (Georg Stolz) ................................................................................................... 345
Dürers Mutter. Schönheit, Alter und Tod im Bild der Renaissance, Berlin 2006. (Anna
Scherbaum)................................................................................................................ 346
Das Albrecht-Dürer-Haus. Baugeschichte, Denkmalpflege, Künstlerhaus, Nürnberg
2006; G. Ulrich Großmann / Franz Sonnenberger (Hg.): Das Dürer-Haus.
Neuere Ergebnisse der Forschung, Nürnberg 2007. (Herbert May)....................... 349
Lorenz Stoer: Geometria et perspectiva. Corpora regulata et irregulata (Handschrift Cim.
103 der Universitätsbibliothek München), Erlangen 2006. (Ruth Bach-
Damaskinos).............................................................................................................. 353
Jutta Tschoeke (Hg.): Romantische Entdeckungen. Johann Adam Klein 1792-1875.
Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafik. Ausstellung im Stadtmuseum Fembohaus
Nürnberg, Nürnberg 2006. (Edith Luther)............................................................... 355
Maximilian Rosner: Die frühen Ansichtskarten der Kunstanstalt Schemm. Ein Werkbuch
zur Geschichte der Hersteller und Verlage von Ansichtspostkarten, Nürnberg
2007. (Helmut Beer) ................................................................................................. 356
Immo Boyken / Kurt Grimm: Otto Ernst Schweizer - Milchhof Nürnberg, Stuttgart/
London 2006. (Martina Bauemfeind)...................................................................... 356
VII
Kultur, Sprache, Literatur, Musik
Stephen Brockmann: Nuremberg. The imaginary Capital, Rochester, NY 2006. (Horst-
Dieter Beyerstedt)....................................................................................................... 358
Bettina Jung: Das Nürnberger Marienbuch. Untersuchungen und Edition, Tübingen
2004. (Christine Sauer) ............................................................................................... 361
Helmut Glück / Bettina Morcinek (Hg.): Ein Franke in Venedig. Das Sprachlehrbuch
des Georg von Nürnberg (1424) und seine Folgen, Wiesbaden 2006. (Werner
Wilhelm Schnabel)....................................................................................................... 362
Franz Fuchs (Hg.): Osmanische Expansion und europäischer Humanismus. Akten des
Interdisziplinären Symposions vom 29. und 30. Mai 2003 im Stadtmuseum Wiener
Neustadt, Wiesbaden 2005. (Horst-Dieter Beyerstedt) ............................................ 363
Franz Krautwurst: Franconia cantat. Fränkische Musikgeschichte in Lebensbildern
aus sechs Jahrhunderten, [Würzburg] 2006. (Thomas Röder).................................. 365
Heidi A. Müller: Ein Idealhaushalt im Miniaturformat. Die Nürnberger Puppenhäuser
des 17. Jahrhunderts, Nürnberg 2006. (Martina Bauernfeind)................................ 366
Renate Jürgensen: Melos conspirant singuli in unum. Repertorium bio-bibliographicum
zur Geschichte des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg (1644-1744), Wiesbaden
2006. (Christine Sauer)..................................................................................... 368
Hans-Joachim Jakob / Hermann Körte (Hg.): Harsdörffer-Studien. Mit einer Bibliographie
der Forschungsliteratur von 1847 bis 2005. Frankfurt am Main u.a. 2006,
(Horst-Dieter Beyerstedt)........................................................................................... 370
Doris Gerstl (Hg.): Georg Philipp Harsdörffer und die Künste, Nürnberg 2005. (Horst-
Dieter Beyerstedt) ....................................................................................................... 372
Alexander Schmidt: Kultur in Nürnberg 1918-1933. Die Weimarer Moderne in der Provinz,
Nürnberg 2005. (Georg Seiderer)...................................................................... 376
Franziska K n ö p f 1 e : Im Zeichen der „Soziokultur“. Hermann Glaser und die kommunale
Kulturpolitik in Nürnberg, Nürnberg 2007. (Clemens Wächter)..................... 378
Volker S e 11 m a n n / Monika Runge:... und den Menschen ein Wohlgefallen. Die Krippe
auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt von Max Renner und Berti Kuch, Bamberg
2006. (Clemens Wächter) ................................................................................... 379
Christian Schmidt / Georg Stolz: Soli Deo Gloria. Die Orgeln von St. Lorenz, Nürnberg
2005. (Thomas Röder)................................................................................................. 380
Marion Voigt (Hg.): Lust auf Bücher. Nürnberg für Leser, Nürnberg 2005. (Martin
Schieber)...................................................................................................................... 381
Ingmar Reither: Geschichte zwischen den Zeilen. Die Nutzung fiktionaler Texte als geschichtliche
Quellen, Schwalbach/Ts 2005. (Martin Schieber)................................ 382
Kirchengeschichte, Judentum
Barbara Steinke: Paradiesgarten oder Gefängnis? Das Nürnberger Katharinenkloster
zwischen Klosterreform und Reformation, Tübingen 2006. (Horst-Dieter Beyerstedt) 384
Antonio Rigon u.a. (Hg.): San Rocco. Genesi e prima espansione di un culto. Incontro di
Studio - Padova 12-13 febbraio 2004, Bruxelles 2006. (Peter Zahn) ....................... 387
Andreas Jakob u.a. (Hg.): Das Himmelreich zu Erlangen - offen aus Tradition? Aus
1000 Jahren Bamberger Bistumsgeschichte, Erlangen 2007. (Helmut Flachenecker) 389
Eberhard Krauß: Exulanten im Evang.-Luth. Dekanatsbezirk Nürnberg. Eine familiengeschichtliche
Untersuchung, Nürnberg 2006. (Helmut Baier)............................... 390
Erika Geiger: Wilhelm Löhe (1808-1872). Leben, Werk, Wirkung, Neuendettelsau 2003.
(Matthias Honold)....................................................................................................... 391
VIII
Axel Töllner: Eine Frage der Rasse? Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, der
Arierparagraf und die bayerischen Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren im „Dritten
Reich“, Stuttgart 2007. (Helmut Baier)................................................................ 393
Peter Kuhn: Jüdischer Friedhof Georgensgmünd, München/Berlin 2006. (Gerhard Jochem) 397
Reinhard Weber: Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, München
2006. (Gerhard Jochem)..................................................................................... 398
Wolf M. Hergert (Hg.): „Verfolgt, vertrieben, ermordet“. Das Schicksal der Jüdinnen an
einer Nürnberger Oberschule 1933-1945, Nürnberg 2007. (Herbert Schott).......... 399
Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik
Werner Kraus (Hg.): Schauplätze der Industriekultur in Bayern, Regensburg 2006.
(Clemens Wächter) ..................................................................................................... 401
Vera L o s s e u.a. (Hrsg.): Kommunikation und Postgeschichte anschaulich gemacht. 100
Jahre Museum für Kommunikation Nürnberg, Bonn 2005. (Clemens Wächter) . .. 401
Personen und Familien
Georg Seiderer: Paul Wolfgang Merkel (1756-1820). Kaufmann, Reformer, Patriot. Eine
Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg und der Museen der Stadt Nürnberg im
Stadtmuseum Fembohaus, Nürnberg 2006. (Rainer Mertens) ................................. 402
Johann Fleischmann (Hg.): Geschichtssplitter und Chronik der Familie Steinacher. Spuren
jüdischer Vergangenheit an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach, Mühlhausen
2006. (Gerhard Jochem) ............................................................................................. 404
„Solange ich lebe, hoffe ich.“ Die Aufzeichnungen des ungarischen KZ-Häftlings Agnes
Rösza 1944/45 in Nürnberg und Holleischen, Nürnberg 2006. (Eckhart
Dietzfelbinger)............................................................................................................. 405

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

94. Band 2007

Nürnberg 2007 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftleitung: Dr. Michael Diefenbacher, Dr. Wiltrud Fischer-Pache, Dr. Clemens Wächter Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich. Für unaufgefordert eingereichte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

Zum Druck des Bandes trugen durch Zuschüsse hzw. Spenden bei: Die Stadt Nürnberg, der Bezirk Mittelfranken, die Sparkasse Nürnberg, die Freiherr von Haller’sche Forschungsstiftung Nürnberg. Der Verein dankt dafür bestens.

Umschlagbild: Wolff Holzschuher und seine Ehefrau Margarethe Helchner (StadtAN E 3 Nr. 48, Eintrag Nr. 117)

Gesamtherstellung: 9 VDS-Verlagsdruckerei Schmidt, Neustadt/Aisch Gedruckt auf holzfreies, chlorfrei gebleichtes, säurefreies und alterungsbeständiges Papier. Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Marientorgraben 8, 90402 Nürnberg) ISSN 0083-5579

INHALT Reinhard Seyboth: Nürnbergs Rolle auf den Reichsversammlungen und Städtetagen des ausgehenden 15. Jahrhunderts........................

1

Michael Diefenbacher: Der Handel des Nürnberger Patriziats nach Osten - Das Beispiel Tücher um 1500 .............................................

49

Philip Hahn: Das Colersche Hausbuch und seine Leser aus dem Nürn­ berger Raum. Benutzerspuren an den Exemplaren im Germani­ schen Nationalmuseum, der Nürnberger Stadtbibliothek und der Bibliothek der Universität Erlangen-Nürnberg.............................

81

Walter Gebhardt: Menschliches Schicksal in Pamphleten. Oder: Von der Unfreiheit, sein Leben zu lassen ...............................................

109

Jochen Haeusler: Die Nürnberger Hofmusikanten von St. Petersburg

131

Georg Seiderer: Von der Lebensmittelüberwachungsanstalt zur Um­ weltbehörde. Zur Geschichte der Chemischen Untersuchungs­ anstalt der Stadt Nürnberg .............................................................

161

Peter Schönlein: Rathenauplatz. Geschichte einer Umbenennung in Nürnberg..........................................................................................

197

Robert Thoms: Der Nürnberger Archivar Hans Karl Strehl (1907-1993)

211

Reinhard Jakob: Die Ehrenrettung des deutschen Seefahrers Martin Behaim. Die Kolonialhistorikerin und Frauenpolitikerin Hedwig Fitzier und ihr sensationeller Quellenfund.....................................

227

Martina Bauernfeind: Die schwierigen Anfänge der CSU in Nürnberg im Spiegel des Wiederaufbaus von 1945-1975 ................................

245

Buchbesprechungen..................................................................................

283

Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte ...........................................

409

Jahresbericht über das 129. Vereinsjahr 2006 ...........................................

419

Abkürzungen ............................................................................................

427

V

BUCHBESPRECHUNGEN Quellen und Inventare Kurt-Ulrich Jäschke / Peter Thorau (Bearb.): Regesta Imperii, VI: Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VII. 1273-1313, Abt. 4: Heinrich VII. 1288/1308-1313, Lfg. 1: 1288/1308 - August 1309, Wien u.a. 2006. (Karl Borchardt).............................................................................................................. Eckard Lullies (Bearb.): Das Lehnbuch der Schenken von Reicheneck von 1331, Neu­ haus 2005. (Karl Borchardt) ..........................................................................................

283 284

Topografie, Stadtteile und Landgebiet Lorenz Bomhard / Rainer Elpel: Nürnberg. In der Mitte Europas, Nürnberg 2006. (Horst-Dieter Beyerstedt).............................................................................................. Hartmut Beck / Manfred Gillert: Nürnberg aus der Luft = Nuremberg from the air, Cadolzburg 2005. (Helmut Beer).................................................................................. Walter Steinmaier: St. Jobst. Das Aussätzigenspital am Empfangsweg des Kaisers. Herr­ scherkult und Siechenhaus, Nürnberg 2006. (Horst-Dieter Beyerstedt).................. Schniegling, Wetzendorf und Alt-Doos. Geschichte und Geschichten aus dem Westen Nürnbergs. Nürnberg 2006; Gostenhof, Muggenhof, Eberhardshof & Kleinwei­ denmühle. Geschichte eines Stadtteils, Nürnberg 2005. (Horst-Dieter Beyerstedt) Hermann Rusam / Rudi Viertel: Die Parkanlage Platnersberg in Nürnberg-Erlenstegen. 1906-2006, Nürnberg 2006. (Horst-Dieter Beyerstedt).............................................. Robert Giersch / Andreas Schiunk / Bertold Frhr. von Haller: Burgen und Herren­ sitze in der Nürnberger Landschaft, Lauf a. d. Pegnitz 2006. (Peter Fleischmann) Ewald Glückert: Burgen, Schlösser, Herrensitze. Wehr- und Herrschaftsbauten im Stadt­ gebiet von Lauf a. d. Pegnitz, Oschersleben 2005. (Ruth Bach-Damaskinos).......... Behringersdorf, Malmsbach, Schwaig. Bilder aus dem Leben einer Gemeinde im Nürn­ berger Land - einst und jetzt, Schwaig 2005. (Horst-Dieter Beyerstedt).................. Manfred Gillert / Hartmut Beck: Luftimpressionen - Fränkisches Seenland. Altmühlsee, Brombachsee, Igelsbachsee, Rothsee, Nürnberg 2004. (Helmut Beer) ....................

287 288 289

291 294 295 296 298 298

Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Jirf Fajt (Hg.): Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1310-1437, München/Berlin 2006. (Karl Borchardt) ............................ Stefan Mühlhofer: Die Politik der fränkischen Reichsstände auf den Reichstagen von 1521-1555, Husum 2006. (Reinhard Seyboth) ................................................ Alois Schmid (Hg.): 1806 - Bayern wird Königreich. Vorgeschichte, Inszenierung, euro­ päischer Rahmen, Regensburg 2006. (Georg Seiderer) .............................................. 200 Jahre Franken in Bayern 1806 bis 2006: Katalog/Aufsätze zur Landesausstellung 2006 im Museum Industriekultur Nürnberg, 2 Bde. Augsburg 2006. (Georg Seiderer) . . Michael Diefenbacher / Gerhard Rechter (Hg.): Vom Adler zum Löwen. Die Region Nürnberg wird bayerisch 1775-1835, Neustadt a. d. Aisch 2006. (Helmut Baier) Walter L. Frank: Luftwaffenhelfer zwischen Schule, Luftkrieg und HJ, Berlin 2006. (Eugen Schäler) .............................................................................................................. Oscar Schneider u.a.: Vertrauen und Verantwortung. 60 Jahre CSU-Bezirksverband Nürnberg-Fürth-Schwabach (1945-2005), Nürnberg 2006. (Andreas Jakob) ........ transit nürnberg. Zeitschrift für Politik und Zeitgeschichte. Heft 1: Gegen Rassismus und Diskriminierung, Nürnberg 2007. (Steven M. Zahlaus) ............................................

VI

299 300 302 304 307 311 313 314

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine, Sport Uwe Israel: Fremde aus dem Norden. Transalpine Zuwanderer im spätmittelalterlichen Italien. Tübingen 2005. (Helmut Flachenecker) ..................................................... Die Griechen in Nürnberg von 1960 bis 2006. Ein Koffer voller Träume ... Historischer Rückblick mit biographischen Schilderungen von drei Generationen [Originaltitel griechisch], Nürnberg 2006. (Ernst-Friedrich Schultheiß)........................................ Martina Bauernfeind: 150 Jahre Schwanhäußer in Nürnberg. Der Grundbesitz der Familie im Stadtteil Gärten hinter der Veste und Umgebung, Nürnberg 2005. (Andreas Jakob)......................................................................................................... Claudia Thoben: Prostitution in Nürnberg. Wahrnehmung und Maßregelung zwischen 1871 und 1945, Nürnberg 2007. (Hartmut Frommer)............................................. Gesa Büchert / Peter Löw: Zum Merkur, bitte! Geschichte und Geschichten einer Nürnberger Hoteladresse, Nürnberg 2005. (Martina Bauernfeind) ....................... Bernd Windsheimer: 50 Jahre Airport Nürnberg. Geschichte der Luftfahrt in Nürnberg 1955-2005, Nürnberg 2005. (Helmut Beer) ............................................................. Rainer Plappert (Hg.): Faszination Fußball - ein Spiel bewegt die Region. Katalog zu einer Ausstellung der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Erlangen 2006. (Walter Bauemfeind) ...............................................................................................

317

319

321 322 324 326

327

Kunst, Architektur Manfred H. Grieb (Hg.): Nürnberger Künstlerlexikon, München 2007. (Alexander Seelos) ...................................................................................................................... Sven Hauschke: Die Grabdenkmäler der Nürnberger Vischer-Werkstatt (1453-1544). Petersberg 2006, (Peter Zahn) .................................................................................. Norbert Wolf: Albrecht Dürer 1471-1528. Das Genie der deutschen Renaissance, Köln u.a. 2006. (Anna Scherbaum) .................................................................................... Anja Grebe: Albrecht Dürer. Künstler, Werk und Zeit, Darmstadt 2006. (Martin Hirsch) Kristina Herrmann Fiore (Hg.): Dürer e l’Italia. Roma, Scuderie del Quirinale, 10 marzo - 10 giugno 2007, Milano 2007. (Peter Zahn) .............................................. Anna Scherbaum: Albrecht Dürers „Marienleben“. Form, Gestalt, Funktion und sozial­ historischer Ort, Wiesbaden 2004. (Franz Machilek) .............................................. Hartmut Scholz: Albrecht Dürer und das Mosesfenster in St. Jakob in Straubing, Berlin 2005. (Georg Stolz) ................................................................................................... Dürers Mutter. Schönheit, Alter und Tod im Bild der Renaissance, Berlin 2006. (Anna Scherbaum)................................................................................................................ Das Albrecht-Dürer-Haus. Baugeschichte, Denkmalpflege, Künstlerhaus, Nürnberg 2006; G. Ulrich Großmann / Franz Sonnenberger (Hg.): Das Dürer-Haus. Neuere Ergebnisse der Forschung, Nürnberg 2007. (Herbert May)....................... Lorenz Stoer: Geometria et perspectiva. Corpora regulata et irregulata (Handschrift Cim. 103 der Universitätsbibliothek München), Erlangen 2006. (Ruth BachDamaskinos).............................................................................................................. Jutta Tschoeke (Hg.): Romantische Entdeckungen. Johann Adam Klein 1792-1875. Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafik. Ausstellung im Stadtmuseum Fembohaus Nürnberg, Nürnberg 2006. (Edith Luther)............................................................... Maximilian Rosner: Die frühen Ansichtskarten der Kunstanstalt Schemm. Ein Werkbuch zur Geschichte der Hersteller und Verlage von Ansichtspostkarten, Nürnberg 2007. (Helmut Beer) ................................................................................................. Immo Boyken / Kurt Grimm: Otto Ernst Schweizer - Milchhof Nürnberg, Stuttgart/ London 2006. (Martina Bauemfeind)......................................................................

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VII

Kultur, Sprache, Literatur, Musik Stephen Brockmann: Nuremberg. The imaginary Capital, Rochester, NY 2006. (HorstDieter Beyerstedt)....................................................................................................... Bettina Jung: Das Nürnberger Marienbuch. Untersuchungen und Edition, Tübingen 2004. (Christine Sauer) ............................................................................................... Helmut Glück / Bettina Morcinek (Hg.): Ein Franke in Venedig. Das Sprachlehrbuch des Georg von Nürnberg (1424) und seine Folgen, Wiesbaden 2006. (Werner Wilhelm Schnabel)....................................................................................................... Franz Fuchs (Hg.): Osmanische Expansion und europäischer Humanismus. Akten des Interdisziplinären Symposions vom 29. und 30. Mai 2003 im Stadtmuseum Wiener Neustadt, Wiesbaden 2005. (Horst-Dieter Beyerstedt) ............................................ Franz Krautwurst: Franconia cantat. Fränkische Musikgeschichte in Lebensbildern aus sechs Jahrhunderten, [Würzburg] 2006. (Thomas Röder).................................. Heidi A. Müller: Ein Idealhaushalt im Miniaturformat. Die Nürnberger Puppenhäuser des 17. Jahrhunderts, Nürnberg 2006. (MartinaBauernfeind)................................ Renate Jürgensen: Melos conspirant singuli in unum. Repertorium bio-bibliographicum zur Geschichte des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg (1644-1744), Wies­ baden 2006. (Christine Sauer)..................................................................................... Hans-Joachim Jakob / Hermann Körte (Hg.): Harsdörffer-Studien. Mit einer Biblio­ graphie der Forschungsliteratur von 1847 bis 2005. Frankfurt am Main u.a. 2006, (Horst-Dieter Beyerstedt)........................................................................................... Doris Gerstl (Hg.): Georg Philipp Harsdörffer und die Künste, Nürnberg 2005. (HorstDieter Beyerstedt) ....................................................................................................... Alexander Schmidt: Kultur in Nürnberg 1918-1933. Die Weimarer Moderne in der Pro­ vinz, Nürnberg 2005. (Georg Seiderer)...................................................................... Franziska K n ö p f 1 e : Im Zeichen der „Soziokultur“. Hermann Glaser und die kommu­ nale Kulturpolitik in Nürnberg, Nürnberg 2007. (Clemens Wächter)..................... Volker S e 11 m a n n / Monika Runge:... und den Menschen ein Wohlgefallen. Die Krippe auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt von Max Renner und Berti Kuch, Bam­ berg 2006. (Clemens Wächter) ................................................................................... Christian Schmidt / Georg Stolz: Soli Deo Gloria. Die Orgeln von St. Lorenz, Nürnberg 2005. (Thomas Röder)................................................................................................. Marion Voigt (Hg.): Lust auf Bücher. Nürnberg für Leser, Nürnberg 2005. (Martin Schieber)...................................................................................................................... Ingmar Reither: Geschichte zwischen den Zeilen. Die Nutzung fiktionaler Texte als ge­ schichtliche Quellen, Schwalbach/Ts 2005. (MartinSchieber)................................

358 361

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370 372 376 378

379 380 381 382

Kirchengeschichte, Judentum Barbara Steinke: Paradiesgarten oder Gefängnis? Das Nürnberger Katharinenkloster zwischen Klosterreform und Reformation, Tübingen 2006. (Horst-Dieter Beyerstedt) Antonio Rigon u.a. (Hg.): San Rocco. Genesi e prima espansione di un culto. Incontro di Studio - Padova 12-13 febbraio 2004, Bruxelles 2006. (Peter Zahn) ....................... Andreas Jakob u.a. (Hg.): Das Himmelreich zu Erlangen - offen aus Tradition? Aus 1000 Jahren Bamberger Bistumsgeschichte, Erlangen 2007. (Helmut Flachenecker) Eberhard Krauß: Exulanten im Evang.-Luth. Dekanatsbezirk Nürnberg. Eine familien­ geschichtliche Untersuchung, Nürnberg 2006. (Helmut Baier)............................... Erika Geiger: Wilhelm Löhe (1808-1872). Leben, Werk, Wirkung, Neuendettelsau 2003. (Matthias Honold).......................................................................................................

VIII

384 387 389 390 391

Axel Töllner: Eine Frage der Rasse? Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, der Arierparagraf und die bayerischen Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren im „Drit­ ten Reich“, Stuttgart 2007. (Helmut Baier)................................................................ Peter Kuhn: Jüdischer Friedhof Georgensgmünd, München/Berlin 2006. (Gerhard Jochem) Reinhard Weber: Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, Mün­ chen 2006. (Gerhard Jochem)..................................................................................... Wolf M. Hergert (Hg.): „Verfolgt, vertrieben, ermordet“. Das Schicksal der Jüdinnen an einer Nürnberger Oberschule 1933-1945, Nürnberg 2007. (Herbert Schott)..........

393 397 398 399

Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik Werner Kraus (Hg.): Schauplätze der Industriekultur in Bayern, Regensburg 2006. (Clemens Wächter) ..................................................................................................... Vera L o s s e u.a. (Hrsg.): Kommunikation und Postgeschichte anschaulich gemacht. 100 Jahre Museum für Kommunikation Nürnberg, Bonn 2005. (Clemens Wächter) . ..

401 401

Personen und Familien Georg Seiderer: Paul Wolfgang Merkel (1756-1820). Kaufmann, Reformer, Patriot. Eine Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg und der Museen der Stadt Nürnberg im Stadtmuseum Fembohaus, Nürnberg 2006. (Rainer Mertens) ................................. Johann Fleischmann (Hg.): Geschichtssplitter und Chronik der Familie Steinacher. Spu­ ren jüdischer Vergangenheit an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach, Mühlhausen 2006. (Gerhard Jochem) ............................................................................................. „Solange ich lebe, hoffe ich.“ Die Aufzeichnungen des ungarischen KZ-Häftlings Agnes Rösza 1944/45 in Nürnberg und Holleischen, Nürnberg 2006. (Eckhart Dietzfelbinger).............................................................................................................

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IX

VERZEICHNIS DER MITARBEITER Bach-Damaskinos, Ruth, M.A., Kunsthistorikerin, Graudenzer Str. 25, 90491 Nürnberg Bai er, Helmut, Dr., Archivdirektor i.R., Düsseldorfer Str. 62, 90425 Nürn­ berg Bauernfeind, Martina, Dr., Historikerin, Karl-Hertel-Str. 33, 90475 Nürnberg Bauern feind, Walter, Dr., Archivoberrat, Nürnberg, Karl-Hertel-Str. 33, 90475 Nürnberg Beer, Helmut, Dr., Stadthistoriker, Bärenschanzstraße 63, 90429 Nürnberg Beyerstedt, Horst-Dieter, Dr., Archivoberrat, Thumenberger Weg 38, 90491 Nürnberg Borchardt, Karl, Dr., Prof., Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber, Milch­ markt 2, 91541 Rothenburg ob der Tauber Diefenbacher, Michael, Dr., Ltd. Archivdirektor, Ringstr. 17, 91560 Heils­ bronn Dietzfelbinger, Eckart, Dr., Historiker, Hintere Cramergasse 8, 90478 Nürnberg Fischer-Pache, Wiltrud, Dr., Archivdirektorin, Keßlerplatz 7, 90489 Nürn­ berg Flachenecker, Helmut, Prof. Dr., Lehrstuhl für Fränkische Landesge­ schichte, Institut für Geschichte, Am Hubland, 97074 Würzburg Fleischmann, Peter, Dr., Archivdirektor, Staatsarchiv Augsburg, SalomonIdler-Str. 2, 86159 Augsburg Frommer, Hartmut, Dr., Stadtrechtsdirektor, Judengasse 25, 90403 Nürn­ berg Gebhardt, Walter, Bibliotheksamtsrat, Drausnickstr. 8, 91052 Erlangen Hahn, Philip, Mphil (Cantab.), Unterer Kirchplatz 2, 97084 Würzburg Haeusler, Jochen, Dr.-Ing., Erlenstegenstr. 120a, 90491 Nürnberg Hirsch, Martin, Kunsthistoriker, Winzererstr. 178, 80797 München H o n o 1 d, Matthias, Historiker, Zentralarchiv Diakonie Neuendettelsau, Wilhelm-Löhe-Str. 23, 91564 Neuendettelsau Jakob, Andreas, Dr., Archivoberrat, Stadtarchiv Erlangen, Cedernstr. 1, 91051 Erlangen Jakob, Reinhard, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ignatius-BlenningerStraße 9, 80995 München Jochem, Gerhard, Archivamtmann, Mostgasse 8, 90402 Nürnberg Kölbel, Richard, Oberstudiendirektor i.R., Neuwerker Weg 66, 90547 Stein

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Luther, Edith, Dr., Kunsthistorikerin; A.W. Faber-Castell Unternehmens­ verwaltung GmbH & Co.KG, Nürnberger Str. 2, 90546 Stein Machilek, Franz, Prof. Dr., Archivdirektor i.R., Hohenstauferstr.10, 96049 Bamberg May, Herbert, M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fränkisches Freiland­ museum Bad Windsheim, Stadtheimatpfleger Nürnberg, Kraftshofer Hauptstr. 195, 90427 Nürnberg Mertens, Rainer, Dr., Historiker, DB Museum im Verkehrsmuseum Nürn­ berg, Lessingstraße 6, 90443 Nürnberg Röder, Thomas, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Nibelungenstr. 17, 90461 Nürnberg Sauer, Christine, Dr., Leiterin der Abteilung Handschriften und Alte Drucke, Orts- und Landeskunde, Stadtbibliothek Nürnberg, Egidienplatz 23, 90317 Nürnberg Scherbaum, Anna, Dr., Kunsthistorikerin, Kunst- und Kulturpädago­ gisches Zentrum der Museen in Nürnberg, Kartäusergasse 1, 90402 Nürn­ berg Schieber, Martin M.A., Historiker, Palmsanlage 4a, 91054 Erlangen Schnabel, Werner Wilhelm, PD Dr., Institut für Germanistik der FriedrichAlexander-Universität, Bismarckstraße 1, 91054 Erlangen Schö I er, Eugen, Konrektor i.R., Heinrich-Krauß-Str. 3, 91126 Schwabach Schön lein, Peter, Dr., Altoberbürgermeister, Oberstudiendirektor i.R., Eisensteiner Str. 68, 90480 Nürnberg Schott, Herbert, Dr., Archivdirektor, Staatsarchiv Nürnberg, Archivstr. 17, 90408 Nürnberg Schultheiß, Ernst-Friedrich, Dr., Oberstudiendirektor, Postfach 190119, 90118 Nürnberg S e e 1 o s, Alexander M.A., Historiker und Buchwissenschaftler, Milchstraße 5, 81667 München Seiderer, Georg, PD Dr., Universität Augsburg, Universitätsstr. 10, 86135 Augsburg Seyboth, Reinhard, Dr., Historiker, Stefan-Zweig-Weg 22, 93051 Regensburg Stolz, Georg, Baumeister St. Lorenz i.R., Stadtheimatpfleger, Kuckucksweg 6, 90768 Fürth Thoms, Robert, Diplomarchivar, Werderscher Damm 30, 14548 Schwielowsee, Potsdam Wildpark Wächter, Clemens, Dr., Universitätsarchivar, Archiv der Friedrich-Alexan­ der-Universität Erlangen-Nürnberg, Schuhstr. la, 91052 Erlangen Zahlaus, Steven M., M.A., Historiker, Steinheilstr. 43, 91058 Nürnberg Zahn, Peter, Dr., Univ.-Prof., Bibliotheksdirektor a.D., Brentanostr. 19, 80807 München

XI

NÜRNBERGS ROLLE AUF DEN REICHSVERSAMMLUNGEN UND STÄDTETAGEN DES AUSGEHENDEN 15. JAHRHUNDERTS Von Reinhard Seyboth 1. Einleitung Keine andere deutsche Stadt hatte während des gesamten späten Mittelalters ein derart enges Verhältnis zu Kaiser und Reich wie Nürnberg. Diese Ver­ bundenheit bestand keineswegs zufällig, vielmehr war im Bewusstsein der Nürnberger zu allen Zeiten der Gedanke lebendig, dass schon die Entstehung ihrer Stadt um die Mitte des 11. Jahrhunderts auf einem politischen Willensakt Kaiser Heinrichs III. beruhte, sie unter den Stauferherrschern Friedrich I. und Friedrich II. eine erste große Blüte erlebte, dem Wittelsbacher Ludwig dem Bayern weitere nachhaltige Förderung und schließlich den luxemburgischen Kaisern Karl IV. und Sigmund den Aufstieg zur europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Kulturmetropole maßgeblich mitzuverdanken hatte. Anfang des 15. Jahrhunderts war bewusst praktizierte und immer wieder aufs Neue öffent­ lich demonstrierte Reichstreue für die Nürnberger Bürger längst zu einem un­ verrückbaren politischen Grundprinzip geworden.1 Unter Kaiser Friedrich III. (reg. 1440-1493) kühlte das enge Verhältnis zwar deutlich ab, da dieser Monarch mit Gunsterweisen an die Städte generell wesentlich sparsamer um­ ging als seine Vorgänger, dennoch war Nürnberg eingedenk seiner Jahrhun­ derte lang so überaus vorteilhaften Kontakte zu sämtlichen Reichsoberhäup­ tern bemüht, sich auch mit dem Habsburger möglichst gut zu stellen.2 1

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Zu den Beziehungen Nürnbergs zu Kaiser und Reich vgl. Hermann Heimpel: Nürnberg und das Reich im Mittelalter, in: ZBLG 16 (1951), S. 231-264; Rudolf Endres: Kaisertreue und Reichsbewußtsein in Nürnberg, in: Nürnberg - Kaiser und Reich. Ausstellung des Staats­ archivs Nürnberg, Nürnberg, Staatsarchiv, 20. September - 31. Oktober 1986 (Ausstellungs­ kataloge der Staatlichen Archive Bayerns 2), Nürnberg 1986, S. 141-145; Ders.: „Carissima civitas“. Kaiserstadt und Aufbewahrungsort der Reichsinsignien, in: Hauptstadt. Zentren, Residenzen, Metropolen in der deutschen Geschichte. Katalog zur Ausstellung in Bonn vom 19. Mai -20. August 1989, hg. von Bodo-Michael Baumunk und Gerhard Brunn, Köln 1989, S. 72-87; Dieter J. Weiß: Des Reiches Krone - Nürnberg im Spätmittelalter, in: Nürnberg. Eine europäische Stadt in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Helmut Neuhaus (Nürnberger For­ schungen 29), Nürnberg 2000, S. 23-41. Ein besonders aussagekräftiges Indiz für die intensiven Kontakte Nürnbergs zu Friedrich III. sind die zahllosen Schreiben, die der Monarch im Laufe seiner über fünfzigjährigen Regie­ rungszeit an die fränkische Reichsstadt richtete. Von denjenigen aus dem Zeitraum 1440-1455 sind viele in Regestenform ediert: Regesten Kaiser Friedrichs III., hg. von Heinrich Koller, Paul-Joachim Heinig und Alois Niederstätter, Heft 14: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken der Stadt Nürnberg, Teil 1: 1440-1449, bearb. von Dieter Rüb-

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Reinhard Seyboth

Dieses von einer so langen Tradition maßgeblich geprägte Verhältnis Nürn­ bergs zu Kaiser und Reich trat gegen Ende des 15. Jahrhunderts in ein neues Stadium ein. Angesichts der nunmehr durch Kurfürsten und Fürsten vom Reichsoberhaupt nachdrücklich geforderten Mitsprache- und Mitgestaltungs­ rechte in der Reichspolitik waren auch die führenden Reichsstädte bemüht, sich mehr Gehör und größeren Einfluss zu verschaffen. Am besten gelang dies zweifellos Nürnberg, indem es konsequent eine den spezifischen Erfordernis­ sen der Zeit klug angepasste Politik betrieb, die durch vier Merkmale gekenn­ zeichnet war: bewusstes Festhalten an der herkömmlichen Nähe zum Reichs­ oberhaupt, aktive Mitarbeit bei der Lösung reichspolitischer Probleme, Über­ nahme bestimmter Dienste für den Kaiser und in der Reichsverwaltung sowie eine konzeptionelle Führungsrolle unter den Frei- und Reichsstädten. Der vor­ liegende Beitrag unternimmt den Versuch, diese Leitlinien der Nürnberger Reichspolitik dort zu erfassen, wo sie am deutlichsten zu Tage traten: auf den Reichsversammlungen und den allgemeinen Städtetagen der Jahre 1480 bis 1500.3 Dieser Zeitraum bietet sich nicht nur deshalb an, weil es in diesen beiden Jahrzehnten zu einer außergewöhnlich dichten Abfolge sowohl von Reichs- als auch von Städteversammlungen kam, sondern auch wegen der besonders günstigen Quellenbasis. So enthalten die bisher erschienenen Bände der drei großen Editionsreihen zur Reichsgeschichte des ausgehenden 15. Jahrhun­ derts, die „Deutschen Reichstagsakten unter Maximilian I.“4, die „Regesten

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samen, Wien/Weimar/Köln 2000; Heft 19: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken der Stadt Nürnberg, Teil 2: 1450-1455, bearb. von Dieter Rübsamen, Wien/ Weimar/Köln 2004. Zu den Beziehungen Nürnbergs zu Kaiser Friedrich III. vgl. auch PaulJoachim Heinig: Kaiser Friedrich III. (1440—1493). Hof, Regierung und Politik. 3 Teilbde (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 17), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 1136-1141. Zur Verfassungsdiskussion auf den Reichsversammlungen des späteren 15. Jahrhunderts vgl. allgemein Eberhard Isenmann: Kaiser, Reich und deutsche Nation am Ausgang des 15. Jahr­ hunderts, in: Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter, hg. von Joachim Ehlers (Nationes 8), Sigmaringen 1989, S. 146-246; Reinhard Seyboth: Die Reichstage der 1480er Jahre, in: Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter, hg. von Peter Moraw (Vorträge und Forschungen 48), Stuttgart 2002, S. 519-545. Die Politik der Städte auf den spätmittelalterlichen Reichsversammlungen, allerdings ohne spezifische Bezug­ nahme auf Nürnberg, beleuchtet Eberhard Isenmann: Die Städte auf den Reichstagen im aus­ gehenden Mittelalter, in: Deutscher Königshof (wie Anm. 3), S. 547-577. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Erster Bd.: Reichstag zu Frankfurt 1486,2 Teile, bearb. von Heinz Angermeier unter Mitwirkung von Reinhard Seyboth (Deutsche Reichstags­ akten Mittlere Reihe 1), Göttingen 1989; Zweiter Bd.: Reichstag zu Nürnberg 1487, 2 Teile, bearb. von Reinhard Seyboth (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 2), Göttingen 2001; Dritter Bd.: 1488-1490, bearb. von Ernst Bock (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 3), Göttingen 1972/73; Vierter Band: Reichsversammlungen 1491-1493, bearb. von Reinhard Sey­ both (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 4), München 2008; Fünfter Bd.: Reichstag von Worms 1495, 2 Bde. in 3 Teilen, bearb. von Heinz Angermeier (Deutsche Reichstagsakten Mitt-

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Nürnbergs Rolle auf den Reichsversammlungen und Städtetagen

Kaiser Friedrichs III. (1440-1493) nach Archiven und Bibliotheken geordnet“5 sowie die „Ausgewählten Regesten des Kaiserreiches unter Maximilian I. 1493—1519“6 eine Fülle einschlägigen Materials, das sich durch die reiche Über­ lieferung des Staatsarchivs Nürnberg noch um etliche wichtige ungedruckte Stücke ergänzen lässt.

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lere Reihe 5), Göttingen 1981; Sechster Bd.: Reichstage von Lindau, Worms und Freiburg 14961498, bearb. von Heinz Gollwitzer (Deutsche Reichstagsakten Mittlere Reihe 6), Göttingen 1979 [zit.: RTA MR 1,2, 3 usw.]. - Der letzte für den Untersuchungszeitraum relevante Reichs­ tagsaktenband der Mittleren Reihe, Bd. 7: Reichstage und Reichsversammlungen 1499-1503, ist in Vorbereitung. Von den 21 bislang erschienenen Heften dieser Reihe erfassen folgende auch den Zeitraum von 1480 bis zum Tod Kaiser Friedrichs III. 1493: Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440-1493) nach Archiven und Bibliotheken geordnet, hg. von Heinrich Koller [ab Heft 9: hg. von Heinrich Koller und Paul-Joachim Heinig, ab Heft 13: hg. von Heinrich Koller, Paul-Joachim Heinig und Alois Niederstätter], Heft 1: Die Urkunden und Briefe aus Stadtarchiven im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (München) (mit Ausnahme von Augsburg und Regensburg), bearb. von Heinrich Koller, Wien/Köln/Graz 1982; Heft 2: Urkunden und Briefe aus Klosterarchiven im Bayerischen Hauptstaatsarchiv (München), bearb. von Christine Edith Janotta, Wien/Köln/ Graz 1983; Heft 3: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Regie­ rungsbezirks Kassel (vornehmlich aus dem hessischen Staatsarchiv Marburg/L.), bearb. von Paul-Joachim Heinig, Wien/Köln/Graz 1983; Heft 4.: Die Urkunden und Briefe aus dem Stadt­ archiv Frankfurt am Main, bearb. von Paul-Joachim Heinig, Wien/Köln/Graz 1986; Heft 5: Die Urkunden und Briefe aus dem Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, bearb. von Ronald Neumann, Wien/Köln/Graz 1988; Heft 6: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven des Kantons Zürich (vornehmlich aus dem Staatsarchiv Zürich), bearb. von Alois Niederstätter, Wien/Köln/Graz 1989; Heft 7: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Regierungsbezirks Köln, bearb. von Thomas R. Kraus, Wien/Köln/Graz 1990; Heft 8: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven der Regierungsbezirke Darmstadt und Gießen, bearb. von Dieter Rübsamen, Wien/Weimar/Köln 1993; Heft 9: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken der Regierungsbezirke Koblenz und Trier, bearb. von Ronald Neumann, Wien/Weimar/Köln 1996; Heft 10: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Landes Thüringen, bearb. von Eberhard Holtz, Wien/Weimar/Köln 1996; Heft 11: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven des Freistaates Sachsen, bearb. von ElfieMarita Eibl, Wien/Weimar/Köln 1998; Heft 15: Die Urkunden und Briefe aus den Beständen „Reichsstadt“ und „Hochstift“ Regensburg des Bayerischen Hauptstaatsarchivs in München sowie den Regensburger Archiven und Bibliotheken, bearb. von Franz Fuchs und Karl-Fried­ rich Krieger, Wien/Weimar/Köln 2002; Heft 16: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, bearb. von Eberhard Holtz, Wien/ Weimar/Köln 2002; Heft 17: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken der Stadt Speyer, bearb. von Joachim Kemper, Wien/Weimar/Köln 2002; H. 20: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken der Bundesländer Berlin, Brandenburg und Meck­ lenburg-Vorpommern sowie des Archiwum Panstwowe w Szczecinie/Staatsarchivs Pommern für die historische Provinz Pommern, bearb. von Elfie-Marita Eibl, Wien/Weimar/Köln 2004; Heft 21: Die Urkunden und Briefe aus den schlesischen Archiven und Bibliotheken der Repub­ lik Polen (mit Nachträgen zum Heft Sachsen), bearb. von Eberhard Holtz, Wien/Weimar/Köln 2006 [zit.: Regesten Kaiser Friedrichs 1, 2, 3 usw.]. J. F. Böhmer: Regesta Imperii. XIV: Ausgewählte Regesten des Kaiserreiches unter Maximi­ lian I. 1493-1519, Bd. 1/1. Teil: Maximilian I. 1493-1495 [zit.: Regesten 1/1], 2. Teil: Österreich, Reich und Europa 1493-1495, bearb. von Hermann Wiesflecker u.a., Köln/Wien 1990 [zit.:

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Reinhard Seyboth

2. Nürnbergs Beteiligung an Reichsversammlungen und Städtetagen Nürnbergs enge Verbundenheit mit dem Reich, sein großes Interesse an den Reichsangelegenheiten und seine Bereitschaft, sich für sie zu engagieren, deutet sich bereits an bei einem Blick auf die nachfolgende Tabelle, die die quantitative Beteiligung der Reichsstadt an den Reichsversammlungen zwischen 1480 und 1500 zeigt.

Nürnbergs Beteiligung an Reichsversammlungen 1480-1500

7

8 9 10 11 12

13

4

Ort Nürnberg Nürnberg Frankfurt Frankfurt Nürnberg Frankfurt Nürnberg Metz Koblenz Colmar Worms

Zeit 1480 Dez. 1481 Aug. 1485 Jan. - Febr. 1486 Febr. - März 1487 März - Juli 1489 Juni-Juli 1491 März-Juli 1492 August/September 1492 Sept. - Okt. 1493 Febr. - März 1495 März - Aug.

Lindau

1496 Aug. - 1497 Febr.

Gesandte(r) Nürnbergs (kein Gesandter, da Nürnberg Tagungsort) (kein Gesandter, da Nürnberg Tagungsort) nicht vertreten Gabriel Nützel, Ulman Stromer7 (kein Gesandter, da Nürnberg Tagungsort) Paul Volkmeier8 (kein Gesandter, da Nürnberg Tagungsort) Ulman Stromer9 Ulman Stromer10 nicht vertreten11 Dr. Johann Letscher, Niclas Groland, Anton Tücher, Ulman Stromer, Anton Tetzel. Johann Wettmann12 Anton Tetzel, Andreas Tücher 3

Regesten 1/2]; Bd. 2/1. Teil: Maximilian I. 1496-1498 [zit.: Regesten 2/1], 2. Teil: Österreich, Reich und Europa 1496-1498, bearb. von Hermann Wiesflecker unter Mitwirkung von Man­ fred Hollegger, Kurt Riedl, Ingeborg Wiesflecker-Friedhuber, Wien/Köln/Weimar 1993 [zit.: Regesten 2/2]; Bd. 3/1. Teil: Maximilian I. 1499-1501 [zit.: Regesten 3/1], 2. Teil: Österreich, Reich und Europa 1499-1501, bearb. von Hermann Wiesflecker unter Mitwirkung von Christa Beer, Theresia Geiger, Manfred Hollegger, Kurt Riedl, Ingeborg Wiesflecker-Friedhuber, Wien/Köln/Weimar 1996/1998 [zit.: Regesten 3/2]. Teilnehmerverzeichnis vom Frankfurter Reichstag, RTA MR 1 (wie Anm. 4), Nr. 911 S. 898; Nürnberg an Nützel und Stromer, 20./25.3.1486, St AN Rst. Nürnberg, Briefbücher [zit: BB] 39, fol. 214’, 216’. Nürnberg an Volkmeier in Frankfurt, 20./25.7.1489, RTA MR 3 (wie Anm. 4), S. 1148f., 1149f. Nürnberg an Stromer, 3./7.9.1492, RTA MR 4 (wie Anm. 4), Nr. 754, 757. Nürnberg an Stromer, 3./8.10.1492, ebd., Nr. 856, 857. Nürnberg an Colmar, 23.2./8.3.1493, ebd., Nr. 1044 Anm. 2. Nürnberg an seine Gesandten in Worms, 30.4./31.7./4.8.1495, RTA MR 5 (wie Anm. 4), Nr. 1497, 1501, 1502; Abrechnung Tuchers über die Kosten seines Aufenthalts am königlichen Hof und auf dem Wormser Reichstag, 10.9.1495, ebd., Nr. 1512. Nürnberg an Tetzel und Tücher in Lindau, 22.9.1496, RTA MR 6 (wie Anm. 4), S. 165f. Nr. 65; Weisungen Nürnbergs für Tetzel, 1./25.10.1496, ebd., S. 181 Nr. 87, S. 204 Nr. 126.

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Worms Freiburg Köln Überlingen Augsburg

Nürnbergs Rolle auf den Reichsversammlungen und Städtetagen

1497 April - Sept. 1497 Okt. - 1498 Sept. 1499 Febr. - März 1499 Mai 1500 März - Aug.

Anton Tetzel14 Anton Tetzel15 Anton Tetzel16 Willibald Pirckheimer17 Anton Tetzel, Dr. Johann Letscher, Heinrich Wolff, Konrad Imhoff, Johann Mülbeck, Martin Holfelder18

Die Übersicht lässt erkennen, dass Nürnberg an 15 der 17 Reichsversamm­ lungen im Zeitraum 1480-1500 teilnahm. Viermal war es selbst Gastgeber für die Reichsglieder19, elfmal schickte es Gesandte. Nur zwei Zusammenkünfte fanden ohne Nürnberger Beteiligung statt: der Tag zu Frankfurt Anfang 1485, zu dem Kaiser Friedrich III. nicht persönlich erschien, sowie das allgemein recht schwach besuchte Colmarer Treffen im Februar/März 1493. Kaum eine andere der zahlreichen Frei- und Reichsstädte erreichte eine so hohe Teil­ nahmequote bei Reichsversammlungen wie Nürnberg.20 Nürnberg war also 14 Nürnberg an Tetzel in Worms, 2./19./21.7.1497, ebd., S. 428 Nr. 85, S. 446 Nr. 113, S. 451 Nr. 119, S. 455 Nr. 128; Tetzel an Nürnberg, Worms, 19.8.1497, ebd., S. 479 Anm. 233. 15 Nürnberg an Tetzel in Freiburg, 19.3./11.5.1498, ebd., S. 550 Nr. 85, S. 577 Nr. 124. 16 Regesten 3/2 (wie Anm. 6), Nr. 12962a, 12986, 13085, 13088. 17 Nürnberg an Pirckheimer, 11.5.1499, Willibald Pirckheimer: Briefwechsel, Bd. 1: 1491-1507, hg. und eingel. von Emil Reicke und Arnold Reimann (Veröffentlichungen der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Reformation und der Gegenreformation/Humanisten­ briefe 4), München 1940 [zit.: Pirckheimer-Briefwechsel], S. 81. 18 Abrechnung Tetzeis über die Kosten des Aufenthalts der Nürnberger Gesandtschaft auf dem Augsburger Reichstag, StAN Rst. Nürnberg, Stadtrechnungsbelege Einzelbelege Nr. 680, fol. 143-144. 19 Vor allem aufgrund seiner Reichstreue, seiner engen Verbundenheit mit allen Kaisern, seiner zentralen geografischen Lage sowie seiner organisatorischen Leistungsfähigkeit und Erfahrung gehörte Nürnberg im 15. Jahrhundert zu den gefragtesten Tagungsorten von Reichsversamm­ lungen. Vgl. dazu Reinhard Seyboth: Reichsstadt und Reichstag. Nürnberg als Schauplatz von Reichsversammlungen im späten Mittelalter, in: Festschrift Alfred Wendehorst. Zum 65. Ge­ burtstag gewidmet von Kollegen, Freunden, Schülern, hg. von Jürgen Schneider und Gerhard Rechter, Bd. 1 (Jahrbuch für fränkische Landesforschung 52), Neustadt a. d. Aisch 1992, S. 209-221. 20 Fasst man alternativ die Jahre von 1495 bis 1545 ins Auge, so ergibt sich für Nürnberg sogar eine noch höhere Beteiligungsquote, nahm es doch an sämtlichen 28 Reichsversammlungen in diesem Zeitraum teil. Eine Quote von 100% kann sonst nur Frankfurt aufweisen. Siehe die Tabelle bei Georg Schmidt: Der Städtetag in der Reichsverfassung. Eine Untersuchung zur kor­ porativen Politik der Freien Reichsstädte in der ersten Ffälfte des 15. Jahrhunderts (Veröffent­ lichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 113; Bei­ träge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 5), Stuttgart 1984, S. 38. - Zur Beteiligung Kölns an Reichsversammlungen liegen zwei detaillierte Erhebungen vor, und zwar die Übersicht „Vertretung der Stadt Köln auf Reichsversammlungen 1397-1495“ bei Johannes Helmrath: „Köln und das Reich“. Beobachtungen zu Reichstagsakten, Reichstagen, Städte­ tagen, in: Geschichte in Köln 43 (1998), S. 5-32, hier S. 31 f., sowie eine Zusammenstellung der

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Reinhard Seyboth

auf diesem Feld nahezu durchgehend präsent, was nach außen hin viel Enga­ gement, Erfahrung und Kompetenz in Reichsangelegenheiten signalisierte und der Stadt selbst die Garantie bot, über alle reichspolitisch wichtigen Themen und Entwicklungen unmittelbar auf dem Laufenden zu bleiben. Ein fast noch eindeutigeres Bild ergibt sich bei den allgemeinen Städtetagen, also jenen Zusammenkünften, zu denen nicht nur die Städte eines bestimmten politischen Verbandes (z.B. Schwäbischer Bund, Landvogtei im Eisass) oder einer bestimmten Region (z.B. das Oberrheingebiet), sondern grundsätzlich alle Frei- und Reichsstädte Zugang hatten. Diese Versammlungen waren auch deshalb bedeutungsvoll, weil auf ihnen die Städte häufig die Ergebnisse des jeweils vorausgegangenen Reichstags diskutierten und ihre politische Marsch­ richtung für den nachfolgenden Reichstag festlegten. Die Vielzahl allgemeiner Städtetage im Untersuchungszeitraum hat seine Ursache also vornehmlich in der dichten Abfolge von Reichsversammlungen in dieser Periode, zwischen beiden Versammlungsformen bestand ein enger zeitlicher und inhaltlicher Zu­ sammenhang.

Nürnbergs Beteiligung an Städtetagen 1480-1496

21 22 21 24 25 26 27 28

6

Ort

Zeit

Gesandte(r) Nürnbergs

Esslingen Speyer Speyer Esslingen Esslingen Speyer Speyer Esslingen

1480 Febr. 2 1480 März 12 1480 Mai 31 1481 Febr. 4 1481 Sept. 21 1481 Okt. 16 1482 Juni 6 1486 April 3

Ulman Stromer21 Ulman Stromer22 Ulman Stromer23 Ulman Stromer24 Ulman Stromer25 Ulman Stromer26 Sebald Rieter27 Niclas Groland28

„Vertreter der Stadt Köln auf Reichs-, Städte- und Hansetagen 1396-1604“ bei Joachim Deeters: Köln auf Reichs- und Hansetagen 1396 bis 1604. Ein Vergleich, in: Hansische Geschichts­ blätter 119 (2001), S. 103-133, hier S. 128-133. Beide Verzeichnisse lassen sich für die Jahre 1480-1500 in Einzelheiten ergänzen. Abschied mit Liste der Gesandten, StadtA Ulm, A 675, Nr. 11. Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 12. Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 13. Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 14. Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 15. Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 16. Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 17. Abschied mit Nennung der Gesandten, RTA MR 1 (wie Anm. 4), Nr. 374.

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Esslingen Esslingen Speyer Speyer Speyer Heilbronn Heilbronn Nürnberg Speyer Speyer Speyer Speyer Speyer Speyer Speyer Speyer Speyer

Nürnbergs Rolle auf den Reichsversammlungen und Städtetagen

1486 Juli 17 1486 Aug. 4 1486 Sept. 25 1486 Nov. 13 1486 Dez. 11 1487 Febr. 4-5 1487 März 18 1487 April 8 1489 Nov. 30 1490 Juni 13 1492 März 27 1492 Mai 28 1492 Juli 18 1492 Okt. 30 1492 Nov. 30 1496 Juni 7 1496 Juli 26

Niclas Groland29 nicht vertreten30 Ulman Stromer31 Ulman Stromer32 Ulman Stromer33 nicht vertreten34 Ulman Stromer35 (kein Gesandter, da Nürnberg Tagungsort)36 Ulman Stromer37 Ulman Stromer38 vertreten, Gesandter nicht bekannt39 Ulman Stromer40 Ulman Stromer41 vertreten, Gesandter nicht bekannt42 vertreten, Gesandter nicht bekannt43 Ulman Stromer44 Ulman Stromer45

29 Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 426; Nürnberg an Groland, 14.7.1486, ebd., Nr. 422. 30 Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 440. 31 Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 457. 32 Abschied mit Liste der Gesandten, StadtA Speyer, I A 250/2, fol. 98-100’. 33 Abschied mit Liste der Gesandten, RTA MR 1 (wie Anm. 4) Nr. 493; Nürnberg an Stromer, 18.12.1486, RTA MR 2 (wie Anm. 4), Nr. 52. 34 Abschied mit Liste der Gesandten, RTA MR 2 (wie Anm. 4), Nr. 520. Vgl. auch das Entschul­ digungsschreiben Nürnbergs an die in Heilbronn versammelten Städtegesandten, 2.2.1487, ebd., Nr. 56. 35 Abschied mit Liste der Gesandten, ebd., Nr. 69. 36 Ein förmlicher Abschied existiert nicht, vgl. jedoch ebd., Nr. 456, 466. 37 Abschied mit Liste der Gesandten, StadtA Ulm, A 675, Nr. 25. - Der auf Betreiben Nürnbergs (Nürnberg an Frankfurt, 23.1.1490, St AN Rst. Nürnberg, BB 41, fol. 103) für den 24. Februar 1490 nach Speyer anberaumte Städtetag wurde wieder abgesagt. 38 Der Städtetag war von Nürnberg zunächst für den 2. Mai anberaumt (Nürnberg an Frankfurt, 19.4.1490, St AN Rst. Nürnberg, BB 41, fol. 131), wurde dann aber auf den 13. Juni verschoben. Vgl. auch Nürnberg an Ulman Stromer, 10.6.1490, ebd., fol. 149’. 39 Nürnberg an Straßburg, 14.3.1492, ebd., fol. 9394; Nürnberg an Speyer, 3.4.1492, ebd., fol. 100’; Ratsgesandte Straßburgs, Nürnbergs, Frankfurts und Speyers an Köln und andere Städte, 13.4.1492, StadtA Frankfurt, Reichssachen 6629, fol. 3. 40 Abschied mit Liste der Gesandten, StadtA Speyer, I A 250/1, fol. 116-117’. 41 Ratsgesandte Straßburgs, Worms’, Nürnbergs, Frankfurts und Speyers an die nicht vertretenen Städte, 19.7.1492, RTA MR 4 (wie Anm. 4), Nr. 816. 42 Ratsgesandte Straßburgs, Nürnbergs, Frankfurts und Speyers an die nicht vertretenen Städte, 30.10.1492, ebd., Nr. 956. 43 Abschied, ebd., Nr. 960. 44 Abschied mit Liste der Gesandten, StadtA Speyer, 1 A 250/1, fol. 130-130’. 45 Abschied mit Liste der Gesandten, StadtA Speyer, 1 A 238/1, fol. 20-21’.

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Der vorstehenden Übersicht ist zu entnehmen, dass Nürnberg sich an 23 der 25 reichsweiten Städteversammlungen zwischen 1480 und 1496 beteiligte, aller­ dings nur ein einziges Mal selbst Gastgeber war, und zwar für das parallel zum Reichstag 1487 stattfindende Städtetreffen. Auch bei den Städtetagsteilnahmen wurde Nürnberg von keiner anderen Kommune im Reich übertroffen46, ein klarer Beweis dafür, dass es dieses Engagement sowohl im eigenen wie auch im gemeinstädtischen Interesse für überaus wichtig erachtete. 3. Das Nürnberger Gesandtschaftswesen auf Reichsversammlungen und Städtetagen a) Quellenüberlieferung Im Gegensatz zu den Kurfürsten, Fürsten, Grafen und Herren, die ihre Belange persönlich auf den Reichsversammlungen vertreten konnten, mussten die Städte ihre dortigen Angelegenheiten in die Hände von Ratsgesandten legen. Von deren Wissen, Können, Erfahrung und diplomatischem Geschick hing es oftmals entscheidend ab, ob die Stadt ihre angestrebten Ziele auf der jeweiligen Tagung erreichte. Deshalb war ein leistungsfähiges Gesandtschafts­ wesen vor allem für eine so bedeutende Metropole wie Nürnberg, die viel­ fältige, weitreichende, z.T. auch komplizierte Verbindungen im ganzen Reich und weit darüber hinaus unterhielt, von großer Bedeutung. Die Quellenlage zum Nürnberger Gesandtschaftswesen auf Reichsver­ sammlungen und Städtetagen des 15. Jahrhunderts ist nicht ganz einfach. Wäh­ rend von vielen ehemaligen Ständen und Städten des Alten Reiches recht um­ fangreiche, teilweise sogar nahezu lückenlose Serien von „Reichstagsakten“ und auch „Städtetagsakten“ überliefert sind, enthält der mit dem Jahr 1452 ein­ setzende Bestand „Reichsstadt Nürnberg Reichstagsakten“ im Staatsarchiv Nürnberg für den Untersuchungszeitraum 1480-1500 nur einige wenige ab­ schriftliche Stücke.47 Originalaufzeichnungen jeglicher Art sucht man darin vergeblich, einen eigenen Nürnberger Bestand „Städtetagsakten“ gibt es über­ haupt nicht. Es ist also nicht möglich, die Nürnberger Reichs- und Städtetags­ politik dieser Periode anhand durchgehender Aktenserien zu verfolgen. Ein weiteres Problem kommt hinzu: Im Zusammenhang mit Tagungen aller Art 46 Zwischen 1495 und 1545 nahm Nürnberg an allen 33 Städtetagen teil. Ebenfalls eine Beteili­ gungsquote von 100 % erreichte nur Ulm. Siehe die Tabelle bei Schmidt, Städtetag (wie Anm. 20), S. 38. 47 Es handelt sich um zwei auch in etlichen anderen städtischen Archiven überlieferte Exemplare der sogenannten „Reichsstädtischen Registratur“ zum Wormser Reichstag 1495, gedruckt in RTA MR 5 (wie Anm. 4), Nr. 1797, sowie um einen Summarischen kurtzen Extrakt aus Reichs­ tagsakten der Jahre 1356-1581.

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stellen Gesandtenberichte in der Regel eine besonders wichtige, weil informa­ tive Quellengruppe dar, da sie den Verlauf der Beratungen zumeist detailliert schildern und sowohl den eigenen Standpunkt als auch den der übrigen Betei­ ligten erkennen lassen. Leider liegen für den relevanten Zeitraum kaum der­ artige Berichte Nürnberger Gesandter vor. Obwohl sie nachweislich von allen Vertretern der Stadt auf Reichsversammlungen in oft recht großer Zahl verfasst wurden, ist allem Anschein nach nur ein einziger erhalten geblieben, geschrie­ ben von Anton Tetzel auf dem Wormser Reichstag 1497.48 Dieser bemerkens­ werte Befund kann kaum auf Zufälligkeiten der Quellenüberlieferung zurück­ zuführen sein, zumal er teilweise auch für die Zeit vor 1480 festzustellen ist.49 Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass der Nürnberger Rat konsequent und systematisch sämtliche Berichte seiner Gesandten auf Reichs- und Städtetagen beseitigte. Der Tetzelsche Bericht ist wahrscheinlich nur deshalb überliefert, 48 Vom 19.8.1497, St AN Rst. Nürnberg, Ratskanzlei, A-Laden 51 Nr. 29; ein kleiner Teil davon ist gedruckt in RTA MR 6 (wie Anra. 4), S. 479 Anm. 233. - Im Repertorium 15a zum Bestand „Ratskanzlei“ sind S. 169 bzw. S. 392 noch folgende Faszikel mit Nürnberger Gesandten­ berichten und anderem reichstagsspezifischem Material aufgeführt, die jedoch laut Vermerk allesamt fehlen: Copien der Schreiben der Statt Nürmberg den Reichstag zu Augspurg betr. 1500; Underschidliche Schreiben wegen der Reichsversammlung zu Freyburg 1498; Anthoni Tetzeis Schreiben, was er bey der Khöniglichen Majestät das niderwerfen und hereinfüren der placker betr. verrichtet 1496. In gewisser Weise einen Sonderfall stellen die Gesandtenberichte vom Augsburger Reichstag 1500 dar, die mindestens bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Nürnberger Archiv vorhanden waren. Auszüge daraus werden zitiert bei Friedrich Wagner: Nürnbergische Geheimschrift im 15. Jahrhundert und zu Anfang des 16. Jahrhunderts, in: Archivalische Zeitschrift 9 (1884), S. 14-62, danach die Wiedergabe in Regesten 3/1, Nr. 1048, 10187, 10205, 10247, 10277, 10291, 10337, 10393, 10411, 10442, 10459. Weder Wagner noch die Regesten geben allerdings eine Bestandssignatur an. Im Rahmen einer eigenen Recherche im Staatsarchiv Nürnberg konnten die Berichte nicht mehr gefunden werden. 49 Auch Gudrun Mandel, die die rege Gesandtentätigkeit des Ratsherrn Peter Volkmeier in der Zeit von 1413 bis 1432 untersucht hat, konstatiert das völlige Fehlen von Berichten. Gudrun Mandel: Studien zur „Außenpolitik“ der Reichsstädte im Spätmittelalter. Nach den deutschen Reichstagsakten von Wenzel bis Friedrich III., Diss. masch. Heidelberg 1951, S. 231. Zum gleichen Ergebnis kommt Ansgar Frenken für die Berichterstattung der Nürnberger Gesandten vom Konstanzer Konzil. Ansgar Frenken: Nürnberger Angelegenheiten in Konstanz. Präsenz und Interessenvertretung der Reichsstadt auf dem Konzil und den Reichstagen von 1414-1418, in: Synodus. Beiträge zur Konzilien- und allgemeinen Kirchengeschichte. Festschrift Walter Brandmüller, hg. von Remigius Bäumer, Evangelos Chrysos, Johannes Grohe, Erich Meuthen und Karl Schnith (Annuarium historiae conciliorum 27/28, 1995/96), Paderborn 1997, S. 383— 433, hier S. 384; Ders.: Nürnberg, König Sigmund und das Reich. Die städtischen Ratsgesand­ ten Sebolt Pfintzing und Petrus Volkmeir in der Reichspolitik, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 58 (1998), S. 97-165. Hingegen sind zahlreiche Berichte des Propsts von St. Sebald, Erasmus Toppier, an den Nürnberger Rat aus den Jahren 1507-1512, die auch das Geschehen auf den Reichstagen in Konstanz 1507, Worms 1509, Augsburg 1510 und Trier 1512 beleuchten, überliefert. Sie sind ediert bei Albert Gümbel (Hg.): Berichte Erasmus Toppiers, Propsts von St. Sebald zu Nürnberg, vom kaiserlichen Hofe 1507-1512, in: Archivalische Zeit­ schrift NF 16(1909), S. 257-314; 17 (1910), S. 125-229.

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weil er - wohl versehentlich - unter Schriftstücke über die Auseinandersetzun­ gen Nürnbergs mit den Ansbacher Markgrafen geriet.50 Grund für die Vor­ sichtsmaßnahme könnte das ausgeprägte Bedürfnis des reichsstädtischen Rates gewesen sein, zu verhindern, dass Informationen über seine besonders sensib­ len auswärtigen Beziehungen absichtlich oder unabsichtlich in die Hände poli­ tischer Konkurrenten gerieten. Um Indiskretionen zu vermeiden, wollte man wohl den Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich halten. Das Fehlen der Gesandtenberichte schränkt die Möglichkeiten, Nürnbergs Politik auf den Reichs- und Städtetagen zu erfassen, naturgemäß nicht uner­ heblich ein. Um so wichtiger ist es, dass wenigstens die Antwortschreiben und Zwischenweisungen des Nürnberger Rates - also gewissermaßen das „andere Ende“ der Informationsschiene - relativ vollständig überliefert sind, wenn auch gleichfalls durch kein einziges Original, sondern ausschließlich kopial in den „Briefbüchern“ des Rates, die generell die wichtigste Quelle für die Erfor­ schung der auswärtigen Politik Nürnbergs darstellen. Diese Ratsschreiben ermöglichen immerhin eine grobe Orientierung über den Inhalt der fehlenden Gesandtenberichte, weil sie - den Schreibgepflogenheiten der Zeit entspre­ chend - zu Beginn meist deren Hauptpunkte knapp zusammengefasst wieder­ holen. Auch nennen sie in der Regel das Ausstellungsdatum des Schreibens, auf das sie sich jeweils beziehen (bisweilen sind es auch mehrere), woraus sich Rückschlüsse auf die Intensität der Berichterstattung ergeben. So sind etwa zum bedeutenden Wormser Reichstag 1495 20 Schreiben des Nürnberger Rates überliefert, in denen 18 Gesandtenberichte aus dem Zeitraum 12. April 16. August erwähnt werden. Dies entspricht einem Durchschnitt von ziemlich genau einem Bericht pro Woche, doch lagen je nach Tagungsverlauf und Wichtigkeit der zu übermittelnden Nachrichten manchmal auch nur wenige Tage zwischen den einzelnen Schreiben. Ähnliches ergibt sich für den Augs­ burger Reichstag 1500, für den 22 Nürnberger Gesandtenberichte zwischen 19. März und 1. Juli bekannt sind. Kennzeichnend für das Bemühen des Nürnberger Rates um größtmögliche Geheimhaltung bei seiner auswärtigen Politik ist auch die Verwendung von Decknamen in der Korrespondenz mit seinen Gesandten. Der Zweck dieses schon vor 1480 häufig praktizierten Verfahrens51 bestand darin, den Inhalt 50 Der entsprechende Faszikel trägt die Bezeichnung Marggräfische Handlungen. 51 Ein Faszikel mit der Bezeichnung Etliche registerlein, wie ein Brief mit vertunkelt und zum Thail unhekhanten Worten zu schreiben 1462 ff. befindet sich im StAN Rst. Nürnberg, Ratskanzlei, A-Laden 133 Nr. 29. Für den Untersuchungszeitraum sind derartige Chiffrierun­ gen zu folgenden Reichsversammlungen nachweisbar: Frankfurt 1489: Nürnberg an seinen Gesandten Paul Volkmeier wegen der angestrebten Exemtion von dem durch die Ansbacher Markgrafen gehandhabten Kaiserlichen Landgericht Burggraftums Nürnberg, RTA MR 3 (wie Anm. 4), S. 1149f. mit Anm. 293; Worms 1495: Übersendung einer verendrung etlicher namen

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wichtiger Schreiben so gut wie möglich zu schützen für den Fall, dass sie politi­ schen Gegnern in die Hände fielen. In Frage kamen dafür in erster Linie Nürn­ bergs traditionelle Hauptwidersacher, die benachbarten Ansbacher Markgra­ fen, mit denen es auch um 1500 massive territorialpolitische Auseinander­ setzungen gab, die auf fast allen Reichsversammlungen dieser Zeit Gegenstand heftiger Debatten und intensiver Vermittlungsbemühungen waren. Da einige wichtige Zufahrtsstraßen nach Nürnberg über markgräfliches Territorium führten, bestand in Spannungszeiten stets die Gefahr, dass dort Schreiben gezielt abgefangen wurden und so den Markgrafen zur Kenntnis gelangten. Um das Verständnis der Briefinhalte zu erschweren, verwendete der Nürnber­ ger Rat in der Korrespondenz mit seinen Gesandten für häufig vorkommende Personen und Begriffe verschleiernde Redewendungen sowie Decknamen, vielfach Tierbezeichnungen. Ob dieses relativ simple Verfahren tatsächlich einen wirksamen Geheimhaltungsschutz bot, erscheint fraglich, da die Namen meist über einen längeren Zeitraum unverändert blieben und zudem die so chiffrierten Schreiben mit einigem Scharfsinn auch aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs wenigstens näherungsweise zu entschlüsseln gewesen sein dürften. b) Das Personal: Ratsgesandte, ständige Vertreter, Juristen Wie die beiden Übersichten zeigen, handelte es sich bei den Gesandten, die Nürnberg auf Reichsversammlungen und Städtetagen vertraten, um einen ziemlichen kleinen Personenkreis, ja, man kann durchaus von einer Art „Stammpersonal“ sprechen, das immer wieder zum Einsatz kam. Vor allem Anton Tetzel, der für seine Heimatstadt sämtliche Reichsversammlungen ab 1495 besuchte, und Ulman Stromer, der an den meisten Städtetagen zwischen 1480 und 1496 teilnahm, galten offenkundig als regelrechte „Experten“ für die beiden Tagungsarten. Aufgrund ihrer speziellen Sachkenntnis und Erfahrung konnten sie sich an der Erörterung schwieriger Themen, die sich oft über mehrere aufeinander folgende Tagungen erstreckte, kompetent beteiligen. Durch ihre häufige Präsenz waren sie auch den anderen Versammlungsteil­ nehmern bestens bekannt und genossen deren persönliches Vertrauen. Nahezu an die Gesandten zur Übermittlung eventueller geheyme[r] Sachen, RTA MR 5 (wie Anm. 4), S. 1636, 1642; Lindau 1496: Übersendung eines vocabularium an den Gesandten Anton Tetzel, RTA MR 6 (wie Anm. 4), S. 204f.; Freiburg 1498: Übersendung eines vocabulan an Anton Tetzel zur Verwendung in geheymen schreiben, ebd., S. 674; das Verzeichnis selbst ist abge­ druckt bei Emil Reicke: Ein Schlüssel zur diplomatischen Geheimsprache des Nürnberger Rates, in: MVGN 27 (1928), S. 333-341. Zur Chiffrierung der Korrespondenz Nürnbergs mit seinen Gesandten auf dem Augsburger Reichstag 1500 siehe Wagner, Geheimschrift (wie Anm. 48).

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derselbe kleine Kreis von Reichs- und Städtetagsgesandten vertrat im übrigen auch die Interessen der Stadt auf zahlreichen Rechts- und Schiedstagen, auf den Versammlungen des Schwäbischen Bundes, dem Nürnberg seit 1500 ange­ hörte, sowie beim im selben Jahr geschaffenen Reichsregiment.52 Die meisten Mitglieder dieses engen Zirkels entstammten den vornehmsten und politisch wie wirtschaftlich einflussreichsten Patriziergeschlechtern der Stadt. Sie gehör­ ten dem Rat an, bekleideten im Laufe ihres Lebens mehrfach, z.T. sogar häufig wichtige städtische Ämter in Politik und Verwaltung und bestimmten in diesen herausgehobenen Funktionen die Geschicke ihrer Stadt maßgeblich mit. Auf­ grund ihrer ständigen Vertrautheit mit allen laufenden Angelegenheiten be­ saßen sie umfassende Sachkenntnisse in vielen Bereichen, hohe Kompetenz und großes Verantwortungsbewusstsein. Im Vorfeld eines Reichs- oder Städtetags, an dem Nürnberg teilnehmen wollte, wurden alle zu erwartenden Beratungsthemen vom Rat im Beisein der vorgesehenen Gesandten eingehend erörtert und die jeweiligen Standpunkte, die man einzunehmen gedachte, grob fixiert. Aufgrund dieser intensiven Vor­ beratung erübrigte es sich, den Gesandten schriftliche Weisungen mit auf die Reise zu geben und sie strikt an deren Beachtung zu binden.53 Dies reduzierte nicht nur entscheidend das Risiko, dass derartige Instruktionen in die Hände politischer Gegner fielen und dadurch die Nürnberger Absichten bekannt wurden, sondern erlaubte es den Abgesandten auch, auf der jeweiligen Ver­ sammlung freier und souveräner als die Vertreter vieler anderer Städte aufzu­ treten und flexibler auf den Gang der Verhandlungen, der oft unerwartete Wendungen erfuhr, zu reagieren. Trotz dieses relativ großen Maßes an selbst­ verantwortlicher Gestaltungsfreiheit mussten die Nürnberger Gesandten gegenüber dem heimischen Rat genauestens Rechenschaft über ihr Tun ablegen.54 Immer wieder wurden sie - bisweilen in strengem Befehlston - ermahnt, über den Stand der Beratungen und sämtliche Vorgänge vollständig und genau zu berichten und die Interessen ihrer Stadt energisch zu vertreten. Alle von den 52 Zwei Beispiele: Entsendung Niklas Grolands, Anton Tuchers, Dr. Johann Letschers und Johann Wettmanns zum Schiedstag mit Markgraf Friedrich d. A. von Ansbach-Kulmbach in Tauberbischofsheim 1493. Die Chroniken der fränkischen Städte, Bd. 5: Nürnberg (Die Chro­ niken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 11), Leipzig 1874, Nachdruck Göttingen 1961 [zit.: Chroniken 5], S. 573; Anton Tetzel als Vertreter Nürnbergs beim dort an­ sässigen Reichsregiment 1501. Regesten 3/2, Nr. 14003, 15171, 15423. 53 Jedenfalls findet sich in der Nürnberger Überlieferung - ähnlich wie bei den Berichten - für den Untersuchungszeitraum keine einzige den Gesandten mitgegebene Instruktion. 54 Dies und das Folgende lässt sich besonders deutlich zeigen anhand der 21 Schreiben des Nürn­ berger Rats an seine Gesandten auf dem Wormser Reichstag 1495, die z.T. im Volltext, z.T. in Form ausführlicher Regesten ediert sind in RTA MR 5 (wie Anm. 4), Nr. 1813-1833. Die dort gleichfalls abgedruckten Ratsverlässe (Nr. 1834) geben in ganz knapper Form die Beschlüsse des Nürnberger Rats bezüglich der den Gesandten zu erteilenden weiteren Weisungen wieder.

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Gesandten übermittelten Informationen wurden sorgfältig analysiert, das Vorgehen der Gesandten konnte gutgeheißen oder auch kritisiert werden. Für ihre weiteren Verhandlungen bekamen sie klare Weisungen. Darüber hinaus hielt der Rat seine Abgesandten auch über wichtige Ereignisse und Entwick­ lungen in Nürnberg und Umgebung während ihrer Abwesenheit auf dem Lau­ fenden, da deren Kenntnis auf der Tagung nützlich sein konnte. Benötigten die Gesandten bestimmte Urkunden oder andere Schriftstücke aus dem reichs­ städtischen Archiv, so wurden diese abschriftlich übersandt. Aufgrund ihres gehobenen sozialen Standes, ihres gewandten und selbstsicheren Auftretens sowie ihrer ausgesprochenen Professionalität standen die Gesandten der Reichs­ stadt Nürnberg nicht nur bei den anderen Städtevertretern, sondern auch bei Kaiser, König, Kurfürsten und Fürsten als kompetente Verhandlungspartner in hohem Ansehen. Zwischen den Reichsversammlungen war Nürnberg am kaiserlichen und am königlichen Hof häufig durch Personen vertreten, die am ehesten als ständige Vertreter oder Beobachter bezeichnet werden können. Sie hielten sich für einen längeren Zeitraum - meist mehrere Monate, in einzelnen Fällen sogar bis zu zwei Jahren - an den Höfen Friedrichs III. und Maximilians I. auf und hatten die Aufgabe, die dortigen Vorgänge im Auge zu behalten, aktuelle Anliegen ihrer Heimatstadt vorzubringen, deren Interessen nach Kräften zu wahren und darüber regelmäßig Bericht zu erstatten. Dadurch verfügte Nürnberg über einen fast kontinuierlichen unmittelbaren Kontakt zu beiden Reichsoberhäup­ tern, war über besondere Entwicklungen aus erster Hand informiert und konnte umgehend darauf reagieren.55 Auch auf diesem Feld konkurrierte es unmittelbar mit seinen Hauptrivalen, den Ansbacher Markgrafen, die traditio­ nell ebenfalls enge Beziehungen zu Kaiser und König pflegten und an deren Höfen gleichfalls häufig persönlich oder durch Gesandte präsent waren.56 55 Dass Nürnberg schon lange vor dem hier untersuchten Zeitraum „ständige Beobachter“ am Hof Friedrichs III. unterhielt, zeigt das Beispiel Hans Pirckheimers, dessen zahlreiche Schrei­ ben an den Nürnberger Rat aus den Jahren 1458/59 im Staatsarchiv Nürnberg fast lückenlos erhalten sind. Einzelheiten dazu bei Franz Fuchs: dem liecht der sunnen mit fackeln zu helfen ... Zu Hans Pirckheimers Gesandtschaftsberichten vom Hofe Kaiser Friedrichs III. (1458/59), in: Wissen und Gesellschaft. Akten des interdisziplinären Symposions vom 5. und 6. Juni 1998 im Tucherschloß in Nürnberg, hg. von Martial Staub und Klaus A. Vogel (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 14), Wiesbaden 1999, S. 11-35. 56 Dieses Beispiel konkretisiert die Feststellung P.-J. Heinigs, dass sich nach dem Vorbild der großen königsnahen Reichsstädte wie Nürnberg „zuerst die Päpste durch Legaten und dann auch einige am Herrscher interessierte (Kur-)Fürsten für jeweils längere Zeit durch eigene Räte vertreten“ ließen. Paul-Joachim Heinig: Römisch-deutscher Herrscherhof und Reichstag im europäischen Gesandtschaftssystem an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Gesandt­ schafts- und Botenwesen im spätmittelalterlichen Europa, hg. von Rainer C. Schwinges und Klaus Wriedt (Vorträge und Forschungen LX), Ostfildern 2003, S. 225—263, hier S. 234.

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Der am häufigsten eingesetzte und bewährteste Mann in der Rolle des stän­ digen Vertreters war Johann Wettmann.57 Vermutlich in Ingolstadt gebürtig und seit 1477 in Nürnberg ansässig, entstammte er keinem der einflussreichen Nürnberger Patriziergeschlechter. Seit 1482 war er als Kanzleischreiber tätig, 1492 übernahm er das wichtige Amt des Ratsschreibers. Da in dieser Funktion die gesamte außenpolitische Korrespondenz der Reichsstadt durch seine Hände ging, hatte er genaue Aktenkenntnis und einen umfassenden Informa­ tionsstand.58 Nach Ausweis der zahlreichen an ihn gerichteten Ratsschreiben und seiner Kostenabrechnungen59 hielt er sich immer wieder für längere Zeit am kaiserlichen Hof in Linz auf - etwa im April/Mai 1489, von September 1489 bis Januar 1490, im September/Oktober 1490, von Ende November 1490 bis Anfang Februar 1491 sowie von Januar bis Juni 1492 - und vertrat dort in einer Reihe ebenso wichtiger wie schwieriger Angelegenheiten engagiert die Nürnberger Interessen. Die häufige lange Abwesenheit von zu Hause nahm er klaglos in Kauf und bat nur ein einziges Mal, Ende Mai 1492, heimkehren zu dürfen, was ihm der Rat erst einige Wochen später gestattete.60 Ende Juli 1494 ging Wettmann an den Hof König Maximilians, der sich zu diesem Zeitpunkt in den Niederlanden aufhielt61, im Februar 1495 begleitete er den Monarchen zum großen Reichstag nach Worms, wo er sich um die Unterbringung und Verpflegung der Nürnberger Reichstagsgesandtschaft kümmerte und bis zur Abreise des Königs blieb.62 Nach seiner Heimkehr Mitte September 1495 erstellte Wettmann über sämtliche Ausgaben während seines insgesamt 59 Wochen dauernden, ununterbrochenen Aufenthalts am Königshof eine exakte Abrechnung.63 Im Sommer 1499 schließlich ist er zusammen mit Willibald 57 Zur Biographie Wettmanns und zu seinen diplomatischen Missionen vgl. die knappen Angaben bei Manfred J. Schmied: Die Ratsschreiber der Reichsstadt Nürnberg (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 28), Nürnberg 1979, S. 150f., 233. 58 Ebd.,S. 138, 159. 59 StAN Rst. Nürnberg, BB 40, fol. 267-268’; BB 41, fol. 6, 7’, 58, 63’-64, 66’-67, 71 -72, 74 -75, 94-95’, 100-101, 178,186-189; BB 42, fol. 73, 75-77, 81-81’, 84-85, 87-87’, 88 -89, 90-91, 95’, 98-98’, 101-101 ’, 107-108’, 112, 113-113’, 117-118, 121’, 125-127’, 129-129’, 132, 134; ebd., Stadtrechnungsbelege Einzelbelege Nr. 411 (diverse Abrechnungen aus den Jahren 1490/91). Die Anfertigung derartiger Kostenaufstellungen durch den oder die jeweiligen Gesandten war in Nürnberg durchaus obligatorisch. Dies zeigt der Beitrag von Rainer Scharf: Unterwegs zum Hof Friedrichs III. Aus einer Reisekostenabrechnung im Staatsarchiv Nürnberg (1449 bis 1453), in: Staat und Verwaltung in Bayern. Festschrift für Wilhelm Volke« zum 75. Geburtstag, hg. von Konrad Ackermann und Alois Schmid (Schriftenreihe zur bayerischen Landes­ geschichte 139), München 2003, S. 77-102, in dem die Ausgabenabrechnungen der beiden in den Jahren 1449 bis 1453 am Hof Friedrichs III. weilenden Nürnberger Ratsherrn Nikolaus Muffel und Georg Derrer analysiert werden. 60 StAN Rst. Nürnberg, BB 42, fol. 126-127. 61 Chroniken 5 (wie Anm. 52), S. 579 Anm. 6. 62 RTA MR 5 (wie Anm. 4), Nr. 1491, 1493, 1495, 1512. 63 Ebd., Nr. 1513.

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Pirckheimer erneut für mehrere Wochen in der Umgebung König Maximilians anzutreffen.64 Auch der Gerichtsschreiber Michel Kramer65, der Ratsherr Ulman Stromer66 und andere Nürnberger Abgesandte weilten für jeweils län­ gere Zeit beim Kaiser bzw. König. Wie die Nürnberger Reichstagsgesandten, so verfügten auch die ständigen Vertreter der Reichsstadt über gute Beziehungen zu einflussreichen Personen in der Umgebung der Monarchen. Diese Kontakte waren äußerst nützlich, konnten doch mit ihrer Hilfe vertrauliche Informationen beschafft, direkte Verbindungen zum Reichsoberhaupt hergestellt und manche politische Anliegen entscheidend gefördert werden. Am Hof Friedrichs III. leistete z.B. dessen Türhüter Nikolaus Kadmer wertvolle Vermittlerdienste und erleich­ terte den Zugang zum Kaiser und dessen Räten67, Balthasar Wolff von Wolfs­ thal und Sixt Ölhafen zählten zu Nürnbergs maßgeblichen Kontaktpersonen in der Umgebung König Maximilians.68 Wolff war seit 1498 oberster erblän­ discher Schatzmeister Maximilians, 1501 wurde er königlicher Kammer­ meister.69 In ihm hatte Nürnberg vor allem in finanziellen Angelegenheiten einen einflussreichen Fürsprecher. Auf dem Freiburger Reichstag 1498 unter­ stützte er Anton Tetzel maßgeblich bei der Erlangung des für die Sicherheits­ interessen der Handelsstadt Nürnberg äußerst wichtigen königlichen Privilegs, Straßenräuber selbstständig festnehmen und bestrafen zu dürfen.70 Von Sixt M Ratsschreiben an beide im Pirckheimer-Briefwechsel (wie Anm. 17), S. 86f., 90f., 92f., 95f. 65 Im Januar 1487 sowie im April/Mai 1488, RTA MR 2 (wie Anm. 4), Nr. 40, 41; StAN Rst. Nürnberg, BB 40, fol. 151 -152, 156’, 161-161’, 162-163. 66 RTA MR 6 (wie Anm. 4), S. 512; StAN Rst. Nürnberg, BB 40, fol. 156’, 161-163, 171, 173’, 175 -176, 184-184’, 186, 190. 67 Nürnberg an Kadmer, 12.2./12.11.1491 und 9.8.1492, StAN Rst. Nürnberg, BB 41, fol. 231; BB 42, fol. 47, 149. Zu Kadmer vgl. auch Paul-Joachim Heinig: Die Türhüter und Herolde Kaiser Friedrichs 111. Studien zum Personal des deutschen Herrscherhofes im 15. Jahrhundert, in: Kaiser Friedrich III. in seiner Zeit. Studien anläßlich des 500. Todestags am 19. August 1493, hg. von Paul-Joachim Heinig (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Bei­ hefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 12), Wien/Weimar/Köln 1993, S. 355-375, hier S. 368f. 68 Balthasar Wolffs Vater Heinrich war aus Nördlingen nach Nürnberg zugezogen, hatte dort ein erhebliches Vermögen erworben und bekleidete ab 1499 eine Reihe wichtiger städtischer Ämter. 1500 gehörte er der Nürnberger Gesandtschaft zum Augsburger Reichstag an. Helmut Frhr. Haller von Hallerstein: Größe und Quellen des Vermögens von hundert Nürnberger Bürgern um 1500, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Bd. 1 (Beiträge zur Ge­ schichte und Kultur der Stadt Nürnberg 11/1), Nürnberg 1967, S. 117-176, hier S. 106f., 122f. 69 Heinz Noflatscher: Migration von Intellektuellen. Franken im königlichen Dienst um 1500, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 55 (1995), S. 1-20, hier S. 11; Ders.: Räte und Herr­ scher. Politische Eliten an den Habsburgerhöfen der österreichischen Länder 1480-1530 (Ver­ öffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 161; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 14), Mainz 1999, S. 380. 70 Hierzu die Akten in RTA MR 6 (wie Anm. 4), S. 577 mit Anm. 208, S. 625, 673, 694; Regesten 2/2 (wie Anm. 6), Nr. 8701. Nürnberg gab seine Bereitschaft zu erkennen, sich gegenüber Wolff

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Ölhafen, einem der wichtigsten Sekretäre in der Kanzlei Maximilians I., erhielt Nürnberg u.a. Informationen über die Vorbereitung von Reichsversammlun­ gen und den Verlauf der dortigen Beratungen.71 Ähnlich wertvoll waren die Kontakte zu dem reichspolitisch versierten und stets gut unterrichteten Würzburger Dompropst Dr. Kilian von Bibra.72 In der Nürnberger Reichs- und Territorialpolitik, in der es häufig auch um Rechtsfragen ging, kam den reichsstädtischen Juristen große Bedeutung zu.73 Der von den führenden Patrizierfamilien dominierte Rat achtete allerdings strikt darauf, dass die Rechtsgelehrten keinen unmittelbaren Einfluss auf die reichsstädtische Politik erlangten. Selbst wenn sie einem ratsfähigen Ge­ schlecht angehörten, blieben sie vom Stadtregiment ausgeschlossen. Ihre Auf­ gabe bestand allein darin, auf Erfordern des Rates zu bestimmten Problemen Rechtsgutachten - sogen. „Ratschläge“ - zu erstellen. Wieweit diese dann bei der Entscheidungsfindung tatsächlich berücksichtigt wurden, behielt sich der für dessen Unterstützung erkenntlich zu zeigen. Einige Monate zuvor war Wolff von Tetzel darum gebeten worden, die Einwände Nürnbergs gegen die Zahlung der Judensteuer zu unter­ stützen. Regesten 2/2, Nr. 8530. 71 So fragte Ende April 1497 der Nürnberger Rat bei Ölhafen an, ob der geplante Wormser Reichstag wirklich stattfinden werde, wer Herberge bestellt habe, welche Teilnehmer erwartet würden und wann es zweckmäßig sei, die eigene Gesandtschaft abzufertigen, RTA MR 6 (wie Anm. 4), S. 371. Einige Monate später bat Nürnberg um Nachrichten über den Besuch und die ersten Verhandlungen des Reichstags in Freiburg, ebd., S. 512. - Gleichsam als Gegenleistung für seine Dienste versuchte Ölhafen während des Wormser Reichstags 1495, das Nürnberger Losungsschreiberamt zu erlangen. Der Rat lehnte den Wunsch ab mit der Begründung, das Amt könne nur einem Bürger der Stadt verliehen werden. Die Reichstagsgesandten wur­ den angewiesen, Ölhafen stattdessen das Gerichtsschreiberamt anzubieten, RTA MR 5 (wie Anm. 4), Nr. 1815, 1819. Später wurde er Sekretär des auf dem Augsburger Reichstag 1500 ge­ gründeten und in Nürnberg etablierten Reichsregiments. Gleichzeitig verschrieb ihm König Maximilian für seine treuen Dienste auf Lebenszeit jährlich 1000 Gulden aus der Nürnberger Stadtsteuer, Regesten 3/1 (wie Anm. 6), Nr. 10593. 1501 vermählte sich Ölhafen im Rahmen einer glanzvollen Feier mit der Nürnberger Patriziertochter Anna Pfinzing. Zur Person Ölhafens vgl. auch Allgemeine deutsche Biographie Bd. 24, Leipzig 1887, S. 292-296 sowie Christoph von Imhoff (Hg.): Berühmte Nürnberger aus 9 Jahrhunderten, Nürnberg 1984, S. 65f. 72 Uber ihn vgl. Sebastian Zeißner: Dr. Kilian von Bibra, Dompropst von Würzburg (ca. 14261494), in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 2 (1950), S. 78-121. 73 Vgl. Hartmut Boockmann: Gelehrte Juristen im spätmittelalterlichen Nürnberg, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Bericht über Kolloquien der Kommis­ sion zur Erfassung der Kultur des Spätmittelalters 1994 bis 1995, I. Teil, hg. von Hartmut Boockmann, Ludger Grenzmann, Bernd Moeller, Martin Staehelin (Abhandlungen der Akade­ mie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, Dritte Folge 228), Göttingen 1998, S. 199-214; Helmut G. Walther: Italienisches gelehrtes Recht im Nürnberg des 15. Jahrhun­ derts, in: Recht und Verfassung ..., S. 215-229; Dietmar Willoweit: Juristen im mittelalterlichen Franken. Ausbreitung und Profil einer neuen Elite, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wir­ kungsgeschichte akademischer Eliten des 14.-16. Jahrhunderts, hg. von Rainer C. Schwinges (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 18), Berlin 1996, S. 225-268, hier S. 258-262.

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Rat vor.74 Zu den bekanntesten Nürnberger Ratskonsulenten ausgangs des 15. Jahrhunderts zählte neben Dr. Johann Pirckheimer75 vor allem Dr. Johann Letscher. Er gehörte den Delegationen seiner Heimatstadt zu den großen Reichsversammlungen in Worms 1495 und Augsburg 1500 an, auf denen es im Rahmen der territorialpolitischen Auseinandersetzungen mit den Ansbacher Markgrafen auch um höchst diffizile juristische Fragen ging.76 Für Weißen­ burg, Windsheim und sonstige Nürnberger Klientelstädte war er ebenfalls häufig als Berater in rechtlichen Angelegenheiten tätig. Auch andere Nürnber­ ger Juristen wie Sixtus Tücher oder Gabriel Paumgartner wurden von auswär­ tigen Rechtsuchenden gerne und oft in Anspruch genommen.77 4. Nürnbergs Wirksamkeit auf den Reichsversammlungen und Städtetagen Als eine der wirtschaftlich und politisch führenden Städte im Reich war Nürnberg naturgemäß bestrebt, seinen Rang und seinen Einfluss auch auf Reichsversammlungen und Städtetagen nachdrücklich zur Geltung zu bringen. Dies geschah durch rege Beteiligung an den dortigen Beratungen unter gleich­ zeitiger Berücksichtigung eigener und gemeinstädtischer Interessen, aber auch durch Übernahme diverser „Verwaltungsaufgaben“ und „Dienstleistungen“ für Kaiser und Reich. a) Engagement in eigenen und gemeinstädtischen Angelegenheiten Kein anderes Thema stand auf den Reichsversammlungen des ausgehenden 15. Jahrhunderts derart im Brennpunkt der Diskussionen wie die vielfachen Truppen- und/oder Geldhilfeforderungen Kaiser Friedrichs III. und König 74 Zu dieser klaren Kompetenzbegrenzung der Nürnberger Rechtsgelehrten vgl. Friedrich Wolf­ gang Ellinger: Die Juristen der Reichsstadt Nürnberg vom 15. bis 17. Jahrhundert, in: Genealogica, Heraldica, Juridica. Reichsstadt Nürnberg, Altdorf und Hersbruck (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken 6), Nürnberg 1954, S. 130-222, hier S. 142, 160. 75 Der rechtsgelehrte Dr. Johann Pirckheimer war jahrzehntelang für verschiedene Auftraggeber tätig, u. a. als Gesandter Bischof Wilhelms von Eichstätt auf der Regensburger Reichsversamm­ lung 1471 sowie für Erzherzog Sigmund von Tirol auf dem kaiserlichen Tag in Nürnberg 1487. 1490 machte er sich in Nürnberg ansässig und fungierte dort als Ratskonsulent. Zu seiner Person vgl. Arnold Reimann: Die älteren Pirckheimer. Geschichte eines Nürnberger Patrizier­ geschlechtes im Zeitalter des Frühhumanismus (bis 1501). Aus dem Nachlaß hg. von Hans Rupprich. Mit einer Einleitung von Gerhard Ritter, Leipzig 1944, S. 129-159. 7h Nürnberg an seine Gesandten auf dem Wormser Reichstag, 27.4.1495, RTA MR 5 (wie Anm. 4), Nr. 1816. 77 Vgl. etwa das umfangreiche lateinische Gutachten Tuchers und Paumgartners für Herzog Georg von Bayern vom Oktober 1491, in dem sie sich zu der schwierigen Frage äußerten, inwieweit der Herzog seinem oberbayerischen Vetter Herzog Albrecht zur Hilfeleistung verpflichtet sei. HStA München, Neuburger Kopialbuch Nr. 25, fol. 251-267.

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Maximilians I. Immer wieder verlangten beide Monarchen von den Ständen, sich an den Kosten von Kriegen zu beteiligen, die vorgeblich der Verteidigung des Reiches gegen ausländische Feinde, insbesondere die Könige von Ungarn und Frankreich sowie die Türken, tatsächlich aber in erster Linie den politisch­ dynastischen Interessen der beiden Habsburger dienten. Oft genug stellte der monarchische Geldbedarf das entscheidende Motiv bei der Einberufung von Reichsversammlungen dar. Die Kurfürsten und Fürsten blieben bei der Er­ stellung der Reichsanschläge, also der Verteilung der Gesamtkosten auf die einzelnen Reichsglieder, gerne unter sich, um ihre eigenen Lasten möglichst gering halten zu können, während die politisch weit weniger einflussreichen und zudem korporativ noch nicht fest organisierten Städte in der Regel zur Zahlung vergleichsweise hoher Summen verpflichtet wurden. Die allermeisten von ihnen entwickelten gegenüber den monarchischen Forderungen eine jeweils eigenständige, individuelle Haltung. Während die rheinischen Städte, insbesondere Straßburg, weniger ausgeprägt auch Frankfurt, zumeist distan­ ziert oder gar ablehnend reagierten, da sie allgemein kein sonderlich enges Ver­ hältnis zum Reichsoberhaupt hatten, zeigten sich die von Nürnberg bzw. Augsburg geführten fränkischen und schwäbischen Städte deutlich entgegen­ kommender. Hauptgrund dafür war ihre traditionell viel größere Nähe zum Königtum, aus der sie bekanntermaßen erheblichen eigenen Nutzen zogen.78 Vor diesem Hintergrund sah sich Nürnberg vor eine besondere Herausforde­ rung gestellt: In den Jahrzehnten um 1500 zählte es bei Reichsanschlägen stets zu den am stärksten belasteten Städten.79 Seine Gesamtausgaben für Kaiser und Reich betrugen allein in den Jahren 1471-1492 56.440 Gulden.80 Auch wenn es als reiche Wirtschafts- und Finanzmetropole letztlich keine echten Probleme hatte, derartige Beträge aufzubringen, so galt es doch, eine Position zu finden, 78 Zur unterschiedlichen Einstellung der Städte gegenüber dem Kaiser vgl. Karl Stenzei: Die Politik der Stadt Straßburg am Ausgange des Mittelalters in ihren Hauptzügen dargestellt, Straßburg 1915, S. 86-94. Zum Verhältnis Frankfurts gegenüber Kaiser Friedrich III. vgl. auch Konrad Bund: Frankfurt am Main im Spätmittelalter 1311-1519, in: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, hg. von der Frankfurter Historischen Kommission (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission XVII), Sigmaringen 1991, S. 53-149, hier S. 137f. Die äußerst engen und vielfältigen Beziehungen Augsburgs zu König Maximilian sind Gegenstand der detaillierten Untersuchung von Christoph Böhm: Die Reichs­ stadt Augsburg unter Maximilian I. Untersuchungen zum Beziehungsgeflecht zwischen Reichsstadt und Herrscher an der Wende zur Neuzeit (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 36), Sigmaringen 1998. 79 Vgl. die Übersicht über die Veranschlagung der Reichsstädte im Zeitraum 1467-1521 bei Eber­ hard Isenmann: Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neu­ zeit, in: Mittel und Wege früher Verfassungspolitik, hg. von Josef Engel (Spätmittelalter und frühe Neuzeit 9; Kleine Schriften 1), Stuttgart 1979, S. 3-223, hier S. 70 Anm. 184. 80 Ebd., S. 88.

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die eine künftige Uberbeanspruchung durch königliche Hilfeforderungen ver­ hinderte, gleichzeitig aber das bislang so positive und vorteilhafte Verhältnis zum Königtum bewahren half. Es ist interessant zu sehen, mit welchem Ge­ schick der Nürnberger Rat es verstand, diesen schwierigen Balanceakt immer wieder aufs Neue zu meistern. Die Umrisse des entsprechenden Nürnberger Konzepts zeichneten sich schon zu Beginn der 1480er Jahre ab. Als Kaiser Friedrich III. auf der Reichs­ versammlung 1480 von den Ständen eine Hilfe gegen die Türken verlangte, erklärten die Vertreter Straßburgs und Frankfurts, sie besäßen in dieser Ange­ legenheit keine Vollmacht, wollten jedoch zuhause rückfragen und entspre­ chende Weisungen einholen. Dass dieses von den Städten auf Reichsversamm­ lungen häufig angewandte Verfahren des Hintersichbringens kaiserlicherseits stets große Verärgerung hervorrief, ja geradezu als destruktiv empfunden wurde81, da es den Verhandlungsgang und damit auch eine Entscheidungsfin­ dung deutlich verzögerte, wussten die Vertreter Nürnbergs nur zu gut. Ihnen war klar, dass sich die Städte einer Hilfeleistung nicht generell und auf Dauer verweigern konnten, ohne an politischem Gewicht einzubüßen oder mit Benachteiligungen durch den Kaiser rechnen zu müssen. Auch ihre allgemeine Mitverantwortung für das Reich gebot den Städten, sich an den Maßnahmen zu dessen Schutz zu beteiligen. Mit Blick auf die verlangte Türkenhilfe mahnten die Nürnberger die anderen Städte, sie wüssten nit wol zu erwegen noch zu ermessen, mit was fugen oder gelympf die hilff von den steten in disem valle möchte abgeslagen, versagt oder ze mynnern hegert werden“ }2 In diesem Sinn erklärten sie gleich zu Beginn der Verhandlungen, sie wollten dem allmächti­ gen gotte zu lob vnd ere vnd der k. M., auch dem cristlichen Volk vnd dem hl. cristlichen glauben zu ere, nutz vnd fromen alles thun, das do Nutze, gut vnd aussttreglichen wereN Durch diese eindeutige Aussage der fränkischen Metro­ pole animiert, äußerten sich auch Augsburg, Ulm und Regensburg ähnlich positiv.

81 So die Charakterisierung des städtischen Hintersichbringens bei Paul-Joachim Heinig: Städte und Königtum im Zeitalter der Reichsverdichtung, in: La ville, la bourgeoisie et la genese de l’etat moderne (XII'-XVII'siecles). Actes du colloque de Bielefeld (29 novembre- 1" decembre 1985), edites par Neithard Bulst et J. Ch. Genet, Paris 1988, S. 87-111, hier S. 107. 82 Nürnberg an Ulm, 17.3.1481, zitiert nach Isenmann, Reichsstadt (wie Anm. 79), S. 122.-Auch früher schon hatte Nürnberg sich monarchischem Hilfeersuchen keineswegs verweigert. So bewilligte es z. B. 1473 im Gegensatz zu Straßburg die vom Kaiser geforderten Reisigen gegen die Türken, im Jahr darauf beschickte es zusammen mit Nördlingen als erstes Reichsglied das Heer, das zur Rettung von Neuss gegen Herzog Karl von Burgund zog. Heimpel, Nürnberg (wie Anm. 1), S. 261. 83 Karl Küffner: Der Reichstag von Nürnberg anno 1480, phil. Diss. Würzburg 1892, S. 27.

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Im August 1481 fand eine weitere Reichsversammlung statt, auf der erneut ohne Mitwirkung der Städte ein Reichsanschlag beschlossen wurde. Als die Städte wenige Wochen später in Esslingen darüber berieten, wie sie sich zu dieser Forderung stellen sollten, kam es zu einer zwispaltigen mainung, dann etlich mainten, die erbern stett keinermaßen weder schuldig noch pflichtig sein, in gemelten anschlag zu gehelen, dann solcher anschlag hinder inen ohne ir wissen und willen furgenohmen und gemacht were, das der auch von etlichen unsern gnedigsten und gnedigen herrn, den churfürsten und fürsten, die da keinen gewalt hatten, die stett dermassen anzuschlagen, gemacht. Andere Städte unter Führung Nürnbergs vertraten demgegenüber die Auffassung, das die stett sich des anschlags keiner weis mit glimpf und fug erwehren oder ufenthalten mögen, angesehen, das die sach berüre den römischen kayser, der ir ainicher und ordenlicher herr sey, dem sie einsteils mit glühden und aiden verwandt seien, alle regalia, handvesten, freih eiten und gewaltsame ir[er] regierung von ime habende. Deshalb sie achten, sich der ding nicht mögen abslahn, sunder sich etlichermassen in hilf der kay. mayt. zu geben schuldig und pflichtig sein. Sollten aber die Städte eine Hilfeleistung tatsächlich verweigern, so würden sie ungehorsam und iren pflichten nit genug getan haben geacht und darauf solch peen, straf und belestigung inen uffgelegt und angehenckt, das inen zu gar viel grossen beschwerden und Verderblichkeit reichen würde,84 Auch auf einem weiteren Städtetag im Oktober 1481 in Speyer wurde die zwayige meinung unter den Städten offenkundig. Ein Teil sprach sich dafür aus, den Kaiser durch eine Abordnung zu bitten, den Städten ihren Anteil am Reichsanschlag zu erlassen, andere und hier wiederum vor allem Nürnberg traten dafür ein, dem Kaiser zu gehorchen und ihm wenigstens ein Drittel des Anschlags zu geben, denn sonst sei zu besorgen, das uff die stett von der key. Mayt. grosse ungnad und misfallen geschlagen und über sie schwerlich verhengt, [sie] auch schwerlich angefochten möchten werden,85 Angesichts dieser so konträren Positionen vermochten sich die Städte nicht auf eine gemeinsame Position in der Reichshilfefrage zu einigen. Die Reaktion Friedrichs III. kam, wie von den Nürnbergern vorhergesehen, schnell und heftig. Ende November 1481 erließ er ein scharfes Mandat, in dem die Städte wegen Nichtbezahlung der Reichshilfe für ungehorsam erklärt und vor das Kammergericht geladen wurden.86 Damit war für Nürnberg ein entscheidender Punkt erreicht: Um der Solidarität und Konsensbildung mit den anderen Städten willen wollte es keinesfalls einen Konflikt mit dem Kaiser riskieren. Deshalb sagte es ihm un84 Abschied des Städtetages vom 21.9.1481, StadtA Ulm, A 675, Nr. 15. 85 Abschied des Städtetages vom 16.10.1481, StadtA Ulm, A 675, Nr. 16. 86 Kaiser Friedrich an Frankfurt, 18.12.1481, Regesten Kaiser Friedrichs 4 (wie Anm. 5), Nr. 842; Kaiser Friedrich an Köln, 18.12.1481, ebd. 7 (wie Anm. 5), Nr. 640.

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verzüglich die Leistung der Reichshilfe zu. Gegenüber Augsburg begründeten die Nürnberger ihre Entscheidung damit, sie seien zu der Überzeugung ge­ langt, dass, nachdem wir der kaiserlichen maiestät verpflicht sind und das fürnemen [d.i. die drohende Türkengefahr], als man vermeynt, zu abbruch des h. ro. reichs kome, wir als undertanen des Reichs zu helfen schuldig sein sollen, als wir das durch unser ratsbotschafl zu den gehalten tagen zu Speir, Esling und Ulme eröffenen lassen haben. Ist ewr liebe unverporgen die zerstrewung und mißhellikeit der erbern stete zu denselben gehalten tagen und [dass sie] sich ainhelligs nicht haben vergleichen mögen, wiewol wir unsers tails das gerne gesehen hetten. Um merern und weitern unsern und der unsern schaden zu verhüten, [...] haben wir die Ungnade der kaiserlichen maiestät nicht erwarten, uns und die unsern in solche fare nicht setzen wollen und im besten unserer stat notdürft halben uns darein gegeben}7 Diesen Äußerungen sind die Kernposi­ tionen der Nürnberger Politik im Zusammenhang mit den Reichshilfen seit Beginn der 1480er Jahre zu entnehmen: Die Städte sind aufgrund ihres beson­ deren Verhältnisses zum Kaiser unbedingt verpflichtet, sich an notwendigen Hilfeleistungen für das Reichsoberhaupt, vor allem wenn sie dem Schutz des Reiches dienen, zu beteiligen. Eine totale Blockade- oder Verweigerungshal­ tung ist nicht erlaubt, zudem unklug, da sie zwangsläufig Sanktionen hervor­ ruft. Aussicht auf besseren Schutz gegen Überbelastung boten aus Nürnberger Sicht nur größere Einigkeit und Geschlossenheit unter den Städten. Nürnberg war bereit, sich für die Erreichung dieses Ziels einzusetzen und sein politisches Gewicht dafür in die Waagschale zu werfen, jedoch nicht um jeden Preis. Über alle korporativen, gemeinstädtischen Belange setzte es klar das individuelle eigene Wohl, das Jahrhunderte lang durch kaiserliche Gunst so sehr gefördert worden war. Dieses monarchische Wohlwollen sollte jetzt und künftig auf keinen Fall in Gefahr gebracht werden. Mit der Frankfurter Reichsversammlung 1486 traten die Bemühungen der Städte, ihren spezifischen Interessen größere Beachtung durch den Kaiser und die höheren Stände zu verschaffen, in eine neue Phase ein. Als Kaiser Friedrich diese Zusammenkunft einberief, lud er quasi als „Strafe“ dafür, dass die Städte­ vertreter die Verhandlungen auf den Reichsversammlungen 1480 und 1481 durch ihr Hintersichbringen verzögert hatten, keine einzige Stadt zur Teil­ nahme ein.88 Mit Frankfurt als Tagungsort und Nürnberg als Überbringer der Krönungsinsignien für den neu gewählten römischen König Maximilian waren 87 Nürnberg an Augsburg, 29.12.1481, StAN Rst. Nürnberg, BB 37, fol. 280-280’. 88 Gleiches war schon beim Frankfurter „Rumpfreichstag“ 1485 geschehen, als der kaiserliche Abgesandte erklärte, das die reichstet [...] nit hie verhott weren, körn auß der ursach, man west, als sie vor vil zu tegen gewest weren, hetten sie albeg die antwort geben, sie wolten das hinter sich bringen. Zitiert nach Isenmann, Reichsstadt (wie Anm. 79), S. 94 Anm. 250.

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zwar dennoch zwei Städte auf der Zusammenkunft präsent, da sie aber keine offiziellen Teilnehmer waren, durften ihre Vertreter an der Beratungen nicht mitwirken. Dennoch verstanden es die beiden diplomatisch sehr versierten Nürnberger Gabriel Nützel und Ulman Stromer, sich auf informellen Wegen genaue Kenntnisse über den Verlauf der Verhandlungen, ja sogar Kopien vertraulicher Schriftstücke zu beschaffen und deren Inhalt ohne Preisgabe der Informanten an den Nürnberger Rat weiterzuleiten.89 Es ging darin um Bera­ tungen zwischen Kaiser, König, Kurfürsten und Fürsten über eine weitere Reichshilfe, für die auch schon ein neuer Reichsanschlag erstellt worden war. Nachdem die beiden Nürnberger Gesandten von diesen für die Städte gerade­ zu alarmierenden Plänen erfahren hatten, nahmen sie sofort Kontakt mit dem Frankfurter Rat auf. Gemeinsam hielt man es für geboten, unverzüglich einen neuerlichen Städtetag anzuberaumen, um über die Auswirkungen des kaiser­ lich-ständischen Reichshilfeprojekts zu beraten. Die Zusammenkunft, so der Vorschlag, sollte am 3. April in Esslingen stattfinden. Sofort unterrichtete die Nürnberger Führung Straßburg, Augsburg und Ulm über die Frankfurter Reichshilfepläne, die allerlei gebrechlichen auf inen tragen, deshalb verrer handlung davon ze haben [...] wol not were.90 Kurz darauf wurde, wie vorge­ schlagen, für den 3. April ein Städtetag nach Esslingen anberaumt.91 Diese von Nürnberg maßgeblich mitinitiierte und mitorganisiertc Zusam­ menkunft bildete den Auftakt zu einer bis 1496 anhaltenden Serie allgemeiner Städteversammlungen, die in ihrer Gesamtheit zu einer deutlichen Stärkung des korporativen Bewusstseins und des Zusammenhalts unter den zahlreichen Frei- und Reichsstädten führte. Der Weg dorthin war allerdings beschwerlich, weil etliche Städte wenig Bereitschaft zu gemeinsamem Handeln zeigten, einander misstrauisch beobachteten und nach wie vor glaubten, ihre Interessen auf eigene Faust besser vertreten zu können. So schwankte die Zahl der Teil­ nehmer an den Städtetagen stark, viele blieben je nach Bedarf und momen­ tanem Gutdünken fern, um sich keiner gemeinsamen Beschlussfassung unter­ werfen zu müssen. Unter den Beteiligten gab es oft gegensätzliche Auffassun­ gen, klare und einhellige Entscheidungen kamen relativ selten zustande. Neben Nürnberg gehörten nur Frankfurt und Straßburg jenem kleinen Zirkel an, der 89 In ihren Schreiben an Straßburg, Augsburg und Ulm vom 11.3.1486 machten Jobst und Ruprecht Haller von Nürnberg detaillierte Angaben über verschiedene auf der Frankfurter Reichsversammlung unterbreitete Vorschläge zur Reichshilfe, RTA MR 1 (wie Anm. 4), Nr. 366. Diese Angaben decken sich inhaltlich ziemlich genau mit mehreren Aktenstücken, die im Zuge der Frankfurter Beratungen entstanden sind, ebd., Nr. 319, 321, 323, 330. 90 Jobst bzw. Ruprecht Haller an die genannten Städte, 11.3.1486, ebd., Nr. 366. Ein inhaltlich ähnliches Schreiben mit der Bitte um Rat schickte Ruprecht Haller an den Würzburger Dom­ propst Dr. Kilian von Bibra, 22.3.1486, ebd., Nr. 371. 91 Frankfurt an Straßburg, 22.3.1486, ebd., Nr. 370.

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die neue Städtebewegung kontinuierlich mit trug und voranbrachte. Diese drei Kommunen informierten sich gegenseitig über wichtige Vorgänge und Ent­ wicklungen, insbesondere über neue monarchische Hilfsforderungen, legten bei Bedarf Ort und Zeitpunkt eines Städtetags fest, erstellten die Ladeschreiben und übermittelten sie, wirkten meinungsbildend bei den Beratungen und übersandten die Abschiede an die nicht teilnehmenden Städte. Doch auch bei den drei führenden Städten setzte das individuelle Interesse dem Engagement für das Gemeinwohl immer wieder klare Grenzen. Als auf dem Esslinger Städtetag im Juli 1486 keine gemeinsame Haltung zu der vom Kaiser per Mandat vom 1. Mai92 geforderten Eilenden Hilfe für den Ungarn­ krieg zustande kam, zögerte Nürnberg einmal mehr nicht, eigene Wege zu gehen. Ende Juli zahlte es an Erzbischof Johann von Gran, der vom Kaiser mit der Einhebung der Gelder beauftragt worden und eigens nach Nürnberg gekommen war, die Hälfte des verlangten Gesamtbetrags von 6.240 Gulden.93 Im Oktober gelang es dann einer Nürnberger Ratsgesandtschaft, Kaiser Fried­ rich zum Verzicht auf die restlichen 3.120 Gulden zu bewegen.94 Wieder einmal hatte sich also Nürnbergs grundsätzliche Entschlossenheit, sich einem monarchischen Verlangen zur Vermeidung drohender Nachteile keinesfalls zu widersetzen, offenbart. Besagtes Arrangement mit dem Kaiser dürfte zudem der Grund dafür gewesen sein, dass Nürnberg gegen seine sonstige Gewohn­ heit am Esslinger Städtetag Anfang August 1486 nicht teilnahm. Das Aussche­ ren der führenden fränkischen Reichsstadt aus der gemeinsamen Verteidi­ gungsfront ließ bald auch bei anderen Städten den Widerstand gegen die Eilende Hilfe erlahmen. Im August 1486 entschloss sich Straßburg, seinen Bei­ trag zu entrichten95, einige Monate später zahlte Augsburg immerhin die Hälfte seines Anteils an den kaiserlichen Beauftragten Sigmund von Pappen­ heim.96 Obwohl also die Städte ihre Abwehrbemühungen gegen kaiserliche Finanz­ forderungen durch Egoismus und mangelnde Einigkeit immer wieder selbst schwächten, wurde Friedrich III. doch zunehmend bewusst, dass mit der sich allmählich formierenden Städtekorporation eine politische Kraft im Entstehen begriffen war, die es künftig stärker zu beachten galt. Er tat deshalb einen für seine Verhältnisse recht ungewöhnlichen Schritt: Mitte Dezember 1486 erschien er persönlich auf einem Städtetag in Speyer, forderte die Vertreter der 92 Ebd., Nr. 376. 93 Der in Nürnberg weilende Memminger Gesandte Mathias Steinbach an Memmingen, 28.7.1486, ebd., Nr. 433. 94 Nürnberg an Erzbischof Johann von Gran, 12.10.1486, ebd., Nr. 462. 95 Straßburg an Basel, 11.8.1486, ebd., Nr. 443. % Augsburg an Kaufbeuren, 8.12.1486, ebd., Nr. 490.

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vier treffligsten stet Nürnberg, Frankfurt, Straßburg und Augsburg auf, sie bewegende Anliegen und Beschwerden vorzubringen, und stellte Abhilfe in Aussicht.97 Einer der bei dieser Gelegenheit geäußerten Wünsche dürfte wohl auf eine Anregung der Nürnberger Gesandten zurückzuführen sein: Sollten auf der nächsten Reichsversammlung auch Angelegenheiten zur Beratung ge­ langen, die die Städte beträfen, so stünden diese in hoher hoffnung, sy wurden von uwer ksl. Mt. darzu berufen. Dieses Verlangen nach einer generellen Ladung der Städte zum Reichstag lehnte Kaiser Friedrich allerdings spontan ab mit dem bekannten Argument, der stet Sendboten legten sich allwegen uf das hindersichbringen, das langen Verzug tat. Genau das sei aber angesichts der gegenwärtigen akuten Bedrohung des Reiches durch König Matthias von Ungarn keinesfalls hinnehmbar. Außerdem müssten die Städte unbedingt ihre größtenteils noch immer ausstehende Reichshilfe leisten.98 Die großen Hoff­ nungen, die die Städte an das Speyerer Treffen mit dem Kaiser geknüpft hatten, waren also durch dessen erneut ganz unnachgiebige Haltung enttäuscht wor­ den. Auf dem nächsten Städtetag in Heilbronn Anfang Februar 1487 ver­ schärfte sich deshalb der Ton deutlich. Es wurde beschlossen, falls weitere kaiserliche Forderungen bezüglich der Reichshilfe ergingen, derselbigen kein volziehung oder sunderung ze ton, sunder sich byeinfander] einhelliglich [zu] bliben und zu enthalten." Da Nürnberg diese kompromisslosere Gangart nicht mittragen wollte, blieb es der Heilbronner Versammlung von vornherein fern. In einem Schreiben an die versammelten Städtegesandten wiederholte es zudem einmal mehr seine Auffassung, die Städte seien verpflichtet, dem Kaiser zu helfen, sofern die Hilfe gemäß und leidenlich fürgenommen wirdet. Städte, die sich über Gebühr belastet fühlten, sollten ire beswärde, inen deshalb aufgelegt, der ksl. Mt. als irem rechten, natürlichen H. furbringen, mit bete, sie gnediglich darin zu bedenken.'00 Dies war genau der Weg, den Nürnberg wenige Monate zuvor im Zusammenhang mit der Eilenden Hilfe von 1486 selbst eingeschlagen hatte. Hatte sich Kaiser Friedrich im Dezember 1486 in Speyer gegenüber den Städten noch ganz unnachgiebig gezeigt, so spitzten sich binnen kurzem sein Konflikt mit König Matthias von Ungarn sowie seine Geldnot derart zu, dass er sich genötigt sah, den Städten aufgrund ihrer finanziellen Leistungskraft doch einen Schritt entgegenzukommen. Er tat dies, indem er für den 18. März 1487 eine neue Reichsversammlung nach Nürnberg einberief und die acht wichtigsten Städte im Reich, nämlich Straßburg, Köln, Basel, Frankfurt, Nürn97 98 99 100

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Protokoll der Speyerer Beratungen mit dem Kaiser am 16./17.12.1486, ebd., Nr. 494. Abschied des Speyerer Städtetages, 15./16.12.1486, ebd., Nr. 493. Abschied des Heilbronner Städtetages, 5.2.1487, ebd., Nr. 520. Schreiben vom 2.2.1487, RTA MR 2 (wie Anm. 4), Nr. 56.

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Nürnbergs Rolle auf den Reichsversammlungen und Städtetagen

berg, Augsburg, Ulm und Speyer, aufforderte, ebenfalls Vertreter mit ausrei­ chender Vollmacht zu entsenden101. Verständlicherweise war es für Nürnberg ein großes Anliegen, dass bei diesem reichspolitischen Großereignis innerhalb der eigenen Mauern die Städte tatsächlich in ausreichender Zahl präsent waren, damit ihre Belange stärkere Beachtung als auf früheren Reichsversammlungen fanden. Es forderte deshalb die anderen Kommunen nicht nur nachdrücklich auf, sich auf alle Fälle am Nürnberger Tag zu beteiligen, sondern übermittelte ihnen mit Blick auf die dortigen Verhandlungen auch gleich eine Reihe von Empfehlungen, die ganz auf den Erfahrungen der Vergangenheit basierten: Zum einen möge man - entsprechend der kaiserlichen Forderung im Lade­ schreiben - unbedingt Gesandte mit vollem, gnugsamem gewalt schicken. Zweitens sollten die Städte, falls die Kurfürsten und Fürsten dem Kaiser eynhellig hilf zusagten, sich nicht verweigern, denn wurden sich die stete dawider­ setzen, möchte man im rechten nit verantworten und die ksl. Mt. geursacht werden, mit der tat dagegen fürzunemen. Zum dritten schließlich sei Städte­ vertretern, die glaubten, ihre Heimatgemeinden würden über Gebühr belastet, zu raten, die Sache nicht nach alter Gewohnheit auf Hintersichbringen zu nehmen, sondern Kaiser, Kurfürsten oder Fürsten direkt um Abhilfe zu bitten, denn die Reichshilfeproblematik sei diesmal überaus dringlich. Auch wisse man aus Erfahrung, das die ksl. Mt. an solichem hindersich bringen etwas ver­ drieß gehabt hat und dadurch geursacht, die stete zu dem tag gein Frankfurt [im Jahr 1486/ nicht zu ervordern.'02 Zur Vorbereitung auf die bevorstehende Nürnberger Reichsversammlung fand am 19. März 1487 in Heilbronn ein weiterer Städtetag statt, zu dem dies­ mal immerhin 19 Frei- und Reichsstädte ihre Vertreter entsandten. Kontro­ verser als jemals zuvor prallten dort die unterschiedlichen Auffassungen und Vorschläge aufeinander. Jeder Teilnehmer habe, so der Straßburger Gesandte, uf siner meynung wellen verharren, und etwas zweydochtigs, das mich nit duht gut für die stet.'0} Schließlich einigte man sich aber doch darauf, dass nicht nur die vom Kaiser zur Reichsversammlung geladenen, sondern sämtliche Freiund Reichsstädte zum 8. April Gesandte mit vollem gewalt on wyter hinder­ sich bringen nach Nürnberg schicken sollten, ir fleyssig ufmerken zu haben, wes von der ksl. Mt., Kff. und andern Ff. furgenomen und inen begegen werd, und gegen untragbare Belastungen einmütiglich und einhellig by der ksl. Mt. und

101 Kaiserliches Ladeschreiben, Speyer, 3.2.1487, ebd., Nr. 9. Auch Lübeck erhielt später noch eine Aufforderung zur Teilnahme. 102 Nürnberg an Augsburg, Straßburg, Frankfurt, Ulm, Rothenburg ob der Tauber und Winds­ heim, 23.2.1487, ebd., Nr. 59. 103 Hans von Seckingen an Straßburg, 21.3.1487, ebd., Nr. 70.

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Kff, wie die notturft herheischen würd, ze handeln an hindersichbringen. Dieser klare Beschluss spiegelt zwar das gesteigerte Selbstbewusstsein der Städte wider, konnte aber dennoch ihre weiterhin mangelhafte Geschlossenheit nur mühsam verdecken. Sie wurde einmal mehr offenkundig, als zum anbe­ raumten Nürnberger Städtetag, der gleichsam parallel zur Reichsversammlung stattfand, außer den Vertretern der vom Kaiser geladenen Städte ab 8. April nur Gesandtschaften kleinerer schwäbischer Reichsstädte erschienen. Da diese naturgemäß kaum Einfluss auszuüben vermochten, reisten sie nach und nach wieder ab, so dass sich der Städtetag nach einiger Zeit stillschweigend und ohne jedes Ergebnis auflöste.'05 Zur gleichen Zeit setzten die offiziell an der Reichsversammlung teilneh­ menden großen Städte bedenkenlos alles daran, ihre individuellen Interessen zu wahren und vor allem in finanzieller Hinsicht möglichst günstig davonzu­ kommen. Dabei spielte Nürnberg bezeichnenderweise einmal mehr eine ent­ scheidende Rolle. Als die Verhandlungen über die Reichshilfe in ihre ent­ scheidende Phase traten und ein kurfürstlich-fürstlicher Ausschuss ohne städtische Beteiligung mit der Erstellung eines neuen Anschlags befasst war, taten sich Nürnberg, Straßburg, Köln, Augsburg, Frankfurt und Ulm zusam­ men und erklärten sich bereit, gemeinsam 11.000 Gulden zu bezahlen.106 Als die Anschlagssummen anschließend nochmals allgemein erhöht wurden, gelang es Nürnberg aufgrund seiner guten Kontakte zu einflussreichen, aber selbstverständlich nicht namentlich genannten Personen, diese zusätzliche Belastung von sich und den anderen großen Städten abzuwenden. Mit sicht­ licher Genugtuung äußerte sich der Nürnberger Rat über diesen Erfolg: Haben wir durch unsere ratsfreunde Pauls Volckmeyr und Sebolt Rieter an den enden, do sich das zu tun gebürt hat, merklichen fleiß ankeren lassen, die Sachen bei der vermelten verwilligten summ der 11000 fl. zu behalten. Die des fleissig mühe und arbeit gehabt und das erlangt.'07 Dass bei diesem „Deal“ auch groß-

lyty/Vw-P-

Die Vorfälle in der Rosenau machte die Nürnberger CSU zum lokalen Wahlkampfthema. Plakat 1949. (StadtAN)

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Katholische

Wähler! Wer von Euch am 26. November nicht zur Wahl geht, stärkt im Bayerischen Landtag die Front der Feinde des Christentums! Sichert durch Eure Stimmabgabe im künftigen Bayerischen Land­ tag eine starke ekristlioke Front! Gebt Eure 1. Stimme (kleiner rötlicher Stimmzettel) dem auf ge­ stellten Stimmkreisbewerber der CSU

mka

mit Eurer 2. Stimme (großer weißer Stimmzettel) aus dem Wahlkreisvorschl. der CSU den Wahlkreisbewerber

Nr. 108

Karl Schäfer

Katholische Wähler! Kritisieren ist leichter! Bessermachen ist schwerer! Wählt keine Hetzer und Volksverführer! Sie bauen nicht auf, sondern zerstören! Wählt Männer in den Land­ tag, die aus christlicher Verantwortung heraus an die Lösung der künftigen politischen Aufgaben herangehen, die aufbauende Arbeit leisten.

Wählt deshalb

Karl Schäfer

der der katholischen Vereinsbewegung angehört und dort wirkt. Karl Schäfer prägte als Bezirksverbandsvorsitzender der CSU Nürnberg-Fürth (1952-1977) den Aufbau der Partei maßgeblich mit. Wahlplakat 1950. (StadtAN)

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eine Rolle, und so fiel die Wahl des Fraktionsvorsitzenden auf den Protestanten Flanns Bencker. Am Tag der Stadtratswahl fand auch die erste Direktwahl des Oberbürgermeisters statt. Gegen den SPD-Kandidaten Otto Bärnreuther trat als Bewerber des bürgerlichen Lagers Stadtkämmerer Georg Zitzmann an. Mit hauchdünnem Vorsprung entschied Bärnreuther die Wahl für sich. Trotz des ausgesprochen guten Ergebnisses des bürgerlichen Kandidaten kam der Wahl­ ausgang für die CSU einem Menetekel gleich. Uber vier Jahrzehnte sollte sie sich vergeblich um das Amt sowie um den Zutritt zum Referentenkollegium in Nürnberg bewerben. Erst 1996 konnte sich Ludwig Scholz50 gegen den SPDAmtsinhaber Peter Schönlein durchsetzen. Immerhin hatte die CSU ihre Gründerkrise vor dem Hintergrund des Wie­ deraufbaus überstanden. Der Fürther Ludwig Erhard gab als „Vater des Wirt­ schaftswunders“ die soziale Marktwirtschaft als Leitmotiv vor, und neben Adenauers außenpolitischem Kurs der Westintegration verlieh ihm sein Kampf um die Rückführung deutscher Kriegsgefangener aus der Sowjetunion auch in Nürnberg höchstes Ansehen. Ihre Minderheitenposition im Nürnberger Stadt­ rat hinderte die CSU nicht daran, einen engagierten Bundestagswahlkampf abzuliefern. Mit Fritz Pirkl, Oscar Schneider und Wolfram Thiele waren drei Nürnberger Nachwuchspolitiker im Wahlkreis Fürstenfeldbruck im Redner­ einsatz, und im August 1953 sprach erstmals Franz Josef Strauß in der Nürn­ berger Messehalle am Berliner Platz. Mit klarer Mehrheit von 45 Prozent ent­ schied die CDU/CSU die Bundestagswahl am 6. September 1953 für sich, und sogar in Nürnberg konnte die CSU ihren Stimmenanteil mit 33 Prozent ver­ doppeln. Der Bäckermeister Georg Stiller schaffte es über die Landesliste in den Bundestag. Diesen Aufwärtstrend bestätigte die Nürnberger CSU in der darauf folgenden Landtagswahl am 28. November 1954, und neben Alfred Euerl errang Karl Schäfer ein Mandat. Trotz der Mehrheit an Sitzen kam eine bürgerliche Koalition aufgrund kulturpolitischer Streitigkeiten nicht zustande, und ohne Beteiligung der CSU formierte sich unter Ministerpräsident Hoegner die sogenannte Viererkoalition (SPD, BP, FDP und GB/BHE). Der schei­ dende Ministerpräsident Hans Ehard zog die Konsequenzen und trat als Par­ teivorsitzender zurück. Sein Nachfolger Hanns Seidel leitete nun die Moderni­ sierung der Partei ein, und 1957 wurde aus den Reihen des Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth Oscar Schneider sein Referent. Zum Gradmesser der gelungenen Reorganisation wurden die steigenden Mitgliederzahlen. Besonders im Bezirksverband Nürnberg-Fürth, 1947 nach dem Bezirksverband Augsburg der mitgliederschwächste, hatten Werbung und Nachwuchsarbeit im Argen gelegen. Dies hatte sich 1960 mit nur 876 Mit50 Zu Scholz vgl. ebd., S. 422—423.

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Freie Demokratische Partei (FDP) Freie Wahlergemeinschaft

Christlich-Soziale Union (CSU) Bayern Partei (BP) Nürnberger Parteiloser Block Nürnberger Bürgerschaft Wirtschaftliche Aufbauvereinigung (WAV) Deutscher Gewerbeverband Mittelstandsblodc Nürnberg Kreishandwerkerschaft Arbeitsgemeinschaft Freie Berufe Nürnberg, Bauernverband. Grund- und Hausbesitzerverem Arbeitsgemeinschaft Nürnberger Geschadigtenverbande und zahlreiche, in obigen Spitzenorganisationen zusammengeschlossene, Wirtschafts- u. Berufsverbande

Georg Zitzmann verlor bei der Oberbürgermeisterwahl 1952 als Kandidat des bürgerlichen Lagers mit 49,1 Prozent nur knapp gegen Otto Bärnreuther. Wahlplakat 1952. (StadtAN)

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gliedern noch nicht gebessert und schwächte auch innerhalb der Landespartei Nürnbergs Autorität. Karl Schäfer warnte, auf die Dauer mache sich diese Tat­ sache im Schwinden des politischen Gewichts gegenüber dem Landesverband bemerkbar. Die Zahl der Parteimitglieder sei viel zu schwach für eine Volkspar­ tei, die ihre Ziele ins Volk hineintragen wollet Werbeoffensiven brachten endlich Erfolg, und 1970 hatte der Bezirksverband seine Mitgliederzahl mit 1.968 Eingetragenen mehr als verdoppelt. Gleichwohl blieb er, gemessen an den anderen fränkischen Bezirksverbänden, eher mitgliederschwach. Nach den mäßigen Ergebnissen der beiden vorangegangenen Stadtratswah­ len konnte die CSU ihren Stimmenanteil am 18. März 1956 enorm steigern und etablierte sich mit 14 Sitzen als stabile zweite Kraft. Doch die Freude war gedämpft, weil die SPD mit 25 Sitzen und der Stimme des Oberbürgermeisters die absolute Mehrheit besaß. Obwohl die konfessionellen Flügelkämpfe inner­ halb der Partei nicht mehr öffentlich ausgetragen wurden, blieb der Bekennt­ nisaspekt weiterhin aktuell. So rangierten evangelische Kandidaten auf Listen­ plätzen mit ungeraden Nummern, katholische auf geraden. Gewählt wurden schließlich acht evangelische und sechs katholische Bewerber, darunter der Lehrer Georg Holzbauer, mit 28 Jahren nun der jüngste Stadtrat. Auch der Christliche Volksdienst (CVD) - eine dezidiert evangelische Partei, die bereits vor 1933 im Stadtrat vertreten war - griff die Frage des Bekenntnisses auf und erlangte schließlich ein Stadtratsmandat. Mit Wahlslogans wie „Keine Experimente“ und „Wohlstand für alle“ be­ warben sich CDU und CSU zur Bundestagswahl am 15. September 1957. Der Wahlkampf wurde nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Ungarnaufstandes 1956 von deutschland- und außenpolitischen Fragen bestimmt. Vereinfacht gesagt wählten die Menschen zwischen einer Bestätigung des Kurses der West­ integration und einem Richtungswechsel unter Erich Ollenhauer, dem Spitzen­ kandidaten der SPD. Den glanzvollen Höhepunkt auf Seiten der Nürnberger CSU markierte der Besuch Konrad Adenauers auf dem Landesparteitag vom 4. bis 7. Juli 1957. Acht Jahre waren seit seiner ersten Visite vergangen, wo er von Randalierern so schändlich behandelt worden war. Seither hatte der Kanzler die Noris beharrlich gemieden. Der Landesparteitag fand in der Messehalle bei hochsommerlichen Temperaturen statt. Die Hitze sorgte für eine legere Atmosphäre, fast alle - auch die angereiste CSU-Prominenz aus Bonn und München - nahmen Binder und Jacket ab und im Messerestaurant wurde Bier in hellen Mengen verlangt. Den erprobten Kehlen der oberbayerischen Abge­ ordneten schien das Nürnberger Bier sehr gut zu munden,52 vermerkte ein Jour51 Archiv des Bezirksverbandes der CSU Nürnberg-Fürth-Schwabach, Sitzungsprotokoll vom 29.9.1960. 52 NZ, 6.7.1957.

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Bundeskanzler Konrad Adenauer 1957 vor der Klarakirche, begleitet von Karl Schäfer, Hanns Seidel und Oscar Schneider (v. 1. n. r.). (Privatbesitz)

nalist. Als Gegenentwurf zu den meisten Tagungsteilnehmern traf Adenauer tadellos gekleidet in dunkelgrauem Anzug, mit silbergrauer Krawatte und hellem Strohhut in Wendelstein mit einem Sonderzug ein. In seiner MercedesLimousine fuhr er am folgenden Tag über die Zubringerstraße nach Nürnberg, wo ihn jubelnde Menschen empfingen. Ein Gottesdienst in der Klarakirche bildete den offiziellen Programmauftakt. Trotz der Hitze hatten sich zur Ab­ schlussveranstaltung auf dem Messegelände tausende Menschen eingefunden. Einlasskarten zur Kundgebung, die im Vorfeld kostenlos ausgegeben worden waren, wurden inzwischen für 20 DM und mehr verkauft. Diesmal war es Adenauer selbst, der alle Register der politischen Auseinandersetzung zog und einen Wahlsieg der SPD gleichbedeutend mit dem Untergang Deutschlands53 setzte. Selbst vielen seiner Anhänger ging die „Nürnberger Rede“ zu weit. Grenzenlos war die Empörung der Sozialdemokraten im Lande und die Zusammenarbeit von Regierung und Opposition spürbar belastet. Am Ende stand jedoch ein grandioser Wahlsieg, der CSU und CDU mit 50,2 Prozent die absolute Mehrheit brachte. In Bayern gewann die CSU sämtliche Direktman­ date. Aus dem Bezirksverband Nürnberg-Fürth setzte sich Georg Stiller gegen 53 Zitiert nach NN, 8.7.1957.

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Der CSU-Kandidat Hanns Bencker bei der Stimm­ abgabe anlässlich der Oberbürgermeisterwahl am 17. November 1957. (StadtAN)

Käte Strobel durch, und auch Friedrich Winter siegte im Wahlkreis NürnbergFürth. Der Fall der SPD-Hochburgen kam einer Sensation gleich. Optimistisch kom­ mentierte Karl Schäfer das Ergebnis: Ich bin überzeugt, daß sich nach diesem Wahl­ ergebnis auch im Nürnberger Stadtrat einiges ändern muß,54 Als das Amt des Oberbürgermeisters infolge des plötz­ lichen Todes Otto Bärenreuthers 1957 vakant wurde, standen die Vorzeichen für die CSU also gut. Allerdings traf die Vor­ verlegung der für 1958 geplanten Wahl auf den 17. November 1957 die CSU völlig unvorbereitet, und die Kandidaten­ suche gestaltete sich schwierig. Schließlich griff man auf den Fraktionsvorsit­ zenden Hanns Bencker zurück, der evangelisch war und als Wirtschaftsfach­ mann galt. Trotz seiner Kompetenz konnte er dem kraftvollen Auftreten seines 22 Jahre jüngeren Mitbewerbers, dem Wiederaufbaureferenten Andreas Urschlechter, wenig entgegensetzen, der sich mit 57,5 Prozent durchsetzte. Der Sieg Urschlechters markierte den Auftakt seiner 30-jährigen Amtszeit als Oberbürgermeister. Nach dem Scheitern der Viererkoalition unter Ministerpräsident Hoegner führte nach der Landtagswahl vom 23. November 1958 Hanns Seidel die CSU von den Oppositionsbänken wieder in die Regierungsverantwortung zurück. Alfred Euerl und Karl Schäfer bestätigten ihre Mandate, während Fritz Pirkl sein Landtagsdebüt gab. Zu den herausragenden Stationen seiner politischen Karriere zählen etwa seine Berufung zum Staatssekretär 1964, seine Ernennung zum Staatsminister für Arbeit zwei Jahre später sowie 1984 seine Wahl in das Europäische Parlament. In Nürnberg blieb die CSU unverändert vom Refe­ rentenkollegium ausgeschlossen. Die SPD hatte im Stadtrat die absolute Mehr­ heit, und Oberbürgermeister Andreas Urschlechter profitierte vom Amts­ bonus. Während er im Zuge des Wiederaufbaus öffentlichkeitswirksam Grundsteine legen konnte und in den lokalen Medien präsent war, blieben Initiativen der CSU häufig von der Presse ausgeblendet. Zudem schwächte das 54 NZ, 16.9.1957.

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Christlicher Volksdienst (Evangelische Hfäklergemeittsckafi) Mit antikatholischen Parolen bewarb sich der CVD bei der Stadtratswahl am 27. März 1960. Plakat 1960. (StadtAN)

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Ausscheiden profilierter Nachwuchspolitiker die Fraktion, wie etwa durch den Wechsel Pirkls nach München oder den Wegzug Thieles aus Nürnberg. Unmittelbar vor der Kommunalwahl am 27. März 1960 rückte aus der Riege der Jungen Oscar Schneider an die Fraktionsspitze vor. Spielte im Wahlkampf der CSU die Debatte um den konfessionellen Proporz keine Rolle mehr, be­ setzte der CVD das Thema weiterhin und warb mit antikatholischen Plakaten. Der Slogan „Nürnberg darf nicht katholisch werden“ hatte aber offenbar wenig Zugkraft, denn die Partei um Julius Zirkelbach kam nicht über einen Sitz hinaus, während die CSU ihr Ergebnis von 14 Sitzen halten konnte. Im Zuge des Generationswechsels hatte sich im Bezirksverband NürnbergFürth mittlerweile ein informelles Gremium von Vorentscheidern als Füh­ rungsmannschaft zusammengefunden, das die politischen Leitlinien und das Profil der Nürnberg-Fürther CSU in den folgenden Jahren bestimmen sollte. Die personellen Säulen des sogenannten „engeren Kreises“ der Nürnberger CSU waren allen voran Karl Schäfer, seit 1952 Chef des Bezirksverbandes und ihre zentrale Integrationsfigur, Fritz Pirkl als Kontaktmann in München und Oscar Schneider an der Spitze der Rathausfraktion. Am 17. September 1961 bewarb sich Adenauer letztmals um das Amt des Bundeskanzlers. Auch diesmal stattete er Nürnberg einen Besuch ab55 und eröffnete am 14. Mai 1961 den Bundestagswahlkampf mit dem Deutschlandtag der JU in Nürnberg. Als er am Flughafen eintraf, erwarteten ihn bereits Tau­ sende von Schaulustigen. Anschließend sprach Adenauer in der Messehalle, wo ihm Fritz Pirkl und Helmut Bühl, der Bezirksverbandsvorsitzende der JU, eine Kiste mit Spielzeug für seine Enkelkinder überreichten. Adenauers dritter Besuch hatte ihn mit der Noris augenscheinlich versöhnt. Zufrieden mit dem herzlichen Empfang stellte er fest: Das war ein ganz großer Tag. [...] Das habe ich nicht erwartet - gerade hier in Nürnberg nicht.ib Seine Popularität war kaum größer als im Mai 1961 und alle Prognosen sagten der Union eine abso­ lute Mehrheit voraus. Da rückte am 13. August 1961 der Bau der Berliner Mauer die deutschlandpolitische Kontroverse mit der SPD in den Focus des Wahlkampfes. Während Adenauer den Wahlkampf planmäßig fortsetzte, befasste sich Willy Brandt als Regierender Bürgermeister von Berlin mit den Problemen der geteilten Stadt. Nicht zuletzt aufgrund seiner hohen Sympa­ thiewerte konnte sich die SPD mit 36,2 Prozent deutlich verbessern. Obwohl CDU und CSU mit 45,4 Prozent die Wahl gewannen, verlor Adenauer den Nimbus des sicheren Siegers und Georg Stiller im Wahlkreis Nürnberg sein Direktmandat an Käte Strobel. Entgegen ihrer Wahlaussage bildete die FDP 55 StadtAN C29 Nr. 576. 56 NN, 15.5.1961.

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mit der CDU/CSU unter der Bedingung eine Koalition, dass Adenauer noch während der Legislaturperiode aus dem Amt scheiden müsse. Mit der Kanzler­ schaft Ludwig Erhards endete am 16. Oktober 1963 die Ära Adenauer.

Bundeskanzler Konrad Adenauer bei seiner Ankunft am Nürnberger Flughafen 1961. Mit dabei vorne links Helmut Bühl, rechts neben Adenauer Oscar Schneider, Richard Stücklen und Ober­ bürgermeister Andreas Urschlechter. (Privatbesitz)

Mit fast 75 Jahren verzichtete Ministerpräsident Hans Ehard auf eine erneute Bewerbung zur Landtagswahl am 25. November 1962. Er hatte nach Seidels krankheitsbedingtem Ausscheiden noch einmal die Regierungsverantwortung übernommen. Nun kandidierte Alfons Goppel, als wenige Tage vor dem Urnengang die Spiegelaffäre und der darin verstrickte Bonner Verteidigungs­ minister Franz Josef Strauß die Erfolgsaussichten der CSU bedrohlich schmä­ lerten. Entgegen allen Erwartungen ging die CSU gestärkt aus der Wahl hervor. Sie errang 47,5 Prozent der Stimmen und damit seit 1946 erstmals wieder die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag. Dies ist bis heute so geblieben. Franz Josef Strauß, der inzwischen als Bundesminister zurückgetreten war, dürfte das Ergebnis als persönliche Genugtuung empfunden haben. Dennoch war die Krise für ihn nicht ausgestanden. Im Juli 1963 stand die Wahl für das Amt des CSU-Parteivorsitzenden an, das Strauß 1961 übernommen hatte. Nach den 274

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Franken Josef Müller, Hans Ehard und Hanns Seidel war Strauß damit der erste Altbayer an der Spitze der Partei geworden. Doch nun kursierten in München schon alternative Personalvorschläge. In dieser prekären Lage lud der Bezirksverband Nürnberg-Fürth als erster Verband der Parteigliederung Strauß zu einem Vortrag in das Caritas-Pirckheimer-Haus ein, wo dieser nach Monaten der politischen Isolation erstmals wieder öffentlich auftrat. Der Nürnberger Abend wurde zu einem Schlüsselereignis in Strauß’ politischer Laufbahn, denn in ganz Lranken engagierten sich nun führende Vertreter des Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth für ihren Parteivorsitzenden, der tatsäch­ lich wieder gewählt wurde. Trotz allem blieb die Situation in Nürnberg schwierig, so etwa auch die Kandidatensuche, als am 27. Oktober 1963 die nächste Oberbürgermeisterwahl anstand. Schließlich erklärte sich der Ministe­ rialdirektor Friedrich Zimmermann zur Kandidatur bereit. Er war zwar gebür­ tiger Nürnberger und evangelisch, aber mit seinem Arbeitsplatz in München in der Noris nahezu unbekannt. Erwartungsgemäß gewann Andreas Urschlechter mit deutlicher Mehrheit von 60,4 Prozent. Zur Bundestagswahl am 19. September 1965 wurde das Nürnberger Stadt­ gebiet erstmals in zwei Wahlkreise eingeteilt, so dass neben Georg Stiller ein weiterer Kandidat nominiert werden konnte. Karl Schäfer brachte Sieghard Rost ins Spiel. Der evangelische Gymnasiallehrer, bislang kein CSU-Mitglied, war bildungspolitisch engagiert und empfahl sich als gebürtiger Pommer für das Kompetenzfeld der Vertriebenpolitik. Höhepunkte im Wahlkampf waren der Besuch des Altbundeskanzlers und des äußerst populären Amtsinhabers Bundeskanzler Ludwig Erhard, der im August zu einem umjubelten Wahl­ kampfauftritt in die Messehalle kam. Quasi als Erhards Wahlhelfer traf wenige Tage vor dem Wahltermin mit fast 90 Jahren Konrad Adenauer zu seinem letz­ ten Besuch in Nürnberg ein. Diesmal sprach Adenauer vom Balkon des Cafe Kröll am Hauptmarkt und anschließend auf der Kundgebung in der Messe­ halle. Das von den Demoskopen prophezeite Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU/CSU und SPD blieb aus. Willy Brandt als Kanzlerkandidat der SPD musste sich mit 39,3 Prozent gegenüber 47,6 Prozent erst einmal geschlagen geben. Sieghard Rost verpasste im Duell gegen den Sozialdemokraten Georg Kurlbaum und wegen seines schlechten Listenplatzes zwar den Sprung nach Bonn, wurde aber am 13. März 1966 in den Stadtrat gewählt. Bei dieser Kommunalwahl bestätigte die CSU bei leichten Zugewinnen ihre 14 Sitze.

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Friedrich Zimmermann stellte sich 1963 als Oberbürgermeisterkandidat der CSU zur Verfügung. Plakat 1963. (StadtAN)

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Konrad Adenauer 1965 auf dem Balkon des Cafe Kroll am Hauptmarkt, umringt von Karl Schäfer, Franz Josef Strauß, Fritz Pirkl, Sieghard Rost und (vorne) Helmut Bühl. (Privatbesitz)

„Große Koalitionen“ Schon unmittelbar nach der Stadtratswahl thematisierten SPD und CSU ein Rathausbündnis. Sie nahmen damit ein Modell vorweg, das ein gutes halbes Jahr später auf Bundesebene als die erste „Große Koalition“ die parlamenta­ rische Geschichte der Bundesrepublik Deutschland prägen sollte. Das politi­ sche Klima für die Verhandlungen in Nürnberg war zu diesem Zeitpunkt güns­ tig. Beide Parteien hatten sich im Wahlkampf um Sachlichkeit bemüht, und persönliche Angriffe waren unterblieben. Das Angebot der SPD umfasste die wichtigen Posten des Wirtschaftsreferenten und des Stadtkämmerers. Disku­ tiert wurde zudem über die Besetzung eines Bürgermeisterpostens durch die CSU. Im Gegenzug betonte die CSU, dass ihre Einbindung in die Verwaltungsspitzc die Möglichkeiten verbessere, Nürnbergs Interessen bei der Staats­ regierung zu vertreten. Noch vor der konstituierenden Sitzung des neu ge­ wählten Stadtrats wurden die Verhandlungen am 30. März 1966 aufgenommen. Illustre Signale des konstruktiven Miteinanders waren die Fußballturniere der Stadtratsmannschaft gegen die Journalisten der Nürnberger Presse. Vor rund 4.000 Zuschauern wurde am 13. Juli 1965 das erste Turnier im Stadion 277

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angepfiffen, das mit einem Sieg der Presse-Elf endete. Bei der Revanche im fol­ genden Jahr lag die Rathauself bereits zur Halbzeit mit zwei Treffern zurück. Doch in der zweiten Spielhälfte, als mancher Ballheld bereits mit flatternden Lungenflügeln klotzheinig durch die Reihen röchelte,57 wie die Nürnberger Zeitung gehässig vermerkte, gelang dem aktiven Handballer Sieghard Rost mit einem Handtor der Anschlusstreffer; es blieb aber bei einer Niederlage. Nürn­ bergs Fußballikone Max Morlock leitete die Partie im folgenden Jahr. Endlich triumphierte die Rathausauswahl mit einem 3:2-Sieg über die Journalisten, für die auch der spätere Sportchef beim Bayerischen Rundfunk Eberhard Stanjek ein Tor erzielte. Im Sturm der Stadträte agierten Schneider und Rost, während Ludwig Imhof als Verteidiger wirkte. Amüsiert witzelte Walter Schatz von der NN über die Mannschaftsaufstellung: Eine besondere Delikatesse stellen zwei­ fellos die beiden Fraktionsvorsitzenden Prölß und Schneider auf den vertausch­ ten Seiten dar (man stelle sich Schneider als Linken vor!).w

Die Rathausmannschaft 1967. (Privatbesitz)

57 NZ, 2.7.1966. 58 NN, 29.6.1967.

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Den landespolitischen Rahmen zu den Koalitionsverhandlungen im Rathaus steckte die von der CSU gewonnene Landtagswahl am 20. November 1966 und Fritz Pirkls Berufung zum Arbeits- und Sozialminister ins Kabinett Goppel ab. In Bonn hatte sich am 1. Dezember 1966 die erste Große Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger gebildet. In Nürnberg scheiterte hingegen die Zusammenarbeit von SPD und CSU am Veto des Parteiausschusses des SPD-Unterbezirks. Am 3. März 1967 unterichteten die Verhandlungsführer der SPD, Bürgermeister Franz Haas und der Fraktionsvorsitzende Willy Prölß, den CSU-Fraktionsvorsitzenden Oscar Schneider vom ablehnenden Beschluss. Nürnberg [sei] um eine Hoffnung ärmer?'' kommentierte Walter Schatz das Scheitern des Rathausbündnisses, dem auch die Bevölkerung große Sympathien entgegengebracht hätte. Der Ausgang der Bundestagswahl am 28. September 1969 bildete für das Bonner Parteiensystem eine gravierende Zäsur. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik musste die Union, ob­ gleich mit 46,1 Prozent stärkste Fraktion, in die Opposition, wo sie bis 1982 blieb. Unter dem neuen Bundeskanzler Willy Brandt nahm die sozialliberalc Koalition ihre Regierungsarbeit auf. Aus den Rei­ hen der Nürnberger CSU erlangte Oscar Schneider ein Bundestagsmandat, den Helmut Kohl 1982 als Bundesbauminister in sein Kabinett berufen sollte. Am Tag der Bundestagswahl 1969 schritten die Nürnberger auch zur Wahl ihres Oberbürgermeisters. So gut die CSU-Fraktion mittlerweile auch aufge­ Als „Ratefuchs“ in Robert Lembkes legen­ Fernsehquiz „Was bin ich“ war der stellt war, hatte es ihren letzten Bürger­ därem Nürnberger Oberstaatsanwalt Flans Sachs meisterkandidaten doch an Popularität ge­ im ganzen Bundesgebiet bekannt. (Stadt fehlt. Gewissermaßen als Antwort auf die AN) Dominanz der SPD im Rathaus vereinbar­ ten nun CSU, FDP und CVD ein gemeinsames Vorgehen in der Kandidaten­ kür. Man fasste Männer mit gesellschaftlichem und politischem Rückhalt über die Region hinaus, so etwa auch Richard Stücklen, ins Auge. Zunächst viel ver­ sprechend verlief der Kontakt zu dem Nürnberger Oberstaatsanwalt Hans Sachs. 59 NN, 4./5.3.1967.

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Martina Bauernfeind Peter Preu kandidierte als Vertreter der CSU am 28. September 1969 für das Amt des Nürnberger Ober­ bürgermeisters. (Archiv des CSU-Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth-Schwabach)

Georg Holzbauer war von 1969 bis 1988 Fraktionsvorsitzender der Nürnberger CSU. (Archiv des CSU-Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth-Schwabach)

Nach einiger Bedenkzeit lehnte Sachs je­ doch ab. Es fehle ihm genügend inneres Engagement, um gegen Urschlechter zu kämpfen.60 Schließlich konnte der Leiter des Finanzamtes Uffenheim, Peter Preu, evangelisch und in Nürnberg aufgewach­ sen, gewonnen werden. Entgegen den Ab­ sprachen kündigte die FDP jedoch die ge­ meinsame Nominierung des Kandidaten auf. Mit ihrer Unterstützung gewann Ur­ schlechter mit einem Rekordergebnis von 67,4 Prozent. Zu honorieren bleibt, dass sich Preu, dessen Spitzname als „schwar­ zer Peter“ sich nachgerade aufdrängte, trotz der Aussichtlosigkeit zur Verfügung gestellt hat. Bis 1990 stand der Finanz­ fachmann der Nürnberger CSU noch als haushaltspolitischer Sprecher im Stadtrat zur Seite. Die Kette glückloser Bürgermeister­ kandidaturen durchbrach erst Georg Holzbauer61, der 1969 an die Spitze der CSU-Stadtratsfraktion rückte. Seine Auf­ stellung bedeutete in mehrfacher Hinsicht einen Markstein. Er war der erste katho­ lische Kandidat der CSU, hatte ein ausge­ prägtes politisches Profil und einen hohen Bekanntheitsgrad. 1975 erreichte er auf Anhieb 40,5 Prozent und verringerte 1981 mit 44,3 Prozent den Abstand auf den Amtsinhaber noch einmal. Holzbauer trug entscheidend zur kommunalpolitischen Konsolidierung seiner Partei bei und legte

60 Archiv des CSU-Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth-Schwabach, Akte: Oberbürgermeister­ wahl 1969, Vermerk vom 3.3.1969. 61 Zu Holzbauer vgl. Vertrauen und Verantwortung (wie Anm. 2), besonders S. 292-295.

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Die schwierigen Anfänge der CSU in Nürnberg

Bei der Landtagswahl 1974 warb die Nürnberger JU für ihren Kandidaten Günther Beckstein mit einem eigenen Plakat. (Archiv des CSU-Bezirksverbandes Nürnberg-Fürth-Schwabach)

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Martina Bauernfeind

das Fundament späterer Erfolge. In diesem Sinne spielt das Jahr 1969 ge­ wissermaßen den Schlussakkord der zum Teil krisenhaften und schwierigen Gründer- und Aufbaujahre der Nürnberger CSU. Die Stabilität und Konti­ nuität, die sich nun auf kommunaler Ebene abzuzeichnen begann, bestand auf Landesebene schon längst. Dies bestätigte erneut die Landtagswahl am 22. November 1970, als neben Karl Schäfer und Fritz Pirkl erstmals Sieghard Rost in den Bayerischen Landtag einzog. Nicht gewählt wurde der 26-jährige Günther Beckstein von der JU. Vier Jahre später gelang ihm der Sprung ins Maximilianeum. Dort wurde Beckstein nach seiner fast einhelligen fraktions­ internen Nominierung am 9. Oktober 2007 als dritter Franke und erster Pro­ testant zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt. Ob ein gleichzeitiger Paradigmenwechsel im Präsentationsstil des bayerischen Regierungschefs von „Laptop und Lederhosen“ hin zu „Laser und Lebkuchen“62 in die Staatskanz­ lei Einzug hält, bleibt abzuwarten. Er fände möglicherweise nicht nur unter fränkischen CSU-Anhängern Beifall.

62 NZ, 20.7.2007, Artikel von Ralf Müller.

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BUCHBESPRECHUNGEN Quellen und Inventare .............................................................................................. Topografie, Stadtteile und Landgebiet...................................................................... Politische Geschichte, Recht und Verwaltung ........................................................ Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine, Sport................................................... Kunst, Architektur ................................................................................................... Kultur, Sprache, Literatur, Musik.............................................................................. Kirchengeschichte, Judentum.................................................................................... Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik .......................................................... Personen und Familien ..............................................................................................

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Quellen und Inventare Kurt-Ulrich Jäschke / PeterThorau (Bearb.): Regesta Imperii, VI: Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf, Adolf, Albrecht, Heinrich VII. 1273-1313, Abt. 4: Hein­ rich VII. 1288/1308-1313, Lfg. 1: 1288/1308 - August 1309. Wien u.a.: Böhlau 2006. XIV, 369 S. € 98,Neben dem Repertorium Germanicum, das sich der an der römischen Kurie entstan­ denen Überlieferung ab 1378 widmet, sind die Regesta Imperii das wichtigste Groß­ unternehmen zur deutschen Geschichte außerhalb der Monumenta Germaniae Historica. Ob man die Regesten herkömmlich in chronologischer Reihenfolge bringt oder, wie bei Ludwig dem Bayern 1314-1347 und Friedrich III. 1440-1493, nach den heuti­ gen Archivlagerorten, ist eine pragmatisch zu beantwortende Frage. Bei großer Überlie­ ferung würde sich die Sammeltätigkeit, wenn man eine chronologische Veröffent­ lichung anstrebt, zu lange hinziehen. Der Luxemburger Heinrich VII. 1308-13 steht hier an einer Grenzscheide. Seine Tätigkeit nördlich der Alpen lässt sich noch in tra­ ditioneller Weise aufarbeiten, weil nicht zu viele Belege zu berücksichtigen sind. Doch weilte der Herrscher knapp 34 Monate in Italien, wo er zum Kaiser gekrönt wurde und schließlich in Pisa starb. In Italien war die Schriftlichkeit viel weiter verbreitet als hierzulande. Die italienischen Archive zu durchforsten, ist sehr aufwendig, weshalb auf Drängen der Auftraggeber und gegen den Wunsch der Bearbeiter nun eine erste Liefe­ rung vorgelegt wird, welche Geburt und Aufstieg Heinrichs, seine Königswahl und die frühe Regierungstätigkeit in Deutschland bringt, ohne bei der italienischen Über­ lieferung Vollständigkeit beanspruchen zu können. Dass die Arbeit die Geduld der Auf­ traggeber strapaziert, hängt allerdings auch mit der Ausführlichkeit der Regesten zusammen. Alle Überlieferungen, Drucke und Regesten werden detailliert geprüft. Auf die Formulierung der deutschen Regesten wird größte Sorgfalt verwendet, sicher zu Recht, denn viele Benutzer werden nicht mehr auf die Quelltexte zurückgreifen, sobald eine Inhaltszusammenfassung vorliegt. Der Kommentar zu den einzelnen Stücken ist außerordentlich umfassend und strebt die Berücksichtigung der gesamten wissenschaft­ lichen Sekundärliteratur an, was andererseits bedeutet, dass die Arbeit schnell veraltet. Ohne das Ziel einer gedruckten Publikation in Frage zu stellen, wäre daher, wenn sich

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen technische und urheberrechtliche Probleme lösen lassen, wie bei Heinrich IV. 10561105 eine Vorabveröffentlichung im Internet denkbar, um gegenüber den Auftrag- und Geldgebern wie der Öffentlichkeit die Fortschritte der Arbeit zu belegen. Der Nutzen des Regestenwerks nicht nur für die allgemeine Reichs-, sondern auch speziell für die Landesgeschichte liegt zum einen in der Klärung des herrscherlichen Itinerars, zum anderen in der Aufhellung des Entstehungskontexts herrscherlicher Ver­ fügungen. Heinrich VII. reiste im Sommer 1309 von Augsburg über Lauingen und Nördlingen nach Nürnberg, wo er drei Wochen lang verweilte, um sich dann über Rothenburg, wo er fast eine Woche Station machte, Hall und Gmünd nach Esslingen zu begeben. Seine Regierungshandlungen in Nürnberg betrafen nicht allein die Stadt und einzelne Bürger wie Otto Koler genannt Forstmeister, den Schwiegersohn des Schult­ heißen Konrad Eseler (Nr. 200, 202, 216), sondern auch die Kommune Mantua (Nr. 199), den Bischof von Basel (Nr. 203), die Zisterzienserklöster Schöntal, Waldsassen, Heilsbronn, Maulbronn, Salem und Ebrach (Nr. 204f., 209, 214f., 217-219), Bischof Philipp von Eichstätt, der zuvor Zisterzienserabt von Pairis gewesen war, und das Klos­ ter Wülzburg (Nr. 206f.), die Abtei Fulda (Nr. 220) sowie die Städte Dinkelsbühl (Nr. 208, 213) und Regensburg (Nr. 210-212). In Rothenburg beschäftigten Heinrich VII. weiter das Zisterzienserkloster Heilsbronn (Nr. 221, 228) und Bischof Philipp von Eichstätt (Nr. 224), sodann die Stadt Erfurt (Nr. 222f.) anlässlich ihres Konflikts mit Markgraf Friedrich von Meißen. Die Dominikanerinnen in Rothenburg und in Mödingen erhielten ein Schutzprivileg (Nr. 225, 229). Der Edelherr (nobilis vir wird mit „Ade­ liger“ wiedergegeben) Friedrich von Schleiden erhielt die Erlaubnis zu Aufnahme von Juden in Schleiden (Nr. 226), wobei man über Vermittlertätigkeit Rothenburger Juden spekulieren mag. Während der König noch in Konstanz weilte, hatte seine Gemahlin Margarethe von Brabant schon Ende Mai Rothenburg aufgesucht, wo Bischof Philipp von Eichstätt Chor und Hauptaltar des Franziskanerklosters weihte (Hermann Hoffmann, Franziskanerkloster Rothenburg S. 580 Nr. 14). In Hall urkundete der König für Graf Berthold von Henneberg (Nr. 230f.), was auf weitere Bemühungen um den Konflikt in Thüringen hindeutet. Von Speyer aus erhielt Nürnberg den Befehl, den schwer verwüsteten Reichswald wieder aufzuforsten (Nr. 269). Schon im Frühjahr hatte der König in Speyer die Erben des Forstmeisters Konrad Stromeir belehnt (Nr. 66). Uber den Zustand des Reichswaldes muss also im Jahre 1309 länger verhandelt worden sein. Diese wenigen Beispiele mögen beleuchten, wie unentbehrlich die Regesta Imperii gerade für landesgeschichtliche Forschungen sind, denn die Urkunden und Akten stel­ len die einzige Möglichkeit dar, herauszufinden, wer Kontakt zum Herrscher hatte, und so die Hintergründe königlicher Verfügungen zu erhellen. Karl Borcbardt

Eckard Lullies (Bearb.): Das Lehnbuch der Schenken von Reicheneck von 1331 (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft 49). Neuhaus: Altnürnberger Landschaft e.V. 2005. LXXI, 286 S. mit 3 Abb. € 15,Zwischen Nürnberg und Amberg waren in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts die Schenken von Reicheneck begütert, ein reichsministerialisches Geschlecht, über das der

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MVGN94(2007) Quellen und Inventare unvergessene Gustav Voit viel gearbeitet hat. Die Enkel Konrad und Walther des Ulrich von Königstein, welcher die Burg Reicheneck bei Hersbruck erbaut hatte, bildeten zwei Linien, die 1411 bzw. 1395 im Mannesstamm erloschen. Vorgelegt wird das in zwei Abschriften A und B aus dem 15. und dem 16. Jahrhundert überlieferte Lehenbuch der Waltherschen Linie (S. 1-95 Nr. 1-743). Beide Abschriften sind heute zusammengebun­ den im Staatsarchiv Amberg, Reichsherrschaft Parsberg, Lehnpropstamt 1 Nr. 1/2, durchfoliiert von 1 bis 27. Die Überlieferungsgeschichte ist kompliziert. Das verlorene Original ließ Ludwig Schenk von Reicheneck anscheinend 1331 anlegen aus Anlass des Todes seines Vaters Walter und seines Bruders Konrad. Die ebenfalls verlorene Ab­ schrift, welche die Vorlage von B bildete, entstand 1350 vermutlich aus Anlass von Ludwigs Tod. In beiden Fällen gab es in der Waltherschen Linie zahlreiche Brüder und Neffen, so dass die Aufzeichnung einen besitzsichernden Überblick für die Erben dar­ stellte. Die Abschrift A dürfte anlässlich des Kaufs der halben Burgherrschaft Reichen­ eck durch Herzog Ludwig IX. von Bayern-Landshut 1472 gefertigt worden sein. Die Abschrift B ist 1533 datiert und hatte Georg von Parsberg als Auftraggeber. Die Edi­ tionsprinzipien sind gewöhnungsbedürftig, insbesondere was die Groß- und Klein­ schreibung, die Interpunktion und den Einsatz von Klammern angeht. Außer bei Namen wird von Fachhistorikern um der leichteren Lesbarkeit willen immer ortho­ graphisch normalisiert. Aus dem gleichen Grund verwendet man satzgrammatische Interpunktion. Eckige Klammern markieren Zusätze des Editors, runde Klammern unsichere Auflösung von Kürzungen. Anhand der beigegebenen drei Fotos müsste der Text B fol lrv (S. 1-3 [nach der Angabe unter den Abbildungen irrig lr und 2r]) und A fol. 2r (S. 3-7) wie folgt lauten: Dy lehen, so Schennckh Ludwig unnd sein bruder gelihen. Das puech ist vormalls abgeschribenn wordenn im dreitzehenhundert unnd funftzigisten jare zu Phunigstenn. Unnd yetzo im funftzehenhundert unnd dreuunddreissigistenn jare am sambstag nach Valentini. Das seinnd dy zehennd, dy von den Schennckhen zu lehen geennd. [1] Item her Ott der Forstmaister zu Nurmberg hat ainen zehennd zu Prayttenprunn, den er vom Marckhart dem Praunspach khaufft. [2] Item dy Stainlinger haben ainen zehend zu Sintlatt. [3] Item der Thurrigi hat ainen zehennd zu Freylingen und ainen zehennd zu Wettersperg unnd des Schraplers zehennd zu Wettersperg. [4] Item Albrecht der Schnofennhouer hat den zehennd zu Furhenbach unnd zu zu [!] Happurg. [5] Item der Lochner hat ainen zehennd zu See. [6] Item der Roter hat den zehennd zu Helmansperg. [7] Item der Perchtolt der Faust hat den zehennd zu Gothclmshouen. [8] Item der Dcrrer hat ain khlains zehenndtl zu Alfalltcr. [9] Item Khoburger der Peckh hat den zehennd zu Suntznhof. [10] Item der Bruhloß hat den zehenndten halben an dem Happurger velld. [11] Item dy Pruederlein hat den zehennd zu Elschenpach. [12] Item Chunrat der Schlamerstorffer hat den zehennd zu Artoltzprunn. [13] Item des Vlrich Hofers swager hat den zehent zu Weigendorf. [14] Item Herman Schueck hat den zehent über des Sultzpurger gut zu Schupf. [15] Item den zehent über den baw zu Liechteneck hat Pauls der Schneider. [16] Item Hermans des Lochners sün zu Hohenstat habent den zehent halben zun Weyern. [17] Item der Vorchaimer und der Raczen habent ainen zehent zum Masenhof. [18] Item der Egenspeck hat ain zehent zu Obern

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Kuchen und über ain gerewt daselbst. [19] Item Conrat Turrigel von Eschenbach hat den zehent über den hof zu Steppach und ain zehent zu Wettersperg, den der Schnack hat. [20] Item der Lösel zu Ouenhausen hat ain zehent über das Aychech daselbst und den zehent über den Kirchperg. [21] Item Vlrich Swab hat den zehent über den acker in dem Hag. [22] Item Erlpeck hat den zehent über der Stettbecken hof, den er zu getreuwer hant treit dem gotzhauß zu Sickenpach. [23] Item Gebhart der Lochner hat den zehent über des Götfridz hub zu Furhenbach. [24] Item der Kvn von Lyrungshouen hat den zehent zu Alhfelt. [25] Item den zehent über des Scharrers hub zu See. [26] Item Fridrich der Sigerstorffer hat den zehent halben zu Pruckpach, den er von dem Schweinaher kauft. [27] Item Herman der Zimerman hat den zehent über den acker im See pei dem Sentelbach. Auf gravierende Abweichungen gegenüber der Edition wurde durch Fettdruck aufmerksam gemacht. Eine Liste mit weiteren Corrigenda ist der Veröffentlichung bereits beigefügt. Ohne den zufälligen Befund hochzurechnen auf andere Seiten, bleibt doch das Gefühl, dass eine der zentralen Forderungen an eine regionalgeschichtliche Quellenedition, die zuverlässige Lesung von Personen- und Ortsnamen, nicht immer gegeben ist. Paläographische Fähigkeiten gewinnt man nur durch Übung. Heimatfor­ schern darf es aber nicht angerechnet werden, wenn infolge von Stellenkürzungen oder anderen Gründen solche Lehrveranstaltungen gar nicht angeboten werden. Das Regis­ ter der Orts- und Personennamen verweist auf Seitenzahlen statt auf die Nummern der Einträge, die schneller aufzufinden wären. Man vermisst ein Register der Sachen, wie es vorbildlich die von Herman Hoffmann herausgegebenen würzburgischen Lehenbücher des 14. Jahrhunderts haben. Dies würde der vergleichenden Landesgeschichte den Zu­ griff auf Besonderheiten wie die tafern (Nr. 117), paumgarten und gefaß (Nr. 720) erleichtern. Drei Stammtafeln und drei Karten dienen der Orientierung. Eine beein­ druckende Forschungsleistung steckt in den Anmerkungen und in dem alphabetisch nach Orten angelegten, ausführlich mit Verweisen auf ergänzende Quellen abgesicher­ ten Besitzverzeichnis der Schenken von Reicheneck Waltherscher wie Konradischer (besser nicht: Konradinischer) Linie in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts (S. 97219). Diese Angaben stellen geradezu eine Fundgrube dar für das Verhältnis des Landadels zur Stadt, hier der Schenk von Reicheneck zu Nürnberg, in einer Phase, wo sich in Deutschland dramatische Wandlungen abzeichneten, weil das alte Stadt- wie landgestützte Meliorat allmählich durch bürgerliche Emporkömmlinge abgelöst wurde. Nürnberg, wo der patrizische Rat trotz des Zwischenspiels 1348/49 seine Macht be­ wahrte, mag hier eine Sonderentwicklung gehabt haben, für welche die Lehensbezie­ hungen patrizischer und bürgerlicher Familien zu den Schenken von Reicheneck Auf­ schlüsse bieten. Schenkische Dienstmannen waren die Valzner, Teufel, Fürer und Ort­ leib, von den Schenken belehnt u.a. die Katerpeck, Pilgreim, Pfinzing, Mendel, Coler und Derrer. Der von Juni 1348 bis September 1349 amtierende Aufruhrrat in Nürnberg wurde von schenkischen Dienst- und Lehnsleuten dominiert. Anscheinend (S. LXIX) versuchten die Schenk von Reicheneck eine Aussöhnung mit den Wittelsbachern, die sie wegen der Errichtung eines eigenen Halsgerichts in Reicheneck oder Happurg noch 1347 mit Fehde überzogen hatten. Solche Zusammenhänge werden aus der ein wenig

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet umständlich formulierten Einleitung deutlich und sichern der Edition überregionale Aufmerksamkeit. Trotz der angedeuteten Einschränkungen verdient die Leistung des Editors und seiner Helfer große Anerkennung. Sie haben versucht, was eigentlich Auf­ gabe der Geschichtswissenschaft wäre, und haben eine zentrale landesgeschichtliche Quelle durch eine Edition besser zugänglich gemacht als bisher. Karl Borchardt

Topografie, Stadtteile und Landgebiet Lorenz Bomhard / Rainer Elpel: Nürnberg. In der Mitte Europas. Nürnberg: Carl 2006. 160 S. mit zahlr.Abb. €19,90 „Nürnberg lässt sich immer wieder neu entdecken.“ Den Beweis für diese Fest­ stellung des Vorworts (S. 7) wollen Autor und Fotograf mit dem hier vorliegenden Buch antreten, einer „Zeitreise durch meine überaus lebens- und liebenswerte Heimatstadt“. Und in der Tat macht ihr Werk auf den ersten Blick einen sehr angenehmen Eindruck. Gefälliges Layout, eingängige historische Zitate am Seitenrand, vor allem aber die zahl­ reichen Bilder (mit Ausnahme weniger, meist historischer Aufnahmen Originalfotos Rainer Elpels) machen das Betrachten zu einem Genuss. Es ist erstaunlich, wie durch Perspektive, Beleuchtung und ähnliche Tricks den dargestellten Objekten ganz neue Aspekte abgewonnen werden können! In einigen Fällen wurde die überraschende Perspektive anscheinend durch technische Manipulation gewonnen - dies hätte um der Wahrhaftigkeit der Bildaussage willen angegeben werden müssen. Dass für die Fotos der Sigena-Urkunde (S. 11) und des „Großen Freiheitsbriefs“ (S. 13) nicht das jeweils verwahrende Archiv, sondern Privatpersonen als Quelle genannt werden, muss den Kenner allerdings verwundern - und ärgern müssen ihn die veralteten Schwarzweiß­ fotos, hätten eben diese Archive doch viel schönere Farbfotos zur Verfügung stellen können. Der Genuss am Betrachten des Buches erfährt einen empfindlichen Dämpfer, sobald man sich eingehender in die Lektüre des Textes vertieft. Dieser ist zweigeteilt: ca. 1/3 historische Gesamteinführung, 2/3 Einzelaspekte mehr oder weniger historischer Aus­ richtung unter Titeln wie „Stadt der Kirchen“, „Stadt in der Mitte Europas“, „Stadt am Wasser“ und so fort. So weit, so gut. Ärgerlich sind jedoch die zahllosen groben sach­ lichen Schnitzer, Ungenauigkeiten und irreführenden Formulierungen, die den Text von vorne bis hinten durchziehen, insbesondere jedoch seine historischen Partien - und von denen manche durch einen kurzen Blick in das Stadtlexikon hätten vermieden werden können. Hier nur wenige Beispiele: Oft sind es einfach falsche Formulierungen, die richtig in falsch verkehren. Der Gänsemännleinbrunnen steht nicht im „Hof des Rathauses“ (S. 131), sondern im Rat­ haushof (einem so benannten öffentlichen Platz). Die „Schottenmönche“ des Egidienklosters waren eben keine „schottischen Mönche“, wie Bomhard schreibt (S. 82), son­ dern Iren. Manchmal sind es Bewertungen und Einschätzungen des Autors, die Befrem­ den erregen müssen. Kann man Konrad Groß, den Käufer und damit Privatbesitzer reichsstädtischer Ämter, wirklich als „Exponent der bürgerlichen Selbstverwaltung“

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen (S. 13) charakterisieren, oder die Gründung der Akademie Altdorf durch den Rat als „Fürsorge für das Umland“ (S. 40)? Was meint der Verfasser mit der von der Reforma­ tion umgewerteten „Heiligkeit des Wirkens“ (S. 40)? Und welch ein Geschichtsbild spricht eigentlich aus den Sätzen „Die Reichsgläubigkeit Nürnbergs nahm mitunter groteske Züge an. Das protestantische Nürnberg finanzierte den Siebenjährigen Krieg gegen das protestantische Preußen mit“ (S. 39)? Noch irritierender ist die oft nicht nachvollziehbare Auswahl dessen, was aufgenommen wurde und was nicht. Als Roh­ stoffe des Nürnberger Umlandes nennt Bomhard Sand, Ton und Holz, nicht aber den im Stadtbild allgegenwärtigen Sandstein (S. 110). Bei der Behandlung der Frauenkirche hätte die frühere Synagoge wenigstens erwähnt werden sollen (S. 40). Unter dem Titel „Stadt der Museen“ nennt er die Stadtbibliothek (die Archive fehlen) und den Schwur­ gerichtssaal 600, nicht aber das Naturhistorische Museum oder das Museum Industrie­ kultur. Als Ursachen des Niedergangs der Reichsstadt vor 1806 nennt er - an ganz getrennten Stellen - die Steuerforderungen des Reichs (S. 39, unter der Überschrift „Teurer Kaiserkult“) und die innere Erstarrung (S. 89, im Kapitel „Stadt in der Mitte Europas“), es fehlen die mindestens ebenso wichtigen Ursachen der Ruinierung des Nürnberger Handels durch den Merkantilismus der großen Territorialstaaten und der bayerischen Okkupation des Nürnberger Umlandes. Wirklich ärgerlich sind jedoch die zahllosen direkten Fehler. Auch hier nur eine kleine Auswahl, wichtiges und Kleinig­ keiten bunt durcheinander: Kraftshof liegt nicht westlich von Nürnberg (so S. 85), son­ dern nördlich. Simson und Nimrod auf dem Sebaldusgrab gehören nicht zu den „vier antiken Helden“ (S. 76), sondern sind biblische Figuren. Philipp Mclanchthon hat nicht die Lateinschule St. Egidien in ein Gymnasium umwandeln lassen (S. 82), sondern hat den Rat bei der Gründung des Gymnasiums beraten, und die Lateinschule bestand noch jahrzehntelang neben diesem weiter. Das Katharinenkloster war kein Dominikaner-, sondern ein Dominikanerinnenkloster (S. 84), und dass zu Martin Behaim keine noch so überlebte Legende ausgelassen wird (S. 25f.), kann schon nicht mehr wundern - es fehlt nur seine angebliche Entdeckung Amerikas. Genug! Wer nichts merkt, den stört es nicht, und er wird an dem flüssig geschriebe­ nen, wunderschön bebilderten Buch seine Freude haben. Wer zuverlässige Angaben zur Geschichte Nürnbergs sucht, wird ohnehin zu anderen Werken greifen. Hoffen wir nur, dass kein Schüler auf die unglückliche Idee verfällt, dieses Buch als Informations­ grundlage für sein Nürnberg-Referat zu verwenden - er könnte bei der Benotung eine böse Überraschung erleben. Horst-Dieter Beyerstedt

Hartmut Beck / Manfred Gillert: Nürnberg aus der Luft = Nuremberg from the air. Cadolzburg: Ars Vivendi 2005. 95 S. mit überw. Abb. € 22,90 Auch in Zeiten von Google Earth mit seinen fast jeden Punkt der Erde heranzoom­ baren Satellitenaufnahmen und GPS bewahrt sich die Luftbildfotografie ihren beson­ deren Reiz: Das belegen Manfred Gillert mit seinen aus 150-300 m Höhe geschossenen Flugaufnahmen zu allen Jahreszeiten und Hartmut Beck mit seiner präzisen Auswahl und Betextung einmal mehr. Vermutlich nach einem präzisen Plan angesteuert, wurden

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet die wichtigsten Gebäude, Altstadtstraßen, Parks und Freizeitflächen der Stadt in leich­ ter Schrägansicht aufgenommen und in der Abfolge Kaiserburg, Altstadt, dann von Westen und Osten wie Norden und Süden mit den wichtigsten Neu- und Großbauten zu einem imaginären Flug zusammengestellt. So bietet dieser Band tatsächlich eine visuelle Dokumentation unserer Stadt aus der Luft gesehen. Aus dem Blickwinkel des niedrig über der Stadt fliegenden Piloten zeigen sich nicht nur immer wieder über­ raschende und reizende Perspektiven, der Blick von oben verdichtet vor allem, er eröff­ net tatsächlich einen „Über“blick. Gerade dieser Sicht auf die städtischen Erscheinun­ gen, die heute wichtig und repräsentativ sein können für ein Bild des städtischen Gebiets und der Stadt Nürnberg, sind die Bildauswahl und die Texte von Flartmut Beck verpflichtet, die in deutscher und englischer Sprache beigegeben sind. Ein empfehlens­ wertes Buch für jemanden, der seine Heimatstadt Nürnberg Fremden in kurzer Zeit in ihrer ganzen Vielfalt und ihren historischen und sehr modernen baulichen Erscheinun­ gen vorstellen will. Etwas knapp sind für meinen Geschmack die eigentlichen Wohn­ gebiete und die alten Industrieareale vertreten, dennoch: Der Blick von oben präsentiert Nürnbergs baulichen und historischen Reichtum, seine Ausdehnung, den teilweise unterschiedlichen Charakter der städtischen Bebauung und, was immer wieder als einer ihrer größten Vorzüge genannt wird, seine Übersichtlichkeit. Man merkt dem schönen Buch, im Unterschied zu vielen anderen Bildbänden auf dem Markt, die Handschrift und die Kenntnisse von Hartmut Beck als lehrendem Geographen an. Aus Sicht des Historikers darf ich dieses Buch künftigen Stadthistorikern in vielleicht hundert und mehr Jahren ans Herz legen: Wer sich in fernerer Zukunft einen Überblick über Erscheinung und das Stadtbild Nürnbergs zu Beginn des 21. Jahrhunderts verschaffen will, sollte dieses Buch zur Hand nehmen. In diesem Sinn sei der schöne Bildband natürlich auch allen heute historisch Interessierten stark empfohlen - vielleicht gerade im Zeitalter von Google Earth u.a. Helmut Beer

Walter Steinmaier: St. Jobst. Das Aussätzigenspital am Empfangsweg des Kaisers. Herrscherkult und Siechenhaus. Ein Beitrag zum Stadtausbau unter Karl IV. und zum Spitalwesen der freien Reichsstadt Nürnberg. Nürnberg: Mabase-Verl. 2006. 347 S. mit 28 Abb. €18,Die Geschichte St. Jobsts wird von seinen Pfarrern geschrieben. Nachdem Georg Rusam 1969 eine Broschüre zu Geschichte und Baugeschichte St. Jobsts verfasst hat, legt 2006 - zugleich 650 Jahre nach der Weihe der heutigen Kirche - Walter Steinmaier ein umfangreiches Werk zum Thema vor. Worin besteht der Unterschied zwischen beiden Werken? Natürlich wurden in diesen 37 Jahren neue Dokumente und Baube­ funde entdeckt, die manche neue Einsichten erlauben und in Steinmaiers Arbeit einge­ flossen sind. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Werken liegt aber nicht in diesen neuen Einzelerkenntnissen, so wichtig diese im Einzelfall auch sein mögen, son­ dern ist bereits äußerlich auf den ersten Blick erkennbar: Gegenüber den 55 Seiten der Broschüre Rusams hat Steinmaiers Arbeit einen Umfang von 347 Seiten. Ursache dieses Unterschieds ist in erster Linie eine erhebliche Ausweitung des behandelten Thcmcnbe-

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen reichs, die im Untertitel des Buches benannt wird: „Ein Beitrag zum Stadtausbau unter Karl IV. und zum Spitalwesen der freien Reichsstadt Nürnberg“. Im Einzelnen behan­ delt der Autor neben der Geschichte der Jodocus-Verehrung das Nürnberger Spital­ wesen, insbesondere die grundsätzlich gegensätzlichen Baupläne von Siechenhäusern (räumliche Trennung Kapelle - Krankenwohnhaus) und Spitälern (Zusammenfassung von Kapelle und Krankenwohnhaus unter einem Dach) sowie den erstaunlichen Stadt­ ausbau Nürnbergs zur Zeit Karls IV. (Hauptmarkt, Marienkirche, Westfassade der Lorenzkirche, die Pilgerspitäler Heilig-Kreuz und St. Martha, die vorletzte Stadtmauer und eben St. Jobst). Was auf den ersten Blick wie eine bloße Stoffaufblähung ohne wesentlichen Erkennt­ nisgewinn für die Geschichte St. Jobsts selbst erscheinen könnte, erweist sich tatsächlich als Einbeziehung wesentlicher Rahmenbedingungen, die ganz neue Fragestellungen und Einsichten ermöglicht. Wenn Spitäler und Siechköbel europaweit nach gegensätz­ lichen Bauplänen angelegt wurden, warum wurde dann der Siechkobel St. Jobst - als einziger der Nürnberger Siechköbel und im Gegensatz auch zu seinem eigenen Vor­ gängerbau von 1308 - nach dem Bauplan für Spitäler neu errichtet? Die Antwort auf diese erstmals von ihm gestellte Frage findet Steinmaier bei der Betrachtung des Nürn­ berger Bauprogramms jener Zeit und - vor allem - der dahinter stehenden politischen Verhältnisse und Absichten: Der Neubau St. Jobsts am Anreiseweg Karls IV. von Prag nach Nürnberg, zu einem Zeitpunkt, als ein praktisches Bedürfnis für einen Neubau nicht erkennbar ist, war Teil des großen Projekts des Stadtausbaus, mit dem der Rat die Ziele des neuen Herrschers in baulich-repräsentativer Form umsetzte, ein „Aushänge­ schild“ am Empfangsweg des Kaisers in Konkurrenz zu den Herrensitzen des Burg­ grafen (Behringersdorf) und des Reichsschultheißen (Erlenstegen). Unter diesem neuen Aspekt gelingen Steinmaier auch neue Interpretationen der (ausführlich dargestellten) Baubefunde, die, zusammen mit neuen Feststellungen am Bau und neuentdeckten urkundlichen Nachrichten, auf manche alte Frage eine neue Antwort geben und manche alte Ansicht korrigieren. Die Arbeit Steinmaiers beschränkt sich nicht auf die Gründungsphase des Neubaus im 14. Jahrhundert, sondern behandelt ebenso die weitere Geschichte von Kapelle und Siechkobel bis zu dessen Aufhebung: die weitere Baugeschichte, die Aussätzigen und die Bediensteten, die Geistlichen und die hohen Herren Pfleger; den Einfluss von Reformation und Zweitem Markgrafenkrieg, die Neubelegung mit Frauen seit 1574, die weitere Geschichte in Barock und 18. Jahrhundert bis zur Aufhebung 1808 und das weitere Schicksal der Gebäude bis heute. Es liegt auf der Hand, dass für diese dokumen­ tarisch gut belegten Zeiten keine so grundlegend neuen Erkenntnisse mehr zu erwarten sind wie für die Frühzeit des Siechkobels. Hier liegt der Wert der Arbeit in der zuverläs­ sigen und anschaulichen Darstellung der Baugeschichte von Kirche und Siechkobel und der Lebensverhältnisse seiner Bewohner, wie sie in dieser Ausführlichkeit für St. Jobst noch nicht Vorgelegen hat. Die Arbeit ist eine wissenschaftliche Untersuchung mit Fußnoten und umfang­ reichem Literaturverzeichnis. Ein eigenes Archivalienverzeichnis fehlt, die entspre-

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet chenden Hinweise sind in den Fußnoten verstreut - leider nicht in der korrekten, aber doch meist in eindeutig verständlicher Zitierweise. Ein Hinweis für Spezialisten: Die von Steinmaier noch nach Jahreszahlen zitierten Siechkobelrechnungen sind zwischen­ zeitlich im Stadtarchiv neu verzeichnet und mit Signaturen versehen worden, was bei künftigen Bearbeitungen des Themas zu beachten ist. Trotz des wissenschaftlichen Charakters ist die Arbeit erfreulich flüssig und angenehm zu lesen und auch optisch ansprechend - soweit dies bei reinen Textseiten möglich ist. Störend sind zwei durch­ gängige Zeichenfehler, die Einfügung eines Zwischenraums nach Bindestrich und das häufige Fehlen des Kommas nach Relativsätzen. Die durchgehend schwarz-weißen Ab­ bildungen stehen in einem Block am Ende des Buches; sie dienen nicht nur der Illustra­ tion, sondern sind häufig die Grundlage wichtiger Interpretationen des Textteils. Gerade deshalb hat der Rezensent beim Lesen des Textes eine Bildnummerierung oder wenigstens Hinweise auf die Seite der Abbildung schmerzlich vermisst, musste er die zugehörigen Abbildungen doch erst mühsam suchen - nur um in einigen Fällen festzu­ stellen, dass die ausführlich interpretierten Abbildungen oder Baubefunde gar nicht im Buch abgebildet sind. Hat hier der Zeitdruck des anstehenden Jubiläums eine bessere Abstimmung zwischen Bild und Text verhindert? Mit Steinmaiers Untersuchung haben Kapelle und Siechkobel St. Jobst erstmals eine umfassende Darstellung aller wichtigen Aspekte ihrer Geschichte gefunden, von der Bau- und Kunstgeschichte über ihr inneres Leben und die in ihnen lebenden Personen­ gruppen bis zu ihrer Funktion für die äußere Gesellschaft in religiöser, sozialer und politischer Hinsicht. Die Arbeit wird wohl noch für lange Zeit das gültige Standard­ werk über Kirche und Siechkobel St. Jobst bleiben. Horst-Dieter Beyerstedt

Schniegling, Wetzendorf und Alt-Doos. Geschichte und Geschichten aus dem Westen Nürnbergs. Ein Bucherlebnis durch Bürgerengagement. Nürnberg: Geschichtstreff Schniegling, Wetzendorf, Alt-Doos im Stadtteilhaus FiSch 2006. 142 S. mit zahlr. Abb. € 15,Gostenhof, Muggenhof, Eberhardshof & Kleinweidenmühle. Geschichte eines Stadt­ teils (Nürnberger Stadtteilbücher 9) / Geschichte für Alle e.V. - Institut für Regionalge­ schichte. Nürnberg: Sandberg-Verl. 2005. 192 S. mit zahlr. Abb. € 25,80 Zwei Bücher sind über den Nürnberger Westen erschienen, ähnlich in Anlass, Thema, Aufmachung und Umfang, beide von zahlreichen Autoren verfasst, und doch in ihrer Art völlig verschieden. Aus Anlass des 200-jährigen Bestehens des Schulsprengels Schniegling-Wetzendorf haben der „Geschichtstreff Schniegling, Wetzendorf, Alt-Doos im Stadtteilhaus FiSch“ und der Allgemeine Sozialdienst (ASD) der Stadt Nürnberg das vorliegende Büchlein über „Schniegling, Wetzendorf und Alt-Doos“ herausgegeben. Sein Ziel ist es zu zei­ gen, dass der Nürnberger Westen „interessanter und spannender“ ist, als man es ihm auf den ersten Blick ansicht - keine leichte Aufgabe für ein Gebiet, das im Vorwort mit den Worten charakterisiert wird: „Aktuell .präsentiert“ sich unser Stadtteil durch OMV,

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Fristo, Lidl, Norma, Plus oder Siemes Schuhe. Weiter westlich in Fürth geht es über zu Mc Donalds, Aldi, zu Selgros und IKEA. Also ein Wohngebiet ohne eigenes Profil, so wie an den vielen Ein- und Ausfallstraßen dieser und anderer Städte.“ Um ihr Ziel zu erreichen, werfen Herausgeber und Verfasser einen - oder besser gesagt: mehrere Blicke auf die ältere und jüngere Geschichte dieses Gebietes. In 33 Beiträgen haben die 15 Mitarbeiter ein nicht systematisches, sondern mosaik­ artiges und buntes Bild des Nürnberger Westens entworfen, davon allein 20 Beiträge (neben Einleitung und Zeittafel) verfasst von Ernst Kuttruf, der deshalb als einziger persönlich genannt sein soll. Inhaltlich reichen die Beiträge von der Entstehung und Geologie des Pegnitztales über die Vorstellung einzelner historischer Quellen und ihrer jeweiligen Aussagen (Salbücher, Landkarten, Postkarten) und die Geschichte einzelner Gebäude und Institutionen (Kirchen, Schule), Firmen, Vereine und die Vorstellung bedeutender oder einfacher Menschen bis hin zu Wünschen für die Zukunft. Es ist ein von subjektiven Interessen bestimmtes Mosaik, keine systematische Geschichtsschrei­ bung, und so bleiben wichtige Themen außen vor: Der Dreißigjährige Krieg erscheint nur in Gestalt des sagenhaften Artilleristen Beizleuter, Drittes Reich und Zweiter Welt­ krieg tauchen vielfach versteckt in Erinnerungen, Biographien und Firmengeschichten auf, ohne ein eigenes Kapitel zu erhalten. Überhaupt bestimmt die Perspektive des Ein­ zelnen das Bild; größere historische Zusammenhänge werden kaum sichtbar. Eine Zeit­ tafel, Anmerkungen und (nur begrenzt hilfreiche) Quellennachweise schließen das Bändchen ab. Jeder Mitarbeiter - sie alle „stadtteilkundlich interessiert, aber eben auch literarische Amateure“ - durfte seinen eigenen Schreibstil schreiben. Das macht das Werk unein­ heitlich, aber auch lebendig mit Zeittafeln, wissenschaftlich orientierten Aufsätzen, Anekdoten, Biographien, persönlichen Erinnerungen bis hin zu fiktionalen Einlagen. Die zahlreichen, wenn auch überwiegend nur schwarz-weißen und kleinformatigen Bil­ der tragen zur Auflockerung bei. Dennoch: Bei aller Liebe zur Vielfalt und Individuali­ tät wäre eine redaktionelle Überarbeitung dringend vonnöten gewesen. Seiten, auf denen buchstäblich jedes der häufigen (und meist überflüssigen) Fremdworte falsch ge­ braucht oder geschrieben ist, geschraubte Formulierungen wie „eine Fläche, die nahezu im zeitgleichen Status der von Fürth gleichkam“ oder „dem frisch gekührten (sic) baye­ rischen Königreich“ oder Satzbrüche wie „Eine für die noch nicht von allen wahrge­ nommene Lebensqualität sind preisgekrönte, mutige und ganz moderne Architektur­ projekte in Ecken und Winkeln, in denen man so etwas vor fünf oder zehn Jahren noch nicht zugetraut hätte“ können die Freude an der Lektüre empfindlich stören. Schade, das ansonsten durchaus ansprechende Werk hätte ein aufmerksameres Lektorat verdient! Eine wissenschaftliche oder auch nur populärwissenschaftliche Ortsgeschichte darf der Leser nicht erwarten, wenn er das kleine Werk zur Hand nimmt, wenn es auch manche interessante Bausteine für eine solche bereitstellt. Was ihn erwartet, ist ein trotz der angeführten inhaltlichen und sprachlichen Mängel ansprechendes Heimatbuch von Bürgern für Bürger, das sein Ziel, Einheimischen und Neuzugezogenen ihren Wohnort näherzubringen, durchaus erreichen kann.

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet Einer anderen Kategorie ortsgeschichtlichen Schrifttums gehört das zweite hier anzuzeigende Werk über „Gostenhof, Muggenhof, Eberhardshof & Kleinweiden­ mühle“ an, das die Vororte am gegenüberliegenden Pegnitzufer behandelt, das Gebiet zwischen Pegnitz und Frankenschnellweg, Stadtmauer, Steinbühler Straße und Kohlen­ hofstraße mit dem Zentrum Gostenhof. Seit langem ist Nürnbergs „buntester Stadtteil“ ein Arbeitsschwerpunkt von „Geschichte für Alle“. Aus Anlass des 125-jährigen Jubi­ läums des Bürgervereins Gostenhof-Kleinweidenmühle-Muggenhof-Doos im Sommer 2005 und in Zusammenarbeit mit diesem hat Geschichte für Alle jetzt ein Stadtteilbuch über diesen Bereich herausgebracht. Die zwölf Autoren - durchweg ehemalige und jetzige Mitarbeiter von Geschichte für Alle - sind Profis für diese Art ortsgeschichtlicher Literatur und manchmal auch berufliche Spezialisten ihres Themas (so verfasste der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Stadtentwässerungsbetriebs Nürnberg das Kapitel über die Abwasserbeseitigung, der Leiter des Garnisonmuseums schreibt über Gostenhofs militärische Vergangenheit), was dem Niveau der Aufsätze zugute kommt. Das Editorial gibt die Spannweite der zu behandelnden Themen wieder: „... barocke Gar­ tenkultur, Nürnbergs erstes Gaswerk, der kunsthistorisch wertvolle Rochusfriedhof, die erste deutsche Eisenbahn, das Nürnberger Volksbad, Zweirad- und Spielzeug­ industrie, das Militär, jüdische Geschichte, die Nürnberger Prozesse oder die Stadtteil­ sanierung“ (S. 4). Einer sinnvollen Gliederung setzt diese Vielfalt der Themen unüber­ windliche Hindernisse entgegen. Nach welchem Prinzip sollten die 25 in sich abgerun­ deten, aber eben auch unverbunden nebeneinanderstehenden Beiträge verschiedener Autoren angeordnet werden, teils Uberblicksdarstellungen über das Gesamtgebiet, teils Spezialdarstellungen zu den einzelnen Ortsteilen oder zu Einzelgegenständcn, teils zu einzelnen Ereignissen, teils zu langdauernden, oft parallel ablaufenden historischen Entwicklungen? Die Herausgeber haben sich für eine grob chronologische Anordnung entschieden, wobei - wie meist bei vergleichbaren Stadtteilbüchern - der Schwerpunkt auf den letzten 200 Jahren liegt, der Zeit der Moderne. In einigen Fällen wird dieses Prinzip durchbrochen zugunsten einer thematischen Anordnung; so steht das Kapitel „Der Plärrer-Automat“ erst nach den Kapiteln über NS-Zeit und Nürnberger Prozess unmittelbar vor dem Kapitel „Der Plärrer nach 1945“. Gewiss lassen sich für beide Gliederungsprinzipen gute Gründe anführen und sogar für ihre Mischung, dennoch trägt diese nicht zur Übersichtlichkeit bei. Da darüber hinaus manche Inhalte an unver­ muteter Stelle versteckt sind - so werden z.B. die Gostner Hofmaler nicht im Kapitel „Kulturelles Leben“ vorgestellt, sondern im Kapitel „Stadtteilsanierung“, die Angaben zu Kriegszerstörungen finden sich weit verstreut -, wäre ein Sachregister wünschens­ wert. Vor einem Problem steht jeder Sammelband, der sich aus Beiträgen verschiedener Autoren zusammensetzt: Da keiner der Autoren einen Überblick über den Inhalt aller anderen Beiträge hat, werden stets einige, mitunter auch wichtige Inhalte vernachlässigt oder gar unberücksichtigt bleiben. Im vorliegenden Fall sind es zwei Themen, die eine intensivere Darstellung in Gestalt eines eigenen Kapitels verdient hätten, die Bauge­ schichte des Gebiets seit dem Beginn der Urbanisierung (geschlossen dargestellt wird nur die Sanierung des Stadtteils) und die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Zweifel-

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen los hätten sich einzelne Themen auch anders gewichten lassen, im Großen und Ganzen ist den Herausgebern die schwierige Aufgabe einer angemessenen Berücksichtigung der unterschiedlichsten Teilbereiche und Aspekte ihres Themas gelungen. Ein umfang­ reiches, thematisch gegliedertes Literaturverzeichnis und ein nach den verwahrenden Institutionen geordnetes Archivalienverzeichnis runden den Band ab. Insgesamt ist eine kompetent und eingängig geschriebene Stadtteilgeschichte ent­ standen, die durch die zahlreichen, soweit möglich farbigen Abbildungen zusätzliche Horst-Dieter Beyerstedt Anschaulichkeit gewinnt.

Hermann Rusam / Rudi Viertel: Die Parkanlage Platnersberg in NürnbergErlenstegen. 1906-2006. 100 Jahre Platnersberg in städtischem Besitz. Nürnberg: Stadt Nürnberg / Gartenbauamt 2006. 54 S. mit 49 Abb. € 5,— 1906 wurde der Platnersberg von der Nürnberger Stadtverwaltung gekauft, um den bisher privaten Park in eine öffentliche Grünanlage umzuwandeln. Aus diesem Anlass haben das Gartenbauamt Nürnberg und der Bürgerverein Nürnberg-Jobst-Erlenstegen die vorliegende Broschüre zur Geschichte des Platnersbergs und seiner Anlage heraus­ gegeben. Didaktisch geschickt beginnt die Broschüre mit der Lokalisierung des Platnersbergs auf einem großräumigen Stadtplanausschnitt, der einem Luftbild des gleichen Gebiets gegenübergestellt wird - es ist sehr eindrucksvoll, welche Details jeweils dargestellt sind oder auch nicht. Der Hauptteil des Werks behandelt die Geschichte des Platnersbergs (bis 1854 Thumenberg) mit seinen Gebäuden und ihrer Baugeschichtc, seiner Park­ anlage sowie seinen Besitzern von seiner Ersterwähnung als Künschrottenberg 1496 bis heute; eine besondere Berücksichtigung erfährt der nach jahrzehntelangem Schlaf vor wenigen Jahren wieder zum Leben erwachte Bärenbrunnen. Zu diesem möchte der Rezensent eine kleine Verbesserung vorschlagen: Anstelle der traditionellen Überset­ zung der Brunneninschrift „omnium ursorum adolescentum“ durch das wörtliche „Jüngling unter all den Bären“, das auch als „offizielle“ Übersetzung den Brunnen ziert, dürfte das freiere „Prachtkerl unter all den Bären“ den Sinn wohl besser wiedergeben. Das letzte Kapitel beschreibt die heutige Anlage mit ihrem Baumbestand, der Senioren­ wohnanlage und dem beliebten Bärenbrunnenfest. Eine Auswahl-Literaturliste gibt Hinweise zu weiterführender Lektüre. Es ist den Herausgebern gelungen, zahlreiche Sponsoren für ihr Werk zu gewinnen. Man sieht es ihm an, dass der Graphiker aus dem Vollen schöpfen konnte: Es ist eine wahre Freude, in dem durchgehend professionell und farbig gestalteten Werk zu blät­ tern. Die vielen Abbildungen dominieren den Gesamteindruck, nicht nur viele alte und bekannte, die natürlich nicht fehlen durften, sondern auch zahlreiche Neuent­ deckungen. Schade, dass die im Text (S. 30) erwähnten Bunker und Notunterkünfte auf dem Platnersberg, an die sich ältere Erlenstegener wohl noch erinnern können, nicht durch Fotos dokumentiert werden konnten! Schon alleine die Zusammenstellung aller erreichbaren historischen Abbildungen des Thumen- oder Platnersbergs (neben den

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet zahlreichen modernen Fotos), mehr aber noch der zuverlässige, informative und gut lesbare Text machen die Broschüre zu mehr als nur einer gefälligen Jubiläumsbroschüre. Es wäre zu wünschen, dass recht viele Nürnberger Brunnen- oder Parkanlagen zu ihren Jubiläen ähnliche Festschriften erhalten könnten. Horst-Dieter Beyerstedt

Robert Giersch / Andreas Schiunk / Bertold Frhr. von Flaller: Burgen und Herrensitze in der Nürnberger Landschaft. Ein historisches Flandbuch nach Vorarbeiten von Dr. Gustav Voit + (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft 50). Lauf an der Pegnitz: Altnürnberger Landschaft e.V. 2006. 559 S. mit zahlr. Abb. € 32,Im Alten Reich hat es kaum eine Stadt gegeben, die in solch einzigartiger Dichte mit einem Kranz von Burgen und Herrensitzen umgeben war wie Nürnberg. Obwohl einige von ihnen seit dem 19. Jahrhundert im Weichbild der modernen Stadt aufgingen und durch Abbruch oder Kriegszerstörung teilweise untergegangen sind, wirken sie noch immer sehr beherrschend und prägen insbesondere im Landgebiet neben kirch­ lichen Bauten das Erscheinungsbild kleinerer Orte und Märkte. Wer sich über die Geschichte dieser ganz individuellen Anwesen zuverlässig infor­ mieren wollte, war bisher auf mühsame, gelegentlich erfolglose Suche in der älteren Literatur angewiesen. Der Forschungsstand zu einigen herausragenden Objekten ist sehr gut, bei manch anderen jedoch erschütternd dürftig oder unzutreffend. Seit langem wurde deshalb ein Handbuch der Burgen und Herrensitze als Desiderat empfunden, das nun auf hervorragende Weise von Robert Giersch, Andreas Schiunk und Bertold Frhr. von Haller ausgefüllt worden ist. Die Autoren beschränkten sich in regionaler Ab­ grenzung auf die Alte Landschaft innerhalb der drei Grenzwässer und die 1504 hinzu­ gewonnene Neue Landschaft der Reichsstadt Nürnberg. In diesem Bereich wurden alle seit dem Mittelalter nachweisbaren Burgen, Burgställe, Schlösser, Herrensitze und Her­ renhäuser behandelt einschließlich der Enklaven (also beispielsweise auch von Oster­ nohe, des Rothenbergs und von Schönberg) sowie der Exklave Lichtenau. Das Unter­ suchungsgebiet endet an der Stadtbefestigung von Nürnberg, so dass noch Flaschenhof, Gleißhammer, Steinbühl oder Sandreuth, nicht aber das Tucherschlösschen oder das Nassauer Haus berücksichtigt wurden. Die Autoren konnten sich auf Vorarbeiten des 2001 verstorbenen Gustav Voit stützen, doch gelang es dank gründlicher Recherchen, die Anzahl der Objekte um knapp ein Viertel auf 305 zu erweitern. Die einzelnen Artikel zu Burgen und Herrensitzen sind ortsalphabetisch gegliedert und bringen nach kurzer typologischer Zuordnung und Lokalisierung sehr ausführ­ liche, oft mehrspaltige Beschreibungen der Bau- und Besitzgeschichte. Als äußerst gewinnbringend erwiesen sich umfangreiche archivalischc Nachforschungen und die Berücksichtigung neuerer baugeschichtlicher Erkenntnisse. Ein ausführliches Verzeich­ nis der Quellen und der Literatur rundet jeden Beitrag ab. Angesichts des großen Um­ fangs von über 500 Seiten des im Folioformat gehaltenen Bandes ist das Fehlen kunst­ geschichtlicher Beschreibungen leicht verschmerzbar, ebenso der weitgehende Verzicht auf eine Würdigung der Innenausstattung der Objekte, die sich größtenteils in privatem Besitz befinden. Dass nicht jede Angabe aus der Literatur ungeprüft übernommen

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen wurde, stellte sich als großer Vorteil heraus und führte zu mancher Neubewertung (Kernstein, Oberbürg und Unterbürg), erstmaliger Würdigung (der abgegangene Stromersche Herrensitz zu Almoshof, Himpfelshof) und einigen Neuentdeckungen (Altenthann, Sandreuth). Solide Orts- und Personenregister, ein Quellen- und ein Literaturverzeichnis runden das Werk ab. Als besonders beeindruckend erweist sich die opulente Aufmachung des Bandes mit vielen Bildern, Ansichten, Photographien und Plänen. Der Augenschmaus beginnt am farbigen Vorsatz und setzt sich durch das gesamte Werk in mehr als 600 schwarz­ weißen oder farbigen Abbildungen fort. Darüber hinaus ist das Vorhaben, seltene, dem kulturellen Bewusstsein kaum geläufige Motive vorzustellen, bestens geglückt. So begegnen einem nur gelegentlich die hinreichend bekannten Abbildungen aus Johann Christoph Volkamers Hesperiden, von Johann Alexander Boener, Johann Adam Delsenbach oder Christoph Melchior Roth, dagegen viel Handgezeichnetes von manchmal recht entlegener Stelle; insgesamt bietet der Band eine Fülle graphischer Neuent­ deckungen. Besonders reizvoll ist schließlich die farbig wiedergegebene ausfaltbare Karte einschließlich zweier Nebenkarten des Nürnberger Gebiets von 1806, auf der alle beschriebenen 305 Objekte lokalisiert sind. Das von den Autoren in bescheidener Geste als „zuverlässige Handreichung“ cha­ rakterisierte Buch ist ein äußerst solides Standardwerk, auf das jeder landesgeschichtlich Interessierte oft zurückgreifen wird. Dem herausgebenden Verein Altnürnberger Landschaft darf man zu diesem Vor­ haben nur gratulieren. Gleichzeitig greift der Rezensent dankbar eine Bemerkung in der Einführung (S. 12) auf, mit welcher eine Folgeveröffentlichung in Aussicht gestellt wird. Dazu kann nur eindringlich ermuntert werden, denn der Nürnberger Einflussbe­ reich strahlte zum Teil weit über die Grenzen des Territoriums hinaus. Gerade die Aus­ wertung der Nürnberger Hintersassen im Reichssteuerregister von 1497 hat gezeigt, dass der Schwerpunkt grundherrlichen Besitzes sich nicht im Osten konzentrierte, sondern mit weiter Streuung rund um die Stadt verteilt war. Auch hier findet sich eine Vielzahl von Burgen, Burgställen, Schlössern, Herrensitzen und Herrenhäusern, die für manches Nürnberger Geschlecht später namengebend wurden (Harsdörffer von Enderndorf, Holzschuher von Asbach, Imhoff zu Mörlach, Solar und Stephansmühlen bzw. von und zu Helmstadt, Paumgartner von und auf Holnstein und Lonnerstadt, Scheurl von Defersdorf, Schürstab von Oberndorf, Rummel von Lonnerstadt). Diese Burgen und Herrensitze in einem zweiten Band auf ähnlich hohem Niveau zu bear­ beiten, sollte als Verpflichtung angesehen werden. Peter Fleischmann

Ewald Glückert: Burgen, Schlösser, Herrensitze. Wehr- und Herrschaftsbauten im Stadtgebiet von Lauf a. d. Pegnitz (ZeitenLauf 5). Oschersleben: Dr. Ziethen 2005. 104 S. mit zahlr. Abb. €15,30 Das ehemalige Landgebiet der Reichsstadt Nürnberg ist eine an Burgen und Schlös­ sern reiche Region. Zeitweilig existierten hier über 300 Herrensitze. Einige dieser

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MVGN 94 (2007) Topografie, Stadtteile und Landgebiet Ansitze, die größtenteils vom reichsstädtischen Patriziat errichtet und bewohnt wur­ den, setzen noch heute in vielen Orten architektonische Akzente, zum größten Teil handelte es sich dabei aber um eher bescheidene Bauwerke, die manchenorts bereits ver­ schwunden sind. Zum reichsstädtischen Territorium gehörte zwischen 1504 und 1806 auch die an der Verbindungsstraße zwischen Nürnberg und Böhmen im unteren Peg­ nitztal gelegene Stadt Lauf. Zentrum der Stadt war und ist neben dem Marktplatz mit dem Alten Rathaus das berühmte Wenzelschloss, das unter Kaiser Karl IV. seine heutige Gestalt und seine Namensbezeichnung nach dem böhmischen Nationalheiligen erhielt. Der vorliegende Band stellt nun nicht nur diese allseits bekannte kaiserliche Nebenresi­ denz vor, sondern weitere herrschaftliche Ansitze in rund um die Stadt Lauf gelegenen und zu dieser gehörigen Ortschaften. Auch Anlagen, die bereits aus unserem Blickfeld verschwunden sind, da die Gebäude entweder abgegangen sind oder überbaut wurden, fehlen nicht. Dazu zählen beispielsweise die einst beachtliche Burggrafenburg in Schön­ berg, auf deren Areal heute die Jakobuskirche steht, die als Ausflugslokale bekannten und beliebten Schlösschen in Oedenberg und Nuschelberg sowie völlig niedergelegte Bauwerke wie der ehemalige Herrensitz in Günthersbühl oder das Weiherhaus in Egel­ see. Jedem der Orte wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Ausführlich und gut lesbar wird darin die Ortsgeschichte und die des jeweiligen Herrensitzes, seiner Besitzer und seine Funktion, beschrieben. Soweit sich das Innere oder zumindest Teile der Ausstattung erhalten haben, werden auch sie vorgestellt. Jedoch schließt sich leider keine kunstoder bauhistorische Würdigung der Burgen und Schlösser an, die bei den noch erhal­ tenen und unverbauten Gebäuden durchaus sinnvoll gewesen wäre, sind doch das mit­ telalterliche Läufer Wenzelschloss oder das Welserschloss in Neunhof hochrangige Baudenkmäler; ersteres darf sogar als eine der bedeutendsten spätmittelalterlichen Bur­ gen Deutschlands gelten. Zur Veranschaulichung der Texte dienen zumeist zeitgenössische fotografische Auf­ nahmen, die durchgängig in Farbe gehalten sind und durch historische Abbildungen wie Stiche, Pläne oder Zeichnungen, ergänzt werden. Lediglich bei den Fotografien zum Welserschloss in Neunhof, die aus der Freiherrlich von Welserschen Familienstif­ tung stammen, muss man die mangelnde Qualität anmerken. Ein kurzes Glossar mit den wichtigsten historischen Fachbegriffen zum Themenkomplex Herrensitze sowie Quellenangaben und Fiteratur zu den einzelnen Anwesen runden den Band ab. Das Buch, das in der Schriftenreihe „ZeitenLauf“ des Stadtarchivs Fauf erschienen ist und vom Leiter des Archivs und der Städtischen Sammlungen Ewald Glückert bearbeitet wurde, bietet dem Heimatforscher sachkundige Informationen zur Burgenund Schlossgeschichte dieser unmittelbar vor den Toren Nürnbergs gelegenen Region. Es wird aber genauso den kulturhistorisch interessierten Faien ansprechen, der einfach nur seine Umgebung erkunden möchte. Der Band eignet sich gleichermaßen zum Nachlesen und Nachschlagen. Ruth Bach-Damaskinos

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Buchbesprechungen

Behringersdorf, Malmsbach, Schwaig. Bilder aus dem Leben einer Gemeinde im Nürnberger Land - einst und jetzt. Schwaig: Geschichts- und Kulturkreis SchwaigBehringersdorf e.V. 2005. 230 S. mit zahlr. Abb. (vergriffen) „Wir wollen mit Ihnen einfach einen Spaziergang machen durch einen Ort, der Ihre Heimat ist oder zu Ihrer Heimat werden kann“.Mit diesen einladenden Worten umreißt der 1. Vorsitzende des Geschichts- und Kulturkreises Schwaig-Behringersdorf, Gott­ fried Fries, in seinem Vorwort an die „Betrachterinnen und Betrachter“ (nicht „Leserin­ nen und Leser“!) das Ziel des vorliegenden Buches. Die Anrede „Betrachterinnen und Betrachter“ hat ihren guten Grund: Es ist in erster Linie ein Bilderbuch, das hier vor­ gelegt wird, die kurzen Texte haben nur die Funktion von Einleitungen oder Erläute­ rungen. Gegliedert ist das Buch in die sechs Kapitel Geschichte, Ortsbild, Verkehr, Kirchen­ gemeinden, Bildung und Kultur sowie Vereinsleben. Innerhalb dieser Kapitel folgen jeweils nach einer allgemeinen Einführung im Umfang von ca. einer halben bis zwei Sei­ ten die Bildblöcke für Behringersdorf, Malmsbach und Schwaig (im letzten Kapitel stattdessen für die einzelnen Vereinsgruppen), oft mit einer jeweils eigenen Einführung. Die Bilder zeigen vorwiegend Ansichten, Gebäude oder Personen(-gruppen), nur in Ausnahmefällen auch historische Dokumente. Besonders instruktiv sind die Gegen­ überstellungen von alten und neuen Landkarten sowie Luftbildern. Leider sind die einführenden Textbeiträge nicht frei von sachlichen Fehlern, insbesondere in den histo­ rischen Rückblicken auf frühere Zeiten. Ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel: Von den sieben auf S. 31 als „Nürnberger Patrizier“ bezeichneten Besitzerfamilien des Schlosses Schwaig gehörten tatsächlich nur drei dem Patriziat an. Dass angesichts des knappen Umfangs der Texte und der sehr ungleichmäßigen Verfügbarkeit von Bildern außer den allerwichtigsten Eckdaten nur Ausschnitte aus der Geschichte berücksichtigt werden können, liegt auf der Hand. Insgesamt ist ein liebenswertes und interessantes Buch entstanden, das seinen bescheidenen Zweck vollauf erfüllen wird. Horst-Dieter Beyerstedt

Manfred Gillert / Hartmut Beck: Luftimpressionen - Fränkisches Seenland. Alt­ mühlsee, Brombachsee, Igelsbachsee, Rothsee. Nürnberg: Carl 2004. 95 S. mit überw. Abb. € 19,90 Das bewährte Gespann Manfred Gillert als Luftbildfotograf der Fima Bischof und Broel und Prof. Hartmut Beck, Geograph und Nürnberger Stadtrat, setzt in diesem Band die Zusammenarbeit für den Nürnberger Verlag Hans Carl erfolgreich fort. Aller­ dings ist das neue Werk über das im südlichen Mittelfranken künstlich entstandene Seenland weniger ein historisches Buch wie die meisten seiner Vorgänger aus dieser Reihe - der Vergleich zur Zeit vor der Seenflutung wird, wenn auch beeindruckend, nur durch zwei ältere Fotos vom Altmühltal 1975 und vom Brombachtal aus dem gleichen Zeitraum hergestellt -, dennoch soll eine Empfehlung auch an dieser Stelle erfolgen: Das Buch eignet sich hervorragend als Einführung, als topografischer Überblick und Aus-

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flugsführer in das neu entstandene Freizeitparadies. Denn „mit dem Fränkischen Seen­ land ist in der Region Nürnberg, in unmittelbarer Nähe zur mittelfränkischen Metro­ pole im Norden und zur reizvollen Mittelgebirgslandschaft der Frankenalb im Süden und Osten in einer alten Kulturlandschaft ein attraktives Freizeit- und Erholungsgebiet entstanden“, wie Hartmut Beck in seiner Einleitung zusammenfasst. Die insgesamt 78 ganz- oder einhalbseitigen farbigen Luftbilder von Manfred Gillert in diesem Band lie­ fern dazu eine gelungene Dokumentation aus der Vogelperspektive. Diese Luftbildprä­ sentation folgt einem Flug über den Altmühl-, den Großen und Kleinen Brombachsee, den kleinsten See, den Igelsbachsee, und den Rothsee. Alle Aufnahmen sind mit knap­ pen, doch sehr informativen Texten aus der Feder von Hartmut Beck versehen, die gleichermaßen in die neue Situation und die modernen Freizeiteinrichtungen einführen und an die reiche kulturelle Vergangenheit des Gebietes erinnern. So entsteht ein interessant komponiertes Fotobuch, das Lust weckt, diese neuen Landschaften doch einmal anzusehen und für sich zu entdecken. Helmut Beer

Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Jih Fajt (Hg.): Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1310-1437. München/Berlin: Dt. Kunstverl. 2006. 679 S. mit zahlr. Abb. € 78,Bei Ausstellungskatalogen bleibt nicht immer genügend Zeit, um wirklich Ausge­ reiftes zu präsentieren. Hier handelt es sich um eine Ausnahme, denn die Ausstellung zur Kunst der Luxemburger 1310-1437, zuerst im Metropolitan Museum of Art in New York gezeigt, dann auf der Prager Burg, hatte zunächst einen englischen Katalog „Prague - The Crown of Bohemia 1347-1437“, der überarbeitet und stark ergänzt wer­ den konnte. So entstand ein engagierter Überblick auf neuestem Forschungsstand. Die beteiligten Kunsthistoriker wenden sich bewusst gegen nationale, teilweise nationalis­ tische Eingrenzungen, welche im 20. Jahrhundert Konjunktur hatten. Wie die luxem­ burgischen Herrscher und besonders Kaiser Karl IV. Kunst als Mittel höfischer Reprä­ sentation und politischer Propaganda im lateinischen Europa einsetzten, wird erläutert und mit 234 Objekten illustriert. Geographisch geht es um Prag, die Länder der böh­ mischen Krone, Mähren, Schlesien, Oberpfalz, Lausitz und Brandenburg, im Heiligen Römischen Reich um Orte nach Westen über Frankfurt bis Luxemburg und Aachen, nach Norden bis Preußen. Die Vorbildfunktion der Luxemburger für Habsburger, Wittelsbacher und andere Reichsfürsten, für Polen und Ungarn wird beleuchtet. Auf Anregungen aus Frankreich und Italien wird wiederholt verwiesen. Von Sebald Weinschröter, Maler Karls IV. aus Nürnberg, stammen das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Wandgemälde in der Moritzkapelle bei der Sebaldskirche, das die Geburt des Thronfolgers Wenzel 1361 feierte, und das Hochaltarretabel für die Deutschordenskirche St. Jakob. Jin Fajt weist ihm weiter ein Baldachinaltärchen aus dem Nürnberger Klarissenkloster zu, von dem vier Tafeln bekannt sind, und zwei Blätter aus einem verlorenen Skizzenbuch (Kat. Nr. 31 f.). Ob das Typar für das Prager

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Universitätssiegel in Nürnberg entstand, bleibt offen (Kat. Nr. 97). Das oberpfälzische Neuböhmen wird durch Glasfenster vom Chor der Stadtpfarrkirche in Hersbruck veranschaulicht (Kat. Nr. 118), welche auf die Fensterstiftung König Wenzels zum neuen Ostchor der Sebalduskirche in Nürnberg 1379 vorausweisen. Vorgestellt werden ferner die Vera Icon der Familie Flirschvogel (Kat. Nr. 126), eine der Nachahmungen des Tafelbildes der römischen Reliquie, das Karl IV. 1355 von seiner Kaiserkrönung nach Prag mitbrachte, und drei Prophetenköpfe vom Schönen Brunnen auf dem Hauptmarkt (Kat. Nr. 128). Dass sich das Grabmal des Schultheißen Konrad Groß (t 1358) an der Werkstatt von St. Severi in Erfurt orientiert, wird ohne nähere Be­ gründung mit seinem politischen Parteiwechsel von Ludwig dem Bayern zu Karl IV. verknüpft (S. 365). An Heiligendarstellungen förderten die Luxemburger außer Veit, dessen Herriedener Ostensorium behandelt wird (Kat. Nr. 124), Wenzel und Sigismund auch Wendelin. Erzbischof Balduin von Trier erhob St. Wendel zur Stadt und unter­ stützte eine Wallfahrt, was in der Lorenzkirche in einer Kapelle auf der Südseite des Langhauses zu einem Wandgemälde führte, das den hl. Wendelin mit zwei bisher unbe­ kannten Pilgern vor Maria zeigt (S. 361, 367). Aus Bamberg kommt die Nachzeichnung des bischöflichen Rationales, mit Renate Baumgärtel-Fleischmann um 1421 datiert (Kat. Nr. 151). In Nürnberg befand sich früher die heute in Göttingen aufbewahrte Handschrift des Bellifortis, welche Konrad Kyeser von Eichstätt 1405 für König Wen­ zel in Prag anfertigte (Kat. Nr. 152). Robert Suckale macht auf einen medizinischen Sammelband aufmerksam, den Hartmann Schedel besaß, Clm 206, geschrieben und illuminiert 1420 in Prag (Kat. Nr. 163). Karl der Große, der auf einem Tafclgemälde 1437 dem hl. Deocarus, Abt von Herrieden, beichtet, erhielt die Züge Kaiser Sigis­ munds (S. 605), ein frühes Beispiel für das Kryptoportrait, das sich im 15. Jahrhundert verbreitete. Neu ist die Deutung einer Tafel mit dem Jüngsten Gericht, die sich heute im Museum am Dom zu Würzburg befindet (Kat. Nr. 231), als späte Kopie einer Dar­ stellung des Abschlusses der Kompaktaten 1433 zwischen dem Rat der Prager Altstadt und Gesandten Kaiser Sigismunds, die Markus Hörsch im Rathaus der Prager Altstadt annimmt. Manche dieser Thesen erscheinen gewagt. Fachhistoriker hätten außerdem manches anders formuliert, z.B. Eichstätt nicht in „Mittelfranken“ angesiedelt oder Ulrich von Jungingen als „Großmeister“ des Deutschordens bezeichnet (S. 484, 583). Aus kunsthistorischer Sicht jedoch lässt das Literaturverzeichnis S. 629-656 kaum Wünsche offen. Zwei Register, eines der Namen und eines der Orte und Objekte, erleichtern rasches Nachschlagen und sichern dem Katalog bleibenden Wert. Karl Borchardt

Stefan Mühlhofer: Die Politik der fränkischen Reichsstände auf den Reichstagen € 46,von 1521-1555 (Historische Studien 487). Husum: Matthiesen 2006. 299 S. Als historisch-politischer Raum gehörte Franken Jahrhunderte lang zu den wichtigs­ ten und interessantesten Regionen des Heiligen Römischen Reiches. Dies rührt vor allem daher, dass hier eine Vielzahl ganz unterschiedlich strukturierter Herrschaften in ausgeprägter Gemengelage nebeneinander existierten: geistliche und weltliche Fürsten-

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tümer, große und kleine Reichsstädte, Grafschaften, Deutschordensgebiete sowie Herr­ schaften des Niederadels. Die historische Forschung beschränkte sich bislang meist darauf, diese einzelnen Gebilde jeweils separat zu analysieren, während Untersuchun­ gen, die ihr Augenmerk auch auf Gemeinsamkeiten, Verbindungen und Kooperationen zwischen den fränkischen Mächten richteten, eher die Ausnahme blieben. Erst seit kur­ zem bemüht man sich verstärkt darum, Franken nicht nur in seinen Gliedern, sondern auch als Ganzes, als Region mit einem mehr oder weniger ausgeprägten gemeinsamen Identitätsbewusstsein zu erfassen (vgl. etwa die beiden Tagungsbände: Franken - Vor­ stellung und Wirklichkeit in der Geschichte, hg. von Werner K. Blessing und Dieter J. Weiß, Insingen 2003; Franken im Mittelalter. Francia orientalis, Franconia, Land zu Fran­ ken: Raum und Geschichte, hg. von Johannes Merz und Robert Schuh, München 2004). Dieser neuen Linie folgt auch die hier anzuzeigende Publikation, eine bei Helmut Neuhaus in Erlangen entstandene Dissertation, indem sie nicht nur in herkömmlicher Weise die individuelle Politik der wichtigsten fränkischen Reichsstände auf den Reichs­ versammlungen der Reformationszeit ins Auge fasst, sondern vor allem auch nach gemeinsamen Interessen, Kooperationen und übergreifenden Lösungsversuchen Aus­ schau hält. Die dabei vorgenommene Beschränkung auf die Bischöfe von Würzburg, Bamberg und Eichstätt, die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach/Kulmbach und die Reichsstadt Nürnberg ist nicht nur wegen der großen reichspolitischen Bedeutung dieser Mächte, sondern auch wegen deren jeweils reicher Quellenüberlieferung sinn­ voll. Ein Großteil des einschlägigen Materials ist in den bisher erschienenen Bänden der Jüngeren Reihe der Deutschen Reichstagsakten leicht zugänglich. Den thematisch-zeit­ lichen Rahmen der Studie bilden die Reformationsreichstage, von denen bekanntlich einige (vor allem Worms 1521, Speyer 1529 und Augsburg 1530/1555) zu Meilensteinen der deutschen Geschichte wurden, ja nahezu welthistorische Bedeutung erlangten. Die Arbeit umfasst drei Hauptabschnitte. Im ersten untersucht der Verfasser die „Handlungsräume der fränkischen Stände auf den Reichstagen von 1521 bis 1555“, ins­ besondere ihre Position innerhalb der jeweiligen Kurie, sowie ihre Beteiligung an Aus­ schüssen. Im umfangreichen zweiten Abschnitt geht es um die „Stellung der fränki­ schen Rcichsstände zu den Hauptfragen der Reichstage“ (Reichsregiment und Reichs­ kammergericht, Religionsfragen, Türkenhilfe, wirtschaftspolitische Fragestellungen, Probleme bei der Handhabung des Landfriedens) und darum, welche Wirksamkeit die genannten Mächte bei der Erörterung dieser Probleme zu entfalten vermochten. Etliche der ermittelten Ergebnisse bewegen sich im Rahmen dessen, was für das traditionell von starken Gegensätzen und Rivalitäten geprägte Mächtegefüge Frankens von vornherein erwartet werden konnte, zumal im Reformationszeitalter. So stellte die konfessionelle Spaltung auch unter den fränkischen Ständen ein fast unüberwindliches Trennungs­ element dar und sorgte dafür, dass die katholischen Hochstifte mit den evangelischen Markgrafen und der Reichsstadt Nürnberg in religiösen Fragen zu keinerlei Gemein­ samkeit fanden. Naheliegend ist auch Nürnbergs besonderes Interesse an allen wirt­ schaftspolitischen Reichstagsthemen. Dabei trat die Reichsstadt sehr nachdrücklich für die Belange ihrer wichtigsten Klientel, die Kaufleute, ein, etwa bei der Ablehnung eines Reichszolls oder beim Kampf gegen falschen Safran.

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Bemerkenswerter erscheinen demgegenüber jene Bereiche, in denen es über Kon­ fessionsgrenzen und nachbarschaftliches Konkurrenzdenken hinweg doch Ansätze zur Zusammenarbeit unter den fränkischen Ständen gab. Beispiele sind das Problem der Landfriedensexekution, aber auch der Konflikt um das Mainzer Stapelrecht in Milten­ berg, bei dessen Lösung Bamberg und Würzburg mit Nürnberg kooperierten. Interes­ sant ist schließlich auch, dass Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach und die Reichsstadt Nürnberg um 1530 durch die gemeinsame Ablehnung eines bewaffneten Widerstandes gegen Kaiser Karl V. zeitweise zueinander fanden, obwohl sie eigentlich seit langem Kontrahenten waren. Bei derartigen Kooperationen spielte allerdings ein gemeinsames Verantwortungs­ bewusstsein, beruhend auf einem wie auch immer gearteten fränkischen Gemein­ schaftsgefühl, allem Anschein nach kaum eine Rolle. Wie sind sie dann sonst zu erklä­ ren? Mögliche Antworten könnte man im dritten Abschnitt der Untersuchung über „Die fränkischen Teilnehmer auf den Reichstagen“ erwarten. Damit sind konkret die fürstlichen bzw. städtischen Gesandten auf den Reichsversammlungen gemeint. Sie werden unter den Gesichtspunkten „Häufigkeit der Anwesenheit auf Reichstagen“, „Politische Tätigkeit für andere Reichsstände“ und „Ausbildung“ (besonders Studium) auf recht wenigen Seiten allgemein charakterisiert. Im Anhang folgen zumeist knappe biographische Angaben zu den einzelnen Gesandten. Auf diesem hochinteressanten prosopographischen Feld wäre zweifellos mehr „herauszuholen“ gewesen, denn die isoliert nebeneinander gestellten Personendaten sind für sich betrachtet nicht allzu aus­ sagekräftig. So ließe sich beispielsweise näher untersuchen, ob bestimmte Gesandte mit­ einander verwandt waren, gemeinsame heimatliche Wurzeln besaßen oder zusammen studiert hatten. Ein derartiges Netzwerk persönlicher Kontakte könnte das Zusammen­ wirken auf politischer Ebene, z.B. in Reichstagsausschüssen, erleichtert und befördert haben. Manche überraschend anmutende Kooperation unter den fränkischen Ständen ließe sich vielleicht auf diese Weise erklären. Auch wenn die Arbeit von Stefan Mühlhofer ihr Thema nicht vollständig ausschöpft und manch aussichtsreiche Fragestellung unberücksichtigt lässt, so ist sie doch zweifel­ los anregend und weiterführend, indem sie mithilft, Frankens Bedeutung im Rahmen des Alten Reiches weiter zu erhellen. Reinhard Seyboth

Alois Schniid (Hg.): 1806 - Bayern wird Königreich. Vorgeschichte, Inszenierung, europäischer Rahmen. Regensburg: Pustet 2006. 286 S. mit 20 Abb. € 24,90 Die Erhebung Bayerns zum Königreich - „von Napoleons Gnaden“, wie im 19. Jahrhundert polemisch, aber keineswegs ohne Berechtigung gesagt werden konnte besitzt eine gewisse symbolische Bedeutung für den Wandel Bayerns zu einem einheit­ lichen, zentralisierten und modernisierten sowie nach innen und außen „souveränen“ Staat in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Dem 200-jährigen Jubiläum war in München neben einer vielbesuchten Ausstellung auch ein Symposium im Februar 2006 gewidmet, aus dem der hier zu besprechende Sammelband hervorging.

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Der einleitende Beitrag von Alois Schmid über Die bayerische Königspolitik im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit (S. 17-38) zeigt, dass die bayerisch-wittelsbachischen Ambitionen auf den königlichen Rang nicht erst mit den Möglichkeiten ein­ setzten, die die napoleonische Hegemonialpolitik gewährte, sondern eine lange Vorge­ schichte besaßen, was freilich keineswegs im Sinne einer folgerichtigen Entwicklung zu deuten ist. Im Zentrum des Bandes steht das Ereignis des Jahres 1806 selbst, das aus unter­ schiedlichen Blickwinkeln beleuchtet wird, wobei der Schwerpunkt auf der Außenpoli­ tik liegt. Peter Claus Hartmann (S. 39-53) und Michel Kerautret (S. 105-125) wid­ men sich der für die Rangerhebung grundlegenden Politik Frankreichs, Alfred Köhler untersucht die keineswegs zu vernachlässigende, allerdings eher defensive Politik Österreichs (S. 54-67), während Peter Schmid das Geflecht der außenpolitischen Kon­ stellationen des ,,Jahr[s] der Entscheidung“ 1805 analysiert (S. 82-103). Der Beitrag von Hermann Rumschöttel gilt den politischen Zielen Montgelas’ (S. 69-81); Ferdinand Kramer schließlich zeigt anhand der Feierlichkeiten zur Annahme der Königswürde die Ansprüche und Zielsetzungen auf, die sich mit ihr verbanden (S. 127-145). Es versteht sich beinahe von selbst, dass die Perspektive eine primär bayerische ist, was dem Anlass und Gegenstand ja durchaus angemessen ist. Dass der Blick dabei ein Stück weit in die Richtung einer Erfolgsgeschichte gelenkt wird, ist legitim, freilich wird man kaum sagen können, bei Austerlitz hätten „erstmals wieder bayerische Truppen einen Sieg gegen Österreich“ errungen (S. 137)-der ist wohl doch eher Napoleon zuzu­ schreiben. Auch das Gespräch mit Herzog Franz von Bayern (S. 258-273) ist für den wissenschaftlichen Charakter der Publikation eher verzichtbar. Um so erfreulicher ist es, dass der Sammelband die bayerische Perspektive in zweierlei Hinsicht erweitert und damit zugleich problematisiert: zum einen im Hinblick auf die Rolle und Selbstdar­ stellung der Monarchie, zum anderen im Hinblick auf den Prozess der Integration der neubayerischen Gebiete. Während Dietmar Willoweit aus rechtsgeschichtlicher Perspektive deutlich macht, dass - nicht nur die bayerische - Monarchie des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt an einem vor dem Hintergrund des allmählichen Verfassungswandels „längst veralteten Selbst­ verständnis zugrundegegangen“ ist (S. 210-228, hier S. 226), zeigt Hans-Michael Kör­ ner in seinem Beitrag über Die Erhebung Bayerns zum Königreich in der Erinnerungs­ kultur des Königreichs Bayern (S. 195-209) auf, dass diese Rangerhebung im Königreich Bayern keineswegs unbedingt als Grund zum Feiern galt - ganz im Gegenteil. So ver­ mied Ludwig I. ikonographische Reminiszenzen, obgleich er die königliche Würde durchaus selbstbewusst wahrnahm, wie auch der Beitrag von Hubert Glaser über die königliche Bautätigkeit in München (S. 229-257) deutlich macht. Neben der Selbst­ verständlichkeit, mit der er den königlichen Rang beanspruchte, spielte das Odium, die Krone aus der Hand Napoleons empfangen zu haben, dabei eine wesentliche Rolle. Im Jahre 1906 dagegen lehnte das Ministerium ausgedehnte Feierlichkeiten zum hundert­ jährigen Jubiläum aus reichspolitischen Gründen ab: Gerade die Ministerialbürokratie in München hatte „ihre veritablen Probleme mit der Erhebung Bayerns zum König­ reich“ (S. 210).

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Dem Prozess der Integration Frankens und Ostschwabens widmen sich die Beiträge von Wolfgang Wüst und Rolf Kießling. Wolfgang Wüst (S. 170-194) betont einerseits die Momente, die bei der Eingliederung Frankens in Bayern verzögernd wirkten: Die mehrfachen Umstrukturierungen in der Verwaltung binnen dreier Jahrzehnte, der Un­ mut über die Säkularisationen, das Festhalten an einem eher lokal geprägten Identitäts­ horizont zumal in den kleineren Reichsstädten, die Vorbehalte in den ehemaligen pro­ testantischen Fürstentümern, patrizisch-reichsstädtisches oder reichsadelig-standes­ herrliches Bewusstsein. Die politischen Auswirkungen waren vor allem in der Revolu­ tion 1848/49 spürbar, aber auch noch 1866. Unter den integrationsfördernden Momen­ ten hebt er vor allem zwei hervor: den Generationswechsel, der nach kurzer Zeit auch in den ehemaligen Führungsschichten wirkte, sowie eine die Grenzen der Kreise über­ schreitende Binnenmobilität. Rolf Kießling (S. 147-169) zeigt in seinem Beitrag, dass es weniger die gewisser­ maßen „harten“ Faktoren der administrativen Eingliederung und der - in ihren Auswir­ kungen begrenzten - Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die Verbin­ dung mit dem größeren Handelsraum waren, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun­ derts die Integration Ostschwabens in den bayerischen Staat vorantrieben, zumal, wie Jörg Westerburg in seiner gewichtigen Studie Integration trotz Reform (Thalhofen 2001) über die Eingliederung der ostschwäbischen Territorien in Bayern deutlich ge­ macht hat, die fortbestehenden Kontinuitäten in der lokalen Verwaltung für den Inte­ grationsprozess zum Teil förderlicher wirkten denn die von München ausgehenden Reformen. Dagegen war es nach Kießling gerade die loyalitätsstiftende Funktion der Dynastie, die in besonderem Maße zur Integration Ostschwabens beitrug. Im Ergebnis führte sie freilich nicht zu einer eindeutigen bayerischen Identität, sondern zur Über­ lagerung verschiedener Identitäten und Traditionen, die sich gegen Ende des 19. Jahr­ hunderts unter dem Einfluss der deutschen Einigung eher wieder verstärkte. Der Pro­ zess der Integration Frankens und Ostschwabens in Bayern ist seit langem Gegenstand der landeshistorischen Forschung. Die beiden Beiträge zeigen auch, dass ein stärker vergleichender Blick auf die beiden Regionen mit ihren strukturellen Gemeinsamkeiten und Unterschieden lohnend sein könnte, der die unter diesem Aspekt eher vernach­ lässigte Rheinpfalz einzuschließen hätte. Georg Seiderer

200 Jahre Franken in Bayern 1806 bis 2006:... zur Landesausstellung 2006 im Museum Industriekultur Nürnberg, 4. April bis 12. November 2006. Augsburg: Haus der Baye­ rischen Geschichte 2006. Katalog / hrsg. von Josef Kirmeier u.a. (Veröffentlichungen zur bayerischen Ge­ schichte und Kultur 51). 304 S. mit zahlr. Abb. € 18,— Aufsätze / hrsg. von Werner K. Blessing u.a. (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 52). 191 S. mit zahlr. Abb. € 12,Das Haus der Bayerischen Geschichte unternahm es im Jubiläumsjahr 2006 - dem Jahr, in dem sich der Übergang des Fürstentums Ansbach, der Reichsstadt Nürnberg,

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der Grafschaften Schwarzenberg, Castell und Wiesentheit an Bayern und die endgültige Mediatisierung der fränkischen Reichsritterschaft zum zweihundertsten Male jährten -, den Weg des bayerischen Franken in den vergangenen 200 Jahren zu veranschaulichen. Das „Stichjahr“ 1806 ist nicht zufällig gewählt, doch verdichtet sich in ihm allenfalls symbolisch ein Prozess, der sich seit dem Reichsdeputationshauptschluss über einein­ halb Jahrzehnte (und darüber hinaus) erstreckte. Diese Aufgabe war keineswegs leicht: Galt es doch, rasante gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen zu erfassen, strukturelle Unterschiede unter dem Raumbegriff einer historischen Landschaft zu bündeln und zugleich differenzierend darzustellen und dabei Entwicklungen zu veran­ schaulichen, die nicht allein Franken oder Bayern betrafen, ohne dabei den Gegenstand, das bayerische Franken, aus dem Auge zu verlieren. Überblickt man den opulent bebilderten Katalogband, so ist der Ertrag reich. Neben hinlänglich bekannten Motiven stehen zahlreiche Abbildungen, die Neues, zuweilen Überraschendes bieten und dabei einen Eindruck von der Vielfältigkeit der Entwick­ lung zu geben vermögen, wobei es allerdings auch zu einer Reihe von Bildwiederholun­ gen kommt. In dem der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gewidmeten Teil löst sich die Exponat- und Bildauswahl freilich arg in einer willkürlichen Beliebigkeit auf: Bilder zur Antiatomtoddemonstration 1958, zu den Studentenunruhen 1968 oder zur Olympiade 1972 jeweils in München (S. 245, 253 und 260) weisen keinerlei Bezug zum Thema der Ausstellung auf. Hier wäre es doch wohl weit besser - und problemlos möglich gewesen, etwa Bilder zu „1968“ in Erlangen, Bamberg oder Nürnberg zu wählen - oder wenigstens von dem gebürtigen Bamberger Dieter Kunzeimann. Hinzu kommen ver­ meidbare Ungenauigkeiten. So erwecken die Karten zur Expansion Bayerns zwischen 1802 und 1819 (Katalog, S. 56) den falschen Eindruck, als seien das Herzogtum Berg und die ostschwäbische Grafschaft Mindelheim erst nach 1800 an Bayern gekommen. Auch bei der kartographischen Darstellung der bayerischen Ergebnisse der „Reichs­ tagswahl 1932“ sollte dem Leser mitgeteilt werden, welche denn nun gemeint ist - die vom Juli oder die vom November (Katalog, S. 214). Vielfalt präsentiert auch der Aufsatzband des Katalogs. Auf 190 Seiten wird in nicht weniger als 33 Einzelbeiträgen ein ausgesprochen breites Themenspektrum abgehan­ delt: Frankenbewusstsein und fränkische Identität, konfessionelle Vielfalt, Kunst und Kultur, Tradition und ihre Konstruktion, wirtschaftliche und technische Entwicklung in Stadt und Land, Geschichte, Gegenwart und - als spekulativer Ausblick - sogar die Zukunft. Eine Gruppe von Beiträgen befasst sich mit einem Aspekt, der in Franken auch heute noch für Unmut sorgen kann, nämlich dem Verbleib der „fränkischen“ Kunst-, Archiv- und Bibliotheksschätze, eine andere mit der Vielfalt Frankens in seiner Multikonfessionalität, zu der neben Katholiken, Protestanten und Juden auch Mennoniten und Türken beitrugen oder beitragen. Ein gewisser Schwerpunkt liegt auf der Industrialisierung Frankens, wie überhaupt Modernisierungsprozesse im 19. und 20. Jahrhundert einen der Leitfäden darstellen, deren Gegenstück die Konstruktion von Tradition und Traditionen bildet. Ein knappes Drittel der Katalogbeiträge ist der ver­ gangenen, gegenwärtigen und künftigen industriellen, wirtschaftlichen und technischen Entwicklung in Franken gewidmet, was zugleich eine gewisse Konzentration auf die

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Wirtschafts- und Industrieregion Nürnberg als dem Kern der neu ausgewiesenen „Metropolregion Nürnberg“ mit sich bringt. Eine regionale Ungleichgewichtigkeit bei der Betrachtung von „200 Jahre[n] Franken in Bayern“ ist damit unausweichlich, doch wird auch der ländliche Raum unter dem Aspekt seiner Modernisierung einbezogen: So skizziert Konrad Bedal die Technisierung der bäuerlichen Welt in Franken im 19. und 20. Jahrhundert und weist dabei zu Recht darauf hin, dass das Klischee „von den erz­ konservativen, fortschrittsfeindlichen Bauern“ in Frage zu stellen sei (Aufsätze, S. 5862, das Zit. S. 61); Herbert May zeigt den Wandel des ländlichen Bauens unter dem Ein­ fluss staatlicher Reglementierung und technischer Neuerungen auf. Zu den Feitfragen der Beiträge zählt die nach Frankenbild und Frankenbewusstsein im Wandel der Zeit. Während Hartmut Heller eine eher pointillistische Skizze Fränkischejr] Identität zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwirft (Aufsätze, S. 181-186), stellt Werner K. Blessing im Einleitungsaufsatz zum Katalog (S. 15-24) präzise die Kon­ junkturen und politischen Implikationen fränkischen Eigenbewusstseins im Span­ nungsfeld von nationalstaatlicher Orientierung und bayerischer Loyalität sowie der unterschiedlichen konfessionellen Prägungen dar; ergänzend richtet Dieter J. Weiß den Blick auf die loyalitätsstiftende Präsenz des neuen Herrscherhauses der Wittelsbacher in Franken (Aufsätze, S. 39-42). Zu den instruktivsten Beiträgen zählt auch derjenige von Christoph Daxelmüller über die - 1812 erstmals so bezeichnete - Fränkische Schweiz, der das Werden einer neuartigen Wahnchmung einer ursprünglich kargen Region im Zuge ihrer romantischen Entdeckung und touristischen Erschließung schildert und dabei methodisch reflektiert auf ihren Charakter als „Konstrukt“ verweist (Aufsätze, S. 133-138). Dass im Zuge der Integration Frankens in Bayern mit der Adaption bayerischer Trachten, Bauformen oder Musikstile eine „Bajuwarisierung“ einherging, wird in den beiden Bänden immer wieder thematisiert; die gewissermaßen weißblaue und die rotweiße Vermarktung Frankens werden sinnfällig nebeneinander präsentiert (Katalog, S. 274). Wie der Beitrag von Armin Griebel und Heidi Christ über Volksmusik in Franken deutlich macht (Aufsätze, S. 139-142), handelte es sich dabei allerdings nicht um eine Einbahnstraße. Ob es sich um den von einem Franken komponierten Bayeri­ schen Defiliermarsch, die Rolle fränkischer Kapellmeister in der Entwicklung der baye­ rischen Blasmusik oder um die Bierzelte handelte, die ein Nürnberger Festwirt erstmals auf dem Oktoberfest einführte: Ebenso, wie Bayern das Bild Frankens überformte, wurde das gängige Bayernklischee von Franken mitgeprägt. Vermisst wird besonders der Aspekt des Dialekts, der ja zum Bild Frankens und der Franken nicht wenig beiträgt; allein die Prägung der Außenwirkung des „Fränkischen“ - in der Ausstellung von Bernd Regenauer repräsentiert - durch den Nürnberger Dia­ lekt wäre einen Beitrag wert gewesen. Insgesamt präsentieren Katalog und Aufsatzband eine beinahe kaleidoskopartige Vielfalt von Aspekten. Die Vielfalt Frankens spiegelt sich darin freilich auf durchaus anregende Weise wider. Georg Seiderer

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Michael Diefcnbacher / Gerhard Rechter (Hg.): Vom Adler zum Löwen. Die Region Nürnberg wird bayerisch 1775-1835 (Ausstellungskatalog des Stadtarchivs Nürnberg 17). Neustadt a.d. Aisch: Schmidt 2006. 534 S. mit zahlr. Abb. € 36,Der vorliegende Band, bestehend aus zwei Teilen, dem Aufsatzteil und dem eigent­ lichen Katalog, ist zu einer wichtigen Ausstellung erschienen, deren Gedenken an ein bis heute kontrovers nachwirkendes Geschehen zu einem der bedeutendsten Ein­ schnitte in der Geschichte Frankens und der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg zählen. Immer noch werden das gesamte Geschehnis und viele Einzelheiten trotz seines 200jährigen Vergehens sehr unterschiedlich vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters aus, ob Verursacher oder Betroffener, gesehen und diskutiert, ja selbst politisch danach gehandelt. Auch den Historikern, schon gar nicht den Politikern, ist es bislang ge­ lungen, ein einheitliches Bild zu entwerfen, was nicht sehr häufig in der Geschichts­ wissenschaft der Fall sein dürfte. In der Tat war und ist manches, auch Entscheidendes, noch nicht oder noch nicht genügend, manchmal auch nur einseitig erforscht. Hier setzt der Begleitband in einigen Bereichen akzentbildend ein. Eine Reihe fränkischer Archive und Institutionen hatten sich zu einer gemeinsamen Ausstellung zusammengeschlossen, die alles in allem eine dringend notwendige Ergän­ zung zu der nicht in allen Punkten geglückten Landesausstellung beitrug, wurden doch in diesem in vier Abteilungen gegliederten Überblick im Stadtarchiv Nürnberg tatsäch­ lich auch neue Ergebnisse geboten. Diese Ausstellung untersuchte nicht den gesamten bayerischen Raum und die Auswirkungen des dramatischen Geschehens von 1806 auf ihn bis heute, die umfangreiche territoriale Erweiterung des Staatsgebietes und die Aus­ wirkungen auf die Modernisierung eines weder konfessionell noch bevölkerungspoli­ tisch mehr geschlossenen Raumes. Dargestellt und untersucht wurde eine begrenzte Region (Nürnberg, Erlangen, Schwabach) mit dem Schwerpunkt auf Nürnberg und seinem Landgebiet und die Umbruchszeit selbst. Somit konnte auch die Vielfalt der Ereignisse verdeutlicht werden, deren weiterer Verlauf damals eben noch völlig im Dunkeln gelegen und nicht absehbar gewesen ist. Bedeutsam ist der Aufsatzteil mit seinen 20 Beiträgen, die die Auswirkungen der Umwälzungen und teilweise gewaltigen Umbrüche auf Verwaltung und Wirtschaft, das Stiftungswesen, einzelne Bevölkerungsgruppen und Institutionen ebenso zum Inhalt haben wie den Ablauf der folgenschweren Ereignisse in der Region und benachbarten Territorien und Städten. Dabei wurde keineswegs die Franken oftmals vorgeworfene Schwarz-Weiß-Malerei betrieben. Nach einem detaillierten historischen Überblick von Michael Diefenbacher über die „Gemengelage Nürnberger Untertanen und Rechte“, die Geschicke der Reichsstadt, des Patriziates, ihrer Bürger, von Wirtschaft, Handel und Gewerbe bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, in dem Nürnberg ab 1834 zur wirtschaftliche Metropole Bayerns er­ blühte, befasst sich Helge Weingärtner mit der Selbstverwaltung der Reichsstadt, dem Inneren Rat, jahrhundertelang vom Patriziat ausgeübt, den Behörden (Ämtern) und Deputationen. Auch diese sind längst „noch nicht eindeutig oder gar abschließend“ er­ forscht. Ob der Kirchenpflcgcr bei aller ihm möglicherweise innewohnenden Fröm-

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migkeit als eine Art Landesbischof bezeichnet werden kann, ist zumindest eine kühne Feststellung. Einschneidende Veränderungen in der Selbstverwaltung setzten bereits Ende des 18. Jahrhunderts mit der Einsetzung einer kaiserlichen Subdelegationskom­ mission zur Sanierung der lange schon zerrütteten Finanzen ein, der Auflösung alter Ämter im Gefolge und der Einsetzung von Nachfolgebehörden, die dem unteren Be­ reich der Rangfolge entstammten. Eine tabellarische Übersicht über die letzten zwölf Jahre der Reichsstadt benennt anschaulich alle Ratsherren und die Reihenfolge des Ein­ tritts bzw. des Aufstiegs im Rat. Nürnbergs Stellung in Politik und Verwaltung von 1806 bis 1818 beschreibt Walter Bauernfeind, beginnend mit dem Reichsdeputationshauptschluss im schicksalsträch­ tigen Jahr 1803, der Nürnberg aufgrund der unvereinbaren Interessen von Preußen und Bayern zum letzten Mal (für die folgenden drei Jahre) die Selbständigkeit erhalten hatte. Eingebunden in die große Politik der napoleonischen Neugestaltung großer Teile Euro­ pas wurde Nürnberg von deren Auswirkungen nicht verschont. Unter diesen Auspi­ zien war Nürnberg einbezogen in den „Kampf um die Begleichung der immensen baye­ rischen Staatsschulden“, kämpften die Bürger um eine entsprechende Vertretung gegen­ über dem neuen Monarchen und seiner Staatsverwaltung, bis endlich 1818 mit dem Gemeindeedikt ein Magistrat die Stadt wieder in eigene Verwaltung nehmen konnte. Betroffen von der neuen Zeit war neben der Reichsstadt selbstverständlich auch deren Landgebiet im Hin und Her zwischen Preußen und Bayern. Günther Friedrich führt von der reichsstädtischen Verwaltung Ende des 18. Jahrhunderts zu bayerischen Sequestrationen und preußischen Revindikationen (1790-1796) bis zur Eingliederung unter die Krone Bayerns, nach kurzem Intermezzo im Pegnitzkreis, dann endgültig im Rczatkreis. In einem kurzen, aber inhaltsreichen Abriss stellt Georg Seiderer die Aufklärung in Nürnberg vor, kaum ein Zentrum dieser Bewegung. Seiderer skizziert sehr kenntnis­ reich die hier herrschenden Grundstrukturen, drei Phasen unterscheidend, deren erste bereits Ende des 17. Jahrhunderts einsetzte, nicht wie bisher oft behauptet erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. „Sozial ungemein breit“ war sie hier verankert, wohl auch deshalb, weil sie sich als Reformbewegung verstand, deren Staat und Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft dringend bedurften. Seiderer wendet sich ebenso gegen das bisherige Klischee der unpolitischen Aufklärung, im Gegenteil, seit 1780 setzte in der Reichsstadt eine „deutliche Intensivierung“ dieser Bestrebungen ein, die mit vielen Gesellschaften weit ins Bürgertum hineinreichte und Teilnahme an den politischen Entscheidungen erstrebte. Sehr freundlich und aufgeschlossen war die Haltung der Nürnberger zur Französi­ schen Revolution, wie Udo Winkel anhand einer Reihe von weniger bekannten wort­ gewaltigen und quellenkundig ausgewerteten Beispielen offenbart. Die Erfolge der französischen Revolutionsarmeen wurden bejubelt, ein Umsturz in der Stadt mehrfach anonym proklamiert. „Für das Nürnberger Stiftungswesen brachte die Annexion der Reichsstadt durch Bayern den größten Entwicklungsbruch seiner Geschichte.“ Radikal und rücksichtslos

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wurden die Reformmaßnahmen durchgeführt, die bereits in die vorbayerische Zeit datieren. Übersichtlich und systematisch sollte das bisher zersplitterte Stiftungswesen gestaltet, sollten die Mängel zu beheben versucht werden. So zeigt der Autor HorstDieter Beyerstedt die Pläne und Reformbestrebungen der „Gesellschaft zur Beför­ derung vaterländischer Industrie“ und der kaiserlichen Subdelegationskommission ebenso auf, wie er ausführlicher auf die bayerische Stiftungsreform und deren Durch­ führung in Nürnberg eingeht. Als sie ungute Wirkungen zeigte, wurde sie ab 1810 wieder abgebaut, das Stiftungswesen wieder dezentralisiert und kommunalisiert. 1834 wurden schließlich die Kultusstiftungen an die Kirchenverwaltung zurückgegeben. Dramatische und Aufsehen erregende Ergebnisse anhand der einschlägigen erstmalig wirklich ausgewerteten Bestände des Stadt- und auch des Staatsarchivs legt Martina Bauernfeind in ihrer ausführlich mit Tabellen und Zusammenstellungen belegten um­ fangreichen Abhandlung über „Die Entwendung und Verschleuderung von Kunst- und Kulturgut nach der Besitzergreifung Nürnbergs durch Bayern 1806 bis zum Erlass des Gemeindeedikts 1818“ vor. Nun sind genaue und unanfechtbare Einzelaufstellungen zur Ausbeutung und Entwendung Nürnberger Kunst- und Kulturgutes publiziert. So belegt die Verfasserin die umfangreiche Versteigerung von 1806 (dabei das PeterVischer-Gitter im großen Rathaussaal), den Verkauf und Abriss von Sakral- und Pro­ fanbauten ab 1807 samt Gemälden, Altären und anderen Einrichtungsgegenständen, die Plünderung von Nürnbergs Kirchen durch die bayerische Besatzung, Demontagen, Entfremdung von Gebäuden und den dilettantischen Raub von Gemälden für die ge­ plante Gemäldegalerie auf der Burg. Hier ist eine längst fällig gewesene Dokumentation gelungen. Walter Gebhardt schildert Nürnbergs Stellung „als Vorort des süddeutschen Buch­ handels“ in dieser Zeit, den unaufhaltsamen Abstieg von einstiger Spitze im bayerischen Raum bis 1846. Diagramme schlüsseln anschaulich die Gesamtproduktion der Nürn­ berger Verlage und Buchhandlungen auf. Trotz mancher Versuche gelang es der Stadt nicht, zum Gegenpol von Leipzig aufzusteigen, das wiederum längst Frankfurt abgelöst hatte. Aus wirtschaftspolitischen Überlegungen hatte die Reichsstadt die Zensur liberal gehandhabt, was den Bayern ein ständiger, arger Dorn im Auge war. Johann Philipp Palm, der sich mit einer Aufsehen erregenden anonymen Flugschrift gegen die napoleonische Fremdherrschaft wandte, wurde bekanntlich von den Bayern auf persönliche Anweisung Napoleons exekutiert und so auf lange Zeit zum Symbol deutschen Wider­ standswillens. Die Zensur wurde durch die bayerische Besatzung streng gehandhabt, eingezogen wurden auch missliebige kirchliche Werke. Daneben finden sich Abhandlungen über die Stadtbibliothek zwischen 1766 und 1835 (Christine Sauer), deren wertvollste Bestände Nürnberg erhalten blieben und nicht nach München verschleppt wurden, oder zur Integration des Patriziates, das zum bayerischen Neuadel wurde (Rudolf Endres), wie auch ein allgemeiner Überblick über die evangelische Kirche in Nürnberg seit der Reformation (Andrea Schwarz), bei dem z.B. die im Staatsarchiv Nürnberg lagernden Unterlagen zur Kunstgutverschleuderung in vorbayerischer Zeit nicht beachtet worden sind. Die neuen Herren vollendeten nur,

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen was in der Reichsstadt mit den Kirchenschätzen schon begonnen war. Ein weiterer Artikel ist dem Deutschen Orden und dem Wiedererstehen katholischer Gemeinden in Nürnberg mit dem Höhepunkt der Übergabe der Frauenkirche an den katholischen Kultus 1809 gewidmet (Gerhard Rechter). Die Verhältnisse in der Region beschreiben Aufsätze zum Übergang der Fürsten­ tümer Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth an das Königreich Bayern (Gerhard Rechter, Andreas Jakob), versehen mit Kartenmaterial, das der besseren Lesbarkeit wegen ganzseitig hätte wiedergegeben werden sollen, oder zu „gefährlichen Zeiten beim Übergang Erlangens von Preußen an Bayern“ (Andreas Jakob). Nicht außer Acht geblieben ist der Wandel an den Universitäten Altdorf und Erlangen (Cle­ mens Wächter), der Auf- und Ausbau einer funktionsfähigen Erlanger Universitäts­ bibliothek bis 1818 durch Beständezuwachs staatlicher, städtischer und kirchlicher Pro­ venienz sowie die umfangreichen Sammlungen der ehemaligen Altdorfer Universität (Hans-Otto Keunecke). Ein mit Plänen versehener Beitrag befasst sich mit der Gebäudenutzung der 1809 aufgehobenen reichsstädtischen Universität Altdorf (Ger­ hard Rechter, Hans Recknagel). Weitere Artikel berichten über den Wandel des Wirtschaftsstandortes Schwabach unter ansbachischer, preußischer und bayerischer Herrschaft (Wolfgang Dippert), die vier fränkischen Reichsstädte Rothenburg o.d. Tauber, Dinkelsbühl, Windsheim und Schweinfurt beim Übergang an Bayern, geprägt von Wachstum und Reformstau, Krisen und Neuanfängen (Karl Borchardt), wie über den Bedeutungsverlust und die spätere Reichsstadtverklärung am Beispiel Weißenburg, das zwar zur Stadt 2. Klasse absank, sich aber ansonsten in Bayern wohlfühlte (Reiner Kammerl). Doch nicht nur Politik, Verwaltung, Wirtschaft oder Kirchenwesen änderten sich, auch die frühere Reichspost des Hauses Thurn und Taxis ging in der königlich bayerischen Post mit mancherlei zeitbedingten Neuerungen auf (Stefan Kley). Der solide gearbeitete Katalogteil, deren einzelne Objekte zumeist von den Autoren des Begleitbandes beschrieben wurden, schließt sich mit jeweils interessanten Einfüh­ rungen in die einzelnen Ausstellungsbereiche in den verschiedenen Orten an. Quellen­ nachweise und Literaturangaben und viele, meist farbige Abbildungen der wichtigsten Objekte aus kommunalen und staatlichen Archiven wie Bibliotheken ergänzen die Be­ schreibungen und sind somit eine wertvolle Bereicherung der Abhandlungen des Be­ gleitbandes. Die neuen Ergebnisse dieser Ausstellung regen nicht nur zum Nachdenken und Überdenken des bisherigen tradierten Geschichtsbildes an, sondern fordern geradezu auf, die Forschungen zu vertiefen, um endlich ein sach- und historisch gerechtes Ge­ samtbild von den wirklichen Vorgängen in dieser gewaltigen Umbruchszeit Europas zu gewinnen, in der die ehemalige Reichsstadt und die Region zutiefst involviert gewesen waren. Es sollte kein Versuch bis zur nächsten Jubelfeier bleiben. Helmut Baier

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Walter L. Frank: Luftwaffenhelfer zwischen Schule, Luftkrieg und HJ. Schüler der Aufbauschule Schwabach als Luftwaffenhelfer in der Schweren Flak-Batterie 5./634 in Nürnberg-Schniegling Februar 1943 bis August 1944. Ein Bericht über junge Men­ schen, Zeitumstände und Politik. Berlin: Pro Business 2006. 152 S. mit Abb. € 17,50. Die historische Literatur über den Zweiten Weltkrieg und über das millionenfache menschliche Leid zwischen 1939 und 1945 ist kaum mehr zu übersehen. Seltsamerweise zeigen Stichproben in den Registern vieler Werke, dass ein Thema entweder gar nicht oder nur am Rande erwähnt wurde: Das Schicksal von vielen tausend 15- bis 17-jährigen Schülern, die von der Schulbank weggeholt und als Luftwaffenhelfer in das Kampf­ geschehen geschickt wurden. Einem Augenzeugen und Mitbetroffenen in den Jahren 1943/44, dem späteren Schwabacher Internisten Dr. med. Walter L. Frank, ist es zu verdanken, dass nun mehr als nur eine historische Erinnerungslücke geschlossen wurde. Seinem präzise recherchierten, ungemein anschaulich geschriebenen “Bericht über junge Menschen, Zeitumstände und Politik“ jener Jahre liegen jahrzehntelange archivalische Forschungen, gründliche Studien der zeitgeschichtlichen Literatur und Befra­ gungen von Überlebenden zugrunde. Walter L. Frank zeigt am Beispiel von Schwa­ bacher Schülern das damalige Lebensgefühl einer Jugend inmitten furchtbaren Kriegs­ geschehens, von Propaganda, Leid und Entbehrung, und erläutert anhand der histori­ schen Quellen, wie es überhaupt zum Kriegseinsatz der Jugendlichen gekommen ist. Denn bereits im Herbst 1942 (also noch vor der Katastrophe von Stalingrad) war seit Beginn des Russland-Feldzuges an der Ostfront die Hälfte der dort eingesetzten deut­ schen Soldaten gefallen, verwundet oder als vermisst gemeldet. Um eine Lücke von mehr als 350.000 fehlenden Soldaten zu schließen, befahl Hitler am 20. September 1942 die Freistellung von zumindest 120.000 Soldaten aus der Luftwaffe für den Kampf im Osten. Die meisten der so dringend benötigten Soldaten sollten nun von Flak-Einheiten aufgebracht werden, die seit Kriegsbeginn die größeren deutschen Städte und Rüs­ tungsbetriebe vom Boden aus zu verteidigen hatten. Um den Führerbefehl zu erfüllen, kam der Plan auf, die Heimat-Flak weitgehend durch 15- bis 17-jährige Oberschüler zu ersetzen, die in Schnellkursen in der Bedienung der Flugabwehrgeschütze geschult wer­ den sollten. Die Bedenken u.a. von Außenminister Ribbentrop, dass die militärischen Gegner in dieser Maßnahme erste Anzeichen des militärischen Zusammenbruchs Deutschlands sehen würden, wenn „die Reichsregierung schon gezwungen sei, sogar Kinder im Krieg einzusetzen“, wischte Hitler durch „Führer-Entscheid“ vom 7. Januar 1943 vom Tisch, und sein Helfer Bormann gab die schriftliche Parole aus, dass „die eingezogenen Jugendlichen im rechtlichen Sinne keine Soldaten, sondern Schüler seien“. Jeweils sieben erwachsene Soldaten der Luftabwehr sollten durch zehn jugendliche Luftwaffenhelfer ersetzt werden. So fanden sich z.B. in Schwabach - gemäß Einberufung - am Morgen des 15. Februar 1943 aus der Aufbauschule 28 Schüler der Jahrgänge 1926 und 1927 aus den Klassen 6a, 6b und 6c am Bahnhof ein (darunter auch Walter L. Frank). Begleitet von einem Lehrer wurden sie nach Nürnberg gebracht, in die nördlich des Stadtteils Schniegling gelegene

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Batteriestellung eingewiesen und anschließend für zwei Wochen zu einem Übungs­ schießen in die Niederlande verlegt. Bis Januar 1944 kamen allein im Raum Nürnberg 2.631 Oberschüler als Luftwaffen­ helfer aus 43 verschiedenen Oberschulen bzw. Gymnasien zum Einsatz. Die Gesamt­ zahl der von 1943 bis 1945 bei der Flak in ganz Deutschland, aber auch im besetzten Polen und in der Tschechoslowakei eingesetzten Luftwaffenhclfer wird auf 200.000 geschätzt. Die ablehnende Haltung der jugendlichen Luftwaffenhelfer gegen die Weisung des NS-Reichsjugendführers, dass sie Teil der HJ und folglich HJ-Armbinden zu tragen und von HJ-Führern ideologisch zu schulen seien, führte in Nürnberg am 22. April 1943 zu einem einzigartigen Eklat: Auf Befehl des stellvertretenden Gauleiters Holz hatten sich - als erste Gruppe - ca. 250 Luftwaffenhelfer (darunter auch Frank) im Saal des Nürnberger Kulturvereins einzufinden, um eine Standpauke entgegenzunehmen und durch „freiwilligen Eintritt in die Waffen-SS ihre Ehre wiederherzustellen“. Das eisige Schweigen der 250 Jugendlichen schon bei der Ankunft von Holz und seinen Begleitern, dann nach seiner Rede, schließlich nach seiner völlig erfolglosen Werbe­ aktion und beim Verlassen des Saales ließ den fassungslosen Holz zumindest die Stim­ mungslage der Jugendlichen und damit auch in der Bevölkerung ahnen. Auf eine wei­ tere Belehrung dieser Art verzichtete Holz. Von den 28 Luftwaffenhelfern der Aufbauschule Schwabach, die 1943/44 bei der Flak-Batterie 5./634 in Nürnberg-Schniegling eingesetzt waren und diese Zeit schadlos überstanden hatten, sind während ihres anschließenden Kriegsdienstes in der Wehr­ macht bis Kriegsende 1945 noch fünf gefallen. Die schwersten Verluste im Raum Nürnberg erlitt die Batterie 2./6JJ, die zur FlakUntergruppe Eibach gehörte: Bei einem nächtlichen britischen Bomberangriff am 8. März 1943 wurden drei Luftwaffenhelfer des Nürnberger Melanchthon-Gymnasiums sofort getötet, ein vierter Gymnasiast starb auf dem Transport ins Krankenhaus, vier weitere Luftwaffenhelfer wurden bei dem Angriff verwundet. Auch mehrere erwach­ sene Flak-Soldaten kamen bei diesem Angriff ums Leben. In Schwabach wurden am 5. Januar 1944 aus den 6. Klassen der Aufbauschule nach­ mals etwa 15 Schüler der Jahrgänge 1928 und 1929 als Luftwaffenhelfer eingezogen. Die meisten dieser 15- bis 16-Jährigen wurden Ende Februar 1945 als sogenannte „Kriegs­ freiwillige“ in den Kämpfen am Niederrhein bzw. in Westfalen eingesetzt. Einige sollen dort gefallen sein. Die Mehrzahl geriet Anfang April in Gefangenschaft, wurde aber schon im Oktober 1945 (aus französischen Gefangenenlagern) nach Hause entlassen. Mit seiner beispielhaft sachlichen Aufarbeitung hat Walter L. Frank die seiner­ zeitigen Vorgänge vor dem Vergessen bewahrt und Historikern wie interessierten Laien eine neue, ungeahnte Informationsquelle erschlossen. Sein Buch bietet vor allem Geschichtslehrkräften die zusätzliche Chance, heutigen Schülern die innere Not, die äußere Gefährdung, aber auch den Überlebenswillen und die damalige Solidarität ihrer Altersgenossen aus der Zeit vor rund 60 Jahren begreifbar zu machen und über diese

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MVGN 94 (2007) Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Brücke auch den gesamten politischen, gesellschaftlichen und historischen Kontext jener bedrückenden Ereignisse. Eugen Schöler

Oscar Schneider unter Mitarb. von Rudolf Endres, Martina Bauernfeind und Steven M. Zahlaus: Vertrauen und Verantwortung. 60 Jahre CSU-Bezirksverband Nürnberg-Fürth-Schwabach (1945-2005). Nürnberg: Fränkische Gesellschaft für Kul­ tur, Politik und Zeitgeschichte 2006. 515 S. mit zahlr. Abb. Bayern ist CSU-Land. Diese griffige Gleichung stimmt nicht, jedenfalls nicht für das protestantisch geprägte Mittelfranken, und schon gar nicht für das traditionell eher rote Nürnberg. Dementsprechend verliefen die Anfänge der CSU hier nach 1945 außer­ ordentlich schwierig. Erst ab 1953 konnte sich die Partei unter ihren Bezirksvorsitzen­ den Karl Schäfer (1952-1977), Oscar Schneider (1977-1991) und Günther Beckstein (ab 1991) als stabile politische Kraft etablieren, seit 1970 nahm die Zahl der Mitglieder deut­ lich zu. Nachdem sie über Jahrzehnte bei Bundes- und Landtagswahlen erfolgreicher abgeschnitten hatte als auf kommunaler Ebene, errang die CSU bei den Stadtrats- und Oberbürgermeisterwahlen vom 10. März 1996 bzw. in der Stichwahl vom 24. März die Mehrheit und konnte für eine Wahlperiode den Oberbürgermeister stellen. Wenn in einer Zeit der allgemeinen Politikverdrossenheit eine Parteiengeschichte nicht unbedingt als dringliches Desiderat erscheinen mag, ist sie dennoch in Hinblick auf die Kenntnis von der Entwicklung demokratischer Strukturen und die allgemeine politische Bildungsarbeit eine sehr verdienstvolle Aufgabe. Und nachdem die CSU in der öffentlichen Wahrnehmung in Nürnberg und der gesamten Metropolregion weni­ ger dominant erscheint als in anderen Landesteilen, mag die Geschichte der „Staats­ partei“ in der „Diaspora“ interessanter sein als in manchen politischen Stammsitzen und Hochburgen. Den beim Namen des prominenten Hauptautors Oscar Schneider er war von 1982 bis 1989 Bundesbauminister - aufkeimenden Verdacht, bei dem von der im Auftrag der Fränkischen Gesellschaft für Kultur, Politik und Zeitgeschichte ver­ fassten Buch handele es sich vielleicht nur um eine Werbeschrift, entkräften die Mitar­ beiter Rudolf Endres, Martina Bauernfeind und Steven M. Zahlaus, die sich in der Region Nürnberg einen ausgezeichneten Ruf als Historiker erarbeitet haben. Unter dem ziemlich nichtssagenden Titel „Vertrauen und Verantwortung“ verbirgt sich denn auch eine aus verschiedenen teils noch unerschlossenen Quellen geschöpfte facettenreiche Geschichte der CSU im Raum Nürnberg. Das Bemühen um strenge Un­ parteilichkeit und Wissenschaftlichkeit erklärt die nüchternen Überschriften der sechs Hauptkapitel (Problematische Gründerjahre: 1945-1948, Die Zeit der Konsolidierung im Spiegel des Wiederaufbaus: 1948-1960, Das Jahrzehnt der Stabilisierung: Die 1960er Jahre, Wahlerfolge und neue Stärke: Die 1970er und 1980er Jahre, Einschnitte: 19881989 -1990 und Zäsuren: 1996-2005), die gleichwohl die Entwicklung in den jeweiligen Zeiträumen treffend andeuten. Eingestreut in die Darstellung sind zahlreiche Personen­ biographien, etwa über den „Ochsensepp“ Dr. Josef Müller oder Dr. Dr. Alois Hund­ hammer. Eine besonders zu würdigende Leistung stellen die Statistiken dar, in denen

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen erstmals alle Bundestags-, Landtags-, Kommunal- und sonstigen Wahlen dieser Jahre im Untersuchungsbereich komplett aufgearbeitet wurden. Einen weiteren Pluspunkt bringt die Fülle von teilweise aus Privatbesitz stammenden Bildern. Angeschnitten wurden nicht zuletzt aktuelle Themen wie die „politische Relevanz des Christlichen im säku-laren Verfassungsstaat“. Das Ergebnis ist nicht nur eine vielfältige Geschichte der CSU, die in der heutigen schnelllebigen Zeit manches Wissenswerte und fast schon wieder Vergessene in Erinnerung bringt, sondern auch ein Beitrag zur Zeitgeschichte, ein Buch, das auch jemand mit Gewinn in die Hand nehmen kann, der nicht glühender Anhänger der Partei ist. Andreas Jakob

transit nürnberg. Zeitschrift für Politik und Zeitgeschichte. Heft 1: Gegen Rassismus und Diskriminierung. Nürnberg: testimon 2007. 116 S. mit zahlr. Abb. €11,Am 2. März 2007 wurde der Öffentlichkeit das erste Heft des neuen, im Nürnberger Verlag testimon erscheinenden Periodikums „transit nürnberg. Zeitschrift für Politik und Zeitgeschichte“ vorgestellt. Fortan soll jährlich eine Ausgabe im DIN-A4-Format auf dem Druckschriftenmarkt angeboten werden. Bereits zu Beginn des Monats Mai, nur wenige Wochen, nachdem die neue Zeitschrift, deren erste Nummer sich intensiv dem übergreifenden Themenkomplex „Gegen Rassismus und Diskriminierung“ widmet, zum ersten Mal - ausschließlich in der Nürnberger Buchhandlung Edelmann käuflich zu erwerben gewesen war, erzielte sie in der Kategorie „Presse“ den ersten Platz des Alternativen Medienpreises 2007. In ihrem stellenweise etwas eigenwillig geratenen Vorwort (S. 3) bezeichnen die Redaktionsmitglieder- Gerhard Jochem (verantwortlich), Daniele List, Susanne Rieger und Monika Wiedemann (Verlegerin der Zeitschrift „transit nürnberg“) - das erste transil-Heft, das durch ein kühl-nüchternes Titelbild gekennzeichnet ist, als ein Experiment, über dessen Gelingen die Leserschaft zu entscheiden habe. Mittels unter­ schiedlichster Beiträge, die alle einen direkten oder indirekten Bezug zu Nürnberg be­ sitzen, soll vorrangig untersucht werden, wie weit speziell die „Transitstadt Nürnberg“ (S. 3) angesichts der vielfältigen Geschehnisse des 20. Jahrhunderts vom Weg der Auf­ klärung, Toleranz und Menschlichkeit abgekommen beziehungsweise vielmehr auf die­ sem fortgeschritten ist. Alle Redaktionsmitglieder, die sich bislang, oftmals in Zusammenarbeit, besonders mit der Verfolgung und Vernichtung der Juden während der totalitären nationalsozia­ listischen Herrschaft sowie dem Luftkrieg gegen Nürnberg und München im Verlauf des Zweiten Weltkrieges eingehend auseinandergesetzt haben, wirkten jeweils an meh­ reren Beiträgen mit, Monika Wiedemann hauptsächlich als Fotografin. Zwei Redak­ tionsmitarbeiter, Susanne Rieger und Gerhard Jochem, zeichnen aber ebenso als alleinige Verfasser von Aufsätzen verantwortlich. Unter den weiteren Autoren, die für das erste Heft gewonnen werden konnten, finden sich renommierte Wissenschaftler. Zu diesen zählen vor allem der Historiker Anthony („Tony“) M. Platt, der Chemiker Kurt E. Shuler sowie der Nestor der deutschen Migrationsforschung von internationalem

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MVGN 94 (2007) Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Rang, der Historiker Klaus J. Bade. Den wissenschaftlichen Anspruch der neuen Zeit­ schrift unterstreichen nicht zuletzt die kurzen englischsprachigen Zusammenfassungen der einzelnen Beiträge am Ende des Heftes (S. 113-116), die auf entsprechende, poten­ ziell internationale Rezipienten verweisen. Die erste Ausgabe der Zeitschrift „transit nürnberg“ wird durch die vier großen The­ menbereiche „Rassismus“ (drei Beiträge, S. 4-12), „Migration“ (fünf Beiträge, S. 17-35), „Integration“ (drei Beiträge, S. 36—44) und „Menschen - Leben“ (sechs Beiträge, S. 4993) bestimmt und wesentlich gegliedert. Während in den ersten drei Bereichen eher analytisch-erklärende Aufsätze im Vordergrund stehen, werden im vierten Themen­ schwerpunkt viel Authentizität vermittelnde, überwiegend längere (autobiogra­ phische Schilderungen vorgestellt. Neben und zwischen diesen vier gewichtigen The­ menblöcken finden sich, teilweise zur Abgrenzung, Überleitung oder auch informativ­ unterhaltenden Auflockerung, ein kleinerer Schwerpunkt („Altlasten“, mit zwei Bei­ trägen, S. 109-112), der wichtige Aufsatz von Anthony M. Platt (S. 95-100), ein gelungener, launig-ernster Kommentar zum scheinbar nahen „Ende der Aufklärung“ (S. 94) sowie drei größere (S. 13-16, 45-48, 105-108) und zwei kleinere (S. 101-104), je­ weils mit einem kurzen, erläuternden Einleitungstext versehene Fotostrecken. Da in der Regel alle Zeitschriftenbeiträge ansehnlich bebildert, zum Teil auch mit Piktogrammen, Tabellen und Grafiken ausgestattet sind, hätten die reinen „Bildergalerien“ durchaus weniger umfangreich ausfallen dürfen. Dies gilt in erster Linie für die drei großen, je vier Seiten umfassenden Fotostrecken und dabei insbesondere für den Beitrag „Xenopolis - Das Fremde in der Stadt“ (S. 13-16, Text: Gerhard Jochem, Fotos: Daniele List/Susanne Rieger/Monika Wiedemann), wo die Bildauswahl doch allzu beliebig aus­ gefallen ist. Unter den beinahe durchwegs gut lesbaren und aussagekräftigen Beiträgen des ersten Heftes ragen doch einige hervor. Hierzu gehören sicherlich die vier von Susanne Rieger verfassten Aufsätze. Während der erste Aufsatz (S. 17-20: „Zahlen zur Migration 1973— 2006: Bevölkerung, Bildung, Beschäftigung“) mit hilfreichen statistischen Angaben zum Migrationsgeschehen in Nürnberg, Bayern und dem Bundesgebiet seit den 1970er Jahren aufwartet - zu bedauern ist allerdings, dass durchaus vorhandene Zahlenwerte für die 1950er und 1960er Jahre nicht angeführt sind -, bietet der zweite einen präg­ nanten Überblick zur Geschichte der ,„Flüchtlingsstadt Nürnberg“: Vom Valka-Lager zum BAMF“ (S. 27-30), in dem besonders die Aufgaben und Tätigkeiten des Bundes­ amtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dargestellt werden. Der dritte Aufsatz (S. 74-82: „Frauen für Frauen: Diakonissen im Pflegeamt der Stadt Nürnberg 19091995“) schildert eindringlich die schwierige und belastende Tätigkeit Augsburger Dia­ konissen, die von 1909 bis 1995 die Aufgaben des Pflegeamtes der Stadt Nürnberg über­ nahmen. Die Augsburger Diakonieschwestern, deren Sichtweise ihrer Arbeit insbeson­ dere thematisiert wird, betreuten rasch und „zunehmend allein stehende Frauen [...], die von allgemeiner Verwahrlosung, Drogensucht und Prostitution gefährdet waren“ (S. 74). Diese ausgezeichnete Darstellung verliert auch angesichts der Anfang August 2007 erschienenen, von Claudia Thoben vorgelegten umfassenden Studie zur „Prostitu­ tion in Nürnberg. Wahrnehmung und Maßregelung zwischen 1871 und 1945“ (Nürn-

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen berger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 65, Nürnberg 2007, hier S. 318336, 404-439, 592-607) kaum an Wert, da deren Untersuchungszeitraum nur bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges reicht. Der vierte Aufsatz Susanne Riegers (S. 88-91: „Importierte Frauenpower: Drei ausländische Einzelhändlerinnen in Nürnberg“) setzt sich mit den Schwierigkeiten und Erfolgen dreier aus dem Ausland - Indien, Türkei und Ghana - stammender Inhaberinnen von Einzelhandelsgeschäften in Nürnberg ausein­ ander. In seinem herausragenden Beitrag „Von Nürnberg bis Kalifornien: Rassismus zwischen Erinnerung und Vergessen“ (S. 95-100) verurteilt Anthony M. Platt vehement jeglichen Rassismus und tritt für dessen gemeinsame und weltweite Überwindung ein. Er zeigt aber ebenso das erstaunliche Fehlen aufgeklärten Denkens und den grundsätz­ lichen Mangel an Toleranz gerade in Teilen des akademisch-intellektuellen Milieus auf (S. 96, 99). Die autobiographischen Darstellungen von Thi Cam Nhung und Thuy Mong Tham Bui (S. 83-87: „Zwei deutsch-vietnamesiche Schwestern erinnern sich“) beeindrucken sowohl durch die ehrliche Schilderung vielfach erfahrener Diskriminie­ rung als auch das übereinstimmende Bekenntnis, letztlich gerne in Deutschland zu leben - und dankbar hierfür zu sein. Die Schwestern, von denen eine 1980 als einein­ halbjähriges Kleinkind zusammen mit ihren Eltern als so genannte „Boat People“ nach Westdeutschland gelangte, die andere 1987 in Nürnberg geboren wurde, betonen vor allem die guten Ausbildungs- und Lebensmöglichkeiten sowie die politischen Freiheits­ rechte in Deutschland, die ein entsprechendes Engagement ermöglichen. Trotz Hervorhebung einerseits der großen Ziele und Anstrengungen der Stadt Nürnberg seit vielen Jahren bei dem Kampf gegen Rassismus und dem Eintreten für Frieden, Menschenrechte und die Integration von Zuwanderern - wie dies die zwei Aufsätze von Hans Hesselmann (S. 36-38: „Für ein Zusammenleben in Gleichberech­ tigung und Vielfalt - Die .Europäische Städte-Koalition gegen Rassismus1“ und S. 39-41: „Die Menschenrechtsarbeit der Stadt Nürnberg“) und die Darstellung von Christine Meyer (S. 42-44: „Integrationspolitik in der Stadtverwaltung Nürnberg“) verdeutlichen - zeigt der schmale Beitrag von Rob Zweerman (S. lllf.: „Das lange Warten der Zwangsarbeiter auf ein Zeichen der Erinnerung und Versöhnung in Nürn­ berg“) hinsichtlich des vom Nürnberger Stadtrat vor 20 Jahren beschlossenen, doch noch immer nicht errichteten Mahnmals für die ausländischen Zwangsarbeiter in Nürn­ berg während des „Dritten Reiches“ andererseits jedoch die offensichtlich im politisch­ bürokratischen Sektor vorhandenen Hemmnisse und Probleme bei der Verwirklichung eines Versöhnungssymbols in Nürnberg auf. Auf derartige Schwierigkeiten im über­ regionalen Rahmen macht in einem Aufsatz Gerhard J o c h e m aufmerksam (S. 109f.: „Rassismus im Namen Deutschlands: Die ethnischen Säuberungen in Slowenien 19411943“), der sich mit den anscheinend kaum noch zu verwirklichenden Entschädigungen für die aufgrund der „NS-Schreckensherrschaft über Europa“ (S. 109) von Verschlep­ pungen Betroffenen in Slowenien in den Jahren 1941 bis 1943 auseinandersetzt. Zu den wenigen Sachverhalten, die in diesem ersten transit-Heft zu bemängeln sind, gehören, dass der Beitrag von Verena Müller-Rohde über „Julius Streicher: Der Het­ zer von Nürnberg“ (S. 4f.) allzu knapp und skizzenhaft ausgefallen ist und in dem Aufsatz von Dieter G. Maier - „Die Anwerbung von Gastarbeitern 1955-1973 und

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ihre Folgen in Nürnberg“ (S. 31-35) - auf Nürnberg tatsächlich nicht nur auf kaum mehr als einer Viertelseite eingegangen, sondern das Thema für Nürnberg auch noch ausschließlich für den Zeitraum zwischen Ende der 1960er und Mitte der 1970er Jahre behandelt wird. Das erste Heft der neuen Zeitschrift „transit nürnberg“ bietet eine Fülle informati­ ver, einerseits untersuchend-erklärender, andererseits lebensgeschichtlich-erzählender, vielfach sehr lehrreicher und sogar humorvoller Beiträge - eine im großen Ganzen aus­ gewogene Mischung auf eher hohem Niveau, bei der vereinzelte kleine Schwächen nur unwesentlich ins Gewicht fallen. Somit darf man von einem insgesamt gelungenen Experiment sprechen und auf die kommende Ausgabe und deren Schwerpunktsetzung gespannt sein. Steven M. Zahlaus

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine, Sport Uwe Israel: Fremde aus dem Norden. Transalpine Zuwanderer im spätmittelalter­ lichen Italien (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 111). Tübingen: Niemeyer 2005. VIII, 380 S. €54,Die sozialgeschichtlich orientierte Untersuchung beschäftigt sich in einer verglei­ chenden Analyse mit der Zuwanderung und Niederlassung von deutschen Migranten in ober- und mittelitalicnischen Städten. Das verbindende Kriterium für diese Auswan­ derergruppe ist die deutsche Sprache, wobei lange Zeit kein Unterschied zwischen Nie­ der-, Mittel- oder Oberdeutsch gemacht wurde. Der sozial wie in seiner handwerk­ lichen Ausrichtung höchst unterschiedliche Personenkreis gliedert sich ein in eine spät­ mittelalterliche Massenbewegung mit dem Ziel Ober- und Mittelitalien. Anziehungs­ punkte bildeten dabei die Städte Trient, Venedig, Padua, Florenz und Rom. Belege für Süditalien (etwa Neapel oder Palermo) wie auch für Personen, die vom Süden in den Norden gingen, bleiben spärlich. Unter den Städten spielte Trient eine besondere Rolle, da sich hier, an der unmittelbaren Sprachgrenze gelegen, ein deutscher und ein italie­ nisch geprägter Stadtteil formieren konnte. Ansonsten wohnten die Deutschen nicht landsmannschaftlich separiert zusammen, sondern nach sozialer Schichtung und hand­ werklicher Ausrichtung unterschieden. Ihre Ansiedlung zeigte sich in den meisten Fäl­ len als zufällig und nicht geplant, sie bildeten also in den meisten Fällen keine „abgrenzbare Minorität“. Fremdsein bedeutete in den italienischen Städten generell, nicht aus dem neuen Wohnort zu stammen und keine Steuern zu bezahlen. Ein Unterschied in der räumlichen Distanz zum nunmehrigen Lebensmittelpunkt wird dabei nicht ge­ macht. Diese Fremden vollzogen zumindest teilweise einen Akkulturationsprozess, der sich durch die andere Kultur und Sprache ergab. In manchen Fällen gelang die Ein­ gliederung in die neue Umgebung so gut, dass diese Personen als Fremde gar nicht mehr nachweisbar sind. Transalpine Herkunftsnamen verschwinden dann, wobei in manchen Fällen nicht klar ist, ob der Namensträger oder bereits sein Vorfahre eingewandert ist. Ihnen kam in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein ausgesprochen fremdenfreundliches Verhalten der italienischen Umgebung zugute, das sich erst in der zweiten Hälfte

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen entscheidend verändern sollte. Entsprechend zeitlich verhalten sich die Auswanderer­ wellen. Auffällig bleibt, dass an allen Orten, an denen sich Deutsche niederließen, auch deutschsprachige Geistliche - Pfarrer oder Mönche - vorhanden waren. Dies gilt auch für die Etappenorte an der Strada d’Allemagna im Bereich des Bistums Treviso. Diese wie auch die Gastwirte fungierten wegen ihrer meist vorhandenen Zweisprachigkeit als Dolmetscher oder bei der Abfassung von Steuererklärungen und Testamenten. Die Be­ wahrung der Sprache implizierte auch eine solche der Kultur, jedoch war die Separation nicht die einzige Konsequenz. Dieser Vorgang wurde besonders in den landsmann­ schaftlich ausgerichteten Bruderschaften (für Bäcker, Schuhmacher, Schneider etc., sogar für Zuhälter) gepflegt, aber auch diese öffneten sich zumeist für Mitglieder aus der neuen Umgebung. Statuten wurden daher in vielen Fällen zweisprachig verfasst. Es gab also auch solche, in denen sich die Mitgliederzahl aus Deutschen und Italienern zusam­ mensetzte. Neben dauernden Migranten gab es auch zeitlich begrenzte, allen voran die Studenten, aber auch Künstler, Kaufleute, Kuriale, Söldner und Prostituierte. Gerichtshändcl, an denen diese temporären Fremden beteiligt waren, wurden in den meisten italienischen Städten von Sondergerichten abgeurteilt. Als Fremder Bürger in einer solchen Stadt zu werden, war meist langwierig und kostspielig. In keinem Falle konnten die deutschen Migranten - mit Ausnahme von Trient - an den politischen Prozessen als aktive Gruppe teilnehmen. Besonders gut lässt sich deren soziales wie ökonomisches Verhalten im Falle von Treviso nachvollziehen, was aufgrund einer exzellenten Quel­ lenlage vom Verfasser mustergültig vorgenommen wird. Gemäß der allgemeinen Ten­ denz lag der Höhepunkt der Zuwanderung zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Einzelne Gastwirte, Lehrer, Schreiber, Maler, Kantoren, Buchdrucker, Händler, aber auch Branntweinhersteller und Prostituierte lassen sich namhaft machen. Bei den Handwer­ kern dominierten die Schuster, Kürschner und Bäcker, in Trient die Bergknappen. Die Gefangenregister zeigen, dass die Fremden nicht überdurchschnittlich straffällig wur­ den. Natürlich tauchen unter den Emigranten auch Nürnberger auf: 1481 führte ein Bernardo da Norimberga ein Gasthaus in Mailand, unter den fremden Wollwebern in Florenz lassen sich ebenfalls Leute aus der Reichsstadt finden. Zu den temporären Migranten gehörte auch Albrecht Dürer auf seinen zwei Italienreisen (1494/95, 15051507). Man half sich untereinander: so luden bisweilen Nürnberger Studenten in Padua Pilgergruppen zum Essen ein. Für viele Nürnberger Kaufleute waren natürlich Mai­ land, Genua und Venedig bevorzugte Handels- und Aufenthaltsplätze, im Falle von Venedig brachten sie auch ihren Stadtheiligen Sebald für ihre Bruderschaft mit; im Gegenzug zog der in Venedig verehrte Rochus an die Pegnitz. Für den Handelsablauf mussten sie - wie alle Deutschen im Fondaco dei Tedeschi - von venezianischer Seite gestellte Dolmetscher akzeptieren. Jüdische Gcldverleiher aus Nürnberg begegnen auch in Verona, Pavia, Treviso und Venedig. Nürnberger Kaufmannssöhne lernten, von ihren Vätern dazu beauftragt, die fremde, aber für den Handel notwendige Sprache. Ein Meister Georg von Nürnberg lehrte in der Lagunenstadt die Sprache, woraus 1424 ein Sprachenbuch .Venezianisch-Oberdeutsch' hervorging. Die römische Campo-Santo-

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Bruderschaft von 1450 ging im Übrigen auf eine Initiative dreier .Franken“ aus Lichtenfels sowie aus ungenannten Herkunftsorten der Diözesen Bamberg und Würzburg zurück. Ein aus Nürnberg gebürtiger Priester wirkte auch an der Strada d’Allemagna, ebenso stammten viele, die sich in Treviso niederließen, aus der Reichsstadt. Die in Treviso von den dortigen Deutschen gegründete Bruderschaft der Geißler gab auch Arbeit, so einem Nürnberger namens Heberle als Barbier. Weitere Beispiele ließen sich anführen. Das Buch zeigt eindrücklich, wie sehr die Mobilität ein dominierendes Kennzeichen spätmittelalterlicher Gesellschaften war, zumal in vielen Fällen, besonders aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, aus der Akkulturation eine Integration wurde. Die Alpen stellten dabei kein unüberwindliches Hindernis dar. Ein ausführlicher Quellen­ anhang zur Stadt Treviso bringt zahlreiche Befunde zu Bevölkerungszusammensetzung und Steuerschätzungen sowie Gefangen- und Verurteiltenregister für das 15. Jahrhun­ dert. Helmut Flachenecker

EXXr|vtKrj KoivÖTryta NopEpßEpyri; uitö xr|v aiyi'öa xx|g reviKrj; rpappaxEt'ag jioörjpou EXXr|viapo.ö, Ot 'EXA.rjveg atr| NupEpßEpyri ajtö to 1960 ue/pi xo 2006. Mia ßaXäxaa yiopdxi övEipa ... Ioxopucrj a vaöpoprj p£ ßtcopaxiKEg aJiriyriuEig xptwv yEVEurv [Die Griechen in Nürnberg von 1960 bis 2006. Ein Koffer voller Träume ... Historischer Rückblick mit biographischen Schilderungen von drei Generationen. Hrsg, von der Griechischen Gemeinde Nürnberg unter der Schirmherrschaft des Nationalen Sekretariats für das Auslandscriechentum. Nürnberg 2006h 270 S. mit zahlr. Abb. € 8,„Nürnberg und das Griechentum. Geschichte und Gegenwart“: Diese groß ange­ legte Fallstudie wurde in MVGN 92/2005, S. 562-565, besprochen; hier folgt die Anzeige der wohl ersten ausführlichen Sclbstdarstellung einer griechischen Gemeinde im deutschen Sprachraum, die in Eigenregie ihren Mitgliedern, d.h. über zehntausend hier Lebenden, und einer noch größeren Zahl Interessierter im Mutterland - deshalb natürlich die Veröffentlichung in griechischer Sprache - Zeugnis über Ankunft, Fuß­ fassen, Selbstorganisation und Entwicklung im Zeitraum dreier Generationen ablegt. Das von Ioannis Hrissopoulidis sehr gekonnt gestaltete Umschlagbild kombiniert eine Ankunftsszene auf Gleis 7 des Münchner Hauptbahnhofes, wo der „AkropolisExpreß“ endet, mit dessen Zuglaufschild (München ... - Thessaloniki - Athenes) und einem bescheidenen Köfferchen, das als Schatten die Silhouette der Nürnberger Burg wirft, setzt so den Titel ansprechend optisch um und macht neugierig darauf, wie es dem im Vorwort vorgestellten Redaktionsteam von Evthymios Papachristos, Diamantis Gikas, Spyros Garos und Haralampos Tsakmakidis gelingt, zu vermitteln, ob, inwieweit und wie gut der „Koffer voller Träume“ der Ankömmlinge von einer besseren Zukunft sich realisieren ließ. Von dem äußerst lebendigen Panorama, das der reich bebilderte Inhalt bietet, wird der Leser nicht enttäuscht: Die offiziellen Glückwünsche zum 25-jährigen Bestehen der Gemeinde und Gruß­ worte von Gemeindevorstand, Nationalem Sekretariat für das Auslandsgriechentum,

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Nürnbergs Oberbürgermeister, Griechischem Honorarkonsulat, Griechischer Kirchengemeinde und Nachbarschaftshaus Gostenhof sowie die Darstellung materieller und ideeller griechischer Spuren in Nürnbergs Geschichte eröffnen den bunten Reigen der zahlreichen Beiträge über die Etappen der Organisation im öffentlichen Rahmen und auf privater Basis unter besonderer Berücksichtigung des Bildungs- und Schul­ wesens mit der Vorstellung von 10 politischen, 15 landsmannschaftlichen, 8 sportlichen sowie vieler weiterer sozialer, pädagogischer, künstlerischer und berufsständischer Ver­ einigungen und Initiativen mit Einbeziehung der Aktivitäten in Fürth, Lauf, Erlangen, Schwabach, Bamberg und ihrer zugehörigen jeweiligen Städtepartnerschaften. In ver­ schiedenster Weise führt(e) dies zu den mannigfaltigsten Begegnungen zwischen deut­ schen und griechischen Nürnbergern, aus denen schon mehr geworden ist, wofür be­ sonders z.B. der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Kavala-Nürnberg mit seinem bezeichnenden Namen PHILOS („Freund“) oder die „Deutsch-Griechische Gesellschaft in Mittelfranken“ stehen, die beide Parität in Vorstand- und Mitgliedschaft anstreben. Die griechische Form, in der Fremde Fuß zu fassen und heimisch zu werden, charak­ terisiert das bekannte Wort: „Wohin der Grieche kommt, dort baut er seine Kirche und Schule.“ Dies bezeugen der Bau der repräsentativen Kirche „Heiliger Apostel Paulus“ und die Einrichtung eines gegliederten Schulwesens, das bis hin zum griechischen Abi­ tur führt! Und während die Stadt Nürnberg in vorbildlicher Weise entgegenkommend ein „Nachbarschaftshaus“ geschaffen und zur Verfügung gestellt hat, weist nun - auch ein Erfolg ihrer Bemühungen! - ihr Stadtrat griechische Mitglieder in den Fraktionen der beiden großen Volksparteien auf. In diesem Sinne konsequent schließt der Band mit einem Kapitel zu Herzen gehender Berichte und Äußerungen aus dem persönlichen Bereich Beteiligter, mit einer Darstellung von Nürnbergs Geschichte durch die Jahr­ hunderte, einer hilfreichen Liste aller Institutionen und Organisationen und auf dem rückseitigen Umschlag mit dem berühmten Wort von Max Frisch: „Wir riefen Arbeits­ kräfte, und es kamen Menschen.“ Die gut illustrierte Fülle von Daten, Namen, Ereignissen ist ein geradezu uner­ schöpflicher Schatz an Dokumentation und Erinnerungen für die Zeitgenossen, erst recht aber eine unschätzbare Quelle für eine spätere Aufarbeitung dieses vielschichtigen und zum Teil auch heiklen Problemes der Verwandlung von Immigration in erfolg­ reiche Integration, das derzeit heiß diskutiert wird, hier jedoch nachweislich und über­ zeugend nicht nur ein befriedigendes, sondern beispielhaftes Miteinander gefunden hat. Umso mehr ist zu wünschen, dass dieses in den griechischen Medien des Mutterlandes und Deutschlands schon sehr anerkennend gewürdigte Werk nicht nur die in Aussicht gestellte Ergänzung durch weitere Kapitel, sondern vor allem seine Publikation in einer deutschen Ausgabe erfährt, um auch den deutschen Teil der Nürnberger Öffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen, wie gut sich die griechische Gemeinde hier organisierte, einlebte und ein lebendiger, belebender und bereichernder Teil unseres Stadtorganismus geworden ist. Der Rezensent greift am besten zur antiken Einleitungsformel der athenischen Volksbeschlüsse: ATA0HI TYXHI, d.h. „Zu gutem Gelingen“! Ernst-Friedrich Schultheiß

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Martina Bauernfeind: 150 Jahre Schwanhäußer in Nürnberg. Der Grundbesitz der Familie im Stadtteil Gärten hinter der Veste und Umgebung. Nürnberg: Schwanhäußer 2005. 264 S. mit zahlr. Abb. € 40,Jeder kennt sie noch aus der eigenen Schulzeit oder bei seinen Kindern: die schönen Buntstiftkästen der Marke Schwan-Stabilo. Oder aus dem Studium und der Bürotätig­ keit, die zur raschen Orientierung in immer umfangreicheren Manuskripten unentbehr­ lichen Textmarker der Marke Stabilo Boss. Auch in Zeiten einer zunehmenden, jedoch gar nicht so unbegrenzt einsetzbaren elektronischen und digitalen Welt behaupten sie wie im Rückblick der eigenen Erinnerung eigentlich schon immer - unangefochten ihren Platz in dem nach wie vor erfreulich papierhaltigen täglichen Leben. Trotz der schönen Farben aber eigentlich stets nur Mittel zum Zweck, gaben sie ihren Benutzern wohl kaum einmal Anlass, über die Flerkunft dieser „Werkzeuge“ nachzudenken. Vielleicht nicht zuletzt deswegen präsentierte die Schwanhäußer Grundbesitz Holding GmbH & Co zum 150jährigen Jubiläum der Firma die von der durch ihre Arbeiten zur Nürnberger und regionalen Geschichte bestens ausgewiesenen Historikerin Martina Bauernfeind verfasste, opulent bebilderte und mit festem Umschlag und Fadenheftung versehene Unternehmensgeschichte. Der etwas sperrige Untertitel sollte dabei nicht abschrecken. Die keineswegs un­ interessante Geschichte des Immobilienbesitzes der Firma steht nicht an erster Stelle, obwohl durch die Bautätigkeit der Schwanhäußer auch ein guter Teil des Nürnberger Stadtbildes mitgeprägt wurde. Ausgehend von der Entwicklung der historischen „Gärten hinter der Veste“, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer großbürger­ lichen Wohngegend mit eingestreuten Industriebetrieben entwickelten, skizziert die Autorin gewohnt sorgfältig zunächst die bis in das 17. Jahrhundert zurückreichende Geschichte der Nürnberger Bleistiftindustrie, bevor sie sich dem Hauptthema, der Firma Schwan-Stabilo und ihrem Gründer, dem Unternehmer, Wohltäter und Mäzen Gustav Adam Schwanhäußer, zuwendet. Erst durch den überraschenden Detailreichtum wird ersichtlich, unter welch schwie­ rigen Umständen sich die Firma entwickelte. Anhand der Darstellung von scheinbar banalen Problemen, etwa der Abwasserentsorgung, der Lärm- und Schmutzbelastung der Umwelt oder der Verkehrssituation, ergibt sich auch die Entwicklung des Stadt­ viertels in dieser Zeit des wirtschaftlichen Aufbruchs. Deutlich werden die Krisen und Rückschläge, aber auch immer wieder die Zähigkeit und die über das Schicksal des Be­ triebes entscheidende Fähigkeit der Unternehmer zu Innovationen. So wich die Firma, als nach 1945 die Herstellung von Bleistiften verboten war, auf die Seifenproduktion aus. Heute ist das Unternehmen, das seine Produktion inzwischen ins nahe Herolds­ berg verlagert hat, in der Sparte Kosmetik Weltmarktführer. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Zeit des Gründers, der nicht nur als Unternehmer, sondern mit seinem ausgedehnten gesellschaftlichen, sozialen, kirch­ lichen und kulturellen Engagement auch als Teil der Nürnberger Gesellschaft und nicht zuletzt als Familienmensch geschildert wird. Überhaupt die Familie. Ihre Bedeutung sowohl für die jeweiligen Mitglieder als auch für den Konzern zeigt sich deutlich, wenn

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heute die fünfte Generation in leitender Verantwortung steht. In der Darstellung erhal­ ten die für den Außenstehenden anonymen Personen Gesichter, werden zu Individuen. Einen besonderen Anteil daran haben neben den zahlreichen privaten Fotografien besonders eindrucksvoll die Gruppenfotos der gesamten Familie Schwanhäußer aus verschiedenen Zeiten - auch das von Günter Schwanhäußer geschriebene Vorwort, der ebenfalls von ihm riskierte Blick in die Zukunft sowie sein „an die Familienmitglieder und Freunde der Familie Schwanhäußer“ gerichtetes Schlusswort, das noch einmal die Bedeutung der Verbindung von Familie und Firma - einem Familienbetrieb im besten Sinne des Wortes - aufzeigt. Jedoch wird in der Darstellung auch die „andere Seite“ nicht vergessen, die Arbeitnehmer der Firma, so dass insgesamt die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Geschichte einer ganzen Generation aufscheint. Eingestreute Tabellen oder Biographien von Künstlern runden den Text ab. Ein besonderer Reichtum des Buches ist seine Bebilderung. Neben der Familie Schwanhäußer sind Fotos von Zeitgenossen, historische Ansichten, Bauzeichnungen, Stadt- und Lagepläne, Straßen- und Fabrikansichten, die Bilder von den Schäden des Zweiten Weltkrieges und nicht zuletzt Ansichten aus alten Firmenkatalogen als schöne Beispiele für die damalige Gebrauchskunst zu sehen. Hilfreich sind die Anmerkungen, die Genealogie der Familie, das Glossar, Quellenverzeichnis und Auswahlbibliographie sowie das Personenregister. Die ganze in ihrer Komplexität so kleinteilige, komplizierte und differenzierte Firmengcschichte ist aufgrund der gut durchdachten Gliederung und der leichten Schreib­ weise, der zitierten persönlichen Erinnerungen und eingestreuten Zitate sehr lohnend, mitunter spannend oder amüsant zu lesen. Sie vermittelt anschaulich das Engagement der Beteiligten, das firmen- und familienpolitische Denken, die Verwurzelung der Firma und ihrer Leitung in Wirtschaft und Gesellschaft als Garanten auf dem Weg zu Erfolg, und letztlich die Geschichte des Unternehmens als Teil der Nürnberger und deutschen Geschichte. An der Schwelle zu einer angesichts der Globalisierung ungewis­ sen Zukunft zeigt die Firma ihre Entwicklung in einer in der Vergangenheit teilweise wesentlich schwierigeren Lage, gewährt Einblick in eine rasch verschwindende Zeit und weist ihre Perspektive für den weiteren Weg. Wer das Buch gelesen hat, wird seinen nächsten Blei-, Buntstift oder Textmarker mit mehr Respekt in die Hand nehmen. Andreas Jakob

Claudia Thoben: Prostitution in Nürnberg. Wahrnehmung und Maßregelung zwi­ schen 1871 und 1945 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 65). Nürnberg: Stadtarchiv Nürnberg 2007. 727 S. mit 29 Abb. € 39,In den Besprechungen der Monographie von Peter Schuster über die städtischen Frauenhäuser 1350-1600 (MVGN 80/1993, S. 288) und der Studie von Martina Schuster über die Situation der „Sexarbeiterinnen“ in Nürnberg 1999/2000 (MVGN 91/2004, S. 389) wurde darauf hingewiesen, dass die Zwischenzeit noch nicht beschrieben ist. In diese Lücke stößt die von der Philosophischen Fakultät I der Universität Erlangen-

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Nürnberg (Prof. Dr. Blessing) angenommene Dissertation von Claudia Thoben, wobei das umfangreiche und wohl erschöpfend recherchierte Werk sich strikt an den Unter­ suchungszeitraum 1871-1945 hält, Rückblick ebenso wie Ausblick also minimalisiert. Es ist anzunehmen, dass in Nürnberg nach Schließung des Frauenhauses 1562 bis 1871 durchgängig ein Prostitutionsverbot galt, dem freilich eine Praxis zunehmender Tolerierung gegenüberstand, die der „Sittenpolizei“ eine „breite Definitions- und Handlungsmacht“ (S. 27) einräumte; zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung erwartete man vor allem, dass der „Frechheit“ der sich - mit Vorliebe am Plärrer - an­ bietenden „liederlichen Dirnen“ Einhalt geboten wurde. Die Reichsgründung 1871 führte mit dem Reichsstrafgesetzbuch vom 18.5.1871 zur Vereinheitlichung nicht nur des Strafrechts, sondern - ursprünglich französischem, dann preußischem Vorbild folgend — auch der Prostitutionsregeln. Fortan wurden „Weibspersonen, die gewerblich Unzucht treiben“ nur noch dann (mit Arbeitshausein­ weisung bis zu 2 Jahren) bestraft, wenn und soweit dies „polizeilichen Anordnungen zuwider“ erfolgte. Die - wohl keinen denkbaren Aspekt auslassende - Untersuchung dieses „Reglementierungssystems“ (S. 37-466) ist Hauptstück und Hauptverdienst der Arbeit. Obwohl wesentlich auf Nürnberg mit seinen vielfältigen Quellen konzentriert, zeigt die Arbeit Perspektiven, an denen künftig auch die regionale, nationale und inter­ nationale Forschung zum Thema nicht mehr Vorbeigehen kann. Die Abhängigkeit der legalen Prostitutionsausübung von der Unterstellung unter die „polizeilichen“ Anord­ nungen eröffnete den Sicherheitsbehörden - in Nürnberg Magistrat/Stadtrat und (Ober)Bürgermeister, nach 1923 trat noch die (staatliche) Polizeidirektion NürnbergFürth hinzu - die Möglichkeit einer lokalen Prostitutionspolitik. Hiervon machte Nürnberg intensiv Gebrauch: zunächst dadurch, dass die Orientierung eher an den Industriestädten des Nordens als an München erfolgte, später - bereits unter sozial­ demokratischem Einfluss - durch vorbildliche soziale und gesundheitliche „Reglemen­ tierungen“. Die Akteure Polizei, Prostituierte, Sozialdemokratie, Frauenbewegung, christliche und jüdische Gefährdetenfürsorge, Gesundheitsfürsorge werden mit großer Gründlichkeit untersucht. Wegen der Fülle des zu Tage geförderten Materials verbietet sich eine inhaltliche Wiedergabe. Zweierlei sei jedoch erwähnt: Anders als München hat Nürnberg die Einrichtung von Bordellen gefördert und war 1908 mit 22 Häusern eindeutiger Spitzenreiter in Bayern (S. 40 - interessanterweise ist die Vergleichszahl ein Jahrhundert später halbiert). Der Weg von der Frauengasse und den Vorstädten (die bei Einführung des Reglementierungssystems noch von Bedeutung waren) hinter die Frauentormauer wird S. 160-182 höchst instruktiv beschrieben (und ist für das Verständnis der heutigen Stadtgestalt nicht ohne Bedeutung). Letztlich ist der Grund für die Konzentration hinter der Mauer banal: weil „die Häuser kein anderes gegenüber haben als die hohen Mauern & die Belästigung Anderer ausschließen“ (S. 163). Mit dem 1908 zur „sittlichen Besserung der Prostituierten“ eingerichteten und (bis zu seiner Auflösung Anfang der Neunziger) mit Augsburger Diakonissen besetzten Pflegamts gehörte Nürnberg zu den Pionieren der (für die Verwaltungsgeschichte des

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MVGN94(2007) Buchbesprechungen 20. Jahrhundert überaus charakteristischen) Überleitung von Sicherheits-(„Polizei“-) Aufgaben in die Daseinsvorsorge (was von der Verfasserin so nicht erkannt wird). Abschließend schildert Thoben die reichsweit grundstürzende (in Nürnberg abge­ mildert, da schon vorher bedacht) Änderung durch das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, das die Überwachung der Prostitution von der „Sitte“ auf die Gesundheits“polizei“, in Nürnberg also auf das städtische Gesundheitsamt, überleitete (S. 466-516) - der Nationalsozialismus hat an diesem System, das letztlich bis zum Inkrafttreten von Infektionsschutzgesetz am 1.1.2001 und Prostitutionsgesetz am 1.1.2002 fortbestand, nichts Grundlegendes geändert. S. 517-652 berichtet Thoben die der faschistischen Ideologie zuzuschreibenden Irrungen, Grausamkeiten und Verbre­ chen der NS-Zeit (Zwangssterilisierungen, Maßnahmen gegen „Asoziale“, Verfolgung von Prostituierten, Zwangsarbeit in Bordellen). Der Rezensent aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung bemängelt, dass begriff­ liche Schärfe nicht unbedingt Sache der Autorin ist, insbesondere stören die Unklar­ heiten im Hinblick auf die verschiedenen Polizeibegriffe und deren Zusammenhang mit der Aufgabe zum Erhalt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Zuständig­ keitsverteilung zwischen Staat und Stadt. Andererseits wird aber das Werk in seiner Amtsbibliothek künftig einen bevorzugten Platz einnehmen. In der 2001/2002 ange­ brochenen Ara der Prostitution als legale und grundrechtlich geschützte Berufsaus­ übung, deren Überwachung immer stärker ins allgemeine Gewerberecht hineinwächst, besitzt das Problem der Prostitution in unserer Stadt sicher nicht mehr die einstige Bri­ sanz - gelöst ist es nicht. Mitreden können wird aber künftig nur, wer Thobens Buch gründlich studiert hat, weil dessen Kenntnis für das heutige Verständnis unverzichtbar ist. Und das ist - denke ich - ein großes Lob! Hartmut Frommer

Gesa Büchert / Peter Löw: Zum Merkur, bitte! Geschichte und Geschichten einer Nürnberger Hoteladresse. Nürnberg: Loew’s Hotel Merkur 2005. 131 S. mit zahlr. € 24,80 Abb. Bereits äußerlich kommt das Buch vielversprechend daher, denn unter dem mit einer historischen Hotelansicht gestalteten Schutzumschlag verbirgt sich ein edler Leinenein­ band mit Prägeschrift, der vor allem den bibliophilen Leser ansprechen dürfte. Es ist die Geschichte des Nürnberger Hotels Merkur, das von Leonhard Loew aus Röckenhof bei Kalchreuth gegründet wurde. Nach einer Lehre im Nürnberger Hotel- und Gaststät­ tengewerbe und einem Fehlstart in die Selbständigkeit eröffnete der umtriebige Jung­ unternehmer 1930 vor dem Südausgang des Hauptbahnhofs eine Bettenpension, die heute unter der Leitung seines Sohnes Friedrich Loew als Ringhotel Loew’s Merkur zu den Traditionsherbergen gehobenen Standards in Nürnberg zählt. Auch wenn die Autoren dies in ihren Kurzviten dezent verschweigen, sind sie mit dem Haus eng verbunden. Daraus speiste sich vermutlich neben einem generellen histo­ rischen Interesse die Motivation zur Bearbeitung des Stoffes und ermöglichte die viel­ fach privaten Einblicke. Peter Löw, unschwer am Namen als Spross der Hoteliers-

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MVGN 94 (2007) Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine, Sport familie auszumachen, setzt sich lediglich auf Seite 120 als Mann mit Mütze anonym in Szene. Charmant und mit Mut zur Selbstironie geleiten Büchert und Löw ihre Leser durch die Geschichte des alteingesessenen Privathotels, dessen Gästeliste angefangen vom Stab Rudolf Hess’ über Kurt Schumacher, Annemarie Renger und Erich Ollenhauer bis hin zu Max Merkel, Maxim Schostakowitsch und Barbara Stamm sowie den vielen unbekannten Kriegsheimkehrern, Flüchtlingen, Besuchern der Nürnberger Prozesse oder US-Soldaten gleichsam eine Zeitleiste deutscher Historie entfaltet. Manchmal geschieht dies auch implizit, beispielsweise wenn das Kapitel über den Neubeginn nach 1945, bewusst oder unbewusst, mit dem Anfang der Nationalhymne der DDR titelt (S- 41). Im Zentrum der Monographie stehen das Hotel, dessen Baugeschichte, Besitzer­ familie und Bewirtschaftung im Wandel der Zeit. Trotz ihrer persönlichen Beziehung zum Forschungsgegenstand wahren die Autoren mit großer Professionalität stets die Perspektive des außenstehenden Beobachters. Sensible Themen wie etwa Erwerb und spätere Rückerstattung einer arisierten Immobilie oder familiäre Schicksalsschläge wer­ den sorgfältig und ohne Larmoyanz aufgearbeitet. Im Rahmen der chronikalischen Darstellung verleihen zahlreiche Anekdoten sowie der reiche Fundus an Abbildungen der Publikation eine nostalgische Note. Dabei hilft die Liebe der Verfasser zu origi­ nellen, mitunter subtilen Formulierungen über redundante Passagen wie der immer wiederkehrenden Hinweise auf die modernisierte textile Zimmerausstattung, die Auf­ stockung der Bettenzahl oder deren prozentuale Auslastung hinweg. Ist einmal nicht mit namhaften Ereignissen und Fakten aufzuwarten, entfalten Exkurse zu Spezial­ themen wie dem so genannten Kuppeleiparagraph, zeitgenössischen Werbeträgern und Speisekarten oder der Klientel der „Trophäensammler“ ein kulturgeschichtliches Pano­ rama des Mikrokosmos „Hotel“. Eine Vorstellung des Arbeitsalltags vermitteln Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aller Sparten, die von der Hoteldirektorin bis zum Zimmermädchen in Interviews zu Wort kommen. Wenn dann die Hausdamen-Assistentin über die überall im Zimmer ausgebreiteten Sachen mancher Gäste klagt, beschleicht möglicherweise den ein oder anderen Leser ein schlechtes Gewissen. Noch während der Buchlektüre gelobt dieser insgeheim Besserung, wenn er das nächste Mal ein Hotelzimmer verlässt und wendet sich derart geläutert der Kurzchronik und dem Verzeichnis langjähriger Mitarbeiter zu, die die Darstellung abschließen. Der Anhang enthält ein Quellen- und Literaturverzeichnis in Auswahl. Leider fehlt ein eigener Bildnachweis - wie überhaupt auf eine Datierung der meisten Abbildungen, die offenbar aus Privatbesitz und dem Stadtarchiv Nürnberg stammen, verzichtet wurde. Schade ist auch, dass bei der Vielzahl der genannten, mitunter prominenten Personen ein Namensregister fehlt. Ungeachtet dieser handwerklichen Mängel ist Gesa Büchert und Peter Löw eine unbedingt lesenswerte Hommage an das Nürnberger Tra­ ditionshotel und dessen Mitarbeiter gelungen, die sich in die Reihe der qualitätvollen Firmen- und Unternehmensmonographien Nürnbergs einfügt. Martina Bauernfeind

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Bernd Windsheimer: 50 Jahre Airport Nürnberg. Geschichte der Luftfahrt in Nürn­ berg 1955-2005 / Hrsg.: Flughafen Nürnberg GmbH. Nürnberg: Sandberg-Verl. 2005. 172 S. mit zahlr. Abb. € 19,55 Bunt und mit vielen Abbildungen versehen, präsentiert sich das von der Flughafen Nürnberg GmbH zum 50jährigen Jubiläum des Nürnberger Flughafens herausge­ gebene Buch. Früher nannte sich so etwas Festschrift, in der stolz auf die Ursprünge zurückgeblickt wurde. Heute verbindet sich, gut verpackt und modern gestaltet, der Blick in die Vergangenheit mit der Werbung für die Gegenwart und optimistischen Wünschen für die Zukunft - manchmal wird es schwierig, das im einzelnen zu unter­ scheiden. Als Autor wurde Bernd Windsheimer vom Verein „Geschichte für alle“ ge­ funden, der dann auf rund 150 Seiten zu einem gut bebilderten Flug durch die Nürn­ berger Luftfahrtgeschichte ansetzt. Mit zahlreichen Reklameseiten und Grußadressen beginnend, zeigt sich, dass das Werk etwas abweichend von der Datierung im Titel sich durchaus mehr vorgenommen hat, nämlich eine bislang fehlende Gesamtgeschichte der Nürnberger Luftfahrt zu lie­ fern. So gilt die Ballonfahrt von Francois Blanchard auf dem Judenbühl 1787 als Start der in Nürnberg absolvierten Flugaktivitäten. Zur Übersicht der folgenden Darstellung ist das Inhaltsverzeichnis in drei Großabschnitte unterteilt, die farblich gekennzeichnet auch auf den Textseiten abgegriffen werden können. Der erste große Abschnitt umfasst neun Kapitel und reicht von 1787 bis 1955. Dieser für den historisch Engagierten natür­ lich interessanteste Zeitabschnitt fasst auf knapp 50 Seiten die Geschichte der drei, meist mit der Stadt Fürth gemeinsam betriebenen Vorläuferflughäfen zusammen. Es folgt auf weiteren knapp 70 Seiten als zweiter Hauptabschnitt die Geschichte des heutigen vier­ ten Nürnberger Flughafens von 1950 bis 1990 in vier Kapiteln. Damit verknüpft ist auch die Geschichte des Wöhrlschen Nürnberger Flugdienstes (NFD), die kurz ge­ streift wird. Der Übertitel „Moderne Architektur, bester Regionalflughafen Deutsch­ lands und Touristik-Drehkreuz“ über dem Zeitabschnitt 1990-2005 deutet dann auch den fließenden Übergang in die Gegenwart und zur Leistungsschau des aktuellen Betriebes an, die hier unter dem Stichwort „Auf Erfolgskurs“ auf weiteren 25 Seiten ausgebreitet wird. Die historische Betrachtungsweise tritt hier natürlich noch stärker hinter die positive Präsentation des erfolgreichen Unternehmens zurück, als das schon in den vorangegangenen Kapiteln nicht nur am immer zahlreicher, wenn auch beliebi­ ger werdenden Bildmaterial sichtbar wird. Neben der der faktischen Entwicklung folgend meist flott geschriebenen Dar­ stellung der ersten 200 Jahre der Nürnberger Luftfahrtgeschichte machen vor allem die von Windsheimer zusammengetragenen Bilder den größten Stellenwert dieser populär daherkommenden historischen Übersicht aus, auch wenn es für die Kriegszeit 1939— 1945 faktisch und textlich etwas dünn wird. Auch hätte ich mir etwas mehr Bildmaterial für den Marienberger Flugplatz gewünscht. Dafür wird dann auf den folgenden 100 Sei­ ten um so freudiger in die Fotokiste der Flughafen GmbH gegriffen, bis schließlich Bildunterschriften und Layout kaum mehr von einer Werbebroschüre zu unterscheiden sind. Das mag dem Herausgeber geschuldet sein, wie ja vielleicht auch die in den sieb-

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ziger Jahren ansteigenden Anwohnerproteste gegen den Fluglärm und vor allem die Aus­ einandersetzungen zum geplanten und dann zurückgenommenen Bau einer zweiten Startbahn im Text schon etwas knapp und geglätteter erscheinen, als das in der Wirk­ lichkeit der Fall war oder ist. Das in der Darstellungsweise seinem Thema gegenüber insgesamt recht positiv gegenübertretende Buch zeigt so recht anschaulich, wie der Verein „Geschichte für alle“ und manche seiner Protagonisten sich in den letzten Jahren zum positiven Dicnstleistcr für historische Präsentationen gemausert haben. Insgesamt eine gelungene, wenn auch sehr immanente Darstellung des Flughafenbaus und -ausbaus in Nürnberg, vielleicht mit etwas wenig Bezügen und Verknüpfungen zur gesam­ ten urbanen Entwicklung, den Verschiebungen in der Verkehrsstruktur und zur wirt­ schaftlichen Problematik der Stadt insgesamt. Auch die beigegebenen Statistiken liefern eher nur solche immanenten Daten nach dem Motto „es geht aufwärts und alles wird gut“. Allerdings wird bei den Fluglinien die graphische Präsentation der Erfolgsbilanz zunehmend unübersichtlich, ein Gegensatz zur sonstigen Stärke des Bandes durch die reichhaltige Illustrierung. Helmut Beer Rainer Plappert (Flg.): Faszination Fußball - ein Spiel bewegt die Region. Katalog zu einer Ausstellung der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg vom 10. Mai bis 3. Juni 2006 (Schriften der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg 44). Erlangen 2006. 216 S. mit zahlr. Abb. €20,Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft der Männer im Jahr 2006 veranstaltete die Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg eine Ausstellung zum Thema Fußball im Großraum Nürnberg, wozu auch begleitend ein umfangreicher Katalog erschien. Einerseits war die Stadt Nürnberg einer von zwölf Austragungsorten der Weltmeister­ schaft, und in der Metropolregion Nürnberg gastierten in dieser Zeit mehrere National­ mannschaften. Andererseits werden die wichtigsten Arbeitsgeräte der Fußballer welt­ weit bekanntlich zu einem Gutteil über die beiden Sportartikelhersteller Adidas und Puma mit Sitz in Herzogenaurach vertrieben. Im Fokus von Katalog und Ausstellung stand der Fußball in den beiden Städten Nürnberg und Fürth, wobei auch wirtschaft­ liche, wissenschaftliche und publizistische Aspekte thematisiert wurden. Etwas ungewöhnlich und bemüht politisch-korrekt wirkt der Einstieg in die Darstellung, indem Ulrike Röger, Yvonne Weigelt und Claudia Kugelmann über „Mädchenfußball unter der Lupe“ (S. 9-14) bzw. Marit Möhwald und Claudia Kugel­ mann über „Mädchenfußball im Breitensport“ jeweils sehr kompetent berichten (S. 15-24). Natürlich hat mittlerweile Frauenfußball eine ganz bedeutende Stellung sowohl im Breiten- wie im Leistungssport, allein man erwartet am Beginn eigentlich eine Klärung des .Woher“, und dieses beginnt eben mit Männerfußball um 1900. Ein äußerst dankbares Thema behandelt Christoph Bausenwein, indem er knapp und fachkundig über „Die goldenen Jahre der Fußball-Hochburg Nürnberg/Fürth“ berichtet (S. 25-38). Dem Ort der Ausstellung ist dann das letzte Thema des ersten Blocks geschuldet, wo Edward Benesch über den Fußballsport in Erlangen handelt (S. 39-50). Hier wird die Chance genutzt, Fußball und Vereine jenseits der Profiligen darzustellen, die nicht minder als dort Emotionen wecken.

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Entsprechend den ersten vier Themen schließen sich zwei Katalogteile an: Ein erster, kurzer Teil ist der Fußballausbildung im Wandel der Zeit gewidmet (S. 51-57), den größten Teil bilden Exponatsbeschreibungen mit ansprechenden Abbildungen zu den Höhen und Tiefen speziell des Clubs und der Spielvereinigung Fürth (S. 58-94). Es folgt ein Block mit zwei Darstellungen und anschließendem Katalogteil, bei denen das Sportgerät thematisiert wird: Rainer Plappert gibt einen Überblick, wie die beiden Sportschuhfabrikanten aus Herzogenaurach den Fußball veränderten, wobei eher die Firma Adidas im Mittelpunkt steht (S. 95-108), und Manfred Welker be­ schreibt die Unternehmensgeschichte von den „Gebrüder Dassler“ zu „Puma“ (S. 109118, anschließender Katalogteil S. 119-132). Ein letzter Block, den Andreas Blum, der sich mit dem Elfmeter in der Literatur beschäftigt (S. 133-147), einleitet, behandelt die Sportpresse, wobei im Katalogteil auch ein Exkurs zum Spielzeug stattfindet (S. 148-176). Wie begonnen, so endet das Spek­ trum der Darstellungen politisch korrekt. Nicht ein Radio- oder Fernsehreporter der Privatmedien kommt zu Wort, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den 1980er Jahren erst in Zugzwang gebracht hatten, auch von Ereignissen außerhalb der Landes­ hauptstadt ausführlicher zu berichten. Nein, ein Vertreter des Bayerischen Rundfunks, der ob diesem Anstellungsverhältnis sogar auf ein politisches Mandat verzichtete, für das er sich zur Wahl gestellt hatte, äußert sich reichlich impressionistisch (S. 177-181). Ein letzter Katalogteil beschäftigt sich dann mit dem Ereignis Fußballweltmeisterschaft sowie der Spielstätte Frankenstadion (S. 182-198). Qualitätvolle Farbtafeln mit den wichtigsten Exponaten (S. 201-216) runden diesen insgesamt sehr gelungenen Beitrag zur fränkischen Sportgeschichte ab. Walter Bauernfeind

Kunst, Architektur Manfred H. Grieb (Hg.): Nürnberger Künstlerlexikon. München: Saur2007. 2.105 S. in 4 Bänden € 398,- (Subskr.-Preis bis 31.12.2007: € 338,-) Allgemein bekannt ist, dass Nürnberg im späten Mittelalter und in der Frühen Neu­ zeit eine bedeutende Handelsmetropole war und politisch als Aufbewahrungsort der Reichsinsignien im Heiligen Römischen Reich eine Zeitlang fast den Charakter einer Hauptstadt hatte. Dahinter tritt im öffentlichen Bewusstsein die Tatsache zurück, dass Nürnberg zur selben Zeit auch ein Kunst- und Wissenschaftszentrum ersten Ranges mit europaweiter Ausstrahlung war. Dabei ist der Name der ehemaligen Reichsstadt untrennbar mit berühmten Künstlern verbunden wie Albrecht Dürer, Hans Baidung Grien, Veit Stoß, Adam Kraft, Peter Vischer d. A. und Hans Sachs oder Persönlichkeiten der Geistesgeschichte der deutschen Renaissance wie Conrad Celtis, Philipp Melanchthon, Willibald und Caritas Pirckheimer oder Hartmann Schedel. Fragt man jedoch nach weiteren Nürnberger Künstlern jenseits bekannter Leitfiguren, so erntet man, selbst für das „Goldene Zeitalter“ der Stadt, nicht selten Ratlosigkeit. Dabei war Dürer nur einer von vielen namhaften Malern, Kupferstechern und Kunsthandwerkern, die zu jener Zeit in Nürnberg wirkten und die mithalfen, den Ruf der Stadt als „des Reiches

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MVGN 94 (2007) Kunst, Architektur Schatzkästlein“ auch auf kulturellem Gebiet zu begründen. Biographische Informa­ tionen über diese Künstler bereitzustellen, ist das Ziel des Nürnberger Künstlerlexi­ kons, das soeben in vier Bänden im Verlag K.G. Saur erschienen ist. Suchte man bisher Informationen über Nürnberger Kunstschaffende, so war man auf allgemeine Nachschlagewerke, Künstlerlexika wie Thieme-Becker, das ,Allgemeine Künstlerlexikon“ (AKL) oder ,Musik in Geschichte und Gegenwart“ (MGG) angewie­ sen, die überregional wenig bekannte Namen nicht immer verzeichnen und lokale Zu­ sammenhänge kaum berücksichtigen. Lokalhistorische Schriften wiederum oder akade­ mische Einzeluntersuchungen sind dem interessierten Laien häufig unbekannt, Quellen auch Wissenschaftlern zum Teil schwer zugänglich. Der Versuch, persönliche Bezie­ hungsgeflechte Nürnberger Künstler zu rekonstruieren und damit die Entstehungs­ bedingungen vieler Kunstwerke durch Einbezug des persönlichen, sozialen und kultu­ rellen Umfelds ihrer Schöpfer zu erhellen, war bisher nicht selten zum Scheitern verur­ teilt, oder es mussten mühsam Informationssplitter in einem weitverstreuten Spezial­ schrifttum zusammengetragen werden. Um diesem Mangel abzuhelfen, den er als passionierter Norica-Sammler wohl oft erfahren musste, hat Manfred H. Grieb bereits vor Jahren ein Nürnberger Künstler­ lexikon angeregt, dafür die Unterstützung der kulturellen Institutionen Nürnbergs ge­ wonnen und das Projekt über Jahre hinweg mit großem Engagement gefördert. Es steht einer Stadt gut zu Gesicht, die ein so reiches kulturelles Erbe ihr eigen nennt und - nicht zuletzt aufgrund regen bürgcrschaftlichen Engagements - auch das größte Museum deutscher Kunst und Kultur beherbergt. In Zusammenarbeit mit zahlreichen Wissenschaftlern wurden in jahrelanger Rccherchearbeit aus archivalischen Quellen, Forschungsliteratur und lokalhistorischem Schrifttum die biographischen Daten zu Leben und Werk möglichst aller bildenden Künstler und Kunsthandwerker, Verleger und Kunsthändler, Literaten, Musiker, Ge­ lehrten, aber auch Mäzene und Sammler zusammengestellt, die in Nürnberg vom 12. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wirkten. Dabei fanden nicht nur diejeni­ gen Berücksichtigung, die in Nürnberg geboren wurden, sondern auch jene, die nur eine Zeitlang mit der Stadt oder ihrem Landgebiet in Verbindung standen, wie es z.B. bei Hegel der Fall war, der 1808-1816 als Rektor des Egidiengymnasiums in Nürnberg lebte und hier Marie von Tücher heiratete. Herausgekommen sind über 20.000 Biographien, die ausgewiesene Kenner der Materie eigens für dieses Werk verfasst haben. Manche Artikel bieten erstmals ge­ sicherte Informationen, andere fassen souverän und prägnant kanonisches Wissen über bekannte Nürnberger Künstler zusammen - stets mit dem Blick auf lokale Bezüge und frei von jeglicher Tendenz zur Hagiographie, wie sie sonst oft in Biographien „großer Künstler“ anzutreffen ist. Überhaupt hält sich das Nürnberger Künstlerlexikon auf an­ genehme Art mit Wertungen der künstlerischen Arbeit zurück und beschränkt sich auf die Wiedergabe fundierter Informationen - auch darin wird es seinem hohen Anspruch gerecht, ein solides, den Tag überdauerndes Standardwerk zur lokalen Kunst- und Kul­ turgeschichte zu sein.

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Generell erscheint es im Hinblick auf den Umfang des Werkes vernünftig, auf eine ausführliche historische Einordnung jeder einzelnen Biographie zu verzichten, da dies über die Literaturhinweise möglich ist und das „Stadtlexikon Nürnberg“ bereits über­ regionale geschichtliche Zusammenhänge in doppelseitigen Essays ausführt (Michael Diefenbacher / Rudolf Endres [Hrsg.]: Stadtlexikon Nürnberg, 2., verbesserte Aufl., Nürnberg 2000). In wenigen Einzelfällen hätte sich der Rezensent dennoch eine stärkere Berück­ sichtigung geschichtlicher Bezüge gewünscht. Dies betrifft zum Beispiel den Artikel zu Albert Speer, der weitgehend als Architekt und Generalbauinspekteur des Dritten Rei­ ches vorgestellt wird. Man vermisst einen Satz, der seine Tätigkeit als Reichsminister für Bewaffnung und Munition (1942) bzw. für Rüstung und Kriegsproduktion (1943-1945) einordnet und seine Verantwortung für den Einsatz von Zwangsarbeitern ebenso be­ nennt wie die Verurteilung zu 20 Jahren Haft durch den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1946. Hier sollte selbst ein Künstlerlexikon bei allem Zwang zur Kürze eine Einordnung in wenigen Worten vornehmen und nicht der Sclbststilisierung Speers folgen, unpolitischer Fachmann gewesen zu sein. Sieht man von diesen ver­ einzelten Ausnahmen ab und fokussiert den Blick wieder auf das gesamte Werk, so ändert dies nichts an dem grundsätzlichen Eindruck, hier ein solides, zuverlässiges Standardwerk zur Nürnberger Kunst- und Kulturgeschichte vor sich zu haben, das in seinen Dimensionen wie von seiner Qualität her eine Pionierleistung wissenschaftlich fundierter lokalhistorischer Geschichtsschreibung darstellt. Am Ende der meisten Artikel finden sich weiterführende Literaturhinweise, Anga­ ben zu den Werken der Künstlerinnen und Künstler, zu Ausstellungen und zu Museen, die Schätze Nürnberger Künstler in ihren Sammlungen haben. Erstaunt registriert man nicht nur, welch bedeutende Rolle z.B. die Nürnberger Gold- und Silberschmiede neben ihren Augsburger Konkurrenten spielten, sondern auch, in welch großem Um­ fang sich Werke Nürnberger Meister in der Rüstkammer des Kreml, im Grünen Ge­ wölbe in Dresden und in vielen anderen namhaften Museen Europas befinden. Die europaweite Ausstrahlung Nürnberger Kunst wird so augenscheinlich. Es wird auch offensichtlich, dass kulturelle Kontakte den Handelswegen folgten, und man gerät nicht selten ins Grübeln darüber, dass das Schlagwort vom Warencharakter der Kunst nicht nur ein hoffnungslos überfrachtetes theoretisches Konstrukt ist, sondern im Ansatz eine Realität beschreibt, die weit in die Geschichte zurückreicht, ebenso wie die euro­ päische Dimension. So haben Nürnberger Maler und Bildhauer oft Auftragsarbeiten aus Osteuropa angenommen, Nürnberger Rotgießer Grabmale für osteuropäische Bischöfe und Fürsten geliefert, und die Produkte Nürnberger Drucker oder die Prunk­ harnische Nürnberger Plattner finden sich in ganz Europa, von Krakau bis Madrid. Dies alles kann im Nürnberger Künstlerlexikon nicht nur exemplarisch, sondern dank der Erschließung durch vorzügliche Orts- und Berufsgruppenregister auch in der Breite nachvollzogen werden. Das etwa 3.000 Ortsnamen umfassende Ortsregister unter­ streicht eindrucksvoll diese europäischen Verbindungen. Es eignet sich mit seinen 25.000 Verweisen auch hervorragend, die Verflechtungen des künstlerischen Lebens der Reichsstadt mit anderen Regionen innerhalb des Heiligen Römischen Reiches

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MVGN 94 (2007) Kunst, Architektur Deutscher Nation zu rekonstruieren und überregionale Entwicklungen und Konjunk­ turen bis ins 20. Jahrhundert hinein zu rekonstruieren. Ebenso wie das abschließende Berufsgruppenregister ist es in dieser Form und Qualität für ein lokalhistorisches Lexi­ kon wohl einmalig und gibt dem Forscher wie dem Laien ein unschätzbares Arbeits­ mittel an die Hand. Lässt man ökonomische Zwänge außer acht, denen jedes vergleichbare Großprojekt unterliegt, so wäre aus der Sicht eines größeren Publikums idealerweise ein weiteres Register wünschenswert, über das sich lokale Sehenswürdigkeiten und ihre Schöpfer erschließen ließen. Uninformierte Laien möchten wissen, wer z.B. am Schönen Brun­ nen mitarbeitete oder wer das Sebaldusgrabmal schuf. Ihnen wird der Umweg über Reiseführer o.ä. nicht erspart, dafür finden sie dann im Nürnberger Künstlerlexikon äußerst informative Artikel, die - falls überhaupt noch nötig - gezielte Hinweise zum vertieften Weiterstudium geben und deren manchmal etwas quellennahe Sprache dank des Glossars gut zu verstehen ist. Der personengeschichtliche Zugriff entspricht nicht nur einer bewährten lexikali­ schen Tradition, er erweist sich auch aus einer anderen Überlegung heraus als richtig: Zwar konkretisiert sich das allgemeine Interesse oft an Gebäuden und Kunstgegen­ ständen. Eine Zugangsweise, die dem aber in der Konzeption Rechnung trüge, wäre von den Zufällen der Überlieferung abhängig und erweist sich gerade in einer Stadt als wenig geeignet, die einen Großteil ihres kulturellen Sacherbes in der Bombennacht des 2. Januar 1945 verlor. Ähnlich beliebig wäre die Auswahl der Werke, hätte man die moderne Lust auf Abbildungen befriedigen wollen. Bei der Vielzahl der Künstler hätte dies bloß illustrativen Charakter und würde den Preis des Lexikons über Gebühr erhöhen. Die Entscheidung, auf jegliche Bebilderung zu verzichten und die reine Infor­ mationsvermittlung in den Mittelpunkt zu stellen, ist daher vernünftig. Zu begrüßen ist, dass das Nürnberger Künstlerlexikon einem weiten Begriff von Kunst und Kultur folgt, der angemessen erscheint für eine Zeit, die zwar seit der Renais­ sance nicht mehr scharf zwischen Versuchen der wissenschaftlichen (artes liberales) und künstlerischen Weltaneignung (artes mechanicae) unterschied und das Ideal eines all­ seitig Gebildeten kultivierte, in der aber trotz dieses hohen Anspruchs Kunst faktisch lange Handwerk blieb. Neben Personen, die in Berufen tätig waren, die auch heute als künstlerisch gelten oder dem Kunsthandwerk zuzurechnen sind, gibt es so u.a. Einträge zu Mechanikern, Erfindern, Uhr- und Instrumentenmachern, Glas-, Stempel- und Münzeisenschneidcrn, Plattnern, Büchsenschmieden, Harnisch- und Panzerhemden­ machern, Geschütz- und Glockengießern, Leuchter- und Gewichtmachern, aber auch zu Astrologen sowie Mathematikern, Physikern, Medizinern und Zoologen - letzteres ein Ausdruck, wie fließend die Disziplingrenzen bis ins 19. Jahrhundert waren. Weiter­ hin fanden Philologen, Chronisten, Kunsthistoriker und Sammler Aufnahme, die an der Konstruktion und Pflege des kulturellen Gedächtnisses der Reichsstadt beteiligt waren. In vielen Fällen kommen zum Beruf ausführliche persönliche Daten wie Eheschlie­ ßungen und Anzahl der Kinder. Die Söhne folgten in einer Zeit, in der das Rugamt der Stadt den Zugang zu den meisten Berufen reglementierte, schon aus ökonomischen

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Gründen oft dem Beruf des Vaters, so dass das Wirken ganzer Künstlerfamilien teils über Generationen nachvollzogen werden kann (vgl. u.a. die Goldschmiedefamilien Jamnitzer oder Lencker sowie die Rot- und Erzgießerfamilien Herold, Vischer und Weinmann). Zusätzliche Angaben zu den Arbeits- und Lebensbedingungen sowie den wirtschaftlichen und privaten Verhältnissen stellen eine wahre Fundgrube für weitere alltags- und sozialgeschichtliche Forschungen dar. Die Lokalisierung des historischen Wohnortes vieler Künstler im heutigen Stadtbild, welche die Erkenntnisse des Nürn­ berger Häuserforschers Karl Kohn nutzt, rückt (Kunst-)Geschichte nicht nur an die Erfahrungswelt des Lesers heran, sie ermöglicht auch die mikrohistorische Rekonstruk­ tion lokaler Beziehungen. Wertangaben bei Häuserverkäufen machen bewusst, dass Zyklen, die heute die Börsennachrichten prägen, ähnlich auch vor 370 Jahren existier­ ten, als die Häuserpreise ins Bodenlose stürzten - bedingt durch die Bevölkerungsver­ luste des Dreißigjährigen Kriegs und durch die Pest, die in Nürnberg 1632-1634 fast 16.000 Tote forderte. Die umfassende Auswertung der Quellen über Taufe, Heirat, Begräbnisse, Bürger­ und Meisterrechte sowie von Grundverbriefungsbüchern und Ratsverlässen erschließt auch Biographien von Personen, von denen keine weiteren Zeugnisse überliefert sind. Von besonderem Interesse sind hier die Urteile des Rats zu Verfehlungen einzelner Bür­ ger, die von Ermahnungen über kurzfristige Strafen „im Loch“ bis hin zu „peinlichen Strafen“ des Blut- oder Halsgerichts reichten. Persönliche Dramen vergangener Jahr­ hunderte werden so gegenwärtig wie im Fall des Uhrmachers Gallus Schellhammer, der 1558 von seiner Frau und seinem Gesellen vergiftet wurde. Aber auch die „große Poli­ tik“ erscheint wie im Brennspiegel eingefangen, z.B. im Fall des Buchdruckers Hans Hergot (hingerichtet 1527), der radikal-reformatorische Schriften Thomas Münzers vertrieben hatte, oder beim Patrizier, Stifter und Vordersten Losungcr, Nikolaus III. Muffel, der wohl aufgrund interner Machtkämpfe im Rat 1469 hingerichtet worden war. Kulturhistorisch noch interessanter sind die Disziplinierungsmaßnahmen bei Sittlich­ keitsvergehen und Verstößen gegen die vom Rat erlassenen Ordnungen (z.B. Kleider­ ordnungen, Hochzeits- und Leichenordnungen), die Rückschlüsse auf gesellschaftliche Normen der Zeit sowie auf wirtschaftliche und soziale Entwicklungen erlauben. Insgesamt entsteht so ein facettenreiches, dichtgewobenes Bild des Alltags und der Lebensbedingungen Nürnberger Künstler, das zur weiteren Beschäftigung anregt und eine hervorragende Ausgangsbasis für weitere Forschungen bietet. Um den personen­ geschichtlichen Schatz des Nürnberger Künstlerlexikons noch intensiver für indivi­ duelle Fragestellungen nutzen zu können, ist zu hoffen, dass die Daten, die im Stadt­ archiv Nürnberg gepflegt werden, zusätzlich digital zugänglich gemacht werden, am besten online wie z.B. - in allerdings wesentlich bescheidenerem Umfang - beim Künst­ lerlexikon Saar (www.kuenstlerlexikonsaar.de). Eine andere Möglichkeit wäre der Zugang via pay per view wie beim Allgemeinen Künstlerlexikon des Verlags K.G. Saur oder eine Ausgabe als CD-ROM. So ließen sich Aktualisierungen einfach vornehmen und die Informationen stünden auch für pädagogische Zwecke problemlos zur Ver­ fügung.

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MVGN 94 (2007) Kunst, Architektur Schon heute jedenfalls stellt das Nürnberger Künstlerlexikon das notwendige Rüst­ zeug für die Beschäftigung mit der Kunst- und Kulturgeschichte Nürnbergs zuverlässig und hervorragend aufbereitet zur Verfügung. Wer immer sich mit der Kulturgeschichte der ehemaligen Reichsstadt befasst, darf auf keinen Fall am Nürnberger Künstlerlexi­ kon als dem Maßstäbe setzenden Standardwerk Vorbeigehen. Alexander Seelos

Sven Hauschke: Die Grabdenkmäler der Nürnberger Vischer-Werkstatt (1453— 1544) (Bronzegeräte des Mittelalters 6). Petersberg: Imhof 2006. 592 S. mit zahlr. Abb. € 79,Die aus einer Dissertation vom Herbst 2002 bei Rainer Kahsnitz an der Universität Augsburg entstandene und überarbeitete Publikation füllt eine seit mehr als sechzig Jahren schmerzlich empfundene Lücke. Seit der Auflistung aller damals bekannten Werke der Rotgießer-Dynastie Vischer aus Nürnberg durch Fritz Traugott Schulz im Künstlerlexikon von Thieme und Becker (Band 34, 1940) ist dieser hier vorgestellte kommentierte und mit durchwegs hervorragenden Abbildungen versehene Katalog ein neuer Markstein in der Erforschung des bildnerischen Werkes dieser bedeutendsten deutschen Gießerwerkstatt des 15. und 16. Jahrhunderts. Beschrieben wird der Zeit­ raum von fast hundert Jahren, beginnend 1453 mit dem Eintrag in die Nürnberger Bür­ gerliste für Hermann d.A.Vischcr (* ca. 1425/30, begr. 13.01.1488, sein erstes datiertes Werk ist das Wittenberger Taufbecken von 1457), und endend 1544 mit der Aufgabe der Werkstatt durch Hans Vischer (* nach 1488, t 1550). - Allerdings verführt der Titel zu der Annahme, es handle sich um alle Grabdenkmäler der Vischer-Werkstatt. Rainer Kahsnitz bezeichnet die Arbeit in seinem Vorwort auch als „vollständigen Katalog aller Vischcr-Grabmäler und -Platten, soweit sie bisher bekannt geworden sind“ (S. 7). Der Katalog enthält 107 Nummern; gegenüber den 86 von Fritz Traugott Schulz 1940 auf­ gelisteten Grabtafeln ist dies gewiss ein Fortschritt - für den Kenner stellen sie aber nur einen Teil der Vischerschen Gesamtproduktion an Grabtafeln dar. In der Einleitung schreibt der Autor: „Hier wird ... versucht... die Vischer-Werkstatt in ihrer Gesamtheit zu erfassen ... In den Katalog aufgenommen werden die figürlichen und heraldischen Grabplatten, Tumben und Tischgräber sowie die Epitaphien der Werkstatt“ (S. 13), schränkt aber zugleich ein: „Nicht berücksichtigt werden die klei­ nen, unsignierten Grabtäfelchen auf den Nürnberger Friedhöfen St. Rochus und St. Johannis“, mit der Begründung: „Für die formal meist anspruchslos gestalteten Stücke existieren außer den Schrifttypen keine hinreichenden Zuschreibungskriterien“. Er ver­ weist hier auf die Dissertation des Rezensenten (1966) und auf den von diesem besorg­ ten Band I der Nürnberger Friedhofsinschriften (in der Reihe „Die Deutschen Inschrif­ ten Band 13). Nun handelt es sich bei den dort als Werke der Vischerhütte Beschrie­ benen beileibe nicht nur um „anspruchslos gestaltete Stücke“, es sind immerhin die Epitaphien für Albrecht Dürer in St. Johannis und auch die auf dem Vischer-Grab in St. Rochus darunter (letztere bei Hauschke auf S. 27 kurz erwähnt). Anspruchlos sind sie nur in ihren Abmessungen, die bestimmt sind durch die vorgeschriebenen Maße der Sandsteinquader (167 x 83,5 cm), manche füllen diese Maße aber auch gänzlich aus.

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Auch sind seinerzeit (1966) neben den Schriftformen sehr wohl die gestalterischen Ele­ mente, insbesondere die der qualitätvollen Wappentafeln, als Kriterien herangezogen worden. Zudem sind in den Anhängen zu den Werklisten in Auswahl auch einige der großformatigen, für den Export hergestellten Werke genannt, die auch im vorliegenden Katalog zu Recht ihren Platz haben. Bei weiterer Lektüre wird deutlich, dass es sich beim vorliegenden Katalog doch um eine Auswahl handelt. Für eine Dissertation ist dies völlig in Ordnung. In der abschließenden Publikation hätte dieser Umstand jedoch deutlich gemacht werden können, es sind „Figürliche und heraldische Grabplatten in Auswahl“. Auch über die Materialbezeichnung stolpert man (nach dem Serientitel „Bronze­ geräte des Mittelalters“) schon im Vorwort des Herausgebers. Rainer Kahsnitz sagt dort (S. 7): „Bronze galt im Mittelalter und lang auch in der Neuzeit als eines der vornehms­ ten Materialien für Bildwerke schlechthin, auch wenn es sich wegen des geringen Zinn­ gehaltes im modernen Verständnis oft eher um Gelbguss, also um Messing handelte“. Abgesehen davon, dass Gelbguss etwas anderes ist als Messing, tappt Kahsnitz hier in die alte Falle der Kunsthistoriker, die zwischen Bronze und Messing nicht unterschei­ den. Ihm entgeht die Eigenart des Messings, das sich (als Kupfer-Zink-Legierung) leich­ ter und in feinere Gussformen gießen lässt als Bronze (einer Kupfer-Zinn-Legierung), und sich daher besonders gut für differenzierte plastische Gießarbeiten eignet. Nürn­ bergs erzerne figürliche Kunstwerke, wie wir seit mehr als 30 Jahren aus den zahl­ reichen Material-Analysen von Otto Werner und Josef Riederer wissen, sind mindes­ tens ab 1450 ausschließlich aus Messing. Sven Hauschke relativiert daher auch hier (S. 13): „Meist spricht man auch bei den Erzeugnissen der Vischer-Werkstatt von Bronzewerken, obwohl es sich chemisch aufgrund des hohen Anteils an Zink bei ihnen ausnahmslos um Messingobjekte handelt“, und er bekräftigt an anderer Stelle: „von der Vischer-Werkstatt wurde ... nur Messing verwendet“ (S. 17). Soweit zu den Einwänden, die eher an die Adresse des Herausgebers gerichtet sind. Gegenüber den wertvollen Er­ kenntnissen, die uns der Autor mit diesem Buch schenkt, dürfen sie nicht ins Gewicht fallen. Vor seinem eigentlichen Katalog der Grabdenkmäler (ab S. 118) steht ein sehr ge­ wichtiger Einführungsteil, der sich in sieben Abschnitte gliedern lässt. Die Einleitung ist unter anderem der Rezeptionsgeschichte gewidmet. Nach der zunächst geschwun­ denen Wertschätzung der Vischerschen Gusserzeugnisse im 18. und 19. Jahrhundert wird seit Ende des 19. Jahrhunderts Peter Vischer d.Ä. auf eine Stufe mit Albrecht Dürer und Veit Stoß gestellt. In den Forschungen von Georg Seeger (1897), Berthold Daun (1905), Louis Reau (1909), Johanns Kramer (1909), Hubert Stierling (ab 1915), Simon Meller (1925), Fritz Traugott Schulz (1940), Dieter Wuttke (ab 1959), Heinz Stafski (ab 1958) und Klaus Pechstein (1962) war versucht worden, den einzelnen Meistern der Vischer-Familie bestimmte Werke zuzuordnen. Hauschke begibt sich nicht in den Dschungel dieser bisher so verwirrenden Zuschreibungen, „da die Verengung des Blick­ winkels auf einzelne Familienmitglieder dem komplexen Gefüge einer Gießhütte nicht gerecht werden kann“ (S. 13). Seiner Sicht ist zuzustimmen, wenn er die Grabdenk­ mäler in erster Linie in die zeitlich eingrenzbaren Werkstatt-Epochen gliedert. Im fol-

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MVGN 94 (2007) Kunst, Architektur genden ersten Kapitel werden zudem alle bisherigen Kenntnisse zu den handelnden Personen der Familie zusammengefasst. Hier findet sich viel Neues, insbesondere zu Hans Vischer. Der Verfasser rückt dessen Schaffen in ein neues Licht und gibt ihm eine gegenüber der bisherigen Forschung positive Bewertung, indem er übersehene Werke einbezieht (S. 29), erstmals Kat.-Nr. 107 Taf. 16 u. S. 96 (Eislcben, Graf Hoyer VI). Im zweiten Kapitel wird ein Überblick über die Stellung der Vischerhütte im deutschen Sprachraum geboten: Die Vergleiche mit vorher und gleichzeitig tätigen mit­ tel- und norddeutschen Zentren und Werkstätten überzeugen durchaus. Hier werden eine Reihe von Grabdenkmälern in Breslau, Erfurt und Zeitz, die bisher der VischerWerkstatt zugeschrieben wurden, als lokale Erzeugnisse erklärt. Auch ist die Abgren­ zung zu den flandrischen Grabplatten mehrheitlich schlüssig. In diesem Abschnitt sind auch einige Werke dem Vischer-Nachfolger Pankraz Labenwolf zugeordnet und seine Arbeiten mit Vorbildern aus der Vischer-Werkstatt in Verbindung gebracht. Der Nürnberger Bildguss vor Hermann Vischer d.A. wird ebenfalls in Beispielen geschildert, die Schriftreste und Evangelisten-Vierpässe der bedeutenden Stifterdenk­ mäler in Hl. Geist für Konrad Groß (um 1356) und Herdegen Valzner (nach 1448) so­ wie das Denkmal für Johann von Neumarkt aus der Katharinenkirche, jetzt im Germa­ nischen Nationalmuseum (um 1360) jedoch nicht erwähnt. Das dritte Kapitel handelt über die Organisation der Werkstatt: ihre Mitarbeiter, die Auftragsverhandlungen, den Weg vom Entwurf zur Ausführung: Visierung, Modellierung in Holz und Wachs, Guss, Nacharbeit, Kosten, Lieferung und Aufstellung. Auch hier finden sich zahlreiche Beob­ achtungen, die ein überzeugendes Gesamtbild ergeben. Beizupflichten ist des Verfassers Ansicht, „die strikte Trennung zwischen Entwerfer und Gießer, gleichsam zwischen „Künstler“ und „Handwerker“, wie sie seit dem 19. Jahrhundert vor allem beim älteren und jüngeren Peter Vischer versucht wurde“, widerspreche den damaligen Werkstatt­ gepflogenheiten und sei methodisch fragwürdig (S. 44). Dies wird auch durch Form und Bearbeitung der zahlreichen bescheideneren Epitaphien gestützt, deren katalogähnliche Sammlung der Rezensent seit 1973 unternimmt. Auch gelingt Hauschke die Beweisfüh­ rung für eine „standardisierte Arbeitsweise“, die „Wiederholung ganzer szenischer Reliefs“, der Evangelistensymbole, bestimmter Architekturteile (etwa der Baldachine über den Figuren der Geistlichen), also die „Doppelnutzung von Figurenreliefs samt Rahmung“, in der „zahlreiche bereits vorhandenen Modelle ... im Baukastenprinzip kombiniert“ sind (S. 55). Im vierten Abschnitt werden unter der Überschrift „Der Werkstattstil und die Ver­ wendung von Vorlagen“ in drei Unterkapiteln die Einflüsse der Druckgraphik des Meisters „E. S“, Albrecht Dürers, Hans von Kulmbachs und Lucas Cranachs erörtert, die Modelle und Entwürfe externer Bildhauer (Adam Kraft, diverser Meister mit Not­ namen, Veit Stoß) und die „Entwicklung des Familicnstils“ mit den Schaffensmerk­ malen und gesicherten Zuweisungen an die einzelnen Familienmitglieder von Hermann d.A. bis Hans Vischer. „Familienstil“ heißt auch, „daß in der Regel mehrere Hände an der Gestaltung und Ausführung (der Grabdenkmäler) beteiligt waren“ (S. 90). Ein sechster Abschnitt handelt über Typologie und Ikonographie der Grabdenkmäler: For-

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen mular der Inschriften, Gestaltung und Anbringung der Grabplatten, die Eigenarten der Figurengrabmäler und der heraldischen Grabplatten, der Epitaphien sowie der Graban­ lagen. Hier findet sich die zutreffende Einordnung der Heidecker-Gedenkplatte (S. 105 mit Abb. 85) in das Werk von Hans Vischer, mit dem Vergleich zum Bamberger Epitaph für Andreas Fuchs (Kat. 92 Abb. 281). Ein siebter Abschnitt über das „Grabdenkmal im Kontext seiner gesellschaftlichen Konvention“ handelt über die Auftraggeber der Vischer-Werkstatt (Klerus, Bürger, Adel) mit jeweils herausragenden Einzelmonumen­ ten. Der Katalog der Grabdenkmäler ist der bedeutende achte Teil: Auf die Konkordanz nach Orten folgt eine Karte von Mitteleuropa mit der Verbreitung der Monumente, daran schließt sich eine Übersicht von 19 Granatapfel-Schemata aus den textilen Mus­ tern an, die der Autor von den Hintergründen oder Gewändern der Grabtafeln abge­ paust hat, eine von Hauschke entwickelte Methode, dank der weitere Zuweisungen gelungen sind (Kat. Nr. 8). Sechzehn Farbtafeln (laut Bildnachweis offenbar von pri­ vaten Fotografen) stehen noch vor dem eigentlichen Katalog und lassen die unter­ schiedliche Patina erkennen. Der Katalog selbst ist untergliedert in „gravierte Platten“, „figürliche Grabtafeln“ und „Grabanlagen“ (gemeint sind Tumben und Tischgräber), innerhalb der einzelnen Typen ist die Ordnung chronologisch, annähernd nach den Sterbedaten. Neben den Beschreibungen der Stücke, der Wiedergabe der Inschriften­ texte und ihrer Übersetzung stehen Angaben zu den Abmessungen, der Plattenstärke, den Einzelteilen, eingesetzten Stücken und den Versatzmarken für die Montage. Auch die in Kaltarbeit später eingefügten Todesdaten sind sorgfältig beobachtet. Soweit ver­ fügbar, sind auch die Metallanalysen von Josef Riederer dokumentiert, jedoch nur bis zum fünften Element Eisen. Die von Riederer und anderen ermittelten Gehalte der nachfolgenden Elementenreihe, Nickel (Ni), Silber (Ag), Antimon (Sb) und Arsen (As) sind nicht verzeichnet, wenngleich diese als Spurenelemente oft charakteristische Aus­ sagen erlauben. Die Transkriptionen der Inschriften (von Mitarbeitern der InschriftenKommissionen in Mainz und München überprüft) sind kaum zu beanstanden. Die oft anspruchsvollen Übersetzungen durch Erhard Horstmann (Haan) sind treffend. Im Katalog finden sich naturgemäß die differenzierten und vergleichenden Beschrei­ bungen, sodass es ausdauernder Lektüre bedarf, von den vielen Einzelbeobachtungen zu profitieren. Literaturverzeichnis und Register am Schluss sind hierzu hilfreich, hin­ ter dem Katalogteil folgt ein Quellen-Anhang mit 85 Dokumenten, das Verzeichnis der Abbildungen und der Rest der insgesamt 439 außergewöhnlich detailgenauen SchwarzWeiß-Abbildungen. Mit 138 sind weitaus die meisten vom Autor selbst, weitere 33 aus dessen Archiv, aus dem Nachlass von Hubert Stierling im Archiv des Germanischen Nationalmuseums stammen 37, der Rest kommt von Institutionen und Einzelpersonen. Weniges bleibt für den Rezensenten fraglich. Etwa die Datierung „um 1440“ der Deckplatte für Kurfürst Friedrich den Streitbaren (f 4.1.1428) im Dom zu Meißen (S. 35, Abb. 18). Ihr Lotosblüten-(Granatapfel?)-ähnliches Stoffmuster im Damastvor­ hang des Hintergrundes ähnelt durchaus dem in der Vischerhütte verwendeten Schema 16 des Verfassers, wobei deutlich wird, dass die Umrisse ebenfalls auf den Auftrag einer Schablone zurückgehen. Auch wird Kat Nr. 3 (Georg von Löwenstein, Bamberg, nach

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1464) wegen der gravierten Signatur (einem Fisch!) der Vischerhütte unter Hermann Vischer d.Ä. zugewiesen. - Hat aber der Fisch nicht auch eine christlich-ikonographische Bedeutung? - Und weshalb sind dann keine weiteren Platten HermannVischers mit dem Fisch „signiert“? - Nicht behandelt sind das durch eine hochrecht­ eckige Schriftleiste gerahmte Epitaph für Endres Volckamer (f 22.7.1436) in der Nürn­ berger Lorenzkirche und das für Christoph von Rotenhan (f 22.9.1436) in der Marien­ kirche von Fürstenwalde verwandte Stücke, nicht nur wegen der nahe beieinander lie­ genden Todesdaten. Der Rezesent setzt beide wegen der Merkmale ihrer Schriftleisten, ihrer für die Vischerhütte typischen Befestigungslaschen und wegen der historischen Umstände in Fürstenwalde in die Zeit nach 1470 und sieht formale Parallelen zu Ulrich von Rechberg (t 1496, Kat. 94, Abb. 293, Taf. 10) und Johannes von Heringen (t 1505, Kat. 18, die Schriftleisten abgebildet bei Zahn, Inschriftenträger in Messing, 1999). Ein Beispiel für solche spätere Anfertigung ist auch die Grabplatte für Paulus de Legendorf, Bischof von Ermland (f 1467), ehern. Heilsberg, jetzt Allenstein / Olstyn, Museum Mazurskie (Inv. Sz.S. 450140), die der Nachfolger im Bischofsamt, Lukasz Waczenrode, im Jahr 1494 setzen ließ und die von Hipler, Boetticher und Brachvogel für eine Arbeit der Vischerwerkstatt gehalten wurden. Zu den Bezeichnungen der Schriftarten gibt es nur wenige Ergänzungen: In Kat. 26 (Abb. 147) ist die Schrift nicht nur Kapitalis, sondern im oberen Teil „Frühhumanistische Kapitalis“. - In Kat. 55 (Abb. 206-208) ist die Schrift „Gotische Minuskel mit Versalien“. - In Kat. 75 (Abb. 240) müsste die Schrift heißen „Gotische Minuskel mit Frakturversalien“, ebenso bei Kat. 83 (Abb. 263-264), obere Tafel. - In Kat. 86 (Abb. 271) ist die Schrift nicht „Fraktur“, sondern Gotische Minuskel mit Fraktur-Versalien. - In Kat. 87 (Abb. 273) ist die Schrift nicht „Gotische Minuskel mit Versalien“ sondern ebenfalls „Gotische Minuskel mit Fraktur-Versalien“ wie auch in Kat. 89 (Abb. 276). - In Kat. 96 (Abb. 309f.) ist die Schrift nicht „Gotische Maiuskel“ (S. 300), sondern Kapitalis, die Worttrenner sind Doppelpunkte. - In Kat. 105 (Abb. 428) ist die Schrift eine Bastarda aus Gotischer Minuskel und Fraktur mit Versalien z. T. in Fraktur. - In Kat. 106 (Taf. 15) ist die Schrift „Gotische Minuskel mit Frakturversa­ lien“. - In Kat. 107 (Abb. 439) ist die Schrift nicht „Gotische Minuskel“, sondern Frak­ tur im Typus des Nürnberger Schreibmeisters Neudörffer. Es zeichnet die Sichtweite des Verfassers aus, dass er in einer Reihe von Fällen die Buchstabenformen (nicht „Typen“) in den Vischerschen Epitaphien den anderen Zu­ weisungskriterien an die Seite stellt (z. B. Kat. 9). Im Falle der Schriftplatte für das heral­ dische Epitaph für Margret v. Wildenfels (f 1513) in Langenzenn wird deshalb der Guss in der Vischer-Werkstatt angenommen (S. 53). Auch sind entgegen des eingangs er­ wähnten Konzeptes durchaus einige bescheidene Grabmäler in den Katalog aufgenom­ men worden, wie die von Johannes Zenner (Nürnberg, nach 1489, Kat. Nr. 36), Hein­ rich Stercker (Meißen, nach 1483, Kat. Nr. 34), Peter Hofemann (Altenburg, nach 1489, Kat. Nr. 35) und Heinrich Neithart (Ulm, nach 1500, Kat. Nr. 48). Von diesen aus könnte sich der Weg öffnen, weitere heraldische Epitaphien unter die Arbeiten der Vischer-Werkstatt zu stellen. Einige Beispiele seien genannt: Albrecht v. Bieberehren (Creglingen, 1 1502, DI 54 Nr. 94 mit Abb. 54), Friedrich Lintner (Nürnberg Hl. Geist,

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1 1503), Wolfgang Heit, gen. Hagelsheimer (Bamberg, f 1513), Kilian Geier (Würzburg, 11519, Zahn S. 94, DI 27 Nr. 477), Johann Kroner (Heilbronn, f 1520, Zahn S. 94), Gab­ ler-Gedächtnis (Schwabach, ca. 1525, KD MF 7), Petrus de Stetinberg (Bronnbach, t 1428, ca. 1525, DI 1 Nr. 130), Wipert v. Seckendorf (Bamberg, t 1529, Zahn S. 94), Paulus Keyl (Regensburg, f 1530, KD II, XII; Zahn S. 94), die drei gleichartig geformten Gedenkplatten für die Stiftung von Sebastian v. Rotenhan (f 1522) in Ansbach, Haßfurt und Würzburg (DI 27 Nr. 502), Konrad v. Thüngen (Würzburg, t 1540, KD Würzburg Abb. 57). Zu nennen sind auch in Kapitalis angelegte Epitaphien in der Art der unteren Tafel für Hektor Pömer (Nürnberg St. Lorenz, Kat. Nr. 91), jedoch aus vertieft ge­ schnitztem Modell gegossen: Erasmus Topler (Nürnberg St. Sebald, t 1512), Engelhard Funk (Würzburg f 1513, DI 27 Nr. 452), Ulrich Kemerlin (Aschaffenburg, f 1519), Jodocus Pleicher (Aschaffenburg, f 1545). Es fehlen ohnehin die aus der Vischer-Werk­ statt stammenden figürlichen und heraldischen Messingdenkmäler in Ansbach, Heils­ bronn, Hersbruck, Schwabach und Rothenburg, weitere in Aschaffenburg und Langenzenn und an anderen Orten. Eine kurz vor der Fertigstellung stehende Dissertation von Paul Bellendorf bei Prof. Dellwo in Bamberg mag hier Ergänzendes bringen. Ungeach­ tet dessen ist das Buch von Sven Hauschke eine feste Basis für alle weiteren Zuschrei­ bungen. Peter Zahn Norbert Wolf: Albrecht Dürer 1471-1528. Das Genie der deutschen Renaissance. Köln u.a.: Taschen 2006. 96 S. mit überw. Abb. € 6,99 Das handliche Bändchen zu Leben und Werk von Albrecht Dürer aus dem Kölner Taschen Verlag ist Teil einer Reihe mit dem Motto „Back to visual basics“, die vorrangig über das Bild das Werk eines Künstlers anschaulich machen will. Der Autor Norbert Wolf, der bereits mehrere Bücher dieses populären Formats veröffentlicht hat, u.a. zu Piranesi und Veläzquez, steuerte den inhaltlichen Teil bei. Sechs knappe Kapitel glie­ dern Biographie und Schaffen Dürers in leicht verdaubare Portionen. Sie tragen die griffigen Titel „Meine Lust trug mich zur Malerei“ (S. 6-25), „Die Signatur des Genies“ (S. 26-41), „Für Stadt und Kaiser“ (S. 42-51), „In den Niederlanden“ (S. 52-57), „Dürer und die Religion“ (S. 58-79) und „Ein neuer Apclles“ (S. 80-91). Abschließend folgt eine zusammenfassende, ebenfalls bebilderte Chronologie auf vier Seiten. Das Buch besticht durch seine Farbillustrationen, die bereits beim Blättern eine Vielzahl der Arbeiten des deutschen Künstlers vor Augen führen. Erläuternde Hinweise unter der Bildlegende geben zu vielen Werken knappe Information. Der Umstand, dass Albrecht Dürer, der bekanntlich in erster Linie für seine Druckgraphik Berühmtheit erlangte, in dieser Hinsicht kaum vorgestellt wird, mag dieser Lust an der Farbigkeit geschuldet sein, bleibt aber trotzdem enttäuschend. Mit nur fünf Kupferstichen (W. Pirckheimer, den drei Meisterstichen und „Adam und Eva“), einer Eisenradierung („Der Verzweifelnde“) und vor allem mit nur zwei Holzschnitten („Die vier apokalyp­ tischen Reiter“ und die kolorierte „Ehrenpforte“) ist dieser wichtige Bereich von Dürers Schaffen unzureichend beleuchtet. Dennoch mag dieses Büchlein mit dem un­ schlagbaren Preis manchem Leser die Initialzündung geben, sich mit dem Nürnberger Meister noch tiefergehender zu beschäftigen. Anna Scherbaum

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MVGN 94 (2007) Kunst, Architektur Anja Grebe: Albrecht Dürer. Künstler, Werk und Zeit. Darmstadt: Wiss. Buchges. 2006. 191 S. mit Abb. € 29,90 Zu Nürnbergs großem Renaissancekünstler ist ein neues Buch erschienen. In einem handlichen Werk stellt Anja Grebe Leben und Werk von Albrecht Dürer vor und gibt Einblicke in seine Zeit. Als roter Faden dient ihr die chronologisch geordnete Darstel­ lung der Werke. Die Kapitel behandeln, in weit gespannten Zeiträumen, Dürers Lehr­ jahre (1471-1496) und die Aufträge für Kaufleute und Kirchen (1497-1511) sowie für den Kaiser (1512-1519). Im letzten Kapitel geht es um das Spätwerk (1520-1528), um Dürer als Autor theoretischer Schriften und um die Rezeption seiner Kunst. Bei der dem Umfang geschuldeten Komprimierung der Kapitel gerät die Darstellung der künstlerischen Entwicklung notgedrungen kurz. Besonders in den so wichtigen Jahren um 1500 hätten aber, gestützt auf Vergleiche einiger Schlüsselwerke, Dürers ent­ scheidende Fortschritte in der Figurenbildung, in der Behandlung perspektivischer Kompositionen und in der Verfeinerung der Techniken in den druckgraphischen Serien deutlicher herausgearbeitet werden können. Statt dessen legt die Autorin ihren Schwer­ punkt eher auf die Beschäftigung mit der Persönlichkeit Dürers. Alle Selbstbildnisse werden vorgestellt, und aus Briefen und Reisetagebüchern wird vieles zitiert. Dabei kommen auch Passagen zutage, die in der Dürer-Literatur selten zu finden sind. Gerade hier öffnet sich der Blick in die Zeit der Renaissance. Entgegen der älteren Forschung nimmt Grebe an, dass Dürer seine erste Italienreise nicht 1494, sondern zwei Jahre später angetreten habe. Denn erst Werke wie die Zeich­ nung der „Schönen Venezianerin“ von 1497 zeigten Reflexe des Italienaufenthaltes, zu­ dem deute im Aquarell „Innsbruck von Norden“ der bauliche Zustand des Wappentur­ mes auf die Entstehung des Aquarells um 1496. Die These des späten Reiseantritts erscheint jedoch aus manchen Gründen unsicher, nicht zuletzt deshalb, weil aus einem späteren Brief Dürers an seinen Freund Willibald Pirckheimer (S. 46) der Aufenthalt in Venedig auf das Jahr 1495 zurückgercchnet werden kann. Als Leitmotiv in Dürers Schaffen nennt die Autorin wiederholt sein Streben nach Naturwahrheit, welches auf genauer Naturbeobachtung beruhe. Angesichts dieser bedeutsamen Einsicht bleibt ihre These diskussionswürdig, der Meister habe seine Figurenstudien „vermutlich nicht nach dem lebenden Modell angefertigt“, sondern nur einzelne Körperteile abgezeichnet, sich im übrigen aber auf die Nachahmung vorwie­ gend italienischer Vorbilder beschränkt. Hier klingt eine Überlegung an, die Grebe auch in den frühen Naturdarstellungen anstellt, wo sie von untereinander unverbundenen „Naturausschnitten“ spricht. In der Tat bereitete es Dürer ersichtlich Mühe, das mit akribischer Hingabe erfasste Einzelne in ein organisches Ganzes zu integrieren. Doch klingt die Behauptung nicht unwahrscheinlich, dass ein Künstler, der so sehr um die naturwahre Darstellung gerungen habe, gerade bei den Figuren auf das Studium der Natur verzichten sollte? Dem Rezensenten erscheinen die in diesem Zusammenhang (S. 65) genannten Zeichnungen, aber auch weitere Blätter wie der 1506 datierte „Weib­ liche Rückenakt“ als Zeugnisse des Figurenstudiums ad naturam. Doch treten wir hier in einen Bereich, der schwer eindeutig zu entscheiden und dementsprechend bis heute in der Dürer-Forschung umstritten ist.

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Das teilweise in moderner Alltagssprache abgefasste, einem breiteren Leserkreis zugängliche Buch zielt weniger auf die Eroberung neuer kunsthistorischer Felder; es ist vielmehr als eine Einführung in das vielfältige Schaffen Dürers anzusprechen. In dieser Zielsetzung ist es durch die Ausgewogenheit der Darstellung von Dürers Arbeiten, seiner Malerei, Graphik und seiner Kunsttheorie eine gelungene Leistung. Martin Hirsch Kristina Herrmann Fiore (Hg.): Dürer e l’Italia. Katalog zur Ausstellung Rom, Scuderie del Quirinale, 10 marzo bis 10 giugno 2007. Milano: Electa 2007. 403 S. mit zahlr. Abb. € 35,Dieses Jahrzehnt steht im Zeichen Albrecht Dürers. Nach der großen Ausstellung in der Wiener Albertina im Herbst 2003, im Prado in Madrid wiederholt (2005), einer wei­ teren zum graphischen Werk im Britischen Museum in London (2003) und einer in Prag (2006) aus Anlass des 500 Jahre davor in Venedig gemalten Rosenkranzfestes (1506), folgte nun in Rom die überhaupt erste Ausstellung Italiens, die dem Genie aus Nürn­ berg gewidmet war. Wie auch der Katalog zeigt, war es eine Mobilisierung der in Italien verfügbaren Dürer-Originale, dazu kamen Leihgaben aus zehn Ländern (den Vatikan eingeschlossen), aus 62 Museen, von denen die italienischen mit 35 den Löwenanteil stellen, gefolgt von 13 deutschen Museen und Sammlungen. Mehr als 20 Gemälde (davon drei zweifelhafter Zuschreibung), 10 Aquarelle, 33 Zeichnungen und 58 Druck­ graphiken waren Werken italienischer Meister gegenübergcstellt, im Ganzen etwa 200 Objekte, auch solche der plastischen Kunst. Die Schau fand im Marstall des Quirinalpalastes statt, neben dem Sitz des Staatspräsidenten. An der Eröffnung nahmen der Bür­ germeister von Rom, die Vertreter des Diplomatischen Corps, die akkredidierten Jour­ nalisten aus aller Welt und hochrangige Parlamentarier Italiens und Deutschlands teil: Die Ausstellung fiel mit dem 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge zusammen. Schon die flache, für Reiter zu Pferd gebaute Treppe aus der gewölbten Halle ins Obergeschoss stimmte auf das festliche Ereignis ein, dessen Pomp durch die purpurne Bespannung der Ausstellungswände noch erhöht wurde. Ausstellung und Katalog wol­ len beides bewirken: das Verständnis für die Wirkung der italienischen Kunst auf Dürer und umgekehrt für den Einfluss, den Albrecht Dürer auf die künstlerische Nachwelt Italiens ausgeübt hat. Anders als die chronologisch angelegte Wiener Ausstellung von 2003 war die römische nach Themen gegliedert. Dem Katalog vorangestellt sind Einführungen zu Albrecht Dürer als „Exemplarischer Kommunikator“ und über die Gründe der Ausstellung. Angeschlossen sind neun längere Beiträge. Der von Matthias Mende „Norimberga, Dürer, Roma“ ist eine erfrischend neue Sicht von Dürers Her­ kunft, Umwelt, Reisen nach Italien, dem Programm zur Ausstattung des Rathauses, sie verdiente es, auch auf deutsch veröffentlicht zu werden. Es folgen weitere: zum Einfluss der Antike und des Orients auf Dürer, über Dürer und das Veneto, zu Dürer, Leonardo und die lombardischen Maler des 15. Jahrhunderts, zur „maniera moderna“ der Malerei in Florenz, zu Dürer und Raffael, Dürer und Mantegna, über das Sammeln von Dürer-

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Werken in Italien und Dürer als Schriftsteller und Wissenschaftler. Der erste Stock der Scuderie (und damit der erste Abschnitt des Katalogs) mit fünf Sälen waren dem Ein­ fluss durch die italienischen Künstler gewidmet, Bellini, Mantegna, Leonardo, Agostino da Lodi, Jacopo de’ Barbari und anderen. Einführende Essays begleiten die Themen: Saal I (Katalog-Nr. 1.1-1.23), der Por­ trätkunst gewidmet, eröffnete mit dem Bildnis des Vaters von 1490 (Florenz, Uffizien), Kopfstudien in Blei, Kohle und Metallstift, der Kohlestudie (Berlin) und dem Portrait Jakob Fuggers des Reichen um 1518 (München), dem Bildnis Burkard von Speyers von 1506 (London, Royal Collection) neben dem eines jungen Mannes von Giovanni Bel­ lini, um 1490-1500 (Florenz, Uffizien), dem eines Unbekannten von 1521/24 (Madrid), dem Portrait des Bernhard von Reesen 1521 (Dresden) und von Johann Kleeberger von 1526 (Wien). Es folgten die Frauenbildnisse, das der schönen Venezianerin von 1505 (Wien) neben Lorenzo Credi’s „Dame mit den Jasminblüten“, 1485/1490 (Forll, Pinacoteca Civica), die Porträts in Federzeichnung und Kupferstich von Philipp Melanchthon (1525/26) und Kurfürst Friedrich dem Weisen (1524). Saal II (Kat.-Nr. II. 1—11.40) stand unter dem Motto „Dürer und die Antike“. Hier waren Federzeichnungen, Radierungen, Kupferstiche und Gemälde neben italienische antikisierende Studien gehängt, besonders eindrucksvoll das Gemälde „Herkules im Kampf gegen die Stymphalischen Vögel“, 1500 (München) neben Pollaiolo’s „Herkules und die Hydra“, ca. 1470 (Florenz, Uffizien), die Radierung „Adam und Eva“ von 1504 neben einer Bronzekopie des Apoll vom Belvedere, Studien von Pferden und Reitern (darunter die zeichnerische Vorstudie von 1510/13 (Mailand) zu „Ritter, Tod und Teufel“ (1513), von Satyrn und Nymphen, sowie antiken Ruinen. Nahezu alle ausge­ stellten Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen kamen aus der Graphischen Sammlung der Florentiner Uffizien. Saal III (Kat.-Nr. II1.1—III.20) stand unter der Devise „Mensch und Natur“, und wird im Katalog von zwei Essays eingeleitet: Fritz Koreny (Wien) über den Satz „Waß aber dy Schönheit sey, daz weis ich nit“ und Kristina Herrmann Fiore (Rom) über Dürers Landschaftsaquarelle, den „ersten Veduten“ in der europäischen Kunst. Neben die Aquarelle „Felsenstudie“, „Verfallene Berghütte“, „Baum im Steinbruch“ (alle Mai­ land, Ambrosiana), der Ansicht von Trient (Bremen, Kunstverein), der „Mühle im Ge­ birge“ (Berlin), „Burg und Stadt Arco“ (Paris), alle um 1495/96 datiert, werden die Fels­ und Landschaftshintergründe von Dürers Zeichnungen Radierungen, Eisenradierungen und Kupferstichen gestellt. Tier- und Pflanzenaquarelle, Akt- und Kostümstudien bil­ den den Schluss, am Ende steht die aquarellierte Federzeichnung „Orientale zu Pferd“ von 1495-1500 (Wien, Albertina). Saal IV (Kat.-Nr. IV.1-IV.22) gilt Dürers religiös-bestimmtem Werk. Hier finden wir die Studien zum Ölgemälde „Maria und Kind“ von 1494/96 (Coburg), zum zentral gehängten Ölgemälde „Die Anbetung der heiligen drei Könige“ von 1504 (Florenz, Uffizien), zu biblischen Themen, Aposteln und Heiligen, die Zeichnungen „Thronende Maria mit Kind, Heiligen und Engeln“ („Sacra Conversazione“) von 1521 (Paris), das Gemälde „Maria mit dem Kind“ mit Loth und den Töchtern auf der Rückseite, um

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen 1497/98 (Washington), Bellinis „Madonna mit dem Kind auf dem Thron“, um 1516 (Murano) und die Wiener Kopie (1606-1612) von Dürers 1505/06 in Venedig gemaltem „Rosenkranzfest“. Der fünfte Saal im Erdgeschoss (Kat.-Nr. V.1-V.12) ist Dürers Auftragsarbeiten für Kaiser Maximilian I. gewidmet, eingeführt durch den Essay von Thomas Schauerte (Nürnberg) „Dürer e Massimiliano“. Den Anfang macht das große Holzschnittporträt des Kaisers von 1496 mit der xylographischen Unterschrift von 1519 (Wien, Albertina), es folgen der siebenteilige Holzschnitt „Großer Triumphwagen“ von 1518-1522 (Rom), die Radierung „Große Kanone“, die von Matthias Mende gefundene Aquarellstudie der Nürnberger Burg, um 1495 (Nürnberg, Museen), die Zeichnung „Festung zwischen Meer und Gebirge“ um 1527 (Mailand) und Knoten-Holzschnitte aus der LeonardoSchule (Mailand) und von Dürer (München). Die Stirnwand des Saales war von der aus 36 Druckbogen zur Originalgröße (320 mal 290 cm) montierten „Ehrenpforte für Kai­ ser Maximilian“ (1515-1517) dominiert, Leihgabe des Istituto Nazionale per la Grafica, Rom (im Katalog ohne die xylographischen Inschriften der Sockelzone). Das zweite Stockwerk zeigte in zwei weiteren Sälen (6-7, Kat.-Nr. VI.1-VI.47) den Einfluss Dürers auf die italienischen Künstler im 16. Jahrhundert. Am Beginn steht „Der Zwölfjährige Jesus unter den Schriftgelehrten“ von 1506 (Madrid, Museum Thyssen-Borncmisza), gefolgt von den Hände-Studien dazu, neben grotesken Charakter­ studien von Francesco Melzi, um 1510 (London, Royal Collection), der Hl. Hierony­ mus von 1514 (Siena) neben den beiden Köpfen der Evangelisten Petrus und Johannes des Leonardo-Schülers Giovanni Agostino Lodi von 1496-1500 (Mailand, Brera). Es folgen Beispiele von Lorenzo Lotto, Andrea Solario, Raffael und Panormita, Benvenuto Tisi gen. Garofalo, Jacopo Barozzi, zuletzt Skulpturen von Jacopo Sansovino. Dazwi­ schen (Kat.-Nr. 6.21) als Fremdkörper ein marmornes Relief mit zwei Puttos aus dem 1. Jh. v. Chr. (Venedig, Archäol. Nationalmuscum), das Dürer (so Kristina Herrmann Fiore) als Vorbild für die Radierung „Die drei Genien“ (um 1500) gedient hat. Die ursprünglich neun oder zwölf Reliefs waren in Rom aufgefunden, im Mittelalter in Ravenna aufbewahrt und Praxiteles zugeschrieben worden. Thematisch hätte dieses Beispiel zur Abteilung II gehört. Wiederum mit einem ein­ führenden Essay der Herausgeberin wird diese Form der Gegenüberstellung, die nicht immer überzeugt, für das 17. Jahrhundert in den Sälen 8-10 (Kat.-Nr. VII.1-VII.45) fortgeführt. Wenn nicht Dürers große Holzschnitte aus der Großen Passion, dem Marienlebcn, der Kleinen Passion, die Radierung „Die Gottesmutter an der Mauer“ (mit der Nürnberger Burg im Hintergrund, 1514), die Kupferstiche „Der Hl. Eusta­ chius“ (um 1501), „Die Melancholie“ (1514) und „Erasmus von Rotterdam“ (1526) ge­ wesen wären, würde man diese mit akademischen Exkursen und den Bildern oft zweit­ klassiger Maler angefüllten Säle noch rascher durchquert haben. Was dem deutschen Besucher der Ausstellung und dem Leser des Katalogs fehlt, ist die Beschreibung von Dürers Wegstrecken nach Italien und zurück. Sie wäre im Pro­ gramm „Dürer und Italien“ eigentlich zu erwarten. Es kann sich nur um ein Versehen handeln, wenn die Herausgeberin im einleitenden Aufsatz schreibt, Dürer sei „attra-

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verso la Carinzia“, über Kärtnen gereist (S. 18). Sie weiß es besser: Im Katalog der Wie­ ner Ausstellung (2003) fasst sie den Weg der ersten Italienreise zusammen: „ Die Route führte Dürer über Innsbruck, Matrei, Brenner, Sterzing, Brixen, Klausen. Bei Salurn verließ er die Hauptstraße, die nach Trient führte und nahm den Weg über das Cembratal, Segonzano, Pergine nach Venedig“ (S. 53), und sie bekräftigt dies mit den topogra­ phischen Zuweisungen von Hoeninger und Rusconi (1936), Pappenheim (1939 und 1940), Passamani (1994, 1997,2002) und Leber (1988). Hiervon gehen auch die Autorin­ nen der Katalogbeschreibungen aus: Anne Röver-Kann (zu Kat.-Nr. III.6), Elena Filippi (zu Kat.-Nr. III.8) und Helene Grollemund (zu Kat.-Nr. III.9). Den Katalog beschließt eine umfangreiche Bibliographie, in der zwar Ludwig Grotes Buch „Hier bin ich ein Herr ...“ (1956) vorkommt (die Neuauflage 1998, im größeren Format, ist nicht genannt). Dürers vielzitierte Klage „O wy wirt mich noch der sunen friren. Hy pin Jch ein herr, doheim ein Schmarotzer etc“, aus seinem Brief von Venedig an Willibald Pirckheimer zu Beginn des Jahres 1507 ist nicht thematisiert. Ergänzend zur Reisetopogra­ phie sei auch auf die 2006 als Buch erschienene fotografische Wegbeschreibung „Auf den Spuren von Albrecht Dürer nach Italien“ von Herbert Liedei hingewiesen, der Dürers Reiseaquarellen seine Fotos von heute an die Seite stellt. Im Palazzo Albrizzi in Venedig waren sie 2006 auch in einer Ausstellung zu sehen sowie vom 19. Juli bis 23. September 2007 im Museum Industriekultur in der Tafelhalle in Nürnberg. Peter Zahn

Anna Scherbaum: Albrecht Dürers „Marienleben“. Form, Gestalt, Funktion und sozialhistorischer Ort. Mit einem Beitrag von Claudia Wiener (Gratia 42). Wiesbaden: Harrassowitz 2004. 399 S. mit 87 Abb. € 48,Die umfangreiche, aus einer 2002 an der Freien Universität Berlin vorgelegten kunst­ geschichtlichen Dissertation erwachsene und 2003 mit dem Wolfgang-Ratjen-Preis des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München ausgezeichnete Studie zählt zu den wichtigsten Publikationen der Dürerforschung der letzten Jahre. Ihr Gegenstand ist Dürers zum größeren Teil zwischen 1501 und 1505 entstandener und 1510 vervollstän­ digter, insgesamt 20 Holzschnitte umfassender Zyklus über das Marienleben, den Dürer 1511 zusammen mit einer lateinischen Mariendichtung aus der Feder des Mönches Benedictus Chelidonius (t 1521 in Wien) aus dem Nürnberger Benediktinerkloster St. Egidien wahrscheinlich unter Verwendung von Typen aus der Offzin des Hieronymus Höltzel im Eigenverlag veröffentlicht hat. Anna Scherbaum ist seit 2001 Mitheraus­ geberin des Werkverzeichnisses „Albrecht Dürer: Das druckgraphische Werk“, in des­ sen 2. Band (Holzschnitte und Holzschnittfolgen, bearb. von Rainer Schoch, Matthias Mende und Anna Scherbaum. München/Berlin u.a. 2002) auch das Marienleben beschrieben ist (S. 214-280, Einleitung von Anna Scherbaum S. 214-223). Die hier zu besprechende Publikation umfasst mehrere Teile: An die Einleitung mit einem knappen Überblick über die Forschung (1, S. 8-12) schließen sich ein verkleiner­ tes Faksimile der Buchausgabe des Marienlebens von 1511 in Wort und Bild (2, S. 14— 53) sowie eine vollständig kommentierte Edition und Neuübersetzung der 18 Elegien des Chelidonius an (3, S. 54-99), die beiden letzteren bearbeitet von der Münchner

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Literaturwissenschaftlerin Claudia Wiener. Im folgenden Untersuchungsteil finden sich eingehende Detailuntersuchungen zu den Holzschnitten Dürers (4, S. 100-115), zum Marienleben des Chelidonius (5, S. 116-129), zu den einzelnen Stationen des Marienlebens (6, S. 130-175), zur äußeren Gestalt und zum Adressatenkreis des Buches (7, S. 176-217) sowie zum sozialhistorischen Ort des Werkes (8, S. 218-245). Der Schlussteil beinhaltet eine kurze Zusammenfassung (9, S. 246-249), einen Exkurs über eine Mal-Anleitung zu einem Marienleben aus dem Nürnberger St. Klara-Kloster (10, S. 250-255), einen umfangreichen Bildteil (11, S. 256-319) sowie als Anhang (12) eine Transkription und Übersetzung des Mariengebets von Peter Danhauser (S. 321-322), eine Transkription der Mal-Anleitung aus dem Klarakloster (S. 323-330), das Abbil­ dungsverzeichnis (S. 331-336), Literaturverzeichnis (S. 337-393) und ein Register der Namen und ausgewählten Sachbegriffe (S. 395-399). Claudia Wieners Kommentar des Marienlebens des Chelidonius lässt sowohl die Orientierung an der benutzten Vorlage, der 1488 und 1499 im Druck erschienenen Parthenice Mariana des italienischen Karmeliten Giovanni Baptista Spagnoli von Man­ tua gen. Mantuanus (f 1516), als auch die Abweichungen von den tradierten Textquellen erkennen und weist zugleich darauf hin, an welchen Stellen der Text auf die Bedürfnisse der gemeinsamen Buchpublikation mit Dürer abgestimmt wurde. Während dieser seine Darstellungen nach der traditionellen Bildikonographie in der irdischen Welt ansiedelte, aktualisierte Chelidonius den Stoff in Anlehnung an Baptista Mantuanus in humanis­ tischer Weise und versetzte ihn in die Bildwelt antiker Mythologie. So erscheint Maria darin als nympha (Mädchen) und Christus als Phoebus (Apoll). Joachim, der Vater Marias, züchtet bei Chelidonius analog zu den antiken Grundbesitzern Rinder und nicht wie auf Dürers Holzschnitt Schafe (S. 126f.). Die Gestaltungsmittel Dürers wer­ den von Scherbaum vor dem Hintergrund zeitgenössischer Andachts- und Erbauungs­ bücher wie Stephan Fridolins 1491 gedrucktem Schatzbehalter oder dem Speculum Passionis bzw. dem Speculum Patientiae des Ulrich Pinder von 1507 bzw. 1509 und anderer Werke herausgearbeitet (S. 178f.). In Kap. 8 zeichnet Scherbaum den „sozialhistorischen Ort“ des Marienlebens im Hinblick auf Dürers Zugehörigkeit zum Nürnberger Humanistenkreis und im geisti­ gen Umfeld des Nürnberger Klosterhumanismus (S. 219-225). Die lateinische Dichtung des Chelidonius und die Widmung des Marienlebens an Caritas Pirckheimer, die Abtis­ sin des Klaraklosters, „lokalisieren das Buch“ nach Anna Scherbaum „im Kontext des Nürnberger Klosterhumanismus“ (S. 225). Ausgehend von einer zusammenfassenden Kurzdarstellung der Verehrung Marias und ihrer Mutter Anna im Humanismus sowie der Diskussion um die Unbefleckte Empfängnis würdigt Scherbaum Dürers Beitrag zu dieser Diskussion und wertet die Umarmung von Anna und Joachim unter der Golde­ nen Pforte als „Schlüsselszene zum Dürerschen Standpunkt innerhalb der aktuellen Diskussion“ (S. 241). Das von ihr im lateinischen Text und in Übersetzung wiederge­ gebene Mariengebet, das der Nürnberger Jurist Peter Danhauser 1498 von Wien aus Georg Pirckheimer, dem Prior der Nürnberger Kartause Marienzelle, und Sebald Schreyer, dem Kirchenmeister von St. Sebald, widmete, gilt Scherbaum als weiteres wichtiges Zeugnis für diese Auffassung im frühhumanistischen Freundeskreis der

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Reichsstadt (S. 240). Ergänzend sei hierzu vermerkt, dass sich Danhauser darin u.a. auf die Metamorphosen des Apuleius stützte, deren Kenntnis er Conrad Celtis verdankt haben könnte. Die von Joseph Baader bereits 1862 - allerdings ohne Angabe des Lager­ orts - veröffentlichte und nun von Scherbaum in überarbeiteter Form neu publizierte Mal-Anleitung zu einem Marienleben aus dem Klarakloster (Staatsarchiv Nürnberg, Reichsstadt Nürnberg, Kloster St. Klara, Akten und Bände, Nr. 12/1) bildet ein weiteres wichtiges Zeugnis der Marienverehrung in Nürnberg, speziell im Klarakloster unter Caritas Pirckheimer; es steht nach Scherbaum inhaltlich und zeitlich in der Nähe des Dürerschen Marienlebens (S. 251; in der zugehörigen Anm. 765 ist der fälschlich wie­ dergegebene Name von Frau Völker-Sahm in Schmidt-Fölkersamb zu korrigieren). Scherbaums Arbeit bietet neben einer neuen Gesamtsicht des Dürerschen Marienlcbens und der damit verbundenen Dichtung des Benedictus Chelidonius zahlreiche neue Ansätze zur Wertung des Nürnberger Humanismus im Ganzen wie im Einzelnen sowie zur künstlerischen Form und Ikonographie in Dürers Werk. Zu Benedictus Chelidonius sei abschließend auf den kürzlich erschienenen Artikel im Verfasserlexikon hingewiesen: Claudia Wiener, Chelidonius (Schwalbe; Hirundo, Musophilus), in: Deutscher Humanismus 1480-1520, Bd. 1, Fiefg. 2, Berlin/New York 2006, Sp. 427-439. Franz Machilek

Hartmut Scholz: Albrecht Dürer und das Mosesfenster in St. Jakob in Straubing. Berlin: Dt. Verl, für Kunstwiss. 2005. 24 S. mit zahlr. Abb. = Vorabdruck aus: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 59. 2005 € 9,80 Wie auch bei dem um 1490 von Michael Wolgemut für die ehemalige AugustinerEremiten-Kirchc St. Veit in Nürnberg geschaffenen Marienaltar - er kam etwa hundert Jahre später nach Straubing und heißt jetzt trotz der darauf zu sehenden Darstellung des östlichen Burgbereiches mit Fünfeckturm und Luginsland „Straubinger Altar“ - weist die Provenienz des Mosesfensters in der gleichen Straubinger St. Jakobskirche auf Nürnberg hin. Überzeugend berichtet der Autor Hartmut Scholz - selbst Mitarbeiter im For­ schungszentrum für mittelalterliche Glasmalerei „Corpus Vitrearum Medii Aevi“ in Freiburg/Br. - über die Ergebnisse einer im Vorfeld zum XXII. Colloquium der genannten Institution durchgeführten Besichtigung des Mosesfensters in der von Hans Stethaimer aus Landshut erbauten Hallenkirche St. Jakob in Straubing. Er legt damit eine längst überfällige Neubewertung des an der Schwelle zum 16. Jahrhundert ent­ standenen großflächig und monumental konzipierten Kunstwerkes vor, das die addi­ tiven Gestaltungsprinzipien in einem großartigen Entwurf überwindet und in der Strahlkraft der Farben noch überholt. Durch intensive Studien und Vergleiche der Stilmerkmale, insbesondere bei den Charakterköpfen und den Gewandfalten, weist Scholz nach, dass die bisherigen Zu­ schreibungen des Fensterentwurfes an den Maler Pleydenwurff nicht mehr haltbar sind.

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Die der Publikation beigefügten Abbildungen erlauben es dem Leser, selbst die Analo­ gien zu Dürers Apokalypse-Zyklus nachzuvollziehen und den Weg zu Albrecht Dürer als Entwurfsverfasser mitzugehen. Für die handwerkliche Umsetzung in der Glas­ malerwerkstatt benennt der Autor den Nürnberger Stadtglaser Veit Hirsvogel d.Ä. (1461-1525). Als Stifter des vierbahnigen und in sechs Zeilen auf uns gekommenen Fensters - die ehemalige Stifterzeile 1 und die Maßwerkverglasung fehlen - kommt die Straubinger Familie Ffaberkofer in Frage, deren früherer Kontakt zu Pleydenwurff schon die engen Verbindungen zum Kunstschaffen in der Reichsstadt Nürnberg dokumentiert. Eine von Scholz vorgeschlagene eingehende Glasmalereiforschung mit kunsthisto­ rischer Bearbeitung der weiteren Straubinger Bestände ist wünschenswert, die daraus resultierenden Ergebnisse sind mit Spannung zu erwarten. Georg Stolz

Dürers Mutter. Schönheit, Alter und Tod im Bild der Renaissance / SMB Kupferstich­ kabinett, Staatliche Museen zu Berlin. Von Michael Roth ... Berlin: Nicolai 2006. 191 S. mit zahlr. 111. € 39,90 Albrecht Dürer schuf am 19. März 1514 eine großformatige Bildniszeichnung seiner sterbenskranken Mutter in Kohle. Nur zwei Monate später verstarb Barbara Dürer im Alter von 63 Jahren. Seit 1504, zwei Jahre nach dem Tod ihres wesentlich älteren Man­ nes, hatte sie im Haushalt Albrecht Dürers gelebt. Sic hatte 18 Kinder zur Welt ge­ bracht, von denen nur drei das Erwachsenenalter erreichten. Beruflich hatte sic im Geschäft ihres Mannes und später in dem ihres Sohnes mitgewirkt. Das Bildnis zeigt schonungslos nüchtern die ausgezehrte Physiognomie der tod­ geweihten Babara Dürer. Zugleich vermittelt das private Blatt, das lebenslang in Dürers Besitz blieb und nie für die Öffentlichkeit bestimmt war, Sympathie und tief empfun­ dene Sohnesliebe. Wohl zum ersten Mal in der europäischen Porträtkunst stellte ein Künstler das Antlitz seiner alten Mutter in einem lebensgroßen Brustbild dar. Die stille Präsenz der vom Leben wie vom Tod gezeichneten Frau setzt auch beim Betrachter tiefes Mitgefühl frei. Von ähnlicher Außerordentlichkeit, Aussagekraft und Anteil­ nahme am Schicksal seiner Mutter ist Dürers Bericht über ihr frommes, christlich orien­ tiertes Leben und ihren schweren Tod im berühmten „Fragment seines Gedenkbuchs“. Auch diese zweite Quelle zu Barbara Dürer befindet sich heute in Berlin. Der 175. Geburtstag des Berliner Kupferstichkabinetts bot den Rahmen, das so ungewöhnliche wie herausragende Realporträt gemeinsam mit dem beredten Schrift­ stück erneut zu betrachten und interdisziplinär zu beleuchten. Über die vielfältigen inhaltlichen Aspekte der Zeichnung selbst interessierte auch die Klärung weiterreichen­ der Fragestellungen aus gerontologischer, kultur-, human- und medizingeschichtlicher Sicht, die mit dem Bildnis der Barbara Dürer in Verbindung gebracht werden können. Zu der Ausstellung, die vom 5. Mai bis zum 16. Juli 2006 im Berliner Kupferstich­ kabinett gezeigt wurde, entstand eine facettenreiche Publikation, die im Sinne einer

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MVGN 94 (2007) Kunst, Architektur Anthologie verschiedene Ansätze versammelt und anhand von ausgewählten Zeichnun­ gen und Graphiken von Zeitgenossen wie Hans Baidung Grien, Hans Holbein d.A. und Matthias Grünewald, aber auch von wichtigen Vorläufern wie Martin Schongauer die frühneuzeitliche Darstellung von Alter und Tod entfaltet. Mit diesem Band legt der Spiritus rector des Projektes, Michael Roth, seit 2001 Kustos der Sammlung deutscher Zeichnungen, Buchmalerei und Druckgraphik bis 1800 am Berliner Kupferstich­ kabinett, ein „wissenschaftliches Lese-Bilder-Buch“ (Schulze Altcappenberg) vor, das die privaten Zeugnisse zu „Dürers Mutter“ als Dreh- und Angelpunkte einer umfassen­ deren Betrachtung der Bedeutung von Schönheit, Alter und Tod an der Schwelle zur Neuzeit begreift. Der erste Essay des Bandes beschäftigt sich mit der Dargestellten selbst. BrittaJuliane Kruse gelingt es, aus den spärlich überlieferten historischen Eckpunkten eine anschauliche Biographie der Barbara Dürer zu weben, die dennoch mit alten Mythen Stichwort „Winklerstraße“ - aufräumt und beispielhaft für ein „weibliches Lebensmus­ ter“ am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit stehen kann. Kruse skizziert Wohnorte, Herkunft und Ausbildung, berufliche Tätigkeiten und Verpflichtungen von Barbara Dürer, ihre Geburten, Krankheiten und die Lebensumstände der Witwe im Haushalt ihres Sohnes und der Schwiegertochter Agnes. Als wichtige Quellen dienen ihr ein Brief Albrecht Dürers d.A. an seine Ehefrau aus Linz (24.8.1492), heute im Germanischen Nationalmuseum, und das „Fragment aus Dürers Gedenkbuch“, heute im Kupferstich­ kabinett Berlin, das Barbara Dürers Situation im Witwenstand und ihren schweren Tod beschreibt. Dieser Bericht befindet sich in vollständiger Transkription im Katalogteil (Kat. 2). Wolfgang Pirsig steuert einen ausführlichen Krankenbericht der „Mutter“ aus ärzt­ licher Sicht bei, indem er der schwerstkranken „Kachexie“, also Auszehrung, Kräfte­ verfall und schlechte Ernährung, diagnostiziert. Da Hunger als Ursache für die Kache­ xie ausscheidet, schlägt Pirsig vor, einen Krebs des Bauchraumes ausgehend von den Verdauungs- oder Genitalorganen in Erwägung zu ziehen. Pirsigs Gutachten berück­ sichtigt dabei nicht allein das Berliner Kohlebildnis der 63-Jährigen und autographische Notizen, sondern auch das Bildnis im Germanischen Nationalmuseum, das Barbara Dürer als etwa 38-Jährige wohl schwanger mit Sohn Hans zeigt, und ein Studienblatt mit Köpfen und Füßen aus der Albertina, auf dem er den Frauenkopf im Vordergrund mit der etwa 42-jährigen Barbara Dürer identifiziert. Zugleich belegt er, dass Dürer, obwohl medizinischer Laie, präzise anatomische Details beobachtete und zu Papier brachte. Die anschließende erste Katalogsektion (Kat. 1-11) präsentiert die zentralen Werke zu Barbara Dürer und einige Parallelerscheinungen. Aus medizinhistorischer Sicht erläutert nun Daniel Schäfer Konzepte von Seiten der Laien und der Mediziner, die im Spätmittelalter und zu Beginn der Neuzeit das Altern und seine Erscheinungen erklärten. Die gelehrte Medizin der Zeit begriff das Altern als einen physiologischen Zustand zwischen Gesundheit und Krankheit. Sie nahm im Rückgriff auf die griechisch-römische Antike an, dass das Altern eine Folge der Abnahme von Lebenswärme und innerer Feuchtigkeit sei. Medizinische Laien suchten dagegen mit praktischen Mittelchen gegen Altersleiden anzuwirken. Weiter

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen spielte das Alter eine Rolle in humanistischer und geistlicher Trostliteratur oder in Gedichten mit Katalogen von Altersleiden. Im folgenden Beitrag „Vom Sterben berichten. Aufzeichnungen Albrecht Dürers im Kontext der spätmittelalterlichen Autobiographie und der ars moriendi“ beschäftigt sich die Germanistin Heike Sahm mit dem Gedenkbuchfragment als Quelle für das spätmittelalterliche Sterbebrauchtum. Deutlich wird, dass Dürers ausführliche Auf­ zeichnungen eine Sonderstellung in der Geschichte der Selbstzeugnisse einnehmen. Sahm belegt weiter, dass die damals aufkommenden Sterbelehren keinen Mentalitäts­ wandel weg von der christlichen Lebensführung hin zu einer Konzentration auf ein heilswirksames Ende des Lebens begründeten: Für Dürer war nicht allein das Brauch­ tum zum Todeszeitpunkt ausschlaggebend, um sich eines „guten“ Todes für seine Eltern zu versichern, sondern insbesondere ihre stets einwandfreie, christliche Lebens­ führung und die Segnungen und Messen nach deren Tod. Die anschließende Katalog­ sektion (Kat. 11-34) zeigt Lebensalterzyklen, Todesallegorien, Bilderfolgen der ars moriendi und Beispiele vorbildhaften Sterbens aus der Heilsgeschichte. Fedja Anzelewsky spannt in seinem Beitrag über Dürers Suche nach Schönheit und seine Auseinandersetzung mit dem Hässlichen den Bogen zu einer Katalogsektion (Kat. 35-50), die Dürers Studien zur idealen menschlichen Figur, zu Kopf- und Gesichtspro­ portionierungen und deren Verzerrungen vorstellt. An Beispielen gezeigt wird weiter die Wirkung seiner Maßsysteme auf seine Schüler Baidung und Kulmbach. Die unterschiedlichen Rollenbilder, die im Spätmittelalter dem alten Menschen zuge­ wiesen wurden, und die Rolle, die sich daraus für sie in der spätmittelalterlichen Gesell­ schaft ablesen lässt, untersucht Ute Barbara Ullrich anhand zeitgenössischer Druck­ graphik. Nach einem antiken Topos, der das Alter als Lebensstadium der Weisheit und Würde, Unabhängigkeit, Charakterstärke und Glaubensfestigkeit preist, wurden in der Zeit um 1500 gerade betagte Protagonisten als vorbildhafte Biographien besonders ver­ ehrt. Einen regelrechten Boom erfuhr die Begeisterung für Mariens Mutter Anna, für den greisen Joachim, aber auch für Joseph oder berühmte Eremiten wie den hl. Hierony­ mus, der sich auch in Heiligenbildern niederschlug. Demgegenüber wurde geistigem und körperlichem Verfall auch Hohn und Spott entgegengebracht, wie zahlreiche satiri­ sche Druckgraphiken von ungleichen Paaren, triebhaften alten Bauern, alten Vetteln und Hexen belegen. Während die Darstellungen männlicher Greise vorwiegend positiv konnotiert sind, finden sich Bilder des weiblichen Alters seltener und meist mit nega­ tiver Bedeutung. Dies illustriert die anschließende Katalogsektion (Kat. 51-81). Michael Roth richtet den Focus wieder auf die Kohlezeichnung der Barbara Dürer. Roth verortet das Blatt im Kontext von Dürers Werk und erläutert es als eines von Dürers persönlichsten Werken, das als visueller Bestandteil von Dürers Familienchro­ nik und als Glaubensbekenntnis zu verstehen ist. Die nur scheinbar nüchterne, in Wirk­ lichkeit jedoch bewusst inszenierte Darstellung der ausgezehrten „Mutter“ und die familiengeschichtlich bedeutsame Beschriftung im oberen Teil der Zeichnung lassen das intime Trostblatt zu Lebzeiten schließlich zum Gedenkblatt ausschließlich der privaten Memorie werden.

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Einige der seltenen Bildnisse aus dem privaten Umfeld von Künstlern des 15. und 16. Jahrhunderts werden in den folgenden Katalognummern (Kat. 82-117) behandelt. Dazu kommen Bildnis- und Charakterstudien im Zusammenhang mit Gemälden Dürers, autonome Bildniszeichnungen und Repräsentationsporträts, Freundschafts- und Memorialbilder von Dürer und seinen Zeitgenossen. Die Brücke in die Gegenwart schlägt Magdalena Bushart, die exemplarisch an einzelnen Positionen des 19. und 20. Jahrhunderts unterschiedliche Sichtweisen auf „Dürers Mutter“ vorstellt. Lange dominierte die Diskussion um „schön oder nicht schön“ die Betrachtung. Erst mit Klaus Staecks Siebdruck in Plakatgröße mit dem Zu­ satz „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten“ (1971) wird die Darstellung der Barbara Dürer gesellschaftskritisch umgedeutet. Dieser Loslösung aus dem biographi­ schen Kontext bedienen sich bis heute Werbestrategen im Internet. Eine Lebenstafel von Barbara und Albrecht Dürer und das umfassende Literaturver­ zeichnis runden das Buch ab. Die Anthologie von Michael Roth leistet Außergewöhnliches. Die hervorragend zusammengestellte interdisziplinäre Analyse des Porträts von „Dürers Mutter“ ent­ wirft nicht nur das Lebensbild dieser alles anderen als uninteressanten „Nebenfigur der Kunstgeschichte“. Es gelingt eine spannende, ideologiefreie Sozialstudie zur Situation der Frau im Alter an der Schwelle zur Neuzeit. Roth belegt mit seiner Zusammenschau die verblüffend einfache Erkenntnis, dass ein Künstler von der Bedeutung eines Albrecht Dürers immer auch ein Chronist seiner Zeit ist, dessen Darstellungstiefe weit über das primär Gewollte hinausgeht. Gelingt es, sich in ein Werk zu vertiefen und sich gleichzeitig davon zu lösen, erschließen sich Lebenswelten. Hierin setzt das Buch einen neuen Maßstab im heute zeitgemäßen Umgang mit Dürers Meisterwerken. Anna Scherbaum

Das Albrecht-Dürer-Haus. Baugeschichte, Denkmalpflege, Künstlerhaus / Museen der Stadt Nürnberg. [Die Autoren: Matthias Exner ...] Nürnberg: Tümmel 2006. 66 S. € 9,50 mit zahlr. Abb. G. Ulrich Großmann / Franz Sonnenberger (Hg.): Das Dürer-Haus. Neuere Ergebnisse der Forschung (Dürer-Forschungen 1). Nürnberg: Verl, des Germanischen Nationalmuseums 2007. 288 S. mit zahlr. Abb. € 35,Obgleich das Dürer-Haus zu touristischen Aushängeschildern in Nürnberg zählt, wusste man bislang über die Baugeschichte des Gebäudes vergleichsweise wenig. Umso erfreulicher, dass die museale Umgestaltung und eine dringend notwendig gewordene Dachsanierung in den Jahren 1997 bis 2002 dazu genutzt wurden, diese Ikone des Nürnberger Bürgerhausbaus endlich auch bauhistorisch intensiver zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Bauforschung sind nun in zwei Publikationen zusammengetragen worden - zum einen in einem schmalen Bändchen, das der Hausherr, die Museen der Stadt Nürnberg, herausgegeben hat und zum anderen in einem opulenten, auch in der Gestaltung aufwändigen Werk, das zu einem großen Teil die Berichte einer Tagung im

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Germanischen Nationalmuseum zusammenfasst, die sich 2006 in einem weiten, nicht ausschließlich auf die Bauforschung bezogenen Sinne mit diesem Künstlerhaus beschäftigt hat. Ganz nachvollziehbar ist die Notwendigkeit gleich zweier, in raschem zeitlichen Abstand erschienener Publikationen zum gleichen Thema allerdings nicht, zumal manche Textpassagen des zuerst erschienenen Büchleins sich im darauffolgenden Tagungsband wortgleich wiederholen. Die Beiträge der von den städtischen Museen und der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung herausgegebenen Publikation sind von den gleichen Autoren in meist ausführlicheren Versionen alle auch im Tagungsband zu fin­ den - mit einer gewichtigen Ausnahme: Matthias M e n d e, ehemaliger Leiter der städti­ schen Grafischen Sammlung, blättert in einem ganz vorzüglichen Beitrag über die ver­ schiedenen musealen Präsentationen des Hauses seit dem frühen 19. Jahrhundert eine eindrucksvolle und gleichzeitig nachdenklich stimmende „Geschmacksgeschichte zweier Jahrhunderte“ (S. 49) auf. Mende zeigt, wie sich jede Epoche „ihren“ Dürer neu geschnitzt hat und wie sich Romantik, Historismus, Neue Sachlichkeit und der gesell­ schaftliche Umbruch der 1968er Zeit auch in der Gestaltung der Innenräume des Hau­ ses widerspiegelten. Dabei werden die Intervalle der Veränderung immer kürzer: Die vorletzte Neugestaltung, die aus dem Dürerjahr 1971 datiert, hielt gerade mal noch 25 Jahre vor. Einen Schwerpunkt der damaligen Präsentation stellte die Kunsttheorie Dürers dar - ein schwergängiges Thema, das heute im Zuge veränderter Sehgewohn­ heiten museal kaum mehr vermittelbar ist und demzufolge der letzten Erneuerung Ende 1997/98 zum Opfer fiel. „Zurück zu Dürer“ lautete das Motto dieser jüngsten Verän­ derungsmaßnahme - als ob alle vorangegangenen Präsentationen nicht auch ganz nah bei Dürer sein wollten, eben mit ihren ganz zeittypischen Ergebnissen. Immerhin hat das so genannte Wanderer-Zimmer, eine um 1875 von dem Maler und Professor an der Nürnberger Kunstschule Friedrich Wilhelm Wanderer (1840-1910) eingerichtete Kleine Stube, die verschiedenen Umgestaltungen halbwegs überlebt und befindet sich noch heute im Ersten Obergeschoss des Dürerhauses. Eine nachhaltige Veränderung bzw. Ergänzung stellt der 1971 fertiggestellte Anbau des damaligen Baureferenten Otto Peter Görl im Stil des betonsichtigen „Brutalismus“ dar, für Mende „ein geglücktes Bei-spiel von neuem Bauen in alter Umgebung“ (S. 48). Der gewissermaßen schon 1948 gezahlte Preis für diesen Neubau war allerdings hoch, denn ein durch den Krieg zwar schwer beschädigtes, aber keinesfalls gänzlich zerstörtes spätmittelalterliches Gebäude wurde damals abgebrochen und über 20 Jahre später durch den von Görl entworfenen Neubau ersetzt. Das kriegsgeschädigte Gebäude ist im Tagungsband in einer Nachkriegs­ aufnahme fotografisch abgebildet (S. 119). Im Mittelpunkt beider Publikationen stehen zweifellos die Beiträge zur Baufor­ schung, die von dem Restaurator Claus Giersch alleine (in der Publikation der städt. Museen) bzw. in Kooperation mit seinem Bruder, dem Bauhistoriker Robert Giersch, verfasst worden sind (im Tagungsband). In farbig angelegten Bauphasenplänen wird die vielschichtige Baugeschichte des Hauses von den Autoren förmlich zerlegt, wobei merkwürdigerweise im kleinen Band wesentlich mehr Pläne (Ansichten, Grundrisse) abgebildet sind als im ausführlichen Tagungsband. Manche Farben in diesen Baupha-

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senplänen erscheinen allerdings zu wenig differenziert, so dass es Mühe macht, sie ein­ zelnen Bauphasen zuzuweisen. Die Bauphasenpläne stehen im Kontext einer archivalischen Forschung, die vor allem hinsichtlich der älteren Geschichte auf umfangreiche Vorarbeiten zurückgreifen konnte, u.a. auch von Karl Kohn, einem profilierten Vertre­ ter der archivalischen Hausforschung in Nürnberg. Eindeutig übersichtlicher ist die Darstellung der Baugeschichte im kleinen Band, chronologisch klar gegliedert werden die entsprechenden Baumaßnahmen erläutert: Beginnend mit dem schon länger bekannten, dendrochronologisch ermittelten Bau­ datum 1418 über den 1503 datierten einschneidenden Umbau durch den Kaufmann und Astronom Bernhard Walter (Dachgeschossausbau, wohl auch Ersetzen der Fachwerk­ konstruktion durch Quadermauerwerk im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss) und die Einrichtung einer Schmiedewerkstatt 1541 bis hin zu den umfassenden Veränderungen ab dem 19. Jahrhundert, als die Dürer-Verehrung mit allen im erwähnten Beitrag von Matthias Mende dargelegten Konsequenzen in dem Gebäude verortet wurde. Die aufschlussreichsten Ergebnisse der Bauforschung erzielte man durch die genaue Untersuchung der Farbfassungen an Wänden und Decken. Hierbei hat man als Erst­ fassung der Decken im zweiten Obergeschoss eine so genannte braune Bisterlasur fest­ stellen können, eine leimgebundene Lasur aus Holzruß, die in jedem Fall ins 15. Jahr­ hundert zu datieren ist und in den letzten Jahren auch an zahlreichen anderen Gebäu­ den in Franken und darüber hinaus befundet werden konnte. Um 1500, im Zusam­ menhang mit dem Umbau durch Bernhard Walter, lassen sich ockergelbe Fachwerkund Deckenfassungen nachweisen - auch das ein bemerkenswerter Befund, da derart frühe Gelbfassungen vor nicht allzu langer Zeit noch gar nicht für möglich gehalten wurden: In seiner Habilitation über die Farbigkeit im Fachwerkbau hat Johannes Cramer noch konstatiert, dass die farbige Gestaltung von Fachwerkbauten im gesamten süddeutschen Raum an der Wende zur Neuzeit mit roter Balkenfassung beginnt. Gelb folgt auf Rot: Das war die lange Zeit gültige Formel für die zeitliche Farbabfolge am Fachwerk. Im Dürerhaus stehen Rot und Gelb schon früh nebeneinander. Ins 16. Jahrhundert lässt sich eine maltechnisch imitierte Holzmaserung als Decken­ fassung nachweisen. Erst jüngst sind in einem Bad Windsheimer Bürgerhaus ganz ähn­ liche, ebenfalls ins 16. Jahrhundert zu datierende Befunde an Wandbohlen gemacht worden - sogar in Tapetenform! Trotz der beachtlichen Befunddichte bleiben noch viele Fragen offen, auch und gerade hinsichtlich des Nutzungsprogramms. Beispielsweise ist der Küchenstandort im Südwesten des 1. Obergeschosses völlig unerklärlich, er steht in keinem Zusammenhang mit der im Nordosten verorteten Stube und doch sind im Bürgerhaus- und Bauernhaus­ bau Küche und Stube durch den Ofen- und Kaminstandort räumlich eng miteinander verknüpft. Auch konnte die Frage nach einer ehemaligen Malwerkstatt im Haus nicht eindeutig geklärt werden - aufgrund der Räumlichkeiten und ihrer Erschließung zwei­ feln die Autoren ihre Existenz eher an. Wie überhaupt die Dürerzeit kaum bauliche Spuren am Haus hinterlassen hat: Dürer hat das Gebäude 1509 als frisch renoviertes und umgebautes Gebäude erworben und sah offenbar keine Veranlassung zu größeren Ver-

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änderungen. Einzig 1527 werden mit der Bestrafung Dürers wegen eines vorschrifts­ widrigen Abtrittanbaus Veränderungen am Gebäude aktenkundig. Eingebettet ist der Beitrag der Gebrüder Giersch zum Dürerhaus im Tagungsband durch eine Uberblicksdarstellung von Konrad Bedal zu „Stuben und Wohnräume im süddeutschen Bürgerhaus des späten Mittelalters“, eine Erläuterung von Matthias Exner über das Instandsetzungskonzept des Dürerhauses und einen Abriss der For­ schungsgeschichte des Dürer-Hauses durch Ulrich Klein, der überzeugend darlegt, dass vor den 1990er Jahren kaum Forschung zum Dürer-Haus stattgefunden hat: „Statt dessen dominierten Mutmaßungen und Projektionen“ (S. 120). Anja Grebe setzt sich kritisch mit der „Dürerwerkstatt“ auseinander, die es nach ihren Erkenntnissen im Sinne einer über einen längeren Zeitraum konstant arbeitenden Ausbildungs- und Pro­ duktionsstätte unter Führung eines Meisters nicht gegeben hat. Daniel Hess und Tho­ mas E s e r fragen in einem äußerst kurzweiligen Beitrag nach der Örtlichkeit von Dürer künstlerischer Arbeit und entmystifizieren das Dürer-Haus gehörig. Sie lenken den Blick mehr auf das heute zerstörte Vaterhaus in der Oberen Burgstraße, dem im Hin­ blick auf den Ort der künstlerischen Arbeit Dürers mehr Bedeutung zukommt. Aufge­ räumt wird hier auch mit der Legende von „Dürers Reißfeder“, die 1826 beim Umbau des Dürer-Hauses entdeckt wurde: Diese „Reliquie“ lag wohl nie in Dürers Händen, sondern stammt sehr wahrscheinlich erst aus dem 17. Jahrhundert - eine Erkenntnis, die im kurz zuvor erschienenen kleinen Band der städtischen Museen noch nicht durch­ gedrungen ist, denn da wird auf S. 61 im Beitrag von Jutta Ts c h o e k e die Reißfeder noch in die „Zeit um 1500“ datiert und erklärt, dass „vermutlich Albrecht Dürer dieses Gerät benutzt [hat]“. Dirk de Vries zieht Vergleiche zwischen dem Dürer-Haus und dem RembrandtHaus in Amsterdam, in dem der berühmte Maler von 1639 und 1658 gewohnt hat. Wie das Dürer-Haus ist auch das Rembrandt-Haus vor einigen Jahren neu gestaltet worden und weist einen modernen Museumsanbau auf. Die restlichen vier Beiträge haben mit dem Dürer-Haus direkt nichts mehr zu tun, sondern stellen neuere Beiträge zur Dürer-Forschung dar: In dem Aufsatz von Ramona Braun und Anja Grebe geht es um Dürers Basler Buchholzschnitten. Simon O a k c s befasst sich mit „Dürers Antwort auf die Renaissance-Architektur Venedigs“ und Daniel Burger thematisiert den Einfluss Dürers auf den deutschen Festungsbau des 16. Jahrhunderts. G. Ulrich Großmann zieht die Bauforschung heran, um die Datie­ rung der bislang für den Zeitraum 1494/95 angenommenen ersten italienischen Reise zu korrigieren: Dürer erfasst auf seiner Ansicht von Innsbruck auch das eingerüstete Dach des so genannten Wappenturms, der 1494 abgebrannt war und sich zum Zeitpunkt der Präsenz Dürers in Innsbruck im Wiederaufbau befand. Vor Sommer 1496 kann Dürer den Wappenturm in diesem Zustand nicht gesehen haben, so dass die Italienreise ent­ sprechend später zu datieren ist (1496/97 [vgl. hierzu aber auch die Rezension von Martin Hirsch zu Anja Grebe, Albrecht Dürer. Künstler, Werk und Zeit, S. 338]). Der Tagungsband sei jedem empfohlen, der sich intensiv mit der Geschichte des Gebäudes und mit neuen Fragestellungen der Dürer-Forschung befassen will. Wen

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ausschließlich die Baugeschichte und die Geschichte der musealen Nutzung interessiert, der ist auch mit dem kleinen Band bestens bedient. Herbert May Lorenz Stoer: Geometria et perspectiva. Corpora regulata et irregulata (Handschrift Cim. 103 der Universitätsbibliothek München). 454 kolorierte geometrisch-perspek­ tivische Zeichnungen des 16. Jahrhunderts mit einer Einleitung von Wolfgang Müller und einem Essay von Christopher S. Wood (Meisterwerke der Buchillustration). Erlangen: Fischer 2006. 1 CD-ROM. € 88,Zu den eindrucksvollsten Dokumenten des deutschen Manierismus gehören die auf den ersten Blick rätselhaft wirkenden Holzschnitte und Zeichnungen des Lorenz Stoer, die noch heute - 400 Jahre nach ihrer Entstehung - eine große Faszination ausüben. Zentrales Werk des Augsburg-Nürnberger Künstlers, der sich selbst als Maler bezeichnete, über dessen Biografie jedoch nur wenig mehr als einige Eckdaten bekannt sind, ist die 1567 in Augsburg veröffentlichte Schrift „Geometria et perspectiva“. Die elf Holz­ schnitte des ohne Text verfassten Büchleins zeigen perspektivisch-geometrische Körper in phantastischen Ruinenlandschaften. Stoer zählt neben den beiden Goldschmieden Wenzel Jamnitzer und Hans Lencker zu jenen Künstlern des 16. Jahrhunderts, die sich intensiv mit den Möglichkeiten von Geometrie und Perspektive auseinandersetzten. Fast gleichzeitig veröffentlichten die drei Künstler jeweils Musterbücher mit geome­ trischen Darstellungen: So erschien ebenfalls im Jahre 1567 die „Perspectiva Literaria“ von Lencker und ein Jahr später Jamnitzers „Perspectiva Corporum Regularium“. Auch wenn der Verwendungszweck solcher Schriften von der Kunstwissenschaft letzt­ endlich noch immer nicht geklärt ist, so lässt sich doch feststellen, dass die Blätter häufig von Möbelschreinern als Vorbilder für ihre Intarsienarbeiten hcrangezogen wurden, wie zahlreiche aus Süddeutschland stammende Schränke, Truhen und Schmuckkäst­ chen des ausgehenden 16. Jahrhunderts belegen. In diesem Kontext ist auch die nun auf CD-ROM vorliegende, 336 Blätter umfas­ sende Handschrift entstanden, die sich in der Universitätsbibliothek München befindet (Signatur: Cim. 103). Unter dem Titel „Geometria et perspectiva: Corpora regulata et irregulata“ stellte Lorenz Stoer auf seinen 454 Zeichnungen in immer neuen Konstella­ tionen und Variationen regelmäßig durchgebildete sowie unregelmäßig geformte stereometrische Körper zusammen - und dies über einen Zeitraum von etwa vierzig Schaffensjahren hinweg, ohne dabei je seinen künstlerischen Stil zu ändern. Dabei ging es ihm nicht darum, eine Zeichenanleitung für Polyeder oder ein Vorlagenbuch zu verfassen, vielmehr dienen die Darstellungen dem reinen Selbstzweck. Gerade darin liegt auch ihre für den modernen Betrachter reizvolle Wirkung begründet. Ihre Fort­ setzung fanden solche geometrisch-perspektivischen Werke erst wieder im 20. Jahrhun­ dert in den surreal anmutenden Zeichnungen des Niederländers Maurits Cornelis Escher, auch er ein Meister der projektiven Geometrie, sowie den Künstlern des russi­ schen Konstruktivismus und des Kubismus. Die CD-ROM-Edition aus dem Erlanger Harald Fischer Verlag stellt diese bislang nahezu unbekannte Handschrift Stoers erstmals vor. Sie beinhaltet alle 454 kolorierten

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Handzeichnungen der Handschrift. Von einem Titelblatt ausgehend kann sich der Leser den ausführlichen Einleitungsaufsatz von Wolfgang Müller, den englischsprachigen Essay von Christopher S. Woods oder die einzelnen Blätter der Handschrift auf den Bildschirm holen. Die wissenschaftliche Einführung von Müller behandelt zunächst Person und Leben des Künstlers, der um 1530 in Nürnberg geboren und 1599 in der Stadt verstorben, ab 1557 auch in Augsburg wirkte. Im Kapitel zu Tätigkeit und Werk hat Müller alle Zeichnungen und Stiche, die von Stoer bislang bekannt sind, zusam­ mengetragen, wobei er ausführlich auf die Ruinenlandschaften eingeht, die bislang als sein Hauptwerk galten. Im Anschluss erläutert der Autor die Darstellungen geome­ trischer Körper bei Lorenz Stoer und lässt dann eine ausführliche inhaltliche Beschrei­ bung der Handschrift folgen, in der er auf die verschiedenen Typen der stereometri­ schen Körper eingeht und sie analysiert. Schließlich würdigt er in aller Kürze die Hand­ schrift selbst, die „ein eher theoretisches Interesse (...) an Fragen der Perspektive und geometrischer Körper sichtbar“ werden lässt, denn die zu teilweise hochbizarren Poly­ edern arrangierten Gebilde waren im Gegensatz zu den Holzschnitten mit den Ruinen­ landschaften wohl kaum als Vorlagen für die Kunsthandwerker des 16. Jahrhunderts geeignet. Die eigentliche Würdigung des Künstlers und seines Schaffens leistet dann der wissenschaftliche Essay von Christopher S. Woods, Yale University/USA, der auf einem 1997 gehaltenen Vortrag basiert und erstmals 2003 in der Zeitschrift „History of Art“ abgedruckt wurde. Wood ist einer der ersten, der sich - sicht man von der 1996 veröffentlichten Magistcrarbeit von Dorothea Pfaff ab - intensiver mit Lorenz Stoer befasste. Er stellt den Künstler und sein Werk im Kontext der Perspektivtheorie des 16. Jahrhunderts vor und zeigt seine Stellung im Umfeld der kunst- und perspektivtheoreti­ schen Arbeiten von Albrecht Dürer, Wenzel Jamnitzer, Hans Lenckcr und Vredcman de Vries. Dabei befasst er sich intensiv mit der praktischen Anwendung solcher Darstel­ lungen für das Schaffen von Schreinern und Intarsienkünstler. Mit der Funktion Übersicht gelangt man schließlich zu den einzelnen Blättern der Handschrift, die auf vier Übersichtstafeln zusammen mit dem Titelblatt und dem Buch­ einband angeordnet sind. Hier kann man nun per Mausklick jedes einzelne Blatt nach und nach durchsehen und dabei in der Handschrift wie in einem aufgeschlagenen Buch vor- und zurückblättern. Zudem können auch einzelne Details der Zeichnungen herangezoomt werden - ein optischer Genuss nicht nur wegen der phantasievollen Formen der stereometrischen Körper, sondern vor allem aufgrund der ausgesprochenen Farben­ lust, mit der der Künstler die einzelnen Teilflächen koloriert hat. Die CD-ROM ist ein typisches Produkt des Harald Fischer Verlags, der sich auf die Herausgabe historisch bedeutsamer Literatur auf Mikrofiche und CD-ROM speziali­ siert hat. Ergänzt durch eine wissenschaftliche Einleitung und den klugen Essay ist sie eine für die Arbeit des Kunsthistorikers und Manierismus-Forschers unerlässliche und auch äußerst praktische Publikation, jedoch weniger ein Werk, mit dem Kunstliebhaber oder Sammler angesprochen werden sollen. Systemvoraussetzung für die Nutzung der CD-ROM ist ein PC mit Windows 95 und 98 mit 8 MB RAM, Windows NT und 2000 mit 16 MB RAM oder PowerMac mit

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16 MB RAM; CD-ROM-Laufwerk und Farbmonitor mindestens 15” und mit 16 Millionen Farben. Ruth Bach-Damaskinos

Romantische Entdeckungen. Johann Adam Klein 1792-1875. Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafik. Ausstellung im Stadtmuseum Fembohaus Nürnberg 28. Juli bis 26. November 2006 / Hg. Museen der Stadt Nürnberg, Grafische Sammlung Jutta Tschoeke. Nürnberg: Tümmel 2006. 348 S. mit zahlr. Abb. € 28,90 Aus Anlass des 200-jährigen Jubiläums der Eingliederung Nürnbergs in das König­ reich Bayern würdigt der umfangreiche Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Fembohaus Nürnberg von Juli bis November 2006 Werke des Malers, Zeichners und Radierers Johann Adam Klein, der Zeitzeuge der politischen Ereignisse von 1806 war, als Nürnberg seine Selbständigkeit verlor und bayerische Provinzstadt wurde. 1792 in Nürnberg geboren, gehörte Klein zusammen mit seinen Künstlerfreunden Johann Christoph Erhard und Georg Christoph Wilder zur jüngeren Generation der roman­ tischen Künstler. In 100 Katalognummern werden chronologisch Aquarelle, Zeichnungen und Ge­ mälde, vor allem aus den umfangreichen städtischen Sammlungsbeständcn, abgebildet und beschrieben. Einige neue Aspekte für den Ausbildungsgang des jungen Klein bei Ambrosius Gabler geben frühe Zeichnungen aus der Privatsammlung Sepp Schleicher, darunter Kopien nach Stichen von Ridinger, Kostümstudien, Skizzen vor der Natur und auf Märkten. Kleins umfangreiches und in Sammlerkreisen populäres druckgra­ phisches (Euvrc wird meist nur am Rande besprochen, bilden doch die aus konservatorischen Gründen nur selten ausgestellten Aquarelle und Zeichnungen einen intimeren Zugang zum facettenreichen künstlerischen Werdegang Kleins. Die Katalogaufsätze von Ruth Bach-Damaskinos, Ursula Kubach-Reutter, Barbara Legal, Martin Schabenstiel, Ulrike Swoboda und Jutta Tschoeke behan­ deln wichtige Einzelaspekte von Leben und Werk des Künstlers. Matthias Mende gibt am Ende einen Überblick zum Stand der Johann Adam Klein-Forschung, ergänzt durch eine Bibliographie. Abgedruckt sind außerdem zwei wichtige autobiographische Quel­ len. Das „Tagebuch reisender Künstler im August 1810“ beschreibt die Reise Kleins zusammen mit den Brüdern Johann Christoph Jakob Wilder und Georg Christoph Wilder nach Bamberg und Pommersfelden. Die „Handschriftliche Autobiographie aus dem Jahr 1833“ ist mit einigen interessanten persönlichen Bildzeugnissen illustriert. Seit dem Erscheinen von Renate Freitag-Stadlers ausführlichem städtischen Be­ standskatalog zum 100. Todestag Kleins 1975 sind nur kleinere Ausstellungskataloge zu Einzelaspekten des Werks von Johann Adam Klein herausgegeben worden. In der Zwischenzeit fanden umfangreiche Einzelausstellungen in Nürnberg statt, die Arbeiten seiner Künstlerfrcunde Georg Christoph Wilder in der Ausstellung „Nürnberg zur Zeit König Ludwigs I. von Bayern“ 1986 im Stadtmuseum Fembohaus und „Der Zeichner Johann Benjamin Erhard“ 1996 im Germanischen Nationalmuseum, beide in ausführ­ lichen Katalogen beschreiben. Der hier vorliegende Ausstellungsband „Romantische

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Buchbesprechungen

Entdeckungen“ leistet eine umfassende kunsthistorische Würdigung vor allem des Zeichners und Malers Johann Adam Klein, der in seiner Heimatstadt auch heute noch von Sammlern besonders geschätzt wird. Edith Luther

Maximilian Rosner: Die frühen Ansichtskarten der Kunstanstalt Schemm. Ein Werkbuch zur Geschichte der Hersteller und Verlage von Ansichtspostkarten (Materia­ lien zur Geschichte des Sammelns von Ansichtspostkarten 4). Nürnberg: Selbstverl. des Autors 2007. 68 S. mit zahlr. Abb. € 12,Seit Maximilian Rosner, früher historisch versierter Abteilungsleiter im Stadtpla­ nungsamt Nürnberg, in den Ruhestand gewechselt ist, scheint ein erheblicher Teil der freigewordenen Energien wieder seinem alten Hobby, dem Sammeln von Ansichts­ karten und anderen historischen druckgraphischen Erzeugnissen, zuzufließen. Als einer der ersten professionellen Sammler der Stadt begann Rosner die ganze Breite der Nürnberger Ansichtskartengeschichte zu erforschen, die Früchte zeigten sich nicht nur in einer großen Sammlung, die in die vom Stadtarchiv Nürnberg erworbene Sammlung Quast eingegangen war, sondern die auch in zwei wichtigen Ausstellungsbeteiligungen des Archivs sichtbar wurde. Jetzt scheint eine aus der Sammelleidenschaft hinausgrei­ fende Ernte in Gang zu kommen. Nach einer ersten, recht intensiven Beschäftigung mit den „frühen Ansichtskarten mit Stahlstichen von Franz Rorich in Nürnberg“ (Rorich galt lange Zeit als Erfinder der Ansichtskarte überhaupt, was Maximilian Rosner schon vor einigen Jahren widerlegte) folgt nun eine schön gemachte Broschüre zu den frühen Ansichtskarten der Kunstanstalt Franz Schemm, eine der bedeutenden lithographischen Anstalten in Nürnberg um 1885 und einer der fünf frühen Produzenten von Andenken­ graphik und Ansichtskarten in der Stadt. Rosners Broschüre präsentiert - gut belegt die Entwicklung der frühen Ansichtskarten (Vorläuferkarten) der 1871 gegründeten Kunstanstalt aus den älteren Städte-Leporellos der Druckerei in der Deutschherrn­ straße. Vorgestellt werden nicht nur die Karten für Nürnberg, sondern auch für Regens­ burg, Bamberg und Augsburg. Der Verfasser bietet damit eine vor allem für Sammler wichtige Katalogisierung. Interessant und besonders reizvoll sind aber auch die beige­ gebenen farbigen Reproduktionen der in den 1890er Jahren erscheinenden Farblithokarten, die auch für Orte in anderen europäischen Ländern gedruckt wurden. Ein Ausblick auf ähnliche, kleinere Nürnberger Produzenten dieser Zeit wie Georg Brun­ ner oder Julius Schmidt runden die medienhistorisch und für die Nürnberg-Präsenta­ tion dieses Zeitraums interessante Darstellung ab. Die Broschüre kann beim Verfasser (0911/482356) erworben werden. Helmut Beer

Immo Boyken / Kurt Grimm: Otto Ernst Schweizer - Milchhof, Nürnberg (Opus 59). Stuttgart/London: Ed. Menges 2006. 59 S. mit überw. Abb. € 36,Nicht zufällig widmet Immo Boyken, Professor für Baugeschichte und Architektur­ theorie mit Schwerpunkt der Architektur des späten 19. und 20. Jahrhunderts in Kons­ tanz, gerade jetzt den aktuellen Opus-Band dem 1931 erbauten Milchhof in Nürnberg.

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Denn dem eigentlich denkmalgeschützten Betriebsgebäude, einem Prototyp des Stahl­ betonbaus und Klassiker der Zweckarchitektur der Weimarer Republik, droht nach jahrelanger Verwahrlosung der Abriss wie bereits in den 1960er Jahren die Tankstelle, „eine Inkunabel für den beherrschten Stahlbetonbau “ (S. 26), abgebrochen wurde. Allein das Verwaltungsgebäude, „respektabel saniert “ (S. 26) und umgenutzt, gilt seit 1999 als gerettet. Durch den Verfall des langgestreckten Wirtschaftstraktes mit markan­ tem Faltdach steht nun der Verlust des bedeutendsten noch existierenden Industriebau­ werks Schweizers bevor. Ein ähnliches Schicksal erfuhren schon die Stadionbauten, deren Reste erst vor wenigen Jahren „in eine staksige Neubaumasse integriert“ (S. 26), als Baudenkmal praktisch nicht mehr wahrzunehmen sind. Als lobenswertes Gegenbei­ spiel für Nürnberg führt Boyken immerhin die gelungene Sanierung der Lungenheil­ stättejohannisheim an. Boyken, ein ausgewiesener Kenner des Architekten und Städteplaners Otto Ernst Schweizer (1890-1965), widmet sich im Textteil in deutscher und englischer Sprache ausführlich Schweizers Gesamtwerk und dessen logischer, geradliniger und funktions­ orientierter Formensprache. Zu seinen prominentesten Werken gehören neben den Nürnberger Arbeiten etwa der Erweiterungsbau des Reichsbankgebäudes in Berlin, das Freiburger Kollegiengebäude, das Stadion im Wiener Prater, aber auch städtebauliche Entwürfe z. B. für Bonn und Stockholm. Auf der Suche nach grundsätzlichen Lösungen für die Menschen, deren Wohnumfeld, Arbeitsstätten und Erholungsräume betrachtete Schweizer einzelne Gebäude als Teile einer auf die Landschaft gerichteten Gesamt­ anlage. ln Nürnberg, wo Schweizer 1925 bis 1929 in leitender Funktion im Hochbau­ amt tätig war, fand diese Vision der Verbindung von Architektur und Landschaft etwa Ausdruck im Stadionbau am Dutzendteich. Damit sowie mit dem von den National­ sozialisten abgerissenen Planetarium, dem Anbau des Arbeitsamtes oder der Lungen­ heilstätte Johannisheim erlangte er internationales Renommee, und die Stadt Nürnberg verlieh mit den modernen kommunalen Zweckbauten dem politischen und gesellschaft­ lichen Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg Form und Gestalt. Bis heute zählen Schweizers Nürnberger Arbeiten zu den herausragenden Zeugnissen öffentlichen Bauens seiner Zeit. Nach erzwungener Untätigkeit nach 1933 gehörte Schweizer - darin folgt Boyken Paul Zucker - der Elite jener Architekten an, die das Bauen im Nachkriegsdeutschland maßgeblich mitbestimmt haben. Denn Schweizer sei als einer der wenigen älteren Architekten fähig gewesen, seinen eigenen Stil weiterzuentwickeln (S. 8). Offenbar und das blendet Boyken aus - gelang ihm dies jedenfalls in Nürnberg nicht mehr. Denn dort scheiterte er 1956 im städtebaulichen Ideenwettbewerb für Langwasser mit einem Entwurf, der sich anscheinend allzu sehr an seinem in den 1920er Jahren eingereichten Bebauungsvorschlag für die Trabantenstadt orientiert hatte. Das Preisgericht begrün­ dete seine deutliche Ablehnung mit der mangelhaften Durchgestaltung der Grünflä­ chen. Möglicherweise entsprach Schweizers Prinzip, das Gebaute zu konzentrieren und dadurch ein Höchstmaß an Weite unangetasteter Landschaft zu erhalten, nicht mehr dem Verständnis modernen Städtebaus der 1950er Jahre.

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Die angemessene Zuordnung des Gebauten zur Natur zählte auch im Falle des 1929 bis 1931 entstandenen Milchhofs, der die raumdefinierende Folie für die Wiesen der Pegnitzauen bilden sollte, zu den Leitlinien der Planung. Bestechend einfach im Grund­ riss und ohne modischen Tand verlieh das Ensemble des Milchhofes dem bis dahin wir­ ren Vorstadtgebiet architektonische Festigkeit. Neben dem Verwaltungsgebäude als Kopfbau markieren der hohe Schornstein mit Aussichtsplattform und das trapezför­ mige Faltdachtragwerk des Wirtschaftsgebäudes die Hauptkomponenten des Gesamt­ ensembles. Spätestens im Bildteil macht das große Buchformat des schmalen, leinengebundenen Bandes Sinn. Denn Boyken entschlüsselt Schweizers Konstruktionslogik und Gestaltungsprinzipen anhand zahlreicher Pläne und Abbildungen in schwarzweiß. Die unda­ tierten Photographien des Milchhofs von Kurt Grimm entstammen offensichtlich alle­ samt der Rohbauphase und sind mit raumerklärenden Bildunterschriften versehen. Lei­ der liefert Boyken keinerlei Information zu dem in Nürnberg ansässigen Photographen, mit dessen Arbeiten bereits der Bau- und Kunsthistoriker Justus Bier einen Band zum Werk Otto Ernst Schweizers illustriert hat. Grimms Photos sind verblüffend zeitlos und dokumentieren den Neubau mit z. T. ungepflasterte Zufahrtswegen, blanken, noch feuchten Betondecken und -wänden sowie staubigen Glasfassaden. Ebenso unprä­ tentiös wie Schweizer baute, setzte Grimm dessen Werk kongenial und nahezu ana­ chronistisch in Szene. Denn seine nüchternen Schwarzweiß-Aufnahmen verleihen der einst größten Milchversorgungsanlage Europas kurz vor ihrer Inbetriebnahme fast morbiden Charakter. Der im Rahmen eines Forschungsprojektes zur neueren Architekturgeschichte ent­ standene Band wurde vom Institut für Angewandte Forschung an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz unterstützt. Damit ist nicht nur ein gleichfalls für Laien verständliches Architekturbuch gelungen, sondern auch ein unauf­ dringliches, aber überzeugendes Plädoyer für den Erhalt des Milchhofs als Kulturerbe. Martina Bauernfeind Kultur, Sprache, Literatur, Musik Stephen Brockmann: Nuremberg. The imaginary Capital (Studies in German literature, linguistics and culture), Rochester, NY: Camden House 2006. XII, 345 S. mit 32 Abb. € 66,95. Es ist nicht leicht, den Titel des Werkes ins Deutsche zu übersetzen: „Die imaginäre Hauptstadt“ trifft seine Bedeutung nicht, „Die eingebildete Hauptstadt“ schon gar nicht, am besten ist wohl noch „Die symbolische Hauptstadt“. Gemeint ist: Wie andere symbolische Städte, wie Venedig, Timbuktu, Heidelberg, Rothenburg o.d.T. oder Pots­ dam, existiert Nürnberg auf zwei Ebenen, von Brockmann als Nürnberg(l) und Nürn­ berg^) bezeichnet, der Ebene der realen Stadt und der Ebene des Traumes, und beide Ebenen ändern sich in Wechselwirkung miteinander, auch wenn sie andererseits er­ staunlich unabhängig voneinander existieren können. Nürnberg als die bedeutendste und wirkungsmächtigste der mythischen deutschen Städte und zugleich als die Stadt,

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MVGN 94 (2007) Kultur, Sprache, Literatur, Musik deren Bild die häufigsten und heftigsten Brüche erfahren hat, sei im Laufe dieser Geschichte die symbolische Hauptstadt Deutschlands geworden. Ziel Brockmanns ist es, am Beispiel dieses Nürnberg(2) die Geschichte der deutschen Seele (oder: der deutschen Ideologie - mit erfrischender Unbefangenheit benutzt Brockmann beide Wendungen) und damit auch die Funktionsweise des Mythos allgemein zu untersuchen. Brockmann beginnt mit Nürnbergs Blütezeit im 15. und 16. Jahrhundert. Diese bildet die reale Grundlage des späteren Nürnberg-Bildes, mit den Städtelobtexten der Meistersinger und Humanisten aber auch die Zeit des beginnenden Nürnberg(2). Das 18. Jahrhundert brachte einen ersten Bruch in der Geschichte des Nürnberg-Bildes: Den Aufklärern galt die stagnierende Reichsstadt nicht mehr wie den Humanisten als vorbildlich, sondern als hässlich. Den ersten großen Höhepunkt von Nürnberg(2) brachte die romantische Entdeckung Nürnbergs. Mit ihr begann nicht nur die deutsche Romantik selbst, sondern mit ihr nahm Nürnberg(2) erstmals bedeutenden Einfluss auf die europäische Geistesgeschichte. Sehr differenziert behandelt der Autor die Entwick­ lung des romantischen Nürnberg-Bildes, seine unterschiedlichen ideologischen Facet­ ten und künstlerischen Ausdrucksformen in Denkmälern, Architektur, dem Germani­ schen Nationalmuseum, Literatur, Musik, Volksfesten und Umzügen und seine ver­ schiedenen Träger, aber auch kritische Stimmen, die bereits damals zu hören waren und - ganz im Sinne Nietzsches - davor warnten, Nürnberg werde von seiner eigenen Ver­ gangenheit verschlungen. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs Nürnbergs zur indus­ triellen Metropole Süddeutschlands war die Nürnberg-Romantik aber auch eine Kom­ pensation der dabei auftretenden Schwierigkeiten. Einen zweiten Schwerpunkt der Untersuchung bilden die Reichsparteitage. Deutlich weist Brockmann auf die grundlegende Ironie der Reichsparteitage hin, ihren bewuss­ ten engen Bezug auf Nürnberg, obwohl sie selbst das gerade Gegenteil all dessen bilde­ ten, was das traditionelle, mittelalterlich bestimmte Nürnbergbild ausmachtc: Weit außerhalb der Altstadt gelegen und gerade nicht in einen neugotischen, sondern pseudogräko-römischen Architekturrahmen eingebunden, bildete ihre bewusst insze­ nierte Einheit von Politik, Kunst und Leben als modernes Gesamtkunstwerk einen Triumph der modernen künstlerischen Avantgarde. Die Frage nach dem Einfluss dieses Nürnberg-Bildes auf Zeitgenossen und Nachwelt beschließt dieses Kapitel. In den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs sank Nürnberg(l) in Trümmer. Und wieder weist Brockmann auf ein Paradox hin: Die emotionalsten literarischen Beschrei­ bungen der Zerstörung Nürnbergs und des Untergangs seiner kulturellen Werte stam­ men nicht von deutschen, sondern von französischen Schriftstellern; die romantische Zuneigung zu Nürnberg scheint nur noch in ausländischer Literatur anzutreffen zu sein. Galt vor dem Zweiten Weltkrieg Nürnbergs früher, freundlicher Kapitalismus des 15./16. Jahrhunderts als positives Gegenbild zum expandierenden Berlin, so hat der Nationalsozialismus das Verhältnis der Deutschen zu ihrer älteren Geschichte unter­ brochen; sie haben kein Verhältnis mehr zu Nürnberg. Doch zugleich ist der Nürnberg-Diskurs international geworden. Mit dem Nürn­ berger Prozess entstand ein neues Nürnberg-Bild: Nürnberg als internationale Stadt

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen mit Bedeutung für die ganze Welt. Die Wirkungskraft dieses neuen Nürnberg-Bildes zeigt sich nicht nur in bis heute anhaltenden Verfilmungen des Themas, sondern auch in den symbolischen „Nürnberger Prozessen“, in denen weltweit (und auch in Nürnberg selbst) der Irakkrieg der USA im Namen der „Ideen von Nürnberg“ angeprangert wird. Wie zur Zeit des Nürnberger Prozesses Nürnberg(l), so ist jetzt auch Nürnberg(2) im Besitz des Auslands, der Nürnberg-Diskurs keine innere Angelegenheit Deutschlands mehr, sondern Sache der ganzen Welt. Mit diesem Ausblick hätte die Untersuchung enden können. Brockmann kehrt aber noch einmal nach Nürnberg zurück und beschreibt die langwierige Suche der Stadt selbst nach ihrer eigenen Identität und nach einem neuen Verhältnis zu ihrer Ge­ schichte. Ein solches habe erst Hermann Glaser geschaffen, indem er die Identität Nürnbergs nicht mehr nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Moderne ge­ gründet habe und damit auch für andere Städte zum Vorbild geworden sei. In dieser Sicht ist das Centrum Industriekultur der Glaser-Ära nicht einfach nur ein weiteres Museum, sondern ein nach-bürgerlicher Gegenentwurf zum bürgerlich-romantischen Projekt des Germanischen Nationalmuseums. Eine genauere Betrachtung widmet Brockmann den Bemühungen der Stadt um die Schaffung eines neuen Image als „Stadt des Friedens und der Menschenrechte“ und - besonders ausführlich - dem Problem der Nutzung des Reichsparteitagsgeländes. In diesem Zusammenhang der Identitätssuche Nürnbergs vermisst der Leser jedoch ein Eingehen auf die Auseinandersetzungen um die Wiederaufbaukonzeption der Nachkriegszeit und um spätere Bauprojekte im Alt­ stadtbereich, die bis heute die Nachkriegsgeschichte Nürnbergs durchziehen und die Emotionen der Bevölkerung mindestens so sehr zum Kochen bringen wie die Gestal­ tung des Reichsparteitagsgeländes. Stichworte wie „Altstadtfreunde“, „Augustinerhof“ oder „Köma-Projekt“ sucht man im Register vergeblich - die einzige spürbare Lücke in diesem ansonsten erstaunlich kenntnisreichen Buch. Brockmann hat eine Studie vorgelegt, die mit ihrer Verbindung von Lokal-, Natio­ nal- und Weltgeschichte auch dem geschichtskundigen Nürnberger noch zahlreiche neue Aspekte der Geschichte seiner Stadt aufweisen kann. Dass sich in eine zeitlich und räumlich so umfassende Arbeit auch einzelne kleine Sachfehler einschleichen, ist wohl unvermeidlich: Das Jungfernalmosen war kein Heim für verwaiste Mädchen, sondern eine Aussteuerstiftung; der Ausverkauf Nürnberger Kulturgüter nach 1806 erfolgte nicht durch die „Stadtväter“, sondern durch die neuen bayerischen Herren. Diese wenigen Schnitzer tun der Überzeugungskraft des Ganzen keinen Abbruch. Sehr posi­ tiv vermerkt der deutschsprachige Leser, dass die vielen umfangreichen Zitate nicht nur auf englisch im Text angeführt, sondern auch im deutschen Original in die Anmer­ kungen aufgenommen sind. Gewöhnungsbedürftig ist dagegen das Prinzip, in jedem der sechs großen Kapitel nach einem längeren einheitlichen Textteil eine wechselnde Anzahl von Unterkapiteln mit eigenen Überschriften folgen zu lassen (die ihrerseits nicht im Inhaltsverzeichnis auftauchen), ohne dass ihr thematisches Verhältnis zum Hauptkapitel klar erkennbar wäre. Da auch die Hauptkapitel selbst - gerade für die neuere Zeit - nicht eindeutig mit den behandelten Themenbereichen übereinstimmen, fällt die Orientierung hier manchmal etwas schwer. Durch ein kombiniertes Namens-, Orts- und Sachregister wird dieser Nachteil teilweise wieder ausgeglichen.

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Vielleicht musste es ein Ausländer sein, der eine so kenntnisreiche wie ausgewogene, einfühlsame und zugleich kritische Arbeit über das Bild Nürnbergs und seine Wand­ lungen in der Geschichte schreiben konnte; einem deutschen oder gar Nürnberger Autor hätte vielleicht noch immer der innere Abstand zu den dargestellten Problemen gefehlt. Obwohl Brockmanns Buch auch für deutschsprachige Leser nicht schwer zu verstehen ist, wäre eine Übersetzung sehr zu wünschen. Horst-Dieter Beyerstedt

Bettina Jung: Das Nürnberger Marienbuch. Untersuchungen und Edition (Texte und Textgeschichte 55). Tübingen: Niemeyer 2004. 88*, 207 S. € 98,Gegenstand der Dissertation von Bettina Jung ist eine Sammlung von hagiografischen und liturgischen Texten zur Gottesmutter Maria. Das von Jung so benannte „Nürnberger Marienbuch“ besteht aus zwei Teilen: Einer in das letzte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts zu datierenden Vita mit anschließender Mirakelsammlung und einigen um 1410 zusammengestellten Auslegungen von verschiedenen liturgischen Texten der Marienverehrung. Obwohl der oder die Verfasser im dominikanischen Milieu, vielleicht sogar im Nürnberger Dominikanerkloster zu vermuten sind, wurde der einzige, direkt nach der Entstehung um 1410 in Nürnberg geschriebene Überlieferungsträger des „Marienbuches“ im Nürnberger Klarissenkloster aufbewahrt (Staatsbibliothek Bam­ berg, Cod. hist. 157). Aus der einst wohl bedeutenden Bibliothek der Frauengemein­ schaft sind nur wenige Handschriften erhalten. Jung listet die 43 ihr bekannten Codices auf (S. 34* und 69-71*) und versucht eine Einordnung des „Nürnberger Marien­ buches“. Aufgrund von Inhalt und kleinem Format kann der Codex zu Recht zu den libelli gezählt werden, in denen die zentralen Texte zu Leben, Wundertätigkeit und Ver­ ehrung eines Heiligen versammelt sind. Unter dem Restbestand der Klarissenbibliothek befinden sich weitere 16 Prosalegendare, so dass diese Textgattung als ein besonderer Sammelschwerpunkt der Frauengemeinschaft bezeichnet werden kann. Jung belegt überzeugend die Arbeitsweise des Verfassers / der Verfasser des „Nürn­ berger Marienbuches“ und weist die benutzten Quellen nach. Ebenso sicher analysiert sie das Nachleben des „Nürnberger Marienbuches“. Es wurde sowohl für die bedeu­ tendste volkssprachige Legendensammlung des Mittelalters, die vor 1406 wahrschein­ lich im Nürnberger Dominikanerkloster zusammengestellt wurde und unter der Be­ zeichnung „Der Heiligen Leben“ bekannt ist, als auch für die 1487-1493 anzusetzende Mirakelsammlung „Magnet unserer lieben Frau“ verwertet (Prag, Narodni Kukova, Cod. XVI E 9). Jung beherrscht das Handwerk der Edition eines volkssprachigen Textes sicher, widmet aber handschriftenkundlichen Fragestellungen weniger Aufmerksamkeit. Eine Untersuchung des Buchschmucks (nur ein Detail einer Initiale wird auf dem Einband reproduziert) oder des für den Einband verwendeten Stempelmaterials hätte vielleicht zur Rekonstruktion von Entstehung und Geschichte der Handschrift beitragen können. Die Dissertation entstand bei Werner Williams-Krapp, Professor für deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters an der Universität Augsburg, zu dessen For-

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen schungsschwerpunkten die Untersuchung und Edition von „Der Heiligen Leben“ zählt. Am 2004 erschienenen zweiten Band der Edition war Jung beteiligt, die mit ihrer Dissertationsarbeit zum „Nürnberger Marienbuch“ nun eine Quelle des Legendars mustergültig zugänglich machen und die Einblicke in die kloster- und ordensübergreifende Produktion sowie Rezeption hagiografischer Texte in Nürnberg vertiefen konnte. Christine Sauer

Helmut Glück / Bettina Morcinek ... (Hg.): Ein Franke in Venedig. Das Sprachlehrbuch des Georg von Nürnberg (1424) und seine Folgen (Fremdsprachen in Geschichte und Gegenwart 3). Wiesbaden: Harrassowitz 2006. VIII, 178 S. € 38,Der erste namentlich bekannte Sprachlehrer, der sich professionell der Vermittlung des Deutschen als Fremdsprache widmete, war Georg von Nürnberg, der in den 1420er Jahren in zentraler Lage Venedigs eine Sprachschule betrieb. Sein Wirken steht im Zu­ sammenhang mit den engen wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen beiden Handelsmetropolen, die sich nicht zuletzt in einer regen Reisetätigkeit Nürn­ berger Handelsleute an den Rialto zeigen. Dort war die Abwicklung von Handelsge­ schäften streng reglementiert. Im Auftrag der venezianischen Obrigkeit hatten Sensale („unterkäuffel“) den ausländischen Kaufleuten bei ihren Geschäften unter die Arme zu greifen und zugleich die Einhaltung der rechtlichen und fiskalischen Vorschriften sicherzustellen. Voraussetzung dafür waren deutsche Sprachkenntnisse, da die Fremden des Italienischen kaum mächtig waren. Der aus Nürnberg stammende Sprachlehrer hatte sich deshalb darauf spezialisiert, Berufsanwärtern das nötige „Wirtschafts­ deutsch“ beizubringen. Dabei handelte es sich freilich um eine Art Schwäbisch mit bai­ rischem Einschlag, denn Georg stützte sich auf einen zunächst handschriftlich verviel­ fältigten kleinen Leitfaden, der wohl auf älteren Vorlagen aus dem Augsburger Raum beruhte. Neben einem Grundwortschatz und Flexionsbeispielen enthielt dieses Buch auch Musterdialoge in authentischen Situationen, die dem Berufsalltag von Textil­ kaufleuten entnommen waren. Erstmals 1477 in einer gekürzten Version gedruckt, hat dieses pragmatisch ausgerichtete Bändchen bis 1513 immerhin acht Neuausgaben erfah­ ren. Nicht nur diese bemerkenswerte Zahl, sondern auch die Verteilung der Druckorte (Venedig, Bologna, Wien, Rom) belegt, dass gerade in Ober- und Mittelitalien ein reger Bedarf an (ober-)deutscher Sprachlehre bestand, der in erster Linie auf die praktische Anwendung im Handelssektor hin angelegt war. Georgs „Solenissimo Vochabuolista“ und seine Wirkung standen im Zentrum einer Tagung der „Arbeitsstelle für die Geschichte des Deutschen als Fremdsprache“, die Anfang Juli 2005 in Bamberg abgehalten wurde. Der nun erschienene Berichtsband versammelt zunächst Untersuchungen über das Lehrbuch des Nürnbergers. Er bemüht sich um eine Einordnung des Vokabulariums in die wirtschafts- und kulturhistorischen Rahmenbedingungen des 15. Jahrhunderts, geht der - schon im nach Wortfeldern geordneten Glossar, v.a. aber dann in den Dialogen erkennbaren - didaktischen Kon­ zeption des Sprachmeisters nach und widmet sich eingehend immer wieder im engeren Sinne sprachgeschichtlichen Fragestellungen (Satztopologie, Grammatik, Wortschatz-

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analyse etc.). In einem zweiten, etwas umfangreicheren Teil spürt er dann der Wir­ kungsgeschichte des Büchleins nach. In der Tat erschien 1502 in Perpignan ein deutsch­ katalanisches Sprachbuch für Kaufleute, das sich als eine direkte Bearbeitung der deutsch-italienischen Vorlage erweist. Weitere Nachfolge hat es aber nicht erfahren. Exemplarische Untersuchungen zu anderssprachigen Einführungen ins Deutsche er­ weisen zwar, dass Fremdsprachenlehrbücher für französische, polnische, tschechische, dänisch-norwegische und schwedische Adressaten aus pragmatischen Gründen ähn­ liche Verfahrensweisen wählten; direkte Einflüsse des schwäbisch-fränkisch-italieni­ schen Vorläufers auf die mitteleuropäischen Sprachbuchtraditionen des 16. Jahrhun­ derts scheint es jedoch nicht gegeben zu haben. Der Sammelband, der durch Indices der Sachen, Personen und geographischen Bezeichnungen mustergültig erschlossen wird, bietet einen weit über die Sprach­ geschichte hinaus interessanten, ganz Europa umfassenden Konspekt. Er erweist den frühen Fremdsprachenunterricht des Deutschen als bedarfsgerichtet, in Ausrichtung und Methodik als berufsbezogen, kommunikations- und handlungsorientiert und dokumentiert auf diese Weise eine verblüffende .Modernität’ der Ansätze aus dem frühen 15. Jahrhundert. Werner Wilhelm Schnabel

Franz Fuchs (Hg.): Osmanische Expansion und europäischer Humanismus. Akten des Interdisziplinären Symposions vom 29. und 30. Mai 2003 im Stadtmuseum Wiener Neustadt (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 20). Wiesbaden: Harrassowitz 2005. 188 S. mit 11 Abb. € 36,Es ist nicht die vermeintliche oder wirkliche Aktualität des Themas „Kampf der Kul­ turen“, die das Thema des Symposions der Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft im Jahre 2003 bestimmt hat, sondern ein historischer Gedenktag: Genau 550 Jahre zuvor, am 29. Mai 1453, hatte Mehmet der Eroberer Konstantinopel erobert und damit dem Oströmi­ schen Reich ein Ende bereitet. Aus diesem Anlass wählte die Willibald-PirckheimerGesellschaft als Tagungsort Wiener Neustadt, eine langjährige Zentrale der Abwehr­ maßnahmen im Türkenkrieg, und als Thema den Einfluss der osmanischen Expansion auf den europäischen Humanismus. In das Zentrum der Thematik führt der einleitende Vortrag von Stephan Füssel „Die Funktionalisierung der „Türkenfurcht“ in der Propaganda Kaiser Maximilian I.“ (S. 930). Gerade in den von Maximilian inspirierten, häufig in Nürnberg geschaffenen Kunstwerken (Theuerdank, Ehrenpforte) spielte der Gedanke des Türkenkreuzzugs eine wichtige Rolle, auch wenn Maximilian selbst niemals einen solchen durchführte. Die Bedeutung der osmanischen Expansion für die Entstehung einer politischen Publi­ zistik im 15. Jahrhundert untersucht Daniela Rando, „Antitürkendiskurs und anti­ jüdische Stereotypen. Formen der Propaganda im 15. Jahrhundert am Beispiel Trient“ (S. 31-52). Seit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen verband sich die in Europa grassierende Furcht vor einer türkischen Invasion mit dem Misstrauen gegen die Juden und wirkte als Katalysator für die Entstehung einer politischen Publizistik in

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen zahlreichen Medien (Predigten, Reden, Traktate, Gedichte, Fastnachtsspiele, Holz­ schnitte, Allegorien etc.), in der aktuelle Ereignisse durch Aktivierung vorgegebener Stereotype ihre geschichtstheologische Deutung fanden. Claudia Märtl „Donatellos Judith - Ein Denkmal der Türkenkriegspropaganda des 15. Jahrhunderts?“ (S. 53-95) deutet die heute im Palazzo Vecchio in Florenz befindliche Skulptur des Holofernes als Darstellung Mehmets II. und damit als Teil der Türkenkriegspropaganda aus dem Umfeld des Enea Silvio Piccolomini. Johannes Helmrath „Enea Silvio, Plinius und die ,inventores rerum“. ,De diversarum scienciarum arciumque origine1 in der Nürnberger Handschrift Cent VI App. 14 - (k)ein unbekannter Traktat Pius’ II.“ (S. 97-107) iden­ tifiziert einen Papst Pius II. zugeschriebenen Text der Sammelhandschrift aus der Stadt­ bibliothek Nürnberg als Werk des Plinius. Brigitte Mondrain „Der Transfer griechi­ scher Handschriften nach der Eroberung Konstantinopels“ (S. 109-122) relativiert die Bedeutung der osmanischen Eroberung Konstantinopels für den Transfer griechischer Gelehrter und Schriften nach Westeuropa und damit für die Entstehung und schnelle Entfaltung des Humanismus. Tatsächlich war die Mehrzahl wenigstens der bedeuten­ deren Gelehrten bereits zur Beratung der Kirchenunion auf dem Konzil von Ferrara und Florenz nach Italien gekommen, und nach der Eroberung Konstantinopels bestimmte in erster Linie ihre Einstellung gegenüber der 1439 abgeschlossenen Union die Entscheidung der byzantinischen Gelehrten für Emigration oder Verbleib. Auch griechische Texte kamen überwiegend früher (1420er Jahre) und viel später (16. Jahr­ hundert) nach Westeuropa, nicht aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der türki­ schen Eroberung, die sich auf die griechische Kultur und Buchproduktion weitaus weniger verheerend auswirkte als die Eroberung Byzanz’ durch die Kreuzritter 1204. Einen unmittelbaren Einfluss auf den Westen sieht Mondrain - etwas prosaisch - vor allem auf dem Gebiet des griechischen Sprachunterrichts, da durch die Emigranten mehr muttersprachliche Lehrer zur Verfügung standen. Mit dem geistigen Leben in Ländern im unmittelbaren Einflussbereich der osmanischen Expansion befassen sich die letzten beiden Aufsätze. Oliver Jens Schmitt „Skanderbeg als neuer Alexander. Antikerezeption im spätmittelalterlichen Albanien“ (S. 123-144) untersucht, wie in dem kleinen, strukturell rückständigen Land im Schnittpunkt des byzantinischen, slawi­ schen und italienischen Kulturbereichs die Rezeption antiker Kultur nach dem Vorbild italienischer Renaissancefürsten dem lokalen Fürsten Georg Kastriotis (Iskender Beg, Skanderbeg) inneralbanische Legitimität gegenüber konkurrierenden Adelsfamilien und außenpolitische Integration in das europäische Staatensystem verschaffen sollte. Italo Michele Battafarano „Zwischen dem Kaiserreich und der Osmanischen Pforte. Ungarn als Zufluchtsort von Wiedertäufern und Andersdenkenden in der frühen Neuzeit“ (S. 145-161) kommt zu dem für manchen vielleicht überraschenden Ergebnis, dass die religiöse Toleranz der Osmanen im Kontrast zu der habsburgischen Intoleranz nicht nur ein antihabsburgisches ungarisches Nationalgefühl ermöglichte, sondern auch im übrigen Europa Sympathie und Hoffnungen weckte und zahlreichen verfolgten Minderheiten eine sichere Zufluchtsstätte bot. Ein Nachruf auf den verstorbenen Gründungspräsidenten der Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft Pater Dr. Willehad Paul Eckert OP (S. 163-164) und sechs Rezen-

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sionen zu Werken der Humanismusforschung (S. 165-188) runden den Tagungsband ab. Horst-Dieter Beyerstedt

Franz Krautwurst: Franconia cantat. Fränkische Musikgeschichte in Lebens­ bildern aus sechs Jahrhunderten (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte IX,51). Hrsg, von Friedhelm Brusniak. [Würzburg]: Ges. für Fränkische Geschichte 2006. XI, 190 S. mit Abb. € 28,80 Gewiss wird mit dem vorliegenden Band keine (pseudo)taciteische Behauptung wie das berühmte „Frisia non cantat“ zu widerlegen versucht. Es wird auch keine fränkische Musikgeschichte geschrieben, von der erst geklärt werden müsste, was zu ihr gehört und was nicht. Vielmehr handelt es sich um die Sammeledition der Beiträge, die Franz Krautwurst für die Reihe Fränkische Lebensbilder verfasste. Der Autor, den Heraus­ geber Friedhelm Brusniak nicht zu Unrecht als „Nestor der landeskundlichen Musikfor­ schung in Franken und Bayern“ bezeichet, war 1956-1980 als Privatdozent und Profes­ sor am Musikwissenschaftlichen Seminar in Erlangen tätig, bevor er den neu eingerich­ teten Lehrstuhl in Augsburg übernahm. Die Idee zum vorliegenden Band entstand bereits 2003, anlässlich von Krautwursts 80. Geburtstag. Bei den acht porträtierten Musikern handelt es sich, chronologisch angeordnet, um die drei Nürnberger Konrad Paumann (um 1410-1473), Hans Leo Hassler (1564-1612) und Johann Pachclbcl (1653-1706), um den aus Oberclsbach/Rhön stammenden Valen­ tin Rathgeber (1682-1750), um Johann Georg Herzog (1822-1909) aus dem oberfrän­ kischen Rodachtal, den in Kitzingen aufgewachsenen Armin Knab (1881-1951), und schließlich um den gebürtigen Nürnberger Hugo Distier (1908-1942). Mit Georg Kcmpff (1893-1975) tritt eine weitläufige Persönlichkeit hinzu, die lange Jahre (von 1932 bis 1959) als Universitätsmusikdirektor das Erlanger Musikleben prägte. Das musikalische Franken wird hierbei (bis auf Knab und, unter Vorbehalt, Rath­ geber) durch Organisten repräsentiert. Uber diese Gewichtung mag man sinnieren, auch darüber, dass der unterfränkische Katholizismus allein mit Valentin Rathgeber ver­ treten ist. Doch wäre Ausgewogenheit in diesem Zusammenhang eine absurde Forde­ rung. Denn vielmehr enthüllen diese mustergültig gründlich erarbeiteten Biografien immer wieder, dass musikalische Begabungen ein förderndes kulturelles Umfeld brau­ chen, in das sie hinein- und dann auch hinauswachsen - denn nicht jeder der Darge­ stellten blieb in seiner Heimat: Pachelbel und Rathgeber etwa lernten und wirkten beide für lange Zeit in der Fremde, Hassler studierte in Italien. Durch die biografische Methode wird mit den Handelnden der Blick in die Weite geöffnet und bald findet sich der Leser vertieft in bemerkenswerte Lebensläufe, in ein Panorama, dem der Untertitel „Fränkische Musikgeschichte“ nicht gerecht wird, zugleich bereichert um Hinweise auf Autoren wie Armin Knab oder Hugo Distier, die zur heutigen Zeit nicht ganz jene Beachtung finden, die ihnen zukommt. Nicht zuletzt verlässt der Leser seine Lektüre erbaut durch kleine Kunstwerke, deren Anlage immer wieder abgewandelt sich dem jeweiligen Stoff anschmiegt, deren sprachlichem Habitus zuweilen Altfränkisches

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eignet, die aber gerade deshalb zu erprobten und gereiften Mustern der kompakten Leben- und Werkdarstellung erhoben werden können. Franz Krautwurst integriert - zuweilen in eindringlichen Beschreibungen - die Be­ handlung signifikanter Kompositionen oder Werkgruppen der einzelnen Autoren in den narrativen Fluss, was die Herausgeber darin bestärkt haben mag, auf die Zugabe von Werklisten zu verzichten. Somit sind alle, die sich für ein Werk- und Ausgaben­ verzeichnis interessieren, auf die einschlägigen Fachlexika, etwa Die Musik in Ge­ schichte und Gegenwart (MGG), verwiesen. Das ist formal verständlich, gleichwohl etwas bedauerlich, hat doch Krautwurst auch in seinen einschlägigen MGG-Artikeln zur Dokumentation der Werkbestände beigetragen. Immerhin hat der Autor selbst die beigegebenen Bibliografien auf den neuesten Stand gebracht. Der gediegen hergestellte Band wird durch zwei ausführliche Register erschlossen. Zu den einzelnen Texten selbst werden keine bibliografischen Nachweise gegeben; sie seien hier nachgetragen (wenn nicht anders bemerkt, beziehen sich Band, Jahr und Seitenangabe auf die Reihe Fränkische Lebensbilder)'. Paumann (7,1977, 33-48), Hassler (11, 1984, 140-162), Pachelbel (12, 1986, 123-140), Rathgeber (14, 1991, 141-161), Her­ zog (Lebensläufe aus Franken 6, 1960, 251-267), Knab (5, 1973, 282-313), Kempff (18, Thomas Röder 2000, 315-335), Distier (9, 1980, 289-312).

Heidi A. Müller: Ein Idealhaushalt im Miniaturformat. Die Nürnberger Puppen­ häuser des 17. Jahrhunderts (Kulturgeschichtliche Spaziergänge im Germanischen Nationalmuseum 9). Nürnberg: Verl, des Germanischen Nationalmuseums 2006. 136 S. mit zahlr. Abb. € 12,50 Im vorliegenden Band aus der Reihe der Kulturgeschichtlichen Spaziergänge im Germanischen Nationalmuseum widmet sich Heidi A. Müller Nürnberger Puppenhäu­ sern des 17. Jahrhunderts. Diese markieren aufgrund ihrer Vollständigkeit und Vielfalt an Ausstattung und Inventar einen Höhepunkt der Spielzeugsammlung des Germani­ schen Nationalmuseums, die in ihrer Geschlossenheit als eine der bedeutendsten Euro­ pas gilt. Die Präsentation der Ende des 19. Jahrhunderts erworbenen Puppenhäuser im Rahmen der Spielzeugsammlung führt automatisch zu einer Akzentverschiebung ihrer Bewertung. Doch bereits im Vorwort kommt G. Ulrich Großmann jener Fehlinter­ pretation des Sujets zuvor, es handele sich hierbei um Spielzeug. Vielmehr hatten die Modelle kompletter Haushalte im Miniaturformat didaktische Funktion und sollten Kinder und Jugendliche auf ihre Aufgaben in Familie und Gesellschaft vorbereiten. Mit einer ausführlichen Darstellung von Idee und Funktion des Nürnberger Pup­ pen- beziehungsweise Dockenhauses im Kontext des zeitgenössischen Werteverständ­ nisses sowie der Sammlungs- und Präsentationsgeschichte im Germanischen National­ museum leitet Müller ins Thema ein. Ein Nürnberger Dockenhaus, in der Regel in einer zur Diele gehörenden Kammer im Erdgeschoss platziert, wo üblicherweise Handels­ ware lagerte, trug einschlägige Merkmale der Kaufmanns- und Patrizierhäuser. Ange­ hörige der in der Noris führenden Gesellschaftsschicht traten als Auftraggeber der Pup-

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penhäuser auf, die deren Lebens- und Arbeitsumfeld idealtypisch abbildeten. Sie stell­ ten damit einen Gegenentwurf etwa zu Miniatur- und Demonstrationsmodellen adeli­ ger Hauswesen dar, für die Müller das Puppenhaus Herzog Albrechts V. von Bayern und den Meierhof für Herzog Philipp II. von Pommern-Stettin als Beispiele anführt. Im Gegensatz zu den Demonstrationsmodellen adeliger Provenienz sind die Auftraggeber der Nürnberger Dockenhäuser nicht mehr zu ermitteln und tragen deshalb häufig den Namen der letzten Besitzerfamilie. In enger Korrespondenz zu den dreidimensionalen Lehrobjekten standen im 16. und 17. Jahrhundert so genannte Ökonomiken als eigene Literatursparte der Lehre vom Hauswesen. Diese und die mit Beginn des 18. Jahrhunderts auf einen bürgerlichen Leserkreis zugeschnittene Ratgeber- oder Hausväterliteratur ergänzten das zeitgenös­ sische Erziehungsprogramm literarisch. Als Prototyp des Genres erschien 1703 das früheste gedruckte Hauswirtschaftsbuch unter dem Titel „Die so kluge als künstliche Arachne und Penelope getreulich unterwiesene Hauß-Halterin“ in Nürnberg. Abge­ stimmt auf die reichsstädtischen Wohn- und Lebensverhältnisse präsentiert sich die Ver­ öffentlichung als zentrale Quelle zur Interpretation der einzelnen Objekte, die Müller bespricht. Den Anfang macht das Stromersche Puppenhaus als Leitstück der Samm­ lung, dessen über 1000-teiliges Inventar noch aus der Entstehungszeit stammt. Vorge­ stellt werden darüber hinaus das älteste erhaltenen Nürnberger Puppenhaus mit Garten und reicher Ausmalung, das Dockenhaus der Familie Kress von Kressenstein mit seinem kostbaren Tafel- und Prunkgeschirr, das Puppenhaus der Familie Bäumlcr mit noch erhaltener Hausfassade und ein vertikal angeordneter zweiräumiger Puppenschrank als Variante genauso wie eine horizontal angelegte dreiräumige Puppenwohnung. Dank der instruktiven Beschreibung und der über 100 mitunter maßstabsgetreucn Abbildungen entfaltet die Autorin ein kulturgeschichtliches Panorama frühneuzeit­ licher Lebens- und Wohnverhältnisse. Uber die zeitgenössische Funktion der Puppen­ häuser hinaus werden aufgrund der strengen Authentizität der Objekte akribisch und detailreich Lebens- und Arbeitswirklichkeit des gut situierten Bürgertums sowie soziageschichtliche Aspekte und Beziehungsgeflechte entschlüsselt. Der Realitätsbezug in Gestaltung, Anordnung und Materialien gibt dabei vielfältige alltagsgeschichtliche Hin­ weise wie etwa auf den hohen Stellenwert des Bettes im Haushalt der Frühen Neuzeit, textile Modetrends oder die zeitgenössische Praxis der Buchführung. Sogar mentalitäts­ geschichtliche Affinitäten in der protestantischen Reichsstadt werden ablesbar, wie etwa in Wandgemälden des ältesten Puppenhauses, die den unsittlichen Lebenswandel von Mönchen und Nonnen aufs Korn nehmen (S. 82f.). Angaben zu den besprochenen Puppenhäusern sowie eine umfangreiche Bibliographie beschließen die Publikation. Die vorliegende Darstellung ist keine Kulturgeschichte des Spielzeugs oder des Spielens, sondern der Lebenswelt wohlhabender Familien im Nürnberg des 17. Jahrhun­ derts. Nur kurz wird deshalb das Spiel mit dem Puppenhaus thematisiert (S. 75), das offenbar ab dem 18. Jahrhundert im Kontext der Mädchenerziehung zunehmend dessen ausschließlich demonstrativen Charakter aufweicht und ergänzt. Ob sich hier bereits ein Funktionswandel des Puppenhauses, nämlich vom Lehrmittel zum bespielbaren

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Unterhaltungsobjekt andeutet, bleibt offen. Wenn auch heute der Anspruch an Spiel­ zeug zur Einübung geschlechtsspezifischer Rollen oder beruflicher Fähigkeiten kaum mehr präsent ist, ist dennoch ein übergeordneter Lernauftrag in vielen Spielzeugen erhalten geblieben. Man braucht die Sammlung nicht eigens zu besuchen, um von der kompetenten und spannend geschriebenen Darstellung zu profitieren. Im Umkehrschluss macht sie aber gerade deswegen neugierig auf den nächsten Besuch im Germanischen National­ museum. Martina Bauernfeind

Renate Jürgenscn: Melos conspirant singuli in unum. Repertorium bio-bibliographicum zur Geschichte des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg (1644-1744) (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 50). Wiesbaden: Harrassowitz 2006. XXV, 875 S. € 198,Die intensive Beschäftigung der Verfasserin mit dem Pegnesischen Blumenorden (PBO) begann 1994, als sie aus Anlass des 350jährigen Bestehens der literarischen Gesellschaft eine Ausstellung mit Begleitpublikation vorbereitete (Utile cum dulci. Die Blütezeit des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg 1644 bis 1744, Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 1994). Dabei entstand die Idee für eine Überarbeitung der von Johann Herdegen 1744 veröffentlichten „Historischen Nachricht von deß löblichen Hirten- und Blumenordens ... Anfang und Fortgang“. Das Ergebnis ist das jetzt vor­ gelegte, den Vorgänger an Materialreichtum weit übertreffende Repertorium mit Bio­ grafien und Werkverzeichnissen der Mitglieder des PBO während der ersten hundert Jahre seines Bestehens. Auf eine knappe Einleitung (16 Seiten) folgen 800 Seiten mit 133 Bio-Bibliografien, Quellen- und Literaturverzeichnissen sowie ein 70-seitiges (!) Personenregister. Jürgensen hat den Hauptteil in die drei Abschnitte Frühzeit, Blütezeit und Neuorientierung gegliedert. In den jeder Periode vorangestellten Einführungen werden die prägenden Entwicklungen herausgearbeitet und die gemeinsamen Schriften der Pegnitzschäfer angeführt (jeweils unter Auflistung der Beiträger und der Textanfänge ihrer Beiträge); insgesamt konnte Jürgensen 282 solcher Arbeiten ermitteln. Die strikt chronologische Ordnung wird für die folgenden bio-bibliografischen Artikel zu den einzelnen Pegnitz­ schäfern beibehalten: Die Abfolge bestimmte das Beitrittsdatum in den Orden. Jeder Eintrag setzt sich aus einer Übersicht zu Leben und Wirken der betreffenden Person sowie aus einem Verzeichnis der Werke und sonstiger Lebenszeugnisse zusammen. Die benutzten Rubriken deuten die Breite des Repertoriums an: Porträts, Beteili­ gungen an den gemeinsamen Schriften der Pegnitzschäfer, Disputationen, Monografien, Mitarbeit an Publikationen anderer Verfasser, selbst verfasste Gelegenheitsschriften, Beiträge zu Gelegenheitsschriften, Flugschriften etc. anderer, geistliche Lieder, Hand­ schriftliches von und Kasualschriften auf den jeweiligen Verfasser. Von dem Prinzip, die Schriften von und über eine Person möglichst vollständig zu verzeichnen, wurde in Ein­ zelfällen abgewichen (z.B. für Johann Philipp Harsdörffer und Sigmund von Birken

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sowie das auswärtige Mitglied Georg Neumark). Die Titel sind chronologisch nach Erscheinungsjahr geordnet; jedes Zitat ist mit Exemplarnachweisen und - soweit ermit­ telbar - Hinweisen auf die Vorbesitzer der festgestellten Exemplare versehen. Beson­ deres Augenmerk gilt den Kasualschriften, einem der Hauptbetätigungsfelder des PBO. Bei den aus Anlass von Geburt, Hochzeit oder Tod erstellten Schriften sind zusätzlich zum Titel Anlass und Adressat genannt; bei Beiträgen zu Gelegenheitsschriften kommt das Incipit des beigesteuerten Textes hinzu. Ein Literaturverzeichnis schließt jeden Eintrag ab. Ihr Material wertet Jürgensen nochmals „quer“ aus: In der Einleitung nähert sie sich über die Exemplar- und Provenienznachweise einer Sammlungsgeschichte der Erzeug­ nisse der Pegnitzschäfer. Allerdings können hier nur grobe Schneisen geschlagen wer­ den, denn selbst in Zeiten des Internets ist ein vollständiger Exemplarnachweis nicht möglich. Besonders intensiv erschlossen werden die zahlreichen vor Ort überlieferten Zeugnisse. Unter den weiterhin herangezogenen Sondersammlungen an deutschen Bibliotheken fällt der überraschend umfangreiche Bestand an der Ratsschulbibliothek Zwickau auf. Für 45 auswärtige Mitglieder des PBO war außerdem die Überlieferung am jeweiligen Wirkungsort zu sichten. Eine zweite Auswertung nimmt Jürgensen anhand der Kasualschriften vor: Nach Möglichkeit sind Adressaten und Widmungs­ empfänger individualisiert und diese Ergebnisse in den Biografien für eine Rekons­ truktion des sozialen Beziehungsnetzes eines Verfassers genutzt worden. Vorbesitzer und Adressaten gingen in das Personenregister ein; die in zwei Spalten in einer kleinen Drucktype aufgeführten Namen bilden somit die Breite der sozialen Bezüge zu Leb­ zeiten der Pegnitzschäfer und ihrer Rezeptionsgeschichtc ab. Komplexer Aufbau und benutzerunfreundliches Layout erschweren allerdings die Handhabung des Repertoriums (und des chronologisch geordneten Quellenverzeich­ nisses, da zu abgekürzt zitierten Titeln leider nicht das Erscheinungsjahr angegeben wurde; außerdem fehlt ein Abkürzungsverzeichnis). Die für eine Rekonstruktion der Geschichte des PBO sicher richtige chronologische Ordnung der Personeneinträge verhindert ein leichtes Nachschlagen; das Auffinden eines bestimmten Pegnitzschäfers ist nur unter Heranziehung des Registers möglich (von dem die letzten Lemmata des Buchstabens „Z“ etwa mit Johann Georg Zunner, S. 562-566, verloren gegangen sind). Die sich nicht selten über mehrere Seiten hinziehenden Titelauflistungen hätten zu­ gunsten einer leichteren Navigation für den Leser druckgrafisch besser gestaltet und deutlicher abgetrennt werden können. Bindestriche sind als Trennzeichen nicht aus­ reichend; Absätze wären hilfreich gewesen, hätten allerdings wohl zu einer Aufteilung auf zwei Bände geführt. Aus heutiger Sicht wäre das Repertorium wohl von Anfang an als Datenbank konzi­ piert worden. Hier wie auch bei der Erfassung des Kasualschrifttums fiel die Ent­ stehung in eine Umbruchzeit: Bei Beginn der Arbeiten vor zwölf Jahren war noch nicht absehbar, dass die reichlich ausgewerteten Gelegenheitsschriften an ausgewählten neun Bibliotheken - darunter die der Stadtbibliothek Nürnberg - elektronisch verzeichnet und im Internet für eine weltweite Recherche zur Verfügung gestellt werden könnten

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen (durch Beteiligung am DFG-geförderten „Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts“, www.vdl7.de). Bei bestimmten Fragestel­ lungen wird diese Datenbank ergänzend zum Repertorium zu konsultieren sein, schon weil dort nicht selten zusätzliche Exemplare verzeichnet sind. Der große und unersetz­ bare Vorteil des Repertoriums liegt in den akribisch recherchierten, individualisierten Personennachweisen und in der Aufschlüsselung der in den Gelegenheitsschriften ent­ haltenen Beiträge samt Incipit, da kaum ein Bibliothekskatalog solche Angaben enthält und ein solcher Aufwand auch für das VD 17 nicht betrieben werden kann. Als Frucht der „abendlichen Nebenstunden“ beziehungsweise des „Mittelpunkts] der täglichen Arbeit“ in den zwei Jahren vor dem Erscheinen legt Jürgensen ein Stan­ dardwerk zum Pegnesischen Blumenorden vor. Diese „nur“ von Enthusiasmus getra­ gene, durch Fördermittel nicht materiell abgesicherte Leistung verdient Respekt. Christine Sauer

Ffans-Joachim Jakob / Hermann Körte (Hg.): Harsdörffer-Studien. Mit einer Biblio­ graphie der Forschungsliteratur von 1847 bis 2005 (Bibliographien zur Literatur- und Mediengeschichte 10). Frankfurt am Main u.a.: Lang 2006. 228 S. mit 21 Abb. € 42,50. „Georg Philipp Harsdörffer hat Konjunktur“. Mit dieser Feststellung beginnt der vorliegende Band, der „im ersten Teil eine Handhabe hinsichtlich der wichtigsten For­ schungsliteratur bcreitstellen und mit den Beiträgen im zweiten Teil einige weiße Felder auf der Harsdörffer-Landkarte ausfüllen“ will. Dementsprechend gliedert er sich in zwei verschiedene Teile: Eine Bibliographie der Forschungsliteratur zu Georg Philipp Harsdörffer und einen Aufsatzteil mit neun Beiträgen zu Leben und Werk Harsdörffers. Die von Hans-Joachim Jakob zusammengestellte Bibliographie (S. 13-35) erfasst deutsch- und fremdsprachige Literatur zu Harsdörffer und seinem Werk aus den Jahren 1847 bis 2005. Berücksichtigt werden Bände, Aufsätze und auch einzelne Kapitel oder zusammenhängende Textstellen über Harsdörfer aus umfassenderen Werken, wobei eine „Bagatellgrenze“ von mindestens vier Seiten vorausgesetzt wird. Die Gliederung der Bibliographie in acht thematische Abschnitte macht sie trotz ihres beeindruckenden Umfangs leicht benutzbar. Der Tagungsband der Akademie der Künste in Nürnberg (s. unten S. 371-375) konnte mit seinen einzelnen Beiträgen nicht mehr berücksichtigt werden, jedoch wird auf sein Erscheinen hingewiesen. Theodor Verweyern „Georg Philipp Harsdörffer - ein Nürnberger Barockautor im Spannungsfeld heimischer Dichtungstraditionen und europäischer Literaturkultur. Ein Vortrag“ (S. 37-53), der im Gegensatz zur eingangs genannten Harsdörffer-Konjunktur in der Wissenschaft für Nürnberg selbst eine „konsternierende Vernachlässigung“ und Unkenntnis der Nürnberger Barockautoren feststellt, sucht nach einem kurzen biogra­ phischen Abriss nach der Stellung Harsdörffers in der europäischen literarischen Tradi­ tion. Es mag überraschen, dass Verweyen dabei neben den bekannten französischen und italienischen Vorbildern Harsdörffers diesen auch in eine genuin Nürnberger Tradition

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stellt: das Streben nach moralisch-didaktischer Breitenwirkung durch seriell produ­ zierte Texte stehe in der Nachfolge von Hans Sachs. Mit seinem Konzept von der „imitatio veterum“ sei Harsdörffer Teil eines gesamteuropäischen Akkulturationsprozesses, der sich von Petrarca bis Goethe über fast 400 Jahre erstrecke. Unter wissenschafts- und mediengeschichtlichem Gesichtspunkt sieht Jörg Jochen Berns „Kompilation und Kombinatorik. Zusammenhänge und Grenzen von Harsdörffers naturwissenschaftlichen und ästhetischen Interessen“ (S. 55-83) Harsdörffers Themen und literarische Verfahrensweisen als Ausdruck der Beschleunigung traditio­ neller kompilatorischer und kombinatorischer Verfahrensweisen der Wissensgewin­ nung in der frühen Neuzeit, die Harsdörffer als einer von wenigen deutschen Autoren in ihrer Bedeutung erkannt, praktisch genutzt und theoretisch reflektiert habe. Verfah­ ren wie Sprachkombinatorik, Anagrammatik, Mechanisierung des Sprach- und Denk­ aktes durch Verfahren wie Kombinationsschloss und Denkring, Transplantation und Montage von Text- und Bildbausteinen aus den verschiedensten Bereichen zu neuen Sinnzusammenhängen strukturierten sein Werk auf der Mikro- wie Makroebene. Mit seiner Anwendung dieser Verfahren auch und gerade auf den innovativen Bereich von Naturwissenschaft und Technologie erschloss Harsdörffer den (deutschsprachigen) fachhandwerklichen und künstlerischen Intelligenzkreisen der oberdeutschen Städte den Zugang zu gesamteuropäischen Technologie- und Naturwissenschafts-Diskursen. Unter dem etwas rätselhaften Titel „Das Weltbuch wird aufgeschlagen. Georg Philipp Harsdörffers ,peregrinatio acadcmica““ (S. 85-96) untersucht Marcel Lepper, inwieweit Harsdörffers Bildungsreise durch Frankreich, die Niederlande, England und Italien mit ihren im späteren Werk zitierten vorgeblich realen Erlebnissen auf tatsäch­ lich realen oder auf Leseerlebnissen beruht. Auf seiner Reiseroute habe Harsdörffer eine textlich bereits vorliegende „Kulturlandschaft“ bereist; die evidentia-Rhetorik (Versicherung des eigenen Erlebens) seiner späteren Werke verschleiere den tatsäch­ lichen Textbezug. Das vorgebliche Erlebnis des „Weltbuchs“ verdanke sich weitgehend der „Buchwclt“. Einen zentralen Aspekt der Arbeit Harsdörffers untersucht Markus Hundt „Sprachtheorie und Sprachspielpraxis im 17. Jahrhundert“ (S. 97-134). Harsdörffers bekanntes Bemühen um die Vermittlung europäischer Kultur nach Deutschland erweist sich als die eher instrumenteile Nutzung eines Trägermediums, das seinerseits einem noch zentraleren Ziel dienen sollte: der Arbeit an der Hebung der deutschen Sprache. Vor dem Hintergrund der Sprachtheorien des 17. Jahrhunderts, speziell in einer verglei­ chenden Textanalyse der unterschiedlichen Umsetzung des Topos des „Sprachkriegs“ bei Harsdörffer und Schottelius zeigt Hundt, dass Harsdörffers Anliegen nicht in theoretischen Erörterungen oder gar im Theoriestreit bestand, sondern in praktischer Spracharbeit in Form von Sprachspielen als einem „anspruchsvollen Programm zur Aufwertung, Legitimation, Bewusstmachung und zum Ausbau der deutschen Sprache“. Ziel war ein spielerisch erfolgender sekundärer Spracherwerb der Muttersprachler zur Verbesserung ihres Sprachgebrauchs und damit der deutschen Sprache selbst. Klaus Haberkamm ,„... als da sind die Mahlerey / Musik / und Poeterey“. Der Auf­ zug ,Die Tugendsterne“ in Harsdörffers ,Gesprächsspielen“ als,Sinnkunst““ (S. 135-156)

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen zeigt am konkreten Beispiel, wie die verschiedenen Künste durch das Ansprechen ver­ schiedener menschlicher Sinne und Geisteskräfte Zusammenwirken und sich damit zu einem Gesamtkunstwerk ergänzen. Die beiden folgenden Aufsätze beschäftigen sich mit G. Ph. Harsdörffers Kriminal­ romanen. Hania Siebenpfeiffer „Narratio crimen - Georg Philipp Harsdörffers ,Der Große Schau-Platz Jaemmerlicher Mord-Geschichte“ und die frühneuzeitliche Krimi­ nalliteratur“ (S. 157-176) sieht im erklärten Gegensatz zur bisherigen Kriminalliteratur­ forschung, die den Kriminalroman (im Unterschied zur Verbrechensliteratur) für eine Entwicklung des späten 18. Jahrhunderts hält, in Harsdörffers „Mord-Geschichte“ eine Frühform der modernen Kriminalgeschichte, wenn auch noch ohne die zeitlich-kausale Permutation der heutigen Detektivgeschichte. In diametralem Gegensatz zu dieser Betonung der Modernität Harsdörffers hält Rosmarie Zeller „Harsdörffers Mordgeschichten in der Tradition der Histoires tragiques“ (S. 177-104) seine Erzählungssammlung für literarisch rückwärtsgewandt. Indem Harsdörffer nicht wie sein Vorbild Camus die innere Motivation, sondern die moralisch-didaktische Ausdeutbarkeit in den Vordergrund stellt, mache er aus Novel­ len Exempel und falle damit auf eine ältere literarische Entwicklungsstufe zurück. Auch die beiden letzten Beiträge beleuchten das gleiche Werk aus unterschiedlicher Perspektive. Peter Heßelmann ,„Diese noch der Zeit unbekannte Dichtart“. Zur Poetologic des ,Lehrgedichts“ in Georg Philipp Harsdörffers ,Nathan und Jotham““ (S. 195-211) untersucht Systematik und Entwicklung des Lehrgedichts im Kontext des Gesamtwerks Harsdörffers. Das Lehrgedicht sei zu einer bevorzugten Textsorte Hars­ dörffers mit dem Ziel der Moraldidaxe geworden. Dagegen untersucht Hans-Joachim Jakob .„Damit der rätselliebende Leser sich so viel leichter darein finden könne“. Hars­ dörffers Rätseltheorie in den Paratexten von .Nathan und Jotham““ (S. 214-226) Hars­ dörffers Theorie des Rätsels als eines verkürzten Lehrgedichts. Mit seiner aktuellen Bibliographie und den teilweise kontroversen Aufsätzen ist der vorliegende Band geeignet, der Harsdörffer-Forschung weitere Anregungen zu geben. Horst-Dieter Beyerstedt

Doris Gerstl (Hg.): Georg Philipp Harsdörffer und die Künste (Schriftenreihe der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg 10). Nürnberg: Carl 2005. 237 S. mit zahlr. Abb. € 29,90 „Weit gereist und mit den intellektuellen Eliten Europas kommunizierend brachte der kosmopolitisch gesinnte Georg Philipp Harsdörffer die Kenntnis der akademischen Konversation ... ins reichsstädtische Nürnberg. Hier prägte er ein geistiges Klima schöpferischen Kulturaustauschs, das im Jahr 1662 zur Gründung der ersten deutschen Kunsthochschule, der Akademie der bildenden Künste in Nürnberg, beitrug.“ Als einen ihrer geistigen Väter nehmen diese Worte des Vorworts den 1658 verstorbenen Georg Philipp Harsdörffer in Anspruch. Grund genug für die Akademie der Bildenden

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Künste, vor dem Hintergrund der - zumindest wissenschaftlichen - HarsdörfferRenaissance auch ihrerseits im Mai 2004 ein Symposion zu diesem großen Nürnberger Barockgelehrten und -Schriftsteller zu veranstalten. Dass hierbei in erster Linie Harsdörffers Verhältnis zu den Künsten im Mittelpunkt stand, kann kaum verwundern. Direkt ins Zentrum des Tagungsthemas führt der einleitende Beitrag von Barbara Becker-Cantarino „Ut pictura poesis? Zu Harsdörffers Theorie der,Bildkunst““ (S. 921). Anhand der kunsttheoretischen Äußerungen Harsdörffers untersucht Becker-Can­ tarino seine Auffassung der spezifischen Wirkungen von Malerei und Dichtkunst und zu den Möglichkeiten ihrer komplementären Zusammenarbeit, die eine besonders ein­ dringliche Wirkung auf das Gemüt des Menschen ausüben soll. Harsdörffers Bemühungen um eine Ausweitung des Gegenstandsbereichs der Kunst untersucht Jörg Jochen Berns „Harsdörffers Technikandacht. Zum Zusammenhang von Naturwissenschaft, Erbauung und Poesie in den .Sonntagsandachten“ und ,Erquickstunden““ (S. 22-38). Im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Barock­ dichtern sieht Harsdörffer die fortschreitende Maschinisierung des Lebens nicht negativ als Entsakralisierung des Verhältnisses von Gott, Mensch und Welt, sondern nutzt sie im Gegenteil durch die gleichnishaft-bildliche Interpretation technischer Gegenstände (Uhr, Mühle, Fernrohr etc.) positiv als Chance zu weiteren erbaulichen Betrachtungen. Nachdem die „erste Schöpfung“ (die Natur) als Gegenstandsbereich frommer Emblematik durch die Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik problematisch ge­ worden ist, macht Harsdörffer diese selbst zu ihrem Gegenstandsbereich, da sich Got­ tes Wunder in dieser „zweiten Schöpfung“ erst recht enthüllten. Ein positives Verhältnis Harsdörffers zum technischen und wissenschaftlichen Fort­ schritt konstatiert auch Peter Bexte ,„Die Welt ist wie Afrika“. Harsdörffers Entwurf einer Entwicklungsgeschichte“ (S. 39-49). Das Bibelwort „Es gibt nichts neues unter der Sonne“ gelte nach Harsdörffers Ansicht nur für die Natur, nicht für Kunst und Wissenschaft als dem Reich des von Gott geschaffenen freien Willens, wodurch Fort­ schritt eine positive Bewertung erfährt. Seine Aufgabe sieht Harsdörffer darin, das viel­ gestaltige Fremde und Neue dem Vaterland zu vermitteln, um es ihm nutzbar zu machen. Doris Gerstl „Harsdörffers ,Triumphbogen“ und die Ehrenpforte zum Einzug Kai­ ser Leopolds in Nürnberg 1658. Impresen mit dem Bild des Adlers in der HabsburgerPanegyrik“ (S. 50-76) beschreibt die nach Harsdörffers Vorgaben in der Burgstraße errichtete Ehrenpforte und ihre gedruckten Wiedergaben als Gesamtkunstwerk aus Wort, Bild, Architektur, Skulptur und Musik. Die für den Sprachpatrioten Harsdörffer zentralen Tätigkeitsbereiche von Sprachtheorie und Poetik untersucht Ferdinand von Ingen „Georg Philipp Harsdörffer und seine Experimente mit ,der Natur der Sprache““ (S. 77-88). Durch Experimente mit Klangspiel und Lautmalerei, Umstellungs- und Vertauschungsoperationen (Lieb - Leib - Beil - Ibel=Ubel etc.) suchte Harsdörffer über die Sprachstruktur verborgenen Sachbeziehungen auf die Spur zu kommen, wobei für ihn nicht die theoretische Stringenz, sondern die Umsetzung in die Praxis im Vordergrund stand. Als die „natürliche

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Sprache“ erhielt die deutsche Sprache damit selbst welterschließende und wissens­ konstituierende Funktionen. Andrea M. Kluxen „Harsdörffer und das Schauessen beim Nürnberger Friedens­ mahl“ (S. 89-103) gewinnt dem auf den ersten Blick sehr speziell wirkenden Thema eine überraschende Vielzahl bedeutsamer Gesichtspunkte ab. Als rational durchkonstruier­ tes Gesamtkunstwerk aus ephemerer Architektur und Skulptur, Zeremoniell und Musik, Tischgedeck und Gedichten, Speisen und Räucherwerk sprach das unter Fiarsdörffers Leitung entworfene Barockfest alle Sinne an, wobei die affektiv-sinnliche und rational-diskursive Dimension gleichermaßen einbezogen waren. Durch seine dauer­ hafte Verbreitung in Text und Bild gewann das Nürnberger Friedensmahl erhebliche Bedeutung für die Entwicklung des Barockfestes in Deutschland. Mit dem sehr modernen Thema des „networking“ befasst sich Hartmut Laufhütte „Harsdörffer als Organisator des Zusammenspiels der Künste“ (S. 104-126). Anhand von zwölf Briefen Harsdörffers aus den Jahren 1646/47 an den damals in Wolfenbüttel weilenden jungen Sigmund von Birken untersucht er, wie Harsdörffers Netzwerk aus persönlichen Kontakten, Verpflichtungen und Beziehungen in der Praxis funktionierte. Auf einen tiefgreifenden Wandel in der Nürnberger Buchproduktion zur Zeit Hars­ dörffers weist John Roger Paas „Deutsche Graphikproduktion in Nürnberg zu Hars­ dörffers Lebzeiten“ (S. 127-142) hin: Während Illustrationen in Nürnberger Büchern bis ca. 1640 - mit Ausnahme der Schedelschen Weltchromk - nur in bescheidenem Um­ fang vorkamen, erlebten sie seitdem einen rasanten Aufschwung und verschafften Nürn­ berg eine führende Stellung als Zentrum der deutschen Druckgraphik. Als Ursache sieht Paas eine gegenseitige Befruchtung von Ideen (Pegnesischer Blumenorden 1644, Kunstakademie 1662), Marktnachfrage (nicht zuletzt wegen des Friedensexekutions­ kongresses 1649/50), Kapital (Verleger Endtcr, Fürst und Sandrart) und Technik (Ver­ drängung des Kupferstichs durch die Radierung). Harsdörffer war an dieser Ent­ wicklung durch eigene Werke, aber auch durch seine theoretischen Reflexionen wesentlich beteiligt. Markus Paul „Wider das ,Spiel vom Teufel Heer“. Harsdörffer und das christliche Schauspiel bei den Nürnbergern im Kontext zeitgenössischer Theaterfeindlichkeit“ (S. 143-157) weist darauf hin, wie stark die Theaterfeindschaft der Nürnberger Geist­ lichkeit den Charakter der Poetologie Harsdörffers und Birkcns beeinflusst hat. Um die Vorwürfe der Geistlichen zu entkräften, mussten diese in ihren poetologischen Arbei­ ten den christlichen Gehalt der Schauspiele als Tugend- und Lasterspiegel betonen und diesen auch in ihren eigenen dichterischen Produktionen (z.B. Harsdörffers „Seelewig“, Dichtungen des Pegnesischen Blumenordens) herausstellen. Damit schlug die Ent­ wicklung der Poetik und dichterischen Praxis in Nürnberg eine Richtung ein, die sich von der übrigen, an der (heidnischen) Antike orientierten deutschen Barockpoetik deutlich unterschied. Mit dem Vorschneiden als theatralisierter Kunst befasst sich Werner Wilhelm Schnabel „Vorschneidekunst und Tafelfreuden. Georg Philipp Harsdörffer und sein

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,Trincierbuch“‘ (S. 158-174). Als „kunstvolle Überformung alltäglicher Vorgänge im höfischen Raum“ gehörte das Trincieren im beispielgebenden italienischen Stil zu den höfischen Künsten wie Fechten, Tanzen und Komplimentieren. Anhand der inhalt­ lichen Ausweitung der Neuauflagen des „Trincierbuchs“ von der Praxisanleitung zur zunehmenden Hereinnahme kulturellen Hintergrundwissens und sogar philosophi­ scher Fragen zeigt Schnabel, wie Harsdörffer gemäß seinem kommunikationsbezoge­ nen Ansatz das Trincieren als Gelegenheit zur Einübung in situationsbezogene Rheto­ rik und kultivierten Umgang nutzte. Diana Trinkner ,„Optica‘ oder die Kunst des Sehens in Harsdörffers ,Erquick­ stunden“. Über Harsdörffers erkenntnistheoretisch motivierte Verzerrung naturwissen­ schaftlicher Lehren“ (S. 175-187) stellt am Beispiel von Optik und Astronomie das ambivalente Verhältnis Harsdörffers zu den modernen Naturwissenschaften heraus, indem dieser zwar in seinen beiden „Erquickstunden“-Bänden dem interessierten Laien ohne Lateinkenntnisse den neuesten Stand der internationalen Naturwissenschaft zu vermitteln suchte, trotz aller Begrüßung der neuen Technologien aber auch die traditio­ nelle Naturphilosophie zu retten suchte. Die Emblematik als zentrale Struktur des Werkes Harsdörffers untersucht Mara R. Wade „,Das Beste liegt verborgen“. Georg Philipp Harsdörffer als Theoretiker und Praktiker der Sinnbildkunst“ (S. 188-204). Neben der Emblematik im engeren Sinne, die durch ihren Bildreichtum und ihre Häufigkeit zum Aufstieg Nürnbergs zum Zen­ trum der Druckgraphik beitrug, entdeckt Wade emblematische Strukturen auch in anderen Gattungen Harsdörffers: in Gesellschaftsspiel, Erzählkunst und dramatischer Musik („Seelewig“). Gemeinsam ist diesen Gattungen die Kombination von Motto, Bild und Text bzw. analoger Strukturen, die durch den Anstoß zu kombinatorischem Denken neue, bisher verborgene Einsichten ermöglicht. Eine Sonderstellung nimmt Klaus Winkler „Harsdörffers musikalische Welt. Gesprächskonzert mit Klaus Winkler und I Ciarlatani (Heidelberg) in der Aula der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg am 6. Mai 2004“ (S. 205-214) ein - kein wissenschaftlicher Vortrag, sondern die Wiedergabe des Musikprogramms (gesungene Strophen und gesprochene Moderationstexte) eines im Rahmen des Symposiums auf­ geführten Gesprächskonzerts mit Musik der Zeit Harsdörffers. Die auffallende Tatsache, das Harsdörffers Gesprächsspiele reich illustriert sind, seine italienischen und französischen Vorbilder aber nicht, nimmt Rosmarie Zeller „Sinnkünste. Sinnbilder und Gemälde in Harsdörffers ,Frauenzimmer Gesprächsspielen““ (S. 215-229) zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Erklärbar sei dieser Unterschied durch den umfassenden künstlerischen Ansatz Harsdörffers, der nicht nur Rhetorik und Poetik fördern wollte, sondern auch die graphischen und bildenden Künste und die Musik. Am Beispiel dreier Bühnenstücke Harsdörffers wird das kom­ plexe Verhältnis von Text, Bild und Musik untersucht, das auf die Schulung des mensch­ lichen Verstandes abzielte. Ein kombiniertes Namens-, Orts- und Sachregister schließt den Band ab.

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Dass die einzelnen Beiträge eines solchen Tagungsbandes unterschiedlich ausfallen und eine allgemeingültige Bewertung daher nicht möglich ist, liegt in der Natur der Sache. Aus Sicht des Lesers ist kritisch anzumerken, dass die einzelnen Beiträge nicht nach thematischen Gesichtspunkten zusammengestellt sind, so dass inhaltlich zusam­ mengehörige Beiträge über entfernte Stellen des Bandes verstreut sind. Hervorzuheben ist, dass das Symposion und der hier vorgestellte Tagungsband nicht nur viele Einzeler­ kenntnisse erbracht und der internationalen Harsdörffer-Forschung neue Impulse ver­ mittelt, sondern auch in Nürnberg selbst diesen großen und überraschend modernen Sohn der Stadt ins öffentliche Bewusstsein gerückt hat. Es bleibt abzuwarten, ob man sich zu den bevorstehenden Jubiläen (400. Geburtstag am 1.1 1.2007, 350. Todestag am 17.9.2008) an ihn erinnern wird. Horst-Dieter Beyerstedt

Alexander Schmidt: Kultur in Nürnberg 1918-1933. Die Weimarer Moderne in der Provinz. Nürnberg: Sandberg-Verl. 2005. 403 S. mit Abb. € 32, 80 „Weimarer Kultur“ - dies verbindet man mit den herausragenden, innovativen Strö­ mungen und Ansätzen, die einen Aufbruch in die Moderne bedeuteten: Dadaismus, Expressionismus, Bauhaus, Ernst Toller oder Bertold Brecht stehen gewissermaßen zei­ chenhaft für die vielfältigen Formen künstlerisch-kultureller Avantgarde, deren Wur­ zeln in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts lagen und die das Bild der „Weimarer Kultur“ im Rückblick prägen. Gleichwohl ist dieses Bild letztlich verkürzend. Zwar prägte die Avantgarde die Kultur der Weimarer Republik mit, doch handelte es sich bei dieser um eine „tief gespaltene Kultur, zugespitzt gesagt: [...] zwei Kulturen, die sich gegenseitig kaum etwas zu sagen hatten und sich mit tiefer Fremdheit und Feindselig­ keit gegenüberstanden, jede der anderen - wenn auch mit unterschiedlicher Berechti­ gung - die ,Kultur‘-Qualität absprechend“ (Eberhard Kolb). Mit dem Blick auf Nürnberg unternimmt es Alexander Schmidt, gewissermaßen die Kehrseite der „Weimarer Kultur“ zu zeigen, die Kultur in der Provinz, genauer: in einer „Provinzgroßstadt“. Die Charakterisierung Nürnbergs als „Provinzgroßstadt“ ist dabei ebenso Ausgangspunkt der Arbeit wie ihr Ergebnis. Schmidt verfolgt einen um­ fassenden Ansatz, der verschiedene Formen traditionellen Kulturlebens ebenso ein­ bezieht wie die Formen der entstehenden und für die Weimarer Republik charak­ teristischen „Massenkultur“. Mit den Teilbereichen Literatur und Publizistik, Theater, Oper und Konzert, bildende Kunst und Architektur, schließlich Volksbildung und neue Formen der Kultur wie Kino, Radio, Variete und Sport erschließt er ein breit gefächer­ tes Spektrum, aus dem allerdings die Wissenschaft ausgespart bleibt. Wie der Autor zeigen kann, war Nürnberg in den 1920er Jahren keine Stadt mit einer „Kulturproduktion“ von Rang. Ein bedeutender aus Nürnberg stammender Schrift­ steller wie Hermann Kesten verließ Nürnberg, nachdem er - immerhin - seinen ersten Roman Joseph sucht die Freiheit noch in einem Cafe am Dutzendteich geschrieben hatte, und zog nach Berlin. In Nürnberg selbst blieben, von wenigen Ausnahmen abge­ sehen, Provinzgrößen wie der eingehend gewürdigte Georg Gustav Wieszner, der auf

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teils originelle, teils etwas verschrobene Weise versuchte, neue Tendenzen in der Archi­ tektur, der Malerei und Literatur zu popularisieren - eine „Provinzform der Weimarer Moderne“ (S. 299). Theater-, Opern- und Konzertaufführungen blieben überwiegend im Rahmen eines eher konventionellen Programms; am experimentierfreudigsten waren die städtischen Bühnen in der kurzen Ara des Intendanten Willy Stuhlfeld (1920/22), während die Bereitschaft, sich der Moderne zuzuwenden, unter dem wesentlich länger amtierenden Johannes Maurach (1922-1939) deutlich nachließ. In der bildenden Kunst scheinen bekennende Anhänger konservativer Stilrichtungen wie die Landschafts- und Genre­ maler Rudolf Schiestl und der von Hitler hochgeschätzte Hermann Gradl für Nürnberg charakteristischer als ein Vertreter der Moderne wie Hans Werthner; immerhin konnte an der Nürnberger Kunstgewerbeschule auch ein Graphiker wie Max Körner wirken, zu dessen Schülern Richard Lindner und Elsbeth Schülein zählten. In der Architektur blieben entschieden an der Weimarer Moderne orientierte Bauten wie das heftig ange­ feindete Schocken-Kaufhaus die Ausnahme. Auch für Großprojekte wie die Siedlung Nordostbahnhof wurde ein gemäßigt moderner Stil gewählt, der in seinen „nüchter­ nen“ Formen Elemente des „neuen Bauens“ aufgriff, aber traditionellen Bauformen verhaftet blieb. Mit der Wohnanlage Gibitzenhof, der Poststadt in der Südstadt und mit Bauten Otto Ernst Schweizers wurden zwar auch deutlich an der „klassischen Moderne“ orientierte Bauvorhaben verwirklicht; an der Stadtmauer allerdings fanden derartige Experimente ihre Grenze. Wie man dies nachträglich bewertet, ist freilich auch Sache der Maßstäbe. Dem Urteil des Autors, dass der Bruch des Jahres 1945 für die städtebaulichen Konzepte in der Altstadt keine tabula rasa bedeutete, mag man zustimmen, auch wenn man es nicht eben bedauert. Lebhaften Anteil nahm die Bevölkerung der Stadt dagegen an der „populären“ Weimarer Kultur, dem Variete oder dem Kino, nicht zuletzt dem Sport - die Erfolge des 1. FCN sind nur die Spitze einer breiten Resonanz, die Nürnberg zu einer „Hochburg“ des Sports in den 1920er Jahren machte. Zu den hemmenden Faktoren der Rezeption der Weimarer Moderne zählten Teile der Nürnberger Presse, besonders der konserva­ tive Fränkische Kurier, der Auflage nach das zweitgrößte Nürnberger Blatt, der sich mit seinem Feuillctonredakteur Oscar Franz Schardt im „Kampf gegen die Weimarer Moderne“ (S. 46) hervortat, aber auch der Oberbürgermeister Hermann Luppe. Luppe konnte eine beachtliche Bilanz seines kommunalpolitischen Wirkens vorweisen und zählte zu den entschiedenen - und deswegen heftig angefeindeten - Gegnern des Natio­ nalsozialismus; modernen Tendenzen in der Kunst und der entstehenden Massenkultur stand er jedoch kritisch, ja ablehnend gegenüber. Seine Vorbehalte gegenüber einer am Bauhaus orientierten Architektur trugen dazu bei, dass sich das Flachdach in Nürnberg nicht durchsetzen konnte, seine konservativen Vorlieben in der Malerei bestimmten die Anschaffungspolitik der städtischen Sammlungen maßgeblich mit, und seine Perhorreszierung des Kinos verleitete ihn sogar, sich einer Kampagne anzuschließen, die sich gegen die Aufführung des nach Motiven aus Wagners „Meistersinger“ gedrehten Films „Der Meister von Nürnberg“ in Nürnberg richteten.

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen In seiner grundlegenden und auf einer breiten Quellenbasis ruhenden Unter­ suchung arbeitet Schmidt überzeugend und zugleich differenzierend heraus, dass und in welchem Maße die rezeptive und produktive Partizipation an der Weimarer Moderne begrenzt blieb, wenngleich man sich mitunter eine weniger schwarzweiße Rubrizierung unter „rückwärtsgewandt“ und „modern“ wünschen würde. Insgesamt konstatiert Schmidt für Nürnberg letztlich ein weitgehendes „Scheitern der Moderne in der Provinz“ (S. 247). Nürnberg war damit kein Einzelfall, doch zeigt der vom Verfasser angestellte Vergleich mit anderen deutschen Städten derselben Größenordnung, dass es durchaus mittlere Großstädte gab, die sich der Avantgarde stärker öffneten und damit anders als Nürnberg - wenigstens für bestimmte Sektoren überregionale kulturelle Zen­ tren zu werden vermochten. Wie der Verfasser eindringlich deutlich macht, zählte die wenig förderliche Ausrichtung der Nürnberger Kommunalpolitik zu den wesentlichen Bedingungsfaktoren dieses charakteristischen Mangels. Georg Seiderer

Franziska K n ö p f 1 e : Im Zeichen der „Soziokultur“. Hermann Glaser und die kom­ munale Kulturpolitik in Nürnberg (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesge­ schichte 64). Nürnberg: Stadtarchiv Nürnberg 2007. VIII, 346 S. mit 25 Abb. € 39,Kulturpolitik und kulturelles Leben in Nürnberg haben in den vergangenen Jahren eine breite wissenschaftliche Würdigung erfahren. Nach den Arbeiten über die Zeit­ räume 1930-1945 (Michael Maaß, Nürnberger Werkstücke 53, 1994, rezensiert in MVGN 82), 1945-1950 (Clemens Wächter, Nürnberger Werkstücke 59, 1999, rezensiert in MVGN 88) und 1918-1933 (Alexander Schmidt, Sandberg-Verlag, 2005, Rezension siehe oben) liegt nun auch für den Zeitraum von etwa 1964 bis Anfang der 1980er Jahre eine umfangreiche Arbeit zu diesem Thema vor. Eine jede Epoche erfordert andere Zugangswege und Schwerpunktsetzungen, und es kann hier nicht der Ort sein, die Konzepte der einzelnen Arbeiten einer vergleichenden Analyse zu unterziehen. Trotzdem ist augenfällig, dass die zu rezensierende Arbeit von Franziska Knöpfle bezüglich ihrer Anlage in einem wesentlichen Punkt anders orien­ tiert ist, welcher, und dies lässt sich als grundlegendes Charakteristikum festhalten, tat­ sächlich auch für die zur Debatte stehende Epoche kennzeichnend ist: die Zentrierung auf ein bestimmtes kulturpolitisches Konzept, die Soziokultur-Idee, die hinsichtlich der Gesamtbreite der Erscheinungsformen des kulturellen Lebens zum bestimmenden Merkmal werden sollte. So untersucht die Autorin nicht die Gesamtheit des Nürnberger kulturellen Lebens im genannten Zeitraum, sondern konzentriert sich auf die mit dem Soziokultur-Konzept verbundenen Ausprägungen. Eine Betrachtung der Schnittmenge mit den Erschei­ nungsformen „konventioneller“ Kultursparten geschieht ausführlich im Bereich der Bildenden Kunst, wo die Einwirkungen der soziokulturellen Neuansätze auf die tra­ dierten Formen des Kulturbetriebes beispielhaft aufgezeigt werden. Zu widersprechen ist jedoch dem einleitend angeführten Axiom, dass die Musik und die Darstellende Kunst, die in der Konzeption Glasers ebenso „demokratisch geöffnet werden sollten“,

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unberücksichtigt blieben, „da sie keine weitere Erkenntnisdimension eröffnen würden“ (S. 4) - aufgrund der grundlegend unterschiedlichen Rezeptionsmechanismen von Bil­ dender Kunst einerseits und Darstellender Kunst sowie Musik andererseits wäre jedoch durchaus von Interesse, in welcher Weise sich etwa im Konzertbetrieb die Umsetzung der soziokulturellen Thesen manifestierte. Vor dem Hintergrund der umfassenden The­ matik freilich schmälert diese Kritik die Leistung der gesamten Arbeit in keiner Weise. Die Autorin wählte Nürnberg als Bezugrahmen für ihre Arbeit, da mit Hermann Glaser, von 1964 bis 1990 Schul- und Kulturreferent der Stadt, eine Persönlichkeit die Kulturpolitik verantwortete, die nicht nur als Praktiker, sondern auch als mit zahl­ reichen Publikationen ausgewiesener Theoretiker dieses Bereichs die Diskussionen jener Jahre prägte. Als zeitlicher Rahmen dient ihr einerseits der Amtsantritt Glasers 1964 und andererseits der Abschluss der zentralen Weichenstellungen Anfang der achtziger Jahre (wobei hier gleichzeitig auch die notwendige Beachtung archivalischer Schutzfristen einen terminus ante quem setzt). Ein einleitender Abschnitt der Arbeit thematisiert die Rahmenbedingungen: die rechtlichen, administrativen und traditionellen Grundlagen der Kulturpolitik, die Per­ sönlichkeit Hermann Glasers und das theoretische Konstrukt der Soziokultur als ein Konzept, das der traditionellen Kulturpolitik, als Hort der sogenannten Hochkultur angesehen, eine gesellschaftspolitisch aktive und weitere Bevölkerungsschichten an­ sprechende Alternative entgegensetzen sollte. In ihrem Hauptteil beschreibt die Autorin zum einen die Neuansätze im tradi­ tionellen Bereich des Museumswesens: die Entwicklung der Städtischen Kunstsamm­ lungen in der Ära Dietrich Mahlow, des Instituts für Moderne Kunst und des Kunst­ pädagogischen Zentrums im Germanischen Nationalmuseum, ferner die Museumsneu­ gründungen Spielzeugmuseum und Museum Industriekultur. Zum anderen legt sie die Konzepte, Auseinandersetzungen, Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Soziokultur als Ausprägung neuer, im kulturellen Leben bislang unbekannter Formen dar: die jähr­ lich abgehaltenen „Nürnberger Gespräche“ (1965-1969 mit der Neuauflage 1977 und 1979), die beiden „Kybernetikon“-Kongresse (1972 und 1974), die Gründung des Kom­ munikationszentrum „KOMM“ 1972 bis zur „Nürnberger Massenverhaftung“ 1981 und die Etablierung der Kulturläden ab 1974. Grundlegend ist festzuhalten, dass die Autorin in ihrem Argumentationsgang nicht der Versuchung erliegt, dem Hauptprotagonisten sowie den zeitlich doch recht nahe liegenden und deshalb vielfach affektiv noch nachwirkenden Geschehnissen in gewisser Weise unreflektiert gegenüberzutreten, sondern dass sie ihre Darlegungen durchweg auf kritischer Distanz aufbaut - dies gilt insbesondere auch für das sensible Thema „KOMM“, welches einer recht ausgewogenen Aufarbeitung unterzogen wird. So ist der Autorin mit vorliegender Dissertation eine äußerst lesenswerte Arbeit gelungen, die sich mit einem überregional bedeutenden Kapitel Nürnberger Kulturpolitik in einer für die Kulturgeschichtsforschung gewinnbringenden Weise auseinandersetzt.

Clemens Wächter

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Volker Sellmann: ... und den Menschen ein Wohlgefallen. Die Krippe auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt von Max Renner und Berti Kuch. Bamberg: Hein­ richs-Verl. 2006. 112 S. mit zahlr. Abb. € 16,Ein bislang kaum beachtetes, aber in kunsthandwerklicher und biographischer Hin­ sicht interessantes Thema hat der Autor mit dieser Publikation aufgegriffen. Die jähr­ lich auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt gezeigte Krippe wurde - nach einem heute verschollenen Provisorium von 1934 - erstmals 1935 aufgestellt, zwei Jahre nach der Rückverlegung des Christkindlesmarktes auf den heutigen Hauptmarkt durch die Nationalsozialisten. Zum einen stellt der Band die Entstehungsgeschichte des Krippen­ werkes und die Weiterentwicklung in der Folgezeit sowie die Gestaltung der einzelnen Figuren mit ihrer schlichten Ästhetik dar. Zum anderen werden die beiden Urheber, die in Nürnberg noch zahlreiche andere Werke der Bildenden Kunst schufen, in ausführ­ lichen Biographien vorgestellt. Der Bildhauer Max Renner (1900-1974), unter anderem 1947 als Gründungsmitglied der Nürnberger Künstlervereinigung „Der Kreis“ hervor­ getreten, schuf die Schnitzarbeiten; das Gesamtkonzept und die Bekleidung der Krip­ penfiguren stammen von der Grafikerin und Malerin Berti Kuch (1904-1994), die zusammen mit ihrem Ehemann, dem Maler und Graphiker Jobst Kuch, in Nürnberg beispielsweise 1935-1939 die Kirche Hl. Kreuz ausstattete. Wer eine lohnende Alterna­ tive zu gängiger weihnachtsbezogener Literatur sucht, wird mit dem lesenswerten und treffsicher charakterisierenden Band nicht enttäuscht werden. Clemens Wächter

Christian Schmidt / Georg Stolz: Soli Deo Gloria. Die Orgeln von St. Lorenz (Schriftenreihe des Vereins zur Erhaltung der St. Lorenzkirche in Nürnberg e.V. 3). Nürnberg: Mabase-Verl. 2005. 114 S. mit 126 Abb. € 19,80 Es handelt sich bei dieser Schrift um die Dokumentation der umfangreichen und für den Uneingeweihten kompliziert anmutenden Um-, Ein- und Neubaumaßnahmen, die an der Orgeleinrichtung zu St. Lorenz in den Jahren 1998 bis 2005 vorgenommen wor­ den waren. Es wurde die Hauptorgel auf der Westempore in den Vorkriegszustand ge­ bracht und zugleich erweitert, es wurde die von 1862 stammende, beinahe 30 Jahre lang eingelagerte Orgel der Hersbrucker Stadtpfarrkirche als ,Stephanusorgel‘ in den Chor eingebaut, und cs wurde die an der nördlichen Langhauswand angebrachte Laurentius­ orgel durch einen gegenüber der Vorgängerin erweiterten Neubau ersetzt. Zwei Werke, die Hauptorgel sowie die Chororgel, stammen aus der Produktion der Oettinger Firma Steinmeyer und werden als Denkmalorgeln eingestuft; die Laurentiusorgel erbaute die Kölner Firma Klais, die überdies verantwortlich für die gesamten orgelbaulichen Maß­ nahmen ist. Aus verschiedener Perspektive - derjenigen des Orgelgutachters, des Orgelbauers, des Kirchenmusikers, des Architekten, des engagierten Gemeindemit­ glieds - werden die Arbeiten eingehend beschrieben, wobei immer wieder im Zusam­ menhang mit der Begründung des Unternehmens auf die .Raumklangkonzeption“ von 1937 verwiesen wird, also die akustische Durchdringung des widerständigen vielgeglie­ derten Kirchenraums. Der Historiker findet hier wieder ein Lehrstück über die Macht des Gewohnten: Für uns heute ist der primäre Orgelstandort eine Westempore, doch

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MVGN 94 (2007) Kultur, Sprache, Literatur, Musik war dies nicht immer so, zumal nicht zur Zeit der gotischen Kirchen. Man kann im akustischen Manko der Westemporenorgel die Triebfeder für die heutige monumentale dreiteilige Orgelanlage sehen. Zahlreiche Abbildungen und technische Zeichnungen unterstützen die Texte. Kür­ zere, doch vollständige Beschreibungen der beiden kleinen zusätzlichen Instrumente erfüllen den Anspruch, von „den Orgeln“ in St. Lorenz zu handeln; tabellarisch sind Organisten und Orgelbauer an St. Lorenz von den Anfängen bis heute aufgelistet. Selbstverständlich fehlen auch nicht die ausführlichen Dispositionsverzeichnisse der drei großen Orgeln. Herausgehoben sei Hermann Harrassowitz“ ausführliche Ab­ handlung zur Geschichte der Lorenzer Orgeln und ihrer Standorte. Die Idee, mit einem kleinen Fachwortlexikon zum Orgelbau dem nicht mit der Materie vertrauten Leser die Lektüre zu erleichtern, ist begrüßenswert. Die abgedruckten Auszüge aus dem Gut­ achten von Manfred Schwartz werden gleichwohl nicht bis ins Einzelne hinein zu ver­ stehen sein (was ist ein „Kernstich“? was eine „Expression“?). Sieht man über die typo­ graphischen und formalen Unzulänglichkeiten dieser Schrift hinweg, so hat man das anlassgebundene und doch über den Tag hinaus gültige Zeugnis einer bemerkenswerten Orgelbauunternehmung in Händen. Thomas Röder

Marion Voigt (Hg.): Lust auf Bücher. Nürnberg für Leser. Nürnberg: Deuerlein 2005. 336 S. mit zahlr. Abb. € 3,95 In knalligem Orange macht das handliche Buch auf sich aufmerksam: Es ist kein Geringerer als Toni Burghart, der für die ins Auge stechende Umschlaggestaltung ver­ antwortlich zeichnet. Burghart setzt dabei eines der Nürnberger Wahrzeichen ins Bild. Unverkennbar zeigt sich einer der vier rund ummantelten Stadtmauertürme als aufge­ schlagenes Buch. So subtil und gleichzeitig plakativ verspricht der Titel einen umfas­ senden Überblick über Nürnberg als Stadt der Bücher. Marion Voigt, gelernte Buchhändlerin, dann studierte Slawistin und Historikerin und heute als Texterin und Lektorin tätig, zeichnet als Herausgeberin für ein umfas­ sendes Kompendium rund um das Thema „Nürnberg und das Buch“ verantwortlich. Verlegt hat es Tom Deuerlein, Antiquar aus Leidenschaft, der trotz der zunehmenden Verlagerung des antiquarischen Büchermarkts ins Internet sein Ladengeschäft am Marientor an buchhandelsgeschichtlich interessanter Stelle betreibt, war hier doch von 1884 bis in die 1970er Jahre die Buchhandlung Carl Koch ansässig. Den insgesamt 22 weiteren Autorinnen und Autoren gelingt es, in vier großen Abschnitten die gegenwär­ tige Buchszenc darzustcllen und gleichzeitig einen Blick in die Vergangenheit Nürn­ bergs als Verlags- und Buchzentrum zu wagen. Für diesen Rückblick gewann man Walter Gebhardt, Bibliothekar am Stadtarchiv Nürnberg und Autor. Flott schreibend erläutert er mehr als 500 Jahre Nürnberger Buchdruckgeschichte von den Werkstätten Johann Sensenschmidts und Anton Kobergers bis zu maul-belser und der Mediengruppe um den Verlag Nürnberger Presse in der Gegenwart. Dabei öffnet er auch Seitenblicke auf die Buchhandels- und Presse-

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen geschichte und stellt in aller Kürze einzelne Personen wie Johann Petreius, Johann Baptist Homann oder Johann Philipp Palm vor. Ausgeklammert werden die Nürn­ berger Dichter und Literaten, denn weder Gebhardts Beitrag noch das Buch insgesamt wollen eine Nürnberger Literaturgeschichte oder einen Überblick über die Literatur­ szene der Gegenwart liefern. Der aktuellen Buchproduktion widmen sich die vier dem historischen Überblick fol­ genden Abschnitte: Verlage und Buchkünstler, Buchhandlungen und Antiquariate, Bibliotheken und Archive, Vereine und Specials. In der ersten Rubrik werden 26 Ver­ lage und Buchkünstler vorgestellt. Das Spektrum reicht dabei von Kleinstverlagen bis zu den „Großen“ wie dem Tessloff Verlag. Eine ähnliche Bandbreite stellt der Abschnitt Buchhandlungen und Antiquariate - stolze 46 an der Zahl - vor: von der Stadtteilbuch­ handlung bis zu den Buchkaufhäusern in der Fußgängerzone. Gerade in diesem Ab­ schnitt zeigt sich jedoch die kurze „Halbwertszeit“ eines aktuellen Handbuches, denn mindestens drei der beschriebenen Buchhandlungen existieren schon nicht mehr (Stand Juni 2007): Die Bücherkiste in der Schlehengasse, Petersens Uni-Buchhandlung am Äußeren Läufer Platz sowie die traditionsreiche Unitas in der Jakobstraße. Die betref­ fenden Artikel halten aber dennoch ein Stück Nürnberger Buchhandelsgeschichte fest. Zeitlos dagegen ist der Teil über die 33 Bibliotheken und Archive, zum Teil garniert mit lesenswerten Einführungen in die Geschichte der jeweiligen Institutionen. Der Ent­ deckerfreude der Bücherfreunde und -freundinnen sind kaum Grenzen gesetzt, erfährt man doch, dass es neben Stadtbibliothek, Universitätsbibliothek und der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums auch Büchersammlungen für das spezielle Interesse etwa bei der Nürnberger Astronomischen Arbeitsgemeinschaft, Fliederlich e.V. oder dem Deutschen Alpenverein - um nur ein paar Beispiele herauszugreifen - zu ent­ decken gibt. Die letzte Rubrik könnte auch „Vermischtes“ heißen, wie der Titel „Vereine und Specials“ schon vermuten lässt. Hierunter werden 22 Organisationen und Betriebe vorgestellt, die literarischen Vereinigungen wie der Pegnesische Blumenorden oder die Goethe-Gesellschaft ebenso wie das „Buchkontor - Klinik für zerfledderte Bücher“ in der Weißgerbergasse. Das Buch hält, was es verspricht: Es macht „Lust auf Bücher“, Lust darauf, Nürn­ berg als Verlags-, Bibliotheks- und Buchhandelsplatz in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder neu zu entdecken. Martin Schieber

Ingmar Reither: Geschichte zwischen den Zeilen. Die Nutzung fiktionaler Texte als geschichtliche Quellen (Veröffentlichungen der CPH-Jugendakademie 4). Schwalbach/ Ts.: Wochenschau-Verl. 2005. 256 S. mit 47 Abb. € 17,40 Historisch-politische Jugendbildung, Didaktik der Geschichte, Stadttourismus, Literatur - was kann das alles miteinander zu tun haben? Die Antwort findet sich in Ingmar Reithers Werk „Geschichte zwischen den Zeilen. Die Nutzung fiktionaler Texte

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MVGN 94 (2007) Kultur, Sprache, Literatur, Musik als geschichtliche Quellen“, das Theorie und Praxis der Vermittlung von Geschichte anhand literarischer Texte ins Blickfeld rückt. Es handelt sich um eine Dissertation, die im Wintersemester 2001/02 im Fachbereich Didaktik der Geschichte an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg eingereicht wurde. Die Verknüpfung der vier eingangs genannten Themenbereiche mag zunächst überraschen. Können litera­ rische Texte tatsächlich ein geeignetes Mittel sein, (Stadt-)Geschichte Jugendlichen im Rahmen einer Stadtführung nahe zu bringen? Reithers Antwort lautet klar: Ja! Dabei stützt er sich nicht allein auf die Theorie, sondern auf praktische Erfahrungen mit Gruppen bei Stadtrundgängen. Diese konnte er, heute hauptamtlicher Mitarbeiter im Kunst- und Kulturpädagogischen Zentrum der Museen in Nürnberg (KPZ), als Rund­ gangsleiter bei Geschichte Für Alle e.V. - Institut für Regionalgeschichte in großem Maße sammeln. Die Idee, eine Stadtführung in Nürnberg zu erarbeiten, in der Geschichte „zwischen den Zeilen“ vermittelt wird, entstand beim Verfasser durch die intensive Beschäftigung mit den Themen und Zielen der Arbeit von Geschichte Für Alle e.V. - Institut für Regionalgeschichte. Der 1985 gegründete Verein, in Nürnberg, Fürth, Erlangen und Bamberg tätig, ist zugleich eines der Gründungsmitglieder des „Forum Neue Städte­ touren“ (FNS). Dieser Dachverband der aus der „Neuen Geschichtsbewegung“ der 1980er Jahre hervorgegangenen, in Erforschung und Vermittlung von Stadtgeschichte tätigen Organisationen umfasst gegenwärtig 20 Mitglieder in Deutschland und der Schweiz. Der erste Teil der Arbeit stellt daher zunächst das FNS und Geschichte Für Alle e.V. - Institut für Regionalgeschichte vor und ordnet sie im Rahmen der „Neuen Ge­ schichtsbewegung“ in den Kontext „geschichtsdidaktisch orientierter Stadttourismus“ ein. Dabei wird deutlich, wie viele und wertvolle Anregungen für den Stadttourismus von diesen Organisationen kamen (vgl. auch Clemens Wächter: Neue Geschichtsbewe­ gung und alternative Geschichtsvereine, in: MVGN 90/2003, S. 65-86). Verschiedene der im FNS zusammenarbeitenden Anbieter von Stadtführungen hatten immer wieder einzelne Autoren zum Inhalt von Rundgängen gemacht, so Stattreisen Münster e.V. Annette von Droste-Hülshoff, Stattreisen München e.V. Oskar Maria Graf oder Stattreisen Berlin Alfred Döblin. Ingmar Reithers neuer, darüber hinausgehender Ansatz war es nun, nicht einen einzelnen Dichter, sondern die Ver­ mittlung von Geschichte und Gegenwart einer Stadt durch fiktionale literarische Texte ins Zentrum einer Führung zu stellen. Dabei steht Reither auch in der Tradition des Publizisten Dietmar Grieser, der als „Literatur-Tourist“ nicht die für die Biographie eines Dichters wichtigen Orte, sondern die in literarischen Texten beschriebenen Schau­ plätze in den Blick seiner Reisebeschreibungen nahm. Das Produkt, das Reither in der vorliegenden Arbeit präsentiert und das in den Jahren 1997/98 sowohl als offener Rundgang für Einzelbesucher als auch als gebuchte Stadtführung für Schulklassen angeboten wurde, ist ein bemerkenswerter Streifzug durch Nürnbergs Geschichte und Gegenwart. Die ausführliche Beschreibung dieses „Nürnberg zwischen den Zeilen“ betitelten Rundgangs nimmt den Flauptteil des zu

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen besprechenden Buches ein und macht es zu einem „Leckerbissen“ für jeden NürnbergLiebhaber. Angenehm ist dabei die zwar wissenschaftlich fundierte, gleichzeitig aber gut lesbare Darstellung der Materie. Verzeihlich daher die Ungenauigkeit, Philipp Melanchthon, Initiator des Nürnberger Gymnasiums von 1526, als dort tätigen Lehrer zu benennen (S. 70). An insgesamt zehn Stationen zwischen Rathaus und Unschlittplatz kommen zehn Literaten zu Wort: Fitzgerald Kusz („Stadtwappen-Haiku“, 1996), Hermann Hesse („Die Nürnberger Reise“, 1927), Heinrich Anacker („Geschmücktes Nürnberg“, 1938), Sebastian Brant („Das Narrenschiff“, 1494), Ewald Arenz („Don Fernando erbt Amerika“, 1996), Karl Bröger („Fries der Arbeit“, 1921), Bertold Brecht („Die Ballade von der Judenhure' Marie Sanders“, 1935), Peter Handke („Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968“, 1969), Hans Sachs („Das bitter-süess ehlich Leben“, 1541) und Jakob Wassermann („Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“, 1908). Die Palette reicht also von Klassikern wie Brecht und Hesse über Nürnberger Größen wie Sachs und Bröger zu aktuellen Vertretern der fränkischen Literatur-Szene wie Kusz oder Arenz, aber auch zu dem zu Recht vergessenen Nationalsozialisten Anacker, dem „Dichter der Braunen Front“. Die Auswahl ermöglicht einen vielfältigen Blick auf die Nürnberger Stadtgeschichte und nimmt mit Kusz’ Haiku auch aktuelle Diskussionen wie das Nürnberger Image-Problem ins Visier. Jede Station beginnt mit dem litera­ rischen Text. Hierauf folgt eine Kurzbiografie des Autors. Mit Bedacht kombiniert Reither den Text mit dem gewählten Standort und historischem Bildmaterial. Alles zusammen ergibt ein mustergültiges „Häppchen“ einer guten Stadtführung: aussage­ kräftiger Ort, fundierte Information, erläuterndes Bildmaterial. Beispielhaft sei Hein­ rich Anackers Gedicht „Geschmücktes Nürnberg“ von 1938 herausgegriffen: Drei fünfzeilige Strophen feiern den Fahnenschmuck der „Stadt der Reichsparteitage“, beginnend mit den Worten „Ganz Nürnberg glüht von Fahnen und Girlanden“. Rei­ ther verortet den Text an der Westseite des Hauptmarkts, also an der Stelle, wo während der SA-Aufmärsche die Limousine Hitlers stand. Anackers Verse feiern die Ein­ beziehung der Altstadt als Propagandabühne in die Reichsparteitage der NSDAP und leiten gleichzeitig ungewollt über auf die katastrophalen Folgen: Mit Blick auf den 2. Januar 1945 bekommen die Anfangsworte „Ganz Nürnberg glüht ...“ einen ganz anderen Beigeschmack, glühte die Stadt im Luftkrieg doch im wahrsten Sinne des Wor­ tes. Historische Bilder vom mit NS-Fahnen geschmückten Hauptmarkt, der Sieges­ parade der US-Armee am 20. April 1945 und den Kriegszerstörungen, die gerade einmal die Westfassade der Frauenkirche als Gerippe stehen ließen, unterstreichen eindrucks­ voll die Wirkung des Textes. Reither versteht es brillant, mit dem Blick „zwischen den Zeilen“ hindurch, einen neuen, ungewohnten Blick auf Stadtgeschichte zu öffnen. Der Jugendakademie des Caritas-Pirckheimer-Hauses ist es zu verdanken, dass die Arbeit allen Interessierten zu einem zivilen Preis zugänglich gemacht werden konnte. Martin Schieber

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MVGN 94 (2007) Kirchengeschichte, Judentum Kirchengeschichte, Judentum Barbara Steinke: Paradiesgarten oder Gefängnis? Das Nürnberger Katharinenkloster zwischen Klosterreform und Reformation (Spätmittelalter und Reformation/Neue Reihe 30). Tübingen: Mohr Siebeck 2006. 427 S. mit 6 Abb. € 89,Es ist eine schon oft bemerkte, auffällige Tatsache, dass die Nürnberger Frauenklös­ ter ihrer Auflösung im Zuge der Reformation deutlich stärkeren Widerstand entgegen­ setzten als die Männerklöster. Im Mittelpunkt der bisherigen Forschungen stand dabei - wohl auch aufgrund der überragenden Persönlichkeit seiner Priorin Caritas Pirckheimer - das Klarakloster. Steinke wendet sich in ihrer Erlanger theologischen Dissertation dem zweiten Frauenkloster innerhalb der Mauern Nürnbergs zu, dem Domimkanerinnenkloster St. Katharina. Im Mittelpunkt ihrer konfessionell unabhängigen Unter­ suchung, die sowohl den austretenden wie den klostertreuen Nonnen gerecht zu wer­ den sucht, steht die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den seit der Kloster­ reform von 1428 in St. Katharina gelebten Frömmigkeitsformen und der Haltung der Nonnen gegenüber der grundsätzlichen Klosterkritik der Reformation. In einem ersten Schritt untersucht Steinke die Durchführung der Klosterreform in St. Katharina und die neuen Frömmigkeitsformen, die durch sie eingeführt wurden. Als Grundpfeiler der neuen Ordnung erweist sich die Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der Nonnen, nach außen durch die strenge Handhabung der Klausur und die Über­ tragung der weltlichen Aufgaben der Güterverwaltung auf den Rat, nach innen durch die Abschaffung des Privateigentums der einzelnen Nonnen (nicht des Konvents als ganzem) und die neue Betonung des gemeinsamen Lebens, vor allem des Chorgebets als der Hauptaufgabe des Konvents. Nebenwirkungen dieser Betonung der Gemeinschaft durch die Klosterreform waren die Einschränkung der zuvor blühenden, extrem indivi­ dualistischen dominikanischen Frauenmystik, wenn mystische Frömmigkeit auch nicht ganz aus dem Kloster verbannt werden konnte, und auch das Fehlen eines (ebenfalls individualistisch geprägten) Klosterhumanismus in St. Katharina - als einzigem Kloster in Nürnberg überhaupt. Der Hauptteil der Untersuchung beschäftigt sich mit der spezifischen Frömmigkeit der Nonnen des Katharinenklosters in Hinblick auf die Klosterkritik der Reformation. Da unmittelbare Zeugnisse der Nonnen zu ihrer Frömmigkeit weitestgehend fehlen, muss Steinke einen indirekten Weg beschreiten: Durch die Untersuchung einschlägiger, von den Nonnen benutzter Werke der Unterweisungsliteratur aus der Klosterbiblio­ thek St. Katharinas, die heute zum größten Teil in der Stadtbibliothek Nürnberg erhal­ ten ist, rekonstruiert sie die im Konvent gelebte Frömmigkeit. Die Auswahl der unter­ suchten Werke richtet sich nach der Bedeutsamkeit der in ihnen vermittelten Frömmig­ keitsformen im Hinblick auf die Klosterkritik der Reformation. Thematisch geht es um die Fragen der Legitimation des Klosterstandes und der individuellen Heilsgewissheit der Nonnen in diesem Stand, die von den Nonnen geübte affektive Braut- und Erlebnis­ mystik mit ihrer besonderen, persönlichen Christusbeziehung und Leidensbereitschaft sowie die Bedeutung des Keuschheitsgelübdes für die Nonnen als „Bräute Christi“. Dieser vorwiegend affektiven Frömmigkeitsform der Klosterfrauen wird die intellek-

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen tuelle, vorwiegend von Männern ausgearbeitete Klosterkritik des Protestantismus gegenübergestellt, vertreten durch Schriften Lazarus Spenglers und Johannes Schwanhäusers, die eine grundsätzliche Umwertung aller bisherigen Werte bedeutete: eine Umwertung der Rolle der Frau (Mutterschaft statt Jungfrauenschaft), der Rechtferti­ gungslehre (allein durch Gnade statt durch - auch - eigene Bemühungen), der Offen­ barungsquellen (allein die Bibel statt auch kirchlicher Tradition), des Gemeinen Wohls (innerweltliches Wirken statt stellvertretendem Gebet im Kloster). Trotz einzelner Berührungspunkte (so zum Beispiel der Ablehnung einer auf Werkgerechtigkeit gegründeten absoluten Heilsgewissheit durch die Reformatoren und Klosterseelsorger gleichermaßen) standen sich beide Positionen diametral und unversöhnlich gegenüber; möglich war nur ein Entweder-Oder. Der dritte, stark biographisch geprägte Teil fragt nach den praktischen Folgen dieser so plötzlich aufgetretenen neuen Situation, der an jede Nonne unerbittlich gestellten, existentiellen Entscheidungsfrage: gehen oder beharren? In diesem Kapitel mussten die Quellen zu den einzelnen Nonnen, zu den Motiven ihres Austritts oder Verbleibs im Kloster, aber auch zu ihrem späteren Schicksal mühsam zusammengesucht werden, und es ist erstaunlich, in welchem Umfang dies der Autorin gelungen ist. Deutlich werden die unterschiedlichen Motive und Reaktionen der einzelnen Nonnen auf die neue Situation und die schwerwiegenden, oft bedrückenden sozialen, aber oft auch seelischen Folgen ihrer Entscheidung. Von 50 Nonnen sind in St. Katharina 41 im Kloster ge­ blieben und 9 ausgetreten, aber diese aus unterschiedlichen Gründen: 1 unter unmittel­ barem Zwang und 3 aufgrund des Drucks der Herkunftsfamilie, 3 aus religiöser Über­ zeugung von der neuen Lehre; in 2 Fällen bleiben die Motive unklar. Auf der Ebene des Gesamtkonvents zeigt dieser Teil die zunehmenden Pressionen des Rates und die be­ harrlichen Versuche der verbliebenen Nonnen, ihr Kloster gegen diese am Leben zu hal­ ten. Erst mit dem Tod der letzten Chorschwester und Priorin 1596 endete das Kloster. Der vierte Teil dient der Überprüfung der gewonnenen Ergebnisse an zwei Nachbar­ klöstern, dem ebenfalls nürnbergischen, aber erst spät (1513) und nur unvollkommen reformierten Dominikanerinnenkloster Engelthal und dem Bamberger Dominikanerin­ nenkloster Zum Heiligen Grab. Der Vergleich bestätigt die Beobachtungen der vor­ herigen Kapitel: Wichtigste Einflussgrößen für die Entscheidung auf der Ebene der ein­ zelnen Nonne waren die im Kloster vorherrschende Frömmigkeitsform, also die Stärke oder Schwäche des Einflusses der Klosterreform, und die Haltung und Einflussnahme der Herkunftsfamilie, entscheidend auf der Ebene des ganzen Konvents aber war die Haltung der Obrigkeit, die gegenüber dem Kloster stets am längeren Hebel saß. Damit hat die Klosterreform des 15. Jahrhunderts letztlich eine ambivalente Rolle gespielt, zwar die innere Wiederstandskraft der Klöster durch die Einführung neuer Frömmig­ keitsformen gestärkt, sie aber auch durch die Übertragung von Verwaltungsrechten der weltlichen Macht des Rates ausgeliefert. Steinke hat mit ihrer Erlanger theologischen Dissertation ein Werk vorgelegt, das in der Findigkeit beim Aufspüren und Auswerten von Quellen, in der Einfühlsamkcit und Differenziertheit seiner Fragestellungen und Interpretation, in der Beherrschung des

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MVGN 94 (2007) Kirchengeschichte, Judentum umfangreichen Stoffes und in der Genauigkeit und Stringenz seiner Analysen seines­ gleichen sucht. Die Akribie ihrer Arbeitsweise zeigt sich nicht nur in dem bis zu 6-stufigen Inhaltsverzeichnis, je einem Personen-, Orts- und Sachregister (mit differenzierter Angabe auch der verschiedenen Aspekte, unter denen die Sachbegriffe behandelt werden, mit Stichworten wie z.B. Gelübde, Gelübde/bedingtes Gelübde, Gelübde/Ent­ bindung vom Gelübde, Gelübde/Kritik und Gelübde/Ungültigkeit) und einem um­ fangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis, sondern auch in einem Anhang, dessen Kernstück aus der Beschreibung des gesamten handschriftlichen Textkorpus der Unter­ weisungstexte der Bibliothek des Katharinenklosters besteht. Historiker der Reformations- und Ordensgeschichte, der Frömmigkeit- und Mentalitätsgeschichte, aber auch der Bibliotheksgeschichte werden an diesem Buch nicht vorbeikommen. Horst-Dieter Beyerstedt

Antonio Rigon ... (Hg.): San Rocco. Genesi e prima espansione di un culto. Incontro di Studio - Padova 12-13 febbraio 2004. With summaries in English (Subsidia hagiographica 87). Bruxelles: Societe des Bollandistes 2006. X, 324 S. mit 32 Abb. € 70,Der Band versammelt dreizehn Beiträge eines Symposiums vom Februar 2004 in Padua über den Kultus um den Pestheiligen Rochus. Anlass bot die im akademischen Jahr 2000/01 an der Universität Brüssel angenommene dreibändige Dissertation von Pierre Bolle „Saint Roch, Genese et premiere expansion d’un culte au XVe siede“ und ein Beitrag desselben Autors „Saint Roch de Montpellier, Doublet hagiographique de saint Raco d’Autun“, der in der Festschrift für Guy Philippart 2005 gedruckt wurde, aber schon vorher den Teilnehmern des „Runden Tisches“ zur Verfügung stand. Ent­ gegen der bisherigen Tradition über das Leben des Heiligen, die einer anonymen, in der Lombardei nach 1430 entstandenen Vita („Acta Breviora“) folgte, erkennt Bolle unter der 1478 als Inkunabel veröffentlichten „Vita Sancti Rochi“ des Venezianers Francesco Diedo eine ältere und zutreffende Überlieferung, derzufolge Rochus zwischen 1295 und 1327 gelebt habe. Er sieht in der Person des Hl. Rochus ein „hagiographisches Duplikat“ zu dem im Languedoc und in der Dauphine verehrten mysteriösen Bischof von Autun, San Raco oder Racho (5 Dez., translatio 28. Jan.), der dort vor Sturm und unreiner Luft schützt. Nach der seit der Mitte des 15. Jahrhunderts verbreiteten Heiligenvita schenkte Rochus nach dem Tod seiner Eltern in Montpellier den Erlös seines Besitzes den Armen, pilgerte nach Italien, wo er Pestkranke pflegte und heilte, darunter angeblich in Anwesenheit des Papstes einen Kardinal. Während der Heimreise er­ krankte Rochus in Piacenza selbst an der Pest. Er zog sich in einen Wald zurück, wurde dort von einem Hund mit Nahrung versorgt, dessen Besitzer den Kranken entdeckte, pflegte und sich zur Lebensform des Heiligen bekannte. Durch einen Engel geheilt, setzte Rochus die Heimreise fort, wurde aber als Spion in Angera am Lago Maggiore gefangengenommen und starb dort nach fünfjähriger Kerkerhaft. Die Verehrung des Heiligen ist seit Beginn des 15. Jahrhunderts in Südfrankreich und Norditalien belegt und breitete sich von dort nach Süditalien, Deutschland und Flandern aus. Reliquien wurden seit 1485 in Venedig und Arles verehrt. Die Kanonisierung fand erst 1590 durch

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen den durchaus an der Sache zweifelnden Papst Sixtus V. statt. Dargestellt wird Rochus in Pilgerkleidung, die Pestbeule auf dem Schenkel, begleitet von einem Hund, zuweilen auch von einem Engel. Sein Fest ist am 16. August. Fiktive Persönlichkeit oder nicht, der Laienkult hat mächtige Spuren hinterlassen, die in den Beiträgen des Bandes diskutiert werden. Pierre Bolle fasst die Argumente seiner früheren Veröffentlichungen ausführlich zusammen, fordert die Einbeziehung weiterer liturgischer, archivalischer, ikonographischer und gedruckter Quellen, eine neue Chronologie zur Überlieferung, für die er mehrere Stemmata nach Art der Philo­ logen bietet. Andre Vauchez äussert sich über das schon vor der Rochus-Legende in Italien heimische hagiographische und kulturelle Modell des Pilgers, der auf der Pil­ gerreise den Tod findet und danach lokal als Heiliger verehrt wird, ohne dass immer seine Identität bekannt war. Robert Godding bezweifelt Bolles These und bekräftigt den lokalen Kult des Bischofs Raco im Languedoc, der erst im 15. Jahrhundert nach­ weisbar sei. Giancarlo Andenna befasst sich mit dem legendären „Kardinal von Angera“, der in den „Acta breviora“ wie in der „Vita“ des Francesco Diedo vorkommt. Francesca Lomastro berichtet über eine weitere handschriftliche Vita und die Ausbrei­ tung des Rochus-Kultes in Vicenza. Weitere Beiträge handeln von der Verehrung des Heiligen in Voghera und der Gegend von Pavia (Giovanna Forzati Golia), in Piacenza (Ivo Musajo Somma), in Padua (Antonio Rigon) und in der Umgebung von Verona (Giuseppina De Sandre Gasparini). Heinrich Dormcier („Un Santo nuovo contra la peste“) referiert über den Erfolg des Rochus-Kultes um 1500 nördlich der Alpen, die Rolle der Kaufleute aus Nürnberg und aus Lübeck und kann sich dabei auf frühere Veröffentlichungen beziehen (auf Italienisch über „Das Almosengefällbuch von St. Lorenz in Nürnberg“, San Miniato 1998, und „Nuovi culti di santi intorno al 1500 nelle cittä della Germania meridionale ...“, Bologna 1984; „St. Rochus, die Pest und die Imhoffs ...“, Anzeiger des GNM 1985, „Venedig als Zentrum des Rochuskultes in Nürnberg und in Italien“, 1991; „Der Rochusaltar in seinem religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Umfeld“, in: St. Lorenz. Hundert Jahre Verein zur Erhaltung 1903-2003“, 2004). Im Abschnitt „II culto di san Rocco a Norimberga“ geht Dormeier ausführlich auf die Rochus-Bruderschaft in Vene­ dig ein, welcher auch der Nürnberger Franz Imhoff angehörte. Konrad Imhoff ist Stif­ ter der Kapelle auf dem Rochusfriedhof in Venedig und der Rochuskapelle auf dem 1518 gegründeten gleichnamigen Friedhof in Gostenhof außerhalb der Mauern Nürn­ bergs. Die Nürnberger Rochus-Altäre in St. Lorenz und in der Imhoffkapelle auf dem Rochusfriedhof werden beschrieben und abgebildet. Wohl aus dem Umfeld des „Fondaco“, des Handelshofes für die Ober- und Niederdeutschen, mag sich der Rochuskult auch bis nach Lübeck ausgebreitet haben, wo der Bankier, Großkaufmann und FuggerFaktor Godert Wigerinck (f 1518) in der Marienkirche zwischen 1510 und 1520 einen mit Gemälden versehenen Lettner zu Ehren der Heiligen Antonius und Rochus errich­ ten ließ, die 1942 durch Bomben zerstört wurde. Neu aufgefundene Wandmalereien und Inschriften von 1461 bis nach 1500 in der Diözese Novara lassen Dominique Rigaux die Chronologie der Ausbreitung des

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MVGN 94 (2007) Kirchengeschichte, Judentum Rochus-Kults in Norditalien und seiner Ikonographie neu überdenken. Paolo Goi zählt im Friaul 70 Orte der Verehrung des Hl. Rochus, dutzende von Rochus-Bruder­ schaften und mehrere 100 Kunstwerke. Die hieraus gewonnenen ikonographischen Merkmale lassen den Schluss zu, dass das Bild des Hl. Rochus dem Bild Christi gleich­ gesetzt war. Dies wird auch dadurch bestätigt, dass Rochus gewöhnlich von dem eben­ falls christusähnlichen Hl. Sebastian begleitet wird. Die Beiträge sind in französischer und italienischer Sprache, für jeden von ihnen steht am Schluss eine sehr knappe Zu­ sammenfassung auf englisch. Im Registerteil folgen auf einen Index der Heiligen einer der Handschriften und Archivalien, getrennte Orts- und Personenregister und ein Ab­ bildungsteil mit 32 Tafeln. Der Tagungsband markiert ohne Zweifel einen gänzlich neuen Abschnitt in der Erforschung des Rochus-Kultes. Peter Zahn Andreas Jakob ... (Hg.): Das Himmelreich zu Erlangen - offen aus Tradition? Aus 1000 Jahren Bamberger Bistumsgeschichte (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Erlan­ gen 5). Erlangen: Stadt Erlangen 2007. 288 S. mit zahlr. Abb. € 19,90 Die Darstellung religiöser Vielfalt und die daraus resultierenden Fragen nach Toleranz und Offenheit für die je andersartige Frömmigkeit an einem Ort und deren Wandel in einer mehr als 1000-jährigen Geschichte ist das Generalthema des vorzu­ stellenden Bandes. Im Umfeld des Bamberger Bistumsjubiläums entstanden, wird das 1002 erstmals urkundlich nachweisbare Erlangen (mit Alterlangen), an der Südgrenze des neuen Bistums gelegen, mit seiner höchst vielfältigen Religions- und Kirchcngeschichte untersucht, um so, so die Herausgeber in ihrem Vorwort, auch Anschauungs­ material für die höchst heterogene und bisweilen spannungsgeladene Gegenwart zu geben. Folglich beginnen die Beiträge mit der zwischen den älteren Pfarreien Herzo­ genaurach und Forchheim gelegenen (Ur-)Pfarrei Büchenbach und der mühsamen Ausbildung einer eigenen Pfarrei Erlangen (1435 von St. Martin/Forchheim abge­ trennt). Sehr schnell zeigen sich die äußerst unterschiedlichen und die Entwicklung des Ortes prägenden Besitzansprüche: Büchenbach und Alterlangen gehörten zur Diözese Würzburg, Erlangen selbst zu Bamberg. Grundherrschaftlich war Büchenbach Teil eines gleichnamigen bambergischen Hochstiftsamtes, das Niedergericht lag beim Bam­ berger Dompropst, das Hochgericht beim Markgrafen. Erlangen selbst war seit 1361 Lehen der böhmischen Krone, als es 1398 die Stadtrechte erhielt. Ähnlich kompliziert lag die Situation im 1267 gegründeten Dominikanerinnenkloster Frauenaurach. In den südlich von Erlangen gelegenen - und zum heutigen Stadtgebiet gehörenden - Dörfern dürfen die nürnbergischen Herrschaftsansprüche nicht übergangen werden. Dies hatte natürlich seine Auswirkungen bei der Übernahme der Reformation und den entstehen­ den konfessionellen Grenzen. Mit der 1686 erfolgten Gründung der Erlangener Neu­ stadt und der Aufnahme von Glaubensflüchtlingen entstanden eigenständige Gemein­ den der Hugenotten, Deutsch-Reformierten und ab 1703 der Lutheraner, deren Pfarr­ stellen in besonders enger Weise mit den Professuren der Theologischen Fakultät der 1743 gegründeten Universität verbunden waren. Im Jahre 1787 erhielten dann die Katholiken ein eigenes Bethaus in der Altstadt. Die religiöse Vielfalt weitete sich auch in den beiden letzten Jahrhunderten aus, von Alt-Katholiken, einer jüdischen Gemeinde

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen bis hin zu muslimischen Gemeinschaften der Gegenwart. Der Erlanger Anspruch, „offen aus Tradition“ zu sein, wird hier kritisch hinterfragt. Zurecht wird die unter­ schiedliche Umgangsweise im Laufe der Jahrhunderte betont, in der neben Phasen der Pression von Andersgläubigen - beispielsweise der Täufer - auch solche des toleranten Miteinanders stehen. Letztlich endet der Überblick in einem Aufruf zu einer „Part­ nerschaft der Religionen“. Mehrere Autoren haben sich den variablen Aspekten in meist überzeugender Weise angenähert; die größte Zahl der Artikel geschrieben und damit wohl auch die Hauptlast getragen hat Andreas Jakob. Der Band ist mit einem großen Karten- und Bildmaterial ausgestattet. Dieses trägt nicht unerheblich zum Verständnis und zur Anschauung bei. Letztlich ist ein sehr erkenntnisreicher und gut lesbarer Band entstanden, auch wenn der Untertitel mehr verwirren dürfte, denn tatsächlich hat die Bindung zum Bistum nicht zu allen Zeiten gleichmäßig stark gewirkt bzw. überhaupt eine erkennbare Aus­ wirkung gehabt. Auch hat die heutige Stadtgrenze Erlangens eine ahistorisch-künstliche Komponente. Der Zugriff auf sie verhilft allerdings dazu, die für Franken typische historische Vielfalt auf engsten Raum auch hier augenfällig zu machen. Helmut Flacbenecker

Eberhard Krauß: Exulanten im Evang.-Luth. Dekanatsbezirk Nürnberg. Eine familiengeschichtliche Untersuchung (Quellen und Forschungen zur fränkischen Familiengeschichte 16). Nürnberg: Selbstverl. GFF 2006. 402 S. € 30,Eberhard Krauß hat mit dem vorliegenden Band eine Lücke geschlossen. Die Unter­ suchung befasst sich mit der Wanderung der Exulanten aus den niederen sozialen Schichten in die Reichsstadt, wie er sie mühevoll aus Nürnberger Kirchenbüchern erheben konnte. Sie stammen aus den österreichischen Landen und anderen Regionen des Habsburger Reiches, wie Schlesien und Ungarn, Böhmen und Mähren, vor allem aus Gebieten mit starken gegenreformatorischen Bewegungen, aber auch aus Bayern und der Oberpfalz. Die meisten waren wohl aus religiösen Motiven nach Nürnberg emigriert, wo sie sich wieder in die Existenzen eingliederten, in Handwerk und Wirt­ schaft, aus denen sie ursprünglich stammten. Anhand der Proklamations- und Kopulationsbücher der Pfarrämter St. Lorenz, St. Sebald, St. Johannis, Kraftshof, Mögeldorf und Wöhrd führt das umfangreiche Werk ein Namensverzeichnis der Exulanten (alphabetisch geordnet), das Verzeichnis der Her­ kunftsorte der mit den Namen des oder der Betroffenen und eine weitere alphabetische Zusammenstellung der Exulanten aus Österreich mit dem Herkunftsort auf. Für das Pfarramt Wöhrd sind die jahrgangsweise überlieferten Beisetzungen in der dortigen St. Bartholomäuskirche 1632-1696 beigegeben. Die Namensverzeichnisse sind geordnet nach Nach- und sämtlichen Vornamen der Exulantin oder des Exulanten mit Angabe des vollen Namen des Vaters und dessen Berufes; der Proklamations- und Trauungsdaten mit dem namentlich genannten Ehe­ partner samt dessen Vatersnamen und seines Berufes. Für St. Lorenz und St. Sebald sind

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diese Angaben kirchenbuchweise erfolgt; St. Lorenz und St. Sebald umfassen den Kir­ chenbuchzeitraum 1625-1687. Dankenswerterweise hat der Autor im Anschluss an die Angaben zu St. Lorenz und St. Sebald jeweils eine kurze Zusammenfassung zur Herkunft der im ausgewerteten Kirchenbuch vorhandenen Exulanten gegeben. So fällt für beide Innenstadtpfarreien auf, dass dieser Personenkreis in den Jahren 1625-1645 hauptsächlich aus der Oberpfalz gekommen ist, weil dort in den davor liegenden Jahren die Gegenreformation „mit sehr energischen Maßnahmen“ durchgeführt worden ist. In St. Sebald bildete dieser Perso­ nenkreis mit etwa 65% die größte Gruppe, gefolgt mit 14% aus Böhmen; der Rest ver­ teilte sich auf Schlesien, Bayern, Krain, Kärnten und Ungarn, nur lediglich drei Exu­ lanten kamen aus Österreich. Ihre Zahl erhöhte sich im Zeitraum von 1631-1640 auf 28 und umfasste dann etwas mehr als die der böhmischen Exulanten: „An ihnen wie an den Oberpfälzern kann man auch die wirren religiösen und politischen Verhältnisse in Böh­ men und in der Oberpfalz ablesen.“ Die rigiden gegenreformatorischen Maßnahmen in Österreich fanden ihren Nieder­ schlag in den Kirchenbüchern von St. Lorenz 1646-1668 und St. Sebald 1641-1663. Doch die meisten der aufgenommenen Exulanten waren ursprünglich immer noch in der Oberpfalz beheimatet gewesen. Diese Tendenz zeigen auch die Matrikel für St. Lorenz von 1669-1687 und für St. Sebald von 1664-1689 auf. Etwa die Hälfte stammte wiederum aus der Oberpfalz, wozu Pfalz-Neuburg und die Ganerbschaft Rothenberg bei Schnaittach zählten, gefolgt von den Österreichern mit fast einem Viertel der Exu­ lanten und den Böhmen als drittstärkster Gruppe sowie weiteren kleinen Zuwanderer­ gruppen aus Bayern, Schlesien und Ungarn. So konnte Krauß auch nachweisen, dass der Anteil der österreichischen Exulanten in der Reichsstadt im Gegensatz zu den westmittelfränkischen Landgemeinden im Zeitraum des Dreißigjährigen Krieges und danach sehr gering gewesen ist. Damit wird zugleich die restriktive Politik des Nürnberger Rates bei der Aufnahme von Exulanten deutlich. Durchschnittlich schlossen in dem von Eberhard Krauß bearbeiteten Zeitraum in St. Lorenz jährlich etwa 154 Paare die Ehe, in St. Sebald 141. Beigegeben ist dem nur als sehr verdienstvoll zu bezeichnenden Werk eine kurze Beschreibung der „Jungen Pfalz“ (des Fürstentums Pfalz-Neuburg) samt Karte sowie eine Zusammenstellung und Erklärung nicht mehr verständlicher Berufsbezeichnun­ gen. Ein Abkürzungsverzeichnis sowie Personen- und Ortsregister komplettieren eine detailreiche Forschungsarbeit mit einer Fülle von Namen und Angaben, die nicht nur der Exulanten- und Familienforschung, wohl aber auch der sozialpolitischen und bio­ graphischen Forschung dienlich sind. Nicht in diesen Band aufgenommen wurden die Erhebungen für St. Leonhard, Fischbach und Eibach. Für Fischbach und St. Leonhard muss man zu anderen Ver­ öffentlichungen greifen, während die Eibacher Exulanten in dem in Arbeit befindlichen Band der Exulanten im Dekanat Fürth behandelt werden. Helmut Baier

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Erika Geiger: Wilhelm Löhe (1808-1872). Leben, Werk, Wirkung (Testes et testimonia veritatis 3). Neuendettelsau: Freimund-Verl. 2003. 359 S. mit Abb. € 17,80 „Wer ist Wilhelm Löhe?“, auf diese Frage möchte Erika Geiger mit ihrer Biografie Antwort geben und ein Bild des fränkischen Dorfpfarrers, Gründers der ersten Diako­ nissenanstalt Bayerns in Neuendettelsau, Betreuers fränkischer Nordamerikaemigran­ ten und bekennenden Lutheraners, geben. Sie reiht sich damit ein in die Reihe der LöheBiografen, an deren Anfang bereits im 19. Jahrhundert Johannes Deinzer steht. Wilhelm Löhe, der am 21. Februar 1808 in Fürth geboren wurde, verstarb am 2. Januar 1872 in Neuendettelsau. In 15 Kapiteln zeichnet Erika Geiger das Leben Wilhelm Löhes nach. Sehr aus­ führlich beschreibt sie in den ersten drei Kapiteln die Kindheit sowie die schulische Ausbildung in Nürnberg und das Theologiestudium in Erlangen und Berlin. Dabei wer­ den auch die für diesen Lebensabschnitt Löhes prägenden Persönlichkeiten dargestellt und ihre Beziehung zu dem jungen Löhe nachgezeichnet. Chronologisch schließen sich die nächsten beiden Kapitel an. Die verschiedenen Vikariats- und Pfarrverweserstellen werden beleuchtet und die Erfahrungen Löhes dargestellt. Auf die negativen Erfahrun­ gen, die Löhe in Kirchenlamitz aufgrund seiner Art und Theologie machte und die in der Abberufung von dort gipfelten, werden kurz behandelt oder auch die Zeit, die Löhe in Nürnberg von Juni 1834 bis April 1835 verbringt. Im Anschluss werden die weiteren Stationen, etwa in Bertholdsdorf oder Merkendorf kurz angerissen. Der nächste Abschnitt widmet sich Löhes erster und einziger Pfarrstellc in Neuen­ dettelsau. Seine Ehe mit Helene Andräe, die einen großen Einfluß auf Löhes Tätigkeit entfaltete, wird erläutert und zudem Löhe als Familienvater beschrieben. Löhes Ehe währte nur von 1837 bis 1843. Seine Frau verstarb im Alter von 22 Jahren. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, der jüngste Sohn verstarb 1844. In den folgenden Kapiteln folgt die Autorin nicht mehr stringent der Chronologie, sondern fasst einzelne Bereiche der Löheschen Aktivitäten zusammen, was zu einer verständlichen Linie beträgt. Bereits Anfang der 1840er Jahre widmete sich Löhe den fränkischen Nordamerika-Auswanderern. Initiiert durch einen Aufruf aus den USA, der ihn auf die Probleme der Auswanderer aufmerksam machte, bereitete er die Entsendung von ausgebildeten Personen („Nothelfern“) vor, welche dort die lutherischen Christen in ihrem Glauben, aber auch praktisch unterstützen sollten. Aus dieser Arbeit heraus entstand bald (1846) die sogenannte Missionsvorbereitungsanstalt für Nordamerika (zuerst in Nürnberg, ab 1853 in Neuendettelsau), in deren Nachfolge heute das Zen­ trum Eine Welt Mission steht. Ebenso wird auf das Verhältnis Löhes zu den nordameri­ kanischen lutherischen Synoden eingegangen, sein Verhältnis zur Ohio-Synode, zur Missouri-Synode und zur Iowa-Synode werden thematisiert und die Entwicklung beschrieben, so Löhes Positionssuche, welche zum Bruch mit der Iowa- und MissouriSynode führte. Die 1840er Jahre standen zudem unter dem Blickwinkel der Gemeindearbeit Löhes und seiner publizistischen Tätigkeit. 1845 entstand sein Werk „Drei Bücher von der

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Kirche“. Die Revolution 1848 und Löhes Haltung dazu werden angerissen und seine Hoffnungen bzw. seine Stellung zu den politischen Ereignissen kurz dargestellt; Löhes Hoffnungen (Trennung von Staat und Kirche) und Enttäuschungen über den Ausgang der von ihm bzw. seinem Freundeskreis eingegebenen Anträge an die 1849 tagende Generalsynode werden thematisiert. Die letzten Kapitel beschreiben kurz die Entwicklung der 1854 gegründeten Diako­ nissenanstalt und Löhes Beziehung zu „seinen“ Diakonissen, wobei nur oberflächlich auf die Entwicklung der einzelnen Arbeitsgebiete eingegangen wird. Ein nochmaliger Blick auf Löhes Verhältnis zur Landeskirche und die Krankheitsjahre Löhes sind darin eingebettet. Abgeschlossen wird die Biografie durch zwei Kapitel, in denen Erika Gei­ ger ein Resümee zu Löhes theologischer Haltung und den daraus resultierenden Folgen zieht (u.a. Vorwurf des Romanismus, Abendmahlsfrage) sowie einen kurzen Blick auf die weitere Entwicklung der von Löhe gegründeten Einrichtungen wirft. Erika Geiger legt, ihrer eigenen Zielsetzung gemäß, eine allgemein verständliche Schilderung für eine breite Leserschaft, eine solide Biografie vor. Neue wissenschaft­ liche Erkenntnisse werden kaum erzielt, dafür fehlt trotz der intensiven Auswertung der in den „Gesammelten Werken“ veröffentlichten Briefbänden und Publikationen Löhes ein Aktenstudium in den einschlägigen Archiven. So wären kleinere Unstim­ migkeiten vermieden worden. Als Beispiel soll dienen S. 219, wo der Beginn der Diako­ nissenanstalt im Gasthaus zur Sonne in Neuendettelsau beschrieben wird. Unpräzise wird dabei die Raumsuche dargcstcllt. Bereits vor der Gründung der Muttergesellschaft im März 1854 hatte sich Löhe darum bemüht, das Neuendettelsauer Schloss als Ausbil­ dungsstätte verwenden zu können. Nachdem diese Bemühungen scheiterten, wurden bereits zum Gründungszeitpunkt entsprechende Baupläne bei den Behörden einge­ reicht. Die Ausbildung des ersten Diakonissenlehrganges im Gasthaus zur Sonne war nur eine Übergangslösung. Daneben gibt es manch historische Unschärfen, wie etwa auf S. 80 (der Ort Kirchenlamitz lag 1831 nicht an der tschechischen Grenze, sondern an der Grenze zum Königreich Böhmen bzw. Kaiserreich Österreich) oder S. 37 (Löhe be­ suchte nicht das Melanchthon-Gymnasium; diese Bezeichnung wurde erst 1933 einge­ führt). Erika Geiger gelingt es, eine Biografie für einen weiten Leserkreis vorzulegen. Durch den gewählten Stil und die Auswahl der Anekdoten erhält das Werk einen narrativen Charakter. Eine Vertiefung einiger Kapitel, etwa Löhes Verhältnis zur Landeskirche oder zur diakonischen Arbeit, hätte die Biografie abgerundet. Matthias Honold

Axel Töllner: Eine Frage der Rasse? Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, der Arierparagraf und die bayerischen Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren im „Drit­ ten Reich“ (Konfession und Gesellschaft 36). Stuttgart: Kohlhammer 2007. 467 S. €39,Theologie- und mentalitätsgeschichtliche Aufarbeitung der Vorgänge und Hinter­ gründe für das antisemitische Verhalten der Kirche gegenüber den eigenen Gliedern

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Buchbesprechungen

bildet den einen Schwerpunkt der Arbeit, den anderen machen die Einzelfallstudien aus der Kirche aus. In sechs Kapiteln, unterteilt in eine Reihe kürzerer, verständnisfördernder Ab­ schnitte, wird dem Leser eine aufgrund umfangreicher Quellen- und Literaturstudien entstandene Untersuchung zum Schicksal sog. nichtarischer Pfarrer der bayerischen Landeskirche während der Zeit der NS-Diktatur vorgelegt, eine Studie, deren Materie bislang allenfalls in einzelnen Darstellungen oder Überblicken gewürdigt worden ist. Erfreulich ist, dass sich nicht nur der Autor erfolgreich um die Aufhellung eines sehr dunklen Kapitels bayerischer Kirchengeschichte bemüht hat, sondern dass diese Kirche selbst nun offenbar nach langem Desinteresse die Notwendigkeit der Offenlegung ihres Verhaltens auch gegenüber eigenen Pfarren einzusehen begonnen hat. Wer sich in früheren Zeiten damit beschäftigt hatte, war mancherlei Anfeindungen, Diffamierungen und Totschweigen ausgesetzt gewesen. Seiner Konzeption folgend befasst sich Töllncr zunächst mit dem breiten Spektrum der Judenfeindschaft, zu dem auch der protestantische Antisemitismus gehörte, darge­ stellt an einzelnen Vertretern der Landeskirche. Die kirchlich-evangelische Elite war durch diesen protestantischen Antisemitismus geprägt, vom Autor begriffsgeschicht­ lich unterschieden und für diese Landeskirche ebenfalls historisch belegt. Verfol­ gungsmaßnahmen wurden allerdings stets abgelehnt, die Judenmission als Allheilmittel zur Problembewältigung gepriesen, wobei der vom späteren oldenburgischen Lan­ desbischof Wilhelm Stählin geforderte Ausschluss der Juden aus allen öffentlichen Ämtern doch schon nichts anderes bedeuten konnte. So pflegte der spätere Landes­ bischof Hans Meiser ebenfalls diese unselige und bösartige Tradition Adolf Stoeckers unter dem Gesichtspunkt des „Rassenkampfes“. Althaus, Künneth und andere standen kaum nach, dachten allerdings oft pragmatischer. Die Synthese von Deutschtum und Christentum fiel leicht; es bedurfte keiner biblisch-theologischen Reflexion. Im folgenden Kapitel untersucht der Autor die „Hintergründe, Diskussionsprozesse und theologiegeschichtlichcn Weichenstellungen für die Jahre 1933 und 1934“, insbe­ sondere um den Arierparagrafen in der Kirche. Die Diskussion um Rasse, Volkstum und Judentum werteten weitgehend Rasse und Volkstum als für den Christen verbind­ liche Schöpfungsordnungen (Althaus, Eiert). So galt das Judentum im kirchlichen Bereich durchaus als eine „Fremdheit“, die „Reinhaltung der Rasse“ für den Christen als verpflichtend. Damit konnten auch die Rassengesetze des NS-Regimes toleriert oder ihnen zugestimmt werden, auch wenn die „Verabsolutierung des Blutes“ abgelehnt wurde. Abgelehnt wurde auch die „reine Übernahme des (staatlichen) Arierparagrafen in den kirchlichen Bereich“ (z.B. Erlanger Gutachten). In der bayerischen Landeskirche war der Arierparagraf daher als solcher kein Thema. Der massive Einspruch von 25 Nürnberger Pfarrern in der „Nürnberger Arbeitsgemeinschaft“ gegen ihn vom 25. Sep­ tember 1933 rüttelte manche auf, obwohl staatliche Maßnahmen gegen die Juden nicht zur Diskussion standen. Nach dem fundierten Urteil des Autors haben zu dieser Ablehnung nicht zuletzt die kirchenpolitischen Ereignisse des Jahres 1934 in Bayern mit dem Versuch einer DC-

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Machtergreifung, die Auseinandersetzungen um die Barmer Theologische Erklärung und den „Ansbacher Ratschlag“ (Althaus, Eiert) als „genuin lutherische(s)“ Antibar­ men sowie die Gründung der Bayerischen Pfarrerbruderschaft, der bayerischen Version des Pfarrernotbundes, beigetragen. Eindeutig gegen jegliche Ausgrenzung von Juden oder Christen jüdischer Herkunft hatte sich nur der Ezelheimer Pfarrer Karl-Heinz Becker gewandt, der auch während der gesamten NS-Zeit immer wieder gegen das Unrecht aufgetreten war. Daraus folgen im dritten Kapitel die Gründe für eine Übernahme oder Ablehnung nationalsozialistischer Vorstellungen, das Dilemma der Abgrenzung zum totalitären Rassenprinzip und dem Bemühen um Staatsloyalität, die auch die Landeskirche stets hervorkehrte, wenn sie ob ihrer Haltung angegriffen wurde. Dieses Bemühen beruhte des Öfteren auf wohlwollender Unterstützung der NS-Judenpolitik, aber nicht nur in Bayern, sondern ebenso in der gesamten Bekennenden Kirche. Das Alte Testament wurde als Buch der Kirche und ihrer Verkündigung gegen Deutsche Christen, das Neuheidentum und selbst gegen Juden „verteidigt“, besonders nach den unbeschreiblichen Attacken der Deutschen Christen im sog. Sportpalast­ skandal vom 13. November 1933. Die Volksmission und die theologische Schulungs­ arbeit, die sich ebenfalls mit „Rasse und Volk“ beschäftigten, bildeten für manche nur zu oft zunächst die Brücke zum rassistischen Gedankengut des NS-Staates und der Deutschen Christen. Kirchenmänner bewerteten dabei „Blut und Rasse“ mehr nach eigenen Gesichts­ punkten, um damit eine staatliche Unterstützung bestimmter religiös-ideologischer Gruppen als Einflussnahme in kirchliche Belange entschieden abzulehnen. „Damit war dem NS-Staat sein Totalitätsanspruch in ideologich-religiösen Dingen bestritten, je­ doch eine weitgehende Autonomie in .weltlichen Dingen' überlassen.“ Gerade von lutherischen Theologen wurde jedoch die Synthese von Luthertum und National­ sozialismus zumindest in der Anfangszeit postuliert. Ein eigenes Kapitel zu den Jahren 1935/36 widmet Töllner dem Verhalten der und in der Landeskirche gegenüber solchen Herausforderungen anhand des konkreten Bei­ spiels der bayerischen Pfarrfamilie und des Pfarrers Lipfert, der als erster nach einer wohl denunziationsbedingten Hetzkampaganie im „Stürmer“ seine Pfarrstelle in der Kirchengemeinde Partenkirchen verlor, weil die Ehefrau einen Vater hatte, der einst zum Christentum übergetreten war. Aufhänger war die erfolgreiche kirchliche Jugend­ arbeit der Ehefrau. Die gesamte Leidensgeschichte kann anhand des umfangreichen Quellenmaterials aufgezeigt werden, insbesondere das ambivalente, kontroverse, teil­ weise ausgesprochen antijüdisch eingestellte Verhalten kirchlicher Vorgesetzter, des manipulierbaren Kirchenvorstandes und der Gemeinde. Der Landeskirchenrat zog sich aus der Affäre und nahm die angegriffene Gesundheit des Pfarrers als Vorwand für eine zunächst zeitweilige Ruhestandsversetzung und dann für die endgültige Versetzung auf die Pfarrstellc Himmelkron. Damit musste keine Farbe bekannt werden, wie man es mit dem Stürmerartikel und dem Arierparagrafen wirklich hielt. An einer Reihe von Fällen wird deutlich, wie sehr bereits der Arierparagraf in der bayerischen Landeskirche ab 1935 seine unselige Rolle zu spielen begann, wenn es sich

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen etwa um die Aufnahme auswärtiger Geistlicher handelte, obwohl die Landeskirche die Frage nach der „Rasse“ mehr als ein Politikum ansah. Diese wurden nicht mehr über­ nommen, sollten sie nicht rein „arisch“ gewesen sein (z.B. Werner Sylten, 1942 im KZ Dachau ermordet), auch um dem immer wieder erhobenen Vorwurf der „Verjudung“ der Kirche zu entgehen, ein Gerücht, das selbst vor Meisers Schwiegervater nicht Halt gemacht hatte. Zudem hätte das bayerische Kultusministerium in jedem Einzelfall zustimmen müssen, was sich die Kirchenregierung wohl nicht zumuten wollte. Die Rücksichtnahme auf die außerdeutschen Kirchen der Ökumene spielte eine gewichtige Rolle, weshalb der Arierparagraf nach ausführlicher Diskussion nicht in das Pfarrergesetz von 1939 aufgenommen wurde. Immerhin hatte das staatliche Schulauf­ sichtsgesetz von 1938 bereits den „Ariernachweis“ für Pfarrer verlangt, die Religions­ unterricht erteilten. Die ursprüngliche Absicht des Landeskirchenrats, betroffene Pfar­ rer in Gemeinden zu versetzen, die sie tragen wollten, oder diese Geistlichen zur Aus­ wanderung zu bewegen, wurde kirchendiplomatisch nicht weiter verfolgt. Töllner zeigt die „taktischen, kirchenrechtlichen und theologischen Überlegungen“ der Landes­ kirche beim Ausschluss sog. nichtarischer Geistlicher vom Religionsunterricht an Schu­ len auf. Damit war der staatliche Arierparagraf durch die Hintertüre in die Kirche ein­ gedrungen. Die jüdische Herkunft eines Geistlichen war somit zu seinem eigenen Prob­ lem geworden, nicht zu einem der Kirche; nur eine Handvoll Geistlicher war offen­ sichtlich anderer Meinung. Die meisten Pfarrer hatten ebenso wenig Bedenken gehabt, den „arischen Nachweis“ zu erbringen, wie sie solche nicht beim freiwilligen Eid auf den „Führer“ vorgebracht hatten. Neben vielerlei anderen Bezügen zur Nürnberger Kirchengeschichte und ihrer Geistlichen in dieser Zeit werden abschließend die Schicksale von fünf bayerischen Pfarrfamilien der insgesamt zwölf mit jüdischen Vorfahren vorgeführt. Dazu gehörte auch Pfarrer Hans Werner Jordan, der zunächst ganz gegen seinen Willen und mit wenig Unterstützung zum Leiter der „Hilfsstelle für nichtarische Christen“ in Nürn­ berg eingesetzt und dem Verein für Innere Mission beigegeben wurde. Er hatte es in dieser Stadt besonders schwer und fühlte sich ebenso von der Kirchenleitung immer wieder im Stich gelassen. Zudem blieben ihm im familiären Bereich tragische Ereignisse nicht erspart, der Vater wurde von der Polizei unter mysteriösen Umständen tot auf­ gefunden, die Cousine des Vaters, als Volljüdin angezeigt, hatte Selbstmord begangen, der Bruder des Vaters verschwand in den deutschbesetzten Niederlanden spurlos, er selbst sollte noch im Dezember 1944 in ein Lager für „Mischlinge“ zur Zwangsarbeit verschleppt werden. Es war nicht verwunderlich, dass er mir gegenüber in einem persönlichen Gespräch wenige Jahre vor seinem Tod seiner ganzen Verbitterung beredten Ausdruck gegeben und immer erneut darauf hingewiesen hat, wie sehr auch ihm in dieser Kirche Unrecht geschehen sei. Zu ergänzen wäre in diesem Zusammenhang, dass die Bemühungen des württembergischen Pfarrers Leonhard Majer, der sich nach dem Kriege (selbst rasse­ verfolgter Christ) besonders um die Sammlung der sog. nichtarischen Christen be­ mühte, die den Krieg überlebt hatten, und der auch die bayerische Kirchenleitung

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MVGN 94 (2007) Kirchengeschichte, Judentum aufgefordert hatte, wenigstens jetzt etwas zur Wiedergutmachung zu unternehmen, dort jedoch auf taube Ohren gestoßen war. So stellt der Autor zu Recht fest, die Kirchenleitung habe den Arierparagrafen als eine „taktische Frage“ behandelt, die jeweils eine andere taktische Antwort erforderte. Eine theologische Grundüberlegung gab es nicht, es sei denn die nationalprotestan­ tische Grundüberzeugung, dass jeder weltlichen Obrigkeit, von Gott verordnet, unabdingbar zu gehorchen sei. Kirchenpolitische Maßnahmen sollten das Verhältnis zu Staat und Partei nicht weiter belasten. Widerspruch gab es lediglich dort, wo der kirch­ liche Wahrheitsanspruch tangiert war, also in statu confessionis, ohne aber die Bekennt­ niswidrigkeit dieses Verhaltens in dieser Situation erkennen. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis ergänzen eine als Dissertation zum Druck gebrachte Veröffentlichung, die mit den vorhandenen Quellen erschöpfend ein umfassendes und bedeutsames, viele neue Aspekte und Durchblicke aufzeigendes Standardwerk zum Schicksal christlicher Nichtarier unter den bayerischen Geistlichen darstcllt. Ein Desiderat bleibt nach wie vor eine Untersuchung über betroffene nichtgeistliche kirchliche Mitarbeiter. Helmut Baier

Peter Kuhn: Jüdischer Friedhof Georgensgmünd (Die Kunstdenkmäler von Bayern N.F.6). München/Berlin: Dt. Kunstverl. 2006. 728 S. mit zahlr. Abb. € 78,Der durch Inhalt und Umfang beeindruckende, mit Abbildungen, Karten und Plä­ nen reichlich versehene Quartband ist ein würdiger Abschluss der fünfzehnjährigen Forschungen des Judaisten Peter Kuhn (Philosophisch-theologische Hochschule der Salesianer in Benediktbeuern) und seiner Mitautorinnen und -autoren. Die in ihrem Rahmen vor Ort, in Bibliotheken und Archiven in Deutschland, Israel und den USA sowie durch Befragung jüdischer und nichtjüdischer Zeitzeugen akribisch zusammen­ getragenen Informationen schaffen ein Gesamtbild des fränkischen Landjudentums, das weit über die nach dem bescheidenen Titel zu erwartende Inventarisation der Grab­ steine hinausgeht. Dennoch bildet der Katalogteil mit seinen 1762 inhaltlich und formal dokumentier­ ten Grabmälcrn (davon 600 im Bild) naturgemäß den Schwerpunkt des Buches (S. 373680). Er enthält für jeden Stein die hebräische Inschrift (soweit wegen der fortschreiten­ den Verwitterung noch lesbar), die Wiedergabe aller relevanten Informationen zur Person des / der Toten und ergänzt diese Angaben um eine kunsthistorische Beschrei­ bung und die jeweilige Gesteinsorte sowie ggf. weitere vorhandene (archivische) Quel­ len. Um dieses „steinerne Archiv“ hinreichend zu erschließen, bedurfte es des Zusam­ menwirkens von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedenster Fachrich­ tungen (Historiker, Volkskundler, Geologen) unter der Leitung eines profunden Ken­ ners der hebräischen Sprache und jüdischen Religion. Für die Erforschung der regiona-

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen len jüdischen Geschichte wurde so zunächst ein biografisches Nachschlagewerk geschaffen, dessen Nachweise bis ins Jahr 1594 zurückreichen, der Datierung des ältes­ ten erhaltenen Grabmals auf dem Georgensgmündener Friedhof, dessen Gelände wahr­ scheinlich 1581 für Bestattungszwecke erworben wurde und auf dem 1948 die letzte Beisetzung stattfand. Der Einzugsbereich des Verbandsfriedhofes dehnte sich im 18. Jahrhundert bis nach Windsbach, Schwabach, Thalmässing (Fürstentum BrandenburgAnsbach) und Hilpoltstein (Fferzogtum Pfalz-Neuburg) aus und umfasste somit zen­ trale Orte des ländlichen fränkischen Judentums, dessen Nachkommen im 19. Jahrhun­ dert die Gemeinden in den durch die Industrialisierung prosperierenden bayerischen Großstädten anwachsen ließen. Speziell für Nürnberg blieb der Bezug zur Herkunfts­ region zahlreicher von dort zugewanderter jüdischer Familien bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehen, da sich hiesige Anhänger der Orthodoxie weiterhin in Georgensgmünd bestatten ließen, etwa der Mitbegründer des Religionsvereins Adas Israel, Salomon Ansbacher (1842-1911). Der Katalogisierung der Gräber und ihrer Inschriften vorangestellt sind Kapitel, die neben Kontextinformationen wie der Entwicklung der in Georgensgmünd bestat­ tenden Gemeinden und der Friedhofsgeschichte - einschließlich der Schändungen 1930 und 2000/01 - (jeweils vom Verfasser) oder einer stilistischen Analyse der Grabsteine (Dagmar Dietrich) erstmals quellenorientierte und nach wissenschaftlichen Standards gearbeitete Darstellungen übergreifender Aspekte der regionalen jüdischen Geschichte und Kultur bieten. Thematisiert werden u.a. die Bestattungsriten der fränkischen Land­ juden, die Entwicklung, Sprache und das Menschenbild der Grabinschriften (jeweils vom Verfasser) und die „Judenwege“ für Leichenzüge und Händler (Verfasser und Bar­ bara Rösch), deren variierende Bezeichnungen sich vielfach noch in heutigen Flur­ namen erhalten haben. Adäquat erschlossen wird dieser reiche Wissensfundus durch ein 27-seitiges, differenziertes Sach-, Personen- und Ortsregister. Das Abkürzungsver­ zeichnis kann als Quellennachweis und aktuelle Bibliographie dienen. Kuhns Werk ist eine am Beispiel der Verbandsgemeinden des Friedhofs Georgens­ gmünd festgemachte jüdische Kulturgeschichte, die künftig auch für die Forschung in anderen Regionen mit ähnlichen Strukturen herangezogen werden muss. So wün­ schenswert es wäre, derart grundlegende Arbeiten z.B. auch für Baiersdorf, Schopfloch oder Bechhofen zu besitzen, so unwahrscheinlich ist es, dass sich jemand mit ver­ gleichbarer Konsequenz und Zähigkeit einer solchen Aufgabe annimmt. Gerhard Jochem

Reinhard Weber: Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933. München: Oldenbourg 2006. IX, 332 S. mit zahlr. Abb. € 24,80 Das Herzstück von Webers Werk bilden die 460 akribisch recherchierten Einzel­ biografien bayerischer Anwälte, die nach NS-Definition als Juden galten und deshalb seit 1933 mehr oder weniger in den Sog der rassistischen Vernichtungspolitik gerieten. Gegliedert nach den Oberlandesgerichtsbezirken Bamberg, München, Nürnberg (139 Biografien) und Zweibrücken in der Pfalz erhält der Leser vor allem durch die Auswer-

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tung der Entschädigungsakten auf Bundes- und Landesebene äußerst aufschlussreiche Einblicke in die Lebensläufe einer Berufsgruppe, deren Anteil an den Erwerbstätigen innerhalb der jüdischen Minderheit deutlich größer war als in der Mehrheitsbevöl­ kerung, da ihre Mitglieder wegen des Antisemitismus immer überwiegend zur wirt­ schaftlichen Selbständigkeit gezwungen waren. Dabei ermöglichen der landesweite Rahmen der Darstellung und das Personenregister die Herstellung biografischer und beruflicher Zusammenhänge, die selbst Experten der regionalen jüdischen Geschichte oft unbekannt sein dürften, konkret etwa das Wirken in Nürnberg geborener Juristen, z.B. Hans Taub (1880-1957), der als Anwalt in München praktizierte und nach der Emigration in Schweden Universitätsdozent für Literaturwissenschaft wurde (S. 262f.). Den Lebensläufen vorangestellt ist eine umfassende und kenntnisreiche Schilderung der schrittweisen Entrechtung der „jüdischen“ Anwälte - unter ihnen Katholiken, Pro­ testanten, Konfessionslose und „Mischlinge“ - in der Nazizeit, die den traditionellen Antisemitismus lange vor der „Machtergreifung“ nicht ausspart. Aus heutiger Sicht fast schon komisch wirkt das Eigentor, das die NS-Juristen mit der Bestimmung schossen, dass neben den sog. „Altanwälten“ (Zulassung bis 1914) nur noch ausgewiesene Front­ kämpfer des Ersten Weltkriegs praktizieren durften. Ihr trotz strengster Kriterien uner­ wartet hoher Anteil verhinderte faktisch bis Ende 1938 das eigentlich geplante Berufs­ verbot für die meisten der jüdischen Anwälte. Diffamierungen und Boykott brachten aber für sie existenzgefährdende finanzielle Einbußen mit sich. Anschaulich illustriert werden Entrechtungs- und Verdrängungsmaßnahmen und ihre Konsequenzen anhand von Einzelschicksalen, wobei Weber bemüht ist, die Bei­ spiele entgegen sonstiger landesgeschichtlicher Übung nicht nur aus dem Münchner Raum zu schöpfen, soweit dies die schwierige Quellenlage zulässt. So beginnt seine Darstellung mit dem Fall Walter Berlin aus Nürnberg, einem profilierten Anwalt und Antifaschisten aus einer fränkischen Juristendynastie (S. 5ff.) und geht ausführlich auf die bemerkenswerte Karriere der Nürnbergerin Edith Schulhöfer ein (S. 79). Einen wichtigen Beitrag zur historischen Wahrheit leistet der Ausblick auf die Behandlung der Überlebenden und Rückkehrer durch die deutschen Behörden und Rechtsanwaltskammern nach 1945. Weber konstatiert hierzu unmissverständlich (S. 202): „Es liegen [...] zahlreiche Belege für die Taktik der Kammern vor, Rückkehr­ willige durch formalistische Anwendung der Anwaltsordnung abzuschrecken.“ Insgesamt ist „Das Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933“ eines der ganz wenigen Bücher, das seinem im Titel erhobenen gesamtbayerischen Anspruch im Bereich der jüdischen Geschichte gerecht wird und deshalb künftig zur Standardliteratur zu zählen ist. Weber ist für seine Grundlagenarbeit als Historiker und Archivar ebenso zu danken wie dem Bayerischen Justizministerium und den bayeri­ schen und pfälzischen Rechtsanwaltskammern, die die materiellen Voraussetzungen für dieses längst überfällige Projekt schufen. Wünschenswert wäre eine Fortführung des mit ihm eingeschlagenen Weges, etwa für die Juristen im bayerischen Staatsdienst oder die große und gesellschaftlich bedeutende Gruppe der jüdischen Mediziner. Gerhard Jochem

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen „Verfolgt, vertrieben, ermordet“. Das Schicksal der Jüdinnen an einer Nürnberger Oberschule 1933-1945 / hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Schulgeschichte des Städti­ schen Sigena-Gymnasiums Nürnberg unter der Leitung von Wolf M. Hergert. Nürn­ berg: Sandberg-Verl. 2007. 111 S. mit zahlr. Abb. € 10,Die vorliegende Publikation entstand auf Initiative von Schülerinnen und Schülern des Sigena-Gymnasiums in Nürnberg. Die Schülergruppe erforschte das Schicksal der jüdischen Schülerinnen der „Städtischen Höheren Mädchenschule am Frauentorgraben und in der Findelgasse mit Realgymnasium“, seit 1924 „Städtisches Mädchenlyzeum mit Realgymnasium Findelgasse-Frauentorgraben Nürnberg“. 1933/34 besuchten 120 Jüdinnen diese Schule - nur drei Jahre später konnte der dem NS-Regime sehr nahe stehende neue Direktor Dr. Lämmermeyer stolz verkünden, dass keine Jüdin mehr die Schule besuche. Nach einer kurzen, aber guten Einleitung zur Geschichte der Juden in Nürnberg steht das Schicksal der oben genannten 120 jüdischen Schülerinnen und ihrer Familien im Mittelpunkt. Mit großem Geschick wurden zu nahezu allen Schülerinnen Daten zusammengetragen: Namen und Lebensdaten der Eltern, Schulbesuch in Nürnberg, Wohnungswechsel in Nürnberg, schulische oder außerschulische Karriere nach dem Verlassen der Schule, das weitere Schicksal der Schülerinnen, ihrer Eltern und Ge­ schwister. Die meisten gehörten eher den wohlhabenderen Schichten der Stadt an, die Väter waren oft Unternehmer. Viele Schülerinnen konnten mittels eines sog. Kinder­ transports nach Großbritannien fliehen, andere in die USA oder andere Länder. Aber mindestens elf der 120 Schülerinnen konnten oder wollten Deutschland nicht verlassen, sie wurden im Dritten Reich ermordet, meist in Riga oder in Polen. Bei deutlich mehr Schülerinnen konnten sich zwar die Mädchen, aber nicht mehr ihre Eltern retten. Wenn man die einzelnen Kurzbiographien liest, die Bilder einiger Mädchen ansieht, erfasst den Leser unwillkürlich das Grauen, begreifen wird man diese Verbrechen nie. Auch wenn schon viele Schicksale der Shoah oder des Holocaust dargestellt wurden, so machen einen diese doch besonders betroffen, etwa wenn man selbst in einer Straße wohnt, in der das eine oder andere der vorgestellten jüdischen Mädchen im Dritten Reich lebte, oft zusammengedrängt in einem sog. Judenhaus. Bei der Vielzahl der ermittelten Daten konnten einige wenige Flüchtigkeitsfehler nicht ausbleiben, so werden Geburtsjahre vereinzelt um 100 Jahre zu spät angesetzt (S. 48, 53, 71). Die Aussage, dass in Izbica ein Konzentrationslager eingerichtet war (S. 54), ist zu korrigieren, im April 1942 führten die größten Deportationstransporte aus Franken nach Izbica und Umgebung, Ghettos im heutigen Ostpolen, keine KZs; von hier aus wurden viele Juden in die Vernichtungslager der näheren und weiteren Umge­ bung getrieben und ermordet (v.a. Treblinka und Sobibor). Daran anschließend werden einige Lehrer vorgestellt, die als „Demokrat“, „unerbitt­ licher Nazi“, „Regimekritikerin“, „Unnahbare“ und „Opportunistin“ bezeichnet wer­ den. Den Abschluss bilden zehn Briefe oder sonstige schriftliche Zeugnisse meist ehe­ maliger Schülerinnen, die in vielen Details und Aussagen einen Eindruck von den Ver­ hältnissen an der Schule geben, z.B. wenn eine als Hilde Guckenheimer geborene Frau

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schreibt, dass vom ersten Tag der Machtübernahme an „sich das Verhalten unserer Mit­ schülerinnen uns gegenüber“ verändert habe (S. 91). Am Rande sei darauf hingewiesen, dass eine ehemalige Schülerin, Annemarie Goldenberg, geb. Künstler, in England in der Familie der Schwester des späteren Literaturnobelpreisträgers Boris Pasternak („Dok­ tor Schiwago“) untergekommen war. Ein Straßenindex und ein kurzes Literatur- und Quellenverzeichnis beschließen den Band, den Arno S. Efamburger, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, in seinem Grußwort zu recht als „eine herausragende Leistung“ (S. 6) charakterisiert, v.a. wenn man bedenkt, dass es sich bei den Autoren um Schülerinnen und Schüler, nicht um erfahrene Historiker gehandelt hat, die allerdings auf die Hilfe zahlreicher Helferinnen und Helfer, nicht zuletzt des Stadtarchivs Nürnberg, zurückgreifen konnten. Der Band ist reich illustriert, die Fotos der Personen sind technisch sehr gut gedruckt, die Aufnahmen der Gebäude sind manchmal aber sehr klein geraten. Ein ähnliches Projekt ist ausführlichst auf der Internetseite des Hauses der Bayeri­ schen Geschichte dokumentiert: Schülerinnen und Schüler der Maria-Theresia-Schule Augsburg haben sich mit der Biographie von 204 jüdischen Schülerinnen aus der Zeit von 1895 bis 1938 in ihrer Schule befasst (www.hdbg.de/spuren). Auf dieser Internet­ seite, die laut Haus der Bayerischen Geschichte besonders oft aufgerufen wird, wird auch auf andere, ähnliche Projekte hingewiesen, z.B. in Bamberg oder Frankfurt a.M. leider fehlt dort noch der Hinweis auf das hier vorgestellte, so wichtige Nürnberger Projekt. Herbert Schott

Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik Werner Kraus (Hg.): Schauplätze der Industriekultur in Bayern. Regensburg: Schnell & Steiner 2006. 320 S. mit zahlr. Abb. € 14,90 Der Sammelband präsentiert in knapp 150 Kurzportraits Örtlichkeiten, biographi­ sche Skizzen und Themenrouten aus Bayern, die das - bis in die Gegenwart reichende und somit zeitlich weitgefasste - Thema der Industriekultur aus unterschiedlichen Ge­ sichtspunkten beleuchten. Die überblicksartig angelegten Beiträge können nicht nur als Nachschlagewerk für Basisinformationen, sondern auch als Reiseführer vor Ort ver­ wendet werden und sind thematisch aufgegliedert in die Industriemetropolen Augs­ burg, München und Nürnberg sowie die bayerischen Bezirke. Nürnberg ist mit zwei Themenrouten (Gartenstadt, Gostenhof mit Steinbühl), vier biographischen Abrissen (Theodor von Cramer-Klett, Karl Grillenberger, Theodor Schöller, Sigmund Schuckert) sieben Museen bzw. Sammlungen (Gewerbemuseum, DB-Museum, Historisches Stra­ ßenbahndepot, Krankenhausmuseum, Museum für Kommunikation, Museum Indus­ triekultur, Spielzeugmuseum) und fünf Örtlichkeiten (Hammerwerk Laufamholz, Metallkapsel- und Tubenfabrik, Quelle-Versandhaus, Rosenau, Sebastianspital) ver­ treten; aus Mittelfranken finden sich je zwei Einträge zu Erlangen, Fürth und Stein sowie je einer zu Lauf, Roth und Schwabach. Clemens Wächter

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen Vera L o s s e u.a. (Hrsg.): Kommunikation und Postgeschichte anschaulich ge­ macht. 100 Jahre Museum für Kommunikation Nürnberg. Bonn: Museumsstiftung Post und Telekommunikation 2005. 80 S. mit zahlr. Abb. € 9,80 Der vorliegende Band wurde anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Museums für Kommunikation Nürnberg im Jahr 2002 herausgegeben und zeichnet in sechs wissenschaftlich fundierten Beiträgen die historischen Entwicklungslinien dieser zu den ältesten technikgeschichtlichen Museen in Deutschland zählenden Institution nach. Sie wurde 1902 gegründet als „Post- und Telegraphenabteilung“ des nun Verkehrsmuseum genannten Eisenbahnmuseums am Marientorgraben; die Weimarer Verfassung brachte mit dem Ende der eigenen bayerischen Post und Bahn die Zuordnung zu verschiedenen Reichs-, später Bundesministerien. 1925 erfolgte der Umzug in das Gebäude an der Lessingstraße, das seit der jüngsten Post- und Bahnreform zwei verselbständigte Museen (Museum für Kommunikation Nürnberg und DB Museum Nürnberg) beinhaltet. Karl M ö c k 1 referiert über die bayerischen Reservatrechte im deutschen Kaiserreich, staatsrechtliche Voraussetzung für u.a. eine eigenständige bayerische Post und damit die Museumsgründung, Martina Bauernfeind über Bürgermeister von Schuh als engagierten Förderer des Museums und Beate Spiegel über die Bau­ geschichte des 1925 eröffneten Museumsgebäudes. Kerstin Dürschner und Vera L o s s e stellen in zwei Beiträgen die institutioneile Entwicklung des Museums dar, das seit 1995 in die Museumsstiftung Post und Telekommunikation eingegliedert ist, sowie Wilhelm F ü ß 1 die Funktion von Technikmuseen vor dem Hintergrund der Technisie­ rung der Gesellschaft. Eine Auswahlbibliographie zur Geschichte des Museums be­ schließt den informativen und anschaulich bebilderten Band. Clemens Wächter Personen und Familien Georg Seiderer: Paul Wolfgang Merkel (1756-1820). Kaufmann, Reformer, Patriot. Eine Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg und der Museen der Stadt Nürnberg im Stadtmuseum Fembohaus vom 1. April 2006 bis 2. Juli 2006 (Ausstellungskatalog des Stadtarchivs Nürnberg 16). Nürnberg: Tümmel 2006, 86 S. mit 38 Abb. € 15,Als im Jahr 2006 sich die Zugehörigkeit Nürnbergs zu Bayern zum 200. Male jährte und das Haus der Bayerischen Geschichte die Landesausstellung mit dem Titel „200 Jahre Franken in Bayern“ in der Frankenmetropole veranstaltete, sah sich auch das Stadtarchiv Nürnberg veranlasst, einen eigenen Ausstellungsbeitrag zu jenem denkwür­ digen Ereignis beizusteuern. Angesichts der Tatsache, dass dieses „Jubiläum“ nicht die ungeteilte Freude aller Franken trifft, diese Haltung wiederum in Altbayern bisweilen als schnöder Undank aufgefasst wird (wie es in der Landesausstellung an mancher Stelle sichtbar wurde), erscheint es als weiser Entschluss, das Leben und Wirken einer historischen Persön­ lichkeit zu wählen, die in der Übergangszeit zwischen reichsstädtischer Souveränität und bajuwarischer „Fürstenknechtschaft“ (nach dem legendären Ausspruch von Mer­ kels Ehefrau) vielfach als Integrationsfigur wirkte und Wege aufzeigte, wie sich das stolze Nürnberger Bürgertum in dem neuen bayerischen Staat einfinden konnte.

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Zu der Ausstellung über Merkel, die auch anlässlich seines 250. Geburtstages ver­ anstaltet und neben dem Stadtarchiv und dem Stadtmuseum Fembohaus von der Merkelschen Familienstiftung getragen wurde, ist ein kompakter Ausstellungskatalog er­ schienen. Er enthält einen Artikel zur Person Merkels sowie eine Beschreibung der aus­ gestellten Objekte. Zwei Beiträge sind von Georg Seiderer verfasst. Kaufmann. Reformer. Patriot - schon im Untertitel hebt der Katalog die wichtigsten Gründe für die Bedeutung Merkels hervor. Kaufmann, weil Merkel Chef des wirt­ schaftlich erfolgreichsten Nürnberger Handelshauses um 1800 und zugleich langjäh­ riger Marktvorsteher war, der die Interessen der lokalen Handelsbourgeoisie beharrlich und selbstbewusst vertrat; Reformer, weil er an zahlreichen Projekten beteiligt war, die Nürnberg aus seiner schweren sozioökonomischen Krise in der Zeit um 1800 heraus­ führen sollten. Patriot, weil er sich vor dem Hintergrund von Aufklärung und protes­ tantischer Ethik in seinem Handeln dem gemeinen Wohl verpflichtet fühlte. In seinen biographischen Ausführungen kann Seiderer auf eine für lokalhistorische Verhältnisse relativ breite Basis neuerer Literatur stützen: Merkel und seine Familie sind in den letzten Jahrzehnten mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Seiderer stützt sich in seinen Ausführungen schwerpunktmäßig auf die 1969 erschienene Dissertation von Gerd Kirchgessncr über das Handelshaus Lödel & Mer­ kel, die 1988 verfasste Magisterarbeit von Gerd Stelzner über Paul Wolfgang Merkel, die 2000 erschienene Habilschrift von Rebecca Habermas, in der die Merkelsche Familien­ geschichte im Zusammenhang der Konstituierung des deutschen Bürgertums im 19. Jahrhundert untersucht wird, sowie auf die demnächst in den Nürnberger Werkstücken erscheinende Dissertation Dominik Radimaiers über die Bibliothek der Merkelschcn Familienstiftung. Der Autor fasst zunächst in knappen, übersichtlichen Kapiteln, deren thematische Gliederung der Ausstellung folgt, Leben und Wirken Merkels vor dem Hintergrund der Zeit um 1800 zusammen. Hierbei wird Merkel als typischer Vertreter jener Umbruchs­ zeit zwischen Aufklärung und Romantik, Merkantilismus und Liberalismus geschil­ dert. Wie viele seiner großbürgerlichen Zeitgenossen partizipierte er in jungen Jahren am aufklärerischen Diskurs seiner Zeit, sympathisierte zeitweise mit den Ideen der Französischen Revolution, wandte sich dann aber in späteren Jahren konservativ­ romantischen Strömungen, in seinem Fall der protestantischen Erweckungsbewegung, zu. Vor diesem Hintergrund werden Merkels Aktivitäten für das „gemeine Wohl“ ge­ schildert, von der Beteiligung an den Verhandlungen zum Grundvertrag von 1793 bis hin zu den Verhandlungen um den reichsstädtischen Schuldenberg, dessen Übernahme durch den bayerischen Staat Merkels letzte große Leistung vor seinem Tod 1820 dar­ stellte. Eng damit verbunden waren Merkels Engagement in bürgerlich-aufklärerischen Vereinigungen wie der „Gesellschaft zur Beförderung der vaterländischen Industrie“, der Gesellschaft „Museum“ und der Freimaurerloge „Zu den drei Pfeilen“, sowie seine Tätigkeit als Kunstsammler, durch die er in der Zeit der Mediatisierung zahlreiche Werke Nürnberger Künstler vor dem Verkauf bewahrte. Bekanntestes Beispiel hierfür ist wohl der berühmte Merkelsche Tafelaufsatz, ein Meisterwerk Wenzel Jamnitzers, der allerdings 1880 verkauft wurde und heute im Amsterdamer Rijksmuseum zu sehen ist.

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MVGN 94 (2007) Buchbesprechungen In einem zweiten Teil werden die ausgestellten Objekte dokumentiert. Die im Fembohaus präsentierte Ausstellung konnte aufgrund der reichen Überlieferung aus dem Vollen schöpfen: Die 30.000 Objekte umfassende Sammlung Merkel im Germani­ schen Nationalmuseum und das 900 Einheiten umfassende Merkelsche Familienarchiv im Nürnberger Stadtarchiv boten genug Material, um Leben und Werk Merkels mit­ samt dem historischen Flintergrund anschaulich darzustellen. Die Dokumentation ist sorgfältig und umfassend ausgeführt; sie überzeugt durch eine stringente Gliederung und bietet daneben eine gute Grundlage für die Objektrecherche zu der betreffenden Epoche. Nur die Bebilderung ist etwas mager ausgefallen; angesichts der Fülle interes­ santer und selten gezeigter Objekte hätte das Objektverzeichnis schon einige Abbil­ dungen mehr vertragen. Insgesamt stellt der Katalog einen nützlichen Beitrag zur Geschichte des Übergangs Nürnbergs zu Bayern dar, der eine wichtige Zäsur der Nürnberger Stadtgeschichte anhand des Lebens und Wirkens eines der Protagonisten dieser Zeit anschaulich beleuchtet. Rainer Mertens

Johann Fleischmann (Hg.): Geschichtssplitter und Chronik der Familie Steinacher. Spuren jüdischer Vergangenheit an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach (Mesusa 5). € 18,Mühlhausen: Selbstverl. REG 2006. 411 S. mit zahlr. Abb. Bcrcits in seiner fünften Ausgabe seit 1998 präsentiert der Rcgionalforscher, Initia­ tor, Autor und persönliche Herausgeber die Forschungsergebnisse seines Arbeitskreises zur jüdischen Geschichte im heutigen Grenzbereich zwischen Ober- und Mittelfran­ ken, der jedoch bis 1803 - mit markgräflichen sowie weiteren weltlichen und geistlichen Einsprengseln - überwiegend zum Hochstift Bamberg gehörte und damit ein historisch gewachsenes Gebiet mit über Generationen eingesessener jüdischer Bevölkerung bildete. Der auch optisch recht ansprechende Band ist zugleich Sammelbecken und Fund­ grube für topografische und biografische Detailinformationen vom 13. bis ins 21. Jahr­ hundert. Der angesichts dieser Fülle drohenden Gefahr, ein unzugängliches Massengrab an Fakten zu schaffen, entgeht der Verfasser mit dem naheliegenden, aber viel zu selten konsequent angewandten Werkzeug eines gut durchgearbeiteten Orts-, Personen- und Sachregisters, wobei wegen der Ausrichtung des Projekts die Verweise auf Gemeinden und Personen dominieren. In diesem Band von besonderem Interesse für den Nürnberger Leser ist die Edition der Chronik der aus Uehlfeld stammenden, seit 1880 in der Noris lebenden Kauf­ mannsfamilie Steinacher, die dem Verfasser durch einen heute in Israel lebenden Nach­ kommen in Kopie zur Verfügung gestellt wurde. Solche persönlichen Kontakte sind für die lokale jüdische Geschichtsforschung angesichts der vielfachen Vernichtung wert­ vollen Quellenmaterials in der NS-Zeit besonders wichtig, ihr Ergebnis nach Transkrip­ tion der zu Grunde liegenden Handschrift und Veröffentlichung besonders nutzbrin­ gend, selbst wenn es vielleicht nicht in allen Belangen akademischen Editionsrichtlinien

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MVGN 94 (2007) Personen und Familien entspricht. Der Text gewährt einen unmittelbaren Einblick in die Normalität jüdischen Lebens in Deutschland, im vorliegenden Fall zwischen 1850 und 1926, der Lebens­ spanne des Chronisten Moritz Steinacher. In ihm mischen sich, flüssig formuliert, Familiennachrichten mit Charakterisierungen von Persönlichkeiten, Anekdoten, Mit­ teilungen über die Entwicklung der wirtschaftlichen Unternehmungen mit allgemeinen Beobachtungen, z.B. zum Verlauf des Ersten Weltkrieges, den Steinacher - wie die meis­ ten seiner deutsch-jüdischen Zeitgenossen - treu national als dem geliebten Vaterland geraubten Sieg bewertete. Immer wieder begegnete er Anzeichen des mal mehr, mal weniger virulenten Antisemitismus, sei es in seinem Uehlfelder Gesangverein oder, gegen Ende seines Lebens, in der Person des zunehmend populären Fletzers Julius Streicher. Ergänzt werden die Aufzeichnungen des Chronisten durch eine umfangreiche Dokumentation („Anhänge“), zu der das Stadtarchiv Nürnberg Unterlagen aus seinen Beständen C 21/III (Einwohnermelderegister und -karteien) und C 21/VII (Passkar­ teien) beitragen konnte. Nicht nur in diesem Zusammenhang fällt auf, dass der Heraus­ geber stets bemüht ist, die Herkunft von Bild- und Textquellen so exakt wie möglich nachzuweisen, eine Tugend, die gerade in Kreisen der nicht-akademischen Ortsge­ schichtsforschung keine Selbstverständlichkeit ist. „Mesusa 5“ ist ein weiterer Beleg für die Wichtigkeit solcher „Grassroots“-Aktivitäten, meist getragen von engagierten Einzelpersonen, nicht nur für die unmittelbar betroffenen Orte, sondern wegen der Landflucht der jüdischen Bevölkerung in die größeren Städte seit Aufhebung des „Matrikelparagraphen“ 1861 für ganz Bayern. Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Aspekt ist schließlich der Beitrag, der hier jenseits von Gedenkstätten und -tagen durch Erforschung, Erinnerung und Kontakte mit den Nachfahren zur aktiven Versöhnung geleistet wird. Gerhard Jochem

„Solange ich lebe, hoffe ich.“ Die Aufzeichnungen des ungarischen KZ-Häftlings Agnes Rösza 1944/45 in Nürnberg und Holleischen. Nürnberg: testimon 2006. 381 S. mit Abb. € 20,Vom Herbst 1944 bis Februar 1945 ließen die Siemens-Schuckert-Werke in einem KZ-Frauenlager an der Katzwanger Straße 150 in Nürnberg die Arbeitskraft vorwie­ gend jüdischer Zwangsarbeiterinnen durch die SS ausbeuten. Ihr „Alltag“ - mit der Normalität eines geregelten Arbeitsprozesses hatte er nichts zu tun - ist in dem Tage­ buch von Agnes Rösza, die zu den Häftlingen gehörte, ausführlich festgehalten. Sie ver­ fasste es während ihrer KZ-Haft vom Juni 1944 bis zu ihrer Befreiung im Mai 1945 und beschrieb darin die Stationen ihres Martyriums: das Konzentrations- und Vernich­ tungslager Auschwitz-Birkenau, das KZ-Außenlager in Nürnberg, nach dessen Zer­ störung im Februar 1945 ein mehrtägiger Aufenthalt in den Ruinen der Zeltnerschule und schließlich das KZ-Außenlager Holleischen in der Tschechoslowakei - ein per­ manenter Uberlebenskampf in dem auf Zermürbung und Vernichtung von Menschen angelegten NS-Lagersystem. Sie überlebte mit Glück.

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Buchbesprechungen

Agnes Rösza wurde als Agnes Haläsz 1910 in Nagyvärad als Tochter einer jüdischen Familie geboren (Transsilvanien, heutiges Rumänien). Damals gehörte der Ort zur Ungarisch-Österreichischen Monarchie. Nach Schule, Juradiplom und Studium in Frankreich arbeitete sie dort als Übersetzerin. 1938 heiratete sie Flaläsz Gyula Schapira, einen Lehrer. Im Frühjahr 1944 besetzte die Deutsche Wehrmacht Ungarn. Wenige Wochen später begannen unter der Regie Adolf Eichmanns die Deportationen von mehr als 430.000 ungarischen Juden in das Vernichtungslager Auschwitz. Unter ihnen waren Agnes und ihre Eltern, die den Tod fanden. In den Lagern ist das Schreiben des Tagebuches eine Überlebensstrategie. Sie trägt es in einem grauen selbstgenähten Beutel ständig heimlich bei sich, um ein Stückchen Halt zu bewahren, bezeichnet es als einen Strohhalm, an den sie sich klammert. Ihren starken Willen zum Überleben schöpft sie aus der Liebe zu ihrem Mann, der von Deutschen zur Zwangsarbeit verschleppt wurde und von dem sie nicht weiß, wo er ist: „Ich versuche die vergangenen Ereignisse und Gefühle aus mir ,herauszuschreiben‘ und gleichzeitig mit diesen Notizen mit Dir in Gedanken in Kontakt zu bleiben. Es vermittelt mir die wichtige Hoffnung, das ich überleben werde, weil Du mein Tagebuch lesen wirst. Dieses Schreiben ist mir sehr wichtig, es verbindet mich mit Dir.“ Bei der Schilderung ihrer Erlebnisse im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ist sie sich der Grenzen des Verstehens bewusst. Worte wie „Schönheit“, „Zuhause“ werden unerreichbar und völlig unrealistisch. Sie notiert: „Die Frage, auf welche Weise man am besten vermitteln könnte, was wir erlebten, beschäftigte uns schon in Auschwitz ... Es gibt keine Möglichkeit, der Menschheit das Leben des Kon­ zentrationslagers zu vermitteln, denn wenn die Zuschauer stehen müssten oder sogar knien, wie wir es manchmal stundenlang mit hocherhobenen Händen mussten, würden sie unser Dasein trotzdem nicht nachempfinden ... Weil die Auschwitzer Wirklichkeit unglaublich ist, ... kamen wir dahinter,... und wurden still ...“ Nachdem sie Mitte Oktober 1944 zusammen mit weiteren Leidensgefährtinnen von Auschwitz nach Nürnberg deportiert wurde, wollen die Monate in dem Lager an der Katzwanger Straße nicht vergehen. Nahezu tägliche Fliegeralarme, Luftangriffe alliier­ ter Verbände, SS-Bestien in Menschengestalt, Krankheiten, quälender Hunger und Durst wegen der völlig unzureichenden Ernährung, Willkür, Misshandlungen, Prügel, Strafen, Demütigungen, Kälte und Frost, stundenlange Appelle, Arbeitszeiten von 12 Stunden und mehr zermürben die festgehaltenen Frauen und hinterlassen ihre Spuren. Agnes sieht nach einem halbem Jahr wie eine alte Frau aus, ist aber erst 34 Jahre alt: „Ich verlor innerhalb dieses Jahres alles Jugendliche in mir... Es wäre viel zu schwer, dagegen anzukämpfen, da ich alle Kräfte für meinen Überlebenskampf brauche ... Aber mit dem Tod der anderen werde ich mich nie abfinden.“ Aufgrund ihrer genauen Auffassungs- und Beobachtungsgabe und teils fast philoso­ phisch formulierten Sätzen gehört dieses Tagebuch zu den hervorragenden autobiogra­ phischen Dokumenten über den NS-Völkermord an den europäischen Juden und das Schicksal von Zwangsarbeiterinnen. Agnes Rösza, die nach ihrer Befreiung im Mai 1945 nach Ungarn zurückkehrte, ihren geliebten Mann wiedersah, der aber kurz darauf starb,

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MVGN 94 (2007) Personen und Familien legte ihr zweites Diplom in den Fremdsprachen Englisch und Französisch ab. Sie heiratete ihren zweiten Mann, Jenö Rösza, und arbeitete an der Universität in Kolozsvär. 1971 konnte sie ihre Aufzeichnungen erstmals in Ungarn veröffentlichen, 1978 erschienen diese in zweiter Auflage unter dem Titel „Nürnberger Tagebuch“. Mit „Solange ich lebe, hoffe ich“ haben die Herausgeber Gerhard Jochem, Michael Diefenbacher (Stadtarchiv Nürnberg) und Kollegen nach „Die Steinerne Rose“ (2003) und „Entrechtung, Vertreibung, Mord. NS-Unrecht in Slowenien und seinen Spuren in Bayern“ (2005) eine dritte Veröffentlichung vorgelegt, die sich mit dem Nationalsozi­ alismus und seiner Terror-Herrschaft in Europa auseinandersetzen. Nürnberg und die Region Franken stellen dabei jeweils einen Hauptort des Geschehens dar. Das Buch ist sorgfältig ediert, und die Begleitumstände sind akribisch recherchiert. Kurzbeiträge von der Übersetzerin aus der ungarischen in die deutsche Sprache, Monika Wiedemann, Magda Watts, einer Leidensgenossin von Agnes Rösza im Lager an der Katzwanger Straße, Franz Sz. Horvath über den Antisemitismus in Ungarn und von Gerhard Jochem über die aufwändige und mehrjährige Entstehungsgeschichte so­ wie zahlreiche Abbildungen weisen es als Standardliteratur für eine Auseinanderset­ zung mit dem NS-Lagersystem und der NS-Zwangsarbeit in Nürnberg aus. Eckart Dietzfelbinger

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NEUE ARBEITEN ZUR NÜRNBERGER GESCHICHTE Zusammengestellt von Walter Gebhardt 100 Jahre Dachsberg in Rückersdorf: Von der Frieda-Schramm-Stiftung zum Blindeninstitut. 100 Jahre pädagogische und therapeutische Angebote für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Festschrift zum 100jährigen Beste­ hen des Dachsbergs in Rückersdorf / Red.: Rudi Lacher ... - Rückersdorf: Blindeninstitutsstiftung, 2007. - 75 S. Abendrealschule : 50 Jahre Städtische Abendrealschule an der Veit-Stoß-Realschule 1956-2006 / Inhalt: Sigrun Graff. - Nürnberg 2006. 68 S. Baier, Helmut: Der „Nürnberger Ausschuss“. Landesbischof Meiser und die Anfänge der Bekennenden Kirche 1934, in: Zeitschrift für bayerische Kir­ chengeschichte 75 (2006), S. 260-282. Baier, Helmut: St. Lorenz - von der Reichsstadtherrlichkeit unter die Krone Bayerns, in: St. Lorenz N.F.55 (2006), S. 19-42. Bauernfeind, Martina: Nürnberg - eine Stadt in Bewegung. Zu den Herkunfts­ gebieten der Erwerbsmigranten um 1900, in: Jahrbuch für fränkische Lan­ desforschung 66 (2006), S. 391-416. BauLust : BauLust X. [BauLust - Initiative für Architektur dt Öffentlichkeit e.V. - 10 Jahre BauLust] / Red.: Regine Bort ... - Nürnberg 2005.-48 S. Berndt, Christian / Marc Boeckler: Ordnung der Verunordnung transterrito­ rialer Stadtlandschaften. Die Nürnberger Gartenvorstadt Werderau im glo­ balen Zeitalter, in: Erdkunde 59 (2005), 2, S. 102-119. Bischoff Teresa: Das Hans-Sachs-Denkmal in Nürnberg, in: Jahrbuch für frän­ kische Landesforschung 65 (2005), S. 197-252. Blancher, Marc: Les archives municipales de Nuremberg. Un outil pour l’historien. - Master 1 Recherche Univ. Clermont-Ferrand 2007. - 30 Bl. Bröder, Friedrich].: Kampf den mittelalterlichen Rosskuren mit Tröpfchen und Kügelchen. Dank Samuel Hahnemann wurde Nürnberg ein frühes Zentrum homöopathischer Experimente, in: Unser Bayern 56 (2007), 3, S. 3-6. Brunner, Gerhard: Die aktuelle Vegetation des Nürnberger Reichswaldes. Untersuchungen zur Pflanzensoziologie und Phytodiversität als Grundlage für den Naturschutz. - Diss. Univ. Erlangen-Nürnberg 2005. - Nümbrecht: Galunder, 2006. - (Archiv naturwissenschaftlicher Dissertationen; 17) Brunner, Gerhard / Günther Raß / Markus Gierisch: Natur am Dutzendteich. Ein Rundweg. - [Nürnberg]: Bund Naturschutz in Bayern, 2006. - 76 S.

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Bühl-Gramer, Charlotte: „... und muss ich sagen, hängt man an einer so schönen Stadt.“ Ein Kurzportrait der jüdischen Familie Astruck in Nürn­ berg, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 593-601. Chapuis, Stephanie: Samat, perlain harpandt, unterrockh. Les vetements des servantes ä Nuremberg au XVIe siede. - Master de recherche, Master 2, Ecole Normale Superieure des Lettres et Sciences Humaines Lyon 2006. 165 Bl. Cosyns, Susanne: Neue Wohnformen in Nürnberg. Zum Beispiel Lofts in St. Johannis. - Zulassungsarbeit Univ. Erlangen-Nürnberg 2007. - 44 Bl. Dahm, Carmen: Die Entwicklung der Nürnberger Industrie seit 1989. Zulassungsarbeit Univ. Erlangen-Nürnberg 2007. - 56 Bl. Demade, Julien: Du prelevement ä la ponction. Temps du prelevement et marche des denrees, in: Pour une anthropologie du prelevement scigneurial dans les campagnes de l’Occident medieval, Paris 2007, S. 321-341. Demade, Julien: La fonction de l’endettement et de la justice dans le rapport seigneurial, ou la gräce comme contrainte (Franconie, XVe siede), in: La dette et le juge, Paris 2006, S. 69-119. Diedrichs, Christof L.: Reliquientheater. Die Weisung der Reichskleinodien in Nürnberg, oder: Performative Patina mittelalterlicher Kunst, in: Diskurse des Theatralen, Tübingen [u.a.j 2005, S. 211-229. Diefenbacher, Michael: Adelsbier aus Nürnberg. Nürnberger Patrizier und die Tucher-Brauerei, in: Adel als Unternehmer im bürgerlichen Zeitalter, Müns­ ter 2006, S. 219-236. Diefenbacher, Michael: Nürnberg, die Goldene Bulle und Kaiser Karl IV., in: St. Lorenz N.F.55 (2006), S. 3-18. Diefenbacher, Michael: Verschenkt, verkauft und wiedergewonnen. Die aben­ teuerliche Geschichte eines Amtsbuchs aus dem Stadtarchiv Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 603-616. Dobmann, Heike: Die Modernisierung des Nürnberger Hauptbahnhofs Erfolg oder Misserfolg?. - Zulassungsarbeit Univ. Erlangen-Nürnberg 2006. - 126 Bl. Dühr, Barbara: Call Center. Aufbau, Struktur, Probleme unter besonderer Berücksichtigung der Region Nürnberg. - Zulassungsarbeit Univ. ErlangenNürnberg 2006. - 65 Bl. Endres, Rudolf: Die Handlungsdienerhilfskasse (Hülfskassa) in Nürnberg (1742-1944), in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 121-128. Endres, Rudolf: Nürnberg - Spinne im Netz, in: Frankenland 58 (2006), S. 314— 318. [Nürnberger Handelsstraßen] 410

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Engelhardt, Ludwig / Constanze Lindner Haigis / Dieter Nievergelt: Ein Sonnenuhr-Kruzifix von Georg Hartmann (1489-1564) aus Nürnberg, in: Regiomontanusbote 19 (2006), 4, S. 12-19. Die Evangelische Kirche in Nürnberg-Almoshof 1957-2007. Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum 2007 / Hrsg.: Evangelisch-Lutherische Gemeinde Nürnberg-Kraftshof. Christian Kopp ... - Nürnberg 2007. - 98 S. Fejtovd, Olga: Prag - Nürnberg. Zwei europäische Großstädte an der Schwelle der Neuzeit [Vortragstext 6.4.2006 Bildungszentrum Nürnberg]. - Nürn­ berg 2006. - 24 Bl. Festschrift 50 Jahre Kirche Allerheiligen: 1956-2006 / hrsg. von Michael Hof­ mann ... - Nürnberg: Pfarrei Allerheiligen, 2006. - [75] S. Fischer, Matthias: Geschichte der Firmen Trix und Fleischmann in Nürnberg. Facharbeit Städtisches Labenwolf-Gymnasium Nürnberg 2007. - 49 Bl. Fleischmann, Peter: Stiftungen in der Reichsstadt Nürnberg, in: Stiftungen gestern und heute, Erlangen 2006, S. 95-132. Forschungsgeist, Abenteuer, Romantik: Franken und Bayern dokumentieren Griechenland im 19. Jahrhundert / mit Beitr. von Bertold von Haller ... Erlangen-Frauenaurach: Museum im Amtshausschüpfla, 2005. — 172 S. Frenken, Ansgar: Das Interregnum als historische Chance. Handlungsspiel­ räume und Chancennutzung in Zeiten des Umbruchs skizziert am Beispiel der Nürnberger Burggrafen und Bürger, in: Zeitschrift für bayerische Lan­ desgeschichte 68 (2005), S. 1069-1105. Friedrich, Petra: Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 - ein Austragungsort: Nürnberg. - Zulassungsarbeit Univ. Erlangen-Nürnberg 2006. - 42, 5, 15 Bl. Friese, Rainer: Die St. Galler Familie Schlumpf in Nürnberg, in: Genealogie Bd. 28 = Jg. 56 (2007), S. 532-557. Friese, Rainer: Die Verurteilung und Hinrichtung der Barbara Schlumpf, geb. von Gera. Ein Beitrag zur Rechtsgeschichte Nürnbergs im 17. Jahrhundert, in: Genealogie Bd. 28 = Jg. 55 (2006), S. 345-355. Frömter, Joachim: Die Fränkische Grundlinie. Ein Blick auf die bayerische Landesvermessung, in: Erlanger Bausteine zur fränkischen Heimatfor­ schung 51 (2006), S. 177-192. Gaab, Hans: Die große Nürnbergische Uhr, in: Beiträge zur Astronomiege­ schichte 8 (2006) (Acta historica astronomiae; 28), S. 43-90. Das Gänsebuch: Mittelalterliche Messliturgie in Nürnberg (Tonträger] / Schola Hungarica. Läszlo Dobszay und Janka Szendrei, Leitung. Matthias Ank, Orgel. [Einf.: Volker Schier und Corine Schleif]. - [s.l.]: Naxos, 2005. - 1 CD : DDD, Beih. (12 S.)

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Neue Arbeiten

Gobiirsch, Maria: Der Pionier und seine Muse. Zu den erfolgreichsten Unter­ nehmern der Gründergeneration in Franken gehört Rudolf Wöhrl, in: Fran­ ken 2007, 7/8, S. 26-29. Gobiirsch, Maria: Täglich einen Karpfen. Werner Behringer, der „Nermbercher Bratworscht“-Wirt, in: Franken 2007, 1/2, S. 56-58. Grandt, Jens: Ludwig Feuerbach und die Welt des Glaubens. - 1. Aufl. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2006. - 362 S. Groß, Dominik / Jan Steinmetzer: Volcher Coiter (1534-1576) und die Kons­ tituierung ärztlicher Autorität in der Vormoderne. - Aachen: Shaker, 2006. 106 S. Die Grünen der Stadt - Die Stadt der Grünen: Nürnberg 1981 -2006. 25 Jahre Grüne im Nürnberger Stadtrat. - Nürnberg 2006. - 16 S. Hahn, Alfred: Eberhardshof zu Nürnberg. Kleine Chronik. - Nürnberg 2006. -[ca. 100] Bl. Hempel, Christina: Einheit in der Vielfalt. Facetten einer erfolgreichen deutsch-französischen Städtepartnerschaft: Nürnberg-Nizza. - Diplomar­ beit Univ. Passau 2007. - XVI, 77 Bl. Herbers, Klaus: Die „ganze“ Hispania. Der Nürnberger Hieronymus Münzer unterwegs - seine Ziele und Wahrnehmungen auf der Iberischen Halbinsel (1494-1495), in: Grand Tour, Ostfildern 2005, S. 293-308. Hergemöller, Bernd-Ulrich: Die Entstehung der „Goldenen Bulle“ zu Nürn­ berg und Metz 1355 bis 1357, in: Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle 1356-1806, Aufsätze, Frankfurt am Main 2006, S. 26-39. Herold, Herbert: Die Giesserfamilie Herold aus Nürnberg und ihre Produkte. - Göttingen: Cuvillier, 2006. - 87 S. Hille, Martin: Vorsehung, Reich und Kirche in der Nürnberger Chronik des Antoni Kreutzer. Ein Beitrag zum altgläubigen Weltbild der Reformations­ zeit, in: Religiöse Prägung und politische Ordnung in der Neuzeit, Köln [u.a.] 2006, S. 1-30. Hilsenbeck, Renate: Lebensformen adeliger Unternehmer. Lothar von Faber und Alexander Graf von Faber-Castell, in: Adel als Unternehmer im bürger­ lichen Zeitalter, Münster 2006, S. 195-217. Hines, Hilde: In Hinesight. - [Victoria, AUS]: Self-publ., 2006. - 289 S. [Die Verf. (1917-2007) wuchs unter ihrem Mädchennamen Guckenheimer in Nürnberg auf]. Horn, Adolf: Ein Weißenstädter in der Fremde. - [Nürnberg] 2006. - 8 Bl. [Der Architekturlehrer und spätere Bürgermeister von Fischbach Karl Hertel (1883-1958)].

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Huber, Paul: Das ehemalige Pellerhaus in Nürnberg. Kontroverse um Ruinen­ charakter und Verhältnis zu denkmalgeschütztem Nachkriegsbau, in: Denk­ malpflege-Informationen 135 (2006), S. 22-24. Jasper, Gotthard: Gutachten zu Landesbischof D. Hans Meiser, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 75 (2006), S. 218-245. Kämmle, Michael: Ein fast vergessener Sohn Nürnbergs. Zum 250. Geburtstag des Komponisten Johann Christoph Vogel (1756-1788), in: Franken 2006, 9/10, S. 22-23. Kappel, Hanshelmut: Nürnberger Land in Not. Der Dreißigjährige Krieg. Treuchtlingen: Keller, 2005. - 125 S. Kaiser, Christiane: Die Fleischbrücke in Nürnberg 1596-1598. - Diss. Techn. Univ. Cottbus 2005. - VII, 300, 153, 117 Bl. Kamm, Wolfgang: Siegbert Tarrasch - Leben und Werk. Biographie zum 70. Todestag. - Unterhaching: Fruth, 2004. - 877 S. Kirchberger, Franz: Die Reichskleinodien in Nürnberg in der Frühen Neuzeit (1525-1796). Zwischen Glaube und Kritik, Forschung und Verehrung, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806, Essays, Dresden 2006, S. 187-199. Klein, Klaus: „Das puch kan man nit wissen, wo es hin ist kumen“. Verschol­ lene und wiederaufgefundene Handschriften, in: Auskunft, Nordhausen, 26 (2006), 2, S. 223-231. [Aus dem Nürnberger Katharinenkloster]. Köhl, Martin: Der Janitscharenzug am Giraffenklavier verblüffte die Spiel­ kameraden. Ein Juwel unter Frankens Kulturgütern: Die klavierhistorische Sammlung Neupert im Germanischen Nationalmuseum, in: Unser Bayern 56 (2007), 1,S. 3-6. Köhler, Susanne: Rudo Göschei. Künstler aus Tradition, Architekt und Bild­ hauer. - [s.l.J 2007. - XVI, [ca. 900] S. Kozlowski, Thomas: DATEV - 35 Jahre Ausbildung. - Nürnberg 2006. - [ca. 100] s.

Krakow i Norymberga w cywilizacji europejskiej: materialy miedzynarodowej konferencji zorganizowanej w dniach 6-7 grudnia 2004 / Red. naukowa Jacek Purchla. - Krakow: Miedzynarodowe Centrum Kultury w Krakowie, 2005.-283 S. Kreß, Berthold: The manuscripts and drawings by Paul Lautensack (1477/78— 1558) and his followers. - Diss. Univ. Cambridge 2006. - XXIX, 598, 281 S. Kreß, Mario: „Das ist meine Burg, mein Leben.“ Seit nunmehr 35 Jahren bietet Nürnbergs Handwerkerhof Kunsthandwerkern, Händlern und vielen Besu­ chern einen geschützten Raum mitten in der brodelnden Stadt, in: Franken 2007,1/2, S. 64-65.

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Neue Arbeiten

Krusche, Christoph: Stadtteilentwicklung am Beispiel Mögeldorf. - Facharbeit Neues Gymnasium Nürnberg 2007. - 51 Bl. Kühne, Andreas / Stefan Kirschner: Die Kunst der Arithmetik. Eine „Tabula Pytagora“ des Nürnberger Goldschmieds Wenzel Jamnitzer (1508-1585), in: „Es gibt für Könige keinen besonderen Weg zur Geometrie“: Festschrift für Karin Reich, Augsburg 2007, S. 241-258. „Laternenlicht, verlösch mir nicht!“: 125 Jahre elektrische Strassenbeleuchtung in Nürnberg / Norbert Flirschmann ; Siegfried Kett. - Nürnberg: Stadt­ archiv Nürnberg, [2007]. - [6] S. [Faltbl.]. - ([Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg]; 58). Lebender, Eberhard: Wider den pommerschen Durst. Kupferschmied aus Nürnberg begründete 1747 eine Bierbrauerdynastie in Gollnow und Stargard, in: Pommern 44 (2006), 4, S. 28-35. Liedei, Herbert / Walter Grzesiek: Nürnberg erleben. - 1. Aufl. - Veitshöchheim : Hahn, 2006. - 88 S. Machilek, Franz: Dominikus Schleupner aus Neisse (um 1483-1547). Vom Kanzler des Bischofs Jakob von Salza und Domkapitular in Breslau zum evangelischen Prediger und Ratstheologen in Nürnberg, in: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung, Leipzig 2006, S. 235-262. Mährle, Wolfgang: Eingangstor ins Reich? Studenten aus Ungarn und Sieben­ bürgen an der Nürnberger Hochschule in Altdorf (1582-1799), in: Peregrinatio Hungarica, Stuttgart 2006, S. 95-114. Matthäus, Klaus: Der Atheist Matthias Knutzen streifte Altdorf (1674). Johann Christoph Sturm und seine Stellungnahme gegen die Gewissener von 1675, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 75 (2006), S. 56-86. Mattiesson, Christiane: Nürnberg (1927). Anbindung an historische Architek­ tur, in: Die Rationalisierung des Menschen, Berlin 2007, S. 212-232. [Amts­ gebäude des Arbeitsnachweises], May, Herbert: Die Kunst der Fuge. „Bandfugen“ an historischem Mauerwerk in Nürnberg, in: Nürnberger Altstadtberichte 31 (2006), S. 29-49. Mertens, Dieter: Laudes Germaniae in Bologna und Wittenberg. Zu Christoph Scheurls „Libellus de laudibus Germaniae et Ducum Saxoniae“ 1506 und 1508, in: Margarita amicorum: Studi di cultura europea per Agostino Sottili, 2, Milano 2005, S. 717-731. Metzger, Pascal: Die ersten Nürnberger Fabrikarbeiter. Die Lebenswelt der Arbeiterschaft der Maschinenbauanstalt Johann Wilhelm Spaeth im Spiegel der Fabrikordnung von 1838, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 285-299. Moulinier-Brogi, Laurence: Un medecin et son image au XVIe siede? Nicolaus Gugler, de Nuremberg, in: Sudhoffs Archiv 89 (2005), 1, S. 23-37. 414

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Müller, Annemarie B.: Hans Meiser in der Nachkriegszeit. Bemerkungen zur Ausstellung des Landeskirchlichen Archivs, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 75 (2006), S. 283-294. Müller, Otto: Die Gräfenberger Oberschule. Chronik eines Provisoriums. Zur Geschichte der Filiale Gräfenberg 1946-1955, Tochterschule des Realgym­ nasiums Nürnberg (heutiges Willstätter-Gymnasium). - Gräfenberg: Alt­ stadtfreunde Gräfenberg, 2006. - 65 S. Münch, Marina: Spuren der Globalisierung im urbanen Raum. Lokale Gemeinschaft und translokale soziale Landschaft im Nürnberger Stadtteil Werderau. - Erlangen: Selbstverl. der Fränkischen Geographischen Ges., 2005. - X, 82 S. - (Erlanger geographische Arbeiten / Sonderband; 32). Nicolaisen, Carsten: Hans Meiser (1881-1956) in den politischen Herausfor­ derungen des 20. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für bayerische Kirchenge­ schichte 75 (2006), S. 246-259. Niederwöhrmeier + Kief: freie Architekten BDA / Hrsg.: Nicolette Bau­ meister. - Amberg: Büro Wilhelm, [2005], - 134 S. Niekisch, Manfred: Die Vignetten der „Historia Naturalis Ranarum Nostratium“ (1758). Einblicke in das Leben und Werk des August Johann Rösel von Rosenhof und seine herpetologischen Pionierleistungen, in: Sekretär Beiträge zur Literatur und Geschichte der Herpetologie und Terrarien­ kunde 7 (2007), 1, S. 33-60. Nürnberger Falken-Geschichten / Muck Raymann Hrsg. - 1. Aufl. - Nürn­ berg: emwe-Verl., 2007. - 256 S. Oellermann, Eike: Carl Alexander von Heideloff - und St. Lorenz, in: St. Lorenz N.F.55 (2006), S. 43-66. Orth, Peter: Rom an der Regnitz, Babylon an der Pegnitz. Beobachtungen zur „Norimberga“ des Konrad Celtis, in: Nova de veteribus, München [u.a.J 2004, S. 809-822. Paetsch-Wollschläger, Kunigunde: Wunderbare Entdeckung zum 500. Todes­ tag. Das verschollene Testament Valentin Ostertags aufgefunden, in: Hei­ mat-Jahrbuch des Landkreises Bad Dürkheim 25 (2007), S. 107-113. Parisi, Francesca: L’abate Iohannes Radenecker (1441-1504) nel „Liber de antiquitatibus“ di Hartmann Schedel, in: Margarita amicorum: Studi di cultura europea per Agostino Sottili, 2, Milano 2005, S. 847-856. Perspektive Soziokultur: 30 Jahre KUF / Hrsg.: Jürgen Markwirth. Red. verantw.: Peter Hautmann ... - Nürnberg: Stadt Nürnberg, Amt für Kultur und Freizeit, 2007. - 80 S. Petry, David: Demokratischer Aufbruch oder folgenloses Strohfeuer? Patro­ nage, Spionage und Kolportage im Reichshofratsprozess Dr. Sörgel contra Nürnberg (1722-1730), in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 65 (2005), S. 135-161. 415

MVGN 94 (2007) Neue Arbeiten

Posset, Franz: Sola scriptura - Martin Luthers invention? Commemorating the 500th anniversary of the printed edition of the constitutions of the Order of St. Augustine in Nuremberg in 1504-1506, in: Augustiniana, HeverleeLouvain, 56 (2006), 1/2, S. 123-127. Rasen, Rosen und Rabatten: Historische Gärten und Parks. Kurzführer zum Tag des offenen Denkmals 2006 / Red.: John P. Zeitler. - Nürnberg: Stadt Nürnberg, Hochbauamt, Untere Denkmalschutzbehörde, 2006. - 79 S. Rauschert, Birgit: Hommage für Fritz Griebel - seine Scherenschnitte bezau­ bern bis heute, in: Frankenland 59 (2007), S. 119-128. Rechter, Gerhard: Das Staatsarchiv Nürnberg 2006. Zielplanung und Positio­ nierung eines Archivs in seiner Region. Versuch eines Überblicks, in: Fest­ schrift Hermann Rumschöttel zum 65. Geburtstag (Archivalische Zeit­ schrift; 88), Köln [u.a.] 2006, S. 725-741. Region Nürnberg - Shenzhen: 2007 Jubiläum 10 Jahre Partnerschaft / Red.: Birgit Birchner ... Beitr. von Frieder Barta ... - Nürnberg: Stadt Nürnberg, Amt für Internationale Beziehungen, 2007. - 52 S. Reindl, Birgit: Der Wald der Heilig-Geist-Spital-Stiftung Nürnberg. Der Wert des Waldes im Wandel der Zeit. - Diplomarbeit Fachhochschule Weihen­ stephan 2007. - 63 Bl. Rieger, Susanne: Frauen für Frauen. Diakonissen im Pflegeamt der Stadt Nürn­ berg 1909-1995, in: Transit Nürnberg 1 (2007), S. 74-82. Rößner, Volker: Von Nürnberg nach Bamberg. Zwei Bauten der Nürnberger Landesausstellungen 1896 und 1906 und ihr Weg, in: Historischer Verein Bamberg: Bericht 142 (2006), S. 283-309. Rosenberg, Leibi: Vom Umgang mit den geraubten Büchern heute. Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde (früher „Stürmer-Bibliothek“) in der Stadtbibliothek Nürnberg. Ein Werkstattbericht, in: Jüdischer Buch­ besitz als Raubgut, Frankfurt am Main 2006, S. 349-356. Rötzer, Hans Gerd: Ortstermin: Spanien 1465 und 1494. Die Jahre vor und nach der Ausweisung der Juden (1492) im Spiegel zweier deutscher Reise­ berichte, in: Hispanorama 111 (2006), S. 27-33. [Verfasser der Reiseberichte waren die Nürnberger Gabriel Tetzel und Hieronymus Münzer], Rutz, Andreas: Städtische Schulpolitik in der Konfessionalisierung. Aachen, Köln und Nürnberg im Vergleich, in: Zeitschrift für historische Forschung 33 (2006), S. 359-385. Schäfer, Wolf: Auswirkungen lokaler Bevölkerungsprognosen auf die Stadtent­ wicklungspolitik Nürnberg, in: Politische Studien, München, 56 (2005), 399, S. 78-90. Schmidt, Alexander / Martin Urban: Reichsparteitagsgelände Nürnberg. Kurzführer. - Nürnberg: Sandberg-Verl., 2006. - 72 S. 416

MVGN 94 (2007)

Schmoll, Renate: Die Majuskelinschrift auf Nürnberger Beckenschläger­ schüsseln, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 75 (2006), S. 295300. Schnabel, Lothar: Georg Türk. Pfarrer und Schriftsteller. Biographie und Bib­ liographie. - Treuchtlingen [u.a.]: Wek-Verl., 2006. - 57 S. Schnabel, Werner Wilhelm: Kirchweih in Kraftshof 1641. Volksbelustigung im Spiegel akademischer und nichtakademischer Dichtung, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 51-81. Schönlein, Peter: Straßenpolitik. Namen sind politisch: Der Nürnberger Rathenauplatz wurde vier Mal umbenannt, in: Sonntagsblatt 2006, Nr. 38, S. 22-24. Schultheiß, Ernst-Friedrich: Arcadia translocata. Nürnbergs Zweitname „Noris“ als Vermächtnis von Humanisten, Professoren und Pegnesen, in: Der Beitrag der byzantinischen Gelehrten zur abendländischen Renaissance des 14. und 15. Jahrhunderts, Frankfurt am Main [u.a.] 2006, S. 123-148. Schuster, Hans: Hans Schuster. Leben und Werk. Akademischer Maler, 1908 Nürnberg - 1978 Rosenheim / Evelyn Frick. - 1. Aufl. - Rosenheim: AnneOswald-Stiftung [u.a.], 2005. - 147 S. Siegler, Bernd: Eine Fahrkarte nach Jerusalem. Der 1. FC Nürnberg wird „judenfrei“, in: Nurinst 3 (2006): Schwerpunktthema Fußball, S. 13-34. Stadler, Daniela: Die Beteiligung Nürnbergs an den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 331-362. Stadler, Daniela: Die Zeitgeschichtliche Sammlung im Stadtarchiv Nürnberg. Von der Beilagen- und Zeitungsausschnittsammlung zur digitalen Erfas­ sung, in: Sammlungen in Archiven, Berlin/Potsdam 2006, S. 117-134. Staub, Martial: Die süddeutschen Prädikaturen und die Ethik der mitteleuro­ päischen ,Devotio moderna“, in: Die „Neue Frömmigkeit“ in Europa im Spätmittelalter, Göttingen 2004, S. 285-299. Steiner, Florian Paul: Der Wiederaufbau von Nürnberg. Der Ideenwettbewerb von 1947 und seine Umsetzung. - Masterarbeit Univ. Bamberg 2006. - 131, CCWII S. Stoller, Hermann: Rcichswehrminister Dr. Otto Geßler, in: Jahrbuch des Landkreises Lindau 21 (2006), S. 26-55. Stolz, Georg: Die St.-Lorenzkirche zu Nürnberg. - 15., veränd. Aufl. - Mün­ chen [u.a.]: Dt. Kunstverl., 2006. - 30 S. Strauch, Friedrich: Das Haus mit der Sonne. 100 Jahre Mathildenstraße 35. Geschichte und Geschichten eines Hauses und einer Straße in Nürnbergs Nordosten. - Nürnberg 2006. - 51 S.

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MVGN 94 (2007)

Neue Arbeiten

Tarokic, Angelika: Hermann Heimerich. Ein Mannheimer Oberbürgermeister im Spiegel seines Nachlasses. - Mannheim: v. Brandt, 2006. - 159 S. (Sonder­ veröffentlichung des Stadtarchivs Mannheim; 30). Taschner, Michael: Da waren’s nur noch drei! Die letzten Nürnberger Schwe­ denhäuser, in: Nürnberger Altstadtberichte 31 (2006), S. 97-120. Tebbe, Karin: Der Lauf der Zeit. Immerwährende Kalender des Johann Georg Mettel aus Nürnberg, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2007, S. 105-111. Theobald, Paul: Die Geschichte der jüdischen Familie Blum, in: Frankenthal einst und jetzt 2006, S. 25-29. Thoben, Claudia: „Notorische Straßendirnen“ im Visier der Polizei. Bruch­ stücke weiblicher Lebensläufe im Nürnberg des ausgehenden 19. Jahrhun­ derts, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 377-390. Tobias, Jim G.: Die „Stürmer-Bibliothek“. Ein historischer Exkurs, in: Jüdi­ scher Buchbesitz als Raubgut, Frankfurt am Main 2006, S. 73-84. Triest, Kurt: Fotografien von Nürnberg vor 1933 / verantw.: Helmut Beer. Nürnberg: Stadtarchiv Nürnberg, 2006. - [24] S. Vasold, Manfred: Die Sterblichkeit in Nürnberg im 19. Jahrhundert. Lebens­ umstände, Krankheit und Tod (um 1800 bis 1913), in: Würzburger medizin­ historische Mitteilungen 25 (2006), S. 241-338. Vierzigmann, Ingrid: Vierzigmann. - Nürnberg 2006. - 247 Bl. Vogel, Jan: „Ein Inferno“. Erinnerung an den Luftkrieg gegen Nürnberg, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 65 (2005), S. 277-306. Vogler, Günter: Eisleben und Nürnberg zur Zeit Martin Luthers. Beziehungen zwischen zwei Wirtschaftspartnern, in: Martin Luther und Eisleben, Leip­ zig 2007, S. 49-72. Wächter, Clemens: „Pflegestätte des deutschen Idealismus“. Die Konzeption einer „Freien Hochschule für Handel, Industrie und allgemeine Volksbil­ dung“ in Nürnberg am Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für frän­ kische Landesforschung 66 (2006), S. 417-440. Wehefritz, Valentin: Wappenbrief des Nürnberger Bürgers und Handelsmanns Conradt Wehefritz, Nördlingen 1596. - Dortmund 2006. - 11 Bl. Weinland, Katrin: Die Industrialisierung in Bayern im Spiegel von Fabrikord­ nungen aus Nürnberg und Fürth - ein Mittel der Sozialdisziplinierung?. Zulassungsarbeit Univ. Erlangen-Nürnberg 2006. - 179 Bl. Wendel, Klaus: Für die Mathematik begabt, zum Lehren berufen, von der Musik begeistert. Der Mathematiker und Musikwissenschaftler Bernhard von Gugler (1812-1880). - Münster: Monsenstcin und Vannerdat, 2006. XIV, 682 S. - (MV-Wissenschaft).

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MVGN 94 (2007)

Wiedmann, Gerhard: Der Nürnberger Nikolaus Muffel in Rom (1452), in: Grand Tour, Ostfildern 2005, S. 105-114. Wüst, Wolfgang / Annett Haherlah-Pohl: Das Ende der Heiligen? Kommuni­ kation in einer süddeutschen Kloster- und Stiftslandschaft, in: Sakralität zwischen Antike und Neuzeit, Stuttgart 2007, S. 223-234. [Ebracher Hof]. Zahlaus, Steven M.: „Ende des Patriarchats?“ Zu Leben und Werk der Frauen­ rechtlerin Rosine Speicher, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 66 (2006), S. 487-506. Zahn, Peter: Nürnberger Bürger in ihrer zeitlichen und ewigen Wohnung. Vom Haus in der Altstadt zum „Ruhekämmerlein“ auf dem Friedhof, in: Nürnberger Altstadtberichte 31 (2006), S. 50-96. Zahn, Peter: Die Rotgießerfamilie Weinmann in Nürnberg als Erben der Vischerhütte, in: De litteris, manuscriptis, inscriptionibus ...: Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch, Wien [u.a.] 2007, S. 353-370. Zum 100. Todestag des gehörlosen Künstlers Prof. Paul Ritter: geb. 4. März 1829 Nürnberg, gest. 27. November 1907 Nürnberg. Kalender 2007 / Text und Bildausw.: Silke Colditz-Heusl. - Nürnberg: Stadtverband der Gehör­ losen Nürnberg, [2006]. - 14 Bl.

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JAHRESBERICHT ÜBER DAS 129. VEREINSJAHR 2006 Zusammengestellt von Wiltrud Fischer-Pache I. Bericht des Vorsitzenden Im Berichtsjahr fanden in den Monaten Januar bis Mai und Oktober bis Dezember mit Ausnahme der Ferienzeit jeweils am ersten Dienstag im Monat - im Fabersaal in der Nürnberger Akademie acht Vorträge statt. Anlässlich der 200-jährigen Zugehörigkeit Frankens zu Bayern veranstaltete der Ver­ ein für Geschichte der Stadt Nürnberg gemeinsam mit dem Stadtarchiv Nürnberg und anderen Geschichtsvereinen der Region am 14. Oktober 2006 ein Kolloquium über die Zusammenhänge der politischen und verwaltungsreformerischen Veränderungen der Umbruchszeit um 1806. Unter dem Titel „Vom Adler zum Löwen - Die Region Nürn­ berg 1775-1835“ beleuchteten neun Vorträge die Umbruchsjahre zwischen 1775 und 1835. Am 10. und 11. November hielt die Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft“ ihre Jahres­ tagung wieder in Nürnberg ab, die - wie in den vergangenen Jahren auch - vom Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg und dem Stadtarchiv Nürnberg mitorganisiert wurde. Auf dem Programm standen sieben Vorträge zum Thema „Medizin und Huma­ nismus in Nürnberg um 1500“. Referenten und Vortragsthemen sind im Teil II des Jahresberichts aufgelistet. An weiteren Veranstaltungen wurden fünf Führungen und eine Tagesexkursion organisiert (im einzelnen siehe Teil II des Jahresberichts). Im Anschluss an den Februar-Vortrag wurde am 7. Februar 2006 in Anwesenheit von 49 Mitgliedern die Jahreshauptversammlung abgehalten. Satzungsgemäß stand in diesem Jahr die Neuwahl des Vorstands und der Kassenprüfer an. Da mit dem Aus­ scheiden von Herrn Georg Stolz (Vorstandsmitglied seit 1979) und Herrn Dr. Wilhelm Doni (Vorstandsmitglied seit 1988) aus dem erweiterten und Herrn Jürgen Winter (Schatzmeister seit 1988) aus dem engeren Vorstand drei der insgesamt 18 Vorstands­ sitze frei wurden und seit dem Tod von Herrn Dr. Erich Mulzer (t 9. Oktober 2005) ein weiterer Sitz im erweiterten Vorstand vakant war, standen insgesamt vier Sitze zur Neubesetzung an. In das Amt des Schatzmeisters wurde Herr Michael Maier, Direktor des Bereichs „Neue Medien“ in der Sparkasse Nürnberg, gewählt. In den erweiterten Vorstand wurden Frau Dr. Martina Bauernfeind, freiberufliche Historikerin, Frau Dr. Charlotte Bühl-Gramer, Akademische Rätin am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg, sowie Herr Herbert May M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim und Stadtheimatpfleger von Nürnberg, gewählt. Die übrigen Mitglieder des Vorstands wurden komplett wiedergewählt. Im Amt der Kassenprüfer wurden Herr Burkhard Stüben und Herr Reimund Prottengeier bestätigt.

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Abschließend dankte der Vorsitzende den scheidenden Vorstandsmitgliedern für ihre langjährige Tätigkeit im Vereinsvorstand und wünschte ihnen für die Zukunft alles Gute. Neben den Routinesitzungen des engeren Vorstands und mehreren Redaktions­ sitzungen der Schriftleitung fanden im Berichtsjahr wie üblich im Juni und im Dezem­ ber die beiden regulären Vorstandssitzungen statt. Durch Tod verlor der Verein im Berichtsjahr 12 Mitglieder (2005: 13): Elisabeth Carl, Nürnberg Egon Fein, München Karl Gruber, Ottingen i. Bayern Rudolf Kalb, Nürnberg Sofie Kumeth, Nürnberg Ingrid Linnert, Zirndorf Lotte Löffler, Nürnberg Hans H. Meister, Nürnberg Hermann Meyer, Nürnberg Roman Stich, Nürnberg Hans Wächter, Nürnberg Klaus Peter Wittmann, Nürnberg Wir werden den Verstorbenen ein ehrenvolles Gedenken bewahren. 15 Mitglieder (2005: 16) sind, teils aus Altersgründen, teils wegen Wegzugs, aus unserem Verein ausgetreten. 22 Mitglieder (2005: 25) durften wir neu begrüßen: Dieter Beckh, Lengenwies 22, 82547 Eurasburg Jens Börner, Am Europakanal 8, 91056 Erlangen Friedrich Corino, Bürgleiner Str. 24, 91560 Heilsbronn Jörg Fleischmann, Friedrichstr. 27, 90408 Nürnberg Dr. Klaus Hiemeyer, Untere Schmiedgasse 8, 90403 Nürnberg Dr. Stefan Kley, Jahnstr. 29, 90610 Winkelhaid Reinhard Krenek, Hohfederstr. 15, 90489 Nürnberg Martin Krumpiegl, Sankt-Gallen-Ring 165, 90431 Nürnberg Dr. Dieter Lölhöffel, Kleinweidenmühle 24, 90419 Nürnberg Michael Manger, Werner-von-Siemens-Str. 11, 95444 Bayreuth

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Dr. Adelheid Müller, Nording 90, 90409 Nürnberg Kunio Nashiro, Harayamadai 8-16, 4890888 Seto-shi Aichi-ken, Japan Traute Pels Leusden, Parkstr. 60, 90571 Schwaig Thomas Schmechtig, Bücher Str. 20a, 90408 Nürnberg Margit Schmidt-Pikulicki, Alte Rother Str. 15b, 91126 Schwabach Heinz Schmutterer, Rosenstr. 13, 91560 Heilsbronn Wolfgang Städter, Wiesenstr. 46a, 90443 Nürnberg Gero Trebbin, Welserstr. 46, 90489 Nürnberg Prof. Dr. Klaus-Rüdiger Trott, Osterberg 4, 83703 Gmund Georg Uhl, Hastverstr. 26, 90408 Nürnberg Verein für bayerische Kirchengeschichte, Veilhofstr. 28, 90489 Nürnberg Horst Zwirner, Josef-Simon-Str. 40, 90473 Nürnberg Am 31.12.2006 zählte unser Verein 771 Mitglieder (31.12.2005: 776 Mitglieder). Kurz vor Weihnachten erschien Bd. 93 der MVGN mit einem Umfang von 428 Seiten. Die aktuellen Beiträge der MVGN (derzeit Band 91/2004, 92/2005 und 93/2006) können neuerdings zum Preis von 8,- € pro Beitrag aus dem Internet hcruntergeladen werden (www.histotext.del. Diesen Service bietet unser Verleger, die Verlagsdruckerei Schmidt in Neustadt/Aisch, der natürlich in erster Linie für Nichtmitglieder interessant ist. Ältere Beiträge - ausgenommen die jeweils letzten 5 Jahrgänge - können, wie bereits im Jahresbericht über das 127. Vereinsjahr 2004 berichtet, kostenlos unter der Adresse www.bayerische-landesbibliothek-online.de eingesehen und ausgedruckt werden. Eine Volltext-Recherche ist hier allerdings noch nicht möglich. Im Berichtsjahr begann Herr Karl Kohn mit der Überarbeitung des Sebalder Häuserbuchs. Die Bearbeitung soll bis Ende 2008 abgeschlossen sein. Zum Schluss des Jahres haben wir wiederum vielfachen Dank auszusprechen: allen Mitgliedern und Gönnern unseres Vereins, die unsere wissenschaftliche Arbeit durch ihre Mitgliedsbeiträge bzw. durch großzügige Spenden unterstützen, der Stadt Nürn­ berg, der Friedrich Freiherr von Haller’schen Forschungsstiftung, der Sparkasse Nürn­ berg und dem Bezirk Mittelfranken für die gewährten Druckkostenzuschüsse, ferner den Medien für die Ankündigung unserer Veranstaltungen und die Berichterstattung in der Presse. Unser ausdrücklicher Dank für die langjährige bewährte Zusammenarbeit gilt schließlich auch wieder der Verlagsdruckerei Schmidt in Neustadt/Aisch, die trotz großem Termindruck die pünktliche Auslieferung des vorliegenden Jahrbuchs möglich gemacht hat. Willy Prölß Michael Diefenbacher

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II. Übersicht über die Veranstaltungen Vorträge im Rahmen des Vortragsprogramms: 10. Januar

Herbert May M.A., Nürnberg: Bürgerhäuser in Nürnberg - ein Überblick über die Ergebnisse neuerer baugeschichtlicher Forschungen

7. Februar

Prof. Dr. Franz Fuchs, Würzburg: Niklas Muffel am Hof Kaiser Friedrichs

7. März

Nicole Kramer M.A., München: Die Nürnberger Frauen und der Luftkrieg

4. April

Herbert H i e k e, Nürnberg: 100 Jahre Hauptbahnhof Nürnberg - ein Bauwerk und seine Um­ gebung

2. Mai

Prof. Dr. Klaus H e r b e r s, Erlangen: Die Goldene Bulle von 1356. Entstehung, Überlieferung, Bedeutung

10. Oktober

Dr. Michael Diefenbacher, Nürnberg: Die Tucherischc Handelsgesellschaft um 1500 (Ersatzvortrag für den kurzfristig abgesagten Vortrag von Michael Kai­ ser über „Nürnberger Soldatenschicksale in Krieg und Gefangenschaft 1939-1955 - Eine Zusammenfassung des Zeitzeugenprojekts des Garni­ sonmuseum Nürnberg“, der am 17. April 2007 nachgeholt wurde)

7. November

Dr. Jochen Haeusler, Nürnberg: Die Nürnberger Kolonie im St. Petersburg des 19. Jahrhunderts

5. Dezember

Dr. Stefan Kley, Nürnberg: Kommunikation und Mobilität in Nürnberg, Franken und Bayern 1775-1835

14. Oktober

Kolloquium „Vom Adler zum Löwen Die Region Nürnberg 1775- 1835“ (gemeinsame Veranstaltung des Stadtarchivs Nürnberg, des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg und anderer Geschichtsvereine der Region zur gemeinsamen Ausstellung von Stadtarchiv und Staatsarchiv Nürnberg in der Norishalle) Dr. Michael Diefenbacher, Nürnberg: Vom Adler zum Löwen - Eine Einführung in das Tagungsthema Dr. Walter Bauernfeind, Nürnberg: Nürnberg 1806 bis 1818 - Politik und Verwaltung Günther Friedrich, Nürnberg: Die Verwaltung des Nürnberger Landgebiets 1790-1818

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Dr. Horst-Dieter Beyerstedt, Nürnberg: Die Reformen des Nürnberger Stiftungswesens um 1800 Dr. Martina Bauernfeind, Nürnberg: Die Entwendung und Verschleuderung Nürnberger Kulturgüter 18061818 Dr. Andreas Jakob, Erlangen: Von Preußen nach Bayern - Die Fürstentümer Ansbach und Bayreuth 1790-1815 Dr. Gerhard Rechter, Nürnberg: Annexionen: Reichsritterschaft und Deutscher Orden Prof. Dr. Karl Borchardt, Rothenburg/Würzburg: Rothenburg und andere fränkische Reichsstädte beim Übergang an Bayern Wolfgang D i p p e r t, Schwabach: Markgrafen und Könige - Schwabachs Weg ins 19. Jahrhundert 10./11.

November

Jahrestagung der Willibald-Pirckheimer-Gesellschaft zum Thema „Medizin und Humanismus in Nürnberg um 1500“ Wie in den vergangenen Jahren wurde diese Tagung vom Verein und dem Stadtarchiv Nürnberg mitorganisiert. Prof. Dr. Franz Fuchs, Würzburg: Humanistische Arzte in Nürnberg um 1500 PD Dr. Bernhard Schnell, Göttingen: Nürnberger Medizinstudenten in Padua (ca. 1450-1500) Rene Hurtienne, Erlangen: Medizinisches im Reisebericht des Hieronymus Münzer PD Dr. Arno Mentzel-Reuters, München: Humanistische Medizin in der Frühzeit der Universität Tübingen (1477-1533) Prof. Dr. Michael Stolberg, Würzburg: Die Harnschau im 16. und frühen 17. Jahrhundert Prof. Dr. Peter Zahn, München: Nürnberger Ärzte des 16.-17. Jahrhunderts, erlebt durch ihre huma­ nistischen Gedenkinschriften

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Sonstige Veranstaltungen: 20. Mai

Prof. Dr. Rusam, Nürnberg: Führung „Das Pegnitztal im Umkreis der Herrensitze Ober- und Unterbürg“

24. Juni

Dr. Georg Seid er er, Schwabach: Führung durch die gemeinsame Ausstellung von Stadtarchiv und Stadt­ museum Fembohaus „Paul Wolfgang Merkel (1756-1820) - Kaufmann. Reformer. Patriot.“

1-Juli

Dr. Martina Bauernfeind und Angelika Schwanhäußer, beide Nürnberg: Zweistündiger Rundgang mit Besichtigung des großen SchwanhäuserParks „Der Stadtteil Gärten hinter der Veste im Spannungsfeld von Gartenkultur und Industrialisierung“

15. Juli

Tagesexkursion „Die fränkischen Reichsstädte Windsheim und Rothen­ burg“ Leitung: Richard Kölbel

7. Oktober

Führung durch die Bayerische Landesausstellung im Museum Indus­ triekultur „200 Jahre Franken in Bayern“

15. Oktober

Dr. Horst-Dieter Beyerstedt: Führung durch die Ausstellung „Vom Adler zum Löwen - Nürnberg wird bayerisch 1775 bis 1835“

III. RÜCKBLICK DES EXKUSRIONSLEITERS RICHARD KÖLBEL AUF EIN JAHRZEHNT DER SOMMER-EXKURSIONEN DES VEREINS FÜR GESCHICHTE DER STADT NÜRNBERG Es begann 1997 und fand sein Ende 2007. In dieser Zeit unternahmen wir sechs Fahrten auf den Spuren von Heiligen, suchten einmal die benachbarten Fürsten im Südwesten und Westen auf und wählten dreimal die kleinen fränkischen Reichsstädte als Ziel. Wie kam es zu dieser recht kontinuierlichen Reihe? Von jeher hatte der Verein für Geschichte in seinem Jahresprogramm eine größere Sommerexkursion angeboten. Doch in den Jahren 1995 und 1996 musste dieselbe trotz Ankündigung mit Programm­ vorstellung ausfallcn, weil sich nicht genügend Mitglieder zur Teilnahme gemeldet hatten. Da sagte ich mir: „Es kann ja nicht sein, dass in einem historischen Verein mit über 800 Mitgliedern kein Interesse an einer derartigen Unternehmung bestehen würde“ und überlegte mir die Gründe dafür. Lag es am Programm, dem Raum oder den Zielen? Und so bot ich als erstes für 1997 eine Tagesexkursion auf dem neu ins Leben geru­ fenen Jakobsweg zwischen meiner Wohngemeinde Stein-Deutenbach und Rothenburg an mit der ersten Station, dem Löselhof, wo bis zum Dreißigjährigen Krieg eine abge­ gangene Jakobuskapelle stand. Deren Patrozinium wurde 1928 auf die neue Kirche in

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Oberweihersbuch übertragen, das die zweite Station war. Von dort ging es mit dem Bus weiter nach Heilsbronn, dessen evangelischer Pfarrer Geißendörfer den fränkischen Jakobsweg mit Unterstützung des Fränkischen Albvereins begründet hatte. Nach der Führung in der Klosterkirche ging die Fahrt weiter zu den Jakobskirchen Weihenzell, Häslabronn und Rothenburg. Dabei war von Weihenzell ein etwa einstündiger „Pilger­ marsch“ eingefugt gewesen, um dem Heiligen Rechnung zu tragen, was von den Teil­ nehmern gut angenommen worden war. Die Fahrt war ausgebucht, und selbst bei der Abfahrt am Morgen hatten sich an der Mauthalle noch einige Damen eingefunden, die gerne mitgefahren wären. Nach diesem ersten Erfolg ließ im Folgejahr der zweite nicht auf sich warten, als es auf dem sogenannten Kunigundenweg - nach der heiligen Kaiserin, die mit ihrem Gemahl Heinrich II. im Riemenschneider-Grabmal im Bamberger Dom ruht - über den Steigerwald zu der Kunigunde geweihten Feldkapelle nach Aub ging. Wieder ein Jahr später stand der Willibaldsweg auf dem Programm. Er begann in Heidenheim am Hahnenkamm, wo wir von unserem langjährigen Mitglied Dekan Kugler geführt wurden, und brachte uns weiter durch das Altmühltal über Solnhofen nach Eichstätt, dessen erster Bischof Willibald gewesen war. Ab dem Jahr 2000 galten unsere Fahrten den Nürnberger Lokalheiligen Deokarus von Herrieden, dann dem heiligen Sebaldus, in dessen Bürgerkirche wir von unserem Mitglied Pfarrer Bibelriether eingeführt wurden, und dem heiligen Lorenz, wo die Fahrt in seiner Kirche mit einem Orgelkonzert nach der Führung von Touristenpfar­ rerin Ostermayer endete. Nicht einem Heiligen, sondern den reichsstädtischen Nachbarn im Südwesten und Westen war 2002 die Unternehmung ins Ries zu den Fürsten von Oettingen und den Markgrafen von Ansbach mit Auhausen und Gunzenhausen gewidmet, die ihren Ab­ schluss in Kalbensteinberg mit seiner vielgerühmten Patrizierkirche der Rieter fand. Ein neues Kapitel wurde im Jahre 2004 aufgeschlagen mit den Fahrten zu den soge­ nannten kleinen fränkischen Reichsstädten, die zum Teil auf den Reichstagen von Nürnberg vertreten worden waren. Als erste wurden Dinkelsbühl und Feuchtwangen besucht. Im Jahr darauf fuhren wir nach Schweinfurt mit dem Reichsdorf Gochsheim und Prichsenstadt, das zur Zeit Karls IV. kurz Reichsstadt war. Und 2006 hatten wir in Windsheim und Rothenburg ebenso versierte Führer wie in den vorangegangenen Orten, wodurch sich ein treues Stammpublikum unter den Teilnehmern entwickelte. Leider konnte ich krankheitshalber 2007 meine letzte Fahrt nach Weißenburg nicht mehr selbst organisieren, aber mit Frau Dr. Martina Bauernfeind eine Nachfolgerin finden, die spontan bereit war, die vorgesehene Fahrt - mit sehr großem Erfolg - durch­ zuführen. Und so bleibt am Ende des Jahrzehnts nur meine berechtigte Hoffnung, dass Frau Dr. Bauernfeind und ihre Kollegin Dr. Martina Switalski weiterhin erfolgreich die Sommerexkursionen des Vereins für Geschichte fortführen können. Richard Kölbel

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ABKÜRZUNGEN Abb. ACSP ADB AGNM AO AZ BArch BayHStA BldLG B1FF BSB d DRA fl

fol. FT GFF GNM GStA PK Hg./Hrsg.

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Abbildung Archiv für Christlich Soziale Politik, München Allgemeine Deutsche Biographie Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Archiv für Geschichte von Oberfranken Abendzeitung Bundesarchiv Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München Blätter für deutsche Landesgeschichte Blätter für Fränkische Familienkunde Bayerische Staatsbibliothek, München Pfennig (denarius) Deutsche Reichstagsakten Gulden (florenus) Folio (Blatt) Fränkischer Tag Gesellschaft für Familienforschung in Franken Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Herausgeber Heller Handschrift Historische Zeitschrift Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelfranken Jahrbuch für fränkische Landesforschung Kreuzer libra (=Pfund) Landeskirchliches Archiv Nürnberg Mark Mitteilungen der Altnürnberger Landschaft Mainfränkisches Jahrbuch Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Nachdruck Nürnberger Forschungen Nürnberger Nachrichten Nürnberger Urkundenbuch Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte Nürnberger Zeitung ohne Jahr ohne Ort Pfarrarchiv Pfund (libra)

PfLBS

Pfälzische Landesbibliothek Speyer

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recto

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Reichsmark

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Reichsstadt Nürnberg

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Ratsverlässe

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Schilling (solidus)

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