Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [103]

Table of contents :
Hans Gerd Rotzer: Die Jakobuslegende in der Nürnberger Frauenkirche?
Gedanken zu einem gotischen Fresko........................................ 1
Helge Weingärtner: Das Weiherhaus am Wetzendorfer Espan........... 11
Thomas Renkl: Albrecht Dürers Selbstbildnis von 1500. Der verzweigte
Weg von Original, Kopie und Fälschung............................... 39
Matthias Kirchhoff: Aber jn lantschafften zw machen, hat es ein
vnderschid. Albrecht Dürers „historischer“ Landschafts-Begriff....... 91
Hans-Otto Keunecke: Die Druckerfamilie Stuchs. Geschäfte und
gesellschaftliche Stellung...................................................................... 109
Christian Kruse: Unterlagen der Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft
in Nürnberg (1581-1619) im Staatsarchiv Nürnberg............... 147
Herbert Schott: Eine gescheiterte Behördenverlagerung 1820: Nürnberg
als möglicher Sitz des protestantischen Oberkonsistoriums...... 177
Wolf M. Hergert: Lothar von Faber - von Stein nach Europa. Anmerkungen
zum staats- und lokalpolitischen Selbstverständnis eines fränkischen
Unternehmers......................................................................... 185
Florian J. Möbus: Luther in der liberalen Presse. Zum Bild Martin
Luthers und des Protestantismus im „Fränkischen Kurier“ in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.................................................... 219
Matthias Honold: Die Heilstätte Engelthal in Beziehung zur Diakonissenanstalt
Neuendettelsau............................................................... 283
Dietmar Urban: Der 70. Deutsche Katholikentag in Nürnberg 1931 ... 319
Peter Schönlein: Das Krakauer Haus in Nürnberg, das Nürnberger
Haus in Krakau. Nürnbergs und Krakaus beispielhafter Beitrag zu
Frieden und Freundschaft in Europa. Die Entstehungsgeschichte..... 369
Buchbesprechungen................................................................................. 383
Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte............................................ 461
Jahresbericht über das 138. Vereinsjahr 2015........................................... 477
Abkürzungen............................................................................................ 481
V
BUCHBESPRECHUNGEN
Quellen und Inventare
Arnold Clapmarius: De Arcanis Rerumpublicarum libri sex / hrsg., übersetzt und
eingeleitet von Ursula Wehner. Stuttgart-Bad Cannstatt 2014. (Wolfgang Mährle) 383
Bernhard Spörlein (Hrsg.): Die Matrikel der Akademie und Universität Bamberg
1648-1803. Stegaurach 2014. (Johannes Staudenmaier)............................................ 384
Topographie, Stadtteile und Landgebiet
Adalbert Ruschei: Der Handwerkerfriedhof Sankt Rochus zu Nürnberg. Was Epitaphien
erzählen können. Norderstedt 2015. (Claudia Maue).................................... 386
Hans-Christian Täubrich (Hg.): Die Kongresshalle Nürnberg. Architektur und Geschichte.
Petersberg 2014 (Ingmar Reith er).............................................................. 388
Robert Giersch: Burg Hohenstein im Nürnberger Land. Nürnberg 2015. (Daniel Burger)
............................................................................................................................ 389
Politische Geschichte, Recht und Verwaltung
Markus Frankl und Martina Hartmann (Hrsg.): Herbipolis. Studien zu Stadt und
Hochstift Würzburg in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Würzburg 2015.
(Antonia Landois)...................................................................................................... 390
Peter Schuster: Verbrecher, Opfer, Heilige. Eine Geschichte des Tötens 1200-1700.
Stuttgart 2015. (Hartmut Frommer)......................................................................... 391
Luitgard Sofie Löw / Matthias Nuding (Hrsg.): Zwischen Kulturgeschichte und Politik.
Das Germanische Nationalmuseum in der Weimarer Republik und der Zeit des
Nationalsozialismus. Nürnberg 2014. (Alexander Schmidt).................................... 394
Thomas Darnstädt: Nürnberg - Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945. München
u.a. 2015. (Hartmut Frommer).................................................................................. 395
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine
Brigitte Korn / Michael Diefenbacher / Steven M. Zahlaus (Hrsg.): Von nah und
fern. Zuwanderer in die Reichsstadt Nürnberg. Petersberg 2014. (Philip Zolls)...... 398
Wolfgang Mayer und Frank Thyroff: Zwischen Pfeffer und Hightech. Ein Streifzug
durch die Nürnberger Wirtschaftsgeschichte. Lauf 2014. (Steven M. Zahlaus)....... 400
Wolfgang Wüst (Hrsg.): Regionale Konsumgeschichte. Vom Mittelalter bis zur Moderne.
Erlangen-Nürnberg 2015. (Horst-Dieter Beyerstedt).................................... 402
Jochen Alexander Hofmann: Obstlandschaften 1500-1800. Historische Geographie des
Konsums, Anbaus und Handels von Obst in der frühen Neuzeit. Bamberg 2014.
(Horst-Dieter Beyerstedt)......................................................................................... 405
Gerhard Seibold: Wirtschaftlicher Erfolg in Zeiten des politischen Niedergangs.
Augsburger und Nürnberger Unternehmer in den Jahren zwischen 1648 und 1806.
Augsburg 2014. (Horst-Dieter Beyerstedt)............................................................... 407
Thomas Stauss: Frühe Spielwelten. Zur Belehrung und Unterhaltung. Die Spielwarenkataloge
von Peter Friedrich Catel (1747-1791) und Georg Hieronimus Bestelmeier
(1764-1829). Hochwald 2015. (Marion Faber)......................................................... 409
Kunst, Architektur
Marco Popp: Die Lorenzkirche in Nürnberg. Restaurierungsgeschichte im 19. und 20.
Jahrhundert. Regensburg 2014. (Andreas Curtius).................................................. 410
VI
Marco Popp / Hartmut Scholz: St. Lorenz in Nürnberg. Regensburg 2016. (Andreas
Curtius)...................................................................................................................... 410
Evang.-Luth. Pfarramt St. Georg Kraftshof (Hrsg.): Die St. Georgskirche in Kraftshof
1315-2015. Geschichte eines Baudenkmals und seiner Ausstattung. Lauf 2015.
(Marco Popp)............................................................................................................. 413
Ursula Mende: Die mittelalterlichen Bronzen im Germanischen Nationalmuseum.
Bestandskatalog. Nürnberg 2013. (Helge Weingärtner)......................................... 414
Gisela Kohrmann: Vom Schönen Stil zu einem neuen Realismus. Unbekannte Skulpturen
in Franken 1400-1450. Ostfildern 2014. (Frank Matthias Kammei) ............. 415
Thomas Schauerte (Hrsg.): Dürer und das Nürnberger Rathaus. Aspekte von Ikonographie,
Verlust und Rekonstruktion. Petersberg 2013. (Dorothee Antos) ............. 416
Thomas Schauerte u.a. (Hrsg.): Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subversion
in der Kunst der Dürerzeit. Petersberg 2013. (Dorothee Antos) ...................... 418
Anne-Katrin Sors (Hrsg.): Die Englische Manier. Mezzotinto als Medium druckgrafischer
Reproduktion und Innovation. Göttingen 2014. (Helge Weingärtner).......... 419
Jutta Zander-Seidel und Anja Kregeloh (Hrsg.): Geschichtsbilder. Die Gründung
des Germanischen Nationalmuseums und das Mittelalter. Nürnberg 2014. (Helge
Weingärtner)............................................................................................................. 420
Kultur, Sprache, Literatur, Musik
Christine Sauer: Diese und jene Mode, Bücher einzubinden. Einbandkunst aus sechs
Jahrhunderten in der Stadtbibliothek Nürnberg. Nürnberg 2014. (Christina Hofmann-
Randall) .......................................................................................................... 421
Christine Sauer: In Nürnberg illuminiert. Die Reichsstadt als Zentrum der Buchmalerei
im Zeitalter Johannes Gutenbergs. Luzern 2015. (Christina Hofmann-Randall)..... 422
Thomas Schauerte: Dürer & Celtis. Die Nürnberger Poetenschule im Aufbruch. München
2015. (Helge Weingärtner)................................................................................ 424
Claudia Kanz: Also Hans Schneider gesprochen hat. Untersuchungen zur Ereignisdichtung
des Spätmittelalters. Würzburg 2016. (Ann-Marie Becker / Matthias Kirchhoff)....................................................................................................................
...... 424
Heike Sahm und Monika Schausten (Hrsg.): Nürnberg. Zur Diversifikation städtischen
Lebens in Texten und Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts. Berlin 2016.
(Matthias Kirchhoff).................................................................................................. 427
Thomas Schauerte (Hrsg.): Deutschlands Auge & Ohr. Nürnberg als Medienzentrum
der Reformationszeit. Nürnberg 2015. (Helmut Baier).......................................... 430
Hartmut Laufhütte (Hrsg.): Der Pegnesische Blumenorden unter der Präsidentschaft
Sigmund von Birkens. Gesammelte Studien der Forschungsstelle Frühe Neuzeit
an der Universität Passau (2007-2013). Passau 2013. (Werner Wilhelm Schnabel) ... 431
Kirchengeschichte, Judentum
Akiko Harada: Die Symbiose von Kirche und Stadt im Spätmittelalter. Das bürgerliche
Gemeinschaftsbewusstsein und Stiftungen an die Pfarrkirchen in der Reichsstadt
Nürnberg. Hamburg 2014. (Antonia Landois)................................................ 433
Susanne Klemens: Die Nürnberger Kinderpredigten Andreas Osianders d. A. Entstehungsgeschichte,
theologischer Duktus, didaktisch-methodischer Gehalt und
Rezeptionsgeschichte. Bamberg 2014. (Helmut Baier)............................................. 434
Staat in Deutschland und evangelische Kirche. Nürnberg 2015.(Helmut Baier)........... 436
Gisela Naomi Blume: Der jüdische Friedhof Obernzenn 1613-2013. Nürnberg 2013.
(Gerhard Jochem)...................................................................................................... 438
VII
Stefanie Fischer: Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt. Jüdische Viehhändler
in Mittelfranken 1919-1939. Göttingen 2014. (Gerhard Jochem)................ 440
Gerhard Jochem (Bearb.): Blutvergiftung. Rassistische NS-Propaganda und ihre Konsequenzen
für jüdische Kinder und Jugendliche in Nürnberg. Nürnberg 2015.
CEckart Dietzfelbinger).................................................................................................. 441
Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik
Hans Gaab: Die Sterne über Nürnberg. Albrecht Dürer und seine Himmelskarten von
1515. Petersberg 2015. (Horst-Dieter Beyerstedt)....................................................... 443
Personen und Familien
Thomas Schauerte und Manuel Teget-Welz (Hrsg.): Peter Flötner - Renaissance in
Nürnberg. Petersberg 2014. (Frank Matthias Kammei)............................................ 445
Katrin Dyballa: Georg Pencz. Künstler zu Nürnberg. Berlin 2015. (Thomas Schauerte) 447
Peter Springer: Zwischen Mittelalter und Moderne. August Essenwein als Architekt,
Bauhistoriker, Denkmalpfleger und Museumsmann. Braunschweig 2014.
(Sebastian Gulden)......................................................................................................... 448
Dorothea Peters: Der Fall Kaspar Hauser als Kriminalfall und als Roman von Jakob
Wassermann. Berlin u.a. 2014. (Hartmut Frommer).................................................. 450
Bertha Kipfmüller: „Nimmer sich beugen“. Lebenserinnerungen einer Frauenrechtlerin
und Wegbereiterin des Frauenstudiums. Heidelberg 2013. (Steven M. Zahlaus)......................................................................................................................
............ 453
Peter Fleischmann (Hrsg.): Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24. Neustadt
an der Aisch 2015. (Matthias Klaus Braun)........................................................ 457

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

103. Band 2016

Nürnberg 2016 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftleitung: Dr. Michael Diefenbacher, Dr. Wiltrud Fischer-Pache, Dr. Clemens Wächter unter Mitarbeit von Dr. Horst-Dieter Beyerstedt und Ulrike Swoboda M.A. Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich. Für unaufgefordert eingereichte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

Zum Druck des Bandes trugen durch Zuschüsse bzw. Spenden hei: Die Stadt Nürnberg, der Bezirk Mittelfranken, die Sparkasse Nürnberg, die Friedrich Freiherr von Flaller’sche Forschungsstiftung Nürnberg. Der Verein dankt dafür bestens.

5

Sparkasse Nürnberg MITTEL^

Umschlagbild: Einladung zum Bürgerfest anlässlich der Eröffnung des Krakauer Hauses in Nürnberg (8. Juni 1996) und des Nürnberger Hauses in Krakau (22. Juni 1996), Plakat. (StadtAN A 28 Nr. 1996/71)

Gesamtherstellung: VDS ^VERLAGSDRUCKEREI SCHMIDT, 91413 Neustadt an der Aisch Gedruckt auf holzfreies, chlorfrei gebleichtes, säurefreies und alterungsbeständiges Papier. Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Marientorgraben 8, 90402 Nürnberg) ISSN 0083-5579

1U/W

Bay x..' StaaisDib:.^ München

INHALT Hans Gerd Rotzer: Die Jakobuslegende in der Nürnberger Frauenkir­ che? Gedanken zu einem gotischen Fresko........................................

1

Helge Weingärtner: Das Weiherhaus am Wetzendorfer Espan...........

11

Thomas Renkl: Albrecht Dürers Selbstbildnis von 1500. Der ver­ zweigte Weg von Original, Kopie und Fälschung...............................

39

Matthias Kirchhoff: Aber jn lantschafften zw machen, hat es ein vnderschid. Albrecht Dürers „historischer“ Landschafts-Begriff.......

91

Hans-Otto Keunecke: Die Druckerfamilie Stuchs. Geschäfte und gesellschaftliche Stellung......................................................................

109

Christian Kruse: Unterlagen der Gräfenthaler Saigerhandelsgesell­ schaft in Nürnberg (1581-1619) im Staatsarchiv Nürnberg...............

147

Herbert Schott: Eine gescheiterte Behördenverlagerung 1820: Nürn­ berg als möglicher Sitz des protestantischen Oberkonsistoriums......

177

Wolf M. Hergert: Lothar von Faber - von Stein nach Europa. Anmer­ kungen zum staats- und lokalpolitischen Selbstverständnis eines frän­ kischen Unternehmers.........................................................................

185

Florian J. Möbus: Luther in der liberalen Presse. Zum Bild Martin Luthers und des Protestantismus im „Fränkischen Kurier“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts....................................................

219

Matthias Honold: Die Heilstätte Engelthal in Beziehung zur Diako­ nissenanstalt Neuendettelsau...............................................................

283

Dietmar Urban: Der 70. Deutsche Katholikentag in Nürnberg 1931 ...

319

Peter Schönlein: Das Krakauer Haus in Nürnberg, das Nürnberger Haus in Krakau. Nürnbergs und Krakaus beispielhafter Beitrag zu Frieden und Freundschaft in Europa. Die Entstehungsgeschichte.....

369

Buchbesprechungen.................................................................................

383

Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte............................................

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Jahresbericht über das 138. Vereinsjahr 2015...........................................

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Abkürzungen............................................................................................

481

V

BUCHBESPRECHUNGEN Quellen und Inventare Arnold Clapmarius: De Arcanis Rerumpublicarum libri sex / hrsg., übersetzt und eingeleitet von Ursula Wehner. Stuttgart-Bad Cannstatt 2014. (Wolfgang Mährle) Bernhard Spörlein (Hrsg.): Die Matrikel der Akademie und Universität Bamberg 1648-1803. Stegaurach 2014. (Johannes Staudenmaier)............................................

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Topographie, Stadtteile und Landgebiet Adalbert Ruschei: Der Handwerkerfriedhof Sankt Rochus zu Nürnberg. Was Epita­ phien erzählen können. Norderstedt 2015. (Claudia Maue).................................... Hans-Christian Täubrich (Hg.): Die Kongresshalle Nürnberg. Architektur und Ge­ schichte. Petersberg 2014 (Ingmar Reith er).............................................................. Robert Giersch: Burg Hohenstein im Nürnberger Land. Nürnberg 2015. (Daniel Bur­ ger) ............................................................................................................................

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Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Markus Frankl und Martina Hartmann (Hrsg.): Herbipolis. Studien zu Stadt und Hochstift Würzburg in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Würzburg 2015. (Antonia Landois)...................................................................................................... Peter Schuster: Verbrecher, Opfer, Heilige. Eine Geschichte des Tötens 1200-1700. Stuttgart 2015. (Hartmut Frommer)......................................................................... Luitgard Sofie Löw / Matthias Nuding (Hrsg.): Zwischen Kulturgeschichte und Poli­ tik. Das Germanische Nationalmuseum in der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus. Nürnberg 2014. (Alexander Schmidt).................................... Thomas Darnstädt: Nürnberg - Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945. München u.a. 2015. (Hartmut Frommer)..................................................................................

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Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine Brigitte Korn / Michael Diefenbacher / Steven M. Zahlaus (Hrsg.): Von nah und fern. Zuwanderer in die Reichsstadt Nürnberg. Petersberg 2014. (Philip Zolls)...... Wolfgang Mayer und Frank Thyroff: Zwischen Pfeffer und Hightech. Ein Streifzug durch die Nürnberger Wirtschaftsgeschichte. Lauf 2014. (Steven M. Zahlaus)....... Wolfgang Wüst (Hrsg.): Regionale Konsumgeschichte. Vom Mittelalter bis zur Mo­ derne. Erlangen-Nürnberg 2015. (Horst-Dieter Beyerstedt).................................... Jochen Alexander Hofmann: Obstlandschaften 1500-1800. Historische Geographie des Konsums, Anbaus und Handels von Obst in der frühen Neuzeit. Bamberg 2014. (Horst-Dieter Beyerstedt)......................................................................................... Gerhard Seibold: Wirtschaftlicher Erfolg in Zeiten des politischen Niedergangs. Augsburger und Nürnberger Unternehmer in den Jahren zwischen 1648 und 1806. Augsburg 2014. (Horst-Dieter Beyerstedt)............................................................... Thomas Stauss: Frühe Spielwelten. Zur Belehrung und Unterhaltung. Die Spielwaren­ kataloge von Peter Friedrich Catel (1747-1791) und Georg Hieronimus Bestelmeier (1764-1829). Hochwald 2015. (Marion Faber).........................................................

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Kunst, Architektur Marco Popp: Die Lorenzkirche in Nürnberg. Restaurierungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Regensburg 2014. (Andreas Curtius)..................................................

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Marco Popp / Hartmut Scholz: St. Lorenz in Nürnberg. Regensburg 2016. (Andreas Curtius)...................................................................................................................... Evang.-Luth. Pfarramt St. Georg Kraftshof (Hrsg.): Die St. Georgskirche in Kraftshof 1315-2015. Geschichte eines Baudenkmals und seiner Ausstattung. Lauf 2015. (Marco Popp)............................................................................................................. Ursula Mende: Die mittelalterlichen Bronzen im Germanischen Nationalmuseum. Bestandskatalog. Nürnberg 2013. (Helge Weingärtner)......................................... Gisela Kohrmann: Vom Schönen Stil zu einem neuen Realismus. Unbekannte Skulp­ turen in Franken 1400-1450. Ostfildern 2014. (Frank Matthias Kammei) ............. Thomas Schauerte (Hrsg.): Dürer und das Nürnberger Rathaus. Aspekte von Ikono­ graphie, Verlust und Rekonstruktion. Petersberg 2013. (Dorothee Antos) ............. Thomas Schauerte u.a. (Hrsg.): Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Subver­ sion in der Kunst der Dürerzeit. Petersberg 2013. (Dorothee Antos) ...................... Anne-Katrin Sors (Hrsg.): Die Englische Manier. Mezzotinto als Medium druckgrafi­ scher Reproduktion und Innovation. Göttingen 2014. (Helge Weingärtner).......... Jutta Zander-Seidel und Anja Kregeloh (Hrsg.): Geschichtsbilder. Die Gründung des Germanischen Nationalmuseums und das Mittelalter. Nürnberg 2014. (Helge Weingärtner).............................................................................................................

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Kultur, Sprache, Literatur, Musik Christine Sauer: Diese und jene Mode, Bücher einzubinden. Einbandkunst aus sechs Jahrhunderten in der Stadtbibliothek Nürnberg. Nürnberg 2014. (Christina Hof­ mann-Randall) .......................................................................................................... Christine Sauer: In Nürnberg illuminiert. Die Reichsstadt als Zentrum der Buchmalerei im Zeitalter JohannesGutenbergs. Luzern 2015. (Christina Hofmann-Randall)..... Thomas Schauerte: Dürer & Celtis. Die Nürnberger Poetenschule im Aufbruch. Mün­ chen 2015. (Helge Weingärtner)................................................................................ Claudia Kanz: Also Hans Schneider gesprochen hat. Untersuchungen zur Ereignisdich­ tung des Spätmittelalters. Würzburg 2016. (Ann-Marie Becker / Matthias Kirchhoff)........................................................................................................................... Heike Sahm und Monika Schausten (Hrsg.): Nürnberg. Zur Diversifikation städ­ tischen Lebens in Texten und Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts. Berlin 2016. (Matthias Kirchhoff).................................................................................................. Thomas Schauerte (Hrsg.): Deutschlands Auge & Ohr. Nürnberg als Medienzentrum der Reformationszeit. Nürnberg 2015. (Helmut Baier).......................................... Hartmut Laufhütte (Hrsg.): Der Pegnesische Blumenorden unter der Präsidentschaft Sigmund von Birkens. Gesammelte Studien der Forschungsstelle Frühe Neuzeit an der Universität Passau (2007-2013). Passau 2013. (Werner Wilhelm Schnabel) ...

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Kirchengeschichte, Judentum Akiko Harada: Die Symbiose von Kirche und Stadt im Spätmittelalter. Das bürger­ liche Gemeinschaftsbewusstsein und Stiftungen an die Pfarrkirchen in der Reichs­ stadt Nürnberg. Hamburg 2014. (Antonia Landois)................................................ Susanne Klemens: Die Nürnberger Kinderpredigten Andreas Osianders d. A. Ent­ stehungsgeschichte, theologischer Duktus, didaktisch-methodischer Gehalt und Rezeptionsgeschichte. Bamberg 2014. (Helmut Baier)............................................. Staat in Deutschland und evangelische Kirche. Nürnberg 2015.(Helmut Baier)........... Gisela Naomi Blume: Der jüdische Friedhof Obernzenn 1613-2013. Nürnberg 2013. (Gerhard Jochem)......................................................................................................

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Stefanie Fischer: Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt. Jüdische Vieh­ händler in Mittelfranken 1919-1939. Göttingen 2014. (Gerhard Jochem)................ Gerhard Jochem (Bearb.): Blutvergiftung. Rassistische NS-Propaganda und ihre Kon­ sequenzen für jüdische Kinder und Jugendliche in Nürnberg. Nürnberg 2015. CEckart Dietzfelbinger)..................................................................................................

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Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik Hans Gaab: Die Sterne über Nürnberg. Albrecht Dürer und seine Himmelskarten von 1515. Petersberg 2015. (Horst-Dieter Beyerstedt).......................................................

443

Personen und Familien Thomas Schauerte und Manuel Teget-Welz (Hrsg.): Peter Flötner - Renaissance in Nürnberg. Petersberg 2014. (Frank Matthias Kammei)............................................ Katrin Dyballa: Georg Pencz. Künstler zu Nürnberg. Berlin 2015. (Thomas Schauerte) Peter Springer: Zwischen Mittelalter und Moderne. August Essenwein als Archi­ tekt, Bauhistoriker, Denkmalpfleger und Museumsmann. Braunschweig 2014. (Sebastian Gulden)......................................................................................................... Dorothea Peters: Der Fall Kaspar Hauser als Kriminalfall und als Roman von Jakob Wassermann. Berlin u.a. 2014. (Hartmut Frommer).................................................. Bertha Kipfmüller: „Nimmer sich beugen“. Lebenserinnerungen einer Frauenrecht­ lerin und Wegbereiterin des Frauenstudiums. Heidelberg 2013. (Steven M. Zahlaus)................................................................................................................................... Peter Fleischmann (Hrsg.): Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24. Neu­ stadt an der Aisch 2015. (Matthias Klaus Braun)........................................................

VIII

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448 450

453 457

VERZEICHNIS DER MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER A n t h o s, Dorothee, Kunsthistorikerin / Wiss. Mitarbeiterin, Niendorf­ straße 12, 91054 Erlangen Bai er, Helmut, Dr., Archivdirektor i.R., Düsseldorfer Straße 62, 90425 Nürnberg Becker, Ann-Marie, B.A., studentische Hilfskraft, Universität Stuttgart, Institut für Literaturwissenschaft, Germanistische Mediävistik, Kepler­ straße 17, 70174 Stuttgart Beyerstedt, Horst-Dieter, Dr., Archivoberrat, Thumenberger Weg 38, 90491 Nürnberg / Stadtarchiv Nürnberg Braun, Matthias Klaus, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kulturreferat der Stadt Nürnberg, Hauptmarkt 18, 90403 Nürnberg Burger, Daniel, Dr., Archivoberrat, Kobergerstraße 72, 90408 Nürnberg / Staatsarchiv Nürnberg C u r t i u s, Andreas, Dr., Kunsthistoriker, Museen der Stadt Nürnberg, Kunst­ sammlungen, wissenschaftl. Mitarbeiter Abt. Gemälde und Skulpturen, Äußere Sulzbacher Straße 60, 90491 Nürnberg Diefenbacher, Michael, Dr., Ltd. Archivdirektor, Ringstraße 17, 91560 Heilsbronn / Stadtarchiv Nürnberg Dietzfelbinger, Eckart, Dr., Historiker, Hintere Cramergasse 8, 90478 Nürnberg F a b e r, Marion, Dr., Kunsthistorikerin, Mathildenstraße 34, 90489 Nürnberg Fischer-Pache, Wiltrud, Dr., Archivdirektorin, Keßlerplatz 7, 90489 Nürnberg / Stadtarchiv Nürnberg Frommer, Hartmut, Dr., Stadtrechtsdirektor i.R., Judengasse 25, 90403 Nürnberg Gebhardt, Walter, Bibliotheksamtsrat, Drausnickstraße 8, 91052 Erlangen / Stadtarchiv Nürnberg Gulden, Sebastian, M. A. Bau- und Kunsthistoriker, Bücher Straße 74,90408 Nürnberg H e r g e r t, Wolf Martin, Studiendirektor, Städt. Peter-Vischer-Schule Nürn­ berg, Bielingplatz 2, 90419 Nürnberg Hof mann-Randall, Christina, Dr., Bibliotheksdirektorin, Leiterin der Abteilung Handschriften/Graphische Sammlung, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg, Universitätsstraße 4, 91054 Erlangen H o n o 1 d, Matthias, Historiker, Zentralarchiv Diakonie Neuendettelsau, Wilhelm-Löhe-Straße 23, 91564 Neuendettelsau J o c h e m, Gerhard, Archivamtmann, Stadtarchiv Nürnberg, Marientorgra­ ben 8, 90402 Nürnberg

IX

K a m m e 1, Frank Matthias, Dr., Museumsdirektor, Stellvertreter des General­ direktors, Leiter der Skulpturensammlung und der Sammlung Historische Bauteile, Germanisches Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, 90402 Nürn­ berg Keunecke, Hans-Otto, Dr., Bibliotheksdirektor i.R., Dr.-Rühl-Straße 7, 91090 Effeltrich Kirchhoff, Matthias, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Stutt­ gart, Institut für Literaturwissenschaft, Germanistische Mediävistik, Kep­ lerstraße 17, 70174 Stuttgart Kruse, Christian, Dr., Archivdirektor, Hufelandstraße 81, 90419 Nürnberg Landois, Antonia, Dr., Archivreferendarin, Sanderglacisstraße 8, 97072 Würzburg / Stadtarchiv Nürnberg Mährle, Wolfgang, Dr., Archivoberrat, Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 4, 70173 Stuttgart Maue, Claudia, Dr., Kunsthistorikerin, Heimatpflegerin der Stadt Nürnberg, Kaulbachstraße 35, 90408 Nürnberg M ö b u s, Florian, Studienreferendar, Kressenstraße 5, 90408 Nürnberg Popp, Marco, Dr., Konservator am Denkmalamt der Stadt Frankfurt am Main, ln der Witz 39, 55252 Mainz-Kastell Reit her, Ingmar, Dr., Historiker, Kunst- und Kulturpädagogisches Zent­ rum der Museen in Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Kartäuser­ gasse 1, 90402 Nürnberg R e n k 1, Thomas, Dr., Auf der Heide 45, 58313 Herdecke Rötzer, Hans Gerd, Prof. Dr. em., Krelingstraße 21, 90408 Nürnberg Schauerte, Thomas, Dr., Museen der Stadt Nürnberg, Leiter AlbrechtDürer-Haus, Stadtmuseum und Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg, Äußere Sulzbacher Straße 60, 90491 Nürnberg Schmidt, Alexander, Dr., Historiker, Goldweiherstraße 16, 90480 Nürnberg Schnabel, Werner W., Prof. Dr., Department Germanistik und Kompara­ tistik, Friedrich-Alexander-Universität, Bismarckstraße 1, 91054 Erlangen Schön lein, Peter, Dr., Altoberbürgermeister, Oberstudiendirektor i.R., Eisensteiner Str. 68, 90480 Nürnberg Schott, Herbert, Dr., Archivdirektor, Staatsarchiv Nürnberg, Archiv­ straße 17, 90408 Nürnberg Staudenmaier, Johannes, Dr., Archivrat, Staatsarchiv Nürnberg, Archiv­ straße 17, 90408 Nürnberg S wo boda, Ulrike, M.A., Kunsthistorikerin, Vogelslohe 21, 91242 Ottensoos / Stadtarchiv Nürnberg Urban, Dietmar, Oberstudienrat a.D., Wilhelm-Friedrich-Weg 20, 91126 Schwabach

X

Wächter, Clemens, Dr., Universitätsarchivar, Archiv der Friedrich-Alexan­ der-Universität Erlangen-Nürnberg, Schuhstraße la, 91052 Erlangen Weingärtner, Helge, M.A., Kunsthistoriker, Am Paulusstein 2, 90411 Nürnberg / Stadtarchiv Nürnberg Z a h 1 a u s, Steven M., M.A., Historiker, Stadtarchiv Nürnberg, Marientorgra­ ben 8, 90402 Nürnberg Zolls, Philip, Dr. des., Historiker, Stadtarchiv München, Winzererstraße 68, 80797 München

XI

DIE JAKOBUSLEGENDE IN DER NÜRNBERGER FRAUENKIRCHE? Gedanken zu einem gotischen Fresko Von Hans Gerd Rötzer An der nördlichen Langhauswand der Nürnberger Frauenkirche befindet sich ein Fresko, dessen Entstehung auf die Siebzigerjahre des 14. Jahrhunderts da­ tiert wird, ungefähr zeitgleich mit dem sorgfältig restaurierten Wandgemälde „Paulus vor den Juden“ in der Sebalduskirche. In der Kunstgeschichte trägt es mehr aus Verlegenheit den Namen „Szenen aus dem Leben zweier Märtyrer“, da es sich bisher; vor allem wegen des schlechten Erhaltungszustandes1, einer schlüssigen Deutung versagt hat.

Abb. 1:

Fresko in der Nürnberger Frauenkirche. (Foto: Rainer Rix, 2016)

Ein wichtiger Hinweis, der allerdings noch nicht weiter verfolgt wurde, findet sich in der Studie von Ursula Schädler-Saub aus dem Jahre 2000: „Vermutlich handelt es sich um Szenen aus der Apostellegende (nach der Legenda Aurea des Jakobus de Voragine).“2 Darüber wird noch einiges zu berichten sein. Das Fresko besteht aus einer Szenenfolge „ineinander übergehender, kapellenarti­ ger Räume mit differenzierten Gewölbeformen.“3 Die Kunsthistorikerin Ursula Schädler-Saub beschreibt den Szenenablauf wie folgt: Die beiden Apostel betend (?) vor einer in der Mitte des Raumes aufgestellten Reliquie, dazu im Hintergrund rechts eine Gruppe von Männern; die zwei Apostel werden von modisch bekleideten Schergen (?) mit Kappen und kurzen Röcken umkreist; unter einer Baldachinarchtektur steht ein tabernakel­ artiger Altar, davor eine kniende Gestalt mit gegürtetem hellen Gewand, da1 2 3

Es wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert mehrmals unsachgemäß „restauriert“. Bis 1985 war der Mittelteil durch den Peringsdörfferschen Epitaph verdeckt. Ursula Schädler-Saub: Gotische Wandmalerei in Mitteifranken (Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 109), München 2000, S. 148. Ebd., S, 148.

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hinter steht eine Gruppe höfisch gekleideter Personen, darunter ein König mit Krone und rotem Mantel mit Hermelinbesatz; die zwei Apostel stehen vor einer Gruppe kleiner kniender Menschen in einfachen Gewändern; von rechts treten zwei große, modisch gekleidete Gestalten (Schergen?) mit kurzen Röcken und Beinlingen auf die Apostel zu; anschließend, in zwei Szenen unterteilt, das Martyrium der Apostel,4 Nach einem Foto, das vor 1912 entstand, sollen in dem Fresko ursprünglich links in der Eingangsszene noch weitere Figuren ge­ standen haben. Links von der zur Anbetung ausgestellten Reliquie (?) waren vier stehende Figuren zu sehen (heute nur noch zwei), darunter drei Apostel sowie der auferstandene Christus mit der Siegeskrone und flatternden Bändern. Die Qualität der Aufnahme sei allerdings so schlecht, dass die Interpretation mehr aus Vermutungen als auf genauer Verifizierung bestehe.5 Was man heute noch deutlich sehen und beschreiben kann, sind drei Szenen: Im ersten Bild stehen links zwei Männer (Apostel ?) mit einem Heiligenschein, ihnen gegenüber eine Gruppe von andächtig zuhörenden Gläubigen (?). Zen­ tral im Bild steht eine Madonnenfigur auf einer schlanken Rundsäule, auf die sich aller Augen richten. - (Das Mittelstück mit den vielfältigen Figuren ist sehr unterschiedlich zu interpretieren; einen möglichen Schlüsse] wird erst die Iden­ tifizierung der anderen Bilder bringen.) - Im vorletzten Bild kniet ein Heiliger. Ihn umstehen beobachtend einige Personen, und ein Scherge holt mit dem Schwert zum Schlag aus: Eine Hinrichtungsszene (Enthauptung). - Das letzte Bild, das am besten erhaltene, zeigt eine kniende Heiligenfigur mit zum Gebet erhobenen Händen; ein Scherge schlägt mit einer Rute oder Geißel auf sie ein. Ich gehe von folgender Interpretation aus, die ich für überlegenswert halte und zur Diskussion stellen möchte: Es handelt sich tatsächlich um Szenen aus der Apostelgeschichte und Apostellegende, die sich teilweise in der Legenda Aurea des Jakobus de Voragine finden. Oder genauer: Es sind Szenen aus dem Leben des Heiligen Jakobus des Alteren. Dazu muss ich etwas ausholen. Nach einer Legende, die nach Dokumenten in der Kathedrale zu Zaragoza seit dem 13. Jahrhundert6 in Spanien nachweisbar ist, soll dem Apostel Jakobus die Muttergottes noch zu Lebzeiten im Jahre 40 am Ebroufer in Zaragoza erschie­ nen sein - dort wo heute die majestätische Basllica del Pilar (Basilika mit der Säule) steht: Jakobus missionierte im Jahre 40 in der Gegend von Caesaraugusta (dem heutigen Zaragoza) mit geringem Erfolg das Wort Gottes, und er dachte schon daran, mit seinen Jüngern nach Jerusalem zurückzukehren. Da 4 5

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Ebd.,S, 148. Schädler-Saub (wie Anm. 2), S. 149. - Die Information geht zurück auf Hugo Kehrer: Das König Wenzelfresko in der Moritzkapelle zu Nürnberg, in: Monatshefte für Kunstwissenschaft 5 (1912), Heft 2, S. 73. Remigius Bäumer und Leo Scheffczyk (Hrsg.): Marienlexikon, Bd.5, St. Ottilien 1993, S. 225f.

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Die Jakobuslegende in der Nürnberger Frauenkirche?

hörte er Engel, die Ave Maria, gratia plena sangen, und er sah wie die Mutter Christi erschien; sie stand auf einer Marmorsäule. Es geschah dies, wie schon erwähnt, noch zu ihren Lebzeiten. Sie ermunterte den Apostel, sein Missions­ werk weiterzuführen und ihr eine Kirche zu errichten. Die Säule, auf der sie ihm erschien, solle neben dem Altar aufgestellt werden, und sie versprach, dass dieser Ort bis zum Ende der Zeiten bestehen bleibe, damit Gottes Kraft durch ihre Mithilfe und das Gebet derer, die sie um Hilfe anflehen, große Wunder wirke. Darauf verschwand die Jungfrau wieder, und Jakobus begann zusam­ men mit den acht Zeugen der Erscheinung sofort eine Kirche zu errichten.7 Genau diese Szene, so vermute ich, wird im ersten (noch erhaltenen) Bild des Freskos in der Frauenkirche wie­ dergegeben. Links steht Jakobus mit einem seiner Jünger8, und die ver­ meintliche „Reliquie“ ist La Virgen del Pilar auf der Marmorsäule - so, wie sie als Nationalheilige heute noch in Zara­ goza verehrt wird (Pilar ist eine Ab­ kürzung für Maria del Pilar, einen der häufigsten Taufnamen in Spanien). Dieses Bild des Freskos entspricht so sehr dem Vorbild in Zaragoza, dass man meinen könnte, dessen unbekann­ ter Maler habe es selbst gesehen. Die Gruppe rechts im Bild sind die missio­ nierten Gläubigen aus Caesaraugusta. Doch wie kam die Kenntnis dieser Legende nach Deutschland? Sie steht weder in der lateinischen Legenda Au­ rea des Jacobus de Voragine, die um 1260 verfasst wurde, noch in der deut­ Abb. 2: La Virgen del Pilar, Zaragoza. (http://blog. schen Legendensammlung Der Heili­ rutamariana.com/la-columna-sagrada-de-lagen Leben, die um 1400 in Nürnberg virgen-del-pilar/) entstand und eines der bekanntesten und am weitesten verbreiteten Legendäre wurde. In der Legenda Aurea heißt es nur summarisch: Jakobus ging darnach gen Spanien, das Wort Gottes auszu7

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Zusammenfassung der Legende nach verschiedenen Überlieferungen. Nuestra Senora del Pilar, heute die Schutzheilige Spaniens und der Hispanidad, ist die älteste verehrte Marienerschei­ nung in Spanien. Vielleicht waren es auch mehr Jünger, wie ein altes Foto (vgl. Anm. 5) zumindest andeutet.

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Abb. 3:

Mariensäule, Fresko in der Frauenkirche. (Foto: Rainer Rix, 2016)

säen. Aber da er sah, dass er nichts ausrichtete und nicht mehr denn neun Jünger daselbst erwarb, so ließ er zwei von ihnen daselbst zurück, um zu predigen, die anderen sieben nahm er mit sich und kehrte wieder gen Judaea. Meister Beleth schrieb sogar, dass er nur einen Menschen selbst bekehrte.9 In dem Legendär Der heiligen Leben fehlt dieses Detail. Über eine Missionstätigkeit in Spanien zu seinen Lebzeiten ist dort nichts zu lesen; er soll erst nach seinem Tode auf wunderbare Weise in Spanien seine Ruhestätte gefunden haben.10 Nach den Recherchen von Hugo Kehrer111 aus dem Jahre 1912 habe man am rechten Bildrand des Freskos noch Wappenschilde der Stifter erkennen kön­ nen, die den Patrizierfamilien Nützel und Grundherr zugeordnet werden konnten. Er nennt die Namen Berthold Nützel (gest. 1398) und Jakob Grund­ herr (gest. 1379). Beide Familien waren alt eingesessene Patrizierhäuser, die durch Fernhandel, vor allem mit Kupfer, Silber und Zinn reich geworden 1 Nach der Übersetzung von Richard Benz: Die Legenda aurea des Jakobus de Voragine aus dem Lateinischen, Heidelberg 1975, S. 488 - Johannes Beleth (1135-1182), Kirchenschriftsteller in Frankreich. 10 Der Heiligen Leben. Band I: Der Sommerteil, hrsg. v. Margit Brand, Kristina FreienhagenBaumgardt, Ruth Meyer und Werner Williams-Krapp, Tübingen 1996, S. 277. 11 Kehrer (wie Anm. 5), S. 76.

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Die Jakobuslegende in der Nürnberger Frauenkirche?

waren; Spanien war damals dafür ein wichtiger Lieferant, und der Weg in die Bergwerke Andalusiens führte meistens über Zaragoza, auch noch zu den Zei­ ten der Fugger. Nürnberg war eine wichtige Etappe sowohl auf dem Handelsweg von Prag nach Frankfurt als auch auf dem Pilgerweg von Prag nach Santiago de Compostela über Maria Einsiedeln in der Schweiz. Und wie es aus zeitgenössischen Dokumenten zu belegen ist, haben viele Nürnberger Kaufleute den Weg zu ihren Handelspartnern in Spanien mit einem religiösen „Umweg“ nach San­ tiago de Compostela verbunden; der Rückweg ging oft über die Südrute nach Zaragoza und Barcelona. Schriftliche Belege aus dem 14. Jahrhundert haben sich nicht erhalten, wohl aber einige sehr aufschlussreiche aus dem 15. Jahr­ hundert. Sie stammen von Nürnberger Patriziern oder angesehenen Bürgern der Stadt: Peter Rieter war 1428 auf dem Heimweg von Santiago de Compostela wahrscheinlich auch in Zaragoza gewesen: er rait durch IStories gehen Salvator unser lieben frauen und am wider reiten gehen Muntzenrat unser lieben frauen in Kattellania,12 Bei Sebald Rieter, dem Alteren heißt es in der Beschreibung der Wegstre­ cken auf dem Heimweg von Santiago de Compostela 1462: von Sant Jacob C meil gehen Purges, von Purges LX meil gen Saragossa, die hauptstatt in Arigan, von Saragossa XIII meil gehn MüntzeratX Sebald Rieter hat während seines Aufenthaltes in Santiago de Compostela neben den neu gestifteten eigenen Pilgerwappen auch die seines Vaters Peter Rieter von 1428 in der Kathedrale erneuern lassen. Und er spricht noch von weiteren Verwandten, die vor ihm auch in Santiago de Compostela gewesen waren, d. h. die „kombinierte“ Pil­ gerfahrt hatte bereits Tradition. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Legende von Nuestra Sehora del Pilar schon Jahre vor den ersten Aufzeich­ nungen in dem Reisebuch der Familie Rieter in Nürnberg bekannt war. Gabriel Tetzel reiste 1467 über Zaragoza nach Nürnberg zurück: Saragossa ist eine mächtige grosse stat, darin die kaufleut aus allen landen grossen handel treiben.14 12 Das Reisebuch der Familie Rieter (BLVS 168), Tübingen 1884, S. 9 - Der Kommentar deutet „Istories“ als Astorga und „Salvator unser lieben frauen“ als Zaragoza. Es könnte aber mit „Salvator“ auch San Salvator in Oviedo und mit „Istories“ Asturien gemeint sein. Da Oviedo aber weit im Norden von Astorga liegt, wäre es ein sehr großer „rückläufiger“ Umweg gewe­ sen; deshalb spricht auf dem Weg nach Montserrat vieles für Zaragoza. Vergleiche dazu im Folgenden die Wegbeschreibung von Sebald Rieter, die vielleicht auf die Informationen von Peter Rieter zurückgeht. 13 Ebd.S. 14. 14 Johann A. Schmeller (Hrsg.): Des Böhmischen Herrn Leo's von Rozmital Ritter-, Hof- und Pilgerreise (BLVS 7), Stuttgart 1844, S. 199.

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Hieronymus Münzer blieb 1495 auf der Rückreise einige Tage in Zaragoza. Uber die Iglesia del Pilar, die gotische Vorgängerin der heutigen, schreibt er: Zaragoza hat auch eine berühmte Kirche, sie heißt Sankt Marien, ln ihr gibt es eine Krypta, wo die heilige Jungfrau Maria in jenen Tagen große Wunder voll­ brachte. Dort brennen Tag und Nacht unzählige Silberlampen,15 Auf diesen Handels- und Pilgerwegen könnte, um es unterstreichend zu wiederholen, die Legende von der Erscheinung Mariens in Zaragoza mündlich bis nach Nürn­ berg weitererzählt worden sein.

Abb. 4:

Enthauptung, Fresko in der Frauenkirche. (Foto Rainer Rix, 2016)

15 Der Teil des lateinischen Reisetagebuches über Spanien und Portugal wurde von Ludwig Pfandl mit erläuternden Anmerkungen ediert: Itinerarium Hispanicum Hieronymi Monetarii 14941495, in: Revue Hispanique 48 (1920), S. 1-179. - Habet item Cesaraugusta preclaram ecclesiam ad Sanctam Mariam dictam. In qua in una cripta Beata Maria illis diebus magna fecit miracula. Et lucent ibiplures argentee lampades dies noctesque (S. 139).

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Die Jakobuslegende in der Nürnberger Frauenkirche?

In der vorletzten (noch erhaltenen) Szene der Wandmalerei in der Frauenkir­ che sieht man einen Heiligen knien in der Erwartung des Todes: Ein Scherge holt mit seinem Schwert zum Schlag aus. Nach einem Bericht in der Apostelgeschichte erlitt Jakobus der Ältere als erster unter den Aposteln den Märtyrertod; Herodes Agrippa I. ließ ihn im Jahre 44 enthaupten: Um diese Zeit legte König Herodes Hand an einige Mit­ glieder der Kirche, um ihnen Böses anzutun. Jakobus, den Bruder des Johannes, ließ er mit dem Schwerte hinrichten. (Apg 12,1-3) Diese Textstelle aus dem NT gehört zum Grundbestand der Jakobuslegende. Uber einen Aufenthalt des Apostels Jakobus zu Lebzeiten in Spanien steht in der Apostelgeschichte aber nichts. Diese Ausschmückung übernahm die Legende, zuerst mit der Überfüh­ rung des Leichnams nach Spanien und später mit der angeblichen Entdeckung des Grabes in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts.16 Über den Aufenthalt des Apostels in Spanien zu Lebzeiten berichtet ausführlicher erst der Liber Sancti Jacobi oder Codex Calixtinus, entstanden zwischen 1160 und 1170; er war in vielen Abschriften der Pilger über ganz Europa verbreitet.17 Darin heißt es im Prolog zum dritten Buch, der Apostel habe während seines Aufenthaltes in Galicien neun Jünger auserwählt. Zwei seien zur weiteren Missionierung dort geblieben, und sieben mit ihm nach Jerusalem zurückgekehrt; diese hätten spä­ ter den Leichnam des Apostels nach seinem Märtyrertod über See nach Gali­ cien gebracht. In der Pilar-Legende aus dem 13. Jahrhundert wurde der Schluss noch etwas abgewandelt: Jakobus habe einen seiner Schüler als Presbyter in Zaragoza zurückgelassen, damit er den Bau der Votivkirche leite. Jakobus selbst sei kurz nach 40 vor Chr. mit den anderen Schülern nach Jerusalem zu­ rückgereist. - Auf jeden Fall war der Heiligenkult in Santiago de Compostela und Zaragoza18 um Jahrhunderte älter, als die schriftlichen Belege vermuten lassen. Sowohl in Santiago de Compostela als auch in Zaragoza gab es spätes­ tens seit dem 11. Jahrhundert Kirchen, zu denen bereits europaweite Wall16 Weitere Einzelheiten vgl. Hans Gerd Rötzer: Von Nürnberg nach Santiago. Jakobspilger aus Franken, Bamberg 2004, S. 13ff. oder: Ders.: Vom Märtyrer-Apostel zum Matamoros und Mataindios oder vom unheiligen Umgang mit Heiligen, in: SZRKG 105 (2011), S. 399-433. 17 Eine Transkription des vollständigen lateinischen Textes gibt es von Klaus Herbers und Manuel Santos Noia: Liber Sancti Jacobi, Santiago de Compostela 1998. - Auszüge daraus in deutscher Übersetzung bietet der Libellus Sancti Jacobi, hrsg. v. Klaus Herbers, Tübingen 1997. 18 „Um die Säule herum sind nacheinander zahlreiche Kirchen errichtet worden. Die erste war eine kleine Kapelle zur Verwahrung des Pfeilers. Nach der Reconquista Saragossas unter König Alfons I. im Jahr 1118 wurde eine romanische Kirche errichtet, die 1434 durch einen Brand beschädigt wurde. Die Kirche wurde im gotischen Stil mit Mudejar-Elementen wieder aufge­ baut. Der heutige barocke Bau geht auf von 1681 bis 1754 ausgeführte Erweiterungs- und Umbauten nach Plänen des Architekten Francisco Herrera Hidestrosa zurück [...].“ Aus: https://en.wikipedia.org/wiki/Cathedral-Basilica_of_Our_Lady_of_the_Pillar, letzter Zugriff 20.07.2016.

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fahrtswege führten. Die Wallfahrten lassen sich aber innerspanisch und ge­ samteuropäisch nur durch die Popularität der Jakobus- und Marienlegende erklären. Im Mittelteil, zwischen der Pilar-Szene und der Enthauptung, sind mehrere Gestalten zu sehen, darunter neben den beiden Heiligenfiguren auch ein König, neutrales Volk und vielleicht Schergen. Möglicherweise sind in den drei Bögen mehrere, zumindest zwei Geschehnisse dargestellt. In der Legenda Au­ rea und in dem von ihr beeinflussten Nürnberger Legendär Der Heiligen Le­ ben werden zwei Ereignisse aus der Jakobus-Vita sehr ausführlich erzählt: Die Auseinandersetzung des Apostels mit dem Zauberer Hermogenes und dessen Bekehrung, - und der Prozess gegen Jakobus und dessen Enthauptung. Aus beiden Berichten finden sich Ereignisse, die im Fresko (neben der Enthaup­ tung) erkannt werden könnten: Die Rettung des Dieners Philetus, den Hermo­ genes „unbeweglich“19 gemacht hatte, und die Heilung eines Lahmen. (Ursula Schädler-Saub erkannte „eine kniende Gestalt mit gegürtetem hellen Gewand“) - Ebenso die Gestalt mit einer Königskrone (Herodes ?). Im Einzelnen lässt sich dies bei dem Zustand der Wandmalerei nicht mehr eindeutig zuweisen, aber doch vermuten. Einwände an meinem Interpretationsansatz könnten in zwei Punkten kom­ men. Erstens, dass Jakobus (?) auf dem Fresko nie allein auftaucht, und zwei­ tens, dass nach der Enthauptungsszene noch eine Folterszene folgt. Wer wird gefoltert? Nach einem alten Foto habe man vor der Szene mit der Mariensäule weitere Apostel und den „auferstandene(n) Christus mit der Siegeskrone und flattern­ den Bändern“20 sehen können. Wenn dies stimmt, dann lässt sich erstens sagen, dass die gesamte Erzählsequenz der Wandmalerei zu Zeiten der Apostel han­ delt und zweitens in concreto mit der Aussendung der Apostel nach der Auf­ erstehung Christi beginnt. In der Apostelgeschichte spricht der Auferstandene: Aber ihr werdet Kraft empfangen, indem der Heilige Geist auf euch kommt, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis ans Ende der Erde. (Apg I, 8) Schon sehr früh wurde dem Apostel Jakobus d. Ä. Spanien als Missionsland zugewiesen. Im Museo de Peregrinaciones in Santiago de Compostela sind mehrere mappae mundi aus der Zeit zwischen 970 und 1086 aufbewahrt, in denen auf der iberischen Halbinsel der Vermerk zu lesen ist „Iacobus Spania“. In den verschiedenen Versionen der Legende taucht Jakobus nie allein auf; er hat immer Schüler oder Jünger bei sich, ob in Jerusalem oder in Spanien. Sie 11 Legenda aurea (wie Anm. 9), S. 489. 20 Schädler-Saub (wie Anm. 2), S. 148.

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begleiten ihn während seiner Missionstätigkeit und veranlassen auch die Über­ führung des Leichnams nach Iria Flavia und Santiago de Compostela. Zudem soll Jakobus in der Krypta der Kathedrale zusammen mit zweien seiner engs­ ten Jünger, Athanasius und Theodorus, begraben sein. Dies könnte erklären, warum auf dem Fresco nicht nur eine einzelne Figur mit Heiligenschein zu sehen ist: Auch nach der Marienerscheinung soll Jakobus einen seiner Jünger für die Überwachung des Kirchenbaus zurückgelassen haben. Bei seinem Streit mit dem Zauberer Hermogenes waren seine Schüler anwesend. Um die Chris­ ten zu bestrafen, ist Herodes nicht nur gegen Jakobus vorgegangen: Um diese Zeit legte König Herodes Hand an einige Mitglieder der Kirche, um ihnen Böses anzutun. (Apg 12, 1) Und es ist zu fragen: Wenn es sich auf dem Fresko tatsächlich um eine Mariensäule handelt — was ich zu beweisen versuchte -, welche Marienerschei­ nung zu Lebzeiten der Apostel könnte es dann sein? Es bleibt allein die Legende aus Caesaraugusta. - Oder: Wer von den Aposteln ist nach biblischer Überlieferung enthauptet worden? Paulus kam erst nach der Himmelfahrt Christi zum Kreis der Jünger. Es gibt nur zwei Lösungen: Wenn es sich bei der Darstellung um Santa Maria del Pilar handelt, dann gehören die abgebildeten Heiligen zur Schar der Apostel und ihrer Schüler. Wenn jedoch das Gnadenbild aus einer späteren Zeit der Marienverehrung stammt, dann haben die dargestellten Märtyrer nichts mit der Jakobuslegende zu tun. Alle Vermutungen, die bisher ausgesprochen wurden, sehen aber, bestärkt durch die Darstellung des Auferstandenen in der verlorenen Eingangsszene, einen Zusammenhang mit der „Apostellegende“.21 Zugestandenermaßen fällt die Einordnung der Szene mit der Geißelung (?) oder Auspeitschung (?) schwer. (Wahrscheinlich hatte sie noch eine Fortset­ zung; zumindest ist ein weiterer Arkadenbogen andeutungsweise zu sehen) Dies sei nicht verschwiegen. Möglicherweise ist sie eine Illustration zu der Stelle in der Apostelgeschichte, dass Herodes allgemein gegen die frühe Chris­ tengemeinde vorgehen und sie bestrafen wollte: Um diese Zeit legte König Herodes Hand an einige Mitglieder der Kirche, um ihnen Böses anzutun. (Apg 12,1) Und er nahm auch Petrus gefangen: Da er merkte, dass dies den Juden gefiel, ließ er auch Petrus festnehmen. Es war in den Tagen der ungesäuerten Brote. Er ließ ihn ergreifen, in den Kerker werfen und durch eine vierfache Wache von je vier Soldaten bewachen. (Apg 12,3) Bietet sich hier eine mögliche Interpretationsperspektive für die Folterszene an? Doch alles hängt von der Deutung der Mariensäule und der Hinrichtungs­ szene ab. Der Ort des Freskos ist jedenfalls eine Marienkirche, die an einer 21 Schädler-Saub (wie Anm. 2), S. 148.

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wichtigen Station auf dem Jakobsweg liegt. Beides wäre ein sinnvoller Bestand­ teil des Freskos. Schade, dass unsachgemäße Restaurierungen früherer Jahre mehr zerstört als gerettet haben. Aber trotzdem. - Sollte meine Interpretation stimmen, dann könnte das Fresko aus folgender Bildersequenz bestanden haben: 1) Jerusalem (nur noch in einer Photographie vorhanden): Der Auferstan­ dene entsendet die Apostel in alle Welt (Apg 1,8), Jakobus d. Ä. mit seinen Jüngern nach Spanien, (mappae mundi aus dem 10./11. Jahrhundert)22 2) Spanien/Caesaraugusta: Die Muttergottes erscheint, noch zu Lebzeiten, dem Jakobus und seinen Schülern auf einer Säule (das nationale Gnadenbild La Virgen del Pilar), um ihn zu ermutigen, trotz der Misserfolge weiter zu missio­ nieren und eine Kirche zu bauen. (Legenden-Tradition in Zaragoza seit dem 11./12. Jahrhundert) 3/4) Jerusalem: Auf dem Doppelbild (drei Bögen) ist sowohl die Bekehrung des Zauberers Hermogenes und die Erlösung seines Dieners Philetus (Legenda Aurea) als auch die Anklage vor Herodes zu sehen. (Apg 12,1) 5) Jerusalem: Jakobus wird enthauptet. (Apg 12, 2) 6) Jerusalem: Ein Mitglied der Jerusalemer Gemeinde wird gegeißelt oder ausgepeitscht. Möglicherweise ist es Petrus, der nach der Enthauptung des Jakobus ebenfalls festgenommen wurde. (Apg 12, 3/5) 7) Ort (?): Es folgt ein letzter Gewölbebogen, in dem nur noch rudimentäre, nicht mehr identifizierbare Bildfragmente zu sehen sind. In der logischen Fort­ führung der bisherigen Szenen böten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder die Rettung des Apostels Petrus aus dem Gefängnis (Apg 12,6 ff.) oder die Überführung (translatio) des Leichnams des Apostels Jakobus nach Nordspa­ nien (Legenda aurea). Doch dies sind nur Vermutungen; sie ergäben aber einen Sinn in der Gesamtabfolge der Bildersequenz. Utinam sint, qui corrigant aut affirment!

11 Es gab aber auch schon früher Hinweise auf die angebliche Missionstätigkeit des Apostels in Spanien. Vgl. Robert Plötz: Der Apostel Jacobus in Spanien bis zum 9. Jahrhundert. In: Spani­ sche Forschungen der Görresgesellschaft. Erste Reihe: Gesammelte Aufsätze zur Kulturge­ schichte Spaniens (30), Münster 1982, S. 19-145.

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DAS WEIHERHAUS AM WETZENDORFER ESPAN Von Helge Weingärtner Einleitung Den Anstoß zu der nachfolgenden Untersuchung lieferten einige Stellen aus Johannes Müllners Annalen, in denen ein Weiherhäuschen im Zusammenhang mit Schießübungen bei St. Johannis erwähnt wird. So berichtet er zum Jahr 1565: Im Monat Julio hatt der Rath den Zeugmaister und Puchßenmaistern ein Schlangenschiessen erlaubt, weil in zwaintzig Jaren dergleichen keins gehalten worden, und hatt funff Schlangen aus dem Zeughaus, auch ein Tünnen Pulver und zwölff Gulden zur besten Gab darzu geben. Man hatt bey S. Johanns über das Wasser gegen dem Weierheußlein hinab geschossen und einen Steg über die Pegnitz gemacht, welchen der teutsche Haußcommenthur zu Nürnberg nitt leiden wollen, sonder einreissen lassen. Aber der Rath hatt einen andern pauen und lassen bewachen. Hergegen weil der Blaicher auff der Teutschenherren Blaich sich Getranck außzuschenken und Gast zu setzen unterstanden, hatt der Rath seinen Väßern die Pöden ausschlagen lassen.' Ähnliches fand 1577 statt: Den Uten Junii, Sontag vor S. Johannstags, ist ein Schiessen auff S. Johanns Plan mitt Falckenetlein gehalten worden. Man hatt gegen dem Weierheußlein hinüber in den Sandberg geschossen. (...)1 2 Wie man sieht, diente in beiden Fällen das erwähnte Weiherhäuschen als Landmarke, um die Richtung anzuzeigen, in die man die Geschütze abgefeuert hat. Der Platz, von welchem aus geschossen wurde, ist bekannt: Es handelt sich um den Schießplatz unterhalb des Johannisfriedhofs, der im 19. Jahrhundert in den nach Süden erweiterten Friedhof integriert und mit Gräbern belegt worden ist.3 Die Büchsenschützen schossen dort von den an der Lindengasse stehenden Schützenständen nach Westen, während, wie ja auch unsere Texte aussagen, die Kanonen nach Süden und über die Pegnitz hinüber gerichtet 1

Johannes Müllner: Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teil IV, Bl. 2252v-2253r. (Erscheint 2017) - Das frühere Schlangenschießen hatte im Mai 1544 stattgefunden. Johannes Müllner: Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teil III: 1470-1544, unter Mitwir­ kung von Walter Gebhardt bearb. von Michael Diefenbacher, Nürnberg 2003, S. 470. 2 Müllner IV (wie Anm. 1), Bl. 2308v. - ,Sandberg‘ erinnert freilich sofort an die heutige Sand­ bergstraße, aber offensichtlich bezeichnete man generell die Böschungsbereiche zu beiden Sei­ ten der Pegnitz auf diese Weise, wie wiederum Müllner für das Jahr 1597 belegt: Im Monat Junio ist ein Schiessen mit Falckenetlein bey S. Johanns gehalten worden. Man hatt über das Wasser gegen dem Sandberg geschossen nach einem Thum, daran zwen Turcken gemahlet. Ebenda, Bl. 241 lr. - ,Falkonett‘ = eine kleinkalibrige Feldschlange. J Ludwig Eisen: Das alte St. Johannis, Nürnberg 1929, S. 39: 1856 Aufhebung des schon für 1429 nachgewiesenen Schießplatzes.

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Helge Weingärtner

Abb. 1:

Johann Alexander Boener: Der Schießplatz bei St. Johannis. Radierung 19 x 14,1 cm (Blatt), um 1705. (StadtAN E 13/11 Nr. 156)

wurden. Abbildung 1 - eine Radierung von Johann Alexander Boener - zeigt den Schießplatz in Betrieb: Links hinter den Schützenständen steht in der Lin­ dengasse das Schießhaus, an dessen Stelle 1863 das heutige Pfarrhaus der Pfar­ rei St. Johannis getreten ist.4 Neben dem Dachreiter des Schießhauses blickt man auf die unten am Fluss liegenden Weidenmühlen, in Richtung Gostenhof liegt die oben schon erwähnte Deutschherrenbleich (die heutige Rosenau), rechts daneben der hier nicht eigens bezeichnete Himpfelshof, an den sich nach rechts die Bärenschanze (dieser entspricht heute etwa das Gelände des Arbeits­ gerichts an der Roonstraße, innerhalb dessen sich noch das Kommandantur­ haus der Schanze aus reichsstädtischer Zeit erhalten hat) und ein weiterer Garten anschließen. Direkt unterhalb des Schießplatzes sind die Gebäude des Lazaretts sichtbar, zu denen man auch das näher zum Schießplatz stehende so genannte Franzosenhaus zählte, das bei Boener mit dem Obergeschoss, einem Satteldach und zwei Schornsteinen angezeigt ist. Ein Weiherhaus ist hier aller­ dings weder genannt noch sichtbar. 4

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Eisen (wie Anm. 3), S. 39.

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Das Weiherhaus am Wetzendorfer Espan

Wie schon eben gesagt, konnte das Weiherhäuschen als Landmarke verwen­ det werden - es kann also in diesem Gebiet nur ein einziges derartiges Häus­ chen gegeben haben. Da man in dessen Richtung mit Kanonen schoss, scheidet das bebaute Vorgelände des Schießplatzes schon aus Sicherheitsgründen für diese Veranstaltungen aus, und somit dürfte das Weiherhäuschen südlich oder südwestlich des Schießplatzes zu suchen sein.

1. Der Forschungsstand Die Suche nach dem Weiherhäuschen fand bisher stets aus einem einzi­ gen Grund statt: Man wollte dasjenige Weiherhäuschen lokalisieren, welches Albrecht Dürer sowohl im Aquarell als auch seitenverkehrt im Hintergrund seines Stichs der Madonna mit der Meerkatze dargestellt hat. Die älteren Ver­ suche der Identifikation dieses Gebäudes mit postulierten Vorgängerbauten des Herrensitzes Gleißhammer, eines Hauses im Vogelsgarten oder des Haller­ weiherhauses dürfen allesamt als unzutreffend betrachtet werden, während Fritz Zink 1949 mit der ansprechenden These auftrat, dieses Häuschen sei im Westen vor der Stadt zu suchen und identisch mit dem Weiherhäuschen der Fischerfamilie Angerer.5 Eine Wiederholung dieser Ansicht findet sich etliche Jahre später in den Mitteilungen des Nürnberger Geschichtsvereins.6 Unlängst hat nun Michael Taschner die Diskussion zu neuem Leben er­ weckt: Er vertritt die Auffassung, Dürers Weiherhäuschen habe sich nicht in einem Weiher, sondern auf einer Pegnitzinsel befunden, welche er westlich hinter den Weidenmühlen verortet hat.7 Sollte Taschners Ansicht zutreffen, dann wäre damit Zinks Lokalisierung widerlegt. Es empfiehlt sich daher, mit der jüngsten Meinung zu beginnen. 2. Die Pegnitzinsel Taschner ging von Dürers Aquarell mit den Weidenmühlen aus, das auf 1496 bis 1498 datiert wird und den Blick von Osten - sicher vom Ufer an der Hal­ lerwiese - auf die beiden Weidenmühlen bietet. Hinter dem Steg, der die beiden Pegnitzufer verbindet, ist in der Flussmitte ein Konglomerat von Vegetabilien zu sehen, darüber ragt ein Satteldach auf, das nach Nordosten hin mit Halbwalm und Rauchloch auftritt. Aus der Ähnlichkeit dieser Dachform mit der 5 6

Fritz Zink: Dürers Weiherhäuschen in Nürnberg St. Johannis, in: Zeitschrift für Kunstge­ schichte, 12. Bd., 1949, S. 41-45. Hier auch die älteren Meinungen, Anm. 6. Fritz Zink: Die Entdeckung des Pegnitztaies, in: MVGN 50 (1960), S. 271-285. Hier: S. 272f. und die Abbildungen 2 bis 4. Michael Taschner: Die Weidenmühlen aus der Sicht von Albrecht Dürer — Eine bauhistorische Untersuchung, in: Nürnberger Altstadtberichte 40 (2015), S. 77-95. Hier: S. 87-90.

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Helge Weingärtner

des Weiherhäuschens auf Dürers betreffendem Aquarell schloss Taschner, es müsse sich in beiden Fällen um ein und dasselbe Gebäude handeln. Als Stand­ ort für dieses Häuschen vermutete er eine Pegnitzinsel, die auf einigen Plänen zu sehen ist, so z.B. auf einem Plan von Gottlieb Trost aus dem Jahre 1718 und zuletzt noch auf einer offiziellen Stadtkarte von 1933.8 Dass diese Insel heute nicht mehr sichtbar ist, schrieb Taschner Maßnahmen zur Pegnitzbereinigung nach dem Zweiten Weltkrieg zu. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Insel auf älteren Plänen in der Regel gar nicht zu finden ist, und, was doch noch schwerer wiegt: In den Quellen wird man eine bebaute Pegnitzinsel hinter den Wcidenmühlen vergeblich su­ chen, wie die Insel selbst auch. Eine Ausnahme stellen die folgenden Formulie­ rungen einer amtlichen Pegnitzvisitation dar, die sich an die Anrainer des Flusses richten; zunächst an die Teilhaber der Weidenmühlen: ... auch ist nötig erachtet worden, die vor Ihren Wercken liegende grosse Insel wiederumb aus dem Fluß zu raummen, darmit daß Wasser sowohl in die Rinnen, als aus der Rinnen frischer zu ziehen gezwungen werden möge. Und kurz danach heißt es: Der Schärflein [über der Zeile nachgetragen: auf der Weidenmühl] und Hümfeleins Bauer soll die den Fluß höst Schädtliche Insul ausraummen und den aufgeworfnen Wahl auseinanderziehen.9 Man liest also zum einen von einer Insel, die vor den Werken der beiden Mühlen liegt, aber zu entfernen ist, da sie die Funktion der Mühlen beeinträchtigt, zum anderen von einer Insel, die noch im Zuständigkeitsbereich eines der Teilhaber der Mühlen, aber auch schon in dem des Himpfelshofbauern liegt, also sicherlich hinter den Mühlen und damit genau da, wo die von Taschner angeführte Insel lag. Diese ist dem Text zufolge dem Pegnitzlauf hinderlich - sonst wäre sie nicht, wie ein ebenfalls erwähnter, offensichtlich unberechtigt aufgeworfener Wall, zu beseitigen. Dass aber eine solche ,Insel“ (wir stellen sie uns eher als Anschwemmung von Sand und Schlamm vor) je bebaut worden sein könnte, darf mit aller Sicherheit ausge­ schlossen werden. Interessanter ist der erste der zitierten Sätze, denn dieser spricht von einer Insel vor den Mühlwerken. Betrachtet man Dürers Aquarell mit den Weiden­ mühlen genau (Abb. 2), so fällt auf, dass das dort im Fluss gezeigte Gesträuch sich keineswegs hinter den Mühlen befinden kann - man beachte allein schon, wie weit nach vorne zum Betrachter hin sich diese ,Insel“ im Wasser spiegelt! Man sehe weiter, dass der die Mühlräder schützende Rechen vor der Kleinwei­ denmühle hinter dieser angeblichen Insel verschwindet. Kein Zweifel: Dieses Gebilde liegt innerhalb des Bereichs der beiden Mühlen und damit sehr an8 9

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Taschner (wie Anm. 7), S. 89: Dortige Abb. 20 und 21. StadtAN A 26 Rep. 100 h Nr. 280, Prod. 1: 1713 April 20, Visitation der Wasserräder von den Weidenmühlen bis Schniegling.

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Abb. 2:

Das Weiherhaus am Wetzendorfer Espan

Albrecht Dürer: Die Weidenmühlen, Aquarell um 1497. Ausschnitt.

schaulich ,vor den Werken“. Was Dürer hier zeigt, ist - wenn auch etwa 210 Jahre früher - die Illustration zu obigem Text: Beide Mühlen besaßen, wie man weiß, ein Wehr, welches das Wasser auf die Räder leiten sollte. Beide Wehre waren gegen die Strömung zu einer Wehrspitze verbunden, um größere Stabi­ lität zu erhalten. Wenn der Wasserstand anstieg, floss das übrige Wasser über die Wehre in eine Art Becken, von wo aus es dann weiterströmte und sich mit dem Wasser aus den oben erwähnten Rinnen der Mühlwerke wieder vereinigte. Damit das in diesen Abfall oder Überlauf fließende Wasser nicht den Grund ausspülte, in dem die Wehre standen, war das Abfallbecken mit Holzbohlen belegt, in denen sich auch Schlamm und Sand, abgerissene Gräser und Flugsa­ men einnisten konnten, woraus sich dann nach einiger Zeit wohl ein Gestrüpp entwickeln mochte, wie es uns Dürer vor Augen führt. Rund 100 Jahre nach 15

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Abb. 3:

Der Pfinzing-Atlas von 1594. Faksimile, hrsg. vom Staatsarchiv Nürnberg und der Altnürnberger Landschaft, Nürnberg 1994, S. 29, Ausschnitt: Die Wcidcnmühlen.

Dürer stand dieses Becken wieder einmal im Begriff, sich zu begrünen, wie der Pfinzing-Atlas um 1594 zeigt (Abb. 3), und allem Anschein nach haben die damaligen Mühleninhaber die Zeit ebenso verstreichen lassen wie ihre Vorgän­ ger zu Dürers Zeit, denn 1598 muss in einem Ratsverlass, der sich mit Maßnah­ men im Bereich des Lazaretts beschäftigt, angeordnet werden: Item das graß so Im Pegnitzflus nechst Innerhalb Acht tagen die Müller hinwegkraumen zu lassen.'0 Es ist hier sofort klar, dass auch diese ,Insel“ niemals mit einem Gebäude versehen gewesen sein kann. Was aber zeigt uns Dürer dann? Das Haus, das Dürer darstellte, kann nach dem bisher Ausgeführten nur jenseits des Flusses, auf dem Nordufer gestanden sein. Verlängert man die mögliche Sichtachse von der Hallerwiese über die Wehre der Mühlen nach hinten, dann gelangt man in den Bereich zwischen der Pegnitz, die nach den Mühlen eine Biegung vollzieht, und der Großweiden­ mühlstraße. In reichsstädtischer Zeit lagen dort zum Fluss hin das Lazarett, das aus mehreren Gebäuden bestand, sowie - schon nördlich der Straße - das oben bereits erwähnte Franzosenhaus. Das Lazarett wurde 1498 begonnen; es müsste davon in der Lücke zwischen der Kleinweidenmühle (links der Peg­ nitz) und der angeblichen Insel irgendetwas sichtbar sein. Insofern ist Dürers 10 StadtAN B 1/1 Nr. 55, Bl. llr, 1598 Juni 28.

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Das Weiherhaus am Wetzendorfer Espan

Arbeit nun eher etwas früher einzuordnen. Das Franzosenhaus allerdings war erst 1509 in Betrieb genommen worden und auch nur, weil einer der bisherigen Unterbringungsorte für die an Syphilis Erkrankten in der Stadt wegen eines Unglücks nicht zur Verfügung stand. Die Kranken waren nämlich unter ande­ rem auf dem Säumarkt (dem heutigen Trödelmarkt) untergebracht, und zwar in einer Hütte beim Schleifersteg.11 Der damals nur kurzfristige Umzug nach Johannis war, wie man in diesem Zusammenhang bislang wohl noch nicht ge­ sehen hat, durch den Brand der Schleifmühle verursacht worden: Anno 1509. Am Pfingsttag nach Peter Kettenfeuer, zu früe zwischen drey und zwey gen tagen, ist alhier auff dem Säumarckt die Schleiffmühl ganz und gar völlig biß auff den grund abgebrandt.'2 Erst 1523 beschloss der Rat, diesen Kranken draußen bei St. Sebastian ein Haus zu erbauen, was Mummenhoff dazu brachte, Müllner, dem er einige Informationen entnommen hatte, als unglaub­ würdig zu deklarieren. Der Fall liegt aber ganz einfach: 1509 war nur ein Aus­ weichquartier nötig, weswegen Müllner davon spricht, man habe „ein neues Zimmer beim Lazareth gepauet“13, was ja nicht gleich einen kompletten Haus­ bau bedeuten muss, 1523 wird das nun als Blatternhaus bezeichnete Gebäude eingerichtet, was Müllner ebenfalls berichtet: „Es ist diß Jahr das Blaterhaus zwischen dem Latzareth und der Weidenmuhl am Sandberg mit geringstem Gepeu siebenzig Schuch lang zue pauen vom Rath zu Nürnberg befohlen worden“14, was wohl auch nur die Erweiterung des bestehenden Baus bedeutet hat. Wir können nun feststellen, dass schon um 1497 an dieser Stelle ein Ge­ bäude stand, das dann später dem geschilderten Zweck zu dienen hatte. Ein Weiherhaus jedoch befand sich im soeben betrachteten Bereich gar nicht, sodass die bis zu Taschner in Geltung gewesene Meinung Zinks erneut zu berücksichtigen ist. 3. Das Weiherhäuschen nach Zink

Zink hielt die Ähnlichkeit der Darstellung des Weiherhäuschens der Familie Angerer, wie es um 1594 im Pfinzing-Atlas dargestellt ist, für ausreichend, um dieses mit dem Dürer’schen Weiherhäuschen zu identifizieren.15 Die Frage, die sich uns jedoch zunächst stellt, ist die nach der tatsächlichen Lage des Weiher­ häuschens, denn, wie oben bereits gesagt, es gab offensichtlich im fraglichen

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Ernst Mummenhoff: Die öffentliche Gesundheits- und Krankenpflege im alten Nürnberg (Un­ veränderter Nachdruck aus „Festschrift zur Eröffnung des neuen Krankenhauses der Stadt Nürnberg, S. 1-122“ 1898), Neustadt an der Aisch 1986. S. 104. StadtAN E 8 Nr. 4985, Bl. 15r. - Donnerstag nach Petri Kettenfeier war 1509 der 2. August. Müllner III (wie Anm. 1), S. 410. - .Zimmer' i.S.v. Zimmermannsarbeit. Müllner III (wie Anm. 1), S. 500. Zink (wie Anm. 5), S. 43.

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Bereich nur ein einziges solches Gebäude, das eben deswegen als Orientie­ rungspunkt verwendet werden konnte. Die Behauptung Zinks, das ehemalige Weihergrundstück sei identisch mit dem Wiesengrund unmittelbar westlich der heutigen Brückenstraße (seinerzeit zur Hausnummer 40 an dieser Straße gehörig), erweckt jedoch unsere Zweifel: Lag das Häuschen nur leicht schräg unterhalb des Schießplatzes, so wäre zur Angabe der damaligen Ausrichtung der Kanonen der Hinweis auf irgendein Gebäude überflüssig gewesen; es hätte vielmehr genügt zu sagen, man habe über die Pegnitz geschossen. Es steht da­ her zu vermuten, dass das erwähnte Weiherhäuschen deutlich weiter westlich stand. Zu Zinks Beobachtung auf dem Gelände bei Nr. 40 der Brückenstraße - es handelte sich 1949 um das Areal eines Gärtnereibetriebs - ist in Kürze auszu­ sagen: An dem von Zink auf Seite 42 seines Aufsatzes gezeigten Foto (dort Abb. 3) kann man aufgrund der mangelhaften Wiedergabe im Druck, die sicherlich auf die technischen Möglichkeiten der unmittelbaren Nachkriegszeit zurückzuführen ist, sehr wenig erkennen. Die Aussage Zinks, „die Boden­ formation und das Vegetationsbild“ zeigten noch „die Weiherumrisse mit der Insel an“16, ist angesichts des niedrigen Standpunkts, aus dem das damalige Bild aufgenommen wurde, keineswegs nachvollziehbar. Eine Luftaufnahme eben dieses Geländes, die sogar mehr als 20 Jahre älter ist als Zinks Foto, erstickt jeden weiteren Gedanken an eine ehemalige Insel mit und ohne Häuschen end­ gültig (Abb. 4). Die sicher nicht auf moderner Vermessung beruhende Darstellung des Peg­ nitzlaufs und seiner nächsten Umgebung im Pfinzing-Atlas (Abb. 5) zeigt das Weiherhäuschen in ziemlicher Nähe zum Lazarett liegen, weswegen der ge­ schilderte Zuordnungsversuch Zinks natürlich ganz verständlich ist.17 Aller­ dings verweist er auch auf die dargestellten Wasserräder sowie darauf, dass das Weiherhäuschen „nördlich des 4. und 5. Wasserrades“ lag. Zumindest die ers­ ten vier Räder müssten dann aber zwischen dem Lazarett und dem Gelände an der Brückenstraße untergebracht werden können. Bevor wir die Anzahl der Räder und deren mögliche Verteilung auf dem Fluss betrachten, noch etwas zu einem weiteren Indiz Zinks: Auf dem auch bei Taschner zitierten Trost’schen Plan von 1718 werden die westlich des Lazaretts gelegenen Wiesen als Peiler 16 Zink (wie Anm. 5), S. 44. 17 Wie wenig jedoch auf derartige Schätzungen Verlass ist, zeigt ein anderes Beispiel: Ernst Kuttruff behauptet in seinem kurzen Beitrag: Das Weiherhaus — Albrecht Dürer und Schniegling (in: Schniegling, Wetzendorf und Alt-Doos — Geschichte - Geschichten und Leben im Westen Nürnbergs. Hrsg. v. „Geschichtstreff Schniegling, Wetzendorf, Alt-Doos im Stadtteilhaus FiSch“ und dem Allgemeinen Sozialdienst (ASD) der Stadt Nürnberg, Nürnberg 2006, S. 6263, hier S. 63), Dürers Standort liege „ein Stück westlich der heutigen Theodor Heuss Brücke.“ Der Autor stützt sich ausdrücklich ebenfalls auf den Pegnitzplan im Pfinzing-Atlas!

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Abb. 4:

Das Weiherhaus am Wetzendorfer Espan

Luftaufnahme aus dem Jahr 1927, Ausschnitt. (StadtAN A 97 Nr. 266)

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Traumgesicht (Wien, KHM-Museumsverband, KK 5127)

Dieselbe mehrere (wenngleich hier „nur“ vier - und nicht fünf oder mehr) Meilen umgreifende, menschenleere Weite, die er durch seine Perspectiva Artificialis als Landschaft gesondert konstruieren und im ,Traumgesicht' ähnlich seinen dreißig Jahre zuvor entstandenen Aquarellen meisterlich im Bild fassen konnte, ist im Alptraum keine lantschaft, sondern Ltnf. Eine Belegstelle, in der das schwache Verb ertrenken zu einer früheren Zeit als dem 16. Jahrhundert in Kombination mit entweder oder lantschaft nachgewiesen wäre, konnte ich nicht finden; es handelt sich also offenbar nicht um eine feste Wendung, und Dürer hätte ebenso gut den Begriff lantschaft statt dem des landes verwenden können. Ohne diese Leerstelle zu stark belasten zu wollen, erscheint es mir jedenfalls plausibel, dass der entscheidende semantische Unterschied darin liegt, dass das Katastrophenszenario dem schlafenden Dürer zwar ebenfalls einen weiten und darstellbaren Raum zeigte, dieser aber eben kein beherrsch­ bares, schmückendes Konstrukt, sondern ein in Dürers geträumter Lebenswelt verortetes, überaus bedrohliches, wirkliches „Traumgesicht“ war. Im gleichen Maße scheint es mir interessant zu sein, wann Dürer in seinem Tagebuch seiner Reise in die Niederlande 1520/21 von „Landschaft“ schreibt - und wann nicht. Der Begriff fällt in den Aufzeichnungen nur ein einziges Mal, und zwar - wie von Jörg Robert oben erwähnt - in Bezug auf einen Land99

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schaftsmaler, nämlich den berühmten Joachim Patinir (1475/80-1524), bei dem Dürer zu Gast weilte: Jtem am sondag vor der creutzwochen hat mich maister Joachim, der gut landschafft mahler, auf sein hochzeit geladen und mir alle ehr erbotten.15 Es ist festzustellen, dass Dürer Landschaften in den Werken Patinirs jeden­ falls als klassifizierenden Aspekt gelten lässt. Womöglich gilt ihm die Land­ schaftsmalerei hier gar als eigenes Genre, das Patinir eben besonders gut aus­ führt. Keine Rede ist im Reisetagebuch hingegen von „Landschaft“, wo es nicht um Bildkunst geht und Dürer ihr buchstäblich in natura begegnet. Es fehlt diesbezüglich nicht nur der Begriff lantschaft, sondern auch jeder Hin­ weis, der auf eine besondere Wahrnehmung von offener Weite durch den Künstler in jedweder Hinsicht deutete. Dürer lobt entlang seines Weges ans niederländische Meer und retour die Schönheit von Dörfern, Städten und be­ trachteten Kunstgegenständen - gerät dabei z.T. fast außer sich vor Begeiste­ rung - oder genießt auch ein köstlich mahl seines Gastgebers Bernhard Ste­ cher.26 Von der Natur am Wege ist dagegen niemals die Rede. So liest man z.B.: Darnach furn wir durch etliche dörffer und kamen in das schön groß dorff da die reichen bauren siezen, do assen wir zu morgens. Von dannen fuhren wir für Pol, die reiche abtey. Von dannen fuhren wir durch Kaltprunnen, ein schön dorff.27 Oder, beim Besuch Brüssels und der dort ausgestellten Kunstwerke aus der von den Spaniern jüngst erschlossenen „neuen Welt“ Südamerikas: Ich hab gesehen jns königs hauß zu Prüssel hinden hinaus die brunnen, labyrinth, thiergarten, das ich lustiger, mir gefälliger, gleich einen paradyß, nie gesehen hab. (...) Jtem zu Prüssel ist ein fast köstlich rathauß, groß und von schöner maßwerck gehauen, mit einem herrlichen durchsichtigen thurn. (...) Und ich hab aber all mein lebtag nichts gesehen, das mein hercz also erfreuet hat als diese ding. Dann ich hab darin gesehen wunderliche künstliche ding und hab mich verwundert der subtilen jngenia der menschen jn frembden landen,28 25 Rupprich: Bd. 1 (wie Anm. 11), S. 169. „Am Sonntag vor der Himmelfahrtswoche hat mich Meister Joachim, der vortreffliche Landschaftsmaler, zu seiner Feier eingeladen und mir alle Ehre erwiesen.“ 26 Ebd.,S. 151. 27 Ebd., S. 167. „Danach fuhren wir durch etliche Dörfer und kamen in das schöne große Dorf, in dem die reichen Bauern wohnen, da frühstückten wir. Von dort fuhren wir nach Pol (Sint Paul in Waasland), wo sich eine reiche Abtei befindet. Von dort fuhren wir durch ein schönes Dorf (namens) Kaltbrunnen (Caudenborn).“ 28 Ebd., S. 155. „Ich habe hinten hinaus aus dem Königspalast von Brüssel die Brunnen, Laby­ rinthe und Tiergärten gesehen, wie ich sie anmutiger, mir gefälliger - wie im Paradies! - nie gesehen habe. (...) In Brüssel steht ein ganz wunderschönes Rathaus, groß und mit schönem Maßwerk ausgestaltet, mit einem herrlichen, durchbrochenen Turm. (...) So lange ich lebe, habe

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Albrecht Dürers „historischer“ Landschafts-Begriff

Dürers Weg - obgleich er ihn durch Landstriche führt, die er weder zuvor kennengelernt hat noch danach je wieder sehen sollte - wird ansonsten quasi durch ein Itinerar belegt; besonders berücksichtigt werden u.a. Ausgaben, Ein­ käufe, Geschenke, Gastmähler, angefertigte oder verkaufte Kunstwerke und ggf. deren neue Besitzer. Selbst seine einzige Reise an die offene Nordsee findet Erwähnung, da Dürer dort vergeblich hofft, einen toten Walfisch zu sehen die für ihn völlig neuartige Nordseelandschaft ist dagegen kein Wort wert. Dies ist vorderhand durch die Toposgebundenheit von Reisebeschreibungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit erklärbar.29 Doch auch wenn die Auf­ zeichnungen Dürers, wie im Speziellen von Heike Sahm dargestellt, der Topik des Nürnberger (patrizischen) Schrifttums folgen und das „Tagebuch“ vor dem Hintergrund der - freilich nur dünn überlieferten - Nürnberger Reise­ aufzeichnungen als Rechnungsbücher zu kontextualisieren sein mögen („Das Rechnungsbuch liefert nun einmal den Rahmen“),30 scheint es mir immerhin bemerkenswert, dass der vorgebliche „Vater“ der Landschaftsmalerei im deutschsprachigen Raum für die Wunderlichkeiten einer unbekannten Land­ schaft keine Tinte übrig hatte - anders als für fremdartige Kunstgegenstände und Bauten, für deren Beschreibung er öfter den Rahmen reiner Rechnungsbuch-Topik nachgerade sprengte. Insgesamt findet der Begriff lantschaft bei Albrecht Dürer also Verwen­ dung, sofern es sich um kunstfertige bildliche Darstellungen von meilcnwcitem Raum handelt, die als Einzelgewerke oder-wie aus der Anmerkung zu Patinir abzuleiten - auch als Kunstwerke sui generis ausgeführt werden können. Land­ schaften gilt es zu konstruieren und damit theoretisch wie handwerklich zu beherrschen, damit sie von Albrecht Dürer als solche bezeichnet werden. Nur künstliche, künstlerisch erschaffene Landschaften werden von ihm als solche semantisiert; ein realer oder imaginierter, jedoch nicht bildlich realisierter Raum wird von ihm eben nicht lantschaft genannt, sondern als laut bezeichnet bzw. umschrieben. Vom schwärmerischen Empfinden landschaftlicher Schön­ heit, wie in den anfangs angeführten Zitaten suggeriert, findet sich bei Dürer kein Wort, obwohl wenigstens Teile seiner Darstellungen im Reisetagebuch etwa die Begeisterung ob der leicht als „primitiv“ abzustempelnden südameri­ kanischen Kunstwerke - über das bloße Verhaftetsein mit gängigen Konven­ tionen der Textsorte hinausgehen und einen offenen, emotionalen Zugang zur ich nichts gesehen, das mein Herz so erfreut hätte wie all diese ,Dinge“. Ich habe darin wunder­ bare, kunstreiche .Dinge“ erblickt und die subtilen Genies der Menschen in fremden Ländern bestaunt.“ 29 Axel Gotthard: In der Ferne. Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne, Frankfurt am Main 2007, S. 113. 30 Heike Sahm: Dürers kleinere Texte. Konventionen als Spielraum für Individualität, Tübingen 2002. Zu Dürers „Tagebuch der Reise in die Niederlande“ S. 133-184, das Zitat steht auf S. 183.

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ästhetischen Wahrnehmung neuartiger Phänomene belegen. Es hätte sich für Albrecht Dürer also wohl die Möglichkeit ergeben, in seinem Schriftwerk einer Begeisterung für die Schönheit von unbemessener räumlicher Weite Ausdruck zu verleihen - wenn er diese denn empfunden hätte. So in jeder Hinsicht „um­ werfend“ die Kunstfertigkeit sein mag, mit der Albrecht Dürer Landschaften mit Pinsel und Stift zu bannen versteht, so fern steht er in seiner Begriffsver­ wendung dem späteren Paradigma der „romantischen“, emotionalisierenden Darstellung des weiten Raumes. Und wo ihn der Anblick eines weiten Raumes doch emotionalisiert, so im Falle des ,Traumgesichts“, ist eben nicht von jener künstlerisch beherrschten lantschaft die Rede, der er den Begriff vorbehält. 2) Betrachtet man die mittelalterlichen Belegstellen für den Terminus lantschaft sowohl in den germanistisch-mediävistischen Fachwörterbüchern Lexer31 und BMZ als auch im Deutschen Rechtswörterbuch,32 so ergibt sich für das resul­ tierende semantische Feld ein recht einheitliches Bild. Diese Kongruenz zwi­ schen mittelalterlicher Literatur und Rechtsdokumenten muss nicht allzu sehr erstaunen, da fiktionale Literatur und sonstiges Schrifttum des Mittelalters weitgehend ein proprium der herrschenden Schichten war und damit zumin­ dest indirekt stets auch eine legitimatorische Funktion hatte. Für das Anliegen dieses Aufsatzes will dieser Umstand gleichwohl nachfolgend belegt werden: Jeweils wird der Begriff dabei in drei verschiedene Gesichtspunkte unterglie­ dert. Die beiden erstgenannten Lexika - welche sich aus literarischen Werken, deutlich seltener aus Rechtsbüchern und Urkunden speisen - unterscheiden sich allerdings, wie noch zu zeigen, in einem Aspekt vom Rechtswörterbuch. Lexer und BMZ nennen als Geltungsbereiche des Begriffs zunächst eine (offenkundig bewohnte) Fläche Landes als solche, entsprechend den lateini­ schen Begriffen provincia, regio und terra. Als Beispiel führt Lexer einen Pas­ sus aus dem in den 1460er Jahren verfassten „Baumeisterbuch“ des Nürnberger Patriziers Endres II. Tuchers an; das Zitat ist also sowohl topographisch als auch (im Vergleich zu sonstigen Belegstellen der Wörterbücher) chronologisch recht nah bei Dürer verortet (jedoch immer noch gut eine Generation vor ihm): Auf mitwoch nach sant Paulus tag bekerung im 73 jar in herr Jobst Hallers und Anthoni Holtzschuchers frog wart vergunt auf fürpet des wirdigen herrn des probstz zu Newnkirchen und anderen umbsessen der lantschaft do umb, ein steinenprücklein über die Swobach machen zu lossen (...J.33 31 Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3 Bde, Leipzig 1872-1878. 32 Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, hrsg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Bd. 8, Weimar 1984-1991. 33 Hier und im Folgenden zit. nach: Endres Tuchers Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg (14641475), mit einer Einleitung und sachlichen Anmerkungen von Dr. Friedrich von Weech, hrsg.

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Albrecht Dürers „historischer“ Landschafts-Begriff

Auch der zweite lantschafts-Aspekt beider Wörterbücher lässt sich - wie es dort auch geschieht - exemplarisch an einem Zitat aus dem „Baumeisterbuch“ darstellen; es handelt sich um die Bevölkerung des zuvor bezeichneten Land­ strichs: und nachdem (...) die greben ettliche jar darnach lang ungeraumpt pliben und verwachsen waren, dardurch vill clage von der lantschaft und frembden furleutten und die zu der stat wanderten gewesen ist etc. also hab ich ettliche jare her von gemeiner stat wegen einen bestellt, genant Hanns Hetzel (...).}4 Von dieser Begriffsbedeutung gesondert führen die Wörterbücher die der Obrigkeit einer betreffenden Region, also der Landherren und versammelten Stände. Diese werden pars pro toto oder metonymisch für die Gesamtbevölke­ rung gesehen. Die angeführten Belegstellen hierfür stammen aus dem Hoch­ mittelalter, so etwa Gottfrieds von Straßburg .Tristan“ aus den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts. Dort heißt es, im Kontext des Gerichtskampfes zwischen Tristan und dem irischen Herzog Morold: nü daz der dritte tac dö wart,/ dö kam al diu lantschaft/ und Volkes ein so michel craft,/ daz der stat bi dem mer/ aller bevangen was mit her. (V. 6496-6500)35 Der Begriff wird offenkundig synonym zu dem der herschaft verwendet, der in .Tristan“, V. 10805 vorkommt, und zwar in der identischen Situation - näm­ lich, dass Tristan zum Gerichtskampf vor großem Publikum antritt, in diesem Falle gegen einen anmaßenden Truchsessen. Landschaftsanführer und Bevöl­ kerung (bzw. militärisches Landschaftsaufgebot) können also in einem Begriff zusammcnfallen.

von Dr. Matthias Lexer, Stuttgart 1862 (unveränd. Nachdruck Amsterdam 1968), hier S. 315. „Am Mittwoch nach der Bekehrung Pauli im Jahre (14)73, als die Herren Jobst Haller und Anton Holzschuher Frager waren, wurde auf Initiative des würdigen Herrn, des Probsts von Neunkirchen und anderer Bewohner des umliegenden Verwaltungsbezirks verkündet, dass man eine kleine steinerne Brücke über die Schwabach erbauen lasse.“ 34 Ebd. S. 207. „Und nachdem die Gräben viele Jahre danach unausgehoben geblieben und zugewuchert waren, wodurch viele Klagen von den Bewohnern der Landschaft, auswärtigen Fuhrleuten und denjenigen, die in die Stadt liefen, aufgekommen waren, habe ich vor vielen Jahren des gemeinsamen Anliegens halber einen (mit der Sache) beauftragt, der Hanns Hetzel hieß...“ 35 Zit nach: Gottfried von Straßburg: Tristan. Bd. 1. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Friedrich Ranke neu herausgegeben, ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, Stuttgart 1993. Die Übersetzung Krohns für diese Stelle lautet: „Als der dritte Tag anbrach, kam die ganze Ritterschaft und so viel Volks, dass der Platz am Meer voller Menschen war.“ Die Übersetzung von lantschaft als „Ritterschaft“ kommt mir freilich als ständisch zu stark verengt vor, da die Obrigkeit eines Landstriches ja nicht allein aus Rittern bestand.

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Aus juristischer Perspektive stellt sich der Begriff lantschaft in mittelalter­ lichen Belegstellen insgesamt kaum anders dar als in den oben angeführten Beispielen. Das Deutsche Rechtswörterbuch teilt, wie Lexer und BMZ, den Begriff zunächst in zwei Kategorien, zum einen „räumlich. 1. Landstrich, Gegend, Gl. zu patria, provincia u. regio“ mit mehreren Belegen bereits im Althochdeutschen,36 zum anderen „2. Land (II 1), abgegrenztes Gebiet mit einheitlichem Landrecht (II 1), auch kleinerer Herrschaftsbezirk“ mit einem frühesten, niederdeutschen Beleg 1456.37 Solche Belege sind dann fortlaufend bis in die Neuzeit angegeben. Darüber hinaus führt das Deutsche Rechtswör­ terbuch „Landschaft“ auch als „der dem Landesherrn (I), insb. bei d. Schulden­ verwaltung, gegenübertretende (oft auch von diesem initiierte) Zusammen­ schluß aller Landstände oder, wo Geistlichkeit u. Adel fehlen, auch nur der in Städten, Ämtern u.ä. verfaßten Untertanen“ mit einem frühesten Beleg aus Salzburg 1328 (Sp. 586f.).3S Als Unterschied zum Bedeutungsspektrum in 36 Es handelt sich um drei Zitate aus dem althochdeutschen Isidor des späten 8. Jahrhunderts; diese werden - ebenso wie die lateinischen Zitate unten - zit. nach: Die althochdeutschen Bruchstücke des Tractats des Bischofs Isidorus von Sevilla de fide catholica contra Judaeos. Nach der Pariser und Wiener Handschrift. Mit Abhandlung und Glossar, hrsg. von Karl Wein­ hold, Paderborn 1874. 1) Dher selbo infenc haerduom dbes israhelischin folches, dhuo ir dhes leididh uuardh after Moysises ablide endi dhea lantscaffi dbes im chiheizssenin arbes chideilida (Cap. VII, §1, 29, 2-5); die lateinische Entsprechung lautet: hie enim post obitum Moysis dux effectus, principatum obtinuit et terram promissae hereditatis distribuit-, 2) Cap. VII, § 1, 29, 5-13: Uuexsal dhes nemin huuazs bauhnida, nibu dbazs after Moysise dödemu endi dheru euu zifareneru ioh dhem aldöm gotes chibodum bilibenem uns zuouuert leididh uuardh unser druhtin Jhesus Christus, dher unsih dhurah Jordanes runsa, dhazs ist dhurah dhea geba dhera heilegün daufin chiheilegöde, allem sundönö chunnum ardribenem ioh allem herum ubilerö angilö arflaugidem, unsih dhurahleidit in dhea chiheizssenun lantscaf, dhät honec endi miluh springant (...) -> lat.: Mutatio nominis quid significabat nisi quia defuncto Moyse id est defuncta lege et legali praecepto cessante, dux nobis dominus Jhesus Christus erat futurus, qui nos per Jordanis fluenta id est per baptismi gratiam sanctificatos et omnibus vitiorum generibus expulsis vel angelorum malorum hostibus effugatis perduceret ad terram repromissis melle et lacte manantem (...); 3) Cap IX, § 7 (37,5f.): Dhiz quhad ir bidhiu huuanda ir uuas chiuuisso fona Betlemes lantscaffi fona Ddvides chunne. -> lat.: Fuit enim de patria Bethleem de domo David.

(Die Hervorhebungen zur Verdeutlichung der Entsprechung im Althochdeutschen und Latei­ nischen stammen von mir, M.K.) 37 soe en moet gheen borger ofte inwoener van S. lantscap, Steden noch niemant ontseggen buyten der schepenen ende raedtsluyden consent, 1456 SneekstB. 108 „So darf sich kein Bürger oder Einwohner der Landschaft oder der Städte von S. noch sonst jemand ohne die Zustimmung der Schöffen und Ratsleute verweigern.“ 38 wir seczen auch..., swo ein gescheray umb einen gewalt erget, dem sol di lantschaft zulauffen und nachfolgen und wem und sullen di nachfolger des gegen nieman engelten, ez sei in steten oderauf dem lande (1328, SalzbU B. IV 383); zudem: wir die lantschaft gemainchlich, edel vnd vnedl, arm vnd reich, die zu der herschaft ze Tyrol gehörent (1363, Kurz, Rud. 381; beide Zitate

Sp. 587) „Wir verordnen auch, dass (...) wo immer ein Aufruhr aufgrund einer Gewalttat ent­ steht, die Bewohner/Verordneten der Landschaft dort Zusammenkommen und der Sache nach­ gehen und sie bestrafen sollen. Und diese Verfolger mögen (ihr Vorgehen) gegen niemand unterlassen, sei es in den Städten oder auf dem Land.“; „Wir, die vereinten Landstände, Adlige und Nichtadlige, Arm und Reich, die der Herrschaft Tirol angehören...“

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Albrecht Dürers „historischer“ Landschafts-Begriff

Lexer und BMZ, die sich - wie erwähnt - aus im engeren Sinne literarischen Texten ableiten, tritt also der Aspekt hervor, dass statt der Bedeutungsfacette „Bevölkerung“ im Deutschen Rechtswörterbuch der Gesichtspunkt „abge­ grenzter Bezirk mit einheitlichem Recht“ nachgewiesen wird. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Semantisierung als „Bevölkerung“ auch in den Beleg­ stellen der literaturwissenschaftlichen Wörterbücher jeweils in mehr oder minder direktem Bezug auf Herrschaftsausübung und damit letzten Endes re­ präsentativ bzw. juristisch verwendet wird; so neben dem Passus bei Endres II. Tücher - in dem er als Amtmann der Regierung Nürnbergs den Klagen der lantschaft und frembden furleutten nachkommt - bereits in Heinrichs von dem Türlin monumentalem Artusepos ,Diu cröne‘ aus dem 13. Jahrhundert: Dort heißt es, im Anschluss an die „Becherprobe“, die die moralische Legitimität des Herrschers Artus bewiesen hat, in Bezug auf ein Turnier, den het grave Rivalin/ widern künic Glays genomen (V. 3212f.)39 swer dar zuo wolte komen,/ der vünd gröz riterschaft/ da von der lantschaft/ und von den unkunden (V. 3214-3217)40 und, sehr viel später, in Bezug auf die Machtverhältnisse zwischen dem Zau­ berer Gansguoter und einigen Riesen, denen gegenüber seine Zauberkraft Grenzen hat: wan sie bäten mit ir kraft/ gar betwungen die lantschaft/ von zehen künigen riehen/ also garlichen/ daz inen da nihts gebrast (V. 27327-27331J.41 Im Bereich derjenigen Belegstellen, die Lexer und BMZ aus der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters ableiten, und ebenso aus den Rechtsdokumen­ ten dieser Zeit geht damit - wie oben behauptet - hervor, dass der Terminus lantschaft mindestens bis in die Lebenszeit Albrecht Dürers hinein eindeutig mit der Semantik des Beherrschens von Raum (und dem, was sich darin fand) verknüpft war, und zwar im Sinne adliger Herrschaft, Heerfolge und Verwal­ tung.42 Kaum anders verfuhr der Künstler in seiner Verwendung des Begriffes 39 Der Primärtext wird hier und nachfolgend zit. nach: Heinrich von dem Türlin: Diu Cröne. Mittelhochdeutsche Leseausgabe mit Erläuterungen, hrsg. von Gudrun Felder, Berlin/Boston 2012. Die Übersetzung entstammt bei nachfolgenden Zitaten: Heinrich von dem Türlin: Die Krone. Unter Mitarbeit von Alfred Ebenbauer ins Neuhochdeutsche übersetzt von Florian Kragl, Berlin/Boston 2012, S. 51: „Das würde Graf Rivalin gegen König Glays bestreiten.“ 40 „Wer dorthin kommen wollte, würde dort viele ritterliche Kämpfe von den Bewohnern des Landes und von den Fremden finden.“, ebd. 41 „... denn sie hatten mit ihrer Stärke das Gebiet von zehn Königreichen vollständig und ganz mühelos bezwungen.“, ebd, S. 410. 42 Es ist vielleicht nicht unnötig, darauf hinzuweisen, dass dem von mir gewählten Begriff „be­ herrschen“ hier keineswegs das autoritäre Element eignen soll, das man oftmals mit ihm verbin­ det. Mittelalterliche Landesherrschaft eignete - dies beweisen ja auch die Belegstellen - eben auch das Element des gedeihlichen Austauschs mit den Bewohnern der lantschaft, so wie Dürer ein Erfassen, Ermessen der Bildaufgabe und damit ein Gerechtwerden bezweckte.

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lantschaft, welche er ebenfalls zu „beherrschen“ trachtete - womit er auf die Semantik jener Oberschicht zurückgriff, der gegenüber er sich über Jahrzehnte emanzipieren, wenn nicht sogar ihr assimilieren wollte.43 Auch die ersten bei­ den oben angeführten Textstellen befassen sich zumindest implizit mit der so­ zial-ständischen Emanzipation der Bildkunst und des ausführenden Künstlers. Dürers Begriffsverwendung war damit - so wenig das für seine Bildschöpfun­ gen von Landschaften gilt - vorderhand konventionell. Das Originelle und Neuartige des Landschaftskonzepts Dürers besteht in seinem metaphorischen Verständnis der „Beherrschung“, also im Übertrag des Terminus lantschaft aus dem adlig-juristischen Herrschaftsdiskurs in den seinen, den der Bildkunst. In der selbstbewussten Anmaßung, im Bereich der künstlerisch konstruierten Landschaften dieselbe beherrschende Stellung zu beanspruchen wie die adlige Obrigkeit in realen Landstrichen liegt die Besonderheit des „historischen“ Landschaftsverständnisses Albrecht Dürers. Dass Dürer es darauf anlegte, als Beherrschender seiner Kunst einen neuen, höheren Rang für den kundigen Bildkünstler im allgemeinen und sich selbst im speziellen zu fordern, zeigen zahlreiche Belegstellen für den Begriff gewalt,44 den Dürer sämtlich in der mittelhochdeutschen Hauptbedeutung von „Macht“, „Herrschaft“, „Imperium“ etc. verwendet.45 Allein in Band 3 des von Hans Rupprich edierten schriftlichen Nachlasses Dürers finden sich sechs Belege für „Gewalt“ in Bezug auf Bildkunst in dieser „beherrschenden“ Bedeutung; so liest man z.B. in einem wohl 1515 bis 1520 entstandenen Entwurf zu einem ästhetischen Exkurs, die Darstellung hässlicher Objekte betreffend: Dorneben kan jeh nit ferschweigen, wie ein ferstendiger geübter künstner so jn groben bewrischen dingen ein grossen gwalt vnd kunst ertzeigen kan.46 Im selben Text heißt es, in Bezug auf die kunstvolle Darstellung der Men­ schen und andrer ding: Dorumb gybt gott einem künstner jn solchen dingen vill gewaltz.47 43 Vgl. hierzu neben Sahm (wie Anra. 30) etwa: Matthias Kirchhoff: Jch mit meiner tbafell vndjr cum woster Weisheit... Konkurrenz, Freundschaft und Memoria bei Albrecht Dürer und Wil­ libald Pirckheimer, in: „Texte zum Sprechen bringen“. Philologie und Interpretation (FS Paul Sappler), hrsg. von Christiane Ackermann und Ulrich Barton unter Mitarbeit von Anne Audi­ tor und Susanne Borgards, Tübingen 2009, S. 421-435. 44 Der von mir in diesem Aufsatz zentral verwendete Begriff „beherrschen“ ist erst in der frühen Neuzeit entstanden, weder Grimm noch Lexer oder BMZ führen ihn als Lemma. Das mhd. schwache Verb herschen ist vergleichsweise schwach belegt, vgl. Lexer, Bd. 1, Sp.1262. 45 Vgl. Lexer, Bd. 1, Sp. 972; BMZ, Bd. 3, Sp. 474. 46 Rupprich: Bd. 3 (wie Anm. 11), S. 281: „Daneben mag ich nicht verschweigen, wie ein verstän­ diger, geübter Künstler (auch) bei so .bäurischen' Bildgegenständen eine große Macht und Kunstfertigkeit beweisen kann.“ 47 Ebd., S. 283. „Deshalb verleiht Gott einem Künstler diesbezüglich viel Macht.“

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oder, inhaltlich identisch, im Exkurs am Ende des dritten Buches der „Lehre von menschlicher Proportion“ von 1528, hinsichtlich der Darstellung des Menschen: Darumb gibt Gott den kunstreichen menschen in solchem vnnd andern vil gewaltz.48 Das Streben des Künstlers nach Herrschaft über den Bildgegenstand ist so­ mit ein immer wiederkehrender Gedanke in Dürers Schrifttum. Dies korres­ pondiert mit einer ständischen Aufladung dieses Anliegens. Die Beherrschung seiner Kunst und der dargestelltcn „Dinge“, darunter der lantschaft, erhebt den Künstler weit über den „bäuerlichen“ Bereich und lässt ihn als unmittelbar von Gott begnadete Instanz erscheinen - ebenso, wie es ihm dieses Selbstbewusst­ sein ermöglicht, reichen Patriziern entgegenzutreten bzw. sich (quasi) adlig zu fühlen. Dürers Verwendung des Begriffes lantschaft passt sich diesem dominie­ renden emanzipatorischen Anliegen an, indem der Künstler - der für seine Kunsttheorie z.T. erst ein neues Begriffsinstrumentarium zu bilden hatte - auf den wesentlich durch den Herrschaftsdiskurs geprägten Terminus rekurrierte und ihn in diesem Sinne auf die Bildkunst übertrug. Nicht religiöse Empfin­ dung oder emotionale Begeisterung prägen Albrecht Dürers Begriffsverwen­ dung von lantschaft, sondern der Versuch, diese zu ermessen, zu beherrschen und damit für seinen neuartigen Anspruch als Bildkünstler zu instrumentali­ sieren.

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Rupprich: Bd. 3 (wie Anm. 11), S. 291. „Deshalb verleiht Gott dem kunstfertigen Menschen in solcher und anderer Hinsicht viel Macht.“

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DIE DRUCKERFAMILIE STUCHS Geschäfte und gesellschaftliche Stellung Von Hans-Otto Keunecke 1. Georg Stuchs 1.1. Anfänge und erste Ehe Die Buchproduktion der Druckerfamilie Stuchs ist gut dokumentiert und die von Georg, Johann und Nikolaus Stuchs hergestellten Stücke sind in den ent­ sprechenden Verzeichnissen problemlos aufzufinden.1 Was Georg Stuchs anbe­ trifft, der in Nürnberg von 1484 bis zu seinem Tod im Jahr 1520 nachgewiesen ist, so zählte bereits die Zusammenstellung seiner Drucke von Walter Baumann aus dem Jahr 1949 insgesamt 96 Inkunabeln auf,2 und der Gesamtkatalog der Wiegendrucke kennt mittlerweile 131 Stücke aus seiner Offizin bis zum Jahr 1500.3 Dazu kommen für die Zeit von 1501 bis 1517 weitere 34 Veröffentlichun­ gen.4 Die im gesamten Zeitraum wichtigste Gruppe darunter sind Bücher für den gottesdienstlichen Gebrauch. Etwa 80 solcher Titel kamen bei Stuchs heraus, darunter 45 Messbücher und Breviere.5 Auf dem Gebiet der Missalien nahm er eine führende Stellung ein, und er war neben Erhard Ratdolt in Augsburg6 der

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Für die Zeit bis 1499 ist das der „Gesamtkatalog der Wiegendrucke“ (fortan: GW). Von der Druckausgabe liegen bislang zwar nur elf Bände vor, das aktualisierte Manuskript des Gesamt­ werkes ist jedoch als Datenbank vorhanden und dort abrufbar unter: http://www.gesamtkatalogderwiegendrucke.de. Für das 16. Jahrhundert ziehe man heran das „Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts“ (fortan: VD16), das als separate Datenbank abrufbar ist unter: http://www.gateway-bayern.de. Die in den Quellen unterschiedlich überlieferten drei Vornamen wurden hier den beiden genannten Verzeichnissen entsprechend auf Georg, Johann und Nikolaus normiert. Walter Baumann: Die Druckerei Stuchs zu Nürnberg (1484-1537). in: Gutenbergjahrbuch 1954, S. 122-132. GW, Abruf vom 21.07.2015. VD16, Abruf vom 08.05.2015. Vgl. Ferdinand Geldner: Die deutschen Inkunabeldrucker, Bd. 1, Stuttgart 1968, S. 176-180. In diesem Standardwerk zu deutschen Inkunabeldruckern werden 25 aufgelistet, die andern 20 im 16. Jahrhundert; vgl. dazu das VD16. Geldner (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 150-157 und Bd. 2, S. 72-80; Hans-Jörg Künast: „Getruckt zu Ausgspurg“. Buchdruck und Buchhandel in Augsburg zwischen 1468 und 1555 (Studia Augustana 8), Tübingen 1997. Zugl. Diss. Augsburg 1993; Hans-Jörg Künast: Dokumentation: Augsburger Buchdrucker und Verleger, in: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. v. Helmut Gier u. Johannes Janota, Wiesbaden 1997, S. 1205-1340, hier S. 1212; Lexikon für das gesamte Buchwesen (fortan: LGB), Bd. 6, Stuttgart 2003, S. 181; Hans-Jörg Künast: Ratdolt, Erhard , in: Neue Deutsche Biographie 21 (2003), S. 168-169.

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wichtigste Drucker von Liturgica in Deutschland.7 Die Qualität dieser Pro­ dukte war berühmt, und sie fanden ihren Weg auch in weiter entfernte Diöze­ sen, bis nach Esztergom, Gnesen, Krakau und Frauenburg und bis nach Skara und Linköping in Schweden. Einige seiner Drucke sind nicht zuletzt wegen ihrer überragenden typographischen Qualität Gegenstand eingehender Unter­ suchungen geworden.8 Anfang des 16. Jahrhunderts dünnte er seine Produktion aus. Im Jahr 1508 stellte er noch sieben Titel her, aber in den folgenden neun Jahren kamen ledig­ lich zwölf Drucke heraus, der letzte im Jahr 1517. Zunächst entsprach das der allgemeinen Entwicklung auf dem Buchmarkt, der ab dem Beginn des 16. Jahr­ hundert nicht mehr so aufnahmefähig war wie vordem. Mehrere Kriege, der Schwabenkrieg, der bayerisch-pfälzische Erbfolgekrieg und der Krieg Maxi­ milians I. gegen Venedig, drückten auf den Handel ganz allgemein, und unab­ hängig davon war bei den wichtigsten Käufern für lateinische Werke, den geist­ lichen Korporationen, eine gewisse Marktsättigung eingetreten.9 Man wird hier aber auch einen Zusammenhang sehen können mit der Betriebsgründung durch seinen Sohn Johann, der seine Tätigkeit 1509 aufnahm und dem er wohl keine allzu große Konkurrenz machen wollte. Bei einem der Titel aus den letz­ ten Jahren seiner Tätigkeit gab es Schwierigkeiten. Das Breviarium Magdeburgense von 151410 war nicht termingerecht fertig geworden, und der Rat der Stadt Magdeburg hatte sich in Nürnberg beschwert. Bei einer Anhörung durch 7 Für Messbücher vgl. man William H. James Weale,: Catalogus Missalium, iterum cd. Hfanns] Bohatta. London 1928, nach dessen Nummerierung gängigerweise zitiert wird und die den jüngsten Forschungsstand repräsentierende Liste der von Stuchs hergestellten Missalien bei Walsh (wie Anm. 8), S. 217—219. 8 Max Geisberg: Das Mindener Missale von 1513, in: Westfalen. Mitteilungen des Landesmuse­ ums der Provinz Westfalen und des Vereins für Geschichte und Altertumskunde Westfalens 16 (1931), H. 2, S. 85-89; Hermann Strehler: Das Missale Pragense, in: Gutenbergjahrbuch 1966, S. 140-146; Katherine Walsh: Das Missale Pragense von 1508. Zum liturgischen Werk des Nürnberger Druckers Georg Stuchs (1484-1517). Mit einem Anhang von Eva Ramminger [Eine bibliographische und kunsthistorische Analyse, S. 221-230] , in: Innsbrucker historische Studien Bd. 22 (2000), S. 187-230; Martin Ramsauer: Das „Obsequiale Ratisponense“ von 1491. Ein früher Nürnberger Notendruck von Georg Stuchs. Dokumentation zur Restaurierung der Inkunabel 4° Inc.c.a.843 aus den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek. Abschlussarbeit des Studiengangs 1997/2000 , in: Habent sua fata libelli, hrsg. v. Helmut Bansa. München 2002, S. 82-102. 9 So klagte etwa Anton Koberger in Briefen an Johann Amerbach im März 1500: Es geht wahr­ lich allenthalben kümmerlich auf dem Lande, Bücher zu verkaufen und im Mai desselben Jah­ res: Es ist ein jämmerlich Ding geworden mit unserem Handel; ich kann kein Geld mehr aus Büchern lösen und geht allenthalben große Zehrung und Kosten darauf. Und im Frühjahr 1503 schrieb er an ihn: Man hat die Pfaffen so ganz ausgeleert mit den Büchern, so viel Geldes von ihnen gezogen, daß sie nicht mehr daran wollen. Zit. n. Oscar von Hase: Die Koberger. Wies­ baden 1885. Nachdruck Amsterdam 1967, S. 255 u. S. 263. 10 VD16B8168.

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den Nürnberger Rat erklärte Georg Stuchs, der Verzug sei wider seinen willen eingetreten, und die Nürnberger ließen es dabei bewenden und schrieben in diesem Sinne am vierten September 1514 nach Magdeburg." Das Buch wurde dann laut Schlussschrift am 21. Oktober fcrtiggestellt. So gut wir über die Buchproduktion von Georg Stuchs unterrichtet sind, so dürftig sind bislang unsere Kenntnisse über sein Leben und seine Geschäftstä­ tigkeit außerhalb des Buchgewerbes. Immerhin findet sich die - begründete Vermutung, Stuchs habe in Schneeberg im Erzgebirge Anteile am dortigen Bergbau besessen,12 und es wurde ein archivalischer Fund zum Jahr 1518 pub­ liziert, der eine Beteiligung von Georg Stuchs am Metallhandel sehr wahr­ scheinlich macht.13 Mehr aber ist dazu bislang nicht bekannt geworden. Georg Stuchs wurde im Jahr 1497, bei der Erhebung des Gemeinen Pfen­ nings, mit einem Vermögen von mindestens 1.000 fl. in Anschlag gebracht.14 Damit gehörte er zu der schmalen Schicht von 712 Nürnberger Bürgern, die als „die ganz Reichen“ bezeichnet werden.15 Dass die ältere Literatur diese Ab­ gabe von 1497 nicht als Quelle berücksichtigt hat, kann man ihr schwerlich vorwerfen;16 denn die Liste wurde erst 1993 publiziert und zudem hat die buchgeschichtliche Forschung ihr Augenmerk vor allem auf die Bücher und nicht so sehr auf deren Produzenten und auf deren wirtschaftliche Lage gerich­ tet. Daher bot die zunächst doch überraschende Mitteilung von 1497 über die Vermögenslage von Georg Stuchs Veranlassung, die Lebens- und Besitzver­ hältnisse seiner Familie näher zu untersuchen. Georg Stuchs stammte aus Sulzbach in der Oberpfalz, wie er in seinen Drucken immer wieder selber mitteilt. Dennoch hält sich in der Literatur bis in die jüngste Zeit hartnäckig die Meinung, er könne ein Sohn des Nürnberger Orgelmeisters Friedrich Stuchs gewesen sein.17 Diese Vermutung geht zurück 11 StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Briefbücher der Inneren Rates 72, fol. 246v-247r. 12 Theodor Gustav Werner: Die große Fusion der Zechen um den Rappolt in Schneeberg unter Führung der Nürnberger von 1514 (T. 1.), in: MVGN 56 (1969), S. 214-250, hier S. 227. 13 Theodor Gustav Werner.: Regesten und Urkunden über Beteiligungen von Nürnbergern an der Zeche Rappolt und an anderen Schneeberger Bergwerks- und Metallhandelsunternehmungen. T. 1, in: MVGN 59 (1972) S. 40-84, hier S. 64-65. 14 Peter Fleischmann: Das Reichssteuerregister von 1497 der Reichsstadt Nürnberg (und der Reichspflege Weissenburg). (Quellen und Forschungen zur fränkischen Familiengeschichte. 4). Nürnberg 1993, S. 288, Nr. *166. 15 Fleischmann: Reichssteuerregister (wie Anm. 14), S. XXXII. 16 Auch der Artikel im LGB, Bd. 7 von 2007, S. 286, kannte die in der Reichssteuerliste nach­ gewiesene Vermögenslage von Georg Stuchs nicht; denn für den Lexikon-Beitrag wurde die vorhandene Literatur zu Stuchs ausgewertet und es wurden - wie üblich - keine eigenen Quel­ lenrecherchen unternommen. 17 Walsh (wie Anm. 8), S. 196, deutet die Herkunftsangaben von Stuchs um. „Stuchs oder auch Stüchs (Stöchs), dessen Familie eigenen Angaben zufolge aus Sulzbach in der Oberpfalz stammte, dürfte ein Sohn des in Nürnberg als Orgelmeister wirkenden Friedrich Stuchs gewe-

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auf Oscar von Hase und seine Koberger-Monographie.18 Von dort gelangte sie in die Arbeiten von Baumann19 und von Benzing20. Da die beiden Aufsätze die einzigen Veröffentlichungen waren, die sich ausdrücklich mit der Druckerei Stuchs beschäftigten, wurden sie immer wieder herangezogen und zitiert. Dass Georg Stuchs nicht der Sohn des Nürnberger Orgelbauers gewesen sein kann, wird aber nicht nur durch die Selbstnennungen des Druckers belegt. Einen weiteren, gewichtigen Beweis bietet die Eintragung des Georg Stuchs in die Nürnberger Bürgerliste. Sie erfolgte zwischen dem 31. März und dem 5. Juni des Jahres 1484, und Georg Stuchs erwarb dabei das Nürnberger Bürgerrecht gegen Zahlung von zwei Gulden.21 Das bedeutet, dass er zugezogen ist; denn als Sohn eines Nürnberger Bürgers hätte er das Bürgerrecht qua Geburt erwor­ ben und hätte nur noch - bei Eintritt in die Volljährigkeit - den Bürgereid ablegen müssen.22 Folglich sind alle Spekulationen, Georg Stuchs sei eventuell ein Sohn des Nürnberger Orgelbauers Friedrich Stuchs, hinfällig. Damit ist Sulz­ bach als Herkunftsort, nicht aber als Geburtsort von Georg Stuchs zweifelsfrei belegt. Dass Stuchs auch in Sulzbach geboren wurde, ist zwar sehr wahrschein­ lich, aber nicht sicher. Daher sollte man Sulzbach nicht ohne eine entspre­ chende Einschränkung als Geburtsort nennen. Leider findet sich diese Angabe aber so - ohne einen relativierenden Zusatz - in neueren Nachschlagewerken.23 Wann Georg Stuchs nach Nürnberg übersiedelte, ist unbekannt; er hat sich aber schon einige Jahre vor dem Eintrag in die Neubürgerliste in Nürnberg aufgehalten und dort das Druckerhandwerk bei Anton Koberger gelernt, wie aus dem Kolophon einer 1488 gedruckten Inkunabel hervorgeht: Incola Nuremberge Antonius Koburger ut illam imprimeret Georgio Stuchs dedit

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sen sein.“ Christoph Reske: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 51), Wiesbaden 2007, S. 657. Hase (wie Anm. 9), Anhang: Briefbuch der Koberger, S. 145. Vgl. Anm. 2. Josef Benzing: Die Stuchs-Druckerei zu Nürnberg im Dienst der Reformation, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. Frankfurter Ausgabe 18 (1962), S. 592-595; u. in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 4 (1963), Sp. 1585-1592; danach hier zitiert. Albert Gümbel: Beiträge zur älteren Nürnberger Buchdruckergeschichte, in: MVGN 29 (1928), S. 299-334, hier S. 320 nach StAN, Rst. Nbg., Amts- und Standbücher 305, fol. 184v; vgl. auch Baumann: Druckerei Stuchs (wie Anm. 2), S. 122. Werner Schultheiß: Das Bürgerrecht der Königs- und Reichsstadt Nürnberg. Beiträge zur Verfassungsgeschichte der deutschen Städte , in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971, Bd. 2 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 36/11), Göttingen 1972, S. 159-194, hierS. 190-1919. So in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG), Bd. 12, München 1989, Sp. 221 u. bei Manfred H. Grieb (Hrsg.): Nürnberger Künstlerlexikon. Bildende Künstler, Kunsthandwer­ ker, Gelehrte, Sammler, Kulturschaffende und Mäzene vom 12. bis zur Mitte des 20. Jahrhun­ derts, Bd. 3, München 2007, S. 1516.

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etiam operam et dictum hunc Sultzbach docuit Nuremberga polite imprimat ut libros; nunc decus artibus.24 Seine Tätigkeit als selbständiger Typograph nimmt Georg Stuchs 1484, im Jahr seiner Einbürgerung, auf; da bringt er seinen ersten datierten und firmier­ ten Druck heraus, ein ,Missale Romanum',25 und für das Bistum Esztergom ein ,Breviarium Strigoniense‘,26 das den Namen von Georg Stuchs zwar nicht nennt, ihm aufgrund der verwendeten Typen aber sicher zugeschrieben werden kann. Dieses Buch stellte er nicht auf eigene Rechnung her, sondern für den in Buda ansässigen Verleger Theobald Feger.27 Für einen schmalen, acht Blatt umfassenden Druck ,Officium de passione Christi 2% der weder ein Datum noch eine Angabe zum Drucker aufweist, wird bislang „um 1483“ angegeben. Ob dieser Kleindruck wirklich schon vor 1484 erschienen ist, mag offen blei­ ben; vielleicht sollte man auch ihn auf 1484 datieren. Ab diesem Jahr jedenfalls entwickelte Stuchs sich zu einem der fruchtbarsten Drucker Nürnbergs. Ein Signet hat er in seinen Drucken, soweit feststellbar, nicht geführt. 1.2. Buchgeschäfte Der Ertrag aus seiner Druckproduktion dürfte spürbar über dem gelegen haben, was man zu jener Zeit aus der Herstellung und dem Verkauf von Büchern im Allgemeinen erlösen konnte. Denn die von ihm hauptsächlich ver­ fertigten Missalien und Breviere waren nur für einen genau definierten Ab­ nehmerkreis bestimmt, und ihrer Herstellung ging stets eine entsprechende Vereinbarung mit der jeweiligen Diözese bzw. dem sonstigen Auftraggeber voraus. Damit war der Verkauf der gesamten Auflage von vornherein gesichert, ging einigermaßen zügig vonstatten und der Drucker war in einem solchen Fall quasi Monopolist. Leider verfügen wir über keinerlei Zahlenmaterial, das diese allgemeinen Feststellungen bei Georg Stuchs in konkrete Unternehmensergeb­ nisse überführen könnte. Die wenigen mit Zahlen belegten Nachrichten über Geschäfte von Georg Stuchs, die dem Buchsektor zugehören, zeichnen kein eindeutiges Bild. 1503 schuldet Stuchs dem Erasmus Stör zwar 600 fl., kann aber sogleich Anton Koberger, Lienhard Praun und Hans Breuer als Bürgen dafür aufbieten.29 Man hört von der Sache dann nichts mehr und man möchte meinen, der Außenstand 24 Supplementum summae Pisanellae (GW M 26238). Der erste Hinweis auf diese Quelle bei Ernst Vouillerae: Die deutschen Drucker des 15. Jahrhunderts, Berlin 1922, S. 129. 25 GW M 23969. 26 GW 05469. 27 Zu Feger vgl. LGB, Bd. 2, Stuttgart 1989, S. 562. 28 GW M 27590. 29 StadtAN B 14/11 Nr. O, fol. 75r.

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sei bald beglichen worden. Wie die Forderung von Erasmus Stör entstanden ist, ließ sich nicht ermitteln. Denkbar wäre eine Papierlieferung; Erasmus Stör begegnet in Nürnberg als Papierverkäufer.30 Ausdrücklich für Papierheferungen werden mehrfach Zahlungen ange­ mahnt, wobei es aber in keinem Fall zu weiteren Zwangsmaßnahmen kommt und man annehmen darf, dass die fraglichen Summen jeweils auch von Stuchs gezahlt worden sind. 1506 bekennt Lorenz Franck, der geschworene Bote der Stadt Straßburg, dass ihm Georg Stuchs, Bürger zu Nürnberg, 32 fl. Restbetrag für Papier gezahlt hat, die er Jacob Pecherer zu Straßburg laut einem Schuld­ brief noch schuldig war. Dazu 4 fl. für die gerichtlich festgestellten Kosten.31 Aus Straßburg wurde mehrfach Papier bezogen. 1518 klagt Hieronymus (Jere­ mias) Hirschkorn im Auftrag der Straßburger Papierhändlerfamilie Brechter32 gegen Jorg Stuchs und Hieronymus Höltzel: Jeremias Hirßkorn, der Prechtin diener von Straßburg, [...] Auff sein ansuchen Jorg Stuchssen und leronimus Höltzel beschicken und vernemen ob sy der angegeben schuld gestendig seyn oder nicht,33 Georg Stuchs bekennt, eine Summe von 267 fl. 10 Schilling für Papier schuldig zu sein.34 Der Betrag wurde offensichtlich bald gezahlt, wir hören von dem Vorgang nichts mehr. 1516 schuldet Georg Stuchs der Ehefrau von Christoph Grunhofer 215 fl. für Papier;35 1518 verpfändet er wegen einer Forderung von Christoph Grun­ hofer in Höhe von 107 fl. diesem fünf pergamentene Messbücher und 60 Ries Medianpapier.36 Es könnte sich bei der Verpfändung gut um eine Teilsumme des Gesamtvorganges handeln. Auch hier gibt es weiter keine Nachrichten, und man darf eine Regulierung der Forderung annehmen. Am 18. Juni 1485 bekennt Georg Stuchs, Martin Radeck 52 fl. schuldig zu sein.37 Über Radeck ließen sich in den Nürnberger Quellen bislang keine Nachrichten aufspüren; vielleicht handelt es sich um einen auswärtigen Ge­ schäftspartner. Weitere Mitteilungen zu diesem Vorgang fehlen. Ob es sich dabei tatsächlich um Bücher, Papier oder ähnliches gehandelt hat, muss einst30 Vgl. Grieb (wie Anm. 23), Bd.l, S. 164, wonach der Kartenmaler Hans Brand, Erasmus Stör 25 fl. für Papier schuldet. 31 StadtAN B 14/11 Nr. T, fol. llv. 32 Friedrich Brechter ist in Nürnberg vor allem als Lieferant von Anton Koberger bekannt; mit ihm stand er 25 Jahre lang in Geschäftsbeziehungen. Vgl. Hase (wie Anm. 9), S. 67-69. Im vor­ liegenden Fall hat offensichtlich die Ehefrau (Prechtin) den Vorgang mit Georg Stuchs abge­ wickelt. 33 StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Verlässe des Inneren Rates (fortan: RV) 630, fol. 17v zum 9. Dezember 1518. 34 StadtAN B 14/11 11, fol. 4r zum 10. Dezember 1518. 35 StAN, Rst. Nbg., RV 604, fol. 25v. 36 StadtANB 14/11 Nr. 10, fol. 107r.; vgl. auch Grieb (wie Anm. 23), Bd. 3, S. 1516. 37 StadtAN B 14/11 Nr. D, fol. 93v.

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weilen eine offene Frage bleiben. Ähnliches gilt für die 200 fl., die Stuchs 1493 gemeinsam mit seiner Frau Christina dem Hans Eysenhut schuldet.38 Zwar handelt es sich bei Hans Eysenhut wahrscheinlich um einen Buchhändler, anderseits wird der Empfang der Summe bald darauf von seiner Ehefrau Margarethe und deren Bruder Kuntz Lindner bestätigt,39 und von letzterem ist bekannt, dass er zumindest 147840 und 147941 Anteile am Schneeberger Erz­ bergbau besaß. Man könnte hier also mit aller Vorsicht auch eine Verbindung zwischen der Zahlung von 200 fl. und dem Montanwesen vermuten. 1.3. Montangeschäfte Dass sich die unternehmerische Tätigkeit von Georg Stuchs auch auf Bergbau und Metallhandel erstreckt hat, ist aufgrund der Tatsache vermutet worden, dass Stuchs wegen der Pestepidemie des Jahrs 1505 seinen Betrieb ausgerechnet in die Bergbaustadt Schneeberg im Erzgebirge verlegte, wo er 1506 ein ,Missale Caminense' und ein ,Missale Havelbergense‘ druckte.42 Am 15. Mai dieses Jah­ res hatte er in der Reichsstadt ein ,Missale Salzburgense‘ fertiggestellt.43 Da die Seuche zu diesem Zeitpunkt bereits ausgebrochen war,44 ist es wahrscheinlich, dass Stuchs die Stadt sehr bald nach Mitte Mai 1505 verlassen hat. Dem steht nicht entgegen, dass es noch einen zweiten Druck aus diesem Jahr gibt. Dieser, ein Prognosticon des Georg Tanstetter ohne genauere Datierung,45 kann gut schon vor dem 15. Mai produziert worden sein. Angesichts des geringen Um­ fangs von acht Blatt kann dieses Stück leicht neben den Arbeiten am voluminö­ sen Missale gedruckt worden sein, ohne die Fertigstellung des Messbuches zu verzögern. Es ist jedenfalls auszuschließen, dass Stuchs, der nach seinem

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StadtAN B 14/11 Nr. H, fol. 4v zum 26. August 1493. StadtAN B 14/11 Nr. H, fol. 4v zum 2. Oktober 1493. Werner: Fusion 1 (wie Anm. 12), S. 223. Werner: Regesten 1 (wie Anm. 13), S. 54. Werner, Fusion 1 (wie Anm. 12), S. 224 u. 227 unter Berufung auf Wagner (wie Anm. 103), S. 112, der die Flucht nach Schneeberg berichtet, ohne aber Vermutungen daran anzuknüpfen, was Stuchs' Beteiligung am dortigen Bergbau angeht. Die beiden Messbücher VD16 M 5567 (für Cammin) und VD16 M 5579 (für Flavelberg) tragen bemerkenswerterweise beide dasselbe Datum für die Fertigstellung: den 28. April 1506. 43 VD16M 5620. 44 Johannes Müllner: Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623. Teil III: 1470-1544. Unter Mitwirkung v. Walter Gebhardt bearb. v. Michael Diefenbacher (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 32), Nürnberg 2003, S. 380. Danach sind wegen der Epidemie die Fastnachtsveranstaltungen Metzgertanz und Schembartlauf ausgefallen, woraus sich eine frühe Datierung für den Ausbruch der Seuche ergibt. 45 VD16 T 173. Die sonst bei Baumann: Druckerei Stuchs (wie Anm. 2) genannten, auf 1505/06 datierten Stücke werden vom VD16 in das Jahr 1506 gelegt.

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Selbstzeugnis vor der Pest geflohen ist,46 nach Ausbruch der Epidemie noch länger in Nürnberg blieb, nur um etwa den genannten Kleindruck herauszu­ bringen. Die Annahme einer Stuchs’schen Beteiligung am Schneeberger Bergwesen wird durch eine der Forschung bislang nicht bekannte Urkunde vom 20. Juni 1499 unzweifelhaft belegt.47 Darin bekennt Georg Stuchs, Buchdrucker, dass er Agnes Gerung, der Witwe des Fritz Gerung,48 970 fl. schuldet. Sollte die Be­ zahlung nicht zum gesetzten Termin erfolgen, weder nach Bergwerksrecht noch nach sonstigem Recht, so verfallen der Gläubigerin die aufgezählten Bergwerksanteile des Schuldners in Schneeberg, nämlich vier Kuxen im Rap­ polt, vier im Heiligen Kreuz, sechs im Greifen, sechs in der Priesterzeche, sechs im neuen [? Fesung sehr unsicher] Nechstmassung, vier im nächsten obersten Maß in der Priesterzeche und eine Kuxe in des Klugen Fehen auf dem Geyer. Stuchs besaß also Anteile am Schneeberger Erzbergbau in erheblichem Um­ fang. Wie viel diese genau wert waren, lässt sich nicht ermitteln; die reine An­ zahl sagt noch nicht viel aus, weil die Kuxen je nach Ausbeutesituation des betreffenden Stollens höchst unterschiedliche Werte repräsentierten. Da die Gläubigerin aber die aufgezählten Stücke als Sicherheit für ihre Forderung akzeptierte, wird man den Geldeswert auf etwa 1.000 fl. schätzen wollen. Da­ bei sei angemerkt, dass diese materielle Bewertung nur für den Zeitpunkt gel­ ten kann, zu dem die Kuxen als Sicherheiten verpfändet wurden. Ihr Wert konnte sich im Faufe der folgenden Jahre bei überraschenden Erzfunden nach oben, aber auch nach unten ändern, wenn bei längerfristiger Erfolglosigkeit der Prospektion oder beim Eintreten unglücklicher Umstände, wie etwa bei einem Wassereinbruch, viel Geld nachgeschossen werden musste. In späteren Jahren finden sich noch dreimal Hinweise auf Geschäfte zwi­ schen Stuchs und der Familie Gerung. Es geht dabei um Zahlungsverpflichtun­ gen von Georg Stuchs gegenüber Lienhard Gerung und seinen Brüdern, sowie gegenüber der alten Gerungin und ihren Erben. 1512 sagt Georg Stuchs zu, Lienhard Gerung und seinen Brüdern 67 fl. 18 Schilling Darlehen an Neu-

46 Im Messbuch für Cammin (VD16 M 5567) heißt es: Missale [... ] correctum et emendatum in officina providi viri Georgii Stuchs ex Sultzpach: civis Nurnbergensis horrenda in calamitate et infectione pestilentica: una cum familia sua exul in loco sollte sue residentie famoso in monte nivis Impressum sortitum est finem felicem. Zit. n. Raphael Molitor, Deutsche Choral-Wiegendrucke, Regensburg 1904, S. 57. 47 Stadt AN B 14/1 Nr. 16, fol. 5v. 48 Friedrich Gerung war am 16. Februar 1495 verstorben und muss jemand von einiger Bedeutung gewesen sein; denn er wurde im Kreuzgang des Dominikanerklosters beigesetzt, in dessen Kirche man ein Epitaph für ihn errichtete. Vgl. Thomas Kliemann: Plastische Andachtsepita­ phien in Nürnberg 1450-1520, in: MVGN 76 (1989), S. 175-239, hier S. 221-222

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jahr zurückzuzahlen,49 und 1514 wird noch eine Restschuld von 30 fl. festge­ stellt.50 1516 und 1517 bekennt Georg Stuchs, den Erben der alten Gerungin noch 120 fl. schuldig zu sein.51 Nach heutigem Kenntnisstand muss das Verwandtschaftsverhältnis der ge­ nannten Mitglieder der Familie Gerung zu den 1499 erwähnten Friedrich und Agnes Gerung unklar bleiben. Vielleicht kann man die letztere mit der alten Gerungin gleichsetzen, und unter Umständen kann man Fienhard Gerung und seine Brüder in Beziehung bringen zu den in der Fiteratur bekannten Schlos­ sermeistern aus dieser Familie, zu denen auch ein Fienhard Gerung gehörte.52 In jedem Fall aber wird man die Nachrichten von 1512 bis 1517 über die wirtschaftlichen Beziehungen Stuchs-Gerung nicht dem Buch-, sondern dem Metallwesen zuordnen. Stuchs hat sich auch ausweislich anderer Quellen in diesem Bereich betätigt. Heinrich Rot klagte 1504 gegen Georg Stuchs wegen ausstehender 174 fl. ge­ mäß einem Schuldbrief, und Stuchs will darlegen, dass er die Summe bereits an den Sohn des Klägers ausgezahlt hat.53 Hier kann es sich nur um Heinrich Rot, gen. von Köln, handeln, einen Montanunternehmer, der u. a. mit Zinkerz han­ delte. In der Reichssteuerliste von 1497 steht er mit einem Vermögen von min­ destens 1.000 fl. zu Buche,54 und von 1499 bis zu seinem Tod im Juli/August 1504 war er Genannter des Größeren Rates.55 1515 machte Stuchs in Feipzig eine Wechselforderung geltend, wonach Ulrich Meyer und Hans Feimpach ihm noch 632 fl. in Gold schuldeten, von denen 200 fl. zum letzten Nürnberger Heiltumsfest und der Rest zum Micha­ eliseinkaufen zu Nürnberg fällig waren.56 Da Stuchs in der Fiteratur - mit der erwähnten einzigen Ausnahme - nur als Drucker wahrgenommen wurde, war es naheliegend, seine Zahlungsaufforderung an Feipziger Geschäftspartner mit

49 50 31 32 53 54 55

StadtAN B 14/11 Nr. 1, fol. 43v. StadtAN B 14/11 Nr. 5, fol. 35v. StadtAN B 14/11 Nr. 8, fol. 68v u. ebd., fol. 171 r. Grieb (wie Anm. 23), Bd. 1, S. 466. StadtAN B 14/11 Nr. P, fol. 177r. Fleischmann: Reichssteuerregister (wie Anm. 14), S. 300, Nr. *662. Johann Ferdinand Roth: Verzeichniß aller Genannten des Großem Raths. Nürnberg 1802. Nachdruck, hrsg. u. kommentiert von Peter Fleischmann, Neustadt a. d. Aisch 2002, S. 50 mit dem Todesjahr 1512. Diese Angabe wird man korrigieren wollen nach Flelene Burger: Nürn­ berger Totengeläutbücher, Bd. 1: St. Sebald 1439-1517 (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken 2), Neustadt/Aisch 1961, S. 161, Nr. 5140: Heim. Roth gnt. v. Kölla. Für ihn wurde zwischen dem 29. Mai und dem 18. September geläutet; in der Liste steht er etwa in der Mitte, so dass man als Sterbemonat Juli/August angeben kann. 56 Hase (wie Anm. 9), S. 311 unter Berufung auf: St AN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Ratsbücher 6, fol. 95-96.

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der dortigen Buchmesse in Zusammenhang zu bringen.57 Die beiden Zahlungs­ pflichtigen sind im Buchwesen jener Zeit bislang nicht weiter aufgetreten, sie waren jedoch im Montangewerbe tätig; beide hielten Kuxen an der Schneeber­ ger Zeche Rappolt,58 so dass die Forderung, die Stuchs hier geltend macht, nicht auf den Kauf und Verkauf von Büchern zurückgeführt werden sollte, sondern besser einem Geschäftsvorgang aus dem Montan- bzw. Metallbereich zugeordnet wird. 1518 forderten die Leipziger Bürger Wolf Leimpach, sicher ein Verwandter des eben Genannten, und Anna Meyer, vielleicht die Frau oder die Tochter des erwähnten Ulrich Meyer, ihrerseits Geld von Georg Stuchs und Lienhard Praun. Der Nürnberger Rat schreibt am 31. Dezember nach Leipzig und kün­ digt an, dass Lienhard Praun und Georg Stuchs sich dort zum kommenden Neujahrsmarkt einfinden werden.59 Um wie viel Geld es dabei ging, ist nicht bekannt und wird auch Ende 1520, also nach dem Tod von Georg Stuchs, nicht klar, als sich der Rat noch einmal mit dieser Angelegenheit befassen musste.60 Auch hier handelte es sich um einen Vorgang aus dem Bereich von Metallpro­ duktion und -handel. Nicht nur die Namen der beiden Leipziger Geschäfts­ partner sprechen dafür, sondern auch die Beteiligung von Lienhard Praun. Er war einer der wichtigsten unter den Nürnberger Anteilseignern der Zeche Rappolt in Schneeberg, an der er fünf Kuxen hielt.61 Stuchs war Lienhard Praun schon länger, mindestens seit 1503 enger ver­ bunden, wie sich daran zeigt, das Praun in diesem Jahr für 200 fl. als Bürge einsteht, die Stuchs an Erasmus Stör zu zahlen hatte.62 Neben Lienhard Praun erklärte sich dabei auch Hans Breuer bereit, für weitere 200 fl. zu haften. Breuer wiederum ist 1515 und 1517 als Inhaber einer Kuxe in Schneeberg nachgewiesen,63 und so bietet die Bürgschaftsangelegenheit von 1503 ebenfalls 37 Hase (wie Anm. 9), S. 311. 58 Zu Hans von Leimbach aus Leipzig, Kaufmann und Anteilseigner an der Zeche Rappolt, s. Werner: Fusion 1 (wie Anm. 12), S. 218. Zu Ulrich Meyer aus Leipzig, der seine Kuxe an der Zeche Rappolt zwischen 1515 und 1517 verkauft, s. Theodor Werner: Die große Fusion der Zechen um den Rappolt in Schneeberg unter Führung der Nürnberger von 1514 (T. 2.), in: MVGN 57 (1970), S. 150-175, hier S. 156. 59 StAN, Rst. Nbg., RV 631, fol. lOr u. Rst. Nbg., Ratskanzlei, Briefbücher des Inneren Rates 79, fol. 71 r. Vgl. auch Werner: Regesten l(wie Anm. 13), S. 64-65. 60 StAN, Rst. Nbg., RV 657, fol. 8v u. fol. 9r; StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Briefbücher 82, fol. llv. 61 Werner: Fusion 2 (wie Anm. 58) S. 171; Theodor Gustav Werner: Regesten und Urkunden über Beteiligungen von Nürnbergern an der Zeche Rappolt und an anderen Schneeberger Berg­ werks- und Metallhandelsunternehmungen. T. 2, in: MVGN 60 (1972) S. 153-194, hier S. 161. Lienhard Praun gehört höchstwahrscheinlich nicht zu der später ins Patriziat aufgestiegenen Kaufmannsfamilie Praun. Vgl. MVGN 70 (1983), S. 136, Anm. 47. 62 Vgl. oben bei Anm. 29. 63 Werner: Regesten 2 (wie Anm. 61), S. 157 und 159.

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einen weiteren Beleg für die aktive Rolle, die Stuchs im Montangeschäft spielte. Dafür gibt es einen weiteren Nachweis noch aus dem Todesjahr von Georg Stuchs. Am 5. März 1520 wird ein Vertrag über das Erbe von Franz und Lud­ wig Herdegen geschlossen.64 Gertraut, die Witwe des Ludwig Herdegen, erhält unter anderem Erträge aus Gütern, die ihr Mann in Schneeberg besessen hatte, und für die ordnungsgemäße Abwicklung sollen Martin Richter und Jorg Stuchs auff dem Schneeberg sorgen. Man wird also davon ausgehen müssen, dass Georg Stuchs die Montangeschäfte noch bis zu seinem Tod fortge­ führt hat. Dem entspricht, dass er, wie eingangs dargelegt, seine Tätigkeit als Drucker spätestens ab 1508 drastisch eingeschränkt hat. Weitere Nachrichten über die Minen- und Metallaktivitäten von Georg Stuchs, insbesondere Zahlenangaben zu Gewinnen und Verlusten, fehlen. Man kann soviel festhalten, dass Stuchs neben seinen Buchunternehmungen in be­ trächtlichem Umfang Geschäfte auch auf anderen Gebieten tätigte. Er hielt Anteile an Minen im Erzgebirge und er handelte mit entsprechenden Produk­ ten. 1.4. Die zweite Ehe Man wird nicht fehlgehen, wenn man die Montan- und Metallgeschäfte von Georg Stuchs als wahrscheinliche Erklärung dafür heranzieht, dass die zweite Ehefrau von Stuchs einer Nürnberger Familie entstammte, die im Metall­ gewerbe tätig war. Magdalena Eschenloher (f 1547)65 war die Tochter von Christoph (1455-1506)66 und Margarethe Eschenloher (1458-1503).67 Sie wird am 21. August 1507 bei der Beurkundung einer Erbschaftsregulierung erstmals als mit Georg Stuchs verheiratet genannt.68 Das genaue Datum der Eheschlie64 StadtAN B 14/11 Nr. 11, fol. 159v-160v. 65 Helene Burger: Nürnberger Totengeläutbücher, Bd. 3: St. Sebald 1517-1572 (Freie Schriften­ folge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken 19), Neustadt/Aisch 1972, S. S. 140, Nr. 3648: Magdalena Jorg Stuxin, wittfraw am Obstmarkt. Ihr Totengeläut erklang zwischen dem 21. September und dem 14. Dezember. Da ihr Eintrag der zweite von insgesamt 27 ist, wird der Zeitpunkt ihres Ablebens kurz nach dem 21. September anzusetzen sein. 66 Christoph wird 1470 von seiner Mutter als fünfzehnjährig bezeichnet. Vgl. Richard Klier: Zur Genealogie der Bergunternehmerfamilie Schütz in Nürnberg und Mitteldeutschland im 15. und 16. Jahrhundert, in: MVGN 55 (1967-68), S. 185-213, hier S. 192. Das Totengeläut bei St. Lorenz erklang für ihn am 19. Mai 1506; vgl. Helene Burger: Nürnberger Totengeläutbücher, Bd. 2: St. Lorenz 1454-1517 (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken 16), Neustadt/Aisch 1967, S. 207, Nr. 4258. Die entsprechende Angabe für St. Sebald ist nicht so genau: zwischen dem 4. März und dem 3. Juni 1506; vgl. Burger: Totengeläutbücher 1 (wie Anm. 55), S. 170, Nr. 5466. 67 Konrad Herdegen: Denkwürdigkeiten des Konrad Herdegen. 1409-1479. Hrsg. v. Theodor von Kern. Erlangen 1874, S. 56-58. Für Margarethe Eschenloher wurde am 3. Oktober 1503 an St. Lorenz geläutet; vgl. Burger: Totengeläutbücher 2 (wie Anm. 66), S. 191, Nr. 3861. 68 StadtAN B 14/11 Nr. T, fol. 129v.

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ßung ist nicht bekannt, wohl aber die Namen von drei wichtigen damals anwe­ senden Gästen: Anton Koberger, Elisabeth Herdegen und Hans Schütz.69 Da letzterer im September 1506 verschied,70 muss die Ehe vorher geschlossen worden sein. Dazu passt gut die Mitteilung über die Lebensverhältnisse von Georg Stuchs, der 1506 im Kolophon des in Schneeberg in Sachsen für Cammin gedruckten Missale mitteilt, dass er una cum familia sua vor der Pest dort­ hin geflohen war.71 Wenn man familia nicht nur auf seine Hausgemeinschaft im weiteren Sinne oder auf seine Kinder aus erster Ehe beziehen will - was mög­ lich wäre -, dann wird man wohl annehmen dürfen, dass Stuchs damals ge­ meinsam mit Ehefrau und Kindern in Schneeberg lebte. Die Ehe mit Magda­ lena Eschenlohcr wurde also zwischen 1497, dem Todesjahr seiner ersten Frau Christina, und 1505/06 geschlossen. Wenn man annimmt, dass Stuchs kaum vor 1484, dem Jahr seiner Bürgeraufnahme und beruflichen Selbständigkeit, geheiratet haben wird, dann ist das älteste seiner Kinder aus erster Ehe, sein Sohn Johann, im Jahr 1497 höchstens 13 Jahre alt gewesen, die anderen waren entsprechend noch jünger. Stuchs hatte demnach beim Ableben seiner Ehefrau vier kleine Kinder zu betreuen, und von daher ist eine Wiederverheiratung sehr bald nach 1497 wahrscheinlich. Über Magdalena Eschenloher trat Georg Stuchs in verwandtschaftliche Beziehungen zu zwei wirtschaftlich führenden Nürnberger Familien. Sein Schwiegervater Christoph Eschenloher war der Sohn Konrad Eschenlohers d. Längeren, der zu seiner Zeit einer der reichsten Nürnberger Bürger war, und seine Schwiegermutter entstammte der bedeutenden und wohlhabenden Fami­ lie Herdegen, über die uns ein Mitglied der Familie und Zeitgenosse des 15. Jahrhunderts unterrichtet.72 Konrad Eschenloher d. Längere war im Metallgewerbe tätig, hatte damit großen Erfolg, wurde 1453 Genannter des Größeren Rates und starb 1466.73 Über seine finanzielle Lage geben Aufstellungen aus den Jahren 1443 und 1447

69 StadtAN B 14/1 Nr. 27, fol. 155v-156v. 70 Burger: Totengeläutbücher 1 (wie Anm. 55), S. 171, Nr. 5492. Danach wurde für ihn geläutet zwischen dem 16.9. u. 16.12. 1506; jedoch steht er in dieser Liste an erster Stelle; Burger: Toten­ geläutbücher 2 (wie Anm. 66), S. 208, Nr. 4286. Danach wurde für ihn geläutet am „Samstag [vor] Mathey“ [= 19. September]. 71 VD16 M 5567; vgl. weiter oben Anm. 46. 72 Herdegen (wie Anm. 67). Zur Vita des Autors (ST406 f nach 1473) vgl. man die Einleitung S. 2-3: in das Nürnberger Egidienkloster eingetreten 1421, zum Priester geweiht 1430. 73 Klier (wie Anm. 66), S. 191-192. Klier werden wichtige Nachrichten zur Familie Eschenloher verdankt, die auch den hier folgenden Darlegungen zur Ehepolitik zugrunde liegen. Er konnte aber bei der Veröffentlichung seiner Untersuchungen die in der nächsten Fußnote genannte Arbeit von Stromer und damit den beachtlichen Reichtum von Konrad d. Längeren noch nicht kennen und bezeichnet ihn daher etwas irreführend als „Blechschmied“ (S. 190).

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Aufschluss.74 Danach wurden die Nürnberger Bürger je nach der Höhe ihres Vermögens zur Einlagerung von Salzscheiben veranlagt. Diese Listen unter­ richten als amtliche Quelle zuverlässig über die Eingruppierung der wohlha­ benden Nürnberger Bürger in verschiedene Vermögensklassen und zeichnen so ein deutliches Bild von den wirtschaftlichen Verhältnissen der führenden Familien. Konrad Eschenloher d. L. gehörte nach dieser Quelle 1443 und 1447 zu den 95 bzw. 90 reichsten Nürnbergern. Der Wohlstand der Eschenlohcr prägte auch die Ehepolitik der Familie. Alle Töchter von Konrad d. Längeren heirateten sehr gut gestellte Männer, worauf vor allem Konrads dritte und letzte Frau Barbara (fl498)75 sorgfältig achtete. Sie war nach dem Tod ihres Mannes als Witwe verantwortlich für die Auswahl der Lebenspartner ihrer Kinder.76 Magdalena Eschenloher verband sich mit Peter Pez (Petz), Teilhaber der Handelsgesellschaft von Hans und Hieronymus Praun. Nach seinem Ableben int Jahr 1481 schloss sie eine zweite Ehe mit Hans Amelreich, einem erfolgrei­ chen Metallkaufmann. Er besaß u. a. in Nürnberg ein Drittel an einem Mes­ singhammer und der dazugehörigen Drahtziehmühle77 und eine Kuxe in Schneeberg im Erzgebirge78, die auf seine Witwe überging.79 Das Reichssteuer­ register von 1497 führt ihn in der Gruppe der besonders Wohlhabenden mit einem Vermögen von über 1.000 fl.80 Christina (fl487) ehelichte Hans Fugger vom Reh aus einer Seitenline der Augsburger Fugger zur Lilie, der 1474 das Nürnberger Bürgerrecht erworben hatte. Sein Besitz wurde im Jahr 1500 auf 3.000 fl. geschätzt. Anna heiratete 1482 den Handelsherrn Hans II. Fürleger (1452-1523) aus der bekannten Kaufmannsfamilie.81 Auch er wird in der Reichssteuerliste von 1497 bei der Spitzengruppe eingeordnet.82 Dorothea (f 1508)83 nahm den Kaufmann Kaspar Kefer zum Mann, der 1487 Nürnberger Bürger geworden war. Er muss bald nach der Eheschließung gestorben sein; 74 Wolfgang von Stromer: Reichtum und Ratswürde. Die wirtschaftliche Führungsschicht der Reichsstadt Nürnberg 1348-1648, in: Führungskräfte der Wirtschaft in Mittelalter und Neuzeit 1350-1850. T. 1. Büdinger Vorträge 1968-1969 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 6), Limburg/Lahn 1973, S. 1-50, hier S 32-33. 75 Burger: Totengeläutbücher 1 (wie Anm. 55), S. 142, Nr. 4509. 76 Die folgenden Angaben zu den Ehen der Eschenloher Kinder - sofern nichts anderes angege­ ben - nach Klier (wie Anm. 66), S. 193. 77 Christa Schaper: Die Beheim, eine Geschütz- und Glockengießerfamilie in Nürnberg (13501600), in: MVGN 51 (1962), S. 160-213, hier S. 167-169. 78 Werner: Fusion 2 (wie Anm. 58), S. 171. 79 Werner: Regesten 2 (wie Anm. 61), S. 161. 80 Fleischmann: Reichssteuerregister (wie Anm. 14), S. 295, Nr. '‘464. 81 Christa Schaper: Die Fürleger von Nürnberg und ihre Niederlassung in Verona im 16./17. Jahrhundert, in: MVGN 73 (1986), S. 1-44, hier S. 10-14. 82 Fleischmann: Reichssteuerregister (wie Anm. 14), S. 299, Nr. '“‘609. 83 Burger: Totengeläutbücher 1 (wie Anm. 55), S. S. 177, Nr. 5676: Doroth. Casp. Keferin.

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denn 1497 steht seine Witwe mit einem Vermögen von über 1.000 fl. in der Reichssteuerliste.84 Ursula fand in ihrem Ehemann Hans Schütz den reichsten unter allen Männern der Eschenloher Töchter. Sein Besitz wurde im Jahr 1500 auf 100.000 fl. geschätzt.85 Christoph, der einzige Sohn von Konrad Eschenloher d. Längeren, schließ­ lich heiratete Margarethe Herdegen. Sie wurde 1458 geboren als Tochter des Friedrich Herdegen (1426-1505) und dessen erster Ehefrau Margarethe Praun. Nach deren Tod im Jahr 1462 heiratete er 1463 Elisabeth, Tochter von Konrad Glockengießer.86 Beide Ehefrauen entstammten sehr wohlhabenden Familien. Die Töchter von Friedrich Herdegen wurden mit vermögenden Männern ver­ heiratet. Margarethe - wie erwähnt - mit Christoph Eschenloher, Magdalena 1481 mit Johann Erckel, der einer Bergunternehmer- und Handelsfamilie zugehörte,87 und nach dessen Tod 1485 mit Georg von Thiel, dessen Familie, später geführt als Thill, gen. Hack von Su(h)l, ab 1481m Heiratsbeziehungen zur reichsstädtischen Führungsschicht eintrat, allerdings erst 1729 ins Patriziat aufgenommen wurde; das Geschlecht starb 1771 aus.88 Ursula schließlich ehe­ lichte 1487 mit Georg Schlüsselfelder ein Mitglied des Patriziats.89 Über die Ehen der Geschwister von Magdalena Eschenloher, die bis auf Barbara Eschenloher bis zum Jahr 1507 unverheiratet waren,90 wissen wir nichts. Barbara hatte ebenfalls einen Mann aus einer begüterten Familie geehelicht. Sie verband sich mit Dr. Jobst Ruchamer (Rügamer), der seit 1498 als einer der sechs geschworenen Arzte im Dienst der Stadt Nürnberg stand. Er war der Sohn des Färbermeisters Jobst Ruchamer, der 1497 in der Reichssteuer­ liste als Gassenhauptmann und mit einem Besitz von mindestens 1.000 fl. auf84 Fleischmann: Reichssteuerregister (wie Anm. 14), S. 285, Nr. *61: Caspar Kefferin. 85 Helmut Frhr. Haller v. Hallerstein: Größe und Quellen des Vermögens von hundert Nürnber­ ger Bürgern um 1500 , in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs 1 (Beiträge zur Ge­ schichte und Kultur der Stadt Nürnberg 11/1), S. 117-176, hier S. 120. 86 Herdegen (wie Anm. 72), S. 56-58. Vgl. auch das Testament des Konrad Glockengießer vom 30.12.1485 (StadtAN A 1 Nr. 1485-12-30), in dem er u. a seine Tochter Elisabeth, Ehefrau von Friedrich Herdegen, aufführt. 87 Sie ist über die Registerbände zu den MVGN vielfach fassbar in Arbeiten zur Nürnberger Montan- und Handelsgeschichte. Vgl. z. B. Theodor Gustav Werner: Die große Fusion der Zechen um den Rappolt in Schneeberg unter Führung der Nürnberger von 1514 (T. 3.), in: MVGN 58 (1971), S. 214-250, hier S. 103. Danach besaß ein Ulrich Erkel gemeinsam mit Georg Holzschuher einen Anteil an der Grube Rappolt, der auf 10.000 fl. geschätzt wurde. 88 Peter Fleischmann: Rat und Patriziat in Nürnberg. Die Herrschaft der Ratsgeschlechter vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. 3 Bde. (NF 31), Nürnberg [2008]. Zugl. Habil. Sehr. Augsburg 2007, hier Bd. 2, S. 1179-1180. 89 Johann Gottfried Biedermann: Geschlechtsregister des hochadelichen Patriciats zu Nürnberg, Bayreuth 1748. Repr. Neustadt a. d. Aisch 1982, Taf. DCXX: Georg Schlüsselfelder starb 1495, die Ehe mit Ursula Herdegen wurde am 14. Januar 1487 geschlossen. 90 Vgl. weiter unten bei Anm. 97.

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Die Verwandtschaftsbeziehungen der Familie Stuchs

Friedrich Herdegen oo (1) Margaretha Praun (t 1462) (1426-1505) oo (2) 1463 Elisabeth Glockengießer, I T. v. Konrad Glockengießer

Konrad Eschenloher d. Längere oo (3) Barbara N.N. (t1466) (t1498)

oo(l)Peter Pez (t 1481) oo(2)Hans Amelreich

Christina Anna (t1487) oo Hans Fugger ool482 Hans II. vom Reh Fürleger (1452 -1523)

Georg Stuchs (t 1520) I oo (1) Christina N.N. oo (2) Magdalena (t 1547)

Dr. jur. Hieronymus Schütz (t1552)

1

(1) Johann oo Anna Reuter (t 1556)

Hans d. J

K> Ln)

Dorothea (fl 508) ooKaspar Kefer (tvor 1497)

1

1

Margarethe Reuter Hans Reuter (|1544) oo vor 1525 Hans Schober (tvor 1529)

Nikolaus oo 1532 Sybilla Voit

Ursula

Christoph oo Margarethe (1455-1506) (1458-1503)

Magdalena

oo 1481 (1 )Johann Erckel oo 1485(2)Georg v. Thiel (Thill, gen. Hack von Suhl)

oo Hans Schütz (tl506)

Barbara Christoph oo Dr. med. [d. J.] Jobst Ruchamer

Margarethe

(1) Lorenz (1) Margarethe oo Ursula oo Georg Gleich vwe. Hungersperger in Amberg

Margarethe oo Hans Peck in Goldkronach

Ursula oo 1487 Georg Schlüsselfelder

Felicitas

Susanne

Katharina Ursula Nonne in Posen

(1) Christina oo Hans Rot in Hirschau

Die Belege für die hier angeführten Lebensdaten und Verwandt­ schaftsverhältnisse finden sich sämtlich im Text. Die Angaben zur Familie Eschenloher sind hauptsächlich der Arbeit von Richard Klier (vgl. Anm. 66), die zur Familie Herdegen vorwiegend der Darstellung von Konrad Herdegen (vgl. Anm. 67) entnommen.

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Magdalena

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geführt wird.91 Die Mediziner erfreuten sich in der Reichsstadt eines hohen Sozialprestiges, und man wird annehmen dürfen, dass ihre Einkünfte ähnlich denen der städtischen Juristen überdurchschnittlich hoch waren.92 Jobst Ruchamer hatte in Ingolstadt und Pavia studiert und dort 1494 promoviert.93 Seine Italienischkenntnisse - das sei beiläufig bemerkt - fanden später bei einer Publikation von Georg Stuchs Verwendung.94 Seine herausgehobene gesell­ schaftliche Stellung ist auch daran abzulesen, dass er zu jenem kleinen Kreis gehörte, der von Sixtus Tücher zu Gesprächen und Geselligkeit eingeladen wurde. Sixtus Tücher, Propst an St. Lorenz, pflegte enge Kontakte zu Nürnberger Humanisten und Intellektuellen und zu den patrizischen Familien gemäß sei­ ner Herkunft sowieso. Es sind mehrere größere Veranstaltungen belegt, bei denen er zwischen 70 und 80 Nürnberger bewirtete.95 Dazu gehörten Huma­ nisten in engerem Sinne, dann reichsstädtische Führungspersönlichkeiten und die städtischen Juristen und Ärzte, eben auch Dr. Jobst Ruchhamer, der in den Teilnehmerlisten für 1500 und 1501 auftaucht. Am Rande sei vermerkt, dass in den Jahren 1500 und 1501 auch Anton Koberger zum Kreis dieser Gäste zählte.96 Die anderen Geschwister von Magdalena Eschenloher waren bis 1507 noch nicht verheiratet, wie man aus einer Niederschrift vom 21. August dieses Jahres über die Regelung einer sie betreffenden Erbschaftsangelegenheit erfährt.97 Bis auf Magdalena Stuchs und Barbara Ruchhamer werden alle durch Kuratoren 91 Fleischmann: Reichsteuerregister (wie Anm. 14), S. 62 u. S. 301, Nr. *691. Zur Biographie von Dr. Jobst Ruchamer vgl. man Norbert Ankenbauer: „das ich mochte meer newer dyng erfaren“. Die Versprachlichung des Neuen in den Paesi novamente retrovati (Vicenza, 1507) und in ihrer deutschen Übersetzung (Nürnberg, 1508). (Romanistik. 5), Berlin 2010. Zugl. Diss. Erlangen 2009, S. 71-72 u. S. 318. 92 Friedrich Wolfgang Ellinger: Die Juristen der Reichsstadt Nürnberg vom 15. bis 17. Jahrhun­ dert, in: Reichsstadt Nürnberg, Altdorf und Hersbruck. Genealogica, Heraldica, Juridica (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken 6), Nürnberg 1954, S. 130— 222. Zugl. Diss. Erlangen 1951, hier S. S. 140-141 u. S. 149. 93 Ankenbauer (wie Anm. 91), S. 72. 94 VD16 C 21. Ruchamer übersetzte die ,Paesi nuovamente ntrovati“ von Fracanzano da Montalboddo, die als ,Newe vnbekannthe landte und ein newe weldte' am 20. September 1508 bei Stuchs herauskamen. Zur Übersetzung vgl. man Ankenbauer (wie Anm. 91). Auf Grundlage der Ruchamerschen Übersetzung schuf der Lübecker Henning Ghetelen eine niederdeutsche Version, die Stuchs am 8. November 1508 der Öffentlichkeit vorlegte (VD16 C 22). 95 Antonia Landois: Gelehrtentum und Patrizierstand. Wirkungskreise des Nürnberger Huma­ nisten Sixtus Tücher (1459-1507). (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 77). Zugl. Diss. Würzburg 2012, S. 266-274. 96 Hans-Otto Keunecke: Anton Koberger. Familie und Verwandtschaft. Geschäftlicher Erfolg und soziale Stellung. Mit einem Exkurs: Das Kobergerwappen, in: MVGN 100 (2013), S. 99148, hier S. 131; Landois (wie Anm. 95), S. 337 u. 346. 97 StadtAN B 14/11 Nr. T, fol. 129v.

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vertreten. Georg Stuchs ist Vormund seines Schwagers Christoph [d. J.] Eschenloher, Ulrich Rauh und Johann Gebel vertreten Margarethe, Felicitas, Susanne und Katharina Eschenloher. Die Quelle nennt auch die Testaments­ vollstrecker des verstorbenen Friedrich Herdegen, das sind seine Witwe Elisa­ beth, Magdalena von Till und Georg Schlüsselfelder. Es wird der Zuschatz der ersten Ehefrau von Friedrich Herdegen in Höhe von 600 fl. ausgezahlt. Von Magdalena Stuchs, geb. Eschenloher bestand auch eine Verbindung zur Familie des vermögenden Kaufmanns Wolfgang Schwarz.98 Magdalena hatte Patin für dessen Tochter Anna gestanden, die später Georg Schlüsselberger heiratete, und die Patentochter vererbte ihrer gefatterin, der alten Stüchsin, 1541 sechs Gulden für ein Memorialstück, einen denckring." Wie die hier skizzierten verwandtschaftlichen Verflechtungen zeigen, ge­ hörte Georg Stuchs zur Nürnberger Oberschicht, allerdings zu der des „neuen Geldes“. Mit Anton Kobcrger und Hans Schütz, die gemeinsam mit Elisabeth Herdegen seiner Trauung beiwohnten, waren zwei besonders reiche Nürnber­ ger Teil seiner Lcbenswelt. Das Vermögen von Anton Kobcrger wird auf mehr als 20.000-30.000 fl. angeschlagen, Hans Schütz wurde - wie bereits erwähnt - auf 100.000 fl. geschätzt und war damit einer der reichsten Nürnberger.100 Über Ursula Herdegen, verehelichte Schlüsselfelder, die Schwiegertante von Georg Stuchs, gab es sogar eine Verbindung zum „alten Geld“ der obersten Nürnberger Führungsebene, zum Patriziat. Dass diese Verbindungen über lange Zeit gepflegt werden konnten, zeigt das Beispiel des Juristen Dr. Hieronymus Schütz. Als Sohn des mehrfach genann­ ten Hans Schütz war er ein Vetter von Magdalene Eschenloher, und er wird nach dem Tod von Georg Stuchs als Vormund für dessen Kinder tätig. Er war sicher von der Witwe, seiner Cousine, vorgeschlagen worden. Auch wenn wir über das Procedere bei der Bestellung von Vormündern nicht im Einzelnen unterrichtet sind, lässt sich aus den bekannten Bestimmungen ableiten, dass „den nächsten Verwandten aus der männlichen und weiblichen Lime“ bei der Benennung von Kuratoren für die Mündel eine wesentliche Rolle zukam.101 In dieser zweiten Ehe von Georg Stuchs gab es große Schwierigkeiten zwi­ schen den Ehepartnern und zwischen den Kindern aus der ersten Verbindung 18 Sein Vermögen wurde im Jahr 1500 auf 4.000 fl. geschätzt; vgl. Haller: Vermögen (wie Anm. 85), S. 119. Wolfgang Schwarz war Genannter von 1510 bis 1512 und war verheiratet mit Katharina Weinbrenner; vgl. StadtAN GSI 152. 99 Vidimus des Stadtgerichtes vom 18. November 1547: StadtAN B 14/1 Nr . 61, fol. 207r—210r. 100 Vgl. weiter oben bei Anm. 85. 101 Paul Sander: Die reichsstädtische Haushaltung Nürnbergs. Dargestellt auf Grund ihres Zustan­ des von 1431-1440, Bd. 1, Leipzig 1902, S. 221, im Abschnitt: „Das Amt der Obersten Vor­ münder“.

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und der Stiefmutter. Die Streitigkeiten werden - offensichtlich von der klagen­ den Ehefrau - vor den Rat der Stadt gebracht, und dieser hielt seinen Beschluss vom 17. April 15IO102 immerhin für so wichtig, dass er ihn in das Ratsbuch eintragen ließ: Mit Jorgen Stuchssen dem puchtrucker soll man von oberkayt wegen ernstlich verschaffen, sein eeweib wider zu im ainzenemen, so er doch gar kein redlich ursach hat, von ir ze sein. Und seine stieffkinnder gein der fraun ainfrid lassen schwören.103 Die Verhältnisse besserten sich aber nicht, und Stuchs versuchte offensicht­ lich weiter, sich von seiner Frau zu trennen; denn 1512 nimmt Magdalena Stuchs sich einen Anwalt und zieht vor das Stadtgericht. Dort lässt sie die bei der Eheschließung getroffenen Abmachungen beurkunden und lässt protokol­ lieren, dass ihre Ehe ordnungsgemäß geschlossen worden ist. Es werden die Einzelheiten der Vermögensregelung niedergeschrieben, wonach ihre Mitgift 100 fl. betrug und Georg Stuchs ihr 200 fl. „Gegenschatz“ zugesichert hatte. Es wurde wechselseitige Vermögensnachfolge vereinbart und, sollten Kinder da sein, so würden diese nach Nürnberger Stadtrecht erben. Die vom Anwalt auf­ gebotenen Zeugen Anton Koberger, Hans Schütz und Elisabeth Herdegen bestätigten per Eid, bei der Eheschließung anwesend gewesen zu sein. Mehr erfahren wir auch in den folgenden Jahren über die häuslichen Ver­ hältnisse nicht. Jedenfalls hielt die Verbindung bis zum Ableben von Georg Stuchs im Jahr 1520; Kinder gingen aus dieser zweiten Ehe nicht hervor. 1.5. Geschäftlicher Erfolg und Vermögen Bei der Aufnahme in die Nürnberger Bürgerschaft war eine Zahlung zu leisten, die nach der wirtschaftlichen Lage des Neubürgers gestaffelt war.104 Stuchs gehörte mit seiner Zahlung von zwei Gulden in die Gruppe der Neubürger mit einem Vermögen von unter 100 fl. Wie eingangs erwähnt, gelang es ihm, von diesem Niveau aus bis zur Erhebung des Gemeinen Pfennings im Jahr 1497, also innerhalb von 13 Jahren, ein Guthaben von über 1.000 fl. aufzubauen. Wie er das geschafft hat, ist die zunächst wichtige Frage. Da bei der Erhebung des Gemeinen Pfennings Immobilienbesitz und Barvermögen ebenso wie angeleg­ tes Kapital, nicht aber Warenbestände mit berücksichtigt wurden, muss Georg Stuchs ein Vermögen von mindesten 1.000 fl. zusätzlich zu dem, was den Wert seines Bücherlagers und seiner Werkstatteinrichtung ausmachte, besessen 102 StAN, Rst. Nbg., RV 516, fol. llr. 103 StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Ratsbücher 9, fol. 153v. Vgl auch Rudolf Wagner: Nachträge zur Geschichte der Nürnberger Musikdrucker im sechzehnten Jahrhundert, in: MVGN 30 (1931), S. 107-151, hier S. 112. 104 Ab 1470 galten folgende Gebührensätze: bis 100 fl.: 2 fl., 100-200 fl.: 3 fl., 200-500: 5 fl., über 500 fl.: 10 fl. Vgl. Schultheiß (wie Anm. 22), S. 190, Anm. 136.

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haben. Bis zum Zeitpunkt der erwähnten Steuererhebung hatte er 75 bzw. 85 Werke herausgebracht, je nachdem ob man die Drucke des Jahres 1497 mit­ zählt oder nicht.105 Nimmt man an, er hätte bei 75 Titeln ca. 13 fl. pro Buch oder etwa 70 fl. pro Jahr, die er weder für seine Lebensführung noch als Inves­ titionsmittel für seine Druckertätigkeit benötigt hätte, erübrigen können, dann hätte das zu einer Akkumulation von etwa 1.000 fl. führen können. Das wird man gerade angesichts der materiellen Lage der meisten seiner Druckerkollegen für ein ordentliches Geschäftsergebnis halten wollen; doch bleibt dieses bloße Vermutung, da - wie erwähnt - Zahlenangaben zu den Buchgeschäften von Georg Stuchs fehlen. Gestützt werden könnte diese Mut­ maßung allerdings durch einen Vergleich mit dem Drucker Erhard Ratdolt in Augsburg, der sich wie Stuchs auf die Herstellung von Liturgica spezialisiert hatte. Ratdolt konnte sein Vermögen in der Zeit von 1486 bis 1498 von 1.600 fl. auf 3.000 fl. erhöhen. In den folgenden sechs Jahren kamen noch einmal 1.000 fl. dazu.106 Da vor allem diese letztere Zunahme vermutlich ganz wesent­ lich das Ergebnis seiner Tätigkeit als Buchunternehmer darstellt, gewinnt die Annahme, Stuchs habe innerhalb von 13 Jahren aus der Herstellung von Büchern für den kirchlichen Gebrauch einen Ertrag von 1.000 fl. gezogen, an Wahrscheinlichkeit; die wünschenswerte Sicherheit für eine solche Feststellung indessen fehlt. Denkbar wäre auch, dass Stuchs sein Vermögen, oder zumindest Teile da­ von, seiner - ersten - Frau zu verdanken gehabt hätte. Ihr Familienname ist nicht bekannt, wohl aber ihr Vorname Christina. Er ist belegt durch einen Eintrag in den Nürnberger Gerichtsbüchern aus dem Jahr 1493, wonach Georg Stuchs und seine Ehefrau Christina dem Hans Eysenhut 200 fl. schulden.107 Da Christina Stuchs im Jahr der Stcuerhebung starb,108 könnte man zunächst an einen Erbfall denken. Jedoch wurde der Gemeine Pfenning in Nürnberg im März 1497 erhoben,109 das Ableben der Ehefrau Christina aber ist auf das Ende des Jahres zu datieren; die Totenglocke von St. Sebald wurde für sie zwischen dem 20. September und dem 20. Dezember geläutet. Da es sich um den letzten Eintrag vor dem 20. Dezember handelt, wird man den Todeszeitpunkt nahe an dieses Datum rücken wollen.110 105 GW (Aufruf v. 12.05.14). 106 Künast: „Gedruckt zu Augspurg“ (wie Anm. 6), S. 41; Künast: Dokumentation (wie Anm. 6), S. 1212; Hans-Otto Keunecke: Wirtschaftlicher Erfolg und Wohlstand bei deutschen Inkuna­ beldruckern. Ein Blick auf die Spitzengruppe, in: Gutenbergjahrbuch 2015, S. 64-82, hier S. 68. 107 StadtAN B 14/11 Nr. H, fol. 4v zum 26. August 1493; vgl. Anm. 38. 108 Burger: Totengeläutbücher 1 (wie Anm. 55), S. 140, Nr. 4450: Cristina, Jorg Stuchßin. 109 Fleischmann: Reichssteuerregister (wie Anm. 14), S. XIX-XXI. 110 Bei Grieb (wie Anm. 23), Bd. 3, S. 1516 wird der Todeszeitpunkt von Christina Stuchs dann auch mit „Dezember 1498 “ angegeben, leider mit einem Druckfehler bei der Jahreszahl „1498“ statt richtigerweise „1497“.

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Immerhin ist ein Vermögenszufluss durch die Heirat, etwa durch die Mit­ gift, über deren Höhe wir allerdings nichts wissen, vorstellbar. Dabei ist mit zu bedenken, dass Stuchs bei seiner Unternehmensgründung 1484 für die Einrich­ tung der Werkstatt und den Ankauf von Typenalphabeten einen Betrag von mehreren hundert Gulden aufzubringen hatte. Dass er dann nach 13 Berufsjah­ ren auch noch mindestens 1.000 fl. Vermögen vorweisen konnte, macht einen Geldzufluss durch Heirat wahrscheinlich. Für die Tatsache, dass Christina Stuchs über Vermögen verfügte bzw. auf die eine oder andere Art mit in die Ehe einbrachte, spricht, dass sie in der erwähnten Quelle von 1493 die Schul­ den gegenüber Hans Eyscnhut gemeinsam mit ihrem Mann anerkannte, mithin ebenfalls dafür haftete. Wirtschaftliche Probleme des Unternehmers Stuchs sollte man aus diesem Vorgang nicht ableiten; denn nur wenige Wochen nach dem Gerichtstermin wurde die ausstehende Summe von 200 fl. von ihm be­ zahlt.111 Über den ökonomischen Status von Georg Stuchs im Jahr 1500 gibt Auf­ schluss der „Anschlag des statfolcks umb ein leideliche antzale pferde“ aus diesem Jahr.112 Dabei wurden insgesamt 547 Bürger erfasst und in vier Klassen eingeteilt, die jeweils zwei Rösser, ein Ross, ein halbes oder ein viertel Ross zu stellen bzw. den entsprechenden Geldbetrag aufzubringen hatten. Das ergibt folgendes Bild: Zwei Rösser: 16 Bürger Ein halbes Ross: 149 Bürger Ein Ross: 112 Bürger Ein viertel Ross: 270 Bürger Georg Stuchs wird dabei unter die 270 Bürger gerechnet, die auf ein viertel Ross veranschlagt wurden. Wenn man bedenkt, dass 1497 bei der Erhebung des Gemeinen Pfennigs 712 Bürger mit einem Vermögen von mindestens 1.000 fl. erfasst wurden, dann ist es wahrscheinlich, dass die Vermögensuntergrenze für die Abgabe im Jahr 1500 noch höher angesetzt war, denn hier wurden nur 547 Bürger besteuert. Das Vermögen von Georg Stuchs lag im Jahr 1500 also immer noch deutlich über 1.000 Gulden und das, obwohl er der Agnes Gerung 1499 einen Betrag von 970 fl. schuldete und ihr dafür Bergwerksanteile als Sicherheit hatte stellen müssen.113 Damit gehörte er in einer Stadt von mindes­ tens 28.000 Einwohnern114 zu einer sehr dünnen Schicht von gut 500 besonders gut gestellten Bürgern. Mit der Einreihung in die letzte Gruppe von 270 Nürnbergern, deren finanzielle Leistungsfähigkeit zur Zahlung für ein viertel Ross 111 112 113 114

StadtAN B 14/11 Nr. H, fol. 4v zum 2. Oktober 1493; Vgl. Anm. 39. StAN, Rst. Nbg., Losungsamt, Akten, SIL 125, Nr. 1. Vgl. weiter oben bei Anm. 47. Diese Zahl wurde aus der Reichssteuerliste von 1497 errechnet. Für die Reformationszeit nimmt man bereits 40.000-50.000 Einwohner an. Vgl. Stadtlexikon Nürnberg, hrsg. v. Michael Diefenbacher u. Rudolf Endres, Nürnberg 1999, S. 142.

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ausreichte, befand er sich in guter Gesellschaft zum Beispiel seines Schwieger­ vaters Christoph Eschenloher und von Mitgliedern der Patrizierfamilie Schlüs­ selfelder, die ebenfalls zu einem Viertel Ross veranlagt wurden. Die bisherigen Bewertungen der ökonomischen Verhältnisse von Georg Stuchs gehen zumeist auf die materialreiche und verdienstvolle Arbeit von Rudolf Wagner zurück, der erstmals die in den Nürnberger Archiven damals für ihn zugänglichen Quellen zusammenstellte und zum Teil auch auswertete. Man liest bei ihm über die wirtschaftliche Lage des Druckers, sie sei „nicht gerade rosig“ gewesen, „immer wieder hören wir von Schulden“.113 Nach dem Tod von Georg Stuchs erhob Kunigunde Stuchs, offensichtlich eine auswärtige Verwandte, Forderungen und wandte sich an den Rat der Stadt. Das Ergebnis beschreibt Wagner so: „Bezeichnend ist, dass im Nachlass keine 55 fl. vorhan­ den waren, um die Ansprüche der Kunigunde zu befriedigen.“116 Diese letztere Feststellung ist ebenso wenig richtig wie die von Walter Baumann, wonach der Gesamtnachlass sich „am Ende der Erbstreitigkeiten auf 55 fl. [belief].“117 In dem entsprechenden Ratsverlass vom 23. November 1520 heißt es: Sovern sich auss dem inventari Jorg Stuchssen nicht sovilfindt, das Küngund Stuchssin irer 55 R. mög entricht werden, so soll man ir laut der gelerten ratschlag annoch geben, ein rat hab das gesprochen urtail des vergangs halben nicht zu enndern oder auffzeheben.m Was die vom Rat angeordnete Überprüfung des Nachlas­ ses angeht,119 so erfahren wir über das Ergebnis nichts. Der Rat hatte sich nach dem Ableben von Georg Stuchs mehrfach mit den Forderungen von Kuni­ gunde Stuchs befassen müssen120 und sogar Gutachten der städtischen Juristen eingeholt.121 Er schloss das Verfahren schließlich 1524 ab, wobei die damals noch erhobenen Ansprüche gegen die Witwe Magdalena Stuchs zurückgewie­ sen wurden.122 Über Kunigunde Stuchs finden sich in den Quellen weiter keine Nachrich­ ten. Dass sie „irgendwo in der Oberpfalz“ ansässig war, wie Wagner schreibt,123 lässt sich aus den Nürnberger Quellen so nicht ableiten, denn die beiden aus­ wärtigen Amtsträger, die sich in Schreiben an den Rat für Kunigunde Stuchs 1,3 116 117 118 119

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Wagner (wie Anm. 103), S. 112. Wagner (wie Anm. 103), S. 112. Baumann: Druckerei Stuchs (wie Anm. 2), S. 122. StAN, Rst. Nbg., RV 657, fol. 2v. StAN, Rst. Nbg., RV 657, fol. 2r vom 22. November 1520: Den hanndel Kungund Stuchssin berurend soll man bei doctor Michl Marstaller auch rat suchen. Darunter suchen wieviel der hab vorhanden sei. StAN, Rst. Nbg., RV 653, fol. 16v, fol. 18v, fol. 19v. StAN, Rst. Nbg., RV 657, fol. 2r u. fol. 9v; Rst. Nbg., Ratskanzlei, Ratschlagbücher 2, nach fol. 215 nachträglich eingeheftet, u. 3, fol. 2v. StadtAN B 14/III Nr. 1, fol. 216v. Wagner (wie Anm. 103), S. 112.

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einsetzten, Hans von Laineck, Hauptmann auf dem Gebirg,124 und Michael von Wirsberg, Pfleger zum Rauhen und Schlechten Kulm,125 standen beide im Dienst der Hohenzollern. Die Einzelheiten zur Regelung des Stuchs’schen Erbes lassen sich heute nicht mehr vollständig klären. Sicher ist aber, dass die hinterlassene Ehefrau dabei keineswegs in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, wie Wagner das unterstellte. Am 28. April 1521 vereinbarte die Witwe Magdalena Stuchs mit den erbberechtigten Kindern aus der ersten Ehe ihres Mannes folgende Leis­ tungen: Christina, verehelichte Rot in Hirschau, erhält 180 fl., Margarethe, verehelichte Gleich in Amberg, erhält 53 fl., und Lorenz bekommt Werkzeug im Wert von 110 fl. Die Ansprüche von Kunigunde Stuchs werden erwähnt, sie sind aber nicht Teil der Vereinbarung.126 Den Erhalt der Gelder bzw. der Sach­ leistung quittiert Lorenz Stuchs am 14. Juni 1521,127 und Jorg Gleich aus Amberg für seine Ehefrau Margarethe am 2. Januar 1522.128 Hans Rot aus Hirschau bestätigt den Empfang der letzten Tranche in Höhe von 30 fl. für seine Ehefrau Christina am 20. November 1522.129 Als Vormünder der Kinder begegnen Johann Stuchs und Dr. Hieronymus Schütz. Magdalena Stuchs zahlte also insgesamt 343 fl. an die Kinder aus erster Ehe. Im August 1522, noch vor der letzten Zahlung an Hans Rot, löste sie eine Hypothek auf dem geerbten Haus durch eine Zahlung von 400 fl.130 ab. Sie war auch keineswegs gezwungen, das Haus zu verkaufen.131 Diese Veräußerung geschah erst am 11. Dezember 1525,132 als alle Erbfragen geregelt waren. Abwertende Feststellungen zu Stuchs’ finanzieller Lage finden sich auch noch in der neueren Literatur: „angemessener Wohlstand und finanzielle Unabhängigkeit [blieben ihm] zeitlebens versagt.“133 Oder: „Er geriet in wirt­ schaftliche Schwierigkeiten. So musste er am 14.6.1518 wegen Schulden von 107 fl. bei Christoph Grunhofer fünf pergamentene Meßbücher sowie 60 Ries Medianpapier verpfänden.“134 Diese Betrachtungsweise verkennt wie die von Wagner, dass die Kreditaufnahme ein für das Gedeihen eines Wirtschaftsunter­ nehmens übliches, oft unerlässliches Mittel ist, Geschäfte zu betreiben. Das war auch zu Zeiten von Georg Stuchs nicht anders, und selbst ein solventer 124 StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Briefbücher des Inneren Rates 86, fol. 105r-105v. 125 StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Ratschlagbücher 2, nach fol. 215. 126 StadtAN B 14/11 Nr. 15, fol. llv-12r. 127 StadtAN B 14/11 Nr. 15, fol. 29v. 128 StadtAN B 14/11 Nr. 16, fol. 50r. 129 StadtAN B 14/11 Nr. 16, fol. 167v. 130 StadtAN B 14/11 Nr. 16, fol. 125v. 131 So Baumann: Druckerei Stuchs (wie Anm. 2), S. 122. 132 StadtAN B 14/1 Nr. 39, fol. 96v-97r. 133 Walsh (wie Anm. 8), S. 198. 134 Grieb (wie Anm. 23), Bd. 3, S. 1516.

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Unternehmer wie Anton Koberger konnte Zahlungsziele bisweilen nicht einhalten, so als er beispielsweise zur Frankfurter Herbstmesse 1501 an Hans Amerbach 900 fl. hätte entrichten sollen, die er statt dessen in Raten bis zum Frühjahr 1502 zahlte und sich dafür entschuldigte: Bitt euch, wollet kein ver­ drieß haben, das ich euch so lang verzogen hab; es sol hin für nicht mer gesechen.m Die Finanzierung von geschäftlichen Investitionen durch Darlehen oder die Verschiebung von Fälligkeitsdaten aufgrund augenblicklicher Liqui­ ditätsprobleme sollte man nicht ohne nähere Erläuterungen mit dem zwar quellentreuen, heute aber stets negativ besetzten Begriff „Schulden“ beschrei­ ben. Dazu kommt, dass Stuchs ausweislich der Quellen allen seinen Zahlungs­ verpflichtungen schließlich nachgekommen ist. Man findet nicht eine gegentei­ lige Nachricht. Neben seiner Tätigkeit als Buchdrucker hat Georg Stuchs - wie weiter oben dargelegt - beträchtliche Gelder im Schneeberger Erzbergbau investiert. Man kann daraus ableiten, dass er über ein beachtliches Vermögen verfügt haben muss, das ihm diese Geldanlage ermöglichte. Ob sich die damit sicher verbun­ denen Hoffnungen auf Gewinn erfüllt haben, wissen wir nicht. Riskant waren solche Spekulationen im Bergbaubereich allemal, und viele Investoren haben dabei Geld abschrciben müssen.136 Ein prominentes Nürnberger Beispiel stellt Sebald Schreyer dar, der 1477 fünfzehn Kuxen an elf Stollen erwarb, von denen sich allerdings keiner als fündig erwies, so dass er mit Anlage- und Betriebskos­ ten insgesamt 369 fl. verlor.137 Stuchs hat sich aber nicht nur auf den Kauf von Minenanteilen beschränkt, sondern er hat auch aktiv mit entsprechenden Produkten, über die wir Genau­ eres leider nicht wissen, gehandelt. Wie die wenigen geschäftlichen Zeugnisse aus diesem Gebiet belegen, ging es dabei um erhebliche Beträge: 1504 schuldete er dem Montanunternehmer Heinrich Rot 174 fl.138, bei den Geschäften mit der Familie Gerung in den Jahren 1512 bis 1516 ging es um einige hundert Gulden,139 1515 hat er von Leipziger Partnern noch 632 fl. zu fordern.140 Ein Blick auf alle Unternehmungen von Georg Stuchs in 36 Geschäftsjahren zeigt einen offensichtlich erfolgreichen Unternehmer; die Kredite, die er zu bedienen hatte, trüben dieses Bild nicht. Es sind insgesamt neun Vorgänge aktenkundig, bei denen er Zahlungen zu leisten hatte („Schulden“). Diese machen einen Gesamtbetrag von entweder ca. 2.580 fl. oder von ca. 2.700 fl. 135 136 137 138 139 140

Hase (wie Anm. 9), Anhang: Briefbuch der Koberger, S. L-LI, Nr. 45. Zu diesem Problemkreis vgl. Werner: Fusion 3 (wie Anm. 87), S. 111-114. Elisabeth Caesar: Sebald Schreyer, in: MVGN 56 (1969), S. [IX] -213, hier S. 50. StadtAN B 14/11 Nr. P, fol. 177r. StadtAN B 14/11 Nr. 1, fol. 43v; Nr. 5, fol. 35v u. Nr. 8, fol. 68v. Hase (wie Anm. 9), S. 311 unter Berufung auf: StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Ratsbücher 6, fol. 95-96.

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aus, je nachdem ob man eine Zahlungsverpflichtung von 120 fl. aus dem Jahr 1516/17 als Teil einer 1499 offenen Summe von 979 fl. betrachtet oder nicht. Sämtliche Forderungen sind beglichen worden, bei einigen wird dieses aus­ drücklich erwähnt, bei den anderen darf man das daraus schließen, dass sich in den Akten keine Spuren weiterer Forderungen oder Zwangsbeitreibungen finden. Forderungen von Stuchs begegnen nur einmal; 1515 klagt er - wie er­ wähnt - einen Betrag von 632 fl. in Leipzig ein. Die finanziellen Leistungen von Georg Stuchs, die nicht dem Geschäfts­ betrieb dienten, betrugen - soweit bekannt - insgesamt etwa 840 fl. Im Jahr 1506 zahlte er vermutlich 110-150 fl. für seinen Sohn Johann zur Einrichtung eines Druckereibetriebes, 613 fl. gab er für einen Hauskauf im Jahr 1514 aus, und 120 fl. gingen im Jahr 1518 an eine Tochter. Aus demselben Rechtsgrund wurden nach seinem Tod (1520) von der Witwe dann noch einmal 343 fl. an die anderen Kinder gezahlt, und zwar ohne dass der Hausbesitz hätte belastet oder gar veräußert werden müssen. Die Liegenschaft wird, wie bereits erwähnt, von der Witwe erst fünf Jahre nach dem Tod von Georg Stuchs veräußert; sie erlöst dafür 800 fl. Als wohlhabender und erfolgreicher Geschäftsmann wurde er auch von seinen Zeitgenossen gesehen. Das zeigt sich an der Ehe mit Margarethe Eschenloher und an der engen geschäftlichen und sozialen Nähe zu Hans Schütz und zu Anton Koberger. Letzterer arbeitet nicht nur als Verleger mit ihm zusammen, sondern tritt daneben als Bürge und Trauzeuge für ihn auf. Aber auch, dass er mit einem Partner wie Lienhard Praun Geschäfte macht und dass dieser eine Bürgschaft über 200 fl. für ihn übernimmt, belegt die günstige ökonomische Einschätzung durch wirtschaftlich führende Mitbürger. In die­ sem Zusammenhang muss man auch seine Aufgaben als Kurator sehen. So wird er 1494 gemeinsam mit Ulrich Grün (Grüner) und Paulus Hess als Nach­ lassverwalter von Niclas Schmidel eingesetzt, wobei es dabei um ein stattliches Erbe im Umfang von mindestens 600 fl. geht,141 und 1507 bestellt man ihn als Vormund seines Schwagers Christoph [d. J.] Eschenlohcr. Georg Stuchs starb zwischen dem 28. Februar und dem 30. Mai 1520.142 Sein Eintrag im Totengeläutbuch findet sich im ersten Viertel seiner Gruppe und man könnte das Todesdatum von daher in den Anfang dieses Zeitraumes legen. Am 5. März allerdings wird Georg Stuchs noch in einer Erbschaftsangelegen­ heit als Bevollmächtigter genannt.143

141 StadtAN B 14/11 Nr. J, fol. 25v, 26 v u. 27v. 142 Burger: Totengeläutbücher 3 (wie Anm. 65), S. 10, Nr. 251: Jorg Stuchs, puchtrucker. 143 StadtAN B 14/11 Nr. 11, fol. 159v-160v; vgl. weiter oben bei Anm. 64.

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2.1. Anfänge Nachrichten über Geburt, Jugend und Ausbildung von Johann Stuchs fehlen völlig. Man hat daher seine Drucke als Quelle herangezogen und so versucht, zumindest den frühesten Zeitpunkt seiner druckpraktischen Tätigkeit festzu­ stellen. Die ältere Forschung hat sich hier auf den Inkunabelkatalog von Lud­ wig Hain gestützt und das Jahr 1499 ermittelt, in dem - laut Hain - der erste Druck aus der Werkstatt von Johann Stuchs erschienen ist, die Responsoria noviter cum notis expressa, de tempore et de sanctis, regentibus et scolaribus utilissima,144 Diese Datierung ist allerding schon früh angezweifelt worden, und die für Inkunabeln ausschlaggebende Autorität, der „Gesamtkatalog der Wiegendrucke“, hat das Werk mittlerweile aus der Liste der vor 1500 erschie­ nen Bücher herausgenommen145 und legt nahe, es mit einem Responsorium aus dem Jahr 1509 gleichzusetzen, in dem Stuchs sich selber nennt: Impressum per Johannem Stuchs concivem Nurnbergensem.'Ab Mit diesem Werk, einem aufwendigen Notendruck, steht Johann Stuchs zu Anfang seiner Berufslaufbahn ganz in der Tradition der Liturgica-Produktion seines Vaters, und man wird nicht fehlgehen, in der Wahl eines solchen Gegen­ standes durch Johann Stuchs für seinen ersten Buchdruck den Einfluss des Vaters zu sehen. Ein Missale oder ein Breviarium findet sich in der Folgezeit nie mehr unter seinen Produktionen. Da es sonst keinerlei Belege für Drucke des Johann Stuchs vor 1509 gibt und so eine unerklärliche Lücke von zehn Jahren in seiner Druckertätigkeit entstünde, wird man sich auch von daher der GW-Korrektur anschließen wollen. Das Responsorium und ein zweite, allerding nur schmale, neun Blatt umfas­ sende Veröffentlichung mit derselben Datierung147 legen das Jahr 1509 als den Beginn der Druckproduktion von Johann Stuchs fest. Das ist nicht ganz un­ wichtig, wenn es um die Altersbestimmung des Druckers geht, der im Falle einer Tätigkeit schon 1499 entschieden früher hätte geboren sein müssen als bei dem Beginn selbständiger Gewerbeausübung im Jahr 1509. Jäger, der die Datierung des Buches von Hain übernahm, hat deshalb auch Johann Stuchs nicht für einen Sohn des Georg Stuchs, sondern für dessen jüngeren Bruder

144 Ludwig Hain: Repertorium bibliographicum in quo libri omnes ab arte typographica inventa usque ad annum MD typis expressi ordine alphabetico vel simpliciter enumerantur vel adcuratius recensentur , Bd. 2, Stuttgart 1831, S. 216, Nr. 13879. 145 GW M 37859. 146 VD16R1197. 147 Das ist die löblich legend von des grossen Kayser Karls streyt vor der stat Regenspurg geschehen.

(VD 16 ZV 23230).

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gehalten.148 Aber schon im ADB-Artikel zur Druckerfamilie Stuchs von 1893 hieß es: „Allein neben einigen undatirten und daher nicht beweisenden Drucken wird nur ein einziger datirter aus der eigentlichen Incunabelzeit, von 1499, angeführt (Hain 13879); dieser ist aber schlecht bezeugt und hat im Titel solch verdächtige Aehnlichkeit mit einem andern von 1509, daß hier offenbar ein Schreib- oder Druckfehler, statt 1509 vorliegt. Die Thätigkeit Joh. Stüchs’ beginnt dann überhaupt erst mit letzterem Jahr und es ist darum auch möglich, daß er ein Sohn von Georg St. ist.“149 Dass Johann Stuchs seine Tätigkeit als Drucker erst 1509 und nicht schon 1499 begann, wird auch durch archivalische Quellen nahe gelegt. Gemeinsam mit dem Buchführer, Verleger und Buchdrucker Wolf Huber150 kaufte er 1506 gedruckte Bücher und Druckzeug, also doch wohl die Einrichtung einer Druckerei oder Teile davon, und die beiden wenden dafür 150 fl. auf.151 Da Wolfgang Huber bereits seit 1504 als Typograph tätig ist,152 folglich bereits über eine Druckerwerkstatt verfügt haben muss, kann man annehmen, dass bei diesem Vorgang im Jahr 1506 von Wolfgang Huber der Büchervorrat und von Johann Stuchs die Druckereieinrichtung erworben wurde. Dazu passt dann gut, dass er sein erstes Buch nicht schon 1499, sondern 1509 auf den Markt bringt. Die Mittel für den erwähnten Ankauf von Druckzeug dürfte Johann Stuchs von seinem Vater bekommen haben; denn es ist auffällig, dass er bei den Erb­ auseinandersetzungen nach dem Tode seines Vaters keine Forderungen mehr geltend macht. Er tritt nur noch als Vormund für seine jüngeren Geschwister auf, und es wäre gut vorstellbar, dass seine Erbansprüche mit einer Auszahlung im Jahr 1506 als Unterstützung zur Gründung eines eigenen Betriebes abge­ golten waren. Von der finanziellen Größenordnung her wäre das durchaus denkbar. Wenn man annimmt, dass ein Großteil der 150 fl., die 1506 von Wolf Huber und Johann Stuchs gemeinsam aufgebracht wurden, für die Druckerei­ einrichtung zu zahlen waren, dann kann man das gut mit jenen 110 fl. verglei­ chen, die 1521 Lorenz Stuchs, dem jüngeren Bruder von Johann Stuchs, zuge­ sprochen wurden und die er in Gestalt von Werkzeug erhielt, womit sicher die Ausstattung der väterlichen Offizin, oder zumindest ein wesentlicher Teil da­ von, gemeint war.153 Auch ein Beispiel aus Augsburg bewegt sich in demselben 148 Wagner (wie Anm. 103), S. 114. 149 Allgemeine Deutsche Biographie 36 (1893), S. 714-716. 150 Vgl. Reske (wie Anm. 17), S. 658; Grieb (wie Anm. 23), S. 662. 151 StadtAN B 14/11 Nr. S, fol. 141r. Die endgültige Regelung der finanziellen Fragen zieht sich hin bis zum Juli 1507: StadtAN B 14/11 Nr. T, fol. 59v; StadtAN B 14/11 Nr. U, fol. 7v. 152 Der erste firmierte und datierte Druck von ihm aus dem Jahr 1504: Das ist ein schöner Passion von dem Leyden unsers liehen Herren Jhesu Christi. (VD16 B 4753). 153 StadtAN B 14/11 Nr. 15, fol. llv-12r.

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finanziellen Rahmen. Dort musste der Drucker Hans Gegler 1554 für Werk­ zeug und gebrauchtes Typenmaterial 100 fl. aufbringen.154 In einem anderen Fall in Nürnberg wird allerdings ein deutlich geringerer Betrag gezahlt. Niko­ laus Stuchs kaufte 1535 von der Witwe des kurz zuvor verstorbenen Druckers Friedrich Peypus schriftwerkzeug und anders zu der truckerey gehörig für 62 fl.155 Warum der Betrag hier erheblich niedriger ausfällt, konnte nicht geklärt werden. 2.2. Buchgeschäfte Die Druckproduktion von Johann Stuchs in den folgenden Jahren ist wie die seines Vaters im einschlägigen Verzeichnis umfassend nachgewiesen. Es finden sich 146 Veröffentlichungen bis zum Jahr 1535; davon 82 bis einschließlich 1523.156 Von 1516 bis 1520 ist er mehrmals als Lohndrücker für die Koberger tätig, dreimal für Hans Koberger und fünfmal für Anton d. J. Man wird anneh­ men dürfen, dass diese Geschäftsbeziehung in gewisser Weise die Verbindung fortsetzte, die unter den Vätern bestand; Anton Koberger d. Ä. war 1513 ge­ storben. Auffällig ist, dass für 1524 nur ein Druck bekannt ist. Auch 1525 ist Johann Stuchs zwar noch im Ämterbüchlein eingetragen, das seit 1513 alle Drucker jahrgangsweise verzeichnet,157 die Herstellung von Büchern aber lässt er ruhen bis einschließlich 1527; im Folgejahr kommen dann neun Stücke heraus. Diese Lücke von vier Jahren - eine vereinzelte, vier Blatt umfassende Flugschrift von 1524158 nicht berücksichtigt - erklärt sich aus einem Konflikt mit dem Rat. Dieser hatte sich 1523 an einer von Stuchs gedruckten antipäpstlichen Polemik des Heinrich von Kettenbach gestossen: Den Stuchssen, puchtrucker, und den Arbogast von ains neuen trucks wegen, darin bähst und kaiser hoh geschmecht werden, und vom Kettenhach gemacht sein soll, lassen annemen. Und dieselben püchlein alle zu handen pringen.l59 Was die beiden Beschuldigten im folgenden 154 Nach Künast: „Gedruckt zu Augspurg“ (wie Anm. 6), S. 59. 155 StadtAN B 14/11 Nr. 37, fol. 194v. Vgl. auch Ursula Timann: Untersuchungen zu Nürnberger Holzschnitt und Briefmalerei in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Mit besonderer Be­ rücksichtigung von Hans Guldenmund und Niclas Meldeman (Kunstgeschichte 18), Münster 1993. Zugl. Diss. Erlangen 1993, S. 200 mit Einzelheiten zum Vorgang. 156 VD16; Aufruf vom 26.05.2015. 157 StAN, Bestand Rst. Nbg., Ratskanzlei, Ämterbüchlein. Mit Registern versehene Edition von Peter Fleischmann: Ämterbüchlein, in: Das Nürnberger Buchgewerbe. Buch- und Zeitungs­ drucker, Verleger und Druckhändler vom 16. Bis zum 18. Jahrhundert, hrsg. v. Michael Diefenbacher u. Wiltrud Fischer-Pache (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 31), Nürnberg 2003, S. 560-739. 158 , Wider den Hauhtschalck und Todfeind des Menschen Gewissen. ‘ (VD16 W 2462). 151 StAN, Rst. Nbg., Rst. Nbg., RV 694, fol. 3v vom 29. August 1523; vgl. auch Theodor Hampe: Archivalische Miszellen zur Nürnberger Kulturgeschichte, in: MVGN 27 (1928), S. 251-278, hier S. 263.

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Signet von Johann Stuchs mit den Buchstaben H S und seinem Hauszeichen. Aus: Hortulus animae. Nürnberg: Johann Stuchs 1516 (VD16 H 5092). Bayerische Staatsbibliothek München, Res/P. lat. 2216, letztes Blatt (mit Druckermarke). Bei dem als Verleger genannten Anton Koberger han­ delt es sich um Anton Koberger d. J. (1498-1532). Das Druckerzeichen findet sich in ähnlicher Form mit einer Randverzierung in: Johannes de Turrecremata: Tractatus de efficacia aque benedicte. Nürnberg: Johann Stuchs ca. 1515 (VD 16 J 796). Abgebildet bei Heinrich Grimm, Deutsche Buchdruckersignete des 16. Jahrhunderts. Wiesbaden 1965, S. 83 und bei Henning Wendland, Sig­ nete. Deutsche Drucker- und Verlegerzeichen 1475-1600. Hannover 1984, S. 235.

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Verhör aussagten, wissen wir nicht, wohl aber, dass der Rat die beiden anschlie­ ßend glimpflich davon kommen ließ: Sovern Hanns Stuchs und Arbogast ange­ loben, das ir antwurt die warhait sey und der straff draus gewirtig sein wollen, soll man sy mit ainer strefflichen red wieder einkern [? Lesung unsicher] las­ sen.160 Für das Jahr 1523 sind zwei Kettenbach-Drucke von Johann Stuchs belegt: ,Eyn gesprech bruder Hainrichs von Kettenbach mit aim frommen altmüterlin von Ulm’'6' und ,Ein Practicapracticirt auf der heylgen Bibel’'61. Welchen der beiden Drucke der Rat hier moniert hat, ist nicht eindeutig zu bestimmen; An­ griffe auf die weltliche und geistliche Obrigkeit enthalten beide. Ein Publikationsverbot hat der Rat offensichtlich nicht ausgesprochen; den­ noch hat Johann Stuchs seine Presse für praktisch vier Jahre stillgelegt. Im Ämterbüchlein wird er vom Anfang der Auszeichnungen im Jahr 1513 bis 1525, dann von 1529 bis 1535, und dann wiedervon 1538 bis 1539 geführt; 1536 und 1537 ist an seiner statt sein Sohn Nikolaus aufgeführt.163 Veröffentlichun­ gen von Johann Stuchs sind nach der Unterbrechung von 1525 bis 1527, dann wieder für 1528 bis 1533 belegt. Zwei Drucke aus seiner Offizin, einer davon firmiert, tauchen noch einmal 1535 auf. Eine frühere Feststellung, es habe auch 1540 noch einen einzelnen Druck aus seiner Werkstatt gegeben,164 lässt sich nicht aufrechterhalten; die entsprechende Flugschrift von Melanchthon (,.Epis­ tel an den Landgraven zu Hessen ’) wird von den Autoritäten des VD 16 mitt­ lerweile Johann Petreius zugeordnet.165 Sieht man von den drei Einzelstücken der Jahre 1524 und 1535 ab, dann kann man sagen, dass Johann Stuchs von 1524 bis 1527 überhaupt nicht und von 1533 bis zu seinem Ableben im Jahr 1556 mit zwei Ausnahmen nicht als Drucker tätig war. Es stellt sich die Frage, womit Johann Stuchs in dieser Zeit seinen Lebens­ unterhalt bestritten hat. Denkbar wäre, dass er die Montangeschäfte seines Vaters, der 1520 gestorben war, fortgeführt hat; allerdings fehlen dafür entspre­ chende Nachrichten. Wahrscheinlich ist, dass er sich als Buchhändler betätigte. Zwar wird in der Literatur als Beginn für die Ausübung dieses Berufs erst das Jahr 1532 angeführt,166 als er gemeinsam mit Hans Huber das Bücherlager des 160 StAN, Rst. Nbg., Rst. Nbg., RV 720, fol. lOr vom 21. August 1524. Der genannte Arbogast vielleicht der Buchhändler Arbogast Schalck, der 1526 Nürnberger Bürger wurde; vgl. Grieb (wie Anm. 23), S. 1305. 161 VD16K797. 162 VD16K817. 163 Vgl. weiter oben Anm. 157. 164 Benzing (wie Anm. 20), Sp. 1592, Nr. 28. 165 VD16 M 3999. 166 Heinrich Grimm: Die Buchführer des deutschen Kulturbereichs und ihre Niederlassungsorte in der Zeitspanne 1490 bis um 155, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 7 (1967), Sp. 1153-1772, hierSp. 1234.

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Lienhard zur Aich erwirbt,167 aber wir erfahren durch eine Eintragung in den städtischen Gerichtsbüchern zum 23. November 1528, dass Johann Stuchs dem Wolf Resch zu diesem Termin 7 }A fl. für die Übernahme von 300 puecblein schuldete.168 Das belegt eine buchhändlerische Tätigkeit von Johann Stuchs schon in diesem Jahr und macht entsprechende Aktivitäten auch zuvor sehr wahrscheinlich. Er hat Buchdruck und -handel nebeneinander her oder - wenn man so will - miteinander betrieben. Dass der Buchhandel in Nürnberg seinen Mann ernähren konnte, belegt das Beispiel des eben genannten Lienhard zur Aich. Dessen Erbe wurde unter Berücksichtigung aller sicheren Außenstände und nach Abzug aller Schulden auf immerhin 568 fl. veranschlagt. Beim Kauf der Verlassenschaft des Lienhard zur Aich erfahren wir ein familiengeschicht­ liches Detail. Hans Huber und Johann Stuchs einigen sich 1533 über eine noch ausstehende Restzahlung von Hans Huber an Stuchs, und dieser wird dabei als Hans d. Ä. bezeichnet,169 woraus auf einen Sohn mit demselben Vornamen ge­ schlossen werden kann, der sonst allerdings weiter nicht begegnet. Den inhaltlichen Schwerpunkt der von Johann Stuchs produzierten Stücke hat Benzing in der Überschrift seines Aufsatzes über ihn zutreffend gekenn­ zeichnet: „Die Stuchsdruckerei zu Nürnberg im Dienst der Reformation“. Die Reformatoren - und hier allen voran Martin Luther - waren die Haupt- und Hausautoren der Offizin. Benzing, der ganz der historischen Tradition der Buchgeschichtsforschung verhaftet ist, die Buch- und Druckentwicklung unter geistesgeschichtlichem Gesichtspunkt betrachtet, leitet aus den Erzeugnissen der Stuchs’schen Offizin problemlos den weltanschaulichen Standpunkt des Druckereibesitzers ab und sieht im Produktionsprofil das „Bemühen um die Ausbreitung der Reformation“.170 Buchunternehmer aber sind nicht zunächst Agenten einer geistesgeschicht­ lichen Strömung, sondern in erster Linie Gewerbetreibende, die vom Verkauf ihrer Produkte leben. Objektiv hat Johann Stuchs mit seinen Drucken die Re­ formation gefördert; aber man darf ohne weitere Belege nicht behaupten, er habe das auch beabsichtigt. Wir haben keinerlei Hinweise, geschweige denn Beweise, dass Stuchs inhaltlich von der reformatorischen Lehre überzeugt war und sie deshalb fördern wollte. Sicher können wir nur sein, dass Stuchs wie 167 StadtAN B 14/11 Nr. 31, fol. 212r u. 213v. Vgl. auch Timann (wie Anm. 155), S. 199 u. 179. Das Inventar des Lienhard zur Aich, erstellt am 5. Dezember 1530, in StadtAN B 14/III Nr. 8, fol. 200v-212v. Abdruck und Auswertung bei Theodor Hampe: Beiträge zur Geschichte des Buchund Kunsthandels in Nürnberg. I.: Lienhard zur Eich und das Inventar seines Bücherlagers (1530), in: Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1912, S. 109-157. 168 StadtAN B 14/11 Nr. 27, fol. 124r. Timann (wie Anm. 155), S. 46 meint, es könnten (hochwer­ tige) Spielkarten gemeint sein. 169 StadtAN B 14/11 Nr. 35, fol. 69v-70r. 170 Benzing (wie Anm. 20), Sp. 1587.

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viele seiner Berufskollegen die Marktchancen der reformatorischen Schriften erkannte und sein Publikationsprogramm entsprechend ausrichtete.171 Archivalische Nachrichten legen die Vermutung nahe, Johann Stuchs könnte auch als Händler von Gegenständen zur Druckereieinrichtung tätig gewesen sein. Da ist zunächst die Klage des Bartholomäus Aichler aus dem Jahr 1544. Er verlangt elf Gulden für eine Buchdruckpresse.172 Nun hat aber Johann Stuchs seit 1535 nichts mehr gedruckt, und auch sein Sohn Nikolaus, vom dem man überhaupt nur einen Druck aus dem Jahr 1535 kennt, oder sein Bruder Lorenz, der als Drucker nur bis 1523 nachgewiesen ist, kommen kaum als Kunden des Bartholomäus Aichler und Empfänger einer Druckerpresse in Frage. Man muss wohl annehmen, diese Druckerpresse wäre nicht für den Be­ darf der Familie Stuchs bestimmt gewesen, sondern Handelsgut für die Ge­ schäfte von Johann Stuchs. Dazu könnte passen, dass Stuchs 1528 von Wolf Resch Karten, klyngen und puechlein ersteht.173 Bei diesen klyngen könnte es sich um fertig gegossene Schriftzeilen handeln,174 und wenn Stuchs sie nicht zum eigenen Gebrauch erworben hat, dann könnte man den Vorgang so verste­ hen, er habe auch mit Typenmaterial gehandelt. Vielleicht gehört auch in diesen Zusammenhang, dass der Kunstschlosser Caspar Werner Arbeiten für Stuchs geliefert hatte, von denen wir leider nichts Genaueres wissen, außer dass die Rechnung dafür 1534 noch offen war.175 2.3. Finanzen und soziale Stellung Johann Stuchs war verheiratet mit Anna Reuter. Der Vorname seiner Frau er­ gibt sich aus einer Erwähnung in den Briefbüchern des Rates zum Jahr 1511.176 Ihre Familienzugehörigkeit geht hervor aus einer Urkunde des Jahres 1529, die bei einer Erbschaftsregelung nach dem Tod des Leinenwebers Hans Schober ausgestellt wurde.177 Darin bezeichnet die Witwe Margarethe Schober Hans 171 Vgl. Dominik Radimaier: Ohne Buch keine Reformation. Nürnberger Buchdrucker der Refor­ mationszeit, in: Deutschlands Auge [und] & Ohr. Nürnberg als Medienzentrum der Reforma­ tionszeit (Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg 8), Nürnberg 2015, S. 35-46, hier v. a. S. 36. Der Autor charakterisiert die Marktorientierung der Nürnberger Druckunternehmer der Reformationszeit und die Beeinflussung der geistesgeschichtlichen Entwicklung als Folge der so entwickelten Publikationsprogramme. 172 StadtAN B 14/III Nr. 3, fol. 14v. 173 StadtAN B 14/11 Nr. 27, fol. 124r; vgl. weiter oben bei Anm. 168. 174 Jacob Grimm u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, Leipzig 1873, Sp. 1173: „der schriftgieszer nennt die aus blei gegossenen ,linien‘ auch klingen, sie sehen einer messerklinge ähnlich.“ 175 StadtAN B 14/11 Nr. 35, fol. 198v. Vgl. auch Timann (wie Anm. 155), S. 199. 176 StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, Briefbücher des Inneren Rates 67, fol. 23v in einem Schreiben an Herzog Wilhelm von Bayern in einer nicht näher bezeichneten Rechtsangelegenheit. 177 StadtAN B 14/III Nr. 8, fol. 42v.

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Reuter als ihren Bruder und Johann Stuchs als ihren Schwager. Über die Fami­ lie Reuter war Sicheres nicht in Erfahrung zu bringen, doch deuten alle Hin­ weise auf eine Handwerkerfamilie. Dass damit nicht unbedingt auch fehlender Wohlstand verbunden sein muss, zeigt das Beispiel des erwähnten Leinen­ webers Hans Schober, dessen Besitz in der erwähnten Urkunde mit einem Wert von 1.533 fl. angegeben wurde. Die Quellen zu den Geschäftsverhältnissen und zum Vermögensstatus von Johann Stuchs fließen spärlicher als bei seinem Vater. 1523 haben Lorenz Vogel und Hans Leipolt von ihm acht Gulden zu fordern.1''8 Beide Namen gehören Unbekannten, und man kann einen Zusammenhang mit buchhändlerischen oder sonst buchgewerblichen Aktivitäten annehmen. Am 24. Juli 1521 bekennt Johann Stuchs, bei Thomas Loeffelholz von Kolberg Schulden im Umfang von 116 fl. zu haben.179 Da sein Gläubiger nicht selber als Geschäftsmann tätig war, kann er als reiner Kreditgeber angesehen werden, wobei man nicht weiß, wozu Stuchs das Darlehen benötigt hat; seine Druckerei betrieb er ja schon seit 1509. Vielleicht hat er sich Mittel für eine Geschäftsgründung als Buchhändler be­ sorgt; doch muss dieses Vermutung bleiben. Jedenfalls scheint er seine Ver­ bindlichkeit bald eingelöst zu haben; denn wir erfahren aus den Akten nichts mehr über diesen Vorgang. 1524 leiht er sich von Hans Schober, dem oben er­ wähnten Leinenweber, 15 Gulden und zahlt sie im Folgejahr zurück.180 Dessen Frau Margarethe wird zwar erst 1529 als seine Schwägerin bezeichnet, es ist aber wahrscheinlich, dass diese verwandtschaftliche Beziehung auch 1525 schon bestand. Sie würde gut erklären können, warum gerade ein Leinenweber Johann Stuchs Geld zur Verfügung stellt. Eine sich aus dem Handel mit Büchern ergebende Forderung von Wolf Resch über 7 % fl. im Jahr 1528 wurde bereits erwähnt.181 1534 fordert der Wittenberger Drucker Michael Lotter über seinen Anwalt Außenstände bei Johann Stuchs ein.182 Über deren sachlichen Grund und über die Höhe des Betrages erfahren wir leider nichts. Da keine weiteren Nachrichten dazu vorliegen, wird man von einem Ausgleich des offe­ nen Betrags ausgehen dürfen. Dasselbe gilt auch für die weiter oben angeführte Forderung des Kunstschlossers Caspar Werner aus demselben Jahr, für einen nicht näher bezeichneten Zahlungsanspruch von Hieronymus Andreae183 und für die bereits erwähnten elf Gulden, die Stuchs 1544 an Bartholomäus Aichler zu zahlen hatte. 178 StadtAN B 14/11 Nr. 18, fol. 61r. 179 StadtAN B 14/11 Nr. 14, fol. 202v. Zu Thomas Loeffelholz von Kolberg, dem bedeutendsten Spross der Patrizierfamilie, s. Fleischmann: Patriziat (wie Anm. 88), Bd. 2, S. 675. 180 StadtAN B 14/11 Nr. 20, fol. 28v u. fol. 75r. 181 Vgl. weiter oben bei Anm. 168. 182 StadtAN B 14/III Nr. 2, fol. 97v. Vgl. auch Timann (wie Anm. 155), S. 199. 183 StadtAN B 14/III Nr. 2, fol. 94v. Vgl. auch Timann (wie Anm. 155), S. 199.

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Von Außenständen berichten die Akten nur einmal: Der Druckerkollege Friedrich Peypus schuldete ihm eine Betrag von 3 fl., was beim Ableben von Peypus aktenkundig wurde. Johann Stuchs lebte also offensichtlich in wirt­ schaftlich geordneten Verhältnissen, und er nahm öffentliche Ämter wahr. Wir sehen ihn als gerichtlich bestellten Vormund seiner jüngeren Geschwister, als Curator der Kinder des Lienhard zur Aich und als Exekutor des Testaments der Anna Steiglin. Aber das soziale Umfeld von Johann Stuchs war nicht wie bei seinem Vater das der Kaufleute und Gut- oder gar Großverdiener, sondern das der Handwerker und entsprach damit dem Umfang und dem Ertrag seiner geschäftlichen Tätigkeiten. Soweit wir davon bei ihm und im Falle seines Vaters Kenntnis haben, hat der Sohn den Vermögensstatus und die gesellschaftliche Stellung des Vaters nicht erreicht bzw. halten können. Im März 1556 starb Hanns Stuchs, huchtrucker hinterm teutschen hof.m

3. Lorenz Stuchs Seit dem ADB-Artikel des Jahres 1893 gilt Lorenz Stuchs in der Literatur als Sohn von Georg Stuchs, obwohl ein direkter Beweis für dieses Verwandt­ schaftsverhältnis damals noch fehlte.185 Der entscheidende Beleg für diese Filiation, ein Eintrag in den Nürnberger Gerichtsbüchern von 1521, in dem Magdalena Stuchs, die Witwe Georg Stuchs’, von Lorenz Stuchs als Stiefmutter bezeichnet wird, konnte Ursula Timann erstmals publizieren.186 Ansonsten sind wir auch bei Lorenz Stuchs wie bei seinem älteren Bruder Johann zu­ nächst auf seine Drucke als Quellen für seine Biographie angewiesen. Seine erste Veröffentlichung war ein Missale und kam 1519 in Halberstadt heraus.187 Man fühlt sich bei der Wahl dieses Gegenstandes an seinen Bruder Johann er­ innert, der seine Tätigkeit ebenfalls mit einem Messbuch begann. Hier wie dort meint man den Einfluss des Vaters zu spüren. Dieses erste Buch aus der Werk­ statt von Lorenz Stuchs, das für den Zisterzienserorden bestimmt war, ist auch die erste Nachricht über ihn selber. Im Erscheinungsvermerk nennt er - mit einem gewissen Selbstbewusstsein - seinen Namen: per peritissimum virum Laurentium Stuchs. Warum Lorenz Stuchs es unternahm, sich gerade in Halberstadt eine Exis­ tenz als Drucker aufzubauen, ist nicht bekannt. Man kann aber vermuten, dass es die Geschäftsbeziehungen seines Vaters waren, die diesen Entschluss beein­ flusst und vielleicht auch erst ermöglicht haben. Georg Stuchs hatte mehrere größere Publikationen für dortige Auftragnehmer verfertigt; die Literatur ls4 Timann (wie Anm. 155), S. 201 nach dem Ratstotenbuch im StAN. 185 ADB (wie Anm. 149). S. 716. 186 StadtAN B 14/11 Nr. 15, fol. 29v; Timann (wie Anm. 155), S. 200. 187 VD16M 5648.

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kennt ein Halberstädter Missale von 1503, eines von 1508 und zwei Breviere.188 Von daher hat die Annahme eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass diese Ver­ bindungen zur Übersiedlung von Lorenz Stuchs nach Halberstadt geführt haben. Das Messbuch blieb die einzige Veröffentlichung, in der Lorenz Stuchs sei­ nen Namen anführte. Es werden ihm allerdings mit der Methode des Typen­ vergleichs eine Reihe weiterer Publikationen aus Halberstadt zugeschrieben. Die Grundlage dafür legte Collijn, der erstmals nachweisen konnte, dass meh­ rere in Halberstadt produzierte Stücke mit den Typen von Lorenz Stuchs’ Missale von 1519 gedruckt worden waren.189 Die von Collijn publizierte Liste konnte Baumann erweitern, und er konnte belegen, dass der in der älteren Literatur als Prototypograph von Halberstadt in Anspruch genommene Lud­ wig Trutebul nicht als Drucker, sondern als Verleger anzusehen ist.190 Ludwig Trutebul, ein vermögender Handelsherr, Mitglied des Rates und mehrfach stellvertretender Bürgermeister, wird in den frühen Halberstädter Drucken insgesamt zweimal genannt. Einmal ausdrücklich als Verleger ge­ meinsam mit Heinrich und Sebastian Godeke als Partnern beim Psalterium Romanum des Jahres 1520: pro magnifaciendos viros Ludouicum Trutebulen neenon Henricum et Sebastianum Godeken socios, ipsorumque Opera et impenszs191 und dann noch einmal im Jahr 1522 bei Isidors „De summo bono“.192 Aus diesem Werk erfährt man, dass die Offizin in seinem Haus betrieben wurde: Impressum Halberstadie in edibus Ludouuici Trutebule. Diese Tatsache in Ver­ bindung damit, dass Lorenz Stuchs sich nur im ersten in Halberstadt produ­ zierten Werk auch selber nennt, legt die Vermutung nahe, dass Trutebul der finanzstärkere Partner der beiden war und dass ihm auch die Druckereieinrich­ tung mit dem entsprechenden Letternvorrat gehörte. Alle Halberstädter Drucke von 1519 bis 1523 wurden Lorenz Stuchs zuge­ schrieben; nach derzeitigem Wissensstand sind das 22 Titel.193 Stuchs aber 188 Walter Baumann: Wer war der erste Halberstädter Buchdrucker? In: Gutenbergjahrbuch 1952, S. 124-132, hier S. 124. Die beiden Missalien, von denen sich offensichtlich nur je ein Exemplar überliefert hat, fanden sich lt. Baumann vor dem Krieg in der Bibliothek des Halberstädter Domgymnasiums und sind seitdem verschollen; das VD16 hat sie (bislang) nicht aufgenommen; auch das zentrale deutsche Portal für Monographie-Recherchen, der Karlsruher Verbund­ katalog (KVK) kennt die beiden Stücke nicht. Ein Brevier von 1510 wird dort unter der Num­ mer B 8146 geführt. Ein zweites Brevier von 1515 aus der Presse von Georg Stuchs, das Bau­ mann noch anführt, ist im VD16 (noch ?) nicht verzeichnet. 189 Isak Collijn: Laurentius Stuchs i Halbersdtadt tryckaren av Manuale Aboense 1522 , in: Nordisk tidskrift für Bok- och Biblioteksväsen 24 (1937), S. 1-18. 190 Baumann: Halberstädter Buchdrucker (wie Anm. 188). 191 VD16 ZV 1663. 192 VD16 1381. 193 VD16; Aufruf v. ll.Juni 2015.

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nannte seinen Namen, wie erwähnt, nur in dem allerersten Druck, und alle weiteren Produkte kamen anonym heraus. Es gibt also keinen direkten Beleg dafür, dass Lorenz Stuchs nach dem ersten firmierten Druck noch weiter in Halberstadt gearbeitet hat. Andererseits wird in einer Nürnberger Quelle des Jahres 1521 Amberg als sein Herkunftsort angegeben.194 Das muss man wohl so deuten, dass Stuchs spätestens in diesem Jahr nicht mehr in Halberstadt und dort für Trutebul tätig war. Da Ludwig Trutebul als Eigentümer des Halber­ städter Druckerei und als Verleger zu gelten hat, lässt sich die problemlose Fortführung des Geschäftsbetriebes nach einem Weggang von Lorenz Stuchs zwanglos dadurch erklären, dass Trutebul, der über eine vollständige und funktionsfähige Werkstatteinrichtung verfügen konnte, einen anderen Typo­ graphen als Drucker beschäftigte, bzw. beauftragte. Dafür könnte gut Johann Loersfeld in Frage kommen, in dessen Besitz sich die Lettern aus der Offizin Trutebul/Stuchs ab 1523 befanden.195 Es ist auffällig, dass in diesem Jahr noch ein Druck in Halberstadt erschienen ist, Johannes Loersfeld aber in eben die­ sem Jahr 1523 in Erfurt bereits 63 Titel herausbrachte. Diesen zügigen Über­ gang der Drucktypen und den nahtlosen Fortgang der Drucktätigkeit mit die­ sen Lettern hat man damit erklärt, dass man Loersfeld als Mitarbeiter in dem Unternehmen Trutebul/Stuchs schon vor 1523 ansah;196 er muss den dortigen Letternvorrat spätestens Anfang 1523 erworben haben. Es spricht mithin nichts gegen die Annahme, Stuchs habe Halberstadt 1521 oder auch schon früher verlassen, und die dortige Druckerei sei von einem andern Fachmann, vermutlich von Johannes Loersfeld, unter der wirtschaftlichen Führung von Ludwig Trutebul bis 1523 weitergeführt worden. Das bedeutet, dass auch die berühmte Halberstädter Bibel des Jahres 1522197 nicht von Stuchs, sondern von jemand anderem, sehr wahrscheinlich von Johannes Loersfeld, gedruckt wurde. Was die Schließung der Halberstädter Offizin angeht, so hat man mit guten Gründen vermutet, dass sie in Zusammenhang stand mit einem Aufstand, den der Bürgermeister Heinrich Schreiber dort 1523 anführte. Die Erhebung wurde niedergeschlagen, und Schreiber musste mit 63 Anhängern das Bistum verlassen. Von Trutebul weiß man, dass sein Name in den Ratslisten seither 194 1 521, April 28: Hans und Christina Rot aus Hirschau, Jorg Gleich, Lorenz Stuchs aus Amberg und die Witwe Magdalena Stuchs schließen einen Vertrag; die Witwe soll 253 fl. an die Erstge­ nannten zahlen; StadtAN B 14/11 Nr. 15, fol. llv. 195 Reske (wie Anra. 16), S. 204. 196 Johannes Luther: Ludwig Trutebul und die Druckerei „Zum Färbefaß“ in Erfurt, in: Beiträge zum Bibliotheks- und Buchwesen. Paul Schwenke zum 20. März 1913 gewidmet. Berlin 1913, S. 185-195, hier S. 195; Walter Baumann: Geschichte des alten Halberstädter Buchdruck, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 1 (1958), S. 245-273, hier S. 248 u. 249. 197 Dazu vgl. man Siegfried Joost: Notizen zum frühen niederdeutschen Bibeldruck. Ein Beitrag zur Halberstädter Bibel, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 1 (1958), S. 226-244.

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Hans-Otto Keunecke

nicht mehr auftauchte und dass er zum städtischen Syndicus in Goslar bestellt wurde, wo auch der verbannte Bürgermeister Schreiber Zuflucht gefunden hatte. Das legt eine Schließung der Druckwerkstatt 1523 aus politischen Grün­ den nahe.198 Auch in Goslar war Trutebul in Buchgeschäften tätig und stand zum Beispiel in Beziehungen zu Friedrich Peypus, dessen Witwe sich 1538 mit einer Forderung von Trutebul wegen einer Bücherlieferung konfrontiert sah.199 Uber die weiteren gewerblichen Unternehmungen von Lorenz Stuchs nach seiner Halberstädter Zeit ist nichts bekannt. In Amberg hat er sicher nicht als Typograph gearbeitet; der erste Druck aus dieser Stadt stammt aus dem Jahr 1552.200 Er muss dann von Amberg wieder nach Nürnberg zurückgekehrt sein, wie aus einer Urkunde des Stadtgerichtes vom März 1520 hervorgeht. Da rei­ chen Ludwig Trutebul und Sebastian Godecke aus Halberstadt in Nürnberg eine Klage gegen Heinrich Kepinger wegen zweier Messbücher ein.201 Lorenz Stuchs erscheint vor dem Gericht und gibt an, Gesellschafter der beiden Kläger zu sein und die Messbücher vom Beklagten empfangen zu haben.202 Da sich bei der Nennung von Lorenz Stuchs in dem Dokument keine Herkunftsangabe findet, muss man schlussfolgern, das er wieder in Nürnberg wohnhaft war. Im Dezember 1528 erfahren wir, dass er mit Ursula, der Witwe des Wolf Hungenperger, verheiratet ist. Ihr Mann war einem Verbrechen zum Opfer gefallen, und da in dem entsprechenden Archivale von Zahlungen durch einen Tatbeteiligten an die Witwe die Rede ist, wird man den Vorgang und damit auch die Eheschließung vielleicht in das Jahr 1528 legen können.203 Weitere Nachrichten fehlen. Welcher Tätigkeit er in Nürnberg nachgegangen ist und ob er etwa mit seinem Bruder Johann zusammengearbeitet hat, bleibt im Dun­ kel. 4. Nikolaus Stuchs

Nikolaus Stuchs sollte offensichtlich seinem Vater Johann Stuchs als Drucker nachfolgen. Dieser hatte seine entsprechenden Aktivitäten 1533 eingestellt und sorgte 1535 mit einer Bürgschaft dafür, dass sein Sohn die Druckereieinrich198 Baumann: Halberstädter Drucker (wie Anm. 188), S. 130. Für die Bestallung in Goslar gibt er das Jahr 1536 an. In seiner Arbeit Geschichte des alten Halberstädter Buchdrucks, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 1 (1956), S. 245-273, hier S. 246, nennt er das Jahr 1528. 199 Hans-Otto Keunecke: Friedrich Peypus (1485-1535). Zu Leben und Werk des Nürnberger Buchdruckers und Buchhändlers. Mit einem Kurztitelverzeichnis seiner Drucke, in: MVGN 72 (1985). S. 1-65, hier S. 36-37. 200 VD16A 2169. 201 StadtAN B 14/11 Nr. 16, fol. 77v. 202 Hier kann es sich nur um das weiter oben bei Anm. 191 erwähnte Psalterium Romanum aus dem Jahr 1520 handeln: VD16 ZV 1663. 203 StadtAN B 14/11 Nr. 26, fol. 172r.

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tung des verstorbenen Friedrich Peypus ankaufen konnte.204 Aus diesem Jahr stammt auch der erste und einzige Druck von Nikolaus Stuchs, in dem er sich mit Namen nennt.205 Merkwürdig erscheint zunächst, dass in diesem Jahr auch noch zwei Drucke mit den Typen des Vaters erscheinen, obwohl der seine Presse seit zwei Jahren hatte ruhen lassen.206 Obgleich einer der beiden Titel den Namen „Johann Stuchs“ nennt,207 wird man vermuten dürfen, dass diese beiden Stücke zwar in der Werkstatt des Vaters, doch unter wesentlicher Betei­ ligung des Sohnes hergestellt wurden, der so vielleicht in das Gewerbe einge­ führt werden sollte. Dazu passt gut, dass Nikolaus Stuchs im folgenden Jahr 1536 seinen Vater in der Gruppe der Drucker im Ämterbüchlein ersetzt, in dem er auch 1537 noch geführt wird. 1538 wird er wieder gestrichen und an seiner statt wieder der Vater eingetragen. Parallel dazu wird Nikolaus Stuchs von 1536 bis 1540 auch bei den Formschneidern geführt. Dazwischen hatte es im Jahr 1536 offensichtlich Streit zwischen Vater und Sohn gegeben. Johann Stuchs lässt die Bürgschaft für seinen Sohn gerichtlich beenden,208 und fortan lassen sich bis auf den erwähnten Druck von 1535 keine Spuren einer gewerblichen Tätigkeit von Nikolaus Stuchs mehr ausmachen. Von seiner Biographie ist sonst weiter nur seine Eheschließung mit Sybilla Voit am 5. Juni 1532 in Zirndorf bekannt,209 und wir wissen, dass er 1536 wegen nicht gezahlter Steuern acht Tage im Lochgefängnis einsitzen musste.210 Die drei Werke von Johann und Nikolaus Stuchs aus dem Jahr 1535 waren die letzten einer 51jährigen Geschichte der Buchherstellung durch Träger des Namens Stuchs in Nürnberg und Flalberstadt. Vor dem Hintergrund dieser Familiengeschichte ist der eine Druck, den Nikolaus Stuchs unter seinem Namen herausbrachte, kaum noch der Erwähnung wert. So gesehen fand die Druckerei-Tradition des Hauses Stuchs schon mit der zweiten Generation ihr Ende.

204 StadtAN B 14/11 Nr. 37, fol. 194v; vgl. auch Timann (wie Anm. 155), S. 200 mit Einzelheiten der Abwicklung. 205 VD16L4493. 206 VD16 ZV 320 u. VD16 S 8222. 207 VD16 ZV 320. 208 StadtAN B 14/11 Nr. 39, fol. 202v. 201 Karl Schornbaum: Das älteste Ehebuch der Pfarrei St. Sebald in Nürnberg. 1524-1543 (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken [1]), Nürnberg 1949, S. 112, Nr. 3788. 210 StAN, Rst. Nbg., RV 863, fol. 16r zum 30. Mai 1536: in bezalung [der] losung pflichtbrüchig [...]für 8 tag ins loch.

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UNTERLAGEN DER GRÄFENTHALER SAIGERHANDELSGESELLSCHAFT IN NÜRNBERG (1581-1619) IM STAATSARCHIV NÜRNBERG

Von Christian Kruse 1. Die Überlieferungsgeschichte der Unterlagen

Im Rahmen der innerbayerischen Beständebereinigung hat das Staatsarchiv Amberg im April 2007 Unterlagen der Gräfenthaler Saigerhandelsgesell­ schaft in Nürnberg an das Staatsarchiv Nürnberg abgegeben. Die Unterlagen befanden sich im Staatsarchiv Amberg bis zur Abgabe in den beiden Pertinenzbeständen Sulzbacher Administrativakten (18 Akten) und Sulzbacher Fürsten­ akten (1 Akt), in denen im 19. Jahrhundert verschiedene Akten zusammengefasst worden waren, die das Fürstentum Pfalz-Sulzbach betrafen. Bei der Wiederherstellung der provenienzreinen Bestände der Geheimen Registratur und der Behörden des Fürstentums Pfalz-Sulzbach wurden die bisherigen Pertinenzbestände aufgelöst. Die in ihnen enthaltenen Akten, die nicht der pfalz-sulzbachischen Verwaltung entstammten, wurden den entspre­ chenden Beständen innerhalb des Staatsarchivs Amberg zugewiesen oder-wie in diesem Fall - an die zuständigen Archive abgegeben. Es konnte bisher nicht ermittelt werden, auf welchem Weg das Schriftgut der Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft, einer privaten Kaufmannsgesell­ schaft mit Sitz in Nürnberg, in das für die Oberpfalz zuständige Staatsarchiv Amberg gelangt war. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dabei Ge­ schäftsbeziehungen der Handelsgesellschaft mit Amberger Kaufleuten eine Rolle gespielt haben - im Briefwechsel sind Hans Fiecht und Pankraz Leib aus Amberg Korrespondenzpartner. Bis zu einem konkreteren Nachweis ist dies aber nicht mehr als eine sehr vage Vermutung. Ebenso wenig konnte bisher geklärt werden, warum die Unterlagen im Staatsarchiv Amberg in die beiden genannten Sulzbachcr Pertinenzbestände eingereiht worden waren, denn sie betreffen Pfalz-Sulzbach nicht einmal am Rande, zumal das Fürstentum erst 1656 gegründet wurde, also Jahrzehnte nach Auflösung der Handelsgesellschaft. Die Unterlagen hätten demnach auch nach den Ordnungskriterien des 19. Jahrhunderts, die auf dem Pertinenz- oder Be­ treffsprinzip beruhten, nicht in die beiden Bestände eingereiht werden dürfen, in denen sie von Anfang an ein Fremdkörper waren. Umso erstaunlicher ist es,

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Christian Kruse

dass sie an diesem entlegenen Ort von der Forschung entdeckt und genutzt wurden.1 Weil der Stand der bisherigen Verzeichnung zu ungenau war und damit nicht dem Wert und der Bedeutung des Schriftgutes entsprach, habe ich im Juni und Juli 2007 im Staatsarchiv Nürnberg die bisher neunzehn zum Teil sehr um­ fangreichen Akten aufgelöst, detailliert erschlossen und aus ihnen den neuen Bestand Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft in Nürnberg (Rep. 320 i) gebil­ det, der nun 121 Akten und Rechnungen enthält. Der Bestand hat einen Um­ fang von einem laufenden Meter. Im Findbuch ist der frühere Lagerort im Staatsarchiv Amberg blattgenau nachgewiesen. Außerdem informiert eine Konkordanz darüber, auf welche heutigen Akten und Rechnungen die bisherigen Akten aufgeteilt wurden. Da­ durch können Quellenhinweise der bisherigen Literatur identifiziert werden. Bei den neu formierten Unterlagen handelt es sich nicht um die vollständige Registratur der Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft in Nürnberg, sondern - wie bereits der Uberlieferungsweg nahelegt - um einzelne Fragmente dieser Registratur. Diese Fragmente sind jedoch so umfangreich und sowohl inhalt­ lich als auch zeitlich so umfassend, dass aus ihnen ein deutliches Bild von der Tätigkeit dieser Handelsgesellschaft gewonnen werden kann. 2. Die Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft Die Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft wurde 1581 von den Nürnberger Kaufleuten Andreas (II.) Imhoff (1529—1597)2, dessen Bruder Jakob (I.) Imhoff 1

2

Vgl. u.a. Gerhard Seibold: Die Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft. Ein Unternehmen Nürnberger Kaufleute (1581-1619), in: Scripta Mercaturae 11 (1977), Heft 1, S. 25-55. - Ekke­ hard Westermann: Aus der Geschäftstätigkeit der Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft in Mitteldeutschland um 1600, in: Leipzig, Mitteldeutschland und Europa. Festgabe für Manfred Straube und Manfred Unger zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Hartmut Zwahr, Uwe Schirmer und Henning Steinführer, Beucha 2000, S. 367-378. - Ekkehard Westermann: Die Nürnberger Wel­ ser und der mitteldeutsche Saigerhandel des 16. Jahrhunderts in seinen europäischen Verflech­ tungen, in: Die Welser. Neue Forschungen zur Geschichte und Kultur des oberdeutschen Handelshauses, hrsg. v. Mark Häberlein und Johannes Burkhardt (Colloquia Augustana 16), Berlin 2002, S. 240-264 (auch mit der Angabe weiterer eigener Aufsätze zu dem Themenkom­ plex). - Ekkehard Westermann: Die Unternehmensform der Saigerhandelsgesellschaft und ihre Bedeutung für den oberdeutschen Frühkapitalismus. Forschungsstand und -aufgaben, in: MVGN 102 (2015), S. 11-31. Peter Fleischmann: Rat und Patriziat in Nürnberg. Die Herrschaft der Ratsgeschlechter vom 13. bis zum 18. Jahrhundert (Nürnberger Forschungen 31/1-3), Nürnberg 2008, hier: S. 615— 616 und 1693: Andreas (II.) Imhoff war seit 1556 in erster Ehe mit Ursula Schmidmaier (1536-1566) verheiratet, mit der er drei Söhne hatte; zwei weitere Ehen blieben kinderlos. Seit 1580 war er alleiniger Geschäftsführer der Imhoffschen Handelsgesellschaft. Er stieg innerhalb des Rates zu höchsten Ämtern auf: von 1558 bis 1564 war er Jüngerer Bürgermeister des Klei­ neren Rats, von 1565 bis 1579 Älterer Bürgermeister, von 1580 bis 1585 Älterer Herr, von 1586

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m

Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft

Vw w«lfc>j und kulturelles Erlebnis, etn’unvergeßliches Ereignis worden. Wöge sic alle, dlo sie niltcrlebcu können, stärken Im Glauben nii die christliche Wahrheit. In der heißen Liebe zur Kirche und In treuem Gehorsam gegen Ihr Ccsctzl Gott gehe dazu schien Scgcnl

Der Minilfcrprälident von Bayern, Herr Dr. Held

Möge Goll darum der 70. Generalversammlung einen glückhaften Verlauf und reiche Erfolge Im Kampf gegen die seelische und gelstigo Nol des deutschen Volkes und dor ganzen Menschheit schenken! Möge Er In Nürnberg ein flammendes Glniihcnsfuiicr. dessen Wftrinc und Licht Millionen von Herzen neu beleben und mit Kraft und Mut erfüllen, gegen die Barbarei der Gottlusenbowogun« ent­ zünden! Das möge die Fürbitte der hl. Elisabeth von dem allmächtigen Herrn der Heerscharen Im Himmel er­ flehen!

Bayerischer MlnlMcrpf8sldtnf.-'B

Sc. Exzellenz, der Hothwürdiglfc Herr Apoltolildie Nuntius A. Vasollo di Torrcgrossa Die 70. Generalversammlung der Katholiken Deutsch­ lands lagt In einer Zelt gröütcr Nol des deutschen Volkes In der größten süddeutschen Diasporastadt unter dem Schutze der heiligen Ellsnholh. Wir Christen sehen In Jeder grollen Notzeit chic Prü­ fung Gottes. Wir wissen, daß eine solche Zelt der Not nur mit Hilfe der Kraft der Religion Überwunden werden kann. Möge der Nürnberger Katholikentag dazu beitragen, solche heilige Kräflc Im katholischen Deutschland erneut zu wecken und zu stärken. Der Katholikentag findet In Nürnberg, der großen ka­ tholischen Diaspora des deutschen Südens statt. Das Junge

In furchtbar wirkenden Notzeit kommen die deutschen Katliullkcn zu Ihrer 70. Generalversammlung In Nürnberg zusammen. Nicht allein wirtschaftliche, matorlollo Nol drückt unser Vaterland darnieder und quillt die Völker der Well. Fast mehr noch Ist's seelische Nol. sind os geistige Nöte, die die Menschheit In schwere Unruhe versetzen. In dieser Notzeit gärender Unrast und stürzender Staatsgewalten ragt vor der Welt wahrhaftig wie ein un­ erschütterlicher Fels In der Brandung die katholische Kirche hervor und hielet mit Ihrer unerschütterlichen Autorität der verzweifelnden Menschheit den sichern Hort. In dieser entsetzlichen Zelt, da die Finsternisse' gottloser Unkultur Religion. Gottcsglnubcn und alle christliche Kul­ tur zu Verschlingen drohen, leuchtet tu ruhig strahlendem Licht, wie ein Fanal, das Glnubclisfetier des Katholizismus vor der suchenden Menschheit nul und weist Ihr den Weg aus der Not der Herzen und der schaffenden Hände. Am schwersten leidet seit eineinhalb Jahrzehnten da; deutsche Volk. Am furchtbarsten waren seine Opfer. Die deutschen Katholiken haben willig and hingehend Ihr red­ lich Teil daran mitgclragcn. beseelt von Jener unerschüt­ terlichen. In der Religion verankerten Vaterlandsliebe. Wenn darum die deutschem Katholiken, sozusagen einen Schritt vor dem Abgrund der Katastrophe, In Nürnberg, dieser Stadt der Arbeit und reicher katholischer Vergan­ genheit, auf ihrer 70. Generalversammlung unter dem Schulz der hehren Gestalt der hl. Elisabeth, dieser Mut­ ter der Armen und Bedrängten, den zagenden Herzen und suchenden Köpfen Im deutschen Vaterland Trost und llciliniltcl für die kranke Zelt aulzeigen, dann blicken nicht bloß die Tausende von Besucher, nicht mir die Millionen der deutschen Katholiken auf Nürnberg, dann horcht der Katholizismus der Welt auf und schaut out hoffnungsvol­ len Erwartungen auf die Nürnberger Katholikcnvcrsainmlung.-------------------- !—::.c ,— ------------- -----

Abb. 1:

Titelblatt der ersten Ausgabe der Festzeitung zum Nürnberger Katholikentag, 26. Au­ gust 1931. (Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg H00 / 2 THL.A-VIIII 6)

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Städten wie Ansbach und Dinkelbühl, ja sogar München und Oberstdorf, run­ deten das Erscheinungsbild des Extrablattes ab. Der Vertretertag der katholischen Verbände, zu dem jeweils drei Delegierte entsandt werden konnten, wurde im Bewusstsein der traditionellen Zwei­ gleisigkeit in Nürnberg unabhängig von anderen offiziellen Veranstaltungen in die ersten Tage des Treffens mit eingebunden. Die fünf Arbeitsgruppen (mit insgesamt rund 500 Teilnehmern) tagten bei unterschiedlicher Themenstellung in der Handelshochschule. Zusammengefasst hieß die Fragestellung laut Be­ richtsband für sie: Der gläubige Mensch in den radikalen Strömungen und Bewegungen unserer Zeit; und Die Nöte der Gegenwart und ihre Ueberwindung im Geiste der heiligen Elisabeth.54 In der „Geschlossenen Versammlung“, die am vierten Tag, den 29. August, im Großen Rathaussaal stattfand, wurde über die Ergebnisse aus den Vertre­ tertagsgruppen berichtet. So war es in der besonders interessanten Arbeits­ gruppe V, die der Publizist und Schriftsteller Emil Ritter geleitet hatte, um das Thema Gesundes Volkstum als nationalpolitische Aufgabe gegangen. Dieses umfasste die Punkte Kampf gegen die bolschewistische Kulturpropaganda ge­ nauso wie zum Beispiel die Freidenkerbewegung und die öffentliche Unsitt­ lichkeit.55 Politischer und kirchlicher Hintergrund Zu den Politikern, die bei der Eröffnungsversammlung am Freitag, den 28. August, in der Festhalle im Luitpoldhain die 12.000-15.000 Gäste begrüßten, gehörten der bayerische Ministerpräsident Dr. Heinrich Held (BVP)56 und der aus Kiel stammende protestantische Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Her­ mann Luppe, Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). In seinen Erinnerungen vertritt er die Überzeugung, dass zwar wegen der sozialdemo­ kratischen Mehrheit im Stadtrat, auf deren Zusammenarbeit er angewiesen war, die Beziehung der Stadtverwaltung zu den Kirchen belastet gewesen sei, sich dies aber durch seine Vermittlung verbessert habe. Weiter kommt sein Biograph Hermann Hanschel zu dem Schluss, sein „Verhältnis [...] zum Ordinariat in Bamberg und zum Erzbischof sei schließlich sogar .geradezu vertrauensvoll1 gewesen“.57 Manche Protestanten befürchteten, dass Dr. Luppe sich womöglich zu sehr mit den Katholiken eingelassen haben könnte. So wandte sich am 21. November 1931 der protestantische Pfarrer Rudolf Löffler 54 55 56 57

70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 293. Ebd.,S. 194. 1 921 war Heinrich Held Präsident des Deutschen Katholikentages in Frankfurt. Vgl. Hanschel (wie Anm. 36), S. 305.

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aus Gaggenau brieflich an den Oberbürgermeister und fragte an, ob die Behauptung eines Zentrumsabgeordneten in der Presse stimme, dass nach Meinung von Luppe der Katholizismus noch das Einzige sei, an dem die Welt genesen könne. Dr. Luppe antwortete prompt, erklärte sich klar als Protestant und sandte ihm zur Beruhigung den Wortlaut seiner Rede zu, wie sie - poli­ tisch korrekt und ausgewogen - in der Bayerischen Volkszeitung zu lesen ge­ wesen war.58 Luppe, ein entschiedener Demokrat, der die Konstruktionsschwächen der jungen Republik durchaus kannte, sprach in seiner Begrüßung beim Katho­ likentag im Blick auf die gesellschaftlichen Krisenerscheinungen die Hoffnung aus, dass die sittlichen Kräfte im Volk größer seien als die Nöte der Zeit, und fuhr dann laut Protokoll fort: Die Geschichte wird einst unser Volk glücklich preisen, weil wir in der Zeit der allerhöchsten Not an der führenden Spitze un­ seres Volkes einen Mann sehen, der nicht nur großes Können und Wissen besitzt, sondern der aus tiefer innerer Überzeugung und religiösem Pflichtbewusstsein Mut und Kraft schöpft unsere deutschen Geschicke zu meisternd Das auch von anderen Referenten bekräftigte Loblied auf den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, der nach dem Rücktritt des sozialdemokratischen Reichskanzlers Hermann Müller und seiner Großen Koalition am 27. März 1930 im Auftrag von Reichspräsident Hindenburg bis zum Nürnberger Katholikentag bereits 17 Monate als Reichskanzler das erste Weimarer Präsi­ dialkabinett führte, wurde mit stürmischem Beifall belohnt. Schließlich hatte er auch ein bemerkenswertes Verhandlungsgeschick in den Gesprächen mit den USA und anderen westlichen Staaten bewiesen. Da trat schon zurück, dass die Neuwahlen zum Reichstag vom 14. September 1930 unerwartet die NSDAP von 2,6 Prozent (1928) auf 18,3 Prozent katapultiert und sie hinter der SPD (24,5 Prozent) zur zweitstärksten Partei gemacht hatte. Auch die KPD konnte einen erheblichen Zuwachs verzeichnen und verbesserte sich von 10,6 auf 13,1 Prozent. Das Zentrum erreichte 11,8 Prozent. „Kanzler Brüning ließ sich 1930 zum besseren Führer stilisieren, eine klare Abgrenzung vom und doch zugleich Anverwandlung an den Führer der NSDAP“, betont der Historiker Olaf Blaschke.60 Schließlich war die Bezeich­ nung „Führer“ als Beiname für Hitler nach der Einschätzung des englischen Historikers Ian Kershaw etwa seit Mitte 1923 in nationalsozialistischen Krei-

58 Vgl. StadtAN C 7/1 Nr. 765/22. - Vgl. Luppe (wie Anm. 35), S. 279. Luppe nannte dies eine gehässige Stimme und macht deutlich, dass es die Aufgabe eines Stadtoberhauptes sei, allen geistigen Strömungen gerecht zu werden. 59 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 273. 60 Blaschke (wie Anm. 26), S. 54.

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sen ohne Beschränkung auf seine Parteiämter gebräuchlich.61 Ein „Führer“ ist nach dem Verständnis der Weimarer Zeit jemand, der den Eindruck, ja die Sicherheit vermittelt, die Probleme der Welt zu durchschauen, Verantwortung auf sich nimmt und eine Gefolgschaft um sich schart, die ihm uneingeschränkt vertraut. Bei der Eröffnung des Vertretertages hatte der Präsident des Cari­ tasverbandes Prälat Dr. Benedict Kreutz bereits die heilige Elisabeth, die Patronin des Treffens, als das Vorbild für Führerschaft gepriesen.62 Ganz selbst­ verständlich wurde dann später von den Marianischen Kongregationen auch Maria zur Führerin erhoben.63 Nicht zufällig zeigt ja auch das Plakat zum Katholikentag die heilige Elisabeth vor der „Frauenkirche“, der Marienkirche Nürnbergs, und nicht mit „ihrer Kirche“ St. Elisabeth (Abb. 2). Für Bischof Dr. Wilhelm Berning (Osnabrück), ein aktives Zentrumsmitglied, das mehr­ fach im Namen der Bischofskonferenz Verhandlungen mit der nationalsozia­ listischen Reichsregierung zu führen hatte, war dann im Jahr 1933 die gleich­ zeitige Akzeptanz eines christlichen wie eines politischen Führer-Begriffs ebenfalls zunächst kein Problem. Auf dem regionalen Katholikentag in Bremen formulierte er beruhigend: In unserer heiligen katholischen Kirche haben wir das Führerprinzip bereits von dem Stifter unserer Kirche Jesus Christus erhalten.M Ein Jahr später empfahl Bischof Berning jedoch ganz ernüchtert seinem Klerus, den Begriff des,Führers1 nicht für religiöse Leitungsämter zu gebrauchen.65 Kaum jemand ahnte, was das angesprochene Brüning-Regime mit seinem rigorosen Sparkurs für Folgen haben sollte. Nach über zwei Jahren enger Zusammenarbeit in zwei Präsidialkabinetten, einem defizitären Finanzhaushalt und mehreren Notverordnungen nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung, z.B. im Jahr 1931 zwischen März und Oktober allein vier Verordnungen bzw. ihre Abänderung zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen,66 verlor Brü­ ning das Vertrauen des greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Nach dessen Wiederwahl im zweiten Wahlgang April 1932 weigerte sich Hindenburg, weitere Notverordnungen zu unterschreiben. Dies sei „100 Meter vor dem Ziel“, wie Brüning am 1. Mai 1932 im Reichstag feststellen zu können glaubte. Erste Sanierungserfolge vermochte er damit nicht mehr auf sein Konto zu buchen; am 30. Mai 1932 trat er zurück.

61 62 63 64

Vgl. Ian Kershaw: Der Hitler-Mythos, Stuttgart 1999, S. 37. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 123. Ebd.,S. 533. Zitiert bei Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, 4. aktualisierte Aufl., Frankfurt am Main 2013, S. 43. 65 Vgl. Gerhard Besier: Die Kirchen und das Dritte Reich - Spaltungen und Abwehrkämpfe 1934-1937, München 2001, S. 133. 66 Vgl. Dirk Blasius: Weimars Ende - Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, Göttingen 2005, S. 27f.

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Der 70. Deutsche Katholikentag in Nürnberg 1931

W.i6cneraloetfammlunö öerJiatholtfcn Deutlchlanüs IN NÜRNBERG VOM 26 BIS 30 AUGUST 1931

Abb. 2:

Festpostkarte zum Nürnberger Katholikentag 1931, deren Motiv auch als Titelbild für den Fest-Führer und den Berichtsband diente. (Privatbesitz)

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Die wirtschaftliche Bilanz war erschreckend: 1930 gab es rund drei Millionen Arbeitslose (14 Prozent), 1931 4,5 Millionen (21,9 Prozent) und 1932 bereits 5,6 Millionen (29,9 Prozent).67 Der Nürnberger Pater Gamelbert Maier (1877— 1960), selbst Katholikentagsteilnehmer und Gastgeber des Klosters für den päpstlichen Nuntius Vasallo di Torregrossa sowie für Erzbischof von Hauck, verwies in seiner Chronik für das Franziskanerkloster und die Pfarrei St. Lud­ wig, die den Zeitraum von 1929 bis 1949 umfasst, im Jahresrückblick für 1930 auf die daraus entstandene Not: Kein Wunder, daß das wirtschaftliche Elend der Familien oft ins Ungeheuerliche stieg und die sogenannte freie Liebes­ tätigkeit der Vinzenz- und Elisabethvereine [...] andauernd stark in Anspruch genommen wurde. Überall Abbau, Entlassungen, Kurzarbeit.68 Noch schlim­ mer wurde es im Jahr des Katholikentages: Das Jahr 1931 ist durch seine drü­ ckende wirtschaftliche Not zur traurigen Berühmtheit geworden [...]. Löhne und Gehälter wurden ständig gekürzt, während die Steuerlast wuchs,69 Das Arbeitsamt Nürnberg registrierte zwischen Januar und Dezember 1931 eine Steigerung der Arbeitslosenzahlen von 41.679 auf 54.151 Personen.70 Die wachsende Armut wurde damit zwangsläufig auch beim Katholikentag zu ei­ nem wichtigen karitativen Diskussionsthema. Genauso energisch wurde freilich in den Arbeitskreisen die Bekämpfung der „sittlichen Not“ gefordert. Der Ruf nach der moralischen Autorität des Staates und die Forderung, sie durchzusetzen, war unüberhörbar. Katholikentags­ teilnehmer wurden mit der Kampfbewegung gegen die öffentliche Unsittlichkeit konfrontiert, zu der auch empfängnisverhütende Mittel (erste Kondomauto­ maten in Berlin), der Protest gegen den Paragraphen 218, die Prostitution, das Wildbadeunwesen und die Freikörperkultur gerechnet wurden.71 Dieser Ab­ wehrarbeit fühlte sich vor allem der auf dem Katholikentag vertretene Kölner Volkswartbund verpflichtet.72 Als ein rechtes Beispiel von Sittlichkeit dürfte sich auf dem Katholikentag die Ausstellung „Die Frau im Arbeits- und Feier­ kleid“ verstanden haben, die am 23. August in den Räumen des Kulturvereins eröffnet wurde: Wir katholischen Frauen bekennen uns nicht ausschließlich zur modischen Linie des Gesellschaftskleides, sondern mehr noch und primär zu der Würde eines feinen Anstandes desselben, auch wenn die Mode - auf Kosten weiblichen Zartgefühls - nur lockende Schönheit befiehlt (ärmelloses Kleid, 67 Martin Broszat: Die Machtergreifung - Der Aufstieg der NSDAP und die Zerstörung der Wei­ marer Republik, 5. Aufl., München 1994, S. 235. 68 Maier (wie Anm. 18), S. 91. 69 Ebd., S. 96. 70 Vgl. Hanschel (wie Anm. 36), S. 353. 71 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 218ff. 72 Gegründet 1927 als „Vereinigung deutscher Katholiken zur Bekämpfung der öffentlichen Un­ sittlichkeit“.

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tiefes Rückendekollete)!, heißt es im Beitrag des katholischen Deutschen Frauenbundes im Berichtband.73 Bei dem Laientreffen standen im Hintergrund so mancher gesellschafts­ politischer Beiträge päpstliche Lehrschreiben, vor allem die erst im Mai 1931 veröffentlichte Enzyklika „Quadragesimo anno“, in der unter anderem die Sozialbindung des Eigentums gefordert wird, sowie etliche bischöfliche Verlautbarungen. Die Sozialenzyklika von Papst Pius XI., deren Titel an das vor vierzig Jahren veröffentlichte Rundschreiben „Rerum Novarum“ von Papst Leo XIII. erinnert, war maßgeblich von Professor Oswald von NellBreuning SJ entworfen worden. Auf dem Nürnberger Katholikentag nahm er in seinem Referat vor der Gruppe I des Vertretertags Bezug auf das neue Lehrschreiben und forderte Gemeinwohlgerechtigkeit. Der entscheidende Kernsatz war für ihn: Liebe kann kein Ersatz sein für geschuldete, aber ver­ sagte Gerechtigkeit,74 Seine Mitautorschaft durfte er in seinem Vortrag freilich nicht offenbaren; ein Schweigegebot hinderte ihn für Jahre daran.75 Heute von Kardinal Marx als „Nestor der katholischen Soziallehre“ verstanden, war er in früheren Jahren immerhin wegen „linker Tendenzen“ in katholischen Kreisen umstritten.76 Zu den wichtigen bischöflichen Verlautbarungen gehörte das bekannte „Antwortschreiben des Bischöflichen Ordinariats Mainz“ an die NSDAP vom 30. September 1930, in dem eine Anfrage der Gauleitung Hessen eindeutig dahingehend beantwortet wurde, dass die Kulturpolitik des Nationalsozialismus mit dem katholischen Glauben in Widerspruch stehe und kein Katholik Mit­ glied der Hitler-Partei sein dürfe.77 Der Historiker Othmar Plöckinger be­ zeichnet die Reaktionen auf die Mainzer Stellungnahme als „äußerst heftig“ und zitiert den Mainzer Generalvikar mit der Aussage, dem Bischof, dem Ordinariat und ihm selbst seien zahlreiche Zuschriften aus allen Teilen Deutschlands zugegangen, deren größter Teil beleidigenden Inhalt hatte, aber auf die Sache selbst nicht einging.7S

73 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 643. 74 Vgl. ebd., S.134-138. - Der Pädagoge Heinrich Pestalozzi (1746-1827) gilt bereits wesentlich früher als Urheber eines ähnlichen, aber deutlich deftigeren Satzes: Wohltätigkeit ist das Ersau­ fen des Rechts im Mistloch der Gnade (zitiert u.a. bei Hans-Jürgen Benedict: Barmherzigkeit und Diakonie - Von der rettenden Liebe zum gelingenden Leben, Stuttgart 2008, S. 143). 75 Vgl. Heribert Klein (Hrsg.): Oswald von Nell-Breuning - Unbeugsam für den Menschen Lebensbild - Begegnungen, Freiburg 1989, S. 37. 76 Vgl. Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 7, 3. Aufl., Freiburg 2009, S. 734. 77 Vgl. Georg Denzler / Volker Fabricius (Hrsg.): Die Kirchen im Dritten Reich - Christen und Nazis Hand in Hand?, Dokumente 2, Frankfurt am Main 1984, S. 27f. 78 Vgl. Othmar Plöckinger: Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922-1945, München 2006, S. 274.

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Den Katholikentagsteilnehmern in Nürnberg dürften diejenigen „Pastoralen Anweisungen der bayerischen Bischöfe“ vom 10. Februar 1931 insgesamt theologisch bedeutsamer erschienen sein, die im kulturpolitischen Programm der Nationalsozialisten Irrlehren entdeckten und im Blick darauf Regelungen trafen. Ihr Resümee ist deutlich: Was der Nationalsozialismus Christentum nennt, ist nicht mehr das Christentum Christi. Die Bischöfe lehnten die Rassen­ lehre ab und weigerten sich das Alte Testament und den mosaischen Dekalog preiszugeben.79 Sie wagten es aber nicht, sich zugleich deutlich gegen die von den Nationalsozialisten geschürte Judenfeindlichkeit zu wenden. Ob dies auf­ grund taktischer Erwägungen erfolgte oder christlichem „Antijudaismus“ ent­ sprang, muss offenbleiben. So tauchen auch im Sachregister des Berichtwerks zum Katholikentag weder die Worte „Jude“ noch „Antisemitismus“ auf. Trotz dieser Zurückhaltung war für die Katholiken der Weimarer Zeit klar, dass durch die Taufe auch ein Jude ein „neuer Mensch“ werden konnte. Für den Nationalsozialismus blieb ein Jude freilich immer ein Jude. Die Konsequenz: Auch als Christ konnte ein Jude der NS-Verfolgung nicht entkommen. In den bayerischen Anweisungen, in denen die gleichen Grundsätze gegen­ über dem Nationalsozialismus, dem Liberalismus und dem Sozialismus (in all seinen Formen) geltend gemacht werden, wird zum Schluss betont: Sollte sich, was wir nicht hoffen, der Nationalsozialismus zu den Methoden des Bolsche­ wismus entwickeln, dann könnte allerdings bei den Einzelnen eine bona fides nicht mehr angenommen werden.*0 Der Erklärung des Bayerischen Episkopates folgten im März 1931 und in den Monaten danach weitere entsprechende Ver­ lautbarungen anderer Kirchenprovinzen, die nach Plöckingers Meinung frei­ lich alle die Entschiedenheit der ersten Mainzer Erklärung nicht mehr erreich­ ten.81 Sie brachten aber immerhin mehrfach die katholischen Bedenken zum Ausdruck. Auf dem Katholikentag wurden die angeprangerten Weltanschauungen praktisch im gleichen Atemzug verurteilt, doch ist nicht zu übersehen, dass der Bolschewismus in besonderem Maße als Gefahr wahrgenommen und benannt wird. Der renommierte Flistoriker Olaf Blaschke zeigt Gründe hierfür auf: Durch Stalin, ab 1922 Generalsekretär der kommunistischen Partei, waren der orthodoxen Kirche in Rußland wenige Jahre vorher nahezu alle Privilegien genommen, Klöster und Seminare geschlossen worden. Brutal war die Säku­ larisierung durchgesetzt, waren zahlreiche Priester und Bischöfe umgebracht worden. „Dies alles löste Angst und Schrecken in Westeuropa aus. Mehrfach

79 Vgl. Denzler / Fabricius (wie Anm. 77), S. 29. 80 Ebd.,S. 31. 81 Vgl. Plöckinger (wie Anm. 78), S. 276.

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brandmarkte der Papst den Bolschewismus als .Seuche“ und .satanisch“.“82 Die mögliche Errichtung eines Rätesystems nach dem Vorbild der Bolschewiki auch in Deutschland schien trotz manch niedergeschlagener Putschversuche noch immer nicht völlig abwegig und beherrschte die politische Diskussion. So beendete die kommunistische Alterspräsidentin Clara Zetkin ihre ReichstagsEröffnungsrede am 30. August 1932 in der Hoffnung [...] das Glück zu erleben, als Alterspräsidentin den ersten Rätekongreß Sowjetdeutschlands zu eröffnen. Der Nationalsozialist Hans Frank, in der NS-Zeit Reichsminister und Gene­ ralgouverneur in Polen, legte ihr in seinen posthum erschienenen Memoiren fälschlicherweise - sogar die Worte in den Mund, daß sie im Aufträge Moskaus spreche, wenn sie die Hilfe der Roten Armee ,schon jetzt‘ ankündigen könne, falls die, Werktätigen Deutschlands‘ zum Freiheitskrieg schreiten würdenP Eine drohende Gefahr aus dem Osten wurde in der Weimarer Republik ab 1930 in Gestalt des „Kulturbolschewismus“ über die Frage der rechten Be­ kämpfung mehrfach zum Streitthema im Reichstag. Der Abgeordnete Josef Joos (Zentrum), der spätere Präsident des Nürnberger Katholikentages, erläu­ terte bereits am 18. Juni 1930 in der 178. Sitzung in KulturkampfStimmung, was der politische Katholizismus darunter verstehen zu müssen glaubte: Der Herr Kollege Sollmannu hat gefragt, oh Trennung von Staat und Kirche, Feuerbestattung, die saubere reichsgesetzliche Regelung des Kirchenaustritts, die Aufhebung des Gotteslästerungsparagraphen, jede Ahschwächung des bar­ barischen und antisozialen j 218, jede reinliche Form der Ehescheidung Kulturholschwismus sei. Ich gehe die Antwort: Ja. In der Zusammenwirkung sol­ cher Maßnahmen handelt es sich in der Tat um Kulturbolschewismus, [...] d. h. um Zersetzung und Auflösung einer tief-sittlichen Überlieferung in Ehe und Familie, Staat und Kirche,85 Im Rahmen des Katholikentages wurde ein „Kreuzzug“ mit geistigen Waffen beim Treffen des „Johannesbundes zur Förderung des Reiches Christi“ am 28. August im Künstlerhaus von den Rednern gegen die damit verbundene zunehmende Gottlosen-Bewegung gefordert, die sich bereits auch in Deutsch-

82 Vgl. Blaschke (wie Anm. 26), S. 18f. 83 Verhandlungen des Reichstags, VI. Wahlperiode 1932, Bd. 454, Berlin 1932, S. 3 (http://www. reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w6_bsb00000138_00035.html, gefunden am 2.3.2016); Hans Frank: Im Angesicht des Galgens. Deutung Hitlers und seiner Zeit auf Grund eigener Erleb­ nisse und Erkenntnisse, München-Gräfelfing 1953, S. 119. 84 Der SPD-Abgeordnete Wilhelm Sollmann emigrierte nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in die USA und wurde amerikanischer Staatsbürger. 85 Verhandlungen des Reichstags, IV. Wahlperiode 1928, Bd. 423, Berlin 1929, S. 5584 (http:// www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w4_bsb00000112_00370.html, gefunden am 15.11.2015).

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land festgesetzt habe.86 Eigenschaften, die nur einem heiligen Franziskus oder dem göttlichen Heiland zustünden, würden Lenin zugesprochen: Die religiöse Welt tritt in einen Kampf gegen Luzifer ein und kämpft für Christus und sein Reich, doch der Ausgang dieses Kampfes ist nicht zweifelhaft.87 Der Berichtband zum Katholikentag kennt in seinem ausführlichen Sachregister daher auch zahlreiche Stichworte zum Bolschewismus, zur Gottlosenbewegung, zu Russ­ land und ähnlichem, während Begriffe wie (übersteigerter) Nationalismus oder gar Nationalsozialismus wider Erwarten nicht vertreten sind. Positionen zwischen Stabilität und Umbruch Für Pater Rupert Mayer SJ, Präses der Marianischen Männerkongregation in München, waren die Katholikentage nicht bloß Tage der Heerschau, sie sind auch Tage der inneren Einkehr. Er war überzeugt, dass im katholischen Ver­ einsleben Kampfesmüdigkeit und Vereinsmüdigkeit Platz gegriffen hatte und versuchte daher bei der Männerversammlung die Männer aufzurütteln und sie zu einem wahren Frontgeist gegenüber den großen Zeitfragen zu bewegen.88 Zu den frühen Kritikern des Nationalsozialismus aus dem Kreis der Katholikentagsteilnehmer gehörten der mehrfach auftretende Jesuit Friedrich Muckermann und der Münchner Domdekan und BVP-Landtagsabgeordnete Anton Scharnagl. Pater Muckermann hatte als Redner, Journalist und Heraus­ geber zweier Zeitschriften immer wieder Hitlers Buch „Mein Kampf“ an den Pranger gestellt. Als Kriegsgefangener des Ersten Weltkrieges in Russland entlassen 1919 - hatte er schon vorher persönliche Erfahrungen mit dem Kommunismus gemacht. Einige Monate vor dem Katholikentag, am 25. Januar 1931, schrieb er im Blick auf Hitler in der Essener Volkszeitung: Der Boden des Rechts wankt unter unseren Füßen. Das ist der Bolschewismus, das ist die Anarchie,89 Spätestens ab 1937 sollte er sogar den gemeinsamen Kampf von Kirche und Nationalsozialismus gegen den Bolschewismus als moralisch uner­ laubt werten: Wir können ihn [Hitler] genau so wenig unterstützen, wie wir Trotzki unterstützen können, der nur eine andere Richtung des gleichen Bolschewismus vertritt, zu dem Stalin sich bekennt.90 Prälat Anton Scharnagl91, Berater der bayerischen Bischöfe, sprach auf dem Katholikentag über die Män­ nervereine und ihren notwendigen Zusammenschluss im Landesverband: Wir 86 Der Johannesbund rechnete für Deutschland mit 600.000 Mitgliedern der Gottlosenbewe87

gUng'

88 89 90 91

Vgl. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 469-472. Ebd.,S. 516. Zitiert bei Plöckinger (wie Anm. 78), S. 277. Zitiert bei Hürten (wie Anm. 41), S. 351, aus „Der Deutsche Weg“ Nr. 1 vom 7.1.1937. Verfasser des Werkes: Die nationalsozialistische Weltanschauung, Eichstätt 1931.

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haben die gleichen katholischen Grundsätze zu verteidigen. Wenn auch die Partei tot ist, die früher sich die nationalliberale nannte, so lebt das, was Liberalismus‘ ist, heute fort in anderen Bewegungen und deren Anhänger: Im Sozialismus sowie im Nationalsozialismus. Hier obliegt unserer Bewegung die Pflicht, dafür zu sorgen, daß keine neuen sich jenen Bewegungen anschließen und daß viele bisherige Anhänger davon befreit werden?1

Der Nürnberger Reichstagsabgeordnete der BVP, Karl Joseph Troßmann (1871-1957) einer der drei stellvertretenden Vorsitzenden des Lokalkomitees für den Katholikentag, der auch das Huldigungsschreiben an Papst Pius XI. mitunterzeichnete, hatte sich erst im März 1931 im Reichstag gegen die Aus­ sperrung von 40.000 Arbeitern durch die Bayerische Großstadt-Metallindustrie gewandt. Im gleichen Jahr veröffentlichte er seine Streitschrift „Hitler und Rom“. In ihr rechnete er mit dem Nationalsozialismus ab, was für ihn bereits kurz nach der Veröffentlichung aufgrund eines Einspruches des NSDAP-Abgeordneten Gottfried Feder die Vernichtung des größten Teils der Auflage be­ deuten sollte. Seine wichtigsten Worte sind - aufgrund der klaren Vorausschau gern zitiert - gegen Ende immer noch folgende: Was bliebe uns vom National­ sozialismus und all seinen Versprechungen, gemessen an den deutschen Verhäl­ tnissen? Eine brutale Parteiherrschaft, die mit allen Volksrechten aufräumen würde. Die Aussicht auf einen neuen Krieg, der bei den gegebe­ nen Verhältnissen nach [sic!] verhängnisvoller enden müßte als der letzte Krieg. Der Ruin Deutschlands und ein nachfolgendes vergrößertes Elend. Dieses drohende Unheil zu verhüten, ist wahrhaft christliche Tat.n Nur durch die leicht zu übersehende Erwähnung, an einem Mittagessen teilgenommen zu haben, ist die Anwesenheit eines später recht unterschiedlich gewerteten „Brückenbauers“ beim Nürnberger Katholikentag belegt, des Prälaten und späteren österreichischen Bischofs Alois Hudal. Konveniat ehe­ maliger Animakapläne u. Konviktoren in Anwesenheit des H.H. Rektors der Anima Prälat Dr. Hudal im Bamberger Hof (Königstraßef4 lautet der knappe Vermerk für den 29. August 1931. Der spätere „päpstliche Thronassistent“ Alois Hudal (1885-1963) war ab 1923 Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria delPAnima in Rom. In seinem Werk „Die Grundlagen des Natio­ nalsozialismus“ von 1936, das auch Kritik an der NS-Ideologie übt, beschwor er den gemeinsamen Kampf gegen den Bolschewismus. „Dabei gelangte Hudal keineswegs zu einer rückhaltlosen Bejahung des Nationalsozialismus, er trug jedoch Argumente für die durch die Vorgänge in Deutschland längst wider92 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 514. 92 K[arl] Troßmann: Hitler und Rom, Nürnberg 1931 (Nachdruck Innernzell 1999), S. 196 (Wort­ sperrungen im Original). 94 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 75f.

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legte Wunschvorstellung zusammen, daß es doch noch einen kirchlich erträg­ lichen Nationalsozialismus geben könne“, bewertet Heinz Hürten Hudals Ausführungen.95 Dennoch wurde auch sein Buch bald verboten. Der Bamberger Landesgerichtspräsident und BVP-Politiker Geheimrat Dr. Lorenz Krapp hatte bereits am 1. Februar 1931 bei der Gründungsfeier des Lokalkomitees sowohl den Bolschewismus als auch den Nationalsozialismus in den Blick genommen: Da hebt der Bolschewismus wieder die phrygische Mütze96 auf, die Paris vor 130 Jahren, als es vom Blutrausch seiner Revolution erwacht war, voll Entsetzen weggeworfen hatte [...]. Da taucht aufs neue eine Theorie auf [...]: die Lehre, daß Rasse und Blut die höchsten sittlichen Güter der Menschheit seien und alle gesunde Moral sich nur auf sie und nicht auf die zehn Tafeln vom Sinai aufzubauen habe.97 Überhaupt wurden von Referenten viel­ fach Parallelen zwischen Bolschewismus und NS-Ideologie gezogen. So hielt beispielsweise das Protokoll fest: Herr Prälat [Ludwig] Wolker führt aus, daß der Nationalsozialismus oft als Gegenwehr gegen den Bolschewismus angese­ hen werde. Da ist aber zu fragen: Wie sieht die seelische Verfassung der Jugendlichen aus, die auch nur wenige Wochen im Nationalsozialismus gestan­ den haben? Es ist nichts anderes als eine seelische Bolschewisierung der Kinder und Jugendlichen,98 Vergeblich kämpfte Ludwig Wolker als Generalpräses der Katholischen Jungmännervereine Deutschlands nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten gegen die zunehmenden Schikanen und letztlich gegen die Auflösung der katholischen Jugendverbände. Letzthin in die gleiche Richtung wie die Ausführungen von Prälat Wolker ging der in die zweite öffentliche Versammlung am Samstag, den 29. August, verschobene Vortrag Die katholische Jugend und die neue Zeit von Karl Erbprinz zu Löwenstein (1904-1990), dem Sohn des Vorsitzenden des Zentral­ komitees der deutschen Katholiken. Sich darauf stützend, dass die „Katholische Jugend Deutschlands“ mit eineinhalb Millionen Mitgliedern die stärkste Jugendgemeinschaft im deutschen Reich darstellte,99 erklärte er selbstbewusst: Weder der kommunistische Arbeitsstaat, noch ein Staatssozialismus nationaler Prägung können dem Leben des Menschen Sinn und Zweck und ihren Herzen das Glück geben. Mit Blick auf den Nationalsozialismus fuhr er später fort: Katholische Jugend will helfen, neue Volksgemeinschaft zu schaffen. Nicht be­ gründet auf Haß und Neid, nicht begründet auf unverstandene und unver­ ständliche Rassentheorie, sondern auf der Schicksalsgemeinschaft der Deut95 96 97 98 99

Hürten (wie Anm. 41), S. 403. Jakobinermütze. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. lOf. Ebd., S. 218. Ebd., S. 316.

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sehen, die durch Sitte, Sprache und Geschichte verbunden sind. [... Wir wollen] Grundlagen legen für das Reich, das freie und starke deutsche Reich, nach dem wir uns sehnen.'00 Mit 27 Jahren war Karl Erbprinz zu Löwenstein, der „Spre­ cher der katholischen Jugend“, der Jüngste unter den Referenten. Auch er ver­ mochte auf Dauer den Verlockungen eines übersteigerten Nationalismus, den die Nationalsozialisten predigten, und der möglichen positiven Rolle des Adels in einer kommenden ständischen Gesellschaft ohne Parlament nicht zu wider­ stehen.101 Noch in der abgedruckten Textfassung zeigte er Sympathien für Ele­ mente des italienischen Faschismus, soll aber auf diesen Gedankengang in der Rede selbst verzichtet haben: Aber was nützen die Richtlinien der Bischöfe, wenn die katholische Öffentlichkeit, die katholischen Parlamentarier [...] nicht den Mut haben, den Mut, den das faschistische Italien schon lange gefunden hat, den Schamlosigkeiten in den Presseerzeugnissen, in der sogenannten Kunst, im Theater und Lichtspiel mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten?'02 Neu bestellt zum „Verbandsführer“ des katholischen Studentenvereins Unitas (auf­ gelöst 1938), passte er sich 1933 als SA-Mitglied den neuen Machthabern an und lud die Kommilitonen ebenfalls zur Mitarbeit ein. Nicht zuletzt aufgrund schlechter Berufsaussichten war es unter den deut­ schen Studenten zu einer Radikalisierung gekommen, wie Eiartmut Titze resü­ miert: „Es gab durchaus ein nicht zu unterschätzendes demokratisches Poten­ tial, das für eine fortschrittliche Politik ansprechbar und zu kritischer Mitarbeit bereit war, aber die große Mehrheit betrachtete die neue Ordnung, die im Zeichen einer schmachvoll empfundenen Kriegsniederlage entstanden war, nicht als ihren Staat.“103 So wählte im Juli 1931 auch der 14. Deutsche Stu­ dententag mit Walter Lienau zum ersten Mal ein Mitglied des National­ sozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) zu seinem ersten Vorsitzenden, nachdem bereits an der Universität Erlangen im Wintersemester 1929/30 der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund bei den Wahlen zum Allgemeinen Studentenausschuss erstmals die absolute Mehrheit erreicht hatte. Trotz seines politischen Umschwenkens wurde Karl Erbprinz zu Löwen­ stein im Jahr 1948 wie sein Vater und Großvater - in dritter Generation - zum Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken gewählt. Die wie­ der aufgenommene Tradition sollte endlich den Nationalsozialismus für über100 Vgl. ebd., S. 322. 101 Vgl. Reytier (wie Anm. 40), S. 496. 102 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 318. - Vgl. Reytier (wie Anm. 40), S. 495, Anm. 135: „Es scheint, daß dieser Satz aus Zeitmangel beim Vortrag nicht ausgesprochen wurde.“ 103 Hartmut Titze: Die Eroberung der Hochschulen durch den Nationalsozialismus, in: Hand­ buch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. V, 1918-1945, hrsg. v. Dieter Langewiesche / Heinz-Elmar Tenorth, München 1989, S. 212.

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wunden erklären. In dieser Position erwarb er sich große Verdienste um Kirche und Ökumene und wurde mehrfach dafür ausgezeichnet. Im Jahr 1961 stellte jedoch der Rcchtsphilosoph und Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde mit Blick auf seine Person in der unabhängigen katholischen Zeitschrift „Hochland“ fest; „Die neue Aufgabe der Studentenverbände, Erziehungsge­ meinschaften zum NS-Staat zu sein und ein Stück der volkserzieherischen Arbeit des Nationalsozialismus zu verwirklichen, wurde von ihm mehrfach ohne Vorbehalt bejaht.“104 Doch erst im Jahr 1967 hatte für ihn sein NS-Engagement Konsequenzen, als er in den von Papst Paul VI. geschaffenen Laienrat berufen werden sollte: Er wurde zum Rücktritt gedrängt. Zum Stolperstein wurde für ihn ein Hörbericht des Kirchenfunkleiters des Westdeutschen Rundfunks Leo Waltermann am 24. Januar 1967 über zu Löwensteins Anpas­ sung im Dritten Reich, in dem konstatiert wurde, er habe 1933 Übereinstim­ mungen zwischen uraltem katholischen Gedankengut und innerstem Empfin­ den des deutschen Faschismus konstatiert und damit gleichzeitig an der Gleichschaltung des katholischen Studentenverbands »Unitas« mitgewirkt.l0i Die dadurch ausgelöste Debatte über die Frage, wieweit Jahrzehnte danach sein Verhalten ohne echte Kenntnis der damaligen Bedingungen106 ernsthaft kritisiert werden könne, hielt in der Öffentlichkeit noch lange an. Eine Taktikänderung bis zur Kehrtwendung ist auch bei dem Generalsekretär der Kolping-Gesellenvereine Dr. Johann Nattermann zu beobachten. Er ge­ hörte zu den interessantesten Katholikentagsteilnehmern in Nürnberg, auch wenn er - folgt man dem Berichtband - als Redner dort kaum in Erscheinung trat. Noch Januar 1930 lehnte er im Kolpingsblatt nicht zum ersten Mal in recht deftiger Sprache unwirsch jedes radikale Denken ab: Wer Kolping zum Vater hat, der kann nicht die rote Marianne zur Mutter haben und auch nicht Hitler zum Onkel haben.™7 Aufgrund der nationalsozialistischen Wahlerfolge vom September 1930 registrierte Nattermann jedoch die zunehmende Gefahr 104 Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der deutsche Katholizismus im Jahr 1933, in: Rainer Bendel (Hrsg.): Die katholische Schuld? Katholizismus im Dritten Reich - zwischen Arrangement und Widerstand, Münster 2002, S. 188. 105 Zitiert bei Nicolai Hannig: Die Affäre Waltermann. Formen der Skandalisierung im Kirchen­ funk, in: Rundfunk und Geschichte (RuG), 34. Jg, Nr. 1-2/2008, S. 5-17 (http://rundfunkundgeschichte.de/assets/RuG_2008_l-2.pdf, gefunden am 8.10.2015), Zit. S. 8. 106 Ebd., S. 10, werden lebhafte mediale Auseinandersetzungen dokumentiert. Zum Beispiel heißt es, Prälat Bernhard Hanssler, geistlicher Direktor des Zentralkomitees, habe in seinem Brief­ wechsel mit von Bismarck die Kommentare Waltermanns über die Rolle Löwensteins im Jahr 1933 als entstellend und mißdeutend bezeichnet und darauf hingewiesen, dass des Prinzen Verhalten, samt seiner Sprache [nicht] aus heutiger Sicht, [sondern] von damals her gesehen und gewürdigt werden müsste. 107 Zitiert bei Heinz-Albert Raem: Katholischer Gesellenverein und deutsche Kolpingsfamilie in der Ära des Nationalsozialismus (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 35), Mainz 1982, S. 27.

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und glaubte im Januar 1931, gut acht Monate vor dem Katholikentag, zu erken­ nen, dass berechtigte Momente nationalen Bewusstseins in der jungen Republik vernachlässigt worden seien: Wir müssen das Verstiegene, Unmensch­ liche und Unchristliche in ihr bekämpfen, müssen aber auch die neuen Werte, die sie uns bringt, soweit es eben Werte sind, anerkennen und müssen ihr - und dazu glauben wir die Kraft zu haben - zeigen, daß wir eigentlich noch viel mehr und Besseres wollen als sie.108 In Nürnberg wiederholte Nattermann offi­ ziell seine Einschätzung nicht, billigte aber - sein einziger überlieferter Aus­ spruch im Berichtband - Sozialdemokraten und Kommunisten überraschen­ derweise ein feineres Gefühl dafür zu, wie an die Arbeiter herangegangen werden müsse.109 Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten schien Natter­ mann, der in der Zwischenzeit stets zu mehr völkischem Denken aufgerufen hatte, aufgrund geschichtlicher Erfahrungen als einziger Weg nur noch kont­ rollierte Kooperation möglich. Für Joseph Joos, dem vormaligen Präsidenten des Nürnberger Katholikentages, war der strategische Schwenk des Gesellen­ vereins freilich nur mit Verworrenheit zu erklären.110 Nattermanns Koopera­ tionsangebote scheiterten, wie der von den SA-Schlägern wegen eines an­ geblichen Uniform-Verbotes vorzeitig blutig zum Abbruch gebrachte Kolping-Gesellentag im Juni 1933111 mit 20.000 Besuchern in München, der „Elauptstadt der Bewegung“, belegt - dies trotz Hitlers Wünsche für einen guten Verlauf,112 trotz der offiziellen Mitwirkung von Vizekanzler von Papen, nachdem Hindenburg das angetragene Patronat abgesagt hatte, trotz der Vor­ weg-Übersendung der Redemanuskripte an SA-Chef Rohm und trotz der Hakenkreuzfahne neben den Kolpingsbannern. Nattermann stellte sich noch im gleichen Jahr auch hinter die Bestrebungen der vormaligen Katholikentagsteilnehmer Emil Ritter und Kuno Brom­ bacher113, die sich als Brückenbauer zwischen Kirche und NSDAP verstanden. Ritter, Arbeitskreisleiter der Gruppe V auf dem Katholikentag, war zeitweilig Chefredakteur der „Germania“, dem Organ der Zentrumspartei gewesen. Oberbibliothekar Kuno Brombacher (Baden-Baden) hatte auf dem Katholi­ kentag - nahe dem nationalsozialistischen Denken - zum Thema „Die katholi108 Zitiert ebd., S. 31. 109 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 222. 110 Zitiert bei Raem (wie Anm. 107), S. 42. 111 Devise zitiert ebd., S. 52: Gott und Volk - Volk und Stand - Stand und Staat. 112 Ebd., S. 56. 113 Vgl. Achim Reiner: Stadt zwischen zwei Demokratien - Baden-Baden von 1930-1950, Mün­ chen 2005, S. 257f. Brombacher war schon vor dem Katholikentag in die NSDAP eingetreten und betätigte sich bis 1935 als Gauredner für katholische Kirchenfragen und als Gaureferent für Dichtkunst.

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sehe Dichtung und ihre Bedeutung für das deutsche Geistesleben“ gesprochen. Nachdem bei der Reichstagwahl am 5. März 1933 die Nationalsozialisten die stärkste Partei geworden und das Ermächtigungsgesetz am 24. März verab­ schiedet worden war, gründeten sie zusammen mit anderen unter der Schirm­ herrschaft von Vizekanzler Franz von Papen den Bund katholischer Deutscher „Kreuz und Adler“, der sich bereits im Oktober 1933 wieder auflöste und in der „Arbeitsgemeinschaft katholischer Deutscher (AKD)“ aufging. Aber auch diese existierte unter nationalsozialistischem Druck nur bis September 1934. Einen wohl letzten Versuch unternahmen Ritter, Brombacher und Nattermann 1935 mit ihrem gemeinsam erarbeiteten und „heilsgeschichtlich“ argumentie­ renden Sendschreiben katholischer Deutscher an ihre Volks- und Glaubens­ genossen."'' Im Vorwort heißt es: Vor dem deutschen Katholizismus erhebt sich die Schicksalsfrage [...], ob er das neue Werden verstehen, überlebte Denk­ gewohnheiten überwinden, die Kruste zufälliger Formen durchbrechen und sich zum Bewusstsein seiner Sendung im Aufbruch der Nation erheben wird."5 Bemühungen um einen ,Heilungsversuch‘ des Staat-Kirche-Verhältnisses blie­ ben erfolglos.116 Ende 1934 erhielt Mitherausgeber Emil Ritter Schreibverbot; er zog sich daraufhin ins Privatleben zurück. Schon lange hatte es im Katholizismus eine innere Nähe zum NS-Denken gegeben. Die Parteizeitung „Das Zentrum“ hatte bereits im April 1930 Ver­ dachtsmomente ausgemacht, dass vielen Katholiken - an Hierarchie gewöhnt - die NS-Ideologie entgegenzukommen scheine. Walter Dirks, der stets eine kritische katholische Minderheitenmeinung vertrat, drückte in seinem viel ge­ rühmten Aufsatz „Katholizismus und Nationalsozialismus“ von 1931 solche Bedenken folgendermaßen aus: [...] nahe liegen [dem Katholizismus] doch gewisse weniger plumpe Formen der faschistischen Ideologie. Die Worte „Autorität“, „Vertrauen zum Führer“, „Ruhe und Ordnung“ finden ein ge­ neigtes Ohr. Vom Wirtschaftsprogramm der NSDAP zum „Solidarismus“, zum „Ständestaat“ und ähnlichen im Katholizismus weitverbreiteten Vorstellungen ist kein sehr weiter Weg."7 Am vorletzten Tag des großen Katholikentagstreffens in Nürnberg erfuhr der Nationalsozialismus jedoch seine deutlichste Abfuhr in einer Ansprache bei der Festversammlung der katholischen Burschenvereine Bayerns, der 114 In der Johannesapokalypse werden im 2. und 3. Kapitel vergleichbar sieben „Sendschreiben“ überliefert, die frühchristliche Gemeinden in aller Bedrängnis ermutigen sollten. 115 Sendschreiben katholischer Deutscher an ihre Volks- und Glaubensgenossen, im Aufträge eines Arbeitskreises katholischer Theologen und Laien hrsg. v. Kuno Brombacher und Emil Ritter, Münster 1936, S. 11. 116 Vgl. Besier (wie Anm. 65), S. 697f. 117 Walter Dirks: Katholizismus und Nationalsozialismus, in: Die Arbeit 8 (1931). Organ des All­ gemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, S. 207.

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katholischen männlichen Landjugend, die damals gut 50.000 Mitglieder zählte. In Anwesenheit von Nuntius und Erzbischof, die sich kurz an die jungen Menschen gewandt hatten, stellte Diözesanpräses Schmitt nach einem drei­ fachen Hoch auf den Heiligen Vater in Rom, das wie ein Treueschwur durch den Saal donnerte, kategorisch fest: Demnach ist der Nationalsozialismus in dem Augenblick für die katholischen Burschenvereine erledigt, in dem die Bischöfe erklärt haben, daß er in seinem innersten Wesen christenfeindlich sei.118 Volkstum - ein Schlüsselbegriff des Katholikentages Schon auf dem Vertretertag war es um das „Volkstum“ gegangen, ein Terminus, der bestehende, aber auch gefährdete gemeinsame Werte beschwört und im weiteren Sinne in auseinanderdriftenden Zeiten auch Sehnsuchts-Begriffe wie „Volksgemeinschaft“ und - politisch eher rechts und rassistisch geprägt „Volksgenosse“ umfasst. Solches Denken entsprach der Zeit: „In den zwanzi­ ger und dreißiger Jahren war der Begriff .Volksgemeinschaft“ außerordentlich beliebt. Er wurde vom gesamten politischen Spektrum vereinnahmt, von Anarchisten, Katholiken, Juden, Protestanten, Sozialdemokraten, Liberalen, Konservativen und den Nationalsozialisten“, urteilt Jeffrey Verhey.119 Dennoch konnte der Begriff - wie es der Nationalsozialismus schließlich im Extrem deutlich machte - auch ausgrenzend verstanden werden. Landtagspräsident Stang umschrieb nach dem Festgottesdienst am letzten Tag des Katholikentages in seiner Rede an die katholischen Männer deren Auf­ gabe: [Aus] der verpflichtenden Kraft unserer katholischen Überzeugung er­ wächst diese Pflicht der Hilfe und der Mitarbeit an der Herstellung der in Reden soviel gepriesenen und in Taten so wenig vollzogenen Volksgemein­ schaft.'20 Der Münchner Oberbürgermeister Karl Scharnagl (1881-1963), wie sein Bruder Prälat Anton Scharnagl ebenfalls aktives Mitglied der General­ versammlung, machte nahezu eineinhalb Jahre später in der Vossischen Zeitung vom 31. Dezember 1932 den Ursprung des Begriffes an der Aufbruchsstimmung zu Beginn des Ersten Weltkriegs fest: Sinn und Wesen einer wahren Volks­ gemeinschaft haben wir doch alle erlebt in den Augusttagen 1914,121 Die Wogen der Begeisterung bei der Kriegserklärung 1914 waren nicht nur ihm und seiner Generation zum Vorbild für die erstrebte, in die Zukunft weisende „Volks­ gemeinschaft“ geworden. Der „Völkische Beobachter“ zog die Linie nach der 118 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 439. 119 Jeffrey Verhey: Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000, S. 346. 120 Festblatt Nr. 6 zur 70. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands vom 31.8.1931 (wie Anm. 53), S. 4. 121 Zitiert bei Verhey (wie Anm. 119), S. 347.

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Machtübernahme August 1933 noch weiter: Am 2. August 1914 begann der Marsch der deutschen Soldaten in das Dritte Reich. [...] Aus dem Sozialismus der Front erwuchs der Nationalsozialismus als neue Lebensform für das ganze Volk.122 In etwas anderer Weise wurde beim Katholikentag „Volkstum“ zum Haupt­ thema in den Kontakten mit den angereisten Ausländsdeutschen. Zum ersten Mal fand ja das „Volksdeutsche Führertreffen der katholischen Jugend“ statt. Jugendführer aus Österreich, Jugoslawien, Polen, Rumänien sowie dem Sudetenland - verbunden durch ihr Deutschtum, ihren Glauben und ihr Jungsein - trafen sich über drei Tage und berichteten über die zum Teil schwie­ rige Lage des Deutschtums in ihren Ländern.123 Verkündet wurde in einer „Volksdeutschen Feierstunde“ des Führertreffens der katholischen Jugend das einmütig beschlossene Manifest: Wir bekennen uns als die Jugend des einen Volkstums, das in Europa in der Verbundenheit von Blut und Kultur, in der Einheit der Muttersprache, der Gemeinschaft aus Schicksal und Willen, über die Grenzen der Reiche und Staaten hinaus das große deutsche Volkstum ist.124 Naheliegend ist, dass in diesen Kreisen der seit den Zwanziger Jahren in Deutschland hörbare Ruf „Heim ins Reich!“ offene Ohren gefunden haben dürfte. Zum Thema „Volkstum“ gab es auf dem Katholikentag im Weiteren sogar zwei bedeutsame Reden. Universitätsprofessor und Zentrumsmitglied Dr. Georg Schreiber sprach am Freitag, den 28. August, bei der Festversammlung des „Reichsverbandes für die katholischen Ausländsdeutschen“ zum Thema „Das deutsche Volkstum und die Kirche“. Dem Völkerbund warf er in seinem Beitrag zunächst vor, völkischen Minderheiten im Gegensatz zur Kirche nicht genügend Aufmerksamkeit entgegenzubringen. In dem knappen Bericht über seine Rede im großen Rathaussaal heißt es weiter: Sodann rückt Prälat Dr. Schreiber die Wahlverwandtschaft zwischen Kirche und Volkstum in den Vor­ dergrund. Die Kirche wurzelt im Volkstum, aber durch ihre Ethik befruchtet, erhöht und versittlicht sie es.125 Nahezu den gleichen Titel trug die Ansprache „Kirche und deutsches Volks­ tum“ am Tag darauf von Dr. Lorenz Krapp, dem Präsidenten des Bamberger Landgerichtes, bei der zweiten öffentlichen Versammlung in der Festhalle des Luitpoldhains vor etwa 17.000 Besuchern. Inhaltlich wie rhetorisch gehört die Rede sicherlich zu den bemerkenswertesten Beiträgen des Katholikentages. 122 Zitiert bei Alexander Meschnig: Die Sendung der Nation, in: Gudrun Brockhaus (Hrsg.): Attraktion der NS-Bewegung, Essen 2014, S. 40f. 123 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 472f. 124 Ebd.,S. 491. 125 Ebd., S. 557.

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Sechzehn Seiten umfasst im Berichtwerk das wiedergegebene Manuskript des Geheimrates, der unter dem Pseudonym Arno von Waiden auch Dichtungen veröffentlicht hatte. Seine Rede greift zwar deutlich weiter aus als das Referat von Dr. Schreiber, Berührungspunkte sind aber erkennbar. Ausgehend von den Millionen Arbeitslosen im Deutschen Reich registrierte er Anzeichen einer geistigen Zeitenwende fürs Abendland. Er ist überzeugt: In solchen Zeiten wir­ belt die Luft vom Rufen der falschen Propheten,126 Während die Seelenhaltung der Kirche (der mystische Leib Christi) klar sei, erschien ihm die Seelenhaltung der Völker, das Volkstum fragwürdig: Wir (die Christen) glauben Blut, Heimat, Geschichte, Staat: all dies haute mit an dem was Volkstum heißt, doch ist es nicht alles. [...] Es ist das Gut sittlicher Traditionen, das ein Volk in sich be­ wahrt. [...] Das Volkstum als Träger von Tugenden: das ist sein Wesen. Das bindet uns alle zusammen: an uns, an unsere Vorfahren, an unsere Geschichte, an unser Vaterland. Das Verdienst der Kirche stand ihm dabei klar vor Augen: Die Kirche bejaht das Volkstum, die Kirche fördert das Volkstum, die Kirche läutert das Volkstum.[...\ Sie lehrt: das Volk ist kein Götze, kein höchster Wert. Höchstes Gut ist Gott allein. [...] Sie leugnet, daß Volk und Staat der alles verschlingende Leviathan sind, der sich sein eigenes Recht und seine eigene Sittlichkeit setzen kann.127 Republik oder Monarchie Schon bei der Gründungsfeier des Lokalkomitees im Februar 1931 hatte Dr. Krapp, damals noch Oberstaatsanwalt, mitreißend gesprochen und für die Katholiken den Staat bejaht, aber die Frage nach der Bejahung der jungen Republik durch die Katholiken geschickt umgangen. Eine neutrale Position war angesagt: Welche Regierungsform [der Staat] hat, ist sittlich gleichgültig. Augustinus wie Thomas überlassen jedem die Freiheit, die eine oder andere Regierungsform für die bessere zu halten, und lehnen nur eine als die schlech­ teste Regierungsform ab, nämlich die Tyrannis, oder in der Sprache von heute: die Diktatur. [...] Von Augustinus stammt das furchtbare Wort: ,Ohne Gerechtigkeit ist ein Staat nichts als eine organisierte Räuberbande1,m Eupho­ risch fasste der Protokollant die Zustimmung der Zuhörer zu seiner Rede in „heiße Worte“: Noch glühen die Herzen in den Feuern, die der begnadete Redner entzündet, noch ist der Boden der Seelen locker, den Geheimrat Krapps scharfe Pflugschar so tief gepflügt [...].129

126 Ebd., S. 350. 127 Vgl. ebd., S. 349-354 (Wortsperrungen im Original). 128 Vgl. ebd., S. 13f. 129 Ebd., S. 24.

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Mit seiner Formulierung hatte Dr. Krapp freilich die vorherrschende Ein­ stellung im deutschen Katholizismus überspielt: eine rückwärts gewendete monarchische Sehnsucht. Über Jahrzehnte war die Monarchie wie selbstver­ ständlich im Bewusstsein der Teilnehmer auf den Katholikentagen präsent ge­ wesen. Im Jahr 1879 war in Aachen neben der Papstbüste sogar die des Kaisers aufgestellt worden. Seit 1887 wurde neben dem üblichen dreifachen Hoch auf den Papst das Hoch auf den Kaiser ausgebracht.130 Er war ja schließlich „Herr­ scher von Gottes Gnaden“. Während des Ersten Weltkrieges versuchte auch Bischof Michael Faulhaber (Speyer) die Monarchie durch seine „Feldpredigten“ zu festigen. So heißt es in seiner Kanzelrede zur Feier des Kaisertages: Die Liebe zu König und Vaterland ist ein heiliges Feuer, eine,heilige Flamme ‘ vom Altäre Gottes. Gottesfurcht und Königstreue sind im ersten Petrusbrief, also im ersten päpstlichen Weltrundschreiben, in unmittelbare Verbindung gebracht und aneinandergeschmiedet wie Schwertklinge und Schwertgriff: „Fürchtet Gott und ehret den König“.131 Auf dem Münchner Katholikentag von 1922 bezeichnete Michael von Faul­ haber - inzwischen Erzbischof von München und Freising - als Monarchist und Republikgegner die Novemberrevolution von 1918 als Meineid und Hochverrat und war so nicht zuletzt damit bei dem Präsidenten des Katholi­ kentages, dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, auf Widerspruch gestoßen. In seinem Schlusswort zum Katholikentag von 1922 formulierte Adenauer vorsichtige Kritik: Es sind hie und da Äußerungen gefallen, die man sich aus Verhältnissen örtlicher Natur erklären kann, hinter denen aber die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht steht.132 Wie Faulhaber vermochten auch die meisten anderen Bischöfe keinen Gefallen an der Republik finden. Dies gilt in gleicher Weise für Erzbischof Jacobus von Hauck: „Nach seiner Meinung erforderten die Autorität des Kaisers und der Könige ebenso wie die Würde des Papstes und der Bischöfe von den Untergegebenen Ehrfurcht und Gehorsam, weil Ordnung und Gedeihen des öffentlichen Wohls im Staat wie in der Kirche auf diese Weise am besten gewährleistet werden könnten.“133 Auch Heinrich Brüning, der ehemalige katholische Reichskanzler, berichtet in seinen Memoiren, die recht spät entstanden, sein Handeln zu rechtfertigen suchten, noch dazu erst posthum 1970 erschienen und daher nicht in allen Punkten als 10 Vgl. Rudolf Morsey: Streiflichter zur Geschichte der deutschen Katholikentage 1848-1932, in: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften 26 (1985), S. 9-24 (https://www.uni-muenster. de/Ejournals/index.php/jcsw/article/view/575, gefunden am 15.10.2015), hier S. 19. 131 Michael Faulhaber (Hrsg.): Das Schwert des Geistes. Feldpredigten im Weltkrieg, Freiburg 1917, S. 362f. 132 Vgl. Hurten (wie Anm. 41), S. 60. 133 Georg Denzler: Jacobus von Hauck, in: Josef Urban (Hrsg.): Die Bamberger Erzbischöfe. Lebensbilder, Bamberg 1997, S. 285-308, hier S. 296.

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vertrauenswürdig gelten, von seiner Unterredung mit Hitler am 5. Oktober 1930,134 in der er um Verständnis für seine wirtschaftlichen Maßnahmen und gedacht als zweite Phase - für eine Verfassungsreform geworben habe: Eine Verfassungsreform, die nach meinen persönlichen Wünschen in einer monarchi­ schen Restauration enden müsse.135 Dass sich auch Alois zu Löwenstein als Monarchist verstand, schildert sein Sohn und Jesuit Felix zu Löwenstein (1907-1986). Er zitiert seinen Vater aus einem Briefwechsel: Sobald sich die erste Gelegenheit ergeben wird, auf ver­ nünftige und rechtliche Weise die Monarchie wieder einzuführen, werde ich restlich für sie eintreten. Für den Augenblick aber ist nicht einzusehen, wie das möglich sein sollte. Da wir aber auch im jetzigen Augenblick Pflichten unserem Volk gegenüber haben, und vielleicht größere Pflichten als in manch anderer Zeit, so arbeite ich jetzt bewußt in der Republik mit. Und wenn ich schon nicht als Motor an ihr mitarbeiten kann, so wenigstens als Bremse.136 Für Fürst Alois besaß ein echt christlich verstandener Adel zusammen mit Papst und Bischöfen im Volk eine gottgewollte Führungsfunktion: „Seine Geschichte und sein geis­ tiges Erbgut weisen ihm die Pflicht: Schirmer und Förderer des Christentums zu sein. «137 •

Auf dem Nürnberger Katholikentag 1931 betrieb dann Altreichskanzler Wilhelm Marx wohl mit wenig Erfolg Werbung für die instabile junge Republik: Die Weimarer Verfassung habe gegenüber früher für die deutschen Katholiken viele Vorteile gebracht. [...] Dieser Vorzug der Verfassung, vom Standpunkt des Katholiken aus gesehen, sei zu wenig bekannt, darauf müsse der V.V. [Volksverein] hinweisen und so Verfassungs- und Staatsfreudigkeit wecken,138 Der Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer stellte solcher Ein­ schätzungjahrzehnte später ein hartes Urteil entgegen: „Weit entfernt davon, als Grundgesetz des staatlichen Lebens im nachkaiserlichen Deutschland ge­ achtet und verehrt zu werden, wurde [die Verfassung] von einem stetig wach­ senden Teil des deutschen Volkes als ein untaugliches Instrument zur Ordnung der politischen und sozialen Verhältnisse im Reich erachtet, ja als Ausdruck einer fremden, widerdeutschen Staatsgesinnung teilweise auf heftigste befeh­ det.“139 134 Brüning datiert das Gespräch fälschlich auf den 6. Oktober; vgl. Andreas Rödder: Dichtung und Wahrheit. Der Quellenwert von Heinrich Brünings Memoiren und seine Kanzlerschaft, in: Historische Zeitschrift 265 (1997), S. 77-117, hier S. 81. 135 Heinrich Brüning: Memoiren 1, München 1972, S. 204. 136 Zitiert bei Reytier (wie Anm. 40), S. 483. 137 Zitiert ebd., S. 491. 138 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 603. 139 Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, 3. Aufl., München 1992, S. 65.

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Der in dem Zitat Wilhelm Marx' angesprochene einst so wichtige, 1890 von Laien gegründete „Volksverein für das katholische Deutschland“, der den Ein­ fluss der Sozialdemokratie und des „Evangelischen Bundes“ zurückdrängen sollte, war trotz erkennbaren Bedeutungsverlustes und finanzieller Probleme auch in Nürnberg vertreten. Vor dem Ersten Weltkrieg konnte er über 6.000 Ortsgruppen und 800.000 Mitglieder vorweisen. In Nürnberg definierte der Volksverein seine Ziele neu: [Mit] seinen vier Arbeitsgebieten: Volk und Religion, Volk und Kultur, Volk und Wirtschaft, Volk und Staat [sei er] wieder in weite Kreise vorgedrungen.140 Insgesamt bestätigen die Beispiele die Einschätzung der Geschichtswissen­ schaft hinsichtlich einer deutlichen Zurückhaltung großer Teile des deutschen Katholizismus in der Weimarer Republik gegenüber der ersten parlamentari­ schen Demokratie, obwohl er mit dem Zentrum im Gegensatz zum Protes­ tantismus noch immer eine die Konfession weitgehend integrierende Partei besaß. Von 1919 bis 1932 war ja auch die christliche Partei in allen Reichs­ regierungen vertreten und stellte vier Reichskanzler. Die mangelnde Akzep­ tanz der jungen Republik sieht Joachim Fest letzthin „in deren Unvermögen begründet, der Not eine Deutung und den immer erneut gefordeten Opfern einen Sinn zu geben.“141 Das neue Reich Als kurze Zeit später die Nationalsozialisten tatsächlich die Macht übernah­ men, hofften zunächst viele Katholiken darauf, dass das neue Reich, wenn es schon keine christlich fundierte Monarchie werde, so doch auf einer dezidiert christlichen Grundlage errichtet würde: „Sie wurden von einer Woge natio­ nalen Erneuerungswillens überrollt, die auch viele katholische Gläubige (.Brückenbauer') erfasste, in einer Mischung von Überzeugung, Verblendung und Opportunismus.“142 Anfänge in diese Richtung zeigten sich 1931 bereits auf dem Katholikentag in Nürnberg. In der „Volksdeutschen Feierstunde“ unter Leitung vom Jesuitenpater Ludwig Esch, dem Gründer der katholischen Jugendorganisation „Bund Neudeutschland“, mit Jugendführern aus dem Reich und aus auslandsdeutschen Gebieten wurde am Ende die selbstverordnete Volksdeutsche Aufgabe definiert: mit dem entschlossenen Willen, unserem

140 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 619. 141 Joachim C. Fest: Hitler - Eine Biographie, Frankfurt 1987, S. 438. 142 Karl-Joseph Hummel: Katholische Kirche, politischer Katholizismus und Drittes Reich, in: Heiner Timmermann (Hrsg.): Die Rolle des politischen Katholizismus in Europa im 20. Jahr­ hundert, Münster 2009, S. 62-75, hier S. 66.

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großen Volk zu dienen, seine Kraft zu erneuern und das Reich Gottes in ihm aufbauen zu helfen,143 Die katholischen Burschenvereine Bayerns wiederum hatten sich auf ihrer bereits erwähnten Festversammlung am noch jungen Hochfest „Christus, König der Welt“, dem Christkönigsfest, orientiert, das Papst Pius XI. 1925 nach dem Zusammenbruch der Monarchien eingesetzt hatte, und sich in die­ sem Sinne als wohldisziplinierte Christkönigssoldaten1“'4 erklärt, deren „Kampf“ letzthin der Herrschaft Christi gilt. In ähnlicher Weise hatte auch der Jung­ männerverband (KJMV) in seinem auf der Trierer Reichsjugendtagung am 21. Juni 1931 verabschiedeten „Grundgesetz“ das Christkönigsfest als „Bundes­ festtag“ (§31) bestimmt.145 Heftige Kritik fand all dies laut Olaf Blaschke bei den Nationalsozialisten: „Nationalsozialisten sahen in der Einsetzung von Christus als König der Welt den Versuch Roms, seinem ,Weltherrschaftsan­ spruch' ein neues Symbol zu geben.“146 Dennoch stiegen die Erwartungen, wie Christoph Kösters betont: „In katholischen Kreisen glaubte man seit dem Beginn der 1930er Jahre an einen neuen .religiösen Frühling“. 1932/33 waren die Zahlen der Kirchenaustritte zurückgegangen und zugleich die Eintritts­ zahlen (Rücktritte und Übertritte) gestiegen. Die Parole der katholischen Jugendbewegung .Alles für Deutschland, Deutschland für Christus“ brachte diesen empfundenen Konsens auf den Punkt.“147 Im Jahr 1933 formulierte auch Prälat Ludwig Wolker, der Generalpräses des Jungmännerverbandes, seine religiös überhöhte Hoffnung: Der neue Staat trägt etwas von der Idee des Gottesstaates in sich, in der Anerkennung des Christentums als Fundament des Staates.14S Wieweit in all diesen Zeugnissen das „Reich Gottes“ mehr konkret oder mehr eschatologisch verstanden wurde, muss freilich offenbleiben. Verleiten im Glauben, dass ein christliches Reich entstehen würde, ließ sich dann so mancher auch durch das Versprechen Hitlers vom 31. Januar 1933 in seinem „Aufruf an das deutsche Volk!“, die Regierung werde das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volks- und Staatskörpers in ihren festen Schutz 143 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 492. 144 Vgl. ebd., S. 440. 145 Vgl. Breuer (wie Anm. 4), S. 203. 146 Olaf Blaschke: „Wenn irgendeine Geschichtszeit, so ist die unsere eine Männerzeit“. Konfes­ sionsgeschlechtliche Zuschreibungen im Nationalsozialismus, in: Manfred Gailus / Armin Nolzen (Hrsg.): Zerstrittene „Volksgemeinschaft“. Glaube, Konfession und Religion im Natio­ nalsozialismus, Göttingen 2011, S. 34-65, hier S. 57. 147 Vgl. Christoph Kösters: Katholisches Kirchenvolk 1933-1945, in: Christoph Kösters / Mark Edward Ruff (Hrsg.): Die Katholische Kirche im Dritten Reich. Eine Einführung, Freiburg 2011, S. 92-108, hier S. 97. 148 Zitiert bei Breuer (wie Anm. 4), S. 88, aus der Zeitschrift „Die Wacht“ 29.

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nehmen,149 Dazu sollte die als „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ verstandene Erklärung der deutschen Bischöfe vom 28. März 1933 genauso beitragen wie auch das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich. Im September 1933 rückte „im Zeichen der ,Brückenbau-Versuche’ zwi­ schen Staat und Kirche“ das Zentralkomitee von seinen „politisch belasteten“ Mitgliedern ab. Von den Katholikentagsteilnehmern waren davon der als „links“ eingestufte Katholikentagspräsident Joseph Joos und die „politischen Prälaten“ Georg Schreiber und Johann Leicht betroffen.150 Der Mehrheit der Nationalsozialisten widerstrebte jedoch zunehmend die gar zu innige Bereit­ schaft einiger katholischer Grupperungen zum „Brückenbau“. In einem gehei­ men Lagebericht (Reichsführer SS / Chef des Sicherheitsamtes) vom Mai / Juni 1934 zu einem Reich-Vortrag des Münsteraner Theologieprofessors Johann Peter Steffes am 3. Dezember 1933 findet sich am Schluss die ausdrückliche Warnung: [Von] dieser Seite wird der nationalsozialistische Reichsgedanke unterhöhlt.'5' Der Gedanke, den Nationalsozialismus „taufen“ zu können, sollte sich als Illusion erweisen.152 Der Historiker Rudolf Morsey glaubt zwar feststellen zu können, dass auf den Generalversammlungen bis 1932 nicht jene „reichsideologischen Schwärmer“ zu Wort gekommen seien, „die sich ein Jahr später (zumindest anfänglich) von den neuen Machthabern blenden ließen“,153 doch ist dies wohl eher der vorsichtigen und grundkonservativen Haltung zu­ zusprechen, die zu den Katholikentagen jener Zeit gehörte und den überzeug­ ten „Neuerern“ keine freie Bühne bot. Höhepunkt des Katholikentages: Sonntag, der 30. August 1931 Am Sonntag, den 30. August 1931, dem Abschlusstag und Höhepunkt der Tagung, fanden der Festgottesdienst sowie die weiteren Veranstaltungen auf dem Stadiongelände154 statt (Abb. 3). Am Festgottesdienst nahmen etwa 149 Aufruf der Reichsregierung vom 31.1.1933, in: Hans-Adolf Jacobsen / Werner Jochmann (Hrsg.): Ausgewählte Dokumente zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 2, Bielefeld 1961, keine Seitennummern. 150 Vgl. Rudolf Morsey: Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwi­ schen christlichem Selbstverständnis und „Nationaler Erhebung“ 1932/33, Stuttgart 1977, S. 216. 151 Vollständig zitiert bei Klaus Breuning: Die Vision des Reiches - Deutscher Katholizismus zwi­ schen Demokratie und Diktatur, München 1969, S. 349. 152 Vgl. Reinhard Richter: Nationales Denken im Katholizismus der Weimarer Republik, Münster 2000, S. 157. Der Begriff geht auf den Maria Laacher Abt Ildefons Herwegen zurück. 153 Morsey (wie Anm. 130), S. 23. 154 Im Jahr 1928 als großzügiger Sport- und Volkspark (300 ha) eröffnet und im gleichen Jahr bei den IX. Olympischen Spielen in Amsterdam mit der Goldmedaille im Architekturwettbewerb ausgezeichnet.

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Abb. 3:

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Der Festgottesdienst im Städtischen Stadion, 30. August 1931. (Foto: Harren, Repro­ duktion aus: 70. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Nürnberg vom 26.-30. August 1931, hrsg. v. der Geschäftsstelle des Lokalkomitees, [Nürnberg 1931], S. 369)

120 000 Personen teil, an der Sonderveranstaltung der Arbeiter- und Männer­ welt, ebenso an der Bauernkundgebung je 10 000, am Jugendfestzug nachmit­ tags vom Hauptmarkt zum Stadion wohl über 20 000. Die Jugendkundgebung und anschließende Schlussversammlung zählte rund 100 000 Menschen,155 Für das Lokalkomitee stellte der Katholikentagssonntag die größte Herausforderung des Treffens dar. So mussten vom Bahnhof Nürnberg-Dutzendteich ca. 25.000 Gäste aus 21 Sonderzügen in das Stadion geleitet werden. Mit den fahrplanmä­ ßigen Zügen sollen am Sonntag etwa 23.000 Personen angekommen sein.156 Weitere Gottesdienstbesucher kamen mit Last- und Personenwagen. Pfarrei­ weise marschierten die Nürnberg-Fürther Vereine geschlossen zum Stadion. Die 30.000 Teilnehmer aus den Pfarreien zogen unter den Klängen ihrer Musikkapelle mit wehenden Fahnen, geleitet von der Geistlichkeit, in stram­ mer Ordnung strahlenförmig durch die Stadt [...]. Dieser Aufzug hatte den Zweck, die gesamte Bevölkerung [!] auf die Wichtigkeit des Tages hinzuwei1,5 Stadtchronik Nürnberg: StadtAN F2 Nr. 45, S. 523. 156 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 57-61. 157 Ebd., S. 46.

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Abb. 4:

Einzug der Bischöfe zum Festgottesdienst im Städtischen Stadion, 30. August 1931. (Archiv des Erzbistums Bamberg Rep. 80 Slg 6 Nr. 2337B)

Nach dem feierlichen Einzug aller Abordnungen begann der Festgottesdienst (Abb. 4). Die Speyrer Domfestmesse von Joseph Haas intonierten hierbei die Militärkapellen Nürnbergs; die mitwirkenden vereinten Chöre umfassten nahezu 20.000 Mitglieder. In seiner Predigt beschwor Erzbischof von Elauck zuletzt die Friedensgesinnung und Friedenssehnsucht: Wie wäre die Welt glücklich, wenn die Völker in Friedensliebe sich zusammenfänden! Wie wäre unser Volk glücklich, wenn die Stände und Klassen und Parteien friedlich sich einigten zu gemeinsamer Arbeit für das gemeinsame Wohl! [...] ,Komm König der Glorie mit deinem Frieden!1 Gib Frieden den Völkern! Gib Frieden unse­ rem zerklüfteten deutschen Volk!'5* (Abb. 5) Die Pontifikalmesse zelebrierte der Stellvertreter des Papstes Nuntius Vassallo di Torregrossa, Erzbischof von Emesa. Mittags marschierten, begleitet von Ordnern der katholischen Sportorgani­ sation „Deutsche Jugendkraft (DJK)“, in einem straff durchorganisierten Fest­ zug von Sechserreihen an die 20.000 Jugendliche, unterstützt von 26 Musik­ kapellen, mit über 900 Fahnen und Wimpeln die gut sechs Kilometer vom Hauptmarkt zur Jugendkundgebung ins Stadion (Abb. 6 und 7).159 In dem 158 Ebd., S. 371. 159 Maier (wie Anm. 18), S. 99: Vom Hauptmarkt ausgehend, war die Spitze des Zuges bereits am Stadion, als die letzten Gruppen am Hauptmarkt wegmarschierten.

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Abb. 5:

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Der Erzbischof von Bamberg Jacobus von Hauck bei seiner Predigt im Rahmen des Festgottesdienstes im Städtischen Stadion, 30. August 1931. (Archiv des Erzbistums Bamberg Rep. 80 Slg 6/3.la Nr. 464)

Antrag des Lokalkomitees vom 20. Juli an den Stadtrat, den Zug von bis zu 12.000 Jugendlichen (!) nach Absprache der Route zu genehmigen, hatte der Vorsitzende der Jugendkomission Dr. Michael Obergaßner daraufhin gewie­ sen, dass die Jugend in einem Rundschreiben bereits ausdrücklich aufgefordert worden sei, alle politischen Abzeichen bei der Kundgebung und beim Festzug abzulegen.160 Der Zug hat auch bei den Andersgläubigen größte Beachtung wegen seiner Vielgestaltigkeit, Diszipliniertheit und Größe gefunden, notierte bilanzierend der Berichtschreiber.'61 Heilrufe begrüßten die Jugend. Ihr Vorbeimarsch an der Tribüne, besetzt von zahlreichen Würdenträgern, darunter dem päpstlichen Nuntius, dauerte bei der Großveranstaltung fast eineinhalb Stunden. Fanfarenstöße leiteten die Kundgebung ein. Die Ansprachen an die weibliche wie an die männliche Jugend mündeten in ein Gelöbnis. Bestätigt wurden die Vorsätze von allen durch ein dreifaches Treu Heilfbl zuletzt auch durch den Satz: Wir werden mit allen, die guten Willens sind, mit Einsatz unserer besten Kräfte, stählern und 160 Vgl. StadtAN C 7/1 Nr. 765. 161 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 51. 162 Der Gruß „Treu Heil“ wurde von den Nationalsozialisten später wegen der offenkundigen Nähe zum Deutschen Gruß häufig als Provokation aufgefasst; vgl. Breuer (wie Anm. 4), S. 203.

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Ser 3ugenöreftjug Abb. 6:

Der Jugendfestzug vom Hauptmarkt zum Städtischen Stadion, 30. August 1931. (Foto: Harren, Reproduktion aus: 70. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands in Nürnberg vom 26.-30. August 1931, hrsg. v. der Geschäftsstelle des Lokalkomitees, [Nürnberg 1931], S. 481)

Abb. 7:

Mitglieder des Bundes Neudeutschland beim Jugendfestzug, 30. August 1931. (Archiv des Erzbistums Bamberg Rep. 70 NLT 69 Nr. 1)

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rein arbeiten für Christi Reich und ein neues Deutschland.163 Der Leitgedanke war erst im Juni 1931 auf der von 15.000 Jugendlichen besuchten Reichstagung des katholischen Jungmännerverbandes (KJMV) in Trier verkündet worden. Einen Sturm der Entrüstung hatte der Bamberger Erzbischof von Hauck schon Tage zuvor am 27. August bei der Landfrauenversammlung hervorgeru­ fen, als er von einem NS-Aufruf berichtete, der die Landfrauen aufforderte, sie möchten vom Kreuz weg unter das Hakenkreuz tretend64 In seinem Bischofs­ wort an die Jugend bewies er nun bei der Jugendkundgebung eine nahezu prophetische Vorausschau. In ihm hieß es, verbunden mit dem Appell, der Volksgemeinschaft zu dienen: [Die Religion] bewahrt euch vor dem Radika­ lismus [...]; sie bewahrt euch vor dem verstiegenen Nationalismus, der nur im eigenen Volke alle guten Eigenschaften und Tugenden sieht, der statt der Liebe den Haß predigt und, wenn er herrschend würde, statt des Friedens den Krieg herbeiführen müßte mit allen seinen furchtbaren und verheerenden Folgen.165 Heute wird Erzbischof Jacobus von Hauck zu den Bischöfen gerechnet, „die Adolf Hitler mit großen Hoffnungen und Erwartungen begegneten und allzu lange Zeit brauchten, bis sie das Teuflische der nationalsozialistischen Ideologie und die Kirchenfeindlichkeit ihrer Anhänger zu durchschauen vermochten“,166 wie ihn Georg Denzler charakterisiert. Schlussveranstaltungen Dreimal, am 7., 19. und 21. August, kündigte die Bayerische Volkszeitung für die große Arbeiter- und Männerversammlung in der Kampfbahn des Stadions um 12 Uhr sogar einen Auftritt von Reichskanzler Brüning an, der ja schließ­ lich auch beim Katholikentag 1930 in Münster gesprochen hatte. Noch am Freitag, den 28. August, gab der Präsident des Lokalkomitees Matthäus Hahn der Hoffnung Ausdruck, dass es dem Reichskanzler Dr. Brüning doch noch auf irgend eine Weise möglich sein werde, zur Generalversammlung der deutschen Katholiken in Nürnberg zu sprechen,167 Statt seiner trat als Hauptredner jedoch Minister Adam Stegerwald ans Mikrofon. Der Regensburger Oberbürgermeister Dr. Otto Hipp (BVP) hielt im Stadion am späten Nachmittag bei der großen öffentlichen Schlussversammlung seine Ansprache zum Thema Der Christ in den sozialen Nöten der Gegenwart. Hipp prangerte den Mammonimus, die Vergötzung des Staates, aber auch den noch so gemäßigten Sozialismus an, da dieser auf einer materialistischen Welt163 164 165 166 167

70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 486. Ebd., S. 459. Ebd., S. 489 (Wortsperrungen im Original). Denzler (wie Anm. 133), S. 298. Bayerische Volkszeitung Nr. 197 vom 29.8.1931, S. 1.

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anschauung beruhe, forderte Gemeinwohlgerechtigkeit und beschwor kämpfe­ risch eine Welt mit Gott. An alle Stände appellierte er nahe der Sprache des politischen Gegners: Darum rufen wir allen zu, vorab unserer Jugend, unseren katholischen Akademikern und dem jungen Nachwuchs unserer kampfer­ probten, christlichen Arbeiterschaft: Laßt die Sturmbanner wehen, folgt ihnen im hinreißenden Schwung der Begeisterung, unser ist die höchste Idee, der größere Idealismus, die größere Zuversicht [...], unser wird der Endsieg sein/168 Ganz im Sinne großdeutschen katholischen Denkens bestätigte - als Ver­ treter des österreichischen Brudervolkes stürmisch begrüßt - der österreichische Unterrichtsminister und Vorsitzende der christlichsozialen Partei Dr. Emme­ rich Czermak in seiner Rede die Wesensverwandtschaft und Schicksalsverbun­ denheit der deutschen Stämme des Reiches und Oesterreichs: Was uns Oester­ reicher von den Katholiken des Reiches unterscheidet und trennt, sind nur die staatlichen Grenzen, die aber nicht wir gezogen und die wir nicht gewollt haben,169 Bemerkenswert mag sein, dass praktisch zum Zeitpunkt des Katholi­ kentages die angepeilte deutsch-österreichische Zollunion am Widerstand von Frankreich und Großbritannien scheiterte. Somit wurden im März 1938 mit dem „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich, der praktisch eine Anne­ xion darstellte, durchaus auch Wünsche zahlloser deutscher und österreichi­ scher Katholiken wahr. Durch die Übertragung des Schlussgottesdienstes durch alle deutschen und österreichischen Rundfunksender erreichte der Katholikentag eine völlig neue Öffentlichkeitswirkung. Zwar war bereits 1930 erstmalig ein „Hörbericht“ aus Münster vom dortigen Katholikentag gesendet worden, doch war dieser nur über wenige deutsche Sender gegangen. Stolz formulierte der Nürnberger Pro­ tokollant: Man darf sagen, daß erstmalig in der Geschichte der deutschen Katholikentage ganz Deutschland an seinem Katholikentag teilnehmen konnte, ja man darf ohne Uebertreibung sagen, ganz Europa konnte der heiligsten Stunde des Katholikentages beiwohnen.'™ Als Meister der Funkregie wird im Berichtband der später von Kirche und Staat vielfach ausgezeichnete Kölner Priester und Rundfunkpionier Bernhard Marschall (1888-1963) gerühmt. Bestaunt und bis ins Detail gelobt wird die ausgezeichnete Übertragung durch den Rundfunk. Als Beleg wird im Berichtband die Wertung des „Festblattes“ wiedergegeben: Wundervoll war die mitreißende Wirkung der Gesänge; aber auch das Rasseln der Gewehre bei der Wandlung, das Surren des Fliegers, kurz alle Kleinigkeiten kamen den Hörern in seltener Klarheit zu Gehör.'7' Vor dem 168 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 374-382. 169 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 382f. 170 Vgl. ebd., S. 650. 171 Vgl. ebd., S. 651.

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Festgottesdienst und der Schlussveranstaltung war bereits das Festkonzert vom 27. August aus dem großen Saal des Kulturvereins übertragen worden. Uber ein Dutzend Schallplatten mit Auszügen der Rundfunkaufnahmen, drei Filme sowie ein „Filmbandstreifen“ mit ca. 50 Bildern wurden zudem für die gedachte Nacharbeit hergestellt und sollten die mediale Berichterstattung er­ gänzen.172 Zum Abschluss zogenunter den schneidigen Klängen der Landespolizeikapelle über 200 Chargen der Studentenverbände in Vollwichs mit zahlreichen Ban­ nern und Fahnen aus allen Gauen Deutschlands feierlich zum Denkmal für die Gefallenen des Weltkrieges im Luitpoldhain,173 um in der Heldenhalle vor einem mächtigen Lorbeerkranz zusammen mit Bischof Sebastian von Speyer die gefallenen Heldensöhne zu ehren. Sich distanzierend von der „Psychose“ des Krieges, den Kampf zum Selbst- und Endzweck zu erheben, sprach der studentische Sprecher den Gefallenen des Weltkrieges einen Märtyrerstatus zu: Sie starben in einem heiligen Glauben, in einer hehren Überzeugung [...]. Kameradschaft, Mut und Stärke, Selbstverleugnung und Opferwille, Veranke­ rung im Volk, der Wille zur großen Gemeinschaft und in allem eine im Gottes­ glauben verankerte Überzeugung, bereit zum vollen Einsatz des ganzen Men­ schen [...]. Sie gelte es als eine der elementarsten Kraftquellen im Ringen um des Volkes Zukunft zu wahren.174 Bereits die Nationalsozialisten hatten beim Parteitag 1929 erstmals in Nürn­ berg ihren Totcnkult vor der noch unvollendeten Ehrenhalle inszeniert. Im Jahr 1933 nahmen Reichskanzler Adolf Hitler und Stabschef Emst Rohm in Nürnberg beim „Parteitag des Sieges“ gemeinsam ebenfalls die Totenehrung im Luitpoldhain vor. Ein Zeremoniell mit Hitler im Mittelpunkt, das in den folgenden Jahren zu den Reichsparteitagen nach entsprechender Umgestaltung des Geländes weiter ausgefaltet wurde: „Unter völligem Schweigen der Masse, nur von leisem Trommelwirbel und dem ,Lied vom guten Kameraden“ beglei­ tet, überquerte Hitler nun das gesamte Veranstaltungsfeld [...].“175 Er, der Führer, sollte als einziger Mittler „Zwiesprache“ mit den toten Helden halten und sie in die wiedergefundene Volksgemeinschaft cinbindcn. Dieser Kult ent172 Vgl. ebd., S. 659. - Der Verbleib der Schallplatten war nicht zu ermitteln. Für den Bilderstreifen liegt eine Archivierungsbestätigung vom 9.10.1931 im Stadtarchiv Nürnberg unter StadtAN C 7/1 Nr. 765/24 vor, er gilt aber mit der Bombardierung des Peilerhauses als vernichtet. Ein 35mm-Film (s/w, 241 m) findet sich im Bundesarchiv Berlin: http://www.bundesarchiv.de/ benutzungsmedien/filme/view/BSP13533?back_url=filme%2Fsearchresult, gefunden am 8.11.2015. 173 Vgl. ebd., S. 579. - Flanschei (wie Anm. 36), S. 283: Eingeweiht wurde das Denkmal 1930; Hit­ ler soll es gegenüber Oberbürgermeister Hermann Luppe als „das schönste seiner Art in Deutschland“ bezeichnet haben. 174 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 582f. 175 Markus Urban: Die Konsensfabrik. Funktion und Wahrnehmung der NS-Reichsparteitage. 1933-1941, Göttingen 2007, S. 38.

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sprach zugleich den seit 1925 verordneten Gedenkfeiern der Ortsgruppen der NSDAP alljährlich am 9. November: „Dabei sollte nicht nur der beim Novem­ berputsch .gefallenen Kämpfer“ der Bewegung sondern auch den Toten des Ersten Weltkrieges gedacht werden. Die doppelte Stoßrichtung der Totenfeiern suggerierte, daß die .Soldaten' der Bewegung für dieselbe Sache gestorben seien wie die Soldaten des Ersten Weltkrieges, nämlich für das Vaterland.“176 Am Montag, den 31. August, wurde - gewissermaßen als kultureller Nach­ trag - das Bühnenweihspiel „Parsifal“ von Richard Wagner, angesetzt auf fünf Stunden, im Opernhaus aufgeführt. Die verbliebenen Katholikentagsbesucher, darunter zwei Bischöfe, nahmen in der ausverkauften Vorstellung das mys­ tisch-feierliche Werk über Parsifal, den reinen Tor, der durch Mitleid wissend wird, sowohl als christlich wie volksverbindend wahr: So vermittelte dieser letzte Akt des Katholikentages einen tiefen Eindruck deutscher religiöser Kunst.'77 Im Jahr 1934 nahm Hitler selbst Einfluss auf die neue Bayreuther Parsifal-Inszenierung und setzte zusammen mit Winifred Wagner als Ausstat­ ter den Wiener Alfred Roller durch, der die christlichen Anteile ein Stück zu­ rückdrängte.178 Doch als Wagnerianer schätzte er auch dieses Werk, wie der ehemalige NS-Reichsminister Hans Frank in seinen Memoiren umriss: Aus Parsifal baue ich mir meine Religion, Gottesdienst in feierlicher Form ohne theologisches Parteiengezänk. Mit einem brüderlichen Grundton der echten Liebe ohne Demutstheater und leeres Formelgeplapper. Ohne diese ekelhaften Kutten und Weiberröcke. Im Heldengewand allein kann man Gott dienen.'79 In einer Rede bezeichnete Hitler Wagner als einen Künstler, der von der Vorsehung ausersehen [sei], die Seele eines Volkes der Mitwelt zu enthüllen, sie in Tönen [...] klingen zu lassen,180 So veranlasste Hitler, dass von 1935 bis 1938 „Die Meistersinger von Nürnberg“ während der Reichsparteitage in Nürnberg am Abend des Eröffnungstages zu einem festen Teil des Programms wurden. Fazit So demonstrativ geschlossen wie der Nürnberger Katholikentag von 1931 in seiner Haltung vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag, war er nicht. Die Verunsicherung hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Entwicklung ist ihm anzumerken. Ein Wandel kündigte sich an. Die nationalsozialistische Bedro176 Vgl. Ludolf Herbst: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias, Frankfurt 2010, S. 212. 177 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 637. 178 Vgl. Renate Schostock: Hinter Wahnfrieds Mauern, Hamburg 1998, S. 129f. 179 Frank (wie Anm. 83), S. 213. 180 Zitatauszug aus Hitlers Rede in Nürnberg vom 1.9.1933, in: Werner Siebarth: Hitlers Wollen. Nach Kernsätzen aus seinen Schriften und Reden, München 1935, S. 180.

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hung - wenn auch ein Stück verdeckt durch gleichzeitige BolschewismusÄngste - ist zunehmend spürbar, doch noch bestand für viele die Hoffnung auf ein tragfähiges neues Reich für alle Deutschen. Wer sich fürchtet, ruft oftmals laut im Dunkeln und so waren die Appelle an die eigene Klientel zahlreich. Letzthin vermochte das feste Glaubensverständnis des deutschen Katholizis­ mus in den entscheidenden Jahren vor und nach 1933 der nordisch-germani­ schen Rassentheorie und damit dem Glauben an eine arische Herrenrasse, wie sie Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts 1930 verkündetje]“ - nach Hitler angeblich nur eine „Privatmeinung" -, recht lange zu widerstehen181 und das „christkatholische Menschenbild“ dagegen zu halten. Auf den beiden letzten Katholikentagen der Weimarer Zeit 1931 in Nürnberg und 1932 in Essen wie auch außerhalb wurde in Ansprachen, Predigten und Darstellungen die katho­ lische Position vertreten. Damit verbunden erhob sich freilich zunehmend die Frage, wie sich christ­ licher Einfluss auf den Werdeprozess des neuen Reiches nehmen ließ. Bünd­ nisse wurden gesucht und unterschiedliche Kompromisse angedacht. Reinhard Richter bilanziert den Vorgang - zunächst im Blick auf die „Großdeutschen Jugend“ - in Worten, die durchaus auch als allgemeingültig betrachtet werden können: „Die Wucht des Visionären und der Ideale erleichtert die realpoliti­ sche Anbindung an die Republik nicht [...]. Die hehren Motive werden 1933/34 zum Einfallstor der Nationalsozialisten, die sich ebenfalls mit dem .Neuen' schmücken und keinesfalls ausschließlich als Reaktionäre auftre­ ten.“182 Als Schwachstelle erweist sich dabei das enge konfessionelle Denken, wie es auch in Nürnberg in jener Zeit zu beobachten ist und dessen Überwindung zur Erhaltung christlicher Sitte und deutschen Volkstums beim Katholikentag etwa der Arbeitskreis V unter Emil Ritter als vaterländische Notwendigkeit prokla­ miert hatte.183 Referate und Auftritte auf dem Katholikentag waren vielfach mit kämpferischem Pathos und volkstümlichen Parolen geladen und bekundeten damit eine deutliche Affinität zur Sprache der Nationalsozialisten. Ein bemer­ kenswertes Beispiel stellt ja dafür bereits schon die aufgewiesene Doppel­ deutigkeit des Führerbegriffes dar. Wohl als das entscheidende Einfallstor zeigt sich die völkische Idee in ihrer Verführungskraft, wie sie auch auf dem Katholikentag in Nürnberg sichtbar wird. Die notwendige „Läuterung des Volkstums“, die der Landesgerichts­ präsident Krapp in der auszugsweise wiedergegebenen Ansprache so sehr als kirchliche Aufgabe betonte, hatten zu viele im deutschen Katholizismus aus 181 Vgl. Dirks (wie Anm. 117), S. 203f. 182 Richter (wie Anm. 152), S. 73f. 183 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 305.

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den Augen verloren. Schließlich wollten sich in der Liebe zu Volk und Vaterland auch Katholiken nicht übertreffen lassen. Die katholische Kölnische Volkszeitung formulierte schon gleich nach dem Treffen: Der Volkstumsgedanke beseelt am echtesten den Nürnberger Katholikentag.184 Im weitesten Sinne lässt sich dann sogar die Übernahme bestimmter christlich-religiöser Rituale im Sinn von stets vollzogenem Brauchtum durch den Nationalsozialismus mit Volkstum in Verbindung bringen. All dies trieb schließlich auch Katholiken in die Arme der Nationalsozialisten. Nach dem verlorenen Krieg sprach im August 1945 Adam Stegerwald, zu­ letzt Reichsarbeitsminister von März 1930 bis Mai 1932, nach der Kapitulation noch kurze Zeit Regierungspräsident von Mainfranken, bestätigend von einem übersteigerten Nationalismus als einer der Ursachen für die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges.185 Freilich gab es im deutschen Volk auch unzählige Menschen, die sich einfach ein besseres Leben erhofften und nach den vorher­ gehenden jahrelangen Entbehrungen keine hohen Motive für die Zuwendung zu den Nationalsozialisten brauchten. Insgesamt begann jedoch mit der NSHerrschaft das Zurückdrängen der Kirche aus der Öffentlichkeit in die „Sakristei“. Gleichzeitig wurden die katholischen Verbände und Gruppie­ rungen - trotz der Versprechungen des Konkordats - wesentlich entmachtet oder gar zerschlagen. Nationalsozialistische Gewaltherrschaft Während immer mehr Katholiken dem neuen Führer Adolf Hitler Folgschaft leisteten, so auch der Nürnberger Polizeipräsident und Katholikentagsbesucher Heinrich Gareis,186 blieben viele „Führer des katholischen Deutschland“ ihrer Überzeugung treu. Praktisch allen auf dem Nürnberger Katholikentag vertre­ tenen konservativen Mitgliedern des Reichstags (M.d.R) drohte nach 1933 Überwachung durch die Gestapo, Strafverfolgung oder gar Haft. So wurde zum Beispiel im Juni 1933 aus politischen Gründen auch die Ministerialrätin Helene Weber (M.d.R) entlassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erwarb sie sich große Verdienste als eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“, als Vorsitzende der Frauenunion und des Müttergenesungswerks. Oftmals wurden den Politikern sogar bei der Suche nach bescheidenen be­ ruflichen Alternativen Steine in den Weg gelegt. Das beste Beispiel dafür ist 184 Ebd., S. 653. 185 Vgl. Adam Stegerwald: Wo stehen wir?, Würzburg 1946, ohne Seitenangabe (http://www. adam-stegerwald-kreis.de/historie/veroeffentlichungen/wo_stehen_wir.html, gefunden am 22.1.2016). 186 Wälzend der 2eit des Nationalsozialismus war er Regierungspräsident von Oberbayern.

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Karl Joseph Troßmann (M.d.R.). Im Jahr 1933 kam es zum Verbot jeder politi­ schen Betätigung, zum Berufsverbot als Publizist und zur zeitweiligen „Schutzhaft“. Als Gewerbetreibender (Tabakgroßhandel) wurde ihm im Oktober 1935 die Gewerbekarte entzogen. Ganz zuletzt fand er eine Beschäf­ tigung als Eisendreher.187 Vielfach mußten auch prominente Katholikentagsteilnehmer 1933 ihre Ämter unter dem Druck der Nationalsozialisten niederlegen wie Minister­ präsident Heinrich Held, die Oberbürgermeister Hermann Luppe (Nürnberg), Otto Hipp (Regensburg)188 und Karl Scharnagl (München)189 sowie Landes­ gerichtspräsident Lorenz Krapp (Bamberg), der später, 1947, zum Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs berufen wurde, aber noch vor Amtsantritt verstarb. Der seit 1929 amtierende bayerische Landtagspräsident Georg Stang kam zweimal in das Konzentrationslager Dachau in Haft; nach dem Krieg wurde er 1945 wiederum zum Präsidenten des Bayerischen Land­ tages bestimmt. Universitätsprofessor Georg Schreiber, der im April 1935 nach Ostpreußen zwangsversetzt werden sollte, konnte durch vorzeitige Emeritierung seine Abschiebung verhindern; nach dem Krieg wurde er Rektor der Universität Münster. Joseph Wirth, zur Zeit des Katholikentages Innenminister der Regie­ rung Brüning, emigrierte in die Schweiz und bemühte sich, den Papst 1937 zu einer öffentlichen Stellungnahme gegen die Judenverfolgung in Deutschland zu veranlassen; er soll Kontakte zum Widerstand (Kreisauer Kreis) gepflogen haben. Reichsarbeitsminister Adam Stegerwald stand während der RöhmAffäre auf der Todesliste, seine guten Beziehungen verhinderten die national­ sozialistischen Pläne. Auf Empfehlung einer ausländischen Botschaft verließ er für kurze Zeit Berlin und lebte später drei Monate im Exil.190 Einige Delegierte wie Pater Ludwig Esch SJ (Bund Neudeutschland, 1939 aufgelöst) erhielten Redeverbot. Ein Schreib- und Publikationsverbot musste ab 1936 auch Profes­ sor Oswald von Nell-Breuning hinnehmen. Andere Teilnehmer wurden ab 1933 zumindest kurzzeitig verhaftet, tauch­ ten unter oder setzten sich in das Ausland ab wie zum Beispiel Pater Friedrich Muckermann. Manche wurden für kürzer oder länger sogar in Konzentra­ tionslager inhaftiert. Dies traf auch Joseph Joos, den Präsidenten des Kathols7 Vgl. Martin Schumacher (Hrsg.): M. d. R., die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933-1945. Eine biographische Dokumentation, Düsseldorf 1991, S. 192f. 188 1 950 wurde Hipp Präsident des Katholikentages Altötting/ Passau. 189 Anton Scharnagl, der nach 1933 wieder als Bäcker gearbeitet hatte, wurde im Mai 1945 erneut als Oberbürgermeister von München eingesetzt. 190 Vgl. Schumacher (wie Anm. 187), S. 563.

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likentages. Ihm, einem Elsässer, hatte man schon 1938 die deutsche Staats­ bürgerschaft entzogen; wegen seiner Kontakte zum Widerstand verbrachte man ihn 1941 in das Konzentrationslager Dachau. Im Mai 1945 wurde er, in­ zwischen nach Südtirol verschleppt, befreit.191 Von den Besuchern und Delegierten des Katholikentages wurden einige in besonderer Weise Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. So der Zentrumspolitiker und Präsident der Vereinigung der deutschen christlichen Bauernvereine Andreas Hermes (1878-1964). Wegen seiner Verbindungen zum Widerstandskreis um Carl Goerdeler kam er 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück und wurde im Januar 1945 vom Volksgerichtshof zum Tode ver­ urteilt; nur mit Hilfe seiner Frau vermochte er durch erfolgreiche Prozess­ verschleppung zu überleben.192 Eugen Bolz war seit 1928 Staatspräsident in Württemberg. Im März 1933 aus dem Amt gedrängt, wurde er nach dem miss­ glückten Attentat vom 20. Juli 1944 im Dezember vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 23. Januar 1945 hingerichtet.193 Ministerialdirigent Erich Klausener, der auf dem Katholikentag 1931 zur Abwehr des Bolsche­ wismus gesprochen hatte,194 kritisierte 1934 ganz offen als Berliner Leiter der Katholischen Aktion die Kirchenpolitik des NS-Regimes; auf Befehl von Gestapochef Reinhard Heydrich wurde er im Rahmen des Röhm-Putsches erschossen.195 Pater Rupert Mayer SJ wurde ab 1935 mehrfach verhaftet, da er nicht bereit war, das verordnete Redeverbot einzuhalten. Sieben Monate ver­ brachte er im Konzentrationslager Sachsenhausen, fünf weitere Jahre in Isolationshaft im Kloster Ettal; durch Papst Johannes Paul II. wurde er 1987 seliggesprochen.196 Einen Sonderfall stellt Bischof Alois Hudal dar. Er verhalf als österreichi­ scher Weihbischof nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem prominenten Nationalsozialisten über die sogenannte „Rattenlinie“ (Route nach Latein­ amerika) zur Flucht,197 laut einem Bericht des „Spiegel“, der sich auf das Parteiblatt „Avanti“ der italienischen Linkssozialisten beruft, auch 1950 Adolf Eichmann. Anderseits konnte Hudal nachweisen, daß er bereits früher rund 191 Vgl. ebd., S. 31 lf. 192 Vgl. ebd., S. 275f. - In der Regierung Goerdeler war Hermes als Landwirtschaftsminister vor­ gesehen. 193 Vgl. Wolfgang Benz / Hermann Graml (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Weimarer Repub­ lik, München 1988, S. 33. - In der Regierung Goerdeler war er als Kultusminister vorgesehen. 194 Vgl. 70. Generalversammlung (wie Anm. 1), S. 211. 195 Vgl. Werner Pünder: Erlebnisbericht über die Ermordung Klauseners am 30. Juni 1934 und ihre Folgen, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 19 (1971), Heft 4, S. 351-404. 196 Vgl. Ökumenisches Heiligenlexikon (https://www.heiligenlexikon.de/BiographienR/Rupert_ Mayer.html, gefunden am 20.11.2015). 197 Vgl. Klee (wie Anm. 64), S. 272f.

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3.000 Juden vor der Verfolgung durch die Gestapo gerettet hatte. Auf Druck des Vatikans trat Hudal enttäuscht 1952 als Rektor des deutschen Priester­ kollegs zurück.198 Ausblick Auf dem letzten Katholikentag der Weimarer Republik in Essen 1932 sollte es neben den sozialen Fragen wieder um den Bolschewismus und um das Volkstum gehen. „Der Vorschlag einer interkonfessionellen christlichen Partei, um die innenpolitischen Krisen zu lösen, [fand] keine Zustimmung“, konsta­ tiert Hajo Goertz.199 Für das Jahr 1933 war in Wien wieder ein gesamtdeutscher Katholikentag angedacht, doch die Auflage von 1.000 Reichsmark für jede Reise nach Österreich, die die deutsche Regierung angeordnet hatte, verhin­ derte eine Teilnahme für Katholiken aus der Weimarer Republik. Das Treue­ versprechen zu Hitler, das der preußische Ministerpräsident Göring für den 1934 im schlesischen Gleiwitz geplanten Katholikentag als Bedingung gestellt hatte, machte auch diesen unmöglich.200

198 Vgl. Spiegel Nr. 26 vom 21.6.1961, o. Verf.: Italien / Eichmann. Ohne Beichte, S. 49-51 (www. spiegel.de/spiegel/print/d-43364751.html, gefunden am 10.11.2015): Es war meine Christen­ pflicht, jedem Flüchtling vor dem Kommunismus zu helfen. Ich kann weder bestätigen noch dementieren, daß unter ihnen auch Eichmann war (hier S. 51). 199 Vgl. Hajo Goertz: Brückenschläge. Wirken und Wirkung der Katholikentage, Kevelaer 2006, S.121. 200 Vgl. Hürten (wie Anm. 7), S. 67f.

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DAS KRAKAUER HAUS IN NÜRNBERG, DAS NÜRNBERGER HAUS IN KRAKAU Nürnbergs und Krakaus beispielhafter Beitrag zu Frieden und Freundschaft in Europa.

Die Entstehungsgeschichte Von Peter Schönlein Es war, so scheint es, ganz einfach: Bei meinem Besuch in Krakau Ende Mai / Anfang Juni 1991 konnte die polnische Partnerstadt für den Plan gewonnen werden, in Krakau ein Nürnberger Haus und in Nürnberg ein Krakauer Haus zu schaffen. Fünf Jahre später, im Juni 1996, wurden beide Häuser in Nürnberg und Krakau eingeweiht.

Einladung zum Bürgerfest anlässlich der Eröffnung des Krakauer Hauses in Nürnberg (8. Juni 1996) und des Nürn­ berger Hauses in Krakau (22. Juni 1996), Plakat. (StadtAN A 28 Nr. 1996/71) Ansprache des Altoberbürgermeisters, gehalten am 15. Juni 2016 im Krakauer Haus im Rah­ men einer Veranstaltung des Amtes für Internationale Beziehungen der Stadt Nürnberg. Der Abdruck erfolgt unter Beibehaltung des Vortragsstils.

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Um die Geschehnisse von damals verstehen und einordnen zu können, muss man sich bewusst machen, dass man in den 70er und 80er Jahren des vergan­ genen Jahrhunderts, und zum Teil noch bis in die 90er Jahre hinein, in einer anderen Welt lebte. Es war eine Welt, in der sich ein Eiserner Vorhang mitten durch Europa zog und zwei grundverschiedene politische und wirtschaftliche Systeme aufeinander prallten, es war die Zeit des Kalten Krieges, die Zeit von Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl, vor allem aber von schier unüberwind­ lichen ideologischen Barrieren. Konfrontation und Aggression bestimmten das politische Klima in Europa. Es stieß auf eine andere Welt, wer damals aus der Bundesrepublik Deutsch­ land kommend durch Polen reiste. Godehard Schramm, der sensible Schrift­ steller, hat im Dezember 1990 von seinen Erfahrungen und Erlebnissen in Polen berichtet: „Die Lebensumstände waren bedrückend, erniedrigend - es war ein ,KZ bei lebendigem Leibe“, durchaus mit Todesfolge. Und es wurde von Tag zu Tag noch armseliger; die Hinterlassenschaft der .polnisch-kommu­ nistischen Wirtschaft“ war grauenvoll. Eine Kamera wäre schamrot geworden, hätte sie das Angebot der privat Anbietenden aufgenommen: ein paar Blumen, Tomaten, eine Tasse voller Brombeeren, ein Sträußlein Erika, Knoblauch ...“ Doch Godehard Schramm weiß auch zu berichten: „Selten wurde ich bislang in meinem Leben so häufig von Wildfremden eingeladen. Tage und Nächte verbrachten wir bei Menschen, die nicht nur ihre Not schilderten, sondern uns auch beschenkten - mit Kaffee, köstlichem Kraut; einmal nahm eine betagte Frau sogar das ihr liebste Bild, das der Madonna von Tschenstochau von der Wand und schenkte es meiner Frau, die nur ein paar Schritte weiter ihre Kind­ heit erlebt hatte.“ Zur unbeschreiblichen Not und bitteren Armut dieser Jahre kamen für unsere polnischen Nachbarn bedrückende Ungewissheiten in den Zeiten des politischen Übergangs. Westlich von Oder und Neiße war ein neues Staatsgebilde entstanden, das vereinigte Deutschland. Die polnische Bevölke­ rung war im Vorfeld des Vereinigungsprozesses durchaus hin- und hergerissen, Hoffnung und noch mehr Besorgnis vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen mit dem deutschen Nachbarvolk waren in Polen gleichermaßen virulent. Am 1. September 1989 wurde in ganz Europa der Ereignisse gedacht, die 50 Jahre vorher, am 1. September 1939, ein Unheil unvorstellbaren Ausmaßes in Gang gesetzt hatten. Auch in Krakau sollte in einer feierlichen Gedenksitzung des Krakauer Stadtparlaments der 50-jährigen Wiederkehr des deutschen Überfalls auf Polen und damit des Beginns des Zweiten Weltkrieges gedacht werden. Es war schon sehr bemerkenswert, dass die Stadt Krakau - und zwar in einem erstaunlichen Konsens zwischen den alten Machthabern von der PVAP und den neuen Machthabern von der Solidarnosc - mich damals einge-

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laden hat, bei dieser feierlichen Ge­ denksitzung aufzutreten und eine An­ sprache zu halten. Gewiss war es eine der schwierigs­ ten Aufgaben meiner politischen Lauf­ bahn, in dieser Situation und an diesem Ort die richtigen Worte zu finden. Denn alles, was Krakau durch NaziDeutschland widerfahren war, trat an diesem Gedenktag erschütternd vor der grauenvolle Besatzungster­ ror, die schändliche Nazi-Fahne auf dem Wawel, auf dem sich der deutsche Generalgouverneur Hans Frank einge­ nistet hatte, die Verhaftung des gesam­ ten Professorcnkollegiums der ehr­ würdigen Jagellonen-Universität und die Deportation nach Sachsenhausen. Die Urnen mit der Asche der in Sach­ senhausen Umgekommenen hat man Ansprache vor dem Volksrat, 1. September den in Krakau verbliebenen Angehöri­ 1989. (Foto: privat) gen per Post ins Haus geschickt. Und schließlich der skrupellose, frevelhafte Raub des Marienaltars von Veit Stoß und sein Abtransport nach Nürnberg. Dieser Tag, der 1. September 1989, ent­ schied über die Zukunft der Städtepartnerschaft Nürnberg-Krakau. Noch im gleichen Jahr 1989 - und noch nicht vorhersehbar wenige Wochen vorher am 1. September - fiel in Berlin die Mauer und schon im darauf folgen­ den Herbst, am 1. Oktober 1990, wurde die Vereinigung Deutschlands vollzo­ gen. Für Polen war dabei von existenzieller Bedeutung, dass die Westgrenze Polens an Oder und Neiße vom vereinigten Deutschland als endgültig aner­ kannt und nicht mehr in Frage gestellt wurde. Um die gegenüber den alliierten Mächten vor der Vereinigung eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen und um Polen die ersehnte Sicherheit zu geben, ratifizierte der Deutsche Bundestag am 17. Juni 1991 einen Nachbarschafts- und Grenzvertrag mit Polen. Dieser Entscheidung des Deutschen Bundestags waren monatelange hitzige Ausein­ andersetzungen vorausgegangen, bei der sich besonders die CSU dem vorgese­ henem Vertragsabschluss widersetzte und immer neue Vorbehalte formulierte. Die CSU stellte sich damit an die Seite der Vertriebenenverbände, die in schril­ len Tönen ein Anrecht auf die alte Heimat einklagten. Zu dieser Zeit, in der Mitte des Jahres 1991, kulminierten diese Auseinandersetzungen in unver-

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söhnlicher Weise, und wir Nürnberger, Partner Krakaus, wurden in diesen Strudel mit hineingezogen. Aber der Reihe nach: Ende April 1991 hatte mich eine Einladung des Kra­ kauer Stadtpräsidenten erreicht, in der es hieß: „Mit großer Freude darf ich Ihnen mitteilen, dass Krakow die Ehre zugefallen ist, der Gastgeber des Sym­ posions der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zum Thema .Kulturerbe1 in den Tagen vom 28. Mai bis zum 7. Juni 1991 zu sein. Die Stadt Krakow wäre sehr geehrt, Sie und Ihre Gattin aus diesem Anlass als Gast empfangen zu dürfen.“ Diese Einladung konnte man nicht ausschlagen, auch wenn uns im Nürnberger Rathaus bewusst war, dass sie gesamtpolitisch gese­ hen zu einem extrem ungünstigen Zeitpunkt erfolgte. Denn schon kurz darauf sollte in Nürnberg das Deutschlandtreffen der Schlesier stattfinden. Dazu muss man wissen, dass die Deutschlandtreffen der Schlesier über viele Jahre hinweg in Hannover stattfanden und jedes Mal mit großem politischen Ärger verbunden waren. Schon das Motto der einzelnen Treffen wurde in Polen als unerträgliche Provokation empfunden, von den dort gehaltenen Reden gar nicht zu sprechen. „Schlesien bleibt unser“, „Schlesien bleibt unsere Heimat“ oder „Schlesien bleibt unser Auftrag“ lauteten beispielsweise die Proklamationen. Die Stadt Hannover hatte es aber damals endgültig satt, ständig als Austragungsort sol­ cher Art Kundgebungen genannt und in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Sie widerrief daher die Bereitschaft, Hannovers Messezentrum an die Schlesier zu vermieten, das Land Niedersachsen strich zudem die bis dahin gewährte Mitfinanzierung der Veranstaltung. Daraufhin sprang der Freistaat Bayern ein, wünschte aber, dass die Schlesier ihr Treffen in Bayern abhielten. Und so ka­ men die Schlesier 1991 erstmals in Nürnberg zusammen. Wir im Nürnberger Rathaus sahen unsere partnerschaftlichen Zielsetzungen konterkariert, wenn nicht gar bedroht - und hatten dazu allen Anlass. Denn in Polen war man ge­ gen Gebietsansprüche jeglicher Art äußerst allergisch. Das hatten wir in der ersten Phase der Partnerschaft mit Krakau selbst erfahren müssen. Als nämlich der damalige Nürnberger Oberbürgermeister Anfang der 80er Jahre in einer Rede vor Vertriebenen geäußert hatte, er habe für eine deutsch-polnische Städ­ tepartnerschaft bewusst eine Stadt „im alten Polen“ (sozusagen im eigentlichen Polen) ausgewählt, wurde die junge Städtepartnerschaft von polnischer Seite sofort storniert und auf Eis gelegt. Es dauerte einige Zeit, bis es dem Stadtrats­ kollegen Unger von der FDP und mir durch einen Besuch beim polnischen Botschafter und durch gütige Mithilfe von SPD-Bundestagsabgeordneten ge­ lang, die Partnerschaft mit Krakau wieder in Gang zu bringen. Bevor ich daher Ende Mai 1991 nach Krakau reiste, hatten wir im Nürnber­ ger Rathaus alle Hände voll zu tun, um unser eigenständiges politisches Profil

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darzustellen und gegenüber der schlesischen Landsmannschaft selbst klar und unmissverständlich Position zu beziehen. Schon am 6. Mai hatte ich daher dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien Dr. Hupka einen Offenen Brief geschrieben, in dem es hieß: „Nürnberg ist froh und stolz darüber, in zunehmendem Maße als Tagungs- und Kongressort großer Organisationen favorisiert zu werden. Nürnberg hat sich aber auch nach den leidvollen Erfah­ rungen seiner jüngeren Geschichte das Ziel gesetzt, jetzt und für alle Zukunft eine Stadt des Friedens und der Völkerversöhnung zu sein, eine Stadt, von der nie mehr andere Signale ausgehen sollen als die des friedlichen und freund­ schaftlichen Zusammenlebens der Völker, insbesondere in Europa. Ich appel­ liere daher an Sie, sehr geehrter Herr Bundesvorsitzender, diesem Anliegen der Stadt Nürnberg Rechnung zu tragen.“ In diesem Sinne habe ich damals noch in einer Öffentlichen Erklärung des Oberbürgermeisters nachgelegt und außer­ dem in einem Grußwort an die Schlesische Jugend dafür geworben, sich in den Dienst der Völkerversöhnung zu stellen und dazu auch einen spürbaren Bei­ trag zu leisten. Soweit die Vorgeschichte zum Treffen in Krakau Ende Mai 1991. Als ich dann mit einer kleinen Stadtratsdelegation Ende Mai in Krakau eintraf, wurden wir von Stadtpräsident Bachminski und vom Wojwoden Piekarz mit offenen Armen empfangen. Da die Gesprächsatmosphäre von Aufgeschlossenheit und Herzlichkeit gekennzeichnet war, schienen mir die Voraussetzungen gegeben, mit Vorschlägen von größerer Tragweite an die Repräsentanten Krakaus heran­ zutreten. Das grundlegende Nürnberger Begehren lautete, den alten Städte­ partnerschaftsvertrag zu überarbeiten und auf eine neue, den veränderten Ge­ gebenheiten angepasste Grundlage zu stellen. Dieser Vorschlag kam Krakau durchaus entgegen, da man gegen den alten Vertrag wegen der stark kommu­ nistisch geprägten Diktion ohnehin Vorbehalte hatte. In diese neue Fassung des Vertrags sollte die beiderseitige bindende Verpflichtung aufgenommen werden, politischen Proklamationen und Aktionen auf ihrem Stadtgebiet, die Frieden und Völkerversöhnung gefährden, entschieden entgegenzuwirken und statt dessen alle Bestrebungen und Initiativen zu fördern, die der Verständigung und der Freundschaft der Menschen in Polen und Deutschland dienen. Um diesem Ziele zu dienen und um die erneuerte Städtepartnerschaft mit Leben zu erfül­ len, sollte - so meine Vorstellung - zunächst in Krakau ein Nürnberger Haus und anschließend in Nürnberg ein Krakauer Haus eröffnet werden. Die Aussprache über diese und weitere Vorschläge war vom Geist der Ver­ ständigung und vom Willen zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft getra­ gen. Es ist hervorzuheben, dass trotz aller Not und aller Bedrängnis, trotz all der Probleme, die sich damals auftürmten, es im Krakauer Rathaus nicht an Mut und Entschlossenheit fehlte, im Vertrauen auf die entfesselten Kräfte der

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polnischen Volkswirtschaft mit Selbstbewusstsein nach vorn zu blicken. Auch in dem von der Stadt Krakau gefertigten Kommunique wird die besondere Herzlichkeit der Gespräche betont und der bemerkenswerte Satz formuliert: „Die Zusammenarbeit zwischen unseren Städten war ein erster wesentlicher Schritt der Annäherung zwischen Polen und Deutschland.“ Des Weiteren führt das Krakauer Kommunique aus: „Der Präsident der Stadt Krakau, Herr Bachminski, bedankte sich für die bisherige große Hilfe und bekräftigte, dass die gegenwärtige Stadtregierung von Krakau offen ist für alle Vorschläge neuer Formen der Zusammenarbeit. Ein erster Hinweis auf die neue Wertschätzung unserer Zusammenarbeit könnte die Eröffnung eines .Nürnberger Hauses“ in Krakau sein, in dem kulturelle Einrichtungen und Wirtschaftsvertretungen Nürnbergs Platz finden sollten. Beide Seiten brachten die Hoffnung zum Aus­ druck, ein solches Unternehmen möglichst bald zu realisieren.“ Damit war die Idee eines Nürnberger Hauses in Krakau - und bald darauf als Entsprechung eines Krakauer Hauses in Nürnberg - in Krakau offiziell angekommen, und es ist an der Zeit, darüber zu sprechen, was eigentlich hinter dieser für damalige Verhältnisse doch recht ungewöhnlichen Idee steckte und wozu sie im konkreten Fall gut sein sollte. Die Idee wurde geboren aus der urbanen Seelenverwandtschaft Nürnbergs mit Krakau. Schon in der Schedelschen Weltchronik von 1493 waren beide Städte abgebildet und nebeneinander gestellt, beide das Inbild der mittelalter­ lichen europäischen Stadt: die in sich geschlossene Altstadt, von einer Stadt­ mauer umgeben, von einer mächtigen Burg gekrönt. Beide Städte, sowohl Krakau als auch Nürnberg waren über Jahrhunderte hinweg wichtige politi­ sche, wirtschaftliche und kulturelle Zentren ihrer Länder mit großer Ausstrah­ lung weit nach Europa hinein. Beide Städte schienen mir prädestiniert, bei der Neuorganisation Europas modellhaft einen bedeutsamen kommunalen Beitrag zu leisten, und von daher war mit der Errichtung von Partnerschaftshäusern durchaus ein Anspruch erhoben, der Anspruch nämlich, im zusammenwach­ senden Europa eine kommunale Vorreiter-Rolle zu spielen und ein Beispiel zu geben. Dieser Anspruch wurde auch artikuliert durch eine gemeinsame Bewer­ bung Krakaus und Nürnbergs um den Titel einer Kulturhauptstadt Europas im Jahre 2000. Davon wird gleich noch zu reden sein. Doch nun nach den ideellen zu den praktischen Aspekten. Ich sagte ja ein­ gangs, um die Geschehnisse von damals verstehen und einordnen zu können, muss man sich bewusst werden, dass die Menschen damals in einer anderen Welt lebten - einer Welt ohne Internet und soziale Netzwerke, ohne Handys und Smartphones. Die postalische Versendung eines Briefes konnte bis zu zwei Wochen dauern und manchmal noch länger. Grenzüberschreitende Kommuni­ kation, wie sie für uns längst selbstverständlich geworden ist: damals Fehl374

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anzeige. Schon aus diesem Grunde waren Kontakte zwischen den Bürgern der einen Partnerstadt mit der anderen rar gesät. Wenn die Stadtoberhäupter ein­ mal im Jahr für zwei oder drei Tage in die Partnerstadt reisten, sich zu Gesprä­ chen im Rathaus und zu kurzen Stadtbegehungen trafen, wenn einzelne in der Partnerschaft engagierte Gruppen der Bürgerschaft ein oder zweimal im Jahr zu Begegnungen in die Partnerstadt aufbrachen, dann war das natürlich sehr zu begrüßen, dazwischen waren aber lange Pausen, die den Wunschvorstellungen einer lebendigen, kontinuierlichen, fruchtbringenden Partnerschaft nicht ent­ sprachen. Im Nürnberger Haus und im Krakauer Haus sollte aber ständig und das ganze Jahr über Gelegenheit sein, der Partnerstadt zu begegnen und zwar eine Gelegenheit für die gesamte Bürgerschaft, ohne protokollarische Hindernisse, nicdrigschwellig sozusagen. Daher sollten die beiden Häuser auch ihre Prä­ gung aus der jeweils eigenen Kultur und Tradition immer sichtbar und erlebbar machen, Begegnung mit Menschen aus der Partnerstadt ermöglichen, Ver­ ständnis für andere Ansichten und Überzeugungen erzeugen, Zusammenhalt schaffen, Freundschaften stiften, Impulse geben, gemeinsam Musik zu erleben, gemeinsam sich in polnische und deutsche Literatur zu vertiefen, gemeinsam Kunst in ihren vielfältigen Formen und Sprachen zu erfahren. So, meine Damen und Herren, glaubten wir, geht Europa - das war damals unsere Über­ zeugung im Nürnberger Rathaus. Ich glaube, sogar sagen zu können, die Überzeugung des gesamten Nürnberger Rathauses. Für die Einrichtung von Partnerschaftshäusern war also im Juni 1991 die Grundsatzentscheidung gefallen. An Nürnberg erging die Bitte, auf der Basis der Gesprächsergebnisse einen Entwurf für einen neuen Partnerschaftsvertrag zu fertigen. Einen solchen legten wir bereits im nächsten Monat, im Juli 1991, vor. Darin war verankert das Gelöbnis, solidarisch und partnerschaftlich ver­ bunden in das nächste Jahrtausend zu gehen. Und daran anknüpfend hatten wir formuliert: „Für die Jahrtausendwende streben sie eine gemeinsame Be­ werbung um den Titel einer ,Kulturstadt Europas' an mit dem Ziel, im Jahre 2000 - im 950. Jahr der Gründung der Stadt Nürnberg und im 1000. Jahr der Gründung der Diözese Krakow - modellhaft einen Beitrag zu leisten zur kul­ turellen Einheit Europas in der Vielfalt seiner Völker und Regionen.“ Die Partner im Krakauer Rathaus zögerten allerdings, sich so schnell auf eine so weitreichende und umfassende Verpflichtung vertraglich festzulegen. Stattdessen wurde mir angetragen, in eine Sitzung des Auswärtigen Ausschus­ ses des Krakauer Stadtparlaments zu kommen und dort in einer Art Hearing anstehende Fragen zu beantworten und über Chancen und Risiken mit den Ausschussmitgliedern zu beraten. Das Ergebnis schlug sich in einem Beschluss des Krakauer Stadtrats vom 18. Oktober 1991 nieder: Der Krakauer Stadtrat 375

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„bevollmächtigt den Präsidenten der Stadt Krakau zur Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen Krakau und Nürnberg über eine gemeinsame Bewer­ bung um den Titel ,Europäische Kulturstädte' (im Wortlaut der Anlage zum Beschluss).“ Parallel zu dem Bemühen um Einrichtung der Partnerschaftshäuser war damit auch auf dieser Schiene das Startsignal erfolgt. Nürnberg hatte in den nächsten Jahren genügend Zeit, in Abstimmung mit Krakau eine Bewerbung auszuarbeiten, die sich gerade auch auf die beiden Partnerschaftshäuser stützen sollte, und diese auf der europäischen Ebene auf den Weg zu bringen. Vordringliche Aufgabe beider Städte war es nun aber zunächst, geeignete Standorte für die Errichtung eines Partnerschaftshauses zu finden und einge­ hende Tauglichkeitsprüfungen vorzunehmen. Das erwies sich als eine echte Herausforderung, die, wie sich zeigen sollte, die Dienststellen der Nürnberger und der Krakauer Stadtverwaltung monatelang auf Trab hielt. Oftmals be­ wegte man sich auf verschlungenen Pfaden. Denn da kamen mehrere Ansprü­ che zusammen. In Frage kam wohl nur ein zentraler Standort in der Stadt. Das Bauwerk musste repräsentativ sein und einen eigenen Charakter haben. Sehr wünschenswert war ein historisches Gebäude, es musste ja nicht gleich von 1493 stammen. Verkehrsmäßig sollte es gut erschlossen, aber natürlich nicht zu sehr dem Verkehrslärm ausgesetzt sein. Es sollte geeignete Räume für Zusam­ menkünfte und Gesprächsrunden, für Büronutzung, vor allem aber für eine gastronomische Einrichtung bieten. Dann mussten natürlich alle baurecht­ lichen Voraussetzungen erfüllt und - überhaupt - die Eigentumsfrage geklärt sein, was letzteres gerade in Krakau besonders schwierig war, weil nach dem deutschen Überfall auf Polen die jüdischen Eigentümer von Immobilien ent­ eignet, vertrieben und vielfach ermordet wurden. Rechtmäßige Eigentümer zu finden war oft ein langwieriger Prozess. Dennoch hatte im Wettstreit beider Städte schließlich Krakau die Nase vorn. Am 24. November 1992 präsentierte uns Krakau bei einem kurzen Besuch in der Partnerstadt ein stattliches Haus mit der historischen Bezeichnung „Unter dem Stern“ an der Ecke Krakowska und Skafeczna Straße im Stadtteil Kazimierz. Wir waren von diesem noblen Angebot beeindruckt und beglückt - es wurde das Nürnberger Haus. Vier Monate später, am 25. März 1993, präsentierten wir der Krakauer Dele­ gation unseren Vorschlag für ein „Krakauer Haus“: den Tratzenzwinger-Turm. Die Gäste aus Krakau äußerten sich begeistert und akzeptierten - es wurde das Krakauer Haus. Allerdings lag vor der Verwirklichung des Traums noch eine entscheidende, kaum überwindlich erscheinende Hürde. Denn in beiden Fällen waren um376

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Das Krakauer Haus in Nürnberg, das Nürnberger Haus in Krakau

Nürnberger Haus, Foto: Christine Dierenbach, 22.6.1996. (StadtAN A 54 Nr. LV-1481-27)

Krakauer Haus, Foto: Christine Dierenbach, 8.6.1996. (StadtAN A 40 Nr. L-6139-F3-16)

fangreiche und aufwändige Sanierungs- und Ausbauarbeiten erforderlich. Erste Schätzungen von Baufachleuten gingen von einem Betrag aus, der so­ wohl für das Krakauer wie für das Nürnberger Projekt erheblich über die Million hinausging. Daran drohte das gesamte Vorhaben zu scheitern. Denn weder im Haushalt der Stadt Krakau noch dem der Stadt Nürnberg waren für diese Bau- und Sanierungsarbeiten die entsprechenden Finanzmittel einge­ stellt. Schlimmer noch: Weder da noch dort war es möglich, solche Mittel in der erforderlichen Millionenhöhe neu im Haushalt unterzubringen, weil beide Städte anfangs der 90er Jahre von einer extremen Finanznot heimgesucht waren, Bäder und Schulen geschlossen wurden und kaum noch die Pflichtauf­ gaben einer Kommune zu leisten waren. Und doch gelang es, aus dieser krisenhaften Situation einen Ausweg zu fin­ den. Zu verdanken ist dies zum einen dem Mäzenatentum des Nürnberger Bürgers Kurt Klutentreter, einer eigenwilligen, aber sehr verdienstvollen Per­ sönlichkeit, dem die Stadt Nürnberg auch für finanzielle Unterstützung ande­ rer Projekte sehr zu Dank verpflichtet ist. Er sei hier gebührend bedankt und gerühmt. Des Weiteren hatten wir in der Tucher-Brauerei, einer Nürnberg schon immer besonders verbundenen und in der Bürgerschaft sehr geschätzten 377

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Brauerei einen großen Rückhalt. Hans Kämmerer von Vorstand der TucherBrauerei ist sogar mit nach Krakau gereist, um uns vor Ort zu beraten und unter die Arme zu greifen. Und schließlich - nicht ganz zuletzt - kam uns eine sehr fränkische Eigenart zugute, die Bereitschaft, zur Überwindung anders nicht zu lösender Problem- und Krisensituationen auch unkonventionelle Wege nicht zu scheuen und darin nicht nur die Risiken, sondern auch die Chancen zu sehen. Jedenfalls sah man bis zur Jahresmitte die finanziellen und grundstücks­ rechtlichen Probleme so weit gelöst, dass man zur Vertragsunterzeichnung schreiten konnte. Eine sehr große Krakauer Delegation mit dem Stadtpräsiden­ ten, dem Wojewoden und dem Stadtparlamentsvorsitzenden an der Spitze reiste Anfang Juli 1993 nach Nürnberg, wo die Gäste eine überaus herzliche Begrüßung und ein mehrtägiges Besuchsprogramm vom Feinsten erwartete. Der Festakt fand am 1. Juli im Schönen Saal des Nürnberger Rathauses statt. Unterzeichnet wurde ein Pachtvertrag, in dem der Stadt Nürnberg das schon erwähnte Haus im Stadtteil Kazimierz für (zunächst) 40 Jahre zur vertragsge­ mäßen Nutzung übergeben wurde. Im Gegenzug wurde einige Monate später in Parallelität der Vereinbarungen der Tratzenzwinger-Turm der Stadt Krakau vertraglich zugesprochen. Was nun folgte, ist mit Fug und Recht eine Meisterleistung der Nürnberger Stadtverwaltung zu nennen. Noch nie zuvor waren die Dienststellen des Bau­ referats, insbesondere das Hochbauamt, dazu das Liegenschaftsamt, das Rechtsamt, die Stadtkämmerei und - nicht zuletzt - das Amt für Internationale Beziehungen vor eine Aufgabe solcher Art gestellt worden. Es ist in einem Vortrag wie diesem unmöglich, die einzelnen Schritte und Vorgänge darzustel­ len und zu erläutern, wie es gelang, am Ende mit allen Schwierigkeiten zurande zu kommen. Walter Anderle, damals Baureferent der Stadt Nürnberg, könnte ein Lied davon singen. Es war eine Herkules-Aufgabe und mancher mochte sich manchmal weniger an Herkules als an Sisyphos erinnert fühlen. Das Jahr 1995 war ein Gedenkjahr, das die Stadt Nürnberg zusammen mit all ihren Partnerstädten mit einer großen öffentlichen Kundgebung auf dem Nürnberger Hauptmarkt beging. Alle Stadtoberhäupter unserer Partnerstädte folgten der Einladung, aus diesem Anlass nach Nürnberg zu kommen und auf der Kundgebung zu sprechen. Als besondere Ehre und Auszeichnung empfan­ den wir es, dass aus Krakau nicht nur Stadtpräsident Lassota, sondern auch Kardinal Macharski zu uns sprachen und die Kundgebung mit gestalteten. Gewiss war dies der unvergessliche Höhepunkt eines an Veranstaltungen rei­ chen Gedenkjahres. Unseren Gästen aus Krakau konnten wir bei dieser Gele­ genheit die erfreuliche Botschaft überbringen, dass die erforderlichen Sanierungs-, Um- und Ausbaumaßnahmen an beiden Häusern kurz vor dem

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Das Krakauer Haus in Nürnberg, das Nürnberger Haus in Krakau

Abschluss stehen. Und in der Tat konnte dann am 8. November 1995 im Vor­ griff auf die eigentlichen Einweihungsfeiern die Schlüsselübergabe für das Krakauer Haus zelebriert werden. Kein geringerer als der polnische Außen­ minister Bartoszewski reiste dazu eigens nach Nürnberg und würdigte in be­ wegten Worten die vorbildlichen Bemühungen beider Städte für Frieden und Freundschaft in Europa. Meine Damen und Herren, die Olympischen Spiele 2016 beginnen in weni­ gen Wochen. Eine der ästhetisch schönsten und elegantesten Disziplinen ist dabei das Synchron-Springen. Dass unser Baureferat es zustande gebracht hat, beide Baumaßnahmen zeitgleich zum Abschluss zu bringen und so beide Häu­ ser im gleichen Monat, nämlich im Juni 1996 vom Nürnberger Oberbürger­ meister Ludwig Scholz und vom Krakauer Stadtpräsident Jözef Lassota einge­ weiht werden konnten, hätte wahrhaft die Goldmedaille verdient. Zu den Einweihungsfeiern hatte sich übrigens nicht nur eine große Zahl von rangho­ hen polnischen und deutschen Ehrengästen eingefunden, sondern auch mehr als 300 Bürger aus der jeweiligen Partnerstadt, die die Mühe einer über 17-stündigen Busanreise nach Nürnberg bzw. einer 13-stündigen Bahnanreise nach Krakau nicht gescheut hatten, um bei diesem als historisch empfundenen Ereignis dabei sein zu können. Auch dies eine in dieser Dimension bis dahin noch nicht gekannte Demonstration des Willens zur Zusammengehörigkeit und des Strebens nach Freiheit und Frieden im gemeinsamen Haus Europa.

Eröffnung des Krakauer Hauses in Nürnberg am 8. Juni 1996, Foto: Christine Dierenbach. (StadtAN A 40 Nr. L-6132-10)

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Eröffnung des Nürnberger Hauses in Krakau am 22. Juni 1996, Foto: Wieslaw Majka, Krakau.

Meine Damen und Herren, die Entstehung der beiden Häuser war eingebettet in ein bewundernswertes, vom Geist der Versöhnung getragenes, nachhaltiges Engagement zahlloser Bürger und zahlreicher Gruppen und Organisationen in beiden Städten. Ohne diese breite und tragfähige Basis in der Bürgerschaft wä­ ren alle Rathausbeschlüsse und -Vereinbarungen Makulatur geblieben. Ich verneige mich vor allen Bürgern, die über Jahre hinweg durch ihr Engagement die Voraussetzung geschaffen haben für solche Ergebnisse.

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Das Krakauer Haus in Nürnberg, das Nürnberger Haus in Krakau

Dom Norymberski, ul. Skateczna 2, Foto: Nürnberger Haus, Krakau.

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Krakauer Haus mit Tratzenzwinger, Hintere Insel Schütt 34, Foto: Ursula Walthier/Julia Kraus, 2010. (StadtAN A 96 Nr. 659)

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BUCHBESPRECHUNGEN Quellen und Inventare................................................................................................ Topographie, Stadtteile und Landgebiet.................................................................... Politische Geschichte, Recht und Verwaltung............................................................ Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine.............................................................. Kunst, Architektur...................................................................................................... Kultur, Sprache, Literatur, Musik............................................................................... Kirchengeschichte, Judentum................................................................................... Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik............................................................ Personen und Familien.............................................................................................

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Quellen und Inventare Arnold Clapmarius: De Arcanis Rerunipublicarum libri sex / hrsg., übersetzt und eingeleitet von Ursula Wehner (Editionen zur Frühen Neuzeit 4). Stuttgart-Bad Cann­ statt: Frommann-Holzboog 2014. CI, 746 S. € 132,Arnold Clapmarius war einer der ungewöhnlichsten, aber auch einer der wirkmäch­ tigsten Professoren, die an der Nürnberger Universität in Altdorf lehrten. Untypisch war die Biografie des Gelehrten. Als der gebürtige Bremer im Sommer 1600 im Alter von nur 26 Jahren auf Empfehlung des hessischen Landgrafen Moritz des Gelehrten an der „Academia Norica“ eine Professur für Geschichte und Politik übernahm, hatte er weder akademische Lehrerfahrung noch einschlägige Publikationen vorzuweisen. Viel­ mehr hatte Clapmarius nach Abschluss eines fünfjährigen Studiums der Jurisprudenz in Helmstedt, Heidelberg und Marburg Bildungsreisen in Deutschland, den Niederlanden und England unternommen. Dabei diente er zeitweise auch im Militär. Schließlich wirkte er ab 1598 als Hauslehrer des hessischen Kanzlers Eberhard von Weyhe. Eine lange Lehrtätigkeit in Altdorf sollte Clapmarius nicht vergönnt sein: Bereits vier Jahre nach seinem Dienstantritt, im Juni 1604, starb der Gelehrte. Ungewöhnlich sind auch die Entstehung und die Rezeption des wissenschaftlichen Werks von Clapmarius. Als der Altdorfer Professor aus dem Leben schied, hatte er in der späthumanistischen Gelehrtenwelt kaum Spuren hinterlassen. Außer einigen weni­ gen, an der Nürnberger Hohen Schule verfassten Dissertationen war von Clapmarius zu seinen Lebzeiten nichts im Druck erschienen. Und doch war während der vier Alt­ dorferjahre des jungen Gelehrten ein Werk entstanden, das Geschichte schreiben sollte: „De Arcanis Rerumpublicarum libri sex“, die 1605 posthum veröffentlicht wurden, begründeten in Mitteleuropa die „Arcana“-Publizistik, eine literarische Gattung, die sich der Analyse verborgener Strategien und Techniken der politischen Machterhaltung widmete. In Clapmarius“ Abhandlung kreuzten sich mehrere Diskussionsstränge der klassischen und zeitgenössischen politischen Theorie. Der Altdorfer Gelehrte griff die aristotelische Staatsformenlehre auf, Jean Bodins Doktrin der fürstlichen Souveränität sowie die vor allem in Italien und in den Niederlanden entwickelten, vielfach auf den Schriften Tacitus’ basierenden Konzeptionen der „ragione di stato“ und der „arcana imperii“ (Machiavelli, Lipsius, Botero, Ammirato).

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Clapmarius’ „De Arcanis Rerumpublicarum“ war im 17. Jahrhundert ein häufig zitierter Bestseller: Das Buch wurde zwischen 1605 und 1673 insgesamt acht Mal auf­ gelegt, zudem erschienen 1668 und 1672 zwei - verfälschende - Bearbeitungen von Martin Schoock. In der Zeit um 1700 geriet die Abhandlung in Vergessenheit. Der von Ursula Wehner besorgten Neuauflage und Übersetzung von „De Arcanis Rerumpubli­ carum“ kommt vor diesem Hintergrund das Verdienst zu, einen heute schwer greifba­ ren und zu Unrecht wenig beachteten Text der politischen Theorie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Wehners Textfassung basiert auf der Editio princeps von 1605. Varianten der spä­ teren Ausgaben werden im Lesarten-Apparat nachgewiesen. Der knapp 140-seitige, überaus wertvolle Anmerkungsteil enthält vor allem Nachweise der von Clapmarius reichlich zitierten antiken Literatur, daneben werden verschiedentlich Sachkommentare gegeben. Ferner erschließen ein Personen- und ein Sachindex das Werk. Die deutsche Übersetzung bleibt nahe am lateinischen Original, ist aber sehr gut lesbar. Ein spezielles Problem stellt die Übertragung der von Clapmarius verwendeten Leitbegriffe (z. B. „arcana imperii“, „arcana dominationis“) dar. Die Übersetzung der um 1600 verwende­ ten politikwissenschaftlichen Terminologie ins Deutsche kann nicht ohne semantische Verluste bzw. Verschiebungen gelingen: Wird etwa „arcana imperii“ mit „Herrschafts­ strategien“ übersetzt (Buch 2), so trifft dies sicherlich einen wesentlichen Aspekt des von Clapmarius Gesagten; verloren geht allerdings die Bedeutungsdimension des Ver­ borgenen, welche im lateinischen „arcanum“ mitschwingt. Wehner löst die Schwierig­ keiten, die sich bei der Übersetzung der späthumanistischen politikwissenschaftlichen Terminologie ergeben, insgesamt mit großer Sensibilität. Die Leitbegriffe Clapmarius' werden kontextbezogen ins Deutsche übertragen. Die Einleitung, die Wehner ihrer Edition vorangestellt hat, bringt Informationen zur Biografie Clapmarius’ und zum Begriff „arcanum“ sowie eine paraphrasierende Zu­ sammenfassung von „De Arcanis Rerumpublicarum“. Vor allem die etymologischen Ausführungen hätten kürzer gefasst werden können. Hingegen vermisst man eine Ein­ ordnung des Werks in die politikwissenschaftlichen Diskussionen des 16. und 17. Jahr­ hunderts, wie sie vor allem von Hegels, Stolleis, Behnen und Münkler sowie zuletzt von Stiening geleistet worden ist. Ob „De Arcanis Rerumpublicarum“ als frühaufkläreri­ sche Schrift bezeichnet werden kann (S. LXIII), scheint dem Rezensenten zweifelhaft. Zu unterstreichen ist die Bemerkung von Wehner, dass eine intensivere wissenschaftli­ che Debatte über Clapmarius und sein Hauptwerk ein dringendes Desiderat der For­ schung darstellt. Die Voraussetzungen für eine solche Diskussion hat Ursula Wehner mit ihrer Edition geschaffen. Wolfgang Mährle

Bernhard Spörlein (Hrsg.): Die Matrikel der Akademie und Universität Bamberg 1648-1803 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte 4, 12). Stegaurach: Wissenschaftlicher Kommissionsverlag 2014. 1043, 487 S. in 2 Teilbd. € 98,Die frühneuzeitliche Universität Bamberg ging im Kern zurück auf ein 1586 gegrün­ detes und 1611 von den Jesuiten übernommenes Priesterseminar sowie ein angeschlos-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen senes Kollegium. 1648 wurden Seminar und Kolleg durch Fürstbischof Melchior Otto Voit von Saltzburg zu einer Akademie mit den Fächern Theologie und Philosophie er­ hoben. 1735 erhielt die Akademie durch Friedrich Karl von Schönborn eine juristische Fakultät, bevor sie schließlich 1776 durch Einrichtung einer medizinischen Fakultät zur Volluniversität wurde. Bernhard Spörlein, der seit seiner 2004 veröffentlichten zwei­ bändigen Dissertation zur Geschichte der Universität als deren bester Kenner gelten darf, hat zehn Jahre danach die Matrikel der nach der Eingliederung des Hochstifts Bamberg in das Kurfürstentum Bayern 1803 aufgelösten Flochschule herausgegeben. Dabei handelt es sich genau genommen um eine Wiederherausgabe, da die Bamberger Universiätsmatrikel schon 1923/24 durch Wilhelm Ffeß veröffentlicht wurden. Aufgrund dort festgestellter Schwächen wie Lesefehlern, Doppelnennungen bzw. Nichtberücksichtigungen von Studenten oder einem reduzierten Anmerkungsapparat entschied sich die Gesellschaft für fränkische Geschichte, die Matrikel neu herauszu­ geben. Spörlein stellt der Edition der Namensverzeichnisse eine 138-seitige Einleitung voran, die so gut wie keine Wünsche offen lässt. Nach einem kurzen Überblick über die Universitätsgeschichte und die Gründe der Neuedition erläutert er frühncuzcitliche Universitätsmatrikel als Quellentyp und stellt das damalige Immatrikulationsverfahren dar. Den Flauptteil der Einleitung bildet die ausführliche - auch fotographische - Vor­ stellung der herangezogenen Flandschriften, d.h. nicht nur der beiden Matrikelbände (1648-1753, 1754-1803), sondern auch ergänzender Personenverzeichnisse wie einem Graduiertenverzeichnis der philosophischen Fakultät, einem Promotionsverzeichnis der theologischen Fakultät, Rechnungsbüchern oder Schülerverzeichnissen des Gym­ nasiums. Verwahrt werden die Flandschriften inzwischen im Universitätsarchiv und in der Staatsbibliothek Bamberg. Abgerundet wird die Einleitung durch die Editions­ grundsätze sowie ein Quellen- und Literaturverzeichnis. Da die Schülerverzeichnisse des Gymnasiums auch herangezogen wurden, wäre in diesem Zusammenhang eine kurze Erläuterung des frühneuzeitlichen (jesuitischen) Studienplans jedoch hilfreich gewesen, da nicht jeder Leser damit vertraut sein dürfte. Spörlein geht in seiner Einleitung auch auf die (aus heutiger Sicht) Schwachpunkte der Matrikel ein. Da die Matrikelbücher die Zugehörigkeit der Studenten, der Professo­ ren und anderer Personen zur Universität nachweisen und vor allem die Zahlung der Immatrikulationsgebühr dokumentieren sollten, lassen sich einzelne Studienverläufe nur schwer nachvollziehen. Geburtsdatum ist keines vermerkt, auch differiert die Ge­ nauigkeit der Herkunftsbezeichnungen stark. Ferner darf man eine Vollständigkeit der Matrikellisten nicht erwarten. Dies betrifft laut Spörlein vor allem die Matrikel der medizinischen und juristischen Fakultät, deren Studenten auf diese Weise gegen die Jesuiten protestierten, die bis zu ihrem Verbot 1773 den Universitätsrektor stellten. Die eigentliche Edition der insgesamt 13.127 durchnummerierten Einträge gelingt Spörlein auf den folgenden rund 900 Seiten in vorbildlicher und sehr übersichtlicher Weise. Dies gilt auch für den umfangreichen Anmerkungsapparat, der alternative Schreibweisen und Einträge der anderen Verzeichnisse anführt. Nicht aufgelöst werden

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Buchbesprechungen

hier allerdings die latinisierten Herkunftsangaben. Bei Bambergensis oder Norimbergensis stellt dies natürlich kein Problem dar, bei Bezeichnungen wie Cbarinthus Malburgetenis (Nr. 7736) oder Frittertensis (Nr. 7746) gestaltet sich die Lokalisierung aber schon schwieriger. Abhilfe bietet hier jedoch der zweite, nochmals 488 Seiten umfassende Band, der umfangreiche, über das Erwartbare hinausgehende Register enthält. Neben dem Perso­ nenregister, in dem die Namen der Universitätsangehörigen mit der entsprechenden Herkunftsangabe in modernisierter und vereinheitlichter Schreibweise gelistet sind, und dem Ortsregister (leider ohne Nennung des Landkreises) hat Spörlein ein Register der adeligen Personen erstellt, ein Register der Ordensangehörigen sowie ein Register der bürgerlichen Personen ohne Herkunftsangaben. Zudem ist eine Konkordanz ent­ halten, mittels derer man die Einträge der vorliegenden Matrikel mit der von Heß edier­ ten vergleichen kann. Ergänzt wird die Edition durch die Möglichkeit der online-Recherche in einer vom Lehrstuhl für Angewandte Informatik der Universität Bamberg aufbereiteten Daten­ bank, zu der die gedruckte Edition einen Zugangscode enthält. Eine quantitative oder qualitative Auswertung der sowohl analog als auch digital bereitgestellten Daten, sei es z.B. hinsichtlich der jährlichen Einschreibungen, der Stu­ dentenzahlen in den verschiedenen Fächern oder der Herkunftsorte, darf man durch die Edition jedoch nicht erwarten. Auch bieten die Fußnoten keine näheren biographischen Informationen zu einzelnen (bekannten) Studenten, hier muss man selbst Arbeit inves­ tieren. Möchte man nun beispielsweise herausfinden, welche Studenten der katholi­ schen Universität aus dem protestantischen Nürnberg stammten, gelingt dies anhand des gedruckten Registers relativ leicht. Die Datenbank hingegen antwortet (wohl wegen des Umlauts) nicht auf den Suchbefehl „Nürnberg“, jedoch z.B. auf „Norimberg“. Man erhält ein Ergebnis von 31 Nürnbergern, die indes fast ausschließlich schon als Gymna­ siasten (Humanista, Poeta, Rhetor) genannt werden. Es ist daher unsicher, ob sie auch als Universitätsstudenten in Bamberg immatrikuliert waren. Das Fazit zu Bernhard Spörleins Neuedition der Bamberger Universitätsmatrikel fällt unbedingt positiv aus. Nicht nur für die sozialhistorische Forschung zur Universi­ tät, zur Residenzstadt und dem Hochstift Bamberg, aus dem der Großteil der Studenten stammte, liegt hier ein maßgebliches Werk vor, auch darüber hinaus werden die beiden Bände aufgrund der Fülle an exzellent bearbeiteten Informationen die verdiente Beach­ tung finden. Johannes Staudenmaier

Topographie, Stadtteile und Landgebiet Adalbert Ruschei: Der Handwerkerfriedhof Sankt Rochus zu Nürnberg. Was Epitaphien erzählen können. Norderstedt: Books on Demand 2015. 348 S. mit 299 Abb. €41,99 Eine allgemein historisch, kunsthistorisch oder heimatkundlich interessierte Leser­ schaft ist die Zielgruppe von Adalbert Ruscheis Buch über den Handwerkerfriedhof

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Sankt Rochus. Anhand der dort seit fünfhundert Jahren auf den Grabsteinen ange­ brachten Epitaphien führt er ihr die Arbeitswelt, die Lebensumstände und die Hand­ werksbräuche dieser für die Nürnberger Wirtschaftsgeschichte so bedeutenden Bevöl­ kerungsschicht vor Augen. Die Einleitung schildert die Entstehungsgeschichte des Rochusfriedhofs, der vor allem die Verstorbenen der Lorenzer Stadtseite aufnehmen sollte, unter denen die Handwerker überwogen. Nach einem Überblick über die Begräbnisbräuche und die städtischen Bestimmungen hierzu beschreibt ein kurzer Artikel die charakteristischen Merkmale der Epitaphien, die in den meisten Fällen Bezug auf das vom Verstorbenen ausgeübte Handwerk nehmen. Der Darstellung der speziellen Situation des Handwerks in Nürnberg, das ausdrücklich nicht zünftig organisiert war, sowie seiner Ausbildungs­ gänge, Handwerksgebräuche und Rituale - wobei viele heute unverständliche Begriffe erklärt werden - folgt die Beschreibung der einzelnen Handwerkszweige. Insgesamt berücksichtigt der Autor anhand der entsprechenden Epitaphien über 180 historische Gewerke, die fallweise nochmals in Untergruppen unterteilt werden. Ob er die Herkunft der Berufsbezeichnungen durch ihre etymologische Ableitung erklärt z.B. Kürschner vom althochdeutschen „kursina“ für Pelzrock -, Handwerkstechniken und Gerätschaften detailliert beschreibt, die Vielfalt der Produkte schildert oder Sprich­ wörter anführt, welche die Wertschätzung des betreffenden Handwerks oder dessen allgemeine Missachtung erhellen, immer vermag er lebendige Bilder der Berufe zu ver­ mitteln. ln manchen Fällen fügt er Ausblicke auf die heutige Berufspraxis an. Ruschei gliedert die enorme Zahl der handwerklichen Berufe entweder nach dem ihnen gemeinsamen Werkstoff, z.B. Metall, oder nach dem Ziel ihrer Arbeit, wie bei den Berufen rund um das Bauen oder die Erzeugung bzw. Verarbeitung von Lebensmitteln. Dabei ist die Abfolge und die Abgrenzung der Gruppen nicht immer nachvollziehbar, was aber angesichts der verwirrenden Vielfalt der handwerklichen Berufe vermutlich unvermeidbar ist. Da Ruschei den Handwerks-Begriff weit fasst und außerdem zusätz­ lich die auf dem Rochusfriedhof vertretenen Gruppen wie Gelehrte, Erfinder, Künstler, Geistliche, Stifter und Wohltäter sowie Kaufleute einbezieht, spiegelt sein Buch die ganze Vielfalt der Stadtgesellschaft der reichsstädtischen Zeit wider. Ein kurzer Exkurs erläutert abschließend die christliche Thematik der Epitaphien. Um der besseren Lesbarkeit willen verzichtet der Autor auf ausführliche Fußnoten und weitgehend auch auf Quellenverweise. Leider ist die teils unbefriedigende Qualität der Schwarzweiß-Abbildungen und bei ihren Beschriftungen die fehlende Angabe des entsprechenden Planquadrats zu bemängeln, was ein Auffinden der jeweiligen Grab­ stellen auf dem in winzigem Maßstab abgedruckten Friedhofsplan erschwert. Aller­ dings eignet sich das Buch auch wegen seines Formats ohnehin weniger für den Ge­ brauch vor Ort als zur Vor- oder Nachbereitung eines Gangs über den Rochusfriedhof. Dafür ist es aber uneingeschränkt zu empfehlen. Es ist zu hoffen, dass das verdienstvolle Buch seinen Zweck erreicht, den gegenüber dem prominenteren Johannisfriedhof etwas aus dem Blickfeld geratenen „Handwerkerfriedhof Sankt Rochus“ aufzuwerten.

Claudia Maue

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Hans-Christian Täubrich (Hg.): Die Kongresshalle Nürnberg. Architektur und Geschichte (Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg 5). Petersberg: Imhof 2014, 180 S. mit überwiegend Abb. € 17,80 Das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ist einer der zentralen Orte für die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus - und somit ein wichtiger Bestandteil der lokalen wie auch der nationalen Erinnerungskultur. Das Dokumentationszentrum mit der Dauerausstellung „Faszination und Gewalt“ ist seit dem Jahr 2001 in der dort gelegenen Kongresshalle untergebracht; der wuchtige Bau­ körper aus der NS-Zeit in unmittelbarer Nachbarschaft zum Dutzendteich und zum Volksfestplatz gilt als das zentrale Ausstellungsobjekt. Sein großes Ansehen im In- und Ausland verdankt die Institution ganz maßgeblich dem ehemaligen Leiter Hans-Christian Täubrich sowie den beiden wissenschaftlichen Mitarbeitern Eckart Dietzfelbinger und Alexander Schmidt. Mit fachlicher Präzi­ sion und dabei sehr gut leserlich - weil immer verständlich und klar gegliedert - haben diese drei Autoren nun die Architektur und die Geschichte der Kongresshalle in meh­ reren Aufsätzen dargestellt. Ein weiterer Aufsatz zur heutigen Nutzung des Kongress­ baus stammt von Claus Fleischmann vom städtischen Liegenschaftsamt. Durchweg sind die Einzelbeiträge im Hinblick auf Fotoqualität und Bildauswahl exzellent und reichhaltig. Was das Lesepublikum unter diesen Vorzeichen im Einzelnen erfährt, sei hier kurz Umrissen: Das großflächige Areal rund um den Dutzendteich war vor 1933 ein beliebtes Aus­ flugsziel mit Landesausstellungsgelände und Tiergarten. Mit Beginn der NS-Zeit wurde hier vieles an vormaligen Attraktionen und landschaftlichen Eigenheiten überformt oder unwiederbringlich zerstört. Mit Blick auf die Jahre 1935 bis 1945 lassen sich dann am Bauprojekt Kongresshalle zentrale Aspekte der Geschichte des Reichsparteitags­ geländes nachvollziehen: die ideologische Programmatik von Führer und Volksgemein­ schaft, die Beteiligung lokaler Behörden und Entscheidungsträger bei der Planung und Umsetzung der Bauarbeiten, die wirtschaftlichen Interessen der SS. Im Kapitel zum Zeitraum ab 1945 geht es um die Nachnutzung und den Umgang mit dem baulichen Relikt von Kriegsende bis zur Planung und Eröffnung des Dokumentationszentrums. Im Zusammenhang mit dieser sogenannten zweiten Geschichte des Geländes erfahren auch dessen viel beachtete architektonische Gestaltung durch Günther Domenig bezie­ hungsweise zahlreiche hochkarätige Wechselausstellungen in separaten Aufsätzen die entsprechende Würdigung. Dass der Kongressbau jedoch nicht nur ein Lernort ist, sondern neben dem Dokumentationszentrum unter anderem auch einen Konzertsaal oder unterschiedliche Lagerflächen beherbergt, wird am Schluss der Aufsatzreihe deut­ lich. Der vorliegende Band ist ein Standardwerk, enthält neben den dichten inhaltlichen Informationen auch eine Chronik zur Baugeschichte des Kongressbaus sowie ein Lite­ raturverzeichnis und empfiehlt sich daher zur wissenschaftlichen Recherche bezie­ hungsweise zur Vor- und Nachbereitung einer Erschließung des Lernorts Reichspartei­ tagsgelände. Wünschenswert wäre, dass die anhaltende Debatte um die zukünftige

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Nutzung des Geländes in den Bereichen Bildung, Sport, Freizeit und Kunst ähnlich akribisch und anschaulich dokumentiert wird. Ingmar Reither

Robert Giersch: Burg Hohenstein im Nürnberger Land (Altnürnberger Landschaft: Mitteilungen / Sonderheft 2015 (= Nr. 53)). Nürnberg: Altnürnberger Landschaft 2015. 121 S. mit 106 Abb. €12,Die 634 m hoch gelegene Burg Hohenstein verdient nicht nur wegen ihrer hervor­ ragenden Lage eine Besichtigung, auch die Bausubstanz des 12. bis 17. Jahrhunderts macht die 1163 erstmals mit „Sichilinus de Hohenstein“ indirekt genannte Anlage sehenswert. Der durch zahlreiche Publikationen ausgewiesene Bauforscher Robert Giersch legt hierzu erneut eine auf intensiver Quellenarbeit basierende, gut lesbare Schrift vor. Diese wendet sich vornehmlich an den interessierten Laien, aber durch die Quellennachweise und das historische Plan- und Fotomaterial ist dieses Buch auch für wissenschaftliche Burgenforscher relevant. Die Burg wird anhand der Bau- und Besitzer­ geschichte chronologisch vorgestellt, wobei hinsichtlich der Bauten - quellenbedingt die Zeit ab 1505 (als Hohenstein von der Reichsstadt Nürnberg erworben wurde) zunehmend detailliert behandelt wird. Giersch spart auch die jüngste Zeit, inklusive der Nutzung als Trigonometriepunkt zu Beginn des 19. Jahrhunderts und Flak-Beobach­ tungsturm im Zweiten Weltkrieg, nicht aus. Rekonstruktionszeichnungen veranschau­ lichen die Entwicklung. Älteste Baubefunde aus dem 12. Jahrhundert sind fragmenta­ risch und erlauben nur wenige Aussagen; immerhin kann im sog. Neuen Bau ein älterer quadratischer Kern (Wohnturm?) erkannt werden. 2000 wurde die Ringmauer zwi­ schen „Neuem Bau“ und Torkapelle untersucht; ein steingerechtes Aufmaß der Hof­ seite ist hier publiziert (S. 20-21). Detaildiskussionen hierzu kann man in einem popu­ lären Ubersichtswerk nicht erwarten, zumindest hingewiesen sei auf die auf dem Plan vermerkte „ehemalige Öffnung“ und „Lage ehemaliger Querwand zeitlich nach Bau­ phase 1“, was auf ein angelehntes Gebäude (noch des 12. Jh. ?) deutet. „Um 1200“ (d.h. nach dem Übergang an die Staufer 1188) wurde Hohenstein grundlegend zu einer klassischen Adelsburg von hohem Anspruch mit Bergfried, Torkapelle und hohem Wohnbau umgebaut. Dies ist architekturgeschichtlich bemerkenswert, immerhin war ja bei der extremen Höhenlage der Bau eines Turms nicht zwingend. Giersch verschweigt auch nicht, dass es selbst in jüngster Zeit zu bedauerlichen Versäumnissen kam. So wurde eine sorgfältig erbaute Zisterne „bei Sicherungsarbeiten zu Beginn des 21. Jahr­ hunderts freigelegt und ohne Aufmaß wieder verfüllt.“ (S. 29). Die auf steilem Fels ge­ legene Burg verfiel nach dem Ende des Alten Reichs rapide. Vor allem der Einsturz des unregelmäßig-fünfeckigen Bergfrieds 1808 veränderte die Silhouette gravierend, aber auch andere Bauten verschwanden. Die mittelalterliche Oberburg war schon viel früher unbequem geworden, so dass nach der Beschädigung im Zweiten Markgrafenkrieg die Reichsstadt Nürnberg ihre Amtsräume in der Unterburg zu Füßen des Felsens einrich­ tete. Ein Brandunglück hat schon 1590 zu einer Erneuerung des „Langen Baus“ an dieser Stelle geführt, der bis heute erhalten geblieben ist. Der Wandel von der Adelsburg zum Amtssitz („Pflegschloss“) prägte viele Burgen und hat für lange Zeit deren Fortbe­ stand gesichert. Zweifellos blickt man fasziniert auf die hoch gelegenen Burgteile - aber

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der reichsstädtische „Lange Bau“ zu Füßen des Felsens lohnt gleichfalls eine nähere Betrachtung. Diesen Renaissancebau in der Unterburg in seiner Bedeutung hervorge­ hoben zu haben, ist nicht das kleinste Verdienst dieser Publikation. Daniel Burger

Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Markus Frankl und Martina Hartmann (Hrsg.): Herbipolis. Studien zu Stadt und Hochstift Würzburg in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Publikationen aus dem Kolleg „Mittelalter und Frühe Neuzeit“ 1). Würzburg: Königshausen & Neumann 2015. XI, 480 S. mit Abb. €39,80 Der Sammelband stellt überwiegend die Verschriftlichung von Redebeiträgen dar, die bei einem Symposium anlässlich des 60. Geburtstages von Prof. Dr. Franz Fuchs (Universität Würzburg, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften) geboten wurden. Da Franz Fuchs’ Forschungsinteresse seit Jahr­ zehnten auch der Geschichte Nürnbergs in vielen Facetten gilt, verbergen sich hinter dem scheinbar eindeutigen Titel einige für Nürnberg einschlägige Beiträge. Nur diese sollen im Folgenden besprochen werden. Constantin Groth (Augsburg) untersucht „Die Unruhen von Heidingsfeld im Spannungsfeld der Interessen von Reichsstadt Nürnberg, Hochstift Würzburg und Königreich Böhmen“ (S. 109-126). Dabei fokussiert er die Motivation der Parteiungen in diesem von der Überschneidung zahlreicher Gerechtsame geprägten Konflikt, die Rolle der reichsstädtischen „Diplomatie“ und des Nürnberger Rates, der gegenüber den Aufständischen um Eberhard Fuchs vergleichsweise hart durchgriff, obwohl er damit Dissonanzen mit der böhmischen Krone und dem Bischof von Würzburg riskierte. Doch war dies wohl das kleinere Übel, verglichen mit einem möglicherweise drohenden Verlust an die Markgrafen. Stefan Kummer (Würzburg) widmet sich den „Ansichten des Schlosses Unser Lie­ ben Frau Berg zu Würzburg aus der Zeit Hartmann Schedels“ (S. 321-342) und behan­ delt neben der Darstellung in der „Weltchronik“ Schedels auch diejenige der sogenann­ ten Kraftschen Tafel aus St. Lorenz (heute Mainfränisches Museum) aus der Zeit um 1470. Er kann nachweisen, dass die Schlossansicht des Kiliansaltars (um 1490) im Würzburger Martin-von-Wagner-Museum die getreueste Wiedergabe der zeitgenössi­ schen Schlossanlage sein dürfte und ebenso getreu ist wie Schedels Wiedergabe in der „Weltchronik“, die auf seinem eigenen mehrfachen Augenschein beruhte. Martina Hartmann (München) thematisiert „Büchersammler des 15. und 16. Jahr­ hunderts und das Schicksal ihrer Bibliotheken“ (S. 343-356), wobei die berühmte Schedelsche Bibliothek und ihr recht glücklich zu nennendes Aufgehen in die Bibliothek der Herzoge von Bayern-München nicht fehlen darf. Sie bescheinigt darüber hinaus den­ jenigen Bibliotheken, die in Kirchen aufbewahrt wurden, die beste Chance auf unver­ sehrtes Überdauern. Fabian Kahle (Würzburg) behandelt „Dr. Christoph Scheurls Briefverzeichnis und seine Würzburger Korrespondenten“ (S. 427-443) und zeigt dabei, wie dicht vernetzt

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen der gebürtige Nürnberger und seit 1511 unter anderem als Ratskonsulent wirkende Scheurl (1481-1542) mit Würzburger Persönlichkeiten, etwa aus dem Domkapitel, ver­ netzt war. Er wertete hierfür die Briefverzeichnisse aus, die der eifrige Briefeschreiber (6711 ausgehende Schreiben in 13 Id Jahren) Scheurl über seinen Austausch mit etwa 700 Adressaten anlegte bzw. anlegen ließ. Antonia Landois

Peter Schuster: Verbrecher, Opfer, Heilige. Eine Geschichte des Tötens 1200-1700. Stuttgart: Klett-Cotta 2015. 416 S. mit 14 Abb. € 29,95 Der im Saarland 2006 bis 2010, seither in Münster historisch orientierte Kulturwis­ senschaften lehrende Peter Schuster legt nach seiner Dissertation von 1992 über „Das Frauenhaus. Städtische Bordelle in Deutschland“ (vgl. die Rezension in MVGN 80/ 1993, S. 288) und seiner Habilitationsschrift von 2000 über „Eine Stadt vor Gericht. Recht und Alltag im spätmittelalterlichen Konstanz“ seine „Kulturgeschichte des Tö­ tens - ein schwarzes Kapitel der europäischen Geschichte“ (Klappentext) vor. Die Be­ zugnahme auf Europa erfolgt - wohl notwendigerweise - peripher, wohingegen aus sehr vielen der unzähligen Quellen im Bereich des Heiligen Römischen Reichs Deut­ scher Nation geschöpft wird. Wie bereits beim „Frauenhaus“ ist Nürnberg weitaus am ergiebigsten, wobei Schuster freimütig einräumt, dass ohne das von Michael Diefenbacher herausgegebene und von Manfred Grieb bearbeitete opus magnum „Die Henker von Nürnberg und ihre Opfer - Folter und Hinrichtungen in den Nürnberger Ratsver­ lässen 1501-1806“ sein Buch in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen wäre. Eine Geschichte des Tötens 1200-1700: Abgesehen davon, dass auch Schuster letzt­ lich darunter nur scharfrichterliche Hinrichtungen auf Grund richterlichen Urteils versteht (und auch militärische Tötungen ausschließt), tut er sich mit der von ihm be­ absichtigten Abgrenzung zwischen mittelalterlichem und neuzeitlichem Strafrecht schwer. Es geht dabei um die Ersetzung des deutschrechtlichen Privatklageverfahrens durch die aus dem römischen und kanonischen Recht in Norditalien entwickelte öffent­ liche Klage. Der Zeitpunkt der Einführung ist unterschiedlich - bei den Städten früher als bei den Territorien. In Nürnberg beginnt die Reform um 1300 mit der ersten Hals­ gerichtsordnung, dann folgt die Übernahme der Folter und der Ausschluss des Rekur­ ses an den König und schließlich die zweite Halsgerichtsordnung von 1485. Den Ab­ schluss bildet die Peinliche Gerichtsordnung (PGO) Kaiser Karl V. bzw. Constitutio Criminalis Carolinae (CCC) von 1532. Sie vollendet reichsweit das frühneuzeitliche Strafrecht, das als Reichsgesetz erst 1806 mit dem Heiligen Römischen Reich untergeht. Peter Schuster hat sich mit der normativen Seite seines Unterfangens nur wenig befasst. Aus seinen Bemerkungen zum „spätmittelalterlichen Denken“ der PGO/CCC kann entnommen werden, dass sich ihm die Bedeutung der Gesetzgebung - für die Straf­ rechtsgeschichte, aber auch für Städtevergleiche oder reichsweite Kriminalstatistiken nicht erschließt. Aus der „Vorrede“ ergibt sich die Absicht, „Religion und Kirche ins Zentrum der Darstellung“ zu rücken, wobei der Verfasser die Notwendigkeit auch aus der globalen Entwicklung im 21. Jahrhundert ableitet, im Übrigen aber „Religion und Gewalt“ seit

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jeher als „Geschwister“ sieht. Ausgeführt wird dieser Problemkreis aber dann erst im Kapitel „Eine Theologie der Todesstrafe“. Schuster beruft sich dabei auf Luthers be­ rüchtigtes Sendschreiben „Wider die Mordischen und Reuberischen Rotten der Bawren“ - freilich ohne Originaltext und -benennung wo Luther mit harschen Worten gegen die aufständischen Bauern polemisiert und zum Frieden mahnt; deutlich ist, dass er in der bürgerkriegsähnlichen Situation 1523/24 die Partei der hergebrachten Obrig­ keit einnimmt (was ihm wohl nicht zu verübeln ist). Mit keinem Wort wird indes von Schuster Luthers grundlegende Zwei-Reiche-Lehre erwähnt: Im Reich Gottes zur Rechten regiert Jesus durch die Mittel des geistlichen Regiments (Wort, Sakrament mit Vergebung der Sünden), zur Linken aber regiert die staatliche Obrigkeit mit Gesetz, Zwang und Strafe ohne Bindung an die Ethik des Neuen Testaments. Auf Grund dieser Lehre konnte in Deutschland das System der Folter bis ca. 1770, der Todesstrafe aber bis 1945 fortbestehen. Ihre Abschaffung im 20. Jahrhundert haben in fast allen Staaten Europas die Kirchen mitgetragen. Der exzessive Umgang der Französischen Revolu­ tion und der NS-Diktatur mit der Todesstrafe wurde von den Kirchen abgelehnt. Der „Endliche Rechtstag“ ist jedenfalls in Nürnberg zugleich der Tag der zeremoni­ ellen Urteilsverkündung und der Hinrichtung. Deren Vorbild dürfte Golgatha gewesen sein. Der Leitspruch ist das Wort Jesu an den seine Taten bereuenden „guten“ Schächer: „Heute noch wirst Du mit mir im Paradiese sein“ (Lukas 23 V. 42). Ohne intensive seelsorgerliche Begleitung in den letzten drei Tagen war eine Hinrichtung nicht statt­ haft; angestrebt war Reue und Beichte, Abschied von Freunden und wenn möglich auch Verzeihung durch die Täter- und vielleicht auch die Opferseite. Wenn Schuster hier von einer perfekten Inszenierung spricht, dann trifft dies nur zu, wenn dabei die Hauptrolle des Reichs Gottes zur Linken gesehen wird, das auch mit öffentlichen (z.B. Schwert statt Galgen) oder nichtöffentlichen (z.B. Tötungen vor Schmerzlichem/Diskriminie­ rendem) Gnadenerweisen reagieren konnte. Die Pfarrer dagegen hatten den Weg zur göttlichen Gnade offenzuhalten; die reichlichen „Zuschauer“ waren dies nur im weltli­ chen Bereich; im geistlichen Bereich mutierten sie zu Konzelebranten einer kirchlichen Handlung: Fast immer hatte der Delinquent gebeichtet, das Abendmahl genommen und stützte sich zuletzt auf die Verheißung des „guten“ Schächers. Schon vor dem Dreißig­ jährigen Krieg konnten - insbesondere in der Amtszeit des außergewöhnlichen Nach­ richters Meister Franz (1587-1618) viele Erleichterungen und Verbesserungen in beiden Bereichen vorgenommen werden. Nach 1648 war auch im reichsstädtischen Rahmen die Identität von Regierenden und Regierten nicht mehr gegeben, es fehlte auch die Kraft zu weiteren Reformen (wie in Preußen und Österreich). Letztlich erhielt sich aber das typisch deutsch-lutherische Staatskirchensystem in Nürnberg bis 1806. Ausdrück­ lich betont werden soll noch, dass jedenfalls in den lutherisch gewordenen Staaten Eu­ ropas keine Rede sein konnte von den Geschwistern Religion und Gewalt - jedenfalls bis 1806 bestand hier ein Gewaltmonopol des Staates und eine Religion ohne eigene Machtstrukturen; zur Klärung der Situation nach 1700 im Einzelnen gibt das Werk Schusters keinen Anlass. Für Nürnberg spielte bei der Einführung des frühneuzeitlichen Strafrechts die Durchsetzung des großen städtischen Ziels der Aufrechterhaltung der öffentlichen

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Sicherheit und Ordnung die Hauptrolle. Das Vorbild war der „buon governo“ der nord- und mittelitalienischen Städte; das italienische Rechtsstudium war deshalb für Rechtsberater des Rates (Ratskonsulenten) bis zur Reformation vorgeschrieben. Nicht umsonst wird der Leitbegriff der „guten polizey“ erstmals in Nürnberg verwendet, das materielle Strafrecht nach den städtischen Bedürfnissen normiert und später der Caro­ lina angepasst. Nürnberg wird so zum Vorbild anderer Städte; das Lob der eigenen Bürger über den so erzielten Stadtfrieden ist reichlich. Auch der durchaus kritische Hans Sachs preist in seinem 1530 verfassten Lobspruch für die Stadt Nürnberg „Die große Weisheit ihrer Regenten / In geistlichen, weltlichen Regimenten, / Alle Ordnung und Reformation / Die Gesetz“, Statuten und ihr Verbieten...“, wobei die „Reforma­ tion“ die Wiederherstellung der Ordnung und das Regiment des Rates im geistlichen Bereich die Ausübung von Macht und Gewalt betrifft. Auch ist zu berücksichtigen, dass außerhalb der Kriegszeiten die Strafverfolgung eine Hauptaufgabe des Rates darstellte. Der Rat führte auch die Strafverfahren allein (mit Ausnahme der Folterungen, die nach Anordnung des Rates dem von zwei Lochschöffen begleiteten Henker oblagen) und nichtöffentlich bis zum Urteil; die Beschlussfassung durch die Schöffen und die Urteils­ verkündung durch den Stadtrichter am Endlichen Rechtstag hatte nur noch zeremoni­ ellen Charakter. Mit der dritten Halsgerichtsordnung von 1526 und der 1532 in Kraft tretenden CCC befand sich der Rat auf der Höhe der Zeit: Die Vielzahl der Delikte und die Schärfe der Strafen war nach einhelliger Meinung notwendig, um die „gute polizey“ in der Stadt zu sichern. Wenn Schuster von einem Anstieg der Hinrichtungszahlen im frühen 16. Jahrhundert spricht, so erklärt sich das unschwer dadurch, dass eben in dieser Zeit das frühmoderne Strafrecht sich im Reich vollständig durchsetzen konnte. Tatsäch­ lich vergrößerte sich die Zahl der Einwohner ebenso wie deren Delinquenz seit dem 12. Jahrhundert laufend; verlässliche Zahlen hierzu gibt es aber nicht. Vielleicht würde schon ein Blick auf die vom mittelalterlichen Strafen in Deutschland übrig gebliebenen 4.000 Sühnekreuze weiterhelfen, die auf mindestens ebenso viele Morde mit Regulie­ rung durch privatrechtliche Sühneverträge hinweist. Im Übrigen dürften im Mittelalter viele Herren mit delinquenten Knechten „kurzen Prozess“ gemacht haben. „Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn“ - dieser alte Sinnspruch hat die erfahrenen Ratsherren und die hochqualifizierten Ratskonsulenten auch dahin ge­ bracht, dass in Nürnberg erst 1659 und nur eine einzige Hexe hingerichtet (erdrosselt und danach verbrannt) wurde. - Ein besonderer Glücksfall war in Nürnberg die Tätig­ keit des Nachrichters Franz Schmitt, der mehr Einfühlungsvermögen in seine schwie­ rige Aufgabe entwickelte als jeder andere. Schon als junger Mann setzte er es gegen Widerstand des Rates durch, dass fürderhin Frauen die „Gnade“ des Schwertes zukam (anstelle dem von der CCC vorgegebenen Lebendigbegraben oder Ertränken). So trat bei den Strafen bereits vom Ende des 16. Jahrhunderts an eine gewisse „Humanisie­ rung“ ein. Die Zeit der Umwandlung der Lebens- und Leibesstrafen in Freiheitstrafen beginnt aber erst richtig im 18. Jahrhundert; verdienstlich hierzu ist Schusters Kapitel über die frühen Zuchthäuser. Offen bleibt die Frage, ob die Beurteilung des seinerzeitigen Strafens ex nunc oder ex tune erfolgen soll. Schon die „Vorrede“ aus dem dritten Jahrtausend erweist Schusters Vorrang der Beurteilung aus heutiger Sicht, während der Rezensent dazu neigt, zuvorderst die seinerzeitige Dogmatik des Strafens herauszu-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen arbeiten - eine Verharmlosung der unzähligen Grausamkeiten des frühneuzeitlichen Strafens ist damit gewiss nicht verbunden. Insgesamt steht das Buch vor einer Vielzahl von Akten und Fakten, die ein einzelner Autor wohl kaum ausschöpfen kann. Ausdrücklich zu loben ist die Fülle der vom Ver­ fasser eingebrachten Fallbeispiele mit präzisen Angaben der Fundstellen, wobei Gliede­ rung und fehlende Register die Benutzung nicht erleichtern. Wahrscheinlich könnte die Aufgabe, die sich der Autor gestellt hatte, lupenrein überhaupt nur mit Beschränkung entweder auf ein Herrschaftsgebiet oder auf einen Straftatbestand erfüllt werden.

Hartmut Frommer

Luitgard Sofie Löw / Matthias Nuding (Hrsg.): Zwischen Kulturgeschichte und Politik. Das Germanische Nationalmuseum in der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus. Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums 2014. 191 S. mit 65 Abb. €28,Ein wichtiger Schritt vorwärts - immerhin. So könnte man das Vorwort zum vorlie­ genden Tagungsband von G. Ulrich Großmann und die Einführung von einem der Herausgeber Matthias Nuding, welcher auch eine kurz gefasste Bilanz der Forschung bietet, in wenigen Worten zusammenfassen. Es ist - auch in der Sclbsteinschätzung des Museums selbst - höchst unbefriedigend, dass es keine umfassende Darstellung der Geschichte des Germanischen Nationalmuseums (GNM) im Nationalsozialismus gibt - trotz der 2011 erschienenen Monografie von Christian Köhler (Christian Köhler: Ein ruhiges Fortbestehen? Das Germanische Nationalmuseum im „Dritten Reich“ (Zeitge­ schichte - Zeitverständnis 23). Berlin 2011). Die Tagung im Jahr 2010, deren Beiträge der Band versammelt, konnte eine Gesamt­ schau der Geschichte des GNM 1933-1945 im regionalen, nationalen und internationa­ len Kontext nicht leisten. In welche Richtung die Forschung sich weiter entwickeln sollte, fasst Hans-Ulrich Thamer in seinem einleitenden Beitrag zusammen, in dem er sich für das Konzept des amerikanischen Wissenschaftshistorikers Mitchell Ash ein­ setzt, der von einem wechselseitigen, permanenten Aushandlungsprozess zwischen Museum, Staat und Politik über Ressourcen, Einfluss und Anerkennung ausgeht. Die offensichtlich gut erforschte Baugeschichte des GNM, die Markus Thome von 1871— 1945 darstellt, ist hierfür ein Beleg - wenn man etwa die nicht mehr ausgeführten Um­ baupläne von German Bestelmeyer aus dem Jahr 1941 heranzieht, die eine deutliche Anpassungsbereitschaft an nationalsozialistische Bauideologie belegen. Jana Stolzenberger stellt den Weg des GNM ins 20. Jahrhundert dar, der von Gustav von Besold als Direktor, angeregt durch die Museumsreformbewegung, eingeleitet wurde. Besold war allerdings mit Bauvorhaben beschäftigt und konnte in der Sammlung selbst wenig be­ wegen. Dies blieb seinem Nachfolger Ernst Heinrich Zimmermann Vorbehalten, dessen Wirken in Nürnberg allerdings kein eigener Beitrag thematisiert, wohingegen Petra Winter dessen anschließende berufliche Tätigkeit an der Berliner Gemäldegalerie dar­ stellt. Nachfolger Zimmermanns wurde Heinrich Kohlhausen, dessen vorherige Tätig­ keit in Breslau Klara Kaczmarek-Löw thematisiert.

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Besonders deutlich wird die ideologische Beeinflussung der Arbeit des GNM im Nationalsozialismus beim Erwerb einer gefälschten Adlerfibel, um die germanische Vorzeit anschaulich belegen zu können (dargestellt von Luitgard Sofie Löw) und bei den Sonderausstellungen zu den Reichsparteitagen, welche Christian Köhler zum Thema macht - allerdings in extrem komprimierter Form. Hier hätte man sich eine umfassendere Würdigung dieses Teils der NS-Propaganda gewünscht, an der das GNM zumindest beteiligt war. Der Skandal der Entführung des Marienaltars von Veit Stoß aus Krakau nach Nürnberg stellt Stanislaw Waltos dar. Wie eng das Verhältnis des Muse­ ums zur Stadtgesellschaft und Stadtverwaltung Nürnbergs war, zeigen Melanie Wäger anhand einer seltsamen Hetzkampagne der Zeitung „Der Stürmer“ gegen das GNM Mitte der zwanziger Jahre, Matthias Klaus Braun mit einem Beitrag über das Verhält­ nis des GNM zur Stadtverwaltung und Dominik Radimaier mit einer Darstellung der engen Symbiose der städtischen Kunstsammlungen mit dem GNM. Abschließend bie­ tet Timo Saalmann einen Ausblick auf die Verhältnisse bei den Staatlichen Museen Berlin im Dritten Reich. Die Vielfalt der Beiträge und Themen zeigt eindringlich, dass vieles trotz manchmal problematischer Quellenlage doch erforscht werden kann, jedoch immer noch große Lücken bestehen. Eine ausführliche Geschichte des GNM im Nationalsozialismus wäre also noch zu schreiben - der insgesamt sehr lesenswerte Tagungsband ist ein Teil des Wegs dahin. Alexander Schmidt

Thomas Darnstädt: Nürnberg - Menschheitsverbrechen vor Gericht 1945. Mün­ chen u.a.: Piper 2015. 416 S. mit 16 Abb. € 24,99 Der Titel ist nicht geschickt gewählt. Das Buch berichtet S. 90-160 vom Beginn des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher im November und Dezember 1945, dann bis S. 330 von der Weiterführung des Verfahrens, das am 16. Oktober 1946 mit der Vollstreckung der Todesurteile endete. Nachdem die nächsten 20 Seiten Weniges zu den zwölf Nürnberger Nachfolgeprozessen bringen, befasst sich der Rest des Buchs mit der weiteren Entwicklung des Völkerstrafrechts insbesondere seit 1990. ln Fortbil­ dung des im Kellogg-Pakt (1928) u.a. von den USA, von Frankreich, Großbritannien, Deutschland und auch der UdSSR vereinbarten Verzichts auf den (Angriffs-)Krieg als legalem Weg der Politik konnte sich mit Rückendeckung von Kriegsminister Stimson und Präsident Roosevelt der frühere Provinzanwalt und spätere US-Justizminister, dann Richter am Supreme Court, Robert Jackson durchsetzen mit seiner Vorstellung der Er­ gänzung des „ius in bello“ - dem im Kriege zu beachtenden Recht - durch das „ius ad bellum“, also dem (für die Täter strafbewehrten) Verbot der Führung ungerechtfertigter Kriege. Als Jackson in Europa landete, „hatte er im Gepäck den Plan, der die Welt ver­ ändern sollte“ - so hymnisch stellt der Verfasser die Mission Jacksons vor: Dass daraus kein „kurzer Prozess“ eines Standgerichtes werden konnte, liegt auf der Hand. Thomas Darnstädt ist nicht nur ein fähiger Jurist mit den Schwerpunkten Verwaltungs-, Staats- und Völkerrecht, sondern ebenso ein gewiefter Journalist, der seit Jahr­ zehnten im SPIEGEL Grenzbereiche zwischen Recht und Politik vorzüglich betreut.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Vorliegend ist auch von Gewicht, dass er - wie sich aus seiner Danksagung ergibt intensive Kontakte pflegt mit den renommierten Professoren Claus Kreß (Direktor des Kölner Instituts für Friedenssicherungsrecht) und Christoph J. M. Safferling, der maß­ geblich an der Gründung unserer Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien beteiligt war, nunmehr dort als Vizepräsident des Advisory Board wirkt und seit Som­ mersemester 2015 den Erlanger Lehrstuhl u.a. für Internationales Strafrecht und Völ­ kerrecht innehat. Der Raum für fachliche Kritik ist damit abgesteckt. Die Vorgänger­ werke in meinem Bücherschrank: Telford Taylor: Die Nürnberger Prozesse, München 1994 (besprochen in MVGN 83/1996, S. 371 zusammen mit Joe Heydecker und Johan­ nes Leeb: Der Nürnberger Prozess, erstmals 1958 erschienen und inzwischen - trotz einer Taschenbuchausgabe Köln 2015 - in die Jahre gekommen); Klaus Kästner: Von den Siegern zur Rechenschaft gezogen, Nürnberg 2001 (besprochen in MVGN 88/2001, S. 310); Annette Weinke: Die Nürnberger Prozesse, München 2006, sind noch gut brauchbar - das neue Werk eröffnet neue Perspektiven, ist dazu leicht lesbar und somit vor allem für jüngere Juristinnen und Juristen empfohlen, die auch keine Probleme mit der Journalistensprache (mir ist sie manchmal zu salopp und häufiger etwas übertrei­ bend) haben werden. Thomas Darnstädt ist ein fähiger Wissenschaftsjournalist - was sehr zur Verständlichmachung des Völkerstrafrechts beiträgt. Indes sind die Probleme des modernen Völkerrechts derart komplex, dass als Destinatäre des Buches wohl vor allem lernbegierige Juristen in Betracht kommen. Ob ein Nichtjurist überhaupt das ganze Buch schafft, sei hier offen gelassen. Wie bei journalistischen Werken üblich, verzichtet Darnstädt ganz auf Anmerkungen, entschädigt uns allerdings durch gute Literaturverzeichnisse für jedes Kapitel. Als „stärkste Stelle im Urteil“ des IMT be­ zeichnet er S. 297 das Bedauern, dass „viele der Offiziere“ nicht belangt worden seien - da ist durchaus Einiges dran, was allerdings im Hinblick auf den „tu quoque“-Grundsatz jedenfalls für die Ostfront nicht ganz unproblematisch sein könnte. Darnstädts Buch ist anregend, ohne Korrektheit und Zuverlässigkeit einzubüßen. Bei diesem Sachverhalt dürfte es vertretbar sein, zur eigentlichen Rezensionsarbeit auf die im Netz (abgerufen 7. Juli 2016) greifbare Buchbesprechung von Otto Böhm, der am Nürnberger Menschenrechtszentrum den Bereich Nürnberger Prozesse und Inter­ nationale Strafgerichtsbarkeit leitet, zu verweisen. Sie ist gut brauchbar - auch wenn hier nicht alles geteilt wird, bedarf es nur einiger Ergänzungen, die sich auf die Zeit nach Ende des IMT beziehen. Telford Taylor schloss seine Erinnerungen mit Beendigung des IMT ab - handelt also nicht mehr über die Nachfolgeprozesse, wo er als Chefankläger fungierte. Über diese wird von Klaus Kästner und Annette Weinke ausführlich berich­ tet; letztere abschließend mit einer knappen Antwort auf die Frage: „Von Nürnberg nach Den Haag?“ Darnstädt berichtet von den NMT in einem Unterkapitel, das dem Ankläger im Einsatzgruppen-Fall (Nr. 9) Benjamin Ferencz gewidmet ist: Unbeirrt kämpft der inzwischen vierundneunzigjährige Jude aus Siebenbürgen und letzte le­ bende Ankläger der Nürnberger Prozesse noch heute für eine Welt, in der Gerechtigkeit stärker ist als Gewalt (Oliver Das Gupta/SZ). Die Nürnberger Prozesse setzen sich zusammen aus dem Internationalen Hauptkriegsverbrecher-Tribunal (IMT 1945/46 das M bedeutet „military“, was indes nicht heißt, dass es sich um ein Militärgericht handelt) und den zwölf nachfolgenden US-Kriegsverbrecher-Tribunalen (NMT

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen 1946/49), und es macht keinen Sinn, dass sich Darnstädt fast nur mit Trial Nr. 9 befasst. Zwar sind die NMT keine internationalen Gerichte, sondern amerikanische, die einge­ richtet wurden auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 vom 20. Dezember 1945. Dieses wich bei den „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vom Statut des IMT vom 8. August 1945 darin ab, dass das Erfordernis, „begangen in Ausführung von [...] oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist“, ent­ fiel. Erst dadurch wurde die bis dahin notwendige Verbindung der „crimes against humanity“ mit den Kriegsverbrechen unterbrochen und so der Weg eröffnet, welcher den Genozid zum „crime of crimes“ des Völkerstrafrechts machte. Die 12 NMT-Trials: Doctors’ (1), Milch (2), Judges’ (3), Pohl (4), Flick (5), IG Farben (6), Hostages (7), RuSFIA (8), Einsatzgruppen (9), Krupp (10), Ministries (11) und High Command (12) wurden im Justizpalast von Ende 1946 bis zum Frühjahr 1949 durchgeführt; die engli­ schen Bezeichnungen entsprechen dem US-Charakter des Gerichts. In ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Völkerstrafrechts stehen die NMT dem IMT kaum nach. Dass Darnstädt wohl erstmals eine gut brauchbare, wenn auch knappe Darstellung der Entfaltung nach 1990 mit dem Bericht vom Nürnberger Prozess ver­ bunden hat, ehrt ihn sehr - nur hätten die Nachfolgeprozesse als wesentliche Brücke einer intensiveren Behandlung bedurft. Auch in Sanya Romeikes sonst tadellosem Occasional Paper No. 1 (von 2016) der International Nuremberg Principles Academy über „Transitional Justice in Deutschland nach 1945 und nach 1990“ (liegt im Büro der Akademie in der alten Stadtbibliothek am Egidienplatz aus) geschieht Vergleichbares, indem auf die gewiss zur Transitional Justice nach 1945 gehörenden Nachfolgeprozesse nur in der Anmerkung 22 kurz hingewiesen wird - verbunden freilich mit Nachweisen aus den anderen Besatzungszonen (die überprüft werden sollten, obwohl dies m.E. nicht sehr ergiebig sein dürfte). Der Kalte Krieg begann 1947: Es bedurfte intensiver Bemühungen der US-Verantwortlichen, die zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse (von 182 Angeklagten wurden 125 verurteilt, davon 24 zum Tode) bis zur Gründung der Bundesrepublik abzuschlie­ ßen. Anders als beim IMT verfielen die NMT-Verfahren zunehmend intensiver werden­ der Ablehnung in der Bevölkerung mit der Folge, dass z.B. von den Kirchen die Amnes­ tie der NS-Verbrecher gefordert wurde (was ihnen bei den NS-Opfern fast nie einfiel); die letzte Freilassung betraf 1956 (nicht 1958 - wie Darnstädt schreibt) den Nürnberger Sonderrichter Rothaug, der den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde Leo Katzenberger ums Leben gebracht hatte („der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen“, heißt es im Judges-Urteil). Die „Bereinigung der Rechtsver­ hältnisse von Personen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienste standen“ (S. 349) kam übrigens nicht „einem Staatsstreich gleich“ zustande, sondern war von Anfang an im GG (Art. 131, der bis heute fortgilt) so festgelegt. Mit dem Suizid von Heß 1987 in Spandau verblasste nicht nur in Deutschland die Erinnerung an die Nürnberger Pro­ zesse vollends. Nach Ende des Ost-West-Konfliktes kam zunächst zur Friedenssiche­ rung die Stunde der Vereinten Nationen als - wie Telford Taylor formulierte - Zwilling des IMT. Die neuen Kapitel betitelt Dornstädt sehr zutreffend mit „UNO, übernehmen Sie!“ und dann „Nürnberg relouded: Wie die Völker der Welt versuchen, Frieden durch Recht zu machen“.

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Die neue Generation internationaler Strafgerichte begründete der UN-Sicherheitsrat mit der Schaffung des International Crime Court for the former Yugoslavia (ICTY), dessen Funktionieren Darnstädt anhand des Falles Tadic erläutert. Ein weiteres Adhoc-Tribunal wurde für Ruanda errichtet (ICTR) - beide sind seit 2010 in Den Haag zusammengeführt. Das eigentliche Ziel, die Bildung der „winzigen Kernzelle eines neuen Weltstaates“ (Claus Kreß), war aber die Schaffung des völkerrechtlich selbständi­ gen International Crime Court / Internationalen Strafgerichtshofes (ICC / IStGH) auf Grund des Römischen Statuts vom 17.7.1998, der am 1.7.2002 in Den Haag mit seiner Tätigkeit begonnen und 2016 dort sein neues Gerichtsgebäude bezogen hat. Er gilt als erfolgreich, obwohl er sich (vor 2016) nur mit afrikanischen Angelegenheiten befasst hat. Die wichtigsten Staaten USA, Russland, China und Indien sind ihm bis heute nicht beigetreten, und die für seine Arbeit grundlegende Definition des Angriffskrieges ist noch nicht vollständig in trockenen Tüchern. All das und noch Einiges mehr wird von Darnstädt fachkundig und äußerst engagiert dargelegt - verweisend auch auf den posi­ tiven Anteil Deutschlands mit der Kehrtwende (umgekehrt wie die USA) gegenüber dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Ich stimme mit Darnstädt überein: Die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs nähert uns den Vorstellungen von Recht und Staat der Altersschrift Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“. Ob allerdings „die dritte Generation“ des Völkerrechts, die seit dem 11. September 2001 darangeht, nichtstaat­ liche Menschenrechtsverbrecher der Verfolgung durch die Internationale Strafgerichts­ barkeit zu unterwerfen, auf Dauer erfolgreich sein wird, lässt Darnstädt mit Grund offen. Hartmut Frommer

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine Brigitte Korn / Michael Diefenbacher / Steven M. Zahlaus (Hrsg.): Von nah und fern. Zuwanderer in die Reichsstadt Nürnberg. (Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg 4). Petersberg: Imhof 2014. 239 S. mit zahlr. Abb. € 19,95 Städte waren schon immer von Migration geprägt. Ihre Entstehung, Bedeutung und deren Wachstum sind ohne Migration nicht zu verstehen, wie es Erol Yildiz in dem kurzen Satz „Stadt ist Migration“ prägnant zusammenfasst. Dass dieser Zusammenhang nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg besteht, sondern auch schon für die frühe Neuzeit nachzuweisen ist, zeigt eindrucksvoll der von Brigitte Korn, Michael Diefenbacher und Steven M. Zahlaus herausgegebene Ausstellungskatalog „Von nah und fern. Zuwande­ rer in die Reichsstadt Nürnberg“. Der Katalog erschien als Begleitband zur gleichnami­ gen Ausstellung, die vom 29. März bis 10. August 2014 im Stadtmuseum Fembohaus in Nürnberg zu sehen war. Der Katalog ist in zwei Kapitel geteilt. Der erste Teil „Essays“ umfasst sechs Aufsät­ ze, die die verschiedenen Facetten und Ursachen der Migration nach Nürnberg aufzei­ gen. Hierzu zählten die Wanderung von Gesellen und Lehrlingen, die Hochzeitsmigra­ tion, aber auch Formen der Zwangsmigration, die Hartmut Heller in seinem Aufsatz am Beispiel der „Beutetürken“ darstellt. Als Einstieg vermittelt Michael Diefenba­ cher in seinem Essay einen guten sozial- und politikwissenschaftlichen Überblick über

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen die Reichsstadt Nürnberg. Besondere Bedeutung für die Entwicklung der Stadt misst er dabei den Handwerkern und Großkaufleuten bei. Als eine weitere wichtige Gruppe werden zudem die Glaubensflüchtlinge aufgeführt, die Steven M. Zahlaus in seinem Aufsatz eingehender analysiert. Beide Autoren verweisen - und darauf legt auch die neuere historische Migrationsforschung in letzter Zeit großen Wert - auf die Bedeu­ tung der Netzwerke von Migrantinnen und Migranten, die sowohl für die Arbeits- und Wohnungssuche als auch für die Integration in die Stadtgesellschaft eine wichtige Ver­ mittlungsrolle einnahmen. Im zweiten Teil des Katalogs wird in 27 kurzen „Porträts“ das Leben und Wirken von Nürnberger Migrantinnen und Migranten vorgestellt. Die Aufsätze bieten einen guten Einstieg für ein breites Lesepublikum, nicht zuletzt durch die zahlreichen und gut ausgewählten Bilder, und zeigen, wie vielfältig die Migrationsbewegungen nach Nürn­ berg schon in der Frühen Neuzeit waren. Beschrieben werden neben bekannten Perso­ nen wie Albrecht Dürer dem Älteren auch Stuckateure und Baumeister aus Italien, wie Antonio Fazuni, oder Philipp van Oyrl aus den Niederlanden (Erbauer des Fembohauses), die durch ihre Bauwerke die Stadt bis heute nachhaltig prägen. In den „Porträts“ erfährt man aber auch etwas über Migranten aus ärmeren Gesellschaftsschichten, wie etwa Josef Schaitberger, der als Salzburger Glaubensflüchtling mit einem selbst gedich­ teten „Trostlied“ in Nürnberg bekannt wurde. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass die „Porträts“ nicht allein auf Männer beschränkt bleiben, sondern auch die Bedeutung und das Wirken von Migrantinnen untersucht werden. Ein kurzes „Porträt“ behandelt das Leben von Elisabeth Krauß, die der Nürnberger Bevölkerung durch wohldotierte Theologiestipendien lange Zeit in Erinnerung blieb. Ein weiterer Aufsatz setzt sich mit dem Wirken von Catharina von Greiffenberg auseinander, die als eine der bedeutends­ ten Vertreterinnen der Barockdichtung in Nürnberg wirkte. Dass die Migration nicht immer zu einem glücklichen Ende führt, zeigt nicht zuletzt die Geschichte von Sabine Welser, die nach der Heirat mit Lienhard III. Hirschvogel nach Nürnberg zog, jedoch wegen der fehlenden Mitgift von ihm verstoßen wurde und wieder nach Augsburg in ihr Elternhaus zurückkehren musste. Die in den „Porträts“ vorgestellten Personen zeigen die Vielfalt der Migrations­ bewegungen in die Stadt, sowohl, was die soziale Stellung der Personen betrifft, als auch die geografische Herkunft. Dieser weite Migrationsbegriff erscheint sinnvoll, denn eine Migrationserfahrung muss nicht zwangsläufig mit dem Überschreiten einer Grenze oder einer Zuwanderung aus einem weiter entfernten Land verbunden sein. Mit Hilfe eines genauer definierten Migrationsbegriffs hätten allerdings die Unterschiede zwischen den verschiedenen Migrationsbewegungen stärker herausgearbeitet werden können, denn ob Migrantinnen und Migranten aus benachbarten Städten kamen oder aus fernen Ländern, ob sie die Sprache beherrschten oder ob sie die Möglichkeit hat­ ten in ihre Herkunftsländer zurückzukehren, hatte durchaus Auswirkungen auf das Leben der Migrantinnen und Migranten in der Stadt. Zudem hatten die Herkunftsorte und Regionen der Migrantinnen und Migranten einen entscheidenden Einfluss auf Einund Ausschlusskriterien und damit auch auf die Wahrnehmung als „Fremde“ durch die Stadtgesellschaft. So wäre es bei einigen „Porträts“ interessant gewesen, mehr über

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen diese Aushandlungsprozesse der Integration zu erfahren, anstelle der mitunter etwas zu detailreichen und genauen Beschreibungen der einzelnen künstlerischen Werke. Die vorgetragene Kritik mindert aber nicht den großen inhaltlichen Mehrwert der Lektüre. Denn der durchwegs gut lesbare Ausstellungskatalog „Von nah und fern. Zu­ wanderer in die Reichsstadt Nürnberg“ belegt nicht nur die große Anziehungskraft der Stadt Nürnberg in der Frühen Neuzeit für Künstler(innen), Architekten, Bildhauer oder Glaubensflüchtlinge, sondern verdeutlicht eindrucksvoll, welche Bedeutung die Migrationsbewegungen für die Stadtgeschichte und Stadtentwicklung von Nürnberg darstellten. Es wäre daher wünschenswert, dass ähnliche Ausstellungen und Kataloge in anderen deutschen Städten entstünden und somit die Migrationsgeschichte stärker als integraler Bestandteil der Stadtgeschichte verhandelt würde. Philip Zolls

Wolfgang M ayer und Frank Thyroff: Zwischen Pfeffer und Hightech. Ein Streifzug durch die Nürnberger Wirtschaftsgeschichte. Lauf: Fahner 2014. 268 S. mit zahlr. Abb. € 34,90 Obgleich seit der Frühphase des Bestehens der Bundesrepublik Deutschland und besonders in der jüngsten Vergangenheit eine Fülle historisch-kritischer, die jeweils aktuellen Forschungsansätze berücksichtigender Studien zu den unterschiedlichsten Aspekten der Nürnberger Wirtschaftshistorie in zeitlicher wie thematischer Perspek­ tive in verschiedensten Publikationsformen erschienen sind, so fehlte bislang eine wirt­ schaftsgeschichtliche Abhandlung Nürnbergs, die den weiten und - dies wäre vor allem zu erhoffen - möglichst profunden Bogen von den Anfängen im Mittelalter bis in die heutige Zeit spannt. Diese „Angebotslücke der Nürnberg-Literatur“ (S. 7), wie es Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly in seinem Grußwort zum Ausdruck bringt, füllt seit Kurzem zumindest in gewisser Hinsicht die von Wolfgang Mayer und Frank Thyroff verantwortete Veröffentlichung „Zwischen Pfeffer und Hightech“. Zwar legen die beiden Autoren leider keine umfassende derartige Darstellung vor, doch werden sie immerhin großteils dem Untertitel ihres gemeinsamen Werkes gerecht und bieten einen „Streifzug durch die Nürnberger Wirtschaftsgeschichte“. Dement­ sprechend verweisen die Verfasser notwendigerweise und ausdrücklich in ihrer Einlei­ tung zum einen darauf, dass „an vielen Stellen Mut zur Lücke und Verkürzung“ not­ wendig war, was die jeweiligen „Fachleute für die einzelnen ,Bausteine' [...] nachsehen [mögen]“, und zum anderen, dass darüber hinaus in ihren Darlegungen sogar ,,[m]anches [...] zwangsläufig oberflächlich [bleibt] oder [...] umstritten [ist]“ (S. 11). Das ist nicht grundsätzlich zu bemängeln, zumal es den Autoren im Großen und Ganzen eher gut gelingt, über weite Strecken eine lesbare, recht informative und unterhaltende Lek­ türe zu bieten. Tatsächlich gewähren sie hin und wieder überdies ausführlichere und überraschend differenzierte Einblicke, beispielsweise bei der Darstellung des Wegs ei­ ner der vielen Nürnberger Spezialindustriezweige, der Zweiradindustrie (S. 159-164). Vorherrschend ist allerdings eine allzu gedrängte Darstellung, wie sie exemplarisch bei der allein skizzenhaften Schilderung des Werdegangs der Süddeutschen Telefon-Appa­ rate-, Kabel- und Drahtwerke AG, kurz Tekade, zum Ausdruck kommt (S. 138). Die

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Dramatik des „Untergangs“ der Tekade und das folgende Fiasko der Philips Kommunikations Industrie AG (PKI), die zu wesentlichen Teilen aus der Tekade hervorgegan­ gen war, mit allen komplexen Folgen für die Nürnberger Nachrichtentechniksparte beziehungsweise Wirtschaftslandschaft insgesamt kommt bei der Betrachtung des so genannten Südstadt-Desasters (S. 236-239) letztlich doch zu kurz (S. 238f.). Generell fällt den beiden Verfassern die Behandlung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Themen und Zeiträume, aber ebenso die der industriellen Aufbruchund Boomphase Nürnbergs offensichtlich leichter als die zweifellos nicht mehr so stringent und bündig darzulegende jüngere Wirtschaftsvergangenheit der einstigen Reichsstadt: Bei aller durchaus berechtigten Hoffnung für die wirtschaftliche Zukunft Nürnbergs wird einerseits der sich im Rahmen der jahrzehntelangen Strukturkrise voll­ ziehende industriell-krisenhafte Weg der Noris in seinen Konsequenzen ein wenig zu unscharf und nur punktuell herausgearbeitet und andererseits zu oft eine zu optimisti­ sche und unkritische Haltung hinsichtlich der gegenwärtigen und kommenden, stark vom Dienstleistungssektor bestimmten Entwicklung eingenommen. Die das Buch einleitende weit reichende Exkulpation Wolfgang Mayers und Frank Thyroffs erfordert es sicherlich umso mehr, auf einige weitere Schwächen dieses wirt­ schaftshistorischen Nürnberger „Streifzugs“ in aller Kürze hinzuweisen. Es stellt zweifellos keinen grundlegenden Makel dar, dass die Verfasser bei ihrer einen breiten interessierten Leserkreis in den Blick nehmenden Buchveröffentlichung auf einen Anmerkungsapparat, das heißt die Erstellung von Fuß- oder Endnoten, ver­ zichtet haben, obgleich die Hinzufügung von Endnoten, die das Erscheinungsbild des Fließtextes nur marginal beeinflussen, erwägenswert gewesen wäre. Der Verzicht auf ein (Quellen- und) Literaturverzeichnis ist hingegen nicht verständlich: Angesichts der beachtlichen Menge an mittlerweile vorliegender wichtiger Sekundärliteratur hätten sicherlich etliche Leserinnen und Leser gerne gewusst, auf welche Veröffentlichungen sich die Autoren gestützt haben. Des Weiteren wären große Teile der Leserschaft dank­ bar gewesen, wenn den zahlreich aufscheinenden Personen nicht nur vereinzelt, son­ dern durchgängig die Lebensdaten (Jahreszahlen hätten vollauf genügt) in Klammern beigefügt worden wären. Zu bemängeln ist außerdem die (vergleichende) Verwendung derzeit geläufiger, gänzlich auf das heutige Dasein zugeschnittener Begriffe wie zum Beispiel „hidden champions“ (S. 27), „Marketing-Innovation“ (S. 42), „Cluster“ (S. 110), „Risikomana­ gement“ (S. 114), „Erfolgsstory“ (S. 134), „Events“ (S. 178) und „Show“ (S. 194), die, nur teilweise in Anführungszeichen gesetzt, in vermeintlich erklärender Perspektive teils mehrfach auf die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lebensumstände sowie den Industrialisierungszeitraum Anwendung finden. Die mit diesen zeitgebundenen Begrifflichkeiten konnotierten Inhalte oder gar Subtexte erleichtern keineswegs das historische Verstehen, vielmehr erschweren und verhindern sie potenziell in hohem Maße den Zugang zu den damaligen Lebenswelten und deren Bewohnerinnen und Be­ wohnern. Darüber hinaus haben sich einige Fehler eingeschlichen, die mehrheitlich vermutlich zeitlichen Zwängen geschuldet sind. So lautet beispielsweise der Plural von „Astro-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen lab(ium)“ nicht „Astrolabe“, sondern „Astrolabien“ (S. 18f.), die Schreibweise des heutigen (seit 1914) Kölner Stadtteils, in dem sich das so genannte Carlswerk der Firma Felten & Guilleaume (und eben nicht „Guillaume“ wie in der Wirtschaftsgeschichte Wolfgang Mayers und Frank Thyroffs niedergeschrieben) befand, ist „Mülheim“ und nicht „Mühlheim“ (S. 138) und der Name eines der frühen und kurzzeitigen Teilhaber englischer Herkunft der Maschinenfabrik von Johann Friedrich Klett war „Wharton Rye“ und nicht „Wharter Rye“ (S. 200). Neben diesen freilich entschuldbaren Flüchtig­ keitsfehlern, zu denen auch die falschen Seitenangaben im Inhaltsverzeichnis (S. 8f.) für den Bildnachweis (S. 270 statt S. 269) und das Personenverzeichnis (S. 271 statt S. 269) gehören, wiegen die inhaltlichen Unscharfen und Unrichtigkeiten schwerer. Zu nennen sind hier exemplarisch die Herkunft der 1488/89 in Nürnberg angesiedelten schwäbi­ schen Barchentweber, die nicht allein „aus Augsburg“ (S. 144), sondern auch aus dessen Umland sowie aus der Umgebung von Ulm und Weißenhorn stammten, bzw. der Um­ stand, dass die Nürnberger Innenstadt bei Weitem nicht, wie es in einer Bildunterschrift heißt, „Anfang der 1950er Jahre [...] wieder intakt [war]“ (S. 192): Dies galt nur für einige Straßenzüge und Areale ganz überwiegend der südlichen, aber kaum ansatzweise für die nördliche Altstadt, wo die Bebauung der weitläufigen „Sebalder Steppe“ erst Ende 1953/Anfang 1954 einsetzte. Zwar ist der erste optische wie haptische Eindruck der Publikation angenehm, ja das Buch mutet beinahe edel an: Der Halbgewebeband punktet mit stabilen Buchdeckeln, einem Lesebändchen und relativ schwerem Papier. Doch während die in Blau und Silber gehaltene markante Einbandgestaltung unter Anwendung des Prägedrucks für den Titel auf dem vorderen Buchdeckel noch gefällt, so kann das Stilmittel „Silber“ bei der Ge­ staltung der jedem Kapitel voranstehenden Texte - weiße Schrift auf silberfarbenem Hintergrund - und erst recht der Bildunterschriften - silberfarbene Schrift auf weißem Hintergrund - ganz und gar nicht überzeugen. Die im Vergleich zum klassischen „Schwarz auf Weiß“ ohnehin erschwerte Lesbarkeit ist hierbei extrem vom jeweiligen Lichteinfall abhängig und nötigt die Leserinnen und Leser, um überhaupt etwas erken­ nen zu können, das Buch entsprechend auszurichten, was einer angenehmen Lesehal­ tung nicht unbedingt förderlich und insofern dem Lesegenuss alles andere als zuträglich ist. Bei aller Kritik: Wolfgang Mayer und Frank Thyroff gebührt das Verdienst, eine konzise, streckenweise sogar recht inhalts- und abwechslungsreiche Darstellung der Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs vorgelegt zu haben, die erstmals die gesamte städti­ sche „Lebenszeit“ umfasst. Gleichwohl wäre für die nahe Zukunft die Erarbeitung einer zeitlich ebenso umfassenden, aber inhaltlich weitaus umfangreicheren und differenzierenderen, tiefer gehenderen und analytischeren Studie überaus wünschenswert.

Steven M. Zahlaus

Wolfgang Wüst (Hrsg.): Regionale Konsumgeschichte. Vom Mittelalter bis zur Moderne. Referate der Tagung vom 26. bis 28. Februar 2014 im Bildungszentrum Klos­ ter Banz (Franconia 7). Erlangen-Nürnberg 2015. XXII, 267 S. mit Abb. € 29,80

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Einer vergleichenden Perspektive auf die Konsumgeschichte in Franken und anderen Regionen hatte sich die Tagung verschrieben, die der Lehrstuhl für bayerische und frän­ kische Landesgeschichte und das Zentralinstitut für Regionenforschung (Sektion Fran­ ken) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in Kooperation mit dem Institut für politische Bildung der Hanns-Seidel-Stiftung vom 26. bis 28.2.2014 in Kloster Banz abhielten. Die Veröffentlichung der Vorträge stand unter keinem guten Stern: Von den 16 Referenten haben sechs die Drucklegung nicht geschafft, doch konn­ ten dafür fünf neue Beiträge aufgenommen werden, so dass immerhin 15 Beiträge in dem Band vereinigt sind. Zwei kurze Aufsätze leiten den Band ein: Wolfgang Wüst gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand, während Stephanie Massicot und Marina Heller kurze Inhaltsangaben zu den tatsächlich gehaltenen Vorträgen geben und damit einen gewissen Ersatz für die entfallenen Beiträge. Leider befinden sich unter diesen auch zwei Vorträge mit Nürnberger Thematik: Peter Fleischmann „Exportschlager Tabak - Kultur und Konsum im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel von Nürnberg“ behan­ delte die Nürnberger Tabakproduktion und ihre Förderung durch den Rat, und Bern­ hard Löffler zeigte in „Wege in moderne Gewerbe- und Konsumwelten im 19. und 20. Jahrhundert“, wie einerseits mit den Nürnberger Gewerbeausstellungen traditionelle regionale Mythen in moderne Konsumstrukturen eingebaut wurden und wie sich ande­ rerseits eine moderne, überregionale Konsumforschung in Nürnberg etablierte. Inhaltlich gliedert sich der Band in zwei sehr ungleiche Teile: Sektion 1 zu Mittelalter und früher Neuzeit enthält zwölf Beiträge, Sektion 2 zur Moderne nur drei; die Grenze liegt am Beginn des 19. Jahrhunderts. Helmut Flachenecker „Weinkonsum und Weinhandel in Franken“ (S. 3-20) gibt einen Überblick über Anbaugebiete, Handelswege, Zölle, Preise und Konsum des Fran­ kenweins und weist besonders darauf hin, dass der fränkische Weinhandel preislich und vom Umfang her stark von seinem Absatzzentrum Nürnberg, daneben auch von Frankfurt bestimmt wurde. - Mit einer ganz speziellen Konsumsituation beschäftigt sich Andreas Otto Weber „Konsum auf Reisen im späten Mittelalter. Das Beispiel der Reise des Tegernseer Abtes Kaspar Ayndorffer in die Wachau im Jahr 1447 (S. 21-29). - Weit von Franken weg führt Andreas Sohn „Der Büchermarkt im Paris des 15. Jahr­ hunderts“ (S. 31-46) mit seiner Betrachtung des Zusammenhangs der Genese des Früh­ drucks mit der Entwicklung des Büchermarkts. Günter Dippold „Kraftspender und Renommiergetränk - Zur Geschichte des Bierkonsums vom ausgehenden Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, besonders in Fran­ ken“ (S. 47-64) bietet einen grundlegenden Überblick über die Geschichte von Bier­ konsum und -produktion anhand vor allem fränkischer Beispiele, aber auch der beiden seit dem 18. Jahrhundert verfügbaren Alternativgetränke Kaffee und Branntwein. Durch die Aufhebung des in vielen Gegenden Neubayerns noch gültigen Bierbanns 1807 wurde das Bierbrauen in Franken durch die neue bayerische Obrigkeit entschei­ dend gefördert. Wolfgang Wüst „Patrizischer Konsum- und Lebensstil - Luxuskäufe in süddeut­ schen Reichsstädten der Frühneuzeit“ (S. 65-83) kommt aufgrund der Interpretation

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normativer Quellen, vor allem Kleiderordnungen, aber auch von Intelligenzblättern als Werbeträger zum Ergebnis, dass man für die Zeit von 1500 bis 1800 bereits von einer „Protokonsumgesellschaft“ sprechen könne. Den in Deutschland im Gegensatz zu Süd- und Westeuropa holperigen Weg zur Akzeptanz beschreibt Alois Schmid „Von der exotischen Importfrucht zum Grund­ nahrungsmittel: Die Kartoffel im 18. Jahrhundert“ (S. 85-99). Trotz eifriger Förderung des Kartoffelanbaus durch Obrigkeiten und Landgeistliche brachten erst die Hunger­ jahre um 1770 den Durchbruch. Durch das bei Endter erschienene Werk des öster­ reichischen Exulanten Wolf Helmhard von Hohberg „Georgica curiosa“ (1682) ist Nürnberg an der Propagierung des Kartoffelanbaus schon früh beteiligt. Einen Werkstattbericht über die Auswertung des Schwarzenberg-Archivs im Staats­ archiv Nürnberg bietet Christoph Paulus „Repräsentationskonsum am Hof der Her­ ren von Schwarzenberg (S. 101-116), der sich auf die Zeit des Dreißigjährigen Krieges konzentriert. Thematisch ähnlich, aber zeitlich und räumlich umfassender behandelt Gabriele Greindl „Essgewohnheiten und Tischsitten des altbayerischen Adels der frühen Neuzeit - ein Beitrag zum Konsumverhalten und der Ökonomik des .Ganzen Hauses'“ (S. 117-137) Essgewohnheiten, Lebensstil und Kultur des altbayerischen Landadels an einzelnen Beispielen. Einen überraschend starken Nürnberg-Bezug hat Marina Heller „Handel und Konsum von Wein und Weinsorten in und aus Franken im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit: Der Wein- und Bierkeller der Plassenburg im Vergleich“ (S. 139-158). Hauptabnehmer des in Franken seit dem Hochmittelalter bedeutsamen Weinexports war Nürnberg, sei es zum eigenen Konsum, sei es zum Weiterexport in entferntere Gegenden. Beide Aspekte untersucht Heller mit ihrer Darstellung des Nürnberger Weinmarkts und des Weinkonsums in einem Nürnberger Patrizierhaushalts, dem der Weinkeller der markgräflichen Plassenburg nach einem Verzeichnis von 1567 entgegen­ gestellt wird. Ein Ausblick auf das 17. Jahrhundert behandelt den markanten Rückgang des Weinbaus seit dem Dreißigjährigen Krieg und die Einführung des Silvaners. Stephanie Massicot „Kostbares und Exquisites: Der französische Einfluss auf den bayerischen und fränkischen Konsum von 1600-1800. Eine Untersuchung zu Kulturund Sprachkontakt“ (S. 159-177) nähert sich ihrem Thema über die Untersuchung der im Bayerischen und Fränkischen gebräuchlichen französischen Fremd- und Lehnworte aus dem Konsumbereich. Auf verschiedenen Wegen - in Bayern über den Hof, in Fran­ ken durch die Hugenotten - kam umfangreiches französisches Sprach- und Kulturgut ins Land, das vor allem den Bereich des Luxuskonsums prägte. Ausschließlich Nürn­ berg widmet sich Joachim Peters „,Vmb Pracht und Hoffarts willen' - Luxuskonsum, Repräsentation und die Reglementierung von Geselligkeit in der Nürnberger Policeygesetzgebung des 17. Jahrhunderts“ (S. 179-200), wobei die Kleiderordnungen von 1618 und 1693 und die Hochzeitsordnung von 1652 im Mittelpunkt stehen. Als Moti­ vation der Ordnungen macht Peters wirtschaftspolitische, moralethische, vor allem aber ständische Ziele des Rates aus. Anhand von Ordnungen und Diarien vergleicht Jessica Latanja Hart rümpf „Luxus, Konsum und Hofhaltung in Franken im 18. Jahr-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen hundert: der markgräflich-ansbachische und der bischöflich-bambergische Hof im Vergleich“ (S. 201-219) Organisation und Funktion des höfischen Konsums, insbeson­ dere der täglichen Hofspeisung, und erkennt im Wunsch nach Distinktion und Reprä­ sentation viele Gemeinsamkeiten. Sektion 2 über die Moderne enthält nur drei Beiträge, davon einen mit NürnbergBezug. Einige im Bayerischen Wirtschaftsarchiv verwahrte Firmenarchive stellt Eva Moser ,„Der Gehalt macht’s!': Quellen zur Konsumgeschichte aus dem bayerischen Wirtschaftsarchiv“ (S. 223-229) vor. Fabian Brändle „Jahrmarkttaumel. Konsum­ sozialisation in schweizerischen und süddeutschen Selbstzeugnissen, 1900-1960“ (S. 231-237) entnimmt eigenen Erlebnissen und vier Selbstzeugnissen fremder Perso­ nen, wie Kinder Jahr- und Wochenmärkte oder Kirmesfeste erleben. Trotz der Kürze des zur Verfügung stehenden Raumes sehr facettenreich ist schließlich Susanne Bohn „Konsumgeschichte im Spiegel der Versandkataloge des Unternehmens Foto-Quelle 1945-2009“ (S. 239-255). Im Mittelpunkt des Beitrags stehen die Reaktionen der Firma auf Herausforderungen wie Strukturwandel oder - 1958 - die Liefersperre der deut­ schen Fotobranche gegen den unerwünschten neuen Konkurrenten, andererseits ihre Bedeutung für die westdeutsche Konsumgeschichte und die Technisierung des Alltags. Es ist das Problem jedes Tagungsbandes, dass die einzelnen Beiträge zwangsläufig recht unterschiedlich sind. Im vorliegenden Fall bringen es die vergleichende Perspek­ tive wie auch die Unterschiedlichkeit der Forschungsansätze mit sich, dass sich die einzelnen Beiträge sowohl geographisch als auch thematisch besonders stark unter­ scheiden. Zugleich macht dies aber auch den Reiz des Bandes aus, zeigt es doch die ganze Vielgestaltigkeit wirtschaftsgeschichtlicher Forschung auch auf einem so be­ grenzten Gebiet wie der Regionalgeschichte. Horst-Dieter Beyerstedt

Jochen Alexander Hofmann: Obstlandschaften 1500-1800. Historische Geographie des Konsums, Anbaus und Handels von Obst in der frühen Neuzeit (Bamberger Geo­ graphische Schriften / Sonderfolge 11). Bamberg: University of Bamberg Press 2014. 569 S. mit 20 Abb. € 29,50 Es mag erstaunen, in den doch ausschließlich der Nürnberger Stadtgeschichte gewid­ meten MVGN eine Besprechung zu einem Buch über Obstlandschaften zu finden. Gewiss, Franken ist der regionale Schwerpunkt dieser an der geistes- und kulturwissen­ schaftlichen Fakultät der Universität Bamburg entstandenen Dissertation, das Gebiet der Hochstifte Würzburg und Bamberg, der Fürstentümer Ansbach und Bayreuth und eben auch der Reichsstadt Nürnberg. Noch mehr aber erstaunt es zu sehen, einen wie breiten Raum Nürnberg in diesem Buch einnimmt - nicht weniger als drei der (ein­ schließlich Einleitung und Ausblick) acht großen Kapitel des Buches konzentrieren sich auf den Nürnberger Obstmarkt, und auch in den anderen Teilen wird das Gesagte oft genug an Beispielen aus Nürnberg illustriert oder belegt. Nach einer Einleitung gibt Hofmann zunächst einen allgemeinen Überblick über die Stellung des Obstanbaus innerhalb der Agrarstruktur und über die Herausbildung spe-

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zifischer Obstlandschaften seit dem Mittelalter, als die Entfaltung des Städtewesens eine zunehmende Marktorientierung der Landwirtschaft zur Folge hatte. Nach diesem überwiegend den Rahmenbedingungen des Obstanbaus gewidmeten Kapitel wendet sich Hofmann der Geschichte des Obstbaus selber zu und verfolgt seine Entwicklung von der Antike über Mittelalter, Renaissance und die barocke Gartenkultur bis hin zur Aufklärung, als sich der Obstanbau als Nachfolgekultur des rückläufigen Weinbaus in weiten Teilen Frankens ausbreitete. Eine bedeutende Rolle spielten hierbei Obrigkeiten, Pfarrer und Gutsbesitzer, die im Rahmen des kameralistisch-merkantilistischen Wirt­ schaftssystems und der ökonomischen Aufklärung mit Fachschriften und direkten Fördermaßnahmen die schon länger gepflegte Pomologie aus einer botanischen Lieb­ haberei erfolgreich in eine breite Agrarreform überführten. Schon in diesen allgemeinen Teilen der Arbeit wird häufig auf Nürnberg verwiesen. In den drei folgenden Kapiteln steht die Reichsstadt vollends im Mittelpunkt der Un­ tersuchung. Nach einem kurzen allgemeinen Überblick über die politische und wirt­ schaftliche Situation Nürnbergs seit dem Dreißigjährigen Krieg zeichnet Hofmann die Geschichte des Nürnberger Obstmarktes nach. Übergreifendes Motiv seiner Entwick­ lung war in Nürnberg wie in anderen Städten das Bemühen der Obrigkeit, durch die Ausschaltung des Zwischenhandels („Fürkauf“) die Preise für die Verbraucher niedrig zu halten. Mit Einzelvorschriften und Marktordnungen suchte der Rat dieses Ziel zu erreichen, ohne dass aber das tatsächliche Marktgeschehen den Vorschriften immer entsprochen haben müsste. Mit der Methode der „dichten Beschreibung“ und Analyse auf Grundlage der zwei erhaltenen Protokollbände der Marktdeputation (1753-1806) rekonstruiert Hofmann dieses tatsächliche Geschehen auf dem Obstmarkt, die beteilig­ ten Aufsichtsbeamten, die verschiedenen Händlergruppen und ihre Handelspraktiken bis hinab auf die Ebene der einzelnen Obststände, die sich für bestimmte Jahre im Stadt­ plan lokalisieren lassen. Auch das Ausmaß der Handelstätigkeit in den einzelnen Jahren lässt sich noch heute in etwa nachvollziehen, da sich die Gebühren der Obstmesser nach der Obstmenge richteten und diese so in die Stadtrechnungen Eingang fand. In einem weiteren Kapitel untersucht Hofmann die Strukturen von Angebot und Nachfrage auf dem Nürnberger Obstmarkt, die sich mangels anderer Quellen fast nur über die Entwicklung der Obstpreise nachvollziehen lassen. Grundlage dieser Unter­ suchung bilden die Rechnungsbücher des Heilig-Geist-Spitals. Einen bedeutenden Teil des Kapitels nimmt die Diskussion methodischer Fragen ein, besonders die Problema­ tik der Aussagekraft von Preisreihen und Fragen von Geldwert und Währungssystem. Auch das nun folgende Kapitel über die Strukturen des Obstkonsums beruht, ob­ wohl allgemein orientiert, zum großen Teil auf Nürnberger Quellen, neben Koch­ büchern, Luxusordnungen und Haushaltsbüchern wiederum den Rechnungsbüchern des Heilig-Geist-Spitals. In breitem Umfang zieht der Verfasser hier auch die Ergeb­ nisse und Methoden anderer Wissenschaftszweige heran, so archäobotanische Funde und die historisch-ethnologische Forschung zu Rolle und Funktion des Obstes im Mahlzeitensystem. Im letzten Kapitel fragt Hofmann nach den Einflussfaktoren auf die Struktur der generell auf den Markt orientierten fränkischen Obstlandschaften. Als wichtige Fakto-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen ren identifiziert er die unterschiedlichen Boden- und Klimabedingungen, das Erbrecht (da in Gebieten mit Realteilung die Kleinheit der Betriebe den Übergang zu intensiven Sonderkulturen geradezu erzwang) und andere Bedingungen der Agrarverfassung so­ wie die Markt- und Verkehrslage, die er anhand des Modells der Thünenschen Ringe analysiert. Vor diesem Hintergrund vergleicht Hofmann die Nürnberger Gartenkultur mit dem Obstbau anderer fränkischer Städte und stellt ihre jeweiligen Besonderheiten heraus. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung und ein Ausblick auf die Obstlandschaften des 19. Jahrhunderts runden die Arbeit ab. Die Arbeit Hofmanns beeindruckt gleich in mehrfacher Hinsicht: durch die schiere Menge an Quellen und Literatur, die er aufgespürt und verarbeitet hat, durch die Viel­ zahl der von ihm berücksichtigten inhaltlichen Aspekte und wissenschaftlichen Ansätze auch aus fremden Disziplinen, die er souverän in seine eigene Fragestellung einbaut und auch in ihrer jeweiligen Problematik reflektiert, durch seine Fähigkeit, trotz dieser Fülle an Material den roten Faden seiner Untersuchung niemals zu verlieren, und nicht zu­ letzt dadurch, wie es ihm gelingt, dieses auf den ersten Blick doch etwas abgelegene und spröde Thema nicht nur in seiner Bedeutung für die allgemeine Wirtschaftsgeschichte fruchtbar zu machen, sondern ihm auch noch so viele interessante Seiten abzugewin­ nen. Horst-Dieter Beyerstedt

Gerhard Scibold: Wirtschaftlicher Erfolg in Zeiten des politischen Niedergangs. Augsburger und Nürnberger Unternehmer in den Jahren zwischen 1648 und 1806, Bd. 1: Darstellung, Bd. 2: Anhang (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungs­ gemeinschaft 1, 42). Augsburg: Wißner 2014. 732 S., dazu 55 Stammbäume und 523 Abb. € 69,Mit den Jahren 1648-1806 wendet sich der Verfasser einem Zeitraum zu, der von der ortsgeschichtlichen Forschung sowohl Augsburgs als auch Nürnbergs bislang weniger intensiv behandelt wurde als die Blütezeit beider Städte. Dabei erscheint gerade in An­ betracht der vom Autor konstatierten, teilweise gegenläufigen Entwicklung Nürnbergs und Augsburgs im betrachteten Zeitraum ein Vergleich beider Städte besonders interes­ sant (Nürnberg: zunächst glimpfliches Überstehen des Dreißigjährigen Krieges, dann nachhaltiges Absinken in den 1730er Jahren und nach Anfängen im späten 18. Jahrhun­ dert dynamischer Wiederaufschwung im 19. Jahrhundert; Augsburg: nach dem Tief­ punkt des Dreißigjährigen Krieges zunächst Stagnation, dann Wiederaufschwung im späten 17. Jahrhundert und im 18. Jahrhundert weite Überflügelung Nürnbergs). Die Arbeit wurde im Sommersemester 2011 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlan­ gen-Nürnberg als Dissertation angenommen und für die Drucklegung geringfügig überarbeitet. Der erste Band enthält die eigentliche Untersuchung. Der Autor nähert sich seinem Thema von den Rahmenbedingungen aus. Nach einer Einführung in die schwierige Quellensituation - die verfügbaren Quellen sind sehr lückenhaft und, wo denn über­ haupt belastbare serielle Quellen über längere Zeiträume vorliegen, nicht vergleichbar-, in den Forschungsstand und die Methodik gibt er zunächst einen Vergleich der politi-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen sehen und verfassungsrechtlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beider Reichsstädte. Zumindest der Nürnberg-Teil dieser Gegenüberstellung enthält leider eine Anzahl Fehler und Ungenauigkeiten, die für den Hauptpunkt des Werks den Vergleich der kaufmännischen Eliten beider Reichsstädte - nur wenig Bedeutung haben, dem Kenner der Materie aber doch unangenehm auffallen. Nicht nur vom Umfang, sondern auch von der Bedeutung her bildet die Sammlung von 39 Augsburger und 20 Nürnberger „Unternehmensbiographien“ den Kern des Buches (S. 67-544). Auf jeweils etwa fünf bis zehn Seiten beschreibt der Autor nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Firmen, sondern auch sehr ausführlich die familiären Verhältnisse der Inhaber und ihre gesellschaftlichen Verhältnisse. Zusam­ men mit den dazu gehörigen Quellen- und Literaturangaben schließen diese Firmen­ biographien eine empfindliche Lücke der bisherigen Nürnberger Wirtschaftsgeschichte und können künftigen Forschungen einen festen Ausgangspunkt geben. In einer weiterführenden Zusammenfassung (S. 545-586) bemüht sich der Autor um eine vergleichende Typologie der Augsburger und Nürnberger Handelsgesellschaften bezüglich Unternehmensstrukturen, Standorten (Filialnetz), Branchen, Herkunft, familiären Netzwerken, privater Lebensführung und gesellschaftlichem Aufstieg und gibt eine abschließende Bewertung. Ein letztes Kapitel enthält in Listenform zeitgenös­ sisches wie auch von Seibold selbst zusammengestelltes statistisches Material wie Ver­ mögen Augsburger Kaufleute nach Maßgabe ihrer Steuerzahlungen, Bancoumsätze Nürnberger Kaufleute, die Nürnberger Marktvorsteher, Banchieri und Marktadjunk­ ten, Geldanlagen Nürnberger Kaufleute beim Losungamt, Adressen bzw. Grundbesitz Augsburger und Nürnberger Kaufleute sowie die Dauer ihrer wirtschaftlichen Betäti­ gungDer zweite Band, ebenso umfangreich wie der erste, aber bescheiden nur „Anhang“ genannt, soll die der Arbeit zugrundeliegenden „harten Fakten“ versammeln. Außer einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis und einem Abbildungsnach­ weis sowie je einem Personen-, Unternehmens- und Ortsregister bestehen diese aus 55 Stammtafeln der hinter den Firmen stehenden Kaufmannsfamilien sowie einem um­ fangreichen Bildanhang von 523 Abbildungen, die den „Geist der Akteure“ zum Aus­ druck bringen sollen; neben Porträts enthält dieser Gemälde, Stiche und Fotos von Häusern und Schlössern, Wappen, Plänen, Epitaphen, Gedächtnisstichen, Schreiben, Inventaren, Handelsmarken, Haushaltsgegenständen, Stiftungsobjekten und ähnli­ chem, was einen lebendigen und durchaus auch erhellenden Einblick in die Lebensum­ stände der reichen Kaufmannsfamilien beider Städte geben kann. Insgesamt ist ein bewundernswert materialreiches Werk entstanden, das nicht nur wertvolle Informationen über die kaufmännischen Eliten Augsburgs und Nürnbergs bereitstellt, sondern auch zeigt, ein wie großes Interesse dieser früher lange Zeit ver­ nachlässigte Zeitraum beanspruchen kann. Der Rezensent will nicht verhehlen, dass ihm manche Einzelergebnisse diskussionsbedürftig erscheinen - gibt z.B. das starke Ungleichgewicht von 2:1 zwischen Augsburger und Nürnberger Firmen wirklich, wie der Autor schreibt, den Bedeutungsunterschied zwischen der Wirtschaft beider Städte

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen zu dieser Zeit wieder (S. 583), oder liegen ihm nicht vielleicht unterschiedliche Betriebs­ größen oder eine in Nürnberg stärkere Rolle des Handwerks gegenüber den großen Handelsfirmen zugrunde? Hier hat künftige Forschung noch ein weites Betätigungs­ feld. Gewöhnungsbedürftig ist leider die etwas eigenwillige Sprache, die der Autor durch­ gehend verwendet. Sätze wie „Diese Einstellung“ (der Rückzug der Nürnberger Patri­ zier aus der Kaufmannschaft) „ist aus dem Umstand heraus zu erklären, dass man zu­ nehmend darum bemüht war, sich in seinen Lebensverhältnissen dem Adel adäquat zu positionieren. (...) Während man noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts den vermeintli­ chen Standesunterschied, der sich in der Ablehnung der Ritter äußerte, die Patrizier zu ihren Gesellenstechen (!) zuzulassen, dahingehend kompensierte, als der Nürnberger Stadtadel entsprechende Belustigungen in Eigenverantwortung organisierte, geriet die­ ses Selbstbewusstsein im 17. und vor allem im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend in Verfall.“ (Bd. 1 S. 33) sind leider keine Einzelfälle und können die Lektüre empfind­ lich trüben. Aber trotz dieser Mängel hat Seibold eine Arbeit vorgelegt, die schon durch die Fülle des in ihr enthaltenen Materials auf lange Zeit hinaus eine wichtige Grundlage für wei­ tere Forschungen bleiben wird. Horst-Dieter Beyerstedt

Thomas Stauss: Frühe Spielwelten. Zur Belehrung und Unterhaltung. Die Spiel­ warenkataloge von Peter Friedrich Catel (1747-1791) und Georg Hieronimus Bestel­ meier (1764-1829). Hochwald (Schweiz): Librum 2015. 446 S. mit zahlr. Abb. € 85,Warenverzeichnisse für die Spielzeugfertigung, zum Teil mit Preisangaben, sind in fast allen Gebieten der deutschen Hausindustrie bereits aus dem 17. und 18. Jahrhun­ dert überliefert. Den Schritt zu einem illustrierten Warenkatalog für Spielzeug setzte als erster Peter Friedrich Catel aus Berlin um. Im Jahre 1790 ließ er unter dem Titel „Mathematisches und physikalisches Kunst-Cabinet“ den ersten mit Kupferstichen versehenen Versandkatalog für Lehrmittel, Spiel- und Galanteriewaren drucken. Da­ hinter stand die Idee, nicht nur in Läden, auf Messen oder durch reisende Händler zu verkaufen, sondern dem Kunden die Möglichkeit zu eröffnen, an Hand der Abbildun­ gen Produkte nach Katalog zu bestellen. Das Beispiel des Berliner Spielwarenhändlers machte Schule. In Nürnberg gab 1792 der Mechaniker und Versandhändler Johann Conrad Gütle das vergleichbare, bebil­ derte Warenverzeichnis „Kunstkabinet verschiedener mathematischer und physika­ lischer Instrumente und anderer Kunstsachen“ heraus. Technisches Spielzeug und physikalische Belustigungen, Bau- und Legespiele entsprachen ab dem Ende des 18. Jahrhunderts dem pädagogischen Ideal einer wohlhabenden bürgerlichen Schicht, die zunehmend nützliche Spielmittel „zur Belehrung und Unterhaltung“ für Schulen und Familien einsetzte. Der Nürnberger Galanterie- und Spielwarenhändler Georg Hiero­ nimus Bestelmeier hat schließlich diese Strömungen aufgegriffen und die Idee eines illustrierten Versandkatalogs übernommen, erweitert und perfektioniert. Von 1793

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bis 1823 brachte er sein „Magazin von verschiedenen Kunst- und andern nüzlichen Sachen“ als Kataloghefte und -bände in mehrfachen Auflagen und unter verschiedenen Titelvarianten auf den Markt. Auf der Basis fundierten Quellenstudiums beschreibt der Autor das weitreichende Beziehungsgeflecht des Handels und der Spielkultur im Zeitraum von 1790 bis 1830. Es sind die Jahrzehnte, in denen gerade auch die Spielwarengattung der unterhaltsamen Lehrmittel und wissenschaftlichen Spielereien eine Blütezeit erlebte. Im Mittelpunkt stehen Catel und Bestelmeier und eine Schar von Nürnberger Mechanikern wie Wil­ helm Burucker, Johann Bernhard Bauer, Heinrich Markus Brunner, David Beringer, die Familie Bischoff und der schon erwähnte Gütle. Zum Vergleich zieht der Verfasser die entsprechenden ausländischen Hersteller in England und Frankreich wie W. & S. Jones und Edme-Gilles Guyot heran. Alle diese Handwerker und Geschäftsleute pro­ duzierten physikalische Apparate und Spielzeug für den populärwissenschaftlichen Bedarf, darunter Anamorphosen, Laternae Magicae, Guckkästen, Elektrisiermaschinen oder die beliebten mathematischen, magnetischen und mechanischen Zaubertricks. Das größte Sortiment bot Bestelmeier mit Holz- und Aufstellspielzeug, Zauber- und Ge­ sellschaftsspielen und physikalischen Belustigungen. Dem Autor ist es gelungen, neue Erkenntnisse zu den genannten Spielwarenhändlern und -herstellern in anerkennens­ werter Breite zusammcngcstcllt und bewertet zu haben. Dabei kam es ihm auch darauf an, die pädagogischen Voraussetzungen der Aufklärung, die europäische Wissenschafts­ geschichte und die wirtschaftlichen Bedingungen in Berlin und in Nürnberg zu berück­ sichtigen. Dass der Autor auch Spielesammler ist, prädestinierte ihn dafür, sein Augenmerk ins­ besondere auf die Sachzeugen seines Themas zu richten. In jahrelangen Recherchen hat er Spiele und Spielzeug in Privat- und Museumssammlungen ausfindig gemacht, die mit den Abbildungen und Beschreibungen bei Catel und Bestelmeier übereinstimmen. Die­ ses Unterfangen wurde zunächst als aussichtslos eingestuft, da es sich bei Spielsachen um 1800 durchweg um Raritäten handelt. Der im Buch enthaltene Bildkatalog umfasst über 60 solche Spielobjekte mit Kommentar und Beschreibung nach den Grundsätzen musealer Erfassung. Auch der umfangreiche Textteil ist reich an bisher unbekannten Bilddokumenten. Die Ausstattung des Buches in puncto Fotos und Layout entspricht einem hohen Qualitätsanspruch, dem sich der Verlag grundsätzlich verschrieben hat. Entstanden ist ein Standardwerk von großer Sachkompetenz und hohem optischem Reiz, stattlichem Umfang und bleibendem Wert. Marion Faber

Kunst, Architektur Marco Popp: Die Lorenzkirche in Nürnberg. Restaurierungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Regensburg: Schnell & Steiner 2014. 812 S. mit zahlr. Abb. € 99,Marco Popp / Hartmut Scholz: St. Lorenz in Nürnberg. Mit Aufnahmen des Cor­ pus Vitrearum Freiburg und von Thomas Bachmann (Meisterwerke der Glasmalerei 6). Regensburg: Schnell & Steiner 2016. 96 S. mit zahlr. Abb. € 12,95

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen 1. Die beiden Publikationen zur Lorenzkirche sind von sehr unterschiedlichem Charakter. Bei der ersteren handelt es sich um die sehr umfangreiche Dissertation des Autors im Fach Denkmalpflege an der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seit den Forschungen von Michael Brix und Norbert Götz in den Achtzigerjahren ist das Thema der Denkmalpflege in Nürnberg immer mehr in den Blick der Forschung gerückt (Michael Brix: Nürnberg und Lübeck im 19. Jahrhundert. Denkmalpflege, Stadtbildpflege, Stadtumbau, München 1981. Norbert Götz: Um Neugotik und Nürnberger Stil. Studien zum Problem der künstle­ rischen Vergangenheitsrezeption im Nürnberg des 19. Jahrhunderts, Nürnberg 1981 [NF 23]). Die sehr umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen, denen die Lorenzkirche im 19. und 20. Jahrhundert unterzogen wurde, sind hier nun zum ersten Mal umfassend und zusammenhängend dargestellt. Popp geht die Mammutaufgabe in chronologischer Ordnung an, die er in thematisch zusammengehörige Untereinheiten gliedert. Detail­ liert, kenntnisreich und stets quellenorientiert untersucht der Autor nicht nur die Res­ taurierungen am Gebäude, sondern bezieht auch die Ausstattung mit ein. Außer zahl­ reichen unpublizierten Schriftquellen werden auch Baupläne (bei deren Erschließung der Autor im Rahmen des DFG-Projektes MonArch bereits mitgewirkt hatte), graphi­ sche und fotografische Bildquellen ausgewertet sowie der Bau selbst befragt. Popp gliedert das Material nach den Wirkungsphasen der jeweils verantwortlichen Bauleiter. Dies ist umso sinnvoller, da er deren Tätigkeit auch in den Zeitzusammenhang stellt und das den Maßnahmen zugrunde liegende Denkmalverständnis und die jeweilige Zielset­ zung der Restaurierungen kritisch untersucht. Restaurierungen der Romantik oder des Historismus unterscheiden sich eben grundlegend vom Restaurierungsverständnis heutiger Zeit. Bereits restaurierte Teile wurden zudem oftmals später wieder restauriert. Es werden aber nicht nur stilistische, sondern auch z. B. materialtechnische Aspekte behandelt, die auch künftigen Restaurierungen als Grundlage dienen können. Nach einem Rückblick auf die Bau- und Restaurierungsgeschichte von der Romanik bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit setzt die eigentliche Untersuchung mit dem Übergang Nürnbergs an Bayern im Jahre 1806 ein. Auf die Frühzeit der Denkmalpflege unter Carl Alexander Heideloff folgen die Maßnahmen unter Bernhard Solger in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die einschneidenden Maßnahmen unter Joseph Schmitz und Otto Schulz im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in dem sich neue denk­ malpflegerische Prinzipien etabliert hatten (Kap. 5). Einen weiteren, bedeutenden Teil nehmen erwartungsgemäß die Kunstgutbergung und die Zerstörung des Bauwerks im Zweiten Weltkrieg (Kap. 6) und der Wiederaufbau nach den Kriegszerstörungen (Kap. 7-8) ein. Mit dem Ende der langjährigen Tätigkeit von Georg Stolz 1993 wird ein sinn­ voller Schlusspunkt gesetzt. Trotz der Fülle an Fakten ist die Arbeit in einem gut les­ baren Stil geschrieben und bietet noch dazu am Schluss eine Zusammenfassung aller Kapitel nebst Wertung und Einordnung. In einem eigenen Anhang werden umfangreiche Biographien der maßgeblichen Ar­ chitekten Carl Alexander Heideloff, Bernhard Solger, Josef Schmitz, Otto Schulz, Julius Lincke und Georg Stolz angefügt. Die Arbeit ist vorbildlich erschlossen durch ein drei­ seitiges, detailliertes Inhaltsverzeichnis sowie ein dreizehnseitiges Personen-, Sach- und

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Objektregister. Ein Quellen- und ein zehnseitiges Literaturverzeichnis ergänzen den Band. Schließlich bleibt noch die hervorragende, umfangreiche Bebilderung in z.T. ganzseitigen Tafeln und in guter Druckqualität hervorzuheben, die die Argumentation zu stützen vermag. Der renommierte Verlag Schnell und Steiner hat mit der qualitätvol­ len Herstellung dieses Buches Besonderes geleistet. Durch die kritische Analyse zahlloser unpublizierter, archivalischer Quellen, die im Anhang im Wortlaut wiedergegeben sind, und sogar die Befragung von Zeitzeugen wie Stolz, kommt die Arbeit in der Analyse zu einer großen Fülle an neuen Erkenntnissen im Detail wie auch im Ganzen. Sie wird auf lange Zeit das grundlegende Werk zum Thema bleiben. 2. Von anderer Art ist die zweite Publikation zur Lorenzkirche, die sich mit den Glasmalereien befasst. Es handelt sich um einen Bildführer zu den Farbglasfenstern der Kirche, handlich und doch voller Hintergrundinformation. Die Texte basieren auf den neuesten Forschungsergebnissen und sind durchgehend mit Anmerkungen versehen. Das Buch ist in vier Teile gegliedert. Die beiden ersten Kapitel, von Marco Popp bearbeitet, behandeln den „Bau und seine Bedeutung“ als Einführung und „Die Ge­ schichte der Farbverglasung“. Hierbei kann Popp auf Erkenntnisse der oben bespro­ chenen Arbeit zurückgreifen, indem er vor allem auf die Restaurierungen der Fenster eingeht. Die beiden folgenden Kapitel gelten nun der ausführlichen Beschreibung der Farbverglasungen. Sie stammen aus der Feder von Hartmut Scholz, Leiter der Freiburger Arbeitsstelle des Corpus Vitrearum Deutschland, des Forschungszentrums für mittel­ alterliche Glasmalerei, zugleich Herausgeber der Reihe. Scholz, der sich seit seiner Dissertation mit Nürnberger Glasmalerei beschäftigt (Hartmut Scholz: Entwurf und Ausführung. Werkstattpraxis in der Nürnberger Glasmalerei der Dürerzeit. Berlin: Dt. Verl, für Kunstwiss. 1991 [zugl.: Stuttgart, Univ., Diss., 1988]), hat bereits zwei Corpusbände zur Nürnberger Glasmalerei vorgelegt (Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg extra muros [Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland X,l], Text- und Tafelband, Berlin 2002; und: Die mittelalterlichen Glasmalereien in Nürnberg: Sebalder Stadtseite [Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland X,2], Berlin 2013). Ferner verfasste er u.a. auch die Publikation über die Glasfenster von St. Sebald in derselben Reihe (Meisterwerke der Glasmalerei 3: St. Sebald in Nürnberg, im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, und dem Deutschen Verein für Kunstwissenschaft, Berlin, hrsg. von Hartmut Scholz, Regensburg: Schnell und Steiner 2007). Es ist kaum ein berufeneres Autorenteam für den vorliegenden Band denkbar. Die beiden Kapitel behandeln „Die Farbfenster des Hallenchores“ und „Die partielle Farbverglasung des Langhauses“. Scholz stellt dar, dass die Verglasung keinem überge­ ordneten Programm unterworfen war, sondern die (abgesehen vom Kaiserfenster) zu­ meist patrizischen Stifter in der Wahl der Werkstätten und Motive weitgehend freie Hand hatten. Die Fenster werden Stiftern und Werkstätten zugeordnet, datiert und vor allem in ihrem ikonographischen Bestand beschrieben. Komplexe Bildprogramme wer-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen den gedeutet und auf die Beweggründe ihrer Entstehung befragt, die sich oft aus den besonderen Verhältnissen der Stifter erklären lassen. Auch Zuschreibungsfragen der Forschung werden ausführlich diskutiert, Ergänzungen und Veränderungen benannt. Die Fenster als Ganzes und viele einzelne Scheiben mit ihren Darstellungen sind in hervorragenden, überwiegend farbigen Fotos abgebildet, z.T. bereichert durch Ver­ gleichsabbildungen. Die Fotos sind mit ausführlichen Bildlegenden versehen, die den Haupttext ergänzen. Ein Literaturverzeichnis und ein Glossar beschließen das Buch. Es sei nicht nur dem Besucher der Kirche wärmstens empfohlen. Andreas Curtius

Evang.-Luth. Pfarramt St. Georg Kraftshof (Hrsg.): Die St. Georgskirche in Kraftshof 1315-2015. Geschichte eines Baudenkmals und seiner Ausstattung (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft 53). Lauf: Altnürnberger Landschaft 2015. 392 S. mit 275 Abb. € 25,2015 jährte sich die Weihe des Hauptaltars der Kraftshofer Georgskirche zum 700. Mal - die erste sichere Nachricht von der Existenz des Gotteshauses. Kirchengemeinde und Altnürnberger Landschaft e.V. haben das Jubiläum zum Anlass genommen, eine opulente Festschrift herauszugeben. Schlüssig ist das Konzept, die Bearbeitung unterschiedlicher Themen an verschie­ dene Autoren zu vergeben. Deren Liste ist durchaus bemerkenswert, denn es gelang, für die wichtigsten Spezialgebiete die geeignetsten Fachleute zu gewinnen. Entsprechend fundiert sind auch die Aufsätze geworden. Ergänzend verfassten aber auch engagierte Gemeindemitglieder gelungene Beiträge zu einzelnen Sachgebieten. Bertold Frhr. v. Haller bearbeitet den Großteil der allgemeinen Historie sowie mit Adalbert Wiech die Bau- und Restaurierungsgeschichte der Kirche und fasst nicht nur bereits publiziertes Wissen zusammen und aktualisiert es, sondern beleuchtet Quellen und Aussagen früherer Autoren auch kritisch. Dadurch gelingt ihm u.a. der Nachweis, dass die Patrizierfamilie Kreß keineswegs als Stifter der Kirche anzusehen ist, sondern sich erst später dort etabliert hat, dies jedoch geschickt zu verschleiern suchte, um ihre Ansprüche zu untermauern. Herbert May und v. Haller spüren der Geschichte der Wehranlage um St. Georg nach und beziehen wichtige Ergebnisse der Bauforschung mit ein, die in jüngerer Zeit bei Restaurierungsarbeiten gewonnen werden konnten. Auch der zwischen Kirche und Mauerring eingebettete Friedhof mit seinen Grabmalen und das 1821 in der Nordostecke eingebaute ehern. Schulhaus finden Betrachtung. Frank Matthias Kammei beschäftigt sich eingehend mit der trotz Kriegszerstörung umfang­ reichen bildkünstlerischen Ausstattung des Gotteshauses und rekonstruiert u.a. den ursprünglichen Zustand des Georgsaltars mit seinen heute in Schloss Neunhof aufbe­ wahrten Klappflügeln oder den Marienaltar, dessen die Madonna umgebender Strahlen­ kranz leider bis heute nicht wiederhergestellt worden ist. Taufsteine, Glasmalereien, das liturgische Gerät sowie die Glocken werden in weiteren Beiträgen gewürdigt. Leider fehlt an dieser Stelle zur Vervollständigung eine thematisch eigentlich wichtige Abhand­ lung zur Orgelgeschichte der Kirche. Den familiären Beziehungen der Kreß zu St. Ge­ org geht v. Haller nochmals eingehend nach, bevor Werner Wilhelm Schnabel das

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Kirchweihgedicht von 1641 untersucht, mit dem Johann Wilhelm Kreß das außer­ gewöhnliche Mittel der Poesie wählte, um die Bedeutung der Familie hervorheben zu lassen. Wie an der Lorenzkirche wurde der Wiederaufbau von St. Georg durch die US-amerikanischen Kaufhauskettenbetreiber und Kunstsammler Samuel Henry und Rush Harrison Kress in erheblichem Maß gefördert. Beide sahen sich trotz fehlenden Nachweises als Zweig der Nürnberger Patrizierfamilie. Steven A. Worthy, amerikani­ scher Generalist und Kreß-Forscher, umreißt in einem pathetischen Lobgesang deren Leben und Schaffen und findet selbst bei der Beschreibung der Inbesitznahme des neuen Kontinents durch die Weißen keine differenzierten Worte. Abgeschlossen wird die Festschrift durch Aufsätze zu Pfarrei und Gemeinde. So werden nicht nur Bio­ gramme der Frühmesser und Pfarrer von Kraftshof zusammengestellt, auch die interes­ sante Baugeschichte des Pfarrhauses wird mittels Archiv- und Bauforschung rekonstru­ iert. Einen gelungenen Abschluss bildet Bernhard B r o n s ’ Abhandlung zur Almoshofer Tochterkirche. Anerkennend muss hinzugefügt werden, dass die Festschrift rundum hervorragend bebildert ist, wo möglich farbig. Schön wäre eine Ergänzung durch möglichst aktuelle Aufmaßzeichnungen von Kirche und Wehranlagc gewesen, doch ist deren Existenz auch bei derart bedeutenden Kulturdenkmalen keine Selbstverständlichkeit. Marco Popp

Ursula Mende: Die mittelalterlichen Bronzen im Germanischen Nationalmuseum. Bestandskatalog. Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums 2013. 484 S. mit 647 Abb. € 65,Die bedeutende Sammlung des Germanischen Nationalmuseums an Bronzen des Mittelalters beschreibt der vorliegende Bestandskatalog. Ursula Mende hatte 2001 mit den Arbeiten zu diesem Werk begonnen. Diese zogen sich bis 2011 hin - womit zu Beginn nicht gerechnet werden konnte. Nun liegt das Werk fertig vor, und man erkennt sofort, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Bekannt sind ja Bronzen wie der Brunnen­ hansel aus dem Heilig-Geist-Spital, die Statue des Heiligen Mauritius von Peter Vischer d.Ä. oder auch die Maske vom Hiserlein am Unschlitthaus, aber erst eine vollständige Aufnahme des gesamten Bestandes des Museums eröffnet den Blick auf die vielfache Verwendung des Gussmaterials, zu welchem endlich auch einmal exakte Bestimmungen vorliegen; gemeint ist hier das Verhältnis von Blei und Zinn bzw. Zink sowie anderer Elemente im jeweiligen Werk, ausgewiesen in einer Analysetabelle im Anhang des Ban­ des. Die im Katalog vorgestellten Bronzen umfassen den Zeitraum zwischen dem 9. Jahr­ hundert und der Zeit um 1500. Außerdem sind spätere Nachgüsse und Fälschungen mit aufgenommen, ebenso die Verluste der Sammlung. Die Gliederung des Katalogs nach Werkgruppen - wir greifen heraus: Großforma­ tige Bildwerke, Kreuze, Kruzifixe (...) sakrale Behältnisse, Rauchfässer, Aquamanilien, Leuchter (...) Mörser (...) Glocken usw. - bietet von vorne herein die beste Übersicht, die nicht zuletzt dank der Indices im Anhang als vollständig bezeichnet werden darf.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Die Katalogtexte bieten Informationen zu Material und Technik der einzelnen Stücke sowie ausführliche Beschreibungen und Kommentare mit bedeutenden Hinwei­ sen auf Vergleichsstücke oder auch Vermutungen zu Herkunft und Verwendungs­ zweck. Besonders hervorzuheben ist der klare Stil der Sprache dieser Texte. Dies macht diesen Katalog zu einem gut lesbaren Buch, dessen Mitteilungen sich eben aus diesem Grund dem Leser dauerhaft einprägen. Die zahlreichen Abbildungen zeigen die meis­ ten Exponate aus mehreren Blickrichtungen und mit vielen Details, sodass auch hierin nichts zu wünschen übrigbleibt. Helge Weingärtner

Gisela Kohrmann: Vom Schönen Stil zu einem neuen Realismus. Unbekannte Skulpturen in Franken 1400-1450 (Studia Jagellonica Lipsiensia 7). Ostfildern: Thorbccke 2014. 272 S. mit zahlr. Abb. € 59,Die knapp zwei Jahrzehnte alte, nun gedruckte Dissertation behandelt die fränkische Bildhauerkunst in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und fokussiert dabei vier grö­ ßere 'Werkgruppen. In Würzburg wird die zwischen 1400 und 1440 tätige Werkstatt des Bamberger Ottograbes verortet, benannt nach der figurenreichen Tumba des Heiligen im Bamberger Michaclskloster. Sie schuf Steinmetzarbeiten von künstlerisch durch­ schnittlicher Qualität, die vor allem in Orten zwischen den beiden fränkischen Bischofssitzen am Main anzutreffen sind. Mit der Madonna vom Haus Weintrauben­ gasse 2, heute im Germanischen Nationalmuseum, gelangte auch eines ihrer Werke nach Nürnberg. Auf dem Territorium des einstigen Hochstiftes Eichstätt entstand in jener Zeit eine umfangreiche Anzahl Steinskulpturen, neben Figuren vor allem Grabmale und Epita­ phien sowie Bauplastik. Dazu gehört beispielsweise das figurenreiche Weltgerichtstym­ panon von der einstigen Eichstätter Liebfrauenkirche, das heute im Mortuarium des dortigen Doms aufbewahrt wird. Vermutlich bot die Metropole mehreren Meistern ein Auskommen, die mangels schriftlicher Quellen heute jedoch nicht mehr als historische Persönlichkeiten verifizierbar sind. Daneben war sie ein - ebenfalls von mehreren unterschiedlichen Kräften gespeistes - Zentrum der Tonplastik. Deren bedeutendste Zeugnisse sind die schwäbisch beeinflusste Buchenhüller Madonna im Dom sowie die Anbetung der Könige von dessen Nordportal. Diese mehrfigurige, heute im Diözesan­ museum gehütete Gruppe vollplastischer Bildwerke zeichnet sich durch einen Habitus aus, der an der zu Beginn des Jahrhunderts aktuellen burgundischen Hofmode orien­ tiert ist. Dass hier ein im Westen geschulter Künstler tätig war, der wohl im Zusammen­ hang mit der plastischen Gestaltung des Brautportals am Ingolstädter Liebfrauenmüns­ ter um 1435 in die Region kam, ist plausibel. Ein dritter Komplex von Werken umfasst die Produkte eines vage in Unterfranken lokalisierten Ateliers, deren zentrale Schöpfung die um 1430 datierte steinerne Ma­ donna im Chor der St. Veitskirche von Iphofen ist. Seine von der Kenntnis damals am Niederrhein und in den Niederlanden gängigen Stilprinzipien und Motiven zeugenden Arbeiten findet man vom unteren Main bis an den Rand der Rhön; darunter besonders zu nennen ist der in vieler Hinsicht herausragende Ölberg an der Pfarrkirche von Münnerstadt.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Eine letzte Gruppe, die besprochen wird, bilden Nürnberger Madonnen des späten Schönen Stils, das heißt der Zeit zwischen 1430 und der Jahrhundertmitte. Dabei gelingt es, eine kleine Anzahl von Figuren, zu der neben Muttergottesdarstellungen in Unterferrieden, Eckersmühlen und Kleinziegenfeld auch zwei Heiligenstatuen in St. Lorenz gehören, in einen Werkstattkreis um die Madonna im Hochaltarschrein der Katzwanger Kirche zu stellen. In die Nachfolge dieses Ateliers werden die weithin bekannte Schöne Madonna in der Veitskirche von Iphofen sowie die Welser-Madonna der Nürnberger Frauenkirche gereiht. Zu Recht wird auf die über zeitgenössische Grafik vom Ober­ und Mittelrhein vermittelten Gesichtstypen und Gewandschemata aufmerksam ge­ macht, die von den Schöpfern dieser Skulpturen rezipiert wurden. Kursorisch führt schließlich ein Blick auf die Wirkung des in der Welser-Madonna modellgewordenen Figurentyps durch die reichsstädtische Skulptur bis ans Jahrhundertende. Obwohl die Autorin mehrfach von spärlicher Forschungsliteratur spricht - nicht ganz zu Recht, denn sie diskutiert das ältere Schrifttum wiederholt - und der Titel des Buches die Entdeckung „unbekannter“ Skulptur suggeriert, wird kaum eine bislang unveröffentlichte Bildhauerarbeit behandelt. Der Gewinn der Arbeit besteht dement­ gegen in der Zusammenfassung der bisher teilweise nur in verstreutem Einzelschrifttum erfassten Kunstwerke, in der Systematisierung des Bestands und im schiaglichtartigen Überblick zu Hauptzügen der regionalen Bildhauerkunst in der erwähnten Periode. Einen Überblick will im Übrigen auch eine der Arbeit vorangestellte Einleitung von Markus Hörsch darstellen, die die Forschung zur Bildhauerei des Schönen Stils in Franken thematisiert. Weshalb dabei so ausführlich und dezidiert gegen die von KarlHeinz Clasen aufgestellte These vom „Meister der Schönen Madonnen“ polemisiert wird, Gedankengänge, die von der breiten Forschung nie akzeptiert und seit langem einhellig verworfen sind, bleibt unklar. Seltsame Differenzen bestehen zudem etwa zwischen der in diesem Vorspann vertretenen Datierung der berühmten, im Germani­ schen Nationalmuseum und in der Nürnberger Jakobskirche aufbewahrten Tonapostel „um 1400“ (S. 12) sowie jener im Haupttext von Kohrmann ohne spezielle Argumente „um 1430“ (S. 22). Auch die kolportierte Behauptung, dieser Zyklus käme aus der Nürnberger Frauenkirche, ist nicht korrekt. Das diesbezüglich angeführte Inventar des Gotteshauses von 1814 besagt allein, dass er sich damals - nach Säkularisierung bzw. sogar Abbruch mittelalterlicher Kirchen der Stadt - dort befand. Den bislang geäußer­ ten Thesen der Herkunft der Apostelreihe aus der Lorenzkirche oder der von Walter Fries 1924 in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg vorge­ schlagenen Provenienz aus der Katharinenkirche stellt diese Ansicht jedenfalls keine endgültige Revision an die Seite. Allein dieses Detail unterstreicht einen Gedanken im Fazit der vorliegenden Publikation: Zur mittelalterlichen Bildhauerkunst Frankens be­ steht weiterhin Klärungsbedarf. Frank Matthias Kammei

Thomas Schauerte (Hrsg.): Dürer und das Nürnberger Rathaus. Aspekte von Iko­ nographie, Verlust und Rekonstruktion. Publikation der Dürervorträge im „Schönen Saal“ des Nürnberger Rathauses, 5. August 2012 (Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg 1). Petersberg: Imhof 2013. 112 S. mit zahlr. Abb. € 14,95

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Zu Albrecht Dürers größten und prestigeträchtigsten Aufträgen gehörte die Aus­ malung des Großen Rathaussaales der damaligen Reichsstadt Nürnberg im Jahr 1521. Fast 500 Jahre später, im Jahr 2012, rückte dieses Hauptwerk im Zuge der Debatten um seine Rekonstruktion erst wieder ins öffentliche Gedächtnis. Auch die kunsthistorische Forschung bearbeitete das Thema bislang eher stiefmütterlich. Grund genug, im glei­ chen Jahr die jährlich im Dürer-Haus veranstalteten Vorträge dem Rathaus zu widmen, die nun in Form einer schmalen, doch äußerst reichhaltigen Publikation vorliegen und zugleich den Auftakt für die Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg bilden. Trotz der Zerstörung des 1340 fertiggestellten Saalbaus im Januar 1945 und trotz restauratorischer Veränderungen in den Jahrhunderten zuvor lässt sich der Wandmalereien-Zyklus heute dank historischer Quellen und Aufnahmen gut nachvollziehen. Zur Dokumentierung „sämtlicher wertvoller Deckengemälde“ und nicht zuletzt zu propa­ gandistischen Zwecken wurden 1943 auf Anordnung Adolf Hitlers Farb-Diapositive des Rathaussaals angefertigt. Doch reichen diese laut Stephan Klingen für eine detail­ lierte Rekonstruktion des Dürerschen Zyklus’ nicht aus, zumal sie nicht dessen ur­ sprünglichen Zustand von 1521 wiedergeben. Wie Carsten-Peter Warncke minuziös herausarbeitet, veranschaulichte der Zyklus auf allegorisch-typologische wie idealisierende und verherrlichende Weise die Maximen reichsstädtischer Politik. Er trug den Funktionen des Raumes als Ort für Gerichte, Ratsversammlungen und städtische Feste, besonders aber für den ersten Reichstag des neu gewählten Herrschers, visuell Rechnung: So zeigte die Nordostwand gegenüber dem Thronsessel den berühmten Triumphzug des damals bereits verstorbenen Kaisers Maximilian I., der als überzeitlicher Ideal-Herrscher begleitet von Tugend-Allegorien an die glorreiche städtische Regierung unter kaiserlicher Führung und zugleich an seine und seiner Sukzessoren Verpflichtungen gemahnte. Dabei waren die Themen mit der Bewegung des Besuchers genau abgestimmt, so dass sich ein komplexes Zusammenspiel von Betrachter, Raumfunktion und Ausstattung ergab. Geschickt wird das Thema des Bandes mit Blick auf die Wiederherstellungs-Debat­ ten mit Fragen nach Original und Kopie in der Kunstgeschichte verklammert. Schon zu Zeiten Dürers diente die Anfertigung von Kopien der Schulung angehender Maler: „[E]r mus van guter wercklewt kunst erstlich vill ab machen, pis daz er ein freie hant erlangt“, so der Meister. In dem den Beiträgen vorangestellten Festvortrag von Martin Schawe wird die historische Bedeutung der Gemälde-Kopie als Teil des künstlerischen Handwerks und Schöpfungsprozesses, aber auch als Sammlerobjekt beleuchtet. Nicht zuletzt ließ der Dürer-durstige bayerische Kurfürst Maximilian I. Kopien seines Lieblingsmalers anfertigen; doch hatte Maximilian es auf die Originale abgesehen, weshalb er die Kopien am Standort hinterließ. Den ehemaligen Dürer-Beständen im Nürnberger Rathaus spürt Thomas Renkl akribisch nach. Als Zeugnis städtischer Herrschaftsverhältnisse ist dabei die Tatsache zu verstehen, dass zwei der bedeutendsten Dürer-Gemälde, die Kaisertafeln von 1511 und 1513 und die „Vier Apostel“ von 1526, im 17. Jahrhundert an die beiden höchsten städ­ tischen Funktionäre, die Ratsherren Andreas III. Imhoff und Georg IV. Volckamer,

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gingen, um sie vor der Veräußerung an Potentaten, wie den eben genannten Kurfürsten, zu schützen, deren zum Teil rücksichtlosen Aneignungsstrategien der Rat der Reichs­ stadt machtlos gegenüberstand. Schließlich zeigt Julian Jachmann in einem detaillierten Vergleich zwischen den Reichsstädten Augsburg und Nürnberg deren jeweilige kunstpolitische Repräsentati­ onsstrategien auf, die an den Rathäusern, an ihrer baulichen Gestalt und Ausstattung sowie an den kommunalen Plätzen, zu denen auch Brunnen gehörten, ablesbar sind. Kunst besaß dort jeweils in Hinblick auf die reichsstädtische Geschichte und Politik identitätsstiftende wie legitimierende Funktionen und machte gleichermaßen bürgerli­ che Herrschaftsansprüche sichtbar. Dorothee Antos

Thomas Schauerte u.a. (Hrsg.): Von der Freiheit der Bilder. Spott, Kritik und Sub­ version in der Kunst der Dürerzeit. Petersberg: Imhof 2013. 246 S. mit zahlr. Abb. € 24,95 Die Kunstproduktion als Zeugungsakt: Ein aufgrund des gescheiterten Paarungs­ aktes auf den Boden ejakulierendes Pferd als ironische Metapher auf den Künstler als wilden, unkonventionellen Schöpfer? Fäkalsatire: Eine mit gespreizten Beinen auf dem Boden liegende, defäkierende menschliche Sonnenuhr als Parodie auf die Unzulänglich­ keit des Menschen und seiner zunehmenden Technisierung? Künstlerische Selbstrefle­ xion: Ein kleiner, sich mühsam auf der Weltkugel haltender Putto als Personifikation des eigenen unselbstständigen und unreifen Künstlertums? Auf den ersten Blick dürften die ironisch-beißende Bildkritik und gerade die zotig­ sexuellen Darstellungen als Folie für künstlerische Selbstreflexion oder für die Hinterfragung konventioneller Themen und Vorbilder eher mit Kunstwerken aus der Moderne in Verbindung zu bringen sein. Dass der Künstler der Frühen Neuzeit aber bereits als unabhängiger, originärer und selbstbewusster Schöpfer agiert, der nun nicht mehr allein dem Wunsch des Auftraggebers unterliegt, wird am Medium der Druckgra­ fik deutlich. Hierin konnte sich der Künstler erstmals öffentlichkeitswirksam erproben, mit Bild- und Darstellungstraditionen experimentieren und sich selbst meist in iro­ nisch-subversiver Weise zum Gegenstand des Kunstdiskurses machen. In nicht weniger als elf Beiträgen wird im vorliegenden Band ein neuer Blick auf zahlreiche altbekannte Beispiele der Dürerzeit gerichtet, die bereits im Rahmen der alljährlichen Nürnberger „Dürer-Vorträge“ im Jahr 2011 präsentiert wurden. Sie legen nahe, dass ein Zitat der berühmten hellenistischen Laokoongruppe im Epitaph für Georg Fugger (Federzeich­ nung 1510) mit der Darstellung Simsons im Kampf mit den Philistern als ironisch­ kritische Auseinandersetzung Albrecht Dürers mit der Antike und damit mit der italie­ nischen Renaissancekunst zu verstehen ist. Oder wie dessen „Männerbad“ (um 1496) als Darstellung des von Gott geschaffenen menschlichen Körpers im Mikro- und Mak­ rokosmos und nicht als imitatio des antiken Schönheitsideals zu gelten hat. Ebenso, welche Elemente Dürers „Leuchterweibchen“ (1513) als geistreich-ironisches Refle­ xionsbild enttarnen, das an den antiken kunsttheoretischen Diskurs, der von Homers Odyssee bis zu Horaz’ Ars Poetica reichte, anknüpft, um zugleich dessen Kunstschaf-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen fen zu reflektieren. Es wird argumentiert, dass der in Dürers Kupferstich „Hieronymus im Gehäus“ (1514) von der Decke herabbaumelnde Kürbis nicht nur als Attribut für den berühmten Heiligen fungiert und als „komprimierte Groteske“ die rechtsseitige Binnenrahmung des Blattes ergänzt, sondern auch auf eine Satire des antiken Schrift­ stellers Seneca verweist. Ein weiterer Beitrag legt dar, warum Texte und Bilder in Tho­ mas Murners „andechtig geistliche Badenfart“ (1514) nicht ausschließlich die Paralle­ lisierung von Badezeremonien mit der Sündenreinigung des Gläubigen durch Gott thematisieren, sondern auch ironisch-kritische, z.T. sexuell konnotierte Momente bein­ halten. Und schließlich, dass Hans Sachs in seinen späteren Fastnachtspielen noch immer der subversiv-kritischen, über die Moral hinaus führenden Argumentations­ struktur der vorreformatorischen Fastnachtspiele verpflichtet ist. Die durchweg plausi­ blen Argumentationen lassen sich kaum archivalisch stützen; dies ist der schmalen Quellenbasis an Selbstaussagen frühneuzeitlicher Künstler geschuldet, von denen etwa die Briefe Dürers an seinen Freund Willibald Pirckheimer über sein und seiner Zeitge­ nossen Kunstschaffen eine große Ausnahme darstellen. Thematisch knüpfen die Beiträge an die im Dürer-Haus 2011 gezeigte Ausstellung „Die gottlosen Maler von Nürnberg. Konvention und Subversion in der Druckgrafik der Beham-Brüder“ an, woraus sich die enge Bezugnahme der meisten Beiträge zu den Malerbrüdern und ihrem Lehrmeister Albrecht Dürer erklärt. Dorothee Antos

Anne-Katrin Sors (Hrsg.): Die Englische Manier. Mezzotinto als Medium druckgrafi­ scher Reproduktion und Innovation. Göttingen: Universitätsverlag 2014. 293 S. mit zahlr. Abb. € 24,90 Das vorliegende Buch — zugleich Katalog einer Ausstellung der Göttinger Kunst­ sammlung - ging aus einer Lehrveranstaltung der Herausgeberin im Fach Kunstge­ schichte hervor. Die im Buch gezeigten und besprochenen Schabkunstblätter aus der Kunstsammlung der Universität decken den Zeitraum bis ins 20. Jahrhundert ab; von besonderer Bedeutung sind frühe Blätter aus der Entstehungszeit dieses Druckverfah­ rens, so der „Jugendliche Krieger mit Lanze und Schild“ von der Hand des Prinzen Ruprecht von der Pfalz (1658, Abb. 1 auf S. 40). Ein Abschnitt beschäftigt sich mit zahlreichen Beispielen aus den „druckgrafischen Zentren Augsburg und Nürnberg“. Christoph Weigel ist ebenso vertreten wie Elias Christoph Heiss; auch die beiden Haid-Johann Jacob und Johann Gottfried - sind hier vertreten. Nach einigen wenigen Beispielen aus den Niederlanden und aus Frankreich kommen die Engländer ausgiebig zum Zug - darunter John Smith, Valentine Green und Richard Earlom. Die Engländer waren in dieser Technik sowohl quantitativ (Farbdrucke!) als auch qualitativ lange Zeit führend, weswegen die Schabkunst- oder Mezzotinto-Tech­ nik international als .englische Manier“ bekannt ist, obwohl sämtliche Inkunabeln dieser Kunst nachweislich aus Deutschland stammen.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Nach einigen Beispielen aus der Moderne folgen noch zwei Beispiele für Schab­ kunst-Blätter mit naturwissenschaftlichen Themen, darunter auch ein Blatt von Georg Martin Preißler. Einer der frühen Nürnberger in dieser Technik war Georg Fenitzer (auch: Fennitzer), der vielfach historische Porträts von Nürnberger Patriziern stach. Die „Serie klein­ formatiger Patrizierporträts“ (Kat.-Nrn. 5-22) bespricht Arwed Arnulf, der sich auch Gedanken über den Anlass zu dieser Stichfolge macht (S. 52), wobei er einen Zusam­ menhang mit den Daten auf den Blättern und bestimmten Ämtern der Dargestellten vermutet. Wir glauben allerdings eher, dass ein Markt von Interessenten aus der Nürn­ berger Oberschicht anzunehmen ist, die an ein möglichst hohes Alter der herrschenden Familien - vor allem auch der jeweils eigenen - glauben wollten, wozu die oft reinen Phantasieportraits und die jenseits der historischen Nachweisbarkeit liegenden Daten ein Übriges beizutragen hatten. Schon Kat.-Nr. 5 ist bedenklich: Hartwig Volckamer (gest. 1375) war der erste dieses Geschlechts in Nürnberg, eine Jahreszahl „1310“ ist mit ihm jedoch nicht zu verbinden. Natürlich ist es für Nürnberg recht erfreulich, wenn hiesige Künstler auch andern Orts derart reichhaltig vertreten sind; man wird es uns daher nicht verargen, wenn wir gerade in diesem Bereich ein paar kleine Korrekturen anbringen: Die gestochenen Inschriften der Fenitzer’schen Blättchen sind in einer geschwungenen Antiqua gehalten, die zuweilen von heutigen Gepflogenheiten abweicht, was zu Verständnisfehlern füh­ ren kann: So wird der Namenszusatz „Quartus“, d.h. der Vierte dieses Namens, sowohl bei Kat.-Nr. 6 als auch bei Kat.-Nr. 20 wiedergegeben mit „Wartus“, obwohl auf den Blättern genügend Beispiele für den Buchstaben „W“ vorhanden sind. Einen Sonderfall bietet Jorg Keipper (Kat.-Nr. 19): Der Stecher hatte offenbar eine Schriftquelle vor Augen, die in Fraktur geschrieben war. Das dortige ,C‘ verlas er zu „F“ und „i“, sodass auf dem Stich tatsächlich „Fieypper“ zustande kam. Im aktuellen Katalog wurde nun das „y“ als ,n‘ missverstanden, was dann zu der abenteuerlichen Form „Fienpper“ führte. Dies beeinträchtigt den Wert des vorliegenden Buchs natürlich nicht. Vielmehr bietet es einen durchaus achtbaren Querschnitt durch die .Schwarze Kunst'.

Helge Weingärtner

Jutta Zander-Seidel und Anja Kregeloh (Hrsg.): Geschichtsbilder. Die Gründung des Germanischen Nationalmuseums und das Mittelalter (Die Schausammlungen des Germanischen Nationalmuseums 4). Nürnberg: Verlag des Germanischen National­ museums 2014. 360 S. mit 238 Abb. € 40,Das Germanische Nationalmuseum, von seinem Gründer Hans von Aufseß als Museum der deutschsprachigen Kultur und Geschichte gedacht, fand nun selbst die Gelegenheit, die eigene Geschichte mit einer ständigen Ausstellung zu würdigen. Der dazu erschienene Band „Geschichtsbilder“ vertieft die dort konzipierten Inhalte. Die Mitherausgeberin Jutta Zander-Seidel umreißt in ihrem Beitrag „Geschichtsbilder

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen im Museum“ (S. 9-19) die Wandlung vom Museum, das seine Objekte unter geradezu malerischen Gesichtspunkten darbot - wobei die historischen Räumlichkeiten des ehe­ maligen Kartäuserklosters den perfekten Rahmen für eine solche Art der Präsentation darzustellen schien, mithin selbst .Geschichtsbilder“ lieferte -, zu einem Museum, wel­ ches die Exponate unter wissenschaftlichen Aspekten präsentiert, geordnet nach Sach­ gruppen. Hinzu kam der Gedanke, dass jede Art der musealen Aufstellung von Objek­ ten beim Betrachter Geschichtsbilder hervorruft. Dabei ist zu beachten, dass eben diese Art der Aufstellung sicherlich wiederum auf ein Geschichtsbild zurückzuführen ist. Die Wahl des früheren Eingangsbereichs, der Ehrenhalle, als Ort für die Exponate zur Darstellung der eigenen Geschichte war schon deshalb richtig, weil auch diese Räum­ lichkeit als .Behälter“ für Ausstellungsstücke geplant war und deswegen selbst Ge­ schichtsbild ist (s. den Beitrag „Die Ehrenhalle“ von Mitherausgeberin Anja Kregeloch.S. 234-245). Der vorliegende Band vereinigt mehrere Beiträge zum Gründer des Museums und zur Entstehung des Museums selbst. Ausgiebig Raum erhält das ehemals so wichtige programmatische Gemälde „Kaiser Otto III. in der Gruft Karls des Großen“ (Yasmin Doosry, S. 76-87), an welches die heutige Ausstellung in der Ehrenhalle wieder er­ innert und so einen Bogen zur eigenen .Gründerzeit’ schlägt. Weitere Beiträge be­ schäftigen sich u.a. mit der Entstehung des Generalrepertoriums (Matthias Nu ding, S. 98-111), mit der Neuerschließung des Archivs der Freiherren von und zu Aufseß (Florence de Peyronnet-Dryden, S. 124-137), sowie mit dem bislang nicht sehr be­ kannten Verhältnis Hans von Aufseß’ zur Musik (Markus Zepf, S. 152-167). Die thematischen Beiträge zum Komplex „Mittelalter und Sachüberlieferung“ run­ den den gelungenen Band ab, dessen Katalogteil freilich im Einzelnen hie und da knapp ausfällt. Die Indizes im Anhang garantieren die Brauchbarkeit dieses Werks auf lange Sicht. Helge Weingärtner

Kultur, Sprache, Literatur, Musik Christine Sauer: Diese und jene Mode, Bücher einzubinden. Einbandkunst aus sechs Jahrhunderten in der Stadtbibliothek Nürnberg (BCN Materialien) (Ausstellungskata­ log der Stadtbibliothek 108). Nürnberg: Bildungscampus Nürnberg 2014. 72 S. mit € 12,80 zahlr. Abb. Vor fast einem Jahrhundert, im Jahre 1922, präsentierte die Stadtbibliothek Nürn­ berg zum ersten Mal fast 200 historische Bände aus vier Jahrhunderten. In den folgen­ den Jahren begann der damalige Direktor der Stadtbibliothek, Friedrich Bock, eine Sammlung der Nürnberger Einbände anzulegen, deren Katalog leider im Zweiten Weltkrieg einem Brand zum Opfer fiel. Nun stellt die Stadtbibliothek Nürnberg anlässlich der 19. Jahrestagung des Arbeits­ kreises für die Erfassung, Erschließung und Erhaltung historischer Bucheinbände (AEB) zum zweiten Mal einen kleinen Teil ihrer umfangreichen, aber bislang wenig bekannten Einbandsammlung einem größeren Publikum vor. Die historischen Bände

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen der Nürnberger Stadtbibliothek stammen zum größten Teil aus der Nürnberger Rats­ bibliothek, den Nürnberger Klosterbibliotheken und den Privatbibliotheken der Nürn­ berger Gelehrten und Patrizier. Es kommt daher nicht überraschend, dass ein Großteil der Einbände aus Nürnberger Werkstätten stammt. Insgesamt konnten sieben klöster­ liche und etwa 20 weltliche Werkstätten ermittelt werden. Daneben finden sich aber auch Bände, die Nürnberger Studenten oder Gelehrte von ihren Reisen mitbrachten, oder Buchgeschenke an den Rat der Stadt. Die 54 Bände datieren vom 14. bis ins frühe 20. Jahrhundert und geben einen umfas­ senden Überblick über die Einbandkunst von der Spätgotik bis zur Moderne. Bei den ausgestellten Bänden handelt es sich teilweise um ausgesprochene Seltenheiten. Allein vier der vorgestellten Einbände sind sogenannte Lederschnittbände. Diese Bände, die ihren Ursprung im Orient haben und im Westen fast ausschließlich auf das deutsche Sprachgebiet im 14. und 15. Jahrhundert beschränkt sind, sind äußerst selten. Nicht einmal 400 dieser schon zu ihrer Zeit als ausgesprochene Luxuseinbände geltenden Einbände haben sich erhalten. Die Ausstellung gibt einen guten Überblick über das große Repertoire an existenten Einbandformen, angefangen von den verschiedensten Materialien wie Kalb-, Schaf-, Ziegen- und Schweinsleder, Pergament, Samt, Seide und Buntpapier bis zu Einbänden mit einer Bemalung in Lackfarben oder bemalten Perga­ menteinlagen. Einbände mit Einzelstempeln, Platten und Rollen in Blind- oder Gold­ prägung, Buchstabenstempeln sowie vergoldeten oder bemalten Schnitten werden ebenso gezeigt wie die verschiedensten Einbandformen, angefangen von spätgotischen Lederbänden auf Holz über Koperteinbände bis zu Bänden mit Staubschutzklappen und gegossenen bzw. getriebenen Beschlägen. Jeder Katalogbeitrag besteht aus den bibliographischen Angaben zum vorgestellten Werk, einer Abbildung des Einbands und einer detaillierten technischen und histori­ schen Einbandbeschreibung sowie Angaben zur Provenienz des Buches. Die Qualität der Abbildungen ist ausgezeichnet, so ist es möglich, auch die kleinsten Einzelheiten des Dekors zu erkennen. Die wichtigsten Fachbegriffe zur Einbandkunde werden auf den Innenseiten des Umschlags gut verständlich erläutert. Der gut gemachte und sehr ansprechende Band gibt nicht nur einen guten Überblick über die in der Stadtbibliothek Nürnberg vorhandenen Schätze, sondern auch eine erste, sehr anschauliche Einführung in die Einbandkunde für interessierte Laien.

Christina Hofmann-Randall

Christine Sauer: In Nürnberg illuminiert. Die Reichsstadt als Zentrum der Buchma­ lerei im Zeitalter Johannes Gutenbergs. Katalog zur Ausstellung in der Stadtbibliothek Nürnberg vom 8. Oktober bis 9. Januar 2016 (Ausstellungskatalog der Stadtbibliothek Nürnberg 109) (Buchmalerei des 15. Jahrhunderts in Mitteleuropa 11) (BCN-Materialien). Luzern: Quaternio-Verlag 2015. 63 S. mit zahlr. Abb. € 14,80 Die Anfänge Nürnbergs als „Buchstadt“ reichen in etwa bis in das Jahr 1400 zurück. Die reiche Handschriftenproduktion der Noris war aber weniger den acht Klöstern der

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Stadt zu verdanken, die zwar auch Codices schrieben und ausmalten, für diese Arbeit aber meist Berufsschreiber beiderlei Geschlechts heranzogen, die seit Beginn des 15. Jahrhunderts in Nürnberg sowohl für die Ordensleute als auch für die gebildeten und reichen Bürger und Gelehrten Handschriften anfertigten. Nürnberg als Reichsstadt und wichtige Handelsmetropole zog auch den frühen Buchdruck an, die ersten Nürnberger Drucker sind bereits seit dem Jahre 1469 bezeugt, und einer der bedeutendsten Buch­ drucker Europas, Anton Koberger, errichtete schon 1470 in Nürnberg eine Offizin mit europaweitem Vertriebsnetz ein. Vor allem in der Produktion deutschsprachiger Litera­ tur nahm Nürnberg im 15. Jahrhundert eine führende Rolle ein. Eine Zeitlang liefen Handschriftenproduktion und Buchdruck noch nebeneinander, bis sich ab dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts der Buchdruck immer mehr durchsetzte, wobei sich in der Inkunabelzeit der Buchdruck noch häufig am Typus der Handschriftengestaltung orientierte, insbesondere was die Ausschmückung mit Initialen und Miniaturen betraf. Dabei waren nicht nur professionelle Buchmaler, sogenannte Illuministen, als Buch­ künstler tätig, auch Maler, selbst so berühmte wie Michael Wohlgemut und Wilhelm Pleydenwurff, verfertigten Buchmalereien. Auch Druckgraphik, vor allem Holz­ schnitte, wurde seit circa 1440 in Nürnberg produziert und gehandelt und, oft handko­ loriert, Handschriften und gedruckten Büchern als Buchschmuck beigegeben. Noch bis circa 1500 illuminierten die Buchmaler und Ordcnsleute Handschriften und gedruckte Werke auf die gleiche Weise; auch kolorierte Holzschnitte wurden bei­ den „Buchtypen“ als Schmuck beigegeben. Die Kabinettausstellung der Nürnberger Stadtbibliothek präsentierte insgesamt 24 Werke: 14 illuminierte Handschriften des 15. Jahrhunderts, eine Zeichnung ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert, und neun Inkunabeln. Jedem Werk ist eine Doppelseite gewidmet. An die kurze bibliographische Beschrei­ bung schließt sich jeweils eine Darstellung der Entstehungsgeschichte, gefolgt von ausführlichen Erläuterungen zur Illumination, an. Die gegenüberliegenden, meist ganz­ seitigen Abbildungen sind von so hervorragender Qualität, dass der Text problemlos lesbar ist und auch jede Einzelheit der Illumination gut zu erkennen ist. Den Abschluss bilden jeweils kurze Literaturhinweise. Vorgestellt werden anhand der Exponate die meisten bekannten Elemente der Buch­ malerei: angefangen von Fleuronne-Initialen über historisierte Initialen, Autoren- bzw. Widmungsbilder, Kanonbilder, Te-Igitur-Initialen und Ornamentale Initialen (auch Initiale Goldschmiede- oder Emailtyp genannt) mit oder ohne Rankenausläufern (Blü­ tenranken) und Bordüren bis zu Federzeichnungen und kolorierten Holzschnitten. Nur auf die einfachen, zum Grundbestand der Buchillumination gehörenden Lombar­ den in Rot oder Blau wird nicht näher eingegangen. Der Ausstellungskatalog stellt nicht nur einige besonders prächtige Beispiele der in der Stadtbibliothek Nürnberg verwahrten Cimelien vor, sondern bietet auch eine erste, sehr anschauliche Einführung in die Grundlagen der Buchmalerei. Ein Literaturver­ zeichnis rundet den gut gemachten und sehr ansprechenden Band ab.

Christina Hofmann-Randall

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Thomas Schauerte: Dürer & Celtis. Die Nürnberger Poetenschule im Aufbruch. München: Klinkhardt & Biermann 2015. 208 S. mit 49 Abb. € 23,90 Die Arbeit von der Hand des anerkannten Dürerkenners Thomas Schauerte führt den Leser zunächst zu einem bemerkenswerten Ereignis, nämlich zur Krönung des Humanisten Konrad Celtis zum ersten deutschen Poeta laureatus 1487 durch Kaiser Friedrich III. auf der Nürnberger Kaiserburg. Die Bemühungen Celtis“ um die Verbrei­ tung der Ideen des Humanismus führten 1496 zur Gründung der Nürnberger Poeten­ schule. In den Zusammenhang mit diesem Ereignis stellt Schauerte die drei ebenfalls 1496 entstandenen drei Holzschnitte Dürers: „Der rasende Herkules“, „Reiter und Lands­ knecht“ sowie das „Männerbad“, welche er nicht nur eingehend beschreibt und deutet, sondern als zusammengehörige Programmbilder wertet, welche die Ideen der Poeten­ schule transportieren sollten. Der schon verschiedentlich interpretierte „Herkules“ kann nun endlich mit dem von Celtis edierten Drama „Hercules furens“ des Seneca in Verbindung gebracht werden. „Reiter und Landsknecht“ können nicht mehr länger als Genreszene gelten, sondern Dürer hat, wie der Autor durch Vergleich mit möglichen Vorlagen schlüssig dartut, eine Episode aus den Geschichten um Alexander den Großen dargestellt, und zwar dessen Ritt - samt Begleiter - zu den Orakelbäumen, die ihm die Zukunft voraussagten. Im Mittelpunkt der drei Werke steht das „Männerbad“, das als der komplexeste der drei Holzschnitte zu gelten hat. Merkur und Apollo samt Bacchus sind hier ebenso vertreten wie Sokrates und Platon, wobei hier sogar Porträtähnlichkeiten behauptet werden. Der melancholische Herr am Wasserhahn wird - sicherlich zutreffend - mit der 1496 in Nürnberg ausgebrochenen Syphilis in Beziehung gesetzt. Jenseits des Zaunes des Bade­ bereichs hat Dürer sich selbst untergebracht. Kaum bemerkbar eilt im Hintergrund links St. Sebald persönlich auf den Brunnen rechts im Hintergrund zu - Nürnberg selbst strebt nach dem Musenquell! Alle drei Drucke ergeben - gewiss nicht zufällig - nebeneinander angeordnet ein Triptychon, stehen formal wenigstens in einer älteren Tradition. Die Botschaft, welche hier enthalten ist, rufen die Betrachter zur Selbstüberwindung (Herkules) auf, zur mutigen Wanderschaft durchs Leben (Alexander), während das Hauptbild über die Götter Merkur, Apollo und Bacchus die Ideale der Antike nach Deutschland bringen sollen, auf der menschlichen Ebene sind Sokrates und Platon die Vorbilder. Das ganze Buch ist anregend geschrieben, zuweilen auch mit einem treffsicheren Augenzwinkern, was seinen Wert nur erhöht. Für die Dürer-Forschung ist diese Arbeit von erheblichem Wert: Zeigt sie doch, dass gerade bei einem derart bekannten Künstler, dessen Werk man schon gut zu kennen glaubte, bedeutende Erkenntnisse zu erhalten sind. Helge Weingärtner

Claudia Kanz: Also Hans Schneider gesprochen hat. Untersuchungen zur Ereignis­ dichtung des Spätmittelalters (Euros 8). Würzburg: Königshausen & Neumann 2016. 367 S. mit 35 Abb. € 48,-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Wenn - wie nun in der Chemnitzer Dissertation von Claudia Kanz geschehen - erst­ mals im monographischen Umfang Leben, Werk und Umwelt des im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert tätigen kaiserlichen Sprechers Hans Schneider untersucht wer­ den, ist das gerade für das Publikum dieser Zeitschrift von einigem Interesse. Hans Schneider hat zunächst in Augsburg, seit 1501 mindestens bis zu seiner letztmaligen Dokumentation 1513 in Nürnberg gelebt und dabei insgesamt ca. zwei Dutzend auf uns gekommene Gedichte verfasst. Diese sowohl handschriftlich als auch im Druck überlie­ ferten Texte ordnet Kanz programmatisch dem ebenso unfesten wie weiten Terminus „Ereignisdichtung“ zu, es sind oft Sprüche auf Geschehnisse der Zeit; im Corpus findet sich aber z.B. auch ein Stadtlobtext oder eine Verserzählung. Schneiders Werke betref­ fen damit den Regional-, Frühneuzeit- und Medienhistoriker, noch stärker aber die eigentliche Disziplin der Verfasserin, nämlich die Germanistische Mediävistik. Mit der vorliegenden Arbeit wird jedenfalls ein bisher schwer zugängliches, kaum näher be­ trachtetes, vielschichtiges Corpus in den Blick genommen sowie durch einige Erstedi­ tionen bisher kaum berücksichtigter Texte erweitert - und das ist für jeden zu fiktionalen und v.a. nichtfiktionalen Texten des Spätmittelalters Forschenden (oder sonstwie an der Literatur um 1500 Interessierten) eine gute Nachricht. Claudia Kanz konzipiert ihre Monographie als eine das Gesamtwerk Schneiders erfassende Grundlagenarbeit, diese ist ganz allgemein „dem Spruchsprecher Hans Schneider gewidmet“ (S. 1). Eine über die Erschließung von Texten und Kontexten Schneiders hinausgehende nähere These oder spezifischere Fragestellung sucht man vergeblich. Vielmehr unternimmt es die Verfasserin in vier Durchläufen, zunächst 1) aus dem archivalischen Niederschlag möglichst viel über die Biographie Schneiders aussagen zu wollen, 2) die Überlieferung der Werke umfassend sowohl durch einen nütz­ lichen Katalog als auch in Untersuchungen zu besonders signifikanten Handschriften sowie zu Druckillustrationen darzustellen, ferner 3) im längsten Abschnitt der Arbeit ausführliche historische und literaturwissenschaftliche Untersuchungen zu einigen als exemplarisch empfundenen Texten Schneiders vorzulegen und schließlich 4) die noch unedierten Werke des Dichters erstmals als möglichst präzise Transkripte des ältesten Überlieferungsträgers zugänglich zu machen. Kanz leistet damit im guten Sinne Kärrner- und Fleißarbeit und versteht ihre Mono­ graphie als „Untersuchung, die in Zwergenarbeit auf Riesenschultern Neues und Altes an einem Ort zusammengetragen hat“ (S. 274). Bezweckt ist damit wohl, ohne dass dies expliziert würde, ein Kompendium, das Ausgangspunkt von Folgeuntersuchungen sein kann und soll. Das wesentliche Verdienst dieser ersten Monographie zu Hans Schneider und seinem Werk ist bei dieser Anlage augenfällig: Es liegt nun ein zentraler Bezugspunkt für alle Interessierten vor, die sich nicht allein punktuell (also mit Blick auf Einzelwerke oder kursorisch), sondern fundiert im Kontext u.a. von Zeitbezügen, Bio­ graphie und rhetorischer Topik des Spätmittelalters mit der Dichtung Schneiders be­ schäftigen und einige Texte überhaupt einmal betrachten wollen. Mit Akribie und Geschick sind archivalische Notizen versammelt und geprüft worden, die Überliefe­ rungsträger werden präzise beschrieben, und bisher praktisch dem Forscherblick ver­ borgene Texte liegen nun recht bequem lesbar vor. Zahlreiche ebenso nützliche wie

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen interessante Handreichungen (etwa chronologische Aufstellungen zu Person und Werk sowie kodikologische Beschreibungen) werden als Basis weiterer Untersuchungen angeboten - und das muss bei der aktuellen Forschungslage zu Hans Schneider sehr hoch angesetzt werden. Darüber hinaus sind viele Ergebnisse aus dem Untersuchungsteil zu Einzelwerken überzeugend. So halten wir es für einleuchtend, den scheinbar biederen Dichter Schneider dadurch zu einem lohnenden Objekt literaturwissenschaftlicher Betrachtungen zu machen, dass man ihn sozusagen breitbeinig auf der Schwelle von Mittelalter und Neuzeit positioniert. Die zu Beginn der Arbeit aufgestellte These, Schneiders Texte seien „stilistisch eher spätmittelalterlich, medial und publizistisch wiederum frühneuzeitlich einzuordnen“ (S. 5), wird jedenfalls plausibel begründet. Aus Nürnberger Perspektive besonders interessant ist es zudem, die Zensurpolitik der Stadt am Beispiel v.a. des 1513 entstandenen Spruchs vom Kölner Zunftaufruhr zu betrachten (S. 132ff.). Gleichwohl gibt es einige Kritikpunkte an der vorgelegten Arbeit: Viel zu selten für eine - gemäß Buchreihentitel - „Arbeit zur Literaturwissenschaft“ wird konkrete Text­ arbeit geleistet. Zwar finden sich präzise Darstellungen zu rhetorischen Topoi, die Schneider verwendet (etwa S. 273ff.), weitergehende narratologische oder literarästhetische Analysen lässt Kanz hingegen vermissen. Der Fokus der Arbeit hegt auf breiten Kontextinformationen und der Erforschung der Überlieferung der Werke sowie der empirischen Person des Sprechers, nicht aber auf philologisch-literaturwissenschaftli­ cher Detailanalyse - was schade ist: Fragen nach z.B. der Sympathielenkung in den Texten, der Gestaltung der Interaktion von Publikum und Sprecher sowie nach dessen Selbstinszenierung lägen nahe. Für unseren Geschmack wird in den Untersuchungen der Einzclwerke zu oft und zu ausgreifend (allein) der historische Sachverhalt sowie Schneiders Position im politischen Geschehen dargelegt. Braucht es z.B. ein fast zwei­ seitiges Zitat aus dem 19. Jahrhundert, um die Hintergründe des Landshuter Erbfolge­ krieges zu erhellen (S. 222f.), während man über Text und Textur doch recht wenig er­ fährt? Letztlich wird so die Frage nach der literaturwissenschaftlichen Relevanz des Werks Hans Schneiders nicht anschaulich genug beantwortet - bzw. späteren Untersu­ chungen überlassen, denen die vorliegende Arbeit als Grundlage dienen mag. Damit ist an dieser Monographie v.a. zu kritisieren, dass sie zu vorsichtig operiert und zu wenig Selbstbewusstsein gezeigt wird: Steht Claudia Kanz wirklich bloß auf den Schultern von Riesen und leistet Zwergenarbeit - oder ist es nicht vielmehr anders herum, und man würde sich statt üppiger Forschungsreferate etwa zu Positionen Rochus von Liliencrons oder Hanns Fischers noch öfter eigene Betrachtungen wünschen? Es läge etwa die Möglichkeit nahe, die archivalischen Nachrichten und deren bisherige Deu­ tung einmal gegen den Strich zu bürsten und zu fragen, ob der Allerweltsname „Hans Schneider“ in den Registern mehrerer Städte überhaupt irgendwelche Rückschlüsse erlaubt, wenn kein Zusatz als „kaiserlicher Sprecher“ o.ä. mitüberliefert ist. Und wäre nicht sogar die Frage statthaft, ob alle unter diesem Namen überlieferten Texte über­ haupt zu einem Autor gehören bzw. ob die Signatur Schneiders womöglich nur als verkaufsförderndes Label fremdbenutzt wurde, etwa beim inhaltlich und geographisch auffällig „abseitigen“ Stadtlob auf das sächsische Annaberg? Wünschenswert wäre es zudem gewesen, Claudia Kanz hätte bei ihren Texteditionen beherzt eingegriffen und

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen einen noch klarer verständlichen Text hergestellt, statt eine Seite lang (S. 287) auszufüh­ ren, welche Eingriffe sie sämtlich nicht vornimmt. Jede Edition ist immer auch Interpre­ tation und fordert den Herausgeber zur Position auf. Der implizite Versuch, dies zu vermeiden, führt hier zu editorischen Härten wie „[???]“ (S. 296) als Markierung unles­ baren Textes unter einer Streichung. Auch hier hätte mehr Mut gut getan. Insgesamt gebührt Claudia Kanz aber eindeutig der Dank und Respekt der Spätmit­ telalter- und Frühneuzeitforschung. Kanz’ Arbeit hält das, was sie verspricht, sie ist eine vielschichtige, umsichtige und materialreiche Basisarbeit mit vielen Anschlussmöglich­ keiten; die Verfasserin bleibt damit sympathisch fern jenen (germanistisch-)mediävistischen Dissertationen, welche ihre Disziplin mindestens revolutionieren wollen und tatsächlich hinter aufwändiger Rhetorik oft genug wenig Substanzielles bieten. Die - zu große - Bescheidenheit der Verfasserin ist zumindest ein angenehmer Gegenpol. Zu hoffen steht insbesondere, dass die angebliche „Zwergenarbeit“ aus Chemnitz größer Dimensioniertes auslöst, v.a. eine eingehende Analyse der literarischen Machart der Texte Schneiders im Lichte ihrer nun erschlossenen oder zumindest aufgezeigten histo­ rischen Kontexte und Funktionen. Ann-Marie Becker / Matthias Kirchhoff

Heike Sahm und Monika Schausten (Hrsg.): Nürnberg. Zur Diversifikation städti­ schen Lebens in Texten und Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für Deut­ sche Philologie 134/2015: Sonderheft). Berlin: Schmidt 2016. 318 S. mit 36 Abb. € 79,80 Ein neu erscheinender Sammelband zur Nürnberger Literatur des 15. und 16. Jahr­ hunderts verdient die Aufmerksamkeit nicht allein der Leser dieser Zeitschrift - handelt es sich doch um eine Periode, in der eine bemerkenswerte Zunahme sowohl der Text­ menge als auch der Gattungen und partizipierenden Gesellschaftsgruppen augenfällig wird. Ein solcher Band ist insbesondere deshalb von einem noch größeren mediävistisch interessierten Publikum zu begrüßen, als zu Texten und Bildern im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Nürnberg zwar in jüngerer Zeit immer wieder Untersuchungen vorgelegt worden sind; eine Monographie, in der Ergebnisse versammelt würden oder aus der ein Eindruck von der Bandbreite vormoderner Literaturproduktion in Nürn­ berg zu gewinnen wäre, fehlt hingegen. Als einen solchen Uberblicksband verstehe ich das nun erschienene Werk: In 13 Beiträgen und einer Einführung werden auf über 300 Seiten einzelne Texte und Textsorten vorgestellt, zugleich aber u.a. Fragen nach der lite­ rarischen Repräsentation von Personen, Ständen und der Stadt als solchen ebenso the­ matisiert wie z.B. Aspekte der Überlieferung oder das Verhältnis von Text und Bild in Handschriften wie auch in Drucken. Dass ein solcher Band an relativ prominenter Stelle erscheint, nämlich in einem Beiheft der altgermanistischen „Zeitschrift für Deutsche Philologie“, ist umso erfreulicher und schürt einige Erwartungen an die von Heike Sahm (Göttingen) und Monika Schausten (Köln) zusammengestellte Arbeit. Die Thematik und Struktur ihres Bandes betreffend nehmen es die Herausgeberin­ nen mit der „Diversifikation“ in ihrem Titel wörtlich: Was im vormodernen Nürnberg innerhalb von ca. 150 Jahren als Literatur im weitesten Sinne angesehen werden kann -

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen von Bilddarstellungen mit geringen Textelementen bis hin zu Lyrik und Antikenrezep­ tion im Drama findet potenziell seinen Platz im Band; sei’s Fiktion oder nicht, Reim oder Prosa, Kompendium oder Einblattdruck. Dies halte ich für eine begrüßenswerte Grundsatzentscheidung, u.a. da hierdurch Texte und Genera in den Blick kommen und mitunter in Dialog treten, die sonst den wenigsten geläufig sind, etwa Hausratdichtun­ gen, Kochrezeptsammlungen oder künstlerische Lehrbücher. Weniger plausibel er­ scheint mir hingegen, dass auf eine Binnenstrukturierung des Bandes - etwa thematisch oder chronologisch - weitgehend verzichtet wird und dem Leser lediglich eine knappe Einführung der Herausgeberinnen sowie ein äußerst kursorischer Artikel Werner Williams-Krapps zur Literatur Nürnbergs im 15. und 16. Jahrhundert Geleit geben. Damit steht z.B. ein Beitrag zu den knappen Totenvermerken des Mendelschen Brüder­ buchs (hier mit Schwerpunkt 16. Jahrhundert) direkt neben einem Aufsatz zur Nürn­ berger Liedkunst des 15. Jahrhunderts, und Hans Sachs’ Lucretia-Tragödie wird vor einem Beitrag zur Obszönität im frühen Fastnachtspiel untersucht, bevor zwei Auf­ sätze später wiederum Hans Sachs mit seinem Inventurgedicht im Zentrum steht. Auch dass mit dem Beitrag Thomas Nolls zu Einblattdrucken auf stolzen 42 Seiten ein (an sich sehr plausibler) Beitrag vorliegt, der praktisch keinen Bezug zu Nürnberg hat, halte ich weniger für begrüßenswerte Offenheit als für den Ausweis einer gewissen Beliebig­ keit der Anlage des Bandes. Als thematisch roten Faden verstehen Heike Sahm und Monika Schausten in ihrer Einführung den Beleg für die Annahme, dass der - wie es mit Hugo Kuhn heißt: „Literaturexplosion“ (S. 1) seit 1430 vor allem eine sozialgeschichtliche Motivation zugrunde liegt. Es sei das Anliegen auch der unteren Schichten Nürnbergs, vermittels Literatur am Diskurs über die Gesellschaft teilzunehmen (ebd.). Dieses Bestreben ziele auf Emanzipation vom autoritären patrizischen Rat und finde seinen erfolgreichen Abschluss im 16. Jahrhundert darin, „dass sich nun auch andere Bildungsschichten um die Erfassung und Dokumentation des Handwerkerlebens in Nürnberg bemühen“ (S. 6). Diese Annahme soll im „interdisziplinären Zugriff von Sprach-, Literaturwissen­ schaft und Kunstgeschichte“ (so der hintere Umschlag) näher untersucht werden wobei die Sprachwissenschaft aber außen vor bleibt. Von den Herausgeberinnen wird öfter der jedenfalls wenig präzise Begriff „Handwerker“ bemüht (S. 2, 4, 6), auf dem hinteren Umschlag liest man sogar, der Band unternehme die Untersuchung der „Be­ dingungen und Ausprägungen der Handwerkerliteratur“. All dies wirft Fragen auf. Dass sich die unteren Schichten Nürnbergs auch um Emanzipation qua Literatur bemü­ hen (etwa im Städtelob), ist richtig und auch nicht unbekannt; es läge aber nicht fern zu prüfen, ob dazu tatsächlich auch Kochbücher beitragen, ob die Literaturproduktion in einer politisch vollends anders organisierten Großstadt des späten Mittelalters - etwa Augsburg oder Köln - wirklich so ganz anders funktioniert als in Nürnberg, inwiefern z.B. „Märe“ und Fastnachtspiel tatsächlich spezifische Handwerkergattungen sind, wie auf S. 6 behauptet wird, und ob nicht andere als soziopolitische Faktoren die Zunahme der Literaturproduktion seit 1430 mindestens ebenso katalysieren (etwa die Verfügbar­ keit von Papier). Ferner glaube ich nicht, dass dem Begriff „Handwerker“ Trennschärfe zukommt, wenn darunter Albrecht Dürer ebenso wie Hans Rosenplüt oder der Almo­ senempfänger der Mendelstiftung verstanden wird. Zu wünschen wäre schließlich, in

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen zumindest einem Beitrag patrizisches Schrifttum darzustellen - auch, um besser ver­ ständlich zu machen, worauf die „Diversifikation“ Nürnberger Literatur v.a. Bezug nehmen mag, wenn nicht basiert. Diversifiziert scheinen mir in Bezug auf die einzelnen Beiträge sowohl ihre Qualität als auch ihr Anspruch zu sein: Ich halte die Studie Franz-Josef Holznagels, in der anhand detaillierter Betrachtungen dreier Uberlieferungsträger Nürnberg als Ort inno­ vativer Lyrikproduktion und -adaptation dargestellt wird, für ebenso hervorragend wie die Arbeit Monika Schaustens, in der plausibel gemacht wird, dass die Figur des Bauern in Fastnachtspielen Hans Folz’ auch dazu dient, Mechanismen des Handels in Nürnberg zu karikieren. Ebenso mit Gewinn liest man Aufsätze, die nicht zuletzt sozu­ sagen darauf zielen zu zeigen, was es in Nürnberg „nicht so alles gibt“, etwa Beiträge zu Almanachen (Holetzek, Sahnt, Schaffert) und Hausratdichtungen (Busch, Kanz) oder solche, in denen durch die präzise Lesung eines Textes neue Perspektiven für die Forschung gewonnen werden, etwa zu Hans Sachs (Kühnei bzw. Mattem). Den überwiegenden Teil des Bandes verfolgt man so mit Interesse und Zustimmung. Für weniger überzeugend halte ich einen Beitrag Thomas Glonings, in dem die Betrachtung eines Kochbuchs mit dem „Gedankenexperiment“ der Rekonstruktion einer „kommunikativen Normalwochc“ (S. 90) des Jahres 1485 verbunden wird. Die Antwort auf zahlreiche dadurch aufgeworfene Untersuchungsanliegen lautet (wenig überraschend): „Ich kann diese Fragen im Moment nicht beantworten“ (S. 100), der methodische Gewinn des Ansatzes bleibt mir dunkel. Insbesondere scheitern meines Erachtens zwei Aufsätze, welche allzu forciert versuchen, die These des Bandes zu stüt­ zen, Literatur diene als Vehikel der erfolgreichen Emanzipation der Nürnberger unte­ ren Schichten: Zweifel hege ich daran, dass - wie von Heike Sahm behauptet - zwei Hans Rosenplüt zugeschriebene Texte bzw. Passagen wirklich als Zeugen einer kriti­ schen Diskussion der Nürnberger Judenpolitik seit 1473 gelesen werden sollten - weder lassen die Texte einen solch weitreichenden Schluss zu, noch legt die Überlieferung diesen nahe: Die älteste Handschrift des einen Textes ist wohl 1471-1473 entstanden, während die kurze Judenklage (neben 14 anderen „Klagen“ sozialer Gruppierungen) lediglich in einem Augsburger Druck von 1520 vorliegt, also letztlich fast jederzeit und überall gedichtet worden sein mag. Unhaltbar kommt mir v.a. die zentrale Aussage Christine Sauers zu den Mendelschen Zwölfbrüderbüchern vor. Zu deren Genese heißt es: „Es waren also Mitglieder der städtischen Oberschicht in ihrer Funktion als Vertreter der Obrigkeit, die das Gedächtnis an die in das Armenhaus aufgenommenen Brüder formten.“ (S. 280) Damit stützt Sauer die These, die Darstellung der unteren sozialen Schicht sei Ausweis dafür, dass sie „durch die ständische oder intellektuelle Elite der Stadt in Text und Bild anerkannt wird“ (hinterer Umschlag). Dies gilt aber höchstens für die Umstände, unter denen das seit 1425 erstellte Verzeichnis im 16. Jahr­ hundert entstand; davor wurde weitgehend ohne den patrizischen Stiftungspfleger Buch geführt — u.a. lässt sich die buchstäbliche Federführung durch den Insassen „Stuhlschreiber Johannes“ belegen. Die Motivation dafür, die Toten der Stiftung in Bild und Text zu repräsentieren statt - wie in frühen Registern der Mendel - quasi als Sache zu katalogisieren, lag am Wunsch der Insassen, erinnert zu werden - also bei den Brü-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen dern, nicht der „Obrigkeit“! Sauer verabsolutiert so Beobachtungen, die sie anhand von Archivalien des späten 16. Jahrhunderts macht, um die Genese eines Werkes zu erklä­ ren, welches gut 150 Jahre früher unter anderen Umständen entstand. Der vorliegende Band zu Nürnberg ist einerseits ein Gewinn für alle, denen die Literatur der Stadt im Mittelalter und der frühen Neuzeit am Herzen liegt. Es wird damit Breitenwirkung für neue Untersuchungen zu diesem faszinierenden Forschungs­ feld erzielt, und die überwiegende Zahl der Beiträge zu diesem Band liest man mit z.T. großem Gewinn. Andererseits hätte der Arbeit aber eine deutlichere Strukturierung gut getan, ebenso wie ein noch kritischeres Überdenken der Befunde mancher Beiträge, aber auch einiger konzeptioneller Grundannahmen insgesamt. Matthias Kirchhoff

Thomas Schauerte (Hrsg.): Deutschlands Auge & Ohr. Nürnberg als Medienzent­ rum der Reformationszeit. Begleitpublikation zur Ausstellung der Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg 24. April bis 31. Oktober 2015 Stadtmuseum Fembohaus (Schrif­ tenreihe der Museen Stadt Nürnberg 8). Nürnberg: Tümmel 2015. 188 S. mit zahlr. Abb. € 12,95 Unterteilt in einführende Texte, bestehend aus den Kapiteln „Die Reformation in Nürnberg“ und „Reformation in Buch und Kunst“ sowie einen Katalogteil, beein­ druckt der Band vor allem durch seine Vielzahl hervorragender und instruktiver Abbil­ dungen zum damaligen Zeitgeschehen. Die beiden Einführungskapitel finden sich in der Ausstellung mit zugehörigen Objekten wieder. Berndt Hamm beschreibt den Weg des Rates, nicht zunächst der gesamten Bürger­ schaft, zur Nürnberger Reformation. Für die Öffentlichkeit weit über die Reichsstadt hinaus sichtbarer Ausgangspunkt war das Nürnberger Religionsgespräch vom März 1525. Doch schon lange war der Weg dorthin vorbereitet, vom Bruch mit einer spätmit­ telalterlichen Kirche, ihrer Theologie und Frömmigkeit mit allen Auswüchsen zum Wagnis, ein neues, lebendiges und lutherisches Gemeinwesen zu schaffen. Nürnberg war dazu auch aufgrund seiner hervorragenden Stellung im Reich prädestiniert. Re­ formversuche und Reformvorstellungen existierten schon lange, nicht zuletzt voran­ getrieben durch einen blühenden Humanismus und die Geburt neuer Medien. Hamm zeichnet den Weg von den Anfängen mit Johannes von Staupitz, einem der verständnisvollen Wegbereiter reformatorischer Überzeugungen, über die Lese- und Predigtbewegung, der Gemeindereformation, den gottesdienstlichen Änderungen schon vor der eigentlichen Reformation und der ambivalenten Haltung des Rates bis zum entscheidenden Märzgespräch 1525 mit dem Ausblick auf die BrandenburgischNürnbergische Kirchenordnung 1533 sehr verständlich nach. Und er geht bei der Durchführung der Reformation auf den in vielen Bereichen fast konservativ anmuten­ den, jedoch keineswegs revolutionär-umstürzlerischen Kurs der Reichstadt ein. „Ohne Buch keine Reformation“ hat Dominik Radimeier pointiert die Nürnber­ ger Buchdrucker und den Druck in der Reformationszeit überschrieben. Die Reichs­ stadt wurde zu einer der „wegweisendsten, produktiven Zentren der ,Schwarzen

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Kunst“ im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“. Humanismus und Reforma­ tion beeinflussten das neue Medium wie auch umgekehrt das neue Gewerbe Refor­ mation und Humanismus durch vielerlei Druckerzeugnisse, nicht zuletzt durch massenweise Produktion von Flugblättern, überall bekannt machten. Weit über die Geistlichkeit hinaus entfaltete die neue Kunst große Wirksamkeit, denn ohne sie hätten reformatorische Erkenntnisse wie humanistisches Gedankengut kaum eine so große Verbreitung erleben können. In der Stadt war auch die erste Papiermühle heimisch ge­ worden. Einen ausführlichen Überblick bietet die Darstellung über die namentlich aufgeführ­ ten und mit nicht nur religiösen Druckerzeugnissen beschriebenen Nürnberger Drucker­ verleger wie ihrer Schicksale, die sogar mit einem gewaltsamen Tod enden konnten. Der übersichtlich gestaltete Katalogteil bietet umfangreiches, einschlägiges Bild­ material mit kurzen erläuternden Texten zu den jeweiligen Abbildungen. Die sehr geschickte Bildauswahl von den Anfängen des Druckgewerbes an zeigen nicht nur bekannte oder übliche Darstellungen. Zur Reformation in Buch und Kunst sind aus­ führliche Objekte aufgenommen. Dürer darf nicht fehlen. Neben Luther mit seinen Veröffentlichungen, den Bauernkriegen und anderen Abschnitten sind auch die sog. gottlosen Maler Pencz und die beiden Beham mit ausgewählten, nicht immer ganz und gar prüden Bildern, vertreten, aber auch mit biblischen Themen. Literatur- und Abbildungshinweise wie auch die exakte Beschreibung des jeweiligen Objektes fehlen nicht. Helmut Baier

Hartmut Laufhütte (Hrsg.): Der Pegnesische Blumenorden unter der Präsident­ schaft Sigmund von Birkens. Gesammelte Studien der Forschungsstelle Frühe Neu­ zeit an der Universität Passau (2007-2013). Passau: Schuster 2013. VIII, 328 S. € 74,90 Die Forschungsstelle Frühe Neuzeit an der Universität Passau wurde 2002 - kurz vor der Emeritierung des einschlägig verdienten Germanisten Hartmut Laufhütte - ge­ gründet, um die Arbeit an der lange geplanten und vorbereiteten Edition der BirkenKorrespondenzen voranzutreiben und institutionell zu verankern. Mit dem Briefkor­ pus des bedeutenden Nürnberger Barockdichters, des zweiten Präses des Pegnesischen Blumenordens, verfügen wir über einen Quellenbestand zum literarischen und kultu­ rellen Leben in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, der einzigartig sein dürfte. Laufhütte und sein Team haben sich mit der mühevollen Transkription, der detaillierten Kommentierung und der Edition weiter Teile dieses Bestandes außerordentlich verdient gemacht, so dass das reichhaltige Material heute leicht zugänglich ist - der Weg in das Germanische Nationalmuseum, wo das Archiv des Blumenordens seit langem verwahrt wird, ist also nur mehr bei sehr speziellen Fragestellungen nötig. Mangels weiterer Finanzierung musste die Forschungsstelle Anfang 2014 aufgelöst werden, ein schwerer Verlust für die Erforschung der Nürnberger Barockliteratur und - durch deren Vernet­ zung mit anderen literarischen Zentren und Landschaften - auch für die Barockphilolo­ gie insgesamt.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Der anzuzeigende Band enthält in 22 überwiegend kurzen Aufsätzen einen Quer­ schnitt durch die Arbeit der Forschungsstelle. Abgesehen von einer Gemeinschaftsar­ beit der beiden Hauptautoren stammen 13 Untersuchungen aus der Feder von Hartmut Laufhütte, fünf aus der seines Mitarbeiters Ralf Schuster, einer von dem früheren Doktoranden Clemens Hänselmann. Freilich sind nur zwei der Aufsätze Original­ arbeiten; 17 sind bereits in anderem Zusammenhang erschienen und drei für den Druck anderer Stelle vergeben. Es handelt sich also überwiegend um Zweitverwertungen. Freilich sind die Untersuchungen, die man ansonsten in Festschriften, Tagungsbänden und gelegentlich auch sehr randständigen Zeitschriften zusammensuchen muss, hier erstmals geschlossen versammelt und damit auch bequemer greifbar. Methodisch handelt es sich bei den Beiträgen überwiegend um Erzeugnisse der ,Mikrohistorie“, die sich um die Klärung philologischer Details, um die Kommentie­ rung schwer verständlicher Kleintexte oder die Ausräumung von Missverständnissen bemüht, die die bisherige Forschung weiterverbreitet hat. Deutlich wird einmal die oft detektivische Recherchearbeit, die seriöser historischer Editionstätigkeit zugrundelie­ gen muss; durch ihre aufwendigen Kommentierungs- und Kontextualisierungsverfahren unterscheidet sie sich grundlegend von der Praxis, alte Texte nur fotomechanisch wiederzugeben und mit einem rasch geschriebenen Vorwort zu versehen. Zugleich wird in den Beiträgen immer wieder die .Kunst“ des Philologen deutlich, zunächst schwer verständliche Texte, ja Textpartikel durch die Beibringung klug gesammelter Sachinformationen erst verständlich zu machen, das aus Unkenntnis der unmittelbaren Kontexte tendentiell Beliebige zu vereindeutigen und eigentlich randständig erscheinende Kleinzeugnisse sinnvoll in größere Zusammenhänge einzubinden. Die Kommentare dienen nicht - wie manch andere Versuche in unserer Zeit - dem Nachweis, was man mit Tex­ ten so alles anstellen kann, sondern bemühen sich um deren historisch adäquates Ver­ ständnis. Das mag manchen Progressisten etwas altbacken erscheinen - es liefert aber belastbare Ergebnisse, die die rasch wechselnden methodischen Moden überdauern werden. Inhaltlich bieten die Beiträge - .gerahmt“ durch zwei Aufsätze über Kupferstiche bzw. Bildgedichte - zunächst Untersuchungen über den .poetischen Dienstleister“ Bir­ ken, der als freischaffender Dichter mit Auftrags- und Gefälligkeitsarbeiten, Panegyrik und anlassbezogener Gebrauchspoesie einen wesentlichen Teil seines Einkommens er­ zielt hat. Einen zweiten Schwerpunkt bilden Beiträge zu seiner Tätigkeit als neulateini­ scher Lyriker und Übersetzer, wobei insbesondere seine Arbeitsverfahren näher unter­ sucht werden. Weitere Themengebiete sind Birkens religiöse Programmatik (die schon auf den Pietismus verweist), die Beziehungen zwischen Pegnitzschäfern und Frucht­ bringern sowie unterschiedliche „Frauenbilder“, die sich in Birkens Werken und gesell­ schaftlichen Kontakten niedergeschlagen haben. Auch wenn die Aufsätze überwiegend um den Ordenspräses kreisen, werden doch auch andere Autoren der Zeit berücksich­ tigt, mit denen Birken in regem Austausch stand oder die in irgendein Verhältnis zum Blumenorden getreten sind. Nicht ganz überzeugen kann die Gestaltung des Bandes. Längere Zitate sind so klein gesetzt, dass man auch in mittlerem Alter schon nach der Lupe suchen muss, um sie

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen lesen zu können. Warum der Fußsteg so klein ausgefallen ist und die (wenigen) Abbil­ dungen von so mäßiger Qualität sind bzw. eigentlich wünschenswerte Wiedergaben von Kupfern (wie beim letzten Aufsatz) auch ganz fehlen, ist angesichts des respektab­ len Preises der Publikation unerfindlich. Erfreulicherweise wird der Band durch einen umfangreichen Personenindex erschlossen - auf die Unsitte, darin rein mechanisch auch die Verfasser moderner Sekundärliteratur mit aufzunehmen und damit die Eitelkeit der Zunft zu bedienen, hätte man aber gerne verzichtet. Werner Wilhelm Schnabel

Kirchengeschichte, Judentum Akiko Harada: Die Symbiose von Kirche und Stadt im Spätmittelalter. Das bürger­ liche Gemeinschaftsbewusstsein und Stiftungen an die Pfarrkirchen in der Reichsstadt Nürnberg (Schriftenreihe Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters 31). Ham­ burg: Dr. Kovac 2014. 226 S. mit Abb. € 88,80 Die 2009 an der FAU als Dissertation angenommene Studie beschäftigt sich am Bei­ spiel der Reichsstadt Nürnberg in zwei Teilen mit dem Verhältnis von Kirche und Stadt im Spätmittelalter. Aufbauend auf den Forschungen zum Beitrag von Stiftungen zur Bildung eines Gemeinschaftsbewusstseins und zur Funktion der fabrica ecclesiae (z.B. Martial Staubs, 2003, und Arnd Reitemeier, 2005) möchte Harada untersuchen, inwie­ fern sich „Die Symbiose von Pfarrkirche und Stadt“ feststellen lässt. Dazu werden die Pfarrer und deren „soziale Wirklichkeiten“ sowie das Phänomen der Kirchenpfleg­ schaft in den Blick genommen. Der zweite große Abschnitt „Der Wandel des bürgerli­ chen Gemeinschaftsbewusstseins“, möchte anhand der Stiftungen an die Kirchen dem „bürgerlichen Bewusstsein“ der Stifter und der sozialen Funktion der Stiftungen nach­ spüren. Der erste große Teil wertet zunächst im Wesentlichen den Wachterschen Schematis­ mus, Kists Matrikel, dessen Studie zum Bamberger Domkapitel und die Müllnerschen Annalen aus. Die weitgehend bekannte kirchengeschichtliche Entwicklung Nürnbergs wird nachvollzogen. Dementsprechend wenig überraschend sind auch die Ergebnisse dieses Teils: eine zunehmende Abhängigkeit des Rates von den juristischen Fähigkeiten der Geistlichen, die stärkere politische Wirksamkeit der Pfarrer bzw. Pröpste von St. Sebald sowie die Integration von Stadtgesellschaft und Geistlichkeit durch die Beset­ zung mit Mitgliedern aus patrizischen Familien besonders im ausgehenden 15. Jahrhun­ dert. Auf der Basis bereits durch Regestierung erschlossener Urkundenbestände im Staatsarchiv Nürnberg (St. Sebald, St. Lorenz, Moritzkapelle, Ottmarskapelle, Marien­ kapelle, kurz „Urkunden der Kirchen in Nürnberg 1339-1560“) wird dann eine Analyse der Institution Kirchenpflegschaft vorgenommen, speziell was das Liegenschafts- und Finanzgeschäft (An- und Verkäufe) betrifft. Auch hier sind die Ergebnisse nicht über­ raschend: Die Besetzung des Kirchenpflegeramtes mit Angehörigen aus Patrizierfami­ lien liegt an der inneren Verfassung des Stadtregiments, wo bestimmte Ämter zusätzlich diese Funktion mit sich brachten. Die Kirchenfabrik war im Besitz zahlreicher Liegen­ schaften, so dass die Kirchenpfleger und -meister als Immobilienmakler einerseits, als Garanten der Erfüllung von Stiftungszwecken andererseits wirkten.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Der zweite große Teil widmet sich den spätmittelalterlichen Stiftungen an die beiden Kirchen, um das „soziale Bewusstsein“ der Bürger zu ermitteln. Hier eruiert Harada auf der Basis des Kurzinventars von Günter P. Fehring und Anton Ress (1977) interessante „Moden der Stiftungen“, nacheinander seien Heiligenstatuen, Epitaphien und Toten­ schilde angesagt gewesen, letztere weit über die Reformation hinaus. Zudem haben kirchliche Funktionäre wie Kirchenpfleger und wohl teilweise auch Kirchenmeister in einer gewissen „Pflicht“ zur Stiftung an der betreuten Kirche gestanden, was sich insbe­ sondere bei den Fensterstiftungen zeige. Die Hauptkirchen wiederum hätten verschie­ dene Funktionen innegehabt: Während St. Sebald vorrangig der Repräsentation nach „Außen“ gedient habe, sei St. Lorenz der Ort für die Repräsentation nach „Innen“ ge­ wesen. Zudem sei vor allem in Krisenzeiten (Dürre, Pest) deutlich, wie sehr fromme Stiftungen dem Gemeinschaftsbewusstsein dienen wollten. Die Stiftungen drückten damit immer zwei Aspekte aus: das Zugehörigkeitsgefühl zur städtischen Gesellschaft und die eigene Stellung in ihr, im Falle des Stifters eine exponierte. Die mit 120 Textseiten knappe Darstellung liefert einen 60seitigen Anhang mit zahl­ reichen Tabellen, in denen die Verfasserin einerseits das o.g. Kurzinventar auf die inte­ ressierenden Kirchenschätze hin auswertet. Andererseits liefert sie grundsätzlich brauchbare Überblicke über die Pfarrer bzw. Pröpste, Kirchenpfleger und Kirchen­ meister der Pfarreien St. Sebald und St. Lorenz von deren erster Belegbarkeit an bis ins frühe 16. Jahrhundert. Für den Zeitraum 1407-1519 hat sie zudem Kurzregesten zu rund 120 Urkunden mit Bezug zum Kirchenpfleger wiedergegeben, wobei sie den zu­ grundegelegten Bestand im Staatsarchiv Nürnberg nicht weiter reflektiert. Freilich wäre es für eine derartige Untersuchung durchaus sinnvoll gewesen, auch einschlägige Archi­ valien aus dem Stadtarchiv, dem Landeskirchlichen Archiv und dem Germanischen Nationalmuscum in Nürnberg heranzuziehen. Auch bleiben die Angaben zu den aus­ gewerteten Archivalien leider sehr kursorisch. Eine empirisch angelegte Arbeit wie die vorliegende unterliegt einem methodischen Dilemma: Einerseits sollen möglichst kollektivierbare Aussagen getroffen werden (die „Pfarrer“, die „Stifter“, die „Kirche“, das „Volk“), andererseits ist gerade eine Stadt nicht als Einheit zu denken, sondern nur als hoch ausdifferenziertes System des Zusam­ menlebens von Personen mit Einzelinteressen. Was bedeutete die Stiftungspraxis in St. Lorenz und St. Sebald also für die vielen tausend Bewohner Nürnbergs, wenn gerade keine Krise herrschte und wenn man selbst denkbar weit weg war von der Möglichkeit, eine Stiftung zu tätigen? Lässt man dieses Dilemma unberücksichtigt, liefert die Dar­ stellung durchaus interessante Ergebnisse. Antonia Landois

Susanne Klemens: Die Nürnberger Kinderpredigten Andreas Osianders d. Ä. Entstehungsgeschichte, theologischer Duktus, didaktisch-methodischer Gehalt und Rezeptionsgeschichte (Schriften aus der Fakultät Humanwissenschaften der OttoFriedrich-Universität Bamberg 19). Bamberg: Univ. of Bamberg Press 2014. 463 S. mit Abb. €21Andreas Osiander (1498-1552), führender Nürnberger Reformator an St. Lorenz mit grundlegenden Neuerungen, die ihm bald die Exkommunikation einbrachten, ab

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen 1549 Theologieprofessor in Königsberg i. Pr., wo er zum Mittelpunkt des lang währen­ den sog. Osiandrischen Streites um die Rechtfertigung wurde, verfasste 1531 seine ehedem weitverbreiteten und mit der Reformation Nürnberg eng zusammenhängenden Kinderpredigten. Zu den zentralen Anliegen des Protestantismus gehörte grundlegen­ des Wissen bei Geistlichen und Laien. Dem diente die Unterweisung im Katechismus. Den ersten Katechismus dieser Art hatte schon 1528 der Ansbacher Reformator Andreas Althammer nach Aussagen Martin Luthers zur Glaubenserziehung der Jugend herausgegeben. Als „Stiefkind der Forschung“ bezeichnet die Autorin den Umgang mit den Kate­ chismuspredigten in ihrer Untersuchung über den bisherigen Forschungszustand von Osianders Kinderpredigten. In kirchenhistorischen und katechetischen Abhandlungen tauchen sie, die ihre Blüte in der Reformationszeit erlebten, immer wieder am Rande auf (grundlegend die Gesamtedition von Gerhard Müller und Gottfried Seebaß). Nach einem für den Leser wichtigen Überblick über Zielsetzung, Quellenwahl, An­ lage und Gliederung der vorliegenden Arbeit folgen Osianders Bemühen um Reforma­ tion und die ihm vom Rat übertragene Neugestaltung des Gesamtkatechumenats; seine humanistische Entwicklung kam seiner Auseinandersetzung mit dem „neuen Glauben“ und seinen reformatorischen Bestrebungen sehr entgegen, als er 1520 zunächst als He­ bräischlehrer im Augustinereremitenkloster berufen worden war. Dank seines rhetori­ schen Talentes kamen seine Predigten im neuen Geist in der Bevölkerung sehr gut an, so dass er nach dem Religionsgespräch mit der Durchsetzung reformatorischen Gedan­ kengutes betraut wurde. Mit seiner tragenden Rolle in diesem Bereich war eine Neuaus­ richtung der gesamten katechetischen Unterweisung verbunden, der er sich ebenso hingebungsvoll widmete. In einem umfangreichen ersten Hauptteil interpretiert die Autorin den theologi­ schen Gehalt der Kinderpredigten und kommt bei aller Komplexität der theologischen Inhalte zu dem schlüssigen Ergebnis, dass Osiander in diesem Bereich mit Luthers Ka­ techismen übereinstimmte. „Abweichungen und Unterschiede zum .Kleinen Katechismus’ finden sich im didak­ tisch-methodischen Umgang“ mit den katechetischen Stoffen. Dem dient im zweiten Hauptteil eine ausführliche Untersuchung zu „Glaubensfundament und Bildung“. Dogmatische und auch polemische Inhalte bestimmen die „Kinderpredigten“. Sie soll­ ten den eigenen Glauben fundamentieren, eine weiterführende religiöse Fortbildung bewerkstelligen und damit die Kinder in die christliche Gesellschaft einbinden. Nach der Feststellung der Autorin ergibt sich ein ambivalentes Bild bei der Untersuchung zum didaktisch-methodischen Gehalt der Lehrstücke. Sie sind zwischen „Predigt homiletischer Art, Lehrpredigt und katechetischer Unterrichtung einzuordnen“. Wöchentlich einmal eine Stunde sollte diese „Kinderlehre“ durch den jeweiligen Pfarrer vermittelt werden. Sprachlich in deutsch auf die jungen Zuhörer abgestimmt, unterschiedlichen sozialen Schichten entstammend, bedurfte die Formulierung der Glaubensinhalte meist umfangreicher Erklärungen, um verstanden zu werden, Wieder­ holungen zum besseren Verstehen eingeschlossen.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Ein letztes Kapitel ist der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte Vorbehalten. Er­ staunlich lange waren diese Katechismuspredigten von den Nürnberger Erstpublikatio­ nen 1533 an im Gebrauch. Unzählige Drucke dienten der Verbreitung in Kirche und in lesekundiger Laienhand im Nürnberger Umland, im südbayerischen Raum und in weiteren deutschen Territorien, im Ausland in England oder im skandinavischen Raum. Erst 1839 kam das Ende. Die Wirksamkeit der Kinderpredigten beschränkte sich vornehmlich auf das 16. Jahrhundert im Umfeld der Reformationszeit. Im 17. Jahrhundert rückte das Nürnber­ ger Kinderbüchlein an ihre Stelle dank zunehmender Bekenntnisbildung und „verbind­ licher Etablierung der Theologie als System“, fortschreitender dogmatischer Erstar­ rung. Die Verfasserin resümiert zu Recht, dass mit der vorliegenden Untersuchung erstma­ lig eine Katechismuspredigt einer detaillierten Betrachtung unterzogen worden ist und damit eine Forschungslücke beispielhaft geschlossen werden konnte. Sie sind „ein Zeugnis reformatorischer Theologie Martin Luthers“, eng angelehnt an seinen Kleinen Katechismus. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Eine Fülle von Material und neuer Forschungsergebnisse ist vor dem Leser ausge­ breitet. Literatur- und Quellenverzeichnis und umfangreicher Anmerkungsapparat fehlen nicht; vermisst werden nur entsprechende Register. Helmut Baier

Staat in Deutschland und evangelische Kirche. Aufsatzband zur gleichnamigen Tagung am 2k.127. Juni 2014 in Nürnberg (Schriften des Kulturreferates der Stadt Nürnberg 1). Nürnberg: Stadt Nürnberg, Kulturreferat 2015. 203 S. mit zahlr. Abb.

€ 10,Der erste Band einer neu gestalteten Reihe für kulturrelevante Themen bietet die Vorträge der im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017 im Juni 2014 in Nürnberg abgehaltenen Tagung zum immerwährenden Problem „Staat in Deutschland und evan­ gelische Kirche“. Die Reichsstadt hatte eine herausragende Rolle im Rahmen des altbe­ kannten Spannungsfeldes Reformation und Politik zu Beginn der Reformationszeit und dann bei der Verbreitung des neuen Glaubens gespielt, geprägt vom evangelischen Glauben bis weit über das Ende des Alten Reiches hinaus. Der Bogen der Aufsatzreihe spannt sich vom Anfang der Beziehung Luthers zur Reichsstadt bis in die Gegenwart. Die Standortbestimmung Julia Lehners zeigt in knappen Feststellungen den Weg vom vorreformatorischen Nürnberg über die reformatorische Umgestaltung in vielen Bereichen der Stadt, nicht zuletzt besonders auf dem Feld der Bildung, der vielfältigen Weitergabe reformatorischer Erkenntnisse als „Auge und Ohr Deutschlands“ dank des neuen Mediums Buchdruck zur konfessionellen Viel­ falt im späteren Königreich Bayern, die zur Öffnung für Katholiken und Juden führte. Nicht zu übersehen ist freilich der konfessionelle Rück- oder Niedergang mit der Auf­ lösung konfessioneller Strukturen - nur noch 63 % der Bevölkerung bekennen sich heute zu den beiden großen Konfessionen.

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Kultusminister Ludwig Spaenle weitet den Blick in den bayerisch-fränkischen Raum und darüber hinaus. So hat die hart umkämpfte konfessionelle Pluralität ent­ scheidend zum Entstehen eines föderalen Staates mit vielen Zentren beigetragen, ebenso zur politischen und parteipolitischen Vielfalt. Konfessionelle Grenzen in Bayern änder­ ten sich bekanntlich erst nach dem 2. Weltkrieg durch Flucht und Vertreibung. Die politischen Auseinandersetzungen des 16./17. Jahrhunderts reichen als „historischer Lernort“ in die Gegenwart. Spaenle führt Altbayern als geschlossenen Konfessionsstaat und Franken mit politisch-kultureller Vielfalt als Beispiele an. Ihre Geschichte wirkte in unsere Zeit, auch mit Blick auf die Parteiengeschichte der beiden C-Parteien. Luthers Beitrag zur Politikfähigkeit sieht Stephan Dorgerloh in Sprache und Mün­ digkeit und setzt sich mit dem „Mythus Luther“ als Erfinder der deutschen Schriftspra­ che auseinander. Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann richtet das Augenmerk auf das „politische Selbstverständnis der reformatorischen Akteure“. Wirksame Reformation hieß zugleich Stabilisierung der politischen Machtverhältnisse; beide vermengten sich trotz manches Widerspruchs nicht immer zum Besten der Kirche in ihrer Geschichte. Die Kirchenreform mit Abschaffung des kanonischen Rechtes be­ günstigte den Aufbau frühmoderner staatlicher Strukturen. Somit war Reformation nicht nur ein „religiöses Ereignis“. Heinz Schilling ordnet Luther in die Verfassungs- und Politikvorstellungen im Fleiligen Römischen Reich mit Blick auf die Kultur der Gegenwart ein. Luthers Hal­ tung zu Kaiser und Reich, sein Verhältnis zu Fürsten, zu „Territorialprinzip, Gemein­ departizipation und lutherischem Bürgerrepublikanismus“ skizziert der Autor in der kritischen Abhandlung. Die Reformation legte die „Grundlagen westlicher Zivilisation und Wertegemeinschaft“. „Deutsche Freiheit und konfessionelle Parität im Alten Reich“ beinhalten Luthers Forderung von Glauben und Gehorsam nach Röm. 13. Georg Schmidt zeigt den Re­ formator als „Anwalt monarchischer Gewalt“, obwohl seine Publikationen jahrhun­ dertealte Traditionen umstürzten und überall größtes Aufsehen erregten. Nach dem Urteil des Autors sind sie als historische Quelle zu interpretieren, um sie für die Gegen­ wart nutzbar zu machen. Aber daraus haben sich konfessionelle Parität, Religionsfrei­ heit und Toleranz der Religionen entwickelt. Das Trauma des Ersten Weltkrieges und sein Ende bestimmten den Kurs der evange­ lischen Kirchen in der Weimarer Republik und im NS-Staat. Harry Oelke zeigt das nationalkonservative Denken und Verhalten der Kirchen dieser Zeit wie auch die inner­ kirchlichen Spaltungen (nicht nur zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche) und daraus resultierende weitgehende Handlungsunfähigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus. Mangelnde Öffentlichkeitsverantwortung, nicht nur in der Juden­ frage, führte zu schuldhafter Verstrickung. Davon geprägt war der Neuanfang nach 1945. „Die alte Bundesrepublik und die EKD“ (Martin Greschat) sah die Kirchen nach 1945 in einer gerne genutzten privilegierten Position, die in der Ara Adenauer noch ausgebaut werden konnte. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis diente der Normalisierung

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des Verhältnisses zur Ökumene. Staat und Kirche beherrschten in ihrem Zusammen­ spiel bald die Öffentlichkeit, eine neue Generation hatte eigene Vorstellungen (wie z.B. Ostdenkschrift, später die Friedensbewegung), die für manches Aufsehen sorgten. Die Feiern zum 500. Geburtstag Luthers 1983 in Ost und West der beiden seit 1961 getrennten Kirchenbünde mit Rückblick auf die kirchliche gemeinsame und trennende Entwicklung seit 1945 in beiden deutschen Staaten unterzieht Peter Maser einer kriti­ schen Bilanz. Deutlich wird die antikapitalistische und antiwestliche Grundstimmung der DDR-Kirchen seit dem Mauerbau 1961 („Kirche im Sozialismus“). Anders auf der Ebene der Gemeinden, der Laien und Pfarrer, wo an der Zusammengehörigkeit festge­ halten und aus Patenschaften oftmals Partnerschaften wurden. Kennzeichnend wurden diese beiden Grundeinstellungen für die kirchliche Spaltung im geteilten Deutschland. In seiner Schlussbetrachtung untersucht Hans-Georg Wehling die konfessionelle Kultur im politisch, konfessionell und kulturell gespaltenen Land seit der Reformation anhand einschlägiger Beispiele im Bauwesen und den Kunstausstattungen. Mit Blick auf die Kontroverstheologie, der Ausbreitung der Gegenreformation oder des aggressiven Protestantismus, landeten diese wenig christlichen Ausprägungen nach dem Weg in die Moderne (Aufklärung) im Abseits der Geschichte. Die historisch geprägten Aufsätze mit Bezug zur Gegenwart zeigen die kirchen­ geschichtlichen Wirkungen seit der Reformation in knappen, kenntnisreichen und auch für den Laien lesenswert informativen und verständlich unterteilten Kapiteln auf. Kar­ ten und wissenschaftliche Anmerkungen vervollständigen den Band. Die grundlegende sog. Zwei-Reiche-Lehre Luthers hat leider keinen Platz mehr gefunden. Gerne hätte man auch die Meinung eines Staatsrechtlers zu Praxis und zeitgemäßen Auswirkungen des Verhältnisses von Kirche und Staat heute als donum superadditum gelesen.

Helmut Baier

Gisela Naomi Blume: Der jüdische Friedhof Obernzenn 1613-2013 / mit einem Bei­ trag von Michael Schneeberger (Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familien­ forschung in Franken 24). Nürnberg: Ges. für Familienforschung in Franken 2013. V, 539 S. mit zahlr. Abb. und Einsteckplan des Friedhofs. € 30,Ihre Friedhöfe bilden neben den ehemaligen, oft bis zur Unkenntlichkeit umgebau­ ten Synagogen die einzigen augenfälligen Zeugnisse, die von den zahlreichen jüdischen Landgemeinden in Franken noch existieren. Zusätzlich speichern sie biografische Infor­ mationen, die auch für die in der Region gelegenen Städte und darüber hinaus relevant sind, da viele Familien im 19. Jahrhundert von hier über Zwischenstationen bis nach München, Frankfurt oder Berlin weiterzogen. Die Verfasserin, ehemalige Vorsitzende der Fürther Kultusgemeinde, die als wich­ tigste Referenzen auf das 1997 erschienene Gedenkbuch für Opfer der Schoa aus ihrer Heimatstadt und die Dokumentation des dortigen Alten Jüdischen Friedhofs (2007) verweisen kann, nahm als Autodidaktin mit jahrzehntelanger Erfahrung die Mühe auf sich, nicht nur die 377 seit dem 18. Jahrhundert noch erhaltenen Grabsteine oder -frag-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen mente in dem westmittelfränkischen Adelssitz fotografisch zu erfassen und ihre In­ schriften zu entziffern, sie legte selbst Hand an und reinigte die Grabmäler. Angeregt wurde sie dazu durch Gerhard Rechter, den 2012 verstorbenen Leiter des Staatsarchivs Nürnberg, der sich intensiv mit der Geschichte der Freiherren und Grafen von Seckendorff und ihrem Archiv beschäftigte und aus dessen Forschungen und Publikationen sie schöpfen konnte. Daneben standen ihr als Quellen v.a. die mittelfränkischen Juden­ matrikel im Staatsarchiv 1813-1861 sowie Geburts-, Trauungs- und Sterberegister der Gemeinden aus dem 19./20. Jahrhundert zu Verfügung. Gräberlisten sind nur für den neueren Teil des Friedhofs vorhanden. Den Hauptteil des Buches nimmt das Verzeichnis der Gräber ein (S. 61-426), dessen Einträge den Text des Steins sowie den Namen, Beruf, die Lebensdaten, Wohnung, Eltern und ggf. den Gatten des Verstorbenen enthalten. Ergänzt wird der Datensatz durch Informationen über den Zustand der Grabstätte und, sofern vorhanden, weitere biografische Details über den Toten, etwa Verwandtschaftsverhältnisse. Die Erschlie­ ßung der genealogischen Angaben erfolgt über umfangreiche Stammtafeln (S. 431-517) und einen Namensindex. Der Beitrag von Michael Schneeberger, dem2014ebenfalls verstorbenen Experten für jüdische Familienforschung, stellt die Ergebnisse der Verfasserin in einen größeren Kontext, indem er die Geschichte der Gemeinden darstellt, die ihre Toten hier bestatte­ ten: die im Seckendorffischen Obernzenn und Egenhausen, im markgräflichen Kaubenheim und Lenkersheim sowie in Ickelheim, das dem Deutschorden gehörte. In der ehemaligen Reichsstadt Windsheim durften sich Juden nach der Vertreibung 1499 erst wieder 1870/71 ansässig machen, von denen der erste 1879 in Obernzenn beerdigt wurde. Am Ort selbst ist eine jüdische Gemeinschaft seit 1593 nachweisbar. Nach Schätzungen wurden auf ihrem Gräberfeld seit seiner Einrichtung 1613 zwischen 800 und 900 Menschen bestattet. Zu seiner Geschichte gehören unweigerlich auch mehrere Schändungen zwischen 1909 und 1979, deren verheerendste und infamste während der NS-Zeit stattfand, als Teile des Geländes von der SA als Reitplatz (!) genutzt wurden. Fragt man nach dem Sinn eines solchen Inventars, so liegt er angesichts der Bedeu­ tung des Totengedenkens im Judentum zweifellos nicht zuletzt auch auf religiöser Ebene. Daneben ist es ein weiteres Mosaikstück zur Rekonstruktion und Sicherung historischer Fakten sowie zur Lokal- und Regionalgeschichte, wenngleich die Ergeb­ nisse, die wegen der Lücken in der Überlieferung mitunter fragmentarisch bleiben müssen, an die zerbrochenen und verwitterten Grabsteine erinnern. Wieder haben Laienforscher im besten Sinne von persönlichem Engagement und in der Praxis erworbenem Wissen hierzu Grundlagenarbeit geleistet - der Regelfall, wenn man für Mittelfranken vom monumental akribischen Band des Judaisten Peter Kuhn über den Friedhof in Georgensgmünd absieht. Die planmäßige landesweite Erfassung der Begräbnisstätten bleibt ein bis heute unerfüllter Wunsch der jüdischen Geschichts­ wissenschaft. Gerhard Jochem

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Stefanie Fischer: Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt. Jüdische Viehhändler in Mittelfranken 1919-1939 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 42). Göttingen: Wallstein-Verlag 2014. 368 S. mit 16 Abb. € 42,Die Druckfassung der 2012 am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Ber­ lin abgeschlossenen Dissertation ist der Ertrag eines angesichts der Quellenlage mutigen Unterfangens, da nach der Vertreibung und Vernichtung der deutschen Juden bis 1945 praktisch keine Unternehmensunterlagen mehr vorhanden sind, die schon zuvor in einer nicht zu umfangreichen schriftlichen Aufzeichnungen neigenden Branche selten waren. Dennoch hat die Verfasserin mithilfe kundigen Archivpersonals verwertbare Dokumente gefunden, v.a. in den Landratsamtsbeständen und Wiedergutmachungs­ akten des Staatsarchivs Nürnberg. Ergänzend führte sie Interviews mit jüdischen und nichtjüdischen Zeitzeugen bzw. ihren Nachfahren. Es bleiben aber gravierende Uberlie­ ferungslücken, etwa die noch nach dem Zweiten Weltkrieg kassierten Finanzamtsakten, die die Aussagemöglichkeiten trotz des Fleißes der Verfasserin bei der Materialsuche merklich einschränken und nur eine schlaglichtartige Darstellung des komplexen The­ mas erlauben. Dieses Manko kann auch durch die Fülle der verwendeten Literatur nicht kompensiert werden. Fischers Arbeit kreist um den Begriff des Vertrauens zwischen jüdischen Händlern und christlicher Umwelt unter geschichtswissenschaftlichen, soziologischen, volks­ kundlichen und psychologischen Aspekten, das zwischen beiden Gruppen immer situ­ ationsgebunden war: Man brauchte einander als Geschäftspartner, pflegte aber deshalb nicht notwendig gesellschaftliche Kontakte, obwohl auch im ländlichen Raum die jüdi­ sche Minorität seit dem 19. Jahrhundert nach Integration strebte. Seit der „Machtergrei­ fung“ wurde diese brüchige Symbiose durch juristische Maßnahmen zerstört, die die Bauern zunächst noch aus Eigennutz - jüdische Händler zahlten bessere Preise als die Erzeugergenossenschaften - unterliefen, wobei schon 1930 das antisemitisch motivierte Schächtverbot in Bayern einen herben Schlag für das Gewerbe bedeutete. Den geografischen Schwerpunkt der Untersuchung bildet (Südwest-)Mittelfranken mit Ellingen, Gunzenhausen, Leutershausen, dem Markt Berolzheim, Rothenburg o.d.T. und Treuchtlingen, mithin ein Landstrich, in dem die Nazis schon während der Weimarer Republik ihre Hochburgen besaßen. Die dort gemachten Befunde werden anhand der Forschungsliteratur mit denen in anderen Regionen verglichen, z.B. Ostfriesland oder dem Eisass. Für den ganzen Regierungsbezirk hat die Verfasserin im Stichjahr 1929 160 von 430 Viehhandelsbetrieben oder 37 % als jüdisch identifiziert, was allerdings nichts über deren Geschäftsvolumen aussagt. Dieser Anteil liegt deutlich über dem der Juden an der Gesamtbevölkerung, scheint aber geringer als man angesichts des allgegenwärtigen Kli­ schees vom „Viehjuden“ vermuten würde, auch im Vergleich mit der Dominanz der Minderheit im Nürnberger Hopfenhandel zur gleichen Zeit. Den Vertretern des Ge­ werbes in den größeren Städten wie Nürnberg, Fürth und Erlangen misst das Buch eine qualitativ und quantitativ noch geringere Bedeutung zu, wobei es keine absoluten Zah­ len nennt (nach eigenen Recherchen des Rezensenten bestanden in Nürnberg 1930 elf

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen jüdische Viehhandlungen), weshalb sie trotz des im Untertitel formulierten Anspruchs auf Gültigkeit für Mittelfranken nur sporadisch in Erscheinung treten. Dies ist wohl auch dem Quellenmangel geschuldet, darf aber nicht wie bei Jakob Rindsberg als Ent­ schuldigung für die Behauptung dienen, sein Schicksal sei unbekannt (S. 230, Anm. 106). Tatsächlich wurde der greise Großhändler von den Nazis 1937 mit haltlosen Vor­ würfen in den Selbstmord getrieben, was unschwer in der Literatur nachzulesen ist (Gerhard Jochem: Endstation Finkenstraße: Jüdische Viehhändler in St. Leonhard und die Deportation am 10. September 1942, in: Leonharder Lesebuch. Nürnberg 2011, S. 18-21), die in diesem Fall jedoch nicht von der Verfasserin rezipiert wurde. Unabhängig von der Zahl der hier ansässigen Handelsbetriebe war die jüdische Prä­ senz in Nürnberg als zentralem Umschlagplatz und weitaus größtem regionalem Ab­ satzmarkt erheblich: Eine parteiamtliche Quelle von 1935 (S. 227) bezeichnet zwei Drittel der früher auf dem Viehmarkt aktiven Händler als Juden, die durchschnittlich siebzig Prozent des Umsatzes erwirtschafteten. Die Händler vom Land verkauften eine so sensible Ware wie Lebendvieh mit Sicherheit persönlich in der Stadt an Grossisten oder Endkunden und waren somit ein wichtiges Bindeglied zwischen beiden Gebieten. Über diese Funktion und ihre gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen hätte man gerne mehr erfahren. Wegen der Bedeutung der den Nazis verhassten jüdischen Kaufleute gehörte das Nürnberg Streichers und Liebeis zu den ersten Kommunen im Reich, die ihnen bereits im September 1933 den Zutritt zum Viehmarkt verboten, was man allerdings auf Wei­ sung aus Berlin zurücknehmen musste. Die weitere lokale Entwicklung wird bis zu ihrem endgültigen Ausschluss im Dezember 1934 auf S. 227f. knapp wiedergegeben. Trotz unerfüllter Desiderate und Schwächen kann man die Arbeit mit Erkenntnisge­ winn lesen, etwa den Abschnitt über die Familien der Händler (S. 69-92), insbesondere die Rolle der Frauen (S. 76-85), in den auch Nürnberger Biografien einfließen. Auf der Grundlage von Gerichtsakten aus der Nachkriegszeit detailliert beschrieben werden auch die Stigmatisierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung nach 1933, die im engen dörflichen Lebensraum sozial und moralisch noch verheerender für die Betroffe­ nen waren als in den Städten. Gerhard Jochem

Gerhard Jochem (Bearb.): Blutvergiftung. Rassistische NS-Propaganda und ihre Konsequenzen für jüdische Kinder und Jugendliche in Nürnberg (Quellen und For­ schungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 38). Nürnberg: Selbstverl. des Stadtarchivs Nürnberg 2015. VII, 251 S. mit zahlr. Abb. € 30,Die Veröffentlichung der vorliegenden Publikation erfolgte bewusst achtzig Jahre nach der Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ 1935 durch das NS-Regime, das den Terror der Straße gegen die jüdische Bevölkerung in „rechtliche“ Formen brachte. Die darin abgedruckten Erzählungen, Schilderungen und Fotos (95 Abbildungen) von in den 1920ern und 1930ern hier geborenen jüdischen Kindern und Jugendlichen bezeu­ gen den NS-Rassenwahn, die Vertreibung, Verfolgung und den von den Nationalsoziali-

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sten organisierten Völkermord an den europäischen Juden. Das eindringlichste Doku­ ment ist die deutsche Fassung der mehr als einhundert Seiten umfangreichen, teils tage­ buchartig geschriebenen Autobiografie des Nürnberger KZ-Uberlebenden Herbert Kolb, der mit seiner Familie 1943 in das „Altersghetto“ nach Theresienstadt deportiert und im August 1944 in das KZ-Außenlager Wulkow zur Zwangsarbeit verschleppt wurde. In der Zeit der Weimarer Republik vereinnahmte das rechtsextreme Lager Nürnberg wegen seiner traditionsreichen Geschichte für die Idee eines Dritten Reiches. Unter der Regie von Julius Streicher, der das Hetzblatt Der Stürmer herausgab, entwickelte sich die Industriestadt auch zu einer völkischen und nationalsozialistischen Hochburg. Ent­ sprechende Schilderungen antisemitischer Ausschreitungen finden sich am Anfang des Buches. Nach dem NS-Machtantritt 1933 wirkt es fast unglaublich, in welchem Aus­ maß und mit welcher Energie Streicher und Co Feindschaft und Hass gegen Juden in die Welt setzten und transportierten, u.a. mit den antisemitischen Kinderbüchern Der Giftpilz und Trau keinem Fuchs auf grüner Heid und keinem Jud bei seinem Eid. Die darin fabrizierten Hassgeschichten mit diffamierenden Zeichnungen sind im Gedächt­ nis der Überlebenden unauslöschlich eingebrannt. Ebenso die Erinnerungen an die rassekundlichen Unterrichtsstunden, unter denen sie zu leiden hatten. Sie forcierten die Separierung zwischen arischen und jüdischen Kindern, bis letztere nach dem Ausschluss von staatlichen Schulen nur noch in von der jüdischen Gemeinde geleiteten Häusern lernen oder in Jugendorganisationen wie der zionistischen Habonim ihre Kultur und Religion pflegen konnten. Mit der Pogromnacht im November 1938 kündigte das NS-Regime die legale Existenz deutscher Juden auf. Der Antisemitismus schlug reichs­ weit in brachiale Gewalt um. Diese Politik dynamisierte und radikalisierte sich nach der Entfesselung des Eroberungs- und Vernichtungskrieges 1939 im Genozid an den euro­ päischen Juden und den Sinti und Roma. Ab Herbst 1941 begannen die dafür von offi­ ziellen Dienststellen vollzogenen Deportationen von Juden aus dem Reich in den Osten. Absicht des Buches ist es, mit den Quellentexten zu zeigen, „wie konkret aus Wör­ tern und Bildern zuerst Hass, dann Gewalt und schliesslich Massenmord wurde.“ Grundkenntnisse über den Nationalsozialismus und die Vision von einem Dritten Reich mit Führer und Volksgemeinschaft wären dafür von Vorteil. Schon der Titel „Blutvergiftung“ ist doppeldeutig. Er bezieht sich einerseits auf die NS-Rassenideologie, nach der Juden die rassische Zersetzung, Bastardisierung und Blutvergiftung des deutschen Volkes anstrebten. Andererseits vergiftete sie „eine ganze Generation bis ins Blut“, sodass sie von Beginn an bei dem Ausschluss- und Vernichtungsprozess gegen die jüdische Bevölkerung zusah oder sich daran beteiligte. Sie gehörte zur Mehrheitsge­ sellschaft, die hinter dem NS-Regime stand. Ein weiteres Anliegen ist es, „zum Nachdenken über Kontinuitäten und Parallelen mit der Gegenwart anzuregen ..." Die wenigen Beispiele dafür, z.B. die Darstellung von Anschlägen auf die russischsprachige Zeitung Rubezh mit einem Redaktionsteam mehrheitlich jüdischer Abstammung in Nürnberg seit 2006 oder ein Foto mit der In­ schrift des Mahnmals und Bilder von den Opfern des „Nationalsozialistischen Unter­ grundes“ (NSU) in Nürnberg, reichen dafür aber nicht aus.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Die Publikation beruht auf den jahrzehntelangen Kontakten des Bearbeiters Ger­ hard Jochem und seiner Korrespondenz mit diesen letzten Augenzeugen des Genozids aus Nürnberg und der professionellen Archivierung dieser Quellen - einer herausra­ genden Leistung, die keine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb verdient Blutvergiftung höchste Anerkennung. Eine dementsprechende Resonanz ist dem Buch zu wünschen, denn eine solche Text-Zusammenstellung hat es bisher nicht gegeben. Eckart Dietzfelbinger

Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik Hans Gaab: Die Sterne über Nürnberg. Albrecht Dürer und seine Himmelskarten von 1515 (Schriftenreihe der Nürnberger Astronomischen Gesellschaft 5). Petersberg: Imhof 2015. 176 S. mit zahlr. Abb. € 29,95 Vor 500 Jahren, 1515, erschienen in Nürnberg zwei Himmelskarten, eine Karte des Nord- und eine des Südhimmels. Die Namen der an ihrer Herstellung beteiligten Per­ sonen hätten prominenter kaum sein können. Auftraggeber war der kaiserliche Hofhis­ toriograph Johannes Stabius, astronomischer Sachbearbeiter der Nürnberger Kaplan Conrad Heinfogel, der ein Jahr später mit der Übersetzung der „Sphaera“ des Johannes de Sacrobosco die erste deutschsprachige Einführung in die Astronomie vorlegte, und Zeichner der Figuren kein geringerer als Albrecht Dürer. Beide waren zugleich die bei­ den ersten gedruckten Sternkarten, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügten. Aus Anlass dieses Jubiläums hat die Nürnberger Astronomische Gesellschaft das von Hans Gaab verfasste, hier zu besprechende Werk herausgegeben. Der erste Hauptteil behandelt die naturwissenschaftlich-astronomischen und wis­ senschaftsgeschichtlichen Grundlagen von Sternkarten, also die komplizierten Prob­ leme um Äquator und Ekliptik, die Präzedenz (die Kreiselbewegung der Erdachse, die im Lauf der Geschichte zu einer merklichen Veränderung der Lage des Himmelspols führt), die damals vorliegenden Sternenkataloge mit den in ihnen angegebenen Koordi­ naten als Grundlage der Erstellung von Sternkarten, die verschiedenen Leuchtkraftklas­ sen der einzelnen Sterne und ihre Darstellung, die unterschiedlichen Projektionsarten der Himmelskugel auf eine zweidimensionale Karte und die beiden sehr unterschied­ lichen Darstellungsarten der Sternbilder von „außen“ („Himmelsansicht“) oder von „innen“ („Globenansicht“). Die unterschiedlichen Ansätze zur Lösung dieser Prob­ leme in den frühen Himmelskarten erlaubt es, ihre Abhängigkeiten voneinander nach­ zuvollziehen. Im zweiten Hauptteil wendet sich Gaab den kunstgeschichtlichen Voraussetzungen der Dürer-Karten zu. Im Mittelpunkt dieses Teils steht die mittelalterliche ikonographische Tradition bei der Gestaltung der einzelnen Sternbilder von ihrer mythologischen und christlichen Interpretation bis hin zu Tarotkarten. Insbesondere werden hier die wichtigsten Vorläufer der Sternkarten Albrecht Dürers genauer ins Auge gefasst, die Wiener Karten von 1435 und die Nürnberger Karten von 1503, die wohl auf einen Auf­ trag des Sebastian Sperantius zurückgehen und durch Dietrich Ulsen und wiederum

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Conrad Heinfogel ausgeführt wurden; ob auch hier schon Albrecht Dürer als Zeichner mitwirkte, ist unklar. Jedes Sternbild dieser Karten wird eingehend beschrieben und detailliert abgebildet, auch seine möglichen künstlerischen Vorlagen von früheren Sternkarten bis hin zu Tarocchi. Der dritte Hauptteil behandelt die Karten von 1515 selbst und ist naturgemäß am umfangreichsten. Inhaltlich nimmt er die Fragestellungen der beiden ersten Hauptteile wieder auf, ergänzt sie aber durch neue Fragestellungen. Auf die detaillierte Beschrei­ bung beider Sternkarten mit ihren Inschriften und Widmungen folgt eine ebenso akri­ bische Untersuchung astronomischer Fragen, etwa der Abweichung einzelner Sternenpositionen, aus der sich die zugrundeliegenden Sternenkataloge und damit die Quellen des Kartenwerks erkennen lassen. Die nach Sternbildern gegliederte und mit Abbildun­ gen veranschaulichte Tabelle der Fehler in Dürers Sternkarten ist fast sechs Seiten lang und zeigt deutlich die Akribie der Arbeitsweise des Autors. Die beiden folgenden Un­ terkapitel wenden sich dagegen geistes- und kunstgeschichtlichen Aspekten zu: der Benennung der Sternbilder, ihrem mythologischen Hintergrund sowie ihrem Wandel im Laufe der Geschichte, wobei neben den Fundstellen bei klassischen Autoren auch die Namengebung bei arabischen Astronomen berücksichtigt wird, sowie ikonographischen Gesichtspunkten der Darstellung der einzelnen Sternbilder. Im Mittelpunkt steht wiederum der Vergleich zwischen den Himmelskarten von 1435, 1503 und 1515. Der vierte Hauptteil beschäftigt sich mit späteren Sternkarten und Himmelsgloben, die die Sternkarten Dürers zum Vorbild haben, also mit ihrer Rezeptionsgeschichte. Für nicht weniger als 55 Sternkarten aus ganz Europa kann Gaab Einflüsse der Dürer-Kar­ ten nachweisen, wobei der Begriff „Sternkarten“ weit gefasst ist: Er umfasst nicht nur Globen und Sternkarten im engeren Sinne, sondern auch Deckengemälde und Erdkar­ ten mit Himmelskarten in den Ecken oder Darstellungen aktueller Kometenbahnen, sofern die Darstellung der durchflogenen Sternbilder von Dürers Karten beeinflusst ist. Auch hier wird Sternbild für Sternbild die Darstellungsweise der einzelnen Karten un­ tersucht, wobei die Chronologie zugunsten sachlicher Zusammenhänge aufgegeben wird. Bemerkenswert ist, dass die Dürer-Karten während des 16. Jahrhunderts zunächst sehr einflussreich waren, dann aber, da sie auf dem ptolemäischen Sternenkatalog be­ ruhten, mit der Verbreitung des neuen, verbesserten Sternenkatalogs Tycho Brahes schnell aus der Mode kamen. Ein umfangreicher Anmerkungsapparat und ein ebenso umfangreiches Literaturver­ zeichnis, das zwischen Quellen und Sekundärliteratur nicht trennt, schließen den Band ab. Leider fehlen Verzeichnisse der Abbildungen und Tabellen, die gerade angesichts der großen Zahl und Bedeutung beider Elemente in diesem Buch dem Leser sehr behilf­ lich sein könnten. Insgesamt ist es Gaab gelungen, eine mustergültige Untersuchung der beiden Him­ melskarten Dürers vorzulegen, die naturwissenschaftliche, geistesgeschichtliche und künstlerische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. Die zahlreichen Tabellen erlauben es, in der Fülle der von ihm untersuchten Details zu einzelnen Fragen (z.B. Sternenkoordinaten und ihre Abweichungen, Benennungen von Windrichtungen oder Stern-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen bildern bei einzelnen klassischen und humanistischen Autoren oder Sternkartenverfas­ sern) den Überblick zu behalten; die zahlreichen farbigen Abbildungen (meist mehrere auf einer Seite) erlauben es nicht nur, die Aussagen Gaabs zu ikonographischen und künstlerischen Problemen nachzuvollziehen und zu überprüfen, sondern machen auch die Lektüre des Bandes trotz seines anspruchsvollen Inhalts zur Freude. Der bedeut­ same, in der Öffentlichkeit allerdings kaum wahrgenommene Anlass hat damit eine angemessene Würdigung erfahren. Horst-Dieter Beyerstedt

Personen und Familien Thomas Schauerte und Manuel Teget-Welz (Hrsg.): Peter Flötner - Renaissance in Nürnberg (Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg 7). Petersberg: Imhof 2014. 176 S. mit 142 Abb. €19,95 Peter Flötner (um 1490-1546) gehört zu den wichtigsten deutschen Künstlern der Renaissance. Bedeutung und Bekanntheit des Nürnberger Bildschnitzers, Grafikers und Entwerfers entsprechen einander jedoch nicht: Als Schöpfer grandioser Plaketten unerreicht, als Graphiker und Entwerfer mit schier unbändigem Einfallsreichtum und der Kraft innovativster Formfindung begabt, gehört er zwar zu den künstlerischen Leitfiguren der Reformationszeit im südlichen Deutschland. Doch schränken das kleine, weitestgehend dem Connaisseur vorbehaltene Format seiner Werke, die kompri­ mierte, extrem feinsinnige, der aktuellen Ästhetik gegenüber aber schwer lesbare For­ mensprache sowie die vielfach nur im präzisen Kontext zeitgenössischer Geistigkeit und Dichtung verständliche Flugblatt- und Illustrationsgrafik seine Rezeption und somit breite Popularität heute weitgehend ein. Größere Formate, die Flötner entwarf, wie der Silberaltar in der Kathedrale auf dem Krakauer Wawel, sind zunächst mit den Namen der ausführenden Künstler, hier des Nürnberger Goldschmieds Melchior Baier, verbunden, und schließlich werden auch sie dem Kanon kunstgeschichtlicher Meilen­ steine gegenwärtig bestenfalls am Rande zugeordnet. Ein Markstein nach der Blütezeit seiner Erforschung um 1900 war die große Ausstel­ lung, die das Germanische Nationalmuseum seinem Werk im Winter 1946/47 widmete. Nach der auf seine Bildwelt konzentrierten Dissertation von Barbara Dienst 2002 ver­ folgte erst die Ausstellung der Museen der Stadt Nürnberg 2014 wieder das Ziel, umfas­ send auf seinen Stellenwert in der Kunstgeschichte zu verweisen. Der erstklassig gedruckte Begleitband dieser Präsentation unternimmt dies zunächst mit überblicks­ artigen Aufsätzen zu den wesentlichen Gattungen, in denen sich der Meister profilierte. Mit Einblicken in seine Plakettenproduktion, seine Entwurfstätigkeit für Goldschmie­ dewerke, das Feld seiner Zeichenkunst sowie seiner Vorlagen- und seiner Flugblattgra­ fik wird die Situation des Künstlers angesichts eines sich neu gestaltenden Marktes nach der Zäsur der Reformation im Allgemeinen wie im Besonderen verdeutlicht und darü­ ber hinaus der innovative Charakter seiner Kunst Umrissen. Der eigentliche Katalog, geordnet in Bildwerke, Plaketten, Bronzegüsse und Gold­ schmiedearbeiten, Entwürfe, Zeichnungen, Druckgrafik, Innenausstattungen und

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Möbel, schließt sich an. Erhellende Darstellung erfahren dort etwa die Souveränität und die Experimentierfreudigkeit des subtilen Zeichners sowohl in komplizierten figür­ lichen Kompositionen als auch in perspektivischen Studien. Der Hinweis, dass er wohl als Drucker und Verleger seiner eigenen Entwürfe gelten muss, schärft das Bild von den spezifischen ökonomischen Bedingungen der Künstlerexistenz jener Zeit. Nicht zuletzt vermittelt die instruktive Behandlung des Mediums Flugblatt, seiner Aussagen, Adres­ saten, Funktionen einschließlich des kommerziellen Horizonts eine klare Vorstellung vom geistig-kulturellen Geflecht, in dem sich Peter Flötner bewegte. Die These, seine belegte Kooperation mit dem Goldschmied Jacob Hofmann auch hinsichtlich der Gat­ tung der Plakette zu bedenken, könnte die enorme Produktivität dieser artifiziellen Miniaturreliefs im Spätwerk erklären und genauer datieren helfen. Unübersehbar bilden die Zeichnungen der Erlanger Universitätsbibliothek, Druck­ grafik und Plaketten den Schwerpunkt des Katalogteils. Dass etwa ein Fünftel der 55 dort behandelten Objekte nicht ausgestellt war, dürfte auf der Geburt des Projekts aus einer Lehrveranstaltung basieren. Sinnvoller als diese Art der partikularen Erörterung - vor allem plastischer - nicht präsentierter Werke wäre wohl deren zusammenhän­ gende Behandlung in einem eigenen Aufsatz gewesen. Dass dementgegen abwesende, aber wesentlich zur Argumentation in einigen Katalognummern herangezogene Blätter, wie die Basler Zeichnung „Priapus und Lotis“ oder die Braunschweiger Vorzeichnung für den Gefäßfuß mit einem Puttenzug (Kat.-Nrn. 25, 26), keine eigenen Einträge oder zumindest Abbildungen erhielten, nimmt dem Prinzip der Katalogzusammenstellung aus gezeigten und nicht präsentierten Stücken die Plausibilität allerdings einmal mehr. Von besonderer Bedeutung für das CEuvre Flötners ist die Wertung des ApolloBrunnens. Das namhafte, heute im Fembo-Haus beheimatete Kunstwerk ist im Kontext der bekannten Quellen und der darauf basierenden neueren Literatur diskutiert. Dabei wird der jüngeren Forschung gefolgt, die in Peter Vischer d.J. den Entwerfer des nicht wie lange angenommen 1532, sondern wohl schon ein Jahrzehnt früher entstandenen Gusses gilt. Dass das vom Entwurf zur Plastik notwendigerweise vermittelnde Guss­ modell der Figur nicht von Flötner stammt, ist damit - gerade angesichts der stilisti­ schen Varianz der etwa gleichzeitig entstandenen, monogrammierten Statuette des Adam in Wien (Kat.-Nr. 4) und des Reliefs mit dem trunkenen Lot in London (Kat.Nr. 3) - aber nicht bewiesen. Nur am Rande sei bemerkt, dass der Argumentation, der Trienter Bischof Bernhard Cles habe im Herrenschießgraben 1522/24 nicht den Apollo, sondern eine andere Brunnenskulptur gesehen, die Angabe, die Figur des jugendlichen Gottes wäre dort „ursprünglich aufgestellt“ gewesen (Kat.-Nr. 22), gerade angesichts der Frühdatierung widerspricht. Zu solchen, wenngleich marginalen Schwächen der Texte zählt außerdem etwa die Behauptung, dass ein von seinem Entwurf repräsentiertes, als nachreformatorisch klassifiziertes Retabel (Kat.-Nr. 5) der Totenmemoria im Sinn der „Feier von Gedächt­ nismessen“ gedient haben wird; die Verbindung zweier einander ausschließender Per­ spektiven zeugt vom geringen Verständnis reformatorischer Theologie. Und die lange Vernachlässigung der ikonografischen Deutung der Szenen am Holzschuher-Pokal ist sicher nicht mit dem „Hemmschuh“ inadäquaten Fotomaterials zu begründen (Kat.-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Nr. 24). Die mehr als deutliche Darstellung bestimmter sexueller Praktiken und skatologischer Szenen war nicht nur in seiner Entstehungszeit ein absoluter Tabubruch. Ihre breite kulturgeschichtliche Thematisierung wäre es bis vor gut zwei Jahrzehnten eben­ falls noch gewesen. Sie in freizügiger Weise zum Gegenstand wissenschaftlicher Be­ trachtung zu machen, blieb der Gegenwart mit ihrer nahezu grenzenlosen Enttabuisierung und Popularisierung jedweder nur denkbaren körperlichen Lust Vorbehalten. Ob unsere sinnenfreudige Zeit die Popularität Flötners auf dieser Basis ausweiten wird, bleibt dennoch abzuwarten. Frank Matthias Kammei

Katrin Dyballa: Georg Pencz. Künstler zu Nürnberg (Denkmäler deutscher Kunst) (Jahresgabe des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 2013). Berlin: Deutscher Ver­ lag für Kunstwissenschaft 2015. 484 S. mit zahlr. Abb. € 99,Der .Maler, Druckgraphiker und Zeichner Georg Pencz (um 1500-1550) hat in Nürnberg bis heute eine Präsenz wie nur wenige anderere Künstler seiner Generation. Denn sein gewaltiges Hauptwerk „Sturz des Phaeton“, das erste illusionistische Deckengemälde nördlich der Alpen (D 1), kann im rekonstruierten Hirsvogel-Saal des Museums Tucherschloss besichtigt werden. Nun wurde Pencz eine umfangreiche Monographie gewidmet, die aus einer Frank­ furter Dissertation bei Jochen Sander hervorging. Die Arbeit gliedert sich in einen ersten Abschnitt zur Biographie des Künstlers, der auch seine - offensichtlich überbewertete - Anstellung als Nürnberger Stadtmaler kri­ tisch beleuchtet (S. 13-53). Es folgt die Erörterung der hier positiv beantworteten Frage nach der Identität von Pencz mit dem Kupferstecher I. B. (S. 55-73). Der folgende Ab­ schnitt ist den beiden angeblichen Italienreisen des Künstlers gewidmet, verbunden mit einer Diskussion der möglichen Quellen für Italianismen in der deutschen Kunst seiner Epoche. Mit Recht betont die Autorin hier, dass es entgegen den eher diffusen stilisti­ schen Befunden keinerlei quellenmäßige Evidenz für jene Reisen gibt, wie sie vor allem im 19. und 20. Jahrhundert für die Künstler seit Dürer als conditio sine qua non angese­ hen wurden (S. 75-115). Nach dem Versuch, Pencz’ Stil genauer zu umreißen, schließt sich der Katalog der Gemälde und Zeichnungen an, der den Hauptteil dieser Arbeit ausmacht (S. 249-411). Den Abschluss bilden kunsttechnologische Aspekte zu den Gemälden, an die sich ein kommentierter Quellenteil, Literatur und Register schließen. Obwohl Matthias Mende bereits 1979 die allgemein anerkannte Feststellung machte, dass Pencz mit der nach Entwürfen Dürers erfolgten Ausmalung des Nürnberger Rat­ hauses nichts zu tun hatte und auch nicht als dessen Schüler gelten kann, erörtert die Autorin dies ein weiteres Mal ausführlich und kommt unausweichlich zum selben Er­ gebnis (S. 17-29). Auch die erneute Diskussion des berühmten „Gottlosenprozesses“ gegen Pencz und die Brüder Hans und Sebald (nicht Hans Sebald!) Beham von 1525 hat nur eingeschränkten Wert, weil die Verfasserin den wichtigen Aufsatz von Gerd Schwerhoff (in: Jürgen Mülle / Thomas Schauerte: Die gottlosen Maler von Nürnberg. Emsdetten / Berlin 2011) mit einer Neutranskription der Befragung so vollständig igno­ riert hat, dass man an ein Versehen kaum glauben mag.

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Im Zuge dessen verdient auch der Umgang Dyballas mit den Quellen besondere Erwähnung. So erfreulich die Vielzahl der eigenen Transkriptionen auch ist, begegnet man ihnen doch Zusehens mit Misstrauen: Schon die Übertragung der kurzen PenczBiographie nach Neudörfer/Lochner (1875) weist nicht weniger als fünf Verschreibun­ gen auf (S. 13), während sie etwa bei der wichtigen, aber unnötigerweise zweimal voll­ ständig abgedruckten Bestallungsurkunde des Künstlers als Stadtmaler-neben mehr als 20 (!) Verschreibungen - den Nürnberger Patrizier Jorgen Pöemer sinnwidrig zu Röemer entstellt (S. 38, 432; vgl. auch S. 48: Oedim statt Dedim[us]; S. 51: Goldt statt Soldt der Erbarn Diener, etc.). Während der Titel des Buchs den Eindruck erweckt, es liege hier eine definitive Gesamtwürdigung eines bedeutenden Nürnberger Künstlers aus der Generation nach Dürer vor, bleibt die Autorin diese für seine Druckgraphik schuldig. Zwar werden unter Verweis auf die Untersuchungen von Martin Knauer (Dürers unfolgsame Erben. Bildstrategien in den Kupferstichen der deutschen Kleinmeister, Petersberg 2013) die unter dem Monogramm I. B. geführten Kupferstiche nunmehr sämtlich Pencz zuge­ schlagen. Doch verzichtet Dyballa für die Gruppe der Holzschnitte, die im betreffen­ den Band 31 des „New Hollstein“ (Robert Zijlma, 1991) immerhin 36 Stücke ausmacht, sogar auf ein Referat der Forschungslage (S. 11). Dies scheint sich mit dem weitgehen­ den Desinteresse der Autorin an ikonographischen Aspekten dieses vielschichtigen, von teils beträchtlichen Qualitätsschwankungen geprägten CEuvres wechselseitig bedingt zu haben. Eine kulturgeschichtliche Verortung des Georg Pencz zwischen den Extrema Anti­ kenrezeption und Reformation kann so naturgemäß nur sehr eingeschränkt gelingen. Immerhin aber liefert die Arbeit im Bereich der Gemälde und Zeichnungen eine solide Grundlage für weitere Forschungen. Thomas Schauerte

Peter Springer: Zwischen Mittelalter und Moderne. August Essenwein als Architekt, Bauhistoriker, Denkmalpfleger und Museumsmann. Braunschweig: Appelhans 2014. 612 S. mit zahlr. Abb. € 39,Selbst nach Jahrzehnten der wissenschaftlichen Aufarbeitung hat es die Architektur des 19. Jahrhunderts noch immer schwer. Die üble Nachrede, der Historismus habe die Baustile der Vergangenheit lediglich in verkitschter Form aufgewärmt, haftete schwer an dieser Epoche, die das Weichbild unserer Städte so entscheidend geprägt hat. Auch die Architekten dieser Zeit sind oft dem Vergessen anheimgefallen. Der Architekt, Kunsthistoriker und Museumsmann August Essenwein (1831-1892) teilt dieses Schick­ sal, selbst in Nürnberg, wo er als Direktor des Germanischen Nationalmuseums den Höhepunkt seines Schaffens entfaltete. 1985 legte Karin Holzamer in ihrer Regensburger Dissertation (August Essenwein 1831-1892. Architekt und Museumsmann. Seine Zeichnungen und Entwürfe in Nürn­ berg) den Grundstein für weitere Forschungen, indem sie Essenweins Grafiken in den Beständen des Germanischen Nationalmuseums auswertete und eine Skizze seiner

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Lebensgeschichte vorlegte. Der Berliner Kunsthistoriker Peter Springer hat es sich zur Aufgabe gemacht, Essenweins Lebens- und Werkgeschichte einer breiteren Öffentlich­ keit zugänglich zu machen. Bei einer Studien-Exkursion in den 1970er Jahren entdeckte er im Kölner Dom den Mosaikboden Essenweins für sich. Bevor Peter Springer 2015 nach kurzer Krankheit verstarb, konnte er seine Biografie über Essenwein noch vollen­ den. Die jahrzehntelange Begeisterung für und das unerschöpfliche Wissen über das „Phänomen Essenwein“ spürt der Leser in Springers Werk deutlich. Springer gliedert sein Buch in der für Künstlermonografien traditionellen Form chronologisch von den „frühen“ bis zu den „letzten Jahren“. In Essenweins Lebensge­ schichte webt er eine Vielzahl seiner Bau- und Restaurierungsprojekte ein. Deren Aus­ wahl ist klug, weil breit gefächert und sowohl die großen und bekannten als auch die kleinen und nahezu unbekannten Werke berücksichtigend. So findet die schon zur Bauzeit rege diskutierte neuromanische Ausmalung und Ausstattung für Groß St. Mar­ tin in Köln ebenso ausführliche Würdigung wie Essenweins geniale, weil mit geringen Mitteln realisierte Dorfkirche für Franzdorf im Banat. Dabei ist Springers Werk nicht erschöpfend und will es auch nicht sein. Nürnberg spielte im Werk August Essenweins eine zentrale Rolle (S. 243ff.). Auf Vorschlag seines Freundes Jacob von Falke bewarb sich Essenwein 1865 auf die Stelle des Ersten Vorstandes des Germanischen Nationalmuseums - und setzte sich durch. Es folgte eine fruchtbare Tätigkeit für das Museum, in deren Rahmen die kulturhistorische Sammlung entstand, wie wir sie heute kennen. Daneben baute, forschte und restaurierte Essenwein unentwegt mittelalterliche Bauten und bewahrte sie als staatlich bestellter Konservator vor der Vernichtung. Nürnbergs Stadtmauer gäbe es nicht mehr ohne Essenweins Intervention. Mit der neugotischen Restaurierung der Frauenkirche und dem Neubau des Rathausflügels am Fünferplatz schuf Essenwein Inkunabeln des His­ torismus in Nürnberg. Leider ist von alledem fast nichts erhalten geblieben. Erfreulich ist, dass Springer Essenwein nicht als „beziehungslose Monade“ (Wolf­ gang Kemp) betrachtet, sondern sein Werk stets in Beziehung zu einem umfangreichen Netzwerk aus Freunden und Gönnern sowie zur Kunst- und Kulturgeschichte seiner Zeit setzt. Zum Beispiel arbeitet er die Bedeutung der Eisenbahn heraus (S. 114ff.), ohne die Essenwein seine kunsthistorischen Studien nie hätte betreiben können. Dadurch wird der Künstler, von dem wir kaum persönliche Aufzeichnungen besitzen, für den Leser lebendig, ohne dass dabei das Terrain wissenschaftlicher Seriosität verlassen würde. Diese Kontextualisierung kommt auch in Springers Würdigung Essenweins und seines Werkes zum Tragen (S. 485ff. und S. 515ff). Hier widerlegt der Autor präzise die eingangs erwähnte Kritik am scheinbar rückwärtsgewandten Historismus und arbeitet Essenweins zentrales Anliegen heraus, die Kunst der „Alten“ für Gegenwart und Zu­ kunft fruchtbar zu machen. Springers Schreibstil ist lebendig, leicht verständlich und kommt ohne ermüdende Bandwurmsätze aus. Dies macht das Werk auch für jene lesenswert, die sich Essenwein und dem Historismus erst annähern. Den Band bereichern zahlreichen Fotografien und Reproduktionen von Essenweins Entwürfen und Zeichnungen. Die Wiedergabequalität

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ist leider streckenweise nicht sonderlich gut. Der Verfasser hofft, dass dies in einer Neu­ auflage korrigiert wird. Eine gründlich recherchierte Bibliografie von Essenweins zahl­ losen Publikationen rundet das Werk ab. Peter Springers Monografie wird für die nächsten Jahrzehnte das Standardwerk zu August Essenwein bleiben. Gleichzeitig eröffnet es viele Perspektiven für vertiefende Forschungen, gerade zu Essenweins Schaffen in Nürnberg und für das Germanische Nationalmuseum. Sebastian Gulden

Dorothea Peters: Der Fall Kaspar Flauser als Kriminalfall und als Roman von Jakob Wassermann (Juristische Zeitgeschichte 6, 41). Berlin u.a.: De Gruyter 2014. VII, 210 S. €99,95 Jakob Wassermann (1873-1934), in Fürth geboren und aufgewachsen, später unstet zwischen Österreich und Deutschland wechselnd, gehörte in der Weimarer Republik zusammen mit Hermann Hesse und Thomas Mann zu den drei erfolgreichsten Autoren des S. Fischer Verlages, der ihn allerdings 1933 (ebenso wie Thomas Mann) ausbootete. Seine Werke wurden bereits am 10.5.1933 vom Nazi-Staat verboten; der neue Rektor der Universität Freiburg i. B. Martin Heidegger beendete die dortige Rede zur Bücher­ verbrennung mit der Aufforderung an die Studenten: „Flammen zündet - Herzen brennt!“, obwohl er wissen musste, dass „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Her­ zens“ (1908 - bei S. Fischer 1912) sich unter den Opfern des Autodafes befand. Jakob Wassermann starb psychisch getroffen und verarmt am 1.1.1934 in Altaussee. „Der Fall Mauritius“ (1928) / „Etzel Andergast“ (1931) ist ein weiteres Werk zur Gerechtigkeits­ frage; für Nürnberg von besonderer Bedeutung sind „Die Juden von Zirndorf“ (1897), „Das Gänsemännchen“ (1915) sowie „Mein Weg als Deutscher und Jude“ (1921). Auch nach dem Ende der Naziherrschaft blieb das Interesse am Gesamtwerk gering. Erneute Popularität erlangte nur „Caspar Hauser“, der auch vielfach neue Versionen und Bear­ beitungen (etwa von Peter Handke und Werner Herzog) erfuhr. Dorothea Peters wurde 2014 von der Juristischen Fakultät der Fern-Universität Hagen mit ihrer Arbeit „Der Kriminalrechtsfall Kaspar Hauser und seine Rezeption in Jakob Wassermanns Caspar-Hauser-Roman“ zur Dr. jur. promoviert. Die Verkom­ plizierung des Titels für die Buchausgabe hat offenbar folgende Bewandtnis: Der „Doktorvater“ Thomas Vormbaum gibt sich als begeisterter Anhänger des „Law and Literature Movement“ zu erkennen, das in den USA seit den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts zu einer erfolgreichen, wenn auch theorielastigen Querverbindung zwi­ schen Literatur und Rechtswissenschaft geführt hat. In Deutschland dagegen gibt es nicht nur mit Juristendichtern und Dichterjuristen seit jeher eine gegenseitige Befruch­ tung von Recht mit Literatur und Ethik, von Rechtswissenschaft mit Kunst. Die bei den Juristen führende Neue Juristische Wochenschrift bringt unter der Redaktion von Hermann Weber seit Jahrzehnten regelmäßig Abhandlungen aus dem Bereich Literatur und Recht. Vorstellbar ist, dass Vormbaum wegen der bei uns aktuellen Gefährdung der Grundlagenforschung die Beachtung von und den Verweis auf Neuerungen in Amerika schätzt. Bezogen auf die Arbeit bedeutet das: Der Prolog „Zur Recht- und Literaturbe-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen wegung“ wäre nicht nötig gewesen - unnütz ist er nicht. Dass die mental-rationalen Perspektiven der Juristen bei Schaffung und Anwendung des Rechts durch den Bereich von Literatur und Kunst als zusätzliche Quelle der Gerechtigkeitsfindung erweitert und gegebenenfalls korrigiert werden können, ist der deutschen Juristerei auch bisher nicht fremd gewesen. Auch das erste Kapitel zum „Kriminalrechtsfall auf der Grundlage historischer Dokumente“ überrascht, weil dies nicht das literarische Werk Wassermanns betrifft, sondern die Ermittlungen im Fall Kaspar Hauser berichtet und zwar in einer Form, die der sogenannten Erbprinzentheorie entspricht, deren Wahrheitsgehalt nach der heute herrschenden Meinung gering sein dürfte. Zwar ist der kategorische Ausschluss der großherzoglich-badischen Abstammung, von dem unser Stadtlexikon 1999/2000 aus­ geht, nicht mehr zu halten, indes ist eine positive Annahme bis heute unmöglich (vgl. Horst-Dieter Beyerstedt: Kaspar Hauser im Stadtarchiv, in: Norica 8/2012, S. 32; hin­ zuweisen ist darauf, dass nach dem Untergang der Hauseriana des Münchner Haupt­ staatsarchivs im Zweiten Weltkrieg der Bestand des Stadtarchivs besondere Bedeutung gewonnen hat). Im Klartext: Ermittlungsakten usw. sind keine Literatur - im Dialog der Rechtswissenschaft mit dem Roman sind allein die Gestaltungen des Dichters und das anzuwendende Recht des Juristen maßgeblich; Überlegungen zu Veränderungen der Gesetze oder des Romaninhaltes können nur hilfsweise erfolgen. Vice versa gilt das­ selbe fürs zweite Kapitel zum „ Dichter Jakob Wassermann“: Ein Schriftsteller mit un­ endlich viel Mühe und Arbeit an sich selbst, dem nur einmal mit „Caspar Hauser“ das Werk und mit ihm der Welterfolg gelang - vor allem dies wäre hier beizuziehen. „Der Inhalt des Romans“ wird erst im dritten Kapitel grundlegend eingeführt. Kas­ par erscheint am 26.5.1828 in Nürnberg - nach chaotischen Wochen im Sinwellturm ordnet der Erste Präsident des Appellationsgerichts Ansbach Anselm Ritter von Feuer­ bach (der wohl bereits jetzt die Ähnlichkeiten Kaspars mit den badischen Großherzögen feststellt) die Unterbringung des Findlings beim Gymnasialprofessor Daumer an. Zuvor hatte Bürgermeister Binder mit einer Bekanntmachung auf den Verdacht hinge­ wiesen, dass mit der von Kaspar behaupteten langjährigen Kerkerhaft ein schweres Verbrechen begangen worden sei. Dieser Sachverhalt zeichnet die kommende Entwick­ lung vor, die von Frau Peters durch eine Vielzahl von Zitaten belegt wird - nachdem das Literaturverzeichnis etwa 400 Werke nennt, aus denen zitiert wurde, muss sich die Be­ sprechung auf wenige Hinweise beschränken. Zunächst sind im vierten Kapitel freilich die Grundlagen der geistigen Aufnahme und Verarbeitung („Rezeption“) des Schicksals von Kaspar Hauser zu klären. Frau Peters bringt hier (S. 110) sehr mit Recht den Tage­ bucheintrag Wassermanns vom 3.12.1905 ein: „Urplötzlich vermählte sich in mir die Caspar-Hauser-Vision mit der Trägheitsidee ... Damit war Spiel und Gegenspiel gege­ ben: Caspar gegen die Welt“. Das zentrale fünfte Kapitel befasst sich deshalb mit der „Trägheit des Herzens“ , der schon vom jungen Goethe verwendeten und auch von den Katholiken übernommenen Übersetzung der lateinischen acedia - eine der sieben Hauptsünden, deren „Auffüllung“ Wassermann mit der solitären, unschuldigen Menschlichkeit Kaspars viel Freiheit lässt. Als negatives Beispiel brennender Herzen wurde oben auf Heideggers „Herzen brennt!“ hingewiesen. Die Charakterisierung der Akteure in diesem Kapitel ist sehr gut gelungen; dazu nur folgende Anmerkungen:

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen - Wassermann hat das Kaspar-Buch noch vor dem Ende der alten Welt geschrieben; die romantische Abweisung der Herzensträgheit trägt noch dieses Gewand. Nach dem Ersten Weltkrieg schiebt Wassermann Erlösungsphantasien nach wie zum Beispiel: Alle Menschen sind „vollkommen stumpf und ... hilflos dem Phänomen der Unschuld ge­ genüber ... gemordet hat ihn [Kaspar] jeder in seiner Weise: die Liebenden so gut wie die Hassenden, die Lehrenden wie die Verklärenden: die ganze Welt ist an ihm zum Mörder geworden.“(S. 115) Das ist pseudoreligiöse Esoterik, die im „Schönsten Krimi aller Zeiten“ (Golo Mann) nichts zu suchen hat. - Allerdings dürfte es äußerst schwierig gewesen sein, Kaspar wirklich gerecht zu werden. Die zentrale These des großen (2014 verstorbenen) Münchner Religionsphilo­ sophen Eugen Biser ist, dass der Mensch in seiner Entwicklung gehemmt werde von der Angst, nicht als derjenige angenommen zu werden, der er ist. Da Kaspar Hauser dies selber nicht weiß, können auch seine überwiegend ihm gewogenen Nürnberger und die überwiegend ihm feindlichen Ansbacher Kontakte nicht helfen. Es gibt nur zwei Aus­ nahmen. Zum einen der „einzig Authentische“, der Wachsoldat Schildknecht, der ihm - nach Beendigung des Bewachungsauftrags - weiter (und geheim) als Freund und Helfer dient, von Kaspar als Bote mit einem Brief an Stephanie geborene Beauharnais (nach den Deduktionen Anselm von Feuerbachs angeblich Kaspars Mutter) geschickt, die sich als Stiefgroßmutter des regierenden Großherzogs ins Mannheimer Schloss zu­ rückgezogen hatte (und nach Golo Mann Kaspars „Spektakel noch erlebte, aber keinen Augenblick glaubte, es sei ihr Sohn“); Kaspar nahm in Kauf, dass der Fahnenflüchtige (und Erfolglose) erwischt und auf der Feste Plassenburg inhaftiert wurde. Zum anderen ist es sein häufiger, aber stets vergeblicher Ruf nach der Mutter, die weiß, wer er ist und ihm das intuitiv (im Sinne von Goethes Ewig-Weiblichem) vermitteln könnte, was aber offenkundig im Kleinkindalter nicht geschehen ist und die Nachholung nicht gelingt. Das sechste Kapitel behandelt die juristischen Perspektiven des Falles Hauser. Zu­ nächst ist ganz nüchtern darauf hinzuweisen, dass moralische Verbindlichkeiten keine zwangsweise durchsetzbaren Rechtsnormen sind. In der Tat verletzt die Trägheit des Herzens keine Gesetze, sondern ethische Regeln, die im Einzelfall zu begründen schwierig sein kann. Dass Kaspar seine Gegenüber am Ende alle außer Schildknecht für unmoralisch hält, mag verwundern - ist aber denkbar, einschließlich des von Kaspar hochangesehenen Gerichtspräsidenten Anselm von Feuerbach, und zwar deshalb, weil ihm Kaspar auch als Mittel zu dem Zwecke diente, aus der Verbannung im „Krähwin­ kel“ Ansbach herauszukommen, um in München wieder mitspielen zu können. Auch untersucht er den Fall Hauser nach dem von ihm geschaffenen Bayerischen Strafgesetz­ buch von 1813 (Verbrechen widerrechtlicher Gefangenenhaltung gern. Art. 182-195) und gibt 1832 die Schrift „Kaspar Hauser. Beispiel eines Verbrechens am Seeelenleben des Menschen“ heraus. Bei Lord Stanhope ist die Sache nach dessen „Seitenwechsel“ ohnehin klar, weil er dem Betrugsvorwurf kaum entgehen dürfte, wenn er denn noch lebte und es einen Ankläger gäbe. Wassermann geht offenkundig von einer Ermordung Kaspars aus; indes bleibt offen, wer Kaspar die Stichverletzungen am 17.10.1829 in Daumers Haus und die tödlichen am 14.12.1833 im Ansbacher Hofgarten beigebracht hat. - Frau Peters gibt sich sehr viel Mühe, das an Kaspar durch die Kerkerhaft offenbar

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen begangene „Verbrechen am Seelenleben“ de lege lata und de lege ferenda zu würdigen. Nach unserem geltenden Strafgesetzbuch gibt es zwanzig Delikte der Verletzung der psychischen Integrität als Unterfälle der Gesundheitsschädigung; insbesondere ist hin­ zuweisen auf § 225 StGB, der die Misshandlung von Schutzbefohlenen pönalisiert. Abschließend schlägt Frau Peters vor, künftig im StGB Straftaten gegen die körperliche und gegen die seelische Unversehrtheit von vornherein zu unterscheiden. Dagegen spricht, dass alles Wesentliche bereits zufriedenstellend geregelt ist, das „Seelische“ nicht der Klarheit dient und im übrigen im Bereich psychischer Schäden Gesetzesände­ rungen nur dann anstehen dürften, wenn weitere konkrete Gesetzeslücken erkannt werden. Das Buch von Dorothea Peters ist ein origineller und wichtiger Beitrag zu Kaspar Hausers Geschichte. Wer interessiert ist, aber den Roman bisher nicht kennt, dem wird dringend geraten, zunächst den Roman selbst zu lesen, um sich dann das anspruchsvolle Peters-Buch zu Gemüte zu führen. Wassermann teilte sein Buch auf in eine gute, näm­ lich nürnbergische, und eine böse, ansbachische Hälfte - versöhnen kann beide der wunderbare Ansbacher Grabspruch, mit dem auch Wassermanns Roman endet: HIC JACET CASPARUS HAUSER / AENIGMA SUITEMPORIS / IGNOTA NATIVITAS/ OCCULTA MORS. Und so wird Kaspar ein Rätsel bleiben, das noch viel Wissen schafft. Frau Peters hat dazu einen weiteren Beitrag von Gewicht geleistet. Indes sind allein im letzten Halbjahr mindestens vier neue Publikationen über unseren Kaspar er­ schienen - die Auseinandersetzungen also werden nicht enden. Hartmut Frommer

Bertha Kipfmüller: „Nimmer sich beugen“. Lebenserinnerungen einer Frauenrecht­ lerin und Wegbereiterin des Frauenstudiums (Lehrerinnenbiografien). Heidelberg: Mattes 2013. 462 S. mit 3 Abb. € 20,Bertha Kipfmüller? Der Name dieser Streiterin für Frauenrechte des ausklingenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist - soweit er vor Jahrzehnten einer sicherlich über­ schaubaren Öffentlichkeit überhaupt bekannt war - fast zur Gänze in Vergessenheit geraten und dürfte selbst vielen an der Geschichte der Frauenbewegung vor 1945 Inte­ ressierten nicht präsent sein. Allzu erstaunlich ist dies freilich nicht, denn wer sich über die langjährige Lehrerin, die gleich zweimal promovierte und sich auf Vereinsebene insbesondere für die Organisation der weiblichen Lehrerschaft im Deutschen Reich mit Nachdruck einsetzte, rasch und prägnant informieren möchte, wird nicht schnell fündig werden: Weder im Deutschen Biographischen Archiv (DBA) bzw. in der Datenbank World Biographical Information System Online (WBIS Online) oder gar in der Neuen Deutschen Biographie (NDB) noch im 2000 in zweiter Auflage in Nürnberg erschiene­ nen Stadtlexikon Nürnberg - die süddeutsche Industriemetropole war für Jahrzehnte der Arbeits- und Lebensmittelpunkt Bertha Kipfmüllers - finden sich entsprechende Einträge. Allein einige, im Wesentlichen seit den 1990er Jahren veröffentlichte Publika­ tionen zur Frauengeschichte bieten zumindest hin und wieder eine biografische Skizze zu ihrem Leben und Wirken, so zum Beispiel der vom Haus der Bayerischen Ge­ schichte anlässlich der Bayerischen Landesausstellung 1998 publizierte Katalogband „Geschichte der Frauen in Bayern. Von der Völkerwanderung bis heute“ (S. 294f.).

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Umso mehr stellt sich die Frage: Wer war Bertha Kipfmüller? Manch authentischen und erhellenden Blick in die Lebenswelt Bertha Kipfmüllers - die 1899 mit der Abhand­ lung „Das Ifflandische Lustspiel. Ein Beitrag zur Geschichte der dramatischen Tech­ nik“ an der Philosophischen Fakultät der Universität Fleidelberg als erste Frau Bayerns promovierte, um 30 Jahre später, 1929, nachdem sie 1926 als Lehrerin in Pension gegan­ gen war, mit der Studie „Die Frau im Rechte der Freien Reichsstadt Nürnberg. Eine rechtsgeschichtliche Darlegung auf Grund der verneuerten Reformation des Jahres 1564“ noch einen zweiten Doktortitel, diesmal allerdings der Juristischen Fakultät der Universität Erlangen, zu erwerben - gewähren nun ihre seit 2013 vorliegenden autobio­ grafischen Aufzeichnungen. Zwei Schwerpunkte kennzeichnen das in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkriegs selbstverfasste Lebensbild, das nicht mehr wie geplant zu Bertha Kipfmül­ lers Lebzeiten - sie starb 1948 in Pappenheim, wo sie 1861 auch geboren worden war erscheinen konnte: Zum einen die lange Tätigkeit als Lehrerin sowie ihr großes Engage­ ment für den Zusammenhalt, die Anerkennung und die Stärkung des weiblichen Lehrerstandes, zum anderen ihr mit der Promotion abgeschlossenes Studium an der traditionsreichen Universität Heidelberg. Die Bedeutung dieser universitären (Aus-) Bildung für ihr Selbstverständnis, ihre eigentliche, ein für sie selbst glaubwürdiges Dasein erst ermöglichende Identität als Wissenschaftlerin kann kaum hoch genug ein­ geschätzt werden. Die Universitätszeit darf sowohl als Wendepunkt ihres bisherigen Lebens als auch als Dreh- und Angelpunkt ihrer künftigen Existenz als (Privat-)Gelehrte bezeichnet werden, die in gewisser Hinsicht durchaus im Gegensatz zur Aus­ übung ihres Berufs als Lehrerin stand. Geboren in eine kinderreiche Pappenheimer Handwerkerfamilie, schließt sich der kurzweiligen, schon manches über die bald erkennbare Eigenart Bertha Kipfmüllers aufzeigenden Schilderung ihrer Kinder- und frühen Jugendzeit - bestätigt durch die frühe Einschätzung der Kleinkinderschullehrerin, sie sei ein eigens Kind (S. 10) gewe­ sen, was die folgende Lebensbeschreibung klar zum Ausdruck bringt - die Darstellung der beiden Jahre im Münchner Lehrerinnenseminar an: Mitte Oktober 1877 begann die Ausbildung, die bereits im Sommer 1879 mit Erfolg abgeschlossen werden konnte. Nach einer kurzen Phase als Schulamtspraktikantin in ihrer Heimatstadt Pappenheim, der Anstellung als Schulgehilfin in Eysölden (S. 55), das 1978 Teil der Gemeinde Thalmässing (Landkreis Roth) wurde, und der ersten richtigen Lehrerinnenstelle im mittelfränkischen Heilsbronn folgte 1886 die Übersiedlung in die Gemeinde Schoppershof, die erst 1899 dem nahen Nürnberg einverleibt werden sollte und wo sie auf gänzlich andere Lebens- und Schulverhältnisse als bisher traf: Nette Kinder waren es, gut gezo­ gene Fabrikarbeiterskinder, Handwerkers-, Bauern-, Kaufmannskinder, die durch ihre Vorgängerin gut gezogen waren. Eine stramme Disziplin war auch für den Schulunter­ richt Bertha Kipfmüllers kennzeichnend: Ich habe sie beibehalten durch alle Jahrzehnte meines Berufes. (S. 103) Die 1880er Jahre markierten zugleich den Beginn des Einsatzes Bertha Kipfmüllers in besonders hohem Maße für ihren Berufsstand, aber auch für die Frauenbewegung insgesamt. Noch als Lehrerin in Heilsbronn war sie Ende Juni 1886 in Nürnberg Mit-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen Begründerin des Mittelfränkischen Lehrerinnenvereins, nahm unter anderem im Früh­ jahr 1892 an der zweiten Generalversammlung des 1890 ebenfalls von ihr mit ins Leben gerufenen Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins (ADLV) in dem im Harz gelege­ nen Blankenburg teil und wirkte wiederum als eine treibende Kraft sowohl bei der Gründung des Nürnberger Vereins Frauenwohl Ende 1893 als auch bei der Entstehung der Nürnberger Ortsgruppe des 1865 gegründeten Allgemeinen Deutschen Frauenver­ eins (ADF) Anfang Juni 1894, deren zweiten Vorsitz sie sogleich übernahm. Nachdem Bertha Kipfmüller erneut verweigert worden war, Lehrerin in Nürnberg zu werden, fasste sie noch 1894 den Entschluss, ein geisteswissenschaftliches Studium aufzunehmen, was 1896 auch geschah. Damit war die entscheidende Zäsur in ihrem Leben eingetreten. Den kommenden Lebensabschnitt, die 1899 endenden Studienjahre in Heidelberg, stellte sie in ihren Erinnerungen nicht nur unter das Motto Der neue Mensch (S. 201), sondern räumte ihm im Verhältnis zu anderen Lebensspannen auf rund 130 Seiten ihrer autobiografischen Darlegungen den breitesten Raum ein. Geprägt war die Heidelberger Studienzeit durch stetes, hartnäckiges Streben und enormen Fleiß mit dem Schwergewicht auf der vergleichenden Sprachwissenschaft, dem Sanskrit und der deutschen Literaturgeschichte. Aufgelockert wurden diese arbeits- und erkenntnisreichen „Lehrjahre“ durch die Pflege intensiver, auch internationaler Bekanntschaften und Begegnungen inner- wie außerhalb des universitären Rahmens, verbunden mit zahlreichen Ausflügen, Wanderungen und Besuchen bei befreundeten Familien, Freun­ dinnen und Bekannten im näheren und weiteren Umfeld: Aber die Arbeit blieb immer die Hauptsache. (S. 238) Nachdem sich eine erste, schon weit gediehene Doktorarbeit auf dem Gebiet des Sprachvergleichs als Folge der Veröffentlichung jüngster For­ schungsergebnisse kurzfristig zerschlagen hatte, konnte Bertha Kipfmüller ihr Studium dennoch „rechtzeitig“ mit einer literaturhistorischen Dissertation erfolgreich beenden. Trotz einiger, auch menschlicher Enttäuschungen und mancher, nicht zuletzt finanziel­ ler Entbehrungen dürfen diese Studienjahre als die zweifellos schönste Zeit ihres Le­ bens gelten: Ich hatte Heidelberg und war glücklich, so glücklich. (S. 209) Dem Ende der „akademischen Freiheit“, dem Abschluss einer großen, herrlichen, idealen, ja der idealsten Zeit meines Lebens, schloss sich für Bertha Kipfmüller die Rückkehr nach Nürnberg und in den Schuldienst an der Höheren Mädchenschule für mehr als ein Vierteljahrhundert an. (S. 329) Dieser Übergang wurde als schmerzhafter Einschnitt erfahren und musste wohl zwangsläufig sogar als Rückschritt empfunden werden: Vor dem Innern lag der dunkle Schleier, den die Menschen nicht durchschauen konnten. (S. 330) Einhergehend mit anfänglichen fachlichen Kränkungen und einem rund zehnjährigen Konflikt mit dem Schuldirektor, dessen Zuspitzung 1904 - die dunk­ len Fluten von Gemeinheit und Niedertracht (S. 377) - die Verfasserin leider nicht wei­ ter erörtert, wurde es ihr sehr schwer gemacht, aufs Neue die Rolle der Lehrerin ganz und gar zu akzeptieren und anzunehmen. Zwar widmete sie sich mit dem ganzen stren­ gen Pflichtgefühl (S. 348f.) ihrem Beruf, der ihr schließlich doch noch zur Lebensauf­ gabe (S. 419) wurde, doch bewahrte sie dies nicht vor Verzweiflung und Depression: Es gibt keine Hoffnung mehr für mich. Alles ist zu Grabe getragen. Warum weiter leben? (S. 349) Keinen geringen Ausgleich zum anstrengenden Schulalltag und zu mancher

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Krankheitsphase stellte fortan die schriftstellerische Betätigung dar, ganz überwiegend für Fachzeitschriften für das Schulwesen, und das weiterhin vehemente Eintreten für die Belange der Lehrerinnen, für die Mädchenbildung und überhaupt für die Frauen­ emanzipation, was beispielsweise in ihrem Engagement zur Vorbereitung des Bayeri­ schen Lehrerinnentages in Nürnberg an Pfingsten 1902 oder durch ihren Vortrag über die Frage der Mädchenschulreform (S. 403) auf der Tagung des neu gegründeten Nord­ bayerischen Frauenverbandes Ende 1908 in Bamberg zum Ausdruck kam. Nach dem Eintritt in den Ruhestand konnte Bertha Kipfmüller ein Leben als eine Art Privatgelehrte führen: So erwarb sie 1929 mit einer rechtshistorischen Arbeit einen zweiten Doktortitel und widmete sich ab Mitte der 1930er Jahre geschichtlichen und philosophischen Studien an der Universität Jena sowie seit 1936 dem Erlernen der chi­ nesischen Sprache, das sie 1938/39 bis an das Sinologische Seminar der heutigen Hum­ boldt-Universität zu Berlin führte. Größeren Raum nehmen in ihren Erinnerungen nun zudem die Aktivitäten des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA) ein, an denen sie regen Anteil nahm. Mit zunehmendem Alter mehrten sich auch die ihren ehrenamt­ lichen Einsatz würdigenden Ehrungen, vorwiegend anlässlich runder Geburtstage. Trotz einer recht dichten Darstellung, die in einem sehr selbstbewussten und oftmals gar nicht uncitlen Stil abgefasst ist, vermisst der eine oder andere Leser zweifelsohne hin und wieder wertvolle, zum Verständnis beitragende Informationen und eine (selbst-) kritischere Sicht. Bei autobiografischen Aufzeichnungen ist dies aber verständlicher­ weise eher selten zu erwarten, denn wer legt ohne Not den Finger in eventuell noch immer schmerzhafte oder gar das Selbstbild in Frage stellende (Lebens-)Wunden? Auf­ fallend ist darüber hinaus die weitgehende Aussparung der Zeit des Zweiten Weltkriegs, was angesichts der unmittelbaren Nähe zur Niederschrift noch nachvollziehbar ist, je­ doch auch bereits des Ersten Weltkriegs, verbunden mit Bertha Kipfmüllers massivem Eintreten für die Belange des VDA, dessen Nürnberger Orts verein sie 1917 mitbegrün­ den half und dem sie lange Zeit als 1. Vorsitzende Vorstand: Ging es ihr hier doch um die Erweckung deutschen Selbstbewusstseins in den Tagen schwerster Not, ein Glauben und Hoffen an und für die Unvergänglichkeit deutscher Werte von der Nordsee bis über die Alpen, von Kontinent zu Kontinent über alle Meere unserer beweglichen Erde. (S. 418f.) Neben etlichen weiteren zu hinterfragenden Aspekten ist schließlich ihre of­ fensichtlich zeitlebens gänzlich ungebrochene Bewunderung des dominanten Reichs­ kanzlers Otto von Bismarck (1815-1898) bemerkenswert: Es gibt Menschen, die sterben nicht. (S. 109) Vielleicht bietet eine für den Herbst 2016 angekündigte Biografie über Bertha Kipfmüller, verfasst von ihrem Urgroßneffen Hans-Peter Kipfmüller, der auch ihre handschriftlichen „Lebenserinnerungen“ transkribierte, in dieser Perspektive etwas mehr Aufklärung und Einsichten in das Leben einer letzten Endes vielfältig kon­ servativ orientierten, sehr in ihrer Zeit verhafteten „Bildungsbürgerin“. Steven M. Zahlaus

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Peter Fleischmann (Hrsg.): Hitler als Häftling in Landsberg am Lech 1923/24. Der Gefangenen-Personalakt Hitler nebst weiteren Quellen aus der Schutzhaft-, Untersuchungs- und Festungshaftanstalt Landsberg am Lech. Neustadt an der Aisch: Ph. C. W. Schmidt 2015. 552 S. mit Abb. € 59,Es mag dem Umstand geschuldet sein, dass die Generation derjenigen, welche die NS-Zeit noch bewusst miterlebt haben, zunehmend schwindet, dass in den letzten Jah­ ren die Zahl der Biografien über Akteure jener Zeit stark zugenommen hat und auf unverändert großes Interesse stößt. Jenseits von bedeutenden Erkenntnissen aus Struk­ tur- und sozialgeschichtlichen Forschungsansätzen bietet der biografische Zugang immer noch die auch in Verkaufszahlen sich niederschlagende populärste, weil mensch­ lich für einen wachsenden Leserkreis ohne direkte Bezüge zu den Jahren vor 1945 am besten nachvollziehbare Analyseform, insbesondere über die Fachwelt hinaus. Es ist daher wenig erstaunlich, dass zuletzt in großer Zahl Lebensbeschreibungen zu führen­ den Nationalsozialisten wie Joseph Goebbels und Heinrich Himmler oder, für den Nürnberger Leser besonders interessant, Julius Streicher (vgl. MVGN 102/2015, S. 356-358) erschienen sind. Die am häufigsten porträtierte Person der NS-Zeit bleibt jedoch Adolf Hitler. Allein seit 2013 legten mit Peter Longerich, Wolfram Pyta und Volker Ullrich gleich drei Autoren umfangreiche biographische Studien über die Person des Diktators vor. Spätestens mit dem Näherrücken des Erscheinungsdatums der wis­ senschaftlich kommentierten Edition von Hitlers Bekenntnisbuch „Mein Kampf“ zu Jahresbeginn 2016 erreichte die Auseinandersetzung mit Hitler, seinem frühen politi­ schen Werdegang und seiner in „Mein Kampf“ niedergelegten Gedankenwelt eine breite Öffentlichkeit. Hier kam den Umständen der Buchcntstchung während der Landsberger Haftzeit wieder verstärkte Aufmerksamkeit zu. Sind für die jüngere For­ schung diese gut 13 Monate vom missglückten Putschversuch im November 1923 bis zur Haftentlassung im Dezember 1924 nur eine Zwischenetappe, betonten ältere Dar­ stellungen wie die 1973 erstmals erschienene, Maßstäbe setzende Hitler-Biografie von Joachim Fest den formativen Charakter für das künftige Auftreten und Selbstverständ­ nis Hitlers. Für diese prägende Episode im Lebensweg Hitlers hat Peter Fleischmann, Leitender Archivdirektor des Staatsarchivs Nürnberg und Professor an der Universität ErlangenNürnberg, mit der umfangreichen Gefangenenakte eine wichtige Quelle nicht nur für die Forschung vor dem Verschwinden in Privatbesitz gesichert, sondern mittels einer publizierten Edition auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Zustandekommen dieser Edition verdient besondere Beachtung und nimmt zunächst Züge einer Detektivgeschichte an. Im Jahr 2010 bot ein Fürther Auktionshaus den gut vier Jahrzehnte lang verschollenen „Gefangenen-Personalakt Hitler Adolf“ zusammen mit weiteren amtlichen Schriftstücken der Haftanstalt Landsberg am Lech zur Verstei­ gerung an. Das Magazin „Der Spiegel“ wurde darauf aufmerksam und bat die bayeri­ sche Archiwerwaltung um Prüfung auf Echtheit der Dokumente. So wurde Peter Fleischmann als damaliger Leiter des zuständigen Staatsarchivs München auf die Ge­ schichte aufmerksam. Rechtzeitig vor der anstehenden Auktion konnte er über das bayerische Forschungsministerium den Kulturgutschutz für die Dokumente erwirken,

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen so dass zum einen die Ausfuhr aus Deutschland ebenso verhindert wie zum anderen die Eigentumsrechte des Freistaats Bayern an den amtlichen Papieren geltend gemacht wer­ den konnten. Der offiziellen Beschlagnahmung der Dokumente folgte eine gütliche Einigung mit dem vormaligen Besitzer. Die Originalschriftstücke befinden sich heute im Staatsarchiv München. Mit der Unterstützung des Schmidt-Verlages erspart Fleischmann nun dem Kreis der daran Interessierten den Archivbesuch und bereitet die zeithistorisch wichtigen Quel­ len in Form einer umfangreichen wissenschaftlichen Edition auf. Der Leser wird zu­ nächst nicht nur über die wechselvolle Überlieferungsgeschichte und Auffindung des Papierkonvoluts informiert, sondern auch kenntnisreich in die verwaltungs- und straf­ rechtlichen Belange eingeführt: Von der Geschichte der Flaftanstalt Landsberg bis zu den diffizilen Unterschieden zwischen Schutz-, Untersuchungs- und Festungshaft. Vor allem letztere wurde der martialischen Bezeichnung in keiner Weise gerecht, sondern galt als „Ehrenhaft“ (S. 24) mit allerlei Vergünstigungen für moralisch offenbar nach­ vollziehbare Straftaten. Beispielsweise wurden Offiziere, die sich ihre Eheschließung nicht von ihren Vorgesetzten hatten genehmigen lassen, ebenso mit Festungshaft be­ langt wie Beteiligte am verbotenen Duellwesen. Aber auch Flochverräter kamen in den Genuss dieser besonderen Haftform - und das ist nicht ironisch zu verstehen. Den Gefangenen wurde zum Beispiel kein Arbeitszwang auferlegt, der Briefverkehr wurde in der Regel nicht kontrolliert, Selbstverköstigung aus eigener Tasche war ebenso ge­ stattet wie die freie Kleiderwahl anstatt gemeiner Häftlingskleidung. Das erwartete also Hitler und seine Mitverschwörer für den gescheiterten Putschver­ such vom 8./9. November 1923 mit mehreren Toten, sofern sie dafür überhaupt verur­ teilt worden waren und nicht freigesprochen wurden wie etwa Erich Ludendorff. Das vermeintliche Haftmartyrium der Umstürzler als Glaubensbeweis an die eigene politi­ sche Überzeugung entpuppte sich eher als örtlich beschränkter Zugewinn von Freizeit mit ausreichend Freiraum zum Briefe- oder, im Falle Hitlers, Buchschreiben, unterbro­ chen von fast täglich in die Haftanstalt kommenden Besuchern. Diese Umstände der Haftzeiten Hitlers en detail aufzeigen zu können, ist der große zeithistorische Wert der hier editierten Quellen. Hitler bekam fast täglich während seiner gut halbjährigen Festungshaft Besuch, ins­ gesamt 330 Personen zwischen April und Dezember 1924. Wie Fleischmanns statisti­ sche Auswertungen zeigen, lag der Großteil der Herkunftsorte eindeutig im süddeut­ schen Raum inklusive Österreich, wobei München zahlenmäßig klar dominierte. Der damalige Schwerpunkt der nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch verbotenen NSDAP auf Bayern und die durchaus noch vorhandenen Beschränkungen von Hitlers Wirken im Geflecht der rechtsextremen, republikfeindlichen Organisationen in Mittel- und Norddeutschland spiegelte sich hierin wieder. Da sich jeder Besucher zunächst eine „Sprechkarte“ ausstellen lassen musste, bevor er sich zum Teil ohne Beisein eines Auf­ sichtsbeamten und ohne Einschränkung der eigentlich streng reglementierten Sprech­ zeit mit den Gefangenen austauschen konnte, sind deren Namen überliefert. Im Falle Hitlers waren es neben Verwandten und den zu erwartenden bekannten Namen wie Max Amann, Ernst Rohm, Gregor Straßer oder auch Julius Streicher frühe Förderer wie

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das Ehepaar Bechstein oder oft nur einfache Bewunderer, die ihre Solidarität persönlich ausdrücken wollten. Letztere finden sich ebenso in den Briefen an Hitler, die im Gefan­ genenakt erhalten sind. In akribischer Kärrnerarbeit hat Peter Fleischmann zu all den genannten Personen, ob bekannt oder vielfach eben unbekannt, biographisches Mate­ rial aus zahlreichen Archiven und der Literatur zusammengetragen. Dem Leser bietet sich so ein guter Überblick, welcher Personenkreis wenige Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges und dem Untergang des Deutschen Kaiser- bzw. bayerischen Königreichs Affinität für den gescheiterten Putschisten Hitler und seine verbotene Partei zeigte. Waren hierunter zwar mehrheitlich Männer, ist die Zahl an politisch aktiven Frauen doch beachtlich. Der Typus des Kriegsteilnehmers, der zum Teil körperlich verwundet war, fällt dabei auf. Genau so wie die nicht unüblichen, wechselnden oder mehrfachen Mitgliedschaften in republikfeindlichen Organisationen. Von einem ,,zwangsweise[n] Ausschluß vom politischen Geschehen durch die Haft“ (Joachim Fest, Hitler. Eine Biographie, Neuausgabe, 2. Aufl., Berlin 2004, S. 303) kann angesichts des regen Kommens und Gehens und der Möglichkeit Hitlers und der ande­ ren inhaftierten Führungspersonen wie Hermann Kriebel und Dr. Friedrich Weber, sich mit ihren Gefolgsleuten auch unbeaufsichtigt auszutauschen, keinesfalls die Rede sein. Der überlieferte Schriftverkehr lässt keine Zweifel aufkommen, wie gut die Inhaftierten über die aktuellen politischen Vorgänge außerhalb der Anstaltsmauern informiert waren. Die Edition macht deutlich, wie sehr Hitler trotz seiner Inhaftierung auch wei­ terhin Einfluss auf das rechtsextreme Spektrum nehmen konnte und so zum Beispiel die Sammlungsbestrebungen des in Freiheit befindlichen Rohm hintertreiben oder seine eigenen bayerischen Gefolgsleute auch weiterhin an sich binden konnte, womit er ver­ hinderte, dass diese stattdessen seinen Rivalen Ludendorff unterstützen würden. Die kurzfristig größte Einflussnahme auf die rechtsextremen Tätigkeiten geschah jedoch weniger aktiv durch die Inhaftierten als vielmehr ungewollt passiv. Nachdem ein Briefschmuggel aufgeflogen war, der die bayerischen Behörden auf die fortgesetzte ille­ gale Tätigkeiten aufmerksam machte, kam es zu verschiedenen Folgeverfahren gegen mehrere Sympathisanten der Putschisten. In diesem Zusammenhang ist auch der einzige Kritikpunkt an der mittels eines Per­ sonen- und Ortsregisters hervorragend erschlossenen Edition zu nennen. Nicht jedem Leser dürfte das vielschichtige, teilweise verwirrende Geflecht an Parteien, Verbänden und Vereinen im völkisch-rechtsextremen Politikspektrum zu Beginn der 1920er Jahre in Deutschland geläufig sein. Eine knappe Erläuterung der häufiger genannten Organi­ sationen und Personen sowie deren Verhältnis bzw. Rivalitäten zueinander - analog zu den verwaltungs- und rechtsgeschichtlichen Einführungskapiteln - wäre für eine breite Leserschaft sicher hilfreich gewesen. Gelindert wird dieser Wunsch aber durch die um­ fangreiche Rezeption der Forschungsliteratur mit entsprechenden Fußnotenverweisen. Für die weitergehende Beschäftigung mit einzelnen Personen sind so ausreichend An­ knüpfungspunkte gegeben inklusive entsprechender Archivhinweise. Die in der Edition wiedergegebenen positiven Beurteilungen des Anstaltsdirektors Leybold über den Häftling Hitler belegen einmal mehr die weit verbreitete antidemo-

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MVGN 103 (2016) Buchbesprechungen kratische Gesinnung in der damaligen „Ordnungszelle Bayern“. Aufrechte Demokra­ ten wie der Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Hermann Luppe blieben die Aus­ nahme. Leybolds Fürsprache führte dazu, dass Hitlers Zeit in der Festungshaft trotz Verstößen gegen die Anstaltsordnung nach einem guten halben Jahr bereits am 20. De­ zember 1924 endete. Die Reststrafe von viereinhalb Jahren wurde auf Bewährung aus­ gesetzt. Weniger Glück hatte dagegen die seit 1931 schnell steigende Zahl kommunistischer Insassen in der Festung Landsberg. Uber Hitlers Haftzeit hinaus hält das ebenfalls er­ haltene und edierte „Grundbuch“ die Gefangeneneinlieferungen und -entlassungen bis ins Jahr 1934 fest. Es bildet damit die Verbindung zur späteren Terrorherrschaft des ehemaligen Putschisten. Nach Hitlers Machtübernahme im Januar 1933 wurden viele der in Landsberg einsitzenden Kommunisten nach Ende ihrer Haft direkt in verschie­ dene Konzentrationslager verschleppt. Die Edition eröffnet somit nicht nur einen Blick auf die Täter-, sondern auch die Opfergeschichte des „Dritten Reiches“. Fleischmann rundet das Bild der erhaltenen Dokumente ab, indem offensichtlich fehlende Stücke der Akte mittels Parallelüberliefcrungen aus anderen Beständen des Staatsarchivs München ergänzt werden. Mussten die eingangs genannten neueren Hit­ ler-Biografien bei der Darstellung der Landsberger Haft noch ohne all diese Quellen auskommen, ist in Zukunft auch dieser dunkle Fleck nun ausgeleuchtet. Matthias Klaus Braun

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NEUE ARBEITEN ZUR NÜRNBERGER GESCHICHTE Zusammengestellt von Walter Gebhardt 10 Jahre „Die familienfreundliche Schule“: Erziehungs- und Bildungspartner­ schaft in Nürnberg. Vom Projekt zum Programm / Jugendamt Nürnberg. Red.: Michaela Schmetzer ... - Nürnberg: Koordinationsstelle der Familien­ freundlichen Schule, 2015. — 180 S. Acker, Oliver: Der Luftbildkatalog. ... die wohl schönsten Bilder Nürnbergs. - Nürnberg: www.digitale-luftbilder.de, 2015. - 336 S. Adamski, Jakuh: Architektur als Instrument territorialer Machtpropaganda. Über die Westfassade und die Vorhalle des Frauenburger Domes und ihre Beziehungen zu Nürnberg und Prag, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 78 (2015), S. 356-369. Ansichten: Der DATEV IT-Campus 111/ V.i.S.d.P. Andreas Fischer. Konzept und Red. Simon Behr ... - 2., erw. Aufl. - Nürnberg: DATEV eG, 2015. 275 S. Arnold, Klaus: Sebald Schreyer (1446-1520), in: Fränkische Lebensbilder 24 (2015), S. 53-69. Bach-Damaskinos, Ruth: Georg Schmidt. Zwischen Kunst und neuer Technik - zu einigen Neuerwerbungen des Stadtarchivs aus der Frühzeit der Foto­ grafie, in: Norica 12 (2016), S. 4-14. Battiferro Bertocchi, Riccardo: Palazzo Fürleger-Guiotto. Via Pigna 14, Verona. Ricerca storico-artistica. - Verona 2015. - 138 S. Bauernfeind, Martina: Weichenstellungen für den Wiederaufbau in Nürnberg, in: Eine neue Stadt entsteht, Steinfurt 2015, S. 109-118. Bauernfeind, Walter: Standorte von 51 Brauereien in der Nürnberger Altstadt, in: Norica 12 (2016), S. 55-61. Baumbauer, Lothar: Die Burgkapelle zu Grünsberg - Oder: vom Schlaguhr­ turm und dem Neuen Bau, in: Altnürnberger Landschaft: Mitteilungen 62/63. 2013/14 (2015), S. 9M2. Baumgärtel, Otto A.: Glänzend wie Gold. Arbeiten der Nürnberger Rot­ schmiede bis zum Dreißigjährigen Krieg. Zur Ausstellung in Schloss Frie­ denstein, Gotha, 26.04.2015 bis 26.07.2015. - Dettelbach: Roll, 2015. - 77 S. „Beim IKV war immer etwas los!“: Roland Osterchrist erinnert sich an 60 Jahre Mitgliedschaft beim Industrie- und Kulturverein, in: Stadtpark-Jour­ nal 2016, 2 = Ausg. 167, S. 4-9. Bencker, Nikolaus: 400 Jahre Baumeisterhaus in Nürnberg, in: Neues aus der Hausforschung in Bayern, Bad Windsheim 2015, S. 89-105. 461

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Berg, Susanne / Wolf-Dietrich Weissbach: Die Waldesruh“ ist hin. Langsam wächst eine Buche. Mindestens 25 Jahre dauert es, bis sie mannshoch ist. 2005 beschloß der Freistaat Bayern die Forstreform. In den letzten Jahren sind deshalb ständiges Motorsägengeräusch, breite Schneisen und riesige Flalden von Baumstämmen im Sebalder Reichswald bei Lauf die Folgen. Langsam wächst der Unmut in der Bevölkerung. Seit zwei Jahren kämpft Claudia Blank, daß die massive Zerstörung gestoppt wird ..., in: Franken 2015, 9/10, S. 14-21. Berg, Susanne / Wolf-Dietrich Weissbach: Der letzte Meister. Ob einzigartige Posamenten für deutsche Schlösser oder eine Türklinke für das private Lieblingsstück: Der Drechsler Frank Grottenthaler (46) fertigt in fünfter Generation nicht nur Treppensprossen oder Kunstobjekte, sondern sogar Zauberapparate. Ein Besuch bei Nürnbergs letztem berufsmäßigen Drechs­ lermeister, in: Franken 2016, 1/2, S. 30-33. Berg, Susanne: „Es geht um die vielen dort, nicht um mich!“ Nürnberg ist für die Iranerin Maede Soltani (35) zur zweiten Heimat geworden. Denn bei ihrem Kampf um Freiheit für ihren Vater erfährt sie hier viel Unterstützung. Abdolfattah Soltani (62), Preisträger des Internationalen Nürnberger Men­ schenrechtspreises 2009, ist seit vielen Jahren zu Unrecht im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert, in: Franken 2016, 1/2, S. 59-61. Berg, Susanne / Wolf-Dietrich Weissbach / Michael Hupe: „Wir müssen den Wert der Region hervorheben!“ Nach langen Jahren gelingt 2015 die Trendwende: Dr. Michael Hupe, seit über zwei Jahren Geschäftsführer des Albrecht-Dürer-Airports Nürnberg, schreibt wieder schwarze Zahlen. Er will den wirtschaftlich gesunden Kurs fortsetzen, neue Angebote für Busi­ ness- sowie Privatpassagiere schaffen und neue Investitionen tätigen. Im Interview erläutert Michael Hupe seine weiteren Pläne, in: Franken 2016, 5/6, S. 20-22. Berg, Susanne: „Ich werde oft an euch denken, Jungs.“ Vor siebzig Jahren, am 30. September/1. Oktober 1946, verkündete das Internationale Militär­ gericht (IMT) im Schwurgerichtssaal 600 des Justizpalastes Nürnberg die Urteile des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkrieges. Den fast ein Jahr dauernden Prozeß beobachten bis zu 240 Journalistinnen und Schriftstellerinnen aus aller Welt. Darunter John Dos Passos, Erika Mann, Willy Brandt, Ilja Ehrenburg oder Erich Kästner, untergebracht im Pressecamp des „Bleistiftschlosses“ der Familie FaberCastell in Stein. Dort läßt eine neue Installation das Lebensgefühl des außer­ gewöhnlichen Pressecamps „an der Bar“ nacherleben, in: Franken 2016, 9/10, S. 60-65. Bernet, Claus: Max Morlock (1925-1994), in: Fränkische Lebensbilder 24 (2015), S. 297-309. 462

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Beyerstedt, Horst-Dieter: Bier, Wein & Co. - Alkoholische Getränke im reichsstädtischen Nürnberg, in: Norica 12 (2016), S. 41-49. Biller, Josef Hugo: Der „Preißbelohnte Helden Calender“ des Verlags Fels­ ecker in Nürnberg auf das Jahr 1707, in: Altfränkische Bilder N.F. 11 (2016), S. 26-28. Binder, Matthias: Deutung, Legende, Fälschung. Ein kritischer Vergleich der Quellen zur Gründung des Klosters Engelthal, in: Altnürnberger Land­ schaft: Mitteilungen 64 (2015), S. 7-44. Birkenholz, Annette: Anforderungen an und Vergleich von Archivierungs­ systemen am Beispiel des Stadtarchivs Nürnberg. - Bachelorarbeit Fach­ hochschule Potsdam, 2016. - 103 S. Birkholz, Marie Luise: Granite on the Ground. Former Nazi Party Rally Grounds, Nürnberg/Germany. A brief introduction. Bauhaus-Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Planung. Symposium „Urban Design and Dictatorship in the 20th Century: Italy, Portugal, the Soviet Union, Spain and Germany. History and Historiography“, Weimar, No­ vember 21 -22, 2013. - Online-Publikation unter https://e-pub.uni-weimar. de/opus4/.../BIRKHOLZ_23092015.pdf. - 12 S. Bodenschutzbericht Nürnberg / Projektleitung: Mechthild Wellmann. Mitarb.: Alexander Mahr ... - Nürnberg: Referat für Umwelt und Gesundheit, Umweltamt der Stadt Nürnberg, 2016. - 51 S. - (Daten zur Nürnberger Umwelt / Sonderausgabe 2016) Bürger- und Geschichtsverein : Festschrift 125 Jahre BGVM. 1890-2015.-Nürnberg 2015.-48 S. Bürgerverein : Bürgerverein Nürnberg-Röthenbach e.V. 1956 - 2016 / Red. und Gestaltung: Eckhard Brunner ... - Nürnberg 2016.-48 S. Dänzer, Tobias: Die Konzeption des Bürgers zwischen Kulturgeschichte und Charakterstudie in der „Norimberga“ des Konrad Celtis, in: Würzburger Humanismus, Tübingen 2015, S. 47-64. Diefenbacher, Michael: Aufstieg trotz Zuwanderung. Die Villacher Kauf­ mannsfamilie Kleewein im Geflecht Nürnberger Eliten in der Frühen Neu­ zeit, in: Fremde in Franken, Würzburg 2016, S. 223-246. Diefenbacher, Michael: Der Bestand „Bierbrauer“ im Stadtarchiv Nürnberg, in: Norica 12 (2016), S. 50-54. Diefenbacher, Michael: Schätze aus dem Stadtarchiv: Eine Votivmedaille zur Grundsteinlegung des städtischen Weizenbräuhauses (StadtAN E 29/11 Nr. 2054), in: Norica 12 (2016), S. 31-34. Dross, Fritz: „es flohen die Reichen leud alle auß der stat / darinnen stürben 10345 Menschen“. Seuchen in der frühneuzeitlichen Stadt, in: Ingolstadt in Bewegung, Göttingen 2015, S. 303-324. 463

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Dütsch, Thomas: Bier im Wandel, in: Norica 12 (2016), S. 77-84. Ehmer, Hermann: Dürers Zeichnung von der Beschießung des Hohenaspergs 1519. Der Künstler als Kriegsberichterstatter?, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 75 (2016), S. 51-67. Elise Hopf (1865-1936) und die bürgerliche Frauenbewegung in Nürnberg: Eine Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg 16. Januar bis 24. April 2016 / Red.: Eva Fries. Text: Gaby Franger. - Nürnberg 2016. - [6] S. [Faltbl.] (Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg 70) Facetten einer Stadt - Nürnberg in Fotografien 1900 bis 1918: Die Sommeraus­ stellung des Stadtarchivs Nürnberg im Handwerkerhof vom 29. Juli bis 17. September 2016 / Red.: Ruth Bach-Damaskinos. - Nürnberg 2016. [6] S. [Faltbl.] - (Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg 71) Die Feier zur Altarweihe Wiedereröffnung der Kirche St. Theresia: Festschrift zur Altarweihe durch H.H. Erzbischof Dr. Ludwig Schick am 08. Mai 2016 nach der Um- und Neugestaltung der Kirche St. Theresia in Nürnberg / Texte: Günter Dechant ... - Nürnberg: Katholisches Pfarramt St. Theresia, 2016.-[32] S. Der Feind in der Stadt: Vom Umgang mit Seuchen in Augsburg, München und Nürnberg. Eine Ausstellung der Bayerischen Archivschule der General­ direktion der Staatlichen Archive Bayerns, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, 15. März bis 29. April 2016 / Konzeption und Bearbeitung: Dominik Feld­ mann, Andrea Jacoby, Antonia Fandois, Bettina Pfotenhauer. - München: Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, 2016. - 67 S. - (Kleine Ausstellungen / Staatliche Archive Bayerns 50) Flachenecker, Helmut: Zu einem bisher unbekannten Gebetbuch einer Bürge­ rin aus Nürnberg. Sollen Gebetbücher ediert werden?, in: Pismiennosc pragmatyczna. Studia ofiarowane Profesorowi Januszowi Tandeckiemu w szescdziesiqtq pi^tq rocznicQ urodzin, Torun 2015, S. 409-429. Fleischmann, Peter: Demokratie für wenige? Die Nürnberger Ratsverfassung in der frühen Neuzeit, in: Stadt und Demokratie, Ostfildern 2014, S. 23-46. Flurschütz da Cruz, Andreas: Philipp Gaston Wolf von Wolfsthal (1643-1717), in: Fränkische Lebensbilder 24 (2015), S. 139-162. Forgotten stories, forgotten people: Jugendliche aus drei Nationen - Zamosc/ Polen, Ashkelon/Israel, Nürnberg/Deutschland - begeben sich gemeinsam auf eine nicht immer leichte Reise in die Vergangenheit ihrer Heimatstädte und entdecken dabei (fast) vergessene Geschichten und vergessene Men­ schen / ein Projekt gestaltet von: Nijat Babayev [und 38 weiteren]. Kom­ poniert und eingespielt von Milena Müller. - Nürnberg: Radio Z, 2015. 2 CDs. Franzke, Jürgen: Noris Blattgold GmbH. Die Goldschläger von Schwabach. - Schwabach: Noris Blattgold, 2015. - 120 S. 464

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Friedmann, Arnold: Von Nürnberg nach Hadley, in: Die Bambergers. Eine jü­ dische Familie aus Kronach, Kronach 2015, S. 45-59. Fries, Eva: Elise Elopf und die bürgerliche Frauenbewegung in Nürnberg, in: Norica 12 (2016), S. 31-34. Fritsch, Alexandra: Der Sebalder Pfarrhof. Ergebnisse der Bauforschung zu einem der ältesten Gebäude in Nürnberg, in: Neues aus der Hausforschung in Bayern, Bad Windsheim 2015, S. 305-330. Gaah, Hans: Simon Marius (1573-1624), in: Fränkische Lebensbilder 24 (2015), S. 111-125. Gaab, Hans: Maria Clara Eimmart und die Sonnenfinsternis von 1706, in: Regiomontanusbote 29 (2016), 1, S. 11-12. Gabaude, Florent: Das verfemte Hinterteil. Zur Ökonomie der Ausscheidun­ gen in Hans Sachs“ Dichtung, in: Nahrung, Notdurft und Obszönität in Mittelalter und Früher Neuzeit, Bamberg 2013, S. 33-55. Gebauer, Hellmut ].: Wilhelm Wunder. Ein Leben für die Elektrizitätswirtschaft 1874-1926. - Gechingen 2016.- 158 S. Gebhardt, Walter: Heute back ich, morgen brau ich. Die „Hauß-Halterin“ und das Bier, in: Norica 12 (2016), S. 62-70. The Gestapo on trial: evidence from Nuremberg / edited and introduced by Bob Carruthers. - The illustrated ed. - Barnsley: Pen & Sword Military, 2014. - 371 S. - (The Third Reich from original sources) Giersch, Robert: 750 Jahre Kuchamühle, in: Altnürnberger Landschaft: Mittei­ lungen 64 (2015), S. 49-84. Gömmel, Rainer: Das Relief an der Nürnberger Stadtwaage von Adam Kraft, in: Ein Museum der bayerischen Geschichte, München 2015, S. 193-202. Gößner, Andreas: Eine Bücherstiftung zur Ehre Gottes. Die Fenitzer-Bibliothek im Landeskirchlichen Archiv der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 84 (2015), S. 114-128. Grimmler, Benedikt: Fränkische Verbrecher. Die spannendsten Kriminalfälle 1330-1975. - Erfurt: Sutton, 2015. - 118 S. Groth, Constantin: Geschäftsbücher des ausgehenden Mittelalters als EgoDokumente. Vom Selbstverständnis Nürnberger Bürger in ihren „Ricordanze“, in: Biuletyn Polskiej Misji Historycznej = Bulletin der Polnischen Historischen Mission 8 (2013), S. 469-504. Groth, Constantin: Die Unruhen von Heidingsfeld (1455-1457) im Span­ nungsfeld der Interessen von Reichsstadt Nürnberg, Hochstift Würzburg und Königreich Böhmen, in: Herbipolis. Studien zu Stadt und Hochstift Würzburg in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Würzburg 2015, S. 109126. Groth, Constantin: Wilhelm Löffelholz (1424-1475), in: Fränkische Lebensbil­ der 24 (2015), S. 23-36. 465

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Grundschule Paniersplatz : 100 Jahre Grundschule Paniersplatz. Eine kleine Festschrift von Schülern der Klasse 4b im Jahr 2016. - Nürnberg 2016.-22 S. Gulden, Sebastian: Das Haus Bücher Straße 74. 1905-2015. Geschichte und Geschichten aus 110 Jahren / verf. von Sebastian Gulden. Mit Fotogr. von Lara Neuer ... - 1. Aufl. - Nürnberg 2015. - 48 S. Gutachten zum Stadtentwicklungskonzept Wohnen im Jahr 2025 in Nürnberg: Analyse und Handlungsempfehlungen Hamburg 2015 / Auftraggeber Stadt Nürnberg, Wirtschaftsreferat, Stab Wohnen. Auftragnehmer GEWOS Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung GmbH Hamburg. Pro­ jektleitung Felix Arnold. Koordination durch Stab Wohnen Britta Walther ... - Nürnberg 2015. - 201 S. Haberlah-Pohl, Annett: Geschichte des Pflegschlosses in Betzenstein, in: Altnürnberger Landschaft: Mitteilungen 62/63. 2013/14 (2015), S. 81-128. Händel, Bernd: Faschingskind. Nicht nur närrische Zeiten. - 1. Aufl. - Bad Schusscnried: Hess Ed. Seubert, 2016. - 192 S. Hamm, Berndt: Nürnberg. Lazarus Spengler und Andreas Osiander, in: Europa reformata, Leipzig 2016, S. 297-306. Hamm, Joachim: Traum und Zeitklage. Dürers „Traumgesicht“, Eobans „Bel­ lum servile Germaniae“ und der Bauernkrieg in Franken, in: Bauernkrieg in Franken, Würzburg 2016, S. 329-354. Handwerk, Technik, Industrie / Konzept und Red.: Nikolaus Bencker ... Nürnberg: Stadt Nürnberg, Baureferat, Bauordnungsbehörde, Sachgebiet Denkmalschutz, 2015. - 95 S. - (Kurzführer zum Tag des Offenen Denk­ mals 2015) Hanisch, Klaus: Ein früher Europäer. Die erste gemeinsame Landesausstellung von Bayern und der Tschechischen Republik widmet sich Karl IV. Der Mittelalter-Kaiser wurde vor genau 700 Jahren geboren. Deshalb sind ab Mitte Oktober etwa 170 Exponate rund um den Herrscher in Nürnberg zu bewundern, in: Franken 2016, 9/10, S. 18-23. Harlander, Lilian / Bernhard Purin: „Wegen der israelitischen Feiertage geschah gestern und heute im Hopfengeschäft nichts ...“. Über jüdische Hopfenhändler in Bayern, in: Bier ist der Wein dieses Landes, München 2016, S. 52-69. Harrington, Joel F.: „Keine Besserung zu hoffen“. Akkulturation und Ausbil­ dung von jugendlichen Dieben im frühneuzeitlichen Nürnberg, in: Hexen­ kinder - Kinderbanden - Straßenkinder, Bielefeld 2016, S. 147-162. Hauck, Hartwig: Nürnberg-Messe. Der Weg zum Messezentrum Nürnberg. - 1. Aufl. - Nürnberg: NürnbergMesse, 2014. - 155 S. 466

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Haug, Henrike: Oberfläche und Hintergrund. Wenzel Jamnitzers graphische Inventionen, in: Technische Innovationen und künstlerisches Wissen in der Frühen Neuzeit, Köln u.a. 2014, S. 267-292. Hausverwaltende Einheit-Schule (HVE-Schule): Nürnberger Schulen 2016 / V.i.S.d.P.: Michael Kaiser. - Nürnberg: Stadt Nürnberg, Bürgermeister Geschäftsbereich Schule & Sport, 2016. - 45 S. Henze, Barbara: Gehorsam und „geistliche Freiheit“. Die Klarissin Caritas Pirckheimer (1467-1532) im protestantischen Nürnberg, in: Zwischen Gebet, Reform und sozialem Dienst, Innsbruck u.a. 2015, S. 99-140. Herz, Randall: Front manuscript copy to the printed book: Hans Tucher’s Palestine account of 1482. A case study of the use of ,Printer’s copy“ in two early Southern German printing houses = Von der Handschrift zum Druck: Hans Tuchers Palästina-Bericht, gedruckt 1482. Eine Fallstudie zur Verwen­ dung einer Druckvorlage in zwei frühen süddeutschen Offizinen, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 69 (2014), S. 1—19. Höverkamp, Ingeborg: Dem Journalisten und Autor Wolfgang Buhl (1925— 2014) zum 90. Geburtstag, in: Frankenland 67 (2015), S. 279-281. Höverkamp, Ingeborg: Zum Gedenken an die Autorin Elisabeth Engelhardt zum 90. Geburtstag, in: Frankenland 67 (2015), S. 277-278. Hurka, Florian: Ein Kunstprojekt zu beiderseitigem Nutzen. Das Werben von Konrad Celtis um Albrecht Dürers „Philosophia“-Holzschnitt (Epigr. 5, 67), in: Würzburger Humanismus, Tübingen 2015, S. 77-86. Husseini de Araüjo, Shadia / Florian Weber: „Migrantenökonomien“ zwischen Wirtschaftsförderung und Diskriminierung. Eine empirische Fallstudie am Beispiel der Stadt Nürnberg, in: Räumliche Auswirkungen der internationa­ len Migration, Hannover 2014, S. 365-380. Integriertes Stadtteilentwicklungskonzept Nürnberg Südost: Vernetzen! / Hrsg.: Stadt Nürnberg, Bürgermeisteramt. Koordination: Baureferat, Stadt­ planungsamt. Konzept und Bearb.: Urban Catalyst Studio, Yellow2 Berlin. Stadtplanungsamt: Michael Lang (Leiter des Gebietsteams). - Nürnberg 2015.-113 S. Jaeger, Sarina: Argula von Grumbach und Caritas Pirckheimer. Vergleich des literarischen Wirkens zweier gebildeter Frauen in der Reformationszeit, in: Blätter für fränkische Familienkunde 39 (2016), S. 197-230. Jeggle, Christof: Coping with the crisis. Italian merchants in seventeenth-century Nuremberg, in: Merchants in times of crises, Stuttgart 2015, S. 51-78. Kahle, Fabian: Dr. Christoph Scheurls Briefverzeichnis und seine Würzburger Korrespondenten, in: Herbipolis. Studien zu Stadt und Hochstift Würzburg in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Würzburg 2015, S. 427-443. 467

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Kalb, Reinhard / Tilmann Grewe: Nürnberger Straßennamen und ihre Ge­ schichte. Von Arminius dem Cherusker bis Graf von Zeppelin. - 1. Aufl. Cadolzburg: Ars vivendi, 2015. - 181 S. - (Ein Ars-vivendi-Freizeitführer) Kambach, Jasmin: Nürnbergs Bier in aller Munde. Zur Geschichte des Nürn­ berger Bierexports bis 1930, in: Norica 12 (2016), S. 71-76. Kasparek, Katrin: Heimat historisch - kann ungeheuer interessant sein. Ge­ schichte für Alle wird 30 Jahre alt und boomt wie nie zuvor, in: StadtparkJournal 2015, 4 = Ausg. 163, S. 4-9. Kayser, Christian / Peter Kifinger: Drohkulisse. Zur Baugeschichte des Nürn­ berger Zeppelinfelds, in: db Deutsche Bauzeitung 149 (2015),10, S. 140-143. Keller, Anke: Maßarbeit. Ein Nürnberger Goldschlägermaß und der lange Weg bis zu seiner Bewilligung, in: Kulturgut - Aus der Forschung des Germani­ schen Nationalmuseums H. 47 (2015), S. 9-13. Kinzelbach, Annemarie / Marion Maria Ruisinger: Pietistische Medizin? Die Praxis des Nürnberger Arztes Johann Christoph Götz (1688-1733), in: Medizin- und kulturgeschichtliche Konnexe des Pietismus, Göttingen 2016, S. 91-112. Kirchhöfer, Horst / Werner Dechent: Almoshof und das Holzschuher-Schloß. Das Domizil der FHKF, in: Der fränkische Höhlenspiegel 60 (2015), S. 6177. Kirk, Gustav: Naturschutz in Nürnberg im Jahre 1638 - Gewässerschutz, in: Bombina / Naturschutzverein Hils-Ith-Bergland 38 (2016), 2, S. 11-14. KKV Mercator : 125 Jahre KKV Mcrcator Nürnberg 1890-2015 / Red.: Uwe Scherzen - Nürnberg . - 2015. - [12] Bl. Koloch, Sabine: Anerkennung im Zeichen der Aufklärung. Zur Entstehung der Medaille auf die poetische Krönung von Christiana Mariana von Ziegler, angeboten von den Medailleuren Vestner in ihrem Nürnberger Verlag, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 42 (2015), S. 199-220. Konzept Familienbildung in Nürnberg: (Eltern- und Familienbildungskonzept der Stadt Nürnberg). Fortschreibung 2015. - Nürnberg: Jugendamt Nürn­ berg, 2015.- 111 S. Kreß, Berthold: The bible in a bedroom. Paul Lautensack's paintings for Ursula Gundelfingerin (c. 1538), in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 78 (2015), S. 412-440. Kühler, Winfried: „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“. Der Buchhänd­ ler Johann Philipp Palm wider Napoleon und Fürstenwillkür, in: Schwäbi­ sche Heimat 67 (2016), S. 141-148. Kulenkampff Sabine / Wolf-Dietrich Weissbach: Spielzeug für eine glückliche Kindheit in der Notzeit. Von 1943 bis in die 50er Jahre hinein selbst her­ gestelltes Spielzeug für Kinder präsentiert eine Ausstellung im Spielzeug­ museum Nürnberg, in: Franken 2015, 9/10, S. 42-45. 468

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Lauterbach, Inge: Das Museum 1221201181 Kühnertsgasse im Jahr 2014, in: Nürnberger Altstadtberichte 40 (2015), S. 23-29. Lehner, Julia: 125 Jahre Bürger- und Geschichtsverein Mögeldorf e.V., in: Unser Mögeldorf 64 (2016), 2, S. 28-34 und 3, S. 38-39. Leutz, Achim: Biografische Notizen zu Professor Dr.-Ing. Hermann Föttinger. Elternhaus und Ausbildung 9.2.1877-31.10.1899. - Falkensee: HermannFöttinger-Archiv, 2015. - 12 Bl. Löffler, Bernhard: Wege in moderne Gewerbe- und Konsumwelten. Nürnberg als Zentrum gewerblicher Produktion und Konsumforschung im 19. und 20. Jahrhundert, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 75 (2015), S. 257-278. Lölhöffel, Margot: Maria Sibylla Merianin und Johann Andreas Graff. Gemeinsames und Trennendes, in: Nürnberger Altstadtberichte 40 (2015), S. 37-76. Die Malerfamilie Ritter: Ausstellung 16. April 2016 - 07. Mai 2016 Galerie Jacobsa Nürnberg / Text und Konzeption: Silke Colditz-Heusl, Albert Imhof. - Nürnberg 2016. - 31 S. Ein Meister der zielstrebigen Umwege: Marcel Ophüls und sein Film „The Memory of Justice“. Erschienen anlässlich der Vorführung von „The Memory of Justice“ im Zeughauskino im Rahmen der Filmreihe „Welt in Waffen: Nürnberg Prozesse“ (Deutsches Historisches Museum Berlin, 20.-27.11.2015 / ein Projekt von Ralph Eue. Mitarb.: Michael Omasta. Wien: Synema - Gesellschaft für Film und Medien, 2015. - 66 S. Menschen & Geschichten: 40 Jahre NürnbergMesse / Hrsg.: NürnbergMesse. Chefred.: Susanne Risch. - Hamburg: Brand eins Wissen, 2014. - 93 S. Mentzel, Jan-David: Zwischen Obszönität und Ideal. Überlegungen zu zwei Badedarstellungen der Beham-Brüder, in: Peiraikos’ Erben, Wiesbaden 2015, S. 391—414. Möncke, Gisela: „Rithmus Joannis Trapp“. Eine Wiener Studentensatire in einem Nürnberger Druck von Hieronymus Höltzel, in: The German book in Wolfenbüttel and abroad. Studies presented to Ulrich Kopp in his retirement, Tartu 2014, S. 233-242. Moritz, Michaela: Die „neue Heimat“ beginnt mit der Sprache. Mit seiner Idee einer Asylothek, einer Bibliothek für Asylanten, hat der Architekt Günter Reichert in Nürnberg eine ehrenamtliche Einrichtung geschaffen, die in­ zwischen in ganz Deutschland Nachahmer findet, in: Franken 2016, 1/2, S. 58-59. Moritz, Michaela / Wolf-Dietrich Weissbach: Visions of GoHo. Die einen woh­ nen nur gerne hier, andere, Hipster, urbane Mittelschicht, Kreative, suchen eine Art Abenteuerspielplatz. Wenn Franken so etwas überhaupt noch bie469

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ten kann, dann eigentlich nur im Nürnberger Stadtteil Gostenhof - ein Er­ lebnisbericht, in: Franken 2016, 3/4, S. 10-17. Moritz, Michaela / Henrike Claussen: Neubewertung des Memoriums Nürn­ berger Prozesse. Das Memorium Nürnberger Prozesse, als authentischer Ort des Geschehens Teil des Nürnberger Dokuzentrums 2010 im Ostbau des Justizgebäudes eröffnet, hat dank des großen Besucherinteresses eine so rasante Entwicklung genommen, dass die Stadt Nürnberg letzten Sommer eine eigene Leitungsstelle dafür ausschrieb. Den Zuschlag bekam Henrike Claussen (40), bisher Kuratorin der Ausstellung und schon Mitarbeiterin in dem Team, das in den Jahren vor 2010 den Aufbau des Memoriums bewerk­ stelligte. Der neuen Leiterin bietet sich demnächst großer Entfaltungsspiel­ raum, denn 2018 wird die Nürnberger Justiz den Ostbau ganz allein dem Museum und der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien über­ lassen. Wir trafen Henrike Claussen zum Gespräch, in: Franken 2016, 5/6, S. 58-59. Müller, Gerhard: Die Pfalz-Neuburger Kirchenordnung von 1543. Andreas Osiander als theologischer Berater von Pfalzgraf Ottheinrich, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 84 (2015), S. 84-100. Nürnberg / Stadtseniorenrat: Festschrift. Der Stadtseniorenrat Nürnberg wird 20 Jahre jung / Verantw.i.S.d.P: Ingo Gutgesell. Red.: Jürgen Wilhelmi. Autorinnen und Autoren: Karin Behrens ... - Nürnberg 2015. - 67 S. Nürnberg 1945: vom Kriegsende bis zu den Nürnberger Prozessen / Red. Bcitr.: Alexander Jungkunz ... - Nürnberg: Verl. Nürnberger Presse, [2015]. - 147 S. Nürnberger Nachrichten: 70 Jahre Nürnberger Nachrichten. - Nürnberg: Verl. Nürnberger Presse, 2015. - [213] S. Nürnberger Prozesse: Hitlers Helfer vor Gericht. - Leinfelden-Echterdingen: Konradin Medien, 2016. - 82 S. - (Damals - das Magazin für Geschichte 48 (2016), 5) Oelbauer, Daniel: daß sie mehr Einbildung als Bildung haben ...“. Unter­ richt am Nürnberger Zellengefängnis (1868-1933), in: Jahrbuch für frän­ kische Landesforschung 74 (2014), S. 253-272. Pauli, Manuel: Anspruch und Wirklichkeit. Die Nürnberger Freimaurerloge Zu den drei Pfeilen während der Weimarer Republik, in: Blätter für frän­ kische Familienkunde 39 (2016), S. 261-285. Pfaller, Marius: Vom Mittelalter ins 21. Jahrhundert. Unser Blog „Stadtarchive in der Metropolregion Nürnberg“, in: Norica 12 (2016), S. 15-17. Pollmann, Harald: Bericht zum Peilerhof, in: Nürnberger Altstadtberichte 40 (2015), S. 30-36. Prehn, Ulrich: Von roter Glut zu brauner Asche? Fotografien der Arbeit in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Arbeit im Natio470

MVGN 103 (2016) Neue Arbeiten

nalsozialismus, München 2014, S. 187-213. [Reichsbahnausbesserungswerk Nürnberg] Prigge, Rolf / Rene Böhme: Kindertagesbetreuung in Bremen, Dresden und Nürnberg. Lokale Regelungsstrukturen zwischen Armutsprävention und Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Abschlussbericht. - Bremen u.a.: Kell­ ner, 2014. - 259 S. - (Soziale Stadtpolitik 6) Probst, Ernst: Der rätselhafte Spinosaurus. Leben und Werk des Forschers Ernst Stromer von Reichenbach. - München: Grin, 2015. - 238 S. Rauher, Kathrin: Das Leben der Wirtin Jungfrau Kathrin. Weisheiten über das Leben, Ratschläge für die Dienstleistung, Zitate zum Nachdenken, Rezepte aus meiner Küche. - Neustadt a. d. Aisch: Schmidt, 2015. - 416 S. Rauschert, Birgit: Der Chronist des barocken Nürnberg Johann Adam Delsenbach wird in einer Ausstellung im Fembohaus gewürdigt, in: Frankenland 67 (2015), S. 216-219. Reichert, Günter: Die Asylothek - eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Seit drei Jahren bieten engagierte Nürnberger Bürger Flüchtlingskindern und ihren Familien in einer ehrenamtlich betriebenen Bibliothek die Chance auf Bildung und Integration, in: Bibliotheksforum Bayern 9 (2015), S. 176-180. Renkl, Thomas: Vier nackte Frauen? Zum Sichtbaren und zum Nichtsicht­ baren in Dürers Kupferstich mit den Zeichen „O.G.H“ und „1497“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 78 (2015), S. 386-411. Riemer, Nathanael: Gelehrtennetzwerke und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Juden und Christen im Umfeld des Barockgelehrten Johann Christoph Wagenseil, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 74 (2014), S. 87112.

Riemer, Norbert W.: Nürnberger in Augsburg, in: Blätter für fränkische Fami­ lienkunde 39 (2016), S. 121-158. Roider, Klaus: Reichsstädtisches Militär in St. Johannis, in: Bürgerverein St. Johannis, Schniegling, Wetzendorf 77/2015, S. 35-41 und 78/2015, S. 23-26 und 79/2016, S. 35-39. Roßner, Adrian: Die Holzschnitte von 1523 als Bildbericht des Fränkischen Krieges und der „Absberg-Fehde“, in: Archiv für Geschichte von Oberfran­ ken 95 (2015), S. 69-102. Rusam, Hermann: Der Tiergarten Nürnberg-Unterbürg. 1908-1911, in: Mit­ teilungen Bürgerverein Nürnberg-Jobst-Erlenstegen 2015, 4, S. 34-36 und 2016, 1,S. 32-33. Rusam, Hermann: Aus der Geschichte des so genannten Steinschen Bauern­ hofs in Erlenstegen (Günthersbühler Straße 7; alte Hausnummer 35), in: Mitteilungen Bürgerverein Nürnberg-Jobst-Erlenstegen 2016, 2, S. 34-36. 471

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Neue Arbeiten

Rutz, Andreas: Territorialpolitik mit Karten. Der Streit um die Landeshoheit zwischen Brandenburg-Ansbach und Nürnberg im 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 77 (2014), S. 935-961. Sauer, Christine: Dokumente zur lokalen Musikgeschichte in den Beständen der Stadtbibliothek Nürnberg, in: Musiksammlungen in den Regionalbib­ liotheken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, Frankfurt am Main 2015, S. 293-302. Sauer, Christine: Friedrich Bock als Einbandforscher, in: Habent sua signa libelli, Berlin 2015, S. 295-302. Schalter, Susanne / Daniel Schvarcz / Uwe Horn: Nürnberg First Class. 1. Aufl. - Neustadt an der Weinstraße: Neuer Umschau Buchverl., 2015. 140 S. Schauerte, Thomas: Bauer, Dirne, Fußknecht. Zu Dürers frühen Genremotiven und der Kultur der Nürnberger Tafelaufsätze, in: Peiraikos’ Erben, Wies­ baden 2015, S. 297-312. Scherer, Stefan: Die Stadt-Umland-Bahn. Von der Nürnberg-Fürther Straßen­ bahn zur „Metropolbahn“ Nürnberg-Erlangen-Herzogenaurach, in: Die Straßaboh 38 (2016), 2, S. 39-47. Schlage, Thomas: Melopoeticus und Organist. Johann Erasmus Kindermann und die Bedingungen seines Komponierens und Musizierens, in: Forum Kirchenmusik 2016, 4, S. 11-21. Schmidt, Alexander: Das bröckelnde Gedächtnis der Orte. Umbau, Erhalt oder Verfall von NS-Bauten in Flossenbürg und Nürnberg, in: Sanierung, Rekonstruktion, Neugestaltung, Göttingen 2014, S. 118-133. Schmidt,]ohann: Wenn's alle machen, mach ich's anders. Der Kultbuchhändler erzählt. - Rosenheim: Rosenheimer Verl.-Haus, 2016. - 224 S. Schmidt, Richard E.: Beschreibung noch vorhandener Grabdenkmäler der Nürnberger Pfleger und deren Familien in Lichtenau. - Ansbach 2015. [23] Bl. Schmidt-Wiegand, Antje: Die Gartenanlagen des 19. Jahrhunderts im Zwinger der Kaiserburg Nürnberg. Zwingergarten, Hofgarten, Burggarten, in: Fes­ tungen in Gärten - Gärten in Festungen, Regensburg 2015, S. 66-74, 196. Schneehorst, Susanne: Die Lebende Bibliothek. In der Stadtbibliothek Nürn­ berg standen lebende Bücher zur Ausleihe bereit: Menschen, die häufig von alltäglicher und struktureller Diskriminierung betroffen sind, in: Biblio­ theksforum Bayern 10 (2016), S. 191-193. Schöner, Klaus: Langwasser. Vom Reichswald zur Hochhausstadt, in: Die Straßaboh 37 (2015), 3, S. 25-41 und 38 (2016), 1, S. 43-59. Schöner, Klaus: Das war vor der StUB. Frühere Planungen einer Straßenbahn Nürnberg-Erlangen, in: Die Straßaboh 38 (2016), 2, S. 48-51. 472

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Neue Arbeiten

Schütz, Nadine: Behind the wall. Theoretische und konzeptionelle Vorschläge für die Erstellung von Informationsmaterialien zur Verbesserung von Hilfsund Kontaktmöglichkeiten für Angehörige. - Bachelorarbeit Evang. Hoch­ schule Nürnberg, 2016. - 59 Bl. [Justizvollzugsanstalt Nürnberg] Schwenger, Viktoria: Die Blumenflüsterin Maria. Mein Leben als Marktfrau. Rosenheim: Rosenheimer, 2015. - 218 S. [Blumenhändlerin Maria Lieber] Seihold, Gerhard: Stammbücher als Teil der Erinnerungskultur, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 84 (2015), S. 129-151. [Stammbücher der Altdorfer Studenten Johann Tobias Weidenbacher und Wolfgang Georg Christoph Dürrschedel] Seihold, Gerhard: Oraculum Norimbergense, in: Altfränkische Bilder N.F. 11 (2016), S. 22-25. [Biographie des Christoph Peiler 1630-1711] Shelliem, Jochanan: „Im Namen des Volkes“ - Hinter den Kulissen des Nürn­ berger Prozesses. Mit exklusiven Zeitzeugenberichten und Originaltönen [Tonträger]. - Berlin: DAV Der Audio-Verl., 2015. - 3 CDs (Gesamt 2 Std. 38 Min.) Siebenhüner, Kim: Juwelen. Kostbare Objekte zwischen Alltagsökonomie und Sinnstiftung, in: Historische Anthropologie 23 (2015), S. 167-187. Simon, Gerhard: Das Geburtsjahr Andreas Osianders, in: Zeitschrift für baye­ rische Kirchengeschichte 84 (2015), S. 101-113. Sozialdemokratische Partei Deutschlands / Ortsverein : 125 Jahre SPD Fischbach. Historie der SPD-Fischbach. 125 Jahre SPD im alten Wahl­ kreis Fischbach/b.Nbg., 82 Jahre eigenständiger Ortsverein SPD Fischbach (laut letztem auffindbarem Dokument aus 04/1933), 70 Jahre Wiedergrün­ dung nach 1945 / V.i.S.d.P.: Franz Janka. - Nürnberg 2015. — 18 S. Spaziergänge in die Vergangenheit Nürnbergs: mit Fürth und Erlangen / hrsg. von Geschichte für Alle e.V., Institut für Regionalgeschichte. Die Autorin­ nen und Autoren: Dorothea Freese ... - 2., überarbeitete, erweiterte und aktualisierte Auflage. - Cadolzburg: Ars vivendi, 2016. - 192 S. - (Ein Arsvivendi-Freizeitführer) Spielwiesen 2: Literarische Geschenke für Erich Lide / Annette Dahms und Jonas Lanig (Hrsg.). - Nürnberg 2015. - 231 S. Sprotte, Jochen: Die Nürnberger Brauereien im III. Reich in der Zeit von 1933 bis 1945, in: Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens: Jahrbuch 2014, S. 200-252. Strukturwandel Weststadt / Red. Annegret Seufert ... - Nürnberg: KuF, Kul­ turbüro Müggendorf, Geschichtswerkstatt, 2013. - T. 1: Vom ländlichen Raum zum Industriequartier. Die Jahre 1901 bis 1945. - 22 S.; T. 2: Indust­ riequartier und Zuhause vieler Menschen. Die Jahre 1945 bis 2012. - 26 S.

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Neue Arbeiten

Taschner, Michael: Die Weidenmühlen aus der Sicht von Albrecht Dürer. Eine bau historische Untersuchung, in: Nürnberger Altstadtberichte 40 (2015), S. 77-95. Teget-Welz, Manuel: Peter Flötner - ein Bildhauer in Nürnberg zur Zeit der Reformation, in: Ingolstadt in Bewegung, Göttingen 2015, S. 221-253. Tiedemann, Klaus: Nürnberger Beckenschlägerschüsseln = Nuremberg alms dishes. - Dettelbach: Röll, 2015. - 160 S. Tiergarten : 75 Jahre Landschaftszoo am Schmausenbuck. Erfolg­ reiche Delphinaufzucht / Text: Nicola A. Mögel; Kerstin Söder. - Nürnberg: Tiergarten Nürnberg, [2015], - 67 S. Unter Nürnbergs Dächern: Einblicke in bekannte und markante Gebäude Nürnbergs. Eine Auswahl von Veröffentlichungen in den Nürnberger Nachrichten aus den Jahren 2013/14. - Nürnberg: Verl. Nürnberger Presse, [2015],-103 S. Unverkennbar Haitzinger!: Karikatur und Malerei / für die Museen der Stadt Nürnberg hrsg. von Matthias Murko. Konzeption und Realisation: Regine Franzke. - Petersberg: Imhof, 2015. - 142 S. - (Schriftenreihe der Museen der Stadt Nürnberg 9) Verein Deutscher Ingenieure / Bezirksverein Bayern Nordost: 125 Jahre VDI Bezirksverein Bayern Nordost. - Nürnberg 2016. - 92 S. Voelk, Marianne J.: Daniel, mein jüdischer Bruder. Eine Freundschaft im Schatten des Hakenkreuzes. - Gießen: Brunnen-Verl., 2016. - 302 S. [auto­ biographische Erzählung über die Jahre 1933 bis 1945 in Nürnberg] „ Von Menschen und Medien“: Nürnberg, die Medienstadt der Reformation. Nürnberg: Verein zur Erhaltung der St. Lorenzkirche in Nürnberg e.V., 2016. - 63 S. - (St. Lorenz N.F.67) Vorwerk, Wolfgang: Peter Conrad Schreiber (1816-1894), ein Fürther Land­ schaftsmaler des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zu seinem 200. Geburtstag, in: Fürther Geschichtsblätter 65 (2015), S. 99-122 und 66 (2016), S. 3—29. Walter, Rolf: Europa begegnet Amerika. Internationale Kaufleute und mobile Netzwerke im Rahmen des Proto-Globalen, in: Scripta mercaturae 44 (2010/15), S. 45-83. Waltos, Stanislaw: Grabiez oltarza Wita Stwosza. - Warszawa: Wolters Kluwer, 2015.-407 S. Was kostet Nürnberg?: Daten, Fakten. - Datenstand: November 2015 (Jahres­ abschlussdaten 2014). - Nürnberg: Finanzreferat, [2016]. - 47 S. Weingärtner, Helge: Wo einst Kanonen standen und Patrizier feierten. Die Stadtmauer - Nürnbergs urbanes Biotop, in: Lebensart genießen - Speziali­ täten in Franken, Bamberg 2016, S. 82-87. 474

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Neue Arbeiten

Weiß, Dieter ].: Das Schottenkloster St. Egidien in Nürnberg - eine Reichs­ abtei?, in: Germania Monastica. Festschrift für Ulrich Faust OSB zum 80. Geburtstag, Sankt Ottilien 2015, S. 123-145. Weschky, Ewald: Der Rohlederers Garten, in: Bürgerverein St. Johannis, Schniegling, Wetzendorf 79/2016, S. 23-27. Wittig, Werner: Die Zither in Franken im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Doku­ mentation, die vor dem Vergessen bewahren soll. - Nürnberg: Selbstverl., 2015.-219 S. Wünsch, Dietrich: Aus den ersten 2 Jahrhunderten (1370-1570) der Geschichte Ziegelsteins, in: Kirchweih in Ziegelstein 2016, S. 31-49. Wüst, Wolfgang: Bauernkrieg und fränkische Reichsstädte. Krisenmanagement in Nürnberg, Rothenburg ob der Tauber und Schweinfurt, in: Bauernkrieg in Franken, Würzburg 2016, S. 181-200. Wuttke, Dieter: Von der Person zur Genealogie. Neues zum Nürnberger Flumanisten und Inhaber städtischer Ämter Pangratz Schwenter d.Ä., in: Jahrbuch für fränkische Fandesforschung 75 (2015), S. 73-96. Wuttke, Dieter: Deutscher Renaissance-Humanismus. Vorschlag für eine wesensgerechte Definition mit Nürnberg- und Wien-Fokus, in: Mensch, Wissenschaft, Magie 32 (2016), S. 25-39. Zahlaus, Steven M.: Quellen zur jüngeren Zuwanderungsgeschichte im Stadt­ archiv Nürnberg, in: Personen- und bevölkerungsgeschichtliche Quellen in Kommunalarchiven, Münster 2015, S. 46-69. Zahlaus, Steven M.: Die Tullnau (Teil II). Mehr Ficht! - Das erste Elektrizitäts­ werk Nürnbergs in städtischer Trägerschaft, in: Norica 12 (2016), S. 18-30. Zeitler, John P: Im Kern Nürnbergs. 1200 Jahre Siedlungsgeschichte in einem: von den slawischen Anfängen des 9. Jahrhunderts bis zum Zweiten Welt­ krieg. Neue Grabung 2015/16, in: Bayerische Archäologie 2016, 3, S. 4-12. Ziemlich vielfältig: 50 Jahre kommunale Schulpädagogik. 1965 wurde das Päd­ agogische Institut gegründet. 50 Jahre PI - IPSN / Red.: Skott Grunau ... Nürnberg: Institut für Pädagogik und Schulpsychologie, 2015. - 90 S. Zimmermann, Helena: VIra, nebo profit. Role vyznänl ve snatkove politice norimberske ekonomicke elity v letech 1550-1650, in: Mesto v prevratech konfesionalizace v 15. az 18. stoletl, Praha 2014, S. 341-356.

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JAHRESBERICHT ÜBER DAS 138. VEREINSJAHR 2015 Zusammengestellt von Wiltrud Fischer-Pache I. Bericht des Vorsitzenden Veranstaltungsprogramm In den Monaten Januar bis Mai und Oktober bis Dezember wurden in der Regel (außer in den Schulferien) am ersten Dienstag im Monat in Kooperation mit dem Bildungszen­ trum der Stadt Nürnberg acht Vorträge durchgeführt. Im Mai, Juni und Juli standen eine Halbtagswanderung, eine Ausstellungsführung und ein Stadtrundgang auf dem Programm. Im Einzelnen siehe Überblick im Teil II des Jahresberichts. Mitgliederversammlung und Aktivitäten des Vorstands Die Jahreshauptversammlung 2015 wurde am 10. Februar in Anwesenheit von 57 Mit­ gliedern abgehalten, auf der turnusmäßig die Neuwahl des Vorstands anstand. Sowohl der engere Vorstand - Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly als Erster Vorsitzender, Dr. Michael Diefenbacher als Stellvertretender Vorsitzender, Johannes Wolf als Schatzmeis­ ter und Dr. Wiltrud Fischer-Pache als Schriftführerin - als auch der erweiterte Vorstand wurde komplett wiedergewählt. Die aufgrund der geplanten Auslobung eines Förderpreises (hierzu siehe unten) und aus Datenschutzgründen notwendig gewordene Satzungsänderung - bei dieser Gele­ genheit wrnrde der Satzungstext auch im Hinblick auf eine geschlechtergerechte For­ mulierung angepasst - wurde von der Mitgliederversammlung beschlossen. Über die Änderungen im Einzelnen waren die Vereinsmitglieder bereits vorab mit Schreiben vom 24.1.2015 informiert worden, die aktualisierte Fassung der Satzung ist im Internet veröffentlicht (https://www.nuernberg.de/internet/stadtarchiv/vgn_geschichte.html#2015). Neben den Redaktionssitzungen der Schriftleitung und Routinebesprechungen des engeren Vorstands standen aus aktuellem Anlass zusätzliche bi- und multilaterale Be­ sprechungen und Aktivitäten innerhalb des engeren Vorstands an, denn seit dem Tod des bisherigen Erbbauzinsberechtigten (1. April 2015) kommen die Einnahmen aus dem Zwingel-Fonds (bisher nur Durchlaufposten) dem Verein zugute. Die Beratung und Beschlussfassung über die Verwendung der Gelder zur Verbesserung der Öffentlich­ keitsarbeit und zur Finanzierung von Forschungsprojekten erfolgte auf den regulären Vorstandssitzungen am 25. Juni und am 11. Dezember. Mitgliederentwicklung Durch Tod verlor der Verein im Berichtsjahr zwölf Mitglieder: Anneliese Dupont, Nürnberg Walter Frank, Schwabach Günther Herzog, Nürnberg Helmut Jakob, Nürnberg

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Prof. Dr. Franz Krautwurst Martin Kreßel, Nürnberg Dr. Peter Mühling, Rückersdorf Werner Neubauer, Frankfurt am. Main Gertrud Stoer, Altdorf Ludwig Wiegel, Schwabach Dr. Udo Win kel, Nürnberg Katharina Zahn, Nürnberg Wir werden unseren Verstorbenen ein ehrenvolles Gedenken bewahren. 20 Mitglieder sind aus unserem Verein ausgetreten, 22 Personen durften wir als neue Mitglieder begrüßen. Am 31.12.2015 zählte unser Verein mit 686 Mitgliedern zehn weniger als im Vorjahr.

Publikationen Mitte Dezember wurde Band 102 der Mitteilungen mit einem Umfang von 382 Seiten (und einer Kartcnbcilagc) ausgcliefert. In Vorbereitung ist Band 103 sowie der erste noch ausstehende Registerband zu den Bänden 81-90. Wie seit Jahren an dieser Stelle berichtet, können alle Bände seit Erscheinungsbeginn 1879 - ausgenommen die jeweils letzten 5 Jahrgänge - auf dem zentralen kulturwissen­ schaftlichen Informationsportal Bayerische Landesbibliothek online (BLO) unter der Adresse https://www.nuernberg.de/internet/stadtarchiv/vgn_publikationen_mvgn.html#3 kostenlos eingesehen und ausgedruckt werden. Das Gesamtinhaltsverzeichnis der Zeit­ schrift ist im Volltext durchsuchbar. Förderpreis des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg (FVGN) Nach dem Vorstandsbeschluss, einen Förderpreis zur Nürnberger Geschichte auszu­ loben, und der formal notwendigen Anpassung der Vereinssatzung wurde der Förder­ preis des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg (FVGN) 2015 zum ersten Mal ausgeschrieben. Er richtet sich - zweigleisig - an Schülerinnen und Schüler der gymna­ sialen Oberstufe und an Studierende und Absolvent(inn)en von Hochschulen, die wis­ senschaftliche Qualifikationsarbeiten zur Nürnberger Geschichte verfasst haben. Bis zum Abgabetermin am 15. Februar 2015 sind neun Abschlussarbeiten, allerdings nur aus dem Bereich der Universitäten (Erlangen-Nürnberg, Würzburg, München, Jena) einge­ gangen; Die sechsköpfige, aus Vorstandsmitgliedern bestehende Jury hat am 6. März und am 7. Mai getagt. Die öffentliche Preisverleihung fand am 15. Juni im Stadtarchiv statt; die Presse hat erfreulich positiv über die Veranstaltung und das Projekt berichtet. Da sich bei der ersten Runde noch keine Schülerinnen und Schüler beteiligt haben, wurden nur drei Preise der Kategorie Studierende verliehen. Mit dem 1. Förderpreis 2015 wurde die Zulassungsarbeit von Sarah Baumann (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) über „Das Nürnberger Trachtenvereinswesen während des Kai­ serreiches“ ausgezeichnet. Für seine Zulassungsarbeit zum Thema „Anspruch und Wirklichkeit. Die Nürnberger Freimaurerloge ,Zu den Drei Pfeilen' während der Wei-

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marer Republik“ erhielt Manuel Pauli (ebenfalls FAU Erlangen-Nürnberg) den 2. Preis, und der 3. Preis ging an Nico Pietschmann (Ludwig-Maximilians-Universität Mün­ chen) für die Bachelorarbeit „Randgruppen im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit - Die Reichsstädte Augsburg und Nürnberg im Vergleich“.

Die Preisträger 2015 - Manuel Pauli (2. Preis), Nico Pictschmann (3.Preis) und Sarah Baumann (1. Preis) - und Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly bei der Preisverleihung im Stadtarchiv Nürn­ berg. (StadtAN C 36/V Nr. 4193)

Zum Wettbewerb sowie zu den Preisträgern und ihren Arbeiten wird auf das Internet verwiesen: https://www.nuernberg.de/internet/stadtarchiv/vgn_foerderpreis.html bzw. https://www.nuernberg.de/internet/stadtarchiv/vgn_foerderpreistraeger_2015.html. Danksagung

Zum Schluss des Jahres haben wir wiederum vielfachen Dank auszusprechen: allen Mit­ gliedern und Gönnern unseres Vereins, die unsere wissenschaftliche Arbeit durch ihre Mitgliedsbeiträge bzw. durch großzügige Spenden unterstützen, der Stadt Nürnberg, der Friedrich Freiherr von Haller’schen Forschungsstiftung, der Sparkasse Nürnberg und dem Bezirk Mittelfranken für die gewährten Druckkostenzuschüsse, ferner den Medien für die Ankündigung unserer Veranstaltungen und die Berichterstattung in der Presse. Unser ausdrücklicher Dank für die langjährige bewährte Zusammenarbeit gilt schließ­ lich auch wieder der Verlagsdruckerei Schmidt in Neustadt/Aisch, die trotz großem Ter­ mindruck die pünktliche Auslieferung des vorliegenden Jahrbuchs möglich gemacht hat. Ulrich Maly Michael Diefenbacher

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II. Übersicht über die Veranstaltungen Vorträge im Rahmen des Vortragsprogramms 13. Januar

Prof. Dr. Hermann Rusam, Nürnberg: Eine geologische und kulturhistorische Wanderung auf den Moritzberg, den Hausberg der Nürnberger

10. Februar

Helge Weingärtner M.A., Stadtarchiv Nürnberg: Die älteste gezeichnete Ansicht der Reichsstadt Nürnberg

3. März

Dr. Thomas Eser, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg: Die Henlein-Uhr. Zerstörung eines Mythos oder Versachlichung einer Diskussion?

14. April

Dr. Antonia L a n d o i s, Bayerische Archivschule München / Stadtarchiv Nürnberg: Lesen, schreiben, Feste feiern - Einblicke in das Leben des Nürnberges Sixtus Tücher (1459-1507)

5. Mai

Prof. Dr. G. Ulrich Großmann, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg: Eine Baustelle im Modell. Das Nürnberger Stadtmodell von 1540 und die neue Befestigung vor der Kaiserburg

6. Oktober

Dr. Michael Diefenbacher, Stadtarchiv Nürnberg: Bebilderte Geschlechterbücher im Stadtarchiv Nürnberg

10. November Dr. Constantin Groth, Universität Würzburg / Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg: „Frühzeit europäischer Diplomatie“: Die Gesandtschaften des Ratsher­ ren Wilhelm Löffelholz (f 1475) 1. Dezember

Dr. Marco Popp, Landesamt für Denkmalpflege Frankfurt am Main: Die Lorenzkirche in Nürnberg - Restaurierungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert

Führungen und Stadtrundgänge 30. Mai

Prof. Dr. Hermann Rusam, Nürnberg: Der Schmausenbuck - eine erdgeschichtliche und kulturhistorische Wanderung

27. Juni

Dr. Teresa Bischoff, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg: Führung durch die Ausstellung des GNM „Zwischen Venus und Luther: Cranachs Medien der Verführung“

11. Juli

Helge Weingärtner M.A.: Stadtspaziergang „Die Nürnberger Stadtbefestigung“

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ABKÜRZUNGEN Abb. ADB AGNM ANL BldLG d d. Ä. d.J. Diss. fl/fl. fol. FK FS GNM h./hl Hrsg. / hrsg. v. Hs. JbMFr JfL Kr / krz. LAELKB !b LGB MANL MVGN N.F. NDB Ndr. NF NKL NN NUB NW NZ o.J. o.O. PfarrA Pfd./lb QGKN r

Abbildung Allgemeine Deutsche Biographie Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Altnürnberger Landschaft Blätter für deutsche Landesgeschichte Pfennig (denarius) der Ältere, des Älteren der Jüngere, des Jüngeren Dissertation Gulden (florenus) Folio (Blatt) Fränkischer Kurier Festschrift Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg Heller Herausgeber / herausgegeben von Handschrift Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittclfranken Jahrbuch für fränkische Landesforschung Kreuzer Landeskirchliches Archiv der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Nürn­ berg Pfund (libra) Lexikon für das gesamte Buchwesen Mitteilungen der Altnürnberger Landschaft Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Neue Folge Neue Deutsche Biographie Nachdruck Nürnberger Forschungen Nürnberger Künstlerlexikon Nürnberger Nachrichten Nürnberger Urkundenbuch Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte Nürnberger Zeitung ohne Jahr ohne Ort Pfarrarchiv Pfund (libra) Quellen (und Forschungen) zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg recto

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Rst. Nbg. RV ß StA StadtA StadtAN StAN StBN UA UB V

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Reichsstadt Nürnberg Ratsverlässe Schilling (solidus) Staatsarchiv Stadtarchiv Stadtarchiv Nürnberg Staatsarchiv Nürnberg Stadtbibliothek Nürnberg Universitätsarchiv Universitätsbibliothek verso Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, als separate Datenbank abrufbar unter http:// www.gateway-bayern.de Verfasserlexikon des Mittelalters Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte

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