Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [26]

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Mitteilungen des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Herausgegeben im Auftrag des Vereins von

Dr. Ernst Mummenhoff, Archivdirektor a. D.

Sechsundzwanzigster Band.

NÜRNBERG VERLAG VON J. L. SCHRÄG (In Kommission)

1926.

Mit namhafter Unterstützung des Stadtrats Nürnberg.

Inhalt Seite

Abhandlungen: Stadtgemeinde und Stadtpfarrkirchen der Reichsstadt Nürnberg im 14. Jahrhundert. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung von Dr. Siegfried Reicke . . Der Niedergang der reichsstädtischen Finanzwirt­ schaft und die Kaiserliche Subdelegations-Kommission von 1797—1806. Von Franz Buhl, Studien­ rat am Realgymnasium Nürnberg......................... Der Rechenmeister und Wagmacher Ruprecht Kolberger in Nürnberg 1470—1505. Von Staatsober­ archivar A. Gümbel........................................................ Kleinere Mitteilungen: Der Rat verfügt die Duldung eines unehlich gebornen Beutlergesellen durch das Handwerk. 1506. Von E. Mummenhoff................................................... Willibald Pirckheimer wegen Gewalttätigkeit zu einer zweitägigen Turmstrafe verurteilt. 1507. Von demselben.................................................. Der Rat verordnet die Verlegung der Holz-, Milchund Diebesmärkte an, die die Gottesdienste bei St. Jakob und Elisabeth stören. 1506 Sept. 19. Von demselben.................................................................. Unsittlichkeit der Klosterfrauen zu Gründlach. 1506. Von demselben .................................................................. Der Rat verbietet das Einhergehen der Töchter des Frauenhauses in ihren Kleidungen auf den Gas­ sen usw. 1508 Juni 30. Von demselben . . . . Die letzte Amtsverrichtung des Nürnberger Scharf­ richters Franz Schmidt. 1617 November 13. Von Theodor Hampe......................... ................................... Aus Markus Schüßlers Nachlaß. Von Georg von Bonin, Nürnberg . . . ..............................................

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Literatur: Die Reformation in Nürnberg. Eine Gabe zum Refor­ mationsjubiläum 1925. Von A. Engelhardt. Nürn­ berg, Verein für innere Mission, 1925. 99 S. 8° . Wie Nürnberg protestantisch wurde. Von Ludwig Eisen. Nürnberg, Verein für innere Mission, 1925. 46 S. 8° . . ............................................................. ..... Nürnberg und die Versuche zur Wiederherstellung der alten Kirche im Zeitalter der Reformation

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1555—1648). Von Dr. Karl Braun, Studienrat in Nürnberg (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, herausgegeberi vom Verein für bayer. Kirchengeschichte, Band I). Nürnberg, 1925, in Kommission bei Lor. Spindler, Burgstr. 6. XI und 133 S. 8° ... ......................................... ..... Der Heilbronner Bund 1632—1635. Von Johannes Kretschmar. 3 Bde. Lübeck, H. G. Rathgens, 1922. XXIII + 486, 626, 503 S. 8°.................................... Nürnberger Beiträge zur Volks- und Altertums­ kunde. Herausgegeben von Chr. Beck in Verbin­ dung mit H. Heerwagen (1. Jahrg., Heft 1). Nürn­ berg (Sebaldusverlag) 1925. 85 S. 8°.................... Nürnberger Mundartdichtung. Eine Auswahl von Friedrich Bock. Carl Koch Verlag, Nürnberg. 365 S. 8°............................................................................ Joh. Heinrich Wilh. Witschel. Ein Beitrag zur Ge­ schichte des fränkischen Rationalismus von Gottfr. Geitz (Erlanger Lizentiatenarbeit). Nürnberg 1924. Kommissions-Buchhandl. f. inn. Mission. 96 S. 8° Die alte Stadt. Eine Kulturgeschichte in farbigen Bildern. Hgbn. von Dr. Friedrich Schulze und Georg Naumann, Leipzig, unter Mitwirkung von Dr. Fischer, Stuttgart, Prof. Koetschau, Düssel­ dorf, Prof. Masner, Breslau, Prof. Pniower, Berlin, Prof. Schäfer, Köln, Dr. Wahl, Weimar, Dr. Weigmann, München, Prof. Wiese, München, Dr. Zimrnermann, Nürnberg. Mappe III und IV. Verlag von Habbel & Naumann, Regensburg und Leipzig. 1924 und 1925. Gr. 20................................................... Nürnberger Malerei an der Wende zur Renaissance und die Anfänge der Dürerschule von Martin Weinbfgffff Mit 29 Tafeln. Verlag von J. H. Ed. Heitz, Straßburg, 1921. 255 S. 40......................................... Nürnberger Gotische Plastik. 112 ganzseitige Ab­ bildungen, mit Einführung und Erläuterungen. Von Dr. Heinrich JJöhn, Konservator am German. Nationalmuseum in Nürnberg. Verlag von J. L. Schräg, Nürnberg, 1922. XVI S. Text. 40 . . . Nürnbergisch-Fränkische Bildnerkunst. Mit 80 ganz­ seitigen Abbildungen von Justus Jüer. Verlag von Friedrich Cohen in Bonn. 16 S. Text. 40 . . . Delsenbachs Nürnbergische Ansichten. Mit einer Einleitung herausg. von Justus Bier. 42 Tafeln. Delphin-Verlag, München. 20 S. Text. Quer 40 . Vor den Toren Alt-Nürnbergs. Geschichte der Vor­ stadt Gostenhof und des Siechkobels St. Leonhard. Mit 8 Abbildungen. Von Ludwig Eisen (Frän­ kische Heimatschriften Nr. 1). Verlag Lorenz Spindler, Nürnberg. 1923. 48 S. 8°.................... Geschichte des Schlosses Gleißhammer bei Nürn­ berg. Ein Beitrag zur Nürnberger Ortsgeschichte. Mit 7 Abbildungen und 1 Plan. Von Max Beckh. Nürnberg, Schräg, 1925. 3 Bl., 73 S., 7 Taf., 1 Plan. ♦

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Die Ganerbschaft vom Rothenberg in ihrer politi­ schen, juristischen und wirtschaftlichen Bedeutung. Von Dr. Martin Schütz. 1924. Lorenz Spindler Verlag, Nürnberg. VIII und m S., 1 Titelblatt und 8 Tafeln. 80......................................................... Geschichte der Pfarrei Alfeld. Ein Beitrag zur Ge­ schichte des Nürnberger Landes. Auf Grund archivalischer Forschungen. Von Karl Schornbaum (Band VI der Quellen und Forschungen zur bayeri­ schen Kirchengeschichte, herausgegeben von Her­ mann Jordan). Verlag A. Deichert, Leipzig und Erlangen. 1922. 189 S. 8°...................................... Dorothea Hallerin. Der Eheroman einer Dürerischen Frauengestalt nach urkundlichen Quellen dar­ gestellt von Albert Gümbel, Archivrat in Nürn­ berg. 1925. Lorenz Spindler Verlag, Nürnberg. 59 S. mit 2 Tafeln. 8° ................................................ Die israelitische Kultusgemeinde Nürnberg 1874 bis 1924 von Dr. Max Freudenthal, Rabbiner. 192s. J. Bulka, Verlag, Nürnberg. IV + 172 S. 8° . . Erklärung von G.Goepfert: Was ist castrumNuorenberc 1050? und Erwiderung von Dr. Mummenhoff

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Stadtgemeinde und Stadtpfarrkirchen der Reichsstadt Nürnberg im 14. Jahrhundert

Eine reehtsgesehichtliehe Untersuchung von

Dr. Siegfried Reicke.

Vorbemerkung. Mit der' vorliegenden Arbeit soll versucht werden, ein Bild von den rechtlichen Beziehungen der Stadtgemeinde Nürnberg zu den beiden alten Pfarrkirchen der Stadt zu geben. Es ist darüber noch so gut wie garnicht gearbeitet worden, weder -von dem Ratschreiber Johannes Müllner, noch von den späteren Nürnberger Historikern des 17. und der folgenden Jahrhunderte. Auch die reiche Altdorfer Dissertatiönenliteratur ist dafür so gut wie unfruchtbar geblieben. Lediglich der als Melanchthonforscher hoch­ verdiente Georg Theodor Strobel hat in seinen Miszellaneen literarischen Inhalts durch den Abdruck einer im Jahre 1729 im Auditorium Egidianum gehaltenen Rede auf diese interessanten Rechtszusammenhänge hingewiesen 2). Es ist nicht beabsichtigt, eine erschöpfende Darstellung der Nürnberger kirchenrechtlichen Verhältnisse im Mittelalter zu geben. Es sollen, für einen begrenzten Zeitraum, nur die grundlegenden Probleme herausgestellt werden. In Anbetracht des fast völligen Fehlens lokalgeschichtlicher Literatur mußte sich die Arbeit im wesentlichen auf urkund­ liches, zum allergrößten Teile ungedrucktes Material stützen. Dank sei für freundliche Unterstützung den Herrn Generaldirektor der bayerischen staatlichen Archive Dr. Riedner in München, dem Vorstand des Bayerischen Staats­ archivs Oberarchivrat Dr. Altmann in Nürnberg, dem Direktor des Städtischen Archivs Dr. Reicke, meinem Vater, sowie dem Archivdirektor i. R. Dr. Mummenhoff, beide in Nürnberg. Für fördernde Anregungen bin ich auch Herrn Geh. Justizrat Prof. Dr. Rieker und Herrn Geh. Rat Prof. D. Dr. Sehling zu Dank verpflichtet.

*) Miscellaneen, 1. Sammlung, S. 67—88. Verfasser der Rede war der Spitalprediger J. G. Schmidt in Nürnberg. Titel: Oratio de insignioribus quibusdam Sacrorum iuribus, quibus perillustris Senatus Norimbergensis iam ante tempora religionis divinitus instauratae usus est. Die Rede ist mehr ein Beispiel rhetorischen Schwunges als einer kritischen Abhandlung.

i. Abschnitt. Die Stadtpfarrkirchen in ihrer frühesten Entwicklung bis 1300. Skizzierung ihrer Baugeschichte. A. Die Sebalduskirche. Die älteste Geschichte des Nürnberger Kirchenwesens ist von Legende umgeben und vornehmlich an den Namen eines Heiligen geknüpft. Es ist die Person des heiligen Sebaldus, der in späterer Zeit als der Schutzpatron der Stadt erscheint. Die Annales Augustani berichten zum Jahre 1070 — zwanzig Jahre nach dem ersten urkundlichen Vorkommen Nürnbergs — 1): „In Nourenperc sanctus Sebaldus primum miraculis damit“, und ähnlich zwei Jahre später der gleichzeitige Geschichtsschreiber Lampert von Hersfeld in seinen Annalen 2): „Clara et celebris valde his temporibus per Gallias 8) erat memoria sancti Sebaldi in Nurinberg.,, Das sind die beiden ersten Nachrichten, die mit einer gewissen Glaubwürdigkeit von dem Heiligen Kunde geben, nach dem Nürnbergs erste Pfarrkirche ihren Namen trägt. Beide Stellen sind wohl dahin zu deuten, daß diese sagenhafte Persönlichkeit zu der Zeit des Berich­ tes nicht mehr unter den Lebenden weilte. Dafür spricht der Ausdruck „memoria“ (= Gedächtnis) in der Nachricht des Lampert, so daß sich die nur zwei Jahre vorher liegende Notiz wohl auf Wunderwerke am Grabe des Heiligen bezieht. Wir sind daher wohl berechtigt, für den Ausgang des 11. Jahrhunderts eine ausgedehnte Reliquienverehrung am Grabe des Heiligen anzunehmen. Jedenfalls ist in der A) Mon. Germ, hist., Scriptores III, pag. 128. a) M. G. SS. V, pag. 191. s) Der Ausdruck „per Gallias*1 ist hier mit „im Frankenland“ nach dem Sprachgebrauch Lamperts zu übersetzen; vgl. Lochner, Nürnberger Jahrbücher, 1. Heft, Nürnberg 1833, S. 24.

4 Kunde und dem Ruf von seinen Wunderwerken ein Haupt­ faktor der raschen Entwicklung der Stadt Nürnberg zu erblicken. Jede Reliquienverehrung, die in der Regel von Wall­ fahrten der Gläubigen begleitet und mit einer meist aus­ gebreiteten gottesdienstlichen Tätigkeit verbunden ist, be­ darf eines örtlichen Zentrums, einer wenn auch noch so primitiven Bauanlage. So erscheint es leicht möglich, daß sich eine Kapelle über dem Reliquienschrein erhob, die viel­ leicht schon den Namen des Heiligen getragen hat. Oder dürfen wir annehmen, daß sich der Kultus des heiligen Sebaldus in der Peterskapelle, die ursprünglich an der Stelle der jetzigen Pfarrkirche St. Sebald gestanden haben soll, entwickelt hat? Von der Peterskapelle als der lokalen Vorläuferin der späteren Sebalduskirche berichten die meisten älteren Chro­ niken — in der angeblichen Tatsache übereinstimmend, im übrigen natürlich, wie es bei dem unkritischen Sinn der Chronisten nicht zu verwundern ist, in vielfach abweichen­ der sagenhafter Darstellung x). Urkundlich nachzuweisen ist sie jedoch nicht. Trotzdem sprechen neben der überein­ stimmenden Erwähnung durch die Chroniken verschiedene Gründe für die Existenz einer Kapelle dieses Namens. Von einer dem heiligen Sebald geweihten Kirche haben wir die erste urkundliche Nachricht erst aus dem 13. Jahrhundert2); auch die ältesten erhaltenen baulichen Ueberreste gehen nicht über diese Zeit zurück. Irgend ein Gebäude zur Befriedigung der kirchlichen Bedürfnisse der Bevölkerung Nürnbergs, das sich im 12. Jahrhundert zu einer stattlichen Ansiedlung entwickelt hatte, muß sicher­ lich schon vorher bestanden haben. Daß es nur eine Kapelle, ein kleineres Bauwerk, war, erhellt mit Wahrscheinlichkeit daraus, daß sich von einer größeren Kirche wohl irgend­ welche baulichen Ueberreste oder schriftlichen Nachrichten *) Vgl. z. B. Sigmund Meisterlins Chronik der Reichsstadt Nürnberg, Dt$che. Städtechron. III, S. 72, und Müllners Annalen de anno 691 (der Ursprung der Kapelle wird hier auf den hl. Bonifazius »m^kgeführt). •) Siehe unten S. 6.

5 über sie erhalten haben dürften. Vor allem spricht für die Annahme einer dem heiligen Petrus geweihten Kapelle und für die Wahrung der Kontinuität zwischen dieser Kapelle und der neuen Sebalduskirche die auffallende Tatsache, daß man beim Bau der späteren Pfarrkirche der besonderen Verehrung des heiligen Petrus durch Anlage eines eigenen Westchores Rechnung trug. Als das kleine alte Gotteshaus den kirchlichen Ansprüchen der ständig zunehmenden Be­ völkerung der Stadt nicht mehr genügte, mag man sich wohl im 13. Jahrhundert für die doppelchörige Anlage des Neubaues entschieden haben, um beiden Heiligen die ent­ sprechende Verehrung zuzuwenden. Dem ursprünglichen Kultus des heiligen Petrus wurde der Westchor, dem später hinzugekommenen des heiligen Sebald der Ostchor ge­ weiht 1). Diese Erwägungen geben auch der Annahme, daß in der alten Peterskapelle durch die Aufnahme der Re­ liquien des heiligen Sebald der Kultus dieses Heiligen sich entwickelt habe, eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Es ist zu vermuten, daß der neue Kultus allmählich die ursprüng­ liche Verehrung des heiligen Petrus überflügelt habe und daher die Nürnberger für den Neubau dem Namen des nachmaligen Schutzpatrons der Stadt den Vorzug gaben. Die Tradition der Chroniken hat diese Zusammenhänge zwischen dem hl. Sebald und der Peterskapelle jedenfalls immer aufrecht erhalten und in der Legende dürfen wir für unsere Annahme eine, wenn auch unsichere Stütze finden, nämlich in der Erzählung von dem Ochsengespann, das, in wunderbarer göttlicher Fügung gelenkt, den Leichnam des Heiligen bis zur Peterskapelle führte, allwo er dann nach göttlichem Willen zur letzten Ruhe gebettet werden sollte. Die weitere Sage erzählt dann, daß die Kapelle abgebrannt, *) Vgl. Dehio, Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, 3. Bd., Süddeutschland. Berl. 1920, S. 369. D. betont die für eine Pfarrkirche ungewöhnliche doppelchörige Anlage der Sebaldus­ kirche und führt sie auf die ursprüngliche Peterskapelle zurück; freilich weist er für die Anlage auch auf die Einwirkung des in dem Vorbild des Bamberger Domes gelegenen formalen Moments hin. Ueber die Zusammenhänge des ebenfalls doppelchörigen Bam­ berger Doms mit dem Neubau in Nürnberg: Hoffmann, Die Sebal­ duskirche in Nürnberg. Wien 1912, S. 11, 28 ff. ‘

6 der Leichnam in das Schottenkloster in Nürnberg überführt worden sei, daß sich dort aber der heilige Leib nicht wohl­ gefühlt habe und auf wunderbare Weise wieder auf seinen alten Platz zurückgekehrt sei *). Die Legende zeigt, in wie enge Verbindung die Ueberlieferung die Peterskapelle mit dem Heiligen gebracht hat. Für die Peterskapelle scheint noch eine immerhin be­ merkenswerte Tatsache zu sprechen. Die Sebalduskirche war, wie später näher darzulegen ist, lange Zeit Tochterkirche der Pfarrkirche des benach­ barten Dorfes Poppenreuth und stand zu dieser in einem Abhäigigkeitsverhältnis. Diese (die Pfarrkirche in P.) war ebenfalls dem heiligen Petrus geweiht. Mögen hier nicht auch Beziehungen dieser Mutterkirche zu der Vorgängerin der Sebalduskirche bestanden haben, so daß die Namen­ gebung nicht ganz unbegründet erscheint? Da jeder urkundliche Beleg fehlt, bewegen wir uns bei der Frage der Peterskapelle auf sehr unsicherem Boden ; alles bleibt Vermutung. Erst mit dem 13. Jahrhundert be­ treten wir festeres Land. Freilich zeigt eine Umschau über die ersten urkundlichen Nachrichten von der Sebaldus­ kirche, daß wir es fast ausschließlich mit Ablaßurkunden zu tun haben, aus denen für unsere Zwecke nur sehr dürftige Ergebnisse zu erholen sind. Das Jahr 1255 bringt die erste urkundliche Erwähnung der Kirche*2): Bischof Heinrich von Samland verleiht in einer Urkunde vom 13. Juli 1255 allen denen, die zur Einweihung des ,,in parochia“ 3) sancti Sebaldi in Nurenberc“ gelegenen Stephansaltars in reumütiger Gesinnung erscheinen, verschiedene Ablässe. Und noch deutlicher spricht eine Urkunde aus dem folgen­ den Jahre 4), in der Bischof Heinrich von Bamberg einen *) Ueber den hl. Sebald vgl. M. M. Mayer, Das Leben und die Wunder des hl. Sebaldus. Nbg. 1842. 2) U. v. 13. Juli 1255. Hauptstaatsarchiv Mnchn. St. Sebald Nr. 1. 3) Statt: in parochiali ecclesia. Vgl. den Ausdruck „parochia“ für Pfafrkirche auch bei Weigel, Die Deutschordenskomturei in Rothenburg o. T., Lpz. u. Erlgn. 1921, S. 50; Müller, Die Eßlinger Pfarrkirche. Stuttgart 1907, S. 237. 4) U. v. 1. Okt. 1256. HStA. Mchn. Sebald Nr. 2. Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 213.

7 Ablaß verheißt, von der ,,ecclesia parochialis sancti Sebaldi in Nurenberch“. Die beiden Urkunden geben Veranlassung, uns der Frage der kirchlichen Zugehörigkeit des Gottes­ hauses zuzuwenden. Das Gebiet der Burg von Nürnberg und der im Schutze derselben sich entwickelnden Ansiedlung gehörte nach seiner kirchlichen Eingliederung zu der Zeit, da Nürnberg zum erstenmal urkundlich erwähnt wird — anno 1050 — zum Bistum Bamberg. Laien und Geistliche des Ortes waren somit dem dortigen Bischof als dem Leiter der Diözese unterstellt. 1007 war das Bistum von König Hein­ rich II. gegründet worden. Sein Bezirk, der zum größeren Teil zum Bistum Würzburg, zu einem kleineren zum Bis­ tum Eichstätt gehört hatte, konnte erst nach Ueberwindung von mancherlei Schwierigkeiten abgegrenzt werden. Im Jahre 1015 wurden durch Vereinbarung der Bischöfe von Bamberg und Eichstätt auf einem Hoftage in Frankfurt a. M. in Gegenwart des Kaisers Heinrich II. die Grenzen der beiden Diözesen in dem Sinne festgelegt, daß der Pegnitz­ fluß als Grenzlinie zwischen denselben dienen sollte*). Damit war die Grundlage gegeben, daß die erst später an das Licht der Geschichte tretende, nördlich des Flusses ge­ legene Burg und Ansiedlung Nürnberg in kirchlicher Hin­ sicht dem Bamberger Bistum eingegliedert wurde. Später erweiterte dieses seine Grenzen über die ursprünglich süd­ liche Grenzlinie der Pegnitz hinaus, so daß auch die süd­ lich des Flusses gelegene Pfarrkirche St. Lorenz als der Diözese Bamberg zugehörig erscheint. Für die unmittelbare kirchliche Versorgung war jeder Ort einem „parochus“ unterstellt. Bei Nürnberg sind wir für die älteste Zeit urkundlich nicht unterrichtet. Erst die beiden oben erwähnten Urkunden aus der Mitte des 13. Jahrhunderts geben uns Aufschluß über die Frage der parochialen Verfassung Nürnbergs. Hiernach erscheint die *) Nach einer Nachricht im über privilegiorum der Bamberger Kirche. Vgl. Heyberger, Codex probationum diplomaticus Bambergensis, n. 16; Ussermann, Episcopatüs Bambergensis. St. Bla­ sien 1802, p. XI; Looshorn, Geschichte des Bistums Bamberg. Bam­ berg 1886 ff., Bd. I, S. 157.

8 Sebalduskirche als Pfarrkirche. Wie im Jahre 1256 der Rat der Stadt zum erstenmale urkundlich erwähnt wird *) und damit der Ausdruck für die politische Verselbstän­ digung der Stadt gegeben war, so war Nürnberg zu der­ selben Zeit auch schon den Weg der Verselbständigung zu einem eigenen Pfarrbezirk gegangen, wie die Benennung der Sebalduskirche als „ecclesia parochialis“ erkennen läßt. Es ist die Tatsache, daß ein Gemeinwesen von größerer Ausdehnung eine eigene Pfarrkirche für den JCreis seiner Bewohner erhält, nicht, wie zu erwarten wäre, eine regel­ mäßige und ohne weiteres mit der Abschließung der betref­ fenden Ansiedlung zu einer Stadt gegebene Erscheinung, vielmehr finden wir gerade in Süddeutschland eine enge Verbindung von ländlichen und städtischen Ansiedlungen in einem Pfarrbezirk durchaus häufig. Dies vollzog sich in der Weise, daß die ältere ländliche Pfarrkirche außerhalb der Stadtmauern die Versorgung der kirchlichen Bedürf­ nisse der ursprünglich noch kleinen, nach und nach heranwachsenden städtischen Ansiedlung übernahm, die Gottes­ häuser in der Stadt somit in Abhängigkeit von ihr standen. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis haben wir fi|r die älteste Zeit auch bei Nürnberg anzunehmen, dessen Anerkennung als freie Reichsstadt durch den Freiheitsbrief König Fried­ richs II. von 1219*2) übrigens der ersten Erwähnung der beiden Hauptkirchen, St. Sebald und St. Lorenz, voraus­ ging. Bei einer Reihe von süddeutschen Städten liegen solche Beziehungen zwischen Land- und Stadtpfarrei vor, so bei Freiburg 3), Ulm 4), Rothenburg o. T. 5), Buchhorn 6) u. a. 7). Eine direkte Nachricht für diese ursprüngliche Unterstellung der Sebalduskirche unter eine Landpfarr­ kirche liegt zwar nicht vor, aber spätere Prozeßstreitig­ keiten, auf die an anderer StePo noch näher einzugehen *) Deutsche Städtechroniken, I.. S. XVIII. 2) Deutsche Städtechroniken, I. Bd., S. XVI. 3) Stutz, Münster zu Freiburg i. Br., Tübingen u. Lpzg. 1901, S. 2 ff. 4) Jehle, Ulms Verfassungsleben. Augsbg. 1911, S. 27. 5) Weigel a. a. O. S. 9. 6) Friedrichshafen. Vgl. Kallen, Die oberschwäbischen Pfrün­ den des Bistums Konstanz. Stuttg. 1907, S. 71, 136. 7) Vgl. auch Rietschel, Markt und Stadt. Lpzg. 1897, S. 171.

9 istx), deuten darauf hin, daß sehr starke Zusammenhänge zwischen der Kirche des heiligen Sebald und der Peters­ kirche in Poppenreuth *2), einem etwa eine Meile von Nürn­ berg entfernten, in nordwestlicher Richtung liegenden Dorfe, bestanden haben. Ja, in einer aus Anlaß dieses Kon­ fliktes ausgegebenen Bplle Papst Urbans VI. von 1386 3) wird ausdrücklich darauf Bezug genommen, daß St. Sebald eine Filiale oder Kapefle der Poppenreuther Kirche ge­ wesen sei. Soweit dje urkundliche Ueberlieferung, die auch in den Nachrichtep der Chroniken eine Stütze findet. Man dürfte somit, da keine Veranlassung besteht, dieser Ueberlieferung den Glauben zu versagen, mit der Annahme der Abhängigkeit von St. Sebald und ihrer mutmaßlichen Vorgängerin, der Peterskapelle, von der Pfarrkirche zu Poppenreuth nicht fehlgehen. Auch im 14. Jahrhundert lassen sich, wie später zu erörtern ist, die engen Beziehun­ gen der beiden Kirchen verfolgen. Wann freilich die Er­ hebung des Nürnberger Gotteshauses — mag es nun noch dem heiligen Petrus oder schon dem heiligen Sebaldus ge­ weiht gewesen sein — zur Pfarrkirche erfolgte, ist nicht festzustellen, ebensowenig auf welche Weise es die Pfarrgerechtsame erworben hat. Es läßt sich nach anderen Analogien4)5 denken, daß der Grundherr — in Nürnberg also wohl der deutsche König — die Kirche mit den Pfarrrechten ausstattete und die Bewohner eines bestimmten Bezirkes an sie band; aber es ist nichts Sicheres für Nürn­ berg auszumachen. Notwendig war wohl, daß die Kirche einen Teil des älteren und größeren Pfarrsprengels aus­ geschieden erhielt und der Bischof die Beilegung der Pfarrrechte sanktionierte6), wobei ein gewisser Zusammenhang *) Siehe unten 2. Abschnitt A. 2) Poppenreuth wird 1207 als meranisches Leh^n urkundlich erwähnt, vgl. P. Ewald, Geschichte der Pfarrei Poppenreuth. Nbg. 1831, S. 14. Die Poppenreuther Kirche ist wiederum Tochterkirche des 1007 zum erstenmale erwähnten Fürth, vgl. Mummenhoff, Der Reichsstadt Nürnberg geschichtl. Entwicklungsgang Lpz. 1898, S. 7. 3) U.v.23. IV. 1386. HStA. Mchn. Sebald 162. 4) Heck, Kirchenwesen der Stadt Hanau a. M. Tübingen 1912, S. 5; Müller a. a. O. S. 245; Stutz, Art. Pfarre in Real-Encyklopädie für prot. Theologie und Kirche, 3. A. 15, S. 242 ff. Siehe auch unten 3. Abschnitt I. 5) Werminghoff, Verfassungsgeschichte der deutschen Kirche

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mit der alten Mutterkirche gewahrt bleiben konnte. Daß dies bei Nürnberg der Fall war, werden wir sehen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß die Trennung der Stadt­ bürger von der Landpfarrei gerade mit dem Neubau der Sebalduskirche in der Stadt um die Mitte des 13. Jahrhun­ derts zusammenfiel ; aber die Nachrichten lassen auch hier im Stiche. Auch über die Ausdehnung des neuen Pfarrbezirks läßt sich nichts Bestimmtes sagen, insbesondere erscheint es fraglich, ob derselbe sich vollständig mit dem Stadtgebiet gedeckt und nicht über die Stadtmauern auch auf ländliche Gebietsteile sich erstreckt hat*1). Nur soviel ist also mit Sicherheit festzustellen, daß um 1250 eine ge­ wisse Verselbständigung Nürnbergs in kirchlicher Hinsicht schon eingetreten war, da nach der ersten urkundlichen Er­ wähnung die Sebalduskirche schon als Pfarrkirche erscheint. Wir haben uns nun kurz der Baugeschichte der Sebalduskirche zuzuwenden. In ihrer heutigen Gestalt stammt die Kirche, was ihre ältesten Bestandteile betrifft, aus dem 13. Jahrhundert. Die Ablaßurkunde des Bischofs Heinrich von Bamberg von 1256 ergibt mit größter Wahr­ scheinlichkeit, daß die Kirche bereits eingeweiht und damit dem Gottesdienst übergeben war; freilich ist damit noch nichts über die Vollendung des Gebäudes gesagt, und alle Anzeichen sprechen dafür, daß der Bau von St. Sebald, der wohl nicht lange vor 1250 begonnen wurde, zu dieser Zeit erst allmählicher Vollendung zureifte, wie ja der Bau so vieler Gotteshäuser des Mittelalters sich oft jahrzehntelang und mit vielen Unterbrechungen hinauszog. Für diese An­ nahme spricht die Nachricht, die wir wiederum einem Ab­ laßbrief und zwar einem solchen des Bischofs Berthold von Bamberg von 1274 2) entnehmen, worin dieser die Weihe des Chors 3) und Altars der Pfarrkirche des heiligen Sebald im Mittelalter, 2. A. Lpzg. u. Berl. 1913, S. 161; Hauck, Kirchen­ geschichte Deutschlands. Lpzg. 1887 ff., IV, S. 22. — Künstle, Die deutsche Pfarrei und ihr Recht zu Ausgang des Mittelalters. Stuttg. 1905, S. 44 f. 1) Daß die Stadtmauern nicht notwendig Grenzen auch der Pfarrbezirke bilden vgl. Kallen a. a. O. S. 136. 2) U. v. 17. Aug. 1274. HStA. Mchn. Sebald Nr. 4. 3) Daß es der Westchor war, ist einem Ablaßbrief desselben Bischofs von dem gleichen Tage, 17. Aug. 1274, für die Maria-Mag-

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zu Nürnberg, die er am 9. September 1273 vollzogen habe, erwähnt. So kann das Jahr 1273 als ein gewisses Abschluß­ jahr bei dem Neubau der Kirche angesehen werden. Da die noch stehenden Teile der alten Kirche, der Westchor der romanischen Zeit, das Langhaus dem Uebergangsstil angehören und der später durch den heutigen gewaltigen gotischen Ostchor ersetzte alte Ostchor auch keiner jün­ geren Zeit angehört lieben kann, so werden wir uns um diese Zeit die Kirche als einstweilen vollendet zu denken haben. Die angezogenen Ablaßurkunden stehen damit durchaus im Einklang. Ob mit diesem Neubau des 13. Jahrhunderts die Erhebung des Baues zur Pfarrkirche zu­ sammenfiel und die Umwandlung der Benennung, für St. Peter die jetzige St. Sebaldus, stattfand, entzieht sich unserer Kenntnis. Sicher ist wohl, daß die alte Kapelle oder die kleinere Kirche, die vor dem Neubau an dieser Stelle gestanden hatte, den Bedürfnissen der sich gerade in der Staufenzeit mächtig entwickelnden Stadt und ihrer steigenden Bevölkerungszahl, überhaupt ihrer ganzen Be­ deutung und ihrem Ansehen, das durch die häufigen Be­ suche der Kaiser weit verbreitet war, nicht mehr genügte. Jedenfalls hat Nürnberg mit dem Neubau ein stattliches Gotteshaus erhalten, das sich schon durch seine für eine Pfarrkirche ungewöhnliche doppelchörige Anlage auszeich­ nete. Auch die schon 1274 angewandte Bezeichnung „monasterium“ (= Münster) läßt seine Größe und Bedeu­ tung erkennen x). Wir sind mit der Betrachtung über die Sebalduskirche bis etwa zum Jahre 1300 gelangt. Zusammengefaßt ergibt sich etwa folgendes : Alles was von einer Peterskapelle, die ursprünglich an der Stelle der jetzigen Kirche gestanden haben soll, über­ liefert ist, bleibt unbestimmt und entbehrt der sicheren historischen Fundierung. Dagegen scheint, wenn auch nur dürftige Nachrichten dafür sprechen, die ehemalige Filialabhängigkeit des Gotteshauses von der Landpfarrkirche dalenenkirche des Klaraklosters in Nürnberg zu entnehmen. Urk. im HStA. Mchn. St. Klara F. 1 X 17/3; F. Lang, Reg. Boic. III, 435. *) U. v. 17. Aug. 1274. HStA. Mchn. Sebald Nr. 4.

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des benachbarten Poppenreuth gesichert zu sein. Fest steht, daß das erste urkundliche Vorkommen die Sebalduskirche in der Mitte des 13. Jahrhunderts schon als Pfarrkirche er­ kennen läßt, daß mithin die Stadt, wenn auch nur unter teil­ weiser Loslösung von der Landpfarrei, zu einem eigenen Pfarrbezirk verselbständigt war. Mit dem Neubau des letzten Drittels des 13. Jahrhun­ derts sollte jedoch die Bautätigkeit an der Sebalduskirche noch nicht zum Abschluß gekommen sein. Wir treten hier­ mit in die gotische Bauperiode ein, die in ihrem ersten Teile in der Erweiterung der Seitenschiffe und den Umbauten am Querschiff und Westchor ihren Ausdruck findet. Wie rasch die Bevölkerungszahl heranwuchs und damit die Stadt sich entwickelte, geht daraus hervor, daß schon im ersten Jahr­ zehnt des 14. Jahrhunderts die Umbautätigkeit einsetzte, nachdem der Neubau des vergangenen Jahrhunderts kaum vollendet worden war. Es ist das Jahr 1309, dem die erste urkundliche Nachricht von dieser Tätigkeit angehört. In einer mit dem Umbau zusammenhängenden Urkunde wird als Zweck des darin verbrieften Verkaufes eines der Sebal­ duskirche gehörigen Hauses ausdrücklich die Förderung des Baues ,,an den apseiten” der Kirche angegeben 1). Die engen Raumverhältnisse nötigten zu einer Erweiterung der beiden Seitenschiffe, die auf beinahe das Doppelte der alten erstreckt wurden. In die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts sind ferner noch einige kleinere Umbauten, insbesondere Fensterausbrüche im Querschiff und Westchor, und die neuen Portale am Querschiff zu setzen ; urkundliche Nach­ richten sind darüber nicht erhalten, doch sprechen bau­ geschichtliche Erwägungen für diese Annahme2). Der Grund dieser neuen Umbauten lag in der raschen Entfal­ tung der Stadt. Lange Zeit, vermutlich bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, war St. Sebald die einzige Pfarrkirche der Stadt. Wann die andere Hauptkirche der Stadt, die Lorenzkirche, die Pfarrechte erlangt hat, ist nicht genau *) U. v. 14. Februar 1399. HStA. Mchn. Sebald Nr. 18. 2) Hoffmann a. a. O. S. 47 f., der in allen Fragen der Bau­ geschichte heranzuziehen ist.

3 festzustellen ; wahrscheinlich ist dieses Ereignis um die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts anzusetzen, worüber noch das Nähere auszuführen istx). Das rasche Wachstum der Bevölkerung ließ auch im 14. Jahrhundert nicht nach *2). Auf die Dauer vermochte die Kirche, da nur die für den Hauptgottesdienst erst in zweiter Linie in Betracht kommenden Seitenschiffe erwei­ tert worden waren, den gesteigerten Ansprüchen nicht mehr zu genügen. Ein Zeugnis für diesen raschen Auf­ schwung der Einwohnerschaft bildet die noch vor der Mitte des 14. Jahrhunderts einsetzende Verlegung des Mauergür­ tels auf die noch heute wohl erhaltene Stadtumwallung, kaum daß der zweite Mauerring seine Vollendung gefun­ den hatte 3). Auch die wachsende Bedeutung der Stadt in politischer und wirtschaftlicher Beziehung erheischte in dieser Zeit der Entfaltung der Städte auf allen Gebieten, nicht zum mindesten auf dem der Bautätigkeit, eine glanz­ volle und würdige Repräsentation. Von der Umbautätig­ keit waren bis jetzt Mittelschiff und Chor nicht ergriffen worden. So war es diesmal der östliche Teil der Kirche, dessen geringe, bescheidene Ausdehnung den gesteigerten Anforderungen nicht mehr genügte und der auch sonst wohl in dieser hohen Zeit der Gotik in seiner veralteten romanischen Anlage dem allgemeinen Geschmack nicht mehr entsprochen haben mochte, an dem diese neue und bedeutendste Erweiterungsarbeit einsetzte. Ueber die Vor­ bereitungen des neuen Baues ist in anderem Zusammen­ hänge zu sprechen4). Ablaßurkunden zur Belebung der Opferfreudigkeit und Verbriefungen von Immobilien­ geschäften, die im Wege des Verkaufs oder Tausches für die ausgedehnte Anlage Platz zu schaffen bestimmt waren, bringen die lebhaft sich entfaltende Tätigkeit zum Aus­ druck. Im Sommer des Jahres 1361 wurde, wie die Chro*) Siehe unten 2. Abschn. B. 2) Man denke an die Ausdehnung des Stadtbildes, die in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts zum Abschluß des 2. Mauerringes führte. Vgl. Mummenhoff, Altnürnberg, Bambg. 1890, S. 71 f. 3) Vgl.Reicke, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg. Nbg. 1896, S. 268 ff. 4) Siehe unten 3. Abschn. IV.

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nisten berichten, der Bau in Angriff genommen1), 1372 war der Außenbau vollendet2). Doch hat sich der end­ gültige Abschluß bis zum Jahre 13793) hingezogen; am Sonntag nach Bartholomäus dieses Jahres4) wurde der Ostchor eingeweiht. Die Stiftungen von Altarpfründen und Seelgeräten haben während des Baues keine Unter­ brechung erlitten ; auch ist anzunehmen, daß Gottesdienste weiter stattgefunden haben, indem sie wahrscheinlich im Mittelschiff oder im Westchor abgehalten wurden 5)Mit dem mächtigen und großartigen Ostchor, der zu den bedeutendsten gotischen Baudenkmälern gezählt wer­ den darf, war die Bautätigkeit an der Sebalduskirche in den Grundzügen beendet. Was folgte, waren, abgesehen von den größeren Umbauten und den Erhöhungen an den Tür­ men, an denen 1345 und gegen Ende des 15. Jahrhunderts gearbeitet wurde6), bauliche Aenderungen und Ausbes­ serungen kleinerer Art, die auf den Gesamtcharakter des Gebäudes keinen oder einen nur sehr geringen Einfluß hatten und bis zum heutigen Tag das Bauwerk etwa in der Gestalt, die es um 1500 hatte, erhalten ließen. *) S. 49. 2) 3) 4) 5) 6)

DStChr. I, 353, III, 155, IV, 126. — Vgl. Hoffmann a. a. O. Hoffmann DStChr. I, 28. August Hoffmann Hoffmann

a. a. O. S. 50. 354, III, 290. 1379. a. a. O. S. 49. a. a. O. S. 66 ff.

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B. Die Lorenzkirche. Die Stadt Nürnberg ist im Schutze der Burg, an diese angelehnt, entstanden. In den ersten Jahrzehnten ihrer Ent­ wicklung scheint sie sich nicht nach Süden über die Pegnitz ausgedehnt zu haben. Ein Uebergreifen der Stadtgrenzen auf die südliche Pegnitzseite ist erst für das 12. Jahrhun­ dert anzunehmen. Dem entspricht auch, daß wir erst am Anfang des 13. Jahrhunderts eine urkundliche Nachricht von einem kirchlichen Gebäude auf der Südseite des Flusses haben. Es ist das die Jakobskirche, die nach einer Urkunde vorl 1209 Kaiser Otto IV. dem deutschen Ritterorden zum Geschenk machte *). Und etwa 25 Jahre später begegnet zum erstenmale der Name der Kirche des heiligen Lorenz, nach welcher dann die südlich der Pegnitz gelegene Stadt­ seite die Lorenzer Seite genannt wurde, also früher als der der Sebalduskirche. In einer Urkunde des Papstes Gregor IX., datiert aus Perusia, den 4. Juli 1235, worin dieser dem Bischof Eckbert von Bamberg unter anderen Kirchen und Gütern auch die Kirche von Fürth bestätigt, ist als mit dieser Kirche verbunden und von ihr abhängig auch die Kapelle des heiligen Laurentius in Nürnberg be­ zeichnet *2).3 * Das * * Abhängigkeitsverhältnis von Fürth findet ebenfalls Ausdruck in einer Urkunde des Papstes Alexan­ der IV. von 1258, durch die der Papst einem Lupoid von Grindelach, dem Rektor der Pfarrkirche in Vurth (= Fürth) und der Kapelle des heiligen Lorenz in Nürnberg, die Ver­ leihung dieser beiden Gotteshäuser, ,,von denen die eine von der andern abhängt“, nach Resignation des vorherigen Inhabers bestätigt 8). D U. v. 20. Febr. 1209. Vgl. Hennes, Urkundenbuch des Deut­ schen Ordens, Bd. II, Nr. 2. 2) Nach dem Bamberger Privilegienbuch L. C. Nr. 1, fol. 15, abgedruckt in der Bamberger Deduktion, Prob. dipl. Nr. 64. — Reg. Boic. II, 243. 3) U. v. 11. Nov. 1258. HStA. Mchn. IV *U und Staatsarch. Bam­ berg; Bischöfl. Kopialbuch neu Nr. 2, Bl. 9. Diese Urkunde ist viel­ fach fälschlich auf das Jahr 1162 datiert worden (so DStChr. I, S. XV Anm. 3) als eine Bulle Alexanders III. Die nur unbestimmte,

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Aus diesen beiden Urkunden, die übrigens die einzigen urkundlichen Zeugnisse für die Lorenzkirche im 13. Jahr­ hundert bilden, erhellt, daß wir es damals bei St. Lorenz noch mit einer Kapelle zu tun haben, daß also das Auf­ rücken der südlich der Pegnitz gelegenen Stadthälfte zu einem eigenen Pfarrsprengel noch nicht erfolgt war. Gerade um diese Zeit war auch die Ausbreitung der Stadt nach Süden noch in vollem Gange, scheint doch damals der über die Pegnitz nach Süden greifende Mauerring noch nicht ausgeführt gewesen zu sein. Seine Vollendung ist vielmehr erst in das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts anzusetzen. Wohl mit aus diesem Grunde war auch die feste Geschlos­ senheit des nördlichen Stadtteils in kirchlicher Hinsicht, wie wir sie nach der Bezeugung einer Pfarrkirche auf der Sebalderseite um 1250 anzunehmen haben, auf der süd­ lichen Seite noch nicht erreicht. Erst allmählich bereitete sich südlich der Pegnitz der städtische Charakter vor, und die aus den Urkunden ersichtliche Abhängigkeit der Lorenzkapelle von Fürth entspricht den noch etwas — wenn man so sagen darf — ländlicheren Verhältnissen dieser Ansiedlung auf dem südlichen Ufer des Flusses. Nach ihrer kirchlichen Zugehörigkeit ist die Kapelle dem Bistum Bamberg einzugliedern. Das ergibt sich aus der Filialabhängigkeit von Fürth, das zu Bamberg schon seit der Gründung des Bistums gehörte und als dompropsteiliches Lehen in besonders engem Verbände mit demselben stand 1). Reicher, aber desto bedenklicher und unsicherer, sind die Nachrichten der Chronisten über das Gotteshaus, das dem heiligen Lorenz geweiht war. Insbesondere' die sagen­ haften Beziehungen zu den Grafen von Nassau nehmen hier lediglich mit dem Regierungsjahr des Papstes Alexander (ohne Ordnungszahl) angeführte Datierung hat zu der irrtümlichen chro­ nologischen Einreihung der Urkunde geführt. Datierung ist in Anagni erfolgt; nachweisbar hat sich Alexander IV. z. Z. der Aus­ stellung in Anagni aufgehalten. Richtig bei Ussermann. Episc. Bamberg. Cod. prob. S. 165 und Lang, Reg. Boic. III, 121. *) Zu der reichen Ausstattung des neuen Bistums bei seiner Gründung (1007) durch seinen Stifter König Heinrich II. gehörte auch das frühere königliche Eigengut Fürth; vgl. Hirsch, Jahr­ bücher des Deutschen Reiches unter Heinrich II., Bd. II, S. 127.

i; einen breiten Raum ein. So erzählen die Chronisten, diese Grafen hätten 1140 die Kirche bauen, späterhin — 1274 — diese kleine Kirche abbrechen und durch eine größere ersetzen lassen. Wohl hatten die Grafen von Nassau Grundbesitz in der Stadt, aber nicht vor 1299, so daß die Erzählungen, die übrigens besonders dem König Adolf von Nassau (1292—1298) eine hervorragende Beteiligung am Bau der Kirche zuschreiben, in das Reich der Fabel zu ver­ weisen sind. Es sei noch darauf hingewiesen, daß sich in der ganzen Kirche, weder in Wappen oder Jahrtagen und dgl., die geringste Spur von dem Geschlechte der Nassauer findet1). — Ebenfalls unbelegt und wahrscheinlich apokryph ist die Nachricht, daß Kaiser Heinrich II. an der Stelle der heutigen Lorenzkirche im Jahre 1003 — also vor der ersten urkundlichen Erwähnung Nürnbergs — eine kleine Kapelle, zum Heiligen Grab genannt, gestiftet habe. Daß aber eine Kapelle dieses Namens, gewissermaßen als Vorläuferin der Lorenzkirche, existiert habe, berichten die Chronisten übereinstimmend. Auch der Nürnberger Rat­ schreiber Johannes Müllner weist in seinen Annalen auf das Siegel der Pfarrer hin, sowie auf eine Urkunde Her­ mann Keßlers, Pflegers der Pfarre zu St. Lorenz, woraus hervorgehe, daß die Vorgängerin der Lorenzkirche zum Heiligen Grab genannt worden sei, eine Urkunde, die jetzt nicht mehr nachzuweisen ist2). Dagegen findet sich in einem Kopialbuch des Deutschordens zu Nürnberg die Ab­ schrift einer Urkunde über den Verkauf einer Rente an das Deutsche Haus in Nürnberg durch den Pfleger von St. Lorenz, in deren Beglaubigungspassus die Worte aufgenornmen sind: ,,versigelt mit der vorgenannten pfarre insigel sant Laurencien zu dem heiligen Grabe“. Die Rich­ tigkeit der Abschrift ist nicht nachzuprüfen, ebensowenig, ob dieses Rechtsgeschäft tatsächlich betätigt wurde 3). Im *) Ueber die Grafen von Nassau vgl. vor allem Mummenhoff, Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, 15. Heft, S. 1 ff. 2) Müllners Annalen zum Jahre 1001. 3) Städt. Arch. Nürnberg. Kopialbuch des Deutschordens zu Nürnberg Nr. 131, Bl. 118. Die Urkunde ist datiert vom 12. Feb­ ruar 1327.



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Zusammenhalt mit den Zeugnissen der Chronisten ergibt sich jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß eine Kapelle dieses Namens wohl bestanden haben dürfte, die in engere Beziehungen zu der nachmaligen Lorenzkirche zu bringen ist. Bei den beiden Nürnberger Hauptkirchen also dieselbe Ueberlieferung: hier wie dort wird eine Kapelle anderen Namens als Vorläuferin genannt, die Peterskapelle für St. Sebald, die Kapelle zum Heiligen Grab für St. Lorenz. Hier wie dort können wir, ja müssen wir eigentlich die Tat­ sächlichkeit eines solchen Vorganges zugeben, ohne daß bei der Dürftigkeit des erhaltenen urkundlichen Materials ein klarer Einblick in die Zusammenhänge zu gewinnen wäre. Was die ältere Baugeschichte der Lorenzkirche anlangt, so läßt uns die urkundliche Ueberlieferung fast völlig im Stich, und auch bauliche Ueberreste vermögen nur ganz geringen Aufschluß zu geben. Von der alten Lauren­ tiuskapelle, wie sie in den Urkunden von 1235 und 1238 erwähnt wird, wissen wir nichts. So wie die Kirche sich heute dem Auge darbietet, ist sie als Werk des 14. und 15. Jahrhunderts anzusehen. Die Baugeschichte ist ähnlich verlaufen wie die von St. Sebald. Bedingt durch die zu­ nehmende Bevölkerung ist der Bau in sukzessiven Er­ weiterungen gestaltet x). Den Nachrichten der Chronisten folgend, werden für den Beginn des Baues die 70er Jahre des 13. Jahrhunderts angegeben *2).* * Mit * Rücksicht auf das rasche Wachstum der Stadt scheint man noch während des Baues zu Erweiterungen übergegangen zu sein. Stil­ geschichtlich ist der Bau in seinen älteren Teilen, dem Langhaus mit der westlichen Front und den beiden Tür­ men, auf die Mitte des 14. Jahrhunderts anzusetzen8). Damit steht auch die einzige urkundliche Nachricht, die mit dem Bau zusammenhängt, eine Urkunde des Bischofs *) Dehio a. a. O. S. 363 ff. 2) Dehio, Geschichte der deutschen Kunst II. Berl. u. Lpzg. 1923, S. 52; P. J. R6e, Nürnberg. Lpzg. 1907, S. 45; vgl. auch Müllner zum Jahre ioor. *) Ree a. a. O. S. 44.

19 Leopold von Bamberg von 1341 im Einklang, in der durch Versprechung eines Ablasses die Opferfreudigkeit der Gläubigen angegangen wird, da die eigenen Mittel der Kirche für die Erneuerung des Bauwerkes nicht aus­ reichten x). Die übrigen Umbauten und Erweiterungen fallen schon in das 15. Jahrhundert. 1403 wurden die Seitenschiffe er­ weitert, 1445—1472 der Ostchor vollständig neu erbaut2). So liegt der Ausbau der St. Lorenzkirche im großen und ganzen gemäß der von Norden nach Süden sich bewegen­ den Ausdehnung der Stadt etwa ein Jahrhundert später als der der Sebalduskirche. Die Vollendung des Sebalder Ost­ chors fällt in das Jahr 1379; hundert Jahre später wurde, wohl im Jahre 1472, der Lorenzer Ostchor vollendet. *) U. v. 28. II. 1341. HStA. Mchn. Lorenz Nr. 2. 2) Dehio, Handbuch, S. 363; Ree a. a. O. S. 45.

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2. Abschnitt.

Die beiden Pfarrkirchen nach ihrer kirchlichen Verfassung im 14, Jahrhundert. Bei der Betrachtung der Geschichte der beiden Kirchen im 13. Jahrhundert wurde schon ihrer Zugehörigkeit zu der Diözese Bamberg gedacht; auch über die Eigenschaft der Sebalduskirche als Pfarrkirche wurde im Anschluß an das erste urkundliche Vorkommen dieses Gotteshauses des näheren gesprochen. Was hier gegeben werden kann, ist nicht eine zusammenfassende Darstellung der Beziehungen und Verhältnisse, die aus der Stellung der Kirchen als Glieder der großen kirchlichen Organisation entspringen. Die mangelhafte Ueberlieferung läßt ein solches Gesamt­ bild für unsere Zeit nicht gewinnen. Vielmehr müssen wir uns auf einige Vorgänge der kirchlichen Verfassungs­ geschichte beschränken, wie sie der Zufall der Ueber­ lieferung darbietet. Hier steht bei St. Sebald im Vorder­ grund die Frage des Verhältnisses der Kirche zu der Pfarr­ kirche des benachbarten Poppenreuth. Bei St. Lorenz, wo die Quellen ganz spärlich fließen, ist besonders der Frage der Verselbständigung der Kirche zu einem eigenen Pfarrbezirk näher zu treten, denn daß die Kirche im 13. Jahr­ hundert noch nicht im Besitze der Pfarrgerechtsame erschienen ist, wissen wir bereits. A. Die Sebalduskirche. Die Sebalduskirche, die in ihrer Pracht und Groß­ artigkeit weithin Zeugnis von der Entwicklung und Blüte der Stadt gab, hatte in ihrer Stellung innerhalb der all­ gemeinen Kirchenverfassung lange Zeit nicht die Bedeu­ tung und Unabhängigkeit besessen, die ihr als dem kirch­ lichen Mittelpunkt der Stadt eigentlich hätte zukommen

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müssen. Mit der kommunalen Verselbständigung Nürn­ bergs scheint die kirchliche nicht Schritt gehalten zu haben, vielmehr, noch zu einer Zeit, als die Stadt dank ihrer politi­ schen und wirtschaftlichen Entfaltung in die Reihe der bedeutendsten städtischen Siedlungen des Reiches gerückt war, hatte Nürnberg in kirchlicher Beziehung zwar die Selbständigkeit einer eigenen Pfarrei, aber nicht die volle Unabhängigkeit der Pfarrkirche selbst erreicht. Wir kommen damit zu der schon oben kurz gestreiften Frage der Abhängigkeit der Sebalduskirche von einer außerhalb der Stadt liegenden Pfarrkirche, der Peterskirche des Dorfes Poppenreuth. Die ursprünglichen Beziehungen der nach dem heiligen Sebald benannten Kapelle bezw. der Peterskapelle zu der benachbarten Landpfarrkirche sind schon berührt worden. Es ist das Verhältnis der Mutter­ kirche (ecclesia matrix) zu einer Tochterkapelle (filialis), die ihrer oberhirtlichen Aufsicht und Sorge unterstellt und von ihr finanziell abhängig ist. Die ersten urkundlichen Nachrichten nennen uns St. Sebald bereits als Pfarrkirche. Die Erhebung einer schon bestehenden, von einer anderen Kirche abhängigen Kapelle — denn so haben wir uns auch für Nürnberg den Vorgang vorzustellen — zu einer eigenen ecclesia parochialis bedeutet aber nicht die völlige Auf­ lösung des ursprünglichen Verhältnisses von Mutterkirche und Tochterkirche. Die neue Pfarrkirche mag zwar einen Teil des älteren und ausgedehnteren Pfarrbezirkes für sich erhalten haben, aber im Rahmen der allgemeinen kirch­ lichen Organisation braucht diese neue parochiale Selbstän­ digkeit nicht notwendig die alten Beziehungen zu einer Mutterkirche zu Fall zu bringen. Eine vollständige Trennung kann zwar eintreten, häufig bleibt jedoch ein mehr oder minder loses Abhängigkeitsverhältnis der ecclesia filialis zu der matrix bestehen, das sich sehr ver­ schieden gestaltete und sowohl in personellen als auch in finanziellen Beziehungen zum Ausdruck kommen konnte 1). *) Vgl. oben S. 9, Anm. 5 — Vgl. auch Hinschius, Kirchenrecht. Berl. 1869, D § 93> S.323 1 und § 106, S. 408.

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Wie das Verhältnis zwischen der Mutterkirche zu Pop­ penreuth und der Tochterkirche in Nürnberg in der ältesten Zeit gestaltet war, wissen wir nicht, ebensowenig wann die Errichtung eines eigenen Pfarrbezirks mit St. Sebald als Pfarrkirche erfolgte; jedenfalls aber noch vor 1255. Erst aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts sind uns Nachrichten erhalten, die einiges Licht auf die Beziehungen der beiden Kirchen werfen, auch gewisse Rückschlüsse ge­ statten und daher einer näheren Untersuchung unterzogen werden mögen. In einer Urkunde vom 9. Juli 13791) überträgt Kar­ dinal Pileus kraft päpstlicher Autorität die Pfarrkirche in Poppenreuth, der Bamberger Diözese zugehörig, an Konrad Sawr (Sauer), Pleban in Fugenstal, einem Flecken in der Diözese Eichstätt. Die Einkünfte der Pfarrei werden nach Abschätzung des Zehnten auf jährlich 30 Goldgulden nicht übersteigend angegeben. Die Kollation scheint auf eine gewisse Gegnerschaft der Nürnberger Pfarrei St. Sebald gestoßen zu sein, denn wir finden im folgenden Jahre Nachrichten von einem Prozeß der Rektoren beider Kirchen gegeneinander, aus denen die beiderseitige Rivalität erhellt. Dieser Streit, anscheinend durch finanzielle Fragen aus­ gelöst, sollte sich zu einem Kampf um die kirchliche Präponderanz entwickeln. Die Austragung des Konflikts wurde bis zur Kurie gebracht. Vielleicht lag in der Stel­ lung Sauers vor seiner Kollation — als Priester der Diözese Eichstätt—der Grund, die Entscheidung nicht dem Bamber­ ger Stuhl zu überlassen, vielleicht haben beide Parteien von vorneherein mit Einwilligung des Diözesanherrn in Hinsicht auf die grundsätzliche Bedeutung der Frage und einer etwaigen endgültigen Regelung den Weg der Sup­ plikation an den päpstlichen Stuhl gewählt. Auf die Bitten beider Parteien ernannte Papst Urban VI. im Jahre 1380 2) zum ,,auditor specialiter deputatus“ Bertrandus de Alano, damals Erwählten (electus) von Famagusta3), und überA) Urk.im HStA.Mchn. Sebald Nr. 151. 2) Urk. v. 9. April 1380. HStA.Mchn. Sebald Nr. 156. 3) Später als Bischoff dieser Stadt erscheinend; vgl. U. v. 27. Mai 1383. HStA.Mchn. Sebald Nr. 157.

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trug ihm somit das Amt eines Schiedsrichters in diesem Konflikt. Ein genaues Bild der Ursachen und Einzelheiten des Streitfalles läßt sich nach den überkommenen Zeugnissen nicht gewinnen. Soviel ist festzustellen, daß der Kern der Auseinandersetzung die Frage des Verhältnisses der beiden Kirchen als Mutter- und Tochterkirche bildete. Aus den beiderseitigen Supplikationen der Pfarrherren*) läßt sich einiges für die Beurteilung des Prozesses entnehmen. Wolfram Dürr, der als Plebanus oder Rektor von St. Sebald genannt wird, erwähnt in der seinigen, daß zwischen ihm und dem Rektor von Poppenreuth ein Streit über die Rechte und Pertinenzien der Pfarrkirche St. Sebald in Nürnberg ausgebrochen sei. Etwas deutlicher ist die Supplikation Sauers: hier wird die Pfarrkirche von Pop­ penreuth ausdrücklich als die Mutterkirche, die Kirche von St. Sebald 12) als die von ihr abhängige Filiale bezeichnet und unter Hinweis auf den über die Rechte und Pertinen­ zien der Kirche entstandenen Streit um die Ernennung eines Schiedsrichters gebeten. Der Prozeß hat sich beträchtlich hinausgezogen. Beide Streitsteile waren an der Kurie in Rom durch Prokuratoren vertreten und die Weite der Entfernung, die Langsamkeit der Beförderungsmittel hat naturgemäß den Verkehr der Vertreter mit ihren Klienten recht erschwert. Manch andere Beschwerungen mögen dazugekommen sein; so ist in der erwähnten Urkunde von 1380 eine Beschwerde des Prokurators des Sauer enthalten, daß ihm von verschie­ denen Seiten, Richtern, Notaren und anderen Personen Briefe, Urkunden, Schriftstücke, die für den Prozeß sehr nötig seien, vorenthalten würden, und der päpstliche Schiedsrichter sah sich zu einer mit Strafdrohungen ver­ sehenen Aufforderung genötigt, um die Schriftstücke der Partei zuzuführen. 1) Diese sind in der Urkunde vom 9. April 1380 im Auszug ent­ halten. 2) Es heißt nicht Pfarrkirche; wohl mit Absicht, um nicht die Pfarreigenschaft der Sebalduskirche hervortreten zu lassen.

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Dürrs, des Rektors von St. Sebald, Widerstand gegen die Einsetzung des Sauer in Poppenreuth stützte sich be­ sonders auf die behauptete Abhängigkeit der Kirche von Poppenreuth von der Sebalduskirche, während Sauer nach den einen Nachrichten die Unterstellung der Sebalduskirche als Filiale unter die Mutterkirche in Poppenreuth x), nach anderen die Unabhängigkeit und Getrenntheit der beiden Kirchen betonte *2). Der Rektor von St. Sebald scheint recht energisch vor­ gegangen zu sein und seinem Widerstand gegen die Be­ setzung der Pfarrkirche von Poppenreuth auch äußerlich Ausdruck verliehen zu haben. Er hatte die Kirche von Pop­ penreuth einfach in Besitz 3) genommen und somit Sauer an der Ausübung seines ihm 1379 kraft päpstlicher Autorität übertragenen Amtes gehindert. Das geht aus den Beschwer­ den und Anträgen des Sauer hervor, die in mündlicher Ver­ handlung in Rom seitens seines Vertreters vorgetragen wurden. Gegenüber Dürrs Vorgehen berief sich Sauer auf seine kanonische Provision: Dürrs Widerstand sei in keiner Weise gerechtfertigt, er sei ,,temere et de facto“ erfolgt, ohne daß er sich auf einen Rechtstitel stützen könne. In­ folgedessen verlange er, daß Dürrs Widerstand für un­ berechtigt, seine rechtswidrige Besitzergreifung der Poppenreuther Pfarrei beseitigt und er selbst in den körper­ lichen Besitz (possessio corporalis) der Kirche eingeführt werde 4). *) Siehe U. v. 9. April 1380; vgl. S. 22 Anm. 2. 2) Siehe U. v. 28. Juni 1383. HStA. Mchn. Sebald Nr. 158. Es ist anzunehmen, daß die nach dieser Uukunde von Sauer behaup­ tete Unabhängigkeit und Getrenntheit der beiden Kirchen der tat­ sächlichen Entscheidung gemäß aufgenommen worden ist, um deren Bestätigung er in diesem Schriftstück den Papst ersucht. Seine ur­ sprünglichen Ansprüche auf Präponderanz Poppenreuths in vollem Ausmaße scheint Sauer also erst nach der Entscheidung fallen ge­ lassen zu haben, nachdem er mit ihnen nicht durchgedrungen war. 3) „Detentio“, wie es in der Urkunde v. 27. V. 1383 heißt. „Detentio“ ist nach römisch-rechtlicher Auffassung, die auch in das kano­ nische Recht übergegangen ist, der Begriff der „tatsächlichen Innehabung“ ohne Rücksicht auf einen etwa bestehenden oder nicht be­ stehenden Rechtstitel; vgl. Windscheid, Pandekten, Bd. I, § 148. 4) Ueber diese und die folgenden Vorgänge s. U. v. 27. V. 1383, unterzeichnet von Bertrandus, Bischof von Famagusta, HStA. Mchn. Sebald Nr. 157. Sie enthält die Protokolle der Sitzungen (teilweise ganz inhaltslos) und Verhandlungen und schließt ab mit

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Die Entscheidung des von der Kurie delegierten Schiedsrichters erfolgte am 27. Mai 1383; etwa drei Jahre lang hatte der Prozeß gedauert. Sie gibt mit Ausnahme eines Punktes den Ansprüchen des Sauer vollständig Ge­ hör. Nur in der Frage der Abhängigkeit der Sebalduskirche von der Poppenreuther Kirche hat man dem Vor­ bringen Sauers nicht entsprochen. Es wurde vielmehr auf die vollständige Trennung der beiden Kirchen erkannt. Die Motive zu der Entscheidung in diesem Punkte sind nicht zu ersehen. Anzunehmen ist, daß man in Rom die Verhältnisse zwischen den beiden Kirchen klären wollte und daß man in der vollständigen Trennung den einfach­ sten und gangbarsten Weg fand, wohl auch in der Er­ wägung, damit am wirksamsten künftigen Rivalitäten und Streitigkeiten die Spitze abzubrechen. Im übrigen wurde der kanonische Charakter der Kollation und Provision des Sauer erklärt und seine Einweisung in die possessio corporalis seines Amtes angeordnet. Alle Ansprüche des Dürr dagegen auf die Poppenreuther Kirche wurden zurück­ gewiesen und ihm die Unterlassung jeglichen Widerstandes gegen die Kollation seines Gegners sowie jeglicher Störun­ gen zur Pflicht gemacht. Die Kostenfrage wurde einer be­ sonderen Entscheidung Vorbehalten, die uns aber nicht erhalten ist. Einen Monat später, am 28. Juni 1383, erfolgte auf Bitten des Sauer die Bestätigung des Schiedsspruches durch Papst Urban VI. 1). Sie wiederholt vornehmlich die Anordnung der Einführung des Sauer in den Besitz der Kirche und verfügt die Entfernung des Dürr aus dem­ selben, den er sich widerrechtlich angeeignet habe. Zum Exekutor der Sentenz des Bischofs Bertrand von Famagusta wurde der Dekan ,,der Kirche zu Ansbach“ Heinrich bestimmt. In der Kollegiatkirche zu Ansbach 2) vollzog er die feierliche Einweisung des Sauer in die posder Entscheidung (von demselben Tage). Vgl. ferner U. v. 28. VI. 1383. HStA. Mchn. Sebald Nr. 158 und U. v. 23. IV. 1384. HStA. Mchn. Sebald Nr. 160. *) Siehe S. 24, Anm. 4. 2) Die Stiftskirche St. Gumpert.

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sessio corporalis der Pfarrkirche zu Poppenreuth. Als Sym­ bol dieser Handlung diente die Uebergabe des Birets x) des Einführenden an den neuen Amtsträger; hierauf erfolgte die Investitur unter ausdrücklicher Erklärung der Amotion des Dürr. Der ganze Vorgang wurde zur allgemeinen Publikation in der Diözese Bamberg urkundlich nieder­ gelegt *2). Diese Notifikation enthält erneut die Auf­ forderung, der Besetzung der Poppenreuther Pfarrkirche durch Konrad Sauer keinen Widerstand entgegenzusetzen, den Dürr in seinen Ansprüchen nicht zu unterstützen usw. Letzterem wurde insbesondere aufgetragen, innerhalb sechs Tagen nach Kenntnis dieser Notifikation den Besitz der Kirche dem Sauer einzuräumen und sich fernerhin nicht als Rektor der Pfarrkirche von Poppenreuth zu gerieren. Den Parochianen des Ortes wurde Gehorsam gegenüber dem neuen Pfarrherrn zur Pflicht gemacht. Dürr hatte sich der Entscheidung gefügt und Sauer konnte sein neues Amt antreten. Durch die vollständige Trennung der beiden Pfarrkirchen mochte man geglaubt haben, weiteren Auseinandersetzungen den Boden entzogen zu haben. Aber man kann sich des Eindrucks nicht erweh­ ren, daß der in Rom gefällte Schiedsspruch eine Fest­ stellung vom grünen Tisch aus war und der formellen Ver­ einfachung und Eindeutigkeit zuliebe den tatsächlichen Verhältnissen nicht in der Weise Rechnung getragen hatte, wie es wünschenswert erschienen wäre. Die in der Ver­ gangenheit einmal bestandene Verbindung der beiden Kir­ chen sollte ihre Nachwirkungen zeigen und zwar gerade in einem Punkte, der die Interessen beider Teile aufs engste berührte, in der Frage der Zehnten. Hinsichtlich anderer Fragen hätte man sich vielleicht in den neuen päpstlich sanktionierten Zustand leichter gefunden, aber finanzielle Belange, die die Einkünfte des Pfarrinhabers wie des Kir­ chenvermögens berührten, erheischten tatkräftige Vertre­ tung und Zurückweisung jeder drohenden Schmälerung. *) Lat. biretum = Kopfbedeckung der römisch-katholischen Geistlichkeit. 2) Die Notifikation ist erhalten in U. v. 23. IV. 1384. HStA. Mchn. Sebald Nr. 160.

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Schon zwei Jahre nach der Entscheidung — im Jahre 1385 — kam es zu neuen Mißhelligkeiten, diesmal um den Zehnten. Es liegt in der Linie der bisher von Sauer ver­ tretenen Ansprüche, die zuerst sogar auf eine Prävalenz der Poppenreuther Pfarrkirche als Mutterkirche der Nürnber­ ger gingen und dann im Einklang mit dem kurialen Schieds­ spruch zum mindesten die vollständige Unabhängigkeit bei­ der Kirchen voneinander vertraten, daß er sich jeglicher Anwartschaft auf die Einkünfte seiner Pfarrei widersetzen mußte. Nun war Dürr mit der Forderung aufgetreten, ge­ wisse Zehnten in der Pfarre Poppenreuth — es ist anzu­ nehmen, daß es sich nicht um die Gesamtheit der im Pfarrbezirk von Poppenreuth anfallenden Zehnten handelte — gebührten der Pfarre St. Sebald, da man sie ,,doch von alter zu der pfarre ze sant Sewolt gereicht und gegeben hat“. Natürlich widersetzte sich Sauer diesen Ansprüchen mit der Behauptung, die fraglichen Zehnten ständen viel­ mehr seiner eigenen Pfarrei zu. Es wurde wieder die Ent­ scheidung eines Schiedsgerichts angerufen, das sich aus verschiedenen geistlichen und weltlichen Personen der Stadt Nürnberg zusammensetzte, so u. a. dem Abt des Schottenklosters (St. Egidien), dem Pfarrer von St. Lorenz und mehreren Ratsmitgliedern. Der Schiedsspruch wurde am 3. März 1385 gefällt. Er hat naturgemäß keine end­ gültige Entscheidung geben können, da ihm die bischöfliche oder päpstliche Sanktion abging, und bildete infolgedessen lediglich eine Regelung persönlich zwischen den beiden Parteien ohne jede weitergehende Wirkung, insbesondere, wie ausdrücklich betont wird, ohne jeden präjudiziellen Charakter. Man hat also auch hier die eigentliche Kern­ frage, inwieweit die von alters her begründeten Beziehun­ gen zwischen den beiden Kirchen in ihren fortdauernden Auswirkungen einer glücklichen, alle Reibungsflächen be­ seitigenden Lösung zugeführt werden könnten, beiseite ge­ lassen und eine temporäre Regelung vorgezogen, wozu freilich die ganze Zusammensetzung des Schiedsgerichts, das in seinem mehr privaten Zuschnitt autorativer Be-

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stätigung entbehrte, mit bestimmend gewesen sein mag. Um der Entscheidung eins gewisse Nachhaltigkeit zu geben, wurden Vertragsstrafen in ziemlich beträchtlicher Höhe aufgenommen. Die Sentenz stellte fest, daß die strei­ tigen Zehnten der Kirche St. Sebald gebühren, legte ferner dem Sauer auf, zu Lebzeiten des Dürr jegliche Ansprüche gegenüber der Pfarre St. Sebald ruhen zu lassen und ver­ pflichtete den Dürr zu einer ziffernmäßig festgelegten und auf mehrere Jahre verteilten Entschädigung für Sauer, die aber anscheinend nur als eine höchst persönliche Leistung des Dürr aufzufassen ist1). Bemerkenswert bleibt noch der wiederholte ausdrückliche Hinweis — ein freilich in mittelalterlichen Urkunden mit häufig rein formaler Regel­ mäßigkeit wiederkehrender Passus —, daß durch den Schiedsspruch für Sauer keinerlei Präjudiz für seine etwaigen Ansprüche und Forderungen geschaffen werden solle. Es wurde ihm im Gegenteil für ihre Durchsetzung ausdrücklich der Weg an den päpstlichen Gerichtshof in Rom zugesichert. Wie dringend aber die Frage des Verhältnisses zwi­ schen der Sebalduskirche und der Poppenreuther Mutter­ kirche einer neuen und endgültigen Lösung beduift'e, wie wenig die Entscheidung des kurialen Auditors und Schieds­ richters, noch weniger natürlich der obige nur auf eine be­ schränkte, zeitlich begrenzte Regelung zielende Schieds­ spruch den allgemeinen Bedürfnissen und Wünschen ent­ sprach, das ersehen wir aus den Vorgängen der nächsten Jahre. Während die Frage bis jetzt — soweit wir nach dem vorhandenen Material sehen können — aus dem Kreise der kirchlichen Instanzen nicht herausgetreten ist, sehen wir jetzt einen neuen rein weltlichen Faktor von hervor­ ragender Bedeutung in diesem Interessenkomplex auftau chen; das ist der Rat der Stadt Nürnberg. Er hat die An1) Die Entscheidung, über die wir nach einer in deutscher Sprache abgefaßten Handschrift des 14. Jahrhunderts (Staatsarchiv Nbg. 673, Bl. 1—4) berichten, enthält verschiedene Nachrichten, über die wir bei dem vollständigen Fehlen weiterer urkundl. Zeug­ nisse nicht klar zu sehen vermögen. So erscheint es zweckmäßig, im Text nur die Grundzüge der Entscheidung wiederzugeben.

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gelegenheit, wohl schon in demselben Jahre — 1385 —, dem der erwähnte Kommissionsschiedsspruch entstammte *), in seinem Sinne wieder aufgenommen und eine nachdrückliche Supplikation an den Papst gerichtet. Die Motive zu diesem Schritt erscheinen klarer als die Begründung der Bittschrift selbst. Die Sebalduskirche als die großartigste bauliche Schöp­ fung der aufblühenden Stadt war zu Ausgang des 14. Jahr­ hunderts die Hauptpfarrkirche Nürnbergs. Die engen Be­ ziehungen der Kirche zu der Bürgerschaft fanden in den verschiedensten Vorgängen ihren Ausdruck. Die Stadt­ gemeinde, repräsentiert durch den Rat, fühlte und betätigte sich als das Organ, dem die Vertretung des Bestandes und der Interessen der Kirche zustand. Besonders die äußeren Verhältnisse umkleidete der Rat mit seiner Obhut und Auf­ sicht und auf einem Gebiete, in der Einwirkung auf das Kirchenvermögen, hatte der Rat. wie später darzulegen ist 12), vollständig die Verwaltung an sich gezogen. So sind es auch finanzielle Belange, bei denen der Rat in der Frage des Verhältnisses beider Pfarrkirchen einsetzte. Aber in geschickter Politik weiß er bei seiner Supplikation an die Kurie den realen Forderungen Erfordernisse des Seelen­ heils der ihm anvertrauten Untertanen vorzuschieben. Die Bittschrift des Rates, wohl von 1385 oder 1386 — sie ist enthalten in einer Bulle Urbans VI. vom 23. April 1386 3) — erinnert an den ehemaligen, durch den „allgemei­ nen Glauben“ überlieferten Zustand der Abhängigkeit der Sebalduskirche als Tochterkirche oder Kapelle von der Poppenreuther Pfarrkirche 4). Nun erhalten wir aus derselben Supplikation eine Nachricht, die uns von einem Vorgang 1) Dies anzunehmen berechtigt uns die Zusammensetzung der Kommission von 1385 aus weltlichen (Ratsmitgliedern!) und geist­ lichen Mitgliedern. 2) Siehe unten 3, Abschn. IV. — 3) HStA. Mchn. Sebald Nr. 162. 4) Wie oben S. 9 ausgeführt, ist diese Nachricht der einzige urkundenmäßige Beleg für die allerorten vertretene Anschauung (vgl. Müllner a. a. O. zum Jahre 1313), daß St. Sebald von alters her Filiale von Poppenreuth war. Die Nachricht ist nicht apodiktisch gefaßt, aber ihre Richtigkeit ist im Zusammenhalt mit der allgemeinen Ueberlieferung und den Vorgängen des ausgehenden 14. Jahrhunderts nicht zu bezweifeln.

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berichtet, den wir, wenn anders wir der Nachricht Glauben schenken dürfen, möglicherweise als den Ausdruck eines einsetzenden Uebergangsstadiums von der einfachen Ka­ pelle zur Pfarrkirche oder allgemein als eine Wandlung des ursprünglichen Abhängigkeitsverhältnisses zu dem Zu­ stande einer gewissen Präponderanz der Nürnberger Pfarr­ kirche ansehen können. Der Rat führt nämlich weiter an, daß in früheren Zeiten (der genaue Zeitpunkt ist wieder vollständig ungewiß) ein Rektor der Pfarrkirche St. Peter in Poppenreuth ,,propter loci dignitatem et excellentiam“ seinen Sitz in die Stadt Nürnberg verlegt habe x), während er die Poppenreuther Kirche durch einen vorher dem Bischof von Bamberg präsentierten Vikar versehen ließ. So habe sich allmählich ein Zustand herausgebildet, wonach der Rektor beider Kirchen seine Bezeichnung nicht mehr von der Poppenreuther Kirche ableitete, sondern Rektor von St. Sebald genannt und als solcher auch allgemein an­ gesehen und geachtet wurde*2). Wir können bei dem Mangel jeder weiteren genauen Nachrichten den Vorgang der Verlegung des Pfarrsitzes nicht näher nachprüfen. Man könnte geneigt sein, in der Anführung der Verlegung lediglich eine zur Stützung der Ansprüche des Nürnberger Rates zurechtgemachte Darstel­ lung zu erblicken. Allerdings ist, wie wir bereits wissen, 1255 St. Sebald schon als Pfarrkirche urkundlich erwähnt, während Rektoren oder Pfarrer von St. Sebald erst vom An­ fang des 14. Jahrhunderts genannt werden 3). Der Zustand der Abhängigkeit von St. Sebald als Filiale oder Kapelle4), letzteres eine Bezeichnung, die darauf hinweist, daß von einer Verselbständigung zur Pfarrkirche noch nicht die Rede ist, muß also vor 1255 liegen. Die Ausstattung der *) Auch Kallen a. a. O. S. 137 berichtet von einem Fall, wonach der Pfarrer am Filialorte seinen Amtssitz hatte; ähnlich S.91. 2) Ueber kirchliche Filialverhältnisse im allgemeinen vgl. Kallen a. a. O. S. 136 ff. 3) Die Liste der Pfarrer beginnt bei Müllner a. a. O. zum Jahre 691 mit Heinrich Tuttenstetter (1300—1307), vgl. Ussermann a. a. O. p. 287. Es sei bemerkt, daß Müllner teilweise Quellen zur Verfügung standen, die uns nicht mehr zugänglich sind. 4) Kapelle bezeichnet ein Gotteshaus ohne parochiale Rechte.

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alten Kapelle mit den Pfarrgerechtsamen unter Abschei­ dung eines Teiles aus dem größeren älteren Pfarrbezirk stand jedoch einer gewissen Fortdauer der Verbindung bei­ der Kirchen ,,in Gestalt eines mehr oder minder losen Ab­ hängigkeitsverhältnisses“ nicht entgegen1). Wie dieses Abhängigkeitsverhältnis bei Nürnberg nach kirchlichem Rechte zu charakterisieren ist, läßt sich schwer feststel­ len 2). Man möchte an die Beibehaltung der alten Union denken, in dem Sinne, daß die ursprüngliche Pfarrkirche, die PoppenreutherLandkirche, als principale oder mater, die mit den Pfarrgerechtsamen neu ausgestattete Stadtkirche St. Sebald als accessorium (filia) fortbestand. Wie im ein­ zelnen die Regelung sich gestaltete, darüber hat wohl ein Dekret über die Erhebung von St. Sebald zur Pfarrkirche Bestimmungen getroffen. Leider ist uns ein solches nicht erhalten. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß beide Pfarrämter von demselben Rektor geleitet wurden, der dann die ecclesia filialis einem von ihm ernannten Stellvertreter, einem Pfarrvikar, überwies,. Wenn wir von dieser Annahme ausgehen, so können wir uns den in der Supplikation des Nürnberger Rates angeführten Vorgang etwa folgender­ maßen vorstellen: Die Bedeutung der Stadt, ihre wachsende Bevölkerungszahl, die die des ländlichen Pfarrbezirkes weit übertraf, hat den Rektor der in „unio“ vereinigten Pfarr­ ämter bewogen, seinen Sitz von der Mutterkirche weg an die Filialkirche in die aufblühende Reichsstadt zu verlegen. Ein Vikar hat dann die Besorgung des Landpfarramtes übertragen erhalten. Eine willkommene Bestätigung un­ serer Annahme ist in einer Urkunde von 1364 zu finden. Darin weist der Bischof Friedrich von Bamberg den Archidiakon der Bamberger Kirche an, einen Priester, der auf Antrag des Pfarrers (plebanus) von St. Sebald in Nürn­ berg, ,,ad quem ius presentändi dinoscitur pertinere“, als vicarius perpetuus der parochialis ecclesia in Poppenreuth von ihm, dem Bischof, investiert sei, in die possessio corpo*) Werminghoff a. a. O. S. 116; Kallen a. a. O. S. 71, 137. 8) Vgl. Friedberg, Lhbch. des Kirchenrechts, § 112, S. 352, und Hinschius a. a. O. II, § 108, S. 417 ff.

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ralis einzuführen 1). Somit muß um diese Zeit die Umkeh­ rung des alten Filialverhältnisses zugunsten St. Sebalds bereits eingetreten sein. Was die Stellung des Pfarrers an­ langt, so hat sich mit der Verlegung des Sitzes in die Stadt rechtlich die Eigenschaft der Landpfarrkirche als Mutter­ kirche wohl erhalten. Aber in der allgemeinen Meinung, die natürlich von dem nach außen sichtbaren Tatbestand aus­ ging und die ursprünglichen Rechtsverhältnisse ignorierte, mag der in Nürnberg an der Stadtpfarrkirche residierende höchste Geistliche eben als der Pfarrer oder Rektor von St. Sebald, nicht als der von Poppenreuth gegolten haben 2). In den Urkunden über die Sebalduskirche wird nirgends durch irgend eine Bezeichnung, insbesondere nicht bei der An­ führung des Pfarrers, dieses Verhältnisses der beiden unierten Pfarrämter gedacht. Und was Urkunden über die kirch­ lichen Verhältnisse der Pfarrei Poppenreuth anlangt, so sind uns solche von Belang für diese Frage leider nicht zugäng­ lich. Mit der Ernennung Konrad Sauers zum Rektor von Poppenreuth, die auf die Gegnerschaft des Nürnberger Pfarrers Wolfram Dürr gestoßen ist, wird erst die Frage der Beziehungen der beiden Kirchen brennend. Daß aber schon vorher die Auffassung hinsichtlich der Stellung der beiden Pfarrer noch ungeklärt war, das sei durch folgende urkundlichen Belege erläutert. In Urkunden von 1359 3)> 1363 4), 1364 5), 1371 6) u. a. wird ein Albrecht Krauter als Pfarrer von St. Sebald genannt, der ohne Zweifel mit dem in einer Urkunde von 1383 7) als Rektor von Poppenreuth *) U. v. 17. Febr. 1364 im Staatsarch. Nbg. VI 102/2, Nr. 1359. Daß es sich um keinen Pfründpriester gehandelt haben kann, geht schon daraus hervor, daß ihm die cura animarum und das regimen populi ipsins parochiae ausdrücklich zugesprochen wurde, daß er also zum Verwalter des Pfarramtes bestellt wurde. Vgl. Schäfer, Pfarrkirche und Stift im Mittelalter. Stuttgart 1903, §§ 3, 9. Für die Verwaltung des Pfarramtes spricht auch der Titel vicarius perpetuus, vgl. Müller a. a. O. S. 250. 2) Würde durch irgend ein kirchenobrigkeitliches Dekret die Präponderanz der Sebalduskirche zum Ausdruck gekommen sein, so hätte dieses der Rat wohl in seiner Bittschrift aufgeführt oder sich darauf berufen. 3) HStA.Mchn. Sebald Nr. 86. 4) Staatsarch. Nbg. VI 99/2, Nr. 526. 5) HStA. Mchn. Fase. 14, XII 20/2. e) Ebenda. Sebald Nr. 129. — 7) Ebenda. Sebald Nr. 158.

33 aufgeführten Pfarrer Albert Cruter identisch ist. Dieser wird hier als der Vorläufer von Sauer genannt, der 1379 die Pfarrkirche von Popenreuth übertragen erhalten hat. Somit scheinen vor 1379 beide Pfarrämter ein- und denselben In­ haber gehabt zu haben, bis es mit der Kollation des Sauer durch den päpstlichen Stuhl zwischen Sauer und dem in St. Sebald mit dem Anspruch der Präponderanz der Nürn­ berger Pfarrei auftretenden Pfarrer Dürr zum offenen Kon­ flikt kam. Es zeigt sich auch, daß die Betitelung des In­ habers beider Pfarreien keine einheitliche war, denn Krauter wird in Nürnberger Urkunden lediglich als Pfarrer von St. Sebald, in der zugunsten Poppenreuths ergangenen Ur­ kunde des Kardinals Pileus von 1383 als Rektor der Poppenreuther Pfarrkirche aufgeführt. Nach alledem scheinen die Ausführungen des Nürn­ berger Rates, wenn sie auch nicht in alle Einzelheiten nach­ zuprüfen sind, dem historischen Gange der Entwicklung zu entsprechen. Tatsächlich war eine vollständige Umwand­ lung des ursprünglichen Verhältnisses der beiden Kirchen eingetreten. Formell mag das alte Filialverhältnis fort­ gedauert haben, de facto aber hatte sich ein Zustand heraus­ gebildet, der das städtische Pfarramt über das ländliche erhob. Saß einmal der Rektor der beiden unierten Pfarr­ ämter in der Stadt, so mögen auch die Einkünfte aus den beiden Pfarrbzirken — auch die aus dem Poppenreuther Landbezirk anfallenden — an dem städtischen Amtssitz zu­ sammengeflossen sein und es war nur ein weiterer Schritt, daß allmählich sich die Anschauung entwickelte, alle diese Einkünfte stünden überhaupt der Nürnberger Pfarrkirche zu. Dafür spricht auch eine Nachricht aus dem Jahre 1385 1), wonach der Pfarrer von St. Sebald erklärte, die Zehnten aus der Pfarre von Poppenreuth seien von alters her zu der Pfarre von St. Sebald gereicht worden, und die Rats­ supplikation selbst enthält die Behauptung, daß Früchte und Zehnten des Sebalder Pfarramts größtenteils innerhalb der Grenzen des Poppenreuther Pfarrbezirkes lägen. Der *) Vgl. Hdschrft. Staatsarch. Nbg. Nr. 673, Bl. 1—4. oben S. 28, Anm. 1.

S. auch 3

34 Nürnberger Rat, der Aufsicht und Verwaltung über das Kirchenvermögen von St. Sebald innehatte und durch seine Organe, die Kirchenpfleger, ausüben ließ, wie noch weiter auszuführen ist, mag diese Anschauung natürlich genährt, und nachdem sie einmal gewissermaßen gewohnheitsrecht­ lich durchgedrungen war, auch verteidigt und zugunsten der Stadtkirche den eingetretenen Zustand zu befestigen sich bemüht haben. Konnten doch diese Einkünfte zum Bau und Unterhaltung der Kirche und anderen kirchlichen Zwecken, die mittelbar dem Ansehen und der Bedeutung der Stadt zugute kamen, nutzbringend verwendet werden. Es ist erklärlich, daß der Rat einen Zustand, der ein tat­ sächliches Uebergewicht der Nürnberger Kirche bedeutete, möglichst aufrecht zu erhalten bestrebt war, zumal die Vor­ teile sich vornehmlich auf finanziellem Gebiete bemerkbar machten. So konnte man sich mit der Entscheidung des Streitfalles zwischen den beiden Rektoren durch den päpst­ lich autorisierten Schiedsrichter^ aus dem Jahre 1383, die die vollständige Trennung beider Kirchen ausgesprochen hatte, nicht befreunden, und auch die Kompromißlösung des Jahres 1385 in der Streitfrage zwischen den beiden Pfar­ rern über die Zehnten trug, abgesehen von dem Fehlen der päpstlichen oder bischöflichen Sanktion, allzusehr einen provisorischen Charakter, als daß sie für die Dauer genügen konnte. So kam es zu dem Schritt des Nürnberger Rates, der eine Revision der durch den Schiedsspruch des Jahres 1383 ausgesprochenen Trennung beider Pfarrkirchen erstrebte. Die Supplikation betonte, daß „ab antiquo“ beide Kirchen als unum corpus geachtet worden seien und wies darauf hin, daß, da die Früchte und Zehnten des Sebalder Pfarramtes zum größten Teile „intra limites“ des Poppenreuther Pfarrsprengels lägen, bei Fortdauer der Trennung eine erhebliche Beschwerung des Rektors von St. Sebald und eine Schmä­ lerung der Einkünfte der Nürnberger Stadtpfarrkirche durch den Rektor von St. Peter in Poppenreuth zu befürch­ ten seien. Aber diese finanziellen Bedenken wollte man nicht

35 als ausschlaggebend erachtet wissen. Noch größer, so fuhr der Rat in diplomatischer Berechnung fort, sei die Gefähr­ dung des Kultus in der Stadt, der bei der beträchtlichen Zahl der Kirchspielinsassen besondere Aufwendungen er­ fordere und eine Beeinträchtigung seiner Einkünfte nicht ertragen könne, ohne daß in Anbetracht der schon nicht bedeutenden Einkünfte der vereinigten Kirchen — jährlich vierzig Mark Silber — eine beträchtliche Minderung der Kulthandlungen eintreten müsse 1). An der Kurie konnte man sich den dringenden Vorstel­ lungen des Rates, die noch von dem Hinweis auf die hervor­ ragende Stellung der Reichsstadt begleitet waren, nicht ver­ schließen. So entschied man sich in Rom für die Wieder­ herstellung des vor der erst kürzlich (1383) ausgesproche­ nen Trennung in Uebung gewesenen Zustandes, freilich mit gewissen Modifikationen zugunsten des derzeitigen In­ habers der Poppenreuther Pfarrei, Konrad Sauers. Es ging nicht an, seine wohlerworbene rechtliche Stellung als Rek­ tor von St. Peter in Poppenreuth zu beschränken, und in seinem Interesse mußte eine Uebergangslösung gefunden werden. Grundsätzlich wurde die Union der beiden Kir­ chen ausgesprochen, faktisch der derzeitige Zustand der Trennung noch aufrecht erhalten. Nach Abgang eines der beiden derzeitigen Rektoren durch Tod, Resignation odei aus anderen Gründen sollte der andere ipso iure in die pos­ sessio der erledigten Kirche einrücken. Als Residenz des künftigen Rektors der vereinigten beiden Kirchen wurde St. Sebald bestimmt. Der dort residierende Rektor beider Pfarr­ kirchen habe für St. Peter in Poppenreuth einen dem Bischof von Bamberg zu präsentierenden Vikar zu ernen­ nen, der mit einem aus den Einkünften der beiden Kirchen ausgerichteten ausreichenden Einkommen (congrua portio) auszustatten sei. A) Der Rat gibt die tägliche Mindestleistung des Rektors, der Priester und Minister an der Stadtpfarrkirche St. Sebald an auf 4 Messen cum nota (— mit Gesang), 18 Messen sine nota (= ohne Gesang), ferner seien häufige Predigten zu leisten. Vgl. die Rats­ bittschrift. 3*

36 Somit bedeutete diese wichtige Entscheidung der Bulle Papst Urbans VI. vom 23. April 1386 die Sanktionierung des vom Rate in seiner Supplikation gekennzeichneten, im Laufe der Entwicklung eingetretenen Zustandes eines tat­ sächlichen Uebergewichts der Nürnberger Pfarrkirche, das bis dahin allem Anschein nach noch der rechtlichen Grund­ legung entbehrt hatte. Fassen wir die Ergebnisse noch einmal zusammen: Das alte Abhängigkeitsverhältnis der städtischen Kapelle von der Landkirche, das durch das Verhältnis von Mutterund Tochterkirche bedingt war, kehrte sich nach Verselb­ ständigung der Filialkapelle zu einer eigenen Pfarrkirche, wobei die Union der beiden Pfarrämter weiter erhalten blieb, im Laufe der Zeit um in das gerade entgegengesetzte Verhältnis. Die ursprünglich städtische Tochterkirche erhob sich auf Grund rein tatsächlicher zu einem gewohn­ heitsrechtlichen Zustand sich entwickelnder Verhältnisse zu einer Präponderanz über die Landpfarrei und brachte die alte ländliche Mutterkirche in tatsächliche, besonders finan­ zielle Abhängigkeit. Nach kurzer Unterbrechung durch eine vollständige Trennung beider Kirchen fand der Zu­ stand der rein tatsächlichen Umwandlung seine rechtliche Sanktion durch die päpstliche Autorität in einer der Rechts­ figur der unio accessoria angenäherten Form, wonach das ländliche Pfarramt samt dem Kirchenvermögen Zübehör des städtischen Amtes wurde unter Uebertragung beider Aemter an ein und dieselbe Person als Pfarrherrn *). Auf erneute Bitten des Rats wurde die Konstituierung der Union der beiden Pfarrämter durch die Bulle Ur­ bans VI. von dessen Nachfolger Bonifaz IX. im Jahre 1390 bestätigt*2). Man hatte nämlich in Nürnberg befürchtet, die Union, die tatsächlich noch nicht wirksam geworden war, da die beiden Pfarrherrn noch im Amte waren, könnte von dem päpstlichen Nachfolger widerrufen werden. *) Auch Kallen a. a. O. S. 136 führt aus, daß Landgemeinden, deren Filialen die Städte gewesen waren, bei Erhebung letzterer zu einem eigenen Pfarrbezirk entweder selbständig blieben oder nun­ mehr selbst in ein Filialverhältnis zur Stadt traten. 2) Bulle Bonifaz’ IX. Urkde. v. 27. Mai 1390. HStA. Mchn. Sebald Nr. 173.

37 Erst im folgenden Jahren— 1391 — ist die Union auch fak­ tisch in Erscheinung getreten; Dürr war in diesem Jahre gestorben, und als sein Amtsnachfolger rückte ipso iure gemäß den Bestimmungen des Unionsdekrets Sauer zum Rektor der vereinigten Pfarrkirchen ein. Die weiteren Schicksale der beiden Kirchen im 15. Jahrhundert zu verfolgen, haben wir uns in dieser Unter­ suchung nicht zur Aufgabe gestellt. Daß aber die engen Beziehungen der Kirchen auch in diesem Jahrhundert fort­ bestanden, ist mit höchster Wahrscheinlichkeit anzuneh­ men. Zwar sind als Verwalter der Poppenreuther Pfarrei im 15. Jahrhundert in den uns zugänglichen Urkunden keine Geistlichen unter dem Titel vicarii, sondern lediglich unter der Bezeichnung Pfarrer oder in den lateinischen Urkunden als plebani aufgeführt1), die keineswegs mit den gleich­ zeitigen Pfarrern von St. Sebald identisch sind. Bei der Ungenauigkeit des mittelalterlichen Sprachgebrauchs ist das aber weiter nicht auffallend 2). Der Geistliche, der in Poppenreuth die Seelsorge ausübte, galt eben als der Pfar­ rer, zumal die Kirche selbst immer ecclesia parochialis ge­ nannt wird und ja auch in der Tat durch die Union mit St. Sebald keineswegs die Pfarrgerechtsame verloren hatte. Die ganze Verbindung wurde eben vornehmlich nach der wirt­ schaftlichen Seite hin wirksam, indem die Einkünfte beider Kirchen einem und demselben Vermögenskomplex mit dem Sitze der Verwaltung an der Sebalduskirche in Nürnberg zuflossen 3). Damit vereinigte sich der Umstand, daß Unter*) U. v. 20. IV. 1405. Staatsarch. Nbg. Rep. 74, Nr. 18; v. 20. IV. 1420 ebenda. D.-Lade Nr. 69; v. 2. I. 1465 ebenda. Rep. 74, Nr. 131; v. 12. VIII. 1470 ebenda. Rep. 74, Nr. 151 u. a. 2) Vgl. z. B. Müller a. a. O. S. 254 und 260, Anm. 3, wo „plebanus“ insbesondere als der Titel eines Vikars bei einer inkorporierten Kirche angeführt wird. 3) Für die Fortdauer dieser vermögensrechtlichen Verbindung auch nach der Reformation spricht eine Bestimmung in dem Ver­ trag von 1537 zwischen dem Bischof von Bamberg und Nürnberg. Darnach sollen zu Kirchenpflegern in Poppenreuth zwei dompröpstische und zwei nürnbergische gewählt werden, die alljährlich vor Verordneten des Dompropstes und des Propstes zu St. Sebald Rechnung zu legen haben. Vgl. Looshorn a. a. O. S. 793 f. In Pop­ penreuth hatten teils die Dompropstei Bamberg, teils Bürger zu Nürnberg Untertanen. Vgl. Geogr. Lexikon von Franken (Verf. Bundschuh), IV. Bd., S. 385.

38 haltung und geistliche Bedienung von der Nürnberger Kirche aus geregelt wurden, freilich wohl kaum so, daß die Selbständigkeit des Verwalters der Poppenreuther Land­ pfarrei von der Stadt allzusehr eingeschränkt wurde. Daß der Zusammenhang zwischen den beiden Kirchen picht gelöst war, dafür spricht auch ein Ablaßbrief von 1501, der der Poppenreuther Peterskirche auf ausdrückliche Bitten des Propstes von St. Sebald, damals Erasmus Topler (1495—T5I2)> erteilt wurde1), und noch mehr der Ver­ trag zwischen dem Bischof und der Stadt über das Pfarrwahlrecht an den beiden Stadtpfarrkirchen aus dem Jahre 1513 2). Darin wurde die ewige Inkorporation und Union der Pfarre zu Poppenreuth mit der Pfarre von St Sebald bestätigt. Auf Grund dieser Nachrichten erscheint der Fort­ bestand dieses durch Dekret des Papstes Urban VI. aus dem Jahre 1386 geschaffenen Verhältnisses der Stadtpfarrkirche St. Sebald zu der Landpfarrkirche St. Peter durch das ganze 15. Jahrhundert hindurch bis in das 16. Jahrhundert hinein erwiesen. *) U. v. 10. II, 1501. Staatsarch. Nbg. Rep. 74, Nr. 232. 2) U. v. 22. IX. 1513 ebenda. Rep. 88, Nr. 23.

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B. Die Lorenzkirche. Die urkundliche Tradition über die Lorenzkirche ist noch dürftiger als die schon spärliche über St. Sebald. Auch in der Frage der Stellung der Kirche nach ihrer kirchlichen Verfassung läßt sie uns fast völlig im Stich, so daß das meiste, was wir darüber sagen können, Vermutung bleiben muß. Die Zugehörigkeit des dem heiligen Laurentius ge­ weihten Gotteshauses zu der Diözese Bamberg ergab sich, wie schon erwähnt, aus den engen Beziehungen der Kirche zu Fürth, das bambergisch dompropsteiliches Lehen war. Bei dieser Eingliederung in das Bistum Bamberg ist es auch verblieben. Für die Filialabhängigkeit von St. Lorenzen von der Pfarrkirche in Fürth im 13. Jahrhundert sind zwei zuver­ lässige urkundliche Belege vorhanden1); übrigens ist diese Abhängigkeit in dieser Zeit ein Zeichen für die späte Entwicklung Nürnbergs. Dafür hat es sich allerdings um so rascher entfaltet. Die außerordentliche Zunahme der Be­ völkerungszahl mag bald das Bedürfnis nach einer erweiter­ ten Seelsorge rege gemacht haben. Die Sebalduskirche konnte den Anforderungen nicht mehr allein genügen, und insbesondere die Ausdehnung der Stadt über die Pegnitz nach Süden erheischte ein mit parochialqn Rechten aus­ gestattetes Amt für diesen Teil der Einwohnerschaft. Die dortige Kapelle des heiligen Laurentius wurde zu klein. Erweiterungsbauten setzten etwa in dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts ein — worauf schon oben hingewiesen wurde 2) — und in Verfolg derselben war auch eine der Masse der Kirchenbesucher angemessene Zahl von Geist­ lichen heranzuziehen. Damit war das Abhängigkeitsver­ hältnis des Gotteshauses zur Fürther Pfarrkirche immer weniger vereinbar und die Verselbständigung zu einem *) Siehe oben S. 15. 2) Siehe oben S. 18.

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eigenen Pfarrbezirk schien notwendig. Wann und unter welchen Umständen der Vorgang der Erhebung der Lorenz­ kapelle zur ecclesia parochialis stattgefunden hat, ist nicht zu erkennen 1). Daß sie später als die der Sebalduskirche eintrat, erklärt sich schon aus der Ausdehnung der Stadt, die sich von Norden nach Süden vollzog, ist ja im übrigen auch den urkundlichen Zeugnissen zu entnehmen, 3a St. Sebald schon 1255 bezw. 1256 als Pfarrkirche aufgeführt wird, während St. Lorenz sich noch 1258 in Abhängigkeit von Fürth befand. Vermutlich fand dieses Ereignis um die Wende des 13. und 14. Jahrhunderts statt. Mittelbar gestat­ tet eine urkundliche Nachricht aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts einen Schluß für die Erhebung der Kapelle zur Pfarrkirche; 1310 ordnete der römische König Hein­ rich VII. an, daß der Nürnberger Rat gewisse Verordnun­ gen gegen die Minoriten in der Stadt aufhebe, und befahl die Promulgation dieser Aufhebung in den ,,ecclesiae parochiales“ der Stadt und ,,in civitate et extra“2). Es wird also von mehreren Pfarrkirchen gesprochen. Freilich ist die Möglichkeit nicht ganz von der Hand zu weisen, daß der betreffende Passus einen nur formelhaften Charakter hat und somit keine Rückschlüsse von eindeutiger Sicherheit zu­ läßt. Sicher nachweisbar aber ist die Existenz der Lorenz­ kirche als Pfarrkirche etwas später durch eine Urkunde vom 24. Juni 1317, wo uns auch der Pfarrer, Ulrich mit Na­ men, genannt wird, eine Urkunde, die uns von der Stif­ tung der Leonhardskapelle für die Sondersiechen durch einen Geistlichen von St. Lorenz, ,,mit frommer leute hilf“, berichtet und gleichzeitig eine Ordnung für die Stiftung übermittelt 3). *) Es sei auf die allgemeinen Erörterungen bei St. Sebald ver­ wiesen, siehe oben S. 9 f. 2) U. v. 27. VII. 1310. HStA. Mchn. Kaiserl. Nachtrag Nr. 170. Bemerkenswert ist die Verwendung der Altarkanzeln zu weltlichen Zwecken, ein im Mittelalter sehr häufiger Brauch, aus dem die Be­ deutung des Stadtherrn und seine Einflußnahme erhellt. Vgl.Kothe, Kirchliche Zustände Straßburgs, S. 66. 3) Urkundenbuch der Pfarrei St. Lorenz im Städt. Arch. Nürn­ berg. Cod. man. 120. Fol. Bl. 198. Vgl. L. Eisen, Vor den Toren Alt­ nürnbergs. Geschichte der Vorstadt Gostenhof und des Siechkobels St. Leonhard. Nürnberg 1923.

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Begegnet uns also die Lorenzkirche am Anfang des 14. Jahrhunderts als Pfarrkirche mit pfarrherrlichen Rechten ausgestattet, so sind wir andererseits über Zeit und Um­ stände, unter denen sich die Trennung von der Kirche zu Fürth vollzog, in keiner Weise unterrichtet und wir können auch nicht feststellen, ob, was man ja vermuten möchte, der Eintritt der Freiwerdung von Fürth mit der Erhebung der Lorenzkapelle zur Parochialkirche zusammengefallen ist. Doch sind in der Folgezeit auch hier die alten Beziehun­ gen der beiden Kirchen nicht gänzlich gelöst worden. Frei­ lich haben wir für diese Feststellung nur sehr vereinzelte Zeugnisse. Im Jahre 1349 WUfde die Kapelle zu Farrnbach in der Nähe von Fürth, die eine Filiale der Fürther Pfarrkirche St. Michael war, zu einer selbständigen Parochialkirche erhoben und mit einem eigenen Pfarrbezirk, losgetrennt vom Fürther Pfarrsprengel, versehen x). Das Präsentations­ recht an der Pfarrei in Farrnbach wurde vom Bischof zu Bamberg nicht dem Pfarrer von Fürth, als dem parochus der ursprünglichen Mutterkirche, sondern dem Rektor von St. Lorenz in Nürnberg übertragen. Damit war die Ab­ hängigkeit der Farrnbacher Kirche von der Nürnberger Stadtpfarrkirche gegeben. Es liegt nahe anzunehmen, daß auch die ursprüngliche Mutterkirche des Farrnbacher Got­ teshauses, also die St. Michaels-Pfarrkirche in Fürth, damals in demselben Abhängigkeitsverhältnis zu St. Lorenz gestanden haben muß, daß also die ursprüngliche Filialkapelle St. Lorenz sich nach ihrer Verselbständigung zur Pfarrkirche — wie bei St. Sebald — über die alte Mutter­ kirche erhoben hat. Denn wie läßt sich wohl sonst die LTebergehung der Fürther Kirche im Besetzungsrecht hin­ sichtlich der neu errichteten Farrnbacher Pfarrkirche zu­ gunsten der Nürnberger Stadtpfarrkirche erklären. In der späteren Zeit — für das 15. Jahrhundert — ist jedenfalls *) Urkunde v. 29. Mai 1349, abgedruckt bei Fronmüller, Ein Beitrag zur Urgeschichte von Burgfarrnbach, im Jahresbericht des Histor. Vereins für Mittelfranken. 1862, S. 65. Vgl. im übrigen auch Fronmüller, Chronik von Fürth. 1871, S. 22 f.

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eine Ueberordnung von St. Lorenz über Fürth unmittelbar nachweisbar. So wird in einer Urkunde vom 27. November 1471, in der ein Vertrag zwischen Konrad Held, dem Pfar­ rer von St. Michael in Fürth, mit den Gotteshauspflegern derselben Kirche niedergelegt ist, der Pfarrer von St. Lo­ renz zu Nürnberg als ,,Lehensherr der Pfarre von Fürth“ aufgeführt12). Vor allem haben wir die Tatsache festzustellen, daß der Rat von Nürnberg nach der Reformation das Besetzungs­ recht an der Fürther Pfarrkirche ausübte. Wie konnte er zu diesem Rechte gelangt sein ? Doch nur dadurch, daß er sich als Rechtsnachfolger des Pfarrers bezw. seit 1477 Propstes von St. Lorenz betrachtete. So schreibt auch Fronmüller 2), allerdings ohne eine Quelle anzugeben, daß mit Beginn der Reformation der Propst von St. Lorenz seine Lehenschaft über die Fürther Pfarrkirche und deren alte Filiale Farrnbach in die Hände des Nürnberger Rates ge­ legt hat, der das Landalmosenamt mit der Wahrnehmung der Funktionen des Kirchensatzes betraute 3). Wir finden also in dem Verhältnis der Lorenzkirche zu der alten Fürther Mutterkirche ein bemerkenswertes Gegen­ stück zu den Beziehungen der Kirche St. Sebald zur alten Mutterkirche Poppenreuth. Auch bei St. Lorenz eine Um­ kehrung des ursprünglichen Verhältnisses der filia zur ecclesia matrix, indem die ursprüngliche Fürther Mutter­ kirche der Tochterkirche in Nürnberg untergeordnet wurde. Entstehung und Gestaltung dieses Verhältnisses sind jedoch im einzelnen nicht mehr feststellbar, wenn wir auch Grund haben, den Vorgang der Umwandlung in das 14. Jahrhun­ dert zu setzen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß das Beispiel der einen Nürnberger Stadtpfarrkirche von ein­ schneidender Bedeutung für die Ansprüche der anderen ge­ wesen ist, wobei freilich nicht mehr nachzuweisen ist, welche Kirche mit diesen Rechtserrungenschaften voran­ gegangen ist. 1) Vgl. Fronmüller a. a. O. S. 28 und die daselbst im Anhang abgedruckte Urkunde S. 388 f. 2) a. a. O. S. 35 f. 3) Vgl. auch Würfel, Diptycha Eccles., unter „Fürth“.

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3- Abschnitt.

Stadtgemeinde und Stadtpfarrkirchen. Nach der Darstellung der frühesten Entwicklung der beiden Pfarrkirchen bis 1300 mit Skizzierung ihrer Bau­ geschichte und ihrer Stellung im Rahmen der kirchlichen Organisation haben wir uns nun dem Hauptthema zuzu­ wenden und die Beziehungen der Stadtgemeinde zu den Stadtpfarrkirchen einer näheren Untersuchung zu unter­ ziehen. Aus der reichlichen Fülle der Fragen, die bei der Betrachtung dieses Verhältnisses sich aufwerfen, seien jedoch nur die vornehmlichsten herausgehoben. Es sind die Fragen des Patronats oder im engeren Sinne der Pfarrwahl, des Baues der Kirchen, des Rechtsbrauches der Priesterpfründstiftungen und der Institution der weltlichen Kirchenpflegschaft, die hier näher zu würdigen sind. I.

Stadtgemeinde und Pfarrwahl. Die Besetzung der geistlichen Stellen oder für unsere Frage die Pfarrwahl ist das Gebiet, auf dem eine Einwir­ kung weltlicher Gewalten auf die kirchliche Verfassung am unmittelbarsten und nachhaltigsten hervorzutreten pflegt. So war es auch im Mittelalter ein hart umstrittenes und bedeutsames Feld der großen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche. Zu der Zeit, da die Nürnberger Kirchen an das Licht der Geschichte traten, in der zweiten Hälfte des 13. Jahr­ hunderts, war die allgemeine Reaktion, die sich gegen die aus dem Eigenkirchentum hervorgegangene Vergebung von Kirchenstellen durch Laien gewandt hatte, schon lange in vollem Gange. Alexander III. (1159—1181), der große Bekämpfer des Eigenkirchenwesens, nahm die alleinige Zu-

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ständigkeit für die Besetzung der Kirchenstellen wieder für die Kirche in Anspruch und schränkte die bisherige Ernen­ nungsbefugnis des Grundherrn auf ein Benennungs- und Vorschlagsrecht (praesentatio) gegenüber dem geistlichen Oberen ein. Dieses Recht nannte man das ius patronatus 1). Praktisch war freilich das Eigenkirchenrecht noch nicht überwunden, wenn auch Alexanders III. Vorgehen die Grundlage für die von nun an die kirchliche Gesetzgebung und Doktrin beherrschende Auffassung vom Patronats­ recht bildete. Auch in Nürnberg ist dieses Nachwirken eigenkirchlicher Vorstellungen, wenn auch freilich nicht bei den beiden Hauptkirchen, in praktischer Auswirkung zu be­ obachten. Im Jahre 1209 schenkte der römische König Otto IV. auf die Bitte seiner Dienstmannen und Bürger von Nürnberg dem Deutschen Orden die Kirche des heiligen Jakob in Nürnberg mit den dazugehörigen Gütern 2). Der römische König erscheint hier als der Grundherr über Nürn­ berg; in freier Veräußerung eines Gotteshauses betätigt er sein eigenkirchliches Recht. Man darf wohl sagen, ohne den immerhin noch nicht völlig geklärten und vielleicht auch nie völlig aufzudecken­ den Tatsachen Gewalt anzutun, der ursprüngliche Herr des Bodens, auf dem sich die Stadt Nürnberg erhob, war der König 3). Als der Name Nürnberg 1050 zum erstenmale urkundlich erscheint, war der Ort jedenfalls Reichs- oder Königsgut. Im Schutze der Königsburg, um den könig­ lichen Hof herum, auf Reichs- oder königlichem Boden hatte sich die Ansiedlung entwickelt und war auf diesem Wege dem unmittelbaren Herrschaftsbereich des Königs unterworfen worden 4). Es sind vornehmlich drei Organe, die in den ersten Jahrhunderten der Entwicklung der Stadt die königliche Gewalt repräsentierten: Schultheiß, Butigler und Burggraf. 1) Vgl. Stutz, Art. Patronat in Herzog-Hauck RE. XV, S. 13 ff. und Friedberg a. a. O. § 117. 2) Siehe oben S. 15. Anm. 1. 3) Vgl. Annales Altahenses maiores in M.G.H. XX, p. 805. Sie berichten, der Kaiser hätte 1050 die Großen Bayerns „in fundo suo Nourenberc“ versammelt. 4) Vgl. Rietschel, Markt und Stadt, S. 125 f.

45 Der Schultheiß, schon 1199 erwähnt, ist der Ver­ treter des Stadtherrn im Stadtregiment; vornehmlich übte er seit 1219 in Nürnberg die gesamte hohe Gerichtsbarkeit aus. Daneben war er aber auch Verwaltungs-, Polizei- und Finanzbeamter. In der Ausübung der Gerichtsbarkeit trat ihm zur Seite das Schöffenkollegium, das sich immer mehr zur städtischen öffentlichen Korporation entwickelte und wohl der Ausgangspunkt der Gemeindevertretung wurde. In der allmählichen Erweiterung zum Stadtrat trat es bald konkurrierend neben den Schultheiß, insbesondere in der Zeit des Interregnums. 1313 erscheint der Rat dem Schult­ heißen schon gleichgestellt, bis er im Laufe des 14. Jahrhun­ derts immer mehr dieses ursprünglich kaiserliche Amt in seine Abhängigkeit brachte x). DieStellung des B u t i g 1 e r s ist nicht ganz klar. Erwar wohl hauptsächlich Verwalter des Reichsguts um Nürnberg, also vornehmlich Wirtschaftsbeamter, der auf der Burg saß und die Aufgabe hatte, gewisse dem Reich gehörende Ein­ künfte, z. B. das Honiggeld aus dem Reichswald, zu erheben und insbesondere das Reichsgut in seinem Bestand zu erhal­ ten. Nach 1309 schon ist das Amt nicht mehr erwähnt *2). Zu der größten Bedeutung und zu weitestem Umfang hat sich im Laufe der Zeit das Burggrafenamt ent­ wickelt. Dasselbe war wohl nicht nur ein militärisches Amt, dem vom Kaiser die Hut der Burg übertragen war, viel­ mehr scheint es auch Grafenrechte besessen zu haben, deren Hauptinhalt die Jurisdiktion und die Verwaltung der um­ liegenden Reichsgüter bildete. Vielleicht lag in der Hand des Burggrafen in der ersten Zeit auch die Ausübung sämt­ licher stadtherrlicher Hoheitsrechte, gehörte doch wohl die Stadt zum Reichsgut. Erst allmählich scheinen sich die oben erwähnten Aemter des Schultheißen und Butigler und vielleicht auch das eines eigentlichen Burgvogts der kaiser­ lichen Burg (castellanus) ausgeschieden zu haben. Was dem Burggrafen nach der Erhebung Nürnbergs zur Stadt *) Vgl Reicke a a O. S. 91 ff. 2) Vgl. Mummenhoff, Ursprung und Alter, wiederholt, und Reicke a. a. O. S. 157 und Anm. hierzu S. 1018 f.

46 verblieb, ist in dem Privileg Rudolfs von Habsburg aus dem Jahre 1273 zusammengefaßt: Die Grafschaft mit der Juris­ diktion im Landgericht Nürnberg, die burggräfliche Burg und die Hut des Stadttores bei der Feste (custodia portae), Anteil an den Strafgeldern am Stadtgericht neben dem Schultheißen, ferner ein Schmiedeschilling aus der Stadt und aus der Neustadt jenseits der Pegnitz (Lorenzer Stadt) der dritte Baum und das dritte Wild, sowie Grundzins und Erntedienst u. a. Diese Stellung des Burggrafen in der Neustadt jenseits der Pegnitz leitet sich wohl ab von einem ursprünglichen Herrschaftsverhältnis, einer Gerichts- und Grundherrschaft des Burggrafen über die Stadt, insbeson­ dere über den südlichen Teil, doch befinden wir uns bei dieser Frage auf höchst unsicherem Boden. Im Laufe des 14. Jahr­ hunderts kamen alle diese Rechte des Burggrafen innerhalb des Stadtbezirks meist durch TCauf an die Stadtgemeinde 1). In welcher Weise hat sich nun im Kirchenwesen Nürnbergs die Stellung des Stadtherrn, des Königs bezw. seiner Vertreter geltend gemacht ? Im Sinne der erwähn­ ten Schenkung der Jakobskirche aus dem Jahre 1209, die zweifellos königliche Eigenkirche war und innerhalb des Stadtbereichs lag2), an den Deutschorden, möchte man an­ nehmen, daß auch die übrigen kirchlichen Gebäude auf Nürnberger Grund und Boden im Eigentum des Königs als des Grundherrn standen. Das würde insbesondere auch für die beiden späteren Hauptkirchen, die freilich erst etwa ein Menschenalter später als die Jakobskirche, St. Lorenz 1235, St. Sebald 1255, zum erstenmale Erwähnung finden, oder ihre nicht sicher nachweisbaren Vorläuferinnen, die Kapelle zum Heiligen Grab und die Peterskapelle zu gelten haben. Analog wäre die Stellung des Burggrafen zu den kirchlichen Vgl. Mummenhoff, Altnürnberg, S. 13, und Reicke a. a. O., besonders S. 44. * 2) „Ecclesia sancti Jacobi in ipsa civitate Nurenberg“ heißt es in der Urkunde. Freilich erstreckten sich damals die Mauern der Stadt wahrscheinlich noch nicht über die Pegnitz (St. Jakob liegt südlich derselben), so daß man wohl mit Mummenhoff, Mittlgn. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Nbg. 17, S. 329, 338, annehmen darf, daß die Stadtteile südlich des Flusses zwar der Stadt eingegliedert waren, aber erst später in ihren Mauerbereich einbezogen wurden.

47 Verhältnissen der Stadt zu beurteilen, da es nicht aus­ geschlossen erscheint, daß der König seine ursprünglich stadtherrlichen Rechte über Nürnberg auf ihn übertragen hat. Insbesondere lassen die im Privileg des Jahres 1273 festgestellten Rechte des Burggrafen in der Neustadt süd­ lich der Pegnitz auf grundherrliche Rechte desselben schließen, so daß man ihn auch als in Beziehungen zu dem die Bewohner der südlichen Stadtseite versorgenden Gottes­ haus, der späteren St. Lorenz-Pfarrkirche, stehend vermuten möchte. Aber die Verhältnisse hinsichtlich einer Einwirkung des Königs oder des Burggrafen auf die beiden Haupt­ kirchen der Stadt sind in völliges Dunkel gehüllt. Wie die erste Erwähnung der beiden Kirchen in eine Zeit fällt, in der Nürnberg schon als reichsunmittelbare Stadt erscheint, ist auch nirgendswo der König oder der Burggraf in irgend­ welchen Beziehungen zu den beiden Gotteshäusern, die auf eine eigenkirchenrechtliche Stellung als Stadtherr zurückzu­ führen wäre, zu beobachten. Nur ein einzigesmal finden wir im Interesse der baldigen Benützung des Neubaues der St. Sebalduskirche in den 70er Jahren des 13. Jahrhunderts Bürgerschaft, Butigler und Schultheiß in einer Petition an den Bischof von Bamberg vereinigtx). Der Nachricht ist nur soviel zu entnehmen, daß der Bau das allgemeine öffent­ liche Interesse beanspruchte und im Hinblick auf die religiösen Bedürfnisse der Bevölkerung allenthalben För­ derung gefunden hat. Aber Näheres über die Mitwirkung der kaiserlichen Beamten wird nicht mitgeteilt und es erscheint somit untunlich, an diese ganz vereinzelte Notiz irgendwelche weitergehenden Vermutungen hinsichtlich des Verhältnisses dieser beiden kaiserlichen Organe zu der Kirche anzuschließen. So ist die Frage, ob irgendwelche eigenkirchliche Ele­ mente das alte Nürnberger Kirchenwesen in Bezug auf die *) U. v. 17. Aug. 1274. HStA. Mchn. Sebald Nr. 4. Ablaßbrief des Bischofs Berthold von Bamberg; hierin wird die auf Bitten der im Texte genannten Personen am 9. Sept. 1273 stattgehabte Weihe des Chores und Altars von St. Sebald erwähnt. Siehe auch Hoffmann a. a. O. S. 14, 15.

48 beiden späteren Pfarrkirchen durchdrungen haben, nicht zu beantworten. Ebenso bleibt hinsichtlich der Frage des Patronats für die Frühzeit alles unsicher. Unmittelbare Nachrichten darüber aus dem 13. und 14. Jahrhundert liegen nicht vor. Eine Reihe von Namen unter den Amtsbezeich­ nungen von Rektoren, Plebanen oder Pfarrern1) tauchen auf, aber niemals in irgendeiner Beziehung zum Besetzungs­ recht, das neben der Vermögensverwaltung den wichtigsten Bestandteil des Patronats ausmacht. Keine einzige Nach­ richt in dem von uns besprochenen Zeitraum — und das gilt für beide Kirchen — läßt einen Einblick gewinnen, in wel­ cher Weise, unter Beteiligung welcher Instanzen sich die Pfarrbesetzung vollzogen hat. So müssen wir, um einiger­ maßen deutlicher sehen zu können, an die Nachrichten des 15. Jahrhunderts herangehen. Hier sei gleich die Feststel­ lung auf Grund dieses Materials vorweggenommen. Die Stadtgemeinde Nürnberg hatte bis zum Jahre 1474 kein Recht an den beiden Pfarrkirchen. Sie hatte keinerlei Einwirkung auf die Pfarrbesetzung. Ein ius patronatus der Stadt kam bis zu diesem Jahre nicht in Frage. Anderer­ seits sind auch Einflüsse, die auf eigenkirchenrechtliche Funktionen oder den Patronat des Stadtherrn, des Königs oder des Burggrafen, zurückzuführen wären, auch im 15. Jahr­ hundert nirgends zu erkennen. Eine Pfarrwahl durch welt­ liche Gewalten kommt überhaupt bis zum Beginn des letz­ ten Viertels des 15. Jahrhunderts nicht in Betracht. Es ist die Kirchengewalt, der kn mittelalterlichen Nürnberg die Verleihung der Kirchenämter zufiel. In freier Kollation (collatio libera) besetzte der Bischof von Bamberg die Nürnberger Pfarrstellen, ohne an das Vorschlagsrecht irgendeines Dritten gebunden zu sein. Die Entwicklung des Pfarrbesetzungsrechtes in Nürn­ berg, das nur auf Grund von Zeugnissen einer späteren als der hier betrachteten Periode darzustellen ist, zu verfolgen, ist hier nicht der Platz. Nur soweit diese Nachrichten einen Rückschluß auf die mutmaßliche Stellung des Rates zu der *) Ueber diese Amtsbezeichnungen im allgemeinen vgl. Schäfer, Pfarrkirche und Stift, S. 43 ff.

49 Verleihung der Pfarrstellen im 14. Jahrhundert gestatten, sei hier kurz darauf hingewiesen. Der im Mittelalter nicht seltene Entstehungstitel für den Patronat einer Stadtgemeinde, der Erwerb des Pfarrsatzes von dem ersten Eigentümer, also dem Stadtherrn, im Wege einer ,,Abspaltung“ vom Eigenkirchen- oder Patro­ natsrecht desselben oder der vollen Uebertragung des Patronats liegt für Nürnberg nicht vor1). Trotzdem war die Stadt, obwohl sie des Patronatsrechts an den Pfarr­ kirchen entbehrte, in hohem Grade interessiert, daß nur ihr genehme Geistliche die Pfarrstellen erhielten. Und sie hatte auch wiederholt in diesem Sinne ihre Bedenken geltend ge­ macht. So empfahl der Rat im Jahre 1438 bei Erledigung der Pfarrstelle von St. Lorenz dem Bischof den der Nürn­ berger Bürgerschaft durch verschiedene Aufträge und Dienste besonders verbundenen Dr. Kunhofer zum Nach­ folger des verstorbenen Rektors. Der Bischof ging jedoch über diese Anregungen des Rates hinweg und verlieh die Pfarrstelle einem anderen Geistlichen aus • seiner nächsten Umgebung. Dieser starb jedoch schon einige Tage nach der Besitznahme von der Pfarrei, und nun erst gelang es dem vom Rat Empfohlenen, aber auch jetzt erst durch einen Tausch gegen eine andere Pfarre, die Pfarrstelle von St. Lorenz zu erhalten 2). Auch bei der Sebalduskirche vermochte der Rat nicht unmittelbar durch Präsentation kraft eines ihm zustehenden Patronatsrechtes die Besetzung des Pfarramtes zu beein­ flussen. Er mußte versuchen auf Umwegen eine gewisse Einflußnahme zu gewinnen. In einem Falle aus dem Jahre 1461 hatte er solche Wege sogar in einer nicht von ihm selbst ausgegangenen Sache zu beschreiten versucht, um dem Rechtsgelehrten Dr. Johann Lochner, der sich auch der Hilfe der Kurie versichert hatte, zur Verdrängung des damaligen Pfarrers von St. Sebald Beistand zu leisten. An den übermäßigen Bedingungen der Kurie — sie verlangte *) Vgl. Stutz, Das Münster zu Freiburg i. Br., S. 9. a) Ueber diese Verhandlungen vgl. Deutsche Städte - Chroni­ ken I, S. 457 ff. 4

50 für ihre Unterstützung vom Rat 1000 Gulden — scheiterte die Angelegenheit; der Rat weigerte sich diese Summe zu bezahlen 1). Dem Rat war es also nicht leicht gemacht, sich in der Frage der Pfarrwahl durchzusetzen; von einem bindenden Vorschlagsrecht kann nicht die Rede sein und auch die un­ verbindlichen Anregungen scheinen bei den geistlichen Oberen nicht immer Gehör gefunden zu haben. ,,Es gelang eben den Städten weniger als den Territorialfürstentümern, die kirchlichen Verhältnisse nachhaltig zu beeinflussen“ 2), und es ist keinesfalls so, daß die städtische Pfarrwahl im Mittelalter in den Städten die Regel gewesen wäre 3). Nürnberg hat aber doch — wenn auch erst sehr spät — die Lehenschaft oder das ius patronatus über beide Kirchen errungen und zwar durch ein päpstliches Privileg4). Im Jahre 1474 verfügte Papst Sixtus IV. durch Bulle vom 31. Dezember5), daß in nichtpäpstlichen Monaten das ius patronatus und die Lehenschaft der Sebaldus- sowohl wie der Lorenzpfarrkirche dem Rate zustehen solle. In den päpstlichen Monaten hätte es somit bei der kanonischen Verleihung durch den Bischof zu verbleiben 6). 1477 wurde dann durch denselben Papst bestimmt, daß die Pfarrer der beiden Kirchen von nun an Pröpste genannt werden soll­ ten 7). Schließlich wurde auch, am Vorabend der Refor­ mation, das beschränkte Besetzungsrecht des Rates zu einem unbeschränkten, indem durch Vertrag aus dem Jahre *) Vgl. Deutsche Städte-Chroniken X, S. 289, Anm. 5. 2) Werminghoff, a. a. O. S. 108. 3) Schultze, Stadtgemeinde und Kirche im Mittelalter. Mchn. u. Lpzg. 1914, S. 109. 4) Also ein konstitutiver Akt, wie sie im allgemeinen bei der Entstehung des Patronats nur vereinzelt nachzuweisen sind; vgl. Niedner, Die Entwicklung des städt. Patronats in der Markt Bran­ denburg. Stuttg. 1911, S. 7. 8) Staatsarch. Nbg. Rep. 88, Nr. 15. 8) Auffallend ist, daß durch päpstliches Dekret dem Rat das Besetzungsrecht für die nicht päpstlichen oder ordentlichen Mo­ nate (d. s. die geraden Monate) zugesprochen wurde. Man möchte annehmen, daß die Kurie sich also ihrer Reservationen (d. h. des Besetzungsrechts in den päpstl. Monaten) zugunsten des Bischofs von Bamberg begeben habe. Ueber Reservationen vgl. Buchberger, Kirchl. Handlexikon II, S. 1744 ff. 7) Staatsarch. Nbg. Rep. 88, Nr. 17.

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1513 l) zwischen Bischof und Domkapitel einerseits und dem Nürnberger Rat andererseits, einerlei, ob in päpstlichen oder ordentlichen Monaten, dem Rat das Kollationsrecht in Form der Präsentation an den Diözesanherrn für ewige Zei­ ten zuerkannt wurde, ein Vertrag, der 1514 noch von Papst Leo X. bestätigt wurde 2). Doch überschreiten diese Er­ örterungen den zeitlichen Rahmen unserer Untersuchung. Nicht aus ursprünglichem Eigenkirchenrecht ist also der Patronat der Stadt hervorgegangen, nicht in Abspal­ tung oder Uebertragung von stadtherrlichen Gewalten ver­ mittels eigenkirchenrechtlicher Elemente ist er begründet. Der Erwerb des Pfarrbesetzungsrechtes durch die Stadt­ gemeinde beruhte vielmehr, wenigstens in seiner rechtlichen Festlegung, teils auf einem päpstlichen Privileg, um das wohl die Stadt unmittelbar an der Kurie petitioniert hatte, teils auf Vertrag mit den zuständigen kirchlichen Instan­ zen. Auch ein anderer nicht selten zu beobachtender Ent­ stehungstitel für den städtischen Patronat, der originäre Erwerb desselben infolge Erbauung der Kirchen durch die Stadtgemeinde, kommt nicht in Frage 3), wiewohl, wie im voraus bemerkt sei, die Beteiligung der Nürnberger Bür­ gerschaft an dem Bau eine überaus bedeutende war. In freiem autonomem Einbruch in die hierarchische Kirchen­ verfassung, der sich stützte auf die tatsächliche Pflege der Kirchen, insbesondere der Gebäude, durch die Stadt, war es dieser nicht gelungen, die Pfarrwahl an sich zu bringen 4). Es war der konstitutive Akt der Verleihung des kir­ chenrechtlichen Patronats durch die kirchlichen Gewalten notwendig, um — verhältnismäßig spät — der Stadt auch 1) Staatsarch. Nbg. Rep. 88, Nr. 23. Vgl. Looshorn a. a. O. Bd. IV, S. 500. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 88, Nr. 26. “) Stutz in Art. „Pfarre“ in Herzog-Hauck, Realenzyklopä­ die XV, S. 243 ff. Werminghoff ä. a. O. S. 108 und Schultze a. a. O. S. 110. 4) Dieses Eindringen in den kirchlichen Bereich hätte etwa zum Ausdruck kommen können durch eine beständig fortgesetzte Reihe von eigenmächtig durch die Stadt betätigten Pfarrwahlen, wodurch die kirchlichen Instanzen vor eine vollendete Tatsache gestellt wor­ den wären. — Vgl. Schultze, a. a. O. S. 111 — aber für Nürnberg ist dergleichen nicht zu beobachten.

52 die rechtliche Position in der inneren Gliederung der Kirche und gegenüber den Hauptkirchen zu geben, die ihrer tatsächlichen Sorge für dieselben und ihrer freien Durch­ dringung kirchlicher Verhältnisse entsprach. Gerade in dieser Sorge für die Kirchen, die die Stadt in freier Aus­ dehnung ihrer Machtstellung in immer weiterem Maße be­ tätigt hat—man denke insbesondere an die Aufrichtung der beiden großartigen Kirchenbauten von St. Sebald und St. Lorenz — ist die tatsächliche Grundlage für die Ver­ leihung des Patronats an die Stadt zu erblicken. Wie nach der kanonischen Doktrin der Patronat sich auf die Dankbar­ keit der Kirche für eine Stiftung gründen soll, so bezeugt sich für Nürnberg diese Gunst der Kirche in der Verleihung der Lehenschaft über die beiden Kirchen an die Stadt. Es war somit der kirchenrechtliche Patronat in reiner Aus­ prägung, auf das alte Recht der Kirche selbst gegründet, in dessen Gewand Nürnberg die Pfarrwahl erlangt hatte 1). *) Vgl. auch Stutz, Kirchenrecht, S. 335.

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II. Der Bau der Pfarrkirchen.

Wenü auch der Erwerb des Patronats seitens der Stadtgemeinde nicht in der Erbauung der Stadtpfarrkirchen seinen Rechtstitel gefunden hat, so sind doch die Beziehun­ gen der Stadt zu den beiden Kirchen in dieser Hinsicht der­ art bedeutsam, daß eine nähere Erörterung der Frage des Baues oder in kirchenrechtlichem Sinne der Baulast an­ gebracht erscheint. Es ist anzunehmen, daß der Neubau der Sebaldus- wie der Lorenzkirche sich unter teil weiser Verwertung oder Niederreißung von kirchlichen Gebäuden vollzog, »die an diesem Platze gestanden haben. Wer diese ursprünglichen Gotteshäuser erbaut hat, ist nicht zu erkennen. Vermutlich ist das zu ihnen gehörende Kirchengut für den Neubau mit­ verwendet worden. Nach kanonischem Rechte liegt ja die Baulast prinzipialiter auf der Kirchenfabrik, d. i. das zur Erbauung und Unterhaltung des Gotteshauses bestimmte Kirchenstiftungsvermögen. Soweit ein solches von dem Aufwand für die ursprünglichen Bauten noch übriggeblieben war, waren diese Mittel vermutlich gering. Wahrscheinlich wurde für den Neubau ein neuer Baufonds gegründet, der sich in erster Linie aus freiwilligen Gaben und Stiftungen zusammensetzte. Bei dem großen Ausmaß dieser Neu­ errichtungen dürfte auch dieser nicht ausgereicht haben, so daß noch andere Mittel flüssig gemacht werden mußten. Es hatten daher die nach der Erschöpfung der Fabrik subsidiär zur Baulast Verpflichteten einzutreten. Hier kam vornehm­ lich der weltliche Grundherr oder der Patron in Frage. Aber für Nürnberg ist ein solches eigenkirchenrechtliches oder Patronats-Verhältnis, wie wir gesehen haben, für die Frühzeit nicht festzustellen. So können in Ermangelung dieser. Personen nur die Parochianen in Betracht kommen1). *) Vgl. Friedberg a. a. O. § 181, S. 607 ff.

54 Gehen wir von dem Neubau der Sebalduskirche im 13. Jahrhundert aus, so ist festzustellen : Aus dem Bauwerk selbst ergibt sich nichts für die Frage nach den Erbauern; Inschriften dieser Art sind nicht erhalten. Wir sind viel­ mehr auf die dürftigen Nachrichten angewiesen, die uns die schon erwähnten Indulgenzbriefe gewähren. Die Ver­ anlassung zu dem Bau bildeten die gesteigerten gottes­ dienstlichen Bedürfnisse der mächtig wachsenden Bevöl­ kerung Nürnbergs. Daß der Bau sich als ein öffentliches, das ganze Gemeinwesen unmittelbar berührendes Werk dar stellte, war damit gegeben. Das geht auch aus dem Ablaß­ brief des Bischofs Berthold von Bamberg aus dem Jahre 1274 hervor, wonach die am 9. September des Vorjahres erfolgte Weihe des Chores und Altars der Pfarrkirche St. Sebald auf die dringenden Bitten des Butiglers Konrad, des Schultheißen Marquard und der Gesamtheit der Bürger von Nürnberg erfolgt sei. Dies weist auf eine enge Verbindung dieser Kreise mit dem Neubau hin. Ueber die Mitwirkung der beiden kaiserlichen Vertreter wurde schon gesprochen; dieselbe auf eigenkirchenrechtliche Befugnisse zurückzu­ führen, ist bei dem Wortlaut dieser Nachricht wohl aus­ geschlossen. Glaublicher möchte erscheinen, daß sie mit dem Gewicht ihrer Persönlichkeit und Stellung nur den Bit ten der Bürgerschaft Nachdruck verleihen wollten 1). Denn daß die Bürgerschaft im Vordergrund der Bau­ leistung stand, das erhellt deutlich aus einem Indulgenzbrief des Jahres 1275, ausgestellt von dem Bischof Heinrich von Trient2). Hierin wird unter Hinweis auf die Bürger und Einwohner von Nürnberg, als die Erbauer der Kirche, zur Spendung von Almosen für das Gotteshaus aufgefordert — „cum igitur honorabiles viri burgenses et populäres opidi Nurenbergensis ecclesiam ibidem pulchram construant“. Noch weitergehend ist eine Nachricht aus dem Jahre 1360 in einem von Papst Innozenz VI. ausgestellten Indul­ genzbrief zugunsten der Pfarrkirche von St. Sebald, ,,die Bischof Lupoid von Bamberg, einige Grafen, Barone und A) Siehe oben im Text und Anm. 2) U. v. 24. Mai 1275. HStA. Mchn. Sebald Nr. 6.

55 Edle jener Gegend sowie Bürgermeister, Konsuln und die Gemeinde der Stadt Nürnberg — de bonis propriis — erbaut und begabt hätten“ 1). Ein auf eigenkirchliche oder patro­ natsrechtliche Elemente gegründeter Einfluß von außerhalb der Stadtgemeinde stehenden Kreisen kam, wie erwähnt, nicht in Frage und kann auch aus dieser Urkundenstelle nicht abgeleitet werden. Die Mitwirkung der genannten Kreise beim Kirchenbau haben wir auf Unterstützung des­ selben durch Schenkungen und Zuwendungen zu beschrän­ ken. Denn ein großer Teil der Mittel für den Bau beruhte auf freiwilligen Gaben. Die eigentliche Last des Kirchen­ baues aber ruhte, schon aus kirchenrechtlichen Verpflich­ tungen heraus, auf der Gemeinde 2). Es erhebt sich die Frage, wie die Organisation dieser kirchenbauenden Gemeinde beschaffen war, insbesondere die Frage, ob sie mit der Gesamtheit der Kirchspielsassen der Sebalder Pfarrei zu identifizieren ist. Daß die Parochianen nach kirchlichem Recht in zweiter Linie neben der Kirchenfabrik zur Baulast heranzuziefyen sind, ist schon erwähnt. Stadtbezirk und Pfarrbezirk scheinen sich aber bei Nürnberg nicht vollständig gedeckt zu haben; das geht aus der engen Zugehörigkeit der Sebalduskirche zu der Poppenreuther Landpfarrkirche hervor, ein Verhältnis, das ja im Ausgang des 14. Jahrhunderts zu mannigfachen Ver­ wicklungen geführt hat. Bestand und Umfang der Pfairgemeinde St. Sebald bleibt uns im übrigen im einzelnen für die Frühzeit verborgen. Jedenfalls kann man ab&r sagen, daß der weitaus größte Teil der Sebalder Parochianen Ein­ wohner der Stadt Nürnberg und damit Angehörige der Nürnberger Stadtgemeinde waren. Die Sebalder Pfarrgemeinde ging somit zum größten Teile in der politischen Gemeinde auf und bildete einen integrierenden Teil dersel1) U. v. 15. Dez. 1360. HStA. Mchn. Sebald Nr. 97. 2) Auch die Fassung des Satzes: „erbaut und begabt“ scheint darauf hinzuweisen, daß wir es in der Urkunde nur mit einer zu­ sammenfassenden Anführung aller derjenigen Kreise und Schich­ ten zu tun haben, die in irgend einer Weise zum Bau beigetragen haben. Daß die vorherrschende Bauleistung auf der Gemeinde lag, ergibt sich, wie noch zu erörtern ist, daraus, daß Bauleitung und -Verwaltung in ihren Händen sich befanden.

56 ben. Die politische Gemeinde wiederum hatte naturgemäß bei der Sorge für das öffentliche Wohl auch die kirchlichen Interessen ihrer Bürger ins Auge zu fassen und zu vertre­ ten. Es lag in der Richtung ihrer gesamten pfleglichen und fürsorgenden Tätigkeit, auch die Sorge für die kirchlichen Bedürfnisse der Gemeindeglieder in die Hand zu nehmen x). Der wachsenden Zahl der Bevölkerung konnten die ursprünglichen kleinen Gotteshäuser bald nicht mehr genü­ gen. Neubauten wurden erforderlich. Sie hatten nicht nur den kirchlichen Bedürfnissen zu dienen, sondern konnten auch in weiterem Sinne in ihrer prächtigen und reichen Ausstattung von dem Wohlstand und dem Reichtum der Stadt Kunde geben. Es lag ferner auch im Interesse der allgemeinen Zucht und Sitte, daß die Bevölkerung in der geistlichen Versorgung nicht Schaden litte, und es war so­ mit auch ein Teil Wohlfahrtspolitik, daß sich die Stadt­ gemeinde der Erweiterung der Kirchenbauten und damit der Vermehrung der kirchlichen Pflege annahm. So mögen viele Gründe dafür gesprochen haben, daß die politische Gemeinde, im Einklang mit den kirchenrecht­ lichen Verpflichtungen ihrer Glieder, sich die Pflege der Gotteshäuser auf ihrem Territorium angelegen sein ließ, ohne daß diese auf eine kirchenrechtliche Pflicht als Patron zurückzuführen wäre, wie dies ja für Nürnberg als unzu­ treffend nachgewiesen wurde. So wurden die kirchlichen Verhältnisse in die. allgemeine Verwaltung einbezogen. ,,Die städtische Seelsorge wurde ein Zweig der Stadtverwal­ tung“ *2, und diese umfaßte auch die Erhaltung und Er ­ richtung von kirchlichen Gebäuden. Es ist also anzuneh­ men, daß die kirchenbauende Gemeinde nicht die Pfarrgemeinde als solche war, sondern die Stadtgemeinde, die politische Gemeinde wurde wirksam. Sie scheint Bauleitung und Bauverwaltung in die Hand genommen zu haben. Ihr Organ war der Rat, dessen Vorkommen jedenfalls schon seit 1256 3) urkundlich nachweisbar ist; ihm oblag die Lei*) Vgl. Niedner a. a. O. S. 12. 2) So Stutz in art. „Pfarre“ in Herzog-Hauck, RE. S. 247. 3) U. v. 10. Okt. 1256 in Mon. Boic. LIII, Nr. 40; vgl. Reicke a. a. O. S. 91.

57 tung und Durchführung des Baues im Großen. Daß er diese Funktionen bei den Neu- und Umbauten des 14. Jahrhun­ derts ausgeübt hat, wobei er sich des auf autonomer Rechts­ setzung beruhenden Amtes der weltlichen Kifchenpfleger bediente, tritt deutlich hervor1). Die Vermutung einer ähnlichen Teilnahme schon an, dem Neubau des 13. Jahr­ hunderts erscheint somit gerechtfertigt. War einmal der Rat an die Spitze des großen Unter­ nehmens getreten, so war damit der Bau zu einer Ange­ legenheit der gesamten Bürgerschaft gestempelt. Reiche Gaben mögen von den wohlhabenden Bürgern den Arbeiten zugeflossen sein, aber auch die Opferbereitschaft der unteren Schichten darf keine geringe gewesen sein. Zogen sich doch die Bauten über Jahrzehnte hin. Freilich die Unterstützung der Kirche war nicht zu entbehren, und sie äußerte sich in den Ablässen, die den opferbereiten Spen­ dern himmlischen Segen versprachen 2). Die Leistung der Bürgerschaft erscheint umso gewaltiger, als wir Nürnbergs Bevölkerung im 14. Jahrhundert auf wenig mehr als die Hälfte der nach der Zählung des Jahres 1449 auf 20000 anzusetzenden Einwohnerschaft 3) schätzen dürfen. Die Verhältnisse, wie wir sie an dem Neubau von St. Sebald in ihrer Entwicklung aufzuzeigen versucht haben, haben sich aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Lorenz­ kirche analog gestaltet. Aber die Ueberlieferung läßt uns hier leider noch weit mehr im Stiche als bei St. Sebald; doch ist auch hier das Wirksam werden der Stadtgemeinde in der Bautätigkeit anzunehmen. So darf man wohl sagen: Die Erbauung der beiden Nürnberger Stadtpfarrkirchen ist als ein zum größten Teil von der Stadtgemeinde geleistetes Werk zu betrachten. *) 2) briefe, 3)

Siehe unten IV. Aus der Zeit von 1255—1310 sind z. B. etwa 20 Indulgenzmeist für den Bau von’ St. Sebald bestimmt, erhalten. Vgl. Reicke a. a. O. S. ^?8.

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III. Stadtgemeinde und Pfründstiftungen. Erst sehr spät — am Ausgange des 15. Jahrhunderts — ist es der Stadt gelungen, auf dem Gebiete der Pfarrwahl eine freiere Rechtsstellung zu gewinnen. Der Gedanke, daß mit der Einflußnahme auf den Träger des ersten Amtes an den Stadtpfarrkirchen auch die Einflußnahme auf die ihm beigegebenen und untergeordneten Geistlichen x) und durch sie auf die Masse der Pfarrangehörigen, die wenigstens zum größten Teile gleichzeitig Glieder der politischen Stadt­ gemeinde waren, verbunden sei, ließ diese Sphäre der Be­ ziehungen zwischen Stadt und Kirche, wie ja auch in anderen Städten *2), als eines der umstrittensten Gebiete er­ scheinen 3). Beide Mächte waren gewillt und bestrebt, hier ihre Ansprüche aufs energischste zu vertreten. Die Kirche war mit Zähigkeit darauf bedacht, die gesamte städtische Geistlichkeit ihrem Machtbereiche unterworfen zu halten, während die Stadt bemüht war, wenigstens den Weltklerus in ihre Hand zu bekommen. Im 14. Jahrhundert hatte es die Stadtgemeinde in Nürnberg auf dem Wege des Pfarrwahlrechts nicht erreicht, ihren Einfluß auf die Geistlichkeit ungehindert auszubreiten. Doch sollte der Stadtgemeinde in einer Institution, die seit dem Anfänge des 14. Jahr­ hunderts sich immer mehr ausdehnte, ein inhaltlich um­ fassenderer Ersatz geboten sein. Es war dies der Rechts­ brauch der mittelalterlichen „Seelgeräte“—das sind Schenk­ ungen oder Stiftungen im Interesse des Seelenheils4). In den *) Die socii oder Gesellen, wie es auch in den Nürnberger Ur­ kunden heißt; sie werden vom Pfarrer angestellt, in seinem Hofe einquartiert und nehmen an seinem Tische teil; vgl. Müllner a. a. O. S. 256. • 2) Vgl. die Beispiele bei Hauck a. a. O. S. 29 ff.; Kallen a. a. O. S. 199; Werminghoff a. a. O. S. 108. 3) Es sei nur an die oben erwähnten wiederholten vergeblichen Versuche des Rates erinnert, einen ihm genehmen Geistlichen an die beiden Pfarrkirchen zu bringen. 4) Ueber die „Seelgeräte“ im allgemeinen vgl. bes. Schultze a. a. O. S. m ff und ders., Stadtgemeinde und Reformation, Tübin­ gen 1918, S. 14 ff.

59 verschiedensten Gestaltungen tritt uns diese persönliche Fürsorge für der Seelen Seligkeit entgegen, ausgehend von der einfachen Stiftung von Seelmessen, den sogen. Anniver­ sarien oder Jahrzeitsstiftungen. Andererseits wurden alle möglichen wohltätigen und frommen Zwecke von den Schenkungen umfaßt: Armenfürsorge, Kirchenbau, Aus­ stattung des Kultus, Erhaltung eines ewigen Lichtes usw. Und schließlich, vor allem infolge des wachsenden Wohl­ standes der Bürger ging man über diese Formen noch hin­ aus zu der Stiftung ganzer Priesterpfründen, um die Sorge für das Seelenheil nach dem Tode durch die wöchentliche, womöglich auch tägliche Messehaltung durch einen eigens zu diesem Zwecke mit einer Pfründe ausgestatteten Geist­ lichen noch stärker zu gewährleisten. Auch dachte man durch die Großartigkeit der der Kirche zugute kommenden Stiftung der göttlichen Gnade um so gewisser teilhaftig zu werden. An bereits vorhandenen oder gleichzeitig neu ge­ stifteten Altären sollte sich diese Tätigkeit für das Seelen­ heil entfalten und durch die Stiftung des Pfründgutes ge­ sichert werden. Auf diesem Wege wurden ganz neue Prie­ sterstellen für einen Kaplan oder Altaristen begründet, die sogen. Meß- oder Altarpfründen. Für die Ausgestaltung dieser Pfründstiftungen war der Wille des Stifters, wie er in der Schenkung oder der Ver­ fügung von Todes wegen zum Ausdruck kam, maßgebend. Ein privates Rechtsgeschäft war somit ihre Grundlage und damit die Möglichkeit gegeben, sie dem kirchlichen Aemterrecht zu entziehen. Da das Institut seiner Natur nach in seiner Wirksamkeit dem Einfluß des Stifters entzogen war—trat es doch vorzugsweise erst nach dessenTode inErscheinung —, machte sich das Bedürfnis nach einem dauern­ den Organ für seine Verwaltung geltend. Es wurde not­ wendig, das Stiftungsgut zu verwalten, den Pfründner zu bestellen, ihm die Einkünfte aus den Stiftungserträgnissen zu sichern und ihn schließlich in der Ausübung seiner geist­ lichen Obliegenheiten zu überwachen. Dieses Organ wurde mittels der Rechtsform der Treuhänderschaft gefunden, indem die Durchführung des Stiftungszweckes einer be-

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stimmten Person übertragen wurde. Der stiftende Bür­ ger berief nun als Treuhänder nicht nur geistliche, sondern auch weltliche Personen. Anfänglich mag wohl der Pfarrer der Kirche, zu der man die Altar- oder Meßpfründe stif­ tete, der Treuhänder gewesen sein, aber sehr bald scheint man die geistlichen Behörden mehr und mehr umgangen zu haben. Und welches Organ mochte geeigneter erscheinen als die Dauer verbürgende Vertretung der Interessen der gesamten Bürgerschaft, der Stadtrat! Auf dem Wege über die vom Rate abhängigen bürgerlichen Kommissionen, be­ stehend etwa aus den Bürgermeistern, Kirchenpflegern und anderen vertrauenswürdigen, häufig auch der Familie des Stifters nahestehenden Personen hat man dann schließlich tatsächlich dem Rate selbst die volle Treuhänderschaft übertragen. Es ist ersichtlich, wie sich in dieser Stellung dem Rate eine Handhabe bot, einen immer tiefer reichenden Einfluß auf die Weltgeisttidhkeit zu erlangen — war doch der Pfründner von ihm als Treuhänder in Ernennung und Einkünften abhängig — und wie schließlich die in der Frage der Pfarrwahl beschränkte Herrschaftsstellung der Stadt in diesem Bereiche unter Umgehung der kirchlichen Instan­ zen bei der beträchtlichen Zahl der Pfründner noch um­ fassender und unbeschränkter zur Entfaltung kommen konnte*. Damit haben wir in aller Kürze diesen im Mittelalter zur weitesten Verbreitung gelangten Rechtsbrauch in seiner typischen Gestaltung gekennzeichnet1). Es ist jetzt unsere Aufgabe zu untersuchen, inwieweit sich in dem mit­ telalterlichen Nürnberg diese Institution an den beiden Hauptkirchen entwickelt, sowie, ob und in welchem Grade der Rat auf diese Stiftungen und damit auf die Geistlich­ keit Einfluß gewonnen hat. Was die kleineren Stiftungen betrifft, so sind uns darüber eine Reihe von Nachrichten erhalten, die uns diesen Brauch in bunter Ausgestaltung zeigen. Sie haben nicht den Charakter von ganzen Pfründstiftungen, son*) Vgl. auch wiederholt.

Werminghoff a. a. O. S. 166 f.;

Müller a. a. O.

6i dern beschränken sich darauf, gewisse Reichnisse einer Kirche als solcher zu gewähren und dienen vornehmlich der Ausstattung des Kultus. Sie sind, ihrem Charakter als ,,Seelgeräte“ entsprechend, meist getragen von persönlichen Zwecken, d. h. der Stifter läßt sich bei der Hingabe des Stiftungsgutes zur Ausrichtung von Jahrtagen, Messen und dergl. von der Sorge um sein und seiner Angehörigen Seelen­ heil leiten. Für die Frage der Einflußnahme des Rates auf die mit der Durchführung des Stiftungszweckes betraute Geistlichkeit sind sie nicht von der Bedeutung wie die großen Pfründstiftungen und zwar deswegen, weil diese kleineren Stiftungen nur ganz im allgemeinen einer Kirche als solcher zufließen, während die größeren mit der Anstel­ lung eines besonderen Geistlichen verbunden zu sein pflegen. Auf diese Anstellung konnte ja der Rat mittels der Rechtsform der ihm übertragenen Treuhandschaft an der Priesterpfründe seinen Einfluß ausüben. Die Bedeu­ tung der kleineren Stiftungen liegt in einer anderen Rich­ tung. Wir haben hierbei etwas vorzugreifen und schon hier auf das Laienamt der städtischen Kirchenpfleger, das später x) ausführlicher zu besprechen ist, hinzuweisen. Die kleineren Stiftungen gehen an die Kirche selbst, also an das Kirchenvermögen, das im Laufe der Zeit in die Verwaltung der städtischen Kirchenpfleger gekommen war. Sie erfol­ gen somit, soweit wir sehen können, ausnahmslos zu Hän­ den der Pfleger, in deren Verwaltung sich also eine Summe von Kapitalien vereinigt, die mittelbar der Stadtgemeinde zur finanziellen Stärkung gereichen, da die Pfleger städti­ sche Beamte sind. Der Stadt kam die Verfügungsgewalt über diese Güter für ihre eigenen finanziellen Zwecke zu­ gute. Somit wurden in diesem Sinne die kleineren Stif­ tungen, da die Verfügung über diese Kapitalien der Kirche und der Kirchengeistlichkeit entzogen war, für die Verstär­ kung der wirtschaftlichen Stellung der Stadtgemeinde gegenüber der Kirche wirksam. In Verbindung mit der Betrachtung des Pflegeramtes werden wir uns über die Er­ richtung und die Formen dieser kleineren Seelgeräte näher *) Siehe unten IV.

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verbreiten; hier haben wir uns nun den eigentlichen Pfründstiftungen zuzuwenden. Die ersten Stiftungsverhandlungen in Nürnberg, über die uns etwas eingehendere Nachrichten erhalten sind, führen schon mitten in Verhältnisse hinein, die eine ziem­ lich fortgeschrittene Entwicklung dieses Brauches erken­ nen lassen. Insbesondere ist eine schon mehr oder minder hervortretende Einflußnahme des Rates zu beobachten. Wenn auch die Dürftigkeit der Ueberlieferung nicht mit apodiktischer Sicherheit die Aufstellung gewisser .typischer Entwicklungs stufen zuläßt, so ist vielleicht doch nicht * ganz von der Hand zu weisen, daß die einzelnen Stiftungs­ akte in gewisse typische Zusammenhänge einzugliedern sind. Es sind für andere Städtex) gewisse allgemeine Grundzüge der Entwicklung festgelegt worden, die den Prozeß einer fortschreitenden Zurückdrängung des Ein­ flusses der Kirche auf die Besetzung und Verwaltung der Altarpfründen zugunsten der vollen Freiheit der Stadt­ gemeinde erkennen lassen. Aehnlich, innerhalb dieser all­ gemeinen Entwicklung, mögen sich auch in Nürnberg die Verhältnisse gestaltet haben; dem anfänglich pfarrherrlichen Verfügungsrecht mag auch hier der immer deut­ licher erkennbare Einfluß des Rates entgegengetreten sein. Das für das 14. Jahrhundert vorhandene Urkundenmaterial zeigt jedoch bei aller Dürftigkeit eine solche Mannigfaltig­ keit von Stiftungsarten, daß sich eine Einreihung in einen folgerichtig sich abwickelnden Prozeß verbietet. Es ist festzustellen, daß schon nach den ersten vorhandenen Nach­ richten eine ausschließliche Treuhänderstellung eines kirch­ lichen Amtsträgers nicht mehr vorhanden ist; vom Beginn der für Nürnberg überlieferten Zeugnisse an ist zu erken­ nen, daß dem Rat der Stadt, wenn auch vielfach in sub­ sidiärer Weise, ein gewisser Einfluß gesichert ist. Anderer­ seits kann auch von einer ausgesprochenen Präponderanz des Rates, die zu einer fast vollständigen Ausschaltung *) Insbes. durch Heepe für Braunschweig in „Die Organisation der Altarpfründen an den Pfarrkirchen der Stadt Braunschweig im Mittelalter“. Göttingen phil. Diss. 1913; vgl. Schultze a. a. O. S. 116.

63 des Pfarrers geführt hätte, für den von uns betrachteten Zeitraum noch nicht die Rede sein. Es ist kein unmittelbares Zeugnis, das von der unseres Wissens ältesten urkundlich nachweisbaren Pfründstiftung aus dem ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts berichtet. Eine Urkunde aus dem Jahre 1364x) enthält die Be­ stätigung einer Pfründe, die von Heinrich Tuttenstetter *2), dem Pleban der Sebalduskirche um 1300, auf den Stephans­ altar gestiftet war. In dieser Urkunde von 1364 wird fest­ gestellt, daß bei dieser Pfründe, die Präsentation und das „Gestiftersrecht“ den Bürgern vom Rat zustehe, und es werden einzelne Anordnungen über die zu lesenden Messen getroffen. Diese Fesstellungen werden von Albrecht Krau­ ter, dem Pfarrer von St. Sebald, bestätigt. Es ist nun frei­ lich fraglich, ob das ,,Gestiftersrecht“, worunter die Ge­ samtheit der auf die Stiftung sich erstreckenden Befugnisse zu verstehen ist, schon ursprünglich, also schon um 1300 zur Zeit der Gründung der Pfründe durch Tuttenstetter, dem Rat zugestanden habe oder erst später an den Rat gelangt sei, da der ursprüngliche Stiftungsakt nicht mit Deutlichkeit zu ersehen ist. Jedenfalls zeigt die nächste, diesmal unmittelbare Nachricht über ein Stiftungsgeschäft dieses Recht noch nicht in den Händen des Rats. Sie stammt aus dem Jahre 13373) und bekundet die Be­ stätigung einer Pfründstiftung für den Sebaldusaltar durch den Rektor der Sebalduskirche. Es wird darin das Vor­ schlagsrecht des Stifters Albert Schopper, eines Nürnber­ ger Bürgers, für die Besetzung ausdrücklich festgelegt. Die Verbriefung ist von dem Rektor, Günther von Aufseß, be­ glaubigt und besiegelt und bezieht sich auf das unter seinem Vorgänger Hermann 4) bewirkte Stiftungsgeschäft, *) U. v. 17. Dez. 1364. HStA. Mchn. Sebald Nr. 108. 2) Müllner, Annalen zum Jahre 691, erwähnt in seiner Auf­ zählung der Pfarrer und Pröpste von St. Sebald als ersten dieser Reihe Heinrich Tuttenstetter mit der Jahresangabe 1300; er betont, daß über die älteren Pfarrer nichts mehr zu erfahren sei; ebenda erwähnt er denselben auch als Stifter des Stephansaltars, eine gewisse Ungenauigkeit, da er nach der Urkunde von 1364 ja nur eine Pfründe zu diesem Altar gestiftet haben soll. 3) U. v. 5. Mai 1337. HStA. Mchn. Nr. 32. 4) Wohl Hermann von Stein (1313—1359), sein unmittelbarer Vorgänger; vgl. Ussermann, Episc. Bbg., pag. 287.

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das einen bestimmten Priester als Pfründeninhaber vor­ gesehen hatte. Es werden die Stiftungsbedingungen auf­ geführt, wonach das Recht der Präsentation des Pfründ­ ners einem der Senioren aus dem Schopperschen Geschlechte gleichsam als Patron (,,tamquam patrono“) zustehe, der Rektor selbst den so vorgeschlagenen Geistlichen zu instituieren habe; auch solle der Pfründner der Zucht­ gewalt des Pfarrers unterworfen sein. Es folgen dann noch einige Anordnungen über die Verpflichtung zum Messe­ lesen und als besonders wichtiger Punkt die Verfügung, daß der Altarist die Oblationen, die ihm bei der Messe zu flössen, an den Rektor abzuliefern habe. Von einer Mit­ wirkung des Rates ist nirgends die Rede; auch fehlen Be Stimmungen darüber, wem das Präsentationsrecht nach dem Aussterben der Erben des Stifters zufallen solle. Die Tatsache, daß das Kollationsrecht1) der Familie zusteht, zeigt deutlich den privatrechtlichen Charakter des Stif­ tungsgeschäftes. Wie der Wille des Stifters für die Ent­ stehung, Zwecksetzung und die wirtschaftliche Grundlage der Stiftung maßgebend war, so sollte auch die weitere Ausgestaltung diesen Willen zum Ausdruck bringen. Hier ist es insbesondere die Frage der Besetzung der Pfründ­ stelle, die aus der öffentlichrechtlichen Sphäre des kirch­ lichen Aemterrechts in das Gebiet privatrechtlicher Wil­ lensentschließungen gerückt ist. Der Stifter konnte frei verfügen, wem er das gewidmete Gut übereignen, wem er die Durchführung des Stiftungszweckes übertragen wollte. Im vorliegenden Falle ist die Stiftung an das Besetzungs­ recht seiner Familie gebunden. Das Verwaltungsrecht war dagegen dem Pfarrer übertragen; er erscheint also als das für die Beaufsichtigung der Durchführung des Stiftungs­ zweckes maßgebliche Vertrauensorgan des Stifters, ohne daß ihm auf die Besetzung der Pfründe irgendwelche Be­ fugnisse zugestanden hätten. Doch war die Ablieferung der Oblationen an den Pfarrer ausbedungen, was durchaus *) Unter Kollationsrecht ist hier das Recht, den Pfründner zu präsentieren, zu verstehen, der dann von dem Pfarrer oder dem Diözesanherrn zu instituieren war; vgl. Schultze, Stadtgemeinde und Kirche, S. 117.

65 im Interesse der Kirche lag und was sie, wie wir später sehen werden, durch Aufnahme entsprechender Vorbehalte in die Stiftungsurkunden möglichst sich zu sichern bestrebt war. Drohte doch dem Pfarrer durch jede neue Stiftung ein Ausfall an den bisher von der Menge der Kirchenbesucher gespendeten Reichnissen. Als Gegenstück zu dem obigen Stiftungsakt des Jah­ res 1337 erscheint die von dem Nürnberger Bürger Jakob Kramer ausgerichtete Stiftung, über die uns der Stiftungs­ brief aus dem Jahre 1343 *) erhalten ist und die als charak­ teristisches Stück einer subsidiären Treuhänderschaft des Rates anzusehen ist. Es handelt sich um die Neustiftung eines den Heiligen Jakobus und Jodocus geweihten Altars in der Sebalduskirche samt einer ganzen Priesterpfründe zu demselben. Das Geschäft findet seine Beurkundung vor dem Schultheiß und den Schöffen, also dem Stadtgericht. Die Urkunde zählt die zur Begründung und Unterhaltung des Pfründeninhabers bestimmten Einkünfte aus verschie­ denen Grundstücken auf und benennt zugleich als den ersten Altaristen den Priester Heinrich von Hersbruck. In dieser Ernennung eines Geistlichen durch einen Laien kommt also der für alle Stiftungsvorgänge bedeutsame, auch die Grenzen des kirchlichen Aemterrechtes über­ schreitende, rein privatgeschäftliche Wille des Stifters ganz besonders deutlich zum Ausdruck. Der Bestimmung eines dauernden Organs für die ständige Durchführung des Stiftungszweckes, was vor allem eine kontinuierliche Besetzung der Pfründe erforderte, diente die Verfügung, daß als Kollatoren die Erben und zwar jeweils der „älteste Sohn des Geschlechts“, d. h. doch wohl der Senior, zu gelten habe. Die Bindung an die Familie des Stifters *2) ist eine in ihrer Dauer unbestimmte. Dies machte subsidiär, wenn die Familie erlöschen sollte, ein weiteres Organ notwendig. *) U. v. 12. Juli 1343. HStA. Mohn. Sebald Nr. 48. Am 9. März 1355 (ebenda Sebald Nr. 71) bestätigte der Bischof von Bamberg die Stiftung. Ausdrücklich betont die Bestätigung das Präsentationsrecht der Familie, die Präsentation selbst habe an den Bischof (nicht an den Pfarrer) zu erfolgen. 2) 1389 wurde das Verleihungsrecht von einem Bernold Cramer ausgeübt, indem er, da ihm das „ius patronatus“ an der Pfründe zustehe, dem Priester Johann Tropf diese übertrug. — Urk. im HStA. Mchn. Sebald Nr. 171. 5



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Für die Stellung dieser Treuhänderschaft in zweiter Linie bestimmte der Stifter den Rat, als ein gewissermaßen über­ zeitliches; Organ; ihm übertrug er nach dem Aussterben des Geschlechts die Besetzung der Pfründstelle als ,,Le­ hensherr“ und legte wohl damit auch das Pfründengut in seine Hand . . . „so sollten pfrund und vicarei leihen di btirger vom rat ze Nürnberg oder der merer tail under in fürbaz ewiglich“. Es ist die Rechtsform der Treuhänderschaft1), die uns hier in zwei Ausgestaltungen entgegen­ tritt: anfänglich ist das Stiftungsgut wohl als ein zweck­ gebundenes Sondervermögen gedacht, das mit dem Be­ setzungsrecht und wohl auch mit dem Verwaltungsrecht — letzteres ist nicht genau zu erkennen 2) in der Fami­ lie des Stifters sich forterben soll; nach Erlöschen des Ge­ schlechts aber hat in zweiter Linie Gut und Besetzung dem Rate zuzustehen. Solange noch berechtigte Glieder der Familie leben, ist hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse wohl ein der Familie zustehendes mit Zweckbestimmung belastetes Eigentum zu treuer Hand anzunehmen. Ob der Rat in späterer Zeit in diese Verhältnisse ohne weiteres eintreten oder ob der Rat lediglich das Verwaltungs- und Besetzungsrecht erlangen sollte, während das Stiftungs­ gut Eigentum der Pfründe als juristischer Person wurde, das sind Fragen, auf die bei der Unklarheit der mittelalter­ lichen juristischen Vorstellungen und der mangelnden prä­ zisen Festlegung von Rechtsverhältnissen in den Rechts­ instrumenten der Zeit eine sichere Antwort wohl überhaupt nicht zu geben ist. Die praktische Uebung in der Durch­ führung des Stiftungszweckes mag hier in einer Art ge­ wohnheitsrechtlicher Bildung das Fehlen genauer Formu1) Vgl, Schultze a. a. O. S. 115. 2) Bei einfachen, kleineren Stiftungen kann das Verwaltungs­ recht der Familie zustehen, was den privatrechtlichen Charakter des Stiftungsaktes besonders hervortreten läßt. So ist die Stiftung eines Gutes zur Unterhaltung einer Wandelkerze seitens einer Witwe noch ausschließlich in der künftigen Verwaltung auf die Familie der Stifterin beschränkt (U. v. u. XII, 1341. HStA. Mchn., Sebald Nr. 42). Nur in der nachfolgenden Ausstellung einer Aus­ fertigung des Stiftungsbriefes für die Pfarre als solche — ein Ge­ schäft, das der Pfleger von St. Sebald, also das städt. Organ für die kirchliche Vermögensverwaltung, besorgte — ist das rein private Rechtsgeschäft von öffentlichrechtlichem Interesse berührt (U. v. 13. XII. 1342. Ebd., Sebald Nr. 46).

6; lierungen in dem ursprünglichen privatrechtsgeschäftliehen Stiftungsakt ersetzt haben. Steht also in den besprochenen Stiftungshandlungerl, dem Charakter derselben als privater Willensentschließun­ gen entsprechend, die Familie des Stifters noch im Vorder­ grund, so ist daneben bei anderen Pfründstiftungen ein be­ deutender Einfluß des Pfarrers zu verzeichnen. Abgesehen vom pfarrherrlichen Bestätigungsrecht bei der Errichtung von Altarpfründenr), das mehr formeller Natur gewesen sein mag, finden wir ihn noch vielfach in der Stellung des von dem Stifter gewählten Treuhänders^ während der Rat zuweilen subsidiär auch gegenüber dem Pfarrer steht. Für diese Art der Pfründenstiftung besitzen wir zwei charak­ teristische Zeugnisse in ganz entsprechender Ausfer­ tigung12). Es handelt sich beidemal um die Stiftung einer ,,perpetua prebenda“ an Altären der Sebalduskirche. Der Stifter schenkt ausdrücklich das ius patronatus dem Rek­ tor der Kirche, wofür er ihm auch die Lasten der Verwal­ tung auferlegt, insbesondere die Ausrichtung der Messen, die der Stiftungsbrief genau anordnet. Die erste Besetzung behält sich der Stifter, wie vielfach, vor. Bezüglich der Dotation der Pfründe mit Gütern wird auf die versiegelten Briefe der ,,prudentes viri civium de Nurenberg“ verwiesen; damit ist offenbar das Stadtgericht, das ja auch in geist­ lichen Dingen die freiwillige Gerichtsbarkeit an sich gezo­ gen hatte, oder der Rat gemeint. Ganz ausgeschaltet ist der Rat der Stadt auch bei dieser Form der Treuhänder­ schaft des Pfarrers nicht, vielmehr rückt er in die Stellung eines Kontrollorgans über den Pfarrer ein, insbesondere, wenn dieser sich in der Besetzung säumig (negligens) erweisen sollte. Für diesen Fall — es ist bei Vakanz eine 2 Monate betragende Frist für die Besetzung vorgesehen — 1) Z. B. HStA. Mchn. St. Sebald Nr. 32, 66> 108, 129; St. Lorenz Nr. 13. 2) U. v. 6. II. 1347. Ebd. Sebald Nr. 56 (Kunigundenaltar) und U. v. 25. VI. 1348. Ebd. Nr. 62 (Johannesaltar); ähnlich der Pfarrer als Lehensherr. U. v. 4. XI. 1395. Ebd. St. Lorenz Nr. 56 (Apostel­ altar). In den beiden Sebalder Urkunden erteilt der Rektor den Stiftungen ausdrücklich auch „nomine parochialis ecclesie“ seine Zustimmung; bemerkenswert ist, daß von dem „ius patronatus“ des Pfarrers gesprochen wird. 5*

68 sollten die consules und scabini der Stadt eingreifen und volle Gewalt haben, einen Priester als prebendarius dem Rektor zu präsentieren, der jenen ohne Widerrede zu­ zulassen hätte. Also nicht der Bischof als der legitime sub­ sidiäre Exekutor tritt ein — in dieser Ausschaltung des nor­ malen kirchlichen Instanzenzuges auch ein Fall des Uebergehens des kirchlichen Aemterrechtes durch private Wil­ lensentschließung des Stifters —, sondern der Rat als eine Art Obertreuhänder drängt das kirchliche Organ in seinen Aüfsichtsfunktionen zurück. Weiterhin finden wir noch andere Formen, nach denen umgekehrt der kirchliche Amtsträger eine gewisse sub­ sidiäre Stellung gegenüber dem Rat einnimmt. So wird in einer Urkunde von 1363x) über die Bestätigung einer Pfründe im Gotteshaus zum heiligen Kreuz *2), einer zu St. Sebald gehörigen Kapelle, durch den Bischof von Bamberg die Errichtung derselben durch einen Nürnberger Bürger aus dem bekannten Geschlechte der Haller bezeugt und zwar „mit willen und gunst“ des Pfarrers von St. Sebald, Albrecht Krauter. Die Ordnung der Pfründe behält die ersten Besetzungen dem Stifter Berthold Haller als „Lehnherrn“ vor; nach seinem Tode sollten die „fünf weler“ des Rates und der Schöffen 3) einen Priester dem Pfarrer von St. Sebald „antwurten“, worunter die Präsentation zu ver­ stehen ist. Es ist damit an und für sich das Patronatsrecht des Rates bezw. einer Subkommission desselben festgelegt. Jedoch wird den kirchlichen Amtsträgern eine gewisse sub­ sidiäre Stellung eingeräumt und zwar sollte bei Säumigkeit des Rates der Pfarrer ohne weiteres die Pfründstelle be­ setzen dürfen, also ohne eine Präsentation seitens des Rates entgegennehmen zu müssen, während wiederum bei Säu­ migkeit des Pfarrers die Lehenschaft dem Bischof verfal­ len sollte. Ganz ähnlich ist die Form eines Stiftungsaktes für den Marienaltar von St. Sebald, über den uns eine Be*) U. v. 7. Jan. 1363. Staatsarch. Nbg. VI 99/2, Nr. 526. 2) Die dem Rektor von St. Sebald unterstellte Kapelle des Pil­ grimhauses vor dem Neuen Tor. s) Die „Wähler“ (electores) sind die alljährlich aus dem großen und kleinen Rat zur Vornahme der Ratswahl aufgestellten Wahl­ männer; vgl. Reicke a. a. O. S. 265.

69 stätigungsurkunde des Bischofs Lupoid von Bamberg aus dem Jahre 1359 erhalten ist1). Hiernach ist das Präsen­ tationsrecht vorerst den Stiftern Vorbehalten, um nach ihrem Ableben den „providi viri quinque electores com sulum et scabinorum“ der Stadt Nürnberg zuzufallen. Wiederum sind gewisse Rechte den geistlichen Amts­ trägern Vorbehalten: so ist für den Fall, daß der präsentierte Geistliche schon durch andere Dienstleistungen oder den Besitz einer anderen Pfründe belastet ist, dieser verpflich­ tet, binnen drei Tagen zu resignieren, der Pfarrer aber berechtigt, die Kollation selbst vorzunehmen und einen aus der Zahl seiner „socii commensales“ 2) auszuwählen. Er­ weist sich der Pfarrer hierin als säumig, so devolviert die Kollation auf den Bischof. Schließlich ist für den Fall der Säumigkeit der fünf Wähler das Besetzungsrecht dem Pfarrer zugeschrieben, wobei er jeden Widerspruch unbeachtet lassen könne 3). Von diesem Nebeneinander von Rat und kirchlichen Instanzen, wobei letzteren inhaltlich noch eine gewisse Einflußnahme zukam, führt ein weiterer Schritt zu dem ausschließlichen Patronat des Rates, meist mit der Mod^ fizierung, daß die erste Pfründenverleihung dem Stifter selbst bezw. seinem Testamentsvollstrecker zustehen solle. Aus ungefähr derselben Zeit, aus der uns Stiftungshand­ lungen, die noch an die Familie des Stifters oder an den kirchlichen Amtsträger als dem natürlichen und kraft seiner Berufspflicht zur Obsorge für das Seelenheil seiner Pfarrkinder berufenen Organ gebunden waren, erhalten wir von einem Stiftungsakt Kunde, der den Rat anstelle der Erben oder der geistlichen Person in der ausschließlichen Treu­ händerschaft über eine Meßpfründe erkennen läßt. 1340 4) D U. v. 29. Okt. 1359. HStA. Mchn. Sebald Nr. 91; schon vorher kurze Bestätigung (U. v. 25. Okt. 1359. Ebd. Nr*. 90) unter Auffüh­ rung der Güter. 2) Siehe oben S. 58, Anm. 1. 3) Die Präsentation hat innerhalb eines Monats nach Vakanz an den Pfarrer zu erfolgen. 4) U. v. 31. Okt. 1340. HStA. Mchn. Sebald Nr. 37. Bestätigung dieser Stiftung durch den Bischof von Bamberg (U.v. 12. März 1360. Ebd. Nr. 94); sie enthält nichts über das Kollationsrecht, nur eine Aufzählung der zur Pfründe gehörigen Güter.

70 stiftet der Bürger Otto Gramer von Koburg zur Ausrichtun g ein er. e wigen. Me s sc. für den Peters altar in der Seb a 1duskirche Geld; und Getreide. Der Testamentsyollstrecker und nach ihm die .Bidgejc vorü Rat zu ; Nürnberg , hätten volle Gewalt, die Pfründe nach freiem Ermessen zu errich­ ten und sie. mit einem ehrbaren Priester zu Versehen, In ähnlicher Weise sind die Stiftuhgsakte, durch die die Kol­ lation dem Rat als Ganzem übertragen wird, gefaßt. Es ist eine ganze Reihe derartiger in die Treuhandschaft des Rates gelegter Priesterpfründen im 14. Jahrhundert zu ver­ zeichnen x). Der Pfarrer selbst ist in seiner Mitwirkung lediglich auf eine formelle Zustimmung beschränkt. Häufig wird diese in die Beurkundung des Stiftungsgeschäftes mit aufgenommen, so daß weltliche und geistliche Instanzen gleich bei der urkundlichen Festlegung, die meist vor dem Stadtgericht vollzogen wird, Zusammenwirken2). Auch die bischöfliche Bestätigung erscheint als rein formeller

Akt3). Die Anlehnung der Pfründstiftung an den Rat äußert sich auch darin, daß die Ausübung des Besetzungsrechtes nicht immer an die Gesamtheit des Rates geknüpft ist, son­ dern vielfach bestimmten städtischen Amtsträgern, kleine­ ren Gruppen aus der Ratsgesamtheit oder ihrer Stellung nach hervorragenden Männern dieser Korporation; über­ tragen ist. Sind es einmal die fünf'Wähler des Rates und der Schöffen, wie wir sie oben mit den kirchlichen Amts­ trägern haben wirksam gesehen 4),5 so finden wir ein ander­ mal auch eitlen einzelnen, vornehmlich den älteren Bürger­ meister, auch j,Fragerf< 5) - genannt, der nach dem Willen des ;Stifters die: Funktionen der ; Treuhandschaft auszuüben *) Z. B. für- St. Lorenz: Ü. v. 5. Aug. 1351. HStA. Mchn. Lorenz Nr. 4, 26. Jan. 1352. Ebd. Nr.5, 9. Juni 1355. Ebd. Nr.8, 29. Aug. 1360. Ebd. Nr. *5, 18. Jan. 1392. Ebd. Nr. 42, 5. Aug. 1341 Stadt. Arch. Nbg. 83 in A. v!' •: ■' ' t 2) Vgl. U. v. 17. Dez. 1364. Ebd. Sebald Nr. 108, n. t)ezl‘ 1371. Ebd. Nr. 129. ' f 8) Z. B. U. v. 29. Äug. rv36o. Ebd. Lorenz Nr. 15, 12. März 1360. Ebd. Sebald Nr. 94. 4) Siehe oben S. 69. ‘ 5> „Frager"" ist der ältere regierende; Büfgertneister, Vörsitzender des1 Rates,' der bei den Sitzungen die Frage zti stellen hatte; vgl. Reicke a. a. O. S. 26L ;

7i hat. In diesem Sinne ist z. B. die Ausübung des Patronats­ rechtes an einer Pfründe, die durch testamentarische Stif­ tung errichtet wurde, nach Vorbehalt der erstmaligen Be­ setzung für den Testamentsvollstrecker, an den ,,Frager“ gebunden'1). Diese Festlegung findet die ausdrückliche Bestätigung durch den Rektor der Sebalder Pfarrkirche2); bemerkenswert ist die Anordnung, daß, falls der Pfarrer auf die Präsentation eines Priesters durch den Frager dessen Institution verweigere, die „consules civium“ (der Rat) die Befugnis haben sollten, die Pfründe aufzuheben und einer anderen Kirche in der Stadt oder in der Vorstadt züzuschreiben. Diese Bestimmung zeigt die Treuhähderschaft des Rates in den weitesten Auswirkungen, indem selbst die örtliche Gebundenheit der Pfründe an eine Kirche zugunsten des freien Ermessens des Rates als Patron eine Einschränkung erleidet. Zuweilen sind Pfründstiffungen an gewisse Voraus­ setzungen gebunden, die ziemlich komplizierter Art sind. Hierbei erscheint auch die Person des Kirchenpflegers, die im allgemeinen bei der Stiftung von ganzen Priesterpfrün­ den kaum hervortritt, in einiger Wirksamkeit. So ver­ machte ein Nürnberger Bürger ein Häuflein Und eine Gülte aus einem Hofe seinem Vetter, einem Geistlichen Hartmann von Schwäbach, der ihm aus den Einkünften eine Seelen­ messe auszurichten hätte 3). Für den Fall, daß diesem Priester von ariderer Seite eine Pfründe zuteil werden würde, 0 Stiftung einer Pfründe durch Konrad ftfeyrntaler (so!) für den Zwölfbotenaltar in der Sebalduskirche* U. v. 29. Fehtuaß HStA. Mchn. Nürnberger reichsstädt. Nachträge f. 2) Ü. v. 21. Dez. 13^2. Ebd. Sebald Nr. 66. Eine erneute Dotation dieser Stiftung mit hoch anderen Gütern &eitemkrtieairiyv!bÄ'ßi‘*&V Stifers Meyrntaler bezeugt U. v, 15. Juli I359v AWlö drücklich wird hierin auf das Kollationsrecnt aes^Tragers ningewieseri. Schließlich erwirkte der Rat für ölese Bhüüdkjttoiteiifd ausdrückliche Bestätigung des kirchlichen lOberan. des BisQh®fs. Ludwig vbn Bamberg (tJ. v. 4- Jt.li >370. die pfarrherrliche Bestätigung ja: schon Itßäidflol^bwkiQrBrns&iiie) oben. I)ierbei erscheint nicht mehr der Frager. Rat selbst als Kollatör, und zwar wird ihm r^dntzeitige |unQ ordnungs­ gemäße Präsentation anempfohleh; widrigksiiall33fli©'tKoila^ai]rtiiiife den Bischof devolviere. . —----®) Also ein kleines Seelgerät ohne %i5rfHyfttOT^^nerdPTiestci;% pfründe; siehe oben S. 6ö f. Vgl. tJY v. Sebald Nr. 86. lßrmßl

72

sollte Gülte und Häuslein derselben zugeteilt werden und so zur Vermehrung des Pfründengutes beitragen. Im übrigen habe die Ausrichtung des Jahrtages bei St. Sebald in alter Weise stattzufinden. Aber auch für den Tod des bedachten Hartmann sind Verfügungen getroffen, nämlich in dem Sinne, daß dann im Zusammenwirken von Pfarrer und Pfleger aus dem vermachten Gut eine Pfründe neu geschaffen werde. Außerdem hatte derselbe Stifter testa­ mentarisch verfügt, daß sein eigenes Wohnhaus den Pfründ­ nern bei St. Sebald eingeräumt werden sollte. Für den Fall, daß der Rat damit einverstanden sei, sollte das ursprünglich für des Stifters geistlichen Vetter bestimmte Häuslein als Wohnung für die Pfründgeistlichkeit dem größeren Wohnhaus hinzugeschlagen werden. Die Bestimmung, daß der Rat hierzu seine Erlaubnis geben müsse, erscheint uns sehr wichtig. Da der Grund­ stücksverkehr in der Stadt allgemein von der Einwilligung des Stadtrats abhängig ist, wird auch für dieses Vermächt­ nis die Bedingung der erfolgten stadtherrlichen Geneh­ migung aufgeführt. Denn es lag nicht im Interesse der weltlichen Behörde, Häuser und Grundstücke ohne ihre Zustimmung in den Besitz der toten Hand übergehen zu lassen 1). Leider wissen wir nicht, wie die Patronatsverhältnisse bei der in Aussicht gestellten Pfründe geregelt werden soll­ ten. Bemerkenswert ist die persönliche Bewidmung eines Geistlichen, der an und für sich nicht Pfründeninhaber ist und auch nicht durch den Stiftungsakt als solchen dazu bestellt werden soll. Von vornherein liegt lediglich ein Vermächtnis mit einer persönlichen Auflage, der Haltung eines Jahrtages, vor, nicht die Errichtung einer ganzen Priesterpfründe. Doch ist eine Umwandlung in eine solche vorgesehen bezw. eine allgemeine Bewidmung der Gesamtheit der Pfründpriester an der Sebalduskirche. Nachdem wir die verschiedenen Arten von Pfründstiftungen erörtert haben, gilt es, die Grundzüge dieses *) Vgl. Verkauf eines Hauses an einen Geistlichen durch einen Nürnberger Bürger „mit Wort und Gunsten der Bürger vom Rat“; U. v. 8. Januar 1345. Städt. Arch. Nbg. D 3 a, Nr. 17

73 Rechtsbrauches, wie sie sich in Nürnberg als charak­ teristisch ausgeprägt haben, herauszustellen. Es ist hier­ bei von vornherein zu betonen, daß uns im 14. Jahrhundert die Machtstellung der Stadtgemeinde in kirchlichen Dingen noch nicht in ihrer vollen Entfaltung entgegentritt, daß vielmehr fast alle Akte noch von den, wenn auch häufig nur formellen Einwirkungen der kirchlichen Instanzen durchdrungen sind. Auch zeigt sich in den Formen der Durchführung des Stiftungszweckes noch ein Nebeneinan­ der der Treuhänderschaften verschiedenster Art. Gehen wir von den einzelnen Stiftungsakten als solchen aus, so finden wir den Vollzug der Beurkundung je nach den einzelnen Arten der Lehenschaft an der Pfründe ver­ schieden. Ist der Rektor als Treuhänder ausersehen, so ist die Beglaubigung des Stiftungsgeschäftes meist einem Notar übertragen und erfolgt unter ausdrücklicher Be­ stätigung des Rektors durch Beifügung des Pfarrsiegels 1). Wird der Rat, sei es primär oder subsidiär zum Treuhän­ der bestimmt, so ist das Stadtgericht, zusammengesetzt aus Schultheiß und Schöffen, das beurkundende Organ2). An späterer Stelle werden wir auf die Wirksamkeit des Ge­ richtes im kirchlichen Vermögensverkehr noch näher ein­ zugehen haben 3), hier sei nur erwähnt, daß uns das über­ lieferte urkundliche Material über die Frage, wann der Rat sich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch in geistlichen Dingen bemächtigt hatte, keine Auskunft gibt. Für die Seelgerätsstiftungen freilich, die meist durch letztwillige Verfügungen erfolgten, war dem Stadtgericht schon durch das weltliche Recht der Weg zu einem Eingreifen eröffnet. Dieses verlangte, daß letztwillige Verfügungen, wenn sie eine gewisse Wertgrenze überstiegen, zu ihrer Gültigkeit der Fertigung vor dem Stadtgericht, dem Rat oder einer Ratsdeputation bedurften oder doch wenigstens Befreiung von dieser Form durch den Rat erlangt haben mußten 4). *) U. v.26.Febr. 1347. HStA.Mchn. Sebald Nr. 56, 25. Juni 1348. Ebd. Nr. 62. 2) Z. B. U. v. 1340. HStA. Mchn. Sebald Nr. 37, 1347. Ebd. Nr. 56, T348. Ebd. Nr. 62 ,1351. Ebd. Lorenz Nr. 4. 3) Siehe unten IV. 4) Schultze a. a. O. S. 120 im Text und Anm. 1 und 2.

74 Die kanonische Testamentsform vor dem Pfarrer und zwei Zeugen war der Rat natürlich bestrebt zurückzudrängen, und in dieser Art mag sich auch die Entwicklung in Nürn­ berg vollzogen haben. Eine Einflußnahme durch die welt­ liche Behörde im Sinne einer Betrauung des Rats mit dem Besetzungs- und Verwaltungsrecht an einer Pfründe auf den einzelnen Bürger war somit ermöglicht und wir können annehmen — positive Unterlagen fehlen leider — daß auch der Nürnberger Rat von dieser Möglichkeit Gebrauch ge­ macht hatte. Jedenfalls lag es in seinem Interesse, durch die Verwaltung die Pfründmassen in seine Hand zu bekom­ men sowie durch, die Besetzung den jeweiligen Pfründen­ inhaber selbst zu bestimmen. Wie weit auch durch die privatrechtsgeschäftliche Ge­ staltung des einzelnen Stiftungsaktes sich der Stifter über das kirchliche Aemterrecht hinwegsetzen konnte, Vollstän­ dig die kirchlichen Amtsträger bei der Besetzung der Pfründstellen auszuschalten, ging doch nicht an. So war wenigstens eine gewisse Beteiligung der kirchlichen Instan­ zen sichergestellt. Abgesehen von dem Pall der Uebertragung der Lehenschaft auf den Pfarrer selbst, tritt die Mitwirkung desselben vornehmlich in der Institution des Pfründners und in der Disziplinargewalt über diesen hervor. ■ ’: 11 • 1 Was die • Besetzung der Priesterpfründen änlan’gt, so hat sie sich nach den allgemeirien kirehenrechtlichen Nor­ men des Patronats vollzogen. Voraus ging die Präsentation einer idonea persona t) durch den Stifter oder den durch ihn damit Betrauten, den Treuhänder oder sogen. Patron der Stiftung. In den meistert Nürnberger Urkunden findet man auch die Bezeichnung ins patroriatus oder Lehen­ schaft für die Befugnisse des Treuhänders. Obwohl die Bezeichnungi nicht als glücklich gewählt erscheint 2), hat sie sich so eingebürgert, daß ’ wir keinen Anstand nehmen, sie zu gebrauchen.: Was die Besetzung der Pfründstellen in Nürnberg betrifft, so .ist hier der Gebrauch des Aus1)Z.B.Urkd. HStA. Mchn. Sebald Nr‘. 56, 66, 108; Lörehz Nr.15. 2) Vgl. Schultze a. a. O. S. 124 und Hinschius a. a. O. Bd. II, S. 394 h

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75 druckes Patronat bei den Altarpfründen, wenigstens für das 14. Jahrhundert in dem Sinne, gerechtfertigt, als sich diese in der dem kirchenrechtlichen Patronat eigentüm­ lichen Form der Präsentation an den Pfarrer bezw. den Diözesanherrn vollzog und, soweit wir sehen können, ein ganz freies Besetzungsrecht des Rates ,,ohne Dazwischenkunft der geistlichen Autorität“ nicht festzustellen ist. Soferne für die Verleihung der Pfründstellen weltliche Personen, insbesondere der Rat, in Betracht kamen, blieb der Rektor auf die kirchliche Einsetzung (institutio) und die rein kirchliche Einführung in die possessio corporalis der Pfründe beschränkt d). Das stärkere Recht war das der Präsentation und berechtigt zu der Annahme, daß der Pfarrer verpflichtet war, den ihm ordnungsgemäß Vor­ geschlagenen zu instituieren. In manchen Fällen scheint auch die, Präsentation an den Bischof üblich gewesen zu sein, der dann seinerseits zur Einführung des Bedachten in die possessio corporalis an Ort und Stelle den zuständigen Pfarrer an wies 2). . Ueber die Verwaltung der Priesterpfründe, soweit sie sich auf das Pfründengut, nicht etwa auf die Dienstleistun­ gen des Pfründners bezieht, sind wir bei Nürnberg wieder nur dürftig unterrichtet. Es waren nicht geringe Ver­ mögensmassen, die durch den Rechtsbrauch der Seelgeräte in Bewegung gebracht wurden. Besonders in der Stiftung der ganzen Priesterpfründen kam der Reichtum und. die Wohlhabenheit; des .einzelnen Bürgers: und damit Blüte und Wohlstand einer Stadt zum Ausdruck. Freilich erfolgten die Stiftungen zugunsten einer Anstalt, die, . wenn , auch nicht in offenem Gegensatz, so doch in einem; Reibungen ausgesetzten .Verhältnis der Riyalität’, zu der: genossen­ schaftlichen Organisation der Stadtgemeinde stand. Und; A) Ersteres die institutio; collativa,, da an das; Vorschlagsreciht eines Dritten gebunden, letzteres die institutio corporalis^. Vgl. Friedberg a. a. O. §113, Seite 354 f! • 1 V ,.i , 2) U.; V.; 23, Qkt.' 1365. HStA. Mchn. Sebald Nr. ns. Bischof Friedrich von Bamberg gibt dem Rektor von St. Sebald tAnweisuug, einen Priester, der ihm, dem Bischöf, legitime präsentiert und hierauf V04 .ihm auetoritate ord^naria iinstituiert und investiert wor­ den sei, in den körperlichen Besitz seiner Pfründe (Vikarei) ein­ zuführen. ; ' , v ! i

;6 gerade auf dem Gebiete des Vermögensverkehrs, in den wirtschaftlichen Interessenfragen, machten sich die Gegen­ sätzlichkeiten besonders fühlbar. Mag den Bürger als ein­ zelnen die Sorge um sein Seelenheil zu den gesteigerten Vermögenszuwendungen an die Kirche bestimmt haben, so konnte es der Bürgerschaft als Gesamtheit, wie sie in dem Stadtrat ihr Organ hatte, nicht ganz gleichgültig sein, diese Güterkomplexe und Kapitalien der Kirche in einer ihre wirtschaftliche und politische Stellung in hohem Grade ver­ stärkenden Weise zufließen zu sehen. Der Stadtrat als das Organ der Bürgerschaft mußte bestrebt sein, sich diese Ver­ mögensmassen, deren Zuwendung an die Kirche eine be­ trächtliche Steigerung ihres Einflusses bedeutete, nicht gänzlich aus der Hand entwinden zu lassen. Zwei Faktoren kamen ihm in dieser Richtung vornehmlich zu Hilfe. Den einen hatte sich der Stadtrat selbst geschaffen durch die Uebertragung der freiwilligen Gerichtsbarkeit über die Seelgeräte und Testamente von den geistlichen Gerichten weg auf das Stadtgericht, der andere bot sich ihm dar in dem Vertrauen, das der einzelne Bürger dem Rat als dem genossenschaftlichen Haupt der Bürgerschaft entgegen­ brachte und ihn bestimmte, diesem unter Uebergehung der kirchlichen Gewalten die Treuhänderschaft über Stiftungs­ gut und Stiftungszweck zu übertragen. Beide Faktoren wirken Hand in Hand, den Einfluß der Stadtgemeinde auf das Pfründengut zu verstärken 1). An und für sich ist das Pfründengut als zweckgebun­ denes Sondervermögen seiner Natur nach unveränderlich. Veräußerungen von Teilen desselben können nur im Wege des Tausches statthaben. Die Pfründenverwaltung be­ schränkt sich im allgemeinen auf die Erhebung der Ein­ künfte und ihre Abführung an den Pfründner sowie allen­ falls auf die Admassiefung derselben und ihre Verwendung zur Vermehrung des Pfründengutes. Mehr noch aber tritt sie hervor in der ursprünglichen Konsolidierung der Stiftung, d. h. in der Anschaffung des Pfründengutes mit­ tels der gestifteten Gelder, falls die Ausstattung der *) Vgl. Schultze a. a. O. S. 113, 120.



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Pfriindstiftung nicht von vornherein in Grundstücken und anderen Gütern erfolgt war. In den Nürnberger Urkunden des 14. Jahrhunderts kommt das Administrationsrecht des Rates hinsichtlich des Pfründvermögens nur ganz selten zum Ausdruck; meist wird darin nur das Besetzungsrecht desselben berührt. Von einer ,,dispositio altaris seu vicarie“, die dem Rat zukomme, im Gegensatz zum Kollationsrecht desselben wird einmal in einer Urkunde von 1372 gesprochen, in der Kardinal Pileus drei im Patronat des Rates stehende Pfründen be­ stätigt *). In einer anderen Nachricht, die von dem Kauf eines Gutes für die Pfründe des Andreasaltars in der Lorenzkirche durch den Pfleger dieser Kirche berichtet, wird darauf hingewiesen, daß die Bürger vom Rat der Stadt und der von ihnen eingesetzte Pfleger zu St. Lorenz das Gut zu besetzen und zu entsetzen, die Gülte anzuneh­ men und dem Priester der Pfründe zu reichen hätten *2). Der Pfleger der Kirche, zu der die betreffende Altarpfründe ge­ hörte, erscheint überhaupt vorwiegend als das Organ des Rates in der Durchführung der Verwaltung. Er kauft z. B. als Vertreter des Rates Grundstücke für eine in Treuhand des Rates stehende Pfründe 3). Häufig wird aber auch der Pfründner selbst tätig. So­ weit der Rat über seine Pfründe den Patronat hat, ist er in der Verfügung über das Pfründengut von der Zustimmung des Rates abhängig. So läßt er sich „mit Willen und Wort des Rates“ den Tausch einer der Pfründe zufließenden Gülte gegen die Eigenschaft eines Gütleins vor dem Stadt­ gericht bestätigen4). Andererseits verfügt der Pfründinhaber auch manchmal allein, ohne ausdrückliche Zustim­ mung des Rates auch bei Altarpfründen, bei denen der Rat Patron ist, so daß man ihn als von diesem allgemein ermächtigt ansehen möchte 5).6 Alle diese Akte finden ihre *) U. v. 28. Sept. 1372. HStA. Mchn. Sebald Nr. 147. 2) U. v. 5. Aug. 1351. Ebd. Lorenz Nr. 4. s) U. v. 26. Jan. 1352. Ebd. Lorenz Nr. 5, 9. Juni 1355. Ebd. Nr. 8, worin es heißt, der Pfleger kaufe „für die Bürger“, „in der Bürger Hand“. 4) U. v. 29. März 1385. Ebd. Sebald Nr. 161; ähnlich 27. Febr. 1378. Ebd. Sebald Nr. 142. 6) Vgl. z. B. Urk. im HStA. Mchn. Sebald Nr. 39, 40, 43, 139; Lorenz Nr. 19, 20, 21, 23, 24, 26.

Beglaubigung vor dem Stadtgericht, also vor dem welt­ lichen Gericht, vor dem sich überhaupt der gesamte Be­ glaubigungsverkehr der Stadt abspielte *2). Insoferne die Lehenschaft einer Pfründe nicht in den Händen des Rates, sondern einer anderen Person stand, sehen wir diese, insbesondere die Testamentsvollstrecker, in Rechtsgeschäften, die das Pfründengut betreffen, tätig2) oder der Stifter hat selbst einen Geistlichen zum ersten In­ haber der Pfründstelle ernannt und ihm den Ankauf der Pfründgüter aus den Stiftungsgeldern übertragen3). Wie gestaltete ,sich nun die innere Ordnung der Priesterpfründen hinsichtlich der Dienstleistungen des Pfründners und seiner Beaufsichtigung? Als das gegebene Organ der Disziplinargewalt über den Pfründner erscheint der Pfarrer. Er hat denselben zu überwachen und zur pünktlichen Erfüllung der ihm durch die Stiftung auferlegten Verpflichtungen gottesdienstlicher Art anzuhalten. Er hat ihn insbesondere in der Einhaltung seiner Residenzpflicht zu beaufsichtigen, von der er ihn aber durch Urlaubserteilung befreien kann. Alle diese Rechte entspringen seiner Stellung als des höchsten Geist­ lichen an der Kirche, deren Altäre durch die Seelgeräts­ stiftungen bewidmet wurden. Eine Reihe der Verpflichtungen des Pfründners ist durch den Stiftungszweck, also durch die privatrechtliche Willenserklärung des Stifters, von vornherein gegeben. Es sind dies vornehmlich die an bestimmten Tagen, besonders den Jahrtagen, zu haltenden Messen oder Gebete. Neben diese speziell aus dem Charakter der einzelnen Stiftung entspringenden Auflagen treten die allgemeinen Obliegen­ heiten und Verpflichtungen, vornehmlich gegenüber den zuständigen kirchlichen Oberen, dem Pfarrer bezw. Bischof oder dem ernannten Treuhänder, besonders dem Rat. 4) Vgl. Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, 5. Aufl. Lpz. 1907, S. 718. 2) Z. B. HStA. Mchn. Sebald Nr. 133, 163; Lorenz Nr. 29, 30. 3) Z. B. Katharinenaltar in der Lorenzkirche: Stiftungsgeschäft U. v. 18. Jan. 1392. Ebd. Lorenz Nr. 42; Ankauf der Pfründgüter. Ebd. Nr. 43, 44, 45, 47, 53-

79 Für die allgemeine Verpflichtung eines neu ernannten Altaristen haben wir ein Beispiel in einer Urkunde aus dem Jahre. 1389x), worin die Uebertragung einer vakanten Pfründe am Jakobsaltar in der Sebalduskirche durch den zuständigen Patron, den Nürnberger Bürger Bernold Cramer 12), an den Priester Johann Tropf beurkundet wird. Letzterer verpflichtet sich;unter der Strafe der libera resignatio der Pfründe in die Hand des Kollators bezw. seiner Nachfolger 1) , nicht mit einem anderen beneficium ohne Zustim­ mung seines Kollators zu permutieren, 2) keine Streitigkeiten mit dem Pleban und den anderen Pfründnern in St. Sebald anzuzetteln, sondern auf ein friedliches Zusammenleben mit denselben bedacht zu sein, 3) an den einzelnen Festtagen den Altar zu schmücken und alles schön auszurichten. Die Verpflichtung zu lediglich diesen drei Punkten nimmt sich eigentlich etwas dürftig aus; man vermißt Be­ stimmungen über Urlaub, Abführung von Opfergaben (m Oblationen), Gehorsamspflicht u. a. und möchte ver­ muten, daß diese Bestimmungen vielleicht schon vorher generell für alle etwaigen Inhaber der Pfründe getroffen sind. Nun liegen noch eine Reihe von Zeugnissen vor, aus denen Ordnungsbestimmungen hervorgehen. Auch schon in der Beurkundung des ursprünglichen Stiftungsaktes werden Anordnungen solcher Art getroffen. So wird in einer Stiftungsurkunde von 13473) dem Altaristen zur Pflicht gemacht, kein anderes kirchliches Benefizium, simplex vel curatum 4), anzunehmen noch sich in irgend einen anderen Dienst zu begeben, persönlich an dem Orte der Pfründe zu residieren und nicht durch einen anderen seine 1) U. v. 18. Okt. 1389. HStA. Mchn. Sebald Nr. 171; vgl. auch U. v. 29. Aug. 1360. Ebd. Lorenz Nr. 15. 2) Die sogen. „Cramerpfründe“; vgl. Stiftungsurkunde v. 12. Juli 1343. Ebd. Sebald Nr. 48. 3) U. v. 6. Febr. 1347. HStA. Mchn. Sebald Nr. 56 (Pfründstiftung der Hensel Dietlerin für den Kunigundenaltar). 4) curatum = mit Seelsorge verbunden; simplex, wo nur Chorund Altardienst zu leisten ist; Friedberg a. a. O. S. 179.

8o Obliegenheiten vollziehen zu lassen, außer wenn eine „racionabilis necessitas“ dazu vorliege. Sollte der Instru­ ierte vorher ein anderes Benefizium innegehabt oder in irgend einem anderen Dienst gestanden haben, so habe er diese Stellen innerhalb drei Tagen nach der Annahme der besagten Pfründe effectualiter zu resignieren. Bei Zuwider­ handlungen solle die Pfründe ipso iure vakant sein und durch den Rektor einem seiner Parochialgenossen konferiert werden dürfen; im Säumnisfall des Rektors1) habe der Rat gewissermaßen als Obertreuhänder die erforderlichen Maß­ nahmen zu treffen, d. h. selbst aus den Parochialgenossen einen geeigneten Priester dem Rektor zu präsentieren, den dann dieser ohne Widerspruch zuzulassen habe. Die Ur­ kunde enthält ferner neben der allgemeinen Zustimmung des Rektors zu der Stiftung noch den Zusatz seitens des­ selben, daß der Pfründner sich in keiner Weise „iniuriosus“ gegen ihn erweisen dürfe und seiner kanonischen Zucht­ gewalt (correctio canonica) unterworfen sei ; bei Unbot­ mäßigkeit des Altaristen sei der Pfarrer befugt, ihn seiner Pfründe zu entheben. In diesem Vorgang, der in einer mit dem pfarrherrlichen Siegel von St. Sebald beschlossenen Urkunde nieder­ gelegt ist, ist von einer Mitwirkung des Rates bei Auf­ stellung der Ordnungen nicht die Rede; es wird ihm ledig­ lich eine Art Oberaufsicht eingeräumt, die bei Versäum­ nissen des Pfarrers, des von der Stifterin gewählten Patrons der Pfründe, in Wirksamkeit zu treten habe. Die Wahrung der kanonischen Disziplin scheint in Nürnberg — im Ge­ gensatz zu Erscheinungen in anderen Städten2) — auch bei Priesterpfründen, die in des Rates Treuhandschaft stan­ den, noch lange Zeit den kirchlichen Amtsträgern allein Vorbehalten gewesen zu sein. So trifft in einer Be­ stätigungsurkunde der großen Meyentaler-Pfründe für den Zwölfbotenaltar in der Sebalduskirche 3), deren Besetzungs*) Es wird ihm eine Frist von zwei Monaten zur Abstellung der Mißstände gewährt. 2) Vgl. bes. Heepe a. a. O. S. 48, 52, 56, für Braunschweig; Schultze a. a. O. S. 125, Anm. 3 und 4. *) U. v. 31. Dez. 1352. HStA. Mchn. Sebald Nr. 66.



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recht dem Frager oder älteren Bürgermeister verliehen worden war, der Rektor der Pfarrkirche ähnliche Anord­ nungen, insbesondere bezüglich der Enthebung des Prie­ sters bei Verfehlungen, über die Gehorsamspflicht desselben u. a. Und eine Urkunde, durch die der Diözesanherr, Bischof Lupoid von Bamberg, die von dem Ehepaar Bretheim für den Marienaltar in der Sebalduskirche 1359 ge­ stiftete Pfründe, über die das Patronatsrecht den fünf Wäh­ lern des Rats zustand, bestätigte x), enthält für das äußere Leben des Altaristen eine Reihe von Anordnungen, die eines Einflusses der städtischen Instanzen nocji ent­ behren *2). Vor allem wird die Häufung von Benefizien in einer Hand — nach alten kanonischen jSrundsätzen — ver­ boten, ebenso die Ausübung der gottesdienstlichen Ver­ richtungen durch einen Stellvertreter (außer bei triftigem Grunde); dagegen wird die persönliche Residenzpflicht des Altaristen eingeschärft. Der Besitz eines Benefiziums bei Antritt der besagten Pfründe nötige zur Aufgabe der früheren Pfründe, andernfalls die neu erworbene frei werde und nach Wahl des Plebans 3) einem seiner Gesellen (socii commensales) 4) zuteil werden könne. Für das spezielle Verhältnis zwischen Altarist und Pfarrer wird in dieser bischöflichen Bestätigung die kanonische Zuchtgewalt des Pfarrers bei Nachlässigkeit, Uebertretungen und Ungebührlichkeiten des Pfründners normiert. Ferner wird eine Be­ stimmung getroffen, die im Sinne einer Angliederung des Pfründpriesters ah den Parochialorganismus lag, indem ver­ fügt wird, daß der Pfründner an dem täglichen Frühgot­ tesdienst des Pfarrers (matutinalia officia) sowie an den Prozessionen an Festtagen teilnehme, ,,prout in sepefata parrochiali ecclesia per alios prebendarios ibidem laudabi*) U. v. 29. Okt. 1359. Ebd. Nr. 91. 2) Natürlich sind die aus dem Besetzungsrecht der Ratswähler hervorgehenden Kompetenzen und die demselben entspringenden Verpflichtungen des Pfründners festgelegt. 3) Man beachte, daß hier nicht die fünf Wähler als die eigent­ lichen Inhaber des Patronats eintreten. Selbst wenn der Pleban in diesem speziellen Falle säumig werden sollte, Hat subsidiär nicht die städtische Instanz einzugreifen, sondern das Kollatiönsrecht devolviert dann auf den Bischof. *) Siehe oben S. 58, Anm. j. 6

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liter hactenus est servatum“* Es scheint also diese Teil­ nahme der Pfründpriester an den gottesdienstlichen Ver­ richtungen des Pfarrers, die natürlich im Interesse der Kirche lag, in der Sebalder Parochie schon üblich gewesen zu sein. Das Moment der Eingliederung der Pfründpriesterschaft in den parochialen Organismus ist insbesondere in der Heranziehung der Altaristen zu den pfarrgottesdienstlichen Handlungen neben den ihnen durch den Stiftungs­ zweck auferlegten Verpflichtungen ein wichtiger Ausdruck der allgemeinen Stellung der Kirche zu dem sich immer weiter verbreitenden Rechtsbrauch der Priesterpfründen. Es liegt auch in der Richtung ihrer Gegnerschaft gegen laikale Einwirkungen auf das kirchliche Leben. Nachdem die Kirche einmal die Institution der Seelgeräte, speziell der Meßpfründen, im Interesse der Förderung des kirch­ lichen Lebens und einer erhöhten Betätigung der Laien in kirchlichem Sinne, von der sie auch Vorteile wirtschaft­ licher Art durch die reiche Ausstattung der einzelnen Pfründen und die damit gewährleistete auskömmliche Be­ soldung eines großen Teils des „geistlichen Proletariats“ erwartete, zugelassen und sich insbesondere der Betrauung weltlicher Instanzen mit dem Besetzungs- und VerwaK tungsrecht an den Pfründen nicht widersetzt hatte, mußte sie natürlich bestrebt sein, die Pfründgeistlichkeit nicht vollständig ihren Händen entgleiten zu lassen. War diese schon durch die Besetzung von Pfründstellen seitens welt­ licher Personen von starken laikalen Einflüssen umgeben, so lag in der speziellen Bindung der Pfründpriesterschaft an die engen von Laien bestimmten Zwecke der Pfründstiftung die Gefahr, daß diese geistlichen Kräfte für die all­ gemeinen Bedürfnisse der ordentlichen Seelsorge brach­ liegen würden. Dem suchte man durch die erwähnte Ver­ wendung der Altaristen bei den pfarrdienstlichen Obliegen­ heiten zur Entlastung der ordentlichen Geistlichkeit zu begegnen, um damit überhaupt den Pfründner stärker den kirchlichen Instanzen, d. h. an den Pfarrkirchen dem Rek­ tor, anzuschließen.

83 Andererseits mußte sich die Kirche gegen die von den Pfründstiftungen der ordentlichen Geistlichkeit (im Gegensatz zur Pfründgeistlichkeit) drohenden wirtschaft­ lichen Einbußen wenden. Es hätte für die Kirche nahe­ gelegen, die Pfründstiftungen zu besteuern. Aber zu dieser Belastung der Pfründstiftung, die nur unter Mißachtung des in dem privatrechtlichen Akt des Stiftungsgeschäftes niedergelegten Willens des Stifters erfolgen konnte, wollte sich die Kirche im Interesse des nun einmal von ihr geför­ derten Rechtsbrauches der Seelgeräte, der ihr immerhin die Last der Ausstattung eines beträchtlichen Teiles der nie­ deren Geistlichkeit mit Benefizien abnahm, nicht ent­ schließen. Eine wirtschaftliche Schädigung war insbeson­ dere für den Pfarrer durch die Schmälerung seiner Ein­ künfte aus den Reichnissen der Pfarrkinder zu befürchten. Dem suchte die Kirche durch Bestimmungen zu begegnen, wonach die Pfründpriester die bei ihren gottesdienstlichen Handlungen anfallenden Oblationen an den Pfarrer abzu­ liefern hätten1). In diesen Anordnungen fand man somit einen Ersatz für die drohende wirtschaftliche Schädigung, aber es war freilich nur ein Ersatz, da kaum anzunehmen ist, daß die freiwilligen Gaben der Pfarrkinder nach der aus der Errichtung der Seelgeräte sich ergebenden Vermeh­ rung der Kulthandlungen reichlicher geflossen sind. Das Volk wird eben die ursprünglich dem Pfarrer allein zufal­ lenden Gaben nunmehr auf diesen und die Vielheit der amtierenden Pfründner, ohne eine oder mit einer wohl kaum beträchtlichen Steigerung, verteilt haben. Auch in Nürnberg laufen die Bestrebungen der Kirche in dieser Bahn. Das können wir aus einem umfangreichen und weitläufigen Notariatsinstrument aus dem Jahre 1379 2) über Abmachungen zwischen dem Pleban der St.Stfbalduskirche und zehn Altaristen3) dortselbst entnehmen, die *) Vgl. Schultze a. a. O. S. 127. .. 2) U. v. 30. Juni 1379. HStA. Mchn. Sebald Nr. 150. 3) Es ist nicht zu entscheiden, ob diese Zahl alle damals an St. Sebald amtierenden Pfründgeistlichen umfaßt. Anzunehmen ist es aber nicht, da eine Reihe von vor 1379 gestifteten Priesterpfründen in dem Vertrag nicht erwähnt sind. Man könnte höchstens anneh­ men, daß verschiedene Pfründen eingegangen oder zum mindesten nicht besetzt waren, was aber nicht wahrscheinlich ist. 6*

»4 gerade die Regelung der Oblationen zum Gegenstand haben. Es scheint ein Kompromiß zustande gekommen zu sein und zwar hat, wie ausdrücklich erwähnt wird, unter Vermittlung des damals in Nürnberg anwesenden päpst­ lichen Kardinallegaten Pileus dessen ,,auditor et cancellarius“ Baldus de Lanello die Vereinbarung hergestellt. Weltliche Instanzen traten nicht in Wirksamkeit, da es sich um eine rein innerkirchliche Angelegenheit, nämlich um Differenzen zwischen dem Rektor und den Altaristen der Sebalduskirche über einige Obödienzen und Dienste, die dem Rektor zu erstatten seien, handelte. Zuvörderst enthält der Vertrag Bestimmungen über die gottesdienstlichen Obliegenheiten der Meßpfründner, indem er die Zahl der von dem einzelnen zu lesenden Messen festlegt. Es kommt, wie ein Vergleich mit den ursprünglichen Stiftungsurkunden 1) ergibt, wohl nur eine grundsätzliche Feststellung in Frage. Es scheint nicht das erwähnte Interesse des Pfarrers an der Angliederung der Altaristen in ihren gottesdienstlichen Funktionen an den Parochialorganismus für die Aufnahme in den Vertrag bestimmend gewesen zu sein. Denn davon, daß diese Messen zur Unterstützung des Pfarrers zu halten sind, steht in der Urkunde nichts, sondern es handelt sich nur um die erneute Festlegung der durch den jeweiligen Stiftungs­ zweck gegebenen geistlichen Verrichtungen der Pfründpriesterschaft. Die Aufzählung übermittelt einen, wenn auch vielleicht nicht vollständigen, Ueberblick über den damaligen Stand der Priesterpfründen und sei daher hier aufgeführt: Altar bezw. Pfründe

1. St. Erhardsaltar 2. St. Sebaldusaltar (Vorchtelpfründe) 3. St. Sebaldusaltar (Schopperpfrün de)

Altarist

Zah 1 der Messen

Heinr. v. Pillenreut Friedr. Losengraber

3 wöchentl.

Konr. Feu[c]htwang

beliebig,

4

»

„quanto frequentius potest“

A) Z. B. mit U. v. 11. Dez. 1371. HStA. Mchn. Sebald Nr. 129, 17. Dez. 1364. Ebd. Nr. 108 u. a.

85 Altar bezw. Pfründe

4. St. Petrusaltar

Alta r is t

Sieghard Keusch

Zahl der Messen

beliebig, qu. freq. p.

Heinr. Ror 5. Zwölf Apostelaltar 6. Altar der Heiligen Gottschalk Hutmann Heinrich, Otto und Kunigunde 7. Katharinenaltar Conrad Reichbold

4 wöchentl. wenigstens 3 wöchentl.

beliebig, qu. freq. p. 3 wöchentl. Heinrich Feurer 8. Jakobsaltar Heinrich von Winzhayn beliebig, 9. Johannesaltar qu. freq. p. wenigstens 10. Prebenda Bertholdi Konrad Saur 3 wöchentl.1) Pfinzing Die wichtigste Bestimmung des Vertrages liegt aber in dem Gebot, ,,quod nullus predictorum altaristarum debeat retinere vel habere debeat aliquid de oblacionibus vel obvencionibus provenientibus circa altaria predicta vel aliquod predictorum, sed omnes cedere debet dicto rectori sive plebano“. Es ist also die Abführung der bei den Got­ tesdiensten zufließenden Gaben der Besucher verfügt, ohne Rücksicht darauf, ob es sich hierbei um Kulthandlungen des Pfarrers und seiner Gesellen oder der Pfründpriester handelt. Dieser Anordnung zugunsten des Pfarrers, der vor ejnem ökonomischen Schaden gesichert werden soll, steht auf der anderen Seite eine Bestimmung entgegen, die im Interesse einer Sicherung der Unabhängigkeit der Altaristen liegt. Es wird nämlich ausdrücklich erklärt, daß andere Ansprüche des Rektors, die nicht durch den vor­ liegenden Vertrag gebilligt und festgelegt seien, gegenüber den Pfründpriestern nicht durchgesetzt werden könnteh, daß er in dieser Hinsicht ,,nullam superioritatem habere super dictos altaristas, ut ad ea per ipsum compelli possint“. *) Hier liegt eift Widerspruch vor. Am Eingang der Urkunde wird Saur als Altarist des Stephansaltars bezeichnet, während die Pfründe Berthold Pfinzings nach Würfel, Diptycha eccl. Sebald, et Laurent., S. 16, im Jahre 1372 für den Peters- oder Bartholomäus­ altar gestiftet worden sein soll. Woher Würfel diese Kunde hat, ist nicht zu erkennen, da ein urkundlicher Beleg für den Stiftungs­ akt (1372) nicht vorhanden ist.



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Ist somit das Innenverhältnis zwischen Pleban und Pfründpriester von mancherlei Reibungen erfüllt, so ist andererseits aus dem Charakter der Seelgerätsstiftungen, der dem laikalen Einfluß so sehr entgegenkam, ein Gebiet der Gegensätzlichkeit und Konkurrenz der weltlichen und klerikalen Machtansprüche gegeben. Mit dieser Frage wol­ len wir uns jetzt beschäftigen und unter der Formulierung, wie hat der Rat der Stadt als der wichtigste Vertreter dieser weltlichen Instanzen seine durch den. privatgeschäft­ lichen Stiftungsakt geschaffene Stellung als Treuhänder den amtlichen und moralischen Obliegenheiten der Pfründpriestefschaft gegenüber zur Geltung gebracht, diese Ver­ hältnisse einer näheren Prüfung unterziehen. Damit wen­ den wir uns zugleich von der Besprechung einer mehr innerkirchlichen Angelegenheit wieder unserem eigentlichen Thema zu. Während sich der oben angeführte Akt der Regelung der Oblationen noch ausschließlich im Bereiche kirchlicher Gewalten ohne jede Mitwirkung weltlicher Instanzen voll­ zog — insbesondere ist von einem Einfluß des Pflegers als des die Kircheneinkünfte verwaltenden Organs nicht die Rede —, sehen wir in anderer Hinsicht den Rat in seiner Stellung als Treuhänder von Einzelpfründen in Wirksam­ keit treten. Zwar scheint er seine Einflußnahme vorerst noch mit den geistlichen Amtsträgern geteilt zu haben. So ist z. B. bei der Festlegung der Ordnung für die Tuttenstetterpfründe auf dem Stcphansaltar in St. Sebaldx), an der die Präsentation und das Gestiftersrecht dem Rat zustand, die Bestimmung aufgenommen, daß der jeweilige Pfründner keine Messe außerhalb der Sebalduskirche halten solle, außer mit Urlaub des Pfarrers dieser Kirche oder seines Schaffers *2) oder des Fragers vom Rat. Ganz die­ selbe Anordnung finden wir in der Bestätigung der Vorchtelpfründe für den Sebaldusaltar aus dem Jahre 1371, die ebenfalls in der Treuhandschaft des Rates stand 3). J) U. v. 17. Dez. 1364. HStA. Mchn. Sebald Nr. 108. aT Schaffer ist der zweite Geistliche an einer Pfarrkirche, gewissermaßen der Adlatus und Stellvertreter des Pfarrers. 3) U. v. 11. Dez. 1371. Ebd. Sebald Nr. 129.

87 Das vorhandene urkundliche Material gestattet leider nicht, eine Entwicklungslinie des wachenden Einflusses des Rates auf die Obliegenheiten der Geistlichen der in seiner Treuhandschaft stehenden Priesterpfründen zu ziehen. Aber alles spricht dafür, daß dieser Rechtsbrauch der Erwählung des Rates zum besetzenden und verwalten­ den Organ dieser Stiftungen immer mehr durchgedrungen ist und in der gesamten Administrationstätigkeit der Stadt bald eine hervorragende Stellung gebildet hat. Alfred Schultze hat die Entwicklung in großen Zügen gezeich­ net 1). Wir dürfen wohl mit Recht nach den bisherigen Er­ gebnissen, die die immerhin spärliche und auf viele Fragen die Antwort versagende Ueberlieferung uns festzustellen gestattet hat, die Grundlinien der dort aufgezeigten Ent­ wicklung des Pfründenwesens auf die Nürnberger Verhält­ nisse übertragen. Eins ist festzuhalten, daß nämlich das 14. Jahrhundert in Nürnberg noch ein starkes Nebeneinan­ der der kirchlichen und weltlichen Instanzen aufweist; wir sahen noch vielfach die an sich gegebene Stellung der kirch­ lichen Amtsträger im Vordergrund, aber allmählich, wenn auch vielfach subsidiär, den Rat immer mehr das Institut der Seelgeräte mit seiner Einflußnahme durchdringen. So scheint auch das Verhältnis zwischen dem Rat und der Priesterschaft der in seiner Obhut stehenden Pfründen allmählich von den kirchlichen Instanzen immer mehr ab­ gedrängt worden zu sein. Die Vereinigung dieser statt­ lichen Reihe von Priesterpfründen mit ihren beträchtlichen Einkünften in der Verwaltung des Rates, die Innehabung des Besetzungsrechtes und der damit gegebene Einfluß auf die Auswahl der Priester, gab dem Rat schließlich Ver­ anlassung, generell diese Verhältnisse zu regeln. Schon das Bestreben die Stiftungsakte selbst in eine gewisse Regel­ mäßigkeit der Formulierung zu fassen, ihre teilweise Unter­ werfung unter die Zuständigkeit des Stadtgerichts herbei­ zuführen, liegt in dieser Richtung 2). Nur für das Ver*) Stadtgemeinde und Kirche, S. in ff. 2) Eine allgemeine Anordnung hierfür, die wohl denkbar wäre, ist nicht überliefert.

88 hältnis zwischen Rat Und Pfründpriester in spezieller Hin­ sicht auf deren Obliegenheiten hat uns ein glücklicher Zu­ fall eine allgemeine Ordnung aus dem Anfang des 15. Jahr­ hunderts erhalten, die als ein gewisser Abschluß der Grund­ legung des stadtherrlichen Pfründenwesens im 14. Jahr­ hundert anzusehen ist und einen vollen Durchbruch der weltlichen Instanz auch in den Nürnberger kirchenrecht­ lichen Verhältnissen zeigt. Die Ordnung ist nicht im Original überliefert, sondern nur in einer Handschrift des beginnenden 15. Jahrhunderts im Staatsarchiv in Nürnberg*), erhalten, die anscheinend von einem Geistlichen verfaßt ist und eine Art Entgegnung auf die vom Rat der Stadt herausgegebene Verordnung darstellt. Sie führt die einzelnen Artikel auf und schließt daran ihre Bemerkungen, die den geistlichen Standpunkt und deutlich den Widerspruch der kirchlichen Kreise gegen das starke Eindringen des Rates in die Regelung des Lebens der Pfründpriester erkennen läßt. Es handelt sich lediglich, wie aus der Ueberschrift hervorgeht, um Priesterpfründen, die in der Treuhandschaft des Rates stehen. Die Ueber­ schrift lautet: Etliche gebrechen, so erfunden werden in dem brief, den die briester dem ratt zu Nurenberg über­ geben zu Zeiten, als derselb ratt ine gotzgab (Seel­ geräte) verleiet. Es ist also anzunehmen, daß die Verord­ nung des Rates eine Beschwerdeschrift der Pfründpriesterschaft ausgelöst hat. Ob die uns vorliegende Handschrift eine Abschrift dieser Entgegnung, dieses „briefes“, darstellt, ist nicht genau zu ersehen, jedenfalls, auch wenn es sich nur um eine Art von Entwurf*2), eine private Niederschrift eines Geistlichen handelt, deckt sich der Sinn mit einer solchen von kirchlicher Seite ausgegangenen Erwiderung. Sie gibt in begrüßenswerter Anschaulichkeit ein Bild von den Reibungen und Gegensätzlichkeiten, in denen weltliche und geistliche Gewalten begriffen waren. Wir geben hier*) Staatsarch. Nbg. VI 102/2, Nr. 1209. Vgl. die Kapellenord­ nung der Eßlinger Pfarrkirche, Müller a. a. O. S. 272 ff. und Schultze a. a. O. S. 137 f. 2) Dafür würden die vielen Korrekturen im Text sprechen.

89 mit einen Ueberblick über die Ordnung selbst, die in acht Artikel zerfällt: Art. i stellt den Grundsatz der persönlichen Residenz des Pfründners auf. Er enthält die Bestimmung, daß der Priester, dem der Rat eine „Gottesgabe“ verleiht, vor der Einführung in sein Amt (der Investitur oder Institution) vor einem „notarius publicus“ sich verpflichte, in der Stadt Nürnberg auf seiner Pfründe persönlich sitzen zu wollen. Auch schon bei einzelnen Stiftungsakten sahen wir diese Verpflichtung festgelegt1). Art. 2 ordnet die getreuliche Ausübung des Gottes­ dienstes „nach laut der Stiftung sölher pfründt“ an, außer wenn der Pfründner durch „offenbar und redlich ursach“, worüber der Rat entscheidet, daran verhindert ist. Art. 3 weist bei Klagen des Pfründners gegen einen Nürnberger Bürger in weltlichen Sachen den Priester an das Stadtgericht (d. h. also an den Rat oder den Schult­ heißen mit den Schöffen) und verbietet ihm ausdrücklich die Sache vor ein anderes geistliches oder weltliches Ge­ richt zu bringen sowie irgend welche Rechtsmittel gegen das von dem Nürnberger Gericht gesprochene Urteil zu ergreifen. Art. 4 beschäftigt sich mit der Zuchtgewalt des Rates über übel beleumundet^ Priester, die beim Rat wegen Ver­ fehlungen oder Uebelt^ten angezeigt, und gegen die die geistlichen Oberen nicht mit genügenden Strafen ein­ geschritten seien. Der Artikel verfügt, daß der Priester, nach dreimaliger vergeblicher Mahnung zur Aenderung seines Wandels durch den Rat von Nürnberg, seine Pfründe „on all ander ermannung, beweisung und Widerrede“ auf­ zugeben habe. Art. 5 trifft für dep Abgang eines Priesters von seiner Pfründe durch Verzicht, Entsetzung (s. art. 4) Bestimmun­ gen. Er wendet sich insbesondere gegen die Wiederauf­ nahme von Ansprüchen auf die Pfründe durch einen solchen Priester und stellt daher für diesen die Verpflichtung auf, nicht gegen seine Entsetzung zu appellieren oder durch An*) Z. B. HStA. Mchn. Sebald Nr. 129, 171; Lorenz Nr. 15.

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rufung irgend eines Richters oder einer oberen kirchlichen Instanz sich wieder in seine alte Pfründe einzudrängen. Nach Art. 6 begründen Zuwiderhandlungen und Säum­ nis des Pfründpriesters gegenüber den vorliegenden Ar­ tikeln das Recht des Rates, daß dem betreffenden Geist­ lichen die Gülte und Nutzung seiner Pfründe abgezogen und durch den Rat eingezogen werde, solange er es für förder­ lich erachte. Art. 7 bestimmt, daß der Rat freie Gewalt haben solle, bei Zuwiderhandlungen eines Priesters gegen vorstehende Ordnung, bei unbegründeter Abwesenheit und Säumnis in der Ausübung seiner Obliegenheiten, sobald es ihm tunlich erscheine, die Absetzung des säumigen Priesters zu ver­ fügen. Art. 8 ordnet die Aufstellung von Anwälten durch die Pfründpriester an, die bei Vorgehen des Rates im Sinne der Art. 5 und 6 die Pfründe und alle ihr anhaftenden Ge­ rechtigkeiten in des Rates oder des Bischofs von Bamberg oder dessen Vikars Hände aufzugeben hätten und verbietet den Widerruf dieser einmal aufgestellten Anwälte x). Mit dieser Ordnung aus der Wende des 14. und 15. Jahrhunderts ist der Rat zur Aufstellung allgemeiner Ver­ waltungsgrundsätze bezüglich der in seiner Treuhand stehenden Stiftungspfründen geschritten. Er greift damit stark in das kirchliche Verfassungsgebiet ein. Wie schon der einzelne Stifter bei dem Brauch der Pfründstiftungen sich kraft seines rechtsgeschäftlichen Willens über das kirchliche Aemterrecht hinwegsetzen konnte, hat hier der Stadtrat im generellen diesen Weg beschritten und sich zur fast ausschließlichen Aufsichtsinstanz über die von ihm abhängigen Pfründpriester gemacht. Nicht nur die Ueberwachung der Durchführung der durch den Stiftungszweck gegebenen Verpflichtungen des Altaristen (art. 2), seine Unterwerfung in Zivil- und Strafsachen unter das Stadt­ gericht (art. 3 und 4), sondern auch das Recht der Ent*) Die Aufstellung dieser Anwälte sollte anscheinend für die Gesamtheit der Pfründpriesterschaft erfolgen. Urkundliche Belege über diese Institution waren uns nicht zugänglich.

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ziehung der Einkünfte (art. 6) und sogar der Absetzung (art. 7) hat er an sich gezogen. Es ist erklärlich, daß solch einschneidende Befugnisse einer weltlichen Instanz den Widerspruch der Kirche hervorrufen mußten. Im Sinne der kirchlichen Auffassung sind die uns überlieferten Bemerkungen zu der Ordnung, die von geistlicher Hand herrühren, gehalten: Art. 1. Die Anordnung der persönlichen Residenz­ pflicht des Priesters entspricht auch den kanonischen Vor­ schriften und findet deshalb Billigung auf geistlicher Seite; nur der Umstand, daß der Pfründpriester sich vor einem Laien (dem öffentlichen Notar) verpflichten solle, findet ein gewisses Bedenken, das aber „nicht groß zu achten sei“. Art. 2 wird an sich ebenfalls gebilligt. Doch wendet man sich gegen die Bestimmung, daß der Rat darüber ent­ scheiden solle, wann ein Priester aus „öffenbar und redlich ursach“ ats an der Ausübung des Gottesdienstes verhindert zu gelten habe. Hierüber könnten zwischen Priester und Rat Meinungsverschiedenheiten entstehen; ein geistlicher Richter habe dann zu entscheiden. Art. 3 findet schon schärferen Widerspruch. Es wird betont, daß es auch Streitsachen gäbe, die sowohl das geist­ liche wie das weltliche Gericht berühren und dann die Ge­ fahr vorliege, daß der Priester nicht zu seinem Rechte ge­ lange. Vor allem wird die Zuständigkeit des geistlichen Gerichts für die Ansprüche des Pfründners, die ihm seine Versorgung gewährleisten sollen — also für Ansprüche aus dem Pfründengut — gefordert und das Verbot der Be­ rufung abgelehnt,. Art. 4. Hier wendet sich der Kritiker gegen den Be­ griff des „üblen Leumundes“, der allzuleicht von bösen Leuten auf den Priester gebracht werden könne. Der Begriff sei zu unbestimmt und bedürfe eines Beweises. Ebenso wird die Unbestimmtheit der Anordnung einer drei­ maligen „brüderlichen und evangelischen“ Mahnung sei­ tens des Rates bekämpft. Entschieden wird darauf hin­ gewiesen, daß die geforderte Aufgabe der Pfründe in den geschriebenen Rechten keine Grundlage habe und daß auch

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nach natürlichem (!) Rechte eine Aufgabe ohne Widerrede und Urteil unbillig wäre. Art. 5. Dieser Bestimmung wird der Ausspruch der ,,lehrer geistlichen rechtens“ entgegengehalten, daß die Priester sich ihrer Freiheit nicht begeben sollten. Ein solcher Verzicht habe keine Kraft und sei strafbar. Wenn Unzuträglichkeiten entstehen sollten, sei das geistliche Ge­ richt zuständig. Art. 6 wird unter scharfem Widerspruch abgelehnt und betont, daß diese Bestimmung den Priester der Willkür des Nürnberger Rates ausliefere, da dieser immer eine Zuwiderhandlung des Pfründners gegen die Artikel der Ordnung konstruieren könne und somit freie Macht habe, die Einkünfte der Pfründe an sich zu ziehen. Es wird gefordert erst die Entscheidung des geistlichen Gerichtes über eine etwaige Verfehlung des Priesters herbeizuführen, andernfalls sich das Vorgehen des Nürnberger Rates als eipe Gewalttat und Uebertretung priesterlicher Freiheit darstelle. Art. 7 und 8 werden ebenfalls unter derselben Begrün­ dung wie bei Art. 6 zurückgewiesen. Ob die sicherlich in diesem Sinne dem Rat vor­ getragenen Beschwerden Erfolg hatten, wissen wir nicht. Die allgemeine Entwicklung im stadtherrlichen Pfründen­ wesen lag in der Richtung einer allmählich zum Durchbruch gelangenden Präponderanz des Rates hinsichtlich der in seiner Treuhandschaft stehenden Pfründen 1), und es besteht somit Veranlassung, für Nürnberg eine ähnliche Entwick­ lung anzunehmen. Die Anwendung der Ordnung mag ins­ besondere in den strengen Bestimmungen keine häufige ge­ wesen sein. Es ist uns kein Beispiel einer derartigen Ver­ fügung des Rates zugänglich. Durch das ihm zustehende Recht der Präsentation des Pfründgeistlichen hatte ja der Rat die Möglichkeit, eine genaue Prüfung und Auswahl der Tauglichkeit und Geeignetheit der zu ernennenden Per­ son zu treffen, von welcher Möglichkeit er sicher einen sorgfältigen Gebrauch gemacht hatte. Daß der Rat auch *) Vgl. Schuhze a. a. O. S. 125.

93 bedacht war, seine durch die Uebertragung der. Treuhand­ schaft gewonnene Stellung gegenüber den kirchlichen An­ sprüchen zu behaupten, ist bei dem starken Selbstgefühl der Bürgerschaft mit Sicherheit anzunehmen, und es ist nicht einzusehen, aus welchen Gründen die zu einer aus­ schließlichen Herrschaftsstellung des Rates über die Pfründstiftungen drängende allgemeine Entwicklung in der großen und mächtigen Stadt, die an Bedeutung an der Spitze der mittelalterlichen deutschen Städte stand, nicht in Erscheinung getreten ist. Haben wir oben bei der Be­ sprechung der einzelnen Pfründstiftungsakte vielmals auf die Einflußnahme des Rates hingewiesen, so werden wir später bei der Untersuchung über das Verhältnis des Rates zur kirchlichen Vermögensverwaltung sehen, wie der Rat weite und wichtige Gebiete des kirchlichen Lebens seiner Einwirkung und Aufsicht unterworfen hat. Die Bestimmungen der vorliegenden Ordnung sind im­ merhin vom kirchlichen Standpunkt aus von einer gewissen Schärfe und zeigen insbesondere in der völligen Ausschal­ tung der kirchlichen Oberen und in der bis zur Absetzung des einzelnen Pfründners gehenden Disziplinargewalt des Rates über die Geistlichkeit, wie sehr die Bürgerschaft auch — um mit einem moderneren Begriff zu sprechen — in das ius in sacra einzudringen bestrebt war. Während die An­ ordnungen über die persönliche Residenzpflicht und über die pflichtgemäße Durchführung des Gottesdienstes dem Kirchenrecht nicht entgegenstanden, finden die anderen Ar­ tikel von geistlicher Seite heftigen Widerspruch. Den Grundgedanken der geistlichen Kritik bildet die entschie­ dene Zurückweisung weltlich laikaler Ansprüche auf Ge­ biete, die vom kirchlichen Standpunkt aus vom Wirkungs­ bereich der Kirche umfaßt werden. Auf dem Gebiete der Gerichtsbarkeit wird die Zuständigkeit des weltlichen Ge­ richtes für die gegenüber weltlichen Personen zu verfolgen­ den Ansprüche des Pfründgeistlichen hinsichtlich seiner Einkünfte aus dem Pfründengut — s. art. 3 — abgelehnt, ebenso wird für die Feststellung des „bösen Leumundes“ oder von Zuwiderhandlungen eines Priesters gegen die

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Ordnung auf die Entscheidung des geistlichen Gerichtes verwiesen — s. art. 4 und 5 # Der Rat dürfte in diesem Punkte kaum nachgegeben haben; sein Bestreben, die kirch­ lichen Verhältnisse allgemein von der Gerichtsbarkeit des Stadtgerichts erfassen zu lassen, geht schon aus der Tat­ sache hervor, daß der Rat die freiwillige Gerichtsbarkeit auch in ursprünglich geistlicher Jurisdiktion unterworfe­ nen Dingen an sich gezogen hatte x). Ein zweiter Vorwurf der geistlichen Kreise richtete sich gegen die dehnbare Fassung der Bestimmungen der Ordnung; er entsprang der Befürchtung, daß der einzelne Pfründpriester dadurch der Willkür des Rates ausgesetzt wäre. Es ist nicht zu verkennen, daß diese Bedenken eine gewisse Berechtigung hatten. , Die mangelnde Schärfe der Formulierung ließ eine willkürliche Anwendung nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen; so sind die Be­ stimmungen über bösen Leumund, Zuwiderhandlungen u. a. verschiedenen Deutungen zugänglich. Die Befürchtun­ gen erscheinen aber im Hinblick auf das gesamte spätere Verhalten des Rates nicht begründet. Dieser hat immer eine wohlwollende, häufig außerordentlich nachgiebige Hal­ tung gegenüber der Geistlichkeit beobachtet 2). Im allgemeinen darf man annehmen, daß die Beschwer­ den der Geistlichkeit mehr auf dem Papier blieben und keine Auswirkung gefunden haben. Die Ordnung des Ver­ hältnisses zwischen Rat und Pfründpriesterschaft zeigt, wie in Nürnberg, der allgemeinen Entwicklung entsprechend, am Ende des 14. Jahrhunderts der Rechtsbrauch der Pfründstiftungen in der Treuhandschaft des obersten Or­ gans der Bürgerschaft schon feste Gestalt gewonnen hat. Damit ist einer der wichtigsten Steine des Gebäudes der Durchdringung des städtischen kirchlichen Lebens durch die politische Gemeinde gelegt, die dann in der Reformation ihre volle Entfaltung finden sollte. In der Tat hat die Uebung, die Altarpfründen nach Besetzung und BeaufsichA) Siehe oben S. 73. *) Vgl. z. B. Ratsbuch 1478 — wiederholte Mahnung eines pflichtvergessenen Priesters; von Absetzung desselben erfahren wir jedoch nichts — s. Lochner, Chronik I, S. 401, 414, 415.

95 tigung in die Hand des Stadtrats zu legen, der Stadt­ gemeinde eine hervorragende Machtstellung geschaffen. Sie äußerte sich vornehmlich nach zwei Richtungen. Erstens begründeten der stadträtliche Patronat über die Priesterpfründen und die ihm entspringenden Befug­ nisse der Besetzung und Disziplinierung eine außerordent­ liche Abhängigkeit der städtischen, besonders der niedrigen Geistlichkeit vom Rat, die vor allem in dem Recht der Sper­ rung der Einkünfte und der Absetzung des Pfründners zum Ausdruck kam. Wir haben oben schon darauf hingewie­ sen r), daß die Stellung des Rates gegenüber dem Pfarrklerus (im Gegensatz zum Pfründenklerus) in Nürnberg, wenigstens im 14. Jahrhundert, keine so freie war, wie in anderen Städten, wo das Pfarrwahlrecht in den Händen der Stadtgemeinde lag. In der Institution der Priesterpfrün­ den und der damit verbundenen Ratstreuhandschaft über dieselben bot sich der Stadtgemeinde die Gelegenheit, einen Ersatz für ihren mangelnden Einfluß in Bezug auf, die Pfarrwahl zu gewinnen. Der Nürnberger Rat hat — wie dieOrdnnug aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts erweist— von dieser Möglichkeit einen entschiedenen und durch­ greifenden Gebrauch gemacht und sich der Pfründgeistlichkeit gegenüber eine starke Herrschaft gegründet, die noch über die Stellung der hierarchischen Oberen hinausging. Es ist nicht zuviel: gesagt, daß dieser Rechtsbrauch der Priesterpfründstiftungen das Gebiet der wirksamsten Durchdringung kirchlicher Verhältnisse durch die Stadt­ gemeinde bildete. Denn nicht nur in der Einflußnahme auf die kirchliche Ordnung, sondern, wie von vornherein zu vermuten war, auch auf ökonomischem Gebiete — und damit kommen wir zum zweiten Punkt kam die Herrschaftsstellung der Stadtgemeinde zum Ausdruck. Für Nürnberg läßt sich freilich urkundenmäßig dieser Bereich stadtherrlicher Wil­ lensgeltung in seinen Aeußerungen nicht genau verfolgen. Aber die Innehabung der Verwaltung der Stiftungsgüter und -kapitalien, die der Rat sicherlich seinen allgemeinen *) Siehe oben S. 58.

96 wirtschaftlichen Zwecken eingliederte, gab ihm eine nicht unbedeutende wirtschaftliche Position. Aus der Verfügung über diese Kapitalien durch Anlegung und Kreditgewäh­ rung entwickelte sich für den Rat eine Stellung, die, wie Schultze mit Recht bemerkt, einer Zentralstiftungsbank und wichtigem Kreditinstitut gleichkam 1). Zusammenfassend ist zu sagen: Das 14. Jahrhundert zeigt das Institut der Seelgerätsstiftungen in Nürnberg in voller Entfaltung. Aus dem Nebeneinander der einzelnen Stiftungsformen von den einfachsten Schenkungen bis zur ausgestalteten Priesterpfründe und der Mannigfaltigkeit der mit der Durchführung des Stiftungszweckes betrauten Personen und Personenkreise ragt immer deutlicher als be­ herrschende Form die in der Treuhandschaft der Stadt­ gemeinde stehende Priesterpfründe hervor. Freilich von einer Monopolstellung des Rates auf diesem Gebiete, wie sie Müller für Eßlingen aufgezeigt hat 2), kann in Nürn­ berg, wenigstens für das 14. Jahrhundert, nicht die Rede sein. Trotzdem vereinigten sich bei der Mehrzahl der Altarpfründen Besetzung der Pfründstellen und Verwal­ tung der Pfründmassen sowie die Aufsicht über den Pfründner und den Stiftungszweck in der Hand des Rates zu einer bedeutenden in den Bereich der hierarchischen Verfassung hereinspielenden Rechtsmacht, wie sie ja auch in der Ordnung des Verhältnisses von Rat und Pfründgeistlichkeit aus der Wende des 14. und 15. Jahrhunderts deutlich zum Ausdruck gekommen war. Alles in allem gesehen, erscheint das 14. Jahrhundert als die Zeit der Grundlegung der stadtgemeindlichen Herrschaft in diesem wichtigen Bereiche des mittelalterlichen Kirchenwesens. t) A. a. O. S. 127. Die ganze Frage liegt auf mehr wirtschaft­ lichem Gebiete und sei daher hier nur angedeutet. 2) A. a. O. S. 271.

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IV. Kirchenpfleger und kirchliche Vermögensverwaltung. Ein Ueberblick über das der vorliegenden Unter­ suchung zugrundeliegende urkundliche Material läßt drei Gruppen von Nachrichten erkennen: 1) Ablaßurkunden — ihr Ertrag ist für die rechts­ historische Betrachtung gering —, 2) Urkunden über kirchliche Stiftungen und fromme Zu­ wendungen, die uns das wichtige Gebiet der Ratstreu­ handschaft über die Priesterpfründen enthüllt haben, und schließlich 3) Urkunden über Grund- und Vermögensgeschäfte kirchlicher Natur, welch letztere einen bedeutsamen Bereich stadtgemeindlicher Einflußnahme darstellen. Auf diese dritte Gruppe von urkundlichen Nachrich­ ten vornehmlich hat sich die folgende Betrachtung zu stützen, die sich zur Aufgabe stellt, die Beziehungen von Stadtgemeinde und Stadtpfarrkirchen in Nürnberg auf dem Felde kirchlicher Vermögensverwaltung zu untersuchen. Aus dem Jahre 1309 ist eine Urkunde erhalten, in der das älteste überlieferte die Sebalduskirche betreffende Im­ mobiliengeschäft seinen Niederschlag gefunden hat1). Sie eröffnet damit die bunte Reihe der Zeugnisse über den kirchlichen Vermögensverkehr im mittelalterlichen Nürn­ berg Und berührt eine Anzahl der hier einschlägigen Fra­ gen, so daß es sich empfiehlt, sie in ihrem paradigmatischen Charakter an die Spitze zu stellen, um daran die weiteren Erörterungen anzuschließen. Es handelt sich um die Veräußerung eines zur Kirche St. Sebald gehörigen Hauses an einen Nürnberger Bürger. Im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit spielt sich das Veräußerungsgeschäft vor dem Nürnberger Stadtgericht ab. Der Schultheiß Siegfried von Kammerstein und die Schöffen der Stadt Nürnberg beurkunden den Vorgang. *) U. v. 14. Febr. 1309. HStA. Mchn. Sebald Nr. 18. 7

98 Es erscheint der Veräußerer, „her Fridrich Holtschuher, des gotshous ze sente Sebolt phleger“, und bezeugt, daß er „von den purgern, von dem rate und von den schepphen“ beauf­ tragt sei, ein der Sebalduskirche gehöriges Gut zu verkau­ fen und zwar des „neuen poues wegen“, der damals an den Seitenschiffen der Kirche ausgeführt wurde 1). Dann folgt die Beurkundung des eigentlichen Verkaufes: „her Fridrich Holschuher mit gewaltiger hant, als er geheizen war, . . . gab hern Herdegen, dem Holschuher, und sinen erben recht und redelich ze koufen das aigen“ . . . folgt nähere Aufführung der Lage und Beschaffenheit des Hauses. Mit der Zeugennennung und der Beurkundung des Vorgangs durch dieselben, sowie mit der eigentlichen Beurkundungs­ formel des Gerichts und dem Datum schließt die Verbriefung. Die Veränderungen und Verschiebungen hinsichtlich der Rechte an Grund und Boden im privaten Rechtsverkehr waren dem formalistischen Zuge im deutschen Rechte ent­ sprechend schon frühzeitig von festen Formen umkleidet. Zur Autorisierung der einzelnen Rechtsakte wurden die öffentlichen Organe, vornehmlich die Gerichte, heran­ gezogen, die die einzelnen Geschäfte in schriftlichen Zeug­ nissen fixierten. Die amtliche Beurkundung ergriff weite Gebiete des bürgerlichen Rechtslebens. So kam die frei­ willige Gerichtsbarkeit zu ausgedehnter Entfal­ tung und insbesondere die Städte, die Konzentrationspunkte des bürgerlichen Verkehrs, waren das gegebene Feld dieser Rechtsformen. In den reichsunmittelbaren Städten hatte der Rat als Vertreter der Stadtgemeinde und Hüter der Rechtsordnung, sowie als Hauptinteressent für eine legale Durchführung aller Verschiebungen in den Rechtsverhält­ nissen an Grundstücken, immer mehr den gesamten Immo­ bilienverkehr in seinem Gebiete unter seine Aufsicht ge­ nommen. Er machte die Wirksamkeit aller darauf gerich­ teten Rechtsgeschäfte von Formen und Voraussetzungen ab­ hängig, die es ihm ermöglichten, nicht nur die Rechtssicher­ heit zu überwachen, sondern auch seine eigenen Interessen *) Siehe oben S. 12.

99 geltend zu machen und eventuell seine Zustimmung zu ver­ sagen. Diese obrigkeitliche Autorisierung zum Ausdruck zu bringen, war die Beurkundung vor dem Stadtgericht be­ stimmt 1). In Nürnberg setzte sich dieses zusammen aus dem schon genannten königlichen Schultheiß 2) (scultetus) als Vorsitzenden und aus einzelnen aus der Gesamtheit der Bürger gewählten Vertretern, den Schöffen (scabini). Im Laufe der Zeit hatte der Rat das Gericht, insbesondere den Schultheiß, immer mehr unter seine Abhängigkeit gebracht. Wir haben oben gesehen, wie der zu reifer Entfaltung gelangte Rechtsbrauch der Seelgerätsstiftungen von der städtischen freiwilligen Gerichtsbarkeit erfaßt wurde, wie ja die Stadtgemeinde überhaupt mit ihrer Gerichtsbarkeit Gebiete, die ursprünglich durch kirchliche Instanzen ihre Regelung gefunden hatten, an sich gezogen hatte 3). Auch in Nürnberg war eine derartige Einwirkung durch das Stadtgericht festzustellen. Es ist dies vom kirchlichen Standpunkt aus als ein Hereinspielen weltlicher Gewalten in den Bereich kirchlicher Macht anzusehen, da die Seelgeräte in ihrer Zweckbestimmung, der Sorge für das Seelenheil, durchaus dem geistlichen Gebiete anzugehören schienen. Die Stadtgemeinde hat sich nun aber als Trägerin der frei­ willigen Gerichtsbarkeit nicht nur im Stiftungswesen eine gewisse Einflußnahme gesichert, sondern in derselben Eigenschaft, insbesondere durch das gerichtliche Beglau­ bigungswesen, auch die kirchlichen Vermögensverhältnisse, wenigstens in den wichtigsten Akten, vor ihr Forum ge­ zogen. Wir haben hierfür eine Reihe von Beispielen 4). Aber neben die Kontrolle durch die freiwillige Ge­ richtsbarkeit tritt noch ein anderer bedeutsamer Faktor, *) Vgl. Schröder a. a. O. S. 718, 738; für die freiwillige Ge­ richtsbarkeit auch Brunner, Grundzüge der deutschen Rechts­ geschichte, S. 125, und v. Below, Entstehung der deutschen Stadt­ gemeinde. Düsseldorf 1889, S. 79 ff. 2) Siehe oben S. 45. — 3) Siehe oben S. 73. 4) Außer in der im Texte vorangestellten Urkunde ven 1309 fin­ den wir Handlungen des kirchlichen Vermögensverkehrs vor dem Stadtgericht vollzogen für St. Sebald z. B. in Urkdn. im HStA. Mchn. Sebald Nr. 39, 59, 65, 75, 76 und im Städt. Arch. Nbg. D 3 a, Nr. 14, 19, 27, 61; für St. Lorenz z. B. in Urkdn. im HStA. Mchn. Lorenz Nr. 4, 5, 8, 19, 20, 21, 24, 29, 36, 56 und im Städt. Arch. Nbg. Nr. 85 in A,

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durch den sich die Bürgerschaft einen maßgebenden Ein­ fluß auf den kirchlichen Vermögensverkehr zu sichern wußte. Es ist dies die Institution des weltlichenKirchenpf legeramtes. Zum erstenmal in der Ge­ schichte des Nürnberger Kirchenwesens erscheint in der an die Spitze dieses Kapitels gestellten Nachricht aus dem Jahre 1309 dieses Amt in der Person des „Gotteshaus­ pflegers“ von St. Sebald, Friedrich Holzschuher, ein Amt, in dem sich die Stellung der Stadtgemeinde auf dem Gebiete der autonomen Erfassung kirchlicher Angelegenheiten kon­ zentrieren sollte. Seine Auswirkungen liegen vornehmlich auf dem Felde der kirchlichen Vermögensverwaltung. Stellen wir die Frage, wie sich dieses Laienamt in Nürnberg entwickelt hat, so vermögen wir keine Antwort zu geben. Auch ganz allgemein, etwa durch paradig­ matische Heranziehung der gleichartigen Institution in anderen Städten, ist seine Entstehung nicht zu erkennen. Nach kanonischem Rechte ist das Gebiet der kirchlichen Vermögensverwaltung den Laien verschlossen x) und zwar aus dem Grundsatz heraus, daß geistliche Angelegenheiten nur von Klerikern behandelt werden dürfen *2). Die erwähnte Ergreifung kirchlicher Dinge durch die städtische freiwil­ lige Gerichtsbarkeit stellte sich mehr als eine Maßnahme der Rechtssicherung und autorativ-formellen Bekräftigung von Rechtsgeschäften dar, der ohne Unterschied weltliche und geistliche Personen unterzogen wurden 3). Viel bedeut­ samer war der Einbruch der Stadtgemeinde in die kirch­ liche Sphäre mittels der Einrichtung des Pflegeramtes. Pfleger, Kirchengeschworene, Altenleute, procuratores, vitrici und wie sie noch in zahllosen Bezeichnungen ge­ nannt wurden, erscheinen schon im 13. Jahrhundert in den Städten 4) und auch in Nürnberg taucht dieses Amt an der *) Vgl. Concil. Later, v. 1123 c. 4, S. 575 und v. 1179 c. 14, S. 226; Hauck, Kirchengeschichte IV, S. 51. 2) Vgl. Jacobsohn in Art. „Kirchenrat“ in Herzog - Hauck, RE. X, S. 462. 8) Pfründner erscheinen z. B. vor dem Stadtgericht in Rechts­ geschäften in den Urkunden: HStA. Mchn. Sebald Nr. 39, 40, 43, 139 und ebd. Lorenz Nr. 19, 21, 43, 44, 45. 4) Schultze a. a. O. S. 129.

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Hauptpfarrkirche schon im ersten Jahrzehnt des 14. Jahr­ hunderts auf, in der ersten die kirchliche Vermögensver­ waltung berührenden Urkunde (1309). Die Tätigkeit des Laienpflegers erstreckte sich vor­ nehmlich auf die pfarrkirchliche Fabrik, d. h. Bau und Bau­ fonds, und auf die Verwaltung der zur Ausstattung des Kultus gemachten Zuwendungen. Soweit er bei der Ver­ waltung von Priesterpfründen, die unter der Herrschaft des Rates standen, wirksam wurde, haben wir seiner schon gedacht1). Man hat die Einwirkung der Stadt durch das Pflegeramt auf die Kirchen auf die aus ihrem Patronat an denselben entspringenden Rechte und Pflichten zurück­ geführt2). In Nürnberg kann aber dieser Weg nicht be­ schritten worden sein, da ja der Patronat an den beiden Stadtpfarrkirchen bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts der Stadt nicht zustand. Wir werden also mit Hauck 3) anzu­ nehmen haben, daß die Durchdringung der kirchlichen Ver­ mögensverwaltung durch städtische Gewalten ,,aus der Initiative der Bürgerschaft hervorgegangen“ ist. Aus der Sorge für ihre Pfarrkirchen — trug doch die Stadt, reprä­ sentiert durch ihr Organ, den Rat, die Baulast 4) —, hat die Stadt das Recht abgeleitet, Anteil an der Verwaltung zu nehmen und die Verwendung der für die Kirche bestimmten Güter zu überwachen. ,,Die Stadtgemeinde dehnte eben ihren Bereich aus, soweit ihre Macht reichte“ 5). Die Kirche mag vielleicht umsoeher diesen Einbruch laikaler Kräfte in ihre Sphäre zugelassen haben, als vielleicht die Stadt ihre erhöhte Pflege des Baues und der Ausstattung der Kirchen von diesem Zugeständnis der Einflußnahme durch ein eigenes von ihr errichtetes Amt abhängig gemacht hat. Dabei ist zu beobachten, daß im Gegensatz zu der auf einem rein privatrechtlichen Titel, der Willenserklärung des Stif­ ters, beruhenden Stellung der Stadt als Treuhänder bei Seelgerätsstiftungen die Stadtgemeinde auf dem Gebiete des kirchlichen Vermögensverkehrs die kirchlichen Dinge *) 2) 8) 4)

Siehe oben S. 77. Werminghoff a. a. O. S. 109. Kirchengeschichte IV, S. 51. Siehe oben II. — B) Schultze a. a. O. S. 129.

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aus eigener Machtvollkommenheit unmittelbar in ihren Herrschaftsbereich hereingezogen hat. Die Grundlage lag also hier — soweit wir sehen können — einzig und allein in der Macht; die die Gemeinde gegenüber der hierarchischen Organisation zur Geltung und Durchsetzung brachte*). Und dazu hat sie sich eben des Pflegeramtes bedient. Der Pfleger, der in Nürnberg auch unter der. Bezeich­ nung „Gotteshausmeister“*2) und „magister fabricae“ 3) erscheint, war ein Organ, ein Beauftragter, man kann auch sagen, ein Beamter des Rates4). In Nürnberg scheint er meist aus der Mitte des Rates gewählt zu sein; das zeigt die fast ausschließliche Zugehörigkeit des Trägers des Amtes zu den ratsfähigen Geschlechtern, dem Patriziat 5). Die Dauer der Amtsperiode können wir nicht genau übersehen, auch ist nicht zu erkennen, ob mit der jährlichen Erneuerung des Rates auch das Pflegeramt wieder neu besetzt wurde; letz­ teres ist anzunehmen, wenngleich eine Wiederwahl des alten Pflegers die Regel gewesen sein dürfte. Es ist z. B. festzustellen, daß ein Berthold Tücher in den Jahren 1343 bis 1347 jeweils als Pfleger bei St. Sebald erscheint; ferner wird Seyfried Maurer von 1357 bis 1365 ebenfalls mehrfach in diesem Amte tätig erwähnt. Eine gewisse Stabilität mag sich sohin ausgebildet haben. Seit dem Jahre 1343 sind übrigens für die Sebalder Pfarrei zwei Pfleger festzustel­ len 6), die teils gemeinschaftlich Zusammenwirken7), teils *) Ueber die Selbstbetätigung der Kommune auf kirch­ lichem Gebiete vgl. auch Niedner a. a. O. S. 11 f. 2) Z. B. HStA. Mchn. Sebald Nr. 753) Z. B. Ebd. Sebald Nr. 82. 4) Vgl. z. B. HStA. Mchn. Lorenz Nr. 4; hier wird von dem durch die Bürger vom Rat zu Lorenz „gesetzten“ Pfleger ge­ sprochen. 5) Wir finden z. B. die Namen: Holzschuher, ebd. Sebald Nr. 18, Ebner, ebd. Nr. 46, Tücher, Stadt. Arch. Nbg. D 4 a, Nr. 14, Vorchtel, HStA. Mchn. Sebald Nr. 55, Schürstab, ebd. Nr. 64, 65, Maurer, ebd. Nr. 75, Mendel, ebd. Nr. 34, Stromer bei St. Lorenz, Städt. Arch. Nbg. Nr. 85 in A u. a. e) Städt. Arch. Nbg. D 3 a, Nr. 14. In späterer Zeit finden wir von dem Kirchenpfleger deutlich unterschieden den Kirchenm e i s t e r. Ein solcher war z. B. der in der Geschichte des Humanismus viel genannte Sebald Schreyer. Wann sich dieses Amt von dem des Pflegers getrennt hat, bezw. ob es sich selb­ ständig gebildet hat, bedarf noch einer genaueren Untersuchung. 7) Z. B. Ebd. D 3 a, Nr. 51; HStA. Sebald Nr. in.

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einzeln tätig werden*), Ein Unterschied nach Stellung oder Auswahl ist nicht zu beobachten; sie gehören vielfach beide rats fähigen Geschlechtern an *2). Die Unterordnung der Pfleger unter den Rat erhellt vornehmlich aus dem Umstand, daß sie bei wichtigen Amts­ handlungen von der ausdrücklichen Zustimmung des Rates abhängig sind3). Es tut dieser Auffassung des Pflegers als eines Organs des Rates keinen Abbruch, ja es stützt sie sogar, wenn derselbe häufig auch als Vertreter der Pfarre in den die kirchliche Vermögensverwaltung betreffenden Angelegenheiten auftritt. In dieser Eigenschaft empfängt er die Verbriefung und Beurkundung eines Rechtsgeschäfts, wie ausdrücklich festgelegt wird, im Namen der Pfarre 4). Dieser Fall, der auch anderswo vorgekommen ist 5), würde wohl als Argument für die Zurückführung der Institution des Pflegers auf ursprünglich von Pfarrern oder anderen kirchlichen Oberen zugezogene und natürlich von ihnen ab­ hängige weltliche Gehilfen ausgeführt werden können. Die Möglichkeit einer solchen Beiziehung vonHelfern zurUnterstützung des Pfarrers bei der Fabrik- und sonstigen Ver­ mögensverwaltung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Für Nürnberg sind jedoch keinerlei derartige Feststellun­ gen möglich. Seinem ganzen Charakter nach scheint die Institution des Pflegeramtes vielmehr aus einem Einbruch bürgerschaftlicher Kräfte in autonomer Rechtssetzung in das kirchliche Verfassungsgebiet erwachsen zu sein6). Dafür spricht vornehmlich die tatsächlich auch in Nürnberg hervorgetretene Ausschaltung des Pfarrers 7) aus der kirch*) Ebd. Sebald Nr. 64, 73, 115. 2) Z. B. Ebner und Tücher, Staatsarch. Nbg. Hdschr. 660, Bl. 363. Vorchtel und Maurer, HStA. Mchn. Sebald Nr. 86. 3) Z. B. Urk. HStA. Mchn. Sebald Nr. 18, Stadt. Arch. Nbg. D 3 a, Nr. 18, ebd. Reg. Nor. Bd. I, 241. 4) Z. B. Urk. Städt. Arch. Nbg. Nr. 85 in A; D 3 a, Nr. 21; HStA. Mchn. Sebald Nr. 138 ,,.... do boten sie (die Pfleger) fragen einer urteil, ob man der obgeschriben pfarre dez iht billich einen brif geben solt.“ 5) Vgl. Beispiele (Halle, Lübben) bei Schultze a. a. O. S. 135. 6) Hauck a.a. O. S. 51; Schultze a. a. O. S. 130, Anm. 4, wo die Definition Friedbergs, Lhbch. § 182, I mit Recht zurückgewiesen wird. 7) Davon wird noch die Rede sein.

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liehen Verwaltungstätigkeit hinsichtlich der Fabrik, der den Pflegern anvertrauten kleineren Stiftungen und dgl. sowie die Eingliederung der Pfleger in die Verwaltungs­ organisation der Stadtgemeinde durch Wahl und Bestellung des Rates x). In ihrer Stellung zu den ihrer Verwaltung unterworfenen kirchlichen Vermögensgütern waren die Pfleger auch berufen, die Interessen der Pfarre gegenüber den von außen her, meist im privatrechtsgeschäftlichen Ver­ kehr herantretenden Personen zu vertreten und insbesondere die Sicherung der parochialen Rechte zu betreiben. Daher treten sie naturgemäß auch als Sachwalter der Pfarre auf — siehe später — und rücken also hinsichtlich der kirch­ lichen Vermögensverwaltung in die Stellung des Pfarrers ein*2). Auch diese Betätigung widerspricht nicht ihrer Eigenschaft als Repräsentanten der Stadtgemeinde und ihrer Verantwortung gegenüber dem Rat, der sich schon damals als Souverän der Stadt zu fühlen begann. Ausdruck dieser Verantwortlichkeit ist die regelmäßige Rechnungs­ legung und wenn auch die Quellen darüber schweigen, so dürfen wir doch in Analogie zu den anderen städtischen Aemtern 3) und der Entwicklung in anderen Städten 4) eine solche Einrichtung auch bei den beiden Pfarrkirchen in Nürnberg annehmen. Was nun das Tätigkeitsfeld des Pflegeramtes anlangt, so ist es ein sehr ausgedehntes und mannigfaltiges. Als den ,,magistri fabricae“ obliegt den Pflegern die Verwaltung und Wahrung der für den Kirchenbau dienenden Fonds. Es ist oben schon dargelegt worden, welche Stellung die Stadt­ gemeinde gegenüber der im 14. Jahrhundert in Nürnberg sich so reich entfaltenden Bautätigkeit an den Stadtpfarr­ kirchen eingenommen hat, insbesondere wurde darauf hin­ gewiesen, daß die Leitung dieser Bauten in den Händen des Rates lag5). Die Pfleger erscheinen hierbei als eine Art *) Siehe oben S. 102, Anm. 4. 2) Schultze a. a. O. S. 134. s) Man vergleiche z. B. die Rechnungslegung des städt. Pflegers des Spitals von St. Martha in Nürnberg. Marthaspital, städt. Arch. Nbg. 4) Vgl. Beispiele bei Schultze a. a. O. S. 131 f, 6> Siehe oben II.



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Subkommission des Rates. Aus verschiedenen Liegen­ schaftsauflassungen können wir ersehen, daß die Durch­ führung der Bauleitung den Pflegern übertragen war, die ihrerseits den Weisungen des Rates untergeordnet waren. So stellt sich das oben erwähnte in einer Urkunde des Jahres 1309 niedergelegte Veräußerungsgeschäft als eine Maßnahme dar, die ausdrücklich zur Förderung der damals an den Seitenschiffen von St. Sebald einsetzenden Umbau- und Erweiterungsbauten bewirkt wurde.* Der Er­ lös aus dem Verkauf des der Kirche gehörigen Hauses sollte also der Finanzierung dieses Unternehmens dienen 1). Auch mit der Erbauung des mächtigen Ostchors bei St. Sebald in den Jahren 1361—1379 stehen verschiedene Nachrichten über Verkaufs- und Tauschgeschäfte, aus denen die Ein­ wirkung des Pflegeramtes hervortritt, im Zusammenhang. Schon vor dem Beginn des Baues wurden Vorbereitungen getroffen, die insbesondere dazu dienten, für den Erweite­ rungsbau Platz zu schaffen und zu diesem Zwecke auch den die Kirche umgebenden Friedhof mitumfaßten. So verkauften im Jahre 1357 ein Rothenburger Bürger und seine Frau ,,alle ire reht, die sie do haben an der kammern gelegen do selbst (d. i. in Nürnberg) an sant Sebotes (sic !) kirchoff“, an die Gotteshausmeister und Pfleger dieser Kirche2), und im Jahre 1360 vollzog sich der Umtausch eines am Friedhof von St. Sebald gelegenen und dem Egidienkloster gehörigen Hauses gegen ein dem Kirchen­ gut von St. Sebald gehöriges Anwesen 3). Auch während des Baues ruhte die Tätigkeit der Pfleger nicht. Im Jahre 1372 war der Bau im Aeußeren so weit der Vollendung ent­ gegengereift, daß die am alten Chor abgebrochenen Brot*) Es sei darauf hingewiesen, daß dieses Rechtsgeschäft (s. oben S. 97) auch vom Standpunkt des kanonischen Rechts, das über die Veräußerung von Kirchengütern sehr strenge Bestimmungen hat, gerechtfertigt erscheint. Die Erfordernisse einer iusta causa (Er­ weiterung der Kirche!) und evidens utilitas vel necessitas (Ver­ schaffung von Barmitteln zur Finanzierung des Baues) erscheinen gegeben; vgl. Friedberg a. a. O. § 183, S. 618. 2) Urkunden HStA. Mchn. Sebald Nr. 75; städt. Arch. Nbg. D 3 a, Nr. 21. Unter „Kammern“ sind wohl Gewölbe, die verschie­ denen Zwecken, so der Aufbewahrung von Waren und dgl. dienten, möglicherweise auch Verkaufsstände, zu verstehen. 3) U. v. 6. Mai 1360. HStA. Mchn. Sebald Nr. 96.

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bänke für die ehemaligen Pächter an den Pfeilern des neuen Chores wieder aufgerichtet wurden 1); übrigens be­ hielt sich die Kirchenpflegschaft das Recht vor, die Brot­ bänke, wenn notwendig, gegen eine Abfindungssumme ein­ zulösen 2). Aber die Mittel der Kirchenfabrik allein konnten den gesteigerten Anforderungen der Bautätigkeit an der Sebalduskirche nicht genügen; das beweist die Reihe der zur Förderung der Neubauten erteilten Ablässe, die zum Teil auf das Betreiben und die Bitten der Pfleger als der magistri fabricae erwirkt wurden3). Schon vor Beginn des Ostbaues im Jahre 1361 war die Ergänzung der Mittel der Fabrik vorgesehen. Es ist dies bedeutsam als ein Zeichen, wie stark die Geltung des Pflegeramtes auch bei den kirch­ lichen Instanzen als gegebenes Organ der Verwaltung der Kirchenfabrik durchgedrungen war. So traf Bischof Luit­ pold von Bamberg im Jahre 1358 die Verfügung, daß die sogen, vagae restituciones, die dem Bischof speziell reserviert waren4), vier Jahre lang der Fabrik zufließen sollten, da die eigenen Mittel der Kirche nicht ausreichten. Er gab gleichzeitig die Anordnung, daß der plebanus und seine Gesellen und Altaristen diese vagae restituciones den Pflegern zuzuführen hätten 5). Schon um die Mitte des 14, Jahrhunderts ist also ein Widerstand kirchlicher Instanzen gegen* die Institution dieses Laienamtes nicht mehr zu beobachten, im Gegenteil wird seine Legalität in der Ver­ waltung des Kirchenbaues und der hierfür flüssig zu machenden Mittel von den kirchlichen Oberen durchaus anerkannt und die Geistlichkeit an der Kirche in diesem Sinne dem Pfleger unterstellt. Neben dieser wichtigen Tätigkeit auf dem Gebiete der Bauleitung und Durchführung der Neu- und Erweiterungs*) U. v. 20. Dez. 1372. Stadt. Arch. Nbg. D 3 a, Nr. 39. 2) U. v. 15. Okt. 1372. Ebd. Nr. 40. 3) Z. B. Urkunden aus den Jahren 1362 im HStA. Mchn. Sebald Nr. 100, und 1379. Ebd. Nr. 146. 'f4) Also eine Art bischöflicher Reservationen; aus welchen Quellen sie flössen, ist nicht zu erkennen. 5) U. v. 21. Sept. 1358. HStA. Mchn. Sebald Nr. 82.

io7 bauten läuft die regelmäßige Verwaltung des Kirchen­ vermögens, speziell der Kirchenfabrik. Sie tritt zutage in einer bunten Reihe von Rechtsakten, so in Liegenschafts­ auflassungen an die Pfarrkirchen oder in Auflassungen von der Kirche gehörigen Liegenschaften, meist in Form von Tauschgeschäften, an andere1), in Mietsverträgen 2), Gült­ verkäufen 3) u. a. Die Form ist fast durchweg die oben gekennzeichnete Vollziehung vor dem Stadtgericht, die Pfleger teils mit, teils ohne ausdrückliche Zustimmung des Rates handelnd, die Entgegennahme der Verbriefung durch die Pfleger für die Pfarre 4). Noch nach einer anderen Seite hin konnte sich die Stellung des Pflegeramtes zu einer einflußreichen Bedeu­ tung entwickeln. Sie entspringt hier nicht so sehr einem freien Eindringen der Stadtgemeinde in die kirchlichen Ver­ hältnisse, sondern scheint sich erst in Anlehnung an die vorausgegangene weltlich autonome Schöpfung des Amtes angeschlossen zu haben. Es ist wieder das Gebiet der mit­ telalterlichen Seelgeräte, das hier in Frage kommt. Wie die Treuhandschaft des Rates hier hinsichtlich der Priester­ pfründen auf dem Boden privater Willensentschließungen erwachsen ist, so hat sich auch für das Pflegeramt bei den kleineren Formen der Seelgeräte, von denen wir ja schon gesprochen haben, eine ähnliche Stellung ausgebildet. Es handelt sich um die Uebertragung der Verwaltung der vStiftungsformen der Seelmessen, Jahrzeitstiftungen, ewigen Lichte und all der mannigfaltigen Schenkungen für Aus­ schmückung und Ausstattung des Kultus. Nicht den kirch*) Z. B. Städt. Arch. Nbg. D 3 a, Nr. 15, 18, 27. 2) Z. B. Ebd. Nr. 14. 3) Z. B. Ebd. Kopialbuch des Deutschordens Nürnberg, Nr. 131, Bl. 118. 4) Die Bitte des Pflegers um eine Abschrift bezw. ein „Urteil“ für die „Pfarre“ möchte man fast dahin deuten, daß das Bewußtsein des Auftretens für die Kirche als Anstalt, als juristische Person, bei den Handelnden bereits durchgedrungen war. Freilich läßt die übrige Fassung der Quellen, wonach die Pfleger als solche als Veräußerer oder Erwerber erscheinen, erkennen, daß, wie es bei der dem Mittelalter eigentümlichen Unbestimmtheit der juristischen Formulierung nicht anders zu erwarten ist, die einzelne Kirche, Pfarre u. dgl. als selbständige Rechtspersönlichkeit bei den kon­ kreten Vorgängen des kirchlichen Vermögensverkehrs noch nicht scharf erfaßt wurde.

io8 liehen Amtsträgern, sondern weltlichen Organen also hat das Vertrauen der für ihr eigenes Seelenheil besorgten Bür­ gerschaft die Obhut ihrer Schenkungen zugewendet. Der Stiftungsakt selbst, als die privatrechtsgeschäftliche Wil­ lenserklärung des Stifters, betraut den Pfleger mit der Durchführung der Stiftungszwecke. Es scheint Gewohn­ heit geworden zu sein, bei den kleineren und einfacheren Formen der Seelgeräte dem Kirchenpfleger analog zu der Stellung des Rates bei den Priesterpfründen die Treuhand­ schaft zu übertragen. Nur einige Beispiele: Stiftungen von kleinen Gütern oder Bargeld zur Aus­ richtung eines Jahrtages für den Stifter mit Uebertragung der Durchführung des Stiftungszweckes an den Pfleger x), Stiftungen von Wandelkerzen*2), Ausrichtung eines ewigen Lichtes3), Lampenunterhaltung4), reine Geldgaben5) und dgl. Auch hier ist die Form meist die Beurkundung vor dem Stadtgericht. Die Pfleger sind hierbei darauf be­ dacht, in ihre Hand eine Ausfertigung des Stiftungsbriefes für die Pfarre zu bekommen, um für ihre Verwaltung und Rechtsansprüche eine urkundliche Unterlage zu haben. So ist das Tätigkeitsgebiet des Kirchenpflegers ein sehr ausgebreitetes. Das Bemerkenswerteste und Entscheidend­ ste für die Frage des Verhältnisses von Stadtgemeinde und Kirche ist hierbei bei allen Handlungen die völlige Aus­ schaltung der kirchlichen Amtsträger, speziell des Pfarrers. In Nürnberg erleidet die völlige Ausscheidung des Pfarrers unseres Wissens nur eine Ausnahme. Müllner berichtet von einem Hermann Keßler als Pfarrer und Pfleger von St. Lorenz 6); er hätte sich nach Müllner, dem vielleicht verloren gegangene Urkunden Vorgelegen hatten, in der Zeit des großen Handwerkeraufstandes von 1349 der Pfleg­ schaft über die Kirche bemächtigt. Und in der Tat *) Urkdn. im HStA. Mchn. Sebald Nr. 28, 30, 55, 59, 64, 167, 170; zuweilen ist jedoch die Durchführung der Stiftungszwecke allein der Familie des Stifters übertragen; aber auch hier erhält der Pfle­ ger Ausfertigung des Stiftungsbriefes für die Pfarre, z. B. ebd. Sebald Nr. 46. 2) Z. B. HStA. Mchn. Sebald Nr. 46. 3) Z. B. ebd. Nr. 73- — 4) Z. B. ebd. Nr. 11. 5) Z. B. ebd. Nr. 114. 6) Müllner, Relationen XI.



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erscheint er urkundlich noch 1351 als Pfleger1). 1352 ist er jedoch wiederum nur noch als Pfarrer genannt2). Und 1355 begegnen wir wieder einem Laienpfleger bei St. Lorenz, Peter Stromer 3). Dieser bemerkenswerte Fall ist offenbar mit der Zerrüttung aller Verhältnisse durch die Auflehnung gegen die alte Ordnung zu erklären. Immerhin mag sich der Pfarrer nicht ungern einer Macht angenommen haben, die er lieber in seinen eigenen Händen als in weltlichen, eben denen des Pflegers, sah. Aber die Regel war, daß die kirchlichen Amtsträger hinsichtlich der Beaufsichtigung und Pflege des Kirchen£utes an den beiden Stadtpfarrkirchen nicht in Betracht kamen. So bedeutete die ganze Institution des Pfleger­ amtes im Ergebnis eine Kommunalisierung der kirchlichen Vermögensverwaltung4); die Stadt selbst hatte die ent­ scheidende Rolle in der Verwaltung übernommen 5). Das Amt des Pflegers gehört somit zu den wichtigsten Errun­ genschaften auf dem Wege der insbesondere im 15. Jahr­ hundert sich immer mehr ausbreitenden Machtstellung der Stadtgemeinde auf dem kirchlichen Verfassungsgebiet.

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Wir stehen am Schlüsse. Eine prinzipiell neue Ge­ staltung der Dinge zeigen uns die Nürnberger Verhältnisse nicht. Sie stimmen im großen und ganzen mit den bekann­ ten Forschungsergebnissen, wie sie insbesondere durch Alfred Schultze 6) niedergelegt sind, überein. *) HStA. Mchn. Lorenz Nr. 4; übrigens könnte Müllner die im Texte mitgeteilte Behauptung nur in Rückschluß aus der heute noch vorhandenen Urkunde Lorenz Nr. 4 aufgestellt haben. 2) Ebd. Nr. 5. 3) Ebd. Nr. 8. 4) Schultze a. a. O. S. 134. *) Müller a. a. O. S. 271. 6) In „Stadtgemeinde und Kirche“ sowie „Stadtgemeinde und Reformation“.

Für Nürnberg bildete das 14. Jahrhundert die ihrer Vollendung entgegenreifende Konsolidierung einer Macht­ stellung auf kirchlichem Gebiete, die sich im 15. Jahrhun­ dert immer mehr entfaltete und nach Einführung der Refor­ mation im Summepiskopat des Rates ihren Abschluß fand.

Erklärung. Ein von der Druckerei aus technischen Gründen nachträglich für notwendig erachteter Neusatz der Fußnoten, von dem weder Verfasser noch Redaktion verständigt wurden, gibt zu folgenden Berichtigungen und Ergänzungen Anlaß: S. 12 Anm. 1 statt „1399“ lies „1309“. S. 22 Anm. 3 statt „Bischoff“ lies „Bischof“. S. 32 Anm. 1 statt „ipsins“ lies „ipsius“. S. 54 Anm. 1 lies „Siehe oben S. 47 im Text und Anm. 1“. S. 56 Anm. 2 statt „art.“ lies „Art.“ S. 58 Anm. 1 statt „Müllner“ lies „Müller“. Anm. 4 ergänze „Ferner: Schönfeld, Die Vollstreckung der Verfügungen von Todes wegen im MA. nach sächs. Quellen, zugl. ein Beitr. zur Gesch. d. Seelgeräts. Zeit­ schrift f. Rechtsgesch. Germ. Abtlg. Bd. 55, 240 ff.“. S. 71 Anm. 2 statt „Stifers“ lies „Stifters“. Eine Berichtigung von Ungenauigkeiten in der Interpunktion und unbedeutender, nicht sinnstörender Druckfehler kann als zu weitgehend nicht erfolgen. In der Vorbemerkung wäre noch zu berichtigen: Z. 2 v. u. lies „Prof. D. Dr. Rieker“. Z. 1 v. u. vor „zu“ ergänze „beide in Erlangen“.

Der Niedergang der reicbsstädtischen Finanzwirtschaft und die Kaiserliche Subdelegations- Kommission von 1797-1806

Von

Dr. Franz Buhl Studienrat am Realgymnasium Nürnberg.

Vorwort. Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung einer Anregung durch Geheimrat Dr. Döberl, Universitätsprofes­ sor in München. Für Hinweise auf das Stoffgebiet schuldet der Verfasser Herrn Oberarchivrat Dr. Altmann am Nürnberger Staatsarchiv an erster Stelle Dank. Auch den Herren Archivdirektoren Dr. Mummenhoff und Dr. Reicke gegenüber, die mir mit Rat zur Seite standen, habe ich eine Dankesschuld abzutragen. Endlich sei auch noch den Herren Beamten des hiesigen Staats- und Stadt­ archivs, wie des Hauptstaatsarchivs zu München und denen des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs für die bereit­ willige Unterstützung an dieser Stelle der gebührende Dank ausgesprochen. Nürnberg, Juni 1925. Dr. F. BUHL.

I. Nürnbergs Niedergang. Im Verlauf weniger Jahrhunderte war es der Reichs­ stadt Nürnberg vergönnt gewesen, trotz ihrer Lage in unfruchtbarer Landschaft zu ungeahnter Blüte empor­ zusteigen und sich eine Stellung unter den Handelsstädten des Mittelalters zu erwerben, wegen der sie nicht nur in deutschen Landen, sondern weit über die Grenzen des Hei­ ligen- Römischen Reiches hinaus geachtet und bewundert wurde 1). So konnte Kaiser Karl der IV. schon in einer Urkunde vom Jahre 1366 Nürnberg ,,die vornehmste und baß gelegenste stat des richs“ nennen. Abgesehen von ihrer günstigen Verkehrslage verdankte sie ihre Größe fast aus­ schließlich dem Umstand, daß sie alle ihre Kräfte dem friedlichen Handel widmete und nur dann aus sich heraus­ trat, wenn es galt, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die sich ihrer friedlichen Entwicklung entgegenstellten, oder Gefahren zu beseitigen, die ihre weitverzweigten Han­ delsbeziehungen bedrohten. Im Anschluß an den Handel erstarkte dann auch das Gewerbe mehr und mehr. Um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts gelang es der Reichs­ stadt, ihr Gebiet auf einen Umfang zu erweitern, wie ihn keine andere Reichsstadt aufzuweisen hatte 2). Der Anfang des 16. Jahrhunderts brachte zwar für sie verschiedene ver­ derbliche Zwiste mit ihren markgräflichen Nachbaren, die zusammen mit dem Fehde- und Plackerwesen den Nürn­ berger Handel empfindlich schädigten; aber trotzdem ging sie in fortschreitendem Wachstum ihrer höchsten Blüte ent­ gegen, die bis gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts dauerte. Aber schon damals hatte Nürnberg den Höhepunkt seiner Blüte überschritten und bald ging es, durch äußere und innere widrige Schicksale getroffen, erst langsam, dann *) Mummenhoff, Der Reichsstadt Nürnberg geschichtl. Ent­ wicklungsgang, S. 17. 2) Mummenhoff, Der Reichsstadt Nürnberg geschichtl. Ent­ wicklungsgang, S. 23. 8

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immer rascher seinem Ruin entgegen, so daß es gegen Ende seiner reichsstädtischen Zeit unrettbar zusammengebrochen wäre, hätte nicht ein Stärkerer sich seiner angenommen und es mit helfender Hand einer neuen Blüte entgegen­ geführt x). Als Hauptgründe für den Niedergang der Reichsstadt seit 1550, der in einer rasch um sich greifenden Verschul­ dung des Staatswesens seinen deutlichsten Ausdruck fand, lassen sich im allgemeinen anführen: 1. Die Verlegung der Welthandelswege nach dem Westen durch das Emporblühen der neuen Kolonialmächte. 2. Der Niedergang der kaiserlichen Machtstellung und die wachsende Gewalt des Territorialfürstentums, die häu­ fig einen wirtschaftlichen Boykott Nürnbergs durch merkantilistische Maßnahmen der Nachbarn neben zahl­ reichen Gewalttätigkeiten gegen Nürnberger Untertanen zur Folge hatte. 3. Der Dreißigjährige Krieg. 4. Dynastische Kriege, wie der Spanische Erbfolge­ krieg und der Siebenjährige Krieg 12).3 Zu diesen Gründen mehr allgemeiner Natur lassen sich in der Hauptsache noch folgende besonderer Art an­ führen: 1. Die schlechte Finanzverwaltung der Stadt, über die Hegel in den Städtechroniken I, S. 295 das treffende Urteil fällt, daß sie keineswegs als eine haushälterische, vorsichtige und sparsame, vielleicht nicht einmal als eine besonders gewissenhafte gerühmt werden könne; denn die regelmäßigen Einnahmen deckten schon Ende des 14. Jahr­ hunderts die Ausgaben durchaus nicht und dieser Zustand wiederholte sich trotz der äußeren Blüte Nürnbergs auch in der Folgezeit. 2. Der Krieg mit dem Markgrafen Albrecht A 1 c i b i ad e s 1552—53. Die Kosten, welche aus diesen Kriegsschäden 1) Mummenhoff a. a. O. S. 25. 2) Um sich vor Beschießung durch die Preußen 1762 zu bewahren, gab Nürnberg eine Menge Waffen her und versprach 3 Millionen fl. zu bezahlen. Aber nur 300 000 waren aufzubringen. Dieser Ueberfall kostete der Stadt 480035 fl.

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der Stadt und ihren Bürgern erwuchsen, berechnete man auf i 800 000 fl. x). 3. Die inneren Zwistigkeiten zwischen Rat und Bürger­ schaft, die wegen der geheimen Rechnungsführung des Rates gegen Ende des 18. Jahrhunderts fast einen revolu­ tionären Charakter bekommen. 4. Die unverhältnismäßig hohen, nach der alten Blüte berechneten Reichs- und Kreisbeiträge, die durch die Reichs­ kriege in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 18. veranlaßt wurden. Um ihren zerrütteten Finanzzustand nicht aufdecken zu müssen, wagte die Stadt erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts sich dagegen zu beschweren, als die Verhältnisse bereits unhalt­ bar geworden waren. 5. Die Engherzigkeit seines gewerblichen Betriebes, die besonders im Verlauf des 17. Jahrhunderts erschreckende Formen annahm. Brachten es doch die Handwerksmeister .durch ihre Unduldsamkeit in dieser Zeit dahin, daß das Gewerbe Nürnbergs immer mehr seiner Versumpfung ent­ gegenging, während in der Umgegend der Stadt besonders durch die französischen Emigranten blühende Industrien entstanden *2). 6. Die unverhältnismäßig großen und unproduktiven Ausgaben für den auswärtigen Dienst, die Nürnberg auf Grund seiner Reichsunmittelbarkeit zu machen hatte, trotz­ dem sein Territorium gegen das Ende der Reichsfreiheit recht klein geworden war 3). In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschleu­ nigten außer dem oben erwähnten siebenjährigen Krieg noch folgende besondere Ereignisse den Verfall der ehe­ mals so blühenden Stadt. Als sie nämlich die Kreisbeiträge nicht mehr in der verlangten Höhe aufbringen konnte, legte der Kreis 1751 *) Mummenhoff a. a. O. S. 25. 2) Knebel nennt in seinen Briefen die Nürnberger jener Zeit Chinesen mit Bezug auf ihre politische und soziale Rück­ ständigkeit. Lochner, Nürnberg im Ausgang seiner Reichsfreiheit. 3) Der ausWärTige Dienst verschlang 30 % aller Ausgaben. Bingold, Die reichsstädtische Haushaltung Nürnbergs während und nach dem siebenjährigen Krieg, S. 96. 8*

bambergisches und ansbachisches Militär in die Nürnber­ ger Ortschaften Buch, Almoshof und Schnep­ fenreuth, bis die Rückstände beglichen waren x). 1796 kam Preußen mit seinen alten Ansprüchen auf Grund eines Reichskammergerichtsentscheids von 1583 und 1587, wonach den Markgrafen Georg und Kasimir die Landeshoheit im Nürnberger Waldgebiet bis an die Tore der Stadt zugestanden habe, und besetzte die Vor­ städte Gostenhof und W ö h r d mit der ganzen Um­ gegend sowie die Städte A 11 d o r f und Lauf. Damit war Nürnberg auf seine Mauern beschränkt. Der Stadt gingen dadurch an Zöllen, Wegsteuern usw. jährlich mehr als 100000 Konventionsgulden verloren. Handel und Industrie, denen Preußen alle möglichen Freiheiten und Vergünstigungen gewährte, zogen sich allmählich in die Vorstädte zurück. Der Handel Nürnbergs wurde lahm­ gelegt, seine Verbindungen wurden zum Teil abgeschnitten. Noch im selben Jahre hatte die Reichsstadt dann die französische Invasion unter Jourdan auszuhalten. Die vierzehntägige Anwesenheit der Franzosen kostete der Stadt und der Bürgerschaft die Summe von 1 500 000 fl. Um das Maß voll zu machen, kamen schließlich noch die Freunde, die Oesterreicher, die das Nürnberger Zeug­ haus vollständig ausleerten, um angeblich seinen reichen Inhalt nicht in die Hände der Franzosen fallen zu lassen *2). Auf Grund dieser Tatsachen muß man sich eigentlich wundern, daß der finanzielle Zusammenbruch nicht schon im Verlauf des 18. Jahrhunderts erfolgt ist. Wie groß muß demnach der Reichtum Nürnbergs gewesen sein, daß es trotz allem dasAeußerste seinem Gemeinwesen fernzuhalten wußte, zumal da an eine Kreditwirtschaft im Sinne der Gegenwart in jener Zeit nicht zu denken war. Noch mehr müssen wir uns über die Leistungsfähigkeit Nürnbergs wundern, wenn wir die Kleinheit des Staatswesens in Betracht ziehen. *) Mummenhoff a. a. O. S. 28 ff. 2) Mummenhoff a. a. O. S. 31.

II. Die ersten Maßnahmen zur Beseitigung der Schuldenlast. An Warnungsrufen aus der Bürgerschaft, der finanziel­ len Verelendung zu steuern, fehlte es allerdings nicht und sie reichen in der Geschichte Nürnbergs ziemlich weit zurück. Deshalb machte auch die reichsstädtische Regie­ rung wiederholte Versuche, um eine Wandlung in den Geld­ nöten herbeizuführen, zumal da die Vorwürfe aus den Reihen der Bürgerschaft im Laufe der Jahrhunderte immer schärfere Formen annahmen, besonders hinsichtlich der geheimen Rechnungsführung des Patriziats. Schon 1582 wollte der Losunger Willibald Schlüs­ selfelder von seinem Posten wegen des traurigen Zu­ standes der städtischen Finanzen zurücktreten, weil er sich durch längeres Verhalten im Amt aufs äußerste in seinem Gewissen beschwert fühlte 1). Schließlich blieb er aber doch auf Drängen des Aelternkollegiums im Amt, da seine Kraft zur Besserung der Zustände nicht verloren gehen sollte. 1635 wurde die Forderung erhoben, die Zinszahlungen auf einige Jahre einzustellen und die entbehrlichen Güter gemeiner Stadt zu verkaufen 2). Verschiedene Aemter sollten zusam­ mengelegt und überflüssiges Personal sollte entlassen wer­ den. Man drang darauf, die Bürger, welche mit der Losung im Rückstand waren, zur Erfüllung ihrer Steuerpflicht anzuhalten. Auf diese Vorschläge antwortete der Rat in einem Erlaß, daß ,,die alten zur Verbesserung der Finanzen gemachten Vorschläge wieder aufgesucht werden sollen“. Man wollte außerdem eine doppelte Losung ausschreiben, auf den Wein einen starken Aufschlag legen, die unnötigen Aemter und A) Mummenhoff a. a. O. S. 26. 2) Staatsarch, Nbg. Rep. 26, Fasz. N. 68,

Beamten einziehen und die Steuerrückstände eintreiben. Von jeder Erbschaft, die auf lachende Erben komme, sollte der zehnte Teil genommen werden. Man forderte eine Erhöhung des Fleischaufschlages und höhere Besteuerung der Wirte und Weinhändler. Durch den Verkauf der Güter gemeiner Stadt wollte man neue Einnahmen erzielen. Auf Häuser und Rauchfänge, ferner auf alle Kräme sollte etwas Ge­ wisses geschlagen werden; ebenso auf Würfel und Karten. Im Jahre 1696 stellte der Vorderste Losunger Joh, Albr. R i e t e r , ähnlich wie früher Schlüsselfelder, dem Rate vor, wie die Lasten zu groß, die Schulden im fort­ währenden Steigen, die Einnahmen im Schwinden und die Ausgaben im steten Wachsen begriffen sein. In der Folge trat er auch aus dem Rate aus, gab sein Bürgerrecht auf und zog sich auf sein Schloß nach Kornburg zurück 1). 1730 beschwerte sich der Kaufmann Zacharias Buck wegen der drückenden Lasten, die auf der Kaufmannschaft ruhten; gleichzeitig machte er die Mitteilung, daß er sein Bürgerrecht aufgeben müsse, um seinem Verderben zu ent­ gehen. Der im Jahre 1731 entstehende Konflikt wegen der Nachsteuer 2) gab noch 82 Kaufleuten Gelegenheit, sich seiner Beschwerde anzuschließen 3). Die Kaufleute beantragten in Wien die Aufstellung einer Lokalkommission 4). Dazu kam es indes noch nicht, sondern am 12. Februar 1731 wurde eine Hofkommission in Wien eingesetzt. Auf Grund ihrer Untersuchungen wurde am 2. März 1735 dem Magistrat befohlen, daß die Rech­ nungsrevisoren keine Verwandten der Rechnungsführer mehr sein dürften. Die Angelegenheit wurde sehr ver­ schleppt, und da die Kaufleute ihre Hauptforderung, näm*) Mummenhoff a. a. O. S. 27. Eine eingehende aktenmäßige Darstellung dieser an dramatischen Szenen reichen Episode bringt die Artikelserie von Mummenhoff, der Austritt des vordersten Losungers der Stadt Nürnberg Paul Albrecht Rieter von Kornburg aus dem Rat, im Unterhaltungsblatt des Fränkischen Kuriers 1912, Nr. 54, 56, 58, 60 und 62. 2) Von jedem wegziehenden Bürger wurden 10 % seines Vermögens erhoben, um dadurch die Abwanderung einzudäm­ men. Bingold a. a. O. S. 67. 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, Fasz. N. 68. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, Fasz. N, 68,

lieh die Einsetzung einer Lokalkommission, nicht durch­ setzen konnten, verzichteten sie auf die Weiterführung des Prozesses wegen der Nachsteuer, da sie wohl wußten, daß die verwickelte Sachlage nur an Ort und Stelle geklärt werden konnte. Am 15. Juli 1754 erfolgte deshalb ihre ,.Litisrenunciation“. Trotzdem erging unterm 6. August 1754 an den Rat ein sehr scharfes kaiserliches Kabinetts­ dekret, das dieser der Bevölkerung wegen der darin ent­ haltenen Vorwürfe verheimlichte. In dem Wiener Bescheid wurden zwar die eingesandten Rechnungen für gut und in Ordnung befunden, aber die Hofkommission glaubte fol­ gende Verfügungen treffen zu müssen: „1. Die sehr alte Rechnungsmethode ist abzuändern und die Rechnungen sind nach dem heute üblichen Stil, Form und Ordnung einzurich­ ten. 2. Die speziellen Rechnungen sind für einerlei Ter­ mine anzufangen. 3. Die ohne Not und Nutzen in einigen Kassen liegenden baren Geldreste sind zur Bezahlung der Schulden und Sistierung der Zinse zu verwenden. 4. Die in einer besonderen Spezifikation angeführten Mahlzeiten und andere willkürliche und unnütze Ausgaben sind gänz­ lich abzustellen. 5. Soll der Magistrat das Aerarium mög­ lichst erleichtern, die ausstehenden Schulden fleißig ein­ treiben, dem Handel aufhelfen, überhaupt das ganze Nürn­ berger Oekonomikum zu künftiger Erleichterung der Bür­ gerschaft auf einen besseren Fuß setzen. Vorschläge hier­ über sollen an kaiserliche Majestät unmittelbar eingesen­ det und dem Vizekanzler zugestellt werden.“ Die Nürnberger Bürgerschaft aber, ungehalten über diesen Ausgang der Angelegenheit, äußerte sich dahin, daß ein kaiserlicher Hofkammerbuchhalter in Wien die Rech­ nungen leicht für richtig befinden könnte; denn ein einzel­ ner Mann, und noch dazu in Wien, könne niemals einen klaren Einblick in die schwierige Rechnungsmethode einer Stadt wie Nürnberg gewinnen. Das Genanntenkollegium be­ mängelte, daß die Hofkommission vollkommen übersehen habe, daß in den Stadtrechnungen die Einnahmen und Aus­ gaben nicht in allgemeinen Rubriken, sondern „spezifice“ bemerkt und nicht mit den nötigen Belegen versehen seien.

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Die Hofkommission hätte feststellen müssen, welche Ein­ nahmen verbessert und vermehrt und welche Ausgaben teils ganz abgestellt, teils eingeschränkt werden könnten. Als drohendes Zeichen für den Niedergang des städti­ schen Gemeinwesens hätte der Rat die besonders seit 1750 einsetzende Auswanderung erkennen müssen. Während die Einwohnerzahl Nürnbergs um 1650 auf 40000 Seelen ge­ schätzt wurde, waren es um 1750 nur noch etwa 30 000 1). Bis zum Jahre 1806 ging die Einwohnerzahl auf ungefähr 25000 zurück; das entspricht der Bevölkerungszahl vom Jahre 1436. Die Aus wandernden scheuten nicht die Zah­ lung der hohen Nachsteuer und wandten sich meist nach Fürth, Erlangen, Schweinau, Schwabach, Zirndorf. 1767 suchte der Rat zwar durch eine Vereinfachung des Zollwesens dem Handel neuen Antrieb zu geben; aber der gewünschte Erfolg blieb aus. Nürnberg war wohl um diese Zeit immer noch eine bedeutende Zwischenhandels­ station, aber nach den siebziger Jahren machte sich ein starker Rückgang, besonders in der Ausfuhr Nürnberger Erzeugnisse, bemerkbar, der hauptsächlich auf die geringe Güte der Waren und die hohen Preise zurückzuführen war. Tn dieser Hinsicht traf die Hauptschuld die Nürnberger Handwerksmeister selbst. In den folgenden Jahren dringt die Kunde von dem Ruin des Nürnberger Stadthaushaltes in immer breitere Kreise und es häufen sich die mündlichen und schriftlichen Klagen hierüber unter der Einwohnerschaft, worüber uns heute noch eine große Zahl von Flugblättern Aufschluß gibt. An Besserungsvorschlägen fehlte es» ebensowenig; besonders in den Reihen der Patrizier sah man mit wach­ sender Sorge die Unzufriedenheit in der Bürgerschaft und man gab' sich alle Mühe, die Ursachen des Uebels zu erfor­ schen und allerlei Reformpläne zu entwerfen. Als Beispiel sei das Wesentliche aus einer Schrift des Freiherrn Chr. Haller von Hallerstein (Februar 1768) heran­ gezogen 2). Er mißt die Schuld an der Verarmung der 1) Bingold a. a. O. S. 9. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, Fa$z. N. 66.

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Stadt dem Aufhören des morgenländischen Handels (beson­ ders aus Alexandria, Smyrna, Aleppo) bei. Auch der ver­ änderte Schiffahrtsweg trage seinen Teil dazu bei. Haller führt dann weiter aus: ,,Die wahre Ursache ist aber die allzugroße Nachsicht gegen den Eigensinn der Handwerker und ihre reichsgesetzwidrigen Mißbräuche. Gute Hand­ werker hat man davongejagt und sie haben sich dann in den umliegenden Ortschaften angesiedelt und dorthin das Nürn­ berger Handwerk verpflanzt, während die Lasten der Stadt die gleichen bleiben. Deshalb entfernen Künste und Wissen­ schaften sich immer mehr.“ Als Rettungsweg gibt Haller an: Vermehrung der Einwohnerzahl durch Heranziehung von Fremden, Duldung aller Religionen, auch der Juden, die mit ihrem Handelsgeist dem Wohle der Stadt nützen könnten (unter Hinweis auf die Blüte Fürths). Man solle ihnen deshalb wenigstens Eingang in die Vororte gestatten. Er fordert ferner eine Erniedrigung der Steuern und bil­ ligere Lebensmittel. Fremden Personen, reichen Leuten und Künstlern sollen besondere Vorzüge gewährt werden, wenn sie sich in Nürnberg ansiedeln. Weiterhin verlangt er Hebung der Industrie, besonders der Tuch-, Leinwandund Ledermanufaktur. Auch der Handwerkerstand soll gefördert werden. Durch Errichtung einer Realschule glaubt Haller die Künste und Wissenschaften wieder beleben zu können. Die größte Sorgfalt ist der Jugenderziehung zu­ zuwenden, da bei der geringen Bildung der Leute die Ge­ schäfte, die ihnen anvertraut sind, schlecht besorgt werden. Dazu braucht man auch tüchtige Lehrer,. Dem unordent­ lichen Leben möge durch eine tüchtige Polizei gesteuert werden; doch müsse sie so besoldet sein, daß sie leben könne, ohne Geschenke annehmen zu müssen. Für Bettler und Müßiggänger möge ein Arbeitshaus geschaffen werden. Die Leute mit ansteckenden Krankheiten sollen in beson­ deren Häusern untergebracht werden. Gleichzeitig will Haller auch die Reinlichkeit und Schönheit der Stadt gehoben wissen, damit sich Fremde angezogen fühlen. Zum Schluß betont er noch einmal, daß auf Verminderung der Steuern und Lebensmittelpreise der Hauptwert zu legen sei.

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Diese Ausführungen geben uns zwar einen interessan­ ten Einblick in die Nürnberger Zustände; sie beweisen uns die auch im Folgenden noch häufiger zu Tage tretende Unerfahrenheit der Stadtväter in volkswirtschaftlichen Dingen. Daß auch dem verknöcherten Stadtregiment ein Hauptteil der Schuld an dem Niedergang zur Last fiel, erwähnt Haller mit keinem Worte. Beim Durchlesen der Akten drängt sich uns das Gefühl auf, als hätten die Nürn­ berger Patrizier in ihrer senatorialen Würde vollkommen das Gefühl für die Erfordernisse der nackten Wirklichkeit verloren. In ähnlicher Weise wie Haller erschöpften sich auch andere Patrizier mit allen möglichen Vorschlägen zur Besserung, ohne jemals die Axt an die Wurzel des Uebels zu legen, nämlich durch neuzeitliche Staats- und Verwal­ tungseinrichtungen die Einnahmen zu erhöhen und die Aus­ gaben zu verringern, wie sie zum Beispiel in dem Fürsten­ tum Ansbach nach der Uebernahme der Verwaltung durch Hard enberg 1791 getroffen wurden. Vielmehr war das Nürnberger Patriziat bemüht, die Atmosphäre der Kleinlichkeit, die über dem fränkischen Kreis seit dem dreißigjährigen Krieg lagerte, den engherzigen, ungesunden konservativen Geist, der alle Verhältnisse beherrschte und jeden Fortschritt hemmte, mit allen ihm zu Gebote stehen­ den Mitteln zu erhalten 1). Inzwischen kam das Jahr 1778 heran. Die Schulden waren beständig gewachsen und die Einnahmen gesunken, die Klagen über den Notstand der Staatskasse wurden lau­ ter und dringender 2). Da beschloß der Rat sich eingehender mit dem Finanzproblem zu befassen. Er setzte eine Depu­ tation ein mit der besonderen Aufgabe, eine Untersuchung des notleidenden aerarii publici vorzunehmen. Zu diesem Zweck fanden wöchentlich Konferenzen statt. Auf Grund der ersten Besprechungen der Deputation wurde am 12. August 1778 vom Rat in einem Verlaß verfügt: 1. Es sind Erkundigungen in Leipzig einzuziehen zwecks Ein1) Stein, Geschichte Frankens, S. 377/78. 2) Staatsarch, Nbg. Rep. 26, N. 66,

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führung eines Kaffee- und Teeimposts. 2. Es ist eine Kon­ zessionsabgabe in den Bierhäusern einzuführen für Billards und Bälle. 3. Es ist eine Abgabe auf die Haltung von Pfer­ den und Kutschen zu legen. 4. Es sind die Akten vor­ zubereiten, damit nach dem Fallen des Getreidepreises sofort Ankäufe von Getreide gemacht werden können. 5. Der Kleiderpracht und dem Luxus bei der gemeinen Bürger­ schaft ist zu steuern. 6. Es sind Mittel und Wege ausfindig zu machen, wie das Zechen auf dem Lande abgestellt wer­ den könne. Vorschläge hiefür sollte das Umgeldamt machen. 7. Der Bürgergulden ist einzufordern. 8. Durch die Herren Aelteren ist die Deputation wieder einzusetzen, die sich mit dem Verkauf der Immobilien der Stadt befassen soll, die für das Publikum entbehrlich sind. 9. Es ist den zur Stadt ge­ hörigen Untertanen aufzutragen, ihr Getreide möglichst in natura an die Stadt abzuliefern, damit sie von Getreide nicht zu sehr entblößt werde. 10. Es sind Auszüge aus den Pro­ tokollen über die anderen guten Vorschläge zu machen und sie den betreffenden Aemtern und Deputationen mitzuteilen. Im Jahre 1779 schlug die Finanzdeputation vor, daß zur Bekämpfung der Losungsschalkungen dem ehrlichen Steuerzahler 1/8 Nachlaß gewährt werden solle. Dagegen wurde jedoch geltend gemacht, daß dadurch zwar viel Geld verloren gehe, aber die Steuerhinterzieher doch nicht gefaßt werden könnten. Ein anderer Vorschlag bezüglich der Losung ging dahin, daß jeder Bürger unter Eid die Höhe seines Vermögens angeben und 3 Jahre nach dieser Angabe besteuert werden sollte (bisher wurde der Losungseid jähr­ lich abgelegt). Da lebhafte Bedenken auch gegen diesen Vorschlag geäußert wurden, behielt man bei der vielumstrit­ tenen Losungsabgabe den alten Modus bei. Erst 1784 befaßte sich die Finanzdeputation wieder mit der Losung und forderte, daß bei den Bürgern, welche den Losungseid zu umgehen wünschten, ein für alle Mal ein bestimmter Be­ trag festgesetzt werden sollte; ferner müßten die Losungs­ reste erneut eingefordert werden, für die beim Vormund­ amte angelegten Pupillengelder aber wollte man die dop­ pelte Losung einfordern. Unter Heranziehung befreunde-

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ter Kaufleute wurde die Einführung des Kaffeeaufschlages und die Aufnahme der Juden in Wöhrd und Gostenhof erneut in Erwägung gezogen. Auch von einer Abgabe auf die tägliche in der Stadt zum Verkauf kommende Milch ver­ sprach man sich eine wesentliche Einnahmequelle. Gegen­ stand der Besprechung bildete ferner eine Abgabe auf die Schornsteine („Rauchfanggeld“), die Erhöhung der Zollund Wagamtsgefälle und eine Steuerrevision. Von den Förstern des Reichswaldes sollte verlangt werden, daß sie das Bürgerrecht erwürben, um sie zur Stadtsteuer heran­ ziehen zu können. Besonderes Kopfzerbrechen bereitete der Finanzdepu­ tation der Rückgang des Umgeldes1). Schon 1759 berich­ tete die „Deputation zum Bräuhandel“ von der Abnahme des Umgeldes, die durch das Zechen in den benachbarten nicht mehr zum Gebiete der Reichsstadt gehörigen Ort­ schaften und durch das „Einschleichen“ von fremdem Ge­ tränk in Stadt und Vorstädte hervorgerufen worden war. Unter diesen Umständen versprach aber die Erhöhung des Umgeldes keinen Erfolg; denn „der Bürger würde sich noch mehr als jetzt schon des Biergenusses enthalten und der Pöbel würde zum Trinken außerhalb des Nürnberger Ge­ biets gelegene Gaststätten aufsuchen.“ Das Umgeldamt empfahl deshalb 1770 folgende Maßnahmen: 1. Scharfe Auf­ sicht der Polizeiorgane über die Trinker, die in Schweinau, Sündersbühl, Steinbühl und anderen Unrechten Orten zech­ ten. 2. Sperrung der Wege, auf denen Bier heimlich in die Gärten der Stadt geschmuggelt wurde. 3. Scharfe Zollüber­ wachung des einpassierenden Getränkes. 4. Verbot an die Gartenbesitzer, sich Bier in die Gärten schaffen zu lassen und es an dritte Personen weiterzuverkaufen zum Schaden der konzessionierten Wirte. 5. Häufige Visitationen aller in die Stadt kommenden Fahrzeuge nach verstecktem Ge­ tränke. 6. Ablösung aller bestechlichen Polizeiorgane. Die Finanzdeputation hieß zwar diese Vorschläge gut, aber die praktische Durchführung scheiterte daran, daß die in Betracht kommenden Aufsichtsorgane infolge der völlig *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 66.

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unzureichenden Besoldung immer wieder auf Bestechungs­ gelder angewiesen waren; selbst ein Wechsel im Personal brachte infolgedessen keine Aenderung. So hatte bei dem allgemeinen Geldmangel eben ein Uebel das andere im Gefolge. Fällen von Beamtenkorruption begegnen wir in dieser Zeit in allen Aemtern bis hinauf in die höchsten Stel­ len, ohne daß man aus genannten Gründen die betreffenden Personen für ihr schuldhaftes Verhalten voll verantwortlich machen konnte. Ueberdies ist bei den geschilderten Vor­ kommnissen noch der Umstand in Betracht zu ziehen, daß eine Polizei in unserem Sinne in Nürnberg erst nach der Uebernahme durch Bayern geschaffen wurde. Bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit finden wir nur Stadt­ knechte, Rumorwachen, Nachtwächter, Torsperrer, Bereu­ ter und Zollwächter.1) Wir sehen, daß der Rat zuerst nur mit kleinen Mitteln der Finanznot abzuhelfen suchte, und schon jetzt gewinnt man die Ueberzeugung, daß damit nur neue Reibungen und Verwicklungen geschaffen wurden, ohne daß man dem Hauptübel dadurch auch nur entfernt beigekommen wäre. Der Rat verordnete eben, um nur etwas getan zu haben; man suchte sein Gewissen zu beruhigen und im übrigen blieb alles beim alten. Am 4. Juli 1785 pflogen die Mitglieder der Finanz­ deputation (Stromer, Kreß, Haller, Scheurl, Löffelholz, Grundherr) wieder Rats in Anbetracht der Tatsache, daß nicht einmal genug Barschaft vorhanden war, um die Zinse des Schauamts für das Laurentiziel auszuzahlen 2). Eben­ sowenig war aber Aussicht für das Allerseelenquartal vor­ handen. Um aus dieser Verlegenheit zu kommen, wurde zuerst eine neue ,,Geldaufnahme“, dann eine Repartition auf die Aemter der Stadt in Aussicht genommen. Schließ­ lich sollten beide Mittel herangezogen werden, da das Defi­ zit in der Bilanz jährlich den Betrag von 10000 fl. erreicht hatte. Doch scheinen beide Hilfsmittel noch nicht aus­ gereicht zu haben, um die Ausgaben und Einnahmen in 1) Bingold S. 42 u. a. a. O. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, Fasz. N. 66.

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Einklang zu bringen; denn man beschloß eine Extra­ steuer in Stadt und Land zur „Dijudikatur“ zu bringen. Da man aber bei den allgemein schon sehr hohen Lasten den Unwillen des Volkes fürchtete, sollte diese außerordentliche Maßnahme damit begründet werden, daß man den Ertrag wegen der großen Ueberschwemmung des vergangenen Jahres benötige, die einen ,,sehr kostbaren Aufwand“ zur Herstellung der Brücken und anderer beschädigter öffent­ licher Gebäude notwendig mache. Mit dem Rest der Summe dachte man die für Volksernährung und zum Getreideankauf bereits verwendeten Summen zu decken. Den Deputierten scheint aber bei dieser offenkundigen Täuschung des Volkes doch nicht recht wohl zu Mute gewesen zu sein; denn es wurde in dieser Konferenz zum erstenmal der Wunsch geäußert, daß ,,eine unter kaiserlicher Autorität stehende Untersuchungskommission folgende Punkte in Deliberation zu nehmen geruhen wolle: i. Wie können die Ausgaben und Einnahmen gleichgestellt werden ? 2. Wie soll die Losungsabgabebestimmung abgeändert werden, damit nicht so viel Unrichtigkeiten bei Abrechnung der Losung Vorkommen?“ Die Anregung über Aenderung der Losungs­ abgabe ist um so bedeutungsvoller, als sie von Mitgliedern des Kleineren Rates, also von Patriziern selbst, gemacht wurde, denen doch, wie später dargelegt wird, daran gelegen war, die Losung in ihrer alten Form zu erhalten. Sehr viel­ sagend ist auch die erstmalige Erwähnung einer kaiserlichen Kommission; denn die Deputation fühlte allmählich, daß die Verantwortung für diese neuerliche schwere Geldforderung zu sehr auf ihren Schultern laste. Die Folgezeit bewies in der Tat, daß die Finanzdeputierten das richtige Gefühl hatten. Allerdings wurde in derselben Sitzung darauf hin­ gewiesen, daß der Gedanke ,,einer Negociation mit dem Allerhöchsten Kaiserlichen Hof betreffs Abwendung des Umsturzes der Staatskasse“ streng geheim gehalten werden müßte, da erst noch weitere Erwägungen hierüber angestellt werden sollten. Daß aber der Zustand des Nürnberger Staatshaushaltes eine Katastrophe im Bereich der Möglich­ keit erscheinen ließ, geht auch aus anderen Aeußerungen in

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dieser Sitzung hervor, wonach ganz extreme Mittel, wie die Veräußerung der ,,Güter und Untertanen im Sulzbachischen, ja selbst entlegener Pflegämter“, zur Erleich­ terung der Schuldenlast ins Auge gefaßt wurden. Zu ihrer Entschuldigung aber wiesen die Deputierten auf einen Rats­ verlaß vom Jahre 1695 hin, worin ein ähnliches Hilfsmittel schon einmal vorgeschlagen worden sei. Außerdem sollte noch eine Reduktion des Schuldzinsfußes vorgenommen werden, ,,natürlich mit Sicherheiten gegen intempestive Aufkündigungen, um das letzte Mittel eines Moratoriums zu vermeiden.“ Durch diese Aeußerungen wurde eigentlich der Zustand des Staatsbankrotts bereits zugegeben, wenn es auch der Stadt gelang die offizielle Erklärung zu vermeiden. Es kann uns also nicht wundernehmen, wenn der Rat in dieser Zwangslage die Vorschläge der Finanzdeputation annahm, so schwer es ihm auch gefallen sein mag. Als sich die Kunde von der geplanten Extrasteuer im Volke verbreitete, erregte sie keine geringe Aufregung x). Von allen Seiten wurde das Kollegium der Genannten des Größeren Rates bestürmt, sich gegen diese neue uner­ hörte Steuerbelastung zu verwahren. Trotzdem gaben der Größere Rat und die Bürgerschaft noch einmal den Vorstel­ lungen des Magistrates nach und erklärten ihr Einverständ­ nis mit der Extrasteuer, jedoch nur unter folgenden Be­ dingungen: 12)3 1. Der zu erwartende oberherrliche Erlaß sei bestimmt und keiner anderen Auslegung fähig. 2. Es soll die Zu­ sicherung gegeben werden, daß in Zukunft ohne Zuziehung 1) Denn diese Steuer war nicht nur Vermögenssteuer, son­ dern auch Einkommensteuer. Es sollten, nämlich sogar die Kin­ der, soweit sie eigenen Verdienst hatten, herangezogen werden, ferner die Dienstboten, Barbiere, Kellner, Handlungsbediente usw. Diese sollten mit 30 bis 45 kr., dagegen Lakaien, Kutscher und Knechte durchgängig mit 1 Gulden angelegt werden. In der zwei­ ten Bekanntmachung jedoch wurden die Handwerksgesellen und -Jungen von der Steuer freigelassen, da zu befürchten war, daß die Stadt binnen 24 Stunden von diesen unentbehrlichen Leuten entvölkert sein werde. Druckschrift : Vollständige Darstellung der Rechte des größeren Bürgerlichen Rates . . 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, Fasz. N. 68 und Druckschrift: Gedanken über die Steuerverfassung zu Nürnberg S. 67.

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der Genannten des Größeren Rats und der Bürgerschaft ,,ohne die meisten Stimmen“ keine Steuer mehr aufzulegen sei. 3. Es soll der Rat deswegen auf die Genannten keinen Unwillen hegen. — Wie berechtigt diese Forderungen der Genannten waren, wird die spätere Entwicklung der Ereig­ nisse lehren. Es läßt sich nach den Anschauungen der damaligen Zeit ohne weiteres verstehen, daß der Rat über diese Forderun­ gen des Gen.-Koll. empört war, besonders in Anbetracht dessen, daß der Rat in der zweiten Hälfte des 18. Jahr­ hunderts wie viele Fürsten die Verfügung über das ganfce Eigentum der Bürger, wie die absolute Gewalt über die Stadt und das Gebiet in Anspruch nahm x). Ohne Rücksicht auf die Wünsche der Genannten ließ deshalb der Rat durch zwei Intimationen vom 1. und 15. April 1786 die neue Extra­ steuer ausschreiben und sie willkürlich beitreiben2). Dieses Verfahren des Rates löste nun in der Folgezeit schwere Kämpfe aus, deren Verlauf uns um so interessanter anmutet, als sie ein kleines und fast gleichzeitiges Gegen­ stück zur großen französischen Revolution bildeten und Notizen hierüber sogar in Pariser Blättern erschienen 3). Da das Gen.-Koll. diesmal die gesamte Nürnberger Bürger­ schaft hinter sich hatte, war es fest entschlossen, seine und die Interessen der Bürgerschaft, selbst auf die Gefahr eines harten Kampfes mit dem Patriziat, zu verfechten4). Es wandte sich deshalb noch im gleichen Jahre mit einer Bittschrift an die kaiserliche Majestät. Dieses Schreiben gegen die Extrasteuer war von 12 Mit­ gliedern, den Syndici des Größeren Rates, unterzeichnet. Gleich darnach richtete es aber auch eine Beschwerde­ schrift an den Reichshofrat, in der es sich nicht nur gegen *) Druckschrift: Vollständige Darstellung der Rechte des größeren bürgerlichen Rates und Rep. 26, N. 68. *) Mitglieder des Gen.-Koll., die sich über die Steuer be­ schwert hatten, wurden dabei zur Strafe mit ganz enormen Steuersummen herangezogen. Druckschrift: Vollständige Darstel­ lung der Rechte des größeren bürgerlichen Rates S. 81. 8) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68. 4) Druckschrift: Gedanken über die Steuer- und Rechnungs­ verfassung in Nürnberg S. 67.

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die neuen Steuern, sondern auch gegen die ganze Rech­ nungsführung und Finanzverwaltung des Magistrates ver­ wahrte und ein votum decisivum in Steuersachen forderte. In dieser Beschwerde wurde auf die Nichtbefolgung der kaiserlichen Verordnung vom Jahre 1754 durch den Rat Bezug genommen. Am 14. Dezember 1786 aber wurde diese Beschwerde vom Reichshofrat in einem für die Bürgerschaft ungünstigen Sinne verbeschieden, anscheinend deshalb, weil der Rat beim Reichshofrat geltend gemacht hatte, daß sich die Genannten einen Eingriff in die Nürnberger Konstitution erlaubt hätten, indem sie sich eine Mitregentschaft anmaßen wollten. Das Urteil des Reichshofrates scheint auch dadurch beeinflußt worden zu sein, daß der Rat behauptet hatte, die Genannten gingen mit besonders gefährlichen Staatsrevo­ lutionen schwanger. Deshalb war der Bescheid vom 14. Dezember auch sehr scharf gehalten; er bezeichnete das Vorgehen der Genannten kurzweg als einen Unfug. Unter dem gleichen Datum wird aber auch vom Magistrat durch ein kaiserliches Reskript binnen zweier Monate ein genauer Bericht über den Status activi et passivi der Stadt und über die Maßnahmen eingefordert, welche seinerzeit (1731) auf die Beschwerde Nürnberger Kaufleute hin vom Rate getroffen worden seien 1). Man sieht also daraus, daß die Beschwerde der Genann­ ten trotz des abschlägigen Bescheids seitens der höchsten Reichsinstanz doch nicht ohne wesentliche Folgen für den Rat geblieben ist. 1786 erscheint die Beschwerde der Genannten an kaiserl. Majestät wegen der Extrasteuer auch im Druck bei C. F. Wappler in Wien unter dem Titel: ,,Gedanken über die Steuer und Rechnungsverfassung zu Nürnberg nebst einer genauen Erläuterung der darüber vorhandenen Urkun­ den“ 2). Diese Schrift, von den 12 Syndicis der Genannten unterzeichnet, wurde dem Rat am 3. Februar 1787 präsen*) Durch Reichshofratskonklusa v. 10. Dez. 1799, 28. Febr. und 2. Aug. 1791 wurde diese Verordnung noch verschärft und auf die Partikularämter ausgedehnt. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68. 9

tiert. Der Grundgedanke der Druckschrift ist. daß die Bür­ gerschaft bei Ausschreibung neuer Steuern unbedingt ge­ fragt werden und der bisherige Zustand der geheimen Rechnungsführung und des absoluten Besteuerungsrechtes ,,mit gänzlicher Ausschließung der Bürgerschaft“ endlich aufhören müsse. Wie schon oben erwähnt, fanden die bürgerlichen Interessen in Wien deshalb keine Unterstützung, weil es dem Rat bei der Darstellung der Verhältnisse gelungen war, bei Kaiser und Reichshofrat den Eindruck zu erwecken, daß es sich um anmaßende Forderungen des Ausschusses der Bürgerschaft handle. Deshalb ließen die Genannten kein Mittel unversucht, um Kaiser und Reichshofrat eines Bes­ seren zu belehren. Unter dem Rechtstitel einer Einwen­ dung gegen ein Urteil, das unter Angabe falscher Gründe erschlichen sei (exceptio sub- et obreptionis), wurde von den Genannten die Verfolgung der Steuerangelegenheit wieder aufgenommen. Schon 1787 wurde von ihnen eine neue Druckschrift veröffentlicht, in der sie nun alle bisher noch gegen den Rat geübten Rücksichten fallen ließen und ein umfassendes Anklagematerial gegen ihn und die Art seiner Regierungsmethoden der Oeffentlichkeit übergaben. Die Druckschrift trägt den Titel: „Vollständige Dar­ stellung der Rechte des größeren bürgerlichen Rats zu Nürnberg sowohl überhaupt, als besonders in Steuer­ sachen“ *). Zum Verständnis für die weitere Entwicklung der Ereignisse müssen im folgenden einige Punkte aus dieser Anklageschrift herangezogen werden. Es wurde be­ hauptet, daß zwanzig ratsfähige Patriziergeschlechter über Nürnberg und sein Gebiet eine Regierungsgewalt ausübten, wie sie selbst in den unumschränktesten deutschen Fürsten­ tümern nicht anders sei. Der Zweck des Staates und das Gemeinwohl trete ganz hinter dem Interesse für den Privat­ vorteil und den Glanz der Patrizierfamilieu zurück. Eine solche Oligarchie gehöre aber zu den unglücklichsten Regie­ rungsformen schon deshalb, weil die Mißbräuche, in die eine fürstliche Regierungsverfassung ausarten könne, in Nürn*) Druckschrift: Vollständige Darstellung . . . ., S. 1.

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tit

berg zwanzigfach eingetreten seien. Angesichts dieses unerträglichen Despotismus sei die Bürgerschaft entschlos­ sen, den letzten Rest ihres durch unerträgliche Steuern geschmälerten Eigentums gegen die neuen unerhörten, in keinem deutschen Staate vorkommenden Steuerbedrückun­ gen mit allen Mitteln in Schutz zu nehmen1). Da nun alle kaiserlichen Verordnungen, wie die Erfahrung seit 1754 zeige, deshalb wertlos seien, weil alle dadurch auf Kosten der Patrizier erzielten Mehrerträge der Staatseinnahmen vom Rat diesen unter irgend einem Titel wieder zugewendet würden, forderten die Genannten eine ,,dauerhafte und uninteressierte Kontrolle aus dem Kaufmanns- und Hand­ werkerstande im ganzen Finanz- und Rechnungswesen.“ Im Falle der Undurchführbarkeit dieser Forderung drohten die Genannten im Namen der Bürgerschaft mit der Aus­ wanderung. — Es folgt dann in der Druckschrift eine um­ fassende Darlegung des Nürnberger Steuerwesens und seiner gesetzlichen Grundlagen. Ein Ueberblick ergibt, daß der Nürnberger Bürger 7/16 des Einkommens- aus seinem Vermögen in Form von direkten Steuern an den Staat abführte, wozu noch die Abgaben für Almosen, Armenund Arbeitshaus, für die Bürgerwehr und die indirekten Steuern in Form von Umgeld für Bier, Wein und Brot kamen. Im ganzen zahlte der Nürnberger Bürger an Steuern das 6—2ofache des Frankfurters. Während der Bürger fast 2/3 seines Vermögenseinkommens an Steuern entrich­ tete, genoß der Patrizier eine Reihe von Vorteilen. Er leistete nur die halbe Vermögenssteuer. Die Losungsfrei­ heit von 100 Simra Korn kam ihm allein zu statten, da nur der Patrizier so viel aus seinem Grundbesitz erntete. Die Renten der an Untertanen verliehenen Kapitalien wurden vom Patrizier als Gutseinkünfte verschleiert, wofür er nur eine geringe Losung zu entrichten hatte 2). Außerdem zog er von seinem Güterertrag noch vorher die „Baukosten“ ab, während der Kaufmann für Handelsunkosten nichts in Anschlag bringen durfte. Ferner wird in der Schrift über *) Druckschrift: Vollständige Darstellung usw., S. 4. 2) Druckschrift: Vollständige Darstellung usw., S. 19. 9*

die willkürliche Festsetzung der Testamentsteuer (ent­ spricht ungefähr unserer Erbschaftssteuer) durch das Losungsamt geklagt. Bezüglich der Verwaltungseinrich­ tungen wird vor allem beanstandetx): i) die große Zahl der zum Teil überflüssigen Aemter. 2) Die Menge von Kassen, die unabhängig von einander wirtschaften. 3) Die will­ kürlichen Emolumente der einzelnen Aemter. 4) Die ge­ heime Rechnungsführung. 5) Die „ruinöse“ Selbstadmini­ stration mancher Gefälle*2). 6) Die Unzahl nutzloser Aus­ gaben. 7) Die unwirtschaftliche Arbeit der Staatsbetriebe (Unschlittamt und Weizenbierbräuhaus). 8. Der Ausschluß des Kaufmanns- und Handelsstandes von den Regierungs­ geschäften. Die Genannten gehen in ihren Darlegungen sogar so weit, daß sie den Patriziern eine vorsätzliche Hintansetzung des Gemeinwohles zum Vorwurf machen, indem sie in völliger Unkenntnis des Finanzwesens eines Staates ihre Aemter nur als Pfründen und Benefizien ansähen und sich aus den Domanial- und Kameraleinkünften Akzidentien und Emo­ lumente in willkürlicher Höhe aneigneten3). Von der jährlich stattfindenden Hauptkassenrevision wird gesagt, sie sei zur reinen Formalität herabgesunken; auch zur Prü­ fung der übrigen Stadtrechnungen werde nie ein Sachver­ ständiger herangezogen. Die Druckschrift schließt mit einer feierlichen Auf­ forderung, zur Regelung dieser unhaltbaren Zustände eine Lokalkommission einzusetzen. In jenen Tagen beschäftigte sich die Nürnberger Bür­ gerschaft mehr denn je damit, Vorschläge ausfindig zu machen, wie dem erschöpften Aerarium aufzuhelfen sei. Viele reiche Bürger, beunruhigt durch allerlei Gerüchte, waren bedacht, ihr Vermögen ins Ausland zu bringen, wozu die Nähe Fürths mit seiner bemerkenswerten Bank noch besonders einlud4). Von allen Seiten kamen Vorschläge, D Vollständige Darstellung usw., S. 26. 2) Durch Verpachtung waren sie künstlich in die Höhe ge­ trieben worden. 8) Druckschrift: Vollständige Darstellung usw., S. 67, S. 72/73. 4) Druckschrift: Vollständige Darstellung usw., S. 81.

133 wie der Finanznot am besten zu Leibe gegangen werden könnte. In den wesentlichen Punkten gleichen sich diese Vorschläge mehr oder weniger. Von besonderer Bedeutung waren jedoch die Anregungen, die von den Marktvorstehern und Marktadjunkten als Beilage zu der Druckschrift der Genannten vom Jahre 1787 erschienen, insofern als die später eintreffende kaiserliche Subdel.-Komm. sie wieder aufgriff und teilweise zum Gegenstand ihres Sanierungs­ planes machte. Von den Marktvorstehern wurde gefor­ dert i): A. Für die Stadt: 1. Der Verkauf des Kunstbrunnens in der Peunt. 2. Der Verkauf des kostbaren Zeughauses an einen der reichen deutschen Höfe oder Verkauf der z. T. unbrauch­ baren Kanonen an die Nürnberger Rotgießer, die unter Mangel an Rohstoffen litten. 3. Der Verkauf der vielen reichen Meßgewänder, deren Gebrauch sich für den evan­ gelischen Gottesdienst nicht schicke. 4. Der Verkauf der überflüssigen öffentlichen Gebäude. 5. Eine ergiebigere Gestaltung der Stadtgefälle. 6. Die Verringerung der Beamten, die trotz der verminderten Geschäfte noch in der alten Zahl beschäftigt wurden. 7. Die Einziehung über­ flüssiger Aemter. 8. Die Verhinderung des auswärtigen Zechens, um dadurch die Einnahmen aus dem Umgeld zu erhöhen. 9. Die Bekämpfung der Beamtenbestechlichkeit. 10. Die Erhöhung des Getreideaufschlages. 11. Ein neuer Modus collectandi der Losung. 12. Die Verpachtung des Weizenbräuhauses*2). 13. Die Verlegung der Universität von Altdorf nach Nürnberg (dadurch versprach man sich Neubelebung der Stadt und die Beziehung der vielen leer­ stehenden Häuser). 14. Die Verringerung der zu zahl­ reichen Geistlichkeit. 15. Die Ansiedlung von fremden Manufakturisten und Kapitalisten in Nürnberg. D Anlage zur Druckschrift: Vollständige Darstellung, S. 32 ff. 2) Das gräfliche Brauhaus in Farnbach wird wegen seiner Rentabilität als vorbildlich hingestellt.

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B. FürdieLandschaft: i. Die Einziehung der Pflegen als Sinekuren für die Patrizier und die Verpachtung oder Vererbung der dazu­ gehörigen Grundstücke. 2. Die Verpachtung oder Ver­ erbung des Dutzendteichs. 3. Die Verpachtung der Weg­ zölle. Auf einen Wandel der Dinge drängte aber nicht nur die Geldnot im Staatshaushalt, sondern auch der Zustand des öffentlichen Lebens, der uns bisweilen ganz modern anmutet. So häuften sich die Klagen über zügellosen Luxus auf der einen und über größte Armut auf der anderen Seite. Unverschämte Bettelei nahm in der Oeffentlichkeit immer mehr überhand, während die verschämten Haus­ armen in ihrer Not allgemeines Bedauern erweckten. Hand in Hand mit diesen Erscheinungen ging eine erschreckende Arbeitslosigkeit; trotzdem wurden von einzelnen Betrieben, z. B. der „Cottonfabrique“, Arbeiter von auswärts ein­ gestellt. Auch die Unsittlichkeit griff um sich, so daß ehr­ same Bürger sich über Belästigung durch Dirnen auf der Straße beklagten. Allenthalben wurden Beschwerden über die Verrohung der Handwerksgesellen laut. Weiteste Kreise frönten ungezügelter Spielleidenschaft. Der Rat beklagte sich wiederholt darüber, daß das Autoritätsgefühl ge­ schwunden sei. Immer weiteren Kreisen drängte sich infolgedessen das unabweisbare Gefühl auf, daß die Dinge einer Katastrophe entgegentrieben, wenn es nicht gelänge, einen Ausweg aus der allgemeinen Not zu finden. Im Vordergrund des all­ gemeinen Interesses blieb jedoch das staatliche Finanz­ problem und damit aufs engste verbunden, für manche Kreise sogar noch wichtiger, die Forderung der Teilnahme des Volks durch ihre Vertreter an der Staatsregierung, wenigstens insofern sie sich auf die Staatsausgaben erstreckte. Im Jahre 1790 trat ein Ereignis ein, durch welches der Verfassungskampf zwischen Rat und Gen.-Koll — denn von einem solchen kann man zu dieser Zeit schon mit Recht sprechen — wieder neu auflebte.

135 Kaiser Joseph II. war gestorben und sein Bru­ der Leopold sollte als Nachfolger in Frankfurt ge­ krönt werden. Es handelte sich angesichts dieses Er­ eignisses für den Rat darum, die Reichskleinodien nach dieser Stadt zu überführen1). Dies erforderte eine Ausgabe von 40—50 000 fl. Aber alle Kassen waren leer. Es blieb nichts anderes übrig, als diese Geld­ summe wieder vom Volke aufbringen zu lassen. Nach den vorhergegangenen Ereignissen wagte es der Rat jedoch diesmal nicht, die Summe auf dem Wege des Dekrets ein­ zufordern, sondern er lud zu einer Ratsdeputationskonferenz am 3. Juni 1790 Vertreter des Gen.-Koll. ein, um von ihnen Vorschläge entgegenzunehmen, wie diese Summe vom Volk aufgebracht werden sollte. — Das Gen.-Koll. konnte sich keine schönere Gelegenheit denken, um mit seinen alten Fordeiungeil aus diesem Anlaß erneut hervorzutreten. Bereits am 7. Juli 1790 unterbreitete es deshalb dem Rate eine „Vernehmlassung.“ Unter Hinweis auf seine früheren (1789) vom Rat unter allgemeinen Entschuldigungen ab­ gefertigten Anträge machte es diesmal Vorschläge kon­ kreterer Art, die bei ihrer Durchführung einschneidende Veränderungen in der alten Staatsverfassung zur Folge haben mußten. In erster Linie verlangte das Gen.-Koll. eine gründliche Untersuchung des Aktiv- rnnd Passivzustandes des Nürn­ berger Staatswesens, die entweder durch eine Lokalunter­ suchungskommission oder durch eine gemischte Kommis­ sion vorgenommen werden sollte. Sie sollte sich aus drei Deputierten des Kleinen Rats, zwei Deputierten aus dem Kaufmannsstande und zwei Deputierten aus dem Hand­ werkerstande zusammensetzen. Die vier letzteren Mit­ glieder sollten aus dem Gen.-Koll. genommen werden. Außer­ dem wurde die Zuziehung von zwei bis drei vom Gen.-Koll. vorzuschlagenden Finanzsachverständigen verlangt. Diese Forderung hatte ihren Grund hauptsächlich darin, daß die *) Druckschrift, Kurze Darstellung der Finanzbeschwerden und der zu deren Abstellung geschehenen wesentlichen Ver­ besserungsvorschläge usw.

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Höhe der Nürnberger Schulden nicht einmal den Patriziern bekannt war; denn es wurden in jener Zeit die verschieden­ sten Zahlen genannt. Man hoffte, daß diese Deputierten in gemeinschaftlicher Arbeit alle möglichen Finanzverbes­ serungsmittel ausfindig machen und ins Werk setzen könn­ ten. Bei dieser Gelegenheit sollten auch die Beschwerden der Bürgerschaft gehört werden, deren Wortführer einige Syndici des Größeren Rates sein würden. Außer den bereits weiter oben erwähnten Vorschlägen dem notleidenden Aerar aufzuhelfen, tauchten jetzt neue auf, wie die Verbesserung der Waldadministration durch Einstellung forstmännisch geschulten Personals. Für die Vereinfachung des Behörden­ organismus wurden praktische Vorschläge gemacht; so die vollständige Einziehung des Zinsmeister-, des Kriegs- und des Bauamts, deren Geschäfte vom Losungsamt übernom­ men werden sollten. Außerdem wünschte man verschiedene Kassen vereinigt zu sehen. Das Losungsamt sollte in Zu­ kunft alle Zahlungen leisten, zu welchem Zweck ihm die Einnahmen aller Kassen und Aemter zugeführt werden müßten. Aber selbst dieses Amt sollte bei allen Geldaus­ gaben, soweit sie nicht zu den laufenden Zahlungen gehör­ ten, an die Zustimmung eines Oberrechnungsrevisions­ kollegiums gebunden werden. Eine Forderung von großer Tragweite war, wie wir später noch sehen werden, die der Aufhebung aller Nebeneinkünfte, so der Amtsemolumente und Akzidentien, die gerade in den letzten Jahren einen ungeheuren Umfang angenommen hatten. Dieser Vor­ schlag war umso schwieriger zu verwirklichen, als im Nürnberger Beamtenbesoldungswesen im Lauf der Jahr­ zehnte eine heillose Verworrenheit eingerissen war, inso­ fern als zahlreiche Beamte in der Hauptsache auf die Ein­ nahmen aus Sporteln, Emolumenten und Akzidentien an­ gewiesen waren. Aus diesem Grunde wurde auch die Aufstellung einer genauen Taxordnung verlangt, die ihrerseits wieder die Neuregelung aller Beamtengehälter notwendig machte. Sehr schmerzlich mußte den Rat das Verlangen berühren, daß dem Patriziat nur eine bestimmte Anzahl von Rats- und

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Beamtenstellen zugänglich sein sollte. Dabei wurde der Grundsatz aufgestellt, daß jede Stelle nur nach Verdienst und Können vergeben werde. Bisher hatte sich nämlich der Rat bei Besetzung aller wichtigen Aemter in erster Linie durch besondere Rücksichten auf die einzelnen Geschlech­ ter leiten lassen. Neben den Forderungen der Zusammen­ legung der „geistlichen Gefälle“ zu einem Verwaltungs­ körper (Stadt- und Landalmosenamt, Getreidekasten in der Kartause und zu St. Egidien, Klaren- und Pillenreutheramt, Pflege von St. Martha, die 4 Siechköbel, Pilgrims­ spital, Mendelsche und Landauersche Zwölfbrüderstiftung, Jungfern- und Kindbetterinnenalmosen, Konvertitenkasse), der Vermeidung kostspieliger Prozesse mit Nachbarn, der Abschaffung des Geschäftsträgers in Wien, Erleichterung der Reichs- und Kreisbeiträge, wird besonderer Nachdruck auf Herabsetzung des staatlichen Zinsfußes auf mindestens 4 % und eine gründliche Reformation des bisherigen Steuerund Losungssystems gelegt. Zu diesem Ende wird ver­ langt, daß die Steuern statt der bisherigen 7/10 des Ver­ mögensertrages nur mehr J/4 betragen dürften, daß alle Ungleichheiten in der Besteuerung zwischen Rentner, Kauf­ mann und Grundbesitzer aufhören müßten. Die Agioberech­ nungen bei Einlösung der Losungssymbole, das verdeckte Einlegen der Losung, wie die Losungsfreiheiten sollten gänzlich abgeschafft werden. Ein Oekonomieverbesserungsund Rechnungsrevisionskollegium sollte ermächtigt wer­ den, rücksichtslos gegen alle vorzugehen, die sich Losungs­ schalkungen zuschulden kommen ließen, auch wenn es sich um Patrizier handelte. Ferner wurde die Beseitigung der von den Bürgern so drückend empfundenen Viktualiensteuern und Testamentstaxen gefordert. Sollte nach Einfüh­ rung dieser Verbesserungen der Losungsertrag zur Deckung der Ausgaben nicht hinreichen, so könnte das Rechn.Revis.-Koll. eine außerordentliche Extrasteuer ausschrei­ ben. Dieser Körperschaft obliege auch die Aufstel­ lung eines genauen Finanzplanes (Budget). Was die neue Instanz des Rechn.-Revis.-Koll. betrifft, so war in dieser Denkschrift vorgesehen, daß dessen gutacht-

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liehe Berichte zuerst dem Kleinen Rat vorgelegt wer­ den, der sie vorberät; dann gehen sie an den Größeren Rat weiter, der endgültigen Beschluß darüber zu fassen hat. Die­ ser Beschluß wird vom Kleinen Rat bestätigt und öffentlich bekanntgegeben. An der Rechnungsführung und Revision muß die Bürgerschaft beteiligt werden. Ihr steht ferner das Recht zu, in das Losungsamt, dessen Amtsbefugnisse auf Grund obiger Forderungen wesentlich erweitert werden, zwei oder drei bürgerliche ,,Gegenschreiber“ abzuordnen, ohne deren Wissen keine Ausgaben gemacht werden dürfen. Da diese Forderungen im Widerspruch zu dem von Kaiser Friedrich III. erteilten Privileg bezüglich der geheimen Rechnungsführung des Patriziats standen, wurde der Rat aufgefordert, freiwillig darauf zu verzichten, andernfalls sollte eine authentische Interpretation dieses Privilegs vom Kaiser erbeten werden. Am Schlüsse seiner Ausführungen betonte das Gen.-Koll., daß nach Bewilligung dieser For­ derungen durch den Rat sich der besitzende Teil der Bevöl­ kerung gegen geringe Zinsen oder sogar zinslos sofort bereit finden werde, die zur Ueberführung der Reichs­ kleinodien nach Frankfurt nötige Geldsumme vorzu­ schießen, allerdings gegen die Zusage, daß die gewährte Summe im Laufe der nächsten vier Jahre wieder von der Losung abgezogen werde1). Bei Erwägung der Tragweite dieser Forderungen des Gen.-Koll. muß man zu der Ueberzeugung kommen, daß der patrizische Rat dazu sein Einverständnis nicht geben konnte, wenn er nicht seine ganze bisherige Stellung im Nürnberger Staatswesen aufgeben wollte. Denn alle Vor­ schläge liefen doch letzten Endes auf eine Demokratisierung der Staatsverfassung hinaus. Es handelte sich ja nicht etwa darum, daß der patrizische Rat nur an die Zustim­ mung der Vertreter der Bürgerschaft in Geldangelegenhei­ ten gebunden werden, im übrigen aber in seinen Regierungs­ maßnahmen die alte Souveränität behaupten sollte. Viel­ mehr wäre durch die Aufnahme bürgerlicher Beamter in *) Bis hieher auf Grund der Ausführungen in der S. 18 an­ geführten Druckschrift: Vollständige Darstellung usw.

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die höchsten Regierungsstellen nicht nur das alleinige An­ recht des Patriziats auf die wichtigsten Regierungsämter beseitigt, sondern durch die überragende Bedeutung des Rechn.-Rev.-Koll. wäre auch die staatsrechtliche Stellung des Rates vollkommen verändert worden, weil er nicht mehr die souveräne Regierungsgewalt ausgeübt hätte, sondern zu einer Art Exekutivgewalt für die vom Rechn.-Rev.-Koll. und den Genannten beschlossenen Maßnahmen herab­ gedrückt worden wäre. Bestenfalls hätte der Rat durch fruchtlose Opposition die Ausführung der Beschlüsse ver­ hindern können. Die Weiterverfolgung der Angelegenheit bezüglich der Ueberführung der Reichsinsignien nach Frankfurt gehört nicht mehr in den Rahmen dieser Ausführungen.

III. Das Rechnungsrevisionskollegium. Noch im Sept. 1790 überreichte das Gen.-Koll. aber­ mals eine Bittschrift an den Rat des Inhalts, eine Ver­ besserung der Verhältnisse und der Schuldennot anzu­ streben1). Die Zuschrift weist mit Nachdruck darauf hin, daß eine ,gemeinschaftliche (Rat und Bürgerschaft um­ fassende) Oekonomie- und Verbesserungsdeputation“ im Interesse des Staatswohles gelegen sei. Da sich der Rat diesem Vorschlag gegenüber aus den angeführten Gründen schon seit längerem ablehnend verhielt, wurde in diesem Schriftstück ausdrücklich versichert, daß „man mit diesem Vorschlag durchaus keine ehrgeizigen Pläne verfolge, son­ dern nur der Bürgerschaft helfen wolle.“ Um das Patriziat für den Gedanken zu gewinnen, wurde als besonderer Vor­ teil einer solchen ,,gemeinschaftlichen Unterstützungs- und Oekonomieverbesserungsdeputation“ angeführt, daß sie sich einerseits die Zufriedenheit und das Zutrauen der Bürger erwerben, andererseits den ,,Flor und die Aufrechterhaltung hiesiger (sogenannter patrizischer) Familien“ gewährleisten würde, welche ,,mit dem Ruin des gemeinsamen Wesens notwendig hinsinken würden“. — Ferner wird in der Ein­ gabe auf die Kostspieligkeit einer kaiserlichen Lokalkom­ mission hingewiesen, deren Einsetzung schließlich bei einem Defizit von 80 000 fl. doch notwendig werden könnte. Auch der Kredit der Stadt könnte wieder hergestellt werden, wenn Rat und Genannte ,,in väterlicher Vertraulich­ keit“ zusammentreten, das gesamte Rechnungswesen prüfen und über die notwendigen Verbesserungen deliberieren würden. Auf diese Weise gelinge es vielleicht auch, einen ,,Schuldenzahlungsfond“ zu gründen. Schließlich könnte man doch ,,diese Pläne auch dem Syndikat des Größeren Rates kommunizieren“, um sie endlich dem Reichshofrat zur Genehmigung gemeinschaftlich vorzulegen. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68.

Aus dieser Schrift klingt schon ein viel milderer Ton und die Forderungen vom Juli 1790 sind bedeutend ab­ geschwächt. An die Stelle des brüsken Verlangens ist die schmeichelnde Bitte getreten. Durch die veränderte Sprache der Genannten beruhigt, jedoch hauptsächlich unter dem Druck der trostlosen Finanzlage gab der Rat in der Folge­ zeit dem unablässigen Drängen der Bürgerschaft nach und setzte das Oekonomieverbesserungs- und Rechnungsrevi­ sionskollegium ein x). Der Entschluß dazu wurde dem Rat noch dadurch erleichtert, daß sein Verhältnis zum Kreis wegen der Matrikularbeiträge 1791 eine Verschärfung erfuhr. Als nämlich der Rat eine Matrikularmoderation beim Kreis nachgesucht hatte, beklagte sich die Kreisrechnungs­ deputation 12) am 2. Febr. 1791 darüber, daß Nürnberg nur infolge seiner unordentlichen Finanzverwaltung nicht im­ stande sei, seine Kreisbeiträge wie die anderen Kreismitstände zu zahlen, obwohl es ebenso dazu in der Lage sei, wenn seine Finanz- und Kameralanstalten nach richtigen Grundsätzen verwaltet würden. Es könne aber den anderen Kreisständen nicht zugemutet werden, die auf Nürnberg treffenden Leistungen mitzuübernehmen. Die Folge dieser Klage war die Anordnung einer Untersuchung der vires et facultates von Nürnberg durch eine fränkische Kreisdepu­ tation. Am 30. Juli 1792 gab diese Deputation ihren ,,Be­ fund des Reichsstadt nürnbergischen Vermögenszustandes, wie er sich bei einer kursorischen Uebersicht ergeben habe“, bekannt. In dem Bericht heißt es unter anderem: ,,In dem Losungsamt ist zwar in Nürnberg ein Haupt­ finanz- und Rechnungsamt vorhanden, aber dafür fehlt es an einer Hauptrechnung, woraus alle Einnahmen und Aus­ gaben im ganzen zu übersehen sind. Die einzelnen Aemter und Rechnungsstellen sind lauter status in statu, wovon jeder sein eigenes System, sein eigenes Rechnungswesen und seine eigene Schuldenlast hat. Zu den allgemeinen Staats­ lasten tragen diese abgesonderten Aemter teils durch ihren jährlichen Ueberschuß, teils durch Vorschüsse bei. Dadurch 1) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68 und N. 102. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68.

konnte von dem ökonomischen Zustande der einzelnen Aemter keine genaue Kenntnis erlangt werden .... Die Rubrik ,,Gemeine Ausgaben“ erscheint manchmal mit sehr kleinen, dann wieder mit sehr großen Zahlen, die in ihrer Bedeutung ganz unbestimmt sind. Aus der unübersichtlichen Rechnungsführung läßt sich überhaupt nicht erkennen, wie die Schulden zu erklären sind .... Im Jahre 1755 war der Finanzzustand schon äußerst schlimm; in der Folgezeit ist er unheilbar geworden .... Man gewinnt den Eindruck, daß Nürnberg seinen Verhältnissen einen Zustand verleihen will, der kein Licht vertragen kann.“ — In dem Bericht wird das Defizit allein in der jährlichen Verzinsung auf 163 591 fl. angegeben, so daß an eine Kapitalrückzahlung überhaupt nicht zu denken war. Den Vorschlag einer An­ leihe für Nürnberg weist die Kreisdeputation mit der Be­ gründung zurück, daß keine soliden Deckungsmittel vor­ handen seien. Am 12. August 1792 äußerte sich das Losungsamt zu diesem Befunde. Es gab zu, daß es sich selbst über den Aktiv- und Passivzustand des Staates nicht recht im klaren sei. Doch bezeichnete es das von der Kreis­ deputation angegebene jährliche Staatsdefizit als zu hoch. Anläßlich dieser Matrikularuntersuchungssache äußerte sich auch der Kreisvorsitzende verschiedentlich sehr ab­ sprechend über die Nürnberger Verhältnisse, um zum Aus­ druck zu bringen, daß nicht den Kreis, sondern lediglich die Staatsverwaltung Nürnbergs die Schuld am Finanzelend treffe x). Er bezeichnete die Nürnberger Finanzverwaltung als ein System von Erpressungen, dem gegenüber auch aller Fleiß der Bürger nichts nütze; denn alles, was sie schaff­ ten, werde sofort wieder durch Steuern erpreßt. Im weiteren Verlauf seiner Darlegungen ruft er aus: ,,Wehe dem Staat, dessen Diener darben; denn bei der kümmerlichen Besol­ dung muß die Bestechlichkeit überhandnehmen“. Wegen des verheimlichten Ausbruchs des Nürnberger Staatsverder­ bens klagte er die Regierung der Verletzung aller Treu und allen Glaubens an; besonders deshalb, weil der Staat allein seinen Bürgern 4 633 553 fl. schulde. Wäre doch im Falle *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68.

143 eines Staatsbankrottes infolgedessen der größte Teil der Bürgerschaft vernichtet. Die Nürnberger Regierung hätte das Wohl ihres Staates der Politik zum Opfer und den Plänen ehrgeiziger Monarchen und ihrer Minister hin­ gegeben. Am Schlüsse seiner Ausführungen kam er zu dem Resultat, daß der Kreisstand Nürnberg entweder gar keine Kreisbeiträge zahlen könne oder die Stadt müsse im Hin­ blick darauf, daß die Kreisforderungen vor allen anderen gehen, die Kreisbeiträge in der vollen Höhe bezahlen. Um diese Zahlungen aber leisten zu können, sei die Annäherung des Magistrats an seine Mitbürger erforderlich, indem er das Vertrauen mit ihnen herstelle, ihnen freundschaftlich die Hand biete und ihnen in der Verwaltung der Staatsein­ künfte, als ihres Eigentums, den Einfluß und die Teilnahme gestatte, die eine richtig organisierte freie Staatsverfassung (Republik!) schlechterdings fordere. ,,Hinweg mit dem Wahne“, ruft er aus, ,,als ob man damit ein Opfer seiner Rechte bringe oder ob man seiner Würde vergebe! Hin­ weg mit dem geheimnisvollen Schleier, mit dem man die Verwaltung und die öffentlichen Staatseinkünfte bedeckt; ihn haben nur Despoten nötig, um den Mechanismus ihres Plünderungs- und Erpressungssystems zu verhüllen“ x). Das Bekanntwerden derartiger Aeußerungen von hohen Persönlichkeiten mag nicht wenig dazu beigetragen haben, den Rat gegenüber den Wünschen der Bürgerschaft gefügig zu machen. Nachdem nun inzwischen aus den Reihen der Bürgerschaft immer dringender der Wunsch laut geworden war, einen Grund- und Hauptvertrag zwischen einem löblichen Rat und der Bürgerschaft zur Beseitigung der politischen und finanziellen Gebrechen des Nürnberger Staats abzuschließen, ging der Rat nach schwierigen Ver­ handlungen trotz der schweren Bedenken des Patriziats daran, dem Wunsche der Bürgerschaft wenigstens teilweise nachzukommen. So wurde denn 1792 die Oekonomieverbesserungsdeputation aufgestellt, die ihre Arbeiten am 24. Septem­ ber 1792 begann und schon am 31. März 1793 einen HauptA) Bis hieher nach Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N, 68.

144 verbesserungsplan fertigstellte x). Auf Grund dieses Planes nahm der Rat am 8. November 1793 eine Finalreso­ lution an, durch die die Einsetzung des Oekonomieverbesserungs- und Rechnungsrevisions­ kollegiums verfügt wurde. Die wichtigsten Punkte dieses Statuts werden im Folgenden wiedergegeben. § 1. Der hohe Rat wünscht selbst, daß das Oekonomieverbesserungs- und Rechnungsrevisions-Kollegium mög­ lichst bald in Kraft trete und kaiserliche Bestätigung baldigst bewirkt werden möge. — § 2. Ein H. Rat will sich gefallen lassen, daß das Rechn.-Rev.-Koll. aus 12 votie­ renden Mitgliedern besteht: nämlich 3 Ratsmitgliedern, 1 magistratischen und 1 bürgerlichen Konsulenten, 3 adeligen Genannten mit Ausnahme aller Finanzbeamten, 1 Genannten aus dem Gelehrtenstand, 2 Genannten aus dem Kaufmanns­ und Handelsstand und 2 nicht votierenden Kalkulatoren (einem patrizischen und einem bürgerlichen). Jedes Mit­ glied stimmt nur nach eigenem bestem Wissen und Gewis­ sen. Differenzen werden dem Reichshofrat unterbreitet. §3.............Die Beratungsgegenstände werden einige Tage vor jeder Session mitgeteilt (Beratungstage: Dienstag, Don­ nerstag, Samstag). § 7. Die ersten drei Jahre bleiben die Mitglieder des Rechn.-Rev.-Koll. auf beiden Seiten unver­ ändert; inzwischen wird in Erwägung gezogen, wie es in Zukunft mit der Wahl neuer Mitglieder auch in Ansehung der Personen gehalten werden soll. § 8. Das Rechn.-Rev.Koll. hat sich einzig und allein mit den Einnahmen und Ausgaben des Staates zu beschäftigen sowie überhaupt mit der ganzen Staatsökonomie und deren Verbesserung. § 9. Ein H. Rat bestätigt den Genannten das votum decisivum bei Neuaufnahme von Geldern. § 10. Die Berichte des Rechn.-Rev.-Koll. werden vom Rat den Genannten nur mitgeteilt in den Fällen, wo dieses Kollegium ein votum decisivum hat. In den Fällen, wo demselben eine Anzeige zu machen wäre, muß solches von den Mitgliedern der Genannten des Rechn.-Rev.-Koll. geschehen. § 14. Das Rechn.-Rev.-Koll. soll zwar im allgemeinen dem Rat unter*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68.

— HS — worfen, aber vor allem dem Reichshofrat verantwortlich sein. § 15 befaßte sich mit Kompetenzstreitigkeiten. Be­ klagt sich das Rechn.-Rev.-Koll. über den Rat, so soll es sich zuerst an den Rat wenden, dann Mitteilung an die Genannten machen und schließlich die Mediation des Reichshofrates anrufen. Hat der Rat Klagen über das Rechn.-Rev.-Koll. zu führen, so kann er es „zurecht­ weisen“ und kann den Genannten davon Mitteilung machen. § 17. Bei allen wichtigen Beschlüssen, Aenderungen bisheriger staatlicher Einrichtungen hat das Rechn.-Rev.-Koll. zuvor beim Rat nachzufragen und dessen ausdrückliche Bestätigung einzuholen. Ueber die geringeren Maßnahmen soll alle acht Tage mittels Proto­ kollextrakts an den Rat berichtet werden. § 19 beschäftigte sich mit dem Gen.-Koll. Es wird in vier Klassen eingeteilt. Die Zahl der Mitglieder wird auf 250 Personen festgesetzt. 70 davon sind aus dem Adel, wozu auch alle Rats- und Ge­ richtsfähigen zählen; 40 sind aus dem Gelehrten- und Beam­ tenstand (je 20 also), 70 aus dem Kaufmannsstande und der handelnden Klasse, 70 aus dem Künstler- und Handwer­ kerstand zu nehmen. Die Wahl der Mitglieder vollzieht der Rat; doch können von der Klasse und aus dem Stande, dem der zu Wählende zu entnehmen ist, drei Personen in Vorschlag gebracht werden. § 23. Die Geschäftsaufgaben des Gen.-Koll. sind: a) Diejenigen Angelegenheiten, bei denen das votum decisivum statt hat. b) Diejenigen Nachrichten und Anzeigen, die von dessen Mitgliedern beim Rechn.-Rev.Koll. vorgebracht werden. § 24. Bei auswärtigen Verträgen tritt das votum decisivum nur in Kraft bezüglich eines Ge­ genstandes, der veräußert werden soll. § 25 Die Gesetz­ gebung steht lediglich dem Rat zu; die Genannten haben auch kein votum consultativum. § 26. Bei wichtigen Angelegenheiten kann der Rat die Genannten berufen; in diesen Fällen haben sie nur votum consultativum. § 27. Die bürgerliche Konkurrenz in Steuersachen vollzieht sich mit­ telbar durch die beim Rechn.-Rev.-Koll. angestellten bür­ gerlichen Mitglieder1). *) Bis hieher nach Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68. 10

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So war endlich nach jahrelangen Kämpfen zwischen Patriziat und Bürgerschaft ein entscheidender Schritt getan worden, der zwar eine befriedigende Erledigung aller schwebenden Probleme nicht wahrscheinlich erscheinen ließ, aber immerhin die Gewähr bot, daß neues Leben in den ver­ knöcherten Organismus des Nürnberger Staates kam,. Aus jedem Paragraphen des Status über das Rechn.-Rev.-Koll. sprach indes eine laue Halbheit. Einerseits erkannte der Rat, daß der Bürgerschaft Zugeständnisse gemacht werden müß­ ten, wenn man Schlimmeres verhüten wollte, andererseits wollte er von seiner Machtstellung keinen wesentlichen Teil opfern. Beides war aber mit einander unvereinbar. Dieser Zwiespalt spricht aus den verschiedensten Paragraphen. In § 8 steht der zweite Satz zum ersten in Widerspruch. Durch den § 17 wird das Rechn.-Rev.-Koll. in seiner Hand­ lungsfreiheit vollkommen gebunden und ganz vom guten Willen des Rates abhängig gemacht. Auch die Fassung des § 14 ist durchaus unzulänglich und unklar. Besonders ungenügend war der § 9. Denn dieser, einer der wenigen klar gefaßten, war praktisch bedeutungslos; bei seiner Finanzlage war es dem Nürnberger Staate wohl sehr schwer möglich, irgendwo eine Anleihe zu machen, zumal wenn man die täglich sich mehrenden Kapitalaufkündigungen in Betracht zieht. Das in § 15 festgelegte Beschwerde­ recht des Rechn.-Rev.-Koll. war ebenfalls praktisch so gut wie hinfällig, denn bis auf diesem Wege eine Beschwerde zur Entscheidung kam, konnten Jahrzehnte vergehen. Die in § 19 vorgesehene Wahl der Mitglieder des Gen.-Koll. durch den Rat mutet uns geradezu lächerlich an; denn was hinderte den Rat daran, nur gefügige Elemente in diese Körperschaft aufzunehmen. Auch der § 24 konnte nicht befriedigen, immerhin war es möglich, auf Grund dieser Bestimmung dem willkürlichen Verkauf von Staatseigen­ tum wenigstens einigermaßen entgegenzutreten. Der Haupterfolg der Bürgerschaft bei Einsetzung des Rechn.-Rev.-Koll. lag darin, daß jetzt eine amtliche Stelle geschaffen war, die unaufhörlich auf Fehler und Gebrechen im Staate hinweisen konnte und das offizielle Sprachrohr



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der Bürgerschaft bildete. Das Patriziat dagegen hatte bei aller Sicherung seiner Machtbefugnisse doch das Gefühl, daß ihm von der Bürgerschaft ein Zugeständnis abgetrotzt worden sei, daß diese sich eine Position gesichert habe, voü der aus leicht neue Angriffe auf den Machtbereich des Patriziats unternommen werden konnten. Dieses Gefühl spricht auch aus zahlreichen Berichten und Druckschriften, die von patrizischer Seite in den Jahren 1793/94 erschienen und alle das Bestreben zeigen, die Einsetzung des Rechn.Rev.-Koll. als ,,eine gefährliche Umwälzung der Nürnber­ ger Staats- und Regimentsverfassung“ hinzustellen und sich besonders gegen den Grundvertrag wendeten, von dem später noch die Rede sein wird 1). Um die kaiserliche Be­ stätigung des Rechn.-Rev.-Koll. zu hintertreiben, wandte man sich von seiten der Patrizier sogar an das Archidikasterium zu Wien, wobei man die vom Rat gemachten Zugeständnisse als eine Revolution darstellte, unter Hin­ weis auf die französische Revolution und die auch in Nürn­ berg ,,aus dem täglich überhandnehmenden Wahn der Volkssouveränität fließenden Zügellosigkeiten 2).3 * * * * Sehr gelegen kam dem Patriziat deshalb auch eine Notiz im Journal de Paris 1793, die lautete: ,,Rien n’empeche que dans toute la Franconie on ne fasse des voeux pour la consolidation de notre sublime Republique. Le peuple de Nuremberg surtout benit notre revolution. Elle, oui eile seule lui a fait obtenir de ses plats Patriciens, ce que deux siecles de proces n’ont squ lui procurer“ 8). *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68. 2) Vom Pöbel waren in Nürnberg Jakobinermützen — „Frei­ heitskappen“ — aufgesteckt worden. 3) Die Bedenken der Patrizier wurden auch dadurch besonders geweckt, daß die Bürgerschaft schon 1794 durch einzelne Ge­ nannte neue Forderungen veröffentlichen ließ; so erregte die Schrift eines Genannten G. P. Förster viel Aufsehen; besonders weil er allgemeine Bürgerwahlen für die vakanten Stellen im Gen.-Koll. verlangte, was dem § 19 des Statuts über Rechn.-Rev.Koll. direkt zuwiderlief.

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IV. Der Grundvertrag.

Wie nach dem ganzen Wortlaut schon vorauszusehen war, erwies sich die Finalresolution vom 8. November 1793, das Rechn.-Rev.-Koll. und die Befugnisse des Gen.-Koll. be­ treffend, als unhaltbar1). Der Rat sah sich gezwungen, der Bürgerschaft noch weitere Zugeständnisse zu machen und vor allem klarere Verhältnisse zu schaffen. Dies geschah in einem feierlichen Grundvertrag, der im Januar 1794 ent­ worfen, am 13. Februar 94 genehmigt und am 25. April und 16. Mai solemnisiert wurde. Er stellte 1) die Befugnisse des Rechn.-Rev.-Koll. und 2) die des Gen.-Koll. fest. Im 3. Teil bestimmte er die Mit­ tel, durch die die Sicherstellung der Staatsbedürfnisse ge­ währleistet werden sollte. Soweit die Bestimmungen des Grundvertrags für die weiteren Darlegungen von Wichtig­ keit sind, werden sie im Folgenden kurz angeführt. I. Teil: Das Rechn.-Rev.-Koll. besteht: § 2 aus zwölf Mitgliedern (drei vom Rat, ein Vorsitzender, ein magistratischer, ein bürgerlicher Konsulent, zwei Genannte des Patriziats, ein Genannter des Gelehrten­ standes, zwei Genannte der Kaufmannschaft, zwei Genannte aus dem Künstler- und Handwerkerstand). — § 3. Die Wahl: Der Rat wählt seine Mitglieder, die Genannten wäh­ len die ihrigen; diese müssen vom Rat bestätigt werden. — § 4. Alle drei Jahre muß ein Mitglied aus jedem Stande ausscheiden, welches nicht sofort wieder wahlfähig ist. — § 5. Alle Mitglieder erhalten feste Besoldungen. — § 6. Das Kol­ legium ist dem Rat untergeordnet und hat die Aufsicht und Leitung über das gesamte Finanz-, Oekonomie- und Rech­ nungswesen des Staates. Es hat alle möglichen Ver­ besserungen durchzuführen; in andere Regimentsgeschäfte darf es sich nicht einmischen. — § 7. Dem Kolleg ist überall A) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 68.

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Einsicht zu gewähren. — § 8. Wo es irgendwie angängig ist, sind Einsparungen zu machen. — § 9. Alle Ausgaben müssen vorher vom Kolleg gebilligt sein. Doch darf der Rat in dringenden Staatsangelegenheiten selbständig Geld ausgeben. — § 10. Jährlich nimmt es eine Spezialrevision aller Kassen vor. — § 12. Kassen- und Rechnungsrevisionen können zu jeder Zeit stattfinden. — § 13,. Bei Beanstandun­ gen sind die Beamten zu hören und mit Genehmigung des Rates sofort die nötigen Weisungen zu erteilen. — § 14. Das Kolleg kann in allen Finanzämtern Kassensturz veranlassen. — § 15. Es kann zeitweilig eines seiner Mitglieder als Gegenschreiber in ein Amt abordnen. — § 16. Die gleichen Maßnahmen können auch in der Landschaft getroffen wer­ den. — § 17. Bei Verkäufen, Steueranträgen, Schulden­ aufnahmen muß es sein Gutachten abgeben. — § 18. Es muß die Schuldentilgung überwachen und fördern. — § 19. Jähr­ lich muß es einen Finanzplan aufstellen. — § 21. Die Instruktion erfolgt durch Rat und Genannte gemeinsam. — § 22. Die Mitglieder sind in der Abstimmung gleichberech­ tigt. — § 27. Bei Stimmengleichheit bleibt der Antrag solange ausgesetzt, bis der Reichshofrat entschieden hat. — § 28. Bei besonders wichtigen Sachen ist der Rat zu hören. Er kann die Ausführung eines Beschlusses suspendieren. — § 29. In allen gewöhnlichen Geschäften hat das Kolleg volle Selbständigkeit. — § 30. Es ist dem Rat untergeordnet, darf aber nicht in seinen Geschäften gehindert werden. — § 31. Eine Ueberschreitung seiner Befugnisse kann vom Rat zurückgewiesen werden. — § 32. Bei Beschwerden von irgend einer Seite muß noch einmal Beschluß gefaßt und dieser Beschluß vom Rat bestätigt werden. — § 33. Be­ schwerden gegen den Rat sind diesem zuerst vorzutragen, endgültige Entscheidung trifft der Reichshofrat. — § 34. Das Gen.-Koll. muß alle Berichte des Rechn.-Rev.-Koll. zur Einsicht bekommen und muß es vor Beeinträchtigung schützen. II. Teil': § 36. Das Gen.-Koll. besteht als alter Ausschuß der Bürgerschaft. — § 37 aus 250 Mitgliedern, nämlich 70 von ratsfähigen Familien oder vom Adel, 20

Gelehrten, 70 Kaufleuten, 70 Künstlern und Handwerkern. — § 38. Die Ratsmitglieder bleiben ebenfalls Genannte, haben aber kein Stimmrecht. — § 39. Wahlvorschläge erfol­ gen durch die Bürgerschaft, die Bestätigung der Wahlen erfolgt durch den Rat. — § 40. Wer Losung zahlt, kann Genannter werden. — § 42. Die Genannten haben das Recht, Ausschüsse und Mitglieder des Rechn.-Rev.-Koll. zu wäh­ len. — § 43. In allen Steuerangelegenheiten steht ihnen ein votum decisivum zu; ebenso bei allen Veräußerungen, bei allen Staatsverträgen, wenn eine Veräußerung damit ver­ bunden ist; ferner bei neuen Anleihen. Ist der Rat gegen­ teiliger Ansicht, so bleiben die Beschlüsse suspendiert. — § 44. Ohne Mitteilung an die Genannten kann keine Ver­ änderung im Rechn.-Rev.-Koll. vorgenommen werden. — § 47. In allen Staatsangelegenheiten bildet es einen gutacht­ lichen Beirat. — § 49. Beschlüsse erfolgen durch Stimmen­ mehrheit, und § 50 bedürfen der Ratifikation des Rates. — § 51. Die Genannten können sich jederzeit versammeln. III. Teil: § 53. Die Genannten tun alles, um dem Staat zu helfen. — § 54. Sie übernehmen alle Kosten, die aus dem Grundvertrag erwachsen. — § 58. Sie arbeiten ein pro­ visorisches neues Steuersystem aus; an die Stelle der dop­ pelten Losung tritt eine Vermögenssteuer. — § 60. Sie sollen die Bürgerschaft veranlassen, eine freiwillige Anleihe zu zeichnen. — § 62. Der Reichshofrat wird vom Grund­ vertrag in Kenntnis gesetzt. Diesem Grundvertrag kommt fast die Bedeutung einer Verfassungsurkunde zu. Wenn er sich in der Folgezeit nicht bewährte, so lag die Hauptschuld an dem Widerstand, den die Patrizier und ein großer Teil der Beamten seiner Durchführung entgegensetzten, denen die scharfe Kontrolle des Kollegiums höchst unangenehm war. Denn die unklare Fassung zahlreicher Paragraphen erlaubte verschiedene Auslegungen. Die Sessionsprotokolle des Rechn.-Rev.Koll. klagen deshalb wiederholt darüber, daß die Kompeten­ zen der einzelnen Körperschaften (Rat, Genannte und Rechn.-Rev.-Koll.) sehr unscharf abgegrenzt seien, ein Umstand; der in der Folge zu vielen Streitigkeiten zwischen

Rat und Rechn.-Rev.-Koll. führte 1). Sehr häufig war das Kolleg nicht im klaren, ob es eine Angelegenheit selbständig behandeln konnte oder dem Rat Vortrag erstatten sollte. Aus den Protokollen geht ferner hervor, daß der Geschäftsgang wegen der geheimen und offenen Widersetzlichkeit vieler Beamten außerordentlich schleppend war und die so dringlichen Maßnahmen zur Ver­ besserung der Finanzen überall im Rückstand blieben2). Trotzdem der Grundvertrag im Vergleich zur Finalresolu­ tion vom November 1793 viel eingehender und klarer ist, trägt er doch das Gepräge der Halbheit und es ist so oft der Fluch der halben Maßnahmen, daß durch sie mehr Verwir­ rung entsteht, als wenn sie ganz unterblieben wären. Einen schweren Fehler beging das Rechn.-Rev.-Koll. ferner dadurch, daß es sich, wie die Protokolle zeigen, schon gleich anfangs um viel zu viele Nebensächlichkeiten kümmerte, mit denen es naturgemäß aus der Bürger­ schaft bestürmt wurde. Wenn wir hören, daß es sich mit Dingen, wie Zuschüsse für den Schulmeister, Befreiung vom Judenzoll usw., beschäftigte, so drängt sich uns das Empfinden auf, daß eine so wichtige Behörde ihre Zeit besser mit Arbeiten zur Sanierung der Staatsfinanzen angewendet hätte. Die Bedeutung des Grundvertrages lag weniger in seinen praktischen Auswir­ kungen als in seiner staatsrechtlichen Tragweite. Durch ihn werden Jahrhunderte alte Privilegien beseitigt, alte Standesprärogativen abgeschafft. — Man kann sagen, daß durch ihn erst eine Bresche in die Hochburg des Patriziats gelegt wurde. Aus diesem Grunde war die Zahl seiner Feinde im Patriziat keine geringe, und in diesen Kreisen wurde er allgemein als ein revolutionäres Machwerk be­ trachtet, lediglich aus der Not der Zeit geboren, dessen Zustandekommen man nie hätte zugeben dürfen. Ja, wenn man nur durch ihn aus dem Finanzelend herausgekommen wäre, dann hätte man sich auf patrizischer Seite noch eher mit ihm abfinden können. Was halfen aber die geringen 1) Vergl. Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 71. 2) Vergl. Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 83.

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Mehreinnahmen, die dasRechn.-Rev.-Koll. erzielte, wenn auf der anderen Seite infolge der Kriegslasten zehnfache Aus­ gaben bei wesentlich verminderten Einnahmen notwendig wurden. War es bei dem sich immer mehr steigernden Druck von außen überhaupt ratsam, tiefgreifende innerpolitische Reformen vorzunehmen? So kam man trotz Grundvertrag bis 1797 über kleine Erfolge nicht hinaus; die Gesamtfinanz­ lage blieb die alte, das Defizit im Staatshaushalt wuchs mehr und mehr. Müssen wir uns deshalb verwundern, wenn 1797 von patrizischer Seite der Versuch gemacht wurde, den Grundvertrag unter dem Vorwand wieder ab­ zuschaffen, daß er vonseiten der Genannten unerfüllt geblieben sei1). In einer Druckschrift vom Jahre 1797 finden diese Strömungen im Patriziat ihren Niederschlag. Darin wer­ den die Genannten des Jakobinismus bezichtigt. Es wird festgestellt, daß seit Einrichtung des Rechn.-Rev.-Koll. im Staatshaushalt keine Besserung, sondern eine Verschlim­ merung eingetreten sei. Dadurch sei auch das Vertrauen der Bürgerschaft zu der neuen Behörde erschüttert. Unter Hin­ weis auf revolutionäre Auftritte im Rathaus, wie sie seit 1348 nicht mehr vorgekommen seien, wird den Genannten der Vorwurf gemacht, den Paragraphen des Grundvertrages verletzt zu haben, in dem von der Salvierung der Obrigkeit die Rede ist. Unter dem rein patrizischen Regiment seien derartige Auftritte nie vorgekommen. Aus diesem Grunde wird in der Schrift die Forderung auf gestellt, sich in den Schutz des Kaisers zu begeben und um die Einsetzung eines hohen Kommissars zu bitten. Dieser werde dann die Gemüter wieder beruhigen. Zu diesem Zweck müsse der Grund­ vertrag aufgehoben und dem Staat seine alte aristokratische Verfassung wieder gegeben werden. Einer kaiserlichen Kommission werde es dann gelingen, mit Hilfe der alten Mittel, wie Losung, Steuern, Zölle, Umgeld und der nor­ malen Gefälle, wieder Ruhe und Ordnung herzustellen. Sie *) Schon vorher waren Schmähschriften über den Grundver­ trag veröffentlicht oder anonym dem Rechn.-Rev.-Koll. zuge­ schickt worden; ja bis zu den Ohren des Kaisers waren sie ge­ drungen. Staatsarch. Nbg. Rep. 26. N. 81 und 82.

würde auch geringere Ausgaben erfordern als das Rechn.Rev.-Koll. und könnte den Ratschlag aller guten Bürger hören und nicht nur den einer revolutionären Körperschaft, wie sie das Gen.-Koll. neuerdings geworden sei. Dann würde auch der Rat, das Patriziat und jeder Stand in seinen alten Rechten ungekränkt bleiben. Wie sehr sich das Patriziat mit dieser Ansicht im Irr­ tum befand, wird die Tätigkeit der kaiserlichen Subdele­ gationskommission lehren. Außerordentliche Verhältnisse erfordern eben außerordentliche Maßnahmen; mit den alten Mitteln des Patriziats war im Nürnberger Staat keine Ord­ nung zu schaffen. Gerade in dem Umstand, daß das Rechn.Rev.-Koll. noch zu viel Rücksicht auf alte Gepflogenheiten in der Staatsverwaltung nahm, lag ein wichtiger Grund seiner geringen Erfolge. Die Genannten aber eine revolutio­ näre Körperschaft zu nennen und sie des Jakobinismus zu zeihen, war eine tendenziöse Entstellung der Wahrheit, deren Unhaltbarkeit durch die vorausgegangenen Darlegun­ gen schon zur Genüge bewiesen ist und im Folgenden noch klarer zu Tage treten wird. Wenn das Rechn.-Rev.-Koll. nicht den Erwartungen entsprach, die man auf es gesetzt hatte, so lag es hauptsächlich in der Gewalt der außenpoliti­ schen Verhältnisse begründet; an redlichem Willen und beharrlichem Fleiße hat es ihm, wie aus seinen Protokollen hervorgeht, jedenfalls nicht gefehlt1). Im Gegenteil, nur zu oft wurden die Ratsherren aus ihrer würdevollen Be­ schaulichkeit durch seine Entschlüsse aufgescheucht. Und die Fälle grober Pflichtvernachlässigung in der Beamten­ schaft verschwinden mehr und mehr. Nach diesen mehr allgemeinen Betrachtungen muß noch auf die besondere Tätigkeit des Rechn.-Rev.-Koll. bis zum Eintreffen der Subdelegationskommission etwas näher ein­ gegangen werden. Am 20. März 1794 begann es seine Ar­ beiten 2). Dabei verfuhr es nach folgendem Plane. Als vor­ dringlichste Arbeit mußte ein status activi et passivi auf­ gestellt werden, indem man die Ausgaben und Einnahmen *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 81. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 81.

154 bei allen Aemtern und Kassen feststellte, um dadurch die „Staatskrankheit“ zu erforschen 1). Darnach ging man daran, die Mittel zur Bekämpfung der Krankheit ausfindig zu machen. Als solche wurden erkannt: i) Die Kontrolle der Stadt- und Aemterrechnungen. 2) Größtmögliche Einsparungen. 3) Vermehrung der Einnahmen. Zu diesem Zweck wurde geplant: Die Ver­ besserung des Umgeldgefälles, die Einführung eines neuen gegen Defraudationen besser geschützten Steuerfußes nach dem Kapitalsvermögensstock an Stelle der alten Losung; ein verbessertes Steuersystem auf dem Lande, die Ver­ äußerung entbehrlicher Staatsgüter, deren Wert in keinem Verhältnis zu ihrem Ertrag stand, Zinsreduktionen bei den Staatsanleihen; die Wiedererlangung im Wege der Güte oder des Rechts der durch Kurpfalz-Bayern sequestrierten Nürnberger Staatsrevenüen; Stundung des Matrikularbeitrags; Verminderung der jährlichen Staatsausgaben. Da aber alle diese beabsichtigten Maßnahmen nur im Laufe langwieriger Arbeiten verwirklicht werden konnten, mußte das Rechn.-Rev.-Koll. vorerst nach interimistischen Hilfs­ mitteln fahnden, um der augenblicklichen Staatsinsolvenz abzuhelfen. Die vorläufig getroffenen Maßnahmen waren aber, nachdem einige großzügige Projekte daran gescheitert waren, daß nach ihrer Ausarbeitung die Preußen gerade das Nürnberger Gebiet bis an die Tore besetzten, nur kleine Aushilfsmittel, die keineswegs aus der großen Not halfen 2). Von den vom Rechnungsrevisionskollegium gleich zu Beginn seiner Tätigkeit (24. Januar 1795) aufgestellten großen Sanierungsplänen kommt folgenden die meiste Be­ deutung zu: 3) 1. Vorschlag: Es sollen vom Aerar und den Aemtern nur 2/3 der Zinse bezahlt werden; das letzte Drittel soll mit­ tels einer Assignate versichert und ein Ausgleichsfonds 1) Das mit dieser Aufgabe beauftragte Rechnungssyndikat stieß dabei auf eine Differenz von über eine Million fl. zwischen den Schuldbücherauszügen und den Ansätzen in der Stadtrech­ nung. Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 106. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 51. 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 81.

155 errichtet werden, zu welchem von jedem Bürger i fl. pro Mille seines Gesamtvermögens beigetragen werden soll. — 2. Vorschlag. Die Losung soll auf die Hälfte herabgesetzt und das zur Deckung der übrigen Ausgaben erforderliche Geldquantum durch eine außerordentliche Umlage, bemes­ sen nach der Größe des Kapitalstocks eines jeden, beigetrie­ ben werden. — 3. Vorschlag. Mit dem nächsten Lichtmeß­ ziel soll ein Kapital von 500 000 fl. negozieret und auf­ genommen werden, womit man die rückständigen Reichs­ und Kreisumlagen, die Kosten für Kriegs- und Vormund­ amt, für Kapitalzinse und Besoldungen, und was sonst noch an dringenden Zahlungen zu leisten sei, decken könne. Letz­ teren Vorschlag hielt man für den besten. Zur praktischen Durchführung kam indessen keiner wegen der Langsamkeit des Geschäftsgangs bei der Gesetzgebung (Beratung durch die Genannten und Sanktion durch den Magistrat). So ver­ blieb es auch in den nächstfolgenden Jahren wieder beim alten Modus der doppelten Lösung, obwohl sich gerade über die Härte und Ungleichheit dieser Abgabe von jeher die heftigsten Klagen erhoben hatten. — Umso reger war aber die Tätigkeit des Rechn.-Rev.-Koll. in kleinen Verbesserun­ gen 1). Weil es nun dabei in alle Verwaltungszweige eingriff, wurde seine Tätigkeit von Rat und Beamten nur zu häufig als Nörgelei empfunden. So bildete sich in allen Aemtern eine immer heftiger werdende Gereiztheit gegen diese neue Behörde heraus, die zuerst eine versteckte und schließlich eine offene Feindseligkeit zur Folge hatte. Zu allem Unglück entwickelte sich sogar noch starkes Miß­ trauen und Eifersucht auf seiten des Gen.-Koll. und zwar wegen der dem Rechn.-Rev.-Koll. eingeräumten Rechte; dazu kam noch der Unwille der an Steuerhinterziehungen gewöhnten Bürgerschaft, wodurch die Verwirrung immer größer wurde. Aus dieser trostlosen Lage heraus richtete das Rechn.-Rev.-Koll. am 17. Oktober 1795 einen Bericht an den Kaiser, in dem es unter Beifügung der Gründe alle Verantwortung für die Nürnberger Geschicke ablehnte und *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 106. Berichte der Konsulenten Dr. Königsthal und Schmid.

alle weiteren Maßnahmen dem Urteil des Kaisers anheim­ stellte. — In den Jahren 1796 und 1797 verlor sich das Rechn.-Rev.-Koll. immer mehr in unbedeutender Klein­ arbeit. — Am 7. Juli 1797 schrieb Rat K. J. Wilh. v. Scheurl, daß die Protokolle des Rechn.-Rev.-Koll. schon wiederholt vom Rat einfach ad acta gelegt worden seien, ohne daß man sie gelesen habe, da sie doch meist von den Ereignissen schon überholt seien x). Scheurl machte deshalb den Vor­ schlag, die Protokolle nur noch zu verlesen, beraten sollten sie nicht mehr werden. Wer von den Ratsmitgliedern der Verlesung aber nicht beiwohnen wollte, konnte ihr auch fern bleiben. Dementsprechend wurde denn auch gehandelt. Von 1796 ab erhielten die Beamten des Rechn.-Rev.-Koll. nur noch die Hälfte ihres Gehaltes mit der Begründung, daß andere Ausgaben wichtiger seien *2). Nur die Aussicht auf das Eintreffen einer kaiserlichen Kommission hielt das Rechn.-Rev.-Koll. von einer Beschwerde an den Kaiser zurück. — Die Behörde, welche dem Rechn.-Rev.-Koll. naturgemäß am feindseligsten gegenüberstand, war das Losungsamt. Deshalb ließ es keine Gelegenheit vorüber­ gehen, um auf seine Unzweckmäßigkeit, ja Schädlichkeit hinzuweisen. Ihm erschien eine kaiserliche Lokalkom­ mission zwar immerhin ein Uebel, aber doch das einzige Mittel zur Hilfe. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 67. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 84.

V. Die kaiserliche Subdelegationskommission, i. Ihre Berufung. Der Gedanke an eine kaiserliche Lokalkommission zur Ordnung der Nürnberger Verhältnisse tauchte in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder auf. Besonders lebhaft aber wurde die Zweckmäßigkeit einer solchen Kom­ mission erörtert, als allgemein erkannt wurde, daß die Finanzlage irgend einen entscheidenden Schritt erfordere. Sie entsprach auch am meisten dem Geist einer Zeit, in der sich die bestehenden Staatsgewalten außerordentlich schwer aus eigenem Antrieb zu durchgreifenden Reformen ent­ schließen konnten. In Nürnberg hätten die leitenden Kreise mit einer solchen Kommission die ganze Verantwortung von sich abwälzen können, nebenbei mit der stillen Hoff­ nung, daß ihre eigene Stellung im wesentlichen unangetastet bleiben werde. — Bevor also der Rat bezüglich des Wun­ sches der Bürgerschaft um Erweiterung ihrer Rechte in Finanzangelegenheiten irgend welche positiven Schritte unternahm, befaßte er sich mit dem Plane, eine Lokalkom­ mission vom Kaiser zu erbitten. In einem Gutachten, das zu diesen Beratungen der Konsulent Dr. von Königstal auszuarbeiten hatte, wird als Hauptgrund für die Berufung einer Kommission das Schwinden des obrigkeitlichen Ansehens angeführt, das besonders durch die fortgesetzten Verkäufe von Staatseigen­ tum, ferner durch die Aufopferung der Rechte des Rates in einem Grundvertrag hervorgerufen sei1). Weitere Fol­ gen davon seien das fortwährende Sinken des Kredits, die schlechte Zusammenarbeit der Verwaltungsinstanzen. — Hauptsächlich auf das Drängen des Gen.-Koll., das die Ein­ setzung einer solchen Kommission erst wünschte, wenn alle Mittel dem Uebel aus eigener Kraft zu steuern erfolglos 4) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 106.

gewesen seien, war es zurückzuführen, wenn erst 1795 die Beratungen über diesen Gegenstand wieder aufgenommen wurden. Inzwischen war auch der Rat der Tätigkeit des Rechn.-Rev.-Koll. und der Einmischung des Gen.-Koll. reichlich überdrüssig geworden. Am' 17. Juni 1795 gab der Konsulent Dr. Schmid ein umfassendes Gutachten an den Rat, in dem in der Haupt­ sache folgende Gedanken in den Vordergrund gestellt werden: ,,So wie die Verfassung Nürnbergs jetzt ist, kann sie nicht bleiben x). Die Normalverfassung einer Reichsstadt ist die Aristokratie mit demokratischer Beschränkung. In Nürnberg aber sind die Genannten ein Amphibion von Aristokratie und Demokratie. Dazu ist jetzt noch eine dritte Staatsgewalt im Rechn.-Rev.-Koll. getreten, dessen Rechte im Grundvertrag ausdrücklich stipuliert. sind; dadurch hat aber das Ansehen des Rates sehr gelitten. Ferner bedingt die rechtlich unklare und nicht genügend fundierte Stellung des Rechn.-Rev.-Koll. eine gewisse Zaghaftigkeit, worin der Hauptgrund zu suchen ist, daß dessen Pläne zu keinem rechten Erfolg führen. Deshalb ist eine Lokalkommission der einzige Ausweg; denn sie stellt eine Autorität dar, sie kann über den Grundvertrag und das Gen.-Koll. bindende Entscheidungen treffen, sie kann für die Staatsgläubiger den Zinsfuß herabmindern und Unkündbarkeit der Kapita­ lien erwirken, die Vorschläge des Rechn.-Rev.-Koll. auf ihre Durchführbarkeit prüfen und einen Finanzoperationsplan aufstellen. Es muß aber dafür Sorge getragen werden, daß eine solche Kommission nicht eine ewige fürstliche gebäre; es ist deshalb zweckmäßig, von vorneherein den Zeitpunkt ihres Erlöschens festzusetzen. Das Rechn.-Rev.-Koll. soll sofort nach Eintreffen der Kommission aufgehoben werden, damit deren Besoldungen für die kaiserliche Kommission verwendet werden können.“ Auf Grund dieses und eines gleichzeitig von Professor Malblank in Tübingen eingeholten Gutachtens erging am 3. Juli 1795 ein Ratsverlaß, in dem ,,die Nachsuchung *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 106.

einer kaiserlichen Lokalanordnungs- und -Vermittlungs­ kommission“ beschlossen wurde 1). Aus dem Wortlaut des Verlasses geht hervor, daß nicht allein die Finanzlage in diesem Zeitpunkt das treibende Moment zu dem Beschlüsse war, sondern vielleicht in eben dem Maße der Rat die Ver­ mittlung einer kaiserlichen Kommission in den schwebenden Verfassungskämpfen wünschte. Gegen diesen Beschluß erhob sich aber alsbald ein hef­ tiger Protest von 13 Ratsmitgliedern und sämtlichen Ge­ nannten. Erstere trugen Bedenken wegen der hohen Kosten, letztere wollten zuerst alle Vorschläge des Rechn.-Rev.-Koll. auf ihre Durchführbarkeit prüfen; außerdem erklärten sie den Beschluß für einen Verstoß gegen den Grundvertrag. Deshalb wurde der Verlaß wieder suspendiert und es begannen neue Verhandlungen mit den Genannten, in deren Verlauf sich Berge von Akten anhäuften. Man schwankte, ob es nicht zweckmäßiger sei, in Wien nur ein Moratorium zu bean­ tragen. — Die infolge dieser Besprechungen im Ausland entstehenden Gerüchte von einer Insolvenz der Reichsstadt hatten nun eine Reihe von Kapitalaufkündigungeii zur Folge 2). Angesichts dieser katastrophalen Wendung entschied man sich letzten Endes doch wieder für eine Lokal­ kommission und zwar war folgende Ueberlegung dabei maß­ gebend: Nürnberg mußte unter den obwaltenden Umstän­ den seine Zahlungsunfähigkeit eingestehen. Mit einer kaiserlichen Kommission konnte man einen Konkursprozeß vielleicht mit einem pactum remissorium abschneiden, wäh­ rend ein moratorium nur eine dilatio ad solvendum ob causas infortunii war. Das setzte aber voraus, daß man nach fünf Jahren (der Normalzeit eines Moratoriums) wie­ der „solvendo“ sei. Ferner mußte man dem Kaiser dieFinanzlage in ihrer ganzen Trostlosigkeit klarlegen, woraus sich dann sofort die Unmöglichkeit ergeben würde, die Gläubiger nach Ablauf des Moratoriums zufrieden zu stellen. Außer*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 106. 2) Die Kündigungen der Frankfurter Gläubiger allein betru­ gen 136 720 fl. Nach einem losungsamtlichen Verzeichnis betrug die Summe aller Kapitalkündigungen von 1792—1795 473 441 fl.

dem würde ein Moratorium nicht so schnell erteilt werden können, um die bevorstehenden Klagen einiger Gläubiger beim Reichskammergericht und allenfallsige mandata de solvendo dadurch zu verhindern. Durch eine kaiserliche Lokalkommission wäre aber zu erwirken, daß die schweben­ den Prozesse beim Reichskammergericht sofort abgebrochen würden. Ein weiterer großer Nachteil eines Moratoriums lag darin, daß die creditores privilegati, denen Nürnberg be­ sonders viel schuldete, wie Kirche, fromme Stiftungen, Mündelgelder usw., meist vom Moratorium ausgenommen wurden. Ein sehr wichtiger Punkt war fernerhin, daß ein Moratorium ultra fines imperii doch keine Kraft habe, so daß die ausländischen Gläubiger alle Maßnahmen treffen würden, um trotzdem befriedigt zu werden. Nachdem am 3. November 1796 zuerst eine Bittschrift an den Kaiser um Entsendung einer Lokalkommission ent­ worfen worden war, wurde durch Ratsverlaß vom 17. Januar 1797 eine Abordnung nach Wien bestimmt, zu der die Herren Aelteren E. W. F. von Stromer x) und J. W. E. von Tücher delegiert wurden. Das Rechn.-Rev.-Koll. pro­ testierte zwar gegen die Entsendung einer Abordnung wegen der hohen Kosten, aber diesmal blieb der Rat fest, nachdem eine solche auch durch eine Sachverständigenkommission gutgeheißen war. In letzter Stunde leistete aber das Gen.Koll. heftigen Widerstand, einerseits wegen der hohenKosten und andererseits, weil zu einer solchen Abordnung nach dem Grundvertrag die Zustimmung des Gen.-Koll. notwen­ dig war. Um sie aber doch möglich zu machen, erbot sich das Patriziat die Kosten aus seinen Privatmitteln zu bestreiten. Schon glaubte man alle Hindernisse überwunden zu haben, da teilte der Geschäftsträger Nürnbergs am Wiener Hofe mit, daß man in Hofkreisen der Ansicht sei, es könne nur dann der Absendung einer Lokalkommission nähergetreten werden, wenn auch das Gen.-Koll. seine Zustimmung zu einer solchen Maßnahme gegeben habe; denn in einer so wichti­ gen Frage müßten alle maßgebenden Stellen eines Sinnes Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 108, 109, 110 und Rep. 45, N. si.

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sein. Nun fand am 25. Februar 1797 wieder eine Konferenz von Deputierten des Rats, der Genannten und des Rechn.Rev.-Koll. statt, in der schließlich eine Einigung erzielt wurde. Am 6. April 1797 gab das Gen.-Koll. endgültig nach und bat selbst um eine kaiserliche Kommission1). Inzwischen traf (27. Febr.) ein Schreiben des Nürnberger Geschäftsträgers von Jan aus Wien ein, worin er mitteilte, daß er seiner Instruktion gemäß wegen einer Kommission auf den Herrn Kurfürsten von Köln angetragen und überall die „Begenehrnigung“ erhalten habe, die Sache sei also hier unten nicht mehr res integra und ein H. Rat könne nicht mehr zurücktreten 2). Gleichzeitig erfuhr die Nürn­ berger Regierung, daß eine Immediatkommission nicht werde ernannt werden. Mittlerweile waren die Nürnberger Abgeordneten nach Wien abgegangen mit dem Auftrag (10. März 97), trotzdem eine immediate kaiserliche Kom­ mission zu erwirken. Anfangs April 1797 einigten sich Rat und Gen.-Koll. dahin, daß auf den Hofrat von Zwanziger als Immediatkommissär der Antrag zü stellen sei, da dieser Herr schon bei früheren Gelegenheiten Interesse und Wohl­ wollen für Nürnberg gezeigt habe 3). Am 22. April berichtete die Abordnung über ihre Audienz beim Kaiser. Am 29. April erbat sie vom Rat ver­ eint mit dem Gen.-Koll. eine kurze Supplik, in der auf den Kreismitstand Fürsten Löwenstein-Wertheim als Kommis­ sionshof und den Hofrat von Zwanziger als Subdelegaten Antrag gestellt werden möge. Es muß hier bemerkt wer­ den, daß die Nürnberger Ablegaten die Angelegenheit anfangs ohneRücksicht auf das Gen.-Koll. betreiben wollten. Der kaiserliche Hof ließ sie aber keineswegs darüber in Zweifel, daß er großen Wert auf die Zustimmung dieser Körperschaft lege. Nach längeren Verhandlungen über die *) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 51. 2) Inwieweit dieser Brief von Nürnberg aus inspiriert war, läßt sich aus den Akten nicht feststellen. 3) Er war der Beauftragte der kleineren Stände beim fränki­ schen Kreistag, der als solcher über elf Stimmen und damit über die Majorität beim Kreistag verfügte. Tarrasch, Uebergang Ans­ bachs an Bayern, S. 3. lt

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Wahl des Kommissionshofs und des Subdelegaten erging am 25. Mai ein Reichshofratskonklusum, wonach als Kom­ missionshöfe der Kurfürst von Köln als Hoch- und Deutsch­ meister und außerdem noch der Herr Fürst zu LöwensteinWertheim ernannt wurden; beide sollten taugliche Sub­ delegaten bestimmen. Dadurch wurde der Rat aber in große Verlegenheit versetzt; denn woher sollten die Mittel kom­ men, um zwei Kommissionen bezahlen zu können? Da sich aber unmittelbar an der kaiserlichen Verfügung nichts ändern ließ, wurde einstweilen eine Deputation des Rats an die Kommissionshöfe gesandt; den Genannten wurde anheimgestellt, ihrerseits ebenfalls Deputationen zu ernen­ nen. Von der Ratsdeputation wurde der augenblickliche Stand des ärarialischen Defizits bei diesem Anlaß in Höhe von 467 027 fl. 6 kr. 5 Heller den Höfen bekannt gegeben. Diesen Abordnungen wurde vom Fürsten LöwensteinWertheim zu Kleinheubach mitgeteilt, daß als Subdelegat Hofrat von Hinkeldey bestimmt sei, da Zwanziger gesund­ heitshalber abgelehnt habe. Am 16. September 1797 noti­ fizierte S. kurfürstliche Durchlaucht Maximilian Franz zu Köln, daß er den Hof- und Regierungsrat Philipp Ernst G e m m i n g aus Heilbronn unter Zuteilung des Sekretärs Franz Schrodt subdelegieren werde. Da die eingezogenen Erkundigungen über die Persönlichkeit des Herrn von Hinkeldey ungünstig lauteten, ferner Köln als Reichsstand ein viel größeres Ansehen genoß, mit dem Kaiser verwandt war und wegen eines preußischen Uebergriffes selbst sich beim Reichstag beschwert hatte, ent­ schloß sich der Rat zu einer neuen Bittschrift an den Kaiser, nur den kurfürstlichen Hof mit dem Kommissions­ geschäft beauftragen zu wollen *). In einem Reichshofrats­ konklusum vom 9. Oktober 1797 wurde dieser Bitte statt­ gegeben. Die nächste Zeit wurde nun durch die Vorbereitungen zur Aufnahme der Kommission in Anspruch genommen. Zuerst galt es, für sie eine geeignete Unterkunft ausfindig zu machen. Dazu wurde der Ebracher Hof in Nürnberg ins *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121.



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Auge gefaßt. Am 19. September wurde der Prälat des Stif­ tes zu Ebrach gebeten, sein Haus im Ebracher Hof allhier auf dem Roßmarkt für den Herrn Subdelegaten pachtweise zu überlassen, und am 17. Oktober kam der Pachtkontrakt zustande. Umfassende Arbeiten erforderte die Einrichtung dieses Gebäudes und die Vorbereitung des Zeremoniells bei Empfang der Kommission, da Gemming seine Ankunft schon für 15. November in Aussicht stellte. In Nürnberg betrachtete man in allen Schichten der Be­ völkerung die Ernennung der Subdel.-Komm. als ein politi­ sches Ereignis ersten Ranges; denn man erhoffte sich von ihrer Tätigkeit die Erlösung aus der Finanznot, die Befreiung von einem nur allzu lästig empfundenen Steuerdruck, die Bei­ legung aller innerpolitischen Zwiste, die so viel unliebsame Beunruhigung in das Leben des Bürgers getragen und alle Regierungsgeschäfte, ja sogar die Rechtsprechung beein­ flußt hatten. Allen schien eine Zentnerlast vom Herzen gefallen zu sein, und man erhoffte das Heraufziehen eines besseren Zeitalters, umsomehr, als man über die Person Gemmings durch Frhr. v. Bestell aus Wetzlar nur lobende Worte gehört hatte1). Diese Stimmung klang aus allen Aeußerungen der damaligen Zeit, die nur selten durch ein Wort des Zweifels beeinträchtigt wurde. Am besten kommt diese Tatsache in einem Huldigungsgedicht des bürgerlichen Infanterie-Offizierskorps zum Ausdruck, das dem Sub­ delegaten am Neujahrstag 1798 überreicht wurde. Es ist ein Hymnus, der in den überschwenglichsten Worten die Subdel.-Komm. als Sieger und Retter, den Subdelegaten Gemming als Vater des Vaterlandes begrüßt2) . . . Selig preisen wir Dich, dem es gegönnt ward, allen zu helfen, um ewig von allen geliebet zu werden . . . und eine Schöpfung voll Leben und Lust trat mit der Sonne hervor.“ Diese weni­ gen Worte mögen ein Hinweis sein, was Nürnberg von dem neuen Mann erwartete. Wir können uns darnach einen Begriff machen von der Größe der Enttäuschung, als es *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121. 2) In der Nürnberger Stadtbibliothek und im Staatsarchiv aufbewahrt.

Nürnberger 11*

164 Gemming nicht gelang — allerdings nicht durch eigene Schuld —, die auf ihn gesetzten Hoffnungen zu erfüllen. Bis zum Eintreffen der Kommission gab es eine Menge Arbeiten zu erledigen; denn weder Rat noch Rechn.-Rev.Koll. wollten doch den Eindruck erwecken, daß sie es an Eifer hatten fehlen lassen, nach Kräften zu bessern und zu helfen, wo zu helfen war 1). Um für Gemming die nötigen Unterlagen zum Beginn seiner Tätigkeit gleich bereit zu haben, erhielt durch Rats­ verlaß vom 2. November bezeichnenderweise das Losungs­ amt den Auftrag, ,,eine wahre und genaue Uebersicht des Aktiv- und Passivzustandes in Bereitschaft zu setzen“, obwohl alle Arbeiten auf diesem Gebiet bisher vom Rechn.Rev.-Koll. besorgt worden waren. Schon im Februar war aber auch diese Körperschaft durch ein Schreiben des Reichshofratsagenten von Urban direkt in Kenntnis gesetzt worden, eine schleunige Prüfung der agendorum, soweit sie das Finanzwesen betreffen, vornehmen zu wollen. Infolge der eifrigen Arbeiten auf diesem Gebiet wurden von dieser Behörde alle laufenden Geschäfte ab August 1797 ausgesetzt und bis zum Eintreffen der Subdel.-Komm. aufgeschoben. Der feierliche Legitimationsakt der Subdel.-Komm. fand am 1. Dezember 1797 auf dem Rathaus in der ,,oberen grünen Stube“ statt2). Eine Abordnung, bestehend aus je zwei Deputierten des Rats und des Gen.-Koll., empfing den Sub­ delegaten bei seinem Eintreffen in Nürnberg; eine Abord­ nung des Rechn.-Rev.-Koll. wurde zu den Feierlichkeiten auf dem Rathaus zugezogen. Gemming selbst kam in einem sechs­ spännigen Wagen an, hinter ihm in einem zweispännigen Wagen fuhr das Kanzleipersonal, eskortiert war der Zug von Bedienten in kölnischen Staatslivreen. Vor dem Rat­ haus hatte eine Kompagnie von sechzig Mann Aufstellung genommen, die den Subdelegaten mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen begrüßte. Inzwischen hatten sich der *) Das Rechn.-Rev.-Koll. erließ noch eine Generalinstruktion an alle Rechnungsämter in Stadt und Land, in der zur größten Sparsamkeit und Ordnung gemahnt wurde. Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 2489. Ä) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 859.

Rat und die Genannten auf dem Rathaus versammelt und bildeten beim Eintritt Gemmings Spalier. Dann nahmen alle die vorher bestimmten Plätze ein und Gemming hielt die Eröffnungsrede, in der er den besten Hoffnungen für die Zukunft Nürnbergs Ausdruck verlieh, trotz aller Schwarz­ seher, die den Nürnberger Finanzzustand für rettungslos ansahen. Besonderen Nachdruck legte er darauf, daß die Subdel.-Komm. nicht von Amtswegen, sondern auf wieder­ holtes, eindringliches Bitten der Nürnberger Bürgerschaft eingesetzt worden sei x). Nach einer Erwiderung durch den Rat wurde der Subdelegat unter Beobachtung des gleichen Zeremoniells in seine Wohnung geleitet, vor der zwei Ehren­ wachen postiert waren. Am 7. Dezember 1797 werden die Nürnberger Beamten ihres Eides, den sie dem Rat geleistet hatten, entbunden und auf die Subdel.-Komm. vereidigt.

2. Der Geschäftsgang der Subdelegationskommission. Schon auf Grund eines Verlasses vom 23. Novem­ ber 1797 waren die Deputationen zum Kommissionsgeschäft gewählt worden, so daß man sofort an die praktische Arbeit gehen konnte* 2). Am 9. Dezember wurden der Subdel.-Komm. die ersten „Vorschläge zur augenblicklichen Verstärkung der Staatskasse“ unterbreitet. Diese beabsichtigte, wie Gemming auch in seiner Amtsantrittsrede ausdrücklich betont hatte, die Nürnberger Finanzen in Ordnung bringen zu können, ohne an der Nürnberger Staatseinrichtung irgend welche Veränderungen vornehmen zu müssen, und zwar hauptsächlich durch Veräußerung einträglicher Herr­ schaften und Grundstücke, Erhöhung der Abgaben, „Ver­ minderung der Kameral-, der politischen und geistlichen Stellen und Beamtungen“ 3). Deshalb ließ sich die Subdel.Komm. (Dekret vom 23. Dezember 97) alle in die Aerarialangelegenheiten einschlagenden Aktenstücke ins Rathaus auf die Sternstube bringen, um sich über die zu treffenden *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121 und Bauamtsakten (Staats­ archiv) Rep. 21, N. 27. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 84. 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121.

i66 Maßnahmen schlüssig werden zu können1). Für den Gang der Kommissionsgeschäfte hatte Gemming anfangs folgende Anordnungen getroffen. Die oben erwähnten Deputationen zum Kommissionsgeschäft bilden zusammen einen Aus­ schuß der maßgebenden Regierungsbehörden des Nürn­ berger Staates. Dieser Ausschuß setzt sich zusammen aus je zwei Mitgliedern des Rats, des Genannten Kollegs und des Rechn.-Rev.-Koll. Er tagt unter dem Vorsitz Gemmings und faßt Beschluß über alle Vorschläge und Anträge zur Sanierung des Nürnberger Staatswesens, nachdem sie vorher eingehend von den drei genannten Behörden beraten worden sind. Die Beschlüsse gehen dann an den Reichs­ hofrat und werden vom Kaiser genehmigt und im Namen der Subdel.-Komm. dekretiert. Am 9. Februar 1798 erging ein Subdelegationsdekret, wonach die gesamte Bürgerschaft den Weisungen dieser Deputationen Folge zu leisten hätte2). Diese Arbeitsmethode hätte zweifellos große Vorteile besessen, aber sie war an die Voraussetzung geknüpft, daß alle in Betracht kommenden Regierungs- und Verwaltungs­ behörden sich den Weisungen dieser Deputationen, an deren Spitze der Subdelegat stand, gefügt hätten. Dieser Aus­ schuß hätte dadurch, daß er nur aus wenigen Personen bestand, rasch Entscheidungen treffen und mit diktatori­ scher Gewalt seine Verfügungen erlassen können, was in Anbetracht der zerfahrenen Nürnberger Verhältnisse sicher von großem Nutzen gewesen wäre. Es konnte sich auch kein Teil der Nürnberger Einwohnerschaft benachteiligt fühlen, da im Ausschuß Rat, Gen.-Koll. und Rechn.-Rev.-Koll. gleichmäßig vertreten waren. Die beiden letzten Körper­ schaften wären für diese Art der Geschäftsführung ohne weiteres zu gewinnen gewesen. Ganz anders stand es aber mit dem ehrgeizigen Rat. Wir haben anläßlich der ersten Schritte zur Erwirkung einer Subdel.-Komm. schon dar­ gelegt, daß der Rat dabei wesentlich auch von dem Gedan­ ken geleitet wurde, durch eine solche kaiserliche Kommis­ sion könnte sein erschüttertes Ansehen wiederhergestellt *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 216. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121.

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werden. Er war deshalb von Anfang an auf das peinlichste berührt, als er bemerkte, daß der Subdelegat so großen Wert auf die Stimmen des Gen.-Koll. und des Rechn.-Rev.-Koll. legte. Wie aus einem Gutachten des Konsulenten Colmar (Dezember 1797) hervorgeht, hatte der Rat geglaubt, daß alle Subdelegationserlasse in Form der alten Ratsverlässe (also auf Grund der souveränen Staatsgewalt des Rates) ergehen sollten 1). Da aber schon die ersten Erlasse der Subdel.-Komm. über ihre Auffassung, daß sie eine dem Rate Vorgesetzte Behörde sei, keinen Zweifel ließen, so war man von seiten des Rates eifrig darauf bedacht, daß die Subdel.Komm. mit der Nürnberger Verfassung bekannt gemacht werde, ,,da sonst durch eine einfache Befolgung der Sub­ del.-Komm.-Dekrete große Verwirrung hervorgerufen wer­ den könnte“. Die Subdel.-Komm. ließ aber den Rat über ihre Auffassung von der Handhabung der Regierungs­ geschäfte nicht im unklaren. Die seit Jahrzehnten nicht mehr verstummten Klagen der Bürgerschaft über den Rat sollten einmal genau geprüft und zu diesem Zweck die ,bürgerliche Konkurrenz“ in den Regierungsgeschäften im weitesten Maße in Anspruch genommen werden. Statt eine Abschaffung des Rechn.-Rev.-Koll. hatte also der Rat eine Verstärkung von dessen Stellung zu erwarten und gleich­ zeitig eine umfassendere Beteiligung des Gen.-Koll. an den Regierungsgeschäften. Für diese Richtlinien seiner Politik konnte sich Gemming überdies auf das volle Einverständ­ nis des Reichshofrats und seines Kommissionshofs berufen. Infolgedessen machte sich an Stelle der Begeisterung bei der Aufnahme der Subdel.-Komm. eine wachsende Enttäuschung in den Reihen des Patriziats bemerkbar, die allmählich in einen versteckten Widerstand überging und schließlich in eine offene Gegnerschaft ausartete. In diesem unerquick­ lichen Verhältnis zwischen Subdel.-Komm. und Rat lag der Hauptgrund, warum die lebhafte Tätigkeit des kaiserlichen Kommissars so wenig greifbare Erfolge aufzuweisen hatte, denn es mangelte Gemming weder an Tatkraft noch Fähig­ keiten. x) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 206.

i68 Schon anfangs 1798 kam es zum erstenmal zu einem scharfen Konflikt*). Am 2. Februar verlangte die Subdel.Komm. von den Nürnberger Beamten direkt die Mitteilung ihrer Instruktion und ihrer Pflichten, ohne den Rat vorher in Kenntnis zu setzen. Durch Zirkular verbot nun der Rat den einzelnen Beamten Antwort zu erteilen; er gestattete nur einen Ueberblick über Geschäftsgang und Dienst­ obliegenheiten. Am 12. März forderte die Subdel.-Komm. die sofortige Auslieferung des Beamtenpflichtenbuches, dessen Existenz vom Rat vorher geheimgehalten worden war, unter Androhung einer Anzeige beim Kaiser. Erst jetzt gab der Rat nach, lieferte das Buch aus und entschuldigte sich. Am 12. April erhielt er für dieses Verhalten eine Rüge vom Kurfürsten Maximilian Franz und die Mitteilung, daß Mel­ dung über den Vorfall an den Kaiser erfolgt sei. Der Rat entschuldigte sich beim Kurfürsten damit, daß die alten Pflichtformulare in so allgemeinen Ausdrücken gehalten seien, daß die Subdel.-Komm. daraus doch nichts hätte ersehen können. Von nun an bediente sich der Rat haupt­ sächlich des Mittels der Obstruktion, da er an keiner höheren Instanz irgend welchen Rückhalt fand. Er ver­ zögerte den Schriftwechsel, brachte Verwirrung in die Ge­ schäfte, indem er die Anordnungen der Subdel.-Komm. an falsche Instanzen leitete oder die Akten gänzlich abhanden kommen ließ; die Ratsherrn erschienen häufig in zu geringer Zahl oder zu spät zu den Sessionen. Dekrete der Subdel.Komm. wurden unter irgend einem Vorwand nicht durch­ geführt oder die Durchführung wurde auf Jahre hinaus ver­ zögert. Mit viel Erfolg wußte der Rat auch die höheren Beamten gegen die Subdel.-Komm. einzunehmen. Bei den Kommissionsberatungen erklärten die Deputierten des Rats wiederholt, nicht genügend instruiert zu sein und keine Voll­ machten zu besitzen, wenn es sich um ein Projekt handelte, dessen Durchführung den Rat vermeintlich in seinem An­ sehen schädigte öder ihm unangenehm war. An Gegen­ maßnahmen ließ es die Subdel.-Komm. natürlich nicht fehlen und sie fand dabei stets die Unterstützung des Reichshof*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 141.

rats. Allerdings wurde dadurch das Verhältnis zwischen Rat und Subdel.-Komm. immer feindseliger, sodaß es hüben wie drüben im weiteren Verlauf der Dinge häufig an der nötigen Objektivität und Unvoreingenommenheit fehlte, wodurch die Arbeiten zum Wohle des Staates keineswegs gefördert wurden. Zur näheren Beleuchtung oben geschilderter Zu­ stände im Geschäftsgang seien folgende Auszüge aus den Akten herangezogen. Am 22. April 1799 erging folgendes Subdel.-Komm.Dekret. „Der Reichshofrat wünscht alle Entscheidungen in konzentrierter Form zu erhalten1). Da schriftliche Er­ klärungen und Gutachten die Geschäfte in die Länge ziehen, ist das mündliche Verfahren einzuschlagen. Nachdem alle Anträge vorher den collegiis mitgeteilt sind, sollen die Er­ klärungen durch die Deputationen mündlich ad protocollum gegeben werden“. Am 18. Juni 1801 erschien folgendes Subdel.-Dekr.: ,,In Zukunft ist vor jeder Kommissionssitzung der Subdel.Komm. schriftlich anzuzeigen, daß die Mitglieder über den Beratungsgegenstand unterrichtet sind. Von den Abgeord­ neten ist das mandatum cum libera zu verlangen 2). Dieses Dekret erregte schwere Bedenken des Rats; denn eine solche Vollmacht in den wichtigsten Staatsangelegen­ heiten könnte nicht in die Hände einzelner, selbst tüchtiger Männer gelegt werden. In einem Subdel.Dekret vom 23. Oktober 1802 über die Aktenverwah­ rung hieß es: 3) „Welch eine Unordnung in der Ver­ wahrung und Registrierung der Akten allhier herrscht, erhellt leider aus dem Verlust so vieler Aktenstücke und daraus, daß deren schon sehr viele auf dem Trödelmarkt in Händen von Privatpersonen und auf dem Rathaus selbst an offenen und für jeden zugänglichen Orten gefunden worden sind.“ Es folgen dann strenge Verordnungen über Akten­ verwahrung. — Am 26. Oktober 1802 dekretierte die Sub*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 206. 2) Vollmacht zu bindender Abstimmung für den Magistrat durch die einzelnen Kommissionsmitglieder. s) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 281.

ganzen

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del.-Komm. Geldstrafen für Fehlen oder Zuspätkommen bei den Sessionen 1). Dadurch fühlte sich der Rat tief in seiner Würde verletzt und verfügte deshalb in einem Ratsverlaß vom 26. November 1802, daß die Strafen vorläufig noch nicht in Kraft treten sollen; doch wurde den Senatoren und Beamten bei dieser Gelegenheit größte Gewissenhaftigkeit für die Zukunft empfohlen. Sehr scharf drückt sich das Subdel.-Dekr. vom 7. Dezember 1802 aus. Es spricht von der Widerspenstigkeit des Rates in allen Verbesserungsange­ legenheiten, wo doch die Patrizier am ganzen Elend eigent­ lich schuld seien. — Am 30. September 1803 klagte ein Subdel.-Dekr. wiederum darüber, daß es dem Rat mit seiner Hilfe für das Aerar nicht ernst sei; denn er habe wiederholt die gleichen Gegenstände verschiedenen Konsulenten zur Be­ gutachtung zugeteilt, statt sie der Deputation zum Kom­ missionsgeschäft zur Bearbeitung zu geben2). — Am 9. Dezember 1803 führte ein Subdel.-Dekr. darüber Be­ schwerde, daß bei Verfehlungen von Beamten das Straf­ ausmaß von einer anderen Instanz festgesetzt werde als der, die die Verfehlung entdeckt habe; dadurch würden vor allem d i e Beamten nur geringfügig in Strafe genommen, welche in stillem Einverständnis mit dem Rat sich gegen Kommissionsverordnungen vergangen hätten. — Ein Sub­ del.-Dekr. vom 19. Februar 1803 tadelte die unleserliche Schreibweise von wichtigen Zahlen und verfügte, daß „dis­ positive Zahlen“ in Zukunft mit Buchstaben zu schreiben seien 3). — Die Nichtbefolgung der Subdel.-Dekrete durch die Beamten veranlaßte eine Subdel.-Komm.-Verfügung api 4. Juli 1800, wonach auf besonderen Formularen Quar­ talberichte über die erhaltenen Dekrete eingeschickt werden müßten 4). Immer wieder wandte sich die Subdel.-Komm. gegen die Zahlungen, die eigenmächtig von den einzelnen Aemtern vorgenommen wurden, obwohl der Subdel.-Komm. vom Kaiser das ganze Zahlungswesen allein übertragen *) 2) 3) 4)

Staatsarch. Staatsarch. Staatsarch. Staatsarch.

Nbg. Nbg. Nbg. Nbg.

Rep. Rep. Rep. Rep.

26, 26, 26, 26,

N. N. N. N.

227. 236. 121. 211.

i7i

worden war. — Gegen Ende der Tätigkeit der Subdel.Komm. nahm die Verschleppung der Geschäfte durch den Rat immer gröbere Formen an 1).2 Im August 1805 wurden dem Rat von der Subdel.-Komm. heftige Vorwürfe gemacht, daß er zahlreiche Verfügungen der Kommission, die bis in die ersten Jahre ihrer Tätigkeit zurücklagen, noch nicht zum Vollzug gebracht habe. — Noch kurz vor Beendigung ihrer Tätigkeit (2. Juni 1806) erließ die Subdel.-JComm. eine umfassende Verordnung, um den Geschäftsgang zu beschleunigen3). Die erschreckend langsame Erledigung aller Anträge war darauf zurückzuführen, daß jeder Plan zur Verbesserung, der von einer der dazu befugten Behör­ den (Rechn.-Rev.-Koll., Rat, Subdel.-Komm., Gen.-Koll.) ausging, der Reihe nach erst den anderen mitgeteilt werden mußte. Die einzelnen Rückäußerungen dauer­ ten sehr lange, so daß immer neue Termine für eine gemein­ same Deputationskonferenz angesetzt werden mußten. Des­ halb wurde erneut von der Subdel.-Komm. auf einen Plan hingewiesen, der in Augsburg unter ähnlichen Verhältnissen mit großem Erfolg angewendet worden war. Dieser Plan, schon am 18. Juni 1801 von der Subdel.-Komm. vorgelegt, wurde damals von keiner Behörde beachtet. Er enthielt fol­ gende Grundgedanken: Die Deputationen dürfen an keine Instruktionen gebunden werden; alles, was vom Ausschuß beschlossen wird, bedarf keiner Genehmigung, sondern wird sofort in die Tat umgesetzt; bei Meinungsverschiedenheiten sucht die Subdel.-Komm. den consensum herbeizuführen; gelingt es nicht, so entscheidet der Kaiser; wenn alle De­ putationen einig sind, kann sofort Beschluß gefaßt werden; binnen zwei Monaten muß jedoch ein Beschluß zustande kommen; jede Deputation hat aus drei Personen zu be­ stehen; in denselben sollen möglichst alle Berufe vertreten sein. Kennzeichnend für die Verwirrung, die häufig im Ge­ schäftsgang herrschte, war der Umstand, daß wiederholt Behörden über die Grenzen ihrer Befugnisse in Zwist gerie*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 200. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 256.

172 ten, wie z. B. Polizei- und Kriminaldepartement oder Rat und Rechn.-Rev.-Koll. oder Rat und Subdel.-Komm. So beschwerte sich der Rat am 3. Juli 1805 darüber, daß die Subdel.-Komm. einen Rats verlaß aufgehoben habe, wodurch das obrigkeitliche Anseheh des Rates verletzt worden sei1). In Wirklichkeit handelte es sich aber gar nicht um einen Gegenbefehl .der Subdel.-Komm., sondern Subdel.-Komm. und Rat hatten gleichzeitig über denselben Fall entgegen­ gesetzte Entscheidungen getroffen. Der Rat verlangte deshalb in Zukunft, daß die Subdel.-Komm. seine Dekrete erst abwarten solle, wogegen die Subdel.-Komm. erklärte, daß sie in Zukunft alle Akten erst vorgelegt erhalten wolle, auf Grund deren der Rat einen Beschluß gefaßt habe. Dem Rat komme es ferner zu, sich über die Haltung der Subdel.Komm. vorher zu vergewissern, damit er nicht Gefahr laufe, daß seine Dekrete aufgehoben würden. Diese Ausführungen über den Geschäftsgang der Sub­ del.-Komm. und die ihr entgegenwirkenden Kräfte waren notwendig, um die im folgenden dargelegten praktischen Arbeiten der kaiserlichen Kommission richtig beurteilen zu können. 3. Die unmittelbaren Maßnahmen zur Finanzreform. a) Das sogenannte Liquidationsgeschäft. Wie aus früheren Ausführungen bereits hervorgeht, war das Defizit im Nürnberger Staatshaushalt in letzter Zeit beständig gewachsen. Man eilte mit Riesenschritten dem Staatsbankrott entgegen und gerade der Umstand, daß die Nürnberger Regierung keinen Ausweg aus eigener Kraft mehr gefunden hatte, war mitbestimmend für den Entschluß gewesen, eine kaiserliche Kommission zu erbitten. Aus einer Uebersicht über den Aerarialzustand von Okuli 1791—1801 sind aus den Rentkammerakten folgende Zahlen für die Höhe des unbedeckten Defizits zu entneh­ men: 2) *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 253. 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 1633.

173

I79I: 1792:

5721,20 fl. 2288,42 „

1793: 24 294,48 „ 1794: 13 231,40 „

1795: 96 612,51 „

1796: 127866,49 fl. 1797: 197011,01 „

1798:

93 505,51 »

i799: 5° 108,19 „ 1800: 114660,29 „ 1801: 199870,30 „

Das Gesamtdefizit wird in dieser Aufstellung am 30. August 1801 auf 1 085 000 fl. berechnet. Indes sind diese Zahlen sehr vorsichtig aufzunehmen, denn bei der Ver­ worrenheit des Nürnberger Kassenwesens war es außer­ ordentlich schwierig, wenn nicht ganz unmöglich, eine genaue Aufstellung über Ausgaben und Einnahmen zu machen *). Waren doch schon bisher alle Versuche, einen genauen Status activi et passivi aufzustellen, an der Unklar­ heit des Rechnungswesens und des Rechnungsstiles geschei­ tert. Unter Benützung der Vorarbeiten, die das Rechn.-Rev.Koll. auf diesem Gebiete schon gemacht hatte, wollte jetzt die Subdel.-Komm. sich über diese Arbeiten machen*2). Aber nur zu bald erkannte sie, daß es ihr ebenso ergehen werde wie der fränkischen Kreisdeputation im Jahre 1792. Unter Hinweis darauf, daß ihr dieses Geschäft zu viel Aufenthalt in ihren anderen notwendigen Arbeiten machen würde, betraute sie durch Dekret vom 6. Februar 1798 damit 8 Deputationen, die sich je aus einem patrizischen und einem Mitglied des Gen.-Koll. zusammensetzen sollten. Diese ,,Deputationen zum Liquidationsgeschäft“ sollten zu diesem Zweck sämtliche im Rest nachgeführten (noch aus­ stehenden) Abgaben liquidieren und mit den Gläubigern hiesiger Stadt abrechnen. Sie sollten ferner die Zahlungs­ fähigkeit der Stadt prüfen, die Größe der geschuldeten Summe feststellen (besonders hinsichtlich der Losungs­ restanten) und einen Zahlungsmodus ausfindig machen. Im Verlauf der Arbeiten der Deputationen zum Liqui­ dationsgeschäft kamen nun eine Reihe von Unregelmäßig­ keiten bei der verschiedenen Aemtern zutage. Beim Vor*) Vgl. Bingold, Reichsstädt. Haushaltung, S. 24 ff. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121.

174 mundamt waren beispielsweise Zahlungsstockungen ein­ getreten, weil Mündelgelder ins Losungsamt abgegeben worden waren, um dringende Zahlungen leisten zu können. Da dies aber der Bürgerschaft bekannt geworden war, hütete man sich fernerhin, Mündelgelder beim Vormund­ amt anzulegen, und es bedurfte eines ausdrücklichen Subdel.-Komm.-Dekrets (23. April 1798), um der Bevölkerung wieder einiges Vertrauen zu diesem Amte einzuflößen. Empört über viele derartige Wahrnehmungen im Nürn­ berger Finanzwesen, trug sich die Subdel.-Komm. mit dem Gedanken (Dekret vom 5. Oktober 98), ,,die eine oder andere Amtsstelle billig zu obsignieren und das dabei angestellte Personale, welches sich durch unverantwortliche Unrichtig­ keiten sogar dem Verdacht der Unterschlagungen und Ver­ untreuung ausgesetzt habe, zu suspendieren“. Nur aus dem Grunde, weil diese ,,Anarchie“ im Finanzwesen bis auf sehr lange Zeit zurückging, sah die Subdel.-Komm. von Maß­ regelungen ab. Bei diesen Arbeiten wurde auch die Unsicher­ heit aller zahlenmäßigen Angaben im Nürnberger Schulden­ wesen offenbar, die so groß war, daß nach einer von den Losungsräten gemachten Aufstellung eine Summe von 323 164 fl. vorhanden war, über deren Bedeutung sich nie­ mand klar werden konnte. Die Liquidationsarbeiten wurden überdies durch das Losungsamt noch besonders erschwert, ein Verhalten, das sich Gemming nur dadurch erklären konnte, daß dieses Amt wohl als der Mittelpunkt aller Finanzunordnungen zu betrachten sei. Denn nur unter solchen Umständen konnte es ein Interesse daran haben, daß in den Geldangelegenheiten keine Klarheit geschaffen wurde. Das Losungsamt wies jedoch jede Einmischung in seine Amtsbefugnisse mit dem Einwand zurück, daß dies eine Verfassungsverletzung bedeute. Demgegenüber er­ widerte die Subdel.-Komm., daß unter dem Deckmantel einer abzuwehrenden Verfassungsverletzung nur Privat­ verbrechen verborgen würden. Beim Liquidationsgeschäft gewann man nun sehr bald die Ueberzeugung, daß eine Verringerung des Zinsfußes unbedingt erforderlich sei, wenn Einnahmen und Ausgaben

175 in Einklang gebracht werden sollten x). Da nun die Patri­ zier zu den großen Gläubigern der Stadt gehörten, hätte das Losungsamt gewünscht, den Zinsfuß zwar auf 4 % zu ver­ ringern, aber unter gleichzeitiger Aufnahme eines größeren Kapitals, um denen ihre Kapitalien zurückzahlen zu können, die mit den verringerten Zinsen nicht einverstanden ge­ wesen wären. Man hoffte durch die Zinsreduktion jährlich 12 000 fl. einzusparen. Der Rat wünschte ebenfalls ein Ka­ pital aufzunehmen, damit man über die dringendste Not hin­ wegkäme. Doch die Subdel.-Komm. lehnte diesen Vorschlag ab mit der Begründung, daß zuerst der Status activi et passivi festgestellt sein müsse. Solange man den Dar­ leihern keine geregelte Zinszahlung garantieren könne, seien geringe Aussichten auf ein größeres Darlehen vorhanden. Doch stellte sie es den Mitgliedern des Magistrats anheim, aus eigenen Mitteln ein angemessenes Kapital vorzu­ schießen oder die Bürgschaft dafür zu übernehmen. Ein Sub­ del.-Komm.-Dekret vom 26. Januar 1799 verfügte nun, daß in Anbetracht der Verluste infolge der preußisch-bayerischen Okkupation, die dem Staat jährlich 192 000 fl. kostete, den Staatsgläubigern ab Laurenti nur mehr 3 % Zinsen gezahlt werden sollten; nur in besonders gelagerten Fällen könnten Ausnahmen gemacht werden. Zur praktischen Durchführung der Zinsreduktion kam es indes vorläufig noch nicht*2). Walburgis 1804 wurde sie erneut dekretiert, aber wieder nicht durchgeführt, da so lange alles beim alten bleiben sollte, bis ein genauer Etat aufgestellt sei. Durch die Erniedrigung des Zinsfußes aller Staatswerte wollte die Subdel.-Komm. den groben Mißstand abstellen, daß ein­ flußreiche Gläubiger (Patrizier) ihre Zinsen voll ausgezahlt, während andere sie nur zum Teil erhielten; viele jedoch — unter ihnen gerade die Bedürftigsten — bekamen für ihr Kapital überhaupt keine Zinsen. Durch eine Herabsetzung des Zinsfußes glaubte man alle Gläubiger gleichmäßig befrie­ digen zu können. Die armen Witwen und Waisen und solche Personen, welche ihr ganzes Vermögen in Nürn*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 155. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 157.

176

berger Werten angelegt und weder Güter hatten noch Be­ soldung erhielten, sollten besonders berücksichtigt werden1). Im Verlauf der letzten Jahre der reichsstädtischen Freiheit wurden aber die Verhältnisse so mißlich, daß man nur noch 2 % Zinsen auszahlen konnte2). Vergleicht man damit jedoch die Verhältnisse aus dem Jahre 1800, wo nur Zinsen für die Staatsschulden gezahlt wurden, wenn gerade Geld in der Kasse vorhanden war 3), so bedeutete die Reduzierung, aber regelmäßige Auszahlung der Zinsen immerhin einen Fortschritt. Mit dieser drakonischen Maßnahme der Zins­ verminderung setzte sich die Subdel.-Komm. vielen Angrif­ fen aus. Sie wies sie jedoch mit dem Hinweis zurück, daß nur extreme Maßnahmen Rettung bringen könnten und nieman­ dem als ihr die Finanzhoheit zustehe. Eine gewisse Mil­ derung ließ sie jedoch dadurch eintreten, daß den Gläubi­ gern die Differenz zwischen dem neuen und dem ursprüng­ lichen Prozentsatz auf die Kapitalsteuer gutgeschrieben werden sollte. Dies war freilich eine zweischneidige Maß­ nahme; denn der dadurch entstehende Steuerausfall machte sich sehr empfindlich bemerkbar. Durch Dekret vom 19. Mai 1801 wurde gleichzeitig verfügt, daß alle Zinszahlun­ gen der einfacheren Geschäftsabwicklung halber am 1. Mai und 1. November stattfinden sollten, zumal da erfahrungs­ gemäß an den bisherigen Terminen (Lichtmeß und Laurenti) die Kassen „am meisten von Geld entblößt gewesen seien“. Die Auswirkungen dieser Finanzoperation machten sich in doppelter Hinsicht fühlbar. Einerseits häuften sich die Forderungen um Kapitalrückzahlung und andererseits waren Nürnberger Staatspapiere weit unter Preis besonders im Ausland zu kaufen. Gegenüber den Forderungen auf Kapitalrückzahlung hatte man lange Zeit den Fehler ge­ macht, daß, je nachdem Geld in den Kassen war, diesem Verlangen stattgegeben wurde oder nicht4). Dadurch wurde der Anschein großer Willkür erweckt. Deshalb ver*) *) 8) *)

Dekret 8. Oktober 1804. Eine Art Kleinrentnerschutzerlaß. Subdel.-Komm.-Dekret 17. Februar 1804. Subdel.-Komm.-Dekret 10. November 1800. Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 208.

177 fügte ein Subdel.-Komm. Dekret schon am 30. April 1800, daß hauptsächlich in Anbetracht der Okkupationen keine Kapitalrückzahlungen mehr erfolgen dürften. Beamte, die dieser Verfügung zuwiderhandelten, hatten die von ihnen geleisteten Zahlungen ex propriis zu ersetzen. Angesichts der Tatsache, daß das Ausland die Nürnberger Werte unter Preis abstieß, verfügte ein Subdel.-Komm.-Dekret**) vom 14. November 1800, daft die Erlöse aus den Verkäufen von Staatsgut verwendet werden sollten, um diese Werte anzu­ kaufen, zumal da die Bürgerschaft doch nicht so patriotisch sei, die Gelder zum Ankauf der Nürnberger Schulden zur Verfügung zu stellen. Infolge der durch diese Ankäufe be­ dingten Verringerung der Zinszahlungen fürs Ausland hätte die Nürnberger Bürgerschaft besser befriedigt werden können. Am 19. Oktober und am 16. November 1801 traten nun die Beamten des Gen.-Koll. mit praktischen Verbesserungs­ vorschlägen hervor, durch die die Arbeiten der Liquidationsdeputätionen neuen Antrieb erhielten 2). Selbst vom Kaiser wurden diese Vorschläge zu eingehender Beratung empfohlen. Anlaß zu diesem Schritt der Beamten gab das Ausschreiben einer ,bürgerlichen Abgabe um Mittel zu ge­ winnen zur Herstellung der Ordnung in den Zahlungen“. In diesen Vorschlägen wurden folgende Forderungen auf­ gestellt. 1. Die Abrechnung alter Restguthaben von der neuen bürgerlichen Abgabe muß sistiert werden. Zu diesen Rest­ guthaben gehören a) Die Kapitalzinsen bis Allerheiligen 1801. b) die Tontinenaktiengelder und die darauf heraus­ zuzahlenden rückständigen Tontinenkapitalien, c; Die Be­ soldungsrückstände bis Allerheiligen 1801 sind zu Kapital zu machen und darüber formelle hypothekarische Obligatio­ nen auszustellen und mit 3 °/0 zu verzinsen, ohne daß darauf weiter eine bürgerliche Abgabe zu leisten wäre. 2. Für kein Kapital, das beim Staat-angelegt ist, sollen mehr als 3 % Zinsen gezahlt werden. Das Gutschreiben *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 279. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 127. 12

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der übrigen Prozente hat gänzlich aufzuhören, da ja doch niemand erwarten kann, dieses Guthaben jemals zu erhal­ ten. Von diesen 3 % brauchen keine bürgerlichen Abgaben mehr bezahlt zu werden. Eine weiteie Herabsetzung des Zinsfußes soll nicht stattfinden, damit der Staatskredit durch die Entwertung des Vermögens der hiesigen Bürger nicht noch mehr geschädigt und der Bankrott noch näher gerückt wird. 3. Für die 1802 fälligen Zinsen sind Uebergangsbestimmungen zu treffen. 4. Die bürgerliche Abgabe muß bis Lichtmeß 1802 ge­ zahlt sein; für Steuerdefraudanten darf es keine Amnestie mehr geben. 5. Die bürgerliche Abgabe ist bei der „Geheimen Steuerdeputation“ bar zu entrichten. Nur der Bürger­ groschen wird im Zahlamt erlegt. Die Gelder werden täg­ lich abgerechnet und ins Zahlamt gebracht. Die Geheime Steuerdeputation soll das Recht zu Exekutionen haben. Auch die Schutzverwandten sind in voller Höhe zu den Steuern heranzuziehen. 6. Da die durch ein Provisorium festgesetzte bürger­ liche Abgabe nicht zur Verzinsung der Stadtschulden hin­ reicht, sind „Surrogata“ ausfindig zu machen, durch die auch bares Geld in die Kassen kommen soll. Dazu gehören erhöhte Zölle, besonders auf Luxusartikel; hohe Strafgelder auf Malversationen; Einführung eines Pflasterzolls; Stem­ pelgebühren nach preußischem Muster; Erhöhung des Ge­ treideaufschlags besonders auf Weizen; Schlachtgeld für Vieh; eine Dienstbotensteuer; eine Abgabe auf Luxus- und Dienstpferde; die Einrichtung eines Wettlottos; Zölle, die auf alle eingeführten Artikel gelegt werden sollen; Katastrierung und Besteuerung der Häuser. 7. Verringerung der Staatsausgaben durch Verkauf von Staatsgebäuden; Verringerung des Forst- und Aemterpersonals. Diesen Vorschlägen der Beamten kommt insofern erhöhte Bedeutung zu, als durch sie auch die Subdel.Komm. zu zahlreichen Maßnahmen veranlaßt wurde, so daß

179 bei den späteren Darlegungen über die Tätigkeit der Sub­ del.-Komm. noch mehr über einzelne Punkte der Beamten­ forderungen gesprochen werden muß. Die sich seit Jahren mehrenden Klagen auf Rückzah­ lung der Kapitalien, besonders seitens ausländischer Gläu­ biger, zwang den Nürnberger Staat letzten Endes auch um ein Moratorium beim Kaiser nachzusuchen x). Schon ein Ratsverlaß vom 17. November 1798 bestimmte, es solle ein Moratorium bei kaiserl. Majestät erwirkt werden und zwar ,,in Absicht eines den Kapitalposten zu gönnenden Zahlungs­ stillstandes“. Die Subdel.-Komm. unterstützte dieses Gesuch und empfahl auf ein Moratorium für zehn Jahre anzutragen. Am 24. Januar 1800 wurde es vom Kaiser gewährt, jedoch nur auf fünf Jahre. Damit war die Stadt von der Ver­ pflichtung zur Rückzahlung der bereits aufgekündigten und noch kündbaren Kapitalien und der Zinsleistung entbunden, soweit zur Bezahlung der Zinsen die Stadtschuldenkasse nicht hinreichen sollte. Ausgenommen vom Moratorium waren die beim Vormundamt liegenden Pupillengelder. Bei der allgemeinen Lage war es vorauszusehen, daß nach Ab­ lauf eine Erneuerung des Moratoriums notwendig würde. Durch Verlaß vom 10. Dezember 1804 wurde das Gesuch um Verlängerung des Moratoriums beschlossen und sofort an den Reichshofrat abgesandt. Am 26. August 1805 wurde es vom Kaiser unter den gleichen Umständen gewährt. Die durch das Moratorium geschaffene Zahlungsfrist benutzte die Subdel.-Komm. auch dazu, einen Schuldentilgungsplan aufzustellen *2). Zu diesem Zweck beschloß sie durch Dekret vom 11. Jan. 1803, einen Schuldentilgungsfond zu gründen. Dieser sollte mittels einer mäßigen Extrasteuer geschaffen werden, die so lange zu entrichten wäre, bis alle Schulden getilgt seien. Von den Kapitalien sollte nicht mehr heim­ gezahlt werden, als sich durch diese Steuererträge ermög­ lichenließ. War aber erst das laufende Defizit gedeckt, so soll­ ten jährlich 100000 fl. zurückgezahlt werden. Dazu sollte außer der Extrasteuer auch die Staatskasse in Anspruch ge*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 145. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 232. 12*

i8o nomen werden. Die jährliche Summe von ioo ooo fl. sollte solange gezahlt werden, bis die Stadt- und Landsteuer durch die fortschreitende Verbesserung der Finanzlage hätte auf 30 Kreuzer herabgesetzt werden können. Die Staatsgläu­ biger sollten in der zeitlichen Reihenfolge befriedigt wer­ den mit Ausnahme von Witwen und Waisen und solcher Gläubiger, die das Kapital zum Beginn eines Geschäfts, zu einem Hauskauf, zur Ausstattung von Kindern oder zur Nothilfe bräuchten. Wer freiwillig auf Rückzahlung verzich­ tete, sollte stets ein Vorzugsrecht auf Rückzahlung behal­ ten. Der Modus einer Amortisation des Kapitals durch erhöhte Zinszahlung fand keinen Anklang, da die Gefahr be­ stand, daß die Bürger die ganzen Zinsen aufbrauchten und dadurch um ihr Vermögen kämen. Der Plan sollte in Kraft treten, wenn die abnormen außenpolitischen Verhält­ nisse sich geändert hätten. Da der Rat den Vorschlägen so lange ablehnend gegenüberstehen wollte, bis das jährliche Defizit verschwunden sei, kam der Plan praktisch nicht zur Ausführung. Daß die Aufstellung eines Status activi et passivi bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit nicht gelungen ist, geht aus einem Bericht des Rechnungssyndikats vom 10. Februar 1806 hervor, wonach die Revision der Aemterrechnungen trotz aller Mühe und Anstrengungen nicht ge­ schehen könnte, und daß jetzt unbedingt entscheidende Mit­ tel gefunden werden müßten, diesem für den Staat so nach­ teiligen Uebelstand abzuhelfen 1). b) Der neue Steuerfuß. Das eigentliche Liquidationsgeschäft stand naturgemäß im engsten Zusammenhang mit der Einführung eines neuen Steuerfußes. Auf der einen Seite war das Geldbedürfnis des Staates ungeheuer, auf der andern aber sollte doch den Wünschen der Bevölkerung auf Erleichterung der Steuer­ last Rechnung getragen werden. Schon aus diesen Erwägun­ gen heraus konnte von einer Minderung des Steuerertrages 1) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 1214.



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nicht die Rede sein. Es konnte sich also nur darum han­ deln, die Steuerlast von den wirtschaftlich schwächeren und in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung gehemmten Teilen der Bevölkerung auf den steuerkräftigeren Teil zu übertragen. Dies war aber gerade das Patriziat. Welch harte Kämpfe mußten deshalb auf diesem Gebiet zwischen der Subdel.Komm. und dem Patriziat ausbrechen. Vorschläge verschiedenster Art, wie die alte unzeit­ gemäße Losung durch ein verbessertes Steuersystem zu ersetzen sei, waren schon lange vor Eintreffen der Subdel.Komm. aus den Reihen der Bürgerschaft gemacht worden; hatte doch der Rat auch im § 58 des Grundvertrages und am 31. Dezember 1795 versprochen, ein verbessertes Steuer­ system an Stelle der alten Losung einzuführen 1). In der Hauptsache zielten die Vorschläge alle darauf ab, den Grundbesitz, der besonders in den Händen der Patrizier lag, stärker zu besteuern und dafür die Kaufleute und Handwerker zu entlasten. Auf Grund eingehender Vorstudien über die mannigfachen Steuer­ projekte erließ die Subdel.-Komm. am 28. Juli 1798 eine Steuerordnung, die nach Genehmigung durch die maß­ gebenden Instanzen so rasch als möglich zur Durchführung gebracht werden sollte. In dieser Steuerordnung wurde die einfache Losung schon als schwer, die doppelte jedoch als unerträglich bezeichnet. Deshalb ist sie auch allgemein ver­ haßt gewesen. Nur durch umfassende Steuerhinterziehungen hat man sie erträglich gestaltet, zumal da die Form des Losungseides reichlich Gelegenheit dazu bot. Da die Losung ferner ohne Quittung vereinnahmt wurde, konnten die Einnehmer davon in die Staatskasse abliefern, was sie wollten. Es muß deshalb verlangt werden, daß die Steuer­ zahler in Zukunft eine genaue Angabe ihres Vermögens machen 2). Diese Angaben werden einer geheimen Steuerdepu­ tation überwiesen, die zu absoluter Verschwiegenheit ver­ pflichtet ist; die Deputation soll sich aus einem Ratsmit*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 130. 2) Bisher konnte das Vermögen geheim gehalten werden.

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glied (Patrizier), einem Gelehrten, einem Handelsmann und einem Handwerker zusammensetzen. Die Wahl des patrizischen Mitgliedes erfolgt durch den Rat, die der übrigen durch das Gen.-Koll. Durch diese Deputation wird eine ge­ heime Steuerliste angelegt. Das Rentenamt (Steueramt) erhält eine Liste, in der die Namen durch Nummern ersetzt werden. Die Nummern werden den Steuerzahlern durch die Deputation mitgeteilt, so daß die Zahlungen nur unter An­ gabe dieser Zahl geleistet werden. Die Exekution säumiger Zahler veranlaßt die Steuerdeputation. Zur Vermeidung der genauen Vermögensangabe wird die Bürgerschaft in Klassen eingeteilt. Für bisherige Defraudationen wird Am­ nestie gewährt unter Vernichtung der alten Steuerbücher, damit jeder Vergleich mit früheren Leistungen ausgeschlos­ sen ist. Steuerbar ist jede Art von Besitz und zwar Bauten, Landhäuser, Gärten, Hopfengärten, Wiesen, Waldungen und Weiher, ferner Gülten, Grund-, Erb-, Geflügel- und Gatterzinse, Handlohn, Nachsteuer, jede Art von Kapita­ lien, vorrätige Waren, Wein, Branntwein, Likör, Früchte, bares Geld, Reit- und Chaisenpferde. Milde Stiftungen sol­ len möglichst steuerfrei gelassen, nur zu Extrasteuern können sie herangezogen werden. Teilweise nur wird das Vermögen der Witwen und Waisen besteuert; es sei denn, daß sie ein eigenes Gewerbe treiben. Bei Minder­ jährigen darf der zur Erziehung und Lehre benötigte Betrag abgezogen werden. Dagegen sollen steuerfrei sein: alte Möbel und Silbergeräte, das Handwerkszeug, die Rohstoffe zur Herstellung von Fabrikaten, alles Kunstgewerbe und Handwerk, da dies nicht auf dem Hause, sondern auf der Person ruht. Gewerbetreibende sollen nur den Bürgergro­ schen zahlen. Ferner sind steuerfrei: Die Patengelder, Bibliotheken und Beamtenbesoldungen (letztere mit der Be­ gründung, daß ihnen dann der Staat ja doch nur den Steuer­ betrag mehr zahlen müßte). Den Bürgergroschen von 2 fl. 50 kr. muß außerdem jeder Nürnberger Bürger zahlen. Eine Bestimmung von großer Tragweite war, daß der Wert von Kapital, Geschäft und Grundeigentum gleichmäßig zur Steuer herangezogen werden soll, da die Patrizier bisher für

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ihren Grundbesitz erhebliche Steuererleichterungen besessen hatten. An Stelle der Losungssymbole treten konventions­ mäßige Geldsorten (Gulden rheinischer Währung). Die Verordnung, daß vor Ablauf von zwei Jahren niemand als „restantiarius“ (säumiger Steuerzahler) angesehen werden dürfe, wird aufgehoben; vielmehr wird jeder als Restant be­ handelt, der am Ende des Rechnungsjahres seine Steuern nicht bezahlt hat. Steuernachlässe verfügt das Rechn.-Rev.Koll. An Stelle des alten Losungseides tritt der „Manifesta­ tionseid“; aber nur in den Fällen, in denen Verdacht auf Steuerhinterziehung besteht. Diesem Eid kann man durch eine Vermögensuntersuchung entgehen. Defraudanten wer­ den bis zu 50 % des unterschlagenen Betrages bestraft; bei Hinterziehung über 5000 fl. erfolgt Bestrafung durch Ein­ ziehung des ganzen Betrages, außerdem wird der Defrau­ dant für infam erklärt. Bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes-zeigte sich, daß zwar Rechn.-Rev.-Koll. und Gen.-Koll. rasch damit einver­ standen waren, der Magistrat aber der Genehmigung den här­ testen Widerstand entgegensetzte und zwar hauptsächlich wegen der Gleichsetzung des Kaufmannsvermögens mit dem Wert des Grundbesitzes, da letzterer einen viel geringeren Ertrag ab werfe. Gegen diesen Steuerentwurf ließ der Rat, der sich jetzt auf einmal den Anschein gab, als habe er nie an ein neues Steuersystem gedacht, ein ,,Impressum“ im Druck erscheinen, in dem er nicht ohne Erfolg versuchte, auch die Bürgerschaft gegen den Vorschlag einzunehmen. Dies erhellt aus den ,,Reflexionen des Kirchners Lehmann“, die damals allgemeine Beachtung fanden. Vor dem Bekannt­ werden des Steuergesetzvorschlages trat dieser für eine Verfassungsänderung mit Abschaffung der Losung ein. Nachdem die Druckschrift des Rats erschienen war, lobte er das Nürnberger Steuerwesen und besonders die Losung, die je nach Bedarf den Nürnberger Staatsbedürfnissen an­ gepaßt werden konnte. Diese Haltung des Kirchners Leh­ mann ist typisch für die Masse der Nürnberger Bevöl­ kerung, die selten wagte, gegenüber einer Neuerung klar

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Stellung zu nehmen. Dieser Umstand beeinträchtigte nicht nur die Entschlüsse der Subdel.-Komm., sondern lähmte besonders die Arbeiten des Gen.-Koll., auf dessen Mit­ arbeit die Subdel.-Komm. so großen Wert legte. An­ läßlich des erwähnten magistratischen Impressums, dessen Urheberschaft der Losungsstube zur Last fiel, kam es zu einem höchst peinlichen Auftritt zwischen Gemming und den Losungsräten, wobei jener einzelne Ausführungen des Impressums eine Infamie und grobe Flegelei bezeichnete *). Dieses würdelose Verhalten hat das Nürnberger Patriziat dem Subdelegaten nie vergessen und bei allen Gelegenheiten die Beeinträchtigung der Geschäftsführung durch sein hef­ tiges und aufbrausendes Temperament hervorgehoben. Gem­ ming ließ übrigens sämtliche Exemplare dieser Schrift unter Androhung der Kassation des ganzen Rates beibringen und vernichten *2). Die Verhandlungen über den neuen Steuerentwurf der Subdel.-Komm. zogen sich, infolge des gespannten Verhält­ nisses zwischen Rat und Subdel.-Komm., nun sehr in die Länge. Am i. Februar 1802 endlich verlangte die Kom­ mission, daß die ganze Angelegenheit dem Kaiser vorgelegt werde, da „über den Entwurf vollkommene Meinungsver­ schiedenheit herrsche und das wechselseitige Zutrauen fast gänzlich gestört sei“. Darauf erfolgte am 9. Juli 1803 ein Reichshofratskonklusum, wonach die Beschwerden der Gü­ terbesitzer (Patrizier) wegen der Stadtsteuer „durch fernere Concertationen zwischen Rat und Gen.-Koll. entweder zur Erledigung zu bringen oder zur allenfallsigen höchsten Ent­ scheidung zu bringen seien“. Da man auf allen Seiten erkannte, daß die endgültige Erledigung dieses Steuerent­ wurfes Jahre in Anspruch nehmen werde, andererseits aber die Not zu einer Entscheidung drängte, kam schließlich ein Kompromiß zustande unter der Benennung „Provisorischer *) Bayer. Staatsarchiv, Landalmosenamt 223/4 d, Verz. III, N. 89 und Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121. 2) Die Druckkosten wurden den Patriziern von den Rats­ sporteln abgezogen. Die Nachbarmächte Preußen und Bayern waren in der Druckschrift geschickt gegen die Subdel.-Komm. ausgespielt worden.

Steuerfuß“ *). Schon am 19. Juni 1799 war in einer Kom­ missionssitzung beschlossen worden, der Subdel.-Komm. einige Steuervorschläge zu unterbreiten, damit sie einen davon vorläufig zur Durchführung bestimme, bis ein „perpetuierlicher Steuerfuß von kaiserlicher Majestät genehmigt sei, was noch einige Jahre dauern könne“. Wehmut beschleicht uns, wenn wir das Machwerk be­ trachten, das das Ergebnis endloser Beratungen und riesiger Vorarbeiten darstellt. Die wesentlichen Bestimmungen des Beschlusses über den provisorischen Steuerfuß waren fol­ gende: Die Steuerrückstände des Jahres 1798 werden rück­ sichtslos eingezogen; die Bürgerschaft wird in 44 Steuer­ klassen nach der Größe des Vermögens eingeteilt.4F{ir 1799 beträgt die Steuer 1 % des Vermögens nebst x/4 % Nach­ trag. Am 9. August 1799 wurden an Stelle von 44 Klassen 71 Klassen festgesetzt und zwar steigend von 200 zu 200 fl. Zur Prüfung des Vermögens und zur Ablegung der Steuer­ fassion wurde eine „Geheime Steuerdeputation“ geschaffen. Strengstes Geheimnis sollte gewahrt werden. Bestand bei Fassion vor dieser Behörde der Verdacht der Vermögens­ verheimlichung, so konnte der Offenbarungseid verlangt werden, der nur verweigert werden durfte, wenn der Be­ treffende eine Untersuchung seines Vermögensstandes ge­ stattete. Am 27. Oktober 1799 wurde diese „Provisorische bürgerliche Steueranlage oberherrlich genehmigt“. Leider gelang es auch diesmal nicht, die Vorarbeiten zur prakti­ schen Durchführung rechtzeitig zu erledigen, so daß für das Steuerjahr 1800 die Subdel.-Komm. verlangte, wenigstens die Hälfte der für das Jahr 1799 gezahlten Steuern als Ab­ schlagszahlung auf das Zahlamt zu bringen, ebenso alle Rückstände vom Jahre 1798. Bemerkenswert ist, daß die vor der geheimen Steuerdeputation angegebenen Vermögen sich auf 15 Millionen Gulden beliefen. Trotzdem glaubte sie, daß die Mehrzahl der Bürger nicht richtig fatiert habe und beabsichtigte deshalb, für 1801 noch strengere Maß­ nahmen gegen Hinterziehungen zu treffen. — Obwohl die Beratungen über ein definitives Steuergesetz fortgesetzt *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 129.

i86 wurden, kam man bis 1806 zu keinem Entschluß und das Steuerprovisorium blieb bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit in Kraft. Das Klassensystem wurde jedoch im Jahre 1802 wieder aufgehoben und zwar mit der Begrün­ dung, daß es dem Aerar nachteilig sei. c) Verkäufe und Verpachtungen. Mit dem Liquidationsgeschäft standen auch die Ver­ käufe von Staatseigentum und die Verpachtungen verschie­ denster Art in engem Zusammenhang, weil dadurch eine namhafte Geldquelle für den Staat erschlossen werden sollte. Auf diesem Gebiet herrschte wohl zwischen den ein­ zelnen Instanzen die größte Einigkeit, da man durch Ver­ käufe besonders rasch Geld flüssig machen konnte, ohne daß irgend jemand durch diese Maßnahmen persönlich Kränkun­ gen erlitt. Leider erkannte weder Subdel.-Komm. noch Rat, daß dabei dem Staat manchmal wertvolle Kulturschätze ver­ loren gingen. Außerdem stand der Preis in Anbetracht des sinkenden Geldwertes oft in keinem Verhältnis zum Wert des Kaufobjektes, sodaß man mit Recht von einer Ver­ schleuderung wertvollen Staatsgutes sprechen konnte. Dazu kam noch, daß bei der Eile, mit der der Verkauf von der Subdel.-Komm. betrieben wurde, der Wert der Gegenstände nur zu oft gar nicht richtig ermittelt wurde, wie der Verkauf der im Zeughaus liegenden Kanonenkugeln bewies. Als guß­ eiserne Kugeln wurden sie um einen ganz geringen Preis losgeschlagen, und später stellte sich heraus, daß sie alle aus Schmiedeeisen waren x). Verkäufe von Staatsimmobilien waren indessen schon vor Eintreffen der Subdel. - Komm, betätigt worden. Systematisch ging man erst im Jahre 1798 daran, alles ent­ behrliche Staatseigentum zu veräußern*2). Zuerst wurden Gutachten eingeholt, dann setzte man eine eigene Depu­ tation zur ,,Veräußerung von Staatseigentümlichkeiten in der Stadt und auf dem Lande“ ein, auf deren Vorschläge *) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 276. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 125, 126.

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hin die Subdel.-Komm. den Verkauf anordnete, meist ohne sich um den Rat oder das Gen.-Koll. zu kümmern, die aus formellen Gründen auch häufig Verwahrung dagegen ein­ legten x). Da sie aber im Grunde doch mit den Veräußerun­ gen einverstanden waren, so fehlte ihren Beschwerden der nötige Nachdruck. — Eingehender mußte sich die Subdel.-Komm. mit der Beschwerde des Hofrats Schütz (18. April 99) befassen, der im Namen der Staatshypothe­ kengläubiger scharfe Verwahrung dagegen einle^te, daß vor dem Verkaufe von Staatsgütern nicht erst ,,eiri Arran­ gement mit den Staatshypothekenkreditoren“ getroffen werde. Da die generalitas hypothecae alle Staatsgüter, Ge­ fälle und Revenüen in sich begreife, könnte es ihnen nicht gleichgültig sein, daß von den Kaufschillingen willkürliche Zahlungen geleistet würden. Auf diese Darlegungen erwi­ derte die Subdel.-Komm., daß infolge derZahlungsschwierigkeiten der Stadt trotzdem mit den Verkäufen fortgefahren werden müsse, zumal da es sich häufig um Objekte handle, deren Unterhalt viele Kosten verursache. Betreffs der Ver­ wendung des Erlöses werde man sich von K. Majestät nähere Weisungen erbitten. Von 1798—1806 nahm der Ausverkauf des Nürnberger Staatsbesitzes oft ungeheuren Umfang an, so daß es unmög­ lich ist, hier alle einzelnen Objekte aufzuzählen. Vornehm­ lich waren es Gebäude und Wohnungen, aber auch Wald­ stücke, Grundstücke, Plätze in der Stadt, Materialien, die Erbzinslehnbarkeit von Bürgergütern und Gärten usw. *2). Im Bereiche der Landpflegämter wurde in gleicher Weise verfahren. Was sich aber nicht zum Verkaufe eignete, suchte man zu verpachten. Anfangs 1799 forderte die Subdel.-Komm. Gutachten ein bezüglich einer Verpachtung der Zwinger und Stadtgräben3). Diese befanden sich durchwegs im Besitze der Patrizier, die dort ihre Sommerlauben und Gärten hatten. Die Wirte 4) Siehe Grundvertrag über Verkäufe. 2) Vergl. Rep. 45, das seitenlange Verzeichnisse von Verkäu­ fen enthält. s) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 147.

i88 waren es, die ein besonderes Augenmerk auf die Zwinger gerichtet hatten, und Gemming kam ihren Wünschen ent­ gegen, weil er sich durch Einrichtung von Wirtschafts­ gärten hohe Einnahmen aus Umgeld und Pachtzinsen ver­ sprach. Andererseits setzte aber das Patriziat alles daran, von diesen lauschigen Plätzchen nicht vertrieben zu werden. Sie betonten deshalb, daß die Zwinger als fortifikatorische Anlagen der Stadt doch nicht für jedermann zugänglich ge­ macht werden könnten, ohne die Sicherheit der Reichsstadt ernstlich zu gefährden. Da man sich gütlich nicht einigen konnte und es schon wieder zu heftigen Auftritten zwischen Rat und Rechn.-Rev.-Koll. aus diesem Anlaß gekommen war, beschloß die Subdel.-Komm. die Entscheidung dem Kaiser zu überlassen. In einem Reichshofratskonklusum vom 30. Juli 1800 wurde verfügt, daß die Zwinger ver­ pachtet werden sollten; soweit sie sich jedoch in den Hän­ den der gegenwärtigen Herrn Aelteren befänden, sollten sie diesen ad dies vitae gegen eine geringe Entschädigung belassen werden. Selbst vor der Verpachtung von Kirchen zu profanen Zwecken (Güterniederlage) scheute man in jenen Tagen nicht zurück 1). Anläßlich der beabsichtigten Verpachtung der Barfüßer- und Augustinerkirche kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Rat und Kirchen- und Vor­ mundamt, wobei dieses darauf hinwies, daß solche Vor­ kommnisse nur möglich seien in einer Zeit, in der die Religion so über alle Maßen abgenommen habe und in der der Staat selbst so tief gesunken sei, daß er Lehrstellen ein­ ziehe und Gottesdienste abschaffe. Die Barfüßerkirche war nämlich während der französischen Invasion als Lager­ halle für Pferdefutter verwendet worden; die Kosten der unbedingt erforderlichen Renovierung scheuend, hätte der Rat sie gerne verkauft, wenn sich ein zahlungsfähiger Käu­ fer gefunden hätte. Besonderen Gewinn versprach man sich auch von der Verpachtung der Gefälle2). „Alle Begriffe stehen still bei der *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 241. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 178.

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Wahrnehmung des äußerst geringen Ertrages der Kameralgefälle in Anbetracht des großen Gebietes hiesiger Reichs­ stadt !“ rief dieSubdel.-Komm. im Dekret vom 25.November 1801 aus. Sie stellte deshalb folgenden Antrag: ,,Der Staat soll allein behalten: a) supremam iurisdictionem territoria­ lem, b) das Recht der Gesetzgebung, c) die Landsteuer, d) die Quartiergelder und das ius legendi milites, e) den Blutbann in den hohen, genau zu bestimmenden Fällen, f) das ius recipiendi appellationes, g) das ius patronatus, h) wo nötig, gewisse Fronden, i) das ius viarum,. Dagegen soll der Staat verpachten: a) Die Eigenherrschaften (die Grenze zwischen Eigenherrschaft und Landeshoheit war erst noch zu bestimmen); b) alle Gebäude, Güter, Zehnten, Gülten, Zölle, Umgeld, Nachsteuer, Handlohn, Grundzinse, entlegene Waldungen, aus denen das Holz gar nicht oder nur mit großen Kosten zur Stadt gebracht werden konnte, und die Jagden. Den Städten wird gegen Konzessions­ geld die Munizipialjurisdiktion überlassen. Verbrechen, die unter den Blutbann fallen, kommen vor das städtische Schöffenamt. Die Visitationen auf dem Lande erfolgen durch städtische Beamte von Zeit zu Zeit, so daß Staats­ beamte auf dem Lande vollkommen überflüssig werden. Als Pächter können auch Auswärtige zugelassen werden, aber nur gegen das Versprechen, einen bestimmten Kanon Feldfrüchte zu liefern, damit für Notfälle, wie bisher, ein Getreidevorrat vorhanden sei“. Soweit der Antrag der Subdel.-Komm. Sehen wir zu, wieviel von ihm in die Tat um­ gesetzt wurde. Wie aus den Sitzungsprotokollen hervorgeht, beschäf­ tigte man sich nur mit der Verpachtung des Getreides und Malzaufschlages, des staatlichen Weizenbierbrauhauses und des Umgeldes1). Als Pachtsumme für das Getreide- und Malzaufschlagamt forderte man jährlich 30 000 fl. Die Zah­ lung der Akzidenzien für das Personal der verpachteten Staatseinrichtungen sollte das Zahlamt übernehmen; die Pachtverträge gedachte man zuerst nur auf ein Jahr abzu­ schließen. Als Pächter kamen nur Personen in Betracht, *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 132.

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die der Nürnberger Gerichtsbarkeit unterstanden, da voraus­ zusehen war, daß diese Personen sich sehr viel Haß zuziehen wurden. Die Verpachtungen sollten am 1. September 1804 beginnen. Es stellte sich aber heraus, daß recht wenig Pacht­ liebhaber vorhanden waren; wohl hauptsächlich wegen der immer unklarer werdenden außenpolitischen Verhältnisse, so daß am 22. März 1805 immer noch kein Pächter gefun­ den war. — Sehr schwierig lagen die Verhältnisse beim Weizenbierbrauamt, dessen Verpachtung vor allem das Gen.Koll. wünschte, während der Rat die alte Staatsbewirtschaf­ tung fortsetzen wollte. Da dieses Amt noch den meisten Ge­ winn abwarf, wagte die Sübdel.-Komm. für keine Partei Stellung zu nehmen und empfahl, vor der Verpachtung es noch einmal mit einer streng überwachten Selbstverwaltung zu versuchen, die besonders gegen die Beamten unnachsich­ tig sein sollte. Da am 31. März 1804 sich auch die Rentkammer gegen die Verpachtung aussprach, ward beschlos­ sen, es bei der Staatsverwaltung zu belassen, diese aber möglichst zu verbessern, um dem Staate dieses Kleinod, wie sich die Rentkammer ausdrückte, zu erhalten. Bei den Erwägungen über die Verpachtung des Um­ geldes war man sich zuerst im unklaren darüber, ob nicht zweckmäßiger jede Art von Umgeld (Wein, Met, Brannt­ wein, Essig, Bier) einzeln vergeben werden sollte 1). Ein Gutachten des Herrn Schwarz vom 20. Juni 1804 sprach sich jedoch für die Gesamtverpachtung aus und zwar wegen der geringeren Verwaltungskosten. In dem Gutachten wurde ein Pachtpreis von 39 063 fl. vorgeschlagen, wovon aber auch die Angestellten (Visierer u. a.) für den Entgang an Akzidenzien entschädigt werden sollten. Bis 1806 wurde aber auch in dieser Angelegenheit kein Projekt verwirklicht. d) Das Zollwesen. Ein immer wieder auftauchender Vorschlag zur Hebung der Staatseinnahmen bezog sich auf Verbesserun­ gen im Zollwesen. Deshalb beschloß die Subdel.-Komm. auf diesem Gebiete Reformen durchzuführen. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 133 und 180.

Wenn nun in früheren Ausführungen häufig davon die Rede war, daß das Patriziat den Anregungen und Verord­ nungen der Subdel.-Komm. heftigen Widerstand entgegen­ setzte, besonders dann, wenn seine Privatinteressen irgend­ wie beeinträchtigt wurden, so gilt dies bei den Verhand­ lungen über die Vermehrung der Einnahmen aus Zöllen in gleichem Maße von der Kaufmannschaft, die durch Ver­ mittlung ihrer Vertreter im Gen.-Koll. immer dann recht tatkräftig auftreten konnte, wenn es galt das Patriziat zu irgendwelchen Opfern zu bewegen. Auch im Zollwesen hatten sich, wie in so vielen anderen Einrichtungen des Nürnberger Staatswesens, im Laufe der Zeit eine Menge Mißbräuche eingeschlichen, so daß die Zoll­ einnahmen weniger wegen des verminderten Handels, als vielmehr wegen der Zollhinterziehungen wesentlich zurück­ gegangen waren. Die Wichtigsten Bestimmungen für das Nürnberger Zollwesen waren folgende : *) Transitgüter waren beim Eingang in die Stadt zollfrei. Eigengüter des Nürnberger Handelsstandes kosteten pro Zentner 2 kr. Zoll. Für Kommissionsgüter mußte 1 % des Wertes entrichtet werden. Das Gleiche galt von allen Fürther Waren. Die Juden mußten, außer persönlichem Kon­ zessionsgeld — worüber später noch zu sprechen sein wird — von ihren Handelswaren 2 J0 des Wertes als Zoll abführen. Vor 1767 mußte von jeder Ware 1 % des Wer­ tes entrichtet werden. Zugunsten der Nürnberger Kauf­ mannschaft trat aber am 15. Dezember 1767 an Stelle des Prozentzolles (Wert) der Zentnerzoll (Gewicht) und zwar brauchte für Waren, die unter dem eigenen Namen des Nürnberger Kaufherrn verschickt wurden, statt 2 nur 1 kr. Zoll entrichtet zu werden. Nach einer eingehenden Untersuchung über die Hand­ habung der Zollvorschriften wurden von der Subdel.-Komm. am 3. Oktober 1799 folgende Mißbräuche festgestellt: 1. Der Nürnberger Handelsstand kümmerte sich meist überhaupt nicht um die bestehenden Zollvorschriften, weil für Ueber*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 119.

tretungsfälle keine bestimmten Strafen festgesetzt waren und bei den allenfalls verhängten Strafen mit zu viel Scho­ nung verfahren wurde. 2. Bei Verfehlungen beriefen sich die Kaufleute darauf, daß ihnen die Handelsgesetze nicht bekannt gegeben worden seien, so daß man von Amts wegen gar nicht gegen sie einschreiten konnte. 3. Viele Kaufleute blieben mit der Entrichtung ihrer Waggefälle jahrelang im Rückstand. 4. Die Wertzölle für Kommissionsgüter wurden entweder gar nicht entrichtet oder diese Güter wurden wie Eigengüter mit 2 kr. vom Zentner verzollt. 5. Eigengüter wurden als Transitgüter deklariert, um auch die 2 kr. noch zu sparen. 6. Von vielen Kaufleuten wurde seit Jahren nicht einmal mehr der Betrag des Transitgüterzolles gezahlt und zwar für Waren jeder Art. 7. Bei den Deklarationen wurde fast nie das Nürnberger Fuhrgewicht angegeben. 8. Wein und andere eingeführte Getränke wurden überhaupt nicht deklariert. 9. Das Gleiche galt von den Gütern'aus Fürth, Erlangen, Schwabach und Schweinau, so daß man sich bei der Verzollung auf die unsicheren Angaben der begleiten­ den Fuhrknechte verlassen mußte. Mit Strenge wagte man jedoch gegen diese Uebelstände nicht einzuschreiten, weil man von den fremden Zollstaaten Repressalien fürchtete. 10. Die Frachtbriefe erhielten nicht die amtlichen Güter­ bestätter, sondern die Fuhrleute übergaben sie direkt dem Empfänger. Dadurch gelangten sie meist gar nicht zur Kenntnis der Zollbehörde. 11. Güter, die von Fremden in Nürnberg eingekauft und ausgeführt wurden, verfrachtete man gegen Provision unter dem Decknamen eines Nürn­ berger Kaufmanns als Eigengüter. 12. Die eingeführten Eigengüter wurden nicht in die öffentlichen Niederlagen gebracht, sondern in Wirtshäusern abgeladen, so daß sie nicht zur Kenntnis der Behörde gelangten. 13. Die amtlich tätigen Hausknechte, Schaffer und Schneller machten sich häufig zu Hehlern der begangenen Zollunterschlagungen; gerne spedierten sie auch Güter auf eigene Rechnung; ja sie trieben sogar selbst mit übernommenen Eigengutstücken Handel (besonders beliebt war Fenchel, Anis, Alaun, Kreide, Blech, Käse). 14. Meist schickten die Kaufleute nur

193 einen Bericht über die empfangenen Waren in die Wage; bei diesem Verfahren war es ihnen völlig anheimgestellt, wie viel sie verzollen wollten. 15. Auch mit eigenem Fuhrwerk stellten sich die Kaufleute die Waren zu und vermieden so die öffentliche Wage. 16. Viele Güter wurden mit eigenen Pferden vor die Stadt gefahren und dort erst weiterverladen, um so die Wage zu umgehen. 17. Den von Juden betätig­ ten Schmuggel Fürther Waren unterstützte die Nürnberger Kaufmannschaft, weil sie die Waren dabei um so billiger erhielt. Die Subdel.-Komm. trat nun mit der Nürnberger Kauf­ mannschaft ins Benehmen, um Maßnahmen ausfindig zu machen, wie diesen Mißbräuchen mit Erfolg entgegen­ getreten werden könnte. Dabei stieß sie jedoch auf hartnäckigen Widerstand und erreichte vorerst nur das Zugeständnis, daß die Kaufmannschaft sich selbst für die Bekämpfung der Zollhinterziehungen einsetzen wolle. Diesem Angebot stand die Subdel.-Komm, mit Recht miß­ trauisch gegenüber und verlangte vor allem eine Erhöhung der bestehenden Zollsätze. Lange Verhandlungen grund­ legender Art, ob man an Stelle des Gewichtszolles nicht wieder den alten Wertzoll einführen solle, führten zu keinem Ergebnis, da die Kaufleute behaupteten, in diesen schlech­ ten Zeiten an sich schon zu viele Lasten tragen zu müssen. Aus demselben Grunde lehnte die Kaufmannschaft aber auch eine Erhöhung des Gewichtszolles ab. Dadurch ward die Subdel.-Komm, wieder einmal gezwungen, die Hilfe des Kaisers in Anspruch zu nehmen. Erst am 8. Juli 1803, nachdem wieder so viele kostbare Zeit verflossen war, ver­ fügte ein Reichshofratskonklusum die Erhöhung des be­ stehenden Gewichtszolles auf Eigen-, Kommissions- und Transitgüter. Indes wußten die Kaufleute den Vollzug dieser kaiserlichen Verordnung unwirksam zu machen. ,,Ueberall überwiegen die Privatinteressen“, klagt die Rentkammer in einem Protokoll. Am 1. November 1803 sollte die vom Kaiser dekretierte Zollerhöhung in Kraft treten. Aber es gelang dem Handelsstand, so gewichtige Bedenken gegen sie insFeld zu führen, daß selbst jlie Subdel.-Komm, wankend 18

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zu werden begann, zumal da die außenpolitischen Verhält­ nisse sich in vollstem Fluß befanden. Man hegte Besorg­ nis, daß in den jetzigen Zeitverhältnissen eine Zollerhöhung vielleicht den ganzen Nürnberger Handel vernichten könnte, ein Unglück, das durch Erniedrigung der Zollsätze nicht sofort wieder gut zu machen wäre. Als Rat und Rentkammer zur Einführung der neuen Zollsätze drängten, wollte der Subdelegat sogar auf eigene Kosten nach Wien fahren, um vom Kaiser zu erwirken, daß das Konklusum vom 8. Juli 1803 zurückgenommen werde. Schließlich einigten sich aber der Rat, die Rentkainmer und die Abgeordneten des Handelsstandes am 18. November 1803 auf ein votum commune, wonach die Auflage eines Waggeldes von 2 Kreu­ zern auf eigenes Gut und von 1 Kreuzer auf Transitgut pro Zentner der hereinkommenden Ware eingeführt werden sollte. Dafür müßten aber alle durch kaiserlichen Erlaß vom 8. Juli verfügten Zollerhöhungen in Wegfall kommen. Am 28. Dezember 1803 wurde diese Bestimmung im Druck bekannt gegeben und am 1. Januar 1804 trat sie in Kraft. Gleichzeitig wurde bestimmt, daß alle Güter bei ihrem Ein­ tritt in die Stadt verzollt werden müßten und zwar nach dem Sporco-(Brutto-)Gewicht. Die Zölle sollten von den Bestättern erhoben, von den Gütern aber, die auf die Stadt­ wage kommen, sollte der Zoll vom Zoll- und Wagamt ver­ einnahmt werden. Wer künftig Zoll hinterzieht, wird in strenge Strafe genommen. Mit diesen Verfügungen wurde wenigstens eine gewisse Mehreinnahme erzielt, nachdem die Subdel.-Komm. schon 1802 durch Erlaß einer neuen Zoll- und Wagordnung die gröbsten Mißbräuche beseitigt hatte. Daß damit aber das Nürnberger Zollwesen noch lange nicht in einwandfreier Verfassung war, beweist ein Subdel.Komm.-Dekr. vom 4. Sept. 1804, in dem es heißt: ,,So drin­ gend bei den Konferenzen von allen Teilen die nähere Unter­ suchung des Zollwesens angesehen wurde, so ist solches bis jetzt nicht angefangen worden. Diesem nach sieht man sich bemüßigt, endlich'eine Deputation von 5 Mitgliedern — es folgen die Namen — zu ernennen und derselben aufzu-



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geben, mit der Untersuchung längstens innerhalb 14 Tagen anzufangen, mit bestem Fleiß fortzufahren und die Resul­ tate demnächst zur weiteren Verfügung vorzuschlagen“ 12), Gegen Ende des Jahres 1804 trug sich die Subdel.Komm. sogar mit dem Gedanken, das ganze Zollwesen in Pacht zu vergeben unter gleichzeitiger Erhöhung des Zent­ nerzolles auf 30 Kreuzer. Weitere Verhandlungen fanden bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit über diese Materie nicht mehr statt. Hinsichtlich der Lagerung der Güter war schon am 29. September 1803 vom Rat beschlossen worden, nur noch ,,das gemeiner Stadt zustehende Zollhaus oberhalb St. Lorenzen“ zu verwenden 2). Am 6. Dezember 1805 wurde die Neueinführung eines Zolles auf Hopfen und Tabak in Aussicht genommen; aller­ dings hegte man alsbald große Bedenken wegen des Ver­ haltens der Nachbarn, da man nur den Export besteuern wollte; deshalb wurde beschlossen, doch nur den auf Nürn­ berger Gebiet gewachsenen Hopfen und Tabak zu be­ steuern. Eine Exportakzise auf Fleisch, Vieh und Getreide wurde vorgeschlagen, aber in Anbetracht der kritischen Weltlage als zur Zeit inopportun abgelehnt 3). In diesem Zusammenhänge mögen noch einige kurze Bemerkungen über den Judenzoll angefügt werden 4). Es war der Mißbrauch eingerissen, daß dieser Zoll vom Kriegs­ amtspersonal ,,in partem salarii“ als Akzidenz bezogen wurde. Künftig sollte dieses Stadtgefäll dem Zollamt zu­ fließen, die Beamten sollten vom Schauamt dafür entschä­ digt werden. Man fürchtete schon damals, daß die Juden dann überhaupt keinen Zoll mehr bezahlen würden und die Folgezeit hat diese Annahme bestätigt, wie verschiedene Be­ schwerden (Rentkammer 1. September i8ooundRechn.-Rev.Koll. 19. Januar 1799) bewiesen. Deshalb wird Ende 1800 1) Schon am 2. Dezember 1803 war vom Rat eine besondere Untersuchung über die Mißbräuche im Zollwesen angeordnet wor­ den, die von der Rentkammer und dem Polizeidepartement vor­ genommen werden sollte. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 262. 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 127. 4) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 142. 13*

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durch ein Regulativ verordnet: 1) den Juden wird das Spitt­ ler- und Tiergärtnertor zum Passieren freigegeben, 2) die bisher bestellten Judenmitgeherinnen werden abgelöst und entschädigt, 3) auf das Verhalten der Juden hat an ihrer Statt in Zukunft das Polizeidepartement Obacht zu geben, 4) die Entschädigung der abgeschafften Judenmitgeherinnen hat die Fürther Judenschaft in Form einer Pauschalsumme zu leisten, weil durch die Abschaffung der Begleitung eine als sehr entehrend empfundene Einrichtung in Wegfall gekom­ men sei. Jeder zum Tor einpassierende Jude erhielt nun­ mehr vom Torwachpersonal einen vom Schauamt aus­ gestellten Paß auf einen Tag. Diesen mußte er auf dem Zollamt vorlegen, seinen Zoll entrichten und beim Verlassen der Stadt unter dem Tore wieder abliefern. Die Höhe des Zolls betrug für den Juden, ob von Fürth, Schwabach, Zirn­ dorf, Schnaittach, Ottensoos oder Furth, 35 Kreuzer pro Tag. Davon erhielt das Torpersonal 7 Kreuzer. Ausgenom­ men von dieser Bestimmung waren die ,,Viehjuden“, wenn sie mit fettem Vieh kamen; doch mußten sie dafür von einem Freireuter begleitet werden, dem sie 6 Kreuzer zu entrichten hatten. Das Gleiche galt für Lieferanten. Kin­ der unter 12 Jahren zahlten nur 7 Kreuzer unter dem Tore. Blieben Juden oder Jüdinnen über Torschluß in der Stadt, so hatten sie für das Toröffnen 30 Kreuzer besonders zu entrichten. Doch diejenigen, welche über Nacht in der Stadt verweilten, mußten um Erlaubnis zum Uebernachten nachsuchen und 1 fl. dafür bezahlen.

4. Die Organisation der Staatsverwaltung. a) Das Forstwesen. Während im Vorhergehenden d i e Maßnahmen der Subdel.-Komm. dargelegt wurden, welche in erster Linie darauf abzielten, so rasch wie möglich Mittel teils flüssig zu machen, teils neu zu beschaffen, um der augenblicklichen finanziellen Notlage zu steuern, soll im folgenden die orga­ nisatorische Tätigkeit der Subdel.-Komm. auf dem Gebiete der Nürnberger Staatsverwaltung eingehender untersucht

197 werden. Den Uebergang zu diesem Teil vermittelt am besten das Forstwesen. Denn die Subdel.-Komm. gedachte zuerst die Erträgnisse des ungeheuren Bestandes der Nürn­ berger Reichswälder für das Aerar in erhöhtem Maße nutz­ bar zu machen. Aber sie erkannte bald, daß dies ohne durchgreifende Neuorganisationen auf dem Gebiete der Forstverwaltung unmöglich sei. Wiederholt bezeichnete die Subdel.-Komm. den Zustand der beiden Reichswaldungen als trostlos a). Allent­ halben wurde der wildeste Raubbau getrieben, so daß zu be­ fürchten stand, daß in absehbarer Zeit riesige Waldstrecken in Oedland verwandelt wurden. Deshalb beauftragte der Sub­ delegat den Oberjäger Kaschenreuther des Fürsten von Ellingen, ein Gutachten über die Reichswälder auszuarbeiten. Als Hauptmißstände werden in diesem Gutachten angeführt das Ueberhandnehmen des Wildschadens, umfassende Holzdiebstähle, zu große Holzabgaben an die Eingeforsteten und die Nürnberger Bürgerschaft, besonders mit Rücksicht auf die geringe Menge schlagbaren Holzes, so daß binnen vier Jahren sich ein empfindlicher Mangel an Brenn- und Bauholz bemerkbar machen würde, wenn man die Holz­ abgaben im bisherigen Umfange beibehielte. Auf Grund dieses Gutachtens wurde von der Subdel.-Komm. im März 1798 eine erhebliche Beschränkung der Holzabgabe angeordnet, mit ins einzelne gehenden Ausführungsbestim­ mungen, bis die Wälder ,,sich wieder in einem forstmäßig guten Zustande befänden“ *2). Zu diesem Zwecke sollten schnellwachsende Holzarten, besonders Erlen, angepflanzt und die Aufforstungen durch fachmännisch geschulte Kräfte geleitet werden. Da aber die rechtlichen Besitzverhältnisse der Reichs­ wälder seit alten Zeiten ungeklärt waren und Preußen seine Besitzansprüche nie aufgegeben hatte, stellten sich der Durchführung dieser neuen Waldordnung von Anfang an große Hindernisse in den Weg, insofern als Hardenberg *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121. 2) Für Losungsrestanten wurde der Holzbezug solange gänz­ lich gesperrt, bis sie ihre rückständige Losung bezahlt hatten.

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diese Verordnung für die preußischen Untertanen des Reichswäldergebietes für nicht verbindlich erklärte. Dagegen war Nürnberg machtlos. Für die Bewohner von Großreuth, Kleinreuth und Schweinau legte deren Vogteiund Lehensherr, der Domprobst von Bamberg Freiherr von Schaumberg, gleichfalls Verwahrung gegen die neue Wald­ ordnung beim Kurfürsten von Köln ein. Als der Schwä­ chere drang er jedoch mit seiner Beschwerde nicht durch, wie das Antwortschreiben des Kurfürsten von Köln (12. Mai 1798) beweist. Die Bestimmung der Subdel.-Komm., daß in Zukunft forstmännisch geschultes Personal in den Reichswäldern verwendet werden sollte 1), hatte einen lebhaften Konflikt zur Folge. Bisher waren Försterstellen häufig an Kutscher und Livreediener der Senatoren zur Belohnung vergeben worden. Es bestand nämlich der Unterschied zwischen Erb­ förstern, die gewisse grundherrliche Rechte besaßen, und gewöhnlichen Förstern, die nur Besoldung und gewisse Nutzungen für ihre Dienstleistung erhielten. Die Erb­ försterstellen waren mit Patriziern besetzt, während die übrigen Försterstellen von untergeordneter Bedeutung waren. Durch die von der Subdel.-Komm. veranlaßte Neu­ ordnung, wonach von allen Förstern Vorkenntnisse im Forstwesen verlangt wurden, beseitigte man diesen Unter­ schied in den Försterstellen. Das Patriziat erwartete des­ halb, daß in Zukunft alle Försterstellen durch Verleihung des Titels ,,Forstmeister“ gehoben und nur mit Patriziern besetzt werden sollten, wogegen das Gen.-Koll. entschie­ dene Verwahrung einlegte. Dieser Streit wurde vorerst nicht entschieden, da dringlichere Arbeiten zu erledigen waren. Es erwies sich nämlich als unvermeidlich, zwecks Organisation des Forstwesens eine Vermessung der Wälder vorzunehmen2). Darnach sollte eine For.stkarte angefer­ tigt werden. Die Nürnberger Gemeindewaldungen sollten in regelmäßige Hiebe eingeteilt und Neuanpflanzungen nach forstmännischen Gesichtspunkten vorgenommen werden. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 150. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 279 und 280.

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Da eine Waldvermessung jedoch viel Zeit erforderte und die Verhältnisse der beiden Reichswälder sofortige Maß­ nahmen notwendig machten, so wurde der Waldaufseher von Kreß provisorisch mit der Direktion und Aufsicht über die Waldämter, Waldaufseher, Förster und Grabenmeister be­ traut1). Er wurde für eine geregelte Forstwirtschaft in Zukunft verantwortlich gemacht und erhielt zu diesem Zweck besondere Vollmachten hinsichtlich der Strafgewalt über das Forstpersonal. Erhöhte Bezüge wurden ihm gleich­ falls in Aussicht gestellt. Mit allen Mitteln sollte besonders der bestehenden Holzverschwendung entgegengetreten werden 2). Nun wendete sich die Subdel.-Komm. der Organisation der beiden Waldämter Lorenz und Sebald zu. Da ihr von diesen Behörden der heftigste Widerstand entgegen­ gesetzt wurde, so beabsichtigte sie am 30. Septem­ ber 1799 dieselben gänzlich aufzuheben. Als besonders schädlich für das Aerar und den Geschäftsgang wurde von der Subdel.-Komm. der Umstand bezeichnet, daß diese Aemter, statt reine Finanzstellen zu sein, die Jurisdiktion über ganze Gemeinden ausübten 3). Aber erst 1803 wurden infolge des Ablebens des Registrators beim Waldamt St. Lorenz entscheidende Schritte getan. Unter Leitung des Forstdirektors Kreß wurde ein Komitee gebildet, das aus den beiden Waldamtleuten und dem Wald­ schreiber bestand. Es stellte zunächst einen Organisations­ plan der Waldamtskanzleien auf. In diesem Plan war vor­ gesehen, daß die Waldämter keine vogteilichen Rechte mehr ausübten; diese (Inventuren, Kaufbriefe, Eheverträge, Vor­ mundsachen, Schuld- und Klaghändel) gingen an die Pfleg­ ämter Wöhrd und Gostenhof, je nach Lage der Untertanen, über. Da dies aber wegen der preußischen Besetzung nicht möglich war, sollten die Geschäfte interimistisch vom Klarenamtssubstituten versehen werden. Sie behielten jedoch die ,,Subjektions- und Lehnbarkeit der Erbforsthuben 1) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 280. 2) Häufig wurde von den Bäumen nur das Stammholz verwen­ det, während die Kronen ungenutzt liegen blieben und vermoderten. 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 163.

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und Fürreutstücke, die Lehnbarkeit der Zeidelgüter, die Vogteilichkeit über sämtliche Waldbedienstete und die Kog­ nition in forestalibus über alle Waldgenossen“. Infolge des verringerten Geschäftsbereiches war es nun möglich, die beiden Waldamtskanzleien zu vereinigen. Diese erhielten als Amtszimmer die Feldwaibelstube auf der Hauptwache. Ihr Personal bestand aus dem Forstdirektor, den beiden Waldamtleuten, einem Waldamtsschreiber, zwei Registratoren, zwei Adjunkten und einem Aufwärter. Die Bezüge der Beamten wurden erhöht, dafür durften sie keine Nebengeschäfte mehr treiben. Am 16. März 1803 wurde dieser Plan vom Rate genehmigt. Die Fertigung der rück­ ständigen Waldrechnungen wurde dem Waldschreiber Röll übertragen mit dem Bemerken, daß sein Gehalt gekürzt oder ein anderes Individuum auf seine Kosten mit dieser Arbeit betraut werde, wenn er sie nicht binnen vier Wochen erledigt habe. Damit war ein entscheidender Schritt zur Besserung getan, trotzdem klagt ein Subdel.-Dekr. vom 17. Januar 1805 noch darüber, daß die Reichswälder infolge der früheren Vernachlässigung sich immer noch in trostlosem Zustande befänden 1). b) Die Aufhebung des Losungsamts und die Einrichtung derRentkammer. Die am meisten Aufsehen erregende Tat der Subdel.Komm. war die Aufhebung des Losungsamts. Gleich nach­ dem sie ihre Tätigkeit begonnen hatte, verbreitete sich in Nürnberg die Nachricht, daß verschiedene höchst ange­ sehene und seit alten Zeiten bestehende Staatsämter auf­ gehoben werden sollten. Noch niemand wagte zu glauben, daß auch das Losungsamt, die vornehmste Behörde Nürn­ bergs, unter diesen sei. Wie wir schon an anderer Stelle dar­ gelegt haben, bedingte der Geschäftsbereich des Rechn.Rev.-Koll. häufig Kollisionen gerade mit dem Losungsamt. Nach Einsichtnahme der Akten des Rechn.-Rev.-Koll. erkannte der Subdelegat jedoch sofort, daß diese von dem *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 283.

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besten Willen beseelte Behörde zur Aktionsunfähigkeit ver­ urteilt sein mußte, so lange die bisherige Machtstellung des Losungsamts unangetastet bleiben würde. Da aber der Subdelegat die Ueberzeugung hatte, daß diese durchaus am Althergebrachten hängende Behörde eine Hauptschuld an der finanziellen Zerrüttung des Nürnberger Staatswesens trage, war er keineswegs gesonnen, dieses Amt lediglich aus Rücksicht auf sein Ansehen zu schonen. Schpn am io. Februar 1798 erließ deshalb die Subdel.-Komm. ein langes Dekret, im wesentlichen folgenden Inhalts1): ,,Durch die Tätigkeit des Rechn.-Rev.-Koll., die beständig in das Ressort des Losungsamtes einzugreifen gezwungen ist, ist zwischen beiden Aemtern ein Abgrund entstanden, der den gänzlichen Zusammensturz der ohnehin so sehr zer­ rütteten Finanzverfassung zu vollenden droht. Aus diesem Grunde hat sich auch im Volke die größte Erbitterung gegen dieses Amt allmählich herausgebildet. Das patriziatische Losungsamt ist zwar eine seit uralter Zeit be­ stehende, höchst angesehene Behörde, sogar die erste Be­ hörde Nürnbergs überhaupt, während das Rechn.-Rev.-Koll. infolge des Grundvertrages erst in jüngster Zeit entstanden und zum Teil mit Beamten aus der Bürgerschaft besetzt ist. Da man aber unter den jetzigen Umständen die Bürger­ schaft zu erheblichen Zahlungen heranziehen müsse, müssen sich die Patrizier damit abfinden, daß die Bürgerschaft in Zukunft einen wesentlichen Einfluß auf das Finanzwesen gewinnt. Deshalb muß das Losungsamt mit dem Rechn.Rev.-Koll. vereinigt werden und zwar unter dem Namen einer Rentkammer, wie ja auch bei den meisten Reichsständen eine gleichartige Rechnungsstelle bereits be­ steht. Gleichzeitig wird dadurch eine Verringerung des Per­ sonals ermöglicht, das allein beim Losungs-, Schau- und Losungsrestantenamt aus 34 Beamten besteht.“ Es läßt sich leicht denken, daß das Losungsamt und mit ihm das gesamte Patriziat kein Mittel unversucht ließ, um diese grundstürzende Maßnahme zu verhindern. In den weitschweifigsten Darlegungen, die ganze Aktenbündel füll*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121.

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ten, bemühten sie sich den Beweis zu erbringen, daß eine Vereinigung der beiden Aemter durchaus unratsam sei1). Auf der anderen Seite befürwortete das Gen.-Koll. die Auf­ hebung des Losungsamtes auf das wärmste unter dem Hin­ weis darauf, daß dieses Amt die größten Schwierigkeiten schon bei Durchführung des Grundvertrages gemacht und auch die Arbeiten des Rechn.-Rev.-Koll. beständig erschwert und häufig durchkreuzt habe 2). Eine Befürchtung kommt seitens des Gen.-Koll. immer wieder zum Ausdruck, nämlich daß die neu zu schaffende Rentkammer unter ausschließlich aristokratischen Einfluß kommen könnte, eine Gefahr, die dann in die Nähe gerückt war, wenn alle Glieder des Losungsamts in die neue Behörde übernommen wurden. Während von allen maßgebenden Stellen heiß für und wider die geplante Aufhebung des Losungsamts gekämpft wurde, ließ die Subdel.-Komm. keine Gelegenheit vorübergehen, die Stellung des Rechn.-Rev.-Koll. zu stärken 3). Ein Subdel.Komm.-Dekret vom 13. April 1798 bestätigte erneut das Recht des Kollegiums zur Prüfung aller Stadtrechnungen, wie es bereits im Grundvertrag stipuliert war. Ein Dekret vom 23. März 1798 mahnte das Rechn.-Rev.-Koll., sich seiner grundvertragsmäßigen Rechte frei zu bedienen und die öfter beobachtete Schüchternheit abzulegen. Ein Dekret vom 3. Juli 1798 forderte es auf, sich der Ausdrücke ,»ersuchen, empfehlen usw.“ nicht mehr zu bedienen, weil durch eine solche Sprache nur die Insubordination gefördert werde. Dem Rat wurde jedoch verwiesen, in Zukunft sich Gutachten von Stellen einzuholen, die dem Rechn.-Rev.Koll. nachgeordnet seien unter Umgehung dieser Behörde. Ein Dekret vom 8. August 1798 gestand dem Rechn.-Rev.Koll. Exekutionsbefugnis in den Fällen zu, in denen ein­ geforderte Berichte nicht zum bestimmten Termin ein­ liefen 4). *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 126. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. in. 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 277. 4) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 67. Es kam häufig vor, daß dem Rechn.-Rev.-Koll. erbetene Auskünfte und eingeforderte Berichte verweigert wurden.

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Auch die Direktion der Schulden- und Domänenkass^, die sich mit den Rückständen in der Zinszahlung befaßte, übertrug die Subdel.-Komm. diesem Amte mit der Weisung, von den Kameral- und Domanial-Gefällen nur die allernötig­ sten Ausgaben zu bestreiten, damit der Ueberschuß für die Staatskasse nutzbar gemacht werden könne, indem sie ihn zur Bestreitung von Ausgaben für die Regimentsgeschäfte und zur ratenweisen Bezahlung der Zinsen verwende1). Dabei sollten aber die Gläubiger des Losungsamts den anderen nicht vorgezogen werden. Indes gelang es dem Patriziat, die Durchführung der Reformpläne der Subdel.-Komm. immer wieder zu ver­ zögern, so daß dieses sich veranlaßt sah, den Reichshofrat zum Einschreiten zu bewegen. Am 29. Oktober 1798 ging ein Reichshofratskonklusum, welches nicht nur die Ein­ ziehung des Losungsamts, sondern auch des Kriegs- und Landpflegamts bestimmte, mit der Begründung, daß diese Aemter zu viel Ausgaben verursachen und zu wenig leisten würden 2). Gleichzeitig wurde der Vorschlag der Subdel.Komm. auf Zusammenlegung des Losungs-, des Losungs­ restanten- und des Schauamts mit dem Rechn.-Rev.-Koll. genehmigt. Nunmehr erkannte man auf Seiten des Rats, daß jeder fernere Widerstand nutzlos sei und beschränkte sich darauf, möglichst günstige Bedingungen zu erreichen. Das Losungsamt hätte gerne durchgesetzt, daß das Rechn.Rev.-Koll. doch ja keinen Anteil an den sogenannten Regi­ mentsangelegenheiten erhalte, sondern nur die finanziellen Befugnisse der bisherigen Losungsräte übernehme, denen ihre sonstigen Rechte belassen werden sollten. Die Subcfel.Komm. blieb indessen fest bei ihrem durch den Reichshof­ rat gebilligten Entschluß. Im März 1799 wurde die Ver­ teilung der Geschäfte des Losungsamts vorgenommen. Es wurde deshalb verfügt 1) an die Stelle der beiden patrizischen Herrn Losunger, denen das ganze Rechnungswesen anvertraut war, tritt das Rechn.-Rev.-Koll. (diesem stand ja die Aufsicht über das Rechnungswesen nach dem Grund*) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 63. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. in.

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vertrage ohnehin schon zu, zumal da die beiden Losunger dieses Amt doch nur formell bekleidet hatten). 2) Rekurse der Bürger zu Wöhrd und Gostenhof werden in Zukunft statt an das Losungsamt an das Appellationsgericht ge­ leitet. 3) Die bürgerlichen Abgaben werden künftighin ohne alle Feierlichkeit im Schauamt entrichtet. 4) Steuer­ reste gibt es nicht mehr, rückständige Steuern werden zwangsweise beigetrieben. 5) Testamente werden beim Vormundamt deponiert. 6) Die Bestellung der Torwärter und Türmer und andere Anordnungen für die Sicherheit der Stadt veranlaßt in Zukunft ein noch zu schaffendes Polizei­ kollegium. 7) Die Geleite zu den Messen besorgt das Zoll­ amt. 8) Geschenke für durchreisende Fürsten überreicht das Septemvirat. 9) Das Stadtsilbergeschirr kommt unter die Aufsicht des Rechn.-Rev.-Koll. auf dem Schauamt. 10) Die vordersten Ratsmitglieder bleiben als „Obristhauptleute“ Verwahrer der Reichskleinodien, ohne mehr Losunger zu sein. 11) In Finanzsachen unterstehen die verschiedenen Aemter alle in Zukunft dem Rechn.-Rev.-Koll. Es leitet das ganze Finanzwesen des Staates entweder unmittelbar oder mittel­ bar durch die Kreisdeputation oder durch das Polizeikolleg oder durch das Fraisch- und Frevelamt. 12) Für das Staats­ archiv werden in Zukunft eigene Archivare aufgestellt. 13) Der Magistrat hat künftig außer den Konsulenten keine Staatsräte mehr nötig. 14) Die Stelle des bürgerlichen Losungers, dessen Stellung praktisch bedeutungslos war, wird entbehrlich. 15) Die Losungseinnahme von Wöhrd und Gostenhof übernimmt das Schauamt oder Zahlamt; ihm obliegt auch die Pflege. 16) Die feierliche Ablegung der Stadtrechnung, die doch nur Zeremoniell gewesen ist, fällt in Zukunft weg. 17) Die Tätigkeit der Losungsräte wird auf die verschiedenen Departements verteilt und zwar sorgt für Aufrechterhaltung der Regimentsverfassung der Magi­ strat, für alle übrigen Angelegenheiten die jeweils ein­ schlägige Behörde. 18) Alle Zahlungen werden künftig vom Zahlamt unter Aufsicht des Rechn.-Rev.-Koll. geleistet. Die Schuldbriefe werden von den regierenden Herren Bürger­ meistern und vom Zahlamt unterschrieben. Die Tontinen

205 und Leibrenteninstitute treten unter die Leitung eines Be­ amten des Rechn.-Rev.-Koll. 19) Die Kirchenvisitationen obliegen künftig dem Vormundamt, 20) die Besichtigungen der heimlichen unterirdischen Gänge dem Septemvirat, dem Bauamt und dem Archivar. 21) Zu Gesandtschaften kann ein Senator, Konsulent oder geheimer Archivrat verwendet werden. 22) Die Heiltumsweisung kann ein geheimer Archi­ var oder das Bauamt vornehmen. 23) Die Geschäfte des bis­ herigen Schauamtmanns, vulgo Zahlmeister, werden durch die neu zu ernennenden Rentmeister beim Rechn.-Rev.Koll. wahrgenommen. Einer von diesen wird zugleich Münzwardein und übernimmt als solcher die Stempelungen von Gold- und Silberproben. 24) Die Geschäfte des Bürger­ schreibers werden mit dem Bürgermeisteramt vereinigt. 25) Die Testamentsregistratur übernimmt Vormundamt und Rechn.-Rev.-Koll. 26) Die Losungsbuchhalter werden teils beim Zahlamt, teils beim Rechn.-Rev.-Koll. verwendet. 27) Die Münzvisitation übernimmt das Polizeiamt. Das Rechn.-Rev.-Koll. erhält ab 15. März mit Wirkung vom 1. August 1799 den Namen Rentkammer; das Schauamt den klaren Namen Zahlamt. Das Zahlamt fertigt die Stadtrech­ nungen und die Rentkammer revidiert sie. Bezüglich der Herren Losunger wird verfügt: Wenn sie nicht das Direk­ torium bei der Rentkammer übernehmen wollen, sind sie zu pensionieren. Losungsrat von Kreß wird Archivar. Losungs­ rat von Holzschuher kommt zur Rentkammer. Losungsrat von Fürer wird zu einem anderen Amt versetzt oder pen­ sioniert. Losungsadjunkt von Grundherr wird Rentmeister beim Zahlamt. Am 17. August 1799 hielt das Rechn.-Rev.-Koll. seine letzte Session, am 20. August beginnen die Sitzungen der neuen Rentkammer 1). Mit der Aufhebung des Losungsamts war die seit Jahr­ hunderten höchst angesehene erste Behörde Nürnbergs ver­ schwunden. — Daß das konservative Patriziat den Schöp­ fungen der Subdel.-Komm. unter diesen Umständen nur mit dem größten Mißtrauen begegnete, können wir verstehen. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 86.

Aber auch in der Bürgerschaft, deren Vertreter im Gen.-Koll. doch vor allem die Träger des Fortschrittes waren, regte sich mancher Argwohn, ob die grundstürzenden Neuerun­ gen der letzten Jahre auch den erhofften Erfolg bringen würden, ob mit der Zerschlagung alter Formen auch posi­ tive, aufbauende Arbeit verbunden sei. Es begann sich deshalb jetzt schon in allen Nürnberger Bevölkerungsschich­ ten ein Gefühl des Unbehagens bemerkbar zu machen, das zur Folge hatte, daß man der Tätigkeit der Subdel.-Komm. auch in den Kreisen mit wachsendem Mißtrauen begeg­ nete, die sich ursprünglich über ihre Berufung herzlich gefreut hatten. Der Umstand, daß man das Rechn.-Rev.-Koll. in seiner neuen Eigenschaft als Rentkammer mit so weitgehenden Befugnissen ausgestattet hatte, bedingte noch weitere Ver­ änderungen in der Organisation dieser Behörde x). Einem Subdel.-Dekret vom 31. Januar 1800 zufolge machte sich nämlich der Mangel an arbeitstüchtigen und im Finanz­ wesen erfahrenen Beamten bald unangenehm bemerkbar. Ein anderer Mißstand bestand darin, daß die leitenden Be­ amten zu häufig wechselten, da nach drei Jahren eine Neu­ wahl vorgesehen war, wobei die ausscheidenden Mitglieder nicht wieder gewählt werden durften. Gerade dadurch hatte sich ja das Gen.-Koll. einen dauernden Einfluß auf die Zusammensetzung dieser wichtigen Behörde sichern wollen. Ein Entwurf der Subdel.-Komm. zum Zweck ,,der besseren Einrichtung der Rentkammer“ stellte deshalb am 31. Januar 1800 folgende Forderungen: *2) Die Rentkammer besteht in Zukunft aus einem Direktor (Senator), zwei Konsulen­ ten, 6 arbeitenden in Finanz-, Bau- und Forstgegen­ ständen erfahrenen Assessoren, einem weiteren Senator, einem Patrizier, einem Gelehrten, zwei Handelspersonen, einem Handwerksmann und je einem Sekretär, Registrator, Kanzlisten und Boten. Die Beamten werden von Magistrat und Gen.-Koll.gemeinsam gewählt. Zu diesen Beamten wählt das Gen.-Koll. noch drei ständige Beisitzer, ohne Rücksicht A) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 279 und Rep. 45, N. 90. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 148.

auf deren Stand. Nur der Senator, der Patrizier, der Ge­ lehrte, die beiden Handelspersonen und der Handwerks­ mann sollen künftig ,,herausgewählt“ werden. Direktor, Konsulenten und arbeitende Assessoren können aus beson­ deren Gründen herausgewählt werden und zwar nur dann, wenn 3/4 Majorität des Rats oder des Gen.-Koll. dafür sind. Zur Stimmabgabe sind nur die wählbaren Mitglieder berech­ tigt. Das Dekret legte ferner die Amtstätigkeit und die Besoldungen genau fest und bestimmte, daß die Bezüge mit der fortschreitenden Tilgung der Staatsschulden sich erhöhen sollten. Während dieser Antrag zur Beratung stand, ließ der Rat kein Mittel unversucht, bei kais. Majestät durchzusetzen, daß eine weitere Demokratisierung der Nürnberger Staats­ verfassung durch die Subdel.-Komm. verhindert werde, mit dem Hinweis, daß sie die ganze Nürnberger Staatsverfassung Umstürze und dadurch nur um so größere Verwirrung anrichte. Besonders hinsichtlich der Ratsorganisation, worüber weiter unten noch zu sprechen sein wird, glaubte sich der Rat zu diesem Mahnruf berechtigt. Auf diese Bemühungen seitens des Rates war es zurückzuführen, wenn am 8. Juli 1803 ein kaiserlicher Erlaß bestimmte, daß die durch den Grundvertrag festgelegte Verfassung des Nürnberger Staates nicht weiter verändert werden solle. Dieser Erlaß hatte zur Folge, daß die Beratung über die Neuorganisation der Rentkammer abgebrochen wurde. Es blieb infolgedessen wieder bei dem alten Modus der dreijährlichen Neuwahl. Trotzdem suchte aber die Subdel.-Komm. die Neuwahlen zu hintertreiben und der Streit um die Organisation der Rentkammer setzte sich bis 1805 fort. Am 21. Februar 1805 erfolgte wieder ein Subdel.-Dekret, das darauf hinwies, daß sich die Organisation einer so wichtigen Behörde wie der Rentkammer nicht weiter hinausschieben lasse; trotzdem wurde die Entscheidung aber von Monat zu Monat verzögert, da die Ereignisse des europäischen Konflikts das ganze Interesse auf sich zogen. Schließlich wurde die endgültige Organisation der Rentkammer durch Subdel.Dekret auf 28. Februar 1806 festgesetzt. Bevor es

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jedoch zu einem Beschluß kam, lief eine Beschwerde der Staatsbeamtenschaft ein, daß sie bei der Rentkammer nicht vertreten sei. Diesem Wunsche glaubte die Rentkammer am 22. Mai 1806 nachgeben zu müssen, so daß die Beratun­ gen wieder aufgenommen wurden. Auf Grund eines Gut­ achtens der Konsulenten Dr. Lorsch und Df. Colmar (22. Mai 1806) war man beinahe geneigt, das alte Losungs­ amt wieder einzurichten; denn in diesem Gutachten wurde betont, daß die Subdel. - Komm, die Rentkammer so gestaltet habe, daß sie ihrem ursprünglichen Zweck nicht mehr entspreche. Denn das Rechn.-Rev.-Koll. war als oberste Finanzkoratrollstelle gedacht, die die Mittel aus­ findig machen sollte, wie die Staatsfinanzen in Ordnung gebracht werden könnten. Die eigentliche Finanzbehörde sei aber das Losungsamt gewesen. Durch dessen Ver­ einigung mit dem Rechn.-Rev.-Koll. habe diese Behörde aber einen ganz anderen Charakter bekommen. Sie sei aus einer mehr konsultativen Ueberwachungsstelle zu einer rein administrativen Behörde geworden. Infolgedessen müsse sich die Rentkammer mit tausenderlei Dingen, zum Teil nichtiger Art, beschäftigen; ihr Hauptzweck sei aber, Mit­ tel und Wege zu finden, wie dem notleidenden Aerar gehol­ fen werden könne. So erlebte man das traurige Schauspiel, daß bis zur Einverleibung Nürnbergs in Bayern die wich­ tigste Behörde, der Subdel.-Komm, und Gen.-Koll. die größte Bedeutung beimaßen, niemals eine abgeschlossene Organisation erhielt. c) Die Organisation des Rats. Dadurch, daß die Subdel.-Komm, in der Rentkammer eine Behörde mit wichtigen administrativen Befugnissen geschaffen hatte, war die Stellung des Rats nicht unbeein­ flußt geblieben. Die bestehende Ratsordnung war im Jahre 1635 erlassen worden 1). Der Rat fühlte selbst, daß sie reformbedürftig sei und so hatte er schon 1795 eine Er­ neuerung beschlossen. Als nun am 18. April 1800 die Subdel.-Komm.-Vorschläge zur Verbesserung der Ratsorgani*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 273.



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sation auch vom Gen.-Koll. einforderte, war dem Patriziat jede Lust zur Mitarbeit genommen; denn die Rats­ angelegenheiten hatte es bis jetzt immer noch als seine ureigenste Domäne angesehen. Der Rat befürchtete eine zu herbe Kritik der Genannten an seiner bisherigen Amts­ tätigkeit. Als er diese Bedenken auch gegenüber der Subdel.Komm. äußerte, wurden sie von ihr mit der Begründung zurückgewiesen, daß kais. Majestät bei viel geringeren Dingen Rücksprache mit den Genannten befohlen und auch die Erfahrung bei den Konferenzen bewiesen habe, daß die Genannten wiederholt sehr wertvolle Anregungen gegeben hätten. Sollten sie aber wirklich belastendes Material gegen den Rät Vorbringen, so würde jedenfalls vor irgend einer Entscheidung der Rat gehört werden. Ein ausschlaggeben­ der Grund für die Vornahme einer Ratsorganisation war für die Subdel.-Komm, auch das Oberaufsichtsrecht der Patrizier des Rats über die gerichtlichen Instanzen. Es handelte sich in diesem Falle um nichts Geringeres als die Trennung von Justiz und Verwaltung. Bei Besprechung der Orga­ nisation des Gerichtswesens wird darauf noch zurückzukom­ men sein. Am 3. Januar 1804 hatte das Patriziat auf Grund um­ fassender Vorbesprechungen eine neue Ratsordnung aus­ gearbeitet, die unter Berufung auf das Reichshofratskonklusum vom 8. August 1803 in wichtigen Punkten alles beim alten beließ1). Wenn wir das Wesentliche aus der neuen Ordnung herausgreifen, so forderten die Patrizier auch in Zukunft 34 Senatoren, auf diese entfielen 7 Septemvirn, 3 Bürgermeister, 5 Appellationsgerichtsräte, 2 Territorial­ räte, 5 Rentkammerassessoren, 6 Polizeiräte, 3 Scholarchen und Obervormünder, 5 Schöffen und Rugsherrn. Diesen Entwurf sandte der Rat unter Umgehung der Subdel.Komm, an den Reichshofrat. Dieser schickte ihn wieder zurück mit dem Bemerken, er sei ohne Unterschrift und Datum und ferner könne nicht festgestellt werden, ob die Subdel.-Komm, damit einverstanden sei; infolgedessen bestehe die Möglichkeit, daß er ein untergeschobener Plan *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 134. 14



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sei. Der Reichshofrat stieß sich auch noch daran, daß sein Konklusum vom 8. August 1803 falsch ausgelegt war; denn darin hieß es, nur das Wesentliche der alten Ver­ fassung sei beizubehalten. Außerdem wären bei Durch­ führung des eingereichten Planes fast keine Einsparungen erzielt worden. Der Plan der Subdel.-Komm. dagegen sah eine wesentliche Verringerung des Ratspersonals vor, wodurch eine große Anzahl von Patriziern ihre Stellungen verloren hätten. So setzte sie in einem Dekret vom 30. Sep­ tember 1805 die Zahl der Senatoren auf 27 aus d£m Patri­ ziat und auf 8 aus dem Handwerkerstande fest. Zu einer Einigung kam man indessen nicht. Erst als das Durch­ einander in der Verwaltung, insbesondere durch Nicht­ besetzung erledigter Ratsstellen, so groß geworden war, daß die Rentkammer erklärte, unter diesen Umständen das Zahl­ amt wegen der Auszahlungen nicht mehr instruieren zu können, entschloß man sich zur Annahme eines Organi­ sationsplanes 1). Am 30. September 1805 wurde demgemäß folgendes Subdel.-Komm.-Dekr. erlassen: Es werden, um das Chaos zu beseitigen, vorerst drei Ratsdirektoren ernannt; die Rats­ geschäfte sollen nach dem vom Rat entworfenen Plane durch­ geführt werden. Diesem Direktorium stehen die Septemvirn zur Seite. Wir sehen auch hier wieder eine halbe Maß­ nahme. Statt Organisation Desorganisation. Dadurch wurde aber lebhafte Mißstimmung in die Reihen der Beam­ tenschaft getragen, die in mangelnder Arbeitsfreudigkeit zum Ausdruck kam. Der Schaden, der daraus dem Nürn­ berger Staatswesen entstand, ist zahlenmäßig gar nicht nachzuweisen und kommt nur in den Klagen der Bürger­ schaft und der Subdel.-Komm. über den schleppenden Ge­ schäftsgang immer wieder zum Ausdruck x). Die gleiche Verwirrung herrschte naturgemäß auch in der Ratskanzlei, wo sich das mangelhaft beaufsichtigte Unterpersonal stets neue Pflichtversäumnisse zuschulden kommen ließ, zumal *) Durch Nichtbesetzung von Beamten- und Ratsstellen sollten Einsparungen an Gehältern gemacht werden. f) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 1998.



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da ihm die eingerissene Unordnung in den Geschäften nicht verborgen blieb. d) Die Aufhebung des Kriegsamts. Zu den durch Reichshofratskonklusum aufzuhebenden Aemtern zählte auch das Kriegsamt. Die Auflösung wurde durch Subdel.-Komm.-Dekr. vom 24. April 1798 folgendermaßen begründet1): ,,Die Errich­ tung des Grundvertrags hat das Losungsamt überflüssig ge­ macht, ebenso hat die gewährte Moderation der Reichs- und Kreismatrikel das Kriegsamt entbehrlich gemacht.“ Von allen Seiten wurden aber Bedenken gegen die am 24. August 17 98 provisorisch durch die Subdel.-Komm. dekretierte Aufhebung vorgebracht; besonders deshalb, weil in dieser Zeit verschiedene Fürsten die zum Kreis zu stellenden Kon­ tingente nicht abgeschafft, sondern als Haustruppen weiter behalten hatten. Die Kreiskontingente waren Hauskon­ tingente geworden. Sollte angesichts dieser Tatsache, wo doch auch der Markgraf von Ansbach-Bayreuth unter die­ sen Fürsten war, Nürnberg sich gänzlich wehrlos machen? Mit merkwürdiger Logik bestand aber gerade das Rechn.Rev.-Koll. auf der Entlassung des Militärs, weil Nürnberg infolge des durch die preußische Okkupation verringerten Territoriums nicht mehr so viel Truppen unterhalten könnte. Begründet waren die Klagen des Rechn.-Rev.-Koll. jedoch über die allzu große Zahl von Offiziersstellen. Es verlangte deshalb die Verringerung des Militärs bis auf zwei Kom­ pagnien Infanterie. Solange die Neuorganiserung des frän­ kischen Kreises nicht erfolgte, sollten die acht Hauptleute bei der Infanterie nur Titularhauptleute beim Stabe sein mit der Gage eines Oberleutnants. Alles übrige Militär wurde entlassen und aufgefordert, sich andere Kriegsdienste zu suchen, da sie der notleidende Staat nicht mehr erhalten könne. Kadetten sollten künftig nicht mehr eingestellt wer­ den. Am 2. Sept. 1798 bestimmte die Subdel.-Komm., daß die Offiziere in Zivildienststellungen übernommen werden *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 143 und in. 14*

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sollten, da der Staat die Pensionslasten nicht tragen könne. Schließlich genehmigte der Kaiser jedoch noch die Auf­ rechterhaltung einer dritten Kompagnie. Am 3. Juni 1799 bestimmte ein Subdel.-Komm.-Erlaß, daß außer der Infan­ terie noch so viele Artilleristen beibehalten werden sollten, als zur Bedienung von zwölf Kanonen benötigt seien, und zwar in Anbetracht der großen Volksmenge und der häufig vorkommenden Aufläufe. So schmerzlich dieser Mehrauf­ wand sei, es müßten eben doch die Forderungen der Gläu­ biger den notwendigen Staatsausgaben gegenüber zurück­ stehen. Es ist bezeichnend, daß man trotz der drohenden Gefahr durch äußere Feinde das Militär entließ, aber aus Sorge vor inneren Unruhen das Kontingent wieder erhöhte. Indessen schon am 6. Februar 1801 sah sich die Subdel.-Komm. zu folgendem Erlaß gezwungen: ,,In Anbetracht des Umstan­ des, daß der Wert der Staatspapiere auf die Hälfte herab­ gesetzt worden ist, müssen die strengsten Maßregeln ergrif­ fen werden, um dem Aerar zu helfen. Bis zur Wiederher­ stellung der Staatsfinanzen darf deshalb nur noch eine Kom­ pagnie Soldaten unterhalten werden.“ Dieser Befehl wurde auch gegenüber den Bedenken des Rats aufrechterhalten, welcher befürchtete, daß er mit so wenig Truppen im Falle von Unruhen nicht einmal das Ansehen der Regierung auf­ recht erhalten könne. Die von dem Kriegsamt bisher besorgten Geschäfte wurden folgendermaßen verteilt1): 1) Die Ernennung und Entlassung der Offiziere des Bürgermilitärs besorgt der Magistrat, die einzelnen militärischen Anordnungen (Wachen usw.) der Platzmajor. Disziplinarfälle erledigt der Kriegsobrist mit dem Platzmajor. Befreiungen von der Bürgerwache erläßt das Rechn.-Rev.-Koll. Die Befehle bei Aufzügen, Tumulten und Feuersbrünsten gibt das Polizeidepartement2). 2) Die Personalangelegenheiten des Stadtmilitärs stehen dem Magistrat und dem Polizei­ departement zu. Disziplinarvergehen ahndet der PlatzA) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. in. 2) Siehe darüber später.

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major. Militärische Uebungen ordnet der Kriegsobrist und der Platzmajor an,. 3) Die Rekruteneinstellung, Dis­ ziplinierung, Befehlserteilung für das geworbene Kreis­ militär zu Roß und zu Fuß obliegt dem Kriegsobristen. Die Offiziersernennung besorgt der Magistrat, Kassenange­ legenheiten das Rechn.-Rev.-Koll. Militärgeistlicher ist der jeweilige Pfarrer in der Frauenkirche. Alle Kreisangelegen­ heiten gesorgt die hiesige Kreisdeputation. 4) Die Zivil­ justiz der Kreismiliz in kleinen Fällen übt der Kompag­ niekommandant aus, in erheblichen Fällen der Kriegsobrist und Platzmajor unter Zuziehung des Kreiskonsulenten und unter dem Vorsitz der Kreisdeputation. Verhaftungen nimmt das Polizeidepartement vor *). Ehedissidien gehören vor das Stadtgericht, Nachlaß- und Mündelangelegenheiten vor das Vormundamt, Streitigkeiten mit Benachbarten vor das Fraisch- und Frevelamt. 5) Die Kriminaljustiz bei Selbstmordleichenobduktion und in leichteren Fällen üben Kriegsobrist und Platzmajor unter Zuziehung eines Kon­ sulenten aus. Schwere Vergehen kommen vor ein Kriegs­ gericht. 6) Für die Stadtsicherheit (Fortifikation) ist das Bauamt und das Rechn.-Rev.-Koll. verantwortlich. 7) Kommandant und Garnison der Feste Lichtenau unterstehen dem Magistrat. Alle übrigen Angelegenheiten dem Festungskomandanten unter Oberaufsicht des Rechn.Rev.-Koll. 8) Die Besorgung der fremden Werbun­ gen übernimmt die Kreisdeputation. 9) Für die Ordnung des Oeconomicums (Ausrüstung, Bekleidung, Löhnung, Proviant) wird ein eigener Rechnungsführer beibehalten. Den Marstall übernimmt das Bauamt, er wird bis auf wenige Pferde aufgelöst. 10) Alle Polizeigegen­ stände (öffentliche Ordnung, Begrüßung hoher Herren, Viehseuchen) besorgt das Polizeikolleg. 11) Das Personal des Kriegsamts tritt ins Polizeikolleg ein, die Kriegsräte werden vom Appellationsgericht übernommen. Der Sub­ stitut kommt ins Forstamt. Die „Enrollierung,, der Mann­ schaften auf dem Lande obliegt dem Marschkommissar. *) Die Stadtmiliz hatte keine eigene Justiz.

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e) Aufhebung des Landpflegamts. Am 19. April 1798 erging an den Rat ein Erlaß der Subdel.-Komm. bezüglich der Aufhebung des Landpfleg­ amts in Nürnberg *). Begründet war die Anordnung damit, daß das Amt eine zu kostspielige Zwischeninstanz sei. Man hatte nämlich bei der Untersuchung des Nürnberger Staats­ vermögens die traurige Entdeckung gemacht, daß alle unter dem Landpflegamte stehenden Aemter, trotz ihres umfang­ reichen Gebietes, in den Jahren von 1771—1790 679417 fl. Ausgaben verursacht, jedoch nur 302 543 fl. Einnahmen ge­ bracht hatten. Bei genauer Berechnung hatte sich ergeben, daß aus Stadtmitteln im ganzen 174 512 fl. zugeschossen werden mußten. Am Schluß des Erlasses hieß es: ,,Man findet nicht Worte genug, um das Auffallende dieser Ent­ deckung an den Tag zu legen, worüber man vom Erstaunen nicht zurückkommen kann und man sich jetzt nicht mehr wundert, daß hiesiger Finanzzustand so trostlos geworden ist, indem alle Kosten des Staates beinahe von den Stadt­ bewohnern allein getragen werden mußten.“ In seinem Unmut wünschte der Subdelegat, daß das Amt binnen vier­ zehn Tagen aufgelöst werde*2). Es läßt sich begreifen, daß nach Bekanntwerden dieser Zustände beim Landpflegamt es in der Nürnberger Bürgerschaft weder an heftigen Aus­ fällen noch an beißendem Spott fehlte. Um so bezeichnen­ der ist demgegenüber die Rechtfertigungsschrift dieses Am­ tes, aus der zu entnehmen ist, daß es sich absolut schuldlos fühlte und in der Tat auch insofern ohne Schuld war, als es eben die seit Jahrhunderten eingewurzelten Mißbräuche nur weiter bestehen ließ. Diese Tatsache hatte bei dem durchaus konservativen Charakter des Nürnberger Stadt­ regiments nichts Auffallendes an sich. Bei einem Manne aber, der unvoreingenommen und ohne alle Rücksicht auf Tradition diese Verhältnisse beurteilte, konnte sogar der Gedanke an Unterschlagungen und andere Veruntreuungen entstehen. Diesen Verdacht sprach ein Subdel.-Komm.-Dekr. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121. 2) Staatsarch. Nbg Rep. 26, N. 124.

vom 15. Sept. 1798 ganz offen aus und zwar unter Hinweis darauf, daß sich nirgends eine Verrechnung des Landumgeldes auffinden lasse, ja daß über dessen Verwendung überhaupt kein Aufschluß zu erhalten sei. Einen schweren Vorwurf machte deshalb die Subdel.-Komm. auch dem Rat, weil er sich jederzeit in seinen Entscheidungen auf die Aemterberichte verlassen und sich nicht durch häufige Kontrol­ len von der einwandfreien Führung der Amtsgeschäfte über­ zeugt habe. Es tritt uns hier ein besonders krasser Fall als Beleg des seit Jahren erhobenen Vorwurfes des Status in statu entgegen, insofern als sich das Landpflegamt in der Wahrnehmung seiner Dienstaufgaben absoluter Selbständig­ keit in allen Zweigen der Verwaltung erfreute. Als höchst überflüssige und kostspielige Zwischeninstanz zwischen dem Rat und den einzelnen Pflegämtern sollte es deshalb aufgelöst werden. Die übermäßig große Zahl von Beamten dieses Amtes durfte ihr Gehalt einstweilen fortbeziehen, jedoch nur insoweit sie an dem ,,Verfall der in Anbetracht der Größe des Landes so reichen Geldquelle“ keine Schuld trugen. Die von der Subdel.-Komm. erhobenen schweren Vor­ würfe blieben natürlich von seiten des Landpflegamts nicht ohne Erwiderung. Schon am 8. Mai 1798 erschien ein Recht­ fertigungsbericht dieses Amts, worin zwar zugegeben wurde, daß Ausgaben und Einnahmen auf eine ,,irreguläre Weise und incompetenter in Rechnung gebracht wurden“, aber doch energisch darauf hingewiesen wurde, daß die Ver­ antwortung für das ganze Rechnungswesen der Landpflege das Losungsamt treffe, das ausdrücklich Anweisung ge­ geben habe, namhafte Beträge nicht nur in das Kreiskassier­ amt, sondern auch in das Schau-, Kriegs-, Vormund- und Stadtalmosenamt bei den verschiedensten Gelegenheiten ab­ zuführen. Ueber diese Summen genaue Rechnung zu füh­ ren, wäre Aufgabe des Losungsamts gewesen. Ferner wurde in dieser Rechtfertigungsschrift betont, daß das Pflegamt Altdorf den Umgeldertrag zum Unterhalt der Universität und zwar bis zur Höhe von 14 310 fl. in 20 Jah­ ren verwendet habe. Derartige Summen erschienen aber

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in der Stadtrechnung überhaupt nicht, also weder als Einnahmen noch als Ausgaben. Wir sehen demnach, daß die Vorwürfe der Subdel.-Komm. zweifellos zu hart waren. Das Losungsamt in seiner souveränen Stellung verfügte eben, als die Finanznot immer höher wuchs, willkürlich über alle Gelder in den zahlreichen Kassen, um nur den dringendsten Anforderungen Genüge leisten zu können. Bei der verworrenen Dezentralisation in der Kassenführung ließ sich überhaupt nicht feststellen, welche Summen vom Land­ pflegamte für städtische Zwecke verwendet worden waren. Bei den Stadtrechnungen aber äußerten sich derartige Aemterkassenzuschüsse nur insofern, als die Schuldenlast nicht noch viel rascher anwuchs. Da dem Landpflegamte aber alles daran gelegen war, seinen Fortbestand zu sichern und die schweren Vorwürfe der Subdel.-Komm. zu entkräften, ließ es außerdem noch eine Prüfung seiner Kassenrechnungen durch eine dritte Rechtsperson, einen auswärtigen Konsulenten, vor­ nehmen 1). Dieses Gutachten wurde vom Rat, nachdem es vorher von beleidigenden Ausdrücken gegen die Sub­ del.-Komm. gereinigt worden war, am 24. Dezember 1798 an Gemming übersandt. Dieser war aber über den Inhalt so aufgebracht, daß er das Schriftstück den? Kaiser unter­ breitete. Die Kosten für dieses Rechtsgutachten durften nicht aus Staatsmitteln bezahlt werden, sondern sie wurden von den Ratssporteln abgezogen. Im wesentlichen enthielt dieses Gutachten nichts, was nicht auch schon vom Land­ pflegamte zu seiner Rechtfertigung geltend gemacht worden war; nur war der Ton gegen die Subdel.-Komm. weniger ehrerbietig, insofern als darin Gemming der Vorwurf des cholerischen Temperaments gemacht wurde. Im Januar und Februar des Jahres 1799 fanden dann doch die Konferenzen zur Aufhebung des Landpflegamts statt2). Der Aufhebungsbeschlüß wurde gefaßt unter Hin­ weis‘darauf, daß das Amt in den letzten 20 Jahren laut Rechnungen einen Zuschuß von 411000 fl. an Steuern *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. in. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. in.

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und Quartiergeldern benötigt habe* Analog der Verwaltung von Fürstentümern sei ein Grund für das Vorhandensein dieser Zwischenstelle überhaupt nicht einzusehen, da in iurisdictionalibus der Nürnberger Senat, in camerali|)Us die Kammer die zuständige Behörde sei. Auch in dies^h Kon­ ferenzen kam es wieder zu heftigen Kämpfen wegen der Verfassung, indem Senator Harsdorf Verwahrung gegen die Teilnahme von Rechn.-Rev.-Koll. und Genannten an die­ sen Konferenzen einlegte. Unter Hinweis auf das Reichshofratskonklusum vom 29. Oktober 1798, das die Teilnahme ge­ nannter Behörden bei allen wichtigen Veränderungen vor­ sah, wurde jedoch über diese Beschwerde zur Tagesordnung übergegangen. Bei dieser Gelegenheit überreichte das Rechn.-Rev.Koll. auch einen Plan, wie das Nürnberger Aemterwesen nach Aufhebung von Losungs-, Kriegs- und Landpflegamt organisiert werden könnte, indes wurde der Plan vorläufig noch ad acta gelegt. Die Geschäfte des Landpflegamts wurden folgender­ maßen auf die übrigen Behörden verteilt: Justizsachen in erster Instanz kamen vor die hiesigen Gerichte, in Lehens­ angelegenheiten an die einzelnen Pflegämter. Die Justiz in zweiter Instanz wurde an das Stadtgericht verwiesen, Dif­ ferenzen mit Nachbarn an das Fraisch- und Frevelamt. Das Steuerwesen wurde vom Steuerkassieramt übernommen. Ueber Kriminalverbrechen urteilten die Pflegämter, in schweren Fällen entschied das Schöffenamt. Kirchenrecht­ liche Angelegenheiten besorgte das Vormundamt, das zu diesem Zweck noch reformiert werden sollte. Die Kameralgefälle vereinnahmten die Pflegämter, die sie direkt an das Rechn.-Rev.-Koll. abführen mußten. Getreidegefälle wur­ den vom Kastenamt erhoben. Polizeisachen übernahmen die Pflegämter und das Polizeidepartement. Das Forstund Jagdwesen wurde von den Pflegämtern im Benehmen mit den Waldämtern wahrgenommen. Alle Baulichkeiten besorgte das Bauamt in Nürnberg und das Rechn.-Rev.Koll. Die Kirchenangelegenheiten übernahm das Vor­ mundamt. Das gesamte Rechnungswesen ging an das

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Rechn.-Rev.-Koll. über. Reparaturen nahmen die Pflegämter vor. Die Schulaufsicht übten Vormundamt und Scholarchat aus. Die landesherrlichen Gerechtsame und Regalien gingen an das Steueramt, die Rentkammer und die Pflegämter über. Der Landausschuß wurde von den Militärbehörden, Ein­ quartierungen wurden von den Pflegämtern besorgt; ihnen stand auch das Einzünftigungsrecht zu, eine Aufgabe, die für Wöhrd und Gostenhof dem Rugsamt zufiel. Das Landumgeld wurde von den Pflegämtern vereinnahmt und sofort an das Rechn.-Rev.-Koll. abgeführt. Um Viehseuchen­ schutz und Brandversicherung hatte sich das Polizeideparte­ ment zu kümmern. Causae forestales betrafen fernerhin nur die Waldämter. Das Personal des aufgelösten Amts wurde in anderen Stellen untergebracht; über die Art der Verwendung ent­ schied der Rat. Bezeichnend war der Schlußantrag des Gen.Koll., der verlangte, daß an die Spitze der Departements keine Senatoren mehr treten sollten, da sie sich zu viel Macht angeeignet hätten. Eine Folge dieser Machtstellung war gewesen, daß sich der Magistrat nur noch bittend an diese Herren herangewagt hatte. Eine wesentliche Erweiterung seines Geschäftsbereiches erfuhr das Vormundamt. Durch Subdel.-Komm.-Dekr. vom i. August 1799 wurde ihm zugeteilt: 1. die Jurisdiktion in erster Instanz über die Pfleger und anderen Landbeamten in Ansehung ihrer Amtsverrichtungen, soweit sie in das Geistliche einschlugen. 2. Die Jurisdiktion und Super­ inspektion in causis ecclesiasticis. Dazu gehörte: Religions­ aufsicht, Kirchenvisitation, Erledigung der dabei vorkom­ menden Beschwerden, Abstellung von Mißbräuchen, Ueberwachung der Geistlichen und Lehrer, ferner Liturgie, Friedhof auf sicht, Oberaufsicht über die Kirchengüter und -gerätschaften, Ernennung der Kirchenpfleger, Prüfung der Kandidaten, Bestellung der Vikare, Verbescheidung der Ge­ suche um geistliche Stellen, Vornahme der Ordination, Schulaufsicht und -Visitation, Prüfung und Beförderung der Lehrer, Erlaß öffentlicher Bekanntmachungen.

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f) Die Aufhebung der Ratsdeputationen und die Schaffung eines Polizeideparte­ ments. Eine eigenartige Einrichtung im Nürnberger Staate waren die Ratsdeputationen. Ihnen oblag die Oberaufsicht über die verschiedensten öffentlichen Einrichtungen. Ihre Tätigkeit hatte polizei­ lichen Charakter, insofern als sie darauf zu achten hatten, daß bestehende gesetzliche Verordnungen nicht übertreten wurden. Schon seit langem wurde ihre Tätigkeit von der Bür­ gerschaft für höchst überflüssig erachtet. In der Tat ge­ winnt man auch den Eindruck, daß sie sich nur recht wenig um die ihrer Oberaufsicht anvertrauten Einrichtungen küm­ merten. Für diese geringe Mühewaltung genossen sie aber verschiedene Vorteile, insofern als sie sich als hohe Inspek­ toren großen Ansehens erfreuten, überdies Einkünfte ver­ schiedener Art bezogen. Der innere Grund für das Vor­ handensein dieser Deputationen scheint uns darin zu liegen, daß das Patriziat bestrebt war, möglichst alle Glieder der Nürnberger Aristokratie unterzubringen 1). Die Erhebun­ gen ergaben, daß es im ganzen 95 solcher Ratsdeputationen gab, und zwar waren davon 46 ex aerario besoldet, 23 bezo­ gen Akzidenzien und 26 verrichteten ihre Oberpflege un­ entgeltlich. Am 3. Juli 1800 wurden nach langen Verhandlungen, in deren Verlauf sich das Patriziat wieder mit aller Kraft, aber vergeblich, gegen die Zuziehung der Genannten ge­ wehrt hatte, durch Reichshofratskonklusum die Ratsdepu­ tationen aufgelöst2). Bis zum 1. November 1800 waren die Funktionen der einzelnen Deputationen verteilt, so daß man Anweisung geben konnte, wohin sich die betreffenden Aemter in allen den Dingen zu wenden hatten, für welche die ehemaligen Deputationen zuständig waren. — Es wurde verfügt: x) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 199. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 114, 278, 279 und Rep. 45, N. 1947.

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Die Deputation zur Waidschau entfällt künftig ganz. Die Arbeiten der Deputation zum Leihhausamt übernimmt der Magistrat, der junge Bürgermeister und die Rentkammer; die Deputation zur Färberwahl der Magistrat, die De­ putation zur Nachsteuer der Bürgerschreiber, das Ter­ ritorialamt und die Justizbehörde; die Deputation zum Bürger- und Unbürgeramt das Polizeikolleg und der Bürgerschreiber. Die Arbeiten der Deputation zur Münzvisitation besorgt der Rentmeister in seiner Eigenschaft als Münzwardein; die Aufgaben der De­ putation zu den Hochzeiten der Magistrat und das Poli­ zeikolleg; die der Deputation zum Salzhandel die Rentkammer und das Polizeikolleg; die der Deputation zur Musik das Polizeikolleg, der Magistrat und das Kirchen­ amt. Schlotfeger und Feuerstätten übernehmen Rugsamt und Polizeikolleg. Die Kaffee- und warmen Getränkeschenken überwacht das Umgeldamt, das Weizenbräu­ haus der Magistrat und die Rentkammer. Die Geschäfte der Zoll- und Wagamtsdeputation führen Rentkammer, Territorialamt, amtierender Bürgermeister, Zoll- und Wagbeamter und die Justizbehörden. Mit dem Münz wesen befaßt sich in Zukunft das Polizeikolleg; mit der Porzellan­ fabrik die Rentkammer; mit dem Schießgraben und der Herrentrinkstube das Polizeikolleg; mit Bau- und Kasten­ amt die Rentkammer. Die Arbeiten der Deputation zum Umgeldamt wurden aufgeteilt unter Umgeldamt, gericht­ liche Instanzen, Polizeikolleg und Rentkammer. Um das Mühl- und Beckenwesen, das Zucht- und Werkhaus hat sich das Polizeikolleg zu kümmern, ebenso um das Braugewerbe neben der Rentkammer. Die wissenschaftlichen Arbeiten des collegii medici et pharmaceutici hat das Scholarchat, die das Publikum betreffenden Angelegenheiten das Polizeikol­ leg zu überwachen; diesem werden auch die Gefängnisse unterstellt. In Sachen des Kornburger Steinbruchs ent­ scheiden die Justizbehörden und die Rentkammer. Die Auf­ sicht über Infektions- und Schauamt obliegt dem Spital­ amt unter Ueberwachung durch das Polizeikolleg, das auch die Maße und Gewichte zu prüfen hat. Das Ochsen- und

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Unschlittamt untersteht dem Territorialamt, der Rentkammer und dem Polizeikolleg; für die Reichswälder sorgt die Rentkammer. In die Beaufsichtigung der Befugnisse des Landalmosenamts teilen sich Magistrat, Appellations­ gericht, Kirchen- und Vormundamt, Rentkammer und Poli­ zeikolleg; letzteres übernimmt auch die Arbeiten der Depu­ tation zu den Märkten. Bei Hochwasser hat in Zukunft Polizeikolleg und Bauamt einzugreifen; die Leichenkassen überwachen die gerichtlichen Instanzen und das Polizei­ kolleg; die Metschenken werden dem Umgeldamt, das Schießhaus und Zeugamt dem Polizeikolleg überwiesen. Das Bankogericht wird vom Bankogericht und dem Polizei­ kolleg überwacht, die Malerakademie vom Baumeister unter Aufsicht des Scholarchats; die Lohnkutschen und Lohn­ rosse vom Polizeikolleg. Dieses muß sich zusammen mit dem Bauamt auch um die springenden Wasser kümmern. Die deutschen Schreib- und Rechenstuben unterstehen künf­ tig dem Scholarchat; die Ueberwachung des Klarenamts steht dem Landalmosenamt zu, die der Postwagen dem Ter­ ritorialamt. Die Pegnitz und Rednitzflußpolizei üben das Territorialamt, die Rentkammer, das Polizei- und Bauamt aus. Die Zensur über die Schauspiele obliegt einem Sena­ tor oder Konsulenten, den übrigen Betrieb überwacht das Polizeikolleg. Diese Verteilung der Befugnisse der zahllosen Rats­ deputationen an die einzelnen Aemter erforderte mühselige Vorarbeiten, und nachdem sie vollzogen waren, erging von der Subdel.-Komm. an alle Aemter eine genaue Einweisung in ihren neuen Pflichtenkreis. Aber die Umwälzung in der ganzen Staatsverwaltung war so tiefgehend, daß immer wie­ der Unklarheit herrschte, an welche Stelle man sich bei be­ sonderen Vorkommnissen zu wenden habe, trotzdem die Subdel.-Komm. diesen Verteilungsplan allen Behörden und Instanzen zustellte. Mit der Aufhebung der Ratsdeputationen war aber die Schaffung einer zentralen Polizeibehörde unbedingtes Er­ fordernis geworden.

Polizeiliche Einrichtungen zur Sorge für das allgemeine Wohl, verbunden mit staatlicher Zwangsgewalt, waren im Mittelalter nur den Stadtverwaltungen bekannt und wurden erst seit dem Wormser Reichstage als wesentlicher Gegen­ stand der Reichsgesetzgebung behandelt1). Im Nürnberger Staate wurden die Polizeisachen, selbst solche von ganz all­ gemeiner Art, die für die gesamte Einwohnerschaft von gleicher Bedeutung waren, von den verschiedensten Aemtern selbständig behandelt und gaben deshalb häufig Ver­ anlassung zu Kompetenzstreitigkeiten 2). Schon Ende 1798 war dieser Zustand der Subdel.-Komm. aufgefallen und sie hatte deshalb darauf hingewiesen, daß dasPolizeiwesen einer gründlichen Regelung bedürfe und besonders die durch den allzugroßen Gewerbszwang verursachten Mißbräuche abge­ stellt werden müßten 3). Am 12. September 1799 wurde nun eine Polizeikommission gebildet, bei deren Wahl es wieder einmal zu heftigen Kämpfen über die Beteiligung der Bürger­ schaft an der Wahrnehmung der Polizeigeschäfte kam. Wie aus einer Eingabe des Gen.-Koll. vom 30. März 1799 hervor­ ging, konnte gerade bei Ordnung des Polizeiwesens einmal gründlich mit dem oftbeklagten status in statu aufgeräumt werden, indem man eine starke Zentralgewalt in Polizei­ angelegenheiten schuf. Daß die Ständekämpfe die Organi­ sation einer staatlichen Polizeibehörde lange verzögerten, war von schlimmer Rückwirkung auf die ganzen Nürn­ berger Staatsverhältnisse. Denn es rissen Defraudationen aller Art immer tiefer ein, wie die Rentkammer am 11. Okto­ ber 1799 feststellte. Eine provisorische Regelung, wie sie im Oktober 1799 durch die Schaffung einer Polizeikom­ mission vorgenommen wurde, konnte aber keineswegs zu­ friedenstellen, da diese Kommission eben wegen ihres pro­ visorischen Charakters ihren Verfügungen nicht den nötigen Nachdruck verleihen konnte. Außerdem hatte man von sei­ ten des Rats die Unklugheit begangen, Männer wie den Senator Imhoff als Polizeideputatus aufzustellen, der durch A) Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 820 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. in. 8) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 112.

seine üble Verwaltung des Zinsmeisteramts beim Volke gar kein Vertrauen genoß. So zogen sich denn die Kämpfe zwischen Rat und Gen.-Koll. um die Organisation dieses so wichtigen Amtes zum größten Nachteil des Nürnberger Staatswesens bis zum Juni 1803 hin, und wenn nicht der Reichshofrat einen bindenden Entscheid getroffen hätte, so wäre auch dann über die Zusammensetzung einer so wich­ tigen Behörde keine Einigung erzielt worden. Die Gründe, weshalb sich das Patriziat gerade in Polizeiangelegenheiten mit äußerster Energie gegen die Teilnahme der Bürger­ schaft wandte, waren weniger rein staatsrechtlicher Natur, um vielleicht den aristokratischen Charakter des Stadtregirftents zu wahren, sondern die Patrizier fürchteten viele polizeiliche Belästigungen in ihren Sitten und Gepflogen­ heiten, die der Bürgerschaft schon wiederholt Veranlassung zu scharfer Kritik gegeben hatten. Besonders die auf dem Lande wohnenden Patrizier wollten von der Polizei unbelästigt sein; denn gerade sie traf der Vorwurf, daß sie häufig die bestehenden Polizeiverordnungen umgingen, indem sie z. B. von ihrem Getreide erbackenes Brot, ohne die vor­ geschriebene Abgabe zu leisten, in die Stadt brachten. In einer Vorstellung der Genannten an die Subdel.-Komm. vom 23. April 1800 wurde ferner darüber geklagt, daß es in Nürnberg bisher so gut wie überhaupt keine staatliche Polizei gegeben habe, sondern die Bürgerschaft habe sich öfter selbst geholfen, indem sie bei unruhigen Auftritten durch Aufziehen der Bürgerkompagnie die Ruhe wieder­ hergestellt habe. Am 6. Juni 1803 kam endlich die Organisation des Polizeidepartements zustande. An seiner Spitze stand ein Polizeidirektor; ihm unterstanden fünf patrizische Poli­ zeiräte, zwei Inspektoren und zahlreiches Unterpersonal. Das Gen.-Koll. war also mit seiner Forderung, in dieser wichtigen Behörde ebenfalls vertreten zu sein, nicht durch­ gedrungen.



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g) Die Organisation des Gerichtswesens. Justiz und Verwaltung waren damals auch im Nürn­ berger Staat aufs engste verbunden. Die gerichtlichen Instanzen waren in Nürnberg zahlreicher als in anderen Reichsstädten und dienten nebenher als Versorgungsstellen für viele Patrizier; dadurch bildeten sie einen für die Reichs­ stadt zu kostspieligen Apparat und lenkten bald die Auf­ merksamkeit der Subdel.-Komm. auf sich. Die Vereinigung des Stadt- und Unter­ gerichts1). Schon im Dezember 1798 war anläßlich der Neubeset­ zung zweier erledigter Stadtgerichtskonsulentenstellen vom Rechn.-Rev.-Koll. der Vorschlag gemacht worden, das Stadt­ gericht mit dem Untergericht zu kombinieren. Wohl wurde damals gegen diesen Vorschlag geltend gemacht, daß das Stadtgericht sehr wichtige Dinge zu verbescheiden habe; infolgedessen könne es sich mit den Bagatellsachen des Untergerichts nicht befassen. Aber der Vorschlag wurde trotzdem von der Subdel.-Komm. im Auge behalten. Am 11. März 1799 unterstützten Richter, Assessoren und Schöf­ fen am Stadt- und Ehegericht selbst den Vorschlag auf Vereinigung der beiden Gerichte und äußerten den Wunsch, daß zu den Beratungen auch Gerichtsdeputierte zugezogen werden möchten. Indessen verging noch das ganze Jahr 1800, bis anläßlich der Besetzung einer Stadtgerichtsschreiber­ stelle durch einen Untergerichtsschreiber die Vereinigung beider Gerichte durch die Subdel.-Komm. in Aussicht ge­ nommen wurde. Am n. Mai 1801 ergeht ein ausdrückliches Dekret auf Vereinigung, die bis 1. Juni 1801 vollzogen sein sollte. Den Gerichtsherrn gelang es jedoch, die Durchfüh­ rung des Erlasses mit der Begründung hinauszuschieben, daß das Untergericht als Pflanzschule für junge Patrizier erhalten werden müsse. Wie aus einem Subdel.-Komm.-Dekr. vom 11. Mai 1801 hervorgeht, bestand die Pflicht (Gesetz oder Brauch ließ sich nicht feststellen), daß junge Patrizier *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 116.





nur verheiratet ein öffentliches Amt bekleiden konnten, auch für die Gerichtsbeamten. Damit war aber der Nachteil ver­ bunden, daß junge Patrizier in gering besoldeten Anfangs­ stellungen häufig in Schulden gerieten und infolge der häus­ lichen Sorgen dann keine Zeit mehr fanden, sich wissen­ schaftlich fortzubilden. Da man aber möglichst alle jungen Patrizier versorgen wollte, so trug man keine Bedenken, neue Beamtenstellen zu schaffen, die meist recht überflüssig waren. Dieser Unfug sollte nun unter Umständen sogar mit kaiserlicher Hilfe abgestellt werden. Ein Subdel.-Komm.-Dekr. vom Februar 1802 bestand kategorisch auf der Vereinigung der beiden Gerichte und zwar unter Hinweis auf die Frankfurter Verhältnisse, wo man bei einer Einwohnerzahl von 47 000 Seelen mit weniger Gerichten auskam als in Nürnberg mit seinen 28—30 000 Einwohnern. Ueberdies besaß Frankfurt 15 000 Juden, die nach Ansicht der Subdel.-Komm. dreimal soviel Streit­ fälle allein veranlaßten, als in Nürnberg im ganzen vor­ kamen. Mit Rücksicht auf die Gefahr einer Stellenver­ minderung für junge Patrizier beharrte jedoch der Rat bei seiner ablehnenden Haltung und erhob gegen die Subdel.-Komm. den Vorwurf, daß es ihr nur darum zu tun sei, den Stand der Patrizier zu schädigen x). In den nun folgenden heftigen Auseinandersetzungen zwischen Patri­ ziat und Subdel.-Komm. blieb letztere jedoch Sieger und beharrte darauf, daß bis Mai 1802 Stadt- und Untergericht vereinigt sein müßten. Für jede Ausgabe, die durch eine weitere Verzögerung notwendig werde, müßten die Patri­ zier persönlich haften, da in erster Linie das Interesse des Staates zu berücksichtigen sei. Die Organisierungdes Appellations­ gerichts. Eine Organiserung des Appellationsgerichts war vor allem durch die Aufhebung des Landpflegamts notwendig geworden, da dieses Amt als zweite Instanz nach > den *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121. 15

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Patrimonialgerichten in Betracht gekommen war x). Nun sollte das Appellationsgericht die richterlichen Befugnisse des Landpflegamts übernehmen. Schon am 12. Juli 1799 hatte die Subdel.-Komm. vom Reichshofrat den Auftrag erhalten, die Dienststellen einzurichten, welche die Ge­ schäfte der aufgehobenen Aemter übernehmen sollten. Des­ halb erließ die Subdel.-Komm. am 25. Januar 1800 einen Plan zur Organisierung des Appellationsgerichts, das als letzte Instanz in allen Gerichts- und Verwaltungs­ angelegenheiten gedacht war. Da aber der Rat beson­ ders hinsichtlich der den Konsulenten zugeteilten Aufgaben anderer Meinung war, insofern als er deren Befugnisse nicht auf Kosten der patrizischen Gerichtsherrn ausgedehnt wissen wollte, erließ die Subdel.-Komm. am 24. Juli 1800 auf dem Verordnungswege eine provisorische Appellations­ gerichtsordnung, bis durch den Kaiser endgültige Bestim­ mungen getroffen worden seien. Nach dieser Verordnung setzte sich das Appellationsgericht aus fünf rechtskundigen Senatoren, zwei Konsulenten und einem Aktuar zusammen. Den Vorsitz führte der Rangälteste. Besondere Bestim­ mungen wurden über das sogenannte „Perhorreszieren“ ge­ troffen. Man verstand darunter die Ablehnung des Rich­ ters wegen Befangenheit. Da die Patrizier fast alle mit­ einander verwandt waren, kam dies sehr häufig vor. Diese Möglichkeit wurde nun auf wenige Fälle beschränkt. Wenn nur zur Verzögerung des Rechtsganges der Richter als befangen abgelehnt wurde, sollte strenge Bestrafung eintreten. Bezüglich des Kirchenamts, des Polizeikollegs und des Scholarchats wurde bestimmt, daß sie rechtlich zwar nicht unter das Appellationsgericht gehörten, daß sie aber diesem Gerichte dann unterstünden, wenn durch ihre Ver­ fügungen jemandem sein ius quaesitum entzogen oder durch sie eine Anordnung erlassen würde, durch welche eine appellatio extrajudicalis verursacht würde. Das Fünfer- und Zeidelgericht sollte dem Appellationsgericht ebenfalls in jenen Fällen unterworfen sein, „wo von solchen Handlungen

die Rede ist, woraus für die Parteien kein ius quaesitum *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 123.

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erwachsen kann oder wo die Gerichte gegen die Vorschrift der Rechte via facti zu Werke gehen und ihr Amt miß­ brauchen, zumalen dem Appellationsgericht ohnehin die Oberaufsicht über alle mit der Justizpflege beschäftigten Gerichtsbeamten und Offizianten in dem Maße zusteht, daß dasselbe solche zurechtweisen, zur Erfüllung ihrer Pflich­ ten vermahnen und, wenn beides nicht fruchtet, bei dem Magistrat auf deren Bestrafung antragen kann“. Inwieweit gegen die Verfügungen der Rentkammer eine Berufung an das Appellationsgericht stattfinden konnte, wagte die Subdel.-Komtn. nicht zu entscheiden; darüber sollte ein kaiser­ licher Schiedsspruch herbeigeführt werdenx). Auch das Schöffenamt (ein Gericht, das am 30. Dezember 1805 den Namen Kriminaldepartement bekam und dessen Richter von da ab Kriminalräte hießen) unterstand dem Appel­ lationsgericht in den Fällen, in denen es einer Nullität be­ schuldigt wurde*2). Im übrigen stand dem Appellations­ gericht die Aufsicht über das gesamte Nürnberger Gerichts­ wesen zu; es hatte die Aufgabe, nötige oder mögliche neue Verordnungen und Gesetzesverbesserungen zu entwerfen, zweifelhafte oder dunkle Gesetze zu erklären. Außerdem fiel ihm ein wesentlicher Teil der Geschäfte des aufgeho­ benen Landpflegamts zu. Ein Subdel.-Komm.-Dekret vom 4. Mai 1801 forderte, daß entgegen der bisherigen Gepflogenheit am Appel­ lationsgericht nur die ältesten Richter zu verwenden, solche aus verschiedenen Lebensaltern angestellt werden sollten. Indes hatte es mit der praktischen Durchführung der neuen Gerichtsordnung auch wieder lange Wege. Unter dem Hinweis, daß die Subdel.-Komm. durch Verfügung dieser Gerichtsordnung ihre Befugnisse überschritten habe, wurde ihr Inkrafttreten vom Rat bis 1802 verzögert. Trotzdem die Subdel.-Komm. geltend machte, daß dem Rat gegen ihre Verfügungen nur eine Imploratio an den Kaiser zustehe, gelang es dem Rat durchzusetzen, daß A) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 1186. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 123. 15*

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die am 19. Juli 1802 im Druck erschienene neue Appel­ lationsgerichtsordnung vorläufig nicht in Kraft trat. Ihm war daran gelegen, unter allen Umständen zu verhindern, daß im Appellationsgericht eine höchste Instanz geschaffen wurde, deren richterliche Entscheide auch für den Rat bindend sein sollten. In der Tat erreichte er schließlich, daß in einer Druckschrift vom 4. Juni 1803 durch die Subdel.-Komm. bestimmt wurde, daß das Appellations­ gericht ausschließlich in Justizsachen oberste Instanz sei, daß aber alle Verwaltungssachen und Kompetenzstreitig­ keiten zwischen Rat und Appellationsgericht zu vermeiden seien oder vom Rat allein entschieden werden sollten*). Nach wie vor aber übten die Ratsherrn die Oberaufsicht über die anderen gerichtlichen Instanzen. Erst am 28. Mai 1806 wurde in einem Konferenzprotokoll über die Revision der Ratsordnung festgelegt, daß die Patrizier vom Rate keine Präsides bei den Stadt- und Ehegerichtssessionen mehr sein sollten, sondern daß diese Aufgabe lediglich dem Ober- und Appellationsgericht zufallen müsse. An dieser Stelle muß noch erwähnt werden, daß nach Aufhebung des Landpflegamts alle territorialen Streitig­ keiten am 20. Januar 1800 an das Fraiß- und Frevelamt übergingen, dessen Name aus diesem Grunde in Territorial­ amt umgeändert wurde *2). Den Namen Landschaftsrat oder Landeshoheitskollegium, wie er vom Rate gewünscht wurde, lehnte die Subdel.-Komm. ab, um der Titelsucht der Patrizier nicht allzusehr Vorschub zu leisten. h) Das Klaren- und Landalmosenamt. Das Landalmosenamt bestand seit der Reformation (1541). Veranlassung zu seiner Errichtung gab damals die Säkularisierung von zwölf Stiftern, Klöstern und anderen geistlichen „corpora“ (meist gestiftete Güter und deren Untertanen). Säkularisierte Güter zählte man aber damals aus Gründen der Pietät niemals zum weltlichen Staats­ eigentum, sondern sie wurden als milde Stiftungen bis zum A) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 273. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 111.

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Ausgleich der religiösen Kämpfe gesondert verwaltetx). Der konservativ denkende Teil der Bürgerschaft fühlte sich deshalb sehr in seinen Gefühlen verletzt, als er von der beabsichtigten Aufhebung des pium corpus, des Land­ almosenamts, durch die Subdel.-Komm. hörte. Klarenamt und Landalmosenamt hatten bisher ihren Sitz in der Stadt. Ihnen unterstanden ehemals geistliche Güter aus den verschiedensten Gegenden, so daß derenUntertanen oft viele Stunden weit zu gehen hatten, wenn sie sich Recht bei einem der beiden Aemter holen wollten. Die Sub­ del.-Komm. beabsichtigte in einem Dekret vom 12. Okto­ ber 1799, beide Aemter ganz aufzuheben und ihre Dorf schäf­ ten, Höfe, Untertanen und Gefälle den nächstgelegenen Pflegämtern zuzuteilen. Von seiten der Pflegämter und einem großen Teil der Bürgerschaft wurde diesem Plan hef­ tiger Widerstand entgegengesetzt, indem besonders darauf hingewiesen wurde, daß sich dann die gewissenhafte Be­ sorgung der Geschäfte nicht mehr so gut überwachen lasse. Schließlich beabsichtigte die Subdel.-Komm, in einem Dekret vom 16. August 1801, zwar für einzelne Untertanen und Ge­ fälle Ausnahmen zuzulassen, aber vor allem die beiden Aem­ ter zusammenzulegen und nach Aufhebung der preußischen Besetzung sie mit den Pflegämtern Wöhrd und Gostenhof zu vereinigen. Als man anfangs 1804 auch das Pflegamt der Feste aufzuheben gewillt war, trug man sich mit dem Plan, die Untertanen der drei Aemter je nach Nähe und Lage nach Gostenhof, Wöhrd, Lauf, Hersbruck und Altdorf zu­ zuteilen. In einem neuen Lichte erschien jedoch die An­ gelegenheit, als im Verlauf der kurpfalzbayerischen Ver­ gleichsverhandlungen vorgesehen wurde, daß ein großer Teil der Untertanen des Spitalamts an Bayern fallen sollte. Da jedoch der Nürnberger Staat diesem Amte seit zehn Jahren 106000 fl. an Zinsen schuldig geblieben war, konn­ ten dessen Ansprüche nicht ungehört verhallen, als es ver­ langte, daß ihm ein Teil der Untertanen des Klaren- und Landalmosenamts zur Entschädigung gegeben werden 4) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 156. Nach einem Bericht des Landalmosenamts vom 14. Dezember 1801*

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müßte. Aus diesem Grunde war nun auch die Subdel.Komm. damit einverstanden, daß mit jeder weiteren Ver­ änderung bei den genannten Aemtern gewartet werden sollte, bis die neuen Grenzen mit Bayern vereinbart waren. In einem Dekret vom 28. Oktober 1805 verzichtete die Subdel.-Komm. auf die Aufhebung des Klaren- und Land­ almosenamts, um eine geregelte Gehaltszahlung der Geist­ lichkeit und der Witwen gewährleisten zu können. Vom 1. Mai 1806 an aber sollten die beiden Aemter wenigstens vereinigt und bis dahin die Zahlungen an Geistliche und Lehrer vom Landalmosenamt bestritten werden. Am 9. Dezember 1805 bat jedoch die Rentkammer, von einer Vereinigung der beiden Aemter absehen zu wollen, da infolge der bis zum Ableben der Beamten notwen­ digen Weiterzahlung der Gehälter doch keine Erspar­ nisse durch die Vereinigung erzielt würden und die Neu­ organisation neue Mittel erfordern würde, deren Auf­ bringung unter den obwaltenden Verhältnisse^ äußerst schwer falle. Damit blieb auch auf diesem Gebiet nach jahrelangen Verhandlungen alles beim alten. i) Die Organisation einiger unter­ geordneter Aemter. Mit dem Getreide hatten sich in Nürnberg drei Aemter zu befassen, das Kasten-, das Haberumgeld- und das Malz­ aufschlagamt. Auf diesem Gebiet schien eine wesentliche Vereinfachung möglich. Den größten Geschäftsbereich der drei Aemter hatte das Kastenamt1). Ihm oblag schon das Gültwesen der Aemter Wöhrd, Gostenhof, der beiden Wald­ ämter und des Zinsmeisteramts. In Zukunft sollte es das Gültwesen aller Aemter in Stadt und Land übernehmen und auch die Getreideankäufe auf dem Lande betätigen. Damit hatte es aber ein so großes Arbeitsfeld, daß es nicht ratsam schien, wie ursprünglich beabsichtigt, das Getreideund Malzaufschlagamt auch noch mit ihm zu vereinigen. Diesem Amte oblag die Einnahme des Aufschlages auf Malz und jede Art von Getreide, das gemahlen werden sollte. Die *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 173.

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dabei zu erledigenden Arbeiten waren so gering, daß das Haberumgeldamt unbedenklich mit ihm vereinigt werden konnte, zumal da dieses Amt nur den Aufschlag vom Hafer einzuziehen hatte. Das Subdel.-Komm.-Dekret vom 4. April 1799 verfügte deshalb die Vereinigung beider Aemter, die durch Ratsverlaß vom 26. April 1799 genehmigt wurde. r ^ Größere Schwierigkeit verursachte die von der Subdel.Komm. am 8. Otkober 1799 verlangte Vereinigung der oberen und unteren Wage1). Der Wagamtmann in der zweiten (unteren Wage) hatte fast nichts zu tun und seine Stellung erschien der Subdel.-Komm. als eine patrizische Sinekure. Da aber der Rat unter keinen Umständen weitere Aemter, die mit Patriziern besetzt waren, einziehen lassen wollte, setzte er diesem Verlangen hartnäckigen Wider­ stand entgegen. Am 17. Juni 1801 forderte die Subdel.Komm. auf Grund eines Zollamtsberichts und eines Gut­ achtens der „verordneten Vorsteher des Handlungsplatzes“ erneut die Vereinigung der beiden Wagen. Der Amtmann an der oberen Wage sollte durch einen Adjunkten ersetzt werden, wodurch man sich eine Ersparnis von jährlich 732 fl. versprach. Am 1. Februar 1802 überließ der Rat unter Wahrung seines Standpunktes die Vereinigung der beiden Wagen dem Ermessen der Subdel.-Komm., da er die Aussichtslosigkeit seines Widerstandes erkannte. Be­ züglich des Bauamts verfügte ein Subdel.-Komm.-Dekr. vom 12. Juli 1798, daß es in Zukunft die Oberaufsicht über sämtliche staatlichen Bauten zu übernehmen habe, während bisher die von den einzelnen Aemtern besetzten Gebäude auch von diesen verwaltet wurden. Die Neuorganisation der einen, die Aufhebung anderer Aemter hatte zur Folge, daß sich der Geschäftsgang nicht ohne Reibungen vollzog 2). Eine Beschwerde der Rentkammer, daß sie vom Rat wiederholt den ihr subordinierten Aem­ tern nachgesetzt worden sei, führte zu einer Neuregelung der Rangordnung der einzelnen Aemter. Bisher war es in *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 250. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 113.

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Nürnberg Brauch gewesen, daß der Rang der Behörden sich nach dem Alter des Amtsvorstandes richtete; so kam es, daß ein Amt bald vorgesetzt, bald nachgesetzt war, je nach dem Lebensalter des Vorstandes. Dadurch entstanden oft lächerlicheKollisionen. Nach dem Muster fürstlicher Staaten sollte nun gemäß Subdel.-Komm.-Erlaß vom 19. Juni 1801 eine dauernde Rangordnung der einzelnen Aemter aufgestellt werden. Die Verhandlungen darüber zogen sich infolge der Empfindlichkeit des Patriziats bis zum 5. Oktober 1802 hin. An diesem Tage wurde durch Dekret folgende Rangordnung von der Subdel.-Komm. festgesetzt: 1) Der Magistrat. 2) Die obersten Hauptleute. 3) Das Septemvirat. 4) Das Bürger­ meisteramt. 5) Der größereRat der Genannten. 6) Das Appel­ lationsgericht. 7) Der Kriegsobrist. 8) Das Territorialamt. 9) Das Polizeidepartement. 10) Das Viertelmeisteramt. 11) Die Kanzlei- und Gerichtsherrn. 12) Das Kuratorium der Universität Altdorf, das Scholarchat, das Kirchen- und Vormundamt. 13) Die Kreisdeputation. 14) Das Schöf­ fenamt. 15) Das Stadtgericht. 16) Die Rentkammer. Alle übrigen Behörden folgen erst nach dieser. Mit dieser Reihenfolge ist auch der Rat einverstanden. Wenn man die Wichtigkeit der Rentkammer für die Ordnung der Finanzen in Betracht zieht, so muß es uns wundernehmen, daß dieses Amt erst an 16. Stelle genannt wird, wo doch seine Arbeiten gerade in jenen Zeiten für das Staatswohl von höchster Be­ deutung waren. Je länger die Subdel.-Komm. sich mit der Verbesserung der Verhältnisse im Nürnberger Staat ab­ mühte, desto mehr sah sie sich außerstande, den geschlos­ senen Widerstand des Patriziats zu überwinden, den es allen Neuerungen entgegensetzte. k) Die Au fstellung von Kontrolleuren. Es erübrigt nun noch, am Schlüsse der Ausführungen über die Aemterorganisation über die Aufstellung von Kon­ trolleuren in den verschiedenen Aemtern zu berichten. Laut Grundvertrag stand dem Rechn.-Rev.-Koll. das Recht zu, „nach Befund der Umstände“ Gegenschreiber

*33 (Kontrolleure) in den Aemtern aufzustellen *). Ein Versuch auf Grund dieses Paragraphen einen Gegenschreiber ins Losungsamt zu bringen, war daran gescheitert, daß dieses Amt sofort mit einer Beschwerde beim Kaiser drohte. Am 24. Februar 1798 entschied nun ein Subdel.-Komm.Dekret, daß unverzüglich in allen hauptverrechnenden Stellen Gegenschreiber aufzustellen seien. Diese sollten vorläufig ehrenamtlich tätig sein, da keine Mittel zu ihrer Besoldung vorhanden waren. Die Kontrolleure hafteten mit ihrem ganzen Vermögen, daß in allen Aemtern pein­ lichste Ordnung herrschte. Jede Ungenauigkeit hatten sie sofort dem obersten Vorgesetzten zu melden und, falls dieser nicht die vorgebrachten Mißstände abstellte, sofort dem Rechn.-Rev.-Koll. Mitteilung zu machen. Außerdem sollten die Kontrolleure jede Zahlung gegen­ zeichnen. Sie sollten durchwegs bürgerlicher Herkunft sein, damit sie ein Gegengewicht gegen die patrizische Beamtenschaft bilden könnten. Wegen dieser Bestimmung erhob sich sofort ein heftiger Kampf; denn die Patrizier beanspruchten auch ihrerseits das Recht, einen Teil der Kon­ trolleure stellen zu dürfen. Da es aber gerade darauf ankam, die patrizische Staatsverwaltung zu kontrollieren, ein patrizischer Kontrolleur aber wohl niemals gegen seine eigenen Standesgenossen und Verwandten aufgetreten wäre, legte das Gen.-Koll. gegen diesen Anspruch des Patriziats die schärfste Verwahrung ein. Bis zur Entscheidung dieses Streites wurden auf dem Wege des Dekrets einstweilen bürgerliche Gegenschreiber in das Losungs-, Schau-, Bau-, Losungsrestanten-, Leih­ haus-, Ochsen- und Unschlitt-, Kasten-, Landalmosen-, Um­ geldamt und die beiden Waldämter ernannt. Vormundund Getreideaufschlagsamt blieben noch unbesetzt. Inzwi­ schen ging der Kampf um die Kontrolleure weiter. Den hartnäckigsten Widerstand setzten die Patrizier einer bür­ gerlichen Kontrolle im Losungsrestantenamt entgegen und das mit gutem Grund. Denn aus dem Subdel.-Komm.Reskript vom 8. Mai 1798 ging hervor, daß die RechA) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 115.

*34 nungsverfassung dieses Amts recht unzuverlässig war; hatte doch ein Kassasturz sogar Veruntreuungen an den Tag gebracht. Auf Grund dieser Tatsache wurde von der Subdel.-Komm. sofort ein bürgerlicher Kon­ trolleur in dieses Amt abgeordnet, gleichzeitig aber auch ein patrizischer aufgestellt mit der Begründung, daß die Unrichtigkeiten in der Losungsrestantenkasse be­ sonders groß seien. Da man sich in der Folgezeit über die Aufstellung patrizischer Kontrolleure nicht einigen konnte, wurde die Entscheidung hierüber dem Kaiser anheim­ gestellt. Die bürgerlichen Kontrolleure traten jedoch in ihre Aemter ein. Am 13. Dezember 1798 erhielten folgende Behörden bürgerliche Kontrolleure: Das Spitalamt, die Mendelsche Zwölfbrüderstiftung, das Malz-, Getreide- und Aufschlagsamt, das Leihhaus, das Stadtalmosenamt, das Zucht-, Fecht-, Armen- und Arbeitshaus und die Getränke­ visitation. Die Kontrolleure wurden angewiesen, keinen fclatsch hervorzurufen und über alle Amtshandlungen größ­ tes Stillschweigen zu wahren. Wie sich leicht denken läßt, kam es aber doch sofort zu allerlei Reibereien. Abgesehen von den wenigen Fällen offener Widersetzlichkeit, gab es vor allem beständige Sticheleien mit den Beamten, weil sie es an höhnischen, zweideutigen und geringschätzigen Be­ merkungen nicht fehlen ließen 1). Ihre Untergebenen veränlaßten sie zu respektlosem Verhalten gegen die Kontrol­ leure, ja sogar Mißhandlungen kamen vor. Andererseits gaben sich aber auch die Kontrolleure manche Blöße durch ungeschickte Fragen, sie schwätzten über angebliche und wirkliche Mißstände bei den Aemtern in der Oeffentlichkeit, machten sich bei der Bevölkerung mit ihrem Amte wichtig; kurz, durch die Auswirkungen spießbürgerlicher Engherzig­ keit auf der einen Seite und anmaßender Ueberhebung auf der anderen hörten die Zwistigkeiten niemals auf. Bis zum Ende des Jahres 1799 wurden indes so ziemlich bei allen öffentlichen Aemtern, an denen Zahlungen geleistet wurden, Kontrolleure aufgestellt. *) Der Waldamtmann von Löffelholz hatte den Kontrolleur mit beleidigenden Worten von seiner Amtstüre weggewiesen.



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i) Maßnahmen im Beamtenwesen.

Wie wir gehört haben, drückte der Subdelegat ip seiner Antrittsrede die Hoffnung aus, bei der Sanierung der Nürn­ berger Finanzen nicht von extremen Mitteln Gebrauch machen zu müssen1). Aber schon am 12. Dezember 1797 hatte er eine andere Ueberzeugung gewonnen. Zp diesen extremen Mitteln rechnete er auch die Aufhebung Von Be­ amtenstellen, die in der Tat in zu großer Zahl vorhanden waren. Da es aber stets sehr schwierig ist, Beamtenstellen einzuziehen, sollten alle zur Erledigung kommenden Stel­ len wenigstens nicht neu besetzt werden. Gegen ein ent­ sprechendes Honorar hatten die im Amte befindlichen Be­ amten die Funktionen der erledigten Stellen mit zu über­ nehmen. Mit dieser Maßnahme wäre nun das Patriziat ein­ verstanden gewesen, wenn die Subdel.-Komm. für erledigte patrizische Stellen eine Ausnahme gemacht hätte. Da dies aber keineswegs von ihr zugelassen werden konnte, besetzte der Rat die erledigten patrizischen Stellen eben ohne Vorwissen der Subdel.-Komm. Dieses Vorgehen führte am 15. Februar 1798 zu einer heftigen Be­ schwerde des Gen.-Kolk, in der darauf hingewiesen war, daß gerade viele Ratsstellen vollkommen entbehrlich seien. Am 24. Februar 1798 erließ daraufhin die Subdel.Komm. ein formelles Verbot gegen die Wiederbesetzung erledigter patrizischer Stellen; die dadurch anfallenden Ar­ beiten sollten vielmehr von den im Amte befindlichen Pa­ triziern gegen Ueberlassung der mit der Stelle verbundenen Sporteln erledigt werden. Aber der Rat strebte trotzdem an, daß erledigte Stellen wenigstens unter dem Vorbehalt wieder besetzt werden sollten, daß der neue Beamte keinen Anspruch auf Pension habe und im Falle der endgültigen Aufhebung einer Dienststelle freiwillig und unter Verzicht­ leistung auf jegliche Besoldung zurücktrete. Am 27. März erging jedoch als Antwort auf eine Beschwerde der Genann­ ten vom Reichshofrat die strenge Weisung, daß keine patri­ zische Beamtenstelle neu besetzt werden dürfe. Diese *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 117.

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Reichshofratsverfügung erregte über die Grenzen des Nürn­ berger Gebietes Aufsehen, so daß hierüber ausführliche Mitteilung auch in der ,,Neuesten Weltkunde“ erschien. Da aber unter den Ratsmitgliedern mehrere hochbetagte Herrn waren, wurden von Jahr zu Jahr neue Ratsstellen frei. Nun verfielen die übrigen Ratsherrn auf ein neues Mittel, um die Subdel. - Komm, zur Wiederbesetzung erledigter Stellen zu zwingen. Sie veranlaßten absicht­ lich Schwierigkeiten in der Verwaltung1), indem sie z. B. eine vakante Ratsstelle an ein Mitglied der geheimen Steuer­ deputation übertrugen. Dessen ganze Arbeitskraft war aber schon durch dieses Amt in Anspruch genommen, so daß es durchaus keine Zeit finden konnte, sich um die Funk­ tionen der erledigten Ratsstelle zu kümmern. Trotz allem beharrte aber die Subdel.-Komm, bei ihrem Verbot. Durch Dekret vom 6. Juli 1802 wurde auch noch das Vorrücken in dje Besoldung eines verstorbenen patrizischen Beamten ver­ boten, was bisher noch gestattet war, da das Patriziat ohne Wissen der Subdel.-Komm, eine wahrheitswidrige Meldung an den Kaiser über die geringen Ersparnisse durch Sperrung von Beamtenstellen gesandt hatte. Die bereits erhaltenen Bezüge mußten wieder zurückgezahlt werden. Die Sprache zwischen Subdel.-Komm. und Rat begann immer schärfer zu werden, so daß Ausdrücke wie „Faulheit der Bürger“ seitens der Subdel.-Komm. nicht mehr überraschten. Der Rat beschwerte sich nun darüber, daß durch die Maßnah­ men der Subdel.-Komm. nicht nur sein Ansehen immer mehr herabgesetzt, sondern auch der Geschäftsgang von Tag zu Tag verworrener werde infolge der zahlreichen unbesetzten Ratsstellen. Die Subdel.-Komm. klagte ihrer­ seits die Ratsmitglieder an, absichtlich den alten Schlen­ drian fortzusetzen und das Wohl des Staats zu vernach­ lässigen. Zum Vergleich zog sie die Frankfurter Verhält­ nisse heran, wo trotz der größeren Einwohnerzahl die Bür­ germeister einen wesentlich umfangreicheren Geschäfts­ bereich zu bewältigen hätten. *) Subdel.-Komm.-Dekret vom 14. Juli 1801.

Am 6. Dezember 1802 sah sich indes die Subdel.Komm. gezwungen, zur Vermeidung allzugroßer Härten das Vorrücken in die Besoldungen und Emolumente erledigter senatorischer Funktionen doch wieder zu gestat­ ten 1). Im gleichen Monat rückten deshalb eine Reihe von Senatoren in die Bezüge verstorbener Beamter vor, ja sogar zahlreiche Ratsdeputationen wurden wieder ernannt, so daß der Eindruck erweckt wird, als ob die Subdel.-Komm. zuerst große Verwirrung mit ihren Maßnahmen hervor­ gerufen habe, um hinterher den alten Zustand doch wieder herzustellen. In Wirklichkeit war die Subdel.Komm. durch den passiven Widerstand der Senatoren und Beamten gezwungen worden, in der Angelegenheit eine nachgiebigere Haltung einzunehmen, da überdies Gefahr be­ stand, daß die ganze Staatsmaschine ins Stocken geriet. Nachdem der Rat aber einmal Zugeständnisse erhalten hatte, ging er noch weiter und besetzte auch wieder solche Beamtenstellen, die schon als dauernd aufgehoben betrach­ tet worden waren. Dieses Vorgehen führte zu einem flam­ menden Protest der Genannten am 30,. Dezember 1802. Durch deren Haltung gestärkt, verfügte die Subdel.-Komm. am 24. Januar 1803, daß das Vorrücken in Besoldungen und Emolumente wieder sistiert werde, bis eine klare Entschei­ dung vom Kaiser erlassen worden sei. Denn dem Verlangen der Genannten konnte sie auch nicht stattgeben. Diese for­ derten nämlich, daß in Anbetracht der unglaublichen Ver­ vielfältigung der Staatsämter und der sinnreichen Erfindung tausendfacher Emolumente ein energischer Schritt unter­ nommen werden müsse, indem die entbehrlichen Staats­ diener mit geringer Pension einfach entlassen würden. Im September 1803 versuchten es noch einmal die Ratsfreunde, auf dem Wege einer Bittschrift die Wiederbesetzung der erledigten Ratsstellen von der Subdel.-Komm. zu erreichen. Doch auch diesen Vorstellungen gegenüber blieb sie unnach­ giebig. Als ein erneuter Versuch des Rats in dieser Richtung auch im Januar 1804 erfolglos blieb, wendeten sich Rat und Gen.-Koll. gleichzeitig an den Kaiser; ersterer mit,der Bitte *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 118.

um Wiederbesetzung der vakanten Beamtenstellen, letzteres mit dem Ersuchen, noch mehr überflüssige Beamte in den Ruhestand zu versetzen. Im März 1804 fand der Rat in seinen Wünschen auch noch durch das Appellationsgericht kräftige Unterstützung, da infolge der zu geringen Beam­ tenzahl der Rechtsgang außerordentlich langsam geworden war. Doch auch der Reichshofrat vermochte sich kein klares Bild zu machen, ob die Forderungen der Genannten oder die des Rats am meisten berechtigt waren. Er schob deshalb die Entscheidung hinaus, wie er es in solchen Fäl­ len meist zu machen pflegte. Inzwischen wendete die Subdel.-Komm. ihre ganze Ar­ beitskraft der ,,Besoldungsfixierung“ und der Aufhebung der Sporteln und Emolumente zu *). Schon im November 1800 hatte sie erkannt, daß die Mißstände im Beamtenwesen nur durch Einführung einer neuen Besoldungsordnung ver­ schwinden würden, womit man dann auch dem Emolumen­ ten-, Sportel- und Akzidenzienunwesen hätte zu Leibe gehen können. Im Laufe des Jahres 1804 wurde die Besoldungs­ reform zur zwingenden Notwendigkeit. Denn einerseits hatten sich im Laufe der Zeit durch den Entzug der Emo­ lumente große Ungleichheiten in den Gehaltssätzen heraus­ gebildet, andererseits war infolge Sperrung der Vorrückun­ gen und Einziehung der freigewordenen Summen durch den Staat eine große Unordnung, im gesamten Rechnungswesen eingerissen. Waren doch die Verhältnisse schon so sehr in Verwirrung geraten, daß die Rentkammer nicht mehr in der Lage war, dem Zahlamt für die Auszahlungen die nötigen Anweisungen zu geben. In höchster Eile wurde deshalb ein provisorischer Besoldungsplan ausgearbeitet. An Aller­ heiligen 1804 sollte er bereits in Kraft treten, doch wieder verfloß das Jahr, ehe er zur Durchführung gelangte. Inzwi­ schen waren die finanziellen Verhältnisse der Ratsmitglieder so traurig geworden, daß am 23. Februar 1805 der Senator Harsdörser der Subdel.-Komm. eine Bittschrift überreichte, worin dargelegt war, daß sie nicht einmal mehr imstande wären, ihreFamilien zu ernähren, da sie die alten Emolumente *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 118.

239 bei Uebernahme eines erledigten Amtes verlören, neue jedoch nicht mehr zugewiesen erhielten. Durch diese nicht un­ berechtigten Klagen, die sich in der Folgezeit auch von anderer Seite wiederholten, erhielt die Besoldungsreform einen neuen Antrieb, so daß ein Subdel.-Komm.-Dekr. vom 30.September 1805 die Bezüge desRatspersonals endlich pro­ visorisch festsetzen konnte. Nach der neuen Verordnung wur­ den die Emolumente und Akzidenzien vom Staate erhoben und flössen in die Staatskassen. Schon zeigten sich aber neue Schwierigkeiten. Wer sollte die anfallenden Beträge einziehen, da noch kein Amt bestimmt war, das diese schwierige Aufgabe hätte durchführen können? Es bestand aber die große Gefahr, daß viele Emolumente und Akziden­ zien bei dieser Gelegenheit gänzlich verloren gingen; des­ halb ordnete ein Subdel.-Komm.-Dekr. vom 28.Oktober 1805 an, daß die von den Aemtern bezogenen Emolumente bei diesen verbleiben; die bisher von Körperschaften, Zünften und einzelnen Personen entrichteten Emolumente vom Zahlamt erhoben werden; solche von öffentlichen Stiftungen jedoch wurden kapitalisiert und mit 4 % verzinst1). Am 2. November 1805 bestimmte die Subdel.-Komm., daß die Beamtenbesoldungen vom Zahlamt vor allen anderen Ausgaben zu leisten seien. Als Termin für das Inkrafttreten der neuen Besoldungsbestimmungen wurde der 1. Novem­ ber 1805 festgesetzt. Bis zu diesem Termine wurden.den Senatoren und Konsulenten die alten Emolumente weiter bewilligt. Alle Leistungen von Naturalien sollten in Zu­ kunft in Geld entrichtet werden und, soweit dies nicht mög­ lich war, wollte man die Naturalien bestmöglich ,,versil­ bern“. Kaum waren aber diese Verordnungen in Kraft ge­ treten, so drohte schon ein neues Mißgeschick; nach den vorhandenen Barmitteln schien es nämlich vollkommen un­ möglich, im Zahlamt die zur neuen Beamtenbesoldung be­ nötigten Summen bereit zu halten. Da die „Versilberung“ der Naturalemolumente zu große Schwierigkeiten bereitete, kam es jedoch in der Folgezeit immer wieder vor, daß Naturalien verteilt wurden. Um diesem Mißstand zu steuern, *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 246.

sah sich die Subdel.-Komm. am 2. Januar 1806 veranlaßt, wenn auch widerstrebend, eine neue Behörde einzusetzen, die sich mit der Ueberwachung der Emolumenteneinnahmen be­ fassen sollte, nämlich die „Rentkammerdeputation zu den Emolumenten" Ausdrücklich verboten wurde den Beamten die Annahme von Geschenken und zwar bei Strafe der Ent­ fernung vom Amte. Nicht ohne Reibungen vollzog sich die Gehaltsfixierung des Stadtgerichtspersonals x) Es stellte sich nämlich bald heraus, daß die neuen Gehälter, verglichen mit den bisherigen Einnahmen aus Sporteln und Akziden­ zien, viel zu niedrig waren; dabei wurde man erst gewahr, wie groß die unkontrollierbaren Einkünfte dieser Beamten­ gruppe an Sporteln und Akzidenzien waren. Durch Rats­ verlaß vom 9. Juni 1806 erhielten sie deshalb eine nicht unerhebliche Gehaltszulage. Dies war um so notwendiger, als die Klagen über die Annahme von Geschenken durch das Gerichtspersonal nur allzu berechtigt waren, wie aus dem Subdel.-Komm.-Dekret vom 17. Dezember 1803 her­ vorgeht 2). Für Richter, welche Geschenke annahmen, wurde in diesem Dekret die cassatio cum infamia als Strafe angedroht. Man irrt sich indes, wenn man glaubt, daß durch obige Anordnungen des Emolumentenunwesens abgeschafft war 3). Aus einem Bericht der bayerischen Spezialschuldentil­ gungskommission vom 23. September 1808 geht hervor, daß. der Bezug von Sporteln und Emolumenten durch Beamte immer noch andauerte; denn nur unter Berücksichtigung dieser Nebenbezüge war die bayerische Kommission im­ stande, die Besoldung richtig abgleichen zu können. Die Neuregelung der Gehälter bedingte auch eine Reform des Tax- und Sportelwesens4). Der Konsulent Popp wurde 1801 mit dem Entwurf einer neuen Sportelordnung betraut. Dieser Arbeit entledigte er sich in Kürze zur allgemeinen Zufriedenheit. Es dauerte jedoch wieder Jahre, bis die neue *) *) 8) *)

Staatsarch. Staatsarch. Staatsarch. Staatsarch.

Nbg. Nbg. Nbg. Nbg.

Rep. Rep. Rep. Rep.

26, 26, 45, 26,

N. N. N. N.

229. 231. 91. 131.

24t

Ordnung in Kraft trat, weil der Rat zuerst die Gehaltsver­ besserung, die Subdel.-Komm. aber die Tax- und Sportel­ ordnung in Wirksamkeit treten lassen wollte; die Gründe für die verschiedene Auffassung lassen sich leicht erraten. Ein Subdel. - Komm. - Dekr. vom 22. Februar 1804 bestimmte nun, daß ab 1. Mai 1804 jedes Amt im Besitz eines neuen Tax- und Sportelbuches sein müsse. Jeder Beamte sollte den Betrag an Taxen und Sporteln, den er 1798 als Amtseinnahme bezogen habe, pro fixo ex aerario erhalten. Alle Sporteln und Akzidenzien waren im Sportelbuch noch genau aufzuführen und zu verrechnen 1). Am 9. Juli 1804 erschien noch ein Supplement zur Taxordnung des Konsulenten Popp, da bei den Aemtern große Unklarheit über die Anwendung der neuen Ordnung herrschte. Die wesentlichen Bestimmungen der Taxordnung waren folgende: Alle bisher von den Beamten bezoge­ nen Taxen sind in Zukunft in eine Kasse abzuführen, die zur Auszahlung der Geholter zu verwenden ist, soweit der Be­ stand ausreicht. Alle Taxen und Gebühren werden fest­ gelegt, so daß die Bürgerschaft jederzeit weiß, was sie zu entrichten hat. Die früher herrschende Willkür in der Ge­ bührenentrichtung wird beseitigt. Alle Gebühren müssen innerhalb acht Tagen gezahlt werden. Bei Strafe der Rück­ zahlung der doppelten Summe dürfen keine anderen Ge­ bühren verlangt werden, als in der Taxordnung vorgesehen sind. Ueber die Tax- und Sporteleinnahmen ist ein ge­ naues Tagebuch zu führen, das auf seine Richtigkeit alle Wochen zu prüfen ist. Die Rentkammer ist befugt, Visi­ tationen jederzeit vorzunehmen. Zur Beleuchtung des Tax-, Sportel- und Akzidenzien­ unfugs sei hier in Kürze ein Auszug aus einer Aufstellung des Stadtschreibers zu Lauf angeführt. Fixe Taxen: Aus der Pflegamtsrechnung 49 fl.; aus der geistlichen Güterrech­ nung und den Hauszinsen 36 fl.; aus der Umgeldrechnung 72 fl.; aus der Wegsteuerrechnung 24 fl.; 5 Simra Besol­ dungskorn; 15 Mäß langes, 4 Mäß kurzes Holz, 400 Bü*) Verlaß vom 27. April 1804. 16

schel; Rechnungsabhörgebühr i fl.; Fischgeld 15 kr.; Rech­ nungsmahlzeit 1 fl.; Roßhandlohnsgebühr 1 fl.; wegen der Zehentfahrt 2 fl. An Naturalien: Die Zehentgastung ge­ nossen; die Martinsgans, ein Huhn, vier Küchlein und ein Weck, ein Spanferkel, eine Metzelsuppe, zwei große Weih­ nachtswecke, zwei große und zwei kleine schwarze und weiße Laib Brot, ein Eimer Bier. Von observanzmäßigen Akzidenzien von verschiedenen Brandversicherungsgesell­ schaften für Einkassierung der Beiträge 15 fl., Bier visieren 3 fl., Pegnitzvisitation 3 fl. An unbeständigen Akzidenzien: Geschenk vom Pflegschloß zwei Hasen, Mahlzeiten #von den Meistern bei Meisterstücksanfertigung und andere mehr. Die im Besoldungswesen vorgenommenen Reformen gqben der Subdel.-Komm. auch Gelegenheit, verschiedene andere Mißstände im Beamtenwesen zu beseitigen1). vSo war es häufig vorgekommen, daß Beamte sich weigerten, andere Dienstaufgaben zu übernehmen, beson­ ders wenn mit diesen unangenehme Arbeitsleistungen verbunden waren. Sie behaupteten in solchen Fällen, ihr Vertrag mit dem Staate sei nur für eine ganz bestimmte Stelle abgeschlossen. Viele Beamte glaubten sich ferner berechtigt, wenn ihnen ihre Besoldung nicht genügend schien, nur so viele Arbeiten verrichten zu müssen, als nach ihrer Ansicht der Höhe ihres Gehal­ tes entspreche. Deshalb verfügte ein Subdel.-Komm.-Dekr. vom 23. März 1803, daß die Staatsbeamten jede Tätigkeit zu verrichten hätten, die ihnen aufgetragen werde, soweit es ihre Gesundheitsverhältnisse erlaubten und sie in ihren Be­ zügen nicht zurückgesetzt würden. Ferner durfte ein Beam­ ter den Antritt einer Dienststelle deshalb nicht verweigern, weil sie zu viel Arbeit erfordere. Der Erlaß erging mit der Begründung, daß die Beamten nicht zur Bequemlichkeit da seien und es das Zeichen einer weisen Staatsregierung sei, wenn jede Stelle nur mit der dazu geeigneten Kraft besetzt werde; andererseits sei aber auch der Staat verpflichtet, seinen Beamten Besoldungen zu gewähren, die nicht nur zu *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 282.



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standesgemäßem Unterhalt hinreichten, sondern auch noch einige Ersparnisse ermöglichten. Für geistige Arbeiter sei außerdem kein Maßstab für die Größe seiner Arbeitsleistung vorhanden, man müßte denn die Bogen zählen, welche er im Lauf des Tages vollschreibe. Auch persönliche Gefah­ ren und Strapazen könnten bei der Besoldung nicht beson­ ders in Anschlag gebracht werden, da sonst der Oflizier wie ein Präsident oder Senator bezahlt werden müßte. In Zukunft durfte sich auch kein Beamter von patrizischem Stande weigern, einen Bürgerlichen als Vorgesetzten anzu­ erkennen oder ein Amt zu übernehmen, das bisher von einem Bürgerlichen wahrgenommen worden war. In anderen Staaten waren diese Grundsätze schon längst in Geltung. Bei vermehrter Arbeitsleistung konnten nur solche Beamte eine erhöhte Besoldung beanspruchen, die ihre Dienste dem .Staat nicht ganz widmeten (.Substitut oder Syndikus) und außerdem noch auf Nebenverdienst angewiesen waren. Soweit die Mittel des Staates nicht ausreichten, höhere Be­ soldungen zu gewähren, sollte entweder durch Beförderung oder Remunerationen nachgeholfen werden. Den Beamten, die mit diesen Vorschriften nicht einverstanden waren, wurde anheimgestellt, entweder ihr Schicksal zu beseufzen oder die Dienste eines größeren Staates aufzusuchen. Gleichzeitig wurden von der Subdel.-Komm. auch neue Anordnungen für die angehenden Staatsdiener getroffen 1). Nach Aufhebung des Untergerichts, das, wie schon erwähnt, als ,,Seminar“ für junge Aemterkandidaten gedient hatte, wußte man die jungen Patrizier nicht mehr recht zu be­ schäftigen. Deshalb bestimmte ein Subdel.-Komm.-Erlaß vom 9. November 1799, daß in Zukunft diese jungen Leute als Referendare, Auskultatoren, Akzessisten oder Assessoren in allen Aemtern und Kollegien verwendet werden sollten. In einem Erlaß vom 18. Oktober 1802 wurde nochmals darauf hingewiesen, daß den jungen Akademikern Gelegen­ heit geboten werden müsse, ihre auf der Universität gelern*) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 149. 18*

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ten Kenntnisse praktisch zu verwerten. Bei dieser Gelegen­ heit konnte man sich gleich von ihrem Fleiß, ihrer Recht­ schaffenheit und Fähigkeit überzeugen, ohne daß dadurch dem Staat die Pflicht zur Anstellung dieser Leute erwachse. Ein Dekret vom 2. September 1805 befaßte sich noch besonders mit der Geistlichkeit1). Von allen Staatsdienern waren sie am schlechtesten besoldet. Dieser Umstand hatte zur Folge — so heißt es in diesem Dekret —, daß sie sich zu einem mit ihrer Würde nicht verträglichen, kriechenden Wesen, zu Erbschleichungen und anderen exzentrischen Mitteln herabließen. Trotzdem der Rat eine bessere Besol­ dung der Geistlichkeit nicht befürwortete, drang die Subdel.Komm. auf eine Erhöhung der Bezüge. Die Mittel dazu sollten durch Verringerung der geistlichen Stellen geschaf­ fen werden. Demgemäß wurden in der Folgezeit verschie­ dene Stellen eingezogen und die Besorgung der dadurch anfallenden Geschäfte auf die übrigen Geistlichen verteilt. 5. Die Universität Altdorf. Daß unter den im Nürnberger Staat herrschenden Zu­ ständen auch die Universität in Altdorf schwer zu leiden hatte, läßt sich ohne weiteres denken. Macht man doch häufig die Beobachtung, daß die Staaten in Zeiten schwerer finanzieller Krisen gerade bei kulturellen Ausgaben am lieb­ sten mit der Sparsamkeit beginnen. So finden wir denn auch die Professoren der Univer­ sität im allgemeinen in recht kümmerlichen Besoldungsver­ hältnissen. Vielfach waren sie zu vornehm denkend, um an den Rat mit entsprechenden Mehrforderungen heranzutre­ ten. Manche Professoren — und meist gerade die tüch­ tigsten — kehrten deshalb auch der Nürnberger Univer­ sität den Rücken und der Rat in seiner Kurzsichtigkeit ließ sie ziehen, um die Groschen für die Mehrbesoldung zu sparen 2). *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121 und 248. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 280.

*45 Die Subdel.-Komm. griff nun in die Universitätsver­ hältnisse tatkräftig ein, indem sie einerseits den Professoren zu höheren Gehältern verhalf *), andererseits die Stellung der Universität im Nürnberger Stadtstaat hob, indem sie dieselbe von der patrizischen Bevormundung unabhängiger machte. Am 4. Juli 1800 hatte die Universität eine Be­ schwerde über die Schädigung ihres Ansehens an die Subdel.-Komm. gerichtet12).3 Es hatte sich nämlich ein­ gebürgert, daß jedes dem Magistrat untergeordnete De­ partement von der Universität unmittelbar Berichte ein­ forderte oder ihr Weisungen zugehen ließ. Auf diese Beschwerde hin verfügte die Subdel.-Kom., daß jeder dienst­ liche Verkehr durch das Universitätskuratorium zu erfolgen habe. Es war dies ein in Nürnberg befindliches Stadt­ amt, welches sich mit allen Universitätsangelegenheiten zu befassen hatte. Schon am 25. Juni 1800 hatte die Subdel.-Komm. eine Visitation der Universität Altdorf vor­ genommen 8). Ueber das Ergebnis erhielt der Rat folgende Weisung: ,,Es ist ein schwerer Nachteil, daß die Universität an der Polizei keinen Anteil hat. In Zukunft soll ihr ge­ stattet werden, zu den e Sitzungen des Pflegamts und des Stadtrats in Polizeiangelegenheiten der Universität einen Vertreter, am besten einen Juristen, zu entsenden. Stadtrat, Pflegamt und Universität sollen dabei je eine Stimme haben. Beschwerden gegen die Beschlüsse werden vom Polizei­ kollegium entschieden. Derartige Einrichtungen bestehen bei anderen Universitäten, wie Erlangen, Tübingen, Jena, Göttingen, schon seit langem. Im Interesse der Disziplin muß es dem Rektor gestattet werden, eigenmächtig in Alt­ dorf den Wachtmeister und so viel Freiwillige als nötig zu beordern, damit er nicht gezwungen ist, eine derartige Hilfe vom Pflegamt anzufordern. Der cancellarius der Univer­ sität hat in Zukunft nicht mehr in Nürnberg, sondern in Alt1) Dekret vom 24. Januar 1801. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 279. 3) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 153.

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dorf zu wohnen. Bisher ist es wiederholt vorgekommen, daß die Prokanzler nicht Mitglieder des Universitätskörpers waren und deshalb bei verschiedenen Gelegenheiten gegen das Interesse derselben gehandelt haben. Nach dem Ab­ leben des jetzigen Kanzlers soll deshalb diese Würde dem Dekan der juristischen Fakultät übertragen werden Die durch diese Verordnungen bedingte größere Freiheit der Universität ist ja dem Rat insofern ungefährlich, als er immer die letzte Behörde bleibt, der die Universität unter­ geordnet ist. Die Professoren dürfen ferner an dem Er­ werb eines Gartens oder Hauses nicht mehr durch Anwen­ dung des Einstandsrechtes gehindert werden, zumal da es zu den billigen Erholungen eines Musenfreundes gehört, sich in seinem Garten zu ergehen. Ferner muß die Universität, wie an anderen Orten auch, von der herrschaftlichen Nach­ steuer befreit werden; denn die Befreiung der Akademiker von dieser Steuer gründet sich auf kaiserliche Privilegien schon bei Einrichtung der Universität, wie auch aus einem Landpflegamtserlaß vom 28. August 1696 hervorgeht, wonach die Stadtkammer nicht befugt sein soll, von den immobilibus der Universitätsverwandten Nachsteuer zu erheben. Das Landpflegamt ist ferner zwar berechtigt, bei der Taxierung von Immobilien die zuständige Gebühr zu erheben, aber es ist nicht zu gestatten, daß die Pfleger hiebei förmliche Teilungsgebühren oder prozentuale Taxations­ gebühren annehmen, zumal da der Magistrat diese An­ gelegenheit in einem für die Universität günstigen Sinne behandelt hat. Vor allem mag der Magistrat erkennen, daß es für den ferneren Bestand der Universität notwendig ist, sie hinsichtlich der akademischen Freiheiten anderen Universitäten gleichzustellen, zumal da durch die von den meisten Reichslanden eingeführte*) „Gelehrtensperre“ an der Universität Altdorf an sich schon die Zahl der Hörer immer mehr abnimmt.“ A) Vorlesungen, die in Altdorf gehört waren, wurden bei anderen Universitäten für die Studierenden nicht angerechnet.

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Abgesehen von der Teilnahme der Universität an der Polizeiverwaltung in Universitätsangelegenheiten verhielt sich jedoch der Rat gegen alle Neuerungen ablehnend. Der Subdel.-Komm. drängte sich aber inzwischen die Ueberzeugung auf, daß die Universität von Altdorf nach Nürnberg verlegt werden müsse, wenn ihr Fortbestand ge­ sichert sein sollte. Infolgedessen hatte es auch sie mit der praktischen Durchführung von Reformen vor der Hand nicht allzu eilig. Die Wiederbesetzung einer theologischen Professur gab nun im Jahre 1802 den unmittelbaren Anlaß zu einem Subdel.-JComm.-Dekr., das die Verlegung der Universität anordnete. Es enthielt im wesentlichen folgende Aus­ führungen x): Die Zahl der Studierenden geht trotz der guten Pro­ fessoren immer mehr zurück, weil die Einrichtungen der Universität nicht mehr der Neuzeit entsprechen. Aus diesem Grunde sind große Erweiterungsbauten notwendig. Der Fortbestand der Universität ist aber von größter Wichtig­ keit, da deutsches Gesetz und deutsche Verfassung ohne Be­ einflussung durch irgend ein Hofsystem nur hier mit deut­ scher Freimütigkeit gelehrt werden können. Durch die Universität kommt ferner viel Geld in den Nürnberger Staat. Außerdem gereicht sie der Stadt zur Ehre. In Alt­ dorf kann sie aber nicht länger bestehen; deshalb bleibt als letzter Ausweg ihre Verlegung nach Nürnberg. Dadurch würde sie allen anderen deutschen Universitäten ebenbürtig werden. Die ländliche Einsamkeit ist zwar für das Studium besser, aber in der Stadt würden die Sitten der Studenten verfeinert werden, zumal da die Nürnberger unter der Auf­ sicht ihrer Eltern stünden und durch Verkehr in Familien­ kreisen von mancher Ausschweifung abgehalten würden. Außerdem werden auch mehr fremde Studenten die Univer­ sität besuchen und Anschluß an die honetten Nürnberger Zirkel anstreben, wodurch sie wiederum von Burschen­ streichen abgehalten werden. Die Kosten der Verlegung *) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 26.

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fallen gegenüber den Vorteilen gar nicht ins Gewicht. Besorgniserregend ist nur das Schicksal der Stadt Altdorf. Da aber der Gewinn aus dem Hopfenbau in letzter Zeit sehr gestiegen ist, legt die Einwohnerschaft gar keinen beson­ deren Wert mehr auf die Bewirtung der Studenten, zumal da sie sieht, wie die Universität doch immer mehr dahinschwdndet. Da es zwischen dem Erlöschen der Hoch­ schule und der Verlegung keinen anderen Ausweg mehr gibt, können die Altdorfer nur das Schicksal anklagen. Den Schneidern, Schustern und anderen Professionisten könnte erlaubt werden, in die Stadt zu ziehen. Wegen der über die Universität verbreiteten nachteiligen Gerüchte muß aber die Verlegung mit größter Eile vorgenommen werden. In der Bibliotheca Norica wurden damals schon zwei Pläne für die Verlegung der Universität nach Nürnberg ge­ funden; der eine stammte von Georg W ö 1 c k e r n aus dem Jahre 1664, der andere von E. A. F ü r e r von Haimendorf aus dem Jahre 1786 1). Am 10. April 1805 wurde der Vor­ schlag der Subdel.-Komm. der Rentkammer unterbreitet; bei der Beratung waren öMitglieder derselben für die Verlegung und 6 waren dagegen. Sehr schwierig gestaltete sich nämlich die Frage des Transportes der Einrichtungen. Woher sollten ferner die Mittel für die in Nürnberg erforderlichen Mehraus­ gaben kommen? Die Einrichtung der Universität in Nürn­ berg dachte man sich folgendermaßen: Die Universität wird in das Gymnasium, dieses in die sogenannte Schultheißen­ wohnung gelegt. Die Egidienkirche wird Universitäts­ kirche; zur Unterbringung der Bibliotheken dient die Pre­ digerkirche; der Garten des Predigers wird botanischer Garten; einer der Befestigungstürme wird zur Errichtung der Sternwarte verwendet. Karzer und Pedellwohnung werden in der Ohmannschen Wohnung eingerichtet. Das schon vorhandene anatomische Theater wird zum Gebrauch für die Akademie hergerichtet. Dem Professor für Chemie wird das Laboratorium der Spitalapotheke zur Vornahme von Versuchen einstweilen angewiesen. Den Transport *) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 1391,

*49 glaubte man mittels 400 zweispänniger Wagen vornehmen zu können. Als Besoldungszulage wegen der verteuerten Lebensführung in Nürnberg waren für die Professoren je 200 Gulden vorgesehen; indes fürchtete man gleich, daß diese Zulage selbst bei der ordentlichsten und frugalsten Haushaltung nicht ausreichen würde. Da auch für die außerordentlichen Professoren und die Dozenten eine höhere Zulage gewährt werden mußte, so berechnete man die Mehr­ ausgaben auf 9594 fl. einschließlich des Umzuges. Für laufende Ausgaben wurden 6080 fl. angesetzt. Die Gesamt­ kosten für die auf die Verlegung folgenden zwei Jahre schätzte die Rentkammer auf 30 000 fl. Da aber jeder Gul­ den vorerst für die Deckung des Staatsdefizits verwendet werden sollte, war die Rentkammer schließlich gegen jede Veränderung. Ende 1805 war die Gesamtlage folgende: Der Rat und die Subd.-Komm. traten für die Verlegung der Universität nach Nürnberg ein, da die Vorteile einer solchen Veränderung zu sehr in die Augen sprangen. Die Verlegung sollte jedoch erst vorgenommen werden, wenn die Mittel zum Transport und zum Unterhalt in Nürnberg zuverlässig bereitgestellt seien. Da man aber in Anbetracht der allgemeinen Finanz­ lage, die durch die französischen Kriegsschäden noch eine wesentliche Verschlimmerung erfahren hatte, vorläufig nicht daran denken konnte, die für die Universität benötigten Mittel flüssig zu machen, blieb in absehbarer Zeit auch mit der Universität alles beim alten. 6. Verbesserungen verschiedener Art. a) Die Einführung von Luxussteuern. Auf der Suche nach neuen Geldquellen kam die Subdel.Komm. auch auf den Gedanken, Luxussteuern auf Spiel­ karten, Billards, Tanzböden, Kegelbahnen und Hunde zu legen x). Schon 1689 war die Einführung einer Auflage auf Spielkarten geplant gewesen. Man hatte das Projekt dann *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 154.

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1778 wieder aufgenommen, war aber wieder davon ab­ gekommen, weil man glaubte, durch eine Stampf-(Stempel-) gebühr die Nürnberger Spielkartenindustrie zu vernichten. Deshalb wollte die Subdel.-Komm. im Dekret vom 10. Sep­ tember 1801 auch nur die in Nürnberg verkauften Karten versteuern lassen, um den Absatz ins Ausland nicht zu beeinträchtigen. Gleichzeitig sollte eine Gebühr von 8 fl. jährlich für jedes Billard erhoben werden. Auch mit der Ein­ führung der Hundesteuer befaßte man sich wieder, um dadurch gleichzeitig eine Verringerung der Tollwutgefahr herbeizuführen. Ein Ratsverlaß vom 11. September 1801 erhob diese Vorschläge der Subdel.-Komm. zum Gesetz. Von einer Besteuerung der Kegelbahnen sah man aber vorläufig noch ab, da man befürchtete, daß die Freunde des Kegel­ spieles sich ins okkupierte Gebiet begeben und so die Nürn­ berger Kegelplätze dadurch veröden würden. Das Inkraft­ treten dieses Gesetzes zog sich aber wieder sehr in die Länge, da man vor lauter Bedenken über eventuelle schlimme Folgen sich zu keinem Entschluß aufraffen konnte. Am 16. Dezember 1803 entschloß man sich endlich, wenigstens eine Kartenstampfgebühr von allen in Nürnberg gefertigten Spielkarten zu erheben mit der Begründung, daß diese sich allenthalben so großer Beliebtheit erfreuten, daß trotzdem kein Rückgang im Absatz zu befürchten sei1). Für den Export wurden folgende Taxen festgesetzt: Für ein Spiel gewöhnlicher deutscher Karten für ein Spiel feiner deutscher Karten .... für 40 Blätter französischer Karten . . . . für ein ganzes Spiel franz. Karten (52 Bl.) . für eine Tarockkarte............................................. 3

I Kreuzer 2 2 3

Für die in der Stadt verkauften Karten wurden obige Gebühren verdoppelt.

1) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 127.

251 b)

Die Erhebung des

Geleitsgelds.

' Ein wichtiges Regal der Reichsstadt bildete das ius conducendi. Das davon entfallende Geleitsgeld machte in früheren Zeiten eine wesentliche Staatseinnahme aus 1). Zur Ausübung dieses Rechtes wurden eigene ,,Geleits­ reuter" unterhalten. In unserer Zeit wiesen nun die Stadtrechnungen zwar verschiedene Ausgaben für das Geleitsrecht auf, aber keine Einnahmen. Erhebungen der Subdel. - Komm, ergaben, daß ein namhaftes Geleitsgeld zwar immer noch erhoben, aber nichts davon in die Staatskasse abgeführt wurde. Die Erträgnisse aus diesem Regal wurden als ein gesonderter Fonds behandelt. Deshalb verordnete die Subdel.-Komm, am 18. Dezember 1799, daß alle Ein­ nahmen für Geleit der Staatskasse zugeführt werden müßten, nachdem die notwendigen Ausgaben davon bestritten seien. Die genaue Untersuchung der Angelegen­ heit ergab jedoch — wie der Frankfurter Geleitskassier berichtete —, daß von den Frankfurter ,,Meßfieranten" und Nürnberger Kaufleuten nur noch freiwillige Beiträge ge­ zahlt wurden, da nach einem kaiserlichen Privileg die Nürn­ berger Kaufleute von der Zahlung des Geleitsgeldes über­ haupt befreit waren. Ferner stellte sich heraus, daß die Geleitsreuter die Kaufmannszüge nur begleiteten, um die Behauptung einer alten Gerechtsame zum Ausdruck zu brin­ gen. In praxi war den Kaufleuten in letzter Zeit diese Be­ gleitung sogar höchst lästig geworden, da die Reiter auf der Hin- und Rückreise von ihnen verpflegt werden mußten und noch andere Sporteln beanspruchten. Daß die Kauf­ leute freiwillige Beiträge als Geleitsgeld noch gaben, hatte seinen Grund darin, daß diese sonst den benachbarten Herrschaften ein viel beträchtlicheres Geleitsgeld hätten zahlen müssen. Der Fonds, in den die Geleitsgelder flössen, war außerdem meist vollkommen erschöpft; häufig war sogar ein Defizit vorhanden, besonders nach Zahlung der A) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 152.

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Stapelgelder an Ansbach, Bayreuth, Mainz und Würzburg. Wenn also der Staatskasse durch das Geleitsgeld überhaupt eine Einnahme verschafft wurde, so war sie sicherlich sehr gering. c) Die Leibrentenlotterie. Ein weiterer Versuch der Subdel.-Komm. dem Staate neue Geldquellen zu erschließen, bestand in der Schaffung einer Leibrentenlotterie durch Dekret vom 23. Januar 18041). Darnach sollte ein Schuldentilgungslotto“ nach dem Muster Oesterreichs und verschiedener anderer Länder ein­ gerichtet werden. Im ungünstigsten Falle sollte der Spie­ ler wenigstens die Zinsen für sein Geld erhalten. Ferner versprach man sich dadurch ein Nachlassen des in Nürn­ berg sehr häufig betriebenen Hasardspielens. Für die Er­ richtung eines Lotto sprach der Umstand, daß sich die Nürnberger gerne an den Lotti zu Ansbach und Bayreuth beteiligten, wodurch viel Geld ins Ausland floß. Außerdem bestand in Nürnberg eine Reihe privater „Wettkontoirs“, gegen die der Rat häufig einzuschreiten gezwungen war. d) Die Beschränkung der Gült­ moderationen. In der Blütezeit Nürnbergs waren für die Landschaft Gültmoderationen sehr leicht bewilligt worden. Es war nun außerordentlich schwer, die Gült (ständige Frucht­ gefälle) wieder in der ursprünglichen Höhe einzutreiben, da die Moderationen teilweise auf Jahrhunderte zurück­ gingen Ä). Die Gründe, weswegen damals einzelnen Unter­ tanen Nachlässe in der Getreideabgabe gewährt wurden, bestanden aber längst nicht mehr zu Recht. Vielfach war den Bauern auch erlaubt worden, die Gült teilweise oder ganz in Geld zu entrichten. Bei dem gesunkenen Geldwert bildete die entrichtete Summe nur einen geringen Bruchteil des ursprünglichen Wertes der Naturalien. Bei dem Ver*) Staatsarch. Nbg. Rep. 45. 9) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 281 und Rep. 45, N. 26, 99, 141.

*53 such die Gültmoderationen abzuschaffen, stellte sich als Hauptschwierigkeit heraus, daß die Behörden über die Lei­ stungsfähigkeit der einzelnen Bauern vollkommen ununter­ richtet waren. Um in dieser Beziehung Klarheit zu schaffen, wurde von der Subdel.-Komm. die Aufstellung genauer Katasterpläne auf dem Lande in Aussicht genommen. Auf Grund dieser Pläne sollten die Steuern genau berechnet und gleichmäßig verteilt werden. Dabei konnte auch die noch aus alten Zeiten bestehende Steuerfreiheit vieler Grund­ stücke aufgehoben werden. Gleichzeitig sollte ein genaues Repositorium über alle Besitzveränderungen angelegt wer­ den. Dieses großzügige Projekt bezeichnete man als Landsteuerrenovatur. Bis zum Ende der Reichsfreiheit wurden indessen auf diesem Gebiete keine entscheidenden Schritte mehr unternommen. Man beschränkte sich einstweilen darauf, wenigstens die Güter festzustellen, denen Gült­ moderationen zugestanden worden und auf welcher Grund­ lage sie seinerzeit erfolgt waren. e) Die Tor- und Straßenpolizei. In Anbetracht der Gesamtlage des Nürnberger Staates ist es nicht zu verwundern, daß die Zustände auf den öffent­ lichen Straßen und Plätzen der Stadt sehr viel zu wünschen übrig ließen*1). Das Polizeidepartement klagte in einem Erlasse vom 15. Dezember 1801, worin es eine schärfere Kontrolle an den Toreinlässen verordnet, über den über­ handnehmenden Straßenbettel, das Treiben „liederlicher Weibsleute“, die den ruhigen Bürger oft streckenweit ver­ folgten; ferner über das Schreien und Lärmen der Hand­ werksburschen, das Schießen und Schwärmerwerfen, auch über das ledige Herumlaufen von Pferden und Ochsen. Ueberall begegnete man Schutt-, Holz- und offenen Mist­ haufen. Aber auch nächtliche Einbruchdiebstähle waren bei der schlechten Straßenbeleuchtung, die durch die hohen Oelpreise bedingt war, keine Seltenheit. Die Quelle dieser Uebelstände war in der schlechten Ueberwachung der Tore 4) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 166.

zu suchen. Was halfen aber alle Verordnungen und Stra­ fen, die zu ihrer Bekämpfung erlassen wurden, da das Tor­ personal aus so unfähigen und teilweise gebrechlichen Leu­ ten bestand, daß sie, statt ,,Achtung und Furcht“ einzu­ flößen, nur die Spottlust herausforderten? Tüchtige Tor­ wächter waren aber in Anbetracht der lächerlichen Besol­ dung nicht zu gewinnen. Hatte man einmal einen tüchtigen Torwächter gewonnen, so verlor er doch bald alles An­ sehen, da ihn die Not zwang, durch Schmiergelder seine unzureichende Besoldung zu erhöhen. Der Schmuggel und die Gefällunterschlagung standen deshalb in höchster Blüte. Ein Subdel.-Komm.-Dekr. bestimmte nun am 12. März 1802, daß die Lichtenauer Dragoner nach Nürnberg zu be­ ordern und im Wachtdienst zu verwenden seien. Demgemäß beschloß der Rat am 23. April 1802, daß an die Stelle der bürgerlichen Mittelwächter eine aus dem regulären Militär genommene Torwache von 120 Mann zu treten habe. Von den bisherigen Torwächtern wurden die dienstunbrauchbaren versorgt, die dienstfähigen jedoch dem Militär einverleibt. Zur Aufbringung einer genügenden Besoldung hatten die Bürger besonders zusammenzusteuern. Gleichzeitig wurden strenge Strafen auf Bettel und Gefällhinterziehung fest­ gesetzt. Trotz dieser scheinbar tatkräftigen Maßnahmen klagte aber ein Subdel.-Komm.-Dekr. vom 12. Mai 1806 darüber, daß ungeachtet der Torbewachung durch reguläres Militär und besondere Beamte (einen Torschreiber, einen Wachtmeister, einen Schützen) immer noch zahlreiche Defraudationen vorkämen. Den Grund hiefür sah das Polizei­ departement darin, daß in der Auswahl des Torpersonals noch lange nicht mit der wünschenswerten Strenge verfah­ ren worden war, da man noch viele von den alten unbrauch­ baren Torwächtern aus Furcht vor den Versorgungslasten beibehalten hatte. Daraufhin erging am 27. Mai 1806 ein Ratsverlaß, durch den die Militärbehörde angewiesen wurde, das Torpersonal strengstens zu überwachen und durch häu­ fige Kontrollen Gefällunterschlagungen zu verhindern.

255 Die Subdel.-Komm. forderte am 9. Mai 1799 eine Ver­ mehrung der Einlässe in die Stadt1). Damit stieß sie jedoch auf heftigen Widerstand seitens der Wirte. Bisher war bei Dunkelheit nur durch ein paar Tore der Eintritt in die Stadt möglich. Da man aus diesem Grunde oft nur nach einem größeren Umwege am Graben entlang ein Einlaßtor erreichen konnte, kam es bisweilen vor, daß ein Nürnberger in den Stadtgraben stürzte, besonders wenn er etwas über den Durst getrunken hatte. Um diese Gefahr zu vermeiden, gingen die meisten Bürger vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause und löschten ihren Durst noch in einer der Nürnberger Gaststätten. Durch eine Vermehrung der Ein­ lässe wurde aber die Gefahr, in den Stadtgraben zu stürzen, wesentlich vermindert und die Wirte befürchteten deshalb, daß die Bürger den Abend noch in auswärtigen Wirtschaf­ ten verbringen möchten. Die Subdel.-Komm. beharrte jedoch auf der Vermehrung der Einlässe und suchte die Wirte dadurch zu beruhigen, daß bei jedem Einlaßzur Nachtzeit ein Groschen Eintrittsgebühr erhoben wer­ den sollte. Man hoffte dadurch die meisten Bürger zu frühzeitiger Rückkehr zu veranlassen und dadurch eine Schädigung der Wirte in der Stadt zu vermeiden. f) Die Abschaffung kostspieliger alter Gebräuche. In Nürnberg bestand die alte Sitte, daß vom Land­ steueramt alljährlich an alle Mitglieder des Rats zu den Fastenzeiten Fische und zwar hauptsächlich Forellen auf vStaatskosten geliefert wurden 2). Auf Veranlassung des Gen.-Koll. und der Rentkammer wurde am 6. März 1801 durch die Subdel.-Komm. diese Fischverteilung verboten. Auf diese liebgewordene alte Sitte verzichten zu müssen, fiel den Ratsmitgliedern aber besonders schwer. Dadurch, daß man die Subdel.Komm.-Verordnung unter Aktenbündeln verschwinden ließ, A) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 278. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 188.

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fand der Rat ein Mittel, um die alte Sitte im folgenden Jahre wieder aufleben zu lassen. Man glaubte zu diesem ungesetz­ lichen Vorgehen um so mehr berechtigt zu sein, als man die Befürchtung hegte, daß durch das Verbot der Fischvertei­ lung die Leute in ihren Buß- und Festtagen irre werden könnten. Als aber nach dem Tode des Konsulenten Faul­ wetter der Ratsschreiber von der Subdel.-Komm. den Auf­ trag erhielt, die Verfügung über die Fastenfische hervor­ zusuchen, fand sie dieser erst nach langem Bemühen unter Aktenbündeln begraben. Dieses Verfahren wandte der Rat in jener Zeit gerne an, um unbequeme Subdel.-Komm.-Verord­ nungen ignorieren zu können. Die Angelegenheit machte nun denNürnbergern so viel Spaß, daß sogar eine gedruckte Satire darüber erschien, die allen bedeutenden Persönlichkeiten anonym ins Haus geschickt wurde. Der Rat war darüber so empört, daß er alle Nürnberger Buchdrucker vor dem Vormundamt vernehmen ließ, um zu erfahren, wer der Ur­ heber der Schrift sei, jedoch ohne Erfolg. Die ganze An­ gelegenheit erschien in humorvoller Darstellung zum größ­ ten Schmerz der Nürnberger Patrizier auch in den fränki­ schen Provinzialblättern. Der Rat, der wegen des Verbotes der Fischlieferung sich sogar beim Kaiser beschwert hatte, war durch diese Zeitungsnotiz in allen fränkischen Landen lächerlich gemacht; er strengte deshalb gegen den Verleger der Zeitung in Bayreuth einen Prozeß wegen Beleidigung an. Die Klage wurde vom Gericht jedoch abgewiesen. Schließlich entschloß er sich durch Verlaß vom 25. April 1803, selbst die Fischlieferung zu verbieten. Durch einen Zusatz zur Tax- und Sportelordnung sollte verfügt werden, daß die Forellenempfänger in Zukunft in Geld entschädigt würden 1). Eine andere alte Sitte, die wegen ihrer Kostspieligkeit von det Subdel.-Komm. abgeschafft wurde, war die Mahl­ zeit anläßlich des jährlichen Bankziehens 2). *) Zu diesem Schritt konnte sich der Rat um so leichter ver­ stehen, als vorher schon das Landsteueramt mitgeteilt hatte, daß die Beschaffung von Forellen aus den Gewässern der Fränkischen Schweiz seit der bayerischen Besetzung auf große Schwierigkeiten stoße. *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 195.

*5 7 Das Verlosen der Fleischbankplätze an die Metzger erfolgte alljährlich zur Fastenzeit. Nach dieser Amtshand­ lung versammelten sich die beteiligten Beamten mit den Metzgern zu einem Kaffeetrunk, auf den noch eine Abend­ mahlzeit folgte. Die Metzger lieferten hiezu unentgeltlich Würste und Fleisch, die Fische bezahlte das Unschlittamt, die Kosten für Wein, Bier, Kaffee, Brot, Käse, Brezeln, Weinbeeren und Mandeln trug das Zahlamt. Zu dieser Mahlzeit wurden auch die Ratsfreunde, die 2 Büchsen­ meister und andere städtische Beamte zugezogen. Der vor­ derste Losunger erhielt sogar eine reichliche Spende von dem Mahle ins Haus geschickt. Der Ertrag der Bankzinse belief sich im Jahre auf 108 fl. Das Mahl jedoch nebst Auf wärterkosten usw. erforderte häufig eine höhere Summe. Da das Bauamt überdies die Reparaturen an den Fleischbänken auszuführen hatte, überstiegen die Aus­ gaben um einen wesentlichen Betrag die Einnahmen. Mit Schmerzen entschloß sich deshalb der Magistrat, auch diese liebe alte Sitte aufzuhebenx). Die beteiligten Personen wurden mit Geld abgefunden. Eine andere weitverbreitete Unsitte in Nürnberg war die Verschwendung bei Taufen und Hochzeiten. Ein Subdel.-Komm.-Dekr. vom 22. August 1805 verlangte die Ein­ setzung einer Kommission, die Mittel und Wege finden sollte, wie dem ,,mit dem Ernste der Zeiten nicht zu verein­ barenden Luxus“ gesteuert werden könnte. Im Anschluß an die Abschaffung alter Gebräuche kann auch der Antrag auf Beseitigung der sogenannten Großen oder Alten Uhr durch die Subdel.-Komm. zur Sprache ge­ bracht werden. Während in den fränkischen Landen in dieser Zeit der Tag schon, wie heute noch, von Mittag zu Mitter­ nacht eingeteilt wurde, war in Nürnberg die Einteilung vom Morgen zum Abend üblich. Man nannte diese Zeiteintei­ lung die Große oder Italienische Uhr, während man die moderne Zeiteinteilung als die Kleine oder Deutsche Uhr bezeichnete. Die Gehwerke auf der Egidien- und Domini*) Verlaß vom 9. März 1801. 17

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kanerkirche schlugen nach der Kleinen Uhr, während von den Hauptkirchen die Stunden nach der Großen Uhr an­ gezeigt wurden, die dann die Türmer auf den übrigen Schlagtürmen (Läufer- und Weißer Turm) nachschlugen. Dabei unterlief manches Versehen und Fremde kannten sich infolge der innerhalb der städtischen Kirchen verschiedenen Schlagweisen überhaupt nicht mehr aus. Dieser Zustand trug den Nürnbergern bei den Nachbarn viel Hohn und Spott ein (man bildete Wortspiele, wie „man weiß, was es geschlagen hat, nur die Nürnberger wissen es nicht“, unter Anspielung auf die finanziellen Zustände der Stadt). Des­ halb drang die Subdel.-Komm. auf gleichmäßige Einführung der Kleinen Uhr. Dem stand aber wieder der konservative Sinn der Nürnberger entgegen; sie machten nämlich geltend, daß dann die Handwerker, die bei ihrem Arbeitsbeginn an die alte Schlagweise gewöhnt seien, verwirrt werden könn­ ten. Unter Hinweis auf die Unkosten, die das Umstellen der Schlagwerke überdies erfordere, wurde vorläufig (21. Januar 1802) von einer Neuerung noch abgesehen. g) Die Organisation des Nürnberger Fürsorge wesens. Das Fürsorge- und Armenwesen war in Nürnberg von altersher gut entwickeltx). Nach Aussage der Subdel.-Komm. war hier die Zahl der milden Stiftungen größer als in irgend einer anderen Stadt Deutschlands. Trotzdem mußte aber die Bürger­ schaft alljährlich hohe Beiträge für Almosen zahlen und doch nahm die Zahl der Bettler immer mehr überhand. Durch Vereinfachung der Verwaltung im Stiftungs­ wesen hoffte nun die Subdel.-Komm. die Stiftungen ertrags­ reicher gestalten zu können. Vor allem aber sollte die Ver­ teilung der Almosen nach gerechteren Gesichtspunkten vorgenommen werden 2). Denn es war im Laufe der Zeit *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121. 2) Dekret vom 16. November 1798.



259



der Mißstand eingerissen, daß wenig bedürftige Staatsange­ hörige sich den Ertrag gerade der reichsten Stiftungen zuzuwenden wußten, während wirkliche Arme häufig leer ausgingen oder doch nur äußerst geringe Beträge erhielten. Deshalb wurde auf Antrag der Subdel.-Komm. eine ge­ mischte Kommission aus Mitgliedern des Rats, des Rechn.Rev.-Koll. und des Gen.-Koll. eingesetzt, die die Höhe der Almosen nach Entscheidung über die Würdigkeit der Emp­ fänger festzusetzen hatte. Um die Verwaltung zu verein­ fachen, sollten sämtliche Stiftungen unter einer Armen­ direktion vereinigt werden, wie die Industriegesellschaft schon früher einmal vorgeschlagen hatte1). Die Armen­ direktion setzte sich zusammen aus 2 Oberalmosenpflegern, 2 Genannten, einem Mitglied der Rentkammer, einem Poli­ zeiinspektor, einem magistratischen und einem bürgerlichen Konsulenten, dem Findelpfleger, dem Stadtalmosenpfleger, dem Spitalpfleger, 2 Physicis, 2 Geistlichen, 4 Stiftungs­ administratoren, einem Aktuar und einigen Armenpflegern. Die Tätigkeit der Allgemeinen Direktion aller milden Stif­ tungen begann mit Allerheiligen 1803. Gleichzeitig mit der Vereinfachung der Verwaltung faßte die Subdel.-Komm. auch die Zusammenlegung aller Fürsorgeanstalten ins Auge2). Die Krankenanstalten, nämlich die Mendelsche und Landauersche Zwölfbrüder­ stiftung, das Hl. Kreuzspital, die vier Siechköbel und das Krankenhaus sollten im Hl. Geistspital untergebracht werden. Das Marthaspital sollte eine Entbindungsanstalt werden, im Hl. Kreuzspital wollte man nur sehr ansteckende Kranke unterbringen. Das für die Neueinrichtung nötige Kapital hoffte man durch Verkauf des Schauhauses, des Krankenhauses, des Landauerschen Zwölfbrüderklosters, des Sebastianspitals und der vier Siechköbel aufzubringen. Unter Verwendung des hohen Erlöses aus diesen Verkäufen wollte man auch ermöglichen, daß nicht mehr 2 Kranke in ‘) Subdel.-Komm.-Dekret vom 10. Mai 1800. Rep. 26, N. 279, 280, 281. 8) Dekret vom 26. Juni 1801.

Staatsarch. Nbg.

17*

2ÖO

einem Bett liegen müßten 1). Im Hl. Geistspital sollten auch ehrbare Frauen zur Entbindung aufgenommen werden, wäh­ rend ,,die durch unehelichen Beischlaf geschwächten Per­ sonen“ im Marthahaus niederkommen mußten. Bei diesen Verhandlungen wurde angeregt, nach dem Beispiel anderer Orte arme Kinder nicht mehr im Findelhaus, sondern gegen ein geringes Kostgeld bei Bürgern erziehen zu lassen. Aber auch diesem Organisationsplan setzte der Rat heftigen Widerstand entgegen, so daß die Vereinigung der beiden Zwölfbrüderstiftungen mit dem Spital am 28. Okto­ ber 1805 gegen, seinen Willen auf Befehl der Subdel.-Komm. erfolgen mußte. Als Vergünstigung für die Armen bestimmte ein Sub­ del.-Komm.-Dekr. vom 21.März 1803, daß billiges 4 Metzen­ kleienbrot gebacken werden sollte 2). Es zeigte sich jedoch bald, daß das Volk dieses schwarze und schwere Brot nicht kaufen mochte, da der Preisunterschied gegenüber dem guten Zehnmetzenbrot zu gering war. In Zukunft sollte nun des­ halb das Korn aus dem öffentlichen Getreidekasten billiger verabreicht werden, um auch das gute Brot billiger erbacken zu können. Dieses verbilligte Brot sollte eine Ratsdepu­ tation in der Nähe der Dominikanerkirche an die arme Be­ völkerung verkaufen. Da es aber die Finanzlage des Staates auf die Dauer nicht gestattete, billigeres Korn für die arme Bevölkerung abzugeben, verfügte ein Subdel.-Komm.-Dekr. vom 6. April 1803, daß wieder Viermetzen-Kommißbrot ge­ backen werden sollte und zwar unter Strafandrohung an die Bäcker, die sich weigern sollten, diesem Befehl nachzukom­ men. Der Rat war damit einverstanden. Bezüglich der Brotversorgung hatte die Subdel.-Komm. schon am 9. September 1802 auf die große Gefahr hin­ gewiesen, die der Stadt durch eine Fruchtsperre seitens der angrenzenden Fürstentümmer drohes). Sie hatte deshalb die Errichtung eines Fruchtmagazins gefordert, in dem Ge\) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 234. s) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 281.

2ÖI

treide zur Versorgung der Stadt auf ein Jahr gelagert wer­ den könnte. Am 5. Juni 1800 verfügte die Subdel.-Komm. die Ver­ einigung des Armen- und Arbeitshauses mit der Findel; die Gebäude des ersteren wurden dadurch für eine Kaserne frei, deren man sehr dringend bedurfte1).

7. Das Ende der Subdelegationskommission. Mit den vorausgegangenen Ausführungen ist die Tätigkeit der Kaiserlichen Subdel.-Komm. in ihren wesent­ lichen Punkten erschöpft. Ueber die Kommission selbst wäre noch Folgendes zusammenfassend zu bemerken: Am 15. Mai 1797 war eine kaiserl. Kommission vom Nürnberger Rat in Wien erwirkt worden2). Im Jahre 1801 war der kaiserl. Kommissär Kurfürst Maximilian Franz von Köln gestorben. Die Würde eines Hoch- und Deutschordensineisters war auf den Erzherzog Karl von Oester­ reich übergegangen. Nun erhob sich in Nürnberg die Frage, ob die Nachfolge in der Kommission ohne weiteres auf den neuen Mann übergehe oder nicht. In Kreisen des Patriziats regte sich sogar der Wunsch, bei dieser Ge­ legenheit überhaupt die leidige Subdel.-Komm. loszu­ werden. Indessen kam schon im August 180 r ein Schrei­ ben vom kaiserl. Hof in Wien mit der Weisung, daß die Geschäfte der Subdel.-Komm. einstweilen weiter­ zuführen seien, bis von Nürnberg eine Renovation der Lokalkommission nachgesucht und erhalten worden sei. Dadurch veranlaßt, beschloß der Rat am 28. August 1801, um die Renovation beim Kaiser zu bitten und gleichzeitig ein Glückwunschschreiben an den neuen Deutschmeister abzusenden. Dieser Akt gab Veranlassung zu heftigen Aus­ einandersetzungen mit dem Gen.-Kolk, das bei dieser Gelegen­ heit eine Beschwerdeschrift an den Kaiser sandte. Unter Hinweis auf den Grundvertrag führte es Klage, daß es der 9 Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 279. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 158 und 160.

2Ö2

Rat nicht vorher um seine Einwilligung zu diesem Schritt angegangen,

sondern

es

erst

von

sache in Kenntnis gesetzt habe. sich

die

Genannten

darüber,

der

vollendeten

Tat­

Gleichzeitig beklagten daß

der

Rat

verschie­

denen wohltätigen Neuerungen einen beharrlichen Wider­ stand entgegensetzte.

Zürn Schluß baten sie auch um den

Schutz des Kaisers gegen die preußische Okkupation und die bayerische Sequestration. Am 5. Mai 1802 teilte Karl Ludwig von Gottes Gnaden Reichsfeldmarschall, K. Hoheit, Erzherzog von Oesterreich, Prinz von Ungarn und Böhmen, Meister des Deutschen Ordens usw., mit, daß er unter Bei­ behaltung

des

,geschickten

und

tätigen

Subdelegaten

Gemming“ die Kommissionsgeschäfte übernehme. Am 5. August 1802 überreichte Gemming sein neues Beglau­ bigungsschreiben. Im Jahre 1804 erfolgte ein neuer Wechsel in der Person des kaiserl. Kommissärs. Ein Subdel.-Komin.Dekret

vom

6.

Juli

1804

teilte

nämlich

mit,

daß

der

Erzherzog Karl in einer Resignationsurkunde seinen Rück­ tritt von

der

Würde

eines Hoch- und

Deutschmeisters

erklärt habe und diese Würde ,,mit allen Rechten, Vorzügen und Nützlichkeiten dem Koadjutor und künftigen ungezweifelten Nachfolger, durch die Wahl vom 11. Oktober 1803 einstimmig erkannten Bruder Erzherzog Anton Viktor Reymund, Königliche Hoheit“, übergeben habe. Nun fertigte der Rat eine neue Bittschrift um Uebernahme des Kom­ missionsgeschäftes

an

diesen

Erzherzog.

Am

21. Sep­

tember 1804 übernahm der neue Hoch- und Deutschmeister Anton Viktor, Erzherzog, Prinz von Ungarn und Böhmen, Generalfeldzeugmeister, das Kommissionsgeschäft, ebenfalls unter

Beibehaltung

des

Hofrats

Gemming.

Er

schlug

seinen Sitz in Mergentheim auf und wollte im Oktober eine Nürnberger Deputation empfangen. Dazu wurden am 22. September 1804 der Kfiegsobrist Imhoff und der Senator Geuder abgeordnet. Von den Genannten wurden der Markt­ vorsteher Börner und der Pflegsverweser Sörgel zur Teil­ nahme bestimmt.

Dies führte zu einem Konflikt mit dem

Rat, weil die Absendung von Deputationen ein landesobrig-

263

keitliches Recht war und insofern nur dem Rat zustand. Den Genannten wurde nur zugestanden, selbständig nach Rückkunft der magistratischen Deputierten eine Abordnung zu entsenden. Der neue Hoch- und Deutschmeister erhielt von der Rentkammer eine summarische Uebersicht des Ter­ ritorialzustandes vom Jahre 1804, in der der Verlust an Ein­ nahmen durch die preußische Okkupation und die bayerische Sequestration auf jährlich 150000 fl. angegeben war. Dabei wurde betont, daß im Falle des Aufhörens dieses Zustandes das Staatsdefizit vollständig verschwinde, ja sogar jährlich 76912 fl. vom Kapital heimgezahlt werden könnten. Während der ganzen Zeit ihrer Tätigkeit wollten die Klagen der Subdel.-Komm. über mangelndes persönliches Entgegenkommen seitens der städtischen Behörden nicht verstummen1). DieUnterkunftsverhältnisse der Kommission waren besonders am Anfang mehr als mangelhaft. Jede kleine Verbesserung mußte ausdrücklich beim Bauamt beantragt werden. Anfangs begnügte sich die Subdel.-Komm. mit diesen bescheidenen Verhältnissen. Je länger sie jedoch in Nürnberg weilte, desto mehr steigerte sie ihre Ansprüche an Bequem­ lichkeit und Luxus. Da das Kommissionsgeschäft keines­ wegs den günstigenFortgang nahm, denGemming ursprüng­ lich erhoftt hatte, wollte er sich wenigstens persönlich keine Entbehrungen mehr auferlegen, zumal da an ein Ende des Kommissionsgeschäftes in Anbetracht der noch zu erledi­ genden Arbeiten gar nicht zu denken war2). Indessen soll­ ten die außenpolitischen Ereignisse der Tätigkeit Gemmings ein jähes Ziel setzen. Durch die gewaltigen Schläge eines Napoleon war das morsche Gebäude des Heiligen Römi­ schen Reiches zusammengebrochen. Am 12. August 1806 verzichtete Kaiser Franz unter dem Zwang der Verhältnisse auf die Krone des römischen Kaisers. Mit diesem Tage erlosch auch die Wirkung der Subdel.-Komm. Schon längere Zeit vorher konnte die Subdel.-Komm. den kata­ strophalen Gang der Ereignisse voraussehen. Für Gem*) Staatsarch'. Nbg. Rep. 21, N. 36. 2) Stäatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 255.

264 ming erschien die Zukunft keineswegs in rosigen Farben. Er begann für sein tägliches Brot zu bangen. Dieser Um­ stand bedingte in den letzten Wochen ein Verhalten des Subdelegaten, das seinen Abgang nicht besonders rühmlich erscheinen ließ. Ende Juli und anfangs August 1806 ließ er von verschiedenen Aemtern große Geldsummen auf ein­ mal für die Subdel.-Komm. erheben unter Hinweis darauf, daß er das Geld zur Nachzahlung der erhöhten Diäten­ quoten des Delegationspersonals vom 1. Januar 1799 bis zum 31. Juli 1803, zur Bestreitung der Kosten des laufen­ den Quartals und für Reise- und Abzugskosten unbedingt nötig habe. Die Diäten beanspruchte er bis zum letzten September 1806 mit der Begründung, daß das Beamtengehalt im Todesfälle auch noch bis Ablauf des Sterbequartals weiterbezahlt werde. Für das Subdel.-Komm.-Personal verlangte er den Ersatz der ,,Auf- und Abzugskosten“ nebst Entschädigung der dabei vorgekommenen Verluste. Daß er die Diätenquoten für die vergangenen Jahre nicht schon längst beansprucht habe, begründete Gemming damit, daß er aus Rücksicht für die schlimme Lage der Stadt sie bisher habe schonen wollen. Wenn er aber gewußt hätte, daß die Stadt „so jäh an den Rand eines anderen Schicksals kom­ men würde, so würde man sich schon früher und nach und nach prospizieret haben“. Gemming glaubte zu diesen An­ sprüchen um so mehr berechtigt zu sein, als er bei seiner Ernennung zum Subdelegaten in Heilbronn alle seine Möbel verkauft hatte, in der Hoffnung, daß ihm die Nürnberger eine eingerichtete Wohnung.zur Verfügung stellen würden. Darin hatte er sich aber gründlich getäuscht. Da er sich nun wieder eine Wohnungseinrichtung kaufen mußte, sollte Nürnberg die Kosten tragen. Trotz dieses Verhaltens schmeichelte sich Gemming noch mit der Hoffnung, daß ihm die Stadt für seine Arbeit ein „angemessenes Douceur“ aus­ setzen werde. Als diese Erwartung jedoch nicht bestätigt wurde, scheute Gemming auch nicht vor niedriger Bettelei zurück. Er schilderte dem Septemvirat seine traurige Ver­ mögenslage, indem er als Geheimrat der Regierung zu Mer-

265 gentheim noch keine Besoldung erhalten habe, seine Heilbronner Besoldung ihm aber vom König von Württemberg nicht mehr gewährt werde. Wegen der allzu zahlreichen Beamtenschaft in allen Staaten fürchtete Gemming keine Anstellung mehr zu finden; außerdem war er sehr im Zwei­ fel, ob der neue Besitzer Nürnbergs ihm die vom Magistrat bewilligte Pension gewähren werde. In diesem Falle wäre ihm nur übrig geblieben, sich auf sein kleines Weingut zurückzuziehen, dessen Ertrag jedoch zur Bestreitung seines Unterhaltes nicht ausreichte. Dieses Verhalten dem Rat gegenüber muß um so seltsamer berühren, als Gemming doch kurz vorher noch 7500 fl. bei den Aemterkassen für sich abgehoben hatte. Was für ein seltsamer Gegensatz be­ steht zwischen der Zeit, in der der Subdelegat dem Rat gegenüber selbstherrlich und oft rigoros auftrat, und nun, wo wir ihn demselben Rat gegenüber in der Rolle eines Mannes sehen, der um ein Almosen bittet. Nur wenn wir die traurigen Zukunftsaussichten Gemmings in Betracht ziehen, können wir dieses Verhalten einigermaßen begreifen. Falls ihm seine Bitten gewährt würden, wollte Gemming die letzten Tage seines Aufenthaltes noch dazu benützen, um einen Plan auszuarbeiten, der ,,das Beste der Stadt, der Gläubiger und der Staatsdiener umfassen“ würde. Die erste Amtshandlung des Rats und der Rentkammer nach dem Erlöschen der Subdel.-Komm. war die Veröffentlichung einer Verfügung, wonach alle Subdel.Komm.-Erlasse nur bis 12. August 1806 für die Aemter bindend sein sollten. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich allenthalben bemerkbar, als die Subdel.Komm. die Mauern Nürnbergs verlassen hatte. Am 7. Sep­ tember 1806 richtete der Subdelegat noch ein Abschieds­ schreiben an den Rat, in dem er betonte, stets alles zum Besten Nürnbergs getan zu haben. Er wies bei dieser Ge­ legenheit noch darauf hin, daß nach seiner Ueberzeugung das Verbesserungsgeschäft glücklich zu Ende geführt wor­ den wäre, wenn Nürnberg seine Verfassung bewahrt und sein Gebiet zurückerhalten hätte. Zur Zeit seiner Amtstätig-

266 keit war es Gemming jedoch keineswegs darum zu tun ge­ wesen, die Nürnberger Verfassung zu erhalten. Sein Be­ streben am Ende seiner Tätigkeit ging eben dahin, beim Rat aus nicht ganz selbstlosen Gründen ein gutes Andenken zurückzulassen. Bereits am 8. September 1806 beantwortete der Rat dieses Abschiedsschreiben mit den glühendsten Ver­ sicherungen tiefster Dankbarkeit für das Wirken des Sub­ delegaten. Der heuchlerische Ton dieser Erwiderung wirkt geradezu grotesk, wenn man an die scharfe Oppostion denkt, in welcher der Rat fast die ganze Zeit verharrte, in der die Subdel.-Komm. die innerpolitischen Angelegenheiten Nürn­ bergs beeinflußte. Seine alte Stellung hat der Rat aber auch nach dem Erlöschen der Subdel.-Komm. nicht wieder erhalten. Noch im gleichen Jahre schickte der neue Landesherr, der König von Bayern, den Grafen Türheim nach Nürnberg, der än der Spitze des Generallandeskommissariats für die neu­ gewonnenen Gebietsteile stand. Für ihn wurden in Nürn­ berg Bureauräume gemietet1). Schon vor ihrer Abreise hatte der Rat von der Subdel.Komm. die Auslieferung dkt Akten verlangt. Am 2. Novem­ ber 1808 forderte die kgl. Finanzdirektion des Pegnitz­ kreises die Subdel.-Komm.-Akten ein, da sie für die Finanz­ geschäfte des neuen Kreises unentbehrlich waren 2). Noch am 5. November 1808 verzeichnete ein Bericht des Generallandeskommissärs des Pegnitzkreises, daß Gem­ ming die Herausgabe der Akten verweigere. Polizeidirek­ tor Wurm erhielt deshalb den Auftrag, die Akten bei­ zuschaffen. Am 5. Dezember 1809 berichtete Graf Tür­ heim, daß die Herausgabe der Akten bei Gemming durchA) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 2041. 2) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 2287. Bei diesen Aktenver­ schickungen scheinen, vielleicht nicht ohne Absicht des Rats und der Subdel.-Komm., verschiedene Aktenstücke verloren gegangen zu sein; denn merkwürdigerweise fehlen im Nürnberger Staats­ archiv aus dieser Materie gerade solche Akten, von denen anzu­ nehmen ist, daß deren Kenntnisnahme durch die neue Landes­ regierung entweder der Subdel.-Komm. oder dem Rate unerwünscht sein mußte.

267

gesetzt worden sei, nachdem dieser seine Privatpapiere vor­ her daraus entfernt habe. Als subdelegierter Kommissär für Nürnberg wurde vom Generallaxideskommissariat in Fran­ ken der Landesdirektionsrat L o c h n e r bestimmt. Auch er mußte erst am 12. September 1809 energische Schritte unternehmen, bis er von Gemming die Herausgabe der Akten erreichte, welche den Nürnberger Aemtern ge­ hörten 1). Die Jahre nach 1806 waren damit ausgefüllt, die alte Reichsstadt und ihr Gebiet in den neuen Landesverband ein­ zuordnen. Besonders schmeichelhaft waren die Urteile nicht, welche von den neuen bayerischen Behörden über die Subdel.-Komm. gefällt wurden; immerhin mag zur Bildung dieses Urteils das Uebelwollen des Nürnberger Patriziats gegen die Subdel.-Komm. einen wesentlichen Teil beigetra­ gen haben. Die Aufgabe, welche bisher die Subdel.-Komm. hatte, fiel nach der Uebernahme Nürnbergs durch Bayern dem Landes­ direktionsrat Frhrn. vonLochner zu. Er sollte bis zur Durch­ führung der kgl. Regierung darüber wachen, daß ,,nichts vorgehe, was dem Allerhöchsten Interesse nachteilig sein könnte“ 2). Aber auch er klagte schon nach kurzer Zeit über die Schwierigkeit der ihm übertragenen Aufgabe. Ueber die Verwaltung der Reichsstadt ging sein Urteil dahin, daß sie nicht nur äußerst kompliziert sei, sondern daß man auch seit langer Zeit nicht nach einem durchdachten Plane bei der Administration des Staatsvermögens zu Werke gegangen sei und sich lediglich von momentanen Impulsen habe leiten lassen. Er müsse sich daher vorläufig darauf beschränken, sich lediglich eine Uebersicht über die Staats­ verwaltung zu verschaffen 3). Am 8. September 1806 war Gemming mit seinem Per­ sonal abgereist. Am gleichen Tage erfolgte der Uebergabe*) Staatsarch. Nbg. Rep. 45, N. 140. 2) Schrötter, die letzten Jahre der Reichsstadt Nürnberg und ihr Uebergang an Bayern, in den Mittig, des Ver. für Geschichte der Stadt Nürnberg, Bd. 17, S. 137. 8) Schrötter a. a. O. S. 145.

268 akt der Reichsstadt zwischen dem französischen Offizier Matthieu F r i r i o n und dem Minister Montgelas x). Am 9. September wurde die Zivilbesitznahme Nürnbergs durch den Grafen Türheim vollzogen. Der feierliche Besitz­ ergreifungsakt fand am 15. September 1806 statt.

8. Kritik der Tätigkeit der Subdelegationskommission. Es obliegt uns noch, die Tätigkeit der Subdel.-Komm. auf Grund des Aktenmaterials und zeitgenössischer Urteile einer allgemeinen Betrachtung zu unterziehen. Soweit sich das Urteil auf die Akten stützt, wä’re man versucht zu sagen: Die Subdel.-Komm. war besser als ihr Ruf. Zeitgenössische Urteile lauten nämlich wiederholt ge­ radezu vernichtend. So sa£te einmal der preußischeKammervizepräsident und Kreisdirektorialgesandte Hänlein: „Der « ehemaligeDeutsch-OrdenscheLandbeamteGemming, dessen Händen das Schicksal der Stadt Nürnberg zu ihrem wahren Unglück seit sechs Jahren anvertraut ist, und der weder Talent noch Kenntnisse im Finanzfach, noch die mindeste Erfahrung in. Staatsgeschäften besitzt, hat sein zweideuti­ ges Ansehen besonders dadurch zu begründen versucht, daß er dem Magistrat und der sonst herrschenden patrizischen Partei das Ruder der Regierung aus den Händen gespielt hat und seinen Anhängern unter der Bürger- und Kauf­ mannschaft die Konkurrenz und die Stimmenmehrheit in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten zugewendet hat“ 2). Bei näherem Zusehen ist dieses Urteil jedoch unhaltbar; est ist ab irato gefällt. Gemming war eben keineswegs geneigt, den preußischen Aspirationen auf Nürnberger Gebiet irgendwie Vorschub zu leisten, daher der Zorn des preußischen Beamten. Um uns ein klares Urteil über die Subdel.-Komm. bilden zu können, müssen wir deshalb die Stimmen aus den verschiedensten Lagern zu Worte kommen lassen. 9 Schrötter a. a. O. S. 24. 2) Baader, Der Reichsstadt Nürnberg letztes Schicksal, S. 145.

269 Hören wir zunächst Gemming selbst. Seine Reden anläßlich der Erneuerung der Kommission in der Person des Erzherzogs Karl Ludwig und Anton Viktor befaßten sich in der Hauptsache mit den Schwierigkeiten verschiedenster Natur, mit denen die Subdel.-Komm. bis 1802 zu kämpfen gehabt hatte1). So klagte der Subdelegat in erster Linie über die Grausamkeit der äußeren Feinde, die mit allen Mit­ teln ein Emporkommen Nürnbergs zu verhindern wüßten. In der Tat betrachteten sowohl Preußen als Bayern Nürnberg als die reife Frucht, die ihnen mit der Zeit von selbst in den Schoß fallen müsse, und das um so früher, je mehr sich die Schwierigkeiten in der inneren und äußeren Politik für Nürnberg häuften. Erst in zweiter Linie macht Gemming für die geringen Erfolge der Kommission Gründe geltend, die bei der Nürnberger Einwohnerschaft lagen und zwar mangelnden Gemeinsinn, geringes Vertrauen, fehlende Einmütigkeit und allseitige Mitwirkung und besondere eigennützige Nebenabsichten der einzelnen am Kommis­ sionsgeschäft mit wirkenden Vertreter des Patriziats und der Bürgerschaft. Deshalb stoße die Subdel.-Komm. auch überall auf offene oder geheime Widerstände, die der Reformarbeit von allen Seiten entgegengesetzt würden. Es blieb aber auch kein Mittel, besonders seitens der Patrizier, unversucht, um das Gen.-Koll., die Rentkammer und die Subdel.-Komm., kurz eben alle fortschrittlichen Reform­ behörden, zu verdächtigen und verhaßt zu machen. Dies hatte zur Folge, daß viele ehrenwerte und vernünftigen Reformen zugeneigte Elemente des Patriziats und der Bür­ gerschaft dem Reformwerk ihre tätige Mithilfe versagten, da sie fürchteten, in den Strudel der Verleumdungen mit hineingerissen zu werden. Auffallend war es, daß man sich, wie Gemming ausführte, besonders feindselig gegen die Verfügungen der Rentkammer verhielt, einer Behörde, die doch aus Patriziern und Angehörigen des Bürgerstandes zusammengesetzt war. Das hatte seinen Grund wohl darin, *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 160.

daß vielen aus der Bürgerschaft die durch Schaffung der Rentkammer gemachten Zugeständnisse nicht weit genug gingen, während sie vom Patriziat aber als die erste Bresche in der alten patrizischen Stadtverwaltung angesehen wurden. Als Mittel zur Verdächtigung der genannten neuen Behör­ den bediente man sich zahlloser Flugschriften, deren Ver­ fasser sich oft der geheimen Unterstützung des Rats erfreuten. Eine ganz eigenartige und psychologisch wohl durch das Ressentiment zu erklärende Erscheinung war es, daß Einrichtungen, die vom Rat, der Nürnberger Beamtenschaft und den Bürgern seit fünfzig Jahren für nötig, heilsam und durchführbar angesehen, zum Teil auch schon bearbeitet worden waren, sofort getadelt, abgelehnt und mit allen Mit­ teln verhindert wurden, wenn sie von der Subdel.Komm. oder der Rentkammer zur Durchführung vor­ geschlagen wurden. So war zum Beispiel die Verbes­ serung des Zollwesens schon immer gewünscht worden; als aber die Subdel.-Komm. ihre neue Zoll- und Wagordnung erließ, durch die die alten längst gerügten Mißbräuche abgestellt wurden, war man allgemein ungehalten darüber. Das ganze Odium fiel auf die Subdel.-Komm., obwohl bei Besprechung der Neuerungen der Rat und die Depu­ tationen ihr Einverständnis gegeben hatten. Derartige Mo­ mente, in denen der Verstand mit dem Gefühl in Konflikt gerät, gab es eben zu allen Zeiten. Dem Verstände drängte sich die unabweisbare Ueberzeugung auf, daß bestimmte Neuerungen als Zugeständnisse an die Zeit notwendig seien, das Gefühl sträubte sich dagegen, die liebgewordenen alten Zustände aufgeben zu müssen, und wehe der Person oder Körperschaft, welche die Verantwortung für die Neuerung letzten Endes zu tragen hatte. Sie hatte Gefühle verletzt und wurde deshalb mit Haß verfolgt. Mehr an der Oberfläche lag ein anderer Grund, weshalb der Subdel.-Komm. es so schwer wurde, manche Reformen durchzuführen. Es war die Korruption eines großen Teiles der Beamtenschaft. Wie berechtigt die Klagen in dieser Hin-

sicht gewesen sein müssen, beweist der Umstand, daß Gemming es wagen konnte, in einer feierlichen Ansprache zu behaupten, daß bei vielen der Hang zum Defraudieren schon zur zweiten Natur geworden sei. Er hatte nämlich die Wahrnehmung gemacht, daß häufig sogar ganz kleine Abgaben unterschlagen wurden. Wie alle Körperschaften mit revolutionärem Charakter, so wurden auch die Subdel.Komm., noch mehr aber Rentkammer und Gen.-Koll. seitens der konservativen Elemente mit großer Geringschätzung behandelt. Es kann deshalb nicht wundernehmen, wenn die herbste Kritik an allen Arbeiten der Subdel.-Komm. aus den Kreisen des am Althergebrachten hängenden Patriziats kam. Inwieweit es dabei selbst Schuld trug, daß die Arbei­ ten der Subdel.-Komm. teils in den Anfängen stecken blieben, teils nicht das gewünschte Resultat zeitigten, küm­ merte das Patriziat wenig x). So wurden der Subdel.-Komm. von dieser Seite fol­ gende Fehler zur Last gelegt: 1. Sie habe den statum activum noch gar nicht, den statum passivum nur sehr unzuverlässig untersucht. Aus den früheren Ausführungen wissen wir aber, daß eine genaue Aufstellung des Defizits und des Staatsver­ mögens in Anbetracht des dezentralisierten Kassenwesens auch von Leuten, die dem Patriziat nahe standen, für unmöglich erklärt wurde. 2. Die Subdel.-Komm. habe keinen Hauptfinanzopera­ tionsplan entworfen. Auch dieser Vorwurf wird hinfällig, wenn man die äußere Lage der Reichsstadt bedenkt, die durchaus das Ge­ präge eines Provisoriums trug, so daß man heute nicht absehen konnte, welche Geldquellen morgen noch flössen und welche neu zu erschließen waren. 3. Die Subdel.-Komm. habe die Rettungspläne der Rentkammer nicht zur Ausführung gebracht. *) Vergl. Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 121 und 179, und Rep. 45, N. 1996.



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-

Die Rettungspläne der Rentkammer waren aber zum Teil von der Zeit überholt, teilweise versprach sich diese Kammer selbst von verschiedenen Plänen keinen besonderen Erfolg, so daß sich die Subdel.-Komm. unmöglich mit der Verantwortung für deren Durchführung belasten konnte. 4. Die Subdel.-Komm. habe nicht einmal vom Augen­ blick geforderte Maßnahmen getroffen, um den gänzlichen Verfall des Staates aufzuhalten. Dieser Vorwurf erscheint schon insofern unhaltbar, als der Subdel.-Komm. gerade darüber Vorhalt gemacht werden könnte, daß sie zu sehr ihre Zuflucht zu provisorischen Maß­ nahmen genommen hat und dabei es wiederholt an dem nötigen Weitblick hat fehlen lassen. 5. Die Subdel.-Komm. habe keines der Nürnberger Staatsgefälle gehörig untersucht und seinen Ertrag erhöht, vielmehr die Staatsausgaben durch planlose Wirtschaft und unnötige Veränderungen vermehrt. Dieser Vorwurf enthält ein Schein des Rechts. Die Subdel.-Komm. blieb aber gerade deshalb auf halbem Wege häufig stehen und vermehrte dadurch die Unordnung, weil ihr beim Versuch zu durchgreifenden Maßnahmen der Rat meist sehr energisch in den Arm fiel. 6. Die Subdel.-Komm. habe auch die künftige Rettung des Staates durch Verkauf von Staatsgütern und Ver­ geudung des Erlöses unmöglich gemacht. Dieser Vorwurf mutet um so merkwürdiger an, als der Rat vor Eintreffen der Subdel.-Komm. auch sehr kräftig dabei war, den Ausverkauf des Nürnberger Staatsver­ mögens zu betreiben, zumal da bei unvorhergesehenen Zwangslagen keine andere Möglichkeit bestand Barmittel zu gewinnen. 7. Die Subdel.-Komm. habe, um nur etwas zu tun, mit Hilfe des Reichshofrats das ebenso künstlich wie zweck­ mäßig zusammengesetzte hiesige Staatsgebäude mit auf­ fallender Eile destruiert, ohne für die Unterbringung des Personals der aufgehobenen Aemter entsprechend gesorgt zu haben.

273 „Wasch mir den Pelz, aber mach’ mich nicht naß“! möchte man dazu sagen. Welch ein schwerfälliger Apparat die Nürnberger Verwaltungsmaschine war, ist bereits aus früheren Ausführungen zu entnehmen. 8. Die Subdel.-Komm. habe durch ihre Staatsreform, zu der sie von unruhigen und herrschsüchtigen Bürgern und einigen dem Rat übelgesinnten Personen verleitet worden sei, das Staatsärar um eine Ausgabe von 28—30 000 fl. mehr belastet, die für Pensionen zu zahlen seien. Ferner habe sie in den Gang der Geschäfte eine große Stockung und Unord­ nung zum Nachteil des Staates und vieler Privatpersonen gebracht. Was den ersten Punkt betriff, so schien der Rat ganz vergessen zu haben, daß er es war, der in seiner Hilflosigkeit gegenüber den zerrütteten Staatsverhältnissen die Absen­ dung einer Kommission beim Kaiser beantragt hatte. Daß aber Reformen, welche notgedrungen bei den Grund­ lagen des Staates einsetzen mußten, wenn man nennens­ werte Resultate erzielen wollte, nicht ohne Reibungen vor sich gingen, hätte sich der Rat von Anfang an denken kön­ nen. Ueberdies wurden ja alle Beamte in irgend einer Stellung wieder verwendet, so daß die Angabe der Pensions­ lasten zum mindesten stark übertrieben zu sein scheint. 9. Die Subdel.-Komm. habe dem Staat durch Fixierung der Gehälter, deren Höhe bisher größtenteils von der Ge­ nerosität der Bürger abhing, neue Lasten aufgebürdet, ohne durch Schaffung einer besonderen Kasse für die Deckung gesorgt zu haben. In diesem Falle standen sich grundlegend verschiedene Auffassungen gegenüber. Zweifellos kam die Gehaltsrege­ lung der Subdel.-Komm. einem dringenden neuzeitlichen Bedürfnis entgegen, den Beamtenstand aus der häufig be­ schämenden Abhängigkeit vom Publikum zu befreien. 10. Die Subdel.-Komm. habe den 80 000 Morgen großen Wald der Stadt mit einem Aufwand von 30000 fl. ver­ messen lassen, während eine bloße Schätzung, in kürzester 18

274

Zeit vollendet, nur 2—3000 fl. gekostet hätte und für den beabsichtigten Endzweck gleich dienlich gewesen wäre. Demgegenüber ist zu betonen, daß die Subdel.-Komm. die Wahl hatte, entweder mit einer bloßen Abschätzung den alten Schlendrian fortzusetzen oder zum Schutze des Reichs­ waldes nach forstmännischen Grundsätzen zu verfahren. Der Erfolg mußte sich im letzteren Falle allerdings erst im Laufe von Jahrzehnten zeigen. Angesichts der bis zur Uebernahme durch Bayern ungeklärten rechtlichen Besitzverhältnisse der Reichswälder wäre es vielleicht klüger gewesen, mit der Vermessung bis zur Klarlegung der Besitzverhältnisse zu warten. 11. Die Subdel.-Komm. habe durch Aufstellung neuer sachverständiger Forstbeamten den Ertrag der Reichs­ wälder geschmälert, da der ganze Gewinn für die Besoldung des Forstpersonals benötigt werde. Auch in diesem Punkte wären die Vorteile der Reform erst in späteren Zeiten zu Tage getreten. 12. Die Subdel.-Komm. habe den einzig brauchbaren Forstbeamten des Laurentiwaldes wegen Vereinigung der Waldämter als Kassenbeamten zum Leihhaus versetzt. Ob dieser Vorwurf berechtigt war, entzieht sich unserer Beurteilung. 13) a) Die Subdel.-Komm. habe die uralte Abgabe der Losung, die ihrer Natur nach nur eine subsidiarische, alle Jahre neu zu bewilligende Abgabe war, in eine permanente Vermögenssteuer umgewandelt, statt die benötigten Geld­ mittel durch Erhöhung der Domanial- und Kameralgefälle zu gewinnen. Man fragt sich bei diesem Vorwurf, warum der Rat nicht schon in früheren Zeiten diesen Versuch gemacht hat; die ungerechte und zu Steuerhinterziehungen herausfor­ dernde Losungsabgabe war aber auch schon in vergangenen Jahren ihres subsidiarischen Charakters entkleidet und wie eine ständige Steuer und zwar eine sehr drückende ein­ gezogen worden. Es handelte sich also in diesem Punkte

um einen Streit um Worte.

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13- b) Die Subdel.-Komm. habe ferner durch Aufhebung der Losung im Widerspruch mit dem Rat nur den Vorteil der Kaufleute im Auge gehabt und dadurch die iura quaesita der anderen Stände auf das schwerste verletzt und zu hef­ tigen Zwistigkeiten innerhalb der Bürgerschaft Ver­ anlassung gegeben. Die an Stelle der Losung eingeführte neue Vermögensabgabe, deren Mängel gleich anfangs zutage getreten seien, habe sie bis jetzt in Kraft bleiben lassen. Diesen Argumenten ist entgegenzuhalten, daß der Sub­ del.-Komm. vor allem um die Belebung des Nürnberger Handels zu tun war; von seiten der großenteils auf ihren Landgütern lebenden Patrizier konnte sie keine wirtschaft­ liche Neubelebung der Reichsstadt erwarten. Deshalb muß­ ten die abnorm hohen Lasten des Kaufmannsstandes erleich­ tert und zum Teil auf die Schultern der Grundbesitzer gewälzt werden; ein Grundgedanke, der bei den damaligen Verhältnissen vom staatswirtschaftlichen Gesichtspunkt aus durchaus einwandfrei war. 14. Die Subdel.-Komm. habe sich dem Rate gegenüber in geringschätzigen Ausdrücken ergangen und ihm dadurch die Anhänglichkeit der Bürgerschaft entzogen. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Subdel.-Komm. stets durch alle möglichen Sticheleien in Flugschriften, durch Widerstände aller Art von seiten des Rates gereizt wurde, bis Gemming in seiner heftigen Art sich zu belei­ digenden Ausdrücken hinreißen ließ. Die Anhänglichkeit der Bürgerschaft war übrigens durch die geheime Finanz­ verwaltung des Rats längst vor Eintreffen der Subdel.Komm. erschüttert. 15. Die Subdel.-Komm. habe sich bei ihren Ent­ schließungen vorzüglich durch einige wenige Kaufleute leiten lassen, die herrschsüchtig und tumultuarisch veran­ lagt waren, und dadurch den Rat in seiner Rechtszuständig­ keit verkürzt. Darauf ist zu erwidern, daß die Subdel.-Komm. mit Recht den in anderen Reichsstädten längst beseitigten Zu­ stand der Rechtlosigkeit der Bürgerschaft durch erweiterte 18*

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Heranziehung des Gen.-Koll. zur Bestimmung der Geschicke des Staates abgeschafft hat. 16. Die Subdel.-Komm. habe das Patriziat, das den Stand der Gutsbesitzer und Rentner ausmache und seit alters für den Staat die größten Opfer besonders in Zeiten der Not gebracht habe und infolge der hohen Kapitalsteuern dem Staate viel mehr Geld zuwende, als sie an Besoldungen bezögen, aufs schwerste bedrückt. In der Tat mußte den Patriziern gar vieles als Bedrükkung erscheinen, wogegen vom Billigkeitsstandpunkt sich nichts einwenden ließ, zumal da das Patriziat noch ganz vom Geiste des Zeitalters des Absolutismus beherrscht war. Ihr Regiment war unumschränkter und für die Bürger­ schaft drückender als das in vielen fürstlichen Staaten. Wie glücklich fühlte sich die Bevölkerung zum Beispiel unter Hardenbergs Regiment in den Fürstentümern AnsbachBayreuth im Vergleich zur Nürnberger Bürgerschaft! 17. Die Subdel.-Komm. habe den Staatskredit unter­ graben und infolge des um 60 % gesunkenen Wertes der Nürnberger Staatspapiere Witwen und Waisen ins Unglück gestürzt. Wenn auch der Kurs der Nürnberger Werte nach Ein­ treffen der Kommission besonders rasch gesunken ist, so lag doch die Ursache für die Entwertung in der Mißwirtschaft des Rats. Oeffentlich bekannt wurde die katastrophale Lage des Staates eben erst durch die Kommission, daher das auffallende Sinken der Nürnberger Werte. In den Nachbarländern wurde die Tätigkeit der Sub­ del.-Komm. mit regster Aufmerksamkeit verfolgt. Dem­ gemäß wurde sie auch in der Presse lebhaft kommentiertx). Soweit die Akten die Stellungnahme der Zeitungen erkennen lassen, geschah sie in durchaus wohlwollendem Sinne für die Kommission. So begrüßte z. B. die ,,Augs­ burger Ordinari Postzeitung“ und die ,,Bamberger Zei­ tung“ zum nicht geringen Aerger der Nürnberger Patrizier *) Staatsarch. Nbg. Rep. 26, N. 124.

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den raschen Gang des Kommissionsgeschäftes. Aehnliche Notizen finden sich auch in anderen Zeitungen, wie in der ,,Neuesten Weltkunde“ N. 148 vom 28. Mai 1798 und in der ,,Bayreuther Zeitung“ N. 110 vom 5. Juni 1798. Ihnen ge­ fiel es, daß vor allem die Genannten von der Subdel.-Komm. gegen den Rat unterstützt wurden. Der „Verkündiger“ berichtete in seinem 41. Stück vom 22. Mai 1798, daß durch die Subdel.-Komm. der alte Flor Nürnbergs wiederhergestellt werden soll. Er wünschte, daß die Subdel.-Komm. bei allen Maßnahmen zuerst die Publizi­ tät befragen möge. Der „Fränkische Merkur“ kriti­ sierte in N. 27 vom 3. Juli 1798 besonders die Tätigkeit des Pflegamts. An seine Ausführungen knüpfte er folgendes Witzwort: „Die Verweser dieses Amtes müssen von dem Sinn des Wortes „Pflegen“ im Aktiv keinen Begriff gehabt haben und haben sich nur an die Bedeutung des Passivs ge­ halten. Nun braucht man sich über reichsstädtische Ver­ heimlichungssucht nicht mehr zu wundern.“ Dem Rate waren derartige Pressenotizen äußerst unangenehm; denn er fürchtete eine schwere Schädigung seines Ansehens; des­ halb suchte er die Verordnungen der Subdel.-Komm. mög­ lichst geheim zu halten, damit sie nicht in der Auslands­ presse kommentiert werden konnten. Da auch der Reichs­ hofrat fast stets sich auf die Seite der Subdel.-Komm. stellte und in seinen Erlassen wiederholt den Rat des­ avouierte, kann man wohl annehmen, daß die öffentliche Meinung in jener Zeit zum weitaus überwiegenden Teil auf seiten der Subdel.-Komm. stand. Dazu trug auch der Umstand bei, daß das monarchische Ansbach-Bayreuth hin­ sichtlich freiheitlicher Staatseinrichtungen einen viel moder­ neren Zeitgeist verriet als das republikanische Nürnberg. Daß die Erfolge der Subdel.-Komm. doch immerhin recht gering blieben, hatte seinen Hauptgrund in den trost­ losen Verhältnissen der äußeren Lage. Nürnbergs Gebiet war bis an die Tore besetzt; seine Abgesandten aber winselten in Paris um die Gnade Napo­ leons, ihnen die Selbständigkeit ihres Territoriums zu garan-

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tieren. Eine merkwürdige Verkennung der Lage! In ihrem alten reichsstädtischen Stolze war den Patriziern ungemein viel an der Erhaltung ihrer Selbständigkeit ge­ legen, obwohl sie sich doch derselben durch Berufung der Subdel.-Komm. schon großenteils begeben hatten *) Es war ein großes Glück für die schöne und doch zuletzt so unglück­ liche Stadt, daß Napoleon die Bitten ihrer Abgesandten nicht erhörte. In Anbetracht der geographischen Lage Nürnbergs und der ganzen Zeitverhältnisse war es die beste Lösung, daß Bayern sich seiner erbarmte und es in einen größeren Lan­ desverband aufnahm. Damit hatte Nürnberg zwar seine ehemals so stolze reichsstädtische Selbständigkeit eingebüßt, es war aber doch vor dem Schicksal bewahrt geblieben, nach Erduldung vieler Demütigungen von der Größe seiner ruhmreichen Vergan­ genheit zu einem unbedeutenden Städtchen in dürrer Heide­ landschaft herabzusinken. Was Nürnberg seiner neuen Herrin, Bayern, alles verdankt, ist von berufener Seite schon hinreichend dargelegt worden; wir begnügen uns mit dem Hinweis darauf, daß die Bevölkerungszahl von schätzungs­ weise 25000 Einwohnern um 1800 auf rund 400000 (im Jahre 1925) gestiegen ist. 4) Vgl. Schrötter.

Der Rechenmeister und Wagmacher Ruprecht Kolberger in Nürnberg 1470-1505. Von

Staatsoberarchivar A. Gütllbel.

In den Bürgerbüchern, Ratsverlässen und Briefbüchern, dann in den Stadtrechnungen und Gerichtsbüchern der Reichsstadt Nürnberg aus dem letzten Viertel des 15. Jahr­ hunderts tritt uns häufig der Name eines Rechenmeisters Ruprecht Kolberger1) entgegen. Diese Urkun­ den lassen ihn als einen vielbeschäftigten Schulmann, als tüchtigen Rechenmeister und als erfahrenen Techniker auf dem besonderen Gebiete des Wagenbaues erkennen. Es dürfte sich wohl einmal lohnen, an der Hand des erwähnten, allerdings hie und da noch lückenhaften, urkundlichen Materials im Staatsarchiv Nürnberg und im Städtischen Archiv den Versuch zu machen, den nicht immer in ganz geraden Bahnen verlaufenden Lebensverhältnissen dieses Mannes, der, von Geburt ein Bayer, doch seine Tätigkeit bis zu seinem Tode (1505) fast ausschließlich unserem Nürn­ berg gewidmet hat, an dieser Stelle nachzugehen, zumal über ihn, mit Ausnahme einiger weniger, von Hampe in seinen Nürnberger Ratsverlässen 2) mitgeteilten Nachrich­ ten nichts bekannt ist. Erstmals begegnet uns Kolberger in Nürnberg im Jahre 1470. Im genannten Jahre wurde er gegen Bezahlung des üblichen Bürgergeldes von 2 fl. Stadtwährung zu Bür­ ger aufgenommen 3). Dann verstreicht aber sogleich eine längere Reihe von Jahren, bis wir Kolbergers Namen in A) Die Schreibung ist weit überwiegend „Kolberger“ (Colberger), daneben findet sich vereinzelt „Kolperger“ und „Kalperger“. 2) Band I, Nr. 244 und 265. 3) Nürnberger Bürgerbücher im Staatsarchiv Nürnberg, Amts­ und Standbücher Nr. 305, Fol. 143 b: „1470 Rupprecht Kolberger [dedit] 2 fl. w [erung]. Ueber seine Herkunft aus Bayern, und zwar dem wallfahrts­ berühmten Altötting, bietet uns eine Urkunde, eine Quittung Kolbergers für den Nürnberger Rat vom 26. Februar 1500, eine überraschende Auskunft. Er nennt sich darin „Ruebrecht von Neuen Kolberg, burger zu Nür [n] berg“; er legt sich also einen Adelstitel bei. Das aufgedrückte Siegel zeigt zwei von einander gekehrte Monde. Es dürfte darnach keinem Zweifel unterliegen,

282

unseren urkundlichen Quellen wieder begegnen. Im Jahre 1479 finden wir ihn in einen Handel mit einem gewissen Stahler verwickelt, über den wir weiteres nicht erfahren. Wir hören nur noch, daß dem Rechenmeister gegönnt wurde, den Prokurator am Stadtgericht Burkhart Fürnschild „zu einer rechnung wider den Stahler gen Er­ langen zu gebrauchen“, doch solle der Genannte „nit mer, dann ein gericht außen beleihen und sein sach am gericht dermaßen bestellen, damit seinthalb keinerlei versaumnus geschehe“ (Ratsverlässe vom 31. Juli und 11. Septem­ ber 1479). Wichtiger sind uns jedoch gewisse Nachrichten vom Jahre 1481 über Kolbergers Anteil an der Errichtung einer Schnellwage bei der Nürnberger Stadtwage. Sie führen uns nämlich auf jene Tätigkeit Kolbergers, um derent­ willen eine Sammlung der auf ihn bezüglichen biographi­ schen Daten in erster Linie wünschenswert erschien: auf seine Verdienste um die Nürnberger öffentlichen Wagen. daß wir es in ihm mit einem nahen Verwandten, wohl einem Bruder jenes Kanzlers Herzog Georg des Reichen von Niederbayern, Wolfgang Kolberger, zu tun haben, dessen glänzender Aufstieg aus niedrigen Verhältnissen und jäher Sturz (1502) die Auf­ merksamkeit seiner Zeitgenossen in hohem Maße beschäftigt hat Ein Bauerngut bei Altötting, der Stammsitz der Familie, wurde vom Kaiser am 28. August 1492 zur Reichsgrafschaft erklärt, nach­ dem er dem Besitzer, eben jenem Wolfgang Kolberger, die Reichsfreiherrenwürde mit dem Titel eines Freiherrn zu Neuen Kolberg verliehen hatte. Damit hängt offenbar der von unserem Ruprecht Kolberger gebrauchte Adelstitel zusammen. Vgl. Riezler, Geschichte Baierns, Band III. Wolfgang Kolbergers Vater war Schulmeister und Mesner in Altötting gewesen. Nachdem Wolfgang schon längere Zeit den Herzogen Ludwig und Georg von Niederbayern gedient hatte, wurde er von dem letzteren 1487 zum Kanzler ernannt. Sein väterliches Bauern­ gut, auf welchem er ein Schloß Neukolberg erbaut hatte, erhob der Herzog zur Hofmark (mit eigener niederer Gerichtsbarkeit), der Kaiser zur Reichsgrafschaft. Drei bekannte Brüder (zu welchen also noch unser Ruprecht treten würde) widmeten sich dem geistlichen Stande; einer wurde Bischof von Gurk. Schon durch seine Weigerung, für den Herzog das verhängnisvolle Testament abzufassen, durch welches Pfalzgraf Ruprecht, der Gemahl der Herzogstochter Elisabeth, unter Uebergehung der Münchener Ver­ wandten zum Erben von Niederbayern eingesetzt werden sollte, verdächtig, wurde er am Ostersonntag 1502 zu Landshut unter der Beschuldigung, den Inhalt des Testamentes zur Kenntnis des Mün­ chener Hofes gebracht zu haben, verhaftet und schmachtete 17 Jahre lang zuerst in Burghausen, dann in Neuburg in Kerker­ haft.

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Bekanntlich fand der mittelalterliche Handelsverkehr der großen Städte seinen Mittelpunkt in der städtischen Wage, über welche alle in größeren Mengen zum Um­ satz kommenden Kaufmannsgüter zu gehen hatten und wo auch die Verzollung stattfand; Wag- und Zollordnungen, wie solche auch für Nürnberg erhalten sind, regelten den Verkehr1). Hiebei war natürlich das Vorhandensein von zuverlässigen und rasch zu bedienenden städtischen Wagen geboten. Bis zum Jahre 1481 scheinen in Nürnberg die vorhandenen Einrichtungen genügt zu haben2). Im genannten Jahre aber (am 20. Februar) beschloß der Rat, bei der Fron- oder Herrenwage noch eine Schnellwage3) aufzurichten und die Ratsherrn Ulrich Grundherr und Hans Tücher wurden neben dem Baumeister beauftragt, sich gutachtlich darüber zu äußern, an welchem Platze dies geschehen solle. Die Ausführung der Wage selbst wurde in die Hände unseres Rechenmeisters Ruprecht Kolberger gelegt. Schon im Mai des gleichen Jahres war sie nach dessen Anweisungen und Berechnungen fertiggestellt und der Rat wies Grundherr und Tücher an, mit Kolberger bezüglich der Entschädigung für dessen ,,müe, kunst, arbeit und costen der neufürgenomen snellwag“ in Unterhand­ lungen zu treten; sie erhielten Vollmacht bis zu 36 fl. zu gehen 4). *) Vgl. Sander, Reichsstädtische Haushaltung Nürnbergs, Bd. I, S. 232 ff., „Die öffentlichen Wagen“. 2) Allerdings gehen die ersten Beratungen und Erwägungen über Errichtung einer Schnellwage schon etwas weiter (bis ins Jahr 1479) zurück. Es erhellt dies aus einem Ratsverlaß vom 19. Juni 1479: Item zu ratschlag [en], von einer schnellbag in der bag (= wag) aufzurichten, St [effan] Koler und An [ton] Tücher. 3) Das Prinzip der Schnellwage (römischen Wage) beruht auf den Hebelgesetzen. Sie stellt einen Hebel dar, an dessen kurzem Arm die Last aufgehängt ist, während der längere Arm ein ver­ schiebbares Laufgewicht trägt. Jedem bestimmten Gewichtsteil (z. B. Zentner, vgl. Anm. 8) der Last entspricht eine gleichbleibende Verschiebung des Laufgewichtes. Auf einer berechneten Scala des Langarmes kann das Gewicht ohne weiteres abgelesen werden. Die von Kolberger gleichfalls eingerichtete Heuwage haben wir uns als eine Art Brückenwage zu denken, denn es kam darauf an, das Heu samt dem Wagen zu wiegen (vgl. S. 285, Anm. 2, und S. 291, Anm. 2). 4) Ratsverlaß vom 20. Februar 1481: Item es ist erteilt bei der fronwage ein s n e 11 w a g e aufzerichten und zu gebrauchen und

284 Schon aus dem nächsten Jahre 1482 hören wir wieder von einer Schnellwage, die Kolberger gemacht hatte. Am 11. April d. J. erhielten Ulrich Grundherr und Jobst Haller vom Rate den Auftrag, diese Schnellwage zu probieren und, wenn sie brauchbar befunden würde, für die Stadt anzu­ kaufen 1). Weitere Nachrichten über diese Kaufsverhand­ lungen besitzen wir nicht. Man könnte hiefür etwa an die den Rat damals schon seit einiger Zeit beschäftigenden Pläne einer besonderen Heu wage, d. h. einer zum Ab­ wiegen des in die Stadt eingeführten Heus dienenden Wage, denken. Tatsächlich wissen wir, daß der Rat im voraus­ gehenden Jahre 1481 Ulrich Grundherr und Stephan Koler beauftragt hatte, sich nach einer bequemen Statt zur Auf­ richtung einer ,,wag zu dem heu zu wegen“ umzusehen. zu ratslagen, an welchem ende dieselb aufzerichten sei. Gruntherr, H. Tücher, paumeister. Desgleichen vom 17. Mai 1481: Item (sc. ist beschlossen wor­ den) mit dem Ruprecht Kolberger umb sein mtie, kunst, arbeit und costen der neufürgenomen s n e 11 w a g , so er der stat gemacht hat, zu überkomen, so nehst man mag (d. h. so billig, als möglich), und den herren, darzugeordent, nemlich Ulrich Gruntherrn und Hannsen Tücher, ist gewalt gegeben bis in 36 guld [ein]. Item es ist erteilt, das das fürnemen mit der wage des h e u e s ruen und nit fürgenomen, sunder damit bei altem gebrauch bleiben sol. Jene Schnellwage befand sich außen vor der Fronwage. Es beweist dies ein Ratsverlaß vom 22. Mai 1481: Item Jacob Staudigel ist geordent zu der snellwag außen an der fron­ wag, doch, so er in derselben snellwag nit ze tun hat, sol er hieniden in der rechten wag auch arbeiten und zusehen. Daß die Nürnberger Kaufmannschaft, welcher diese Wage allerdings in erster Linie zugute kam, zur Bestreitung der Kosten herangezogen wurde, geht aus einem Ratsverlaß vom 17. Januar 1481 hervor: Item die kaufleute zu vernemen, ob sie zu aufrichtung der s n e 11 w a g e genaigt sein wollen. U Item des Kolbergers gemachte snellwag zu probiern und, soverne die gerecht erfunden wirt, sol die gemeiner stat gekauft werden. Gruntherr, Jobs Haller. 5a pasce [= 11. April] 1482. —- Wir haben uns die Verhältnisse hiebei so zu denken, daß Kolberger die Berechnungen und Pläne zu den Wagen anfertigte und diese durch geeignete Handwerksleute auf seine Kosten aus­ führen ließ. Diese Eigenkosten nebst einem Aufschlag für seine Mühe bildeten gegenüber dem Rate die Grundlage für die Preis­ stellung. Den Namen eines dieser Handwerker kennen wir aus der Klage Kolbergers gegen einen gewissen Nikolaus Kunig beim Nürnberger Stadtgericht. Kunig wird am 17. Dezember 1487 dazu verurteilt, dem Kläger den Wagbalken, „der acht zentner

285 Doch wurden diese Pläne, wie wir aus dem oben angeführ­ ten Ratsverlaß vom 17. Mai1) erfahren, zunächst zurück­ gestellt. Aufgegeben waren sie freilich keineswegs 2),* *und *6 im Jahre 1489 wurde Kolberger, wie wir noch sehen werden, in der Tat mit der Errichtung einer solchen auf der Insel Schütt beauftragt. Wegen der Entschädigung, die dem Rechenmeister seitens des Rates für seine Arbeit zuteil wurde, scheint bei ersterem eine starke Verstimmung zurückgeblieben zu sein. Wir müssen dies aus der einige Jahre später (1484) gegen die Stadt erhobenen Anklage schließen, wonach Kolberger seinen Vermögensverfall auf Verluste bei Anfertigung der Stadtwage zurückführte. Der Rat verteidigte sich dahin, daß er nicht anders wisse, als daß er dem Meister wegen der Wage gebührliche Belohnung getan und seinen ,,willen darumb“ gemacht habe. Im Zusammenhang mit den soeben berührten finan­ ziellen Schwierigkeiten sehen wir Kolberger seit 1483 in eine Reihe von Schuldhändeln verwickelt, die eine lange Untersuchungshaft, ja wiederholte peinliche Befragung ver­ mittelst der Folter über ihn brachte. Es scheint, daß man ihn verschiedener unsauberer Machenschaften zum Schaden schwer heb“, billigerweise zu machen. Im übrigen wird Kolberger der Eid zugeschoben, daß er einen anderen Wagbalken nicht in seine Hände bekommen habe und daß auch der Kloben „in seiner gewalt“ nicht zerbrochen sei (Conserv. im Stadt­ archiv Nürnberg I, Fol. 385 a). Vielleicht hängt ein Ratsverlaß vom 15. September 1487, worin angeordnet wird, „zu der stat snellwag einen neuen paumen zuzurichten, damit daran nit gepruch erscheine, nachdem der jetzig abnimt“, mit diesem Prozeß zu­ sammen. Uebrigens erfahren wir auch den Namen eines Mitbewerbers auf diesem besonderen technischen Gebiete der Fertigung von Schnellwagen. Durch Ratsverlaß vom 5. Juli 1483 wird einem „gast“ (d. h. Nichtbürger) Claus Kenntlin von Lauingen a. D o n a u , „so snellwag hie machen wil“, erlaubt, 14 Tage in Nürnberg zu bleiben und „dieselben sein künst zu üben“ (Rats­ buch III, Fol. 286 b). D Vgl. Anm. S. 284. 2) Mit diesen Plänen steht sicherlich auch eine chronikalische Nachricht zum Jahre 1484 in Verbindung (Chroniken der deutschen Städte, Nürnberg Bd. IV, S. 372): Da haben unser herrn in der wag lassen wegen ein fuder heus, das hat gewegen mitsamt dem wagen funfzehenhalb Zentner, und der wagen hat gewegen 6 Zentner.

286 seiner Gläubiger beschuldigte. Mari klagte ihn an, ihm nicht gehörige Werte versetzt zu haben (z. B. an den in seinem Haus wohnenden Goldschmied Michel Saltzpurger ,, etlich kupferwasser “ x) ; auch betrügerische Er­ schleichung eines Schuldbriefes, ja Diebstahl einer Schuld­ urkunde wurde ihm zur Last gelegt. Am n. Dezember 1483 erging ein Ratsbefehl, den Rechenmeister ,,etlicher betrieglichk [eit] halben, mit versatzung frömds guts und anderm geübt“, anzunehmen und ins Lochgefängnis unter dem Rat­ haus zu führen. Kolberger muß aber rechtzeitig gewarnt worden sein und entwich aus der Stadt. Von seinem Zufluchtsort [Leipzig?] aus erhob er heftige Vorwürfe gegen den Rat: z. B. habe ihm dieser den Klagezettel des Michel Gut [eines Bürgers in Nürnberg] vorenthalten. Der Rat antwortete darauf am 20. Dezember 1483, daß er sofort nach dem Einlauf jenes Klagezettels Kolberger habe rufen lassen; dieser sei aber schon von Nürnberg weggezogen gewesen, worauf die Angelegenheit an das Fünfergericht gewiesen worden sei. Um dem Schreiber aber Gelegenheit zu geben, sich auf die Klage des Gut zu verantworten, wolle ihm der Rat, obwohl dies sonst gegenüber seinen Bürgern nicht gebräuchlich sei, vier Tage freies Geleit geben *2). Solches Geleit zur Auseinandersetzung mit seinen Gläubigern wurde dem Rechenmeister noch öfters erteilt bezw. erstreckt3), jedoch wollten die Verhandlungen mit ersteren nicht vorA) Ratsverlaß vom 12. November 1483: Item als Hanns Bam­ berg von Eßling vordrung an Michel Saltzpurger, in beiwesen Bartholomes Schulth [eiss], goldsmids, etlichs kupferwassers, so im von Rupr [echten] Kolberger versetzt worden sein soll, im das als das sein volgen zu lassen, getan hat, ist durch Anth [oni] Tücher und Peter Nützel zwischen denselben Parteien mit irer verwilligung abgeredt, das derselb handel ein monat den nächsten in rue steen und das kupferwasser in haft unverwirkt beleihen sol und, wa der Kolberger in mittler zeit herkomt, sol zwischen den Parteien die gutlichait versucht werden, sie desshalb zu vertragen; wa aber die gutlichait nicht erfunden wurt, so sol die Sachen des rechten walten, wie jetzo bescheen sein solt. 2) Nbg. Briefbücher, Bd. 38, Fol. 229 und 230. Dazu Rats­ verlaß vom 20. Dez. 1483: Item so Ruprecht Kolberger in 14 tagen komt, sol er 7 tag glait haben uf sein beger und schrift; und den statknechten und püteln zu befelhen, so er komt, in nicht anzenemen; burgermeister junior befolhen. 3) Ratsverlaß vom 23. Dezember 1483: Item Ruprechten

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wärts kommen, so daß Kolberger den Rat schriftlich ersuchte, dieser möge selbst mit den Gläubigern „teidingen“, d. h. unterhandeln. Dies lehnte der Rat natürlich ab und über­ ließ es Kolberger, sich selbst mit seinen Gegnern aus­ einanderzusetzen. In dem zuletzt erwähnten Schreiben hatte der Rechenmeister auch den Vorwurf gegen den Rat erhoben, den wir schon oben berührt haben, daß er sich nämlich durch seine Arbeit an der Stadtwage finanziell zu Grunde gerichtet habe. Es wurde oben auch schon an­ gedeutet, daß der Rat diesen Vorwurf scharf zurückwies *). Bei den weiteren Verhandlungen mag aber so manches an den Tag gekommen sein, was Kolbergers Vorgehen in höchst sträflichem Licht erscheinen ließ, jedenfalls befahl der Rat neuerdings am Samstag vor Oculi (20. März 1484) Kolberger, der sich also damals, sei es mit oder ohne Geleit, in der Stadt aufhielt, ins Gefängnis abzuführen und dort Kolberger sein glait 8 tag erstreckt und im abglaint, die habe seins knechts in Leyptzk zu verkaufen. Desgleichen vom 8. Januar 1484: Item Ruprechten Kol­ berger geleit ze geben acht tag, so er komt. Desgleichen vom 5. Februar 1484: Item Ruprecht Kol­ berger, so der in 14 tagen herkommen wil, sol er 3 tag geleit und zu seiner aufgelegten straf frist bis mitfasten schirst haben. Desgleichen vom 24. Februar 1484: Item Ruprecht Kol­ berger, so er in 14 tagen herkomen wil, sol er eins rats halb 4 tag geleit haben, doch seine gläubiger darinne ausgeslossen; möge er aber bei seinen gläubigem austragen, daz sie im geleit geben wollen, gönne im ein rat wol; seiner frau daz ze sagen Ga [briel] Holtschuher, N. Groß. Desgleichen vom 13. März 1484: Item so Ruprecht Kol­ be r g e r in 14 tagen herkomt, sol er 4 tag geleit haben. Desgleichen vom 16. März 1484: Item dem Kolberger zu seiner aufgelegten straf, so er 2 gld. daran gibt, lenger frist geben bis zum heiligtum. 1) Das Schreiben des Rates hat folgenden Wortlaut: Ru­ prechten Kolberger, unserm burger. Dein schreiben, itzo aber­ mals an uns gelangt, haben wir vernomen und bei dem geleit, so wir dir nehst gegeben und zugesagt haben, lassen wir es unsern halben nochmals bleiben; aber mit deinen schuldigem deintbalben ichtes ze teidingen, ist unsers fugs nit; was du aber an inen gehaben und erlangen magst, lassen wir uns gevallen; und als du letst in derselben deiner schrift berürst, wie dir dein verderben aus unsrer wage ent­ springe, davon ist uns anders nit wissend, dann daz wir dir derselben unsrer wage halb gebürlich belonung getan und deinen willen darum ge­ macht haben, dat. quinta post Mathie [26. Februar] 1484. Nürnberger Briefbücher Bd. 38, Fol. 250.

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sogleich einem Verhör „des Zöllners halb, auch des Mila halb und wer ine nechst gewarnet hab“ zu unterwerfen. Auch wurden Kolbergers Geschäftsbücher beschlagnahmt und ihm im Gefängnis „hantschuh“, wohl Handschellen, die eine Selbstbeschädigung verhinderten, angelegt. Endlich griff man, da Kolberger leugnete, zur peinlichen Frage und zwar zunächst in etwas gemilderter Form „mit dem kleinen stein und doch nit über zwai mal“. Insbesondere suchte man auf diese Weise eine Aussage wegen eines angeblich aus dem Felleisen Stephan Adelspachs, eines seiner Haupt­ gläubiger, gestohlenen „Zettels“ von ihm zu bringen. Der Rat gab den die Untersuchung führenden Ratsschöffen wiederholt Vollmacht, die Tortur nach ihrem freien Ermessen anzuwendenx). Auch eine im September ein­ laufende Fürbitte des Bischofs von Eichstätt hatte zunächst *) Ratsverlaß vom 22. März 1484: Item dem Halbwachsen und Mila, auch An [ton] Muffel des Kolbergers sage fürzehalten und ir antwort -daruf zu vernemen und aufzeschreiben An [ton] Tetzel, Gabriel Holtschuher; item den Rauscher zu vernemen und sein sag aufzeschreiben, in was gestalt der Kolberger das geleit an im verbrochen haben sol^ ^desgleichen beim Semler zu erkund [en] der betrieglichkeL nalb, die er [Kolberger] mit erlangung eines Schuldbriefs gegen in gehandelt hat; desgleich, was Kolberger geverlichs gegen den Saurman geübt haben soll; item desgleich mit dem Kolben, goldsmid, auch dem Esel von Saltzburg; item auch mit dem Ploden. Ratsverlaß vom 23. März: Item fleiß ze tun, daß die rechenpucher und register dez Kolbergers zu eins rats handen bracht werden, im auch die hantschuh anzelegen; item den Kolberger im loch baß zu red halten des gülden halb mit Anton Muffel, auch des Halbwachsen und Mila schuld halb, auch des Koburgers zweier gülden halb in der schau und des Sebolt Ketzels tunnen hechtz halb und im wee ze tun mit dem kleinen stein und doch nit über zwai mal. Ratsverlaß vom 27. März: Item den Kolberger baß zu red halten des versperrten stubichs, auch der tunnen hechts und Häsels halb und, wo er gütlich nit sagen wil, im wee ze tun. Ratsverlaß vom 29. März: Item das veßlin in Kolbergers haus, darinn etlich zettel und register sein sollen, und das mit gericht versperrt ist; zu besichtigen und dieselben zettel und register zu eins rats handen ze nemen und alsdann die andern habe wider zu versperren. Jacob Groland. Ratsverlaß vom 30. März: Item den Kolberger baß zu red halten der alten stück, auch seiner ungehorsam halb einer stat vermanung und dez geben Zettels halb, von dem Adelbach listlich pracht, und entfremdung desselben knechts zetel aus dem wetzschko und auf die schöpfen gesetzt im wee ze tun. Ratsverlaß vom 1. April: Item des Kolbergers sage dem St [effan] Adelbach fürzehalten und ine darauf in seiner furgab zu

289 keinen anderen Erfolg, als daß man dem Bischof ant­ wortete, man wolle dieser Fürbitte eingedenk sein, sobald im Rate über die Angelegenheit verhandelt werde 1). Immer neue Namen tauchten während der Untersuchung auf, und immer wieder gab der Rat Befugnis, dem Angeklagten ,,wee zu tun“, sogar mit dem Feuer — es wurden hiebei brennende Kerzen unter die Achselhöhlen gehalten — wurde bestäten, auch die personen, vor den sie bederseit rechnung furgenomen der zetel halb, so Kolberger dem Adelbach aus seinem wetschko entfremdet und vor denselben personen bekannt soll haben, zu vernemen und daruf den Kolberger verrer zu rede halten, und, wo sich etwas grunds erfindet, im wee zu tun. Ratsverlaß vom 6. April: Item Ruprecht Kolberger verrer zu rede halten und uf die schöpfen gesetzt, wie oft sie im wee tun wollen. Ratsverlaß vom 8. April: Item auf samstag schirst des Kol­ be r g e r s sage furzelegen und in mitteler zeit mer erfarung ze haben durch ergangen gerichtzhandel und sust. H. Tücher. Ratsverlaß vom 24. April: Item so man zu Ruprechten Kolberger in daz loch geen wirt, ine alsdan ze fragen, ob er vom Buchholtz von Frankfurt an der Ader etlich gelt empfangen und dem Michel Part überantwort habe. Ratsverlaß vom 11. Juni: Item Rupr. Kolberger zu rede halten Halbwachs, Buchholtz, des Paners und des einen gülden halb in der wag und, wo er gu+1 % die warheit nit sagen wil, im wee ze tun. Ratsverlaß vom 12. Juni:; Item Rupr. Kolberger um die stücke, derhalb er gestern zu rede gehalten ist, anderweit zu rede halten und im wee ze tun. Ratsverlaß vom 30. Oktober: Item Ruprecht Kolberger um die vorgefragt stuck und auch Lympecken schuld und des unverzolten wachs halb zu rede halten und im stattlich wee ze tun. Ratsverlaß vom 1. November: Item Ruprecht Kolberger des Paners wachszols halben abermals zu red halten und, wo er deshalb auf seiner vordem sage besteet, im alsdann sein hantschrift der gegeben rechnung furzehalten und im, wo er anders daruf nit weiter bekennen wil, mit dem stein wee ze tun. Ratsverlaß vom 4. November: Item den Kolberger weiter zu red zu halten, im mit dem stein wee ze tun und dabei mit dem feur bedroen. *) Das Ratsschreiben lautet: Hern Wilhelmen bischoven zu Pystet. Gnediger herre! eurer gnaden schreiben und furbete, Ru­ prechten Kolbergers vanknus halb, itzo an uns gelangt, haben wir vernomen, und sol eur gnade ungezweifelt sein, daz wir denselben Kolberger one beweglich ursach nit angenomen haben, und, so wir von desselben Kolbergers handel, deshalb er zu vanknus genomen ist, handeln, sol dise eurer gnaden furbete bei uns nit vergeßen werden, dann denselben eurn f. gnaden in zimlichen din­ gen zu wilfahren sind wir ganz wol genaigt. Dat. vigilia Mathei apostoli et ewangeliste [20. September] 1484. Nürnberger Brief­ bücher Bd. 39, Fol. 49 b. 19

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er bedroht. Endlich gingen die Untersuchungsakten an den Rat zurück, der den Ratskonsulenten Dr. Letscher mit der Ausarbeitung eines Gutachtens betraute. Dieses scheint aber nicht allzu belastend für Kolberger ausgefallen zu sein, denn, nachdem nochmals die Weisung ergangen war, Kol­ berger ohne Bedrohung zu verhören [9. November] wurden ihm am 27. November seine Geschäftsbücher und -briefe wieder zurückgegeben x). Offenbar muß er inzwischen aus der Haft entlassen worden sein. Im November i486 sehen wir ihn Forderungen gegen den Bürgermeister von Berlin, Thomas Planckenfelt, erheben, wobei sich der Rat für seinen Bürger einsetzte und darauf drang, daß die Angelegenheit nicht entgegen der Ge­ richtsordnung in Abwesenheit Kolbergers verhandelt werde. Um was es sich bei diesem Streite eigentlich drehte, erfah­ ren wir leider nicht12). Auch gegen einen gewissen Schmalz, Bürger zu Nürnberg, der allerdings seit einigen Jahren nicht mehr dort anwesend gewesen war, erhob Kol­ berger im gleichen Jahre Forderungen und der Rat erlaubte ihm, diesen außerhalb der Stadt gerichtlich zu belangen 3).* * * * 8 Aus dem nächsten Jahre (1487) endlich ist uns eine merk1) Ratsverlaß vom 6. November 1484: Item R u p r. Kol­ bergers sage in einem besanten rat furzelegen und im des manns alsdann abzehelfen, wie erteilt wirdet. Desgleichen vom 9. November: Item es ist ert [eilt], den Zöllner und zolschreiber zu vernemen des Kolbergers rechnung halb gegen dem Paner, H. Tücher und Jacob Grolant, item Rupr. Kolberger gütlich, one droung, zu red halten. Desgleichen vom 13. November: Item Kolbergers handeis halb bei doctor Jo [-hann] Letscher rats pflegen, wie sich gegen im ze halten. H. Tücher, Ja. Grolant. Desgleichen vom 27. November: Item dem Kolberger seine bucher und br [ieve], was ein rat der zu seinen handen genomen hivor, widerzugeben, doch der rechnung des Paners ein instrument zu nemen. Jacob Groland. Desgleichen vom 13. Dezember: Item uf angesinnen des Weißemburgers ist verlaßen, dem Kolberger nach verscheinung seins gegeben gelaits wider denselben Weißenburger kein geleit mer ze geben. Desgleichen vom 18. Januar 1485: Item zu versuchen, den Kolberger und die Gutin miteinander gütlich zu vertragen; wo es aber nit sein möchte, sie an das recht ze weisen. Ja [cob] Gro­ lant. An. Tetzel. *) Briefbücher XXXIX, Fol. 274 b. 8) Ratsbücher IV, Fol. 172 a.

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würdige Nachricht von einem Wettstreit mit zwei anderen Rechenmeistern erhalten, der das lebhafte Mißfallen des Rates erregte. Die drei Rechenmeister Kolberger, Michel Jöppel und Ulrich Wagner hatten einen Vertrag zur Beilegung ge­ wisser Streitigkeiten untereinander abgeschlossen, der auch eine Wette in sich schloß. Leider sind weitere Einzelheiten über den Gegenstand derselben nicht angegeben. Der Rat tadelte diese Wette als eine Afterwette; der von den Geg­ nern eingegangene Vertrag solle, soweit er diese betreffe, aufgehoben sein; im übrigen solle es bei den getroffenen Ab­ machungen bleiben; gegen einen etwaigen Uebertreter wolle der Rat von Obrigkeits wegen einschreiten x). Festeren Boden bezüglich Kolbergers Tätigkeit betreten wir wieder mit dem Jahre 1489. In diesem Jahre (am 14. März) beschloß der Rat, ,,die neuen heu wag auf der Schütt“ aufzurichten x). Daß Kolberger dabei beteiligt war, A) Nürnberger Ratsverlaß vom 22. November 1487: Item Micheln Jöppel, Ruprechteil Kolberger und Ulrichen Wagner, rechenmeistern, ze sagen, ein rat wolle, das der vertrag, irer irrung halb durch sie gemacht, nachdem der ein afterwett in im halt, aufgehebt und abesein solle, doch sei dabei eins rats meinung, das sie die ding gegen und miteinander halten, wie derselb ir vertrag inhalt, dann welcher [sich] darin anders halten und handeln würde, gegen demselben wil im ein rat sein strafe aus der oberkeit Vorbehalten haben. Herrn Pauls Volckmeyr, feria 5a ipsa die Cecilie virginis [— 22. November] 1487. Zweifelhaft muß es bleiben, ob schon ein Ratsverlaß vom 10. Juli i486 hieher gehört. Er lautet: Item meister Michel Jöppels und H. Paurn supplication dem Kolberger furzehalten und zu versuchen, den handel hinzulegen oder für die fünf zu bescheiden. Der oben genannte Michel Jöppel war der Rechenlehrer Christoph Scheurls des Ae. (Vgl. Günther, Geschichte des mathe­ matischen Unterrichts im deutschen Mittelalter bis zum Jahre 1525, S. 296, Anm. 3). Er ist wohl personengleich mit einem in den Stadtrechnungen des letzten Viertels des 15. Jahrhunderts häufig erscheinenden Michel Jöppel oder Göppel, der Bücher für den Rat einbindet, z. B. 1487 „ein gmain groß register, zu der losungstuben gehörnde“, 1488 „1 jarregister“ (= Stadtrechnung) und „ 1 ewig­ gelt- und leibdingbuchlin“ u. s. f. Es mag sich wohl um eine Art öffentlichen Wettstreits in der Kunst des Schönschreibens oder des Schnellrechnens, sei es der Meister selbst oder ihren Schüler gehandelt haben. Für etwas spätere Zeit deutet auf Aehnliches ein merkwürdiger Ratsverlaß vom 18. Mai 1500, durch welchen eineffi Rechenmeister, „so auf­ geschlagen hat, das niemand die rechnung algebre konn“, befohlen wurde, diese Ausforderung zu beseitigen. 2) Ratsverlaß vom 14. März 1489: Item es ist erteilt die neuen heuwag auf der Schütt aufzerichten. Eine Reihe weiterer Rats19*

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erfahren wir allerdings zunächst nicht aus urkundlichen Quellen, sondern nur aus einer Angabe des bekannten Nürn­ berger Chronisten Heinrich Deichsler zum Jahre 1489, worin er vermerkt, daß Kolberger diese Heuwage dem [Stadt- ?] Zimmermann „angegeben“ habe, wie man sie machen solle, gleichwie er schon früher [1481 ?] die Ballen­ wage angegeben habe x). Wie gesagt, besitzen wir zwar keinerlei urkundliche Nachrichten hierüber, auch keinerlei Rechnungsnotate über eine Entlohnung Kolbergers für eine solche Tätigkeit, gleichwohl dürfte kein Grund bestehen, die Angaben des Chronisten zu bezweifeln. Wie wir sehen werden, liegen uns ja auch sonst (aus den Jahren 1499, 1500, 1503) urkundliche Nachweise vor, daß Kolberger mit solchen Arbeiten für die städtische Heuwage beschäftigt war. Verlässe aus diesem Jahre regelt den Verkauf des Heues (1489, 6. August: Alles in die Stadt gebrachte Heu solle „nach der wage und gewicht“ verkauft werden, dagegen das außerhalb des Mark­ tes, auf Wiesen oder in Städeln und „an stocken“ nach Belieben), die Bestellung eines „heuwegers“ (1489, 19. Dezember: Das Amt des Heuwägers soll nicht einem Stadtknecht, sondern dem Hs. Geumann übertragen werden). Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein weiterer Ratsverlaß, der zwei Jahre später fällt. Er lautet: Item es ist erteil [t], das hinfur der Verkäufer des heus verpunden sein soll, dem käufer die wal [zu] lassen, ob ers nach dem augenmaß oder gebicht [= gewicht] kaufen woll, aber der Verkäufer seinthalben soll verpunden sein, das heu an die wag kummen [zu] laßen; und welches heu an die wag kümpt, soll man das weg [g] eit davon zu geben schuldig sein, und welches nit an die wag kumpt, ist man davon nügß schuldig; und wo man ein. großen gebicht an die Stangen machen mog [= kann] an schaden, soll man [es] machen; wo das nit sein mag fuglichen, soll man ein großen Stangen machen laßen, auf das man das heu nit vom wagen werfen durf. U [rieh] Gruntherr, E [rckenprecht] Koller. 1491, sabbato post Jacobi apostoli [— 30. Juli]. Im Jahre 1496 ergaben sich wieder gewisse Mängel an der Heuwage, auf deren Abhilfe der Rat bedacht war. Vgl. Ratsverlaß vom 24. Juni 1496: Zu der heuwag zu bescheiden und besichten, ob die gerecht sei, ob sie auch gewichts genug hab oder nit. Anthoni Kreß. Desgleichen vom 9. Juli: Paumeister und Hs. Rieter sollen besichten, ob ein hausgemach bei der heuwag zu machen wer, darinen der wegmaister wonen mocht. Desgleichen vom 21. Juli: Zu ratschlagen, wie der heuwag zu helfen sei, damit die großen fuder heu, die itzo gefurt werden, auch gewegen werden mugen. Jorg Holtschuher, Anthoni Kreß (Kolbergers Name begeg­ net uns bei diesen Verhandlungen nicht). *■) Chroniken der deutschen Städte, Nürnberg, 5. Band, S. 552: Desselben jars da machet man hie die heuwag; des was anheber Hanns Tücher, und einer, hieß Colberger, gab sie an dem zimermann, als auch er die palnwag, wie mans machen solt.

293 Eine weitere Betätigung Kolbergers auf diesem beson­ deren technischen Gebiete der Wagmacherkunst ist uns sodann zum Jahr 1493 urkundlich bezeugt. In dem genann­ ten Jahr, zwischen dem 5. Juni und 3. Juli, empfing der Rechenmeister nach Ausweis der Stadtrechnungen seitens der Stadt 52 fl. für eine Schnellwage x). Wir dürfen diese Ausgabe vielleicht mit der vom Rate damals geplanten Verlegung bezw. dem Neubau der Stadt­ wage in Verbindung bringen, worüber wir Nachrichten aus den Jahren 1493—1497 besitzen. Am 8. August 1493 hatte man nämlich im Rate beschlossen, eine Kommission von fünf Ratsherren, sowie den Baumeister der Stadt und einige Werkmeister zu beauftragen, ein Gutachten darüber aus­ zuarbeiten, wie man bei einer etwaigen Verlegung der Stadt­ wage nach dem Obstmarkt verfahren solle, wie das Tuchliaus darauf zu machen sei, ob man Warengewölbe oder Kräme da bauen wolle, und wie der ,,fluß“ des Wassers (Grundwassers) daselbst zu meistern sei 12). Aber erst vier Jahre später kam man zu einer endgiltigen Entscheidung bezüglich eines Neu- bezw. Umbaus. In dem betreffenden Ratsverlaß vom 12. Januar 1497, dessen wohlabgemessenem und feierlichem Ton man anmerkt, daß sich der Rat seiner wichtigen Bedeutung für Wohl und Wehe der Stadt wohl bewußt war, heißt es: Nachdem die Wage und das Haus in der Waggasse ,,nach gelegenhait des handeis“ zu eng sei und die Leute ,>gedrangs der enge halb“ bei der Abfertigung ,,gesäumt“ werden, sei im Rate mit großer Stimmenmehr­ heit beschlossen worden, ein ganz neues Haus an Stelle des 1) Nürnberger Jahresregister Bd. V, Fol. 180 b, 1493, 4 a post trinitatis — 4 a post visitacionis Marie [= 5. Juni — 3. Juli], Aus­ geben diser frag: Summa 50 guld. landsw [erung] 73 novi 13 sh. 10 hlr., mits [amt] den 52 fl. Rupr [echten] Kolberger pro 1 schnellwag. 2) Ratsverlaß vom 8. August 1493: Item ze ratschlagen, ob ein rat daran körne, die gemeinen statwage zu verändern und auf dem obsmarkt aufzerichten, wie das tuchhaus darauf ze machen sei und ob man gewelbe oder kräme do machen wolle und, wie der fluß des waßers doselbst ze maistern sei und furderlich herwiderbringen. herr Paulus Volckmeyr, herr Ulrich Gruntnerr, herr Anthoni Tücher, Jacob Grolant, Marquart Mendel mitsamt dem paumeister und etlichen werkleuten (Ratsbuch VI, Fol. 26 b).

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alten mit notdürftiger Erweiterung zu erbauen und eine neue Wage daselbst aufzurichten; die beiden Werkmeister der Stadt, der Maurer — es war kein geringerer als Hans Beheim der Aeltere — und der Stadtzimmermann — dieser hieß Georg Stadelmann — sollten durch die Aussicht auf eine besondere ,,zimliche erung“ angespornt werden, den Bau so rasch als möglich zu vollenden x). Es scheint, daß man den Neubau auch sofort in Angriff nahm. Nach einem Vierteljahr mag eine gewisse Stockung eingetreten sein, denn wir kennen einen Ratsverlaß vom i. April 1497, wonach mit dem Neubau des Hauses für die Wage in der Waggasse gemäß den früheren Vorschlägen fortgefahren und derselbe *) Ratsbücher Bd. VI, Fol. 210 a. Nachdem und die wage und das haus in der waggaßen nach gelegenhait des handeis hie zu einer wage zu enge ist, die leut gesäumt werden, gedrangs der enge halb, so ist bei einem erbern rat wol besamet und gar wol bewegen und geratschlacht mit einem großen merern erteilt, ein ganz neu haus mit nottdurftiger erweiterung, als dovon gerat­ schlagt ist, und ein neue wage darein an des alten haus stat zu pauen und zu machen, auch bede statmeister, maurer und zimerman, zu irem geordenten lone einer ziinlichen erung zu vertrösten, domit sie darob sein, das der pau uf das allerfurderlichst von stat gee. Act. quinta post Erhardi [= 12. Januar] 1497. Mit diesem Eintrag der „Ratsbücher“ ist auch der betreffende Ratsverlaß aus den „Ratsprotokollen“, d. h. der ersten Nieder­ schrift der in den Sitzungen gefaßten Beschlüsse zu vergleichen. Ich gebe denselben gleichfalls, da er im Wortlaut einigermaßen abweicht: 1497, quinta post Erhardi [= 12. Januar]: Es ist mit einem großem merern erteilt, ein neue wag an der alten stat und ein neu haus an desselben stat zu erpauen und zu machen, wie dann dovon geratschlacht und ein visirung gemacht ist, und sol nit zu furding [d. i. vorheriger Vertrag bezüglich der Entlohnung] verlassen, sunder von der stat wegen, wie ander peu gemacht, und die pede statmeister einer erlichen vererung darumb zu irem lone vertröst werden; und solichs mit den meistern zu reden, auch weiter zu ratschlagen, das dem pau mit allen nutzen nachgangen [werde ], sind geordnet herr A. Tücher, P. Nützel, Peter Harssd [orfer] und G. Muffel. Es seien daran noch einige den Bau der Wag betreffenden Ratsverlässe gefügt: 1497, sabato post reminiscere [25. Februar]: Item der abseiten halben neben der wag mit dem aigenherren auch der erbfrauen vleiß ze tun, die zu notturft der neuen wag in zimlichem werd ze pringen. Herr U. Gruntherr, baumaister. 1497, 2a post dominicam oculi [27. Februar]: Zu ver­ suchen mit der Kertzenmacherin, ob ir heuslein von der wage herüber an den kirchof mocht gewendt oder mit gelt dann kauft werden; herr Ulrich Grundtherr sol auch den Koppel bitten.

295 vollendet werden sollte 1). Ob Kolberger mit irgendwelchen Arbeiten an dem Hauptstück dieser neuen, vergrößerten Stadtwage, nämlich der in den Ratsbeschlüssen über den Neubau gleichfalls vorgesehenen neuen Wage selbst — die ich also von der 1493 geschaffenen Schnellwage verschieden annehmen möchte — befaßt war, läßt sich nicht mit Sicher­ heit feststellen. Unzweifelhafte archivalische Nachrichten oder auch etwaige Rechnungsnotate fehlen durchaus. Die einzige Urkunde, auf welche sich eine solche Annahme viel­ leicht stützen könnte, wäre ein Ratsverlaß eben vom Jahre 1497 (26. September), durch welchen angeordnet wird, daß Kolberger eine ,,urkund seins bestendigen, gemachten wagewerks und darzu seines redlichen abschieds“ gegeben werden solle 2). Der Ausdruck „wagwerk“ ist aber doch viel zu unbestimmt, als daß er mit Sicherheit auf die neue Wage im Waghaus bezogen werden könnte. Es mochte in diesem Falle, wo es sich sozusagen um ein Abgangszeugnis für den von Nürnberg scheidenden Meister handelt, recht wohl nur ein allgemeines, zusammenfassendes Urteil über alle bisher von Kolberger für die Stadt gelieferten Arbeiten beabsichtigt sein. Unsere bisherigen Ausführungen waren in der Haupt­ sache der öffentlichen Tätigkeit Kolbergers in Diensten der Stadt Nürnberg gewidmet, daneben übte er aber natürlich jederzeit seinen eigentlichen Beruf als Rechenmeister aus. Der städtische Rechenmeister oder, wie er wohl auch *) 1497, sabato pasce [25. März]: Es ist im rat erteilt, mit dem pau der wag furzefaren, wie herr Paulus Volkamer, herr Niclas Groland, herr A. Tücher und herr Ulman Stromer den besichtigt und angesagt haben, nemlich den pogen über des Rieters einfart zu schließen, der Kertzenmacherin heuslein diweil abzuprechen uf eins ratz kosten, dasselb, so die maur aufgefurt wurd, uf eins rats kosten wideraufzusetzen und, nachdem die maur halbe der frauen, der Kertzenmacherin, sein werde, sollen ir in der stuben, kamern und andern gemechern, wo des not ist, schwipogen gemacht werden. Das damals entstandene Gebäude in der Winklerstraße, die obere oder alte Wag, schmückt noch heute das liebenswürdige Hochbild Meister Adam Krafts mit dem Wagmeister, dem Wag­ knecht und dem verdrießlich in den Beutel greifenden Kaufmann vom Jahre 1497. 2) Vgl. u. S. 305, Änm. i,

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heißt, „Schreib- und Rechenmeister“, ist eine für die Schul­ verhältnisse des Mittelalters bezeichnende Gestalt. Der Schulplan der städtischen öffentlichen Schulen, die sich zu­ meist in Anlehnung an ältere Kloster- und Pfarrschulen ent­ wickelt hatten — in Nürnberg gab es vier solcher Pfarr­ schulen —, war zunächst auf die Heranziehung eines geeig­ neten Nachwuchses zum Dienst in der Kirche eingestellt. Lateinische Sprache und die Pflege der Musik traten in den Vordergrund. Die Rechenkunst fand dort keine Pflege 1). Wer sich hierin ausbilden wollte, wie der Kaufmann, der Anwärter auf irgend ein herrschaftliches oder städtisches Finanzamt, der sorgsame Güter- oder Hausverwalter usw., war auf die Dienste der öffentlichen Rechenmeister an­ gewiesen; diese boten sich zumeist auch als Schönschreib­ lehrer (Modisten) für diejenigen an, die ihre Handschrift verbessern oder irgendeine Zierschrift lernen wollten. Aus Nürnberg kennen wir eine ganze Reihe solcher Rechen­ meister und Modisten, deren Namen uns zumeist Johann Neudörfer d. Ae., selbst einer der trefflichsten ihrer Zunft, in seinen „Nachrichten von Künstlern und Werkleuten zu Nürnberg, 1547“, überliefert hat. Da wären neben Kolberger zu nennen der schon oben als Konkurrent Kolbergers erscheinende Michel Jöppel, dessen Unterricht Christoph Scheurl d. Ae. genoß 2), Bernhard Hirschfelder, der „Gul­ denschreiber“ von Nördlingen, den Christoph Fürer als seinen Lehrmeister nennt, nachdem er vorher schon die lateinische Spitalschule besucht hatte und aus dessen Hän­ den er dann in die unseres Ruprecht Kolbergers über­ ging 3), Kaspar Schmid, der erste Lehrer Neudörfers, an dessen Stelle dann der Kanzleischreiber Paulus Vischer trat, Alexius Bierbaum, Konrad Glaser, Bartholomäus Zolcher u. a. Man sieht aus den eben mitgeteilten Nachrichten, welche uns den Uebergang von Schülern in die Hände ver­ schiedener Lehrer melden, daß eine gewisse Abstufung in *) Reicke, Lehrer und Unterrichtswesen in der deutschen Ver­ gangenheit, 1901, S. 41 ff. 2) Reicke a. a. O. S. 42. 3) Lochner, Joh. Neudörfer, Nachrichten von Künstlern und Werkleuten, Anm. S. 182, Günther a. a. O. S. 296 ff.

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der Wertung dieser Rechenmeister vorhanden war : die einen begnügten sich offenbar mit der Ueberlieferung der ersten Grundsätze der Rechenkunst ; wer aber höher strebte, mußte einen besseren und natürlich entsprechend teueren Unterricht aufsuchen, wie etwa den unseres Ruprecht Kolberger, dessen Schüler, wie wir oben sahen, z. B. Christoph Fürer d. Ae. war, ein feingebildeter Mann, später ein eifriger Gegner der Reformation und ihrer Einführung in Nürn­ berg 1). Auch über eine andere Art der Lehrtätigkeit, welche sich wieder mehr mit dem öffentlichen Leben der Reichsstadt berührt, besitzen wir Nachrichten. Kolberger bekleidete nämlich kurze Zeit (vom 17. April bis 3. Juli 1490) das Amt *) Einen kleinen Einblick in diesen Unterricht des jungen Nürnberger Patriziats gewährt uns ein im Jahre i486 zwischen Kolberger und seinem im gleichen Hause sitzenden Zinsmann, dem Goldschmied Saltzburger, abgeschlossener Vertrag; dieser hatte sich über die Anwesenheit und wohl auch den Lärm der jungen Herrlein in seiner Stube beklagt. Der Vertrag lautet: In der irrung zwischen Ruprechten Colberger ains- und des Saltzburgers, goldchmids, anderstails ist durch herrn Hector Pomer und herrn Erckenprechten Coler gütlich betaidingt, das Saltzburger dem Colberger vergönnen [soll], jezuzeiten, so Colberger in seiner stuben jung heit, aine, zwo, bis in vier erber person ungeverlich in des Saltzburgers stuben zu halten und daselbs zu underweisen, on eintrag und irrung des Saltzpurgers, on geverde, und das auch Saltzpurger dem Colberger die hinderstelligen, ver­ fallen hauszins bezalen sol; und darauf sollen sie ze baiden tailen gericht und gut freund sein und fridlich miteinander halten und leben. Act. quarta post Matthie [1. März] i486. Conserv. im Stadtarchiv Nürnberg, I. Fol. 242 a). Wir besitzen auch eine unzweifelhafte Probe der Hand­ schrift unseres Rechenmeisters. Im Jahre 1492 war er dem mit dem Ankauf des städtischen „parchats“ (d. h. einer Art Tuch, deren sich der Rat zur Bekleidung seiner Söldner und übrigen städtischen Diener, dann auch zu Geschenkzwecken [Preisen] bediente) Be­ trauten, namens Hans Rappolt, dem wohl das Schreib- und Rechen­ geschäft nicht gut von der Hand gehen wollte, bei der Rechnungs­ stellung über Einnahmen und Ausgaben behilflich. Das heute bei den Belegen zur Stadtrechnung befindliche Heft ist betitelt: „1492 Item am dornstag vor s. Margetten tag [— 12. Juli] die Rechnung von Hans Rappqlt der parchat halb etc., macht Ruprecht Kolberger r e c h e n m a i s t e r Und am Schluß findet sich nochmals die Bemerkung: Das alles oben herab hab ich Hans Rappolt innen von gemainer stat wegen, als mir das Ruprecht Kolperger durch mein fleissig begeren gerechent und geschriben hat; und ich obgenanter Rappolt hab ze merer sicherhait gedruckt zu ende disser [schrift] mein persönlich insidel etc. Die schöne, klare Schrift macht unserem Rechenmeister alle Ehre.

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eines städtischen Visierers1); in dieser Eigenschaft war es ihm gestattet, junge Leute, welche sich zuVisierern ausbilden wollten, zu unterrichten. Zum besseren Verständnis seien einige allgemeine Bemerkungen vorausgeschickt. Eine be­ sonders wichtige Einnahmequelle der städtischen Finanz­ kammer war nämlich in unserem Nürnberg, wie ander­ wärts, das sog. Ungeld, d. h. eine Steuer auf Wein, Bier und Met. Die Steuer wurde vom Faß oder Gebinde erhoben, ehe es in den Keller des Wirtes oder des Verbrauchers wanderte. Mit der unmittelbaren Erhebung des Ungeldes waren die „Visierer“ betraut, welche unter einem Ungeldamtmann standen, der seinerseits mit dem städtischen Finanzamt, der Losungsstube, verrechnete. Die nächste Amtsaufgabe der Visierer war natürlich den Rauminhalt eines Fasses usw. zu bestimmen, um darnach das Ungeld zu berechnen. Diese Bestimmung geschah vermittelst der Visierrute und gewiß auch rechnerisch; der gefundene Inhalt, das Visier, wurde auf die Fässer geschrieben und diente als Grundlage für die Erhebung der Gebühren. Es ist klar, daß sowohl die Hand­ habung der Visierrute, wie die rechnerische Feststellung des Inhalts eines Gefäßes eine gewisse Uebung und rech­ nerische Fertigkeit von Seiten der Visierer verlangte2). Diese Visierer, deren Zahl wechselte, waren von Haus aus Handwerker oder sonst kleine Leute ohne besondere schu­ lische Vorbildung, welchen dieser Nebenerwerb — die Visie­ rer erhielten z.B. im Jahre 1485 jede Woche 2Pfund novi — recht willkommen war 3). Ihre Ausbildung lag in den Hän*) Ratsverlaß vom 17. April 1490: Item wo der Kolberger daz visieramt annemen wil, sol im das verlihen werden. Desgleichen vom 3. Juli 1490: Item den Kolberger seins amts des visierns uf sein beger und anbringen ledig ze laßen und aus den, die nehst eingestoßen haben, einen an seiner stat ze kiesen. Desgleichen vom 10. Juli 1490: Item der visierer von Kitzingen, der nehst eingestoßen hat, wo er burger werden und das amt annemen wil, sol er anstat des Kolbergers aufgenomen werden. Auch dem Kolberger uf sein aufgebung des amts ze sagen, das er nu mit dem visieren furter still stee. 2) Eine Anweisung eine „rute zu [m] fisiren“ herzustellen, fin­ det sich schon in Ulman Stromers Büchlein „Von meim geslechet und von abenteur“. Chroniken der deutschen Städte I, S. 105 und 106. 3) Vgl. den Ratsverlaß vom 4. Mai 1482 bei Hampe a. a. O. I, Nr. 267: Item es ist erteilt, das diß jar vier visierer sein sollen,

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den tüchtiger Praktiker, welchen der Rat erlaubte, förm­ liche Ausbildungskurse durch öffentliche Anschläge anzu­ kündigen 1). In geeigneten Zeiträumen fanden öffentliche Prüfungen (,,gemeine Proben“) im Visieren oder ,,Ein­ stoßen“, wie man es auch (vielleicht vom Einstoßen des Ver­ schlußzapfens) hieß, statt, zu welchen sich jeder als An­ wärter melden konnte, der die nötigen Vorkenntnisse dazu zu haben glaubte 2). Selbst von Preisen für den besten Prüf­ ling ist einmal die Rede. Aus denen, welche die Prüfung bestanden hatten, wurden sodann je nach Abgang neue Visierer berufen. Auch bezüglich Kolbergers sind uns, wie bemerkt, Nach­ richten überliefert, nach welchen ihm die Ausbildung solcher Leute, welche ,,nach dem Visieramt stellten“, anvertraut war. Im April 1490, also während er selbst noch Visierer war, wurde ihm seitens des Rates gestattet, einen Eimer ,,nach der stat maß“ zu aichen und ,,zu notdurft seiner lerjungen des visierens“ zu gebrauchen. Wenn er denselben nicht länger benötige, solle er ihn sogleich wieder zurückgeben 3). wie etlich zeit her beschehen ist. Und Ulrich Hübsch, der moler, Niclas Gaulenhofer und Erhard Veyelhauer sind erteilt her in der stat zu visieren. Die beiden letzteren wurden im Jahre 1485 durch Anton Tallner und Nikolaus Nützel, einen Taschenmacher, ersetzt. U Ratsverlaß vom 17. März 1487: Item einem visierer von Werd [ist] vergönnt, schul zu halten und anzeslahen, Dem gleichen Visierer von Wöhrd (einem bei Nürnberg gelegenen Ort) wurde am 2. Mai des gleichen Jahres gestattet, einige ihm von der Stadt zu diesem Zwecke überlassene Fässer durch seine Schüler visieren zu lassen. 2) Man vgl. hiezu z. B. die folgenden Ratsverlässe: 1479, 2. No­ vember: Item es ist ertailt, das man zu den zwaien visierern noch einen visierer ufnemen und bestellen soll; und ob man ußerhalb der, die probiert sind, noch mer tuglich weßt, die auch zu pro­ bieren und danne darnach im rat sprechen, die herren darzu geordent, nämlich paumaister und Ant. Tücher. 1490, 24. April: Item uf montag schirst die visierer einstoßen und probieren ze laßen. 1490, 6. Mai: Item es ist erteilt, ein neue gemeine visier furzenemen und einstoßen ze laßen, wer da wil. Item zeitlich vor dem künftigen neuen rat furzelegen, ob man alle jar hinfur ein gemeine visier fürnemen wolle und, ob inen von gemeiner stat ein zimlich steur umb ein cleinat zugeben werde. Auch der oben wiedergegebene Ratsverlaß v. 3. Juli 1490 anläßlich Kolbergers Enthebung vom Visieramt ist hier einschlägig. 3) Ratsverlaß vom 27. April 1490: Item dem Kolberger, rechenmaister, ist vergönnt, einen eimer nach der stat maß ze

300 Nachdem ich im vorstehenden versucht habe, die Tätig­ keit Kolbergers in Diensten der Stadt als Techniker und Lehrer im Visieramt, dann seine Wirksamkeit als privater Schulmann zu kennzeichnen, soweit das lückenhafte Material dies gestattet, muß ich noch auf zwei bemerkenswerte, den Jahren 1492—1495 angehörige Nachrichten über unseren Rechenmeister zurückkommen. Zunächst erscheint nämlich Kolberger bei Ausführung jenes berühmten ,,W eltapfels“ beteiligt, den Martin Behaim in den Jahren 1491 und 1492 im Auftrag der drei obersten Hauptleute und auf Kosten der Stadt Nürnberg schuf. DieRechnungsnotizen über dieKosten der Anfertigung des Behaimischen ,,apfels oder mappa mundi“ — sie stellten sich nach dem abschließenden Rechenschaftsberichte Georg Holzschuhers vom Jahre 1494 auf 24 fl. 5 Pfd. neu 9 sh. 2 hlr. — finden sich abgedruckt bei Petz x) und Günther 2), doch hat keiner der beiden Verfasser Nachforschungen über den dort genannten „Kalperger“ angestellt. Daß dieser „Kalperger“ mit unserem Rechenmeister identisch ist, ist ja unzweifelhaft — dies bestätigt noch besonders ein unten zu erwähnender Ratsverlaß —, schwieriger ist dagegen, auf Grund jener Rechnungsnotate über Art und Umfang der Be­ teiligung Kolbergers an den Herstellungsarbeiten ins reine zu kommen. Soviel ist ja klar: seine Tätigkeit tritt hinter der des Malers (,,Glockenthon“) weit zurück ; diesem wurden 15 fl. ,,von d^r kugel zu malen“ bezahlt, während Kolberger nur 3 fl. zu fordern hatte. Die Mitwirkung unseres Rechen­ meisters scheint, wenn ich diese Rechnungen richtig deute, zunächst darin bestanden zu haben, daß er beauftragt war, unter Zuhilfenahme einer ihm gelieferten Tonkugel (,,leimen patron“) als Lehrform, welche das genaue Maß des Umfanges lieferte, ein Kugelmodell aus Pappe herzusteleichen, doch also, das er den niemant leihe oder gebe, auch zu nicht [s] anders geprauche, denne zu notdurft seiner lerjungen des visierens und, so er des darzu nicht lenger bedürfen würt, den alsdannen widergebe. Ratsbuch V, Fol. 133 b. *) Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürn­ berg Heft VI, S. 168—170. Das Archivale wurde vom Kreis- (jetzt Staats-) Archiv Nürnberg an das Städtische Archiv abgegeben. 2) Martin Behaim, Bamberg 1890.

3oi len 1), das er dann mit einem Gipsüberzug und einer Perga­ menthaut darüber versah, um so die Unterlage für den Maler zu schaffen, der die Kugel sodann nach den Vorzeich­ nungen Behaims zu bemalen hatte 2). Möglich wäre es ja wohl, daß Kolberger darüber hinaus die Aufgabe hatte, auf der Kugel die Himmelskreise (Aequator mit seiner Teilung zu 360 Graden, Wende- und Polarkreise und Ekliptik) ein­ zuzeichnen, vielleicht fiel dem Schreibkünstler auch die An­ bringung der den ganzen Globus bedeckenden erklärenden Inschriften zu, die ja nicht nur solche Erklärungen zu den einzelnen Ländernamen, sondern auch historische Bemerkun­ gen über die Entstehung des „Weltapfels“ bieten 3). Bei der Herstellung des Pappmodells wiederfuhr Kolberger das Mißgeschick, daß er die Lehmform zerbrach, welche „der Glockengießer“ neu herstellen mußte. Hiefür erhielt dieser 2 fl„ welche dem Rechenmeister an seinem Lohn, den er mit 3 fl. ansetzte, innebehalten wurden 4). Diese Auseinander­ setzungen gingen wohl zunächst die Stadt als Geldgeberin an, aber auch mit Martin Behaim geriet Kolberger, wie ein D Petz a. a. O. S. 169: Item zalt von eim leimen patron gein Kalperger zu fürn 28 dn., darüber solt man ein große kugel gemacht haben; mer umb plahen zu der ersten kugel 21 dn. . . . Ueber Rechenmeister als Buchbinder vgl. S. 291, Anm. 1. 2) Ghillany, Geschichte des Seefahrers Martin Behaim, nach den ältesten vorhandenen Urkunden bearbeitet, Nürnberg, 1853, S. 73, sagt: „Die Masse, aus der er (d. h. der Globus) gemacht wurde, ist Pappe, die über eine Form von Holzreifen gespannt ist. Ueber die Pappe ist eine Gypskruste und über diese wieder Pergament gezogen, auf welchem die Zeichnung ausgeführt wurde“. Der Globus befindet sich bekanntlich heute als Leihgabe der Freiherr von Behaimschen Familie im Germanischen Museum. 3) Vgl. Günther a. a. O. S. 73, Anm. 96. 4) Petz a. a. O.: Item so zalt ich dem Glockengießer umb den furm, den Kalperger zerprochen hatt, solt Kalperger ein große kugel darüber gemacht haben, wede ding durch N. Grossen und M. Peham, datum im fl. 2 Ä — dn. — Item so ist dem Kalperger das machlon von der kugel nicht wezalt, fodert 3 fl.; dargegen ist er schuldig die plahen von dem alten zeit, über den schonen prunen gepraucht ward; solt er die gros kugel ausgemacht haben; auch so hatt er den patron oder furm zerprochen, da man dem Glockengisser 2 fl. umb must geben . . . Dieser „Glockengisser“ war wirklich ein Glockengießer — es lebten damals solche des Namens Hans und Nikolaus Glocken­ gießer. Die Herstellung größerer Lehmformen (zu Gießzwecken) hing ja eng mit ihrem Handwerk zusammen.

302 von Petz und Günther noch übersehener Ratsverlaß vom Jahre 1492 beweist, in Streitigkeiten, über deren Gegenstand nichts weiter berichtet wird; daß sich diese auf die Welt­ kugel bezogen, scheint wohl sicher. Der Rat gab damals Marquart Mendel und Erckenprecht Koler den Auftrag, diese Irrungen womöglich in Güte beizulegenx). Am Schluß der Holzschuherschen Rechnungsaufstellung über die Kosten der Herstellung des Erdglobus findet sich dann noch eine merkwürdige Notiz, welche besagt, Kolberger habe Behaim gebeten, ihm die ,,kunst kosmografia oder das austeiln der kugel“ zu lehren, dann wolle er ,,dieweil“ Kugeln machen *2). Eine weitere Nachricht über unseren Rechenmeister aus dem Jahre 1495 zeigt diesen als Mitarbeiter an einem von dem bekannten Nürnberger Spruch- und Schwankdichter Hans Folz in dem genannten Jahre herausgegebenen Flug­ blatt gegen die Judenschaft in Nürnberg, als deren erbit­ terter Gegner Folz auch sonst in seinen Fastnachtsspielen und Spruchgedichten auftritt. Die Staatsbibliothek in Mün­ chen verwahrt unter ihren Einblattdrucken des 15. Jahrhun­ derts ein Exemplar dieses aus der Werkstatt des Druckers *Hans Mair in Nürnberg hervorgegangenen Flugblattes, betitelt ,,D ie rechnung Ruprecht Kolpergers von dem gesuch der juden auf 30 dm“3). Mit *) Ratsverlaß vom 19. Mai 1492: Item zu versuchen, die irrung zwischen herrn Mert [ein] Beheim und Rupr. Kolberger gütlich hinzelegen. M [arquart] Mendel, Erck [enprecht] Coler. 1492, sabbato ante dominicam cantate. 2) Petz a. a. O.: . . . auch sagt er her Merten zu, er solt in die kunst kosmografia lerna oder das austeiln der kugel, so wolt er dieweil ander kugel machen. 3) Beschrieben bei Haebler, Einblattdrucke des 15. Jahrh., S. 149, Nr. 593. Der Holzschnitt stellt einen an seinem Rechentisch sitzenden Juden dar, dem sich von links ein Bauer mit einem Ring in der Hand, sowie ein Mann mit rundem Hut, einen Becher mit Deckel tragend, nähern. Rechts an dem Tische eine Frau, die eben­ falls einen Becher emporhält. Ring und Becher sind offenbar Pfänder, auf welche der Jude leihen soll. Im Vordergrund eine Wiege mit einem schlafenden Kind darin, auf welches der Jude mit dem linken ausgestreckten Arm hinweist. Auf dem Rechentisch Linien zum Rechnen, ein Geldhäufchen, ein Buckelbecher. Eine Wiedergabe des Holzschnittes, sowie eines Teiles des Textes bei Liebe, Das Judentum in der deutschen Vergangenheit, Leipzig,

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,,gesuch“ bezeichnete das Mittelalter die von einem aus­ geliehenen Kapital anfallenden Zinsen. Die Tendenz des Folzschen Spruchgedichtes ist gegen die Auswüchse des sich damals immer mehr in den Händen des kapi­ talkräftigen Judentums sammelnden Darlehens- und Pfandleihegeschäfts gerichtet und gipfelt endlich — die nur wenige Jahre später wirklich eintretenden histo­ rischen Vorgänge vorausnehmend —1) in der Auf­ forderung zur Vertreibung der Juden nach dem Vor­ bilde des Markgrafen Friedrichs von Brandenburg und des Bischofs Philipp von Bamberg. Zur Veranschaulichung 1903, S. 40. Ueber den Meister siehe Stadler, Michael Wolgemut und der Nürnberger Holzschnitt im letzten Drittel des XV. Jahrh., S. 127. In dem 4. Bande des Conservatoriums des Städt. Archivs in Nürnberg, Fol. 12 a, findet sich ein Eintrag über einen Streit Ruprecht Kolbergers mit dem Maler Hans Traut von Speyer wegen eines „brett oder tafel“. Der Maler hatte offen­ bar diese Tafel für Kolberger angefertigt, dieser sich aber ge­ weigert, sie anzunehmen. Das Stadtgericht verurteilte Traut dazu die Tafel zurückzunehmen, gleichzeitig sollte aber Kolberger ihm eine billige Entschädigung bezahlen; falls sie sich nicht einigen könnten, sollte jede Partei einen Schiedsrichter wählen, bei dessen Aus­ spruch es unweigerlich bleiben sollte. Der Eintrag lautet: In der sache Hannsen Trautten von Speyr contra Rupprechten Cöl­ be r g e r ist nach verhörung clag, antwurt, red, widerred, der ver­ hörten zeugen sagen und allem furpringen zu recht erkannt: der clager neme das brett oder tafel pillich wider au und vertrag sich der antworter mit dem clager um seinen Ion pillich nach zimlichen dingen und, wa sie sich also miteinander nicht vertragen mochten, so neme pillich ir jeder ainen maister, die sie desshalb gegen einander verhörten; und was die zwischen in sprechen wurden, dabei belib es aber pillich [Ohne Datum, doch unzweifel­ haft zu dem unmittelbar vorausgehenden sexta post Pauli conversionis [= 31. Januar] 1494 gehörig]. Dürfen wir unter diesem „brett oder tafel“ wohl einen Holz­ schnittblock verstehen? Dann könnte ja wohl irgendein Zusammen­ hang mit dem obigen Einblattdruck bestehen. Neben diesem undatierten Münchener Druck des Folzschen Gedichtes gab es noch einen solchen vom Jahre 1491, gleichfalls mit einem Holzschnitt (Abb. bei Liebe, a. a. O. S. 12, besprochen von Stadler, a. a. O., S. 113). Die Szene am Rechentisch des Juden ist hier etwas anders dargestellt. Ein Bauer und ein Mann mit hoher Mütze nähern sich dem Juden von rechts; der Bauer hebt einen Ring empor, im Hintergrund eine Frau an einer Wiege, in welcher ein Kind schläft (Um wieviel ungeschickter hier der Text illustriert ist als bei dem vorigen Bilde, darüber siehe die folgende Anm. Die Ueberschrift lautet hier: Ein gar suptil rechnung Ruprecht Kolpergers von dem gsuch der iudn. *) Vgl. Reicke, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, S. 479 ff.

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der großen Geldsummen, welche sich durch Gewinn an Zins und Zinseszins in den Händen der Judenschaft ansam­ meln, wählte der Dichter die Summe, welche sich ergeben würde, wenn ein Jude einem neugeborenen Christenkind 30 Pfg. vorleihen und dieses Darlehen 20 Jahre lang mit 6 % verzinslich stehen bleiben würde x). Er kommt nach Umlauf dieser zwanzig Jahre auf die stattliche Summe von 60 849 403 dn. oder 243 397 fl. 5 «, 3 dn., welche also das zum jungen Manne herangewachsene Kind zu entrichten hätte, wenn die Tilgung jenes Darlehens nicht früher erfolgt wäre. Eine tabellarische Uebersicht über die Jahr um Jahr für die Verzinsung nötigen Summen hat Folz an die Spitze seines Flugblattes gestellt (s. Liebe a. a. O., wo die Tabelle abgedruckt); es sind dies also z. B. für das erste Jahr 61 dn., für das zweite 124, für das dritte 254 dn. usw., bis er für das 20. Jahr auf die oben genannte, gewaltige Summe kommt. Wer ihm die rechnerischen Unterlagen für sein Bei­ spiel geliefert hat, sagt der Dichter in der Ueberschrift seines Flugblattes selbst: es war eben unser Rechenmeister Ru­ precht Kolberger. Es erübrigt nun noch zu vermerken, welche Nachrich­ ten uns aus den letzten Lebensjahren des Rechenmeisters vorliegen. Im Jahre 1497, also wohl nach Abschluß seiner Tätigkeit an der Herrenwage, beabsichtigte Kolberger Nürn­ berg, offenbar auf längere Zeit, zu verlassen. Wir besitzen, wie schon oben berührt, einen Ratsverlaß vom 26. Sep­ tember 1497, wonach ihm auf seinen Wunsch ein amtliches Zeugnis über die Anfertigung seines ,,bestendigen, gemach­ ten wagewerks“ und seines ,,redlichen abschieds“ — d. h., daß er mit Wissen und Willen des Rates von Nürnberg weg­ gezogen sei — erteilt werden solle. Auf die Verhandlungen hierüber fielen nochmals, wie es scheint, die Schatten der 1) Offenbar mit dieser dem Gedichte zu Grunde liegenden Idee hängt die Gestalt des in der Wiege liegenden Kindes, auf welches der Jude mit der Hand hindeutet, in dem zuerst erwähnten Holz­ schnitt (Liebe S. 40) zusammen. Darum erscheint es viel weniger glücklich, daß auf dem Holzschnitt von 1491 (Liebe S. 12) Wiege und Kind von dem Wechseltisch entfernt in den Hintergrund ge­ schoben sind und gar, daß die Frau, die auf jenem mit dem Becher hilfeheischend am Tisch steht, nunmehr das Kind wiegt.

305 trüben Ereignisse vor 14 Jahren; Kolberger mag wohl auf eine Art Ehrenerklärung gedrängt haben, welche auch eine Wiederherstellung seiner durch die erlittene Gefängnishaft und Folter beeinträchtigten bürgerlichen Ehre in sich schloß. Der Rat zögerte mit der Antwort, „man wolle sich seines handeis erfahren“. Schließlich ließ er dem Rechenmeister am 25. September durch Peter Nützel und Jakob Groland sagen, man halte es für ,,förmlicher und außtraglicher“, d. h. für angemessener und wirksamer, wenn Herzog Georg von Niederbayern (dessen Kanzler, wie wir wissen, ein naher Verwandter, vielleicht ein Bruder des Rechenmeisters war) oder ein anderer an den Rat schriebe und die gewünschte Urkunde begehre. Doch schon am nächsten Tage wurde be­ schlossen, Kolberger ein lobendes Zeugnis über die von ihm gefertigten Wagen und über seinen ,,redlichen“ Abschied zu geben x). Leider besitzen wir die Urkunde nicht mehr, auch wissen wir nicht bestimmt, wohin Kolberger seine Schritte lenkte. Möglicherweise nach Landshut an den niederbayeri­ schen Hof. Jedenfalls dauerte seine Abwesenheit von Nürn­ berg nicht allzu lange. Schon im Oktober 1499 finden wir ihn wieder in Nürnberg und Gegenstand einer besonderen Ehrung seitens des Rates, der ihn am 16. Oktober mit dem Bürgerrecht beschenkte und sein Gutachten über eine Ver­ größerung der Heuwage einholte *2). Aus dem Ende Novem­ ber gleichen Jahres hören wir von Verhandlungen der *) Ratsbücher Bd. VI, Fol. 247 b: Rupprechten Kolberger ein urkund zu geben seins bestendigen, gemachten wagewerks und darzu seins redlichen abschieds, tercia post Mauricii [= 26. Sep­ tember] 1497. Dazu die Ratsverlässe vom 19. September 1497: Dem K o 1perger, rechenmaister, so etwan in dem loch gelegen ist, zu ant­ worten, man wolle sich seines handeis erfahren und solchs wider an ein rat laßen gelangen und ime alsdann antwort geben, und vom 25. September: Rupprechten Kolberger uf sein begeren zu antwurten, wo unser gnediger herzog Jorg oder ander einem rat schriben und begerten im urkund zu geben, sehe es ein rat für förmlicher und austraglicher an. P [eter] Nützel, Jacob Groland. 2) Ratsverlaß vom 16. Oktober 1499: Dem Kolperger ist das purgerrecht wider geschenkt worden und Jorg Koller soll mit im handeln der heuwag halben, ob man die großer künt machen. Bürgerbücher 1499, zwischen 19. und 26. Oktober: Ruprecht Colberger, nihil dedit. Es bedeutete dies unzweifelhaft eine ge­ wisse Wiederherstellung seiner bürgerlichen Ehre, so wie er das 1497 angestrebt hatte. 20

3°6 „Herrn in der Wag“ mit Kolberger1) „der fall- oder schnellwag halb“. Zu Anfang des nächsten Jahres gab es dann nochmals Auseinandersetzungen mit dem Rechen­ meister über die restlichen Zahlungen für die der Stadt neuerdings gelieferten Arbeiten 2); sie führten schließlich zu einer Generalquittung Kolbergers vom 26. Februar 1500 über 66 fl. für die im städtischen Waghaus gefertigten Wagen und für die Heu wage, sowie für „peßerung“ der alten Heuwage 3). Die letzte Nachricht, die ich über Kol­ bergers Tätigkeit für die Stadt finden konnte, ist ein Auf­ trag des Rates für Sebald Schürstab vom 12. Oktober 1503, wonach dieser den Wagmeister und den Kolberger „gegen einander“ hören sollte, der „neuen heuwag halb“; wahr­ scheinlich handelte es sich um gewisse technische Mängel, deren Beseitigung der Wagmeister von Kolberger verlangte oder erhoffte4). Seine Lehrtätigkeit als Rechenmeister sezte er in Nürnberg bis kurz vor seinem Tode fort 5). *) Ratsverlaß vom 29. November 1499: Die herrn in der wag sein gepeten worden, mit dem Kolperger zu handeln der falloder schnellwag halb, aber der andern gewicht in der stat zu rechtfertigen im uf ditzmal uf ein nachgedenken ableinen. 2) Ratsverlaß vom 14. Febr. 1500. Jörg Koller, Peter Harstorffer sollen handeln mit dem Kolperger, im ein kuntschaft zu geben unter unserm secret. Desgleichen vom 16. Februar: Sebolt Schürstab und Jorg Koller sollen handeln mit dem Kolperger und, wo sie sich nit mit im künnen vertragen, soll man im 40 oder 30 guidein ein weil darauf geben, pis er herwider küm. Desgleichen vom 23. Februar: Ruprechten Kolperger, so man im die 24 fl., die man im von rats wegen noch schuldig ist, bezalt, sol man im noch ein par gülden darzu schenken und um all sach quittirn laßen. 3) Siehe Beilage am Schluß. 4) Ratsverlaß vom 12. Oktober 1503: Der neuen heuwag halb den wagmeister und auch den Kolperger gegen einander hören und alles widerpringen. Herr S. Schurstab. ö) Dies beweisen verschiedene Einträge im Conservatorium des Städtischen Archivs, von welchen ich zwei vom 6. März 1503 und 13. November 1504 anführe: In der sach Ruprecht Kolbergers contra Peter Wernher umb acht guidein drei pfund hinderstellig für ain knaben, ist zu recht erkannt: getörst Wernher schwern, das er dem Kol­ berger den jungen nit verlassen, noch für ine versprochen hab, so sei er dem clager an dem Zuspruch nichtzit schuldig; getcrst er aber solchen eide nit tun, so beschech verrer, das recht ist, doch dem clager sein vordrung gegen des jungen vater Vorbehalten.

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Gestorben ist Kolberger zu Nürnberg zwischen dem 8. und 13. Mai 1505 A). Sein Erbe traten u. a. Georg Heuß, der berühmte Verfertiger des Männleinlaufens an der Frauenkirche, und der aus Neudörfer gleichfalls rühmlich bekannte Mechaniker und Uhrmacher Jakob Pulman an; beide machten Schnellwagen für die städtische Mehlwage, Heuß deren sogar mehrere2). Als tüchtigen Wagmacher seiner Zeit nennt Neudörfer auch Hanns Lambrecht von Aachen. Eodem die secunda post invocavit, 6. Martii 1503 [Conserv. VIII, Fol. 101 a]. In der sach Ruprecht Colbergers contra Bruno Engel ist die gevordert summa vom Colberger von gerichtswegen taxirt und gemessigt auf 35 ö>, doch auf abzug des guldin, so Colberger bekennt über das costgelt empfangen hab; und getar (d. h. getraue sich) dann Colberger zu got und den heiligen schwern, das er die drei knaben nicht anders angenommen hab, dann auf die zufelle und gerechtigkait, die im ander knaben über das gedingt costgeld geben, und er die angezogen rechenpuchlein, rechenpfenning, schwabacher pier und so vil mass, als er gerechent hat, die summa, in seiner rechenzettel bestimmt, den knaben gelihen und geben, desgleichen die truchlein um zins verlassen und sein hausfrau den knaben gewaschen und gezwagen hab, so ist Pruno Engel schuldig, dem Colberger die beteurten summa auf abzug des obgemelten mer eingenommen guldin zu entrichten, getar er aber solchen eid nit tun, so beschehe verrer, das recht ist, und die gerichtscost und sched sollen gegeneinander aufgehaben sein. Colburger ist mit dem aid volfarn 4 a post Martini, 13. novembris 1504 [Ebenda Fol. 206 b]. D Dieses Datum ergibt sich, wenn man die Angaben in den beiden Großtotengeläutbüchern von St. Sebald und St. Lorenzen (ersteres in Abschrift, letzteres im Original im Staatsarchiv Nürn­ berg) miteinander verbindet. In dem von St. Sebald ist ,, Ru pr (echt) Kolberger“ unter den von Fasten bis Pfing­ sten (12. Februar — 14. Mai) 1505 Verstorbenen vorgetragen; bei St. Lorenz fehlt sein Name, doch kommen einige ganz gleiche Nachbarn wie bei St. Sebald mit genauen Todesdaten vor, so daß es möglich ist, obige Grenzdaten zu gewinnen. 2) Hampe, Ratsverlässe I, Nr. 1285, 1286 und 1326—28. Neudörfer (Ausgabe von Lochner, S. 66): Er [nämlich Pulman] hat aber sonsten von Schlosserwerk viel schönes Dings gemacht, sonderlich aber in der Wag die zwen schönen künstlichen Wag­ balken, daran man außerhalb der Wag die Güter auf der Fuhr wiegt.

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BEILAGE.

Quittung Rupprecht Kolbergers für den Rat der Stadt Nürnberg über 66 fl. für angefertigte Wagen. 1500 Februar 26. Besiegeltes Original, Papier. Losungsamtl. Urk. im Staatsarchiv Nürnberg, S. V 93/2 Nr. 3058. Ich Ruebrecht von Neuen Kolberg1), burger zu Nürberg : Als mich die fursichtigen, erbern und weisen burgermaister und rate zu Nurberg, mein günstig lieben herren, verganger tage etlich wag in das waghaus, auch heuwag, zu machen bevolhen, darauf vurzig guidein gegeben, die ich ine bis auf ir weishait wolbegnügen ver­ fertigt und gemacht hab, also bekenn ich für mich und all mein erben in craft ditz briefs, das sich die gemelten burgermaister und rate, mein günstig herren, um die­ selben mein arbeit mit mir entlieh veraint und vertragen und mir um solch mein mue, arbait und alles, so ich dargelegt und darzu getan hab, gütlich ausgericht und bezalt haben noch 24 guidein, domit die suma 60 guidein trift, und darzu zwen guidein zu einer erung von pesserung wegen der alten heuwag, darum ich gemelte bur­ germaister und rat, mein besonder lieb herren, und ir nachkomen in der pesten form des rechten quit, ledig und los sag und hiemit gesagt haben wil. Des zu urkund gib ich ine disen brief mit meinem petschaftring verpetschaft. Geben am mitwochen nach Mathie [26. Februar] nach Christi gepurt im 1500 jare. Vgl. hiezu Nürnbg. Jahresregister Bd. V, Fol. 264a: Dedimus XVII M 460 gld. landsw. und 329 ft n [ovi] 6 sh. mits [amt] den 66 fl. Ruprecht Kolberger für etlich wag laut seiner qu [itung] in der laden der qu [itungen] ligend und „Inscribende“ 1500, quarta post Juliane [= 19. Februar] : Nota 64 fl. soll man Rupr. Kolberger pro 2 wag, G. S. (!) gemacht, geben. Recepit 60 fl. presenti die. *) Ueber diesen Adelstitel vgl. S. 281, Anm. 3.

KLEINERE MITTEILUNGEN.

Der Rat verfügt die Duldung eines unehlich gebornen Beutlergesellen durch das Handwerk. 1506. Es war beim alten Handwerk eingeführt, daß unehlich Gehörne nicht zugelassen wurden. In Straßburg wollten i. J. 1535 die Gesellen des Kandelgießerhandwerks sogar einem Gesellen deshalb nicht ausschenken, weil der Vater nicht ehlich geboren sei und sie ihn deshalb nicht für redlich halten könnten. Der Straßburger Rat wandte sich deshalb an den zu Nürnberg, der erwiderte, ,,daß bei ihm nicht ein­ mal die Findelkinder vom Handwerk ausgeschlossen wür­ den, um wie viel weniger sei dann dieser Kandelgießer­ jünger, der doch von ehlichen Eltern stamme, wenn auch sein Vater in unehlichem Bett erzeugt sei, zu hindern“. Er würde gewiß die Gesellen zum Ausschenken vermögen oder gegen sie nach Gebühr handeln und die Straßburger würden sich sonder Zweifel auch darin wohl zu halten wissen 1). Wie entschieden der Nürnberger Rat in dieser Be­ ziehung vorging, zeigt ein ähnlicher Fall aus dem Jahre 1506. Die Meister des Beutlerhandwerks hatten sich für ihre Gesellen, die deshalb vom Rugsamt gestraft wor­ den waren, weil sie einen unehlich gebornen Mitgesellen weder in der Werkstatt noch auf der Zeche neben sich dulden wollten, ihn gemieden und ihm die Zeche verboten hatten, an den Rat gewandt, damit er in die Sache sehe, weil sonst die Gesellen aufstehen und die Stadt verlassen würden. Dadurch aber würde ihnen ein nicht geringer Ab­ bruch an ihrem Handwerk entstehen. Aber der Rat dachte nicht daran, sich durch die Abzugsdrohungen der Gesellen irgendwie einschüchtern zu lassen. Durch die Gegen1) Sieh Näheres in meinem: Handwerker in der deutschen Vergangenheit S. 52 f.

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drohung ewiger Aussperrung wußte er die widerspenstigen Gesellen gefügig zu machen, wenn auch anderswo das Handwerksrecht in der Regel Unehlichen den Zutritt zum Handwerk verwehrte. Der Fall ist auch deshalb bemerkenswert, weil auch hier der Rat, wie so oft, wieder darauf hinwies, daß in Nürnberg ,,auf diesem oder andern Handwerken kein Zunft“ sei und daß er dieses Vorgehen der Gesellen für ,,ein zünftisch Fürnehmen“ ansehe. Wegen des besonderen Interesses, das der Fall bietet, mögen die beiden in Betracht kommenden Ratsverlässe hier eine Stelle finden. 1506 Juni 4. Als die maister des beutlerhandwerks an ainen rate gepracht haben, es sei ain knecht irs handwerks in diser stat von lediger gepurt, der auch wie ain ander knecht neben andern an die zech bishere gegangen. Deß haben die andern beswerd gehabt und ine gemitten, auch die zech verpotten, darumb sie gestraft sein. Das bring den knechten ain großen nachtail, dann die knecht, so neben ime arbaiten und solches gedulden, werden durch die andern auch veracht und gemitten, mit begere, also in die Sachen zusehen, damit die andern knecht nit gedrun­ gen werden, disen bei ine an der zech zu gedulden, dann die andern knecht wollen sonst alle aufsteen und von diser statt ziehen, das ine den maistern nit klainen abbruch irs handtwerks bring, ist ertailt, den maistern und knechten diß handwerks, so die beschickt sein, Zusagen, es sei in dieser statt uf disem oder andern handwerken kein zunft und bishere also gehalten, das die fundelkinder oder andere lediger gepurt zu hand­ werken zugelassen werden. Darumb sehe ain rate diß ir begern nit für pillich, sonder mer für ain zünftisch furnemen an. Darumb sei ains erbern rats ernstlicher bevelch, disen knecht wie ander an der zech und sonst zu gedulden und mit nichten zu sundern, wie mit alter herkomen, zu dem, daß er zu Straßburg und andern orten uff dem handwerk wie ander gelitten und zugelassen

sei, als er des urkund hab. Dann welcher knecht sich anders halten und diser Ursachen halben von hinnen ziehen und seinem maister aufsteen würd, die wolle ain rate alle in schritten verzeichnen und in ewig zeit hie nimmer einkommen lassen, auch, wo er betretten, mit straff gegen den gedenken. 1506 quinta post Erasmi. Ratsmanual 1506/07, Her A. Tücher, L. Grundher. H. 2, Bl. i8\ 19. 1506 Juni 9. Den gesellen des peutler handwerks soll man ir begern lainen, den gesellen zu meiden und nit bei inen an der zech zu leiden, der nit eelich ist, und inen sagen wie nächst, welcher hinwek ziehe, den wöll man verzaichnen und sie nimmer einkommen lassen. 1506 tercia post Erasmi 1). Herr A. Tücher, L. Gruntherr. Ebend. H. 2, Bl. 25’.

E. M.

Willibald Pirckheimer wegen Gewalttätigkeit zu einer zweitägigen Turmstrafe verurteilt. 1507. Bei der Durchsicht der Ratsbücher der Reichsstadt Nürnberg stieß ich auf mehrere Ratsverlässe, die einen Zusammenstoß Willibald Pirckheimers mit einem Kraft Vetter von Donauwörth betreffen. Auf das schwerste gereizt, ließ sich Pirckheimer zu einem tätlichen Angriff auf seinen Gegner hinreißen und verwundete ihn, was ihm außer dem Schmerzensgeld, Arztlohn, Frevelstrafe an den Rat und den Gerichtskosten noch eine zweitägige Freiheitsstrafe auf einem Turm in einem versperrten Kämmerlein eintrug. 1) Erasmi steht hier infolge eines Versehens des Schreibers. Der später aufgeführte Ratsverlaß kann unmöglich an einem früheren Tag ausgegangen sein als ein vorher stehender. Da die unmittelbar vorhergehenden Verlässe das Datum secunda post Bonifacii tragen, so muß es hier gleichfalls tercia post B o n i f a c i i heißen, d. u 9. Juni.

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Lochner hat diesen Fall in seinen Lebensläufen berühm­ ter und verdienter Nürnberger kurz behandelt, aber einige Umstände von besonderem Interesse außer acht gelassen, so daß es angezeigt erscheint, die in Betracht kommenden Ratsverlässe wörtlich wiederzugeben. Zwischen Kraft Vetter und der Gemahlin des Nürn­ berger Ratsherrn Leonhard Grundherr Ursula, einer gebornen Vetter, und ihrer Schwester, einer Besserer von Ulm, waren in Erbschaftssachen Irrungen entstanden, mit deren Beilegung der Nürnberger Rat befaßt worden war. Dieser hatte einige seiner Ratsfreunde beauftragt, die Parteien gütlich zu vergleichen, was aber an dem Widerstande Vetters scheiterte. Der Nürnberger Rat drängte dann auf das Erbieten der Grundherrin nochmals auf einen Austrag durch ihn selbst oder die Aelteren Herren oder durch die Städte Augsburg, Ulm oder Werd (Donauwörth). Will Vetter darauf nicht eingehen, so soll sie weitere Wege be­ schreiten und der Rat will ihr dann, falls es erforderlich sein sollte, alle mögliche Förderung angedeihen lassen. Es hat ganz den Anschein, daß der Handel Vetter-Pirckheimer mit dem Prozeß Vetter-Grundherrin in Zusammen­ hang stand. Was dafür spricht, ist der Anschluß des auf den ersten Ratsverlaß vom i. März unmittelbar folgenden Ver­ lasses vom gleichen Datum, der mit den Worten beginnt: ,,Aber der Sachen halb, so sich zwischen demselben Vettern und Wilbolten Birckheimer gestern begeben hat“ usw. 1). Hatte sich Pirckheimer etwa auf die Seite der Grundherrin gestellt und mißliebige Aeußerungen in oder außerhalb des Rats gegen Vetter gemacht, die diesem zu Ohren gekom­ men waren, oder war er ihr gar als Rechtsbeistand zur Seite gestanden, läßt sich nicht erkennen. Auch über den Ausgang dieses Prozesses verlautet in den Ratsverlässen nichts mehr. Der ganze Vorgang ist zur Beurteilung des Charakters Pirckheimers von nicht geringem Interesse. Freilich war *) Im Ratsmanual, das die ursprüngliche protokollarische Fassung enthält, lautet die Stelle: „Und den Vettern soll man der sächen halben, so sich zwischen Wilbolden Birckhaimer und ime begeben hat“ usw.

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er auf das äußerste gereizt worden, aber das hätte ihn, den Patrizier und Ratsherrn, seiner Würde doch nicht derart vergessen lassen dürfen, daß er auf seinen Gegner eindrang und ihn blutig schlug. Wenn man auch in Betracht zieht, daß man in jener Zeit auch in höheren Kreisen öfter und rascher zur Selbsthilfe seine Zuflucht nahm als heutzutage, so ging doch eine solche Gewalttätigkeit weit über die Grenze hinaus, die Recht und Gesetz zogen, wie ja auch die Strafe beweist, die dem Patrizier zudiktiert wurde und die er erlitt, ohne übrigens dadurch etwas von seinem Ansehen und seiner Bedeutung im Rat einzubüßen. Pirckheimer war ein selbstbewußter, stolzer, streit­ barer und, was man besonders in diesem Falle sieht, leiden­ schaftlicher Charakter, und man könnte gerade diesen Zor­ nesausbruch ihm zu so vielen andern ins Schuldbuch schrei­ ben, um zu beweisen, wozu er in seiner Leidenschaft fähig war, wie man es in der Frage Pirckheimer - Agnes Dürerin jetzt allgemein zu tun gewohnt geworden ist. Um aber Pirckheimer richtig zu beurteilen, ist es erforderlich, daß man auch seine guten Seiten nicht übersieht und besonders nicht aus dem Auge verliert, daß er neben seinen Fehlern auch seine großen Vorzüge hatte, daß er ein edler, hoch­ gesinnter und wahrhafter Mensch war und seine Stel­ lung zur Albrecht Dürerin und deren Beurteilung hinsicht­ lich ihres Charakters auch von diesem Standpunkt aus betrachtet werden muß. Es kann m. E. keinem Zweifel unterliegen, daß die mehrfachen Rettungen der Dürerin sehr auf Kosten Pirckheimers erfolgt sind, daß der Brief, den er nicht lange vor seinem Tode an den ihm befreun­ deten Baumeister in Wien Johann Tscherte schrieb, keines­ wegs vorurteilslos und richtig gedeutet und die schweren Vorwürfe, die insbesondere Thausing auf Pirckheimer des­ halb gehäuft hat, nicht aufrechterhalten werden können. Hier einmal eine Nachprüfung vorzunehmen, die Licht und Schatten gleichmäßig verteilen würde, wäre in der Tat eine Aufgabe, die im Interesse der Gerechtigkeit und Billigkeit geboten erscheint.

Hiezu die folgenden Ratsverlässe: 1507 März 1. Item als ein erber rat in den irrungen, so sich halten zwischen Craften Vettern von Werd und frauen n. Lenhart Gruntherrn elicher wirtin, etlich ire rats­ freund verordent hat, die in der gut oder zu rechtlicher Verfassung allen vleiß haben getan, aber früchtpars nichtzit handeln mögen, und sich aber die Gruntherrin beclagt, das Craft Vetter das jen, so ir und irer Schwester, der Pessererin zu Ulm, erblich zustee, ver­ halt und darinnen ir zimlich furgeschlagen rechtpot nicht annemen wöll, ist ertailt, dem Vettern auf der Gruntherrin erpieten, das sie auf ein erbern rat oder die eitern oder die stett Augspurg, Ulm oder Werd [fehlt etwa : gestellt habe] ungewaigert umb all irrung ic. zesagen : Ein erber rat sei gepflogner handlung und wie die allenthalben gestalt zusampt der Gruntherrin erpietens bericht, hett sich ver­ sehen, sei auch eins rats begern noch, das er der rechtpott ains anneme, damit im die unpillichait und vil nach­ red nicht aufgelegt werd, und sehe ein rat noch für gut an, die irrung durch ainen austrag oder ander gestalt gütlich hinzelegen. Wo aber nicht und der ungewa [i] gert austrag wurd abschlagen, das wer dannocht und das er destminder nicht die zins und gült solt einnemen, ungleich und der Gruntherrin beschwerlich, darum sie geursacht mocht werden, auch verner zehandeln und rat zesuchen, wie sie des iren durch gepurlich weg mocht bekommen. Und soll alsdann der Gruntherrin alle mugliche furdrung, wo si des not­ dürftig wirdet, von rats wegen beschechen. Herr Ulman Stromer und herr Jorig Holtzschuher. Actum secunda post Mathie. Ratsbuch 8, Bl. 334*. 1507 März 1. Aber der Sachen halb, so sich zwischen demselben Vettern und Wilbolten Birckhaimer gestern begeben hat, nemlich als Craft Vetter den Birckhaimer mit dem

315 schwert, so er im mund getragen, geschmecht und ainen narreten mann gehaissen, darum *) in Birckhaimer auf die schaiden geklopft hat, soll man nach tisch bede tail darinnen vor den funfen verhören und nach gelegenhait gehandelter ding mit straff darein sehen. Actum secunda post Matthie 1507. Ratsbuch 8, Bl. 335. 1507 März 3. Und als derselb Vetter darauf vor den funfen zu dem Birckhaimer geclagt und desselben antwurt dagegen gehört und nachvolgend clag und antwurt im rat ge­ sprochen, ist ertailt: Darumb, das er Craften Vetter nachgangen und in mit der feust under das angesicht geschlagen hat, zestraffen in laut des gesetz, nemlich dem Vettern zegeben umb den packen- oder maulstraich 20 pfund und das arztlon, eim rat auch sovil und dem richter seine recht, deßgleichen zwen tag und zwu nacht auf ein turn in ain versperts kemerlin und soll den Par­ teien die straff vor den funfen geofent werden. Actum quarta Kungundis. Ratsbuch 8, Bl. 335. Nach dem Verlaß in den Ratsprotokollen heißt die Stelle: ,,nemlich als Vetter den Birckhamer mit dem schwerr, so er im mund getragen, geschmecht und ainen narreten man genant und ime Birckhamer uff die schaiden geklopft“ 2C. Der ehemalige Stadtarchivar Dr. Georg Wolfgang Paul Lochner bringt in der mit der peinlichsten Genauigkeit hergestellten Abschrift (bis z. J. 1530) der Ratsbücher der Reichsstadt Nürnberg in einer Fußnote zur Aufklärung der beiden verschiedenen Lesarten die Be­ merkung: ,,Das Schwert war offenbar eine Schwäre.“ Auch in seiner geschriebenen Chronik der Reichsstadt (gleichfalls bis z. J. 1530 reichend) hält er an ,,Schwerr“ fest, obwohl er sonst stets den Aufzeichnungen des Ratsbuchs folgt. Und doch dürfte an der Lesart des Ratsbuchs festzuhalten sein. In den Ratsprotokollen hat der Protokollführer.— der Ratsschreiber — das Wort nach dem Vortrag bezw. Steht „darinnen“ im Ratsbuch.



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der Umfrage im Rat, so wie er es hörte, in der Eile mitgeschrieben und es konnte sich da eher ein Fehler ein­ schleichen als bei der Eintragung des Verlasses in das Ratsbuch, das die wichtigsten, für den Geschäftsgang not­ wendigen Ratsbeschlüsse, oft in erweiterter Gestalt, auf­ zunehmen hatte. Die Uebertragung geschah in der Kanzlei und konnte mit aller Ruhe und Ueberlegung und unter Nachprüfung der Richtigkeit in sachlicher wie in formeller Beziehung vorgenommen werden. Wenn wir somit der Eintragung des Ratsbuchs den Vorzug geben, so muß das Wort „Schwert“ und nicht „Schwerr“ gelautet haben. Gegen „Schwäre“, wie Lochner das Wort erklären will, spricht auch der Umstand, daß es weiblichen Geschlechts ist, während das „Schwerr“ des Ratsverlasses sächlich ist. Was aber hat „Schwäre“, wofür Lochner sich ent­ scheidet, für eine Bedeutung ? Leider sagt er es nicht, ob^qhon man eine Worferklärung schon deshalb hätte erwarten sollen, weil man sie vergebens in allen mittelhoch­ deutschen, dialektischen und neudeutschen Wörterbüchern sucht. Das Wort ist auch aus dem Dialekt verschwunden. Kaum erinnert sich ein Handwerker, der mit der Materie vertraut sein könnte, wie z. B. ein Messerschmied — die Schwertfeger sind leider längst ausgestorben — noch des Wortes. Bei einer Umfrage hörte ich von einem Messer­ schmied, Schwäre bezeichne einen mit einem Bleiknopf ver­ sehenen Stock, also einen Totschläger, es könne aber auch eine Art Keule gewesen sein. Also hier doch eine große Unsicherheit! Schwerr = Totschläger würde nun, wenn man die Ausdrücke im wörtlichen Sinne nehmen wollte, ebenso gut passen wie Schwert (weniger jedoch Keule). Aber weder das eine noch das andere Wort kann in seiner wirk­ lichen Bedeutung genommen werden. Ausschlaggebend dafür ist Folgendes. Kraft Vetter konnte unmöglich ein Schwert, noch weniger einer! Totschläger, im Munde, doch wohl mit den Zähnen, festhalten und dazu noch Schmähun­ gen ausstoßen. Eher hätte er doch wohl die Waffe drohend gegen Pirckheimer erhoben.

3i7 Schwert ist hier in übertragener Bedeutung zu nehmen. Im Bayerischen Wörterbuch von Schmeller-Frommann II, 373, wird zu „Schaid“, „Scheiden“ (= unserm Scheide) folgende Stelle aus Sebastian Frank angeführt: „Die Weiber führens Schwerd im Maul, werden darum auf die Schaid geschlagen.“ Ebenso Fischer, Schwäbisches Wör­ terbuch, V, 739, wo unmittelbar vorher gesagt wird, daß das Wort [das in diesem Sinne ohne Zweifel in ganz Süd­ deutschland verbreitet war] auch von der Scheide des weib­ lichen Pferds gebraucht werde. Bei der Abfassung des Ratsbeschlusses schwebte dem Ratsherrn bezw. dem Ratschreiber das sprichwörtliche Wort von Schwert und Scheide vor. Beide Stellen decken sich hier vollständig. Es war das böse Maul, das Schwertmaul, womit Kraft Vetter Pirckheimer schmähte. Und wenn ihn Pirckheimer dafür auf die Scheide klopfte, so kann das gleichfalls nicht wörtlich genommen werden bezüglich des Körperteils, auf den er ihn traf, sondern er schlug ihn, ohne daß es die Scheide gewesen wäre, sondern vielmehr in oder „unter das Angesicht“. Und die Schläge, die hier Pirckheimer aus­ teilte, müssen sehr kräftig gewesen sein, weil der Ratsherr in eine so exemplarische Strafe verfällt wurde, während sein Gegner, der ihn so schwer gereizt hatte, allem Anschein nach leer ausging. __________ E M

Der Rat ordnet die Verlegung der Holz-, Milch- und Diebesmärkte, die die Gottesdienste bei St. Jakob und Elisabeth stören, an. 1506 Sept. 19. Item nachdem bisher bei dem Teutschenhove ein holz-, auch zu nechst bei sant Eisbethen kirchen ein milich- und diebsmarkt an Werktagen gehalten worden, das den beden kirchen an dem gotsdienst manigvaltig Verhinderung pracht hat, ist ertailt, solche merkt zu verendern und hinfuro zehalten, nemlich den holzmarkt auf dem neu gepflasterten platz neben sant Jacobs kirch-

318 hof auf der andern seiten, den milichmarkt auf dem platz vor der einfart des Teutschen hofs und den diebs­ markt auf dem neu gepflasterten graben gegen dem Neuenpau. Und damit solchs in ain Ordnung kom, soll der paumaister dem leben bevelh tun, darinnen sein aufsehen zehaben, jede gattung an sein ort zeweisen und insonders, das er vleissig darob sei, damit die diebsmerkt zemorgens nicht eher dann zum garaus frue gehalten werden. Actum sabato post crucis exaltacionis. Ratsbuch 8, Bl. 290. 1512 Mai 18. Item die keuflin vor sant Eisbethen soll man statlich warnen, das si irn diebsmark des orts sommer oder winter zeit vor dem garaus nicht auslegen oder failhaben, und wo es darüber von imand verprochen wurd, ist den statknechten gewalt und bevelh geben, allen plunder und cremerei aufzeheben. Actum tertia post Sophie. Ratsbuch 10, Bl. 9. 1520 Juni 18. Item am Seumarkt soll man verpieten lassen, hinfuro kain wullen tuch elenweis auszeschneiden und zu­ verkaufen, solhs auch nimand hausirn tragen oder an ungewonlichen orten ausserhalben der heuser fail zehaben bei Verlust des tuchs, das die statknecht macht haben sollen zenemen und aufs rathaus zetragen. Desgleichen soll man am Diebsmarkt pei sant Jacob auch warnung tun lassen, hinfuro frue vor dem garaus gar nichtzit fail zehaben bei Verlust solher hab, welhs inen die statknecht und leb zenemen macht haben sollen, wo si vor dem garaus werden fail haben. Herr Lazarus Holzschuher. Actum secunda post Viti. E. M. Ratsbuch n, Bl. 293.

3^9 Unsittlichkeit der Klosterfrauen zu Gründlach. 1506 Mai 27. Item den kriegsherren ist bevolhen, ainen raisigen gewirbigen knecht gen Grindlach zeschicken und zubevelhen, das der den jungen Lonerstetter und Hilpoltsteiner in glubd nem, sich über etlich [tag] für einen erbern rat hereinzesteilen und nicht abzegen on beschaid. Actum quarta post Urbani. Ratsbuch 8, Bl. 257*. 1506 Mai 28. Und als darauf Endres Lonerstetter des andern tags hie vor rat erschinen, ist im aus bevelhnuß eins rats gesagt, er hab mutwillen und frevel mit aufstossung der tur und anderm im closter geübt. Das hab aim rat von im mißfallen, dann ob er gleich wolt sagen, die abtissin hett in zu solchem geursacht, so solt er doch an dem end sein selbs richter nicht sein gewest, sonder irer oberkait das mögen klagen und das convent wider sie zu ungehorsam und Widerwillen nicht bewegt haben. Darinnen ein rat wol ursach [het], straff gegen im furzenemen, das man in bedacht seiner erbern fruntschaft itzmals underlassen und darinnen gewarnet haben woll. Doch das er der verpflicht halb ain alt urfehd tue. Das ist von im beschehen. Actum quinta post Urbani 1506. Ratsbuch 8, Bl. 257', 258. 1506 Mai 28. Und demnach zu Stillung solchs Unwillens sind Michel Beheim und Jörig Futterer verordent, gein Grindlach zereiten, das die die abtissin und convent zesamen vordem und inen zu erkennen geben sollen, ein erbern rat hab angelangt das strefflich, sündlich und ungehorsam leben und wesen, das si mit gaistlichen und weltlichen mannspersonen nicht allein in, sonder auch außerhalben des closters one scheuhen offenlich geprauchen, das got dem almechtigen mißfällig, der weit argkwenig und aim erbern rat als obern und schutzherrn nicht zugedulden stee, und sei darinnen eins rats beger, solchem streff-

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liehen, ungeordenten leben abzusteen und sich die vom convent gegen der abtissin gehorsamlich zehalten. Dann wo hinfuro dergleichen leichtvertigkeit mer beschechen und aim rat angezaigt werd, gegen dem woll sich ain rat erzaigen, wie sie das gegen got und bei den menschen mögen verantwurten. Wurd auch der abtissin von den conventschwestern nachtailigs oder ungehorsamlich begegnen und sie das anlangen lassen, die woll ain rat als verprecherin irs Ordens straffen, deßgleichen sie von wegen irer Unordnung des chors zu rechtvertigen. Das alles durch obbestimpte hefren beschechen und abtissin und convent zu gutter freuntschaft und ainigkeit pracht sein. Actum quinta post Urbani. Ratsbuch 8, Bl. 258. 1506 Oktober 24. Item die kriegsherren sollen allen vleiß tun, Endressen Lonrstetter, der die fraun zu Grindlach geprant hat, zu . ains rats handen zepringen. Actum sabato post um. virginum. Ebend. Bl. 302. E. M.

Der Rat verbietet das Einhergehen der Töchter des Frauenhauses in ihren Kleidungen auf den Gassen; sie sollen sich möglichst anheim halten und nur in ihren Mänteln, Stauchen oder Schleiern die Kirche oder andere Orte besuchen. 1508 Juni 30. Item dem frauenwirt soll man sagen, daß er seine töchter nicht so pfleglich in iren hurnclaidungen alle gassen laß ausspuln **), sonder das si sich anhaims ent­ halten, sovil muglich, sie wollten dann in iren menteln und stauchen 2) oder schlairen die kirchen oder andere 4) aüsspielen. *) Stauche, der und die, (enger) Muff. Mhd. der und die stüche = herabhangender weiter offener Ermel am Frauenge wände, der den engen festgeschnürten umgab. Kopftuch. Ahd. stüchä. Weigand, Deutsches Wörterbuch, II, 802. Nach Schmeller-From-

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ort besuchen, das soll inen unbenomen sein. Her Stephan Volckmer. Sexta post Petri et Pauli. Katsbuch 9, Bl. 17. E. M.

Die letzte Amtsverrichtung des Nürnberger Scharfrichters Franz Schmidt (13. November 1617). Außer den offiziellen ,,Malefizbüchern“ der Reichsstadt Nürnberg, die sich, teils die gesamten Gerichtsverhandlun­ gen, teils nur den genauen Wortlaut der Urteilsverkün­ digung enthaltend, noch heute als eine ansehnliche Reihe schwerer Folianten im Staatsarchiv Nürnberg befinden, gibt es auch private Aufzeichnungen namentlich über die in Nürnberg erfolgten Hinrichtungen. Unter diesen wiederum stellt sich ein Teil lediglich als ein mehr oder minder aus­ führlicher Auszug aus den amtlichen Akten dar, wie einen solchen im 17. Jahrhundert namentlich der kaiserliche öffentliche Notar Georg Frommoder angefertigt hatte, auf dessen Elaborat wohl die meisten der zahlreich vorhandenen Handschriften dieses Inhalts zurückgehen werden. Einige andere Manuskripte aber bieten originale Aufzeichnungen von Persönlichkeiten, die bei den Exekutionen zugegen waren und jeweils danach die empfangenen Eindrücke zu Papier gebracht haben. Das bekannteste unter den Memoi­ renwerken dieser Art sind die Lebenserinnerungen des Nürnberger Scharfrichters Franz Schmidt, die in mehreren Abschriften verbreitet waren und bis in unsere Zeit hinein wiederholt im Druck erschienen sind. Aber ungleich lebensvoller, packender und allerdings auch grausiger sind die zweifellos höchst wahrheitsgetreuen Schilderungen, die mann, Bayer. Wörterbuch, II, 722, a) Kopfbinde, Kopftuch oder Schleier, b) Ermel (Sieh auch die Wörterbücher von Fischer und Lexer, der auch Tuch und Schürze als Bedeutung anführt). Es ist schwer zu entscheiden, ob jener herabhangende, weite, offene Ermel oder eine Kopfbinde oder ein Kopftuch anzunehmen ist. Da aber im Ratsverlaß von Stauchen oder Schleiern die Rede ist, so dürfte wohl an eine auffallende, reichgeschmückte Kopfbinde oder dergleichen Kopftuch, als dem Schleier am näch­ sten stehend, zu denken sein. 21

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uns aus der Zeit von 1605 bis 1620 ein anderer Augenzeuge der in Nürnberg vollzogenen Hinrichtungen hinterlassen hat. Es war dies einer der beiden Geistlichen, die in dem genannten Zeitraum vom Rat dazu bestellt waren, den armen Sündern in den letzten 3 Tagen vor ihrem Tode Trost und Belehrung zuteil werden zu lassen und sie auf dem Gange zur Richtstätte zu geleiten, vielleicht Magister Georg Müller, Diakon an St. Sebald, der in einer Kopie vom An­ fang des 18. Jahrhunderts — die Originalhandschrift hat sich bisher nicht auffinden lassen — als Verfasser bezeich­ net wird. Als Probe aus seinem Werk, das merkwürdiger­ weise bisher so gut wie unbekannt geblieben ist, lasse ich hier die Beschreibung der Straftaten, der Gefängnishaft und der Hinrichtung des Falschmünzers, Zauberers und Schatz­ gräbers Georg Karl Lamprecht von Mainbernheim folgen, der am 13. November 1617 den drakonischen Bestimmun­ gen der Halsgerichtsordnung gemäß lebendig verbrannt wurde. Es war die letzte Exekution, die Meister Franz, der Scharfrichter, vorgenommen hat. Bald darauf erkrankte er und ließ seinen Dienst aufsagen. Wenn wir die folgende Schilderung des martervollen Feuertodes lesen, läßt sich denken, daß er nicht ungern aus dem furchtbaren Amte, das er 44 Jahre hindurch (1573—1617) versehen hatte, geschie­ den sein wird. ,,Den 13. November [1617] donnerstags ist mit dem feuer gerichtet und lebendig verbrannt worden Georg Carl Lamprecht von Mainbernheim, eine halbe meil von Kitzin­ gen gelegen, seines handwerks ein müller und weinführer, im 30. jahr seines alters, darum daß er sich vor 7 jahren, demnach er sich von seinem weib, als die im öffentlichen ehebruch ergriffen worden, scheiden lassen, zu einer Zau­ berin, die Eisenbeisserin genandt, gesellet, mit derselben im Iand herumgezogen, sündlich mit ihr zugehalten, Zauberei, schätzgraben und anders von ihr zu erlernen; sonderlich aber, daß er eine gute geraume zeit die münzen, sowol gül­ den als silberne, verfälschet und beschnitten und anderes fal­ sches geld und dasselbige [= und zwar] in nicht geringer anzahl daraus gemacht hat. Zu solchen münzen und geld-

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beschneiden ist er, wie er mich berichtet, von seinem bruder, der 2 jahr jünger gewesen als er, aber viel verschmitzter, und Carl Heinzen, einen bürger und feilenhauer allhier, am Bret­ terten Meer [lies: bretternem Meer, Straßenbezeichnung] wohnhaft, und einen waffen- und hufschmidt, welchen man sonst den Heroldschmidt genennet, namens Zacharias, welche ihm die instrument und Werkzeuge dazu gemacht, beredet worden. Er hat vor jahren als ein mühlknecht allhier gedienet in der Catarina- und Pfannenmühl, ist auf eine zeit mit seinen gesellen spazieren gangen von Frauentor an bis zum Spittlertor. Ehe sie gar dahin gelanget, setzt er sich auf die mauren und, weil er neue schuhe angehabt, wichen ihm die füsse und fället rücklings oder hinter sich in den Stadt­ graben, da er gleichwohl weder arm noch bein entzwei gefal­ len hat, aber doch von solchem fall nicht aufstehen können, sondern ist auf einer mistbahr aus dem graben zu dem barbierer im Gostenhof getragen worden, da er sich eine zeit­ lang aufgehalten, bis er wiederum heil worden. Er hat auch unter dem marggrafen im Elsässer kriege sich gebrau­ chen lassen und eine musqueten geführet, allda er mit dem Hörnlein in kundschaft kommen und ihme ein stück von einer hirnschalen, welche für das schießen helfen sollen, ver­ kauft, die hernach bei dem Hörnlein gefunden worden und zu des Lamprechts verderben anlaß und gelegenheit ge­ geben hat. Er, Lamprecht, ist in so mancher großen gefahr gestecket und nicht umkommen, aber es hat geheißen, wie das gemeine Sprichwort lautet, was an galgen gehöret, das fällt den hals über einem besen nicht entzwei. Wann auch, wie die gemeine sage gegangen, sein vater, welcher Lorenz Lamprecht geheissen und auch ein müller gewesen, gerichtet worden sein solle, und seine mut­ ter Walburgis, die noch im leben, eine öffentliche [d. h. offenbare, zweifellose] unholdin oder hexe sein soll, so ist kein wunder, wann schon der apfel nicht weit vom bäum gefallen ist. In denen 5 wochen, weil er im loch gelegen, hat er mehr mit gott als mit denen menschen geredet, und zwar so hat 21*

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er solches wol bedürfet, dann wie wir hernach allererst erfahren, so ist er mit seiner Zauberei so weit kommen, daß er eine schwarze hennen gerupfet, an einen dreifachen wegscheid mit sich genommen, in die höhe erhoben und in diese wort herausgebrochen: ,,Sehe, teufel, da hast du deine speise, schaffe mir jetzunder auch die meine“, darüber er gleichwol von den leuten, die fürüber gegangen, zerstört [lies: gestört] worden; soches, achte ich, habe ihm das urteil [d. h. das gerichtliche Urteil] nicht wenig geschärfet. Die 3 tage über, weil wir bei ihm ab und zu gegangen, hat er des zeitlichen wenig oder gar nicht gedacht, ist auch um sein leib und leben nicht bekümmert gewesen, sondern nur allein um die seele. Die, hat er gebetet, wolle der liebe gott zu gnaden an- und aufnehmen. „Der leib“, sprach er viel und oftmals, ,,hat gesündiget, der muß auch seine strafe darum ausstehen“, und zwar [= fürwahr] so hat er seine büß mit viel tränen gesuchet. Und weil er schreiben und lesen können, welches er von sich selbsten gelernet, hat er seine zeit im loch mit lesen und beten zugebracht und ist ihm ein rechter ernst gewesen, dann wann er beten wollen, ist er allezeit auf seine knie darnieder gefallen und mit erhobenen händen zu gott gefleht und gebeten. Er ist in gottes wort dermassen belesen gewesen, daß ich ihme manches mal mit Verwunderung zugehöret habe; also auch den letzten tag, ehe er hervor in das stüblein geführet wor­ den, ist er wol eine halbe stund darnieder gelegen auf seinen knien, hat gott um Verzeihung seiner großen sünden an­ gerufen und gebetet, deßgleichen er auch hernach im stüb­ lein getan, so lang kniend gebetet, bis wir ihn endlich auf­ stehen heißen. Nach empfahung deß heiligen sacraments des wahren leibs und blutes Christi, welches den mittwoch zuvor vor­ mittags geschehen, hat er nichts mehr weder gegessen noch getrunken, sondern sich verlauten lassen, er wolle mit dieser speise, die er von seinem herrn Christo im nachtmal empfangen habe, fristen und aufenthalten bis in das ewige selige leben. Er wolte ungern solche geistliche speise mit der leiblichen mehr contaminiren oder beflecken, wie er

325 dann auch von den confecten, die ich ihm angeboten, nichts zu sich nehmen wollen. Im hinausführen hat er fleißig gebetet und wenig leute, die er gekant, gesegnet und um Verzeihung gebeten. Er ließe sich zwar gegen mich vor dem rathaus verlauten, wie er in hoffnung gestanden, daß er erstlich mit dem schwert, darnach vollends mit dem feuer möchte gerichtet werden. Weil es aber gott und der obrigkeit also gefallen, wolte er willig und geduldig an seine marter gehen, die nicht fürch­ ten, so allein den leib tödet etc. Fienge darauf an, mit Sprüchen und exempeln der heiligen märterer sich zu trösten, welches gewähret, bis wir zum gericht mit ihm hinauskom­ men sind. Da ist er auf erkäntnüß und bekäntnüß seiner sünden von mir absolviret, loß und ledig gesprochen worden von allen seinen sünden, nachmals auf den Scheiterhaufen hinaufgegangen, die umstehenden um Verzeihung gebeten und solches mit dem vaterunser beschlossen, welches er neben andern gebetlein mehr kniend gesprochen. Darauf hat ihn der Scharfrichter angenommen, niedergesetzet und an die eichene säulen erstlich mit einem sträng, daran er hat erwürgen sollen (aber es ist ihm mißlungen), darnach mit einer ketten angebunden, deßgleichen auch eine ketten um seinen leib herumgeschlagen, ein säcklein pulver an den hals gehenket, zwischen beeden armen und beinen pechkränze geleget, etliche büschel stroh um ihn gelehnet und klammern eingeschlagen. Inzwischen hat der löwe [ d. i. der Büttel oder Henkersknecht] den sträng mit einem knebel sollen aufwinden und ihn strangulieren, welches ihme, wie gemeldet, mißlungen. Unterdessen habe ich stäts mit ihm gebetet, bis das feuer angezündet worden ; da bin ich von ihm gegangen und im zurückgehen diese worte zugeschrien: ,,Herr, in deine hände befehle ich meinen ge ist.“ Als nun das feuer liechterlohe brande, haben wir ihn ein paarmal aus der flammen beten hören: ,,Herr Jesu nimm meinen geist auf“, welches gebet sonder zweifei der liebe Gott wird erhöret und seine arme seele in das bündelein des lebens an- und aufgenommen haben. Es ist ein solch

starker glaube in ihm gewesen, deßgleichen ich bei keinem armen sünder, dem ich das geleit zum gericht hinaus gegeben, noch zur zeit befunden habe; darum zweifle ich auch gar nicht, er seie zwar durch den erschröcklichen und erbärmlichen tod zum ewigen leben hindurch gedrungen und ein kind und erbe des ewigen lebens worden.“ Theodor Hampe.

Aus Markus Schüßlers Nachlaß. Markus Schüßler, in Nürnberg geboren 1842 und 1923 daselbst gestorben, war kein bildender Künstler, denn einige Radierungen aus seiner Jugendzeit berechtigen ihn nicht zu diesem Titel. Und doch stand er in so nahen Beziehungen zu der bildenden Kunst in Bayern und namentlich in Nürn­ berg, daß man an seiner Person und an seinem Wirken nicht vorübergehen könnte, wollte man eine Geschichte der Künst­ ler und ihrer Bestrebungen im letzten Drittel des 19. Jahr­ hunderts schreiben. Das beweisen die in seinem Nachlaß gefundenen weit über tausend an ihn gerichteten, oft mit reizenden Federzeichnungen geschmückten Briefe von Künstlern, Kunstsammlern und sonstigen Kunstfreunden. Ihr Inhalt legt beredtes Zeugnis ab für Freuden und Leiden der damaligen Künstlergeneration. Zumeist handelt es sich um Mitteilungen über neue Schöpfungen der Briefschreiber, um die Bitte, ihre öffentliche Ausstellung oder ihren Ver­ kauf in Nürnberg zu vermitteln, um günstige Besprechung in der Nürnberger und vielfach auch in auswärtiger Presse, um Dank für Förderung mannigfacher Art, um gewichtige Urteile über das Wesen der Kunst und über damalige Kunstrichtungen, erfreulicherweise aber auch nicht sel­ ten um aufjauchzenden Ausdruck von Künstlerlaune und Künstlerübermut. Die Freunde wußten ja, was sie von Schüßler zu erwar­ ten hatten. Stets taktvoll und uneigennützig, trat er mit voller Hingebung in Wort und Tat für ihre Interessen ein,

3*7 und sein auf gründliche Studien gestütztes und durch eifrige Sammlertätigkeit gesichertes Kunsturteil wurde besonders wegen seiner nie verletzenden, sondern stets milden und auch schwächere Kräfte ermunternden Form hoch geschätzt. So hat er Jahrzehnte lang für viele Künstler, die als Lernende oder Lehrende in Nürnberg tätig gewesen, später aber in die weite Welt zerstreut worden waren, das Band gebildet, das sie mit ihrer Alma mater verbunden hielt, und manche dort in Kunstbegeisterung geknüpfte persönliche Beziehung hat sich zu lebenslänglicher Freundschaft ent­ wickelt. Die Freunde wußten aber auch, daß Schüßler diskret war und daß sie daher ihre geheimsten Gedanken ihren Briefen ohne Gefahr eines Mißbrauchs anvertrauen durften. Selbstverständlich beherrscht dieser Grundsatz auch seine Erbinnen vollauf. Er muß aber aus allgemeineren Rücksichten eingeschränkt werden, wenn es sich um Per­ sonen handelt, deren Lebenslauf seit mehr als einem Men­ schenalter abgeschlossen ist und die der Geschichte angehö­ ren. Wenn die Nachwelt einen bedeutenden Menschen würdig erfunden hat, sich sein Lebensbild zur Nacheiferung und Verehrung zu erhalten, so hat sie auch ein Recht darauf, daß es naturgetreu gemalt wird; es ist ein öffentlichrechtlicher Anspruch, dem gegenüber private Zurückhaltung schwinden muß, soweit es sich um wesentliche Züge jenes Lebensbildes handelt. So sollen hier zwei an Schüßler gerichtete Briefe ver­ öffentlicht werden, die den Maler Anselm Feuerbach und den Dichter Joseph Victor von Scheffel betreffen; beide waren bekanntlich Jugendfreunde. Schüßler hatte in Nürnberg mit seinem Altersgenossen August Wolf herzliche Freundschaft geschlossen, als dieser hier Krelingschüler war. Wolf kopierte später für den Frei­ herrn, späteren Grafen von Schack Meisterwerke italieni­ scher Maler und nahm bald seinen lebenslänglichen Wohn­ sitz in Venedig, blieb aber durch Schüßler in ständiger Ver­ bindung mit Nürnberg. Sein Sohn Ermanno, der sich nach

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seiner italienischen Mutter Wolf-Ferrari nannte, wurde spä­ ter als Opernkomponist auch in Deutschland mehr bekannt als derVater. Am 19. Januar 1880 schrieb dieser aus Venedig an Schüßler folgenden Brief, der unter Fortlassung weniger ganz familiärer Sätze hier wörtlich wiedergegeben sei: Verehrtester Herr und Freund ! Es drängt mich schon seit langer Zeit Ihnen zu schrei­ ben. Aus dem besten Willen ist nichts geworden als eine elende Neujahrskarte, welche Sie wohl erhalten haben wer­ den. Ich bin unendlich vielseitig in Anspruch genommen. Nun kam der Tod Feuerbachs hinzu. Ich las in den mir von Audenrieth übersandten Zeitungen alles, was in Nürnberg geschah, und wäre Ihnen nun sehr dankbar, wenn Sie mir das von Ihnen gesprochene Gedichtx) zusenden wollten, sowie vielleicht noch das eine oder das andere, was sich auf Feuerbachs Leichenbegängnis bezieht bezw. was gesprochen ward. Sie würden nicht nur mich, sondern auch einige andere *) Schüßler hatte bei dem Leichenbegängnis auf dem St. Johan­ niskirchhof am 12. Januar 1880 als langjähriger Sprecher der Nürn­ berger Künstlergesellschaft „Klause“ folgenden von ihm verfaßten Abschiedsgruß vorgetragen: An seinem Sarg, an diesem Grab zu stehen, Wer hätte es vor kurzem noch geahnt; Die Hand erstarrt, den Lauf vollbracht zu sehen, Den er durch glückliches Gefild sich bahnt! Sein hoher Flug, er fühlte nicht das Wehen Des Todes, daß die letzte Stunde mahnt: In ganzer Kraft, im höchsten Geistesstreben Schied unser Meister lebensvoll vom Leben. Verloren ist der zaubervolle Sang, Durch den einst Orpheus, Hellas Sohn, das Leben Der Teuersten der Unterwelt entrang; — Wer mpcht’ es nicht dem Meister wieder geben, Wer hörte nicht der trauten Stimme Klang, Nur einmal noch, sein Wort, mit freud’gem Beben! Es ist vorbei, die Saiten sind zersprungen, Das Lied ist aus, der letzte Ton verklungen. Doch nein, es rauschen die gewalt’gen Schritte, Mit denen er durchmißt ein fernes Reich; Und nicht als Fremdling kommt er in die Mitte Zu den Heroen, denen er schon gleich Im Leben war an Geist und Form und Sitte: Von edlem Stamm ein blütenvoller Zweig. — So ist er zu den Sternen eingegangen Im Zenit seines Ruhms, im schönsten Prangen.

3*9 Verehrer Feuerbachs zu großem Danke verpflichten. — Sie können dich denken, wie uns alle, wenn wir auch nicht mit Feuerbach näher standen, sein Tod schmerzlich berührt hat. Jeder fühlte, was der Tod hier angerichtet habe. Pechts Nekrolog, welchen ich heute las, hat mir recht gefallen. — Ueber sein Sterben selbst weiß eigentlich niemand Näheres. — Er fühlte sich einige Tage unwohl, wie ich durch seinen Vergolder hörte . . . (Er verkehrte nicht mit Künstlern, sondern nur mit völlig der Kunst neutral gegenüberstehen­ den Menschen), blieb dann am 4ten morgens länger als sonst zu Bett. Seine Dienerin (im Gasthaus, wo er seit eini­ gen Tagen eingezogen war) sah später einmal nach dem Feuer. Als er um n Uhr noch nicht aufgestanden war, sah sie nach ihm. — Er war tot. — Scheint also ganz ruhig eingeschlafen zu sein.------Grüßen Sie Schwabe und sagen Sie ihm, wie sehr es uns wohlgetan hat, daß Sie alle sich so sehr selbst geehrt haben, indem Sie dem großen Künstler eine solche Leichen­ feier bereiteten. — Durch Herrn Soldans Wahl werde ich die Ehre haben, des Künstlers Nachlaß nach Nürnberg abzusenden und bei dieser Gelegenheit so glücklich sein, alles zu sehen. Sobald Vollmacht kommt, werde ich die Sache mit Hülfe eines Freundes in Angriff nehmen. — Wie hier, wo sich sonst niemand befand, der Feuerbach kannte und zu schätzen wußte, trotzdem die Feier gehalten wurde, werden Sie Wer kommt dort nicht, sein Antlitz jetzt zu schauen? Petrarca winkt ihm lieb’voll mit der Hand, Es nahet Dante mit den edlen Frauen Und grüßet ihn, der seinem Sinn verwandt; Wer könnte auch dem Künstler nicht vertrauen, Der solche Geister diesseits schon erkannt? So reicht ihm Plato ruhmbekränzt die Schale, Heißt ihn willkommen nun beim Göttermahle. Doch jetzt zurück von jenen lichten Sphären, Es gilt für ihn ein letztes Abschiedswort, Wer mag der bittern Wehmuth sich erwehren, Wenn einer nach dem andern ziehet fort; Hier fand der Meister spärlich nur die Ehren, Die ihm gebührt, hier fehlte ihm ein Hort: Drum lasset uns mit schmerzlichem Bewegen Den Lorbeer doch auf seinen Hügel legen!

330 in Lützows Zeitschriftx) lesen, wohin ich berichtete. Es kommen jedoch einige starke Ausdrücke vor. Wer weiß, vielleicht ist mein Bericht nicht einmal angenommen wor­ den. — Bitte grüßen Sie Prof. Wanderer, Schwabe, den guten Audenrieth, wenn Sie ihn sehen sollten. — Ich behalte mir vor, Ihnen später einmal ausführlicher zu schreiben, und bitte Sie, mir zu verzeihen, wenn ich über­ haupt mit Korrespondenz diesmal nur ganz bei der Feuer­ bachangelegenheit bleibe, die mich noch ganz und gar be­ schäftigt. Reichard und ich erfuhren seinen Tod erst zwei Tage nachher. So kam die Sache in nicht richtige Hände, so wurde z. B. seine Totenmaske von einem Venezianer, der ihn nie gesehen, gezeichnet und bezahlt. Ich kann das garnicht verwinden. Alles lag eben in Händen, welche die Bedeutung ihrer Aufgabe garnicht kannten. — Auch die Rede des Geistlichen war ganz null und nichtig. — Keiner von uns sprach, weil die Korporation als solche nicht dafür gesorgt hatte. — Ich sprach nicht, weil, als ich aufgefordert ward, überrascht, mich nicht so rasch zu fassen wußte. — Gesangvereine giebt es keine hier. — So blieb es bei der streng kirchlichen Feier.------Mit den allerbesten Grüßen bin ich Ihr hochachtungsvoll ergebenster August Wolf, Venedig, den 19. Januar 1880. Maler. Die Hofrätin Henriette Feuerbach hatte im Jahre 1876 ihren Wohnsitz von Heidelberg nach Nürnberg verlegt. So wurde diese alte deutsche Kunststadt auch für ihren schwär­ merisch geliebten Stiefsohn, den das Vaterland stets ver­ kannt und in das Ausland gedrängt hatte, spät zu einer neuen Heimat. Im Frühjahr 1878 hatte er die Mutter be­ sucht. Schüßler war beiden persönlich nahe getreten und hatte auch Gelegenheit gehabt, die Zeichnungen, Skizzen 1) Zeitschrift für Bildende Kunst, Band XV, Beiblatt Nr. 15 vom 22. 1. 1880, Seite 238.

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und Entwürfe zu vielen Werken des Künstlers unter dessen persönlicher Erläuterung zu sehen. Als am 4. Januar 1880 abends die völlig unerwartete Todesnachricht in Nürnberg eintraf, zeigte sich die Stadt ihres großen neuen Mitbürgers in hohem Maße würdig. Unter Teilnahme und tätiger Mitwirkung der hiesigen wie der Münchener Künstlerschaft wurde ein wahrhaft fürst­ liches Leichenbegängnis vorbereitet und nach dem Eintrefsen des Sarges aus Venedig am 12. Januar auf dem St. Johannisfriedhof abgehalten, wo das in der Nähe von Albrecht Dürers Ruhestätte befindliche, mit dem ehernen Bildnis des Künstlers von Heinrich Schwabe geschmückte Grab (Nr. 715) noch heute das Ziel aller Besucher des ehr­ würdigen Friedhofs ist und alljährlich am Johannistage wie das Dürergrab (Nr. 649) einen neuen Blumenflor erhält. Schüßler, der nun die trauernde Mutter bei der Ord­ nung des künstlerischen Nachlasses wesentlich unterstützte, sie auch dahin beriet, die Amazonenschlacht der städtischen Gemäldegalerie zu schenken, hatte die Empfindung, daß nach der bald verrauschten Begräbnisfeier noch etwas mehr geschehen müsse, um das Andenken des in Deutschland bis­ her so wenig Gewürdigten und so plötzlich Dahingegan­ genen in etwas dauerhafterer Weise zu erhalten. Er wandte sich an Scheffel^ dessen freundschaftliches Verhältnis zu Feuerbach er kannte und der auch zur Begräbnisfeier einen Kranz mit der Widmung: Dem teuren Meister Anselmus Ein letzter Gruß! gesandt hatte, und bat ihn, durch berufenen Dichtermund ein Denkmal zu setzen. Leider erhielt er folgende Antwort: Geehrter Herr! In Folge eines langwierigen anstrengenden Rechts­ streites über mein Anwesen am Bodensee, den ich selbst zu führen hatte, bedarf ich äußerer und innerer Ruhe. Von Herzen gern hätte ich Ihrer Aufforderung ent­ sprochen und meinem Freunde einen Nachruf gewidmet . . ich war Zeuge seiner Erfolge, als er in Karlsruhe seinen Hafis und Pietro Aretino — in der Venediger Academie die

332 Assunta Tizians malte (1855) und habe die durch die Cholera in Venedig veranlaßte unfreiwillige Sommerfrische auf Castel Toblino am Fuß der Brescianer Alpen mit ihm geteilt — meine besten Wünsche geleiteten ihn nach Rom und alle späteren Lebenswege . . aber es ist mir zur Zeit nicht möglich, das rechte Wort ehrender Erinnerung zu finden . . der Geist ist müde und der Körper von Rheuma gequält. Mit freundlichem Gruß Karlsruhe, 9. Juli 80. Scheffel. Nun entschloß sich Schüßler, dem Künstler, den er von jeher hoch geschätzt und vielleicht mehr als andere ver­ standen hatte, selbst ein literarisches Gedächtnismal zu stiften. Unter dem Titel ,,Zum Gedächtnis an Anselm Feuerbach. Eine Votivschrift“ gab er ein Buch heraus, dessen Inhalt nach einem kurzen Lebensabriß des Künstlers und einer verständnisvollen Würdigung seines Lebenswer­ kes aus der Feder des Herausgebers eine Schilderung der Begräbnisfeier mit allen am Grabe gesprochenen Worten und eine Reihe von Beileidskundgebungen, zum Teil in poetischer Form, bildeten. Zu dem überaus reichen Buch­ schmuck hatte die Nürnberger Künstlerschaft zahlreiche Originalzeichnungen beigesteuert. Das als Manuskript in nur 200 Exemplaren gedruckte Werk kam am 12. Septem­ ber 1880, dem Geburtstage des Meisters, zur Ausgabe und wurde vom Herausgeber an dessen Freunde und Verehrer verteilt. In ähnlicher Form gab Schüßler im Dezember 1883 gemeinschaftlich mit dem spanischen Vizekonsul Friedrich Knapp unter dem Titel ,,Zu edlem Zweck“ eine Druck­ schrift heraus, deren buchhändlerischer Ertrag der notleidenden Cnopfschen Kinderklinik zufloß. Sie war über­ reich mit Beiträgen Nürnberger Schriftsteller, Dichter und Musiker und mit Originalzeichnungen Nürnberger und aus­ wärtiger Künstler aus dem Freundeskreise der Herausgeber ausgestattet. Während mehrerer Jahrzehnte gab es in Nürnberg fast keine öffentliche Ausstellung von Kunst und Kunsthand-

333 werk, die Schüßler nicht in gern gelesenen Besprechungen in der Nürnberger Tagespresse, in der Leipziger Illustrier­ ten Zeitung, in Ueber Land und Meer, in der Gartenlaube u. a. gewürdigt hätte. Keinem bayerischen Künstler blieb er bei seinem Ableben den verdienten Nekrolog schuldig. Es fand in Nürnberg fast kein feierlicher Empfang fürst­ licher Personen, kein Jubiläum in Vereinen, in industriellen oder Handelsunternehmungen, in Familien statt, ohne daß Schüßlers leicht fließende poetische Ader geistreich und oft humorvoll zur Festlichkeit beisteuerte. Aber er teilte das Schicksal, das auch größeren Gelegenheitsdichtern beschieden zu sein pflegt: der Schriftsteller und Dichter wurde schneller vergessen als das Fest, das seine Muse begeistert hatte. Ihn davor zu bewahren, war wohl die Absicht einiger Nürnberger Künstlerfreunde, wenn sie mehrfach auf monu­ mentalen Werken seine Gestalt verewigten. So findet der Wissende ihn auf Heinrich Schwabes Kunstbrunnen, auf Paul Ritters ,,Einbringung der Reichskleinodien“ und ,,Rat­ haushof zu Nürnberg zur Zeit des westfälischen Friedens­ mahles 1649“ u* a* Einzelporträts von ihm sind im Besitz der Familie ge­ blieben, außer einem Erzrelief von Prof. Roeßner und einigen Zeichnungen und Radierungen in Gemälden von Paul Ritter, Professor Fleischmann und Gottlieb Rail. Der letzt­ genannte Künstler hat ihn scherzhaft in der altdeutschen Tracht eines Nürnberger Stadtschreibers gemalt. Er dachte dabei wohl an den Nürnberger Schreibmeister Johann Neudörfer; und in der Tat hätte sich Schüßler ein großes Verdienst erworben, wenn er wie jener „Nachrichten von Künstlern und Werkleuten“ seiner Zeit hinterlassen hätte. Sicher hätte er ein zuverlässigeres Werk geschaffen als jener, wenn auch dem Buche Neudörfers trotz seiner Dürf­ tigkeit eine hohe Bedeutung als Geschichtsquelle für die Nürnberger Kunst seiner Zeit nicht abgesprochen werden kann. Oft genug ist Schüßler gebeten worden, die Muße seines Ruhestandes dazu zu benutzen, dem regen Nürn­ berger Kunstleben, dessen Pulsschlag er miterlebt hatte, ein ähnliches Denkmal zu errichten. Er hat sich dazu nicht

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entschließen können. Gewiß hat ihn nicht ein Schwinden seiner geistigen Frische oder seines ungewöhnlich zuverläs­ sigen Gedächtnisses davon abgehalten, denn beides ist ihm bis in seine lezten Lebensstunden treu geblieben. Es war wohl mehr eine feinfühlige Bescheidenheit, die ihn hinderte, über vielfach noch lebende Künstler und ihre Kunstrichtun­ gen Urteile abzugeben, zumal er sich nicht verhehlte, daß seine Kunstanschauungen in einer vergangenen Kunst­ epoche wurzelten. Aber nicht nur den Künstlern und ihren Bestrebungen hat Schüßler seine Lebensaufgabe gewidmet. Seine amt­ liche Stellung in der Nürnberger Stadtverwaltung, ins­ besondere bei dem Gemeindekollegium sowie die persön­ liche Freundschaft, die ihn mit dem Oberbürgermeister von Stromer verband, ermöglichten es ihm auch, in hohem Maße in Kunstangelegenheiten seiner geliebten Vaterstadt Gutes zu wirken. Sehr wohl wußte man, was man ihm in dieser Beziehung zu einer Zeit zu verdanken hatte, die im all­ gemeinen solchen Bestrebungen nicht besonders günstig war, und in ehrender Weise kam dieser Dank zum Aus­ druck, als der Geheime Kommerzienrat Wacker sein von Professor Ludwig Kühn gemaltes Bildnis der Städtischen Bildergalerie zum Geschenk machte. In der Sitzung des Stadtmagistrats vom 9. Januar 1917 nannte ihn der Ober­ bürgermeister Dr. Geßler bei Annahme des Geschenks mit Recht einen ,,Freund der Kunst und der Künstler“. Georg v. B o n i n , Nürnberg.

LITERATUR.

Die Reformation in Nürnberg. Eine Gabe zum Refor­ mationsjubiläum 1925 von A. Engelhardt. Nürnberg, Verein für innere Mission, 1925. 99 S. 8°. Wie Nürnberg protestantisch wurde. Dargestellt von Ludwig Eisen. Nürnberg, Verein für innere Mission, 1925. 46 S. 8°. Beide Schriften sind von evangelischen Geistlichen zur Vierhundertjahrfeier der offiziellen Einführung der Refor­ mation in Nürnberg verfaßt. Sie beruhen beide auf gründ­ lichem Studium der besten verfügbaren Literatur und z. T. der unmittelbaren Quellen und sind zur guten und raschen Orientierung über diesen wichtigen Abschnitt der Nürn­ berger Geschichte sehr gut geeignet. Eisens Büchlein zeich­ net sich besonders durch Volkstümlichkeit und Frische aus. — Das ausführlichere Werkchen Engelhardts verfolgt die Ereignisse bis zum Augsburger Religionsfrieden von 1555, während Eisen in der Hauptsache mit 1526 abschließt. Kleine Ungenauigkeiten können das günstige Gesamturteil nicht beeinträchtigen. (Das Predigerkloster ist im Jahr 1543 nicht „ausgestorben“, wie es bei Engelhardt S. 71 und Eisen S.40 heißt, vielmehr traten die 5 letzten Insassen das Kloster an das „Gemeine Almosen“ ab. Vgl. diese Mitteilungen, Heft 25, S. 165). — Ein „Lapsus calami“ ist es, wenn Eisen an der gleichen Stelle vom Prior (statt Abt) des Egidienklosters schreibt. — Unwesentlich sind auch kleine Wider­ sprüche zwischen den beiden Arbeiten, etwa S. 22 bei Engelhardt und Eisen über Luthers Aufenthalt in Nürn­ berg; hier werden wir uns der vorsichtigeren Fassung Eisens anzuschließen haben (Vgl. E. Reickes Klarstellung dieser Frage in den Beiträgen zur Bayerischen Kirchen­ geschichte, Bd. 16, S. 135 und 136).

Friedrich Bock.

336 Nürnberg und die Versuche zur Wiederherstellung der alten Kirche im Zeitalter der Gegenreformation (1555 bis 1648) von Dr. Karl Braun, Studienrat in Nürnberg. (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, heraus­ gegeben vom Verein für bayr. Kirchengeschichte, Band I). Nürnberg 1925, in Kommission bei Lor. Spindler, Burgstr.6. XI und 133 Seiten. 8°. Es ist immer sehr erfreulich, einen Fortschritt in unsern Kenntnissen der Nürnberger Geschichte feststellen zu können. Dies gilt in besonderem Maße von dem hier vorliegenden Buch, das gleichsam als eine Fortsetzung zu der im vorigen Hefte von uns besprochenen Dissertation von Gustav Bub über das Interim in Nürnberg anzusehen ist. Hatte 1548 und in den folgenden Jahren die ungeheure Gefahr für die evangelische Reichsstadt bestanden, alle ihre auf das innerste religiöse Gewissen gegründeten kirch­ lichen Neuerungen so nach und nach wieder eingehen zu sehen, so war diese Gefahr in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und selbst in den für die Evangelischen so ungünstigen Jahren des dreißigjährigen Krieges zwar nicht so unmittelbar drohend, aber immerhin doch so, daß wir uns heute nur schwer einen Begriff machen können, wie sehr die Gemüter frommer Christen durch die von anderen ebenso frommen, nur eben anders gerichteten Christen aus­ gehenden Gewaltmaßregeln geängstigt und unterdrückt wurden. Hatte damals der Aufstand des Kurfürsten Moritz von Sachsen gegen Kaiser Karl V. die Sache des Protestan­ tismus gerettet, so sehen wir am Schlüsse dieses Buches die leuchtende Gestalt Gustav Adolfs sich erheben, der, wie der Verfasser ganz richtig sagt, gleichviel welche Wünsche ihn nach Deutschland geführt haben mögen, doch der Retter auch des nürnbergischen Protestantismus geworden ist. Mit seinem Eingreifen hörten die Revindikationsbestrebungen des Katholizismus zwar nicht ganz auf, aber sie nahmen doch nicht entfernt mehr jene den Evangelischen so unheim­ liche Gestalt an, wie sie sie namentlich in den Tagen des Restitutionsedikts (1629) gehabt hatten. Damals sollten Nürnberg sogar seine böhmischen Lehen katholisch ge-

337 macht, ja sie sollten ihm, wenn es sich dagegen sträubte, womöglich ganz genommen werden (S. 80 f.). Nicht nur der Kaiser, hieß es, hegte solche Absichten, auch Kurfürst Maximilian I. hoffte damals die von bayerischer Seite nie ganz aufgegebenen Ansprüche auf Altdorf, Lauf, Hersbruck usw. mit gutem Erfolg erneuern zu können. Auf dem Frankfurter Kompositionstag (1631) suchten die kaiser­ lichen Kommissare den Reichsstädten die ,,jura territorialia“ abzusprechen. Die Reichsstädte sollten glauben, was der Kaiser glaube, da dieser ihr direkter Herr wäre. Dies war ein äußerst schwerwiegender Angriff. Denn nur auf das Territorialrecht gründete sich nach § 23 des Augsburger Religionsfriedens das Recht der Obrigkeit, den Bekenntnis­ stand der Untertanen festsetzen zu dürfen. Gelegentlich des Regensburger Kurfürstenkonvents (1630) erklärte der Präsident des Reichshofrats, der Kaiser beabsichtige, als ob die Städte sein Patrimonialgut wären, allenthalben die Rats­ kollegien zur Hälfte mit Katholiken zu besetzen. Daß natürlich von katholischer Seite nun auch mit größerem Nachdruck versucht wurde, die Klöster wieder in ihren alten Stand zu setzen, ist begreiflich. In dieser Hinsicht war es Nürnberg gelungen, alle Anforderungen der Gegen­ partei, die namentlich in den lateinischen Streitschriften des Bamberger Weihbischofs Dr. Friedrich Forner (Norim­ berga in flore usw.) zu Worte kamen, unbefolgt zu lassen. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes im Innern der Stadt aber mußte Nürnberg zugeben, nicht nur im Deut­ schen Haus und in der Elisabethkapelle, sondern es sollte auch sogar die Jakobskirche dem Orden zurückerstatten, der dann natürlich nicht gezögert haben würde, auch hier den evangelischen Gottesdienst wieder abzuschaffen. Der Ein­ marsch Gustav Adolfs in Süddeutschland rettete die Stadt vor dieser ihr unerträglich dünkenden Aenderung. Es war ihr unangenehm genug, daß es später (1649), auf Grund ihrer Auseinandersetzungen mit dem Deutschen Orden zufolge den Ausführungsbestimmungen des Westfälischen Frie­ dens bei der Zelebration der Messe in der Elisabethkapelle sein Verbleiben hatte. Doch setzte sie es wenigstens durch, 38

338 daß während des katholischen Gottesdienstes die Türen nach der Straße gesperrt bleiben sollten und ein Besuch der Messe nur vom Hofe des Deutschhauses aus möglich war. Zugleich wahrte Nürnberg seine Hoheitsrechte dadurch, daß neben dem katholischen auch ein, übrigens sehr kurzer, evangelischer Gottesdienst, allerdings nicht im Chor und vor dem Hauptaltar, in der Elisabethkirche zugelassen wurde. Auch sollte vertragsgemäß nur ein Weltpriester amtieren dürfen, Kapuziner und Jesuiten und andere Ordenspriester sollten nichts darin zu suchen haben. Uebrigens ist es bemerkenswert, daß 1630 die Kapuziner, die damals in der Stadt weilten, sich dem Rat gegenüber als bescheidene und anspruchslose „arme Leut“ hinstellten, so daß es für ihn, den Rat, besser wäre, sie ,,vor den Jesuiten anzunehmen, weil selbige viel haben wollten“ (S. 91). Aber auch schon vor dem dreißigjährigen Kriege hatten die Bestrebungen der Gegenreformation Nürnberg oft hart genug zugesetzt. Es war namentlich das Hochstift Bamberg, weniger Eichstätt, das seine mehr oder weniger begrün­ deten kirchlichen Ansprüche auch mit brutaler Gewalt gel­ tend zu machen sich nicht scheute. Geldstrafen, Gefangen­ setzung, Einquartierung, Ausweisung mit kurz bemessener Frist haben dabei so manchen, anfänglich mit allen Fasern am Evangelium hängenden nürnbergischen Untertan zum Uebertritt zum alten Glauben gezwungen. Selbst die evan­ gelischen Pfarrer wurden gelegentlich in brutaler Weise ins Gefängnis geschleppt. Allerdings erlaubte sich die Stadt hier und da auch ihrerseits Gewaltmaßregeln gegen katho­ lische Priester. So wurde (wohl 1613) der in dem von Eichstätt beanspruchten Bechthal eingesetzte katholische Pfarrer von eigens dazu ausgeschickten Nürnberger Sol­ daten kurzerhand auf ein Pferd gesetzt und, nachdem man ihm die Füße unter dem Sattel zusammengebunden, nach Nürnberg gebracht. Der Eichstätter Bischof tat darauf das Gleiche mit dem von Nürnberg eingesetzten evangelischen Pfarrer (S. 47). Im allgemeinen war Nürnberg in allen diesen religiö­ sen Kämpfen vor den Tagen Gustav Adolfs der unter-

339 liegende Teil, Nur ganz selten wagte es, gegen seine fürst­ lichen und bischöflichen Nachbarn mit Repressalien zu antworten. Proteste, Klagen beim Reichskammergericht bildeten seine Waffe, obgleich es wohl wußte, daß in letz­ terem das katholische Element die Vorherrschaft hatte. Dabei lehnte es die Stadt, auch wenn der Fall zu ihren Gun­ sten zu liegen schien, grundsätzlich ab, sich auf die hohe Obrigkeit, die Fraisch, falls sie diese irgendwo besaß, zu berufen. Sie verlangte ein Recht auf alle ihre Untertanen, die ihr mit Steuer, Reise, Folge, mit der niederen Gerichts­ barkeit usw. unterworfen waren, gleichgiltig in wessen Kriminalgerichtsbarkeit dieselben saßen. Diesen, behaup­ tete sie, habe sie das Recht, ihre Religion bestimmen zu dürfen. Wie ihre eigenen Untertanen, sollten auch die Untertanen ihrer Bürger gehalten werden. Merkwürdig, daß der Rat gelegentlich, wie z. B. im Falle des nürnbergischen Untertanen Heinrich Bartburger in Neunkirchen (1596), auch prinzipiell nachgab und das Recht der geist­ lichen Fürsten, hier des Bischofs von Bamberg, zur Aus­ weisung anerkannte (S 29). Bis 1590 erfreute sich Nürnberg in konfessioneller Hin­ sicht einer im allgemeinen nur wenig gestörten Ruhe. Der bambergische Bischof Neithard v. Thüngen (1591—1598) und seine Nachfolger, abgesehen von dem friedlich gerich­ teten Philipp v. Gebsattel, konnten sich aber dann in gegenrefomatorischen Maßnahmen gar nicht genugtun. Die Bi­ schöfe beriefen sich noch im besonderen auf ihre geistliche Jurisdiktion, das jus dioecesanum, kraft dessen sie auch die Ehesachen, ja selbst Zinssachen der Evangelischen vor ihr Forum zu ziehen suchten. Auch im Ausland, in Italien (namentlich in Lucca), Tirol usw. waren Nürnberger Kaufleute allerlei Drang­ salierungen ausgesetzt, denen der Rat mit Repressalien nur schwer begegnen konnte. Noch nach dem etwas friedlichere Verhältnisse heraufführenden Prager Frieden von 1635 erging an die Nürnberger und Frankfurter Kaufleute in Wien ein kaiserlicher Befehl, falls sie sich nicht zur römisch-katholischen Kirche bekennen wollten, innerhalb 22*

340 vierzehn Tagen die kaiserlichen Erblande zu räumen und ihren Handel durch katholische Faktoren verrichten zu lassen. Die Bitten und Vorstellungen der beiden Städte wandten jedoch mit Erfolg diese höchst lästige Maßregel ab. Unsere Leser werden sich nach diesen Schilderungen ein Bild machen können, welch reichen Inhalt das zur Be­ sprechung stehende Buch bietet. Der Verfasser stützt sich dabei in der Hauptsache auf ungedrucktes Material, Spezial­ akten (wie die umfangreichen Schwedischen Kriegsakten des Nürnberger Staatsarchivs), die Nürnberger Briefbücher, Ratschlagbücher, Ratsverlässe usw. Auch wo schon ge­ drucktes Material vorlag, wie bei den Schrötterschen Arbei­ ten über die Deutschordenskirche, ist er, da die für sein Thema grundlegenden Gesichtspunkte ihm darin nicht scharf genug hervortraten, auf die Quellen zurückgegangen. So ist eine ansehnliche Arbeit geleistet worden, wie man anerkennen muß, mit Geschick und Umsicht, die sich beson­ ders auch in der Einteilung des Stoffes ausdrückt. Die Darstellung liest sich fließend und angenehm. Wenn ich etwas auszusetzen hätte, so ist es, daß wir nicht selten über irgend einen Vorgang des konfessionellen Kleinkriegs etwas erfahren, ohne doch dessen Ausgang kennen zu lernen. Ich weiß wohl, daß dies in den meisten Fällen nicht oder doch nur sehr schwer möglich ist, und daß es auch das gute Recht eines Autors ist, sich mit seinem Stoffe zu beschränken. Der Verfasser hätte aber dann bemerken sol­ len, daß er den weiteren Verlauf einer Angelegenheit nicht verfolgt bezw. daß er nichts darüber gefunden habe. Grund­ sätzlicher noch ist eine andere Frage,. Der Verfasser zitiert, soviel ich sehe, nur nürnbergische Archivalien, die Staats­ archive zu Bamberg und München, behauptet er in der Ein­ leitung, hätten nur wenig Material geboten. Es wäre nun gewiß schon ein Verdienst zu nennen, wenn der Verfasser nur mit Hilfe der Nürnberger Akten gearbeitet hätte. Aber eine gewisse Einseitigkeit, und sei es auch nur in der Erzählung der Tatsachen, war damit nicht zu vermeiden, obgleich durchaus anerkannt werden muß, daß der protestantische Verfasser es gegenüber der katholischen Partei an Objek-

341 tivität nicht hat fehlen lassen. Sonstige Ausstellungen betreffen mehr Aeußeres. Bei den vielen Zitaten aus den Briefbüchern usw. hätten die Jahreszahlen und Daten besser angegeben werden sollen. Jetzt muß man sich das Datum irgend einer Begebenheit oft erst mühsam suchen, ohne es immer zu finden. Auch das Quellenverzeichnis hätte ge­ nauer sein dürfen. Die Annalen und die hier in Betracht kommende Relation Müllners sind ungenügend zitiert, bei den Opera Pirckheimeri wäre der Herausgeber Goldast eher zu nennen gewesen als der Drucker. Donaubauers Arbeit hätte nach seinem Beitrag in unsern Mitteilungen und nicht nach der Zählung in seiner Dissertation angeführt werden sollen. Bei den Signaturen aus der Bibliotheca Norica Williana (so und nicht Williana Norica!) wäre auch das Format anzugeben gewesen. Man muß immer wieder bedauern, daß die Studierenden auf der Universität nicht mit einer verständigen Zitierweise vertraut gemacht werden. Sehr zu begrüßen ist, daß Braun seiner Arbeit auch ein Register beigefügt hat. Es ist, soviel ich sehe, sorgfältig und geschickt gemacht. Der erst kürzlich gegründete Ver­ ein für bayerische Kirchengeschichte hat mit diesem ersten Bande seiner Einzelarbeiten einen würdigen Anfang ge­ macht. Emil Reicke.

Der Heilbronner Bund 1632—1635 von Johannes Kretzschmar. 3 Bde. Lübeck, H. G. Rathgens, 1922. XXIII -f- 486, 626, 503 S. 801). Mit dem Tode Gustav Adolfs auf dem Schlachtfelde bei Lützen wurden auch seine kühnen, welterschütternden Pläne zu Grabe getragen. Nach der Sicherstellung der Herrschaft Schwedens über die Ostsee gegenüber Däne­ mark, Polen und Rußland hatte er in die deutschen Verhält*) Bei der Besprechung dieses hervorragenden Werkes mußte etwas weiter ausgegriffen werden, auch um die Rolle, die Nürn­ berg mit den übrigen Reichsstädten in diesem traurigen Drama

spielte, dem Verständnis der Vereinsmitglieder näher zu bringen.

342 nisse eingegriffen, zunächst und vor allem im Interesse des eigenen Vaterlandes, um sich die deutschen Gestade der Ostsee, Pommern, Preußen und die mecklenburgischen Hä­ fen, zu sichern, dann, um den Glaubensgenossen, die im Kampfe mit dem Kaiser zu erliegen drohten, Hilfe zu brin­ gen und sie zu einem corpus Evangelicorum unter seinem Direktorium zusammenzufassen. Was er wollte und ver­ langte, war die unbedingte Superiorität als Tutor und Pro­ tektor über alle Glaubensgenossen, ohne daß ihm in militä­ rischen und politischen Dingen die Hände gebunden wären; die eroberten katholischen Gebiete nahm er für sich in An­ spruch, um daraus die Donationen für die Stände zu ent­ nehmen, ja sogar das jus belli gegen die Fürsten, die ihm bei seinem Eintritt in Deutschland feindlich entgegengetre­ ten waren. Ob er freilich diese weitaussehenden Pläne hätte durchführen können, ist eine Frage, die sich nicht beantworten läßt. Den Höhepunkt seiner Macht hatte er bei seinem Tode bereits überschritten, aber er stand doch da als der geniale Feldherr und Staatsmann, als einer der Größten, wie der Verfasser mit Recht bemerkt, die je auf Erden gelebt haben. Und nun, als sein Kanzler Oxenstierna die Erbschaft übernahm, war sein großes Werk auf das äußerste gefährdet. Denn so bedeutend dieser auch als Staatsmann und Diplomat sein mochte, den König konnte er doch in keiner Weise ersetzen, er war nicht der Feld­ herr, ihm eignete auch nicht die gleiche Machtfülle und Bewegungsfreiheit, er war als Staatsdiener bei allen Macht­ befugnissen gebunden, es fehlte ihm auch jene gewaltige Initiative und Genialität des Königs, der die Verantwortung lediglich in sich selbst getragen und, wo es nötig erschienen war, den gordischen Knoten durchhauen hatte. Er war nicht jene angriffslustige und sieggewohnte vordringende Natur; ganz und gar Diplomat, mußte er sich den völlig veränderten Verhältnissen anpassen, auf die hochfliegenden universellen Pläne des Königs verzichten und seine ganze Tätigkeit auf die Erhaltung des Erreichten und auf die Erstrebung eines Bundes der evangelischen Stände mit Schwe­ den einstellen.

343 Waren schon unter Gustav Adolf wiederholt Schwie­ rigkeiten eingetreten, weil er, der Eindringling, die „Libertät“ der Stände antastete, um wieviel mehr mußten sich die Widerstände unter dem mit viel geringeren Machtmitteln ausgestatteten abhängigen Kanzler zu einer Zeit häufen und verstärken, wo die Opferwilligkeit nachgelassen hatte, die Lasten in erschreckendem Maße wuchsen und das Land unter dem furchtbaren Drucke der zügellosen Heere seufzte. Aber trotz aller Schwierigkeiten gelang es dem Kanz­ ler, die vier oberdeutschen Kreise zum Runde zusammen­ zufassen, wenn er auch seine Forderungen auf das äußerste beschränken mußte. Die zwei sächsischen Kreise dem Bunde anzuschließen, stieß aber auf unüberwindliche Hindernisse. Kursachsen, das sich selbst als das Oberhaupt der evan­ gelischen Stände betrachtete, bekämpfte das schwedische Direktorium heimlich wie öffentlich. An dem Bundestage zu Frankfurt (1634/35), an dem auch die Gesandten des ober- und niedersächsischen Kreises zur Verhandlung wegen ihres Beitritts erschienen waren, nahm Sachsen nicht teil. Zwar weilten seine Gesandten in Frankfurt, aber nur als Beobachter, ihre ganze Tätigkeit richtete sich gegen die Be­ strebungen Oxenstiernas, sie ging darauf hinaus, ihn durch Einwirkung auf die Stände zugunsten eines allgemeinen Friedens matt zu setzen. Dann aber war es besonders der Plan des Kanzlers, Pommern als Satisfaktion für Schweden zu erwerben, wodurch er Brandenburg, das den Besitz von Pommern' als Erbschaft und unentbehrliche Ergänzung seines Gebiets schon von Anfang an ins Auge gefaßt hatte, vom Bunde abzog und schließlich Sachsen und dem Kaiser in die Arme trieb. Als dann nach der Schlacht von Nördlingen die Ver­ handlungen wegen Aufbringung der Mittel für den Unter­ halt der Armee auf dem Bundestage zu Worms scheiterten, der Kanzler die Ratifikation des mit Frankreich abgeschlos­ senen Pariser Vertrages, wodurch dessen Hilfeleistung durch bedeutende Zugeständnisse erkauft wurde, zugleich mit den Städten verweigerte, die Stände immer mehr von Schweden abrückten, Bernhard von Weimar die absolute

344 Kommandogewalt verlangte und auch sonst die Verhältnisse sich immer verworrener gestalteten, gab der Kanzler tat­ sächlich die Sache des Bundes auf, wenn er auch noch den Schein als Bundesoberhaupt wahrte. Durch den Frieden von Prag, den Sachsen mit dem Kaiser abschloß und dem auch Brandenburg beitrat, wurden die evangelischen Stände gezwungen, mit dem Kaiser Frieden zu machen. Damit war der Heilbronner Bund endgiltig erledigt. Oxenstiernas Bemühungen um das Zustandekommen eines allgemeinen evangelischen Bundes hatten auch schei­ tern müssen an den fortwährenden Widerständen der Evan­ gelischen, die ihre eigenen Interessen verfolgten, in ihm den fremden Eindringling sahen, der ihnen alle Lasten aufbür­ dete, während Schweden selbst nichts dazu beitrug, ja sogar seine Soldaten nach und nach zurückgezogen hatte, an der Unmöglichkeit, die unaufhörlichen Kontributionen und son­ stigen unerschwinglichen Auflagen aufzubringen, an der all­ gemeinen Friedenssehnsucht, die sich dadurch und infolge der allgemeinen Erschöpfung des von einer zügellosen Soldateska verwüsteten und ausgesogenen Landes einstellen mußte. Hier auch nur einigermaßen auf das einzelne ein­ zugehen, verbietet das gewaltige in dem großen Werke ver­ arbeitete Material einer Unzahl von Archiven und Samm­ lungen, das über alles und jedes, was mit dem Bunde Zusam­ menhänge unterrichtet. Es mag wohl kaum ein zweites Werk geben, das einen fast unübersehbaren Stoff in so erschöpfender Durchdringung und Auswertung und klarer Darstellung bietet. Fast möchte man meinen, der Verfasser sei Zeuge gewesen, wenn er die langwierigen und zwiespäl­ tigen Verhandlungen auf den vielen Tagungen, besonders auf dem Heilbronner und Frankfurter Konvent, die Organi­ sation des Bundes, die Widerstände der großen und kleinen Bundesmitglieder, die Eigensucht und Ländergier der Für­ sten, die Selbstherrlichkeit und Rivalität der Feldherrn im einzelnen darlegt oder wenn er das Verhältnis zu den aus­ wärtigen Staaten, insbesondere zu Frankreich, das sich in die deutschen Verhältnisse einmengte und sich in Deutsch­ land festzusetzen suchte, an das der Kanzler durch einen

345 Subsidienvertrag und später auch noch durch ein für Deutschland so unheilvolles Bündnis gekettet war, schildert, oder wenn er die in den Vordergrund tretenden Persön­ lichkeiten nach politischer Einstellung und Charakter vor Augen führt. Wir haben hier ein bedeutendes und tief­ gründiges Werk vor uns, das zugleich als in jeder Hinsicht abschließend betrachtet werden muß. Unser besonderes Interesse beansprucht die Stellung, die Nürnberg dem König und dem Kanzler gegenüber einnahm. Darauf ist an dieser Stelle etwas näher ein­ zugehen. Gleich beim Erscheinen des Königs hatte die Stadt für ihn fest und freudig Partei ergriffen, wenn sie auch nicht versäumte, ihren Standpunkt als freie Reichsstadt so gut wie möglich zu wahren. Als sich die beiden Heere bei Fürth gegenüberlagen, brachte es ganz gewaltige Opfer durch Lieferung von Proviant, Munition und sonsti­ gem Material für das Heer, und es darf wohl auch darauf hingewiesen werden, in welch außerordentlichem Maße die Stadt, ihre Bewohner und Untertanen durch die in weitem Umkreise der Stadt errichteten Schanzen in Anspruch ge­ nommen wurden. Diese großen Verdienste wollte der König durch umfassende Donationen belohnen. So hatte er ihr den Verzicht des Markgrafen von Brandenburg auf seine Ansprüche auf den sog. Nürnberger Distrikt zwischen den drei Wassern (Schwarzach, Schwabach und Rednitz) in Aussicht gestellt, was allerdings der Markgraf mit Ent­ rüstung zurückwies, dann aber ihr alle geistlichen und feind­ lichen Güter und Untertanen in ihrem Gebiete zugewiesen. Den Anspruch des Königs auf das unbedingte Protektorat und Direktorium erkannte sie nicht an. Er bestand auch nicht auf eine Allianz, sondern begnügte sich mit einem Revers. Nürnberg verpflichtete sich nur, auf Kriegsdauer zum König und der Krone Schweden zu stehen, ihm jeder­ zeit Paß und Repaß durch die Stadt und ihr Gebiet zu ge­ währen, bei Gefahr eine schwedische Garnison einzunehmen, die Stadt unter des Königs Direktorium zu verteidigen und: Kontributionen zu zahlen nach Maßgabe der übrigen

34Ö Kreisstände. Die Garnison hatte dem König zu schwören. Aber dies alles sollte ihrer Reichsfreiheit keinen Abbruch tun. Außerdem mußte sich die Stadt noch zu einem Dar­ lehen von ioo ooo Reichstalern verstehen. Den größten Wert legte der König auf den Beistand der Reichsstädte. Wenn sie beständig blieben, äußerte er sich den Nürnbergern gegenüber, dann würde er dem Feinde gewachsen sein. Die Nürnberger lehnten indes eine selb­ ständige Stellungnahme der Städte zu den kühnen Plänen des Königs ab und verlangten einen allgemeinen Konvent der Stände behufs einer dauernden Verbindung insgesamt. Unter Oxenstierna wurden, wie schon ausgeführt, die Verhältnisse schwieriger, in gleichem Maße, wie der Opfer­ mut sank, wuchs auch die Friedenssehnsucht. So manche Stände dachten an Kursachsen, das von einem oberdeutschen Konvent abriet und auf einen allgemeinen Konvent, den es selbst einberufen wollte, hinarbeitete. Ulm wurde durch Nürnberg wieder zu seiner früheren schwedenfreundlichen Stellungnahme bestimmt. Oxenstierna richtete sein Haupt­ augenmerk damals auf die großen Reichsstädte Straßburg, Frankfurt, Ulm, Augsburg und Nürnberg, denen Sachsen, wie sie klagten, nie gewogen gewesen und deren Beziehun­ gen zu ihm seit ihrem Anschluß an Gustav Adolf noch mehr erkaltet waren. Ein Wiederanknüpfen der Beziehungen zwi­ schen Nürnberg und Kursachsen mußte dem Reichskanzler höchst unerwünscht sein. Den Nürnberger Abgesandten Straßburger schickte er mit der Eröffnung zurück, er fürchte, daß Sachsen für sich allein das Direktorium be­ anspruchen werde, und es sei nicht ausgeschlossen, daß es sich ganz separieren werde, er wisse, daß ein kaiserlicher Gesandter mit ganz außerordentlichen Versprechungen (Lausitz, Niederschlesien, Mähren, Magdeburg und Halber­ stadt) bereits nach Dresden unterwegs sei; er ermahne des­ halb Nürnberg, treu bei Schweden zu bleiben und schleu­ nigst sich mit den drei anderen ausschreibenden Städten Ulm, Frankfurt und Straßburg und mit Augsburg zu betagen und zu beraten, was zu tun sei, wenn Sachsen sich separiere; er versicherte, Schweden werde keinen Frieden

347 eingehen, es sei denn den Städten alles bestätigt, was der König versprochen habe, also vor allem die Donationen. Den Eindruck, den des Königs große Pläne hervorgerufen hatten, bemühte er sich abzuschwächen. Nürnberg dachte übrigens gar nicht daran, sich die Verbindung mit Sachsen abschneiden zu lassen. Straßburger wurde erneut nach Dresden abgefertigt. Selbst mit *dem Kaiser trat es, wenn auch indirekt, in Verbindung, indem es Hermann Questenberg, den Bruder des Hofkriegsrats, als man ihm am 28. Dezember 1632 seine Martinspension von 460 Gold­ gulden übersandte, um Erleichterung des Kriegselends bat. Aber Nürnberg trat doch den drei übrigen ausschreibenden Städten sowie auch Augsburg bei, die sich auf dem Tage zu Eßlingen dahin vereinigten, sich nicht von Schweden zu trennen. Der Reichskanzler aber hatte den Vertreter Nürn­ bergs Straßburger so für sich eingenommen, daß es sich nicht allein zum Besuch des Ulmer Konvents erbot, sondern sich auch zur „Kooperation“ bereit erklärte und dem Kanz­ ler seinen Ratsfreund Kreß von Kressenstein entgegen­ sandte, wobei es nicht unterließ, die Rückzahlung der dem König geliehenen 100 000 RT. in Erinnerung zu bringen. Seine Gesandten zum Ulmer Konvent wies Nürnberg an, für den Bund mit Schweden zu stimmen, und für den Fall, daß sich die höheren Stände nicht einigen könnten, sollten sie mit den übrigen Städten gehen; und „wenn diese bereit wären, trotzdem mit Schweden zu heben und zu legen, so sei auch Nürnberg bereit das Seinige zu tun“. Aber die Verbindung mit Sachsen gab Nürnberg trotzdem nicht auf, durch den Hofprediger Hoe blieb es mit Dresden immer noch in Fühlung. Die Unterhaltung der Armeen erforderte fortwährend ganz außerordentliche Geldmittel von den Ständen. Nürn­ berg war mehrfach höher veranlagt worden, als es zu leisten vermochte und hatte denn auch wiederholt abgelehnt, was um so mehr berechtigt war, als es trotz aller Mahnungen die Rückzahlung des dem König vorgestreckten Darlehens von 100000 RT. nicht erreichen konnte. Der Armee Bern­ hards von Weimar war es wiederholt beigesprungen, ihm

348 allein war es zu verdanken, daß jenem die Eroberung Regensburgs durch rechtzeitige Stellung von Geschützen und Munition ermöglicht wurde; durch all diese Opfer hatte es sich selbst entblößt und mußte in die bedenklichste Lage kommen, wenn Regensburg wieder fallen sollte. Es wurde zudem noch zu besonderen Lieferungen angehalten; einmal mit Ulm zu einer solchen von je 500 000 Laib Brot (= 1 Million Pfund) für Bernhard von Weimar, obschon man sich nicht einmal dazu verstehen konnte, seine geleerten Magazine wieder aufzufüllen. Kein Wunder, daß gerade bei Nürnberg die Friedenssehnsucht immer mehr wuchs, zumal die Verhandlungen auf dem Bundestag zu Frankfurt, die besonders auch den unerläßlichen Anschluß der beiden sächsischen Kreise an den Bund bezweckten, zu keinem Ziele führen wollten. Rings von Feinden umgeben, von allen Bundesgenossen abgeschnitten und nur noch für zwei Monate verproviantiert, sandte es Ende Oktober 1634 seinen Kriegskommissar Johann Adam Pömer nach Dresden, um den Anschluß nicht zu verlieren. Durch ihn verhandelte es sogar nach dem Friedensschluß von Prag (30. Mai 1635), der dem Heilbronner Bund ein Ende setzte, am königlichen Hofe zur Erwirkung der Amnestie für den Bundesrat Jakob Tetzel von Kirchensittenbach, seinen Mitbürger. Bemerkenswert ist die Stellung, die Nürnberg zu Frankreich einnahm. Wenn es sich anfangs auch bei dem französischen Gesandten Feuquieres um eineAnleihe bewor­ ben hatte, so war es doch, wie die meisten Städte, von gro­ ßem Mißtrauen gegen Frankreich erfüllt, das sich immer mehr in Deutschland festsetzte, anders wie so viele deutsche Fürsten, die sich durch hohe Pensionen von Frankreich ge­ winnen ließen. Den Pariser Vertrag (28. Dezember 1634), der für Deutschland so verhängnisvoll war, lehnte es mit anderen Städten ab und weigerte sich auch mit Augsburg und Ulm, an dem Bundestage zu Worms teilzunehmen, weil sie fürchteten, daß sich die Stände nur noch mehr mit Frank­ reich einlassen würden. Freilich lag der tiefere Grund in der Besorgnis, daß dadurch die Aussöhnung mit dem Kaiser erschwert werden würde.

349 Bemerkt mag noch werden, daß bei der Organisation des Heilbronner Bundes Nürnberg in besonderer Weise be­ rücksichtigt worden war : die Hauptmagazine waren in Nürnberg, Schweinfurt und Windsheim angelegt wor­ den, wozu später noch weitere in Bamberg, Würzburg, Ochsenfurt und Weißenburg kamen. Die Verwaltung des Nürnberger Magazins erhielt der Nürnberger Johann Chri­ stoph Eye, die Kassa des fränkischen Kreises übertrug Ochsenstierna dem Generalpost- und Pfennigmeister Georg Forstenhäuser in Nürnberg, als Mitglied des Bundesrats ernannten die Städte den Nürnberger Patrizier Jakob Tetzel von Kirchsittenbach und als Kreisrat deputierten sie den Nürnberger Ratsherrn Jobst Christoph Kreß von Kressen­ stein. E. Mummenhoff.

Nürnberger Beiträge zur Volks- und Altertumskunde. Herausgegeben von C h r. B e c k in Verbindung mit H. Heerwagen (i. Jahrgang, Heft i). Nürnberg (Sebaldusverlag) 1925. 85 Seiten. 8 °. Christoph Beck, rühmlich bekannt durch seine Arbei­ ten zur fränkischen Namen- und Volkskunde, unternimmt hier das Wagnis, eine neue Zeitschrift ins Leben zu rufen. Denn um eine solche handelt es sich, was leider erst aus der Vorrede und nicht, wie sonst üblich, schon aus dem Titel hervorgeht; eine Fahrlässigkeit, die der Herausgeber dem in solchen Dingen sichtlich nicht bewanderten Verlag nicht hätte durchgehen lassen sollen. Neben der fränkischen Volkskunde sollen auch alle benachbarten Gebiete — Mund­ art, Volkslied, Namen- und Familiengeschichte, ja sogar Wirtschaftsgeschichte, Literaturgeschichte natürlich auch, und dies alles nicht ausschließlich auf Franken beschränkt — behandelt werden. Das vorliegende Heft enthält nur Beiträge des Heraus­ gebers Beck und ist dem verdienten Nürnberger For­ scher Heinrich Heerwagen gewidmet. Das erste Stück ist

35o eine kleine Plauderei über den Nürnberger Witz, die tiefere Bedeutung als wissenschaftliche Arbeit wohl nicht be­ ansprucht; ihr folgt eine sehr feinsinnige Abhandlung über das Seelenleben G. F. Daumers. — Alle noch folgenden Bei­ träge dürfen wohl als „Bauklötze“ bezeichnet werden, die hier anspruchslos und formlos, wie sie sich dem Verfasser gerade geboten haben, einstweilen zusammengetragen sind, um von den späteren Baumeistern dann ihren Bauten ein­ gefügt zu werden (und das soll ja auch einer der Haupt­ zwecke der neuen Zeitschrift bleiben): auf historische Volks­ lieder aus Franken, hauptsächlich aus dem Liederbuch von Schleifhausen, folgt ein Abschnitt über landwirtschaftlichen Besitz und Gesindewesen im Wiesenttal um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Die „Namengeschichtlichen Forschungen“ bringen sogar aus dem Friedhof zu Hindelang (Allgäu) Material bei. Für fränkische Familienforscher sehr 'wert­ voll ist der Beitrag „Zur Familiengeschichte des Wiesenttales im 16. Jahrhundert“; aus dem ja nicht mehr ganz unbekannten Totengeläutbuch von St. Sebald wird dann eine Probe mitgeteilt, um Familienforscher auf diese wich­ tige Fundgrube aufmerksam zu machen. Bei den mundartlichen Abschnitten fällt gelegentlich auf, daß naheliegende Parallelen zu den aufgeführten Wör­ tern und Ausdrücken nicht beigebracht oder die Verbrei­ tungsgebiete zu eng angegeben sind; doch liegt dies eben im Wesen der rasch zusammengetragenen Bausteine, die von anderen erst behauen werden müssen. Seite 67 fragt der Verfasser zu „wädli“ = weidlich, tüchtig (unterfrän­ kisch) nach ähnlichen volkstümlichen Worten; es sei hier dazu beigetragen: „wahli“ in Württembergisch Franken (Gegend Crailsheim, Jagsttal) im Sinne von „tüchtig“ oder auch „schnell“; auch an den dortigen etwas außergewöhn­ lichen Gebrauch von „tapfer“ — „schnell“ (als Adverb) sei erinnert. — Beiträge, wie der S. 67—72 „Die Nürnberger Mundart aus einem Kochbuch des 16. Jahrhunderts“ sind höchst dankenswert. Gerade für diese Zeit ist für die Ge­ schichte der Nürnberger Mundart noch so gut wie alles erst zu machen.

35* Aeußerst bunte Lesefrüchte bringt der Abschnitt „Sprachliches und Sachliches aus alten Urkunden“, ebenso das Kapitel „Volkskundliche Kleinigkeiten“. Gleich den ersten Beitrag daraus, über die Personennamen von Beu­ chen, wird man aber gewiß eher bei den weiter vorn gebrach­ ten namengeschichtlichen Forschungen suchen. Ganz fehl am Ort ist aber hier der „Fund an einem Einbanddeckel“, S. 83; es wird da ein kleines Bruchstück eines tschechischen Textes (aus einem Graduale), vom Einbanddeckel eines Pretzfelder Gemeinderechenbuches aus dem 17. Jahrhun­ dert, entziffert und — mit Hilfe eines tschechischen Gelehr­ ten übersetzt — abgedruckt. Inhaltlich interessiert das Stück an dieser Stelle gar nicht, wichtig ist nui die Tat­ sache, daß ein tschechisches Buchfragment in einem ober­ fränkischen Nest als Buchbindermakulatur verarbeitet wird, oder genauer noch die Frage, auf welche Beziehungen zwi­ schen den beiden Ländern das vielleicht schließen lassen könnte. Wenn es aber bei diesem einzigen Fetzchen bleibt, lassen sich daraus gewiß gar keine weiteren Schlüsse ziehen: irgend ein Zufall kann das Stück einmal zu uns hereingeweht haben. Der slavischen Philologie und der böh­ mischen Kirchengeschichte, für die es vielleicht noch etwas Interesse haben könnte, entgeht das Fündchen hier ganz sicher. Im ganzen berechtigt die Neuerscheinung aber zu schönen Hoffnungen und es ist ihr ein recht langes Leben zu wünschen. Friedrich Bock.

Nürnberger Mundartdichtung. Eine Auswahl von Friedrich Bock. Carl Koch Verlag, Nürnberg. 8°. 365 S. Der sachkundige Herausgeber, Bibliothekdirektor der Stadt Nürnberg, der seine Jugend in Nürnberg zubrachte, ein gründlicher Kenner der Nürnberger Mundart und mundartlichen Dichtung, hat sich im Verein mit dem Verlag die dankenswerte Aufgabe gestellt, die durch

352 das Vergriffensein der trefflichen Priemschen Samm­ lung: „Konrad Grübel und seine Nachfolger . . entstan­ dene Lücke wieder zu schließen. Von den verschiedenen Sammlungen Nürnberger Mundartgedichte nach Priem ist nur noch das im Verlag von Heerdegen-Barbeck erschienene ,,Gänsmändla“ im Handel, eine Sammlung, die Grübel und Weikert nicht berücksichtigt, dagegen aber die neueren Verfasser besonders heranzieht. Die Bocksche Sammlung verfolgt aber keineswegs die Absicht, das „Gänsinändla“ zu verdrängen, sondern will sie ergänzen, indem sie aus­ schließlich dort nicht abgedruckte Stücke bringt, Grübel und Weikert, die Klassiker der Nürnberger Mundartdich­ tung, ausführlich heranzieht und bei den übrigen Dichtern die im „Gänsmändla“ so sehr bevorzugte Anekdote mehr zurücktreten läßt. Die Sammlung gewährt im Vergleich mit der Priem­ schen ein überaus buntes Bild: statt der bei Priem vertre­ tenen 9 Dichter bringt sie Proben von nicht weniger als 23, wenn auch von den neuesten Dichtern nur wenige, oft nur eine oder zwei, gegeben sind. Als ein besonderes Verdienst der Sammlung ist es zu bezeichnen, daß sie den bisher ganz unbekannten Erhard Chr. Karl Zeidler an die Oeffentlichkeit gezogen hat. Ein Zeitgenosse Grübels und ihm wesensverwandt, erfreut Z., obschon er nicht ohne eigene Schuld von widrigen Schick­ salen hart bedrängt wurde, durch einen herzerquickenden Humor. Von sonstigen Dichtern sind vertreten Witschel, Zuckermantel, Stettner, Rietsch, Marx, Wehefritz, Joh. Gottlieb, Joh. Christian Gänßbauer, Joh,. Priem, Christoph Weiß, Jakob Schwartz, Joh. Sigm. Heidner, Gg. Büchner, Gg. Beck, Karl Hörber, Gg. Falkner, Wilh. Belzner, Peter Ultsch, Johann Greulein und Paul Rieß (Pausala). Am Schluß der Vorrede hebt es der Herausgeber noch besonders hervor, daß die Sammlung dem auch durch seine mundartlichen Gedichte bekannten Karl Hörber ihr Zu­ standekommen verdankt. Hörber sammelt schon seit Jahren in selbstlosester Weise für die Stadtbibliothek Nürnberg

353 alte und neue Mundartdichtungen, die noch nicht oder doch nur in Zeitungen und sonstwo versteckt herausgegeben waren und ohne seine Ausgrabung wohl der Vergessenheit anheimgefallen wären. Besonders ist dies bezüglich der hübschen Zeidlerschen Gedichte der Fall. Die schöne und verdienstvolle Sammlung sei jedem Nürnberger und sonstigen Liebhaber mundartlicher Dich­ tung auf das wärmste empfohlen, und es ist zu wünschen, daß ihr ein baldiges Erscheinen in erweiterter Gestalt beschieden sein möge. E. Mummenhoff.

Joh. Heinrich Wilh. Witschel. Ein Beitrag zur Ge­ schichte des fränkischen Rationalismus von Gottfr. G e i t z (Erlanger Lizentiatenarbeit). Nürnberg 1924. KommissionsBuchhdlg. für inn. Mission. 96 Seiten. 8 °. Johann Heinrich Wilhelm Witschel, geboren 1769 als Sohn eines Pfarrers in Henfenfeld, spielte in Nürnberg und weit darüber hinaus eine bedeutsame Rolle als rationalisti­ scher Theologe; seine ,,Morgen- und Abendopfer“ sind ein Andachtsbuch, das nicht nur in evangelischen Familien ver­ breitet war und auch heute noch, freilich meist nicht mehr gelesen, auf dem Bücherbrett vieler Familien steht. Weni­ ger bekannt ist, daß er neben Dr. Osterhausen der beste Freund Grübels war und sich auch selbst mit Glück in Nürnberger Mundartdichtung versucht hat. Nach dem Besuch des Nürnberger Gymnasiums und der Universität Altdorf kam W. 1794 als Mittagprediger an die Dominikanerkirche zu Nürnberg, erhielt 1801 die Nürnbergische Pfarrei Igensdorf und wirkte dort unter kümmer­ lichen äußeren Verhältnissen bis 1816; neben dem Pfarr­ amt und seiner vielseitigen schöngeistigen Schriftstellerei galt seine Sorge auch der Verbesserung des Volksschul­ wesens und der Hebung des Lehrerstandes. 1811 wurde ihm die Führung des Dekanats Gräfenberg übertragen, 1816 erhielt er auch die dortige Pfarrstelle, die zuletzt sein Vater bekleidet hatte. 1819 wurde er in die Bayerische 23

354 Ständeversammlung gewählt als geistlicher Abgeordneter für den Obermainkreis. Aber noch im gleichen Jahre erlosch sein Mandat, als er die Pfarrei Kattenhochstadt im Alt­ mühltal erhielt. Dort setzte er vor allem seine Arbeit für die Schule fort und beteiligte sich in hervorragender Weise an der aufbauenden Tätigkeit der Generalsynoden in den 20er und 30er Jahren. 1847 ist er gestorben. Theologisch hat Witschel, wie gesagt, der Richtung des Rationalismus angehört; die Zusammenfassung seiner religiös-sittlichen Anschauungen ergibt ,,ein zur moralischen Glückseligkeitslehre umgebildetes Christentum“. Doch war er viel zu friedfertig und zu vornehm, um sich an dem er­ bitterten Kampfe zwischen den Rationalisten und der neuaufkommenden positiven Richtung zu beteiligen, der in seine letzten Lebensjahre fiel. Gottfried G e i t z schulden wir großen Dank für sein Unternehmen, dem Wirken und der Bedeutung Witschels gründlich nachzugehen. Die vorliegende Schrift ist auf­ gebaut auf sehr eingehenden und liebevollen Studien, die alle Briefwechsel, Tagebücher und Akten kritisch verarbei­ tet haben. Eine klare und fesselnde Darstellung tut noch das Ihre, um die Arbeit zu einem wertvollen Beitrag zur Bayerischen Kirchen- und Kulturgeschichte zu machen, aber auch zur Geistesgeschichte Nürnbergs in den letzten Jahren seiner Selbständigkeit; darum sei auch in dieser Zeitschrift nachdrücklich auf das Büchlein hingewiesen. Bedauern wird der Nürnberger vielleicht, daß G. auf Witschel als Mundartdichter nicht näher eingeht, doch ist dies nur ein kleiner Zug im Gesamtbild. — Kurz könnte man darüber sagen, daß W. für die Mundart ein feines Ge­ fühl hat und daß seine Gedichte, die eine über die Mehrzahl der Dialektdichter weit hinausgehende Geistesbildung über­ all verraten, als leicht moralisierende Humoristika eine ge­ wisse Sonderstellung beanspruchen dürfen.

F. Bock.

355 Die alte Stadt. Eine Kulturgeschichte in farbigen Bil­ dern». Hgbn. von Dr. Friedrich Schulze und Georg Naumann unter Mitwirkung von Dr. Fischer Stutt­ gart, Prof. Koetschau Düsseldorf, Prof. Masner Breslau, Prof. Pniower Berlin, Prof. Schäfer Köln, Dr. Wahl Wei­ mar, Dr. Weigmann München, Prof. Wiese München, Dr. Zimmermann Nürnberg. Mappe III und IV. Verlag von Habbel & Naumann, Regensburg und Leipzig. 1924 und 1925. Gr. 2 °. Es war ein glücklicher Gedanke des genannten Ver­ lags, in Verbindung mit bewährten Kennern den Charakter der alten Städte in ihren ältesten Gesamtansichten und Grundrissen, in den Darstellungen einzelner hervorragen­ der Bauten in genauer Wiedergabe farbiger Originale zu erschließen und auch historische Ereignisse nach alten Vor­ lagen im Bilde festzuhalten und durch erläuternde Einfüh­ rungen dem allgemeinen Verständnis näher zu bringen. Für Nürnberg hat der Verlag 2 Mappen mit im ganzen 18 Abbildungen an die Oeffentlichkeit gebracht. Es ergibt sich daraus, wie es schon der Titel hervorhebt, eine Kul­ turgeschichte in Bildern, die für jeden, der sein Nürnberg kennt und liebt, außerordentlich anziehend und lehrreich ist. Zunächst die älteste Ansicht von Nürnberg um 1480, ein Ausschnitt aus dem Gemälde des von dem Geistlichen Jodokus Krell bei St. Lorenz (f 1483) gestifteten Altärchens in der St. Lorenzkirche. Sie zeigt in langgestreckter Ausdehnung die Stadt von Norden nach Süden. Gerade weil der Künstler gewissenhaft am Kleinen haftet, so ge­ winnt das Bild, „wenn ihn auch dieser Grundzug kunst­ geschichtlich nicht von Bedeutung erscheinen läßt“, an Genauigkeit und Zuverlässigkeit. Es hat ihm den Ruhm eingebracht, ,,als der wSchöpfer des ersten zuverlässigen Ab­ bildes seiner Vaterstadt zu gelten“, eines Abbildes, ,,das an richtiger Wiedergabe der Natur über allem steht, was in den folgenden beiden Menschenaltern bis zum 16. Jahr­ hundert geleistet worden ist.“ War die Gesamtabbildung Nürnbergs auf dem Krellschen Altärchen einer Heiligendarstellung untergeordnet,

sa*

356 ein Bestandteil derselben, so ist die Ansicht, die Hans Wurm, vermutlich seines Handwerks ein Windenmacher, in aquarellierter Federzeichnung entworfen hat (1510 bis 1520), nicht mehr dekoratives Beiwerk, sondern um ihrer selbst willen geschaffen. Sie konnte über die Darstellung Wolgemuts und Pleidenwurffs in Hartmann Schedels Welt­ chronik hinweg, die in der durch die Buchform bedingten Zusammendrängung nach Vollständigkeit und Zuverlässig­ keit ganz bedeutend einbüßen mußte, in ihrem weitaus­ gedehnten Raum mehr ins Einzelne gehen ,,und statt der summarischen Zusammenfassung größere Sorgfalt auf die Differenzierung verwenden und damit der Wirklichkeit be­ deutend näher kommen.“ Gerade wegen ihrer Wirklich­ keitstreue ist Wurms Stadtbild auch für die Ortsforschung von Bedeutung. Bemerkt sei nebenbei, daß das Frauen­ brüder- oder Karmeliterkloster mit der heutigen Karolinen­ post nicht identisch ist, es bildete vielmehr das Eckhaus an der Färberstraße und dem Josephsplatz westlich von der ehemaligen Reichs- oder kaiserlichen Post, der Briefpost im alten Nürnberg, während die Fahrpost in der Goldenen Gans in der Winklerstraße untergebracht war. Die folgende Gesamtansicht von Nürnberg mit dem Reichswald nach einer Deckfarbenmalerei auf Pergament v. J. 1516, eine künsterlisch ausgeführte Vorlage, ist be­ merkenswert durch die „bewußte Vereinfachung des Stadt­ bildes unter Hinweglassung alles dessen, was außerhalb der letzten Stadtmauer lag und unter Beschränkung auf die wesentlichsten Bauwerke im Innern der Stadt. Dann aber besonders wegen der Darstellung der beiden durch die Peg­ nitz geschiedenen Reichswälder, deren Einteilung nach Re­ vieren durch rote Linien markiert ist. Auf Zeichnung und Nuancierung des Baumschlags ist besondere Sorgfalt ver­ wendet. ,,Es ist der erstmalig unternommene Versuch, von der einseitigen Außendarstellung zu einer neuen Form der Stadtwiedergabe überzugehen, die von da im allgemeinen vorherrschend bleibt.“ Der Biensche Grundrißprospekt um 1622 nach einer aquarellierten Federzeichnung im Germanischen Museum

357 ist bemerkenswert wegen der staunenswerten Sorgfalt, wo­ mit der „von einem Virtuosen in der Perspektive ebenso wie in der küstlerischen Ausführung der Einzelheiten“, dem Steinmetzen und Ingenieur Hans Bien (1590—1632), durch­ geführt ist. Mit Recht wird die Vermutung ausgesprochen, daß die Bestimmung dieses Plans zu amtlichen Zwecken wahrscheinlich sei. Er gibt in maßstabgerechter Grund­ rißzeichnung die acht Stadtviertel unter Herausarbeitung der Fluchtlinien der Häuserblöcke sowie der Plätze, Stra­ ßen, Gassen und Höfe mit den alten Bezeichnungen. In der Wiedergabe der in der isometrischen Perspektive von Norden her dargestellten Bauwerke ist eine überraschende Genauigkeit festzustellen, und das Bild der letzten Stadtummauerung ist von einer geradezu beispiellosen Zuverläs­ sigkeit. Wichtig ist der Plan auch deshalb, weil er manche heute nicht mehr bestehende Partie zur Anschauung bringt. Zu bedauern bleibt nur, daß infolge der durch das Format der Publikation bedingten zu kleinen Wiedergabe der Vor­ lage die Schriften vielfach auch mit der Lupe nicht zu lesen sind. Die Gesamtansicht des deutschen Hofes und der Jakobskirche und ein Querschnitt durch dieselben v. J. 1625, beide von Hans Bien, lassen uns wieder die minutiöse Ge­ nauigkeit dieses hervorragenden Bauzeichners bewundern. Das zweite Blatt ist deshalb so außerordentlich lehrreich, weil es die ganze innere Einteilung der Gebäude, die Be­ schaffenheit der Höfe und Gärten sowie auch das Innere der Kirche erkennen läßt. Die „Wahrhaftige Contrafactur und Prospect des Neuen Spitals zum Heil. Geist, auch desjenigen Theils der Stadt Nürnberg, welcher Mittag-, Abend- und Mitternachtwärts von dem Thurn derer Männer Eisen Gefäng­ nissen ins Gesicht präsentiret“, nach der großen aquarellier­ ten Federzeichnung von Christian Kaulitz aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die uns nicht nur und zwar vornehmlich die verschiedenen Gebäulichkeiten des Heil. Geistspitals vor Augen führt, sondern auch einen Einblick in die Altstadt gewährt, ist „die Arbeit eines wirklichen

35« Fachmannes, der seine Linien mit Gewissenhaftigkeit kon­ struiert und sorgfältig zeichnet.“ Auch diese Abbildung erhält dadurch besonderen historisch-topographischen Wert, daß sie so manche interessante Gebäulichkeiten besonders des Spitals und die beiden Brücken in ihrem alten Zustande vorführt, an deren Stelle das 19. Jahrhundert nüchterne und öde Bauten setzte. Es hätte in der Erläuterung viel­ leicht auch darauf hingewiesen werden dürfen, daß der Neu­ bau über der Pegnitz, der außer der neuen Sutte auch die große Halle mit den weitgesprengten, ursprünglich offenen Bögen — den sog. Bau —, als Aufenthalt für die Genesen­ den an schönen Tagen bestimmt, umfaßte, von dem Bau­ meister Sebald von Moren wegen des sumpfigen Unter­ grunds auf Pfähle gestellt werden mußte, wie ich es in der geschichtlichen Einleitung zur Krankenhausfestschrift S. 35 bis 40 des näheren geschildert habe. Das Blatt: ,,Blick auf die Fronveste von der Hallerwiese aus“ ist nach einer aquarellierten Sepiazeichnung im Besitze der Stadt Nürnberg von Jan Breugel wiedergegeben, eine Reiseskizze, aber von besonderem malerischem Reiz. Es zeigt uns den Schleierturm oder ,,Hochturn am Wasser“, die Schwibbögen mit den Schießgattern und den heute noch vorhandenen chörleinartigen Ausbauten am Ueberbau des rechten Schwibbogens. Es folgen noch die Darstellung der Kaiserstallung nach einer aquarellierten Zeichnung aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts und einem Gedichte von Kunz Has, das v. Kressische Haus am Obstmarkt nach einem Aquarell v. J. 1630 im Besitz der Freiherrl. v. Kressischen Familie, die alten Gerberhäuser in der Vorderen Ledergasse nach einem Aquarell v. J. 1642, die beide längst beseitigte, höchst interessante Straßenpartien bringen, und endlich die Dar­ stellung der Schlacht der Nürnberger mit Markgraf Kasi­ mir von Brandenburg i:. J. 1502 wegen des Affalterbacher Kirchweihschutzes nach einer gleichzeitigen Wassermalerei, die ein höchst anschauliches Bild einer damaligen Feld­ schlacht gewährt.

359 Wir müssen dem Bearbeiter Herrn Hauptkonservater Prof. Dr. F. T. Schulz, der auch die Auswahl der Abbil­ dungen traf, außerordentlich dankbar sein, daß er diese höchst wichtigen, für die Geschichte und Topographie Nürnbergs lehrreichen Darstellungen aus der Verborgen­ heit ans Licht zog und mit dankenswerten eingehenden Er­ läuterungen versah, die ihn als den bewährten Forscher auf dem Gebiete der Kunstgeschichte und den Kenner der Nürn­ berger Topographie erkennen lassen. Für die mehrfach vorkommenden Druckfehler, die zum Teil deshalb so sehr verwirrend wirken, weil sie auch Na­ men in ganz entstellter Weise wiedergeben (so Christoph von Leinsingen statt Leiningen und Signor Anthoni Fazerni aus Sicilia statt Signor Antonio Fazuni il Malthese) kann der Bearbeiter nicht verantwortlich gemacht werden, da ihm eine Korrektur von der Redaktion unbegreiflicherweise nicht zugekommen ist. Es wäre zu wünschen, daß noch weitere Blätter den schon erschienenen folgen würden. Es darf an dieser Stelle wohl auf den sog. Pfinzing-Atlas im Staatsarchiv Nürn­ berg v. J. 1594 aufmerksam gemacht werden, der einen wahren Schatz einzigartiger und künstlerisch vollendeter Aquarellzeichnungen des auch durch seine Werke über Feldmeßkunst und Perspektive bemerkenswerten Mathe­ matikers und Kartographen der Nürnberger Landschaft und Stadt Paul Pfinzing d. ä. (1554—1599) enthält, die die bisher veröffentlichten Blätter in der wünschenswertesten Weise ergänzen würden. E. Mummenhoff.

Nürnberger Malerei an der Wende zur Renaissance und die Anfänge der Dürerschule von Martin Wein­ berger. Mit 29 Tafeln. Verlag von J. H. Ed. H e i t z , Straßburg, 1921. 4 °. 255 S. Es ist nicht leicht, einem Buch, das mit so zahlreichen Einzelheiten und so vielen anscheinend kleinlichen und doch als Bausteinen so wichtigen Einzelvergleichen operieren

36o muß wie das vorliegende, um das noch dichte Gestrüpp eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes so zu entwirren, daß straffe ^Linien von allgemeingültiger Bedeutung ge­ wonnen werden, im Rahmen einer knapp bemessenen Be­ sprechung gerecht zu werden. Soll endlich einmal für den Abschnitt zwischen 1490 und 1510 in der Geschichte der Nürnberger Malerei Klarheit geschaffen werden, dann läßt es sich eben nicht vermeiden, daß man nach jedem noch so bescheiden anmutenden Charakteristikum Umschau hält, um aus dem zur Verfügung stehenden Material an Bildern, Zeichnungen, Holzschnitten und Kupferstichen Gruppen und Grüppchen zu formieren und diese dann nach größeren Gesichtspunkten anzuordnen und zusammenzuordnen, um den inneren Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Vor allem war es Weinberger darum zu tun, die künstleri­ schen Zustände in Nürnberg um 1490 darzustellen und aus ihnen zu eruieren, welche Konsequenzen nicht Dürer, weil dies schon größtenteils bekannt ist, sondern seine Alters­ genossen aus dieser Lage gezogen haben,. Und sehr bald kommt man zur Erkenntnis, daß sie nach dem Neuen drän­ gen, ohne es völlig zu bewältigen, weil sie innerlich noch zu sehr mit dem Alten verhaftet sind. Stärker als sonst macht sich in dieser Uebergangszeit der Wille zum Stil geltend, während der Stil selbst noch geboren wer­ den muß. Und darum ist die stilbildende Kraft des per­ sönlichen Formideals von größerer Entscheidung als die all­ gemeinen Gesetze. Der gegebene Stil wird nicht einfach übernommen, sondern von jedem einzelnen mehr oder min­ der ursprünglich neu geschaffen. Und so gelangt man zu der Einsicht, daß der Uebergang sich nicht von Stil zu Stil, sondern als eine allgemeine Bewegung in gleicher Rich­ tung, aber von Verschiedenen Ausgangspunkten aus inner­ halb der Persönlichkeiten vollzieht. Weinberger erweist sich als ein gründlicher Schürfer. Kommt auch er über mancherlei Problematisches nicht hin­ weg, muß auch er sich häufig mit Möglichkeiten und Wahr­ scheinlichkeiten begnügen, so muß doch zugegeben werden, daß er mit Vorsicht und Bedacht aufbaut und gerade des-

36i wegen positive Forscherarbeit leistet. Wie ge­ sagt, sein Werk ist zu inhaltreich, um auf alle Einzelergeb­ nisse, zu denen Weinberger gelangt, eingehen zu können. Weinberger neigt der Ansicht zu, daß Pleydenwurffs Altersgenossen nicht wie dieser in den Niederlanden gewesen zu sein brauchen, da Deutschland damals geradezu mit Kopien nach flandrischen Gemälden überschwemmt wurde. Die Münchener Kreuzigung muß in Bamberg gemalt sein, weshalb der Verfasser einen zwei­ ten Bamberger Aufenthalt Pleydenwurffs annimmt. Im Meister des Wolfgang-Altares erblickt Weinberger den lange gesuchten Valentin Wolgemut. Der Löffel­ holz-Altar in St. Sebald ist nicht durch Pleydenwurff beeinflußt. Sein Meister aber kann unmöglich auch den Dreikönigsaltar in St. Lorenz geschaffen haben. Der Löf­ felholz-Altar enthält eine starke schwäbische Kom­ ponente. Sehr lehrreich sind des Verfassers Ausführungen zu dem vielumstrittenen Kapitel der Bamberger Schule. Er macht es wahrscheinlich, daß vieles, was man bisher nürnbergisch oder allgemein fränkisch nannte, nach Bam­ berg gehört. Auch die Kreuztragung von 1485 in St. Sebald, wie auch den in seine einzelnen Teile auseinander­ gerissenen Stracheschen Altar rechnet er dem Bamberger Kreise zu. In dem Kapitel ,, Wolgemut und seine Zeit­ genossen“ führt Weinberger den Nachweis, daß Wol­ gemut weder mit dem Dreikönigsaltar noch mit dem Löffel­ holzaltar etwas zu tun hat. Der Hallersche Familientod von 1487 ist dem Verfasser zufolge sicher kein Wolgemut (anders Abraham!). Er ist das Werk eines Nachahmers. Am Hallerschen Altar (kurz nach 1480 entstanden) ist nur die Epiphanie von Wolgemut, und auch diese nur teilweise. Das Problem des Peringsdörfer Altares wird in folgender Art gelöst: Die Innenflügel, die von jeher als der Höhepunkt der Nürnberger Malerei zwischen Pleyden­ wurff und Dürer gegolten haben, stammen von Wolgemut, die großen Heiligen der Rückseiten von Wilhelm Pley den-

3Ö2

wurff. Von den Darstellungen der äußersten Flügelreihen sind die Mitteltafeln (Geißelung, Erhenkung, Verführung, Veit im Zwinger) von Wolgemut mit Beteiligung von Ge­ hilfen, die Rückseiten von Wilhelm Pleydenwurff, die festen jetzt auseinandergenommenen vom Meister R. F. und dem Pseudo-Pleyden wurff (nicht Wilhelm Pleydenwurff) geschaffen. Weinberger unternimmt es sodann, den echten Wilhelm Pleydenwurff von seinem größeren Doppelgänger abzulösen. Von letzterem stammen außer den schon erwähn­ ten Tafeln des Peringsdörfer Altares der Rochus-Altar der Lorenzkirche und die beiden von Dörnhöffer heran­ gezogenen Doppelflügel Nr. 30—32 im Germanischen Mu­ seum. Er steht dauernd unter dem Einfluß des Meisters R. F. Aber neben dem Pseudo-Pleydenwurff existiert noch ein Meister von ähnlichem Temperament, der von verwand­ tem Ausgangspunkt und gleichfalls unter nicht-nürnbergischem Einfluß zu ähnlichen Zielen gelangt. Der Meister des Feuchtwanger Altares steht nur in äußerlichem Zusam­ menhang mit der Werkstatt Wolgemuts. Gegenüber Wol­ gemut, dessen Temperament so vielen Schwankungen unterworfen war, lebt aber noch in den 80er Jahren in dem Meister des Tucherbildnisses altnürnbergisches und Pleydenwurffsches Kunstgut weiter, wie im einzelnen ge­ zeigt wird. In Betracht kommt vor allem Hans Traut. Weinberger vermutet, daß eine, wenn auch vielleicht unbewußte, heimatliche Reaktion gegen die große europäische Strömung vorliegt, die vom Geiste des Rogier genährt wurde und der Wolgemut sich ausgeliefert hatte. Im Hersbrucker Altar hat ein zweiter Gegenspieler Wolgemuts das Wort. Er weicht zu sehr von Wolgemuts gewohnter Ausdrucksweise ab, als daß er seinem Kreise zu­ gerechnet werden könnte. — Es war der Ulmer Holz­ schnitt, durch den großenteils der neue Geist in die Nürnberger Malerei drang. Es folgt der auf gründlichen Untersuchungen des ganzen, in Zeichnungen und Holzschnitten bestehenden Zeitschatzes basierende Abschnitt über den jun­ gen Dürer. Was die Beziehungen zwischen der Baseler

363

und der Nürnberger Gruppe betrifft, so scheinen sie dem Verfasser hauptsächlich inhaltlicher und ikonographischer, nicht stilistischer Natur zu sein. Der Vermittler aber war Dürer. Wenn darüber hinaus noch eine formale Ver­ wandtschaft besteht, so darf sie nur in der Schnitt techn i k erkannt werden. Dürer hat entschieden auf die Base­ ler einen weitgehenden Einfluß ausgeübt. Und doch han­ delt es sich dort um eine bodenständige Kunst. Vieles spricht dafür, daß dieser Stil aus Schongauers Nähe nach Basel verpflanzt wurde. Eine Reihe unechter Dürer-Zeichnungen, die sich teils um das reitende Liebespaar, teils um die Oxforder Zeichnung der Freuden der Welt gruppieren und sich über eine Zeitspanne von etwa 7 Jahren (1496 bis 1503) verteilen, schreibt Weinberger einem jungen Künst­ ler zu, der von den Traditionen irgendeiner nürnbergischen Werkstatt herkommt, der, an Dürers Klarheit geläutert, sein Temperament nur mühsam bändigt, dessen Stil aber von unheimlich früher Reife und dekorativer Schönheit ist. Der Meister der Benediktuslegende ist, wie Weinberger darlegt und näher begründet, mit dem Brigittenmeister identisch, aber aus der Entwicklung der Nürnberger Kunst auszuschalten. In Basel landfremd, viel­ leicht aus Schwaben stammend, kommt er mit Dürer nach Nürnberg, um nach einem knappen Jahrzehnt vielseitiger künstlerischer Betätigung dort ebenso geheimnisvoll wieder zu verschwinden, wie er aufgetaucht ist. Er arbeitete in unmittelbarster Nähe Dürers und es ist gewiß sehr belang­ voll, daß Konrad Celtis, der sich die Titelblätter zu seiner Roswitha-Ausgabe von ihm entwerfen ließ, ein Jahr später für sein eigenes Werk Quattuor libri amorum keinen Gerin­ geren als Dürer selbst bemühte. Was den Meisterdes Beiisar betrifft, so gelangt der Verfasser zu dem Schlußergebnis, daß er mi1 dem jun­ gen Schaeuffelein identisch sei. Sehr beachtenswert gestalten sich die Untersuchungen in dem Kapitel ,,Der Beschlossen Gart von 1505 und einige Einzelholzschnitte. Indentifikation des Benediktusmeisters.“

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Den Löwenanteil an der Ausstattung des Buches hatte Schaeuffelein. Der Benediktusmeister aber ist kein anderer als Dürers Altersgenosse Hans von K u 1 m b a c h , für den alles spricht, was gegen Dürer spricht. An dem 1507—1508 von Sebald Schreyer aus Nürn­ berg gestifteten G m ii n d e r A 1 t a r , zu dem die beiden Bilder „Sebaldus und zwei Heilige bei Tisch“ und ,,Geburt des Heil. Sebaldus“ im Germanischen Museum als linker feststehender Flügel gehören, haben bekanntlich drei Ge­ sellen aus der Werkstatt Dürers gearbeitet. I11 den beiden Gesellen der Flügelbilder glaubt Weinberger Erhard Schön und Hans Springinklee erkennen zu sollen und bringt für diese Hypothesen Anhaltspunkte bei, welche berechtigen, von großer Wahrscheinlichkeit zu sprechen. Die beiden Tafeln im Germanischen Museum, die uns natur­ gemäß besonders interessieren, schreibt er Springinklee zu. Der dritte Geselle, der die Staffel des Altares geschaffen hat, ist vielleicht identisch mit dem Glasmaler, von dem die von mir in meinem Bürgerhauswerk veröffentlichten Scheiben der Kapelle im Haus zum Goldenen Schild herrühren und der anscheinend auch den großen Christophorus-Holzschnitt B. 105 gezeichnet hat. Das letzte Kapitel ist dem Ober - St. Veiter - Altar und dem Dresdener Marienleben gewidmet. W einberger erklärt in diesem Zusammenhang die W echtlin-Hypothese nicht nur für unnötig, sondern sogar für falsch. Es kann nach ihm auf keine Weise erhärtet wer­ den, daß Wechtlin jemals in Dürers Werkstatt oder über­ haupt in Nürnberg war. Alle diese Genossen des jungen Dürer sind wirklich die Erben und nicht bloß die Nach­ folger der älteren Nürnberger Meister. So mannigfach die Nürnberger Künstlerschaft um 1500 zerklüftet ist, so ver­ schiedenartig sind die Werkstätten, aus denen die Gefähr­ ten und Schüler zu Dürer kommen. Hans von Kulmbach entstammt vielleicht dem Kreise jener illustrativ begabten Kleinmeister, die sich der Ausstattung von Büchern und Hausaltärchen widmeten. Schaeuffelein aber ist ein echter Wolgemut-Schüler. Der Celtismeister und mehrere andere

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gehören der Richtung an, in der die Tradition des LandauerAltarmeisters sich forterbte. Alle diese fühlen sich durch Dürers stürmische Jugend befreit und mitgerissen. Ein neuer Stil aber war damit nicht ergriffen, weil er selbst erst im Entstehen ist. Prof. Dr. Fritz Traugott Schulz.

Nürnberger Gotische Plastik. 112 ganzseitige Abbil­ dungen, mit Einführung und Erläuterungen. Von Dr. Heinrich Höhn, Konservator am Germanischen Na­ tionalmuseum in Nürnberg. Verlag von J. L. Schräg, Nürnberg 1922. XVI S. Text. 4 °. Es besteht kein Zweifel darüber, daß das vorliegende kleine Werk eine wirkliche Lücke füllt. Zwar fehlt es nicht an ernst zu nehmenden Vorarbeiten für das Gebiet der älteren Nürnberger Plastik. Was aber vermißt wurde, war ein brauchbares, sachlich erläutertes, entwicklungsmäßig auf­ gereihtes Abbildungskompendium. Zudem hat das Höhnsche Buch die Annehmlichkeit, daß es keine trockene Abwandlung des Themas erbfingt, sondern daß es sich darstellt als ein Werk persönlicher Durchdringung des in Bearbeitung ge­ nommenen Stoffes. Und insbesondere überrascht die Fülle feinsinniger dichterisch gearteter Umschreibungen der Son­ derart der auftretenden Künstlerindividualitäten wie auch der seelischen Innenwerte der von ihnen hervorgebrachten Werke. Festgestellt wird, wie der Geist des Schöpfers in der Form seiner Schöpfungen nach Ausdruck ringt, wie sich die Idee im Werke lebendig gestaltend regt. Aufgezeigt werden die großen allgemeinen Zusammenhänge mit der Kunst und der Auffassung der Zeit. Daneben aber wird nie versäumt, das der Stammesart des fränkischen Volkes Eigentümliche herauszuschälen und insbesondere auf die unverkennbar immer wieder sich geltend machende per­ sönliche Note der Bildwerke hinzuweisen. Es ist ein besonderer Vorzug der Höhnschen Arbeit, daß sie jeweilig das Streben nach eigener oder eigenwilliger Sprache in ker-

366 nigen Worten zu schildern bemüht ist. Es findet seinen stärksten Niederschlag in den Schöpfungen eines Adam Kraft und Veit Stoß. Beide wurzeln im Nürnberger Boden. Und doch ist jeder eine individuelle Erscheinung für sich, wie sie in der übrigen deutschen Kunst nicht ihres­ gleichen haben. ,,Nürnberg ist“, so lesen und unterstreichen wir zugleich, ,,eine bürgerliche Schöpfung. Und als bürger­ liche Schöpfung bringt die Stadt dann auch eine Kunst hervor, deren Hauptcharakterzüge bürgerliches Gepräge haben.“ Auch sein Urteil über die ältere Nürnberger Plastik dürfen wir ohne Bedenken unterschreiben. Er spricht davon, daß es ihr zwar nicht an Gefühlstiefe fehle, daß aber all das in der Regel viel mehr eine volkstümlich - einfache als eine von großer Schwungkraft eingegebene und zu über­ zeitlicher Form kühn emporwachsende künstlerische Prä­ gung annehme. Das V olkstümliche liegt dem Nürn­ berger näher als das Aristokratische. Erst Meister wie Albrecht Dürer, Adam Kraft und Veit Stoß nehmen einen hohen Flug und wachsen zu typisch-deutscher und damit zu allgemein gültiger Größe empor. Nicht mit Un­ recht wird Veit Stoß nachgerühmt, daß er in der Glut der Charakteristik der Hände der Besten einer in der gesamten Geschichte der deutschen Kunst war. Entschieden überragt Veit Stoß in der überzeugenden Kraft der Darstellungsart nicht nur seine Vorgänger, sondern auch seine Zeitgenossen in Nürnberg. Er ist einer der feurigsten und gewaltigsten Gestalter aller Zeiten. Es wäre kleinlich, an Einzelheiten Kritik zu üben. Man muß Höhn das Verdienst lassen, daß es ihm gelungen ist, ein im ganzen zutreffendes Entwicklungsbild der Nürn­ berger gotischen Plastik entworfen zu haben. Sein Buch ist entschieden ein allseits glatt behauener Baustein zu dem großen Bauwerk der Geschichte der deutschen Plastik, das noch seines in allen Sätteln gerechten Bearbeiters harrt.

Prof. Dr. Fritz Traugott Schulz.

3 67 Nürnbergisch-Fränkische Bildnerkunst. Mit 80 ganz­ seitigen Abbildungen von Justus Bier. Verlag von Friedrich Cohen in Bonn. 1922. 4 °. 16 S. Text. Man kann nicht umhin zuzugestehen, daß das Biersche Buch gegen die so ziemlich das gleiche Gebiet behandelnde Arbeit von Heinrich Höhn etwas abfällt. Letzterer hatte schon in der Auswahl der Abbildungen eine glück­ lichere Hand;. Auch ist sein Begleittext umfassender in der Anlage und stärker in der Vertiefung. Ob man der Landschaft einen solch weitgehenden Einfluß auf die besondere Prägung des Lebens einer Stadt einräumen darf, wie Bier es möchte, muß doch wohl dahingestellt bleiben. In der Entwicklung eines städtischen Gemein­ wesens spielen doch zu viel andere Faktoren noch mit, als daß es möglich wäre, sie aus der Eigenheit der umgebenden Landschaft heraus allein oder doch in be­ tonter Form zu erklären. Aus dem Charakter des Stadt­ bildes zieht Bier den Schluß, daß in Nürnberg ein großer und dunkler Ton klinge, daß eine ernste Wucht das aus­ schlaggebende Grundelement sei. Die Schwere und Massig­ keit der Architektur erfüllt sich nach Bier im Menschlichen und drängt darnach, in der Gestalt einen körperlichen Aus­ druck zu gewinnen. Und ähnlich sei es mit der widerstreitenden Kraft der spielerischen Eleganz. Erst getragen von der menschlichen Gestalt werde ihr innerstes Wesen deutlich. So gipfeln nach Bier die seelischen Ausdrucks­ möglichkeiten der Nürnberger Plastik in einem schweren Ernst. ,,Das schwebende leichte Lächeln“, so sagt er, ,,ist dieser Stadt fremd wie alles Uebergehende und Unbe­ stimmte. Immer gerät es ins Harte und Gezwungene wie in den Sebalder Aposteln oder in ein breites und schweres Lachen, das nie ohne den Beigeschmack des Bäuerischen ist, wie auf jenem derb großen Relief mit Ludwig dem Bayern.“ Doch ganz so fürchterlich ernst und schwer ist die Nürn­ berger Plastik nicht, wie Bier es ansieht, und es ist auch etwas gewagt zu behaupten, daß bei einem spielerisch-hei­ teren Einschlag die Gestalten in Geste und Haltung etwas

368 Gesuchtes haben. Man braucht nur auf den fröhlichen volks­ tümlichen Humor hinzuweisen, der z. B. in der Narren­ figur des Brunnens im Vorderen Spitalhof oder in dem urwüchsigen Wagrelief von Adam Kraft oder in der köst­ lichen Figur des Gänsemännchens auf dem Obstmarkt­ brünnlein quillt und rinnt. Man kann doch wohl bezwei­ feln, daß alle Gebilde dieser Art nur Versuche sind, sich aus dem Banne des schwer lastenden Ernstes des nürnbergischen Wesens zu lösen, daß sich das Fröhliche und Muntere doch in Nüchternheit und Strenge gibt und daß doch alles wieder zurückbiegt in den gewohnten Kreis des nürnbergischen Wesens. Es ist wohl nicht zu weit gegan­ gen, wenn dem gegenüber auch auf den grundechten Scherz in der lokalen Dichtung aufmerksam gemacht wird. Die Abbildungen erbringen manch wertvolle Anregung und darin ist auch das Hauptverdienst der Bierschen Arbeit zu erblicken. Gleichwohl wäre hier eine strengere chro­ nologische Aufreihung erwünscht gewesen. Dinge, wie das unmittelbare Nebeneinander des St. Sebaldschen Reliefs der Grabtragung Mariens aus dem Anfang des 14. Jahr­ hunderts und des Flötnerschen Puttenfrieses am Kamin des Hirschvogelsaales v. J. 1534 oder der Nürnberger Madonna aus der Zeit um 1520 und der knieenden Terrakotta-Madonna im Germanischen Museum aus der Spätzeit des 14. Jahr­ hunderts hätten doch lieber vermieden werden sollen. Wer sich mit der älteren Nürnberger Bildnerei beschäftigt, wird dennoch das Biersche Werkchen nicht ganz ohne Gewinn wieder aus der Hand legen. Prof. Dr. Fritz Traugott Schulz.

Delsenbachs Nürnbergische Ansichten. Mit einer Ein­ leitung herausgegeben von Justus Bier. 42 Tafeln. Delphin-Verlag, München. Quer - 4 °. 20 S. Text. Das vorliegende Werk kommt einem bestehenden Be­ dürfnis entgegen. Wollte man aber der Aufgabe an sich

3Ö9 voll gerecht werden, dann wäre Vollständigkeit, nicht eine Auswahl am Platze gewesen. Immerhin mag es als ein Verdienst bezeichnet werden, daß eine nicht ganz geringe Zahl der Prospekte von Johann Adam Delsenbach durch annehmbare Wiedergabe zu einem wohlfeilen Preis einem größeren Kreis von Freunden des alten Nürnberg zu­ gänglich gemacht worden ist. Der ernste Forscher, der Fachmann wird gleichwohl immer wieder auf die Originale zurückgreifen, deren Zahl sich insgesamt auf 114 Stücke beläuft. Mit Recht wird auf das lebhafte Raumgefühl, das den Delsenbachschen Prospekten eignet, hingewiesen. Ebenso ist es richtig, wenn des Meisters höchst anmutige und spie­ lerische Erfindung von kleinen Gruppen, von denen es in allen Stichen wimmelt und welche der Straße und dem Platz erst das rechte lustige Leben geben, als ein charakteristi­ scher eigener Grundzug hervorgehoben wird. Der Ken­ ner weiß, daß die mehr malerisch geartete Empfindung und Auffassung Delsenbachs auch mancherlei Freiheiten als Begleiterscheinung involvieren, welche hier und da den * Poeten über den Realisten den Sieg davontragen lassen. Dessen ungeachtet nimmt Delsenbach unter den Prospektstechern jener Zeit entschieden eine bevorzugte Stellung ein, und es muß diese aus der Betrachtung der Re­ produktionen entspringende Erkenntnis trotz seiner Unvoll­ ständigkeit als ein Vorzug des Werkes betrachtet werden. Bier schickt den Einzelerläuterungen zu den Bildtafeln eine Einleitung allgemeiner Art voraus, die sich mit dem Wesen seiner Kunst und seiner Darstellungsform beschäf­ tigt. Die Einzelerläuterungen sind etwas kühl und trocken. Fast hätte man sie ganz entbehren können, indem man die Bilder für sich selbst sprechen ließe. Was man aber als einen Mangel empfindet, das ist der Verzicht auf das gerade für Nürnberg so wichtige historische Moment. Auf der Basis der geschichtlichen Durchdringung hätte sich ein lebendigerer Bau der Betrachtungsweise aufrichten las­ sen. Ebenso ist es vermieden worden, auf die bau- oder kunstgeschichtliche Bedeutung des einen oder anderen Hau24

37ö — ses einzugehen. Was die Einleitung betrifft, so fällt es auf, daß der Begriff ,,Erker“ fälschlich auf ,, C h ö r 1 e i n “ und ,, Dacherker“ angewandt ist. Ich zitiere zwei Stellen: ,,Dagegen setzt man gerne einem Fenster, meist des ersten Stockwerks, einen Erkerausbau vor . . .“ und ,,Auch das Dach erhält fast immer einen Erkeraus­ bau...“ In Wirklichkeit liegt das Verhältnis so, daß der Ausbau anstelle eines Fensters, vom Hause aus, hervor­ gegangen aus dem Abschluß der Hauskapelle, als „C hör­ te i n “, die Ausbauten aus dem Dach heraus als „Erker“ zu bezeichnen sind. Wenn gesagt wird: ,,Selbst die Ent­ fernung der kleinen Buden und Anbauten zwischen den Strebepfeilern der Kirchen ist ein Schaden. Freilich haben die Baumeister der Kirchen nicht von vornherein mit solchen Anbauten gerechnet, aber es gehört zu den Reizen der nor­ dischen Architektur, daß das Kleine sich ans Große klebt und wie der Efeu um den flachen Stamm wuchert“, so kann dem nur beigepflichtet werden. Vielleicht hätte man noch hervorheben können, daß diese Krambuden, in denen Han­ del mannigfachster Art getrieben wurde und um die herum wechselndes Treiben wogte, erst den richtigen Maßstab für die großen Kirchenbauten gaben und erst die volle Maje­ stät namentlich der gotischen Bauwerke ganz empfin­ den ließen. — Daß der photographische Apparat nur sehr wenig dazu tauge, architektonische Situationen festzuhal­ ten, daß nur ganz selten ein Eindruck von Platz- und Stra­ ßenraum als einem geschlossenen Ganzen entstehe, kann in dieser Verallgemeinerung nicht gesagt werden. Wo sich Architekt, Kunsthistoriker und Techniker in einer Per­ son vereinigen, werden gerade auf diesem Gebiet oft genug glänzende Leistungen erzielt. Das Werk wird denjenigen nicht unwillkommen sein, denen die Prospektdarstellungen aus vergangenen Tagen wichtige Quellen zu Vergleichen mit dem heutigen Zustand sind.

Prof. Dr. Fritz Traugott Schulz.

37i Vor den Toren Alt-Nürnbergs. Geschichte der Vor­ stadt Gostenhof und des Siechkobels St. Leonhard. Mit 8 Abbildungen. Von Ludwig Eisen (Fränkische Heimatschriften Nr. i). Verlag Lorenz Spindler, Nürnberg. 1923. 48 S. 8°. Das anspruchslose Büchlein, das in hübscher, volks­ tümlicher Form die Geschichte einer der größten Nürn­ berger Vorstädte erzählt, ist aus einer umfangreichen, gründlichen Arbeit herausgewachsen, die das Quellen­ material in möglichst erschöpfender Weise heranzuziehen gesucht hat. Aus einem burggräflichen Dorf wird der Gostenhof nach langen Zwistigkeiten ein reichsstädtisches; mancherlei Kriegsläufte gehen über die Ansiedelung vor den Toren der Reichsstadt hin, bis sie nach zehn Jahren preußischer Regierung (1796—1806) mit Nürnberg an Bayern kommt und am 1. Oktober 1825 der Stadt ein­ verleibt wird. Besonderes Interesse hat die Vorstadt Gostenhof vor anderen dadurch, daß sie fast ein halbes Jahr­ tausend einen der vier Nürnberger Siechköbel beherbergte, d. h. eines der Aussätzigenasyle, die an den großen Handels­ straßen in einiger Entfernung von der Stadt lagen. Aus der Kapelle des Siechkobels ist die heutige Pfarrei St. Leonhard entstanden. Erwähnung verdienen auch die sorgsam ge­ sammelten Notizen über die ehemaligen kleinen Ansiede­ lungen zwischen Gostenhof und der Pegnitz, die heute spur­ los im Häusermeer der Großstadt aufgegangen sind. Einige kleine Richtigstellungen. S. 5: Der Sandhof ist, soviel ich aus den Quellen entnahm, ein Einzelhof zwi­ schen Schweinau und Steinbühl, nicht ein anderer Name des Gostenhofs. — S. 6: Gostenhof ist auch im 15. Jahr­ hundert noch als Dingstätte des Landgerichts bezeugt (Acht- und Urteilsbücher im Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 107); die Verlegung nach Kadolzburg 1349 war damals zeitweilig. Der Burggraf tritt auch noch nach 1255 selbst als Landrichter auf (1265 Dez. 1: Mon. Zoll. II, Nr. 104). — S. 8: Der erste ,,Amtmann zum Gostenhof“ wurde un­ mittelbar nach der Erwerbung des Orts durch den Rat ein­ gesetzt (Aemterbüchlein 1476, nachgetragen); seitdem 24"

wurde Gostenhof fortlaufend durch sädtische Pfleger ver­ waltet. — S. 8 f: Die beiden Absätze über den Schmalkaldischen und über den 2. Markgräflichen Krieg sind im Satz offenbar vertauscht. — S. 28: Die Verkündigung allgemein polizeilicher Vorschriften von der Kanzel wurde nicht erst von der preußischen Regierung eingeführt; sie ist im 16. Jahrhundert im Nürnberger Land ganz allgemein. — Die vom Bund für Volks- und Heimatkunde heraus­ gegebene Reihe fränkischer Heimatschriften hat durch Eisens Heft eine Gutes verheißende Eröffnung gefunden. Dannenbauer. Geschichte des Schlosses Gleißhammer bei Nürnberg. Ein Beitrag zur Nürnberger Ortsgeschichte,, Mit 7 Abb. und 1 Plan. Von Max Beckh. Nürnberg, Schräg, 1925. 3 Bl., 73 S., 7 Taf., 1 Plan. 8 °. Die Geschichte des Gleißhammers hätte keinen berufe­ neren Darsteller finden können; denn mit solider geschicht­ licher Schulung verbindet der Verfasser einen reichen Schatz eigener Kenntnisse und Erfahrungen, die durch keine Urkunden der Welt ersetzt werden konnten; er hat ja einen Teil seiner Jugend in dem Schlößchen zugebracht. Das flott geschriebene und gut ausgestattete Werkchen beleuchtet seinen Gegenstand nach allen Seiten. Vieles, was geboten wird, ist von allgemeinerem Interesse für die Nürnberger Geschichte. So geht Beckh auf die Frage ein, ob mit Recht Gleißhammer von einem Teil der Dürer­ forscher gleichgesetzt wird mit dem ,,Weiherhaus“, das auf einem Aquarell Dürers, dem sog. Weiherhäuschen (heute im Britischen Museum), und auf dem berühmten Kupferstich der „Madonna mit der Meerkatze“ zu sehen ist; mit Recht betrachtet Beckh die Frage als ungeklärt; die Behauptung des bekannten Dürerforschers Thausing dürfte kaum mehr zu beweisen sein1). — Strategisch wichtig ist Gleißham­ mer einmal gewesen, als 1632 Gustav Adolf sein Lager vor Nürnberg auf schlug: da war das Schlößchen der östliche *) Mor. Thausing: Dürer, 2. Aufl., Bd. L, S. 124.

373 Eckpfeiler der ganzen Anlage. Und noch einmal spielte es im Zusammenhang mit dem großen Krieg eine Rolle, als beim Friedensschluß, dessen letzte Arbeiten ja in Nürnberg erledigt wurden, der schwedische Höchstkommandierende auf dem Gleißhammer ein großes Festessen mit Feuerwerk gab. Auch die Tatsache, daß die Wasserleitung zum Schö­ nen Brunnen beim Gleißhammer entspringt, ist nicht all­ gemein bekannt; ja die Urkunden, die uns von dieser Quelle berichten, haben sogar das letzte Wort zu sprechen in der etwas umstrittenen Frage nach der Erbauungszeit des Brunnens selbst *). — Weiter lesen wir, wie zu Anfang des 18. Jahrhunderts eine Spiegelglasschleiferei für große Spie­ gel eingerichtet wurde, in dem eigentlichen ,,Hammer“, einem jetzt nicht mehr stehenden Bau am unteren Ende des Weihers; es ist eines der allerersten Werke dieser Art in Deutschland. 1854 wurde die Glasschleiferei eingelegt. Auch die früheren Schicksale dieses Hammers hat der Verfasser eingehend dargestellt. Besonderes Interesse beansprucht natürlich die Ge­ schichte des eigentlichen Schloßbaues; der heutige Zustand geht in der Hauptsache noch auf den Neubau des Jahres 1569, unter der Familie Imhoff, zurück. Der von Beckh wiederentdeckte Vertrag des damaligen Bauherrn mit dem Baumeister ist reich an kultur- und wirtschaftsgeschicht­ lichen Einzelheiten. Dies sind nur Kostproben von allgemeinerem Belang aus dem vielseitigen Inhalt des Büchleins. Hingewiesen sei noch auf die höchst brauchbaren Tabellen am Schluß, welche die Geschichte des Schloßgutes und seiner Besitzer sowie der Spiegelschleife und des Hammers übersichtlich darstellen.

Friedrich Bock. l) Von der kunstgeschichtlichen Seite entscheidet sich dafür z. B. auch P. Ree: Nürnberg, 4. Aufl., S. 64. — Ausführlicher äußert sich zur ganzen Streitfrage K. F i s c h e r in dem Werk: Die Wasserversorgung der Stadt Nürnberg, 1912, S. 32 ff.

374 Die Ganerbschaft vom Rothenberg in ihrer politischen, juristischen und wirtschaftlichen Bedeutung. Von Dr. Martin Schütz. 1924. Lorenz Spindler Verlag, Nürnberg. VIII und m S., 1 Titelbild und 8. Taf. 8°. Der Rothenberg hat den Nürnbergern wiederholt schwer zu schaffen gemacht, im Mittelalter bis in die zwan­ ziger Jahre des 16. Jahrhunderts und dann wieder während des dreißigjährigen Krieges, als er von 1629 bis 1642 eine bayerische Besatzung in seinen Mauern hegte. Diese und manche etwas weniger unfreundliche Beziehungen zu der Reichsstadt Nürnberg sind Grund genug, daß eine Ge­ schichte dieser Feste und der dazu gehörigen Herrschaft auch an dieser Stelle unsere Aufmerksamkeit finde. Nun gibt der Verfasser ausführlich allerdings nur einen Teil der Geschichte des Rothenbergs, nämlich als sich dieser im Besitz einer Genossenschaft von Adeligen befand, die man als Ganerben zu bezeichnen pflegte. Dies war von 1478 bis 1698 der Fall. Im erstgenannten Jahre kam die Burg aus pfälzischem Besitz, genauer aus dem des Pfalzgrafen Otto II. von Neumarkt-Mosbach, durch Kauf in die Hände von 44 fränkischen Rittern, eben den Ganerben, 1698 ging sie wiederum durch Kauf endgültig in kurfürstlich bayeri­ schen Besitz über. Der Verfasser hat sich die Mühe nicht verdrießen lassen, ein gewaltiges, ziemlich sprödes Akten­ material durchzusehen, hauptsächlich im Nürnberger Staats­ archiv, doch blieben auch die Aktenbestände des Staats­ archivs Amberg, des Hauptstaatsarchivs München, ja selbst die des Münchener Kreisarchivs nicht unberücksichtigt. Etwas hätte ihm auch wohl das Nürnberger Stadtarchiv bieten können, bei dem meines Wissens überhaupt nicht angefragt wurde. Neben dem umfangreichen archivalischen ist auch das gedruckte Material recht fleißig herangezogen worden. Für die behandelte Periode kam es allerdings weniger in Betracht. Außer der äußeren Geschichte der Ganerbschaft werden uns sehr ausführlich auch ihre recht­ lichen und wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse geschildert. Wir hören da z. B. von den Zusammenkünften (Konventen) der adeligen Genossen, von den Beschlüssen dieser Tagun-

375 gen (Abschiede, Rezesse genannt), von ihren Verwaltungs­ organen, dem Burggrafen, Baumeister und den Erkorenen, dem Burgvogt, Büchsenmeister, Richter usw. Ferner, wie sich Eigenwirtschaft und Grundherrschaft in dem verhält­ nismäßig recht ausgedehnten Rothenberger Gebiet ergänz­ ten, wie groß die Bauernhöfe waren, welche Abgaben sie zu leisten hatten, wie die Ganerben auch beträchtliche Gefälle von den in Schnaittach wohnenden Juden bezogen, wie dort ein Halsgericht war — denn den Ganerben stand in ihrem Gebiete die Fraisch zu. Tabellen und Statistiken erläutern die Darstellung in willkommener Weise, sie sind, wie auch sonst vom Verfasser als minder wichtig angesehene, mit kleineren Lettern wiedergegeben. In späterer Zeit überwog für die Ganerben durchaus der wirtschaftliche Wert ihres Mitbesitzes, während bei der Gründung der Ganerbschaft wohl der Gedanke, in einem von einer Mehrzahl von Stan­ desgenossen mit reicheren Mitteln unterhaltenen, besonders festen Schlosse immer einen militärischen Stützpunkt zu finden, hauptsächlich maßgebend gewesen war. Als der Rothenberg friedlich wurde, so etwa nach 1523, vertrug sich die Reichsstadt Nürnberg im allgemeinen recht gut mit seinen Besitzern, namentlich nachdem die Mehrzahl der­ selben evangelisch geworden war und gegenüber den Rekatholisierungsbestrebungen des Kurfürsten Maximilian und seiner Nachfolger mit Treue und Festigkeit ihr Be­ kenntnis zu vertreten suchte. Auf die Dauer konnten die Bewohner der Herrschaft in ihrer großen Mehrzahl freilich nicht vor dem Uebertritt zum älten Glauben bewahrt werden. Ist die fleißige Arbeit, die übrigens dem Verfasser zur Erlangung der Doktorwürde in Erlangen unter den Auspi­ zien Professor Beckmanns gedient hat, im allgemeinen nur zu loben, jedenfalls als eine sehr nützliche zu bezeichnen, so können einige Worte tadelnder Kritik doch nicht ganz unterdrückt werden. Weniger in sachlicher als vielmehr namentlich in formeller Hinsicht. Aber auch was den ersteren Punkt betrifft, so kommen wir z. B. über die Frage der pfälzischen Lehns- und Landesherrschaft über den Ro-

376 thenberg zu keiner rechten Klarheit. Auf S. 9 hören wir, daß die Einwilligung des Königs Matthias von Ungarn zu dem Verkauf der Herrschaft von Pfalzgraf Otto eingeholt wurde, S. 5 und 37 ist von ihr als von einem böhmischen Lehen die Rede, und dann wieder lassen sich die Ganerben stets nur von dem Amberger Lehensprobst ihre Beleh­ nungsbriefe ausstellen. Hierauf mußte näher eingegangen werden, wozu übrigens ein Abdruck der Verkaufsurkunde von 1478 in extenso willkommen gewesen wäre. Otto von Neumarkt verkauft darin die hohe und niedere Gerichts­ barkeit an die Ganerben. Kraft welchen Rechtes beanspruch­ ten nun er und seine Nachfolger, die Kurfürsten von der Pfalz, die Landesherrschaft über dieselben? Als Lehens­ herren? Oder weil sie sich zum Teil das Geleit vorbehiel­ ten? Wenn die Ganerben als ,,Landsassen“ zu den ober­ pfälzischen Landtagen und dann wieder als Besitzer eines angeblichen Reichsschlosses zu den Reichstagen eingeladen wurden, wie war tatsächlich das rechte Verhältnis? Hat der Verfasser die genauere Prüfung dieser Frage unterlas­ sen, so ist der Leser infolge seiner knappen Angaben darüber erst recht nicht in der Lage, hierin ein klares Bild zu gewinnen. Mehr Anstoß nehme ich aber an den Nach­ lässigkeiten und offenbaren Fehlern im Quellen- und Literaturverzeichnis sowie bei der Wiedergabe von Namen. ,,Bibliotheca Norica Nr. 744 ff.“ ist eine Angabe, mit der niemand etwas anfangen kann. Man könnte meinen, daß an den Norikabestand der Stadtbibliothek gedacht ist. Aber dann hätte das Format* angegeben werden müssen. Tat­ sächlich ist die Bibliotheca Norica Williana gemeint, es fehlt aber die Bezeichnung der Abteilung I. Der Name Mummenhoffs sollte einem Arbeiter in der Geschichte Nürnbergs und seiner Umgebung bekannt genug sein, um ihn nicht mit nur einem f zu schreiben. Auch hat derselbe nie ein Buch ,,Nürnberg im Markgräflerkrieg (so statt ,,markgräf­ lichen Krieg“) 1449/50 (1920)“ geschrieben. Mein Buch heißt „Geschichte der Reichsstadt Nürnberg“ und nicht der „ehemaligen freien“ Reichsstadt, ist auch nicht 1898, son­ dern schon 1896 fertig erschienen. Auf S. 2 muß es Kloster Bergen und nicht, wie man zweimal liest, Burgen heißen,

3 77 der Patrizier, dem der Burggraf des Rothenbergs, Kunz Schott, die rechte Hand abhieb, hieß Wilhelm Derrer, nicht Derer (S. io). Feucht und Wendelstein wurden von den Nürnbergern nicht im bayerischen Erbfolgekrieg erobert (S. n). Solche Nachlässigkeiten erwecken kein günstiges Vorurteil für die Abschnitte des Buches, die man nicht nachprüfen kann, von denen ich aber doch noch einmal her­ vorheben möchte, daß sie eine bis dahin so gut wie un­ bekannte Ortsgeschichte in willkommener Weise erhellen und daß sie deshalb, wenn sie nur einigermaßen zuverlässig gearbeitet sind, was ich hoffen möchte, sjets mit Nutzen werden herangezogen werden können. Die interessanten Tafeln, die gute Ausstattung verschaffen dem Büchlein hof­ fentlich auch nicht nur Leser, sondern auch Käufer. Emil Reicke. Geschichte der Pfarrei Alfeld. Ein Beitrag zur Ge­ schichte des Nürnberger Landes. Auf Grund archivalischer Forschungen,. Von Karl Schornbaum. (Band VI der Quellen und Forschungen zur bayerischen Kirchen­ geschichte, herausgegeben von Hermann Jordan). Verlag A. Deichert, Leipzig und Erlangen. 1922. 8°. 189 S. Der 1911 angeordneten Neufertigung der Pfarrbeschreibungen in der Ev.-Luth. Landeskirche des rechtsrheinischen Bayerns sind mehrere wissenschaftlich wertvolle Arbei­ ten zu verdanken. Neben Schoeffel (Schweinfurt), Bergdolt (Windsheim) und Clauß (Schwabach) ist besonders die vorliegende Arbeit des bekannten Forschers auf dem Ge­ biet der fränkischen Reformationsgeschichte, D. Dr. Schorn­ baum in Roth, zu nennen, deren Wert vor allem darin besteht, daß sie die enge Berührung der Geschicke eines entlegenen Dorfes im Fränkischen Jura, dicht an der Grenze der Oberpfalz, mit den großen Bewegungen auf politischem und religiösem Gebiet aufzuzeigen versucht. Obwohl, wie schon die Kapitelüberschriften zeigen1), *) 1. Alfeld am ausgehenden Mittelalter. 2. Alfeld wird nürnbergisch. 3. Das Reformationszeitalter. 4. Der dreißigjährige Krieg. 5. Das Zeitalter der Orthodoxie. 6. Das Zeitalter des Pietismus und Rationalismus. 7. Die bayerische Zeit.

373 naturgemäß das Hauptgewicht der Darstellung auf der kirchlichen Seite liegt, bietet die Arbeit ein ungemein reiches Material, an dem auch Forscher, die anderen Ar­ beitsgebieten ihr Augenmerk zuwenden, nicht Vorbeigehen können; verschiedene politische Unterhandlungen sind hier zum erstenmal eingehend nach den Akten dargestellt; an wirtschafts- und kulturgeschichtlichem Einzelmaterial ist die Arbeit fast überreich. Einige Einzelheiten möchte ich noch anmerken. Die Arbeit umfaßt den Zeitraum von rund 1480 bis 1870; das Mittelalter selbst ist also unberücksichtigt geblieben, was aus dem Titel nicht hervorgeht. Der Grund ist natürlich der, daß für diesen Zeitraum Quellennachrichten fast ganz fehlen. Die sehr interessante Frage nach der Entstehung der Pfarrei Alfeld muß daher unbeantwortet bleiben; man könnte einigermaßen gesicherte Vermutungen darüber nur gewinnen, wenn man sehr ausgedehnte Untersuchungen über die ganze umliegende Gegend anstellen wollte. Die Nachricht, daß Bischof Gundekar von Eichstätt (1057 bis lo75) die Alfelder Kirche geweiht hat (Mon. Germ. SS. VII, 247) steht zu vereinzelt. Zusammenhängende Nachrich­ ten setzen erst mit dem ausgehenden Mittelalter ein, und selbst über die Einführung der Reformation sind die Quellen, wenigstens was Alfeld selbst betrifft, noch dürftig. Allerdings ist Schornbaum im Irrtum, wenn er erst mit der Kirchenvisitation von 1528 ein reformatorisches Vorgehen des Nürnberger Rates auf dem Land ansetzen will. Schon 1524, also vor dem Religionsgespräch vom März 1525, und ganz entschieden seit dem Religionsgespräch wirkt die Nürnberger Verwaltung im evangelischen Sinn auf das ländliche Kirchenwesen ein. Für Altdorf, Hersbruck, Vel­ den, um nur die größeren Orte zu nennen, ist das ganz ein­ gehend zu belegen, wie ich in anderem Zusammenhang ausführlich darzulegen gedenke. Gerne würde man einige, wenn auch knappe Angaben über die dörfliche Verwaltung in Alfeld lesen, etwa im An­ schluß an A. Grafs Arbeit (56. Jahresbericht des Hist. Ver, f. Mittelfr.) und an die Topographien der beiden Land­ schreiber Nöttele aus dem 16. Jahrhundert, denen auch

379 wissenswerte Angaben über die Größe und die Herrschafts­ verhältnisse in den einzelnen Orten des Pfarrsprengels zu entnehmen wären. Auch die kirchliche Vermögensverwal­ tung mit einigen Worten zu berühren, erschiene mir wün­ schenswert. Wann entstand die Schule? Zu der vom Verfasser mitgeteilten Pfarrliste kann ich eine kleine Ergänzung beisteuern. Der an zweiter Stelle genannte Pfarrer G. Mauer ist 1483 Juni 15 noch bezeugt (S. I. L 250 Nr. 868).. 1504 Dez. 30 wird berichtet, daß der Alfelder Pfarrer gestorben sei (Briefbuch 54 f. 127). 1505 Jan. 2 ist dem Priester Hans Wolff vom Bischof die Pfarrei verliehen; der Pfleger von Reicheneck wird vom Rat beauftragt, als Vertreter der weltlichen Obrigkeit den Pfarrer einzusetzen (ebenda f. 134). An Frühmessern habe ich mir folgende notiert: Ulrich Schmid, 1476 Juli 5 zum erstenmal bezeugt (S. I. L 249/D Nr. 420). 1513 April 9 bewilligt der Nürnberger Rat die Resignation des Früh­ messers Hans Schönhofer (oder Schachhofer) zugunsten des Joh. Kun und beauftragt den Pfleger von Hersbruck, ihn in Posseß der Frühmesse zu setzen (Ratsbuch 10 f. 70; Briefbuch 70 f. 123). Der letzte Frühmesser scheint Joh. Bonus gewesen zu sein, der 1535 Dez. 8 als Pfarrer zu Eltersdorf erscheint (Landpfl.-A.-Man. 7; Lpfl.-A. Briefb.

T7)Es ist bei Schornbaum überflüssig zu sagen, daß seine Arbeit musterhaft gründlich ist. Es klingt fast ketzerisch, aber sie ist in gewisser Hinsicht schier zu gründlich. Der Verfasser schenkt uns nichts von dem, was er über die Ge­ schicke seiner Pfarrei ermitteln konnte; dadurch wird frei­ lich seine Untersuchung zu einer wertvollen Fundgrube für den Wirtschafts- und Kulturhistoriker, aber naturgemäß leidet die Lesbarkeit der Darstellung darunter; etwas weniger Aktenstaub, der in der Pfarrbeschreibung ja sein gutes Recht hatte, wäre bei der Drucklegung mitunter erwünscht gewesen. Doch soll dieser Wunsch keine Herab­ setzung der wertvollen und erschöpfenden Arbeit 'darstel­ len; hätten wir nur mehr solche Monographien und solche gründliche Forscher!

Dannenbauer.

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Dorothea Hallerin. Der Eheroman einer Dürerischen Frauengestalt nach urkundlichen Quellen dargestellt von Albert Gümbel, Archivrat in Nürnberg. 1925. Lorenz Spindler Verlag, Nürnberg. 59 Seiten mit 2 Tafeln. 8°. Gümbel kam zu dieser Studie im Verfolg seiner For­ schungen zur Deutung der Stifterbildnisse auf Dürers Al­ lerheiligenaltar. Manche unserer Mitglieder werden sich erinnern, daß er darüber am 20. Dezember 1923 im Verein für Geschichte einen fesselnden Vortrag gehalten hat1). Im wesentlichen ist es dieser Vortrag, der hier zum Abdruck ge­ langt ist. Der Stoff, schon allein kunsthistorisch interessant, erhält noch einen besonderen, kulturgeschichtlich anziehen­ den Einschlag durch die Schicksale einer Frau, die der Ver­ fasser unter den Frauengestalten auf der rechten Seite von Dürers Bilde an besonders hervorragender Stelle erken­ nen zu dürfen glaubt. Es ist dies die einzige fast ganz en face dargestellte weibliche Person, die mit einer anmuti­ gen Neigung des Kopfes nach links gerade über dem halb­ verdeckten Mädchengesicht und etwas rechts hinter dem langlockigen Jüngling und dem knieenden Ritter zu sehen ist. Daß letzterer den Wilhelm Haller darstellt, den Eidam des Stifters — bekanntlich des reichen Kaufmanns und Hüt­ tenbesitzers Matthäus Landauer, des Gründers des Landauer-Zwölfbrüder-Klosters —, ist wohl zweifellos und wäre schon allein aus dem auf dem Medaillon der goldenen Kette — muß es eine Gnadenkette sein? — sichtbaren Hallerschen Wappen mit Sicherheit zu schließen. Die Deutung der anderen Figuren auf der rechten Seite bleibt freilich zweifelhaft, immerhin ist es höchst wahrscheinlich, daß Güm­ bel mit der Erklärung der eben geschilderten Frauengestalt als Dorothea Hallerin, Gattin des besagten Haller und Tochter des Matthäus Landauer, das Richtige getroffen hat. Es ist kein erfreuliches Bild, das die Ehe der beiden bietet. Dorothea scheint recht leichtfertig gewesen zu sein, wie schon aus dem mit Mühe wieder rückgängig gemachten Eheversprechen zu schließen ist, das sie, kaum fünfzehn­ jährig, dem Berthold Pfintzing gab, der, ein Bürger zu Sulzbach, aber aus dem Nürnberger Patriziergeschlecht *) Vgl. Jahresbericht über 1923, S. 59 ff.

38i stammend, das junge Mädchen in ein übel beleumundetes Haus zu locken gewußt hatte. Wie in dem Falle Barbara Löffelholz, den Rezensent im 18. Heft dieser Mitteilungen behandelt hat, sind darüber Rechtsgutachten erhalten, die hier wie dort eine wahrhaft erschreckende Leichtigkeit zeigen, mit der damals eine vor der Kirche und vor dem bürgerlichen Gesetz rechtsgiltige Ehe eingegangen werden konnte. Ihr Leichtsinn mag es wohl auch gewesen sein, der Dorothea nicht die Zuneigung ihres Schwiegervaters —■ er hieß, wie sein Sohn, Wilhelm Haller — gewinnen ließ, so daß sich dieser sogar ein königliches Mandat ver­ schaffte, die leidige Schwiegertochter aus dem Hause zu bringen, worin das junge Paar zunächst zusammen mit dem alten Haller lebte. Daß dieses Mandat auch die Trennung der Ehegatten ausgesprochen habe, wie Gümbel zu meinen scheint (S. 24), erscheint mir zweifelhaft. Dazu war eine weltliche Person, und wäre es der Kaiser selbst gewesen, damals wohl kaum berechtigt. Auch sehen wir, daß der Rat, dem kaiserlichen Befehl gehorsam, wohl die Entfer­ nung der Dorothea aus dem Hallerischen Hause durch­ setzte, nicht aber die Auflösung ihrer ehelichen Gemein­ schaft. Diese fand erst 1515, nach dem Tode des alten Landauer, statt, durch freien Entschluß der Frau, die die Mißhandlungen ihres offenbar sehr jähzornigen und oft bru­ talen Mannes satt bekommen zu haben scheint. Dorothea nahm jetzt ihren dauernden Wohnsitz in dem vom Vater ererbten Schlößchen Oberwolkersdorf (früher Woickers­ dorf) bei Schwabach. Sie ließ sich nicht mehr bewegen, nach Nürnberg zurückzukehren, reizte vielmehr den Rat dadurch, daß sie ihren Landsitz unter markgräflich brandenburgischen Schutz stellte, und verstieß gegen die guten Sitten durch unerlaubte Beziehungen zu dem Prokurator am Stadtgericht Martin Glück, einem auch sonst durchaus unwürdigen Manne. Im Herbst 1517 wurde das Hal­ lerische Ehepaar von dem geistlichen Gericht in Bamberg, wie es scheint, aber nur temporär, geschieden, oder, genauer ausgedrückt, von Tisch und Bett getrennt. Die Be­ mühungen Hallers, wieder mit seiner Frau vereinigt zu wer­ den, blieben vergeblich. Dorothea starb am 29. Novem-

382 ber 1528 in Schwabach, ihr geschiedener Mann folgte ihr um die Wende des Jahres 1534 im Tode nach. Gümbels Darstellung beruht, wie es bei ihm, der uns schon so viele, auf oft recht entlegene Quellen gestützte neue Aufschlüsse über Nürnberger Persönlichkeiten und Familien gebracht hat, ja nicht anders zu erwarten war, auf den gründlichsten archivalischen Studien. Es ist sehr an­ zuerkennen, daß er es auch in diesem Falle vortrefflich ver­ standen hat, aus dem zum Teil ja außerordentlich dürftigen und jedenfalls sehr spröden Stoff ein fesselndes Kulturbild zu gestalten, dessen Lektüre auch einem der strengeren Wissenschaft abholden Leser nur empfohlen werden kann. Das dem Universitätsprofessor Dr. Haack gewidmete Büchlein ist recht hübsch ausgestattet und mit zwei gut gelungenen Autotypien geschmückt.

Emil Reicke. Die israelitische Kultusgemeinde Nürnberg 1874—1924. Von Dr. Max Freudenthal, Rabbiner. 1925. J. Bulka, Verlag, Nürnberg. IV -(- 172 S. 8°. Das der Redaktion zur Besprechung zugekommene Werk bildet die Fortsetzung der gelegentlich des fünfund­ zwanzigjährigen Jubiläums der Einweihung der Nürnber­ ger Synogoge (1899) erschienenen Gedenkschrift des Rab­ biners Dr. Bernhard Ziemlich, die israelitische Kultus­ gemeinde bis zur Einweihung der Synagoge am 8. Septem­ ber 1874. Das Werk beruht auf den Akten der israeliti­ schen Kultusgemeinde und des Rabbinats sowie auf der einschlägigen Literatur, und man darf ihm das Zeugnis aus­ stellen, daß es durchaus sachlich gehalten ist und auch auf das Interesse der Nichtisraeliten und insbesondere des Historikers in manchen Partien Anspruch erheben darf. Mit Recht weist der Verfasser im Vorwort darauf hin, daß die Kultusgemeinde Nürnberg eine junge und daher in ihren Einrichtungen, in ihren inneren Strebungen und äußeren Beziehungen ganz neue Gemeinde ist, daß die Traditionen seit dem Jahre 1499, in dem die Juden zum zweiten Male aus Nürnberg vertrieben wurden, abbrechen und die Juden, die seit dem Jahre 1850 wieder in Nürnberg als Bürger auf-

3«3 genommen wurden, den Aufbau der Gemeinde von neuem beginnen mußten. So ergab sich die Geschichte einer moder­ nen Gemeinde, wie sie bisher noch nicht geschrieben ist. In 10 Kapiteln behandelt das Buch den Gottesdienst, das Unterrichtswesen, den Friedhof, die Verwaltung, das Rabbinat, die Beamten, den Verein Adas Israel (orthodoxe jüdische Religionsgemeinschaft), die Mitarbeit an der jüdi­ schen Gesamtheit, das Leben in der Gemeinde und den Anteil der Gemeinde am öffentlichen Leben. Die von der Gemeinde unter ihrem Rabbiner Dr. Levin geschaffene Liturgie, die auch späterhin noch mancherlei Verbesserungen besonders auch unter Dr. Freudenthal erfuhr, und die musikalische Ausgestaltung des Gottes­ dienstes waren mustergiltig und wurden auch auswärts als solche allgemein anerkannt. Mit dem Uebergang aus der freien Vereinigung der in Nürnberg wohnenden Juden zur Gemeinde vollzog sich von selbst auch der vom Privat­ unterricht zum öffentlichen Religionsunterricht, wenn auch unter den größten Schwierigkeiten. Ihn auf alle Weise zu fördern, ließ sich die Gemeinde besonders angelegen sein. Wegen großer Unzuträglichkeiten wurde 1867 und 1869 statt der eingerichteten jüdischen Religionsschule der Re­ ligionsunterricht an den Volks- und den vier höheren Unterrichtsanstalten (Gymnasium, Handelsschule, Höhere Töchterschule und Portsches Institut für Mädchen) ein­ geführt. In eingehender Weise schildert der Verfasser, welche Kämpfe es mit den Vorgesetzten Behörden kostete, um dem Relgionsunterricht an den Volks- und Mittel­ schulen sowie an Privatschulen und sonstigen Anstalten in Bezug auf die Stundenzahl anderen Religionsgesellschaften gegenüber voll zu seinem Rechte zu verhelfen, und wie die Gemeinde keine Opfer scheute, um den Lehrplan einheitlich und, wo es nötig erschien, unter Aufwendung besonderer Mittel ersprießlich zu gestalten. Ortsgeschichtlich bemerkenswert ist das Kapitel über die Errichtung eines neuen Friedhofs an der Schnieglinger Straße. Auch die übrigen Kapitel enthalten so manches, was auch für den Außenstehenden von besonderem Inter­ esse erscheint, und zeigen vor allem die große Opferbereit-

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schaft der jüdischen Gemeinde und ihrer Mitglieder. Be­ sonders gilt dies von den beiden letzten Kapiteln, die das Leben in der Gemeinde und den Anteil ihrer Mitglieder am öffentlichen Leben zum Gegenstände haben. Eine Reihe von Wohlfahrtsvereinen, wie der Wohltätigkeitsverein, der Frauenwohltätigkeitsverein, der Armenunterstützungsver­ ein, die sich später zu gemeinsamer Arbeit zusammen­ schlossen, der Verein zur Fürsorge für hilfsbedürftige Waisen, wozu später auch die Fürsorge für hilfsbedürftige Witwen israelitischer Konfession trat, der Verein für jüdische Krankenpflegerinnen, ein Altersheim, ein Mäd­ chenstift zur Aufnahme von Mädchen während ihrer Be­ rufsausbildung, ein Kinderheim im Schlößchen Bürg, nörd­ lich von Eschenau, das sich auch christlichen Kindern öffnet und während der Kriegszeit der Stadt Nürnberg zur Unter­ bringung armer Kinder ohne Unterschied der Konfession zur Verfügung gestellt war, ein Jugendverein, die Ge­ meindebibliothek, die auch Vorträge veranstaltete, entfal­ teten eine rege und segensreiche Tätigkeit. Auch im öffentlichen Leben trat die Nürnberger Juden­ schaft durch ihre Tätigkeit auf politischem, staatlichem und gemeindlichem Leben sowie in der Wohlfahrtspflege vielfach hervor. Durch reiche öffentliche Stiftungen be­ kundeten einzelne ihrer Mitglieder ihren Wohltätigkeits­ sinn und ihr hohes Interesse für Kunst und Wissenschaft, wie es im letzten Kapitel des näheren ausgeführt wird. Jedem, der sich über Leben und Entwicklung der modernen Judengemeinde in Nürnberg unterrichten will, sei das gründliche und anziehende Buch auf das wärmste empfohlen.

E. Mummenhoff.

385 Erklärung. Wäs ist castrum* Nuorenberc 1050? Diese Frage ist mit der Besprechung in den Mitteilungen 1924 S. 239—266 keineswegs erledigt. Gerade die Hauptsache, die Prüfung nach den ersten Quellen, steht noch aus. Während das Broschürchen (S. 20) diese Kleinarbeit den gelehrten Ge­ schichtsfreunden Nürnbergs selbst überlassen wollte, wird in der Besprechung zweimal (S. 260 und 262) dieser Beweis von mir verlangt, daß nämlich als castrum des 11. Jahr­ hunderts die Altstadt zu betrachten sei. So wurde ich gegen meine ursprüngliche Absicht zu dieser Untersuchung ge­ nötigt und hätte sie gerne in diesem Band der Kritik unter­ stellt. Da aber nach Mitteilung der Vorstandschaft bereits über sämtliche Druckbogen verfügt war, beabsichtige ich, das Manuskript den interessierten Kreisen auf anderem Wege zugängig zu machen. So könnte für den nächsten Band der Mitteilungen ein durch Gegenkritik geläutertes Ergebnis vorgelegt werden. Bamberg, Sept. 1925. G. Goepf ert. Dem von Herrn Goepfert in Aussicht gestellten Be­ weis, daß als castrum des 11. Jahrhunderts die Altstadt St. Sebald zu betrachten sei, sehe ich und mit mir wohl sämtliche Nürnberger Geschichtsfreunde mit der größten Erwartung entgegen. Goepfert hatte diesen Beweis mir aufgebürdet, aber es erscheint doch wohl selbstverständ­ lich, daß demjenigen, der eine ganz neue Ansicht aufstellt, die sonst von niemandem geteilt wird, auch die Beweislast zufällt. Auf das Verlangen, seine Untersuchung (40 Druck­ seiten), zu der mir dann doch der gleiche Raum zur Dar­ legung meines Standpunktes hätte zustehen müssen, in dem vorliegenden Bande zu veröffentlichen, konnte ich leider nicht eingehen, weil das zum Abdruck bestimmte Material schon weit den hergebrachten Umfang eines Bandes der Mitteilungen überschreitet. Di. Mummen hoff.

Mitteilung. Die für die „Mitteilungen“ bestimmten Beiträge wolle man an den Herausgeber Archivdirektor a. D. Dr. Ernst Mummenhoff übermitteln. Textpublikationen sind nach den bei Weizsäcker in der Einleitung zu den Reichstagsakten Band I aufgestellten Grundsätzen zu bearbeiten. Bemerkt sei noch, daß die Schriftleitung die Verant­ wortung für den materiellen Inhalt der Beiträge den Ver­ fassern selbst überlassen muß. Die Schriftleitung. Nürnberg, im Januar 1926.