Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [93]

Table of contents :
Karl Borchardt: Reichsstädtische Territorien in Franken: Ein Vergleich 1
Thomas Schauerte: Dürer und Spranger: Ein Autographenfund im
Spiegel der europäischen Sammlungsgeschichte. Mit einer Transkription
der Amsterdamer Auktionsliste vom Februar 1638 ........ 25
Charlotte Bühl-Gramer: Der Übergang Frankens an Bayern - Jubiläumsfeierlichkeiten
und Erinnerungspolitik im 19. und 20. Jahrhundert
............................................................................................ 71
Helmut Bai er: Von den Anfängen des „Nürnberger Ausschusses“. Das
Werden der Bekennenden Kirche im Frühjahr 1934 ..................... 107
Gerhard Jochem: Feind bleibt Feind! Kriegsgefangene in Nürnberg
1939-1945 ........................................................................................... 227
Heike Krösche: Nürnberg und kein Interesse? Der Prozess gegen die
Hauptkriegsverbrecher 1945/46 und die Nürnberger Nachkriegsöffentlichkeit
..................................................................................... 299
Herbert Hieke: 100 Jahre Hauptbahnhof Nürnberg 1906-2006 ............ 319
Buchbesprechungen................................................................................... 353
Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte ............................................. 409
Jahresbericht über das 128. Vereinsjahr 2005 ............................................. 421
Abkürzungen ............................................................................................. 427
V
BUCHBESPRECHUNGEN
Topographie, Stadtteile und Landgebiet
Pablo de la Riestra: Nürnberg. Die historische Altstadt. Petersberg 2005 ...................... 353
Geschichte für Alle (Hg.): Spaziergänge in die Vergangenheit Nürnbergs. Mit Erlangen
und Fürth, Cadolzburg 2005. (Daniela Stadler).......................................................... 356
Winfried Nerdinger: Architektur der Wunderkinder. Aufbruch und Verdrängung in
Bayern 1945-1960, Salzburg u.a. 2005. (Maximilian Rosner).................................... 357
Regine Franzke (Hg.): Christkindlesmarkt zu Nürnberg, in Nuremberg, Nürnberg
2005. (Hartmut Frommer) ............................................................................................ 359
Helmut Beer: Nürnberger Erinnerungen 14. Die Stadt vor der Zerstörung in Farbfotografien,
Nürnberg 2004. (Hartmut Beck) .................................................................... 359
Helmut Beer: Nürnberger Erinnerungen 15. Farbfotografien vor und nach 1945, Nürnberg
2005. (Hartmut Beck)............................................................................................ 360
Politische Geschichte, Recht und Verwaltung
Otto S p ä 11 e r: Frühe Etappen der Zollern auf dem Weg zur Territorialherrschaft in Franken.
Die allmähliche Entwicklung der Schriftlichkeit und der Landesorganisation
bei den Burggrafen von Nürnberg zwischen 1235 und 1332, Neustadt a.d.Aisch
2005. (Reinhard Seyboth).............................................................................................. 361
Franz Willax: Das Fürstentum Brandenburg-Ansbach und der Fränkische Kreis im
Spanischen Erbfolgekrieg. Die Karriere des Generals Lebrecht Gottfried Jahnus
von Eberstädt vom ansbachischen Offizier zum General Zar Peters des Großen,
Ansbach 2003. (Horst-Dieter Beyerstedt) .................................................................. 364
Bettina Günther: Die Behandlung der Sittlichkeitsdelikte in den Policeyordnungen und
der Spruchpraxis der Reichsstädte Frankfurt am Main und Nürnberg im 15. bis 17.
Jahrhundert, Frankfurt am Main u.a. 2004. (Hartmut Frommer).............................. 366
Der Luftkrieg gegen Nürnberg. Der Angriff am 2. Januar 1945 und die zerstörte Stadt.
Hrsg, von Michael Diefenbacher und Wiltrud Fischer-Pache. Konzeption
und Koordination: Gerhard Jochem. Katalogteil: Helmut Beer, Nürnberg 2004;
Daniele List: Kriegsjahre in Nürnberg. Kinder und Jugendliche erleben den Luftkrieg,
Nürnberg 2004. (Manfred Franze).................................................................... 367
Gerhard Jochem / Georg Seiderer (Hrsg.): Entrechtung, Vertreibung, Mord. NSUnrecht
in Slowenien und seine Spuren in Bayern 1941-1945, Berlin 2005. (Dieter
G. Maier) ........................................................................................................................ 368
Ulrich Grimm: Zur Geschichte des Oberlandesgerichtes Nürnberg. Beiträge anlässlich
des 125-jährigen Bestehens am 1. Oktober 2004, Nürnberg 2004; Ulrich Grimm:
Das Oberlandesgericht Nürnberg und sein neues Gebäude. Ein Rückblick auf den
11. September 1916, Nürnberg 2006. (Hartmut Frommer)........................................ 370
Anthony M. Platt / Cecilia E. O’Leary: Bloodlines. Recovering Hitlers Nuremberg
Laws. From Patton’s trophy to public memorial, Boulder (CO) 2006. (Gerhard
Jochem) .......................................................................................................................... 372
Klaus Kästner: Die Völker klagen an. Der Nürnberger Prozess 1945-1946, Darmstadt
2005. (Hartmut Frommer) ............................................................................................ 375
Otto Rieder: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt und Reichspflege Weißenburg am
Nordgau. Bearb. von Reiner Kammerl, Weißenburg 2002-2004. (Karl Borchardt) 376
Sylvia Meyerhuber: Die privilegierte Austragsgerichtsbarkeit der freien Reichsstadt
Weißenburg im Nordgau, Frankfurt am Main 2004. (Hartmut Frommer).............. 377
VI
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine
Donald J. Harreld: High Germans in the low countries. German merchants and commerce
in golden age Antwerp, Leiden u.a. 2004. (Lambert F. Peters)....................... 378
Martina Switalski: Landmüller und Industrialisierung. Sozialgeschichte fränkischer
Mühlen im 19. Jahrhundert, Münster 2005. (Gesa Biichert) .................................... 381
Alexander Estel / David Petry / Andre Widmann: Chronik 100 Jahre Meisterverein
der M.A.N. Werk Nürnberg 1905-2005, Nürnberg 2005. (Martina Bauemfeind) . . 383
Kunst
Johann Konrad Eber lein: Albrecht Dürer, Reinbek bei Hamburg 2003. (Anja Grebe) .. 385
Sabine Lata: Wolf Traut als Maler, Nürnberg 2005. (Anja Grebe).................................... 386
Peter Hei gl: Der Reichsschatz im Nazibunker = The Imperial Regalia in the Nazi Bunker,
Nürnberg 2005. (Hartmut Frommer)................................................................. 388
Kultur, Sprache, Literatur, Musik
Antje Willing: Literatur und Ordensreform im 15. Jahrhundert. Deutsche Abendmahlsschriften
im Nürnberger Katharinenkloster, Münster u.a. 2004. (Eva Schlotheuber) 388
Randall Herz: Studien zur Drucküberlieferung der „Reise ins gelobte Land“ Hans
Tuchers des Alteren. Bestandsaufnahme und historische Auswertung der Inkunabeln
unter Berücksichtigung der späteren Drucküberlieferung, Nürnberg 2005.
(Christine Sauer) ....................................................................................................... 390
Anna Scherbaum / Claudia Wiener / Georg Drescher (Hg.): Andachtsliteratur als
Künstlerbuch. Dürers Marienleben. Eine Ausstellung der Bibliothek Otto Schäfer
zu einem Buchprojekt des Nürnberger Humanismus, Schweinfurt 23. Januar -
17. April 2005, Schweinfurt 2005. (Birgit U. Münch) .............................................. 391
Ulrike Eh mann: Die Belletristikproduktion des Verlages Johann Leonhard Schräg in
Nürnberg 1810-1857, Erlangen u.a. 2005. (Christine Sauer) .................................. 393
Kirchengeschichte
Arnd Reitemeier: Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters. Politik, Wirtschaft
und Verwaltung, Stuttgart 2005. (Julia Sobotta)....................................................... 394
Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik
Martin Riegel: Studienförderung in Kitzingen von der Reformation bis zum Dreißigjährigen
Krieg. Stipendienstiftungen - Stipendienwesen - Stipendiaten, Kitzingen
2006. (Helmut Baier)................................................................................................. 396
Personen und Familien
Franz Fuchs (Hg.): Konrad Celtis und Nürnberg. Akten des interdisziplinären Symposions
vom 8. und 9. November 2002 im Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg,
Wiesbaden 2004. (Horst-Dieter Beyerstedt)............................................................. 401
Hans Gaab (Hg.): Johann Christoph Sturm (1635-1703), Frankfurt am Main 2004. (Wolfgang
Mährle) ............................................................................................................ 403
Christiane Kohl: Das Zeugenhaus, München 2005. (Hartmut Frommer)......................... 405
Volker Kühl wein u.a.: geführt ... verführt ... überlebt in Nürnberg und anderswo. Kinder-
und Jugendjahre im .Dritten Reich“ sowie in der Nachkriegszeit, Erlangen
2004. (Manfred Franze) ............................................................................................ 406

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

93. Band 2006

Nürnberg 2006 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftleitung: Dr. Michael Diefenbacher, Dr. Wiltrud Fischer-Pache, Dr. Clemens Wächter Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich. Für unaufgefordert eingereichte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

Zum Druck des Bandes trugen durch Zuschüsse bzw. Spenden bei: Die Stadt Nürnberg, der Bezirk Mittelfranken, die Sparkasse Nürnberg. Der Verein dankt dafür bestens.

Umschlagbild: Offizielle Ansichtskarte der „Jubiläums-Landesausstellung“ 1906 in Nünberg anlässlich der 100-jährigen Zugehörigkeit zu Bayern (StadtAN A34 Nr. 2916)

Gesamtherstellung: Verlagsdruckerei Schmidt GmbH, Neustadt/Aisch Gedruckt auf holzfreies, chlorfrei gebleichtes, säurefreies und alterungsbeständiges Papier. Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Marientorgraben 8, 90402 Nürnberg) ISSN 0083-5579

INHALT Karl Borchardt: Reichsstädtische Territorien in Franken: Ein Vergleich

1

Thomas Schauerte: Dürer und Spranger: Ein Autographenfund im Spiegel der europäischen Sammlungsgeschichte. Mit einer Trans­ kription der Amsterdamer Auktionsliste vom Februar 1638 ........

25

Charlotte Bühl-Gramer: Der Übergang Frankens an Bayern - Jubi­ läumsfeierlichkeiten und Erinnerungspolitik im 19. und 20. Jahr­ hundert ............................................................................................

71

Helmut Bai er: Von den Anfängen des „Nürnberger Ausschusses“. Das Werden der Bekennenden Kirche im Frühjahr 1934 .....................

107

Gerhard Jochem: Feind bleibt Feind! Kriegsgefangene in Nürnberg 1939-1945 ...........................................................................................

227

Heike Krösche: Nürnberg und kein Interesse? Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945/46 und die Nürnberger Nachkriegs­ öffentlichkeit .....................................................................................

299

Herbert Hieke: 100 Jahre Hauptbahnhof Nürnberg 1906-2006 ............

319

Buchbesprechungen...................................................................................

353

Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte .............................................

409

Jahresbericht über das 128. Vereinsjahr 2005 .............................................

421

Abkürzungen .............................................................................................

427

V

BUCHBESPRECHUNGEN Topographie, Stadtteile und Landgebiet Pablo de la Riestra: Nürnberg. Die historische Altstadt. Petersberg 2005 ...................... Geschichte für Alle (Hg.): Spaziergänge in die Vergangenheit Nürnbergs. Mit Erlangen und Fürth, Cadolzburg 2005. (Daniela Stadler).......................................................... Winfried Nerdinger: Architektur der Wunderkinder. Aufbruch und Verdrängung in Bayern 1945-1960, Salzburg u.a. 2005. (Maximilian Rosner).................................... Regine Franzke (Hg.): Christkindlesmarkt zu Nürnberg, in Nuremberg, Nürnberg 2005. (Hartmut Frommer) ............................................................................................ Helmut Beer: Nürnberger Erinnerungen 14. Die Stadt vor der Zerstörung in Farbfoto­ grafien, Nürnberg 2004. (Hartmut Beck) .................................................................... Helmut Beer: Nürnberger Erinnerungen 15. Farbfotografien vor und nach 1945, Nürn­ berg 2005. (Hartmut Beck)............................................................................................

353 356 357 359 359 360

Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Otto S p ä 11 e r: Frühe Etappen der Zollern auf dem Weg zur Territorialherrschaft in Fran­ ken. Die allmähliche Entwicklung der Schriftlichkeit und der Landesorganisation bei den Burggrafen von Nürnberg zwischen 1235 und 1332, Neustadt a.d.Aisch 2005. (Reinhard Seyboth).............................................................................................. Franz Willax: Das Fürstentum Brandenburg-Ansbach und der Fränkische Kreis im Spanischen Erbfolgekrieg. Die Karriere des Generals Lebrecht Gottfried Jahnus von Eberstädt vom ansbachischen Offizier zum General Zar Peters des Großen, Ansbach 2003. (Horst-Dieter Beyerstedt) .................................................................. Bettina Günther: Die Behandlung der Sittlichkeitsdelikte in den Policeyordnungen und der Spruchpraxis der Reichsstädte Frankfurt am Main und Nürnberg im 15. bis 17. Jahrhundert, Frankfurt am Main u.a. 2004. (Hartmut Frommer).............................. Der Luftkrieg gegen Nürnberg. Der Angriff am 2. Januar 1945 und die zerstörte Stadt. Hrsg, von Michael Diefenbacher und Wiltrud Fischer-Pache. Konzeption und Koordination: Gerhard Jochem. Katalogteil: Helmut Beer, Nürnberg 2004; Daniele List: Kriegsjahre in Nürnberg. Kinder und Jugendliche erleben den Luft­ krieg, Nürnberg 2004. (Manfred Franze).................................................................... Gerhard Jochem / Georg Seiderer (Hrsg.): Entrechtung, Vertreibung, Mord. NSUnrecht in Slowenien und seine Spuren in Bayern 1941-1945, Berlin 2005. (Dieter G. Maier) ........................................................................................................................ Ulrich Grimm: Zur Geschichte des Oberlandesgerichtes Nürnberg. Beiträge anlässlich des 125-jährigen Bestehens am 1. Oktober 2004, Nürnberg 2004; Ulrich Grimm: Das Oberlandesgericht Nürnberg und sein neues Gebäude. Ein Rückblick auf den 11. September 1916, Nürnberg 2006. (Hartmut Frommer)........................................ Anthony M. Platt / Cecilia E. O’Leary: Bloodlines. Recovering Hitlers Nuremberg Laws. From Patton’s trophy to public memorial, Boulder (CO) 2006. (Gerhard Jochem) .......................................................................................................................... Klaus Kästner: Die Völker klagen an. Der Nürnberger Prozess 1945-1946, Darmstadt 2005. (Hartmut Frommer) ............................................................................................ Otto Rieder: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt und Reichspflege Weißenburg am Nordgau. Bearb. von Reiner Kammerl, Weißenburg 2002-2004. (Karl Borchardt) Sylvia Meyerhuber: Die privilegierte Austragsgerichtsbarkeit der freien Reichsstadt Weißenburg im Nordgau, Frankfurt am Main 2004. (Hartmut Frommer)..............

VI

361

364

366

367

368

370

372 375 376 377

Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine Donald J. Harreld: High Germans in the low countries. German merchants and com­ merce in golden age Antwerp, Leiden u.a. 2004. (Lambert F. Peters)....................... Martina Switalski: Landmüller und Industrialisierung. Sozialgeschichte fränkischer Mühlen im 19. Jahrhundert, Münster 2005. (Gesa Biichert) .................................... Alexander Estel / David Petry / Andre Widmann: Chronik 100 Jahre Meisterverein der M.A.N. Werk Nürnberg 1905-2005, Nürnberg 2005. (Martina Bauemfeind) . .

378 381 383

Kunst Johann Konrad Eber lein: Albrecht Dürer, Reinbek bei Hamburg 2003. (Anja Grebe) .. Sabine Lata: Wolf Traut als Maler, Nürnberg 2005. (Anja Grebe).................................... Peter Hei gl: Der Reichsschatz im Nazibunker = The Imperial Regalia in the Nazi Bun­ ker, Nürnberg 2005. (Hartmut Frommer).................................................................

385 386 388

Kultur, Sprache, Literatur, Musik Antje Willing: Literatur und Ordensreform im 15. Jahrhundert. Deutsche Abendmahls­ schriften im Nürnberger Katharinenkloster, Münster u.a. 2004. (Eva Schlotheuber) Randall Herz: Studien zur Drucküberlieferung der „Reise ins gelobte Land“ Hans Tuchers des Alteren. Bestandsaufnahme und historische Auswertung der Inkuna­ beln unter Berücksichtigung der späteren Drucküberlieferung, Nürnberg 2005. (Christine Sauer) ....................................................................................................... Anna Scherbaum / Claudia Wiener / Georg Drescher (Hg.): Andachtsliteratur als Künstlerbuch. Dürers Marienleben. Eine Ausstellung der Bibliothek Otto Schäfer zu einem Buchprojekt des Nürnberger Humanismus, Schweinfurt 23. Januar 17. April 2005, Schweinfurt 2005. (Birgit U. Münch) .............................................. Ulrike Eh mann: Die Belletristikproduktion des Verlages Johann Leonhard Schräg in Nürnberg 1810-1857, Erlangen u.a. 2005. (Christine Sauer) ..................................

388

390

391 393

Kirchengeschichte Arnd Reitemeier: Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters. Politik, Wirtschaft und Verwaltung, Stuttgart 2005. (Julia Sobotta).......................................................

394

Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik Martin Riegel: Studienförderung in Kitzingen von der Reformation bis zum Dreißig­ jährigen Krieg. Stipendienstiftungen - Stipendienwesen - Stipendiaten, Kitzingen 2006. (Helmut Baier).................................................................................................

396

Personen und Familien Franz Fuchs (Hg.): Konrad Celtis und Nürnberg. Akten des interdisziplinären Sympo­ sions vom 8. und 9. November 2002 im Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg, Wiesbaden 2004. (Horst-Dieter Beyerstedt)............................................................. Hans Gaab (Hg.): Johann Christoph Sturm (1635-1703), Frankfurt am Main 2004. (Wolfgang Mährle) ............................................................................................................ Christiane Kohl: Das Zeugenhaus, München 2005. (Hartmut Frommer)......................... Volker Kühl wein u.a.: geführt ... verführt ... überlebt in Nürnberg und anderswo. Kin­ der- und Jugendjahre im .Dritten Reich“ sowie in der Nachkriegszeit, Erlangen 2004. (Manfred Franze) ............................................................................................

401 403 405

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VII

VERZEICHNIS DER MITARBEITER Bai er, Helmut, Dr., Archivdirektor i.R., Düsseldorfer Str. 62, 90425 Nürn­ berg Bauernfeind, Martina, Dr., Historikerin, Karl-Hertel-Str. 33, 90475 Nürn­ berg Beck, Hartmut, Prof. Dr., Universität Erlangen-Nürnberg, Erziehungswis­ senschaftliche Fakultät, Didaktik der Arbeitslehre, Regensburger Str. 160, 90478 Nürnberg Beyerstedt, Horst-Dieter, Dr., Archivoberrat, Thumenberger Weg 38, 90491 Nürnberg Borchardt, Karl, Prof. Dr., Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber, Milch­ markt 2, 91541 Rothenburg ob der Tauber Büchert, Gesa, M.A., Historikerin, Glockenhofstr. 40, 90478 Nürnberg Bühl-Gramer, Charlotte, Dr., Akademische Rätin, Martinstraße 11, 90411 Nürnberg Diefenbacher, Michael, Dr., Ltd. Archivdirektor, Ringstr. 17, 91560 Heils­ bronn Fischer-Pache, Wiltrud, Dr., Archivdircktorin, Keßlerplatz 7, 90489 Nürnberg Franze, Manfred, Dr., Oberstudiendirektor i.R., Danziger Str. 20, 91320 Ebermannstadt Frommer, Hartmut, Dr., Stadtrechtsdirektor, Judengasse 25, 90403 Nürnberg Gebhardt, Walter, Bibliotheksamtsrat, Drausnickstr. 8, 91052 Erlangen Grebe, Anja, Dr., Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Publizistin, Dr.-Mack-Str. 41, 90672 Fürth Hieke, Herbert, Realschulkonrektor, Graudenzer Straße 18a, 90491 Nürn­ berg J o c h e m, Gerhard, Archivamtmann, Mostgasse 8, 90402 Nürnberg Krösche, Heike, M.A., Historikerin, Schubertstr. 16, 4020 Linz, Österreich Mährle, Wolfgang, Dr., Archivrat, Liststraße 12, 70180 Stuttgart Maier, Dieter G., Diplom-Soziologe, FH-Dozent an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Arbeitsverwaltung Mannheim, Landoweg 4, 69123 Heidelberg May, Herbert, M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fränkisches Freiland­ museum Bad Windsheim, Stadtheimatpfleger Nürnberg, Kraftshofer Hauptstr. 195, 90427 Nürnberg. Münch, Birgit Ulrike, M.A., Kunsthistorikerin, Johannisstr. 11, 54292 Trier Peters, Lambert F., Dr., Oberstudienrat i.R., Riswickerstr. 112, 47533 KleveKellen

VIII

Rosner, Maximilian, Dipl.-Ing., Architekt, Annweilerstr. 27, 90469 Nürn­ berg Sauer, Christine, Dr., Leiterin der Abteilung Handschriften und Alte Drucke, Stadtbibliothek Nürnberg, Egidienplatz 23, 90403 Nürnberg Schauerte, Thomas, Dr., Kurator, Stiftung Moritzburg, 06108 Halle (Saale), Friedemann-Bach-Platz 5 Schlotheuber, Eva, PD Dr., Ludwigs-Maximilian-Universität München, Historicum, Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, Geschwister-SchollPlatz 1, 80339 München Seyboth, Reinhard, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, StefanZweig-Weg 22, 93051 Regensburg Sobotta, Julia, M.A., Doktorandin, Friedrich-Engels-Str. 43, 08058 Zwickau Stadler, Daniela, M.A., Historikerin, Löbleinstr. 32, 90409 Nürnberg Wächter, Clemens, Dr., Universitätsarchivar, Archiv der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Schuhstr. la, 91052 Erlangen

IX

REICHSSTÄDTISCHE TERRITORIEN IN FRANKEN: EIN VERGLEICH Von Karl Borchardt Das Alte Reich zählte im Jahre 1792 noch 51 Reichsstädte, von denen einige über nicht unbeträchtliche Landgebiete herrschten. Als das Alte Reich sich 1806 auflöste, kamen von den drei zuletzt verbliebenen Reichsstädten Ober­ deutschlands Frankfurt am Main an den Fürstprimas Karl Theodor von Dal­ berg, Augsburg und Nürnberg jedoch an den neuen König Maximilian I. Joseph von Bayern. Mit Nürnberg wurde nicht nur eines der letzten, sondern auch eines der jedenfalls von 1505 bis 1790 größten reichsstädtischen Territo­ rien aufgelöst, die seit dem Spätmittelalter einen charakteristischen Bestandteil der politischen Ordnung Mitteleuropas dargestellt hatten.1 Die meisten Reichsstädte waren nach 1273 auf vormals staufischem Königsgut in Südwest­ deutschland entstanden, wo sich unter Führung Ulms seit 1373 wiederholt ein Schwäbischer Städtebund formierte. Neben Schwaben und dem Oberrhein hatte Franken zu den Kerngebieten staufischer Reichslandpolitik gehört, doch behaupteten hier nur wenige Königsstädte ihre Reichsunmittelbarkeit, neben Nürnberg mit Weißenburg und Windsheim besonders Rothenburg ob der Tau­ ber, Schweinfurt, Heilbronn und Weinsberg, Wimpfen, (Schwäbisch) Hall und Dinkelsbühl.2 Zeitweise traten die kleineren fränkischen Reichsstädte und sogar Nürnberg dem Schwäbischen Städtebund bei, um sich gegen Fürsten,

1

2

Eberhard Isenmann: Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Stuttgart 1988, S. 236-242; Wolfgang Leiser: Territorien süddeutscher Reichsstädte. Ein Strukturvergleich, in: ZBLG 38 (1975), S. 967-981; Erich Maschke u. Jürgen Sydow (Hrsg.): Stadt und Umland. Protokoll der X. Arbeitstagung des Arbeitskreises für südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung Calw 12.-14. November 1971 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Würt­ temberg B 82), Stuttgart 1974; Katharina Reimann: Untersuchung über die Territorienbildung deutscher Reichs- und Freistädte, Diss., Breslau 1935. Wimpfen zählte bereits zur Diözese Worms, Dinkelsbühl zur schwäbischen Diözese Augs­ burg. Dinkelsbühl wirkte aber eng mit Rothenburg und Hall zusammen. Hall wollte sich Ansprüchen des Bischofs von Würzburg entziehen, propagierte deshalb seit dem 15. Jahrhun­ dert den Namenszusatz Schwäbisch Hall, analog zu Schwäbisch Wörth = Donauwörth, und schloss sich dem Schwäbischen Reichskreis an: Gerhard Lubich: Geschichte der Stadt Schwä­ bisch Hall. Von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters (Veröffentlichungen der Ge­ sellschaft für fränkische Geschichte IX/52), Würzburg 2006, S. 183f.; Karl Borchardt: Die Fran­ ken und ihre Herzoge in humanistischer Historiographie, in: Franken. Vorstellung und Wirk­ lichkeit in der Geschichte, hrsg. v. Werner K. Blessing u. Dieter J. Weiß (Franconia 1: Beiheft zum Jahrbuch für fränkische Landesforschung), Neustadt/Aisch 2003, S. 105-140, hier S. 11 lf., 133f.

1

Karl Borchardt

Grafen, Herren und Ritteradelige in ihrer Nachbarschaft zu behaupten.3 Die relative Leistungsfähigkeit dieser Gemeinwesen beleuchten unter anderem Reichssteuerlisten aus der Zeit König Ruprechts (1400-1410) und ergänzende Quittungen: Nürnberg 2.000 Gulden, Hall und Heilbronn je 600 Pfund Heller, Rothenburg 400, Schweinfurt 300, Windsheim und Wimpfen je 200, Dinkels­ bühl und Weinsberg je 150, Weißenburg 100 Pfund Heller.4 Andernorts brach die Entwicklung zur Reichsstadt aufgrund von Verpfändungen durch den stets geldbedürftigen König oder Kaiser ab, in Aufkirchen, das 1334 an Oettingen kam, in Lenkersheim, das 1282 an die Zollern fiel, in Ansbach, das in den Hän­ den der Dornberger blieb, um von ihnen über Oettingen 1331 an die Zollern zu kommen, oder in Feuchtwangen, das Burggraf Friedrich V. von Nürnberg 1376 übernahm.5 Der vormals staufische Herzogssitz in Franken Rothenburg ob der Tauber, dessen 4.000-5.000 Einwohner kaum ein Viertel der Bevölkerungszahl von Nürnberg erreichten, betrieb unter seinem langjährigen Bürgermeister Hein­ rich Toppier (f 1408) gemeinsam mit Hall, Dinkelsbühl und Windsheim eine weit ausgreifende Territorialpolitik;6 mit Rothenburgs Erfolgen konnte das viel

3

Ludwig Schnurren Die Reichsstadt Rothenburg im Zeitalter Karls IV. 1346-1378, in: BldLG 114 (1978), S. 563-612; ders.: König Wenzel und die Reichsstadt Rothenburg, in: JfL 34/35 (1974/75), S. 681-720; ders.: Die Reichsstadt Dinkelsbühl und der Schwäbische Städtebund, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Alt-Dinkelsbühl 1997-2000, S. 26-44. 4 Karl Zeumer (Hrsg.): Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Bd. 1, 2. Aufl. (Quellensammlungen zum Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht 2), Tübingen 1913, S. 230f., Nr. 156; Otto Rieder: Geschichte der ehemaligen Reichsstadt und Reichspflege Weißenburg am Nordgau, hrsg. v. Reiner Kammerl, TI. 2 (Weißenburger Heimatbücher 10), Weißenburg 2002, S. 1194f.; Gerd Wunder: Die Bürger von Hall. Sozialgeschichte einer Reichsstadt 1216-1802 (Forschungen aus Württembergisch Fran­ ken 16), Sigmaringen 1980, S. 12; ders.: Geschichte bis zum Ende des Alten Reiches, in: Der Kreis Schwäbisch Hall, Stuttgart - Aalen 1976, S. 83-123, hier S. 96. Durch Kaiser Karl IV. und seinen Sohn Wenzel war von 1356 bis 1385 wiederholt die Relation 1 Pfund Heller = 1 Gulden vorgeschrieben worden. Doch nur von Nürnberg verlangen die obigen Listen ausdrücklich Gulden. 5 Ludwig Schnurren „Verhinderte“ Reichsstädte in Franken, in: Reichsstädte in Franken. Auf­ sätze 1: Verfassung und Verwaltung, hrsg. v. Rainer A. Müller (Veröffentlichungen zur Bayeri­ schen Geschichte und Kultur 15), München 1987, S. 357-367, hier S. 357-362; Adolf Bayer: Ansbach auf dem Weg zur Reichsstadt, von den Staufern zu den Zollern, in: JbMFr 78 (1959), S. 151-158; Ludwig Schnurren Feuchtwangen als Reichsstadt (ca. 1230-1376), in: JfL 41 (1981), S. 23-43. 6 Herbert Woltering: Die Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber und ihre Herrschaft über die Landwehr, 2 Teile, Jahrbuch des Vereins Alt-Rothenburg 1965/66 u. 1971/72; zusammenfas­ send auch Karl Borchardt: Die geistlichen Institutionen in der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber und dem zugehörigen Landgebiet von den Anfängen bis zur Reformation, 2 Teile (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte IX/37), Neustadt/Aisch 1988, S. 12-16.

2

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Reichsstädtische Territorien in Franken

größere und reichere Nürnberg erst ein Jahrhundert später im Landshuter Erb­ folgekrieg 1504 gleichziehen. In der Folge besaßen Nürnberg (1.265 km2) sowie mit einigem Abstand Rothenburg (397,5 km2) und Schwäbisch Hall (330 km2) auffallend große reichsstädtische Territorien. Außerhalb Frankens wur­ den sie erreicht oder übertroffen nur von Ulm (910 km2)7 und bis zur franzö­ sischen Okkupation 1681 von Straßburg8 oder von Städten der schweizeri­ schen Eidgenossenschaft wie Zürich und Bern. Dagegen griffen Schweinfurt (53 km2), Dinkelsbühl, Windsheim und Weißenburg (je 22 km2) nur wenig über ihre Mauern und ihre Stadtmarkung hinaus, die übrigens in Rothenburg eben­ falls 22,5 km2 betrug. Freie Städte auf vormaligem Reichskirchengut gab es in Franken gar nicht, weil die Bischofssitze - insbesondere Würzburg und Bam­ berg, während Eichstätt es kaum versuchte9 - im Spätmittelalter die Reichs­ unmittelbarkeit nicht durchsetzen konnten. Wie Nürnberg zu seinem Randge­ biet kam, indem zunächst Bürger Herrensitze und Grundherrschaften - die Haller 1347 Gräfenberg, die Muffel 1383 Eschenau, die Geuder 1391 Herolds­ berg -, dann ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts der Rat selbst die Reichswälder nördlich und südlich der Stadt 1372 von den Koler und 1396 von den Waldstromer an sich brachte, wurde oft dargestellt.10 Um diese Entwicklung besser einzuordnen, soll nachfolgend der Blick ver­ gleichend auf die anderen fränkischen Reichsstädte gerichtet werden, in erster Linie auf Rothenburg mit seiner von einem mit Gesträuch bepflanzten WallGraben-System, der Landhege, linear umgrenzten Landwehr, daneben auf Rothenburgs engste Nachbarn Hall, Dinkelsbühl und Windsheim, kursorisch auch auf Schweinfurt und Weißenburg. Zwei allgemeine Fragen drängen sich dabei auf: Warum erwarben manche Reichsstädte im SpätmittelaLter in ansehn-

7 Otto Hohenstatt: Die Entwicklung des Territoriums der Reichsstadt Ulm im 13. und 14. Jahr­ hundert (Darstellungen aus der württembergischen Geschichte 6), Stuttgart 1911. Methodisch ähnlich Josef Adolf Merkle: Das Territorium der Reichsstadt Rottweil in seiner Entwicklung bis zum Schluss des 16. Jahrhunderts (ebd. 11), Stuttgart 1913. 8 Gerd Wunder: Das Straßburger Landgebiet. Territorialgeschichte der einzelnen Teile des städ­ tischen Herrschaftsbereichs vom 13. bis zum 18. Jahrhundert (Schriften zur Verfassungsge­ schichte 5), Berlin 1965. 9 Helmut Flachenecker: Bischofsstadt und Reichsstadt - ein Vergleich (14.-16. Jahrhundert), in: Reichsstädte in Franken (wie Anm. 5), S. 254-261. 10 Grundlegend Heinrich Dannenbauer: Die Entstehung des Territoriums der Reichsstadt Nürn­ berg (Arbeiten zur deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte 7), Stuttgart 1928. Ferner Wolfgang Wüllner: Das Landgebiet der Reichsstadt Nürnberg (Mitteilungen der Altnürnberger Landschaft, Sonderheft 19), Nürnberg 1970; Wilhelm Schwemmer: Das Territorium der Reichsstadt Nürnberg, in: JbMFr 89 (1977/81), S. 91-100; Karl-Friedrich Krieger: Bürgerlicher Landbesitz im Spätmittelalter. Das Beispiel der Reichsstadt Nürnberg, in: Hans K. Schulze (Hrsg.): Städtisches Um- und Hinterland in vorindustrieller Zeit (Städteforschung A/22), Köln -Wien 1985, S. 77-98.

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lichem Umfang Territorien? Und warum gerieten die oberdeutschen Reichs­ städte trotz solcher Erwerbungen während der Frühneuzeit gegenüber den Fürsten ins Hintertreffen, so dass sie durch den Reichsdeputationshaupt­ schluss 1802/03 und endgültig 1806 fast widerstandslos untergingen? 1. Spätmittelalterlicher Territorialerwerb fränkischer Reichsstädte Bis weit ins 14. Jahrhundert hinein waren die Städte auf vormals staufischem Königs- und Reichsgut in Franken vollauf damit beschäftigt, ihre königs­ unmittelbare Stellung gegenüber benachbarten Fürsten, Grafen und Herren zu wahren, die ausschließliche Gerichtsbarkeit über die eigenen Bürger in welt­ lichen Angelegenheiten zu sichern und sich aus wiederholten Verpfändungen seitens des Reichsoberhauptes zu befreien. Daneben verfügten die ratsfähigen Geschlechter meist ministerialischer Abkunft frühzeitig über Landbesitz, viel­ fach allerdings Lehen der Bischöfe, Grafen oder Herren. Bürgerschaftliche Spitäler, bald auch von der Stadt kontrollierte Ordenshäuser erwarben im Laufe der Jahre durch Schenkung und Kauf umfangreiche Güter auf dem Land. Über die gewöhnliche Grundherrschaft aber reichten die von städtischen Bür­ gern und Institutionen, nicht von den Städten als solchen erworbenen Ge­ rechtsame im Umland kaum hinaus, auch wenn sie kleinere Ansitze und Bur­ gen einschlossen und auch wenn die Städte sich gelegentlich das Öffnungsrecht für feste Häuser verbriefen ließen, so Hall 1334 Hohenstein über dem Bühler­ tal, Rothenburg 1358 die Burg Neufels an der Kupfer unweit des hohenlohischen, 1351 zur Stadt erhobenen Neuenstein, deren ritteradelige Ganerben sich zuvor 1347 in gleicher Weise dem Würzburger Bischof Albrecht von Hohen­ lohe verschrieben hatten. Nürnberg ließ sich übrigens erst 1363 das stainhaus ze Lauffenholtz in dem weyer gelegen (Oberbürg) von dem eigenen Bürger Lupoid Groß und seiner Gemahlin öffnen." Von bewusster Territorialpolitik durch Städte kann man vor der Mitte des 14. Jahrhunderts in Franken jedoch kaum sprechen. Damit sich dies änderte, mussten drei Faktoren Zusammenkommen, die Schwäche der Reichsgewalt 11 Wilhelm Schwemmer: Alt-Nürnberger Herrensitze, des Rates wehrhafte Offenhäuser (Bavaria antiqua), 2. Aufl., München 1983, S. 6, 44 mit Abb. 2, 25; Gerhard Pfeiffer: Die Offenhäuser der Reichsstadt Nürnberg, in: JfL 14 (1954), S. 153-179, hier S. 156. Ludwig Schnurrer (Hrsg.): Die Urkunden der Reichsstadt Rothenburg 1182-1400, 2 Teile (Veröffentlichungen der Gesell­ schaft für fränkische Geschichte III/6), Neustadt/Aisch 1999, S. 430-432 Nr. 1054, 1057. Fried­ rich Pietsch (Bearb.): Die Urkunden des Archivs der Reichsstadt Schwäbisch Hall, Bd. 1: 1156— 1399 (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 21), Stuttgart 1967, S. 97 U 139. Zur Lokalisierung von Hohenstein Daniel Stihler: Sulzdorf, in: Der Land­ kreis Schwäbisch Hall, Bd. 2, hrsg. v. Landesarchiv Baden-Württemberg (Baden-Württemberg - Das Land in seinen Kreisen), S. 362-366, hier S. 364, allerdings mit der Jahreszahl 1343.

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und der von ihr organisierten Friedenswahrung, die Schuldenkrise der Grafen, Herren und Ritteradeligen sowie innerstädtisch der Aufstieg neuer Geschlech­ ter, die nicht über ererbten Grundbesitz verfügten. Die Schwäche des Reichs­ oberhauptes und die Probleme der vom König ausgehandelten, stets nur befris­ teten und vom guten Willen der Teilnehmer abhängigen Landfrieden gefährde­ ten die Sicherheit der Straßen und ließen die Städte nach Möglichkeiten suchen, selbst Burgen und Schlösser zu erwerben, um mit deren Hilfe wichtige Ver­ kehrsverbindungen zu schützen. Gleichzeitig gerieten die Grafen, Herren und Ritteradeligen, die Besitzer der meisten Burgen und Schlösser, immer stärker in Schulden bei Juden und neureichen Bürgern, denn aufgrund des Bevölke­ rungsrückgangs im Gefolge der seit den 40er Jahren des 14. Jahrhunderts häu­ fig wiederkehrenden Pestepidemien verfielen die Preise für Getreide, das wich­ tigste Produkt der traditionellen Landwirtschaft, während gleichzeitig auf­ grund Arbeitskräftemangels die Preise für gewerbliche Erzeugnisse, Waffen, Kleidung und Hausrat anzogen. Fürsten waren reichsrechtlich gegen einen Bankrott abgesichert und wesentlich kreditwürdiger; Grafen, Herren und Rit­ teradelige dagegen wurden zu umfangreichen Veräußerungen gezwungen, wenn sie sich nicht auf jene Geschäfte verlegten, welche städtische Chronisten pauschal als Raubrittertum verunglimpften.12 Die Krise des weltlichen Adels unterhalb der reichsfürstlichen Ebene stachelte insofern den städtischen Terri­ torialerwerb an, um Burgen und Schlösser von angeblichen oder tatsächlichen Raubrittern zu zerstören oder durch Kauf in eigene Hände zu nehmen. Gleich­ zeitig ersetzten in den Städten zunehmend neue Geschlechter, welche durch Gewerbe und Handel reich wurden, die bisherige Führungsschicht vorwie­ gend ministerialischer Abkunft, die von der traditionellen Landwirtschaft lebte und deshalb oft in die gleichen Finanzkalamitäten kam wie die Grafen, Herren und Ritteradeligen. Die neureichen Geschlechter der Städte investierten zwar ihr Kapital gern in Grundbesitz, aber weniger im hergebrachten Getreidebau als vielmehr in Schafzucht, Teichwirtschaft oder anderen Spezialkulturen, die bessere Gewinne versprachen. Um diese Investitionen zu schützen, verließen sich die neuen Ratsherren je länger, desto weniger auf die bisherige Grund­ herrschaft, sondern sie bauten auf landesherrlichen Schutz, den am besten der von ihnen selbst beherrschte städtische Rat übernahm. Vor diesem Hintergrund wirkten seit der Mitte des 14. Jahrhunderts der Anstoß (Probleme bei der Landfriedenswahrung), die Gelegenheit (Notver­ käufe durch Grafen, Herren und Ritteradelige) und das Motiv (Sicherheit für

12 Kurt Andermann: Raubritter-Raubfürsten-Raubbürger? Zur Kritik eines untauglichen Be­ griffs, in: ders. (Hrsg.), „Raubritter“ oder „Rechtschaffene vom Adel“? Aspekte von Politik, Friede und Recht im späten Mittelalter (Oberrheinische Studien 14), Sigmaringen 1997, S. 7-29.

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Investitionen neureicher Bürger auf dem Land) zusammen, um eine Phase städtischer Territorialpolitik bisher unerhörten Ausmaßes einzuleiten. Dabei übernahm in Franken Rothenburg ob der Tauber die Führung und stellte sich bewusst in die Tradition der legendären fränkischen Fierzöge und der Staufer, deren Figuren weithin sichtbar den Ende des 14. Jahrhunderts emporgeführten gotischen Rathausturm schmücken.13 Das vormals staufische Landgericht brachte der Rat 1387, endgültig 1409 an sich; in seiner Nachfolge beanspruchte die Stadt Gerichtsbarkeit in ganz Franken, was den Konflikt mit den Bischöfen von Würzburg und den Zollern als Burggrafen von Nürnberg anheizte, die beide über ein eigenes Landgericht mit dem gleichen gesamtfränkischen An­ spruch verfügten. Die wichtigsten ehemals staufischen Ministerialen, die Reichsküchenmeister von Nordenberg, wurden bereits 1383 aufgekauft, wobei die Stadt außer der Großburg Nordenberg mit ihren Kirchsätzen und Waldungen auch das halbe Dorf und Gericht Detwang an der Tauber unterhalb von Rothenburg erwarb; die führenden Bürger, namentlich Heinrich Toppier und sein Rivale Johann Wern, wetteiferten darin, die Kaufsumme für den Rat aufzubringen. Kurz zuvor hatte Rothenburg 1381 und 1382 wie seine Bündnispartner im Schwä­ bischen Städtebund eine Reihe von Ansitzen und festen Häusern des Ritter­ adels im Umland gebrochen. Ihre Herrschaftsrechte erwarb die Reichsstadt aber weiterhin stets durch Kauf, 1387 die sehr ausgedehnte hohenlohische Herrschaft Endsee einschließlich ihrer Gerichte, 1388 Burg und Dorf Gammesfeld, vormals den reichsministerialischen Bebenburgern gehörend, 1392 aus ebenfalls ritteradeliger Hand das Dorf Habelsheim (heute Habelsee), in einer zweiten Phase 1399 Burg und Dorf Lichtei, sodann 1395/1400 den nicht dem Stift St. Gumprecht zu Ansbach gehörenden Teil von Insingen und 1404 Seideneck, zwei ehemals reichsministerialischen Nebenlinien der Küchenmeis­ ter von Nordenberg zustehende Herrschaften, schließlich 1406 die große hohenlohische Herrschaft Gailnau mit allen Gerichts- und Patronatsrechten. Die Kaufsummen hielten sich in erträglichen Grenzen, zumal bestehende Schulden gegengerechnet wurden. Treibende Kraft hinter dem Territorialer­ werb, den Schutzauftragungen über geistliche Güter des Stifts Herrieden in Tauberzell 1398 nördlich und des Klosters Komburg in Gebsattel 1400 südlich von Rothenburg abrundeten, war anscheinend der langjährige Bürgermeister Heinrich Toppier, der auch privat umfänglichen Grundbesitz zusammen-

13 Borchardt: Die Franken und ihre Herzoge (wie Anm. 2), S. 105-140, hier S. 138f.; ders.: Die Anfänge von Burg und Stadt Rothenburg, in: 1898-1998 Alt-Rothenburg zum 100jährigen Jubiläum. Jahrbuch des Vereins Alt-Rothenburg 1998, S. 177-202, hier S. 177f., 194-197 mit Abb.

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brachte. Andere neureiche Bürger eiferten ihm nach, Siegfried Eberhard in Oestheim südöstlich oder Siegfried Häuptlein in Oberstetten nordwestlich der Tauberstadt. Auf den ersten Blick dienten die Käufe des Rates also dazu, Herr­ schaftsrechte über die jetzt bürgerlichen Landgüter in städtische Hand zu brin­ gen. Um die Erwerbungen zu finanzieren, brauchte die Stadt selbst kaum Kre­ dite aufzunehmen, anders als um die gleiche Zeit der Burggraf von Nürnberg oder der Bischof von Würzburg, die beide ebenfalls von Notverkäufen durch Grafen, Herren und Ritteradelige profitierten. Weil sich Rothenburg nicht ver­ schuldete, brachte es allerdings auch nur zwei Großburgen der näheren Umge­ bung unter seine Kontrolle, Nordenberg und Endsee, während der Pfander­ werb der dritten Großburg, Schillingsfürst, aus den Händen hohenlohischer Erben 1398 bereits 1402 scheiterte.14 Dennoch wäre es verfehlt, dem rothenburgischen Territorialerwerb rein defensiven Charakter zum Schutz von bürgerlichem Grundbesitz in der nächs­ ten Umgebung der Stadt zuzuschrciben. Dass die Reichsstädte sich auf engher­ zige Kirchturmpolitik beschränkt hätten und deshalb 1802/06 zu Recht von den großen, mit militärischen und ökonomischen Mitteln aggressiv expandie­ renden Flächenstaaten mediatisiert worden seien, trifft für das Spätmittelalter nicht zu. Gerade Rothenburg agierte zur Zeit des Heinrich Toppier keineswegs selbstgenügsam und friedfertig.15 Der rothenburgische Territorialcrwerb der Toppierzeit beschränkte sich nicht bloß auf den engeren Umkreis der Stadt, auf jene 397,5 km2, welche bis zum Ende des Alten Reichs die Rothenburger Landwehr bildeten. Vielmehr gehörten auch dazu Dörfer und Güter im Aischgrund, zusammen mit Endsee 1387 erworben, die Feste (Hohen)Landsberg im Steigerwald, schon 1385 und erneut 1402 erworben,16 der Weinort Eibelstadt am Main, wo die Stadt 1388 ein Sechstel der Ortsherrschaft in der Nachfolge der Bebenburger zu Gammesfeld erwarb,17 schließlich 1401 Messelhausen unweit von Lauda an der mittleren Tauber und 1402 Herrenzimmern auf der Hohenloher Ebene. Burg und Stadt Kirchberg an einem wichtigen Übergang über die Jagst über­ nahmen als hohenlohisches Pfand 1384 vorübergehend, damals sogar zusamH Borchardt: Geistliche Institutionen (wie Anm. 6), S. 354f.; allgemein Woltering (wie Anm. 6), S. 17-19. 15 Anders Carlheinz Gräten Eine Reichsstadt igelt sich ein. 60 Kilometer Landhege umschlossen einst das Rothenburger Territorium, in: Unser Bayern. Heimatbeilage der Bayerischen Staats­ zeitung 52/2 (Februar 2003), S. 29-31. 16 Richard Schmitt: Das Hohenlandsberger Urbar für die Stadt Rothenburg vom Jahre 1402. Anmerkungen zur Agrar- und Territorialgeschichte Frankens im späten Mittelalter, in: Städte, Regionen, Vergangenheiten. Beiträge für Ludwig Schnurrer zum 75. Geburtstag, hrsg. Karl Borchardt u. Ekkehart Tittmann (QuFW 59), Würzburg 2003, S. 191-207. 17 Karl Borchardt: Enqueten über Eibelstadt 1392 bis 1404, in: WDGBl 55 (1993), S. 85-109.

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men mit dem jagstabwärts folgenden Langenburg, die sieben fränkischen Reichsstädte Rothenburg, Dinkelsbühl, Windsheim, Hall, Heilbronn, Wimp­ fen und Weinsberg. Endgültig kam Kirchberg 1398 in den gemeinsamen Pfand­ besitz der drei Reichsstädte Rothenburg, Hall und Dinkelsbühl, bis es 1562 durch Graf Ludwig Kasimir von Hohenlohe ausgelöst wurde. Mit Kirchberg wurden auch Burg und Dorf Honhardt südlich von Crailsheim sowie Burg und Stadt Ilshofen an der Straße von Kirchberg nach Hall verpfändet, aber der Reichsstadt am Kocher allein übergeben, die diesen Besitz bis 1802/03 vertei­ digte.18 Vormals ritteradelige, inzwischen hohcnlohische Burgen wie 1381 Biclriet bei Cröffelbach an der unteren Bühler und 1382 das nahe Klingenfels bei dem Weiler Steinbächle zerstörte Hall mit Rückendeckung des Schwäbischen Städtebundes.19 In Dinkelsbühl hatten ratsfähige Geschlechter wie in Rothenburg und Hall während des 14. Jahrhunderts mit dem Erwerb von Grundherrschaften im Umland begonnen, doch als 1387 die Handwerkerzünfte ihre Mitregicrung durchsetzten, konzentrierte sich die Stadt an der Wörnitz künftig auf die Sicherung ihrer Gemarkung, welche ein Privileg Kaiser Friedrichs III. 1476 endgültig garantierte. Alle Güter in der Gemarkung sollten in bürgerlicher Hand und damit steuerpflichtig sein, wie es die Handwerker und kleinen Leute wünschten. In der Umgebung kaufte Dinkelsbühl nur 1431 Wilburgstettcn, 6 km wörnitzabwärts der Stadt, versäumte jedoch 1433 den Erwerb von Dürr­ wangen an der Sulzach, 9 km nordöstlich von Dinkelsbühl, wo die Grafen von Oettingen schneller Zugriffen.20 Weiter im Norden spielte Schweinfurt kaum eine Rolle bei diesen Auseinan­ dersetzungen. Die Reichsstadt musste sich ähnlich wie Nürnberg gegen über­ mächtige Nachbarn wehren, den Bischof von Würzburg und die Grafen von Henneberg, während Rothenburg, Hall, Dinkclsbühl und Windsheim von der Schwäche der Herren von Hohenlohe und Brauneck sowie des Ritteradels pro­ fitierten. In einer Schwächephase des Hochstifts Würzburg konnte Schwein­ furt immerhin vom Ritteradel 1436 Oberndorf, südwestlich der Stadt am Main

18 Gerd Wunder: Das Kondominium der drei Reichsstädte Rothenburg, Hall und Dinkelsbühl in Kirchberg an der Jagst 1398-1562, in: JfL 34/35 (1975), S. 751-785 = ders., Bauer, Bürger Edel­ mann. Ausgewählte Aufsätze zur Sozialgeschichte, hrsg. v. Kuno Ulshöfer (Forschungen aus Württembergisch Franken 25), Sigmaringen 1984, S. 243-276. Kuno Ulshöfer: Die Interessen­ gemeinschaft der Reichsstädte Rothenburg, Hall und Dinkelsbühl im ausgehenden 14. Jahr­ hundert, in: Reichsstädte in Franken (wie Anm. 5), S. 270-286. 19 Lubich: Geschichte der Stadt Schwäbisch Hall (wie Anm. 2), S. 155-158. 20 Ludwig Schnurren Das Territorium der Reichsstadt Dinkelsbühl. Ein Beitrag zur Geschichte der reichsstädtischen Erwerbspolitik im späten Mittelalter, in: IbMfr 80 (1962/63), S. 55-86, hier S. 62-66.

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gelegen, sowie vom Deutschorden 1437 die Kommende in der Stadt mit den Dörfern Zell und Weipoltshausen 6 und 8 km nördlich der Reichsstadt kau­ fen.21 Windsheim hatte von den Hohenlohe zunächst Pfandrechte auf die große Herrschaft Endsee an der Straße nach Rothenburg erworben, dort aber 1387 der mächtigeren Nachbarreichsstadt weichen müssen. Die Reichsstadt an der oberen Aisch kaufte lediglich vom Ritteradel 1387 den Burgstall Lenkersheim östlich der Stadt, wenig später an ihren Einwohner Konrad Volkold weiterver­ äußert, 1400 den Burgstall Erkenbrechtshofen und 1406 das Dorf Oberntief, beides nördlich der Stadt. Das östlich an Oberntief anschließende Dorf Unterntief, das 1405 der Rothenburger Bürger Siegfried Häuptlein gekauft hatte, nahmen die Windsheimer 1449 einem ritteradeligen Besitznachfolger gewaltsam weg, was 1454 anerkannt wurde.22 Der Vergleich mit Nürnberg beleuchtet die Besonderheit Rothenburgs. Für Rothenburg hatte die Stadt selbst Herrschaftsrechte mit allen Gerichtsbarkei­ ten erworben, in Nürnberg erwarben im Spätmittelalter nur seine Bürger und geistlichen Institutionen umfangreichen Grundbesitz, einschließlich von Bur­ gen wie Gräfenberg (1347 bei den Haller), Eschenau (1383 bei den Muffel) oder Heroldsberg (1391 bei den Geuder). Herrschaftsrechte blieben der Reichsstadt an der Pegnitz fast durchweg verwehrt, bis 1427 die Zollern ihre Burg in Nürn­ berg mit zugehörigen Rechten, darunter dem vom Reiche lehensrührigen Forstmeisteramt, kaufsweise abtraten. Der Aufstieg der Zollern zu einer der führenden Territorialmächte in Franken, seit 1363 mit reichsfürstlichem Rang, der besondere Kreditwürdigkeit sicherte, sowie gleichzeitig die Territorialpoli­ tik der Wittelsbacher und unter Karl IV. auch der Luxemburger aus Böhmen ließen für die Reichsstadt an der Pegnitz eine Ausdehnung ins Umland weitge­ hend aussichtslos erschienen. Dagegen boten verschuldete Grafen und Herren wie die Hohenlohe, Brauneck und Castell, ferner die vormals staufischen Reichsministerialen und anderen Rittcradeligen den übrigen Reichsstädten grundsätzlich weniger Widerstand. So schaltete Rothenburg die Reichs­ küchenmeister von Nordenberg bereits 1383 aus. Hall gelang dies nach schwe­ ren Kämpfen mit den Schenken von Limpurg allerdings erst 1541 und Weißen­ burg mit den Marschällen von Pappenheim überhaupt nicht. Das verschiedene 21 Friedrich Stein (Hrsg.): Monumenta Suinfurtensia historica, Schweinfurt 1875, S. 232f. Nr. 267, S. 237f. Nr. 276. 22 Endsee bei Werner Schultheiß (Hrsg.): Urkundenbuch der Reichsstadt Windsheim von 741— 1400 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte III/4), Würzburg 1963, S. 231 Nr. 460. Gerhard Rechter: Das Verhältnis der Reichsstädte Windsheim und Rothenburg ob der Tauber zum niederen Adel ihrer Umgebung im Spätmittelalter, in: JfL 41 (1981), S. 45— 87, hier S. 45-50.

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Schicksal der auf die Stauferzeit zurückgehenden Reichsministerialität erhellt wieder die Sonderrolle Rothenburgs. Kooperierend mit Nachbarreichsstädten übernahm Rothenburg mit seinem 1387/1409 erworbenen kaiserlichen Landgericht die Rechts- und Friedens­ wahrung in einem erheblichen Teil Frankens südlich des Mains, im wesent­ lichen in jenem Gebiet, das schon die Staufer und deren Ministerialen von Rothenburg aus verwaltet hatten. Begünstigt wurde Rothenburg durch Krisen des Hauses Hohenlohe und des Hochstifts Würzburg, so dass die Reichsstadt sich gut entfalten konnte. Weiter östlich litt das an sich mächtigere Nürnberg dagegen unter dem Druck der Zollern und der Wittelsbacher, zeitweise auch der Luxemburger in Böhmen. Immerhin konnte Nürnberg die kleinen Reichs­ städte Windsheim und Weißenburg politisch weitgehend beherrschen. Dazu erwarb die Metropole an der Pegnitz 1406 die Feste Lichtenau 9 km vor der zollerischen Residenz Ansbach - freilich bis 1478 wieder versetzt - sowie als böhmisches Lehen 1431 bis 1488 das Städtchen Heidingsfeld am Main nahe der Bischofsstadt Würzburg.23 Die wichtigsten Konkurrenten der Reichsstädte in Franken waren der Burggraf von Nürnberg aus dem Hause Zollern und der Bischof von Würzburg. In Rothenburg setzte Heinrich Toppier auf die Riva­ lität zwischen den Zollern und dem Würzburger Bischof, die in der Tat über das Spätmittelalter hinaus die Geschicke Frankens prägte. Diese Rivalität aus­ nutzend, nahm Rothenburg den Zollern 1388 Gammesfeld und 1404 Seideneck weg, dem Bischof 1399 Lichtei, und verhinderte so, dass neue, gefährlichere Nachbarn an die Stelle der Reichsministerialen und der Hohenlohe-Brauneck traten. Doch die Zollern gewannen 1399/1403 die Stadt Crailsheim, welche 1379/80 die drei Reichsstädte Rothenburg, Hall und Dinkelsbühl vergeblich berannt hatten,24 und weitere Herrschaften in deren Nähe wie Werdeck, Flügelau und Gerabronn. Der Bischof besiegte 1400 die aufständischen Hochstiftsstädte bei Bergtheim, ein Vorgang, den Rothenburg argwöhnisch beobachtete.25 Gemein­ sam zwangen Bischof und Zollern 1402 Rothenburg zum Verzicht auf die Großburg Schillingsfürst. Toppiers ausgreifende Territorialpolitik übertrieb anscheinend. Schon 1402 schimpfte Eberhard von Grumbach zu Uissigheim,

23 Karl Borchardt: Heidingsfeld im Mittelalter von der Würzburger Markbeschreibung bis um 1500, in: Rainer Leng (Hrsg.): Die Geschichte der Stadt Heidingsfeld. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 2005, S. 65-104, hier S. 81-88. 24 Ludwig Schnurrer: Crailsheim und der Schwäbische Städtebund. Hat die Crailsheimer Stadt­ belagerung 1379/80 tatsächlich stattgefunden?, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Crails­ heim, Crailsheim 1990, S. 87-97. 25 Ernst Schubert: Die Lieder vom Würzburger Städtekrieg (1397-1400), in: JfL 64 (2004), S. 39— 81, hier S. 39.

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der wild Eberhart gnant, ein Ritteradeliger aus dem Umkreis des Bischofs von Würzburg, er werde keine Mahnungen zur Bezahlung von Schulden mehr annehmen, und ließ den rothenburgischen Boten gefangensetzen, dem Eber­ hards Knecht vorwarf, die von Rot(enburg) wolten all weit geheien, die Rothenburger wollten die ganze Welt beherrschen.26 Unüberbrückbar, wie Heinrich Toppier anscheinend glaubte, war die Feindschaft zwischen den Zol­ lern und Würzburg am Ende nicht. Bischof Johann von Egloffstein, nach zwie­ spältiger Wahl 1400 auf Betreiben Ruprechts von der Pfalz anerkannt, und die beiden Burggrafen Friedrich VI. und Johann, Schwäger Ruprechts, sorgten 1407 gemeinsam dafür, dass der König Rothenburg in die Reichsacht erklärte. Das Reichsaufgebot erstürmte im Verlaufe dieses Jahres die rothenburgischen Burgen im Umland, besonders Endsee und Nordenberg, reichte jedoch nicht aus, um die von starken Mauern geschützte, volkreiche Stadt selbst einzuneh­ men. So kam es am 8. Februar 1408 im Frieden von Mergentheim zu einem Kompromiss: Rothenburgs Großburgen Nordenberg und Endsee wurden ge­ schleift, ebenso die kleineren Anlagen in Habelsheim, Lichtei und Gammesfeld. Sonst aber verzichteten die Kontrahenten auf den Einsatz ihrer Landge­ richte gegeneinander und anerkannten ihren territorialen Besitzstand. Heinrich Toppiers Vabanquespiel zwischen den Zollern und Würzburg war gescheitert. Da der langjährige Bürgermeister gegen Ruprecht von der Pfalz mit seinem früheren Gönner, dem 1400 von den Kurfürsten als Römischer König abgesetzten Luxemburger Wenzel von Böhmen anknüpfte, wurde er als Hochverräter eingekerkert und starb am 13. Juni 1408 in der Haft.27 Seine Familie musste den riesigen Grundbesitz im Gebiet von Rothenburg verkaufen und wanderte nach Nürnberg aus.28 Aufgrund der Erfahrungen mit Heinrich Toppier achtete in Rothenburg die Ratsoligarchic künftig strenger als in Nürn­ berg darauf, dass ratsfähige Familien bei der Besetzung geistlicher Pfründen und bei der Verwaltung bürgerlicher Landsitze nicht zu viel Selbständigkeit sich anmaßten. So konnte Rothenburg im 16. Jahrhundert verhindern, dass die Öffner zu Wildenhof und die Plast zu Hornau sich der fränkischen Reichsrit­ terschaft anschlossen. Bereits im 13. Jahrhundert stieß Rothenburg entlegene Außenposten seines Territoriums ab. Diese Entwicklung setzte 1407 mit Her­ renzimmern ein, also bei Lebzeiten Heinrich Toppiers; es folgten 1410 (Hohen)-

26 StAN RA 86 fol. 107v/l. Der Vorfall ereignete sich am Dienstag vor Albani, dem 20. Juni 1402. 27 Dietrich Lutz (Hrsg.): Die Inschriften der Stadt Rothenburg ob der Tauber (Die Deutschen Inschriften 15), München 1976, S. 22 Nr. 40 mit Foto. 28 Ludwig Schnurrer (Hrsg.): Die Grundherrschaft Heinrich Toppiers von Rothenburg und das Salbuch von 1408, in: Jahrbuch des Vereins Alt-Rothenburg 1970/72, S. 25-114; ders.: Der Bür­ ger als Grundherr: Die Grundherrschaft Heinrich Toppiers aus Rothenburg (El 408), in: Städti­ sches Um- und Hinterland (wie Anm. 10), S. 61-75.

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Landsberg, 1412 das Sechstel von Eibelstadt und 1414 Messelhausen. Die Landhege, deren Strauchwerk das engere Umland der Stadt gegen feindliche Überfälle sicherte, wurde ab 1430 unter Ausnutzung der Hussitenangst kräftig ausgebaut; doch schon 1406 wurde der Schäfer des Ortes Endsee bestraft, weil er die Hege zerbrochen hatte.29 Mithin dürfte die „Einigelung“ Rothenburgs bereits um 1400 unter der Ägide Heinrich Toppiers unmittelbar nach den großen Territorialkäufen begonnen haben. Das Bündnis mit den anderen, zu­ meist schwäbischen Reichsstädten lebte in den 40er Jahren des 15. Jahrhun­ derts erneut auf, als in Franken Hall, Dinkelsbühl, Rothenburg, Windsheim, Nürnberg und der Bischof von Würzburg der vom Römischen König und Kai­ ser Friedrich III. gedeckten, sich auf das Landgericht der Burggrafen von Nürnberg berufenden Expansion des Markgrafen Albrecht Achilles entgegen­ traten. Hall gewann dabei das an die Bebenburger, markgräfliche Lehns- und Dienstleute, versetzte Honhardt zurück. Nach heftigen Kämpfen namentlich in den Jahren 1449/50 söhnten sich jedoch Rothenburg, Dinkelsbühl und Windsheim 1457, Hall 1458 mit Markgraf Albrecht aus, verbündeten sich sogar mit ihm gegen die Wittelsbacher in der Pfalz und Bayern, gegen den Bischof von Würzburg und gegen Nürnberg, wofür Albrecht 1460 endgültig die Land­ gebiete der kleineren fränkischen Reichsstädte anerkannte. Damit war die Zeit der Städtebünde, der solidarischen Politik der Reichsstädte in Franken vor­ bei.30 Territorialpolitisch hatte sich ein Kräftegleichgewicht zwischen Fürsten, Grafen, Herren, Ritteradeligen und Städten in der Region herausgebildet, das während der Frühneuzeit, trotz einiger Versuche durch Markgraf Albrecht Alkibiades im 16. und während des Dreißigjährigen Krieges sowohl von kai­ serlicher als auch von schwedischer Seite im 17. Jahrhundert, nicht mehr ernst­ lich in Zweifel gezogen wurde. 2. Frühneuzeitliche Landesherrschaft fränkischer Reichsstädte Schon im Spätmittelalter begrenzten die 1388 bei Döffingen und Worms sieg­ reichen Koalitionen der Fürsten, Grafen und Herren sowie der Rückhalt, den diese Gruppen wiederholt am Reichsoberhaupt fanden, in Deutschland den städtischen Territorialerwerb. In der Schweiz verlief die Entwicklung anders.

29 Karl Borchardt: Das Gültbuch der Reichsküchenmeister von Nordenberg um 1375 und ergän­ zende Quellen, in: JfL 54 (1994), S. 193-270, hier S. 266, Nr. Fl 15. Diesen frühen Beleg kannte Hans Mattem: Die Rothenburger Landhege, in: Linde 55 (1973), S. 1—40, 47f.; ders.: Die Rothenburger Landhege - Wiedersehen nach zwei Jahrzehnten, in: ebd. 70 (1988), S. 65-68, 73-88, 92-95 noch nicht. 30 1457: StAN RU 887. 1460: ebd. 892-897. Lubich: Geschichte der Stadt Schwäbisch Hall (wie Anm. 2), S. 193-212.

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Seit ihren Erfolgen gegen die Habsburger - 1386 Sempach und 1388 Näfels sowie später gegen die Savoyer wurden Zürich, Luzern, Bern und Freiburg im Uchtland führende Mächte der Eidgenossenschaft. Ihre ausgedehnten Unter­ tanengebiete hielt der Stadtrat bis in die 90er Jahre des 18. Jahrhunderts hinein, freiheitlich-egalitären Traditionen der Ur-, Wald- und Bergkantone zuwider, in paternalistischer, oft drückender Abhängigkeit. In Reichsitalien verschwanden die Fürsten, Grafen und Herren sogar ganz, von wenigen Ausnahmen wie Savoyen oder Montferrat abgesehen, um in den Contados der Städte aufzuge­ hen. Dort entstand allerdings durch kaiserliche und päpstliche Privilegierung städtischer Signorien eine neue Aristokratie, beispielsweise die Visconti, dann die Sforza als Herzoge von Mailand, die Medici als Großherzöge von Florenz, die nördlich der Alpen keine Parallele hatte. Wenn in Deutschland bürgerliche Familien wie die Fugger aus Augsburg in ähnlicher Weise nobilitiert wurden, dann außerhalb der Städte, ohne Umsturz der Stadt- und Ratsverfassung zu­ gunsten einer neuen, stadtgestützten Erbherrschaft. Bei aller wirtschaftlichen Bedeutung, welche Augsburg, Ulm, Nürnberg, Straßburg oder Köln bis weit in die Frühneuzeit hinein bewahrten, gerieten im Reichsgebiet die Städte und ihre Territorien doch zunehmend unter Druck. Die Reichsstädte kamen ver­ hältnismäßig gut davon, weil der Kaiser sie - ausgenommen z.B. 1607 Donau­ wörth - im eigenen Interesse vor fürstlichen Begehrlichkeiten schützte, während unter anderem Berlin 1442/48, Mainz 1462, Lüneburg 1637, Erfurt 1664 oder Braunschweig 1671 sich ihrem fürstlichen Landesherrn unterwerfen mussten. In Franken konnten manche Reichsstädte ihre Territorien sogar ausbauen. Die Windsheimer kauften 1537/42 Schloss Röllingshausen und einen Teil des großen Dorfes Illesheim, um ihr städtisches Vorfeld südwestlich abzurunden. Schweinfurt kaufte 1613 Güter in Westheim südlich von Haßfurt und einen Hof in Lülsfeld bei Gerolzhofen, was nach dem Dreißigjährigen Krieg 1652 wieder veräußert werden musste, und 1620 das Dorf Madenhausen 10,5 km nordöstlich der Stadt.31 Die Reichsvogtci der benachbarten Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld allerdings trat Schweinfurt 1572 dem Bischof von Würzburg ab, der widerwillig 1575 den Fortbestand der 1540 eingeführten evangelischen Konfession garantierte, was Kaiser Rudolf II. 1578 bestätigte.32 Weißenburg am Nordgau kaufte 1456 Suffersheim und Schambach, zwei an den Stadtwald angrenzende Dörfer; weitere Territorialgewinne gelangen der 31 Erich Saffert: Die Reichsstadt Schweinfurt im 17. Jahrhundert, in: ders., Studien zur Geschichte der Stadt Schweinfurt, hrsg. v. Uwe Müller (Veröffentlichungen des Historischen Vereins Schweinfurt e.V. NF 1), Schweinfurt 1993, S. 306-355, hier S. 312 mit Anm. 41. 32 Friedrich Weber: Geschichte der fränkischen Reichsdörfer Gochsheim und Sennfeld, Schwein­ furt 1913.

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für ihre Verschuldung berüchtigten Reichsstadt nicht, welche von der im 16. Jahrhundert durch die Markgrafen ausgebauten Festung Wülzburg vor ihren Toren dominiert wurde.33 Stark expandierte Schwäbisch Hall, das sich unter anderem 1439-1599 an der Ganerbschaft Künzelsau beteiligte, 1521/25 Güter des Stifts Komburg in 66 Orten übernahm, aus der Hand der Schenken von Limpurg 1541 deren unmittelbar vor den Stadttoren gelegenen Stammsitz mit Zubehör kaufte und schließlich 1595/1600 das reiche Erbe der Vellberger er­ langte. Wie Rothenburg schuf sich Hall eine mächtige Landhege zur militä­ rischen und ökonomischen Sicherung und Abgrenzung seines Territoriums.34 Solche Landhegen oder Landwehren kamen seit dem Spätmittelalter übrigens keineswegs nur bei Reichsstädten wie Hall, Rothenburg und Nürnberg35 oder Städten überhaupt vor, sondern dienten auch anderen Landesherren zum Schutz ihrer Territorialgrenzen.36 Nürnberg verbuchte im Zusammenhang mit dem Landshuter Erbfolgekrieg beeindruckende Territorialgewinne: Noch vor dem Tod Herzog Georgs von Bayern-Landshut kaufte die Reichsstadt 1503 von Böhmen das Schloss Hiltpoltstein und den zugehörigen Hochgerichtsbezirk. Gegen Georgs Schwieger­ sohn Ruprecht und dessen Vater Kurfürst Philipp von der Pfalz verbündete sich Nürnberg 1504/05 mit den Herzogen von Bayern-München und mit dem Reichsoberhaupt, dem Habsburger König Maximilian I. Im Gegenzug trat Bayern-München die Burgen Reicheneck und Hohenstein an Nürnberg ab. Die Reichsstadt an der Pegnitz eroberte eine Reihe von Plätzen, die BayernLandshut und Kurpfalz gehört hatten, insbesondere die Städte Lauf und Hersbruck, das Kloster Engelthal, den Markt Happurg, die Stadt Altdorf und das Schloss Grünsberg, Kloster Gnadenberg, Schloss Heimburg, Deinschwang und schließlich die Stadt Velden. Zur Abrundung kaufte der Rat von dem Bür­ gerjobst Haller 1507 das Schloss Hauseck und 1511 die Burg Wildenfels. Kur­ pfalz verzichtete 1520 für sich und für Pfalz-Neuburg auf Altdorf, Velden und Betzenstein, Lauf, Hersbruck und Reichcneck, während Nürnberg Kloster Gnadenberg, Schloss Heimburg und Deinschwang zurückgab. Von Pfalzgraf 53 Rieder: Geschichte (wie Anm. 4), S. 833f.; Ute Jäger (Hrsg.): Die Regesten der Reichsstadt Weißenburg (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte III/9), Neustadt/ Aisch 2002, S. 218, Nr. 429. Ebd. S. 219, Nr. 430 verkaufte die gleiche Ritteradelsfamilie drei Mühlen bei Weißenburg einem Bürgerehepaar. 34 Lubich: Geschichte der Stadt Schwäbisch Hall (wie Anm. 2), S. 158-172; Hans Mattem u. Rein­ hard Wolf: Die Haller Landheg. Ihr Verlauf und ihre Reste (Forschungen aus Württembergisch Franken 35), Sigmaringen 1990. 35 Matthias Birzer: Die Nürnberger Landwehr, in: Nürnberg. Archäologie und Kulturgeschichte, Nürnberg 1999, S. 330-335. 36 Zwischen Würzburg und Fulda Erwin Muth: Die Landwehr bei Oberthulba. Ein Beitrag zur Entstehung und Funktion der Landwehren in Franken, in: JfL 64 (2004), S. 1-19.

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Ottheinrich erwarb Nürnberg 1529 die Güter des Klosters Bergen in Hersbruck, ferner als Pfand 1542 Hilpoltstein, Heideck und Allersberg; die Pfand­ schaft löste Pfalz-Neuburg allerdings 1578 für Hilpoltstein und Allersberg, 1585 für Heideck wieder aus. Trotzdem wurden somit im frühen 16. Jahrhun­ dert nicht bloß Dörfer und Burgen, sondern die sechs Städte Altdorf, Lauf, Hersbruck, Velden, Betzenstein und Gräfenberg auf Dauer nürnbergisch. An dreizehn Orten bestanden fortan nürnbergische Pflegämter: Altdorf, Betzen­ stein, Engelthal, Gräfenberg, Hauseck, Hersbruck, Hiltpoltstein, Hohenstein, Lauf, Lichtenau, Reicheneck, Velden und Wildenfels. Seit 1513 fasste man sie unter einem Landpflegamt zusammen. Selbst im Spanischen Erbfolgekrieg 1700-1714, als Kurbayern der Reichsacht verfiel, erstrebte der Rat von Nürn­ berg noch eine Ausweitung und Abrundung seiner Landeshoheit, insbeson­ dere um die Veste Rothenberg, das zugehörige Kloster Weißenohe und das Schloss Hartenstein, wenn auch letztlich vergeblich.37 Rothenburg hingegen zog sich frühneuzeitlich immer stärker auf sein Kern­ territorium zurück: Nach dem Bauernkrieg trat es 1525 außerhalb der Land­ hege gelegene Teile der Herrschaft Endsee ab; die damals noch vorbehaltenen Güter im Aischgrund wurden 1667 an das Markgraftum Bayreuth veräußert.38 Immerhin erwarb Rothenburg 1538 Hornau und Preuntsfelden als Ersatz für Windelsbach, wo die Reichsstadt nur den Kirchsatz behauptete, die Grund­ herrschaft jedoch durch Verkauf aus bürgerlicher Hand an das Markgraftum Ansbach gelangte. Die Finanznot des Dreißigjährigen Krieges zwang Rothen­ burg zu zahlreichen Verpfändungen an vermögende Offiziere, darunter die als Nachfolger der Rosenberg zu Haldenbergstetten (heute Niederstetten) im Nordwesten der Landwehr angrenzenden Hatzfeldt, doch konnten diese Güter und Rechte nach wenigen Jahrzehnten ausgelöst werden. Schließlich ge­ lang der Reichsstadt 1672 der Kauf ihrer Deutschordenskommende, so dass in Rothenburg und seiner Landwehr allein die Johanniter und das komburgische Gebsattel verblieben, dessen Erwerb man 1512/15 versäumt hatte.39 37 Wilhelm Schwemmer u. Gustav Voit (Hrsg.): Lauf - Hersbruck (Historischer Atlas von Bayern Teil Franken 1/14), München 1967, S. 26-32; Ulrich Knefelkamp: Die Entwicklung des Land­ gebietes der Reichsstadt Nürnberg bis zum Ende des Alten Reiches, in: Günter Tiggesbaumker (Bearb.): Die Reichsstadt Nürnberg und ihr Landgebiet im Spiegel alter Karten und Ansichten, Bestände der Stadtbibliothek Nürnberg, Ausstellung der Stadtbibliothek Nürnberg vom 3. September bis 29. Dezember 1986, Nürnberg 1986, S. 3-16; Wolfgang Leiser: Das Landgebiet der Reichsstadt Nürnberg, in: Rudolf Endres (Hrsg.): Nürnberg und Bern. Zwei Reichsstädte und ihre Landgebiete (Erlanger Forschungen A/46), Erlangen 1990, S. 227-260. 38 StadtA Rothenburg A 468 fol. 460-465. 39 Borchardt: Geistliche Institutionen (wie Anm. 6), S. 337; Woltering (wie Anm. 6), S. 25-31. 1672 bei Werner Sylge: Die Deutschordenskomturei Rothenburg ob der Tauber in den Zeit­ altern der Reformation, der Gegenreformation und des dreißigjährigen Krieges bis zu ihrer Auflösung, Augsburg 1951, S. 248-251 Beilagen VIII u. IX.

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Nürnberg Rothenburg (Schwäbisch) Hall Dinkelsbühl

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Dass die Städte gegenüber den Fürsten während der Frühneuzeit trotzdem im großen und ganzen zurückfielen und die reichsstädtischen Territorien in der Frühneuzeit eher stagnierten, wurde schrittweise immer deutlicher. Von den Reichsreformen unter Kaiser Maximilian I. (1493-1519) bis zum Dreißigjähri­ gen Krieg konnten sich die oberdeutschen und besonders die fränkischen Reichsstädte noch halten. Im 16. Jahrhundert hatten sie an der Reformation den gleichen Anteil wie alle Landesherrschaften im Reich. Der reichsstädtische Rat bestimmte in der Regel, wenn nicht besondere Umstände dem Kaiser aus dem katholischen Hause Habsburg ein Dazwischentreten gestatteten, in glei­ cher Weise frei über die Konfession der Bürger in der Stadt und der Untertanen auf dem Land, wie das andere Reichsunmittelbare taten, von den Fürsten über die Grafen und Herren bis zu den jetzt korporativ zusammengeschlossenen Reichsrittern. Nürnberg 1524, Weißenburg und Windsheim 1525, Schwäbisch Hall 1534, Schweinfurt 1542 und zuletzt Rothenburg 1544 wurden auf diese Weise evangelisch; nur in Dinkelsbühl schrieb man nach langem Streit 1649 eine komplizierte Konfessionsparität fest.40 Für die Städte und ihre Territorien erließ der reichsstädtische Rat Kirchenordnungen, errichtete Konsistorien und Superintendenturen genau wie die Fürsten, Grafen und Herren. Die Reforma­ tion war in den Reichsstädten genau so ein herrschaftlicher, kein gemeindlicher Akt wie in den anderen Territorien des Reiches. Wie andere Obrigkeiten ord­ neten die Reichsstädte im Zusammenhang mit der Reformation das Schul­ wesen und die Armenfürsorge neu. Während man sich in Rothenburg und anderwärts mit einem Gymnasium begnügte, errichtete Nürnberg in seiner Landstadt Altdorf sogar eine Universität. Ebenfalls im 16. Jahrhundert wurden Steuererhebung und Gerichtsbarkeit im Reich in einer Weise geordnet, die den hergebrachten Status der Reichsstädte nicht wesentlich beeinträchtigte. Wie andere Reichsunmittelbare hoben die Reichsstädte von ihren Bürgern und Untertanen die Reichssteuern ein. Wie andere Reichsunmittelbare nutzten sie den direkten Zugang zu den obersten Gerichten, dem Rcichskammergericht und dem Reichshofrat. Wie andere Landesherrn erließen sie schriftlich nieder­ gelegte Dorf- und Gemeindeordnungen.41 Zwischen dem Sturz Heinrich Toppiers 1408 und dem Bauernkrieg 1525 finden sich in Rothenburg zahl­ reiche Klagen von Bürgern wie Bauern gegen die Ratsoligarchie; danach jedoch wurde der seit 1544 lutherische Rat als gute, das Gemeinwohl schützende Ob-

40 Paul Warmbrunn: Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkels­ bühl von 1548 bis 1648 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 111), Wiesbaden 1983. 41 Hans-Peter Ziegler: Die Dorfordnungen im Gebiet der Reichsstadt Rothenburg, jur. Diss. Würzburg, Rothenburg 1977.

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rigkeit anscheinend willig akzeptiert; jedenfalls konnten es sich die Ratsherren in Rothenburg anders als beispielsweise die gegenreformatorischen Bischöfe in Würzburg und Bamberg im 16. und 17. Jahrhundert leisten, populären Forde­ rungen auf Hexenverfolgungen nicht in größerem Umfang nachzugeben.42 Die Lage der Reichsstädte wurde jedoch zunehmend schwieriger, je mehr Aufwand für ein zeitgemäßes Militärwesen getrieben werden musste. Schon im 16. Jahrhundert leistete selbst das bevölkerungsstarke und gewerbereiche Nürnberg nur noch mit Mühe den Bau von Bastionen, die der ständig verbes­ serten Artillerie standhielten. Rothenburg realisierte nur wenige Ansätze zu einem zeitgemäßen Ausbau seiner Wehrmauern und Tore, ohne den umfassen­ den Plan des nürnbergischen Ingenieurs Johannes Carl 1621 realisieren zu kön­ nen.43 Und die kleineren fränkischen Reichsstädte kapitulierten vor dieser neuen Aufgabe fast ganz. Große Heere, wie sie seit dem 17. Jahrhundert uner­ lässlich waren, um politisch mitreden zu können, konnte keine Reichsstadt unterhalten, denn dazu fehlten die Mannschaft, das Geld und die Manufaktu­ ren, um den Heeresbedarf von der Bewaffnung bis zu den Uniformen zu pro­ duzieren. Das traditionsgebundene Handwerk der Reichsstädte scheiterte vor diesen Herausforderungen, obwohl in Franken gewöhnlich Zünfte fehlten und der Rat somit ähnlich einem absoluten Fürsten im Prinzip befugt war, Innova­ tionen zu fördern. Im Zeitalter der europäischen Kabinettskriege, des Kameralismus und des Merkantilismus blühten großflächige Fürstenstaaten, Öster­ reich, Preußen, Bayern, Sachsen, in Franken die Bistümer Würzburg und Bam­ berg sowie die zollerischen Markgraftümer Ansbach und Bayreuth. Die Reichsstädte gerieten politisch und wirtschaftlich immer mehr ins Abseits, zu­ mal die 1521 festgeschriebene Reichsmatrikel nur sehr zögerlich veränderten Verhältnissen angepasst wurde. Die Ausgaben für die Reichskriege gegen die Osmanen, gegen Frankreich und zuletzt 1756-1763 gegen Preußen trugen des­ halb erheblich zu den Finanznöten der Reichsstädte bei und provozierten bür­ gerliche Unruhen gegen angebliche oder tatsächliche Misswirtschaft der Rats­ oligarchien. Als Kaiser Franz II. und der Erste Konsul Bonaparte gemeinsam 42 Alison Rowlands: Witchcraft Narratives in Germany. Rothenburg, 1561-1652 (Studies in Early Modern European History), Manchester - New York 2003; Andrea Wittkampf: Das Hexen­ wesen in den kleineren Reichsstädten, in: Reichsstädte in Franken. Aufsätze 2: Wirtschaft, Ge­ sellschaft, Kultur (wie Anm. 5), S. 100-106. 43 Karl Borchardt u. Ekkehart Tittmann: Mauern - Tore - Türme. Zeugnisse zur Geschichte von Rothenburg ob der Tauber (Rothenburger Hefte 1), Rothenburg 2005, S. lOf. Vincent Mayr: Johannes Carl, Ingenieur und Zeugmeister zu Nürnberg (1587-1665), und sein Rothenburger Befestigungsplan von 1621, in: Linde 78 (1996), S. 34-39. Allgemein Walter G. Rödel: Von der Stadtmauer zur Bastion. Städtische Befestigungsanlagen in der frühen Neuzeit, in: Stadt und Wehrbau im Mittelrheingebiet, hrsg. v. Michael Matheus (Mainzer Vorträge 7), Stuttgart 2003, S. 91-111 mit weiteren Literaturhinweisen.

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den auf dem linken Rheinufer zugunsten Frankreichs depossedierten welt­ lichen Fürsten Deutschlands unter anderem die Reichsstädte als Entschädi­ gung anboten, regte sich daher bei Bürgern wie Untertanen kaum Widerstand, denn die Zugehörigkeit zu größeren Flächenstaaten versprach eine gerechtere Verteilung der Lasten auf mehr Schultern und größere Chancen wirtschaft­ licher Entfaltung. Freilich ist die Spätphase der Reichsstädte insgesamt und ihrer Territorien im besonderen bisher nur ungenügend erforscht.44 Die landesgeschichtliche Historiographie des 19. Jahrhunderts war daran wenig interessiert, um nicht die Integration der Reichsstädte und ihrer Territorien in die neuen Flächenstaa­ ten in Frage zu stellen. Und im 20. Jahrhundert fokussierte man nur allzu gerne die Reichsstädte als Phänomen des deutschen Mittelalters, tunlichst mit vor­ bildlicher Nähe des Kaisers zu den Bürgern, wie sie der liberale Konstitutionalismus wünschte. Dabei überliefern die reichsstädtischen Archive der Früh­ neuzeit in reicher Zahl Akten und ergänzende Quellen, aus denen ein klares Bild der verschiedenen reichsstädtischen Landesherrschaften zu erarbeiten wäre. Vorschnelle Verallgemeinerungen sollte man dabei vermeiden: Die Untertanen von Schwäbisch Hall begrüßen Württemberg 1802 als Befreier, während in Rothenburg 1796 die Bürgeropposition dem Rat vorwarf, die Untertanen auf dem Land ungerecht zu bevorzugen.45 Größere reichsstädti­ sche Territorien, in Franken neben Nürnberg vor allem Rothenburg und Schwä­ bisch Hall, hatten im Prinzip eine Chance, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen. Die spätmittelalterlichen, meist kurz nach 1430 unter dem Ein­ druck der Hussitengefahr ausgebauten Landwehren mit ihren Gräben und Türmen ließen sich zu Zollgrenzen ausbauen, um den heimischen Markt, so­ weit die Reichsgesetze das zuließen, nach kameralistisch-merkantilistischen Grundsätzen zum gemeinen Wohle zu regulieren. In Notzeiten wie nach der Missernte von 1772 konnte so die Spekulation mit Getreide begrenzt werden. Dem städtischen Gewerbe und Handwerk konnte man so einen sicheren Ab­ satzmarkt garantieren, aber auch, wie in Rothenburg unter anderem durch die Konzessionierung einer Brauerei in Reichelshofen und ähnliche Maßnahmen, in der Manier absolutistischer Fürsten innovative Konkurrenz fördern. Bereits der reichsstädtische Rat und nicht erst die bayerische Bürokratie begann in Rothenburg den Chausseebau, von dem unter anderem die beiden erhaltenen 44 Eine Ausnahme ist Gerold Neusser: Das Territorium der Reichsstadt Ulm im 18. Jahrhundert. Verfassungsgeschichtliche Forschungen (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 4), Ulm 1964. 45 Karl Borchardt: Zwischen Reform und Revolution. Die bürgerliche Beschwerdeschrift vom 9. Dezember 1796 in Rothenburg ob der Tauber, in: Jahrbuch des Vereins Alt-Rothenburg 2003, S. 9-85, hier z.B. S. 48: 10) Sind schon an Bauren Stellen um vieles Geld verkauft worden, welche mit Bürgern hätten besetzt werden sollen, ...

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Chausseehäuschen in Richtung Neusitz und Gattenhofen zeugen, und die Aufteilung der Gemeindegründe, beispielsweise der Markgenossenschaft auf der Haardt bei Adelshofen,46 um die Landwirtschaft im Sinne des Physiokratismus und nach dem Vorbild der Zollern oder der Hohenlohe zu fördern. Durch Tauschverträge mit den Territorialnachbarn - so Rothenburg 1605 mit Hohenlohe und 1606 mit Castell47 - bemühte man sich während der ge­ samten Frühneuzeit, dem Ideal eines territorium clausum näher zu kommen und eigene Modernisierungsinitiativen vor auswärtigem Einspruch zu schüt­ zen. Der letzte Staatsvertrag der Reichsstadt Rothenburg 1797 mit dem be­ nachbarten, inzwischen preußischen Ansbach sah einen radikalen Austausch von Untertanen vor, um die Landhege zu einer linearen Grenzlinie zu machen; er wurde von Bayern fast unverändert übernommen und 1803 ausgeführt, wo­ bei Preußen das gesamte Amt Insingen abtrat, das seit unvordenklicher Zeit zum Stift St. Gumprecht in Ansbach gehört hatte.48 Im Fall Rothenburgs spie­ geln sich die an der Wende zum 15. Jahrhundert entstandenen und über Jahr­ hunderte im wesentlichen stabilen Territorialgrenzen, weil sie den ökono­ mischen und sozialen Verkehr bis hin zum Konnubium der Bauern und Bürger beeinflussten, sogar dialektgeographisch wider; über Recht, Sitte und Brauch hinaus wirkten die Territorien bis auf die Sprache der Untertanen ein.49 Solche bescheidenen, aber realistischen Zukunftsperspektiven wie Rothenburg und mutatis mutandis auch Schwäbisch Hall hatten Dinkclsbühl, Weißenburg, Windsheim und Schweinfurt nicht, da ihre Territorien kaum über die eigene Stadtgemarkung hinausreichten. Nürnberg muss in vieler Hinsicht als ein Sonderfall gelten. Trotz seiner be­ achtlichen Größe, der Höhe seiner Bevölkerungszahl wie des Umfangs seines Landgebietes, gerieten Handel und Gewerbe der Reichsstadt durch die Kon­ kurrenz fürstlicher Flächenstaaten zunehmend in Bedrängnis. Der Haushalt der Stadt ließ sich nicht mehr ausgleichen, was 1786 eine Extrasteuer erzwang. Es formierte sich eine bürgerliche, von nicht dem Rat angehörenden Kaufleu­ ten getragene Opposition. Eine neue Verfassung wurde 1794 beschlossen, wel­ che die Bürger an der Finanzkontrolle beteiligte. Nach Unruhen erwirkte der

46 StadtA Rothenburg AA 238. 47 StAN RU 1005-1008 (Hohenlohe), 1370 (Castell). 48 Hanns Hubert Hofmann: Franken seit dem Ende des Alten Reiches (Historischer Atlas von Bayern, Teil Franken II/2), München 1955, S. 43 Nr. 5, S. 48-50 Nr. 10. Zu Insingen Borchardt: Geistliche Institutionen (wie Anm. 6), S. 350-364. 49 Theodor Diegritz: Lautgeographie des westlichen Mittelfrankens (Schriften des Instituts für fränkische Landesforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg 14), Neustadt/Aisch 1971; Horst Haider Munske u. Alfred Klepsch (Hrsg.): Sprachatlas von Mittelfranken, Bd. 1: Ein­ führung (Bayerischer Sprachatlas, Regionalteil II), Heidelberg 2003, S. 7f. mit Karte 2.

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Rat beim Kaiser 1797 die Ernennung einer Kaiserlichen Subdelegationskom­ mission zur Zwangsverwaltung.50 Hinzu kam Nürnbergs Lage zwischen den übermächtigen Zollern und Wittelsbachern, die 1790/91 respektive 1796 weite Teile des reichsstädtischen Territoriums faktisch enteigneten.51 Der Blick auf Rothenburg und Schwäbisch Hall lehrt andererseits, dass es voreilig wäre, reichsstädtische Territorien Anfang des 19. Jahrhunderts generell als Auslaufmodell abzustempeln. Mindestens besteht hier ein erheblicher Be­ darf an unvoreingenommener, ergebnisoffener Forschung. Rothenburg wie Schwäbisch Hall konnten mit einem für ihre Bevölkerungszahl hinreichend großen Territorium als lokalem Versorgungs- und Absatzmarkt im Prinzip als zukunftsfähig gelten, zumal sie traditionell weit weniger als Nürnberg auf Ge­ werbe und Handel mit gewerblichen Erzuegnissen angewiesen waren. Wieder anders sah das für Schweinfurt und Dinkelsbühl aus, denen ein entsprechendes Territorium fehlte und die deshalb trotz günstiger Verkehrslage unter dem Druck ihrer fürstlichen Nachbarn schwer litten. Und nochmals anders sahen die Perspektiven für Windsheim und Weißenburg aus, denen außer einem an­ gemessenen Landgebiet auch die nötige Bevölkerungsstärke fehlte, um regio­ nal konkurrenzfähig zu sein. Schlussbemerkung Die reichsstädtischen Territorien, deren letzte 1806 aufgelöst wurden, sind ein kennzeichnendes Element der Geschichtslandschaften Frankens und Schwa­ bens, das einen wichtigen Unterschied zu (Alt)Bayern markiert, wo nur die Freie Stadt Regensburg einen ähnlichen Status wie eine Reichsstadt, aber kein nennenswertes Territorium besaß. Der Vergleich enthüllt neben vielen Ge­ meinsamkeiten aber auch beachtliche Unterschiede zwischen den fränkischen Reichsstädten, die im Spätmittelalter unterschiedlich große Territorien ent­ stehen ließen. Der reichsstädtische Rat als territoriale Obrigkeit begegnete daher den Herausforderungen der Frühneuzeit zum einen in Nürnberg, zum

50 Franz Bühl: Der Niedergang der reichsstädtischen Finanzwirtschaft und die kaiserliche Subde­ legationskommission von 1797-1806, in: MVGN 26 (1926), S. 111-278; Anton Ernstberger: Nürnberg im Widerschein der Französischen Revolution, 1789-1796, in: ZBLG 21 (1958), S. 409-471; Rudolf Endres: Die Rolle der Kaufmannschaft im Nürnberger Verfassungsstreit am Ende des Alten Reiches, in: JfL 45 (1985), S. 125-167; ders.: Nürnberg im 18. Jahrhundert, in: MVGN 75 (1988), S. 133-153; Norenberc - Nürnberg 1050 bis 1806, Eine Ausstellung des Staatsarchivs Nürnberg zur Geschichte der Reichsstadt, Kaiserburg Nürnberg, 16. September 12. November 2000, München 2000, S. 122f., Nr. 47, S. 324—327, Nr. 141 f. 51 Schwemmer u. Voit (wie Anm. 37), S. 30—32; Norenberc - Nürnberg 1050 bis 1806 (wie Anm. 50), München 2000, S. 328f., Nr. 143.

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anderen in Rothenburg und Schwäbisch Hall ganz anders als in Windsheim oder Weißenburg und wieder anders in Schweinfurt oder Dinkelsbühl. Im übrigen beschränkte sich städtischer Territorialerwerb nicht auf die Reichs­ städte und nicht auf das Alte Reich, weshalb die Fragen nach seinen Motiven, Erscheinungsformen und Folgen einen hervorragenden Ansatzpunkt für inter­ regional komparatistische Studien im gesamten Alten Europa darstellen, von Barcelona bis Stockholm, von Ragusa (Dubrovnik) bis Dublin. Als Motive für die energische Territorialpolitik, die im Spätmittelalter auch landesherrliche Städte von Göttingen und Braunschweig bis Breslau und Dan­ zig betrieben,52 hat man namhaft gemacht (1) das Bemühen von Handelsstäd­ ten wie Lübeck oder Nürnberg, Verkehrswege im Umland durch Erwerb von Burgen zu sichern, (2) den Versuch von Ackerbürgerstädten, den Grundbesitz ihrer Bürger in eigene Herrschaft zu übernehmen, (3) das Streben von durch Handwerkerzünfte beherrschten Städten, bäuerliches Handwerk im Umland als unliebsame Konkurrenz zu unterbinden oder die Bauern anstelle der Bür­ ger mit Diensten und Abgaben zu belasten. An der Aufrechterhaltung des Friedens interessierte Handelsstädte wie die Rüstungsmetropole Nürnberg nutzten dabei ihre Kapitalkraft, um durch Kauf oder Pfanderwerb ans Ziel zu gelangen. Von den Zünften beherrschte Städte wie in Schwaben scheuten sich hingegen weniger vor Gewaltanwendung, wie die Städtekriege des 14. und 15. Jahrhunderts zeigen. Rothenburg dagegen kooperierte hinsichtlich der Territorialpolitik zeit­ weise eng mit seinen Nachbarreichsstädten Windsheim, besonders aber Schwä­ bisch Hall und Dinkelsbühl. Dieses Beispiel führt zu einer differenzierteren Einschätzung der Motive, und zwar weniger wegen der Grenzlage dieser Städte zwischen Franken und Schwaben oder wegen der im Landgericht Rothenburg fortlebenden staufischen Traditionen, sondern wegen der Interes­ senlage der Ratsherren. In Rothenburg gaben weder Kaufleute noch Acker­ bürger noch Zünfte den Ausschlag. Rothenburgs Territorialerwerb war anscheinend das Werk von neureichen Großbürgern, den Toppier, Wern, Häuptlein, Eberhart, Kreglinger, Offner, Trüb, die in bestimmten Zweigen der Land-, Teich- und Forstwirtschaft sowie nicht zuletzt in Schafzucht und Woll­ handel Chancen sahen und deshalb für sich Grundbesitz, für ihre Stadt Herr­ schaftsrechte erwarben. Die ratsfähigen Familien Rothenburgs mit ihrem Großgrundbesitz hatten wenig gemeinsam mit den kleinen Stadtbauern, den

52 Elisabeth Raiser: Städtische Territorialpolitik im Mittelalter. Eine vergleichende Untersuchung ihrer verschiedenen Formen am Beispiel Lübecks und Zürichs (Historische Studien 406), Lübeck - Hamburg 1969; Heinz Germer: Die Landgebietspolitik der Stadt Braunschweig bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts, Göttingen 1937.

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Ackerbürgern, die kaum Einfluss ausübten. Anders als die Nürnberger Patri­ zier, die sich im Spätmittelalter dem Gewerbe und dem Großhandel mit ge­ werblichen Produkten widmeten, Grundherrschaften jedoch lange Zeit eher aus Gründen des Sozialprestiges, einer standesgemäßen, adelsähnlichen Lebens­ führung nutzten,53 lebten die ratsfähigen Familien Rothenburgs anscheinend wirklich von ihren Landgütern und deren agrarischen Erzeugnissen. Während die äußeren Etappen der reichsstädtischen Territorialgeschichte in Franken weitgehend geklärt sind, bedürfen diese sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Hintergründe allerdings noch genauerer Erforschung sowohl für Nürnberg, Rothenburg und Hall als auch für die anderen Reichsstädte des fränkischen Raumes, die keine größeren Territorien ihrer spätmittelalterlichen Landesherr­ schaft und frühneuzeitlichen Landeshoheit unterwerfen konnten.

53 Fritz Schnelbögl: Die wirtschaftliche Bedeutung ihres Landgebietes für die Reichsstadt Nürn­ berg in den Grundzügen dargestellt, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, hrsg. v. Stadtarchiv Nürnberg, Bd. 1 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 11), Nürnberg 1967, S. 261-317.

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DÜRER UND SPRANGER: EIN AUTOGRAPHENFUND IM SPIEGEL DER EUROPÄISCHEN SAMMLUNGSGESCHICHTE Mit einer Transkription der Amsterdamer Auktionsliste vom Februar 1638 Von Thomas Schauerte Ausgehend vom Fund eines bis vor kurzem unbekannten Dürer-Autographs in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel1 erbrachte die Verfolgung sei­ ner Provenienz eine Fülle von ebenso dichten wie überraschenden historischen Bezugspunkten, so dass eine erste Untersuchung dazu nicht alle Aspekte be­ handeln konnte. Erst nach einer Reihe weiterer Recherchen gelang es, den Kreis der Überlieferung zum überwiegenden Teil zu schließen. An seiner Peri­ pherie trat zudem mit der Amsterdamer Auktionsliste von 1638 eine solche Menge vor allem an Druckgraphik Dürers zutage, dass hier wiederum weiter­ gehende Forschungen wünschenswert scheinen, da das Dokument von der deutschen Dürer-Forschung bislang noch nicht zur Kenntnis genommen wurde. Dies ist auch auf Werk und Person Bartholomäus Sprangers zu über­ tragen, dessen Nachlass es im wesentlichen war, der hier zur Versteigerung kam und der eine Reihe graphischer Werke auch von seiner Hand enthielt2. Die vollständige Transkription der Versteigerungsliste im Anhang mag daher ge­ rechtfertigt erscheinen. Im Rückdeckel einer der seltenen Erstausgaben von Luthers deutscher Übersetzung des Alten Testaments von 1523/24 in der Herzog August Biblio­ thek befindet sich auch ein Autograph von der Hand Albrecht Dürers (Abb. 1). Es war zusammen mit drei weiteren Schriftproben von Martin Luther, Phi­ lipp Melanchthon und Lukas Cranach d. J. 1588 vom damaligen Besitzer des Buches, dem ulmischen Pfleger der Stadt Geislingen a. d. Steige, Hans Ulrich Krafft (1550-1621), ausführlich kommentiert und in die beiden Innendeckel paarweise eingeklebt worden.

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Signatur: Bibel-S. 4° 197; vgl. die ausführliche Beschreibung bei: Verf.: Die Luther-Bibel des Hans Ulrich Krafft. Ein Fund von Autographen Luthers, Melanchthons, Cranachs und Dürers in der Herzog August Bibliothek und ihre illustre Provenienz, Wolfenbütteier Beiträge 13, 2005, S. 255-308. Von Spranger selbst wurden angeboten: die Kupferplatte mit St. Johannes (Nr. 187; vgl. Hollstein’s Dutch and Flemish Etchings, Engravings and Woodcuts, hrsg. von K. G. Boon, Bd. 28, Blaricum 1984, Nr. 1); eine weitere offenbar gleichfalls gestochene Platte unbekannten Inhalts (Nr. 186); ein gezeichnetes Bildnis von Sprangers Frau Christine Müller zum beachtlichen Preis von 13 fl. (Nr. 90); weitere 6 Zeichnungen für den relativ bescheidenen Betrag von 1 fl. 11 st.; schließlich 21 prenten unbekannten Inhalts (Nr. 2, 5, 116).

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Thomas Schauerte

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Abb. 1:

Dürer-Autograph im Rückdeckel von: Martin Luther, „Das allte Testament deutsch“, Wittenberg 1523/24, Feder auf Papier, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. Bibel-S. 4° 197.

Der Ulmer Kaufmannssohn war ein weitgereister, vielseitig interessierter und wohlhabender Mann. Mit der Geislinger Obervogtei hatte er zudem eine angesehene Lebensstellung gefunden, so dass er sich - dem besten Brauche sei­ ner Zeit folgend - eine private Kunst- und Wunderkammer anlegte. Für diese fand ein berühmter Freund, der hochgebildete Augsburger Sammler, allgegen­ wärtige Antiquar und Diplomat Philipp Hainhofer, bei einem Besuch im Herbst des Jahres 1606 lobende Worte, derer sich Krafft in seiner - auch sonst bewegten und lesenswerten - Autobiographie dankbar erinnerte3. Eines der Hauptstücke dieser Wunderkammer dürfte die Lutherbibel gewesen sein, für 3

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K. D. Häßler (Hrsg.): Hans Ulrich Krafft’s Reisen und Gefangenschaft. Aus der Originalhand­ schrift (Litterarischer Verein Stuttgart 61), Stuttgart 1861, S. 427-429. Diese Kunstkammer ent-

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die Freund Hainhofer nicht nur einen gediegenen Einband stiftete, sondern die Krafft durch die zusätzliche Einfügung einiger belangreicher Kupferstiche zu einer Art privatem Reformationsmuseum ausgestaltete. So wurden neben eini­ gen anderen auch zwei der Portrait-Kupferstiche Dürers - Friedrich der Weise und Philipp Melanchthon - eingeklebt4. An vorderster Stelle standen für den streng protestantischen Krafft jedoch die eigenhändigen Zeilen Martin Luthers und Philipp Melanchthons, deren Erwerbungsumstände er genau notierte. Ein gleiches geschah auch im Falle des Dürer-Autographs, dies sogar mit beson­ derem Nachdruck, denn der Donator der Schriftprobe war kein geringerer als Bartholomäus Spranger (1546-1611), der als her A/.[ajestät] beriemtteste[r] Mahler' damals bereits auf der Höhe seines Ruhmes am Hof Kaiser Rudolfs IE stand. Spranger hatte Krafft zufolge das Papier am 18. Dezember 1584 auß einem gedrucktten Geromatischen [sic!] Kunsthuch geschnitten, das Dürer an villen ortten [d. h. Stellen] mit sunderm fleyß [...] löblich Corigiertt habe, und es Krafft aus Sunderer freundttschafft geschenkt. Hans Ulrich Krafft hatte sich während einer Reise, die teils Kavalierstour war, teils dem Erwerb kaufmänni­ scher Berufserfahrung diente, einige Wochen in Prag aufgehalten und war dort, nachdem sich der Bildhauer Johannes de Mont als gemeinsamer Bekannter er­ wiesen hatte6, mit dem berühmten Spranger rasch in einen freundschaftlichen Verkehr getreten. Dadurch kam er in den Genuss eines ganz außerordentlichen Vorzuges, indem ihm der Maler am 26. Dezember 1584 in Abwesenheit des tafelnden Kaisers einen heimlichen Gang durch die an sich unzugängliche herr­ scherliche Kunstkammer ermöglicht, den Krafft mit seinem ausgeprägten Sinn für das Anekdotische in seiner Autobiographie literarisch festhielt. Da an eher entlegener Stelle publiziert, sei die interessante Stelle hier vollständig zitiert: Gleich am dritten 'Weihnachtsfeiertag, an St Johannes tag, läßt er [Spran­ ger, Verf.] mich beruffen, des Andern tags mit Ime den Mittag Imbes ein Zunemen, ich solle mich aber vor Zöhen Vhrn einstöllen. Als er mich freindtlichen empfangen, erbeut er sich (da es mir nit Zuwider) mich In her Majestät kunst Zimmer, darinnen er thue Arbaytten, Zufüeren,

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hielt neben typischen Stücken wie einem Nautiluspokal, Gedenkmünzen oder Naturalien auch eine Reihe privater Lebenzeugnisse Kraffts, die sich vor allem auf die abenteuerlichen Jahre der türkischen Schuldhaft in Tripolis und die Errettung daraus bezogen. Sie ließen sich im Herzog Anton Ulrich Museum in Braunschweig leicht finden, da Kraffts Notate wenig kunstsinnig mit Tinte in die Bildnisse eingeschrieben wurden. Vgl. Verf. (wie Anm. 1), Abb. 6, 10. Häßler (wie Anm. 3), S. 394 f. Als ich seins Liebsten gesöllen, Johan del monte, gedachtte [...] hatt Spranger sich Insunderhaitt hoch darlber erfrewtt, der vrsachen, weil sy beede künstler vom Bapst pio Quinto der R. K. Majestät Ruodolfo zu einer besundern vertrewlichkaytt Als die bösten künstler In scultura vnd Bittura seind Zugeschicktt worden [...], vgl. Häßler (wie Anm. 3), S. 388.

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weil hochgedachtte Ir K. Majestät Iber der taffel Sitzen. Vnd weil es mir wolpasste, thetten wir vns nit säumen; bald giengen wir durch eine Ab­ sonderlich schmale stiegen Ins schlosß hinauff; er schleußtt mitt einem schlüsßel vier thürn Auff, biß wir Ins Rechtte Zimmer khomen, da hab ich mitt Verwunderung ettliche Zimlich grosße kunst stuckh von seiner hand gemachtt gesehen, Als wan Alles Nach dem Leben wehre gemahltt worden, wie dan her Majestät grosßer schöner weisßer Englischer Docco hundt darunder gantz Ehnlich Contrafait zu sehen gewesen. Bald fürt Spranger mich In ein Anders nebenZimer, dar Innen waren auch wun­ der schöne kunst stuckh, In Spania verförttigt, Mererthail Nackendte Weibsbilder nach dem leben7, auch sunst Romanische8 vnd andere wel­ sche der bösten Art, die wenig herrn Stands vnd vom Adel zu sehen gedeyen mögen. Vnd weil es an der Zeitt, vns aus dem staub Zumachen, giengen wir fortt In sein behausung, und er sagte mir bei Tusch: Ir werdts Erfaren; Ir Majestät werden bald nach mir schücken. Dan so bald sy Ir Mittag Mahl eingenommen, gehen sy dem ersten Zimer zu, zu se­ hen, was er gearbaitt hat, vnd wenn etwas Irer Majestät nitt gefeilig sei, miesß er, wans sein könnte, Emendieren. Iedoch lassen sy sich biß weiln auch weisen Iber seinen grundtlichen berichtt. Suma, wir haben etwas Iber halb zu Mittag gessen, komptt ein Kayßerlicher diener und fordern Spranger zu Ir Majestät Zukhomen. Der kam aber bald wider zu mir vnderm schein, Als hab er was vergessen mit sich zu nemen, bittendt mich, verlieb zu nemen, er khome vor der Vesper nit mer haim. Thett mich hocherZaigtter freindtschafft fleysßig bedanckhen; [...]. An dem Eifer, mit dem Krafft anschließend in Prager Adelskreisen nach sei­ nen Erlebnissen mit Spranger befragt wird, ist abzulesen, welch mystischer Glanz die Sammlung des Kaisers in den Augen der Zeitgenossen umgab. Erst auf drängendes Befragen hin gab er schließlich zu, mit Spranger in der kaiser­ lichen Kunstkammer gewesen zu sein, und um ihm einen ausführlichen Bericht zu entlocken, gaben ihm seine adeligen Gastfreunde ein stattliches panquett [...], dass sy vff heuttigen tag neben mir säßen, damit - was meine Augen gese­ hen, - her gnaden Augen auch Sich dar Iber erlustigen könden.9 Da zwar aus­ führliche Inventare, aber keinerlei Ansichten von Rudolfs berühmter Kunst-

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Kunstwerke dieser Art sind in den Inventaren nicht überliefert und müssten hier verwundern, wenn Rudolf nicht vom zwölften bis zum 17. Lebensjahr am spanischen Habsburgerhof Phi­ lipps II. gelebt hätte. Gemeint sind wohl römische Antiken. Häßler (wie Anm. 3), S. 390.

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und Wunderkammer existieren10, ferner durch Umbauten auch die Räume selbst vollständig verloren gingen11, sind neben den überkommenen Werken in den Wiener Sammlungen nur Schilderungen wie diejenige Kraffts in der Lage, eine Ahnung von deren Fülle und Kostbarkeit zu geben.12 Doch stößt auch sie an enge Grenzen, denn die Aufbewahrung der Bestände - von einer Präsenta­ tion im eigentlichen Sinne kann kaum die Rede sein - erfolgte hinter Leinen­ vorhängen sowie in zahllosen Schüben und Läden, bemalten Schachteln und Futteralen der diversen Schränke, Truhen und Kredenzen, die alles vor Licht und Staub schützten13. Eingeschränkten Quellenwert hat die kurze Passage bei Krafft aber auch insofern, als er - trotz des geschenkten Autographs - Dürer darin mit keinem Wort erwähnt. Dies mochte zum Teil an der hermetischen Aufbewahrung liegen, doch kann man angesichts seines rein literarisch-topi­ schen Lobes, die Werke Sprangers sähen aus, [...] Als wart Alles Nach dem Leben wehre gemahltt wordenu, Krafft auch keinen allzu hohen Kunstsach­ verstand zubilligen. So ist angesichts der archivalisch bezeugten Schätze des Kaisers zu bedauern, dass dem Kaufmann nur Sprangers verlorenes Gemälde mit der kaiserlichen Dogge einer näheren Erwähnung wert schien15. Doch weit deutlichere Konturen als die Sammlung Rudolfs gewinnt durch diese Schilderung Sprangers außerordentlich privilegierte Rolle bei Fiofe; sie war der Höhepunkt einer glänzenden Künstlerkarriere: Der Maler wurde 1546 in Antwerpen geboren, das er jedoch bereits als 19-jähriger Malergeselle über Paris, Lyon, Mailand und Parma in Richtung Rom verließ, wo er von 1566 bis 1575 lebte und arbeitete. Er tat dies unter anderem für Papst Pius V., der den gefeierten Künstler wiederum an den Wiener Hof Kaiser Maximilians II. ver­ mittelte. Von Rudolf dann 1580 nach Prag geholt, erhielt er dort zu Beginn des 10 Dazu grundlegend: Heinrich Zimmermann: Das Inventar der Prager Schatz- und Kunstkam­ mer vom 6. Dezember 1621, Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 25, 1905, S. XV—LXXV; Herbert Haupt und Rotraud Bauer (Hrsg.): Das Kunst­ kammerinventar Kaiser Rudolfs II., 1607-1611 (Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien 72), Wien 1976. 11 Vgl. zur Lage der vier Räume I. Muchka: Podoba Prazskeho hradu v rudolfi'nske dobe z hlediska veduty, UmSni 31, 1983, S. 447-450. 12 Vgl. dazu zuletzt Beket Bukovinskä: Bekannte - unbekannte Kunstkammer Rudolfs II., in: Helmar Schramm, Ludger Schwarte und Jan Lazardzig (Hrsg.): Kunstkammer - Laboratorium - Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert (Theatrum scientiarum 1), Berlin / New York 2003, S. 198-225. 13 Ein lebendiges Bild, das auch die neueren, in tschechischer Sprache publizierten Forschungen verarbeitet, bietet dies., Die Kunstkammer Rudolfs II., in: Rudolf II. und Prag, Ausstellungs­ katalog Prag 1997, hrsg. von Eliska Fucikova, Prag / London / Mailand 1997, S. 199-208. 14 Häßler (wie Anm. 3), S. 389. 15 Dieses könnte - zumindest dem Motiv nach - in einem Täfelchen des Nürnberger Wachsbos­ sierers Wenzel Maler überliefert sein, das den Kaiser fast zwergenhaft klein mit seinem mächti­ gen Lieblingshund zeigt (heute London, Victoria and Albert Museum).

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folgenden Jahres seine Bestallung als Hofmaler. Sein Stil, der mit Hans von Aachen, Joseph Heintz oder Matthäus Gundelach auch andere bedeutende Maler der Prager Hofschule prägte, darf als eine Synthese des nordalpinen Manierismus mit den malerischen Mitteln des römischen und obcritalienischen Frühbarock angesehen werden. Triumphal wurde eine Reise, die er 1602 auf Kosten des Kaisers in seine Heimatstadt Antwerpen unternahm. Kraffts Darstellung gibt einen lebendigen Eindruck vom höfischen Wir­ kungskreis Sprangers und bestätigt zugleich den vollkommen privaten Cha­ rakter der rudolfinischen Kunstkammer, die nach heutigem Verständnis weni­ ger einem Museum als vielmehr dessen Depot glich, womit sie sich grund­ legend von den nicht minder berühmten Schausammlungen im Münchner Antiquarium der bayerischen Herzoge, im Kassel des gelehrten Landgrafen Moritz von Hessen oder auf Schloss Ambras bei Rudolfs Onkel Erzherzog Ferdinand unterschied. Wenn Krafft auch ersichtlich jeder Kunstverstand er­ mangelte und Spranger ihm offenbar auch nichts aus der Fülle der DürerSchätze Rudolfs zeigte, so spiegelt diese Schilderung Kraffts die ungewöhn­ liche Situation wider, dass der Kaiser offenbar täglich am Fortgang der Arbei­ ten Sprangers Anteil und sogar direkten Einfluss auf ihre Gestaltung nahm. Indessen stammt - entgegen ersten Vermutungen - das Wolfenbütteler Auto­ graph nicht aus den Dürer-Beständen des Kaisers, und Kraffts verbotener Be­ such in der Kunstkammer war auch nicht die Gelegenheit, bei der Spranger sei­ nen Dienstherrn etwa hintergangen hätte. Der wahre Sachverhalt scheint je­ doch mindestens ebenso bemerkenswert16: Der leicht zu entziffernde Inhalt weist das Autograph dem Themenkreis von Dürers Lehrbuch „Unterweisung der Messung“ zu17, jedoch nicht der Erstausgabe von 1525, sondern jener über­ arbeiteten Fassung, die Dürer zwar noch selbst ins Reine geschrieben hatte, deren Erscheinen er jedoch nicht mehr erleben sollte. Hieronymus Andreae besorgte zehn Jahre nach dem Tod des Malers am 6. April 1528 auf Betreiben von Dürers Witwe Agnes den Neudruck erst 1538'8. So konnte das Autograph nur einem von Rupprich folgerichtig deduzierten verschollenen Dürerschen

16 Vgl. Verf. (wie Anm. 1), S. 272 f. 17 Vgl. den Wortlaut bei Verf. (wie Anm. 1), S. 270; hier Abb. 1. Die Ergänzung betrifft das sog. „Delische Problem“: die Verdoppelung eines Würfels nach seinem Rauminhalt, eine Aufgabe, die seit der Antike als ein Äquivalent zur bekannteren „Quadratur des Kreises“ überliefert ist. Er wählte dabei den auf Vorüberlegungen Euklids basierenden Weg einer geometrischen Nähe­ rungslösung; vgl. Walter Breidenbach: Das Delische Problem (Die Verdoppelung des Würfels), 3. Aufl. Stuttgart 1953; vgl. zuletzt Schoch 274 (Peter Schreiber). 18 Andreaes Werkstatt hatte sich 1517/18 bereits bei der Zurichtung der Druckstöcke für die Ehrenpforte Kaiser Maximilians I. und bei deren Druck bewährt, vgl. dazu: Verf.: Die Ehren­ pforte für Kaiser Maximilian I., München / Berlin 2001, S. 110 f.

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Handexemplar der „Unterweisung“ mit eigenhändigen Korrekturen des Künstlers entstammen19. Doch ist dieses Handexemplar keineswegs verloren, sondern zählte seit 1839 lange vollkommen unbeachtet zu den Zimelien der Bayerischen Staatsbibliothek in München20. Obgleich es dort 1983 schon ein-

Abb. 2:

Titelblatt zu Albrecht Dürer: „Vnderweysung der messung mit dem zirckel vnd richtscheyt“, Nürnberg 1525, München, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. 4° L. impr. c. n. mss. 119, mit Besitzeinträgen von verschiedener Hand.

19 Hans Rupprich (Hrsg.): Dürer. Schriftlicher Nachlass. Bd. 1: Autobiographische Schriften, Briefwechsel, Dichtungen. Beischriften, Notizen und Gutachten. Zeugnisse zum persönlichen Leben, Berlin 1956, S. 311. 20 Signatur Bayerische Staatsbibliothek 4° L. impr. c. n. mss. 119. Vgl. Matthias Mende: Mit Zir­ kel und Richtscheit. Ausstellungskatalog Dürer-Haus Nürnberg 1986, Nördlingen 1986, S. 6; zuletzt die erste ausführliche Wertung von mathematikhistorischer Seite: Schoch 274 (Peter Schreiber).

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mal entdeckt und im Zuge der Restaurierung und Neubindung in einer Aus­ stellung im Nürnberger Dürerhaus in Einzelblättern ausgestellt, zudem in einem kleinen, inzwischen äußerst raren Katalog von Matthias Mende bespro­ chen wurde21, war der Band der Forschung zwischenzeitlich wieder weitge­ hend entglitten. Dürers „Vnderweysung der Messung mit dem Zirckel vnd richtscheyt“ von 1525 ist das erste seiner drei Lehrbücher, zugleich der großartige Auftakt zu dem Versuch, die Kunst der Malerei in den Rang einer objektiv lehrbaren Wis­ senschaft zu erheben, eine Hoffnung, die sich in Deutschland bekanntlich erst mit der Gründung der Nürnberger Akademie durch Nützel bzw. Sandrart zu erfüllen begann, wobei letzterer ausdrücklich an die Bestrebungen Dürers an­ knüpfte22. Zugleich tat der Maler Dürer damit einen Schritt in die Sphäre des Gelehrten- und Literatentums und war - wie hervorzuheben ist - mit seinen drei Büchern als wissenschaftlicher Autor produktiver und einflussreicher als so mancher seiner humanistischen Freunde.23 Wie intensiv seine theoretische Auseinandersetzung mit den Themen Geometrie, Algebra und Perspektivik dabei war, ist nicht zuletzt an der Tatsache zu ermessen, dass er gegen Ende sei­ nes Lebens selbstkritisch diese korrigierte Neuausgabc der „Unterweisung“ für erforderlich hielt. So stehen auf dem Titelblatt zuoberst von Dürers eigener Hand unmissverständliche editorische Weisungen für die Nachwelt (Abb. 2). Sie signalisieren zugleich, dass der Autor offenbar nicht mehr damit rechnete, selbst noch allzugroßen Einfluss auf den Druck nehmen zu können und schei­ nen gegen Ende seines Lebens verfasst worden zu sein: Dis puch hab Jch recht Corigirt Vnd ob man das Von Newen wider trucken wolt so hab der Corector fleisig achtung das man die form alt vnd new recht setz[,] des gleichen die schrift überall recht einteill Unter diese Korrekturen und Einfügungen für die verbesserte Neuauflage war das Autograph Dürers im Rückdeckcl der Wolfenbütteier Bibel (Abb. 1) seinem Wortlaut nach ohne weiteres zu zählen. Nicht zuletzt enthält der aus­ ladende neue Titel der „Unterweisung“ auch den ausdrücklichen Zusatz, es sei 21 Vgl. Mende (wie Anm. 20); für die kollegiale Überlassung eines Exemplars sei dem Verfasser an dieser Stelle herzlich gedankt. 22 Die 1662 gegründete Nürnberger Akademie wurde durch den Maler und Kunstschriftsteller Joachim von Sandrart 1695 zu einer öffentlichen Einrichtung umgewidmet. 23 Am Rande sei erwähnt, dass erst durch die neuesten Bemühungen des Greifswalder Mathema­ tikhistorikers Peter Schreiber demnächst die erste Gesamtwürdigung des Buches vor dem Hin­ tergrund des damaligen Standes von Geometrie und Algebraik möglich sein wird; sie wird aller Voraussicht nach Dürer als den genialen mathematischen Autodidakten offenbaren, als den man ihn schon immer in Verdacht hatte.

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das Buch durch Dürer selbst [...] (als er noch auff erden war) an vil orten ge­ bessert / in sonderheyt mit .xxij. figuren gemert / die selbigen auch mit eygner handt auffgerissen. Eine dieser „Figuren“, die einen Lösungsschritt für das sogenannte „Delische Problem“ veranschaulicht, ist das Wolfenbütteler Frag­ ment. Hftahra.k.».mDte»ncW7 i^ o /h

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Abb. 4:

Albrecht Dürer: Skizze zum Zeichner der Kanne, Feder auf Papier, München, Baye­ rische Staatsbibliothek, Sign. 4° L. impr. c. n. mss. 119 (angebunden).

Die beiden Skizzen sind erste flüchtige Bildnotate Dürers zu den jeweiligen Gegenständen der geplanten Holzschnitt-Illustrationen; wenngleich das Dar­ gestellte ohne weiteres auszumachen ist, beschränken sich die zeichnerischen Angaben fast ausschließlich auf den Kontur, während Binnenzeichnung und andere graphische Andeutungen von Bildraum und Körperhaftigkeit noch fast völlig fehlen.42

41 Mende (wie Anm. 20), Abb. 7. 42 Dies gilt auch für die Vorzeichnung für den „Zeichner der Laute“, vgl. Albrecht Dürer. Kriti­ scher Katalog der Zeichnungen (Die Zeichnungen alter Meister im Berliner Kupferstichkabi­ nett). Bearbeitet von Fedja Anzelewsky und Hans Mielke, Berlin 1984, Nr. 119A.

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Durch das erstmals bei Mende publizierte Blatt zum „Zeichner der Kanne“ (Abb. 4)43 vollendet sich eine Reihe von vier Vorzeichnungen zu einem einzel­ nen Holzschnitt, wie sie in solcher Dichte - und möglichweise sogar vollstän­ dig - für kein anderes druckgraphisches Werk Dürers dokumentiert ist44. So ist nun der Weg vom ersten fixierten Bildgedanken in München über die drei wie­ derum dem „Dresdner Skizzenbuch“ entstammenden Zeichnungen bis hin zur 1538 geschnittenen Buchillustration (Abb. 5) mit einzigartiger Klarheit nach­ zuvollziehen, und nicht weniger als vier Mal liegt hier das nämliche Motiv von der Hand ein und desselben Künstlers vor. Dabei ist allerdings einschränkend festzustellen, dass Dürers Vorzeichnung in der geschnittenen Buchillustration nur einen indirekten Niederschlag fand, denn es ist wenig wahrscheinlich, dass er der Leserichtung des späteren Holzschnitts nicht schon mit der ersten Skizze Rechnung getragen hätte. So war es mit aller Wahrscheinlichkeit der kunstfertige Hieronymus Andreae, der sich - vielleicht um beiden Darstellun­ gen auf derselben Buchseite vereinheitlichend die gleiche Leserichtung zu ge­ ben - der Mühe unterzog, nach der am weitesten fortgeschrittenen Zeichnung (Abb. 6, unten) Dürers Darstellung im Gegensinn auf den Stock zu reißen.45 Doch ist dessenungeachtet genau zu verfolgen, wie sich der flüchtig hingewor­ fene, bärtige Zeichner vor der Vase und seinem Glastafelapparat stufenweise konkretisiert: Herrschen auf dem Münchner Entwurf (Abb. 4) noch Unklar­ heit über das Größenverhältnis zwischen dem Zeichner und der Vase, sowie über deren Form, so sind diese Fragen im ersten Dresdner Entwurf (Abb. 6, oben) bereits gültig geklärt. Wenn auch hier noch einige Umwege bezüglich der Körperhaltung beschritten werden, so klären sich auf W. 937 immer deut­ licher die verschiedenen, zueinander komplementären Verrichtungen des Zeichnenden, die Vase, aber auch der niedrige, unbestimmte Bildraum, der zwischenzeitlich um einen Betthimmel angereichert wurde, welcher letztend­ lich wieder Tisch und offener Bettstatt weichen sollte. Die bislang unpublizierte Zeichnung zum „Zeichner des weiblichen Modells“ (Abb. 7yh hat vor allem ein praktischeres Perspektiv-Verfahren als das des Glastafelapparates zum Gegenstand: Dürer hebt in leicht verständ­ lichen Worten die flexible Anordnung des Visierstabes (absehen), des Gitter43 Schoch 274.215. Vgl. dazu die Vorzeichnungen in der wie folgt vorgeschlagenen Reihenfolge: 1. München-BSB (Abb. 3) -2. Dresden (W. 936, Abb. 6) -3. Dresden (W. 937, oben) und 4. Dres­ den (W. 937, unten; beide Abb. 5). 44 Dies gilt sogar für die Aktzeichnungen zur „Proportionslehre“ von 1528, da die Zuordnung der Zeichnungen zu den späteren Buchholzschnitten hier nicht mit solcher Eindeutigkeit vorzu­ nehmen ist. 45 Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Dürer selbst seinen Zeichner nach rechts gewandt wis­ sen wollte. 46 Schoch 274.216.

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Abb. 5:

Hieronymus Andreae (?) nach Albrecht Dürer: Der Zeichner der Kanne und Der Zeich­ ner des liegenden Weibes, Illustrationsholzschnitte aus: ders., Vnderweysung der Mes­ sung (...), Nürnberg 1538, hier nach Expl. der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. Nb 4° Sammelbd. 1 (2), n. p.

rahmens und des Bildmotivs hervor, die zueinander in nahezu jeder beliebigen Schrägstellung und Entfernung positioniert werden können: Jtem noch ein andren brauch zu conterfetten / dardurch man einjtlichs corpus mag grösser oder kleiner abkonterfeten wie vil man wil / des hal­ ben nützlicher dan mit dem glas dorum das es freier ist / Darczu sali man

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Abb. 6:

Dürer und Sprangen Ein Autographenfund

Albrecht Dürer: 2 Skizzen zum Zeichner der Kanne (W. 937), Feder auf Papier, Seiten­ maße 187 x 204 mm, Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Sign. Mscr. Dresd. R. 147, fol. 178r.

haben ein ram mit einem gitter van starkem schwarczen zwirn gemacht / die lucken oder fierungen eine vngeferlichen zweier finger finger breit / Dörnach sali man haben ein absehen oben zugespitzt / also gemacht, das man es höher oder nidrer richten mag / das bedeut das aüg mit dem .o. nagst daran / vnd besieh das corpus wie es dir gefal / vnd ob es recht nach deinem willen lig / darnach stel das geter odr ram zwischen dem corpus vnd deinem absehen / also wiltu wenig lucken oder fierungen be­ griffen so ruck es destmehr zu dem corpus / darnach besieh wiefiel das corpus Jm gitter lucken begreif nach leng vnd breiten Darnach wird ein gitter gros oder klein f [am Rand eingefügt: f auf ein bapir oder thafet] dorin du conterfetten willt / vnd sich hin vber dein aug .o. des spitz am absehen auf das corpus / wastu Jn Jder fierung des gitters

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