Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [34]

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Mitteilungen des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Herausgegeben mit Unterstützung des Oberbürgermeisters der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg im Auftrag des Vereins Dr. Wilhelm Kraft.

Vierunddreißigster Band.

NÜRNBERG J. L. SCHRÄG VERLAG 1937.

Druck von J. L. Stich in Nürnberg

III

Inhaltsverzeichnis. Kapitel XI. Nürnberg auf dem Reichstag zu Speyer 1^26. S. 1 — 37. Die Lage vor dem Reichstag.................................... 3— 6 Die Vertreter des Kaisers und die Vorlage . . . 7— 8 Die Verhandlungen der Kurfürsten und Fürsten . 9—11 Die Verhandlungen der Reichsstädte . . . . 12—18 Evangelische Predigt in Speyer....................................19 — 20 Fühlungnahme und Beziehungen zwischen Fürsten und Städten. Sitz und Stimme der Städte . . 20 — 23 Die Ausschußverhandlungen über die kirchlichen Mißstände....................................................................... 24 — 27 Verzicht des Reichstags auf die Lösung der Glau­ bensfrage .............................,.................................... 27 — 33 Sicherung des Friedens. Bündnisfrage. Der Abschied........................................... ....... 33 — 37 Kapitel XII. Im Kampf um die Erhaltung der Reformation. S. 38 — 68. Schwierigkeiten durch den Bischof von Bamberg und den von Würzburg wie den Schwäbischen Bund...............................................................................39 — 44 Im Kampf mit den Klöstern....................................44 — 47 Eingriff des Markgrafen........................................... 47 Der Kampf gegen die Schweizer............................ 48 — 49 Irrungen in der Abendmahlsfrage............................ 49 — 5i Die Täuferbewegung.........................................................51—65 Der Propst von Waldkirch...........................................65 — 68 Kapitel XIII. Die K i r c h e n v i s i t a t i o n 1528 — 29. S. 69 — 107. Vorbereitungen................................................................ 69 — 72 Die Beschwerde des Bischofs und deren Abwehr . 73 — 76 Eingriff des Königs Ferdinand....................................76—77 Widerstände bei Pfarrern und Lehensherren . . 77 — 78^ Der Verlauf der Visitation...........................................79 — 81 Aufstellung von Superattendenten............................ 81 Zwei Niederschriften aus dem Nürnberger Land­ gebiet .............................................................................. 81 — 85 Sonderbericht über die Visitation vom Landgebiet 85 — 93 Der Pfarrer von Pechthal.............................T 93 — 95 Die Visitation im Stadtgebiet....................................95 — 99 Der Einspruch der beiden Bischöfe und die Klagen gegen den Markgrafen und Nürnberg .... 99—107. Kapitel XIV. Die Brandenburg-Nürnbergische Kirchenordnung. S. 108 — 140. Die Vorarbeiten und Entwürfe....................................108—110 Hemmungen durch den Augsburger Reichstags­ abschied .............................................................................. 110—III Mitarbeit durch Johann Brenz .... 112—113

IV Die Bannfrage und die Kirchenzucht . . 114—118 Die Neugestaltung der „Messe“............................. 118—119 Der Abschluß und die Einführung der Kirchen­ ordnung ...............................................................................119—128 Die Aufsicht über die Handhabung der Kirchen­ ordnung .............................................................................. 128—129 Der Nürnberger Katechismus............................ ....... 129—130 Die neue Beicht- und Abendmahlsordnung in Nürnberg........................................................................130—137 Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche . . . 137 — 140 Kapitel XV. Nürnberg auf dem Reichstag zu Speyer 1529. S. 141—185. Die Erstarkung des Widerstandes gegen die Refor­ mation bei den katholischen Ständen .... 141 — 143 Die Vorlage des Königs Ferdinand............................ 144—145 Die Gutachten der Nürnberger Juristen und Theo­ logen über die Vorlage ........................................... 146—148 Der Ausschuß und seine Verhandlungen . . . 148—149 Spaltungsversuche der Römischen zwischen den zwinglischen und lutherischen Städten vergeblich 149—151 Heiße Kämpfe um das Ausschußgutachten . . . 152—155 Die Annahme desselben durch die Mehrheit; die erste Ankündigung der Protestation durch die Evangelischen................................................................ ISS — LS8 Der Entwurf zur Protestation. Der Markgraf wird ängstlich. Nürnberg nur noch fester. Die Prote­ station .............................................................................. 159—164 Letzter Versuch zu einer Verständigung. Die Pro­ testation wird in die rechtliche Form gebracht. Gesandtschaft an den Kaiser beschlossen. Die Bedeutung der Protestation....................................165—170 Die Gesandtschaft an den Kaiser zur Ueberreichung der Protestation . .................................................. 172—185 Kapitel XVI. Nürnberg und die Bündnis­ frage. S. 186 — 210. Der Verteidigungsbund von Speyer............................ 186—188 Der Tag von Rotach und die weiteren Verhand­ lungen .............................................................................. 188—193 Das Religionsgespräch zu Marburg............................ 193 — 196 Der Schwabacher Konvent...........................................19b—198 Der Tag von Schmalkalden . . . . . . . 199 — 210 f Kapitel XVII. Nürnberg auf dem Reichs­ tag zu Augsburg 1530. S. 211 — 267. Die freundliche Einladung des Kaisers und deren Kehrseite....................................................................... 211—214 Gerüchte über Nürnberg und Mißtrauen gegen das­ selbe bei den evangelischen Ständen. Luthers Aufnahme in Nürnberg abgelehnt .... 215 — 218 Sorgenstimmung in Nürnberg. Vorbereitung zur Verteidigung des Glaubensstandpunkts. Die Schutzschrift Melanchthons. Nürnbergs An­ schluß an dieselbe , , , , . . . . . 219 — 228

V Verlesung und Uebergabe des Bekenntnisses . . 229 — 231 Die katholische Mehrheit der Stände. Die Wider­ legung des evangelischen Bekenntnisses. Die Confutation und ihre Verlesung.............................231—235 Versuche der Römischen zur Spaltung der Evan­ gelischen. Feste Haltung derselben...........................236 — 240 Vergleichsverhandlungen. Melanchthons Nach­ giebigkeit ........................................................................241—242 Eingreifen der Nürnberger Gesandten und des Rates. Spenglers Gutachten. Zustimmung des Kurfürsten und Markgrafen. Luthers Urteil. Die Erklärung der evangelischen Fürsten und Städte. Nürnbergs Vorschlag gegenseitiger Dul­ dung. Baumgartners Eingreifen bei Luther. Ab­ bruch der Verhandlungen durch die Verlesung 242 — 250 des Abschieds................................................................ Die Nachschrift der Confutation. Osianders Gut­ achten zu derselben. Melanchthon verfaßt seine Apologie. Ablehnung des kaiserlichen Abschieds durch die Evangelischen........................................... 251 —255 Der drohenden Haltung des Kaisers gegenüber bewahren die Nürnberger Gesandten und ihr Rat vorbildliche Festigkeit. Neue Friedensverhand­ lungen durch Markgraf Ernst von Baden und Georg Truchseß scheitern am Widerstand des Reichsrates und des Kaisers. Fortgesetztes Ränkespiel zur Annahme des Abschieds durch die Evangelischen, denen diese mit Festigkeit begegnen. In der Frage der Türkenhilfe will der größere Teil nachgeben, da es sich um ein christliches Werk handle...........................................256 — 261 Der Abschluß des Reichstags am 19. November und der Abschied. Schlußbemerkungen . . . 262 — 266 Kapitel XVIII. Nürnberg und der Schmalkaldische Bund. S. 267 — 292. Prozesse des Kammergerichts....................................267 — 268 Die römische Königsfrage und der Tag von Schmalkalden................................................. 268 — 271 Die Bündnisfrage.................................................271—278 Der Schmalkaldische Abschied. Gutachten . . 278 — 284 Ablehnung des Bündnisses durch Nürnberg und den Markgrafen..........................................284 — 287 Apellation vom Augsb. Abschied an ein Konzil 287 — 288 Erörterung über die Frage der Gegenwehr . . . 288 — 289 Butzers Ausgleich und dessen Folgen .... 289 — 290 Die Bundesversammlung in Frankfurt a. M. . . 290 — 292 K a p i t i 1 XIX. Nürnberg und der erste Religionsfriede. S. 293 — 345Der Plan eines friedlichen Abkommens mit den Evangelischen...................................................................... 293 — 296 Die Verhandlungen in Schweinfurt..................................296 — 297 Verständigung Nürnbergs mit dem Markgrafen und Sachsen...................................................................... 297 — 299

Die Friedensbedingungen des Kaisers.... 299 —301 Erläuterung und Beratung derselben imAusschuß 301 — 307 Der Standpunkt der Evangelischen......................... 307 — 310 Der Standpunkt der Unterhändler.........................310 — 312 Neue Bedingungen und Schwierigkeiten unter den Evangelischen.............................................................312 — 316 Die Antwort der Evangelischen................................ 317 — 318 Verständigung in wichtigen Punkten; aber immer noch Streitpunkte..................................................... 318 — 323 Verlegung der Verhandlungen nachNürnberg . . 324 —325 Beratung der beiderseitigen Vorschläge in Ansbach und Nürnberg.............................................................325 — 326 Luthers und Bugenhagens Gutachten.... 326 —327 Die Nürnberger Verhandlungen................................ 327 — 337 Die Evangelischen schlagen einen „beständigen Landfrieden“ vor..................................................... 327 — 328 Nürnbergs und des Markgrafen Einlenkung in der Frage der Türkenhilfe.............................................. 329 — 33i Entscheidung des Kaisers für einen „einfachen Stillstand“................................................................ 332 — 335 Der Abschluß desselben.............................................. 33b — 337 Die Friedenserklärung und der Regensburger Abschied................................................................. 337 — 338 Würdigung des „Friedens“....................................... 338 — 345 a p i t e 1 XX. Nürnberg auf dem Tag zu Schmalkalden 1537. S. 346 — 394. Verhandlungen über ein Konzil durch den Papst Die Ratschläge der Nürnberger Gelehrten . Die zweite päpstliche Botschaft.................................... Nürnbergs Vertretung und Instruktion . . . . Verständigung unter den Gesandten . . . . Römische Pläne................................................................ Zusammentritt der Theologen. Melanchthons Traktat.................................................. Vizekanzler Dr. Held tritt auf.................................... Die Antwort an den Vizekanzler............................ Erwiderung Dr. Heids.................................................. Nuntius Peter van der Vorst.................................... Letzte Erwiderungen an Dr. Held............................ Nachtrag über Dr. Held.................................................. Die Schmalkaldischen Artikel.................................... Der Abschied von Schmalkalden............................ Die Bedeutung des Tags von Schmalkalden Anmerkungen ................................................................

346 — 347 347 —356 356 356 — 357 358 — 358 359 — 36o 360 —36 t 362 — 367 367 —373 374 374 — 375 375 — 383 384 — 385 385 — 387

387 — 390 390 —39i 395 — 402

Die

Reformation in Nürnberg 2.

Band

Von

Adolf Engelhardt.

Kapitel XI. Nürnberg auf dem Reichstag zu Speyer 1526.

Mit großer Entschiedenheit, wenn auch ohne jede Ueberstürzung, hatte man in Nürnberg die kirchliche Refor­ mation bisher durchgeführt. Vom Bischof und erst recht vom Papsttum hatte man sich frei gemacht. Unbeschränkt hatte der Rat das Kirchenregiment in der Hand. Mit großer Umsicht war er darauf bedacht, mit Hilfe beider Pröpste und der bewährten Prediger das Kirchenwesen im evan­ gelischen Sinn noch weiter auszubauen. Im Innern war das Reformationswerk gesichert. Die Frage war nur die, ob der Bestand desselben auch nach außen gesichert war. Dachte man dabei ans Reich und an den Kaiser, so schienen die Verhältnisse wenig günstig zu liegen. In den Augen des letzteren bestand das Wormser Edikt noch durchaus zu Recht. Das zu betonen und geltend zu ma­ chen, benützte er jede Gelegenheit. Seinen gefährlichsten politischen Gegner, den König von Frankreich, hatte er mit Hilfe deutscher Streitkräfte bei Pavia geschlagen und ge­ fangen genommen. Damit war ihm die Möglichkeit ge­ geben, nun mit aller Kraft den Kampf gegen „die lutherische Ketzerei“ aufzunehmen. Auch die römisch gesinnten Reichs­ stände waren bereit, ihn darin zu unterstützen. Sofort nach der Niederschlagung des Bauernaufstandes in Thüringen hatte Herzog Georg von Sachsen einen Bund der katholi­ schen Fürsten zur Ausrottung der angeblichen Wurzel die­ ses Aufruhrs, der „verdammten lutherischen Sekte“, an­ geregt. So entstand im Juli 1525 der Bund von Dessau. Auch der Schwäbische Bund und die Domkapitel der Main-

4 zer Erzdiözese vereinigten sich im November 1525 zur Un­ terdrückung des Luthertums. Der noch im Herbst zu Augsburg zusammengetretene Reichstag sollte nach dem Willen des Kaisers und seines Bruders Ferdinand die Entscheidung der kirchlichen Frage im Sinne beider herbeiführen. Da aber keine der beiden Parteien für den Entscheidungskampf gerüstet und darum der größte Teil der Reichsstände in Augsburg nicht erschie­ nen war, mußte dieser Reichstag auf den Mai 1526 vertagt werden, um dann in Speyer zusammenzutreten. Bis aber letzteres zur Tatsache wurde, hatte sich die politische Lage wieder völlig verschoben. Im Frieden von Madrid vom 14 Januar 1526 hatte der siegreiche Kaiser dem König von Frankreich schwere Bedingungen auferlegt, die dieser zwar beschwor, aber nicht hielt, weil Papst Clemens VII. ihn alsbald von seinem Eid entband und mit dem König und den Feinden des Kaisers in Italien die Liga von Cognac gegen den Kaiser schloß. Dazu kam, daß jetzt auch die Türken in Ungarn einbrachen, deren Angriff nicht nur dem Schwager des Kaisers, dem König von Ungarn, das Leben kostete, sondern zugleich das Reich schwer bedrohte. So kam der Kaiser jetzt in eine schwierige Lage, da er nunmehr auf die Hilfe der evangelischen Stände angewiesen war, die er mit Waffengewalt zu bekämpfen gedacht hatte. Trotz­ dem wurde die feindselige Haltung des Kaisers gegen die Evangelischen nicht erschüttert. Im Gegenteil: je gespann­ ter sich sein Verhältnis zum Papst gestaltete, der sich immer deutlicher als die treibende Kraft gegen den Kaiser erwies, desto geflissentlicher legte dieser seine römische Gesinnung an den Tag. So forderte er an dem gleichen Tag, an welchem er seinem Gesandten zu Rom befahl, den äußersten Druck auf den Papst auszuüben, um diesen wie­ der auf des Kaisers Seite zu bringen, seinen Biuder Fer­ dinand nocheinmal dringend auf, dafür zu sorgen, daß der bevorstehende Reichstag zu Speyer sich unter keinen Um­ ständen mit der Glaubensfrage befasse, da die Ordnung der­ selben allein dem Papst zu überlassen sei!

'5 Diese \ orgänge, welche den Evangelischen nicht ver­ borgen blieben, nötigten diese, nun auch ihre Kräfte zu sam­ meln und sich zu rüsten, um im Augenblick der Entschei­ dung auch ihr Gewicht in die Waagschale legen zu können. Kurfürst Johann von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen schlossen Ende Februar 1526 den Bund von Gotha, wobei sie sich gelobten, einander mit ihrer ganzen Macht beizustehen, um sich und die Ihrigen bei dem Wort Got­ tes zu erhalten. Sie hatten auch Nürnberg dazu eingeladen. In seiner Antwort betonte zwar der Rat, daß er bei dem Wort Gottes bleiben wolle, aber dasselbe mit Waffen­ gewalt schützen zu sollen, sei ihm beschwerlich. Man tue besser, auf dem Reichstag darüber zu handeln und sich zur Ausrottung der Mißbräuche zu vereinigen, die im Wider­ spruch zum Wort Gottes stünden. Das Recht dazu müsse man für alle Obrigkeiten durchsetzen. Als Reichsstadt müßten sie ihr Aufsehen auf den Kaiser haben 1). Der durch Sachsen und Hessen am 27. Februar ge­ schlossene Bund erweiterte sich im Juni 1526 durch den Anschluß der Herzoge Ernst und Franz von BraunschweigLüneburg, Philipp von Braunschweig-Grubenhagen, Hein­ rich von Mecklenburg, des Fürsten Wolfgang von Anhalt und des Grafen Albrecht von Mansfeld, zu denen noch die mit ihrem Erzbischof im Kampf liegende Reichsstadt Magdeburg kam, während die anderen Reichsstädte sich zu­ nächst noch zurückhielten. Wohl waren die Machtmittel, welche sich hier ver­ einigten, nicht sehr bedeutend, aber es war doch eine Kampf­ gruppe geschaffen, welche auf dem Reichstag geschlossen auftreten konnte, und deren Glieder aneinander die Sicher­ heit des Auftretens gewannen, welche in Zeiten wichtiger Entscheidungen die beste Aussicht auf Erfolg bietet, wie das auch in Speyer in der Tat offenbar wurde. Hielten sich auch die Reichsstädte von dem förmlichen Bund zunächst zurück, so hatten sie doch bereits auf dem Städtetag zu Speyer im September 1525 beschlossen, durch eine Gesandt­ schaft an den kaiserlichen Statthalter zu fordern, daß ent­ gegen dem Verbot des Kaisers gestattet werde, auf dem

6 Reichstag über die Glaubensfrage zu verhandeln und eine einhellige Ordnung in den kirchlichen Gebräuchen aufgrund des göttlichen Wortes aufzurichten. Indem sie hievon dem Kurfürsten und Landgrafen Mitteilung machten, wurde wenigstens ein gewisser Anschluß an die beiden fürstlichen Vorkämpfer hergestellt 2). Wohl glaubte Spengler, und mit ihm auch andere, im­ mer noch, der Kaiser werde nach entsprechender Auf­ klärung seine Gesinnung gegen die Evangelischen ändern; sobald er selbst nach Deutschland komme, werde er erken­ nen, daß Vieles sich anders verhalte, als ihm die ,,Spitzhüte“ (= Bischöfe) vorstellten3). Wer aber tiefer sah, mußte damit rechnen, daß die Evangelischen auf diesem Reichstag einen schweren Stand haben würden. So schrieb der Nürn­ berger Rat an den Bürgermeister Besserer zu Ulm: „Der Fürst dieser Welt wird in Speyer ebenfalls seine Botschaft haben und seinen Kram aufschlagen. Möchten darum die versammelten Städtebotschaften sich in des Evangeliums Sachen also halten, daß auch die Widersacher spüren müß­ ten, daß jene Christen seien und Gott was Gott zugehört, und dem Kaiser was dem Kaiser zugehöit, geben wollen“! 4) Obwohl das Reichsregiment am i. Februar den Reichs­ tag aufs neue zum i. Mai ausgeschrieben hatte, glaubte man bei den Ständen nicht mit dem rechtzeitigen Beginn des­ selben rechnen zu dürfen. Der kaiserliche Statthalter, der am 18. Mai in Speyer eintraf, fand nur wenige Botschaften vor. Erst aih 25. Juni konnte der Reichstag eröffnet wer­ den. Nicht nur die evangelischen Fürsten, auch die katho­ lischen ließen auf sich warten. Die Herzoge von Bayern blieben überhaupt weg, obwohl Herzog Wilhelm als kaiser­ licher Kommissar hätte anwesend sein müssen. Kurfürst Joachim von Brandenburg blieb ebenfalls aus. Der Gesandte Nürnbergs Bernhard Baumgartner wurde am 26. Mai nach Speyer abgeordnet5). Für Samstag, den 27. Mai, ordnete der Rat ein allgemeines Kirchengebet um einen guten Erfolg für die Verhandlungen des Reichstage an 6).

7 Zur Ueberwachung der Verhandlungen hatte der Kai­ ser sechs Kommissäre ernannt: den Statthalter ErzherzogFerdinand, den Markgrafen Philipp von Baden, den Bischof Bernhard von Trient, Herzog Wilhelm von* Bayern, den Markgrafen Casimir und Herzog Erich von Calenberg. Die kaiserliche Vorlage stellte dem Reichstag die Aufgabe, zu beraten und zu beschließen: ,,auf welchem Wege der christ­ liche Glaube und die wohl hergebrachten christlichen Ge­ bräuche und Einrichtungen der allgemeinen Kirche bis zu einem freien, christlichen Konzil von allen Reichsgliedern einhellig gehandhabt, die Widersetzlichen gestraft und im Notfall unter Anwendung von Gewalt zum Gehorsam ge­ bracht würden, damit dergestalt das kaiserliche Edikt von Worms und die Beschlüsse, welche die Stände in dieser Materie fassen würden, zur Anerkennung und Ausführung gelangen könnten“ 7). Ein Auftrag fehlte in dieser Vorlage, welcher in der für Augsburg enthalten war, nämlich daß die Abstellung der Beschwerden der deutschen Nation gegen den römi­ schen Stuhl und die Geistlichen gefordert werden sollte. Der Kaiser wollte jetzt den Papst und die geistlichen Fürsten nicht durch diese Forderung verstimmen. Ja, es war der Wille des Kaisers, und erst recht der Bischöfe, daß das alte kirchliche System erhalten bleibe und, wo es ganz oder teil­ weise abgetan war, wiederhergestellt werde! Um allen wei­ teren Reformbestrebungen der Stände vorzubeugen, hatte der Kaiser seinem Bruder noch eine zweite, vorerst geheim zu haltende Instruktion erteilt, in der er ihn anwies, bis zur Ankunft des Kaisers im Reich oder bis zu einem Konzil nichts vornehmen zu lassen, ,,was dem christlichen Glauben oder der Kirche in ihrem Herkommen und alten Einrichtun­ gen irgendwie zuwiderlaufe, oder Abbruch tue“. Man habe vielmehr dem Wormser Edikt gemäß zu leben! Damit schien dem Reichstag jede Möglichkeit genommen zu sein, in der Glaubensfrage überhaupt etwas zu unternehmen! Und doch sollte es anders gehen, als der Kaiser wollte! Merkwürdigerweise war es ein katholischer Fürst, und noch dazu ein kaiserlicher Kommissär, welcher den Anstoß dazu

8 gab: Markgraf Gasimir! Wir erinnern uns, daß auf dem Reichstag 1524 beschlossen worden war, auf einer Natio­ nalversammlung in Speyer die „neue Lehre aufgrund von beiderseits zu verfassenden Ratschlägen zu prüfen und fest­ zustellen, wie es bis zu einem Konzil mit der christlichen Lehre zu halten sei“. Nun schlug der Markgraf in einer von ihm eingebrachten Denkschrift vor, der kaiserlichen Vorlage entsprechend die Glaubensfrage an erster Stelle zu behandeln, aber so, daß man die Ratschläge von 1524 wie­ der vornehme und aufgrund derselben die streitigen Lehren prüfe. Dabei werde man am besten Mittel und Wege fin­ den, wie nach dem Willen des Kaisers der christliche Glaube und gute Ordnung bis zu einem Konzil gehandhabt und Friede und Einigkeit im Reich erhalten werde. Weiter aber suchte diese Denkschrift auch die in der Vorlage zu­ rück gestellten Beschwerden der deutschen Nation gegen Rom und die Geislliehen wieder auf die Bahn zu bringen s). Der Markgraf wird sich wohl bewußt gewesen sein, daß er sich mit diesem Vorschlag in direkten Widerspruch mit dem Willen des Kaisers setzte, wiewohl er sich dabei auf die Vorlage des Kaisers berief. Aber er hatte gewiß Recht, wenn er glaubte, daß Friede und Ruhe im Reich un­ möglich herzustellen sei ohne gründliche Reformen in der Kirche. Gewiß dachte er dabei weniger an eine Refor­ mation nach dem Maßstab der heiligen Schrift, wie Luther und die evangelischen Stände sich dieselbe dachten, sondern nur an eine solche, wie sie in Worms 1521 und in Nürn­ berg 1523 in den Beschwerden der deutschen Nation ge­ fordert worden war. Doch war schon viel erreicht, als der Vorschlag des Markgrafen von der Mehrheit der Stände angenommen wurde! Die Verhandlungen begannen am 26. Juni. Sie geschahen in der altherkömmlichen Weise so, daß die Gruppe der Kurfürsten, die der Fürsten und die der Reichsstädte für sich berieten und abstimmten. Man hielt sich an die Reihen­ folge der Vorlage und nahm zuerst die Glaubensfrage in Angriff. War hier vorgeschrieben zu beraten und zu be­ schließen, wie der christliche Glaube und die guten Christ-

9 liehen Bräuche und Einrichtungen zu erhalten seien, so war man gezwungen, dabei auch der Mißbräuche zu gedenken, die bisher soviel beklagt worden waren und deren Abstel­ lung so dringend gefordert worden war, die aber jetzt die kaiserliche Vorlage verschwieg. Damit war jedoch die vom Kaiser den Verhandlungen gesteckte Grenze von vornherein überschritten und die Reformfrage doch auf die Bahn ge­ bracht. Es war eben unmöglich, dieselbe zu umgehen. Die Kurfürsten teilten sich ihre Aufgabe so ein, daß sie zuerst von dem Verbot des Kaisers, im christlichen Glauben eine Neuerung oder Determination zu machen, dann von der Erhaltung wohl hergebrachter Bräuche, von der Abstellung der Mißbräuche, von dem Verhalten gegen die Uebertreter der vom Reichstag als wohl hergebracht befundenen Bräuche, Satzungen und Ordnungen, und endlich von der Ausführung des Wormser Edikts handelten. In ihrem Gutachten erklärten die Kurfürsten, daß die Ent­ scheidung der Glaubensfrage dem Konzil gebührte, der christliche Glaube und die wohl hergebrachten Gebräuche und Ordnungen der Kirche müßten erhalten, Mißbräuche aber abgestellt werden. Bei der Bestrafung der Uebertretungen des kaiserlichen Willens sollte mit Milde vorgegan­ gen und die Ungehorsamen ,,mit guten, beständigen, ge­ gründeten Ursachen“ erinnert und ermahnt werden. Sei man sich in diesen Punkten einig, dann bedürfe es für den fünften Punkt keiner bestimmten Festsetzung. Die Fürstenkurie war mit diesem Gutachten einverstan­ den, nur hielten sie zum fünften Punkt für nötig, daß über die Ausführung des Wormser Edikts und der Beschlüsse, welche der Reichstag in dieser Beziehung fassen werde, bestimmte Vorschriften vereinbart wurden. Da jedoch ein großer Teil der Stände, auch solche, die den Lutherischen fern standen, das Wormser Edikt für schädlich und der Ein­ heit des Volkes gefährlich hielten, glaubten die Kurfürsten die Erlassung solcher Vorschriften verhüten zu sollen. Sie schlugen daher vor, man möge zunächst die andern Punkte erledigen und dann erst auf den fünften zurückkommen.

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Wenn nun auch die Fürstengruppe daiauf einzugehen schien, so traten doch die Gegensätze umso schroffer her­ vor, als man die Frage zu klären suchte, was als Miß­ brauch zu gelten habe und was nicht. Hier vertraten die geistlichen Fürsten den Standpunkt, daß alle Ordnungen, welche sich bisher in der Kirche erhalten hatten, christlich und gut und darum fernerhin zu beobachten seien, während die Evangelischen darauf bestanden, daß alles, was sich aus der heiligen Schrift nicht als gut und christlich erweisen lasse, als Mißbrauch anzusehen und abzustellen sei. Jetzt bestand die Gefahr, daß die Verhandlungen sich zerschlu­ gen. Um das zu vermeiden, gaben beide Teile nach. Die Geistlichen willigten ein, daß über die Mißbräuche verhan­ delt werde, während die andern sich darein fügten, daß dies erst geschehen sollte, wenn alle übrigen Punkte der Vor­ lage erledigt seien. Nun befindet sich im Staatsarchiv zu Nürnberg9) ein Beratungsentwurf zum ersten Artikel der Vorlage, der von der Fürstenkurie eingebracht zu sein scheint, mit dem Titel: „Antwort der Stände auf den ersten Punkt der kaiserlichen Proposition, die Glaubenssache betr. 1526 30. Juni.“ In diesem ist der Entwurf der Kurfürsten stark abgeändert. Eben deshalb scheint er von letzteren abgelehnt worden zu sein. Sicher ist, daß am 2. Juli die Kurfürsten verkündigten, man wolle nunmehr über den zweiten Punkt der Vorlage verhandeln 101). Als Grund dafür gaben sie an, daß man, bevor man über den 1. Artikel weiter verhandeln könne, erst die Antwort der Städte ab warten müsse. In Wirklich­ keit scheint die Behandlung des . 1. Artikels, also der Glaujensfrage, auf Veranlassung des Statthalters ausgesetzt worden zu sein. Durch seine Sonderinstruktion war er ja dazu gezwungen. Wenn man nun zur Besprechung des zweiten Artikels überging, so war allerdings vorauszusehen, daß man auch hier-von selbst wieder auf die Glaubensfrage zurückkom­ men mußte. Handelte sichs doch hier um die Ursachen des Bauernkriegs und um die Frage, wie man in Zukunft etwaigen Empörungen dieser Art begegnen könne. Nun

hatte die kaiserliche Vorlage — allerdings mit Unrecht — behauptet, daß der Bauernaufstand in erster Linie auf „die Glaubensirrungen“, wie man die Reformationsbewegung bezeichnete, zurückzuführen sei, und daß darum neue Auf­ stände zu befürchten seien, wenn nicht durch eine ent­ sprechende Ordnung der Glaubensfrage dieser Gefahr vor­ gebeugt werde. So war zu erwarten, daß der Ratschlag, welcher aus der Beratung der Kurfürstengruppe hervor­ ging, wenn auch nicht geradezu die Erfüllung des Worm­ ser Edikts forderte, doch die Evangelischen dahin wies, sich in ihrem Kampf gegen dieses Edikt bis zu einem Konzil oder bis zur Ankunft des Kaisers zurückzuhalten und zum wenigsten den Reichstagsabschied von 1523 zu beachten. Nun aber sahen die Kurfürsten als Ursachen des Bauern­ aufstandes in erster Linie die Mißbräuche an, welche sich in allen Ständen fanden und verlangten vor allem deren Ab­ stellung. Würden diese alle abgestellt und lasse man den Untertanen eine menschliche und gerechte Behandlung an­ gedeihen, dann würden auch die Empörungen aufhören! Insbesondere war es der Kurfürst von der Pfalz, der auf diese Forderung besonderen Nachdruck legte. Er wies auf die bevorrechtete Stellung der Geistlichen hin und auf die mißbräuchlichen Einrichtungen bei denselben, die fallen müßten, wenn Ruhe und Friede werden solle. Nicht die evangelischen Reformbestrebungen dürfe man bekämpfen. Mit Recht hätten sich auf dem letzten Nürnberger Reichs­ tag viele Stände, Kurfürsten, Fürsten, Grafen und Städte zu jenen bekannt und gegen die Einschärfung des Worm­ ser Edikts protestiert. Darum sollte man letzteres in den zu fassenden Beschlüssen überhaupt nicht erwähnen oder zum mindesten genau bestimmen, wieviel von demselben noch aufrecht erhalten werden könne. Auch die Gutachten der geistlichen Kurfürsten wollten im Grunde nichts an­ deres! 1X) Nachdem wir bisher von der Stellungnahme der Kur­ fürsten und Fürsten gehört haben, wenden wir uns den Reichsstädten zu. Diese waren beim Beginn des Reichstags nur in geringer Zahl in Speyer vertreten, wie

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Baumgartner noch am 9. Juli in seinem Bericht an den Rat mitteilt, aber dazu bemerkt, daß das auch sein Gutes habe, weil es in solch kleinem Kreis leichter sei, die Einigkeit zu wahren 12). Aber trotz ihrer geringen Zahl traten sie von Anfang an unter der Führung Nürnbergs, Straßburgs und Ulms als entschiedene Vertreter der lutherischen Sache auf. Sobald sie erfahren hatten, daß die Kurfürsten mit der Beratung des 1. Artikels der Vorlage begannen, gaben sie sofort ihre Stellungnahme bekannt, indem sie eine ge­ meinsame Erklärung abgaben, sie hätten schon auf dem Reichstag von 1524 die Erfüllung des Wormser Edikts 1 iir unmöglich gehalten und gegen dasselbe protestiert. Auch jetzt sei ihnen die Erfüllung nicht möglich. Müßte man demselben gehorchen, so würde das nur Zerrüttung und Zerstörung, Unfrieden und Uneinigkeit zur Folge haben. Darum möge man diesen Punkt auf eine andere Weise be­ denken 13). Baumgartner hatte dem Rat alsbald über die Lage der Dinge berichtet. Wir sehen das aus einen Brief des Rates an Baumgartner vom 30. Juni, der als Antwort auf einen vorhergegangenen Bericht anzusehen ist. Da schrieb der Rat: „Wir haben nie gezweifelt, daß die Geistlichen Freund und Feind anrufen und alle heimliche und öffentliche Prak­ tika machen werden, das kaiserliche Edikt wieder in Voll­ ziehung zu bringen und gegen die \ erbrecher (d. h. die Uebertreter des Edikts) mit stracker Execution zu handeln. Ob sie aber solchs in das Werk bringen und das Gott und die Welt erleiden kann, wird das End anzeigen. Und bedünkt uns, dieweil die vorigen Reichsabschiede vermögen, daß neben diesem Stück auch die großen Beschwerungen der Geistlichen gegen die Weltlichen fürgenommen werden sollen, daß solches zu einem Gegenfeuer gebraucht und in die Hand genommen würde.“ Man mußte sich also auf einen schweren Kampf gefaßt machen 14). Am 30. Jlini wurde den Städtegesandten der Beratungs­ entwurf der Kurfürsten durch Verlesung zur Kenntnis ge bracht. Eine Abschrift hatte man ihnen verweigert. So mußten sie sich den Inhalt des verlesenen Schriftstücks aus

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dem Gedächtnis zusammenstellen, um darüber beraten zu können. Baumgartner erhielt dabei den Eindruck, daß man bei den fürstlichen Ständen auf die reformfreundlichen Städte wenig Rücksicht nehmen und über sie hinweg ent­ scheiden wolle. Er bemerkt, die Städte seien noch auf keinem Reichstag so ,,böslich“ von den Ständen behandelt worden, wie auf diesem. Noch an diesem Abend beschlossen die Städte, den Nürn­ berger Rat um dessen getreuen Rat zu bitten, wie sie sich in der Sache verhalten sollten; denn die Städte hätten zu ihm besonderes Vertrauen. Auch an Straßburg und Ulm rich­ teten die Städtegesandten dieselbe Bitte unter Uebersendung des Gutachtens der Kurfürsten. Sie bemerkten dabei, sie wollten mit ihrer Antwort auf den Bescheid der beiden Städte warten, obwohl die Stände vorhätten, bereits am 2. Juli darüber zu verhandeln, wie man gegen die Uebertreter des Wormser Edikts mit Strafen Vorgehen solle, was Baumgartner freilich nur für einen Schreckschuß hielt 15). Auf die Mitteilung Baumgartners, daß sich die Lage in Sachen des Evangeliums bedrohlich gestalte, entschloß sich der Rat, ihm einen Juristen, den Licentiaten Müller, als Berater und dazu den Schreiber Jörg Högel zu sen­ den 16). Zuvor hatte der Rat durch seine Gelehrten eine neue Instruktion ausarbeiten lassen, wie man'sich in Sachen des Evangeliums verhalten solle. Diese sandte er an Baum­ gartner mit der Weisung, derselbe möge den Rat ohne Rück­ sicht auf die Kosten durch Berichte über die Vorgänge auf dem Laufenden halten, damit er von Fall zu Fall die nötigen Weisungen geben könne. In der Instruktion wurde geraten, sich mit den evangelischen Ständen zu der Erklä­ rung zu vereinigen, daß ihnen die Ausführung des Worm­ ser Edikts unmöglich sei. Helfe das nichts, dann müßte man die alten Beschwerden der deutschen Nation wieder hervorholen und als ,,Gegenfeuer“ geltend machen. Als letztes Mittel bleibe die Protestation. Zu einem Vorschlag der Nürnberger Juristen, der Rat solle, wenn die Stände letzteres nicht tun wollten, allein protestieren, bemerkt je­ doch der Rat, das würde ihm doch beschwerlich sein 17).

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Inzwischen hatte der Rat den Bericht Baumgartners vom 30. Juni mit dem Ersuchen der Städte um Rat wegen der den Ständen zu erteilenden Antwort auf deren Vor­ halten vom gleichen Tag erhalten. Sofort erteilte er den Gelehrten den Auftrag, eine solche Antwort zu entwerfen. In einem Ratsprotokoll vom 6. Juli heißt es, daß dieser Auftrag vollzogen sei und die Schrift alsbald den Städten zugesandt werde. Wahrscheinlich wurde die Schrift Chri­ stoph Kreß mitgegeben. Der Rat hatte sich nämlich an­ gesichts der ernsten Lage entschlossen, seine Gesandtschaft durch diesen vielbewährten Mann weiterhin zu verstär­ ken 1S). Nach dem übersandten Entwurf sollten die Städte­ gesandten in ihrer Antwort vor allem betonen, daß die Durchführung des Wormser Edikts den Frieden im Reich nicht hersteilen, sondern für immer zerstören werde. Der Kaiser sei falsch unterrichtet. Uebrigens sei der Reichstag bereits von der kaiserlichen Vorlage abgewichen und habe auf den Reichstagsabschied von 1524 zurückgegriffen. Eine dauernde Lösung der Re­ ligionsfrage könne freilich nur ein Konzil bringen oder eine christliche deutsche Nationalversammlung. Aber schon jetzt müßten die zutag liegenden Mißbräuche in der Kirche und bei den Geistlichen abgestellt werden. Dazu wollten die Städte mithelfen. Da aber ein großer Teil der Stände auf dem Reichstag noch nicht anwesend sei, müßte mit der Entscheidung auf deren Ankunft gewartet werden lö). In seinem Schreiben vom 6. Juli empfiehlt der Rat außerdem, die Städte sollten nicht zusehen, was nun die Stände tun würden, 'sondern selbst eingreifen und auch ihre ,,Praktika“ machen, durch welche bei den Fürsten und anderen Ständen Furcht und Nachdenken verursacht werde. Den Fürsten sollten sie zu verstehen geben, wenn man gegen die Städte wegen des Glaubens mit Strafen vorgehe, dann würden diese „eins aufs andere setzen“ und sich gegen diejenigen Stände, welche das Einschreiten gegen die Städte veranlaßt oder gebilligt hätten, schadlos halten. Diese

iS

würden dann mit ihnen zu Trümmern gehen20). Im übrigen war der Rat, wie aus dem gleichen Brief hervorgeht, keineswegs ängstlich, sondern guter Hoffnung, die Sache werde nicht das Ende erlangen, dahin es ,,die Geinfulten“, d. h. die Bischöfe, zu bringen vermeinten. Man müsse nur das Seine tun und Gott vertrauen! 21) Auch an Straßburg schickte der Rat seinen Entwurf der Antwort und bat um Uebersendung des Straßburger Gutachtens. Er betonte auch dabei, daß sehr viel darauf ankomme, daß sich die Reichsstädte in dieser Sache ,,nicht furchtsam und kleinmütig, sondern tapfer und ernstlich er­ zeigten“, damit die Stände sähen, daß die Städte von dem, was wahrhaft christlich und ehrbar sei, nicht weichen wollten 22). Aus Baumgartners Brief vom 30. Juni entnehmen wir,, daß die Städte mit ihrer Antwort nicht zu eilen gedachten, sondern die von Nürnberg, Straßburg und Ulm erbetenen Entwürfe abwarten wollten. Da diese aber nicht so rasch kamen, und die Stände drängten, hatte sich Baumgartner selbst daran gemacht, eine Antwort zu entwerfen. Von zwei Entwürfen, die er vorlegte, wurde der kürzere ge­ wählt. Dazu kam, daß einige Fürsten und Räte, ,,die die Sach gut meinten“, darauf aufmerksam machten, daß die Stände ihre weitere Verhandlung eingestellt hätten, bis die Antwort der Städte eingelaufen sei. Sollten die Städte nicht durch eine Antwort die Sache ,,wieder in eine Disputation bringen“, dann würden die geistlichen Fürsten die Auseinandersetzung über den ersten Artikel als geschlossen er­ klären. Darum einigten sich jetzt die Städte auf eine ge­ meinsame Antwort aufgrund des von Baumgartner gestell­ ten Entwurfs, der aus den von den übrigen Städtegesandten gefertigten Entwürfen entsprechend ergänzt wurde. Diese Antwort wurde am 4. Juli den Ständen übergeben und bei diesen öffentlich verlesen. Sie erregte, wie Baumgartner schrieb, „bei etlichen viel Nachgedenkens“ 23). In dieser ihrer Antwort gaben die Städte vor allem zu, daß auch nach ihrer Meinung keinem Menschen gezieme, im christlichen Glauben irgend eine Aenderung vorzuneh-

i6

men, bemerkten jedoch, daß sie den Glauben meinten, der „auf Christus und sein heiliges, ewiges, unwandelbares Wort gegründet ist“. Weiter erklärten sie sich damit ein­ verstanden, daß alle wohlhergebrachte, gute, christliche Uebung und Ordnung bis zu einem freien, christlichen Kon­ zil gehandhabt werden solle, fügten aber auch hier hinzu, daß solche Ordnungen und Bräuche dem Glauben an Chri­ stum und seinem heiligen Wort nicht widersprechen dürften. Andernfalls müßten dieselben abgestellt und es dürfte damit nicht bis zu einem Konzil gewartet werden, das vielleicht noch lange auf sich warten lasse. Daß ferner die Stände Mittel und Wege suchen, um die Mißbräuche in Besserung zu bringen, oder gar abzutun, begrüßen die Städte mit be­ sonderer Freude. Denn damit würde vielen Irrungen und Widerwärtigkeiten im Reich gewehrt werden. Würde auf der Erfüllung des Wormser Edikts bestanden, so müßte das zu vielen Strafen führen. Nachdem aber die Stände, wie auch die Städte auf dem Reichstag zu Nürnberg die Erfül­ lung als unmöglich erklärt haben, hofften die Städte, der Kaiser werde niemand strafen, weil er Unmögliches nicht erfüllt habe. Wenn über diese Punkte eine einmütige Ent­ scheidung getroffen würde, hielten die Städtevertreter die Handhabung derselben für leicht; jedenfalls würden sich die Reichsstädte darin als gehorsame Glieder des Reiches erweisen. Der Nürnberger Rat war mit dieser Erklärung der Städtegesandten nicht ganz einverstanden. Sie war ihm nicht entschieden genug. Am 14. Juli schrieb er an Baum­ gartner: „Unseres Bedünkens wäre es nicht unfruchtbar gewest, daß die Städte ihre Antwort den Reichsständen etwas tapferer, als die überschickte Copie anzeigt, über­ geben hätten. Aber dieweil es unmöglich gewest, unser und anderer ersuchten Städte Ratschläg zu erwarten, so lassen wir uns der Städte übergebene Antwort Wohlgefallen. Achten dafür, dieser Artikel werde noch soviel Verhin­ derung gewinnen, daß die Städtebotschaften Raum und Zeit genug haben werden, ihre Notdurft noch weiter anzubrin­ gen“ 24).

17

Herzog Georg von Sachsen freilich war der Meinung, die Städte hätten sich mit dieser Antwort außerhalb der christlichen Kirche gestellt. Denn wenn sie behaupteten, daß der Glaube unwandelbar sei und von Menschen nicht geändert werden dürfe und daß als gut und wohl her­ gebracht in der Kirche nur das anzusehen und zu erhalten sei, was dem Glauben an Christus und seinem Wort nicht widerspreche, dann leugneten sie die oberste Autorität der Konzilien, die doch, obgleich nur aus Menschen bestehend, selbstverständlich das Recht hätten, alle Glaubensfragen zu entscheiden und Bestimmungen darin zu treffen, welche für alle Christen maßgebend seien 25). Diesem Urteil stimmten auch die Geistlichen in der Fürstenkurie zu, indem sie am 5. Juli erklärten, wer be­ haupte, daß kein Mensch gegen Christus oder den christ­ lichen Glauben etwas zu sagen hätte, tue damit den Kon­ zilien Abbruch. Soweit war man also in jenen Kreisen der römischen Kirche gekommen, daß man die Konzilien über Christus und sein Wort stellte, und daß man denjeni­ gen, welche sich auf Christi Lehre und die Bibel beriefen, das Recht bestritt, sich als Christen zu bezeichnen! Allerdings ging die Mehrheit nicht soweit mit den Geistlichen. Sie beschloß, die guten Gebräuche von den Mißbräuchen zu scheiden und letztere abzutun. Ein aus den Ständen gebildeter Ausschuß sollte die Sache beraten und der Reichsversammlung Vorschläge machen. Es ge­ lang, drei ausgesprochen Evangelische in diesen Ausschuß zu bringen: den hessischen Vertreter Balthasar von Wei­ telsbach, genannt Schrautenbach, den badischen Kanzler Hieronymus Vehus und den Grafen Bernhard von Solms, Dazu kam noch der Vertreter des Pfalzgrafen Friedrich Dr. Laux, der wenigstens reformfreundlich gesinnt war. Von römischer Seite wurden gewählt: Georg Truchseß, der Vertreter Oesterreichs, der Kanzler des Bischofs von Straßburg, der Vertreter des Bischofs von Würzburg und der Domherr Philipp von Flörsheim zu Speyer26). Den Städten hatte man keine Stimme im Ausschuß gegeben. Die Fürsten wollten die Städte überhaupt nicht als voll2

18 berechtigte Mitglieder des Reichstags anerkennen. Die Reichsstädte waren zumeist reformfreundlich oder evan­ gelisch gesinnt. Darum wollten es ihnen die Geistlichen un­ möglich machen, im Reichsrat oder in den Ausschüssen ihre Anschauungen geltend zu machen. Unter Berufung auf das kaiserliche Ausschreiben, durch das sie aufgefordert waren, auf dem Reichstag zu erscheinen, um ,,durch ihre vollmächtigen Botschaften neben andern Ständen in des Reiches Sachen und Obliegen zu ratschlagen, zu handeln, zu beschließen und vollziehen zu helfen“, wie auf das alte Recht und Herkommen ver­ langten sie am 9. Juli zu den Ratschlägen und Versamm­ lungen zugezogen zu werden. Da man ihnen bisher auf ihr Gutachten und ihre Anträge zum 1. Artikel der Vorlage noch keine Antwort gegeben hatte,, richteten die Stände am 14. Juli eine neue Vorstellung an die Stände, in der sie betonten, diese hätten schon vor Jahren selbst die Durch­ führung des Wormser Edikts für unmöglich erklärt und demselben ihre vielen und ernsten Beschwerden gegen die Kurie und die Geistlichen entgegengestellt und zur Bereini­ gung derselben ein Konzil gefordert. Daß das Konzil immer wieder hinausgeschoben und die Beschwerden nicht abgestellt wurden, trage vor allem die Schuld an den Auf­ stand der Bauern. Darum sei es dringend not, daß „eine christliche, leidliche, trägliche und bei dem gemeinen Mann erhebliche Reformation vorgenommen werde, während ein Zurückgehen auf das Wormser Edikt die Verwirrung und den Schaden nur größer machen würde“ 27). Um ihrem Drängen auf Abstellung der Beschwerden größeren Nachdruck zu geben, legten die Städte dieser Ein­ gabe ein umfassendes Verzeichnis der Beschwerden gegen die Geistlichen bei, welches, wie die Eingabe selbst, den Nürnberger Jörg Högel zum Verfasser hatte 28). Die Geschlossenheit und Einmütigkeit, welche aus diesen beiden Eingaben der Städte zutag trat, machte bei den Ständen starken Eindruck. Freilich setzten jetzt auch bei den Römischen, vor allem aufseiten der Bischöfe die Ver­ suche ein, diese Einmütigkeit zu stören und einen, Teil der

9 Städte auf ihre Seite zu ziehen 2ü).

Vielleicht geschah es,

um dieser Gefahr zu begegnen, wenn die Städte in ihrer Eingabe vom 14. Juli den Gedanken anregten, man solle, bevor man eine Entscheidung treffe, eine Botschaft an den Kaiser schicken, ihn über die Lage der Dinge aufklären und um

Abänderung

Dieser Gedanke,

seiner

bisherigen

Anweisungen

bitten.

der ja zunächst keine Beachtung

wurde später wieder aufgegriffen

und

sollte

fand,

schließlich

zur Grundlage und Voraussetzung des Reichstagsabschieds werden! — Sowohl

der Kurfürst Johann

von Sachsen,

als

der

Landgraf Philipp von Hessen waren durch besondere Um­ stände verhindert worden, schon zur Eröffnung des Reichs­ tags nach Speyer zu kommen.

Der Landgraf kam erst am

12. Juli, der Kurfürst am 20. Juli an.

Nun war anfangs

Juli einer der ärgsten Feinde des Evangeliums, der bischöf­ liche Vikar von Konstanz Dr. Johann Faber, als Vertreter der Bischöfe von Basel und Konstanz eingetroffen.

Dieser

beeilte sich dem Statthalter eine Beschwerdeschrift

gegen

die evangelischen Prediger zu Straßburg zu überreichen, in welcher

durch eine eidgenössische Tagsatzung zu Baden

im Aargau die Absetzung und Bestrafung der genannten Prediger vonseiten des Reichstags gefordert wurde.

Der

Erzherzog, dem diese Beschwerde sehr erwünscht kam, ließ sie am 7. Juli verlesen.

Da sich aber herausstellte., daß

Faber selbst der Verfasser war, fand sie wenig Beachtung. Nur bei den katholischen Ständen gegen die Evangelischen.

wirkte sie aufreizend

Umsomehr wurde bei letzteren

die Ankunft des Landgrafen begrüßt, da diese eine wesent­ liche Verstärkung des evangelischen Einflusses bedeutete. Der Landgraf hatte seinen eigenen Prediger mitgebracht und ließ diesen im innern Hof seiner Herberge von einer denselben umgebenden Galerie aus einen um den andern Tag predigen, wozu auch viele Leute aus der Stadt kamen. Diese Predigten, wie auch die Nichtbeachtung des Fasten­ gebotes

durch den Landgrafen

Gesinnten Anstoß.

erregte bei den römisch

Der Statthalter

durch den Pfalzgrafen Ludwig

ließ

den Landgrafen

und den Erzbischof

von •>*

20

Trier ersuchen, die Predigten einzustellen und die Fasttage zu halten. Der Landgraf antwortete, er wolle abwarten, wie sich der Kurfürst von Sachsen darin halten werde. Als er aber hörte, die kaiserlichen Kommissäre hätten vor, die evangelische Predigt während des Reichstags zu verbieten, erklärte der Landgraf, er lasse sich das Predigen nicht ver­ bieten, auch wenn es ihm den Kopf kosten würde 30). Da nun durch die Gegner sehr gehässige Legenpredig­ ten gehalten wurden, worin besonders Dr. Faber sich her­ vortat, kam starke Erregung ins Volk. laicht wenig trug dazu auch bei, daß die Gegner die Gasse, in welcher der Kurfürst und der Landgraf wohnten, als ,Ketzergasse“ be­ nannten, wogegen die Hessischen zwei andere Gassen, in denen römisch gesinnte Vertreter wohnten, als ,,Pharisäer-“ und ,,Heuchler“gasse bezeichneten 31). Als der Kurfürst Johann eingetroffen war, wandten sich der Statthalter und die Kommissäre wegen des Predigens auch an diesen. Der Kurfürst und der Landgraf antworte­ ten gemeinsam, sie wollten sich in allen Dingen als gehor­ same Fürsten beweisen, aber auf die evangelische Predigt wollten sie nicht verzichten. Um ihr Bekenntnis zum Evan­ gelium auch äußerlich zu bekunden, trugen die evan­ gelischen Fürsten und ihr Gefolge am rechten Aermel ihres gleichförmigen Gewandes die eingestickten Anfangsbuch­ staben des lateinischen Spruches: ,,Verbum domini manet in eternum“ (= Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit). Das gab derf Gegnern Anlaß zum Spott, indem sie den Buchstaben e als ,,ermelis“ deuteten und lasen: „Das Wort des Herrn bleibt in den Aermeln“. Doch störte dieser Spott die Evangelischen in ihrem Bekenntnis nicht! Ueberhaupt war der Eindruck, den ihre Festigkeit auf die Gegner machte, unverkennbar. LTnter den Evangelischen selbst bildeten sich engere Beziehungen. So berichtet Christoph Kreß, der am 14. Juli in Speyer eingetroffen war, daß der Landgraf ihn bereits am 16. Juli zu sich bitten ließ und ihm sagte, ihm wäre ein engeres Zusammenstehen mit den Reichsstädten in des Evangeliums Sachen erwünscht, auch des Kurfürsten zu

21

Sachsen Wunsch wäre, daß die Städte nicht nur unter sich, sondern auch mit den Fürsten Zusammenhalten möchten. Der Kurfürst und er seien bereit, auch der Städte Anliegen auf dem Reichstag nach bestem Vermögen zu iördern. Am folgenden Tag ließ dann der Landgraf die Gesandten .Nürn­ bergs, Straßburgs, Augsburgs, Ulms und Frankfurts zu sich bitten und diesen durch zwei seiner Räte dieselben An­ erbietungen und Wünsche vortragen, was, wie Kreß berich­ tet, ,,alle zu großen Dank angenommen und sich e±boten, solches ihren Herren und andern Städten im Namen des Landgrafen anzuzeigen und zu rühmen“. Außerdem for­ derte der Landgraf Kreß noch besonders auf, wenn er in des Evangeliums Sachen oder im Interesse der Städte Wünsche hätte, möge er ihm diese zu jederzeit mitteilen, er werde dann tun, was er vermöge. Endlich kam der Landgraf, als er mit Kreß zuletzt noch allein war, auf den Gothaer Bund zu sprechen, zu welchem der Kurfürst und er die Stadt Nürnberg gern als Mitglied gewonnen hätte, was diese jedoch damals abgelehnt habe, und bemerkte dazu, diesen Wunsch hätten beide Fürsten auch jetzt noch. Kreß erwiderte darauf, Nürnberg habe s. Zt. den Beitritt zu diesem Bund lediglich deshalb abgelehnt, weil es als Reichsstadt auf den Kaiser und auch den Schwäbischen Bund Rücksicht nehmen müsse. Trotzdem ersuchte ihn der Landgraf, Kreß möge seinen Herren den Wunsch beider Fürsten noch einmal zur Kenntnis bringen, sie befragen, wie sie jetzt gesinnt seien und ihm noch während dieses Reichstags darüber Mitteilung machen32). Sofort, nachdem Kressens Bericht in Nürnberg ein­ gelaufen war, wurde dort eine Ratssitzung gehalten, um zu dem Ansuchen des Landgrafen Stellung zu nehmen. In den Augen des Rates hatte sich an der Lage der Dinge in den fünf Monaten, welche seit dem ersten Antrag beider Fürsten vergangen waren, nichts geändert. Die Rücksicht auf den Kaiser, den Schwäbischen Bund und auf die be­ nachbarten, der Stadt übel gesinnten Fürsten, womit man im Februar die Ablehnung begründet hatte, schien auch jetzt noch geboten. Andererseits hatte damals der Rat auf

22

den Reichstag verwiesen, dessen Ausgang abgewartet wer­ den müsse. Aber gerade dieser habe bisher die Städte ganz besonders enttäuscht. Erst in ihrem Brief vom 17. Juli hatten Kreß und Baumgartner dem Rat berichten müssen, wie gehässig viele Fürsten, und besonders die Geistlichen, gegen die Evangelischen und vor allem gegen die Städte gesinnt seien, wie jetzt auch die Glaubensspaltung unter den bisher so einigen Städten Platz greife, und man eben darum umsomehr an die wenigen ,,christlichen“ (d. h. evangelischen) Fürsten gewiesen sei. Es war wohl auch letztere Erwägung, welche den Rat bewogen, auch jetzt keine endgültige Ablehnung auszusprechen. Vielmehr er­ hielt Kreß den Auftrag, zwar auf ein Bündnis zunächst nicht einzugehen, sich aber doch so zu verhalten,, daß man freie Hand behielt und die Verhandlungen darüber jeder­ zeit wieder aufnehmen konnte. Man wisse ja nicht, wie sich die Dinge noch gestalteten und zu welchen Mitteln und Wegen zu greifen die Not noch zwingen werde 33). Damit hatte man also in Nürnberg die völlig ableh­ nende Haltung dem Bündnis gegenüber aufgegeben. Man hatte erkannt, daß die Glaubenssache möglicherweise doch noch zu einem derartigen Zusammenschluß aller Evangeli­ schen zwingen werde. Am 28. Juli kam daher der Rat noch einmal auf die Sache zurück, indem er die Gesandten anwies, den Landgrafen „also in Gnaden und mit höchster Schicklichkeit, doch unvergriffenlich, anhängig zu be­ halten 34). Dem Erzherzog Ferdinand schien die Fühlungnahme des Landgrafen mit den Städten nicht verborgen geblieben zu sein. Damit letztere nicht völlig unter evangelischen Einfluß kämen, ließ er am Tag der Ankunft des Kurfürsten zu Sachsen sämtliche Städtegesandte zu sich rufen und forderte sie auf, sich gegen den Kaiser und das Haus Oesterreich gehorsam zu halten und sich von niemand ver­ führen zu lassen. Sollten die Städte einen Wunsch haben, so möchten sie sich an ihn wenden, er wolle dann gern ihr Fürsprecher sein 35).

23

Damit es auf dem Reichstag auch an Genüssen nicht fehle, gab der Erzherzog am 16. Juli allen Ständen mit Einschluß der Städtegesandten ein festliches Bankett an 40 Tischen mit 25 auserlesenen Gerichten, woran sich ein Turnier nach welscher Art anschloß, an dem sich der Statt­ halter persönlich beteiligte 36). Die Städte warteten indessen ungeduldig auf die Er­ ledigung ihrer Eingaben vom 4. und 14. Juli. Sehr ent­ täuscht waren sie, als man ihnen statt eines Bescheids auf dieselben am 28. Juli eröffnete, man wolle jetzt die weitere Behandlung des 1. Artikels der Vorlage fallen lassen und sich mit der Türkenhilfe befassen. Darauf erklärten die Städte geschlossen, sie könnten es vor ihren Herren nicht verantworten, in andere Verhandlungen zu willigen, bevor man ihnen auf ihr Ansuchen um Sitz und Stimme im Reichsrat und in den Ausschüssen, aus denen man sie jetzt zum erstenmal fern halte, einen befriedigenden Bescheid erhielten und ihre Anträge zum 1. Artikel der kaiserlichen Vorlage Berücksichtigung gefunden habe. Beachte man ihre Eingaben nicht, dann würden die Städte ihr Geld und ihre Hilfsmittel zur Sicherung und Erhaltung ihrer selbst verwenden und könnten für andere Zwecke, wie Türkenhilfe und dergleichen, nichts mehr geben. Noch bevor sie aber diese Erklärung schriftlich ab­ geben konnten, eröffnete man ihnen mündlich, man habe die Städte bisher in keinen Ausschuß berufen, weil ein sol­ cher noch nicht gebildet worden sei. (In Wirklichkeit hatte man keinen Ausschuß gebildet, um die Städte nicht herein­ nehmen zu müssen!) Erst jetzt sei beschlossen worden, einen Ausschuß zu bilden, zu dem sie ihre Vertreter stellen könnten, obwohl die Stände nicht verpflichtet seien, solche aufzunehmen. Diesen Bescheid nahmen die Städte an. In den Ausschuß wählten sie. Christoph Kreß und den Straß­ burger Jakob Sturm. Da in demselben der Kurfürst von Sachsen durch seinen Kanzler vertreten war und der Land­ graf Philipp persönlich demselben angehörte, da ferner der badische Kanzler Vehus, die Grafen Bernhard von Solms und Georg von Wertheim dazu gewählt waren, war die

24

Zusammensetzung des Ausschusses für die evangelische Sache nicht ungünstig. In den verschiedenen Kurien hatte man sich bis dahin mit der Zusammenstellung der kirchlichen Mißstände und der Beschwerden der deutschen Nation befaßt. Durch die Bildung eines Ausschusses waren diese Arbeiten hinfällig geworden. Aber sie sind uns wertvoll, weil sie uns über die Stellungnahme der einzelnen Gruppen zu diesem wich­ tigen Verhandlungsgegenstand Aufschluß geben. Die Kurfürsten hatten ihrer Beratung die Beschwer­ den des Reichstags zu Worms 1521 zugrunde gelegt. Ob­ wohl hier die Anhänger der römischen Kirche die Mehrheit bildeten, wurden die Wormser Beschwerden mit ihren Kla­ gen über die Erpressungen des Klerus, wie über die Ein­ griffe des Papstes, über die Mängel in der Seelsorge und die Ausschreitungen der geistlichen Gerichte rückhaltlos angenommen. Die Reichsstädte hatten sich durch die Nürnberger Ge­ sandten die Beschwerden des Reichstags zu Nürnberg 1523 von dort kommen lassen. Am 24. Juli reichten sie ihren Entwurf, den sie aufgrund der Nürnberger Akten gefertigt hatten, ein. Derselbe liegt bei den Nürnberger Reichstags­ akten in Abschrift37). In diesem Schriftstück hoben die Vertreter der Städte vor allem die Punkte hervor, welche für die Verhältnisse in den Städten besonders drückend empfunden wurden: das Unwesen der Bettelmönche und Terminierer; auch verlangten sie die Aufhebung der Klöster und des Cölibats der Geistlichen, die Stellung der letzteren unter die weltliche Gerichtsbarkeit, die Abstellung der zu vielen Feiertage und der Eastengebote, die in der heiligen Schrift nicht begründet waren. Für die Neuordnung des gesamten Kirchenwesens forderten sie ein Konzil und bis zu einem solchen das Recht der freien Verkündigung des lauteren Evangeliums. In der Fürstenkurie war man noch weiter gegangen, als bei den Städten. Einig war man aber in den drei Grup­ pen in der Forderung eines allgemeinen Konzils als höch­ ster kirchlicher Instanz und in der Anerkennung des Papst-

25

tums als der Obersten Führung der Kirche. Die Mehrheit wollte auch eine Reformation der Kirche. Eine Verstän­ digung zwischen den beiden Parteien wurde für möglich gehalten und auch gesucht. Von dem großen Ausschuß er­ hoffte man die Anbahnung einer solchen Verständigung. Daß es trotzdem nicht zu einer solchen kam, dafür sorgte der kaiserliche Statthalter! Dieser hatte es wohl gemerkt, daß die Mehrheit des Reichstags auf entsprechende kirchliche Reformen bedacht war. Um das zu verhindern, machte er jetzt von der kaiserlichen Nebeninstruktion Ge­ brauch, deren Vorhandensein er bisher verschwiegen hatte. Am i. August, dem Tag nach der Wahl des großen Aus­ schusses, und noch bevor dieser hatte zusammentreten kön­ nen, teilte sie der Statthalter den kaiserlichen Kommissären und sodann den Kurfürsten mit. Das Schriftstück war vom 23. März 1526 datiert und vom Kaiser unterschrieben. Darin teilte er mit, er gedenke nach Italien zu reisen und mit dem Papst wegen eines all­ gemeinen Konzils zu handeln, welchem die Ausrottung aller Ketzereien und die Abstellung aller Mißbräuche und Be­ schwerden als Aufgabe gestellt werde. Dann gedenke er ins Reich zu kommen, um sich dort als rechter, christlicher Kaiser zu erzeigen. Von den Reichsständen erwarte er, Haß sie auf dem Reichstag nichts vornehmen und beschließen, was dem christlichen Glauben oder den löblichen Gesetzen und dem Herkommen der Kirche in Lehre, Ordnung, Zere­ monien und Bräuchen Abbruch tun könne. Das alles solle entsprechend den Mandaten von Worms und Nürnberg gehandhabt und vollzogen werden, bis das Konzil eine ein­ hellige, christliche und beständige Reformation, Satzung und Ordnung vornehmen und aufrichten werde. Am 2. August hielt der Ausschuß seine erste Sitzung. Hier teilte der Hofmeister des Erzherzogs Wilhelm Truch­ seß den Befehl des Kaisers mit und forderte den Ausschuß auf, sofort mit der Behandlung der übrigen Gegenstände zu beginnen. Am folgenden Tag wurde die kaiserliche Ent­ schließung sämtlichen Reichsständen eröffnet. Sie erregte bei diesen großen Unwillen. Die Stände hatten den Ein-

26 druck, man wolle die Nation aufs neue und für immer um das, was allen am Herzen lag, nämlich um eine Verstän­ digung in der Glaubensfrage, bringen. Aber einschüchtern ließ man sich dadurch nicht! In den Kurien beriet man, was dem Kaiser zu antworten sei. Bei den Kurfürsten wurde beschlossen, der Ausschuß solle vorerst nicht über die Glaubensfrage verhandeln; komme man aber zur Ver­ handlung über das, worauf sich der kaiserliche Erlaß be­ ziehe, werde sich jeder so verhalten und erzeigen, wie er es gegen Gott, den Kaiser und das Reich verantworten könne. Einen andern Ausweg fand man vorerst nicht! Mit den Ständen hatte man am 3,. August auch die Städte beschieden und ihnen die kaiserliche Verfügung bekanntgegeben. Diese verfaßten sofort eine schriftliche Erklärung, welche sie am 4. August mit ihren bereits oben erwähnten Beschwerdeartikeln den Ständen überreichten. Darin erklärten sie, bei allem Willen zum Gehorsam gegen den Kaiser sei es ihnen unmöglich, das Wormser Edikt zu erfüllen. Wenn der Kaiser recht unterrichtet wäre, würde er selbst auf diesem Mandat nicht bestehen. Als der Kaiser seine Nebeninstruktion verfaßte, stand er mit dem Papst im Frieden; jetzt stünden beide miteinander im Krieg. Ein all­ gemeines Konzil werde daher in absehbarer Zeit nicht zustand kommen. Darum müsse dem Kaiser durch eine Bot­ schaft oder Schrift über die Zustände im Reich und die Unmöglichkeit, das Wormser Edikt aufrecht zu erhalten, berichtet werden. Ein Provinzialkonzil oder eine deutsche Nationalversammlung sei zu berufen, um zu vollziehen, was schon 1524 beabsichtigt war, aber zum Schaden des Reiches hintertrieben wurde. Wolle der Kaiser das nicht, dann müsse das Wormser Edikt bis zu einem Konzil abgetan werden, da sonst Ruhe und Einigkeit im Reich nicht hergestellt wer­ den könne 38). Dieses Gutachten der Städte wurde dem großen Aus­ schuß vorgelegt, welcher sich dem Vorschlag, eine Gesandt­ schaft an den Kaiser zu schicken, anschloß. In einem eige­ nen Gutachten stellte der Ausschuß fest, daß, wenn die Glaubensfrage infolge des kaiserlichen Verbots nicht be-

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reinigt werde, neue Empörungen und Blutvergießen ent­ stehen würden. Darum empfiehlt auch er die baldigste Ab­ haltung eines Konzils zur Regelung der Glaubensfrage, die Abstellung des Wormser Edikts, die Bekämpfung der Tür­ ken und eine Verfügung durch den Kaiser, daß bis zum Konzil jede Obrigkeit mit ihren Untertanen im Glauben also leben und regieren solle, wie sich dieselbe vor Gott und dem Kaiser zu verantworten getraue. Zur Vorberei­ tung des Konzils sollen 6 bis 8 gelehrte und fromme Män­ ner beauftragt werden, alle streitige Lehre an der heiligen Schrift zu prüfen, und was sie vereinbarten oder worüber sie sich nicht einigten, dem Konzil vorzulegen, dem die letzte Entscheidung zustehen sollte 39). Mit diesen Beschlüssen hatte der Reichstag darauf ver­ zichtet, die Lösung der Glaubensfrage von sich aus weiter zu versuchen. Darum galt es jetzt nur noch die Frage zu lösen, wie man sich bis zur Entscheidung eines Konzils in den kirchlichen Fragen verhalten solle und wolle. Dazu bot sich nun ganz von selbst die Formel, welche bereits von den Kurfürsten gefunden worden war. So schlug denn der große Ausschuß im 4. Punkt seines Gutachtens vor: „Daß mittlerzeit ein jeder Fürst und Obrigkeit mit seinen Untertanen im heiligen christlichen Glauben also lebe und regiere, wie er solchs gegen Gott und kaiserliche Majestät hoffet und vertraut zu verantworten." Die Aufstellung einer Instruktion für die an den Kaiser abzuordnende Gesandtschaft brachte noch manche Schwie­ rigkeiten. Die römisch Gesinnten im Ausschuß bemühten sich, dieselbe möglichst in ihrem Sinn zu gestalten. Das zeigt uns ein Brief des Nürnberger Rats an seine Gesandten vom 14. August40), wo er bemerkt, daß die Gegner „die Botschaft zu ihrem Vorteil zu richten gedächten". Er wünschte, daß die Instruktion, die ihm offenbar zugesandt worden war, „mit einem mehreren Ansehen und Dartun", d. h. entschiedener und nachdrücklicher fordernd gestellt worden wäre. Der Rat wies auch darauf hin, wieviel auf die Auswahl der Personen für die Gesandtschaft ankomme und mahnte, darin recht vorsichtig zu sein. Auf etwaige

28 Fraktika, welche die Gegner hei dem Kaiser üben würden, müsse man sehr acht haben und das Nötige dagegen Vor­ kehren, damit der Kaiser nicht hinter dem Rücken der Evan­ gelischen zu Schritten bewogen werde, welche noch größere Beschwerden als bisher verursachen könnten. Wichtig war es für die Evangelischen, daß der Aus­ schuß den von den Römischen in die Instruktion gebrachten Satz strich, nach welchem, falls das geforderte Konzil oder eine Nationalversammlung nicht zustande komme, dem Kaiser allein die Entscheidung der Glaubensfrage zu über­ lassen sei. Ein weiterer Erfolg für die Evangelischen war es, daß die Gesandtschaft jetzt beauftragt wurde, vom Kai­ ser nicht nur ein milderes Verfahren gegen die Uebertreter des Wormser Edikts, sondern die Außerkraftsetzung des Wormser Edikts überhaupt verlangen sollte. Diese Aenderungen wurden denn auch in der Reichsversammlung vom 12. August angenommen. Der große Ernst, mit welchem der Nürnberger Rat diesen Verhandlungen folgte, aber auch die Freude, welche ihm die feste Haltung der Städte darin bereitete, spiegelt sich in den Ratsbriefen ab, welche in diesen Tagen an die Gesandten gingen. Hatte der Rat noch am 6. August an seinen Vertreter im Reichsregiment Christoph Tetzel nach Eßlingen geschrieben, in Speyer lasse sich die Handlung so an, daß, soviel sie Gottes Wort belangt, man sich mehr auf Gottes Hilfe, als auf das Tun der Menschen verlassen müsse41), so gab er am io. August Kreß und Baumgartner gegenüber seiner Freude darüber Ausdruck, ,,daß die Städte sich so tapfer in die Handlung richten", daß man hoffen könne, das werde zu viel Gutem dienlich sein. Schon darin, daß überhaupt eine Gesandtschaft an den Kaiser ab­ gehen sollte, sah der Rat einen großen Erfolg. Wenn nun noch erreicht würde, daß ein allgemeines oder wenigstens ein Provinzialkonzil zustande käme, wäre der deutschen Nation geholfen. Allerdings müßten die Städte sehr auf der Hut sein. Es könnte auch sein, daß man vonseiten der Gegner die Botschaft an den Kaiser nur bewilligt habe, um die Städte dafür in andern Dingen gefügiger zu machen.

29

Jedenfalls — so betont der Rat auch hier — müsse man bei der Auswahl der Personen für die Gesandtschaft recht vor­ sichtig sein 42). Zwar wurden auch jetzt noch durch den Kurfürsten zu Sachsen Einwendungen gegen die Instruktion erhoben. Auch von den Römischen wurden noch Aenderungsversuche gemacht.

Beides war verständlich angesichts der völlig ent­

gegengesetzten Standpunkte, die sich nun einmal nicht ver­ einigen ließen.

Als Ausweg schlugen schließlich die Römi­

schen vor,

die Evangelischen sollten zur Wahrung ihrer

Interessen

eine eigene Gesandtschaft neben der offiziellen

abordnen.

Einzelne evangelische Stände wären dazu ge­

neigt gewesen.

Auch der Nürnberger Rat war noch am

20. August dieser Meinung 43).

Ebenso hatte man in der

Umgebung des Kurfürsten zu Sachsen daran gedacht. Aber man war doch zu der Erkenntnis gekommen, daß dadurch der ursprüngliche Zweck der gemeinsamen Gesandtschaft, nämlich die kirchliche Einheit

wenn irgend möglich zu

retten, aufgehoben worden wäre. Dazu kam,

daß jetzt

Erzherzog Eerdinand

am

17.

August die Reichsstände dringend ersuchte, die Verhand­ lungen über diesen Gegenstand so rasch als möglich zum Abschluß zu bringen, damit sich der Reichstag noch über die Türkenhilfe einigen könne.

Er begründete diese Bitte

mit der bei ihm eingelaufenen Nachricht, daß die Türken bereits

tief nach Ungarn eingedrungen seien

große Schlacht bevorstehe, abhange.

Er

müsse

Speyer aufbrechen,

von derem Ausgang

und

eine

sehr viel

deshalb spätestens in 8 Tagen von

um in seine Erblande zu reisen und

nach dem Rechten zu sehen. die noch zur Beratung

Bis zu diesem Termin müßten

stehenden

vier Hauptpunkte

der

Vorlage erledigt sein: die Instruktion für die Gesandtschaft, die Maßnahmen zur Verhütung neuer Empörungen, Bewil­ ligung der Mittel zur Erhaltung des Reichsregiments und des Kammergerichts und die Türkenhilfe44). So wurde die Beratung der Instruktion für die Ge­ sandtschaft

durch

die beiden

obern Kurien

wieder auf­

genommen.

Die Hauptschwierigkeit für eine Einigung bil-

30

dete wieder die Frage der Aufhebung des Wormser Edikts. Der Antrag des Mainzer Erzbischofs, diesen Punkt über­ haupt zu streichen, stieß auf den entschiedenen Widerspruch des Kurfürsten zu Sachsen. Nachdem jedoch Pfalzgraf Ludwig darauf hingewiesen hatte, daß die Bitte der Stände um Aufhebung des Edikts noch nicht die Aufhebung selbst bedeute, und diese Bitte nicht entscheidend sei, vielmehr das bereits beschlossene Zugeständnis, daß es jedem überlassen bleibe, sich bezüglich des Edikts nach seinem Gewissen zu halten, so erklärten sich die Geistlichen, wie auch Branden­ burg bereit, einen Mehrheitsbeschluß darüber anzunehmen. Die Evangelischen gaben insofern nach, als sie zustimmten, daß der Kaiser nur um die Nichtdurchführung der Straf­ bestimmungen des Edikts ersucht werden sollte, womit nun auch die Römischen einverstanden waren45). In der Frage der Sicherung des Friedens im Innern gedachten die Stände vor allem die Ursachen zu beseitigen, welche zu der Empörung des Vorjahres geführt zu haben schienen, wobei man in erster Linie die Mißbräuche im Kirchenwesen ins Auge faßte, da man diesen einen großen Teil der Schuld beimaß. Da aber hier wieder das kaiser­ liche Verbot, im Kirchenwesen Aenderungen vorzunehmen, im Wege stand, beschränkte man sich auf die Beantwortung der Frage, wie einer etwaigen neuen Empörung zu begeg­ nen sei. Diese Aufgabe wies man einer Kommission zu, welche aus dem großen Ausschuß gebildet wurde und aus sechs Personen bestand: den Kurfürsten von Trier und Sachsen, den Vertretern von Freising und Hessen Philipp von Flörsheim und Balthasar von Schrautenbach, dem Gra­ fen von Wertheim und Jakob Sturm von Straßburg. Diese hielten es nun doch für nötig, vor allem die Beseitigung der kirchlichen und sozialen Mißstände anzuregen, aus denen der Aufstand des Vorjahres entstanden war. Darum nahm man wieder die Verzeichnisse der Beschwerden von Worms und Nürnberg vor; auch die neueren Arbeiten der einzelnen Kurien wurden benützt, ebenso das Beschwerden­ verzeichnis der Städte. So entstand ein Gutachten, dessen erster Teil diejenigen Beschwerden behandelte, welche dem

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gemeinen Mann aus clen in das Kirchenwesen und den geist­ lichen Stand eingedrungenen Mißbräuchen erwachsen waren, während der zweite Teil Vorschläge zur Erleichterung der untern Stände in ihrem sozialen Leben enthielt46). Dieses Gutachten wurde vom Ausschuß den Ständen am 18. August vorgelegt, konnte jedoch wegen Mangels an Zeit nicht mehr durchberaten werden. Dagegen wurde ein kürzer gefaßter Entwurf am 24. August angenommen und bildete sodann die Grundlage für die einzelnen Bestimmun­ gen, welche im Reichstagsabschied enthalten sind. Bünd­ nisse unter den Reichsständen zur Erhaltung des Friedens wurden abgelehnt. Man hielt es für genügend, wenn die­ selben sich dahin verständigten, daß sie bis zum Konzil ,,einander mit Treuen meinen“ und den Wormser Land­ frieden halten und handhaben wollten. Dagegen wollte man gegen die am Aufruhr beteiligt gewesenen Untertanen mit möglichster Milde verfahren. In der eigentlichen Hauptfrage, wie den Beschwerden der Untertanen abzuhelfen sei, kam man zu keiner Eini­ gung, wiewohl man bereit war, letzteren möglichst ent­ gegen zu kommen. Für genaue Festsetzungen darüber fehlte es an Zeit, sodaß der ganze diesbezügliche Passus in den Abschied kam. Man überließ diese Sache den einzelnen Obrigkeiten. In der Frage: Sitz und Stimme der Städte erklärte man diesen, ohne den Kaiser könne in dieser Sache keine Ent­ scheidung getroffen werden, denn sie bringe eine Verfas­ sungsänderung mit sich. Sobald der Kaiser ins Reich komme, werde man die Sache wieder aufnehmen. Bezüglich der Bündnisfrage ist noch folgendes zu sa­ gen. Nachdem der Landgraf bereits am 16. Juli mit Chri­ stoph Kreß und am folgenden Tag auch mit den Gesand­ ten von Straßburg, Augsburg, Nürnberg, Ulm und Frank­ furt wegen eines engeren Zusammenschlusses mit den evan­ gelischen Fürsten verhandelt hatte, kam der Kurfürst Johann mit dem Landgrafen in den kritischen Augusttagen auf diese Angelegenheit nocheinmal zurück. Sie ließen die Ge­ sandten von Augsburg, Nürnberg und Straßburg am Abend

3^ des 12. August zu sich kommen und denselben Vorhalten ob es nicht geboten erscheine, daß die Freunde des Gottes­ wortes ein Verständnis unter sich aufrichteten, so zwar, daß demjenigen, der wegen seiner Anhänglichkeit an Gottes Wort beunruhigt werde, die übrigen zu Hilfe kämen — ausgenommen gegen den Kaiser. Die Gesandten wiesen das nicht von der Hand. Nachdem sie auf Wunsch beider Für­ sten noch .den Vertretern von Frankfurt und Ulm von dem Ansinnen desselben Mitteilung gemacht hatten, berichteten die fünf Gesandten darüber nachhause, wobei die Straß­ burger in Rücksicht auf die Lage der Dinge angesichts der Ungewißheit, wie die Handlung auf dem Reichstag sich noch gestalten würden, es für empfehlenswert hielten, die Fürsten, auch wenn man zur Zeit noch kein festes Bünd­ nis mit ihnen schließen wollte, für alle Fälle an der Hand zu behalten. Das war auch die Meinung der übrigen Ge­ sandten. Selbst die sonst stets zaghaften Frankfurter glaubten, der Vorschlag der Fürsten könne der Stadt Nut­ zen bringen. Dem Nürnberger Rat fiel die Entscheidung nicht leicht. Er fürchtete sowohl von der Annahme als von der Ablehnung des Antrags Schwierigkeiten. Schließlich schlug er als gemeinsame Antwort der Städte folgende vor: Ihre Herren seien über den Willen der Fürsten, bei dem Wort Gottes zu bleiben, erfreut, aber über ein Bündnis beschließlich mit ihnen zu handeln, hielten sie zur Zeit weder für nötig, noch austräglich. Man sollte vielmehr das Ende des Reichstags abwarten und sehen, was als Resultat her­ auskomme. Nachdem der Kaiser der oberste Herr und das einig Haupt aller sei, müßten die Städte vor allem ihr Auf­ sehen auf ihn haben, wie man ja auch jetzt für not und gut bedacht habe, ihm Bericht zu erstatten. Damit wäre der Sache geholfen. Darum wären die Städte nicht dagegen, daß die beiden Fürsten, wenn sie es für gut und austräglich ansehen, nach Schluß dieses Reichstags einen Tag an gelegener Walstatt anberaumten, auf welchem über die Gesandtschaft an den Kaiser und den Antrag der Fürsten weiter und erfolgreicher als jetzt verhandelt werden könnte. Nachdem man mit den

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Fürsten soweit gegangen sei, daß man die Angelegenheit auf den Reichstag geschoben, sei es jetzt nötig, „etwas lauter“ mit der Sache vorzugehen, damit die Fürsten spüren, daß man sie nicht nur mit Worten abspeisen wolle; andrerseits sei es nötig, die Fürsten bei den Städten in einem unzertrennten, jedoch unvergriffenlichen Anhang zu behal­ ten 47). Beide Fürsten ersuchten darauf die Städte, welche sie zu Verhandlungen wegen des Bündnisses aufgefordert hat­ ten, bis Weihnachten dem Bürgermeister zu Frankfurt mit­ zuteilen, ob sie bereit wären, zur Frankfurter Fastnachts­ messe Gesandte dahin zu schicken. Am i. Dezember frag­ ten daher Kreß und Baumgartner bei dem Bürgermeister Hermann von Holzhausen zu Frankfurt an, ob die Herren von Frankfurt, welche zur Zeit bei dem kaiserlichen Regi­ ment zu Eßlingen weilten, bis Weihnachten wieder zurück­ kämen, bzw. wer von ihnen die Antwort des Nürnberger Rates in Empfang zu nehmen und an die Fürsten weiter­ zugeben berechtigt sei. Auch möchte man beim Nürn­ berger Rat gern wissen, wie Frankfurt zur vorliegenden Frage stehe, damit man sich darnach richten könne. Auch in Ulm ließ der Rat deswegen anfragen. Dort scheint man Nürnbergs Anfrage bejahend beantwortet zu haben. Denn Nürnberg schrieb am 31. Dezember an Ulm, es werde sich nach Straßburgs Rat halten; denn die Verhältnisse gestalte­ ten sich derart, daß man, was jetzt vor die Türe komme, später vielleicht gern weit her holte 48). Wir kehren zum Reichstag zurück. Am 24. August wurde mit der Verabfassung des Abschieds begonnen. Man mußte sich mit der Formulierung umsomehr beeilen, da sich der Statthalter am 27. August vormittags verabschie­ den wollte. An diesem Tage war auch der Abschied fer­ tig. Aus ihm tritt uns vor allem die Tatsache entgegen, daß durch denselben in der Hauptfrage, welche der Reichs­ tag hätte lösen sollen, keine Entscheidung getroffen wer­ den konnte. Auch die Bemühungen der Stände, wenigstens die ärgsten kirchlichen und sozialen Mißstände durch ent­ sprechende Reformen zu beseitigen, waren an dem Wider3

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stand der Geistlichen gescheitert. Auch die von den Stän­ den beschlossene Gesandtschaft an den Kaiser kam schließ­ lich doch nicht zustande. Schon während der Verhandlun­ gen wurde sie von der römischen Partei, die es nicht haben wollte, daß der Kaiser die nötige Aufklärung erhielt, nach Kräften bekämpft. Aber auch nach dem Schluß des Reichs­ tags geschah durch die Römischen was nur immer mög­ lich war, um die Gesandtschaft zu hintertreiben. Auf ihr Betreiben wurden die von den Ständen erwählten Gesandten nach Eßlingen befohlen, um dort vom Reichsregiment ab­ gefertigt zu werden, obwohl sie bereits von den Ständen ab­ gefertigt worden waren. Dort aber wurde ihnen gesagt, aus der Reise könne nichts werden. Was man dem Kaiser mitzuteilen habe, werde man ihm schriftlich berichten. Mit einer Entschädigung für ihre Ausrüstung und die bis da­ hin entstandenen Reisekosten wurden sie wieder heim­ geschickt 49). Aber auch die versprochene schriftliche Mit­ teilung an den Kaiser unterblieb. Man schrieb diesem, die Gesandtschaft werde erst vom nächsten Reichstag, der auf den 31. März 1527 nach Regensburg anberaumt war, ab­ gefertigt werden, was jedoch ebenfalls nicht gehalten wurde! Die Vereitelung der Gesandtschaft mußte natürlich da­ hin führen, daß die verworrenen Zustände im Reich sich nur noch mehr verwirrten und eine Lösung immer schwie­ riger wurde. Allerdings ist hier die Frage am Platze, ob man sich von der Gesandtschaft beim Kaiser überhaupt einen Erfolg versprechen durfte, ob sich die Evangelischen dabei nicht einem Optimismus hingaben, der doch bisher immer wieder durch das Verhalten des Kaisers als völlig unberechtigt erwiesen wurde. Gewiß konnte damals an­ genommen werden, daß der Kaiser, der sich vom Papst schmählich verraten sah und diesen nun auf der Seite seines gefährlichsten Gegners wußte, sich den Evangelischen wenigstens aus politischen Gründen nähern würde. Konnten diese nicht seine besten und zuverlässigsten Bundesgenossen werden? Ja, waren sie das nicht in der Tat? Begegneten sich nicht des Kaisers Interessen mit den ihrigen? Arbeiteten

35 diese nicht für ihn, indem sie die pästliche Anmaßung und Autorität bekämpften, seine Eingriffe in die weltlichen An­ gelegenheiten zurückwiesen und seine Einnahmequellen aus Deutschland verschütteten? In der Tat war der Kaiser während des Reichstages nahe daran gewesen, die Straf­ bestimmungen des Wormser Edikts zu ermäßigen, ja sie aufzuheben. Man lese den Brief des Kaisers vom 27. Juli 1526 an seinen Bruder! 50). Jedenfalls erwog er die Sache damals. Aber nicht nur am Hof fanden sich Stimmen, die davon abrieten. Sein Bruder aber mußte dagegen sein, da es gegen seine persönlichen Interessen ging, wenn die Evangelischen in deutschen Landen zu größerem Ansehen und Einfluß gelangten. Dazu kam, daß dem Kaiser immer wieder die Sorge aufstieg, mit dem Zusammenbruch der römischen Hierarchie werde auch sein Reich zerfallen! So war denn auch der Gedanke, die Evangelischen gegen den Papst auszuspielen, bald überwunden. Und so darf an­ genommen werden, daß die Gesandtschaft, auch wenn sie zum Kaiser gekommen wäre, bei ihm keine freundliche Auf­ nahme gefunden hätte! Trotzdem wäre es für die Evangelischen sehr wertvoll gewesen, wenn die Gesandtschaft der Stände zum Kaiser gekommen wäre. Irgend einen Bescheid hätte er ihr doch geben müssen, an den man hätte anknüpfen und weiter handeln können. So aber schwand durch die Vereitelung der Gesandtschaft endgültig die Aussicht auf eine Bei­ legung des kirchlichen Zwiespalts durch gemeinsame Ver­ einbarungen der Stände. Denn die Beschlüsse des Reichs­ tags und der Reichstagsabschied hatten eben die Gesandt­ schaft zur Voraussetzung. Mit dieser Voraussetzung fiel auch der Abschied in seinem Erfolg dahin. Ein fester Punkt allerdings, an den man sich halten konnte, war noch vorhanden: der einhellige Beschluß des Reichstags, daß jeder Stand bis zur endgültigen Entschei­ dung durch ein Konzil für sich und sein Gebiet sich in der Glaubenssache so halten wolle, wie er es vor Gott und dem Kaiser zu verantworten sich getraue. Nur kam es darauf an, wie man diesen Beschluß verstand! 3*

36 Jedenfalls haben die Reichsstände diesen Beschluß nicht so gemeint, daß nun jeder tun sollte, was ihm be­ liebte, sich von der römischen Kirche lossagte und nach eigenem Gutdünken reformierte. Nicht zerreißen wollte man die Kirche, vielmehr wollte man ihre Einheit retten und erhalten. Zu diesem Zweck wollte man die Gesandt­ schaft an den Kaiser schicken. Diese sollte ihn im Namen aller Stände bitten, daß er ein Konzil, oder wenn ein sol­ ches nicht zustande komme, eine Nationalversammlung ver­ anstalte, durch welche womöglich die ganze oder doch wenigstens die deutsche Kirche reformiert werde. Bis das ge­ schehe, sollte ein Waffenstillstand zwischen den streitenden Parteien gehalten werden, durch welchen zwar der schließlichen Entscheidung nicht vorgegriffen, aber der gegen­ wärtige Stand bis zu dieser anerkannt sein sollte, weil ohne eine solche Anerkennung ein einhelliger Reichstagsabschied nicht möglich gewesen wäre. Was man vom Kaiser erwartete, war im Abschied deutlich gesagt. Man bat ihn, er möge die bisherigen Uebertretungen des Wormser Edikts nicht strafen. Damit aber, daß man die endgültige Schlichtung der kirchlichen Entzweiung einem Konzil oder einer Nationalversammlung überließ, verpflichteten sich die Stände zugleich, alles zu vermeiden, was der künftigen Entscheidung der angerufe­ nen Instanzen vorgreifen und dieselbe verhindern konnte. Damit war freilich der Abschied nicht beiden Parteien ganz gerecht geworden! Den Evangelischen verbot er, weitere Neuerungen einzuführen; aber die katholischen Stände hinderte er nicht, in ihren Gebieten nach dem Worm­ ser Edikt zu regieren. Schon darin lag eine Gefährdung des Waffenstillstandes. Aber eine noch viel größere be­ deutete die Vereitelung der Gesandtschaft durch die Röm­ linge. Ihre Vollziehung wäre das letzte Mittel gewesen, den Uebergangszustand, der nun geschaffen war, bis zur Entscheidung aufrecht zu erhalten und zugleich die Ent­ scheidung selbst zu sichern. Aber die Gesandtschaft ging nicht ab 51). Der nächste Reichstag zu Regensburg tat in der Glaubensfrage nichts.

37 Von einem Konzil oder einer Nationalversammlung war nicht mehr die Rede. Der Kaiser blieb in Spanien. Seine Generale kämpften in Italien gegen den Papst und den wortbrüchigen König von Frankreich. Der Reichsstatthal­ ter beschäftigte sich mit seinen persönlichen Interessen. Die Erwerbung der römischen Königskrone galt ihm mehr als die kirchliche Befriedung Deutschlands. Und wenn er einmal daran dachte, dann suchte er nur eine Befriedung durch gewaltsame Unterdrückung der Reformation! Damit aber war nun auch der wichtigste Punkt 4 des Reichstagsabschieds und damit zugleich dieser selbst und seine Wirkung hinfällig geworden. Unter den ge­ gebenen Verhältnissen war den evangelischen Ständen das Recht gegeben, sich selbst zu helfen, nachdem weder der Kaiser, noch sein Statthalter helfen wollten. Nun nahmen die evangelischen Stände unter dem Schutz des Reichstags­ abschieds die kirchliche Bewegung in ihre Hand und leiteten sie im evangelischen Sinne. Damit war freilich die Spaltung der deutschen Nation in kirchlicher Beziehung vollzogen. Aber die Schuld da­ ran trugen nicht die Evangelischen, sondern die Römischen in Deutschland, die eine Reformation und den Frieden nicht wollten, sondern nur ihren Vorteil suchten. Die Schuld trifft weiter Karl V. und das Haus Habsburg. Den In­ teressen der habsburgischen Weltmonar­ chie mußte die kirchliche Einheit der deut­ schen Nation geopfert werden!



Kapitel XII.

Im Kampf um die Erhaltung der Reformation. Durch den Reichstagsabschied von 1526 war das Gegen­ teil von dem erreicht worden, was der Kaiser hatte durch­ setzen wollen. Die gewaltsame Unterdrückung jeglicher Re­ formation mit Hilfe des Wormser Edikts war das Ziel gewe­ sen, das jener sich mit der Veranstaltung dieses Reichstags gesetzt hatte. Der Abschied aber, welcher schließlich zu­ stande kam, gab jedem Reichsstand das Recht und die Frei­ heit, bis zur Entscheidung durch ein Konzil die kirchlichen Angelegenheiten in seinem Gebiet auf eigene Verantwortung nach seinem Gewissen zu ordnen, ein Beschluß, der selbst­ verständlich den höchsten Unwillen des Kaisers erregte. Hatten dabei die Evangelischen noch immer gehofft, den Kaiser durch eine auf dem Reichstag beschlossene Gesandt­ schaft über die kirchliche Bewegung, ihre Berechtigung und ihre Ziele aufzuklären und so zu einer Verständigung mit ihm zu kommen, so war das freilich unmöglich geworden dadurch, daß der kaiserliche Statthalter und die römisch gesinnten Stände die Absendung dieser Gesandtschaft verhindert hatten. So durften die Evangelischen nichts anderes erwarten, als daß der Kaiser auch weiterhin ihr Gegner bleiben und die Reformation bekämpfen werde, wo nur immer sich die Mög­ lichkeit dafür bot. Freilich war ihm diese Möglichkeit zu­ nächst genommen durch die Schuld des Papstes, der, ohne es zu wollen und zu sehen, zum Bundesgenossen der Evan­ gelischen geworden war dadurch, daß er sich in seiner Ver­ blendung aufs neue auf die Seite der Feinde des Kaisers ge­ schlagen und diesen gezwungen hatte, nun auch gegen ihn

39 selbst die Waffen zu ergreifen, was schließlich sogar zur Erstürmung und Plünderung Roms und zur Gefangen­ setzung des Papstes führte. Ja, es kam sogar dahin, daß der Kaiser den Papst auch mit geistigen Waffen bekämp­ fen ließ, indem er seinen Sekretär Alfonso de Valdez be­ auftragte, eine Schrift ausgehen zu lassen, durch welche das römische System in seinem Kern angegriffen und der Kirchenlehre Roms die Lehre Christi entgegengestellt wurde 1). Da diese Entzweiung zwischen dem Kaiser und dem Papst bis ins Jahr 1529 währte, war bis dahin der evan­ gelischen Bewegung in Deutschland Zeit und Ruhe gegeben, sich soweit zu entfalten und zu befestigen, daß sie nicht mehr zu unterdrücken war. Man kann sagen, daß diese Jahre der Feindschaft zwischen dem Kaiser und dem Papst der deutschen Reformation das Leben gerettet haben! Allerdings blieben auch diese Jahre für die Evangeli­ schen nicht ohne Schwierigkeiten und Kämpfe. In dem Maße, in welchem diese von dem ihnen im Reichstags­ abschied von 1526 gegebenen Recht Gebrauch machten und sich von der römischen Hierarchie loslösten, regte sich auch der Widerstand derjenigen, welche sich dadurch beeinträch­ tigt fühlten. Nürnberg gegenüber war es vor allem der Bischof von Bamberg, der den Kampf, welchen er bereits im Herbst 1524 begonnen hatte, jetzt fortsetzte. Auf dem Bundestag zu Augsburg reichte derselbe beim Schwäbischen Bund eine Klageschrift ein, in der er den Nürnberger Rat beschul­ digte, ihn seiner geistlichen Jurisdiktion entsetzt zu haben. Weiter beschwerte sich der Bischof darüber, daß ihm von den Nürnbergischen auf Anordnung des Rates der so­ genannte kleine Zehnte vorenthalten werde 2). Der Bischof hatte nämlich beim Beginn des Bauernkriegs, um seine Untertanen vom Aufruhr abzuhalten, den kleinen Zehnten in seinem Herrschaftsgebiet, wie in seinem ganzen Stift aufgehoben, und der Nürnberger Rat war ihm darin auch in seinem Gebiet gefolgt 3). Nach Beendigung des Bauern­ aufstandes forderte der Bischof von seinen Untertanen den

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Zehnten wieder, weil diese sich doch dem Aufruhr an­ geschlossen hatten. Als er die gleiche Forderung auch an die Nürnberger Untertanen stellte, trat der Rat für diese ein mit der Begründung, daß seine Untertanen sich nicht empört hätten und er es darum nicht für recht halte, den Zehnten wieder einzuführen und wieder an den Bischof zah­ len zu lassen. Am 22. März machte der Bischof einen neuen Versuch, die Stadt Nürnberg wieder unter seine Botmäßigkeit zu bringen, in dem er Gesandte dahin schickte, mit dem Auf­ trag, ein Mandat öffentlich anzuschlagen, welches den Geist­ lichen Nürnbergs befahl, ihre Gemeinden von ,,der lutheri­ schen Sekte“ abzuweisen und die Ohrenbeichte, wie die Abendmahlsfeier nur in einer Gestalt wieder einzuführen 4). Der Rat verbot jedoch den Anschlag dieses Mandats. Auf dem Bundestag zu Donauwörth wurde darauf im Mai 1527 verfügt, daß Nürnberg verpflichtet sei, durch seine Unter­ tanen den kleinen Zehnten wieder an den Bischof zahlen zu lassen. Gleichzeitig wurde beschlossen, auf dem nächsten Bundestag auch die Frage der Jurisdiktion gegen Nürnberg wieder aufzunehmen 5). Diesem Vorhaben griff der Schwäbische Bund durch ein Mandat vom 5. Juli vor, in welchem Nürnberg angewie­ sen wurde, gegen ,,aufrührerische Rädleinsführer und Auf­ wiegler in dem vergangenen Aufruhr (d. h. im Bauern­ krieg)“ vorzugehen. Dabei waren in dem Mandat auch ,,ausgelaufene Ordensleute und andere Geistliche“ genannt. Der Nürnberger Rat antwortete darauf, in dem Bundes­ beschluß des Tages zu Donauwörth habe es sich in Wirk­ lichkeit um ,,Rädleinsführer und Aufrührer“ gehandelt und keineswegs um ,,Geistliche und Ordensleute“. Diese seien erst nachträglich in den Bundesbeschluß und damit in das nach Nürnberg ergangene Mandat eingeschmuggelt worden. Man wisse ja, daß durch etliche Bundesstände und andere Leute gegen die Städte, bei denen das Evangelium gepredigt werde, allerlei Anschläge unternommen würden in der Ab­ sicht, aus diesen Städten die Prediger mit Gewalt zu ver­ treiben und den Bischöfen und anderen Geistlichen alle ihre

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frühere und vielleicht noch mehr Obrigkeit, Jurisdiktion und den Zwang auch über ihre Seelen wieder zu verschaffen und das Wort Gottes mit Wiederaufrichtung aller alten, gottlosen Mißbräuche ganz aus den Städten zu vertreiben, wie auch etlichen Städten bereits geschehen sei, und jetzt der Bischof von Konstanz gegen Ulm und der von Bamberg gegen Nürnberg in stattlicher Arbeit stünden. Jedenfalls gedächte der Rat nicht, seine Geistlichen unter die „Räd­ leinsführer und Aufrührer“ einschmuggeln zu lassen G). Um gegen derartige Umtriebe der Bischöfe gemein­ sam aufzutreten, hatte Augsburg einen allgemeinen Städte­ tag vorgeschlagen. Da man jedoch in Nürnberg wußte, daß in der Glaubensfrage nicht alle Städte einig waren, empfahl dieses zunächst eine Zusammenkunft der drei Städte Nürn­ berg, Augsburg und Ulm zu einer Beratung im engeren Kreise. Diese fand am 29. September in Ulm statt. Nürn­ berg war auf diesem Tag durch Endres Imhof und Bernhard Baumgartner vertreten. Hier beschlossen die drei Städte, gegen jedes feindselige Vorgehen des Schwäbischen Bundes in Glaubenssachen gemeinsam zu protestieren und sich auf die Reichstagsabschiede zu berufen, welche die Entschei­ dung über Glaubenssachen einem Konzil vorbehielten. Wei­ ter wurde beschlossen, noch vor dem nächsten Bundestag einen allgemeinen Städtetag abzuhalten. Nürnberg sollte die Vorbereitung dafür übernehmen und zu dem Tag einla len. Der Rat fand es für gut, einen Teil der Städte durch seinen Syndikus Michael von Kadan zu beschicken, um dieselben über die Lage der Dinge zu informieren 7). Am 12. Oktober reiste dieser zu den Städten Heilbronn, Dinkelsbühl, Hall, Wimpfen, Weißenburg und Windsheim. Die ihm vom Nürnberger Rat mitgegebene ausführliche Instruktion für die mit den Städten zu pflegenden Verhand­ lungen wies ihn an, die Städte zu überzeugen, daß es zur Lösung der kirchlichen Frage keinen andern Weg gebe, als die Abhaltung eines Konzils oder einer Nationalversamm­ lung. Alle Städte müßten darin einig sein, daß der auf dem letzten Bundestag des Schwäbischen Bundes gemachte Ver­ such, von sich aus eine Lösung eigenmächtig herbeizufüh-

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ren, unter keinen Umständen von den Städten zu dulden sei. Ferner dürften es sich die Städte nicht gefallen lassen, daß der Bund gegen ausgetretene Ordensleute und evan­ gelische Prediger in den Städten, wie er vorhabe, ,,mit der Tat handle“, oder auf Verlangen der Bischöfe gegen die Städte, welche aufgrund des Wortes Gottes Aenderungen im Gottesdienst vorgenommen, mit Strafen einschreite. Denn wenn so der Bund sich zum Richter in Glaubenssachen aufwerfe, handle er im Widerspruch zu allen Reichstags­ abschieden der letzten Zeit. Weiter sollte der Syndikus den von ihm besuchten Städten ankündigen, Nürnberg, Augs­ burg und Ulm hielten es für notwendig, noch vor dem näch­ sten Bundestag einen Städtetag einzuberufen, um gemein­ sam zu bedenken, wie den Beschwerden, die aus solchem Vorgehen des Bundes erwachsen müßten, zu begegnen sei. Die Städte, welche am Evangelium hängen und Christen sein wollen, könnten unmöglich ihre Prediger entlassen, die alten Mißbräuche wieder einführen und sich den Ent­ schließungen des Bundes fügen. Die schlimmsten Zustände würden daraus entstehen. Was heute einer Stadt begegne, könne morgen den andern widerfahren. Die drei Städte denken nicht an ihren eigenen Nutzen, sondern an Gottes und seines Wortes Ehre und an die Wohlfahrt und das Ge­ deihen aller Städte des Reiches, auch derjenigen, von deren Häusern das Feuer noch weit entfernt scheine und die noch an keine Gefahr dächten. Da aber die drei Städte besorgten, etliche Bundesstädte möchten die Lage nicht für ernst und gefährlich ansehen und die religiöse Frage als nicht so drin­ gend empfinden, möchten sie und namentlich Nürnberg als die Stadt, die es besonders zu schätzen wisse, was es um das Evangelium, und was christlich, gut und ehrbar sei, und was zur Erhaltung des Bundes am besten diente, auf die Wich­ tigkeit der Sache hinweisen mit dem Ersuchen, der Sache fleißig nachzudenken und zu erwägen, was allen Städten und Ständen des Zeitlichen wie des Ewigen halber daran gelegen sei, und wozu das Amt der Obrigkeit verpflichte und darum ihre Ratsbotschaft zu dem erwähnten Städte­ tag schicken 8).

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Am 24. Oktober kam Michael von Kadan von seiner Rundreise zurück. Bei allen besuchten Städten hatte er die Bereitwilligkeit gefunden, den Städtetag zu besuchen und im Verein mit Nürnberg, Augsburg und Ulm das Beste zu tun, sich „als Christen und dem Wort Gottes gemäß zu erzeigen“ 9). Der Städtetag wurde auf den 11. November 1527 nach Nördlingen ausgeschrieben. Nürnberg ordnete Clemens Volkamer, Bernhard Baumgartner und den Juristen Dr. Hepstein dahin ab und trug ihnen auf, mit Augsburg und Ulm dafür tätig zu sein, daß womöglich alle Städte gegen ein Eingreifen des Schwäbischen Bundes in der Glaubens­ sache stimmten. Für den Fall aber, daß die Bundesversamm­ lung trotzdem sich dazu entschließe, sollte jede Stadt ihrem Bundesrat befehlen, dagegen zu protestieren. Den kleinen Städten sollte versichert werden, daß die andern, falls ihnen etwas Beschwerliches begegne, für sie eintreten würden. Das werde bei dem „widerwärtigen Haufen“ Eindruck machen und sie zur Zurückhaltung veranlassen 10). Auch an den Landgrafen von Hessen sandte der Rat seinen Syndikus mit dem Auftrag, auch diesem die Sorgen und Beschwerden wegen der Glaubensfrage vorzutragen und ihn zu bitten, er möge sich auf dem Bundestag der evan­ gelischen Städte tatkräftig annehmen 1X). Auf dem Städtetag zu Nördlingen einigten sich die Städte tatsächlich in dem Beschluß, falls auf dem kommen­ den Bundestag auf Anhalten der Geistlichen in der Glau­ benssache gegen eine Stadt ein Urteil gefällt werden sollte — besonders bedroht schienen damals Eßlingen, Biberach und Donauwörth zu sein —, wollten sämtliche dagegen pro­ testieren. Auch den in der Nürnberger Instruktion empfoh­ lenen Grundsatz, daß eine Behandlung der Glaubenssache allein einem Konzil zugestanden werden sollte, eignete sich der Städtetag an. Ebenso berief man sich, wie schon im­ mer, auf die Nürnberger Reichstagsabschiede und jetzt auch auf den von Speyer12). So war denn auch dieser vom Schwäbischen Bund be­ absichtigte Angriff durch den Weitblick und das kluge und

44 geschickte Vorgehen Nürnbergs abgewendet.

Als am iG.

Februar 1528 ein neuer Bundestag in Augsburg stattfand, wagte es niemand, gegen die Städte, welche durch Nürn­ bergs Umsicht hier geeinigt und geschlossen

dastanden,

etwas zu unternehmen. Auch mit dem Bischof zu Würzburg war der Nürn­ berger Rat in Schwierigkeiten gekommen, die sich lange Zeit hinzogen.

Der Bischof hatte es den Nürnbergern sehr

verübelt,

sie

daß

den Würzburger Domprediger Johann

Graumann und den Weihbischof Johann Bettendorfer, wel­ che beide wegen ihrer evangelischen Gesinnung aus Würz­ burg hatten weichen müssen, in Nürnberg freundlich auf­ genommen und dem ersteren sogar ein Predigtamt über­ tragen hatten und ihn auch bei dem Religionsgespräch ehren­ amtlich hatten mitwirken lassen.

Der Bischof vergalt das

den Nürnbergern unter anderem auch damit, daß er einen dem Nürnberger Egydienkloster aus Iphofen geschuldeten Weinzehnten,

welcher infolge der Auflösung des Klosters

an das ,,Große Almosen“ gefallen war, den Pflichtigen an letzteres zu leisten verbot und erklärte, er werde die Lei­ stung dieses Zehntens erst dann wieder gestatten, wenn der zwischen dem Nürnberger Rat und dem Kloster wegen Auf­ lassung des Klosters geschlossene Vertrag die Bestätigung des Papstes erhalten habe 13). Von den noch bestehenden Klöstern begegneten dem Rat ebenfalls fortgesetzt Schwierigkeiten.

So zeigte sich die

Priorin zu Engelthal Brigitta Hallerin so widersetzlich und ungehorsam, daß der Rat gezwungen war, sie abzusetzen. Sie hatte ihre Schwester Anna, die ebenfalls in diesem Klo­ ster war, hinter dem Rücken des Rates in weltlichen Klei­ dern zu dem Provinzial geschickt, um den Rat bei diesem zu verklagen.

Darum ließ der Rat die beiden Schwestern

mit einem Wagen aus dem Kloster holen, Nürnberger Katharinenkloster zu schaffen. sprangen beide vom Wagen und entflohen.

um sie in das Aber unterwegs Der Rat teilte

dies ihren Verwandten mit und bemerkte dazu, er wolle es beiden selbst überlassen, was sie nun tun und wohin sie sich wenden wollten.

Nach Engelthal aber durften sie nicht

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mehr zurückkehren. Die übrigen Insassen des Klosters er­ mahnte der Rat, ruhig und friedlich miteinander zu leben, das Wort Gottes von ihrem Prediger fleißig zu hören, ,,sich der Mönche (anderer Klöster) und ihrer Briefe zu entschlagen (!)“, und dem Rat gehorsam zu sein. Dann werde er auch väterlich und treulich für sie sorgen und sie mit einer neuen Priorin versehen 14). Später verklagte Brigitta Hallerin den Rat beim Schwä­ bischen Bund, dem sie auf dem Bundestag zu Ulm und neuerdings auf dem zu Donauwörth eine ausführliche Klage­ schrift einreichte, welche durchaus grundlose und wahrheits­ widrige Anschuldigungen gegen den Rat enthielt. In seiner Verantwortung gegenüber dem Bund beschränkte sich der Rat auf die Versicherung, daß der Priorin niemals von ihm Unrecht getan worden und alle ihre Klagen grundlos und gegen die Wahrheit seien. Schon im Katharinenkloster, in welches sie seinerzeit eingetreten sei, habe die Hallerin sich derart „ungeschickt“ gehalten, daß der Rat sie von dort habe entfernen und nach Engelthal versetzen müssen 15). Auch die Klosterfrauen von Pillenreut machten dem Rat viel zu schaffen, indem sie ihren Widerstand gegen die Anordnungen und Maßnahmen desselben hartnäckig fort­ setzten. Nachdem der Rat gütlich mit ihnen geredet und versichert hatte, daß alles, was er bei ihnen verfügt habe, aus gutem, christlichem Grund, Gott zu Ehren und zur Förderung ihres Heils geschehen sei, sie aber trotzdem den ihnen geordneten Prediger nicht hören wollten, gab er ihnen keinen andern Prediger und verbot ihnen auch, sich selbst einen anderen zu wählen, der wieder die alten Mißbräuche einführen würde 16). Wiederholt mußte der Rat auch in den Fällen einschreiten, in welchen ein Kloster den austretenden Nonnen ihr eingebrachtes Vermögen oder das ihnen nach Anordnung des Rates zugesicherte „Leibgeding“ verweigerte. Hier forderte der Rat unerbittlich die Erfüllung der gegebenen Zusage 17). Ein Predigermönch hatte öffentlich behauptet, das Sakrament des Altars nach der Einsetzung Christi zu rei-

46 chen, oder zu empfangen, sei eitel Ketzerei. Es war auch be­ kannt geworden, daß derselbe heimlich Briefe in die Frauen­ klöster und heraus bringe. Als der Rat ihm das Vorhalten ließ, leugnete er. Wiewohl der Rat wußte, daß die Beschul­ digung begründet war, sagte er ihm, man wisse es anders, als seine Entschuldigung anzeige; man werde aber auf ihn acht haben und gegebenenfalls gegen ihn handeln, wie es billig sei. Denn ein Rat gedenke solche Lästerreden und anderes weder von ihm, noch von andern gedulden 18). Eine Schwierigkeit besonderer Art bereitete es dem Rat, daß manche Nonnen aus Gewissensgründen das Sakra­ ment auch angesichts des Todes von dem ihnen durch den Rat zugewiesenen Geistlichen nicht nehmen wollten und lieber ohne dasselbe starben. Um solchen entgegenzukom­ men, ordnete der Rat an, daß sie von geeigneten Personen besucht, nach ihren Wünschen befragt und beraten werden sollten. Auch sollte Pirkheimer, der bekanntlich katholisch geblieben war, um seinen Rat gebeten werden, wie man sol­ chen Nonnen zu ihrem Besten raten und helfen könne li‘). Der Rat hatte gehört, daß der Provinzial, dem das Kloster Engelthal unterstand, eine von einem reisigen Knecht begleitete Priorin dorthin geschickt habe mit dem Auftrag, dort eine Visitation zu halten und ,,etwas zu prak­ tizieren“, was dem Rat und dessen christlichen Ordnungen zuwider sei. Darum befahl er, jemand hinauszuschicken, der mit dem Pfleger ins Kloster gehe und die beabsichtigte Visitation verhindere, da hiefür der Rat zuständig sei 20). Von dem Provinzial und Convent des Predigerordens zu Wimpfen kam ein Gesandter und erklärte vor dem Rat, nachdem die Insassen des Nürnberger Predigerklosters welt­ liche Kleider trügen und unbeschoren gingen, sei er ab­ gesandt, das Kloster und dessen Insassen wieder in Ordnung zu bringen, jedoch mit Hilfe und Beistand des Rates. Er habe vor, zu fordern, daß die Mönche wieder ihre Kutte anziehen, Messen lesen, psallieren und singen. Man antwortete ihm, ein Rat habe den Vorstehern des Klosters nie verwehrt, ihre Mönche ordentlich und christlich zu versehen, Das wolle der Rat auch jetzt nicht hindern. Was aber den

47 äußerlichen Gottesdienst und die Kirchengebräuche betreffe, so könne der Rat nicht dulden, daß diese Gebräuche heim­ lich oder öffentlich wieder anders gestaltet würden, als in beiden Pfarrkirchen. Den übrigen Nürnberger Mönchen ließ der Rat sagen, falls der Gesandte von Wimpfen sie irgendwie gegen ihr Gewissen bedränge, möchten sie es ihm anzeigen, damit er sie gegen Gewalt schützen könne 21). Im Barfüßerkloster hatten die Mönche in der letzten Zeit mehrfach Gastmahle für Handwerker und andere Bür­ ger veranstaltet und sich dafür bezahlen lassen. Auch neuer­ dings hatten sie durch einen öffentlichen Anschlag am Kloster zu einem solchen eingeladen. Auch hatte der Rat gehört, daß bei solchen Gastereien gegen den Rat und die Stadt „nicht viel Gutes praktiziert werde''. Darum verbot er solche Veranstaltungen. Auch ordnete er aufs neue an, daß die Klosterkirche für Leute aus der Stadt verschlossen bleibe 22). Markgraf Casimir, der sich mehr und mehr feindselig gegen die Reformation einstellte, hatte den Pfarrer von Puschendorf verhaften lassen, weil er seiner Gemeinde das heilige Abendmahl nach Christi Einsetzung gereicht und ein Kind ohne Anwendung des bisher nach römischer Ordnung üblichen Salbens mit Chrysam getauft hatte. Der Rat, wel­ chem für Puschendorf das Lehensrecht zustand, trat für den Pfarrer ein und bemühte sich um dessen Freilassung. Darauf ließ ihn der Markgraf frei, aber gegen das Ver­ sprechen, daß er das markgräfliche Gebiet verlasse. Der Rat nahm den vertriebenen Pfarrer bei sich auf und ver­ sprach, ihn anderweitig in seinem Gebiet unterzubringen. Nach Puschendorf setzte er einen andern Pfarrer 23). Hatte so der Rat um diese Zeit vielfach Veranlassung, allerlei Widerständen und Schwierigkeiten aus dem römi­ schen Lager zu begegnen und darauf zu sehen, daß, was auf kirchlichem Gebiet erreicht und gebessert worden war, er­ halten und gesichert bleibe, so blieb es ihm auch nicht er­ spart, daß dem Reformationswerk auch aus dem eigenen Lager Feinde entstanden, welche dasselbe schwer zu schä­ digen drohten und heftige Kämpfe verursachten. Es war

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48.

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vor allem der Kampf zwischen der Wittenber­ ger und der Schweizerischen Reformation, welcher um diese Zeit anhob und dessen Wellen und Strö­ mungen auch in das Nürnberger Gebiet und dessen Gemein­ deleben hereinschlugen. Schon im Jahr 1524 war in Wittenberg der bekannte leidenschaftliche und schwärmerische Johann Karlstadt mit einer Erklärung der Einsetzungsworte zum heiligen Abend­ mahl hervorgetreten, welche nicht unwidersprochen bleiben konnte, weil sie eine Leugnung des Wesentlichen an diesem Sakrament bedeutete. Da er damit in Sachsen einem ent­ schiedenen Widerspruch begegnete und sich auch sonst wegen seines unruhigen und schwärmerischen Wesens nicht mehr halten konnte, begab er sich nach Franken, wo er da und dort Anhänger fand und in Rothenburg in der ersten Zeit des Bauernkriegs eine üble, der Stadt nur schädliche Rolle spielte. Die daraus für die kirchliche Reformation erwach­ sende Gefahr wurde um so größer, als im März 1525 auch der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli mit einer Auffas­ sung hervortrat, welche derjenigen Karlstadts ähnlich war. Wie dieser, wollte auch Zwingli die Einsetzungsworte ledig­ lich sinnbildlich verstanden wissen, sodaß seine rein ver­ standesmäßige Erklärung derselben den Sakramentscharak­ ter völlig aufzuheben drohte. Auf Zwingli’s Seite finden wir den Baseler Theologen Oekolampad. Als entschiedener Gegner beider trat vor allem Luther in die Schranke, unterstützt von seinem Freund Bugenhagen, welcher in einer trefflichen Schrift die biblische Auffassung verteidigte24). Trotzdem breitete sich Zwingli’s Lehre nicht nur in der Schweiz, sondern auch in dem angrenzen­ den Schwaben, besonders in Memmingen, Augsburg und Ulm, ja auch zum Teil in Franken aus. Da war es denn von großer Wichtigkeit, welche Auffassung in Nürnberg, das als Vorkämpfer der Reformation im Süden Deutschlands eine führende Stellung einnahm und darum auch für andere Städte vielfach maßgebend war, die Oberhand gewann. Auch hier hatte Zwingli Anhänger gefunden. So trat ein ehemali­ ger Karthäusermönch Franz Kolb und der Diakon Weiß bei

49 St. Sebald, welch letzterer humanistisch gebildet und ein literarischer Freund Pirkheimers war, für die Zwinglische Lehre ein.

Auch Luther wußte, daß Karlstadt bei einzelnen

Gebildeten in Nürnberg Anklang gefunden hatte, die dann auch Zwingli zustimmten 25).

Auch dem gemeinen Mann

sagte Zwingli’s nüchterne Denkweise vielfach mehr zu, als die tiefere und mystische Auffassung Luthers26). So hätte es leicht dahin kommen können, daß Zwingli auch in Nürnberg größeren Anhang gewonnen hätte, wenn nicht Luthers Lehre bereits so fest und tief im Volk ein­ gewurzelt gewesen wäre.

Auch Melanchthon, der gerade

um die kritische Zeit sich in Nürnberg auf hielt, trug wohl viel dazu bei, daß Luthers Ansehen und Autorität die Ober­ hand in Nürnberg behielt. Mit Hilfe des Religionsgesprächs von 1525 hatte man in den wichtigsten Glaubensfragen eine klare und feste Stellung und damit eine Grundlage für eine weitere gesunde Entwicklung gewonnen, von der man nicht zu weichen gedachte,

zumal

Schriftlehre zur Seite stand.

ihr

auch

die Autorität

der

So forderte der Rat auch

seine Prediger auf, ihre Gemeinden über die Abendmahls­ lehre im Sinne Luthers zu belehren unter Berufung auf die klaren Aussagen

der Schrift.

Er verbot auch durch ein

besonderes Edikt die Disputationen in den Wirtshäusern und bei anderen Zusammenkünften, welche mehrfach vorgekom­ men waren.

Ebenso verbot er, die Schriften Zwingli’s und

Karlstadt’s in der Stadt zu verkaufen 27). Da übrigens lutherisch waren,

die

Nürnberger Prediger

ohnedies

gut

hätte es der Anweisung des Rates, das

Volk im Sinne Luthers zu belehren,

gar

nicht

bedurft.

Führer im Kampf gegen Zwingli war vor allen Osiander 28). Er hatte den Hauptanteil

an der verhältnismäßig raschen

Ueberwindung der Lehre Zwinglis in Nürnberg. Dürer, der nach seinem eigenen Bekenntnis Luther eine ihm besonders wertvolle Förderung und Vertiefung seines religiösen Lebens zu verdanken hatte,

ließ sich eine Zeit

lang ebenfalls von Zwingli beeinflussen, entschied sich aber schließlich doch für Luthers Auffassung.

Nach Strobel 29)

war es darüber zwischen Dürer und Pirkheimer öfters

zu 4

50 Auseinandersetzungen gekommen. Auch die Maler Hans Greifenberger und Paul Lautensack waren Zwinglisch ein­ gestellt, ließen sich jedoch durch Osiander belehren. Der erstere, nach des Predigers Linck Zeugnis ein frommer Mann, hatte seiner kranken Frau selbst das Abendmahl gereicht und sich gegenüber einer Rüge des Rates auf das durch Luther proklamierte allgemeine Priestertum aller Gläubigen berufen, wobei Linck für ihn eintrat 30). Die Irrungen in der Abendmahlsfrage zogen jedoch noch weitere Kreise. Spengler stand seit längerer Zeit in nahen Beziehungen zu dem Nördlinger Prediger Billikan, der in seiner Gemeinde als guter Lutheraner geschätzt war, aber sich durch Zwingli doch auf dessen Seite ziehen ließ, was er auf Spenglers Anfrage auch zugab. Letzterer teilte das den Nürnberger Predigern mit und veranlaßte dadurch ein Gutachten Osianders, in welchem dieser entschieden gegen Billikan auftrat. Zwingli schrieb dann selbst an Osiander, wodurch jedoch der Gegensatz nur verschärft wurde, indem letzterer eine weitere Zurückweisung folgen ließ. Auch Linck und der damalige Diakon Althammer an St. Sebald griffen jetzt in den Streit ein. Als dann Zwingli Osiander in verletzender Weise persönlich angriff, forderte er damit eine Entgegnung des letzteren heraus, welche zu den schroffsten und rücksichtslosesten Schriften gehörte, die in der Sache geschrieben wurden 31). Inzwischen war auch Pirkheimer mit dem Schweizer Oekolampad in Streit geraten. Dieser hatte eine Schrift: ,.Ueber den wahren Sinn der Einsetzungsworte“ geschrieben, über welche sich Pirkheimer wohlwollend aussprach. Da er nun aber deshalb als Zwinglianer verschrieen wurde, glaubte er sich reinwaschen und gegen Oekolampad schreiben zu müssen. Erfreulich kann man nun die so zustande gekom­ mene Schrift Pirkheimers nicht nennen. Abgesehen davon, daß er sich hier zum Teil wieder ganz auf den römischen Standpunkt stellte, ging er mehrfach um den Kern der Sache herum und schrieb seinem Gegner sogar Behauptun­ gen zu, welche dieser überhaupt nicht ausgesprochen hatte. Auch frivole Derbheiten scheute Pirkheimer dabei nicht.

5i Schon dieser Ton, in dem er schrieb, konnte zu keiner Ver­ ständigung führen, während die Antwort Oekolampads große Mäßigung zeigte. Sogar sein literarischer Freund, der Diakon Weiß, war der Meinung, nur Ehrsucht und Streitlust hätten Pirkheimer zum Eingreifen in den Streit veranlaßt. Jedenfalls hatte sich dieser hier in eine Sache eingelassen, der er nicht gewachsen war32). Immerhin kam es dahin, daß Luthers Lehre bezüglich des Sakraments in Nürnberg den Sieg behielt und der drohende Zwiespalt ver­ mieden wurde. War so auch diese Sache geordnet, so hörten doch die Kämpfe damit nicht auf. Wie anderwärts, so trat um diese Zeit auch in Nürnberg eine religiöse Bewegung zutage, durch welche fast alle Hauptsätze der reformatorischen Lehre in Frage gestellt wurden. Man faßt dieselbe in der Bezeichnung ,. Schwärmer-“ oder ,,Täuferbewegung“ zu­ sammen. Wie der Abendmahlsstreit, so hatte auch diese Bewe­ gung ihre weit voneinander liegenden Ausgangspunkte: Sachsen und die Schweiz. Hier wie dort entstand sie aus einem Geist schwärmerischer Mystik, welche teils aus der heiligen Schrift besondere Offenbarungen empfangen zu haben behauptete, teils aber auch aus eigenen Gedanken ihre Meinungen schöpfte. Ihr Ziel war die Aufrichtung einer Gemeinde der Heiligen, in welcher nicht nur eine völlige Neugestaltung des religiös-sittlichen, sondern auch des sozialen und staatlichen Lebens in Erscheinung treten sollte. Wer nicht zur Gemeinde der Heiligen gehörte, wurde zum Reich der Gottlosen gezählt. Dieses Reich zu bekämp­ fen und zu überwinden, betrachteten sie als ihre Aufgabe. Ein Unterschied bestand nur darin, daß die sächsischen Schwärmer diese Ueberwindung mit Gewalt, die schweizeri­ schen aber mit Belehrung, wie mit Leiden und Dulden zu erreichen glaubten. Der Eintritt in die Gemeinde der Hei­ ligen erfolgte durch die Taufe; aber nur die Erwachsenen sollten getauft werden; die Kindertaufe wurde verworfen. Zumeist traten diese Schwärmer in den größeren Städten 4*

52

oder auf dem flachen Lande auf, weil dort die Aufsicht durch die Obrigkeit nicht so streng geübt werden konnte. Im Herbst 1524 waren die beiden Hauptvertreter der sächsischen Schwärmer Johann Karlstadt und Thomas Münzer nach Franken gekommen. Der erstere hielt sich eine Zeit lang in Rothenburg auf, um seinen Unkrautsamen auszusäen, während Münzer sich nach Nürnberg begab. Nach dem Nürnberger Ratsbuch tauchte daselbst gegen Ende Oktober 1524 ein angeblicher fremder ,,Buchführer“ auf, der sich als von Mellerstadt stammend bezeichnete, um hier ein Büchlein von Thomas Münzer drucken zu lassen. In Wirklichkeit scheint das Thomas Münzer selbst gewesen zu sein. In einem etwas später geschriebenen Brief sagt er, er sei nach Nürnberg gekommen, „um sich durch den Druck zu verantworten“. Er bemerkt dabei, er hätte ein feines Spiel mit denen von Nürnberg anrichten können, wenn er Lust gehabt hätte, Aufruhr zu machen. Er wußte wohl, warum er hier unter einem andern Namen auftrat. Man hätte ihn, sobald man ihn erkannte, abgeschoben. Schließ­ lich verriet er sich durch sein Büchlein. Es war die be­ kannte Schrift gegen Luther mit dem Titel: ,,Schutzred wider das geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg“. Der Rat ließ diese Schrift, welche ohne Genehmigung des Rates wie ohne Vorwissen des Buchdruckers Herrgott von dessen Gesellen gedruckt worden war, beschlagnahmen, sperrte die letzteren zwei Tage und Nächte auf den Turm und verbot den weiteren Druck in der Stadt. Immerhin war der Rat so großmütig, den angeblichen Buchführer zu entschädigen. Dieser aber verzog sich alsbald aus der Stadt 33). Um dieselbe Zeit erschien in Nürnberg ein Mann, der sich Meister Heinrich oder auch Schwertfisch nannte, sich als Schüler des Propheten Thomas Münzer bezeichnete und da und dort Disputationen über dessen Lehren hielt. In Wirklichkeit war er ein bekannter Schwärmer, Heinrich Pfeifer, der sich in Altstädt und Mühlhausen mit Münzer als Umstürzler betätigt hatte und darum dort vertrieben worden war. Er schrieb hier zwei aufrührerische Schriften,

53 die aber dem Rat in die Hände kamen. Dieser ließ sie durch Osiander begutachten und nach Kenntnisnahme des Inhalts den Verfasser sofort aus der Stadt weisen 34). Nach der Schlacht von Frankenhausen wurde Pfeifer mit seinem Meister Thomas Münzer hingerichtet 35). Noch ein weiterer Vertreter der Karlstadtschen Rich­ tung tauchte gegen Ende des Jahres 1524 in der Person des früheren Predigers Dr. Martin Reinhard aus Jena in'Nürn­ berg auf. Er ist bekannt als Herausgeber der Orlamünder Verhandlungen zwischen Luther und Karlstadt. Auch er war wegen seiner Umtriebe aus Jena vertrieben worden. Mit einer Schrift, die er noch von dort aus den Nürnbergern Pirkheimer, Anton Tücher und Hieronymus Ebner gewid­ met und übersändt hatte, glaubte er sich bei diesen empfeh­ len zu können. Aber man hatte in Nürnberg bereits von ihm gehört und ebenso schnell, wie Münzer und Pfeifer, wurde er als bekannter Schwärmer und Unruhestifter aus­ gewiesen. So fand der Same Münzerscher Gedanken in Nürnberg keinen bleibenden Boden, wodurch viel Unheil von der Stadt abgewendet wurde. Es war gewiß richtig, was Melanchthon damals sagte: ,,Wenn es Thomas Münzer in Nürnberg geglückt wäre, hätte sich da noch viel gräulicherer Lärm er­ hoben, als in Thüringen“ 36). Noch viel größer freilich war die Gefahr, welche von der aus der Schweiz vordringenden Bewegung der eigent­ lichen Wiedertäufer drohte. Mit überraschender Schnel­ ligkeit breitete sich diese überall aus, am schnellsten in Schwaben, am Rhein und in Franken. Einer der ersten und gefährlichsten dieser Schwärmer trat in Nürnberg auf: Johann Denk, ,,der Wiedertäufer Abt“ genannt. Auf Oekolampads Empfehlung war er aus Basel, wo er als Correktor tätig gewesen war, vom Nürnberger Rat im Jahre 1523 zum Rektor der Lateinschule an St. Sebald berufen worden. Durch sein freundliches und gewandtes Auftreten und seine tüchtigen Leistungen an der ihm anvertrauten Schule, wie auch wegen seines sittlichen Lebensernstes und tadellosen

54 Wandels stand er in allgemeiner hohen Achtung und Wert­ schätzung. Zweifellos war Denk auch ein tief religiöser Mensch und ein Gottsucher. Ernstlich war es ihm darum zu tun, die Wahrheit zu erkennen. Wiewohl er sich viel mit der heiligen Schrift beschäftigte, zu der es ihn immer wieder hinzog, konnte ihm diese doch nicht zur autorativen Er­ kenntnisquelle göttlicher Wahrheit werden, weil nach sei­ ner Meinung kein Mensch sie ganz verstehen könne. Ob die heilige Schrift Gottes Wort und Offenbarung enthalte, war ihm zweifelhaft. Nach seiner Meinung konnte man darum auf sie nicht den Glauben gründen. Nur die unmit­ telbare Erfahrung, die eigene innere Empfindung, die einen jeden zum Guten treibe, die Stimme des Gewissens, das eigene religiöse Gefühl war für ihn das Fundament des Glau­ bens. Die ,,innere Stimme“, wie Denk es nannte, ist es, die den Menschen zu Gott führt. Sie war ihm die Bezeu­ gung des unsterblichen Geistes, der seit ewigen Zeiten dem Menschen den Willen Gottes vermittelt habe und ewig ver­ mitteln werde, der in seinem Wesen Gott gleich und darum selbst göttlich sei. Was ihm, Denk, diese innere Stimme sagte, war für ihn allein die Wahrheit 37). Zunächst behielt Denk seine religiösen Anschauungen für sich, ohne für sie bei andern zu werben. Erst als die von Karlstadt und Zwingli aufgeworfene Abendmahlsfrage auch in Nürnberg zur Verhandlung gebracht wurde, ging Denk aus sich heraus, indem er offen erklärte, daß auch er ,,mit Osiander etlicher Wort halber im Sakrament zwie­ spältig geworden sei“. Das führte zu einer Aussprache zwi­ schen beiden, bei der sich herausstellte, daß Denks Grund­ sätze durchaus mit denen der Schweizer Wiedertäufer über­ einstimmten und daß dieselben zur Leugnung und Bestrei­ tung auch der übrigen Hauptlehren des evangelisch-christ­ lichen Glaubens führen müßten. Osiander berichtete über seine Aussprache mit Denk dem Rat. Dieser forderte Denk auf, seine Lehre vor dem Rat und den gleichfalls vorgelade­ nen Predigern zu rechtfertigen. Dabei kam es zu einer förm­ lichen Disputation zwischen Denk und Osiander, Weil aber

55 beide von ganz verschiedenen, ja einander entgegengesetzten Grundanschauungen ausgingen, war es unmöglich, daß die Verhandlung zu einer Verständigung führte. Für Denk war ,,die innere Stimme“ maßgebend, welche dieser für eine ,,Einsprache Gottes“ hielt, für Osiander die heilige Schrift. Darum wurde die Verhandlung abgebrochen und Denk auf­ gefordert, dem Rat eine schriftliche Verteidigung ein­ zureichen. Die noch im Original vorhandene Verteidigungsschrift, welche Denk darauf dem Rat vorlegte, ist ein Zeugnis eines frommen, nach Wahrheit suchenden und um den rechten Glauben ringenden Gemüts, aber auch ein Zeugnis und Be­ weis dafür, daß auch ein frommer, mit seiner Gesinnung dem Reich Gottes nicht fern stehender Mensch von einer falschen Grundeinstellung aus, die er als untrüglich festhält, zu seltsamen Irrungen und Wirrungen kommen kann, aus denen er keinen Ausweg mehr findet. Das von Osiander mit den übrigen Predigern im Auf­ trag des Rats zu Denks Verteidigungsschrift verfaßte Gut­ achten überzeugte den Rat, daß Denks Lehren in ihren Aus­ wirkungen, so gut es dieser auch meinen mochte, nur Ver­ wirrung und Schaden anrichten würden. Er wollte und durfte das evangelisch-lutherische Kirchenwesen, das in der Stadt durch seine treue Fürsorge und Pflege aufgerichtet und eingewurzelt war, nicht wieder zerstören lassen. Darum entschloß er sich, Johann Denk auszuweisen. Noch am Tag der letzten Verhandlung mit ihm, vor Einbruch der Nacht mußte er die Stadt verlassen, nachdem er sich eidlich verpflichtet hatte, sich io Meilen weit im Umkreis von der­ selben fern zu halten. Er ging zunächst nach Augsburg, dann wieder nach Basel, wo er 1527 an der Pest starb38). Die Gefahr für den kirchlichen und bürgerlichen Frie­ den der Stadt war allerdings mit der Ausweisung Denks noch nicht völlig beseitigt. Denn dieser ließ drei seiner Schüler und Anhänger zurück. Es waren drei junge Maler, die begabtesten Schüler Albrecht Dürers : Georg Bentz, Sebald Beheim und dessen Bruder Barthelmes. Unter den Einfluß Denks, mit dem sie in regem Verkehr gestanden

56 waren, hatten auch sie sich in den wichtigsten Glaubens­ fragen ihre eigenen Meinungen gebildet, welche durchaus im Widerspruch mit der «biblischen Lehre standen. Da sie häufig über ihre Anschauungen disputierten, wurden diesel­ ben auch in der Oeffentlichkeit bekannt. Mit dem Genos­ sen Thomas Münzers Heinrich Pfeifer waren sie bis zu des­ sen Austreibung im Verkehr gestanden und suchten jetzt auch deren Ideen ins Volk zu bringen. Der Rat ließ die drei Maler, als er von ihrem Treiben gehört hatte, vorladen und einem Verhör unterziehen. Da­ bei zeigte sich’s, daß die drei im Volk mit Recht die ,gott­ losen Maler“ genannt wurden. Barthel Beheim beantwortete zwar die Frage, ob er an Gott glaube, mit Jä; dagegen ver­ neinten sie die andern. Einig waren sie in der Erklärung, daß ihnen Christus, Taufe und Abendmahl, wie auch die heilige Schrift nichts seien. Den Verkehr mit Denk als ihrem Lehrer gaben sie zu. Endlich bestritten alle mit Aus­ nahme Sebald Beheims jede Berechtigung der Obrigkeit. Da sich die Maler bei dem Verhör sehr trotzig und wider­ spenstig gezeigt hatten, wurden sie nach Beendigung des­ selben ins Lochgefängnis verbracht, wo sie eine Zeit lang über ihr Verhalten nachdenken konnten 39). Nun legte der Rat den Handel den vereinigten Juristen und Theologen vor mit dem Ersuchen, sich gutachtlich darüber zu äußern, was mit den Malern zu tun sei. Die Theologen waren für die Ausweisung, da die Maler keine Belehrung annehmen wollten. Erst nach einer vierzehn­ tägigen Haft hätten sie sich in eine solche gefügt. Ob es ihnen jedoch mit ihrer an den Tag gelegten Bekehrung ernst gewesen sei, müsse man bezweifeln. Einer von ihnen habe nach erfolgter Unterweisung schon vor der Türe gesagt, es sei wohl viel geredet, aber nichts bewiesen worden. Schon nach dem ersten Verhör und bevor sie ins Gefängnis gekom­ men seien, hätten sie gesagt, sie hätten den Predigern ein Latein aufgegeben, an dem diese wohl zwei Jahre lang zu kauen hätten. Dulde man diese Leute weiter in der Stadt, so könnten sie sehr viel Unheil anrichten. Die Juristen waren zunächst der Meinung, man könnte noch einen Verr

57 such machen und sehen, wie sie sich weiter hielten. Doch einigten sich schließlich die Gelehrten in dem Vorschlag, sie auszuweisen. Demgemäß beschloß denn auch der Rat40). Den Ausschlag scheint dabei Spengler gegeben zu hahaben. Der Rat, welcher die Sache sehr ernst nahm und allem Anschein nach nicht ohne zwingende Gründe strafen wollte, hatte auch von diesem noch ein Gutachten eingefor­ dert. Spengler wies darauf hin, daß die Maler sich drei Tage lang allem Zureden zum Trotz so ,,gottlos und heid­ nisch“ gezeigt hätten, wie es noch nie jemand getan, und zwar ,,mit Verachtung aller Prediger und aller Obrigkeit“. Ihr Auftreten habe auch über das Stadtgebiet hinaus Auf­ sehen und Aergernis erregt. In der Stadt seien ohnedies verschiedene Glaubensmeinungen vertreten. Dieser würden, wenn die Maler hier gelassen würden, nur noch mehr, und die Verwirrung würde nur noch größer. Die Sinnesände­ rung, die sie jetzt zeigten, sei gewiß mehr durch das Loch­ gefängnis, als durch Gottes Wort gewirkt worden. Sie werde nach der Freilassung alsbald wieder Umschlagen. Weiter hätten diese Leute den Rat als Obrigkeit ganz schroff abgelehnt, was Johann Denk nie getan, wie dieser über­ haupt nie so gottlos geredet habe. Und doch habe man diesen ausgewiesen! Darum dürfe man diese drei nicht bes­ ser behandeln. Ferner sei der Abscheu gegen sie in der Stadt so groß, daß für sie Lebensgefahr bestünde. Würden ihre Meinungen in der Stadt weiter um sich greifen, was zu befürchten sei, dann müßte man nicht mehr nur der Ge­ meinde, sondern jedem Irrenden besonders predigen und Unterricht erteilen, was für Prediger, wie für den Rat eine zu große Last werden müßte. Darum solle man die drei Maler aus der Stadt weisen41). So geschah es denn auch. Es war ein Akt der Notwehr um der Ruhe und des Frie­ dens willen! Einer der eifrigsten unter den Wiedertäufern war ein anderer Schüler Johann Denks: Johann Hutt. Er war ur­ sprünglich Kirchner und Krämer in einem Dorf des Herrn von Bibra, zog dann aber als Händler mit evangelischen, aber auch Münzerischen Schriften im Land umher, wobei er

mehrfach mit Wiedertäufern in Berührung kam und dadurch nun auch selbst für deren Ideen gewonnen wurde, so daß er ein Kind, das ihm um diese Zeit geboren wurde, nicht taufen ließ. Auf seinen Reisen kam er wiederholt nach Nürnberg, wo er auch mit Denk verkehrte und bei ihm wohnte. Bei einem hiesigen Buchbinder Valentin arbei­ tete er öfters einige Zeit, ohne jedoch agitatorisch tätig zu sein. Als Denk aus Nürnberg weichen mußte, suchte ihn Hutt in Augsburg auf und wurde dort von ihm getauft. Von jetzt an zog er ständig im Land umher, um Anhänger für die Wiedertäuferbewegung zu werben. Durch seine gründliche Bibelkenntnis und seine eindringliche Beredsam­ keit, wie auch durch seine mit großer Sicherheit vorgetra­ genen und mit Bibelstellen begründeten Prophezeiungen verstand er es, zahlreiche Anhänger zu gewinnen. Ueberall, wohin er kam, bildete er Täufergemeinden, über deren Mit­ glieder er Buch führte, und denen er Vorsteher setzte. In Nürnberg gewann er einen Deutschherrn Leonhard, den er als Apostel nach Linz sandte, und den Pfarrer Wolf gang Vogel von Eltersdorf. Auch den Prediger Jakob Dolmann von St. Jakob hatte er in sein Netz gezogen. Als der Rat davon erfuhr und Dolmann zur Rede setzte, zog er sich wieder von Hutt zurück 42). Als besonders gefährlich erschien Hutt den Obrigkeiten, weil auch er, wie die meisten Wiedertäufer, ein Strafgericht über ,,die Pfaffen und Fürsten“ in Aussicht stellte. Zwar hütete er sich, in seinen Predigten geradezu zum Aufstand aufzurufen, aber es war doch deutlich zu merken, daß er das Gericht herbeisehnte und sich darauf freute. Sogar der Zeitpunkt für das Gericht wurde genannt, zuerst 1527, dann aber 1528! Auch die Sammelpunkte waren bereits bestimmt, an denen die Vollzieher des Gerichts, natürlich die Anhän­ ger der Sekte, sich zusammenfinden sollten. Auch Nürn­ berg galt als solcher Sammelpunkt. Daß der Rat bei dieser Lage der Dinge ein besonderes Augenmerk auf diese Bewegung haben mußte, ist klar. Es kam dazu, daß von den Wiedertäufern zum Teil auch die Gütergemeinschaft eingeführt worden war, zwar nur unter

59 sich selbst und als freiwillige Einrichtung, aber die Obrig­ keiten empfanden das doch als eine gewisse Bedrohung des Eigentumsrechts. Da überdies die Obrigkeit, weil sie außer­ halb der ,,neuen Kirche“ stand, öfters als ,,heidnisch und gottlos“ bezeichnet wurde, mußte auch das als Aufreizung gegen sie empfunden werden. Schon als der Rat Thomas Münzer ausgewiesen hatte und darnach fand, daß trotzdem in Nürnberg manche zu dessen Ideen hinneigten, hatte Spengler im Auftrag des Rates bei Luther angefragt, wie man sich gegen solche ver­ halten solle. Luther hatte damals geantwortet, man möge sie als ,,verlenkte“, d. h. irregeleitete Christen halten. Solche zu strafen, namentlich sie an Leib und Gut zu strafen, sei nicht Sache der weltlichen Obrigkeit. Nur wenn sie die Obrigkeit nicht anerkennen und dieser nicht gehorchen wollten, so sei damit alles verwirkt, was sie sind und haben. Da müsse die Obrigkeit strafen lä). Nach dieser Auskunft verhielt sich zunächst der Rat. Strafen an Leib und Leben verfügte er nicht und beschränkte sich auf die Ausweisung solcher, welche, wie Denk und die ,,gottlosen Maler“, durch ihre Lehre in der Gemeinde Ver­ wirrung anrichteten und den Frieden und die Ordnung ge­ fährdeten. Nun aber war in dem nahen Eltersdorf, das markgräf­ lich war, in dem aber auch Nürnberg viele Untertanen und zugleich das Lehensrecht für die Pfarrei besaß, ein neuer und besonderer Gefahrenherd entstanden durch das Treiben des bereits oben erwähnten Pfarrers Wolfgang Vogel. Schon während des Bauernkriegs hatte dieser seine Gemeinde, wie nachträglich bekannt wurde, zur Teilnahme am AufruhiO aufzuwiegeln versucht. Jetzt hatte er sich der Sekte der Wiedertäufer angeschlossen und für deren Schwärmerei agitiert. Vom Rat zur Rede gestellt, hatte er alles ab­ geleugnet. Die damals zu Regensburg versammelten deut­ schen Fürsten hatte er öffentlich als „tolle Götzen“ bezeich­ net. Da er auch gegen seinen Landesherrn, den Mark­ grafen, aufrührerische Reden geführt hatte, ließ ihn dieser verhaften und an Nürnberg ausliefern. Da stellte sich bei

6o näherer Untersuchung heraus, daß dieser Pfarrer einen ge­ heimen Bund begründet hatte, dem er das Ziel steckte, alle Obrigkeiten auszurotten, nur daß er vorerst dieses Ziel den Mitgliedern des Bundes noch verschwieg. Als Bundeszeichen galt* die Wiedertaufe. Seinen Bundesgenossen verkündigte er, wie Hutt, mit dem er ebenfalls in Beziehungen stand, die baldige Wiederkunft Christi zur Aufrichtung eines neuen weltlichen Reiches, in welchem die Wiedertäufer, die allein Christen seien, herrschen und ,,das Schwert der Gerechtig­ keit“ führen sollten, alle jetzige Obrigkeit und alle, die sich nicht zu ihnen schlügen, vertilgen sollten. Aufgrund dieser Tatsachen wurde Vogel vom Nürnberger Rat als gefährlicher ,,Rädleinsführer“ zum Tode verurteilt und am gleichen Tag hingerichtet. Seiner Witwe gewährte der Rat eine Pension 44). Nachdem sich bei der Untersuchung gegen Vogel ge­ zeigt hatte, daß auch Hutt einer der gefährlichsten Wieder­ täufer sei, entschloß sich der Rat, auch gegen diesen vor­ zugehen. Als er hörte, daß Hutt inzwischen zu Augsburg verhaftet worden sei, bat er den dortigen Rat um Mitteilung etwaiger Geständnisse des Gefangenen. Aus der darauf ihm übersandten ,,Urgicht“ Hutts entnahm der Rat, daß dieser seine Sekte ,,fast (= sehr) schön zu bekleiden wußte“, wäh­ rend man aus der Tat klärlich befinde, ,,daß sich der Teufel oftmal in einen Engel des Lichts verwandle“. Hutt hatte nämlich alles, dessen er beschuldigt war, geleugnet 45). Durch die Resultatlosigkeit dieser Nachforschung, wie durch die Unsicherheit der Lage erst recht besorgt gemacht; setzte nun der Rat seine Nachforschungen im eigenen Ge­ biet fort und hatte damit im September 1527 zu Gründlach vollen Erfolg, wo im Frühling dieses Jahres Hutt mit sei­ nem Genossen Eucharius, einem Schreiner aus Coburg, seinem Diener Joachim und anderen unter der dortigen Ge­ meinde sein Unwesen getrieben hatte, und wo der Rat am 11. September einige Getaufte und den Täufer ausheben und ins Lochgefängnis hatte verbringen können46). Wie schon erwähnt, hatte der Nürnberger Rat bisher Bedenken getragen, gegen die Wiedertäufer, wie es das kai-

6i serliche Recht forderte, mit der Todesstrafe vorzugehen, weil er der Ansicht war, daß ,,der meiste Grund der neuen Sekte mehr auf einer Irrung im Glauben beruhe“. Niemand aber dürfe in Glaubenssachen zu etwas gezwungen werden. Man könne auch durch Zwang keine Christen machen. Auch würde man damit den Päpstlichen Recht geben, welche bis­ her vielfach solche, die durch Gottes Wort zum evangeli­ schen Glauben geführt wurden, mit Peinigungen und Mar­ tern angegriffen und sogar getötet hätten. Weil aber, wie aus den Geständnissen von Gefangenen hervorgehe, die Wie­ dertäufer darauf ausgingen, unter dem Volk eine völlige Sonderung und zugleich die Ausrottung jeglicher Obrigkeit und Zerstörung des bürgerlichen Friedens herbeizuführen, bleibe nichts anderes übrig, als gegen die Anstifter und Lehrmeister unter ihnen mit dem Schwert vorzugehen, die Verführten aber, die auf ihrer Irrung beharren, auszuweisen, oder sie, je nach ihrer Gefährlichkeit, auch sonst zu be­ strafen 47). Gegen Hutt freilich bedurfte es keiner Strafe mehr. Dieser war in Augsburg wieder freigelassen, aber nach sei­ ner Rückkehr aus Oesterreich, wo er ebenfalls tätig gewesen, aufs neue verhaftet worden. Im Dezember 1527 starb er im Gefängnis, indem er durch Lagerstroh, das in Brand ge­ raten war, erstickte 48). Am 4. Oktober dieses Jahres ließ der Rat eine ernste Warnung vor den Wiedertäufern öffentlich ausgehen. In derselben verbot er auch alle Zusammenkünfte in den Wirts­ häusern zur gottesdienstlichen Zeit und setzte eine Geld­ strafe für die Uebertreter fest49). Durch die Viertelsmeister in der Stadt ließ er sämtliche Hauptleute auffordern, fleißig Acht zu haben, daß nicht Fremde und Verdächtige sich in den Häusern einschlichen und Unterkunft fänden, oder Ver­ sammlungen hielten nnd gegebenenfalls sofort Anzeige zu erstatten. Wer einen Wiedertäufer oder dessen Unter­ schleifer anzeigte, sollte eine Belohnung erhalten. Die Pre­ diger wurden ersucht, die Gemeinde vor den Wiedertäufern auf der Kanzel zu warnen und über deren Schädlichkeit zu belehren r,°).

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Im Februar 1528 ließ der Rat durch die Prediger eine Schrift ausarbeiten und im Druck vervielfältigen mit denl Titel: „Gründliche Unterweisung eines ehrbaren Rates der Stadt Nürnberg, welchergestalt ihre Pfarrherren und Pre­ diger in den Städten und auf dem Land das Volk wider etliche verführerische Lehre der Wiedertäufer ermahnen und unterrichten sollen.“ Diese Schrift wurde an sämtliche Geistliche des Nürnberger Gebiets hinausgegeben 51). Als am 28. Februar 1528 ein kaiserliches Mandat er­ schienen war, in welchem aufs neue darauf hingewiesen wurde, daß auf der Wiedertaufe nach geistlichem und welt­ lichem Recht die Todesstrafe stehe, konnte sich der Rat doch nicht entschließen, jeden Irrgläubigen nach diesem Mandat zu bestrafen. Auch als unter dem 16. Februar die­ ses Jahres demselben ein Edikt des Schwäbischen Bundes folgte, nach welchem, wie früher gegen die aufständischen Bauern, jetzt gegen die Wiedertäufer von Ulm, Kempten, Heilbronn und Bamberg aus Reiterstreifen ausgesandt wer­ den sollten, welche ohne einen Rechtsspruch an Schuldigen und Verdächtigen die Hinrichtung vollziehen sollten, wobei auch Reumütige und Widerrufende nur zum Schwert an­ statt des Feuers begnadigt werden sollten, da protestierte Nürnberg durch seinen Vertreter Clemens Volkamer auf das entschiedenste gegen solche Barbarei. Dieser wies, darauf hin, daß durch jenen Beschluß des Schwäbischen Bundes Evangelische, die unter römisch gesinnter Obrigkeit wohn­ ten, der schrankenlosesten Willkür preisgegeben seien, in­ dem solche häufig mit den Wiedertäufern zusammengewor­ fen werden könnten. Vor allem wies er auf Würzburg hin, wo man in dieser Beziehung ganz besonders rigoros vor­ gehe. Auch unter den Wiedertäufern gebe es viele ein­ fältige, verführte Leute, welche durch entsprechende Be­ lehrung noch zu gewinnen wären und so an Leib und Seele gerettet werden könnten. Man gebe vor, auf Wölfe zu jagen und fange Schafe! 52). Volkamer blieb freilich mit seinem Protest allein. Aber Nürnberg blieb dabei, gegen die Wiedertäufer nach huma­ nen Grundsätzen zu verfahren, obwohl manche, z. B. Osian-

der, zu größerer Strenge rieten angesichts dessen, daß die Wiedertäufer zum Teil das Christentum überhaupt in Frage stellten, oder auch einige Juristen, wie Scheurl, wenigstens bei manchen Schuldigen die Finger abgehackt oder das Gesicht für immer gezeichnet wissen wollte, andern zum abschreckenden Exempel! 53). Die verhältnismäßig nicht zahlreichen Sektierer, welche der Rat gefangen setzte, wurden den Predigern, unter denen namentlich Osiander und Linck durch Eifer und Geschick sich hervortaten, zur Belehrung und Beratung übergeben. Wer sich belehren ließ und widerrief, wurde unter der Be­ dingung, daß er an der Kirche an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen Buße tat und seine Rückkehr zum Glauben der Kirche damit bezeugte, wieder angenommen. So geschah es z. B. mit einem Hans Mayer, einem Sixt Prünster und einem aus Passau zugewanderten Leinweber Hans Oeder 54). Denjenigen, welche so an der Kirchentüre Buße stehen mußten, wurde — zum Schutz gegen etwaige Verspottung und Kränkung — eine Wache beigegeben. Freilich gelang es dem Rat auch in den folgenden Jah­ ren weder durch Strenge, noch durch Milde, diese Krank­ heit, als welche das Schwärmertum mehr und mehr erkannt wurde, völlig auszurotten. In den Jahren 1530 und 1531 machten besonders zwei Bauerntöchter und eine Magd auf dem Wolfsfeld — einem Bauernhof am Weg von Nürnberg nach Kalchreuth gelegen, jetzt Waldgebiet — durch ihre Hartnäckigkeit in ihren Verirrungen viel zu schaffen. Eben­ so ein Barthelmes Friedrich, der im Gefängnis weder essen, noch trinken, noch reden wollte, bis man ihn schließlich lau­ fen ließ55). Ein anderer Wiedertäufer saß Jahre lang auf dem Turm. Erst im September 1536 kam er zur Einsicht, worauf er entlassen wurde. Man behielt ihn dann noch eine Zeit lang im Spital zur Stärkung seiner Gesundheit, die während der Haft gelitten hatte. Nachdem er genesen war, ließ man ihn ziehen. Ein Peter Riedmann hielt lieber eine dreijährige Haft auf dem Turm ,.Luginsland" aus, als daß er sich herbeiließ, zu versprechen, daß er nicht mehr pre­ digen und taufen wolle. Erst im Juli 1537 gab er das Ver-

64 sprechen. Nun schenkte ihm der Rat die Freiheit, versah ihn mit Kleidung und Zehrung und ließ ihn ziehen 56). Gegen die Schwarmgeister war seit dem Jahr 1526 dem Nürnberger Rat ein Mitkämpfer ganz besonderer Art in Albrecht Dürer erstanden, indem dieser auch seine Kunst in den Dienst der evangelisch - lutherischen Wahrheit zu deren Wahrung und Erhaltung stellte. Im Herbst jenes Jahres hatte Dürer dem Rat seine weltberühmten Apostel­ bilder zum Geschenk gemacht mit der Bitte, diese „zu einer Gedächtnis zu behalten“. Darin lag für den Rat, wie für alle, die diese Bilder beschauten, zugleich eine Warnung und Mahnung. Dieser wollte Dürer Ausdruck geben in den vier Bibelsprüchen, welche er durch den Schreibmeister Neudörfer am Fuß der Bilder anbringen ließ. Nach der die­ sen Bibelworten vorausgeschickten Einleitung sollen die Apostelbilder ,,allen weltlichen Regenten“ eine Mahnung sein, ,,daß sie nit für das göttlich Wort menschliche Ver­ führung annehmen“. Wenn Dürer dabei auf die ,Jährlichen Zeiten“ hinwies, so dachte er zweifellos an die Gefahr, wel­ che damals der kirchlichen Reformation und zugleich dem Christentum überhaupt durch das Schwärmertum und des­ sen Verirrungen drohte. Hatte sich dafür schon die so­ ziale Revolution des Bauernkriegs als eine große Gefahr er­ wiesen, so drohte jetzt in der religiösen Revolution des Schwärmertums eine noch viel größere. Man darf wohl sagen, daß die Jahre 1525 mit 1527 der kirchlichen Refor­ mation überhaupt, wie insbesondere auch derjenigen in Nürnberg die schwersten Gefahren und Kämpfe gebracht haben. Auch Albrecht Dürer sah mit allen, die der Stadt Bestes suchten und bewahren wollten, daß es gegenüber den Bewegungen und Strömungen dieser Zeit einer Obrigkeit bedurfte, die mit klarem Blick und starker Hand die Zügel führte, wenn nicht alle staatliche und kirchliche Ordnung sich auflösen und jede Autorität dahinschwinden sollte. Er hatte auch erkannt, daß gegenüber dem mehr und mehr ein­ reißenden Wirrwarr der Meinungen und Strebungen, wie auch gegenüber der sich verstärkenden Zuchtlosigkeit nur die Autorität des göttlichen Wortes Klarheit und Heilung

65 der Schäden bringen könne. Daher die Warnung und Mah­ nung, die er mit seinem Geschenk an den Rat verband. Mit diesem übergab er nicht nur das größte Kunstwerk, das er schuf, er trat mit demselben auch dem Rat an die Seite in dem Kampf gegen die gefährlichsten Feinde. Die Schrift­ worte, welche er seinen Apostelbildern anfügte, sind Dürers Zeugnis gegen die religiöse Revolution, wie sie in dem Auf­ treten eines Hans Denk und der ,,gottlosen Maler“ ihr Haupt erhob, wie gegen die Wiedertäufer. Zugleich sollten sie aber auch ein Zeugnis sein für das echte und rechte Luther­ tum, welches der Rat, seine Prediger und der bei weitem größte Teil der Bürgerschaft vertraten, und zu dem auch Dürer sich hindurchgerungen hatte, und das für ihn zur reichsten Quelle nicht nur des Trostes, sondern auch der Kraft geworden war. Auch die Bilder an sich sind ein Bekenntnis. Der ewige Wert und die ewige Wahrheit des Bibelwortes soll in ihnen zur Anschauung gebracht werden in den forschenden und sinnenden Gestalten der einen, wie in dem Zorn der andern Gestalten gegen die Verächter derselben. Alle zusammen sollen Zeugen lutherischen Glaubens und ernster Sitten­ strenge mit einem Wort: lutherischen Christentums sein! Dieser Aufgabe, wie ihrer Erfüllung hat es auch keinen Ein­ trag getan, daß Kurfürst Maximilian von Bayern, als ihm gelungen war, Dürers Apostelbilder in seinen Besitz zu brin­ gen, die von Dürer ausgewählten und den Bildern angefüg­ ten Bibelsprüche von denselben absägen und an den Nürn­ berger Rat zurückschicken ließ. Diese Sprüche zieren und erläutern nunmehr die Kopieen, welche jetzt die Sammlun­ gen des Germanischen Nationalmuseums bereichern! Noch eines weiteren Angriffs auf die Reformation müs­ sen wir gedenken. Im Sommer des Jahres 1528 erschien in Deutschland Balthasar Merklin, kaiserlicher Orator und Vizekanzler, Propst zu Waldkirch, mit einem besonderen Auftrag des Kaisers. Er sollte bei den Reichsständen um deren Hilfe gegen den König von Frankreich werben, zu­ gleich aber auch in der kirchlichen Frage bei denselben tätig sein, und zwar, wie der Nürnberger Rat in Erfahrung 5

66 gebracht hatte, gegen die Evangelischen und zugunsten der römischen Partei, der Bischöfe und Geistlichen. Mit der Ankündigung seines Erscheinens in Nürnberg war daselbst auch das Ausschreiben einer Tagung des Schwäbischen Bundes nach Augsburg für den 6. August eingetroffen, der ja stets mit den Gegnern der Reformation zusammenging. Für das Erscheinen des Propstes in Nürnberg hatte der Rat angeordnet, daß jeder etwaige Versuch desselben, zu­ gunsten der römischen Partei ,,etwas zu praktizieren“ und Uneinigkeit in der Stadt zu erwecken, unverzüglich dem alten Bürgermeister angezeigt werden solle. Aber so wenig man diesem Mann traute; die ihm als kaiserlichen Gesand­ ten gebührenden Ehren mußten ihm erwiesen werden. Am 4. August ritt er in Nürnberg ein, durch Clemens Volkamer und Hierorrymus Baumgartner, die ihm entgegengeritten waren, feierlich eingeholt und in seine Herberge geleitet. Dort wurde er nach altem Brauch von beiden Losungern ,,heimgesucht und mit Kleinodien beehrt“. Sodann begaben sich die Herren Eltern zu ihm in die Herberge, um seine Werbung entgegenzunehmen. In erster Linie brachte er die vom Kaiser gewünschte Hilfe zum Krieg gegen den König von Frankreich zur Sprache. Diese wurde ihm durch Baumgartner im Namen des Rates zugesagt. Noch wichtiger schien dem Gesandten des Kaisers eine Beschwerde gegen den Rat zu sein. Sie betraf, wie es in dem Bericht heißt, ,,die Geistlichen und ihre Güter“, mit andern Worten die von dem Nürnberger Rat bisher in der Stadt und ihrem Gebiete durchgeführte kirch­ liche Reformation. Daß dabei der Einfluß und das Ansehen der Bischöfe und der römisch gesinnten Geistlichen ge­ schmälert und ihre Herrschaft beschränkt wurde, daß die Klöster aufgehoben und ihre Güter eingezogen und für an­ dere Zwecke verwendet wurden, hatte bei jenen vor allem Anstoß erregt und war der Hauptgrund ihrer Beschwerden gegen die Reformation, wie ja auch der Bamberger Dom­ propst selbst in Forchheim zugestanden hatte! 57). So for­ derte denn auch Waldkirch jetzt vom Nürnberger Rat im

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Namen des Kaisers die Abstellung dieses Beschwerde­ punktes. Baumgartner, der dem Gesandten auch darauf die Ant­ wort zu erteilen den Auftrag hatte, gab das Vorhandensein von ,,Irrungen im Glauben und Zwiespalt in der Christen­ heit“ unumwunden zu und bedauerte sie, erklärte jedoch, daß seine Freunde im Rat dafür nicht verantwortlich seien. Dieser habe sich bisher in der Sache nur christlich und dem Wort Gottes gemäß gehalten, und nichts sei ihm lieber, als daß dem Kaiser alles, was er in der Sache getan habe, be­ richtet werde. Daraus werde Ihre Majestät erkennen, daß* keinerlei Grund zu Mißfallen und Beschwerden gegeben sei. Niemals sei das Gemüt des Rates dahin gestanden und stehe auch jetzt noch nicht dahin, irgend welche beschwerliche Neuerung oder Aenderung vorzunehmen, welche zum Nach­ teil evangelisch-christlicher Wahrheit oder zur Trennung der Stände untereinander und zum Abfall vom christlichen Glauben dienen könnte. Man freue sich in Nürnberg von Herzen, daß der Kaiser zur Stillung solcher Spaltung und Uneinigkeit so hoch geneigt sei. Der Rat achte sich für zu gering, dem Kaiser dazu die Wege zu weisen, er halte jedoch dafür, daß ein gemeines oder ein Nationalkonzil das ein­ zige Mittel sei, um die Stände und Glieder des Reiches wie­ der in ein einhelligs Wesen zu bringen. Um ein solches hätten die Stände bereits bei dem Kaiser nachgesucht, auch dieser selbst sehe darin das beste Mittel. Mit Schärfe und Gewalt werde der Sache nicht geholfen. Man könne das Wort Gottes’, und die Lehre desselben, wie den Glauben wohl äußerlich unterdrücken und austilgen, aber nicht aus dem Herzen. Würde aber ein Konzil veranstaltet, dann würde gewiß jedermann christlichen Standes sich von einem solchen mit dem Wort Gottes zur Wahrheit leiten lassen. So erwarte denn der Nürnberger Rat von dem kaiserlichen Gesandten, dieser werde der Christenheit und dem Reich zugut die Vermittlung eines Konzils bei dem Kaiser, oder wo es sonst vonnöten, nach Möglichkeit fordern58). Mit dieser klugen und geschickten, für diesen Fall besten Antwort Baumgartners, gegen die der Propst auch b*

68 nichts einzuwenden wußte, war der Angriff desselben ab­ gewiesen. Charakteristisch für diesen kaiserlichen Gesandten ist es, daß er bereits im November 1527 durch Vermittlung des Nürnberger Syndikus Michael von Kadan brieflich bei dem Rat um ein Darlehen nachgesucht hatte. Gleichzeitig hatte er, ebenfalls durch Vermittlung von Kadans, dem Rat ein kaiserliches Mandat zugesandt, welches der Barfüßerorden vom Kaiser gegen etliche Stände, besonders aber gegen Nürnberg wegen Schädigung des Nürnberger Barfüßer­ klosters ausgebracht hatte. Der Rat teilte dem würdigen Herrn unter dem 4. Dezember mit, daß er ihm ein Darlehen im Betrag von 300 Gulden bewilligt habe, dessen Rück­ zahlungsfrist Waldkirch bestimmen dürfe, und fügte hinzu, er hoffe, der Propst werde nicht allein die Sache der Bar­ füßermönche, welche der Rat christlich, mit allen Ehren und billigem Recht zu verantworten wisse, sondern auch andere Handlungen des Rates, wo es vonnöten sein und an ihn gelangen werde, bei kaiserlicher Majestät helfen verantwor­ ten und darin, soweit der Rat Fug und Recht habe, För­ derung mitteilen. Aus der Tatsache, daß der Propst sein Gesuch um ein Darlehen gleichzeitig mit der Uebersendung des kaiser­ lichen Mandats an den Rat gelangen ließ, können wir ent­ nehmen, in welchem Sinn das ,,Darlehen“ von demselben gemeint war, nämlich als eine bei derartigen diplomati­ schen Geschäften von Unterhändlern zu jener Zeit fast all­ gemein übliche ,,Handsalbe“ und Gegenleistung des Rates. Der Propst hat denn auch dieses Darlehen niemals zurück­ bezahlt. Nach dem im Jahre 1531 erfolgten Tod des Prop­ stes, der inzwischen zum Bischof von Konstanz und Hildes­ heim aufgerückt war, bemühte sich der Rat vergeblich, das­ selbe von den Erben zurückzuerhalten 5Ö).

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Kapitel XIII. Die Kirchenvisitation 1528/29.

Das mit der Veranstaltung einer allgemeinen Kirchen­ visitation im Kurfürstentum Sachsen gegebene Beispiel und die Erfahrungen, die man dort gemacht hatte, ermunterten auch anderwärts zur Nachahmung. Einer der ersten, der sich dazu anregen ließ, war der Markgraf Georg von Ansbach. Adam Weiß, Pfarrer von Crailsheim, hatte ihm zum Zweck der Neuordnung des kirchlichen Lebens im evangelischen Sinn die Einführung von Kirchenvisitationen vorgeschlagen x). Der vertraute Ratgeber des Markgrafen Prior Johann Schopper von Heilsbronn hatte Weiß zu­ gestimmt. Daraufhin beauftragte der Markgraf diese beiden und den Pfarrer Andreas Althamer mit der Fertigung eines Entwurfs, wie eine solche Visitation vorzunehmen sei. Das Resultat war ein Gutachten derselben, welches das Recht des Markgrafen zu einer solchen Maßnahme begründete und zugleich aufzeigte, wie dieselbe durchzuführen sei 2). Unabhängig davon beschäftigte man sich um diese Zeit auch in Nürnberg mit dem Gedanken, im eigenen Gebiet eine Kirchenvisitation vorzunehmen. Hier war es Spengler, welcher dazu die Anregung gab. Dabei hielt er es für wün­ schenswert, mit den Markgräflichen gemeinsam vorzugehen. Er schlug dem Markgrafen durch.dessen Landhofmeister Johann von Schwarzenberg vor, die geplante Visitation in beiden Gebieten gemeinsam und gleichheitlich vorzuneh­ men 3). Es war nicht nur das kirchliche Interesse, das ihn zu diesem Vorschlag bewog. Seit Jahren standen politische Fragen und Anliegen trennend zwischen beiden Herrschafts­ gebieten und deren Regierungen. Auf beiden Seiten bestand

70 das Bedürfnis nach einem besseren ,,nachbarlichen Ver­ ständnis“. Spengler glaubte nun in einem Zusammengehen auf kirchlichem Gebiet, auf dem man sich einig wußte, einen Weg zu sehen, auf dem man auch in politischer Beziehung einander näher kommen konnte. Aehnlich scheint man auch in Ansbach gedacht zu haben. Hier wie dort sagte man sich zugleich, daß eine gemeinsam und gleichmäßig durch­ geführte Kirchenvisitation und Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse beiden Teilen, auch den Bischöfen und dem Schwäbischen Bund gegenüber, von denen mit Sicherheit Schwierigkeiten zu erwarten waren, eine festere Stellung geben konnte. In seiner zustimmenden Antwort vom 22. Mai 1528 ließ der Markgraf durch Schwarzenberg eine Zusammen­ kunft beiderseitiger Vertreter am 14. Juni zu Schwabach vorschlagen. Von der markgräflichen Seite erschien dazu der Kanzler Georg Vogler, der Schwabacher Amtmann Wolfgang von Wiesenthau, die Pfarrer Adam Weiß und Andreas Althainer und der Stiftsprediger Johann Rurer von Ansbach. Aus Nürnberg kamen Kaspar Nützel, Martin Tücher und Spengler; dazu die Prediger Osiander und Schleupner 4). Inzwischen war nun auch der Nürnberger Rat dem Gedanken der Kirchenvisitation näher getreten, indem er am 22. Mai seine Juristen und Theologen beauftragte, ein Gutachten darüber zu stellen. Bezüglich der Notwendigkeit und des Wertes einer Visitation waren dieselben einig. Nur schlugen die einen die Vornahme der Prüfung der Geist­ lichen in ihrer Kirche in Gegenwart der Gemeinde vor, während Schleupner eine nicht öffentliche Prüfung wünschte, um eine etwaige Bloßstellung der Geistlichen zu vermeiden. Am 4. Juni hatte Spengler an Vogler die Zustimmung des Rates zu dem Plan mitgeteilt. Am 15. Juni begannen in Schwabach die Verhandlun­ gen. Die markgräflichen Pfarrer hatten schon früher mit dem Prior Schopper 23 Artikel zusammengestellt, welche nach Nürnberg geschickt, von Osiander weiter ausgearbeitet und zu kurzen Lehrsätzen gestaltet worden waren, um

7i beiden Teilen als Grundlage für die Durchführung der Visi­ tation zu dienen. Diese wurden in Schwabach von beiden Seiten angenommen. Sie sind bekannt unter dem Hainen ,,Schwabacher Visitationssartikel“ 5). Die Ansbacher Theologen hatten auf Befehl des Mark­ grafen noch besondere ,,Frageartikel“, 30 an der Zahl, ver­ faßt, welche sie ihren Visitatoren mitzugeben gedachten. Auch diese wurden in Schwabach von den Nürnbergern ge­ billigt ü). Endlich hatten die Nürnberger Theologen den Markgräflichen auch eine gemeinsame Kirchenordnung vorgeschlagen, für die sie einen Entwurf nach Schwabach mitbrachten. Bei der Beratung desselben ergaben sich aller­ dings einige Schwierigkeiten. Man war wohl auf beiden Seiten darüber einig, daß eine Visitation keinen bleibenden Wert haben würde, wenn nicht derselben eine feste Kirchen­ ordnung folgen würde. Aber in dem Entwurf war für be­ sondere Fälle der Disziplin die Verhängung des Bannes vorhergesehen. Während nun über diesen Punkt eine Eini­ gung mit den Ansbacher Theologen nicht schwer fiel, mußten die Nürnberger befürchten, daß ihr Rat ihnen darin nicht zustimmen werde. Trotzdem gelang es, die Kirchen­ ordnung noch in Schwabach unter Dach zu bringen, nach­ dem man sich dahin geeinigt hatte, daß die Verhängung des Bannes jeweils von der Zustimmung der weltlichen Obrig­ keit abhängig sein sollte 7). Bezüglich der Durchführung der Visitation wurde noch vereinbart, daß den Nürnberger Beauftragten das Gebiet zwischen der bei Erlangen in die Pegnitz mündenden Schwabach, der Regnitz und der Schwarzach zugewiesen wurde, während die Markgräflichen die übrigen Teile beider Gebiete zu übernehmen hatten8). Am 18, Juni nach der Rückkehr der Nürnberger von Schwabach beauftragte der Rat die Prediger beider Pfarrkirchen, die nötigen Bestim­ mungen für die Durchführung der Visitation aufzustellen und dieselben dann den markgräflichen Räten zukommen zu lassen 9). Da der Markgraf um diese Zeit von Ansbach abwesend war und erst gegen Ende Juli die Schwabacher Beschlüsse

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prüfen konnte, verzögerte sich die Sache. Zu den Visitati­ onsartikeln gab er seine Zustimmung, ebenso zur Verteilung der Visitationsgebiete. Dagegen wünschte er an dem Ent­ wurf der Kirchenordnung noch manche Aenderungen, zu denen Nürnberg am 13. August seine Zustimmung gab. Die Vertreter beider Teile hatten in Schwabach auch beschlos­ sen, daß die Vereinbarungen nach dem Abschluß der Visi­ tation im Druck veröffentlicht werden sollten. Da jedoch der Markgraf es vermeiden wollte, den Gegnern auf der römischen Seite damit Material für deren zu erwartende Beschwerden in die Hand zu geben, lehnte er es ab, die Beschlüsse drucken zu lassen. Nürnberg dagegen gedachte, bei der Vereinbarung zu bleiben. Wie wir noch sehen werden zog sich der Druck und die Einführung der Kir­ chenordnung doch auch hier bis zum Ende des Jahres 1532 hinaus. Der Beginn der Visitation wurde für beide Gebiete auf den 3. September festgesetzt. Am 4. August wurde im Markgrafentum für alle Amtsbezirke eine Zusammenstel­ lung der vorhandenen Pfarreien, ihrer Pfarrer und der Be­ setzungsrechte für dieselben und zugleich eine Erhebung darüber angeordnet, ob die Pfarrer der wiederholt an sie ergangenen Weisung folgend, ihr Amt im evangelischen Sinn ausrichteten 10). An die Amtleute der den Nürnbergern zur Visitation überlassenen markgräflichen Pfarreien er­ ging die Weisung, daß Nürnberg darin nicht zu hindern sei11). Die gleiche Weisung ließ Nürnberg an seine von Ansbach zu visitierenden Pfarreien ergehen 12). In Ansbach entschied man sich dafür, daß sämtliche Pfarrer an zuvor festgelegten Terminen nach Ansbach kom­ men sollten. Zum Leiter des gesamten VisitationsWerkes wurde der Stiftsprediger Rurer bestimmt; sein Stellvertre­ ter war Althamer. Jeder zur Visitation kommende Pfarrer sollte von einem Vertreter der Gemeinde begleitet sein. In Nürnberg hatten es die um ihre Meinung befragten Prediger für gut gehalten, die einzelnen Pfarrer zunächst zu Hause aufzusuchen, um ihre persönlichen und häuslichen Verhältnisse kennen zu lernen, besonders auch aus ihrer

73 Bibliothek auf ihre wissenschaftliche Beschäftigung schlie­ ßen zu können, sie dann aber zu einem öffentlichen Examen vorzuladen. Nur Schleupner hatte davon abgeraten, damit eine öffentliche Bloßstellung der Pfarrer vermieden werde13). Man entschloß sich dazu, diejenigen Pfarrer, welche in der Nähe Nürnbergs wohnten, dahin vorzuladen, während die entfernter wohnenden in die ihnen nahe gelege­ nen Städte des Nürnberger Landgebietes berufen wurden. Für das Landgebiet wurden als Visitatoren bestimmt: drei von den Nürnberger Predigern und die beiden Ratsherren Christoph Coler und Hieronymus Baumgärtner. Für die in Nürnberg selbst vorzunehmenden Visitationen wurden sämtliche fünf Prediger, die bereits genannten Ratsherren Christoph Coler, Hieronymus Baumgärtner und außerdem noch Bernhard Tücher, der Almosenherr, und Lucas Sitzinger, der Kastenherr, bestimmt14). Die in der Nähe der Stadt liegenden Pfarreien kamen zuerst an die Reihe. An die Landgemeinden wurde die Aufforderung gerichtet, wo in einer Gemeinde grund zu Beschwerden gegen den Pfarrer bestünde, sollten 5 bis 7 Vertreter aus derselben zur Visitation erscheinen, um solche Beschwerden vorzutragen 15). Daß dem Visitationswerk allerlei Schwierigkeiten be­ gegnen würden, war vorauszusehen. Wohl hatte der Nürn­ berger Rat seinem Vertreter beim Schwäbischen Bund Cle­ mens Volkamer am 6. Juli geschrieben: ,,Der Visitation halben gedenken wir nicht so ein groß Lärmen anzurichten, oder etwas anderes fürzunehmen, als die untauglichen Pfar­ rer und Prediger, wie wir bisher getan, und ein jede Obrig­ keit zu tun Macht hat und schuldig ist, zu ändern (d. h. ab­ zusetzen), darum sich die Bischöfe nicht so übel gehaben dürfen, als ob sie dadurch ihrer geistlichen Jurisdiktion ent­ setzt, oder des Landes vertrieben würden“ 16). In der Tat war vor allem der Einspruch der zuständigen Bischöfe zu erwarten. Als erster reichte der Bischof von Bamberg eine Beschwerde bei dem Schwäbischen Bund gegen Nürnberg ein. Aus der Klageschrift des Bamberger Bundesrats, welche die zu Ulm versammelten Hauptleute und Räte des

74 Bundes nach Nürnberg schickten, entnahm der Rat, daß der Bischof in der beabsichtigten Kirchenvisitation, wie man in Nürnberg vorausgesehen hatte, einen Eingriff in sein bischöfliches Recht der geistlichen Gerichtsbarkeit sah. In seiner am 16. Juli an die „Botschaften, Hauptleute und Räte des Bundes gerichteten Antwort versicherte der Rat, er denke nicht daran, dem Bischof ins Amt zu greifen und ihn seiner geistlichen Jurisdiktion zu entsetzen. Aber als Obrig­ keit halte er sich für verpflichtet, für die zeitliche und ewige Wohlfahrt seiner Untertanen zu sorgen. Diese sei gefähr­ det durch das Vorhandensein unfähiger und unwürdiger Pfarrer und Prediger in vielen Gemeinden, welche ihrer Pflicht nicht genügten und den Gemeindegliedern kein gutes Beispiel gäben. Das zu beklagende ungleiche Predigen er­ zeuge Unruhe und Unzufriedenheit und fördere die Ein­ führung von Irrtümern und die Bildung von Sekten. Ein­ hellige christliche Predigt und rechte, treue Amtsführung durch die Geistlichen sei dringend nötig zur Beseitigung der Mißstände. Aber ohne eine Visitation derjenigen, welche die Gemeinden leiten und ihnen dienen sollen, ist das nicht möglich. Dem Rat wäre nichts lieber, als daß diejenigen, welche vor allem dazu berufen wären — gemeint waren die Bischöfe — oder ein Konzil oder eine Reichsversamm­ lung die Mißstände beseitigt hätten, und er das nicht selbst in die Hand nehmen müßte. Aber bisher ist von den dazu Berufenen nichts geschehen, trotz des Bittens und Drän­ gens vieler christlicher Reichsstände! Weil nun aber die Mißstände immer schlimmer werden und Gott allen Obrig­ keiten droht, das Blut ihrer Untertanen von ihren Händen zu fordern, gebührt es dem Rat nicht, auf die Meinung der Menschen, seien es hohe oder niedere, zu sehen und dabei sein eigenes und seiner Untertanen Heil zu versäumen. Dabei ist es keineswegs des Rates Absicht, mit der von ihm durchzuführenden Visitation sich ein Recht anzumaßen und dem Bischof zu entziehen. Zum Schluß wies der Rat noch auf den Reichstags­ abschied von Speyer 1526 hin, nach welchem jede Obrig­ keit für sich leben, regieren und sich halten solle, wie sie

75 es vor Gott und dem Kaiser zu verantworten sieh getraue. Durch diesen Abschied sah sich der Rat zur Vornahme der Visitation nicht nur berechtigt, sondern auch verpflicht tet17). Die Bundesstände waren inzwischen auf Betreiben des damals in den deutschen Ländern umherreisenden und für die Interessen des Kaisers wie des Papstes werbenden kai­ serlichen Vizekanzlers und Propstes von Waldkirch in Augsburg zusammengetreten und hatten dort sowohl an den Markgrafen als auch an den Nürnberger Rat ein Mandat ergehen lassen, in welchem sie beide aufforderten, die be­ absichtigte Visitation zu unterlassen. In Nürnberg hatte man auch gehört, daß der Bund die Geistlichen, die sich zur Visitation stellen würden, verhaften und bestrafen lassen wollte. Aber man ließ sich weder in Ansbach noch in Nürnberg dadurch einschüchtern 18). Als dann der Bischof erfuhr, daß der Rat am 3. Sep­ tember mit der Visitation begonnen hatte und dieselbe eifrig fortsetzte, wandte er sich unmittelbar an diesen und for­ derte von ihm die Einstellung der Visitation und die Ver­ weisung seiner Geistlichen an den bischöflichen Vikar, der in dieser Sache zuständig sei. Der Rat erteilte ihm jedoch eine sehr entschiedene und kräftige Antwort. Wieder be­ rief er sich auf den Reichstagsabschied von 1526, der ihm das gesetzliche Recht zu solchem Vorgehen gegeben habe. Wenn der Rat zu erforschen suche, ob das Wort Gottes nach der heiligen Schrift dem Volk lauter und rein gepredigt werde, und wenn er Pfarrer und Prediger, die er als Lehens­ herr gewählt und eingesetzt habe, weil sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen seien, absetze, so sei er als Obrigkeit dazu berechtigt und verpflichtet. Da sei es ihm geradezu schimpf­ lich und erschrecklich, daß der Bischof dieses christliche, gute und notwendige Werk, das in erster Linie ihm selbst zu vollbringen gebührte, unterlasse und nun auch der Obrig­ keit, der Gott ihre Untertanen christlich zu regieren und für sie zu sorgen auferlegt hat, verwehren und den Rat an den bischöflichen Vikar weisen will, von dem man gar nicht weiß, ob er der heiligen Schrift verständig ist, und dessen



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Urteil in geistlichen Dingen sich zu unterstellen niemand gezwungen werden kann. Endlich stellte der Rat fest, daß seit Menschengedenken der Bischof und seine Vorfahren überhaupt keine christliche Kirchenvisitation gehalten hät­ ten. Darum habe auch der Bischof weder Grund noch Recht, über eine Verletzung seiner Jurisdiktion zu klagen. Deshalb lasse es der Rat bei der Antwort beruhen, die er am 16. Juli den Bundesständen gegeben habe und welche diese wohl dem Bischof übermittelt hätten 19). Auch gegen den Markgrafen hatte der Bischof beim Schwäbischen Bund eine Klage eingereicht, und zwar nicht nur wegen der Visitation, sondern auch wegen der Eide, durch welche der Markgraf- die Geistlichen seines zum Ge­ horsam gegen ihn verpflichtet hatte20). Der Bund ließ diese Klage dem Markgrafen zugehen, mit der Ermah­ nung, sowohl die Visitation als auch die Verpflichtung der Geistlichen zu unterlassen 21). In seiner Antwort stützte sich der Markgraf in der Hauptsache auf die Gründe, mit denen Nürnberg die Visitation verteidigte. Ebenso versuchte es der König Ferdinand, das Visi­ tationswerk zu stören. Am 14. Oktober bestätigte der Nürn­ berger Rat dem Markgrafen Georg den Empfang eines ,,besiegelten Befehls“ des Königs, durch welchen die im Herrschaftsgebiet des Markgrafen im Gang befindliche Visi­ tation verhindert werden sollte. Dabei bemerkte der Rat, daß nach seiner Vermutung das auf „Anreizung der Geist­ lichen, so Ihre Majestät um sich hab“, geschehen sei. Daß nur der Markgraf und nicht auch Nürnberg einen solchen Befehl erhalten hatte, erklärte man sich hier daraus, daß der König und seine Geistlichen befürchteten, der Markgraf könnte die Visitation auch in seinem schlesischen Herr­ schaftsgebiet durchführen, woraus die Gefahr entstünde, daß die Reformationsbewegung auch auf des Königs Erblande übergreife. Dagegen sollte jenes Verbot ein „Schreckschuß“ sein. Für den Fall, daß ein solches Verbot auch dem Nürn­ berger Rat zugehen würde, war dieser entschlossen, dem König ebenso zu antworten, wie er es dem Schwäbischen

77 Bund gegenüber getan. Denn, so fügte der Rat seiner Er­ klärung hinzu: „wir achten, diese Visitation sei ein solch Werk, das auch bei Christen oder Unchristen — außerhalb der Tempelknecht, die darunter Abgangs ihrer Kuchen besorgen — mit keiner Vernunft oder füglicher Ursach mög getadelt werden“ 22). Mit den Tempelknechten meinte der Rat die Geistlichen! Der Markgraf ließ sich durch das königliche Schreiben nicht einschüchtern. Nürnberg wurde durch den König zunächst nicht belästigt. Erst im Januar 1529 lief dort ein abmahnendes Schreiben von ihm ein. Die Antwort des Rates lautete: „Auf König Ferdinands Schrift, darin gefochten wird, daß sich ein Rat mit Markgraf Georg in kein Vertrag einlassen soll, ist erteilt, dasselbige ein Schrift sein zu lassen“ 23). Auch einzelne Pfarrer oder deren Lehensherren mach­ ten Schwierigkeiten. So hatte der Rat den Pfarrer zu Stöckach bei Gräfenberg zur Visitation vorgeladen, und weil dieser sich weigerte, zu erscheinen, ihm die weitere Amts­ führung untersagt. Sein Lehensherr, der Propst zu Neun­ kirchen, schrieb darauf dem Rat, der Pfarrer unterstehe ihm als Lehensherrn und sei daher nicht schuldig, vor den Visi­ tatoren zu erscheinen. Der Rat machte dagegen geltend, daß ihm über das Dorf Stöckach die hohe Obrigkeit und als solcher das Recht zustehe, darauf zu sehen, daß seine Unter­ tanen mit einem redlichen und verständigen Hirten und Pfar­ rer versorgt seien und nicht durch öffentliche Irrsale, wie sie jetzt in der christlichen Kirche einbrechen wollten, ins Verderben geführt würden. In solche Fürsorge darein zu reden habe niemand das Recht, am wenigsten ein Geistlicher, der durch seine Amtspflicht an Gott und sein heiliges Wort gebunden sei. Darum erwarte der Rat, daß der Propst sei­ nem Pfarrer gestatte und befehle, vor den Visitatoren des Rates über seine Lehre und seinen Glauben Rechenschaft ab­ zulegen. Werde der Pfarrer als ein Christ befunden, werde er sofort wieder in sein Amt eingesetzt und in seinen Rech­ ten und Befugnissen von niemand beeinträchtigt werden. Erscheine er nicht, so könne ihn der Rat nicht im Amte dulden 24).

78 Auch der Pfarrer von Henfenfeld Johann Bratengeyer hatte sich gegen des Rates Vorladung zur Visitation wider­ spenstig gezeigt, indem er derselben nicht nur keine Folge leistete,

sondern auch seine Gemeinde verließ und bereits

seit 14 Tagen seinen Dienst

versäumt hatte.

mußte der Rat aus einer Beschwerdeschrift entnehmen,

Ueberdies

der Gemeinde

daß der Pfarrer sich bisher ganz unchristlich

und ärgerlich gehalten und der Gemeinde ein sehr übles Bei­ spiel gegeben habe.

Da derselbe sich auch als unfähig zur

Predigt und Seelsorge erwiesen hatte, ersuchte der Rat den Abt zu Mi.chelfeld, Pfarrei zustand,

welchem das Besetzungsrecht für die

dieser möge der Gemeinde innerhalb 14

Tagen einen würdigen und fähigen, der Obrigkeit gehor­ samen Pfarrer geben.

Sollte der Abt diese Bitte nicht er­

füllen, so werde der Rat der Gemeinde selbst einen geeig­ neten Pfarrer zu weisen 25). Unter Berufung auf sein Lehensrecht

lehnte es der

Abt ab, dem Ersuchen des Rates stattzugeben.

Dieser er­

innerte den Abt mit ernsten Worten an die ihm aus seinem Recht sich für ihn ergebende Pflicht und an die Verantwor­ tung, die er vor Gott der Gemeinde gegenüber trage, und wiederholte seine Drohung26).

Das wirkte denn auch.

Sei

es auf die Veranlassung des Abtes, oder weil er die Ab­ setzung fürchtete, kehrte der Pfarrer nach Henfenfeld zu­ rück und stellte sich der Visitationskommission.

Er gab

jetzt selbst seine Unfähigkeit und Unwürdigkeit zu und bat, man möge ihm auf seine Kosten einen geeigneten Geistlichen beigeben, der das Amt eine Zeit lang für ihn versehe.

Von

dem wollte er dann Unterricht nehmen und fleißig studie­ ren, um mit der Zeit besser gelehrt und zum Amte tauglich zu werden.

Auch gedenke er mit der Zeit, wenn es sich

recht mit ihm schicke, seine Köchin, mit der er bisher in wilder Ehe gelebt habe, zu ehelichen.

Darauf entschloß sich

der Rat, dem Pfarrer auf dessen Kosten einen Geistlichen, der um diese Zeit aus der obern Pfalz vertrieben, nach Hersbruck gekommen war, an die Seite zu geben, ,,bis sich ein anderes mit dem Pfarrer schicken werde“ 27).

79 Der zwischen Ansbach und Nürnberg vereinbarte Ter­ min für den Beginn der Visitation wurde auf beiden Seiten pünktlich eingehalten. Um allen Mißverständnissen vor­ zubeugen, hatte Nürnberg noch vor dem Beginn am 29. August dem Markgrafen einen schriftlichen Revers aus­ gestellt, nach welchem die durch Nürnberg in den markgräf­ lichen Gemeinden vorzunehmende Visitation dem Mark­ grafen , in seiner habenden Obrigkeit und Gerechtigkeit“ kein Eintrag geschehen sollte 28). Ueber den Verlauf der Visitation im Einzelnen wurden auf beiden Seiten Niederschriften angefertigt. Leider sind dieselben nicht mehr vorhanden. Die aus dem Nürnberger Gebiet wurden am Ende des 18. Jahrhunderts vernichtet. Für das markgräfliche Gebiet hat Archivdirektor D. Dr. Schornbaum in seiner Schrift: „Die erste Brandenburgische Kirchenvisitation 1528“ aus den Resten der noch vorhande­ nen Aufzeichnungen eine sehr wertvolle Uebersicht zusam­ mengestellt 29), aus der wir uns doch ein einigermaßen klares Bild von der Durchführung und den Ergebnissen der dor­ tigen Visitation machen können. In derselben sind sämt­ liche markgräfliche Pfarreien, deren Patronatsrechte und Pfarrer aufgeführt; ferner auch diejenigen Geistlichen, welche der Vorladung keine Folge leisteten, wie auch die­ jenigen, welche zwar erschienen waren, aber sich nicht examinieren ließen, sei es, daß ihr Bischof oder ihr Lehens­ herr es ihnen verboten hatten, oder daß sie es von sich aus ablehnten. Endlich enthält diese Uebersicht auch die Qua­ lifikation, welche den Geprüften durch die Visitatoren er­ teilt wurde. Die zahlreichen Anmerkungen, welche der Uebersicht beigefügt sind, geben über die einzelnen Persön­ lichkeiten noch andere wertvolle Aufschlüsse. In der erwähnten Schrift Schornbaums sind auch die Berichte abgedruckt, welche auf Befehl des Markgrafen von den Aemtern noch vor Beginn der Visitation eingesandt worden waren und von denen nur die der Aemter Ansbach und Wassertrüdingen verloren gegangen sind. Auch diese Berichte geben wertvolle Aufschlüsse über die damaligen kirchlichen Verhältnisse im markgräflichen Gebiet 30).

8o Das Resultat der Visitation war wenig erfeulich. Viele von den vorgeladenen Geistlichen waren überhaupt nicht erschienen, was schon daraus zu erklären ist, daß sowohl von den Bischöfen als auch zum Teil von den Patronatsherren und Amtleuten ein starker Druck ausgeübt wurde, um ihre Geistlichen vom Erscheinen abzuhalten. Manche mochten auch die Beschwerden fürchten, welche gegen sie vorgebracht waren. Viele von den Erschienenen weiger­ ten sich, den Visitatoren zu antworten, wobei sich nicht wenige auf das Verbot ihres Bischofs oder des Patronats­ herrn beriefen. Der Pfarrer von Alesheim im Amt Gunzen­ hausen, welcher trotz des Verbots erschien und sich exami­ nieren ließ, wurde durch den Bischof von Eichstätt um 30 Gulden gestraft. Die Beurteilung der Geprüften erfolgte in vier Noten­ stufen: bene = gut, mediocriter — mittelmäßig, male =z schlecht, pessime = sehr schlecht. Von 51 Geprüften erhiel­ ten 21 die Note gut, 13 wurden als mittelmäßig, 12 als schlecht und 5 als sehr schlecht bezeichnet. Diese Benotung scheint sich, wie auch Schornbaum annimmt, vor allem auf die persönliche Stellung der Einzel­ nen zur Reformation bezogen zu haben. Doch werden, wie im Nürnberger Gebiet, auch die wissenschaftlichen Kennt­ nisse und Fähigkeiten in Betracht gezogen worden sein. Von zwei Geistlichen bemerkten die Visitatoren, daß sie freiwillig ausgeschieden seien, wohl deshalb, weil sie sich selbst als zum Amt unfähig erkannt hatten. Nach dem Abschluß der ganzen Handlung reichten die Visitatoren dem Markgrafen ihre Vorschläge ein, was mit den Geistlichen geschehen sollte, welche sich den ihnen bei der Visitation gegebenen Weisungen nicht fügten. Die­ jenigen unter ihnen, deren Lehensherr der Markgraf selbst war, wurden bestraft und aufs neue zur Visitation vorgela­ den 31). Wo der Markgraf nicht Lehensherr war, verfügte dieser, es solle „gemach getan“, d. h. keine Gewalt geübt werden. Wo die neuerdings Geladenen wieder nicht er­ schienen, wurde den Gemeinden nahe gelegt, den Ungehor­ samen das Einkommen zu sperren und „christliche Pfarrer“

8i damit zu besolden32). Da, wo die Bischöfe den Pfarrern bei Strafe der Exkommunikation verboten hatten, sich visi­ tieren zu lassen, oder wo die Lehensherren sie am Erschei­ nen gehindert hatten, war es zunächst nicht möglich, den Widerstand zu brechen. Unter den Anträgen, welche die Visitatoren nach dem Abschluß des Werkes gestellt hatten, war auch der gewesen, es sollten zur Sicherung der getroffenen Neuordnungen Geistliche aufgestellt - werden, denen man den Namen ,.Superattendenten“ gab. Diese sollten die Amtsführung der Geistlichen und das kirchliche Leben in den Gemeinden überwachen und wo es nötig sei, zur Beseitigung von Miß­ ständen Anweisung geben. Das geschah denn auch. Aber bei der Schaffung dieses neuen Amtes wurde der Fehler ge­ macht, daß man die Vollmachten desselben allzusehr be­ schränkte, indem man das Eingreifen der Superattendenten bei Mißständen von der Zustimmung und Mitwirkung des Amtmanns abhängig machte, und so dem Amt jede Selb­ ständigkeit und Autorität und damit auch jede Möglichkeit zu einer fruchtbaren Tätigkeit von vornherein genommen war33). Von der Visitation im Nürnberger Visitationsgebiet> auf dem Land, welche am 3. September begann und am 22. Oktober zum Abschluß kam, sind uns nur zwei der amt­ lichen Niederschriften, nämlich die von Ottensoos und Korn­ burg, in ihrem Wortlaut erhalten 34). . Diejenige von Otten­ soos lautet: ,,Konrad Kämpf, Pfarrer, gibt an, er sei von meinen Herrn dahin verordnet, er hab Weib und Kind. Ist verhört; hat wohl geantwortet; findet sich bei ihm ein guter, christ­ licher Verstand. Heinz Pirkmann, Herman Teurlein, Jörg Stein und Hans Löser, Gesandte von der Gemein Ottensoos, haben gesagt, daß sie von ihrem Pfarrer, seines Lebens und Wesens halb, kein Klag zu tun haben; er halt sich eines ehrlichen, redlichen Wesens, führe ein priesterlich Leben. So wissen sie seiner Lehr halben auch kein Klag anzuzeigen; er lehre und predige ihnen das Wort Gottes ihres Verstands treulich a

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vor, und wo er ihnen das Wort Gottes gar ins Herz könnt gießen oder stoßen, tät er das gern; und seien allein in dem beschwert, daß etlich Jahrtäg und Verkündungen der Toten und Salve regina, in der Pfarr zu halten gestiftet, die halt aber ihr Pfarrer nit mehr, zeigt an, es sei nit nutz, und nehmen doch nichts dester weniger die Gotteshauspfleger die Gülten und Zins, die darum in das Gotteshaus gegeben wor­ den sein, geben dem Pfarrer davon sein Gebührnis, io Gul­ den jährlich, und behalten das übrige zum Gotteshaus. Ver­ meinten, daß man billig solche Zins und Gült, die für solche gestifte Jahrtäg und andres an das Gotteshaus geben wer­ den, nachdem das alles nit mehr gehalten wurdet; denen, die berührte Gült an das Gotteshaus geben haben, wiederum zugestellt, oder an Steg und Weg, oder aber hausarme Leute gewendet. Und hät dennoch ihr Pfarrer ihres Ach­ tens ohne das genug, denn er sonst bei 70 Gulden Einkom­ mens hab. Item so haben sie sonst noch einen Frühmesser, derselb sei auch ein gut frum Mann; er mög vielleicht soviel nit können; er hab sich aber ein Zeit her sehr gebessert, wissen darum kein sonder Klag zu tun. Die Gelehrten haben obgemelt Pfarrers halben gerat­ schlagt, daß der zu einem Pfarrer wohl zu halten sei. Und ist diesem Pfarrer gesagt worden, daß er als ein Seelsorger seinem Pfarrvolk im Wort Gottes treulich vorgehn und un­ terweisen wöll, auch fleißig lesen und studiern und sich im selben solchergestalt halten, daraus man seinen Fleiß spüren mög. Dazu hat gedachter Pfarrer angezeigt, daß er dem Lesen und Studieren nit sowohl, wüe er billig tun sollt, an­ hangen könnt. Er hab ein groß Haussorg; woll er viel haben, muß er darnach trachten und arbeiten und Ehalten halten. So muß er allemal über die drei Feiertag das Got­ teshaus zu Schönberg in eigner Person mit Predigt und Meß versehen, von welchem er dann das meist Einkommen hab. Hab zu Ottensoos ein kleins Zehntlein und etliche kleine Wieslein und Aeckerlein; item er muß gen Rottenberg jähr­ lich drei Gulden Jagdgelds geben. So gestehen ihm die Die-

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ner von Rottenberg, die er auf jenen Kürtagen zu Ottensoos mit Essen und Trinken versehen muß. des Jahrs nit wenig, also daß er deshalb io Gulden wohl haben muß. Der Stiftung halb hab er bisher das Geld, so ihm die Gottshauspfleger gereicht, genommen. Achte dafür, dieweil das Gottshaus des Jahrs über ioo Gulden Einkommen hat, daß sie sich des Gelegenheit aller Sachen, und daß sein ander Einkommen nit so groß, nit zu beschweren haben. Daß er aber die Jahrtäg, Verkündung der Toten und Salve regina bisher nit gehalten, acht er nit Unrecht sein, dieweil er in der Schrift und in seinem Gewissen ein anders finde. Und hat der Pfarrer gemeldt, wo ihm diese sein Cura mit der Versehung der Pfarr zu Schönberg und sein groß Haus­ haltung in ziemlich und leidentlicher Weg möcht gewendet werden, und daß er etwo ein ruhiger Wesen haben könnt, wär er ungezweifelt, er wollt sich im Studieren und in der Kirchen Dienst dermaßen befleißen, darob man ein gut Ge­ fallen haben sollt.“ Kornburg: ,,Herr Paulus Löffler, Pfarrer zu Kornburg, sagt, er sei von meinen Herrn dahin verordnet, bei zwei Jahren da­ selbst gewest. Hab ein Eheweib. Der gedacht Pfarrer ist verhört. Der hat ziemlich und wohl geantwortet, und fin­ det sich bei ihm ein christlicher Verstand. Lienhard Schmidt, Augustin Feuerstein und Cuntz Mayer, Gesandte von der Gemein Kornburg, die sagen erstlich des Pfarrers halb, daß sie an ihres Pfarrers Leben und Wesen ein gut Gefallen haben, wissen deshalb nichts zu klagen. So haben sie an seiner Lehre außerhalb nach­ folgender Mängel auch kein Klag. Allein vermeinten sie, daß ihr Pfarrer je bisweilen an Feierabenden untertag Vesper sing und in demselben hielt, wie man es hie zu Schwabach hält; wo er’s also hielt, wollten sie wohl zufrieden sein; dann er sonst in der Wochen nichts tun, als daß er an Feier­ tagen Meß halt und predig. Item der Pfarrer forder und predig stets in seiner Predig den Zehnten. Hielten dafür, daß er solchs billig in der Predig unterließ, und wo ihm jemand den nit recht gebe, daß er das der Obrigkeit an6*

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zeiget und nit in der Predig so oft meldet. Item der Pfarrer tauf die Kinder in den Häusern. Ver­ meinten sie, dieweil die Tauf so ein groß, treffenlich Ding sei, es wäre dennocht viel ehrlicher und besser, daß man die zu Kirchen trag und daselbst taufte. Item so ihr Pfarrer jemand ein Kind tauft, oder daß er Eheleut, so Hochzeit miteinander haben wolten, auf der Kanzel verkündt, ist ihm von solchem hievor je ein Maß Weins ge­ geben worden; aber jetzt vermeint er, man soll ihn zu sol­ chem, es sei Hochzeit oder Kindschenk, laden. Wo er dann je geladen wird, bleib er da, eß und trink, woll aber nichts zahlen. Item der Pfarrer lasse im Gebet auf der Kanzel das Ave Maria außen. Vermeint die Gemein, daß er dennocht das von wegen der jungen Kinder billig auch bete und lernte. Item das Sacrament konsecrier ihr Pfarrer gar deutsch. Wissen sie als arme, unverständige Bauersleut nit, ob es so gar gut sei oder nit. Wollen solchs, wie es deshalb soll ge­ halten werden, zu den verordneten Herrn gestellt haben. Item als hievor ihrem Pfarrer etlich Kleider entwendet worden, hab er bei einem Wahrsager zu Gunzenhausen darum Forschung gehabt; nachmals viel geredt auf Mei­ nung, er wüßte nun wohl, wer ihm seine Kleider gestohlen, mit Bedrohung, ihm die wieder zu geben, oder er wollt den anzeigen, daß er dem Henker werden müßt. Achten sie in der Gemein dafür, daß er als ein Pfarrer und Seelsorger billig nit mit solcher Zauberei umgehen, und wo er von jemand das in der Gemein hörte, daß er solchs zum Höch­ sten wehren und sie davon als von teuflischen Dingen wei­ sen sollt. Und wo in diesen Fällen Aenderung getan werde, seien sie sonst an andern ihres Pfarrers Leben und Wesen, auch seiner Lehre halben wohl zufrieden; er sei sonst ein gut fromm Mann. Von Schwärmern oder Täufern wissen sie nichts zu sagen. Als nun der Pfarrer von wegen der Gebrechen, von der Gemein angezeigt, gefragt worden, hat der zu allen Be-

85 schwerden, außerhalb der letzten, gut, richtig Antwort geben, darob die Gesandten zufrieden gewest. Und zur letzten, die gestohlen Kleider belangend, hat er weinend angezeigt, ihm seien hievor zween gut Rock, Hemd und anders gestohlen worden. Nun seindt ihm aber etlich geringe Stück, so ihm auch entfremdet, bei seiner Nachbarn einem zunächst niedergelegt worden. Darauf mog er gesagt haben, er hätte Vermutung auf etliche, ob jemand mit ihm ge­ scherzt, bäte er zum Höchsten, ihm das wieder zu geben. Den Wahrsager betreffend, sagt er beim höchsten Glauben, daß er für sich selbst bei keinem Wahrsager ge­ west, noch aus seinem Befehl jemand dahin geschickt; wohl sei nit ohn, er hab ein Schwager, der mag für sich selbst ohn sein Befehl beim Wahrsager gewest sein und darum Nachfrag gehabt haben. Derselb aber hab ihm nichts son­ ders anzeigen können. Er halt und glaub desselben An­ zeigen nit, könne sich auch von den Gnaden Gottes selbst aus der Schrift wohl erlernen, daß solchen Ansagen nit zu glauben, und nichts anders, denn Teufels Werk seye. Dieses Pfarrers halb raten die Verordneten, daß er zu einem Pfarrer, als der ziemlich und guten Verstand hat, wohl zu halten und nit zu ändern sei. Doch ist ihm an­ gezeigt, hinfüro im Studiern guten Fleiß zu tun und der­ maßen christlich zu halten, damit seiner halb nit Klagens not seyn. Sonderlich daß er sich obgeschrieben Artikels des Wahrsagens halb bei der Gemein anzeigen woll, daß er auf das gar nichts halte und daß es nichts anders, als Teufels Lügen seien. Der hat das alles zu tun zugesagt.“ Außer diesen beiden Niederschriften gibt uns über die Nürnberger Visitationshandlung und deren Ergebnisse eine Handschrift aus der Paul Wolfgang Merkerschen Familien­ stiftung wertvolle Aufschlüsse. Dieselbe trägt den Titel: ,,Nachrichten von der Kirchenvisitation 1528“ 3ö). Allem Anschein nach ist dieselbe durch einen Beamten der Stadt Nürnberg unter Benützung der amtlichen Niederschriften verfaßt worden. Denn der Verfasser bezeichnet wiederholt den Nürnberger Rat als: „meine Herren“.

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Aus dieser Handschrift erfahren wir, welche Geistliche aus dem Nürnberger Visitationsgebiet für die Zeit vom 3. September bis einschließlich 13. Oktober 1528 zur Visi­ tation gefordert waren. Sodann folgen die Namen der­ jenigen, welche bei dem mit ihnen angestellten Examen als ,,wohl bestanden und zu größerer Verwaltung oder Seel­ sorge zu gebrauchen“ befunden wurden. Es waren 8 Geist­ liche, nämlich die Pfarrer Georg Löffellad zu Poppenreuth, Johann Dorn zu Gräfenberg, Georg Kreuzer zu Mögeldorf, Johann Zainer in Grebern (bei Hiltpoltstein), Nikolaus Eudrisch in Rückersdorf, der Prediger Johann Tauperer zu Hersbruck, endlich die beiden Frühmesser Johann Fürleger zu Kraftshof und Blasius Stöckel zu Heroldsberg. Letz­ terer war bis zum Frühjahr 1525 Prior im Karthäuser­ kloster gewesen. Wegen seiner evangelischen Gesinnung wurde er von seinen Klosterbrüdern bei den Ordensoberen verklagt und abgesetzt. Der Rat, welcher ihn wegen seines Charakters und seiner Tüchtigkeit sehr schätzte, versetzte ihn als Frühmesser nach Heroldsberg. Weiter folgt ein Verzeichnis von 30 Geistlichen, mit welchen man ,,in ihren Ständen wohl zufrieden“ war und die man nach dem Urteil der Visitatoren in ihren Aemtern belassen konnte. Ferner werden 20 Geistliche benannt, be­ züglich deren die Visitatoren rieten, der Rat möge mit ihnen „noch zur Zeit auf Verbesserung Geduld haben“ und sie probeweise im Amt behalten. Endlich sind 15 aufgezählt, welche bei ihrer Prüfung ,,übel geantwortet“ hatten und für ihr Amt als ,,nicht wohl tauglich“ befunden waren. Eine fünfte Gruppe in der Zusammenstellung bildeten 21 Geist­ liche, deren Besoldung der Visitationskommission als un­ genügend erschien, und bei denen man nach deren Vor­ schlag „billig Einsehen und Besserung tun“ sollte. Daß auch eine solche Liste aufgestellt wurde, ist uns ein Be­ weis, daß der Rat und die von ihm beauftragten Visitatoren ihre Aufgabe nicht-nur darin sahen, über die Geistlichen, ihre Fähigkeiten, ihre amtliche Wirksamkeit, wie über ihr persönliches Verhalten Richter zu sein, sondern auch die äußeren Verhältnisse zu prüfen, in denen sie leben und ar-

87 beiten mußten und gegebenenfalls ihnen zu helfen und ihre Lage zu bessern. Weiter folgt eine Gruppe von 6 Geist­ lichen, bei denen allgemeine „Gebrechen und Mängel“ äußerlicher Art Vorlagen, deren Beseitigung im Interesse des kirchlichen Amtes die Visitatoren für wünschenswert hielten. Eine siebente Gruppe mit 4 Geistlichen war durch deren anstößigen Lebenswandel derart belastet, daß die Kommission ihre Entlassung für nötig hielt. Den Schluß machte eine achte Gruppe mit 7 Frühmessern, von denen die Visitatoren urteilten, daß sie „nichts können und nichts zu verwalten haben“. Am 22. Oktober hatte die Visitationskomrnission, wel­ che noch durch den gelehrten ehemaligen Karthäusermönch Georg Koberer und den Prediger zu St. Egydien Sebastian Fürnschild verstärkt worden war36), ihr Werk vollendet. Die drei Ratsherren Sigmund Fürer, Leo Schürstab und Leonhard Tücher prüften die Niederschriften derselben und reichten ihre Vorschläge ein. In einer Ratssitzung vom 8. Dezember 1528 wurden die entscheidenden Beschlüsse gefaßt. Der Pfarrer von Henfenfeld Johann Bratengeyer, wel­ cher durch sein anstößiges Leben, wie auch durch seine Un­ fähigkeit zur Führung des Amtes die Achtung und das Ver­ trauen seiner Gemeinde verloren hatte, ferner der Pfarrer zu Stöckach, ein völlig ungebildeter Mönch aus dem Kloster Neunkirchen, der trotz wiederholter Mahnung zur Visi­ tation nicht erschienen und durchaus römisch gesinnt war, ferner der Pfarrer Georg Prucker zu Schwimbach, der sich durch sein unsittliches Verhalten um jedes Ansehen in der Gemeinde gebracht hatte, endlich der Kaplan Johann Praunsbach zu Altdorf, welcher bei der Visitation sehr mangelhafte Kenntnisse gezeigt hatte, auch von der Gemeinde eines höchst anstößigen Lebenswandels beschuldigt und über­ wiesen war, wurden aus ihrem Amt entlassen.' Die sehr tüchtigen Pfarrer Johann Dorn zu Gräfenberg, Johann Zayner in Grebern und Pfarrer Georg Löffellad zu Poppenreuth blieben in ihrem Amt. Dem ersteren wurde sein Einkommen aufgebessert. Der Pfarrer Georg Kreuzer

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zu Mögeldorf blieb ebenfalls. Er scheint ein warmes Herz für die Armen gehabt zu haben; er selbst lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen und der Rat hatte es für nötig befunden, ihm eine Erhöhung seines Einkommens anzubieten. Bei der Visitation hatten einige reiche Bauern aus der Gemeinde dem Pfarrer den Vorwurf gemacht, er predige nur den Armen und nicht auch den Reichen. Diesen Bau­ ern ließ der Rat „eine sträfliche Red sagen“. Der Pfarrer Nikolaus Eudrisch, der im Examen „statt­ lich geantwortet“ hatte, bezog in Rückersdorf nur ein Ein­ kommen von 16 Gulden jährlich. Er war früher Kompaß­ macher gewesen, dann aber in das Karmeliterkloster zu Nürnberg eingetreten. Hier eignete er sich durch fleißige Studien so gute Kenntnisse an, daß er als Prediger verwen­ det werden konnte. Zwei Jahre vor der Auflösung des Klosters verließ er dasselbe um seines evangelischen Glau­ bens willen, zu dem er sich durchgerungen hatte. Der Rat berief ihn jetzt als Pfarrer nach Rückersdorf. Da er von seinem geringen Pfarreinkommen allein nicht leben konnte, nahm er sein Handwerk als Kompaßmacher wieder auf. Als der Pfarrer Theodor Hohenauer zu Gründlach, der bei der Visitation „übel bestanden“ und sich für sein Amt als un­ fähig erwiesen hatte, entlassen werden mußte, wobei man ihm jedoch, „weil er alt und fromm war“, sein Pfarreinkom­ men ließ, wurde Pfarrer Eudrisch. nach Gründlach versetzt. Der Prediger zu Hersbruck Johann Tauperer, der ebenfalls zu den tüchtigsten und „wohlgelehrten“ Geistlichen gehörte und bei der Gemeinde in hohem Ansehen stand, wurde, als der bei der Visitation als ungenügend erkannte erste Prediger Sebastian Bayreuter entlassen werden mußte, an dessen Stelle gesetzt. Wie schon erwähnt, gehörten zu den bestqualifizierten Geistlichen auch die beiden Frühmesser Johann Fürleger zu Kraftshof und Blasius Stöckel zu Heroldsberg. Von dem ersteren hieß es im Visitationsprotokoll: Könnte wohl zu einem andern Stand gebraucht werden, sofern nur an seinem Leben kein Mangel vor Augen wär“. Da nun der Pfarrer Johann Hannbach zu Kraftshof eip baufälliges Pfarrhaus

89 hatte, zu dessen Wiederherstellung die Mittel fehlten, ver­ einigte man das Amt des Frühmessers mit dem Pfarramt und gab die dadurch frei gewordene Dienstwohnung des Frühmessers dem Pfarrer. Fürleger versetzte man mit der Vermahnung, er möge ,,seine Leichtfertigkeit“ ablegen, als Pfarrer nach Alfeld, wo der bisherige zum Amte nicht mehr taugliche Pfarrer Johann Carl freiwillig zurückgeti eten war. Blasaus Stöckel zu Heroldsberg wurde zunächst da­ durch ausgezeichnet, daß ihm der Rat das Predigtamt da­ selbst vertretungsweise übertrug, zu welchem sich der Pfar­ rer als unfähig erwiesen hatte. Außerdem sollte er der mangelhaften Wissenschaft seines Pfarrers durch Unter­ richt aufhelfen. Schon damals aber verhandelte der Rat mit Stöckel wegen Uebertragung eines höheren, seinen Kenntnissen entsprechenden Amtes. Auch über manche von den Geistlichen, welche zur zweiten Bewertungsgruppe gehörten, wird uns aus den Visi­ tationsverhandlungen und den darauf gefaßten Beschlüssen dies und jenes bekannt, was über die damaligen kirch­ lichen Zustände Aufschluß gibt. Nach Anordnung des Rates blieben alle diese mit nur einer Ausnahme, auf die wir zu­ rückkommen, in ihrem bisherigen Amt. Dem Prediger zu St. Johannis Johann Dorsch wurde sein Gehalt auf 40 Gulden jährlich erhöht. Der Pfarrer Konrad Dollhopf zu St. Jobst hatte darüber geklagt, daß er bei seinem geringen Einkommen nicht im stände sei, sich die zu seiner Fortbildung nötigen Bücher anzuschaffen. Der Rat wies den dortigen Gotteshauspfleger an, für 10 bis 12 Gulden Bücher zu kaufen, welche bei der Kirche bleiben und dem jeweiligen Pfarrer zum Studium überlassen wer­ den sollten. Bezeichnend ist es, daß diesem Pfarrer das Ausschenken von Bier und Wein verboten werden mußte. Es kam damals und auch in der folgenden Zeit noch öfters vor, daß Pfarrer, denen ihr kärgliches Diensteinkommen, das zum Leben nicht ausreichte, auf diesem Wege zu ergänzen suchten. Mit dem Pfarrer Johann Naß zu St. Leonhard, der bei der Visitation schlecht bestanden hatte, wollte der Rat nur unter der Bedingung Geduld haben und ihn im Amt

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lassen, daß er das Weinschenken im Pfarrhaus abstelle. Ebenso mußte dem Pfarrer Johann Hämerlein in Fisch­ bach und dem Pfarrer Georg Ebner in Leinburg das Weinund Bierschenken untersagt werden. Bei der Visitation hatte man besonders auch darauf gesehen, ob der Gottesdienst nach der evangelischen Ord­ nung gehalten werde. Gab es hier auch da und dort noch Anlaß zu Beanstandungen, so scheint das doch nicht häufig gewesen zu sein. Es wurde vielmehr manches Lob gespen­ det. So wurde dem Pfarrer Erhard Beer zu Wöhrd das besondere Lob erteilt, daß er ,,wohl bestanden und daneben in der Kirche dasjenige, was meiner Herren Agendenbüch­ lein und Mandate mit sich gebracht, fleißig observieret“. Ebenso habe sich auch der Prediger Achatius Paschberger gehalten. Auch bei dem schon erwähnten Pfarrer Hämer­ lein in Fischbach, der nur auf Probe bleiben durfte, wurde festgestellt, daß seine Lehre dem Agendenbüchlein gemäß sei; auch habe er gezeigt, daß er seinen Paulus, d. h. die Briefe des Apostels Paulus, fleißig gelesen habe. Ferner wurde bei dem Pfarrer Johann Popp zu Röthenbach bei St. Wolfgang zwar .,,schlechter Verstand, aber auch das befunden, daß er die hiesige Kirchenordnung mit Fleiß ob­ servieret und die christliche Lehr mit seinen Pfarrkindern getrieben habe“. Nicht wenig Schwierigkeiten machten dem Rat begreif­ licherweise die Geistlichen der dritten Gruppe, welche nur zur Probe ,,auf Verbesserung“ im Amt behalten worden waren. Da war z. B. der Pfarrer Georg Schwenzel zu Hersbruck von der Gemeinde eines anstößigen Lebens­ wandels beschuldigt« Er wurde ernstlich verwarnt und ihm die Entlassung angedroht, wenn er sich nicht bessere. Die gleiche Verwarnung und Androhung widerfuhr dem Kaplan Jobst Messerer daselbst. Letzterer sollte nach einiger Zeit nocheinmal examiniert werden und wenn er sich nicht ge­ bessert habe und nicht auch die Wirtshäuser meide, durch einen andern Kaplan ersetzt werden. Das scheint gewirkt zu haben. Denn im Jahre 1535 finden wir beide noch im Amt. Freilich machte damals der Kaplan Jobst Messerer

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dadurch von sich reden, daß er noch immer viel in Wirts­ häusern zu finden war und deshalb nach Nürnberg vor den Rat gefordert und zur Besserung ermahnt werden mußte. Er war beschuldigt worden, eines Tages am Altar ein­ geschlafen zu sein! 37). Dem Engelmesser Eberhard König in Gräfenberg wurde als Bedingung für seine weitere Belassung im Amt auf­ erlegt, daß er seine Köchin, mit der er in wilder Ehe lebte, ,,zur Kirche führe“, d. h. sich mit ihr trauen lasse. Dem Pfarrer Johann Renauer in Kirchensittenbach wurde gesagt, man werde ihn nicht länger im Amte dulden, wenn er nicht das häufige Zechen im Wirtshaus aufgebe und sich nicht gegen sein Weib friedlich halte. Erfülle er diese Bedin­ gungen nicht, werde man ihm das Land verweisen. Tn Eibach war damals ein Pfarrer Lorenz von Pappen­ heim, den der Bischof von Eichstätt dahingesetzt hatte. Da er noch ganz römisch eingestellt war, schätzte man ihn in der Gemeinde nicht. Er gehörte überdies zu denjenigen, welche bei der Visitation ,,übel geantwortet“ hatten. Dabei hatte er, wie die Visitatoren in ihrem Bericht sagten, ,.etwas auf den Bischof von Eichstätt als seinen Lehensherrn ge­ pocht“ und vermeldet, er könne ,,aus Herrn Lutheri Büchern keinen rechten Grund finden“. Die Visitatoren bemerkten dazu: ,,Hat doch ein Eheweib gehabt“. Eine Zeit lang hatte der Rat Geduld; schließlich schaffte er ihn ab. Wegen des Pfarrers Leonhard Levkauf bei St. Peter im Siechgraben, der im Examen ebenfalls schlecht ab­ geschnitten hatte, den man aber noch eine Zeit lang gedul­ det hatte, entschied zuletzt der Rat: „Man soll ihn feiern lassen und dem Propst von St. Lorenz sagen, der Gemein einen andern Pfarrer zu setzen.“ Schon bei der Visitation war festgestellt worden, daß Leykauf ein „Achselträger“ sei und zwischen Römisch und Evangelisch hin und her schwanke. Auch der Pfarrer Konrad Treutier zu Behrin­ gersdorf, den man ebenfalls eine Zeit lang geduldet hatte, wurde schließlich wegen Unfähigkeit abgebaut und durch den dortigen Frühmesser, der bei der Visitation als geschickt erfunden worden war, ersetzt.

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Aufs Ganze gesehen kann man sagen, daß die Visi1 ationskommission mild geurteilt und, wie auch der Rat, in seinen Verfügungen, viel Nachsicht geübt hat. Auch von denen, die wenig zu leisten vermochten, hat der Rat einen guten Teil im Amt behalten und mit Geduld getragen, wenn nur guter Wille bei ihnen gefunden wurde. Das gilt auch für die Gruppe, bei der ,,gemeine Ge­ brechen und Mängel angesagt“ waren. Unsere Quellen geben hier nur Andeutungen. Die Akten darüber sind ver­ loren. In den sechs hieher gehörigen Fällen handelte es sich um Beschwerden aus den betreffenden Gemeinden. So hatte die Gemeinde zu Fürth geklagt, daß Pfarrer Hofmann sich weigere, einen Kaplan zu seiner Unterstützung anzuneh­ men. Daraus scheint Unfrieden zwischen dem Pfarrer und der Gemeinde entstanden zu sein, weshalb der Rat den letz­ teren nach Altdorf versetzte. Auch in Rüsselbach war gegen den Pfarrer Johann Stammler Klage erhoben worden, weil er die bauliche Unterhaltung des Pfarrhofs, zu der er verpflichtet war, vernachlässigt hatte. Der Rat fand einen Weg, den Pfarrer zur Erfüllung seiner Pflichten zu zwin­ gen. Der Pfarrer Kaspar Hirschdörfer zu Betzenstein hatte sich ebenfalls mit seiner Gemeinde entzweit. Darum suchte der Rat nach Wegen, ihn anderweitig unterzubringen. Das Einkommen dieser Pfarrei betrug über 40 Gulden. Es wurde beim Rat erwogen, ob man in diesem Fall nicht den Mehr­ ertrag zur Aufbesserung eines andern bedürftigen Pfarrers verwenden sollte. Was in der Sache zuletzt beschlossen wurde, ist nicht erwähnt. Vielleicht schien diese Erwägung dem Rat Mittel und Weg zu sein, dem Pfarrer den Abgang von Betzenstein leichter zu machen. In Wendelstein scheint der Frühmesser Heinrich Pigler zu einem Konflikt mit dem Pfarrer Reißenböck Veranlassung gegeben zu haben. Der Rat griff hier schlichtend ein. Der Pfarrer Georg Ebner in Leinburg war im Streit mit der Gemeinde. Der Rat gab Befehl: ;,,Dem Pfarrer und der Gemein ihrer Beschwerde halben jedem Teil sagen, was ihm zu sagen ist, und daß sie sich hinfüro gebührlich halten.“ Endlich galt es einen Streit zu schlichten zwischen dem Pfarrer Bartholomäus

93 Camerer zu Lauf und dem Kaplan Bayer. Das geschah dadurch, daß der Rat verfügte: „Der Pfarrer bleibt und den Kaplan soll man an einen anderen, besseren Ort tun.“ Der letzte Beschluß, den der Rat auf den Bericht der Visitatoren zu fassen hatte, betraf die sieben Frühmesser, von denen es in dem Bericht hieß, daß sie „nichts können und nichts zu verwalten haben“. Eigentlich waren diese nach der Abschaffung der römischen Messe überflüssig. Aber der Rat wollte sie nicht brotlos machen. Er verfügte: „Die sollen bleiben. Doch soll ihnen ernstlich geboten wer­ den, der Papisten Messen sich zu enthalten.“ Mit diesen Ergebnissen war das Visitationswerk im Nürnberger Landgebiet zum Abschluß gekommen. Man­ ches Gute und Erfreuliche war durch dasselbe zutage ge­ treten, aber auch viel Uebles. Zu den unerfreulichsten Er­ scheinungen gehörten die wilden Ehen, in denen oft Geist­ liche lebten und durch welche in den Gemeinden vielfach ein sehr übles Beispiel gegeben wurde. Das Allerschlimmste aber war, daß diese Zustände nicht nur der geistlichen Obrigkeit, den Bischöfen bekannt, sondern von diesen ge­ duldet, ja sogar von denselben gegen Bezahlung eines jähr­ lich an dem Bischof zu zahlenden Betrags genehmigt waren! Wir wissen, mit welcher Entschiedenheit der Nürn­ berger Rat überall da, wo er etwas zu sagen hatte, gegen solche Verhältnisse einschritt. Mit einem Fall besonderer Art hatte dieser sich noch kurz vor dem Beginn der Visi­ tation und noch auf längere Zeit hinaus zu beschäftigen. Als Vertreter der Heiliggeistspitalstiftung hatte der Rat an der im Bistum Eichstätt gelegenen Pfarrei PechthaJ das Lehensrecht. Zur Zeit der Kirchenvisitation war dort ein Pfarrer Konrad Eckenbrecht, den der Rat dorthin ge­ setzt hatte. Dieser Pfarrer hatte seit längerer Zeit mit Ge­ nehmigung des bischöflichen Vikars und Offizials in geist­ lichen Sachen Dr. Georg Wurm und auch schon mit Zu­ stimmung des Vorgängers desselben, mit seiner Köchin in wilder Ehe gelebt. Für die Genehmigung hatte er jährlich die übliche Gebühr entrichtet. In letzterer Zeit aber war er zu der Erkenntnis gekommen, daß dieses Verhältnis an-

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stößig und ärgerlich und Gott mißfällig sei. Um nun nicht weiter in der Gemeinde Aergernis zu eregen, hatte er sich entschlossen, eine legale und christliche Ehe einzugehen Nun aber hatte der bischöfliche Vikar diese Ehe als unchrist­ lich verboten und den Pfarrer vor das bischöfliche Chor­ gericht gefordert. Davon machte der Pfarrer dem Nürnberger Rat als seinem Lehensherrn im Juni 1528 Mitteilung. Dieser sprach am 26. Juni in einem eingehenden Schreiben an den bischöf­ lichen Vikar seine Meinung über dessen Vorgehen aus. Keine Obrigkeit habe cläs Recht, einen Menschen die Ehe als eine Gottesordnung zu verbieten. Noch viel weniger stehe es einer christlichen Obrigkeit, am allerwenigsten einer geistlichen zu, das Laster zu gestatten und dazu noch Geld dafür zu nehmen. Damit setzte sich der Bischof mit dem kaiserlichen Recht, wie auch mit päpstlichen Gesetzen in Widerspruch. Wenn der Offizial sich auf den Reichs­ tagsabschied von 1523 berufe, so stehe dem der von 1526 entgegen, der den ersteren aufhebe. Darum werde der Rat als Lehensherr den Pfarrer Eckenbrecht gegen den Offizial in Schutz nehmen38). Pfarrer Eckenbrecht hatte sich bereit erklärt, vor dem geistlichen Gericht zu erscheinen, wenn ihm sicheres Ge­ leit gegeben werde. Das wurde ihm jedoch verweigert und die Exkommunikation und damit die Absetzung über ihn verhängt. Alle Geistlichen des Bistums wurden davon in Kenntnis gesetzt. Auch dem Nürnberger Rat ging eine Abschrift des Urteils zu 39). Trotz der Absetzung amtierte Pfarrer Eckenbrecht weiter. Er erschien auch mit seinem Kaplan am 15. Oktober zur Visitation. Aus dem Bericht über dieselbe entnehmen wir, daß der Pfarrer die Messe bis dahin ,,nach der alten Manier“ gehalten, aber auf Vorhalt zugesagt habe, das zu unterlassen. Vom Kaplan Friedrich Püttner ist bemerkt, dieser habe in der Wissenschaft besser bestanden, als der Pfarrer. Jedoch habe er den Visitatoren gesagt, daß er ,,ob puritatem religionis“, d. h. weil er die reine Lehre des

95 Evangeliums predige, vor dem Bischof nicht sicher sei und seinethalben in steter Gefahr sein müsse. Um den Pfarrer Eckenbrecht wegzubringen, verbot der Bischof schließlich denjenigen seiner Unteranen, welche an die Pfarrei Pechthal Zehnten zu leisten hatten, die Reichung derselben, obwohl der Rat für den Pfarrer eintrat. Unterm 30. August 1529 finden wir einen Ratsbeschluß: ,,Den Ein­ griff, so der Bischof von Eichstätt dem Pfarrer zu Pechthal tun läßt in seine Zins und Zehnt, soll man also auf ihm selbst lassen ruhen, sofern der Pfarrer am Gottesdienst eines Rats Ordnung gemäß nit verhindert wird und ihm um den Abgang vom Spital (d. h. aus der Spitalstiftung) Ergötzung tun.“ Freilich konnte der Rat den Pfarrer auf die Dauer doch nicht im Amt lassen, da er sich als ,,zu ungelehrt und der heiligen Schrift nit genugsam erfahren“ erwies. So berich­ tet der Rat am 13. Mai 1531 an den Bischof, daß er den Pfarrer Eckenbrecht in den Ruhestand versetzt und ,,Herrn Jörg Schleicher, der seiner Lehre, Wesens und Wandels halb für christlich und ehrbar berühmt, auch bei unsern Predigern und Theologen für geschickt, gelehrt und zu sol­ chem Amt tüglich angezeigt ist“ ernannt habe 40). Nachdem die Visitation im Nürnberger Landgebiet ab­ geschlossen war, blieb noch die in der Stadt selbst übrig. Dazu kam man jedoch erst im Mai 1529. Die Berichte hierüber sind uns erhalten 41). Es handelt sich hier um die Visitation der Kapläne von St. Sebald, St. Lorenz und im Neuen Spital. Einige der wichtigsten Niederschriften seien wörtlich abgedruckt! Herr Johann Seubolt, ein Kaplan zu St. Sebald, der sagt: er sei bei 9 Jahr Kaplan daselbst gewest, habe kein Eheweib, wohne noch im Pfarrhof. Dieser Kaplan ist von den verordneten Examinatoren nach Notdurft verhört, der hat wohl und geschickt geantwort, und findt sich bei den Gelehrten, daß der zu einem Kaplan wohl zu halten sei, und daß auch der mit seiner Lehr ein ganz Pfarrvolk wohl ver­ sehen möcht. Und ist darauf demselben Kaplan unter an­ dern gesagt worden, daß er seinem Amt und Dienst getreu-

96 lieh woll auswarten, ihm ist auch daneben angezeigt, wie es bei meinen Herren einen Laut hab, daß etliche der Kaplän im Pfarrhof, so sie zu den Kranken zu gehen, oder zu den Kindertaufen gefordert werden, im selben säumig seien, sagen je, sie müssen vor essen und ihre Sachen ausrichten, welches dann bei der Gemein viel Nachredens gebäre, mit Begehr, daß er solchs bei ihm und andern seinen Gesellen woll abstellen. Der gemeldt Kaplan hat seine Antwort dar­ getan, daß er sich dieser Zulag unschuldig wisse, und er woll das bei seinen Gesellen dermaß anzeigen und fürder mit allem Fleiß darob sein, damit dergleichen Klagens nit mehr not wäre. Und ist darauf abgewiesen. Herr Georg Mann, Schaffer zu St. Sebald, der sagt: er hab ein Ehweib, wohne in einem Pfründhaus. Der Schaffer ist verhört, hat gleichwohl ziemlich geantwort. Und haben die Gelehrten geratschlagt, daß man ihn zum Schaffer wohl gebrauchen mög. Sonderlich dieweil sie, die Prädikanten, bericht, daß gedachter Schaffer zu den Kran­ ken zu gehen aus Ursach, damit er sein Amt der Schafferei desto füglicher auswarten könne, erlassen sei. Raten darum, daß man ihm jetzt sage und ermahne, hinfüro im Studieren fleißiger zu sein, und daß er auch seinem Amt ge­ treulich und fleißig auswarte, auf daß man seinerzeit, so er wieder examiniert werde, bei ihm seinen Fleiß spüren mög. Darauf ist ihm eine solche Meinung, desgleichen der Kaplän Unfleiß halber wie dem ersten gesagt worden. Der hat dem allen, wie oblaut, Folg zu tun zugesagt, und daß er sonst sein Aufsehen haben woll, damit solcher Unfleiß bei den Kaplänen nit mehr geschehe. Herr Hans Beck, Kaplan zu St. Sebald, sagt: er sei bei 9 Jahren Kaplan gewest, hab ein Ehweib, wohne in seinem Pfründhaus. Ist verhört, hat gleichwohl ziemlich und doch nicht zu überflüssig geantwort. Man findt dennoch soviel bei ihm, daß er’s gut und christlich meint. Und ist durch die Verordneten geratschlagt, dieweil dieser Kaplan bei ihnen beurlaubt worden, daß er in seinem Dienst in der Kirchen und sonst etwas fleißig sei, daß man ihn als ein Kaplan bleiben lasse und Geduld mit ihm habe. Doch daß

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man ihm jetzt sage, daß er hinfüro desto fleißiger studieren und lesen woll, damit er als ein Kaplan den Kranken und andern Leuten, zu denen er mit dem Sakrament geht, desto stattlicher im Wort Gottes fürgehen mög, und woll sich in solchem dermaßen befleißigen, damit, wo er wieder zur Examination gefordert, sein Fleiß vermerkt werde. Das alles ist ihm, desgleichen daß er neben seinen Gesellen im Taufen und zu den Kranken zu gehen nit säumig sein woll, nach Notdurft gesagt worden. Der hat sich dem allen Folg zu tun erboten. Herr Michael Rupp, Schaffer zu St. Lorenzen, sagt , er sei bei io Jahren daselbst gewest, hab kein Ehweib und wohne in dem Pfarrhof. Dieser Schaffer ist verhört, hat ziemlich geantwort. Und raten die Verordneten, man er­ mahne ihn, daß er weiter lese und sich übe, auf daß er den Leuten im Wort Gottes desto stattlicher fürgehen mög, und daß man ihn als einen frommen, ehrsamen Mann bei diesem Amte bleiben lasse. Solchs ist ihm, wie oblaut gesagt und dabei angezeigt worden, daß er bei seinen Kaplänen darob sein woll, damit dieselben, so sie zum Taufen oder zu den Kranken zu gehen gefordert werden, willig und nit säu­ mig erscheinen. Der hat sich das alles ganz gehorsamlich zu vollziehen erboten. Herr Johann Wagner, Kaplan zu St. Lorenzen, sagt, er sei bei 15 Jahren ein Kaplan zu St. Lorenzen gewest, hab ein Ehweib, wohne nicht im Pfarrhof. Ist verhört, der hat aber sonder hohe geschickte Antwort nit geben, wiewohl man bei ihm soviel spürt, daß er für sich selbst gern das Best tut. Und raten die Verordneten, daß man mit ihm als einem Kaplan Geduld haben mög, und ihn jetzt mit gutem Fleiß ermahne, daß er soviel möglich im Lesen und Studieren guten Fleiß tun woll, damit er dem Pfarrvolk in seinem Amt desto stattlicher fürgehn mög. Dies ist ihm dermaßen und sonst auch des Unfleiß halben wie den an­ dern gesagt worden. Er hat zugesagt, hinfüro in solchem allen guten Fleiß zu tun. Herr Linhardt Keser, Kaplan zu St. Lorenz, sagt: er hab ein Ehweib, wohne außerhalb des Pfarrhofs, sei 8 Jahr 7

98 lang Kaplan gewest. Ist verhört, hat wohl geantwort, findt sich bei ihm ein guter Verstand. Und sagen die Gelehrten, daß dieser Kaplan zu seinem Amt wohl täglich, könnt etwa zu einem mehrern gebraucht werden. Und ist ihm gesagt: er woll hinfüro noch allen Fleiß im Lesen und Studieren fürwenden, daß er auch in seinem Dienst gegen der Ge­ meine im Taufen und zu den Kranken gehen nit säumig sein woll. Er hat für seine Person seine Entschuldigung zum besten dargetan und hinfüro allen Fleiß zu tun zugesagt. Herr Thomas Hager, Kaplan im Neuen Spital, der sagt: er hab ein Ehweib, sei bei 9 Jahre im Spital und davor auch bei 9 Jahren Kaplan in der Pfarr zu St. Sebald gewest. Ist verhört, hat zu diesemmal nit hohe sondere geschickte Lehre anzeigen können, wiewohl man dennoch bei ihm ein christ­ lich Gemüt spürt. Und sagen die Gelehrten, dieweil dieser Kaplan mit den Kirchendiensten nit wie die Kaplän in den Pfarrhöfen beladen sei, so raten sie, daß man Geduld mit ihm hab, doch daß ihm jetzt stattlich gesagt w7erde, daß er als ein Kirchendiener, der dazu die Zeit unverhindert seines Dienstes wohl haben mög, hinfüro fleißiger lese und stu­ diere, auf daß, so er mittlerzeit wiederum gefordert, sein Fleiß vermerkt werde. Daß er sich auch in seinem Dienst in der Kirchen mit Lesen der Epistel und Evangelien fleißig erzeigen und halten woll. Welches alles ihm nach Notdurft gesagt worden. Der hat solche Ermahnung und Warnung gutwillig angenommen und dem also nachzukommen zu­ gesagt. Herr Egydius Odwein, Kaplan im Neuen Spital, sagt: er hab ein Ehweib und bei 10 Jahren im Spital gedient. Dieser Kaplan ist verhört, hat wenig können antworten, er hab der heiligen Schrift ein klein Verstand. Die Gelehr­ ten sagen, daß sie dieses Kaplans halb nit viel wissen zu raten. Doch sehen sie jetzt für gut an, dieweil dieser Kap­ lan etwas lang da gedienet, auch in Ansehung, daß er an diesem Ort für sich selbst kein sondere große Seelsorg hat, daß man noch ein Mitleiden mit ihm hätte und ihn zu die­ semmal solchen seinen Unverstand nach längs und mit einem großen Ernst entdecke, mit dem Bedrohen, daß er sich

99 nachmal woll bessern, bei den Predigern Rat suchen, auch lesen und studieren, damit er als ein Kirchendiener seinem Amt desto geschickter fürgehen mög. Und woll sich in sol­ chem allem also befleißigen, auf daß, so er wiederum zur Examination gefordert, sein Fleiß gespürt und nit not werde, derhalben gegen ihn Einsehen zu tun. Das ist also mit der­ gleichen und mehren Worten ihm gesagt worden. Er hat zugesagt, er woll sich bessern. Herr Sebald Kegel, Kirchendiener zum Neuen Spital, sagt: er habe ein Eheweib, wohne in einem Pfründehaus und sei bei einem Jahr im Dienst gewest. Bei diesem Kap­ lan findet sich auf Ertragung und Verhörung ein gar gerin­ ger Verstand, kann wenig zu der Lehre Dienstliches antwor­ ten. Darum raten die Gelehrten, man wolle ihm ungefähr­ lich die Meinung wie Herrn Egydius Odwein sagen, sonder­ lich, dieweil er in seinem Wesen und Leben sonst auch etwas sträflich sein soll, daß er sich bis auf fernem eines Rats Bescheid in dem allen, zuvor im Studieren und Lesen, die­ weil er noch ein jung Mann sei, solchermaßen darein schikken, sich auch in seinem Leben also halten und erzeigen wolle, damit man bei ihm in der Tat Besserung befinde, denn wo nit, möcht er geändert, d. h. entlassen werden. Das ist ihm auch also gesagt. Er hat zugesagt, er woll sich bessern. Bei St. Sebald und St. Lorenz waren je 7, im Neuen Spital 5 Kapläne zu prüfen gewesen. Hatte, das Ergebnis im Landgebiet vielfach nicht befriedigt, so gab es auch in der Stadt manches zu beanstanden. Daß in den mei­ sten Fällen die Mahnung zu fleißigerem Studium nötig war und daß wiederholt nur ein ,,geringer Verstand der heiligen Schrift“ festgestellt, auch die Unfähigkeit zur rechten Ver­ lesung der biblischen Lektionen im Gottesdienst gerügt wer­ den mußte, ist kein gutes Zeugnis für den Bildungsstand der damaligen niederen Geistlichen, wie sie a,us der römi­ schen Kirche mit herübergenommen werden mußten! Mit dem Abschluß des Visitationswerkes in den beiden Gebieten war der Einspruch gegen dasselbe vonseiten der sich dadurch beeinträchtigt fühlenden Bischöfe keineswegs 7*

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beendigt. Schon am 14. Oktober 1528 hatte der Bischof von Bamberg gegen Nürnberg auch beim Bundesrichtcr Wolfgang Rau von Kotz eine Klage eingereicht und von diesem ein Strafmandat gegen den Rat wegen Vorladung des Pfarrers von Henfenfeld zur Visitation und wegen der darauf erfolgten Absetzung dieses Pfarrers gefordert. Der Bundesrichter sandte die Klagschrift an den Rat und ge­ bot ihm, den Bischof in seiner Jurisdiktion nicht zu beein­ trächtigen. In seiner Erwiderung vom 7. November erklärte der Rat, nach seiner Verantwortung dem Bischof gegenüber habe er nicht erwartet, daß dieser die Sache der Visitation nun auch beim Bundesgericht anhängig mache, nachdem er das schon bei der Bundesversammlung getan habe. Da die Visitation nicht, wie behauptet werde, eine Verletzung des Landfriedens bedeute, sondern Recht und Pflicht jeder christlichen Obrigkeit, also auch des Rates sei, könne das Bundesgericht dafür keine Strafe verfügen. Da ferner der Bischof und seine Vorgänger niemals eine Visitation bei den Geistlichen vorgenommen haben, kann man auch den Rat keiner ,,Entsetzung“ beschuldigen. Endlich müßte doch auch der Bundesrichter wissen, welches Recht der Speyerer Reichstagsabschied von 1526 jeder christlichen Obrigkeit in Sachen des Glaubens gegeben habe 42). Die gleiche Klage und Forderung hatte der Bischof auch gegen den Markgrafen bei dem Bundesrichter ein­ gereicht und dabei verlangt, der Markgraf solle seinen im Mai des Jahres an seine Geistlichen erlassenen Befehl, ihre Concubinen abzuschaffen, zurücknehmen. Gegenüber die­ ser Forderung war es freilich dem Markgrafen leicht ge­ macht, dem Bundesrichter und damit auch dem Bischof die rechte Antwort zu geben, nämlich daß die Abschaffung und Bestrafung der Hurerei sicherlich keine Verletzung des Landfriedens oder der Bundeseinigung sei 43). Auf dem Bundestag zu Augsburg im Dezember 1528 erneuerte der Bambergische Bundesrat die Klage seines Bischofs gegen Nürnberg, indem er eine sehr umfangreiche Klageschrift mit allen möglichen Klagepunkten vortrug. Wieder wurde die Forderung erhoben, Nürnberg solle die

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Visitation, d. h. die aus ihr erfolgten und noch im Gang befindlichen Maßnahmen abstellen. Aber der Nürnberger Gesandte zog die Sache dadurch hinaus, daß er erklärte, es sei ihm unmöglich, die umfangreiche Klageschrift sogleich zu beantworten; er werde das auf dem nächsten Bundestag tun 44). Auch die Klagen gegen den Markgrafen, denen sich auch die Bischöfe von Würzburg, Eichstätt und Augsburg angeschlossen hatten, kamen erst auf dem Bundestag zu Ulm im Februar 1529 zur Verhandlung. Bei dieser ging es hart her, da hier der bayerische Kanzler Leonhard von Eck, einer der heftigsten Gegner der Reformation, seinen Ein­ fluß unbeschränkt geltend machen konnte. Wie Spengler am 25. März an Vogler schrieb, sprach von Eck es offen aus, der Bund sei entschlossen, eine gewaltsame Verhinderung der Visitation und deren Auswirkungen mit allen Mitteln zu unterstützen. Man einigte sich jedoch in dem Beschluß, mit dem Markgrafen durch eine eigene Gesandtschaft zu verhandeln. Für diese wurden Konrad von Rechberg, Hein­ rich von Pappenheim und Nikolaus Veßner, Bürgermeister von Nördlingen, bestimmt. Es waren 8 Klagepunkte, die sie zu vertreten hatten: 1. daß die Priester die Messe nach der bisherigen Ord­ nung nicht mehr halten dürften; 2. daß die Priester genötigt würden, sich in den Stand der Ehe zu begeben; 3. daß sie unter der weltlichen Obrigkeit stehen und im Widerspruch zum weltlichen und geistlichen Recht bürgerliche Lasten tragen müßten; 4. daß die Geistlichen gezwungen seien, sich für die Aus­ legung der heiligen Schrift bei den weltlichen Räten Weisung zu erholen und nach dem Willen des Mark­ grafen zu handeln; 5. daß die Geistlichen bei der Belehnung mit Pfrün­ den sich nicht gegen die geistliche, sondern gegen die weltliche Obrigkeit mit ihrem Eid verpflichten müß­ ten;

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6. daß Pfründen nur an solche Geistliche verliehen wür­ den, welche durch die Beauftragten des Markgrafen geprüft seien; 7. daß die Geistlichen statt durch die Bischöfe durch den Markgrafen in ihr Amt eingesetzt würden; 8. daß der Markgraf nicht nur die Geistlichen, die unter seiner Obrigkeit und Lehenschaft stehen, sondern auch diejenigen, für welche die Bischöfe zuständig sind, die Visitation vorgeladen, sie examiniert, ein­ gesetzt oder abgesetzt habe. Für alle diese Fälle sollten die Gesandten Abstellung fordern und auf dem nächsten Bundestag über den Erfolg berichten 45). Der Markgraf sandte diese ihm übermittelte Instruk­ tion dem Nürnberger Rat mit der Bitte um ein Gutachten, wie die darin enthaltenen Beanstandungen am besten zu be­ antworten seien. Der Rat übernahm das umso lieber, als er ja damit auch seine eigene Sache führte und verteidigte. Die Ausarbeitung des Gutachtens übertrug er dem in der­ artigen Aufgaben viel bewährten Spengler. Ferner suchte der Rat auch die Städte Augsburg, Ulm, Nördlingen, Schwäbisch-Hall, Gemünd, Ravensburg und Ueberlingen, welche sich bekanntlich auf dem letzten Reichstag in der Glaubensfrage von den evangelischen Städten getrennt hat­ ten, an den Verhandlungen des kommenden Bundestages zu interessieren, indem er darauf hinwies, daß es sich hier um eine grundsätzliche Frage handle, nämlich darum, ob der Schwäbische Bund in einer Glaubensfrage Entscheidungen treffen könne, für welche doch allein ein Konzil zuständig sei. Hier müßten alle Städte zusammenstehen, um eine Entscheidung durch den Bund zu verhindern und die Sache dahin zu verweisen, wohin sie allein gehöre 40). Nun war als erste Auswirkung des den evangelischen Ständen höchst beschwerlichen Abschieds des eben beendig­ ten Reichstags zu Speyer zwischen Sachsen, Hessen und den Städten Nürnberg, Ulm und Straßburg ein Bündnis ver­ abredet worden. In den Bundesentwurf war auf Verlan­ gen der Städte eine Bestimmung aufgenommen worden, daß

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die Bundeshilfe auch dann zu leisten sei, wenn ein Bundes­ genosse unter dem Vorwand verletzter Jurisdiktion be­ straft werden sollte. Eine solche Sicherung schien um so dringender, als der erwähnte Reichstagsabschied dem von den Bischöfen angerufenen Schwäbischen Bund den Rechts­ grund zum Einschreiten gegen Nürnberg und den Mark­ grafen gegeben hatte. Darum verstehen wir es auch, daß Nürnberg sich damals besonders um das Zustandekommen des Bündnisses bemühte und Spengler auf dem Tag zu Rotach, wie wir noch hören werden, in dem von ihm be­ arbeiteten Bundesentwurf aufs neue betonte, daß der Bun­ desfall gegeben sei, wenn jemand wegen der Jurisdiktion beklagt werde. Das Gutachten Spenglers, welches den Gesandten des Markgrafen als Ausrüstung zur Rechtfertigung gegenüber den Klagen der Bischöfe dienen sollte, war eine ausgezeich­ nete, durchaus biblisch begründete Arbeit, welche sowohl die Entstellungen und falschen Beschuldigungen der In­ struktion und der Klageartikel richtig stellte, als auch die tatsächlichen Maßnahmen und Ordnungen, welche durch die Visitation getroffen worden waren, als durchaus berechtigt und dem Wort Gottes gemäß nachwies. Es waren wuchtige und durchschlagende Sätze, welche Spengler hier den Bi­ schöfen entgegenhielt: ,,Es ist keinem Geistlichen verboten worden, die Messe oder das heilige Nachtmahl nach der Einsetzung Christi zu halten.“ — ,,Daß die Priester zur Ehe greifen müssen, ist ein Gedicht“ (d. h. eine Erfindung). — „Priester, die öffentlich Konkubinen halten, sollen dahin gehen, wo verbotene Laster, Aegernis und Büberei keine Sünde sind.“ — ,,Es ist eine schändliche Sache, daß die Bi­ schöfe die Hurerei ihrer Geistlichen als zu ihrer Jurisdiktion gehörig ansehen und dieselbe ohne Strafe dulden und Geld dafür nehmen.“ — „Wenn die Priester unter dem Schutz der Obrigkeit stehen wollen, müssen sie dieser auch Ge­ horsam leisten.“ — „Es ist Pflicht der Obrigkeit, darüber zu wachen, daß in ihren Gebieten fromme, verständige und gottesfürchtige Hirten über ihre Untertanen verordnet wer­ den, damit nicht ein Blinder den andern führe, und beide

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in die Grube fallen.“ — „Wenn die Bischöfe die nötige Sorg­ falt verwendet hätten, oder uns die Gewißheit gäben, daß sie von jetzt an nur geschickte und treue Prediger anstell­ ten, würde man ihnen die Examination gern überlassen.“ — ,,In den Reichstagsabschieden von 1523 und 1524 und den darauf ausgegangenen kaiserlichen Mandaten ist befohlen, daß nur das heilige Evangelium lauter und rein nach der Schrift gepredigt werden soll.“ — „Die Bundeseinigung ist zur Sicherung des Friedens berufen. Aber mit Gottes Wort, der Menschen Seelenheil und dem Glauben hat der Bund nichts zu tun. Dieser darf niemand zu einem fremden Glau­ ben, zur Verleugnung göttlicher Wahrheit, zur Handlung gegen das Gewissen oder zur Bestätigung gottloser Miß­ bräuche zwingen. Gott allein ist der Herr unsres Gewis­ sens.“ — ,,Nachdem der Markgraf und Nürnberg nur ge­ tan haben, was die Bischöfe, obwohl es ihre Pflicht gewesen wäre, bisher unterlassen haben, kann von einer Entsetzung durch jene nicht geredet werden“ 47). Bei der Verhandlung auf dem Bundestag zu Augsburg am 11. Juni 1529 trug der Bambergische Kanzler seine Klage mündlich vor. Die Vertreter des Markgrafen Hans Ochsenspach, Amtmann zu Wald, und der Prokurator Kaspar Prunner protestierten gegen die Klage und über­ reichten ihre schriftliche Erklärung, in welcher das Gut­ achten Spenglers reichlich ausgewertet war. Nachdem beide Parteien abgetreten waren, wurde diese Erklärung verlesen. Darauf erfolgte der Beschluß, der Bamberger Kanzler möge seine Klagepunkte schriftlich ausführen und im Einzelnen begründen. Diese Schrift werde dem Markgrafen über­ geben werden, damit dieser die Sache bis zum nächsten Bundestag bedenke und auf letzterem verantworte 48). Dieser nächste Bundestag fand am Donnerstag nach Martini 1529 zu Ulm statt. Auf Ersuchen des Markgrafen sandte dorthin auch der Landgraf seine Gesandten, die denen des Markgrafen zur Seite stehen sollten 49). Nürnberg und die Markgräflichen bestritten hier dem Schwäbischen Bund aufs neue das Recht, in Glaubensachen eine Entscheidung zu treffen und ließen nur ein Konzil als dazu berechtigt

los gelten. Dabei betonten sie, daß auch in der Bundeseinigung eine Behandlung solcher Fälle überhaupt nicht vorgesehen sei 50). Da auch der dem Bischof erteilte Auftrag, seine Klage schriftlich zu begründen, nicht erfüllt, war, hatte der Mark­ graf das Recht, zu fordern, daß das nachgeholt werde. Wohl antwortete Bamberg, die Klage sei klar genug, man könne auch alle die einzelnen Punkte, in denen die Jurisdiktion ver­ letzt sei, nicht besonders aufzählen. Aber den Beklagten kam zustatten, daß auf diesem Tag nur wenig Bundesstände erschienen waren, und so wurde die Sache wieder auf den nächsten Bundestag verschoben 51). So hatte sich das feste Zusammenhalten der beiden An­ geklagten bewährt. Es schien dasselbe umso nötiger, als sich mehr und mehr herausstellte, daß das in Speyer ver­ abredete Bündnis aller evangelischen Stände doch nicht Tatsache werden sollte. In einem Brief an Vogler vom 15. November 1529 ließ Spengler auch merken, daß ihm das auch gar nicht unerwünscht sei. Da schrieb er: „Wenn wir beide uns der Gebrechen halber vertragen würden und ein Verständnis miteinander machten, so könnten wir an­ dere Leute und des Bundes entraten“ 52). Wir wissen, daß Nürnberg schon seit einiger Zeit bemüht war, mit dem Markgrafen in engere Beziehungen zu kommen und daß auch diesem bisher der Rückhalt, den er während der Kir­ chenvisitation und der Aufrichtung der Kirchenordnung an Nürnberg gehabt hatte, sehr willkommen war. Aber andrer­ seits lagen doch zwischen beiden soviele schwer auszuglei­ chende Gegensätze, daß der Markgraf immer wieder glaubte sich zurückhalten zu müssen. Davon scheint man auch bei den Gegnern etwas gewußt zu haben. Denn gerade um diese Zeit waren diese mit besonderem Eifer darauf be­ dacht, beide Partner voneinander getrennt zu halten. Es wurde versucht, den Markgrafen dahin zu bringen, daß er aus dem Kreis der gegen den Reichstagsabschied von 1529 protestierenden Stände sich zurückziehe. Spengler war damals in großer Sorge, wie wir aus einem Brief desselben an Vogler vom 21. November 1529 wissen63). Es waren

io6 sogar einige Räte des Markgrafen, welche diese Umtriebe förderten. Besonders eifrig war man darin in den Kreisen des Schwäbischen Bundes. Dieser schickte zu diesem Zweck eine Gesandtschaft, welche zuerst nach Nürnberg kam und von da auf die Plassenburg gehen sollte mit der Weisung, in Nürnberg sehr freundlich auf zu treten, umso schroffer beim Markgrafen. Freilich durchschaute man in Nürnberg den Plan. Man hielt hier die Gesandten solange auf, bis der Markgraf gewarnt war. Jetzt durchschaute auch der Markgraf die Sache. Er schrieb damals an seine Statthalter: ,,Wir vermerken soviel, daß solch hündisch Botschaft mehr auf unser eigen Leut, denn auf jemands anders Anregen geschickt wurdet“ 54). In demselben Brief gab der Markgraf die Anweisung, der Botschaft gegenüber seine früher gegebene Antwort zu wiederholen, daß er sich durch keine Drohung dahin bringen lasse, von dem Wort Gottes zu weichen. Hatte sich so der Markgraf bei dieser Gelegenheit fest gezeigt, so trat auf dem nächsten Bundestag im Februar 1530 zu Augsburg, wo über die Klage des Bischofs aufs neue verhandelt wurde, in der markgräflichen Politik eine bedenkliche Schwankung zutage. Die Gesandten des Mark­ grafen hatten hier eine ausführliche Verteidigungsschrift vorgelegt. Die Nürnberger waren aber sehr überrascht, als die Bundesräte desselben erklärten, der Markgraf werde die Visitation einstellen. Daraufhin einigten sich die Bundes­ stände in dem Beschluß: ,,Nachdem die Parteien etlicher Artikel halber sich selbst miteinander vereinigt und die­ selben in den Abschied zu setzen für unnötig geachtet haben, läßt der Bambergische Bundesrat die Sache be­ ruhen“ 55). Dadurch, daß die Bundesräte des Markgrafen ihre im Februar 1530 zu Augsburg abgegebene Erklärung ableug­ neten, kam die Verletzung der bischöflichen Jurisdiktion aufs neue zur Verhandlung. Diese aber brachte die Ver­ urteilung des Markgrafen. Die Ansbacher Religionsakten enthalten darüber nichts. Aber ein Brief des Markgrafen an den Landgrafen zu Hessen vom 20. April 1531 'sagt uns.

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daß die Gesandten des Markgrafen gegen ein Urteil des Schwäbischen Bundes eine Protestation ad cantelam ein­ gelegt haben. Es muß also eine Verurteilung des Mark­ grafen erfolgt sein. Nach Westermayer S. 58 haben sich die Bischöfe von Würzburg und Bamberg mit ihren Kla­ gen gegen den Markgrafen während des Reichstags zu Augs­ burg an den Kaiser gewendet. Dieser befahl dem Mark­ grafen, alles wieder in den alten Stand zu setzen. Darauf habe der Markgraf geantwortet, es liege ihm fern, den Bi­ schöfen ihre Jurisdiktion zu nehmen. Aber das Kammer­ gericht scheint doch einen Prozeß gegen den Markgrafen eingeleitet zu haben. Denn der Markgraf forderte auf dem Tag zu Frankfurt im Juni 1531 die Unterstützung der evangelischen Stände gegen das Kammergericht. Zur endgültigen Entscheidung der Klage gegen den Markgrafen wurde ein Tag auf den 6. Juli 1531 nach Nördlingen berufen. Der Markgraf wandte sich wieder .an den Landgrafen, den Kurfürsten zu Sachsen und den Herzog Ernst von Lüneburg mit der Bitte, sie möchten zu seiner Unterstützung dahin Gesandte schicken. Auf diesem Tag stellte der Bischof von Bamberg, unterstützt von Würz­ burg, Eichstätt und Augsburg, den Antrag, der Bundes­ einigung gemäß zu verfahren und den Markgrafen anzuhal­ ten, sie in ihrer Jurisdiktion ungekränkt zu lassen. Sie erreichten jetzt auch ihr Ziel. Der Protest des Markgrafen wurde verworfen und die Wiederherstellung der früheren kirchlichen Zustände im Markgrafentum beschlossen. Das Urteil blieb jedoch wirkungslos, da der Schwäbische Bund sich auflöste. Aber auch der im Jahre 1532 geschlossene Nürnberger Religionsfriede half dazu mit, daß die weitere Verfolgung unterblieb.

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Kapitel XIV. Die Brandenburg - Nürnbergische Kirchenordnung. Auf dem Schwabacher Konvent von 1528, welcher die vorbereitenden Schritte zu einer gemeinsamen Kirchenvisita­ tion im Gebiet des Markgrafen Georg, wie in dem Nürn­ bergs zu vereinbaren hatte, war auch beschlossen worden, nach dem Abschluß dieser Visitation aufgrund der dabei gemachten Erfahrungen eine den evangelischen Grundsätzen und Bedürfnissen entsprechende Ordnung für den Gottes­ dienst und das kirchliche Leben aufzurichten. Dieselbe sollte im Druck vervielfältigt und an die Pfarrer beider Ge­ biete hinausgegeben werden, damit sie für ihre fernere Amts­ führung sich nach derselben richten könnten. Während die­ ser Beschluß in Nürnberg allenthalben im Interesse der Sicherung und Befestigung der Reformation begrüßt wurde, hielt der Markgraf zwar die Schaffung einer solchen Ord­ nung ebenfalls für nötig, aber angesichts der starken Geg­ nerschaft, welcher die Reformation zum Teil in seinem Ge­ biet begegnete, glaubte er der Aufrichtung einer allgemei­ nen und öffentlichen Vorschrift für sein Gebiet nicht zu­ stimmen zu dürfen. Doch überließ er es dem Nürnberger Rat, in dessen Gebiet in dieser Sache nach eigenem Ermessen und auf eigene Verantwortung zu handeln. Der Rat beauftragte nun eine aus den Predigern Osiander, Schleupner, Linck und dem früheren Karthäuser Kqberer gebildete Kommission mit der Ausarbeitung eines Ent­ wurfs für eine solche Ordnungx). Osiander freilich, dem die übrigen Kommissionsmitglieder die Initiative überließen, machte zunächst keine Anstalten zum Vollzug dieses Auf­ trags. Wie Spengler später an Vogler schrieb, scheute

log Osiander sich lange Zeit, die ,,schwere und wichtige Bürde in die Hände zu nehmen“ 2). Inzwischen hatte der Markgraf seinen Standpunkt ge­ ändert und auch seinerseits einer allgemein und öffentlich aufzurichtenden Ofdnung zugestimmt und die Inangriff­ nahme derselben gewünscht, und auf sein und des Nürnber­ ger Rates Drängen hatte Osiander die Arbeit aufgenommen, ohne jedoch die andern Prediger zu derselben heranzuziehen. Anfangs Februar 1530 übergab er seinen Entwurf dem Rat. Spengler, der als erster denselben prüfte, fand ihn als dem Bedürfnis nicht entsprechend. Er hatte es für nötig gehal­ ten, daß vor allem in der Ordnung eine Darstellung der evangelischen Lehre geboten worden wäre, damit die Pfar­ rer und Prediger wüßten, was sie dem Volk verkündigen und lehren sollten. Osiander aber hatte lediglich eine Ord­ nung für den Gottesdienst und die kirchlichen Handlungen dargeboten, aber die Lehre überhaupt nicht berücksichtigt. Spengler sah in der Kirchenordnung ein Werk von größter Wichtigkeit und Bedeutung für die ganze christliche Kirche. Entsprach sie ihrer Aufgabe nicht, so konnte an ihr Ster­ ben und Verderben der Kirche nicht nur in den beiden Herr­ schaftsgebieten liegen, für die sie bestimmt war, sondern auch bei vielen anderen Ständen im Reich, die sich nach ihr richten würden. Darum müsse aller mögliche Fleiß daran gewendet werden und man dürfe das Werk nicht einem allein, wie gelehrt und geschickt er auch sei, anvertrauen. Auf Spenglers Rat wurde nun Osianders Entwurf den übri­ gen Predigern zur Prüfung und Ueberarbeitung übergeben, unter denen der Karthäuser Koberer die Führung übernahm. Spengler bezeichnet diesen als einen ,,sehr erfahrenen und in der Schrift gelehrten Mann“. In dessen Wohnung kamen nun die Prediger täglich zusammen, um einen neuen Ent­ wurf auszuarbeiten. Wohl sah Spengler bei seinem Vorschlag voraus, daß Osiander dadurch gekränkt sein werde; aber nach seiner Meinung mußte hier mehr ,,auf das notdürftige Werk, als auf die Person gesehen und mit gutem Vorbedacht gehan-

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aelt werden, damit man nicht vor Gott und der Welt zum Schimpf und Spott werde“. Anfangs Mai war der neue Entwurf fertig und wurde dem Rat und dann durch diesen an Osiander zur Aeußerung übergeben. Dieser war nun wegen der Ablehnung seines Entwurfs tief gekränkt. Das führte zu schriftlichen Aus­ einandersetzungen zwischen Spengler und Osiander, in deren Verlauf Spengler dem streitbaren und ehrgeizigen Osiander manches Bittere sagen mußte3). Spengler schloß diese Auseinandersetzungen mit den Worten ab: ,,Halt auch dafür, wo die zwei verfluchten Wörtlein ambitio und pertinacia ( = Ehrgeiz und Eigensinn) aus dem Mittel getan würden, die Sach sollt bald gefunden werden“ 4). Dieser letzte Brief scheint eine gute Wirkung gehabt zu haben. Denn Osiander übernahm jetzt wieder die Bearbei­ tung der Kirchenordnung. Als er Mitte Mai an Spengler seine Vorschläge zu dem Entwurf der andern übersandte, fand er in seinem Begleitschreiben wieder einen herzlichen, brüderlichen Ton 5). Dem Rat lagen nun zwei Entwürfe für die Kirchen­ ordnung vor: der erste Entwurf Osianders und derjenige der drei Prediger, welchem Osiander seine Verbesserungs­ vorschläge angefügt hatte 6). Nun aber war inzwischen bei der Mehrheit des Nürnberger Rates die Stimmung und da­ mit auch die Stellungnahme in der kirchlichen Frage eine andere geworden. In demselben hatte sich eine Partei ge­ bildet und die Oberhand gewonnen, welche einem ent­ schiedenen Vorgehen in der Reformationsbewegung ab­ geneigt war. Die politischen Verhältnisse im Reich hatten sich für die Evangelischen ungünstig gestaltet. Der Reichs­ tag von 1530 warf seine Schatten voraus. So ,,mild und gnädiglich“ dem Rat das Ausschreiben des Kaisers zu dem­ selben erschien 7), man wußte, daß der Kaiser bei seinem Friedensschluß mit dem Papst zu Bologna sich zur gewalt­ samen Ausrottung der ,,lutherischen Ketzerei“ in Deutsch­ land verpflichtet hatte, wenn sich die Ketzer nicht unter­ werfen würden. Es waren auch Anzeigen vorhanden, daß der Kaiser damit Ernst machen wollte. Mit Rücksicht

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darauf glaubte sich der Rat in den kirchlichen Angelegen­ heiten möglichste Zurückhaltung auferlegen zu müssen. Darum schob er auch die Fertigstellung und Hinausgabe der Kirchenordnung immer wieder hinaus, obwohl dieselbe sowohl im eigenen Gebiet als in dem des Markgrafen zur Neugestaltung und Befestigung des kirchlichen Lebens drin­ gend nötig gewesen wäre. Wiederholt ließ der Markgraf um Uebersendung der Entwürfe bitten. Am 17. März ant­ wortete der Rat, er habe die Sendung bisher unterlassen, weil er wegen anderer vorliegender Sachen nicht die Zeit gefun­ den habe, die Entwürfe zu prüfen. Er werde das aber bald tun und ihm dann die Entwürfe nach Augsburg schicken 8). Erst auf eine weitere Bitte vom 8. Juni, welche der Mark­ graf damit begründete, daß er der Kirchenordnung zu den Verhandlungen über das Bekenntnis dringend bedürfe, sandte der Rat die beiden Entwürfe am 11. Juni nach Augs­ burg, bemerkte jedoch dazu, er habe bis jetzt noch nichts beschlossen 9). Sowohl die Verhandlungen wegen des Bekenntnisses^ als auch die nach der Verlesung der Confutation von den Römischen angeknüpften Vergleichsverhandlungen, welche den Markgrafen, wie seine Theologen stark in Anspruch nahmen, ließen auch diesen nicht die nötige Zeit, um sich mit der Kirchenordnung beschäftigen zu können. Erst im November kam man wieder auf dieselbe zurück. Wieder waren es die Markgräflichen, welche die Sache aufs neue aufgriffen. Diese schlugen nämlich vor, Nürnberg möge, wie der Markgraf, Gesandte zu dem vom Kurfürsten zu Sachsen anberaumten Tag nach Schmalkalden schicken, um bei diesem Anlaß sich mit den Markgräflichen darüber aus­ zusprechen, was zur weiteren Förderung der Kirchenord­ nung geschehen könne. Aber angesichts des für die Evan­ gelischen so bedrohlichen Reichtagsabschieds hielt man es in Nürnberg nicht für geraten, in diesem Augenblick mit einer Maßnahme, wie der Kirchenordnung, vor die Oeffentlichkeit zu treten. Man konnte darin geradezu eine Heraus­ forderung des Kaisers erblicken und Spengler mußte das,

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wenn auch verblümt, in seinem Brief vom 15. November im Namen des Rates aussprechen 10). Ueberdies kam der Tag von Schmalkalden im Herbst nicht mehr zustande, sondern erst Ende Dezember. Auch der hier von den Markgräflichen gestellte Antrag, der Kur­ fürst von Sachsen möge eine Zusammenkunft der Theo­ logen aller evangelischen Stände in Nürnberg veranstalten, auf welcher „zum Zweck gleichmäßiger Haltung der Ceremonien“ und der Einführung einer allen evangelischen Ständen gemeinsamen Kirchenordnung verhandelt werden könnte, führte nicht zum Ziel, obwohl Nürnberg gern darauf eingegangen wäre. Man unterließ zunächst den vor­ geschlagenen Theologenkonvent, weil man fürchtete, daß auf demselben die zwischen den Lutherischen und den Zwinglianern bestehenden Gegensätze wieder aufbrechen und trennend wirken könnten. Sowohl in Ansbach als in Nürnberg hatte man es für wünschenswert gehalten, von dem hochgeschätzten Prediger Johann Brenz zu Schwäbisch Hall ein Gutachten über die Kirchenordnung zu erhalten. Auf Ansuchen der Markgräf­ lichen kam Brenz nach Ansbach, um gemeinsam mit den Ansbacher Theologen über den Entwurf zu beraten. Am Mittwoch nach Invokavit 1531 sandten die Markgräflichen die gemeinsam mit Brenz formulierten Vorschläge an die Herren Eltern nach Nürnberg X1). Der Markgraf, dem die Förderung der Kirchenordnung sehr am Herzen lag, hatte, als er Ende März nach Schlesien verreisen mußte, seinen Statthaltern und Räten den ernst­ lichen Befehl hinterlassen, bei dem Nürnberger Rat weiter­ hin darum anzuhalten, daß die Herausgabe der Kirchen­ ordnung möglichst beschleunigt werde. Für den Fall, daß der am 22. Dezember zu Schmalkalden beschlossene Tag nach Nürnberg nicht berufen werden sollte und daher eine allgemeine Kirchenordnung nicht mehr zu erwarten wäre; sollten sie dafür tätig sein, daß wenigstens so rasch als mög­ lich die Kirchenordnung mit Nürnberg zustande komme, da­ mit der Kaiser, der König und die anderen Stände sähen, daß der Markgraf und Nürnberg mit den Schwärmern nichts



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zu tun haben und mit ihren Untertanen bei der in Augsburg übergebenen Konfession bleiben wollten 12). Darauf antwortete der Rat, er habe mit der endgültigen Fertigstellung der Kirchenordnung deshalb nicht beeilt, weil er noch immer auf die Ansetzung des Tags zu Nürnberg durch den Kurfürsten warte, wo man sich auf eine gemein­ same Kirchenordnung aller Stände einigen könnte. Denn das halte er ,,aus viel guten Ursachen für hoch erschießlich und viel fruchtbarer und minder beschwerlicher, als wenn das nur durch etliche Stände geschehe“. Dabei berief sich der Rat auf eine Mitteilung mehrerer Städtegesandten, die soeben auf dem Weg nach Schmalkalden seien und den Auf­ trag hätten, dort ebenfalls für eine allgemeine Kirchen­ ordnung einzutreten 13). Inzwischen hatte auch Osiander, welchem die Herren Eltern den Entwurf der Kirchenordnung mit den Vorschlä­ gen der Ansbacher Theologen und des Predigers Brenz zu­ gestellt hatten, eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen ausgearbeitet, die er in 16 Artikeln zusammengefaßt hatte und am Donnerstag nach Jubilate an den Kanzler Vogler nach Ansbach zurücksandte 14). Als dieselben in Ansbach einliefen, war Brenz dort wieder anwesend. Dieser betei­ ligte sich an der sofort aufgenommenen Beratung und lie­ ferte dazu ein eigenes Gutachten, welches mit dem der Ans­ bacher Theologen nach Nürnberg abging. Osianders Vor­ schläge in den Artikeln i — 5 hatten Brenz und die Mark­ gräflichen abgelehnt; die in Artikel 6—16 hatten sie an­ genommen. Einen neuen Gedanken brachten jetzt die Ans­ bacher in die Verhandlungen mit dem Vorschlag, man sollte eine kirchliche Aufsichtsbehörde schaffen, welche die amt­ liche Tätigkeit der Geistlichen und die Einhaltung der Kir­ chenordnung zu überwachen habe, und zugleich eine Synode als Vertretung der Kirchengemeinden zur Einführung bringen. Nachdem mit diesen Anregungen auch die Nürnberger grundsätzlich einverstanden waren, wie auch die Ansbacher und Brenz mit denen Osianders, ersuchte der Kanzler Vog8

ler Nürnberg, es möge nunmehr die Kirchenordnung für beide Herrschaftsgebiete ins Werk gesetzt werden 15j. So hatte es nun den Anschein, als wäre man nahe am Ziel. Man wollte jetzt nur noch das Gutachten der Witten­ berger Theologen hören, ohne deren Zustimmung man die Kirchenordnung nicht hinausgeben wollte. Damit dadurch keine größere Verzögerung entstehe, schrieb Spengler an Veit Dietrich, kündigte die Sendung der Kirchenordnung an und bat, wenn sie nach Wittenberg komme, möge man sie baldigst, prüfen und wieder zurücksenden 16). Nun aber fand der. Nürnberger Rat, als der Entwurf wieder an ihn zurückkam, eine neue Schwierigkeit in einem Artikel, den Osiander in seiner letzten Bearbeitung in die Kirchenordnung eingefügt hatte, der aber dem Rat höchst anstößig erschien. Es war der Artikel vom Bann. Wir kön­ nen den Anstoß, den der Rat daran nahm, wohl verstehen. In der römischen Kirche war der Bann, der die Exkommuni­ kation, d. h. den Ausschluß aus der Kirche bedeutete, nicht nur eine geistliche und kirchliche Maßregelung. Er wirkte vielmehr auch ins bürgerliche Leben hinein, wobei überdies die weltliche Obrigkeit geradezu als Vollzugsorgan der Kirche hatte dienen müssen. Ein vom Kirchenbann Getrof­ fener war damals auch bürgerlich verfehmt. In dieser Aus­ dehnung und in solcher Auswirkung konnte in der Tat diese kirchliche Ordnung von der weltlichen Obrigkeit nicht mehr ertragen werden. Man konnte und wollte in der evangeli­ schen Kirche nicht ein neues Papsttum aufrichten lassen. Aber das wollten freilich auch die Nürnberger Theologen keineswegs; auch Osiander nicht. Sie dachten sich den Bann, so, wie er nach ihrer Meinung erhalten bleiben sollte, als eine rein geistliche und kirchliche Maßnahme, als ein Mittel für die auch in der evangelischen Kirche unentbehrliche Zucht gegenüber solchen unter ihren Gliedern, die bewußt und dauernd sich gegen die Grundsätze der Kirche verfehl­ ten. Aber der Rat, welcher sich von den Vorstellungen aus der Zeit der römischen Hierarchie noch nicht völlig hatte lösen können, unter deren Herrschaft er nach dem geltenden Recht -tatsächlich als Büttel der Kirche gegolten hatte

— nur daß er sich durchaus nicht in allen Fallen als solcher verhielt —, fürchtete, es könnte durch die Handhabung des Bannes vonseiten der Geistlichen in seine obrigkeitlichen Rechte eingegriffen werden. Diese Sorge wurde nicht nur dadurch geweckt, daß Osiander für die von ihm geforderte Uebung der Kirchenzucht die römische Bezeichnung „Bann“ beibehielt. Es kam dazu, daß der Rat sich jetzt auch als kirch­ liche Obrigkeit und damit auch als die oberste Instanz in kirchlichen Verwaltungsfragen fühlte. Darum hatte der Rat schon damals, als 1528 die Schwabacher Visitations­ artikel aufgestellt wurden, zu denen dann als Grundlage für die Kirchenvisitation eine vorläufige Kirchenordnung kam, in letzterer zu dem Artikel vom Bann vorsorglich den Zu­ satz gemacht: „Daß man die Uebertretung vor der Exkom­ munikation an die Obrigkeit sollte gelangen lassen“. Darum erhob der Rat auch jetzt Einspruch gegen die Einführung des Artikels vom Bann in die Kirchenordnung. Er glaubte dazu umsomehr berechtigt zu sein, als die von Osiander be­ züglich des Banns eingesetzten Bestimmungen nicht klar genug gefaßt waren und zu Bedenken Anlaß geben konnten. Nach seiner Gewohnheit legte der Rat die ihm sehr wichtige Frage zunächst seinen „Gelehrten“, d. h. seinen Juristen und den Theologen zur Beratschlagung vor. Bis diese ihr Gutachten vorlegen konnten und der Rat Zeit fand, darüber Beschluß zu fassen, gingen wieder drei Monate hin, und die Markgräflichen waren wiederholt veranlaßt, um Beschleunigung der Sache zu bitten 17). Als endlich der Ratschlag der Gelehrten in die Hände des Rates gekommen war, zeigte sich’s, daß die Meinungen geteilt waren. Die Mehrzahl der Juristen war entschieden dagegen, daß man den Geistlichen das Recht gebe, irgend eine kirchliche Zucht zu üben. Doch fanden zwei von den Rechtsgelehrten, daß der von Osiander geforderte „Bann“ in der heiligen Schrift wohl begründet sei. Nach ihrer Mei­ nung sollte derselbe umsomehr gestattet werden, als es sich dabei nur um eine seelsorgerliche Maßnahme handle und dieselbe lediglich gegen offenbare, gröbliche Verfehlungen angewendet werden sollte. Ueberdies sei in jedem Fall der



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weltlichen Obrigkeit vorher Anzeige zu erstatten, welche dann immer noch jeglichen Mißbrauch verhindern könnte. Einer der Juristen wollte den Geistlichen das Recht zu sol­ chen Maßnahmen einräumen, ohne eine vorherige Anzeige an die Obrigkeit und ohne deren Aufsicht überhaupt für nötig zu halten. Da nur öffentliche Laster gestraft werden sollten, bedürfe es dazu keiner rechtlichen Erkenntnis; es genüge der Maßstab des Evangeliums. Doch blieben diese drei in der Minderheit18). Dagegen vertraten die Theologen den Standpunkt, den üsiander auch in einem- besonderen Gutachten ausführlich begründet hatte, daß der „Bann“, wie ihn die Geistlichen gehandhabt wissen wollten, auf der Einsetzung Christi be­ ruhe und darum nicht zu verbieten sei. Sie betonten dabei, daß der weltlichen Obrigkeit keine Entscheidung darüber zustehe, ob und in welchen Fällen kirchliche Zucht zu üben sei. Um volle Klarheit darüber zu schaffen, fügten sie ihrem Gutachten eine ausführliche Erklärung darüber an, was der von ihnen empfohlene „Bann“ eigentlich sei, daß es sich keineswegs um den bisher in der römischen Kirche gebräuch­ lichen, aufgrund von Menschensatzungen geschaffenen Bann handle, sondern um einen seelsorgerlichen Dienst an dem sündigen Bruder, damit er sich bessere. Am Schluß ihrer ganz und gar aus der Schrift geschöpften und begründe­ ten Ausführungen bemerkten sie, daß der von ihnen ver­ teidigte christliche Bann völlig überflüssig wäre, wenn die weltliche Obrigkeit alle Sünden und Laster ebenso strafen könnte und wollte, wie sie es z. B. mit dem Diebstahl tue. Da aber hier der weltliche Arm versage, brauche man die geistliche und seelsorgerliche Zucht1'9). Wie zu erwarten war, trat der Rat dem Gutachten der Mehrheit seiner Juristen bei. Spengler, der in dieser Frage entschieden auf der Seite der Theologen stand, war darüber sehr besorgt. In einem Brief vom 20. November 1531 schrieb er an den Kanzler Vogler: „Daß der christliche Bann von denen, die ihn als Obrigkeit billig fördern soll­ ten, so verächtlich und spöttlich angesehen und Gottes heil­ same Einsetzung, die kein Mensch auf Erden zu ändern hat,

117 für ein Fastnachtspiel gehalten ist, wird der, dessen Befehl und Ordnung er ist, den Verhinderern reichlich vergelten und dennoch seine Worte wider die ganze Welt erhalten,, daß wir sie gewißlich sehen. Darum laßt ims Geduld haben! Denn wir sind beide, unerachtet, daß wir allein für die, so den Bann haben praktizieren sollen, beschuldigt worden, vor Gott und der Welt entschuldigt, und unser Gewissen gott­ lob von allem Blut der beiden Herrschaften Untertanen rein, welches Gott von deren Händen fordern wird> die über ihre Seelen wachen sollten“20). Eine Lösung der Schwierigkeit glaubte Spengler jetzt in dem Vorschlag zu finden, man möge den Artikel vom „Bann“ überhaupt aus der Kirchenordnung herauslassen. Nur sollte man den Geistlichen den Gebrauch von kirch­ lichen Zuchtmitteln, wie z. B. Zurückstellung oder Ab­ weisung vom heiligen Abendmahl angesichts grober sitt­ licher Verfehlungen, oder Versagung der Absolution oder der kirchlichen Trauung in besonderen Fällen nicht geradezu verbieten. Man gab ihm darin auch nach, und Spengler war zufrieden, wenigstens das erreicht zu haben. Wie schwer Spengler unter der Stellungnahme des Rates in diesem Punkte litt, zeigt noch ein anderer Satz aus dem erwähnten Brief: ,,Wiewohl ich bekennen muß, daß es nit allein unchristlich und gottlos, sondern auch eischrecklich ist, daß Christenleut mit ihres Herrn Wort, Ordnung und Befehl also handeln und dafür halten sollen, daß sich Gottes Wort nach unserem sträflichen Leben und Wesen, und wir uns nit vielmehr mit unserem Wesen nach Gottes Wort richten müssen. Nicht um den Besitz des gan­ zen Fürstentums samt allem, was dazu gehört, wollte ich Gottes Wort verachten und die Abstellung der Strafe von Sünden veranlassen!“ Schließlich gibt Spengler den Rat, die Markgräflichen möchten nunmehr über den Bann nicht länger disputieren, noch mit dem Nürnberger Rat darüber streiten. Denn alle möglichen Wege seien versucht, und nichts anderes zu erreichen. Würden sie auf der Beibehal­ tung des . Bannes Tn der Kirchenordnung bestehen, so be-

stehe die Gefahr, daß zuletzt die ganze Kirchenordnung daran scheitere. Die Statthalter und Räte des Markgrafen hatten um diese Zeit den bereits erwähnten sehr angesehenen Predi­ ger Johann Brenz von Schwäbisch Hall gebeten, noch ein­ mal nach Ansbach zu kommen, um mit ihnen über die Kir­ chenordnung zu beraten. In einem Gutachten, das dieser mit den Ansbacher Theologen zunächst über die Bann­ frage abgab, bedauerten sie die Herauslassung des Artikels vom Banne aus der Kirchenordnung. Aber sie wünschten jetzt umsomehr die Festhaltung der Privat- oder Einzel­ absolution und die Schaffung einer kirchlichen Aufsichts­ behörde, welche die Aufgabe haben sollte, über besondere Verfehlungen und die dagegen zu übende Kirchenzucht zu urteilen und die Kirchenordnung überhaupt zu hand­ haben 21). Mit der Frage der Kirchenzucht hing noch eine an­ dere zusammen, welche von nicht geringer Bedeutung war, nämlich die der Anmeldepflicht für die Teilnahme am hei­ ligen Abendmahl. Sollte hier Ordnung gehalten und Zucht geübt werden, indem man Unwürdige vom Sakrament aus­ schloß, so war das ohne Anmeldepflicht nicht möglich. Darum mußte eine Bestimmung darüber in die Kirchen­ ordnung. Der Rat forderte auch über diese Frage von den Juristen ein Gutachten. Scheurl und Hepstein vertraten hier den Standpunkt, man dürfe die Entscheidung darüber, ob jemand zum Sakrament zuzulassen sei, den Geistlichen nicht zugestehen 22). Die Geistlichen forderten das Recht zu dieser Entscheidung; ebenso forderten sie als Voraus­ setzung für die Handhabung dieses Rechtes im Interesse einer geordneten Seelsorge auch die Anmeldepflicht. Sie konnten jedoch damals mit dieser Forderung bei dem in solchen Dingen recht kleinlichen Rat nicht durchdringen, so wenig, wie mit der fakultativen Einführung der Privat­ oder Einzelbeichte23). Noch eine andere Frage brachte Schwierigkeiten und führte zu neuen Auseinandersetzungen. Als die beiden Pröpste 1524 mit Billigung des Rates die römische Messe

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als täglich sich wiederholendes Opfer fallen ließen, behiel­ ten sie doch die schöne Liturgie, von der jene Feier um­ rahmt gewesen war, mit Ausnahme des Canons als täg­ lichen Gottesdienst bei, für den auch die bisherige Bezeich­ nung ,,Messe“ blieb. Mit der früheren Messe war in der Regel die Abendmahlsfeier verbunden gewesen. Waren keine Kommunikanten aus der Gemeinde vorhanden, so nahm der amtierende Geistliche das Abendmahl allein. Nun erhob sich die Frage, ob die neu gestaltete ,,Messe“ auch ohne Kommunikanten gehalten werden sollte. Auf Wunsch der Ansbacher Theologen hatte man in den ersten Entwurf der Kirchenordnung Mie Bestimmung aufgenommen, daß der täglich zu haltende Gottesdienst in Schriftlesung, Pre­ digt, Gebet, Litanei und Gemeindegesang bestehen sollte. Die bisher übliche Form der ,,Messe“ sollte wegfallen. Auch sollten die Geistlichen dabei kein Meßgewand, sondern „gewöhnliches, ehrliches Kirchenkleid“ tragen. Dazu konnte sich jedoch der Nürnberger Rat nicht entschließen. Er hielt an der bisherigen Uebung fest. Nun hatte Osiander vorgeschlagen, man solle den täglichen Gottesdienst bei­ behalten, aber wenn keine Kommunikanten aus der Ge­ meinde da seien, die Abendmahlsfeier für den amtierenden Geistlichen weglassen. Auch an Luther und Melanchthon hatte man sich deswegen gewendet 24). Die Antwort lau­ tete im Sinn Osianders. So gelang es nun auch Spengler, den Rat für die gleiche Uebung und Ordnung zu gewin­ nen, wie sie bei den Markgräflichen angenommen worden war. Aber in einem Punkt gab der Rat nicht nach. Die Geistlichen mußten bei der Abendmahlsfeier der Gemeinde auch weiterhin das bisherige Meßgewand tragen. Erst im Jahre 1810, nachdem Nürnberg in die bayerische Landes­ kirche eingegliedert worden war, wurde diese Uebung ab­ gestellt. Noch eine weitere Abweichung in den iCirchengebräuchen trat in Nürnberg zutage und wurde auch festgehalten. Im Ansbacher Gebiet hatte man die bisher bei der päpst­ lichen Messe üblich gewesene Emporhebung der Hostie und des Kelchs nach der Konsekration weggelassen. Aber der

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Nürnberger Rat wollte diese alte Sitte nicht fallen lassen. Schließlich einigten sich beide dahin, daß eine ausdrückliche Bestimmung hierüber in die Kirchenördnung nicht auf­ genommen und es jedem freigelassen würde, wie man es halten wolle25). Die Statthalter und Räte des Markgrafen hatten den von den Ansbacher Theologen mit Brenz neu gestalteten Entwurf der Kirchenordnung wieder nach Nürnberg ge­ schickt und gebeten, zu demselben Stellung zu nehmen und ihnen zur Vorlage an den Markgrafen des Rats Gemüt und Meinung mitzuteilen. Dabei hatten sie für gut befunden, daß die Kirchenordnung, nachdem nunmehr Nürnberg und die Markgrafschaft eine Lehre und einen Glauben mit Sach­ sen habe, und solche reine Lehre von den Theologen zu Wittenberg ausgegangen und von diesen bisher verkündigt worden sei, bevor sie im Druck ausgehe, an Luther und Melanchthon geschickt werde und deren Gutachten über die Ordnung erbeten werde 26). Nach dem ersten Entwurf sollte die Kirchenordnung im Namen des Markgrafen und des Rates der Stadt Nürn­ berg erlassen und das im Eingang der beiderseitigen Aus­ gaben ausdrücklich erwähnt werden. Nachdem der Rat die betreffenden Eingangsformeln gebilligt hatte, kamen ihm doch zuletzt Bedenken dagegen. Durch diesen Eingang waren die beiden Landesobrigkeiten als Anordner und da­ mit auch als verantwortlich für die Aufrichtung und Ein­ führung der Kirchenordnung gekennzeichnet. Jetzt schlug der Rat den Markgräflichen vor, jenen Eingang wegzulas­ sen und die Kirchenordnung „ingemein“, d. h. von beiden Kirchengebieten ausgehen zu lassen. Zu dieser Aenderung des Eingangs gaben die Markgräflichen ihre Zustimmung, baten aber .um baldige Rücksendung der geänderten Ord­ nung und zugleich um „Eröffnung ihres endlichen Ge­ müts in der Sache“, damit sie dem Markgrafen darüber be­ richten könnten. Nach ihrer Meinung war man jetzt so weit, daß, wenn die Nürnberger bereit waren die Kirchen­ ordnung in ihrer jetzigen Gestalt mit dem Markgrafen aufzuriehten und ausgehen zu lassen, damit „ein reicht, gut,

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notwendig und christlich Werk“ geschehe und dadurch allenthalben in des Markgrafen Gebiet Einhelligkeit geschaf­ fen werde. Doch wünschten sie noch, daß die Kirchen­ ordnung erst nach Schluß des zur Zeit ausgeschriebenen Reichstags zu Regensburg ausgehen sollte. Komme man auf diesem Reichstag in der Glaubenssache zu einer Eini­ gung, so bedürfe es einer besonderen Ordnung nicht mehr. Komme es aber, wie hoch zu besorgen .sei, zu keiner Eini­ gung, dann könnten der Markgraf und- Nürnberg ohne wei­ teres Verziehen die Kirchenordnung ausgehen lassen und dadurch allen Spaltungen, Schwärmerei und Sekten weh­ ren und ein einhelliges, christliches, gottgefälliges Leben anrichten 27). Der Markgraf hatte die ihm von den Statthaltern und Räten zugesandte geänderte Kirchenordnung gebilligt. Auch war er damit einverstanden, daß mit der Herausgabe der­ selben bis nach Schluß des Regensburger Reichstags gewar­ tet werde. Seine Statthalter erhielten den Auftrag, ihm eine Abschrift der noch ausstehenden Antwort Nürnbergs wegen der letzten Aenderungen an der Kirchenordnung, sobald dieselbe eingelaufen sei, zuzuschicken. Inzwischen sollten sie darauf bedacht sein, daß in seinem Gebiet der Kirchenordnung nachgelebt werde. Diejenigen Geistlichen, welche sich darein nicht fügen wollten, sollten abgeschafft und durch andere ersetzt werden 28). Für das Ansbacher Gebiet bedurfte es auch dieser An­ weisung des Markgrafen. Eben in diesen Tagen'lief ein Bericht von Althammer und Rurer bei den Statthaltern und Räten ein, nach welchem es im Land in kirchlicher Be­ ziehung sehr ,,ungleich“ gehalten wurde, woraus Zwietracht, Hader, Uneinigkeit und viel Aergernis entstand. Die Lehre der evangelischen Prediger wurde vielfach verachtet; man bestritt ihnen Recht und Grund derselben. Die römischen Priester traten umso anmaßender auf. Gegen das alles sollte die Kirchenordnung endlich aufgerichtet und hinaus­ gegeben werden29). Dieser Bericht scheint den Anstoß dazu gegeben zu haben, daß endlich die Kirchenordnung auf das Drängen der

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Markgräflichen am 17. Juli 1532 durch einen eigenen Boten mit einem von Spengler im Namen des Markgrafen und des Nürnberger Rates verfaßten Schreiben an die Wittenberger Theologen gesandt wurde mit der Bitte um ein Gutachten über dieselbe, besonders auch über den Artikel vom Bann30). Bereits am 1. August sandten die Wittenberger die Kirchenordnung mit ihrem Gutachten zurück. Sie hat­ ten gefunden, daß dieselbe in der Summa dem göttlichen Wort nit ungemäß und mit der Wittenberger Visitations­ ordnung übereinstimme und sie sich dieselbe Wohlgefallen ließen. Ueber den Bann hatten sie ein besonderes Gut­ achten beigelegt. In diesem erklärten sie, daß sie in Sach­ sen keinen andern Bann aufgerichtet hätten, als daß „die­ jenigen, so in öffentlichen Lastern sind und davon nit ablassen, nit zum Sakrament des Leibes und Blutes Christi zugelassen werden“. Mehr brauche man zur Zeit nicht. Die Hauptsache sei, daß die reine Lehre und Predigt erhal­ ten und um der Einigkeit und Ordnung willen christliche Zeremonien ohne Mißbräuche daneben gehen. Denn es müsse die reine Lehre und christliche äußerliche Zucht und Wandel erhalten und, um viel Unrichtigkeit zu verhüten, täglich daran gebessert werden 31). Ein besonderes Gutachten hatten die Wittenberger auch über die „trockene Messe“ beigelegt. So nannte man nämlich die bisher üblichen Messen, welche noch gehalten wurden; auch wenn keine Kommunikanten vorhanden waren. Die Reformatoren waren für die Abschaffung der­ selben, weil diese Feiern eine Bestätigung und Wieder­ einführung der päpstlichen Privatmessen bedeuteten. Ebenso waren sie dafür, daß die Aufbewahrung der bei der Sakra­ mentsfeier übrigen Hostien im sogenannten Sakraments­ häuschen Unterlassen werde, nachdem das Sakrament zum Genuß? gestiftet sei und nicht dazu*, daß ein besonderer Got­ tesdienst und eine Anbetung daraus gemacht werde. Die Gutachten sind in den Ansbacher Religionsakten in den Originalen mit den Unterschriften Luthers, Bugenhagens, Justus Jonas und Melanchthons vorhanden32). Nach

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Nürnberg kamen sie über Ansbach am Montag nach Bartholomäi 33). Am Schluß ihres Berichts hatten die Wittenberger noch bemerkt, sie hätten den Eindruck, daß die Kirchen­ ordnung nicht von einem, sondern von mehreren, die daran gearbeitet, verfaßt und auch nicht zu einer Zeit gestaltet sei; sie sei auch viel korrigiert, auch seien manche Wieder­ holungen festzustellen. Darum empfehlen sie, durch einen Sachverständigen — etwa Osiander — die Schlußredaktion fertigen zu lassen. Der Rat gab Osiander den Auftrag dazu. Zugleich wandte er sich an die Statthalter und Räte zu Ansbach mit der Bitte, sie möchten bei dem Rat zu Schwäbisch Hall darum ansuchen, daß Johann Brenz auf Kosten Nürnbergs abgeordnet werde, um mit Osiander die Schlußredaktion der Kirchenordnung vorzunehmen 34). Die­ ser Wunsch des Rates wurde auch erfüllt35). Auch als Osiander und Brenz die ihnen aufgetragene Revisionsarbeit erledigt und den ,,neuen Begriff“ in die Hände des Rats gelegt hatten, eilte es diesem immer noch nicht mit dem Abschluß des Werkes. Auf eine Anfrage aus Ansbach, ob der Rat nunmehr bereit sei, die jetzt end­ lich fertiggestellte Kirchenordnung drucken zu lassen und mit dem Markgrafen hinauszugeben, erwiderte der Rat, er habe wegen anderer Geschäfte und der Abwesenheit meh­ rerer Ratsfreunde, die er gern dabei gehabt hätte, die Kir­ chenordnung noch nicht vorgenommen, werde das aber bald tun und werde dann den Markgräflichen sein „Gemüt und Willen nicht verhalten“ 36). Wie sehr die Verhältnisse zur endlichen Hinausgabe und Einführung der Kirchenordnung drängten, zeigt ein in diesen Tagen eingelaufenes Schreiben des Hauptmanns auf dem Gebirg Friedrich von Lidwag zu Kulmbach an den Markgrafen, in welchem dieser die große Unordnung und Not schildert, welche durch die lange Verzögerung der Kir­ chenordnung in diesem Gebiet entstanden war, und zugleich dringend um einige Exemplare der nun doch fertiggestellten Kirchenordnung bat, damit er dieselben dorthin geben könne, wo es am allernötigsten sei 37).

124 Nun hatte der Markgraf eine Abschrift der Kirchencrdnung seinem Bruder, dem Herzog Albrecht von Preußen, übersandt, um dessen Urteil über dieselbe zu hören. Die­ ser kam jetzt wieder mit dem Vorschlag, es sollten alle Evangelischen um der Einigkeit willen die sächsichte Kir­ chenordnung annehmen. Aber auf seine Bitte um Uebersendung der sächsischen Ordnung erhielt der Markgraf vom Kurfürsten den Bescheid, daß in seinem Lande keine beson­ dere schriftlich hinausgegebene Kirchenordnung vorhanden sei; man habe sich bisher nach der seinerzeit hinausgegebe­ nen Visitatiönsordnung gerichtet. Diese wurde auch dem Markgrafen übersandt 38). Da stellte sich nun heraus, daß die Brandenburg-Nürnbergische Kirchenordnung und die sächsische Visitationsordnung eigentlich ,,ein Ding“ sei. Vogler, der beide miteinander verglichen hatte, wies auch auf das Gutachten der Wittenberger hin, mit welchem auch die eigenen Theologen und Brenz einverstanden seien. Er teilte dem Markgrafen auch den Bericht Friedrichs von Lid­ wag mit. Endlich verfaßte derselbe eine ausführliche Schrift. ,,Protestation, Unterricht und Gutsbedünken der Kirchen­ ordnung halben, den Statthaltern zu Schwabach angezeigt“, in der der er sich gegen jede weitere Verzögerung der Kir­ chenordnung aussprach39).

Darin kam ihm jetzt auch Spengler zur Hilfe, indem er auf Voglers und „anderer Gutherzigen“ Anregung ein Schreiben entwarf, welches der Markgraf an den Nürn­ berger Rat richten sollte, um diesen zu bewegen, endlich die Kirchenordnung in Druck zu geben, damit sie zur Ein­ führung gebracht werden könne. In einer Nachschrift zu diesem Entwurf, die allem Anschein nach für Vogler be­ stimmt War, gibt Spengler der Hoffnung Ausdruck, dieses im Namen des Markgrafen ausgehende Schreiben werde vielleicht doch die Sache wieder in Fluß bringen, zumal wenn darin, wie Spengler empfahl, die Kirchenordnung als das einzige Mittel bezeichnet werde, durch welches die im Stift zu Ansbach, also im Herzen des Fürstentums und der markgräflichen Hofhaltung noch immer herrschenden Miß­ bräuche abgetan werden könnten. Denn die Verhinderer

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der Kirchenordnung in Nürnberg hatten bisher zur Deckung ihrer Umtriebe gegen deren Einführung stets gesagt, dem Markgrafen sei es mit der Reformation nicht Ernst, sonst würden die Seelenmessen und andere Greuel in Ansbach nicht geduldet. Dieser Vorwand werde, den Gegnern durch jenes Schreiben des Markgrafen genommen 40). Am 5. Dezember schrieb denn auch der Rat nach Ans­ bach, er habe die Kirchenordnung von Artikel zu Artikel durchgesehen und lasse sich dieselbe als christlich und dem göttlichen Wort gemäß gestellt durchaus gefallen. Nur einige geringe. Aenderungen habe er vorgenommen. Die Kirchenordnung hatte er bereits in Druck gegeben und ver­ fügt, daß gutes Papier und gut lesbare, schöne Lettern, ge­ wählt würden. Für das Gebiet des Markgrafen waren 800 bis 1000 Stück der Ordnung bestellt. Eine Anzahl gedachte der Drucker Jobst Gutknecht für sich selbst zum Verkauf herzustellen 41). Wie das im Staatsarchiv liegende Exem­ plar ausweist, hat die Druckerei eine gediegene Arbeit ge­ leistet 42). Am Sonntag, den 22. Dezember,, wurde in allen Kir­ chen Nürnbergs von den Kanzeln verkündigt, daß am, 1. Januar 1533 zum erstenmal der Gottesdienst nach der neuen Ordnung zu halten sei. Am 9. Februar erfolgte die Einführung derselben in den Nürnberger Landgemeinden. Dazu erließ der Rat folgende öffentliche Verfügung: ,,Eins erbarn Rats der Stadt Nürnberg Dienern, die verordnet sein, den Pfarrherrn und Predigern in eins Rats Gebieten auf dem Land die fürgenommene Kirchenordnung zu verkünden und im Druck zu überantworten, ist befohlen, denselben eins Rats verordneten Pfarrherrn und Predigern in ihres Her­ ren Namen nachfolgende Meinung anzuzeigen: 1. daß sie dieser Ordnung, wie die mit Rat der gelehr­ testen Theologen gestellt und wohlbedächtlich ausgangen sei, für sich selbst in allweg geloben und ihr befohlen Pfarrvolk zu solchem getreulich vermahnen wollen) 2., daß sie auch solche Kirchenordnung in ihren Pfar­ ren und Kirchen auf den Sonntag, der wird sein der 9. Tag des Februar, anfahen und dieselbe ihres Inhalts getreulich

126 halten, fürnemlich aber die Lehr in ihren Predigten als die getreuen Hirten und Seelsorger zum fleißigsten treiben wollen; 3., daß sie sich insonder befleißigen wollen, den Kate­ chismus nit allein der frechen, ungezähmten Jugend,, son­ dern auch dem groben unverständigen Bauerntum zugut in den Kirchen und Schulen zu treiben und anzurichten, denn an solcher Lehr merklich und viel gelegen ist; 4., daß sie für sich selbst und ohne Wissen und Willen der Obrigkeit in allen Artikeln solcher Kirchenordnung nichts ändern, mindern, mehren, unterlassen oder aufrichten wollen, und wo sie einiger Unterrichtung in für fallenden zweifeligen Sachen notdürftig würden, daß sie sich in sol­ chen bei einem erbaren Rat als ihrer Obrigkeit, oder so ein Rat dazu verordnet hat, billigs Bescheid wollten erholen; 5., daß sie die überantwortet Kirchenordnung bei der Kirche als Zugehörung bleiben lassen und allein zur Not­ durft gebrauchen und mit ihnen selbst zueignen wollen 43). In den markgräflichen Gebieten wurde mit der Ein­ führung der Kirchenordnung erst anfangs März 1533 be­ gonnen. Das Mandat, welches die Einführung verfügte, war vom Montag nach Invocavit datiert. In Nürnberg leistete nur der Deutschherrnorden gegen die Einführung der Kirchenordnung Widerstand44). Wie zu erwarten stand, berief Bischof Weigand von Bamberg sofort eine Synode, auf der er seine Geistlichen vor der Kirchenordnung warnte4Ö). Johann Eck konnte sich’s natürlich nicht versagen,, in seiner gewohnten Weise über die Kirchenordnung herzufallen. Besonders am Katechis­ mus, welcher derselben angefügt war, übte er scharfe Kri­ tik, die zu einem, heftigen Kampf zwischen ihm und Osiander führte 46). Interessant ist, daß bei den Markgräflichen auch jetzt noch ein gewisses Mißtrauen gegen Nürnberg bezüglich dessen Haltung gegenüber der Kirchenordnung bestand. Be­ zugnehmend auf die letzten Mitteilungen des Rates über die Einführung der Kirchenordnung im Nürnberger Gebiet stellten, die Markgräflichen fest, daß bei ihnen schon seit

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etlichen Jahren die ,,Privatmessen, welche ohne Kommuni­ kanten früher gehalten worden waren, abgeschafft seien, wie überhaupt bei ihnen alles der Kirchenordnung gemäß gehalten werde, während dagegen im Nürnberger Gebiet noch immer Messen ohne Kommunikanten gehalten würden, sodaß es also bei den Markgräflichen einer Aufforderung zur Einführung der Kirchenordnung gar nicht bedurft hätte47). Weiter aber finden wir das Konzept zu einem Schreiben der Markgräflichen an den Abt zu Wülzburg Bernhard Ziegler, in welchem dieselben letzteren ersuchen, Achtung darauf zu haben, ob die von Nürnberg tatsächlich am Neujahrstag 15.33 mit der Einführung und Haltung der Kirchenordnung anfingen und mit welcher Vorred und in welcher Gestalt, ob sie die Messe (hier z= Abendmahlsfeier) hielten nur wenn Abendmahlsgäste aus der Gemeinde zugegen seien, oder auch ohne Kommunikanten. Da anzunehmen war, daß am Neujahrstag viele Kommunikanten da sein würden, baten sie den Abt, er möge über den Neujahrstag in Nürnberg bleiben und auch an den folgenden Wochentagen Achtung haben, ob man an diesen die Messe ohne Kommunikanten aus der Gemeinde halte, oder nicht, und ob die Diakone in diesem Fall mit dem amtierenden Geistlichen allein kommunicieren müßten. Bei der Abendmahlsfeier sollte der Abt auch darauf achten, ob die At\endmahlsliturgie deutsch gesungen oder gelesen werde. Endlich wollten die Mark­ gräflichen noch wissen, ob die übrigen Hostien im Sakra­ mentshäuschen verschlossen würden oder nicht. Diese Nach­ forschung sollte nicht nur in einer oder zwei Kirchen, son­ dern auch in allen anderen geschehen und an die Statt­ halter und Räte frei und lauter darüber berichtet werden 48). Der Markgraf hatte sowohl den von Brenz auf An­ suchen der Statthalter und Räte der Kirchenordnung an­ gefügten Eingang, wie das Schlußwort, auch die geringen Aenderungen des Nürnberger Rates gebilligt, bzw. noch etwas verbessert und dem Druck zugestimmt. Wohl hatten in letzter Stunde die beiden Statthalter Hans von Secken­ dorf und Wilhelm von Wiesenthau, die Führer der Oppo­ sition gegen jede Reformation, noch einen Versuch gemacht,

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die Einführung der Kirchenordnung zu verhindern; aber der Kanzler Vogler wußte auch diesen letzten Angriff ab­ zuwehren, wobei auch der Markgraf sich auf seine Seite stellte 49). Eine Schwierigkeit entstand noch dadurch, daß man in Ansbach die Druckkosten für die dorthin gelieferten Kirchenordnungen zu hoch fand und Spengler ersucht wurde, mit dem Drucker deswegen zu handeln. Spengler konnte jedoch nachweisen, daß die höheren Kosten nur dadurch entstanden waren, daß, um die Fertigstellung zu beschleu­ nigen, vielfach Nachtarbeit geleistet werden, ja zum Teil am Feiertag gearbeitet werden mußte und daß der teilweise rote Eindruck ohnehin die Kosten erhöht habe 50). Eine Kirchenverfassung sollte die Kirchenordnung nicht darstellen. Da in beiden Gebieten, für welche sie gel­ ten sollte, nicht nur Kirche und Staat aufs engste zusam­ menhingen, sondern auch die Staatsverfassung sich stark unterschieden, war eine Berücksichtigung der Kirchen­ verfassung in der Kirchenordnung weder möglich, noch nötig. Die Aufrichtung einer solchen für sich mußte bei­ den Teilen selbst überlassen werden. In Nürnberg geschah in dieser Beziehung etwas durch einen Ratsbeschluß vom 20. Mai 1533. Hier wurde eine ständige Kommission auf gestellt, welche aus .Vertretern der weltlichen und der geistlichen Obrigkeit bestand und die Aufgabe erhielt, die Aufsicht über die Handhabung der Kirchenordnung zu füh­ ren. Dieser Ratsbeschluß hatte folgenden Wortlaut: ,,Ein erbar Rat hat aus guten Ursachen, und damit in ihren Pfar­ ren auf dem Land billige Gleichheit in den Kirchen gehal­ ten, auch die ausgangen Kirchenordnung, beides der Lehre und Ceremonien halben dester beständiger gehandhabt werde., verordnet, wann sich Irrung unter denselben ihren Pfarrern und dem Pfarrvolk zutragen, oder die Pfarrer und Prediger in einem oder mehreren Artikeln Berichts für sich selbst notdürftig sein, daß sie sich anfänglich (■— zuerst) bei dem Propst zu St. Lorenz Pfarrkirchen, oder den her­ nach benannten eines Rats verordneten Ratsfreuriden anzeigert. * Dieselben sollen Macht haben, die andern zween

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Prädikanten nach Gestalt und Größe fürfallender Sachen zu ihnen zu erfordern und solche Irrung zu entscheiden, oder denen, so Berichts notdürftig sind, denselben zum Besten mitzuteilen. Und sind dies die Verordneten zu diesen Sa­ chen, nämlich der Propst zu Laurentii, Wenzeslaus Linck, Prediger zum Spital, Georg Koberer, Vater zu den Kart­ häusern, Leo Schürstab und Hieronymus Baumgärtner51). Der Propst Georg Peßler zu St. Sebald war kurz vor dieser Zeit in den Ruhestand versetzt, und seine Propstei nicht wieder besetzt worden. Darum konnte er für diese Kommission nicht mehr in Betracht körnen. Der große Wert dieser Kirchenordnung für die Geist­ lichen und zugleich auch für die Gemeinden lag vor allem darin, daß in ihrem ersten Teil die evangelische Lehre schlicht und klar dargestellt und aus der heiligen Schrift erläutert und begründet war, sodaß es auch den weniger gelehrten Geistlichen — und deren gab es, wie wir von der Kirchenvisitation her wissen, noch recht viele — möglich war, nicht nur für sich selbst zu lernen, sondern auch ihre Gemeinden entsprechend zu unterweisen. Dazu kam, daß im zweiten Teil der Kirchenordnung für alle kirchlichen Amtshandlungen: Taufe, Abendmahlsfeier, Beichte, Kran­ kenkommunion, Trauungen (damals „Einleitungen“ ge­ nannt) Beerdigungsfeiern feste und einheitliche Formen und Ordnungen vorhanden waren, deren die Geistlichen sich bedienen konnten. Daß bei der Aufrichtung dieser Ord­ nungen möglichst konservativ verfahren und altbewährtes liturgisches Gut erhalten wurde, erhöhte nur ihren Wert Auch der als Anhang dieser Kirchenordnung anfügte Nürnberger Katechismus trug sehr viel zu dem hohen Wert des ganzen Buches bei. Im September 1531 hatte man sich hier entschlossen, für die Unterweisung der Jugend im christlichen Glauben und Leben besondere Kinderpredigten herauszugeben, welche den Kaplänen zur Vorlesung und Erklärung an die Hand gegeben wurden. Dieselben wur­ den von den Predigern der beiden Pfarrkirchen verfaßt, und zwar wurde ihnen der Text des Katechismus Luthers zugrunde gelegt, welchen Osiander durch ein Lehrstück vom 9

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„Amt der Schlüssel und der Beichte“ ergänzt und bereichert hatte. Als nun die Kirchenordnung gedruckt wurde, nahm man diese Kinderpredigten unter dem Titel: „Katechismus“ als Anhang in dieselbe auf. Mit der Aufrichtung und Einführung der Kirchenord*nung stand auch eine Frage im Zusammenhang, über welche noch viele Verhandlungen nötig wurden, auch nachdem diese Ordnung bereits in Kraft getreten war. Wir erin­ nern uns an das Verhör, welches die beiden Pröpste am ii. September 1524 vor dem Bischof zu Bamberg wegen der von ihnen vorgenommenen Aenderungen im Gottesdienst zu bestehen hatten. Dabei hatten sie bezüglich der Abend­ mahlsfeier die Erklärung abgegeben, sie hielten es damit so, daß sie das ganze Sakrament nach Christi Einsetzung reich­ ten, wobei sie den Teilnehmern aus der Gemeinde frei­ stellten, ob sie die bisher übliche Einzelbeichte ablegen oder sich mit einer vor der Abendmahlsfeier an sie gerich­ teten christlichen Vermahnung begnügen wollten. In dem sogenannten Brandenburger Ratschlag, von 1525, welchem auch die Nürnberger Theologen zugestimmt hatten, war die römische Ohrenbeichte abgelehnt und alles Gewicht auf die Beichte vor Gott gelegt worden. Die Beichte vor dem Geistlichen war dagegen frei gelassen und wurde mehr als eine seelsorgerliche Beratung gewertet. Als dann auf Osianders Antrag im Jahre 1527 die Ohrenbeichte förmlich ab­ geschafft wurde, hielt man doch daran fest, daß, wer zum Sakrament kommen wollte, sich vorher bei dem zustän­ digen Geistlichen anmelden sollte, damit er gegebenenfalls über den rechten und würdigen Empfang des Sakraments belehrt werden könne52). In den Schwabacher Visitationsartikeln von 1528 war jedoch wieder die Einzel- oder Privatbeichte und -absolution als freier und unter Umständen zu empfehlender Brauch vorgesehen. Ebenso war die Beibehaltung derselben in der Augsburgischen Konfession ausgesprochen, ohne daß jedoch ein Gesetz und eine Verpflichtung daraus gemacht werden wollte.. Nun wurde aber im Lauf der Zeit die vorherige Anmeldung von Vielen unterlassen und damit die vorherige

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seelsorgerliche Beratung unmöglich gemacht. Das mochte dadurch verursacht worden sein, daß in allen Gottesdiensten der Stadt und auf dem Land an allen Sonn- und Feiertagen im Anschluß an die Predigt und vor der darauffolgenden Abendmahlsfeier eine allgemeine von dem Geistlichen im Namen der Gemeinde gesprochene Beichte angefügt worden war, worauf der Gemeinde die Absolution verkündigt wurde, wie es heute noch üblich ist, nur daß es nicht nach der Pre­ digt, sondern im sogenannten Vorgottesdienst im Rahmen der Liturgie am Altar geschieht 53). Als man nun daran ging, eine Kichenordnung auf­ zurichten, forderte Osiander nicht nur die Anmeldepflicht für die Abendmahlsfeier, sondern auch die Pflicht zur Ein­ zelbeichte, weil er beides für unbedingt notwendig hielt, um gegebenenfalls Unwürdige vom Sakrament ausschließen zu können. Dafür ließ er den Artikel von der allgemeinen Ab­ solution im sonntäglichen Gottesdienst weg, wiewohl er die erwähnten beiden Forderungen bei dem Rat nicht hatte durchsetzen können. In der Gemeinde wurde diese eigenmächtige Aenderung vielfach als lästig empfunden. Bei dem Rat liefen Be­ schwerden dagegen ein mit der Begründung, wenn die all­ gemeine sonntägliche Absolution, deren sich die Gemeinde als einer freudenreichen Botschaft getroste, wegfalle, müßte man,, um die Absolution zu empfangen, jeden Sonntag zum Sakrament gehen, was Vielen nicht gelegen sei. Dazu kam, daß Osiander diese Aenderung ohne Wissen und Zu­ stimmung des Rates vorgenommen hatte und die übrigen Prediger und sachverständigen Theologen sich dagegen ausgesprochen hatten. Da Osiander trotzdem auf seinem Standpunkt blieb und nach demselben handelte, befragte der Rat vdie Juristen. Diese meinten, durch das Verfahren Osianders werde eine neue Jurisdiktion aufgerichtet, die man nicht haben wolle. Die Geistlichen sollten das Volk zur persönlichen Anmel­ dung ermahnen und denjenigen, welche von ihren Lastern nicht abstehen wollten, nahelegen, sich vom Sakrament 9*

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fern zu halten, dann aber es dem Gewissen eines jeden an­ heimstellen, wie er sich verhalten wolle54). Dagegen beriefen sich die Prediger auf die Augsburgische Konfession und auf das von Christus eingesetzte Schlüsselamt, betonten aber dabei, daß niemand zur Einzel­ beichte gezwungen werden dürfe. Sie erreichten es auch, daß in der Kirchenordnung den Gemeindegliedern die per­ sönliche Anmeldung für die Sakramentsfeier zur Pflicht gemacht wurde, damit sie die nötige Belehrung und Be­ ratung empfangen könnten. Auch sollte den Kommunikan­ ten empfohlen werden/ um die Einzelabsolution nach­ zusuchen; aber ein Zwang sollte nicht ausgeübt werden. Vielmehr wurde ausdrücklich bestimmt, wenn die Geist­ lichen wüßten, daß jemand „eines christlichen Verstandes und guten Wandels“ sei, wäre es nicht nötig, ihn jedesmal zu prüfen; solche könne man ohne weiteres zum Sakrament gehen lassen. Auch solchen, die geprüft worden waren, wurde die Einzelabsolution nur auf Ansuchen erteilt. Durch Osianders eigenmächtiges Eingreifen hatte die­ ser den Sakramentsempfang von der vorausgegangenen Einzelbeichte und -Absolution abhängig gemacht, was eben­ so, wie die Streichung der allgemeinen Absolutionsformel in der Gemeinde beklagt wurde. Der Rat forderte daher am 4. April 1533 die Pröpste und Prediger zu sich und fragte, warum „die heilsame und tröstliche Absolution“ im Gottesdienst und bei der Abendmahlsfeier nicht mehr ge­ braucht werde, und forderte deren Wiedereinführung, Schleupner erklärte im Namen der übrigen Geistlichen die Bereitschaft dazu. Sie hätten zwar nach der Kirchen­ ordnung die Einzelabsolution stets empfohlen, hielten aber die allgemeine ebenfalls für gut. Osiander glaubte sich darein nicht fügen zu können. Auch Brenz, den der Rat um ein Gutachten bat, stand auf Osianders Seite, war jedoch bereit, sich dem Urteil der Wittenberger Theologen zu unterwerfen55). Auch an diese hatte der Rat um ein Gutachten ge­ schrieben 56). Diese erklärten die beiden Formeln der Ab­ solution für recht und dem Wort Gottes gemäß. Auch

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die Predigt sei eine P'orm der Absolution, da durch sie den Gläubigen die. Vergebung der Sünden verkündigt werde. Man solle aber die Einzelabsolution nicht fallen lassen, um den Leuten zu zeigen, daß der Trost des Evan­ geliums einem jeden insonderheit gelte 57). Diese Antwort teilte der Rat den Predigern mit und forderte die Wiedereinführung der allgemeinen Absolution vor der Abendmahlfeier, wie auch die allsonntägliche im Gottesdienst. Zugleich verbot der Rat das Predigen über diese Frage. Trotzdem predigte Osiander mit großer Lei­ denschaft weiter, wiewohl ihm der Rat sein Mißfallen darüber aussprach. Spengler bedauerte damals die „über­ große Geduld und Langmut“, welche der Rat in dieser Sache gegen Osiander übte und wünschte, daß dieser ein­ mal durch Luther in einem sonderen Schreiben „am Zaum geritten würde“ 58). Am 22. September übergab Osiander dem Rat eine Darstellung seines Standpunktes in einer Schrift ,,Von den Schlüsseln“. Diese Schrift sandte der Rat mit einem Gut­ achten der übrigen Prediger an die Wittenberger Theologen. In seinem Begleitschreiben wies er darauf hin, daß er be­ folgt habe, was Luther und Melanchthon ihm geraten hät­ ten, er habe jedoch den Zank dadurch nicht stillen können. Von Anfang an sei es weder des Rats, noch der Pröpste und Prediger Meinung gewesen, die Einzelabsolution ab­ zuschaffen. Der Rat erkenne in derselben einen großen, gnadenreichen Schatz, den Christus seiner Gemeinde zu be­ sonderem Trost der Gewissen geschenkt hat. In Nürn­ berg werde dieselbe mehr als früher gebraucht. Das Volk werde durch die Prediger zum Gebrauch derselben treulich ermahnt. Ueber die Lehre vom Reich Gottes, von Buße und Gnade, von Teilung der Schlüssel, von der Zahl der Sakramente, wovon Osiander in seiner Schrift auch handle, bestand bisher kein Streit. Jetzt handelt es sich nur um die Frage, ob neben der Einzelabsolution, die wie bisher im Gebrauch bleiben soll, auch die allgemeine als christlich ge­ braucht werden kann, oder ob sie, weil Osiander sie für un­ nütz, schädlich und gottlos, ja für keine Absolution hält,

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völlig abgeschafft werden soll. Unter Uebersendung beider­ seitiger Schriftstücke bittet nun der Rat, die Wittenberger Herren möchten ihm noch einmal ihren Rat gewähren und klaren Bescheid darüber geben 59). In ihrem neuen Gutachten vom 8. Oktober traten die Wittenberger für die allgemeine Absolution ein. Wohl gaben sie auch dem Einwand Osianders Recht: ,,Das Ge­ wissen fragt nicht, ob Gott überhaupt barmherzig sei, son­ dern ob er es auch ihm gegenüber sei.“ Aber daraus dürfe nicht gefolgert werden, daß für die allgemeine Absolution kein Raum sei. Denn die Heilsverheißungen seien all­ gemein; auch die Predigt wirke Vergebung der Sünden, wo sie gläubig aufgenommen werde 60). Luther schrieb in dieser Sache auch an Osiander per­ sönlich, wie auch an Linck, der für letzteren eingetreten war. An beiden erkannte er den Ernst des Gewissens und der Ueberzeugungen, mahnte aber auch zur Versöhnlich­ keit. Osiander solle für seine Person nicht zum Gebrauch der allgemeinen Absolution gezwungen werden, aber er sollte auch diejenigen, welche dieselbe gebrauchen, unange­ fochten lassen. Freilich war auch diese Mahnung vergeb­ lich, wie die Bitte des Rates, Osiander möge sich in den Bescheid der Wittenberger fügen. Dieser blieb hartnäckig bei seiner Meinung 61). In einem besonderen Brief dankte der Rat Luther und den übrigen Theologen für ihre Mühe, die sie in dieser Sache gehabt, und fügte hinzu, er habe als Zeichen seiner Dankbarkeit seinem Ratsfreund Sigmund Fürer befohlen, Ihre Würden mit ioo Joachimsthaler zu verehren °2). Am 12. November 1533 konnte Spengler endlich an Veit Dietrich berichten: ,,Osiander schweigt jetzt still: nit darum daß er von seiner gefaßten Opinion in dem wenig­ sten zu weichen gesinnt ist, sondern meins onzweifeligen Achtens, daß er von den christlichen, getreuen, frommen Männern aus Wittenberg bisher so herzlich und bescheidenlich ermahnt ist und daß er auch meine Herren als die Obrigkeit, die ihn hierin so stattlich und on Heucheln er­ mahnt haben, forchten muß.“ 63). ,

135 Wenn nun so auch der Streit, der nicht nur im Rat und bei den Theologen, sondern auch in der Gemeinde große Erregung hervorgerufen hatte, beigelegt war, so wirkte er doch noch lange nach. Schleupner sprach noch ein Jahr darnach von demselben als einer „Tragödie des rasenden Herkules“. Auch Osiander kam noch öfter darauf zurück. Als aber Melanchthon am 19. Oktober 1536 auf seiner Rückreise aus Schwaben nach Nürnberg kam und mit Osiander sich darüber aussprach, nahm dieser manche Aeußerung, mit der er in der Hitze des Kampfes zu weit gegangen wär, zurück, oder schränkte sie wesentlich ein. Mit Befriedigung stellte Melanchthon aus einer von ihm gehörten Predigt, wie aus anderen mündlichen Aeußer.ungen Osianders fest, dieser habe nun zugegeben, daß man auch durch eine Predigt der Vergebung seiner Sünden ge­ wiß werden könne. Freilich schränkte das Osiander als­ bald wieder ein durch die Behauptung, eine Predigt habe doch nicht die Kraft, wie die aus Christi Vollmacht ge­ sprochene Absolution. Darum müsse diese Ordnung auf­ recht erhalten werden, damit man wisse, wer zu binden oder loszusprechen sei. Auf Wunsch des Rates gab Melanchthon damals ein neues Gutachten zu der Frage ab, welches mit dem vom Jahre 1533 übereinstimmte. Doch gab er darin zu, daß Osiander im Recht sei, wenn er sich über die Unordnung beschwere, welche vielfach bei der Abendmahlsfeier ein­ gerissen sei. Die allgemeine Absolution habe in der Tat bewirkt, daß die Privatabsolution von Vielen nicht mehr gesucht und daß es vielfach mit der Buße nicht mehr ernst genommen werde. Melanchthon riet daher, man möge die Privatabsolution stärker betonen und empfehlen. Im Jahre 1539 flammte der Streit nocheinmal auf und zog sich längere Zeit hin. Luther und Melanchthon, die auch hier wieder um Rat gefragt wurden, blieben auf ihrem Standpunkt, daß die allgemeine Absolution nicht schlecht­ hin verworfen werden könne, da Christus auf mancherlei Weise den Gläubigen seine Wohltaten zuteil werden lasse. Aber sie glaubten doch eine andere Formel für dieselbe

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Vorschlägen zu sollen, von der sie sich eine tiefere Wir­ kung versprachen. Die von Melanchthon vorgeschlagene Formel sollte eine leichtfertige Aneignung der Sünden­ vergebung verhüten, in dem sie ernstliche Buße und sitt­ liche Lebenserneuerung forderte, während die von Luther empfohlene Formel durch den Hinweis auf den jedem Men­ schen nahen Tod den Ernst der Buße fördern wollte. Man gewinnt hier den Eindruck, als ob die nach dieser An­ weisung gesprochene allgemeine Absolution als Ersatz ge­ dacht gewesen wäre für die Privatabsolution im Fall eines raschen Todes bei solchen, die nicht zum Sakrament gin­ gen. Freilich war kaum zu erwarten, daß Osiander sich mit einer solchen Aenderung der Absolutionsformel zufrie­ den geben würde 64). Das Wiederaufleben des Absolutionsstreits hatte für Osiander unangenehme Auswirkungen zur Folge. Seit der Einführung der Reformation in Nürnberg war das so­ genannte „Schembartlaufen“, welches zuvor regelmäßig an Fastnacht aufgeführt wurde durch den Rat abgestellt wor­ den. Jedoch im Jahre 1539 wurde es durch eine Anzahl junger Leute wieder als Fastnachtsvergnügen veranstaltet. Diese benützten dasselbe, um Osiander, der sich durch sein heftiges Auftreten im Absolutionsstreit im Volk unbeliebt gemacht hatte, einen Schabernak anzutun. Die sogenannte „Hölle“, ein Feuerwerk, welches auf einer Schleife oder einem Wagen am Ende des Fastnachtszuges mitgeführt und zum Schluß abgebrannt wurde, war durch ein Schiff dargestellt. Auf demselben stand ein Mann, mit einem Gewand und einem Barett bekleidet, wie sie damals die Nürnberger Prediger zu tragen pflegten. Dieser Mann sollte den Prediger Osiander darstellen, dessen Gesichts­ züge und Bart deutlich und für jedermann erkenntlich nachgebildet waren. Ueber dieser Gestalt hing ein großer Schlüssel, eine Anspielung auf die Schrift Osianders „Von den Schlüsseln“ und auf das von ihm verwaltete und ver­ teidigte kirchliche „Amt der Schlüssel“. Weil Osiander dieses Amt so stark betont hatte, sollte er durch den ganzen Aufzug öffentlich verspottet werden. Diese Verspottung

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wirkte um so übler, weil die Veranstalter derselben zum Träger der „Hölle“ ein Schiff gewählt hatten, das von altersher als ein Symbol der christlichen Kirche galt! Wenn nun auch der Nürnberger Rat um jene Zeit wegen der Hartnäckigkeit, mit der sich Osiander den Wün­ schen und Anordnungen des Rates in der Absolutionsfrage widersetzt hatte, mit ihm wenig zufrieden war, so glaubte er doch diesen Unfug, weil dieser zugleich eine öffentliche Verhöhnung und Lächerlichmachung eines kirchlichen Am­ tes darstellte, nicht ungestraft hingehen lassen zu dürfen. Der hoch angesehene Ratsherr Jakob Muffel, welcher von Rats wegen die Aufsicht bei dem Vorgang zu üben hatte, wurde auf einige Zeit „aus dem Rat gesetzt“ und die bei­ den Patriziersöhne, welche als Anstifter und Leiter des Auf­ zuges ermittelt wurden, kamen auf einige Zeit in den Turm. Das „Schembartlaufen“ aber wurde damals für immer ver­ boten 65). Gelegentlich des Dürerjahres 1928 wurde in Nürnberg der historische „Büttnerstanz“ mehreremale auf verschie­ denen Plätzen der Stadt aufgeführt. Dabei träten auch die „Schembartläufer“ wieder auf und zeigten zur allgemei­ nen Freude wieder ihre hübschen Tänze. Unverständlich war es jedoch, daß man damals auch die Szene wieder auf­ leben ließ, welche der Nürnberger Rat von 1539 als eine Verhöhnung der christlichen Kirche und ihres Amtes emp­ funden und als groben Unfug bestraft hatte und daß man dieselbe damals noch steigerte, indem man die Persönlich­ keit, welche den Prediger Osiander darstellen sollte, mit dem Ornat bekleidete, welchen die Geistlichen der evan­ gelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern und darum auch in Nürnberg im Gottesdienst und bei allen sonstigen Amtshandlungen in der Gegenwart zu tragen pflegen, ein Vorgang, der damals in kirchlichen Kreisen Aufsehen und Aegernis erregte. Zum Schluß muß hier noch einer anderen Frage ge­ dacht werden, welche durch die Einführung der. Kirchen­ ordnung aufgerollt wurde und dabei in deren Geltungs­ bereich ihre eigenartige Lösung fand. Es war die Frage

138 nach dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche, weltlicher und geistlicher Gewalt und Obrigkeit und deren gegen­ seitiger Abgrenzung. Als der Nürnberger Rat und der Markgraf von Bran­ denburg sich entschlossen, gemeinsam in ihren Herrschafts­ gebieten eine Kirchenvisitation durchzuführen und im Zu­ sammenhang damit eine eigene Kirchenordnung aufzurich­ ten,, taten sie das bewußt als weltliche Obrigkeit, als welche sie sich dazu berechtigt, ja verpflichtet fühlten, ebenso wie der Kurfürst zu Sachsen, der ihnen dann vorangegangen war. Wir wissen, daß ihnen die Berechtigung dazu vor allem von den Bischöfen bestritten wurde, welche dieses Recht als zu ihrer Jurisdiktion gehörig für sich allein in Anspruch nahmen. Nun unterschied man auch auf evan­ gelischer Seite klar und bestimmt zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt und Obrigkeit. Grundsätzlich wurde das Recht, Kirchenvisitation zu halten und kirchliche Ordnun­ gen aufzurichten und über deren Einhaltung zu wachen, den Bischöfen zugestanden. Weil aber diese, wie der Nürn­ berger Rat in seinem Schreiben an den Bundesrichter vom 7. November 1528 ausdrücklich betonte, von diesem ihrem Recht keinen Gebrauch gemacht und ihre Pflicht versäumt hatten, indem sie allerlei Irrlehren, Mißbräuche und Miß­ stände in ihrem Aufsichtsgebiet hatten einreißen lassen, glaubte die weltliche Obrigkeit in den Gebieten, in denen solche Vernachlässigung der kirchlichen Aufsicht und Fürsorge als großen Schaden erkannt worden war, von sich aus als christliche Obrigkeit eingreifen und dem Scha­ den wehren zu müssen. Daß angesichts der Lage der Dinge die weltliche Obrigkeit das Recht und die Pflicht habe, das Kirchenregiment in ihre Hand zu nehmen, darin war man in allen evangelischen Gebieten einig. Immerhin bestand dabei ein Unterschied in der Begründung dieses Rechtes. Luther begründete die Uebernahme des Kirchenregiments durch die weltliche Obrigkeit als einen Notbehelf, als einen Akt der Liebe, zu dem sie sich hergibt um der Not wil­ len, als das zu höchst stehende Glied der Kirche. Nach seiner Auffassung war die Verbindung zwischen weltlicher

139 Obrigkeit und Kirchenregiment nicht eine organische, son­ dern nur durch die besonderen Umstände geboten. Sie konnte wieder gelöst werden, sobald die Kirchengewalt auf­ hörte, ihren schuldigen Dienst zu versagen und die Leitung der Kirche im Geiste Christi nach biblischen Grundsätzen zu führen fähig und willig war. Dagegen herrschte in Nürnberg eine andere Auffas­ sung. Hier begegnen wir schon lange vor der Reformation einer zielbewußten Emanzipation des Staates von der Kirche und dem zielbewußten Streben des Rates, auf letztere seinen Einfluß auszuüben und Herr im Hause zu sein. Schon frühe hatte der Rat es erreicht, die Rechte einer Kirchenbehörde an sich zu bringen und sie dem Bi­ schof von Bamberg zu entwinden. Das Abhängigkeits­ verhältnis, in welchem die beiden Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz ursprünglich zu den bambergischen Kirchen Poppenreuth und Fürth gestanden waren, verstand er in das Gegenteil umzukehren. Die Verwaltung des Kirchen­ vermögens und der zahlreichen Pfründestiftungen und mit den letzteren auch deren Besetzungsrecht nahm er in seine Hand. VVeiter erwarb der Rat mit bedeutenden Geldopfern vom Papst und Bischof das Präsentationsrecht für beide Pfarrkirchen. Ueber die Klöster der Stadt und im Land­ gebiet derselben übte er ein weitgehendes Schutz- und Auf­ sichtsrecht, ja auch das Recht zur Reformation derselben. Hatte so der Rat am Ausgang des 15. Jahrhunderts auch in der Kirche seines Gebietes die beherrschende Stellung gewonnen, so fühlte er sich auch zugleich als Schutzherr und Anwalt derselben. So war es denn für ihn eine Selbst­ verständlichkeit, daß er auch in der durch die lutherische Reformation sich neu gestaltenden evangelischen Kirche die Zügel in seiner Hand behielt. Er führte dieselben aus der Verpflichtung heraus, für den ,,gemeinen Nutz und die Wohlfahrt“ seiner Untertanen zu sorgen. Aus dieser Ver­ pflichtung veranstaltete der Rat 1525 das Religibnsgespräch zur Ueberwindung des entstandenen kirchlichen Zwiespalts und verfügte er, daß in seinem Gebiet nichts anderes ge­ lehrt und gepredigt und nichts anderes kirchlich gehandelt

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werde, als was aus der heiligen Schrift als recht und christ­ lich zu erweisen sei. Aus dieser Verpflichtung veranstaltete er in Verbindung mit dem Markgrafen die Kirchenvisita­ tion und erließ er mit diesem zur Erhaltung der aus der Visitation erwachsenen Reformen die Kirchenordnung. Die Frage., ob er dazu berechtigt sei, bestand dabei für den Rat nicht. Nach seiner Auffassung gehörte das dabei geübte Kirchenregiment mit zum Begriff der Staats­ gewalt, zu seiner Aufgabe und Pflicht als Obrigkeit. Hier tritt der Unterschied zutage zwischen der kirchenpoliti­ schen Anschauung des Nürnberger Rates und derjenigen Luthers. Nach des letzteren Auffassung erstreckt sich das weltliche Regiment nicht weiter, als ,,über Leib und Gut und was äußerlich ist auf Erden“; nach der Auffassung des Rates aber umfaßt dasselbe auch das kirchliche Leben. Dieser fühlte sich verantwortlich nicht nur für das äußere, leibliche Wohl seiner Untertanen, sondern auch für ihr Seelenheil. Es war vor allem Spenglers Einfluß, der diese Auffassung vertrat und förderte. Der Standpunkt, welchen in dieser Frage der Nürn­ berger Rat vertrat, fand seine Ausprägung auch in der Kirchenordnung. Diese ist durchaus von der Auffassung des Rates beherrscht. Da die Nürnberg-brandenburgische Kirchenordnung mit der Zeit für die Mehrzahl der evangeli­ schen Landeskirchen maßgebend wurde, setzte sich auch in diesen Gebieten der Nürnberger kirchenpolitische Stand­ punkt durch, zumal da derselbe auch dem Ansehen der Landeshoheit förderlich war.

Nürnberg auf dem Reichstag zu Speyer 1529. Aus dem Reichstagsabschied von Speyer 1526 konn­ ten die evangelischen Stände das Recht entnehmen, die kirchlichen Angelegenheiten in ihren Gebieten bis zur Ent­ scheidung eines Konzils auf ihre eigene Verantwortung zu ordnen. Das bedeutete für sie die fortschreitende Los­ lösung von der römischen Hierarchie und die Begründung und Ausgestaltung der evangelischen Kirche in ihren Ge­ bieten. Dieser Entwicklung nachdrücklich entgegenzutreten, war zur Zeit weder dem Kaiser,, noch seinem Bruder und Statthalter möglich. Den ersteren hinderte der Krieg mit Italien und Frankreich, den letzteren die immer stärker werdende Bedrohung seiner Länder durch die Türken. Die feindselige Einstellung beider gegen die kirchliche Refor­ mation änderte sich freilich dadurch keineswegs. Nun hatte gegen das Ende des Jahres 1528 der Krieg für den Kaiser eine günstige Wendung genommen. Auch eine Verstän­ digung mit dem Papst, der bisher auf der Seite Frankreichs gegen den Kaiser gestanden war, begann sich anzubahnen. Daher entschloß sich jetzt der Kaiser, einen neuen Reichs­ tag zu berufen, der vor allem seinem Bruder eine Reichs­ hilfe gegen die Türken bewilligen sollte, von dem er aber zugleich die endgültige Lösung der kirchlichen Frage nach seinem und Roms Willen glaubte erhoffen zu dürfen. Die Aussicht hiefür schien jetzt auch deshalb wesent­ lich günstiger zu sein, weil die römisch gesinnten Reichs­ stände durch die Erfolge der Evangelischen aus ihrer bis­ herigen Gleichgültigkeit aufgerüttelt und durch größere Geschlossenheit ihres Widerstandes eine viel stärkere

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Stütze der kaiserlichen Politik geworden waren. Während die Häupter der römischen Partei auf dem Reichstag von 1526 zum Teil überhaupt nicht erschienen, oder trotz ihrer zahlenmäßigen Mehrheit in der Vertretung der römischen Interessen weniger entschieden aufgetreten waren, erschie­ nen sie auf dem zum 21. Februar 1529 nach Speyer aus­ geschriebenen Reichstag sehr zahlreich und zeigten von An­ fang an den entschiedenen Willen, den römischen Forderun­ gen endgültig den Sieg zu sichern. Besonders entfalteten auf diesem Reichstag die Geistlichen eine sehr eifrige Tätigkeit. Die bedeutendsten Vorkämpfer Roms waren als Wortführer aufgeboten. Als seine Kommissäre bestellte der Kaiser, der auch diesmal nicht persönlich erscheinen konnte, lauter entschiedene Gegner der Reformation: vor allen seinen Bruder, dann den kaiserlichen Vizekanzler Bal­ thasar Merklin, auch Propst von Waldkirch genannt, einen sehr gewandten und klugen Prälaten, der seit Jahren das ganze Reich bereist hatte, um nicht nur für die Interessen des Kaisers, sondern auch für die des Papstes zu werben, und der sich als der geeignetste Mann erwiesen hatte, um die kaiserliche Politik erfolgreich zu vertreten. Dazu kamen der Pfalzgraf Friedrich, der Bruder des Kurfürsten von der Pfalz, der durch allerlei Versprechungen, insbesondert durch die ihm eröffnete Aussicht auf die Hand der Schwe­ ster des Kaisers, der Königinwitwe Marie von Ungarn, ganz und gar für die Interessen der Habsburger gewonnen worden war; ferner der entschieden römisch gesinnte Her­ zog Wilhelm von Bayern, der Großkanzler Ferdinands Bischof Bernhard von Cles zu Trient, und endlich der ebenfalls durchaus römisch eingestellte Herzog Erich von Braunschweig. Schon von Anfang an herrschte auf diesem Reichstag zwischen beiden Parteien eine gereizte Stimmung. Es waren vor allem die sogenannten Pack'schen Händel, welche da­ zu beitrugen. Otto von Pack, der Kanzleiverweser des Herzogs Georg von Sachsen, hatte dem Landgrafen Philipp voh Jessen eine gefälschte Urkunde übergeben, nach welcher Herzog Georg mit dem Erzbischof von Mainz und

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einer Reihe anderer katholischer Fürsten und Bischöfe einen Bund geschlossen haben sollte zu einem bewaffneten Ueberfall auf den Kurfürsten zu Sachsen und den Land­ grafen. Allzu leicht hatte letzterer dem Betrüger geglaubt. Das hatte beide Fürsten zu starken Rüstungen veranlaßt, um sich dagegen zu schützen. Der Landgraf ließ sich sogar dazu hinreißen, in das Gebiet des Bischofs von Würz­ burg einzufallen und das Bambergische und Mainzische Ge­ biet zu bedrohen. Obwohl die beiden evangelischen Für­ sten einem Betrug zum Opfer gefallen waren, wie sich schließlich herausstellte, wurden sie von der katholischen Partei des Landfriedensbruches beschuldigt und beim Schwäbischen Bund verklagt,, wodurch natürlich der Ge­ gensatz zwischen beiden Parteien nur noch verschärft wurde. Auch Nürnberg wurde damals in diese Sache hinein­ gezogen, indem man den Rat beschuldigte, die Rüstungen des Landgrafen unterstützt zu haben. Die Stadt wurde ebenfalls beim Schwäbischen Bund verklagt1). Obwohl dieser Streit schließlich beigelegt wurde, wirkte die feindselige Stimmung auch auf dem Speyerer Reichstag noch nach. So ließ man es dem Kurfürsten von Sachsen gegenüber sogar an den üblichen Formen der Höflichkeit fehlen. Am 21. März schrieb dieser seinem Sohn, daß ihm von den katholischen Fürsten kein einziger den üblichen Besuch gemacht habe. Seine Bitte, es möchte ihm für eine täglich von einem seiner Geistlichen zu haltende Predigt eine Kirche der Stadt überlassen werden, wurde auf Ver­ anlassung des Königs Ferdinand abgeschlagen. Nun ließ der Kurfürst, wie schon im Jahre 1526, in dem großen Hof seiner Herberge predigen. Das geschah unter so großem Zulauf, daß zumeist täglich zweimal Gottesdienst gehalten, werden mußte. Am 21. März waren, wie ebenfalls der Kur­ fürst seinem Sohn schrieb, die beiden Gottesdienste zusam­ men von 8000 Personen besucht, trotz des Verbots des Pre­ digtbesuchs durch den Statthalter2). Noch unfreundlicher als gegen den Kurfürsten verhielt sich Ferdinand gegenüber dem Landgrafen. Als dieser in Speyer ankam, unterließ es Ferdinand, ihm entgegen zu rei-

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ten und ihn zu begrüßen, wie es jedem Fürsten gegenüber üblich war. Als der Statthalter am 15. März den Reichstag eröffnete, war die übliche Vorlage des Kaisers noch nicht ein­ getroffen. Aber der Statthalter hatte sich vorgesehen und durch den Propst von Waldkirch eine eigene Vorlage aus­ arbeiten lassen, die er nun als die kaiserliche ausgab. Die erste Forderung derselben betraf die Bewilligung einer Hilfe gegen die Türken durch die Stände. Als weiterer Anlaß zur Berufung des Reichtags wurde der religiöse Zwiespalt genannt und dabei behauptet, daß dieser bisher die Bekämp­ fung der Türken verhindert habe. So wurde bemerkt, der Kaiser trage höchstes Mißfallen darüber, daß in der deut­ schen Nation zur Zeit seiner Regierung so böse und ver­ derbliche Irrtümer eingerissen seien und immer weiter um sich gegriffen hätten. Dadurch seien im Reich Empörung, Aufruhr, Krieg und Blutvergießen entstanden. Als das oberste Haupt der Christenheit sei der Kaiser nicht gewillt, dem ferner zuzusehen. Er erkenne ein allgemeines Konzil als das beste Mittel zur Beilegung des religiösen Zwiespalts. Aber die Berufung eines solchen habe nicht vom Kaiser allein ohne die Mitwirkung des Papstes geschehen können. Nun ist der Papst bereit, ein solches zu berufen. Bis dahin verbietet der Kaiser bei des Reiches Acht und Aberacht, irgend jemand mit Entziehung geistlicher und weltlicher Obrigkeit zu vergewaltigen oder zu Unrechtem Glauben oder neuen Sekten zu verleiten, wie das bisher an vielen Orten geschehen ist. Wenn nun dennoch jemand etwas wider den christlichen Glauben vornimmt, sollen die benachbarten Stände dem Vergewaltigten zu Hilfe kommen. Die Bestim­ mung des letzten Speyerischen Abschieds, daß jeder Stand in Sachen des Glaubens sich bis zu einem Konzil halten soll wie er es gegen Gott und den Kaiser zu verantworten sich getraue, ist bisher von vielen Ständen nach ihrem Gefallen ausgelegt worden, und ist daraus großer Unrat und Miß­ verstand wider den Glauben, auch Ungehorsam der Unter­ tanen gegen die Obrigkeiten und vieles andere Nachteilige entstanden. Damit nun dieser Artikel nicht ferner nach

145 jedermanns Belieben gedeutet werden kann, hebt der Kai­ ser denselben auf, kassiert und vernichtet ihn aus kaiser­ licher Machtvollkommenheit ein für allemal, befiehlt auch den Ständen, anstelle jenes Artikels die obengenannten Be­ stimmungen in den Reichstagsabschied zu setzen. — Zu diesen Anordnungen fügt der Statthalter hinzu, daß Statt­ halter, Orator und Kommissäre dieselben aus sonderem der kaiserlichen Majestät Befehl verkündige! 3). Zu dieser sogenannten kaiserlichen Vorlage, deren In­ halt übrigens im Widerspruch zu dem viel milder und fried­ licher gehaltenen Ausschreiben des Kaisers stand, sei zu­ nächst bemerkt: So berechtigt die hier an die Stände ge­ richtete Forderung war, eine Kriegshilfe gegen die Türken zu bewilligen, so unwahr und ungerecht war die Behaup­ tung, daß die Reformationsbewegung daran schuld gewesen sei, daß bisher eine Vereinigung der Christenheit oder des deutschen Volkes zum Kampf gegen die Türken nicht mög­ lich war. Nicht die deutschen evangelischen Stände, son­ dern Frankreich, England, Venedig und der Papst hatten das Bündnis gegen das Haus Habsburg zustandegebracht und den Krieg herbeigeführt, welcher den Kaiser und sei­ nen Bruder verhinderte, gegen die Türken etwas zu unter­ nehmen. In Deutschland aber waren damals die heftigsten politischen Gegner des Kaisers und seines Bruders vielmehr katholische Stände, wie vor allem die Herzoge von Bayern, welche auch mit dem durch den türkischen Sultan begün­ stigten Feinde Ferdinands in Ungarn Johann Zapolja in be­ ständiger Verbindung standen! Ungerecht war es auch, für die Unruhen der letzten Jahre, wie die des Bauernkriegs, auf welchen die Vorlage besonders hinwies, die Reformations­ bewegung verantwortlich zu machen. Der Bauernstand war vielmehr die Folge der ungerechten Bedrückung und Aus­ beutung des Bauernstandes durch ihre Herren, ganz beson­ ders aber durch ihre geistlichen Herrschaften! Zu dieser Vorlage hatten nun die Reichsstände Stel­ lung zu nehmen. Vor allem interessiert uns da, wie Nürn­ berg sich auf dem Reichstag gehalten hat. Dieses hatte zu­ nächst den Ratsherrn Christoph Tetzel, den bewährten Ver10

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treter im Reichsregiment, nach Speyer entsandt und ihm den Syndikus Michael von Kadan als Berater und Schreiber bei­ gegeben 4). Tetzel war der erste Abgeordnete, der in Speyer eintraf. Am 9. März entschloß sich dann der Rat, diese Ge­ sandtschaft noch durch zwei weitere der bewährtesten Rats­ freunde Christoph Kreß und Bernhard Baumgärtner zu ver­ stärken 5). Nach der Bekanntgabe der Vorlage verschafften sich die Nürnberger Gesandten eine Abschrift derselben und übersandten sie dem Rat, welcher seine Juristen, wie seine Theologen beauftragte,, ihm ihr Gutachten darüber zu er­ statten, was zu tun sei, falls die Ausführung dieser Vorlage und ihrer Anordnungen versucht werden sollte. Insbeson­ dere lag dem Rat daran zu hören, ob es möglich sei, eine Vermittelung zwischen den sehr verschiedenen Standpunk­ ten zu finden 6). Die beiden selbständigen Gutachten, welche dem Rat daraufhin erstattet wurden, waren ein klares, entschie­ denes Zeugnis für das Evangelium. Die Juristen erklär­ ten, man dürfe sich durch nichts, auch durch keine Ge­ walt, von Gottes Wort abdrängen lassen. Es wäre auch verlorene Mühe, zwischen dem Evangelium und dem Papst Mittelwege zu suchen, denn beide seien „widerwärtige Her­ ren“, denen man unmöglich zugleich dienen könne. Jeden­ falls würden auch die Bischöfe von Mittelwegen nichts wis­ sen wollen. Würden sie auch vielleicht da und dort kleine Zugeständnisse machen, so würden sie doch auf den wesent­ lichen Punkten unbedingt bestehen, welche den Evangeli­ schen unerträglich wären,, z. B. die Erhaltung der Seelen­ messen, das Verbot des Laienkelchs, der Priestercölibat, der römische Bann u. dgl. Es ist auch unbillig, über eine strei­ tige Frage zu entscheiden, bevor sie erörtert ist. Daß aber die vorliegenden Fragen streitig sind, haben, die Gegner dadurch anerkannt, daß sie die Berufung eines Konzils für nötig erklärten. Sollte die Mehrheit der Stände trotz alle­ dem einen den Evangelischen beschwerlichen Beschluß fas­ sen, dann müßten die vereinigten evangelischen Fürsten und Stände- ihre Zustimmung zu demselben verweigern und

147 dagegen protestieren und appellieren an den besser zu in­ formierenden Kaiser und an ein Konzil, vor welches die Sache allein gehöre, oder an jeden sonstigen gerechten Rich­ ter. Sollten die übrigen Stände, vor allem Sachsen, Hessen, Brandenburg und etliche ansehnliche Städte für eine Pro­ testation nicht zu gewinnen sein, so müßte man sich damit begnügen, den Abschied nicht zu bewilligen und zu siegeln. Heftiger und zorniger als auf dem Reichstag zu Worms kann man jetzt auch nicht gegen die Evangelischen Vor­ gehen, und doch ist damals durch die Gegner nichts erreicht worden! 7) Ebenso erfreulich ist das Gutachten der Theologen. Diese gründeten das ihrige vor allem auf die Schrift, kamen aber ganz zu dem gleichen Schluß, nämlich „daß man sich durch keine Furcht, Drohung oder Gefahr von dem gött­ lichen Wort dürfe abwenden lassen“. ,,Fürchten wir des Kaisers Acht, so sollen wir doch Gottes Bann mehr fürch­ ten. Darum wollen wir es auf sein heiliges Wort fröhlich wagen, obgleich alles über uns regnen sollte, was die Feinde des göttlichen Wortes nur gedenken könnten.“ Wer dem Wort Gottes glaubt, braucht nicht zu sorgen. Gottes Wort befiehlt Gehorsam gegen die Obrigkeit, spricht aber jeden vom Gehorsam frei, wo die Obrigkeit gegen Gottes Wort ge­ bietet. Würde der Rat befehlen, von Gottes Wort abzufal­ len, so könnten die Untertanen diesen Befehl verachten; der Rat aber hätte die Verantwortung zu tragen. Mit großem Nachdruck forderten die Prediger Gewis­ sensfreiheit, aber nicht nur für die Obrigkeit, sondern auch für die Untertanen. Zur Verständigung gibt es nur einen Weg: Die Unterweisung durch Gottes Wort. Niemand darf gezwungen werden, eine Lehre anzunehmen gegen sein Ge­ wissen. Sollte bis zu einem Konzil eine einstweilige Ord­ nung in der Glaubensfrage aufgerichtet werden, dann wäre die Bedingung zu stellen, daß man uns nicht zwinge, etwas abzutun, was Christus und seine Apostel mit Wort und Werk zu tun und zu halten geboten haben, und daß sie uns nicht zwingen, etwas zu tun oder aufzurichten, was Chri­ stus und seine Apostel verboten haben. Gehen sie auf diese 10*

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Bedingung ein, dann werden sie wahrlich zu schaffen haben, eine ihnen genehme Ordnung aufzustellen, welche dem — von ihnen allerdings wenig gekannten — Worte Gottes entspricht. Verwerfen sie diese Bedingung, so machen sie vor aller Welt offenbar, daß sie selbst nicht Christen sind und andere nicht Christen bleiben lassen wollen8). Eine bessere Instruktion konnte der Rat seinen Ge­ sandten nicht erteilen, als er es tat, indem er diese beiden Gutachten ihnen zusandte mit dem Befehl, sich nach bestem Vermögen darnach zu richten und auch andere Herrschaf­ ten dahin zu bewegen. • Inzwischen war in Speyer von den Ständen ein Aus­ schuß gebildet worden, welcher aus 15 römisch Gesinnten, davon allein 8 Geistlichen, und 3 Evangelischen, bestand. Diese drei waren Kurfürst Johann von Sachsen, Jakob Sturm, Vertreter von Straßburg, und Christoph Tetzel von Nürnberg. In seiner ersten Sitzung vom 19. März war die­ ser Ausschuß darin einig, daß zuerst die Glaubensfrage zu behandeln sei, da vor einer Verständigung über diese Frage eine Beratung über die übrigen Punkte zu keinem Ziel füh­ ren könne. Auch darüber bestand Einmütigkeit, daß ein allgemeines Konzil das einzige Mittel sei, um die Glaubens­ frage wirklich zu lösen. Bei der Frage aber, wie es bis zum Zustandekommen eines solchen zu halten sei, gingen die Meinungen auseinander. Man überließ es daher einem Un­ terausschuß von 4 Personen, den Kanzlern von Mainz, Kur­ sachsen, Salzburg und Bayern, eine entsprechende Verhand­ lungsgrundlage zu schaffen. Der am 22. März von diesen abgelieferte Entwurf enthielt vor allem die Forderung, daß spätestens in einem Jahr ein Konzil in eine deutsche Stadt (Metz, oder Mainz, oder Köln, oder Straßburg) auszuschrei­ ben sei. Damit der Reichstagsabschied von 1526 nicht wei­ terhin mißverstanden und als Vorwand zu neuen Lehren ge­ braucht werden könne, sollten diejenigen Stände, welche beim ,,alten Glauben“ geblieben seien, auch ferner dabei bleiben; bei denjenigen aber, bei denen ,,die neuen Lehren“ eingerissen und ohne Aufruhrgefahr nicht beseitigt werden könnten, sollten weitere Neuerungen bis zum Konzil unter-

149 lassen werden. Die römische Messe zu beseitigen und die gegen das Sakrament gerichteten Lehren anzunehmen, sollte verboten werden. Gegen die Wiedertäufer sollte ein Man­ dat erlassen werden, welches für Uebertreter die Todesstrafe festsetzt, den Widerrufenden aber eine Milderung der Strafe in Aussicht stelle. Die Prediger seien anzuhalten, alles zu vermeiden, was den gemeinen Mann wider die Obrigkeit erregen oder die Christen in Irrtum führen könne. Sie sol­ len das Evangelium allein nach der Auslegung der von der Kirche approbierten Schriften lehren, disputierlicher Lehre sich aber enthalten. Alles Gedruckte und zum Verkauf Angebotene sei von Sachverständigen zu prüfen, und was zu beanstanden sei, vom Druck auszuschließen. Endlich verbietet der Kaiser jedem Stand, bis zum Konzil einen an­ dern Stand des Glaubens halber mit Entsetzung oder Ent­ wehrung der Obrigkeit und Güter irgendwie tätlich zu ver­ gewaltigen. Zuwiderhandelnde verfallen der Reichsacht, doch nicht ohne vorhergehende ausdrückliche Erklärung9). War damit die Vorlage in einigen Punkten gemildert, so war sie doch für die Evangelischen noch immer bedroh­ lich genug. Aus den „altgläubigen“ Gebieten sollte jegliche Reformation ein für allemal ausgeschlossen sein; in den evangelischen Gebieten sollte sie zum völligen Stillstand ge­ bracht werden. Dieser Entwurf wurde nun im großen Ausschuß am 22. und 23. März durchberaten. Kurfürst Johann und die beiden Städtevertreter bemühten sich durchzusetzen, daß es bei dem Abschied von 1526 bleibe, aber vergeblich. Schließ­ lich waren sie bereit, über die Auslegung jenes Abschieds zu verhandeln; aber auch das wurde abgelehnt. Der Kur­ fürst hatte betont, daß, solange das Wormser Edikt in Gel­ tung sei, kein Friede bestehen könne. Die Städte erklär­ ten, daß es ihnen unmöglich sei, die ihnen im Entwurf zu­ gemuteten Forderungen bei ihren Gemeinden durchzusetzen. Trotzdem nahm die Mehrheit den Entwurf als Verhand­ lungsgrundlage an. Eine Abschrift des Beschlusses, um welche die Vertreter der Evangelischen baten, wurde ver­ weigert10).

Diese Verhandlungen benützten die Römischen auch zu einem Versuch, in die Geschlossenheit der Evangelischen einen Keil zu treiben, indem sie die Städte, welche den An­ schauungen Zwinglis zuneigten, von den lutherischen Für­ sten und Städten zu trennen suchten. Dazu sollte die ver­ schiedene Stellungnahme einzelner Städte zum heiligen Abendmahl dienen. Eck hatte deshalb den Landgrafen auf­ gesucht. Aber die Gesandten Straßburgs baten den Kur­ fürsten und den Landgrafen, sich nicht von ihnen trennen zu lassen. Beide Fürsten wollten das auch nicht X1). Aber unter den Städten selbst kam es in diesen Tagen zu einer Scheidung. Schon in einer Städteversammlung am 20. März, in welcher die beiden Städtevertreter im großen Aus­ schuß beauftragt wurden, dafür einzutreten, daß der Ab­ schied von 1526 bis zu einem Konzil in Kraft bleiben solle, hatte eine kleine Gruppe von Städten: Ueberlingen, Ravens­ burg, Rottweil und Kaufbeuren erklärt, jener Abschied sei in der Tat falsch verstanden worden, sie hielten eine Er­ klärung desselben für nötig. Dagegen war der Nürnberger Syndikus aufgetreten und hatte erklärt, er handle im In­ teresse aller Städte, wenn er den Standpunkt jener Städte­ gruppe bekämpfe. Es sei bekannt, daß die Gegner die Städte untereinander zu trennen suchten. Da säßen Städteboten, die dem Papst geben, was sie haben, und die den Teufel vor Gott setzten. Es wäre gut, wenn jeder seine Instruk­ tion vorlegte! Die so von Kadan Angesprochenen saßen wohl alle mit roten Köpfen da, aber keiner von ihnen gab eine Antwort12). Dieser Gruppe bedienten sich nun die Gegner, vor allem die Geistlichen und der kaiserliche Vizekanzler Propst von Waldkirch, um auf einen weiteren Kreis von Reichs­ städten Einfluß zu gewinnen und die Spaltung unter den­ selben zur Tatsache zu machen. Nachdem die Nürnberger Gutachten zur Vorlage in Speyer eingetroffen und dem Kurfürsten und Landgrafen bekannt geworden waren, beriefen letztere die bedeutenderen evangelischen Städte zu sich, um sich mit ihnen über die Lage zu beraten. Erfreulicherweise konnte dabei fest-

gestellt werden, daß die Vorschläge Nürnbergs und Straßburgs im wesentlichen mit dem Gutachten übereinstimmten, welches inzwischen die sächsischen und hessischen Räte zu den Beschlüssen des großen Ausschusses ihren Herren er­ stattet hatten. Am i. April finden wir Nürnberg, Straß­ burg, Augsburg und Ulm bei einer Aussprache, an welcher die sächsischen und hessischen Räte, der Gesandte des Her­ zogs von Jülich, der Gesandte von Lüneburg und die Ver­ treter des Markgrafen von Brandenburg beteiligt waren. Das Gutachten der sächsischen und hessischen Räte wurde verlesen. Es gipfelte Jn dem Antrag, den Beschluß des Aus­ schusses abzulehnen, da dieser die völlige Unterdrückung der Reformation zur Folge haben müßte, weil er das Worm­ ser Edikt wieder in Kraft setze und die Jurisdiktion der Bischöfe wiederherstelle. Es wurde auch festgestellt, daß die Vorlage des Statthalters nicht die kaiserliche sein könne, weil dieselbe mit dem kaiserlichen Ausschreiben zum Reichs­ tag im Widerspruch stehe. Bestünden die Gegner trotzdem auf dem Ausschußbeschluß, dann müßte man sich an den Kaiser selbst wenden und eine gemeinsame Protestation überreichen und dieselbe auch in die Oeffentlichkeit brin­ gen 13). Die Nürnberger und Straßburger Gesandten stimmten dem unbedingt zu. Augsburg und Ulm freilich meinten, so schroff dürfe man die Anträge des Ausschusses doch nicht abweisen. Der Kanzler von Jülich aber machte gel­ tend, daß seine Instruktion ihn anweise, der Mehrheit zu folgen 14). Am gleichen Tage, an welchem diese Aussprache statt­ fand, schrieb der Nürnberger Rat seinen Gesandten, sie möchten zum mindesten versuchen, eine Bestimmung in den Abschied zu bringen, aufgrund deren die evangelischen Stände bis zur Entscheidung durch ein Konzil nicht ge­ zwungen werden sollten, von den bei ihnen 'durchgeführten Reformen auf kirchlichem Gebiet wieder etwas abzustellen. Wäre das nicht zu erreichen, dann müßte Nürnberg vom Schwäbischen Bund beschwerliche Verurteilungen und Exe­ kutionen befürchten. In diesem Fall wäre man gezwungen,

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in einen solchen beschwerlichen Abschied nicht zu willigen, sondern dagegen zu protestieren und zu appellieren, wie man bereits wiederholt erklärt habe 1B). Viel Hoffnung, daß das gelinge, hatte der Rat schon jetzt nicht mehr. Nach einer Mitteilung Christoph Tetzeis an die Herren Eltern waren „die Pfaffen“ bereits fest ent­ schlossen, alles aufzubieten, um „alle ihre gottlosen Miß­ bräuche und Vorteile“ wieder aufrichten zu können. Darum wies der Rat auch am 2. April nocheinmal seine Gesandten an, wenigstens die am Tag zuvor genannte Bestimmung in den Abschied zu bringen. Sei das nicht möglich, dann bleibe nur die Protestation und Appellation übrig. Dabei sollten sie den Gegnern ernstlich zu Gemüt führen, daß sie durch ihr rücksichtsloses Vorgehen das, was sie zu vermei­ den suchten, erst recht herbeiführen würden, nämlich Frie­ den und Eintracht zerstören und einen ganzen Aufruhr er­ wecken und dazu auch alle Türkenhilfe verhindern. Ein letztes Mittel sah der Nürnberger Rat noch darin, daß man den Kaiser zum stattlichsten unterrichte und in einem all­ gemeinen Ausschreiben ins Reich und an andere Nationen ihr Erbieten zu einem freien, christlichen Konzil, und was sie sonst leiden mögen, bekannt gebe und darauf hin weise, daß die Gegner das Licht der Wahrheit scheuen. Nürnberg aber sei fest entschlossen, von Gottes Wort nicht zu wei­ chen, Sollten jedoch die Gegner ihre Praktiken trotzdem durchführen, so will man auch darin einen Weg Gottes sehen, auf dem er sein Werk hinausführt16). Um eine möglichst große Anzahl für seine Politik zu gewinnen, berief der Statthalter am 3. April zunächst die­ jenigen Städte der rheinischen Bank zu sich, welche bisher von der Reformätion noch wenig berührt geblieben waren, nämlich Köln, Aachen, Metz, Hagenau, Kolmar, Schlettstadt, Offenburg und Speyer, und ließ ihnen in Gegenwart der kaiserlichen Kommissäre durch den Pfalzgrafen Fried­ rich seine Anerkennung dafür aussprechen, daß sie bisher „beim christlichen Glauben“ geblieben seien und das Worm36r Edikt befolgt hätten. Sodann ließ er sie ermahnen, auch ferner dabei zu bleiben und keine Neuerungen einzuführen.

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Der Gesandte von Metz sagte das im Namen der andern zu. Im gleichen Sinn wurde am folgenden Morgen mit den bis­ her beim „alten Glauben“ gebliebenen Städten der schwä­ bischen Bank: Eßlingen, Rottweil, Ueberlingen, Ravens­ burg, Kaufbeuren, Schwäbisch-Gmünd und Weil gehandelt. Durch den Bürgermeister von Eßlingen erfolgte darauf die gleiche Zusage. Zuletzt kamen die „ungehorsamen“ Städte der beiden Bänke an die Reihe: Straßburg, Frankfurt, Goslar, Nord­ hausen, Wimpfen, Nürnberg, Augsburg, Ulm, Nördlingen, Rothenburg, Reutlingen, Memmingen, Heilbronn, Konstanz, Lindau, Kempten, Schwäbisch-Hall, Worms, Dinkelsbühl, Schweinfurt, Windsheim, Aalen, Bopfingen und Buchhorn. Hier schlug der Pfalzgraf einen anderen Ton an. Er erin­ nerte sie an die „kaiserliche“ Vorlage zu diesem Reichstag und deren Forderungen, wie an den Beschluß des Aus­ schusses und an die bisherigen Edikte und Mandate des Kaisers. Im Gegensatz zu allen diesen Geboten und Ver­ boten hätten aber diese Städte eigenen Willens und Vor­ nehmens viele Neuerungen im Glauben eingeführt und sich neuer Lehren unterfangen, woraus dann Aufruhr und Em­ pörung entstanden sei. Im Namen des Kaisers begehrten nun der König und die kaiserlichen Kommissäre von ihnen allen, davon abzustehen und keine Neuerungen mehr zu ma­ chen. Insbesondere erwarte der König, daß sie sich bei den jetzigen Verhandlungen also verhielten, daß ein einhelliger Beschluß zustande komme. Geschehe das nicht, so müßte der König die ungehorsamen Städte dem Kaiser anzeigen, was ihnen zu noch mehr Ungnade gereichen würde. Nach kurzer Beratung der Städte untereinander gab Jakob Sturm in aller Namen folgende Antwort: Die Städte wollen dem Kaiser in allen zeitlichen Dingen ebenso gehor­ sam sein, wie ihre Vorfahren. Bezüglich der ihnen zur Last gelegten Neuerungen erklären sie, was sie getan, haben sie aus Gewissensgründen getan. Weit entfernt, Aufruhr zu erregen, sollte es zum Frieden dienen und hat auch dazu gedient. Aufruhr hätte es bei ihnen dann gegeben, wenn sie die vielen Mißbräuche nicht abgetan hätten. In Glau-

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benssachen wollen sie nur dem heiligen Evangelium folgen. Dagegen sind sie bereit, alles zu fördern, was zu Frieden und Einigkeit dienen kann, so auch das Konzil, um dessen baldige Berufung sie bitten. Obwohl ein solches von allen Seiten gefordert wurde, ist bisher dafür nichts geschehen. Auch ihre Instruktion für diesen Reichstag lautet auf die Förderung des Friedens. In diesem Sinn wollen sie auch zu dem Beschluß des Ausschusses Stellung nehmen 17). Mit der Haltung seiner Gesandten bei den bisherigen Verhandlungen war der Nürnberger Rat ,,wohl zufrieden“, wie er in seinem Brief vom 6. April ausdrücklich versicherte. Er war bezüglich der Lage gut im Bilde und wußte, daß bei den Reichsständen vor allem gegen Nürnberg ,,viei heim­ licher und öffentlicher Praktika“ gemacht würden, von de­ nen man auch wolle, daß sie zum Teil an den Rat gelangen und ihm ,,den Hasen in den Busen jagen sollen“. Aber alle ihre Anschläge will er Gott befehlen und von dem Weg christlicher Wahrheit nicht weichen, es gehe, wie Gott will18). Die Bemühungen des Königs Ferdinand, die Städte auseinander zu bringen, hatten zunächst nur geringen Er­ folg. Als diese am 5. April zusammenkamen, um über die weiteren Schritte zu beraten, erklärten zwar einige Städte, wie Kolmar, Hagenau und Ueberlingen, sie wollten bei ihrer dem König gegebenen Zusage bleiben; aber es kam doch mit großer Mehrheit der Beschluß zustande, eine „Supplikation“ an die Stände zu richten, welche die Bitte enthielt, man möge die Städte bei dem Abschied von 1526 bleiben lassen. Sie begründeten dieselbe mit dem Hinweis auf den Zweck und die Aufgabe dieses Reichstags, Frieden zu schaffen und den Glaubenszwiespalt zu beseitigen. Das könne nur‘dadurch erreicht werden, daß keiner den andern zu seinem Glauben zwingen dürfe. Dieses Grundgesetz bestehe aufgrund des Speyerer Abschieds. Darum dürfe dieser nicht aufgehoben werden. Die eilende Türkenhilfe wollen die Stände gern bewilligen, wenn man ihnen im Glaubensartikel entgegenkommt19).

155 Nun war dieser Antrag der Städte den Ständen schon deshalb anstößig, weil ihnen die Supplikation ihrem Inhalt nach eigentlich soviel wie ein Gutachten der Städte zum Beschluß des Ausschusses erschien. Zu einem solchen Gut­ achten aber wollten die Fürsten den Städten kein Recht zu­ gestehen. Ferner hatten die Städte verlangt, daß sowohl zur Beratung des Ausschußbedenkens, als auch ihrer Supplika­ tion zwei Städtevertreter zugezogen würden, womit diesen ein Stimmrecht eingeräumt worden wäre. So war die Aus­ sicht auf einen Erfolg der Städte sehr gering. Nachdem am 6. und 7. April die Kurfürsten wie die Fürsten in gesonderten Sitzungen beraten hatten, wobei sich herausgestellt hatte, daß die Mehrheit der Stände für die Annahme des Ausschußbedenkens war, trat man zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen. Hier schlug der Kurfürst von der Pfalz eine Bestimmung vor, daß niemand gezwungen werde, die Messe zu hören, und daß der Artikel bezüglich der Erhaltung von Obrigkeit und Herkommen nicht auf die alten Mißbräuche zu beziehen sei. In der Aus­ schußsitzung vom 9. April wurde dieser Vorschlag insoweit berücksichtigt, als beschlossen wurde, ,,daß niemandem an den Orten, da die neue Lehre überhand genommen, die Messe zu hören verboten, verhindert, noch dazu oder davon gedrungen werde“. Anstelle des Vorschlags bezüglich ,,Obrigkeit und Herkommen“ wurde bestimmt: „daß keiner von geistlichem und weltlichem Stand den andern Glaubens halber vergewaltigen, dringen oder überziehen, noch auch seiner Renten, Zins, Zehnten oder Güter entwehren, des­ gleichen auch, daß keiner des andern Untertanen des Glau­ bens halb in besonderen Schutz wider ihre Obrigkeit neh­ men solle, alles bei Strafe des zu Worms aufgerichteten Landfriedens“. Vergebens erklärten der Kurfürst von Sachsen und die beiden Städtevertreter im Ausschuß, daß sie dem nicht zu­ stimmen könnten und daß sie bei dem vorigen Abschied blei­ ben wollten. Dagegen wären sie bereit, in eine Auslegung dieses Abschieds zu willigen, welche den wesentlichen In­ halt desselben nicht beeinträchtige. Aber alle ihre Bemühun-

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gen blieben erfolglos. Die Mehrheit blieb bei ihren Be­ schlüssen 20). In der Ständesitzung vom io. April erhielten vor allem die Reichsstädte eine scharfe, durch den Pfalzgrafen Fried­ rich im Namen des Königs erteilte Zurechtweisung wegen der von ihnen eingereichten Supplikation, welche gegen das Herkommen und die Ordnung sei. Ihr Wortführer, der Straßburger Jakob Sturm, bemerkte jedoch, daß ihre Ein­ gabe keine Neuerung sei und daß die Städte sich’s nicht nehmen ließen, auf dem Reichstag, zu dem sie sogut wie die andern vom Kaiser berufen seien, ihre Wünsche und Be­ schwerden anzubringen. Sodann wurden die an dem Ausschußbedenken von der Mehrheit vorgenommenen Aenderungen mitgeteilt und dazu bemerkt, daß in einer weiteren Sitzung endgültig darüber zu beschließen sei. Sofort erhob sich der Kanzler von Sachsen, um im Auftrag und in Gegenwart seines Kur­ fürsten unter Bezugnahme auf seine bereits im Ausschuß abgegebenen Erklärungen gegen die etwaige Annahme die­ ser Anträge zu protestieren, da der Kurfürst nicht gewillt sei, von dem vorigen Speyerer Abschied zurückzutreten. Am 12. April fiel die Entscheidung. Hier gaben zu­ nächst die beiden fürstlichen Kollegien ihre Zustimmung zu dem Ausschußgutachten in der Fassung vom io. April. Darauf wurden durch den Mainzischen Kanzler die Vertre­ ter der Reichsstädte in den Saal gerufen und ihnen der Mehrheitsbeschluß der fürstlichen Stände zur Kenntnis ge­ bracht. Im Anschluß daran, teilte der Hofmeister des Kur­ fürsten zu Sachsen den Städtegesandten mit, daß sein Kur­ fürst, der Markgraf Georg von Brandenburg, der Landgraf Philipp von Hessen, der Fürst von Anhalt, die Gesandten des Herzogs von Lüneburg und des Bischofs von Paderborn und Osnabrück, endlich Graf Georg von Wertheim für sich und einige andere Grafen jenem Beschluß nicht zugestimmt hätten!

Die Städtegesandten baten darauf zur nochmaligen Verständigung um einen kurzen Bedacht. Aufgrund eines rasch gefaßten Beschlusses bat Jakob Sturm im Namen

aller Reichsstädte, die Stände möchten nochmals ein gnä­ diges Einsehen haben und es aus den in ihrer Supplikation vorgetragenen Gründen bei dem vorigen Speyerer Abschied bleiben lassen. Würden die Stände auf ihrem Beschluß beharren, dann würden viele Städte um ihres Gewissens willen sich in denselben nicht fügen können. In allen andern Dingen, die nicht den Glauben und die Seligkeit belangen, wollten sie dem Kaiser allen schuldigen Gehorsam leisten und alles fördern, was zu zeitlichem Frieden, Ruhe und Einigkeit im Reich dienlich wäre 21). Aber während Sturm noch sprach, trat der Gesandte von Rottweil Konrad Mock zu den katholischen Ständen und erklärte, es seien auch viele Städte vorhanden, deren Meinung es nicht sei, jene von Sturm ausgesprochene Bitte auch für sich zu stellen. Damit war die Trennung der Städte endgültig Tatsache geworden. Denn als nun der Kanzler von Mainz die Forderung seilte, die Städte sollten ihre Erklärung abgeben, ob die den Beschluß annähmen oder nicht, antwortete eine Anzahl mit Ja, andere zögerten mit ihrer Antwort. Folgende erklärten, daß sie denselben nicht annehmen könnten: Straßburg, Nürnberg, Ulm, Kon­ stanz, Memmingen, Lindau, Reutlingen, Heilbronn, Kemp­ ten, Isny, Windsheim, Weißenburg, St. Gallen, Frankfurt, Goslar, Schwäbisch-Hall. Die sofort ihre Zustimmung ge­ geben hatten, waren: Hagenau, Colmar, Mühlhausen, Ueberlingen, Ravensburg, Rottweil, Kaufbeuren, Eßlingen, Do­ nauwörth und Weil. Eine weitere Anzahl, die noch schwankte aber entsprechend bearbeitet wurde, wie Augs­ burg, Rothenburg, Dinkelsbühl erklärte nachträglich die An­ nahme. Regensburg hatte eine ausweichende Antwort ge­ geben, wurde aber zu den sich unterwerfenden Städten ge­ rechnet 22). Im Namen der evangelischen Fürsten verlas und über­ gab am 12. April der kursächsische Rat Hans von Mink­ witz nach der Abstimmung der Städte eine Erklärung, in welcher die Fürsten die Gründe darlegten, aus denen sie den Mehrheitsbeschluß ablehnen müßten. Unterzeichnet war diese Erklärung vom Kurfürsten Johann, dem Markgrafen

Georg, dem Landgrafen Philipp, dem Fürsten von Anhalt und dem Lüneburger Kanzler Förster. Am 13. April kam eine Deputation des großen Aus­ schusses zu den evangelischen Fürsten mit der Meldung, sie wollten nunmehr dem König den Mehrheitsbeschluß der Stände offiziell mitteilen und baten um Zustimmung, daß das auch mit der Erklärung der evangelischen Fürsten ge­ schehe. Diese bedauerten, daß man ihre Erklärung nicht zu Einigungsverhandlungen benützt habe; doch hätten sie nichts dagegen, daß dieselbe nun dem König übergeben werde, der sie vielleicht doch noch als zum Frieden dien­ lich ansehen und einen Weg zur Verständigung finden werde. Sollte das freilich nicht der Fall sein und ihr Ge­ wissen beschwert werden, dann würden sie sich zu weiteren Erklärungen gezwungen sehen. In dieser Antwort begeg­ nen wir der ersten offiziellen Ankündigung der Prote­ station ! Nachdem die Stände in den folgenden Tagen die Tür­ kenhilfe bewilligt hatten, beschloß der König, den Reichs­ tag zum Abschluß zu bringen. Er ließ den Ständen sagen, er wolle ihnen seine Antwort auf alle ihre Beschlüsse ertei­ len. Damit stand man auch vor der letzten Entscheidung in der Glaubensfrage. Auf diese galt es sich zu rüsten. Auf ihre Beschwerden hatten die evangelischen Fürsten kei­ nerlei Bescheid erhalten, obgleich sie wiederholt darum ge­ beten hatten. Sie mußten also damit rechnen, daß diese ihre Beschwerden keine Berücksichtigung finden würden und der Mehrheitsbeschluß der Stände zum Reichsgesetz erhoben werde. Ja auch damit mußte gerechnet werden, daß die Gegner den Versuch machen würden, die evangelischen Stände mit Gewalt zur Annahme und Durchführung ihres Beschlusses zu bringen. Dagegen mußten entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Schon bald nach Ostern hatten die sächsischen und hes­ sischen Räte ein Bündnis der evangelischen Fürsten mit den Städten in Vorschlag gebracht. Am 8. April hatte der Land­ graf/ der den Bündnisgedanken mit großem Eifer vertrat, mit den Vertretern von Nürnberg, Straßburg 'und Ulm

159 darüber verhandelt und deren Zustimmung gefunden. Vor allem aber galt es, sich gegen drohende Gewaltmaßnahmen durch rechtlichen Schutz zu sichern. Ein solches Schutz­ mittel hatten die Nürnberger Gelehrten bereits in ihren Gutachten zur Reichstagsvorlage empfohlen: die Prote­ station und Appellation. Auch der Nürnberger Rat dachte daran, als er in einem Brief vom 27. März an den Mark­ grafen die Bitte aussprach, dieser möge so rechtzeitig nach Speyer kommen, daß er mit den anderen christlichen Stän­ den gegen einen beschwerlichen Beschluß protestieren und appellieren könne23). Dieser Gedanke begegnet uns in den Briefen des Rates an seine Gesandten immer wieder. Ja Nürnberg hatte sogar auch selbst eine Protestation vorberei­ tet und am 19. April sandte es auch sein bereitliegendes Material nach Speyer zu eventueller Benützung durch die Fürsten24). Die evangelischen Fürsten hatten sich, als sie am 12. April ihre Beschwerdeschrift übergeben hatten, der Erwar­ tung hingegeben, die Gegner würden dieselbe und die darin vorgebrachte Begründung in wohlwollende Erwägung zie­ hen, umsomehr als sich der Ausschuß erboten hatte, die Beschwerdeschrift auch dem Statthalter und den Kommis­ sären vorzutragen, und sich um eine Verständigung be­ mühen. Aber vonseiten des Ausschusses war nichts ge­ schehen. Als die evangelischen Fürsten an das ihnen ge­ gebene Versprechen erinnerten, erhielten sie die Antwort, man könne auf ihre Wünsche nicht eingehen. Durch dieses Verhalten der Gegner war man bei den evangelischen Stän­ den zu der Erkenntnis gekommen, daß die Notwendigkeit der Protestation schon bald eintreten werde. Darum ließ Kurfürst Johann durch Dr. Brück einen Entwurf für eine solche ausarbeiten. Da der König sich bis dahin über das Ausschußgutachten noch nicht geäußert hatte, war dieser Entwurf nur an die Mehrheit der Stände gerichtet. Er ging von den Beschwerden aus, durch welche sich die Evan­ gelischen bedrückt fühlten. Man habe eine Erklärung des angeblich falsch verstandenen Speyerer Abschieds erbeten und erwartet. Aber die Mehrheit habe eine solche ver-

i6o weigert und beharre auf ihrem Standpunkt. Darum müsse man jetzt die Beschwerde erneuern und um des Gewissens, wie um des Friedens willen, weil man sich durch die Mehr­ heit nicht zwingen lassen könne, den einhellig beschlosse­ nen Speyerer Abschied zu verlassen, gegen den jetzt gefaß­ ten Beschluß der Mehrheit protestieren und deren Vorhaben für „nichtig und unbündig“ erklären. Diese sehr maßvolle Fassung des Entwurfs war frei­ lich dem Markgrafen, der als Lehensmann Ferdinands in Schlesien von diesem sehr abhängig war und es mit diesem nicht ganz verderben .wollte, noch zu weitgehend. Er wünschte, daß man den Ständen die Beschwerden der Evan­ gelischen nocheinmal ausführlich vortrage und ihnen ver­ sichere, man hoffe, sich in allen anderen Punkten, sowohl im Artikel des Glaubens, als auch wegen der Türkenhilfe und der Unterhaltung der Reichsbehörden zu vergleichen. Darum legte der Markgraf einen von seinem Kanzler Vog­ ler gefertigten Protestationsentwurf vor, der noch viel mil­ der gefaßt war. Trotzdem wurde der Entwurf Brücks an­ genommen. War so der Markgraf ängstlich geworden, so ließ sich der Nürnberger Rat durch den Ernst der Lage keineswegs einschüchtern und drängte vielmehr zu entschiedenem Vor­ gehen. Herzerfrischend klingt, was dieser am 15. April seinen Gesandten schrieb: „Wir vernehmen aus euerem Schreiben, was die Pfaffen und ihre Anhänger in des Glau­ bens Sachen gesinnt sein. Nun haben wir und ihr desselben Haufen Praktika, Zusammenschicken und heimliche Kon­ spiration, so sie dieser Sachen halben vor dem Reichstag ge­ macht, gutermaßen gewußt und uns nit wohl eines andern versehen mögen; denn daß sie ihren Trutz würden beharren, wie sich dann itzo im Werk ereugt (= ereignet). Das müssen wir Gott befehlen, der schick nun über uns Sauers oder Süß. So wurdet doch nit unser Gelegenheit sein, von ihren wegen Gottes und seines heiligen Worts mit der Tat, wie sie uns dann zu müssigen gern unterstehen wollten, zu verleugnen. Müssen es auch im Namen des Allmächtigen darauf setzen, daß wir darum verfolgt und heimgesucht werden. Wir trö-



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sten uns aber hierin Gottes Hilf und Fürsehung nit wenig, wissen daß er noch lebt und ein Herr seiner Feinde ist. Wenn wir den unseres Teils haben, wie wir auch, wenn wir bei ihm beständig bleiben, gar nit zweifeln, so haben wir einen guten Hauptmann und Vorfechter. Den muß der Widerteil, wo er je daran will, zuvor auch fragen und mit seinem Willen, ob er woll oder nit, handeln. Daneben wol­ len wir alsdann das, so uns zu tun menschlich und möglich ist, fürzunehmen auch nit unterlassen und darauf Gott vertiauen“ 25). Herzerfrischend und mannhaft ist auch die Nachschrift, welche der Rat diesem Brief als Antwort auf einen inzwi­ schen eingelaufenen weiteren Bericht der Gesandten noch anfügte: „Wir können wohl bedenken, daß die Sachen zum höchsten und schärfsten stehen, und daß es ganz beschwer­ lich und sorglich ist, in dieser Sache den meisten Teil aller Stände wider sich zu haben. Aber ein jeder, der Vernunft hat und ein Christ sein will, muß ja bekennen, daß es weit fährlicher, schädlicher und nachteiliger ist, nit allein der Seelen, sondern auch in viel Wege, wie wir das bedenken, des Zeitlichen halber, Gott den Allmächtigen, von dem wir Seel, Leib, Ehre und Gut und alles auf Erden empfangen haben, zu verleugnen, und wider sich zu haben. Es gehe nun darob, wie es Gott ordnen und schicken mag, so wissen wir je von keines Menschen wegen abzuweichen. Darum können wir euch noch keinen andern Befehl zuschicken, denn daß ihr im Namen Gottes neben den andern christ­ lichen Ständen, wie wenig der auch seien, stehen und ihnen mit Appellation und anderem, so man für gut bedenken mag, anhangen wollt, guter Hoffnung, dieweil unser Gemüt ja allein auf das Heil unser und unsrer Untertanen Seelen, auch zu Gottes Ehr und gar nit auf unsern Nutz gericht ist, Gott werde uns auch als die Seinen wohl erhalten mögen. Dem müssen und wollen wir mit seiner Hilfe vertrauen!“ 26). Am 19. April schickte dann der Rat seinen Gesandten ein Schriftstück mit ,,allerlei Ursachen“ (= Gründen), wel­ che seine Juristen und Theologen „der künftigen Protesta­ tion halben“ bedacht hatten, welche aber wegen Kürze der

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Zeit nicht mehr in ein „Corpus“ (— eine rechtliche Urkunde) zusammenzuziehen möglich gewesen war, mit dem Auftrag, dasselbe dem sächsischen Kanzler, oder demjenigen, der die Protestation unter den Händen habe, zuzustellen, damit es für die letztere, wenn nötig, verwendet werden könne 27). Freilich kam dieser Beitrag Nürnbergs zu spät, da be­ reits am Tag der Absendung desselben die Protesation not­ wendig geworden war. An diesem denkwürdigen 19. April hatten sich auf des Königs Befehl alle Reichsstände und Städte auf dem Rat­ haus versammelt. Auch der König selbst war mit dem kaiserlichen Orator und den kaiserlichen Kommissären er­ schienen. Pfalzgraf Friedrich gab in deren Namen die Erklärung ab, daß Statthalter, Orator und Kommissäre die von den Ständen gebilligten Artikel des Glaubens angenom­ men hätten, obgleich dieselben ihren Wünschen und* Erwar­ tungen nicht entsprächen. Dabei kam der Berichterstatter auf die Vorlage zurück, die er aber jetzt vorsichtigerweise nicht als „kaiserliche Vorlage“, sondern als „Vortrag der Kommissäre im Namen kaiserlicher Majestät“ bezeichnete. An deren Maßstab — berichtete der Pfalzgraf weiter — habe man die Beschlüsse der Stände geprüft und Grund genug gefunden, damit unzufrieden zu sein. Immerhin glaube man, daß die Stände bei ihren Beschlüssen Zeit und Umstände berücksichtigt haben. Auch hoffe man jetzt, daß alle Beteiligten, besonders diejenigen, welche Gott und den Kaiser vor Augen haben, sich in diese Beschlüsse fügen und dieselben vollziehen würden. Jedenfalls würden diese Be­ schlüsse als Grundlage für den Abschied dieses Reichstags dienen. Von den Beschwerden, welche Sachsen, Brandenburg, Anhalt und Lüneburg gegen die bezüglich des Glaubens ge­ faßten Beschlüsse eingereicht hätten, habe man Kenntnis genommen und lasse sie auf ihrem Wert beruhen. Der Reichstag habe nach seinem Brauch und seinem Gewissen seine $£&ch(li\sse 5gefaßt. Die kaiserlichen Kommissäre hat­ ten die Beschlüsse im Namen des Kaisers bestätigt. Nun durften sie erwarten, daß der Kurfürst und die andern evan-r



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gelischen Fürsten den von der Mehrheit beschlossenen und im Namen des Kaisers genehmigten Abschied nicht weigern würden 28). Mit diesen Erklärungen des Pfalzgrafen war für die evangelischen Stände der Augenblick zum entscheidenden Handeln gekommen. Sie verließen den Sitzungssaal zu einer kurzen Beratung. Aber auch der König und die Kom­ missäre schickten sich an, den Saal zu verlassen. Als dies die Evangelischen bemerkten, ließen sie durch den Grafen von Mansfeld und den Kanzler Förster bitten, die Herren möch­ ten noch eine kurze Erklärung der evangelischen Stände anhören. Aber der König lehnte das, nichts Gutes ahnend, ab und entfernte sich mit den Kommissären. Nun verlasen die Evangelischen ihre Protestation nur vor den Ständen. An die Verlesung derselben fügten sie die Erklärung, daß sie es nicht mehr für nötig hielten, noch länger in Speyer zu bleiben, und verließen nun ebenfalls das Rathaus, nachdem sie die in aller Eile zu Papier gebrachte Protestation auch schriftlich übergeben hatten 29). In dieser Protestationsschrift erklärten die evangeli­ schen Fürsten unter Bezugnahme auf ihre Beschwerdeschrift vom 12. April, sie hätten geglaubt, die Gegner würden diesen ihren vorgetragenen Beschwerden Beachtung schen­ ken und zum mindesten den Vermittlungsvorschlag des Kurfürsten von Sachsen annehmen, nach welchem es den evangelischen Ständen ermöglicht worden wäre, bis zu einem Konzil sich nach dem letzten Speyerischen Reichs­ abschied zu halten, ohne weitere Neuerungen vorzunehmen. Darauf aber sei man überhaupt nicht eingegangen. Nicht einmal den angeblich mißverstandenen Abschied von 1526 habe man erklärt und richtig zu stellen versucht. Nun sei es aber den Evangelischen unmöglich, von dem einhellig beschlossenen vorigen Abschied zu weichen; darum seien sie gezwungen, gegen das „unbündige“ Vornehmen der Stände öffentlich zu protestieren. Sie seien bereit, in Sachen de£. Glaubens bis zu einem Konzil dem Speyerer Abschied so zu leben und zu regieren, wie sie es gegen Gott und den Kaiser zu verantworten sich getrauten, auch bezüglich des 11*

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Landfriedens, der geistlichen Renten und Güter, ebenso be­ züglich der Wiedertäufer und der Druckschriften. Sollte der jetzt zu stellende Abschied wie beabsichtigt verfaßt werden, so bitten die Evangelischen, man wolle ihre Prote­ station in diesen Abschied nach ihrem Wortlaut einverlei­ ben. Ihre Protestation wollten sie auch an den Kaiser ge­ langen lassen und sie auch öffentlich bekannt geben, damit jedermann wisse, warum sie den Abschied ablehnen müß­ ten. Sie hätten auch vor, diese ihre Protestation in einer besonderen Urkunde noch weiter auszuführen und, zu be­ gründen 30). Bevor die Evangelischen abtraten, hatte noch Jakob Sturm als Wortführer der sich beschwert fühlenden Reichs­ städte im Namen derselben gegen den Mehrheitsbeschluß förmlich protestiert und ihren Anschluß an die Protestation der Fürsten erklärt. Nachdem die Protestation in Abwesenheit des Statt­ halters und der kaiserlichen Kommissäre und nur vor den Reichsständen hatte geschehen können, und darum auch die­ sen als den Vertretern des Kaisers noch besonders über­ geben werden mußte, ließen die evangelischen Fürsten zu diesem Zweck noch am 19. April ein zweites Schriftstück ausarbeiten, welches unter der Ueberschrift: ,,Die Beschwe­ rung und Protestation anderweit zusammengezogen und Königlicher Durchlauchtigkeit, dem kaiserlichen Orator und Kommissarien zugestellt“ ebenfalls in das Appellations­ instrument aufgenommen wurde. Dieser erweiterten Pro­ testation wurde der oben erwähnte Entwurf, welchen Kanz­ ler Vogler im Auftrag des Markgrafen verfaßt hatte, zu­ grund gelegt 81). Am folgenden Tag, den 20. April, nachmittags 2 Uhr wurde diese Urkunde dem König und den Kommissären durch die Räte der evangelischen Fürsten überreicht. Nach der vorausgegangenen Behandlung durch den König hiel­ ten es die evangelischen Fürsten für nicht angebracht, das persönlich zu tun. Unterzeichnet war die Urkunde von dem Kurfürsten Johann, dem Markgrafen Georg, Herzog Ernst von Lüneburg, welch letzterer mit seinem Bruder Franz

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eben erst in Speyer angekommen war, dem Landgrafen Philipp zu Hessen und dem Fürsten Wolfgang von Anhalt. Der König nahm die Urkunde zwar in die Hand, wollte dieselbe aber den Räten sofort wieder zurückgeben. Diese weigerten sich jedoch, sie wieder zurückzunehmen. So schickte sie der König dem Kurfürsten in seine Herberge. Immerhin hatte die Protestation auf den König, wie überhaupt auf die Gegner einen starken Eindruck gemacht und so ganz wohl scheint ihnen nicht zumut gewesen zu sein. Noch am 20. April erschienen Herzog Heinrich von Braunschweig und Markgraf Philipp von Baden, welch letz­ terer schon immer viel Verständnis für den Standpunkt der Evangelischen bewiesen hatte und auch bei den Ausschuß­ verhandlungen wiederholt für Forderungen derselben ein­ getreten war, bei den evangelischen Fürsten, um noch einen letzten Versuch zu einer Verständigung zu unternehmen. Zwei Tage lang wurde zwischen beiden Teilen verhan­ delt. Zugegeben wurde, daß die Jurisdiktion der Bischöfe sich nur auf ihre weltlichen Untertanen erstrecken sollte, wo­ gegen die Evangelischen einwilligten, daß bis zu einem Kon­ zil keine weiteren Neuerungen vorgenommen und insbeson­ dere Sekten wie die Wiedertäufer und die im Sakrament irrten, nicht zugelassen würden. Die Verschiedenheiten der ,,Messe“, oder, wie die Evangelischen es verstanden, der Abendmahlsfeier, sollten beide Teile aneinander dulden. Auch Straßburg und andere oberländische Städte hatten zugestimmt. Für den Fall, daß auch alle katholischen Stände diesen Vereinbarungen zustimmten, waren die Evan­ gelischen bereit, den Abschied zu unterzeichnen. Aber nun schnitt Ferdinand die Verhandlungen dadurch ab, daß er am Abend des 21. April den evangelischen Für­ sten sagen ließ, er werde am folgenden Morgen mit dem kai­ serlichen Orator und den Kommissären bereit, auf dem Rat­ haus wegen der Protestation und desReichsabschieds mit den Evangelischen zu handeln, damit man nicht uneinig aus­ einandergehe. Denn bei den Gegnern dachte man nicht daran, den Evangelischen soweit entgegenzukommen, als die beiden Vermittler vorgeschlagen hatten. Das hatten

i66 diese inzwischen auch dem Kurfürsten zu Sachsen mit­ geteilt. So hatten denn weitere Verhandlungen für die evangelischen Fürsten keinen Sinn mehr und diese nahmen an der Sitzung vom 22. April nicht mehr teil 32). Dieselbe war auch tatsächlich nur dazu anberaumt, den bereits festgelegten Abschied durch die Stände unterschrei­ ben und siegeln zu lassen. Von großer Bedeutung war es, daß bei dieser Sitzung 14 evangelische Reichsstädte sich weigerten, den Abschied zu unterzeichnen, ihre Protesta­ tion vom 19. April erneuerten und jetzt auch, was an jenem Tag noch nicht geschehen war, einzeln ihre Namen kundgaben. Es waren die Städte: Nürnberg, Straßburg, Ulm, Konstanz, Lindau, Memmingen, Kempten, Nördlingen, Heil­ bronn, Reutlingen, Isny, St. Gallen, Weißenburg und Winds­ heim 33). Noch am 22. April versuchte König Ferdinand die evan­ gelischen Stände durch eine Gesandtschaft dahin zu brin­ gen, daß sie, wie es bisher stets üblich gewesen sei, ,,als der mindere Teil dem mehreren folgen“ und den Abschied annehmen möchten. Dabei ließ er ihnen auch mitteilen, daß er ihre Bitte um Einverleibung ihrer Protestation in den Abschied nicht habe erfüllen können, darum sollten sie auch die Veröffentlichung derselben unterlassen. Wollten sie aber des Glaubens und aller zeitlichen Handlung halben Frieden halten, so wollten auch Statthalter, Kommissarien und auch die übrigen Stände keinen Unfrieden deshalb vor­ nehmen in der Hoffnung, daß das zu erwartende Konzil doch noch alles zum guten Ende wende34). In durchaus freundlichem Ton versicherten die evan­ gelischen Fürsten, daß es ihnen aus Gründen, die sie schon wiederholt dargelegt hätten, unmöglich sei, sich dem Mehr­ heitsbeschluß zu unterwerfen. Wenn dadurch Zwiespalt unter den Ständen entstehe, so möge sich jeder in seinem Gewissen sagen, wer die Schuld daran trage. Die Evan­ gelischen wollten nur die Ehre Gottes und ihre Seligkeit suchen und tun, was ihnen ihr Gewissen gebiete. Auch sie wollten gern Frieden halten und dem Kaiser allen schul­ digen Gehorsam erzeigen. Schließlich baten sie moch um

eine schriftliche Antwort auf diese Erklärung35). Eine solche erhielten sie denn auch. In dieser erklärten der König und die Kommissarien, sie wollten sich nach dem Wormser Landfrieden und dem jetzigen Abschied halten; insbesondere wollten sie gegen die namentlich aufgezählten evangelischen Fürsten bis zum Konzil des Glaubens wegen mit der Tat nichts vornehmen; sie erwarteten aber, daß die Evangelischen sich auch gegen sie friedlich erzeigen und ihre Protestation nicht weiter ausbreiten würden 3Ö). In ihrer letzten schriftlichen Erklärung wiederholten die evangelischen Fürsten, daß sie nicht darauf verzichten könnten, ihre Protestation zu veröffentlichen. Auch sie erwarteten vom König und den Ständen, daß diese eben­ falls sich gegen die Evangelischen friedlich halten würden. Aufs neue verpflichteten sie sich zum Gehorsam gegen den Kaiser und zur Haltung des Landfriedens und besonders auch des Speyerer Abschieds von 1526 37). Der letzte Akt des Reichstags bestand darin, daß der von der Mehrheit beschlossene Abschied in die übliche Form des Rechts gebracht wurde. Der Protestation der evangelischen Fürsten und Stände war dabei mit keinem Wort gedacht worden. Darum hielten es letztere für not­ wendig, auch die von ihnen erhobene Protestation in eine rechtliche Form zu bringen. Zu diesem Zweck versammel­ ten sich am 25. April, dem Sonntag Cantate, die Räte des Kurfürsten zu Sachsen, des Markgrafen Georg von Bran­ denburg, der Herzoge Ernst und Franz von BraunschweigLüneburg, des Landgrafen Philipp von Hessen und des Fürsten Wolfgang von Anhalt in der Wohnung des Kap­ lans Peter Mutterstadt. Als Zeugen dienten: der Sekretär des Markgrafen Georg Alexius Frauentraut, der Kriegs­ schreiber des Nürnberger Rates Eucharius Ulrich; als No­ tare amtierten der kaiserliche Notar Leonhard Stettner und der Kammersekretär des Markgrafen Pankratius Salzmann. Zugegen waren ferner die Gesandten der Städte: Nürnberg, Straßburg, Ulm, Konstanz, Lindau, Isny, Memmingen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, St. Gallen, Weißenburg und Windsheim. Hier wurde eine 13 Perga-

168 mentblätter umfassende Urkunde aufgenommen darüber, daß die genannten Fürsten von den Verhandlungen des Reichstags und dem „vermeinten“ Abschied an den Kaiser und ein freies christliches Konzil appellierten. Die Ver­ treter der genannten Städte erklärten förmlich ihren An­ schluß an die Appellation. In diese Urkunde wurde auch eine von den Räten der Fürsten verfaßte und den Notaren zugestellte Appellationsschrift aufgenommen, welche über alle Vorgänge auf dem Reichstag ausführlich berichtete und alle in Betracht kommenden Aktenstücke in ihrem Wort­ laut wiedergab, vor allem die Beschwerde der evangelischen Fürsten vom 12. April, ferner den Bescheid, welchen der König und die Kommissäre am 19. April denselben erteilt hatten, die an diesem Tage übergebene, wie auch die er­ weiterte Protestation vom 20. April, endlich auch die am 22. und 24. April von den Räten des Königs an die Evan­ gelischen abgegebenen Erklärungen und die von letzteren darauf erteilten Antworten. Nun handelte sichs noch darum, dieses Appellations­ instrument in die Hände des Kaisers zu bringen. Zu die­ sem Zweck beschlossen die evangelischen Stände noch be­ vor sie auseinandergingen, eine eigene Gesandtschaft an den Kaiser zu schicken mit dem Auftrag, diesem das Appella­ tionsinstrument persönlich zu übergeben. Die Instruktion für diese Gesandtschaft, die Auswahl der Teilnehmer an der­ selben, wie alle noch nötigen Anweisungen sollten auf einem durch den Kurfürsten zu Sachsen zu berufenden Tag in Nürnberg vereinbart werden 38). Für die Evangelischen zählt die zu Speyer erfolgte Pro­ testation zu den wichtigsten und bedeutendsten Ereignissen der Geschichte ihrer Kirche. Es war das erste Mal, daß die um eine Reformation der Kirche ringenden deutschen Stände als eine in sich geschlossene Gemeinschaft vor die Welt traten und ihre kirchlichen Grundsätze gegenüber einer nicht weniger geschlossenen Mehrheit öffentlich ver­ traten und verteidigten. Wertvoll war es für sie, daß sie das tun konnten in dem Bewußtsein, dabei auf einem ge­ sicherten Rechtsboden zu stehen, nämlich auf dem Recht,

169 das ihnen der einmütig von den Reichsständen beschlossene und von den kaiserlichen Kommissären im Namen des Kai­ sers betätigte Abschied von 1526 gegeben hatte und von dem sie nicht weichen wollten. Noch wichtiger und wert­ voller war es aber, daß sie sich dabei auf die in der heiligen Sohrift geoffenbarte göttliche Wahrheit und ihr an dieser geschärftes Gewissen berufen und stützen konnten. All­ gemein ausgedrückt war es die Gewissensfreiheit, um die sie kämpften, und zwar für sich selbst, wie für diejenigen, die ihrem Schutz und ihrer Führung als Obrigkeiten befoh­ len waren, ja im letzten Grunde für die Welt. Einen sichtbaren Erfolg hatten die Evangelischen frei­ lich zunächst damit nicht. Der Kaiser dachte nicht daran, der an ihn gerichteten Appellation irgend eine Folge zu geben. Im Gegenteil forderte er, sobald er den Bericht sei­ nes Bruders über den Verlauf und das Resultat des Reichs­ tags erhalten hatte, in einem Schreiben vom 12. Juli in der schroffsten Form von den Evangelischen die Unterwerfung unter den Reichstagsabschied 39) Auch die Behandlung der im September 1529 zu Piacenza vor ihm erschienenen Ge­ sandtschaft der evangelischen Stände ließ diese deutlich ge­ nug spüren, wie sehr ihn die Protestation erzürnt hatte. Wohl hatte es König Ferdinand, der inzwischen recht be­ denklich geworden war, nicht gewagt, das schroffe Mandat des Kaisers an die evangelischen Stände weiter zu geben, aber die Gesandten hatten dasselbe in Lyon in die Hand bekommen und von dort aus nach Nürnberg an den Rat geschickt, sodaß derselbe von der Stimmung des Kaisers wohl unterrichtet war 40). Und doch zeigte es sich je länger je mehr, daß die Pro­ testation keineswegs wirkungslos geblieben war! Das fühlte nicht nur König Ferdinand, der den Gang der Dinge in der Nähe zu beobachten in der Lage war.' Auch einer der bedeutendsten Gegner der Reformation, der Kanzler Ferdinands und Bischof zu Trient, sprach am Anfang des Jahres 1530 ganz offen aus: „Von dem Tag der Abreise Sr. Majestät nach Spanien sind wir auf allen Reichstagen gewesen und können aus Erfahrung behaupten, daß von

jedem Reichstag ins Schlimmere gearbeitet worden ist, wie es die Protestationen, welche zuletzt zu Speyer gemacht worden sind, bezeugen“ 41). Auch Luther hatte bereits un­ mittelbar nach dem Abschluß des Speyerer Reichstags aus dem ihm von Melanchthon erstatteten Bericht den bestimm­ ten Eindruck erhalten, daß alle Bemühungen der Gegr^er, die Reformation zu unterdrücken, vergeblich geblieben seien und daß ,,die Christusfresser und Seelentyrannen ihren Zorn nicht hätten auslassen können“ 42). Zuletzt aber erwuchs, wenn auch erst nach vielen und schweren weiteren Kämpfen aus der Tat des 19. April 1529 eine gute und gesegnete Frucht und derselbe Kaiser, wel­ cher damals die in der Protestation geltend gemachten Grundsätze aufs schroffste bekämpft hatte, mußte dieselben schließlich im Augsburger Religionsfrieden selbst anerken­ nen und gutheißen, sodaß dieselben mit der Zeit in das öffentliche Recht der meisten christlichen Staaten übergehen konnten! Hoch erfreulich und vorbildlich war die Haltung des Nürnberger Rates in der ganzen Zeit und in allen Schwie­ rigkeiten dieses Reichstags. Aus allen Beschlüssen und Briefen des Rates, welche aus jenen Tagen auf uns gekom­ men sind, spricht zu uns eine Glaubenskraft und Glaubens­ freudigkeit, der wir auch heute noch, und heute erst recht, uns freuen dürfen. Es war ja der Ratsschreiber Lazarus Spengler, der diese Schriftstücke von Amts wegen zu ver­ fassen hatte; und es ist zunächst sein persönliches Glaubens­ leben, das aus ihnen zutage tritt. Aber wir dürfen gewiß sein, daß er darin auch die Gesinnung und Stimmung des Rates oder wenigstens der Mehrheit in demselben wieder­ gibt. So klingt schon aus der Niederschrift von jener feier­ lichen Ratssitzung vom 10. April 1529, die wohl wert ist, in ihrem Wortlaut angeführt zu werden, ein tiefer, würde­ voller Ernst und eine unbeugsame Entschlossenheit: „Ein Rat hat sich auf heut abermal samentlich und einhelliglich entschlossen, daß sie bei Gottes Wort beständiglich verhar­ ren und deshalb den christlichen Ständen itzo zu Speyer mit Protestation, Appellation und Provokation, was man für gut

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bedenken mag, anhangen wollen, wie dann dasselbig den Gesandten wieder des mehre geschrieben werden soll, daß ein Rat leiden möge, daß die Fürsten künftiger Einigung halb in des Evangeliums Sachen, auch von einer Botschaft zu kaiserlicher Majestät zu schicken und, wo not, Ausschrei­ ben zu tun, einen Tag ansetzen mögen“ 43). Dieselbe Entschiedenheit und dazu ein unerschütter­ liches Gottvertrauen tritt uns aus dem bereits oben (S. 197) mitgeteilten Brief des Rates vom 15. April und seiner prächtigen Nachschrift entgegen, wo der Rat seinen Ge­ sandten die letzte Instruktion für ihre Stellungnahme für die Stunde der Entscheidung erteilt. Hier haben wir ein Dokument, das ein unvergängliches Ehrenzeugnis für den damaligen Rat bedeutet! 44). Wohl gibt der Rat in diesem Briefe offen zu, daß es für ihn mit der Protestation neben den religiösen Gütern und Werten auch zeitliche zu schützen und zu sichern gilt, wozu er sich verpflichtet fühlt; aber im Vordergrund standen ihm doch die religiösen und sittlichen Werte! Wir haben auch einen Brief, welchen der Führer der Nürnberger Gesandt­ schaft in Speyer am Tag der Protestation an Christoph Fürer geschrieben hat, aus dem wir entnehmen müssen, daß es damals in Nürnberg auch Leute gegeben hat, die zwar den evangelischen Glauben mit hohen Worten priesen und verteidigten, aber aus Gründen, die Kreß nicht billigen konnte. Er schließt diesen Brief mit den Worten: ,,Gott gebe uns rechte und gleiche Erkenntnis und bewahre uns vor Eigennutz.“ Dennoch können auch solche Schatten­ züge das Bild nicht trüben, welches wir aus der Geschichte des Speyerer Reichstags von Nürnberg und seinen Führern gewonnen haben. Hatten diese in zielbewußter Arbeit seit dem Jahre 1524 ein auf Luthers Lehre gegründetes Kir­ chenwesen aufgerichtet, so kämpften sie zu Speyer in ein­ mütigem Zusammenstehen mit den evangelischen Ständen um die Anerkennung für dasselbe durch das Reich. Gewan­ nen sie diese auch vorerst nicht, so haben sie doch tapfer und unentwegt für ihre Ueberzeugung und die Erreichung

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des Zieles gekämpft und den Sieg damit angebahnt. Das ist das Große, das wir an unseren Vorfahren bewundern! 45) In der Voraussicht, daß König Ferdinand die Protest­ erklärung der Evangelischen auf keinen Fall dem Kaiser übermitteln werde, hatte der Nürnberger Rat schon am io. April, also noch vor erfolgter Protestation, den evangeli­ schen Ständen vorgeschlagen, einen Tag anzusetzen, auf welchem die Abordnung einer besonderen Botschaft an den Kaiser, wie auch über eine künftige ,,Einigung in des Evan­ geliums Sachen“, die man schon damals ins Auge gefaßt hatte, beraten und beschlossen werden konnte. Als dann der für die Evangelischen so ungünstige Reichstagsabschied zur Tatsache geworden war, berief der Kurfürst zu Sachsen die evangelischen Stände zu einem Tag auf den 24. Mai 1529 nach Nürnberg. Auf diesem Tag einigte man sich dann auch, eine Gesandtschaft an den Kaiser zu schicken, der um diese Zeit nach Italien zu reisen gedachte, um sich vom Papst, mit dem er inzwischen Frieden geschlossen hatte, krönen zu lassen. Für diese Gesandtschaft wurden bestimmt: der Nürnberger Syndikus Michael von Kadan, der Bürgermeister Johann Ehinger zu Memmingen und Alexius Frauentraut, Sekretär des Markgrafen von Bran­ denburg. Ehinger hatte man deshalb gewählt, weil ein Bru­ der desselben ein geschätzter Rat am kaiserlichen Hofe war, von dessen Einfluß man eine besondere Förderung des Zwecks der Gesandtschaft erhoffte. Die Instruktion für diese Gesandtschaft war von Speng­ ler verfaßt46). Die Kosten waren auf 3887 Gulden ver­ anschlagt, von denen 1463 Gulden durch die beteiligten Fürsten und 2424 Gulden durch die Städte aufgebracht werden sollten 47). Für ihre Audienz beim Kaiser erhielten sie einen ausgearbeiteten Vortrag mit, den sie dem Kaiser mündlich erstatten sollten. Könnten sie von diesem keine gnädige Abfertigung erlangen, so hatten sie den Befehl, zu erklären, daß ihre Herren zur Erfüllung aller ihrer Reichs­ pflichten bereit und willig seien, aber zur Sicherung ihres Glaubens die ihnen mitgegebene Appellation übergeben müßten48).

173 Mit 6 Pferden und 3 Dienern reisten die Gesandten am 14. Juli 1529 von Nürnberg ab. Mit einem französischen Geleitsbrief ritten sie über Lindau nach Lyon. Um ihnen für ihre Reise die Wege zu ebnen und sich zugleich die Möglichkeit zu sichern, mit den Gesandten durch brieflichen Verkehr in Verbindung zu bleiben, benützte der Rat die vielfachen Handels- und andere Beziehungen, in denen Nürnberg mit den wichtigsten von den Gesandten durch­ reisten Städten stand. So schickte der Rat die zahlreichen Aktenstücke, welche die Gesandten zur Ausrichtung ihres Auftrags benötigten, an den Rat nach Lindau voraus, sodaß diese ihr Gepäck erst von dort aus selbst zu befördern hatten, wofür ihnen der Rat zwei weitere Pferde mitgegeben hatte. In Lyon verstärkten sie ihre Reisekasse, indem sie bei der Geschäftsstelle der Tücher 500 Kronen auf ihren Kreditbrief erhoben. Von dem zu Lyon wohnenden Alexan­ der Imhof hörten sie, daß der Kaiser bereits auf dem Weg nach Genua sei. Auch einen Brief des Rates fanden sie hier vor. Letzterer hatte auch Vorsorge getroffen, daß er durch Vermittlung des Kaufhauses der Fortenbach zu Feldkirch, welches auch in Mailand und Genua Faktoreien unterhielt, in ständigem Briefverkehr mit den Gesandten blieb 49). In Genua kamen die Gesandten am 28. August an. Hier hörten sie, daß der Kaiser am Tag vorher dort eingetrof­ fen und von da nach Piacenza weiter gereist sei. Ehinger und Frauentraut ritten ihm nach, während sie Kadan in Genua zurücklassen mußten, da er am Fieber erkrankt war. Bei einem Deutschen, Ludwig Steudlein, fand dieser freund­ liche Aufnahme und Pflege. Auch einen Arzt besorgte ihm dieser. Ein junger Landsmann, der Sohn des uns bekannten Losungers Hieronymus Ebner, der sich damals in Genua aufhielt, nahm sich Kadans freundlich an. Ehinger und Frauentraut kamen am 4. September in Pia­ cenza an. Am 9. September wurden sie von dem kaiserlichen Großkanzler Merkurus, von dem Grafen Heinrich von Nas­ sau und den beiden kaiserlichen Sekretären Alexander Schweiß und Aloysius Waldez empfangen, denen sie ihre Credenz- und Förderungsbriefe überreichten und bei denen

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sie um Vermittlung einer Audienz beim Kaiser nachsuch­ ten. Der Empfang war sehr kühl und erweckte wenig Hoff­ nung. Besonders der Graf von Nassau und Alexander Schweiß, die dem Landgrafen von Hessen und den Nürnbergern wenig freundlich gesinnt waren, wollten nichts für sie tun. Nur Waldez und der kaiserliche Hofmeister Wil­ helm de Rollo versprachen gutwillige Förderung50). Am 12. September endlich wurden die Gesandten vom Kaiser empfangen. Doch hatte ihnen dieser vorher sagen lassen, sie sollten sich möglichst kurz fassen, da er nicht viel Zeit habe. Nachdem sie in Gegenwart des Markgrafen von Anesa, der beiden Bischöfe von Orsina und Polenta und des Sekretärs Alexander Schweiß dem Kaiser ihren Credenzbrief überreicht hatten, hielt Frauentraut den mündlichen Vortrag, in welchem er den bisherigen Verlauf der Ereig­ nisse in der kirchlichen Angelegenheit und die augenblick­ liche Lage der Dinge schilderte. Um dem Kaiser möglichst genauen Bericht zu geben, übergaben sie ihre besiegelte In­ struktion in lateinischer und französischer Uebersetzung, da­ mit der Kaiser, der die deutsche Sprache nicht beherrschte, sie lesen könne, dazu den gedruckten Reichstagsabschied von 1529, die Protestationsurkunde in Latein und Deutsch, das Schuldbekenntnis des Papstes Adrian von 1523 und endlich die Beschwerden gegen den römischen Stuhl, welche von den Reichsständen auf dem Reichstag 1523 erhoben worden waren. Darauf ließ ihnen der Kaiser antworten, er werde die übergebene Handlung im Rat ersehen und ihnen nach Ge­ bühr eine kaiserliche und gnädige Antwort geben51). Aber infolge der Erkrankung des Großkanzlers geschah in der Sache nichts. Wiederholt erhielten die Gesandten den Be­ scheid, man wolle sie gnädig abfertigen. Inzwischen war auch Kadan genesen nach Piacenza gekommen und sie be­ trieben ihre Sache gemeinsam, aber auch jetzt vergeblich. So erkannten sie, daß man sie hinziehen und ihnen keinen guten Bescheid geben wolle52). Sie waren jetzt überzeugt, daß die in ihrer Nebeninstruktion vorgesehene offizielle und persönliche Insinuation der zwar zu Speyer übergebenen,

175 aber von König Ferdinand nicht angenommenen Protesta­ tion und Appellation an den Kaiser persönlich notwendig werden würde. Das mußte durch einen besonderen Rechts­ akt geschehen, für welchen nunmehr die Gesandten vorsorg­ lich die nötigen Voraussetzungen schufen. Frauentraut suchte und fand in Piacenza einen Notar Johannes Boxhorn aus Brüssel. Durch diesen ließ er eine Urkunde fertigen, nach welcher er sich von der ihm übertragenen Gesandt­ schaft frei machte, um seinen beiden Mitgesandten als Notar bei der Errichtung der nötigen Insinuationsurkunde dienen zu können. Als Zeugen dienten ihm dabei der inzwischen aus Genua nach Piacenza gekommene junge Hieronymus Ebner, ein Johann Eseander und Arnim Costnitzer, sowie zwei Augsburger, Max Pfister und Christoph Pißinger 53). Endlich am 13. Oktober wurden die Gesandten in die Wohnung des kaiserlichen Sekretärs vorgeladen. Dieser übergab ihnen einen zuvor verlesenen vom 12. Oktober da­ tierten, vom Kaiser und dem Sekretär unterschriebenen Ab­ schied. Da wurde erklärt, der Kaiser habe mit Beschwerung vernommen, daß sich die evangelischen Stände wegen des Abschieds von Speyer von den übrigen Ständen getrennt hätten. Daraus würden nur Zerrüttung und Uebel ent­ stehen, die zu verhüten dem Kaiser gebühre. Er habe die Sache gründlich erwägen und beraten lassen. Nachdem der Abschied von Speyer durch eine große Mehrheit der Stände beschlossen wurde, hätten die evangelischen Stände zur Ver­ hütung weiterer Neuerungen und Sekten und zur Erhaltung von Frieden und Einigkeit dem Abschied billigerweise zu­ stimmen müssen. Die Mehrheit wolle mit ihrem Beschluß weder dem Gewissen der Minderheit, noch dem Evangelium zuwider handeln. Das von den Evangelischen geforderte Konzil sei unnötig, nachdem der Abschied einhellig von der Mehrheit beschlossen und dem Wormser Abschied, wie auch dem Edikt von Worms entspreche. Es sei auch altes Herkommen, daß die Minderheit dem Beschluß der Mehr­ heit sich zu fügen habe. Tun das die evangelischen Stände nicht, dann ist der Kaiser zur Erhaltung schuldigen Gehor­ sams gezwungen, mit ernstlichen Strafen gegen sie vor-

zugehen. Er erwarte von diesen umsomehr Gehorsam an­ gesichts der Türkengefahr, welche die ganze deutsche Na­ tion bedrohe, die aber ohne einmütiges Zusammenstehen nicht überwunden werden könne. Darum begehre der Kai­ ser zum Höchsten, daß die evangelischen Stände den Speyerer Abschied annehmen und keineswegs gegen denselben handeln und die Türkenhilfe leisten. Dafür wolle der Kaiser mit dem Papst handeln und beschließen, was nicht nur zur Abwehr der Türken, sondern auch zur Förderung und Meh­ rung der Ehre Gottes und des christlichen Glaubens, zur Ruhe und Wohlfahrt aller Reichsstände und der Christenheit diene 54). Nach der Verlesung und Uebergabe dieses kaiserlichen Abschieds war der Augenblick gekommen, in welchem die Gesandten mit ihrer vorbereiteten Rechtshandlung einsetzen mußten, durch welche sie die Absichten des Kaisers und seiner Ratgeber durchkreuzten. Um ihrer Bedeutung und Wirkung willen muß diese Handlung in ihrem vollen Um­ fang geschildert werden. Michael von Kadan erwiderte auf den erteilten Ab­ schied, wie folgt: ,,Hans Ehinger und ich, Michael von Kadan, als die Gesandten, haben itzo den schriftlichen Ab­ schied, so Ihr uns aus Befehl Ihrer Majestät eröffnet, an unsere Herren zu bringen, in aller Untertänigkeit vernom­ men, und hätten sich unsre Herren versehen, daß ihre wahr­ haftige Entschuldigung und gegründete dargetane Ursachen ihrer Protestation, wie sie mündlich und schriftlich an Ihrer Majestät selbst Person in Deutsch, Latein und Französisch fürgebracht, bei Ihrer Majestät Ansehen sollt gehabt, oder wenigstens nit geringer, als des Gegenteils Verunglimpfung sollt beherzigt sein, daß Ihre Majestät uns einen viel gnä­ digeren Abschied sollt geben haben. Unsere Herren trösten sich aber ihrer Unschuld und christlicher Wohlmeinung und deß, daß sie kaiserliche Majestät für einen löblichen, frummen und christlichen Kaiser erkennen, der sich mit der Zeit auch wird unterrichten lassen und der rechten Wahrheit zu­ fallen. Dieweil aber dieser Handel nit allein unsrer Herren Person, Land und Leut, sondern auch derselben Seele und

Gewissen belangt, also daß sie bei Verlierung ihrer Seelen Seligkeit allein auf dem stracken Befehl und Wort Gottes verharren und je gern Christen sein und bleiben wollen, so haben unsere Herren, noch mehr beschwerlicher Ver­ hinderung der Ehre Gottes, Unfried und Empörung im hei­ ligen Reich zu fürkommen, aus höchster bedränglicher Not und keinem Menschen zuwider, auch aus keinem Unwillen, von dem jüngsten der andern Reichsstände Beschluß und Abschied dieses Falls in Speyer appelliert, in Willen, die­ selbe Appellation zu seiner Zeit zu exsequiren, wie sich ge­ bührt und recht ist, wie solchs Ihr kaiserliche Majestät aus diesem Instrument, deutsch und lateinisch gnädig zu ver­ nehmen haben, welche Appellation wir also hiemit Eurer Erbarkeit anstatt der kaiserlichen Majestät mit Ueberantwortung derselben Appellationsakten, auch unsrer Gewalt (= Vollmacht) gleichlautend Copei aufs untertänigst in­ sinuiert, überantwort und angezeigt haben wollen, bittend, Ihrer Majestät daneben anzubringen und zu bitten, daß Ihr Majestät ohne Hinderung dieser insinuierten Appella­ tion allen und jeden, insonders and gemein zu unsern gnä­ digen Herren und den Städten nichts anderes, denn alles getreuen Gehorsams, Friedens, Untertänigkeit und Erbietens, wie in der Werbung beschehen, sich gänzlich und in allweg wohl versehen, daß auch ihre Herren und Städte hinfüro also leben, regieren und sich halten wollen, wie sie das gegen Gott und kaiserliche Majestät zu verantworten ge­ trauen/* Hierauf wandte sich Michael von Kadan an Alexius Frauentraut mit folgenden Worten: „Ueber solch Insinua­ tion von gedachter unsrer Herren wegen requirieren wir euch, Alexius Frauentraut als Notar, daß ihr uns ex officio ein oder mehr Instrument und Urkund machen, geben und zustellen wollt“ öö). Frauentraut antwortete, nachdem er sich vor wenig Ta­ gen der ihm übertragenen Gesandteneigenschaft entschlagen habe, könne er von Amtswegen nicht umgehen, dem Kur­ fürsten, den Fürsten und Städten als Principalen, oder ihnen, den Gesandten derselben, ein oder mehr Instrument und Ur12

i;8 künden, soviel sie deren bedürften, zu machen und auszuhän­ digen. Zugleich requirierte er dafür die dazu nötigen und vorsorglich beschafften Zeugen56). Damit war die der Gesandtschaft aufgetragene Aus­ händigung, oder, wie man es nannte, ,,Insinuation“ der Protestation und Appellation rechtsförmig vollzogen und damit auch rechtsgültig. Wohl erwiderte der kaiserliche Sekretär, dem das sehr peinlich war, ihm sei wohl vom Kai­ ser befohlen worden, den Gesandten den Abschied des Kai­ sers zu übergeben, aber die Appellation entgegenzunehmen, habe er keinen Befehl. Damit, daß er die Urkunde in die Hand genommen, wolle er sie nicht angenommen haben. Ueber diese Erklärung fordere auch er von Frauentraut eine Urkunde, welche ihm dieser auch zusagte. Die Gesandten nahmen jedoch die Appellation nicht zurück, sondern leg­ ten die Schriftstücke auf dem Tisch nieder. Wegen des ihnen übergebenen Abschieds erklärten sie, daß sie darüber keinen Zweifel hätten. Nachdem ihnen derselbe im Namen des Kaisers übergeben sei, wollten sie nach ihrer Instruktion damit handeln 57). Ueber alle diese Vorgänge nahm Frauentraut eine Nie­ derschrift auf, die mit den Worten schließt: ,,Geschehen sind diese Dinge zu Placentia in des vorgemelten Alexander Schweißen, Sekretärs, Herberg den 13. Oktober 1529 im Beisein von Georg Wittich, Cölnischen-, Jeronymus Ebners des Jüngern von Nürnberg, Bamberger-, Jörg Zenckel von Plankstetten, Eystetter-, und Wolf, Grafen von Schwaz, Brixener Bistums, als Gezeugen sonderlich dazu erfordert und gebeten“ 58). Daß der Kaiser, als er von dem kühnen Schritt der Ge­ sandten Kenntnis erhielt, denselben sehr übel nahm, ist ver-‘ ständlich. Die Gesandten bekamen das auch sofort zu füh­ len. Noqh am gleichen Tag, als diese nach Tisch in ihrer Herberge darüber berieten, welchen Weg sie zu ihrer Heim­ reise wählen sollten, kam um 3 Uhr nachmittags der kaiser­ liche Sekretär Alexander Schweiß mit einem Notar und Zeu­ gen vor ihre Herberge und fragte bei den Hausleuten nach den Gesandten, denen er einen kaiserlichen Befehl zu über-

179 bringen habe. Von Kadan vermutete sofort, daß der Sekre­ tär Unangenehmes bringe und forderte die Mitgesandten auf, mit ihm das Haus zu verlassen. Diese aber wollten bleiben, und so entfernte sich Kadan allein. Der Sekretär war darüber sehr ungehalten und erklärte warten zu wol­ len, bis Kadan zurückkomme. So saß man bis zum Abend schweigend beisammen; aber Kadan kam nicht. So mußte sich der Sekretär entschließen, seinen Auftrag nur den bei­ den Zurückgebliebenen auszurichten. Er wiederholte zunächst vor dem Notar und den Zeu­ gen seine bereits am Vormittag ausgesprochene Weigerung, die durch die Gesandten bei ihm zurückgelassene Appella­ tion der evangelischen Stände anzunehmen, wobei er Frauen­ traut ersuchte, wenn er über die erfolgte Insinuation eine notarielle Urkunde mache, möchte er in dieselbe die ganze Handlung einfügen, nämlich den Abschied des Kaisers und was er, der Sekretär, ihnen für seir.e Person als Antwort auf die Insinuation gegeben habe. Auch für seine soeben abgegebene Erklärung und die daran gefügte Bitte ersuchte er um eine urkundliche Bestätigung. Nun aber folgte das Strafurteil. Der Kaiser empfand es als eine schwere Kränkung, daß die protestierenden Stände ihm ihre Appellation hatten insinuieren lassen. Er ließ daher die Gesandten durch seinen Sekretär in ihrer Her­ berge „arrestieren“, indem er ihnen sagen ließ, sie dürften bei Verlust ihres Lebens und Eigentums ihre Wohnung nicht verlassen, auch weder ihre Diener, noch Briefe ab­ senden, bis auf weiteren Bescheid des Kaisers. Michael von Kadan, auf dessen Rückkehr der kaiser­ liche Sekretär bis Mitternacht vergeblich wartete, hatte einen sicheren Aufenthaltsort gefunden, an dem er durch seinen Diener über die weiteren Vorgänge in der Herberge Nachricht erhielt, und wo er ungehindert dem Nürnberger Rat Bericht erstatten konnte. Den Brief, durch den er dies tat, konnte er durch einen Boten, der ihm einen Geleitsbrief zur Heimreise der Gesandtschaft aus Venedig gebracht hatte, an den dort ansässigen Nürnberger Bürger Hans Füt12*



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terer zur sicheren Weitersendung an den Nürnberger Rat übermitteln. Ehinger und Frauentraut hatten Kadan unterdessen durch seinen Diener bitten lassen, nach der Benachrichtigung des Rates zu ihnen zurückzukehren, da sie fürchteten, sein Wegbleiben könnte ihnen allen noch große .Schwierigkeiten verursachen. Da es Kadan auch unmöglich schien, aus der Stadt zu entkommen und auf die Dauer sich vor den Hä­ schern des Kaisers verborgen zu halten, da überdies auch der Zweck seiner Flucht mit der Benachrichtigung des Rates erfüllt war, begab er sich morgens um 3 Uhr in die Her­ berge zurück, um die Gefangenschaft mit den andern zu teilen 59). Der Nürnberger Rat erhielt die Nachricht von der Ver­ haftung der Gesandten am 24. Oktober. Er gab dieselbe sofort an den Kurfürsten zu Sachsen, den Landgrafen von Hessen und den Markgrafen von Brandenburg weiter, wo­ bei er eine baldige Zusammenkunft aller evangelische» Stände vorschlug, um die nötigenSchritte zu beraten, welche gegen solche Vergewaltigung zu unternehmen wären. Der Rat war dabei der Meinung, man müßte vor allem bei der Türkenhilfe einsetzen, um welche zur Zeit sowohl der Kai­ ser als sein Bruder bei den Ständen sehr angelegentlich warben. Hier müßte den kaiserlichen und den königlichen Gesandten durch die evangelischen Stände eine einhellige Antwort gegeben werden 60). Am folgenden Tag, den 14. Oktober, ließen von Kadan und Ehinger durch Frauentraut als Notar eine Urkunde auf­ nehmen, durch welche sie im Namen ihrer Herren von den ihnen am 13. eröffneten kaiserlichen Dekret und Abschied an ein freies, gemeines, christliches Konzil appellierten 61). Dieser Rechtshandlung ließen sie am 15. Oktober ein Schrei­ ben an den Kaiser folgen, in welchem sie unter Berufung darauf, daß sie die Appellation von Speyer nur dem Kaiser insinuiert, aber nicht selbst appelliert und überhaupt nur im Auftrag ihrer Herren gehandelt, dabei aber auch allen Ge­ horsam ihrer Herren angeboten, endlich daß sie sich alle in den vom Kaiser über sie verhängten Arrest gefügt hätten,



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um Entlassung aus demselben und um die Erlaubnis zur Heimreise nachsuchten. Auf dieses Schreiben erhielten sie jedoch keine Antwort 62). Am 21. Oktober reichten sie eine weitere Bitte um Entlassung, öder wenigstens um eine richterliche Ver­ nehmung bei dem Kaiser ein. Sie wiesen mit Nachdruck darauf hin, daß ihnen der länge Aufenthalt große Kosten verursache, und das wohl nur darum, weil der Kaiser durch falschen Bericht zur Ungnade gegen sie gestimmt worden sei, während sie doch nichts Unrechtes getan und als arme, verpflichtete Diener nur auf Befehl ihrer Herren gehandelt hätten. Aber auch diese Bitte war vergeblich 63). Erst am 25. Oktober, am Morgen vor der Abreise des Kaisers von Piacenza, kam der Sekretär Alexander Schweiß zu den Gesandten und teilte ihnen mit, der Kaiser habe sich auf mehrfache Verwendung des Grafen von Nassau und des Sekretärs Lobis entschlossen, seinem kaiserlichen Rat Ulrich Ehinger zulieb, um dessen getreuer Dienste willen die Ge­ sandten freizulassen. Jedoch müßten sie versprechen, dem kaiserlichen Hof noch bis Bologna nachzufolgen. Denn der Kaiser sei über die erfolgte Insinuation der Appellation, wie auch über ein durch Michael von Kadan ihm eingehändigtes Büchlein nach wie vor heftig erzürnt. Jedoch stehe es den Gesandten frei, ihre völlige Freilassung unterwegs oder zu Parma weiter zu betreiben. Der Sekretär aber fügte dieser Mitteilung hinzu, er wünsche, die Gesandten möchten ihn unterwegs damit nicht allzusehr belästigen. Wohl als Buße mußten diese nun auf dem Weg nach Parma 6 Tage lang täglich um ihre Freilassung bitten. Die Ankunft in Parma erfolgte am 30. Oktober. Hier ließ dei Kaiser durch Granvella in Gegenwart des Sekretärs Schweiß den Gesandten in lateinischer Sprache den feescheid erteilen, der Kaiser habe an ihnen wegen ihrer Appellations­ handlung großes Mißfallen. Trotzdem wolle er als ein gü­ tiger und gnädiger Kaiser die Gesandten aus dem Arrest entlassen und ihnen erlauben, heimzuziehen. Jedoch befehle er, daß Frauentraut, wenn er über die Insinuation der Appel­ lation ein Instrument errichte, dasselbe vorher dem Sekretär

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Alexander Schweiß zur Durchsicht gebe. Der von Kadan aber habe bis auf fernere Verordnung dem Hofe weiter zu folgen 64). Der Grund dafür, daß Kadan nach der Entlassung sei­ ner Mitgesandten noch weiterhin dem Hofe folgen sollte, war der, daß er den Zorn des Kaisers in besonderem Maße auf sich geladen hatte. Im Auftrag des Landgrafen Philipp von Hessen hatte er dem Kaiser, als dieser eines Tages zur Messe ging, ein Büchlein überreicht, welches eine kurze Zu­ sammenfassung der evangelischen Glaubenslehre enthielt. Der Kaiser hatte diesea Büchlein einem spanischen Bischof aus seiner Umgebung zur Durchsicht und Prüfung über­ geben. Beim Durchlesen war dieser auf ein biblisches Citat gestoßen. Es war Matth. 20, 25, oder Lucas 22, 25, wo Jesus seine Jünger anweist, nicht nach weltlicher Macht und Herr­ schaft zu trachten. Nun scheint der Bischof nicht sehr bibel­ kundig gewesen zu sein, oder die betreffende Bibelstelle nur obenhin gelesen, jedenfalls aber nicht verstanden zu haben. Denn als der Kaiser ihn gelegentlich nach dem Inhalt des Büchleins fragte, antwortete der Bischof, dieses Büchlein nehme der christlichen Obrigkeit das Recht des Schwertes und gebe dasselbe den Feinden der Kirche und der christ­ lichen Religion. Diese Antwort des Bischofs, welche ge­ radezu eine völlige Umkehrung des tatsächlichen Sinnes jener Bibelstelle in das Gegenteil bedeutete, versetzte den Kaiser in einen solchen Zorn, daß derselbe in ihm auch jetzt noch nachwirkte und der Kaiser verfügte, von Kadan habe noch längere Zeit in Haft zu bleiben. Dazu kam es aller­ dings doch nicht mehr. Denn da von Kadan aus einer bei der Eröffnung des kaiserlichen Befehls gemachten Bemer­ kung Granvellas entnehmen mußte, daß nicht nur seine Frei­ heit, sondern sein Leben bedroht sei, bestieg er rasch sein neben ihm stehendes Pferd, und es gelang ihm, aus der Stadt zu entkommen und eilends über Ferrara nach Venedig zu reiten, wo ihn Hans Fütterer freundlich aufnahm und ihm zur Heimreise verhalf 05). Die Wissenschaft hat sich vielfach mit der Frage be­ schäftigt, was für ein Büchlein es war, das Michael von Ka-

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dan in Piacenza dem Kaiser überreichte. Theodor Kolde glaubte in einer in der Zeitschrift für Kirchengeschichte, Band VIII Seite 477 — 481 abgedruckten Untersuchung das fragliche Büchlein in einer französischen Uebersetzung der Schrift Lamberts von Avignon ,,Oeconomia christiana“ wiedergefunden zu haben, welche tatsächlich eine Summa christlicher Lehre und auch das oben genannte Citat ent­ hält 66). Am 24. November teilte der Nürnberger Rat auf eine Anfrage aus Nördlingen mit, daß Michael von Kadan in Nürnberg und Hans Ehinger mit Frauentraut in Ansbach eingetroffen seien, nachdem er bereits am 22. Kadans An­ kunft an Ehinger nach Ansbach mitgeteilt hatte 67). Bald nach ihrer Rückkehr aus Italien begaben sich die drei Gesandten zu dem vom Kurfürsten zu Sachsen an­ gesetzten Tag von Schmalkalden, wo sie vor den evangeli­ schen Ständen über ihre Reise und die Erfüllung ihres Auf­ trags Bericht zu erstatten hatten. Im Anschluß an den von Kadan vorgetragenen Bericht erklärte sich Frauentraut bereit, das früher erwähnte, durch die beiden andern Ge­ sandten von ihm erbetene Instrument über die zu Piacenza vollzogene Insinuation der Appellation jetzt aufzurichten, sofern es nicht wider den durch Granvella ihm am 30. Ok­ tober eröffneten Befehl verstoße. Jedoch erbat er sich dazu den Rat der evangelischen Stände, damit er dem Wort­ laut des kaiserlichen Befehls entsprechend ,,tun könne, was billig und ihm an seiner Ehre unverletzlich sei“. Den von ihm gefertigten Entwurf sandte er der kaiserlichen Weisung gemäß vor der Ausfertigung am 16. Dezember 1529 an Alexander Schweiß „ad revidendum“68). Ob dieser Ent­ wurf von dem kaiserlichen Sekretär gebilligt wurde, ist aus den vorhandenen Akten nicht festzustellen. Wahrscheinlich ist er überhaupt nicht zurückgekommen. Auf jenem Tag zu Schmalkalden wurde nach der Be­ richterstattung der Gesandten auch darüber verhandelt, was wegen der schroffen Zurückweisung der Protestation und Appellation durch den Kaiser und wegen der rücksichts­ losen, gegen das Gesandtenrecht verstoßenden Behandlung

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der Gesandten zu tun sei. Es wurde vorgeschlagen, eine neue Gesandtschaft an den Kaiser zu schicken. Da man jedoch in Schmalkalden über diese Frage ebensowenig zu einer Einigung kommen konnte, wie über eine Bundeseini­ gung zur Verteidigung gegen einen etwaigen Angriff der Gegner, wurde beschlossen, auf einem nach Nürnberg zu berufenden neuen Tag über beide Fragen weiter zu ver­ handeln. Nun aber hatten inzwischen die Verhandlungen über ein Bündnis zur Entzweiung zwischen den lutherischen und den zwinglischen Städten geführt. Der Kurfürst von Sach­ sen wollte nunmehr die letzteren nicht nur von dem geplan­ ten Bündnis ausschließen, sondern sie auch zu den Verhand­ lungen wegen einer neuen Gesandtschaft nicht mehr zu­ lassen. Nürnberg war entschieden gegen diesen Ausschluß, obwohl es in der Glaubensfrage mit dem Kurfürsten durch­ aus einig war und den Standpunkt der zwinglischen Städte ' keineswegs billigte. Spengler ging damals sogar so weit, daß er das Verhalten des Kurfürsten gegen die Zwinglischen als ,,rauh und unfürstlich“ bezeichnete. Schließlich wurde der Gedanke an eine neue Gesandtschaft überhaupt auf­ gegeben, da inzwischen der Reichstag von Augsburg aus­ geschrieben worden war, von dem man glaubte, eine bessere Lösung erhoffen zu dürfen. Wie sehr übrigens der Kaiser gegen Michael von Kadan verstimmt war, mußte dieser noch während des Augsburger Reichstags erfahren. Hier machte der Kaiser dem Land­ grafen in einer persönlichen Aussprache den Vorwurf, dieser habe seine kaiserliche Hoheit angetastet und ihn schwer gekränkt dadurch, daß er ihm zu Piacenza durch von Kadan jenes Büchlein habe überreichen lassen. Der Landgraf be­ mühte sich wohl, den Kaiser über den tatsächlichen Inhalt des fraglichen Büchleins und den wahren Sinn der betref­ fenden Bibelstelle aufzuklären, sodaß sich der Kaiser damit zufrieden gab. Aber, wie der Landgraf damals dem Nürn­ berger Gesandten Christoph Kreß vertraulich mitteilte, be­ arbeiteten auch jetzt noch „die Pfaffen“ den Kaiser eifrigst dahin, er möge von Kadans Habe und Güter einziehen las-

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sen zur Strafe dafür, daß er ihm jenes Büchlein übergeben habe. Der Nürnberger Rat, dem Christoph Kreß davon Mitteilung machte, bemerkte dazu ironisch: „Wenn die Pfaffen auch viel Arrest ausbrächten, so könnte man Kadan höchstens sein Weib und seine Kinder, deren er zehn hat, nehmen. Liegende Güter und bares Geld werden sie wenig bei ihm finden.“ Als von Kadan um jene Zeit in Geschäften des Rates nach Augsburg kam, setzten die Anfeindungen der Geist­ lichen aufs neue gegen ihn ein, sodaß ihm die Nürnberger Gesandten den Rat erteilen mußten, er möge sobald als mög­ lich die Stadt verlassen, da ihm Lebensgefahr drohe. Auch der kaiserliche Sekretär Alexander Schweiß hatte es für nötig gehalten, ihn zu warnen 69).

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Kapitel XVI. Nürnberg und die Bündnisfrage. Mit der Aufhebung des Reichstagsabschieds von 1526, welche der Statthalter in der angeblich kaiserlichen Vorlage zum Reichstag von 1529 gefordert und der Mehrheits­ beschluß der Stände auch zur Tat gemacht hatte, gedachten die Gegner den Evangelischen den Rechtsboden zu ent­ ziehen, auf den sie sich mit ihren kirchlichen Reformen bis­ her hatten stützen können. Doch war ihnen ein Rechts­ mittel geblieben, welches den Vollzug jener Maßnahme auf­ hielt: ihre Protestation. Und noch ein Recht stand ihnen zur Seite: das Recht des guten Gewissens, und damit das Recht, sich gegen ungerechte Vergewaltigung zu vertei­ digen. Zu diesem Zweck schlossen nun Sachsen und Hessen, nachdem der Statthalter am 21. April 1529 die Vermitt­ lungsvorschläge des Herzogs Heinrich von Braunschweig und des Markgrafen Philipp von Baden abgelehnt hatte, am 22. April noch in Speyer mit den Städten Nürnberg, Straßburg und Ulm eine „sonderlich geheime Verständnis“, d. h. einen Verteidigungsbund „von wegen des göttlichen Wortes und christlichen Glaubens“. Ueber die Gestaltung und Verfassung dieses Bundes, wie über die Organisation der gegenseitig zu leistenden Hilfe sollte auf einem im Juni zu Rotach abzuhaltenden Tag beraten und beschlossen wer­ den 1). Der Gedanke an einen solchen Zusammenschluß zu gemeinsamer Verteidigung konnte nur in der Voraussetzung gefaßt werden, daß eine Vereinigung des sächsischen und des schweizerischen Bekenntnisses möglich war. Hatte man

in Speyer noch an diese Möglichkeit gedacht und angesichts der drohenden Gefahr den inneren Gegensatz übersehen, welcher zwischen den beiden tatsächlich vorhanden war, so kam dieser doch alsbald wenigstens den Vertretern des lutherischen Bekenntnisses zum Bewußtsein. Schon auf der Heimreise von Speyer waren Melanchthon Bedenken ge­ kommen. Er glaubte jetzt, wenn man bei den Verhand­ lungen in Speyer die Zwinglischen hätte fallen lassen, hät­ ten sich die Römischen gegen die Lutheraner entgegenkom­ mender gezeigt. Der Gedanke, daß es nun infolge dieses Versäumnisses zu einer dauernden Spaltung der christlichen Kirche kommen könnte, legte sich ihm schwer auf die Seele. Auch Luther, mit dem er nach seiner Heimkehr darüber sprach, teilte seine Auffassung. Um jene Unterlassung wie­ der gut zu machen, ersuchte er die Nürnberger Freunde Spengler und Baumgartner, diese möchten Schritte tun, damit die Verbindung mit den Zwinglischen wieder gelöst werde. Denn die in seinen Augen gottlosen Meinungen Zwingli’s könne und dürfe man nicht verteidigen. Ebenso wandte sich Luther, nachdem er Melanchthons Bedenken gehört hatte, an seinen Kurfürsten und bat ihn, das zu Speyer geschlossene Abkommen wieder rückgängig zu ma­ chen. Er schrieb damals: „Wie sollte man sich mit Leuten verbinden dürfen, welche wider Gott und das Sakrament streiten“? Markgraf Georg hatte, als der Landgraf in Speyer mit ihm über den Anschluß an das Bündnis verhandelte, Beden­ ken gegen den Beitritt. Mit der Zeit aber kam er zu der Ueberzeugung, daß die Evangelischen, um sich gegen einen etwaigen Angriff schützen zu können, sich zusammen­ schließen müßten. Nur glaubte er, daß ein solcher Zusam­ menschluß nur auf dem Grund gemeinsamen Glaubens er­ folgen könne. Nur dann konnte man wirklich fest und mit gutem Gewissen zusammenstehen und sich auch gegenüber den Bischöfen und deren Jurisdiktionsansprüchen behaupten. Aus diesem Grund lag ihm auch soviel an einer gemein­ samen Kirchenordnung!

188 Am Montag nach Trinitatis lud der Kurfürst zu Sach­ sen die an dem Bündnis Beteiligten auf den 6. Juni zu der noch in Speyer verabredeten Zusammenkunft nach Rotach ein2). Der Nürnberger Rat hatte durch Spengler einen ,,Begriff des Verständnisses“ ausarbeiten lassen, welchen er auf Wunsch auch dem Markgrafen übersenden ließ3). In diesem Entwurf betonte Spengler, daß das Verständnis nicht gegen den Kaiser gerichtet sein solle, und daß es sich nur um einen Verteidigungsbund handle für den Fall, daß man um des Glaubens willen angegriffen werde. Spengler stand bei der Abfassung des Bundesentwurfs noch auf dem Stand­ punkt, . daß ein politisches Bündnis zwischen Lutheranern und Zwinglischen trotz der dogmatischen Gegensätze, die zwischen beiden bestünden, wohl möglich sei. Als der Land­ graf den Gedanken anregte, eine dogmatische Verständi­ gung zwischen beiden durch ein Religionsgespräch zu ver­ suchen, schrieb Spengler an Veit Dietrich, er halte ein sol­ ches ,,mehr für eine Kuriosität, denn eine Notdurft4). Spenglers Entwurf lag auch der Vorberatung zugrunde, welche die Vertreter der drei beteiligten Städte für den Tag zu Rotach in Nürnberg abhielten. Auf diesem Tag war Nürnberg durch Christoph Kreß und Christoph Tetzel vertreten, welche bereits in Speyer das Bündnis mit den beiden Fürsten verabredet hatten 5). Die Leitung der Verhandlungen hatte der Kurfürst seinem Kanzler Hans von Minckwitz übertragen und ihn angewie­ sen, zunächst keinen festen Beschluß zuzulassen, sondern vor allem bei Nürnberg die Stimmung der Städte zu erfor­ schen und dem Kurfürsten darüber zu berichten. Auf alle Fälle dürfe nur von einem Bündnis gehandelt werden, das die Evangelischen gegen Angriffe wegen ihres Glaubens und ihrer Appellation schützen solle 6). Diese Vorsicht schien dem Kurfürsten deshalb geboten, weil ihm inzwischen starke Bedenken gegen das Bündnis aufgestiegen waren. Luther hatte ihm ein Gutachten übergeben, in welchem fol­ gende Gedanken ausgeführt waren: Wenn das zu schließende Bündnis den Zweck haben soll, das Evangelium zu erhalten und zü beschützen, so muß es sich gründen und ßtehen auf

i8g dem Gewissen und Glauben derer, die sich verbünden. Diese müssen dann im Glauben einig sein. Das ist jedoch nicht der Fall. Man kann sich auf manche Städte infolge der gemachten Erfahrungen nicht verlassen und müßte mög­ licherweise deren Irrlehren mit verteidigen. Noch andere beachtliche Gründe sprachen nach Luther gegen das Bünd­ nis 7). Die Schwierigkeit war für den Kurfürsten um so größer, als er in Speyer selbst mit dem Landgrafen die bei­ den zu Zwingli’s Lehre neigenden Städte Ulm und Straß­ burg zum Anschluß an das Bündnis aufgefordert hatte. So war denn auch die Entschließung, welche in Rotach zustand kam, der vorsichtigen Haltung des Kurfürsten ent­ sprechend. Vor allem sollte das Bündnis nicht gegen den Kaiser und nicht gegen solche Städte gerichtet sein, welche sich an einer feindlichen Haltung gegen die Evangelischen nicht beteiligten. Auch der Schwäbische Bund, wie die bestehenden Erbeinigungen sollten ausgeschlossen sein. Ueberhaupt sollte nichts gegen den Landfrieden geschehen. Lediglich zur Gegenwehr gegen Vergewaltigungen um des Glaubens willen oder wegen angeblicher Verletzung der bischöflichen Jurisdiktion sollte das zu schließende Bündnis dienen 8). Ein endgültiger Beschluß wurde auf einen zu Schwa­ bach am 24. August abzuhaltenden Tag verschoben. Sollte in der Zwischenzeit ein Angriff erfolgen, so erwarte der An­ gegriffene auch jetzt schon der anderen Hilfe9). Nach Kenntnisnahme von den in Rotach getroffenen Abmachungen wünschte der Kurfürst, daß die Räte der drei Fürsten noch vor dem Tag zu Schwabach mit den Ver­ tretern Nürnbergs zusammenkämen zu einer Besprechung über die Hauptpunkte der Abmachungen von Rotach und sich vor allem mit Nürnberg zu verständigen10). Auch eine persönliche Aussprache der drei Fürsten untereinander hielt der Kurfürst für nötig, und er schlug eine solche für den 7. Juli in Saalfeld vor. Der Markgraf willigte ein, er­ klärte jedoch, zu dieser Zeit nicht persönlich erscheinen zu können. Dagegen hielt der Landgraf eine persönliche Zü-

sammenkunft für unnötig, da man etwaige Bedenken auch schriftlich mitteilen könne. Ueberdies glaubte er, eine bal­ dige Verständigung mit den Zwinglischen Städten in Aus­ sicht stellen zu können. So kamen in Saalfeld nur die Ge­ sandten der drei Fürsten zusammen. Diese aber fanden, daß sie ohne persönliche Gegenwart ihrer Herren nichts End­ gültiges beschließen könnten und einigten sich dahin, daß ihre Herren noch vor dem Schwabacher Tag persönlich in Naumburg Zusammenkommen und den Tag von Schwabach verschieben sollten X1). Aber auch die Naumburger Zusam­ menkunft kam nicht zustande. Jetzt drang der Landgraf auf endliche Vollziehung des Bundes. Von diesem sollten die Zwinglischen Städte auf keinen Fall ausgeschlossen wer­ den. Mit Straßburg bestehe in der Abendmahlsfrage keine Uneinigkeit mehr; mit den andern werde es durch das von ihm vorgeschlagene Religionsgespräch ebenfalls zur Eini­ gung kommen. Schließe man Straßburg aus, so würden auch die anderen Städte für das Bündnis nicht zu haben sein. Auch wenn Nürnberg ohne Straßburg und Ulm sich an­ schließe, würde das wenig helfen. Unter den Theologen werde es immer Zwiespalt geben; deshalb brauchten sich die Fürsten nicht zu trennen. Den Kaiser und den Schwä­ bischen Bund könne man ausnehmen, doch nur sofern sie die Protestierenden nicht wegen des Evangeliums beschwer­ ten. Bei den Städten aber würde es keinen guten Eindruck machen, wenn man, nachdem man sie zuvor eingeladen und zum Anschluß aufgefordert habe, jetzt welche von ihnen ausschließe. Darum solle man den Tag von Schwabach nicht wieder abkündigen 12). In seiner Antwort betonte der Kurfürst aufs neue die Notwendigkeit einer persönlichen Zusammenkunft und Aus­ sprache, bevor mit den Städten weitere Verhandlungen ge­ pflogen Wurden. Der Markgraf habe für die Zusammen­ kunft Schleiz vorgeschlagen und werde dahin kommen. In Rotach hätten sich doch manche Schwierigkeiten ergeben. Finde auch der Landgraf solche nicht, so müßte doch darüber gesprochen werden. Schriftlich lasse sich das nicht abmachen. Sei man sich bei den Fürsten über den Rotach-

sehen „Begriff“ vor dem Tag zu Schwabach nicht einig geworden, so werde auf diesem wenig Fruchtbares heraus­ kommen. Jedenfalls sei es besser, wenn die fürstlichen Räte in Schwabach einhellig auftreten könnten, als wenn sie ge­ genüber den Städten dreifach geteilt wären. Darum bitte er nochmals um des Landgrafen Erscheinen in Schleiz 13). Am Sonntag Vincula Petri erwiderte der Landgraf, er wolle es bei seinem Bedenken beruhen lassen und könne nicht zugeiben, daß der Tag zu Schwabach den Städten ab­ gekündigt werde. Ihm sei es beschwerlich und schimpf­ lich, wenn man sich von dem, wozu man die Städte auf­ gefordert habe, wieder zurückziehe. Doch sei er bereit, seine Räte 7 oder 8 Tage vor dem Schwabacher Tag nach Schleiz zu schicken und diese mit Vollmacht zu versehen, mit dem Kurfürsten und Markgrafen zu verhandeln. Er selbst könne nicht kommen. Der Tag von Schwabach brauche dann nicht erstreckt zu werden. Sollte dies trotzdem geschehen, so möge das der Kurfürst besorgen. Er gebe für alle Fälle Vollmacht, damit den Städten die Abkündigung rechtzeitig zugehen könne 14). Am 9. August antwortete der Kurfürst, er habe nun­ mehr bei dem Markgrafen den Tag zu Schwabach abgesagt und diesen gebeten, davon auch Nürnberg zu benachrich­ tigen, damit die Städte nicht vergeblich nach Schwabach reisten. Dem Markgrafen aber teilte er noch mit, daß nun­ mehr der für die Zusammenkunft in Schleiz angesetzte Ter­ min Bartholomäi nicht eingehalten werden könne. Diese Mitteilung erhielt jedoch der Markgraf erst, als er bereits auf dem Weg nach Schleiz in Heldrungen angekommen war. Auch die Absage des Tages zu Schwabach erreichte die drei Städte zu spät. Diese hatten sich auf Ulms Anregung zu einer Vorberatung unter sich in Nürnberg versammelt, und reisten von da miteinander nach Schwabach, um dort zu hören, daß der Tag abgekündigt sei. Die Städte waren darüber verstimmt, nahmen jedoch den gleichzeitig bestimm­ ten Termin, den Gallustag (16. Oktober) an15). Nun erhielt der Landgraf anfangs September die Nach­ richt von dem Friedensschluß zu Cambrai zwischen dem

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Kaiser und dem König von Frankreich. Nachdem der Kai­ ser dadurch freie Hand bekommen hatte, glaubte der Land­ graf annehmen zu müssen, der Kaiser werde nunmehr einen Angriff auf die Evangelischen unternehmen. Hatte er doch auch vertrauliche Nachrichten über derartige Absichten des Kaisers erhalten.! Darum fragte er am 8. September bei dem Kurfürsten an, was dieser angesichts der den Evan­ gelischen drohenden Gefahr zu tun gedenke. Er selbst werde jedenfalls, wenn irgend ein evangelischer Stand überzogen werden sollte, denselben mit Rat und Beistand nicht ver­ lassen. Nun wollte er- wissen, ob der Kurfürst ebenfalls den evangelischen Ständen insgemein, oder nur ihm, dem Landgrafen, allein im Bedarfsfall Hilfe zu leisten beabsich­ tige. In der Antwort des Kurfürsten waren aus Versehen des Schreibers einige Worte ausgelassen, wodurch dieselbe unklar geworden war. Darum erneuerte der Landgraf seine Anfrage, und bat um einen klaren Bescheid. Da schrieb er dem Kurfürsten: ,,Will sich Euer Liebden gegen den Kai­ ser wehren, so er uns vom Evangelium dringen will, so schreib mir’s Euer Liebden; wollt Ihr euch nicht wehren und leiden, oder vom Evangelium abfallen, als ich zu Gott nicht hoffe, so schreib mir s Euer Liebden und was ich mich zu Euch vertrösten soll, so ich überzogen würde, denn es will die Notdurft erfordern, daß einer weiß, was er sich zum andern zu vertrösten weiß, und bitt, Euer Liebden wollen Ihren Schreibern sagen, daß sie die höflichen Antworten stehen lassen und mir in Euer Liebden Namen, so anders Ihr mir nicht selbst schreiben wollt, etliche richtige Ant­ wort geben lassen, was Euer Gemüt darin sei. Denn ich wollt gern Euer Liebden als einem, dem ich von Herzen Gutes gönne, gern mit Leib und Gut dienen. Soll aber nichts helfen, und daß wir alle so verzagt wollen werden, daß wir Uns nicht wollen wehren, und einander verlassen und einander Zusehen, so erbarm’s Gott; so ist’s nichts, denn eine Plag von Gott über uns verzagte Deutschen; und Euer Liebden lassen sich nimmer überreden, wenn ich und andere zu Boden gehen, daß man Euer Liebden verschonen werde. Und wer’s Euer Liebden vorsagt, der rät Euch

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untreulich, oder verstehet es nicht, und ob Euer Liebden schon mit dem König von Böheim in schriftlichem Ver­ stand stünde, wird’s doch nicht helfen“ 16). Auf dieses starke Erregung verratende Schreiben des Landgrafen antwortete der Kurfürst sehr freundlich, er wolle auf alle Fälle bei dem Wort Gottes bleiben, es koste Leib, Ehre und Gut, oder was es wolle auf Erden. Aber was zu tun sei, wenn der Kaiser sich gegen die Evangeli­ schen wende, sei wohl zu bedenken. Wenn je eine Sache der Unterredung und getreuen Rats bedurft habe, sei es diese. Vor dem Winter könne nichts gegen die Evangeli­ schen unternommen werden. Vor allem müsse man die Rückkehr der an den Kaiser geschickten Gesandtschaft und die Antwort, welche dieser der Kaiser gegeben hat, abwarten. Dann habe man den ganzen Winter vor sich, um zu überlegen, was zu tun sei. Jedenfalls werde er tun, was möglich sei, um nicht unter das Urteil Gottes und seines Wortes zu fallen. Weiter bat der Kurfürst, der Land­ graf möge am Sonntag nach Michaelis zum Markgrafen und ihm nach Schleiz kommen. Dort möge der Landgraf berichten, was er an Nachrichten erhalten habe und sie könnten gemeinsam darüber ratschlagen, was zu tun sei17). Trotz dieser freundlichen Einladung erschien der Land­ graf auch jetzt nicht in Schleiz. Denn inzwischen war das von ihm ^ngeregete Religionsgespräch zwischen Luther und seinen Theologen und den Zwinglischen auf den i. Ok­ tober anberaumt worden und von diesem Gespräch glaubte der Landgraf eine Einigung zwischen beiden Teilen erwar­ ten zu dürfen, welche weitere Verhandlungen überflüssig machen würden. Eben deshalb begann auch der Landgraf aufs neue Verhandlungen mit Straßburg 18). Trotz der schweren Bedenken Luthers entschloß sich der Kurfürst, seine Theologen mit den Zwinglischen in Marburg verhandeln zu lassen, weil er fürchtete, durch ein Verbot den Landgrafen ganz auf die Seite der Schweizer zu treiben. Außer Luther und Melanchthon hatte der Land­ graf auch den Nürnberger Prediger Osiander und den Pre­ is

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diger Johann Brenz aus Schwäbisch Hall zur Beteiligung an dem Gespräch eingeladen. Der Nürnberger Rat hatte zunächst wenig Neigung, einen seiner Theologen zu dem Gespräch abzuordnen. Wir schließen das daraus, daß er der Aufforderung an seine Pre­ diger, ihm ein Gutachten darüber, ob solch ein Gespräch zu empfehlen sei, binzufügte: ,,oder, wie es zu verhindern sei“. Osiander, der das Gutachten verfaßte, lehnte das Ge­ spräch ab, weil es der Sache der Evangelischen schaden könnte. Mit Irrlehrern solle man sich überhaupt nicht ein­ lassen. Zwingli sei aber ein Irrlehrer. Es bestehe auch keine Aussicht, ihm eine andere Ueberzeugung beizubrin­ gen. Osiander fand auch die volle Zustimmmung der übri­ gen Prediger. Auch Spengler, auf dessen Urteil der Rat sehr viel gab, war anfangs dagegen, wie wir aus seinem oben erwähnten Brief an Veit Dietrich sahen, aber schließ­ lich meinte er, wenn der Weg des Colloquiums Gott gefalle, solle er billig ihm ^uch gefallen. Der Kurfürst hatte im Juni 1529 seinen Kanzler Dr. Bayer nach Nürnberg ge­ sandt, um vertraulich mit den Herren Eltern wegen des vom Landgrafen vorgeschlagenen Religionsgesprächs und wegen des dadurch zu fördernden Bündnisses zu verhandeln. Da­ mals hatte der Rat dem Kurfürsten, um diesen von der in Nürnberg herrschenden Stimmung zu unterrichten, das Gut­ achten Osianders übersandt, in welchem letzterer sich ent­ schieden gegen das Religionsgespräch ausgesprochen und dazu bemerkt hatte, daß es nach der Meinung der Nürn­ berger Prediger der Teufel sei, der den Evangelischen ver­ mittelst des Religionsgesprächs „das Bündnis ins Herz zu stehlen“ suche 19). Als jedoch der Rat hörte, daß der Kurfürst Luther und andere sächsische Theologen nach Marburg abgeordnet habe, entschloß er sich doch, auch Osiander dahin reisen zu lassen20). Den Verlauf des Religionsgesprächs im Einzelnen zu schildern, gehört hier nicht zu unserer Aufgabe. Aber das Resultat desselben festzustellen und zu werten, ist not­ wendig. Die kirchliche Lehre von den Sakramenten stellt

195 uns vor ein Mysterium, vor ein Geheimnis. Wie dieses im sogenannten Altarsakrament, im Heiligen Abendmahl zu ergründen und aufzufassen sei, darum handelte es sich in der Auseinandersetzung zwischen Luther und Zwingli. Beide gingen auf die ursprüngliche Quelle zurück, nämlich auf die geschichtlich überlieferte Einsetzung durch Christus, wie sie die heilige Schrift überliefert hat. Aber sie kamen dabei zu verschiedenen Auffassungen, weil sie von verschie­ denen Gesichtspunkten ausgingen: Zwingli von dem der menschlichen Vernunft, Luther von dem des Glaubens, dem das Christi Wort über alles geht und ihm die sicherste Bürg­ schaft für die Wahrheit gibt. Ueber die Art und Weise der Abendmahlsfeier, über den Sinn und Zweck derselben wa­ ren beide einig, aber über die Frage, ob die Gegenwart Christi leiblich und nicht nur geistlich sei, konnten sie sich nicht einigen. So trennte sich hier die freiere Auffassung der Schrift von dem in der Kirchengemeinschaft geltend ge­ wordenen Begriff des Mysteriums. Immerhin war das Gespräch nicht ganz erfolglos. Es waren doch 14 der wichtigsten Glaubensartikel, in denen völlige Uebereinstimmung festgestellt werden konnte. Da­ mit war eine wertvolle Grundlage für eine gemeinsame Fort­ entwicklung gegeben. Es war gewiß auch nicht Eigen­ sinn und Rechthaberei, wenn die beiden Teile in dem einem Punkt sich nicht zusammenfinden konnten, vielmehr war es auf beiden Seiten aufrichtiger Wahrheitssinn und ehr­ liche, an das Gewissen gebundene L^eberzeugung, die es ihnen unmöglich machte, nachzugebeu. Trotzdem fand das Gespräch einen schönen Ausklang damit, daß beide Teile einander zusagten, sich gegenseitig christliche Liebe bewah­ ren zu wollen. Politisch freilich trat das Gegenteil ein von dem, was der Landgraf mit dem Religionsgespräch hatte erreichen wollen. Luther reiste von Marburg aus' in Begleitung Osianders, der sich ihm anschloß, weil er noch besondere, Nürnberg berührende Fragen mit ihm besprechen wollte, nach Schleiz, wo um diese Zeit Kurfürst Johann und Mark^ graf Georg zusammengekommen waren, um über das Bünd18*

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nis mit den oberländischen Städten Beratung zu pflegen. Hier in Schleiz überzeugte Luther die beiden Fürsten vol­ lends, daß eine vollkommene Einigkeit im Glauben die nötige Voraussetzung sei, wenn man denselben gemeinsam verteidigen wolle. Beide Fürsten entschlossen sich denn auch, diese Einigkeit im Glauben gegeneinander zu beken­ nen und dieses Bekenntnis der zu schließenden Bundes­ einigung zugrund zu legen, also daß niemand in den Bund aufgenommen werden könne, der in irgend einem Stück des Glaubens von ihnen abweiche. Für den bevorstehenden Schwabacher Konvent wurde eine Instruktion aufgestellt, welche den beiderseitigen Rä­ ten als Richtschnur mitgegeben werden sollte. Am Donnerstag vor dem Gallustag sollten die Räte in Nürnberg Zusammenkommen und bei den dortigen Herren Eltern, welche von dem zu schließenden Bündnis bereits Kenntnis hatten, dafür werben, daß auch Nürnberg sich der Vereinbarung des Kurfürsten und des Markgrafen bezüglich der Begrenzung des Bundes anschließe, und daß es auch darin mit den beiden Fürsten einig gehe, daß man mit dem Ausnehmen des Kaisers aus dem Widerstand und der Geg­ nerschaft nicht weiter gehe, als man vor Gott und dem be­ stehenden Recht schuldig sei. Nach ihrer Ankunft in Schwa­ bach sollten die Räte den Vertretern der Städte den Stand­ punkt des Kurfürsten und des Markgrafen im Glauben be­ kannt geben und denjenigen der Städte erforschen. Mit den­ jenigen, welche einen andern Standpunkt einnähmen, soll­ ten sie nicht weiter verhandeln, sondern nur mit solchen; die im Glauben mit den Fürsten eins seien. In der Instruk­ tion folgte dann noch eine Reihe von Bestimmungen für die Bundesverfassung, welche gegenüber dem zu Rotach angenommenen Entwurf wesentliche Verbesserungen ent­ hielten und welche die Fürsten dem Schwabacher Konvent vorzuschlagen gedachten 21). Auch die Vertreter der drei Städte Nürnberg, Straß­ burg und Ulm hatten sich am 15. Oktqber in Nürnberg zu­ sammengefunden, um über ihre Haltung auf dem Schwa­ bacher Tag zu beraten22). Als die Räte der Fürsten den

197 Herren Eltern zu Nürnberg die Forderung ihrer Herren be­ züglich der Glaubensfrage vortrugen, waren diese an sich nicht abgeneigt, den Fürsten zuzustimmen. Aber es fiel ihnen schwer, sich von Straßburg und Ulm zu trennen. Man schlug daher im Rat vor, den Städten zu empfehlen, sie soll­ ten in Schwabach zunächst auf keinen Beschluß eingehen und so die Entscheidung hinausziehen, bis man klar sehe. Gegen die Stimme Straßburgs wurde denn auch dieser Vor­ schlag zum Beschluß erhoben. Zum Zweck der Feststellung, ob und inwieweit die Zwinglischen Städte auf die Forderung des Kurfürsten und des Markgrafen einzugehen bereit wären, hatte Sachsen durch Luther in Schleiz eine Art Glaubensbekenntnis ver­ fassen lassen. Es bestand aus 17 Artikeln. Diese waren* eine etwas umgearbeitete Ausgabe der Marburger Uebereinkunft, also der Artikel, in denen man sich mit den Zwing­ lischen vereinigt hatte. Zu diesen hatte man noch den Artikel mit Luthers Lehre vom Abendmahl hinzugefügt, der damit als alleingültig angenommen war 23). Diese 17 Artikel wurden nun in Schwabach am 16. Ok­ tober den Gesandten der Städte vorgelegt. Daran fügte der sächsische Vertreter die Frage an jene, ob ihre Herren der darin enthaltenen Lehre zustimmten. Die Gesandten von Ulm und Straßburg antworteten, auf dem Tag zu Rotach sei von dieser Bedingung für die Aufnahme in den Bund keine Rede gewesen, sie hätten auch von ihren Herren zu einer Erklärung darüber keine Vollmacht. So verlief denn dieser Konvent resultatlos. Es kam zu keinem Bündnis. In ein solches konnte jetzt auch der Markgraf nicht willigen, nachdem auch Nürnberg erklärt hatte, ohne die beiden Städte Ulm und Straßburg sich an dem Bündnis nicht be­ teiligen zu können. Denn ohne Nürnberg konnte der Mark­ graf bei der exponierten Lage seines Gebietes nicht wagen, sich einem Angriff des Schwäbischen Bundes auszusetzen. Doch wurde eine neue Zusammenkunft in Schmalkalden auf den 13. Dezember 1529 angesetzt24). Als der Landgraf von den Vorgängen auf dem Kon­ vent zu Schwabach erfuhr, sandte er Sigmund von Boyne-

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bürg an den Kurfürsten und ließ diesem sein Bedauern darüber aussprechen. Das Gespräch zu Marburg habe doch wenigstens bewirkt, daß beide Teile jetzt einander viel bes­ ser verstünden und sich näher gekommen seien. Beide hät­ ten auch versprochen, einander mit christlicher Liebe zu be­ gegnen. Darum halte er dafür, daß nun auch der Kurfürst und der Markgraf ihre Bedenken fallen und um der nur noch geringen Unterschiede willen keinen weiteren Zwie­ spalt aufkommen ließen. Man sollte die Oberländischen, die gern und gut evangelisch wären, nicht ganz von sich stoßen, zumal sie die Wehrkraft der Verbündeten wesent­ lich verstärken^ würden: Er, der Landgraf, habe von ver­ schiedenen Seiten zuverlässige Nachrichten, daß der Kaiser ' vorhabe, gegen die Evangelischen gewaltsam vorzugehen. Auch aus einem Schreiben des Kaisers selbst, das der Land­ graf dem Kurfürsten zustelle, gehe das hervor. Es sei auch zu bedenken, daß Nürnberg bereits entschlossen sei, ohne die oberländischen Städte kein Bündnis einzugehen. Damit nun nicht auch der Tag von Schmalkalden ohne Resultat bleibe, bitte er, der Kurfürst möge bei dem Markgrafen da­ für eintreten, daß eine Verständigung erreicht werde25). Eben als Boyneburg im Begriff war, zum Kurfürsten abzureisen, erhielt der Landgraf durch den Nürnberger Rat die Mitteilung, daß die Gesandtschaft der evangelischen Stände, welche dem Kaiser die in Speyer vom König Fer­ dinand nicht angenommene Protestationsurkunde übergeben, sollte, auf dessen Befehl in Piacenza gefangen gesetzt wor­ den sei. Diese Tatsache erschien dem Landgrafen als ein neuer Beweis von der den Evangelischen feindseligen Ge­ sinnung des Kaisers und der von diesem drohenden Gefahr, zugleich aber auch als ein weiterer Grund und Antrieb zum Zusammenschluß für eine starke Gegenwehr 2(5). Der Kurfürst vertröstete den Landgrafen auf den nahen Konvent von Schmalkalden und bat ihn, dort persönlich zu erscheinen. Am Martinstag gab der Landgraf seine Zusage. Er sah es jetzt als eine gnädige Fügung Gottes an, daß der Kaiser ,.sein Gemüt also entblößt habe“, was viel besser sei,

199 als ein halbgnädiger Bescheid, hinter dem sich doch nur ein böser Sinn verberge 27). Den zu Schwabach auf den 13. Dezember anberaumten Konvent, auf welchem das Bündnis endgültig zum Abschluß gebracht werden sollte, hatte der Kurfürst auf die Nachricht von der Gefangensetzung der evangelischen Gesandten auf den 28. November verlegt 28). Auf diesem Tag zu Schmalkalden erschienen Kurfürst Johann, die Herzoge Ernst und Franz von Lüneburg und der Landgraf persönlich. Markgraf Georg war durch Krank­ heit am Erscheinen verhindert. Zu seiner Vertretung sandte er seinen Kanzler Georg Vogler und den Amtmann Christoph von Wiesenthau. Nürnberg war durch Christoph Kreß und Clemens Volkamer, Ulm durch Bernhard Besserer und Da­ niel Schleicher, Straßburg durch Jakob Sturm und Matthis Pfarrer vertreten. Es lag nahe, vor allem den Bericht der aus Italien zurückgekehrten und in Schmalkalden erschienenen Gesandt­ schaft zu hören und zu beraten, was nunmehr in dieser Sache geschehen solle. Der Bericht wurde denn auch er­ stattet. Die Verhandlungen darüber wurden jedoch auf Wunsch der Mehrheit der Städte zurückgestellt, damit zu­ nächst die Bündnisfrage erledigt werden könne. Während noch davon gesprochen wurde, ließen die Fürsten die Ver­ treter der Städte Nürnberg, Straßburg und Ulm zu sich auf das Rathaus rufen. Hier wurde den Gesandten von Ulm und Straßburg die Frage vorgelegt, wie sich nunmehr ihre Herren zu den ihnen in Schwabach bekannt gegebenen Artikeln des Glaubens stellten. Nach kurzer Beratung wie­ sen die Vertreter beider Städte darauf hin, daß in Speyer wie in Rotach keinerlei Bedingungen für die Aufnahme in den Bund gestellt worden seien. Erst in Schwabach seien ihnen solche bekannt gegeben worden. Diese Artikel aber habe man bei ihnen etwas weitläufig und dermaßen ge­ stellt befunden, daß die Widersacher aus ihnen leicht Ver­ anlassung nehmen könnten, gegen solche Stände, deren Pre­ diger in diesen Artikeln nicht ganz gleich lehrten, vor­ zugehen. Gelinge es so den Römischen, einen oder meh-

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rere solcher Stände zu unterdrücken, so werde man das auch mit den übrigen tun. Das aber könnte die Evangelischen eher zur Trennung als zur Einigkeit führen. Darum seien ihnen die Artikel unleidlich und beschwerlich. Könnte man sich aber dahin einigen, daß den Ständen, deren Prediger ihre Lehre aus der Schrift zu erweisen vermöchten, im Fall eines Angriffs Hilfe geleistet werde, dann würde an ihnen kein Mangel erfunden werden29). Am Tag darauf wurden Kreß und Volkamer von den Fürsten ersucht, mit den Gesandten von Ulm und Straßburg weiter zu verhandeln, ob sie die Artikel nicht doch bewilli­ gen wollten, und dann den kurfürstlichen und markgräf­ lichen Räten wieder berichten. Ferner sollten sie auch eine Erklärung über die Stellung des Nürnberger Rates zu den Artikeln abgeben. Sie antworteten, sie wären gern bereit, mit bestem Fleiß weiter mit den Vertretern beider Städte zu handeln, aber sie sähen für nutz und not an, daß auch die Fürsten selbst mit jenen handeln ließen. Bezüglich der Stellung ihrer Herren zu den Glaubensartikeln wollten sie den Räten und ihren Fürsten nicht verhalten, daß der Nürn­ berger Rat entschlossen sei, bei den Artikeln, wie sie ihnen vorgelegt wurden, zu bleiben. Sie hätten gehofft, daß auch Ulm und Straßburg sich dazu entschlossen hätten. Wäre das geschehen, so hätten sie Befehl gehabt, alsdann neben beiden Städten mit den Fürsten auch von der Einigung zu handeln. Nun aber, nachdem die Verhandlung mit den bei­ den Städten sich erstoßen wolle, hätten sie keinen Befehl, sich allein ohne die andern Städte in ein Bündnis ein­ zulassen. Dagegen ließen die Fürsten den Nürnbergern sagen, sie hörten gern, daß der Rat entschlossen sei, bei den Glaubens­ artikeln zu bleiben. Der Kurfürst und die markgräflichen Räte hielten es aber nicht für gut, auch selbst mit den Ge­ sandten der beiden Städte zu handeln. Denn sie seien gleich­ sam eine Partei, weil sie die fraglichen Artikel zu Schwa­ bach „auf die Bahn gebracht“ hätten. Darum baten sie, Kreß und Volkamer möchten weiter mit den Städten ver­ handeln. Wollten diese die Sache noch weiter bedenken,

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so sollten sie ihre Entscheidung bis 6. Januar an Nürnberg kund geben, damit dieses dem Kurfürsten Mitteilung mache. Sollten jedoch die beiden Städte die Glaubensartikel nicht annehmen und sich also absondern, so wünschten der Kur­ fürst und der Markgraf, daß Nürnberg sich mit ihnen im Magdeburgischen Bündnis zusammenschließe. Gemeint war damit das Bündnis, welches der Kurfürst Ende Februar 1526 mit dem Landgrafen geschlossen hatte und welches dann im Juni 1526 durch den Anschluß der Herzoge von Lüne­ burg, Philipp von Braunschweig - Grubenhagen, Heinrich von Mecklenburg, des Fürsten von Anhalt, des Grafen von Mansfeld und der Reichsstadt Magdeburg seine Erweite­ rung gefunden hatte. Die Nürnberger sagten darauf zu, mit den beiden Städten weiter verhandeln zu wollen, baten aber, man möge es ihnen nicht verübeln, daß sie keinen weiteren Befehl hät­ ten. Denn ihre Herren hätten sich keiner Trennung verhofft, sondern geglaubt, es würden Mittel gefunden wer­ den, die es ermöglicht hätten, daß Fürsten und Städte ge­ meinsam vorgehen könnten. Dazu komme, daß der gegen­ wärtige Tag weniger wegen des Bündnisses und mehr we­ gen der Gefangensetzung der Gesandten durch den Kaiser anberaumt worden sei. Was nun aber das Magdeburgische Bündnis anlange, so hätten ihre Herren auch davon gespro­ chen, bedächten aber dasselbe für sie als weitläufig und ent­ legen, also daß ihr Gemüt zur Zeit nicht wäre, sich in das­ selbe einzulassen. Bei der weiteren Verhandlung mit Straßburg und Ulm erklärten deren Gesandte den Nürnbergern, man habe die Bündnisfrage an ihre Herren gebracht, obwohl man ihren Glaubensstandpunkt gekannt habe. Erst nachträglich sei man mit den Glaubensartikeln an sie gekommen, die ihre Herren nicht annehmen könnten. Dabei wollten sie es nun bleiben lassen. Die Artikel nochmal an ihre Herren zu brin­ gen, müßten sie ablehnen, da diese sich doth nicht anders bedenken würden. Wollten aber die Fürsten die Artikel mildern und auf ein leidliches Maß bringen, so wollten sie das gern hören und an ihre Herren bringen. Man möge

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doch auch bedenken, wie die Gegner frohlocken würden, wenn es bei der Trennung bliebe. Darum hielten sie es auch für gut, wenn man sich darüber einigen könnte, wie man in der Zwischenzeit einander Hilfe bringen könnte, auch wenn man über die Glaubensfrage nicht ganz einig sei. Die Gegner suchten je auch nicht einzelne Artikel zu unter­ drücken, über die man nicht einig sei, vielmehr gingen sie darauf aus, das ganze Evangelium auszutilgen. Darum könnte ein Teil dem andern wohl beistehen, wenn dieser um einer Lehre willen angegriffen würde, zu deren Erweisung aus der heiligen Schrift er sich erbiete. Könne er das dann in der Tat nicht, so möge man ihn sein Abenteuer allein bestehen lassen. Nachdem die Nürnberger diesen Bescheid den kurfürst­ lichen und markgräflichen Räten mitgeteilt hatten, ant­ worteten diese, sie wollten die Verhandlungen nicht weiter fortsetzen. Die Artikel seien wohl bedacht und mit tap­ ferem Rat gelehrter und ungelehrter Räte gestellt; aus Ge­ wissensgründen könnten sie nichts daran ändern. Nunmehr fragten die Gesandten von Ulm und Straß­ burg, ob vielleicht die Nürnberger Aenderungsvorschläge an den Artikeln zu machen wüßten, die zu einer Verstän­ digung führen könnten. So weit es ihnen ihr Gewissen er­ laubte, würden sie denselben zustimmen. Aber die Nürn­ berger antworteten, ihre Herren hätten die Artikel wohl bedacht, aber keinen Mangel daran befunden. Deshalb wüßten sie auch an denselben nichts zu ändern 30). Inzwischen hatte auch der Landgraf noch einen Ver­ such gemacht, eine Verständigung herbeizuführen, indem er vorschlug, die beiden Städte in den Bund aufzunehmen, aber zu bestimmen, daß diese, wenn sie wegen ihrer Lehre vom Sakrament angegriffen würden, von den andern evan­ gelischen Ständen keine Hilfe zu erwarten hätten. Er war aber damit nicht durchgedrungen. Auch die von den Ulmern vorgeschlagene allgemeine Fassung des Bundes­ vertrags, nach der man sich verbünden wolle, ,,einander bei Gottes Wort zu erhalten, wie das ein jeder vermeine, mit biblischer Schrift zu verantworten“, wurde abgelehnt31).

203

Die Räte der Fürsten erklärten nunmehr den Nürnbergern, sie gedächten jetzt über den Bericht der von ihrer Reise zum Kaiser zurückgekehrten Botschaft und über die zu ergreifenden Maßnahmen zu verhandeln und zunächst mit Hessen und Brandenburg darüber zu sprechen. Die Nürnberger aber möchten sich deswegen mit den Städten, welche den Artikeln der reinen Lehre anhingen, ins Beneh­ men setzen. Auf die Frage, welche Städte damit gemeint seien, erhielten die Nürnberger den Bescheid, man meine die Städte, welche der reinen Lehre anhängig seien, es also nicht mit Ulm und Straßburg hielten. Jetzt erkannten die Nürnberger, daß man diese beiden Städte von den weiteren Verhandlungen ausschließen wolle. Darin sahen sie ein un­ billiges Verhalten der Fürsten. Denn die seinerzeit auf dem Nürnberger Konvent beschlossene Gesandtschaft war im Namen aller evangelischen Stände, auch der an der Pro­ testation beteiligten Reichsstädte abgeordnet worden. Auch zu den nicht geringen Kosten dieser Gesandtschaft hatten diese Städte ihren Anteil geleistet. Ueberdies war der Tag von Schmalkalden ausdrücklich zur Berichterstattung an die an der Gesandtschaft beteiligten Stände ausgeschrieben worden. Darum konnten sich die Nürnberger nicht ent­ schließen, den ihnen erteilten Auftrag auszuführen. Hätten sie doch damit gegen jene Städte Partei ergriffen und dazu geholfen, den Bruch mit diesen herbeizuführen. Sehe der Kurfürst die Ausschließung jener Städte von den weiteren Verhandlungen für gut an, so möge er sie selbst vorneh­ men und Nürnberg damit verschonen. Man gab ihnen den Bescheid, der Kurfürst und seine Räte wollten das beden­ ken und ihnen am folgenden Tag Antwort geben. Den Städ­ ten Ulm und Straßburg wolle man das Nötige selbst mitteilen 32). Am 2. Dezember wurden die Vertreter Nürnbergs und Straßburgs und Ulms wieder zum Kurfürsten gefordert. Die Gesandten Ulms und Straßburgs erhielten einen schriftlichen Bescheid auf ihre durch die Nürnberger übermittelte Ver­ antwortung bezüglich der Glaubensartikel und des Bünd­ nisses. Auch die Nürnberger erhielten eine Abschrift des-

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selben zur Uebermittlung an ihren Rat. Die Ulmer und Straßburger nahmen ihren Bescheid mit der Erklärung ent­ gegen, sie wollten denselben an ihre Herren bringen, füg­ ten aber hinzu, sie glaubten auch jetzt noch, daß sie mit ihrer Lehre nicht so weit von den andern entfernt seien, als manche meinten. Nach Tisch legten sie dann auch vertrau­ lich den Räten des Kurfürsten ihre Auffassung noch ein­ mal dar33). Bemerkt sei noch, daß die markgräflichen Räte sich in einem Gutachten gegen die Ausschließung der Zwinglischen Städte von den Verhandlungen über die treffenden Maß­ nahmen gegenüber dem Kaiser ausgesprochen hatten 34). Am 3. Dezember wurden die Gesandten aller Städte außer denen von Ulm und Straßburg zu den Fürsten aufs Rathaus berufen. Hier wurde jedem im Namen des Kur­ fürsten, des Markgrafen und Lüneburgs — aber nicht des Landgrafen — ein Verzeichnis von Glaubensartikeln, ähn­ lich dem von Schwabach, aber etwas gemildert, zur Durch­ sicht zugestellt und dazu bemerkt, man habe für gut befun­ den, eine weitere Botschaft an den Kaiser zu senden, um durch diese die den evangelischen Ständen begegneten Be­ schwerden abzuwenden. Man wolle aber klar sehen, welche von den Städten im christlichen Glauben einig wären. Denn nur mit diesen könne man weiter verhandeln. Darum habe man ihnen die Artikel zugestellt, welche die Fürsten gegen­ einander bekannt hätten, und nun bitte man die Gesandten, von ihrer Herren wegen zu erklären, ob ihnen diese Artikel annehmbar wären und ob sie dieselben neben den Fürsten bekennen und halten würden. Nach Kenntnisnahme von den Artikeln und gemeinsamer Beratung darüber erklärten die Städtegesandten, alle ihre Herren hätten bisher von die­ sen Artikeln nichts gewußt. Nur Nürnberg habe sie ge­ kannt und gebilligt, aber sich von den übrigen Städten nicht trennen wollen. Nun möchten vielleicht auch andere Städte an den Artikeln keinen Anstoß nehmen; aber nachdem* ein Teil derselben sie beschwerlich finde und sie von zu Hause darüber keine Vollmacht hätten, bitten sie alle, ihnen zu gestatten, daß sie diese Artikel ihren Herren vorlegten, da-

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mit diese selbst dem Kurfürsten Antwort geben könnten. Da aber dieser Tag zu dem Zweck ausgeschrieben sei, daß über die Botschaft zum Kaiser und dessen beschwerlichen Bescheid verhandelt werde, wären sie beauftragt und be­ reit, ihrer Herren Aufträge zur Kenntnis zu bringen. Mit dem Antrag bezüglich der Artikel waren die Für­ sten einverstanden. Aber darüber jetzt zu reden, was bei dem Kaiser weiter zu handeln sei, lehnten sie ab. Doch wa­ ren sie bereit, einen neuen Tag auf den 6. Januar 1530 nach Nürnberg zu berufen. Diejenigen Städte, welche den ihnen übergebenen Glaubensartikeln zustimmten, sollten zu die­ sem Tag ihre Botschaft schicken, die nicht zustimmten, möchten sich das Schicken ersparen. Denn mit diesen könn­ ten sie nicht verhandeln. Die Städte baten darauf um einen schriftlichen Abschied, damit ihre Herren genauen Bescheid wüßten. Sie erhielten einen solchen in der kurfürstlichen Kanzlei. Mit dem ihnen abgeforderten Versprechen, die Verhandlungen geheim zu halten, schieden sie35). Zwischen den Nürnberger Gesandten und dem säch­ sischen Kanzler Bayer spielte sich zuletzt noch eine un­ angenehme Szene ab. Jene glaubten, diesem noch sagen zu müssen, daß ihnen sein Auftreten gegen die Städtebotschaf­ ten ,,etwas rauh“ erschienen sei. Darauf antwortete ihnen der Kanzler, das komme alles aus einem Ratschlag, den die Nürnbergischen Prediger seinerzeit gefaßt hätten, nach welchem man sich mit den „Sakramentierern“ nicht ein­ lassen dürfe. Mit diesem Hinweis wollte der Kanzler die Schuld an dem Scheitern des Bündnisses auf Nürnberg schieben. Ja, er drohte jetzt sogar, jenen Ratschlag dem Landgrafen auszuhändigen, um zu beweisen, daß Nürnberg schon damals das Zustandekommen des Bündnisses, wel­ ches der Landgraf dringend wünschte, durchkreuzt habe. Wie sich die Sache wirklich verhielt; zeigt uns der bereits erwähnte Brief Spenglers vom 12. Dezember 1529. In die­ sem betont Spengler, daß es sich in dem fraglichen Rat­ schlag der Nürnberger Prediger nicht um das Bündnis, son­ dern um die Frage gehandelt hatte, ob man das Religions­ gespräch zu Marburg zu lassen oder verhindern solle. Der

206 Rat war zunächst gegen dasselbe, aber auf Wunsch des Landgrafen, und nachdem der Kurfürst Luther zu dem Ge­ spräch abgeordnet hatte, ließ der Rat auch Osiander an demselben teilnehmen. Spengler schreibt auch am Schluß dieses seines Briefs, der sächsische Kanzler habe sich mit seiner Beschuldigung Nürnbergs nur ,,schön machen“ und alle Unlust des Landgrafen und der Städte auf den Nürn­ berger Rat wenden wollen 36). Von der Erklärung Nürnbergs, daß es sich ohne Ulm und Straßburg in das Bündnis nicht einlassen wolle, waren Sachsen und Brandenburg sehr unangenehm berührt37). Daß es auch das Magdeburgische Bündnis abgelehnt hatte, enttäuschte sie vollends. War doch Nürnberg in Speyer am entschiedensten aufgetreten, sowohl in Sachen der Prote­ station, die es angeregt hatte und immer wieder forderte, als auch in der Bündnisfrage, in der es sich als die erste Reichsstadt an die Seite der Fürsten gestellt hatte. Frei­ lich kamen dem Rat mit der Zeit doch Bedenken. So wenig man in dem gut lutherischen Nürnberg den Zwinglischen Städten in der Sakramentsfrage, deren grundsätzliche Be­ deutung für die Auffassung des Christentums überhaupt je länger je mehr erkannt wurde, zustimmen konnte, so glaub­ te man doch auch deren ehrliche Ueberzeugung ebenso achten zu müssen, wie man es für die eigene beanspruchte* Auch politische Erwägungen kamen dazu. Die Einigkeit und das feste Zusammenhalten mit den Städten, solange ein solches nur irgend möglich war, galt dem Rat als Ge­ setz. Man wollte sich von den Städten nicht trennen las­ sen. Am -entschiedensten trat Spengler dafür ein. So schrieb er am 12. Dezember an Vogler: ,,Ich hätte mich wahrlich zum Kurfürsten dieses rauhen und meines Bedünkens unfürstlichen Abschieds — er meinte den von Schmalkalden — gar nit versehen. Ob auch das Evan­ gelium durch diesen Weg gefördert wurdet, wenn man jedermann von dannen schlagen, ein neu Zerrüttung anrichten, die Städt, die doch sonst gern Christen sein wollten, ganz verlassen und also gegen kaiserliche Majestät und die Stände, die ohnedies die christlichen- Städt utn des Evan-

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geliums willen zerreißen wollen, aufopfern soll, geb ich euch als den Verständigen zu bedenken.“ Spengler war damals tatsächlich der Meinung, daß man die Zwinglischen Städte trotz ihrer auch ihm anstößigen ,,Irrung im Sakrament“ in das Bündnis hätte aufnehmen können und sollen; ja er hielt es für unrecht, daß. die Für­ sten ihnen das verweigerten. Und doch, wenn man näher zusieht, wird man finden, daß es durchaus nicht Kleinlich­ keit und Rücksichtslosigkeit war, was die beiden Fürsten zu dieser ihrer Haltung bestimmte, sondern reine, un­ bedingte Gewissenhaftigkeit, was denn auch durch die wei­ teren Verhandlungen, wie auch durch ihr weiteres Verhak ten sich erwies. Vor allem war es ihnen ein mit ihrem Gewissen nicht zu vereinigender Gedanke, in dem zu schließenden Vertei­ digungsbündnis gegebenenfalls eine Irrlehre, was in ihren Augen die Zwinglische Sakramentslehre doch war, mit ver­ teidigen zu müssen. Darum geschah es, daß sie in den 'Ab­ schied von Schmalkalden die Bestimmung aufnahmen, daß zu den Verhandlungen des auf den 6. Januar anberaumten Nürnberger Konvents nur diejenigen Stände und Städte zugelassen werden sollten, welche den bereits oben erwähn­ ten Schwabacher Artikeln zugestimmt hatten 38). Nun hatte der Landgraf nach dem Mißerfolg in Schmal­ kalden einen Versuch unternommen, mit dem Markgrafen eine Verständigung herbeizuführen. In einem Brief vom 3. Dezember, welchen er in Schmalkalden den markgräf­ lichen Gesandten mitgab, fragte er an, ob er auf des. Mark­ grafen Hilfe rechnen könne, wenn etwa der Kaiser ihn an­ greifen sollte 3Ö). Diese Anfrage versetzte den Markgrafen in eine große Verlegenheit. Auf dem Tag zu Schwabach hatte derselbe noch ein Bündnis zur Verteidigung gegen den Kaiser für möglich gehalten. Er hatte auch seine Gesand­ ten für Schmalkalden dahin instruiert, daß in dem Bündnis­ vertrag der Kaiser auszuriehmen sei, „jedoch nicht anders* als man vor Gott und nach gemeinem Recht zu tun schuldig sei, sofern die kaiserliche Majestät nicht wider Gott, sein heiliges Wort und unser Gewissen, unsern heiligen Glau-

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ben, wie wir den in etlichen Artikeln bekennen, mit der Tat handle, uns davon zu dringen. Wo sich aber kaiserliche Majestät unterstünde, uns von unserem Glauben mit Ge­ walt und mit der Tat zu dringen und darum Land und Leute zu nehmen, des wir uns doch nicht versehen, so ge­ bührt uns Gott mehr vor Augen zu haben und zu gehor­ samen, denn allen Menschen, auch diesesfalls unsre Unter­ tanen vor ewigem und zeitlichem Unrecht mit Gottes Hilfe zu beschirmen“. Auch Luther hatte, als er seinem Kurfürsten von einem Bündnis mit den Zwinglischen abriet, noch eine Verstän­ digung mit dem Kaiser für möglich gehalten. Aber je län­ ger, je mehr erwies sich diese Annahme als eine Täuschung. In der Instruktion, welche der Kurfürst seinem Gesandten auf den Tag von Schwabach mitgab, hieß es, die große Gefahr werde jetzt an der höchsten Stelle sein, während man bisher immer nur mit den römisch gesinnten Ständen als Gegnern gerechnet hatte. Damit war man auf evan­ gelischer Seite vor die Frage gestellt, wie man sich zu ver­ halten habe, wenn der Kaiser selbst einen Angriff gegen sie unternehme. Die Juristen, denen der Kurfürst diese Frage vorlegte, vertraten den Standpunkt, daß dem mit Unrecht Angegriffenen die Gegenwehr erlaubt sei. Luther und Melanchthon freilich glaubten, davon abraten zu müssen. Nach ihrem Urteil blieb der Kaiser die höchste Obrigkeit, auch wenn er unrecht handle; darum dürfe man sich ihm nicht widersetzen, sondern müsse eben das Unrecht lei­ den 40). Auch in Nürnberg war man derselben Auffassung. Hier war es vor allem Spengler, der diesen Standpunkt vertrat. Ihm waren noch vor dem Tag zu Schmalkalden Bedenken aufgestiegen, ob überhaupt ein Widerstand gegen den Kai­ ser erlaubt sei. In einem für den Rat ausgearbeiteten Gut­ achten war er zu dem Schluß gekommen, daß ein Wider­ stand nicht berechtigt sei41). Dieses Gutachten bewirkte, daß auch der Rat Spenglers Auffassung beitrat. So schrieb derselbe am 8. November an den Landgrafen, er sehe in dem Verhalten des Kaisers gegen die Gesandtschaft der evan-

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gelischen Stände zu Piacenza „eine ungnädige und zuviel ungeschickte Handlung, zu welcher derselbe vielleicht von den Verfolgern und Widerwärtigen des Evangeliums ursacht worden ist.

ver­

Aber dieweil allen, die sich als Chri­

sten bekennen, nichts gewisseres

als das Kreuz täglicher

widerwärtiger Zufäll zu gewarten vorsteht, so geziemt sich nit weniger, diesen Handel Gott zu befehlen, der uns als ein getreuer Gott und Vater durch diese und dergleichen zugesandte Beschwerden probieren will, als die Sachen auf einen endlichen Widerstand,

Gegenwehr und menschliche

Rettung, zuvor wider unsere Obrigkeit und ordentlich zeit­ lich Haupt zu stellen“ 42). Spengler hatte eine Abschrift seines in dieser Sache dem Rat erstatteten Gutachtens auch an den Kanzler des Mark­ grafen Georg Vogler gesandt43). Johann Brenz, der Prediger zu Schwäbisch Hall, der es durch Vogler erhielt44), stimmte Spenglers Urteil

zu 45).

Die Gutachten

von Brenz

Spengler kamen auch zur Kenntnis des Markgrafen.

und Aus

ihnen gewann auch dieser die Ueberzeugung, daß ein Wider­ stand gegen den Kaiser als die höchste Obrigkeit in keinem Fall erlaubt sei.

Nachdem er die oben erwähnte Anfrage

des Landgrafen vom 3. Dezember 1529 erhalten hatte, ant­ wortete er zunächst ausweichend.

Aber auf eine Anfrage

vom 29. Dezember erwiderte der Markgraf, daß er sich zum Widerstand gegen den Kaiser nicht verpflichten könne, wo­ bei er allerdings versprach, die Begründung des gegenteili­ gen Standpunktes, welchen der Landgraf einnahm, seine Theologen prüfen zu lassen.

durch

Doch kam es zu keiner

Verständigung zwischen beiden. Noch in Schmalkalden hatte der Kurfürst gräflichen Gesandten Verteidigungsbund

zu

ersucht,

die

mark­

den Markgrafen für einen

gewinnen46).

Auch

die

Instruk­

tion, welche der Kurfürst im Benehmen mit Braunschweig und Anhalt seinem Kanzler zum Nürnberger Konvent mit­ geben hatte, enthielt noch den Auftrag,

Brandenburg und

Nürnberg und durch letzteres auch die übrigen Städte für das Bündnis zu gewinnen 47).

Aber auch hier tauchte bei

den Verhandlungen alsbald die grundsätzliche Frage auf,

u

210

ob man dem Kaiser bei einem Angriff wegen des Glaubens Widerstand leisten dürfe. Der sächsische Kanzler erklärte* allerdings nur als seine persönliche Meinung, er halte den Widerstand gegen den Kaiser, falls dieser einen Reichs­ stand wegen seines Glaubens angreife, für berechtigt. Wolle der Kaiser jemand zur Wiederannahme des Papsttums zwingen, so sei er als Feind zu betrachten und man dürfe sich das nicht gefallen lassen. Ueberdies sei nicht nur die Gewalt des Kaisers, sondern auch die der Fürsten von Gott. Dagegen erklärte der Vertreter des Markgrafen, sein Herr werde alle Gewaltmaßregeln des Kaisers, auch solche wegen des Glaubens, über sich ergehen lassen, ohne sich mit Gewalt zu widersetzen. Die Vertreter Nürnbergs gaben dieselbe Erklärung im Namen des Rates. Spengler aber beschuldigte den Kanzler, als er ihm bald darauf im Nürn­ berger Rathaus begegnete, wegen seiner Rechtsauffassung in der Bündnisfrage des Irrtums, was zu einem sehr erreg­ ten Wortwechsel zwischen beiden führte. Doch führten sie die Aussprache um der sich ansammelnden Zuhörer willen in lateinischer Sprache 48). Uebrigens trug damals auch in Sachsen Luthers Gut­ achten den Sieg davon. Zum Bündnis kam es auch auf dem Nürnberger Konvent nicht. Es scheiterte an dem Ge­ wissen der Beteiligten. Diese alle wußten, daß der Kaiser, sobald es ihm die politischen Verhältnisse erlaubten, gegen sie losschlagen werde. Jetzt hätte ihnen der Zusammen­ schluß in einem Bündnis günstige Aussichten eröffnet. Aber sie standen davon ab. Nicht aus Furcht, sondern allein aus Gewissensgründen und im Vertrauen auf Gott! Ranke urteilt hierüber: „Nie trat wohl die reine Ge­ wissenhaftigkeit rücksichtsloser und großartiger hervor. Politisch klug war es nicht. Aber es war groß“ 4Ö).

2 11

Kapitel XVII. Nürnberg auf dem Reichstag zu Augsburg 1530. Die Stimmung, welche den Kaiser infolge des Ausgangs des Speyerer Reichtags 1529 gegen die Evangelischen be­ herrschte, hatte derselbe bereits in seinem Schreiben vom 2. Juli 1529 zum Ausdruck gebracht, in welchem er die evan­ gelischen Fürsten unter ernstlicher Strafandrohung auf­ gefordert hatte, ihre Protestation zurückzunehmen und sich dem Mehrheitsbeschluß der Reichsstände zu unterwerfen. Ebenso hatte seine Behandlung der zu ihm nach Italien abgeordneten Gesandtschaft deutlich genug gezeigt, wie der Kaiser gegen die evangelischen Stände gesinnt war. Dazu war inzwischen bekannt geworden, daß der Kaiser bei sei­ nem Friedensschluß mit dem Papst sich diesem zur gewalt­ samen Ausrottung der „lutherischen Ketzerei“ verpflichtet hatte, falls sie sich nicht durch gütliche Mittel zur Unter­ werfung bringen ließen. So konnten die Evangelischen von dem kommenden Reichstag nichts Gutes erwarten. Umsomehr war man in den evangelischen Kreisen über­ rascht, als das Ausschreiben zu diesem Reichstag bei der Erwähnung der Glaubensfrage durchaus friedlich und ver­ söhnlich lautete und statt der Gewaltanwendung gütliche, allein die christliche Wahrheit und Verständigung suchende Verhandlungen mit den Evangelischen versprach1). Von der hier bekundeten Milde und Versöhnlichkeit war man bei diesen um so angenehmer berührt, als das Ausschreiben auch die Mitteilung enthielt, der Kaiser habe darüber auch mit dem Papst verhandelt, und auch dieser wünsche die Glau­ bensfrage „zu gutem Frieden und einmütigem Verstand und Wesen zu bringen“2). So hatte man sich’s ja bei den 14*

212

Evangelischen bereits 1524 gedacht, als die Reichsstände eine deutsche Nationalversammlung in Aussicht gestellt hatten, um auf derselben eine friedliche Verständigung zu finden. Aber damals hatte der Kaiser auf Betreiben des päpstlichen Legaten durch sein Verbot der National­ versammlung die schöne Hoffnung zerstört. Mit dem Hinweis auf die nunmehr möglich gewordene friedliche Verständigung forderte der Kurfürst zu Sachsen die evangelischen Fürsten zu vollzähligem Besuch des Reichstages auf3). Auch in Nürnberg stellte der Rat mit Befriedigung fest, daß das kaiserliche Ausschreiben ,,ganz mild und gnädiglich gestellt“ sei und den Eindruck er­ wecke, als wollte der Kaiser ,,auf eine gleiche Einhelligkeit des Glaubens gnädiglich handeln“ 4). Allerdings fügte der Rat dieser Feststellung vorsichtig hinzu: ,,Ob nun die Sa­ chen diesem Ausschreiben gemäß zu traktieren fürgenom­ men, oder, wie zu vermuten, in anderer Weise gehandelt, wird das Ende mit der Zeit anzeigen“ 5). Mit dieser Vor­ sicht behielt denn auch der Rat Recht. Denn schon bald war zu erkennen, daß diese friedlichen und versöhnlichen Worte keineswegs so gemeint waren, wie sie lauteten, und daß in ihnen nur „Tücke und List“, wie der sächsische Kanz­ ler Dr. Brück es nannte, ihr falsches Spiel trieben 6). So sprach es auch bald darauf der kaiserliche Beichtvater und derzeitige Vertreter des Kaisers am päpstlichen Hof Garcia Loaysa offen aus: ,,So sehe ich denn, wenn Ihr entschlossen seid, Deutschland zurückzubringen, kein anderes und bes­ seres Mittel, als mit Geschenken und Schmeicheleien diejeni­ gen zur Rückkehr zum Glauben zu bringen, die auf wissen­ schaftlichem Standpunkt oder im Reich die Höchsten sind. Und ist das geschehen, so habt Ihr für das übrige, niedere Volk zuerst Eure kaiserlichen Edikte und christlichen Er­ mahnungen öffentlich zu erlassen, und wenn sie dann nicht gehorchen, dann ist der wahre Rhäbarber, um sie zu heilen, die Gewalt. Diese allein heilte den Aufstand Spaniens gegen seinen König, und sie wird es auch sein, die Deutsch­ lands Untreue gegen Gott kurieren wird“ 7).

213

Von Bologna, wo er mit dem Papst sein Vorgehen auf dem Reichstag verabredet hatte, reiste der Kaiser nach Inns­ bruck, begleitet von dem päpstlichen Legaten Campeggi. Dort überreichte ihm dieser im Auftrag des Papstes eine Denkschrift mit folgenden Forderungen: Erneuerung und rücksichtslose Durchführung des Wormser Edikts; rück­ sichtslose Zensur über alle Bücher und Schriften; Vernich­ tung aller lutherischen Bücher; strenge Ueberwachung aller Prediger und Absetzung aller evangelischen Geistlichen; Einführung der spanischen Inquisition in Deutschland und Ausrottung aller lutherischen Ketzer mit Feuer und Schwert 8). Mit welchem Eifer der Kaiser derartige Anregungen aufnahm, zeigt folgende Tatsache. Als Campeggi auf der Reise nach Augsburg im Gespräch mit dem Kaiser einmal bemerkte, wenn die Ketzer den Frieden Gottes, den der Kaiser ihnen bringt, nicht annehmen wollten, müßten sie mit eiserner Rute gezüchtigt werden, erwiderte der Kaiser: ,,Nicht mit Eisen, sondern mit Feuer!“ 9). Nach dem Ausschreiben sollte der Reichstag am 8. April beginnen. Aber der Kaiser kam erst am 4. Mai nach Inns­ bruck und blieb dort einen vollen Monat, ohne Rücksicht darauf, daß die Reichsstände in Augsburg auf ihn warteten. Nach Innsbruck war ihm König Ferdinand entgegen gekom­ men. Auch die entschiedensten Gegner der Reformation unter den Fürsten und Diplomaten hatte der Kaiser dort­ hin berufen, um mit ihnen den Feldzugsplan zu beraten, der in Augsburg gegen die Evangelischen durchgeführt werden sollte. Mit welchen Mitteln hier zum Teil auch gearbeitet wurde, mag daraus ersehen werden, daß der Kaiser in diesen Tagen 270 000 Gulden allein an Geschenken ausgab 10). Am 6. Juni, nachdem in Innsbruck alles vorbereitet war, brach der Kaiser von dort auf, nahm aber auch in München Aufenthalt, um die neu geschlossene Freundschaft mit den bayerischen Herzogen zu bezeugen. Erst am 15. Juni ritt er in Augsburg ein. Wie wenig rücksichtsvoll er gegen die evangelischen Fürsten gesinnt war, gab er diesen noch am Abend dieses Tages zu fühlen, indem er ihnen ver-

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bot, während des Reichstags evangelische Predigtgottes­ dienste halten zu lassen und zugleich die Forderung an sie stellte, sich am folgenden Tag mit ihm an der Fronleich­ namsprozession zu beteiligen. In das Predigtverbot mußten sich die Fürsten fügen, nachdem der Kaiser dasselbe damit begründet hatte, daß Augsburg ,,seine Stadt“ sei, in der ei zu gebieten habe. Dagegen lehnten sie die Teilnahme an der Prozession entschieden ab. Markgraf Georg erklärte dabei dem Kaiser, eher lasse er sich den Kopf abschlagen, als daß er sich der Forderung des Kaisers füge und seinen Glauben verleugne. Uebrigens hatte der Kaiser auch die katholische Predigt verboten11). Als Vertreter Nürnbergs hatte der Rat die beiden in derlei Geschäften vielfach bewährten Ratsmitglieder Chri­ stoph Kreß und Clemens Volkamer abgeordnet. Am 15. Maj trafen sie in Augsburg ein. Um in beständiger und rascher Verbindung mit seinen Gesandten zu bleiben, hatte der Rat für sich eine eigene Post eingerichtet, welche in Dietfurt bei Treuchtlingen eine mit zwei Postreitern besetzte Sta­ tion hatte, von der die Postsendungen weiter geleitet wer­ den konnten. Die Städte Weißenburg und Donauwörth hatten auf Ersuchen Nürnbergs Vorsorge,getroffen, daß die Postreiter auch nachts durch diese Städte reiten konnten. So konnte der Rat mit seinen Gesandten einen lebhaften Briefverkehr unterhalten, der an Schnelligkeit der Beför­ derung dem heutigen wenig oder gar nicht nachstand 12). Kreß und Volkamer hatten vom Rat die Weisung er­ halten, sich alsbald bei dem Kurfürsten Johann zu Sachsen und dem Markgrafen Georg ,,ihres Gemüts, was in des Glau­ bens Sachen zu handeln sei“, zu erkundigen, und auf beide ihr Aufsehen zu haben, sich von den Zwinglischen fern zu halten und in Glaubenssachen nichts vorzunehmen, ohne vorher die Zustimmung des Rates eingeholt zu haben13). So war es denn ihre erste Handlung am Tag nach ihrer An­ kunft, bei dem Kurfürsten vorzusprechen. Den Markgrafen konnten sie erst später besuchen, da dieser erst am 25. Mai in Augsburg ankam. Zunächst begegneten die Nürnberger bei den evangelischen Fürsten starkem Mißtrauen. So ließ

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der Landgraf Philipp von Hessen, der gegenüber von den Nürnbergern wohnte, schon am Tag nach deren Ankunft Kreß um einen Besuch bitten. Nachdem er Kreß nach ihrer Instruktion gefragt und als eigene Meinung ausgesprochen hatte, daß man am besten auf ein Konzil hin arbeite und nicht zugebe, daß die Reichsstände in Glaubenssachen eine Entscheidung träfen, stellte der Landgraf die Frage, ob Nürnberg wirklich den letzten Speyerischen Abschied nach­ träglich angenommen habe. Kreß versicherte ihm, daß ein derartiges Ansinnen an den Rat überhaupt nicht gestellt und von diesem auch nicht bewilligt worden sei. Der Land­ graf wollte das nicht glauben. Noch zweimal wiederholte er die Frage, ob Kressens Antwort tatsächlich und zuverläsfig auf Wahrheit beruhe. Erst als Kreß dies zum drittenmal ,,auf Glauben“ versichert hatte, gab sich der Landgraf zu­ frieden 14). Am 26. Mai schickte auch Kurfürst Johann seinen Kämmerer Rietesel zu Kreß und ließ ihm sagen, er habe glaubhafte Nachricht, daß der Nürnberger Rat sich dem Kaiser gegenüber erboten habe, zu vollziehen, was dieser bezüglich des Glaubens befehle. Insbesondere sei er bereit, seine Prediger zu entlassen, wenn der Kaiser es wünsche. Unter Berufung darauf sei auch an eine Gesandtschaft der Stadt Ulm in Innsbruck das Ansinnen gestellt worden, den Speyerer Abschied nachträglich anzunehmen, was jedoch die Ulmer Gesandten abgelehnt hätten. .Rietesel fragte nun im Auftrag des Kurfürsten, was an der Sache wäre. Kreß konnte erwidern, einen derartigen Schritt habe der Nürn­ berger Rat nicht getan. Auch seine zuletzt an den Kaiser geschickte Gesandtschaft habe keinerlei Befehl gehabt, in Sachen des Glaubens Erklärungen abzugeben. Der Rat denke auch nicht daran, von seinem Glaubensstandpunkt irgendwie abzuweichen. Sie, die Gesandten, hätten im Ge­ genteil den Befehl, darin ihr Aufsehen auf den Kurfürsten und den Markgrafen zu haben. Dieser Befehl werde sicher nicht zurückgenommen werden lö). Das üble Gerücht über Nürnberg, welches auch bei den Räten umlief, war allem Anschein nach vom kaiserlichen

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Hof ausgegangen und durch den Propst von Waldkirch geflissentlich verbreitet worden, um Mißtrauen und Zwie­ tracht unter den Evangelischen zu erregen und andere Städte zum Abfall zu bewegen16). Die Nürnberger Gesandten hatten wegen dieses Gerüchts am Anfang des Reichstages einen schweren Stand. Wohl bemühten sie sich, dem gegen sie erregten Mißtrauen zu begegnen. Auch der Rat unter­ stützte sie darin durch wiederholte Erklärungen und Rich­ tigstellungen 17). Aber der Kurfürst übte längere Zeit gegen Nürnberg große Zurückhaltung. Ebenso auch der Land­ graf, der überdies verärgert war, weil Nürnberg die Politik des Landgrafen nicht mitmachen wollte. Bei den Städten aber herrschte Unzufriedenheit gegen Nürnberg, weil dieses nach ihrer Meinung sich allzu eng an die Fürsten angeschlos sen hatte. Die evangelischen Stände bildeten überhaupt, als sie sich für diesen Reichstag rüsteten, keineswegs eine geschlos­ sene Front. Das unter dem Druck des Speyerer Abschieds noch vor dem Schluß jenes Reichstags vorbereitete-Bünd­ nis ,,zur Beschirmung des göttlichen Wortes“ war nicht zustande gekommen. Während Hessen mehr eine politi­ sche Einigung ohne Rücksicht auf Besonderheiten im Glau­ bensstandpunkt der Beteiligten wünschte, strebte Kur­ sachsen eine Einigung auf religiöser Grundlage an. Einer solchen aber stand der Zwiespalt zwischen den Luthera­ nern und den Zwinglischen im Wege. Sachsen hatte die ,,Schwabacher Artikel“ als Einigungsgrundlage vorgeschla­ gen. Aber Ulm und Straßburg lehnten diesen Vorschlag ab. Damit schlossen sich diese selbst von dem Bund aus. In Nürnberg aber war unter Spenglers Einfluß noch ein an­ derer Grund maßgebend geworden. Aus Gewissensgründen glaubte man gegen den Kaiser als der rechtmäßigen Obrig­ keit nicht die Waffen ergreifen zu dürfen. Ueberhaupt zeigte sich der Nürnberger Rat, welcher noch im vorigen Jahr auf dem Speyerer Reichstag sich so tapfer und mannhaft gehalten hatte und in Widerstand ge­ gen die Vergewaltigung durch die Gegner geradezu führend gewesen war, jetzt nach der mißglückten Gesandtschaft an

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den Kaiser recht zurückhaltend, ja ängstlich und zaghaft. Er hielt es jetzt für ratsam, für sich allein eine Verstän­ digung mit dem Kaiser zu suchen. Zu diesem Zweck sandte er am 26. Januar 1530 Sebastian Haller und Lienhard Stockheimer an den kaiserlichen Hof nach Bologna. Um den Zorn des Kaisers, den dieser der erwähnten Gesandtschaft der protestierenden Stände im Herbst zu Piacenza so dra­ stisch zu fühlen gegeben hatte, zu mildern und für die Stadt Nürnberg wieder ein leidliches Verhältnis zu ihm zu gewin­ nen, sollten die beiden Gesandten dem Kaiser die Ergeben­ heit der Reichsstadt und deren Gehorsam versichern. Sie wurden jedoch vom Kaiser selbst, wie auch von dessen Vizekanzler Propst von Waldkirch sehr ungnädig auf­ genommen. In ihrem Bemühen, diese ungnädige Stim­ mung des Kaisers zu überwinden, scheinen sie in ihren Ergebenheitsversicherungen etwas zu weit gegangen zu sein und Aeußerungen getan zu haben, welche der Propst in dem Sinn deutete und weitergab, als wäre Nürnberg bereit, von der Speyerer Protestation zurückzutreten 18). Der Bericht, welchen die Gesandten nach ihrer Rück­ kehr über ihre Erlebnisse erstatteten, war nicht geeignet, den Mut des Rates zu heben. Auch die Sendung des Syn­ dikus Pankraz Wagner an den Hof mit dem Auftrag, da­ selbst die Anliegen Nürnbergs zu vertreten und eine bessere Stimmung zu schaffen, hatte wenig Wirkung 19). Daß Nürnberg in der Bündnisfrage, in der es anfangs großen Eifer gezeigt hatte, sich je länger je mehr zurück­ hielt und schließlich ganz zurückzog, hatte auch den Kur­ fürsten verstimmt. Noch mehr steigerte sich dessen Miß­ stimmung durch einen weiteren Zwischenfall. Am 7. April hatte der Kurfürst dem Rat geschrieben, da er Luther we­ gen der auf ihm liegenden Reichsacht nicht mit nach Augs­ burg nehmen könne, wäre ihm viel daran gelegen, denselben insgeheim an einem sicheren Ort zu wissen, der näher an Augsburg liege, als sein Gebiet. Er habe nun an Nürnberg gedacht, und bitte den Rat, Luther und seinen Famulus Veit Dietrich während des Reichstags in Nürnberg wohnen zu

218 lassen und ihn zu diesem Zweck freies Geleit für beide zu­ schicken zu wollen. Diese Bitte brachte den Rat in große Verlegenheit. Dem Kurfürsten und auch Luther zulieb hätte er sie gern erfüllt. Aber er fürchtete durch die Aufnahme des Ge­ ächteten den Zorn des Kaisers auf sich zu laden. In der ersten Ratssitzung, welche deswegen gehalten wurde, kam man zu keinem Entschluß. Als der Kurfürst auf seiner Reise nach Augsburg in Koburg eintraf und keine Antwort des Rats dort vorfand, sandte er einen reitenden Boten nach Nürnberg und wiederholte seine Bitte20). Am 13. April beschloß der Rat, Luther nicht aufzunehmen und ihm kein freies Geleit zu bewilligen. Michael von Kadan erhielt den Auftrag, dem Kurfürsten davon persönlich Mitteilung zu machen. Spengler mußte eine Instruktion dafür ausarbei­ ten. Diese erörterte ausführlich die Gründe der Ablehnung. Das Wormser Edikt habe die schwersten Strafen über die­ jenigen verhängt, welche den geächteten Luther geleiten und beherbergen würden. Wollte der Rat ihn aufnehmen, so würde das nicht verborgen bleiben, und es wäre zu befürch­ ten, daß man vom Rat verlange, Luther entweder an den Kaiser auszuliefern, oder dem Recht seinen Lauf zu lassen. Das wäre vermieden, wenn der Kurfürst Luther in seinem Gebiet behielte. Nach dem Ermessen des Rates würde Luthers Aufnahme mehr zur Verhinderung, als zur För­ derung des Evangeliums gereichen. Doch soll der Kurfürst nicht glauben, daß der Rat sich in des Glaubens Sachen nicht als Christenleute zu halten gedächte, oder daß man Luther in Nürnberg für den ansehe, als den ihn die päpst­ liche Bulle hinstelle 21). Unter diesen Umständen verzichtete der Kurfürst auf Luthers Aufnahme in Nürnberg22). Aber seine Mißstim­ mung trat darin zutage, daß er nun länger, als vorgesehen, in Koburg blieb, und in Nürnberg, wo er am 27. April ein­ traf, nur einen Tag verweilte. Er hörte Osiander in St. Lorenz predigen und zog am andern Morgen nach einer FrüHpredigt Agricola's in der Frauenkirche weiter 28).

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Die kleine Reichsstadt Weißenburg zeigte damals mehr Mut als das mächtige Nürnberg. Sie sandte dem Kur­ fürsten bereitwillig den Geleitsbrief nicht nur für ihn selbst, sondern auch für ,,alle, die Ihre kurfürstlichen Gnaden mit sich bringen werde, niemand ausgeschlossen“ 24). Infolge der ungünstigen Berichte, welche bei dem Rat von Pankraz Wagner aus Bologna einliefen, insbesondere durch die Nachricht, daß der Kaiser dort mit den Kardina­ len, Erzbischöfen und Bischöfen viel und intim verkehre und Abmachungen treffe, war man im Rat nur noch sorgen­ voller geworden. Als er am 8. März von dem Ausschreiben zum Reichstag Kenntnis erhalten habe, richtete er an den Kurfürsten Johann, an den Markgrafen Georg und den Landgrafen die dringende Bitte, diese möchten persönlich auf dem Reichstag erscheinen; denn er erwarte davon eine wesentliche Stärkung für die übrigen evangelischen Stände25). Den Vorschlag Straßburgs, noch vor dem Be­ ginn des Reichstags eine Zusammenkunft der Reichsstädte zur Beratung von Abwehrmaßnahmen zu veranstalten, lehnte der Rat in diesen Tagen ab mit der Begründung, eine solche Zusammenkunft würde bei dem Kaiser und den übrigen Reichsständen nur noch ,,viel größere Ungnade und Gramschaft“ gegen die Städte erwecken. Man möge lieber zeitig nach Augsburg kommen, um dort vor dem Be­ ginn des Reichstags zu beraten 20). Eine große Beruhigung war es für den Rat, daß sowohl der Kurfürst als der Mark­ graf ihr persönliches Erscheinen auf dem Reichstag zu­ gesagt hatten. Letzterer hatte auch mitgeteilt, er werde für den Fall, daß er nicht gleich am Anfang erscheinen könne, seine Gesandten beauftragen, mit Sachsen und Nürn­ berg in Sachen des Glaubens zu handeln und mit beiden ge­ meinsam vorzugehen27). Der Markgraf hatte in diesem Brief an den Rat auch die Erwartung ausgesprochen, dieser werde bereits eine Verteidigung der gemeinsam mit ihm vorgenommenen Kir­ chenvisitation und der erfolgten Aenderungen entworfen haben2®). Das war freilich noch nicht geschehen. Erst

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am 19. April entschloß sich der Rat, von seinen Juristen und Theologen ein Gutachten einzuholen „was in des Glau­ bens Sachen zu handeln, und wie eins Rats Fürnemen (d. h. die vom Rat vorgenommenen Aenderungen in kirchlichen Ordnungen) zu verantworten sei“ 29). Bei der Erfüllung dieses Auftrags erschien es den Juristen besonders wichtig, daß auf dem Reichstag vor allem die Reichsstandschaft der Städte, d. h. das selbständige Stimmrecht derselben durch­ zusetzen sei. Werde dieses seit längerer Zeit erstrebte Recht den Städten gesichert, dann werde man auch bei den Verhandlungen in der Glaubensfrage Erfolg haben. Frei­ lich hätten hier die Städte voraussehen können, daß den Evangelischen auf diesem Reichstag eine geschlossene katholische Mehrheit gegenüberstehen werde, der seit dem letzten Reichstag auch ein großer Teil der Reichsstädte an­ gehörte, sodaß in diesem Fall das Stimmrecht der Städte wenig nützen konnte. Weiter betonten sie, der Hauptpunkt, auf den die Päpstlichen vor allem das Gewicht legen wür­ den, werde die Wiederaufrichtung der bischöflichen Juris­ diktion auch bei den Evangelischen sein. Dagegen müßten die Städte mit aller Entschiedenheit auftreten und gegebe­ nenfalls aufs neue protestieren und an ein Konzil appel­ lieren. In der Glaubensfrage müsse man sich auf die Reichs­ tagsabschiede von 1524 und 1526 berufen, welche das Recht gewährten und schützten, das Evangelium frei und lauter zu verkündigen. Dazu könne man geltend machen, daß alle von den Evangelischen vorgenommenen Aenderungen in der heiligen Schrift begründet und seit Jahrhunderten auf den Kirchenversammlungen von frommen und gelehrten Män­ nern gefordert worden seien. Die bisherige Erfolglosigkeit dieser Forderungen hebe deren Berechtigung nicht auf. Ge­ gen den zu erwartenden Einspruch des Bischofs zu Bam­ berg wegen der Jurisdiktion könnten die seinerzeit bei dem Schwäbischen Bund eingereichten Schriftstücke verwendet werden. In der Glaubensfrage sollten die Theologen mit der heiligen Schrift fechten. Wenn etwas wider das Wort Gottes beschlossen werde, solle man nicht schweigen, son­ dern fest zusammenstehen, protestieren und appellieren 30).

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Auch die Nürnberger Theologen verwahrten sich gegen die Jurisdiktion der Bischöfe, welche die Gewissen mit selbst erfundenen Vorschriften beschwerten. Auch sie spra­ chen die Erwartung aus, der Rat werde nicht aus Menschen­ furcht von der erkannten Wahrheit weichen und Gott durch ein entschiedenes Bekenntnis ehren. Gottes Wort müsse die Richtschnur bleiben für Glauben und Leben. Darum habe man Recht getan, wenn man in Nürnberg alle dem Wort Gottes widerstreitende Lehre verworfen habe und dürfe sich jetzt nicht mehr in die Knechtschaft selbst­ erdachter Menschengebote zwingen lassen. Im zweiten Teil ihres Gutachtens behandelten die Theo­ logen die praktischen Fragen: den Laienkelch, die Messe als Opfer, die Einführung der Taufe in deutscher Sprache, die Ehe der Geistlichen, die Speisengebote, die Klöster und die Herrschaftsansprüche der Bischöfe und Prälaten. Die Ge­ gensätze zwischen der evangelischen Anschauung und der­ jenigen der Gegner werden scharf und klar herausgestellt. Hier tat sich besonders Osianders Geist kund. Praktisches Christentum und die Grundsätze einer weltoffenen Ethik traten zutage in der Betonung zur Pflicht der Arbeit. Das Volk der Klosterleute hat kein Recht, sich von erbetteltem Gut zu nähren. Dem frommen Müssiggang der Mönche soll ein Ende gemacht werden durch die Schließung der Klöster 31). Um für den Reichstag, auf welchem der Kaiser „eines jeden Gutbedünken, Opinion und Meinung“ hören zu wol­ len in Aussicht gestellt hatte, gerüstet zu sein, hatte Mark­ graf Georg von seinen sämtlichen Superattendenten eine schriftliche Begründung ihrer Lehre und der Kirchenord­ nung aus der heiligen Schrift und ähnliche Darstellungen auch von ihren Pfarrern eingefordert32). Auch der säch­ sische Kanzler Brück, der nicht glauben konnte, daß der Kaiser den Ständen gestatten werde, ihre „Opinion und Meinung“ durch ihre Prediger auf dem Reichstag vortragen zu lassen, empfahl seinem Kurfürsten, den Glaubensstand­ punkt, auf dem man in Sachsen bisher gestanden und auch künftig bleiben wollte, mit gründlicher Erweisung aus der

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Schrift darstellen zu lassen 33). Das geschah durch Luther, Melanchthon, Jonas und Bugenhagen. Weil dieses Gut­ achten dem Kurfürsten in Torgau vorgelegt wurde, nannte man es die „Torgauer Artikel*'. Aufgrund derselben sollte nun Melanchthon eine ,,Schutzschrift** ausarbeiten, welche der Kurfürst auf dem Reichstag zu übergeben und den Ver­ handlungen zu'grund zu legen gedachte. Schon in Koburg, wohin die Theologen mit dem Kurfürsten reisten, machte sich Melanchthon an die Arbeit, sodaß er dieselbe nahezu fertig nach Augsburg mitbringen konnte 34). Wohl um sich über den Glaubensstandpunkt des Kur­ fürsten zu unterrichten, bat nun Christoph Kreß bei seinem ersten Besuch in der sächsischen Kanzlei um eine Abschrift der von Melanchthon bearbeiteten sächsischen Schutz­ schrift. Am folgenden Tag ließ ihm der Kurfürst sagen, er habe zwar nicht gern viel Räte bei solchem Handel, aber wenn die Schrift von Luther zurückkomme, dem man sie zur Begutachtung überschickt habe, sollten die Nürnberger eine Abschrift erhalten. Kreß erbot sich hierauf, dem Kur­ fürsten dagegen die Nürnberger Schutzschrift zu über­ lassen 3Ö). Da Melanchthtons Arbeit als Schutzschrift zur Recht­ fertigung der vorgenommenen Reformen und zugleich als Verhandlungsgrundlage gedacht war, hatte Melanchthon in derselben nur die streitigen Artikel, d. h. diejenigen, in denen man mit den Gegnern nicht einig war, behandelt. Man hatte auch bereits erwogen, ob nicht mit den streitigen Ar­ tikeln auch solche zu verbinden seien, in denen die ganze christliche Lehre kurz zusammengefaßt würde, um den Nachweis zu liefern, daß man keine falsche Lehre führe und nur das lautere Evangelium verkündige 3e). Aber -das war bisher nicht geschehen. Jetzt nötigte der Gegner dazu, die Schrift in dieser Weise zu erweitern. Es war der ehrgeizige und streitsüchtige Ingolstädter Pro­ fessor Eck, welcher den Anlaß dazu gab. Dieser hatte eine Streitschrift herausgegeben, in welcher 404 Sätze aus Luthers und seiner Anhänger Schriften zusammengestellt waren, die er als ketzerisch bezeichnete, und über die er mit

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jedermann vor dem Kaiser und den Reichsständen disputie­ ren wollte. Blieben diese Artikel unwidersprochen, dann war jede Verständigung ausgeschlossen. Darum stellte Melanchthon eine Reihe von Lehrsätzen zusammen, welche die hauptsächlichsten christlichen Glaubensartikel umfaßten, um nachzuweisen, daß die evangelische Glaubenslehre mit derjenigen der altchristlichen Kirche in vollem Einklang stehe. Diese Glaubenssätze stellte Melanchthon in seiner Schrift an die erste Stelle, während die stark gekürzten streitigen Artikel nun den zweiten Teil bildeten. Damit war die Schutzschrift zu einem Bekenntnis geworden 37). Am 3. Juni konnten die Nürnberger Gesandten eine von dem jungen Hieronymus Ebner gefertigte Abschrift des Be­ kenntnisses in lateinischer Sprache dem Rat übersenden 38), der sie bald seinen Theologen zur Begutachtung übergab. Für sich selbst ließ der Rat eine deutsche Uebersetzung her­ steilen, welchen Dienst der Ratsherr Hieronymus Baum­ gartner leistete. Sodann wurde das Bekenntnis im Rat mit Fleiß gehört“. Die Gesandten hatten dem Rat am 20. Mai berichtet, daß die Nürnberger Schutzschrift, die sie dem Kanzler Brück ausgehändigt hätten, von Melanchthon geprüft und dahin beurteilt worden sei, daß sie der sächsischen nicht widerwärtig, sondern ganz derselben Meinung sei, nur sei die sächsische noch glimpflicher39). Doch wünschten die Gesandten, daß Nürnberg kein eigenes Bekenntnis über­ geben, sondern sich dem sächsischen ans^hließen sollte. Mit diesem Wunsch traten sie nun am 8. Juni hervor. Unter Be­ rufung auf ihre Instruktion, nach der sie auf dem Reichstag mit dem Kurfürsten und Markgrafen Zusammengehen soll­ ten, und nach welcher darum dieser beider Handlung und diejenige Nürnbergs in diesem Falle eine Sache sein müßte, baten sie den Rat zu bedenken, ob er nun ein eigenes Be­ kenntnis für sich ablegen wolle, oder ob es nicht besser wäre, in Verbindung mit dem Markgrafen bei dem Kur­ fürsten den Antrag zu stellen, daß dieser sein Bekenntnis nicht nur in seinen Namen übergebe, sondern auch im Na­ men des Markgrafen und der andern evangelischen Fürsten

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und Städte. Zugleich baten sie um die Ermächtigung, mit dem Markgrafen darüber zu verhandeln. Kreß bemerkte dazu, er habe bereits mit dem Kanzler desselben gesprochen. Dieser habe ihm gesagt, auch die Prediger -und Rechts­ gelehrten des Markgrafen säßen zur Zeit darüber im Rat. Denn auch der Markgraf halte es für besser, daß nicht jeder Stand für sich allein vorgehe, sondern alle evangelischen Fürsten in dieser Sache gemeinsam handelten 40). Am io. Juni berieten die Nürnberger Theologen und Juristen über den Antrag der Gesandten. Beide Gruppen waren einig in der Anerkennung für das sächsische Bekennt­ nis. Sie fanden, daß es glimpflich, höflich, aus dem Grund und mit rechter, christlicher Einfalt gestellt sei, sodaß kei­ ner daran etwas zu ändern oder zu bessern wüßte. Auf den Kaiser müßte dieses Bekenntnis einen guten Eindruck ma­ chen. Sie sprachen sich auch einstimmig dafür aus, daß sich der Rat das Bekenntnis aneignen und es unterschrei­ ben solle. Davon sollte man sich auch dadurch nicht ab­ halten lassen, daß zwischen Sachsen und Nürnberg in den Kirchengebräuchen und Ordnungen noch manche Unter­ schiede bestünden; diese würden mit der Zeit ausgeglichen werden. Die Juristen waren jedoch gegen eine Vereinigung mit dem Kurfürsten in dieser Sache. Sie begründeten das vor allem mit der Verschiedenheit der Kirchengebräuche in beiden Gebieten. Aber ihr Hauptgrund war die Furcht, man könnte durch eine solche Verbindung mit dem Kur­ fürsten dem Kaiser gegenüber in Schwierigkeiten kommen. Sie meinten, der Kurfürst, welcher Luther von Anfang an beschützt habe, trage eine viel größere Verantwortung, als Nürnberg. An dieser wollten sie keinen Anteil haben. Man solle den Kurfürsten ruhig vorfechten lassen, sich selbst aber zurückhalten, bis Nürnberg an die Reihe komme. In­ zwischen könne man dann eine eigene Apologie ausarbei­ ten, die man zum Teil aus der sächsischen nehmen und zur geeigneten Zeit übergeben könne. Das würde mehr wir­ ken, als die Unterzeichnung einer andern. Mit wem Nürn­ berg übereinstimme, werde der Kaiser dann schon merken.

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Die Gleichheit im Werk werde ein größeres Ansehen schaf­ fen und gute Frucht wirken41). Die Rechtsgelehrten vertraten mit diesem Ratschlag eine Politik,^ welche allerdings manchmal in Nürnberg be­ folgt wurde. Aber diesmal wollte sich der Rat zu einer solchen nicht bewegen lassen. Auch für einen Vermittlungs­ vorschlag war er nicht zu haben, welchen Osiander schließ­ lich eingebracht hatte: man sollte mit einer eigenen Recht­ fertigungsschrift auftreten, aber, um die Einigkeit zu wah­ ren, die sächsische Schrift in die Nürnberger einfügen. Eine endgültige Entscheidung glaubte der Rat erst dann treffen zu können, wenn ihm auch der noch fehlende Schluß des Bekenntnisses zugegangen war, da er auch das in demselben auszusprechende ,,Erbieten“ kennen und prüfen wollte, zu dem er sich ja mit der Unterzeichnung verpflichtete. Darum bat er um möglichst beschleunigte Uebersendung des Schlus­ ses und beschränkte sich dabei auf die Versicherung: „Denn unser Gemüt stehet, bei dem Wort Gottes bis an’s Ende zu bleiben, es gehe auch darüber wie Gott will, und uns vom Kurfürsten zu Sachsen und anderen, die Christen sein wollen, nicht trennen zu lassen“ 42). Aber in einer Sitzung vom 14. Juni entschloß sich der Rat, obwohl der Schluß des Bekenntnisses noch nicht ein­ getroffen war, dem Antrag seiner Gesandten Folge zu geben. Am 15. Juni schrieb er diesem, er trage an dem Bekenntnis ein sonder gut Gefallen und finde es sehr bedächtlich (z= wohl überlegt) und halte dafür, wer diese Artikel nicht glaube oder bekenne, kein Christ sein könne. Er spricht den Entschluß aus, bei diesen Artikeln endgültig zu bestehen, und sich zu denselben auf diesem Reichstag und sonst zu bekennen und fügt hinzu: „Wollen auch nichts lieberes, als daß der Kurfürst den Markgrafen, uns und an­ dere, die solchem Glauben anhängig, zu sich in solche Schutzrede mit einschlösse. Das würde bei allen Reichs­ ständen ein tapfer Ansehen haben und minder Beschwer­ lichkeit walten, als wenn wir alle gesondert handeln und so bei jedem als zerteilt und unterschiedlich geurteilt werden, wie man denn gegen Ulm und andere in stattlicher Arbeit 15

226 gestanden ist, Zertrennung anzurichten und jeden Stand einzeln abzuurteilen. Da nun uns allen am meisten daran gelegen ist, daß der Kaiser über unser Vorgehen, unsetn Glauben und unser Erbieten berichtet wird, so wird es aui besten geschehen, wenn der Kaiser alles nur einmal höft. wenn die Schutzrede in Deutsch, Latein und Französisch übergeben wird, damit, was der Kaiser in einer Sprache nicht versteht, in der andern um so besser hafte, und ^ir und andere Stände in dieselbe eingeschlossen wären 43). In dem gleichen Brief wurden die Gesandten beauf­ tragt, mit dem Markgrafen baldigst zu verhandeln und sich auch zu erkundigen, ob der Kurfürst geneigt wäre. alle, die sich mit ihm verglichen, in seine Bekenntnisschrift einzubeziehen. In diesem Fall sollten sie den Kurfürsten bitten, Nürnberg in das Bekenntnis zu setzen und es darin namentlich aufzuführen. Allerdings wünschte der Rat, daß der Schluß mit dem darin enthaltenen Erbieten schleu­ nigst zugestellt werde, denn ohne dessen Kenntnis könne er demselben nicht zustimmen. Am gleichen Tag über­ sandten die Nürnberger Gesandten dem Rat den deutschen Entwurf des Bekenntnisses. Daß darin die Vorrede und der Schluß noch fehlte, hatte Melanchthon ihnen gegenüber damit begründet, daß noch nicht feststehe, ob das Bekennt­ nis nur im Namen des Kurfürsten oder im Namen aller evangelischen Stände übergeben werde. Doch war der Text des Bekenntnisses in der deutschen Fassung bereits auf die gemeinsame Uebergabe gestellt. Die Gesandten sahen darin einen Fingerzeig, daß sie nunmehr bei dem Markgrafen und Kurfürsten ihren Antrag stellen soll­ ten 44). Am Morgen des 18. Juni traf das dem Vorschlag der Gesandten, zustimmende Schreiben des Rates vom 15, in Augsburg ein. Sofort nach dem Empfang desselben noch vor dem Frühstück begaben sich Kreß und Volkamer zum Markgrafen, der „lauter und frei“ seine Zustimmung zur gemeinsamen Uebergabe des sächsischen Bekenntnisses gab. Der Kurfürst, dem sie unmittelbar darauf ihre Bitte vortfugen, willigte ebenfalls ein, wenn auch mit einer ge-

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wissen Zurückhaltung. Es fiel ihm nicht leicht, seine Frei­ heit aufzugeben und sich zugleich dem Kaiser gegenüber als Haupt- und Vorkämpfer einer geschlossenen Religions­ partei noch mehr zu belasten. Aber der gemeinsamen Sache brachte er das Opfer 45). Auch mit den übrigen evangelischen Fürsten kam die Einigung zustande. Mit Nürnberg wurde auch Reutlingen in das Bekenntnis aufgenommen, nachdem es sich schon von Anfang an eng an Sachsen und Nürnberg angeschlos­ sen hatte46). Die übrigen lutherischen Städte zögerten noch, obwohl sie Kreß ebenfalls zum Anschluß aufgefordert hatte. Straßburg wollte unterzeichnen, aber mit Ausnahme des' io. Artikels, da es sich mit den Lutherischen in der Abendmahlslehre nicht einigen konnte. Darum wurde es zurückgewiesen. Es stellte mit Memmingen, Lindau und Konstanz ein eigenes Bekenntnis auf, welches man das Vierstädte-Bekenntnis nannte. In dem allgemeinen Bekenntnis waren in der deut­ schen Fassung, wie schon erwähnt, die Aenderungen be­ reits vorgenommen, durch welche zum Ausdruck kam, daß es im Namen der evangelischen Stände ausgehe. Nun wurde noch ein engerer Anschluß an die Schwabacher Artikel hergestellt, da den Bekennenden daran lag, den Be­ weis ihrer Rechtgläubigkeit möglichst zu verstärken. Aus dem gleichen Grund erfolgte auch die bedeutende Vermeh­ rung und Vervollständigung der Aufzählung aller von den Evangelischen abgelehnten Irrtümer. Man wollte den Zu­ sammenhang mit der altchristlichen Kirche möglichst be­ tonen. Die meisten Schwierigkeiten scheint es bereitet zu ha­ ben, die Vorrede und den Schluß des Bekenntnisses der jetzigen Sachlage entsprechend zu gestalten. Schon am 31. Mai hatten die Nürnberger geschrieben, daß man darin noch „am zweifeligsten“ sei47). Schließlich wurde die Schwierigkeit dadurch behoben, daß man auf Vorschlag des Landgrafen beschloß, den Kaiser als Schiedsrichter in Glau­ benssachen abzulehnen und die Forderung eines Konzils zu erneuern. So konnte alles, was noch in der Nürnberger 15*

228 Handschrift an den Kaiser als Schiedsrichter gerichtet war, wegbleiben und die Vorrede wie der Schluß rein geschäfts­ mäßig gehalten werden. Man beschränkte sich auf die Er­ klärung, daß die evangelischen Fürsten und Stände auf Be­ fehl des Kaisers ihr Bekenntnis übergäben, aus dem zu er­ kennen sei, was in ihren Gebieten gelehrt und gepredigt werde. Sie erklärten sich auch bereit, in Liebe und Güte darüber zu verhandeln und sich soviel als möglich zu ver­ einigen, damit aller Zwiespalt zu einer einigen, wahren Religion geführt werden möge. Sollten die Verhandlungen erfolglos bleiben, so mußten sie ihre Berufung auf das wie­ derholt zugesagte Konzil erneuern 48). Am 21. Juni wurde Kreß in des Kurfürsten Herberge berufen, wo die Räte des Kurfürsten, des Markgrafen, des Landgrafen und der Herzoge von Lüneburg versammelt waren. Hier wurde ihm eröffnet, nachdem Nürnberg gewünscht habe, in das Bekenntnis der Fürsten aufgenom­ men zu werden, wünschten die Fürsten, daß Nürnberg Ver­ treter abordne, um an der nochmaligen Ueberprüfung und dem endgültigen Abschluß des Bekenntnisses teilzunehmen. Erwünscht wäre dazu besonders der Nürnberger Prediger Osiander49). Noch am gleichen Tag berichtete Kreß darüber nach Nürnberg. So wurde Osiander beauftragt, nach Augsburg zu reisen 50). Am 26. Juni ritt er mit den Ratsherren Chri­ stoph Koler, Bernhard Baumgartner und dem Rechtsgelehr­ ten Dr. Hepstein, welche als Vertreter Nürnbergs in dessen Streitsache mit der Pfalz abgeordnet waren, nach Augs­ burg. Nun konnten die Evangelischen bei ihrer Beratung vom 21. Juni nicht wissen, daß der Kaiser am folgenden Tag den Termin zur Uebergabe des Bekenntnisses bereits auf den 24. Juni festsetzen würde. So kam Osiander, der in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni in Augsburg eintraf, zu spät, um noch an dem Abschluß des Bekenntnisses mitzu­ wirken 31). Kreß und Volkamer hätten ihn am liebsten so­ gleich wieder heimgeschickt, da sie ihn nur schwer in ihrer Wohnung unterbringen konnten. Aber man wollte ihn nicht kränken. Der Rat glaubte auch, man werde ihn doch noch

229 als. Berater in anderen Fragen, brauchen können. So blieb Osiander bis Ende Juli in Augsburg52). : Inzwischen hatte der Kaiser den Termin für die Uebergäbe des Bekenntnisses auf den Nachmittag des 24. Juni festgesetzt. Am 23. versammelten sich die evangelischer} Fürsten mit ihren Räten und Theologen und die Vertreter von Nürnberg und Reutlingen bei dem Kurfürsten, um das nunmehr abgeschlossene Bekenntnis anzuhören und zu un­ terzeichnen. Da sich die Fertigstellung desselben bis zuletzt hingezogen hatte und eine nochmalige Durchsicht nötig er­ schien, auch eine Abschrift beider Ausfertigungen in Deutsch und Latein herzustellen war, baten die Evangelischen durch ihre Räte bei dem Erzbischof von Mainz als dem Erzkanz­ ler um Verlängerung des Termins um einen Tag. Der Erz­ bischof antwortete, das stehe nicht in seiner Macht; es werde auch bei dem Kaiser kaum zu erreichen sein. So blieb es bei dem festgesetzten Termin53). Am 24. Juni nachmittags 3 Uhr versammelten sich alle Reichsstände auf dem Rathaus um den Kaiser. Nach einer lateinischen Rede des päpstlichen Legaten über den Zwie­ spalt des Glaubens und die Türkennot sollten die evange­ lischen Stände ihr Bekenntnis übergeben. Man ersuchte sie jedoch, einer österreichischen, kärntischen und krainischen Gesandtschaft den Vortritt zu lassen, damit dieselbe ihre Bitte um Hilfe gegen die Türken vortragen könnten. Die­ ser V.ortrag währte jedoch so lang, daß es darüber Abend wurde. Aber gerade das hatte der Kaiser und die Päpst­ lichen gewollt. Als nun die evangelischen Fürsten um Ge­ hör für ihren Vortrag baten, ließ ihnen der Kaiser ant­ worten, dazu sei es jetzt zu spät. Das Bekenntnis sei schriftlich verfaßt, es genüge, wenn sie ihm die Schrift­ stücke übergäben, er wolle dann davon Kenntnis nehmen und den Inhalt bedenken. Darauf traten die evangelischen Fürsten mit den Ge­ sandten von Nürnberg und Reutlingen vor, und der Kanz­ ler Brück bat im Namen derselben, der Kaiser wolle gestat­ ten, daß sie ihr Bekenntnis in deutscher Sprache vortrü­ gen, sodann wollten sie es in deutscher und lateinischer

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Sprache übergeben. Nach kurzer Beratung mit den katho­ lischen Fürsten lehnte der Kaiser diese Bitte ab und bestand auf der bloßen Uebergabe. Er wollte die öffentliche Vor­ lesung des Bekenntnisses unter allen Umständen verhin­ dern. Die Fürsten wiederholten ihre Bitte und erklärtem es gehe hier um ihre Seele, um ihre Ehre und ihr Ansehen. Sie seien bisher bei dem Kaiser und auch sonst zum Höch­ sten verunglimpft worden, als duldeten sie in ihren Landen unziemliche Lehre und Predigt, die wider Gott und sein heiliges Evangelium sein sollten; darum müßten sie auch auf ihrer Forderung bestehen, daß sie sich öffentlich dagegen verantworten dürften. Wieder lehnte es der Kaiser ab, das Bekenntnis zu hören. Aber zum drittenmal erneuerten die Evangelischen ihre Bitte. Sie fügten hinzu, man möge um Gottes willen die Verlesung gestatten; in dem Bekenntnis sei nur das zu ihrer Verteidigung Notwendigste enthalten, und niemand werde darin geschmäht oder angegriffen. Jetzt endlich gab der Kaiser nach. Aber er bestimmte für die Verlesung nicht den Rathaussaal, in dem sonst alle öffentlichen Reichsversammlungen gehalten wurden, son­ dern die Kapitelsstube in der bischöflichen Pfalz, des Kai­ sers Wohnung. Dort Sollten die evangelischen Stände am folgenden Tag um 2 Uhr nachmittags erscheinen. Diese er­ klärten, am liebsten wäre es ihnen gewesen, wenn der Kai­ ser die Verlesung noch diesen Abend gestattet hätte; nach­ dem aber das nicht genehm sei, bäten sie, der Kaiser und die Reichsstände möchten wenigstens den Vortrag im Rat­ haussaal entgegenehmen, die beiden Schriftstücke aber noch bis zum folgenden Tag in ihren Händen lassen, damit sie dieselben noch einmal überlesen und etwaige Fehler ver­ bessern könnten. Letzteres bewilligte der Kaiser, jedoch blieb es bei der Wahl der Kapitelsstube54). Diese war offenbar darum gewählt worden, weil sie nur wenig Raum bot. Die Oeffentlichkeit sollte soweit als möglich ausgeschlossen werden. Die Türhüter sorgten ohnedies dafür, daß kein Unbefugter eindringen konnte. Um auch. möglichst wenigen unter den* Reichsständen den In­ halt des Bekenntnisses zugänglich zu machen,'befahl der

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Kaiser die Verlesung desselben in lateinischer Sprache. Die Evangelischen verlangten aber entschieden die deutsche Sprache, da sie, wie der Kurfürst Johann nachdrücklichst betonte, auf deutschem Boden stünden. Schließlich gab der Kaiser, wenn auch widerwillig, nach. Die geistlichen Fürsten waren nicht sehr zahlreich vertreten. Offenbar scheuten sie das Zeugnis der Wahrheit. Sie fürchteten wohl auch manchen Vorwurf zu hören. Der junge säch­ sische Kanzler Baier las nun mit heller, klarer Stimme und so laut und deutlich das Bekenntnis vor, daß jedermann; auch die draußen auf dem Domhof zahlreich versammelte Volksmenge, jedes Wort verstehen konnte 55). Nach der Verlesung besprach sich der Kaiser mit den katholischen Fürsten und Ständen und ließ dann den Evan­ gelischen durch Pfalzgraf Friedrich sagen, er habe ihre Schrift gnädiglich vernommen und wolle dieselbe mit allem Fleiß bedenken und alsdann Antwort geben. Nachdem Kurfürst Johann für diesen Bescheid und die ,,gnädige Ver­ hör“ gedankt hatte, ersuchte der Kaiser die evangelischen Stände, die er noch ,,in der Still“ anredete, sie möchten das Bekenntnis nicht in den Druck geben, was sie ihm z;üsagten. Kreß und Volkamer fügten ihrem dem Nürnberger Rat über den bedeutsamen Akt erstatteten Bericht hinzu: ,,Und hat sich Ihre Majestät ob solchem Handel gar nicht un­ gnädig gestellt. Wir haben auch sonst manche Rede ge­ hört, daß man solche Unterricht nit schilt und etliche Kur­ fürsten und Fürsten sie für bescheiden halten“56"). Der hohe Wert dieses Bekenntnisses und seine Bedeu­ tung liegt nicht nur in seinem Inhalt, sondern auch darin, daß es für die Evangelischen, die am Beginn dieses Reichs­ tags noch ein in sich geteiltes Häuflein waren, zu einem festen Einheitsband geworden ist. Daß es dahin kam, verdanken wir zum nicht geringen Teil dem Weitblick und der Tatkraft der Vertreter Nürnbergs auf dem Reichstag und dem kirchlichen Gemeinsinn des Nürnberger Rates. Diese Tatsache heißt uns mit besonderer Freude des Augs­ burger Bekenntnisses gedenken!

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Die evangelischen Stände hatten ihr Bekenntnis über­ geben in der Voraussetzung, daß auch die Römischen das gleiche tun würden. Diese aber hatten das abgelehnt mit der Begründung, sie hätten das nicht nötig, weil sie sich bisher dem Wormser Edikt gemäß gehalten hätten. Der Kaiser aber hatte sich das gefallen lassen. Damit hatte er die Rolle eines Vermittlers, die er in seinem Ausschreiben und in der Vorlage übernommen hatte, auf gegeben. Auch auf das Schiedsrichteramt hatte er damit verzichtet. Als bestimmend und handelnd trat jetzt die katholische Mehr­ heit auf. Der Kaiser verfügte nur noch, was diese be­ schlossen hatte. Allgemeine Sitzungen und Beratungen der Reichsstände fanden in der Glaubensfrage nicht mehr statt. Die gefaßten Beschlüsse wurden den Evangelischen nur soweit mitgeteilt, als man für gut hielt. Innerhalb der katholischen Mehrheit bestanden zwei Richtungen. Die eine, welche der Erzbischof Matthäus Lang führte, forderte die sofortige Durchführung des Wormser Edikts mit Waffengewalt. Die gemäßigte Rich­ tung vertrat vor allem der Erzbischof Albrecht von Mainz. Schon am 25. Mai hatte dieser dem Nürnberger Christoph Kreß, der ihn ,,aus alter Kundschaft“ besuchte und sehr freundlich aufgenommen wurde, gesagt, er wollte dem Kai­ ser nicht raten, in Sachen des Glaubens ungnädig oder rauh zu handeln, sondern die Sache sollte durch ein Konzil ordentlich vertragen werden. Wenn der Kaiser die Schärfe gebrauchen würde und wieder aus dem Reich zöge, wür­ den sich neue Unruhen erheben und vielleicht an den Geist­ lichen am ersten hinausgehenö7). Jetzt wies der Erz­ bischof auf die Folgen hin, die es haben müßte, wenn der Kaiser angesichts der drohenden Türkengefahr gegen die deutschen ^Volksgenossen Krieg führen würde. Das hieße die Türken geradezu auf fordern, ins deutsche Reich ein­ zufallen. Er erreichte denn auch am 26. Juni den Beschluß, der Kaiser solle vor allem das Bekenntnis der Evange- • lischen durch eine Anzahl bewährter Theologen prüfen und widerlegen lassen. Zugleich solle die Abstellung der Be­ schwerden in Angriff genommen werden, welche von den

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geistlichen und weltlichen Ständen gegen einander erhoben wurden' und deren Behandlung und Abstellung der Kaiser bereits in seiner Vorlage angekündigt hatte58). In ihrem Beschluß vom 26. Juni hatte die katholische Mehrheit auch bestimmt, daß wegen der Widerlegung des evangelischen Bekenntnisses der päpstliche Legat um Rat gefragt werden sollte. Dieser legte denn auch die Grund­ sätze dar, welche für die Widerlegungsarbeit maßgebend sein sollten. Es handle sich um Ketzereien, welche längst von der Kirche verdammt und mit ihren früheren Vertretern dem Feuer übengeben worden seien. Jede Diskussion über sie sei ausgeschlossen. Die Prüfung und Widerlegung des Bekenntnisses solle den in Augsburg anwesenden Theolo­ gen übertragen und die einzelnen Artikel unter sie ver­ teilt werden. Besonderes Gewicht sei auf den Nachweis zu legen, daß die Lehre der Evangelischen längst als ketzerisch verdammt sei. Die Widerlegungsschrift solle vor dem ver­ sammelten Reichstag verlesen werden. Sie müsse die end­ gültige Entscheidung der kirchenpolitischen Lage brin­ gen 59). In diesem Sinn und Geist wurde auch die Arbeit von den zwanzig damit betrauten Theologen durchgeführt. Sie erntete das höchste Lob des Legaten. Aber der Kaiser, der sie ebenso gründlich prüfte, wie er es mit dem evan­ gelischen Bekenntnis getan hatte, teilte dieses Lob keines­ wegs. Ihm war die Schrift viel zu gehässig und leiden­ schaftlich. Den klaren Beweis für die Unhaltbarkeit der evangelischen Glaubenssätze enthielt sie nicht. Sie hatte das Gegenteil von dem gewirkt, was der Kaiser wünschte und hoffte. Eben erst war ihm aus Rom geschrieben wor­ den, daß der Papst es lieber sähe, daß alles bliebe wie es war, als daß er ein Konzil berufen müßte. Lieber solle man über die Ketzereien hinwegsehen, um sich die Evangelischen für die Türkenhilfe zu erhalten 60). Gerade jetzt wollte und durfte er diese nicht für immer von sich stoßen. Auch die Stände, denen der Kaiser die Schrift vorlegte, hielten eine gründliche Umarbeitung für nötig 61).

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Bei dieser Umarbeitung, zu welcher der Kaiser nun den Befehl gab, wurde die Schrift wesentlich verkürzt und im Namen des Kaisers gestellt, nachdem dieser erklärt hatte, gegenüber den Evangelischen ,,aus kaiserlichem Amt und als oberster Beschirmer der Kirche“ handeln zu wollen 62). Die Widerlegungsschrift war ursprünglich nicht nur zur öffentlichen Verlesung, sondern auch zur Uebergabe an die Evangelischen bestimmt. In letzter Stunde aber stellte der Legat dem Kaiser vor, daß es sich empfehle, die Schrift nicht auszuhändigen. Sonst käme es zu einer neuen Disputation, auf die man sich um 'des kaiserlichen und päpstlichen Ansehens willen nicht einlassen dürfe. Der Legat fürchtete auch, wie er zugestand, die Kritik der Evan­ gelischen an der in ihrer wissenschaftlichen Begründung recht mangelhaften Schrift63). Am 3. August wurden die evangelischen Fürsten und die zwölf protestierenden Städte in die kaiserliche Pfalz in denselben Raum geladen, in welchem das evangelische Be­ kenntnis verlesen worden war. Hier wurde die 50 Blätter starke Schrift verlesen. In einigen Lehrstücken, gegen welche Luther aufgetreten war, hatte man eingelenkt. Aber in der Hauptsache war man auf dem bisherigen Standpunkt geblieben. Man hielt an den sieben Sakramenten, an der Verwandlüngslehre, an der Anrufung der Heiligen, an dem Meßopfer und dessen lateinischem Ritus, an der Kelch­ entziehung, am Zölibat der Geistlichen fest und blieb bei der Behauptung, daß nur die römische Kirche die eine und allgemeine sei, und daß das ganze hierarchische System derselben auf göttliche Einsetzung beruhe. Man behauptete nicht nur, daß alle Lehre der römischen Kirche und alle ihre Ordnungen in der heiligen Schrift begründet seien, son­ dern man erklärte damit zugleich auch das Bekenntnis der evangelischen Stände als widerlegt. Der in dem Bekennt­ nis enthaltene Schriftbeweis, wie auch der Nachweis, daß die Lehre und Ordnung der Evangelischen mit der der altchtistlichen Kirche übereinstimme, wurde völlig unbeachtet gelassen.

235 Der Kaiser aber eignete sich die Widerlegungsschrift und alle ihre Behauptungen an. In seinem und der Reichs­ stände Namen wurde sie verkündigt. Am Schluß aber for­ derten beide die evangelischen Stände auf. ihrem evange­ lischen Glauben zu entsagen und der römisch-katholischen Kirche wieder gehorsam zu sein. Wollten sie das nicht, so werde der Kaiser gegen sie verfahren, wie es einem römi­ schen Kaiser und Schutzherrn der Kirche zukomme64). Die evangelischen Stände empfanden diese Drohung sehr schmerzlich. Aber der vom Kaiser und seiner Um­ gebung erhoffte Eindruck blieb aus. Schon während der Verlesung reizte die Beweisführung der Gegner die evan­ gelischen Hörer zum Spott. Am Tag darauf schrieb Melanchthon dem Sekretär des päpstlichen Legaten : „Wenn die uns erteilte Antwort an*s Licht treten sollte, wird sie bei den Urteilsfähigen keine große Bewunderung finden“ 65). Ja, die Evangelischen sahen in dieser Wider­ legung geradezu einen Erfolg für ihr Bekenntnis, der sie nur erfreuen und ermutigen konnte! Nach der Verlesung bat Kanzler Brück im Namen der evangelischen Stände unter Berufung auf die Zusage des Kaisers, beide Teile zu hören, und auf das Erbieten der Evangelischen, sich in allem, was zu Fried und Eintracht diene, weisen zu lassen, um eine Abschrift der Wider­ legung. Sie wollten dann eine Antwort geben, an der weder der Kaiser, noch sonst jemand Mißfallen haben werde 66). Zwei Tage lang beriet sich der Kaiser mit der katho­ lischen Mehrheit über die zu erteilende Antwort 67). Man hatte auf der römischen Seite selbst das Gefühl, daß die Widerlegungsschrift minderwertig und ungenügend sei. Am 5. August ließ der Kaiser den Evangelischen mitteilen, er sei bereit, ihnen die Schrift zuzustellen unter der Bedin­ gung, daß sie dieselbe als endgültige Antwort und Entschei­ dung anerkennen, auf eine Erwiderung verzichten, die Schrift nicht aus den Händen geben und nicht drucken las­ sen wollten. Dem kaiserlichen Ausschreiben und der darin



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gegebenen Zusage sei mit der Widerlegung vollkommen Genüge geschehen 68). Die Annahme dieser Bedingungen wäre gleichbedeu­ tend mit der Unterwerfung unter die Widerlegungsschrift gewesen. So lehnten sie dieselbe ab. Nun hatten die Nürn­ berger Gesandten den damals in Augsburg weilenden Rek­ tor der Nürnberger Melanchthonschule Joachim Kammer­ meister, auch Gamerarius genannt, mit sich in dieVersammlung genommen, und dieser hatte vorsichtshalber die Haupt­ sätze der Widerlegungsschrift nachgeschrieben. Diese Nach­ schrift wurde aus dem Gedächtnis der übrigen Beteiligten ergänzt. Nach diesen Aufzeichnungen gedachten die Evan­ gelischen ihre Antwort ausarbeiten zu lassen. Diese Ant­ wort, so erklärten sie dem Kaiser und der Reichsversamm­ lung, werde in heiliger, göttlicher Schrift genugsam gegrün­ det sein und die von den Gegnern angeführten Beweis­ gründe widerlegen 69). Im übrigen gelang es den Nürnberger Gesandten, von befreundeter Seite ein Exemplar der lateinischen Wider­ legungsschrift vertraulich geliehen zu erhalten. Sie schick­ ten dasselbe gegen Rückgabe zum Abschreiben nach Nürn­ berg, nachdem sie schon vorher die vonCamerarius gefertigte Nachschrift zur Beratschlagung durch die Theologen und Juristen dahin gesandt hatten. Ueber die weiteren Schritte der Evangelischen wegen der Widerlegungsschrift werden wir später hören. Die lange Zeit, welche die Ausarbeitung der Wider­ legungsschrift beanspruchte, nutzten die Römischen zu allerlei Versuchen aus, die evangelischen Fürsten und Städte und beide untereinander zu trennen und zur römi­ schen Kirche zurückzuführen. Am Tag nach der Uebergabe des Bekenntnisses wurden die Gesandten aller Reichs­ städte in die kaiserliche Pfalz beschieden, wo ihnen in Ge­ genwart des Kaisers und des Bischofs von Konstanz durch den Pfalzgrafen Friedrich vorgehalten wurde, auf dem letz­ ten Reichstag^ zu Speyer habe nur ein Teil der Städte sich dem Kaiser gehorsam erzeigt und den Abschied angenom­ men, während die andern denselben abgelehnt hätten. Der

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Kaiser erwarte, daß ihn jetzt alle Städte annähmen. Die zwölf protestierenden Städte antworteten, sie hätten den Abschied nicht aus Ungehorsam, sondern aus Gewissens­ gründen abgelehnt. Eine schriftliche Begründung würden sie noch einreichen. In dieser Antwort, die sie auf den Rat der Nürnberger Gesandten zuerst den evangelischen Fürsten vorgelegt hatten, um in voller Uebereinstimmung mit diesen zu handeln70), wiederholten sie, daß ihre Ableh­ nung des Abschieds nicht aus Ungehorsam erfolgt sei, son­ dern nur darum, weil derselbe so gestellt gewesen sei, daß sie ihn ohne Verletzung ihrer Gewissen nicht annehmen konnten. Damit wollten sie sich jedoch von den übrigen Ständen nicht sondern und sich in der Erfüllung ihrer Reichspflichten von keinem andern Stand übertreffen lassen. In Sachen des Glaubens wollten sie sich aufgrund der hei­ ligen Schrift weisen lassen 71). Die auf die Zersplitterung der Evangelischen gerich­ teten Praktiken gingen jedoch weiter. So erschienen in die­ sen Tagen zwei Räte des Kurfürsten zu Sachsen bei Chri­ stoph Kreß und sagten ihm, es sei in den evangelischen Kreisen bekannt geworden, die Nürnberger hätten jetzt dem Kaiser zugesagt, zu vollziehen, was dieser bezüglich des Glaubens und der kirchlichen Ordnungen befehle. Kreß konnte natürlich mit gutem Gewissen erklären, daß gerade das Gegenteil wahr sei. In seinem Bericht an den Nürn­ berger Rat bemerkte er dazu: ,,Uns will bedünken, es komme diese Rede auch aus diesem Loch, daraus die an­ dere vormals gegen Stockheimer und Haller kommen ist. Darum wir noch mehr stattlich Vermutung haben, daß, was der Propst von Waldkirch dem Stockheimer und Haller zugemessen hat, nit die Wahrheit ist“ 72). Kreß berichtet auch. Kurfürst Johann und Landgraf Philipp seien in die­ sen Tagen wiederholt zum Kaiser gefordert worden, wo man ihnen ,.allerlei Praktik und Partita“ vorhielt, sie ab­ wendig zu machen; aber man habe bei ihnen nichts erlan­ gen können78). Am 9. Juli wurden die evangelischen Fürsten auf das Rathaus berufen, wo ihnen die Frage vorgelegt wurde, ob

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sie außer dem von ihnen übergebenen Bekenntnis noch mehr Artikel anzuzeigen hätten. Sofort erkannten sie die hinterlistige Falle, welche ihnen mit dieser Frage gestellt war. Nach gründlicher Beratung mit ihren Räten und Theo­ logen, zu der auch die Nürnberger Volkamer und Osiandei* zugezogen wurden, beantworteten die Fürsten die Frage dahin: sie hätten in Rücksicht auf die vom Kaiser selbst gewünschte und versprochene Verhandlung „in Lieb und Gütigkeit“ nicht alle Mißbräuche aufgezählt, sondern ein allgemeines Bekenntnis übergeben, aus dem der Kaiser er­ kennen sollte, daß bei den Evangelischen keine unchristliche Lehre angenommen sei. Nur diejenigen Mißbräuche hätten sie angeführt, durch die sie in ihrem Gewissen beschwert seien. In der Hauptsache glaubten sie die Unrechte Lehre und die Mißbräuche mit den überreichten Artikeln wider­ fochten zu haben und hielten es nicht für nötig, weitere Artikel anzubringen. Man sei aber bereit, aus Gottes Wort weiteren Bericht zu geben, wenn das Bekenntnis angefochten werde 74). Nachdem die Fürsten abgetreten waren, wurden die ebenfalls geladenen Gesandten der protestierenden Städte eingelassen und ihnen der Auftrag erteilt, dem Kaiser die Gewissensgründe zu nennen, aus denen sie den Speyerer Ab­ schied nicht annehmen könnten. Auch sollte jeder Gesandte anzeigen, welche Vollmachten er von seinen Herren für die Glaubensverhandlungen erhalten habe. Man hoffte da­ bei offenbar von den Einzelnen verschiedene Antworten zu erhalten und Zwiespalt hervorzurufen. Aber im Benehmen mit den Fürsten beschränkten die Städte ihre gemeinsame Antwort darauf, daß sie die in der Speyerer Protestation gegebene Begründung wiederholten. Die Nürnberger schlossen ihren dem Rat darüber er­ statteten Bericht mit den Worten: „Was nun auf beide Antworten weiter folgen will, können wir nicht wissen. Aber aus allerlei Anzeigungen ist zu besorgen, der Kaiser werde kürzlich einen rauhen Abschied geben, und welche dem nicht gehorchen, tätliche Handlung und die Acht wider dieselben ergehen lassen 75). r

239 Die Antwort, welche der Nürnberger Rat am 13. Juli auf diesen Bericht gab, lautete: „Auch wir können uns kei­ nes annehmbaren Mittels, noch eines guten, leidlichen Ab­ schieds versehen. Es bedarf keines Zweifels, würde die Sache auf eine rauhe Entschließung des Kaisers oder einen solchen Abschied gestellt und darauf die Acht oder sonst etwas Beschwerliches folgen, so würde es uns und andern Evangelischen sehr beschwerlich sein. Aber viel beschwer­ licher, auch an Seel und Leib verderblicher ist es, Gott und sein Wort wissentlich zu verleugnen und von dem abzufal­ len, was wir für recht und christlich halten. Da nun die Zeit gekommen ist, wo man sich entschließen muß, ent­ weder bei Christus zu bleiben, oder von ihm zu weichen, so gedenken wir bei dem zu bleiben, was wir vor dem Kai­ ser und den Reichsständen bekannt haben und vor der gan­ zen Welt zu bekennen keine Scheu tragen, es gehe darüber wie Gott will, dessen wir uns eines getreuen Helfers in dieser Sache nicht wenig vertrösten und nit zweifeln, er werde die Sach noch zu einem ganz andern Ende richten, als die Gegner meinen, die den Sieg bereits in Händen zu haben glauben. Denn sie seien noch so ungeschickt und blutgierig, doch werden sie nicht eines Haares breit mehr vermögen, als ihnen Gott zuläßt, daß auch die Sache mehr, denn unser ist, und den, ob sie wollen oder nit, sie zuvor darum ansprechen und fragen müssen“ 76). Am 11. Juli wurden den katholischen Ständen vom Kai­ ser drei Schriftstücke zugestellt mit dem Auftrag, dieselben zu beratschlagen und ihm darüber ihr Gutachten zugehen zu lassen: das Bekenntnis der evangelischen Fürsten und Städte, die Antwort der evangelischen Fürsten vom 1. Juli und die Antwort der Städte vom 27. Juli bezüglich des Ab­ schieds von Speyer. Dafür wurde ein besonderer Ausschuß gebildet 77). Während der Verhandlungen dieses Ausschusses wur­ den die „Praktika“ zum Zweck der Trennung der evan­ gelischen Städte wie der Fürsten fortgesetzt. Den Mark­ grafen ließ der Kaiser durch dessen Bruder bearbeiten und auffordern, vom evangelischen Glauben abzustehen. Um

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ihn mürbe zu machen, verweigerte er die Anerkennung der Rechte des Markgrafen in Schlesien, wie die Bezahlung der sehr bedeutenden Geldsummen, welche der Kaiser und sein Bruder ihm schuldig waren. In diesen Tagen schrieb Speng­ ler dem Markgrafen den bekannten schönen Trostbrief, welchen uns Haußdorf S. 81 überliefert hat. Auch von dem Kurfürsten Johann forderte der Kaiser dessen Abfall vom evangelischen Glauben mit der Drohung, er werde ihm die Kurwürde nicht bestätigen. Aber beide Fürsten blieben standhaft 78). Das war aber auch die Stimmung, welche alle Evan­ gelischen in diesen Tagen beseelte. Sie blieben fest und furchtlos im Vertrauen auf Gott und seine Führung. In diesem Vertrauen bestanden sie nicht nur die Probe, auf die sie mit den listigen Anläufen gestellt wurden, sondern auch diejenige, welche in der Ablehnung ihres Bekennt­ nisses für sie bestand. Mochten die Gegner und die kaiser­ lichen Vollzieher ihres Willens immer wieder behaupten, ihr Bekenntnis sei widerlegt, sie wußten sich unüberwunden, und bei der Entscheidung über den Weg, den sie nun gehen sollten, fühlten sie sich viel freier und sicherer, als der Kaiser! Dieser war jetzt in einer schwierigen Lage. Dem Papst und seinem Legaten hatte er versprochen, wenn die Evan­ gelischen sich nicht in seinen und des Papstes Willen füg­ ten, werde er mit Waffengewalt #gegen sie einschreiten 79). Aber es war ihm unmöglich, dieses Versprechen zu erfüllen. Ringsum sah er sich von Feinden umgeben, die bereit wa­ ren, ihm in den Rücken zu fallen, sobald er in kriegerische Verwicklungen geriet. Auch auf die katholische Mehrheit der Stände konnte er sich nicht verlassen, wenn auch ein Teil derselben zum Angriff drängte. Sogar der Kardinal Löaysa riet ihm davon ab 80). Der Papst tat gar nichts, um dem Kaiser das Vorgehen gegen die Evangelischen zu ermöglichen 81). Nun schlug eine Gruppe katholischer Fürsten, an ihrer Spitze der Erzbischof von Mainz und der Kurfürst Joachim von Brandenburg, den evangelischen Ständen vof, zur Bei-

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legung der Irrung mit dem Kaiser mit ihnen in gütliche Verhandlungen einzutreten. Kurfürst Johann antwortete, die Evangelischen hätten zwar keine Irrung mit dem Kai­ ser, wollten auch keine haben, aber zu gütlichen Verhand­ lungen im Sinn des kaiserlichen Ausschreibens wären sie bereit. Eine Zusammenkunft mit einem Ausschuß der Geg­ ner wurde verabredet 82). In ihrem Bericht vom 6. August bemerkten zwar die Nürnberger, sie glaubten, die Gegner hätten dieses Anerbieten nur gemacht, damit man nicht sagen könne, der Kaiser habe sein Versprechen, gütlich zu verhandeln, nicht gehalten. Auch der Nürnberger Rat hielt den Vermittlungsversuch nur für Schein, glaubte aber, man solle alles versuchen, um zu einer Verständigung zu kom­ men, soweit das mit gutem Gewissen geschehen könne88). In der Tat erklärte Kurfürst Joachim jetzt, der Kaiser halte die vor den Evangelischen verlesene Widerlegungs­ schrift für begründet und dem Evangelium gemäß; darum sollten sich die Evangelischen mit ihm und den übrigen Ständen vergleichen, damit man zum Frieden komme. Es war also den Gegnern nicht um eine Verständigung zu tun, sondern nur um Unterwerfung! 84) Die Antwort auf die vom Kurfürsten Joachim erhobene Forderung wurde von einem besonderen Ausschuß bera­ ten, dem auch der Nürnberger Christoph Kreß an gehörte. Unter Berufung auf die nicht erfüllte Zusage des Kaisers, gütlich zu handeln, und dem Hinweis darauf, daß sie ihr Bekenntnis nicht als widerlegt ansehen könnten, erklärten nun die Evangelischen, daß sie bei ihrem Bekenntnis bleiben müßten, wie auch bei ihrer Appellation an ein Konzil 8ö). Dagegen blieben die Gegner auch bei ihrer Erklärung, die Evangelischen sollten die kaiserliche Widerlegungsschrift als christlich und im Evangelium begründet anerkennen, damit wäre die Verständigung gegeben 86). Eine weitere,, am ii. August erteilte Erklärung, daß der Kaiser auch ein Konzil nicht veranlassen könne, solange die Evangelischen auf dem Standpunkt stünden, daß ein Konzil irren könne, zwang die letzteren zu einer weiteren ausführlichen Erklä­ re

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rung, an deren Abfassung wieder Christoph Kreß beteiligt war, und die am 13. August übergeben wurde87). Diese scheint nun doch einen tieferen Eindruck gemacht zu haben. Denn jetzt waren die Gegner zu Verhandlungen bereit. Am 16. August begannen dieselben. In den dog­ matischen Fragen kamen sogar Eck und Wimpina weit ent­ gegen; dagegen begannen bei den Verfassungsfragen und Zeremonien die Schwierigkeiten. Hier gab vor allem Melanchthon in seiner Friedensliebe sehr viel nach. Sogar die Jurisdiktion auch über die evangelischen Geistlichen wollte er den Bischöfen überlassen. Die Messe sollte wie­ der gehalten werden, wie zuvor; die Verwaltung des Altar­ sakraments nach der Einsetzung Christi wollte er preis­ geben ! Da hielten es die Nürnberger Gesandten für ihre Pflicht, einzugreifen. Als am 22. August den evangelischen Ständen von ihren Vertretern im Ausschuß über die getrof­ fenen Vereinbarungen Bericht erstattet wurde, erklärten die Nürnberger, diese Vereinbarungen schienen ihnen so wichtig und weittragend, daß sie nichts davon bewilligen könnten, bevor sie ihre Herren darüber gehört hätten. Sie baten daher um eine Abschrift der Vorschläge und Verein­ barungen, um dieselbe dem Rat zu übersenden und dessen Willensmeinung zu erbitten. Der Nürnberger Rat, der be­ reits am 20. August die Erwartung ausgesprochen hatte; daß „die Sächsischen in den Hauptartikeln nichts, was Got­ tes Wort und Befehl gemäß ist, aufgeben, oder das Ent­ gegengesetzte bewilligen möchten“, antwortete auch jetzt sehr besorgt, er trage „nicht wenig Entsetzen, daß in die­ sem tapferen und wichtigen Handel dergleichen Mittel, in denen weit genug gegangen sei, hinter ihm und andern Mit­ verwandten übergeben werden sollen“. Er wolle den Kur­ fürsten und den Markgrafen nicht kränken, bedenke aber doch, daß an dieser Sache nicht nur das Zeitliche, sondern auch das Ewige gelegen sei. Er teilte seine und seiner Theologen Beschwerung in einem besondern Schriftstück mit und wies die Gesandten an, diese auch dem Kurfürsten und Markgrafen persönlich vorzutragen.

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Wir kennen dieses Schriftstück nicht. Es scheint aber eine sehr entschiedene Sprache darin geführt worden zu sein. Wir schließen das aus den Worten, mit welchen der Rat seinen Auftrag an die Gesandten begründete: ,,Denn wenn uns auch an der Ungnade der Fürsten nicht wenig gelegen ist, so ist uns doch an Gott, unserem Gewissen und unseren Seelen viel mehr gelegen. Müssen auch sehen, daß wir in unsrer Stadt durch dergleichen Bewilligung nicht Aergernis verursachen. Wir hoffen, daß die Sächsischen die Mittel, so wie wir sie verstehen, nicht endlich bewilli­ gen, und daß auch die Gegner sie nicht annehmen“ 88). Auch Spengler hatte auf Ersuchen des Rates ein Gut­ achten übergeben, welches dieser seinem Bedenken haupt­ sächlich zugrund legte. Da spricht sich Spengler entschie­ den gegen jede Verleugnung des evangelischen Standpunkts aus. Insbesondere wendet er sich gegen die Wiedereinfüh­ rung der Privatmesse, welche die Römischen ,,zu einem Jahrmarkt und Krämerei“ gemacht hätten. Ebenso be­ kämpft er die Wiederaufrichtung der bischöflichen Juris­ diktion, weil dadurch die evangelischen Geistlichen an die Bischöfe ausgeliefert würden, was in kürzester Zeit zur völligen Unterdrückung des Evangeliums führen müßte. Spengler war überzeugt, daß Luther zu den vorgesehenen Bewilligungen seine Zustimmung nicht geben würde. Darum werde man nicht zum Frieden kommen, sondern nur Zwiespalt im eigenen Lager anrichten. Darum müsse der Rat dem Kurfürsten und dem Markgrafen wissen las­ sen, daß er zu den vorgeschlagenen Artikeln seine Zustim­ mung nicht geben könne. Melanchthon ist ein frommer Mann, der wohl nichts gegen sein Gewissen tun wird, aber er hat noch nicht die Erfahrung, wie Luther; den ,,listigen, ungewissenhaften Hofschälken ist er zu fromm und hat den Teufel noch nicht also erlernt, wie es gegen diese Leute nötig ist“ 8Ö). In der Tat schätzte man Melanchthon in Nürnberg sehr. Aber angesichts der augenblicklichen Lage war man darin einig, daß seiner allzuweit gehenden Nachgiebigkeit eine Grenze gesetzt werden müsse. Die Aufgabe wesent16*

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licher Stücke evangelischer Wahrheit hätte den Anfang zum Ende der kirchlichen Reformation bedeutet. So kam das Eingreifen Nürnbergs zur rechten Zeit, um die evan­ gelische Sache vor großem Schaden zu bewahren! Melanchthon freilich nahm dieses Eingreifen sehr übel, wie seine Briefe aus diesen Tagen an Veit Dietrich und Camerarius zeigen. In diesen klagt er, daß seine Friedensbestrebungen durch die Nürnberger verhindert würden90). Daß das Eingreifen Nürnbergs wirkte, zeigt der Be­ richt der Gesandten über die Erfüllung ihres Auftrags bei dem Kurfürsten und' Markgrafen. Die Gesandten hatten zunächst mit dem Kanzler Brück verhandelt. Dabei ver­ sicherte ihnen dieser, wenn die fraglichen Vermittlungs­ vorschläge noch nicht übergeben wären, würden sie nicht mehr übergeben werden. Auf keinen Fall wolle man wei­ ter nachgeben. Am Tag darauf hatten die Gesandten Au­ dienz bei dem Kurfürsten selbst. Auch dieser gab ihnen beruhigenden Bescheid. Alle Vorschläge seien nur un­ verbindlich und auf „Hintersichbringen“, d. h. unter dem Vorbehalt übergeben worden, daß auch die evangelischen Stände zustimmen würden. Selbst wenn die Gegner darauf eingingen, würde der Kurfürst die Artikel ohne voraus­ gehende Beratung und Bewilligung durch die evangelischen Stände nicht annehmen 91). Der Markgraf lud die Nürnberger Gesandten, als diese zu ihm kamen, zu Tisch. Dabei erzählte er, der Kurfürst Joachim habe ihm mitgeteilt, daß man bei den katholischen Ständen mit den Evangelischen wegen ihrer Unnachgiebig­ keit sehr unzufrieden sei. Auch der Kaiser sei darüber sehr unwillig. Dieser wolle „solch Wesen keineswegs ferner dulden“. Zu der Beschwerde des Nürnberger Rates, welche die Gesandten nach Tisch vortrugen, stellte sich der Mark­ graf sehr freundlich. Er gab ihnen die beruhigende Ver­ sicherung, daß er sicheren Grund zu der Annahme habe, die Gegner würden die übergebenen Mittel nicht annehmen. Aber sie würden demnächst die Forderung erheben, daß in d$n kirchlichen Ordnungen und Gebräuchen alles wieder in den vorigen Stand gebracht werde. Vielleicht würden sie

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gegen die christlichen Stände auch in anderer Weise ernst­ lich handeln. Das aber werde ihn keineswegs entmuti­ gen 92). Großen Einfluß auf die weitere Haltung der evangeli­ schen Stände hatte auch die Antwort Luthers auf das. Schreiben des Kurfürsten, für dessen rasche Beförderung nach Koburg die Nürnberger bereitwillig ihre Post zur Verfügung gestellt hatten. In ihr erklärte Luther, die von der Gegenpartei übergebenen Vermittlungsvorschläge als für die evangelischen Stände unannehmbar. In seiner Be­ gründung zeigte er klar und bestimmt die Grenze auf, über die bei aller Friedensliebe nicht hinausgegangen werden durfte. Eben damit war aber auch den Vergleichsverhand­ lungen ein Ende bereitet93). Doch wünschten die Römischen weiter zu verhandeln. Ein kleiner Ausschuß wurde dafür gebildet. Aber auch hier konnte man sich nicht, zusammenfinden. Als die Ver­ treter der Evangelischen an das ihnen gegebene Verspre­ chen erinnerten, zur Beilegung des Streites ein Konzil zu fördern, erklärten die Gegner, sie hätten keinen Befehl, von einem friedlichen Anstand zu reden. Eck war besonders erregt und sagte, man hätte besser getan, wenn man bei dem Beschluß von Bologna geblieben wäre, nämlich gegen die Evangelischen mit Gewalt vorzugehen. Als die Evange­ lischen aufs neue fragten, wie die Gegner über ein Konzil dächten, fuhr Eck heraus: Der Kaiser und die Stände wären zu einem Konzil geneigt, sie müßten aber fordern, daß zuvor an all den Orten, wo Aenderungen in der Lehre und den Zeremonien vorgenommen worden seien, alles wieder in den alten Stand gebracht werde. Darum sollten die Evangelischen die Sache anders bedenken, damit es zum Frieden komme 94). Darauf übergaben die Evangelischen am 28. August eine klare, würdige Antwort. Aufs neue erinnerten sie daran, wodurch die in ihrem Bekenntnis vorgetragene Lehre und die von ihnen vorgenommenen Aenderungen veranlaßt worden seien. Beide seien wohl begründet. Nach der Er-

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klärung des Papstes Adrian auf dem Reichstag zu Nürn­ berg haben die Stände auf jedem Reichstag ein Konzil ge­ fordert, und der Kaiser habe ein solches zugesagt. Weiter erinnerten sie an ihre rechtskräftige Appellation an das Konzil und bezeichneten das jetzige Verhalten des Kaisers und der Stände als ein ungesetzliches Eingreifen in diese ihre Appellation. In der Geschichte ist es unerhört, daß man, nachdem bestimmte Tatsachen ein Konzil notwendig gemacht haben, ein solches verweigert, bis die Ursachen, welche dasselbe notwendig gemacht haben, abgestellt sind. Wiederholt erboten sich die Evangelischen zu einem fried­ lichen Anstand, bis zu einem Konzil 95). Aber wieder er­ klärte man ihnen, daß ein Konzil nur unter der Bedingung gehalten werden könne, daß die Evangelischen sich unter­ warfen, was diese natürlich ablehnen mußten. Diese Ant­ wort unterschrieben der Kurfürst von Sachsen, Markgraf Georg, die Herzoge Ernst und Franz von Lüneburg, der Landgraf und die Städte Nürnberg, Reutlingen, Kempten, Windsheim, Heilbronn und Weißenburg96). Sö hatte sich'gezeigt, daß eine Verständigung mit Rom unmöglich sei, weil man dort unter Verständigung nur Un­ terwerfung verstand. Nun hatte der Nürnberger Rat be­ reits am 20. August, also schon bald nach Beginn der Ver­ gleichsverhandlungen, einen andern Weg gezeigt, um aus den Schwierigkeiten herauszukommen, indem er seinen Gesandten schrieb: „Wenn gleich in den Hauptartikeln des Glaubens, an denen am meisten gelegen ist, kein fruchtbarer Beschluß sollte gefunden werden, so wäre doch unsers Ach­ tens genug gearbeitet, wenn die unvertragenen Artikel zur Erörterung des Konzils gestellt und unterdessen Friede ge­ halten, oder sonst Mittel zu einem solchen gerichtet wür­ den, daß sich die Reichsstände untereinander einer Feind­ schaft od^er Aufruhrs nicht zu besorgen hätten.“ Es war also der Weg der gegenseitigen Duldung, der jetzt von Nürnberg gezeigt wurde. Auf diesen Vorschlag kamen von da an die evangelischen Stände immer wieder zurück. Auch ihre letzte Antwort an den Kaiser lief jetzt auf diesen Weg hinaus 97).

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Bei dem Kaiser und den Römischen hatte diese An­ regung bisher keinen Anklang gefunden. Wiederholt hat­ ten sie es abgelehnt, darüber zu verhandeln. Jetzt schien man dazu bereit zu sein. Bei dem Kaiser half dazu viel­ leicht ein Brief des Kardinals Loaysa, der in diesen Tagen aus Rom eintraf und aufs neue riet, den Ketzern Duldung zu gewähren, um sie dahin zu bringen, daß sie Oesterreich und Ungarn gegen die Türken verteidigen halfen. Vielleicht hoffte man auch, die Aussicht auf einen friedlichen Ab­ schied werde die Evangelischen zu größerer Nachgiebigkeit bewegen 98). Am io. September wurden Melanchthon und Dr. Brück durch Georg Truchseß und den Kanzler Vehus zu früher Morgenstunde vertraulich in die Moritzkirche bestellt, wo ihnen Verhandlungen über einen friedlichen Abschied angeboten wurden. Die Unterhändler übergaben auch formu­ lierte Vorschläge, welche den Verhandlungen zugrund gegelegt werden sollten. Hier wurden insofern Zugeständ­ nisse gemacht, daß die bisher unverglichenen Artikel der Entscheidung des Konzils überlassen und es bezüglich der Kommunion und der Priesterehe bis zum Konzil so gehalten werden sollte, wie es die Obrigkeiten vor Gott und dem Kaiser verantworten könnten. Dagegen wurde gefordert, daß die allgemeinen und besonderen Messen wie bisher zu halten seien. Was daran disputierlich sei, solle durch das Konzil entschieden werden. Die noch bestehenden Klöster müßten erhalten bleiben und die Güter der aufgehobenen durch Beauftragte des Kaisers verwaltet werden. Bedenk­ lich war auch die Forderung, daß jede Obrigkeit in dieser Sache nur ihre Untertanen vertreten und diejenigen, mit welchen jetzt verhandelt werde, ausdrücklich genannt wer­ den sollten. Dadurch sollte offenbar eine gemeinsame Ver­ tretung der evangelischen Interessen verhindert, insbeson­ dere sollten die Zwinglischen von den Verhandlungen aus­ geschlossen werden "). Eine weitere Forderung, welche der Kaiser durch Her­ zog Heinrich von Braunschweig bei dem Kurfürsten stellen ließ, die Evangelischen sollten sich selbst erbieten, die auf-



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gehobenen Klöster und deren Einkünfte unter den Schutz des Kaisers zu stellen, wurde auf Betreiben des Landgrafen abgelehnt. Die Städte aber, Nürnberg voran, fanden es auch unerträglich, nicht nur die Mönche mit ihren Miß­ bräuchen, sondern auch die Messen mit den beiden Kanones in ihren Gebieten wieder zuzulassen. So lehnte auch der Nürnberger Rat diese Forderungen ab 10°). Trotzdem wur­ den immer wieder Versuche gemacht, die Evangelischen zum Nachgeben zu bringen. Hieronymus Baumgartner, der um diese Zeit zur Ver­ tretung Nürnbergs nach Augsburg gekommen war, hatte bereits am 13. September, als Truchseß und Vehus wieder neue Verhandlungen in Gang gebracht hatten, Spengler gegenüber sein Mißfallen daran in einem Privatbrief kräftig zum Ausdruck gebracht. Der Eindruck, den er von diesen Verhandlungen empfing, und was er darüber sagen mußte, war ihm so schmerzlich, daß er wünschte, mit seinem Urteil ein falscher Prophet zu sein. Er bezeichnete diese Verhand­ lungen als ein ,,Anhalten und Fretten bald durch diesen, bald durch einen andern Teufel, die sich in eine gute Ge­ stalt, ja zu Zeiten in Engel des Lichts verkleiden“. In ihrem Tun und Treiben sieht er nur ,.Hinterlist und Falsch­ heit, darauf gerichtet, die Evangelischen zum Nachgeben in dem und jenem zu bringen, um daraus zu ihrer Zeit Kapi­ tal zu schlagen, wie ein Kartenspieler seine Trümpfe auf den letzten Stich behält“. Baumgartner sieht eine beson­ dere Gnade Gottes darin, daß das Bekenntnis der Evan­ gelischen „bereits heraus und übergeben ist, sonst würden unsre Theologi längst ein anderes bekannt haben. Diese sind nur allzu bereit, den Gegnern in’s Netz zu gehen, Melanchthon und Brenz, dazu der Kanzler Heller, die den frommen . Markgrafen ganz irr und kleinmütig gemacht haben“. Unter diesen Umständen sehnt Baumgartner ge­ radezu einen rauhen Abschied des Kaisers herbei, durch welchen diesem Treiben ein Ende gemacht werde. Komme •ein solcher nicht, dann würden die Unterhändler der Gegjier „nit von uns lassen, bis man uns in die Reusen bringt,

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daß wir uns Gottes Hulde begeben und die des Kaisers doch nit erlangen“ 101). Zwei Tage darauf, als die Truchseß’schen Vorschläge von den Markgräflichen umgearbeitet und die Verhand­ lungen darüber im Gang waren, hielt es Baumgartner für seine Pflicht, noch einmal seine Stimme zu erheben, um der großen Gefahr zu begegnen, welche die Nürnberger Gesand­ ten kommen sahen. Man hatte weder die hessischen Räte, noch die Nürnberger Gesandten, und überhaupt keine Städtevertreter zugezogen. Diese fühlten sich von den eigenen Glaubensgenossen als ,verdächtiger geachtet, als vom Widerteil“. Immer bedenklicher schienen Melanchthons Bemühungen um die Gunst der Gegner, sodaß diese darüber spotteten. Nun ersuchte Baumgartner Spengler um Gottes willen, er möge an Luther schreiben, damit dieser ,,dem Philippo mit Gewalt einrenne und die frommen Für­ sten, sonderlich seinen eigenen Herrn vor ihm warne und zur Beständigkeit ermahne“. Baumgartner schloß: ,,Ich schreib solches nit gern von ihm, dieweil er bisher von männiglich so groß geachtet gewesen, dabei ich es auch bleiben lassen und gleichwohl oft >wider mein Gewissen ihm hab viel zugeben. Jetzo aber ist die Probe kommen, daß mir, ob Gott will, weder Luther noch Philippus so lieb sein soll, daß ich ihnen wider Gottes Wort wolle zufallen“ 102).

Am gleichen Tag, an welchem Baumgartner diesen Brief schrieb, unternahmen die Nürnberger Gesandten mit den hessischen Räten und den Gesandten der übrigen Städte auch einen offiziellen Schritt, indem sie dem Herzog von Lüneburg ihre Beschwerden über das eigenmächtige Vor­ gehen Melanchthons, Brenz und Hellers vortrugen. Der Herzog ging hierauf mit dem hessischen Rat Friedrich Trott und dem Nürnberger Volkamer zum Kurfürsten Johann und berichteten diesem, daß die drei Genannten ohne Auftrag und Zustimmung ihrer Herren und der übrigen Evangeli­ schen besondere Verhandlungen mit den Gegnern an­ geknüpft und durch viel Nachgeben den Schein erweckt hätten, als wären sie die Friedfertigen, die andern aber die Unnachgiebigen. Selbst wenn diese Handlung christlich

und gut wäre, dürfte sie nur mit Wissen und Willen der Stände geschehen, welche ihr Glaubensbekenntnis gemein­ sam übergeben hätten. Darum bat die Abordnung, der Kur­ fürst möge diese Handlung abstellen und auf Wege den­ ken, um dies auch bei den Markgräflichen zu erreichen! Der Kurfürst hatte inzwischen Melanchthon untersagt, sich in weitere Verhandlungen einzulassen. Er hatte auch vor, alle Evangelischen zu einer Beratung zusammenzu­ rufen, ob und wie man bei dem Kaiser um eine die Glau­ bensfrage entscheidende Antwort anhalten wolle. Das un­ terblieb jedoch, als gleichzeitig bekannt wurde, daß der Kaiser am folgenden Tag den Abschied erteilen wolle. Spengler hatte sich inzwischen an Luther gewandt und von diesem einen Brief an Melanchthon und einen an Justus Jonas zur Weiterbeförderung erhalten. Da aber inzwischen die Nachricht von der unmittelbar bevorstehen­ den Verlesung des kaiserlichen Abschieds in Nürnberg ein­ getroffen war, schickte Spengler, um Melanchthon nicht unnötig aufzuregen, beide Briefe nach Nürnberg zurück. Ein weiteres~ Eingreifen * war auch nicht mehr nötig. Baum­ gartners Wunsch war erfüllt. Der ,,rauhe Abschied“ machte den Verhandlungen ein Ende 103). Am 22. September wurde dieser Abschied verlesen. Wieder wurde darin behauptet, der Kaiser habe alle evan­ gelischen Fürsten und Städte dem Ausschreiben gemäß mit ihrem Bekenntnis gehört und dieses durch das heilige Evan­ gelium und Schriften mit gutem Grund widerlegt und ab­ gelehnt. Um Friede und Einigkeit im Reich zu erhalten, habe der Kaiser den evangelischen Fürsten und Städten aus besonderer Müdigkeit und Gnade zugelassen, sich bis zum 15. April 1531 zu bedenken, ob sie sich in den unverglichenen Artikeln mit der christlichen Kirche, dem Papst und dem Kaiser bis zu einem künftigen KonziL wieder vereini­ gen wollen oder nicht. Inzwischen sollte in Sachen des Glaubens nichts gedruckt noch verkauft werden. Die Evan­ gelischen sollten niemand zu ihrer Sekte ziehen oder in sei­ nem Glauben und Gottesdienst hindern. Innerhalb sechs

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Monaten nach dem Reichstag sollte ein Konzil ausgeschrie­ ben werden 104). Die Behauptung, daß der Kaiser und die Stände das Bekenntnis der Evangelischen ,,mit dem heiligen Evange­ lium und mit gutem Grund“ widerlegt hätten, wies Dr. Brück zurück und bat im Namen der Evangelischen den Kaiser und die Stände, diese möchten ihnen gestatten, daß eine inzwischen verfaßte Schrift verlesen werde, aus der zu erkennen sei, mit welch unwiderleglichen Gründen der Hei­ ligen Schrift ihr Bekenntnis befestigt sei und durchaus nicht das enthalte, was man dem Kaiser vorgetragen habe. Daß die Evangelischen eine Sekte seien und sich von der christlichen Kirche getrennt hätten, müßten sie bestreiten. Bis zum 15. April 1531 wollten sie die geforderte Antwort geben und sich inzwischen als christliche Glieder des Rei­ ches erweisen. Die von Brück übergebene Verteidigungs­ schrift wurde nicht angenommen 105). Die Nürnberger Gesandten hatten seinerzeit die Nach­ schrift, welche. Camerarius bei der Verlesung der kaiser­ lichen Widerlegungsschrift gefertigt hatte, am 4. August an den Rat übersandt, der sie seinen Theologen und Juristen zur Beratschlagung übergab 106). Beider Gutachten wurden nach Augsburg übersandt. Osiander, welcher bei den Theo­ logen die Hauptarbeit leistete, hatte insofern keine leichte Aufgabe, als die Aufzeichnungen des Camerarius bei der raschen Verlesung der Konsultation den Inhalt derselben nur skizzenhaft hatten erfassen und feststellen können. Osiander wollte auch seine Arbeit nicht als eine eigentliche Verteidigungsschrift angesehen wissen, sondern nur das Material zu einer solchen liefern. Der Hauptbeweisgrund der Römischen war der: ,,Die Kirche hat es also angenom­ men und geordnet“. Dagegen betonte Osiander: ,,Was die Kirche lehrt, ist nicht darum Wahrheit, weil es die Kirche lehrt. Die Kirche muß sich unter Gottes Wort stellen, und nur das ist Wahrheit, und darum anzunehmen, was sie aus Gottes Wort lehrt. Daß sich die römische Kirche nicht unter Gottes Wort stellen, sondern von sich aus die Wahr-

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heit feststellen will, ist die Ursache aller Irrlehren und Miß­ bräuche.“ Zu den einzelnen Artikeln gibt Osiander wertvolle Fingerzeige für die Verteidigung des evangelischen Stand­ punktes. Ueberall weiß er Schriftstellen nachzuweisen, welche diesen stützen und sichern. In der Schriftkenntnis und Auslegung ist er Meister. Mit seinem Ratschlag hat er wertvolles Material geliefert107). Am 29. August teilten die Nürnberger Gesandten dem Rat mit, daß man sich zur Beantwortung der Konsutation entschlossen habe108). ' So wurde die Apologie durch Melanchthon ausgearbeitet. Die Gelegenheit, von ihr Ge­ brauch zu machen, bot sich am 22. September. Auf die wiederholte Behauptung des Kaisers, daß das Bekenntnis der Evangelischen widerlegt sei, gab es keine bessere Ant­ wort, als eben jene Apologie, welche der Kanzler Brück vorsorglich zur Verlesung des ersten Abschiedes mit­ gebracht hatte. Mit diesem neuerlichen Glaubenszeugnis wurde das von den evangelischen Fürsten und Städten über­ gebene Bekenntnis kraftvoll bestätigt und in sein un­ veräußerliches Recht aufs neue eingesetzt109). Nach dem 22. September waren der Kaiser und die katholischen Stände in wiederholten, teilweise recht erreg­ ten Verhandlungen mit den Evangelischen bemüht, diese zur Annahme des erteilten Abschieds zu bringen. Aber die letzteren blieben standhaft. An diesen Verhandlungen nah­ men die Nürnberger Gesandten ständig teil. Schon bei einer am 22. September durch Georg Truchseß und Dr. Vehus mit dem Markgrafen und Hans von Minckwitz er­ folgten Aussprache war es den Nürnbergern gelungen, von dem Abschied, den der Kaiser den Evangelischen nicht in die Hände geben wollte, einen Auszug zu machen, um die­ sen nach Nürnberg zu senden mit einem ausführlichen Be­ richt über die Verhandlungen 110). So schmerzlich der Abschied dem Rat auch erschien, so fühlte dieser sich wie von einem drückenden Alp befreit. Alle evangelischen Stände waren fest geblieben. Die Ver­ gleichsverhandlungen, welche dem Rat so viele Sprgen be-



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reitet hatten, waren endgültig abgetan. Der Kaiser hatte selbst durch seine rücksichtslose Entscheidung dafür ge­ sorgt, daß die Anhänger des Bekenntnisses sich nur um so enger zusammenschlossen, einig in dem festen Willen, von diesem Bekenntnis unter keinen Umständen zu weichen. Ueber den Abschied schrieb der Rat: ,,Obwohl der Abschied in vielen Stücken beschwerlich und die nachfolgende rauhe Handlung noch viel beschwerlicher ist, müssen wir die Sache doch Gott befehlen und darin nit so kleinmütig sein, daß wir von Christus und seinem Evangelium, auch von dem, was wir bisher für christlich gehalten und bekannt haben, weichen, sondern dem vertrauen, der aus Feinden Freunde und aus einem Gift einen Tiriak (z= Heilmittel) machen kann. Den Abschied können wir, wenn wir Chri­ sten sein wollen, unmöglich annehmen. Wir sind aber guter Hoffnung, der Kurfürst von Sachsen werde hieher kommen. Mit ihm wollen wir die Sache besprechen und dann, was christlich, gut und nutz ist, zu handeln nicht unter­ lassen“ 1X1). Am 24. September ließ der Kaiser mit den Städten, welche sich bisher ^in der Glaubensfrage noch nicht ent­ schieden hatten, geheim verhandeln. Die Nürnberger er­ fuhren jedoch, daß man ihnen die Frage vorlegte, ob sie den Abschied annehmen und dem Kaiser gegen die evan­ gelischen Stände Hilfe leisten wollten. Daraus schlossen die Nürnberger, daß noch viel Beschwerliches zu erwarten sei. Sie baten den Rat, er möge die Lage fleißig bedenken und sich entschließen, was zu tun sei. Auf keinen Fall dürfe man weichen, es sei denn, daß man des Kaisers Gnade höher schätzen wolle, als Gottes Huld. Sie, die Gesandten, kämen sich jetzt freilich wie in einem Gefängnis vor112). Wenn auch die Städte, mit denen am 24. September verhandelt worden war, sich bereits in Speyer von den pro­ testierenden Städten in der Religionsfrage getrennt hatten, so lebte doch in ihnen noch soviel Solidaritätsgefühl, daß sie nicht ohne weiteres das Versprechen geben wollten, gegen deutsche Reichsstädte an der Seite des Kaisers und der katholischen Fürsten sich in einen Krieg einzulassen.

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Sie baten daher um eine Abschrift des Abschieds und um Bedenkzeit. Die Abschrift wurde verweigert und der Ab­ schied nur einigemal vorgelesen. Nun wandten sich diese Städte an die Gesandten von Nürnberg mit der Bitte, ihnen zu sagen, in welchem Wortlaut der Abschied den evan­ gelischen Fürsten und Städten erteilt worden sei. Die Nürn­ berger erfüllten diese Bitte. Da stellte sich dann heraus, daß der Abschied, wie er den Städten am 24. September vor­ gelesen wurde, viel milder lautete und daß insbesondere die Hilfeleistung, welche von ihnen gefordert wurde, viel ge­ ringer erschien, als die Drohung gegenüber den bekennenden Fürsten und Städte aufwies. Die von dem Kurfürsten in Augsburg zurückgelassenen Vertreter schrieben diesem darüber: „Daraus haben Euere kurfürstlichen Gnaden des Gegenteils Listigkeit, so die darin gegen die Städte, damit sie dieselben in ihre Hilfe bringen und von den andern Städten abziehen möchten, zu vermerken“113). Es stellte sich jedoch heraus, daß die Fälschung, welche hier vorlag, dem Kurfürsten Joachim zur Last fiel, wie auch der Kaiser selbst nachher zugab 114). Die Nürnberger hatten dem Rat von der sorgenvollen Stimmung berichtet, welche infolge der letzten Verhand­ lungen bei den Evangelischen herrschte. Nun meldeten sie, daß auch der Markgraf „etwas kleinmütig“ geworden sei und sie besorgten, er könnte sich aus Furcht zu etwas be­ reden lassen; auch seien viele Städte über den Abschied nicht wenig erschrocken. Der Kaiser sei „sehr hitzig“ und habe geäußert, mit Belehrung sei jetzt nichts mehr aus­ zurichten, man müsse jetzt die Faust brauchen; er wolle sehen, wer stärker sei. Volkamer-fügte jedoch diesem Be­ richt hinzu: „Verhofft jedermann, wie mir auch nit zweifelt, Eure Weisheit werde beständig bleiben.“ Daß dieses Verhoffen berechtigt war, zeigte die Antwort des Rates: „Noch manches Schwere wird durchzukämpfen sein. Aber die evangelischen Stände sind jetzt vor die Entscheidung ge­ stellt: entweder bei dem Wort Gottes bleiben, oder davon weichen und treulos werden. Für den, der Gottes Wort und seine Wahrheit erkannt hat, ist diese Entscheidung

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nicht schwer. Uns gebührt, mehr auf Gott, in dessen Hand unser Leben, Sterben und Verderben steht, als auf die ganze Welt zu sehen. Dem gedenken wir auch zu vertrauen.“ In seinem nächsten Brief aber fordert der Rat seine Gesandten auf, von dem inzwischen erfolgten Eintreten des Erzbischofs von Mainz und der Kurfürsten von Trier und der Pfalz für die Bedrohten gegen die Fälschung des Kurfürsten Joachim den furchtsamen Städten Kenntnis zu geben. Das werde gewiß ihren Mut stärken 115). Auch als bekannt geworden war, daß die grimmigsten Feinde der Reformation: der Erzbischof von Salzburg, der Bischof von Straßburg; der ^Herzog Georg von Sachsen und die von Bayern den Antrag gestellt hatten, es sollte in dem endgültigen Abschied allen Ständen des Reichs bei höch­ ster Strafe, Acht und Aberacht, auch Entziehung aller Pri­ vilegien und Regalien geboten werden, alle Zeremonien und kirchliche Gebräuche in ganz kurzer Zeit in den alten Stand zu setzen, ließen sich dadurch weder die Nürnberger Ge­ sandten, noch der Rat einschüchtern. Die ersteren schrie­ ben damals nachhause: „Für unsre Person wollen wir, wiewohl uns beschwerlich, hier zu liegen, unerschrocken sein.“ Der Rat aber antwortete: „Nach eurem letzten Schreiben tragen sich die Sachen überbeschwerlich zu, sodaß die Evangelischen Sterbens und Verderbens zu gewarten haben. Aber dem sei, wie ihm will, so ist viel besser, in die Hände der Menschen zu fallen, als in die Hände Got­ tes. Müssen also warten, was Gott ferner ordnen will, der tröstlichen Zuversicht, er werde den Feinden seines Wortes nit gestatten, seinen Namen zu verlästern, und die, so sich zu seinem Evangelium bekennen, zu unterdrücken“ 116). In der Vollmacht, welche der Kurfürst zu Sachsen sei­ nen zu Augsburg zurückgelassenen Räten hinterließ, hatte er diesen den besonderen Auftrag gegeben, sie sollten vom Kaiser und den Ständen Sicherheit darüber zu erlangen suchen, daß man sie bis zu dem versprochenen Konzil und dessen Entscheidung unangefochten ihres Glaubens leben lasse 117). Der Kurfürst war dazu veranlaßt worden durch die mehrfachen Drohungen des Kaisers, besonders aber

256 durch die Tatsache, daß ein Ausschuß eingesetzt worden war zur Beratung darüber, wie es bis zum Konzil gehal­ ten werden solle. Der Kurfürst hatte dazu auch bestimmte Vorschläge hinterlassen. Nach diesen sollte jeder Teil den andern mit seinen Untertanen als gleichberechtigt gelten lassen, keiner sollte den Untertanen des andern, geist­ lichen und weltlichen, ihre Rechte und Einkünfte sperren, alle sollten sie sich friedlich und freundlich gegeneinander halten, wie es der kaiserliche Landfriede gebiete118). Aber auch auf der andern Seite schien das Bedürfnis nach ,,einem friedlichen Anstand“ vorhanden zu sein. So berichteten die Nürnberger am 2. Oktober, daß der Mark­ graf Ernst von Baden und Georg Truchseß an die säch­ sischen und markgräflichen Räte herangetreten seien mit der Versicherung, sie wollten gern Frieden schaffen. Darum möchten ihnen die Räte sagen, in welchen Punkten sie den Abschied gemildert wünschten; sie wollten dann ihre Wün­ sche dem Kaiser vorlegen und empfehlen. Die beiden brachten auch selbst einen Vorschlag, der folgende Punkte enthielt: Um dem Kaiser ihren guten Willen zu zeigen, neh­ men die Evangelischen den Abschied in allen Artikeln an. Die Frage, ob ihr Bekenntnis mit der heiligen Schrift über­ einstimme, soll vom Konzil entschieden werden. Beide Parteien lassen bis zum Konzil nichts drucken; alle Stände halten Frieden und drängen niemand von seinem Glauben. Die Evangelischen erklären, daß sie mit den Sakramentierern und Wiedertäufern nichts zu tun haben wollen. Das Konzil soll innerhalb 6 Monaten ausgeschrieben werden119). Für die Evangelischen war dieser Vorschlag deshalb untragbar, weil sie sich durch die Annahme des Abschieds in allen seinen Artikeln ganz in die Hände der Römischen gegeben hätten. Dazu kam, daß der Auftrag zu Verhand­ lungen vom König Ferdinand stammte, welcher den Frie­ den wünschte, weil er der Hilfe der Evangelischen gegen die Türken bedurfte. Die Evangelischen aber nahmen den Standpunkt ein, daß vor der Bewilligung der Türkenhilfe der Friede zu schaffen sei. Diese Forderung hatten sie schon wiederholt gestellt, zuletzt am 7. Oktober.' Kurfürst

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Joachim hatte daraufhin erklärt, man wolle den Kaiser schriftlich darum bitten, nötigen könne man ihn dazu nicht. Diese Bemerkung hatte ihren besonderen Grund. Im Reichs­ rat bestand keine Neigung zur Bewilligung eines'Friedens; im Kurfürstenrat hatte vor allem Kurfürst Joachim, im Ausschuß ebenfalls dieser und der Herzog von Sachsen, wie auch die bayerischen Herzoge dagegen gesprochen120). Deshalb verlangten nun die Evangelischen, daß ihnen das Schriftstück, in welchem der Kaiser um Gewährung eines Friedens gebeten werden sollte, bekannt gegeben werde. Da man das verweigerte, wurden die Evangelischen mißtrau­ isch und vermuteten einen Betrug. In der Tat hatten die Römischen vor, um einen Frieden zu bitten, der durch die Unterdrückung der Evangelischen hergestellt würde121). So war es den Nürnberger Gesandten nur erwünscht, daß ihnen der Rat am 6. Oktober die Weisung gab, sich bevor sie für die Türkenhilfe stimmten, Gewißheit darüber zu verschaffen, wie in der Zeit bis zu einem Konzil ,,jeder Stand neben dem andern sitzen mag“ 122). Wie wenig der Kaiser zum Frieden geneigt war, zeigt eine Meldung der Nürnberger vom io. Oktober, nach welcher der Kaiser für Sonntag, den 9. Oktober, in allen Kirchen Augsburgs Pre­ diger aufgestellt hatte mit dem Befehl, gegen die Evan­ gelischen und für das Papsttum zu predigen, wobei Eck sich besonders hervortat123). Volkamer berichtete auch von umfassenden Rüstungen des Kaisers, von denen die Evangelischen den Eindruck hatten, man wolle ihnen damit bange machen 124). Die folgenden Wochen waren durch ein fortgesetztes Ränkespiel ausgefüllt, durch welches die Römischen im Ver­ ein mit dem Kaiser die evangelischen Stände zur Annahme des ohne sie festgesetzten endgültigen Abschieds und zur Leistung der Türkenhilfe zu bewegen suchten, ohne daß man ihnen den geforderten Frieden gewähren wollte. Erfreulich ist dabei für uns die Beobachtung, daß auch in diesen schweren Tagen weder die Nürnberger Gesandten, noch der Rat, den jene ständig auf dem Laufenden hielten, sich irgendwie einschüchtern ließen, sondern im Vertrauen auf 17



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ihre gerechte Sache und die göttliche Führung, deren sie auch in diesen Schwierigkeiten gewiß waren, ihre Festigkeit und Zuversicht bewahrten, wie der ganze Briefwechsel aus dieser Zeit beweist. „Die Artikel des Friedens“, um die es sich immer wieder handelte, hatten die Nürnberger, wie die Evangelischen überhaupt, längst als „durchaus hinterlistig und feindselig und nichts als Verführung und Blendung“ erkannt. Es war ein fortgesetztes unehrliches Hinhalten, mit dem man sie zermürben wollte. Eine klare, unzwei­ deutige Antwort wurde ihnen nie gegeben. Auch zuletzt, als die*Evangelischen, um klar zu sehen, die Frage gestellt hatten, ob sie in dem endgültigen Abschied, die Religion betreffend, den man ihnen bisher vorenthalten hatte, in­ begriffen und gemeint seien, sodaß also, wenn sie dem Ab­ schied nicht nachkämen, der Fiskal gegen sie procedieren könne, und sie den im Abschied bestimmten Strafen verfal­ len wären, erteilte Kurfürst Joachim, der hier im Namen des Kaisers sprach, wider besseres Wissen einen unaufrich­ tigen und hinterhältigen Bescheid, indem er antwortete, die Stände könnten sich nicht erinnern, daß die Evangelischen in dem Abschied, soweit er die Religion betreffe, begriffen seien, was jedoch alsbald durch Verlesung des Wortlauts als unwahr erwiesen wurde 12ß). Erst als die Evangelischen sich unmittelbar an den Kaiser wandten, erteilte ihnen die­ ser eine klare Antwort, aus der hervorging, daß sie nun außerhalb des Landfriedens standen, wenn sie den Abschied nicht annahmen 12e). Der Entschluß, ohne Gewährung eines Friedens die Türkenhilfe nicht zu leisten, wurde freilich nicht von allen Evangelischen durchgeführt. Am 31. Oktober berichtete Volkamer dem Rat, der Markgraf wolle zunächst bei der Verweigerung der Türkenhilfe bleiben, um damit den Frie­ den zu fördern; werde aber dadurch der Friede nicht er­ reicht, so wolle er schließlich die Hilfe leisten, da es sich hier um ein äußeres, christliches Werk handle, das mit dem Gewissen nichts zu tun habe127). Am gleichen Tag berich­ ten, die Nürnberger, daß auch die sächsischen Räte dieses Bedenken geäußert hätten. Auch die Nürnberger Gesand-

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ten teilten dasselbe, nachdem es ihnen zur Gewißheit gewor­ den war, daß der Friede, wie ihn die Evangelischen wünsch­ ten, durch die Weigerung der Hilfe doch nicht erreicht werde. Sie gaben es der Erwägung des Rates anheim, ob Nürnberg, wenn der Kurfürst und Markgraf den Wider­ stand bezüglich der Türkenhilfe aufgeben würden, sich nicht ebenfalls auf diesen Standpunkt stellen wolle. Nun hatte der Rat bisher an die Verweigerung der Türkenhilfe die Hoffnung geknüpft, der Kaiser werde sich dadurch zum Nachgeben in der Friedensfrage und zu einem milderen Ab­ schied bewegen lassen. Als aber diese Hoffnung zerronnen war, wurde es auch ihm fraglich, ob er noch bei der Wei­ gerung verharren dürfe. Als dann der Kaiser am n. Novem­ ber die Gewährung des Friedens endgültig abgelehnt hatte, schlug der Rat vor, die Frage der Türkenhilfe auf dem von dem Kurfürsten Johann in Aussicht genommenen Tag zu Schmalkalden zu besprechen und einen gemeinsamen Beschluß zu fassen 128). Unterdessen hatte man immer wieder versucht, die­ jenigen Städte, welche bisher unentschieden gewesen waren, zur Annahme des Abschieds zu drängen. Dadurch erreichte man aber das Gegenteil von dem, was man wünschte. Frankfurt lehnte nun den Abschied endgültig ab. Schwä­ bisch Hall beauftragte seine Gesandten, das gleiche zu tun, wenn man sie nicht bis zum Konzil bei ihrer Religionsübung lasse. Ulm, das man besonders bedrängte, lehnte gleich­ falls ab. In Augsburg wurden die 13 geheimen Räte zum Kaiser berufen und aufs neue zur Annahme des Abschieds ermahnt. Der Rat erklärte jedoch, seinen Standpunkt nichtändern zu können. Weißenburg, das sich in Nürnberg, wie in allen schwierigen Fällen, Rats erholt hatte, lehnte eben­ falls ab, sodaß die Zahl der ablehnenden Städte auf 14 ge­ stiegen war. Am 19. November kam endlich, der Reichstag zum Ab­ schluß. An diesem Tag versammelten sich alle noch an­ wesenden Fürsten und Stände in der Wohnung des Kaisers, um von da mit ihm zum Rathaus zu ziehen und den Reichs­ tagsabschied in allen seinen Teilen zu vernehmen. Uns in17*

2ÖO

teressiert hier vor allem der Abschnitt welcher die religiöse Frage behandelte. Nach der Feststellung, daß die Evan­ gelischen das kaiserliche Dekret vom 22. September nicht angenommen hätten, wurden 25 Punkte aufgezählt, in web cheri das Wormser Edikt übertreten worden sei. Daraus sei nichts Gutes, sondern nur Verachtung des Kaisers, Schmähung der Obrigkeiten, Entzweiung der frommen, ein­ fältigen Leute entstanden, verführende Irrtümer ausgebrei­ tet, alle wahre Andacht verloren, christliche Ehe, Zucht und Gottesfurcht und guter Wandel im Leben, auch die wahre Liebe des Nächsten gänzlich in Verfall gekommen (!). Die Behauptung, daß der Kaiser das Bekenntnis der Evan­ gelischen mit dem Rate trefflicher Theologen durch die heiligen Evangelien und Schriften widerlegt habe, wurde auch hier wiederholt! Trotz alledem gestattet der Kaiser den Evangelischen, sich bis zum 15. April 1531 zu bedenken, ob sie sich in den unverglichenen Artikeln mit der christlichen Kirche, dem Papst, dem Kaiser und den Reichsständen bis zu einem Konzil vereinigen wollten oder nicht. Inzwischen sollten die evangelischen Stände verordnen, daß in ihren Gebieten in des Glaubens Sachen nichts Neues gedruckt, feilgehabt oder verkauft werde. Alle Stände des Reichs sollen in­ zwischen Frieden und Einigkeit halten. Die evangelischen Fürsten und Städte sollen nicht, wie bisher geschehen, die Untertanen des Kaisers oder der andern Fürsten und Stände zu ihrer Sekte ziehen und nötigen und diejenigen ihrer Un­ tertanen, welche noch am alten christlichen Wesen hängen, •in ihren Kirchen, Gottesdiensten und Zeremonien nicht irren, noch bedrängen und keine weitere Neuerung darin anfangen, ebenso die Ordenspersonen an der Messe, am Beichten und Beichthören, am Sakramentreichen und -emp­ fangen nicht verhindern. Auch sollen die evangelischen Fürsten und Städte sich mit dem Kaiser und den übrigen Reichsständen gegen diejenigen, welche das Sakrament nicht halten, wie auch gegen die Wiedertäufer vereinigen und. mit ihnen raten und helfen, wie und was gegen diese zu handeln sei.

2§I

Wo in Städten und Orten, da die neue Lehre eingeris­ sen, Bürger und andere Personen sind, die dem alten, fech­ ten christlichen Glauben anhangen wollen, will diese der. Kaiser in seinen besondern Schutz nehmen. Diese Personen und Bürger sollen jederzeit freien Abzug haben, wenn sie; nicht länger an den Orten bleiben wollen, und zwar sollen sie in diesem Fall von jeder Nachsteuer befreit und an keinen Eid und an keine Pflicht mehr gebunden sein. Alle diesbezüglichen Rechte und Freiheiten der Städte und Obrigkeiten sind durch den Kaiser aufgehoben. Zur Abstellung der in der Kirche eingerissenen Miß­ bräuche und Beschwerungen und zur Durchführung einer christlichen Reformation hat sich der Kaiser mit den Reichsständen entschlossen, bei dem Papst und allen christ­ lichen Königen zu beantragen, daß binnen 6 Monaten nach Beendigung des Reichstags ein Konzil ausgeschrieben und innerhalb eines Jahres nach dem Ausschreiben gehalten werde, um die Christenheit in Einigkeit und Frieden zu bringen. Ferner befiehlt der Kaiser, daß diejenigen, welche ihres Amtes, ihrer Rechte und Einkünfte entsetzt wurden, wieder in diese eingesetzt werden. Als Vogt und Schirm­ herr der Kirche will der Kaiser den alten Glauben, das alte Herkommen und die Gebräuche erhalten und keine Irrung darin zulassen. Darum wird verfügt, daß alle Neuerungen und Aenderungen, welche in Lehre und Kultus, in Ordnun­ gen und Gebräuchen vorgenommen wurden, wieder in den alten Stand zurückgeführt werden sollen. Gegen die Urgehorsamen soll der kaiserliche Fiskal gerichtlich, und zwar bis zur Strafe der Reichsacht vorgehen. Das neu konstituierte Reichskammergericht wurde auf diesen Ab­ schied ausdrücklich verpflichtet. Der in den markgräflichen Akten befindliche Bericht über die Verlesung des Abschieds schließt wie folgt: ,Darauf die Kurfürsten und Fürsten, so persönlich zugegen gewest, und andere, so in diesen Abschied gewilligt, sich zu dem Kaiser, ihm solches alles, wie oben gehört, mit Land und Leuten zu helfen und zu handhaben, auch ihr jeder zu dem andern Leib und Gut zu setzen verpflicht, versprochen

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und zugesagt haben. Item, es sollte auch ihr jeder, so sol­ chen* Abschied Folge täten, nach Ausgang der obbestimm­ ten Zeit, die oder der Ungehorsamen einen oder mehr an­ zugreifen, mit ihrer Leib oder Güter nach ihrem Willen zu handeln und fahren Macht haben. Denn sie ihnen, als die um ihr unchristliche, ungehorsame Ueberfahrung Uebertretung) in die höchsten Pön und Acht erkannt und ihr Leib und Gut, Land und Leut jedermann frei genannt sein sollten“'120). Es war ein überaus betrübender Abschied, zu welchem somit der Kaiser und die Mehrheit der Reichsstände sich vereinigt hatten, um so betrübender, wenn man ihn mit dem vergleicht, was der Kaiser in seinem Ausschreiben feier­ lich versprochen hatte! Danach konnten die evangelischen Stände nach Augsburg gehen in dem guten Glauben, man wolle dort mit ihnen Zusammenkommen, um ,,in Liebe und Gütigkeit“ mit ihnen zu prüfen, welches die rechte, christ­ liche Wahrheit und Ordnung sei, und alles, „was bisher nicht recht ausgelegt und gehandelt“ sei, abzutun, und so zu einer brüderlichen Verständigung und zu christlichem Frieden und Einigkeit zu gelangen. Aber nichts von dem allen war gehalten worden. Von ,,Liebe und Gütigkeit“ haben die Evangelischen während des ganzen Reichstags nichts gespürt, wohl aber viel von Gehässigkeit und Un­ ehrlichkeit. Man hat sie stets nur als Angeklagte behan­ delt, über die man zu Gericht saß! In ihrem Bekenntnis haben die Evangelischen Rechen­ schaft abgelegt über ihren Glauben. So weit es ihrem Ge­ wissen möglich war, sind sie dabei entgegengekommen. Rücksichtsvoller und schonender, versöhnlicher und frie­ denswilliger konnte das Augsburger Bekenntnis nicht gefaßt werden. . Bei den Vergleichsverhandlungen sind die Ver­ treter der Evangelischen weiter gegangen, als sie durften. Immer haben sie sich zu allem erboten, was zu Frieden und Eintracht dienen konnte und was sie ohne Verletzung ihres Gewissens und ohne Verleugnung des göttlichen Wortes tun konnten. Der Autorität eines „gemeinen, freien, christ­ lichen Konzils“ haben sie sich bereitwillig unterstellt.

263 Aber das alles war vergeblich gewesen. Man wollte auf römischer Seite keine Verständigung, sondern nur Un­ terwerfung! Zwar wollte auch der Kaiser und ein Teil der katholischen Stände eine Reformation. Der Uebelstände und Schäden waren zu viel, als daß sie übersehen und noch länger geduldet werden konnten. Es war ein Verdienst des Kaisers, daß er auf diesem Reichstag einen besonderen Ausschuß einsetzte zur Untersuchung und Be­ seitigung dieser Uebelstände. Als aber dieser Ausschuß auch die Beschwerden gegen den römischen Stuhl in Angriff nahm, von welchem der ehrliche, fromme Papst Adrian VI. auf dem Reichstag zu Nürnberg 1523 vor aller Welt be­ kannt hatte, daß von dort das Verderben der Kirche äusgegangen sei130), da griff sofort der päpstliche Legat ein und verbot die Behandlung dieses Gegenstandes., weil der größte Nutznießer dieser Uebelstände, der Papst, deren Beseitigung nicht wollte! Unter dem Einfluß des päpstlichen Legaten und der katholischen Mehrheit der Stände hielt auch der Kaiser daran fest, daß das Wesen und d^s Prinzip des überliefer­ ten Katholizismus und das ganze bisherige System un­ bedingt aufrecht zu erhalten sei. Daher auch die Forde­ rung, daß die Evangelischen vor der Bewilligung eines Korizils zur römischen Kirche zurückkehren und alles in den vorigen Stand setzen müßten. Die Lehre und das Leben der Kirche sollte nicht unter die Autorität der heiligen Schrift gestellt werden, weil man ihr Zeugnis fürchtete. Darum wollte man auch die öffentliche Verlesung des auf die Schrift gegründeten evangelischen Bekenntnisses verhin­ dern und auch dessen Apologie weder annehmen, noch be­ kannt werden lassen. Darum verweigerte man auch die Aushändigung der Widerlegungsschrift, von der man wußte, daß ihr Schriftbeweis auf sehr schwachen Füßen stand. Wenn dann der Papst das nicht nur von den Evan­ gelischen, sondern auch vom Kaiser und der katholischen Mehrheit geforderte Konzil mit allen, auch sehr unehr­ lichen Mitteln verhindert hat, obwohl er dem Kaiser des­ sen Förderung versprochen hatte, so wissen wir doch durch

2Ö4

einen seiner Kardinale, daß es vor allem sein schlechtes Ge­ wissen war, was ihn dazu trieb, die Furcht, das Konzil möchte sich nicht nur mit der Kirchenlehre befassen, wobei die Waffe der Heiligen Schrift

in der Hand der Evan­

gelischen zu fürchten war, sondern auch mit seinem eigenen Lebenswandel und all den üblen Mißständen, welche damals am päpstlichen Hofe herrschten 131). Man hat Luther und die ihm anhingen, beschuldigt, sie hätten durch ,,ihre Auflehnung gegen den Papst und die römische Kirche" die Einheit der christlichen Kirche zer­ stört

und trügen für dieses Unheil die alleinige Verant­

wortung.

Die Geschichte des Reichstags zu Augsburg be­

weist das Gegenteil.

Der Riß und die Scheidung

in

der

Christenheit entstand dadurch, daß man die nötige Refor­ mation der Kirche aufgrund der Heiligen Schrift ablehnte. Noch in Augsburg wäre es möglich gewesen, den Riß zu heilen und die Trennung zu verhindern, wenn auf der römi­ schen Seite der gute Wille dazu vorhanden gewesen wäre. Statt dessen

wurden

als verruchte Ketzer, Glauben abgefallen,

die

evangelischen Reichsstände

als die

„vom wahren christlichen

die jede Autorität und Ordnung zer­

stört, alle Gottesfurcht und Zucht, alles christliche Leben und alle Nächstenliebe abgetan haben", gebrandmarkt, aus der Christenheit und Volksgemeinschaft ausgestoßen,

als

rechtlos und vogelfrei mit Leib und Leben, mit Hab und Gut jedem preisgegeben, der seinen Haß und seine Habgier an ihnen auslassen wollte.

Evangelischer Glaube und Got­

tesdienst, evangelische Predigt

und Unterweisung

wurde

verboten, die Irrlehren und Mißbräuche, gegen die das deut­ sche Gewissen

und

christlicher Wahrheitssinn seit Jahr­

hunderten angekämpft, wurden aufs neue sanktioniert und ins Recht gesetzt. Freilich konnte damit die Wahrheit doch nicht unter­ drückt werden.

Daß dem Kaiser bei der Sache doch nicht

ganz wohl war, zeigt eine Aeußerung des Georg Truchseß vom 20. September: Der Kaiser wolle nicht dafür angesehen werden, als hätte er in der Sache, zu deren Erledigung er ins Reich gekommen sei, nichts ausgerichtet; vielmehr

265

wolle und müsse er darin dem Papst und den andern König­ reichen und Nationen „die Augen füllen“. Nur U/2 Jahre vergingen, da mußte er den Evangelischen den Frieden ge­ währen, um den sie in Augsburg vergeblich gerungen hat­ ten. In Rom aber fand man um diese Zeit, daß das Glaubens­ bekenntnis der Evangelischen, das man 1530 als ketzerisch verdammt hatte, doch nicht so übel und unchristlich sei. Die große Not, in die man geraten war, hatte zu einer freundlicheren Stellungnahme und zu einem gerechteren Urteil geführt! Die Geschichte des Reichstags von Augsburg ist ein Ehrenzeugnis aus der Geschichte der evangelischen Kirche; sie ist aber auch ein Ehrenzeugnis aus der Geschichte un­ serer Stadt. Wohl hat es der Nürnberger Rat damals nicht gewagt, Luther in Person bei sich aufzunehmen und ihm Schutz zu gewähren. Die Gefahr, in welcher sich die Stadt mit der Aufnahme des vom Reich Geächteten begeben hätte, war bei dem grimmigen Haß des Kaisers gegen Luther und seine Beschützer in der Tat sehr groß. Vieles wäre dadurch in Frage gestellt worden; auch der Bestand des evangelischen Glaubens in unserer Stadt. Was man dem Kurfürsten zu Sachsen gegenüber nicht wagte, Nürn­ berg gegenüber hätte mans wohl gewagt. Nürnberg hätte auch Luther gegen den Kaiser nicht schützen können! Aber wenn man Luther damals auch in Person auf­ zunehmen nicht wagte, so hat sich der Rat und die Bürger­ schaft doch zu der von ihm vertretenen Sache freudig und tapfer bekannt. Ja, man kann sagen, daß in jenen Tagen der Not und Gefahr die Bekenntnistreue Nürnbergs nur ge­ wachsen und immer kraftvoller hervorgetreten ist. An dem Erfolg und Ertrag des Augsburger Reichstags für die evan­ gelische Sache hatte Nürnberg rühmlichen Anteil. Als treuer und zuverlässiger Partner der evangelischen Fürsten, wie als Berater und Führer der evangelischen Reichsstädte hat sich der Rat in jenen Tagen wohl bewährt. In den schwierigsten und gefahrvollsten Tagen bewahrte er seine Festigkeit und Glaubensfreude und wurde damit für Für­ sten und Städte ein kräftiger Ansporn, ein starker Halt und

2 66 ein leuchtendes Vorbild. Die Briefe, welche der Nürnber­ ger Rat während des Reichstags an seine Gesandten schrei­ ben ließ, sind köstliche und denkwürdige Zeugnisse nicht nur seines großen politischen Weitblicks, sondern auch eines von tiefer und echter Frömmigkeit getragenen sitt­ lichen Ernstes, wie auch einer Ueberzeugungskraft und eines Glaubensmutes, der mit Gottvertrauen alles wagt und keine Macht der Welt fürchtet. Von einer so hochgesinnten Obrigkeit mußte auch eine große Kraft ausgehen auf das Volk, auf die Bürgerschaft. Vorbildliche Männer waren auch die Gesandten, welche die Stadt auf dem Reichstag vertraten. Nicht nur ihrer Vaterstadt, sondern der evangelischen Sache überhaupt haben sie treffliche Dienste geleistet. Bei Fürsten und Städten, auch den gegnerischen, waren sie hoch angesehen. Zu allen wichtigen Verhandlungen der Evangelischen wur­ den sie von den Fürsten zugezogen. Ueberall wurde ihre Stimme gern gehört, und weithin reichte ihr Einfluß. Daß das sächsische Bekenntnis schließlich zum gemeinsamen Bekentitnis der Lutherischen geworden ist, verdanken wir zum nicht geringen Teil dem Weitblick und dem Einigungs­ willen der Nürnberger Gesandten und des Nürnberger Rates, der die Glaubenssache und deren kraftvolle Durch­ setzung über die politischen Bedenken stellte. Insbesondere war es das Verdienst des Führers der Gesandtschaft Chri­ stoph Kreß. Ebenso war es hauptsächlich dem entschie­ denen Auftreten der Nürnberger, besonders des tempera­ mentvollen und schneidigen Hieronymus Baumgartner, wie der Festigkeit des ihnen zustimmenden Rates zu danken, daß die gefahrvolle Krisis, in welche die Evangelische Sache durch die übergroße Nachgiebigkeit Melanchthons geraten war, glücklich überwunden wurde. Möge der Geist, der in der Zeit des Reichstags zu Augsburg, wie überhaupt in der Reformationszeit in Nürn­ berg herrschend war und der auch in den gegenwärtigen Schwierigkeiten wieder aufleben und seine Kraft entfalten will, unter uns wieder zur vollen Geltung kommen!

267

Kapitel XVIII. Nürnberg und der Schmalkaldische Bund. So bedrohlich auch der Reichstagsabschied vom 19. November 1530 gelautet und so feindselig sich der Kaiser und die katholischen Stände schon während des Reichstags und erst recht nach dem Schluß desselben gegen die Evan­ gelischen gestellt hatten, so kam es doch nicht, wie man erwartet hatte, zu einem kriegerischen Unternehmen gegen die letzteren. Die politische Lage erlaubte das dem Kaiser nicht. Der König von Frankreich, der durch seine letzte Niederlage nur vorübergehend geschwächt war, zeigte deut­ lich genug, daß er gegebenenfalls für die deutschen Pro­ testanten einzutreten geneigt war x), falls diese vom Kaiser angegriffen würden. Die katholischen Stände zeigten wenig Neigung, dem Kaiser gegen die Evangelischen bei­ zustehen 2). Nicht einmal zu einem Defensivbündnis waren sie bereit3). Jedenfalls sahen sich die evangelischen Stände nach Schluß des Reichstags nicht unmittelbar durch Krieg bedroht. Dagegen begann man jetzt gegen sie einen Kampf auf dem Gebiet und mit den Mitteln des Rechts. Dazu be­ diente man sich des Reichskammergerichts, der höchsten Rechtsinstanz des Reiches. Im Abschied von Augsburg war dieses neu gestaltete Gericht, nachdem man es mit weiteren Richtern verstärkt und zugleich von solchen, die der Hinneigung zum evangelischen Glauben verdächtig waren, gereinigt hatte, ausdrücklich angewiesen worden, gegen alle vom katholischen Glauben Abgewichenen gericht­ lich vorzugehen. Richtete sich dieser Auftrag zunächst nicht gegen die evangelische Glaubenslehre, sondern gegen

268 die Einziehung und Verwendung von Kirchengütern für den evangelischen Gottesdienst, so war es doch ein ernst zu nehmendes Kampfmittel zur Einschränkung und Unter­ drückung der evangelischen Reformation. Angesichts dieser Bedrohung waren die evangelischen Stände gezwungen, sich mit der Frage zu befassen, wie sie sich dagegen schützen könnten. Jetzt tauchte die Bünd­ nisfrage wieder auf, die seit dem zweiten Speyerer Reichs­ tag auf verschiedenen Tagungen der evangelischen Stände erwogen, aber bisher nicht zu einer Lösung gekommen war. Dazu war jetzt noch eine andere Frage gekommen, welche, obwohl sie zunächst eine rein politische war, nach des Kurfürsten zu Sachsen Meinung auch für die evan­ gelische Sache eine besondere Bedeutung gewinnen konnte. Der Kaiser war nämlich um diese Zeit mit dem Wunsch hervorgetreten, die Stände sollten dafür eintreten, daß sein Bruder Ferdinand zum römischen König gewählt werde. Er wollte dadurch .das Ansehen und die Machtstellung des Hauses Habsburg festigen und nicht nur für das Ver­ bleiben der Kaiserkrone bei demselben Vorsorge treffen, sondern auch erreichen, daß sein Bruder in der Eigenschaft als römischer König ihm selbst als Mitregent und Statt­ halter zur Seite stünde. Nachdem der Kaiser bereits im Jahre 1528 durch sei­ nen Vizekanzler, den Propst von Waldkirch, bei den Kur­ fürsten für dieses Anliegen hatte werben und große Geld­ summen und andere Gnaden hatte versprechen lassen, wurde auf dem Reichstag zu Augsburg der Plan ins Werk gesetzt. Am 5. Januar 1531 sollte die Königswahl in Köln vor sich gehen. Während die übrigen Kurfürsten ihre Zustimmung sich abkaufen ließen, glaubte der Kurfürst zu Sachsen die Wahl verhindern zu müssen, nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch im Interesse des evangelischen Glaubens. Denn nachdem Ferdinand sich bisher schon als Feind der Reformation erwiesen hatte, war zu erwarten, daß er als

269 römischer König der evangelischen Sache nur noch gefähr­ licher werden würde. Nun hatte der Kurfürst noch während des Reichstags für den 28. November auf Nürnbergs Anregung einen Tag der evangelischen Stände nach Schwabach berufen, um mit diesen über etwaige Maßnahmen zu beraten, welche ihm um des bedrohlichen Abschiedsentwurfs vom 13. Oktober willen nötig schienen; er hatte aber diesen Tag wieder ab­ gesetzt, nachdem sich der Kaiser inzwischen friedlicher geäußert hatte4). Als jedoch der endgültige, den Evan­ gelischen durchaus feindselige Abschied erschienen und gleichzeitig auch der Termin für die Königswahl anberaumt worden war, hielt der Kurfürst eine Zusammenkunft der evangelischen Stände für dringend nötig und lud dieselben auf den 22. Dezember 1530 nach Schmalkalden ein5). Als Gründe dafür, daß er trotz des Weihnachtsfestes diesen Tag gewählt habe, gab der Kurfürst an: erstens eine auf Anfrage erfolgte Erklärung des Kaisers, daß es dem Fiskal des Kammergerichts unverboten und offen sein sollte, gegen diejenigen, welche den Reichstagsabschied nicht an­ nehmen wollten, zu prozedieren, und zweitens die erhaltene Vorladung zur Königs wähl nach Köln. Zu diesem Tag von Schmalkalden waren nicht nur sämtliche evangelische Fürsten eingeladen, sondern auch alle Reichsstädte, welche die Augsburgische Konfession unterschrieben hatten. Auch Straßburg, Ulm und Konstanz wurden davon durch Nürn­ berg in Kenntnis gesetzt 6). Von den evangelischen Fürsten erschienen persönlich: Kurfürst Johann, Landgraf Philipp, Herzog Ernst von Lüneburg, Fürst Wolfgang von Anhalt, die Grafen Geb­ hard und Albrecht von Mansfeld, letzterer auch als Ver­ treter Philipps von Braunschweig. Markgraf Georg sandte seinen Kanzler Georg Vogler und Kaspar von Seckendorf. Nürnberg ordnete Christoph Kreß und Leo Schürstab ab. Von Ulm kamen Georg Besserer und Daniel Schleicher; von Straßburg Kaspar Sturm, der auch Konstanz vertrat, Memmingen, Lindau, Tsny und Biberach wurden von Ulm

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vertreten; Reutlingen, Heilbrenn, Windsheim und Weißen­ burg von Nürnberg. Wegen des nahen Termins, der für die Königswahl an­ gesetzt war, erschien dem Kurfürsten die Behandlung dieser Frage besonders vordringlich. Er hatte den Kurprinzen Johann Friedrich als seinen Stellvertreter nach Köln ent­ sandt und ihn beauftragt, in seinem Namen gegen die Wahl Ferdinands zu protestieren. Auch hoffte er für diesen Pro­ test noch andere Reichsstände zu gewinnen. Zu diesem Zweck wandten sich Hans von der Planitz und der Kanzler Christoph Bayer vor allem an die Gesandten des Mark­ grafen. Sie betonten, daß Ferdinand ein Peind des Evan­ geliums sei. Schon darum dürfe man ihn nicht zu einer Macht kommen lassen, wie sie ein römischer König haben würde. Dazu verstoße die beabsichtigte Wahl gegen die goldene Bulle und gegen die Wahlkapitulation des Kaisers. Aber der Markgraf hatte seine Gesandten beauftragt, die Beteiligung an dem Protest gegen die Wahl abzulehnen 7). Dieselbe Weisung enthielt die Instruktion der Nürnberger Gesandten 8). Schon am n. Dezember hatte der Rat dem Markgrafen geschrieben: ,,Wie wir noch bedacht, so wur­ det uns gar nit gelegen sein, zur Verhinderung vorstehender königlicher Wahl oder was derselben zuwider reichen möcht, was zu handeln, oder uns deshalb mit jemand ein­ zulassen 9). Auch hatte Spengler im Auftrag des Rates mit Vogler ein gleichmäßiges Verhalten vereinbart. So er­ klärten auch die Nürnberger Gesandten den Beauftragten des Kurfürsten, Nürnberg wolle zur Verhinderung der Wahl nichts tun10). Der Rat hatte vom Kaiser den Auftrag erhalten, die in Nürnberg seit 1423 verwahrten Reichskleinodien zur Krö­ nung Ferdinands nach Köln zu senden, und er hatte in Be­ folgung des Befehls Christoph Tetzel und Christoph Coler nach Köln gesandt. Das hatte ihm der Kurfürst so sehr verübelt, daß er den Rat des Verrats an der gemeinsamen Sache beschuldigte. Der Rat antwortete, er habe auf Be­ fehl des Kaisers gehandelt, dem er zu gehorchen schuldig sei. Dem Kaiser in solch einer Sache zu trotzen, könne er

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vor seinem Gewissen nicht verantworten. Den Vorwurf des Kurfürsten glaube er aber umsomehr zurückweisen zu müs­ sen, als man in Sachsen früher mit Nürnberg dieselbe Rechtsauffassung gehabt habe u). Das Beispiel Nürnbergs scheint auch auf die übrigen Städte eingewirkt zu haben. In einer gemeinsamen Antwort an den Kurfürsten lehnten die Städte die Beteiligung an dem Protest ab 12). Dagegen schlossen sich, abgesehen vom Markgrafen, alle evan­ gelischen Fürsten dem Protest an 18). Kam es so bei den Verhandlungen über die Königs­ wahl unter den evangelischen Ständen zu keiner Einigung, so trat auch bezüglich der Bündnisfrage eine grundsätzliche Verschiedenheit der Standpunkte zutage; nur daß sich hier die Gruppierung anders gestaltete. Bei den früheren Verhandlungen über ein zu schließen­ des Bündnis waren die Beteiligten von der Voraussetzung ausgegangen, daß nicht eigentlich der Kaiser der Feind sei, gegen den man sich zur Wehr setzen müsse, sondern daß es die Päpstlichen und die katholischen Stände seien, die als die eigentlichen Feinde zu betrachten seien, weil sie es waren, die durch ihre falschen Berichte den Kaiser gegen die Evangelischen scharf machten, um ihn als Werkzeug gegen diese zu gebrauchen. Es war insbesondere der Nürn­ berger Lazarus Spengler, der den Kaiser entschuldigte und ihm kein Unrecht zutraute. Er glaubte, wenn der Kaiser über das, was die Evangelischen anstrebten, recht berichtet wäre, würde er sich nicht feindselig gegen sie stellen. Auch der Nürnberger Rat war lange Zeit dieser Meinung. Darum hatte man es auch als selbstverständlich angesehen, daß der Kaiser bei der Aufrichtung eines Bündnisses der Evan­ gelischen als Gegner auszunehmen sei. Aber je mehr man sich mit der Frage beschäftigte, destomehr erkannte man, daß man es in dem Glaubensstreit nicht nur mit den Päpst­ lichen und den katholischen Ständen zu tun habe. Schon in der Instruktion, welche der Kurfürst von Sachsen seinen Gesandten auf den Tag von Schwabach mitgegeben hatte, hieß es, die größte Gefahr werde jetzt an der höchsten Stelle, d. h. beim Kaiser, sein 14). Immer deutlicher hatte

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es sich gezeigt, daß der Kaiser auch von sich aus und für seine Person ein entschiedener Gegner der Reformations­ bewegung sei und dieselbe mit allen Mitteln zu unter­ drücken suche. Sobald man aber darüber klar geworden war, machte sich auch die Frage geltend, ob man überhaupt das Recht habe, dem Kaiser Widerstand zu leisten. Der Kurfürst von Sachsen hatte diese Fräge durch seine Juristen untersuchen lassen. Von dem rechtlichen Grundsatz ausgehend, daß es einem mit Unrecht Bedrängten erlaubt sei, sich zu verteidi­ gen, glaubten diese auch den Widerstand gegen den Kaiser als berechtigt ansehen zu dürfen. Auch den Theologen wurde die Frage vorgelegt. Da Luther und Melanchthon damals bei dem Religionsgespräch zu Marburg weilten, gab Bugenhagen Antwort. Er vertrat, wie die Juristen, den Standpunkt: Wenn die Obrigkeit sich gegen den christlichen Glauben und damit gegen Gott stellt, dann kann sie nicht mehr als Obrigkeit gelten, die von Gott ist, und man ist in diesem Fall berechtigt, ihr Widerstand zu leisten. Als jedoch die Frage auch Luther vorgelegt würde, kam die­ ser zu einem andern Schluß. Er war der Anschauung, daß der Kaiser, auch wenn er seinen Untertanen Unrecht tue, doch Obrigkeit bleibe und man sich ihm darum nicht wider­ setzen dürfe. Wohl dürfe man seinen Glauben nicht ver­ leugnen, aber man müsse eben die Folgen davon tragen. Jeder müsse eben auf eigene Gefahr glauben15). Diese Auffassung vertraten auch die Nürnberger Theo­ logen, wie auch der Jurist Spengler. Von diesem haben wir aus jenen Tagen zwei Gutachten, eines für den Nürn­ berger Rat, das andere für den Markgrafen. Da gab er ohne weiteres-zu, daß ein Christ nach dem natürlichen und menschlichen Recht demjenigen Widerstand leisten dürfe, der ihm ^Unrecht tue. Aber in diesem Fall handle es sich nicht um menschliches, sondern um göttliches Recht. Nach Gottes Wort ist man der Obrigkeit Gehorsam schuldig, solange das, was dieselbe fordert, nicht gegen das Gewissen ist. Befiehlt der Kaiser, daß man bei den Irrlehren und Mißbräuchen bleibe, welche gegen Gottes Wort sind, dann

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darf man ihm nicht gehorchen. Aber man muß die Folgen tragen und darf nicht die Waffen gegen ihn ergreifen, son­ dern die Sache Gott befehlen 16). Diesen Standpunkt eig­ nete sich auch der Nürnberger Rat an und ließ sich von da stets durch ihn bestimmen. Dasselbe gilt von dem Markgrafen. Zu dem Gutachten Spenglers hatte er sich ein solches auch von dem schwäbi­ schen Theologen Johann Brenz erholt17), das mit dem Spenglers übereinstimmte. Der Markgraf hatte damals er­ klärt, er werde, wenn der Kaiser ihn wegen seines evan­ gelischen Glaubens feindlich behandle, sich nicht wehren, sondern alles dulden, was Gott zulasse und damit ihm zu tragen auferlege. Auch in Sachsen war damals Luthers Anschauung durchgedrungen und der Bund war gescheitert. Als nun aber unter dem Druck und den Sorgen der Lage, wie sie der Reichstagsabschied von Augsburg ge­ schaffen hatte, der Bundesgedanke aufs neue sich auf­ drängte, mußte vor allem wieder die Frage erwogen wer­ den, ob es erlaubt sei, dem Kaiser Widerstand zu leisten. Nun war es klar, daß die Theologen, welche ihren Rechts­ begriff aus dem Neuen Testament nahmen, auch jetzt bei ihrem bisherigen Standpunkt blieben. Aber bei den Juri­ sten machten sich angesichts der Erfahrungen, welche man nach dem Reichstag von Speyer, wie auch in Augsburg mit dem Kaiser und seinem Verhalten gegen die evangelischen Stände und deren Gesandte gemacht hatte, doch auch an­ dere Gedanken geltend. Sie wiesen darauf hin, daß nicht nur die Reichsfürsten und die Reichsstädte mit ihren Unter­ tanen Pflichten gegen den Kaiser hätten, sondern auch der Kaiser gegen die Stände und deren Untertanen. Der Kai­ ser hatte die Reichsverfassung und die Reichsgesetze be­ schworen. Wenn er nun diese nicht beachtete und seinen Eid nicht hielt, wenn er auf eine gesetz- und rechtmäßig eingelegte Appellation keine Rücksicht nahm und die, welche sie eingelegt hatten, dafür strafte und mit den Waf­ fen bedrohte, sollte dann eine Gegenwehr Unrecht sein? Hatte der Kaiser überhaupt das Recht und die Gewalt, welche die Theologen ihm zuschrieben? Man betonte, der 18

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Kaiser sei keineswegs der absolute Herrscher, als der er sich fühle. Die Stände regierten mit dem Kaiser und diet ser mit den Ständen! Das müßten auch die sächsischen Theologen zugeben. Sie sagten darauf: „Wir haben nicht gewußt, daß solches der Obrigkeit Rechte selbst geben“ 18). Ein besonderes Gewicht hatte für Luther auch die Fest­ stellung, daß der Kaiser in der kirchlichen Frage gar nicht selbständig handle, sondern nur den Willen des durchaus verweltlichten und dem wahren Interesse und Wohl der Kirche gar nicht dienenden Papstes und eines Teils der ebenfalls gan'z und gar von Rom oder eigenen Interessen geleiteten Fürsten vollzog. Da mußte er sich sagen, wenn man den Widerstand dagegen als unerlaubt erkläre, so stärke man nur diese Gegner, die sich, um sich bei ihrem Unrecht zu erhalten, der kaiserlichen Autorität bedienten. So kam er zu dem Schluß: „Sie hoffen, daß man sich nicht wehren werde; wollen sie aber Ritter werden an der Un­ seren Blut, so sollten sie es mit Gefahr und Sorgen wer­ den“ 19). So klar und bestimmt lauteten nun freilich die Gut­ achten, welche Markgraf Georg und der Nürnberger Rat von ihren Juristen und Theologen erhielten, nicht. Waren schon im vorigen Jahre beide Gelehrte geteilter Meinung gewesen, so jetzt erst recht. Spengler vertrat den Stand­ punkt, den er bereits im Januar 1530 dem Kanzler Bayer gegenüber vertreten hatte, daß man nach der heiligen Schrift nicht nur einer guten, sondern auch einer bösen Obrigkeit gehorchen müsse. Er verwies auf den ursprüng­ lich monarchischen Charakter des Reichs, der ja vor allem den Reichsständen aus ihrer Geschichte verständlich sein müßte, und der ebenfalls zum unbedingten Gehorsam gegen die Obrigkeit verpflichte. Das Verhältnis des Stadtregi­ ments zum Kaiser sei daselbe, wie das von Amtleuten gegen­ über ihrem Oberherrn. Diese hätten nicht das Recht eige­ ner und selbständiger Entscheidungen. Die Auffassung, daß der Kaiser durch Uebertretung der ihm zustehenden Befugnisse sein Amt verwirkt habe, ließ Spengler nicht gel­ ten. Wäre es so, dann könnten unter Umständen die Bür-

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ger über ihre Obrigkeit, und Kinder über ihre Väter rich­ ten 20). Dagegen kam ein Gutachten Osianders zu einem ent­ gegengesetzten Ergebnis. Er entwickelte folgenden Gedan­ kengang. Wenn nach Römer 13 alle Gewalt von Gott stammt, so kann das nur von der ordnungsmäßigen Obrig­ keit gelten. Die Gewalt der Obrigkeit beruht nicht auf der Person, sondern auf der Institution an sich. Es ist Gottes Wille, daß eine Ordnung und ein Amt da ist, welches das Gute handhabt und die Bösen bestraft. Verwaltet nun jemand dieses Amt unordentlich, so ist er nicht als Obrig­ keit, die von Gott eingesetzt ist. zu betrachten. Also darf man ihm auch widerstehen. Nach Paulus ist auch die un­ tere Obrigkeit von Gott, also auch die Fürsten und Reichs­ städte, die unter dem Kaiser stehen. Nun wird die Reichs­ gewalt durch Wahl übertragen. Wenn aber der Gewählte seine in der Wahlkapitulation gegebenen Zusagen nicht erfüllt, ist die untere Obrigkeit höher, als die obere und darum zum Widerstand berechtigt21). Wie wir später sehen werden, ist Osiander auf diesem Standpunkt nicht geblieben. Als freilich Kanzler Brück am 25. Dezember den Ver­ such machte, die markgräflichen Gesandten für das Bündnis zu gewinnen, erklärte zwar Vogler, der Markgraf sei be­ reit, alles zu tun und zu fördern, was zur Erhaltung des reinen Gotteswortes dienlich sei, aber aus seiner Instruktion, welche er darauf vorlas, mußte Brück entnehmen, daß der Markgraf sich an einem Bündnis gegen den Kaiser nicht beteiligen wolle 22). Die gleiche Antwort erhielten am an­ dern Tag von der Planitz und der Graf Albrecht von Mans­ feld von den Nürnbergern. Auch ein zweiter Versuch, sie für den Anschluß an das Bündnis zu gewinnen, schlug fehl. Die darauf folgende Aussprache gestaltete sich sehr erregt. Man warf Nürnberg vor, an ihm sei das Bündnis schon im vorigen Jahr gescheitert. Die Instruktion, auf welche sich Kreß und Schürstab beriefen, könne man nur ver­ stehen, wenn man annehme, Nürnberg wolle vom Wort Gottes abfallen und sich von den evangelischen Ständen 18*

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trennen. Ja, Nürnberg habe wohl mit dem Kaiser und König einen besonderen Vertrag und Vertröstung eines Friedens. Darum habe es auch die kaiserlichen Pontifikalien nach Köln geschickt. Die beiden wiesen diese Vorwürfe als unberechtigt zurück und berichteten sofort an den Rat mit der Bitte um Bescheid, was sie daraufhin tun sollten. In seiner Antwort vom 2. Januar wies auch er jene Vorwürfe zurück und erklärte, er habe die Teilnahme am Bund nur deshalb abgelehnt, weil er von den vornehmsten Theologen aus dem Wort Gottes dahin belehrt worden sei, daß es einer christlichen Obrigkeit mit Gott und gutem Gewissen nimmermehr gebühre, mit Gegenwehr oder tätlicher Weise zu handeln. Das sei auch bisher des Kurfürsten und seiner Theologen Anschauung gewesen. In allen geschlossenen Vereinigungen habe auch der Kurfürst den Kaiser aus­ geschlossen. Der Rat sehe hier nicht auf des Kaisers Gnade oder Ungnade, sondernd allein auf* Gottes Wort und was ihm nach diesem zu tun gebühre. Zur Erhaltung des Evan­ geliums dürfe man nicht gegen dasselbe handeln, sondern seine Sache lieber in zeitliche Gefahr stellen und dem ver­ trauen, welcher der Welt das Liehe des Evangeliums ge­ stellt und bisher gegen alle Feinde erhalten habe. Damit sollten die Gesandten den Rat bei dem Kurfürsten und den andern evangelischen Ständen entschuldigen und zugleich die Ratschläge der Nürnberger Theologen und Rechts­ gelehrten übergeben, dagegen aber diejenigen der kurfürst­ lichen Theologen erbitten und dem Rat zustellen. Finde der Rat daraus soviel beständigen Grund, daß er sein Gewissen dadurch beruhigen könne, dann werde er sich also verhal­ ten, wie es Christenleuten gebühre 23). Wenn nun auch die Fürsten mit der Stellungnahme Brandenburgs und Nürnbergs keineswegs zufrieden waren, brachenv sie doch die Verbindung mit ihnen nicht ab in der stillen Hoffnung, den Widerstand derselben vielleicht doch noch überwinden zu können. So teilte am 20. Dezember Dr. Brück dem Kanzler Vogler mit, Sachsen und die übri­ gen evangelischen Stände wollten eine Gesandtschaft nach Nürnberg und Ansbach schicken, welche versuchen sollten,

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den Markgrafen und den Nürnberger Rat von der Berech­ tigung des Widerstandes gegen den Kaiser zu überzeu­ gen24). Man zog auch beider Gesandten weiterhin zu den Verhandlungen zu. Den wiederholt von diesen eingebrachten Vorschlägen, eine Gesandtschaft an den Kaiser zu schicken, welche um Abstellung der gerichtlichen Prozesse wegen kirchlicher Neuerungen bitten sollte, stimmten die Fürsten zu, obwohl sie von der Aussichtslosigkeit dieser Bitte überzeugt waren. Ferner wurde beschlossen, aus den früheren Reichstagsabschieden festzustellen, inwieweit das Kammergericht überhaupt berechtigt sei, gegen Reichs­ stände einzuschreiten. Auch wurde vereinbart, daß, wenn einer der evangelischen Reichsstände gerichtlich belangt werde, dieser berechtigt sein sollte, die übrigen zusammen­ zurufen, damit sie dem Belangten durch ihre Juristen bei­ stehen könnten. Ein weiterer gemeinsamer Beschluß betraf die Einreichung einer Appellation gegen den Augsburger Reichstagsabschied 25). Die ursprünglich beabsichtigte besondere Gesandtschaft an den Kaiser wurde schließlich doch unterlassen. Man hielt es für besser, durch die zur Zeit in Köln weilenden Vertreter evangelischer Stände — unter ihnen auch Chri­ stoph Tetzel — dem Kaiser ein Gesuch um Schutz gegen fiskalische Prozesse überreichen zu lassen und um schrift­ liche Antwort zu bitten 26). Am 30. Dezember wurde den Ständen der zu be­ schließende Entwurf der ,,Notel des Bundes“ vorgelegt mit dem Ersuchen, denselben an ihre Obrigkeit zu bringen. In­ nerhalb 6 Wochen sollte eine schriftliche Erklärung über deren Annahme oder Ablehnung eingesandt werden. Dabei hielt es der markgräfliche Kanzler Vogler für nötig, daß die oberländischen Städte, welche vom Kurfürsten ebenfalls zum Eintritt in den zu schließenden Bund' aufgefordert worden waren, noch einmal über ihre Sakramentslehre be­ fragt wurden. Der Straßburger Gesandte Jakob Sturm be­ antwortete diese Frage durch den Hinweis auf den betref­ fenden Abschnitt aus dem sogenannten ,,Vierstädte-Be-

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kenntnis“, womit sich Brandenburg und auch Nürnberg zu­ frieden gaben 27). Alsbald nach dem Abschluß der Schmalkaldener Ta­ gung beauftragte der Nürnberger Rat seine Juristen und Theologen, über die Artikel des Schmalkaldener Abschieds ein Gutachten auszuarbeiten. Auch Spengler wurde um ein solches ersucht. In demselben vertrat er durchaus sei­ nen bisherigen Standpunkt. Das göttliche Recht ging ihm vor dem menschlichen. Wenn auch — so schreibt er am 10. Januar 1531 an Vogler — die sächsischen Theologen ihren Standpunkt geändert haben, so bleiben doch seine Herren und er dabei, daß es ihnen nicht gebühre, wider die Obrigkeit mit der Faust zu handeln. Niemand kann ihn überzeugen, daß es christlich oder Gottes Wort gemäß sei, wider die Obrigkeit das Schwert zu erheben. Ihm und sei­ nen Herren ist es schwer genug, allein dazustehen und des Unglücks gewärtig zu sein, das ihm vom Kaiser, vom Schwäbischen Bund und dem kaiserlichen Fiskal droht. Aber noch schwerer ist es ihnen, sich in einen „unerträg­ lichen Bund“ zu begeben, wodurch man sich jene erst recht zu Feinden macht. Auch darum ist es ihm unmöglich, die Beteiligung an dem Bund anzuraten, weil man in ihm und mit ihm möglicherweise auch die Irrung der Oeberländischen im Sakrament verteidigen müßte. Für Spengler war es in dieser ernsten und schwer zu entscheidenden Frage das nötigste und wichtigste, ein gutes Gewissen zu haben. Nur mit einem solchen könne man in der schwierigen Lage un­ bedingt auf Gott vertrauen 28). Die Nürnberger Theologen, nämlich die Prediger von Sebald, St. Lorenz, H. Geist und der Karthäuserprediger, konnten bei ihrer gemeinsamen Beratung über die ihnen vorgelegte Frage: „Ob die Untertanen ihren Oberherren in etlichen verderblichen und unchristlichen Fürnehmen der­ selben mit Gewalt Widerstand tun mögen“ zu keiner ein­ helligen Antwort kommen. Darum gab Osiander seinen Standpunkt in einem ausführlichen Schriftstück zunächst für sich allein zu erkennen, nicht, wie er dabei betonte, weil er allein dazu berechtigt zu sein glaubte, sondern mit dem

Wunsch, es sollten die übrigen ihre Auffassung dazu äußern, sei es, daß sie ihm zustimmten, oder daß sie ihre abweichende Meinung darlegten und begründeten. Osiander vertrat, wie wir schon oben sahen, die Auf­ fassung, es könne Fälle geben, in welchen ein Widerstand gegen die Obrigkeit rechtlich erlaubt sei. Ob freilich das zur Zeit zu befürchtende Vorgehen des Kaisers gegen die Evangelischen einen solchen Fall schaffe, wagte Osiander nicht zu entscheiden. Nach seiner Anschauung könnten und sollten darüber nur diejenigen entscheiden, die in welt­ lichen und rechtlichen Geschäften erfahren und verständig seien, also die Juristen. Er selbst sieht seine Aufgabe in der Beantwortung der allgemeinen Frage, ob einem Chri­ sten erlaubt sei, sich gegen ein unchristliches Verhalten der Obrigkeit mit Gewalt zu widersetzen. Da aber kommt er jetzt zu dem Schluß, daß es nach der heiligen Schrift einem Christen nicht gestattet sei, gegen seine vor Gott geordnete Obrigkeit, auch wenn ihm dieselbe Unrecht zufügt, mit Gewalt Widerstand zu leisten 29). Vom rein juristischen Standpunkt urteilt der Rechts­ gelehrte Johann Müller, daß es zwar Fälle gebe, in denen jedermann selbst Richter sein dürfe; aber das gelte nur für ganz bestimmte Fälle und nicht für den Fall eines unchrist­ lichen Gebotes des Kaisers, auch nicht in Fragen des Glau­ bens. Gebietet der Kaiser etwas Unchristliches, dann soll ihm kein Gehorsam geleistet werden. Aber der Untertan darf solchem Gebot nicht mit Gewalt widerstreben. Wenn auch das natürliche Gesetz erlaubt, Gewalt mit Gewalt abzuwehren, so kann das die tätliche Gewalt gegen die Obrigkeit nicht entschuldigen. Denn auch die Obrigkeit hat ihren Rechtsgrund aus dem natürlichen Recht und Ge­ setz und kann durch ein anderes natürliches Gesetz nicht beeinträchtigt oder aufgehoben werden. Darum kann eine tätliche Gegenwehr gegen dieselbe nicht ztigelassen wer­ den. Sollte den Untertanen das Recht der Gegenwehr und dessen ungerechte Gewalttat zustehen, dann müßte ein sol­ ches Recht auch den Untertanen des Nürnberger Rates gegen diesen zustehen. Das aber würde zur Auflösung aller

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Ordnung führen. Wohl ist der Nürnberger Rat auch Obrig­ keit, aber dieses sein Recht ist ihm als ein Regal vom Kai­ ser gegeben, der sein Recht unmittelbar von Gott hat. Darum darf diesem aus eigener Gewalt niemand als Gott widerstehen, solange der Kaiser nicht durch diejenigen, die ihn erwählt haben, abgesetzt ist. Müller schließt sein Gutachten: „So bleibt uns denn kein anderes Mittel, als uns zur Geduld zu bereiten und den Kaiser nach seinem Gefallen, wo keine Verständigung mit ihm möglich ist, gegen uns handeln zu lassen. Wir haben keinen Befehl von Gbtt; mit wehrender Hand das Evan­ gelium zu verteidigen. Darum sollen wir dem Kaiser mit der Tat nicht widerstehen, sondern dem Beispiel der ersten Christen folgen, die in der Verfolgung sich nicht verbun­ den, sondern Gott mit dem Mund bekannt, von Herzen ge­ glaubt und auch im Sterben bezeugt haben, daß ein Chri­ stenmensch nach dem Gebot des Evangeliums dem Uebel und dem Kreuz nicht widerstreben soll“ 30). Mit diesem Gutachten scheint sich der Rat nicht be­ gnügt zu haben. Denn wir finden noch ein zweites von demselben Verfasser, welches dieser mit den Worten ein­ leitet: „Nachdem meine Herren zu wissen begehren, ob man in weltlichen Rechten gründlich bestehen möge, sich kaiser­ licher Majestät ungerechtem und unbilligem Gewalt, das sich Seine Majestät zur Unterdrückung des Evangeliums untersteht, mit der Gewalt und der Tat zu widersetzen.“ Also sollte in diesem weiteren Gutachten lediglich das kai­ serliche Recht und Gesetz der Maßstab sein, nach dem die Frage geprüft und beantwortet werden sollte. Müller stellt hier zunächst fest, was unter „ungerech­ tem und unbilligem Gewalt“ zu verstehen sei. Es ist „ge­ fährliche Bedrängung, welche wider die guten Sitten und das Gesetz geht“. Weiter stellt er fest, daß der Reichstags­ abschied von Augsbsurg keinen Beschluß und keine For­ derung enthalte, welche mit den bestehenden Reichsgeset­ zen in Widerspruch stünden. Alles entspreche vielmehr den Ordnungen und Gesetzen, welche seit Jahrhunderten gültig und durch die Konzilien und das geistliche Recht festgelegt

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seien. In diesen Gesetzen ist den Mönchen und Nonnen, wie allen Priestern die Ehe verboten. Geistliche unterstehen allein dem geistlichen Gericht. Keiner ist schuldig, sich vor einem weltlichen Gericht zu verantworten. Alle geist­ lichen und Kirchengüter sind unantastbar. Geistliche dür­ fen am Messehalten, in den Litaneien, Prozessionen und Kirchengebräuchen nicht verhindert werden. Die Bestim­ mungen der vier Konzilien Nicäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalcedon besitzen dieselbe Autorität, wie die Bibel und die kaiserlichen Gesetze. Die Richtlinien der römischen Kirche für die Deutung und Auslegung der Konzilsbeschlüsse haben die gleiche Autorität wie die kaiserlichen Gesetze. Kirchenrecht geht vor dem weltlichen Recht. Wer von der römischen Kirche der Ketzerei verdächtigt und gebannt ist und sich binnen Jahresschluß von der Ketzerei nicht gereinigt hat und losgesprochen ist, muß auch von der weltlichen Obrigkeit geächtet werden und ist damit ehr­ los und rechtlos, kann weder ein Testament machen, noch erben, und niemand ist schuldig, ihm zu Recht zu stehen. Wenn nun der Kaiser nach diesen Bestimmungen han­ delt oder Verfügungen erläßt, handelt er nach Gesetz und Recht. Somit kann er wegen der Ausführung des Reichs­ tagsabschieds von Augsburg unbilliger und Unrechter Ver­ gewaltigung nicht beschuldigt werden. Daraus folgt wei­ ter, daß kein Untertan sich der Vollziehung jenes Reichs­ tagsabschieds und seiner Androhungen widersetzen und da­ gegen verteidigen darf. Der Einwand, daß der Kaiser durch die Zusage eines Konzils, welches die Streitfrage endgültig zu entscheiden habe, das Recht der Vollziehung des Abschieds zweifelig gemacht habe, läßt Müller nicht gelten. Nach seiner Mei­ nung hat der Kaiser durch seine Entscheidung in Augsburg gezeigt, daß er an seinem Recht nicht zweifle. Auch das Edikt von Worms sei noch nicht abgetan. Wohl könne man von einem Christen nicht verlangen, daß er gegen sein Gewissen dem kaiserlichen Gesetz gehorche. Er muß Gott mehr gehorchen, als den Menschen. Aber er muß auch die Folgen tragen. Er muß sich an das Evangelium halten und

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darf dem Uebel nicht widerstreben, auch wenn er dabei stirbt und verdirbt! Müller fügt hinzu: ,,Man darf das Evangelium und die weltlichen Rechte nicht miteinander vermengen. Nur aus einer solchen Vermengung kommt der Wahn, daß die Gegenwehr erlaubt sei in Fällen, in denen sie nach dem weltlichen Recht und auch nach dem gött­ lichen verboten ist.“ Wohl besteht das Recht der Appellation vom Urteil eines untern Richters an den Kaiser als dem obersten Rich­ ter. Aber von dem Kaiser gegen sein eigenes Urteil gibt es nach dem Gesetz keine Appellation und ist auch ein Wider­ stand mit den Waffen verboten. In dem vorliegenden Fall handelt der Kaiser nach Müllers Auffassung mehr als Exe­ kutor des Papstes und weniger als Richter, wie er sich auch selbst als Vogt der Kirche bezeichnet. Weil aber hier der Kaiser mit Vollmacht des Papstes handelt, der nach dem geistlichen Recht in dieser Sache Richter ist, darf ihm eben­ falls nicht Widerstand geleistet werden. Müller will nicht behaupten, daß der Reichstagsabschied von Augsburg christlich sei. Aber wenn derselbe auch un­ christlich ist, so hat der Kaiser mit ihm nicht gegen das bestehende Gesetz und Recht gehandelt. Also darf ihm auch kein Widerstand geleistet werden. Wäre solcher Widerstand dem Kaiser gegenüber berechtigt, dann hätte jeder Bürger, der sich ungerecht behandelt glaubt, dasselbe Recht gegenüber seiner nächsten Obrigkeit. Dann hätte man auch den aufständischen Bauern Unrecht getan. Denn diese sind vielfach von ihren Herren ungerecht behandelt worden. War aber der Aufruhr der Bauern unrecht, dann ist auch die Gegenwehr gegen den Kaiser unrecht31). Ein weiteres juristisches Gutachten ist von Scheurl vorhanden. Auch dieser stellt sich in demselben auf den rein formalen Standpunkt des zur Zeit geltenden Rechts, wie Müller, und mußte darum auch zu dem gleichen Schluß kommen, nämlich daß dem Rat nicht zu empfehlen sei, sich in ein Bündnis gegen den Kaiser zu gewalttätigen Wider­ stand einzulassen, da es nach dem Gesetz nicht erlaubt sei 82).

283 Daß die beiden Juristen zu diesem Schluß kommen> ist verständlich. Verwunderlich ist nur, daß beide nicht auf den Gedanken kamen, die Frage in Erwägung zu ziehen, ob das bestehende Gesetz und Recht an sich christlich sei. Wenn man zugibt, daß der Kaiser als weltliche Obrigkeit nicht Herr des Glaubens und des Gewissens ist, dann muß man auch zugeben, daß er unrecht handelte, indem er Ge­ horsam forderte, wo es gegen ihr Gewissen ging und ihnen mit Zwangsmaßnahmen drohte. Jedenfalls verfing die Be­ rufung auf das geistliche Recht in diesem Fall nicht. Denn dasselbe war in das weltliche Recht nur eingeschmuggelt worden, um mit dessen Hilfe auch die weltlichen Reiche zu beherrschen und den Kaiser zum Büttel des Papstes zu ma­ chen. Es hat auch sicher die Autorität des Kaisers nicht gehoben, daß er sich dazu hergab, den Papst als Exekutor seiner unchristlichen, ja unmenschlichen Urteile zu dienen! Aufschlußreich über den Standpunkt, welchen der Rechtskonsulent Christoph Scheurl in der religiösen Frage überhaupt und insbesondere zum Reichstagsabschied von Augsburg einnahm, ist, was er in seinem Gutachten sagt: ,,Der Kaiser hat in der Religionssache einen Reichstag aus­ geschrieben. diejenigen, welche einer sundern Meinung sind, verhört, und mit Rat und Bewilligung der andern Stände einen Abschied gegeben, welcher unsern Herren (d. h. dem Nürnberger Rat), Gottes Geboten, noch des heiligen Glau­ bens Artikeln nicht widerwärtig ist“; und daß er ferner glauben machen wollte, daß die Meinung nie gewesen, diesen Abschied gewaltiglich zu vollstrecken“! 33). Unter den damaligen Ratschlägen der Gelehrten ist noch derjenige des Nürnberger Theologen bemerkenswert. Derselbe vertritt den Standpunkt, daß ein Christ sich von Gottes Wort und Gottesdienst weder durch ein Gebot, noch Verbot abtreiben lassen und daß er einem unchristlichen Gebot eines Kaisers oder Königs nicht gehorchen darf. Wird ein Christ deshalb von einem Oberherrn verfolgt, so soll er sich dem nicht widersetzen und sich nicht mit Gewalt da­ gegen schützen, sondern um Gottes willen tapfer bekennen und Gewalt leiden. Wenn jedoch der Kaiser einen Reichs-

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stand über dessen gewöhnlichen Eid und Pflicht hinaus zwingen sollte, sich den Satzungen und Beschwerden des Papstes zu unterwerfen, soll jener dafür geachtet werden, daß er sich fremder, auländischer Sachen annehme, die sei­ nem Amt zuwider und seinen Untertanen nachteilig sind. In diesem Fall zeigt sich der Kaiser nicht als Mehrer des Reichs, sondern als ein Geschworner und Hauptmann des Papstes, gegen den man sich wehren darf. Ist doch der Papst der Antichrist, der Widersacher und Erbfeind der christlichen Kirche, des Reichs und der deutschen Nation, der mit Hilfe der weltlichen Gewalt die deutsche Nation angreift, um sie sich untertänig zu machen. Dagegen darf man sich zur Wehr setzen. Ob freilich die Fürsten und Stände, die selbst in der Obrigkeit sitzen und schuldig sind, den Nutz und die Wohlfahrt ihrer Untertanen zu betrachten und nicht zu allem Verderben stillzuhalten, dem Kaiser, wenn er dem Papst willfährt, entgegentreten sollten, wollen sie der Entscheidung der Juristen überlassen. Dagegen glaubten die Theologen eine Gegenwehr der Evangelischen gegen andere Stände, von denen sie angegriffen würden, ohne weiteres als berechtigt anerkennen zu müssen 34). Am 20. Januar 1531 schrieb der Nürnberger Rat an den Markgrafen, daß seine Gelehrten in ihren Ratschlägen über die Frage, ob man dem Kaiser mit gutem Gewissen Wider­ stand leisten könne, geteilter Meinung seien. Doch habe sich die Mehrzahl derselben für Ablehnung des Bündnisses ausgesprochen. Er selbst wolle in diesem Fall, aus wel­ chem Sterben und Verderben folgen könne, sein Gewissen nicht durch einen raschen Beschluß belasten. Gegen den Anschluß an das Bündnis habe er allerlei Beschwerden. Darum könne er zur Zeit noch keinen endgültigen Beschluß fassen. Man sei entschlossen, falls der Kurfürst von Sach­ sen, wie zu erwarten, bei ihnen anfragen werde, weder eine endgültig zusagende noch absagende Antwort zu geben, sondern die Angelegenheit weiterer Ueberlegung und Be­ ratung zu unterstellen. So behalte man eine offene Hand, zu jeder Zeit das Beste zu erwägen und ,,nach Gestalt der

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Fälle, Zeit und Leuft das christlichst und nutzest zu er­ wählen“ 35). Die erwartete Abordnung des Kurfürsten kam am 16. Februar zum Markgrafen nach Ansbach. Der Kurfürst hatte einen seiner tüchtigsten Beamten Hans von der Planitz und mit ihm Werner von Wildenstein gesandt. Die markgräflichen Theologen hatten der . Mehrheit der Nürn­ berger Gelehrten zugestimmt. Auch der Markgraf billigte deren Gutachten. Auf die Werbung der beiden antwortete der Markgraf, er müsse aus Gründen des Gewissens den Anschluß an das Schmalkaldische Bündnis ablehnen, jedoch sei er bereit, mit dem Kurfürsten alle rechtlichen Mittel, durch welche den Kammergerichtsprozessen begegnet wer­ den könnte, anzuwenden. Die den Gesandten erteilte Ant­ wort wurde sofort nach Nürnberg übersandt 36). Der Rat dankte hiefür am 18. Februar und bemerkte dazu, er werde den kurfürstlichen Räten eine Antwort geben, welche der des Markgrafen „nicht widerwärtig oder ungemäß sei“ 37). Am 19. Februar erschienen die beiden kurfürstlichen Räte vor dem Nürnberger Rat, um auch vor diesem ihre Werbung zu wiederholen. Nachdem die Nürnberger Ge­ sandten zu Schmalkalden als Hauptgrund für Nürnbergs Zurückhaltung in der Bundesfrage angegeben hatten, daß es ihnen nicht gezieme, ein Bündnis gegen den Kaiser zu schließen, betonte von der Planitz vor allem, es sei nicht die Absicht der evangelischen Fürsten, ein Bündnis gegen den Kaiser aufzurichten, da sie die obrigkeitliche Gewalt des­ selben wohl zu achten wüßten. Aber es sei die Frage, wie weit sich diese obrigkeitliche Gewalt erstrecke. Jedenfalls erstrecke sie sich nicht über das Wort Gottes. Nehme der Kaiser die Gewalt darüber in Anspruch, so sei man ihm keinen Gehorsam schuldig. Uebe er dann darüber Gewalt, so bestehe das Recht, sich ihm zu widersetzen. Auch wenn trotz eingelegter Appellation Gewalt geübt werde, bestehe das Recht des Widerstandes. Würde man sich alles gefallen lassen, so würde die Predigt des Wortes Gottes unterdrückt. Die Prediger wür­ den verjagt, oder getötet, und der Glaube würde im Volk

286 auslöschen. Setze man sich dagegen nicht zur Wehr, so gebe man damit zu, daß man mit den vorgenommenen Re­ formen unrecht gehandelt habe. Ueberdies würde in Nürn­ berg das bisherige gute Regiment und die Ordnung beein­ trächtigt werden und die Stadt müßte ihr Ansehen verlieren. Wenn die Fürsten es für nötig hielten, sich zu rüsten, so dächten sie nicht an einen Angriff, sondern lediglich an Gegenwehr für den Fall, daß sie angegriffen würden. Darum könnte und sollte der Rat hierin mit den Fürsten Zusammen­ gehen. Auf dieses Anbringen der kurfürstlichen Gesandten ließ der Rat nach nochmaliger Beratung durch Kreß und Volkamer eine schriftliche Antwort verfassen, welche folgende Gedanken enthielt: Vor allem gedenkt Nürnberg nicht von Gottes Wort zu weichen und sich von evangelischen Stän­ den abzusondern. Wollten sie das, dann wären sie bei dem Glaubensbekenntnis, das sie mit den evangelischen Fürsten unterschrieben und trotz aller Drohungen von seiten der Gegner und trotz aller Gefahren nicht bisher dabei geblie­ ben. Wenn sie in Schmalkalden einem Bündnis gegen den Kaiser nicht beigetreten sind, so hat sie dazu allein die Not ihres Gewissens gezwungen. Wie der Kurfürst nach dem Ratschlag seiner Theologen, so ist auch der Rat durch die Belehrung seiner Theologen zu der Ueberzeugung gekom­ men, daß keinem Christen nach Gottes Wort gezieme, sich gegen seine ordentliche Obrigkeit mit der Tat und Gewalt zu schützen und noch weniger sich gegen dieselbige zu ver­ bünden, wie denn auch der Kurfürst auf den früheren Ta­ gen zu Schmalkalden, Rotach und Schwabach aus dem gleichen Grund ein Bündhis-nur dann habe annehmen wol­ len, wenn der Kaiser ausdrücklich ausgenommen werde und die Teilnehmer an demselben sich zu den vereinbarten Glaubensartikeln bekennen würden. Hat man inzwischen in Sachsen eine andere Auffassung gewonnen, nach welcher die Gegenwehr gegen den Kaiser erlaubt ist, so hat sich der Nürnberger Rat bisher davon nicht überzeugen können. Da es aber gefährlich ist, gegen das Gewissen und ohne Versicherung desselben zu handeln, und alles, was nicht

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aus dem Glauben und gegen das Gewissen geschieht, Sünde und verdammlich ist, so kann sich der Rat derzeit nicht entschließen, sich an einem Bündnis gegen den Kaiser zu beteiligen. Er will sich jedoch die Frage weiterhin ernst­ lich überlegen und vertraut überdies, der allmächtige Gott, in dessen Hand und Gewalt auch des Kaisers Herz steht, werde diesen dahin führen, daß er des Reiches und der Christenheit Wohlfahrt mehr bedenken werde, als das Be­ streben der Gegner des Evangeliums, sodaß ein Bündnis und eine Gegenwehr nicht nötig werde. In allen andern Artikeln und Sachen des Schmalkaldischen Abschieds will der Rat getreulich zu den evan­ gelischen Ständen stehen und mit ihnen handeln 38). Nachdem Nürnberg den Beitritt zum Schmalkaldischen Bund abgelehnt hatte, taten die stets mit Nürnberg gehenden Städte Windsheim und Weißenburg das gleiche. Auch Kempten, welches durch Nürnberg auf Anfrage am 21. Februar von dessen Entscheidung benachrichtigt worden war 39), blieb zunächst dem Bund fern, schloß sich aber im Jahre 1535 ebenfalls an. Wenn Nürnberg auch am 19. Februar 1531 noch keine endgültige Ablehnung hatte aussprechen wollen, sondern sich noch weitere Erwägung und Prüfung der Frage vorbehielt, so blieb es doch bei die­ ser Absage. Nürnberg wie Brandenburg blieben dem Bund ein für allemal fern. Daß jedoch der Nürnberger Rat in allen übrigen kirch­ lichen Fragen und Angelegenheiten mit den evangelischen Ständen auch weiterhin Hand in Hand gehen wollte, bewies er vor allem dadurch, daß er der auf dem zu Schmalkalden beschWsenen Appellation von dem Augsburger Abschied an ein Konzil zustimmte. Zu dieser Frage hatten die Nürn­ berger Gelehrten geraten, mit einer neuerlichen Appellation wie auch mit einem ebenfalls in Schmalkalden beschlossenen „gemeinen Ausschreiben“ zuzuwarten, bis ein vom Kaiser zu erwartendes Pönalmandat ergangen sei, dä zu befürchten war, der Kaiser könnte durch eine neuerliche Appellation veranlaßt werden, gegen die Evangelischen etwas zu unter­ nehmen, was sonst wohl unterbleiben würde. Sie meinten,

288 bis jetzt sei noch kein Stand durch den Abschied beschwert worden. Unterbleibe das Pönalmandat, dann sei aus dem Abschied keine Gefahr mehr zu befürchten; aber auch wenn es erscheine, sei eine neue Appellation nicht mehr nötig; denn mit der Augsburgischen Konfession hätten die Evan­ gelischen klar bezeugt, daß, wenn eine Verständigung mit dem Kaiser nicht zustande komme, sie bei ihrer dem Kaiser bereits insinuierten Protestation und Appellation bis zu einem freien, christlichen Konzil bleiben wollten. Eine neue Protestation und Appellation würde nur neue Verbit­ terung wirken. Wolle übrigens der Kaiser gegen die Evange­ lischen Krieg führen, so helfe dagegen auch eine Appellation nichts; wolle er das nicht, so bedürfe es auch keiner Appel­ lation. Darum möge der Rat auf die evangelischen Stände ein wirken, daß die Appellation unterbleibe 40). Im Gegensatz zu diesem Vorschlag glaubte Osiander eine Erneuerung der Appellation empfehlen zu sollen41). Zu dem vom Bremer Gesandten aufgestellten Appellations­ entwurf verfaßten die Nürnberger Theologen im Auftrag des Rates Verbesserungsvorschläge, während letzterer durch seine Juristen ein Gutachten darüber erstatten ließ, wie man sich der fiskalischen Prozesse erwehren könne, durch welche die evangelischen Stände zur Annahme des letzten Reichstagsabschieds von Augsburg gezwungen wer­ den sollten. Diese beiden Schriftstücke übersandte der Rat am i. März an den Markgrafen42). Als die evangelischen Stände am 31. Dezember in Schmalkalden auseinandergegangen waren, hatten sie eine weitere Zusammenkunft daselbst verabredet, auf welcher die militärische Verfassung des Bundes beraten und be­ schlossen werden sollte. Infolge ihrer Erklärungen vom 17. bzw. 19. Februar wurden Brandenburg und Nürnberg zu diesem Tag, der am 29. März 1531 stattfand, nicht mehr eingeladen43). Durch die Vorwürfe, welche Graf Albrecht von Mans­ feld auf dem ersten Tag von Schmalkalden den Nürnberger Gesandten gemacht hatten wegen deren Erklärung, zum An­ schluß an den Bund keine Vollmacht erhalten zu haben 44),

289 war in Nürnberg eine tiefe Verstimmung gegen die Säch­ sischen hervorgerufen worden, welche noch längere Zeit an­ hielt, wie man es auch bei den übrigen evangelischen Ständen Nürnberg und Brandenburg sehr verübelte, daß sie dem Bund anscheinend endgültig fern blieben und auch ihrerseits eine kühle Zurückhaltung übten. Doch führten die gemein­ samen Interessen die in der Bündnisfrage Getrennten immer wieder zusammen, umsomehr, als Nürnberg, wie wir schon hörten, loyalerweise erklärt hatte, in den übrigen Punkten des Schmalkaldener Abschieds mit den übrigen evangelischen Ständen Hand in Hand zu gehen. Daß letztere in der Frage der Gegenwehr gegen den Kaiser sich auf Luthers Autorität glaubten berufen zu kön­ nen, beunruhigte in Nürnberg. Spengler ließ darum durch Veit Dietrich Luther vertraulich von den Verhandlungen und Beschlüssen in Schmalkalden in Kenntnis setzen, um ihn zu warnen. In einem Brief vom 15. Februar an Speng­ ler 40r) erklärte darauf Luther, diese Frage als Theologe nicht entscheiden zu können. In einem für Spengler be­ stimmten Gutachten vom 18. März 46) gab Luther zu, er glaube, daß ein Bürger in solchen Fällen Widerstand leisten könne. Trotzdem blieb Spengler, und mit ihm der Rat, bei seinem bisherigen Standpunkt. Auch der Ausgleich in der Abendmahlslehre, welcher durch Martin Butzer, den Straßburger Theologen, zwischen den Zwinglischen und den Lutherischen in Schmalkalden zustandgekommen war, und so die Aufnahme der oberlän­ dischen Städte in das Bündnis ermöglicht hatte, erregte in Nürnberg Bedenken. Spengler traute Butzer nicht recht. Er hielt ihn für „ein fast (= sehr) listigs und verschlagen Mendlin (— Männlein)“47). Auch in Augsbsurg, wo der Rat dem Ausgleich zugestimmt hatte, fand dieser Wider­ stand. Die beiden Pfarrer Agrikola und Frosch daselbst weigerten sich, der „Concordia“, welche nach dem Willen des Augsburger Rates daselbst durch Butzer zur Einführung gebracht werden sollte, beizutreten. Spengler, dem die beiden davon Mitteilung machten, und auf seine Ver~ anlassung auch die andern Nürnberger Prediger, sandten 19

290 ihnen Trostschreiben. Auf deren Rat reichten die beiden Augsburger Prediger ein Glaubensbekenntnis an ihren Rat ein und baten, nach demselben an ihren Kirchen lehren und handeln zu dürfen. Der Rat verbot ihnen jedoch jede Er­ örterung der aufgeworfenen Fragen. Diesem Verbote konnten sie aus Gewissensgründen nicht gehorchen. Ihr Glaubensbekenntnis sandten sie nach Nürnberg an Speng­ ler. Darauf wurden sie von ihrem Rat aus Augsburg ver­ wiesen. Frosch begab sich nach Nürnberg, wo er freund­ liche Aufnahme fand. Bei ihm hatten die Nürnberger Ge­ sandten auf dem Reichstag zu Augsburg, und nach ihm auch Luther im Jahre 1518 im St. Annakloster gewohnt. Als der Prediger Schleupner an St. Sebald 1533 in den Ruhestand versetzt und ferner nur noch im Katharinen­ kloster verwendet wurde, ernannte der Nürnberger Rat an seiner Statt Johann Frosch zum Prediger von St. Sebald. Er war der erste Prediger in Nürnberg, welchem nach dem Abgang des letzten Propstes an St. Sebald Georg Peßler das Aufsichtsamt über die Geistlichen seiner Kirche übertragen wurde 4a). Frosch starb jedoch schon am Ende des Monats August gleichen Jahres. An der zweiten Bundesversammlung vom 29. März, auf welcher die Dauer des Bundes auf vorläufig 6 Jahre be­ stimmt wurde, konnten Nürnberg und Brandenburg als Nichtmitglieder nicht teilnehmen. Dagegen wurden beide zu der am 5. Juni zu Frankfurt a. M. gehaltenen Versamm­ lung zugezogen, da es sich hier vor allem um ein gemein­ sames Vorgehen gegenüber fiskalischen Prozessen handelte. Es wurden hier Prokuratoren ernannt, welche ermächtigt wurden, „alle Sachen, den Glauben und die Religion betref­ fend, welche der Fiskal gegen einen der Verbündeten Vor­ bringen würde, in ihrer aller Namen zu vertreten und aus­ führen ‘ zu helfen“. Zur Besoldung dieser Prokuratoren wurde eine Umlage vereinbart. Die einzelnen Stände erteil­ ten denselben gesonderte Vollmacht49). In der Frage, wie gegen Wiedertäufer vorzugehen sei, welche ebenfalls auf diesem Tag verhandelt wurde, vertrat Nürnberg einen milderen Standpunkt. Das Vorgehen des



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Kaisers und der dem Evangelium feindlichen Stände gegen diese ,,armen, verführten und zumeist unverständigen Leute“ war in den Augen des Rates viel zu scharf. Nach seiner Meinung sollte man mindestens einen Unterschied machen zwischen den Verführern und den Verführten und über beide nicht die gleiche Strafe verhängen. Trotzdem wurden Nürn­ bergs Anträge abgelehnt, wiewohl es dieselben in einem besonderen Gutachten begründet hatte 50). In Frankfurt wurden auch die beiden Schreiben be­ kannt gegeben, mit welchen England und Frankreich die auf dem ersten Tag zu Schmalkalden beschlossenen Rechtferti­ gungsschreiben der evangelischen Stände beantwortet*- hat­ ten. Bei dieser Gelegenheit äußerten die Vertreter Straßburgs ihren Unwillen über die Kleinmütigkeit der Nürn­ berger, auf deren Betreiben seinerzeit diese Rechtfertigungs­ schreiben schlicht und bescheiden — in den Augen Straßburgs zu bescheiden — abgefaßt worden waren51). Da­ gegen hielten es Nürnberg und Brandenburg auch für an­ gezeigt, dafür einzutreten, daß die bereits in Schmalkalden vorgeschlagene neue Appellation an den Kaiser nicht er­ folge, weil sie nur den Erfolg gehabt hätte, den Kaiser un­ nötigerweise aufs neue zu reizen 52). Nürnberg und Brandenburg hatten in Frankfurt auch eine für alle evangelischen Stände gemeinsame Kirchen­ ordnung vorgeschlagen. Aber dieser Vorschlag wurde von der Mehrheit abgelehnt. Innerhalb des Bundes fürchtete man, die Verhandlungen über die Verabfassung und Gestal­ tung einer solchen Kirchenordnung könnte leicht zur Stö­ rung der Einigkeit unter den evangelischen Ständen führen. Die Gefahr schien um so größer zu sein, als die Verhand­ lungen in Frankfurt ohnedies schon zur Trennung in einem Punkt geführt hatten. Es war hier auch die Frage des Butzerschen Ausgleichs zwischen den lutherischen Ständen und den Zwinglischen im Zusammenhang mit der Bündnis­ frage wieder zur Sprache gekommen. Der Kurfürst von Sachsen hatte seine Gesandten beauftragt, mit den Zwing­ lischen über ein Bündnis nicht weiter zu verhandeln, wenn diese nicht ein dem Augsburgischen gleichförmiges Be19*

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kenntnis aufweisen würden. Nun hatten die Städte Bern und Zürich bereits aufs neue erklärt, die Einigungsformel Butzers nicht annehmen zu können. Schon kurz vorher auf einem Städtetag zu Ulm hatten die Oberländischen ihren Eintritt in den Schmalkaldischen Bund davon abhängig ge­ macht, daß auch die Schweizer, oder wenigstens Branden­ burg und Nürnberg sich anschließen würden. Nur Straß­ burg wäre bereit gewesen, ohne diese Bedingung einzutre­ ten. Die übrigen aber beharrteri auf ihrem Standpunkt. Am 7. Juni gab Sachsen in Frankfurt die Erklärung ab, es sei unmöglich, die Schweizer in den Bund aufzunehmen, worauf Straßburg erwiderte, damit sei auch den oberländischen Städten der Anschluß unmöglich geworden53). Nürnberg hatte seine Gesandten für Frankfurt beauf­ tragt, den Eintritt in den Bund wiederum abzulehnen54). Es blieb auch jetzt den Versammlungen, in denen über das Bündnis verhandelt wurde, fern. Bei dem Bund rechnete man auch nicht mehr mit Nürnbergs Anschluß. Diese Zu­ rückhaltung hatte zur Folge, daß Nürnberg an der weiteren Entwicklung der deutschen Reformation nicht mehr den Anteil nahm, den es bisher gehabt hatte. Während der Schmalkaldische Bund mit der Zeit durch den Anschluß nicht nur zahlreicher evangelisch gewordener niederdeut­ scher Städte und anderer Gebiete, sondern auch der ober­ ländischen Städte, welche die Katastrophe der Reformation in der Schweiz dem Bund in die Arme trieb, einen bedeuten­ den Zuwachs an Stärke der Repräsentation, wie auch an politischer Bedeutung erfuhr, stand Nürnberg mit Branden­ burg in Zukunft außerhalb dieser machtvollen Organisa­ tion und damit auch außerhalb des Einflusses des in ihr wirkenden Geistes.

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Kapitel XIX. Nürnberg und der erste Religionsfriede. Im Reichstagsabschied von 1530 hatte der Kaiser unter der Zusage eines Konzils, welches die Religionsfrage end­ gültig entscheiden sollte, von den Evangelischen einstweilige Unterwerfung und Rückkehr zur römischen Kirche gefor­ dert. Gehorchten sie innerhalb 6 Monaten nicht, so wolle er sie mit Waffengewalt dazu zwingen. Freilich war das eine Drohung, von der sich der Kaiser schon, als er sie aussprach, hätte sagen müssen, daß er sobald nicht in der Lage sein werde, sie auszuführen. In Wirklichkeit war er ja von Augsburg nicht als Sieger geschieden, wie er sich den Anschein zu geben suchte. Die Niederzwingung der Evangelischen war an deren Bekennermut und Glaubens­ treue gescheitert. Der Papst aber ließ den Kaiser schon dadurch im Stich, daß er das Konzil, welches zur endgültigen Vernichtung der Ketzer führen sollte, zu berufen unterließ, obwohl er dessen Berufung feierlich versprochen hatte. Dazu kam, daß die politischen Verhältnisse sich für den Kaiser immer ungünstiger gestalteten und ihm und seinem Bruder die Hände banden. Das Königreich Un­ garn war aufs neue von den Türken bedroht und damit auch das Reich. Wohl hatte Ferdinand den Sultan von einem neuen Angriff auf sein Land durch das Angebot einer großen Geldsumme abzuhalten versucht; aber mit Hohn und Spott war er von diesem abgewiesen worden. Nun war es unmöglich, Ungarn und Oesterreich ohne die Hilfe aller Deutschen , zu halten. Die evangelischen Stände aber sahen sich selbst durch den Kaiser und seinen Bruder 0

294 bedroht. Auf ein Mandat, welches der Kaiser am 12. Januar 1531 von Aachen aus wegen der Türkenhilfe erlassen hatte, antworteten diese, sie seien bereit, dem Kaiser und seinem Bruder ihre Hilfe zu gewähren; aber sie müßten zuvor die Gewißheit haben, daß man dann nicht gewaltsam gegen sie Vorgehen werde 1). Auch Ferdinand schrieb damals seinem Bruder, man müsse für gewiß halten, daß die Anhänger Luthers die Türkenhilfe nicht leisten würden, wenn sie zu befürchten hätten daß, wenn man mit ihrer Hilfe die Türken besiegt habe, man die Waffen gegen sie selbst rich­ ten werde, um sie wegen ihres Glaubens zu strafen 2). Darum riet jetzt Ferdinand dem Kaiser, dieser möge mit den Evangelischen ein friedliches Abkommen treffen, um sie für die Türkenhilfe zu gewinnen. Auch die Kur­ fürsten von Mainz und von der Pfalz, die von jeher eine vermittelnde Stellung eingenommen hatten, empfahlen dem Kaiser ein solches Abkommen und boten sich diesem und zugleich dem Kurfürsten zu Sachsen wie dem Landgrafen von Hessen als Vermittler für eine Verständigung an. Auch die letzteren fanden sich zu Verhandlungen bereit. Da diese jedoch als Vorbedingung die Einstellung der Religi­ onsprozesse forderten, mit welchen das Reichskammer'' gericht aus Ermächtigung des Augsburger Abschieds ein­ zelne evangelische Reichsstände zu verfolgen begonnen hatte, und da der Kaiser sich zunächst nicht entschließen konnte, auf diese Bedingung einzugehen, gerieten die Ver­ handlungen wieder ins Stocken. Erst als der Erzbischof von Mainz bei dem Kurfürsten zu Sachsen weitere Ver­ handlungen angeregt hatte, kam es in den Weihnachstagen 1531 in Bitterfeld zu einer Aussprache zwischen dem Magdeburgischen Kanzler Dr. Türk und dem Kanzler des Kur­ fürsten zu Sachsen Dr Brück, in welcher sich beide über die beiderseitigen Bedingungen einigten, welche an den Kaiser gebracht und mit dessen Zustimmung den ein­ zuleitenden Friedensverhandlungen zugrund gelegt werden sollten 8). Nun hatte der Kaiser gehofft, mit den Verhandlungen da wieder anknüpfen zu können, wo man sie in Augsburg

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abgebrochen hatte. Aber die Evangelischen forderten jetzt die Anerkennung ihrer Protestation von Speyer und ihres Augsburgischen Bekenntnisses bis zur Entscheidung durch ein Konzil. Sie verweigerten auch die Wiederunterwerfung ihrer Geistlichen unter die Jurisdiktion der Bischöfe. Jedoch wollte der Kaiser ihnen soweit nicht entgegenkommen. Lieber wollte er und sein Bruder dem Sultan den letzten Rest von Ungarn abtreten und eine hohe Geldsumme zah­ len, um ihn von Oesterreich fern zu halten, als den Ketzern solche Zugeständnisse zu machen. Erst als der Sultan alle Anerbietungen des Kaisers und Ferdinands abgelehnt und sich mit einem gewaltigen Heer gegen beide in Bewegung gesetzt hatte, entschlossen sich beide, den Evangelischen etwas mehr nachzugeben. Auch der Papst war inzwischen zu einem wesentlich anderen Standpunkt gegenüber den Evangelischen gekom­ men. Auch ihn hatte die Furcht vor den Türken dahin geführt. Der Kaiser war jetzt entschlossen, auf dem bevor­ stehenden Reichstag . zu Regensburg auch die Religions­ frage wieder vorzunehmen unefc dabei über einen Frieden mit den Evangelischen zu verhandeln. Im Hinblick darauf schrieb der Vertraute des Papstes an den Kaiser: „Seine Heiligkeit hält dafür, daß Eure Majestät in Sachen des Reichstags (nämlich in der Religionsfrage) das Aeußerste tun müsse. Kann man nicht ausrichten, was man will, so möge man wenigstens tun, was sich jetzt tun läßt, und die Unterhandlungen mit den Lutherischen nicht abbrechen, damit, wenn der Türke kommt, er nicht etwa wegen der Zwietracht Deutschlands schwächeren Widerstand finde. Und überdies, wenn sie auch lutherisch sind, so sind sie doch immer Christen. Darum ist es das Beste, sich auf diesem Reichstag so gut es geht, zu vertragen, damit beide dazu helfen, den christlichen Glauben gegen die Türken zu verteidigen. Dann kann man mit der Zeit der Heilung des Uebrigen Raum geben, was noch unter ihnen zu tun ist/' Ja, man ging noch weiter. Noch waren es nicht ganz zwei Jahre, da hatte man in Augsburg und erst recht in

296 Rom das von den evangelischen Ständen übergebene Be­ kenntnis als ganz und gar unchristlich und ketzerisch ver­ dammt. Jetzt holte man dasselbe wieder hervor und prüfte es aufs neue. Und siehe, was für eine Wandlung war in­ zwischen geschehen! Mujetula schrieb jetzt: ,,Das Augs­ burgsiche Bekenntnis ist gar nicht so durch und durch ver­ werflich, wie es ihm (dem Papst) früher vorgekommen ist. Seine Heiligkeit hat jene Konfession, welche die Lutheri­ schen in Augsburg machten, von einigen der hiesigen Theo­ logen untersuchen lassen, und sie sagen ihm, daß Vieles darin ganz katholisch, und anderes so sei, daß man es wohl so stellen könne, daß es nicht gegen den Glauben wäre, wenn die Lutherischen sich zu einem Mittelweg wollten bereit finden lassen. Auch über anderes würde man sich verständigen können. Seine Heiligkeit zog von tüchtigen und gewichtigen Theologen Gutachten ein, die sich nicht auf Meinungen steifen, sondern Klugheit genug besitzen, um einen Mittelweg zu ergreifen, auf dem die deutschen Angelegenheiten versöhnt und vereint werden können“ 4). Inzwischen hatte der Kaiser die beiden Kurfürsten Erzbischof Albrecht von Mainz und den Pfalzgrafen Lud­ wig endgültig beauftragt, mit den evangelischen Ständen wegen eines Friedens zu verhandeln. Jedoch wollte er nun die Verhandlungen doch nicht am Sitz des Reichstags haben, um jede Beeinflussung und .Störung derselben durch die katholischen Reichsstände zu vermeiden; wohl auch darum, weil er selbst zunächst möglichst aus dem Spiel bleiben wollte. So wurden die Verhandlungen nach Schweinfurt verlegt. Um die Aufrichtigkeit seines Friedenswillens zu zeigen, hatte der Kaiser den Befehl gegeben, daß die bisher gegen Evangelische eingeleiteten Religionsprozesse ein­ gestellt werden sollten0). Daraufhin lud der Kurfürst zu Sachsen die evangeli­ schen Stände auf den 31. März 1532 nach Schweinfurt ein6). In Nürnberg begrüßte man diese Einladung mit besonderer Freude. Die Aussicht, weg£n ihres evangeli­ schen Glaubens keinen weiteren Anfechtungen mehr aus­ gesetzt zu r 3in, wirkte auf die Stadt hier um so beruhigen-

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der, als sie an Sachsen und den übrigen Mitgliedern des Schmalkaldischen Bundes, den sie abgelehnt hatte, keinen Rückhalt mehr hatte und nun mit Brandenburg-Ansbach, das ebenfalls dem Bund ferngeblieben war, sehr isoliert da­ stand. Daß der Kaiser den Nürnbergern nicht freundlich gesinnt war, hatten sie erst vor kurzem zu fühlen bekom­ men. Als jener im Februar auf der Reise nach Regens­ burg in Dinkelsbühl weilte, hatte der Rat die Ratsherren Christoph Kreß, Hans Ebner und Clemehs Volkamer dort­ hin gesandt, um den Kaiser zu begrüßen und ihn zu einem Besuch Nürnbergs einzuladen. Große Festlichkeiten waren ihm zu Ehren geplant, kostbare Geschenke sollten ihm überreicht werden. Aber er lehnte die Einladung unfreund­ lich ab und benahm sich den Gesandten gegenüber höchst ungnädig7). Er konnte es Nürnberg auch jetzt noch nicht verzeihen, daß es so fest am evangelischen Glauben hielt. Als Vertreter der Stadt sandte der Rat Bernhard Baum­ gartner und Leo Schürstab nach Schweinfurt. Diese hatten auch die befreundeten Städte Weißenburg, Windsheim, Heilbronn und Schwäbisch-Hall zu vertreten. Am 20. April kamen sie mit den markgräflichen Gesandten Kaspar von Seckendorf und dem Kanzler Dr. Heller, mit denen sie in Forchheim zusammengetroffen waren, in Schweinfurt an 8). Um sich mit Nürnberg schon vorher über ein gemein­ sames Vorgehen in Schweinfurt zu verständigen, hatten die Markgräflichen den Rat ersucht, zu einer Besprechung Vertreter nach Heilsbronn zu senden. Da dieser aber zur Zeit noch mit seinen Theologen darüber in Beratung stand und deren Gutachten abwarten wollte, hatte er die Zu­ sammenkunft abgelehnt, sandte jedoch das fertige Gutachten nach Ansbach. Von vornherein hatte er seine Bereitwillig­ keit erklärt, mit dem Markgrafen Hand in Hand zu gehen 9). Nun hatte Luther dem Kurfürsten ein Gutachten er­ stattet, in welchem er sich dafür aussprach, Briefb. 102, 85; Soden S. 344. — 12) Pol. Korr. I S. 85 b u. 86. — 13) Winckelmann : Der Schmalk. Bund und der Nürnberger Religionsfriede S. 51. — 14) Ranke III S. 135. — 15) Ebenda S. 138. — 10) Pressei : Spengler S. 60 ff. — 17) A.R.A. Suppl. I A 215 ff. — 18) Das Gutachten Luthers, Melanchthons, Jonas u. Spalatins : St. Arch. Nbg. S. I L. 68 Nr. 6 Pr. 15. — 19) Ranke III, S. 239 u. 240. — 20) Hortleder II, 1, 7. — 21) Ebenda 2, 10. — 22) Vogler und Seckendorf an den Markgr. A.R.A. XVII, 122ff. — 23) Briefb. 102, 85; Spengleriana S. 78ff. — 24) A.R.A. XVII, 140ff. — 2Ö) Pol. Korr. I S. 568; A.R.A. XVII, 140. — 26) Winckelmann S. 56; das Gesuch: Bucholtz IV, 3. — 27) A. R. A. XVII, 140 u. 219; Winckelmann S. 55. — 28) A. R. A. Suppl. I a, 227. — 29) St. A. Nbg. S. I L. 68 Nr. 6 Pr. 28; Ratschlb. 24, 428 b ff. — 30) Ebenda S. 394—399;

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S. I L 68 Nr. 6 Pr. 21. — 31) Ebenda S. 400 S. I L. 68 Nr. 6 Pr. 24. — 32) Ebenda. — 33) S. I L. 68 Nr. 6 Pr. 25; Ratschlagb. 24, 411 ff. — 34) Ebenda Pr. 19. — 35) Briefb. 102, 106. — 36) A. R. A. Suppl. I, 259- — 37) Briefb. 102, 143 b. — 38) Ratsb. 15, 154; A. R. A. Suppl. I a, 247 ff., Soden S. 346 ff.; Briefb. 102, 144 b. — 30) Briefb. 102, 145 a. — 40) A.R.A. Suppl. I a, 251 ff. — 41) Strobel Beitr. IV S. 139; Ludewig S. 136. — 42) Briefb. 102, 154. — 43) Briefb. 102, 188 af. — 44) Spengleriana S. 78 f. — 4B) De Wette IV S. 221. — 46) Haußdorff S. 174. — 47) Spengleriana S. 81 u. 82. — 48) Ratsb. 16, 65 b. — 49) Ranke III S. 243; Briefb. 103, 52 a. — 60) Briefb. 103, 24 a, 59 b. — 51) Pol. Korr. II vom 2. III. 1531. — 52) Briefb. 103, 52. — 53) Ranke III S. 265 f.; Pol. Korr. II Nr. 50. — 54) Briefb. 103, 62 b. XIX. *) Bucholtz IX, 9. — 2) Ranke (1924) III, 305. — 3) Bucholtz IX 23. — 4) Heine S. 257. — 5) A.R.A. XVIII, 55 u. 59- — 6) Ebenda XVIII, 65 u. 71. — 7) Nbg. Ratsb. 15, 237; Staatsarch. S. VII L. 117 Nr. 94- — 8) St. A. Nbg. S. I L. 78 Nr. 20 Pr. 1; Briefb. 104, 140 a u. 145. — 9) A. R. A. XVII, 75 u. 77; Briefb. 104, 132 u. 144. — 10) A. R. A. XVIII, 89. — ir) Briefb. 104, 140; A. R. A. XVIII, 89 u. 109. — 12) St.A.N. S. I L. 78 Nr. 20 b Pr. 3. — 13) Bucholtz IX, 28. — 14) S. I L. 78 Nr. 20 Pr. 4. — 16) Ebenda Pr. 5. — 10) Ebenda Pr. 9 b. — 17) Ebenda Pr. 10 D. — 18) Ebenda Pr. 6. — i9) Ebenda Pr. 13 E. — 20) Ebenda Pr. 12. — 21) Ebenda Pr. 14 E. — 22) Ebenda Pr. 12. — 23) St.A.N. S. I L. 78 Nr. 20 b Pr. 15 u. 16 G. — 24) Ebenda Pr. 16 u. 17 G u. H. — 25) Bucholtz IX, 23. — 26) St. A. N. S. I L. 78 Pr. Nr. 20 Pr. 8. — 27) Ebenda Nr. 20 b Pr. 15. — 28) Ratschlb. 7, 175 ff. — 29) Ebenda 302 ff. — 30) Briefb. 104, 160. — 31) A. R. A. XVIII, 274. — 32) A. R. A. XVIII 312—324 M. — 33) Ebenda XVIII, 331 f. Hellers Bericht. — 34) Die Niederschriften darüber : A. R. A. XVIII, 333 ff. u. 383 ff. Abge­ druckt bei Winckelmann : Der Schmalk. Bund und der Nürnberger Religionsfriede, Anhang S- 298ff. u. 304ff. — 35) A.R.A. XVIII, 349 ff. u. 362 ff. — 36) St. A. N. S. I L. 78 Nr. 20 b Pr. 9. — 37) Ebd. Pr. 10. — 38) Winckelmann S. 203 f. — 39) A. R. A. VIII, 390. — 40) Ebd. 391 ff. — 41) Briefb. 104, 184 a. — 42) Winckelmanp S. 207. 43) A.R.A. XVIII, 401 ff. — 44) Ebd. 413 ff. — 46) Ebd. 423 ff. — 4Ö) Ebd. 433 u. 441. — 47) Ratsverl. v. 14. Mai H. 2f. 15. — 48) Briefb. 104, 196. — 49) A.R.A. Suppl. VII, 3. — 50) Ebd. 28. — 6i) A.R.A. XIX, 56. — 52) A.R.A. XIX, 77; de Wette IV, 369. — 53) De Wette, 372. — 54) Winckelmann S. 232. — 58) Ebd. S. 235. — 5Ö) Polit. Korr. II Nr. 159. — 67) Westermann : Die Türkenhilfe u. die politisch-kirchlichen Parteien auf dem Reichstag zu Regensburg 1532, S. 61. — ö8) Briefb. 104, 173. — 69) Westermann S. 88. — 60) Ebd. 89. — 61) Zeitschr. f. bayer. Kirchengesch. XII, 588—599. — 82) Winckelmann S. 246 f. — 63) De Wette IV, 380 u. 382. — 64) Ebd. 384. — 66) Mayer Spengleriana S. 94. — 86) A. R. A. XIX, 181; Pol. Korr. II, 166. — 67) Winckelmann S. 248. — 68) Bucholtz IX S. 33. — 69) Pol. Korr. II Nr. 159 Beil. III u. IV. — 70) A.R.A. XIX, 202ff.; Pol. Korr. II Nr. 159 Beil. V. — 71) A.R.A. XIX, 212; Pol. Korr. II, Nr. 159 Beil. VI. — 72) A.R.A. XIX, 221 An­ hang. — 73) A.R.A. XIX, 202. — 74) A.R.A. XIX, 234 ff; — 7ß) Spenglers Brief an Veit Dietrich v. 16. Juli 1532. Spengleriana S. 94. — 76) Ebd. S. 94 u. 100. — 77) Winckelmann S. 261. — 78) Pol. Korr. II, Nr. 183. — 79) Ranke III, 359; Briefb. 107, 48. — 80) Pol. Korr. II Nr. 351 u. 353; Ranke III, 360. — 81) Ludewig

402 S. 149. — 82) Pol. Korr. II Nr. 245. — 83) Pol. Korr. II Nr. 274. — 84) Pol. Korr. II Nr. 299. — 8B) Ebenda Nr. 317. — 86) Ebenda Nr. 321. — 87) Ebenda Nr. 348. — 88) Zeitschr. f. bayer. Kirchen­ geschichte Jahrg. 1890, S. 212—252; Ranke IV S. 59. XX. A)Staatsarch. Nbg. S. I L. 58 Nr. 3 Pr. 1. — 2) Ratsb. 17, 77 ff. — 3) Ranke IV, 68. — 4) St. A. N. S. I L. 58 Nr. 3 Pr. 3- — 5) S. I L. 101 Nr. ia Pr. 12. — 6) S. I L. 101 Nr. ib Pr. 9. — 7) Briefb. 114, 115. ~ 8) A.R.A. XXI, 100. — 9) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 13. — 10) Ebenda Pr. 13 u. 8. — A1) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 17. — 12) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 18 a. — 13) S. I L. Nr. 1 b Pr. 19. — 14) S. I L. 101 Nr. ib Pr. 18b. — 15) Ratsb. 18, 104. — lö) Ratsv. 1536/37 H. 10, 27 b u. H.11, 5 u. 6 b. — 17) S. I L. 74 Nr. 41. — 18) S. I L. Nr. 1 a Pr. 8 u. 12. — 19) Ratsv. 1536/37 H. 10, 29 b u. H. 11, 4. — 20) S. I L. 74 Nr. 41 Pr. 3. — 2i) Bericht der Nbger. Ges. S. I L. 101 Nr. 1 a Pr. 1. — 22) Dr. W. Möller Andr. Osiander S. 210. — 23) S. I L. 101 Nr. 1 a Pr. 3. — 24) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 1. — 2B) Ranke IV, 78. — 26) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 1. — 27) Ebenda. — 28) Ranke IV, 77. — 29) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 4. — 30) S. I L. 101 Nr. 1 a Pr. 5. — 31) Pol. Korr. II, 420. — 32) S. I L. 101 Nr. 1 a Pr. 6. — 33) Bericht der Memminger Ges., abgedruckt bei H. Volz : Luthers Schmalk. Art. u. Melanchthons Traktat S. 61; Pol. Korr. II, 422. — 34) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 2. — 35) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 3; S. I L. 101 Nr. 1 a Pr. 6. — 36) Ebenda u. S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 5. — 37) Bericht der Nbger Ges. — 38) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 6. — 39) S. I L. 101 Nr. 1 b Pr. 4. — 40) Ratsb. 18, 124 ff. u. I34. _ 4i) c. R. III 40. — 42) Pol. Korr. II, 416. — 43) C. R. III, 271. — 44) H. Volz S. 63. — 4B) Der ganze Abschied: Staatsarchiv Weimar p 178 Nr. 84, 2. — 46) Ratsb. 17, 76. — 47) Ratsv. 4. V. 35 H. 2f. 7 a. — 48) Ratsb. 17, 66 b. — 49) Ratsv. 10. XII. 35 H. 10 f. 4; Ratsb. 17, 132; 134; 18, 113 a. — 50)Ratsv. 19. VI. 35 H. III, 28 b. — B1) Ebenda 3. VI. 35 H. 4 f- 3 b. — 62) Ratsv. 2. IV. 35 H. 1 f. 4 b. — 53) Ratsv. 3. I. 37 H. 10 f. 7 b. — 54) Ratsv. 20. X. 36 H. 7 f. 15 b. — B5) Ratsv. 29. IX. 37 H. 7 f. 8. — B6) Ratsv. 21. II. 38 H. 12 f. 17 a. — B7) Ratsv. 23. V. 38 H. 2f. 2 b. — “) Ratsv. 4. VII. 37 H. 4 f. 18 a. — B9) Ratsv. 9. VIII. 36 H. 4 f. 33 b. — 60) Ratsv. 25. I. 39 H. 10 f. 31. — 61) Ratsv. 10. VI. 34 H. 4 f. 3 b. — •*) Ratsv. 15. I. 39 H. 10 f. 18 b.

Druckfehlerberichtigung. Seite 18 unten statt Högel : Höpel. S. 171 soll es statt S. 197 heißen S. 160. S. 252 statt Konsutation : Confutation. S. 283 statt „des“ „der“.