Mission und Religion in der Systematischen Theologie der Gegenwart: Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert 9783666562853, 3525562853, 9783525562857

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Mission und Religion in der Systematischen Theologie der Gegenwart: Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert
 9783666562853, 3525562853, 9783525562857

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V&R

Meinen Eltern

HENNING WROGEMANN

Mission und Religion in der Systematischen Theologie der Gegenwart Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 79

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufiiahme Wrogemann, Henning: Mission und Religion in der systematischen Theologie der Gegenwart: das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert / Henning Wrogemann. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1997 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 79) Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1995 u.d.T.: Wrogemann, Henning: Systematische Theologie und Mission ISBN 3-525-56285-3 NE: G T

© 1997 Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Satzspiegel, Bovenden Druck- und Bindearbeiten: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Zeit als Assistent am Institut für Religionsgeschichte und Missionswissenschaft in Heidelberg. Sie wurde 1995 als Dissertation unter dem Titel »Systematische Theologie und Mission. Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert« von der Evangelisch - Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommen. Im Herbst 1996 wurde die Arbeit von der Stiftung Universität Heidelberg mit dem Ruprecht-Karls-Preis ausgezeichnet. Zur Drucklegung wurde sie leicht überarbeitet und um einige Literaturangaben erweitert. Herr Prof. Dr. Theo Sundermeier hat diese Arbeit angeregt und begleitet Der fruchtbare Austausch und die konviviale Atmosphäre am Institut haben sehr zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Dafür gilt ihm mein besonderer Dank. Herzlich gedankt sei auch Prof. Dr. Dr. Michael Welker als Zweitgutachter, außerdem Prof. Dr. Hans- Werner Gensichen und Prof. Dr. CarlHeinz Ratschow sowie Dr. theol. Reinhold Bernhardt für die Möglichkeit, mit ihnen Teile der Arbeit zu diskutieren. Thomas Löf ler und Ralf Frisch haben sich mit großer Treue der Mühe des Korrekturlesens unterzogen und mit ihrer stets aufmunternden und konstruktiven Kritik am Denkprozeß teilgenommen, Matthias Helmbold hat mir gegen manche Tücke der Computertechnik beigestanden. Herzlich gedankt sei auch Missionar Pastor Markus Roser und den Studenten der Ecole de Theologie (Baboua) der Lutherischen Kirche in der Zentralafrikanischen Republik sowie vielen anderen Missionaren und Christen in Kamerun und Zentralafrika, die mich während eines Studienaufenthaltes an ihrem Leben teilnehmen ließen und mir Einblick in ihre Arbeit gewährt haben. Für Druckkostenzuschüsse gilt mein Dank der Deutschen Gesellschaft fiir Missionswissenschaft, der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Schließlich danke ich meiner Frau, die mich während der Zeit der Promotion mit liebevoller Geduld unterstützt hat. Heidelberg, im Advent 1996

Henning

Wrogemann

Inhalt

Einleitung

15

1. 2. 3. 4. 5.

Systematische Theologie und Mission Leitfrage: Verstehen des Fremden und Mission Überblick zur Forschungssituation Heuristisches Raster Aufbau der Untersuchung

15 16 19 21 22

I.

Mission zwischen Konfrontation mit den und »missionarischem Verstehen« der Religionen. Systematische Theologie und Mission in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

23

Mission als Evangelisierung - Martin Kahler

23

Α

1. Der systematische Ort der Mission 2. Der Missionsbegriff: Verbreitung des Evangeliums versus Propaganda 3. Der Grund der Mission

23 24 25

3.1 Universalität durch Partikularität: Liebe und Versöhnung 3.2 Missionspflicht und Missionstrieb

26 27

4. Mission und Religion

28

4.1 Versöhnung als Kriterium des Religionsvergleiches 4.2 Absolutheit und Geschichtlichkeit des Christentums

29 31

5. Mission und Kirche

32

5.1 Der Kirchenbegriff 5.2 Recht und Pflicht der Kirche

32 33

6. Würdigung und Kritik

34

В

37

Mission als Christianisierung - Ernst Troeltsch

1. Religionsgeschichte als Rahmen der Theologie 1.1 Christentum und Religionen: drei unzulässige Abgrenzungen 1.2 Hermeneutik der »hypothetischen Anempfindung«

2. Der theologische Rahmen der Mission 2.1 2.2 2.3 2.4

Progressive Offenbarung und Kultur Erlösung als soteriologischer Zentralbegriff Ekklesiologie: Gottesreich und Ausbreitungsmittel Missionstheologische Konsequenzen

38 . . .

38 39

42 42 44 45 46

3. Das Missionsverständnis

47

3.1 »Moderne« Mission

47

8

Inhalt

4.

3.2 Dreifache Missionsbegründung 3.3 Die drei Modi missionarischer Begegnung 3.4 Das Ziel der Mission Würdigung und Kritik

С

Mission und Gottes zweifache Offenbarung - Paul Althaus

1.

4.

Gottes zweifaches Offenbarungswirken 1.1 Ur-Offenbarung und Heilsoffenbarung 1.2 Das zweifache Geistwirken 1.3 Das Evangelium als Anknüpfung Der Religionsbegriff 2.1 Die Religionen in der Perspektive des Evangeliums 2.2 Die Dialektik von Evangelium und den Religionen 2.3 Kritik der Religionen Missionstheologische Erwägungen und Konsequenzen 3.1 Zur Begründung der Mission 3.2 Das Problem von Anknüpfung und Erfüllung 3.3 Christologie und Rechtfertigungslehre 3.4 Pneumatologie und Ekklesiologie Würdigung und Kritik

D

Mission und Gottes direkte Selbstoffenbarung - Karl Barth .

1.

Selbstoffenbarung Gottes und Trinitätslehre 1.1 Das Subjekt der Offenbarung 1.2 Die Dialektik der Offenbarung Der Religionsbegriff 2.1 Offenbarung und Religion 2.2 Barths »Lichterlehre« Exkurs: Aspekte des Bardischen Kulturbegriffes 2.3 Zwischenbilanz Das Missionsverständnis 3.1 Bundestheologische Begründung der Mission 3.2 Der Vollzug der Mission 3.2.1 Der Zeugenbegriff 3.2.2 Die Sendung der Gemeinde 3.3 Die Begrenzung des Zeugendienstes Konsequenzen: Der Modus der Mission 4.1 Der Status des chrisdichen Zeugnisses 4.2 Das Hören und Vernehmen des Zeugen 4.3 Der Adressat der chrisdichen Botschaft Würdigung und Kritik

78 80 80 81 82 84 86 88 89 89 91 91 93 95 97 97 97 99 101

Mission als Umwandlung von »latenter« in »manifeste« Kirche - Paul Tillich

105

Hermeneutik der Korrelation

105

2.

3.

2.

3.

4.

5. Ε 1.

48 49 50 51 .

. . . .

58 58 59 62 63 64 65 66 68 69 69 70 72 73 75 78

Inhalt 1.1 1.2 1.3 1.4

2.

3.

9

Logoslehre als theologische Basis der Korrelation Vernunftbegriff und die Frage nach Offenbarung Erfahrung als Medium der Offenbarung Letztgültige Offenbarung

106 107 107 110

Religionsbegriff

111

2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

111 113 113 115 116 117

Religion und die Frage nach Gott Religion als Ort der Frage nach dem Neuen Sein Religion und die Frage nach unzweideutigem Leben Inkarnations- und Geistchristologie Geistgemeinschaft als Aufhebung von Religion Zwischenbilanz

Missionsverständnis

119

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

119 119 122 124 125

Missionarische Kirche im Horizont der Geschichte Missionsbegriff Verkündigung und Partizipation Dialogische Haltung gegenüber den Weltreligionen Bekehrungsbegriff

4. Würdigung und Kritik F

125

Troeltsch, Althaus, Barth: Drei religionstheologische Modelle und ihre missionstheologischen Konsequenzen Zusammenfassung

1. Das induktiv-inklusive Modell - Ernst Troeltsch 2. Das dialektisch-duale Modell - Paul Althaus 3. Das deduktiv-diastatische Modell - Karl Barth 4. Ausblick II. Auf dem Weg zu einer dialogischen Mission. Systematische Theologie und Mission in der zweiten des 20. Jahrhunderts

128 130 131 133

Hälfte

1. Dialog als Antwort auf die Herausforderungen einer sich verändernden Weltsituation 2. Tendenzen zur Universalisierung des Missionsbegriffes seit den 60er Jahren 3. Zum Verhältnis von Missionstheologie und Systematischer Theologie - eine Negativbilanz 4. Modelle zur Verhältnisbestimmung von Mission und Dialog . 5. Zur methodischen Einordnung Α

Dialog als Mission? - Wolfhart Pannenberg

1. Hermeneutischer Ansatz 1.1 Offenbarung als Geschichte 1.2 Der christliche Wahrheitsbegriff 1.3 Theologie der Religionen

128

135 136 140 142 144 145 147 147 149 149 151

10

Inhalt

5.

Exkurs: Pannenbergs Vorschlag zur Etablierung eines Faches »Theologie der Religionen« im theologischen Lehrbetrieb Das Christentum und die Religionen 2.1 Der Religionsbegriff 2.2 Die Auseinandersetzung der Religionen 2.3 Die Ambivalenz der Religionen 2.4 Die Besonderheit des Christentums 2.5 Die Überlegenheit des Christentums Missionstheologische Konsequenzen 3.1 Begründung und Ziel der Mission 3.2 Mission und Ekklesiologie Dialog als Mission? 4.1 Missionarische Stärke des Dialogs 4.2 Dialogische Aspekte der Mission Würdigung und Kritik

В

»Dialog« und Mission - H e l m u t Thielicke

174

1.

174 174 175 177 178 178 180 181 182 182 183 184 184 185 186 188

5.

Hermeneutischer Ansatz 1.1 Aktualisierung versus Akkomodation 1.2 »Neue Existenz« als Analogon 1.3 Retrospektive Hermeneutik Gottes Vergegenwärtigung in den Religionen 2.1 Der Religionsbegriff 2.2 Anamnesis und Gewissen als »Anknüpfungspunkt« 2.3 Kriterien für den Wahrheitsgehalt der Religionen? D a s Missionsverständnis 3.1 Die Begründung der Mission im Abendmahl 3.2 Der Horizont der Mission »Dialog« und Mission 4.1 Analogie und Mission auf zwei Ebenen 4.2 Missionarische Verkündigung als »Ansprechen« 4.3 Christologie und missionarische Verkündigung 4.4 Das Verhältnis von »Dialog« und Mission Exkurs: Zu einem neueren Entwurf innerhalb des dialektisch-dualen Modells (Wilfried Härle) Würdigung und Kritik

С

Dialog als »Qualitative Mission« - Jürgen Moltmann . . . .

196

1.

Hermeneutischer Ansatz 1.1 Offenbarung als Verheißung 1.2 Sendungsgeschichtliche Hermeneutik Das Auferstehungsgeschehen als G r u n d der Mission 2.1 Der offenbarungstheologische Aspekt 2.2 Der eschatologische Aspekt 2.3 Der christologische Aspekt

196 197 198 200 200 200 201

2.

3.

4.

2.

3.

4.

2.

.

152 153 153 155 156 157 159 161 161 163 164 164 166 168

189 191

Inhalt

3.

4.

5.

6. D 1.

2.

3.

4. Ε 1.

2.

11

2.4 Der trinitarische Aspekt 2.5 Konsequenzen Christologie u n d K o n f l i k t : d e r Inhalt d e r Mission 3.1 Christologische Denkformen 3.2 Gerechtigkeit als Grundkategorie der Soteriologie 3.3 Heil im Widerspruch und christliche Identität 3.4 Religionsbegriff und die Bedeutung des Fremden 3.5 Konsequenzen Ekklesiologie u n d Reich G o t t e s : das Ziel d e r Mission . . . . 4.1 Der Horizont der Ekklesiologie: Missio Dei 4.2 Geschichte und Parusie 4.3 Amter Christi und die Sendung der Gemeinde 4.4 Identifizierungen Christi und Ort der Gemeinde 4.5 Konvergenz von Kirche und Welt im Reich Gottes D i a l o g als »Qualitative Mission«: F o r m e n d e r Mission . . . . 5.1 Theologische Dialogbegründung 5.2 Ziel des Dialogs und sein Verhältnis zur quantitativen Mission . 5.3 Rahmen und Kriterium des Dialogs W ü r d i g u n g u n d Kritik

201 202 203 203 205 205 207 208 209 210 211 212 213 215 216 216 217 220 221

T h e o l o g i e im christlich-hinduistischen D i a l o g : M i s s i o n als D i a l o g - M i c h a e l v o n B r ü c k

225

Interreligiöser D i a l o g als theologischer A u s g a n g s p u n k t . . . . 1.1 Die Einheit der Wirklichkeit 1.2 Advaitisch-trinitarischer Einheitsbegriff Advaitisch-trinitarische Christologie 2.1 Universalisierte Soteriologie 2.2 Advaitische Erfahrung und Christusbekenntnis 2.3 Kenotische Christologie und die Wahrheit der Religionen . . . Mission als D i a l o g 3.1 Dialog als Ort »kreativer Integration« 3.2 Mission als Mäeutik und der »implizite Christus« 3.3 Konversion als metanoia 3.4 Kirche als transreligiöse »communio sanctorum« W ü r d i g u n g u n d Kritik

225 226 226 228 228 230 231 231 232 234 235 236 237

T h e o l o g i e im christlich-jüdischen D i a l o g : T e i l n a h m e an Israels M i s s i o n - F r i e d r i c h - W i l h e l m M a r q u a r d t

241

Zur Hermeneutik 1.1 Evangelische Halacha und biblisches Wirklichkeitsverständnis . . 1.2 Die Berufung als Grunddatum der Theologie 1.3 Die Berufung der Christenheit 1.4 Die Mission der Christenheit Israelgeschichtliche Christologie: D e r G r u n d d e r Mission . . . 2.1 Das Verhältnis von Tora und Christologie

241 242 243 244 246 247 248

12

3.

4.

5. F

Inhalt

2.2 Konsequenz: Noachidische Gebote für Gojim 2.3 Pfingsten: Fest der Tora als Beginn christlicher Mission . . . . 2.4 Kirche aus Juden und Heiden 2.5 Konsequenzen Die Gojim an der Seite Israels: Ziel der Mission 3.1 Mission und das Reich für Israel 3.2 Krisenhafter Weg der Mission Mission als Durchsetzung des Namens Jesu: M o d u s der Mission 4.1 Verkündigung: Gottes Scheiden versus menschliche Anknüpfung . 4.2 Die Begriffe »Heidentum« und »Synkretismus« 4.3 Offener Zeugenbegriff 4.4 Teilnahme an Gott als Beteiligung am Volk Israel 4.5 Mission als Widerspruch und also ohne Dialog? Würdigung und Kritik

256 256 259 260 261 263 264

Zusammenfassung: Vier religionstheologische Modelle u n d ihre missionstheologischen Konsequenzen

268

1. 2. 3. 4.

269 270 271 273

Das induktiv-inklusive Modell - Wolfhart Pannenberg Das dialektisch-duale Modell - Helmut Thielicke Das deduktiv-diastatische Modell - Jürgen Moltmann Dialogische Theologie statt Religionsbegriff - Michael von Brück .

III. Aspekte

einer missionstheologischen

Neubesinnung

250 251 252 253 254 254 255

275

Α

Die Notwendigkeit einer missionstheologischen Neubesinnung

275

1.

Einleitung 1.1 Das Wiedererstarken der Religionen 1.2 Mission und Inkulturation 1.3 Den Missionsbegriff nicht aufgeben 1.4 Mission beginnt in der Nachbarschaft Rückblick: Die Beziehung zwischen Systematik und Missionstheologie 2.1 Begegnungen von Systematikern mit Missionaren und Religionen . 2.2 Der Einfluß von Systematikern auf die Missionstheologie . . . . Reflexion: Systematisch-theologische Problemstellungen für eine zukünftige Missionstheologie 3.1 Christliche Identität und ihre Grenzen 3.2 Systematische Lehrkreise und hermeneutische Kategorienbildung . 3.2.1 Die Lehre von der Schöpfung 3.2.2 Die Offenbarungslehre 3.2.3 Die Soteriologie 3.2.4 Die Trinitätslehre 3.3 Zusammenfassung

275 276 276 277 278

2.

3.

278 279 280 282 283 285 285 286 287 288 289

Inhalt

В

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

1. 2. 3.

Vororientierung: Zum Missionsbegriff Hermeneutik von Offenheit und Differenzbewußtsein Theologische Grundlegung: Bipolare Soteriologie 3.1 Systematische und religionstheologische Konsequenzen 3.2 Segen und Pneumatologie 3.2.1 Segenshandeln Gottes und die Religionen 3.2.2 Rettungshandeln Gottes und Differenzbewußtsein In der Mission des segnenden und rettenden Gottes 4.1 Konvivenz als hermeneutischer Ort 4.2 Der segnende Gott: Konvivenz und Dialog 4.3 Der rettende Gott: Konvivenz und Verkündigung 4.4 Konvivenz und chrisdiches Zeugnis 4.5 Der hermeneutische Zirkel Perspektiven 5.1 Segen, Rettung und die drei Ämter Jesu Christi 5.2 Bipolare Soteriologie und die Missio Dei trinitatis

4.

5.

13

291 . . . .

291 292 295 298 298 299 301 302 304 307 309 311 314 315 315 316

Literaturverzeichnis

319

1.

Quellen

319

2.

Sekundärliteratur

325

Bibelstellenregister

346

Namensregister

347

Einleitung

1. Systematische

Theologie und Mission

Mission ist ein Reizwort, das bei den meisten Menschen unserer heutigen Gesellschaft keine positiven Assoziationen mehr hervorruft. 1 Die Gründe dafür sind einsichtig. Neben den Erinnerungen an eine belastete geschichtliche Vergangenheit, man denke nur an die Kreuzzüge oder die spanische Eroberung Südamerikas 2 , ist es besonders der Kontext der modernen pluralistischen Gesellschafi, der unser Wahrheits- und Wahrhaftigkeitsempfinden prägt. 3 Wenn die Gesellschaft kaum mehr weltanschauliche Vorgaben macht, mutet es befremdlich an, wenn einzelne Gruppen für ihren Glauben absolute Gültigkeit beanspruchen und andere Menschen missionarisch auf ihre Seite zu ziehen versuchen. Gemeinhin steht dabei Mission unter dem Verdacht der Intoleranz, der Ignoranz und der Besserwisserei. Der Verdacht der Ignoranz, der gegenüber Mission gehegt wird, darf seitens der christlichen Mission nicht auf die leichte Schulter genommen werden. In einer Gesellschaft, in der andere Religionen immer stärker präsent sind, in der sich bei den Menschen, vermittelt über schulische Bildung und verschiedene Medien, das Wissen über (bisher) fremde Religionen enorm erweitert, ist es schlicht unglaubwürdig, den eigenen Glauben missionarisch zu vertreten, ohne dabei die anderen Religionen zu berücksichtigen oder kritisch zu würdigen. Ein detailliertes Wissen von Leben und Lehre, zumindest einer fremden Religion, ist für jeden Christen, der seinen Glauben missionarisch bezeugen möchte, unerläßlich. Das verlangt jedoch auch nach einer Klärung der Fragen, wie die fremden Religionen theologisch zu bewerten sind, wie ein Verstehen des oder der Fremden möglich ist und welche theologischen Denk- und Lebenswege 1

Vgl. K. BLASER (1987): Should we stop using the Term »Mission«?, in: IRM (76),

68-71. 2 Vgl. Η. GRÜNDER (1991): Welteroberung und Christentum. Ein Handbuch zur Geschichte der Neuzeit, Gütersloh. Zur Kritik an der Mission siehe auch G. COLLET (1984): Zur Infragestellung der Mission, in: ders., Das Missionsverständnis der Kirche in der gegenwärtigen Diskussion, Mainz, 23-56, bes. 23-41. Zum Problem der Wahrnehmung fremder Kulturen vgl. T. TODOROV (1985): Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen. Aus dem Französischen von Wilfried Böhringer, Frankfurt/M. 3 Auf die damit verbundene Problematik von eigener Identität und Offenheit für Fremdes hat L. RUETTI [(1978): Westliche Identität als theologisches Problem, in: ZMiss (4), 97-107] hingewiesen.

16

Einleitung

sich in dieser Frage anbieten. Sich dieser Frage zu stellen, ist innerhalb der theologischen Disziplinen Aufgabe der Systematischen Theologie. In der vorliegenden Arbeit sollen systematisch-theologische Entwürfe des 20.Jahrhunderts daraufhin untersucht werden, wie und an welchem systematischen Ort die Missionsproblematik verhandelt wird und in welchem Bezug sie zum jeweiligen Offenbarungs- und Religionsbegriff steht. Die Verbindung der für diese Fragestellung maßgeblichen theologischen Topoi »Offenbarung«, »Religion« und »Mission« ergibt sich dabei aus ihrem gedanklichen Zusammenhang: Durch das Offenbarungsverständnis wird auch der Religionsbegriff weitgehend festgelegt; der Missionsbegriff wiederum ist vom jeweiligen Religionsverständnis abhängig. Die Frage lautet: Wie werden die fremden Religionen verstanden und bewertet und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Umgang mit ihnen in der christlichen Mission?

2. Leitfrage:

Verstehen des Fremden und Mission

Mission hat es per definitionem mit Fremden zu tun. Wie aber kann ihre Fremdartigkeit ernstgenommen und ausgehalten werden, wenn sie nach Maßgabe der eigenen Wahrnehmungs- und Denkgesetze interpretiert wird? Wird die Fremdartigkeit nicht gerade dadurch nivelliert, daß sie in meinen kategorialen Rahmen eingespannt und damit gleichsam »auf den Begriff« gebracht wird?4 Wird das Verstehen des Fremden damit nicht unter der Hand zu einem Wiedererkennen des Eigenen im (sogenannten) Fremden? Bleibt es hier letztlich nicht doch beim Selbstverstehen? Tatsächlich kann man das die griechische Philosophie beerbende europäisch-abendländische Denken, das auch die Theologie maßgeblich beeinflußt hat, als ein »Denken der Einheit« verstehen. Es ist ein Denken, das Erkenntnis in ein System bringt. Dieses System drückt einen Totalitätsanspruch aus, der daraus resultiert, daß es ein »Außen« nicht mehr gibt. Dann aber ist alles, was gedacht werden kann, systemimmanent. Es unterliegt der Herrschaft des Denkens. Die Philosophie Hegels mit der ihr eigentümlichen Dialektik ist hierfür ein anschauliches Beispiel.5 4 In dieser Untersuchung wird anstatt von d e r / d i e / d a s Andere der Ausdruck d e r / d i e / d a s Fremde gewählt, um die bleibende Inkommensurabilität des Fremden zu betonen. Wenn es denn einen »Begriff« des Fremden gibt, dann den, daß das Fremde (letztlich) nicht »auf den Begriff zu bringen« ist. Der Ausdruck »Fremder« wird also zunächst im weiten und alltäglichen Sinne des Wortes gebraucht, um dann auf dem Hintergrund der verschiedenen systematischen Entwürfe genauer in den Blick genommen zu werden. 5 Diese Beobachtung gilt - mit wenigen Ausnahmen - für die gesamte abendländische Philosophie und findet ihren deutlichsten Ausdruck in der Hegeischen Dialektik. »Das reine Selbsterkennen im absoluten Anderssein, dieser Äther als solcher, ist der Grund und Boden

17

Einleitung

Gegen die Vorherrschaft einer Philosophie, die das Erkennen des Anderen am Modell der Selbsterkenntnis orientiert, wandten sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts Denker wie Martin Buber 6 , Theodor W. Adorno 7 und besonders Emmanuel Levinas8. Es ist bemerkenswert, daß alle drei jüdischer Abstammung sind, also einem Volk angehören, daß durch seine Verstreuung in alle Welt seit zweitausend Jahren das Schicksal, in der Fremde leben zu müssen, erleidet. Es war offensichtlich dieser Erfahrungshorizont, der sie für die Inkommensurabilität des Fremden sensibilisierte und sie zum Anwalt des bleibend Fremden werden ließ. Die Relevanz des Themas liegt auf der H a n d : In einer Zeit, da Fremde und Fremdes - nicht nur im europäischen Kontext - immer mehr als eine Bedrohung empfunden werden 9 , erscheint es als für alle Beteiligten lebensnotwendig, die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen des Verstehens des Fremden zu stellen. In dieser Bemühung darf aber die Abständigkeit, Widers tändigke it und Härte der Fremdheit nicht übersprungen werden. Auch muß die bleibende Fremdheit des Fremden ausgehalten werden, damit er nicht unter der H a n d zum nur temporalen Fremden und letztlich zum angeeigneten Anderen meiner selbst wird. Eine solche Hermeneutik hat der Versuchung einer Romantisierung und Idealisierung des nur »exotischen« Fremden ebenso zu widerstehen, wie der Ausgrenzung oder der aneignenden Beherrschung des Fremden. In beiden Fällen handelt es sich um Vorurteile. Innerhalb der Theologie ist insbesondere die Theologie der Mission gefordert, über Möglichkeiten eines angemessenen - und das heißt

der Wissenschaft oder das Wissen im allgemeinen.« (G.W.F. HEGEL ( 6 1952): Phänomenologie des Geistes. Nach dem Texte der Originalausgabe hg. v. J. Hoffmeister, Hamburg, 24) 6

V g l . M . BUBER ( 5 1 9 8 4 ) : D a s d i a l o g i s c h e P r i n z i p ,

Heidelberg.

Adornos »Negative Dialektik« [Тн. W. ADORNO ( 3 1982): Negative Dialektik, Frankf u r t / M . ] versucht - im Gegenzug zu Hegel - gerade die Inkommensurabilität des Anderen zu denken. 8 Vgl. u. а. E. LEVINAS (1987): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, übers, v. W. N. Krewani, Freiburg/München. Zum Werk von Levinas und seiner Rezeption in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie - bes. bei J. C. Scannone und E. Dussel vgl. T. HABBEL (1994): Der Dritte stört. Emmanuel Levinas - Herausforderung für Politische Theologie und Befreiungsphilosophie. Mit einem Exkurs zum Verhältnis zwischen E. Levinas und M. Buber, Mainz. (Lit.!) 9 KIRCHENAMT DER E K D (Hrsg.) (1991): Wanderungsbewegungen in Europa. Perspektiven und Aufgaben, ein Diskussionspapier der Kommission der E K D für Ausländerfragen und ethnische Minderheiten, Hannover; U. MAMMEY (1992): Von der Gastarbeiterbewegung zur Völkerwanderung? - Zum Strukturwandel der internationalen Wanderungen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Hrsg.), Erfahrungen des Fremden: Vorträge im Sommersemester 1992, Heidelberg, 35-55; M. MlLDENBERGER (1992): Fremdenangst in Deutschland, in: Th. Sundermeier (Hrsg.), Den Fremden wahrnehmen. Bausteine für eine Xenologie, Gütersloh, 165-185; R. BlLLERBECK (1993): Wieviel Fremdes vertragen wir? Überlegungen zur Einwanderung, in: epd-Dokumentation 2 3 a / 1 9 9 3 . 1

18

Einleitung

wohl auch behutsamen - Verstehens des Fremden nachzudenken und darüber Rechenschaft abzulegen.10 Unsere Leitfrage lautet daher: Müßte es nicht in einer der heutigen Situation angemessenen Missionstheologie um den Versuch gehen, den Fremden in seiner Fremdheit so weit als möglich zu verstehen, bevor man ihm verkündigt? Und wenn es stimmt, daß missionarische Verkündigung vorausgehendes Verstehen voraussetzt, muß Mission dann nicht als »Hermeneutik des Fremden« verstanden werdend Mit dem Begriff »Hermeneutik« ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht an die am Verstehen von Texten orientierte Bedeutung gedacht, wie sie in der Tradition Schleiermachers vertreten wird.12 Vielmehr geht es um Verstehen im weiteren Sinne.13 Wodurch wird das Verstehen fremder Menschen, ihrer Kultur und Religion, ihres Ethos und ihrers Verhaltens ermöglicht? Wie kann der oder das Fremde verstanden werden, ohne der Gefahr zu erliegen, es zu vereinnahmen oder es auszugrenzen? Mit dem Begriff einer »Hermeneutik des Fremden« ist demnach zum einen das

10 Zum erneuten Interesse an der Hermeneutik im Gegensatz zur Theorie der Kommunikation vgl. H . BALZ (1991): Krise der Kommunikation - Wiederkehr der Hermeneutik?, in: T h . Sundermeier (Hrsg.), Die Begegnung mit dem Anderen: Plädoyers für eine interkulturelle Hermeneutik, Gütersloh, 39-66. Zu kommunikationstheoretischen Modellen in der Missionstheologie vgl. DERS. (1978): Theologische Modelle der Kommunikation, Bastia n / K r ä m e r / N i d a , Gütersloh. 11 Auf die Notwendigkeit einer Hermeneutik des Fremden hat Th. Sundermeier wiederholt hingewiesen. Vgl. vor allem Th. SUNDERMEIER (1986): Konvivenz als Grundstruktur ökumenischer Existenz heute, in: W. H u b e r / D . Ritschl/Th. Sundermeier (Hrsg.), Ökumenische Existenz heute 1, München 49-100; DERS. (1991c): Erwägungen zu einer Hermeneutik interkulturellen Verstehens, in: ders. (Hrsg.), Die Begegnung mit dem Anderen: Plädoyers f ü r eine interkulturelle Hermeneutik, Gütersloh, 13-28; DERS. (1990 a): »Fremde Theologien«, in: EvTh (50), 524-534; DERS. (1990 b): Begegnung mit dem Fremden, EvTh (50), 390-400; DERS. (Hrsg.) (1992 a): Den Fremden wahrnehmen. Bausteine einer Xenologie, Gütersloh. 12 Zu Schleiermacher vgl. M. FRANK (Hrsg.) (1977): F. D. E. Schleiermacher Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers. H g . u. eingel. v. M. Frank, F r a n k f u r t / M . Eine Ubersicht über neuere Ansätze zur Hermeneutik aus dem deutschen und französischen Bereich gibt DERS. (1985): Das individuelle Allgemeine. Textstrukturierung und Textinterpretation nach Schleiermacher, F r a n k f u r t / M . , 13-86. Im deutschen Bereich sind als hermeneutische Klassiker vor allem MARTIN HEIDEGGER [( 15 1984): Sein und Zeit, Tübingen] und HANS-GEORG GADAMER [( 6 1990): Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen] zu nennen. Vgl. auch GADAMER (1974): A r t Hermeneutik, in: H W P , Bd.3, Sp. 1061-1073. - Im Bereich evangelischer T h e o logie sei auf die Ansätze von R. BULTMANN und G. EßELING [(1959): Art. Hermeneutik, RGG 3 , Bd. 3, Sp. 242-262] verwiesen. - Erst in der neueren neutestamentlichen Hermeneutik wird indes der Bedeutung des Fremden größere Beachtung geschenkt. Vgl. besonders K. BERGER (1988): Hermeneutik des Neuen Testaments, Gütersloh, 125-143. 13 Zu einem neuen Verständnis von Hermeneutik vgl. auch die an medientheoretischen Erwägungen orientierte Arbeit von W. NETHÖFEL (1992): Theologische Hermeneutik. Vom Mythos zu den Medien, Neukirchen-Vluyn. (Lit.)

Einleitung

19

Anliegen einer interkulturellen14 und interreligiösen Hermeneutik gemeint, zum anderen jedoch versteht sich eine solche Hermeneutik als Anwalt der Eigenart des Fremden.15 Mission, verstanden als Hermeneutik des Fremden, wäre der Versuch, dem Verstehen des Fremden und dem Bezeugen der christlichen Botschaft gleichermaßen gerecht zu werden.

3. Überblick zur

Forschungssituation

Die hier vorgelegte Untersuchung schließt in gewisser Weise an die Arbeiten von Ernst zur Nieden und Otto Kübler an, die sich mit dem Missionsverständnis in der systematischen Theologie des 19.Jahrhunderts befassen.16 Beide Autoren versuchen eine möglichst große Zahl systematischer Entwürfe auf das Thema Mission hin zu analysieren. Dabei bleibt es nicht aus, daß die Darstellungen sich auf das Wesentliche beschränken, wobei sie an manchen Stellen sehr an der Oberfläche bleiben und nicht zu grundlegend systematischen Zusammenhängen durchdringen. Um diese Gefahr zu vermeiden, befaßt sich unsere Arbeit bewußt nur mit einer begrenzten Auswahl systematischer Entwürfe. Seit Erscheinen der zwei genannten Arbeiten ist keine umfassende Untersuchung des Missionsverständnisses der systematischen Theologie er14 Für den innerchristlichen Bereich hat als einer der ersten der Missionswissenschaftler Walter Hollenweger auf die Notwendigkeit einer »Interkulturellen Theologie« hingewiesen: W. J. HOLLENWEGER ( 2 1990): Erfahrungen der Leiblichkeit. Interkulturelle Theologie 1, München; DERS. ( 2 1992): Umgang mit Mythen: Interkulturelle Theologie 2, München; DERS. (1988): Geist und Materie: Interkulturelle Theologie 3, München. Vgl. auch R. FRIEDLI (1987): A r t Interkulturelle Theologie, in: K. Müller/Th. Sundermeier (Hrsg.), Lexikon missionstheologischer Grundbegriffe, Berlin, 181-185; Th. SUNDERMEIER (1990): »Fremde Theologien«, in: EvTh (50), 524-534. W. SLMPFENDÖRFER schreibt dazu [(1989): Interkulturelle Theologie. Wie kann man Ende und Anfang verknüpfen?, in: EK (22), 37-40, 39]: »Eine >Interkulturelle Theologie< (nach Auschwitz!) kann nicht mehr anders, als >das Fremde« und die >Fremden< zum entscheidenden Hermeneutikum, zum Schlüssel christlichen Verstehens von Gegenwart und Zukunft zu machen.« 15 Zu Versuchen einer interreligiösen Hermeneutik vgl. u.a. R. BERNHARDT (1992): Zur Hermeneutik des interreligiösen Dialogs, in: BiLi (65), 131-143. Aus dem katholischen Bereich zum Problem interkultureller Hermeneutik: H. WALDENFELS (1992): On the Hermeneutics of intercultural encounter. Christianity and Chinese Thought: A Case Study, in: Studies in Interreligious Dialogue (2), 31-50. Aus sozial- und religionswissenschaftlicher Sicht vermitteln einen guten Überblick: J. WAARDENBURG (1986): Religionen und Religion. Systematische Einführung in die Religionswissenschaft, Berlin/New York, 202-255 und H. G. KIPPENBERG; B. LUCHESI (Hgg.) (1987): Magie. Die sozialwissenschaftliche Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens, Frankfurt/M. 16 Vgl. E. ZUR N I E D E N (1928): Der Missionsgedanke in der systematischen Theologie seit Schleiermacher, Gütersloh; O. KÜBLER (1929): Mission und Theologie. Eine Untersuchung über den Missionsgedanken in der systematischen Theologie seit Schleiermacher, Leipzig.

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schienen. Es liegen lediglich einige wenige Aufsätze und Einzeluntersuchungen vor.17 Der Grund für diesen Umstand mag darin zu suchen sein, daß es nur wenige Theologen gegeben hat, die es als ihre Aufgabe ansahen, zwischen der Systematischen Theologie und der Missionstheologie zu vermitteln.18 Mit der zu Beginn dieses Jahrhunderts einsetzenden Etablierung missionswissenschaftlicher Lehrstühle an den Universitäten und der damit einhergehenden Verselbständigung des Faches »Theologie der Mission« wurde, so scheint es, dieses Thema von den Systematikern zunehmend als eine Angelegenheit der Missionswissenschaftler betrachtet.19 Einzig zum Missionsverständnis von Martin Kähler20 und Karl Barth21 liegen einige Untersuchungen vor. Ein wirkliches Ineinandergreifen von missionstheologischen und systematisch-theologischen Fragen findet sich allerdings nur in den Arbeiten von Klaus Nürnberger und Dieter Manecke. Umgekehrt wenden sich primär missionstheologisch ausgerichtete Arbeiten den Ansätzen systematischer Theologen nur am Rande zu.22 Ein Dialog 17 Vgl. A. KÖBERLE (1930): Die Neubesinnung auf den Missionsgedanken in der Theologie der Gegenwart, in: N A M Z (7), 321-332, 353-368; W. ANDERSEN (1957): Auf dem Wege zu einer Theologie der Mission. Ein Bericht über die Begegnung der Mission mit der Kirche und ihrer Theologie, Gütersloh; DERS. (1965/66): Die Mission als Herausforderung an die Kirche und ihre Theologie, in: J M L B (13), 7-33; K. BOCKMÜHL (1964): Die neuere Missionstheologie. Eine Erinnerung an die Aufgabe der Kirche, Stuttgart; E. KRÜGER (1960): Martin Kählers Verständnis der christlichen Weltmission. In: Wesen und Aufgabe der Missionstheologie, Wuppertal-Barmen, 26-52; H. FÖRSTER (1961): Martin Kähler als Missionstheologe. Diss, theol., Göttingen (Mschr.); J. FRANKE (1963): Ausbreitungsmotive in der deutschen evangelischen Missionstheologie bei Gustav Warneck, Martin Kähler, E m s t Troeltsch. Diss theol., Halle (Mschr.); K. NÜRNBERGER (1970): Lösungsversuche zum Problem der Religionen und ihre missionsmethodischen Konsequenzen, in: NZSTh (12), 13-43; D. MANECKE (1972): Mission als Zeugendienst Karl Barths theologische Begründung der Mission im Gegenüber zu den Entwürfen von Walter Holsten, Walter Freytag und Joh. Christian Hoekendijk, Wuppertal; H. BALZ (1988): Hermeneutik und Mission, in: ZMiss (14), 206-220; DERS. (1989): Berliner Missionstheologie und Karl Barth: Aneignung und Widerspruch, in: G. Besier, C. Gestrich (Hrsg.), 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin, Göttingen, 419-437. 18 Mit Recht fragt Falk Wagner: »In welcher Dogmatik der Gegenwart wird eigentlich die Mission als solche zum Thema erhoben?« [F. WAGNER (1968): Über die Legitimität der Mission. Wie ist die Mission der Christenheit theologisch zu begründen?, München, 9 Anm.9.] 19 Vgl. O.G. MYKLEBUST (1955/57): The Study of Missions in Theological Education, Vol.I-11, Oslo. 20 H . FÖRSTER (1961): Martin Kähler als Missionstheologe. Diss, theol., Göttingen. (Mschr.); J. FRANKE (1963): Ausbreitungsmotive in der deutschen evangelischen Missionstheologie bei Gustav Wameck, Martin Kähler, Ernst Troeltsch. Diss theol., Halle. (Mschr.). 21 D. MANECKE (1972): Mission als Zeugendienst. Karl Barths theologische Begründung der Mission im Gegenüber zu den Entwürfen von Walter Holsten, Walter Freytag und Joh. Christian Hoekendijk, Wuppertal; W. SCOTT (1977): Die Missionstheologie Karl Barths, Gießen/Basel. 22 Vgl. aus dem katholischen Bereich: Th. KRAMM (1979): Analyse und Bewährung theo-

Einleitung

21

geschweige denn eine Zusammenarbeit beider Disziplinen findet kaum statt.23

4. Heunstisches

Raster

Es ist nicht ratsam, die zu behandelnden Systematiken anhand eines starren Schemas zu analysieren, da man auf diese Weise den Eigenintentionen der Entwürfe nicht gerecht würde. Im Laufe der Untersuchung zeigte sich vielmehr, daß den Eigenheiten der Dogmatiken mit einem flexiblen heuristischen Raster besser Rechnung getragen werden kann. Es besteht aus drei Leitfragen, denen von Fall zu Fall in verschiedener Reihenfolge nachgegangen wird. 1. Die hermeneutisch-offenbarungstheologische Frage: Am Anfang der Analysen steht zumeist die Frage, wie nach Ansicht der Systematiker a) die göttliche Offenbarung zu verstehen ist, und b) welcher Art das daraus resultierende Wirklichkeitsverständnis ist. Anders formuliert: Was sind die Verstehensbedingungen für »Offenbarung«, und welche Art theologischen Verstehens der Wirklichkeit im Ganzen und der Religionen im besonderen ergeben sich daraus? Daran schließt die nächste Frage direkt an. 2. Die religionstheologische Frage: Wie sind nach Maßgabe der Offenbarungserkenntnis die Religionen zu deuten? Beruhen auch sie auf Offenbarung? Sind es Wege zum Heil? Und: Wie ist das Verhältnis zwischen dem Christentum/dem Glauben/dem Evangelium und den Religionen zu bestimmen? Wo ist es zu bestimmen und von wem? Daraus ergibt sich: 3. Die dialogtheologische Frage: Da das Thema Dialog noch nicht auf der theologischen Tagesordnung von Systematikern der ersten Hälfte des Jahrhunderts steht, wird in diesem Zusammenhang allgemein nach den Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen missionarischer Begegnung, für die zweite Jahrhunderthälfte dann nach denen des Dialogs gefragt. Wie gestaltet sich die Begegnung/der Dialog? Handelt es sich um ein wechselseitiges Geschehen? Ist Lernen vom und Ernstnehmen des Fremden möglich?

logischer Modelle zur Begründung der Mission. Entscheidungskriterien in der aktuellen Auseinanderstzung zwischem einem heilsgeschichtlich-ekklesiologischen und einem geschichtlich-eschatologischen Missionsverständnis, Aachen; G . COLLET (1984): Das Missionsverständnis der Kirche in der gegenwärtigen Diskussion, Mainz. 23 In diesem Punkt ist David Bosch zuzustimmen: »We are in need of a missiological agenda for theology rather than just a theological agenda for mission [ . . . ] ; for theology, rightly understood, has no reason to exist other than critically to accompany the missio Dei.« [D.J. BOSCH (1991): Mission as Theology, in: ders.: Transforming Mission. Paradigm Shifts in Theology of Mission, Mary k n o l l / N e w York, 489-498, 494.

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Einleitung

Den Leitfragen entsprechend wird in einzelnen Teilen der Analyse jeweils vom Offenbarungs-, Religions- und Missions- bzw. Dialogverständnis zu handeln sein. Je nach Eigenart der Systematik werden aber auch andere theologische Zusammenhänge, z.B. die Soteriologie und vor allem Christologie und Ekklesiologie in die Analyse einbezogen werden müssen. Das heuristische Raster dient der Perspektivierung unserer Untersuchung. Es ermöglicht, die Systematiken von innen heraus auf eine Frage zu untersuchen, die sie sich zwar selbst nicht gestellt haben, zu deren Beantwortung sie jedoch beizutragen vermögen.

5. Aufljau der Untersuchung Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. In den Teilen eins und zwei werden jeweils fünf Entwürfe aus der ersten und zweiten Jahrhunderthälfte vorgestellt. Die Auswahl der Systematiken ergibt sich aus der Intensität, mit der den Themen Religion und Mission Aufmerksamkeit geschenkt wird. Am Ende beider Teile findet sich jeweils eine Zusammenfassung. In der Zusammenfassung des erstens Teils werden drei hermeneutisch-religionstheologische Modelle unterschieden. Ihnen werden dann die Entwürfe der im zweiten Teil behandelten Systematiker zugeordnet werden. Die Modelle sind als Typologie zu verstehen, die eine Orientierung im Dickicht der verschiedenen Meinungen und Ansätze ermöglichen soll. Im zweiten Teil der Untersuchung wird mit dem Ansatz von Michael von Brück ausnahmsweise auch ein missionstheologischer Entwurf vorgestellt. Das erscheint gerechtfertigt, da von Brück in Deutschland eine theologische Denkrichtung repräsentiert, die in anderen Staaten bisher weit mehr Beachtung gefunden hat. Erst mit diesem Ansatz erreicht unsere Analyse den gegenwärtigen Problemhorizont. Im dritten Teil werden zunächst unter Rückgriff auf die Untersuchungsergebnisse vier systematisch-theologische Problemstellungen skizziert, die unseres Erachtens für eine missionstheologische Neubesinnung von Bedeutung sind. In einem letzten Abschnitt sollen dann Aspekte eines neuen Missionsverständnisses diskutiert werden.

I. MISSION ZWISCHEN KONFRONTATION MIT DEN U N D »MISSIONARISCHEM VERSTEHEN« DER RELIGIONEN. SYSTEMATISCHE THEOLOGIE U N D MISSION IN DER ERSTEN HÄLFTE DES 20 JAHRHUNDERTS

Α Mission als Evangelisierung - Martin Kähler Nach den Worten von Ernst zur Nieden liegt hinsichtlich einer Theologie der Mission die besondere »Bedeutung Kählers [... ] darin, daß er Kritik und Ertrag des Missionsgedankens der systematischen Theologie seit Schleiermacher zusammenfaßte.«1 Man kann das Werk Martin Kählers im Blick auf sein Missionsverständnis demnach als einen Wendepunkt zur Theologie des 20.Jahrhunderts betrachten.

1. Der systematische Ort der Mission Kähler hat dem Thema Mission im zweiten Band seiner »Dogmatischefn] Zeitfragen« fünf ausführliche Kapitel gewidmet.2 Diese Passagen können als Zusammenfassung dessen gelten, was er bereits andernorts in Aufsätzen, Artikeln usw. zu diesem Thema veröffentlicht hatte.3 Kähler will Mission

1 Zum Missionsverständnis von Martin Kähler vgl. E. ZUR NIEDEN (1928): Der Missionsgedanke in der systematischen Theologie seit Schleiermacher, Gütersloh, 129-144, 144, im Original gesperrt Vgl. auch E. KRÜGER (1960): Martin Kählers Verständnis der christlichen Weltmission, in: Wesen und Aufgabe der Missionstheologie, Wuppertal-Barmen, 26-52; H . FÖRSTER (1961): Martin Kähler als Missionstheologe. Diss, theol., Göttingen. (Mschr.); J. FRANKE (1963): Ausbreitungsmotive in der deutschen evangelischen Missionstheologie bei Gustav Warneck, Martin Kähler, Ernst Troeltsch. Diss theol., Halle. (Mschr.), 109-143. 2 M. KAHLER (1908): Angewandte Dogmen. Der Dogmatischen Zeitfragen II. Band. Zweite gänzlich veränderte und vermehrte Auflage, Leipzig, 342-480. [zit.: D Z II ] 3 Vgl. H . FROHNES (Hrsg.) (1971): Martin Kähler, Schriften zu Christologie und Mission. Gesamtausgabe der Schriften zur Mission. Mit einer Bibliographie, München. Von beson-

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Systematische Theologie und Mission in der ersten Jahrhunderthälfte

nicht zu einem eigenständigen dogmatischen Lehrstück machen, da er es für nötig erachtet, die Missionsthematik in verschiedenen systematischen Zusammenhängen zu berücksichtigen. (DZ II, 341)

2. Der Missionsbegriff: Verbreitung des Evangeliums versus Propaganda Für Kählers Missionsbegriff ist das Verhältnis zwischen der Partikularität des Christusgeschehens und der Universalität des Missionsauftrages von grundlegender Bedeutung. Mission ist ein absichtsvolles Geschehen, »und ihre Absicht geht lediglich auf Verbreitung des Evangeliums, sie wird im Bewußtsein eines göttlichen Auftrages vollzogen und sie erkennt für ihre Umfassung keine Grenze an.«4 Mission hat es inhaltlich allein mit der Verbreitung des Evangeliums zu tun, nicht jedoch mit der Ausbreitung des Glaubens oder des Christentums. ( D Z II, 343) Den eigenen Glauben zu verbreiten, wäre gleichbedeutend mit der Weitergabe des eigenen Kirchentums, das Christentum zu verbreiten, würde die Weitergabe der damit verbundenen eigenen Kultur bedeuten. 5 Dem widerspricht Kahler mit dem Argument, daß dabei der Universalität der christlichen Botschaft nicht Rechnung getragen würde. Vielmehr handele es sich dabei um »Proselytismus«, worunter Kähler »Wiederholungen dessen, was man selbst ist« versteht. (DZ II, 347) Die Universalität der christlichen Botschaft gründet nach Kähler darin, daß der »Kern« des Christentums eine unwandelbare Größe ist. Gegen die Theologie des Kulturprotestantismus wendet er ein, daß man das Christentum nicht als eine Religion unter anderen und damit als eine geschichtlich wandelbare Größe verstehen könne. Vielmehr müsse Mission die Unterscheidung von Kultur und Evangelium fest im Blick behalten, damit das Evangelium nicht durch kulturelle Überformung verfälscht werde. 6

derer Bedeutung sind die Aufsätze »Der Menschensohn und seine Sendung an die Menschheit« (3-43) [zit.: M], »Die Bedeutung der Mission für Leben und Lehren der Kirche« (68-97) [zit.: B] und »Evangelisation der Welt - Gottes Wille« (98-104) [zit.: Е]. 4 D Z II, 348. - Kähler nimmt in diesem Zusammenhang August Hermann Franckes Gedanken auf, daß der Inhalt der Mission allein das Evangelium ist. 5 Insbesondere der römisch-katholischen Kirche wirft Kähler in diesem Zusammenhang vor, nicht das Evangelium, sondern den eigenen Glauben verbreiten zu wollen. Allerdings findet Kähler auch kritische Worte zum protestantischen Konfessionalismus. (DZ II, 347) 6 D Z II, 349. - Das könnte z.B. dadurch geschehen, daß das Evangelium bei seiner Ausbreitung in einer neuen Umwelt mehr und mehr die Gestalt der dortigen Kultur annimmt. Bei völliger Deckungsgleichheit von Evangelium und Kultur bestünde die Gefahr, daß sich ein solches Christentum für das allein verbindliche ausgeben würde.

Mission als Evangelisierung - Martin Kahler

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Dort, wo nicht zwischen einem bestimmten kulturell geprägten Christentum und dem Evangelium unterschieden werde, da man glaubt, mit dem einen auch das zweite zu bringen, solle man nach Kähler von »Propaganda« sprechen. Wird nämlich das Christentum als eine geschichtlich wandelbare Größe verstanden, dann erscheint es als legitim, den jeweils erreichten Zustand einer christianisierten Kultur als Ausdruck des Evangeliums zu verstehen und in dieser Form weiter zu verbreiten. Obwohl Kähler Propaganda in diesem Sinne ablehnt, ist er sich dennoch bewußt, daß es sich bei dem Begriffspaar von Mission und Propaganda um eine Unterscheidung handelt, deren Grenzen fließend sind. (DZ II, 348) Das liegt darin begründet, daß viele Missionare nicht anders können, als das Bekenntnis, dem sie sich verpflichtet fühlen, für evangeliumsgemäß zu halten. Sie vermögen es nicht, sich außerhalb ihres Bekenntnisses zu stellen, selbst wenn sie es wollten. Daher können sie bestenfalls die Begrenztheit der eigenen Konfession anerkennen und versuchen, diese Begrenztheit in ihrer Praxis zu berücksichtigen, d.h. in der Missionsarbeit ihre eigene kulturelle Bedingtheit vom Evangelium zu unterscheiden und möglichst nur letzteres weiterzugeben. 7 Die Frage, wie das möglich sein soll, wird von Kähler allerdings nicht beantwortet. Halten wir fest: Mission als Verbreitung des Evangeliums kann ihren Auftrag nur dann recht ausführen, wenn sie sich der dem Evangelium eigenen Universalität verpflichtet weiß.

3. Der Grund der Mission Die Universalität des Evangeliums gründet im Sendungsauftrag des auferstandenen Christus. 8 Gott hat sich in Jesus Christus geoffenbart, weshalb 7 Andererseits kann eine oberflächliche Christianisierung in der Praxis der Mission manchmal gar nicht verhindert werden, da solche Vorgänge - ζ. B. Massenbekehrungen bisweilen eine solche Eigendynamik entwickeln, daß die Missionare sie nicht mehr zu steuern vermögen. Dennoch oder gerade deshalb hält Kähler die bleibende Unterscheidung von Mission und Propaganda für notwendig. (DZ II, 348 f.) - Keinesfalls handelt es sich jedoch, wie Franke fälschlicherweise annimmt, um »zwei sich gegenseitig ergänzende Größen.« [J. FRANKE (1963): Ausbreitungsmotive, 129.] Ziel bleibt für Kähler allein die Mission. Propaganda hingegen könnte man allenfalls als ein »notwendiges Übel« bezeichnen. Franke übersieht, daß Kähler sehr wohl davon ausgeht, daß es Mission im strengen Sinne des Wortes geben kann, ohne daß es dazu der Propaganda bedarf. 8 Der Auferstandene spricht diesen Auftrag kraft seines königlichen Amtes aus. »Die Unterlage [sc. des weltumfassenden Auftrages] bildet die Vergewisserung seiner königlichen Macht und seiner wirksamen Gegenwart zugleich mit der Verheißung der Sendung seines Geistes.« (M 26 f.) Die Jünger nehmen darin jedoch gleichzeitig am prophetischen Amt Jesu Christi teil, als »vermittelter« prophetischer Tätigkeit des Herrn. (B 72) In ihnen wirkt der Auferstandene selbst, was bedeutet, daß sie an seiner Sendung teilnehmen. »Die Heidenmis-

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Systematische Theologie und Mission in der ersten Jahrhunderthälfte

die Worte des Auferstandenen den Willen Gottes kundtun. (DZ II, 368) Kähler macht jedoch deutlich, daß der Sendungsauftrag nicht wie ein Nachtrag zur Geschichte Jesu Christi aufzufassen ist, sondern aufs engste mit der Christologie zusammenhängt: In Jesus Christus offenbarte Gott seinen Liebes- und Versöhnungswillen.

3.1 Universalität durch Partikularität: Liebe und Versöhnung Inhalt des göttlichen Willens ist die Liebe. Liebe ist jedoch kein Prinzip oder Ideal, sondern sie ist als ein Geschehen zwischen zwei Personen im höchsten Maße individuell Liebe kann nur in persönlicher Begegnung geweckt werden. Somit ergibt sich aus dem Inhalt des göttlichen Willens die Form seiner Offenbarung: Gott wurde Mensch, und er mußte es werden, denn Liebe kann nur individuell, und d. h. partikular, in Form einer Person in die Menschenwelt gelangen.9 Obwohl aber die Liebe ein individuelles Geschehen ist, hat sie zugleich universalen Charakter, denn Liebe hört nicht an einem bestimmten Punkte auf, sondern sie geht als überströmende Liebe auf das Ganze, zielt also letztlich auf jeden einzelnen Menschen. 10 In der Offenbarung von Gottes Liebeswillen in Jesus Christus entsprechen sich Inhalt und Form. Da Liebe zugleich partikularen und universalen Charakter hat, sucht Gottes Liebeswille durch die partikulare Individualität Jesu Christi hindurch jeden Menschen zu erreichen. Der Liebeswille Gottes zielt in der Geschichte Jesu Christi auf das Kreuzesgeschehen, durch das Jesus Christus den Menschen die Vergebung der Schuld vermittelt. Versöhnung als Ausdruck der Liebe ist also die zweite Dimension des göttlichen Willens. Auch die Versöhnung hat universalen Charakter, denn wenn der Tod Jesu Christi zur Sündenvergebung geschah, Tod und Sünde jedoch jeden Menschen betreffen, dann gilt die im Kreuzesgeschehen ermöglichte Versöhnung jedem Menschen gleichermaßen.

sion ist das Vermächtnis des auferstandenen Heilands an seine erwählten Sendboten und Apostel zur Durchführung seiner eigenen Sendung an die Menschheit.« (B 69) 9 DZ II, 372. - Diese Tatsache ist auch offenbarungstheologisch bedeutsam: a) Nur aus der Gottesbeziehung heraus, die eine Beziehung von Person zu Person ist, und durch die die (nachgeordnete) Weltbeziehung des Menschen geprägt wird, kann der Mensch von Gott reden. Darum sandte Gott seinen Sohn, b) Daraus folgt die Exklusivität der Offenbarung: Gott will seinen Namen an das höchst partikulare Geschehen der Geschichte, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi gebunden wissen. (Vgl. H.-P. GÖLL (1991): Versöhnung und Rechtfertigung. Die Rechtfertigungslehre Martin Kählers, Giessen/Basel, 104 f.) 10 »Der Universalismus der Liebe geht auch für Gott selbst durch den Individualismus und in dieser notwendigen Erscheinungsform tritt er uns in Jesu Leben entgegen. Weil Jesu Lieben jeden erfaßte, der in seinen Wirkungskreis geriet, so konnte es nicht bei etwelchen stehen bleiben; es mußte seiner Abzielung nach überhaupt allen gelten«. (DZ II, 366)

Mission als Evangelisierung - Martin Kahler

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( M 22 f.) Zeugen dieses göttlichen Liebes- und Versöhnungswillens sind vor allem Johannes und Paulus: »Zwei Zeugen vor andern hat der König im Reiche der Wahrheit zu allzeit fortwirkenden Auslegern des göttlichen Willens in unvergänglichem Schrifttume gemacht. D e r vierte Evangelist bezeugt in der Liebeshandlung Jesu die weltumspannende Liebe Gottes. D e r Heidenlehrer bezeugt die in Christo vollzogene Versöhnung der Welt.« 1 '

Die Universalität der christlichen Botschaft und Sendung gründet demnach in der Universalität von Gottes Liebes- und Versöhnungswillen. Kahler verweist jedoch auch darauf, daß schon in der Sendung des irdischen Jesus ein unverkennbar universalistischer Zug zu beobachten ist. Er versucht nachzuweisen, daß sich bereits der »Beruf« des irdischen Jesus auf die Menschheit bezogen habe. 12 Der Beruf werde jedoch erst durch den universalen Sendungsauftrag vollendet, den der Auferstandene seinen Jüngern aufgetragen hatte.

3.2 Missionspflicht

und

Missionstrieb

Entsprechend dem Liebes- und Versöhnungswillen Gottes empfindet der Christ einen inneren Trieb zur Mission, andererseits aber auch eine Verpflichtung. 13 D a ß der Mensch sich durch das Christusgeschehen mit Gott 11 D Z II, 367. - Merkwürdigerweise ist keine der oben genannten Arbeiten (vgl. Anm. 1) auf diese doppelte Begründung der Mission im Willen Gottes als Liebe und Versöhnung eingegangen. 12 Zwar konnte er zunächst nur auf dem Boden des jüdischen Gottesglauben recht verstanden werden (M 14), seinem Wesen, Reden und Handeln nach war er jedoch unjüdisch (M 16-19). Kahler verweist unter anderem darauf, daß Jesus a) den Sabbat nicht als Bundeszeichen, sondern als von Gott für das Wohl des Menschen gedacht behandelt Nicht der Bund, sondern die Schöpfung stellt hier den Bezugsrahmen seines Handelns dar. Aber auch b) die Bildlichkeit der Reden Jesu trägt einen seiner Zeit fremden, universalen Zug (M 16 f.). c) Jesu Reden und Handeln hatte nicht das Volk der Juden zum Ziel, sondern jeden Menschen. Deshalb auch bediente sich der irdische Jesus des Ausdruckes »Menschensohn«, um eine Identifizierung seiner Person mit einer jüdischen Messiasvorstellung zu vermeiden. Erst nachdem die Bezeichnung Menschensohn durch das Reden und Handeln Jesu ein Begriff geworden war, identifizierte er sie mit dem Messiasnamen, wodurch der Ausdruck »Christus« von seinem jüdischen Hintergrund gelöst worden sei.(M 10) Schließlich habe d) sein Kreuzestod zum Bruch mit seinem Volk geführt (M 15, 22), umgekehrt aber alle Menschen in das Versöhnungshandeln Gottes einbezogen. Weil sich der Beruf des irdischen Jesus auf die ganze Menschheit bezog, wird er erst in der Sendung der Jünger durch den auferstandenen Christus vollendet 13 Das »Evangelium enthält die Forderung der Mission; die Menschliebe drängt zu ihrer Ausführung.« (DZ II, 350) An anderer Stelle wird noch stärker akzentuiert: »die Wurzel alles wirklichen Missionstriebes [ist ... ] die >Überwältigung< durch das Evangelium und die ihr entstammende >LeutseligkeitErlösungdie Situationen ein Wort mitzureden habenchristliche Präsenz< unter den Anhängern der Fremdreligionen und wechselseitiger religiöser Austausch mit ihnen im Dialog als Ersatz für die zur Bekehrung drängende Verkündigung des Evangeliums seien, statt allein eine gute Form missionarischer Anknüpfung.« [Frankfurter Erklärung zur Grundlagenkrise der Mission, neu abgedruckt in: P. BEYERHAUS (1987): Krise und Neuaufbruch der Weltmission. Vorträge, Aufsätze und Dokumente, Bad Liebenzell, 3-9, 8.] Das Subordinationsmodell wurde besonders von der frühen »Lausanner Bewegung« ver-

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

145

rität schließlich kommt es zu einer differenzierten Zuordnung beider Begriffe. Mission und Dialog werden als sich gegenseitig befruchtende und korrigierende Ausdrücke christlicher Existenz verstanden. Ergänzend könnte man dieser Einteilung noch einzelne theologische Entwürfe im Umfeld der »Pluralistischen Religionstheologie« als viertes Modell zur Seite stellen.34 Man könnte es ein Modell der Identifizierung nennen. Dialog wird nicht mehr als Teil oder Aspekt der Mission, sondern Mission wird als Dialog verstanden. Die Unterschiedenheit beider Begriffe wird durch eine Umwertung des Missionsbegriffes aufgehoben: In der Mission gehe es nicht mehr um Konversion im Sinne von Religionswechsel, sondern um die Vertiefung der je eigenen Wahrheit der Dialogpartner. Die Begriffe Mission und Dialog werden dadurch letztlich deckungsgleich. Bemerkenswert ist, daß die Systematische Theologie auch von dieser Debatte fast gänzlich unberührt geblieben ist. Es finden sich Hinweise dazu lediglich in drei Systematiken. Sie sind allesamt dem Komplementaritätsmodell zuzuordnen. Da wir die Frage von Mission und Dialog im Zusammenhang unserer Grundfrage nach dem Verhältnis von Mission und dem Verstehen des Fremden behandeln und als Ordnungsprinzip eine Typologie verschiedener Religionsbegriffe gewählt haben, bietet es sich an, dieses Ordnungsprinzip auch auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg anzuwenden. Dadurch wird eine methodische Einordnung möglich, anhand derer erkennbar wird, welche Fortschritte in der Systematischen Theologie hinsichtlich der Frage nach dem Verhältnis von Mission und Verstehen des Fremden erzielt wurden.

5. Zur methodischen

Einordnung

Wir haben einen »induktiv-inklusiven«, einen »dialektisch-dualen« und einen »deduktiv-diastatischen« Religionsbegriff unterschieden. Diese drei Grundmodelle, die sich mit den Namen Troeltsch, Althaus und Barth verbinden, finden sich in abgewandelter Form auch bei Systematikern der treten. Vgl. dazu auch G. GASSMANN, H . MEYER, G.J. ANSONS (Hgg.) (1976): Neue transkonfessionelle Bewegungen. Dokumente aus der evangelikalen, aktionszentrierten und der charismatischen Bewegung, Frankfurt/M. M Im deutschsprachigen Bereich ist hier vor allem Michael von Brück zu nennen. Vgl. M. VON BRÜCK (1979): Möglichkeiten und Grenzen einer Theologie der Religionen, Berlin (Ost); DERS. (21987): Einheit der Wirklichkeit. Gott, Gotteserfahrung und Meditation im hinduistisch- christlichen Dialog, München; DERS. (1987 a): Dialog der Religionen, Bewußtseinswandel der Menschheit, München; DERS. (1988): Müssen Wahrheiten sich ausschließen? Christlich-buddhistische Begegnung und Annäherung, in: LM (27), 554-557. Aus dem katholischen Bereich vgl. Т н . MOOREN (1991): Auf der Grenze - Die Andersheit Gottes und die Vielfalt der Religionen, Frankfurt a. M . / B e m / N e w York/Paris.

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Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

induktivinklusiv

dialektischdual

deduktivdiastatisch

1900-ca. 1950

Troeltsch Tillich

Althaus (Brunner)

Barth (Diem, Weber)

1950-ca. 1995

Pannenberg

Thielicke (Ebeling)

Moltmann (Kreck, Kraus)

kein Religionsbegriff

von Brück Marquardt

Abb. 1: Methodische Einordnung

zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Sie werden von Pannenberg, Thielicke und Moltmann vertreten, (s. Abb. 1) Natürlich ließen sich auch andere Systematiken diesen Modellen zuordnen. Diesbezüglich eine vollständige Übersicht zu bieten, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Den drei Modellen ließe sich als viertes Modell der Verzicht auf einen allgemeinen Religionsbegriff hinzufügen. Es handelt sich um den Versuch, aus dem Dialog heraus eine »dialogische Theologie« zu entwickeln. Dieser Ansatz wird in der systematischen Theologie von F.-W. Marquardt auf dem Hintergrund des jüdisch-christlichen und vom Münchener Missionstheologen Michael von Brück auf dem Hintergrund des hinduistisch-christlichen Dialogs vertreten. Im folgenden Teil werden zunächst die Systematiken von Pannenberg, Thielicke und Moltmann behandelt. Im jeweils letzten Abschnitt, der kritischen Würdigung, werden wir dabei kurz auf den gedanklichen Fortschritt gegenüber den ihnen zugeordneten Entwürfen aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts hinweisen. Nach der Darstellung der Ansätze von von Brück und Marquardt sollen Ergebnisse zusammengefaßt und kritische Anfragen formuliert werden. Im letzten Teil (IV. Ausblick) sollen dann im Anschluß an die Studie »Religionen, Religiosität und christlicher Glaube« und unter Rückgriff auf neuere Erkenntnisse systematischer Theologie weiterführende Überlegungen dazu angestellt werden, wie eine Theologie der Mission theologisch begründbar ist, die dem Anliegen missionarischer Verkündigung und dem Verstehen des Fremden gleichermaßen Rechnung trägt.

A Dialog als Mission? - Wolfhart Pannenberg

1. Hermeneutischer

Ansatz

Wolfhart Pannenberg behandelt im ersten Band seiner »Systematischen Theologie« das Thema der Religionen im Zusammenhang der Gotteslehre. 1 Er führt damit Grundgedanken aus, die er, zusammen mit Ulrich Wilckens, sowie Trutz und Rolf Rendtorff, erstmalig 1961 in dem programmatischen Aufsatzband »Offenbarung als Geschichte« vorgetragen hat. Grundlegend 1 Vgl. W. PANNENBERG ( 2 1963) (Hrsg.): Offenbarung als Geschichte, in Verbindung mit R. Rendtorff, U. Wilckens, T. Rendtorff hrsg. von W. Pannenberg, 2. Auflage mit einem Nachwort, Göttingen; darin: Einführung 7-14, Dogmatische Thesen zur Lehre von der Offenbarung 91-114, Nachwort 132-148 [zit.: O a G ] ; DERS. (1988-93): Systematische Theologie, Bd. 1 - 3 Göttingen [zit.: ST I-III]. Zur Hermeneutik Pannenbergs vgl. DERS. ( 2 1971 b): Hermeneutik und Universalgeschichte, in: Grundfragen systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze. Zweite, durchges. Aufl., Göttingen, 91-122. - Zum Religionsbegriffvgl. W. PANNENBERG ( 2 1963) (Hrsg.): Offenbarung als Geschichte, o.a. 7-14; 91-114; 132-148; DERS. ( 2 1971a): Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte, in: Grundfragen systematischer Theologie, o.a., 252-295 [zit.: ETR]; DERS. (1987): Religion und Religionen. Theologische Erwägungen zu den Prinzipien eines Dialogs mit den Weltreligionen, in: A. Bsteh (Hrsg.), Dialog aus der Mitte christlicher Theologie, Mödling, 179-196 [zit.: RuR]; DERS. (1987 a): Wissenschaftstheorie und Theologie, F r a n k f u r t / M . [zit.: WuT]; DERS. (1989): Die Religionen als Thema der Theologie. Die Relevanz der Religionen für das Selbstverständis der Theologie, in: T h Q (169), 99-110; DERS. (1990): Religious Pluralism and Conflicting T r u t h Claims. T h e Problem of a Theology of the World Religions, in: G. D'Costa (Hrsg.), Christian uniqueness reconsidered: the myth of a pluralistic theology of religions, M a r y k n o l l / N e w York, 96-106; DERS. (1992): Die Religionen in der Perspektive christlicher Theologie und die Selbstdarstellung des Christentums im Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen, in: ThBeitr (22), 305-316; DERS. (1992 a): Notwendigkeit und Grenze der Inkulturation des Evangeliums, in: G. Müller-Fahrenholz u.a. (Hgg.), Christentum inm Lateinamerika - 500 Jahre seit der Entdeckung Amerikas, Regensburg, 140-154. Zur Ekklesiologie Pannenbergs vgl. DERS. (1971): Reich Gottes und Kirche, in: ders., Theologie und Reich Gottes, Gütersloh, 31-61, 57 f. [zit.: RGuK]; DERS. (1971): Die Kirche und das eschatologische Gottesreich, in: Carl E. Braaten, Avery Dulles und Wolfhart Pannenberg: Kirche ohne Konfessionen? Sechs Aspekte ihrer künftigen Gestalt, München, 119-135 [zit.: KueG]; DERS. ( 2 1974): Thesen zur Theologie der Kirche, 2. durchges. Auflage, München [zit.: T T K ] ; DERS. (1977): Die Bedeutung der Eschatologie für das Verständnis der Apostolizität und der Katholizität der Kirche, in: ders., Ethik und Ekklesiologie. Gesammelte Aufsätze, Göttingen, 219-240 [zit.: BdE]; DERS. (1977 a): Einheit der Kirche und Einheit der Menschheit, in: ders., Ethik und Ekklesiologie, o.a., 316-333; DERS. (1982): Reich Gottes, Kirche und Gesellschaft in der Sicht systematischer Theologie, in: Franz Böckle u.a. (Hrsg.): Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Freiburg u.a., 119-135 [zit.: R G K ] ; DERS. (1991): T h e present and future church, in: First Things no. 17, 47-51.

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Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

für Pannenbergs Ansatz ist, daß es keine Unterscheidung zwischen Prolegomena und eigentlicher Dogmatik gibt. Das Kapitel »Die Wirklichkeit Gottes und der Götter in der Erfahrung der Religionen« steht vor dem Kapitel »Die Offenbarung Gottes«. Letzteres wird im Zusammenhang des ersteren entwickelt. Die Frage nach der göttlichen Offenbarung steht also in unmittelbarem Zusammenhang mit aus dem Studium der Religionsgeschichte gewonnenen Beobachtungen und Erkenntnissen. Pannenberg legt Wert auf die Feststellung, daß der Übergang, den er hier dogmatisch nachvollzieht, nämlich der Ubergang von den vielen Offenbarungsvorstellungen in den Religionen zum »Thema der Offenbarung der Gottheit des Gottes Israels als des einen Gottes aller Menschen« in der Religionsgeschichte stattgefunden habe, und nicht etwa Interpretament heutiger Theologie sei. (I, 214) In diesem Geschehen der Religionsgeschichte findet göttliche Offenbarung statt. Was genau versteht Pannenberg aber unter »Offenbarung«? Grundlegend ist für ihn der Gedanke, und darin ist er sich mit Barth einig, daß es sich in Gottes Offenbarung um seine Se/fetoffenbarung handelt. Als solche ist sie einzigartig. Im Unterschied zu Barth und Bultmann geht Pannenberg jedoch davon aus, daß das Medium der Offenbarung nicht primär das Wort Gottes, also eine direkte Selbstoffenbarung ist, sondern die Geschichte. In der Geschichte ereignet sich Gottes Selbstoffenbarung auf indirekte Weise. Wenn Gott sich in der Geschichte offenbart, dann sind historische Tatsachen - auf die sich nach Barth und Bultmann der Glaube gerade nicht stützen darf - für den Glauben bedeutsam. Das Wort Gottes verliert gegenüber der Geschichte seine Bedeutung für den Offenbarungsvorgang nicht völlig, vielmehr hat es deutende Funktion. Die Geschichtstatsachen als solche aber sind, so behauptet Pannenberg, allen Menschen, die sich vorbehaltlos darauf einlassen, als Gottes Offenbarung potentiell erkennbar. Hinsichtlich des Glaubens ist es also nicht primär das kerygmatische Wort, das den Menschen zur Entscheidung ruft und dadurch Glauben wirkt. Die bevorzugte theologische Sprachform ist vielmehr der Aussagesatz. Im Glauben geht es einerseits darum, historische Tatsachen als Offenbarung Gottes für wahr zu halten, andererseits um Vertrauen. 2 Indem der Glaube sich auf Offenbarung als Geschichte gründet, behauptet er eine Wahrheit, über deren Gültigkeit man streiten kann, weil Glaube kommunikabel und - bis zu einem gewissen Grade - nachprüfbar ist.

2 »Glaube ist eine Form des Sichverhaltens zur Wahrheit, darin der Erkenntnis und dem Wissen vergleichbar. [ . . . ] Wie Wahrheit im Sinne von emet das Beständige und daher verläßliche meint, auf das man bauen kann, so bezeichnet he'emin das Vertrauen, das sich in dem von sich aus Beständigen festmacht, um dadurch für den Vertrauenden selber Festigkeit und Bestand zu gewinnen.« (ST III, 156 ff., 156.)

Dialog als Mission? - Wolfhart Pannenberg

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1.1 Offenbarung als Geschichte Wenn sich Gott im Medium der Geschichte offenbart, dann in der ganzen Geschichte und also auch in den Religionen. Da in den Religionen aber verschiedene Götter mit verschiedenen Ansprüchen auf göttliche Wahrheit verehrt werden, ist die göttliche Wahrheit zwischen den Religionen strittig. Eine Entscheidung darüber, welche Religion letztlich die wahre Religion ist, kann nach dem Offenbarungsbegriff von Pannenberg erst mit dem Ende der Geschichte gefällt werden, da das durch die Geschichte vermittelte Offenbarungsgeschehen bis dahin noch im Gange ist. Aus dem Faktum, daß der Ausgang der Geschichte noch offen ist, resultiert für Pannenberg das gleiche theologische Problem, wie wir es schon bei Troeltsch beobachten konnten: Das Ende der Geschichte ist uns Menschen, die wir in unserer Endlichkeit in der Geschichte stehen, nicht erreichbar, geschweige denn einsehbar. Die letztgültige Wahrheit zu kennen, ist uns demnach nicht möglich. Wie also kann die christliche Wahrheit als die letztgültige behauptet werden? 1.2 Der christliche

Wahrheitsbegriff

Mit dem Programm »Offenbarung als Geschichte« wird behauptet, daß Menschen die Offenbarung Gottes grundsätzlich zu erkennen vermögen. Aus diesem Grunde ist der von den Religionen behauptete Wahrheitsanspruch der von ihnen vertretenen Offenbarungen strittig. Diese Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes muß, da Gott aus christlicher Sicht als der Schöpfer dieser Welt verstanden wird, in ihm seinen letzten Grund haben. Deshalb muß von Seiten der Christen die Strittigkeit ernstgenommen werden.3 Für christliche Wahrheitsbehauptungen folgt daraus, daß, obwohl christliche Theologie und christlicher Glaube von der bestimmten Voraussetzung ausgehen, Gott habe sich in Jesus Christus letztgültig offenbart, sie die von ihnen behauptete Wahrheit nicht von vornherein als affirmative Behauptung in die Auseinandersetzung um die göttliche Wahrheit einbringen können und dürfen. Christliche Wahrheitsbehauptungen müssen vielmehr immer wieder aufs neue geprüft werden.4 Theologisch bedeutet das, daß 3 » S o g a r noch die Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes in der W e l t muß in G o t t begründet sein, wenn er der Schöpfer dieser Welt sein soll. Darum darf die Darstellung der christlichen Lehre nicht von der Voraussetzung ihrer Wahrheit ausgehen, sondern muß sich [ . . . ] der Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung in der Welt stellen.« ( S T I, 5 9 ) 4 »Zur rationalen Vergewisserung des Glaubens über die allgemeingültige Wahrheit seines Inhalts kann es nur dann kommen, wenn die Erörterung darüber in voller Offenheit geführt wird, ohne daß Versicherungen privaten Engagements eingeführt werden, wo etwa die Argumente ausgehen. G e r a d e der Christ sollte dem Inhalt seines Glaubens so viel zutrauen, d a ß seine götdiche W a h r h e i t aus diesem Inhalt selber einzuleuchten vermag und keiner vorgängigen Sicherstellung bedarf.« ( S T I, 61 f.)

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die Strittigkeit von Wahrheitsbehauptungen, eine gängige Welterfahrung nicht nur der Christen, mit dem von ihnen behaupteten Gottesbild - als Schöpfer ebendieser Welterfahrung - übereinstimmt. Ihr Gott bewährt sich an ihrer Welterfahrung, was als Erweis seiner Gottheit betrachtet werden kann. Darüber hinaus ist mit der Bejahung der Strittigkeit von Wahrheitsbehauptungen der Erfahrung der Endlichkeit menschlicher Erkenntnis Rechnung getragen. Die christliche Wahrheit hat teil an der Endlichkeit menschlichen Wissens und an seiner Zeitgebundenheit. Wenn sich Gott jedoch in der Geschichte offenbart, kann die endgültige Wahrheit erst mit dem Ende der Geschichte erkannt werden. Pannenberg stellt heraus, daß Menschen grundsätzlich Dingen Bedeutung und Wahrheit auf dem Hintergrund eines Sinnganzen zusprechen, das als Deutungsrahmen fungiert. Ein Sinnganzes ist aber nicht objektiv konstatierbar, vielmehr antizipieren Menschen gewohnheitsmäßig die Zukunft, um innerhalb dieses Rahmens Behauptungen aufzustellen. Diese Vorgriffe werden später durch neue Erfahrungen ständig modifiziert. Die Behauptung der christlichen Wahrheit ist nun dadurch ermöglicht, daß sich in der Auferstehung Jesu Christi das Ende der Geschichte vorwegereignet hat. Von dieser Prolepse her wird das Ganze der Geschichte überschaubar und verstehbar. Christen wissen um das Ende und Ziel der Geschichte und verstehen in diesem Rahmen die Geschichte, das Sterben und Auferstehen Jesu Christi als die letztgültige Wahrheit. Solange dieses in der Auferstehung vorweggenommene Ende der Geschichte aber nicht allen Menschen offenbar ist, haben die christlichen Wahrheitsaussagen hypothetischen Charakter. 5 Das bedeutet nach Pannenberg jedoch nicht, daß sie nicht auch assertorisch sind. Daß christliche Wahrheitsbehauptungen zugleich hypothetischen und assertorischen Charakter haben, resultiert aus ihrer christologischen Bestimmtheit Sie beziehen sich einerseits auf das »Doch schon« der Vorwegereignung des Endes der Geschichte in der Auferstehung Jesu Christi. Auf dieses Ereignis hin wagen Christen ihre Wahrheitsbehauptungen. Andererseits stehen sie im »Noch nicht« der unvollendeten Geschichte und damit der noch nicht vor aller Augen zur Erscheinung gekommenen göttlichen Offenbarung. Daher der hypothetische Charakter christlicher Aussagen. Diese

5 » D i e Möglichkeit, daß die >These< der Behauptung vom Hörer oder Leser [ . . . ] als allererst noch zu prüfende und allenfalls bis auf weiteres zu unterstellende, eben als H y pothese« behandelt werden kann, ist geradezu Bedingung dafür, daß eine Äußerung als Behauptung über einen von der Äußerung und dem sich äußernden Subjekt verschiedenen Sachverhalt ernst genommen werden kann. Wenn die Aussagen des Glaubens auf der Ebene der Reflexion als hypothetisch behandelt werden, dann steht das also in keinem Widerspruch zu ihrem assertorischen Charakter.« ( S T I, 68)

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Spannung ist für Pannenberg jedoch kein Manko, sondern gerade die Stärke der christlichen Wahrheitsbehauptungen, da sie die Veränderungsfähigkeit der christlichen Wahrheit begründet. Durch diese Veränderungsfähigkeit jedoch ist das Christentum im Streit der Religionen um die göttliche Wahrheit den anderen gegenüber im Vorteil. Wir werden auf diesen Gesichtspunkt zurückkommen. Für das Verhältnis von assertorischem und hypothetischem Charakter einer Aussage gilt unter hermeneutischem Gesichtspunkt, daß es einerseits nur bei einer Wahrheitsbehauptung, deren Wahrheitsanspruch in seiner Allgemeingültigkeit über eine bloße Gemütsäußerung hinausgeht, sinnvoll ist, diese zu prüfen (assertorisch). Zum anderen ist ihr gleichzeitig hypothetischer Charakter Bedingung der Möglichkeit, andere Aussagen überhaupt zu prüfen und seine eigenen prüfen zu lassen. Nur durch diesen Doppelcharakter der Aussagen ist eine wirkliche Auseinandersetzung möglich. Assertorischer und hypothetischer Aspekt von Aussagen sind im Gespräch jedoch nicht immer gleichzeitig und gleichwertig gegeben. Pannenberg unterscheidet hier zwischen Sprecher und Hörer. »Im Akt des Behauptens wird zumeist ganz unreflektiert die Wahrheit des Behaupteten in Anspruch genommen. Erst der Hörer oder Leser unterscheidet zwischen der Behauptung und der Frage, ob sie auch wahr sei.« (ST I, 68) Im Behaupten überwiegt der assertorische, im Hören der hypothetische Aspekt. Um dem Verdacht zu wehren, daß in einer solchen Auseinandersetzung »die rationale Argumentation selber zur Entscheidungsinstanz für (oder gegen) die Wahrheit des Glaubens« wird, behauptet Pannenberg, der Mensch verfüge in seinen Urteilen nicht über die Wahrheit, sondern er setze sie bereits (wenn auch unbewußt) voraus. Der Mensch versucht in der Wahrheitssuche, der Wahrheit zu entsprechen. Er bemüht sich dabei, die »Kohärenz und Einheit alles Wahren« nachzuvollziehen. (I, 62 f.) Da ihm also die Wahrheit vorausliegt, ist sie ihm letztlich nicht verfügbar. Diese Feststellung ist notwendig, wenn anders es in der Wahrheitssuche um die Wahrheit der göttlichen Offenbarung gehen soll, die, gerade weil sie »Offenbarung« ist, sich dem Menschen ereignet, ihm aber in keiner Weise zu Gebote steht. 1.3 Theologie der Religionen Weil für Pannenberg die ganze Geschichte Medium der Offenbarung Gottes ist, verwundert es nicht, daß er unter »Theologie« ganz allgemein die »Wissenschaft von Gott versteht« (WuT 299 ff.) und für eine »Theologie der Religionen« als »Grunddisziplin der Theologie überhaupt« (WuT 418) plädiert. Christliche Theologie in diesem Sinne kann wissenschaftsorganisatorisch nur als Unterfach einer Theologie der Religionen erscheinen, weil

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ihre Wahrheitsbehauptungen im Zusammmenhang der allgemeinen Religionsgeschichte ihren Ort haben, hier ihre Plausibilität behaupten und ihre Wahrheit bewähren. Exkurs: Pannenbergs Vorschlag zur Etablierung eines Faches »Theologie der Religionen« im theologischen Lehrbetneb Hinsichtlich der Frage, wie dieser Auseinandersetzung der Wahrheitsansprüche der Religionen in der akademischen Theologie am besten Rechnung getragen werden kann, hat Pannenberg in »Wissenschaftstheorie und Theologie« zur Organisation des Wissenschaftsbetriebes einige Ausführungen gemacht. (WuT 299-442) Nach seiner Sicht stellen sich theologische Aussagen »als Hypothesen über die Sinntotalität der Erfahrung dar, aber erstens unter dem Gesichtspunkt der alles Gegebene in seiner noch unvollendeten Totalität letztlich bestimmenden Wirklichkeit und zweitens im Hinblick darauf, wie sich diese göttliche Wirklichkeit im religiösen Bewußtsein bekundet hat.« (WuT 344) Alle Religionen von Gegenwart und Vergangenheit sind hinsichdich ihrer theologischen Aussagen zu untersuchen und miteinander zu vergleichen. Als »Fundamentaldisziplin« könnte sich an der Universität ein neu zu schaffendes Fach »Theologie der Religionen« mit diesem Gegenstand beschäftigen. (WuT 361) »Christliche« Theologie wäre ein Unterfach, welches durch seinen besonderen Gegenstand, die chrisdichen Uberlieferungen, gekennzeichnet wäre. U m der »Strittigkeit« der Wahrheitsansprüche willen, die die einzelnen Religionen vertreten, muß das Studium der Religionen von eingebrachten eigenen (in diesem Falle chrisdichen) Vorurteilen möglichst frei sein. Pannenberg bedauert in diesem Zusammenhang, daß das Fach »Religionswissenschaft« in Deutschland im Zuge der Etablierung des Faches »Missionswissenschaft« an den Universitäten eingeführt wurde. Er unterstellt, daß in »dieser Verbindung [ . . . ] das Studium der nichtchrisdichen Religionen unvermeidlich eingeengt [wird] auf die Erfordernisse chrisdicher Missionsinteressen [ . . . , da die] Kenntnis dieser Religionen Voraussetzung erfolgreicher chrisdicher Mission ist« (WuT 364) Die Thematisierung der Religionen im Zusammenhang der Missionswissenschaft sei eher Mittel zum Zweck, woraus eine Bevorzugung der gegenwärtigen Religionen resultiere, da man es in der Mission nur mit diesen zu tun habe. Hinsichtlich der Organisation des Wissenschaftsbetriebs vertritt Pannenberg die Trennung von Religions- und Missionswissenschaft. Innerhalb der Religionswissenschaft unterteilt er die »allgemeine Religionswissenschaft« in zwei »Hauptdisziplinen«, nämlich erstens die Religionsphilosophie und zweitens die Religionsgeschichte. Erstere hat den Aufgabenbereich, eine allgemeine Anthropologie und einen allgemeinen Religionsbegriff zu entwickeln, auf dessen Grundlage die Religionen zu vergleichen sind. Letztere hat das religionsgeschichtliche Material zu ordnen, Modelle der Entwicklung einzelner Religionen und der Religionsgeschichte im ganzen zu entwerfen und innerhalb dieser den O r t der Religionsgeschichte Israels und des Christentums zu bestimmen. Zwischen den beiden Hauptdisziplinen vermitteln die Hilfsdisziplinen Religionspsychologie, "Phänomenologie und -Soziologie, die das von ihnen aufgearbeitete Material den Hauptdisziplinen zur Verfügung stellen. Auf der Grundlage der angesprochenen Ortsbe-

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Stimmung des Christentums nimmt das Fach »Theologie der Religionen« als Fundamentaltheologie die Aufgabe wahr, den Bezugsrahmen für alle einzelnen theologischen Disziplinen anzugeben. Sie ist »Grunddisziplin der Theologie überhaupt«. (WuT 418)

2. Das Christentum

und die

Religionen

Gerade weil für Pannenberg die fremden Religionen theologisch von großer Bedeutung sind, verwundert es, daß von ihnen in den drei Bänden seiner »Systematischen Theologie« nur an wenigen Stellen die Rede ist. Fast schon entschuldigend bemerkt Pannenberg im Vorwort des ersten Bandes: »Wer mit meinem Buch zur 'Wissenschaftstheorie der Theologie vertraut ist, mag von mir eine Darstellung der christlichen Lehre erwarten, die diese stärker in Auseinandersetzung mit andern religiösen Positionen behandelt als das hier der Fall ist« Und fügt hinzu: »Dazu ist zu bemerken, daß eine Einordnung des Christentums in die Welt der Religionen und ihrer widerstreitenden Wahrheitsansprüche grundsätzlich damit gegeben ist, wie die Behandlung des Offenbarungsthemas im vierten Kapitel an die vorangehenden Ausführungen zur Religionsthematik anschließt. 6 Die Kontinuität der Argumentation wird an dieser Stelle nicht durch eine dogmatische Setzung abgebrochen.« (ST I, 9)

Die Wahl eines solchen Vorgehens, d.h. die fast völlige Nichteinbeziehung der Erkenntnisse anderer Religionen enttäuscht zunächst. Umso wichtiger ist die Frage, wie den Eigenarten der fremden Religionen durch Pannenbergs Religionsbegriff Rechnung getragen wird. 2.1 Der Religionsbegriff Wenn Gott sich in der Geschichte offenbart, dann in der ganzen Geschichte und also auch in den Religionen. Von diesem Ausgangspunkt her versucht Pannenberg »zu einem differenzierteren Urteil über die Welt der Religionen zu gelangen«, als die theologische Tradition. (I, 132) Dabei läßt er sich von dem Prinzip leiten, daß eine Beschreibung und Beurteilung der Religionen ihrem eigenen Selbstverständnis nicht widersprechen darf. Aus diesem Grunde kommt für ihn ein rein anthropologischer Religionsbegriff nicht in Frage, da er nicht berücksichtigt, daß die Anhänger der Religionen diese als durch die göttliche Wirklichkeit bedingt und bestimmt verstehen. Der Religionsbegriff muß demnach theologischen Charakter haben, darf dennoch aber die anthropologische Dimension nicht übersehen. 7 Wenn Re' Im Original ist an dieser Stelle ein Druckfehler unterlaufen, da es »ausschließt« heißt, w o es ganz offensichtlich »anschließt« heißen muß. 7 »Das Problem der Bedingtheit der Formulierung des Wesensbegriffs der Religion durch

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ligion nämlich nicht konstitutiv zur Wirklichkeit des Menschen gehören würde 8 , wäre jedweder Behauptung göttlicher Wirklichkeit die Plausibilitätsbasis entzogen. Der Aufweis des Vorhandenseins einer solchen religiösen »Anlage« reicht zwar nicht aus, religiöse Behauptungen göttlicher Wirklichkeit und göttlichen Wirkens als wahr zu beweisen. Er ist jedoch eine, wenn schon nicht hinreichende, so doch unerläßliche Bedingung solcher Behauptungen. (I, 173) Die in den Religionen erschienenen göttlichen Wirklichkeiten sind sehr verschieden. Um ihre konkurrierenden Wahrheitsansprüche vergleichen zu können, bedarf es einer ihnen gemeinsamen Basis. Diese Basis kann nicht in einem allen Menschen gemeinsamen religiösen Bewußtsein gefunden werden, da dies dem von den Religionen behaupteten Primat der göttlichen Wirklichkeit widerspricht. (I, 141) Pannenberg geht den umgekehrten Weg: Die Einheit der religiösen Phänomene ist bedingt durch eine ihr zugrundeliegende Einheit der göttlichen Wirklichkeit. 9 Diese Einheit der göttlichen Wirklichkeit wird aber nicht einfach postuliert, sondern anhand der Religionsgeschichte aufgewiesen. Pannenberg leitet das seinem Religionsbegriff zugrundeliegende Postulat der Einheit der göttlichen Wirklichkeit also aus der Religionsgeschichte und damit aus dem Selbstverständnis der an diesem Prozeß besonders beteiligten Religionen ab!10 Es ist der Prozeß der Erweiterung des »einer besonderen Gottesgestalt zugeschriebenen Machtbereichs«, der zu zunehmender Einheit in der Religionsgeschichte führt. (I, 162 f.) Zu einer solchen Erweiterung des Machtbereiches einer Gottheit kommt es, wenn sie von ihren Verehrern als so mächtig empfunden wird, daß ihr in der Auseinandersetzung mit anderen Göttern Funktionen dieser Götter zugeschrieben werden, die diese Gottheit einen dabei schon vorausgesetzten Standort [ . . . ] wird die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen anthropologischer Basis und konkreter Religion ergeben. Diese Unterscheidung wird an der Frage nach dem Verhältnis der Religion zur Wirklichkeit Gottes und der Götter orientiert sein.« (I, 150) 8 »Mit der Annahme einer zur Humanität des Menschen gehörigen religiösen Anlage wird für das religiöse Bewußtsein und seine Äußerungen im allgemeinen, wenn auch nicht im besonderen Wahrheit beansprucht Diese Wahrheit ist allerdings nicht die Wahrheit [ . . . ] ihres Gegenstandes, [... ] sondern zunächst nur Wahrheit in dem Sinne, daß Religion konstitutiv für die Wirklichkeit des Menschen ist.« (I, 170) »Als Indiz dafür, daß Religion in der einen oder anderen Form konstitutiv für das Menschsein des Menschen ist, darf ihre allgemeine Verbreitung seit den frühesten Anfängen der Menschheit gelten«. (I, 171) 9 »Doch wie soll dem Primat der göttlichen Wirklichkeit in der religiösen Erfahrung auf seiten der Religionswissenschaft Rechnung getragen werden? [ . . . ] Eine Bedingung jeder Lösung dürfte jedenfalls sein, daß der Einheit der religiösen Phänomene auf Seiten des Menschen eine die einzelnen Phänomene übergreifende Einheit auf Seiten der göttlichen Wirklichkeit nicht nur entspricht, sondern schon zugrunde liegt.« (I, 159) 10 »So wie Religion überhaupt dem Selbstverständnis der Religionen zufolge im Wirken der Götter gründet, so muß auch die Einheit der religiösen Thematik in der Einheit der Gottheit ihren Grund und Ursprung haben.« (I, 164)

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vorher nicht gehabt hat. Dadurch werden die anderen Götter entmachtet, deren Funktionen von der einen Gottheit übernommen. Die Religion der mächtigeren Gottheit breitet sich dadurch aus, nimmt andere religiöse Traditionen auf und führt damit zu einer Vereinheitlichung der Religionsgeschichte. Diese nach Pannenberg in der Religionsgeschichte feststellbare Tendenz läßt es als gerechtfertigt erscheinen, die Religionsgeschichte »als Erscheinungsgeschichte der Einheit Gottes zu betrachten, die von einem Gott selbst bewirkt ist als Weg zur Offenbarung seines Wesens.«" Daß dieser Begriff von Religion und Religionsgeschichte eine starke Affinität zu monotheistischen Religionen hat, wird von Pannenberg nicht als Mangel empfunden. Wer auch immer einen Religionsbegriff postuliert, kann seine eigene kultur- und religionsgeschichtliche Bedingtheit nicht überspringen. 12 Pannenberg betont jedoch, daß die monotheistische Perspektive nicht als eine dogmatische Setzung ins Spiel gebracht wird, da das Resultat der Erscheinungsgeschichte der göttlichen Wirklichkeit ja noch offen ist. Ob das letztgenannte Argument einleuchtend ist, bleibt fraglich. Immerhin ruht der Ansatz von Pannenberg auf diesem Verständnis der Religionsgeschichte. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, hier dogmatisch zu argumentieren, müßte Pannenberg konsequenterweise auch seine Sicht der Religionsgeschichte in Auseinandersetzung mit anderen Geschichtsdeutungen entwickeln.

2.2 Die Auseinandersetzung der Religionen Wie können die Wahrheitsbehauptungen verschiedener Religionen geprüft werden? Der Hinweis auf die subjektive religiöse Erfahrung reicht nicht aus. Vielmehr wird die Frage, ob religiöse Behauptungen wahr sind, dadurch beantwortet, daß sich die Welt als durch Gott bestimmt erweist. Religiöse Behauptungen müssen sich in der Welterfahrung ihrer Anhänger bewähren. Die Prüfung der religiösen Wahrheitsansprüche geschieht primär im Vollzug des religiösen Lebens. (I, 175) Das Kriterium für die einer Gottheit eignende Wahrheit kann nichts sein, was dieser Gottheit äußerlich ist. »Ein Gott kann nur an dem Maß gemessen werden, das er selber setzt.« (1,176) Deshalb kann auch das Christentum kein Kriterium für die Beurteilung der Wahrheitsansprüche der Religionen angeben.13 Die Bewährung der Wahrheit eines Gottes vollzieht 11 I, 164. - In seinem Aufsatz »Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte« definiert Pannenberg Religionsgeschichte als »Geschichte des Erscheinens des in der Struktur des menschlichen Daseins vorausgesetzten götdichen Geheimnisses [ . . . ] , dessen Wirklichkeit und Eigenart aber im Prozeß dieser Geschichte selbst auf dem Spiele stehen.« (ETR, 290) 12 Vgl. I, 165, 187. 13 »Die Gottheit vor das Forum ihr fremder Maßstäbe zu ziehen und danach zu beurteilen,

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sich dadurch, daß er sich in der Welterfahrung der Menschen als die Macht erweist, die zu sein er beansprucht. An immer neuen Ereignissen muß sich diese von ihm behauptete Macht bewähren. Die Bewährung ist ein Prozeß, in dem es zu Anfechtungen kommen kann. Werden die Zweifel zu stark, so wenden sich die Verehrer einer anderen Gottheit oder Macht zu. Aus der Beobachtung, daß Götter, deren Verehrergruppe sich einer anderen gegenüber militärisch oder kulturell unterlegen erweist, dennoch als überlegene Götter verstanden werden können, schließt Pannenberg, daß nicht allein die Veränderungen in der Welterfahrung über das Schicksal der Götter entscheiden. Vielmehr ist es das einer Göttergestalt eigene inteipretatorische Potential, durch das sich der Gott an der Welterfahrung seiner Anhänger bewährt. 14 Je größer das »Potential des interpretierenden Umgangs« mit der Welterfahrung ist, das einer Gottheit eignet, desto stärker erweist sich ihre Macht in der Erfahrung ihrer Verehrer. Es sind also die Verehrer der Gottheit, die die Bewährung ihrer Gottheit erfahren und feststellen. Zur Infragestellung der Macht einer Gottheit kommt es insbesondere im Ubergang von der älteren zur jüngeren Verehrergeneration oder dort, wo zwei (oder mehrere) Gottheiten in Konkurrenz geraten, wie etwa beim Kontakt verschiedener Religionen und Kulturen. In der Bewährung der Gottheit kommt es zur Verteidigung oder Ausweitung des von ihr behaupteten Machtbereiches, was auch zu Veränderungen im Verständnis ihres Wirkens und ihrer Eigenart führen kann. (I, 184 f.)

2.3 Die Ambivalenz

der Religionen

Der Selbsterweis eines Gottes hat Konsequenzen für das religiöse Verhältnis des Menschen zu ihm, da dieses Verhältnis nicht generell der Wahrheit des Gottes entspricht, wie sie durch seinen »geschichtlichen Selbsterweis an den Tag gebracht wird.« (I, 188) Das ist besonders der Fall, und hier kommt ein religionskritisches Moment in den Ausführungen Pannenbergs zum tragen, wenn die Verehrung der Gottheit im Kultus »verkehrt« wird, d. h. wenn die Transzendenz der Gottheit verendlicht wird Daß es dazu kommen kann und faktisch in allen Religionen kommt, hat seinen Grund in der Ambivalenz der Religion. Die Ambivalenz besteht - so argumentiert Pannenberg religionsphilosophisch - darin, daß das religiöse Verhältnis des Menschen zum Absoluten an das Medium der Weltwäre ein irreligiöser Akt, der der Majestät des Gottes zu nahe träte und den Begriff der Gottheit aufheben würde.« (I, 176) 14 I, 179. - Kann also beispielsweise auch eine militärische Niederlage der Verehrergruppe des Gottes aus dessen Ansprüchen heraus sinnvoll interpretiert werden, so kann er sich durch die Niederlage hindurch trotzdem bewähren.

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erfahrung gebunden ist. Das Unendliche begegnet nur im Medium endlicher Erfahrungsinhalte. (I, 196) Wiewohl die Religionen zwischen Medium und göttlicher Wirklichkeit zu unterscheiden vermögen, kommt es immer wieder dazu, so Pannenberg im Anschluß an Rom. 1, 20 ff., daß der Mensch in der Verehrung der Gottheit versucht, über den Gott zu verfügen.15 In diesem Sinne bleibt jede Form religiösen Verhaltens, im Christentum ebenso wie in den anderen Religionen, zweideutig. Pannenberg zeigt das an Beispielen von Kultus, Kultbild, sakralen Bezirken, Magie und Mythos. (I, 200-203) Durchbrochen wurde diese Tendenz zur Verendlichung der göttlichen Transzendenz durch die Erfahrung der Zukunftsorientierung des Gotteshandelns in der Geschichte Israels und daraus folgend im Christentum. 16 »Es wird zu zeigen sein, daß die Verendlichung des Unendlichen, die das religiöse Verhältnis des Menschen zu Gott kennzeichnet, im Christentum zwar nicht vom kultischen Verhalten der Christen her, wohl aber im Geschehen der Offenbarung Gottes aufgehoben ist.« (I, 205) Pannenberg sieht in der Zukunftsorientierung des Christentums die Besonderheit und Überlegenheit des christlichen Glaubens gegenüber den anderen Religionen. 2.4 Die Besonderheit

des

Christentums

Die Besonderheit des Christentums besteht in seiner Zukunftsorientierung und den dadurch begründeten Möglichkeiten von Veränderung und Korrektur. Die Wendung zur Zukunftsorientierung hat sich, so Pannenberg, in der Religionsgeschichte Israels ereignet.17 Noch das Deuteronomium bezieht sich auf die Taten des Gottes Israels in der Vergangenheit. Besonders die durch Gottes Hilfe ermöglichte Landnahme Israels wurde von seinen Verehrern als Machtwerweis des Gottes Israels verstanden. (OaG 91 f.) Nach dem Zusammenbruch Israels im Jahre 587, als dieses sich plötzlich für die Macht seines Gottes schlechterdings nicht mehr auf die Landnahme berufen konnte, wurde nun das entscheidende Heilshandeln Gottes, der Erweis seiner Mächtigkeit, von den Propheten Deuterojesaja und Hesekiel für die Zukunft erwartet Die Apoka15 »Die jüdische Religionskritik [ . . . ] richtet sich also nicht gegen die religiöse Wahrnehmung der göttlichen Macht in den Werken der Schöpfung, nicht einmal gegen die Ästhetik der Darstellung der Gottheit an und für sich, sondern gegen die Verkehrung des religiösen Verhältnisses in ein magisches Verfügen über die Gottheit.« (I, 199) 16 »Die Geschichtlichkeit des Gotteshandelns wurde schließlich in der Erfahrung des Gerichtshandelns Gottes an seinem Volk als auch die alten Heilssetzungen überschreitend verstanden auf eine verheißene Zukunft hin, die alles Vorherige übertreffen sollte. Damit wurde die Urzeitorientierung des mythischen Bewußtseins durchbrochen.« (I, 203) 17 OaG, 91-114; ST I, 179f.; 211 f.; 278 ff. u.ö.

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lyptik weitete später diesen Ansatz dahingehend aus, daß sie nicht nur das Heilshandeln Gottes für die nahe Zukunft erwartete, sondern auch göttliche Offenbarung über den Sinn der gegenwärtigen Zeit im Zusammenhang des göttlichen Heilsplans. Zwei Momente dieses Uberlieferungsprozesses verdienen besondere Beachtung. Es kommt erstens zu einer Ausweitung des von der Gottheit behaupteten Machtbereiches. Diese ist - zweitens - in der dauernden Revisionsfähigkeit des Inhaltes der Offenbarung begründet. 18 Zunehmende Universalisierung und anhaltende Revisionsfähigkeit, also die Möglichkeit von Veränderung, kennzeichnen hier das Offenbarungsgeschehen. Die Person und Geschichte Jesu Christi steht in diesem Überlieferungszusammenhang und ist nur als dessen Teil zu verstehen. Die eschatologische Erwartung Israels auf das endgültige Heilshandeln Gottes in der Zukunft bildet den Rahmen für die Verkündigung Jesu und das Verständnis seiner Auferstehung. Jesus verkündete das nahe herbeigekommene Gottesreich. Dieses realisierte sich dort, wo Menschen Jesus glaubten und ihm nachfolgten. Durch seine Auferstehung wurde der von Jesus in seinem Leben und seiner Verkündigung erhobene Anspruch durch Gott bestätigt. Unter dem Eindruck dieses Geschehens verkündigten die Apostel nun Jesus Christus selbst als den, in dem das Reich Gottes bereits angebrochen ist. Das Ende der gesamten Geschichte ist damit in Jesu Christi Auferstehung bereits antizipiert. Die Vollendung des Gottesreiches und damit der Geschichte wurde für die Wiederkehr Christi erwartet. (OaG, 101 f.) Als Folgerung aus dem bisher Gesagten ergibt sich: 1. Weil in seiner Auferstehung sich das Ende der Geschichte vorausereignet hat, ist dieses Geschehen grundsätzlich unüberholbar. Es wird keinen weiteren Selbsterweis Gottes geben. Deshalb ist die Offenbarung Gottes in der Geschichte Jesu Christi endgültig und universal. (OaG 106) Man kann mit Recht behaupten, daß die zunehmende Universalisierung der Heilserwartung Israels für die Urgemeinde in Jesus Christus ihren Abschluß findet. 2. Auch das Moment der Revisionsfähigkeit, das dem Glauben Israels eignet, bleibt gewahrt, denn obwohl in Jesus Christus das Reich Gottes anbricht, steht dessen Vollendung noch solange aus, wie die Geschichte anhält. 3. Die Auferweckung Jesu Christi ist nur im Uberlieferungszusammenhang Israels angemessen zu verstehen. (OaG 107 ff.) Die Wendung von

18 »Auf dem Wege vom Jahwisten zur Apokalyptik wird nicht nur der Umfang der Gottes Gottheit erweisenden Ereignisfolge immer mehr ausgeweitet. Indem das geschieht, wird vielmehr der Offenbarungsinhalt selbst immer wieder revidiert: Was vorher bereits als endgültiger Selbsterweis Jahwes gegolten hatte, ist es nun nicht mehr; es ist nur noch Moment eines umfassenderen Offenbarungszusammenhanges.«(OaG, 96)

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der Verkündigung Jesu vom nahe herbeigekommenen Gottesreich zur Verkündigung der Apostel vom in Jesus Christus bereits angebrochenen Reich Gottes ist im Zusammenhang der Veränderung von Gottes Offenbarung zu sehen. Für Pannenberg ist dabei wesentlich, daß der »eschatologische Sinn der Botschaft Jesu [... ] nur durch Veränderung identisch blieb«, d. h., daß die Endgültigkeit, die er selbst für sich in Anspruch nahm, nur aufrecht erhalten werden konnte, wenn man ihn selbst als das endgültige Ereignis des Handelns Gottes verkündigte. Daraus zieht Pannenberg den Schluß, dieser eschatologische Sinn der Botschaft bzw. Person Jesu Christi könne seitens der Kirche nur in dauernder Veränderung, die den historischen Abstand zur Urgemeinde festhält und ernst nimmt, erhalten bleiben. (BdE 226) 4. Da aber die Offenbarung in Jesus Christus als Offenbarung Gottes endgültig und universal ist, gilt sie auch den Heiden. »Daher ist der Weg des Evangeliums zu den Heiden eine notwendige Folge aus dem eschatologischen Charakter des Christusgeschehens gewesen.« (OaG 109) 2.5 Die Überlegenheit des Christentums In der Besonderheit des Christentums ist zugleich seine Überlegenheit gegenüber den anderen Religionen begründet. Weil seine Botschaft universal und revisionsfähig ist, ist sie in außergewöhnlich hohem Maße anpassungsund synthesefähig. Das führt Pannenberg zu einer positiven Bewertung des Synkretismusbegriffes: »Das größte Beispiel synkretistischer Assimilationskraft [... ] bietet das Christentum.« (ETR 270) Das macht das Christentum zu einer einzigartigen Religion: »Darin daß das Christentum in besonderem Maße synkretistisch ist, äußert sich also nicht etwa eine Schwäche, sondern die einzigartige Kraft des Christentums.« (ETR 270 Anm. 33) Im christlichen Gottesglauben ist demnach, bedingt durch seine Zukunftsoffenheit, das größte interpretatorische Potential einer Gottheit gegeben, die sich deshalb an der Welterfahrung ihrer Verehrer bewährt. Dadurch zieht diese Gottheit in einem synkretistischen Assimilierungsprozeß Attribute anderer Gottheiten an sich, entmachtet diese damit und setzt sich infolgedessen an ihre Stelle. Die Funktionen der alten Gottheiten werden in veränderter Form beibehalten, die Gottheiten aber verschwinden. Dadurch wird die Religionsgeschichte tendenziell einheitlicher, wodurch sie als Erscheinungsgeschichte der Einzigkeit der Gottheit verstanden werden kann. Dieser vereinheitlichende Prozeß vollzieht sich in der christlichen Mission. In der Mission ist das Christentum also offen für ihm bis dato fremde kulturelle und religiöse Ausdrucksformen. Diese werden zwar kritisiert, wo sie sich als Medien göttlicher Offenbarung dieser gegenüber verselbständigen, grundsätzlich aber können sie synthetisiert werden. Das ist notwen-

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dige Konsequenz aus Pannenbergs Ansatz. Der für Troeltsch so wichtige Entwicklungsgedanke, den dieser auf kulturellen Fortschritt bezog, weshalb das höchste religiöse Erlösungswissen mit einer bestimmten Kulturstufe identifiziert wurde, wird von Pannenberg aus dem kulturellen Zusammenhang gelöst. Bewährung einer Gottheit findet in ihrem Kontext und anhand ihres Kontextes statt. Die Religionsgeschichte entwickelt sich nur dergestalt, daß es in ihr zu größerer Einheit kommt. Das Christentum ist Katalysator der Einheit aber nur, wenn und soweit es sich auf alle möglichen kulturellen und religiösen Kontexte einlassen kann! Die Legitimation chrisdicher Inkulturation steht für Pannenberg damit außer Frage. "Als Kriterium gelungener Inkulturation sieht er die »apostolische Christusbotschaft« an (153), wie sie in ihrer Universalität im Kontext der hellenistischen Kultur zum Ausdruck gebracht wurde. Daß dies geschah, bezeichnet Pannenberg als »providentielle Fügung« (147), denn nur durch die »Aufgeschlossenheit [dieser Kultur] für das transkulturell Allgemeingültige« konnte die Christusbotschaft universale Gültigkeit erlangen. (148) Deshalb bleibt die Geschichte des Christentums für das Verständnis der Christusbotschaft grundlegend; dies gilt es zu beachten. Zwar muß nach Pannenberg das Evangelium inkulturiert werden, wobei nicht nur der Empfänger, sondern auch der Überbringer hinzulernt. Auch wird erst während des Aneignungsprozesses erahnt, welche neuen evangeliumsgemäßen Lebens- und Ausdrucksformen sich entwickeln werden (146 f.), dennoch wird es bei »bestimmten Grundentscheidungen«, die während der europäischen Phase der Geschichte des Christentums gefällt wurden, bleiben. (153) Man ist in Hinsicht auf die weltweite christliche Ökumene zu fragen geneigt, ob nicht durch diesen heilsgeschichtlichen Zugang der Vorrang europäischer Theologie gegenüber Theologien aus anderen Erdteilen grundsätzlich festgeschrieben wird. Wichtiger jedoch erscheint die systematische Frage, was denn angesichts der reichen und vielfältigen Geschichte des Christentums während seiner nunmehr zweitausendjährigen Geschichte unter der »apostolischen Christusbotschaft« zu verstehen sei. Pannenberg gibt dazu in seiner gegen K.-H. Ohlig gerichteten These, daß die Soteriologie eine Funktion der Christologie sei, und nicht umgekehrt, nur einen indirekten Hinweis. Er befürchtet, daß die Vorordnung der Soteriologie vor der Christologie »die Inhalte der Christologie zu Projektionen der unterschiedlichen und wechselnden Heilserwartungen der Menschen werden läßt.« (II, 442, Anm. 1) Das erscheint zunächst plausibel. 19 W. PANNENBERG (1992 a): Notwendigkeit und Grenze der Inkulturation des Evangeliums, in: G. Müller-Fahrenholz u.a. (Hgg.), Christentum inm Lateinamerika - 500 Jahre seit der Entdeckung Amerikas, Regensburg, 140-154. Folgende Seitenzahlen beziehen sich auf diesen Text

Dialog als Mission? - Wolfhart Pannenberg

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Durch diesen Hinweis wird das Problem jedoch nur verlagert, da auch die Wahrnehmung Jesu Christi durch die kontextuell bedingten Erwartungen der Menschen wesentlich beeinflußt wird.20 Sicherlich ist Pannenberg darin zuzustimmen, daß keine Form christlicher Inkulturation sich absolutsetzen darf. Insofern ist es richtig, daß die Universalität der Christusbotschaft ein Kriterium gelungener Inkulturation ist. Die Frage nach theologischen Kriterien für die Unterscheidung von Synkretismus und Inkulturation wird dadurch jedoch noch nicht hinreichend beantwortet.

3. Missionstheologische

Konsequenzen

In seiner 1700 Seiten starken »Systematischen Theologie« gibt Pannenberg nur einige verstreute Hinweise zum Thema Mission. Aus diesem Grunde fragen wir in diesem Abschnitt nach den missionstheologische Konsequenzen seines Ansatzes. Das Ergebnis wurde im Titel des Pannenbergkapitels, der vorsichtigerweise mit einem Fragezeichen versehen wurde, bereits angedeutet: »Dialog als Mission?«. Im folgenden geht es zunächst um Begründung und Ziel der Mission, dann um Pannenbergs missionarischen Dialogbegriff. 3.1 Begründung und Ziel der Mission Die Missionsbotschaft hat ihren systematischen Ort in der Versöhnungslehre. 2 ' Mission ist Teil des Versöhnungsgeschehens, da Versöhnung, eine Vorstellung, die mit der Diplomatie von Friedensschlüssen zwischen Gegnern zu tun hat, verknüpft ist, auf Gegenseitigkeit beruht. »Ermöglichungsgrund« der Versöhnung ist der Sühnetod Christi. Dennoch ist auch die Zu- und Aneignung der Sühne in der Versöhnung notwendig. In diesem Geschehen geht es um Stellvertretung als »Form« des Heilsgeschehens. Aber eben nicht um exklusive Stellvertretung, in der Gott schlicht alles tut, sondern um inklusive Stellvertretung, also eine solche, in die der Mensch hineingenommen wird! Erst durch ihre Annahme tritt die durch Jesu Tod ermöglichte Sühne in Kraft. 22 Das geschieht dadurch, daß der Mensch 20 Vgl. etwa T h . SUNDERMEIER (1985): Das Kreuz als Befreiung. Kreuzesinterpretationen in Asien und Afrika, München. 21 II, 509. - Das war auch bei Barth der Fall. Im Gegensatz zu Barth aber gehört für Pannenberg die missionarische Verkündigung selbst zum Versöhnungsgeschehen dazu, obwohl beides zu unterscheiden ist. In ihr setzt sich das Versöhnungsgeschehen fort, sie ist als »Dienst der Versöhnung« Teil des Heilshandelns Gottes. (II, 501) 22 Zu dem sich in der Stellvertretung ereignenden »Platztausch kommt es allerdings nur,

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seinen Tod in der Taufe mit dem Tod Jesu verbunden sein läßt, um mit ihm verbunden auch die »Hoffnung auf Teilhabe an dem neuen Leben der Totenauferweckung« zu haben. Der inklusive Sinn der Stellvertretung muß, da er antizipatorische Funktion hat, im Prozeß der Ausbreitung des Evangeliums eingeholt werden. Das geschieht in der Mission. (II, 473 ff.) Subjekt der Verkündigungsgeschichte ist der im Geist erhöhte Christus selbst, weshalb die Verkündigung der Kirche als sein Handeln, ihr Wort als sein Wort verstanden werden muß, und zwar nicht so, daß sie ihn vertritt, sondern so, daß er durch sie wirkt. Sie nimmt dadurch am »Versöhnungsamt« Christi teil, wohingegen Pannenberg die Drei-Ämter-Lehre ablehnt. In diesem Geschehen kommen Menschen durch den Geist zu ihrer eigenen Identität, indem der Geist sie über sich selbst hinaushebt, sie ekstatisch außer sich und damit bei Christus sein läßt.23 Dadurch nimmt der Christ an der Sohnesbeziehung Jesu zum Vater teil. Die Einheit mit Gott ist jedoch, wie bei Jesus Christus, nur durch die bleibende Bezogenheit auf ihn und Selbstunterscheidung von ihm möglich. (II, 499 f.) Der Inhalt der Botschaft, das »Wort der Versöhnung«, umfaßt sowohl Jesu Verkündigung vom nahegekommenen Gottesreich wie auch umgekehrt die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus, in dem die Gemeinde die gegenwärtige Gottesherrschaft erkennt und erlebt. (II, 502 f.) Der Inhalt kann deshalb nicht auf den »Zuspruch der Sündenvergebung« reduziert werden. (II, 506 ff.) Damit würde der Bezug zu Gemeindegründungen nicht sichtbar werden. Dieser Bezug erschließt sich jedoch, wenn man von der Gottesherrschaft und ihrem Anbrechen in Jesus Christus als Inhalt des Evangeliums ausgeht. (II, 509) Insofern gründet die Mission im durch die Auferstehung Jesu Christi bestätigten und dadurch ermöglichten Evangelium vom Reich Gottes selbst. Über das Ziel der Mission macht Pannenberg m.W. keine Aussagen. Wenn man jedoch die bisher angedeuteten Grundlinien seines Verständnisses von Mission auszieht, erscheint Mission als die Bewährung des Wahrheitsanspruches des christlichen Gottes. Wenn die Götter, wie wir sahen, an ihren eigenen Ansprüchen gemessen werden und wenn der Anspruch des christlichen Gottes der auf universale Geltung ist, dann bewährt sich dieser Anspruch in dem Maße, wie die von ihm gestiftete Religion selbst universale Verbreitung findet. Mission ist also ein wichtiger Aspekt der sich in der Geschichte antizipierend ereignenden Vollendung des Rei-

wenn die Sünder [ . . . ] auch von ihrer Seite her ihr todverfallenes Leben mit dem Tod Jesu verbinden lassen [ . . . ] , wie es in der Taufe geschieht«. (II, 473f.) 23 Zum Ganzen vgl. II, 487-498. - »An solcher Ekstase ist nichts Unnatürliches, da vielmehr das geistige Leben des Menschen seiner Grundverfassung nach ekstatisch ist und darin in seiner besonderen Weise die Eigenart des Lebendigen überhaupt realisiert [ . . . ] . « (II, 498)

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ches Gottes. Ziel der christlichen Mission ist es, der Vollendung des Reiches Gottes zu dienen und damit den Wahrheitsanspruch des Christentums zunehmend zu untermauern. Unter soteriologischem Aspekt zielt Mission auf die Ausbreitung der Versöhnung, unter offenbarungstheologischem Aspekt auf die Offenbarung der Einheit Gottes durch die zunehmende Realisierung der Einheit der Religionsgeschichte, wie sie in der Ausbreitung des Christentums sichtbar wird.

3.2 Mission und Ekklesiologie Die Kirche ist creatura verbi. Verkündigung ist der Grund, aus dem die Kirche lebt. (II, 510) Im Wort des Evangeliums vom Gottesreich gründet auch die Mission. Sie zielt auf Gemeindegründung und Kirche. Die Mission der Kirche ist jedoch umgekehrt bezogen auf die Zukunft des Gottesreiches. (KueG 121) Die Kirche ist zugleich vorläufige Darstellung des Reiches Gottes und umgekehrt von diesem umgriffen und auf dieses ausgerichtet. Ihre Sendung ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Sendung führt in die Welt, ist Gemeinschaftsaufgabe und wird von einzelnen Amtsträgern wahrgenommen. Sie führt die Christusverkündigung fort, und zwar als »missionarische Erstverkündigung« ebenso wie als christliche »Bildung«, in der an die Grundlagen des schon bestehenden kirchlichen Lebens erinnert wird.24 Sendung ist Aufgabe aller, aber von einigen in besonderem Amt ausgeführt. Der Sendungsbegriff ist also umfassender als der der Mission. Sendung geht als Mission in die Weite und als Bildung in die Tiefe. Sendung hat, als Mission und Bildung, den Charakter der Apostolizität.25 Pannenberg will diesen Begriff im Rückgriff auf das »eschatologische Motiv im urchristlichen Apostolat« neu bestimmen. Wie dieser ist auch die Apostolizität auf die Zukunft des Reiches Gottes ausgerichtet Diese Zukunft aber bedeutet Veränderung für jede gegenwärtige Situation. Das »Kriterium« apostolischer Lehre ist die Fähigkeit, die »endgültige Wahrheit und komprehensive Universalität der Geschichte und Person Christi darzutun durch ihre im Sinne der Auferstehung Jesu verwandelnde und heilschaffende Bedeutsamkeit, durch ihre die Welt erleuchtende Kraft.« 26 Apostolizität erfordert die Bereitschaft, bisherige Lebens- und Denkformen 24 Dem Begriff der Sendung ordnet Pannenberg dann den der »Bewahrung« zu, worunter Seelsorge (»individuelle Beratung«) und »Leitung der gemeinsamen Angelegenheiten« der Gemeinde fällt. Die Aufgabe der Bewahrung ist abgeleitet aus dem Sendungsauftrag zur Verkündigung, denn was brächte ein schneller Missionserfolg, wenn die zum Glauben gekommenen alsbald wieder vom Christentum abfielen? [TTK, These 113, 44.] 25 Vgl. KueG 123-125, TTK 44 f., BdE 230. 26 BdE 230, vgl. 227. - Der Begriff »apostolisch « wird also nicht auf einen bestimmten kirchengeschichtlichen Abschnitt reduziert

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zu verändern, um der Bedeutsamkeit Christi für die Gegenwart besser Ausdruck zu verleihen. Für die Struktur der Kirche gilt demzufolge, daß Sein und Eigenart kirchlicher Amter in der Sendung der Kirche als eschatologischer Gemeinde ihre Begründung finden und nicht in beliebiger menschlicher Willensbildung. (Tl'K 42) Mit anderen Worten: Weil sich in der Sendung der Kirche in die Welt die Sendung Christi fortsetzt, ergeben sich aus diesem Rückbezug sowohl die Anzahl als auch die Besonderheit der kirchlichen Ämter. Die von Pannenberg genannten Kriterien der Amter entsprechen dem Postulat der Identität durch Veränderung. Es sind dies a) Apostolizität als »Fortführung der apostolischen Sendung zur Verkündigung der Wahrheit Christi an alle Völker«, die die oben genannte Veränderbarkeit christlichen Lebens und christlicher Lehre fordert; b) Katholizität in dem Sinne, daß man die Vorläufigkeit der eigenen Lebens- und Erkenntnisformen im Blick behält und für die Zukunft des Christentums und die der noch nicht christlichen Welt offen bleibt; c) Heiligkeit als »Mut zur christlichen Identität« gerade dort, wo sie im Gegensatz zu Vorurteilen und Herrschaftsstrukturen einer Zeit steht und schließlich d) Einheit als »gegenseitige Anerkennung verschiedener Ausprägungen christlichen Lebens und Denkens aus dem Gesetz der Liebe.« (TTK 44 f.)

4. Dialog als Mission ? Wenn es in der Offenbarung Gottes um historische Tatsachen geht und wenn die bevorzugte theologische Sprachform der Aussagesatz ist, dann folgt daraus als Konsequenz, daß dem Argument in der missionarischen Verkündigung eine überaus große Bedeutung zukommt. Die Geschichte ist die Basis, auf der ein Vergleich der Wahrheiten der Religionen ausgetragen werden kann. Aussagen dürfen nicht dogmatisch gesetzt werden, sondern sie müssen begründbar sein. Jeglicher Art »autoritärer« Wahrheitsbehauptung wird damit als seinem Gegenstand unangemessen abgelehnt.27 Gerade deshalb kann und darf Mission nicht anders als dialogisch verstanden werden. 4.1 Missionarische Stärke des Dialogs Mission ist Dialog, insofern im Dialog sich die Wahrheitsansprüche der Gottheiten, deren Verehrer sich begegnen, erweisen müssen. Daß dies nicht 27 »Was über eine nichtautoritäre Gestalt der Verkündigung und des Unterrichtes gesagt wurde, läßt sich analog auf die Probleme der Mission anwenden.« [RGuK, 31-61, 57 f.]

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der einzige Ort ist, an dem sie ihre Wahrheit bewähren, ist schon dadurch deutlich, daß Pannenberg meint, die Wahrheit der Gottheiten erweise sich im Vollzug des religiösen Lebens der Menschen. Es geht hier also selbstverständlich nicht nur um Austausch in sprachlicher Form. Dennoch muß Mission gerade als gegenseitiger Austausch von Argumenten, als gemeinsamer Streit um die Wahrheit der Geschichte als Ort der göttlichen O f fenbarung, besonders verheißungsvoll erscheinen. Dialog ist so gesehen Verkündigung und umgekehrt. Die kognitive Funktion ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung. So fordert Pannenberg, daß in christlicher Verkündigung und in christlichem Unterricht weniger zu persönlichem Engagement aufgerufen, als vielmehr »rational zugängliche[] Information und Diskussion über die Reichtümer und Probleme der christlichen Überlieferung« vermittelt werden solle. Der Theologe soll sich demnach als Lehrer verstehen, der den Gemeindegliedern diesbezüglich zu einem selbständigen Urteil verhilft. (RGuK 56) Das gilt, so darf man folgern, sinngemäß auch für den Dialog. Religionsgeschichte als Offenbarungsgeschichte verlangt nach Mission als Dialog. Daraus ergeben sich Konsequenzen für den Dialogbegriff: Es handelt sich 1.) um einen »argumentativen« Dialogbegriff. Im Dialog geht es um den Austausch von Argumenten, die im Laufe der Auseinandersetzung ihre Überlegenheit zu erweisen haben. Damit hängt 2.) zusammen, daß nach Pannenberg das Ziel der Mission die Konversion zu dem Gott ist, der sich in der Auseinandersetzung als der stärkere erwiesen, sich also in der Welterfahrung der Menschen bewährt hat. Demzufolge kann der Dialog 3.) zur Entscheidung der Frage nach der letztgültigen Wahrheit führen. Sein Ziel ist also Konversion, verstanden als Religionswechsel. Das kann jedoch nicht sein einziges Ziel sein. Ein höheres M a ß an Einheit ist vielmehr schon in sich ein Ziel des Dialoges, da Pannenberg die Religionsgeschichte als das Inerscheinungtreten der Einheit Gottes versteht. Dialog wäre demnach nicht, oder nicht nur ein »Zwischenstadium« im Prozeß der Mission. Mission als argumentativer Dialog kann und darf 4.) aus christlicher Sicht nicht manipulativ sein. Er »kann« es - recht verstanden - nicht, da es in der argumentativen Auseinandersetzung um die Wahrheit der Offenbarung Gottes geht. Und er »darf« es nicht, da der Dialog als Teil der Verkündigung auch Teil des noch im Gange befindlichen Versöhnungsgeschehens ist. Die Stärke des christlichen Glaubens und der apostolischen Botschaft, um die es in einer als Dialog verstandenen Mission geht, ist gerade in der Tatsache begründet, daß ihr Sinn als eschatologische Botschaft nur durch Veränderung identisch bleibt. In einer sich dauernd und immer schneller verändernden Welt ist das ein Vorteil. Dieser Vorteil ist dem christlichen Gottesglauben eigen, ist in seinem »interpretatorischen Potential« begründet. Deshalb ist auch zu erwarten, daß sich der Gott des Christentums

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bezüglich der Welterfahrung seiner Anhänger als besonders mächtig erweist. Im Dialog bewährt sich dieser Glaube nicht nur, er bewährt auch seinen Gott, indem er die Welt daraufhin befragt, ob sie nicht durch ihn bestimmt ist. Daß die Strittigkeit der christlichen Wahrheit der Strittigkeit von Wahrheitsansprüchen in der Welt entspricht und deshalb eine zusätzliche Plausibilität beansprucht, wurde bereits erwähnt. Die Plausibilität wird jedoch auch durch größere Einheit innerhalb des Christentums und der christlichen Kirchen gestärkt, da die Kirchen dadurch deutlicher als Zeichen des Reiches Gottes und seiner Einheit zu erkennen sind. Hier hätte der ökumenische Dialog seinen missionstheologischen Ort. Wir haben bisher die Frage zu beantworten versucht, ob nicht Mission nach dem hermeneutischen Ansatz von Pannenberg hauptsächlich als Dialog zu verstehen sei. Da Pannenberg sich zu diesem Thema kaum geäußert hat, bleibt unsere Darstellung an dieser Stelle zwar begründet, aber eben auch hypothetisch. 4.2 Dialogische Aspekte der Mission Die Auseinandersetzung mit anderen Religionen hat dialogischen Charakter. Das gilt auch für Mission, die sich als Dialog vollzieht. Ein Dialog hat den Charakter der Wechselseitigkeit. Pannenberg meint, daß im interreligiösen Dialog die Chance gegenseitiger Bereicherung gegeben sei, wobei jedoch keine Vereinheitlichung der Religionen anzustreben ist, da dies zum Verlust ihrer Identitäten führen würde. 28 Da es in allen Religionen Offenbarung gibt, kann in einem interreligiösen Dialog von Seiten des Christentums nach der Nähe oder Ferne der Religionen zur christlichen Botschaft und Wahrheit gefragt werden. 29 Ausgangspunkte fur die Urteilsbildung sind dabei: »Jesu Botschaft von Gott« und die »Zuwendung zum Menschen«, die mit ersterem eng zusammenhängt. Dazu heißt es weiter: »Aber die Forderung der Nächstenliebe hat ihren Grund in Jesu Botschaft von Gott, von der Nähe Gottes, die mit dem ganzen Gewicht des ersten Gebotes verbunden wird und so die Herrschaft Gottes schon anbrechen läßt bei dem, der sich auf sie einläßt.« (RuR 190) Die Botschaft vom Reich Gottes wird hier ganz in den schöpfungstheologischen Zusammenhang gestellt. Pannenberg lehnt sowohl das extra ec28 RuR 194-196. - Demgegenüber kann das Ziel des ökumenischen Dialoges sehr wohl die Erreichung der Einheit der christlichen Kirchen sein. 29 Pannenberg beruft sich in diesem Zusammenhang auf Mt 25, 31-46: »Wie im Endgericht die Botschaft Jesu das Kriterium für die Heilsteilhabe jedes einzelnen Menschen sein wird, so wird der Christ auch die außerchristlichen Religionen auf ihre Nähe oder Feme zur Botschaft Jesu zu befragen haben, und die Urteilsbildung darüber wird in jedem Einzelfall unterschiedlich ausfallen.« (RuR, 190)

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clesiam nulla salus30 als auch das extra christum nulla salus ab! Die biblischen Texte, die Jesus als den einzigen Weg zur Wahrheit verstehen31, interpretiert er dahingehend, daß Jesus zwar nicht die einzige Vermittlung, wohl aber das einzige Kriterium des Heils sei.32 Die Formen der Heilsvermittlung sind dem Christen, der noch in der unabgeschlossenen Geschichte existiert, nicht zugänglich. Das »Noch nicht« der Vollendung der Geschichte verwehrt ihm eine Beurteilung dieser Frage, wohingegen ihm im »Doch schon« der Vorwegereignung des Endes in der Auferstehung Jesu Christi das Kriterium des Heils gegeben und sichtbar ist. Daraus zieht Pannenberg den Schluß, daß, obwohl das Heil allen Menschen in gewisser Weise offensteht, die Heilsteilhabe gegenwärtig nur in der christlichen Kirche »verbürgt« sei. Der Dialog wird demnach mit der Einladung in die christliche Kirche verbunden sein. Was nun darüber hinaus die besondere Dialoghaftigkeit in der Auseinandersetzung mit Vertretern anderer Religionen angeht, so ist sie einerseits in der Dialektik von assertorischer und hypothetischer Rede gegeben, wie sie Pannenberg für die Behauptung der christlichen Wahrheit für erforderlich hält. Die Religionen müssen respektiert werden, allein schon deshalb, weil sie möglichst unvoreingenommen auf ihre Wahrheitsbehauptungen zu befragen und zu prüfen sind.33 »Dialog« wird in diesem Zusammenhang aber auch heißen, daß die Wahrheitsansprüche wirklich in die Begegnung und Auseinandersetzung eingebracht werden müssen, auch in ihrer Abständigkeit und Härte, wenn es zu einem echten Dialog kommen soll.34 An diesem Punkt unterscheidet sich Pannenbergs Theologie der Re30

Dagegen sprechen u.a. Stellen wie: Mt 8, 11 f.; Mt 5, 3ff. und M t 25, 31-46. Unter anderem: Apg 4, 12; Lk 12, 8; Job 12, 48; Mt, 25, 31 ff. 32 »Jesus und seine Botschaft sind also das eschatologische, endgültige Kriterium des Heils für alle Menschen. Aber das bedeutet noch nicht, daß die ausdrückliche Gemeinschaft mit ihm auch die unumgängliche Form geschichtlicher Vermittlung der Heilsteilhabe für jeden Menschen sein muß.« (RuR, 188 f.) Vgl. dazu auch ST III, 661-663. 33 Hier wird deutlich, wie sehr Pannenberg dem naturwissenschaftlichen Wahrheitsideal der Unvoreingenommenheit verpflichtet ist. 34 Pannenberg wendet sich diesbezüglich im Vorwort des 2. Bandes seiner »Systematischen Theologie« - so scheint es - gegen Vertreter der sogenannten »Pluralistischen Religionstheologie«: »Die Tatsache solcher Konflikte zwischen den Religionen ist im Leben der Menschen ganz verschiedener Kulturen offensichtlich genug. Nur eine sogenannte >Theologie der Religionen< in den Industriegesellschaften des Westens verschließt davor die Augen, indem sie die Vielfalt der Religionen als eine im Prinzip konfliktlose Pluralität vieler Wege zu demselben Gott darstellt. [... ] Aber auch das Christentum kann auf den Wahrheitsanspruch für die Offenbarung, auf der es beruht, nicht verzichten. Ihn glaubwürdig zu vertreten erfordert allerdings mit als erstes, die Vielheit derartiger Wahrheitsansprüche und die damit verbundene Strittigkeit der Wahrheit in das eigene Bewußtsein aufzunehmen. Dadurch wird der Anspruch auf Wahrheit, sogar auf endgültige und absolute Wahrheit der Gottesoffenbarung in Jesus Christus nicht etwa relativiert, sondern allererst mit sachlichem Ernst und Toleranz vertretbar.« (II, 9) 31

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ligionen sehr deutlich von Ansätzen einer »Pluralistischen Religionstheologie«. 35

5. Würdigung und Kritik Wolfhart Pannenberg hat sich wie kein anderer deutscher Systematiker der Nachkriegszeit mit der Grundfrage beschäftigt, was die Wirklichkeit der fremden Religionen für den christlichen Glauben bedeutet. Sein theologisches Programm »Offenbarung als Geschichte« macht die Auseinandersetzung mit den Religionen zu einem notwendigen Bestandteil systematisch-theologischer Arbeit. Ein Problem der »Theologie der Religionen« von Pannenberg besteht jedoch darin, daß sie, wenn ihre religionsgeschichtlichen Prämissen nicht stimmen, entscheidend an Glaubwürdigkeit verliert. Es ergeben sich hierzu vor allem vier religionsgeschichtliche Einwände. 1.) Zunächst ist es fraglich, ob sich in der Religionsgeschichte tatsächlich eine Tendenz zu größerer Einheit nachweisen läßt. Die Vielzahl der gerade in den letzten Jahrzehnten neu entstandenen Religionen und religiösen Bewegungen ist ein schlagendes Argument gegen das Einheitspostulat. 2.) Auch die Unterscheidung zwischen dem Christentum als einer wesentlich zukunftsorientierten Religion und den übrigen, an anderen Zeitverständnissen orientierten Religionen, scheint wenig stichhaltig.36 3.) Weiterhin ist zu fragen, ob Pannenbergs Verständnis der Gottesverehrung der Religionen zutreffend ist. Carl-Heinz Ratschow wendet ein: Die »Bewährung der Wirklichkeitsmächtigkeit [sc. der Götter] gibt es ja tatsächlich. Jedoch, die grundlegenden Epiphanien der Gottheiten sind im allgemeinen nicht durch Bedürftigkeiten des Menschen definiert. Die Wandlungen der religiösen Einsichten oder auch der göttlichen Geschlechter werden auch im allgemeinen nicht mit ihrem Versagen begründet.« 37 4.) Schließlich gibt es in der Religionsgeschichte Phänomene, die der These widersprechen, daß eine Gottheit ihre Machtsphäre auf andere Gottheiten ausdehnt, indem sie deren Funktionen an sich zieht und diese entmachtet. Zu einer Entscheidung zwischen zwei Religionssystemen muß es nicht immer kommen, wie die Zuordnung zweier distinkt bleibender Religionssysteme etwa im Candomble'-Kult zeigt.38 35 Vgl. J. HLCK; P. KNITTER (1987): The Myth of Christian Uniquness, Toward a Pluralistic Theology of Religions, N e w York; R. BERNHARDT (Hrsg.) (1991): Horizontüberschreitung. Die Pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh; DERS. (1994): Zur Diskussion um die Pluralistische Theologie der Religionen, in: O R 43, H.2, 172-189.

* V g l . C . - H . RATSCHOW ( 1 9 7 9 ) : D i e R e l i g i o n e n , 37

C . - H . RATSCHOW ( 1 9 7 9 ) : D i e Religionen,

1 0 6 f.

1 0 7 f.

38 Man denke an die Religiosität vieler Japaner, die zu verschiedenen Gelegenheiten verschiedene Religionen in Anspruch nehmen oder an die Zuordnung zweier Religionssysteme beispielsweise in der Cantomble'- oder Umbandareligion.

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Wichtiger sind jedoch die im engeren Sinne theologischen Anfragen. Pannenbergs Verständnis der Religionsgeschichte orientiert sich stark an der Philosophie Hegels. Die Geschichte drängt auf ihre Einheit hin, worin sich das Wirken Gottes bekundet. Es entsteht der Eindruck, daß es sich bei Pannenbergs Theologie der Religionen um eine Geschichte der Sieger handelt. Dabei bleibt ein Unbehagen hinsichtlich derjenigen Menschen und Religionen, die auf der Schattenseite der Geschichte und also auch der Religionsgeschichte stehen. Das wird von Ulrich Schoen zu Recht kritisiert: »Wir dürfen [... ] nicht mehr glauben, daß es die Macht des Gottes war, der der Verteidiger der Witwen, der Waisen und der Ausländer ist [sc. des jüdisch-christlichen Gottes], die sich damals bekundet hat, als [... andere] Religionen der Macht verschiedener europäischer Kolonialismen erlegen sind.«39 Nach Pannenbergs Verständnis muß der christliche Gott jedoch der Sieger bleiben, wenn anders er sich in der Einheit der Geschichte offenbaren will. In der Tat verlöre die Pannenbergsche Argumentation etliches an Plausibilität, wäre das Christentum nicht die derzeit größte Religion der Erde. Daß es dazu geworden ist, verdankt das Christentum aber nicht zuletzt den gewaltsamen Mitteln, mit denen die europäischen Kolonialmächte ihre Kultur und Religion in den letzten Jahrhunderten verbreitet haben. Eine andere damit eng zusammenhängende Frage lautet, ob es wirklich stimmt, daß christliche Theologie einer Welt die Beweislast der Wahrheit ihre Glaubens zumuten kann, von der sie gleichzeitig behauptet, daß es sich bei ihr um die gefallene Welt handelt, in der vornehmlich die Macht der Sünde regiert. Ist die Schöpfung, ist die Geschichte, so wie sie ist, tatsächlich für die im Gekreuzigten offenbarte göttliche Wahrheit beweisfähig? Doch wenden wir uns nun unserer hermeneutischen, religionstheologischen und dialogtheologischen Frage zu. Zunächst gilt es festzuhalten: 1.) Mission hat unmißverständlich der Behauptung des christlichen Wahrheitsanspruches zu dienen.40 Es geht in dieser Mission nicht nur um

39 U. S C H O E N (1984): Das Ereignis und die Antworten. Auf der Suche nach einer Theologie der Religionen heute. Mit einem Geleitwort von Werner Kohler. Göttingen, 97-103, 101 f. 40 »Wenn der christliche Glaube behauptet, Gott habe seinen Sohn in die Welt gesandt, damit die Welt durch ihn gerrettet werde (Johannes 3, 17), so liegt darin ein Wahrheitsanspruch, der nicht nur eine subjektive Präferenz des Glaubenden ausdrückt, sondern auf die ganze Menschheit zielt und darum ja auch die Geschichte der christlichen Mission begründet hat. [... ] Schon in der antiken Kulturwelt befand sich die christliche Mission in einer vergleichbaren Situation [sc. wie in der heutigen pluralistischen Gesellschaft]: Sie hat sich in dieser Situation bewährt, weil sie Christus als die Wahrheit Gottes für alle Menschen verkündigte und nicht etwa die Gleichgültigkeit aller Religionsformen proklamierte.« (W. PANN E N B E R G (1994): Wahrheit statt Gleichgültigkeit. Antwort an Wilfried Gerhard, in: EK (27), 134-135, 135.)

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»Mitmenschlichkeit«, denn am »Verhalten Jesu läßt sich ablesen, daß der erste und wichtigste Dienst am andern Menschen in der Verkündigung der Wahrheit Gottes, des ersten Gebotes besteht. Darum muß auch die christliche Mission, der Ruf zum Glauben, Vorrang vor allem anderen haben.« 41 2.) Mission als »Ruf zum Glauben« zielt auf Gemeindegründung und Kirche. 3.) In der Mission wird demnach die Wahrheit der anderen Glaubensweisen bestritten.42 Damit wird der Härte und Abständigkeit der Begegnung mit Vertretern anderer Religionen Rechnung getragen. Die Auseinandersetzung wird nicht harmonistisch interpretiert. Der Fremde wird zunächst in der Fremdheit des von ihm beanspruchten Offenbarungswissens ernst genommen. Adressat dieser Mission sind für Pannenberg alle Religionen gleichermaßen. Das unterscheidet seinen Ansatz von der Missionstheologie Ernst Troeltschs. Zwar vertreten beide Theologen eine induktive Hermeneutik, induktiv insofern, als sich die Wahrheit des eigenen Glaubens erst in der Auseinandersetzung mit den anderen Religionen erweist und bewährt.43 In Troeltschs Hermeneutik der »hypothetischen Anempfindung« versucht der Christ/Missionar jedoch, den Glauben des Gegenüber zu verstehen und dann auch zu werten, indem er die Tendenzen der Religions- und Offenbarungsgeschichte zu ergründen trachtet. Daraus ergibt sich die Auswahl seiner Gesprächspartner. Für Pannenberg dagegen bewähren sich die Wahrheitsansprüche der verschiedenen Religionen an der Welterfahrung ihrer Anhänger. Nicht der Christ ist die letztlich urteilende Instanz, sondern die Beurteilung der Macht bzw. der Uber- oder Unterlegenheit einer Gottheit erweist sich an der Welterfahrung ihrer Verehrer. Für Troeltsch ergaben sich aus christlicher Sicht verschiedene Modi der Begegnung: Gespräch mit Vertretern der dem Christentum gleichwertigen Religionen, Erziehung gegenüber den Primitiven, Mission gegenüber der Mittelgruppe. Die Religionen können, wenn auch vorläufig, eingestuft werden. Bei Pannenberg hingegen müssen alle Religionen hinsichtlich ihrer Wahrheitsansprüche in Betracht gezogen werden, mit allen muß der mis-

41

W. PANNENBERG (1993 a): Angst um die Kirche. Zwischen Wahrheit und Pluralismus,

in: E K ( 2 6 ) , 7 0 9 - 7 1 3 , 7 1 2 . 42 W. PANNENBERG (1993 a), Angst, 711: »Die christliche Mission - und also die Bestreitung der Wahrheit anderer Glaubensweisen - ist die direkte Folge dieses Wahrheitsbewußtseins, das vom christlichen Glauben unabtrennbar ist Die Forderung, auf diesen Wahrheitsanspruch und auf das daraus hervorgehende missionarische Bemühen zu verzichten, kommt der Forderung nach Selbstaufgabe des christlichen Glaubens gleich.« 43 »Die Religionswissenschaften [... ] sind nicht nur unter dem besonderen Gesichtspunkt der Mission von theologischem Interesse, sondern schon im Hinblick auf Ursprung, Geschichte und systematisches Selbstverständnis des Christentums selber relevant.« (WuT 364) Vgl. H. OBAYASHI (1970): Pannenberg and Troeltsch, History and Religion, in: JAAR (38),

401-419.

Dialog als Mission? - Wolfhart Pannenberg

171

sionarische Dialog gesucht und gepflegt werden. Mission und Dialog fallen zusammen, aber so, daß das Ziel Konversion im Sinne des Religionswechsels bleibt. Beiden Ansätzen ist gemeinsam, daß die Wahrheitsbehauptungen des christlichen Glaubens nicht dogmatisch vorausgesetzt werden dürfen. Der Grund liegt darin, daß die Geschichte, in der sich Gott offenbart, noch nicht zu ihrem Ende gekommen ist. Während der Fortgang der Geschichte für Troeltsch jedoch im dunkeln liegt und er deshalb nur von einer zeitweiligen Höchstgeltung der christlichen Religion spricht, ist das Ende der Geschichte für Pannenberg in der Auferstehung Christi antizipiert. Das schafft ein höheres Maß an Gewißheit, als es bei dem Ansatz von Troeltsch möglich war. Dennoch bleibt auch für Pannenberg das Ende der Geschichte, weil es sich noch nicht ereignet hat, bis zu einem gewissen Grade verborgen, weshalb die christlichen Wahrheitsbehauptungen »hypothetischen« Charakter haben. Es fragt sich jedoch, wieviel Offenheit gegenüber fremden Religionen in der Spannung von assertorischem und hypothetischen Charakter christlicher Wahrheitsbehauptungen tatsächlich möglich ist. Leider ist Pannenberg dieser Frage bisher nicht nachgegangen. Religionstheologisch verstehen beide Theologen Gottes Offenbarung als Geschiehtsoffenbamng, weshalb davon auszugehen ist, daß es in allen Religionen göttliche Offenbarung gibt. Während Troeltsch jedoch die Religionen in eine durch den Entwicklungsgedanken fundierte Ordnung und darüber hinaus den Zusammenhang von Religion und der durch sie mitbedingten Kultur sehr eng faßt, wird diese Konzeption von Pannenberg abgelehnt. Die Gottheiten der Religionen bewähren sich in und an der Welterfahrung ihrer Anhänger, und diese wiederum kann sehr verschiedene Ausprägungen haben. Kulturelle Entwicklung kann für Pannenberg demnach nicht als Gradmesser religiöser Offenbarungswahrheit dienen. Dadurch gewinnt Pannenberg eine größere Offenheit gegenüber der Fremdheit der anderen Religionen als Troeltsch. Die Religionen werden nicht durch das Postulat einer der Religionsgeschichte inhärenten Entwicklungstendenz vorinterpretiert und damit nivelliert. Vielmehr werden sie sich selbst zum Maßstab der ihrer Gottheit eigenen Macht und Wahrheit. Das bevorzugte Medium der christlichen Mission ist deshalb auch nicht die auf Entwicklung und auf Unabhängigwerdung von den Naturzwängen zielende Erziehungs- und Schulungsarbeit, sondern der Dialog. Gegenüber anderen theologischen Ansätzen vermeidet es Pannenberg auch, das Verhältnis zwischen dem christlichen Glauben und den Religionen mittels eines Religionsbegriffes zu bestimmen. Die christliche Soteriologie wird nicht zur Qualifizierung eines allgemeinen Religionsbegriffes herangezogen. Daher werden hinsichtlich des Dialoges mit Angehörigen fremder Religionen in dieser Hinsicht theologische Voreingenommenheiten vermieden.

172

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

Dialogtheologisch gesehen ist Mission das Nachvollziehen der "Wahrheit. Weil es um die Wahrheit des Glaubens geht, ist Dialog Mission. Denn hinsichtlich der Wahrheit kann es nur ein J a oder Nein, ein Wahr oder Falsch geben. Eine Wahrheit zu behaupten, heißt gleichzeitig, eine andere Wahrheitsbehauptung abzulehnen. Zu einer solchen Entscheidung soll der Dialog führen. Es ist sein ZieL, den Streit um die Wahrheit auszutragen und, soweit irgend möglich, zu entscheiden. Wenn es jedoch auch in den anderen Religionen göttliche Offenbarung gibt, dann fragt sich, wie die »Aufhebung« dieser Offenbarungen durch die christliche Wahrheit zu denken ist. Das, was von einer anderen Gottheit behauptet wurde, erweist sich in der Welterfahrung seiner Anhänger entweder als ungenügend oder gar falsch. Dann hat der christliche Gott womöglich eine bessere Alternative zu bieten. Das wäre »Aufhebung« im negativen, eliminierenden Sinne. Oder aber die Wahrheit der fremden Gottheit wird als eine solche erkannt, die vom christlichen Gott auch und besser - ausgesagt, behauptet, angeboten wird. Dann ist zu erwarten, daß sich das Feld der Machtbehauptungen (und - erweise) des christlichen Gottes auf das der anderen Gottheit ausdehnt und dieses absorbiert (wenn auch in einem Vorgang der Transformation). »Aufhebung« hieße dann nicht unbedingt die Maximierung der fremden Wahrheit, sondern eher die neue Einordnung im Kontext des christlichen Glaubens, womit sie natürlich nicht das bleibt, was sie war. Es zeigt sich, daß nach diesem Verständnis von Dialog als Mission der Dialogpartner, der zugleich der Adressat der sich im Dialog vollziehenden Verkündigung ist, nur sehr bedingt zum Konstituens der christlichen Wahrheit wird. Der Gottesglaube des Adressaten wird nur dadurch zum integralen Bestandteil des christlichen Glaubens, als er sozusagen »enterbt« wird, d.h. indem seine Wirklichkeitsmächtigkeit, die nicht im Gegensatz zu dem stehen darf, was der Christ bereits als Wahrheit des Evangeliums erkannt hat, als vom christlichen Gott überboten oder bereits realisiert verstanden wird. Dadurch weitet sich, vermittelt durch die dialogische Auseinandersetzung mit dem Gegenüber und die Rezeption der vorher seiner Gottheit eigenen Machtbehauptung, nach erfolgter Integration die Machtsphäre des christlichen Gottes aus. Nur dadurch also, daß die Machtansprüche und Wahrheitsbehauptungen der konkurrierenden Götter entweder überboten oder integriert werden, werden sie zum Mitkonstitutivum der christlichen Botschaft. Das »Fremde« wird zum Element der Verteidigung des christlichen Wahrheitsanspruches, indem es nach gelungener Integration dessen interpretatorische Kraft erhöht. In diesem Sinne ist die christliche Botschaft umgekehrt auf Mission als Dialog geradezu angewiesen, da im Dialog die Chance der Bereicherung und d. h. der Optimierung der Durchsetzungsfähigkeit des christlichen Glaubens gegeben ist!

Dialog als Mission? - Wolfhart Pannenberg

173

Pannenbergs Ansatz verlangt nach der Auseinandersetzung mit den Wahrheitsbehauptungen fremder Religionen. Darin liegt seine Stärke und von daher ist es verständlich, daß das Thema Mission von essentieller Bedeutung für seine Theologie ist. Ob der dieser Theologie zugrundeliegende Einheitsbegriff 44 jedoch geeignet ist, den Eigenwert fremder Religionen hermeneutisch Rechnung zu tragen, mag bezweifelt werden.

44

»Zur konkreten Erfassung des religiösen Phänomens muß die Abstraktion des Allgemeinbegriffes von Religion, die als Ausgangspunkt unumgänglich ist, aufgehoben werden in die Vielfalt der geschichtlichen Wirklichkeit der Religionen. Dabei wird sich zeigen, daß diese Vielfalt nicht auseinanderfällt in ein gleichgültiges Vielerlei. Denn es geht in den Religionen um die eine Wahrheit des Göttlichen. Eben darum ist Gegensatz und Kampf zwischen ihnen unvermeidlich, und darum bildet die Religionsgeschichte zuletzt doch wieder eine Einheit, gegründet in der Einheit ihres Themas, die sich in den Kämpfen der Geschichte selbst herausstellt« (WuT, 421 f.)

В »Dialog« und Mission - Helmut Thielicke 1. Hermeneutischer

Ansatz

Helmut Thielicke versteht seine Dogmatik1 als Gegenentwurf zu dem, was er »cartesianische Theologie« nennt. Er faßt darunter solche Theologien, die auf irgendeine Weise vom cogito des Menschen, von seinen Verstehensbedingungen ausgehen, um von daher die Offenbarung Gottes zu denken und zu erläutern.2 Demgegenüber insistiert Thielicke darauf, daß vom Menschen aus keinerlei Möglichkeit besteht, die göttliche Wahrheit zu vernehmen oder gar anzunehmen. Vielmehr ist es Gott selbst, der die Existenz des Menschen derart verändert, daß der Mensch seine Offenbarung verstehen kann. 1.1 Aktualisierung versus Akkomodation Des Menschen neue Existenz wird von Gottes Wort im Heiligen Geist bewirkt. Dabei ist der Mensch, als Adressat des Wortes Gottes, für dieses Wort konstitutiv.3 Der Heilige Geist »aktualisiert« die Wahrheit, indem er sie jeweils neu interpretiert und zwar dadurch, daß er den Hörer des Wortes in seiner jeweiligen Situation anruft und »unter« die Wahrheit ruft. »Unter« die Wahrheit, das heißt jenseits aller menschlichen Möglichkeiten. Cartesianische Theologie orientiert sich demgegenüber an den Verstehensbedingungen des Menschen und »akkommodiert« die Offenbarung an die jeweilige Situation. Sie setzt die Analyse der menschlichen Situation, deren Notwendigkeit von Thielicke nicht grundätzlich bestritten wird, metho1 H. T H I E L I C K E ( 1 9 6 8 ) : Der evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik. 1. Band. Prolegomena. Die Beziehung der Theologie zu den Denkformen der Neuzeit, Tübingen; DERS. ( 1 9 7 3 ) : Der evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik. 2 . Band. Gotteslehre und Christologie, Tübingen; DERS. ( 1 9 7 8 ) : Der evangelische Glaube. Grundzüge der Dogmatik. з. Band. Theologie des Geistes. Der dritte Glaubensartikel. Die Manifestation des heiligen Geistes im Wort, in der Kirche, in den Religionen und in den letzten Dingen, Tübingen. 2 Darunter fallen für Thielicke die Theologien Schleiermachers und Lessings ebenso, wie die von Bultmann, Ebeling, Tillich und Pannenberg, um nur einige zu nennen. Vgl. I, 22 ff. и.ö., s. Begriffsindex. 3 »Nur deshalb, weil diese Adressierung [... ] konstitutiv zum Wort gehört, wird erklärbar, daß es so etwas wie eine Geschichte der Predigt und der Theologie gibt«. (1,6) »Der Blick auf den Adressaten ist [... ] nicht sekundär, sondern fundamental und sachbedingt: Wenn nämlich die >Sache< des Wortes mich radikal treffen und betreffen soll, dann gehört die Frage, wer ich denn sei, bereits konstitutiv zur Sachfrage selbst.« (1,7)

»Dialog« und Mission - Helmut Thielicke

175

disch an den Anfang theologischer Arbeit. Damit aber, so kritisiert Thielikke, stellt sie sich »über« die Wahrheit und läßt das menschliche Ich und seine Situation zu ihrem Maß und Ermöglichungsgrund werden. 4 Das Wort wird hier zum »Deute-Wort« einer vorgegebenen Situation. Thielicke jedoch weist darauf hin, daß das Wort Gottes im biblischen Sinne nicht »Deute-«, sondern schöpferisches »Tat-wort« ist. Durch das Tat-Wort, durch das testimonium Spiritus sancti (I, 264 f.), wird die Existenz des Menschen neu geschaffen. Seine vorgegebenen Verstehensbedingungen und -kategorien, die zum Verstehen der göttlichen Wahrheit ohnehin nicht ausreichen, werden außer Kraft gesetzt. Erst dadurch vermag der Mensch Gottes Offenbarung aufzunehmen, denn mit der neuen Existenz erschafft das Tatwort im Menschen erst die Analogie zu Gott, die allein Basis des Verstehens der Offenbarung ist.5 Aus diesem Grund setzt Thielickes Dogmatik mit der Pneumatologie ein.

1.2 »Neue Existenz«

als

Analogon

Wenn des Menschen Existenz neu erschaffen ist, dann kann das »Ich bin ich« nicht länger seine Identität verbürgen. In der Neuerschaffung seiner Existenz wird der Mensch durch den Heiligen Geist von sich selbst weg und auf Gottes Wirken hin gewiesen. Das von außen Kommende wird so zum »proprium« des Menschen, da der Mensch von dem »Ich bin« nur noch in seiner Relation zu Gott sprechen kann. Der Geist wirkt dabei nicht durch etwas im Menschen, sondern er wirkt an ihm, denn durch das Geistwirken vermittelt werden alle Dimensionen der Existenz des Menschen dadurch charakterisiert, was Gott für ihn ist. (I, 173 f.) Zwischen der alten und der neuen Existenz besteht also ein Bruch. Als Kontinuum der Identität wird aus der Perspektive der neuen Existenz nicht mehr das »Ich bin ich«, sondern die Treue Gottes erkennbar, denn Gott hat die Vorgeschichte der alten Existenz gewollt und sich an der neuen Existenz offenbart. Darin bleibt er sich und dem Menschen treu. Identität ist also ein paradoxes Phänomen: einerseits muß von Identität gesprochen werden, um die »Worthaftigkeit und Verantwortlichkeit« des Menschen nicht zu verlieren, andererseits kann Identität kein unveränder4 I, 9, 15. - Akkomodation als menschliches Tun assimiliert die göttliche Wahrheit also an die menschliche Situation und wird damit unsachgemäß. (I, 494) Thielicke spricht aber an anderer Stelle auch von der Akkomodation Gottes an die Welt. (I, 541) 5 »Damit stoßen wir auf das [... ] hermeneutische Problem: Die Wahrheit Gottes wird mir verstehbar allein durch den Heiligen Geist, weil durch ihn jene Analogie vermittelt wird, die jedem Verstehensvorgang zugrunde liegt Diese Analogie ist aber vor aller Analogie des Verstehens eine Analogie der Existenz. Das Zustandekommen dieser Analogie weist auf das schöpferische Tatwort Gottes, das diese Existenz im Wunder des Geistes neu macht und in der Wahrheit >sein< läßt.« (I, 266)

176

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

liches Kontinuum sein, an dem sich die Offenbarung quasi als bloße Modifikation vollzieht. Folglich ist der Begriff der Identität selbst ein »Grenzbegriff«. Obwohl er unverzichtbar ist, kann er keinen normativen Rang haben. Auch der Begriffwird - als theologischer - analog der menschlichen Existenz neu geschaffen. Obwohl man also von »Identität« sprechen muß, kann man eine Kontinuität nicht aufweisen. Zwischen der alten und der neuen Existenz - und den von ihr gebrauchten Begriffen (!) - steht das »Wunder einer göttlichen Tat«. Thielicke findet das »Urmuster dieser Paradoxic [... ] bei Paulus: >Ich lebe - aber nicht mehr >ichFest ohne Endechristlichen Welt< oder den Unfehlbarkeitsanspruch des kirchlichen Lehramtes meint, steht er natürlich dem Dialog im Wege. Sofern er aber die Einzigartigkeit Jesu Christi meint, ist er die Voraussetzung für den Dialog mit anderen Religionen, denn allein diese christliche Identität ist dialogwürdig.« ( D P T 535) 36 »Jeder muß sich selbst mit dem ganzen Wesen seiner Religion oder Weltanschauung in den Dialog einbringen. Es klingt zwar sehr deutsch, aber ein Dialog, in dem es nicht um die >Wahrheitsfrage< geht, bleibt irrelevant.« ( D P T 533 f.) 37 »Versteht sich die Kirche mit ihren Aufgaben und Kräften im Geist und aus seiner Geschichte, dann versteht sie auch ihre Partikularität als Moment in der Kraft des Geistes und braucht ihre besondere Gestalt und ihre speziellen Aufträge nicht mit selbstzerstörerischen Absolutheitsansprüchen zu behaupten.« (KKG 181)

Dialog als »Qualitative Mission« - Jürgen Moltmann

219

schöpferischen Wortes Gottes, das Einstellungen der Menschen, gesellschaftliche Institutionen usw. auf die Neuschöpfung aller Dinge hin verändert. Wir vergegenwärtigen uns an dieser Stelle kurz, was unter quantitativer Mission zu verstehen ist. Quantitative Mission geschieht durch Verkündigung. 38 Hier handelt es sich um einen Missionsbegriff im engeren Sinne: »Die Verkündigung Jesu und der Jünger ist Mission, aber seine und ihre Mission ist nicht nur die Verkündigung.« 39 »Verkündigung« meint aber die Ausrichtung des Wortes Gottes, das ein »verkündigtes«, »ankündigendes« und »sendendes« Wort ist. Es weist also in die Weite der Welt, hat universalen und eschatologischen Charakter und öffnet Menschen auf die Zukunft Gottes hin. Dem entspricht die christliche Verkündigung. 40 Wenn man Moltmanns Begriff des Wortes Gottes unterlegt, dann kann der Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer also so groß nicht sein. Verkündigung ist die Ausrichtung des schöpferischen Wortes Gottes als Ruf in die »schöpferische Nachfolge«. Der Begriff der Verkündigung ist offensichtlich stärker auf Rede und Anrede ausgerichtet, aber nicht darauf beschränkt. Der Einladungscharakter zur Teilnahme an der christlichen Gemeinschaft ist hier stärker betont. Moltmann scheint quantitative Mission nicht durch die qualitative ersetzen zu wollen. Beide Arten haben ihr eigenes Recht.

38 Moltmann assoziiert quantitative Mission mit der US-amerikanischen Spielart des »Church growth«. (KKG 173) Unsere Darstellung geht dem nicht nach, sondern sie skizziert allein Moltmanns Verkündigungsbegriff. Dieser deckt sich mit der von ihm angedeuteten quantitativen Mission allerdings nur bedingt Zum Church Growth Movement vgl. H.W. GROSSE (1993): Die Gemeindewachstumsbewegung und ihre Auswirkungen. Anfragen an missionarische Gemeindeaufbaustrategien, in: PTh (82), 278-297; G. MAIER (1995): Gemeindeaufbau als Gemeindewachstum. Zur Geschichte, Theologie und Praxis der »church growth«-Bewegung, Erlangen. 39 K K G 94. - An anderer Stelle heißt es: »Evangelisation ist Mission, aber Mission ist nicht nur Evangelisation.«(KKG 24) Moltmann faßt den Begriff »Evangelisation« enger, als den der »Verkündigung«. Demnach wäre bei Evangelisation eher an eine besondere Art von Veranstaltung gedacht, wohingegen Verkündigung jegliche Art der Wortverkündigung bezeichnen würde. Moltmann äußert sich dazu aber nicht näher. 40 T H 300. - »Wir sahen, das Wort, dem die christliche Verkündigung dient, ist das Wort Gottes, das den Gekreuzigten auferweckt hat und die Toten lebendig machen wird, einschöpferisches, endzeitliches Wort, das aus dem Nichts voraussetzungslos etwas Neues in der Geschichte schafft. Darum kann man nicht sagen, Wortverkündigung ist zu intellektuell, wir müssen es mit ethischen Taten versuchen. Alles was wir tun können, wird aus diesem Wort der Auferweckung geboren.« (ZdM 12)

220

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

5.3 Rahmen und Kriterium des Dialogs Dialog zwischen den Religionen und Weltanschauungen findet jeweils im Rahmen lebendiger Beziehungen von Menschen statt. Es kann ihn nur konkret und relational geben. (KKG 179) Gelebte Beziehungen können jedoch verschiedener Art sein. Mindestens vier Aspekte sind diesbezüglich zu berücksichtigen, die je auf ihre Weise dem konkreten Dialog ein je eigenes Gepräge geben werden. Es wird 1.) je nach Situation zu berücksichtigen sein, welcher der Partner in einem Staat als eine Minderheit lebt. (KKG 173) Eine Psychologie der Minderheiten hat auf den Dialog natürlich ihre Auswirkungen. Aber auch auf 2.) die soziale Ebene ist zu achten. Ob nämlich hochrangige Vertreter der Religionen oder Menschen an der Basis den Dialog pflegen, macht einen großen Unterschied. Weiterhin sind 3.) die Ebenen eines solchen Dialoges zu beachten, da sich der Begriff »Dialog« keineswegs auf Worthaftigkeit im Sinnes eines Gedankenaustausches in gesprochener oder geschriebener Rede reduzieren läßt. Vielmehr wird jede Religion je nach Art ihrer Beschaffenheit andere Ebenen des Dialoges, z.B. Kult oder Meditation, bevorzugen. (KKG 183f.) Dieser Punkt ist von besonderer Bedeutung, da auch hier der Dialogpartner zum Mitkonstituens der Begegnung und Beziehung wird. Denn die sich in der Begegnung als für den Dialog geeignet herausstellenden Ebenen bestimmen auch das mit, was es zu verstehen und zu lernen gibt.41 Schließlich muß man, wenn man den missionarischen Charakter des Dialoges vor Augen hat, 4.) auch die »andersartigen Missionen« anderer Religionen wahrnehmen und respektieren. (KKG 181) Dieser zumeist neuralgische Punkt läßt erahnen, wie hoch die Anforderungen sind, die ein solcher missionarischer Dialog an seine Teilnehmer stellt. Jedenfalls darf die Härte der Auseinandersetzung im Dialog nicht verlorengehen. Der Dialog findet in Gemeinschaft statt und soll wiederum Gemeinschaft in wechselseitiger Teilnahme ermöglichen.42 Das schließt, trotz der intendierten »Infektion« der anderen Religionen und Weltanschauungen, auch eine Veränderung der Christen ein. Es findet ein gemeinsamer Lernprozeß statt. Dennoch soll es nicht zu einer Vermischung, zum Synkretismus kommen. Was aber ist in einem solchen Prozeß das Kriterium für »Synkretismus«? Moltmann antwortet: »Zum Synkretismus, der die christliche Identität auflöst, kommt es nur, wenn man diese Zukunft aus den Augen verliert, zu 41 »Es scheint mir besser zu sein, wenn sich Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften unmittelbar und direkt begegnen und die Spielregeln ihrer Begegnungen selbst festlegen.« ( D P T 535) 42 »Der Dialog selbst verändert die bisherigen voneinander getrennten und gegeneinander oft agressiven Lebensatmosphären der Religionen und schafft die Bedingungen für Gemeinschaft, in der wechselseitiges Teilnehmen, Austausch und gegenseitige Befruchtung möglich werden.« (KKG 182)

Dialog als »Qualitative Mission« - Jürgen Moltmann

221

der die Christenheit berufen ist.« (KKG 185) Der Dialog kann zur Zusammenarbeit mit Menschen anderer Religionen, aber auch zur Inkulturation des Christentums in seinen kulturellen und religiösen Kontext führen. Religiös und kulturell unterschiedlich geprägte Formen des Christentums sind denkbar und legitim.43 Das einzige Kriterium für illegitimen Synkretismus ist für Moltmann dagegen die Zukunftsorientierung des christlichen Glaubens. Ob allerdings dieses Kriterium angesichts der Struktur anderer Kulturen und Religionen angemessen ist, bleibt fraglich.

6. Würdigung und Kritik Mit seiner sendungsgeschichtlichen Hermeneutik hat Moltmann wie kein anderer das Thema Mission zum Grunddatum einer systematischen Theologie gemacht. In unserer kritischen Würdigung ist zunächst zu erläutern, inwiefern die Theologie Moltmanns hinsichtlich ihres Religionsbegriffes dem Ansatz von Karl Barth zugeordnet werden kann. Wie Barth leitet auch Moltmann seinen Religionsbegriff deduktiv aus dem Offenbarungsbegriff ab. Bei Barth stand die Gewirktheit und Unverfügbarkeit der Offenbarung der Religion, verstanden als Ausdruck menschlicher Anmaßung im Streben, Gott zu erreichen, gegenüber. Offenbarung ist und bleibt dem Menschen unverfügbar, sie kann sich nicht in menschlicher Form verfestigen, so daß der Mensch ihrer habhaft werden könnte. Trotz aller sonstigen Unterschiede gleicht Moltmanns Religionsbegriff in diesem Punkte dem von Barth. Es ist die Unverfügbarkeit der durch die Offenbarung als Verheißung gewirkten Neuschöpfung aller Dinge, die sich hier der Verendlichung und Verfügbarmachung in der »Religion« entzieht. Religion steht für Beharrung, Verfestigung und Erstarrung, also für etwas, daß der Offenbarung Gottes widerspricht. »Religion« steht für Verendlichung der Offenbarung und ist darum Unwahrheit. Beide Theologen wenden ihren Religionsbegriff kritisch gegen die Religionen und unter ihnen im besonderen gegen das Christentum. Im Unterschied zu Barth, dessen Religionsbegriff die Religionen aus theologischer Sicht, und das heißt aus der Perspektive Gottes, als rein menschliches Machwerk entlarvt, gebraucht Moltmann den Religionsbegnff rein analytisch. Das, was der Offenbarung nicht entspricht, wird herausgestellt, ohne aber damit ein Urteil darüber abzugeben, ob es in den Religionen nicht doch etwas gibt, was der Offenbarung Gottes sehr wohl entspricht. 43 »Im Sinne des kulturellen Einheimischwerdens m u ß ein w a h r h a f t indisches, chinesisches, japanisches, indonesisches, arabisches und afrikanisches Christentum entstehen. Im Dialog mit den Weltreligionen wird d a r ü b e r hinaus auch ein buddhistisches, hinduistisches, muslimisches, animistisches, konfuzianistisches, shintoistisches Christentum entstehen.« ( K K G 184 f.)

222

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

Der Religionsbegriff Moltmanns ist demnach als analytische Kategorie »oberhalb« der konkreten Religionen anzusetzen. Er ist Mittel zur Kritik, nicht aber primär Schlüssel zum theologischen Verständnis der Religionen. Die Religionen kommen nicht im Zusammenhang des Religionsbegriffs, sondern implizit im Zusammenhang der Hermeneutik zur Sprache. An diesem Punkte unterscheiden sich Barth und Moltmann deutlich. Während Barth zum Thema Mission am Ende seiner Dogmatik - in der Versöhnungslehre - Stellung nimmt, steht sie bei Moltmann ganz am Anfang, nämlich im Zusammenhang der Lehre von der Offenbarung. Von Sendung handelt Barth an dem Punkt, der den Übergang von Dogmatik zur Ethik markiert. Moltmann hingegen verhandelt Sendung im Zusammenhang der Hermeneutik. Aus diesem Grunde versteht Barth auch die christliche Sendung als Zeugendienst in dem Sinne, daß der Dienst der Christen dem Zeugnis nichts hinzufügt. Das Zeugnis gehört nicht in den Zusammenhang des Offenbarungswirkens Gottes, sondern es ist diesem nachgeordnet. Dagegen können die Christen für Moltmann nur in der Teilnahme an der umfassenden Sendung Gottes Zeugnis geben. Die Sendung gehört dabei sehr wohl in den Zusammenhang der Offenbarung Gottes. Für Barth ist Mission Zeugnis, für Moltmann Sendung. Einig sind sich beide darin, daß jeder Christ zum Zeugen berufen bzw. in die Sendung gestellt ist. Bei Barth handelt es sich dabei um die Bewährung des Christseins, bei Moltmann um die Konstituierung desselben. Die soteriologische Entsprechung dieses Sachverhaltes ist, daß das Zeugnis nach Barth die de facto bereits geschehene Versöhnung bezeugt, während die Sendung fur Moltmann an der Neuschöpfung aller Dinge teilnimmt und darin an dem diesem Geschehen zugrundeliegenden trinitarischen Geschehen teilhat. Deshalb auch ordnet Barth die Mission als Zeugnis allein dem prophetischen Amt Christi zu, während Moltmann die als Sendung verstandene Mission als an allen drei Amtern Christi - dem prophetischen, priesterlichen und dem königlichen - teilnehmend denkt. 44 Der Inhalt der Mission ist bei Barth die geschehene Versöhnung, bei Moltmann die geschehende, zukunftsoffene und -eröffnende Neuschöpfung aller Dinge. Die Wahrheit dieser Botschaft erweist sich bei Barth durch sich selbst, bei Moltmann im Zusammenspiel der göttlichen und der menschlichen Sendung. Hermeneutisch betrachtet geht es bei Moltmann - und hier verlassen wir den Vergleich mit Barth - um eine teilnehmende Hermeneutik. Wie wir sahen, wird der Andere und Fremde zum integralen Bestandteil der christlichen Identität, die nur im durch die Verheißung offengehaltenen dauer44 Zudem stellt Barth das prophetische Amt an den Schluß der Ämterlehre, Moltmann dagegen an deren Anfang.

Dialog als »Qualitative Mission« - Jürgen Moltmann

223

haft-dialektischen Prozeß von Dialektik und Analogie, von Entäußerung und Identität, von Widerspruch und Verähnlichung leben und bestehen kann. Die Alltäglichkeit des gemeinsamen Lebens erhält bei Moltmann dadurch zumindest implizit theologische Relevanz. Ist sie doch auch Ort der Offenbarung Gottes in der Sendung eines jeden Christen und der Gemeinde. Die Gemeinde erkennt sich selbst in der Gemeinschaft der Geschichte Gottes. Sie nimmt diese Geschichte wahr in der Gemeinschaft der Entrechteten, der Armen und Ausgegrenzten, in der der dreieinige Gott in Jesus Christus seine Präsenz zugesagt hat. Umgekehrt erkennt sie in dieser Mission ihren Gott, der sich auf diesem Wege finden lassen will. Ihn bei den Anderen und Fremden zu offenbaren, ist Ziel der Mission und Vollzug der Existenz der Christen und der Gemeinde in einem. Der Fremde hat in der Begegnung teil an der immer wieder neuen Konstituierung der christlichen Identität. Sich einzulassen auf den Fremden ist also immer auch Voraussetzung des Selbsterkennens. Dieses aber findet eben nicht abstrakt statt, sondern in der Begegnung, in offener Freundschaft, in Arbeit, Mühe und Leiden, bewegt durch den Geist der Neuschöpfung. Eine hermeneutische Funktion im engeren Sinne kommt der Pneumatologie im Ansatz von Moltmann außerhalb dieser allgemein lebensschaffenden und gemeinschaftsstiftenden Funktion nicht zu. Eine Präzisierung des hermeneutischen Vorganges scheint daher nicht möglich. Sendung als hermeneutisches Prinzip erscheint als so umfassend, daß eine nähere Bestimmung des Verstehensvorganges mit dem Fremden nicht möglich ist. Aus religionstheologischer Perspektive sahen wir, wie Moltmann von diesem Verständnis her Erkenntnisse anderer Religionen und Kulturen positiv aufnehmen kann. Er spricht sogar von kulturell und religiös verschieden geprägten Formen des Christentums. Kritisch anzufragen wäre hier, ob dann die Zukunftsorientiertheit des christlichen Glaubens, für Moltmann Identitätskriterium des Christentums überhaupt, im Prozeß der Mission das unterscheidende Moment sein kann. Setzt sich hier nicht ein typisch abendländisches Zukunftsverständnis durch?45 Können andere Kulturen, die sich über Jahrhunderte kaum verändert haben, von einem solchen zeitlichen Vorverständnis aus überhaupt verstanden werden? Wird der von Moltmann dargestellte christliche Glaube nicht in einen unausweichlichen Selbsterhaltungskampf eintreten müssen, wenn ihm droht, in einer anderen Kultur die eschatologisch-zukünftige Spitze einzubüßen? Die grundsätzliche Anfrage besteht also darin, ob man ein so geartetes zeitliches Vorver-

45 Vgl. R. KOSELLECK (1979): Vergangene Zukunft: zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M.

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Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

ständnis, dem man sich als Europäer im Verstehensprozeß natürlich nicht ganz zu entziehen vermag, zur Grundvoraussetzung einer missionarischen Theologie erklären kann. Natürlich kann man sich auch nicht außerhalb dieses Zeitverständnisses stellen, man ist in ihm bis zu einem gewissen Grade gefangen. Dennoch müßte nach Wegen gesucht werden, die Tendenz der Zukunftshoffnung auch in anderen Zeitkategorien auszusagen. Unter dialogtheologischem Gesichtspunkt ist zu fragen, ob der Dialog nicht einseitig funktionalisiert wird, wenn man ihn nur in den Zusammenhang des gemeinsamen Engagements stellt. Moltmann meint, der »Dialog [... könne] nicht um des Dialogs willen, sondern muß um der Veränderung lebensgefährlich gewordener Verhältnisse willen geführt werden.« (DPT 534) Müßte sich Dialog nicht auch zweckfrei ereignen? Findet nicht ein Verstehen des Fremden auch gerade dort statt, wo Zeit »verschwendet« wird? H a t das »Nichtstun« nicht seine ganz besondere hermeneutische Qualität? Und wie steht es mit besonderen Orten und Gelegenheiten des Verstehens? Ist nicht das gemeinsame Fest, um nur ein Beispiel zu nennen, eine Gelegenheit, den Fremden auf eine ganz andere und neue Art kennenzulernen als im Alltag?46 Eröffnet sich hier nicht eine neue Perspektive gerade dadurch, daß das Fest - obwohl es natürlich auch eine bestimmte Funktion im Leben der Menschen hat - sich einer Funktionalisierung entzieht?47 Wie aber sind solche besonderen »hermeneutischen Orte und Gelegenheiten« theologisch zu verstehen und in welchem Zusammenhang zu behandeln? Am Beispiel des Festes wird zudem deutlich, daß ein Verstehen des Fremden, um das es in der Mission geht, sich in Öffentlichkeiten und (nicht nur) sozialen Strukturen vollzieht. Der Christ bewegt sich in qualitativer und quantitativer Mission in Öffentlichkeiten. Er nimmt teil an Gemeinschaft und ist Teil der Gemeinschaft. Die Frage lautet, ob die sendungsgeschichtliche Hermeneutik Moltmanns nicht um diesen Aspekt der Öffentlichkeit erweitert werden müßte. 46 Auf die hermeneutische Bedeutung des Festes hat T h . Sundermeier wiederholt hingewiesen. Vgl. T H . SUNDERMEIER (1986): Konvivenz als Grundstruktur ökumenischer Existenz heute, in: W. Huber; D . Ritsehl; Th. Sundermeier, Ökumenische Existenz heute 1, M ü n c h e n 4 9 - 1 0 0 ; DERS. (1991): Erwägungen z u einer Hermeneutik interkulturellen Verstehens, in: ders. (Hrsg.), Die Begegnung mit d e m Anderen: Plädoyers für eine interkulturelle H e r m e neutik, Gütersloh, 1 3 - 2 8 ; DERS. (1993): Am Tisch kein Platz für Fremde? D a s Herrenmahl in missionstheologischer Perspektive, in: K. Pisbaty; H . Rzepkowski ( H g g . ) , Verbi Praecones. Festschrift für Karl Müller S V D , Nettetal, 7 1 - 8 2 . 47 M a n könnte einige Hinweise Moltmanns zum »Kairos« des Dialogs in dieser Richtung verstehen. »Ich glaube, d a ß es für einen fruchtbaren D i a l o g eines besonderen Kairos bedarf. D i a l o g ist ein kostbares Geschenk. D i a l o g ist nicht jederzeit, mit jedermann und überall möglich. Es gibt darum auch kaum generelle M e t h o d e n , um z u einem fruchtbaren D i a l o g zu kommen.« ( D P T 532) Allerdings steht diese Bemerkung Moltmanns in einem Zusammenhang, den man im o . g . Sinne als funktionalistisch bezeichnen kann.

D Theologie im christlich-hinduistischen Dialog: Mission als Dialog - Michael von Brück Ausgangspunkt der Erwägungen von Michael von Brück sind seine Erfahrungen im hinduistisch-christlichen Dialog, die er während eines mehrjährigen Indienaufenthaltes sammeln konnte. Es geht ihm ist seinem Werk »Die Einheit der Wirklichkeit« darum, eine »dialogische Theologie« zu entwickeln. 1

1. Interreligiöser Dialog als theologischer

Ausgangspunkt

Der Dialog steht sachlich und methodisch an erster Stelle, weshalb auch die Hermeneutik des Dialoges sich erst aus seinem Vollzug ergibt. Daß man in den Dialog ohne hermeneutische Vorgaben eintritt, bedeutet jedoch nicht, daß man einen »neutralen« Standpunkt einnehmen könnte. Der Dialog setzt vielmehr einen eigenen Standpunkt voraus. Im Dialog geht es nicht einfach um die Auffindung von Analogien zwischen zwei Religionssystemen, es geht auch nicht um die Identifizierung beider. Von Brück weist vielmehr darauf hin, daß im Vergleich der Funktionen bestimmter Symbole diese sich durchdringen und gegenseitig neu erschließen können. »Der Höhepunkt des Dialoges liegt dort, wo der andere zur Quelle des Selbstverständnisses wird.« (EW 16) In diesem Sinne versucht von Brück, den christlichen Glauben von den Erfahrungen der hinduistischen Advaita-Philosophie her neu zu durchdenken. Ziel ist nicht eine »Synthese« der Religionen, sondern ein besseres gegenseitiges Verste1 Vgl. M. v. BRÜCK (1979): Möglichkeiten und Grenzen einer Theologie der Religionen, Berlin (Ost); DERS. ( 2 1987): Einheit der Wirklichkeit. Gott, Gotteserfahrung und Meditation im hinduistisch-chrisdichen Dialog, München [zit.: EW]; DERS. (1991): Mystische Erfahrung, religiöse Tradition und die Wahrheitsfrage, in: Bernhardt, R. (Hrsg.), Horizontüberschreitung. Die pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh, 81-103; DERS. (1992): Religionswissenschaft und interkulturelle Theologie, in: EvTh (52), 245-261; DERS. (1993 a): Heil und Heilswege im Hinduismus und Buddhismus - eine Herausforderung für chrisdiches Erlösungsverständnis, in: ders.; J. Werbick (Hgg.), Der einzige Weg zum Heil? Die Herausforderung des christlichen Absolutheitsanspruchs durch pluralistische Religionstheologien, Freiburg i. Br. u. a., 6 2 - 1 0 6 ; DERS. (1993 b): Wahrheit und Toleranz im Dialog der Religionen, in: Dialog der Religionen (3), 3 - 2 0 [zit.: WuT]. Zum Begriff »dialogische Theologie« vgl. E W 15, 17, 19, u . ö . - Zum Ansatz von von Brück vgl. auch G. ROSENSTEIN (1991): Die Stunde des Dialogs: Begegnung der Religionen heute, Rissen/Hamburg, 147 ff.

226

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

hen und seitens der Christen das Erreichen einer neuen Ausdrucksfähigkeit der »Universalität des christlichen Zeugnisses«.2 1.1 Die Einheit der Wirklichkeit Von Brück setzt zwecks Verhältnisbestimmung zwischen Christentum und Hinduismus nicht mit einem allgemeinen Religionsbegriff ein. Vielmehr arbeitet er aufgrund seiner Erfahrungen mit den beiden Religionen und seiner diesbezüglichen Studien deren jeweiligen Einheitsbegriff heraus. In der Auseinandersetzung von hinduistischer Advaitaphilosophie und christlicher Trinitätslehre kommt er zu einem Einheitsbegriff, der sich aus der differenzierten Inbeziehungsetzung und Durchdringung der von beiden Religionen bereitgestellten Begrifflichkeit herleitet. Der so gewonnene Einheitsbegriff hat maßgebliche Bedeutung für das, was von Brück zum Thema Mission, Dialog und Konversion vorträgt. 1.2 Advaitisch-trinitarischer Einheitsbegriff Der Kern der hinduistischen Advaita-Philosophie besteht in der Erkenntnis, daß, um es in christlicher Terminologie zu sagen, das Verhältnis zwischen Gott und Welt weder als Einheit, noch als Dualität zu verstehen ist, sondern als »Nicht-Dualität«. Nicht-Dualität meint ein Verhältnis, das jenseits dessen liegt, was man mit denkerischen Kategorien erfassen kann, da jede Kategorie eine Differenz, d. h. eine Zweiheit voraussetzen würde. 3 Deshalb ist die Wirklichkeit der Nicht-Dualität eine Sache der Erfahrung und weniger eine Sache des Denkens.4 Von Brück ist der Meinung, daß von diesem Standpunkt aus das Wesen der Trinität in neuer Weise verstanden werden kann. Er interpretiert den perichoretischen Charakter der Trinität mittels der advaitischen Erfahrung. 2 »Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit kann [... ] so formuliert werden: Was bedeutet die indische advaitische Erfahrung für den christlichen Gottesbegriff?« (EW 23) Von Brück stellt in einem ersten Teil die Advaita-Philsophie dar und in einem zweiten die Trinitätslehre. »Im dritten Teil wollen wir dann dialogisch einen Gottesbegriff zu denken versuchen, der die advaitische Erfahrung wie auch die trinitarische Erfahrung einander gegenseitig interpretieren läßt. Dies ist der Versuch einer dialogischen Theologie.« (EW 25) 3 »Die Advaita-Philosophie ist gekennzeichnet durch die Nicht-Zweiheit (advaita) von erfahrendem Subjekt und erfahrenem Objekt, von Gott und Welt. Transzendenz und Immanenz schmelzen auf einen Punkt zusammen, der jenseits der gewöhnlichen Denk- und Erfahrungshorizonte liegt.« (EW 32) * Das schließt jedoch nicht aus, daß man hinsichdich der Advaitaerfahrung auch als von einem »Wissen« sprechen kann. Um dies deutlich zu machen, führt von Brück einen neuen Wissensbegriff ein: »Wissen ist [... ] letztlich Ubereinstimmung mit den >Rythmen< des Ganzen, jeweils gespiegelt auf die verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit, die dann relativ eigenen Strukturen folgen. Wissen ist Resonanz.« (EW 268)

Theologie im christlich-hinduistischen Dialog - Michael von Brück

227

Der Begriff Perichorese versucht das Verhältnis der drei göttlichen Personen so auszudrücken, daß es als innertrinitarische Bewegung verstehbar wird. Die drei Personen durchdringen sich demnach wechselseitig und bedingen sich dadurch gegenseitig: Jede Person ist das, was sie ist, nur dadurch, daß sie in einem bestimmten Verhältnis zu den beiden anderen steht und umgekehrt.5 Dadurch, daß eine Person nur durch die anderen bedingt gedacht wird, wird die Einheit des göttlichen Wesens aussagbar, ohne dabei die Unterschiedenheit der drei Personen zu leugnen. Der hier vorliegende Einheitsbegriff steht jenseits von Monismus und Dualismus, er ist nicht-dual, d. h. advaitisch.6 Gegenüber den Entwürfen von Pannenberg und Moltmann7 hält von Brück fest, das Personsein der Trinität und damit ihre Einheit - könne weder in der gesamten Trinität, noch in den drei Personen begründet werden, sondern das Subjektsein der Trinität ereigne sich gerade in der Bewegung von Einheit und Selbstunterscheidung.8 Der damit gesetzte trinitarische Einheitsbegriff versteht Einheit demnach als jenseits der Dualität von Einheit und Unterschiedenheit 9 Seitens der Jünger wurde die Einheit der Wirklichkeit in Jesus Christus erfahrbar. In der Person Jesu wurden sie der unmittelbaren Gegenwart Gottes bewußt. Das Gleiche galt für das Wirken des Geistes seit den Pfingstereignissen. Die Trinitätslehre entwickelte sich später als der Versuch, auszudrücken, daß in Jesus Christus und im Geist der wahre Gott 5

Unter Rückgriff auf den Tillichschen Partizipationsbegriff formuliert von Brück: »Die Trinität ist der Inbegriff dessen, was Personalität in Partizipation genannt werden kann. Während der Vater als Sistenz, der Sohn als Existenz und der Geist als Insistenz begriffen werden können, stellt die Einheit der Trinität jene In-ek-sistenz dar, die charakteristisch sowohl für die Partizipation als auch für Advaita ist Zwischen der personalen Einheit von in und ek vollzieht sich das >Leben< Gottes in Perichorese.« (EW 207) 6 Im Anschluß an Jürgen Moltmanns Gedanken zur Perichorese hält von Brück fest, daß »die Perichorese [ . . . ] nicht nur die Einheit der Trinität [konstituiert], sondern eben darin auch die Verschiedenheit, d.h. die Dreiheit der Personen. Die drei Personen können nicht gedacht werden ohne und außerhalb der Perichorese, denn Personsein ist diese Perichorese.« (EW 212) 7 Vgl. bes. J. MOLTMANN (21986): Trinität und Reich Gottes. Zur Gotteslehre, München, 166 ff., 191 ff.; W. PANNENBERG (1988): Systematische Theologie, Band 1, Göttingen, 347 ff., 4 5 6 ff. 8 »Das Argument, das wir hier vorschlagen, läßt die wechselseitige Implikation von Einheit und Unterschiedenheit denken: beide stehen in einem nicht-dualistischen Verhältnis. Der Begriff der Perichorese ist die advaitische Kategorie par excellence. Es gibt Personsein nicht entweder für die gesamte Trinität oder für die drei Personen oder Seinsweisen, sondern Subjektsein konstituiert sich in der Bewegung der drei Momente, die sowohl Einheit als auch Selbstunterscheidung setzt. Anders ausgedrückt: Subjektivität ist weder in der Einheit noch in der Unterschiedenheit zu finden, sondern in dem nicht-dualen Prozeß, der beide Pole konstituiert.« (EW 212) 9 »Der advaitische Charakter der Trinitätslehre wird daran deutlich, daß die Einheit Gottes in der Selbstunterscheidung der Relationen gedacht wird und die gegenseitige Durchdringung der Relationen die Einheit ist« (EW 216)

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Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

selbst, so wie er ist, begegnet, andererseits aber nicht in ihnen aufgeht. Die Trinitätslehre ist dann als symbolischer Ausdruck dieses Ganzheitsbewußtseins zu verstehen.10 Aus dieser Ganzheitserfahrung ergibt sich, daß die Einheit der Wirklichkeit Monismus und Dualismus umgreift und daher »gleichzeitig jenseits und in jeder Erfahrung« ist, sich durch »alle materiellen wie geistigen Prozesse« ausdrückt und nur durch den Akt der Partizipation am innersten Wesen dieser Einheit erkannt wird. (EW 271 f.) Es handelt sich demnach um einen advaitisch-trinitarischen Einheitsbegriff, der die Einheit der Wirklichkeit als eine Einheit gerade in Pluriformität zu verstehen lehrt. Als Konsequenz ergibt sich, daß auch das Verhältnis des Christentums bzw. des christlichen Glaubens zu den anderen Religionen und damit auch das christliche Missionsverständnis unter Zuhilfenahme dieses Einheitsbegriffs neu durchdacht werden kann und muß. Zunächst ist jedoch zu erörtern, was der Begriff der Einheit der Wirklichkeit hinsichtlich der Christologie bedeutet.

2. Advaitisch-tnnitansche

Christologie

Das Problem der Christologie ist die Vermittlung der Konkretheit dessen, was in Jesus von Nazareth als dem Messias geschah und der Universalität, die dieses Ereignis beansprucht. Es geht also auch hier um das Problem von Einheit und Vielheit. Die Vermittlung von Konkretheit und Universalität erörtert von Brück unter der Leitfrage nach der »Tragweite des Christusereignisses«. (EW 337 ff.) Die Tragweite des Christusereignisses dürfe nicht nur quantitativ, also hinsichtlich ihrer zeitlichen und räumlichen Ausdehnung, sondern sie müsse auch qualitativ beschrieben werden. Nicht als eine Ausdehnung in der Wirklichkeit sei das in Jesus Christus gewirkte Heil zu verstehen, sondern als eine Qualität der Wirklichkeit als ganzer. Um diesen Gedanken zu begründen, bezieht von Brück die Christologie auf die Trinitätslehre zurück. 2.1 Universalisierte Soteriologie Von Brück versteht Heil als die »Grunddimension« der Wirklichkeit. 11 Da das Heil aber durch Christus gewirkt ist, ist dort, wo dieses Heil erfahren 10

»Die Trinitätslehre kann als Versuch gelten, die Erfahrung dieses dynamischen Ganzheitsbewußtseins auszusagen und damit die Einheit der Wirklichkeit im Symbol darzustellen.« (EW 270) 11 Nach von Brück bezeichnet »Heil die Grunddimension [ . . . ] , die jedem wirklichen wie möglichen Ereignis zugrunde liegt. Es ist der unmanifeste kreative Grund, der >in, mit und unter< jedem bedingten Ereignis liegt.« (EW 344)

Theologie im christlich-hinduistischen Dialog - Michael von Brück

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wird, der »implizite Christus« am Werk. Von Brück weist auf Rom. 1, 19 ff. hin und argumentiert, daß schon Abraham (vgl. Rom. 4), der durch Glauben gerecht geworden sei, Heil vermittels des impliziten Christus erfahren habe, weil er in ihm am »kreativen Grund der göttlichen Heilswirklichkeit« teilhatte. (EW 344) Die Erkenntnis, daß es sich so verhält, wird durch Jesus Christus selbst ermöglicht, in dem das Mysterium der trinitarischen Perichorese offenbar wird. Die Tragweite des Christusereignisses ist als Qualität der Wirklichkeit universal. Schöpfungs- und Erlösungshandeln des dreieinigen Gottes werden potentiell deckungsgleich. Die Begründung dafür, daß er das göttliche Schöpfungs- und Erlösungswirken so nahe zusammenrücken kann, ergibt sich für von Brück gerade aus dem perichoretischen Charakter der Trinität. Weil sich die Hypostasen gegenseitig durchdringen, ist jede an jedem göttlichen Werk mitbeteiligt. Deshalb sind Schöpfungs- und Erlösungswirken nicht auf verschiedene Personen zu verteilen und demnach auch nicht voneinander zu trennen. Es folgt daraus, daß das Schöpfungshandeln der Trinität zugleich Erlösungshandeln ist und umgekehrt. 12 Von Brück vertritt damit eine universalisierte Soteriologie. Wenn das Heil als Qualität der ganzen Wirklichkeit gedacht wird, dann haben auch alle Religionen potentiell uneingeschränkt daran Anteil.13 Es sei schon an dieser Stelle die Frage angemeldet, ob es zulässig ist, die Differenz zwischen Schöpfungs- und Erlösungshandeln Gottes derart zu nivellieren. Wir werden auf diese Problem noch zu sprechen kommen. Wie aber ist, wenn Gottes Heilswirken universal zu denken ist, das »per Christum« der Gabe des Heils zu verstehen? Von Brück löst das Problem, indem er auch das per Christum auf die Trinität zurückbezieht. 14 Da das Sein der Schöpfung durch Christus ist, ist auch das Heil durch ihn. Der Zusammenhang von Universalität und Konkretheit wird im Hinblick auf das Christusereignis mittels der aus hinduistischer Tradition stammenden 12 »Somit sind Schöpfung und Erlösung nicht voneinander zu trennen oder gar in geschichtliche Temporalität auflösbar. Das Schöpfungswirken des Vaters ist Heilswirken und umgekehrt, und zwar jeweils durch den Sohn in der Kraft des Geistes.« (EW 345) 15 »Es sei nochmals betont: Es wäre unter dem Grundsatz der Einheit der Trinität christlich-theologisch unzulässig, Erkenntnis und Wahrheit in anderen Religionen nur der Schöpfung (1. Artikel des Glaubensbekenntnisses) zuzuordnen. Die Einheit des Handelns Gottes nach außen (opera trinitatis ad extra indivisa sunt) verlangt vielmehr, daß solches Wahrheitsgeschehen als das Licht des Heiligen Geistes, das jeden erleuchtet, der in die Welt tritt (Joh 1,9), also als Ausdruck und Inbegriff des Geistes (3. Artikel) und der versöhnenden Liebe Christi (2. Artikel) begriffen wird. Indem Gott in die Welt eintritt, sich selbst relativiert, wird die relative Erkenntnisweise, d. h. der relative Aspekt der Wahrheit konstitutiv für die Wahrheit als solche, auch wenn sie ein relatives Absolutes darstellt« (WuT 17 f.) 14 »Wir schlagen deshalb vor, Christus als die Kraft Gottes zu bezeichnen, durch die alle Kreaturen sind und an Gott teilhaben. Somit wäre das per Christum trinitarisch verstanden und in bezug auf Schöpfung-Erlösung-Heiligung zugleich gedacht« (EW 350)

230

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

advaitischen Erfahrung, d.h. der nicht-dualen Polarität von Konkretheit und Universalität geklärt.

2.2 Advaitische Erfahrung und

Christusbekenntnis

Einerseits ist Christus der »konkrete Name für das universale Liebeshandeln Gottes«. Die Universalität dieses Liebeshandelns impliziert, daß »jede authentische religiöse Tradition einen solchen Aufbruch [sc. zur Tiefendimension der Wirklichkeit] in der Geschichte« reflektiert. Mit welchem Namen diese Traditionen auch immer verbunden sein mögen, soweit sie wirkliche Namen sind, sind sie in diesem (Christus-)Namen »zum Heil gerufen«. (EW 350 f.) Andererseits aber ist das Christusereignis konkret und darum kulturellgeschichtlich bedingt und relativ, da es nur in diesem Bezugsrahmen verstanden werden kann. Absolut ist es, weil in ihm die Tiefendimension erreicht wird. Es ist jedoch gleichzeitig relativ, weil es geschichtlich bedingt ist. Aus diesem Begriff des »relativ Absoluten« folgert von Brück den Begriff der »absoluten Relativität «: da das Absolute nie »an sich«, sondern immer nur konkret »ist«, ist es zugleich das relativ Absolute und die absolute Relativität. Im Heiligen Geist bedingt sich beides, das relativ Absolute und das absolut Relative, gegenseitig, »entleert« sich und geht ineinander über. Der Geist schafft als Ausdruck und in Teilhabe an der trinitarischen Perichorese die Einheit in Pluriformität. 15 Die Trinität nimmt den Menschen in ihre Einheit auf, und diese Aufnahme geschieht in advaitischer Erfahrung. Deshalb ist sie dort noch nicht realisiert, wo das relative Absolute als absolutes Absolutes mißverstanden wird, da dadurch das göttliche Mysterium objektiviert wird, was der advaitischen Erfahrung zuwiderläuft. 16 Die Behauptung der sogenannten »Absolutheit des Christentums« oder aber auch des christlichen Glaubens scheint damit abgewehrt und ausgeschlossen zu sein. Zumindest kann und darf den anderen Religionen die Partizipation am Heil grundsätzlich nicht abgesprochen werden. Diesen Gedanken vertieft von Brück durch den Hinweis auf den kenotischen Charakter des Christusereignisses. Das Christusgeschehen relativiert sich selbst und öffnet damit den Weg zur Anerkennung von Wahrheit und Heil auch in anderen Religionen. 15 »In der trinitarischen Perichorese werden das relative Absolute und das absolute Relative beständig aufgehoben im Geist, der die Einheit in Pluriformität schafft. Im Geist partizipiert die Wirklichkeit durch die ewige Liebeskraft Gottes am Ursprung. Diese Bewegung ist die Einheit, das Ganze. Außerhalb ist nichts.« (EW 351) 16 »Solange wir den Namen noch objektivieren, d.h. als absolutes Absolutes mißdeuten, sind wir nicht in ihm.« (EW 351)

Theologie im christlich-hinduistischen Dialog - Michael von Brück

231

2.3 Kenotische Christologie und die Wahrheit der Religionen Der Satz »Jesus Christus ist der Herr« (Phil 2,11) scheint in seiner Exklusivität dem zu widersprechen, was von Brück über das Christusereignis als relatives Absolutes und absolute Relativität entwickelt hat. Er unterscheidet aber auch hier zwischen dem Absoluten und seiner Manifestation. Nur als Manifestation des Absoluten kann man von Jesus Christus als dem Sohn sprechen. Der Vater bleibt ihm als absolutes Absolutes vorgeordneL Christus ist als relatives Absolutes zu verstehen. Unter seinem Wirken stehen Menschen und alle Kreaturen. (EW 338 f.) Er ist der Herr, aber nur als der Gekreuzigte. Das Kreuz ist Ausdruck seiner Selbstentäußerung, seiner Kenosis. »Im Namen Jesu ist Heil, aber es ist ein >Name, der über alle Namen ist< (Phil 2,9), der sich vollkommen des partikularen Anspruchs entäußert hat und darum universal sein kann.« Das heißt, daß durch sein Kreuz und Auferstehen die universale Macht des Heiligen Geist offenbar werden kann, und zwar über und in allen Völkern, so daß »ein jeder die Heilswirklichkeit in seinem je eigenen kulturellen (einschließlich religiösen) Bezug, d.h. in seiner Sprache und deshalb mit einem jeweils anderen konkreten Namen, erfährt.« (EW 348 f.) Man hat diese Sätze wohl so zu deuten, daß alle Religionen als vollgültige Heilswege zu verstehen sind, wenn und solange sie in »ihrem« Namen, d. h. dem für sie gültigen Heilsereignis, zur Tiefendimension der Wirklichkeit, d.h. zur advaitischen Einheitserfahrung mit der göttlichen Wirklichkeit, gelangen. Die vollkommene Gegenwart Gottes in Christus erweist sich also gerade darin, daß der Gläubige dieses Heilsereignis in seiner Konkretheit nicht als absolutes Absolutes mißversteht, sondern umgekehrt als relatives Absolutes und absolute Relativität Und eben diese Heils- und Einheitserfahrung ist es, die ihn ganz an das Heilsereignis in Jesus Christus bindet und ihn zugleich über dieses Heilsereignis hinaushebt, jenseits aller Polarität, und also auch jenseits der Polarität zwischen verschiedenen Heilsereignissen. Anders formuliert: Gerade dadurch, daß sich der Christ ganz auf das Heilsereignis in Jesus Christus einläßt, gelangt er, durch das göttliche Geheimnis begnadet, zu advaitisch-trinitarischer Erfahrung, die ihm, als Erfahrung von Einheit in Pluriformität, verbietet, andere Erfahrungen der Einheit der Wirklichkeit im Namen seines Zugangs auszuschließen, da gerade dies der advaitisch-trinitarischen Erfahrung widerspräche. Dieser Grundgedanke hat entscheidenden Einfluß auf von Brück's Verständnis von Mission und Konversion.

3. Mission

als

Dialog

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß das Evangelium von Jesus Christus in keiner Sprache oder Kultur aufgeht. Ihm dennoch eine Identität zuzu-

232

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

sprechen, ist für von Brück nur dadurch möglich, daß er die Einheit der Wirklichkeit als Einheit in Pluriformität versteht. 17 In diesem Sinne muß von einer »fortlaufenden Inkarnation im Geist« gesprochen werden, die zu einer Vertiefung der Erfahrung von Gottes Weisheit und Tiefe führt. 18 Daher ist diese fortlaufende Inkarnation eine Art »Synkretismus« in positivem Sinne. Eine Verfestigung in einer bestimmten kulturellen Form ist durch die Dialektik von Inkarnation und Auferstehung gewehrt, da gerade die Auferstehung zeigt, daß Christus immer mehr ist als der Kontext, in dem er gerade wahrgenommen wird. Damit stellt von Brück dem positiv gewerteten Synkretismusbegriff ein Korrektiv zur Seite. Er zieht es allerdings vor, statt von Synkretismus von »kreativer Integration« zu sprechen. »In diesem Geschehen entsteht keine Superreligion, die alle anderen integriert, sondern jede Religion gewinnt ihre Identität tiefer, indem sie sich dem Subjekt ihrer je spezifischen Geschichte aussetzt.« (EW 362) Jede Religion muß in diesem Prozeß jedoch von einem klaren Standpunkt, d.h. von ihrem Zentrum ausgehen, da ohne Zentrum nichts integriert werden kann. Das Zentrum bleibt maßgeblich für das, was integriert werden kann oder abgestoßen werden muß, obwohl es sich durch die Integration neuer Elemente verändert. N u r aus der Mitte des je eigenen Glaubens heraus kann es also zu einer echten Begegnung und damit zu »kreativer Integration« kommen.

3.1 Dialog als Ort »kreativer Integration« Von Brück geht von dem Faktum aus, daß jeder Mensch immer schon in dialogischer Situation lebt.19 D a ß es in den letzten Jahrzehnten immer mehr Dialogprogramme gegeben hat, deren Initiatoren fast ausschließlich Christen waren, führt von Brück auf deren Selbstverständnis, nämlich als Salz und Licht der Welt zu wirken - also letztlich auf ihr Missionsverständnis - , zurück. Das Kernproblem einer Hermeneutik des Dialoges sieht von v

»Darum kann das Evangelium keine Denkstruktur oder keine Sprache seine eigene nennen, sondern es drückt sich in allen möglichen Sprachen je spezifisch aus, ohne seine Identität zu verlieren. Die Identität läßt sich letztlich nur begründen mit der Einsicht in die Einheit der Wirklichkeit, die sich in Pluriformität vollzieht.« (EW 359) 18 E W 359 f. - Das Kriterium in diesem Prozeß ist einerseits die Rückbindung des Geistes an den Sohn. (EW 360) Andererseits gilt für die Integrierbarkeit von Elementen bisher fremder Kulturen und Religionen: »Integrierbar ist, was das Gesamtwachstum eines Organismus fördert, was seiner Entfaltung dient in dem Sinne, daß latente Kräfte und Tendenzen zur Blüte und schließlich Fruchtbarkeit gelangen. [ . . . ] Was assimilierbar ist oder fremd bleibt, wird stets neu im Vollzug der Begegnung zwischen dem Organismus und seiner Umwelt getestet.« (EW 361) 19 »Das Du ist Quelle, ja Voraussetzung der Selbsterkenntnis. Dies trifft auch auf die Begegnung und Koexistenz verschiedener Kulturen und Religionen zu.« (EW 363)

Theologie im christlich-hinduistischen Dialog - Michael von Brück

233

Brück in folgendem: »Wenn der Partner Quelle meines Selbstverständnisses wird, ist er auch Quelle meines Gottesverständnisses.« ( E W 364) Daraus leitet sich ein erstes Kriterium für die gemeinsame Wahrheitssuche im Dialog her, das der »Integration«. Es geht darum, daß sich die Dialogpartner auf Aussagen und Verhaltensweisen anderer einlassen können, weil sie ihre Religion als ein relatives und offenes System begreifen. (WuT 19) Wenn der Partner zur Quelle meines Selbstverständnisses wird, bedeutet das, daß ein Übernehmen von Erkenntnissen aus seiner Tradition grundsätzlich möglich sein muß. Der andere kann zur Quelle des christlichen Selbstverständnisses auf unterschiedlichen Dialogebenen werden, so z.B. der Ebene »spiritueller Erfahrung«, der Ebene »theologischer Reflexion« und schließlich auf der Ebene »gemeinsamen Zusammenleben[s]«. (EW 365 ff.) Auf jeder der drei Ebenen kann es zu gegenseitiger Verstehens- und Lebenshilfe kommen. Es geht zunächst um gegenseitige Hilfe und Bereicherung bezüglich der spirituellen Praxis. Aus der Spiritualität kann dann auch sozio-politisches Handeln erwachsen. Ebenso kann es auf der Ebene theologischer Reflexion zu gegenseitiger Hilfe kommen: Der jeweils andere kann zum »Resonanzraum« meines eigenen Glaubens, d. h. zum Grund eines tieferen Verständnisses meines Glaubens werden. Schließlich geht es um wechselseitige Hilfe in der Praxis des gemeinsamen Lebens. Im Dialog kommt es also auf verschiedenen Ebenen zu »kreativer Integration«. Ein zweites Kriterium für den Dialog ist die »Kohärenz«. Es gilt in jedem Falle das zu prüfen, was der Partner lebt und vertritt. Da man das nicht zunächst oder gar nur an den eigenen Maßstäben messen darf, muß gefragt werden, ob seine Aussagen und sein Verhalten sich »logisch widerspruchsfrei in das Gesamtgefüge [sjeines religiös-kulturellen Systems einfügen lassen.« (WuT 19) Da allerdings auch z.B. Mord in einem System widerspruchsfrei begründet werden kann, ist dieses Krietrium für den Dialog zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Dialogziele in Hinsicht auf die Haltung im Dialog und ihre Folgen lassen sich nach von Brück in drei Dimensionen beschreiben. In theologischer Dimension hat der Dialog kenotischen Charakter: Es kann niemand Absolutheit für sich beanspruchen. Vielmehr geht es darum, gemeinsam mit dem Bruder, der das Recht hat, anders zu bleiben als man selbst, auf das Absolute zuzugehen. Daraus folgt Demut und Respekt gegenüber dem anderen ebenso, wie Solidarität mit ihm und Liebe zu ihm. In pädagogischer Dimension folgt daraus das Ziel, in einen wechselseitigen Lernprozeß einzutreten. In politischer Dimension schließlich geht es um die »Solidarität der Unterdrückten«, die Solidarität mit den Armen und Entrechteten und das Engagement zu deren Befreiung. (EW 369 f.) Damit sind dem Kohärenzkriterium Korrektive zur Seite gestellt. Die bei allem geforderte Toleranz beschreibt von Brück wie folgt: »Toleranz

234

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

ist kein Gewährenlassen, sondern ein Ertragen des anderen (2 Tim 2,10) und ein Ertragen meiner selbst angesichts der Andersartigkeit des anderen.« (WuT 20) Im Dialog als Ort kreativer Integration geht es um die Frage nach der göttlichen Wahrheit. Der Ernst dieser Frage rührt aus der für das Uberleben der Menschen notwendigen Unterscheidung zwischen »gut« und »böse« her. Die Dringlichkeit dieser Frage wird auch durch die Erkenntnis, daß es sich bei dieser Unterscheidung um eine relative Unterscheidung handelt, nicht abgemildert. 3.2 Mission als Mäeutik und der »implizite Christus« Dialog hat »missionarischen Charakter«, insofern Vertreter zweier Religionen im Vollzug des Dialoges gegenseitig zum Anlaß vertiefter Erkenntnis ihres je eigenen Gottes werden. 20 Damit wird der Dialog zum »Weg der Gotteserkenntnis« und ist in diesem Sinne Mission. Insofern sind sich die Dialogpartner gegenseitig »Geburtshelfer« im Prozeß der Entbergung tieferer Erkenntnis Gottes. Aus christlicher Perspektive versteht von Brück Mission als »Mäeutik«, durch die jeweils der implizite Christus so weit als möglich explizit gemacht werden kann. (EW 375) Indem der implizite Christus explizit gemacht wird, vollzieht sich in diesem Geschehen die »fortgesetzte Inkarnation im Geist«. Kriterium in dem fortgesetzten Inkarnationsprozeß ist die »universale Kraft des Geistes Christi« selbst, da keine geschichtlich und kulturell bedingte Form des Christentums oder des christlichen Glaubens beanspruchen kann und darf, letztgültiger Maßstab in dem Prozeß zu sein. Diese Feststellung läßt Raum für die verschiedensten Inkulturationen des Christentums. Das Ziel der Mission, die sich als Dialog vollzieht, kann daher nur darin bestehen, die am Dialog beteiligten Vertreter verschiedener Kulturen und Religionen zur Fülle und zum neuen Leben aus den Quellen ihrer je eigenen Tradition zu bringen.21 Dieses Ziel kann jedoch durch keine menschlichen Handlungen herbeigeführt werden. Es ist nur erreichbar, indem sich die Dialogpartner der advaitischen (d.h. für Christen: advaitisch-trinitarischen) Erfahrung der Einheit der Wirklichkeit öffnen. Und dieses »Sich-Öffnen« kann nur versucht, keineswegs jedoch bewußt gesucht werden.

20 »Es kann eine Implementarität etwa zwischen Advaita und Trinität geben, wobei aber der Erkenntnisprozeß, den diese Beziehung fordert, als Weg zur Gotteserkenntnis aufzufassen ist. In diesem Sinne hat der Dialog missionarischen Charakter.« (EW 374) 21 »Christus kam nicht, um eine neue Religion zu gründen, sondern um Fülle und neues Leben in jede Situation, d.h. auch in jede Religion und Kultur, zu bringen.« (EW 375)

Theologie im christlich-hinduistischen Dialog - Michael von Brück

3.3 Konversion

235

als metanoia

Aus dem Missionsbegriff ergibt sich eine Neubestimmung auch des Begriffes »Konversion«. Konversion bezeichnete in der missionstheologischen Diskussion normalerweise den Übertritt von einer Religion oder Weltanschauung zu einer anderen 22 , wohingegen von Brück ihn als metanoia, d. h. »Hinwendung der gesamten Person zur Fülle« verstanden wissen will. (EW 375) Metanoia im umfassenden spirituellen, theologischen und sozio-politischen Sinne zu ermöglichen, sei das »Wesen« der Mission. Das schließt die volle und uneingeschränkte Anerkennung der Mission anderer Religionen ein, und zwar nicht nur als Duldung, sondern auf dem Hintergrund und als Ausdruck des christlichen Selbstverständnisses. 23 Es ist die Bekehrung zur Einheit der Wirklichkeit, die zählt, nicht die Bekehrung zur Teilnahme an bestimmten Formen oder Institutionen von Religion. Konversion zielt letztlich auf die advaitische Einheit von Gott und Welt (und also auch der Menschheit), weshalb die Missionen aller Religionen, sofern sie diese Art von Konversion als metanoia anstreben, legitim und wünschenswert sind. 24 D e r Begriff »metanoia« wird von von Brück neutestamentlich auf den Begriff des Reiches Gottes bezogen: »Wo immer diese advaitische Kraft des Geistes wirklich wird, ist das von Jesus verkündete Gottesreich nahe.« (EW 376) D a es sich um die Umkehr zur Fülle hin handelt, ist der Begriff Konversion nicht nur im individuellen, sondern auch im sozial-politischen Sinne zu verstehen. 25 Von Brück vertritt demnach hinsichtlich der Soteriologie einen ganzheitlichen Konversionsbegriff. Umkehr bezieht er nicht nur

22

Zum Begriff »Bekehrung« vgl. O. BLSCHOFSBERGER (1990): Bekehrung: Zum Verständnis und zur Definition aus religionswissenschaftlicher Sicht, in: N Z M (46), 162-175; K. MÜLLER (1985): Missionstheologie. Eine Einführung von Karl Müller. Mit Beiträgen von Hans-Werner Gensichen und Horst Rezpkowski, Berlin, 131-133; H . WAGNER (1987): Art. Bekehrung, in: Lexikon missionstheologischer Grundbegriffe, K. Müller; Th. Sundermeier (Hgg.), Berlin, 42-45 (Lit.); Η. RZEPKOWSKI (1992): Axt Bekehrung, in: ders.: Lexikon der Mission: Geschichte, Theologie, Ethnologie, Graz/Wien/Köln, 68-70. Rzepkowski bemerkt zu Recht, daß sich am »Verständnis des Heiles, des Glaubens und des Christseins entscheidet [ . . . ] , was Bfekehrung] im chrisdichen Sinne bedeutet.« (69) 23 Mission ist »gegenseitiges Handeln aneinander, denn wenn Christen das Recht und die Pflicht zur Mission haben, muß es Hindus, Buddhisten und anderen ebenfalls zukommen, und zwar nicht nur als Duldung des säkularen Staates, sondern mit chrisdich-theologischer Legitimation.« (EW 375) 24 Mit der Bemerkung, daß der »Dialog [... ] kein Verzicht auf den missionarischen Auftrag des Christen« ist, hebt von Brtick wohl auf das traditionelle Missionsverständnis ab, dessen Ziel die Konversion verstanden als Religionswechsel war. (EW 375 f.) Zwar kann es für von Brück auch zur Konversion zu einer bestimmten verfaßten Kirche kommen, das ist aber allenfalls ein Nebenprodukt und nicht in erster Linie anzustreben. 25 »Konversion ist der Prozeß des Sterbens und Wiederauferstehens, durch den neues Leben möglich wird, und zwar individuell wie politisch-sozial.« (EW 376)

236

Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

auf das Individuum, da es auch hinsichtlich der ungerechten und lebenszerstörenden Strukturen dieser Welt um Umkehr geht. Gleichzeitig handelt es sich um einen introversiven Konversionsbegriff, da er nicht darauf zielt, daß Menschen sich von der Gestalt einer Religion oder eines Glaubens weg auf eine andere Gestalt zubewegen, sondern die Einkehr in das Eigene, und zwar in einer tieferen Dimension meint. Die Wahrheit der eigenen Religion und des eigenen Glaubens soll in ihrer Tiefe und in neuer und anderer Klarheit erkannt werden können. Auf diese Weise gehen die beiden Dialogpartner auf ihren je eigenen Wegen, die unterschieden bleiben können und sollen, auf die göttliche Wahrheit (und darin auf die Einheit der Wirklichkeit in ihrer Pluriformität) zu.26 3.4 Kirche als transreligiöse »communio sanctorum« Es überrascht nicht, daß nach dem bisher Gesagten die Kirche oder der Aufbau von Kirche nicht als das Ziel der als Dialog verstandenen Mission angesehen werden kann. Gerade deshalb spricht von Brück nicht von Menschen anderer Religionszugehörigkeit als »anonyme Christen«, da sich diese Bezeichnung an der Kirche als Bezugsgröße orientiert. Um sich nicht einem ekklesiozentrischen »Imperialismusverdacht« auszusetzen, zieht er den auf die universale Wirklichkeit der Trinität bezogenen Begriff »impliziter Christus« vor. Unter »Kirche« will von Brück weder eine Institution, noch die religiöse Gemeinschaft von Christen verstanden wissen. Kirche ist vielmehr dort, wo der implizite Christus am Werk ist. Sie ist nicht Denomination und nicht abstrakte »Weltkirche«, sondern »communio sanctorum«. (EW 371)

26 Ein ähnliches Konversionsverständnis findet sich ζ. B. bei WILFRED CANTWELL SMITH [(1967): The Mission of the Church and the Future of Missions, in: G.Johnston; W. Roth (Hgg.), The Church in the Modern World: Essays in Honour of James Sutherland Thomson, Toronto, 154-170; DERS. (1976): Participation: The Changing Christian Role in Other Cultures, in: W. G. Oxtoby (Hrsg.), Religious Diversity. Essays by Wilfred Cantwell Smith, New York u. a., 117-137, bes. 130-132], STANLEY J. SAMARTHA [(1991): One Christ - Many Religions. Toward a Revised Christology, Maryknoll/New York, 149 f.] und anderen Theologen, die der Pluralistischen Religionstheologie zuzurechnen sind. PAUL KNITTER betont demgegenüber wieder stärker die Rolle der Kirche. Ziel der Konversion sei sowohl »inner conversion« in den Religionen, wobei es nicht zum Religionswechsel zu kommen braucht, als auch die Teilnahme an der Gemeinschaft der Kirche. [Vgl. DERS. (1990 a): Missionary Activity Revised and Reaffirmed, in: P. Mojzes, P.; L. Swidler, L. (Hgg.), Christian Mission and Interreligious Dialogue, Lewiston/Queenston/Lampeter, 77-92, bes. 89-91] Knitter wendet gegen Samartha ein: »But how can the church community really be present in a non-Christian cultural context unless there be conversions?« [DERS. (1991a): Stanley Samartha's »One Christ - Many Religions«. Plaudits and Problems, in: Current Dialogue (21), 25-30, 28]

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Diese Gemeinschaft der Heiligen erstreckt sich aber auf Menschen aus allen Religionen, da der implizite Christus in ihnen allen wirkt. Weil nämlich die Inkarnation Gottes in Jesus Christus eine »Geschichte mit universaler Bedeutung« ist, muß sie auch in »transhistorischer Dimension der Wirklichkeit« Bedeutung haben. Demnach würde sich das Christusereignis nicht nur als Erfüllung der geschichtlich bedingten und darum begrenzten Erwartungen Israels, sondern auch als Erfüllung anderer geschichtlich-religiöser Zusammenhänge denken lassen. In dieser Hinsicht wäre Christus auch als Buddha verstehbar.27 Diesen Ansatz kann man als »mutuellen Inklusivismus« bezeichnen: Der Christ vermag in Buddha den impliziten Christus wiederzuerkennen, muß es sich jedoch gleichzeitig gefallen lassen, daß ein Buddhist in Christus den impliziten Buddha sieht. Es fragt sich jedoch, was einen solchen »mutuellen Inklusivismus« eigentlich noch von einem dezidiert pluralistischen Ansatz unterscheidet Der Grund dafür, daß man auch andere Manifestationen auf Christus beziehen kann, liegt in dem Hinweis, daß Gott einer ist. Als Kriterium gilt, daß das Heilswirken des trinitarischen Gottes dort gedacht werden kann, wo eine Manifestation dem nicht widerspricht, was im historischen Jesus Christus erfahren wurde. ( E W 372 f.) Kirche als communio sanctorum ist demnach unabhängig von jeder institutionellen Größe und findet sich potentiell in allen Religionen. Insofern zielt der missionarische Dialog darauf, die communio sanctorum in den verschiedenen Religionen explizit werden zu lassen.

4. Würdigung und Kritik Michael von Brück hat einen Entwurf vorgelegt, der im Gegensatz zu den anderen Ansätzen nicht mit einer über den Religionsbegriff vermittelten Verhältnisbestimmung zwischen dem Christentum bzw. dem christlichen Glauben und den Religionen anhebt, sondern sich aus Erfahrungen des interreligiösen Dialogs und ihrer theologischen Verarbeitung ergibt. Unter hermeneutischem Gesichtspunkt bedeutet das, daß er nicht mit einem Begriff von Offenbarung einsetzt, um von diesem aus einen Religionsbegriff zu entwickeln, sondern umgekehrt: der Begriff von Offenbarung selbst erhält größere Klarheit erst aus der dialogischen Inbeziehungsetzung des hinduistischen und des christlichen Glaubens. Der Dialogpartner wird demnach 27 »Dieses Denkmodell schlägt vor, daß sich der universale Christus im perichoretischen P r o z e ß der Trinität in sich selbst reflektiert nicht nur als der Messias, sondern ζ. B . auch als d e r Tathagata, der in die Wahrheit Eingegangene, d. h. der Buddha. Zwischen den beiden gibt es keine historische Verbindung, wohl aber eine transhistorische InterrelationalitäL« ( E W 372)

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gerade als Angehöriger einer anderen Religion zum Resonanzraum und zur Quelle meines eigenen christlichen Gottesverständnisses. Insofern ist der Begriff »dialogische Theologie« sicherlich gerechtfertigt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob man auch formulieren könnte, daß der Adressat der christlichen Botschaft zum Mitkonstituenten derselben wird? Es bleibt nämlich unklar, ob man auf dem Hintergrund des Ansatzes von Michael von Brück überhaupt noch von einer »Botschaft« sprechen kann. Wir kommen damit zur dialogtheologischen Frage. Wie bei Pannenberg kann man Mission und Dialog auch bei von Brück als ein und denselben Vorgang verstehen. Während jedoch bei Pannenberg Dialog als Mission zu verstehen ist, ist es bei von Brück genau umgekehrt: Mission ist nichts als Dialog. Zwar geht es im Dialog um die Wahrheitsfrage, diese hält Pannenberg jedoch für rational entscheidbar, während für von Brück die gemeinsame Wahrheitssuche in die Tiefe der advaitischen Erfahrung führt. Sein Dialogbegriff ist demnach nicht argumentativ, sondern expressiv. Von einer christlichen »Botschaft« an den Adressaten kann auf diesem Hintergrund schwerlich gesprochen werden. Es gibt keinen »Standpunkt« mehr, den es zu übernehmen gelte. »Botschaft« ereignet sich vielmehr wechselseitig und in völliger Gleichwertigkeit des Austausches untereinander. Es wird nichts mehr von Α nach В übermittelt, sondern Α und В gewahren im Austausch eine neue und andere Qualität der Wirklichkeit als solcher. Botschaft ereignet sich gleichzeitig an beide, wenn im Austausch Wirklichkeit zum Resonanzboden der Einheitserfahrung wird. Wir erinnern an von Brücks Begriff von Wissen als »Resonanz«. Und weiter: »Botschaft« im herkömmlichen Sinne kann es allein deshalb schon nicht geben, weil die recht verstandene advaitische Erfahrung die Verabsolutierung eines relativen Absoluten, also jedweder Manifestation der letzten Wirklichkeit, unmöglich macht. Umgekehrt erscheint es von Brück als legitim, die anderen Manifestationen des Absoluten als durch den »impliziten Christus« bedingt und ermöglicht zu verstehen, solange man sich umgekehrt von Anhängern einer anderen Religion, etwa von Buddhisten, die Rede vom »impliziten Buddha« für die Manifestationen des Absoluten im Christentum christlicherseits gefallen läßt. Dies soll sicherstellen, daß einerseits die eigene Position nicht aufgegeben wird, andererseits aber die Position des Anderen anerkannt werden kann. D a ß der diesem Standpunkt zugrundeliegende »Gnadenmonismus« stark an der Theologie Karl Barths orientiert ist, ist offensichtlich.28 Es stellt sich jedoch die Frage, ob die von von Brück vorgenommene 28

Vgl. dazu die Dissertation von Brücks [M. v. BRÜCK (1979): Möglichkeiten und Grenzen einer Theologie der Religionen, Berlin (Ost)], in der er sich mit Barth hinsichtlich der Frage nach einer Theologie der Religionen auseinandersetzt: »Karl Barths Gedanke der universalen

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Identifizierung des Schöpfungs- und Erlösungshandelns Gottes theologisch vertretbar ist. Die Feststellung, daß alle drei Personen der göttlichen Trinität an jedem ihrer Werke beteiligt sind, sagt doch noch nicht, daß deshalb das Schöpfungshandeln nicht von dem Erlösungshandeln deutlich zu unterscheiden ist! 29 Es fragt sich im Hinblick auf eine Hermeneutik des Fremden, ob die theologische Einebnung der Soteriologie, die aus der Universalisierung der Heilsgegenwart folgt (obwohl von Brück das Wesen der Sünde damit - wie erwähnt - nicht wegargumentieren will), nicht eine Nivellierung der Fremdheit und Abständigkeit des Fremden nach sich zieht. Wenn die Frage nach dem Heil nicht mehr als Anfrage zwischen den Religionen im Raum steht, dann nimmt auch deren »Eigengewicht« in soteriologischer Hinsicht bedenklich ab. Die Auseinandersetzung um die letztgültige Wahrheit verliert damit an Schärfe und wohl auch an Ernsthaftigkeit. Der Kern des Problems liegt gerade in der advaitischen Erfahrung als Zugang zur und Ausdruck der Einheit der Wirklichkeit. D a sie als NichtDualität die Differenz von Einheit und Vielheit umfaßt, gibt es in ihr kein »Außen« mehr. Oder anders: Was immer »Außen« genannt werden könnte, wird hinfällig, da die advaitische Erfahrung in und zugleich jenseits dessen liegt, was man rational auszudrücken vermag. D a s Fremde wird dadurch in seiner Fremdheit in eine Einheit aufgehoben, und zwar nicht denkerisch, sondern mittels advaitischer Erfahrung. Obwohl die Wege zur advaitischen Erfahrung verschieden und unterschieden bleiben, verschiedene Religionen also durch unterschiedliche Namen zur Erfahrung der Einheit der Wirklichkeit kommen, werden sie gerade hinsichtlich der Struktur dieser Erfahrung zu einer gewissen Ähnlichkeit gelangen. Verstehen des Fremden würde dann auf der Ebene der religiösen Wege deren Unterschiedlichkeit voll anerkennen können, würde aber hinsichtlich der Struktur der Einheitserfahrung gerade diese Unterschiedenheit nivellieren. Durch die Annahme, daß die Möglichkeit zu solcher Einheitserfahrung in allen Religionen gleichermaßen gegeben ist, kommt es zu einer Umwertung (und damit zur Aufhebung) von Mission. Ein Verstehen der christlichen »Botschaft« seitens des Adressaten ist eigentlich nicht mehr nötig, oder anders: Ein Verstehen der christlichen Botschaft ist nur zum tieferen Verständnis des eigenen Zugangs zum Absoluten hilfreich. Letztlich bleibt V e r s ö h n u n g ermöglicht ein theologisches Fundament der Theologie der Religionen. Barth denkt die Konsequenzen aber nicht bis zu E n d e , indem er sehr vorsichtig nur die Möglichkeit von Wahrheit in den Religionen erwägt.« (151) 24 Auch Pannenberg und Moltmann vertreten eine trinitarische Schöpfungslehre, ohne d a ß dabei jedoch Schöpfungslehre und Soteriologie zur D e c k u n g kommen. Vgl. W. PANNENBERG (1993): Die Besonderheit des soteriologischen Geistwirkens im Verhältnis zur S c h ö p f u n g , in: ders., Systematische Theologie, B a n d 3, Göttingen, 13 ff.; J . MOLTMANN (1989): D e r Weg J e s u Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München, 203 ff.

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jeder der Dialogpartner, wiewohl ihm der andere zur Quelle seines Gottesverständnisses wird, bei sich selbst. Deshalb handelt es sich hier um ein introversives Konversionsverständnis. Man ist geneigt zu fragen, ob hier Mission als Sendungsveranstaltung der christlichen Kirche nicht ganz aufgegeben wird.30 Das geht einher mit der Relativierung, man kann auch sagen Aufhebung des sogenannten christlichen Absolutheitsanspruchs. Es drängt sich jedoch die Gegenfrage auf, ob nicht das Bekenntnis zu und die Botschaft von Jesus dem Christus die Behauptung der Letztgültigkeit dieses Geschehens und damit des christlichen Absolutheitsanspruches gerade in sich schließt.

30 Unsere Frage wird unterstützt durch die Tatsache, daß von Brück, nachdem er den missionswissenschaftlichen Lehrstuhl an der Universität München übernommen hatte, diesen Lehrstuhl in »Vergleichende Theologie« umbenannt hat. Aus seiner Sicht ist das nur konsequent.

Ε Theologie im christlich-jüdischen Dialog: Teilnahme an Israels Mission - Friedrich-Wilhelm Marquardt

Friedrich Wilhelm Marquardt legte 1988 mit dem Werk »Von Elend und Heimsuchung der Theologie« den ersten Band seiner Dogmatik vor.1 Der Band behandelt die Prolegomena, in denen zu einer umfassenden Revision dogmatischen Arbeitens aufgefordert wird. Der Grund: Nach Marquardt kann heute die Notwendigkeit, Theologie zu treiben, nicht mehr allein aus den Bedürfnissen des Glaubens oder der Kirche begründet werden, sondern Theologie muß die »Zeichen der Zeit«, in der sie lebt, zu erkennen, zu deuten und ernstzunehmen lernen. Zeichen unserer Zeit, das ist der Holocaust, die Judenvernichtung in Nazideutschland, an der auch christliche Theologie und Kirche mitschuldig geworden sind. Marquardts These lautet: »Die Judenmorde unseres Jahrhunderts und ihre von Theologie und Kirche zu verantwortenden Voraussetzungen und Folgen sind die Zeichen unserer Zeit, die jede Theologie in bisher unbekannter Weise radikal fraglich machen.« (I, 74)

1. Zur

Hermeneutik

Was der Theologie als Aufgabe gestellt ist, das ist, eine Hermeneutik zu entwickeln, die versucht, mit den Augen der Opfer unserer bisherigen Theologie die Bibel neu zu lesen. Von den Opfern her zu denken, wäre ein »Denken aus der Umkehr heraus«, und dazu bedarf es, so Marquardt in Anlehnung an W. Kamiah, »eines neuen Anlaufs einer >vernehmenden VernunftWoHier bin ich< antworten können.« (I, 178) Bevor wir genauer auf das eingehen, was Marquardt unter »Berufung« versteht, halten wir fest, daß Halacha darin angemessene Auslegung der Bibel ist, daß sie dem Wirklichkeitsverständnis der Bibel entspricht. Dieses biblische Wirklichkeitsverständnis könnte man als eine Ontologie des »Seins in der Tat« bezeichnen. (I, 216) Dieses Seinsverständnis hat Auswirkungen nicht nur auf die biblische Anthropologie, sondern auch auf die Erkenntnistheorie. 4 Wörter wie »Weg« und »Tun« gehören zu den häufigsten der Bibel. Dementsprechend vollzieht sich Erkennen nach der Bibel nicht vor oder nach dem Tun, sondern im Tun selbst.5 Mit einem Kernsatz von Leo Baeck: »Übe, was Gott dir gebietet, dann weißt du, wer er ist.« (I, 233) Das aber heißt, daß das »Tun« in der Bibel jeweils unter dem Aspekt des von Gott gebotenen Tuns erscheint. Die Berufung zum Tun ist damit zu erfragen a) als Frage nach einem Gott entsprechenden Tun, b) als Frage nach der in einem solchen Tun zu gewinnenden Gotteserkenntnis und schließlich c) als Frage nach dem in der Berufung angewiesenen Ort der Bewährung.

1.2 Die Berufung als Grunddatum der Theologie Für Marquardt ist die Berufung Grunddatum der Theologie. Mit ihr setzt das Handeln Gottes am Menschen dessen eigenes Handeln frei, was ihm 4 Vgl. I, 213 ff. - »Ohne d a ß wir dem hier im einzelnen weiter nachgehen könnten, hat F. Breukelman [ . . . ] das >Sein in der Tat< dargestellt als ein >Sein in der Gemeinschaft (im Bund)Sein im GesprächSein in der Bewährung (in der zedaka)Sein in der Treue (in der emet)Sein in der sieghaften Verwirklichung des Heils (im Raum)Sein in der Geschichte (in der Zeit)Kirche aus Juden und Heidenist< ihr in Jerusalem zentrierter Weg durch die Völker.« (III/2, 158) Das Zeugnis der Kirche für Israel ist nicht »subsidiär«, denn Israel zeugt für sich selbst.36 Es ist zeitlich und qualitativ der erste Zeuge Gottes. Die Kirche solle sich, so Marquardt im Anschluß an Ex 12, 38 und Num 11,4, wo von dem »Schwarmgemenge«, das Israel begleitet, die Rede ist, als »Mit-Gefährte Gottes« verstehen.37 Daß sie in dieser Weise ihre Sendung wahrnimmt, nämlich in teilnehmender Beziehung zum Volk Israel und dessen Beziehung zu seinem Gott, bedeutet, daß die Kirche auch die Absonderlichkeit und Anstößigkeit dieses Gottes vor den Völkern zu vertreten hat. 2.5 Konsequenzen Im Hinblick auf das Verhältnis von Christentum/christlichem Glauben und den Religionen ergibt sich, daß Marquardt diese Frage in den erwählungsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen dem Volk Israel und seinem Gott einordnet. Die bleibende Erwählung Israels und die bleibende Gültigkeit der Tora sind Horizont christlicher Theologie. Christliche Theologie orientiert sich damit an der Gotteserfahrung einer anderen Religion - wenn es auch beide nach christlichem Verständnis mit demselben Gott zu tun haben - , die ihr zur Klärung ihres Verhältnisses zu den übrigen Religionen Wesentliches vermittelt. Christliche Theologie begegnet fremden Religionen aus einem Leraverhältnis zu Israel heraus. Es stehen sich nicht hier der christliche Glaube, das Evangelium oder die Offenbarung und dort die Religionen gegenüber, sondern hier das von Gott erwählte Volk Israel und mit ihm die durch Jesus Christus zur Teilnahme an Israel berufenen Gojim und dort die anderen Religionen. Das Verhältnis wird von Marquardt jedoch nicht begrifflich gefaßt, sondern, entsprechend dem biblischen Wirklichkeitsverständnis eines »Seins in der 35 Mt 28 sei zu verstehen »nur in Entsprechung seines [sc. Jesu Christi] Tuns; wir erfahren, was er >istGeht hin, unterrichtet alle Gojim . . . u n d lehrt sie meine mizvot halten< (Mt 28, 19-20).« (III/2, 158) 36 »Das >Sein< der Kirche steht und fällt in ihrer immer empfangenden Beziehung zu Israel und in ihrem aktiven Werken für das jüdische Volk: dafür, daß es inmitten der Völker seinen anerkannten Platz, seinen Frieden und darin Stillung seiner messianischen Sehnsucht erfahre.« (III/2, 159) Das impliziert aber nicht »Stellvertretung« der Kirche für Israel, sondern »teilnehmende Beziehung«. (160) 37 Vgl. III/2, 163, 183.

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Tat«, unter verschiedenen Gesichtspunkten erzählt. Der hermeneutische Grundsatz, den wir als Basis einer evangelischen Halacha herausstellten, nämlich der Vorrang des Tuns vor dem Erkennen, bzw. das Verstehen im Tun, verwehrt abstrakte Verhältnisbestimmungen zwischen Israel und den Religionen.

3. Die Gojim an der Seite Israels: Ziel der Mission Das Ziel der Mission besteht darin, im Widerspruch zum Heidnischen Menschen aus einer alten Herrschaft herauszulösen und in ein neues Verhältnis zu führen. 38 Konversion meint daher nicht die Einkehr in eine Tiefendimension von göttlicher Wahrheit, sondern das Sich-Einlassen auf die mit seinem Namen verbundene Geschichte und Verheißung Gottes. Damit tritt der Adressat in objektiv neue Daseinsbedingungen ein. (III/2, 354) Dieses Ziel ist aber noch nicht erreicht, solange es nur für einzelne Menschen gilt. Vielmehr geht es um die Völker. Es soll jedoch nicht die Welt in Kirche, und es sollen auch nicht die Völker in das Laos, das Volk Israel, verwandelt werden, sondern die Mission Israels und der Christenheit zielt auf eine neue Zuordnung der Völker zu Israel.39

3.1 Mission und das Reich fiir Israel Weil dieses Ziel für Israel und die Kirche gilt, entwickelt Marquardt seine Gedanken zur Mission auch nicht im Kontext einer Ekklesiologie, sondern im umfassenderen Zusammenhang des Verhältnisses von Israel und den Völkern. In diesem Zusammenhang aber hat das Ziel der Mission durchaus auch einen politischen Aspekt. Die Mission kommt Israel zugute, und zwar in der Wiederherstellung des Reiches für Israel.40 Zugleich mit der Mission 38 »Die Aufgabe besteht darin, die Völker aus der Verfügungsgewalt Satans, des Machthabers >dieser Welt< [ . . . ] zu befreien [ . . . ] , um sie hinüber zu >gängeln< zu Gott. Jüdische und christliche Mission zielen auf Herrschaftswechsel.« (III/2, 355) Dies ist eine Aussage, die in ihrer Singularität überrascht Marquardt erläutert diesen satanologischen Ansatz nicht weiter. 39 »Vielmehr sollen die Völker dafür gewonnen werden, [ . . . ] ein »Erbteil der Heiligen im Licht< (Kol 1,12) [anzunehmen]. Dies ist eine Beziehungsfigur, durch die Gojim dem jüdischen Volk zugeordnet werden sollen [... ] Diese Zuordnung ist das Ziel in der Abfolge der Aufträge, die der lukanische Paulus nach Apg 26, 18 vom erweckten Jesus empfangen hat. Diese Zuordnung ist also auch das Ziel der Mission: eine neue Sozialisation der Gojim.« (III/2, 356) 40 Vgl. III/2, 374. - »Gott wird die »zerfallene Hütte< Israels restaurieren, >damit< die übrigen Menschen anfangen, nach dem Gott Israels zu fragen. [ . . . ] Das eine geschieht im anderen, nicht eins nach dem anderen.« (III/2, 377)

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hebt die Wiederherstellung des Reiches für Israel an - das ist ein »zionistisches Motiv« im Lukanischen Doppelwerk - , dadurch nämlich, daß die Völker dazu befähigt werden, in Frieden mit Israel zu leben. Auch die christlichen Apostel und Gemeinden dienen diesem Werk. 41 Und selbst wenn das Reich für Israel noch nicht restituiert wurde, ist der Prozeß bereits in Gang gesetzt.42 3.2 Krisenhafter Weg der Mission Der Weg zur neuen Sozialisation der Gojim ist ein durch Krisen gekennzeichneter Weg, da das Jüdische, Heidnische und Christliche durch diesen Vorgang gefährdet werden. Zunächst ist festzustellen, daß die Zeit Jesu von Lukas nicht als »Mitte der Zeit« verstanden, sondern schlicht im Zusammenhang der ungelösten Spannungen zwischen Israel und den Völkern gesehen wird. (III/, 372 f.) Krisenhaft für Israel ist es, wenn Gojim dem Volk zugeordnet werden, da dies zur Auflösung der Identität Israels führen könnte. Dessen Identität ist durch Tora, Bund und Beschneidung gesetzt. Durch das massenhafte Dazukommen von Gojim, denen die Beschneidung nicht verpflichtend ist, kann die Identität Israels in Gefahr geraten. Für das Heidnische ist umgekehrt der Name des Gottes Israels ein Problem, da er unzulässige Vermischungen, wie sie im Heidentum vorkommen, radikal in Frage stellt. Wir werden darauf im Abschnitt über die Begriffe »Heidentum« und »Synkretismus« zurückkommen. Daß schließlich die Christen in diesem Prozeß der Verkündigung Gefahren ausgesetzt sind, ergibt sich daraus, daß sie zwischen dem Volk Israel und den Heiden stehen, da sie die Botschaft des unbequemen Gottes Israels unter die Völker bringen. Warum der Weg der Mission ein krisengeschüttelter Weg für alle Beteiligten ist und sein wird, kann deutlicher im Hinblick auf den Modus der Mission beschrieben werden.

41 »Sie [sc. die Apostel und Gemeinden] bereiten mit dem >Werk< ihrer Völkermission eine Welt, in der auch Israel atmen kann. Indem sie die Völker für den Gott Israels als auch ihren einzigen Gott erschließen, wollen sie sie zugleich von innen her so nahe an das Volk dieses Gottes heranführen, daß sie jedenfalls keinen Geist der Vernichtung gegen Israel mehr entfachen können«. (III/2, 378) 42 »Israel ist Adressat der Jesus - Verkündigung in dem, was ihm zugute, zu seinem Frieden, an den Völkern geschieht, sie in ihrem Verhältnis zu Gott und seinem Israel wendend und verändernd So wenig diese Völkerbewegung schon, wie wir sagten, das Reich Gottes auf Erden bringt, gar ist, so wenig stellt sie auch nur »das Reich für Israel· wieder her. Sie ist die Vorbedingung für das Reich vor dem Reich, Israels Reich vor dem letzten Gottesreick« (III/2, 379)

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4. Mission als Durchsetzung des Namens Jesu: Modus der Mission In der christlichen Mission geht es, wie sich an der Apostelgeschichte zeigen läßt, um die Durchsetzung des Namens Jesu. Das meint nicht die Durchsetzung einer »Nomenklatura«, d. h. eines »christlichen« Denk- oder Wertesystems, sondern die Verkündigung des »Werkes« Jesu, d. h. dessen, was er getan hat. Denn gerade in seinen Taten, in seiner konkreten Geschichte, bewährt Gott seinen Namen. Der Name hat nach biblischem Verständnis »offenbarende Kraft«, er wird in der Bibel nicht stilistisch beliebig verwendet, sondern »in unseren Namen sind wir gesellschaftlichkommunizierende Wesen«. (III/2, 292 f.) Der Name Jesu läßt sich nur als Geschichte erzählen, und weil sich über ihn noch keine »communis opinio« bilden läßt, ist sein Name selbst noch in einem »offenen Prozeß«. Den Namen Jesu durchzusetzen kann jedoch nicht heißen, ihn dem Namen des Gottes Israels gleich zu machen oder letzteren duch den Namen Jesu zu ersetzen. Vielmehr ist es so, daß der Name Jesu den Namen des Gottes Israels auslegt. (III/2, 297 f.) Beiden Namen ist gemeinsam, daß sie nicht austauschbar sind. Gott macht sich durch seinen Namen nach biblischem Verständnis »anredbar«, d. h. in der Öffentlichkeit bekannt. Er tut das als der Gott, der in seinem Handeln dadurch gekennzeichnet ist, daß er nach seinem souveränen Willen Menschen erwählt, daß er scheidet und unterscheidet. Gerade dadurch aber läßt er sich nur auf das festlegen, was er selbst setzt. Der Inbegriff dessen ist der Name, mit dem er benannt sein will. Er will der »Menschheitsgott« gerade darin sein, daß er der Gott Israels war, ist und bleibt. (III/2, 179)

4.1 Verkündigung: Gottes Scheiden versus menschliche Anknüpfimg Die Durchsetzung seines Namens treibt die Völker in einen »Erbstreit« mit Israel. Der Streit ist notwendig, da in der Durchsetzung des Namens nicht darauf gerechnet werden kann, das Handeln dieses Gottes irgendwie einsichtig zu machen. Daher kommt es in der Missionspredigt auch nicht primär darauf an, daß er der Schöpfergott ist, denn mit diesem Hinweis könnte man ihn mit allgemein-menschlichen Denkschemata vermitteln. Es kommt vielmehr darauf an, ihn als den Gott, der Israel erwählt hat, der mit Israel und in Jesus Christus eine Geschichte hat, zu verkündigen. (III/2, 297 ff.) Deshalb auch - Marquardt erläutert dies an der Predigt des lukanischen Paulus in Apg. 17 - verzichtet Paulus in seiner Verkündigung in Athen, die sicher nicht zufällig auf dem Hügel des Kriegsgottes (!) Ares stattfindet, auf jegliche »Anknüpfung«. Vielmehr ist seine Predigt Angriff, und zwar

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als Verkündigung des Namens Jesu, der - als Name! - über alle Namen ist. Es ist der Angriff des Namens Gottes gegen das Namenlose, da die Athener die »Feier des Unbekannten [... nicht als Verlegenheit, sondern gerade] als die Tiefe und Wahrheit ihrer Religion« empfanden. 43 Hinsichtlich der Frage nach Mission als Verstehen der Fremden mag dieses Verständnis von Verkündigung, das ganz auf Konfrontation abzuheben scheint, tatsächlich befremden. Gibt es nur das starre Entweder-Oder zwischen dem Gott, der sich als der Gott Israels und Jesu Christi namhaft gemacht hat und den übrigen Religionen? Marquardt wendet die Sache jedoch positiv: Er gibt zu bedenken, daß gerade auf diese Weise der Fremdheit des Gegenübers Respekt gezollt und so Ehre erwiesen wird. Denn gerade so unterwerfe man den Anderen nicht, wie das der Fall ist, wenn man ihn immer als einen betrachtet, den man irgendwie schon kennt.44 Daß die christliche Verkündigung auf Widerspruch setzt45, bedeutet gerade nicht, a) daß sich Christen nicht um das Verstehen der Fremden bemühen müßten. Vielmehr schulden ihnen Christen mindestens ebenso viel Respekt und Verstehensbemühungen wie den Juden. (III/2, 364) Die Gegensätze dürfen nur nicht an der falschen Stelle gesucht werden. Der Widerspruchscharakter der Verkündigung bedeutet auch nicht, b) daß es außerhalb Israels und der Kirche nicht auch göttliche Wahrheit gebe. So erwägt Marquardt an anderer Stelle - ohne diese Frage jedoch zu beantworten - , ob es nicht auch eine direkte, d. h. nicht über Israel vermittelte, Prophetie an die Völker geben könne. (II/2, 170 f.) Das zeigt nur eine grundsätzliche Tendenz des Marquardtschen Denkens: Die möglichst weit-

43 III/2, 299. - »Eben das ist es wohl, was Paulus [ . . . ] will und tut. Er redet da nicht im Geist christlicher Apologeten, die das Biblische, so oft sie nur können, gerne mit dem Allgemein-Menschlichen, und da besonders gern mit dem Heidnischen, vermitteln, gar: verknüpfen möchten. Er trägt da vielmehr den Angriff des Namens gegen das Namenlose vor, den Gott, der überhaupt nur darin Gott ist, daß er seinen Namen bekannt macht und sich bei seinem Namen rufen lassen will, der ein Name über allen Namen ist, gegen den Gott, der überhaupt nur darin wirklich Gott sein will, daß er namenlos über alle Namen ist« (III/2, 299, vgl. 300) 44 Marquardt will damit »jener christlichen Unterwerfungs-Mentalität wehren, die wie im Judentum, so auch im Heidentum, immer schon das >eigentlich< (oder wenigstens: das >werdendeantiheidnischen Zeugnis< (K.H. Miskotte).« (III/2, 353)

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gehende Vermeidung abstrakt-begrifflicher Verhältnisbestimmungen in theologischen Fragen. Für das Verständnis gegenwärtiger christlicher Verkündigung sind Marquardts Ausführungen über »Jesus außer Landes« von besonderem Interesse. (II/1, 11-105) In diesem Kapitel fragt er nach dem Jesusverständnis anderer großer Weltreligionen, eine religionsgeschichtlich-systematischtheologische Frage, wie sie in den gegenwärtigen protestantischen Dogmatiken in Deutschland einzigartig ist. Marquardts These: »Exklusiv will Jesus die Seinen an sich binden, aber exklusiv will er nicht von den Seinen gebunden und für sie vorbehalten, von anderen zurückgehalten werden. Des zum Zeichen begegnet er auch draußen.« (II/1, 97) Die Frage, wie christliche Christologie Jesu Wirken in anderen Religionen zu verstehen vermag, wird mit dem Hinweis auf den »Selbsterweis« seines Wirkens beantwortet. 46 Wir stehen im hermeneutischen Zirkel, nur das als Wahrheit erkennen und anerkennen zu können, was wir in der Offenbarung Jesu Christi als solche kennengelernt haben. Neben einer grundsätzlichen Offenheit gegenüber den anderen Religionen und ihren Jesusbildern fordert Marquardt außerhalb einer solchen Selbstevidenz Zurückhaltung in bezug auf die Beurteilung der Religionen. »Auch wie wir Jesus sehen, ist nur unser Bild. Aber >Bild< kann hier wie da ein solches sein, das wir alle nur deswegen uns >machen< können, weil es uns >vor Augen gemalt< wird (Gal 3,1), und wir können nicht ausschließen (so wenig wir es behaupten können), daß Jesus auch außerhalb der Kirche >in dem Bilde< anderen anders >erscheint< als uns«. (II/1, 90)

Darüber hinaus gebe es nur ein negatives Kriterium: Jesus dürfe nicht antijüdisch vereinnahmt werden. (II/1, 94) Allerdings beziehen sich diese Ausführungen nur auf das Wirken Jesu Christi außerhalb des Christentums, wo es unter seinem Namen geschieht. Wäre aber auch ein »anonymes« Wirken Gottes denkbar? Es ist deutlich, daß der Widerspruchscharakter der christlichen Verkündigung den Versuch, die fremden Religionen und ihre Anhänger zu verstehen, nicht aus- sondern einschließt. Daß das Verhältnis dennoch ein kritisches ist, belegen die Begriffe »Heidentum« und »Synkretismus«.

46 »Wenn es sich wirklich um Jesus handelt, kann darauf nicht phänomenologisch, d. h. nicht mit Verweis auf diese oder jene identifizierbaren Kennzeichen des außerkirchlichen Jesus geantwortet werden. Wir kennen Jesus ja nur als einen >lebendig Christus kommt herfür< (EKG 87,3), müssen und wollen also seine Identität gerade darin wirksam sehen, daß wir uns grundsätzlich offenhalten für einen Selbsterweis seines Lebens.« (II/1, 89f.)

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4.2 Die Begnffe »Heidentum« und »Synkretismus« Beide Begriffe werden in Marquardts Ausführungen über die für die Gojim bestimmten noachidischen Gebote erörtert. »Synkretismus« wird unter dem Verbot der »Unzucht« ( I I I / l , 295 ff.) verhandelt. Wie bei der (unzüchtigen) Homosexualität, so geht es auch im Synkretismus um etwas, das entgegen Gottes Willen »vermischt« wird. Synkretismus als Vermischen ist »heidnisch«, weil das Heidnische sich dadurch auszeichnet, daß es die göttliche Erwählungsordnung negiert\ Das Heidnische hält sich nicht an Gottes Erwählungsordnung, die eine Ordnung der Differenz zwischen Israel und den übrigen Völkern ist, es ist vielmehr Liebe zum Identischen. 47 Weil es die von Gott gesetzten Unterschiede nicht achtet, vermischt das Heidentum den Bereich Gottes mit dem des Menschen. Daraus resultiert - in der Umwelt des Neuen Testamentes besonders greifbar - die Tendenz, einerseits Metamorphosen von Göttern, andererseits Apotheosen von Menschen für möglich und »natürlich« zu halten. Der Begriff des Heidnischen ist im Lukanischen Doppelwerk polemisch gebraucht. Das kann heute nicht mehr übernommen werden. Unser vermehrtes religionsgeschichtliches Wissen, die bleibende Vitalität der Religionen und nicht zuletzt die innere geistige Entwicklung unserer Gesellschaft machen die Wiederholung alter Vorurteile unmöglich.48 Dennoch zeigt uns Lukas so etwas wie »Phänomene des Heidnischen«.49 Die Heiden werden damit nicht als »Asoziale« abgestempelt, dennoch wird der Unterschied zum Gott Israels markiert. Den Identifizierungen des Heidnischen setzt sich der Gott Israels als der Unterscheidende entgegen. »Die Gojim sollen ihrem spezifisch Anderen, dem jedem einzelnen von ihnen An47 Es zeigt sich, daß »hier eine Liebe des Identischen, ein Verhalten und eine Denken des Sich-Identifizierens stärker ist als die Liebe des Ungleichen. Das jüdisch-christliche Grundempfinden erfährt Gott als kommunizierendes Wesen, im Dialog, in Rede und Gegenrede, in Nähe und Distanz. Darum ist die geistige, seelische, leibliche Fähigkeit, unterscheiden zu können, so fundamental. Das Andere des Anderen ist die Voraussetzung der Kommunikation. Das erzeugt eine Leidenschaft des Abstoßens und Ausschließens; wir hörten: auf falsche Mischungen steht die Strafe des Ausschlusses aus der Gemeinschaft; das dient der sinnfälligen Feststellung dessen, was wirklich Anderes, was wirklich Eigenes ist Von da aus gesehen, identifiziert das Heidentum. Synkretismus ist ihm ontologisch gemäß.« (III/l, 304) Λ III/2, 356 f. - Vgl. zum Ganzen den Abschnitt über »Heidnische Krisen«, III/2, 353 ff. 49 III/2, 363 f. - »Der grenzenlosen Offenheit und Wandlungsfähigkeit von Göttern und Menschen gegeneinander widerspricht der in seinem Wählen lebendige Gott; denn Wählen heißt: Grenzen ziehen, scheiden, unterscheiden; für die Bibel ist das Inbegriff des Lebendigen, sie entwickelt eine bis ins Schmecken und Fühlen hinein wirkende Aversion gegen alles Vermischen und Vermischte. Statt in Metamorphosen denkt sie in Beziehungen, Bünden, Verträgen und Recht. Statt in Apotheosen daran, daß Gott die Menschen wenig niedriger als Gott geschaffen hat (Ps 8,6) - nur wenig, aber doch niedriger, in unaufhebbarem Abstand voneinander.« (ΙΠ/2, 364 f.)

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deren, sollen Israel zugewendet werden.« (III/2, 360) An der Akzeptanz oder Ablehnung der bleibenden Andersheit dieses Anderen, an der Andersheit Israels, bewährt sich, was als Heidentum zu gelten hat. Der Begriff »Synkretismus« orientiert sich also an einem »Vermischen«, das allein von der Erwählungsordnung des Gottes Israels her zu verstehen ist. Der Begriff des Heidnischen führt das materialiter aus, ohne jedoch den Gottesglauben anderer Religionen dabei abzuwerten. 4.3 Offener Zeugenbegriff Marquardt setzt Israel und die Völker nicht über einen Religionsbegriff in Beziehung; er bringt dieses Verhältnis nicht auf den Begriff, sondern er sieht Israel und die Völker in einem differenzierten Zusammenhang von Nähe und Distanz. Gerade weil Gott an Israel und den Völkern handelt, ist eine einlinige Innen-Außen-Zuschreibung göttlicher Offenbarung unmöglich. Gott handelt an Israel auch den Völkern zugute, und umgekehrt sind die Völker für Israel - in seiner Funktion als Zeuge seines Gottes weder belanglos noch einfach gottlos.50 Das zeigt sich an Marquardts Zeugenbegriff. Obwohl nämlich die Völker im Alten Testament zunächst und vor allem die Rolle der Zuschauer im Geschehen zwischen Gott und Israel spielen, werden sie zunehmend selbst zu Zeugen dieser Geschichte. Auch Heiden spielen für Gottes Offenbarung, obwohl sie nicht erwählt sind, im wahrsten Sinne des Wortes eine Rolle. Ihre Zuschauerfunktion im Alten Testament umfaßte das Sich-Mitfreuen, aber auch das Mitleiden mit Israel. Gerade darin aber sind Heiden an der »Offenbarungswahrheit«, die dreier Zeugen bedarf, beteiligt!51 Marquardt: »Offenbar ist ein biblischer Offenbarungsgedanke weiter strukturiert, als Theologie bisher sich zu denken getraute.« (III/1, 171) Die Zeugen werden ansatzweise in das Geschehen, das sie bezeugen, hineingezogen. Gott handelt an Israel, damit die als Zeugen beteiligten Völker zur Erkenntnis Gottes kommen. 52 50 »Die Völker sind, wenn sie nicht Erwählte sind, darum doch nicht Gott fremd und gotdos. Israels besondere Indienststellung ist eine der Aktualisierungen der Wirklichkeit, daß Gott zu allen Völkern im Verhältnis lebt, und sie bestätigt in der aktuellen Wirkung das allgemeingültige Prinzip.« ( H I / 1 , 169) 51 »Offenbarungswahrheit wird auf dreier Zeugen Munde gestellt, wovon einer ein zwar innerlich nicht Unbeteiligter, aber direkt und selbst nicht Betroffener, ein Goj, ein Heide sein soll.« Im Neuen Testament verhält es sich ähnlich: Obwohl Pilatus nicht Christ ist, wird er dennoch Zeuge Jesu Christi (vgl. Joh 19, 22). ( I I I / l , 171) 52 Heilsgeschichte ist in diesem Sinne »extrovertiert«. ( I I I / l , 171) Als Zeugen begegnen die Völker dem Gott Israels, was nicht ohne Folgen bleiben kann! »Was er für Israel zu tun gedenkt, zielt ab auf ein Erkennen der Völker: darauf, daß sie Gott erkennen, mithin, daß in ihnen eine Gotteserkenntnis aufwacht [ . . . ] seine Hilfsbereitschaft fiir Israel ist sein >Weg< zu den Gojim.« ( I I I / l , 172)

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In diesem Sinne handelt es sich um einen wechselseitigen und offenen Zeugenbegriff. Wechselseitig: Gott bezeugt sich dadurch, daß Israel durch sein Leben inmitten der Völker von seinem Gott Zeugnis gibt, umgekehrt dadurch, daß die Völker Israel zur Erkenntnis Gottes »aufreizen«. Offen: Gott bezeugt sich in seinem Handeln in und an Israel, aber auch in dem Verhältnis Israels zu den Völkern, was letztere stellenweise aus der Rolle bloßer Statisten heraushebt. 53 Mission findet in diesem Verhältnis zwischen Israel und den Völkern statt.5* Wenn also von Mission die Rede ist, muß die Weite des biblischen Zeugenbegriffes beachtet werden. Als Konsequenz ergibt sich daraus, daß der christliche Zeuge trotz der Bestimmtheit seiner Verkündigung sich den Blick auf eine mögliche Zeugenfunktion seines Gegenüber freihalten müßte. 4.4 Teilnahme an Gott als Beteiligung am Volk Israel Der Modus missionarischer Verkündigung, verstanden als Durchsetzung des Namens Jesu Christi, ist einerseits Angriff und Widerspruch, andererseits das Erzählen der Geschichte, in der sich Gottes Name bewährt. Solche Verkündigung ist, wie an den Begriffen Synkretismus und Heidentum zu sehen, kritisch gegen jegliches »Vermischen« der göttlichen Erwählungsordnung. Dennoch ergibt sich daraus keine festgesetzte Grenzziehung zwischen Israel und den Völkern, wie der offene Zeugenbegriff zeigte. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, diese Fremdheit des Gegenübers ansatzweise im Blick zu behalten, und zwar vom Ziel der missionarischen Verkündigung her, nämlich in der Art der Teilnahme der Gojim am Leben Israels. Wie also ist die »Teilnahme« derjenigen Gojim zu verstehen, die sich im Namen Jesu Israel zuordnen lassen? Gemäß der Bedeutung, die nach Marquardts Verständnis das unterscheidende Handeln des Gottes Israels hat, kann es nicht darum gehen, die Differenz zwischen Israel und den Gojim einzuebnen. Jegliche Identifizierung mit oder Assimilierung an Israel ist abzulehnen. Vielmehr muß es sich um Teilnahme in Distanz handeln, eine Teilnahme, die der bleibenden Andersheit des Anderen - also zunächst Israels! - gerecht wird. 55 53

»Wie die Völker Israel durch ihre Zeugenschaft zur Gotteserkenntnis aufreizen können, so kann umgekehrt Israel den Völkern Neuigkeiten von Gott erzählen. Daß Israel vor allen Völkern Gottes Eigentum ist, begründet [ . . . ] ein doppelseitiges Informationssystem [ . . . ] : Es initiiert eine Geschichte, in der sie aufeinander einwirken und gegenseitig ihre Aufmerksamkeit erregen für G o t t [ . . . Da ist] durchaus ein missionarischer Impetus dabei, der sich freilich gar nicht darauf richtet, die Völker zu Juden zu machen, sondern zu Gottesfreunden.« (III/1, 174) Sie sollen am Gottesdienst Israels beteiligt werden! ( I I I / l , 175) 54 Marquardt attestiert auch den Völkern, ein gewisses Maß an göttlicher Weisheit mitbekommen zu haben. (III/1, 175) 55 »Positiv gibt die Beziehungsfigur von Distanz und Beteiligung etwas frei, was heute

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Echte Teilnahme wird von Marquardt in dreifacher Weise charakterisiert. Zunächst (a) ist sie nur dort möglich, w o ich mir dessen bewußt werde, was ich dem Anderen schulde, w o ich an ihm schuldig geworden bin. Die Möglichkeit einer solchen Einsicht beruht auf einer Haltung der Selbstkritik,,56 Diese Selbstkritik zu üben, ist wiederum nur durch ein gewisses M a ß an Offenheit - auch und gerade in theologischer Hinsicht - möglich. In Bezug auf Apg. 4, 12 (»Es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschenkindern unter dem Himmel gegeben, darin sie sollen selig werden«) gibt Marquardt zu bedenken, daß es sich hier um einen »Erfahrungssatz«, nicht jedoch um einen »Bedingungssatz« handele: »Die Deutung: Christus sei Bedingung für jedes Heil, zerstört gerade die geistliche Offenheit des Satzes, die Lukas ihm doch mit Bedacht zum Verständnis mit auf den Weg gegeben hat. [... ] Wir können Gott auch in der Theologie anders fürchten und lieben als in der Verdammung der Anderen - und wären sie gar in Gottes eigenen Augen: Gottlose; doch wer von uns wagte, das zu wissen? [... ] Nicht wir haben Gott an Anderen zu bewahrheiten oder zu widerlegen, sondern danach zu schreien, Gott möchte uns bewahrheiten vor ihrem Urteilsvermögen.«57 Solche Schriftstellen exklusiv zu verstehen, begibt Christen der Möglichkeit, gegenüber den Anderen offen und gegenüber sich selbst radikal selbstkritisch sein zu können. Teilnahme verlangt darüber hinaus, daß man (b) den Anderen nicht hochstilisiert, sondern auch an ihm »dialogische Kritik« übt. Das setzt voraus, daß man kritikfähig wird, wozu ein ausgeprägtes Informiertsein und Informiertsein - wollen genauso gehört wie das Erlernen der Fähigkeit, Fragen zu stellen. 58 Beides bedingt sich gegenseitig: Ohne ein gewisses M a ß geisdich und theologisch immer wichtiger wird: die für uns alle überlebenswichtige Wahrung der Andersheit des Anderen als der einzigen Möglichkeit, eine Wiederholung von Auschwitz zu verhindern.« (III/1, 183) - Diese Beziehungsfigur der Teilnahme in Distanz findet sich bereits im Alten Testament. ( I I I / l , 184) 56 »Erste Weise einer Teilnahme am Anderen, in der dessen Andersheit menschlich wie theologisch geachtet, ja als Gabe unseres Gottes an ihn gelobt wird, kann nur Einsicht in das sein, was wir an ihm bis jetzt verschuldet haben und in Revision dessen heute schulden. Ohne Selbstkritik keine Freiheit flir den Anderen.« (III/1, 190) 57 I I I / l , 191. - Vgl. auch seine Ausführungen in I I I / 1 , 340 f. zu einer zweiten Schriftstelle, die normalerweise zur Untermauerung des sog. Absolutheitsanspruches des Christentums herangezogen wird: Joh. 14, 6 »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.« Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß Marquardt diese Stelle im Sinne einer »Selbstzurücknahme« Jesu deutet 58 »Was heißt Beteiligung am Anderen? [ . . . T e i l n e h m e n d e Kritik kann nur eine sein, in der man a) weiß, wovon man spricht, also wissende Kritik, und b) eine, die begierig auf Gegenkritik eingestellt ist, - wir meinen also: kommunizierende, dialogische Kritik. [... ] Und so sehen wir im Fragenlemen, die wichtigste Gestalt jener Beteiligung, in der wir wissen, was wir den Andern schulden.« (III/1, 192)

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an Information ist es schwer, Fragen überhaupt stellen zu können; umgekehrt dient das Fragenlernen der Gewinnung neuer Information und damit dem besseren Verstehen des Anderen. Teilnahme verlangt schließlich (c), daß das Lernen gelernt wird. »Lernen [ist] die vornehmste Weise der Teilnahme.« (III/1, 196) Alles kommt nun darauf an zu verstehen, daß dieses das Lernen-zu-erlemen nicht eine Frage allgemeiner hermeneutischer Regeln ist, sondern tiefe theologische Wurzeln im Erwählungshandeln des Gottes Israels hat\ Die hier implizierte Hermeneutik des Anderen ergibt sich ja gerade daraus, daß Gott an Israel und dann in dem auf Israel bezogenen Messias Jesus von Nazareth pars pro toto an den Menschen handelt. Er tut das aber so, daß die Menschen sich zu Israel in Beziehung setzen und also lernen sollen. Eben dies sind die theologischen Gründe, christlicherseits zum einen von Israels Umgangsweise mit Gott - dem Lernen! - zu lernen und sich zum anderen in die Beziehung zu Israel hineinzulemen.59 Die hier in nuce vertretene Hermeneutik des Anderen, eine Hermeneutik der Teilnahme in Distanz, die die Andersheit des Anderen im Blick behalten will, begründet dies aus dem von Gott gesetzten Verhältnis zwischen Israel und den Gojim und damit aus dem Erwählungshandeln Gottes überhaupt. Das Lernen zu lernen bedeutet nun aber auch, am Leben des und der Anderen teilzunehmend Leben ist Handeln und Handeln ist das Befolgen der Tora. So schließt sich der Kreis. Marquardt: »Was ich hier skizziere, sind Anfänge einer winzig kleinen Evangelischen Halacha [ . . . , ] einer des christlichen Lernens im Leben.« (III/1, 198)

4.5 Mission als Widerspruch und also ohne Dialog ? In unserer Analyse des Modus der Mission war allenfalls implizit von dialogischen Momenten der Verkündigung die Rede. Der Befund ist tatsächlich ambivalent. Zum einen ist missionarische Verkündigung »Widerspruch« und »Angriff« und verursacht Krisen bei allen Beteiligten. Zum anderen behauptet Marquardt, eine Theologie zu entwickeln, in der »der Adressat zur Konstitution [... des] theologischen Denkens dazugehört«. 59 »Wenn aber biblische Verheißungen darauf aus sind, Völker und auch Christen an Gottes Geschichte mit Israel zu beteiligen, werden wir ein neues chrisdiches Verständnis zum Lernen suchen, das Lernen lernen müssen. Einmal, weil dies eine wesendich jüdische Umgangsweise mit dem W o r t Gottes ist, auch mit den Worten der Verheißungen. Vor allem aber, weil wir es nötig haben, uns in dasjenige Verhältnis hineinzulernen, in welchem G o t t und Israel wesendich miteinander kommunizieren.« ( H I / 1 , 195 f.; vgl. II, 2, 162 ff.) № »Lernen heißt zuerst: sich f ü r den jeweils Anderen interessieren, ihn sich angehen lassen. In diesem Sinne ist Lernen vor allem die Bereitschaft, mit dem Anderen zu leben.« ( I I I / l , 196)

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(I, 164) Der scheinbare Gegensatz läßt sich nur dadurch aufheben, daß man sich des hermeneutischen Grundansatzes von Marquardt erinnert. Wenn nämlich das Handeln vor dem Erkennen priviligiert wird, bzw. Erkennen im Handeln zustandekommt, wenn das Befolgen der Tora Gottes- und Welterkenntnis vermittelt, dann ist auch Mission zunächst an dieses Handeln gewiesen. Es ist ein Handeln, das die Fremdheit des Gegenüber so respektiert, daß ihm Gerechtigkeit widerfährt. Es geht um eine Theologie, die die Adressaten nicht mehr zu Opfern machen kann. In diesem Sinne ist Teilnahme am Leben des Adressaten das Erste und Wichtigste der christlichen Mission. Und erst in diesem Zusammenhang, so darf man schließen, ist auch die christliche Missionsverkündigung als Widerspruch zu verstehen. Somit liefert der Ansatz von Marquardt keine operablen theologischen Verhältnisbestimmungen und daraus folgend hermeneutische Anweisungen zum Verstehen des Fremden, sondern umgekehrt nur Hinweise auf eine christliche Existenz, die dem Fremden Platz läßt, indem sie ihn nicht zu vereinnahmen versucht. Das geschieht dadurch, daß man Verkündigung guten Gewissens als Widerspruch faßt. Es scheint, daß gerade der Widerspruch für Marquardt den dialogischen Charakter der Auseinandersetzung sichert: »Das jüdisch-christliche Grundempfinden erfährt Gott als kommunizierendes Wesen, im Dialog, in Rede und Gegenrede, in Nähe und Distanz. Darum ist die geistige, seelische, leibliche Fähigkeit, unterscheiden zu können, so fundamental. Das Andere des Anderen ist die Voraussetzung der Kommunikation. Das erzeugt eine Leidenschaft des Abstoßens und Ausschließens; wir hörten: auf falsche Mischungen steht die Strafe des Ausschlusses aus der Gemeinschaft; das dient der sinnfälligen Feststellung dessen, was wirklich Anderes, was wirklich Eigenes ist.« (III/l, 304 f.)

Die Differenz begründet sich gerade aus Gottes unableitbarem Erwählungshandeln, und diese Differenz macht Dialog möglich. Dialog ist nicht zu verstehen als Argumentation, nicht primär als Appell, nicht als Dialog in uneigentlichem Sinne und auch nicht als Einkehr in die Tiefe der Wahrheit. Dialog, das ist: Das Aufrechterhalten der Differenz, die Wahrung der Andersartigkeit des Anderen.

5. Würdigung und Kritik Wenn man nach einer theologischen Einordnung des systematischen Ansatzes von Marquardt fragt, braucht man nicht lange zu suchen. Marquardt hat einige Linien der Dogmatik Karl Barths konsequent ausgezogen. Bei beiden sind - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung - der Erwählungsgedanke und der Bundesbegriff Zentrum ihrer Theologie. In diesen Zusammenhang gehört zunächst die positive Wertung des Gesetzes, das

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Barth als »Form« des Evangeliums würdigen konnte. Marquardt nimmt dies jedoch so auf, daß nun auch die Christologie von der Tora her verstanden wird, oder besser: daß Tora und Jesusgeschehen einander gegenseitig auslegen. Wie Barth versteht Marquardt die Christen als »Zeugen« und die Kirche als wesenhaft missionarisch. Israelgeschichtlich zuspitzend entwickelt Marquardt jedoch einen offenen Zeugenbegriff, der einerseits die offenbarungstheologische Bedeutung der Völker berücksichtigt, andererseits Israel - und nicht Jesus Christus - als den zeitlich und qualitativ ersten Zeugen versteht und schließlich den Weg des Zeugen nicht expansiv in die von Gott geliebte Welt als terminus ad quem gehen sieht, sondern rekursiv von Jerusalem herkommend und eben auch dahin zurückführend. Auch in der These, daß die christliche Verkündigung keiner »Anknüpfung« bedarf, folgt Marquardt der Theologie Barths. Allerdings erfährt diese These eine etwas andere Begründung: Da Gott sich als der kundtut, der der Menschheitsgott nur als Gott Israels sein will, ist die Anerkennung seines Namens, in dem er sich ansprechbar macht, unverzichtbar. Gerade dieser Name aber ist nicht aus der Schöpfungs-, sondern allein aus seiner Erwählungsordnung heraus verstehbar. Dennoch kommt es - im Gegensatz zu Barth - nicht zu einer aus dem Offenbarungsbegriff deduzierten Verhältnisbestimmung zwischen Christentum bzw. christlichem Glauben und den Religionen. Da sich nämlich Gottes Offenbarung im Tun seines Willens erschließt, ist eben das Tun und nicht ein theologischer Begriff - Voraussetzung einer wie auch immer gearteten Verhältnisbestimmung. War bei Barth die Offenbarung betreffend ausschließlich das Handeln Gottes maßgeblich, so faßt Marquardt von seinem Toraverständnis her - den Offenbarungsbegriff viel weiten Gerade im Tun erfährt der Mensch Gott als den, der er ist. In diesem Sinne gehört das Tun des Menschen in das Offenbarungsgeschehen hinein! - An dieser Stelle verlassen wir den Vergleich zu Barth und werfen einen Seitenblick auf den Ansatz von Michael von Brück. Wie von Brück so entwickelt auch Friedrich-Wilhelm Marquardt seinen theologischen Ansatz aus dem Dialog mit einer anderen Religion heraus. Marquardt nimmt die jüdische Priviligierung des Handelns vor dem Erkennen auf und wendet diesen Grundsatz an. Hermeneutisch gesehen ergibt sich daraus ein ähnlicher Zugang wie in befreiungstheologischen Entwürfen: Die entschiedene methodische Vorordnung der Praxis vor der Theorie. Das missionstheologische Problem der Verhältnisbestimmung zwischen Christentum und den Religionen, unsere religionstheologische Frage, wird in neuer Weise angegangen. Marquardt orientiert sich an dem Verhältnis Israels zu den Völkern. In diesen Rahmen wird die Frage des Verhältnisses Christentum-Religionen eingebunden. Dabei ergibt sich ein merkwürdiges Nebeneinander des schroffen Gegensatzes zwischen dem Namen des Gottes Israels - und dem Namen Jesu Christi - und den Religionen einerseits

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Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

und den Übergängen des göttlichen Handelns zwischen Israel und den Religionen andererseits. Letzteres scheint letztlich nicht systematisierbar, es gibt Übergänge, Brüche, Undurchsichtigkeiten. Es ist möglich, von anderen Religionen zu lernen, und es ist nötig, immer wieder erneut Versuche zu unternehmen, sie zu verstehen. Schließlich sind auch sie - als (eher unbeteiligte) Zeugen - im Offenbarungsgeschehen (!) involviert. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß es hinsichtlich des Namens des Gottes Israels und der bleibenden Erwählungsordnung dieses Gottes keinerlei Kompromisse geben kann. Die Erwählungsordnung zugunsten einer wenn auch als göttliches Handeln gerechtfertigter - Schöpfungsordnung abzulehnen, ist Heidentum. 61 Marquardts Hinweis, man tue den Anderen gerade dadurch die Ehre an, anders sein zu können und zu dürfen, als man selber, ist zunächst bestechend. Wenn ich im Anderen nicht schon jeweils, in wie entstellter Form auch immer, mein eigenes Gottes- und Weltverständnis »wiederentdecke«, dann wird mir der Andere als der bewußt, der er ist, einer, der radikal abständig, unverständlich, faszinierend oder bedrohlich sein mag. Allerdings stellt sich die Frage, ob es nicht doch Übergänge gibt und wie man sie theologisch zu verstehen habe. Wird nicht durch die Überbetonung des Widerspruchs die Tatsache außer acht gelassen, daß Gott, obwohl er sich an seine Erwählungsordnung gebunden hat, dennoch auch der Schöpfer ist? Es ist bezeichnend, daß eine Schöpfungstheologie in Marquardts Systematik nur am Rande, und eben nur unter dem Aspekt des Unterscheidens, der wiederum an das Erwählungshandeln zurückgebunden wird, vorkommt! Gerade an diesem Punkte nun liegt wohl die größte Differenz zwischen den Ansätzen von von Brück und Marquardt: Bei von Brück drohen Schöpfungs- und Erlösungshandeln in eins gesetzt zu werden, bei Marquardt droht umgekehrt das Thema Schöpfung gegenüber dem der Erwählung seine Eigenständigkeit zu verlieren. Beim einen wie beim anderen wird die Schöpfungstheologie nicht genügend berücksichtigt. Es ist in diesem Zusammenhang interessant zu beobachten, wie beide Theologien, die im Dialog mit einer anderen Religion entwickelt wurden, deren gedankliche Tendenzen aufnehmen. Man kann das leicht an der Auslegung des Verses aus dem Philipperhymnus »Darum hat ihn auch Gott erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist« (Phil. 2,9)

61 Die hier angesprochene Problematik kann noch vertieft werden. Gott bindet sich nicht nur an sein Volk, sondern auch an ein bestimmtes Land (vgl. I, 361 ff.; III/2, 187-285) Gerade letzteres macht die Kontextualisierung der bleibend auf Israel bezogenen christlichen Verkündigung problematisch, da sie der Aneignung dieser Botschaft im Kontext fremder Länder und Kulturen enge Grenzen setzt Den von Gott gewählten Ort zu überspringen, das wäre »methodisches Heidentum«. (I, 363)

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zeigen. Während von Brück diesen Vers im Sinne des Advaita so versteht, daß es der Name über alle Namen ist, womit gesagt sein soll, daß er nicht mehr aussagbar ist, legt ihn Marquardt im Sinne der Lukanischen »Namens-Theologie« so aus, daß es der Name über allen Namen ist, womit in letzter Konkretheit die Unaustauschbarkeit gerade dieses Namens herausgestellt wird! Und während bei von Brück diese Auslegung durch seine Identifizierung von Schöpfungs- und Erlösungshandeln Gottes als gerechtfertigt erscheint, ist es bei Marquardt gerade die Priviligierung des Erwählungshandelns, die seine Argumentation begründet und stützt. Während bei von Brück deshalb Mission auf Dialog hinauslaufen kann, weil die Religionen in gewissem Sinne schon eins sind, ist es bei Marquardt gerade umgekehrt: Die bleibende und unüberbrückbare Differenz macht ein Dialogverständnis, daß der Konfrontation den entscheidenden Stellenwert einräumt, plausibel und erforderlich. Wir können nach dem bisher Gesagten festhalten, daß nach dem Verständnis von Marquardt ein Verstehen des Fremden in der Mission einerseits zu suchen ist. Andererseits darf der Name Gottes dabei keinesfalls preisgegeben werden. An dieser Stelle ergibt sich jedoch eine Rückfrage nach dem Begriff des Tuns der Tora. Ist dieses beispielsweise mit rituellen Handlungen - ζ. B. in verschiedenen Stammesreligionen - vereinbar, Handlungen, in denen womöglich ein heilvolles Wirken Gottes erlebt wird, gerade in der mehr oder weniger gleichförmigen Wiederholung? Und wie würden sich solche rituellen Handlungen zum Toragehorsam verhalten?62 (Immerhin gibt es im orthodoxen Judentum ja eine ganze Reihe ritueller Handlungen.) Anders gesagt: Kann ein Wirken Gottes in solchen Dimensionen gedacht werden, wenn sein Schöpfungshandeln mehr oder weniger unbeachtet bleibt? Kann man an solchen religiösen Dimensionen vorbeigehen, ohne zu versuchen, sie auch theologisch ernstzunehmen? Ist Mitleben mit den Adressaten möglich, ohne diese Aspekte ihrer Lebensordnungen auch zu würdigen? Marquardts Ansatz gibt wenig Anhalt, diese Fragen positiv zu beantworten.

62 »Denn >Wort Gottes< ist, als viva vox, lebendiges W o r t und kann als solches nicht eingehen in geprägte Form. Wir können es >hörenbewahren< (Lk 11, 28), aber nur in existentiellen Akten, die sich mit Worten wie >Gehorsam des GIaubens< [ . . . ] oder >Tun< [ . . . ] bezeichnen lassen, also nur mit Begriffen einer Aktualität, die Konstanz durchbricht - aus Gewöhnung, Sitte, Stil, Tradition [ . . . ] herausreißt und bald wieder schwindet; auch da, wo Aktualität Gottes im >Gebot< innere Konstanz im >GesetzLernen< der T o r a immer wieder zu den Akten des >Tuns< [ . . . ] Dies Tun aber hat nichts Rituelles, kann nicht wiederholt werden; G o t t mag das Geplärr der ihm geltenden Lieder nicht hören, so wenig er die ihm geltenden Feste riechen mag«» ( Π Ι / 2 , 178)

F Zusammenfassung: Vier religionstheologische Modelle und ihre missionstheologischen Konsequenzen Ausgehend von der Frage nach Mission als einer Hermeneutik des Fremden hatten wir dieses Kapitel unter die Uberschrift »Mission und Dialog« gestellt. Das Problem lautet: Wie kann die christliche Botschaft so verkündigt werden, daß der Glaube und das Bekenntnis der Adressaten theologisch ernstgenommen werden können? Wie ist der christliche Glaube aussagbar, ohne daß andere Religionen zu bloßen Vorstufen der christlichen Wahrheit degradiert oder als Verdunklungen göttlicher Wahrheit denunziert werden? Ist es möglich, daß der Adressat als »Teil« der christlichen Botschaft zu verstehen ist? Anders ausgedrückt: Kann es sein, daß das, was als »Botschaft« bezeichnet wird, erst durch die Begegnung mit dem Adressaten und das heißt eben auch durch ihn konstitutiert wird? Müßte ein echtes Verstehen des Anderen und Fremden nicht diese wechselseitige Bedingtheit bezüglich der göttlichen Wahrheit voraussetzen? In diesem Zusammenhang steht die Frage nach dem Verhältnis von Mission und Dialog. Dialog wurde von den hier vorgestellten Entwürfen als ein unverzichtbarer Bestandteil oder Aspekt der Mission verstanden. Will die christliche Mission sich nicht dem Vorwurf christlicher Überheblichkeit aussetzen, dann muß sie dialogischen Charakter haben. Hier schließt sich jedoch sogleich die Gegenfrage an: Was heißt eigentlich »Mission«, wenn göttliche Wahrheit auch beim Anderen vorausgesetzt wird? Was ist der Inhalt der Sendung, was wird hier noch als »Botschaft« vermittelt und wer ist an dieser Weitergabe der Botschaft in welcher Weise beteiligt? Schließlich: Müßte nicht Mission konsequent durch den Dialog ersetzt werden? Wir werden im folgenden die Lösungsvorschläge, die auf dem Hintergrund der vier religionstheologischen Modelle entwickelt wurden, dem induktiv-inklusiven, dem dialektisch-dualen und dem deduktiv-diastatischen Modell, sowie dem Modell, das auf einen Religionsbegriff verzichtet, zusammenfassen und vergleichen. Dabei soll das, was in der Analyse dargestellt wurde, nicht im einzelnen wiederholt werden. Auch der gedankliche Fortschritt der einzelnen Entwürfe gegenüber den ihnen zugeordneten Ansätzen aus der ersten Jahrhunderthälfte wurde bereits aufgezeigt. Vielmehr geht es hier darum, die Grundentscheidungen der Entwürfe zu Fragen von Mission als einer Hermeneutik des Fremden herauszuarbeiten. Wir orientieren uns dabei an drei Grundfragen, anhand derer wir die einzelnen Ansätze zusammenfassen:

Zusammenfassung

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1. Was ist die gemeinsame Grundlage, die ein Verstehen des Fremden möglich macht? Es wird hier die religionstheologische Fragestellung nochmals aufgegriffen. 2. Wie verhilft der Dialog zur Selbstrelativierung der eigenen Position bzw. dazu, den Adressaten nicht zu vereinnahmen? Hier ist der dialogtheologische Charakter der Begegnung zu erläutern. 3. In welcher Hinsicht konstituiert der Andere die christliche Botschaft? Damit spitzt sich die hermeneutische Problemstellung auf die Frage zu, wie Mission und Verstehen des Fremden zusammenzudenken sind, ohne dabei entweder die christliche Mission oder aber den Versuch, dem Fremden möglichst unvoreingenommen zu begegnen, aufzugeben.

1. Das induktiv-inklusive

Modell - Wolfliart Pannenberg

Wolfhart Pannenberg entwickelt einen induktiv-inklusiven Religionsbegriff, der teils aus der Religionsgeschichte, teils religionsphilosophisch erschlossen wird. Seine Funktion ist es, eine Basis anzugeben, auf der die Religionen miteinander verglichen werden können. Dadurch, daß das Ende der Geschichte in der Auferstehung Jesu Christi antizipiert wurde, können Christen um den Ausgang der Geschichte wissen. Da die Tendenz der Geschichte auf die sich am Ende zeigende Einheit hinläuft, dient die Mission der antizipativen Realisierung dieser Einheit, indem sie das Reich Gottes überall verkündigt. Weil sich das Ende noch nicht ereignet hat, haben chrisdicher Wahrheitsaussagen jedoch hypothetischen Charakter, wodurch es bis zu einem gewissen Grade zur Selbstrelativierung der christlichen Position kommt. Da aber nach dem Programm »Offenbarung als Geschichte« Gottes Offenbarung in der Geschichte von allen Menschen wahrgenommen werden kann, vollzieht sich Mission als Dialog. Mission und Dialog werden hier nahezu identifiziert: Der Dialog ist missionarisch, und die Mission ist dialogisch. Dialog ist dabei nicht Selbstzweck. Er hat eine Wahrheitsfunktion und das Ziel, in der Auseinandersetzung mit dem Gegenüber die eigene Wahrheit plausibel zu machen und dabei zugleich die eine Wahrheit zu finden. Der Dialogbegriff hat demnach kognitiven Charakter. Pannenberg vertritt einen argumentativen Dialogbegnff Hermeneutisch gesehen ist der Adressat bis zu einem gewissen Grade Mitkonstituent der christlichen Botschaft. Das geschieht aber nur transpersonal. Beide Dialogpartner sind beteiligt am Nachvollziehen der göttlichen Wahrheit. Dieser Prozeß stellt den Versuch dar, einander zu verstehen und den jeweiligen Gegenüber zu überzeugen. Aus chrisdicher Sicht erschließt sich dabei auch die christliche Botschaft in ihrer Tiefe. Da es am Ende jedoch nur die eine und einzige Wahrheit geben kann, läuft dieser

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Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

Prozeß auf die Konversion zum letztlich wahren und mächtigeren Gott hinaus, wobei hier unter Konversion der Wechsel von einer Religion zu einer anderen zu verstehen ist.

2. Das dialektisch-duale Modell - Helmut

Thielicke

Gegenüber dem theologisch-universalgeschichtlichen Ansatz von Wolfhart Pannenberg kommt Helmut Thielicke mit seinem pneumatologischen Ansatz zu völlig anderen Ergebnissen. Sein dialektisch-dualer Religionsbegriff1, der zugleich phänomenologisch und theologisch orientiert ist, hat nicht primär die Funktion, eine möglichst neutrale Vergleichsbasis zwischen den Religionen abzugeben, sondern er dient zu ihrer theologischen Erschließung. Obwohl alle Religionen den göttlichen Impuls teilweise verkehren, sind sie doch alle bedingt durch ein Wirken des göttlichen Pneuma. Der erste Kontakt ist zwar verschüttet, aber die noch unbewußt schlummernde anamnesis an diesen Kontakt macht ein Wiedererkennen der Wahrheit möglich. Eine Basis für ein Verstehen des Fremden ist damit jedoch nur insofern gegeben, als ein Wirken des pneuma im Fremden angenommen werden kann. Da aber der Kontakt zur anamnesis nur durch den Geist selbst hergestellt werden kann, steht diese »Basis« menschlichen Verstehensbemühungen nicht zur Verfügung. Missionarische Verkündigung vollzieht sich dementsprechend im Modus des »Ansprechens«. Es werden Geschichten von Gottes Handeln erzählt. Die Tendenz zur Selbstrelativierung der christlichen Position in der Verkündigung ergibt sich daraus, daß letztlich Gott der Hermeneut seiner selbst ist. Deshalb steht missionarische Verkündigung nicht unter dem Druck, überzeugen zu müssen. Verkündigung als »Ansprechen« vollzieht sich vielmehr im »Dialog«, ein Terminus, der von Thielicke in Anführungszeichen gesetzt wird. Sprachtheoretisch gesehen vertritt Thielicke keinen argumentativen Dialogbegriff wie Pannenberg, sondern einen narrativen Dialogbegnff »Dialog« und Mission sind als zwei Ebenen des Geschehens der Begegnung mit dem Fremden zu verstehen. Der Dialog ist demnach bedingt Selbstzweck, weil das, was in ihm geschieht, nicht - wie bei Pannenberg - direkt als missionarische Uberzeugungsarbeit wirkt. Dialog hat nach Thielicke eine Relationierungsfunk1

Es sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, daß man auch den jüngst erschienenen

E n t w u r f v o n OSWALD BAYER [DERS. ( 1 9 9 4 ) : T h e o l o g i e , G ü t e r s l o h , 3 9 4 ff.; 5 1 7 f f . ] d e m d i a -

lektisch-dualen Modell zuordnen könnte. Bayer faßt den Religionsbegriff schöpfungstheologisch. Er unterscheidet als »Schöpfungsordnung« (im Anschluß an Gen. 2, 16 f.), die allen Menschen gilt, einen »allgemeinen Gottesdienst«, dem er den christlichen Gottesdienst als »besonderen Gottesdienst« zuordnet. Der durch die Sünde korrumpierte allgemeine Gottesdienst wird durch den besonderen wiederhergestellt

Zusammenfassung

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tion: Durch den Dialog soll Nähe zum Gegenüber hergestellt werden, damit er das Evangelium hören und ggf. aufnehmen kann. Nur in dieser Funktion hat der »Dialog« Bedeutung auch in Hinsicht auf die göttliche Mission. Man könnte also sagen, daß der von den Christen mit anderen Menschen geführte »Dialog« gegenüber der göttlichen Mission »propädeutische« Funktion h a t Im umfassenden Geschehen der Mission ist der menschliche Part, der dem gegenseitigen Verstehen auf menschlicher Ebene dient, der »Dialog«. Der göttliche Part ist demgegenüber die Mission im engeren Sinne: Gott gibt sich den Menschen zu verstehen. Beides findet in der Mission zugleich statt. Mission zielt, wie bei Pannenberg, auf Konversion im Sinne eines Religionswechsels. Die hermeneutische Frage, ob der Adressat als Mitkonstituent der christlichen Botschaft gedacht werden kann, darf bejaht werden. Das geschieht jedoch so, daß es in »Dialog« und Mission zugleich zu Begegnung und Nicht-Begegnung zweier Individuen kommt. Die Dialogpartner werden sich gegenseitig zum Mitkonstituenten ihrer je eigenen Gotteserkenntnis. Der Missionar versteht im Spiegel des Glaubens seines Gegenübers die ihm, dem Missionar, zuteil gewordene göttliche Offenbarung in neuer und vertiefter Weise. Er lernt neue Aspekte seines Glaubens kennen. Der Adressat ist lediglich als AnlaßMitkonstituent des Glaubens des Missionars. Umgekehrt kommt der Adressat dadurch, daß ihm die göttliche Offenbarung durch das Wirken des Heiligen Geistes widerfährt, zu einem Wiedererkennen der in ihm bis dahin schlummernden göttlichen anamnesis. Diese Wahrheitserkenntnis, die der Adressat gewinnt, ist dem Missionar jedoch nicht zugänglich, obwohl sie durch das Zeugnis des Missionars wiederum als Anlaß - mitbedingt ist. Gottes Offenbarung widerfährt dem Missionar ebenso, wie dem Adressaten, separat, je für sich. Deshalb kommt es zwischen Missionar und Adressat nicht zu einem gemeinsamen Verstehensprozeß hinsichtlich der Gotteserkenntnis. Insofern ist die Begegnung eine Nicht-Begegnung. Dennoch ist der Missionar dem Adressaten und vice versa Anlaß zu vertiefter Gotteserkenntnis, also ein Anlaß, der dadurch, daß Gott ihn in der Offenbarungserkenntnis einbezieht, zum Mitkonstituens der Gotteserkenntnis wird. Insofern findet eine Begegnung statt.

3. Das deduktiv-diastatische

Modell - Jürgen Möllmann

Jürgen Moltmann vertritt einen deduktiv-diastatischen Religionsbegriff. Er ist deduktiv von seiner sendungsgeschichdichen Hermeneutik abgeleitet und bezeichnet die Diastase zwischen beharrend-statischer »Religion« und dynamisch-verwandelndem Reich Gottes. Die Funktion dieses Religionsbegriffes ist es jedoch nicht, die Religionen theologisch zu bewerten. Molt-

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Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

manns Religionsbegriff dient vielmehr wesentlich der Kritik an Tendenzen von »Religion« in allen Religionen, einschließlich des Christentums. Der Ort dieses Religionsbegriffs ist quasi »oberhalb« der Religionen angesetzt. Weil er wesentlich eine kritische Funktion hat, kann er als Verstehensbasis nicht dienen. Diese Basis ist an anderer Stelle zu suchen. Mission gründet für Moltmann im Geschehen der Auferstehung Jesu Christi, das als Beginn der Neuschöpfung aller Dinge zu verstehen ist, und nicht - wie bei Pannenberg - darauf reduziert werden darf, Bestätigung für das Kreuzesgeschehen zu sein. Christologisch gesehen ist Mission Teilnahme an der Neuschöpfung aller Dinge. Dieses Missionsziel kann man auf verschiedene Weise, u. a. im Dialog, verfolgen. Mission und Dialog werden jedoch weder identifiziert (Pannenberg), noch auf zwei Ebenen verteilt (Thielicke), sondern als zwei verschiedene Modi von Mission verstanden. Quantitative Mission dient dem Kommen des Reiches Gottes durch den Ruf zum Glauben und in der Einladung, an der christlichen Gemeinschaft teilzunehmen. Qualitative Mission als Dialog versucht, Menschen fremder Religionen an der Hoffnung auf die Zukunft des Reiches Gottes teilhaben zu lassen, mit ihnen die christlichen Zukunftsverheißungen zu teilen, ohne dabei zu versuchen, sie zu einem Religionswechsel zu bewegen. Dialog ist darin Selbstzweck. Dennoch hat er eine missionarische Qualität, aber nicht als Ausbreitung von Kirche, sondern als Gewinnung von Menschen anderer Kulturen und Religionen für das Reich Gottes. Dialog hat Praxisfunktion. Er entsteht in der Praxis und dient der Praxis im Horizont der Neuschöpfung aller Dinge. Ob die Dialogpartner dabei gerade die christlichen Zukunftshoffnungen teilen, oder aber allgemein auf eine bessere Zukunft für Mensch und Schöpfung ausgerichtet werden, ist dabei eine zweitrangige Frage. Moltmann vertritt damit weder einen argumentativen, noch einen narrativen, sondern einen appellativen Dialogbegriff. Das Ziel des Dialoges ist die Ausrichtung auf das Reich Gottes. Daß und auf welche Weise der Adressat für die christliche Botschaft konstituiv ist, ergab sich aus Moltmanns sendungsgeschichtlicher Hermeneutik. Indem der Christ sich in seiner Sendung solidarisch an die Seite des Gegenübers stellt, entäußert er sich, gibt seine vormalige Identität auf, um sie im nachhinein wieder neu zu finden. Was christliche Botschaft ist, ergibt sich immer wieder neu aus diesem hermeneutischen Zirkel. Die Dialogpartner konstituieren sich demnach gegenseitig im »Wir« der Begegnung. Das Evangelium ruft zur Umkehr, zur politischen, sozialen und ökologischen metanoia. Mission und Dialog konvergieren in Richtung auf das Reich Gottes. Dementsprechend kann Konversion sowohl die Annahme der Botschaft von Jesus Christus durch Nicht-Christen und deren Teilnahme an der christlichen Gemeinschaft bedeuten, als auch die Änderung des Profiles einer jeden Religion auf die Zukunft des Reiches Gottes hin,

Zusammenfassung

273

wobei es sich gleich bleibt, ob sie das im Namen Jesu Christi oder ihres jeweils eigenen Heilsmittlers tut.

4. Dialogische Theologie statt Religionsbegriff Michael von Brück Michael von Brück entwickelt seine »dialogische Theologie« aus den Erfahrungen und Erkenntnissen heraus, die er im gelebten Dialog mit Menschen anderer Religionen sammeln konnte. 2 Nach einem allgemeinen Religionsbegriff sucht man in seinem Werk »Die Einheit der Wirklichkeit« vergebens. Einheit ist nicht theoretisches Postulat, sondern resultiert aus Erfahrung. Der Vergleich von Erfahrung auf dem Hintergrund hinduistischer Advaita-Philosophie und christlicher Trinitätslehre bildet den Kernpunkt seiner Überlegungen. Die Basis, aufgrund derer der oder das Fremde verstanden werden kann, steht nicht im vornherein fest, sondern läßt sich erst im nachhinein, von der Begegnung her, feststellen. D a von Brück aus christlich-advaitischer Erfahrung heraus die Wirklichkeit als Einheit in Pluriformität neu zu verstehen lernt, deutet er in diesem Zusammenhang Christologie und ihr folgend Mission in neuer Weise. D a das Christusgeschehen als Handeln des trinitarischen Gottes verstanden wird, dieser jedoch in Schöpfung und in Erlösung gleichermaßen als dreieiniger wirkt, sieht von Brück christusbedingte Heilswirklichkeit in der ganzen Schöpfung und also auch in den Religionen am Werk. Wenn alle Religionen in gleichem Maße Anteil an dieser Heilswirklichkeit haben können, dann muß die christliche Mission dazu dienen, das Heil - von Brück spricht vom »impliziten Christus« - in den Kontexten der jeweiligen Kulturen und Religionen explizit zu machen. 3 Theologischer Kontext der Mission ist die universale Heilswirklichkeit Gottes. Modus der Mission ist der Dialog. In diesen Dialog tritt der Christ ein, indem er ganz allgemein nach göttlicher Wahrheit in der Wirklichkeit fragt. Mission und Dialog werden auch in diesem Ansatz - wie bei Pannenberg - miteinander identifiziert. 4 2 D a s gilt in gleichem Maße von Friedrich-Wilhelm Marquardt. D e r Grund dafür, daß in dieser Zusammenfassung auf von Brück und nicht auf Marquardt zurückgegriffen wird, liegt darin, daß der Ansatz von Michael von Brück in dialogtheologischer Hinsicht mehr a u s t r ä g t E s werden jedoch im folgenden einige Aspekte des Ansatzes von Marquardt in den Fußnoten erläutert. 3 Anders Marquardt. Von seinem erwählungsgeschichtlichen Ansatz her betont er, daß der götdiche Bund mit Israel ungekündigt ist, und, daß es Heil nur in Beziehung zu Israel geben könne. Deshalb dient christliche Mission dazu, Menschen zum Volk Israel und seinem G o t t in Beziehung zu setzen, ohne die Identität des Volkes Israel zu gefährden.

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Systematische Theologie und Mission in der zweiten Jahrhunderthälfte

Im Unterschied zu Pannenberg ist jedoch für von Brück nicht Mission Ziel des Dialoges, sondern umgekehrt: Dialog ist das Ziel der Mission. Anders formuliert: Mission wird durch den Dialog ersetzt. Wenn man dennoch vom Dialog als von Mission sprechen will, muß man beachten, daß hier der Missionsbegriff umgewertet wird. Mission ist nicht mehr allein Sache der Christen, sondern Angelegenheit einer jeden Religion. Jede religiöse Tradition hat eine Mission an den anderen. Diese vollzieht sich im Dialog, der so gesehen »Selbstzweck« ist. Der Dialog hat eine Identitätsfunktion, er führt die Angehörigen verschiedener religiöser Traditionen zu einem vertieften Verständnis ihrer je eigenen Tradition. Sprachtheoretisch gesehen handelt es sich um einen expressiven Dialogbegriff. Im Dialog und durch den Dialog kommt die göttliche Wahrheit in ihrer ganzen Fülle zum Ausdruck. Das Ziel des Dialoges ist »metanoia«, d. h. Umkehr zur jeweils eigenen religiösen Tradition. Es wird deutlich, daß der Begriff von Mission als der Übermittlung einer Botschaft von einem Individuum zum anderen aufgegeben wird. Damit stellt sich unsere hermeneutische Frage: In welcher Weise konstituiert der Adressat der christlichen Botschaft ebendiese »Botschaft«? Nach dem Ansatz von Michael von Brück wird »Botschaft« erst in der dialogischen Begegnung der Vertreter zweier religiöser Traditionen konstituiert, aber so, daß es nicht um den Transfer einer Botschaft von Α nach В geht, sondern so, daß im gegenseitigen Austausch beide Partner in die Tiefe ihrer je eigenen Tradition eindringen können. Zwar werden sie im Austausch auch vom Anderen bereichert, das soll jedoch nicht dazu führen, die eigene religiöse Tradition zugunsten der anderen aufzugeben. Dementsprechend ist unter »Konversion« die Einkehr in die Tiefe der eigenen Tradition zu verstehen.5 Es handelt sich um einen introversiven Konversionsbegriffl Man kann fragen, ob mit diesem Konversionsbegriff »Mission« im klassischen Sinne des Wortes nicht aufgegeben wird.

4

Im Gegensatz zu von Brück sieht Marquardt im Widerspruchscharakter der jüdischchristlichen Verkündigung, in der »Leidenschaft des Abstoßens« einen dialogischen Gewinn. Nach Marquardt wird den anderen Religionen gerade dadurch Ehre angetan, daß man sie etwas Anderes sein läßt, als man selbst ist 5 Nach Marquardt würde Konversion bedeuten, daß ein Mensch eine neue Beziehung zu Israel und seinem Gott eingeht.

III. ASPEKTE EINER MISSIONSTHEOLOGISCHEN NEUBESINNUNG

Im folgenden Abschnitt geht es nicht um die Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse. Dies wurde jeweils am Ende der beiden Hauptteile geleistet. Vielmehr soll zunächst die Notwendigkeit einer missionstheologischen Neubesinnung begründet werden, bevor dann rückblickend gefragt wird, wie sich im deutschsprachigen Raum das Verhältnis von Systematischer Theologie und Mission dargestellt hat. Danach werden systematisch-theologische Problemkreise skizziert, die nach unserem Dafürhalten für die weitere missionstheologische und systematisch-theologische Arbeit von besonderer Bedeutung sind (A). Schließlich soll in einem Ausblick die Möglichkeit einer missionstheologischen Neubesinnung diskutiert werden (B).

Α Die Notwendigkeit einer missionstheologischen Neubesinnung 1. Einleitung Unserer Untersuchung wurde die Leitfrage zugrundegelegt, was in den großen systematisch-theologischen Entwürfen des 20.Jahrhunderts unter Mission verstanden wird und wie die Adressaten der christlichen Sendung gesehen werden. Haben sie eine eigene Stimme? Wird ihre Fremdheit wahrgenommen? Versteht man sie als Objekte, die der christlichen Sendung nichts zu geben haben oder werden sie als Subjekte gesehen, mit denen ein Austausch möglich ist? Im Hintergrund dieser Frage steht die Überzeugung, daß christliche Mission im Kontext der gegenwärtigen Weltsituation dem Verstehen des Fremden dienen muß, wenn sie adäquat auf die drängenden Fragen und Probleme eingehen will. Einige dieser Problemstellungen seien kurz skizziert, wobei wir uns besonders auf den Kontext der westlichen Gesellschaften konzentrieren.

276

Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

1.1 Das Wiedererstarken der

Religionen

Gegenüber der in den fünfziger und sechziger Jahren geführten Debatte um die Säkularisierung der westlichen Gesellschaften1 hat sich seit den achtziger Jahren das Gewicht verschoben: Kontext der christlichen Sendung ist das weltweite Wiedererstarken der Religionen. Die Frage, wie ihnen respektvoll begegnet werden kann, ohne die christliche Verkündigung zu vernachlässigen, gewinnt an Bedeutung. Das Problem wird zunehmend verschärft durch das Phänomen des ethnischen und religiösen Fundamentalismus.1 Verursacht durch Orientierungskrisen, die durch einen immer schneller sich vollziehenden wirtschaftlichtechnischen und sozialen Wandel hervorgerufen werden, bieten diese Fundamentalismen Halt und eine gewisse Sicherheit. Dies jedoch nur durch eine rigorose und unduldsame Ausgrenzung der Anderen und Fremden. Sich dieser Tendenz entgegenzustellen und dem Verstehen der Fremden zu dienen, das ist eine der großen Herausforderungen an die christliche Mission heute. 1.2 Mission und Inkulturation Der oder das Fremde begegnet jedoch nicht nur in Gestalt fremder Religionen, sondern auch innerhalb des Christentums, nämlich in den verschiedenartigen kulturellen Ausprägungen des christiichen Glaubens. Nicht nur die Eigenart der fremden Religionen, sondern auch die religiöse Eigenart uns fremder Formen des Christentums3 werden zu einer Anfrage nicht nur an unseren christlichen Lebensstil, sondern auch an die Art und Weise, wie wir Theologie betreiben. Dietrich Ritsehl hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es im Bemühen, das Fremde im Eigenen zu verstehen, letztlich um die Ökumenizität des christlichen Glaubens geht.4 Dabei ist es unerheblich, ob europäische Christen anderen Formen des Christentums im Ausland oder in der eigenen Stadt begegnen. In beiden Fällen muß die Fremdheit bewältigt werden. Und dies um so mehr, als die Einheit des christlichen Glaubens nicht nur für Christen immer wieder zum 1

Vgl. D . WERNER ( 1 9 9 3 a): Mission für das Leben - Mission im K o n t e x t Ö k u m e n i s c h e

Perspektiven missionarischer P r ä s e n z in d e r Diskussion des O R K 1 9 6 1 - 1 9 9 1 , Rothenburg, 77 ff. 2

C . JÄGGI; F.J. KRIEGER ( 1 9 9 1 ) : Fundamentalismus. Ein P h ä n o m e n der G e g e n w a r t , Z ü -

rich/Wiesbaden. (Lit.!) 3

Z u r P r ä s e n z kulturell unterschiedlicher F o r m e n des Christentums am Beispiel Englands

vgl. F. LUDWIG ( 1 9 9 2 ) : Die E n t d e c k u n g d e r schwarzen Kirchen. Afrikanische und a f r o - k a ribische Gemeinden in E n g l a n d w ä h r e n d d e r Nachkriegszeit, in: A S o c G ( 3 2 ) , 4

D . RlTSCHL ( 1 9 9 4 ) : W e g e ö k u m e n i s c h e r Entscheidungsfindung,

131-159.

in: D . Ritsehl;

U s t o r f , Ö k u m e n i s c h e Theologie-Missionswissenschaft, S t u t t g a r t / B e r l i n / K ö l n , 4 7 ff.

W.

Die Notwendigkeit einer missionstheologischen Neubesinnung

277

Prüfstein christlicher Glaubwürdigkeit wird. Ein Verständnis von Mission als Hermeneutik des Fremden kann helfen, die Fremdheit wahrzunehmen und dem gegenseitigen Verständnis zu dienen, denn in der Mission geht es darum, neue Formen der Inkulturation des christlichen Glaubens zu finden. Gerade die Mission macht damit immer wieder darauf aufmerksam, daß neue Inkulturationen des christlichen Glaubens nicht nur legitim, sondern notwendig sind. 1.3 Den Missionsbegnff nicht aufgeben Die Tatsache, daß der Missionsbegriff durch die koloniale Vergangenheit stark belastet ist, könnte die Frage aufwerfen, ob man ihn nicht besser ganz aufgeben sollte. Der Missionstheologe Johann Christian Hoekendijk sprach schon 1967 von einer »Bildkrise« der Mission: Alte, stereotype und klischeehafte Bilder von Mission haben sich im Gedächtnis vieler Christen und kirchlicher Gremien festgesetzt und werden, ohne daraufhin geprüft zu werden, ob sie noch berechtigt sind, weitertradiert. 5 Wenn jedoch daraufhin viele Kirchen den Missionsbegriff praktisch aufgeben, dann wird er den sog. Glaubensmissionen oder aber fundamentalistischen Missionsvereinigungen überlassen. Um dem entgegenzuwirken, sollte man den Missionsbegriff beibehalten. Auch der Austausch des Begriffes, etwa durch den Ausdruck »ganzheitliches Lebenszeugnis«, wie jüngst von Michael von Brück vorgeschlagen, hilft m. E. nicht weiter.6 Anstatt den Missionsbegriff aufzugeben oder ihn so umzuinterpretieren, daß er de facto aufgegeben wird, muß es vielmehr darum gehen, einen »sympathischen« Missionsbegriff zu entwickeln. Damit ist ein Zweifaches gemeint: Es geht um ein Verständnis der christlichen Sendung, das dem Subjektsein des Adressaten und dem Mit-fiihlen mit dem Adressaten einen hohen und unverzichtbaren Stellenwert einräumt. Ein solcher Missionsbegriff kann dann, das ist das Zweite, auch auf Christen - besonders in der westlichen Welt - nachvollziehbar, sympathisch und überzeugend wirken. Die entschlossene Neubesinnung auf den Missionsbegriff kann dazu beitragen, daß die Sache der Mission in den westlichen Gesellschaften erneut an Glaubwürdigkeit gewinnt.

5 J. CHR. HOEKENDIJK (1967): Kirche und Volk in der deutschen Missionswissenschaft, München, 322-325, 324. 6 Vgl. den Bericht zu einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing: »Ist christliche Mission von gestern?«, in: Idea-Spektrum, 50/94, 4.

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Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

1.4 Mission beginnt in der Nachbarschaft Die Begegnung mit den Fremden ist längst alltägliche Wirklichkeit für die Menschen der westlichen Gesellschaften geworden.7 Diese Gesellschaften tragen immer deutlicher multikulturellen und multireligiösen Charakter. Andererseits hat die Säkularisierungstendenz seit den sechziger Jahren eher zu- als abgenommen. Deshalb macht die alte, an geographischen Kategorien orientierte Unterscheidung von Evangelisation (im »christlichen« Europa) und Mission (im »heidnischen« Überseegebiet) keinen Sinn mehr. Das wurde bereits von der Weltmissionskonferenz in Mexiko City (1963), die von »Mission in 6 Kontinenten« sprach, thematisiert. Es scheint jedoch, daß diese Erkenntnis bisher noch wenig ins Bewußtsein der Gemeinden und Kirchenleitungen vorgedrungen ist, auch nicht ins Bewußtsein der akademischen Theologie. Mission ist zu einer Aufgabe geworden, die hauptsächlich in der unmittelbaren Nachbarschaft der Christen, wo immer sie leben, beginnt. Das gilt auch für Europa, wo Mission dringender nötig zu sein scheint, als in manchen Ländern der sog. Dritten Welt. Daß Mission immer weniger eine Sendungsveranstaltung in ferne Länder sein wird, rührt auch daher, daß die Kirchen in den anderen Erdteilen die Missionsarbeit vor Ort zunehmend in die eigenen Hände nehmen. Wenn Mission in der unmittelbaren Nachbarschaft beginnt, hat dies Auswirkungen nicht nur für europäische Christen und Gemeinden, sondern auch für die Theologie. Auf die Systematische Theologie angewendet: Wenn es ihre Aufgabe ist, den Gehalt des christlichen Glaubens in zeitgemäßer Form für ihren Entstehungskontext darzustellen, dann kann und darf sie in Zukunft weder an der Frage der christlichen Mission vorbeigehen, noch die Anfragen unbeachtet lassen, die ihr durch die Präsenz der anderen Religionen gestellt werden.

2. Rückblick: Systematik

Die Beziehung und

zwischen

Missionstheologie

Haben Systematiker die sich verändernde Situation weltweit und besonders im europäischen Kontext wahrgenommen und sich der Problematik von Mission und Religionen gestellt? Und wodurch wurde, wenn sie sich mit diesem Thema beschäftigt haben, ihr Interesse geweckt? 7 F. J. VERSTRAELEN (1987): The Future of Mission: Α Western Perspective, in: IRM (76), 42-47, 43: »Christian churches and communities in the west (Europe and North America) can no longer overlook the growing missionary situations and conditions of their own enviroment, which impel them to understand mission primarily as mission in loco. If mission is basically crossing frontiers, churches and Christians of the north will increasingly become aware of the anti-gospel frontiers within their own context, even within their own bosom.«

Die Notwendigkeit einer missionstheologischen Neubesinnung

2.1 Begegnungen

von Systematikern

mit Missionaren

und

279

Religionen

Es zeigt sich, daß die Auseinandersetzung mit der Missionsproblematik bei den meisten Systematikern - wo sie denn stattfand - über persönliche Kontakte und Begegnungen vermittelt wurde. Man kann diesbezüglich unterscheiden zwischen a) Freundschaften und Verwandtschaftsbeziehungen, b) Reisebegegnungen und c) theologischen Einflüssen bzw. Wahlverwandtschaften. a) Was die persönlichen Kontakte betrifft war für den Systematiker MARTIN KAHLER seine Freundschaft mit dem ebenfalls an der Universität Halle lehrenden Missionswissenschaftler GUSTAV WARNECK von grundlegender Bedeutung. 8 Beide standen in regem geistigen Austausch miteinander, was sich in der Fülle der Texte niedergeschlagen hat, die Kahler zur Missionsthematik veröffentlichte. Auch PAUL ALTHAUS hat sich immer wieder zu diesem Thema geäußert. Sein Interesse an der Mission war unter anderem dadurch bedingt, daß sein Onkel, Gerhard Althaus, im Auftrag der Leipziger Mission von 1893-1910 Missionar im Gebiet des heutigen Tanzania war. 9 Auch Althaus' Vater, der an der Universität Göttingen lehrte, stand Missionskreisen nahe. b) Im Gegensatz zu Kähler und Althaus unterhielt PAUL TILLICH die meiste Zeit seines Lebens weder intensive Kontakte zu fremden Religionen, noch zu Missionaren. 10 Dies änderte sich erst in den letzten Lebensjahren, insbesondere während seiner Japanreise im Frühsommer 1960, wo es zu intensiven Begegnungen mit führenden Vertretern des japanischen ZenBuddhismus, des Jodo-Shinshu und der Rissko-kosei-kai kam." Die Erfahrungen aus der Begegnung mit Vertretern fremder Religionen sind allerdings nicht in seine Systematik eingegangen, da diese zum Zeitpunkt der Reise bereits abgeschlossen war. Anders liegen die Dinge bei HELMUT THIELICKE, der auf seinen Reisen nach Südostasien (1958), Südafrika (1959) und Lateinamerika (1965) immer wieder die Gelegenheit suchte, mit Vertretern fremder Religionen so8 Vgl. den Nachruf von Kähler auf Warneck: M. KAHLER (1911): Gustav Warnecks Sendung, in: AMZ (28), 105-127. ' P. FLEISCH (1936): Hundert Jahre lutherischer Mission, Leipzig, 268 ff., 275 ff., bes. 268, 288. - Außerdem wurde der junge Althaus theologisch von zwei Systematikern beeinflußt, die selbst der Mission stark verbunden waren: Karl Heim und Martin Kähler. [Vgl. H. GRAß (1978): Art Althaus, Paul, in: TRE, Bd. 2, 329-337, 330] 10 Tillich hatte beispielsweise keine Kontakte zur Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen. Er war betrübt darüber, daß er zu einer Mitarbeit nicht eingeladen wurde. Vgl. W. PAUCK; M. PAUCK (1978): Paul Tillich. Sein Leben und Denken. Band I: Leben, Stuttgart/Frankfurt/M., 199-201. 11 Vgl. den autobiographischen Bericht Ρ. TLLLICH (1972): Meine Vortragsreise nach Japan 1960, in: ders., Impressionen und Reflexionen. Ein Lebensbild in Aufsätzen, Reden und Stellungnahmen, Stuttgart (GW, Bd. 8), 490-517.

280

Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

wie mit Missionaren Kontakt aufzunehmen.12 Insbesondere in seinen Bemerkungen zum Problem des »synkretistischen Interim« fließen Erkenntnisse und Beobachtungen seiner Reisen in die dogmatische Arbeit ein. c) Theologische Wahlverwandtschaft mit der Arbeit des deutschen Missionswissenschaftlers WALTER FREYTAG liegt bei dem Ansatz von JÜRGEN MOLTMANN vor. Das betrifft insbesondere das Interesse an der eschatologischen Begründung der Theologie.13 Mit dem holländischen Missionstheologen JOHANN CHRISTIAN HOEKENDIJK verbindet ihn sein Verständnis des christlichen Apostolates, der Begriff der Welt und die soteriologische Grundorientierung, die bei Hoekendijk mit dem Begriff des Schalom, bei Moltmann mit dem Begriff der Gerechtigkeit umrissen wird.14 Beide Begriffe zielen jedoch in die gleiche Richtung.15 Moltmann ist wohl derjenige Systematiker, der die größte Nähe zu einer zeitgenössischen missionstheologischen Richtung aufweist. Es kommt, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, daher nicht von ungefähr, daß der Ansatz Moltmanns wiederum von Missionstheologen aufgegriffen wurde.

2.2 Der Einfluß von Systematikern auf die Missionstheologie

Es zeigt sich, daß Systematiker durch die Begegnung mit der Mission und mit fremden Religionen dazu angeregt wurden, sich mit den Fragen zu beschäftigen, die ihnen durch Mission und Religionen gestellt wurden. Umgekehrt ist nun zu fragen, welchen Einfluß Systematiker auf die Missionstheologie und Missionswissenschaft ausgeübt haben. Zunächst ist festzustellen, daß Systematische Theologen in Missionsgremien oder auf regionalen und internationalen Missionskonferenzen nur

12 H. THIELICKE (1984): Zu Gast auf einem schönen Stern, Hamburg, 339 ff., 353 ff., 389ff. - Zur Mission vgl. auch 357f., 392f. - Vgl. auch H. THIELICKE (1986): Vom Schiff aus gesehen. Tagebuch einer Ostasienreise, Stuttgart, 135 ff., 142 ff., 156 ff., u. ö. (zuerst veröffentlicht 1959) 13 Zu Walter Freytag vgl. D. MANECKE (1972): Mission als ZeugendiensL Karl Barths theologische Begründung der Mission im Gegenüber zu den Entwürfen von Walter Holsten, Walter Freytag und Joh. Christian Hoekendijk, Wuppertal, 66-106. 14 Vgl. besonders die Ausführungen in »Kirche in der Kraft des Geistes« (1975). Moltmann übernimmt von Hoekendijk unter anderem die Trias von kerygma, diakonia und koinonia, wie sie auch von Hoekendijk [J.C. HOEKENDIJK (1964): Die Zukunft der Kirche und die Kirche der Zukunft, 120] vertreten wurde. 15 Daß umgekehrt die Theologie Moltmanns auch bei Hoekendijk Beachtung fand, zeigt eine Bemerkung in einem Aufsatz von 1965, wo Hoekendijk im Hinblick auf anstehende Veränderungen im Verständnis der Ökumenizität schreibt, Moltmanns Buch »Theologie der Hoffnung« könne »hier ein ganzes Stück weiterhelfen. Sein Buch muß jetzt der Ansatz zu einer neuen Ökumenologie werden!« [J.C. HOEKENDIJK (1965): Die Welt als Horizont, in: EvTh (25), 467-484, 484.]

Die Notwendigkeit einer missionstheologischen Neubesinnung

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sehr selten vertreten waren.16 An ersten Stelle ist auf die Mitwirkung von KARL HEIM bei der Weltmissionskonferenz von Jerusalem ( 1 9 2 8 ) hinzuweisen.17 Auch ADOLF KÖBERLE pflegte intensive Kontakte zur Mission. Er war von 1 9 3 2 - 1 9 3 9 Mitherausgeber des Evangelischen Missionsmagazins. 18 Obwohl KARL BARTH m. W. nur einmal einen Vortrag zum Thema Mission hielt, auf der Brandenburgischen Missionskonferenz im April 1932, war die Wirkung seiner Theologie so groß, daß sie auch unabhängig von Gremienarbeit die Missionstheologie stark beeinflußt hat.19 Dabei ist die Wirkung seiner Theologie im Hinblick auf unser Thema ambivalent: Einerseits ist Mission nach Barth in Gott selbst begründet, was der Selbstvergewisserung der Mission diente. Andererseits wirkte sein theologischer Ansatz dahingehend, daß die fremden Religionen theologisch nicht mehr in den Blick kamen. Ansonsten scheinen die Systematiker die Missionstheologen weitgehend sich selbst überlassen zu haben. Ablesbar ist diese Tendenz besonders an der Mitwirkung von Systematikern auf den Treffen regionaler Missionskonferenzen. Hatten sich vor dem zweiten Weltkrieg Systematiker zu solchen Gelegenheiten noch regelmäßig zu missionstheologischen Fragen geäußert, so nimmt in der Nachkriegszeit die Mitwirkung spürbar ab.20

16 Vgl. die Übersichten zu Aktivitäten der einzelnen Missionskonferenzen in den Ausgaben des im Auftrag der bayrischen Missionskonferenz herausgegebenen »Jahrbuch für Mission« (fortgeführt vom »Lutherischen Missions-Jahrbuch«) oder dem »Jahrbuch der vereinigten deutschen Missionskonferenzen«. V K. HEIM (1928e): W h a t is in the Gospel which Commands US?, in: Adresses and other Records. Report of the Jerusalem Meeting of the International Missionary Council March 24th.-April 8th., 1928, Vol.VIII, L o n d o n / M e l b o u r n e / C a p e T o w n / B o m b a y / S h a n g h a i , 107-120. 18 Vgl. G. DULON (1958): Bibliographie Adolf Köberle, in: Die Leibhaftigkeit des Wortes (FS Α. Köberle), О. Michel; U. Mann (Hgg.), Hamburg, 507-516. Zu den Schriften Köberles vgl. das Literaturverzeichnis. 19 Vgl. z.B. K. HARTENSTEIN (1928): Was hat die Theologie Karl Barths der Mission zu sagen?, München; H . BALZ (1989): Berliner Missionstheologie und Karl Barth: Aneignung und Widerspruch, in: G. Besier, C. Gestrich (Hrsg.), 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin, Göttingen, 419-437; H . BETTSCHEIDER (1971): Die Theologie Karl Barths über die Mission. Ein Literaturbericht, in: Verbum SVD (12), 153-159. 20 Das zeigt eine Übersicht zu den auf Missionskonferenzen gehaltenen Hauptvorträgen: M K in der Provinz Sachsen (1927): W. LOTGERT; Württembergische M K (1928): K. HEIM; M K in der Provinz Sachsen (1929): E. SCHAEDER; M K in der Provinz Sachsen (1930): A. KÖBERLE; Brandenburgische M K (1932): KARL BARTH; Brandenburgische M K (1934): P. ALTHAUS; Bayrische M K (1935): P. ALTHAUS; M K in der Provinz Sachsen (1937): W. LüTGERT. In der Nachkriegszeit läßt das Engagement von Systematikern spürbar nach: Allgemeine Hannoversche M K (1953): W. TRILLHAAS und P. ALTHAUS; Bayrische M K (1955): A. KÖBERLE; Bayrische M K (1960): F.W. KANTZENBACH; Westfälische M K (1962): C . - H . RATSCHOW; Württembergische M K (1965): H . DLEM.

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Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

Weder von lutherischer ( H . THIELICKE; W. PANNENBERG) noch von reformierter Seite ( O . WEBER, W. KRECK, H . - J . KRAUS U. a.) wurde der Kontakt zur Mission aufrechterhalten.21 Eine Art »kleiner Grenzverkehr« hat nur zwischen dem Systematiker 22 JÜRGEN M O L T M A N N und der Missionstheologie stattgefunden. So nimmt H A N S - W E R N E R GENSICHEN in seiner Missionstheologie den Gedanken der »sendungsgeschichtlichen Hermeneutik« auf, allerdings nur im Zusammenhang der Frage des Schriftverständnisses.23 Wie befruchtend Moltmanns Theologie für die Missiologie sein kann, zeigt sich neuerdings am Entwurf v o n DIETRICH WERNER, 2 4

Das Interesse Moltmanns an der Mission bekundete sich unter anderem darin, daß er an der Weltmissionskonferenz in Bangkok (1973) teilnahm.25 Trotzdem hat Moltmann sich später nicht mehr zum Thema Mission geäußert.26

3. Reflexion: Systematisch-theologische Problemstellungen für eine zukünftige Missionstheologie Die Ubersicht hat gezeigt, daß es allenfalls einen marginalen Austausch zwischen Systematischer Theologie und Missionstheologie gegeben hat. Dennoch lassen sich an den missionstheologischen Erwägungen der Systematiker Problemstellungen aufzeigen, die für eine zukünftige Missionstheologie von Bedeutung sind. Dazu ist es zunächst notwendig, einige für die Frage nach Mission und dem Verstehen des Fremden relevante Entwicklungslinien aufzuzeigen. 21 Zu den Systematikern, die seit 1945 mit eigenen Entwürfen hervorgetreten sind, in unserer Arbeit jedoch nicht verhandelt werden, da sie sich der Missionsproblematik nicht gestellt haben, vgl. W. HÄRLE/E. HERMS (Hrsg.) (1982/83): Deutschsprachige protestantische Dogmatik nach 1945, Teil I u. II, in: VuF (27/28). 22 W. HERING stellt Karl Barth und Jürgen Moltmann als die Hauptvertreter der zwei systematisch-theologischen Richtungen heraus, die seiner Meinung nach am stärksten auf das Missionsverständnis sowohl des O R K als auch evangelikaler Theologen gewirkt haben. [W. HERING (SAC) (1980): Das Missionsverständnis in der ökumenisch-evangelikalen Auseinandersetzung - ein innerprotestantisches Problem, St Augustin, 64 ff., 71 ff.] 23 H . - W . GENSICHEN (1971): Glaube f ü r die Welt. Theologische Aspekte der Mission, Gütersloh, 54. 24 D. WERNER (1993 a): Mission für das Leben - Mission im Kontext, Rothenburg, 450 ff. 25 J. MOLTMANN (1973): Bankok 1973 - eine Mission an uns!, in: EvTh (33), 209-213; vgl. sonst DERS. (1974): Probleme und Chancen der Mission, in: EvTh (34), 409. 26 In anderen Missionstheologien, etwa von HORST BüRXLE [DERS. (1979): Missionstheologie, S t u t t g a r t / B e r l i n / K ö l n / M a i n z ] oder dem katholischen Theologen KARL MÜLLER [DERS. (1985): Missionstheologie. Eine Einführung von Karl Müller. Mit Beiträgen von H a n s Werner Gensichen und H o r s t Rezpkowski, Berlin] ist der Einfluß einer bestimmten Systematik kaum greifbar.

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3.1 Christliche Identität und ihre Grenzen Verstehen des Fremden steht in unauflöslichem Zusammenhang mit der Selbstvergewisserung der eigenen Identität. Hinsichtlich der Frage nach der Bestimmung christlicher Identität und ihrer Grenzen lassen sich drei Phasen unterscheiden. a) Christliche Identität wird in den meisten Entwürfen der ersten Jahrhunderthälfte durch Abgrenzung definiert. Dabei werden aus der eigenen Perspektive die fremden Religionen der eigenen Position zu- und damit untergeordnet, wobei als Interpretationsmuster ausschließlich christliche Kategorien verwendet werden. Diese Kategorien werden gesetzt, können und dürfen aber nicht hinterfragt werden. Bei Kähler ist es der Begriff der Versöhnung, bei Barth der der Offenbarung im Zusammenhang der Trinitätslehre, bei Althaus ist es die inhaltlich christologische Bestimmtheit des Evangeliums. Tillich und Troeltsch argumentieren zurückhaltender, bei Troeltsch ist der Gedanke der Persönlichkeitsreligion leitend und bei Tillich das Paradox weitester Universalität und größter Konkretheit im Ereignis »Jesus als der Christus«. Ein Perspektivenwechsel kommt bei keinem der Entwürfe wirklich in Betracht; eine wirkliche Verunsicherung und Anfechtung der eigenen Position ist undenkbar. Christliche Identität wird durch Grenzbestimmungen seitens der christlichen Theologen definiert. b) Anders verhält es sich mit den drei zuerst vorgestellten Entwürfen der zweiten Jahrhunderthälfte, die alle während der sechziger Jahre, als der Einfluß der Dialektischen Theologie nachließ, begründet oder ausformuliert wurden. Die christliche Identität wird auf den Dialog hin geöffnet. Eine größere Offenheit gegenüber den fremden Religionen wird als notwendig erachtet und theologisch verantwortet. Die Systematiker gehen dabei unterschiedliche Wege. Pannenberg verankert die Offenheit in einer Theologie der Religionsgeschichte, Moltmann in der Christologie und Thielicke in der Pneumatologie. Pannenberg versucht a) einen neutralen Religionsbegriff aus der Religionsgeschichte abzuleiten, der nicht mehr nur positional-christlich definiert wird, sondern über einen religionsgeschichtlich-historischen Zugang kommunikabel gemacht werden kann. Nicht Polemik, sondern Argumentation steht im Mittelpunkt, nicht abgrenzender Monolog, sondern missionarischer Dialog. Weiterhin darf b) jeder Gott nur an den Ansprüchen gemessen werden, die er selbst erhebt. Mit anderen Worten: Christen ist es verwehrt, andere Religionen an den christlichen Maßstäben zu be- und zu verurteilen. Moltmann hingegen räumt den Fremden, und damit auch den Religionen, in der Dialektik von Identität und Relevanz des christlichen Glaubens, der Dialektik von Entäußerung und Rückkehr zum (nun veränderten) Eigenen, einen Stellenwert ein. In der Kenosis wird der oder das Fremde zum integralen Bestandteil der christlichen Identität.

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Thielicke schließlich hält streng daran fest, daß nur das testimonium Spiritus sancti die Wahrheit des Glaubens verbürgen und als Kriterium der Frage nach Wahrheit in fremden Religionen dienen kann. Für den Vergleich der Religionen und in der Begegnung der Religionen mit dem christlichen Glauben gibt es also kein »objektives Kriterium«. In der Begegnung wird der Christ auf das ihm nicht verfügbare testimonium Spiritus sancti achten, sich den Religionen nicht polemisch, sondern fragend nähern, denn christliche »Identität« läßt sich nicht mit menschlichen Kategorien beschreiben, da diese, wie auch die in Rede stehende Identität, durch das schöpferische Tat-Wort Gottes im Heiligen Geist neu geschaffen werden! Diese Entwürfe versuchen den theologischen Ort der Offenheit gegenüber den fremden Religionen zu bezeichnen. Christliche Kategorien sind zwar unabdingbar, es werden jedoch möglichst »neutrale« Kategorien gewählt. c) Die zuletzt besprochenen Entwürfe von Friedrich-Wilhelm Marquardt und Michael von Brück, beide erst in den achtziger Jahren erschienen, sind demgegenüber als ausgesprochen dialogische Theologien zu bezeichnen. Christliche Identität wird hier in dem und aus dem Dialog gewonnen. Das Verhältnis zu den Religionen wird nicht mehr mittels abstrakter Begriffe umschrieben, sondern zuerst gelebt, bevor sich dann aus der Begegnung und dem Dialog heraus eine durch die als Gesprächspartner ausgewählte nichtchrisdiche Religion bereicherte christliche Theologie formulieren läßt. Das Eigene wird hier aus der Begegnung mit einer fremden Religion neu entdeckt und identifiziert. Pauschale Urteile über die Religionen werden soweit als möglich vermieden. Christliche Kategorien zum Verstehen des Fremden sind demnach selbst Produkt der bereits gelebten Begegnung mit ihm. Insofern sind diese Kategorien in gewisser Weise selbst bereits interreligiös vermittelt. Die »Einordnung« des Fremden ist demnach zumindest teilweise durch ihn selbst mitbedingt. Es ist deutlich eine Tendenz von der Identitätsdefinition (a), zur Problematisierung von Identität (b) bis schließlich zur dialogischen Suche nach Identität (c) festzustellen. Dementsprechend werden fremde Religionen und ihre Anhänger unter (a) und (b) durch vorher bereits vorhandene christliche Kategorien interpretiert, während solche Kategorien bei den unter (c) genannten Ansätzen erst in der Begegnung gewonnen und dann in das christliche Lehrgebäude integriert werden. Man könnte die Frage stellen, ob nicht aufgrund des Begegnungscharakters, dem eine Hermeneutik des Fremden Rechnung zu tragen hätte, auf die systematisch geordnete Zusammenstellung christlicher Lehrinhalte überhaupt zu verzichten wäre. Mit der Aufhebung systematisch-theologischer Lehrzusammenhänge wäre jedoch nichts gewonnen, da die Notwendigkeit, die eigene Identität immer wieder neu zu reflektieren, auch unabhängig von einem »System« bestehen bleibt. Es kann nur darum gehen,

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innerhalb der Systematik die Gefahrenzonen deutlich zu machen, wo die Versuchung, fremde Religionen nivellierend unter das Joch christlicher Kategorienbildung einzuspannen und ggf. zu erdrücken, besonders groß ist.

3.2 Systematische Lehrkreise und hermeneutische Kategorienbildung Welches sind also die loci theologici, in denen versucht wurde, die missionarische und dialogische Begegnung mit fremden Religionen zu denken? Und wodurch wirken sie nivellierend? 3.2.1 Die Lehre von der Schöpfung In keiner der hier vorgestellten Systematiken werden die Religionen explizit in der Schöpfungslehre verhandelt, wenn auch der Ansatz von Karl Barth faktisch darauf hinausläuft. Religion ist für ihn letztlich eine anthropologische Größe. In ähnlicher Richtung argumentiert W. Trillhaas, der die Religionen als Ordnungen der göttlichen »Erhaltung« versteht. Was in ihnen geschieht, dient der Aufrechterhaltung des Lebens der Menschen. Für die Gottesbeziehung trägt es jedoch nichts aus. Da zudem die Schöpfung als gefallene Schöpfung unter der Sünde und dem Gesetz steht, kann keines ihrer Phänomene an sich für die Gottesbeziehung relevant sein. Die auf diese Weise gebrauchten Kategorien von Schöpfung, Erhaltung und Gesetz sind statisch und wirken darüber hinaus derart flächendeckend, daß es keinen Bereich »außerhalb« geben kann. Es handelt sich also um Kategorien, die den Bereich der Wirklichkeit in zwei grundsätzlich geschiedene Sphären einteilen. Dieser Dualismus überträgt sich dann folgerichtig auf das Phänomen der fremden Religionen. Es wäre zu fragen, ob solche Kategorisierungen vom biblischen Zeugnis her gerechtfertigt sind, und, ob es nicht Zwischentöne, Übergänge und Grauzonen zwischen Eigenem und Fremden gibt, die die Frage nach dem Wirken Gottes in der Welt erst im wahrsten Sinne des Wortes »spannend« machen, eben deshalb, weil es nicht von vornherein mit letztgültiger Sicherheit ausgemacht ist, ob und wie Gott in dieser Wirklichkeit am Werk ist. Neuere Systematiken haben zu Recht darauf hingewiesen, daß das Schöpfungswirken des dreieinigen Gottes vielgestaltiger und reicher ist, als bisher angenommen. 27 In diesem Zusammenhang werden jedoch die Religionen merkwürdigerweise nicht beachtet. Eine Würdigung der Religionen unter dem Aspekt eines konkreten, lebenserhaltenden und vielgestaltigen Schöpfungshandelns Gottes steht noch aus. 27 Vgl. bes. J. MOLTMANN ( 5 1987): Gott in der Schöpfung. Ökologische Schöpfungslehre, München; W. PANNENBERG (1991): Systematische Theologie Band 2, Göttingen, 15 ff.

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3.2.2 Die Offenbarungslehre Ahnlich schematische Kategorien wie in der Schöpfungslehre finden sich in der Lehre von der Offenbarung. Wenn die Religionen nur innerhalb der »Ur- Offenbarung« eine Rolle spielen, wie bei Althaus, können sie zu einer echten Gottesbeziehung nichts beitragen. Ist eine derartige Zweiteilung des Offenbarungsbegriffes berechtigt? Und: findet Offenbarung nur zwischen Offenbarer und direktem Empfänger der Offenbarung statt? Gibt es nicht auch hier Übergänge? Daß der Offenbarungsbegriff nicht nur auf die Konstellation zwischen zwei Positionen, derjenigen des sich offenbarenden Gottes und derjenigen des/der angesprochenen Menschen, sondern auch auf die Konstellation zwischen drei Positionen - die »Heiden« kommen als Zeugen hinzu gebraucht werden kann, darauf hat F.-W. Marquardt zu Recht hingewiesen. Jürgen Moltmann hat darüber hinaus in seiner Systematik am deutlichsten herausgestellt, daß die Partizipation am Anderen und Fremden integraler Bestandteil des Offenbarungsgeschehens ist. Er vertritt eine theologische Hermeneutik, die man als »teilnehmendes Verstehen« bezeichnen kann. Es schließt sich hier die Frage an, wie diese Ansätze vertieft werden können. Müßte nicht in den offenbarungstheologischen Begründungszusammenhängen der Theologie die Präsenz der fremden Religionen und ihrer Angehörigen berücksichtigt werden? Was bedeutet es, daß der Fremde zum Mitkonstituens meines Selbst- und Gottesverständnisses werden kann? Wo ist der Ort, an dem Theologie entsteht? Es mag an der »falschen Alternative zwischen der göttlichen Offenbarung und der menschlichen Erfahrung des Heiligen Geistes« 28 gelegen haben, daß auch in der Offenbarungslehre einlinige Innen-Außen-Zuschreibungen vorherrschend waren. 29 Wenn jedoch göttliche Offenbarung »immer Offenbarung an Andere und also auch ein Sich-erfahrbar-machen durch Andere« ist, die eine Veränderung dieser Beziehung einschließt, und wenn weiterhin Gotteserfahrung nicht nur die Selbsterfahrung meint, sondern auch »Sozialerfahrung« einschließt, dann kann die Begegnung mit Menschen fremder Religionen theologisch nicht mehr im vornherein als unerheblich erscheinen. Die Begegnung mit Fremden kann in der Leiblichkeit der hier gemachten Erfahrungen dann auch offenbarungstheologische Dignität beanspruchen. Auch in diesem Zusammenhang geht es also darum, pauschale theologische Kategorisierungen zugunsten von dynamischen Beschreibungsmu2 8 J . MOLTMANN (1991): D e r Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie, München, 17 ff. 29 A m deutlichsten sichtbar wurde diese T e n d e n z sicherlich bei Helmut Thielicke.

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stern aufzugeben. Allein solche Beschreibungsmuster sind der Weite und Differenziertheit des göttlichen Wirkens, wie es in den biblischen Schriften beschrieben wird, ebenso angemessen, wie der Unverrechenbarkeit dessen, was sich in der Begegnung mit Fremden ereignet und erfahren läßt. 3.2.3 Die Soteriologie Die Gefahr, daß das Fremde nach Maßgabe des Eigenen wahrgenommen wird, ist wohl in der Systematischen Theologie nirgends größer, als in der Soteriologie. Wenn es in Jesus Christus um das einzigartige Heil Gottes für alle Menschen geht, muß sich das Verständnis des Fremden an dieser Stelle entscheiden. Es wurde deutlich, daß in den Systematiken die Religionen entweder in der Schöpfungslehre, der Offenbarungslehre oder der Pneumatologie verhandelt wurden, weniger jedoch in der Christologie oder gar in der Soteriologie. Dort, wo die Religionen einen Platz in der Offenbarungslehre haben, wird davon ausgegangen, daß es zwar eine gewisse Offenbarung in ihnen geben kann, dennoch aber keine vollgültige Heilsoffenbarung. Der Umkehrschluß jedoch, daß es Heil geben könnte, aber keine Offenbarung, findet sich soweit ich sehe nirgends. Zu fragen wäre zunächst: Muß ein Handeln Gottes unbedingt mit Offenbarung Gottes zusammengebracht werden? Darf ein heilvolles Handeln Gottes nur dort attestiert werden, wo es auch Offenbarung im Vollsinne des Wortes gibt? Umgekehrt gefragt: Ist dort, wo es sich beim Handeln Gottes nicht um Offenbarung handelt eo ipso davon auszugehen, daß es dabei nicht um ein heilvolles Handeln Gottes geht? Schließlich: Ist es erlaubt nur »statisch« und monolithisch von »dem« Heil zu sprechen? Gibt es diesbezüglich nicht auch Differenzierungen und Ubergänge? Wenn man davon ausgeht, daß es ein heilvolles Gotteshandeln nach biblischem Verständnis auch ohne Offenbarung geben kann, so wie dies von Claus Westermann gezeigt wurde 30 , dann ist es auch möglich, die Religionen in differenzierterer Weise dem christlichen Glauben zuzuordnen. Wenn nämlich in der Begegnung mit ihnen Erfahrungen gelingenden und heilvollen Lebens gemacht werden, stellt sich die Frage, wie diese Erfahrungen theologisch zu deuten sind. Eine echte Anfrage an das eigene Gottesverständnis können diese Erfahrungen für einen Christen nur werden, wenn sie das Zentrum seines Glaubens, das Heilsverständnis, auch tatsächlich berühren. 31 Erst in der echten Konfrontation des erfahrenen 30 Vgl. C . WESTERMANN (1968): D e r Segen Gottes in der Bibel und im Handeln der Kirche, München, 20. Wir werden auf diesen A n s a t z zurückkommen. D a z u s. u. 31 Die Unterscheidung von Heil im christlichen Glauben und »Wohl« in den Religionen ist eine Strategie, um die Religionen aus der chrisdichen Soteriologie herauszuhalten.

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Heils im Fremden als theologischer Anfrage einerseits und dem Rückbezug auf den eigenen Glauben an Gottes Heilshandeln in Jesus Christus andererseits wird die Radikalität der Begegnung mit dem Fremden bis in das Zentrum des eigenen Glaubens hineingetragen. Eine wirkliche Begegnung findet also nur da statt, wo die Möglichkeit einer Wechselseitigkeit zwischen Eigenem und Fremdem auch in der christlichen Soteriologie offengehalten wird. 3.2.4 Die Trinitätslehre Die Frage nach der Relevanz der Trinitätslehre für eine Missionstheologie, die dem Verstehen des Fremden gerecht zu werden versucht, erörtern wir im Anschluß an die dialogische Theologie von Michael von Brück: Ist es gerechtfertigt, das göttliche Schöpfungs- und Erlösungshandeln so miteinander zu identifizieren, daß von einer heilvollen Grunddimension der ganzen Wirklichkeit ausgegangen wird? Wird durch ein solches Vorgehen nicht Kreuz und Auferstehung Jesu Christi entwertet und das christliche Heilsverständnis nivelliert? Anders gefragt: Wie müßte eine trinitarische Schöpfungslehre entwickelt werden, die zwar die Schöpfung als Werk des dreieinigen Gottes versteht, dennoch aber die Differenz zwischen Schöpfungswirken und Erlösungshandeln im Blick behält? Und was bedeutet eine solche Trinitätslehre für das Verständnis der nichtchristlichen Religionen? Einen anderen Weg als von Brück beschreitet Dietrich Werner. Er vertritt die These, daß eine »kommunikative Struktur der Missio Dei« nur dadurch begründbar ist, daß die trinitätstheologische Zuordnung von Sohn und Geist im Sinne des Filioque aufgegeben wird.32 Die Behauptung, der Geist gehe vom Vater und dem Sohn aus, führt nach Werner dazu, daß die Sendung des Geistes der des Sohnes untergeordnet wird. Wenn jedoch demgegenüber - mit der ostkirchlichen Tradition - daran festgehalten wird, daß der Geist nur vom Vater ausgeht, kann eine relative Eigenständigkeit der Sendung des Geistes, der in der ganzen Schöpfung wirkt, begründet werden. Dadurch wird die Weite des Geistwirkens in der ganzen Schöpfung - und d.h. auch in den Religionen - denkbar. Die Dialogfähigkeit und Dialoghaftigkeit der christlichen Mission hat darin ihren Grund, daß den Christen in den Religionen der Geist Gottes entgegenkommt, weshalb der Dialog mit ihnen gesucht werden kann, darf und muß. Trotz der relativen Eigenständigkeit der Sendung des Geistes bleibt sie aber auf die Sendung des Sohnes als ihrem Kriterium bezogen. Mission 32 D. W E R N E R (1993 a): Mission für das Leben - Mission im Kontext, Rothenburg, 4 5 0 ff. - Vgl. D. R I T S C H L (1981): Zur Geschichte der Kontroverse um das Filioque und ihrer theologischen Implikationen, in: L. Vischer (Hrsg.), Geist Gottes - Geist Christi, Ökumenische Überlegungen zur Filioque-Kontroverse, Beiheift Ö R (39), Frankfurt/M., 2 5 - 4 2 .

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ist »die dialogische Kommunikation des Evangeliums im Wechselprozeß zwischem dem Hören auf die Stimme des Geistes Gottes in der seufzenden Kreatur und dem Reden und Handeln in Entsprechung zur Sendung Chisti.«33 Beide Seiten lernen in diesem Geschehen etwas neues, die Christen ebenso, wie die Menschen, denen sie begegnen. Es bleibt zu fragen: Wird der Härte der Auseinandersetzung zwischen den Religionen Rechnung getragen? Sind die Religionen wirklich im vollen Wortsinne »Co-Subjekte« von Mission, wie Werner postuliert? Das Wirken des dreieinigen Gottes in der Schöpfung neu zu bedenken, kann eine größere Offenheit gegenüber den fremden Religionen begründen. Dennoch darf das christliche Heilsverständnis, in dessen Mitte Jesus Christus steht, nicht nivelliert werden. Die Vielgestaltigkeit des göttlichen Wirkens auch in diesem Zusammenhang neu zu entdecken, kann zur Lösung dieses Problems beitragen.

3.3 Zusammenfassung Der hier gegebene Aufweis systematisch-theologisch/missionstheologischer Problemstellungen war weder erschöpfend noch materialiter ausgeführt. Das kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden; es würde eine eigene Untersuchung erfordern. Deutlich wird im Hinblick auf die theologisch-hermeneutische Kategorienbildung jedoch folgendes: a) Pauschale und universalistische Kategorien - wie etwa in der Schöpfungslehre - sind soweit als möglich zu vermeiden und müssen im einzelnen auf ihre biblische Begründung hin geprüft werden. Anstatt einliniger Innen-Außen-Zuschreibungen müßte ein spannungsvolles Denken in Polaritäten treten. Dieses Denken entspricht dem trinitarischen Gottesbild des christlichen Glaubens: Gott wird nicht als monolithische Einheit, sondern als Dreieinigkeit der drei göttlichen Personen gedacht, die, in ihrer spannungsvollen Einheit, Ausdruck der Dynamik des christlichen Gottesverständnisses ist. b) Hinsichtlich der Offenbarung wird der Zusammenhang zwischen dem Geistwirken und der menschlichen Erfahrung stärker zu berücksichtigen sein. Über den Zugang leiblicher Erfahrung kann dann auch die Brücke zu Sozialerfahrungen geschlagen werden. Gemeinschaft mit Fremden bekommt so in der Vieldimensionalität der Erfahrungswelten theologische Dignität, die missionstheologisch reflektiert werden müßte. c) Soteriologisch wird eine Differenzierung des Heilsbegriffes erforderlich sein, um die relative Unabhängigkeit von Gottes Heilswirken gegenüber seinem Offenbarungshandeln angemessen beschreiben zu können. Im " D. WERNER (1993 a): Mission für das Leben, 453.

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Sinne des Denkens in Polaritäten könnte eine bipolare Sotenologie entwikkelt werden, die es ermöglicht, leibliche Erfahrungen gelingenden Lebens, wie sie in der Begegnung mit fremden Religionen gemacht werden können, als echte theologische Anfrage ernstzunehmen und auszuhalten. d) Im Hinblick auf die Trinitätslehre schließlich wird die Einheit und die Differenz zwischen göttlichem Schöpfitngs- und Erlösungshandeln missionstheologisch neu zu bedenken sein.3* Nur dadurch, daß der Schöpfung nicht unisono die Qualität von Heil zugeschrieben wird, wird der Härte und Abständigkeit der Begegnung mit dem Fremden Rechnung getragen. Die Absicht, fremde Religionen als gleichwertige Heilswege zu betrachten, muß als Vereinnahmungsstrategie bezeichnet werden, die hermeneutisch gesehen den Blick auf das Fremde eher verstellt, als öffnet.

34 Einen Versuch in diese Richtung stellt das Werk von Anne Marie Aagaard dar. Vgl. dazu E.-S. VOGEL-MFATO (1995): Im Flüstern eines zarten Windes zeigt sich Gott. Missionarische Kirche zwischen Absolutheitsanspruch und Gemeinschaftsfähigkeit, Rothenburg ob der Tauber, 233 ff.

В Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, Grundlinien eines neuen Missionsverständnisses anzudeuten. Wir gehen davon aus, daß ein Verstehen des Fremden nur in der Polarität von Offenheit und Dijferenzbewußtsein möglich ist. Diese Polarität ist darum auch für ein Verständnis von Mission als einer Hermeneutik des Fremden von grundlegender Bedeutung. In den Ausführungen wird es zunächst um die Frage gehen, wie vom biblischen Zeugnis her die Polarität von Offenheit und Differenzbewußtsein gegenüber den fremden Religionen begründet werden kann. Aus dem Ergebnis dieser Überlegungen sollen dann die Konsequenzen für eine Theologie der Mission gezogen werden.

1. VorOrientierung: Zum

Missionsbegriff

Zuvor jedoch gilt es zu erläutern, in welchem Sinne der Ausdruck »Mission als Hermeneutik des Fremden« zu verstehen ist. Thesenartig zusammengefaßt soll mit dieser Formulierung zum Ausdruck gebracht werden, daß a) die christliche Mission, indem sie sich um das Verstehen der Fremden bemüht, dem friedlichen Zusammenleben von Menschen verschiedener kultureller und religiöser Herkunft dient. In der gegenwärtigen Weltsituation, in der sich verschiedenste ethnische und religiöse Fundamentalismen verschärfen, ist dies eine dringende Aufgabe der christlichen Sendung. Da nach neutestamentlichem Zeugnis die Wirklichkeit des Reiches Gottes die Ermöglichung von Gemeinschaft in Verschiedenheit einschließt, dient Mission in dieser Weise der Ausrichtung auf das Reich Gottes. b) Das Verstehen gilt den Fremden. Diese können nicht - oder nicht nur - nach Maßgabe dessen wahrgenommen werden, was wir schon kennen. Hermeneutik des Fremden weist auf die bleibende Fremdheit des Fremden hin, sei sie sozialer, kultureller oder religiöser Gestalt. Diese Fremdheit kann sich verringern, sie läßt sich jedoch nie ganz überwinden. Hermeneutik des Fremden wendet sich gegen einen Verstehensbegriff, der unter »Verstehen« die Wiederaneignung des mir entfremdeten Anderen versteht, und somit radikale Fremdheit nicht zu denken vermag.35 35 Vgl. TH. SUNDERMEIER (1991): Erwägungen zu einer Hermeneutik interkulturellen V e r stehens, in: ders. (Hrsg.), Die Begegnung mit dem Anderen: Plädoyers für eine interkulturelle

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c) Mission dient dem wechselseitigen Verstehen und damit eben auch der missionarisch-gewinnenden Verkündigung der christlichen Botschaft. Mission dient dem Knüpfen von Kontakten mit und der Herstellung von Beziehungen zu Fremden. Denn nur dort, wo Vorurteile abgebaut werden, entsteht eine Atmosphäre des Vertrauens, in der das Eigene und das Fremde möglichst unverstellt in den Blick kommen können und in der der Wahrheitsanspruch der christlichen Botschaft wirklich gehört und geprüft und die Botschaft gegebenenfalls angenommen werden kann. In der Mission stehen sich zwei Subjekte gegenüber. Daher gilt es umgekehrt, den Wahrheitsanspruch der Fremden ebenso aufrichtig und aufmerksam zu prüfen, wie man dies umgekehrt von ihnen erwartet. Im folgenden fragen wir nach der theologischen Begründung eines solchen Missionsverständnisses.

2. Hermeneutik von Offenheit und Differenzbewußtsein Wir beginnen mit der allgemeinen Feststellung, daß es den Fremden oder das Fremde »an sich« nicht gibt. Was immer mich befremden mag, es ist etwas Fremdes fiir mich, was bedeutet, daß seine Fremdheit von meiner Einstellung zu ihm abhängig ist. Fremdheit ist deshalb auch nicht eine Eigenschaft von Dingen, sondern ein »Beziehungsmodus«.36 Menschen empfinden, ausgehend von ihrem kulturell und religiös geprägten Wahrnehmungs- und Wertesystem, jeweils ganz verschiedene Dinge oder Sachverhalte als »fremd«. In interkulturellen und interreligiösen Begegnungen müßte es demnach zunächst darum gehen, herauszufinden, durch welche Vorurteile, Mißverständnisse oder Verhaltenweisen Fremdheit entsteht, und wie sie entschärft werden kann. Da das besondere Problem darin besteht, daß in der Begegnung nicht von einer gemeinsamen »Sprache« und d. h. auch gleichen Bewertungsmaßstäben - ausgegangen werden kann, wird selbst die ansatzweise Identifizierung des Befremdenden zu einer mühsamen und gefährlichen Gratwanderung. Vollends schwierig wird die in jedem Verstehensprozeß mitgesetzte Wertung des Fremden. Einerseits muß es sich vor der urteilenden Instanz der eigenen Identität verantworten, denn ohne eine integrierende Mitte würde auch das Problem der Grenze und damit überhaupt die Aufgabe einer

Hermeneutik, Gütersloh, 13-28; DERS. (1996): Den Fremden verstehen. Eine praktische Hermeneutik, Göttingen. 34 O. SCHÄFFTER (1991): Modi des Fremderlebens. Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit, in: ders. (Hrsg.), Das Fremde: Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung, Opladen, 11-42, 12.

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

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Hermeneutik des Fremden hinfällig werden. 37 Andererseits kann die eigene Identität das Fremde nicht im vorhinein definieren, weder als das, was zu verstehen noch aussteht, noch als das, was mir fehlt, noch auch als das, was ich nicht verstehen kann. In jedem dieser Fälle wäre das Fremde am Eigenen gewonnen, da selbst die Feststellung der Grenzen, jenseits derer die Alterität beginnt, unausgesprochen eine Kenntnis des Fremden voraussetzt. Kurz gesagt: Der »Andere kann nicht durch mich konstituiert werden; ich kann ihm nur begegnen.«38 Für eine Hermeneutik des Fremden ist demnach die Erkenntnis, der Grenzen zum Fremden bestenfalls in der Begegnung gewahr zu werden, unabdingbar. Das schließt in sich, bewußt auf Deutungsmuster des Fremden zu verzichten, die sich im Rahmen universalistischer Kategorien bewegen. Ortfried Schäffter hat sehr überzeugend verschiedene Muster der Deutung von Fremdheit unterschieden. 39 Diese lassen sich einigen der hier vorgestellten religionstheologischen Ansätze zuordnen. Demnach vertritt Barth das, was Schäffter eine »Ordnung perfekter Vollkommenheit« nennt. Die erfahrene göttliche Offenbarung, die als Deutungsmuster des Fremden fungiert, ist in sich abgeschlossen, weshalb es sich als notwendige Folge ergibt, andere Religionen einfach zu negieren. Ganz ähnlich - aber in umgekehrter Weise - der Ansatz von Michael von Brück: Hier wird der Fremde durch eine Ordnung »transzendenter Ganzheit« gedeutet Da alle Religionen an dem einen transzendenten Grund teilhaben, fungiert das Fremde als »Resonanzboden« des Eigenen, da beide in der Tiefe letztlich eins sind. In beiden Fällen handelt es sich also um universalistische Kategorien. Demgegenüber steht im Hintergrund des Modells von Pannenberg eine »Ordnung dynamischer Selbstveränderung«: In diesem Deutungsmuster sind Entwicklungen und Veränderungen zwar möglich, aber das Fremde wird im positivsten Falle als »Ergänzung« des Eigenen verstanden. In allen drei Modellen scheint der radikalen Fremdheit des Fremden, seiner Härte und Inkommensurabilität nicht genügend Rechnung getragen zu werden. Dessen Eigenständigkeit bleibt vielmehr nur dann gewahrt, wenn man nicht der Gefahr erliegt, das Fremde auszugrenzen, zu assimilieren oder als inferiore Form des Eigenen zu identifizieren. Dem scheint das vierte von Schäffter beschriebene Modell am nächsten zu kommen, die »Konzeptionen komplementärer Ordnungen«: Nur im wechselseitigen 37

Zur Identitätsproblematik vgl. u.a. D . CLAESSENS (1991): D a s Fremde, Fremdheit und Identität, in: O. Schäffter (Hrsg.), o . a . , 4 5 - 5 5 ; G. LINDNER (1988): Ich-Stärke und Konfliktfähigkeit - Voraussetzungen zur Friedenserziehung, in: J. Lähnemann (Hrsg.), Weltreligionen und Friedenserziehung, Rissen, 190 ff. 38 W. LESCH (1988): Alterität und Gasdichkeit. Zur Philosophie von Emmanuel Levinas, in: O. Fuchs (Hrsg.), D i e Fremden, Düsseldorf, 1 2 8 - 1 4 3 , 131. 39 O . SCHÄFFTER ( 1 9 9 1 ) : M o d i des Fremderlebens. Deutungsmuster im U m g a n g mit Fremdheit, in: ders. (Hrsg.), D a s Fremde, Opladen, 1 1 - 4 2 , 14 ff.

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Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

Ordnungsmodell

Religionstheologischer Ansatz

Fremdwahrnehmung

Ordnung perfekter Vollkommenheit

Barth (deduktivdiastatisch)

Negation des Fremden

Ordnung transzendenter von Brück (kein Ganzheit Religionsbegriff)

Fremder als Resonanz

Ordnung dynamischer Selbstveränderung

Pannenberg (induktivinklusiv)

Fremder als entfremdetes Eigenes

Konzeptionen komplementärer Ordnung

Hermeneutik des Fremden

Fremder »begegnet«

Zusammenspiel von Eigenem und Fremden und den sich daraus ergebenden immer neuen Kontrastierungen ist ein ansatzweises Verstehen des Fremden möglich. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Versuch, Mission als eine Hermeneutik des Fremden zu entwerfen, die sich als Konzeption komplementärer Ordnung beschreiben läßt. An die Stelle universalistischer Kategorien träte dann ein Denken in Polantäten, das die Notwendigkeit vorsichtiger Identifikationen dessen, was das Fremde sein könnte, ebenso bejaht, wie es darauf hinweist, daß dabei gleichzeitig eine Hermeneutik des Verdachtes (hermeneutic of suspicion) gegenüber dem möglichen Eintrag eigener Vorurteile unabdingbar ist.40 Nur das eingestandene Nichtverstehen des Fremden läßt es zu, jede Verstehensbemühung als einen Versuch aufzufassen, auf dem schwankenden und ungesicherten Weg approximativer Einsicht in das Fremde ein Stückchen weiterzukommen. Verstehen des Fremden ist einer Limesfunktion vergleichbar: Wohl mag es zu immer größerer Annäherung kommen, Einheit ist letztlich jedoch nicht zu erreichen. Gegenüber einer y4neigttimg$hermeneutik41, deren Ziel es ist, in emphatischer Anteilnahme am Fremden eine Übereinstimmung meines Verständnisses mit der Wirklichkeit des Fremden zu erzielen, müßte es um eine Differenzhermeneutik gehen, die darauf zielt, in der Wahrnehmung der Abständigkeit zwischen Eigenem und Fremdem ein tieferes Verständnis zu gewinnen. Ein Denken in Polaritäten und damit die Voraussetzung für eine Konzeption komplementärer Ordnung zwischen christlichem Glauben und den Religionen wird in folgendem aus christlicher Perspektive begründet. Das 40 Vgl. auch D. ZlLLESSEN (1994): Dialog mit dem Fremden. Vorüberlegungen zum interreligiösen Lernen, in: EvErz (46), 338-347, 345. 41 Vgl. T h . SUNDERMEIER (1991): Erwägungen zu einer Hermeneutik interkulturellen Verstehens, in: ders. (Hrsg.), Die Begegnung mit dem Anderen: Plädoyers für eine interkulturelle Hermeneutik, Gütersloh, 13-28.

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

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ist notwendig, da das Verstehen des Fremden sich nicht im luftleeren Raum ereignet, sondern den eigenen Standpunkt voraussetzt. Dem Zirkel des Verstehens ist nicht zu entkommen, man kann jedoch versuchen, sich seine eigenen Verstehens bedingungen so weit als möglich bewußt zu machen42. Es geht dann nicht mehr nur um den Vergleich des eigenen Gottes-, Weltund Selbstverständnisses mit dem anderer, sondern darum, zu erkennen, daß schon mit dem eigenen religiösen Zeichensystem die Bedingungen vorgegeben sind, unter denen sich aus unserer Perspektive der Fremde und seine religiöse Welt erschließt: Selbst die Erfahrungen, die wir machen, sind bereits durch unser religiöses Zeichensystem bedingt Wie also kann aus dem eigenen religiösen Zeichensystem heraus eine Polarität von Offenheit und Differenzbewußtsein begründet werden, eine Offenheit, die - theologisch verantwortet - ein möglichst neutrales SichEinlassen auf das Fremde ermöglicht und ein Differenzbewußtsein, durch das das eigene Profil immer wieder aufs Neue ins Blickfeld gerückt wird?

3. Theologische Grundlegung: Bipolare Soteriologie Die Offenheit gegenüber dem Fremden wird in theologischer Hinsicht dort am schwersten auf die Probe gestellt, wo es um das Zentrum des eigenen Glaubens geht. Dieses Zentrum aber ist das Heilsverständnis. Aus diesem Grunde ist die Frage nach dem Absolutheitsanspruch des Christentums so brisant. Auf diese Frage ist hier nicht einzugehen. Was uns in diesem Zusammenhang allein interessiert ist die Feststellung, daß die Offenheit für den Fremden oder das Fremde gerade durch das eigene Heilsverständnis vorschnell blockiert werden kann. Um ein Denken in Polaritäten zu begründen, nehme ich darum an dieser Stelle die Kritik von Claus Westermann auf, der darauf hinweist, daß in der Systematischen Theologie allzu oft pauschalisierend von »Heil« gesprochen wird. Westeraiann fordert daher eine soteriologische Differenzierung und unterscheidet zwischen dem segnenden und dem rettenden Handeln Gottes. Es sei nebenbei bemerkt, daß neuere missionstheologische und systematisch-theologische43 Entwürfe der Frage nach dem Segenshandeln Gottes so gut wie keine Beachtung geschenkt haben. 42

J. HABERMAS (1971): Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik, in: Hermeneutik und Ideologiekritik, Frankfurt/M., 129-159, 133: »Das hermeneutische Bewußtsein ist solange unvollständig, als es die Reflexion der Grenze hermeneutischen Verstehens nicht in sich aufgenommen hat«. 43 Für die Systematische Theologie vgl. U. M A N N (1979): Das Wunderbare. Wunder-Segen und Engel, Gütersloh, 37-47, 74-75. Manns Fazit lautet - nicht ohne Bedauern: »Die Segen - Fluch-Thematik hat aufgehört, ein dogmatisch relevanter Gegenstand zu sein.« (91) Er plädiert für eine Wiederaufnahme des Themas. (93)

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Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

Das Segenshandeln Gottes wird in den biblischen Schriften mit Metaphern des Wachstums beschrieben. Es ist ein stetiges Wirken Gottes, das ein Gelingenlassen des Lebens meint, ein Versorgen des Menschen mit dem, was er zum Leben braucht und ein Mehren dessen, was er besitzt. Auch ein heilvolles gemeinschaftliches Miteinander wird durch den Segen ermöglicht und gefördert. Ausdruck des göttlichen Segenshandeln kann eine gute Ernte ebenso sein, wie Kinderreichtum, Mehrung des Viehs oder Frieden in Familie und Nachbarschaft. Gott wirkt auf diese Weise segnend im Jahreszyklus der Natur (Regen, Fruchtbarkeit) und im Lebenszyklus der Menschen. Im Segen haben es Menschen mit Gott zu tun, obwohl damit nicht der Gedanke göttlicher Offenbarung verbunden wird. Denn Segen hat den Charakter der Stetigkeit und des Wachstums, Offenbarung dagegen hat den Charakter eines punktuellen Ereignisses.44 Offenbarung gehört zum Rettungshandeln Gottes, das sich in bestimmten Ereignissen manifestiert: Gott offenbart sich Mose im Dornbusch, um ihn zum Führer des Volkes Israel zu berufen und durch ihn Israel aus Ägypten herauszuführen. Wo immer Gott rettend eingreift, geschieht dies in bestimmten Ereignissen, sei es - um nur einige Beispiele zu nennen im Exodus des Volkes Israel, während der Wüstenwanderung oder durch die geistbegabten Richter in der Zeit der Landnahme. Dabei ist zu beachten, daß sich der Begriff »Rettungshandeln« gleichermaßen a) auf die Befreiung von armen, unterdrückten oder ausgegrenzten Menschen im diesseitigen Leben beziehen kann, wie auch b) auf die im Alten Testament verheißene eschatologische Errettung von Menschen durch die göttliche Gnade oder neutestamentlich durch die Versöhnung in Jesus Christus. Für das Verhältnis von Gottes Segens- und Rettungshandeln gilt, daß beide Arten des Gotteshandelns nebeneinanderstehen, so daß man nicht eines dem anderen über- oder unterordnen kann. In beiden geht es um Heil, aber auf je verschiedene Weise. Zwar gibt es Übergänge und Uberschneidungen zwischen segnendem und rettendem Gotteshandeln. Beides kann also letztlich nicht begrifflich auf den Punkt gebracht werden. Dennoch sind beide Linien deutlich zu unterscheiden. Der Begriff »Heil« als Oberbegriff ist also differenziert zu verwenden. Es muß im Einzelfall deutlich werden, ob damit Gottes Segens- oder Gottes Rettungshandeln gemeint ist. Da auch der Segen ein heihoWts Handeln Gottes ist, können mit der soteriologischen Unterscheidung von Segen und Rettung alte Aporien der Verhältnisbestimmung zwischen dem christlichen Glauben und den Religionen entschärft werden. Wenn man diese Unterscheidung zugrundelegt, kann man von einer bipolaren Soteriologie sprechen: Heilvolles Gotteswirken bewegt sich zwi44

C. WESTERMANN (1968):

18 ff., 20.

Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, München,

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

Gottes Handeln als

f

Ausdruck

Wachstumsmetaphern

Offenbarung

297

Segen Ereij

keine Offenbarung

Ol




Spannung

sehen der eher kontinuierlichen Erfahrung des Segens und dem ereignishaften Erleben von Rettung. Segen und Rettung sind wie zwei Brennpunkte einer Ellipse, die in einem spannungsvollen Verhältnis stehen. Bei beiden handelt es sich um heilvolles Wirken Gottes, wobei die Heilserfahrung des Christen zeitweise eher dem Segenshandeln entspricht und zeitweise dem Rettungshandeln. Die Heilserfahrung des Christen oszilliert zwischen beiden Polen hin und her. Da nach dem biblischen Zeugnis Segenshandeln auch in den Religionen möglich ist, kann dies zu immer neuen Kontrastierungen zwischen dem bereits erfahrenen Heils- und Offenbarungswirken Gottes in Jesus Christus und den im Umgang mit fremden Religionen gemachten positiven oder verunsichernden neuen Erfahrungen kommen, da die letztgenannten Erfahrungen integrativer Bestandteil des Poles »Segen« werden können. Damit ist der Weg für eine soteriologische Qualifizierung dessen, was hier erfahren wurde, frei, sie bleibt jedoch im Spannungsverhältnis zwischen Segen und Rettung. Es stellt sich damit die Frage, ob nicht die Ausdrucksformen von fremden Kulturen und Religionen auf diese Weise als durch das Segenswirken Gottes bedingt verstanden werden können. Lebensschaffende Riten und Symbole, Verhaltensnormen und Gebräuche, Gesänge und Feste, Kommunikationsformen und -medien werden auf diese Weise zu einer Anfrage an das eigene Gottesverständnis. Ob es sich jedoch dabei um Segen handelt, entscheidet sich allein und immer wieder neu aus der konkreten Begegnung heraus. Entscheidend ist, ob das, was im Bereich des Fremden erfahren wurde, nur als Wirkung des Segens verstanden wird oder auch im Namen eines fremden Offenbarungsereignisses verstanden werden muß. Das fortwährende Oszillieren zwischen den Polen bedeutet also, daß das Segenswirken die Erkenntnis des Rettungs- und Offenbarungshandelns entscheidend verändern kann, und umgekehrt, daß das Rettungshandeln ein neues Licht auf erfahrenes Segenwirken zu werfen vermag. Dadurch bleiben universalistische Kategorisierungen ausgeschlossen. Vielmehr wird durch die Unterscheidung von Segen und Rettung der Vielschichtigkeit der Beziehung des Gottes Israels und

298

Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

Vaters Jesu Christi zu den Völkern, wie sie in den biblischen Schriften beschrieben wird, Rechnung getragen. 3.1 Systematische und religionstheologische Konsequenzen Aus der soteriologischen Differenzierung ergeben sich als systematische und religionstheologische Konsequenzen: Das Segenshandeln wird im Alten Testament auch als Wirken des göttlichen Geistes verstanden. Insofern ist auch in den Religionen von einem Geistwirken Gottes zu sprechen; als Segen kann es auch in ihnen Heil geben. Die soteriologische Unterscheidung von Segens- und Rettungshandeln muß jedoch andererseits im Blick behalten werden, um Offenheit und Differenzbewußtsein zusammendenken zu können. 3.2 Segen und Pneumatologie Die Religionen werden damit nicht pnmär schöpfungstheologisch, sondern auch und gerade pneumatologisch verstanden. Es ist nämlich aus gesamtbiblischer Perspektive von Bedeutung, daß beide Arten des Gotteswirkens, Segen wie Rettung, in den biblischen Schnften auch als Geistwirken verstanden werden,45 Nur wenn man die Weite, mit der das Geistwirken beschrieben wird, ernst nimmt, entgeht man der Gefahr, biblisch nicht gerechtfertigte, vereinfachende Verhältnisbestimmungen zwischen Gottes Heilswirken in der Geschichte Israels und in Jesus Christus einerseits und seinem Wirken in den Religionen andererseits vorzunehmen. Über die Pneumatologie vermittelt werden die Religionen hier in der Gotteslehre verortet und nicht etwa, wie oft geschehen, in die Klammer der Hamartiologie oder der Lehre vom Gesetz gesetzt. In diesem Punkt unterscheidet sich der hier vorliegende Ansatz deutlich von bisherigen Differenzierungen wie Ur-Offenbarung/Heilsoffenbarung (Althaus), anamnesis/Vergegenwärtigung des Heils (Thielicke), Erhaltung/Erlösung (Trillhaas), Welthandeln/Heilshandeln (Ratschow), allgemeiner Gottesdienst/ besonderer Gottesdienst (Bayer), bei denen der jeweils erste Ausdruck mehr oder weniger deutlich der Gesetzeslehre oder der Hamartiologie zugordnet wird. Das darf natürlich nicht bedeuten, daß die Hamartiologie 45

Das Rettungshandeln findet im Alten Testament seinen Ausdruck besonders in den vom Geist überkommenen Richtern, [vgl. M. WELKER (1992): Gottes Geist, Neukirchen-Vluyn, 59 ff.] Mit dem Aufkommen des Königtums jedoch bekommt das Geistwirken den Charakter der bleibenden Gabe Jahwes an seinen Gesalbten, den König, und rückt damit in die Nähe des Segenshandelns. Zum Zusammenhang des Geistwirkens und des Segens vgl. vor allem Jes. 32, 15-20 und Dtjes. 44, 3-5. [Vgl. WESTERMANN, C.; ALBERTZ, R. ('1984): Art ruach, in: THAT, Bd. II, Sp. 726-753, 749 f.; C. WESTERMANN (1981): Geist im Alten Testament, in: EvTh (41), 223-230, 227.]

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

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nicht auch für das Verstehen und die Wertung der Religionen von Bedeutung wäre. Was immer jedoch zu diesem systematisch-theologischen Problem zu sagen ist, es kann sich nur aus der Begegnung heraus feststellen lassen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß in der Frage nach einer theologischen Würdigung der fremden Religionen in letzter Zeit der Versuch unternommen wird, unter Aufgabe des filioque einen Bezug vom ersten zum dritten Glaubensartikel herzustellen.46 Die Unterscheidung von segnendem und rettendem Handeln Gottes eröffnet hier eine andere Möglichkeit. Es ist der Segen, der zwischen dem ersten und dem dritten Glaubensartikel vermittelt. Gott erhält als der Schöpfer seine Schöpfung. Andererseits wirkt er segnend an den Geschöpfen, und das auch durch den Geist. Die Frage, wie der trinitätstheologische Zusammenhang von Geist und Vater sowie Geist und Sohn zu denken ist, werden wir später behandeln. (Vgl. 5.2) Festzuhalten ist jedoch an dieser Stelle, daß die Polarität von Segens- und Rettungshandeln auch für die Pneumatologie gilt: Einerseits vermittelt Gott durch den Geist auch unter den Völkern und Religionen Segen. Andererseits wirkt er durch den Geist, z.B. in den Richtern, als rettender Gott. Höchster Ausdruck des rettenden Wirkens Gottes ist der Geist, der, wie es das Neue Testament beschreibt, auf Jesus kommt. Der Geist wird nach der Auferstehung als der Geist Jesu Christi verstanden. Das pneumatologisch verstandene Christusgeschehen ist aus christlicher Sicht der Kulminationspunkt des Rettungshandelns Gottes. Wir wenden uns zunächst dem Segenshandeln Gottes in den Religionen zu. 3.2.1 Segenshandeln Gottes und die Religionen Vom alttestamentlichen Hintergrund her kann der Gott Israels als ein Gott gedacht werden, der fremde Religionen segnet oder sogar durch Angehörige fremder Religionen seine Auserwählten segnen läßt!47 Das wird insbesondere an den Geschichten von Melchisedek, der Abraham segnet, und Bileam, der beauftragt wird, das Volk Israel zu segnen, deutlich.48 Auch die Figur des Hiob, der ein goj ist, wäre hier zu nennen. Daß darüber hinaus für die biblischen Schriftsteller mit dem Segen Gottes eine universale 46 Vgl. D . WERNER (1993 a): Mission für das Leben - Mission im Kontext, Rothenburg, 449 ff. 47 D i e s e r Zusammenhang kann im Rahmen dieser Arbeit natürlich nur angedeutet werden. 48 G e n . 14, N u m . 2 2 - 2 4 . - Vgl. C. WESTERMANN ( 2 1989): Genesis, 2. Teilband, Genesis 1 2 - 3 6 , Neukirchen, 2 1 3 f f . , bes. 2 4 0 f f . ( B K A T 1/2); DERS. (1978): Theologie des Alten Testaments in Grundzügen, Göttingen, 91, 96 f., 101; J . EBACH (1994): Gottes Geist und Gottes V o l k in der Vielfalt der Völker und Kulturen. Alttestamentliche biblisch-theologische Reflexionen, in: R. W e t h (Hrsg.), Gottes Geist und Gottes Volk im Umbruch Europas, Gütersloh, 3 0 - 5 0 , 39 f.

300

Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

Perspektive verbunden ist, d a ß also der Segen eigentlich allen Völker gelten soll, zeigt sich besonders an Gen. 1, 28 und Gen. 12, 3. Die Möglichkeit, heilvolles Segenshandeln Gottes auch in fremden Religionen anzunehmen, bedeutet jedoch nicht, d a ß es in allen Religionen Segensheil geben müsse. Vielmehr kann Gott, als der souveräne Geber des Segens, diesen Segen auch wieder entziehen. Die Annahme von Segen auch in fremden Religionen ist also keine »natürliche Theologie«; 49 die Religionen werden nicht unisono als Heilswege bezeichnet. O b und inwieweit es in ihnen Segensheil gibt, kann vielmehr nur aus der Begegnung heraus beurteilt werden. Die theologische Würdigung der Religionen als unter Gottes Segenshandeln stehend ist etwas anderes als die schöpfungstheologische Lehre von den Erhaltungsordnungen Gottes. Segen als heilvolles Geschehen ist inhaltlich reicher und formal dynamischer als die Rede von Gottes Erhaltungsgnade. Diese Würdigung fällt auch positiver aus, als die Einordnung der Religionen in Gottes »Welthandeln «, das seinem »Heilshandeln« gegenübergestellt wird. Im Segen geht es nämlich ebenso, wie in der Rettung, um ein /гег/rolles Wirken Gottes zugunsten der Menschen. 50 Es ist wichtig, zu beachten, d a ß im Neuen Testament die Wege der Völker - und das heißt auch ihre Religionen - in Apg. 14, 16 f. gerade als Ausdruck des segnenden Handelns Gottes verstanden werden! In den systematischen Entwürfen, etwa bei Kähler oder Barth, wird der Heilsbegriff mit dem Offenbarungsbegriff sehr eng verknüpft. Die Frage nach Heil in fremden Religionen ist darum immer zugleich die Frage nach Offenbarung. Wenn man demgegenüber den Heilsbegriff nach rettendem Handeln, das Offenbarung einschließt, und segnendem Handeln, das dies nicht tut, differenziert, dann kann man einerseits von Segensheil in den Religionen sprechen, gibt andererseits jedoch nicht den Letztgültigkeitsanspruch der Offenbarung, die einem zuteil wurde, preis.

49

Westermann macht deutlich, daß die Debatte zwischen Barth und Brunner Uber eine theologia naturalis vom Alten Testament her nicht gerechtfertigt ist [C. WESTERMANN (1987): Karl Barths Nein. Eine Kontroverse um die theologia naturalis. Emil Brunner - Karl Barth (1934), in: EvTh (47), 386-395] 50 Insofern ergibt sich eine positivere Würdigung der Religionen, als durch die von der VELKD-Studie Religionen, Religiosität und christlicher Glaube [Religionen, Religiosität und christlicher Glaube: Eine Studie (1991): hrsg. im Auftr. der Vereinigten-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Arnoldsheimer Konferenz, Gütersloh] vorgeschlagene Unterscheidung von Heils- und Welthandeln Gottes, da nicht nur gesagt werden kann, daß die Religionen unter dem Handeln Gottes stehen, sondern auch, daß Gott in ihnen segnend wirken kann. Die Frage, wo und wie er das tut, kann nicht pauschal beantwortet werden.

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

301

3.2.2 Rettungshandeln Gottes und Differenzbewußtsein Obwohl Gott auch in den Religionen segnend und also heilvoll wirkt, so ist doch das gleiche nicht auch von seinem Rettungshandeln zu behaupten. 51 Die Frage, ob Gott in den Religionen Heil im Sinne eines Rettungshandelns - was Offenbarung einschließt - vermittelt, kann streng genommen nicht beantwortet werden, da wir nicht in der Lage sind, die Binnenperspektive einer anderen Religion einzunehmen. Man sollte daher die Perspektivität menschlicher Erkenntnis ernstnehmen und folglich diese Frage konsequenterweise und bewußt offenlassen. Denn erst durch dieses eingestandene und ausgehaltene »Nicht-Wissen« wird das für ein Verstehen des Fremden nötige Differenzbewußtsein aufrechterhalten. Pluralismus und Exklusivismus sind hinsichtlich der Totalität ihrer Behauptung, daß es vollgültiges Heil in den anderen Religionen gibt bzw. nicht gibt, gleich.52 Nur der konsequente Verzicht auf eine pauschale Beantwortung dieser Frage stellt demgegenüber eine echte Alternative dar: Das Segenshandeln in den Religionen mag Grunderfahrungen gelingenden Lebens hervorbringen, die trotz ihrer Verschiedenheit im einzelnen einer gewissen Ähnlichkeit nicht entbehren; das Rettungshandeln aber setzt mit seinem Geschehnischarakter Differenzen, die es verwehren, das Fremde nach Maßgabe des Eigenen zu verstehen.53 Segnungs- und Rettungshandeln muß unterschieden bleiben, wenn es nicht zur Nivellierung der christlichen Botschaft vom Rettungshandeln Gottes in Jesus Christus kommen soll. Dennoch kann man beides nicht säuberlich voneinander trennen. Das ist mit der Polarität zwischen Segensund Rettungshandeln gemeint: Zwischen beiden Polen gibt es ungeachtet ihrer Unterschiedenheit Ubergänge. 54 So werden durch die Unterscheidung, da auch in den biblischen Schriften Segen und Rettung an manchen Stellen

51

An dieser Stelle unterscheidet sich dieser Ansatz deutlich von dem Missionsbegriff Dietrich Werners. Bei Werner wird m. E. zu undifferenziert von »Heil« gesprochen. 52 Zur Kritik an Entwürfen pluralistischer Religionstheologen vgl. H . WROGEMANN (1996): Im Angesicht des Fremden. Systematisch-theologische Erwägungen zu einer interkulturellen Hermeneutik, in: GlLern (11) H . l , 38-51, 43ff. 53 Vgl. dazu die religionswissenschaftliche Unterscheidung von T h e o Sundermeier zwischen »primärer« und »sekundärer Religionserfahrung«. [ТН. SUNDERMEIER (1983): Die Zukunft der Religion - Die Religion der Zukunft, in: E. Lade (Hrsg.), Chrisüiches ABC heute und morgen, Bad Homburg, 85-91; DERS. ( 2 1990): N u r gemeinsam können wir leben. Das Menschenbild schwarzafrikanischer Religionen, Gütersloh, 275 ff.] Vielleicht könnte man sie theologisch mit dem Begriffspaar Segen und Rettung deuten, wobei deutlich sein muß, d a ß nicht alle primären Religionserfahrungen automatisch als Segenshandeln zu verstehen sind. 54 Das ist jedoch nicht mit der Unterscheidung von Wohl und Heil zu verwechseln, wonach den Völkern nur Wohl und den Christen auch das Heil zukäme. Gerade weil Segen und Rettungshandeln nicht immer scharf zu trennen sind, kann das Segenshandeln in fremden Religionen zu einer echten theologischen Anfrage auch an das chrisdiche Heilsverständnis im Sinne der Rettung werden.

302

Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

ineinander übergehen55, einerseits Übergänge und Nuancen zwischen Eigenem und Fremdem markiert, offene Fragen möglich und neue Einsichten erwartbar. Andererseits eröffnet die durch die Betonung des Rettungshandelns aufrechterhaltene und ausgehaltene Differenz zur fremden Religion die Möglichkeit, die Fremdheit in ihrer ganzen Tiefe und Vielgestaltigkeit von Aspekten wahrzunehmen. Auch wenn es paradox anmutet: Gerade die Einsicht, wie verschieden die Entwürfe der Religionen - besonders auch in Hinsicht auf das ereignishafte Grunddatum (Buddha, Jesus, Mohammed), das ihr Zentrum ausmacht - sind, kann zu einem tieferen Verstehen des Fremden führen. Denn Verstehen bedeutet auch, den Abstand wahrzunehmen, der uns trennt. Das kann zu einem behutsameren Umgang mit den Fremden führen und vor Enttäuschungen bewahren. Im folgenden soll die Polarität von Gottes Segens- und Rettungshandeln missionstheologisch vertieft werden. Hat die Polarität auch für die Begründung und die Art und Weise christlicher Mission Bedeutung?

4. In der Mission

des segnenden und rettenden

Gottes

Zur soteriologischen Unterscheidung von Segen und Rettung im Neuen Testament ist zunächst zu konstatieren: Ohne Frage liegt der soteriologische Schwerpunkt im NT auf Gottes rettendem Handeln in Jesus Christus.56 In diesem Zusammenhang ist auch der Sendungsbefehl in Mt. 28, 16-20 primär zu verstehen. Als Summe des Matthäusevangeliums geht es hier um die Verkündigung der Guten Nachricht von Gottes einmaligem Rettungshandeln in der Geschichte, im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi. Es kann hier nicht auf die exegetische Debatte zu diesem Text eingegangen werden.57

55 C. W E S T E R M A N N (1968): Der Segen in der Bibel, 18 f.: »Für die Struktur einer alttestamentlichen Theologie muß dann das Miteinander und Ineinander, die Wechselbeziehung und gegenseitige Durchdringung der Darstellungen dieser beiden Weisen des Wirkens Gottes durchweg bestimmend sein.« 56 Zur Mission im Neuen Testament vgl. F. H A H N ( 1 9 6 3 ) : Das Verständnis der Mission im NT, Neukirchen; H. K A S T I N G ( 1 9 6 9 ) : Die Anfänge der urchristlichen Mission. Eine historische Untersuchung, München; K. K E R T E L G E (Hrsg.) ( 1 9 8 2 ) : Die Mission im Neuen Testament, Freiburg/Basel/Wien. Eine Forschungsübersicht bietet: K. B E R G E R ( 1 9 9 0 ) : Mission im Neuen Testament in der neueren Exegese, in: Weltmission heute Nr. 8, Was heißt Mission? Grundlagen und neue Aspekte einer Theologie der Mission. Dokumentation eines Seminars in Bossey/Genf vom 4.-9. September 1989 mit einer Einleitung von J. Wietzke, Hg. EMW, Hamburg, 5 3 - 5 9 . 57 Zu dieser Stelle vgl. F. H A H N (1980): Der Sendungsauftrag des Auferstandenen Mt 28, 16-20, in: Th. Sundermeier, (Hrsg.), Fides pro mundi vita: Missionstheologie heute, HansWerner Gensichen zum 65. Geburtstag, Gütersloh, 28-43.

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

303

Vielmehr soll unser Augenmerk auf die missionstheologisch bedeutsame Tatsache gelenkt werden, daß in der Aussendungsrede in Mt 10, 1-16, die, wie Wong gezeigt hat, von Matthäus nicht nur exklusiv auf Israel bezogen wird, neben dem Auftrag, das Rettungshandeln Gottes zu verkündigen, auch der Auftrag zu segnen genannt wird.58 Westermann: »In dieser neuen Situation, in der die Botschaft der Apostel in die Daseinsform der Seßhaften eintritt, bekommt der Segen eine Bedeutung. Es ist dann nicht nebensächlich und nicht zufällig, daß zur Aussendungsrede ein Auftrag zum Grüßen [es handelt sich um einen Segensgruß! H.W.] des Hauses, das die Apostel betreten, gehört«. 59 Im Segen geht es um gelingendes Leben und damit auch um das Heilsein von Gemeinschaft. Der Segen steht hier an der Stelle, wo eine potentielle Gefährdung von Gemeinschaft auftritt: Bei der Kontaktaufnahme mit Fremden. Andererseits wird der Segen als ein stetiges Wirken verstanden, weshalb er eine Bedeutung hat, die zeitlich weit über die Kontaktaufnahme hinausgeht. Das Matthäusevangelium überliefert also zwei Aussendungsreden, die beide für die christliche Mission maßgebliche Bedeutung haben. Die junge christliche Gemeinde wird beauftragt einerseits das Rettungshandeln Gottes in Jesus Christus zu verkündigen und dabei andererseits Menschen zu segnen und mit ihnen zusammenzuleben. Mission führt demnach, um mit dem Zweiten zu beginnen, als Auftrag zum Segnen - und als Teilhabe am Segen - in Gemeinschaft mit anderen Menschen, seien es Angehörige der eigenen Gemeinschaft oder Ausgegrenzte und Fremde.60 Der missionarische Segensauftrag dient der Ermöglichung von Konvivenz und führt in die Konvivenz hinein.

58 Κ.-Сн. WONG hat nachgewiesen, daß das Gesamtzeugnis des Matthäusevangeliums dagegen spricht, den Aussendungsbefehl in Mt 10 exklusiv auf Israel zu beziehen. Vielmehr stehe der Jüngerkreis »für alle späteren Jünger, insbesondere alle missionierenden Jünger.« [DERS. (1992): Interkulturelle Theologie und multikulturelle Gemeinde im Matthäusevangelium. Zum Verhältnis von Juden- und Heidenchristen im ersten Evangelium, Freiburg (CH)/Göttingen, 87-124, 91]. 59 C. WESTERMANN (1968): Der Segen in der Bibel, 91. Und weiter heißt es: »Dieser Auftrag entspricht dem Kommen der Apostel als Segensträger in die Häuser und in die Dörfer darin, daß es in dem im Gruß gebrachten und empfangenen Segen und Frieden um das gleiche geht wie im Auftrag zum Heilen und Helfen: es geht um das Heilsein der Gemeinschaft und das Heilsein des Menschen in der Gemeinschaft, zu dem auch das kreatürliche Heilsein gehört.« (92) 60 Zum Zusammenhang von Segen und der Behandlung von Fremden, wobei es sich bei diesen Stellen wahrscheinlich weniger um ethnisch oder religiöse sondern um sozial ausgegrenzte Fremde handelt [C. BULTMANN (1992): D e r Fremde im antiken J u d a : eine Untersuchung zum sozialen Typenbegriff »ger« und seinem Bedeutungswandel in der alttestamentlichen Gesetzgebung, Göttingen], vgl. Dtn. 14,29; 16,13-15; 24,19.

304

Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

4.1 Konvivenz

als hermeneutischer Ort

Der Konvivenzbegriff stammt aus dem Bereich lateinamerikanischer Basisgemeinden und meint das alltägliche Miteinander von Menschen, die gemeinsam leben, zusammen arbeiten und feiern. Der Begriff wurde von Theo Sundermeier in die missionstheologische Diskussion eingeführt61 und von der Studie »Religionen, Religiosität und christlicher Glaube« aufgenommen. 62 Die Studie entwickelt einen trinitarischen Missionsbegriff, der dem Wirken des Geistes die Mission, dem Wirken des Sohnes den Dialog und dem des Vaters die Konvivenz zuordnet. Mission im weiteren Sinne ereignet sich analog dem Handeln des dreieinigen Gottes im Zusammenwirken von Mission, Dialog und Konvivenz. Mission kann sich nur in Konvivenz und als Dialog vollziehen. Die Kirche, die in ihrem Sein und ihrem Handeln von diesem Gott herkommt, soll und muß in ihrer Mission diesem Gott entsprechen.63 Während der Konvivenzbegriff in der Studie jedoch dem ersten Artikel - Gott als dem Schöpfer - und da insbesondere seinem »Welthandeln« zugeordnet wird64, verbinden wir ihn mit dem dritten Artikel - der Pneu61 Vgl. dazu TH. SUNDERMEIER (1986): Konvivenz als Grundstruktur ökumenischer Existenz heute, in: W . H u b e r / D . Ritschl/Th. Sundermeier: Ökumenische Existenz heute 1, M ü n c h e n 49-100. In diesem Aufsatz macht Sundermeier darauf aufmerksam, d a ß die K o n vivenz natürlich je nach Kontext eine besondere Ausprägung und Gestalt finden wird. U m hier Einheit und die Differenz deutlich zu machen, unterscheidet er zwischen »Grundstruktur« und »Modell«: Konvivenz sei die Grundstruktur ökumenischer Existenz. Diese G r u n d struktur verwirklicht sich jedoch je nach Kontext in unterschiedlichen Modellen. (66) 62 Religionen, Religiosität und christlicher Glaube: Eine Studie (1991): hrsg. im Auftr. der Vereinigten-Lutherischen Kirche Deutschlands ( V E L K D ) und der Arnoldsheimer Konferenz, Gütersloh [zit.St], Vgl. dazu H . RZEPKOWSKI (1992): »Religionen, Religiosität und christlicher Glaube« und »Redemptoris Missio«. Ein Vergleich. In: EvTh (52), 262-276; sowie TH. SUNDERMEIER (1991e): Missio Filii, Missio Dei, Missio Ekklesiae. Zur Enzyklika »Redemptoris Missio« und zur Studie »Religionen, Religiosität und christlicher Glaube«, in: M d K I , 3 / 1 9 9 1 , 48-50. 63 Vgl. ST 117ff. - Zur Diskussion der Studie vgl. u.a. O. BAYER (1994): Theologie, Gütersloh, 520. Anm.438; R. HUMMEL (1993): Mission, Dialog und Apologetik, in: ZMiss (19), 211-220; B. JASPERT (1991): D e r Absolutheitsanspruch des Christentums - Hindernis auf dem Weg zu einer Theologie der Religionen? Ein Tagungsbericht, in: P T h (80), 603-617; P. SCHMIDT-LEUKEL (1992): D e r schwierige Weg vom Gegeneinander zum Miteinander der Religionen. Neue Dokumente zur theologischen Grundlegung des interreligiösen Dialogs, in: U S (47), 54-77, 60ff.; R. WETH (1992): Kirche im missionarischen Prozeß, in: E. M e c h e l s / M . Weinrich (Hrsg.), Die Kirche im Wort. Arbeitsbuch zur Ekklesiologie, N e u kirchen-Vluyn, 171-196, bes. 185 ff. " Diese Unterscheidung geht auf den einen der beiden Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, den Marburger Systematiker CARL-HEINZ RATSCHOW, zurück, [vgl. DERS. (1986 a): D a s Heilshandeln und das Welthandeln Gottes, Gedanken zur Lehrgestaltung des ProvidentiaGlaubens in d e r evangelischen Dogmatik, in: ders., Von den Wandlungen Gottes. Beiträge zur Systematischen Theologie. Zum 75. Geburtstag hg. v. C. Keller-Wentorf und M. Repp, B e r l i n / N e w York, 182-243] Mit dem Begriff des »Welthandelns« Gottes wird ausgedrückt,

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

305

matologie - im Zusammenhang des Segenshandelns Gottes. Geistwirken als Segenswirken macht gelingende und heile Gemeinschaft möglich. Das gemeinsame Leben ist das Erste. Es bedeutet unsere Teilnahme am Leben Fremder und deren Teilnahme an unserer Gemeinschaft. Während sich der Begriff koinonia gemeinhin auf die innerchristliche Gemeinschaft bezieht, meint Konvivenz darüber hinaus auch das alltägliche, nachbarschaftliche und immer wieder neue Miteinander mit Fremden. In diesem Zusammenhang wäre - darauf kann hier nur hingewiesen werden - auch neu über das Phänomen des Gastes, des Gastrechtes und der Gastfreundschaft nachzudenken. 65 Der Begriff der Konvivenz weist auf die Gleichwertigkeit von Menschen in einer solchen Gemeinschaft hin. Auch wenn oder gerade weil eine solche Gemeinschaft faktisch immer durch Ungleichgewichte und Asymmetrien zwischen den an ihr teilnehmenden Menschen und Gruppen gekennzeichnet sein wird, allein schon durch das Beherrschen oder Nichtbeherrschen einer Sprache oder sonstige Faktoren, geht es darum, erkennbare Asymmetrien soweit als möglich abzubauen. In der Begegnung mit Fremden werden demnach nicht allgemeine Dialogregeln anempfohlen, seien diese abstrakt kommunikationstheoretisch gewonnen oder aus dem eigenen Glaubenssystem abgeleitet. Es ist auch nicht das Dasein »für andere« gemeint, was bei allem gutem Willen die Hilfsbedürftigkeit und Inferiorität der anderen unausgesprochen voraussetzt. Es geht demnach nicht um funktional-problemorientierte Gemeinschaft. Schließlich werden im Rahmen der Konvivenz auch nicht die Wahrheitsansprüche der Religionen aufgegeben. Der Fremde wird nicht erst zurechtinterpretiert. Er ist anders und fremd und er darf es sein. Allein wenn der Fremde dessen gewürdigt wird, fremd zu sein und fremd bleiben zu dürfen, nur dann entgeht er unserem Versuch, als wiederangeeignetes Eigenes verstanden zu werden! 66 In der Konvivenz geht es um das Zusammenleben mit Fremden und darum, die Unterschiede in Austausch zu bringen, sie auszuhalten und darin einander zu ertragen. Konvivenz ist der hermeneutische Ort, an dem sich Mission als Verstehen des Fremden vollzieht Sie ist einerseits Geltungsbereich der Aussagen über den Fremden und andererseits Ort leiblicher Erfahrungen des Fremden.

d a ß das Weltgeschehen »als solches gar nicht interpretierbar« ist. (233) Das Weltgeschehen als Welthandeln Gottes bleibt dunkel und uneinsehbar. Daraus folgt, daß Ratschow teleologische Denkmuster, wie die Interpretation des Weltgeschehens als »Vorsehung« und »Erhaltung« oder durch »Ordnungslehren« ablehnt. (239, 242 f.) 65 Vgl. dazu J. PITT-RIVERS (1992): D a s Gastrecht, in: Almut Loycke (Hrsg.), D e r Gast, der bleibt: Dimensionen von Georg Simmeis Analyse des Fremdseins, F r a n k f u r t / M . / N e w York, 17-42. 66 Vgl. dazu auch H . HEMPELMANN (1995): Toleranz gegenüber dem Fremden. Wie wir den Angehörigen anderer Religionen begegnen können, in: ThBeitr (26), 1 3 6 - 1 6 0 , 152 ff.

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Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

Der lateinamerikanische Befreiungstheologe J.C. Scannone sieht die »spezifische Eigenschaft eines hermeneutischen Orts [... darin, daß] die Reflexion auf der Grundlage einer neuen individuellen Erfahrung angestellt wird«, wodurch neue Dimensionen des Glaubens erschlossen werden, ohne daß die Universalität der Theologie verneint wird.67 Ich stimme dem zu, weise jedoch darauf hin, daß es zunächst um gemeinschaftliche Erfahrungen geht, die dann auch als je neue individuelle Erfahrungen zu verstehen sind. Im Zusammenleben werden neue Erfahrungen gemacht, die Menschen verändern. Für den Christen bedeutet dies, daß der Geltungsbereich seiner Einsichten über den Fremden diesen gelebten Erfahrungen entsprechen wird. Anders formuliert: Wer oder was der Fremde ist, wird nicht generalisiert, sondern im Bezugsrahmen der Konvivenz belassen. Dazu gehört das Zweite: Erst im leiblichen Miteinander können die Fremden, dadurch, daß wir an ihren Riten, Symbolen und Gesängen teilnehmen und mit ihnen gemeinsam arbeiten und feiern, verstanden werden. Verschiedene Wahrheits-, Werte- und Wahrnehmungsmuster treffen, vermittelt über die unterschiedlichen Menschen, aufeinander. Dabei ergeben sich immer neue Kontrastierungen: Fremdes wird neu entdeckt, verschüttetes Eigenes wiedergefunden, Einstellungen werden verändert und Bewertungskriterien weiterentwickelt. Religionen müssen als offene Systeme verstanden werden, die sich, ungeachtet der unbezweifelbaren Tatsache, daß jede Religion ein Integrationszentrum besitzt, im gegenseitigen Verhältnis zueinander verändern. In der Konvivenz kann dies geschehen, da es um ein längerfristiges Miteinander geht: Verstehen braucht Zeit. Neue konviviale Erfahrungen sind leibliche Erfahrungen. Zu Recht fordert Wolfgang Nethöfel eine »hermeneutische Rückeroberung des Körpers«, denn der Körper ist unser »hermeneutisches Universalinstrument« !68 In der Leiblichkeit können Dinge erfahren und verstanden werden, die uns erst viel später in reflektierender Weise zum Bewußtsein kommen. Gegenüber einer wortzentrierten Hermeneutik macht eine Hermeneutik des Fremden auf die leiblichen Dimensionen des Verstehensvorganges aufmerksam.

67 Nur handele es sich nicht mehr um eine »abstrakte«, sondern um eine »situierte« Universalität. Vgl. J.C. SCANNONE (1991): Die Welt der Armen und die »vorrangige Option für die Armen« als hermeneutischer Ort für die Theologie, in: A.J. Bucher u.a. (Hgg.), Die »vorrangige Option für die Armen« der katholischen Kirche in Lateinamerika. Zugänge zu ihrer Begründungsproblematik, Geschichte und Verwirklichung, Bd. 1 Begründungszusammenhänge, Eichstätt/Ingolstadt/Wien, 73-104, 80. 68 W. NETHÖFEL (1992): Theologische Hermeneutik. Vom Mythos zu den Medien, Neukirchen, 170 ff., 197. Nethöfel gibt zu bedenken: »Die Geschichte des abendländischen Bewußtseins ist auch eine Geschichte der Distanzierung vom erkennenden Körper, und sie Iäßt sich hermeneutisch rekonstruieren.« (196)

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

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Der Begriff der Mission als Hermeneutik des Fremden soll darauf aufmerksam machen, daß ein vorgängiges Nein zur Religion des Fremden, wie bei Althaus, oder ein Nicht-ernstnehmen des Heiden, wie bei Barth, nicht länger vertretbar ist. Im Anschluß an den Entwurf von Jürgen Moltmann muß es zunächst um die Teilnahme am Leben des Fremden gehen. Allerdings nicht nur, wie das der Ansatz Moltmanns nahelegt, als solidarische Aktion, sondern auch als alltägliches und unspektakuläres Miteinander. Die Wertung oder Kritik der Fremden kann nicht am Anfang stehen. Sie ergibt sich erst allmählich aus dem gelebten Miteinander. In diesem Sinne dient Mission dem Verstehen des Fremden und das Verstehen des Fremden der Mission.

4.2 Der segnende Gott: Konvivenz

und Dialog

Der chrisdiche Segnungsauftrag führt in die Gemeinschaft mit Fremden. Segen auszusprechen und an der ermöglichten Gemeinschaft teilzunehmen gehört zusammen. 69 Wenn aber der Segensauftrag der Grund der Konvivenz ist, dann ist umgekehrt Konvivenz der Kontext des Verkündigungsauftrages. D a s könnte für die missionstheologische Verhältnisbestimmung von Dialog und Verkündigung bedeuten, daß der Dialog nach dem segnenden Handeln Gottes in den fremden Religionen fragt, die Verkündigung demgegenüber das Rettungshandeln Gottes in Jesus Christus bezeugt. Missionarische Verkündigung und Dialog werden somit weder auf zwei Ebenen verteilt, wie bei Thielicke, noch identifiziert, wie bei Pannenberg und von Brück, auch nicht einander als qualitative und quantitative Mission zugeordnet, wie bei Moltmann, sondern sie werden in der Polarität von Segen und Rettung und daraus folgend von Offenheit und Differenzbewußtsein verankert. Wir wenden uns zunächst der Frage des Dialogs zu. Wir stellten bereits fest, daß der Christ, wenn gelingende Gemeinschaft als Folge des Segenshandelns Gottes und seines Geistes verstanden werden kann, in die Konvivenz mit fremden Menschen geführt berechtigt die Frage stellen kann, ob Gott nicht auch in der Gemeinschaft der Fremden segnend wirkt. Er kann diejenigen Riten, Symbole, Gewohnheiten und Normen der Fremden daraufhin befragen, ob in ihnen ein Wirken Gottes zu spüren ist. Er kann sich dem Fremden in dem Glauben öffnen, daß Gottes Segens6 9 E s liegt auf der H a n d , daß sich aus dem Sendungsauftrag zum Segen auch schöpfungstheologische Konsequenzen ziehen lassen. Auf die Wichtigkeit eines Missionsverständnisses, d a s auch die S c h ö p f u n g berücksichtigt, wurde besonders hingewiesen von K . BLASER (1989): Mission an der S c h ö p f u n g ? , in Z M i s s (15), 165-176; S. SCHMID-KEISER (1989): Mission und Bewahrung der Schöpfung. Thesen zum missionarischen Auftrag angesichts der U m weltkrise in der Dritten Welt, in: Z M i s s (15), 149-164; L . N . THURBER (1990): C a r e f o r the Creation as Mission Responsibility, in: I R M (79), 143-149.

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Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

handeln auch Formen annehmen kann, die er bisher nicht für möglich hielt. In der Anteilnahme am Leben der Fremden kann diese theologisch begründete Offenheit zu einer echten Wechselseitigkeit des Verhältnisses mit den Angehörigen fremder Kulturen oder Religionen führen: Ihr Leben wird zur theologischen Anfrage an unser Leben, und zwar gerade dort, wo uns Faszinierendes oder Abstoßendes begegnet, dem wir uns nur aussetzen, es aber nicht durch Reflexion »domestizieren« können. Im konvivialen Miteinander vollzieht sich auf diese Weise ein Dialog der Lebensäußerungen, der subtiler wirkt, als ein Dialog der Worte und Argumente. D e r Christ wird, wenn er sich auf die Lebensäußerungen der Fremden einläßt, in seiner Identität verändert. E r mag dabei im Fremden Aspekte wahrnehmen, die seinen Glauben hinterfragen, vielleicht auch erschüttern. 70 Dabei kann es zu Anfechtungen des Glaubens kommen, die quasi subkutan wirken, weil es Anfechtungen durch Erfahrungen sind, die sich vielleicht erst später und allmählich reflektieren lassen. D e r Ausdruck »Dialog der Lebensäußerungen« soll auf die Vielschichtigkeit hinweisen, in der der Fremde erfahren wird. Das schließt einen worthaften Dialog jedoch nicht aus, sondern gerade ein. Fremdheit und Vertrautheit wird auf vielfältige Weise sinnlich gespürt, und zwar gerade dort, wo man es bisher nicht vermutet hat. An den neuen Erfahrungen können sich so immer auch neue Dialoge entzünden, die nie zustandegekommen wären, wenn sich der Anlaß nicht aus dem gemeinsamen Leben ergeben hätte. Im Dialog kann man voneinander lernen. Dennoch wird es Dinge geben, um die mitunter heftige Auseinandersetzungen geführt werden. D e r Begriff Dialog wäre mißverstanden, wenn man dabei nur an einen harmonischen Austausch denken würde. Denn gerade weil es um das konviviale Miteinander geht, stehen die für das Zusammenleben relevanten sozialethischen Konsequenzen des Glaubens der Fremden zur Diskussion. Im Extremfall kann es Situationen geben, in denen Konvivenz aufgegeben werden muß, weil sie den Christen korrumpieren würde. Nicht jedes Miteinander ist schon dadurch, daß es zustandegekommen ist, gerechtfertigt, da es auch Gemeinschaften gibt, die zu Lasten anderer gesucht und gepflegt werden. Als dem Segen zugeordnetes Handeln des Christen hat der Dialog, in dem es primär um Gemeinsamkeit und Gemeinschaft mit den Fremden geht, also auch um die Möglichkeit gegenseitiger Hilfe oder gemeinsames

70

Z u m dialogischen Verhalten J e s u vgl. R. FELDMEIER ( 1 9 9 4 ) : Die Syrophönizierin ( M k

7 , 2 4 - 3 0 ) - J e s u »verlorenes« Streitgespräch?, in: ders.; U . H e c k e l ( H g g . ) , D i e H e i d e n : J u d e n , Christen und das P r o b l e m des Fremden, Tübingen, 2 1 1 - 2 2 7 ; J . GUNDRY-VOLF ( 1 9 9 4 ) : Geist, Barmherzigkeit und die Begegnung mit den Anderen. Reflexionen zu J o h a n n e s 4 , 4 - 1 2 ; M a r k u s 7 , 2 4 - 3 0 ; M a t t h ä u s 15, 2 1 - 2 8 , in: R. W e t h ( H r s g . ) , Gottes Geist und G o t t e s V o l k im U m b r u c h E u r o p a s , Gütersloh,

82-106.

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Feierns, seinen Selbstzweck. Der Dialog kann und darf weder zum Verkündigungsmedium funktionalisiert werden, wie dies ein argumentatives Verständnis nahelegen würde, noch hat er nur narrativen, expressiven oder appellativen Charakter. Vielmehr richtet sich die Art des Dialoges je nach den konvivialen Gegebenheiten. Er zielt auf Ermöglichung und Erhalt von Gemeinschaft. 4.3 Der rettende Gott: Konvivenz

und Verkündigung

Bisher sind wir der Frage nachgegangen, was der missionarische Segnungsauftrag für die christliche Sendung bedeuten kann. Wie steht es demgegenüber mit dem Verkündigungsauftrag? Unsere These lautet, daß sich christliche Mission als Verkündigungsauftrag von Gottes Rettungshandeln in Jesus Christus im konvivialen Kontext vollzieht. Denn erst im gemeinschaftlichen Umgang miteinander ist der Ort, in dem die christliche Botschaft ihr Profil zugleich bewährt und immer neu gewinnt. Als Botschaft vom rettenden Gotteshandeln in Jesus Christus hält die missionarische Verkündigung die Differenz von Eigenem und Fremden aufrecht. Nur so bleibt die notwendige Distanz gewahrt, die verhindert, sich der Illusion hinzugeben, den Fremden verstanden zu haben. Erst durch die Behauptung der Letztgültigkeit des rettenden Handelns Gottes im Christusgeschehen wird die Härte und Abständigkeit des Fremden im Blick behalten und die Tiefe der Kluft erkennbar, die zwei Religionen voneinander trennt. Dennoch ist das konviviale Miteinander nicht ohne Einfluß auf die missionarische Verkündigung. Ihr Profil wird sich in dem Maße ändern, wie sich die Identität des Christen in der gelebten Gemeinschaft verändert Daß sich dadurch auch die christliche Botschaft in der Konvivenz verändert, neue Aspekte auch gerade für den Verkündiger gewinnt, tut jedoch der Tatsache, daß sie zugleich die Differenz aufrechterhält, keinen Abbruch. Die Veränderung ist vielmehr gerade Voraussetzung für das Differenzbewußtsein, da sich erst im Prozeß des konvivialen Miteinander und in den sich ereignenden Auseinandersetzungen und Kontrastierungen das Einende und Trennende herausstellt und erschließt. Hier kann, darin ist Helmut Thielicke zuzustimmen, letztlich nur das testimonium Spiritus sancti die Integrität und Gewißtheit des chrisdichen Glaubens verbürgen, da sich mit der veränderten Selbst- und Fremdwahrnehmung auch die Kriterien zur Beurteilung des oder der Fremden wandeln. Hier ergibt sich ein theologisch-hermeneutisches Problem, das an dieser Stelle nur angedeutet werden kann. Wenn es in der missionarischen Verkündigung um das Rettungshandeln Gottes in Jesus Christus geht, kann »Rettung« ebenso im Sinne innerweltlicher Befreiung wie auch als eschatologische Errettung verstanden werden. In beiden Fällen stellt sich die Frage nach dem, was überwunden werden soll, nämlich die Frage nach

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Aspekte einer missionstheologischen Neubesinnung

der menschlichen Sünde. Die Befreiungstheologie hat zu Recht auf den sozialen Charakter der Sünde hingewiesen, dennoch darf - worauf M. Trowitzsch aufmerksam gemacht hat71 - nicht übersehen werden, daß die Sünde auch die Verstehensbemühungen des Menschen korrumpiert. Was das für eine theologische Hermeneutik des Fremden bedeutet, wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung. In jedem Falle hat dieses Problem für das Verständnis der missionarischen Verkündigung entscheidende Bedeutung. Das konviviale Miteinander als Kontext der missionarischen Verkündigung ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Hermeneutisch: Es ist anzunehmen, daß durch ein möglichst weitgehendes Verstehen des Fremden auch die Möglichkeit verbessert wird, ihm das christliche Zeugnis verständlich zu machen. Sozial: Die gelebte Gemeinschaft rechtfertigt die missionarische Verkündigung als den Versuch, das innerste Anliegen des eigenen Glaubens respektvoll zum Ausdruck zu bringen, ohne dem Fremden dadurch das Gefühl zu geben, benutzt oder vereinnahmt zu werden. Christologisch: Nur eine aus der Sehnsucht nach Gemeinschaft entspringende missionarische Verkündigung entspricht ihrem Inhalt, nämlich Jesus Christus als dem Sohn Gottes, der sich für die Menschen am Kreuz von Golgatha hingab. Eine kenotische Christologie verlangt nach einem ihr entsprechenden Leben und Handeln der christlichen Zeugen. Missiologisch: Implizit wendet sich dieses Missionsverständnis kritisch gegen eine Universalisierung des Missionsbegriffes, wie sie etwa von dem holländischen Missionstheologen Johann Christian Hoekendijk vertreten wurde, der großen Einfluß auf die vom Ökumenischen Rat der Kirchen vertretene Missionstheologie hatte. Eine Uberdehnung des Missionsbegriffes hat zur Folge, daß die missio hominum innerhalb der universalen missio Dei nicht mehr hinreichend bestimmt werden kann. In den Worten von Stephen Neill: »Wenn alles Mission ist, ist nichts Mission.« Wenn es nicht zu einer Überforderung der christlichen Mission kommen soll, bleibt festzuhalten, daß nicht jedes Handeln der christlichen Gemeinden und Kirchen Mission ist, daß aber jede Handlung einen missionarischen Aspekt haben kann! Nur eine Beschränkung des Missionsbegriffes auf ein bestimmtes Handeln der Christen und der Gemeinden wird verhindern, daß das Missionsverständnis diffus und damit irrelevant wird. Wenn Mission als Hermeneutik des Fremden an die Konvivenz als ihren Kontext gebunden bleibt, kann diese Uberforderung der christlichen Sendung vermieden werden. Konvivenz findet nicht überall statt. Aber dort, wo sie sich ereignet, ist dann auch der Ort der Mission.

7 1 M . TROWITZSCH (1981): Verstehen und Freiheit: U m r i s s e einer theologischen Kritik der hermeneutischen Urteilskraft, Zürich, 7 ff.

Ausblick: Mission als Hermeneutik des Fremden

4.4 Konvivenz

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und christliches Zeugnis

Neben Dialog und missionarischer Verkündigung gibt es noch einen dritten Aspekt von Mission als Hermeneutik des Fremden: Das christliche Zeugnis. Das konviviale Miteinander von Menschen kann als solches Zeugnischarakter haben. Unter Zeugnis soll hier ein unthematisches In-Erscheinung-treten des Gehaltes einer religiösen Botschaft verstanden werden. So kann unbeabsichtigt gemeinschaftliches Miteinander Zeugnischarakter haben. Ein solches Zeugnis kann in anderer Weise, als durch das Segenshandeln, pneumatologisch begründet werden. Michael Welker versteht das Wirken des Geistes Gottes als das eines »Kraftfeldes«. Als solches ist es nicht grundsätzlich auf die Christen beschränkt, sondern wirkt auch über ihren Kreis hinaus.72 Andererseits ist unter diesem Kraftfeld nichts »Abstraktes« zu verstehen, da das Geistwirken als ein konkretes Wirken erfahren wird. Der Geist wirkt zugunsten von Gemeinschaft, indem er neue Öffentlichkeiten konstituiert Dies kann am Beispiel des Simson gezeigt werden, der durch das Wirken des Geistes dazu befähigt und geleitet, ein auf den ersten Blick sehr wechselhaftes und teilweise abstößiges Verhalten zeigte, dadurch aber für die Israeliten zum Katalysator einer neuen Haltung gegenüber den Philistern wurde. Das Geistwirken kann also als ein plurales Wirken zugunsten der Menschen verstanden werden. Dieses plurale Geistwirken kommt auch im Neuen Testament zum Ausdruck. Der Geist kann als Kraft des Gekreuzigten in unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen wirken, da er nicht auf »einen >letzten Referenzp u n k t zentriert« ist. (GG 208) Das aber bedeutet für unseren Zusammenhang, daß alle Menschen, die am jeweils konkreten Krafifeld des Geistes teilhaben - und als ein solches kann auch die Konvivenz verstanden werden - potentiell als Zeugen des Geistwirkens verstanden werden könneru7i Unter missionstheologischem Gesichtspunkt wäre dann in zweifacher Hinsicht von einem offenen Zeugenbegriff zu sprechen.74 Zum einen er72 Vgl. M. WELKER (1992): Gottes Geist, Neukirchen-Vluyn. [zif.GG] »Durch den Parakleten ist Jesus zwar nicht in unbestimmter, gleichgültiger Weise >ubipräsentGegenwart des Geistes