Feminisierung oder (Re-)Maskulinisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhundert?: Forschungsbeiträge aus Christentum, Judentum und Islam 9783205794080, 9783205796428

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Feminisierung oder (Re-)Maskulinisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhundert?: Forschungsbeiträge aus Christentum, Judentum und Islam
 9783205794080, 9783205796428

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Michaela Sohn-Kronthaler (Hg.)

Feminisierung oder (Re-)Maskulinisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhundert? Forschungsbeiträge aus Christentum, Judentum und Islam

Unter Mitarbeit von Stephanie Glück und Rajah Scheepers

2016 BÖHL­AU VER­L AG WIEN KÖLN WEI­M AR

Gedruckt mit freundlicher finanzieller Unterstützung durch das Forschungsservice der Karl-Franzens-Universität Graz, die Diözese Graz-Seckau, den Styria-Fonds der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz sowie den Verein zur Förderung der Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz.

VEREIN ZUR FÖRDERUNG DER THEOLOGIE AN DER KATHOLISCH-THEOLOGISCHEN FAKULTÄT DER KARL-FRANZENS-UNIVERSITÄT GRAZ

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

© 2016 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Volker Manz, Kenzingen Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Finidr, Cesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79642-8

Inhalt Michaela Sohn-Kronthaler (Graz) Vorwort .................................................................................................................... 7 KAPITEL 1 Bernhard Schneider (Trier) Feminisierung und (Re-)Maskulinisierung der Religion im 19. Jahrhundert. Tendenzen der Forschung aus der Perspektive des deutschen Katholizismus ............. 11 Gisela Muschiol (Bonn) Dienste, Ämter und das Geschlecht. Anfragen an die Feminisierungsthese aus katholischer Perspektive ...................................................................................... 42 KAPITEL 2 Yvonne Maria Werner (Lund) Katholische Männlichkeit in Skandinavien ............................................................... 52 Michaela Sohn-Kronthaler (Graz) Feminisierung des kirchlichen Personals? Entwicklungen und Beobachtungen am Beispiel religiöser Frauengenossenschaften in österreichischen Diözesen im langen 19. Jahrhundert.............................................................................................. 78 Nina Kogler (Graz/Innsbruck) Viriliter agite! Maskulinisierung als pastorale Strategie im österreichischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit ....................................................................... 114 Tine Van Osselaer (Antwerpen) Männer in der Kirche. Ritueller Raum und die Konstruktion katholischer Männlichkeit ............................................................................................................ 140 KAPITEL 3 Pamela S. Nadell (Washington) Die Feminisierungsthese und das amerikanische Judentum....................................... 158

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Inhalt

Angela Berlis (Bern) Einbruch in männliche Sphären? Der Aufbruch alt-katholischer Frauen im 19. und 20. Jahrhundert ............................................................................................ 179 Rajah Scheepers (Berlin) Weibliche Diakonie als Motor der Feminisierung der evangelischen Kirche .............. 199 Ulrike Bechmann (Graz) / Viola Raheb (Wien) Religiöse Frauenbewegungen in Ägypten im 19. und 20. Jahrhundert. Das Konzept der Feminisierung am Beispiel von Zaynab al-Ghazali .............................................. 217 Verzeichnis der AutorInnen, der Herausgeberin und der Mitarbeiterinnen................ 239 Personenregister ....................................................................................................... 241

Michaela Sohn-Kronthaler (Graz)

Vorwort Dieser Band stellt einen Beitrag zur Diskussion der These von der sogenannten Feminisierung der Religion dar, einer These, die in den 1970er-Jahren in den USA entstanden ist. Zugleich bezieht das Werk auch die Männlichkeitsdiskurse im Katholizismus verschiedener europäischer Länder ein. Anhand der Untersuchungen über christliche Konfessionen, das Judentum und den Islam wird die Feminisierungs- bzw. Maskulinisierungsthese aus unterschiedlichen Blickwinkeln und in verschiedenen Ländern beleuchtet, durch Detailstudien kritisch überprüft und gegebenenfalls fortentwickelt. Den größten Teil der hier vorgelegten Publikationen bilden diejenigen Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Europa und Amerika, die sich zu einem ersten internationalen und interreligiös ausgerichteten Forschungskolloquium mit dem Titel „Feminisierung versus Maskulinisierung der Religion und Kirchen im 19. und 20. Jahrhundert?“ an der Karl-Franzens-Universität Graz zusammengefunden hatten. Die Publikation wird mit dem Beitrag des Trierer Kirchenhistorikers Bernhard Schneider eröffnet, der sich seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten intensiv mit der obigen These unter besonderer Beachtung des deutschen Katholizismus auseinandersetzt und zu den besten Kennern dieser Thematik im deutschsprachigen Raum zählt. Er bietet nicht nur eine Zusammenschau wichtiger Literatur zur Feminisierungsthese, sondern reflektiert auch die Tendenzen der aktuellen Forschung und bilanziert in nüchterner Weise die Ergebnisse. Letztlich plädiert er u. a. für eine stärkere Differenzierung der These in mehrerlei Hinsicht, so nach Konfessionen, Ländern bzw. Regionen, nach Stadt und Land sowie den sozialen Schichten, und ergänzt seine Überlegungen, indem er auch die Dimension der (Re-)Maskulinisierung im deutschen Katholizismus im Verlauf des langen 19. Jahrhunderts einbezieht. Gisela Muschiol, Mediävistin und Lehrstuhlinhaberin für Kirchengeschichte an der Universität Bonn, stellt kritische Fragen zur Verwendung des Begriffs der Feminisierung im obigen Kontext und hält diesen als Analysekategorie für entbehrlich. Die Historikerin Yvonne Maria Werner von der Universität Lund in Schweden befasst sich mit Männeridealen und Konstruktionen von Männlichkeit bei katholischen Priestern, Ordensmännern und Konvertiten in den nordischen Ländern von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Anfang der 1940er-Jahre. Sie fragt, wie diese Männer und Männergruppen ihre männliche Identität manifestierten und welche Rolle konfessionelle und ethnisch kulturelle Aspekte in diesem Zusammenhang spielten. Mein eigener Beitrag untersucht einen Teilbereich der Feminisierungsthese, welche die sogenannte Feminisierung des kirchlichen Personals betrifft und mit dem Phänomen des

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Frauenkongregationsfrühlings in Verbindung gebracht wird. Im Fokus stehen dabei österreichische Diözesen im langen 19. Jahrhundert. Es wird gefragt, ob sich mit dem für jede Diözese nachweisbaren zahlenmäßigen Aufschwung der religiösen Frauengenossenschaften Indizien für die Feminisierungsthese feststellen lassen. Die Kirchenhistorikerin Nina Kogler, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Innsbruck tätig war, befasst sich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Katholischen Aktion mit der pastoralen Strategie der Maskulinisierung, nachdem im österreichischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit die bei Männern weniger stark ausgeprägte kirchliche Glaubenspraxis als Krise inszeniert und als Bedrohung für Christentum bzw. abendländische Kultur überhaupt dargestellt worden war. Den Zusammenhang zwischen der Kirche als rituellem Raum und den vermehrten Initiativen, den Katholizismus zu „vermännlichen“, untersucht Tine Van Osselaer, Forschungsprofessorin an der Universität Antwerpen, in ihrem Beitrag am Beispiel Belgiens. So wurde dort versucht, Kirche als einen Ort der Aufführung von Männlichkeit, als Ort der Hierarchie zwischen den Geschlechtern – durch Herstellung von Sitzordnung und Kleidungsvorschriften – und als einen Ort der Sichtbarmachung des männlichen Engagements zu demonstrieren. Pamela Nadell, Lehrstuhlinhaberin für Frauen- und Geschlechtergeschichte an der American University in Washington, D.C. und Direktorin des Jewish Studies Program, versucht in ihrer Studie die zunehmende Feminisierung großer Teile des amerikanischen Judentums im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts und im beginnenden 21. Jahrhundert nachzuweisen. Die Frage nach der Maskulinisierung bzw. Feminisierung der alt-katholischen Bewegung im 19. Jahrhundert behandelt Angela Berlis, Professorin für Geschichte des Alt-Katholizismus und Allgemeine Kirchengeschichte am Departement für Christkatholische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Ihre Darstellung führt ins 20. Jahrhundert, in dessen Verlauf sich die Rechtsstellung der weiblichen Laien der alt-katholischen Kirche ab 1920 derjenigen der Männer anglich, und geht näher der Genderfrage nach, die sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in der Alt-Katholischen Kirche auf die Amtsträger fokussierte. Rajah Scheepers, Privatdozentin an der Philipps-Universität Marburg, sieht in der Entstehung der Weiblichen Diakonie im 19. Jahrhundert einen Motor der Feminisierung in der evangelischen Kirche, zumal jene als Türöffnerin für eine anerkannte Berufstätigkeit von Frauen im kirchlichen Raum fungierte, und beschreibt die Transformationen dieser Personengruppe nach 1945 bis zur Gegenwart. Die angeführten Beiträge, präsentiert beim erwähnten Forschungskolloquium, werden durch eine Studie der Grazer Professorin für Religionswissenschaft, Ulrike Bechmann, gemeinsam verfasst mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Viola Raheb an der EvangelischTheologischen Fakultät der Universität Wien, ergänzt. Die beiden Autorinnen überprüfen die These der religiösen Feminisierung im 19. Jahrhundert anhand von Ägypten und den dortigen Frauenbewegungen, exemplarisch an Zaynab al-Ghazali, der Gründerin des Muslimischen Frauenverbands.



Vorwort

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Mein besonderer Dank gilt all jenen, die an der Erstellung dieses Bandes mitgewirkt haben, in erster Linie meiner verlässlichen wissenschaftlichen Mitarbeiterin Mag.a Stephanie Glück, die sich der redaktionellen Bearbeitung dieses Bandes angenommen hat. Zusammen mit Privatdozentin Dr.in Rajah Scheepers habe ich das erwähnte Forschungskolloquium konzipiert, das durch Prof.in Dr.in Irmtraud Fischer, der ehemaligen Vizedirektorin der KarlFranzens-Universität Graz, finanziell ermöglicht wurde. Stephanie Glück und Rajah Scheepers sei für das Korrekturlesen des Bandes ebenso gedankt wie meinem Ehemann Prof. Dr. Andreas Sohn und Dr. Herbert Meßner. Das Forschungsservice der Universität Graz, die Diözese GrazSeckau, der Verein zur Förderung der Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz sowie der Styria-Fonds haben die Drucklegung des Bandes ermöglicht. Besonderer Dank gilt dem Böhlau Verlag für die Aufnahme der Publikation, besonders dem Geschäftsführer Dr. Peter Rauch sowie Dr.in Eva Reinhold-Weisz von der Programmplanung und Lektorin Stephanie Kovacic. Graz, im Wintersemester 2015/16

Michaela Sohn-Kronthaler

KAPITEL 1

Bernhard Schneider (Trier)

Feminisierung und (Re-)Maskulinisierung der Religion im 19. Jahrhundert Tendenzen der Forschung aus der Perspektive des deutschen Katholizismus

Vor nunmehr gut einem Dutzend Jahren hatte ich mich in meiner Antrittsvorlesung mit der These der „Feminisierung der Religion“ im 19. Jahrhundert beschäftigt und die Perspektiven dieser These im Kontext des deutschen Katholizismus ausgelotet.1 Damals hatte ich dafür plädiert, die These durch weitere Detailstudien zu überprüfen und zugleich weiterzuentwickeln. Wenn ich das Thema hier nochmals aufgreife, dann zum einen, um zu klären, ob denn in den vergangenen Jahren mit Blick auf den deutschsprachigen Katholizismus neue Ergebnisse erzielt wurden, zum anderen, um die Dimension der Maskulinisierung und/ oder Re-Maskulinisierung skizzenhaft zu ergänzen. Schon 2002 hatte ich angemahnt, man müsse die sich möglicherweise transformierende Religiosität von katholischen Männern genauer untersuchen.

1. Kurze Anmerkungen zur Feminisierungsthese Manche Aussagen von Zeitgenossen und weitere Beobachtungen gaben Anlass, von der „Feminisierung der Religion“ im 19. Jahrhundert zu sprechen. Ihren Ursprung hat diese These in der anglo-amerikanischen Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte der 1970er- und 1980er-Jahre (Barbara Welter).2 In der deutschen Forschung wurde sie seit den 1990er-Jahren verstärkt aufgegriffen und blieb bis über die Jahrtausendwende aktuell.

1 Vgl. Schneider, Feminisierung der Religion. Der vorliegende Beitrag wurde im Wesentlichen 2013 abgeschlossen. Später erschienene Literatur ist nur noch punktuell berücksichtigt. 2 Den wichtigsten Impuls gab Welter, Frauenwille ist Gottes Wille, 326–328. Zur Genese der These vgl. Schneider, Feminisierung der Religion, 124–126, sowie jüngst Pasture, Feminization Thesis, 8f.

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Bernhard Schneider

Zur Erinnerung sei noch einmal vermerkt, was unter „Feminisierung“ verschiedentlich verstanden wurde: die Umcodierung von Religion als weiblich, eine eigenständige Interpretation des Glaubens durch Frauen, ein Prozess des Rückzugs von Männern aus dem kirchlich-religiösen Raum, eine überdurchschnittliche Präsenz von Frauen im kirchlichreligiösen Leben.3 Solche Tendenzen sollten sich zeigen als „Feminisierung des religiösen Personals“, als „Feminisierung der Gläubigen“, d. h. der an den kirchlich-religiösen Angeboten Partizipierenden, als „Feminisierung der Frömmigkeit“ und als „Feminisierung der religiösen Diskurse“, d. h. in der diskursiven Zuschreibung von Religiosität/Frömmigkeit an das weibliche Geschlecht.4 In meinem Beitrag von 2002 habe ich diese Aspekte einer kritischen Bilanz unterzogen und Ansätze für eine Modifizierung der These formuliert. Die internationale Forschung hat diese abwägende Kritik ebenso wie meine Anstöße aufgegriffen, sodass sich insgesamt eine spürbare „Entzauberung“ der „Feminisierungsthese“ ergeben hat.5 Solch kritischer Stimmen ungeachtet wird die These einer „Feminisierung“ jedoch mitunter noch immer pauschalisierend vertreten, und selbst hochkarätige jüngste historische Fachliteratur kann an den kritischen, neueren Ergebnissen völlig vorbeigehen und davon unberührt Positionen der 1990er-Jahre wiederholen.6 Tagungen riefen sie entweder kritisch reflektierend oder als Selbstverständlichkeit in Erinnerung.7 Dass es also um den „Topos ‚Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert‘ in letzter Zeit ruhig geworden ist“, wie Angelika Schaser in einer Rezension zum Löwener Tagungsband anmerkt8, ist also nicht ganz berechtigt. Dennoch ist zumindest in der deutschsprachigen Forschung der letzten Jahre kein gesteigertes Interesse an Forschungen zu diesem Komplex zu beobachten. Wenn die Feminisierungsthese Aufmerksamkeit findet, dann in der von mir vorgeschlagenen Zugangsweise über einzelne Sektoren. 3 Siehe Schneider, Feminisierung der Religion, 126f. 4 Vgl. ebd., 128–141, sowie die teils darauf rekurrierenden Nennungen bei Pasture, Feminization Thesis, 9f., und Van Osselaer/Buerman, Feminization Thesis, 499–510. 5 Siehe Pasture, Feminization Thesis, 9, 12; Van Osselaer/Buerman, Feminization Thesis, 500–509; Werner, Christian Masculinity, 10; Blaschke, Piety, 25–31, 44; Sohn-Kronthaler/Sohn, Frauen, 21. 6 Vgl. etwa Staritz, Geschlecht, 63–73; Schlögl, Alter Glaube, 307–317, der im Kern seine Gedanken aus den 1990er-Jahren wiederholt. 7 2007 stellte der Schwerter Arbeitskreis für Katholizismusforschung die Generaldebatte seiner Jahrestagung unter dieses Thema; vgl. den Tagungsbericht bei H-Soz-Kult, http://hsozkult.geschichte. hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1851 (abgerufen am 23.09.2013). Vgl. dagegen die unproblematisierte Rede vom „feminisiert-religiösen 19. Jahrhundert“ in der Ankündigung des vom Arbeitskreis historische Frauen- und Geschlechterforschung NRW organisierten Werkstattgesprächs „Zum Verhältnis von Geschlecht und Religion in der ‚alten‘ Bundesrepublik“; siehe http://hsozkult.geschichte. hu-berlin.de/termine/id=17804 (abgerufen am 23.12.2013). Für den außerdeutschen Bereich ist etwa auf zwei Tagungen in Löwen und Gent im Jahr 2008 zu verweisen. Auf sie gehen zwei Bände zurück: Pasture, Gender and Christianity; Van Osselaer/Pasture, Christian Homes. 8 Vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensioen/2013-3-129.



Tendenzen der Forschung aus der Perspektive des deutschen Katholizismus

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Deshalb werde ich im Folgenden auf einzelne Sektoren eingehen und für diese aufzuzeigen versuchen, ob neue Ergebnisse erzielt wurden und inwiefern dadurch meine Hinweise von 2002 eventuell einer Änderung bedürfen.

2. Felder möglicher „Feminisierung“ a) Das „kirchliche Personal“ und die Caritas

Für den Bereich des „kirchlichen Personals“ konnte die durch die Studien von Relinde Meiwes9 gewonnene zentrale Einsicht weiter vertieft werden, dass durch den Aufschwung der Frauenorden/Frauenkongregationen seit Mitte des 19. Jahrhunderts Frauen zahlenmäßig aufzuholen begannen. Michaela Sohn-Kronthaler hat am Beispiel der Diözese Seckau aufgezeigt, wie auch in Österreich binnen eines halben Jahrhunderts die Zahl von Ordensfrauen nicht nur in absoluten Zahlen gewaltig stieg (von 210 im Jahr 1848 auf 1229 im Jahr 1900), sondern ihr Anteil auch in Relation zu den Ordensmännern drastisch wuchs (von 29,8 % auf 53,2 %).10 Es war dies auch keineswegs eine spezifische Entwicklung in der Steiermark, denn in der Erzdiözese Wien ließ sich dieses Phänomen sogar noch ausgeprägter beobachten (Anstieg von 32,6 % auf 71 %).11 Mit Recht macht Sohn-Kronthaler auf den Umstand aufmerksam, dass durch diese Entwicklung aber kein weibliches Übergewicht generell im „kirchlichen Personal“ eintrat, sondern sich der Geschlechteranteil nur ausglich. Zu berücksichtigen ist eben auch der bekanntlich ausschließlich männliche Weltklerus. Eng mit diesem Sektor verbunden ist der karitative Bereich, in dem die Ordensfrauen sich neben dem Bildungswesen bevorzugt betätigten. Das hatte mich dazu bewogen, davon zu sprechen, die kirchliche Caritas habe ein „weibliches Gesicht“ getragen, und man könne von einer „Feminisierung des Katholizismus“ vielleicht am ehesten in diesem Bereich sprechen.12 Dem bin ich zwischenzeitlich weiter nachgegangen.13 Die Zahlen sprechen zunächst einmal für sich: 600 Schwestern in der ambulanten Armen- und Krankenpflege standen Ende des 19. Jahrhunderts im Erzbistum Köln ganze 33 Brüder gegenüber. In ganz Preußen praktizierten 1403 Schwestern in 148 Krankenhäusern Krankenpflege, während dies nur 33 Männer in vier Krankenhäusern taten. Von 47 katholischen Anstalten zur Erziehung armer, verwahrloster Kinder wurden dort 34 von Frauenkongregationen getragen.14 Die Bedeutung der katholischen Ordensschwestern für die Krankenpflege reichte selbst in einem Land mit protestantischer Bevölkerungsmehrheit wie Preußen weit 9 Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen. Weitere Aufsätze von ihr vertiefen oder wiederholen die Ergebnisse dieser Dissertation. Siehe etwa dies., Katholische Frauenkongregationen. 10 Siehe Sohn-Kronthaler, Gehalt und Relevanz, 49. 11 Vgl. ebd., 50. 12 Schneider, Feminisierung der Religion, 130, 143. 13 Vgl. ders., Discourse. 14 Einzelnachweise dazu bei Meiwes, Arbeiterinnen, 283–286.

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Bernhard Schneider

über den direkt kirchlichen Bereich hinaus, denn die Schwestern waren die mit Abstand größte Gruppe im gesamten Pflegepersonal.15 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gerieten sie allerdings unter einen gewissen Druck, weniger durch die parallel zu ihnen selbst entstandenen Diakonissengemeinschaften16 als vielmehr durch neue nichtkonfessionelle Schwesterngemeinschaften.17 Die Ordensschwestern fanden hohe Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung. Allein elf Bücher waren ihnen in der Zeit zwischen 1831 und 1848 gewidmet, die mitunter auch eine weitere Auflage erlebten.18 Auch in der katholischen Presse beschäftigte man sich intensiv mit ihrem Leben und Wirken.19 Ebenso fand das karitative Engagement der Ordensfrauen Eingang in die Predigt, wofür der bekannte Wiener Domprediger Johann Emmanuel Veith ein besonders prägnantes Beispiel bietet, der darin für die eigene Gegenwart bestätigt sah, was sich auch sonst in der Kirchengeschichte vielfältig gezeigt habe: Frauen sind „Heldinnen und Pflegerinnen der heiligen Liebe [Caritas]“.20 Das legt den Gedanken nahe, in diesem Diskurs über die sogenannten Barmherzigen Schwestern und ihre Armenund Krankenfürsorge sei dieser Bereich diskursiv feminisiert worden. Tatsächlich konnte Tobias Weyand in den von ihm untersuchten Büchern über die Schwestern eine solche Tendenz nachweisen, weshalb er ausdrücklich von einer diskursiven „Feminisierung der Krankenpflege“ spricht.21 Frauen gelten aufgrund ihrer Natur als geeigneter, diese Tätigkeit auszuüben, außerdem seien sie aufgrund der Erfahrungen im Haushalt Männern auch in der sparsamen Organisation eines Krankenhauses überlegen. Schließlich könnten sie wegen ihrer gewöhnlich höheren moralischen und religiösen Qualität neben der körperlichen auch die geistig-moralische Pflege besser leisten als Männer.22 Qualifizierte Pflege verlangte nach Frauenhänden, so viel stand anscheinend fest. Das Bild der Barmherzigen Schwester und das der idealen (bürgerlichen) Frau und Mutter korrespondieren insoweit miteinander, doch überboten die Schwestern die „normalen“ Frauen im katholischen Diskurs bei Weitem. Bei ihnen mit ihren „Engelshänden“ und ihrem Gelübde der jungfräulichen Christusnachfolge fänden sich diese weiblichen Qualitäten unüberbietbar ausgeprägt, sodass sie sowohl normalen weiblichen Pflegerinnen als auch den Diakonissen überlegen seien.23 Daneben haben die „Beschreibungen der Barmherzigen Schwestern als Frauen […] dort ihre Grenzen, wo die Schwestern mit eigentlich als männlich geltenden Attributen beschrieben wurden, 15 52 % des Pflegepersonals gehörten 1887 einer katholischen Ordensgemeinschaft an (bei 40  % Katholikenanteil an der Bevölkerung), wobei der Männeranteil bei knapp 7  % lag. Vgl. Schneider, Discourse, 52. Die statistischen Details bei Schweikardt, Entwicklung, 106f. 16 Vgl. dazu nur Köser, Diakonisse. 17 Siehe Schweikardt, Entwicklung, 139f. 18 Vgl. Weyand, Schwestern. 19 Siehe Schneider, Discourse, 43–50; Franz, Publizistik, 69–76; Morbach, Diskurs. 20 Veith, Charitas, 84–111, Zitat 109. 21 Weyand, Schwestern, 99. 22 Zu den einzelnen Argumentationsmustern Weyand, Schwestern, 89–98. 23 Vgl. Schneider, Discourse, 44–50; Weyand, Schwestern, 83–88.



Tendenzen der Forschung aus der Perspektive des deutschen Katholizismus

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etwa als ‚stark‘ und ‚mutig‘“.24 Das wird da besonders deutlich, wo die von den Schwestern ausgeübte Pflege dem Militär- bzw. Kriegsdienst förmlich gleichgestellt wird.25 Man kann also in der Praxis wie im Diskurs unzweifelhaft von einer tendenziellen „Feminisierung“ der (organisierten) Caritas sprechen. Diese hatte allerdings auch ihre Grenzen und ihre Probleme. Zum einen betraf sie im katholischen Bereich eben bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem Ordensschwestern, nicht katholische Frauen allgemein. Außerhalb dieses Personenkreises und der von ihm organisierten Einrichtungen blieben die Beteiligungsmöglichkeiten katholischer Frauen an der Armen- und Krankenfürsorge bis zum Entstehen neuer Berufe (Fürsorgerin) im 20. Jahrhundert eng beschränkt. An den kommunalen Armenräten hatten sie keinen Anteil, und selbst von kommunalen Ehrenämtern als ArmenpflegerInnen konnten sie förmlich ausgeschlossen werden.26 In Gestalt der Elisabethvereine bot sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts karitativ engagierten Frauen zwar eine Möglichkeit, an der pfarrlichen Armen- und Krankenfürsorge mitzuwirken. Diese Vereine erlangten auch eine beachtliche Verbreitung, von einer „Feminisierung“ kann allerdings in diesem Sektor auch deshalb kaum gesprochen werden, weil die Männern vorbehaltenen Vinzenzvereine ebenfalls in dieser Weise tätig waren und zahlenmäßig sogar überwogen.27 Die Gründung und Ausgestaltung des Deutschen Caritasverbandes ab 1897 war ein Werk von Männern, denn im sogenannten „Charitas-Comité“, das die Gründung vorbereitete, war keine einzige Frau vertreten.28 Schließlich muss mit der neuen Forschungsliteratur zur Geschichte der professionellen Pflege auch auf eine Kehrseite der „Feminisierung der Pflege“ hingewiesen werden. Das starke Engagement von Ordensschwestern in diesem Bereich und dessen Idealisierung gerade auch im Kontrast zu bezahlten PflegerInnen hat die Tendenz begünstigt, diese Tätigkeit nicht als fachlich qualifizierte und entsprechend zu honorierende Dienstleistung zu sehen, sondern zum einen als Ausdruck der „natürlichen“ weiblichen Liebe und zum anderen als frommes Werk der Nächstenliebe. Damit wurde der Weg hin zur Krankenpflege als regulärem Beruf für Frauen erschwert, zumal die sich aufopfernden Ordensschwestern regelrecht gegen andere berufstätige Frauen ausgespielt werden konnten.29

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Weyand, Schwestern, 96. Beispiele bei Schneider, Discourse, 45, sowie Weyand, Schwestern, 97. Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 274; Dethlefs, Frauengeschichte, 145–147. Zu ihnen vgl. Kall, Frauenbewegung, 23–71; Lüttgen, Elisabethvereine. Zu den Vinzenzvereinen vgl. Franz, Publizistik, 76–81. Kurz nach 1900 standen 500 Elisabethvereinen rund 700 Vinzenzvereine gegenüber. Siehe die Angaben in Krose, Handbuch, 22–225. 28 Vgl. Maurer, Caritasverband, bes. 59f. 29 Kritischer Blick bei Braunschweig, Einleitung, 9–25, oder jüngst im Vortrag von Hähner-Rombach, Berufskampf der Krankenpflegerin. Siehe auch dies., Quellen. Als Fallstudie: Walter, Pflege.

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b) „Feminisierung der Frömmigkeit“

Ein zweites Feld angenommener Feminisierung ist die praktizierte Frömmigkeit. „Ohne daß man sich dessen bewusst wurde, konnte das Frömmigkeitsleben der katholischen Kirche […] weitgehend geschlechtlich getönt werden.“30 So formulierte 1969 kein Geringerer als Walter Dirks im Handbuch der Pastoraltheologie im Rückblick auf die Frömmigkeitsgeschichte des Katholizismus in der Neuzeit insgesamt und ihre stark marianische Prägung. In der Tat gibt es manche Hinweise darauf, dass Männer und Frauen unterschiedlich intensiv an den gängigen Formen kirchlich-religiöser Frömmigkeit partizipierten.31 Daran hat sich durch neuere Forschungen nichts Grundsätzliches verändert, manche Annahmen haben sich sogar weiter erhärtet. Gleichwohl sind punktuell auch Zweifel gewachsen. Olaf Blaschke hat für den deutschen Protestantismus das gängige Argument näher geprüft, das die Feminisierungsthese aus der höheren Teilnahme von Frauen am Abendmahl ableitet. Vergleichbares Material gibt es für den Katholizismus nicht, aber auch für diesen finden sich in zeitgenössischen Berichten ähnliche Indizien für einen höheren Gottesdienstbesuch und Sakramentenempfang aufseiten der Frauen.32 Deshalb verdienen Blaschkes Beobachtungen auch hier Beachtung. Er kommt zu dem Ergebnis: „There was feminisation, but it was less dramatic than the literature suggests.“33 Eine leichte Überrepräsentation war bei dem von ihm untersuchten Zahlenmaterial für 1890 mit einem Frauenanteil von 53 bis 55 Prozent tatsächlich gegeben, doch ist dieses Übergewicht zum einen nicht sehr groß. Zum anderen blieb es bei einer insgesamt rückläufigen Abendmahlsfrequenz bei dieser Verteilung, d. h., die mit der Feminisierungsthese implizit verbundene Annahme, Männer hätten sich im Unterschied zu den Frauen in einem fortschreitenden Prozess immer mehr der Kirche entfremdet, ließ sich anhand dieses Indikators nicht bestätigen.34 Blaschke macht zudem darauf aufmerksam, dass die harten statistischen Daten zwar die höhere Partizipation belegen können, nicht aber dazu geeignet sind, nachzuweisen, dass die Frauen deshalb auch wirklich frömmer waren. Sie konnten mancherlei Gründe haben, um intensiver zu praktizieren: Waren sie alleinstehend, so hatten sie mehr Zeit dazu und erhöhten als fromme Frauen nicht nur ihre allgemeine Wertschätzung, sondern sogar direkt ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt. Für Frauen konnte der Kirchgang attraktiver sein, weil ihnen generell weniger öffentliche Orte ohne Ansehensverlust zugänglich waren und die Kirche damit als Ort der Begegnung und Kommunikation für sie wichtiger war als für Männer, denen problemlos auch andere Räume dafür zur Verfügung standen.35 Frauen, die häufig zur Kirche gingen, 30 Dirks, Mann, 279. Hinweis auf diese Stelle und Diskussion der Ausführungen Dirks’ bei Prömper, Emanzipatorische Männerbildung, 134–137, Zitat 136. 31 Vgl. Schneider, Feminisierung der Religion, 130–137. 32 Siehe ebd.,131f. 33 Blaschke, Piety, 27. 34 Siehe ebd., 26f. In deutscher Sprache findet sich die Auswertung bei Blaschke, Krise, 137–139 (mit entsprechenden Diagrammen). 35 Vgl. ders., Piety, 27f.



Tendenzen der Forschung aus der Perspektive des deutschen Katholizismus

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an Wallfahrten teilnahmen etc., sahen sich auch in Kreisen des Klerus, selbst wenn diese nicht mehr der katholischen Aufklärung angehörten, allerdings mitunter dem Verdacht ausgesetzt, ihre Frömmigkeit bleibe äußerlich. Damit relativierte sich auch in den Augen mancher Zeitgenossen deren „natürliche“ Nähe zur Andacht.36 Die höhere Präsenz von Frauen bei Wallfahrten, die sich für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in einigen Fällen (besonders im Rheinland) auch statistisch hat nachweisen lassen37, bestätigen auch die neuen Arbeiten von Volker Speth.38 Von einer „Verweiblichung der Wallfahrten“ kann allerdings auch für Speth angesichts der Zahlen nicht gesprochen werden, denn Männer blieben durchaus in beachtlichem Umfang (ca. 40 %) beteiligt. Bei den deutschen Wallfahrten nach Lourdes am Ende des Jahrhunderts dominierte das weibliche Geschlecht dagegen weit ausgeprägter, denn hier zählte man oft doppelt so viele weibliche wie männliche TeilnehmerInnen. Unter den Initianten von Lourdes-Grotten aus dem Laienstand waren dagegen die Männer dominant, während Frauen hier „nur“ etwa ein Drittel stellten. Ebenso gab es am Beginn des 20. Jahrhunderts weit mehr männliche Ansprechpartner des Deutschen-Lourdes-Vereines in den Lokalgruppen als weibliche, und zwar nicht nur wegen der Priester.39 Ergänzend stellt Speth zwei wichtige Beobachtungen heraus: Zum einen war diese höhere Beteiligung von Frauen an den Wallfahrten bereits ein Faktum, als von einer ultramontanen Formierung der Frömmigkeit in seinem Untersuchungsraum (dem nördlichen Rheinland) noch keine Rede sein konnte, sodass die hohe Zahl von Wallfahrerinnen nicht gut das Resultat gezielter ultramontaner pastoraler Initiativen sein kann, sondern andere Gründe haben muss. Speth spricht deshalb von einer „Demaskulinisierung“, die er mit den wachsenden Säkularisierungsprozessen in Verbindung bringt, die für ihn wiederum das Resultat sich ausweitender höherer Bildung in Männerkreisen waren. Tatsächlich fehlt das gehobene Bürgertum nach den (wenigen) eruierbaren Quellen, die mehr sind als impressionistische Beschreibungen mit tendenziösem Charakter, nahezu vollständig bei den Wallfahrten.40 Eine weitere Beobachtung verdient Beachtung: Die Leitung der Wallfahrtsprozessionen lag stets in den Händen von Männern, ob dies nun Priester oder Laien (sogenannte Brudermeister) waren. Schließlich ist hier noch darauf hinzuweisen, dass im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts spezielle Männerwallfahrten etabliert wurden. Darauf wird an anderer Stelle dieses Beitrags noch näher eingegangen.41 Weiterhin große Aufmerksamkeit haben in der zurückliegenden Dekade die eher spektakulären Formen katholischer Frömmigkeit wie Stigmatisationen, Marienerschei36 So explizit im Gebetbuch von Anton Passy. Vgl. Embach, Feminisierung, 72. 37 Vgl. Schneider, Feminisierung der Religion, 133f. 38 Siehe Speth, Katholische Aufklärung, 244–246; ders., Katholische Aufklärung und Ultramontanismus, Bd. 3, 341f. 39 Siehe Kotulla, Lourdes, 252, 305f. 40 Vgl. Speth, Katholische Aufklärung, 240–246 (246: „Demaskulinisierung“); ders., Katholische Aufklärung und Ultramontanismus, Bd. 3, 341–349. 41 Vgl. unten Kap. 4.c.

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nungen oder vergleichbare außerordentliche Phänomene gefunden, die im 19. Jahrhundert nachweislich in starker Verbindung mit dem weiblichen Geschlecht standen.42 Otto Weiß hat den von ihm erstmals in den 1970er-Jahren aufgearbeiteten Fall der Louise Beck und der damit verbundenen Struktur der „Höheren Leitung“ nun nochmals neu aufbereitet.43 Gemeint sind damit die Ereignisse um die vermeintliche Mystikerin Louise Beck, die als Medium zum Himmel für Jahrzehnte das Geschick der bayerischen Provinz der Redemptoristen maßgeblich bestimmte und darüber hinaus großen Einfluss auf einige prominente Persönlichkeiten des radikalen Ultramontanismus in Süddeutschland ausübte: auf den Münchener Erzbischof und späteren Kurienkardinal Karl August Graf von Reisach, seinen Generalvikar Friedrich Windischmann, den Regensburger Bischof Ignatius von Senestrey, den Rottenburger Regens Joseph Mast und den bekannten neuscholastischen Theologen Constantin von Schaezler. Sie unterstellten sich in unterschiedlicher Intensität und Dauer der Führung durch Louise Beck bzw. den „himmlischen Schutzgeist“. Das Medium selbst aber stand erkennbar unter dem Einfluss ihrer Beichtväter und Seelenführer, namentlich des P. Carl Schmöger, der seinerseits aber zugleich ein von Louise Beck Geleiteter war. Von Louise Beck mündlich oder durch Briefe vermittelte „himmlische Botschaften“ gaben Anweisungen und beantworteten Fragen, welche die alltägliche Lebensführung, Personalentscheidungen, aber auch kirchenpolitische und theologische Fragen betrafen. Persönlich eng mit Louise Beck verbunden und teilweise im gleichen ultramontanen Netzwerk verwoben war die Südtiroler Stigmatisierte Maria von Mörl.44 Die Geschichte dieser jungen, schwer leidenden Frau, die zu Lebzeiten zeitweilig Menschen verschiedenster Couleur wie ein Magnet anzog – 1833 suchten sie binnen weniger Monate angeblich 40.000 Menschen in Kaltern/Südtirol auf –, war wie die von Louise Beck eng mit der Geschichte der ultramontanen Bewegung verbunden. Maria von Mörl und Louise Beck waren im Übrigen nicht die einzigen Frauen, die als Ekstatikerinnen Aufmerksamkeit fanden. Hubert Wolfs Studie zu den Nonnen von Sant’Ambroggio in Rom führt einen Fall vor Augen, der hier insofern Erwähnung finden darf, als auch in ihn prominente deutsche Kirchenmänner (erneut Kardinal von Reisach) und Theologen (Joseph Kleutgen) sowie eine deutsche Prinzessin verwickelt waren.45 Was in diesen Studien begegnet, ist eine stark expressive, sinnliche Frömmigkeitskultur, für die das Außergewöhnliche – Entrückungen, Visionen, Stigmata, himmlische Botschaften – zentral wird. Ihren spezifischen Sinn hatten all diese Phänomene als vermeintlich „objektive Bestätigung“ der kirchlichen Wahrheiten und als aktuell wahrnehmbare Verbindung zwischen Gott und der Welt. Es ging um Ängste und Unsicherheiten angesichts persönlicher Krisen wie auch angesichts einer sich dramatisch verändernden Gesellschaft, die eben auch prominente Kirchenmänner und sonst sehr rational argumentierende 42 43 44 45

Siehe Schneider, Feminisierung der Religion, 136f. Weiß, Weisungen. Dazu ausführlich Priesching, Maria von Mörl. Siehe Wolf, Nonnen.



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Theologen nahe an der Verzweiflung dort Zuflucht suchen ließen, wo ihnen der Himmel offen zu stehen schien. Für die Feminisierungsthese sind diese Studien in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Einmal lässt sich eine solch expressive Frömmigkeit trotz der zentralen Rolle einzelner Frauen angesichts der intensiven Partizipation von Männern, zumindest männlicher Kleriker, nicht einfach als „weiblich“ beschreiben. Die Vorbehalte dagegen, bestimmte Frömmigkeitselemente einfach als „feminin“ zu deklarieren, finden sich bestätigt.46 Zum anderen können diese Studien tatsächlich Handlungsspielräume von Frauen auch in der von Männern dominierten katholischen Kirche aufzeigen. Im Zentrum des Geschehens standen jeweils Frauen, die als (angebliche) Mittlerinnen zwischen Himmel und Erde eine Macht erlangten, die ihnen weder ihr kirchenrechtlicher Status noch ihre (fehlende) theologische Bildung vermittelte. Sie, die nach dem vorherrschenden Geschlechterbild und nach der kirchlichen Doktrin als Laien und als ungebildete Frauen zuhören, schweigen, dienen und gehorchen sollten, führten diejenigen, die die Kirche leiten sollten, verlangten und erlangten bei ihnen Gehör und Gehorsam. Aus Führern (Beichtvätern, Bischöfen, Kardinälen) wurden Geführte und teilweise Abhängige. Was die Studien beschreiben, ist eine teilweise Umkehr der hierarchischen Ordnung durch das Charisma (angeblich) mystisch begnadeter Frauen. Drittens ergibt sich allerdings auch, dass die Frauen gleichzeitig auch unter männlicher Beeinflussung standen, dass Kirchenmänner die Deutung der anfangs noch unbestimmten Phänomene lieferten und so auch das Selbstbild bei den Frauen veränderten. Unter diesen Perspektiven lassen sich auch die für das 19. Jahrhundert so charakteristischen Marienerscheinungen betrachten.47 Auch sie galten als Orte der Präsenz des Göttlichen und als Begegnungsstätten zwischen menschlicher und himmlischer Sphäre, denn bei wenigstens einem Teil der konkreten historischen Akteure war die Überzeugung vorhanden, Gott und seine Heiligen, insbesondere Maria, seien bei den Erscheinungen präsent und handelnd tätig. In diesem Sinne sind Marienerscheinungen in der Tat mit Robert Orsi als „überschießende“ historische Phänomene zu charakterisieren, die sich nicht erschöpfen in der Beschreibung ihres sozialen Ortes, ihrer (kirchen)politischen Instrumentalisierung und so weiter.48 Marienerscheinungen im 19. Jahrhundert waren eine Sache von Frauen (40 %) und Kindern (31 %), nicht dagegen von Männern einschließlich des Klerus (13 %).49 Dieses auffällige Profil zeichnet die Marienerscheinungen dieser Periode auch gegenüber denjenigen der vorausgegangenen Tradition deutlich aus, bei denen Erwachsene dominierten und Männer stark als Seher vorkamen. Diese Frauen erlebten das Geschehen zunächst für sich, wurden aber gewöhnlich auch zu Vermittlerinnen „himmlischer Botschaften“ an die Umwelt und insbesondere an den Klerus.50 Das hob sie aus ihrer alltäglichen Sphäre und 46 Vgl. Schneider, Feminisierung der Religion, 143. Priesching, Maria von Mörl, 271f. weist das mit Blick auf „ihren“ Fall ausdrücklich zurück. 47 Das Folgende nach Schneider, Marienerscheinungen. 48 Orsi, Abundant History. 49 Schneider, Marienerscheinungen, 95f. 50 Vgl. ebd., 102f.

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Rolle heraus und gab ihnen damit eine von der Kirche offiziell nicht vorgesehene Funktion. Diese Merkmale lösten Versuche der amtlich-hierarchischen Kanalisierung der Marienerscheinungen aus.51 Priester im Umfeld der SeherInnen begannen Einfluss auf das Geschehen und die Personen zu nehmen. Sie sorgten für die dogmatisch korrekte Interpretation der Erscheinung und auch für die Organisation der „Gnadenstätte“. Sie konnten dabei aber zugleich auch Schutz- und Unterstützerfunktionen wahrnehmen. Auf der anderen Seite riefen solche Geschehnisse im Klerus auch Kritik und Ablehnung hervor. Vor allem aber entschied die von Klerikern geleitete Kirche über den Charakter des Geschehens, über seinen himmlischen oder teuflischen Ursprung. Das Werkzeug dazu bot das förmliche Anerkennungsverfahren. Bei den Marienerscheinungen changierte die Position der Seherinnen also zwischen Selbst- und Fremdinszenierung, wie mit Elke Pahud de Mortanges gesagt werden kann.52 Von einer „Feminisierung der Frömmigkeit“ kann im Endergebnis auch bei den Marienerscheinungen demnach nur in den Grenzen gesprochen werden, die bereits mit Blick auf Louise Beck oder Maria von Mörl aufgezeigt wurden. c) „Feminisierung der religiösen Literatur“

Im langen 19. Jahrhundert, das insgesamt durch einen Leseboom gekennzeichnet war, avancierten Frauen zu einer neuen wichtigen Nutzergruppe von Printprodukten. Dieser Leseboom, von manchen Zeitgenossen auch kritisch als „Lesesucht“ apostrophiert, rief auch auf kirchlicher Seite heftige Reaktionen hervor.53 Gerade Frauen galten im Allgemeinen wie im kirchlichen Diskurs zu diesem Thema als besonders gefährdet, und die Folgen der „schlechten Lektüre“ wurden mitunter dramatisch ausgemalt: für den Haushalt, die Erziehung der Kinder, aber auch für den Charakter und die Religiosität der von dieser Sucht befallenen Frauen. Konkrete Leseempfehlungen und der Aufbau katholischer Lesevereine und Büchereien sollten das Leseverhalten in die richtigen Bahnen lenken, d. h. den schlechten Büchern gute entgegenstellen. In der idealen Hausbibliothek, die Franz Hülskamp54 vorschlug, eine der wichtigsten Figuren im katholischen Literaturbetrieb der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, rangiert die religiöse Lektüre in Gestalt von Andachtsund Gebetbüchern, des Katechismus oder einer biblischen Geschichte ganz vorne.55 Das war nicht speziell an die Frau adressiert, sondern galt eindeutig auch dem katholischen Mann. Geistliche Lektüre war nach der katholischen Ratgeberliteratur Frauen nicht nur zugestanden, sondern empfohlen, allerdings zeitlich begrenzt, um die häuslichen Pflichten darüber nicht zu vernachlässigen. In einem Ratgeber findet sich dabei die aufschlussreiche Nebenbemerkung, Männer und die heranwachsende männliche Jugend würden von „kleinen 51 52 53 54 55

Siehe dazu und zum Folgenden ebd., 103f. Vgl. Pahud de Mortanges, Irre – Gauklerin – Heilige? Hierzu und zum Folgenden Schneider, Katholikinnen. Zu ihm vgl. Schreiber, Westfälische Wissenschaft. Vgl. Schneider, Katholikinnen.



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lächerlichen Andachtsbüchern“, mit denen der Markt „überschwemmt“ werde, regelrecht abgeschreckt ob all der „frommen Albernheiten“.56 Von ihnen sollten sich aber nicht nur die Männer fernhalten, sondern auch die Frauen. Man darf diese kleine Bemerkung auch als Hinweis darauf lesen, dass der Autor „männergerechte“ fromme Literatur wünschte. Damit kommt nochmals die Frage in den Blick, ob denn bei der Produktion frommer Literatur nach Geschlechtern differenziert wurde und ob als Teil der „Feminisierung“ auch des Katholizismus der Teil frommer Literatur für Frauen markant zugenommen und im Vergleich mit der frommen Männerliteratur dominiert hat. Jeffrey T. Zalar liegt zweifellos richtig, wenn er in Katholiken auch des 19. Jahrhunderts noch eifrige LeserInnen von Andachts- und Erbauungsliteratur sieht.57 Er spricht in seiner erhellenden Analyse des sich wandelnden Leseverhaltens davon jedoch ohne Zuordnung speziell zum weiblichen Geschlecht. 2002 hatte ich auf die noch schwache empirische Basis für eine angenommene Feminisierung der religiösen Literatur aufmerksam gemacht. Soweit ich sehe, hat sich daran zwischenzeitlich wenig geändert. Von mir damals unternommene punktuelle Sondierungen, die ich zwischenzeitlich ein wenig ergänzen konnte, haben gezeigt, dass nur eine Minderheit all dieser frommen Bücher (Gebetbücher, Andachts- und Erbauungsbücher) geschlechtsspezifisch adressiert war, bei diesen aber ein leichtes Übergewicht zugunsten des weiblichen Geschlechts bestand.58 Eine systematische Untersuchung dieser Werke ist insgesamt noch ein Desiderat. Erste Auswertungen sind an meinem Lehrstuhl erfolgt für an Frauen gerichtete Andachts- und Erbauungsbücher aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts59 wie auch der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts60, für ausgewählte Frauen- und Männerbücher der Zeit um 190061 sowie für einen größeren Bestand an religiöser Literatur für katholische Männer aus der Zeit zwischen Kulturkampf und dem Ende des Ersten Weltkriegs62. Eine erste Einsicht, die sich für das Feminisierungsthema ergibt, lautet: Die AutorInnen dieser Werke sind fast ausschließlich Männer, und näherhin Kleriker (Ordensleute und Weltpriester).63 „Die Frömmigkeitsideale der Frau werden in der Regel von Männern definiert, ihre Andachtsübungen von Männern geleitet und kontrolliert. Die konkrete Konzeptionalisierung von Frömmigkeit ist damit Aufgabe des Mannes, ihre Umsetzung Aufgabe der Frau. Anton Passy betont dies insbesondere durch die Hervorhebung der Notwendigkeit von Beichtvätern und 56 Ebd., 283. Es handelt sich um ein ins Deutsche übersetztes Werk des bekannten Bischofs von Orléans, Félix Dupanloup. 57 Zalar, Process, 125. 58 Vgl. Schneider, Katholikinnen, 283–285. 59 Vgl. Embach, Feminisierung. Meine Assistentin, Mag. theol. Bernadette Embach, erarbeitet zurzeit eine Dissertation zur religiösen Literatur für Frauen und zu Frauenbildern in religiöser Literatur im Katholizismus des deutschsprachigen Raumes zwischen 1750 und 1850. 60 Siehe Kaiser, Bild der Frau. 61 Siehe Schmitt, Geschlechterdiskurse. 62 Schneider, Suche; Neiß, Katholizismus. 63 Als eine der seltenen Ausnahmen muss gelten: Liebenau, Frauenherz; vgl. Kaiser, Bild der Frau, 110. Zur Person vgl. Kosch, Das katholische Deutschland 1, 2593f.

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geistlichen Leitern.“64 Dass Frauen sich also ein vorher männlich besetztes Terrain erobert hätten, um eine Spielart der Feminisierungsthese aufzugreifen, indem sie nun als Autorinnen auf breiter Front fromme Literatur produzierten, lässt sich nicht belegen. Auch ein weiterer Akzent der Feminisierungsthese ist zu hinterfragen. Indem männliche Kleriker als Autoren der frommen Literatur definierten, wie Frauen fromm sein sollten, und das dann auch als geistliche Begleiter und Beichtväter überprüften, kann kaum von der postulierten wachsenden Selbstbestimmung der Frauen im Bereich katholischer Frömmigkeit die Rede sein. Immerhin zeigt sich eine hohe Wertschätzung, die der Frömmigkeit von Frauen seitens dieser klerikalen Autoren entgegengebracht wurde, und ein intensives Bemühen um die Frauen, das sich in den vielen Werken frommer Literatur für Frauen dokumentiert. Man kann beides als Ausdruck einer Interaktion zwischen männlichen Klerikern und Frauen ansehen, welche die Stellung der Frau im familiären Gefüge wie in der Kirche positiv beeinflusste und ihnen so größere Handlungsmöglichkeiten bot. Die Furcht vor einem solchen Bündnis von Frauen und Klerus, geschmiedet in der für die „normalen“ Männer uneinsehbaren Sphäre des Beichtstuhls, war bekanntlich in manchen Männerkreisen durchaus vorhanden.65 Die Verhaftung der Autoren in den Denkweisen des zeitgenössisch diskursiv verbreiteten bürgerlichen Geschlechtermodells mit ausgeprägter männlicher Dominanz setzte allerdings auch einem solchen „Bündnis“ enge Grenzen.66 Als zweite Perspektive ist festzuhalten: Die Autoren geistlicher Literatur ebenso wie ihre Verleger setzten nicht allein auf die Karte der Frauen als Leserinnen ihrer Produkte, betrieben also keine dezidierte pastorale Strategie der aktiven Feminisierung der Frömmigkeit. Das wird auch durch die Tatsache verdeutlicht, dass nicht wenige dieser Autoren vergleichbare Bücher auch für Männer, Soldaten oder etwa Kranke verfassten.67 Sie fanden unter Frauen allerdings – wie die teils sehr hohen Auflagenzahlen der „Frauenbücher“ nahelegen – ein an religiöser Literatur anscheinend interessiertes Publikum. Da allerdings auch die seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vermehrt entstehenden Männerbücher einen bemerkenswerten Absatz erreichen konnten, worauf weiter unten noch zurückzukommen sein wird68, sollte auch diese Tatsache nicht überbetont werden. Als weitere Beobachtung ist festzuhalten, dass im Vergleich einer Reihe von Gebetbüchern, die alle in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts parallel auf dem Buchmarkt zu finden waren und Frauen als Adressatinnen hatten, sich trotz eines jeweils eigenständigen Profils und unterschiedlicher Ideale von Frömmigkeit eine beachtliche inhaltliche Übereinstimmung ergab. Sie dienten „in erster Linie dem Mitvollziehen bzw. Mitfeiern des liturgischen Kirchenjahres […]. Dies bedeutet zugleich, dass ein hoher Anteil an Gebeten und Frömmigkeitsübungen ‚gender-unspezifisch‘ geartet ist. Im Einzelnen geht es um die Vermittlung der wichtigsten Tages64 Embach, Feminisierung, 95. 65 Noch immer zentral Saurer, Frauen und Priester, 141–170. Zeitgenössischer Beleg für solche Ängste: Michelet, Priester. 66 So als Fazit ihres Vergleichs auch Schmitt, Geschlechterdiskurse, 197. 67 Vgl. ebd., 97. 68 Vgl. Kap. 4.b.



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gebete, den Mitvollzug der sakramentalen Feiern, der Messe, der Totenliturgie, der Heiligenfeste sowie der Kasualgebete und der Fürbitten. Die hier untersuchten Andachts- und Gebetbücher für Frauen sind also zunächst Andachts- und Gebetbücher der Kirche in einem allgemeinen Sinne.“69 Auch in den belehrenden Kapiteln, die sich in vielen der Bücher finden, wenn auch verschieden stark ausgebaut, ist der „Anteil der explizit frauenspezifischen Texte […] vergleichsweise schmal. Nicht selten beschränkt er sich auf ein einziges Kapitel.“70 Selbst fromme Bücher, die sich explizit an Frauen wandten, waren also auch im 19. Jahrhundert nicht ausschließlich Frauenbücher. Das findet eine gewisse Bestätigung auch in der von Michelle Schmitt vorgenommenen vergleichenden Analyse von vier Frauen- und vier Männerbüchern um 1900, die jeweils denselben Verfasser hatten.71 Sie zeigen auffällige Unterschiede, kein Zweifel, und die Genderstereotypen der Zeit sind deutlich ausgeprägt. Sie lassen auch keinen Zweifel daran, dass die Autoren in den Frauen das frommere, der Kirche enger verbundene Geschlecht ausmachen, auf das sie große Hoffnungen setzen. Daneben ist aber auch zu beobachten, dass sich beim Thema Religion im Vergleich der Bücher keine strikte Differenzierung entlang der Geschlechtergrenzen ergibt. Sie weisen sogar in großem Stil textidentische Kapitel auf. Man war sich aber anscheinend der Frauen in Sachen Gläubigkeit und Kirchlichkeit sicherer, denn die für die Männerbücher charakteristischen, wenn auch unterschiedlich ausführlich gehaltenen stärker argumentativ-apologetisch gestalteten Kapitel oder Passagen über einzelne Dogmen oder auch die kirchlichen Vorschriften fehlen in den Frauenbüchern durchweg. Damit wird die von Edith Saurer vertretene These, im 19. Jahrhundert sei als Ausdruck der „Feminisierung“ des Katholizismus auch erst der Typ des speziellen Frauengebetbuchs entstanden, während vorher Bücher wie die von Martin von Cochem vielleicht Frauen als Adressatinnen genannt hätten, aber doch allgemeine Gebetbücher geblieben seien, nochmals gründlicher zu prüfen sein.72 Wenn einerseits fromme Bücher für Frauen auch während des 19. Jahrhunderts im Kern allgemeine Gebetbücher blieben und andererseits ein allgemeines Gebetbuch der Barockzeit sich gezielt an Frauen wendet73, weil der Autor von ihnen – und nur von ihnen (!) – erwartete, sie würden sich durch ihre Gebete der armen Seelen im Fegefeuer annehmen, worum es ihm wesentlich ging, dann verschwimmt die von Saurer scharf gezogene Trennlinie zwischen Frauengebetbüchern und Frauen gewidmeten Gebetbüchern doch merklich. Ebenso wird die spezifische zeitliche Zuordnung der Frauengebetbücher zum 19. Jahrhundert fraglich. Gleichzeitig kommt die Frage, wie sich die angenommene „Feminisierung“ der katholischen Frömmigkeit im zeitlichen Verlauf darstellt74, angesichts solcher Tendenzen unweigerlich auf und verstärkt sich noch 69 Embach, Feminisierung, 91. 70 Ebd. 71 Zum Folgenden besonders Schmitt, Geschlechterdiskurse, 38f., 50–62, 104–110, 122–147, 182– 185. 72 Vgl. Saurer, Bewahrerinnen, 47f. 73 Gemeint ist Cochem, Goldener Himmels-Schlüssel. 74 Zu dieser Problematik schon Schneider, Feminisierung der Religion, 144f.

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durch den Umstand, dass bereits Martin von Cochem über das männliche Geschlecht klagt, weil Männer das Gebet vernachlässigten und aus den sonntäglichen Gottesdiensten so schnell wie möglich flüchteten. Gleichzeitig stimmt er das Lob des „andächtigen Weibergeschlechts“ an, das die Natur (!) „reichlich mit der Andacht, Barmherzigkeit, Mitleiden und Bethseligkeit begabt“ habe. Diese ist ein wichtiger Teil der Standeswürde der Frau und äußert sich in einem „rühmlichen Eifer zum Gottesdienst, zum öfteren Meßhören, Beichten, Kommunizieren, Wallfahrten, Stationen gehen, Kranke besuchen, Betrübte trösten, Bußwerke üben und dergleichen gottselige Werke“.75 Es wird deutlich, welch lange Tradition die Vorwürfe von Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts über fehlende männliche Frömmigkeit hatten und dass man auch im Barock mit der „Natur“ der Frauen kalkulierte, wenn auch als Naturstand und nicht biologisch verstanden, einer Natur, die zur Frömmigkeit tendiere. Ferner wird ersichtlich, dass das Bild der frommen, verheirateten Frau, die das kirchliche Ideal von Frömmigkeit einträchtig mit ihren häuslichen Pflichten zu leben weiß, nicht nur eine Reaktion auf die Säkularisierungstendenzen in der sich funktional ausdifferenzierenden modernen Gesellschaft gewesen sein kann.76 Angesichts der langen Tradition und guten biblischen Fundierung des Modells der verheirateten, frommen und zugleich starken (Haus)Frau (Spr 31,10–31) wäre etwas anderes auch recht verwunderlich.77

3. Zwischenbilanz zur Feminisierungsthese und zu ihrem (ver-)bleibenden Wert Die folgenden knappen zusammenfassenden Thesen wollen den Ertrag der Sichtung bündeln und erste Konsequenzen benennen, die sich für die Feminisierungsthese und ihren weiteren Gebrauch daraus ergeben. a) Die Feminisierungsthese bleibt eine nützliche Hypothese, insofern sie die Forschung auf den Zusammenhang von Religion und Geschlecht im 19. Jahrhundert und darauf aufmerksam gemacht hat, wie auch im religiösen Bereich Männer und Frauen in durchaus unterschiedlicher Weise präsent waren und agierten. Der Begriff „Feminisierung“ ist und bleibt aber wegen seines ungeklärten suggestiven wie impliziten normativen Potentials problematisch. b) Die Feminisierungsthese ist stärker zu differenzieren nach Konfessionen, Ländern bzw. Regionen, nach Stadt und Land, nach den sozialen Schichten. 75 Cochem, Goldener Himmel-Schlüssel (VII = Vorrede), hier zit. nach Embach, Feminisierung, 32. Die Aussagen zu den Männern ebd., VIII, bzw. Embach, Feminisierung, 33. 76 Das war die starke These, mit der Rudolf Schlögl operiert hat und welche erklären sollte, warum es zu einer zunehmenden „Feminisierung“ seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gekommen sei. Vgl. Schlögl, Sünderin. 77 Zum Motiv der starken Frau nach Spr 31,10–31 und seiner Rezeption in Frauenbüchern des 19. Jahrhunderts vgl. Schneider, Katholikinnen, 296–298.



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c) Die Feminisierungsthese ist in ihrer Reichweite einzuschränken nach Intensitätsgraden. Schon 2002 hatte ich dafür ein Modell konzentrischer Kreise wie das folgende vorgeschlagen. Man muss sich allerdings um diese Bereiche herum einen Rahmen hinzudenken, der die hierarchisch verfasste Kirche mit männlicher Leitung repräsentiert. Kult Caritas / Bildung Partei / Vereine / Katholikentage

d) Die Feminisierungsthese ist in ihrer zeitlichen Ausprägung zu überprüfen, denn es ist meiner Ansicht nach bisher noch nicht ausreichend gelungen, eine „Feminisierung“ des Katholizismus klar als spezifischen Prozess des 19. Jahrhunderts zu erweisen. Begann sie schon im 18. Jahrhundert oder gar noch früher? Mit Blaschke ist außerdem zu fragen, ob sich tatsächlich ein Feminisierungsprozess klar aufzeigen lässt, also eine stetig wachsende Bedeutung der Frauen im katholischen Bereich, und wie dieser diachron ablief. Wäre dann das 20. Jahrhundert das Jahrhundert mit dem höchsten Grad an „Feminisierung“? e) Die Feminisierungsthese ist zu korrigieren: Sie tendiert dazu, Religion und Kirchlichkeit zu sehr in eins zu setzen.  Sie überbetont mit Blick auf den Katholizismus die „Familiarisierung“ (Elke  Pahud de Mortanges)78, „Verhäuslichung“ (Volker Speth)79 oder gar „Intimi sierung“ (Rebekka Habermas)80 von Religion. Katholische religiöse Praxis war im 19. Jahrhundert mitnichten auf den familiären Raum beschränkt, wie sich „privater“ und „öffentlicher“ Raum im katholischen Milieu überhaupt über78 Pahud de Mortanges, Irre – Gauklerin – Heilige?, 206, im Anschluss an Rebekka Habermas. Der Begriff begegnet auch schon bei Götz von Olenhusen, Feminisierung, 39. Siehe auch Schmitt, Geschlechterdiskurse, 202. 79 Speth, Volksfrömmigkeit, 246: Demzufolge mache ein „tendenzielle[r] Rückzug der Religionsausübung aus dem öffentlichen und beruflichen Leben ins Familiäre, Private und Häusliche […] die Frau, die Herrin dieser Sphäre, zum Primärtradenten des Glaubens, zum Erstverantwortlichen für das religiöse (Familien)Leben und damit auch zum Hauptkonsumenten kirchlicher Ritenangebote“. 80 Habermas, Weibliche Religiosität, 127.

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lappten, wie Zalar81 mit Recht feststellt. Sie artikulierte sich etwa bei Prozessionen, Wallfahrten, Beerdigungszügen, Marienerscheinungen, Vereinsversammlungen, Katholikentagen ebenso wie im massenhaften Auftreten von sichtbar religiös gekleideten Personen, wie Priestern in Soutane und Ordensleuten im Ordensgewand, weithin sichtbar in der Öffentlichkeit. Verlangt blieben der sonntägliche Kirchgang und der öffentliche Empfang der Sakramente, und mindestens gewünscht waren auch karitative Aktivitäten coram publico (Hausbesuche bei Armen, Hilfeleistung durch Suppenküchen etc.). Man darf sich im Katholizismus daher den Radius religiös aktiver Frauen gerade nicht auf den familiären Raum begrenzt vorstellen, selbst wenn dieser ganz gewiss eine hohe Beachtung fand.  Sie überbetont im Hinblick auf den deutschen Katholizismus das tatsächliche Ausmaß der männlichen Ferne gegenüber der Kirche und ihren Angeboten. Sie übersieht Transformationsprozesse im Katholizismus, mit denen etwa im wahr genommenen weltanschaulichen Kampf seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Engagement auch in Presse, Vereinen, Kongressen und im politischen Bereich als Artikulationsform von katholischer religiöser Praxis aufgewertet wurde, was die noch zu besprechenden Männerbücher eindrucksvoll zeigen.  Sie zeigte sich bislang zu wenig sensibel für die Machtverhältnisse im religiösen Feld, denn selbst dort, wo sich im Katholizismus deutlich intensiviertes weibliches Engagement zeigte, blieben die Machtverhältnisse weitgehend unangetastet. Das meint sowohl die klerikale männliche Macht als auch die den Ehemännern und Vätern zugeschriebene Macht gegenüber ihren Ehefrauen und Töchtern. Einen deutlichen, wenn auch begrenzten Machtgewinn realisierten Frauen als Gründerinnen und Leiterinnen von neuen Ordensgemeinschaften bzw. als Leiterinnen einzelner Einrichtungen dieser Gemeinschaften.  Sie führt mit Blick auf den Katholizismus durch die Hintertür wieder dessen semantische Marginalisierung ein, war es doch im 19. Jahrhundert eine beliebte Taktik, den Katholizismus als effeminiert und damit als minderwertig im Vergleich zum männlichen Protestantismus oder auch Freidenkertum erscheinen zu lassen.82

81 Siehe Zalar, Process, 129. Zu den keineswegs klar getrennten Räumen und der Bedeutung für das religiöse Leben jetzt die Beiträge in Van Osselaer/Pasture, Christian Homes, sowie speziell Van Osselaer, Religion, 8–11. 82 Zu diesem Aspekt vgl. Borutta, Antikatholizismus; Gross, War against Catholicism; Hastings, Fears.



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f ) Die Feminisierungsthese ist um weitere Aspekte zu ergänzen und dadurch zu relativieren: 83  Existenzialisierung des Glaubens/der Frömmigkeit (Ute Gause ) 84 85  (Re-)Maskulinisierung (Blaschke ; Schneider ) Michaela Sohn-Kronthaler verwies vor wenigen Jahren daher mit Recht auf noch immer bestehende große Lücken im Bereich der Forschungen zur Geschichte von Frauen in der Kirche.86

4. (Re-)Maskulinisierung der Religion im 19. Jahrhundert? Wie in meiner Zwischenbilanz verlangt, muss die Feminisierungsthese um eine (Re-)Maskulinisierungsthese ergänzt werden. a) Ein Blick auf die Forschungslage

Forschungen zur Männlichkeit haben – nicht ohne Misstrauen aufseiten der „klassischen“ feministischen Geschichtsschreibung zu erregen – Hochkonjunktur, und zwar sowohl in der angelsächsischen als auch in der deutschsprachigen Historiografie.87 Erstaunlicherweise berührten die Männlichkeitsstudien lange Zeit das Feld von Religion recht wenig.88 Unter den 948 Titeln, die Martschukat und Stieglitz 2005 in ihrer Einführung in die Geschichte der Männlichkeiten auflisten, können mit Mühe einige gefunden werden, die für uns einschlägig sind. Das ist mehr als ein Zufall und auch nicht einer unbewusst selektiven Bibliografie geschuldet. Martschukat und Stieglitz wissen um die Lücke und betonen in der Neuauflage ihres Bandes (2008) zum Forschungsstand: „[…] auch hier steht die Forschung zum Zusammenhang von Glaube und Männlichkeiten noch am Anfang. Dabei wäre es 83 Siehe Gause, Genderforschung, 180f. Gause formuliert dies unter förmlicher Ablehnung einer Feminisierung für die von ihr untersuchten Frauen mit pietistischem Hintergrund und auch im Widerspruch zu einer Familiarisierungsthese, die Religion und Frauen allein auf den Raum der Familie beschränkt habe. 84 Vgl. Blaschke, Piety, und ders., Krise. 85 Vgl. Schneider, Suche. 86 Siehe Sohn-Kronthaler/Sohn, Frauen, 18. 87 Siehe nur den bibliografischen Anhang mit 948 Titeln in: Martschukat/Stieglitz, Junge, 235–286. Zu den Vorbehalten gegen die Männlichkeitsforschung vgl. ebd., 43–65. Als weiteres Indiz mag der „Arbeitskreis interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung“ gelten, der 2009 seine 6. Jahrestagung durchführt. Siehe zu ihm http//www.ruendal.de/aim/gender.html. 88 Ausnahmen sind dokumentiert in Krondorfer, Men and Masculinities, sowie fortlaufend in der neuen, seit 2007 existierenden E-Zeitschrift „Journal of Men, Masculinities and Spirituality (JMMS)“ (http://www.jmmsweb.org).

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interessant zu beleuchten, wie sich Geschlechtervorstellungen in den Institutionen, Traditionen und Ritualen der jeweiligen Religionsgemeinschaften identifizieren lassen, auch abseits von männlichen Funktionsträgern.“ 89 Martin Dinges konstatierte wenig früher – fokussiert auf Robert Connells Theoriekonzept der hegemonialen Männlichkeit – Religion als einen völlig unterschätzten Faktor, sodass mögliche Auswirkungen konfessioneller Veränderungen auf Männlichkeitsmodelle noch wenig erforscht seien.90 Diese auffällige Leerstelle findet sich auch in Kommentaren ausländischer Kollegen bestätigt. Mit Blick auf die französische Forschung formulierte dies Matthieu Brejon de Lavergnée bei einer Tagung so: „Les travaux inspirés des ‚Men’s studies‘ sont à peu près absents de l’historiographie religieux française.“91 Als Ausnahme kann er lediglich auf drei Aufsätze in einem 2007 erschienenen Sammelband verweisen, darunter lediglich einer mit einer katholischen Perspektive.92 Dahinter steht in der französischen Historiografie eine lange wechselseitige Ausblendung von Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte und Kirchenbzw. Religionsgeschichte.93 Tine Van Osselaer und Thomas Buerman stellen in ihrem die Forschung bilanzierenden Artikel fest: „Even though, ever since the 80s, there has been a rise in interest for masculinity in gender studies, religious research only rarely shines the spotline on the ‚vir religiosus‘.“94 Diese klare Lücke in der Männlichkeitsforschung befremdet in doppelter Hinsicht. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass Geschlecht als eine relationale Kategorie gilt, die mit anderen Kategorien interagiert und so Identität konstituieren kann. Neben Klasse und Rasse, Sexualität und Alter oder regionaler Herkunft ist auch Religion eine solche interagierende Kategorie.95 Zum anderen dürfte die Kritik an einer zu einseitigen Feminisierungsthese zumindest für den deutschen Katholizismus darüber hinaus den Blick dafür geschärft haben, dass Religion und Kirche auch für Männer keineswegs irrelevant geworden waren, mögen sich auch das Maß ihrer praktizierten Kirchlichkeit und die Orte religiösen Engagements mehr oder weniger deutlich von denen katholischer Frauen unterschieden haben.96 Jedenfalls kann angesichts des politischen Katholizismus und der prominenten Repräsentation von Männern in den vielen katholischen Organisationen sowie der katholischen Presse nicht einfach die Frauenwelt als Rettung vor der Säkularisierung gelten, wie 89 Martschukat/Stieglitz, Männlichkeiten, 165. 90 Siehe Dinges, Hegemoniale Männlichkeit, 24. Auch in neuesten Bilanzen zu Männlichkeitsstudien kann der Aspekt Religion nahezu völlig fehlen. Vgl. Läubli/Sahli, Männlichkeiten denken. 91 Brejon de Lavergnée, Catholicisme, 2. Der Vortrag ist mittlerweile publiziert. Vgl. Brejon de Lavergnée, Charitable Man. Der zitierte Hinweis fehlt im veröffentlichten Text. 92 Siehe Airiau, Prètre catholique. 93 Dazu mit Hinweis auf jüngere Studien zur Überwindung dieser Problematik vgl. Dumons, Histoire. So auch schon Fouilloux, Femmes. 94 Van Osselaer/Buermann, Feminization Thesis, 534. 95 So auch ausdrücklich Martschukat/Stieglitz, Junge, 55. Vgl. auch Opitz-Belakhal, Geschlechtergeschichte, 34–38. 96 Siehe Schneider, Feminisierung der Religion.



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dies zugespitzt Callum G. Brown für Großbritannien postulierte.97 Insofern muss die lange Zeit fehlende Aufmerksamkeit gegenüber dem Komplex Männlichkeiten und Religion wohl als ein Beispiel für einen theoretischen Kurzschluss gelten: Wenn Religion (angeblich) Frauensache ist, dann kann sie für die Männerwelt keine Bedeutung gehabt haben und ist daher von der Männlichkeitsforschung auch nicht zu beachten. Damit schrieb die heutige Männlichkeitsforschung tendenziell Diskurse des 19. Jahrhunderts unreflektiert fort, wie auch Olaf Blaschke und Yvonne Maria Werner betonen. Christliche Männlichkeit kann dann nur als eine Paradoxie der Moderne erscheinen.98 Unter dieser Überschrift startete 2004 auch ein internationales, vom Stiftungsfonds der schwedischen Reichsbank gefördertes Forschungsprojekt. Die Forschergruppe setzte ihrerseits aber bewusst ein Fragezeichen an das Ende der Überschrift und macht sich deshalb des aufgezeigten theoretischen Kurzschlusses nicht schuldig.99 Nicht nur dieses Forschungsprojekt signalisiert ein in den letzten Jahren gestiegenes Interesse auch für katholische Männer und ihre Beziehungen zur katholischen Religiosität. In Belgien formierte sich eine Forschergruppe an den Universitäten Gent und Löwen sowie am Löwener KADOC, die 2008 auch zwei internationale Tagungen ausrichtete.100 Die etliche Jahrzehnte stark in den Hintergrund gerückte Männerpastoral erfuhr parallel eine verstärkte Aufmerksamkeit im deutschsprachigen Raum in den Kirchen und der Pastoraltheologie. Mehrere groß angelegte „Männerstudien“ sind dafür der wohl eindrücklichste Beleg.101 Hinweisen lässt sich schließlich auch auf eine 2011 in Jena abgehaltene Tagung zu „Religion und Männlichkeit in der Moderne“.102 Mittlerweile gibt es sogar eine dezidiert solchen Zusammenhängen gewidmete Zeitschrift, das oben schon erwähnte „Journal of Men, Masculinities and Spirituality (JMMS)“. b) Männlichkeitsdiskurse im deutschsprachigen Katholizismus bis 1918

Vor dem Hintergrund einer in einzelnen Bereichen wahrgenommenen geringeren Ansprechbarkeit von Männern für kirchlich gebundene katholische Religiosität und auch in Konfrontation mit der mit Genderstereotypen arbeitenden Strategie, um den weiblichen Katholizismus 97 Vgl. Brown, Death. 98 Vgl. Werner, Christian Masculinity, 7, 10; vgl. auch dies., Kristen Manlighet, 10; Blaschke, Piety, 22f.; Blaschke, Krise, 134f. 99 Als Arbeitsergebnisse dieses Projekts sind insbesondere die beiden von Yvonne Maria Werner in Schweden und Belgien publizierten Sammelbände zu nennen. Vgl. Werner, Christian Masculinity, sowie dies., Kristen Manlighet. 100 Ein erster Ertrag ist der Tagungsband: Pasture, Gender and Christianity. Die Ergebnisse der zweiten Tagung erschienen 2014: Van Osselaer/Pasture, Homes. Resultat sind auch einschlägige Dissertationen. Vgl. Van Osselaer, Pious Sex; Buerman, Katholieke Mannelijkheden. 101 Siehe Zulehner/Volz, Aufbruch; dies., Bewegung. Siehe auch die Beiträge der Dokumentation: Kirchliche Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in den deutschen Diözesen e.  V. (Hg.): „Kirchenoffene Männer – Männeroffene Kirche?“. 102 Fischer, Tagungsbericht.

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zu exkludieren103, sind seit dem späten 19. Jahrhundert auf katholischer Seite entschiedene Bemühungen zu erkennen, die Zuschreibung von Religion/Religiosität als weiblich aufzubrechen und Kirche wie Religion als durchaus männlich erscheinen zu lassen. In diesem (!) Sinn vollzog sich also eine diskursive De-Feminisierung oder Re-Maskulinisierung. Das geschah mittels eines katholischen Männlichkeitsdiskurses und einer neuartigen Männerpastoral. Ausdruck dieser Bemühungen sind rund 50 „Männerbücher“, worunter ich verschiedene Werke religiöser Literatur fassen möchte, die zwischen 1870 und 1918 im deutschen Sprachraum erschienen.104 Sie hatten als Gebetbücher, Gebet- und Lehrbücher, religiöse Ratgeber für Männer oder apologetische Broschüren durchaus unterschiedlichen Charakter und erreichten teilweise sehr hohe Auflagenzahlen und Gesamtauflagen.105 Die Autoren, die diesen Männlichkeitsdiskurs mit ihren Büchern speisten, waren allesamt Kleriker.106 Die Jahre seit dem ausgehenden Kulturkampf waren eine besonders produktive Phase, oder anders gewendet, in dieser Zeit wurde ein besonders intensiver Bedarf gesehen, sich den katholischen Männern gezielt zuzuwenden.107 Das bestätigt einerseits eine Beobachtung Olaf Blaschkes. Er sieht die Jahrzehnte um die Jahrhundertwende als besonders sensibel für eine „Remasculinisation“ an.108 Andererseits ordnet sich der Befund ein in die in den Forschungen zur Geschichte der Männlichkeit allgemein diagnostizierte „Krise der Männlichkeit“ in den westlichen Ländern am Ende des 19. Jahrhunderts. Das meint zumindest wachsende Unsicherheit über die Rolle des Mannes angesichts eines gesellschaftlichen Wandels, der auch bisherige Grenzen der Geschlechter erodieren ließ.109 Dabei ist allerdings im Blick zu behalten, dass die Redeweise von einer „Krise der Männlichkeit“ nicht essenzialistisch missverstanden wird, sondern sich auf ein bestimmtes, als verbindlich betrachtetes Konzept (hegemonialer) Männlichkeit bezieht.110 Männer über die Grundsätze von Religion und kirchlicher Lehre zu belehren, den katholischen Mann dadurch gegenüber den als besonders heftig wahrgenommenen Anfeindungen und Anfechtungen der eigenen Zeit zu stärken und ihn zu einer regen Glaubenspraxis im Schoß der Kirche hinzuführen, das kann zusammenfassend als Ziel aller dieser katholischen Männerbücher gelten.111 Der vollkommene Mann, den die Autoren entwerfen, ist in erster Linie „homo religiosus“ und „miles Christi“ und als solcher ein „Mann der Tat“. Insofern 103 Vgl. die oben genannten Studien von Manuel Borutta und Michael Gross. 104 Die Ergebnisse sind ausführlich dargelegt in Schneider, Suche. Die Ausführungen im Text folgen – soweit nicht anders ausgewiesen – diesem Beitrag. 105 Vgl. ebd., 260–265. 106 Vgl. ebd., 266–269. 107 Siehe ebd., 260. 108 Siehe Blaschke, Piety, 41f. 109 Siehe dazu mit reichen weiteren Literaturhinweisen Hastings, Fears, 35f. 110 Zur Problematik des Krisenbegriffs vgl. Martschukat/Stieglitz, Männlichkeiten, 64–73; Opitz-Belakhal, Krise. Zum verstärkten Empfinden einer Krise allgemein um 1900 vgl. Grunewald/Puschner, Krise. 111 Zu den Intentionen im Einzelnen vgl. Schneider, Suche, 256–259.



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wird eine militante Männlichkeit, aber keine militaristische vertreten. Sie richtet sich gegen die – nur selten beim Namen genannten – Feinde Christi und seiner Kirche. Männliche Religiosität erhält ihren spezifisch männlichen Charakter nach den untersuchten Quellen nicht durch besondere Formen des Gebets etc., sondern durch die Verbindung von Glaube und Tat, durch die offensive Vertretung der Kirche und ihres Glaubens in der Öffentlichkeit bei gleichzeitiger Partizipation am öffentlichen Gottesdienst. Das bestätigt eine weitere von Olaf Blaschke aufgestellte Arbeitshypothese, wonach das zugespitzte, kämpferische konfessionelle Bewusstsein für die katholischen Männer als eine Art Ventil funktioniert habe, um die kämpferische Männlichkeit, die im bürgerlichen Männlichkeitskonzept enthalten war, im religiösen Bereich aufgreifen zu können.112 Die Bücher rezipierten das im 19. Jahrhundert weit verbreitete Männlichkeitskonzept auch insofern, als sie es klar im Gegenüber zum Frauenbild konstruierten und den Männern dabei spezifische Handlungsräume (Öffentlichkeit, Politik) und Eigenschaften (z. B. Vernünftigkeit vs. weibliche Gefühlsorientierung) zuwiesen. Gegen den ersten Augenschein sprachen sie dem Mann allerdings auch im privaten Bereich, so insbesondere bei der Erziehung der Kinder, und hier nicht zuletzt der religiösen, eine markante Rolle zu und sahen in ihm geradezu einen „Hauspriester“.113 Der wahre Mann war für die Autoren ein religiöser Mann und nur als solcher ein „ganzer Mann“, sodass Religion keineswegs als Frauensache aufgefasst wurde und auch nicht allein Frauensache sein durfte.114 Mit all dem entstand zwar nicht ein förmlicher Gegenentwurf zum dominanten Männlichkeitskonzept der Zeit, wohl aber wurde es vielfältig verändert und so modelliert, dass es zu den kirchlichen Interessen der klerikalen Autoren passte und der in ihrer Gläubigkeit wie Kirchlichkeit gefährdeter als die Frauen erscheinenden Männerwelt eine Brücke baute, um gleichzeitig Mann und Katholik sein zu können. c) Ansätze zu einer Männerpastoral

Männer waren bevorzugte Adressaten katholischer Organisationsanstrengungen, die zu einem dichten Netz katholischer Vereine führten, für die hier nur stellvertretend Kolpings Gesellenvereine, die seit den 1870er-Jahren entstehenden Arbeitervereine oder die katholischen Kaufleutevereine genannt seien.115 In diesen berufsständisch organisierten Vereinigungen 112 Vgl. Blaschke, Piety, 39. 113 Siehe Schneider, Suche, 281–285. Vgl. dazu auch den Beitrag von Nina Kogler in diesem Band. 114 Vgl. ebd., 283–291. Ergebnisse zum direkten Vergleich der Aussagen zu männlicher bzw. weiblicher Religiosität in „Frauenbüchern“ und „Männerbüchern“ mit einem gemeinsamen Autor bietet Schmitt, Geschlechterdiskurse, 38f., 50–62, 104–110, 122–147, 182–185. Schmitt akzentuiert in ihrer Synthese (182–190) allerdings die Dimension männlicher Entkirchlichung und damit einer „Feminisierung“ des Katholizismus m. E. zu stark. 115 Zum Vereinskatholizismus – ohne spezielle Genderperspektive – siehe statt einer Flut von Einzelstudien hier nur Aschoff, Revolution, 125–150. Zum Vereinswesen für Frauen vgl. Sohn-Kronthaler/Sohn, Frauen, 22–37.

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ging es nicht um den katholischen Mann als solchen, sondern um den berufstätigen Mann in spezifischen Berufsfeldern, doch sie zielten zugleich auch immer auf die Katholizität des jeweiligen Mannes, allein schon deshalb, weil die Konfession neben dem Beruf den zweiten In- bzw. Exklusionsmodus bildete. Katholische Gläubigkeit sollten die in den Vereinen organisierten Männer auch geschlossen bei kirchlichen Gelegenheiten wie Festmessen oder Prozessionen usw. öffentlich zeigen und sich selbst und den anderen damit zugleich indirekt demonstrieren, dass katholische Glaubenspraxis und Männlichkeit tatsächlich zusammenpassten. Einen spezifischen institutionellen Ausdruck fand das Ringen um die Frömmigkeit des katholischen Mannes in dem 1910 eingerichteten Männerapostolat, das bis 1914 über 100.000 Mitglieder gewann (1933: 800.000) und dem seit 1914 eine spezielle Männer-Zeitschrift gleichen Namens zur Verfügung stand.116 Männer in das kirchlich-religiöse Leben gezielt einzubinden, dazu dienten seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum auch spezielle Männerwallfahrten. So berichtete das Sonntagsblatt „Eucharius“ im Bistum Trier über eine Männerwallfahrt, die der Kölner Volksverein 1872 mit 1200 Männern zum Marienheiligtum in Kevelaer geführt hatte. Der „Wiener Männerapostel“ Heinrich Abel (1843–1927), ein Jesuit, begründete dort die Tradition der Männerwallfahrten nach Mariazell und Klosterneuburg.117 In Lourdes organisierte man 1899 eine nationale Männerwallfahrt, an der sich 40.000 Männer beteiligten, und beim Internationalen Marianischen Kongress 1912 war die Teilnahme von 30.000 Männern an einer speziellen Männerprozession ein überregional in der Presse beachtetes Ereignis.118 Männerwallfahrten konnten auch deshalb regen Zuspruch finden, weil sie in bestimmten Kontexten der als männlich konnotierten öffentlichen politischen Sphäre angehörten. Das zeigte sich in Deutschland während des Kulturkampfes. Der oben erwähnten Kölner Männerwallfahrt nach Kevelaer ließe sich in diesem Fall auch die Trierer Männerwallfahrt zum Apostelgrab vor den Toren der Stadt hinzufügen, die auf einem Höhepunkt des Kulturkampfes angeblich 10.000 Männer zusammenführte.119 Auch wenn der Zeitungsbericht in einem katholischen Wochenblatt jede politische Intention abstritt, zeigt allein schon das Dementi, dass die Wallfahrt sehr wohl als eine Art des politischen Protests wahrgenommen worden war. Auch die Volksmissionen, zumindest in ihrer neuen im späten 19. Jahrhundert entwickelten Form als Stadtmission, sprachen gezielt Männer und die männliche Jugend an, wobei die Predigtthemen entsprechend angepasst wurden. So finden sich in den Standespredigten für die Männer eigene Predigten zur „geheiligten Arbeit“ und zu „Unglaube, Feinde“, die 116 Dazu Blaschke, Piety, 34–37, 43; ders., Krise, 143–145, 149–151. 117 Vgl. Eucharius, Sonntagsblatt 12, 370. Zu Abel: Österreichisch Biographisches Lexikon, Bd. 1, 1; Weilharter, Abel. 118 Siehe Kotulla, Lourdes, 96. Zum Marianischen Kongress jetzt Dittrich, Kongress, 77. Im 1912 veröffentlichten Festbericht wurde die Männerwallfahrt ausführlich dargestellt: Lokalkomitee, Marianischer Kongress, Teil 1, 65–88. Über die Männerprozession beim in Trier abgehaltenen Kongress berichtete etwa das „Luxemburger Wort“. Vgl. Jeck, Marianischer Weltkongress 1912, 3. 119 Siehe Eucharius, Sonntagsblatt 13, 180. Dazu auch Zenz, Geschichte der Stadt Trier, 76.



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keine Entsprechung bei den Standespredigten für Frauen hatten.120 Die Volksmissionspredigt reproduzierte auf diese Weise offensichtlich die Geschlechterstereotype und eine besondere Zuweisung der Männer zum öffentlichen Bereich (Arbeit, Politik, weltanschauliche Auseinandersetzung). In Verbindung mit diesen Tendenzen einer Männerpastoral stehen auch auffällige Umcodierungen von Frömmigkeitspraktiken, die als Ausdruck feminisierter Frömmigkeit galten. Norbert Busch hat dies für die Herz-Jesu-Verehrung am Beginn des 20. Jahrhunderts belegt. Durch eine veränderte Rhetorik (mehr nationale und kämpferische Sprache) und Symbolik (eine weniger sanftmütige, deutlich herrschaftlich-heroische Jesusfigur) versuchten insbesondere Jesuiten die bisherige Distanz der katholischen Männer zu dieser Andachtsform zu überwinden.121

5. Zwischenbilanz zur Frage einer (Re-)Maskulinisierung im deutschsprachigen Katholizismus um 1900 Es erscheint mir zunächst einmal wichtig, terminologisch eine gewisse Vorsicht walten zu lassen. Der Begriff „Re-Maskulinisierung“ insinuiert zu eindeutig, dass es zuvor zu einer De-Maskulinisierung oder eben einer Feminisierung gekommen sein muss. Wie im ersten Teil dieses Beitrags gezeigt wurde, waren solche Prozesse allerdings nicht pauschal gegeben. Davon unbenommen ist, dass in zeitgenössischen Diskursen und Wahrnehmungen davon verbreitet ausgegangen wurde. Daher ist der Begriff Re-Maskulinisierung ebenso wie sein Gegenpart Feminisierung problematisch wegen impliziter normativer Gehalte und der Gefahr eines essentialistischen Verständnisses von Männlichkeit. Die von Tine Van Osselaer und Thomas Buerman aufgezeigte Differenz zwischen der Redeweise von einer Re-Christianisierung der Männer und der von einer Maskulinisierung der Religion bzw. des Christentums ist ein wichtiger Gesichtspunkt, der zu einer vertieften Re-Lecture des Materials zwingt.122 Eine Festlegung auf eines der beiden Konzepte halte ich dabei für den Katholizismus im deutschsprachigen Raum nach dem bisherigen Stand meiner Forschungen nicht für tragfähig, denn sowohl in den „Männerbüchern“ als auch in den beschriebenen Ansätzen zu einer Männerpastoral scheinen sich mir beide Ansätze zu zeigen. Über Männlichkeitskonstruktionen wurde in der Untersuchungszeit inkludiert und exkludiert. Katholische Männlichkeitsdiskurse und Männerpastoral trugen dem Rechnung.123 Sie versuchten zum einen, katholische Männer als vollwertige Männer zu zeigen, und zum anderen, katholische Religiosität als kompatibel mit Männlichkeit, ja als zentrales Element im Leben eines „ganzen Mannes“ zu erweisen. Dem dienten komplexe Strategien 120 Vgl. Klosterkamp, Volksmission, 84f. 121 Vgl. Busch, Frömmigkeit, 276–278; ders., Feminisierung. Zuletzt Schlager, Herz Jesu. 122 Siehe Van Osselaer/Buerman, Feminization Thesis, 534–538. 123 Vgl. zum Folgenden speziell Schneider, Suche, 292–297, sowie Blaschke, Piety, 34–40.

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der Umcodierung religiöser Verhaltensweisen als männlich-heroisch, der Uminterpretation von Elementen des dominanten Männlichkeitskonzeptes und der christlichen „Domestizierung“ dieses Konzeptes. Man kann das als Weg werten, so die eigene Identität zu wahren und sich zugleich doch auch zu inkulturieren.124 Liest man die katholischen „Männerbücher“ und würdigt man die sonstigen pastoralen Bemühungen um die katholische Männerwelt, dann wachsen schließlich die Zweifel daran, die Entwickler pastoraler Strategien hätten im 19. Jahrhundert eine Strategie aktiver Feminisierung des Katholizismus betrieben. Zutreffender erfasst werden die komplexen Entwicklungen, bei denen das Geschlecht der Gläubigen anscheinend verstärkt Aufmerksamkeit fand, wenn man in ihnen einen Teilprozess der generellen zunehmenden Ausdifferenzierung des Katholizismus und der Spezialisierung im Katholizismus erkennt. Durch diese Ausdifferenzierung und Spezialisierung sollten die Gläubigen nach Alter, Geschlecht, Beruf, Schicht oder auch Herkunft – man denke nur an die speziellen pastoralen Aktivitäten z. B. für die polnischen Arbeitsmigranten125 – spezifischer pastoral adressiert werden, um sie so auch besser an die Kirche binden zu können.126 Damit wären auch die hier beschriebenen Tendenzen in den gesamtgesellschaftlichen Prozess funktionaler Differenzierung einzuordnen, der auch nicht vor dem religiösen Sektor Halt machte und in diesem als „Antwort“ dann eben u. a. die genannten Differenzierungen auslöste. Unbestreitbar, wenn auch nicht offen ersichtlich, ging es bei all dem auch um Macht: Macht zwischen den Geschlechtern allgemein wie in der Kirche, Macht zwischen verschiedenen Männlichkeiten (hegemonialer bzw. marginalisierter) in der Gesellschaft, Macht innerhalb der katholischen Männerwelt zwischen männlichen Klerikern und männlichen Laien. Dabei schrieben innerhalb des deutschsprachigen Katholizismus die thematisierten Diskurse und Praktiken zum einen das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern zugunsten der Männer fort und zum anderen stabilisierten sie auch die Macht des männlichen Klerus sowohl gegenüber den weiblichen Laien als auch den männlichen Laien. Die hier für den deutschsprachigen Raum beschriebenen Entwicklungen lassen sich auch im katholischen Westeuropa tendenziell beobachten, wobei zurzeit Belgien als besonders gut erforscht gelten kann.127 Sie erhalten damit einen größeren Kontext, und die Aufgabe, zu vertieften Vergleichen zu gelangen, ist noch weiter zu verfolgen. Da im 19. und frühen 20. Jahrhundert auch im deutschsprachigen Protestantismus, aber etwa auch im britischen Protestantismus und Anglikanismus Männlichkeitsdiskurse gepflegt wurden, die von der

124 Für die Zeit um 1900 konstatiert Zalar, Process, 134, mit Blick auf die katholische Literatur generell einen solchen „process of confessional inculturation“. 125 Zu diesem Aspekt vgl. Gatz, Kirche und Muttersprache. 126 Siehe Van Osselaer, Reform of Piety, 123. 127 Vgl. Van Osselaer/Buerman, Feminization Thesis, 539–542 sowie Van Osselaer, Pious Sex. Vgl. ferner generell die Beiträge in Werner, Christian Masculinity; Pasture, Gender and Christianity; Van Osselaer/Pasture, Homes.



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Sorge um einen Verlust männlicher Religiosität geprägt waren128, ergeben sich auch gute interkonfessionelle Vergleichsmöglichkeiten, die weiter auszuloten sind. So fällt z. B. auf, dass jene Tat und Stärke betonenden britischen Konstruktionen christlicher Männlichkeit, die mit dem Label „muscular Christianity“ belegt wurden, keine Entsprechung im deutschsprachigen Katholizismus bis 1914 hatten.129 Am Ende dürfte feststehen, dass Geschlecht und Religion sich tatsächlich als intensiv interagierende Kategorien erwiesen haben. Solchen Interaktionen weiter nachzugehen, ist unverändert ein Desiderat auch der katholischen Kirchengeschichtsschreibung.

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Bernhard Schneider

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Gisela Muschiol (Bonn)

Dienste, Ämter und das Geschlecht Anfragen an die Feminisierungsthese aus katholischer Perspektive1

1. Der Feminisierungsbegriff und sein Gebrauch Erasmus von Rotterdam notiert 1533 in seinen „Colloquia familiaria“ ein Gespräch zwischen einer gelehrten Frau namens Magdalia und einem Abt. Magdalia wird in den Mund gelegt: „Wenn Ihr [die Theologen] nicht auf der Hut seid, wird es noch so weit kommen, daß wir [gemeint sind die Frauen, d. V.] in den theologischen Schulen den Vorsitz führen, in den Kirchen predigen und Eure Mitren in Beschlag nehmen.“2 Bei aller Ironie, zu der Erasmus von Rotterdam fähig war, hätte es einen gewissen Charme, ihn als Propheten oder gar als Patron einer Feminisierung im Hinblick auf die Kirche des 19. oder 20. Jahrhunderts zu betrachten. Gleichzeitig aber macht ein Vergleich dieser ironischen Vision mit der Realität der katholischen Kirche der Gegenwart deutlich, dass jeglicher Feminisierungsbegriff zu differenzieren ist, um seine beschreibende und analysierende Funktion für die Wirklichkeit nutzbar zu machen. Dennoch: Einer Mediävistin stellt sich selbstverständlich die Frage nach einer Feminisierung avant la lettre. Darauf wird am Ende des Beitrags noch einmal zurückzukommen sein. Eine Definition des Begriffs der Feminisierung zu liefern ist nicht die Aufgabe dieses Beitrags. Dennoch seien einige jener Voraussetzungen der Rede von einer Feminisierung noch einmal zusammengefasst, die für die Gesamtargumentation bedeutsam scheinen. 1.1. Gesellschaft

Eine tatsächliche oder vermeintliche Feminisierung von Gruppen oder Institutionen war und ist in erster Linie ein gesellschaftliches Phänomen. Feminisierung wahrzunehmen ist das Ergebnis der Analyse historisch-soziologischer Zusammenhänge. Zu fragen ist, welche Strukturen und Leitbilder eine Gesellschaft organisierten, in deren Kontext eine Feminisierung vermeintlich oder tatsächlich wahrgenommen wurde. Zu fragen ist weiter, in welchen 1 Der gesamte Beitrag trägt den Charakter einer Skizze, die der weiteren Ausarbeitung bedarf. Aus Gründen verschiedener „Dienste und Ämter“ war eine solche Ausarbeitung für den vorliegenden Band für mich nicht mehr möglich. Ein großer Dank gilt daher Michaela Sohn-Kronthaler als Herausgeberin, die bereit war, auch diese skizzenhaften Überlegungen in den Aufsatzband aufzunehmen. 2 Erasmus von Rotterdam, Colloquia familiaria, 262–265.



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Formen in diesem gesellschaftlichen System Wertschätzung und Anerkennung ausgedrückt und in welchen Zusammenhängen dann Genderkonnotierungen erkennbar wurden. 1.2. Differenzierung

Bernhard Schneider hat dankenswerterweise bereits in seinem Aufsatz im Jahr 2002 deutlich gemacht, dass ein weder regional noch konfessionell differenzierter Begriff von Feminisierung historisch keine ausreichenden Erkenntnisse liefern kann.3 Seine Differenzierungen zu den Themenkomplexen „Feminisierung und Klerus“4, „Feminisierung der Frömmigkeit“5 und „Feminisierung der katholischen Organisationen“6 sind eine Grundvoraussetzung dafür, weiterhin über die Passgenauigkeit des Begriffs nachzudenken. 1.3. „Diskursive Feminisierung“?

Wenn Manuel Borutta und andere von der „diskursiven Feminisierung“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprechen,7 dann liegt damit der Versuch einer Erklärung für den Antikatholizismus in Deutschland und Italien vor. Ob der Begriff der „diskursiven Feminisierung“ eine Erklärung bieten kann, warum dieser Katholizismus insgesamt anders konnotiert und als „weibisch, irrational, lateinisch“ angesehen wurde, ist eher zu bezweifeln. Es ist sicher richtig, im Nationalismus des 19. Jahrhunderts eine stark geschlechterbezogene Sprache festzustellen – aber es bleibt die Frage, was dieser Diskurs für die soziale Wirklichkeit von Kirche und Katholizismus über den Kulturkampf hinaus bedeutete. Die in diesem Kontext von Borutta formulierten Überlegungen, dass „männlicher Säkularisierung“ eine „Feminisierung der Religion“ gegenüberzustellen ist,8 krankt an einer ungenauen Zuordnung der Parameter: Der These einer „Feminisierung der Religion“ – im Hinblick auf die Kategorie der Veränderungen in der Gesellschaft – wäre die These einer „Maskulinisierung der Gesellschaft“ gegenüberzustellen. Erst ein Vergleich dieser beiden Entwicklungen ließe verlässliche Aussagen über diskursive Sprachspiele und gesellschaftliche Bewertungskategorien zu.

3 Vgl. Schneider, Feminisierung der Religion. Insgesamt zur Einführung in den Kontext des 19. Jahrhunderts vgl. De Giorgio, Katholisches Modell. Zu berücksichtigen ist bei der Lektüre dieses Textes die deutliche Weiterentwicklung der Fragestellungen. 4 Vgl. Schneider, Feminisierung der Religion, 128–130. 5 Vgl. ebd., 130–139. 6 Vgl. ebd., 139–141. 7 Vgl. den anregenden Beitrag Manuel Boruttas auf der 1. Tagung des AIM Gender: Antikatholizismus, Männlichkeit und Moderne. Die diskursive Feminisierung des Katholizismus in Deutschland und Italien, erweitert veröffentlicht unter: Borutta, Das Andere der Moderne. 8 Ebd., 62, 64.

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1.4. Feminisierung als Kampfbegriff

Die Ambivalenz des Begriffes der Feminisierung ist wohl noch immer nicht ausreichend diskutiert. Der Feminisierungsbegriff scheint ursprünglich im Kontext der beginnenden frauenbewegten historischen Forschung entstanden zu sein, seine Absicht lag im Nachweis einer Erfolgsgeschichte.9 Schaut man sich aber die Möglichkeiten der Verwendung dieses Begriffs an, so wird spätestens in der Debatte, die der protestantische Theologe Friedrich Wilhelm Graf angezettelt hat10, deutlich, dass mit dem Begriff der Feminisierung auch in der Gegenwart gezielt negative Konnotationen hervorgerufen werden können: Feminisierung meint dann einen prozentual höheren Anteil von Frauen in Institutionen und Strukturen, in denen nach Meinung der Kritiker eigentlich mehr Männer als das selbstverständlich wichtigere (rationalere, intelligentere ...) Geschlecht vertreten sein sollten. Die Frage nach einer paritätischen Vertretung wird von denjenigen, die einen solchen negativen Feminisierungsbegriff in die Debatte bringen, offenbar bewusst nicht gestellt. Nicht zuletzt werden unreflektiert genau jene Vorstellungen des 19. Jahrhunderts tradiert, die die Forschung aufgedeckt zu haben glaubte. 1.5. Feminisierung und Professionalisierung

Ein Defizit in den bisherigen Untersuchungen zum Begriff und zur vermeintlichen Wirklichkeit der Feminisierung ist im Bereich wirtschaftshistorischer Fragestellungen zu erkennen. Gesellschaftliche Wertschätzung äußerte (und äußert) sich einerseits im Ansehen unterschiedlicher Berufe, andererseits in deren Bezahlung. Ansehen und Lohn hatten und haben einen nicht zu leugnenden Zusammenhang. Berufliche Professionalisierung im 19. Jahrhundert war in erster Linie über lange Zeiträume hinweg ein männliches, überwiegend bürgerliches Phänomen. Berufstätigkeit in der Vormoderne dagegen war durchaus geschlechterdifferent, aber eben nicht auf ein Geschlecht beschränkt – berufliche Spezialisierung oder berufliche Arbeitsteilung waren für Männer und Frauen möglich. Jegliche Frage nach Perspektiven und Auswirkungen einer vermeintlichen oder tatsächlichen Feminisierung hat daher den Kontext der Wertschätzung beruflicher Tätigkeit in wirtschaftlichen Dimensionen zu berücksichtigen – und ebenso die Frage nach der Wertschätzung unbezahlter Tätigkeiten zu stellen.

9 Vgl. die frühen Überlegungen zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA bei Welter, Frauenwille. Der Originalaufsatz stammt von 1976. 10 FAZ, 27.03.2011: Ein Gott zum Kuscheln. Gespräch mit Friedrich Wilhelm Graf mit diversen Thesen zur „Feminisierung der Pfarrhäuser“. F. W. Graf hatte derartige Thesen erstmals im Herbst 2010 im Rahmen einer Tagung geäußert. Vgl. zur anschließenden Debatte Scheepers, Frage.



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2. Dienste, Ämter und die Frauen Die Frauenkongregationen, die in der katholischen Kirche des 19. Jahrhunderts in großer Zahl und mit einer stürmischen Entwicklung bei den Mitgliederzahlen entstanden und ein Kennzeichen des Katholischen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein blieben, gelten gemeinhin als Beispiel für eine Feminisierung der Kirche.11 Ohne in diesem Rahmen auf Daten und Zahlen der Entwicklung näher eingehen zu können, soll doch der scheinbar eindeutige Kontext von Frauenkongregationen und Feminisierung aufgebrochen werden. Der Blick ist zurückzulenken in die Geschichte katholischer weiblicher Gemeinschaften vor der Französischen Revolution und vor der Säkularisation.12 Denn der enorme Gründungsaufschwung der Kongregationen hat seine Wurzeln nicht allein in der sozialen Not des 19. Jahrhunderts, auf die die Kongregationen antworteten. Die Wurzeln liegen auch nicht allein in dem, was man gemeinhin die „Frauenfrage des 19. Jahrhunderts“ genannt hat: in der Notwendigkeit für alleinstehende Frauen, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten, weil die vorindustrielle familiäre Ökonomie sich zugunsten einer Industriegesellschaft auflöste und die traditionelle Versorgung in der Großfamilie wegfiel. Die Wurzeln dieses sogenannten „Kongregationsfrühlings“ liegen ebenso in gesellschaftlichen Möglichkeiten vor der Säkularisation und ihren „Verhinderungen“ danach. In der Frühen Neuzeit war der Eintritt in ein Kloster für katholische Frauen ein selbstverständlich wählbares und hoch anerkanntes Lebensmodell – trotz oder gerade aufgrund der reformatorischen Ablehnung dieses Lebensmodells. Derartige Wahlmöglichkeiten waren mit der Säkularisation nahezu komplett entfallen.13 Anzunehmen ist aber, dass das Bedürfnis, eine solche Lebensform zu wählen, nicht einfach wegsäkularisiert wurde. Für männliche Ordensmitglieder war der Einschnitt in der Wahl der Lebensform erheblich weniger gravierend, ihnen blieb die Möglichkeit, statt als Ordenskleriker nun als Weltkleriker zu leben und zu arbeiten. Den Katholikinnen war dieser Weg versperrt. Daher bietet sich nicht von ungefähr die These an, dass die Gründung zahlreicher Kongregationen nicht so sehr ein Kennzeichen von Feminisierung innerhalb der Kirche war, sondern die Wiederentdeckung und Wiederzulassung eines traditionell bewährten weiblichen Lebensmodells. Dennoch nahmen die Kongregationen nicht ungebrochen das vorrevolutionäre Modell einer geistli11 Vgl. zur Entwicklung der Kongregationen Gatz, Kirche und Krankenpflege, sowie ders., Klöster und Ordensgemeinschaften. Zu Frankreich, Italien und für den englischsprachigen Raum stellt De Giorgio dazu die These von einer „Feminisierung des Klerus“ auf, vgl. De Giorgio, Katholisches Modell, 196–200; Meiwes, Arbeiterinnen. 12 Mitunter kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine Tendenz zur „Feminisierung von Religion“ deswegen festgestellt wird, weil die Kenntnisse der religiösen Wirklichkeiten in Mittelalter und Früher Neuzeit hinter der Thesenfreudigkeit zum 19. Jahrhundert zurückbleiben. 13 Auffälligerweise kommt der deutlichste Widerstand gegen Klosterauflösungen vor allem aus Frauengemeinschaften. Beispielhaft zu einer regionalen Kontextualisierung von Klöstern in der Säkularisation vgl. Schaffer, Cellitinnen; Schildt-Specker, Geistliche Frauengemeinschaften; Wesoly, Widerstand.

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chen Gemeinschaft auf. Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu können, scheinen für die Diskussion zwei Bereiche von Bedeutung zu sein: zum einen die Frage der Sichtbarkeit der öffentlichen Wirksamkeit der Frauengemeinschaften, zum anderen die Frage nach der Professionalisierung der Tätigkeitsbereiche. 2.1. Öffentlichkeit

Geistliche Frauengemeinschaften in der Frühen Neuzeit waren vielfältig in ihren Erscheinungsformen: Sie konnten den traditionellen, im Mittelalter entstandenen Orden angehören, die sich weitgehend als Gebets- und Memorialgemeinschaften verstanden; sie konnten zu den im 16. und 17. Jahrhundert entstandenen Gruppen gehören, deren erklärte Aufgabe insbesondere die Mädchenbildung war. Gemeinsam war all diesen Gemeinschaften, dass – zumindest theoretisch – für alle Frauenorden die Klausur vorgeschrieben war (was gerade bei den erzieherisch tätigen Gemeinschaften dauerhaft Probleme bereitete). Die Frage nach der öffentlichen Sichtbarkeit von Ordensfrauen in der Frühen Neuzeit ist noch nicht historisch untersucht.14 Öffentliche Wirksamkeit war kein herausragendes Kennzeichen dieser Nonnen – diese Vermutung liegt zumindest nahe. Ganz anders jedoch die Kongregationen des 19. Jahrhunderts: Relinde Meiwes hat auf die lokale Öffentlichkeit hingewiesen, die für die Schwestern kennzeichnend war.15 Sie verbargen sich gerade nicht hinter Mauern, sondern waren schon von ihren Aufgabenbereichen her sichtbar und präsent. Die herkömmliche Dichotomie von Öffentlichkeit als Raum der Männer und von Privatheit als Raum der Frauen greift gerade für diese Katholikinnen nicht; mehr noch, auch die Zurückdrängung von Religion aus dem öffentlichen Leben, wie sie ja im Kulturkampf oder in den „Kulturkämpfen“ versucht wurde, funktionierte bei den Frauengemeinschaften nicht. Wenn Feminisierung also auch als Rückzug der Kirche aus der Öffentlichkeit definiert sein soll, so ist hier ein deutliches Fragezeichen hinter den Begriff zu setzen. Und zu differenzieren wäre nicht allein zwischen Katholiken und Katholikinnen in ihrer Sichtbarkeit, sondern innerhalb der Gruppe der katholischen Frauen wäre nach Ständen und Schichten zu unterscheiden. Die Differenzierung katholischer Verbände im 19. Jahrhundert, die sowohl Vereine katholischer Arbeiterinnen als auch Zusammenschlüsse katholischer Dienstmädchen oder eben auch Verbände der bürgerlichen katholischen Frauenbewegung hervorbrachte, entsprach katholischer Wirklichkeit – und in genau diesem Rahmen wäre die Frage einer „Feminisierung“ genauer zu untersuchen.16 14 Vgl. hier Van Wyhe, Female Monasticism, sowie Hirbodian, Rezension zu Cordula van Wyhe, mit dem Hinweis: „Was aus der Sicht der deutschen Forschung fehlt, ist eine intensivere Berücksichtigung der sozialen und politischen Kontexte, gerade da, wo die Außenbeziehungen der Klöster und die aus ihnen sich ergebenden Konflikte im Innern untersucht werden.“ 15 Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 156–182, bes. 162. Zu den Veränderungen öffentlichen Auftretens vgl. dies., Katharinenschwestern, 123–127. 16 Vgl. Schneider, Feminisierung der Religion, 139–141.



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2.2. Professionalisierung

Wenn, wie vielfach sowohl im historischen Verlauf als auch in der historiografischen Darstellung geschehen, Feminisierung mit der Vorstellung einer weniger rationalen, rückständigeren, weniger fortschrittlichen Lebensweise verknüpft wurde, 17 so widerspricht diesem Befund der deutliche Zug zur Professionalisierung bei der Entstehung der religiösen Frauengemeinschaften im 19. Jahrhundert.18 Professionalisierung wird sichtbar sowohl im Bereich der Krankenpflege als auch im Bereich der schulischen Bildung, zwei Hauptarbeitsgebieten der neuen Kongregationen. Relinde Meiwes hat das in ihrem jüngst erschienenen Buch über die ermländischen Katharinenschwestern noch einmal bestätigt: Die Katharinenschwestern gründeten 1859 bewusst ein zentrales Noviziat in Braunsberg, mit dem gleichzeitig ein Lehrerinnenseminar verbunden war, um mit der Ausbildung für das Ordensleben zugleich eine Berufsausbildung im Sinne der Kongregation zu verwirklichen.19 Ähnliche Professionalisierungsansätze ließen sich für das 20. Jahrhundert mit Blick auf Seelsorgehelferinnen und später Gemeinde-/Pastoralreferentinnen beschreiben.20 Aus den Professionalisierungsansätzen des 19. Jahrhunderts entsteht beispielsweise mit Beginn der Weimarer Republik auch in der katholischen Frauenbewegung die Idee, den zumeist von Frauen ausgeübten Beruf der Fürsorgerin durch die Einrichtung fachspezifischer Schulen zu professionalisieren; Helene Weber ist hier die maßgebliche Politikerin, die mit dem Verein der Sozialbeamtinnen und in ihrer Eigenschaft als Ministerialrätin diese Professionalisierung energisch vorantreibt.21 Professionalisierung, als Kennzeichen von Modernisierung verstanden, wäre in dieser Perspektive nur schwer vereinbar mit dem antimodern verstandenen Feminisierungsbegriff – auch aus diesem Grund ist wiederum ein deutliches Fragezeichen hinter die Nützlichkeit der Etikettierung „Feminisierung“ zu setzen. Dass trotz aller Professionalisierung, sowohl in den Kongregationen als auch im Bereich der katholischen Lehrerinnen, Sozialbeamtinnen, Seelsorgehelferinnen und anderer Frauenberufe, gerade im Hinblick auf die katholische Kirche zwischen Dienst und Amt zu unterscheiden ist, soll an dieser Stelle betont werden. So professionell beispielsweise die Schwestern der Kongregationen agierten, ihre Tätigkeit blieb immer ein Dienst – ein Amt in der katholischen Kirche erlangten sie durch ihre Profession nicht. Ämter waren und sind in der katholischen Welt männlich definiert22 – selbst die Oberin einer Kongregation hatte kein Amt im hierarchischen Sinne, sondern war innerhalb der kirchlichen Strukturen 17 Vgl. Borutta, Das Andere der Moderne, 63, 69. 18 Professionalisierung im Hinblick auf Notwendigkeiten innerhalb des Konvents findet sich bereits deutlich in Frauengemeinschaften in der Frühen Neuzeit; vgl. beispielsweise für den Bereich der Musik: Koldau, Frauen – Musik – Kultur. 19 Vgl. Meiwes, Katharinenschwestern, 111f. 20 Vgl. Prüller-Jagenteufel, Werkzeug und Komplizin; Rumstadt, Margarete Ruckmich, 209–211, 245–251, 260–267; Heyder, Religion, 26–28. 21 Vgl. dazu Muschiol/Welskop-Deffaa, Helene Weber; darin besonders Pfennig, Bildung. 22 Vgl. Lüdecke, Geschlecht.

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einem Bischof unterstellt.23 Manches von Männern für Frauen geschriebene Andachtsbuch und manche von Männern für Frauen entworfene Frömmigkeitsübung ist daher tatsächlich weniger ein Ausdruck einer Feminisierung, sondern eher deutliches Zeichen einer grundlegenden Disziplinierungsstrategie, die auch für professionell agierende katholische Ordensfrauen in Geltung gesetzt wurde.24

3. Abschied vom Begriff? Am Ende dieser Anfragen sei der Mediävistin ein Rückgriff auf Vorstellungen des Mittelalters erlaubt. Bischof Caesarius von Arles schreibt im 6. Jahrhundert zusammen mit seiner Schwester Caesaria eine Regel für das von beiden gegründete Frauenkloster in Arles.25 Sowohl in der Regel als auch in seinen Briefen und Predigten rühmt er dieses Kloster und die Gebete der Frauen: Denn sie seien wirksamer vor Gott als die der Männer, eher Jungfrauen als Männern könne man das Gebet zur Memoria anvertrauen. Wenn Caesarius hier eine größere und vor allem wirksamere weibliche Frömmigkeit anspricht, dann liegt als Begründung hinter diesem Konstrukt vor allem die Wirklichkeit des 6. Jahrhunderts in Arles: Diese Wirklichkeit enthielt eine größere Möglichkeit, die geistlichen Frauen und ihre sexuelle Enthaltsamkeit durch strikte Klausur zu kontrollieren.26 Rund 600 Jahre später, im 12. Jahrhundert, formuliert ein misogyner Mönch in Regensburg es etwas anders, aber er meint das Gleiche: Das schwächere Geschlecht sei deswegen wirksamer im Gebet, weil seine Jungfräulichkeit überwacht werden könne, während die Jungfräulichkeit der Mönche nicht zu kontrollieren sei.27 Feminisierung also avant la lettre? Oder Feminisierung als Ausdruck von Kontrolle über das vermeintlich schwache Geschlecht? Welche Dichotomien werden wirksam, wenn der Begriff der Feminisierung weiterhin undifferenziert verwendet wird? 23 Und nicht zuletzt wäre im Zusammenhang mit Feminisierung und Professionalisierung noch ein Themenbereich anzusprechen, der mit Blick auf die religiöse oder konfessionelle Dimension bisher nicht untersucht worden ist: die Frage der wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge. Wenn in einem kapitalistischen System die Frage des Ansehens und der Wertschätzung eines Berufes sich auch in Gehaltsstrukturen ausdrückt, so muss auch für die Kirche(n) untersucht werden, ob mit dem Hilfsbegriff der Feminisierung neue Erkenntnisse zur Hierarchie der Geschlechter gewonnen werden können. 24 Vgl. Schneider, Feminisierung der Religion, 139; Nennstiel, Wiedergelesen. 25 Die wissenschaftliche Wahrnehmung des 19. Jahrhunderts hat daraus übrigens ein allein vom Bischof gegründetes Kloster gemacht, „Feminisierung“ wäre in diesem Fall die Erinnerung an die weiblichen Anteile der Geschichte. Vgl. mit einem Überblick zur Kloster- und Regelentstehung in Arles: Muschiol, Famula Dei, 10–14, 68–71. 26 Vgl. ebd., 74–79; De Vogüé/Courreau, Césaire d’Arles, 296, 302–304, 328–332. 27 Vgl. Idung von Prüfening, Argumentum super quatuor quaestionibus, in: Huygens, Le Moine Idung, 70: „[...] quod sexus femineus, cum sit fragilis, maiorem custodiam et artiorum clausuram requirit“, sowie 71: „His duobus in una persona convenientibus, quis potest vel excogitare condignam custodiam, per quam fragilis sexus quod cepit esse perseveret, scilicet angelus?“



Dienste, Ämter und das Geschlecht

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Eine große Skepsis, ob mit dem Begriff der Feminisierung wirklich eine hilfreiche Analysekategorie für die katholische Kirche des 19. und 20. Jahrhunderts vorliegt, ist sicherlich nicht zu überhören. Es wäre genauer zu untersuchen, ob im Hintergrund der Erkenntnis einer vermeintlichen Feminisierung vor allem ein Wahrnehmungsproblem sichtbar wird: Kann es sein, dass im 19. Jahrhundert die Rollen von Frauen in religiösen und konfessionellen Zusammenhängen einfach nur sichtbarer werden als in den Jahrhunderten zuvor? Kann es sein, dass die These von der Feminisierung auch mit einem bestimmten Wissensdefizit – sowohl der Zeitgenossen als auch der Historiografen – über weibliche Rollen in der katholischen Kirche in der Frühen Neuzeit zusammenhängt? Kann es sein, dass grundsätzlich im 19. Jahrhundert nicht nur Frauenrollen, sondern auch Männerrollen sichtbarer werden, dass Geschlechterrollen insgesamt stärker wahrgenommen und reflektiert werden als zuvor? Der Begriff der Feminisierung in all seinen Facetten nimmt, so hat es den Anschein, Frauen nicht als Subjekte, sondern nur als Objekte von Geschichte wahr. An ihnen wird gehandelt, mit ihnen wird gehandelt, aber sie handeln nicht selbstständig. Im Gegenteil: Selbstständiges Handeln oder „moderne“ Verhaltensweisen werden diskursiv als „männlich“ konnotiert und Frauen damit generell abgesprochen. Das Plädoyer der hier geäußerten Anfragen lautet daher: Der Begriff der Feminisierung als Analysekategorie ist entbehrlich. Zu fragen wäre, ob ein Ersatzbegriff zur historischen Analyse notwendig ist. Hilfsweise wäre der Begriff der Geschlechterpartizipation vorzuschlagen – diskursiv und historisch.

Quellen und Literatur Borutta Manuel: Das Andere der Moderne. Geschlecht, Sexualität und Krankheit in antikatholischen Diskursen Deutschlands und Italiens (1850–1900), in: Rammert Werner [u. a.] (Hg.): Kollektive Identitäten und Kulturelle Innovationen. Ethnologische und historische Studien, Leipzig 2001, 60–74. De Giorgio Michela: Das katholische Modell, in: Duby Georges/Perrot Michele (Hg.): Geschichte der Frauen. Bd. 4: 19. Jahrhundert, Frankfurt 1994, 187–220. De Vogüé Adalbert/Courreau Joël (Hg.): Césaire d’Arles. Œuvres monastiques I: Œuvres pour les moniales, Paris 1988 (= Sources Chrétiennes 345), Brief VEREOR. „Ein Gott zum Kuscheln“. Gespräch mit Friedrich Wilhelm Graf mit diversen Thesen zur „Feminisierung der Pfarrhäuser“, in: FAZ, 27.03.2011. Erasmus von Rotterdam: Colloquia familiaria. Vertraute Gespräche, lateinisch-deutsch, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Werner Welzig, Darmstadt 1967. Gatz Erwin: Kirche und Krankenpflege im 19. Jahrhundert. Katholische Bewegung und karitativer Aufbruch in den preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen, Paderborn 1971. Gatz Erwin: Klöster und Ordensgemeinschaften, Freiburg 2006 (=  Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts: Die Katholische Kirche 7).

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Heyder Regina: Religion als Motor oder Hemmschuh einer Feminisierung der Gesellschaft, in: Die Zukunft der Kirche ist weiblich. Zur Ambivalenz der Feminisierung von Gesellschaft, Kirche und Theologie im 20. Jahrhundert, epd-Dokumentation 25/26 (2011) 24–33. Hirbodian Sigrid: Rezension zu Cordula van Wyhe (Hg.): Female Monasticism in Early Modern Europe, http://www.sehepunkte.de/2011/10/17024.html (abgerufen am 11.11.2014). Idung von Prüfening, Argumentum super quatuor questionibus, in: Huygens Robert (Hg.): Le Moine Idung et ses deux ouvrages „Argumentum super quatuor questionibus“ et „Dialogus duorum monachorum“, Spoleto 1980 (= Biblioteca degli Studi Medievali 11), 57–88. Koldau Linda-Maria: Frauen – Musik – Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit, Köln [u. a.] 2005. Lüdecke Norbert: Mehr Geschlecht als Recht? Zur Stellung der Frau nach Lehre und Recht der römisch-katholischen Kirche, in: Eder Sigrid/Fischer Irmtraud (Hg.): „… männlich und weiblich schuf er sie  …“ (Gen  1,27). Zur Brisanz der Geschlechterfrage in Religion und Gesellschaft, Innsbruck/Wien 2009 (= Theologie im kulturellen Dialog 16), 183–216. Meiwes Relinde: „Arbeiterinnen des Herrn“. Katholische Frauenkongregationen im 19. Jahrhundert, Frankfurt 2000 (= Geschichte und Geschlechter 30). Meiwes Relinde: Von Ostpreußen in die Welt. Die Geschichte der ermländischen Katharinenschwestern 1772–1914, Paderborn 2011. Muschiol Gisela: Famula Dei. Zur Liturgie in merowingischen Frauenklöstern, Münster 1994 (= Beiträge zur Geschichte des Alten Mönchtums und des Benediktinertums 41), 68–71. Muschiol Gisela/Welskop-Deffaa Eva (Hg.): Helene Weber. Beiträge zu einer Biographie, Bonn 2014, http://www.helene-weber.de (abgerufen am 02.03.2015). Nennstiel Richard: Wiedergelesen: Augustinus Rösler CSsR „Liebfrauenschule. Lehr- und Gebetsbuch für katholische Frauen und Jungfrauen. III.  Arbeitsschule“, in: Wort und Antwort 56 (2014) 86–91. Pfennig Stefanie: Bildung – Schlüssel der Frauenfrage. Helene Weber als Pädagogin und Bildungspolitikerin, in: Muschiol Gisela/Welskop-Deffaa Eva (Hg.): Helene Weber. Beiträge zu einer Biographie, Bonn 2014, 40–112, siehe http://www.helene-weber.de (abgerufen am 02.03.2015). Prüller-Jagenteufel Veronika: Werkzeug und Komplizin Gottes. Hildegard Holzer und die Seelsorgehelferinnen in Österreich 1939–1968, Münster 2002 (= Tübinger Perspektiven zur Pastoraltheologie und Religionspädagogik 17). Rumstadt Almut: Margarete Ruckmich (1894–1985). Pionierin der hauptberuflichen Seelsorge durch Frauen, Würzburg 2008 (= Studien zur Theorie und Praxis der Seelsorge 56). Schaffer Wolfgang: Cellitinnen in Köln. Zum Schicksal einiger nicht aufgehobener Konvente 1790–1820, in: Mölich Georg [u. a.] (Hg.): Klosterkultur und Säkularisation im Rheinland, Essen 2002, 121–142. Scheepers Rajah: Zur Frage einer möglichen Feminisierung des Pfarramtes. Ein Blick auf Wahrnehmungsprozesse von Frauen im Pfarramt, in: Schäfer-Bossart Stefanie/Hartlieb Elisabeth (Hg.): Feministische Theologie – Politische Theologie. Entwicklungen und Perspektiven, Sulzbach 2012, 219–230.



Dienste, Ämter und das Geschlecht

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Schildt-Specker Barbara: Geistliche Frauengemeinschaften und die Säkularisation von 1802 am Beispiel der Prämonstratenserinnen, in: Mölich Georg [u. a.] (Hg.): Klosterkultur und Säkularisation im Rheinland, Essen 2002, 143–150. Schneider Bernhard: Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert, in: Trierer Theologische Zeitschrift 111 (2002) 123–147. Van Wyhe Cordula (Hg.): Female Monasticism in Early Modern Europe. An Interdisciplinary View, Aldershot 2008 (= Catholic Christendom 1300–1700). Welter Barbara: „Frauenwille ist Gottes Wille“. Die Feminisierung der Religion in Amerika, 1800– 1860, in: Honegger Claudia (Hg.): Listen der Ohnmacht. Zur Sozialgeschichte weiblicher Widerstandsformen, Frankfurt 1981 (Original 1976), 326–355. Wesoly Kurt: Widerstand gegen die Säkularisation? Zur Aufhebung der Klöster im Herzogtum Berg im Jahre 1803, in: Mölich Georg [u. a.] (Hg.): Klosterkultur und Säkularisation im Rheinland, Essen 2002, 321–330.

KAPITEL 2

Yvonne Maria Werner (Lund)

Katholische Männlichkeit in Skandinavien Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren die skandinavischen Länder formal gesehen protestantische Konfessionsstaaten, wo es den BürgerInnen unter Strafe verboten war, anderen Religionsgemeinschaften als der evangelischen Staatskirche anzugehören. Die um diese Zeit durchgeführte Liberalisierung der Religionsgesetzgebung machte damit ein Ende und bereitete zugleich den Weg für die Rückkehr der katholischen Kirche.1 In der katholischen Kirche hat der im selben Zeitraum erfolgte Durchbruch der ultramontanen Bewegung zu einer Aktivierung des gegenreformatorischen Konfessionalismus und zu einem Aufschwung der katholischen Missionstätigkeit geführt.2 Nach der damaligen katholischen Ekklesiologie war die katholische Kirche die einzig wahre Kirche Christi. Die katholische Mission richtete sich demnach auch an die nordischen Länder, die bis 1953 als Apostolische Vikariate der römischen Missionskongregation, der „Propaganda Fide“, unterstellt waren. Viele traten zur katholischen Kirche über, und die katholischen Gemeinden bestanden zum großen Teil aus nordischen Konvertiten, während Priester und Ordensleute, die meisten davon Ordensschwestern,3 hauptsächlich aus dem katholischen Ausland kamen. In Dänemark, wo mit der neuen Verfassung von 1849 volle Religionsfreiheit eingeführt wurde, waren die katholischen Fortschritte besonders spürbar, und um die Jahrhundertwende 1900 konvertierten im Durchschnitt rund 230 Dänen pro Jahr zum katholischen Glauben.4 Der katholische Konfessionalismus diente als Basis einer religiös geprägten Weltanschauung mit politischer Zielsetzung, die im schroffen Gegensatz zu der in der westlichen Welt vorherrschenden liberalen Ideologie stand. Diese Entwicklung ging einher mit einer Aktivierung der Volksreligiosität, Mobilisierung der Gläubigen und Stärkung des Papsttums. Der Katholizismus erhielt dadurch die Funktion einer „antimodernen“ Gegenkultur in der modernen Gesellschaft.5 Das an die Gelübde des Gehorsams, der Keuschheit und der Armut gebundene Ordensleben, das vor den Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils 1 2 3 4 5

Werner, Nordisk katolicism, 7–176; dies./Harvard, European Anti-Catholicism, 135–236. Gadille/Zorn, Der neue Missionseifer, 133–155, 162–164. Nilsen, Nonner; Werner, Katolsk mission och kvinnlig motkultur; Werner, Nuns and Sisters. Werner, Nordisk katolicism, 7–176; Eidsvig, Den katolske kirke, 143–363. Für einen Überblick dieses Forschungsfeldes siehe Lönne, Katholizismusforschung, 128–170; Altermatt/Metzger, Religion und Kultur, 185–208; Fleckenstein/Schmiedl, Ultramontanismus.



Katholische Männlichkeit in Skandinavien

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in den 1960er-Jahren als ein „Stand der Vollkommenheit“ bezeichnet wurde, galt als der vollkommenste Ausdruck der katholischen Lebensform. Die Ordensleute vertraten die katholische Gegenkultur in ihrer radikalsten Form, was erklärt, warum eben die religiösen Ordensgemeinschaften von den hin und wieder aufbrechenden Kulturkämpfen zwischen katholischer Kirche und Staat besonders hart betroffen waren.6 In den nordischen Ländern, wo das Erbe der Reformation einen wichtigen Teil nationaler Identität und Kultur ausmachte, trat der Katholizismus in doppelter Hinsicht als eine Gegenkultur hervor. Er wurde nicht nur als eine abergläubische Irrlehre, sondern auch als ein gefährliches ideologisches System und eine Bedrohung nordischer Kultur und nationaler Werteordnung angesehen.7 Wie gestaltete sich die diskursive katholische Männlichkeit in den nordischen Ländern in dieser Zeit des Nationalismus und Konfessionalismus? Und wie verhielten sich die katholischen Männlichkeitsideale zu den im nordischen Volkschristentum der Zeit artikulierten Ideen zur Männlichkeit? Diese Fragen bilden den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie über Männerideale und Konstruktionen von Männlichkeit bei katholischen Priestern, Ordensmännern und männlichen Konvertiten in den nordischen Ländern von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis Anfang der 1940er-Jahre.8 Der Schwerpunkt liegt auf der Frage, wie diese Männer und Männergruppen ihre männliche Identität manifestierten und welche Rolle konfessionelle und ethnisch-kulturelle Aspekte in diesem Zusammenhang gespielt haben. Das Material besteht aus offizieller und privater Korrespondenz aus Kirchen- und Ordensarchiven9 sowie aus katholischen Zeitungen und apologetischen Schriften. Die Mehrheit der katholischen Priester in den nordischen Ländern gehörten religiösen Orden und Kongregationen an, was bedeutetet dass sie in Eigentumsgemeinschaft lebten, einer Ordensregel unterworfen waren und in einem religiös verankerten Gehorsamsverhältnis zu ihrer Ordensleitung standen. Ich untersuche drei männliche Ordensgemeinschaften, nämlich den Barnabiterorden, eine in den 1530er-Jahren gegründete italienische Ordensgemeinschaft, die Gesellschaft Jesu und den Dominikanerorden. Italienische Barnabiten haben sich Anfang der 1860er-Jahre in Stockholm und Christiania (Oslo) niedergelassen, und sie spielten eine wichtige Rolle in der Anfangsphase der katholischen Missionstätigkeit in Skandinavien. Sie dienten auch als Beichtväter der beiden in Stockholm tätigen französischen Schwesterngemeinschaften, und zwei von ihnen waren nacheinander Hofkapläne

6 Gross, War against Catholicm; Borutta, Antikatholizismus. Zu den Folgen für die Ordensgemeinschaften vgl. De Maeyer [u. a.], Religious Institutes. 7 Werner, Nordisk katolicism, 7–176; dies./Harvard, European Anti-Catholicism, Teil 2 u. 135–148. 8 Der vorliegende Artikel ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse meiner Monografie „Katolsk manlighet“. 9 Das hier verwendete Quellenmaterial stammt aus: Archivum Provinciae Germaniae Septentrionalis (APGS) in München, Archive de la Province Dominicaine de France (APDF) in Paris, Archiv der Dominikaner in Lund (DAL), Archivio Storico dei Barnabiti (ASBR) in Rom, Archivio Storico della Congregazione per l’Evangelizzazione dei Popoli o ‚de Propaganda Fide‘ (ASPF) in Rom, Archivum Romanum Societas Iesu (ARSI) in Rom.

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Yvonne Maria Werner

der katholischen Königinwitwe Joséphine.10 Der Jesuitenorden repräsentierte in besonders hohem Maße den ultramontanen Konfessionalismus und dessen Priesterideal.11 Die in Skandinavien tätigen Jesuiten gehörten der deutschen Jesuitenprovinz an, die sich infolge des Kulturkampfes in Deutschland in den 1870er-Jahren in Dänemark und Schweden etabliert hatte und die bald eine dominierende Stellung sowohl in der dänischen als auch in der schwedischen Mission einnahm. Für die Skandinavier galt zwar der Jesuitenorden als Inbegriff all der negativen Vorstellungen, die mit dem Katholizismus verbunden waren, aber trotzdem waren es eben die Jesuiten, welche die größte Anzahl von Konvertiten anzogen.12 Der Dominikanerorden vertrat eine mehr asketische Tradition als die beiden übrigen Ordensgemeinschaften und hatte im Unterschied zu diesen auch einen weiblichen Zweig. In der Zwischenkriegszeit ließen sich Dominikaner von der Pariser Ordensprovinz in Norwegen und Schweden nieder, wo sie mit französischen Dominikanerinnen eng zusammenwirkten.13 Ein wichtiger Ausgangspunkt meiner Untersuchung ist die Theorie der Feminisierung des Christentums im 19. Jahrhundert, die ich der von anderen ForscherInnen herausgestellten religiösen und kirchlichen Mobilisierung im Zeichen des Konfessionalismus gegenüberstelle. Die Feminisierungsthese geht teils von der damals in bürgerlich-liberalen Kreisen vorherrschenden Sicht der Religion als einer der weiblichen Sphäre zugeordneten Angelegenheit, teils von kirchenstatistischen Tatsachen aus.14 Norbert Busch und Callum Brown sprechen von einer Feminisierung der religiösen Kultur, während Ursula Baumann, Relinde Meiwes und andere VertreterInnen der Frauenforschung die wachsende Bedeutung der Frauen im kirchlichen Leben dargelegt haben.15 In der bürgerlichen Kulturelite wurde, wie viele Studien gezeigt haben, das Christentum zunehmend mit Weiblichkeit und femininen Werten verbunden und in der antichristlichen Rhetorik der Freidenker als unvereinbar mit wahrer Männlichkeit dargestellt. Diese Sicht hat die Forschung zur Männlichkeit in der Moderne geprägt und dazu geführt, dass die Bedeutung der Religion als Erklärungsfaktor lange übersehen wurde.16 10 Declercq, La Rinascita cattolica, 85–93, 144–156, 224–234; ders., La Rinascita cattolica in Norvegia, 38–54, 145–163; ders., La missione, 67–81. 11 Busch, Katholische Frömmigkeit. Zum ultramontanen Priesterideal vgl. Forstner, Priester, 158–163, 245–300. 12 Werner, Världsvid, 128–160, 275–286; dies., Nordisk katolicism, 106–110, 134–143. Allgemein über die Entwicklung des Jesuitenordens siehe Hartmann, Jesuiten, 91–101. 13 Nilsen, Nonner, 241–252; Åmell, The Convent, 149–170. 14 Schneider, Feminisierung der Religion, 123–147; Van Osselaer/Buerman, Feminization Thesis, 497– 534; Pasture, Feminization Thesis, 7–33. 15 Busch, Katholische Frömmigkeit; Brown, Death of Christian Britain; Baumann, Protestantismus und Frauenemanzipation; Meiwes, Arbeiterinnen. Siehe auch Markkola, Gender and Vocation; Sohn-Kronthaler/Sohn, Frauen. 16 Mosse, Image of Man; Connell, Masculinities; Schmale, Geschichte der Männlichkeit, 152–154, 186–230.



Katholische Männlichkeit in Skandinavien

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Eine Ausnahme bildet die angelsächsische Forschung, wo in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Studien zum Thema Männlichkeit und Religion in der modernen Gesellschaft publiziert worden sind. Einige dieser Studien befassen sich mit christlichen Männerbewegungen, die das ausgesprochene Ziel hatten, den Vorstellungen einer feminisierten Religion entgegenzuwirken und eine neue Synthese zwischen Männlichkeit und Religion zu schaffen, nicht zuletzt durch das Engagement christlicher Männer in Politik und sozialen Reformprojekten.17 Die neuere sozialhistorische Forschung hat die anhaltende Bedeutung der christlichen Konfessionen für die Formierung nationaler und kultureller Identitäten in der modernen Gesellschaft dargelegt. Mehrere Forscher haben darauf hingewiesen, in welch hohem Maße diese Legierung von Konfession und Nation von einem Streben nach Befestigung und Erneuerung christlicher Männlichkeitsideale geprägt war.18 Olaf Blaschke hat mit Beispielen aus Deutschland und im Anschluss an seine These vom „zweiten konfessionellen Zeitalter“ gezeigt, dass der Konfessionalismus als ein Instrument zur Remaskulinisierung der religiösen Sphäre diente.19 Die These von einer zweiten Konfessionalisierung wird hier zum Schlüssel zur Erklärung des männlichen Engagements für Kirche und Religion in einem immer mehr feminisierten religiösen Kontext. In dem von mir geleiteten Forschungsprojekt „Christliche Männlichkeit – ein Paradox der Moderne“, an dem auch Blaschke teilgenommen hat, haben mehrere ForscherInnen ähnliche Tendenzen innerhalb des skandinavischen Protestantismus dieser Zeit gefunden. Hier ging es teils darum, die christlichen Männlichkeitsideale durch Anknüpfung an nationalistische Kampfrhetorik bzw. an das bürgerliche Ideal des „self-made man“ zu remaskulinisieren, teils darum, den genuin männlichen Charakter christlicher Tugendideale zu zeigen.20 Andere theoretische Inspirationsquellen sind Pierre Bourdieus Theorie von der männlichen Herrschaft und Robert William Connells Konzept der hegemonischen Maskulinität, die beide die Bedeutung der Konkurrenz- und Statuskämpfe der Männer bei der Ausformung von Normen und Idealen der Männlichkeit hervorheben. Ich habe auch das von George Mosse entwickelte Konzept der „counter-types“ benutzt, die als Gegenbilder zu den vorherrschenden Männlichkeitsidealen dienen und diese zugleich bestätigen. In meiner Untersuchung geht es um die Gegenbilder zur idealen katholischen Männlichkeit und um die Bedeutung konfessioneller Faktoren in diesem Zusammenhang.21 Ein wichtiger Faktor ist 17 Tosh, A Man’s Place; Hall, Muscular Christianity; Bradstock, Masculinity and Spirituality. Siehe auch Delap/Morgan, Introduction, 1–28. 18 McLeod, Secularisation, 52–67, 147–158, 184–202; Blaschke, Das 19. Jahrhundert, 38–75. Zu den Beziehungen zwischen Nationalismus und Religion siehe: Geyer/Lehmann, Religion und Nation; Altermatt/Metzger, Religion und Nation. 19 Blaschke, Unrecognised Piety, 21–45. 20 Die Ergebnisse unseres Forschungsprojekts werden zusammengefasst in: Werner, Christian Masculinity. Wir haben mit belgischen und holländischen Forschergruppen zusammengearbeitet, deren Ergebnisse vorgestellt werden in: Pasture, Feminization Thesis. 21 Bourdieu, La domination masculine; Connell, Masculinites; Mosse, Image of Man, 56–76. Vgl. Dinges, Hegemoniale Männlichkeit, 7–33.

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hier die starke Stellung des Zölibatsideals und der monastischen Lebensform im damaligen Katholizismus, was im scharfen Gegensatz zur evangelischen Tradition mit ihrer Betonung von Familie, Haushalt und Zeugung von Nachkommenschaft stand.22

1. Die katholischen Männlichkeitsideale der Pionierzeit In den 1860er- und 1870er-Jahren gab es ein Tauziehen um die Organisation der katholischen Missionstätigkeit in Skandinavien. Schweden und Norwegen bildeten ein gemeinsames Apostolisches Vikariat mit einem eigenen Bischof, während Dänemark den Norddeutschen Missionen unter der Leitung des Bischofs von Osnabrück angehörte. Dazu gab es die 1854 errichtete sogenannte Nordpolmission, eine arktische Apostolische Präfektur mit Zentrum in Nordnorwegen, die in der Anfangsphase vom russischen Konvertiten Graf Stephan Djunkowsky geleitet wurde. Ein Dutzend jüngerer Priester verschiedener Nationalitäten engagierte sich in diesem Missionsprojekt, das anfänglich ziemlich erfolgreich war. Aber das Streben, das Gebiet der Nordpolmission auf ganz Norwegen und Dänemark auszudehnen, stieß auf den Widerstand der anderen im Gebiet tätigen, vorwiegend aus dem deutschen Sprachraum stammenden Missionare. Zur gleichen Zeit etablierten sich italienische Barnabiten in Schweden und Norwegen, und es gab Pläne, die Verantwortung der norwegisch-schwedischen Mission auch diesem Orden zu überlassen. Die Konsequenz von allem war, dass die Nordpolmission aufgehoben wurde und Norwegen und Dänemark 1869 zu selbstständigen Missionsdistrikten gemacht wurden. In Zusammenhang mit dieser Neuordnung der nordischen Missionsverhältnisse zogen sich die Barnabiten allmählich aus Skandinavien zurück.23 Die umfassende Korrespondenz um diese Fragen und der Machtkampf, den sie spiegeln, beleuchten die Vorstellungen von der idealen priesterlichen (missionarischen) Männlichkeit und deren Gegenbilder. In ihren Schreiben und Berichten übten die Parteien wechselseitig Kritik, indem sie Handlungen und Verhaltensweisen hervorhoben, die in verschiedener Weise zum kirchlichen Normensystem in Widerspruch standen oder aus anderen Gründen als ungeeignet angesehen wurden. Zugleich bemühten sie sich, das eigene Handeln so positiv wie möglich darzustellen.24 Ähnliche Strategien wurden auch in den protestantischen Missionen verwendet. So zeigt die norwegische Kirchenhistorikerin Kristin Tjelle Fjelde, wie die Konstruktion der norwegischen Missionar-Männlichkeit als ein Ergebnis eines Machtkampfs zwischen verschiedenen Gruppen von Missionaren zustande kam, wo das Ideal der Verlierer verworfen und deren Charakter und Orthodoxie infrage gestellt wurde.25 22 Dortel-Claudot, Vie consacrée, 654–706; Birkenmeier, Geistliche Berufe, 306f. 23 Palmqvist, Römisch-katholische, 143–159; Eidsvig, Den katolske kirke, 169–187; Brodersen, Nordpolmission, 78–106. 24 Werner, Feminin manlighet, 144–149. 25 Tjelle Fjelde, Missionary Masculinity, Kapitel 2 u. 3.



Katholische Männlichkeit in Skandinavien

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Ein illustratives Beispiel guter priesterlicher Männlichkeit und deren Gegenbilder bieten die Berichte über und von dem neu ernannten katholischen Pfarrer in Kopenhagen, Hermann Grüder. Dieser Priester, der später Apostolischer Präfekt der dänischen Mission wurde, wird als ein frommer, intelligenter und eifriger Seelsorger mit einem empfindlichen Gewissen und einem guten Urteilsvermögen beschrieben, ein Bild, das durch seine eigenen Berichte indirekt bestätigt wird. Der Präfekt der Nordpolmission dagegen wird als sein komplettes Gegenteil dargestellt. Es wurde zwar anerkannt, dass Djunkowsky als Missionar etliches erreicht habe, aber zugleich betont, dass er ein unbesonnener, eitler und taktloser Mann sei, dem sowohl die erforderliche Selbstkontrolle als auch die priesterliche Würde fehle.26 Djunkowsky seinerseits bezeichnete seine Kritiker als intrigant und neidisch und warf ihnen vor, im nationalistischen Geist die skandinavische Mission für deutsche Missionare reservieren zu wollen. In ihren vielen und oft langen Berichten schildern die Nordpolmissionare ihre strapaziösen und nicht selten gefährlichen Missionsreisen im Polargebiet und ihre trotz hartem Widerstand der protestantischen Geistlichkeit erzielten Erfolge.27 Diese Berichte weisen große Ähnlichkeiten mit der maskulinisierten Rhetorik des zeitgenössischen angelsächsischen Missionsdiskurses auf, wo die Missionare als allen Gefahren auf ihrem Weg trotzende Entdecker dargestellt wurden. Auch skandinavische Missionare verwendeten, wie Erik Sidenvall in seiner Studie über die Mission schwedischer Evangelikaler in China gezeigt hat, diese Rhetorik.28 Während aber diese protestantischen Missionare, die in der Regel verheiratete Laien waren, sich an dem Männlichkeitskonzept des liberalen Mittelstandes orientierten, gingen die Nordpolmissionare von dem klerikalen und markant antibürgerlichen tridentinischen Priesterideal aus. In den Berichten werden klassische Missionarseigenschaften wie Kühnheit, Mut und Ausdauer hervorgehoben, aber auch Rechtgläubigkeit und die Bereitschaft, die Rechte der Kirche in einer feindlichen Umgebung zu verteidigen. Die in der hier analysierten Korrespondenz hervorgebrachten positiven Bewertungen spiegeln, wenn auch in unterschiedlicher Weise, das vorherrschende katholische Priesterideal mit dessen Betonung von Askese, Frömmigkeit, Opferbereitschaft und hierarchischer Unterordnung. Der Barnabiterorden ist eine missionarische Klerikergemeinschaft, die anfänglich ihr Zentrum im Kloster San Barnaba in Mailand hatte, wovon sich ihr Name herleitet. Im Sommer 1864 etablierten sich die Barnabiten in Schweden und Norwegen. Der in Norwegen geborene Johan Daniel Stub übernahm den Posten als katholischer Pfarrer in Christiania, während Carlo Giovanni Moro und Cesare Tondini de’Quarenghi nach Stockholm geschickt wurden. Eine Anzahl anderer Barnabiten waren längere oder kürzere Perioden 26 Berichte an Propaganda Fide von Grüder 31/8 1858, 13/10 1859, 4/10 1861 und von dem Pfarrer in Christiania Jean-Claude Lichtlé 12/5 1861: Germania, vol. 22, ASPF; Bischof Paulus Melchers an Pius IX. 11/10 1861: Germania, vol. 23, ASPF; Studach an Propaganda Fide 13/11 1861: Svezia vol. 4, ASPF. 27 Djunkowsky an Propaganda Fide 21/11 1856, 18/3 1857, 12/4 1858, 11/5 1859; Sommario. Relazione della Missione del Polo Artico per corrente anno 1858: Germania, vol. 21 u. 22, ASPF. 28 Sidenvall, Making of Manhood; Rutherdale, Missionaries and Imperial Manhood, 52–64.

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in Schweden und Norwegen tätig, darunter Gregorio Almerici, der für eine Zeit Hofkaplan bei der katholischen Königinwitwe Joséphine war. Die Barnabiten, die eine betont marianische Spiritualität vertraten, wurden bald als Seelsorger und Prediger sehr geschätzt. In Stockholm konzentrierten sie ihre Missionstätigkeit auf die gebildeten Klassen, und sie waren gern gesehene Gäste in den vornehmen Salons der Hauptstadt.29 Die überwiegend deutschstämmigen Weltpriester standen den Barnabiten sehr kritisch gegenüber. Sie klagten sie an, ihre Pflichten als Seelsorger zu versäumen, um sich stattdessen einem unnützen „ministère de salon“ zu widmen, das eher der eigenen Zerstreuung als der Mission diene. Sie seien zudem als Missionare in Skandinavien ungeeignet, da ihre südländische Mentalität dem gemeinen Nordländer fremd erscheine. Auch der Bischof schloss sich den Kritikern an, während die Königinwitwe auf der Seite der Barnabiten stand.30 Die Barnabiten ihrerseits sahen sich dank der römischen Prägung ihrer Kongregation und ihrer intellektuellen Bildung als Vertreter einer überlegenen Form priesterlicher Männlichkeit. In ihren Berichten betonen sie die Bedeutung, die hohe Würde und den sakralen Charakter des katholischen Priesteramtes vorzuleben und dadurch zugleich die kulturelle Überlegenheit des Katholizismus zu demonstrieren.31 Ein gemeinsames Merkmal der Missionsberichte der Barnabiten ist die Betonung des Opfergedankens und des Gehorsams. Die skandinavische Missionstätigkeit wird als Opfer dargestellt, zu dem sich die Patres aus Gehorsam bereitgestellt hätten und das viele Entbehrungen mit sich bringe, nicht zuletzt das Fehlen eines regelmäßigen Kommunitätslebens. Tondini bezeichnete den Gehorsam als eine „esercizio di fede“ (Übung des Glaubens) und Almerici sprach von „sacrifice de moi même“ (Selbstaufopferung). Dabei wurden die Befehle der Oberen als ein Ausdruck des Willens Gottes gesehen. Dieser Gehorsamsdiskurs war typisch für das katholische Ordensleben jener Zeit, aber in den Berichten der Barnabiten wird der Gehorsam nicht nur als eine selbstverständliche Tugend dargestellt, sondern auch als ein existenzielles Problem, das in betont gefühlsmäßigen Worten artikuliert wird. Dies gilt auch für Schilderungen von Rückschlägen und Problemen, und es ist oft die Rede vom Opfer zur Ehre Gottes, vom Tragen des Kreuzes, davon, den Kreuzweg zu gehen und dergleichen.32 Diese Art religiöser Gefühlsausdrücke kommt in den Missionsberichten der übrigen Priester nur selten vor, was dahingehend interpretiert werden könnte, dass die Barnabiten eine mehr expressive religiöse Kultur vertraten. Aber der Unterschied könnte auch damit erklärt werden, dass die Korrespondenz der Barnabiten ordensintern war und 29 Declercq, La missione, 67–81. 30 Berichte an Propaganda Fide von Bernhard 12/2 u. 29/7 1869, von Studach 29/6 1868 u. 4/1 1869 und von Rudolf Kiesler 19/10 1875: Svezia, vol.  4 u. 5, ASPF; Palmqvist, Römisch-katholische, 150–152. 31 Berichte an den General von Almerici 1/10 u. 4/10 1868, von Stub und Moro 1/5 1868: Epist. Gen., ASBR; vgl. Werner, Alternative Masculinity, 171f. 32 Berichte an den General von Tondini 27/2 u. 10/6 1864, 3/10 1865 (Zitat), von Stub 18/2 1865, von Moro 8/3 1866, 13/4 1867, 29/8 1868 und von Almerici 4/11 1868 (Zitat); Epist. Gen., ASBR; vgl. Werner, Alternative Masculinity, 172f.



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dass es in diesem Zusammenhang als natürlich angesehen wurde, eine religiös gefärbte Sprache zu verwenden. Eine andere Erklärung ist, dass der südeuropäische Kulturraum von einem mehr expressiven Emotionsdiskurs geprägt war als der nordeuropäische, was nicht zuletzt auf religiösem Gebiet zum Ausdruck kam.33 Das nordische Missionsprojekt der Barnabiten war in vielerlei Hinsicht ein Produkt weiblichen Strebens. Die Etablierung des Ordens in Skandinavien war zum großen Teil dadurch bedingt, dass die französischen St.Joseph-Schwestern sich dafür eingesetzt hatten, und dass die Tätigkeit der Barnabiten in Stockholm sich nicht wie geplant entwickelte, hing mit dem Widerstand einer anderen französischen Frauenkongregation, der Töchter Mariens (Filles de Cœur de Marie), zusammen.34 In ihren Berichten beschreiben sowohl die Barnabiten wie die Weltpriester den Einfluss der Ordensschwestern auf die Missionsarbeit als eine Verfallserscheinung und einen Ausdruck weiblicher Herrschsucht, aber auch als ein Zeichen ungebührlicher männlicher Schwäche. Gleichzeitig waren sie von den Ordensschwestern, die gerade zu dieser Zeit immer mehr als Mitarbeiterinnen und Helferinnen des Klerus hervortraten, in hohem Maße abhängig. Dies zeigte sich nicht zuletzt in der katholischen Gemeinde in Stockholm, wo die für den Priesterhaushalt verantwortliche Ordensschwester als Vertraute des Pfarrers einen großen Einfluss auf die Missionsarbeit ausübte. Die Barnabiten nannten sie kritisch „Frau Pfarrer“ oder „Bischöfin“. Selber hatten sie aber eine enge Zusammenarbeit mit den St.Joseph-Schwestern, und in der internen Korrespondenz erscheinen die beiden Kongregationen als gleichberechtigte Partner.35 Aber auch wenn die Zugehörigkeit zum zölibatären Ordensstand in gewisser Weise die sozial konstruierten Geschlechterdifferenzen transzendierte, so waren es hier wie in der Gesellschaft insgesamt nichtsdestoweniger die Männer, welche die macht- und normgenerierenden Positionen innehatten. Das in der analysierten Korrespondenz zum Vorschein tretende Ideal des Priesters und Ordensmannes ist geprägt von Eigenschaften wie Demut, Selbstaufopferung, Gehorsam und Unterordnung. Das Gegenbild, das in den gegenseitigen Anklagen der Parteien gezeichnet wird, ist der ehrgeizige, arrogante und charakterlose Karrierist bzw. der spießbürgerlich gesinnte Mann, der routinemäßig seine Dienstpflichten tut und sich von Frauen leiten lässt. Diese Tugendideale wurden jedoch, wie der schwedische Kirchenhistoriker Alexander Maurits und die Historikerin Veronica Jüttemann mit Beispielen aus Schweden bzw. Deutschland gezeigt haben, auch in konservativen protestantischen Milieus aufrechterhal-

33 Scherer, Emotion Experiences, 173–190, 34 Berichte an den General von Moro 30/1 1865 und von Tondini 10/6 1864: Epist. Gen., ASBR; Berichte an Propaganda Fide von Studach 4/1 1869 und von dem Pfarrer in Stockholm Anton Bernhard 28/7 1869: Svezia, vol. 4, ASPF; vgl. Werner, Nordisk katolicism, 63–65. 35 Berichte an den General von Tondini 10/6 1864 und Moro 30/6 1865: Epist. Gen., ASBR; Declercq, La Rinascita cattolica, 89–93, 144–156, 230–233; Werner, Katolsk mission och kvinnlig motkultur, 56–72. Zum Einfluss der Ordensfrauen vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 259–309.

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ten.36 Hier waren sie aber mit der Berufung im Alltagsleben verbunden und nicht, wie im Katholizismus, mit Ordensleben und Frömmigkeitsübungen, und es wurde ihnen auch kein Verdienst im theologischen Sinne zugeschrieben. Von einem bürgerlich-liberalen oder kulturprotestantischen Standpunkt erschienen diese Tugenden aber eher als Frauenideale und die zölibatäre Lebensform als ein Ausdruck mangelnder Männlichkeit.

2. Jesuitischer Männlichkeitsdiskurs im nordischen Kulturmilieu Die Ordensregel der Gesellschaft Jesu mit ihren aus dem Militärleben geholten Metaphern hat einen betont männlichen Charakter. Der von einem auf Lebenszeit gewählten General geleitete Orden wird als Kampfgruppe Jesu bezeichnet, das Apostolat als heiliger Kampf dargestellt und das Gehorsamsgelübde mit militärischer Terminologie umschrieben. Harte Forderungen werden an den einzelnen Jesuiten gestellt, der sich durch intellektuelle Fähigkeit, Charakterfestigkeit, Selbstbeherrschung und Initiativkraft auszeichnen soll. Die Ordensregel und die zu dieser Zeit geltenden Konstitutionen dienten dem Ziel, Einheitlichkeit und Disziplin zu gewährleisten und einen gemeinsamen Geist in den Kollegien und Residenzen des Ordens rings um die Welt aufrechtzuerhalten.37 Das Apostolat des Ordens in Skandinavien war teils auf Mission und Seelsorge, teils auf Schulunterricht ausgerichtet und sollte gemäß der Tradition des Ordens und den Vorschriften der Generäle sich vor allem auf die Männer konzentrieren. Die beiden höheren Schulen der Jesuiten in Kopenhagen und Ordrup waren nur für Jungen, und anfänglich standen die jesuitischen Marienkongregationen, eine Art Laienverein, dessen Mitglieder sich zu einem religiösen Leben verpflichteten, nur Männern offen.38 Von den Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeten weiblichen Marienkongregationen ist in der Berichterstattung der Jesuiten nur selten die Rede. Die Schilderungen der Aktivitäten der Männerkongregationen sind umso ausführlicher, und es wird hervorgehoben, mit welchem Eifer die Männer an Andachtsübungen und religiösen Glaubensmanifestationen verschiedener Art teilnahmen. Auch auf diskursiver Ebene wurde also der Männerseelsorge Priorität eingeräumt, und dies trotz der Tatsache, dass die Mehrheit der von den Jesuiten unterrichteten und in die Kirche aufgenommenen Konvertiten Frauen waren. Die Berichterstattung zeugt von den Bemühungen der Patres, die von dem Orden zu dieser Zeit eifrig gepflegte marianische Frömmigkeit und den Kult des Herzens Jesu zu verbreiten und beliebt zu machen, nicht zuletzt unter den Männern.39 Was Olaf Blaschke für das Männerapostolat der Jesuiten in Deutschland in der Zwischenkriegszeit gezeigt hat, gilt auch für ihre Tätigkeit in Skandinavien. So wurden 36 Jüttemann, Im Glauben vereint, 123–178; Maurits, Den vackra och erkända patriarchalismen, bes. 185–231. 37 Koch, Jesuiten-Lexikon, 109–115, 134; Hartmann, Jesuiten, 19–29. 38 Koch, Jesuiten-Lexikon, 1020–1022; Werner, Nordisk katolicism, 108–110, 134–137, 289f. 39 Berichte an den General von Frins 28/1 1889 und von Lohmann (Århus) 20/1 1891: Germ. 10-X u. XX; Litterae Annuae (Hafniensis) 1880/81, 1882/1883, 1885/86, 1897/98, 1912: 1505, 1507



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Haltungen und Verhaltensmuster, die in dem damaligen säkularen Geschlechterdiskurs als feminin galten, als männlich und heroisch dargestellt und umgekehrt. Religiöse Praxis wurde als etwas eminent Männliches hochstilisiert, während mangelnde Kirchlichkeit als ein Ausdruck unmännlicher Feigheit dargestellt wurde.40 Neben der Missions- und Gemeindetätigkeit nahm die Erziehung der Jugend eine zentrale Stellung im skandinavischen Apostolat der Jesuiten ein. Das Andreaskolleg in Ordrup und die St.Knuds-Schule in Kopenhagen waren Zentren dieses Apostolats und dienten zugleich als Werkzeug katholischer Mission; die Mehrheit der Schüler des Andreaskollegs waren Protestanten. Ihren Berichten zufolge schenkten die Jesuiten der Erziehung zur Sittlichkeit größere Beachtung, als es sonst bei Gymnasien in Dänemark der Fall war. Ein anderes Merkmal war die starke Stellung der religiösen Praxis. Die katholischen Schüler dienten als Ministranten, und viele waren auch Mitglieder der Marienkongregation ihrer Schule.41 Die Jesuiten waren bemüht, die Liturgie so feierlich und formvollendet wie möglich zu gestalten, und in den lateinischen Jahresberichten gibt es eingehende Beschreibungen des gottesdienstlichen Lebens und größerer liturgischer Ereignisse.42 Die Liturgie war zu dieser Zeit eine ganz und gar klerikale Angelegenheit und zugleich eine symbolische Markierung einer schöpfungstheologisch begründeten Geschlechterordnung mit dem Mann als Norm. Aber sowohl in seinen Texten wie in der Gestik war der katholische Gottesdienst stark von Ausdrücken wie Demut, Buße und Unterordnung gekennzeichnet, d. h. von Merkmalen, die im zeitgenössischen bürgerlich-liberalen Diskurs mit Weiblichkeit verbunden waren. Als Vorbilder für die Erziehung der männlichen Jugend dienten Heilige, deren strenge Askese, selbstaufopfernde Demut und Gehorsam in apologetischen Erzählungen zum Symbol des katholischen Vollkommenheitsideals stilisiert wurden. Zeugnisse nordischer Konvertiten zeigen, dass es schwierig war, dieses weltfremde Tugendideal in einem nordischen Milieu zu vermitteln.43 In ihrer praktischen Arbeit waren die Jesuiten aber mehr lebensnah, und sie versuchten, so weit wie möglich sich den nordischen Sitten und Bräuchen anzupassen, ohne jedoch ihre katholische und klerikale Identität aufzugeben.44 In den Instruktionen der Generäle werden immer wieder die Bedeutung der genauen Befolgung der Ordensregel und die Pflege des geistlichen Lebens und der „unione fraterna“ in den Ordenshäusern eingeschärft.45 Die Berichte der Patres sind an diesen Richtlinien u. 1510, ARSI; Mittheilungen 1907, 403f. u. 1908, 563f., APGS; Werner, Nordisk katolicism, 171, 187. 40 Blaschke, Unrecognised Piety, 34–42. 41 Olden-Jørgensen, Sankt Andreas Kirke, 26–30. 42 Litterae annuae (Stockholm) 1882/83, 1888/89, 1898/99, (Århus) 1884/85, 1896/97, (Köpenhamn) 1890/91, 1895/96, 1906/07, (Ordrup) 1893/94, 1900/01, Historia Domus (Köpenhamn) 1928/29, ARSI; vgl. Werner, Världsvid, 141–144. 43 Schindler, Tilbage til Rom, 36–60. 44 Werner, Världsvid, 153–157. 45 Der General an Hermann Zurstrassen 24/4 1873, 30/11 1874 und Friedrich Lieber 25/3 1893 u. 31/5 1902: Epist. Praep. Gen. Germ. IV-VI, ARSI.

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orientiert und enthalten sowohl erbauliche Beispiele wie eine Auflistung von Maßnahmen zur Beseitigung etwaiger Abweichungen von der normativen Ordnung. Mangel an Gehorsam und fehlende Bereitschaft zur Unterordnung treten als die schlechtesten Eigenschaften hervor und waren zugleich die Hauptgründe für einen Ausschluss aus dem Orden.46 Aber die Gehorsamsforderung wurde nicht strikt ausgelegt, und Konflikte zwischen Vorgesetzten und Untergebenen waren ein ständig wiederkehrendes Problem. Die Ordensleitung griff nur selten in solche Konflikte ein, sondern begnügte sich mit allgemeinen Ermahnungen in Briefen oder im Zusammenhang mit Visitationen.47 Unter den guten Eigenschaften wurden neben dem Gehorsam vor allem die Frömmigkeit und der Opferwille hervorgehoben, aber auch Kreativität, Intellektualität, Organisationstalent und Handlungskraft. Ein Jesuitenpater, der besonders gute Zeugnisse bekam, war Friedrich Küpferle, der als Lehrer und Rektor an der Jesuitenschule in Kopenhagen tätig war. Neben seinen pädagogischen und intellektuellen Fähigkeiten (firmo capite), die er durch glänzende Studienergebnisse dargelegt hatte, wurden besonders seine beispielhafte Frömmigkeit und Demut genannt. In einem Bericht von 1927 wird er als „vir maxima meriti et eximia virtutis“, also als ein verdienstvoller und außerordentlich tugendhafter Mann, beschrieben.48 Für die Laienbrüder, welche die praktischen Aufgaben in den Kommunitäten zu besorgen hatten, galten zum Teil andere Tugendideale. In ihrem Fall wurden neben den spezifisch christlichen Tugenden vor allem Fleiß, Sorgfalt und Treue hervorgehoben.49 Der in den Berichten verwendete Sprachgebrauch bedarf einer näheren Analyse. In den Briefen an den General, die in der Regel auf Latein geschrieben sind, ist der Ton fromm, untertänig und demütig. Wünsche werden in der Form einer demütigen Bitte (humilitate precor) vorgestellt, und der Schreiber drückt sein Vertrauen in Gottes Gnade und Barmherzigkeit aus und betont zugleich seine eigene Geringheit. Dies kommt nicht zuletzt in der Korrespondenz zu Ernennungen zum Vorschein. So betonte der 1890 zum Rektor in Ordrup ernannte Benedikt Fels, dass er befürchte, den Orden nicht in einer würdigen Weise vertreten zu können, dass aber die liebevollen Ermahnungen des Generals (vota et monita caritas plena) ihm neuen Mut gegeben hätten.50 Noch stärkere Zweifel am eigenen Vermögen drückte sein Vorgänger Paul Wehrhahn aus, der seine Untauglichkeit für den Auftrag mit dem Hinweis unterstrich, dass ihm sowohl die von der Ordensregel 46 Berichte an den General von Thomas Brühl 11/7, 2/10 1887 und von Friedrich Küpferle 26/10 1921: Germ. 1010-XX u. Germ. Inf. 1019-V, ARSI; Bericht an den Provinzial von Lieber 15/7, 24/8, 21/12 1886: OV 64 Suecia, APGS; Werner, Alternative Masculinity, 177–180. 47 Ignatius Schmid an den General Luis Martin 25/1 1897, 31/1 1898: Germ. 1011-X, ARSI; Martin an den Provinzial Alois Haan 2/4 1898: Epist. Praep. Gen. Germ. IV, ARSI. 48 Berichte an den General von Michael Hausmann 13/8 1909, von Joseph Droste 27/12 1915 und von Josef Wolfisberg 5/1 1927: Germ. 1013-XI, 15-VIII; Germ. Inf. 1018 u. 1022, ARSI. 49 Ludwig Schmitt an den General 19/1 1889: Germ. 1010-XI, ARSI; Lieber an den Provinzial 3/4 1887: OV 64 Suecia, APGS. 50 Berichte an den General von Brühl 2/10 1887, Benedikt Fels 21/12 1890 und Wolfisberg 4/7 1927: Germ. 1010-XX u. Germ. Inf. 1022, ARSI.



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geforderte Gotteshingabe wie auch die erforderliche Klugheit fehlten. Aber sowohl Fels wie Wehrhahn übernahmen ihren jeweiligen Auftrag.51 Strebertum war nach der Ordensregel ausdrücklich verboten, aber der jesuitische Gehorsamsdiskurs gebot andererseits, dass man einen angewiesenen Posten annehmen sollte. In den Briefen an den Provinzial, die auf Deutsch geschrieben sind, ist der Ton ganz anders. Frömmigkeitsformeln und devote Ausdrücke der Unterordnung kommen nur sehr selten vor. Die Lageberichte sind sachlich gehalten, und Konflikte und Schwierigkeiten wie auch Zukunftsvisionen und Missionsstrategien werden mehr geradeheraus dargestellt als in den Berichten an den General. Der Superior der Residenz in Kopenhagen, Hermann Zurstrassen, betonte in einem Bericht 1879 über die katholischen Fastenpredigten, dass man „den Protestanten auf die Hosen gegeben“ habe. Manchmal ist der Stil vertraut familiär, um nicht zu sagen burschenhaft. In einem Bericht des Superiors in Stockholm, Friedrich Lieber, wird zum Beispiel erzählt, dass „erzbischöfl. Gnaden Julius“, wie er seinen Ordensbruder Lohmeyer in Gothenburg scherzhaft nannte, zu Besuch in Stockholm sei und dass sie es „urgemütlich“ hätten. Ihre Kirche pflege „gesteckt voll“ zu sein, betonte Lieber in einem anderen Bericht.52 Probleme mit Disziplin und Gehorsam werden in diesen Berichten meistens unverblümt beschrieben und ohne dass man sich, wie in den Berichten an den General, auf die Gnade und Hilfe Gottes beruft. Die Berichterstattung der deutschen Provinziäle an Rom ist von derselben Offenheit wie die der Oberen an die Provinzleitung.53 Scherzhafte Formulierungen scheinen aber in diesen Berichten nicht vorzukommen. Der Jesuitenorden tritt in der analysierten Korrespondenz einerseits als eine homosoziale Männergemeinschaft mit viel Platz für Humor und Kameradschaft und andererseits als eine von strenger Gehorsams- und Pflichtethik und strikten Regelwerken geprägte, straff organisierte religiöse Kampfgemeinschaft hervor. Die Briefe und Berichte der Patres sind, wie gesagt, nüchtern und sachlich und die verwendeten religiösen Ausdrücke eher formelhaft. In den apologetisch gehaltenen lateinischen Jahresberichten, die an die Ordenshäuser rings um die Welt distribuiert wurden, steht das Religiöse eher im Vordergrund. Es handelt sich hier jedoch nicht um die Vermittlung persönlicher religiöser Erfahrungen, sondern um erbauliche Erzählungen von Bekehrungen, Wunderheilungen und anderen Ausdrücken der Gnade Gottes in der pastoralen Arbeit.54 Ähnliche Perspektiven finden sich auch in den Zeitschriften der Jesuiten. Hier wird die Bedeutung der mit kirchlicher Praxis verbundenen Tugenden in gleicher Weise für Frauen wie für Männer hervorgehoben, und dieser geschlechterüberschreitende Diskurs kommt auch in der Darstellung der Heiligen zum Ausdruck. Gleichzeitig wird aber die Vorrangstellung 51 Berichte an den General von Paulus Wehrhahn 3/2 1883 und Küpferle 26/10 1921: Germ. 1009XVI u. Germ. Inf. 1019, ARSI. 52 Bericht an den Provinzial von Lieber 14/10 1885 u. 19/12 1890: OV 64 Suecia, APGS; Berichte an den General von Straeter 27/7 1876 und Zurstrassen 14/6 1879: Dania V 65, APGS. Lieber war Bruder des Zentrumführers Ernst Lieber. 53 Ernst Thill an Vlodimir Lédochowski 19/3 1918: Germ. 1015-XV, ARSI. 54 Werner, Nordisk katolicism, 137–139.

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des Mannes betont und die Unterordnung der Frau als eine selbstverständliche christliche Pflicht dargestellt.55 In ihren Beziehungen zu Frauen und Ordensschwestern benutzten die Jesuiten dieses Prinzip viel strikter als zum Beispiel die Barnabiten. Auch wenn sie mit Ordensschwestern zusammenwirkten, war gar keine Rede von jener Art enger Zusammenarbeit, welche die skandinavische Mission der Barnabiten geprägt hatte. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen von Peter McDonough, der anhand einer Analyse der Männlichkeitsdiskurse der amerikanischen Jesuiten gezeigt hat, dass die weibliche Unterordnung nicht nur als eine christliche Pflicht betrachtet wurde, sondern auch als eine Voraussetzung dafür, dass die Männer ihre volle Männlichkeit entwickeln konnten. 56 Diese schöpfungstheologisch motivierte Geschlechterordnung bildete auch die Grundlage für die katholische Lehre vom Priesteramt. In den Publikationen der Jesuiten werden die Heiligkeit, hohe Würde und der exklusiv männliche Charakter des priesterlichen Dienstes deutlich herausgestellt, und die männliche „Jungfräulichkeit“ wird als Fundament der priesterlichen Männlichkeit dargestellt.57 Viele der Eigenschaften und Haltungen, die als tragende Elemente der jesuitischen Spiritualität und Männlichkeit hervortreten, galten im zeitgenössischen säkularen und kulturprotestantischen Geschlechterdiskurs eher als Frauenideale. Andere jesuitische Tugendideale wie beispielsweise Selbstdisziplin und Handlungskraft erscheinen dagegen als ganz konform mit den vorherrschenden säkularen Männlichkeitsidealen wie auch die Gegenbilder zum tugendhaften Leben, die in den Instruktionen der Oberen zum Vorschein kommen. Diese Ideale müssen aber in ihrem jeweiligen Zusammenhang betrachtet werden. Für die Jesuiten wie für die anderen katholischen Ordensgemeinschaften waren die Tugend- und Männlichkeitsideale in einem kirchlichen Kontext eingesetzt, wo die Religion eine übergeordnete Stellung hatte. Von diesem Ausgangspunkt aus handelte es sich nicht um Männer- und Frauenideale, sondern um christliche Tugenden und ihren Gegensatz. Dies erklärt auch die Unterschiede zwischen katholischen und protestantischen Strategien der Remaskulinisierung. Der schwedische Historiker David Tjeder hat gezeigt, wie führende protestantische Kirchenmänner Anfang des 20. Jahrhunderts den ihrer Meinung nach zwischen christlichen und männlichen Werten entstandenen Spalt dadurch zu überwinden suchten, dass sie die nationalistische Rhetorik der Zeit übernahmen und ihre Glaubenskrisen und den „männlich machenden“ intellektuellen Kampf zu ihrer Überwindung herausstellten. Der theologisch fundierte „männliche“ Glaube wird hier von einem vermeintlich natürlichen und emotional geprägten „weiblichen“ Glauben unterschieden.58 Gewiss bediente man sich auch auf katholischer Seite einer maskulinisierten Rhetorik. Hier wurde aber zugleich die übergeordnete Stellung des religiösen Diskurses klar markiert, und 55 Dies kommt klar zum Ausdruck in Jesu-Hjertes-Budbringer, beispielsweise in einer Artikelreihe über moderne Heilige 1923. Vgl. Maurits/Van Osselaer, Heroic Men, 65–94. 56 McDonough, Metamorphoses, 325–356. 57 Meyer, Troslära, 84–96; Jesu-Hjertes-Budbringer 1919, 1–5; 1920, 1–6; 1921, 21–27; 1930, 50–52. 58 Tjeder, Crises of Faith, 127–145.



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es wird, was die nordischen katholischen Zeitschriften deutlich bezeugen, kein Unterschied gemacht zwischen männlichem und weiblichem Glauben. In den Konversionserzählungen prominenter nordischer Konvertiten findet man den von protestantischen Kirchenmännern als typisch männlich postulierten intellektuellen Glaubenskampf eher bei den Frauen als bei den Männern.59

3. Die asketische Männlichkeit der Dominikaner Der Dominikanerorden, der sich in der Zwischenkriegszeit zuerst in Norwegen und dann auch in Schweden niederließ, vertrat eine sowohl asketische als auch intellektuelle Tradition. Wie bei den Barnabiten war auch die Etablierung der Dominikaner in Skandinavien zum Teil ein Ergebnis des Engagements von Frauen, und die Mehrheit der Mitglieder des Dritten Ordens der Dominikaner waren Frauen. Auch wenn in den Berichten der Dominikaner manchmal eine gewisse Besorgnis über den großen Anteil von Frauen im Gemeinde- und Gottesdienstleben geäußert wird, so findet sich in der Korrespondenz kein Anzeichen dafür, dass der Männerseelsorge Vorrang gegeben worden wäre.60 Sie wirkten mit den Dominikanerinnen eng zusammen und waren von ihrer Unterstützung abhängig. Die Berichterstattung über diese Zusammenarbeit zeigt aber, dass sie die Schwestern vor allem als untergeordnete Gehilfinnen betrachteten. Die ab und zu vorkommenden Konflikte drehten sich überwiegend darum, in welchem Ausmaß die Schwestern den Brüdern mit Haushaltsdiensten beistehen sollten, und um die Statusbeziehungen zwischen den weiblichen und männlichen Konventen. In Stockholm, wo die Brüder lange Zeit als Untermieter im Haus der Schwestern wohnten, war diese Frage besonders brennend.61 Die männlichen Konvente in Norwegen und Schweden machten eine eigene Provinz aus, die bis 1938 von Henri Dominique Béchaux und danach von Gabriel-Marie Vanneufville geleitet wurde. Prior in Stockholm war bis 1943 Benoît Thierry d’Argenlieu, während der Holländer Bertrand die 1937 errichtete Dominikanergemeinde Maria Bebådelse (Mariä Verkündigung) leitete.62 Die Dominikaner in Skandinavien waren vor allem als Gemeindepriester tätig, was im Widerspruch zu den zu dieser Zeit hervortretenden Bemühungen zur Aufwertung des kontemplativen Lebens und den monastischen Traditionen des Ordens stand.63 Dies wurde als ein Problem empfunden, und in den Berichten wird darüber geklagt, dass die Dominikaner von Arbeit überlastet seien und deswegen viel zu wenig Zeit für Kontemplation und Studien hätten. Demut und Gehorsam sowie die strikte Befolgung der Ordensregel (régularité), Brüderlichkeit (esprit fraternelle) und religiöse Hingabe treten 59 Werner, Nordisk katolicism, 269–274. 60 Thierry d’Argenlieu an den Provinzial Jourdain Padé 1/9 1937: Suède 310, APDF. 61 Béchaux an Padé 4/6 1932, 31/1 1934, 17/1 1937: Norvège K01, APDF; D’Argenlieu an Padé 1/7 1937, 15/8 1939: Suède 310, APDF. 62 Kjelstrup, Norvegia Catholica, 121–167; Paillerets, Catholicisme en Scandinavie, 80f. 63 Monteiro, Masculinity, Memory, 98–100.

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als wichtige Bestandteile des dominikanischen Männlichkeitsideals hervor. Religiöse Redewendungen kommen in den Berichten nur selten vor. Über die Befolgung der Ordensregel und das religiöse Leben in den Konventen wird dagegen eingehend berichtet. Wie bei den Barnabiten war eine oft wiederkehrende Klage das Fehlen eines regulären Kommunitätslebens, das als Voraussetzung für die volle Realisierung der dominikanischen Spiritualität und damit der Männlichkeit betrachtet wurde.64 Der Dominikanerorden ist ein Bußorden und das asketische Lebensideal war ein wichtiges Fundament für die Spiritualität des Ordens.65 Das skandinavische Apostolat forderte aber eine Art von Askese, auf die die Brüder nicht vorbereitet waren. Statt des strengen Fastens und der Buße ging es hier um das Ertragen des rauen Klimas, der winterlichen Dunkelheit und der Isolation. Dies zeigte sich schwieriger als erwartet, und den Berichten zufolge waren die Brüder von allerlei klimabedingten gesundheitlichen Beschwerden, nicht zuletzt psychischer Art, betroffen.66 Neben der Gemeindearbeit hielten die Dominikaner Vorträge, leiteten Einkehrtage und arrangierten theologische Kurse für die gebildete Jugend. Die Verbreitung französischer Kultur galt als Teil des dominikanischen Apostolats und wurde zugleich als ein wichtiges Instrument im Dienst der katholischen Mission betrachtet. Wie die Barnabiten konzentrierten sich auch die Dominikaner vor allem auf die höheren Gesellschaftsschichten, wo das Interesse für die französische Kultur von alters her groß war.67 Dieser Kulturauftrag hatte klare politische Implikationen und stand manchmal im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass die konfessionelle und nicht die ethnische Identität als Plattform für die Missionsarbeit dienen sollte. Frankreich war seit der Trennung zwischen Kirche und Staat 1905 ein säkularer Staat mit starken antiklerikalen Tendenzen. Auf dem Gebiet der Mission galten jedoch andere Prinzipien, und die französische Regierung benutzte die katholische Mission als ein kulturpolitisches Werkzeug in ihrer Außenpolitik.68 Dass diese Abhängigkeit problematisch sein konnte, zeigte sich nicht zuletzt in dem Konflikt um die Leitung und Ausrichtung der französischen Schule der St.Joseph-Schwestern in Stockholm, wo die französische Regierung im Auftrag der schwedischen eine Lösung erzwang, die im Widerspruch zur Entscheidung der kirchlichen Autoritäten stand.69 Wenn die Dominikaner, die als Beichtväter der Schwestern dienten, sich offen gegen die Interessen der französischen Regierung stellten, konnte dies, wie der französische Provinzial Jourdain Padé in seinen Instruktionen klar unterstrich, die Tätigkeit des Ordens sowohl in 64 Vanneufville an den Generalmagister 25/1, 10/8 1938, 24/4 1941 u. 12/3 1943: Norvège K01, APDF; Jahresbericht von d’Argenlieu für 1937: Suède 310, APDF. 65 Heimbucher, Orden und Kongregationen, 479–482; vgl. Raison du Cleuziou, De la contemplation, 65–147. 66 Berichte an den Provinzial von Marie-Dominique Teillard du Chambon 1/6 u. 17/7 1923, Béchaux 4/6 1932 u. 31/1 1934, und von Vanneufville 25/1 1938: Norvège K01, APDF. 67 Berichte an den Provinzial von Béchaux 4/6 1932, 31/1 1934, 17/1 1937 und von Vanneufville 25/1 1938: Norvège K01, APDF; Jahresbericht von d’Argenlieu für 1934 u. 1937: Suède 310, APDF. 68 Prudhomme, Les Missions Catholiques, 31–56. 69 Werner, Katolsk mission och kvinnlig motkultur, 152–172.



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der Mission wie in der Heimat bedrohen. Es galt hier, das richtige Gleichgewicht zwischen den kirchlichen Pflichten und den Forderungen, die an die Dominikaner als französische Staatsangehörige gestellt wurden, zu finden.70 Die Berichte zu diesen Konflikten zeigen die enge Verbindung zwischen Religion und Politik und zwischen Männlichkeit und nationaler Identität. Der französische Gesandte in Stockholm vermittelte ein Bild von den Konflikten als einem Kampf zwischen deutschen und französischen Interessen, und d’Argenlieu wurde als ein „schlechter Franzose“ dargestellt, dessen Handeln der Sache Frankreichs schadete. Dieser stellte seinerseits den Gesandten als einen antiklerikalen Kalvinisten dar, dem es nur darum ging, den Ruf der katholischen Kirche zu schädigen.71 Während des Zweiten Weltkrieges kam d’Argenlieu in eine entgegengesetzte Position. Nun hatte er das Vertrauen der französischen Regierung, und der französische Botschafter wandte sich gegen den Beschluss der Ordensleitung, dass Fens ihn als Prior in Stockholm ersetzen sollte. Wie viele seiner Mitbrüder in Frankreich sympathisierte d’Argenlieu mit der Regierung in Vichy, während Fens und die anderen Patres in Stockholm für die französische Exilregierung in London Partei ergriffen hatten. Mit Hinweis auf die Pflicht, der legitimen Obrigkeit zu gehorchen, weigerte er sich zunächst, seine Stellung als Prior aufzugeben, und unterwarf sich erst, nachdem der Generalmagister den Beschluss bestätigt hatte.72 Das, was vom Standpunkt d’Argenlieus ein Ausdruck eines kirchlich sanktionierten Patriotismus war, eine Auffassung, die von mehreren französischen Bischöfen unterstützt wurde, erschien seinen Mitbrüdern in Stockholm als unzulässiges Politisieren.73 Alle waren sich einig, dass der Gehorsam gegenüber der Kirche und der Ordensleitung an erster Stelle zu stehen hatte. Die Frage war nun, wie dies interpretiert werden sollte. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten zwischen diesem französisch-katholisch patriotischen Diskurs und der nationalen Rhetorik der Vertreter der schwedischen Jungkirchenbewegung.74 In beiden Fällen ging es darum, die Bedeutung der konfessionellen Tradition für die eigene Nation und deren Identität zu zeigen. Aber von den bei den Protestanten deutlich hervortretenden Bestrebungen, den Nationalismus als Werkzeug zur Remaskulinisierung des Christentums zu verwenden, gibt es keine Spur in der analysierten Korrespondenz. In der religiösen Verkündigung werden die Heiligen des Dominikanerordens hervorgehoben, aber die Darstellung konzentriert sich auf religiöse Tugenden wie Frömmigkeit, Demut und Selbstaufopferung, also auf Eigenschaften, die im hege70 Padé an d’Argenlieu 10/8 1933 und an Bechaux 7/8 1933: Konventet i Stockholm, DAL. 71 Berichte an den Provinzial von Béchaux 12/8 1933, Fens 15/2 und d’Argenlieu 28/2 1934: Suède 310, APDF. D’Argenlieu nahm jedoch Abstand von der Action française, deren Weltbild er in einem Interview in Nya Dagligt Allehanda 5/8 1934 (DAL) als rassistisch und materialistisch ablehnte. 72 D’Argenlieu an den Generalmagister 4/6 (Abschrift) und an den Provinzial 21/11 1943: Suède 310, APDF. 73 Berichte an den Provinzial von Fens 7/9 1943 und Vanneufville 24/4 1941 u. 12/3 1943: Suède 310, APDF; vgl. Laudouze, Dominicains français. 74 Blückert, Church as Nation, 223–257.

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monialen bürgerlich-liberalen Diskurs als weiblich galten. Die Jungfrau Maria wird als das wichtigste Vorbild dargestellt, und den weiblichen Heiligen werden die gleichen heroischen Qualitäten zugeschrieben wie den männlichen.75 Wie bei den Barnabiten und den Jesuiten bedeutete Männlichkeit auch bei den Dominikanern vor allem, den in der Ordensregel vorgeschriebenen Idealen, die außer den evangelischen Räten und den gängigen religiösen Tugenden auch Aszetismus und Intellektualität enthielten, gerecht zu werden. Als Gegenbilder (counter-types) zu diesen Idealen treten vor allem Sentimentalität und Mangel an Unterordnung hervor. In einer Studie über die französischen Dominikaner verfolgt der Politologe Yann Raison du Cleuziou die These, dass die dominikanische Spiritualität mit ihrer Forderung nach Reflexivität den Individualismus gefördert habe und diese Tendenz durch die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils verstärkt worden sei, wobei persönliche Präferenzen und Auslegungen an die Stelle des bis dahin geltenden Gehorsamsdiskurses getreten seien.76 Diese Tendenz zeigt sich, wenn auch in weniger radikaler Form, auch in dem hier analysierten Material. Anfang der 1940er-Jahre ergab sich eine gewisse Veränderung in der dominikanischen Spiritualität, jedenfalls auf diskursiver Ebene. So wurde es immer üblicher, dass die Dominikaner in der Korrespondenz mit ihren Ordensnamen benannt wurden, anstatt wie vorher mit Familiennamen, beispielsweise Père Benoît anstatt Père d’Argenlieu. Dies kann als ein Ausdruck des oben genannten Strebens zur Aufwertung der monastischen Tradition des Ordens, aber auch als eine Anpassung an die egalitären Ideale der Zeit angesehen werden. Auf dem skandinavischen Missionsfeld war es immerhin schwierig, die hierarchische Ordnung und die Distanz zu den Laien, die das ultramontane Priesterideal einbegriff, aufrechtzuerhalten. Dies galt nicht zuletzt für die Weltpriester, denen ja die Gemeinschaft des Kommunitätslebens fehlte und die darum mehr auf die Laien angewiesen waren.

4. Weltpriester und nordische Laien Die katholische Mission zielte darauf, eine Basis für selbstständige Lokalkirchen zu legen. Um dieses Ziel zu erreichen, galt es, einheimische Priesterberufungen zu fördern. Die Mehrheit der in Skandinavien geborenen katholischen Priester war am römischen Priesterseminar der Propaganda Fide, Collegium Romanum, ausgebildet worden. Als „Propagandisten“ waren sie verpflichtet, Lageberichte an den Kardinalpräfekten der Kongregation zu schicken, die ein gutes Bild ihrer Visionen und Probleme geben und dadurch auch die Konstruktion klerikaler Männlichkeit spiegeln. Manche dieser Priester waren nordische Konvertiten, die in einer Gesellschaft aufgewachsen waren, deren in der lutherischen Haustafel und

75 Predigten von d’Argenlieu 3/6 1940, 15/4 u. 13/8 1941 und 11/11 1942: Suède 310, APDF. 76 Raison du Cleuziou, De la contemplation, 891–915.



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Familienideologie verwurzelte Vorstellungen eines guten Pfarrers im scharfen Kontrast zum asketischen und zölibatären katholischen Priesterideal standen.77 In den Briefen der skandinavischen Propagandisten wird die Seminarzeit in Rom oft als die glücklichste Zeit ihres Lebens bezeichnet, und für viele von ihnen war es schwierig, sich an das oft einsame Leben als katholischer Pfarrer in der nordischen Diaspora anzupassen. So war es beispielsweise für Frederik Kerff, der mehr als vierzig Jahre lang Pfarrer in der katholischen Gemeinde in Horsens in Dänemark war. Er kam immer wieder auf die Seminarzeit in Rom zurück, die er in einem Bericht von 1918 sogar mit dem Paradies verglich.78 Ab und zu vorkommende Anträge um eine Versetzung in ein katholisches Land wurden abgelehnt. In diesen Fällen war die Botschaft die, dass ein Propagandist (propagandisto) auf dem ihm zugeteilten Posten auszuhalten und dies als Wille Gottes anzusehen hatte. Hier tritt die für das ultramontane Priesterideal so typische Betonung des Opfers wiederum hervor.79 Nach den Berichten der Propagandisten war das Leben als Missionar in Skandinavien von Missgeschick und Drangsal erfüllt, und die Berichterstattung hat oft einen Unterton der Enttäuschung. Wer nicht selber in Skandinavien gewesen sei, könne, meinte der dänische Konvertit Johannes Frederiksen in einem Bericht 1893, nicht verstehen, unter welch harten Bedingungen die katholischen Priester dort arbeiteten. Er selbst war in Odense stationiert, wo sowohl Kapelle wie Gemeindeschule in der Wohnung des Pfarrers untergebracht waren.80 Die Leistungen dieser Weltpriester wurden von den Oberen regelmäßig ausgewertet. Einige erhielten gute Bewertungen. So wurde der Däne Jacob Olrik für seine „echt katholischen Manieren“ und der Norweger Henrik Irgens für seinen festen Glauben und demütigen Charakter gelobt.81 Aber die Mehrzahl dieser Priesterkonvertiten hatte nach den Bewertungen ihrer kirchlichen Vorgesetzten Schwierigkeiten damit, den an katholische Priester gestellten Forderungen nachzukommen. Unter den negativen Eigenschaften werden vor allem Kritiksucht, Selbstüberschätzung und mangelnde Ausdauer genannt, die dem protestantisch geprägten nordischen Volkscharakter zugeschrieben werden. Es wird hervorgehoben, dass diese Priester zwar von Eifer und Begeisterung erfüllt seien, ihre Missionstätigkeit aber aufgrund ihrer protestantischen Erziehung und geringen Erfahrung einer katholischen Lebensweise dennoch nicht selten scheitere. Einige hatten Probleme mit dem Zölibat, während andere einen schwierigen Charakter besaßen und deswegen oft in

77 Werner, Nordisk katolicism, 69f., 182f., 286; zum protestantischen Haushalt vgl. Maurits, Household of the Pastor, 53–65. 78 Kerff an den Kardinalpräfekten 9/4 1895, 18/4 1914, 26/6 1918: N. S. 1895/7, vol. 54; 1897/7, vol. 77; 1914/7, vol. 538; 1918/7, vol. 600, ASPF. 79 Werner, Manlighet och katolsk mission, 121f. 80 Frederiksen an den Kardinalpräfekten 9/2 1893: Germania, vol. 26: ASPF. 81 Arnold Diepen, Rapport de la Visitation Apostolique de Danemarc et Island, 6 jan. 1921; Giovanni Vallega an Kardinal van Rossum 11/6 1929: NS 1921/105 u. 1931:1, vol. 977, ASPF.

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Konflikt mit ihrer Gemeinde gerieten.82 Die Berichte der Propagandisten veranschaulichen die Kluft zwischen dem diskursiven katholischen Priesterideal und den harten Realitäten in der Mission.83 Auf dem Priesterseminar wurde ein Bild von der Hoheit und Würde des priesterlichen Amtes vermittelt, das kaum aufrechtzuerhalten war in den kleinen Gemeinden, wo die Weltpriester eingesetzt zu werden pflegten. In den in katholischen Zeitschriften publizierten Nekrologen über diese Kleriker werden die positiven Eigenschaften akzentuiert. Hier liegt der Schwerpunkt auf den religiösen Tugenden, und die verstorbenen Priester werden als fromme, selbstaufopfernde und liebevolle Seelsorger dargestellt.84 Gemäß einer von der schwedischen Historikerin Anna Prestjan durchgeführten Analyse dominieren in den Nachrufen verstorbener Pastoren der schwedischen Kirche aus derselben Zeit Charaktereigenschaften, die im Einklang mit den zeitgenössischen bürgerlich-liberalen Männlichkeitsidealen stehen, wie Fleiß, Pflichttreue und Charakterstärke. Darüber hinaus gibt es eine Tendenz, traditionell christliche Tugendideale zu neutralisieren, indem sie mit als typisch männlich angesehenen Eigenschaften zusammengestellt werden.85 Im Katholizismus war es eher umgekehrt. Hier stand die religiöse Tätigkeit im Zentrum und säkulare Männlichkeitsideale wurden für kirchliche Zwecke instrumentalisiert. Während der ideale protestantische Pastor als ein Mann unter anderen Männern, der in den Realitäten des Alltags fest verankert war, dargestellt wurde, fokussierte das ultramontane Priesterideal auf klassische christliche Tugenden wie Demut, Frömmigkeit, Gehorsam und Selbstaufopferung. Einige der nordischen Priesterkonvertiten stellten sich kritisch zu der klerikal geprägten ultramontanen Spiritualität, die ihrer Meinung nach vor allem die Jesuiten vertraten, und forderten eine stärkere Anpassung an die nordische Tradition und Mentalität. In der Zwischenkriegszeit versuchte eine Gruppe junger dänischer Priesterkonvertiten mit Peter Schindler an der Spitze ein mehr nordisches Priesterideal im Anschluss an den Grundtvigianismus, eine aus dem 19. Jahrhundert stammende dänische Erweckungstradition, zu entwickeln. Diese Priester wollten die Stellung der Laien stärken und strebten nach einer Entklerikalisierung der Liturgie und der priesterlichen Spiritualität. Solche Tendenzen machten sich auch in reformkatholischen Kreisen im deutschsprachigen Raum bemerkbar, wo sie, wie der amerikanische Historiker Derek K. Hastings gezeigt hat, mit Bestrebungen zur Remaskulinisierung und Modernisierung der katholischen Kultur eng verbunden waren.86 In ähnlicher Weise kann der „katholische Grundtvigianismus“ als ein Versuch angesehen werden, einen mehr „männlichen“ Katholizismus zu entwickeln als Gegenbild zu dem nach nordischer Auffassung feminin geprägten südländischen Katholizismus. Diese Ideen hatten jedoch nur wenig Einfluss. Sie wurden als eine Art Protestantisierung 82 Bischof Johannes von Euch an Diepen 22/7 u. 19/11 1920, 15/1 1921: N. S. 121/105, ASPF; Bischof Albertus Bitter an van Rossum 12/3 1917: NS 1920/105, ASPF. 83 Werner, Manlighet och katolsk mission, 122–125; dies., Världsvid, 196–199. 84 Nordisk Ugeblad 1918, 900–902, 1930, 633–635 u. 1933, 10–12. 85 Prestjan, Man in the Clergyman, 115–126. 86 Hastings, Fears; vgl. Forstner, Priester, 432–439.



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wahrgenommen, und die Mehrheit der nordischstämmigen Weltpriester hielt sich an die ultramontanen Ideale, die als Garant der Rechtgläubigkeit und der Gemeinschaft mit der weltweiten Kirche galten. Die Korrespondenz in diesen Fragen zeigt jedoch, wie schwierig es war, die mit dem ultramontanen Priesterideal verbundene hierarchische Ordnung und geforderte Distanz zu den Laien aufrechtzuerhalten.87 In Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde dieses Priesterideal infrage gestellt und einer Revision unterzogen, wodurch die monastische Lebensform ihre normative Stellung verlor und ein neues, mehr weltorientiertes Priesterideal entwickelt wurde. Im Einklang damit veränderten sich auch die Laienspiritualität und die Vorstellungen katholischer Männlichkeit.88 Aber bis dahin galt das ultramontane Männlichkeitsideal mit dessen Betonung von Tugenden wie Demut, Selbstaufopferung, Gehorsam und hierarchischer Unterordnung, und das monastische Leben diente als Vorbild auch für die Laienspiritualität. Der katholische männliche Laie sollte ein verheirateter Mann sein, und wie im protestantischen Familiendiskurs wurden die Pflicht der Ehefrau, sich ihrem Gatten unterzuordnen, sowie die patriarchale Verantwortung des Ehemannes als Familienvater und Bürger hervorgehoben.89 Die Betonung der Überordnung des Mannes war ein Ausfluss der christlichen Schöpfungstheologie und der damit verbundenen hierarchischen Anthropologie, an die auch die bürgerlich-liberale Geschlechterideologie anknüpfte. Wie Tine Van Osselaer in ihrer Studie über die Geschlechterideale im belgischen Katholizismus gezeigt hat, war das katholische Familienleben nach einem monastischen Modell organisiert mit regelmäßigen Gottesdienstbesuchen, Gebetsstunden und anderen Frömmigkeitsübungen. Um gemäß diesen Idealen leben zu können, schlossen sich viele Laien den Laiengesellschaften oder Dritten Orden der religiösen Institute an.90 Dasselbe Muster finden wir auch bei den skandinavischen Konvertiten, die sich in den Marienkongregationen der Jesuiten, den Dritten Orden der Dominikaner und Franziskaner und in einer Reihe anderer religiöser Gemeinschaften engagierten. Einen politischen Katholizismus gab es in den nordischen Ländern nicht, aber die katholischen Laien, nicht zuletzt die Konvertiten, engagierten sich für die Sache der Kirche durch literarische und publizistische Tätigkeit und durch Teilnahme an Debatten verschiedener Art.91 In der Zwischenkriegszeit bekamen die katholischen Männervereine einen mehr aktivistischen und markiert maskulinen Charakter. Dies manifestierte sich besonders in den Jugendorganisationen, wo an „muskelchristliche“ Ideale mit Lagerleben, Märschen und Uniformen angeknüpft wurde. Das Ziel war, der in der protestantischen und antikirchlichen Polemik und auch in der reformkatholischen Kritik artikulierten Vorstellung des Katholizismus als sentimental, feminin und unmännlich entgegenzuwirken.92 Die 87 88 89 90 91 92

Werner, Nordisk katolicism, 225–230, 297–307; dies., Manlighet och katolsk mission, 129–131. Berger, Zweite Vatikanische Konzil, 815–823. Beinert, Theologie und kirchliches Frauenbild, 51–75. Van Osselaer, Pious Sex, 35–106; vgl. Schneider, Domestic Sphere, 27–51. Werner, Nordisk katolicism, 212f., 271–273, 281–284. Van Osselaer, Pious Sex, 195–249; Meissner, Maskulinisierungsstrategien, 279–309.

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katholische Jugendarbeit in Skandinavien knüpfte an diese Strömungen an, die als Ausdruck eines Strebens, die jungen Männer kirchlich zu engagieren und zu verhindern, dass sie sich vom kirchlichen Leben distanzierten, betrachtet werden kann. In skandinavischen katholischen Zeitschriften wurde die Frage der männlichen und weiblichen Religiosität diskutiert. Die Argumentation steht im Einklang mit dem oben erwähnten Streben, Eigenschaften und Praktiken, die im hegemonischen, bürgerlich-liberalen Diskurs als feminin galten, als männlich und heroisch darzustellen, mangelnde Kirchlichkeit hingegen als unmännlich.93 Im Großen und Ganzen ist es nicht möglich, eine klare Unterscheidung zwischen weiblich und männlich in diesen religiösen Diskursen zu erkennen. Eigenschaften, die in einer Periode als weiblich galten, zum Beispiel Emotionalität, werden in anderen Zeiten als geschlechtsneutral oder sogar als männlich angesehen. Es besteht jedoch eine Tendenz, religiöse Praktiken, die als veraltet oder überschwänglich gelten, als weiblich und effeminiert zu beschreiben. Ein gutes Beispiel sind die Kritik, die in der Zwischenkriegszeit gegen den Herz-Jesu-Kult und ähnliche Andachtsformen gerichtet wurde, und das Streben, denselben einen mehr maskulinen Anstrich zu geben.94 Aber selbst wenn die weibliche Frömmigkeit manchmal abgewertet wurde, so galt die Jungfrau Maria als Vorbild aller Gläubigen, und die weiblichen Heiligen genossen den gleichen Status wie die männlichen.

5. Ausblick Nach Irmtraud Götz von Olenhusen führte die Ultramontanisierung der katholischen Kultur dazu, dass die ideale katholische Männlichkeit eine weiche und sanfte Prägung bekam, was dem vorherrschenden säkularen Männlichkeitskonzept widersprach.95 Meine Untersuchung hat dies zum Teil bestätigt. Die monastische Lebensform mit ihrer Betonung der religiösen Tugenden diente als Vorbild sowohl für Priester wie Laien und hatte auf diskursiver Ebene einen deutlich antibürgerlichen Charakter. In der hier analysierten Korrespondenz treten aber auch mehr aktive Eigenschaften, die im Einklang mit den bürgerlich-liberalen Männeridealen stehen, hervor. Dies gilt auch für die Gegenbilder (counter-types) zu der im Material hervortretenden guten katholischen Männlichkeit. Diesen Eigenschaften wird aber kein Eigenwert beigemessen, sondern sie sind Teil eines kirchlichen Kontexts, wo die religiösen Tugenden übergeordnet sind. In meiner Untersuchung habe ich feststellen können, dass die religiösen Tugendideale als geschlechtsüberschreitend und allgemein menschlich betrachtet wurden und dass aufs Ganze gesehen kein Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Religiosität gemacht wurde. Die monastische Spiritualität diente als Vorbild für Frauen wie für Männer, und 93 Erhellende Beispiele siehe Nordisk Ugeblad 1918, 859–864 u. 1931, 139–141, 165–167, 189–191. 94 Werner, Nordisk katolicism, 269–274. 95 Götz von Olenhusen, Geschlechterrollen, 239–257; vgl. Busch, Katholische Frömmigkeit.



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die weiblichen Heiligen, die jedoch fast ausnahmslos Ordensschwestern waren, wurden als genauso heroisch wie die männlichen angesehen. Aber wenngleich die Zugehörigkeit zum zölibatären Ordensstand in gewisser Weise die sozial konstruierten Geschlechterunterschiede transzendierten und die Ordensschwestern eine starke Position haben konnten, so waren es nichtsdestoweniger die Männer, welche die macht- und normenerzeugenden Positionen besaßen. In den Beziehungen der Priester und Ordensmänner zu den Ordensschwestern tritt die in der damaligen Gesellschaft übliche Aufteilung in männliche und weibliche Beschäftigungen klar hervor. Die analysierte Korrespondenz zeigt, dass weibliche Unterordnung als eine selbstverständliche Pflicht empfunden wurde und, was im Fall der Jesuiten besonders deutlich ist, als Voraussetzung dafür, dass die Männer ihre volle Männlichkeit entwickeln konnten. Dies steht im Einklang mit Bourdieus Theorie der männlichen Vorherrschaft, die wiederum auf den gleichen Prinzipien beruht wie die christliche Schöpfungstheologie, wonach der Mann den Menschen als solchen vertritt, während die Frau als seine untergeordnete Gefährtin angesehen wird. Die schöpfungstheologisch motivierte Unterordnung der Frau zeigte sich auch im Gottesdienstleben, wo nicht nur das Priesteramt, sondern auch liturgische Funktionen, die keiner klerikalen Weihe bedurften, den Männern vorbehalten waren. Aber zugleich wurde die Jungfrau Maria als ein Vorbild aller Gläubigen und ihre Gotteshingabe, Demut und selbstaufopfernde Haltung als Sinnbild der neuen Menschheit in Christus dargestellt. In einer eschatologischen Perspektive wurden die sozialen Ordnungen dieser Welt durch die geschlechterüberschreitende Hierarchie der Heiligkeit ersetzt.

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Michaela Sohn-Kronthaler (Graz)

Feminisierung des kirchlichen Personals? Entwicklungen und Beobachtungen am Beispiel religiöser Frauengenossenschaften in österreichischen Diözesen im langen 19. Jahrhundert

1. Hinführung Der folgende Beitrag untersucht einen Teilbereich der These, welche die sogenannte Feminisierung der Religion im langen 19. Jahrhundert, genauer die Feminisierung des kirchlichen Personals, betrifft.1 Diese These wird mit dem Phänomen des Frauenkongregationsfrühlings in Verbindung gebracht. War es infolge von Josephinismus, Französischer Revolution und Säkularisation zunächst zu starken Einbrüchen im Bereich der Orden bzw. religiösen Genossenschaften gekommen, lässt sich feststellen, dass nach diesem eklatanten Rückgang ab den dreißiger und mehr noch ab den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein kraftvoller religiöser Aufbruch im Ordens- und Kongregationswesen einsetzte, indem neue Kommunitäten und zahlreiche Filialen vielerorts in Europa errichtet wurden oder alte Gemeinschaften wiedererstarkten.2 Bei genauerer Betrachtung handelte es sich hierbei nämlich „keineswegs um eine allgemeine geschlechtsunspezifische Expansion des Ordenswesens“, sondern um einen – auch quantitativ – unübersehbaren Aufschwung im weiblichen religiösen Genossenschaftswesen.3 Als Beispiel soll das gut erforschte Königreich Preußen angeführt werden: Dort wirkten 579 Frauen und 397 Männer in Orden und Kongregationen im Jahr 1855; nicht 1 Eine Zusammenfassung zum bisherigen Forschungsstand gibt Bernhard Schneider mit seinem Beitrag in diesem Band. Eine kritische Analyse zur Feminisierungsthese mit Blick auf europäische Verhältnisse bietet des Weiteren Pasture, Beyond the Feminization Thesis. Eine frühere Zwischenbilanz gaben Van Osselaer/Buermann, Feminization Thesis. Zum Begriff der Feminisierung des kirchlichen Personals siehe Schneider, Feminisierung; ders., The Catholic Poor Relief Discourse. Die Italienerin Michela De Giorgio hat in diesem Zusammenhang sogar das Phänomen als eine „Feminisierung des Klerus“ eingeschätzt, was begrifflich nicht stimmig ist. De Giorgio, Das katholische Modell, 190. 2 Vgl. dazu z. B. die folgenden Untersuchungen: für Preußen Meiwes, Arbeiterinnen des Herrn; für Italien De Giorgio, Das katholische Modell; für Frankreich Langlois, Le catholicisme au féminin; für Belgien Tihon, Les religieuses; für Nordeuropa Werner, Nuns and Sisters; allgemein dazu De Maeyer, Religious Institutes. Zum Ordens- und Kongregationswesen seit dem 19. Jahrhundert in den deutschsprachigen Ländern siehe Albert, Ordensleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; Fleckenstein, Von der Mitte des 19.  Jahrhunderts; Sohn-Kronthaler/Sohn, Frauen im kirchlichen Leben, 93–112. 3 Meiwes, Weibliche Berufsarbeit, 116.



Feminisierung des kirchlichen Personals?

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einmal zwei Jahrzehnte später waren es 1872/73 immerhin 8011 Frauen und 1037 Männer. 1907 stellten weibliche Ordensangehörige bzw. Mitglieder von Frauenkongregationen knapp zwei Drittel des kirchlichen Personals (64 %). Zum Ende des Ersten Weltkrieges lebten „mehr als 36.000 Frauen in religiösen Genossenschaften, aber nur gut 4.700 Männer“.4 Die Dynamik und rasante Entwicklung von Frauenkongregationen lässt sich auch an Gemeinschaften einer spezifisch spirituellen Ausrichtung verfolgen. So waren am Beginn des 20. Jahrhunderts 94 Prozent der Angehörigen der franziskanischen Kongregationen weiblichen Geschlechts; diese umfassten insgesamt mehr als 80.000 Mitglieder. Dem standen 26 franziskanische Männerkongregationen (6 %) mit ca. 1600 Mitgliedern gegenüber.5 In dieser Abhandlung sollen österreichische Diözesen – Untersuchungen darüber fehlen beinahe zur Gänze6 – im Hinblick auf die Forschungsthese von der Feminisierung des kirchlichen Personals und damit verbundene Folgerungen erläutert werden. Ausführlich wird zunächst die Entwicklung des Ordens- und Kongregationswesen im Erzbistum Wien und im Bistum (Graz-)Seckau7 vom beginnenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges dargestellt, um dann den Blick summarisch auch auf andere österreichische Kirchensprengel zu werfen. Lassen sich bestimmte zeitliche Abschnitte konstatieren, in denen sich die Erstniederlassungen in einer Diözese günstiger gestalteten? Welche Gemeinschaften besaßen eine besonders große Ausstrahlung und einen breiten Wirkungsradius? Schließlich wird nach den Ursachen der Zunahme von weiblichem Personal und nach dem Geschlechterverhältnis in der Amtskirche gefragt. Welche Auswirkungen und welche Bedeutung hatte die verstärkte Präsenz der untersuchten Personengruppe im öffentlichen Raum, für das pastorale Leben vor Ort, für Frauen in der Kirche allgemein sowie für das Verhältnis von Klerus und Klosterfrauen? Wie sah deren Partizipation im kirchlich-religiösen Bereich konkret aus? Wenn von einer Feminisierung des kirchlichen Personals gesprochen werden kann – waren dann damit auch emanzipatorische Möglichkeiten und erweiterte Handlungsspielräume für diese Frauen verbunden?

2. Aufbruch weiblicher Orden und Kongregationen in der Erzdiözese Wien In Österreich hatten bereits die theresianischen Dekrete das Leben und die Tätigkeitsfelder der Orden im 18. Jahrhundert maßgeblich erschwert. Die darauffolgenden josephinischen Klosteraufhebungen gegen Ende dieses Jahrhunderts führten zu drastischen Einbußen an Ausstrahlung und Besitzverhältnissen der Konvente sowie zu schmerzlichen personellen 4 Ebd., 119. 5 Heimbucher, Orden und Kongregationen, 21–48; Sohn-Kronthaler, Leben nach der Franziskanischen Regel; Meiwes, Armut und Arbeit. 6 Für Österreich siehe die Untersuchung zur (Graz-)Seckauer Diözese in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Sohn-Kronthaler, Gehalt und Relevanz. 7 Der Doppelname Graz-Seckau wurde 1963 eingeführt. Zu Seckau für den erwähnten Zeitraum siehe Sohn-Kronthaler, (Graz-)Seckau.

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Michaela Sohn-Kronthaler

Rückgängen.8 Doch schon ab dem Ende des zweiten Jahrzehnts kam es vereinzelt und dann ganz massiv ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Revitalisierung des Ordens- und Kongregationswesens. 2.1. Weibliche Ordens- und Kongregationsniederlassungen Tabelle A: Neue Niederlassungen von Frauenorden und -kongregationen in der Erzdiözese Wien (1831–1918) Name

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1831

Ort der Erstniederlassung/Wiedererrichtung

Weitere Filialen

Redemptoristinnen (Institut der Klosterfrauen vom allerheiligsten Erlöser) Barmherzige Schwestern 1832 nach der Regel des hl. Vinzenz von Paul in WienGumpendorf

Wien, Rennweg (3. Bezirk), ab 1909 in Wien-Mauer Wien-Gumpendorf

Schulschwestern vom Dritten Orden des hl. Franziskus (Erdberger Schulschwestern)

1845

Wien-Erdberg (3. Bezirk)

Schwestern vom Guten Hirten Töchter der Kindheit Jesu und Mariens unter dem Schutz der hl. Christiana (Sancta Christiana) Franziskanerinnen von der christlichen Liebe (Hartmannschwestern)

1853

Wiener Neudorf

Weitere 15 Filialen in Wien; Alland, Baden, DeutschBrodersdorf, Ebergassing, Edlach, Hohenruppersdorf, Laab im Walde, Liesing, Obersdorf, Pillichsdof, Pulkau, Weidling Weitere 11 Filialen in Wien; Baden, Enzersdorf, Ernstbrunn, Felixdorf, Mödling, Neunkirchen, Wiener Neustadt, Perchtoldsdorf, Seebenstein (zwei), Sollenau, Stockerau, Vöslau Wien-Margarethen

1854

Frohsdorf in Lanzenkirchen

Wien-Rodaun, Wiener Neudorf

1857

Wien-Wieden, seit 1865 Mutterhaus in der Hartmanngasse in Wien (5. Bezirk)

7 Filialen in Wien, Alland, Ebenfurt, Ebenthal, Mayerling, Mödling (drei), Neunkirchen (zwei), Pottenstein, Wiener Neustadt (vier), Wolkersdorf

8 Etwa 70  Ordenshäuser waren allein in Wien und Niederösterreich dem Klostersturm zum Opfer gefallen, in der gesamten Monarchie etwa 730. Loidl, Geschichte, 184.



Feminisierung des kirchlichen Personals?

Name

Töchter des göttlichen Heilands

Schwestern vom Armen Kinde Jesu

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Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1857

Ort der Erstniederlassung/Wiedererrichtung

Weitere Filialen

Wien, Clementinengasse (heute 15. Bezirk), danach Kaiserstraße (7. Bezirk)

1857

Wien-Rossau, ab 1860 Wien-Döbling (19. Bezirk) Wien, Clementinengasse (15. Bezirk) Weyringerstraße (4. Bezirk), später Mutterhaus in Laxenburg

15 Filialen in Wien, Gablitz bei Purkersdorf, Baden (drei), Klosterneuburg (drei), Korneuburg (drei), Gloggnitz (zwei), Mödling (zwei), Hollabrunn (zwei), Hennersdorf, Hinterbrühl, Maissau, Stockerau, Tattendorf Wien-Währing (18. Bezirk), Retz, Stadlau, Maria Enzersdorf

Arme Schulschwestern von 1860 Unserer Lieben Frau Kreuzschwestern

1868

Töchter der göttlichen Liebe

1868

Wien, Fasangasse, dann Jacquingasse (3. Bezirk)

Ordensfrauen vom heiligsten Herzen Jesu (Sacré Coeur) Barmherzige Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul (Vinzentinerinnen)

1868

Wien, Rennweg (3. Bezirk)

1868

Wien, Antonigasse (18. Bezirk)

Dominikanerinnen

1870

Wien-Hacking (13. Bezirk)

Dienerinnen des heiligsten Herzens Jesu

1873

Wien, Rennweg (3. Bezirk), dann Landstraße, ab 1890 Keinergasse (3. Bezirk)

3 Filialen in Wien; Kritzendorf und Ulrichskirchen, Brunn am Gebirge 12 Niederlassungen in Wien, Gutenstein (zwei), Mistelbach (zwei), Oberhollabrunn (zwei), Baden, Brunn am Gebirge, Großenzersdorf, MariaEnzersdorf, Gugging, Himberg, Kirchschlag, Purkersdorf, Retz, Röschitz 6 Filialen in Wien, Breitenfurt (zwei), Großmugl, Leopoldsdorf, MarkgrafNeusiedl, Schwarzau am Steinfeld, Unterstinkenbrunn, Wolkersdorf; Korneuburg Preßbaum 12 Filialen in Wien, Alt-Erlaa, Hainburg (drei), Hundsheim, Neudorf, Oberlanzendorf, Sitzendorf, Straning, HinterTullnerbach, Weidlingau, Wolfstal Kemmelbach an der Ybbs, Göpfritz an der Wild, Hinterbrühl bei Mödling 12 in Wien, Gaunersdorf (zwei), Auersthal, Bockfließ, Gainfarn, Laa, Vöslau

82 Name

Barmherzige Schwestern vom hl. Karl Borromäus (Borromäerinnen) Unbeschuhte Karmelitinnen Kongregation Unserer Lieben Frau von Sion (Sionsschwestern)

Michaela Sohn-Kronthaler

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1877 1879 1889

Schwestern von der schmerzhaften Mutter

1891

Institut der Schulschwestern vom Dritten Orden des heiligen Franziskus Seraphikus (Amstettner Schulschwestern) Helferinnen der Seelen im Fegefeuer (Armenseelenschwestern) Franziskanerinnen vom Allerheiligsten Sakrament (Orden der Klarissen von der ewigen Anbetung) Oblatinnen des heiligen Franz von Sales

1895

1897 1898

1898

1899 Salvatorianerinnen (Kongregation der Schwestern vom göttlichen Heiland) 1899 Schulschwestern vom Dritten Orden des heiligen Franziskus (Vöcklabrucker Schulschwestern) Franziskanerinnen 1901 Missionärinnen Mariens Karmelitinnen vom göttlichen Herzen Jesu

1911

Ort der Erstniederlassung/Wiedererrichtung

Weitere Filialen

Wien, Dietrichgasse, ab 1878 Gentzgasse (18. Bezirk) Wien, Baumgarten (14. Bezirk) Wien, Barnabitengasse (6. Bezirk), dann Burggasse (7. Bezirk) Wien, Simmeringer Hauptstraße (11. Bezirk) Unterwaltersdorf

Filialen in Wien, Biedermannsdorf, Hochwolkersdorf, Rodaun Mayerling

Wien, Hasnerstraße (16. Bezirk); Kronberg bei Schleinbach Wien-Baumergasse (21. Bezirk)

Wien, Martinstraße/ Abt Karlgasse (18. Bezirk) Wien, Gartengasse (5. Bezirk) Wien, zunächst Annagasse (1. Bezirk), ab 1904/05 Schönborngasse (8. Bezirk) Wien, Feldgasse Kaisermühlen, Neudorf bei (8. Bezirk) Staatz, Payerbach, Pillichsdorf, Pitten, Scheiblingskirchen Wien, Porzellangasse (9. Bezirk)

2 weitere Häuser in Wien sowie Brunn am Gebirge, Gaubitsch

Wien, Laaerstraße (10. Bezirk), dann Währingerstraße 45 (9. Bezirk) Wien-Floridsdorf, Leopoldauer Straße, danach Töllergasse (21. Bezirk)

Wien-Allerheiligenplatz (20. Bezirk)



Feminisierung des kirchlichen Personals?

Name

Missionskongregation der Dienerinnen des Heiligen Geistes Schwestern vom heiligen Joseph von Trier

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1912

Ort der Erstniederlassung/Wiedererrichtung

1915

Wien, Hauptstraße (3. Bezirk)

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Weitere Filialen

Stockerau Brunn am Gebirge

In der Erzdiözese Wien überlebten den josephinischen Klostersturm nur drei Frauenorden: die Ursulinen in der Johannesgasse (seit 1660) und die Salesianerinnen am Rennweg (seit 1717), die sich beide der Mädchenbildung und -erziehung verschrieben hatten, sowie die im Dienst der Krankenpflege stehenden Elisabethinen (seit 1709).9 Den Zuzug neuer religiöser Frauengemeinschaften eröffneten im 19. Jahrhundert die kontemplativen Redemptoristinnen (Institut der Klosterfrauen vom allerheiligsten Erlöser), die sich 1831 in der Reichsmetropole ansiedelten, sodass zu jenem Zeitpunkt 178 Ordensfrauen – ausschließlich in der Wiener Innenstadt – wirkten und der Frauenanteil ein Fünftel (20 %) des gesamten Ordenspersonals umfasste.10 1832 rief Kaiserin Carolina Augusta (1792–1873) Barmherzige Schwestern nach Wien-Gumpendorf. Mit ihnen wurden Schwestern verstärkt im öffentlichen Raum tätig. Die Pflege von „Kranken ohne Unterschied des Geschlechts, des Standes und der Religion“, auch die Hauskrankenpflege, galt als deren Beitrag zur Linderung sozialer Nöte.11 Im Laufe der nächsten Jahrzehnte entstanden 27 Filialen dieser Frauengenossenschaft, die zu den personell größten in der Erzdiözese bis zum Ende der Monarchie gehörte. Es war auch dieselbe Kaiserin, welche die Schulschwestern vom Dritten Orden des hl. Franziskus aus Hallein nach Wien-Erdberg kommen ließ. Die ersten vier Schwestern trafen im Jahr 1845 ein, um die Erziehung und den Unterricht von Soldatentöchtern zu übernehmen. Im Oktober dieses Jahres begann mit der kleinen Kommunität die Gründungsgeschichte der sogenannten Erdberger Schulschwestern, die sich aus praktischen Gründen als selbstständiger Zweig von ihrem Halleiner Mutterhaus abspalteten.12 In kurzer Zeit konnten bereits 24 Niederlassungen zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern im Wiener Kirchensprengel errichtet werden. Gleich fünf neue religiöse Frauengemeinschaften ließen sich in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts in der Erzdiözese nieder. Die Schwestern vom Guten Hirten zogen 1853 nach Wiener Neudorf; eine Filiale von ihnen entstand des Weiteren im fünften Wiener Bezirk Margarethen, wo sie eine Arbeitsschule für verlassene Kinder sowie weibliche 9 Loidl, Geschichte, 177. 10 Personal-Stand Wiener Diöcese 1831, 249. 11 Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 122–132, hier 128; zu den Filialgründungen: Žák, Klosterbuch, 332f. 12 Loidl, Geschichte, 278; Kongregation der Schulschwestern, Theresia Zechner, 23–27; Diemberger, Kongregation der Schulschwestern, 9; Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 136–138.

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Michaela Sohn-Kronthaler

Häftlinge und „besserungsbedürftige“ junge Frauen betreuten.13 Die ebenso aus Frankreich stammenden Töchter der Kindheit Jesu und Mariens unter dem Schutz der hl. Christiana (Sancta Christiana) übernahmen 1854 in Frohsdorf/Lanzenkirchen die Leitung einer Mädchenschule. Von dort aus wurden Filialen in Wien-Rodaun (1898 das Institut Sancta Christiana) und in Wiener Neustadt (1904) gegründet. Aus einer im Wiedener Krankenhaus in Wien arbeitenden Terziargemeinschaft von Krankenschwestern formierten sich die Franziskanerinnen von der christlichen Liebe, vom Wiener Kardinal Joseph Othmar von Rauscher (1797–1875) offiziell 1857 anerkannt, die sich rasch ausbreiteten und zur drittgrößten Frauenkongregation bis zum Ende des Ersten Weltkrieges aufstiegen und vor allem in der Krankenpflege tätig waren.14 Im Wiener Raum ist für sie die Bezeichnung Hartmannschwestern wegen ihres Standortes in der Hartmanngasse geläufiger. Auch die Kongregation der Schwestern vom Göttlichen Erlöser (Niederbronner Schwestern) ließ sich 1857 zunächst in der Clementinengasse (heute 15. Wiener Bezirk), danach in der Kaiserstraße (7. Bezirk) zur Aufnahme und Betreuung von Waisenkindern sowie erkrankten Armen nieder.15 Daraus erwuchs wegen der weiten Distanz zum Mutterhaus 1866 eine selbstständige Gemeinschaft, die sich Töchter des Göttlichen Heilands nannte und bis 1918 nicht nur die meisten Filialen in der Erzdiözese gründete, sondern mit 925 Schwestern überhaupt die mitgliederstärkste Frauenkongregation im Wiener Kirchensprengel bildete.16 Und noch eine dritte Frauengemeinschaft traf im selben Jahr 1857 in Wien ein und bezog Quartier in der Orangerie des Palais Liechtenstein in der Rossau („Vinzentinum“): die Schwestern vom Armen Kinde Jesu, gegründet von der Aachener Fabrikantentochter Clara Fey (1815–1894), deren 1845 kirchlich approbierte Genossenschaft sich ebenso um die Erziehung von Waisenkindern und Kindern armer Eltern kümmerte. 1860 siedelten die Schwestern in das neu erworbene Haus „Maria Regina“ nach Wien-Döbling um, das als Provinzialmutterhaus diente. Dort wurde auch eine Schule errichtet.17 Vier neue Kongregationen bereicherten das Wiener Ordensleben in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts: Die Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau fassten 1860 in der Clementinengasse im 15. Wiener Bezirk Fuß, um Dienstbotinnen und Fabrikarbeiterinnen im christlichen Geist zu begleiten und Schulen für Mädchen anzubieten.18 Die Kreuzschwestern (Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz, auch Ingenbohler Schwestern genannt), vom Schweizer Kapuziner P. Theodosius Floren13 Loidl, Geschichte, 278f.; Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 140–142. 14 Der offizielle Name der neuen Gemeinschaft lautete damals Barmherzige Schwestern vom Dritten Orden des hl.  Franziskus, genannt von der christlichen Liebe. Sohn-Kronthaler, Leben nach der franziskanischen Regel, 177f.; Žák, Klosterbuch, 326f. 15 Zeitler, Entstehung und Entwicklung, 8–10; Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 145– 147. 16 Personalstand Erzdiözese Wien 1918, 425. 17 Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 150f.; Loidl, Geschichte, 279. 18 Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 154; Loidl, Geschichte, 279.



Feminisierung des kirchlichen Personals?

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tini (1808–1865)19 initiiert, kamen 1868 in die Erzdiözese Wien und errichteten später in Laxenburg ihr Mutterhaus. Eine genuin Wiener Eigengründung als Kongregation sind die Töchter der göttlichen Liebe, 1868 von Franziska Lechner (1833–1894)20 ins Leben gerufen. Rasch breiteten sie sich – vom Kaiserhaus und von den Bischöfen gefördert – nicht nur in Wien und Umgebung, sondern in der gesamten Habsburgermonarchie aus und errichteten ein Netzwerk karitativer Einrichtungen für Waisenkinder, Dienstbotinnen und weibliche Jugendliche.21 Im selben Jahr 1868 ließen sich auch die Ordensfrauen vom heiligsten Herzen Jesu (Sacré Coeur) in der Hauptstadt zum Mädchenunterricht, auch für jene aus sozial ärmeren Schichten, nieder; 1892 konnten sie in Pressbaum eine weitere Gründung mit Kloster, Schule und Internat vollziehen. Schwerpunkte der Anfänge der Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul (Vinzentinerinnen) in Wien waren Schule und Krankenpflege. Ab dem Jahr 1868 entstanden mehrere Schulen unterschiedlicher Ausrichtung (Arbeitsschule, Mädchenschule, „Bewahrschule für kleine Kinder“) in Wien-Währing (18. Bezirk). 1875 trafen vier Schwestern aus Graz in Wien ein, um im Haus der Barmherzigkeit, im selben Bezirk gelegen, Patientinnen zu pflegen und medizinisch zu versorgen.22 Auch die Vinzentinerinnen expandierten mit zahlreichen Filialen in der Erzdiözese Wien. In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts kamen weitere vier neue Frauengemeinschaften hinzu: Die Dominikanerinnen, deren Kloster Königin des heiligen Rosenkranzes im Jahr 1870 von der ehemaligen Hofdame am Kaiserhof, Friederike Fürstin von Auersperg (1820–1903)23, als Mutter Raymunde wirkend, unter Mithilfe von P. Raymund Hekking im damaligen Wiener Vorort Hacking gegründet wurde, sahen als Ziel ihrer Gemeinschaft den Unterricht und die Erziehung weiblicher Jugend an. Den Dienerinnen des heiligsten Herzens Jesu (Herz-Jesu-Schwestern) wurde 1873 die Krankenpflege im Rudolfspital24 im dritten Wiener Gemeindebezirk anvertraut. Sie wohnten zunächst bei den Salesianerinnen am Rennweg. Ob der raschen Zunahme an Schwestern – bis 1918 die zweitstärkste Frauenkongregation in der Erzdiözese – gelang ihnen 1890 die Errichtung ihres Mutterhauses in der Keinergasse. Die Kongregation der Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus, wohl bekannter unter dem Namen Borromäerinnen, in Österreich seit 1854 in Gmunden tätig, ließ sich erst 1877 in Wien nieder, um das von Gräfin Maria Theresia Wenckheim-Zichy gegründete Greisenasyl in der Dietrichgasse (3. Bezirk) zu übernehmen, das zwei Jahre später in die 19 Schweizer/Ries, Theodosius Florentini. 20 Mohl, Lechner. 21 Zur Entwicklungsgeschichte der Kongregation von ihren Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges: Rusztyn, Kongregation der Töchter der göttlichen Liebe. 22 Gattringer, Geschichte der Kongregation, 155, 227f., 235; Žák, Klosterbuch, 347f. 23 Es handelt sich hier um die zweite Wiener Eigengründung nach den Töchtern der göttlichen Liebe. 24 Die Rudolfstiftung wurde anlässlich der Geburt des Thronfolgers Rudolf im Jahr 1858 von Kaiser Franz Joseph ins Leben gerufen, der Bau des gleichnamigen Krankenhauses konnte 1865 eröffnet werden.

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Gentzgasse (Wien-Währing) verlegt wurde. 1887 begannen die Borromäerinnen in einem kleinen Haus in Rodaun, einer ehemals selbstständigen Gemeinde, mit ihrer Tätigkeit, die auf die Bewahranstalt, die Arbeitsschule und die Hauskrankenpflege ausgerichtet war.25 1879 gründeten die Unbeschuhten Karmelitinnen, deren Konvent unter Joseph II. 1782 aufgehoben worden war, ein kontemplatives Kloster in Baumgarten. Eine Tochtergründung entstand im ehemaligen Jagdschloss in Mayerling im Wienerwald, das Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1889 nach dem tragischen Tod von Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera in ein Karmelitinnenkloster umbauen ließ. Die Kongregation Unserer Lieben Frau von Sion (Sionsschwestern) mietete zunächst ein Haus in der Barnabitengasse (6. Wiener Bezirk) an, ehe sie ein Jahr später in der Burggasse ihr Kloster und eine Schule zur Erziehung von Kindern verschiedener religiöser Bekenntnisse, vor allem jüdischer Mädchen, beziehen konnte.26 Ein größerer Zuzug an neuen Schwesterngemeinschaften gelang abermals in den neunziger Jahren: Fünf Mitglieder von der Kongregation der schmerzhaften Mutter (Abenberger Franziskanerinnen) kamen 1891 nach Wien-Simmering zur Ausübung der ambulanten Krankenpflege. 1894 wurde das Provinzhaus in der Simmeringer Hauptstraße erbaut und eine Kinderbewahranstalt eröffnet, des Weiteren wirkten Schwestern im Maria-TheresiaKrankenhaus des 8. Gemeindebezirkes.27 Die Schulschwestern vom Dritten Orden des heiligen Franziskus Seraphikus führten ab 1895 einen Kindergarten in Unterwaltersdorf, 1904 entstand eine weitere Niederlassung in Groß-Jedlersdorf (21. Bezirk).28 Die Kongregation der Helferinnen der Seelen im Fegefeuer, landläufig bekannt als Armeseelenschwestern, ließen sich 1897 erstmals in Österreich nieder und wohnten in der Martinstraße/Abt-Karl-Gasse (18. Wiener Bezirk), wo sie sich der Kindererziehung, der Besuche von Kranken und der Sakramentenvorbereitung widmeten.29 Aus Lemberg im österreichischen Galizien zog 1898 eine weitere beschauliche Schwesterngemeinschaft, nämlich die des regulierten Dritten Ordens der Franziskanerinnen vom Allerheiligsten Sakrament (heute Klarissen von der ewigen Anbetung), nach Wien und errichtete dort später die Anbetungskirche. Im selben Jahre begann die Kongregation der Oblatinnen des heiligen Franz von Sales ihr Wirken, 1904/05 konnte ein Schülerinnenheim, die Stiftung Maison Sainte Geneviève, eröffnet werden. Im November 1899 übernahmen die Salvatorianerinnen die Führung des MariaTheresia-Frauenhospitals im 8. Wiener Gemeindebezirk.30 Die 1861 anerkannte selbstständige 25 Žák, Klosterbuch, 355. 26 Loidl, Geschichte, 281; Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 179f. 27 Loidl, Geschichte, 281; Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 183f. 28 Das Institut der Schulschwestern vom Dritten Orden des hl. Franziskus Seraphikus (Franziskanerinnen von Amstetten, Amstettner Schulschwestern) erwuchs aus den Halleiner Schulschwestern. Diese übernahmen 1852 auf Bitte von Kaiserin Carolina Augusta die Betreuung eines Waisenhauses in Judenau (bei Tulln), 1855 entstand daraus eine selbstständige Gemeinschaft. Diemberger, Kongregation der Schulschwestern, 155–158, 179–185. 29 Helferinnen, Du aber wähle das Leben, 8–31. 30 Das im 13. Bezirk befindliche ordenseigene Krankenhaus der Salvatorianerinnen St. Josef in WienHacking wurde 1930 erworben. Baumgartner, St. Josef-Krankenhaus.



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Kongregation der Schulschwestern von Vöcklabruck (Franziskanerinnen von Vöcklabruck, Arme Schulschwestern vom Dritten Orden des hl. Franziskus Seraphikus) gründete 1899 ihre erste Niederlassung in der Erzdiözese, um ein Studentenheim des Asylvereines der Wiener Universität im 9. Bezirk zu versorgen.31 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging allerdings die Anzahl von Niederlassungen neuer Frauenorden und -kongregationen in der Erzdiözese deutlich zurück. Die Franziskanerinnen Missionärinnen Mariens betätigten sich seit 1901 in einer Wiener Kinderbewahranstalt und in einer Kinderschutzstation, in Haushaltungs- und Industrieschulen für arme Mädchen sowie in der Krankenpflege.32 Die Gründerin der Karmelitinnen vom göttlichen Herzen Jesu (ursprünglich Carmelitinnen Dienerinnen vom göttlichen Herzen Jesu), die selig gesprochene Konvertitin Maria Teresa Tauscher (1855–1938), die sich 1904 dem Orden der Unbeschuhten Karmeliten angeschlossen hatte, erhielt 1911 die Erlaubnis, eine Niederlassung mit einem Kindererziehungsheim in der Stadt Wien zu eröffnen.33 Die Missionskongregation der Dienerinnen des Heiligen Geistes (Steyler Missionsschwestern) fasste 1912 in Stockerau Fuß, wo das Kloster St. Koloman entstand, das seit 1917 als Provinzhaus dient. In der Erzdiözese Wien wurde die Kongregation der Schwestern vom heiligen Joseph im Herbst 1915 zugelassen. Die Schwestern wandten sich Seelsorgeaufgaben in Pfarreien zu, wobei sie vor allem bei der Vorbereitung auf das Ehesakrament mithalfen. Ein Jahr später übernahmen sie ein Fürsorgeheim für gefährdete und schwer erziehbare Mädchen in Brunn am Gebirge bei Wien, das allerdings im Jahr 2000 geschlossen wurde.34 2.2. Männliche Ordens- und Kongregationsniederlassungen Tabelle B: Neue Niederlassungen von Männerorden und -kongregationen in der Erzdiözese Wien (1820–1918) Name

Redemptoristen Lazaristen (Kongregation der Mission vom hl. Vinzenz von Paul, Vinzentiner) 31 32 33 34

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1820/1854

Ort der ersten Niederlassung/ Wiedererrichtung

Weitere Filialen

Wien, Salvatorgasse (1. Bezirk)

1854

Wien, Kaiserstraße (7. Bezirk)

Katzelsdorf bei Wiener Neustadt, Wien-Wichtelgasse (17. Bezirk) Wien-Vinzenzgasse (18. Bezirk), WienPouthongasse (15. Bezirk)

Franziskanerinnen Vöcklabruck, 100 Jahre Mutterhaus; Žák, Klosterbuch, 318. Žák, Klosterbuch, 330f.; Palocsay, Geschichte der Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens. Karmel, 100 Jahre Karmel, 7–9. Loidl, Geschichte, 281.

88 Name

Jesuiten

Institut der Brüder der christlichen Schulen (Schulbrüder)

Michaela Sohn-Kronthaler

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1856

1857

Ort der ersten Niederlassung/ Wiedererrichtung

Weitere Filialen

Wien, Universitätskirche und Kolleg

Kalksburg, Wien-Lainz (13. Bezirk); Wien, Canisiusgasse (9. Bezirk); Wien, Steindlgasse (1. Bezirk) Wien-Tellgasse (15. Bezirk), Preßbaum (dann Tullnerbach), Strebersdorf, Wien-Erdberg (3. Bezirk), Stetten bei Korneuburg, Wien-Schopenhauerstraße (18. Bezirk), WienZiegelofengasse (4. Bezirk), Wien-Semperstraße (18. Bezirk) Wien-Gersthof (18. Bezirk)

Wien, Boltzmanngasse (9. Bezirk)

Gesellschaft Mariä 1864 (Marianisten, Marienbrüder) Gesellschaft des göttlichen 1889 Wortes (Steyler Missionare) Kongregation für die 1889 christlichen Arbeiter vom hl. Joseph Kalasanz (Kalasantiner)

Frohsdorf/ Lanzenkirchen

Gesellschaft des Göttlichen 1892 Wortes (Salvatorianer)

Wien, Eugengasse, dann Jagdgasse und ab 1897 Weldengasse (10. Bezirk) Neustiftgasse, danach Wien, Annagasse (St. AnnaKirche) (1. Bezirk), Wien, Siebensterngasse, Ober-Döbling (19. Bezirk), ab (7. Bezirk), 1908 Wien-Kaasgraben Wien, Rennweg Wien-Kahlenberg (21. Bezirk) (3. Bezirk)

Oblaten des hl. Franz von Sales (Salesianer)

1897

Kongregation von der Auferstehung Jesu Christi (Resurrektionisten) Trinitarier

1897

Unbeschuhte Karmeliten

1901

Gesellschaft der Salesianer Don Bosco

1903

1900

Maria Enzersdorf bei Mödling Wien, Tell-, Ida und Dingelstedtgasse (15. Bezirk)

Wien-Gersthof (18. Bezirk) Wien-Döbling (19. Bezirk), Silbergasse Wien, Brückengasse (6. Bezirk), danach Prinz-Carl-Gasse (damals 14. Bezirk)

Wien-Michaelerstraße (18. Bezirk) Wien, Reinlgasse, WienBreitensee, Wien-Baumgarten (alle damals 13. Bezirk), Wolfsgraben, Wien-Ottakring (16. Bezirk), WienLandesgerichtsstraße (8. Bezirk) Kaisermühlen (heute 22. Bezirk)

Wien, Mexikoplatz (2. Bezirk)

Wien, DietrichgasseHagenmüllergasse (3. Bezirk), Unterwaltersdorf, WienStadlau



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Name

Karmeliten

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1906

Regularkleriker vom Krankendienst (Kamillianer)

1906

Kongregation der HerzJesu-Priester

1913

Ort der ersten Niederlassung/ Wiedererrichtung

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Weitere Filialen

Wien, Wilhelminenstraße (16. Bezirk), 1915–2003 in WienFavoriten (10. Bezirk) Wien, Jagdschlossgasse (13. Bezirk), ab 1910 Versorgungsheimstraße Wien, Klausgasse (16. Bezirk)

Zum Vergleich mit der Entfaltung der weiblichen Orden und Kongregationen soll der Blick nun auf Niederlassungen neuer geistlicher Männergemeinschaften im Untersuchungszeitraum gelenkt werden. Denn im Jahr 1831 wirkten in der Erzdiözese Wien bereits 15 (!) verschiedene männliche Orden in 33 Klöstern, darunter die traditionsreichen Stifte der Chorherren in Klosterneuburg, der Zisterzienser in Heiligenkreuz mit dem Stift Neukloster in Wiener Neustadt sowie der Benediktiner in Wien-Schotten, die insgesamt personell fast ein Drittel (218 Personen) der damals insgesamt 698 Regularen umfassten.35 Hingegen gab es dort im gleichen Zeitraum nur vier Niederlassungen weiblicher Orden und Kongregationen. Im Revolutionsjahr 1848 waren die Orden vielen Schikanen ausgesetzt. So wurden die Redemptoristen (Ligurianer) aus ihrem 1820 gegründeten Kolleg Maria am Gestade im ersten Wiener Gemeindebezirk vertrieben; ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem weiblichen Zweig.36 Zu einem ersten Neuaufbruch kam es erst ab den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts, zumal vier wichtige geistliche Männergemeinschaften in der Erzdiözese wieder Fuß fassen konnten: zunächst die Redemptoristen, die 1854 sechs Jahre nach ihrer Vertreibung ihr Kloster Maria am Gestade wieder beziehen konnten. Im selben Jahr ließen sich die Lazaristen (Kongregation der Mission vom hl. Vinzenz von Paul, auch Vinzentiner genannt) im 7. Wiener Bezirk nieder und eröffneten ein Missions- und Exerzitienhaus; 1893 konnte sogar ein eigenes Knabenseminar für den Ordensnachwuchs in der Pouthongasse (15. Bezirk) gegründet werden.37 Die Jesuiten kehrten 1856 an ihr Kolleg bei der Wiener 35 Personal-Stand Wiener Diöcese 1831, 248. Die übrigen Männerklöster bestanden aus den Augustinern, den Barmherzigen Brüdern mit drei Niederlassungen, den Barnabiten mit vier Filialen, den Dominikanern mit zwei Klöstern, den Franziskanern mit drei Klöstern, den Kapuzinern mit zwei Niederlassungen, den Karmeliten, den Mechitaristen, den Minoriten mit drei Klöstern, den Piaristen mit sechs Filialen, den Redemptoristen und den Serviten mit zwei Klöstern. Personal-Stand Wiener Diöcese 1831, 248f. 36 Loidl, Geschichte, 226. 37 Ebd., 282; Žák, Klosterbuch, 247, 251.

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Universitätskirche (Jesuitenkirche) zurück; im selben Jahr wandten sie sich in Kalksburg mit einem Gymnasium der Jugendbildung zu.38 Rasch breiteten sich die Schulbrüder (Institut der Brüder der christlichen Schulen) aus, die sich auf Waisenhäuser und Schulunterricht konzentrierten. 1857 wurde ihnen als erste Niederlassung ein Knabenwaisenhaus in der Waisenhausgasse (seit 1913 Bolzmanngasse, heute Wiener Priesterseminar) anvertraut, ein Jahr später eine Volks- und Bürgerschule. Mit ihren zahlreichen Filialen wurden sie zur mitgliederstärksten Männerkongregation der Erzdiözese im Jahr 1918.39 Es sollten mehrere Jahrzehnte vergehen, bis es gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem weiteren Schub an Erstniederlassungen neuer Kongregationen kam, nachdem es in der Zwischenzeit nur den Marianisten (Gesellschaft Mariä, Marienbrüder) gelungen war, sich 1864 in der Erzdiözese mit einer Volksschule für Knaben in Frohsdorf bei Wiener Neustadt anzusiedeln.40 Die feierliche Grundsteinlegung für die Errichtung des Missionshauses St. Gabriel der Gesellschaft des göttlichen Wortes (Steyler Missionare) in Maria Enzersdorf bei Mödling erfolgte 1889 im Beisein des Gründers Arnold Janssen (1837–1909). Der Bau war als Ausbildungshaus für Missionare mit Theologischer Hochschule konzipiert. Bald bildete es sich als ein über Österreichs Grenzen hinaus anerkanntes Zentrum der 38 100 Jahre Kollegium Kalksburg, 13f. Drei wichtige Gründungen entstanden in den nachfolgenden Jahrzehnten: 1884 in Lainz, wo ein Jagdschloss als Ort für das Terziat diente, das fünf Jahre später mit einem Exerzitientrakt versehen wurde, in der Zeit von 1898 bis 1903 in der Canisiusgasse (9. Bezirk), wo die Canisiuskirche errichtet wurde, und 1908, als die Jesuiten wieder an die Kirche „Am Hof“ im ersten Bezirk zurückkehrten und dort das Stanislaushaus unterhielten. Österreichische Ordensprovinz, Jesuiten in Österreich, [o. S.]. 39 Von dort aus wurde kurzzeitig ein „Rettungshaus für verwahrloste Knaben“ in Penzing (1867–1869) übernommen; ferner wurden eine Schule und eine Kommunität (1869) in der Tellgasse (seit 1911 Gebrüder-Lang-Gasse) in Fünfhaus (15. Bezirk) errichtet. Hinzu kamen das Waisenhaus des katholischen Waisenhilfsvereins Norbertinum, zunächst in Pressbaum, dann in Tullnerbach (1880–1938). 1886/87 wurde das Provinz- und Noviziatshaus Marienheim in Strebersdorf (21. Bezirk) mit Knabenpensionat und Schule eröffnet. 1889 entstand das Norbertusheim (seit 1906 Johanneum) in Wien-Erdberg (3. Bezirk). Zudem übernahmen die Schulbrüder das Knabenpensionat St. Antonius in Stetten bei Korneuburg (1892). 1898 kam die Schule des katholischen Schulvereins im 2. Wiener Bezirk, Zirkusgasse, in ihre Obhut, ebenso 1904 die Volks- und Hauptschule in der Schopenhauerstraße (18. Bezirk). Der Orden selbst gründete 1899 eine Privatvolksschule im 4. Bezirk. Die Leitung und Verwaltung des Lehrerseminars des Katholischen Schulvereins in der Semperstraße (18. Bezirk) wurde ihnen von 1901 bis 1904 anvertraut. 100 Jahre Schulbrüder in Österreich, 15–44; Žák, Klosterbuch, 261f.; Gruber, Katholische Bildungsideologie. 40 1886 entstand eine Niederlassung mit einer neuen Schule in Lanzenkirchen, zwischenzeitlich (1888– 1895) wurden die Marianisten mit der Leitung einer Volksschule in der Zirkusgasse (2. Wiener Bezirk) betraut. 1901 konnten sie eine eigene Volks- und Bürgerschule Marianum in Wien-Gersthof (18.  Bezirk) errichten. Bereits zuvor waren sie ein Jahrzehnt in der Lehrerbildungsanstalt in Wien-Währing tätig, die vom Katholischen Schulverein gegründet worden war. Bis heute lebt eine kleine Gemeinschaft von Marianisten in der Albertus-Magnus-Schule in der Semperstraße desselben Bezirks, die 1881 vom Katholischen Schulverein errichtet und dem Orden 1937 übertragen worden war. Žák, Klosterbuch, 256; Societas Mariae, Festschrift, 42–51.



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wissenschaftlichen Forschung für Völkerkunde und Missionswissenschaft aus; die Steyler Missionare entwickelten sich zur zweitstärksten Männerkongregation im Wiener Erzbistum.41 Im selben Jahr rief der Wiener Diözesanpriester Anton Maria Schwartz (1852–1929)42 einen Arbeiterorden ins Leben, dem er die Bezeichnung Kongregation für die christlichen Arbeiter vom hl. Joseph Kalasanz (Kalasantiner, auch Kongregation der frommen Arbeiter vom hl. Joseph Kalasanz bzw. abgekürzt Fromme Arbeiter) gab. Wie die Kongregation der Töchter der göttlichen Liebe ist diese Gründung von Schwartz, der 1998 von Papst Johannes Paul II. (1978–2005) bei seinem dritten Pastoralbesuch in Österreich seliggesprochen wurde, eine „echte Wiener Schöpfung“.43 Die Mitglieder dieses „einzigen Arbeiterordens in Österreich“44 nahmen sich religiös, karitativ und sozialpolitisch der jungen Erwerbstätigen beiderlei Geschlechts an und setzten sich z. B. für arbeits- und schulfreie Sonntage der Lehrlinge und für gerechten Lohn ein. Der Bedarf an neuen Niederlassungen dieser Gemeinschaft war groß.45 Die Gesellschaft des Göttlichen Wortes (Salvatorianer) siedelte sich 1892 in der Eugengasse 10 (heute Pernerstorfergasse) in einem Arbeiterbezirk (10. Bezirk), am heutigen Salvatorianerplatz, an, zog aber bald in ein größeres Haus in der Jagdgasse 27 ein, um Religionsunterricht in den Volksschulen zu erteilen. Von dort waren die Salvatorianer als Beichtpriester tätig und engagierten sich auch in katholischen Vereinen. 46 Die Oblaten des hl. Franz von Sales (Salesianer) wurden 1897 in Österreich offiziell anerkannt. Bereits ein Jahr zuvor ließen sich einige Patres in der Neustiftgasse (7. Bezirk) nieder und wirkten als Seelsorger bei den französischen Sionsschwestern in der Burggasse und an der St. Anna-Kirche in der Inneren Stadt, die ihnen schließlich als Ordenskirche 1906 übertragen wurde.47 Die Kongregation von der Auferstehung Jesu Christi (Resurrektionisten) übernahm 1897 die Seelsorge an der Hofgardenkirche zum hl. Kreuz am Wiener Rennweg (3. Bezirk) und an der Kirche zum hl. Joseph am Kahlenberg.48 Die Trinitarier, die bereits 1687 in Wien ihr Dreifaltigkeitskloster samt Kirche in der Alserstraße (gegenüber dem alten

41 Brunner, Festschrift, 17f. 42 Frank, Schwartz. 43 Loidl, Geschichte, 283f. 44 Ebd. 45 Schwartz gründete innerhalb kurzer Zeit mehrere Kollegien: Neben dem Mutterhaus Maria, Hilfe der Christen in der Tell-, Ida- und Dingelstedtgasse (15. Bezirk, heute Gebrüder-Lang- und PaterSchwartz-Gasse), entstanden solche 1897 zum heiligen Josef in Penzing (Reinlgasse, 14.  Bezirk), 1903 zur Heiligen Familie in Wien-Breitensee (14.  Bezirk), 1907 zum Heiligsten Herzen Jesu in Wolfsgraben/Wienerwald bei Tullnerbach und noch kurz vor seinem Tod jenes zur heiligen Barbara (1826). Ebenso schuf er innerhalb von Wien drei weitere Exposituren. Deyer, Kalasantiner, 58–82. 46 1895 kam die Seelsorge an der neu errichteten Herz-Jesu-Kirche in Kaisermühlen (heute 22. Bezirk) hinzu. Exiller, Geschichte, 10–19. 47 Zur weiteren Geschichte siehe Hehberger, Oblaten, 28–41, 58f., 76–81; Žák, Klosterbuch, 255f. 48 Loidl, Geschichte, 284; Žák, Klosterbuch, 254.

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Allgemeinen Krankenhaus) erbaut hatten, kehrten im Jahr 1900 nach Österreich zurück und ließen sich in Wien-Gersthof (18. Bezirk) nieder.49 Sechs neue Männergemeinschaften bereicherten am Beginn des 20. Jahrhunderts das Ordensleben in der Erzdiözese. Die Unbeschuhten Karmeliten hatten schon 1622 in WienLeopoldstadt durch eine Stiftung von Kaiser Ferdinand II. und dessen Gemahlin Eleonora Fuß gefasst. Das Kloster hatte zwar den josephinischen Klostersturm überlebt, wurde jedoch 1838 zunächst provisorisch aufgehoben. Als die Standorte Linz und Raab dem Ortsbischof unterstellt wurden und keine Provinzleitung mehr gewählt wurde, hörte die Österreichische Ordensprovinz zu existieren auf. Allerdings konnte nach längeren Verhandlungen Ende des 19. Jahrhunderts aus den Mitteln des Religionsfonds ein neues Kloster in Wien-Döbling erbaut und 1901 bezogen werden.50 1903 übernahmen die Salesianer Don Boscos die Leitung einer Kinderschutzstation in der Brückengasse im 6. Wiener Bezirk; 1905 wurde eine österreichische Provinz für das Kaiserreich ins Leben gerufen. Aufgrund von Konflikten an ihrem Wirkungsort beschlossen sie, eine erste eigenständige erzieherische Anstalt in WienErdberg zu gründen, wo zwei Jahre später ein Privatgymnasium mit Öffentlichkeitsrecht entstand.51 Das Wiener Ordinariat berief die Beschuhten Karmeliten 1906 nach Wien.52 Für die Seelsorge im Versorgungsheim Lainz – mit 5000 Plätzen das damals größte Altenheim auf dem europäischen Kontinent (heute Geriatriezentrum Am Wienerwald) – kamen die Regularkleriker vom Krankendienst (Kamillianer) 1906 nach Wien. Ihnen wurde des Weiteren die Seelsorge in anderen Wiener Krankenhäusern, wie im Versorgungshaus in Liesing, im Allgemeinen Krankenhaus, im Wiedener Spital, in der Rudolfstiftung, in den Neuen Universitätskliniken, im Seehospiz in Istrien, im Spital der Elisabethinen, im Kaiser-FranzJoseph-Spital und im Kaiser-Jubiläumsspital in Lainz, anvertraut. Da sich die erste provisorische Niederlassung der Kamillianer in der Lainzer Jagdschlossgasse als zu klein erwies, konnte 1910 dank der Förderung durch Herzogin Sophie von Hohenberg, die Gemahlin des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, ein eigenes Kloster in der 49 1917 übernahmen sie auch die Seelsorge an der 1913 erbauten Kaiser-Franz-Josef-Jubiläumskirche (heute Franz-von-Assisi-Kirche, Gedächtniskirche oder Mexikokirche) am Mexikoplatz im 2. Bezirk (Leopoldstadt). Loidl, Geschichte, 285. 50 Mühlbacher, Geschichte, 22–24. 51 Zur weiteren Ausbreitung in der Wiener Erzdiözese: Salesny, Salesianer, 56f.; Maul, Niedermayer, 71f.; Salesianer Don Boscos/Don Bosco Schwestern, Vor allem für die Jugend, 9–15. 52 Žák, Klosterbuch, 211. Von da an bis 1915 wirkten sie im Ottakringer Villenviertel, bis es nach mühevollen Verhandlungen gelang, den Grund am heutigen Stefan-Fadinger-Platz zur Errichtung eines Klosters und einer hölzernen Notkirche zu Ehren der Mutter vom heiligen Skapulier (Weihe 1916) zu erwerben. Im Zuge der Neustrukturierung der Wiener Pfarren wurden die Pfarrkirche Maria vom Berge Karmel und das Kloster – der Karmeliterkonvent war 2003 aufgelöst worden – auf dem Stefan-Fadinger-Platz (11. Bezirk) im September 2014 von der Deutschen Provinz der Karmeliten an die Syrisch-Orthodoxe Kirche verkauft. Die römisch-katholische Pfarre Maria vom Berge Karmel mit der Österreichischen und der Philippinischen Gemeinde wurde in die 2015 neu errichtete Pfarre Christus am Wienerberg integriert.



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Versorgungsheimstraße errichtet werden.53 Als letzte Männerkongregation ließen sich die Herz-Jesu-Priester 1913 in Wien nieder, wo sie seelsorglich für die neue Heilig-Geist-Kirche der Pfarrgemeinde Schmelz (16. Bezirk) zuständig wurden.54 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im langen 19. Jahrhundert 16 neue Männerorden und -kongregationen sowie 29 neue Frauengemeinschaften – das sind beinahe doppelt so viele – in der Erzdiözese Fuß gefasst und dort weitere Filialen gegründet haben.55 Die meisten Kongregationen kamen nicht aus dem Wiener Kirchensprengel: Die weiblichen Gemeinschaften hatten ihren Ursprung in Frankreich und der Schweiz sowie im deutschen Reichsgebiet, die männlichen im selbigen, in Italien, Frankreich und den Niederlanden. Neue weibliche Kongregationen und Orden zogen ab den fünfziger Jahren kontinuierlich in die Wiener Erzdiözese (in den fünfziger und sechziger Jahren jeweils fünf, in den siebziger Jahren vier und in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts sechs neue Gemeinschaften) und ebenso am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts – zuvor eher nur vereinzelt. Der höchste Anteil an Filialen entfiel bis 1918 auf die Töchter des göttlichen Heilands (954 Schwestern in 39 Niederlassungen); ihnen folgten die Dienerinnen des hl. Herzen Jesu (867 Schwestern in 22 Filialen). Die meisten männlichen Orden und Kongregationen kamen in den 1850erund 1890er-Jahren bzw. im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts (vier bzw. fünf neue Gemeinschaften). Die mitgliederstärkste Männerkongregation bildeten die Schulbrüder mit 283 Regularen in neun Filialen. Tabelle C: Anzahl der Niederlassungen und Mitgliederstand der sieben größten Orden und Kongregationen weiblichen und männlichen Geschlechts in der Erzdiözese Wien im Jahr 1918 Weibliche Kongregationen in der Erzdiözese Wien im Jahr 1918 1. Töchter des göttlichen Heilands 2. Dienerinnen des heiligsten Herzens Jesu 3. Hartmannschwestern 4. Barmherzige Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul 5. Töchter der christlichen Liebe vom hl. Vinzenz von Paul 6. Schwestern vom Armen Kinde Jesu 7. Töchter der göttlichen Liebe

Zahl der Niederlassungen 39 22 18 28 27 5 19

Mitgliederzahl 954 867 541 468 426 372 311

53 Gregotsch/Bock, Kamillianer, 21–25; zum Wirken in anderen Wiener Spitälern: ebd., 24. Siehe des Weiteren Arias, Lainz. 54 Loidl, Geschichte, 286. 55 Grafische Darstellungen des Wachstums mehrerer Frauenkongregationen von der Erstniederlassung in der Wiener Erzdiözese bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges finden sich bei Haszprunar, Teilende Hände – Heilende Hände, 298–319.

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Männliche Orden und Kongregationen in der Erzdiözese Wien im Jahr 1918 1. Schulbrüder 2. Steyler Missionare 3. Jesuiten 4. Stift Klosterneuburg 5. Schottenstift 6. Stift Heiligenkreuz-Neukloster 7. Kalasantiner

Zahl der Niederlassungen 9 2 5 1 1 1 4

Mitgliederzahl 283 209 132 90 68 62 61

Während noch 878  Diözesanpriester und fast gleich viele Ordensleute (876, davon 698 Ordensmänner, und nur 178 Ordensfrauen) im Jahr 1831 in Wien (Katholikenzahl: 854.705 in 417 Pfarren) wirkten56, gab es dort etwa neun Jahrzehnte später 1135 Weltpriester und 764 Angehörige des Regularklerus.57 Die Anzahl der Mitglieder in den Männerorden und -kongregationen in 66 Niederlassungen betrug 1413, jene der Ordensfrauen in 274 Niederlassungen sogar 5836 (81 %); so hatte sich das Geschlechterverhältnis im Jahr 1918 dort sogar umgekehrt. Selbst wenn die Zahl der männlichen Ordensangehörigen und diejenige des Weltklerus addiert werden, gab es in der Wiener Erzdiözese mehr als doppelt so viele Klosterfrauen als männliche Geistliche. Eindeutig überwog der Frauenanteil im kirchlichen Personal58 – gemeint sind damit jene Personen, also Priester und Ordensleute, wie sie in den entsprechenden Personalständen und Schematismen angeführt wurden. Es wäre lohnend, weitere Forschungen bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts anzustellen, da nach meinen Vorstudien der Zuwachs an Kongregationsmitgliedern weiterhin anhielt bzw. dann überhaupt seinen Höhepunkt erreichte. Zu den Wiener Eigengründungen zählen nur die Töchter der göttlichen Liebe und die Kalasantiner. Wiederum andere, wie die Hackinger Dominikanerinnen, die Erdberger Schulschwestern oder die Töchter des göttlichen Heilands, entwickelten sich aus einer schon bestehenden Gemeinschaft zu einer selbstständigen Kongregation. Bis auf die Redemptoristinnen, die Karmelitinnen bzw. Karmeliter und die Klarissen waren alle übrigen religiösen Genossenschaften aktiv, also nicht kontemplativ ausgerichtet und im weiten Feld von Caritas, Bildung und Erziehung tätig. Ihr Wirken erstreckte sich bemerkenswerterweise auf fast alle Wiener Bezirke (mit der entsprechenden Verteilung der Niederlassungen) und auch auf zahlreiche Orte der Wiener Erzdiözese auf dem Land.

56 Personal-Stand Wien 1831, 247–249. 57 Der Katholikinnenanteil hatte sich verdreifacht: 2.596.212 Katholiken lebten in 534 Pfarren. Personalstand Wien 1918, 424–426. 58 Natürlich zählten zum kirchlichen Personal im weiteren Sinne auch die Küster, Organisten und Pfarrhaushälterinnen, die sich für die damalige Zeit allerdings statistisch schwer erfassen lassen und im Personalstand nicht angeführt sind. Dieser Personenkreis wird also in den Erhebungen des vorliegenden Beitrages nicht erfasst.



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3. Entwicklung des Geschlechterverhältnisses im Ordens- und Kongregationspersonal der Diözese Seckau Tabelle D: Neue Niederlassungen von Frauenorden und -kongregationen in der Diözese Seckau (1829–1918) Name

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1829 1841

Ort der Erstnieder- Filialen lassung/Wiedererrichtung

Schulschwestern von Graz

1843

Graz

Sacré Coeur Gute Hirtinnen Arme Schulschwestern von Unserer Lieben Frau Kreuzschwestern

1846 1858 1870

Graz Graz Wildon

1870

Rein

Karmelitinnen Barmherzige Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul

Graz Graz

Gleichenberg, Lankowitz, Hengsberg, Wundschuh, Wildon, Mariazell, Knittelfeld, Fohnsdorf, Hartberg, Ehrnau, Admont, Seckau, Gamlitz, Rottenmann, Schwanberg, Eibiswald, St. Margarethen a. d. Raab, Riegersburg, Voitsberg, Dult bei Gratkorn, Feldbach, Fürstenfeld, Heiligenkreuz am Waasen Eggenberg bei Graz, Graz, Feldbach, Schwanberg, St. Georgen an der Stiefing, Gröbming, Hartmannsdorf, Haus, Schladming, Mautern, Friedberg, Straden, Fernitz, St. Veit am Vogau, Leutschach, Seggau, St. Ruprecht a. d. Raab, Abstall, Schirmdorf bei Abstall

Graz, Bruck/Mur, Aussee, Hörgas bei Gratwein, Enzenbach bei Gratwein, Neudau, Leoben, Göß bei Leoben, Trofaiach, Judenburg, Kapfenberg, Radkersburg, Mürzzuschlag, Eibiswald, St. Lorenzen im Mürztal, Unterburg bei Irdning, Kindberg, Murau, Irdning, St. Lambrecht, Seegraben bei Leoben, Fölling bei Mariatrost, Waldstein bei Peggau

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Michaela Sohn-Kronthaler

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1882 1897 1904

Dominikanerinnen Vorauer Schwestern59 Dienerinnen des heiligsten Herzens Jesu Töchter der göttlichen Liebe 1905 Töchter des göttlichen 1913 Heilands

Ort der Erstnieder- Filialen lassung/Wiedererrichtung Gleisdorf Vorau Kalwang Graz Grafenegg bei Liezen

59

Im Bistum (Graz-)Seckau hatte Joseph II. traditionsreiche Frauenklöster wie das Benediktinerinnenstift Göss, die Konvente der Karmelitinnen und Dominikanerinnen in Graz sowie diejenigen der Klarissen in Judenburg und Graz aufgehoben.60 Nur die Ursulinen61 mit ihrem Aufgabenfeld der Erziehung und Bildung (seit 1686) sowie die Elisabethinen62 mit ihrem Einsatz in der Hospitalpflege (seit 1690) verblieben im Gebiet der heutigen Steiermark, und zwar mit ihren Klöstern in der Landeshauptstadt Graz. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts machten die Karmelitinnen den Anfang der neuen Niederlassungen. Sie konnten sich 1829 nun neu in der Grabenstraße 144 in Graz, wohin sie schon 1643 gerufen worden waren, ansiedeln.63 In den 1840er-Jahren bereicherten drei neue Frauengemeinschaften das kirchliche Leben in der Steiermark. Bemerkenswert ist dabei, dass alle drei von Steirerinnen selbst initiiert wurden bzw. deren Entstehung primär ermöglicht haben, wobei sich die Akteurinnen an bestehende auswärtige Muster anlehnten. Die Barmherzigen Schwestern des hl. Vinzenz von Paul (Töchter der christlichen Liebe des hl. Vinzenz von Paul), seit 1841 in Graz, sind mit dem Namen von Maria Josefa Gräfin Brandis (1815–1900) verbunden.64 Diese übernahm mit ihren Gefährtinnen die Krankenpflege im Allgemeinen Zivilkrankenhaus der Stadt. Bei jenen handelte es sich zunächst um eine eigenständige Gemeinschaft, die sich 1850 dem Generalmutterhaus in Paris anschloss. 59 In dieser Tabelle werden die Vorauer Schwestern mit dem Jahr ihrer offiziellen Vereinserrichtung 1897 geführt; die Anfänge der Gemeinschaft liegen im Jahr 1865. 60 Hutz, Klosteraufhebungen. 61 Zapletal, Ursulinnen-Kloster. 62 Linhardt/Höfer, Elisabethinen, 137. 63 Naschenweng, Karmelitinnen. 64 Mutter Leopoldine Brandis rief zudem eine eigenständige Frauenkongregation ins Leben. Zweck der neuen Stiftung war es, dass pflegende Schwestern Kranke und Arme in ihren Privatwohnungen betreuten und dort bei Bedarf als Pflegerinnen über Nacht verblieben. 1878 wurden in Laibach die ersten drei „Krankenjungfrauen“ eingekleidet. Da sich das Werk zahlenmäßig schnell entwickelte, verfasste Brandis 1882 eine eigene Lebensordnung für deren Wirken, basierend auf vinzentinischer Spiritualität. Es handelt sich um die noch heute in Slowenien existierende Gesellschaft von Marienschwestern der Wundertätigen Medaille, die seit 1926 als selbstständige Frauenvereinigung besteht. Kronthaler, Prägende Frauen, 18f.



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1843 konnte sich die religiöse Genossenschaft über die Landeshauptstadt hinaus ausbreiten und sich der Krankenpflege im Zivilkrankenhaus in Marburg, dem Gebiet der damaligen Untersteiermark (heute Slowenien), widmen.65 Zahlreiche Filialgründungen folgten. Der Personalstand von 1918 führt sie als größte Frauenkongregation, die in 46 Einrichtungen wirkte, an; von 1900 bis dahin hatte sich ihre Mitgliederzahl (844) beinahe verdoppelt.66 Bei den Grazer Schulschwestern, 1843 von der Fürstenfelderin Antonia Maria Lampel (1807–1851) mit dem Ziel des Unterrichtes und der Erziehung der weiblichen Jugend ins Leben gerufen, fanden bereits ein Jahr nach der Gründung 200 Kinder Betreuung, 1869 wurde eine Lehrerinnenbildungsanstalt errichtet.67 Auch sie errichteten ein Netz von Filialen über die Steiermark hinaus und waren am Ende des Ersten Weltkrieges mit 286 Schwestern an 18 Wirkungsorten die drittgrößte religiöse Frauengenossenschaft.68 Als noch im Jahr 1846 ein Institut der Frauen vom heiligsten Herzen Jesu (Sacré Coeur) auf Betreiben der Grazerin Franziska Möstl (1807–1869) in ihrer Heimatstadt gestiftet wurde, das sich ebenso der Mädchenbildung und erziehung widmete, hatten innerhalb von weniger als zwanzig Jahren vier neue Frauengemeinschaften im Bistum Fuß gefasst.69 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen weitere Schwesterngemeinschaften hinzu, nämlich zum einen solche, die ihre Mutterhäuser im Ausland hatten, wie die Guten Hirtinnen aus Angers, die 1858 zur Leitung eines „Rettungshauses für gefährdete und gefallene Mädchen“ („Mädchenschutzhaus“) nach Graz geholt wurden, die Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau aus Regensburg, die 1870 eine Schule in Wildon gründeten, und die Kreuzschwestern (Barmherzige Schwestern vom Heiligen Kreuz), die 1870 in Rein und Aussee ihr Wirken in der Steiermark begannen und sich bis 1918 zur zweitgrößten steirischen Frauengemeinschaft mit 431 Schwestern in 45 Einrichtungen entwickelten. Letztere widmeten sich der Betreuung von Kleinkindern und Dienstmädchen, dem Unterricht und der Krankenpflege. Unter anderem entstand 1885 die spezielle Frauenheilanstalt „Maria Hilf“ (seit 1909 Sanatorium).70 Zum anderen wurden in jenem Zeitraum zwei Frauenkongregationen explizit von Steirerinnen oder in Zusammenarbeit mit einem Kleriker konstituiert. Zu diesen Neugründungen zählt das Dominikanerinnenkloster in Gleisdorf, als dessen Stifterin Aquinate Hoyos (1828–1886), Gräfin von Sprinzenstein, gilt. Ursprünglich war diese Dominikanerin in Augsburg, wechselte aber nach Güns/Köszeg, wo sie auf den Prior des Grazer Dominikanerklos65 Personalstand Seckau 1848, 80. 66 Kronthaler, Prägende Frauen, 17f.; Personalstand Seckau 1918, 455. Vgl. auch Žák, Klosterbuch, 348f. 67 Sohn-Kronthaler, Leben nach der franziskanischen Regel, 157–159. Der Name der Kongregation wechselte im Laufe der Entwicklung mehrmals. Heute wirken die Franziskanerinnen von der Unbefleckten Empfängnis, wie sie seit 1954 heißen, weltweit auf drei Kontinenten. Zu deren Geschichte: Petz, Mitten unter den Menschen. 68 Personalstand Seckau 1918, 455. 69 Die Klosterfrauen boten um die Jahrhundertwende ein Pensionat mit Volks- und Bürgerschule, drei Fortbildungsklassen und eine fünfklassige private Mädchenvolksschule an. Sie errichteten 1932 die erste achtklassige Frauenoberschule auf steirischem Boden. Höfer, Sacré Coeur, 9–30. 70 Kronthaler, Prägende Frauen, 13f.; Personalstand Seckau 1918, 455.

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ters, Magister Thomas Anselmi (1830–1890), traf. 1882 bezog sie mit weiteren sechs Schwestern ein Haus samt Garten in Gleisdorf; fortan bildete sich eine neue autonome Gemeinschaft aus, die sich vor allem dem Unterricht und der Erziehung der weiblichen Jugend verschrieb. 71 Eine steirische Eigengründung sind die Vorauer Schwestern. Diese religiöse Frauengemeinschaft wurde von der Bauerntochter Barbara Sicharter (1829–1905) ins Leben gerufen. Gemeinsam mit drei gleichgesinnten Mitarbeiterinnen führte sie seit 1865 ein klösterliches Leben nach den Regeln des franziskanischen Drittordens und widmete sich der ländlichen Krankenpflege. Aus dem für die Pflege errichteten Stroblhaus entwickelte sich das bis heute für die oststeirische Region bedeutsame Marienkrankenhaus Vorau.72 Bis 1918 etablierten sich noch vier weitere Frauenkongregationen in der Seckauer Diözese: Die Schwestern der Dienerinnen des heiligsten Herzens Jesu ließen sich 1904 in Kalwang zur Kranken- und Armenpflege und Betreuung eines Kindergartens sowie für eine Nähund Handarbeitsschule nieder. Die Töchter der göttlichen Liebe, ab dem Jahr 1905 in der Diözese tätig, betrieben eine Arbeitsschule und ein Waisenhaus in Graz-Mariatrost und boten unentgeltliche Hauskrankenpflege an. Die Töchter des göttlichen Heilands betreuten seit 1913 ein Kinderheim auf Schloss Grafenegg bei Liezen. Tabelle E: Neue Niederlassungen von Männerorden und -kongregationen in der Diözese Seckau (1826–1918) Name

Redemptoristen Jesuiten Karmeliten Lazaristen Marianisten Benediktiner der Beuroner Kongregation Kalasantiner Comboni-Missionare (Söhne des Heiligsten Herzen Jesu)

Jahr der Erstniederlassung/ Wiedererrichtung 1826

Ort der Erstniederlassung/Wiedererrichtung

Filialen

Mautern, Leoben, Graz (bis 1848)

1829 1844 1852 1857 1883

Frohnleiten (bis 1854) Gleisdorf, dann Graz Graz Graz Graz Seckau

1902 1909

Deutsch-Goritz Messendorf bei Graz

Graz-Eggenberg

71 Kronthaler, Prägende Frauen, 15f. 72 Die Frauenvereinigung wurde 1897 als staatlicher Verein mit der Bezeichnung Gesellschaft zu Ehren der seligsten Jungfrau Maria ohne Makel der Erbsünde empfangen errichtet. Obwohl die Schwestern kirchenrechtlich keine klösterliche Gemeinschaft im eigentlichen Sinne bildeten, sondern Mitglieder des Dritten Ordens des hl. Franz von Assisi waren, beschlossen sie ein Jahr später, eine einheitliche klösterliche Tracht einzuführen. 1928 erfolgte die römische Genehmigung zur Errichtung der Kongregation der Marienschwestern von der Unbefleckten Empfängnis bischöflichen Rechts. Kronthaler, Prägende Frauen, 17–19, 21; Kongregation der Vorauer Schwestern, Die Vorauer Schwestern; dazu jüngst Wiesflecker, „… man erwartet von Euch keine Heiligen …“, 188–251.



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Hatte schon unter Bischof Roman Sebastian Zängerle (1824–1848) der Aufschwung unter den Frauenorden begonnen, so förderte der von Clemens Maria Hofbauer geprägte Seckauer Oberhirte auch den Zuzug männlicher Konvente: Die Redemptoristen waren die erste Kongregation überhaupt, die sich in der Region im 19. Jahrhundert ansiedelte. 1826 bezogen sie das unter Joseph II. aufgelassene Servitenkloster in Frohnleiten (bis 1854); bald kamen weitere Stützpunkte wie Mautern seit 1827, wo eine theologische Hauslehranstalt errichtet wurde, und Leoben mit einem philosophischen Hausstudium und einem Hospitium sowie eine Filiale im südsteirischen Marburg (1833–1848) hinzu. Einige Jahre konnten die Redemptoristen sogar an der Stiegenkirche in Graz im ehemaligen Eremitenkloster wirken; allerdings wurden sie dort im Revolutionsjahr 1848 vertrieben.73 Die Jesuiten, im 16. Jahrhundert die große Stütze der Katholischen Reform, kehrten nach der Wiederrichtung ihres Ordens erst 1829 in die Seckauer Diözese zurück, und zwar von Galizien aus zunächst nach Gleisdorf. Im selben Jahr wechselten sie nach Graz, wo sie ihr Noviziat einrichteten, dieses jedoch 1848 aufgrund der Revolution verlassen mussten; erst 1886 konnten sie an die Pauluskirche in Graz zurückkehren.74 Auch die beschaulichen Karmeliter, deren Kloster am Karmeliterplatz in Graz 1789 den josephinischen Maßnahmen zum Opfer fiel, konnten 1844 ein neues Haus in der Grabenstraße beziehen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Lazaristen 1852 in Graz sesshaft, erbauten dort ihr Missionshaus und eine Kirche zur Schmerzhaften Muttergottes in der Mariengasse (1863) sowie einen Stützpunkt in Graz-Eggenberg (1892). Als die Marienbrüder 1857 in die Landeshauptstadt kamen, unterhielten sie eine öffentliche Privatoberrealschule (Marieninstitut) und das Waisenknabeninstitut Paulinum mit einer Volks- und Bürgerschule; sie wirkten auch am Katholischen Lehrerkonvikt.75 Die Benediktiner aus der Abtei Emaus in Prag, der Beuroner Kongregation zugehörend, konnten für die Wiederbesiedlung des unter Joseph II. aufgehobenen Augustiner-Chorherrenstiftes Seckau in der Steiermark 1883 gewonnen werden. 1918 bildeten sie mit 96 Ordensleuten das mitgliederstärkste Männerkloster des Bistums.76 Am Beginn des 20. Jahrhunderts zogen noch zwei weitere Männerkongregationen ins Land: die Kalasantiner nach Deutsch-Goritz (1902) sowie die Comboni-Missionare (Söhne des Heiligsten Herzen Jesu) nach Messendorf (1909), einem damaligen Vorort von Graz. Betrug der Frauenanteil an den im Jahr 1827 gezählten Ordensleuten 28 Prozent in der Diözese Seckau, drehte sich das Geschlechterverhältnis innerhalb der Orden und Kongregationen bis 1918 um.77 So hatte sich in diesem Zeitraum nicht nur die Zahl der Ordensmitglieder beinahe mehr als verzehnfacht (2629 Personen), sondern auch der 73 Žák, Klosterbuch, 251f 74 Österreichische Ordensprovinz, Jesuiten in Österreich, [o. S.]. 75 Žák, Klosterbuch, 256. 76 Roth, Seckau. Zusammengestellt anhand des Personalstandes Seckau 1918, 454. Zu Beuron siehe Sohn, Beuron, 107. 77 Personalstand Seckau 1828, 13–26, 32, 35, 39, 46, 48. Nicht berücksichtigt wurden bei der Zählung das Kreisdekanat Marburg (heutiges slowenisches Gebiet) sowie die Diözese Leoben.

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weibliche Anteil war auf 71 Prozent (1870 Schwestern) angestiegen.78 Dieser übertraf in seiner Summe bei Weitem die Gesamtzahl aller in der steirischen Kirche wirkenden 1106 Welt- und Ordenspriester. An den zwölf neuen weiblichen Orden und Kongregationen, die in die Diözese gelangten, waren vier Frauen entweder als eigenständige Gründerinnen der Genossenschaft oder als Mitbegründerinnen wesentlich beteiligt. Im gleichen Zeitraum ließen sich zwar acht neue religiöse Männergemeinschaften nieder, es kam aber zu ganz wenigen Filialgründungen (5). Zudem fällt auf, dass am Beginn des 20. Jahrhunderts die Klosterfrauen nicht mehr nur in der Stadt Graz beheimatet waren, wie dies noch um die Jahrhundertmitte fast ausschließlich der Fall war. Die 78 Wirkungsorte der neuen Frauengemeinschaften verteilten sich großflächig in der gesamten Region der heutigen Steiermark. Sie waren in Städten und kleineren Gemeinden zu finden. Die Frauen der Kommunitäten bzw. der Kongregationen waren vor Ort präsent, repräsentierten die Kirche und die kirchliche Lehre, wurden als kirchliche Autoritätspersonen von der Bevölkerung wahrgenommen und hatten mit den Menschen verschiedenster sozialer Schichten, so mit dem Adel und den BürgerInnen, aber auch dem Arbeiter- und Bauernstand, infolge ihrer Aktivitäten direkten Kontakt.

4. Entwicklung des Geschlechterverhältnisses in Orden und Kongregationen anderer österreichischer Diözesen Ähnliche Fakten im Hinblick auf den Zuwachs an weiblichem Ordenspersonal in der Kirche lassen sich auch für die übrigen österreichischen Diözesen im heutigen Staatsgebiet konstatieren, wobei es, was die Entwicklung innerhalb der einzelnen Bistümer betrifft, Differenzierungen gibt.79 Die Erzdiözese Salzburg verzeichnete im Jahr 1833 genau 124 Ordensmänner (58 %) und 89 Ordensfrauen (42 %) und wies so verglichen mit anderen Diözesen einen auffallend höheren Frauenanteil auf. Letzterer rekrutierte sich aus den Benediktinerinnen zu Nonnberg, den Ursulinen und den Nonnen des St. Clara-Ordens in Maria Loreto (Kapuzinerinnen von der Ewigen Anbetung) in der Stadt Salzburg sowie aus den Halleiner Schulschwestern auf dem Land.80 Im Jahr 1918 war der Anteil an männlichen Ordensleuten in der Erzdiözese Salzburg sogar auf 18 Prozent (!) gesunken (257 Mitglieder in den Männerstiften, Klöstern und Kongregationen), wobei das Stift St. Peter zu Salzburg die höchste Anzahl mit 59 Benediktinern aufwies. Hingegen war die Zahl der Klosterfrauen konstant gewachsen und betrug 1143 (!), also (82 %), am Ende des Ersten Weltkrieges. Die Barmherzigen Schwestern mit ihrem Provinzzentralhaus in Salzburg wiesen den größten 78 Der Männeranteil betrug 759 Personen (= 29 %). Personalstand Seckau 1918, 330–455. 79 Es wurde die Diözese Brixen nicht berücksichtigt, die den Tiroler und Vorarlberger Anteil umfasste. Daraus entstanden die Diözesen Innsbruck im Jahr 1964 und Feldkirch 1968. 80 Personalstand Salzburg 1833, 14–24, 28–31, 36–39, 48, 62f., 74f., 78.



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Personalstand auf und verfügten über 84 Filialen; die Salzburger Eigengründung der Halleiner Schulschwestern besaß 23 Filialen.81 Hingegen konnte die Diözese Linz im Jahr 1831 nur einen niedrigen Stand an weiblichem Ordenspersonal verzeichnen: Den 344 Ordensmännern (81 %) standen „nur“ 82 Ordensfrauen (19 %) aus den Ursulinen, Elisabethinen- und Karmelitinnenkonventen gegenüber. Letztere waren erst 1828 nach Gmunden gekommen. Die altehrwürdigen Stifte der Chorherren in St. Florian (83) und der Benediktiner in Kremsmünster (87) stellten über die Hälfte der männlichen Ordensleute.82 1918 hatte sich der männliche Anteil der Ordensleute zwar mehr als verdoppelt (690), doch der Frauenanteil im Linzer Ordenspersonal war deutlich auf 74 Prozent (1948) angestiegen.83 In der Diözese St. Pölten waren im Jahr 1837 überhaupt nur zwei Frauenklöster beheimatet, nämlich jene der Englischen Fräulein (heute Congregatio Jesu) in Krems sowie St. Pölten mit insgesamt 18 (!) Nonnen. Hingegen lebten in den traditionsreichen Männerstiften Altenburg, Geras, Göttweig, Herzogenburg, Lilienfeld, Melk, Seitenstetten und Zwettl 379 Ordensleute. Hinzu kamen Niederlassungen der Franziskaner, Kapuziner, Piaristen, Redemptoristen und Serviten mit einem Anteil von 84 Personen. Das Geschlechterverhältnis zwischen männlichen und weiblichen Ordensleuten war überaus deutlich: Den 463 Ordensmännern (96 %) standen nur 18 Ordensfrauen (4 %) gegenüber.84 Am Ende des Ersten Weltkrieges hingegen ergibt sich ein sehr überraschendes Ergebnis. Es ist beachtlich, dass die Zahl der männlichen Ordensangehörigen fast gleich geblieben ist (464 Ordensmänner), während die Diözese nun 1132 Ordensfrauen umfasste, womit diese fast das Dreifache der männlichen Ordensmitglieder aufwiesen und so ihre Gesamtzahl auf 71 Prozent aller Ordensleute hochgeschnellt war.85 Das Institut der Englischen Fräulein – mit seinem Mutterhaus in St. Pölten – zählte zwar zu den mitgliederstarken Frauengenossenschaften (192 Personen), doch die im 19. Jahrhundert angesiedelten Schulschwestern vom Dritten Orden des hl. Franziskus aus dem Mutterhaus Judenau wiesen 1918 mit 268 Klosterfrauen die höchste Anzahl an Schwestern auf.86 Einem interessanten Wandel war das Geschlechterverhältnis innerhalb des Ordenspersonals der Diözese Gurk in der Zeit zwischen 1830 und dem beginnenden 20. Jahrhundert unterworfen. So gab es dort bereits im Jahr 1830 einen hohen Anteil an Klosterfrauen (65 Personen bzw. 72 %), der auf dem Elisabethinen- und Ursulinenkonvent beruhte, während 81 Zu den Anfängen der Halleiner Schulschwestern: Kongregation der Schulschwestern, Theresia Zechner; Personalstand Salzburg 1918, 238. Zur Entwicklung der Orden und Kongregationen in Salzburg allgemein: Ortner, Salzburger Kirchengeschichte, 154f. 82 Zusammengestellt aus dem Verzeichnis des Personalstandes der Diözese Linz 1831, 21–30, 58–60, 69–72, 82f., 95–102, 125–133, 170–173, 193–196. 83 Schematismus Linz 1918, 170–214, 219–246. Vgl. Würthinger, Ordenswesen in der Diözese Linz. 84 Verzeichnis des Personalstandes St. Pölten 1837, 156. 85 Zusammengestellt anhand des Personalstandes der Diözese St. Pölten 1917/1918, 129–172. 86 Ebd., 154–159.

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das männliche Ordenspersonal nur 28 Prozent (= 25 Ordensmänner) ausmachte.87 Knapp 60 Jahre später hatte sich das Geschlechterverhältnis beinahe ausgeglichen; es gab sogar etwas mehr männliche (176 Personen bzw. 51 %) als weibliche Ordensleute (166 Personen bzw. 49 %), da der größte Männerorden mit fast 100 Mitgliedern, nämlich die Jesuiten, nach der Verlegung des Bischofssitzes von Lavant nach Marburg 1859 die frei gewordene Residenz in St. Andrä erwarben, um dort ihr Noviziat und Terziat einzurichten.88 Daneben waren diese in der Seelsorge für die umliegenden Gemeinden und für Volksmissionen zuständig und trugen zum Wiedererstarken der Wallfahrten an der von ihnen übernommenen Wallfahrtskirche Maria Loreto bei. Ebenso fiel nun das Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal in den Gurker Kirchensprengel. Am Ende des Ersten Weltkrieges waren – durch den Zuzug verschiedener weiblicher Kongregationen – wieder wesentlich mehr Ordensfrauen (410 bzw. 70 %) als Ordensmänner (174 bzw. 30 %) in der Gurker Diözese präsent.89

5. Ursachen für den Aufschwung des weiblichen Kongregationswesens und Folgerungen für die Feminisierungsthese Der unübersehbare Aufschwung und die Entfaltung des weiblichen Kongregationswesens in der untersuchten Epoche resultiert aus mehreren Faktoren. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der Frauenkongregationen des 19. Jahrhunderts von den herkömmlichen klassischen Orden liegt in der gelungenen Kombination zwischen einer aktiven und kontemplativen Lebensweise.90 Viele Frauen, die diese klösterliche Lebensform wählten, sahen darin die Gelegenheit, ihre religiöse Berufung mit dem christlichen Grundauftrag, aktiv zur Überwindung der sozialen Nöte beizutragen, zu verbinden.91 Daher wirkten diese religiösen Frauengenossenschaften hauptsächlich im weiten karitativen Aufgabenfeld, wie in den Krankenhäusern und der ambulanten Krankenpflege, in Kinderbetreuungseinrichtungen, Erziehungs- und Bildungsstätten für alle Altersschichten, in Waisenanstalten und Jugendheimen, in Armen- und Behinderteninstituten oder in der Fürsorge um den Arbeiterstand. Die kontemplative Seite des klösterlichen Gemeinschaftslebens rückte in den Hintergrund. Da die Schwestern im Gegensatz zu den herkömmlichen monastischen Orden nicht an die strenge Klausur gebunden waren, konnten sie zugunsten ihrer beruflichen Tätigkeit wesentlich flexibler und unbürokratischer auch im öffentlichen Raum agieren. Nicht nur die Klausurvorschriften, sondern auch die Verfassung der Gemeinschaft, die Kleidung sowie Ein- und Austritte von Mitgliedern wurden einfacher gestaltet.92 Auch fielen bei den Kon87 88 89 90 91 92

Personalstand Gurk 1830, 17f., 31, 51f. Personalstand Gurk 1888, 112; Österreichische Ordensprovinz, Jesuiten in Österreich, [o. S.]. Personalstand Gurk 1917/1918, 328f. Siehe dazu ausführlich Meiwes, Arbeiterinnen des Herrn. Fleckenstein, Von der Mitte des 19. Jahrhunderts, 206. Als Beispiel sollen die Grazer Schulschwestern angeführt werden: In ihrem Ansuchen an den Ortsbischof um Errichtung der Gemeinschaft erläuterte die Gründerin der Kongregation, Antonia Maria



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gregationen die klaren Trennungen bzw. Differenzierungen innerhalb der Schwesternschaft, wie dies bei monastischen Orden mit den Chorfrauen und Laienschwestern der Fall sein konnte, weg. Den Kongregationen war die zentrale, hierarchisch konzipierte Organisation eigen: An der Spitze stand das Mutterhaus (Generalat, Generalmutterhaus) mit seiner Generaloberin bzw. Mutter (Mutter Oberin); die einzelnen Filialen bzw. Niederlassungen wurden ebenso personell wie auch finanziell von ihr geleitet. Der Beitritt zu einer Frauenkongregation bildete eine attraktive Alternative zu den herkömmlichen Lebensmodellen als Ehegattin oder alleinstehender Frau. So erhielten jene jungen Frauen, die sich für einen solchen Lebensentwurf entschieden, neben der spirituellen Formung auch eine berufliche Ausbildung. Es ist davon auszugehen, dass die Oberinnen bei der Zuweisung von Berufen, die innerhalb der Gemeinschaft gebraucht wurden, z. B. als Pädagogin, Sozialfürsorgerin oder Krankenschwester, auch die Begabungen der Kandidatinnen entdeckten und förderten. Die Zunahme von Mitgliedern innerhalb der Kongregationen und Orden hing durchaus mit den damaligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammen. So ist die soziale Herkunft von Frauen, die den Kongregationen beitraten, zu beachten und näher zu untersuchen. Dass der Zuwachs an Mitgliedern auch aus dem endgültig frei gewordenen Bauernstand Mitte des 19. Jahrhunderts resultierte, zeigen beispielsweise die biografischen Wurzeln der Vorauer Schwestern, die zum größten Teil aus dem bäuerlichen bzw. kleinbäuerlichen Milieu und aus den ländlichen sozialen Unterschichten, wie den Dienstboten, kamen.93 Der Großteil der Frauen, die den Kongregationen beitraten, entstammte den ländlichen, in der Volksfrömmigkeit verankerten Schichten. Einige Gründungen, die sich besonders der Krankenpflege und dem Unterricht widmeten, begeisterten auch die Töchter des Adels und des wohlhabenden Bürgertums.94 Die ersten Kandidatinnen der Kongregation der Töchter der göttlichen Liebe kamen „aus den verschiedensten Verhältnissen der Welt“, in nicht geringem Maße waren es mittellose Waisen, „die nicht einmal eine Volksschule abgeschlossen hatten“. So erhielten sie hier ein Basiswissen, wie es in der Elementarschule vermittelt wurde. „Die begabten Kandidatinnen bereitete sie [Mutter Franziska Lechner] darauf vor, entsprechende Qualifikationen zu erwerben, die sie für das Apostolat in den Werken der Kongregation benötigten.“95 Frauen Lampel, Eckpunkte der Ausrichtung und Verfassung der neuen Frauengenossenschaft. Nach dem Vorbild der „Regelschwestern“ in Tirol bilde diese „keinen Orden mit feierlichen und unauflöslichen Gelübden“, sondern es werde vorgesehen, die einfachen Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams abzulegen. Es sei kein öffentliches Chorgebet vorgeschrieben, sondern nur Andachtsübungen und eine Art Klausur, die jedoch relativ frei gehandhabt werden sollten, damit die Schwestern leichter ihren Lehrerinnenberuf ausüben könnten. Statt eines Ordenshabits wurde eine einfache Kleidung wie bei „armen und ehrbaren Weltpersonen“ vorgeschrieben. Vermögensrechtlich verlor keine Schwester das Recht auf Eigentum, für den Todesfall behielt sie das freie Testierrecht. Sohn-Kronthaler, Leben nach franziskanischen Regel, 157–159. 93 Wiesflecker, „… man erwartet von Euch keine Heiligen …“, 320–325. 94 Gatz/Schaffer, Sozial-caritativ tätige Orden, 106f. 95 Rusztyn, Kongregation der Töchter der göttlichen Liebe, 220.

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erwarben Kompetenzen und wurden für Berufe ausgebildet, die den meisten ansonsten bei Nichtwahl der religiösen Lebensweise nicht zugänglich gewesen wären. Zudem brachte der Status der „berufstätigen“ Klosterschwester öffentliche Wertschätzung und Achtung mit sich, für manche sogar eine „Karriere“ in Kirche und Gesellschaft, beispielsweise als Lehrerin, Hospitalpflegerin, Oberin, Leiterin einer Schule oder Krankenstation, eines Fürsorgeinstitutes oder einer Klosterfiliale. Die Frauengemeinschaften nahmen Professionalisierungsansätze im Hinblick auf die Notwendigkeiten innerhalb ihres Konventes vor, die Oberinnen waren für die konsequente Weiterbildung der Schwestern zuständig. Diese Lebensform beseitigte nicht nur die existenziellen Sorgen von Frauen, sondern ermöglichte ihnen eine soziale Grundversorgung, wenn diese ihr Leben lang im Schwesternverband verblieben. So wurden die Ordensfrauen in jeder Weise – von der Krankenbetreuung bis zur Altersvorsorge – abgesichert. Anzumerken ist jedoch auch der negative Aspekt, dass nämlich Frauen in den weiblichen Genossenschaften durchaus auch harten und gesundheitsgefährdenden Bedingungen ausgesetzt sein konnten. Sie führten oft ein entsagungsreiches Leben. Geistliche Krankenschwestern in den Spitälern waren mit strengen Arbeitszeiten und bedrohlichen Bedingungen, etwa dem Risiko der Infizierung durch tödliche Krankheiten, konfrontiert.96 Der Bedarf an Schwesternschaften mit ihren innovativen Betätigungsfeldern in der damaligen Gesellschaft und Kirche, vor allem im pflegerischen, pädagogischen und sozialen Sektor, war groß. Die geistlichen Schwestern wurden fast überall „gebraucht“: Von den Bischöfen, vom Pfarrklerus, von den katholischen karitativen Vereinen, aber auch von der Stadtverwaltung und den öffentlichen Einrichtungen wurden sie in größere und kleinere Gemeinden gerufen. Zum Personal der Ortskirche in vielen Städten und Dörfern, das früher fast ausschließlich männlich dominiert war, zählten nun auch Frauen, die in ihrem Wirken als Ansprechpartnerinnen bzw. wichtige Bezugspersonen und Vertreterinnen der offiziellen Amtskirche agierten.97 Sie repräsentierten die Kirche in ihren vielfältigen Erscheinungsformen, vor allem in ihren diakonischen und religiösen Handlungsfeldern. „Die Feminisierung des kirchlichen Personals verschaffte den Schwestern eine öffentliche Präsenz, die katholische Kirche trat den Gläubigen weiblich entgegen.“98 Die geistlichen Schwestern genossen selbst eine ausführlichere religiöse Bildung als andere Frauen und wirkten an der Sakramentenvorbereitung mit. Die Klosterfrauen – je nach Einsatz ihres Tätigkeitsfeldes – kümmerten sich ja nicht nur um die äußeren Nöte der Menschen, sondern sorgten sich auch um das religiöse Leben der ihnen Anvertrauten – um deren „Seelenheil“ – und waren somit, dem heutigen Sprachgebrauch gemäß, pastoral tätig. Ihr Einfluss auf die Gläubigen darf nicht unterschätzt werden. Sie selbst empfanden ihr Wirken im sozialen Dienst und 96 Meiwes, Weibliche Berufsarbeit, 124f. 97 Wenngleich nicht als offizielle Vertreterin der Amtskirche, fungierte doch auch die Pfarrhaushälterin als kirchliche Ansprechperson, die innerhalb eines Pfarrhauses eine bestimmte Rolle einnehmen konnte. Siehe dazu Sohn-Kronthaler, Pfarrhaushälterinnen. 98 Meiwes, Weibliche Berufsarbeit, 132.



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in der christlichen Nächstenliebe als sinnstiftend und als eine Form der christlichen Nachfolge. Die weiblichen Kongregationen trugen wesentlich zur Erneuerung des katholischen und religiösen Lebens im langen 19. Jahrhundert bei und waren eine wichtige Säule bei der Herausbildung oder Konstituierung des katholischen Milieus.99 Sicherlich förderte die Präsenz von geistlichen Schwestern vor Ort, bedingt durch die Gründung zahlreicher Niederlassungen auf dem Land, erheblich das Wachstum der weiblichen religiösen Genossenschaften. Es konnten auf diese Weise neue Interessentinnen für die eigene Lebensform gewonnen werden, was zu Beginn des 19. Jahrhunderts weniger der Fall war, da sich die Frauenklöster fast ausschließlich in den Städten befanden und daher der Landbevölkerung aufgrund der geografischen Distanz, aber auch infolge der strengen monastischen Lebensweise fremd und beinahe unzugänglich waren. Die meisten religiösen Vereinigungen breiteten ihren Aktionsradius, sobald sie in einer Diözese Fuß gefasst hatten, rasch aus, eröffneten Niederlassungen in der näheren Umgebung, aber auch in anderen europäischen Ländern und auf anderen Kontinenten. So hatte z. B. der Kulturkampf in Preußen mit seinen antikatholischen Bestrebungen die Handlungsräume der Orden und neu errichteten Gemeinschaften dort erheblich eingeschränkt bzw. diese gänzlich verboten, sodass in auswärtigen Gebieten neue Standorte gesucht werden mussten. Der positive Nebeneffekt war, dass sich der Wirkungskreis veränderte und erweiterte und sich neue internationale und transnationale Beziehungen infolge weiterer Neugründungen ergaben. Auch dadurch nahm der Personalstand erheblich zu.100 Frauen spielten bei den Gründungen eine wesentliche Rolle. Ein großer Teil der Gemeinschaften wurde von Frauen allein oder in Kooperation mit dem Klerus vor Ort ins Leben gerufen, was aufgrund der herrschenden kirchlichen Strukturen nicht anders möglich gewesen wäre. Meist ergriffen Frauen die Initiative zur Errichtung einer Gemeinschaft, zeigten Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen, wenn Probleme beim Gründungsvorgang auftraten, angetrieben von ihrem Sendungsbewusstsein bzw. ihrem Berufungsauftrag. Bei der Konstituierung einer Gemeinschaft hatten sie die Möglichkeit, eigene Ideen und Vorstellungen umzusetzen; zudem standen die katholischen Frauenkongregationen unter weiblicher Leitung. Wenn Kleriker als Initiatoren auftraten, wurden sie von tatkräftigen Frauen unterstützt, die deren Pläne umsetzten. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Frauen als Oberinnen eines Mutterhauses oder einer Filialeinrichtung in leitender Funktion tätig waren und somit zu Entscheidungsträgerinnen wurden. Gerade in Personalangelegenheiten, wie in Besetzungsfragen, entschieden die Oberinnen; zudem waren sie für die ökonomischen Belange einer Einrichtung bzw. einer ganzen Gemeinschaft verantwortlich. Sie leiteten hiermit einen mehr oder minder größeren Wirtschaftsbetrieb. Eine Form der Emanzipation zeigte sich nicht nur dann, wenn Frauen als Gründerinnen zu Handelnden wurden, sondern sie manifestierte sich auch darin, dass sich eine Tochterniederlassung vom Mutterhaus aus praktischen, nationalen, ökonomischen oder 99 Vgl. Krause, Marienkinder, 264–267. 100 Meiwes, Armut und Arbeit, 532, 535.

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persönlichen Gründen, z. B. wegen Auffassungsunterschieden hinsichtlich der Gestaltung des Tätigkeitsfeldes und des Gemeinschaftslebens, ablöste oder ein irgendwie geartetes unabhängiges Agieren gewünscht wurde, was natürlich zu Konflikten führen konnte.101 Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein dokumentierte manche Gründerin gegenüber den geistlichen Mitbegründern bzw. Konsulenten: So beendete Franziska Lechner kurzerhand die Zusammenarbeit mit dem Seelsorger Anton Steiner, nachdem dessen Verhältnis mit einer Frau entdeckt worden war; vermutlich war sie von dem „moralischen“ Fehlverhalten des Seelsorgers menschlich enttäuscht.102 Bernarda Heimgartner und ein Teil der Schwestern überwarfen sich mit dem Initiator der Kreuzschwestern, P. Theodosius Florentini, und Erstere rief die eigenständigen Lehrschwestern vom Heiligen Kreuz (Menzinger Schwestern, Lehrschwestern von Menzingen) ins Leben.103 Nicht immer verliefen die Biografien von Kongregationsgründerinnen bzw. einzelnen Schwestern ohne Brüche: Franziska Lampel verließ nach der Wahl einer neuen Oberin, die der Gemeinschaft eine neue Ausrichtung geben wollte, und nach Ablauf ihrer Gelübde freiwillig die Grazer Schulschwestern, um ihre Gründung existenziell nicht zu gefährden. Rosa Flesch, welche die Waldbreitbacher Franziskanerinnen stiftete, wurde von der neuen Ordensleitung zu Lebzeiten völlig verleugnet. Die Franziskanerinnen (von) Salzkotten erklärten ihre Gründerin Clara Pfänder für abgesetzt und vertrieben sie aus ihrer Gemeinschaft, weil sie während des Kulturkampfes von einer bischöflichen Geheimvollmacht Gebrauch gemacht hatte.104 Des Weiteren darf nicht unbeachtet bleiben, dass die weiblichen Ordensgemeinschaften mit ihren Gründungen und dem Angebot an Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, die in erster Linie für das weibliche Geschlecht konzipiert waren, den Weg zu einer umfassenderen Frauenbildung und Professionalisierung bereiteten, die durchaus zur Emanzipation von Frauen aufgrund der Förderung des Wissenserwerbs für Mädchen beitragen konnten. Vor den 1830er-Jahren boten in allen untersuchten Diözesen primär und ausschließlich die Ursulinen in den Städten Linz, Salzburg, Klagenfurt, Graz und Wien sowie die Englischen Fräulein in St. Pölten und Krems Mädchenschulen an. Am Ende des Ersten Weltkrieges widmeten sich zahlreiche neue Kongregationen dem Schulwesen – nicht nur in den Städten, sondern über die gesamte Region verstreut. Als Beispiel soll die Diözese Linz angeführt werden, wo 1918 mehr als die Hälfte der 16 Frauenorden und -kongregationen im Schulund Erziehungssektor tätig waren. Dort unterhielten etwa die Kreuzschwestern in ihren 45 Niederlassungen allein 41 Schulen verschiedenen Typs (Mädchenschule, Industrieschule, 101 Beispielsweise sei verwiesen auf die Entstehung der Töchter des göttlichen Heilands bzw. die Ablösung der Erdberger und Amstettner Schulschwestern vom Mutterhaus in Hallein sowie auf die Entstehung anderer franziskanischer Frauenkongregationen, wie die Thuiner Franziskanerinnen oder die Olper Franziskanerinnen. Sohn-Kronthaler, Leben nach der franziskanischen Regel, 167–176. Vgl. auch Zeitler, Entstehung und Entwicklung, 9f. 102 Rusztyn, Kongregation der Töchter der göttlichen Liebe, 79f. 103 Sohn-Kronthaler, Leben nach der franziskanischen Regel, 176. 104 Ebd., 181.



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Haushaltungsschule, Höhere Töchterschule) und 47 Kinderbewahranstalten, Kindergärten und Kinderasyle bzw. waren in diesen tätig. Die Schulschwestern von Vöcklabruck verfügten nicht nur über eine private Lehrerinnenbildungsanstalt mit Öffentlichkeitsrecht, sondern waren in 30 teils kongregationseigenen Schulen (Mädchen- und Industrieschulen) und in 29 Kinderbetreuungseinrichtungen zu finden. Hinzu kam bei beiden Frauenkongregationen ihre Tätigkeit in Krankenhäusern und Spitälern (die Kreuzschwestern allein wirkten in 20 solchen), in Lazaretten, in der privaten Hauskrankenpflege sowie in diversen Sozialeinrichtungen, wie den Armen, Waisen- und Versorgungshäusern.105 Die Frauenkongregationen wurden wegen ihrer Effizienz und der hohen Motivation der Mitglieder zum Vorbild für die Entstehung von weiblichen Berufen, besonders für jene in der Krankenpflege. 106 Bernhard Schneider weist in seinem Beitrag in diesem Band aber auch „auf eine Kehrseite der ‚Feminisierung der Pflege‘“ hin: Durch das starke, sich aufopfernde Engagement von Ordensschwestern wurde der reguläre Krankenpflegeberuf für „nichtgeistliche“ Frauen erschwert bzw. wurden beide gegeneinander ausgespielt.107 Wenn unter dem Begriff Feminisierung des kirchlichen Personals das Wachstum bzw. das numerische Übergewicht der Frauenorden und -kongregationen in der Amtskirche und die damit deren verstärkte Präsenz im kirchlichen und öffentlichen Leben verstanden wird, so trifft dies auch für die untersuchten österreichischen Diözesen zu. In manchen wirkten bis 1918 doppelt oder mehr als doppelt so viele Klosterschwestern wie Weltpriester und männliche Ordensleute zusammen. Damit verbunden ist die Folgerung, dass die offizielle Kirche nun nicht mehr nur mit dem Klerus, sondern auch mit Frauen – den Ordensschwestern – identifiziert wurde; zudem wurden Ordensfrauen als kirchliche Autoritätspersonen wahrgenommen. Diese beteiligten sich intensiver als zuvor an religiösen Vorgängen und an der Entwicklung von Institutionen in Kirche und Gesellschaft. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass mit der in den Frauenkongregationen kreierten Lebensform neue Handlungsspielräume, erweiterte Bildungswege und Möglichkeiten des öffentlichen Wirkens zwar für eine konkrete weibliche Personengruppe in der Kirche, nämlich die geistlichen Schwestern, geschaffen wurde, keineswegs aber für alle Frauen innerhalb der katholischen Kirche. Ebenso soll bedacht werden, dass es nur für eine bestimmte Anzahl an Schwestern, jedoch nicht für alle Mitglieder einer Kongregation möglich war, sozial in Kirche und Gesellschaft aufzusteigen. Oder anders ausgedrückt: Wenn auch mit der Zunahme an Ordens- und Kongregationsmitgliedern quantitativ ein „Mehr“ bzw. ein Übergewicht an Frauen im kirchlichen Personal zustande kam und damit die Amtskirche stärker als bisher durch Frauen repräsentiert und über diese wahrgenommen wurde, so bedeutet dieses Faktum nicht, dass sich damit die Rahmenbedingungen für Frauen innerhalb der Kirche, vor allen deren untergeordnete Stellung, oder das überkommene subordinative Frauenbild innerhalb 105 Zusammengestellt anhand des Personalstandes Linz 1918, 225–240. 106 Meiwes, Weibliche Berufsarbeit, 125f. 107 Siehe den Beitrag in diesem Band von Schneider, Feminisierung und (Re)Maskulinisierung der Religion.

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der Kirche änderten. Die Leitung und die damit verbundenen Entscheidungsgremien in den Diözesen blieben männlich, das Sagen hatte primär der Klerus. So wäre auch der Anteil des Klerus bei den Gründungsvorgängen und dessen Einfluss auf die Leitung einer Neugründung zu untersuchen. Dieser Aspekt muss von Fall zu Fall erforscht werden, wie auch der Einfluss von Spiritualen, Beichtvätern, Exerzitienleitern und Katecheten bzw. die Abhängigkeiten von Bischöfen, Generalvikaren und Konsulenten. Sicherlich war die klerikale Einflussnahme in den anfänglichen Gründungsjahren gewöhnlich stärker als in der späteren Entwicklung.108 Mit ihren Predigten und Unterweisungen bei den Gottesdiensten gaben Spirituale und Exerzitienleiter in der geistlichen Ausbildung der Kongregationsmitglieder das traditionelle Frauenbild der katholischen Kirche an die Schwestern weiter, die dieses wiederum den ihnen Anvertrauten in ihrem Wirkungsbereich zu vermitteln suchten. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich Aspekte der Feminisierung hinsichtlich des kirchlichen Personals am Beispiel der Orden und Kongregationen konstatieren lassen, allerdings in eingeschränkter Weise.

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Personalstand der Säkular- und Regular-Geistlichkeit der Diözese Seckau in Steiermark im Jahre 1918, Graz [1918]. Personalstand der Säkular- und Regular-Geistlichkeit der Diözese St. Pölten. Für die Kriegsjahre 1917 und 1918, St. Pölten [1918]. Personalstand der Säkular- und Regular-Geistlichkeit der Erzdiözese Wien 1918, Wien 1918. Personalstand der Säkular- und Regular-Geistlichkeit des Erzbisthums Salzburg nebst dem Lehrpersonal-Stande der deutschen Schulen. In dem Jahre 1833, Salzburg [1833]. Personalstand der Säkular- und Regular-Geistlichkeit des Erzbistums Salzburg für das Jahr 1918, Salzburg [1918]. Personalstand der Secular- und Regular-Geistlichkeit der Diözese Gurk in Kärnten im Jahre 1888, Klagenfurt [1888]. Personal-Stand der Sekular- und Regular-Geistlichkeit der erzbischöflichen Wiener Diöcese. Auf das Jahr 1831, Wien [1831]. Personalstand der Sekular- und Regular-Geistlichkeit in der Seckauer Diözese für das Jahr 1828. Abgeschlossen am 31. October 1827, [Graz 1827]. Personalstand des Bisthum Gurkischen Kirchensprengels mit Anfang des Militär-Jahres 1830. Als Anhang zum Kirchen-Direktorium, Klagenfurt 1830. Petz Maria Andrea: Mitten unter den Menschen. Zeichen christlicher Hoffnung. Kongregation der Franziskanerinnen von der Unbefleckten Empfängnis, Dokumentation, Bde.  1–4, Graz 1993–2006. Provinzialat der Provinz Mitteleuropa der Kongregation der Helferinnen (Hg.): „Du aber wähle das Leben“ (Dtn. 30,19). 100 Jahre Helferinnen in Wien 1897–1997, Wien [o. J.]. Roth Benno: Seckau – Der Dom im Gebirge. Kunsttopographie vom 12. bis zum 20. Jahrhundert, Graz [u. a.] 1984. Rusztyn Kunegunda Zofia: Kongregation der Töchter der göttlichen Liebe 1868–1919 (= Wissenschaftliche Gesellschaft der Katholischen Universität Lublin „Johannes Paul  II.“  37), Lublin [u. a.] 2000. Salesianer Don Boscos/Don Bosco Schwestern (Hg.): Don Bosco, „Vor allem für die Jugend“. Don Bosco 1903–2003, Wien 2003. Salesny Karl H.: Die Salesianer Don Boscos in Österreich. 75 Jahre Salesianer Don Boscos in Österreich, Mistelbach 1988. Schematismus der Geistlichkeit der Diözese Linz für das Jahr 1918, Linz 1918. Schematismus über die unter der Fürstbischöflich-Seckau’schen Administration stehende Sekular- u. Regulargeistlichkeit des Bisthums Leoben in Obersteyermark. Auf das Jahr 1848, Grätz [1848]. Schneider Bernhard: Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert. Perspektiven einer These im Kontext des deutschen Katholizismus, in: Trierer Theologische Zeitschrift 111 (2002) 123–147. Schneider Bernhard: The Catholic Poor Relief Discourse and the Feminization of the Caritas, in: Pasture Patrick [u. a.] (Hg.): Gender and Christianity in Modern Europe. Beyond the Feminization Thesis, Leuven 2012 (= KADOC Studies on Religion, Culture and Society 10), 35–55. Schweizer Christian/Ries Markus (Hg.): Theodosius Florentini (1808–1865) – Vir famosus. Festschrift zum 200. Geburtstag, Luzern 2009 (= Helvetia Franciscana 38).

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Nina Kogler (Graz/Innsbruck)

Viriliter agite! Maskulinisierung als pastorale Strategie im österreichischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit Geschlecht wurde in den Restrukturierungsprozessen der katholischen Kirche in den 1920er-Jahren zum Grundprinzip für die Organisation der Lai_innen1 erhoben. Männer/ Frauen, Jungmänner/Jungfrauen stellten die vier Sektionen der Katholischen Aktion (KA) dar, über die eine Teilnahme als aktive_r Gläubige_r am Apostolat der Kirche erfolgen konnte. Von Papst Pius XI. entschieden gefördert, etablierte sich die KA in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung in weiten Teilen der katholischen Kirche; in Österreich wurde sie nachdrücklich forciert.2 Wird damit auch keine neue Kategorie in der katholischen Kirche eingeführt, die in ihrer Tradition eine Trennung der Geschlechter, etwa im Ordenswesen oder auch in der Erziehung usw., kennt, erscheint es doch lohnenswert, die Vorstellungen von einem Konzept zu beleuchten, das von der katholischen Kirche immerhin, neben dem Alter, zum ersten Differenzkriterium der eigenen Strukturen gewählt wurde. Die große Zahl an Schriftproduktionen im katholischen Kontext des Betrachtungszeitraums, die Geschlechterrollen thematisieren und/oder geschlechtsspezifisch adressiert waren, verweist auf die stattgefundenen Auseinandersetzungen. Mann und Frau in starrer und bipolarer Dichotomie als gegenseitige Alterität aufzufassen, war bezeichnend für den Katholizismus in der Zwischenkriegszeit und wurde in den 1930ern noch einmal von staatlichen wie kirchlichen Autoritäten verstärkt. Dabei fällt auch in diesem Fall auf, dass es vor allem Frauen sind, die ein Geschlecht haben. Sie werden mit der spezifischen Rollenzuschreibung im pastoralen Kontext adressiert, während Männer – wahrgenommen als das Allgemeine3 – viel seltener als geschlechtliche Menschen in Erscheinung treten. Doch fanden speziell im Untersuchungszeitraum Entwicklungen statt, die „den katholischen Mann“ in den Blickpunkt rückten. Gerade progressive kirchliche Kreise, die auch die Entwicklung 1 Die geschlechtergerechte Darstellungsweise mittels Gender_gap wird von mir gewählt, da sie m. E. die Ergebnisse der analytischen Auseinandersetzungen in den Gender Studies grafisch am adäquatesten wiedergibt, um all jenen, die sich in der zweigeschlechtlichen Normierung der Sprache nicht wiederfinden können, einen Raum zu geben. Vgl. Herrmann, Performing the gap. Zur Reflexion über das Spannungsverhältnis von Schreiben als Handlungsprozess und als Praxis der Wissensproduktion, die von einem antisexistischen Standpunkt aus kritisch beleuchtet werden muss, siehe AK Feministische Sprachpraxis, Feminismus schreiben lernen. 2 Siehe dazu ausführlicher Kogler, GeschlechterGeschichte. 3 Vgl. Brod, Case for Men’s Studies, 40; Walter, Gender, 92f.



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der KA forcierten, konstruierten Männer und Männlichkeit – und v. a. deren Mangel in der Kirche – als Problem und widmeten dem Thema vermehrt Aufmerksamkeit. In der Auseinandersetzung mit der in diesem Kontext produzierten naturalisierten Männlichkeit soll als methodische Strategie eine historisch-kontextualisierende Perspektive auf die Texte angewendet werden, die bestimmt ist von der „conviction that there is nothing static or essential about masculinity“.4 Als zentrales Anliegen des Beitrags werden daher Diskurse zu Geschlechtskonzeptionen des Männlichen inhaltlich aufgeschlüsselt und interpretiert. Die Analyse versucht dabei, den grundsätzlichen Mustern der Vorstellungen nachzugehen und ihre Instrumentalisierungsmechanismen zu detektieren. An einem neuralgischen Punkt, als die Kirche durch konkurrierende, v. a. faschistische Konzepte herausgefordert wird, zeichnen sich zeitbedingte pastorale Strategien ab, die dem begegnen wollen. Als ein wesentliches der „denk- und handlungsleitenden, normativen Konzepte“5 soll dabei Geschlecht aufgezeigt werden. Mit dem Begriff Maskulinisierung wird implizit eine Beziehung zur „Feminisierungsthese“6 geknüpft. Die Denkmuster, denen sich diese Forschungsfrage zuwendet, reichen zeitlich ins 19. Jahrhundert zurück, und ihre Bedeutung lässt sich nicht auf den europäischen Raum und die katholische Konfession einschränken, sondern präsentiert sich als ein grundsätzliches Infragestellen der Kompatibilität von Religion und Männlichkeit. So wurde seitens der Freidenkerbewegung der Atheismus als männlichere Option insinuiert, während das Christentum dem Mann seine Männlichkeit (manhood) raube.7 Die Konstruktion des Katholizismus als weiblich wurde zur gleichen Zeit auch in Deutschland und Italien zum maßgeblichen Diskurs; im Kontrast dazu wurde Antikatholizismus positiv mit liberalem, modernem, bürgerlichem und rationalem Denken als männlich verknüpft.8 Antworten aus dem christlichen Lager zielten darauf ab, die Überzeugung zu verbreiten, erst durch das Christentum, durch das Christsein, könne die volle Männlichkeit realisiert werden.9 Diese Denkmuster wirkten weiter und prägen wesentlich die Diskurse in der Zwischenkriegszeit, die ohne diese Tradition kaum nachvollziehbar wären. Zu Recht wurden in jüngster Forschungsliteratur allzu einfache Vorstellungen einer einseitigen geschlechtlichen Prägung von Religion hinterfragt,10 da das Erklärungsmodell der Komplexität des kulturellen Phänomens Religiosität nicht gerecht wird. Doch auch mit seiner Dekonstruktion11 ist das Master-Narrativ einer „Feminisierung der Religion“ aus seiner Wirkmächtigkeit heraus bedeutend für die Verortung der entsprechenden Diskurse, wie etwa in diesem Fall die 4 5 6 7 8 9 10

Lofton, Man Stays, 28. Martschukat/Stieglitz, Männlichkeiten, 74. Van Osselaer/Buerman, Feminization Thesis. Kirkley, Is it Manly, 81. Borutta, Antikatholizismus, 366–389. Kirkley, Is it Manly, 81–83. Pasture, Gender and Christianity; Schneider, Feminisierung der Religion; Sohn-Kronthaler, Gehalt und Relevanz; Van Osselaer, Pious Sex; Werner, Christian Masculinity. 11 Pasture, Beyond the Feminization Thesis.

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überlebensnotwendige Rückholung von Männern in die Kirche. Im vorliegenden Beitrag werden Publikationen wie auch ungedruckte Materialien katholischer Eliten und Multiplikator_innen aus dem Kontext der KA für die Analyse herangezogen. Die Vorstellungen von „männlicher Religion“ werden jedoch nicht nur inhaltlich konkretisiert, darüber hinaus gilt es, den Niederschlag der normativen Konzepte in den sich formierenden Strukturen der KA zu analysieren. Hinterfragt wird dabei vor allem die Funktion des Diskurses, die entscheidend für seine nachhaltige Wirkmächtigkeit ist.

1. Katholische Männer und Männlichkeiten – die Diskursebene „Immer deutlicher und tiefer wird die religiöse Krise der katholisch getauften Männerwelt erkannt; immer allgemeiner wird auch das Bewußtsein, daß die gegenwärtige religiöse Lage der Männer für die Kirche und ihre Aufgaben in der Zeit untragbar ist.“ So reflektierte der in der Wiener KA engagierte Seelsorger Joseph Ernst Mayer 1935 das zunehmende Wissen um eine Kirchenkrise, evoziert durch die mangelnde Identifikation von Männern, besonders jenen mittleren Alters, mit der katholischen Kirche. Der Rückzug der Männer aus ihren religiösen (Führungs-)Aufgaben und eine weibliche „Vereinnahmung“ des Feldes der Religion sei die Ursache für das Fehlen von „straffe[r] Ordnung, planende[r] Übersicht, Schwung und männlicher Kraft“ in den Pfarrgemeinden. Die Männerfrage sei so die Existenzfrage für das Christentum.12 1.1. Problemanalyse, Lösungsansätze und Zielvorstellungen in der Katholischen Aktion

Mit der Thematisierung einer mangelnden Kirchlichkeit von Männern, die man zur religiösen Krise13 generalisierte, wurde einmal mehr der Diskurs aufgenommen, der in europäischen Ländern v. a. seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannt war und schon am Beginn des 20. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreicht hatte.14 Ab dem Ende der 1920er-Jahre festigten die Naturstände – die schon angesprochene Einteilung der Lai_innen nach Geschlecht und Alter – in der KA die katholische bipolare Geschlechterkonzeption und verstärkten 12 Mayer, Männer, 37. 13 Christa Hämmerle und Claudia Opitz-Belakhal widmeten ein Heft aus der Reihe „L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft“ der Frage einer gewinnbringenden Anwendung der Rede von der Krise. Opitz-Belakhal erscheint das Konzept von der Krise der Männlichkeit fragwürdig, wenn dies allein als Gegenstand der Betrachtung herausgegriffen und damit zur Monopolerklärung aller historischen Umbrüche wird, sie hält es jedoch für sinnvoll, nach der Funktion der Heranziehung des Krisenbegriffs in der Geschichte wie auch der Gegenwart zu fragen. Opitz-Belakhal, Krise, 37–41. 14 Van Osselaer, Masculinity and Catholicism, 422f; Schneider, Katholischer Mann, 258f; vgl. Hastings, Fears.



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insofern das Krisengefühl, als Vergleiche der einzelnen Gruppen etwaige Missverhältnisse klarer zutage treten ließen. Die Anwerbung von Männern wurde im Zuge der Etablierung der KA angestrebt, über gewünschte quantitative Zuwächse hinaus lassen sich ebenso Ansätze finden, die auf eine qualitative Änderung der Glaubensvollzüge durch eine stärker männliche Akzentuierung abzielten. Die KA sei „prinzipiell […] ein Bedürfnis männlicher Frömmigkeit“, da sie Geistigkeit, Gemeinschaft und Tat verkörpere – Eigenschaften, die damals wesentlich mit männlicher Religiosität assoziiert wurden. Daher müsse die KA auch vom Mann ausgehen, von ihm geplant und geleitet werden. Das Geschlechterverhältnis solle dabei so aussehen, „daß die Männer die zur Aktion Berufenen, die Frauen hingegen die Mitberufenen, zur Mithilfe an der Aktion Mitberufenen“ seien.15 Ein generelles „viriliter agere“ sei, so der das Thema bestimmende Autor, der Priester Franz Zimmermann16, die „Rettung des Abendlandes“.17 Die projektierte „männlichere“ religiöse Praxis orientierte sich an spezifischen Vorstellungen von männlicher Religiosität, die teilweise pauschal, teilweise bis ins Detail erläutert, vorausgesetzt wurden. Franz Zimmermann stellte die männliche Psyche mit ihren Konsequenzen für die Religiosität ausführlich dar. Dabei verortete er im männlichen Verstand einen Hang zum Allgemeinen und Abstrakten, sah beim Mann ein grundlegendes Verständnis für Wahrheit sowie eine besondere Affinität zum Gesetz.18 Dies bedeute für die Gottesvorstellung des Mannes, dass dieser hinter den Anthropomorphismen die Wahrheit suche und sich sehr schwer damit tue, eine persönliche Beziehung zu Gott aufzubauen. Dies wirke sich auch auf die Kultpraxis und die Riten aus, die immer dann, wenn sie eine persönliche Beziehung des Menschen zu Gott verlangten, potentiell die innere Ablehnung des Mannes erregten. Ebenso hemme die natürliche Veranlagung zum Herrschen die männliche

15 Zimmermann, Männliche Frömmigkeit, 147. Im Original ist der Wortteil „Mit“ bei „Mitberufenen“ gesperrt gedruckt. 16 Franz Zimmermann, geb. am 17.02.1889 in Wien, gest. am 19.02.1943 in Kierling. 1907 legte er die zeitliche Profess in der Kongregation für die christlichen Arbeiter vom hl. Joseph von Calasanza (COp), den Kalasantinern, ab. Zimmermann studierte Theologie an der Universität Wien, wo er vom Pastoraltheologen Heinrich Swoboda und dem Moraltheologen Franz Martin Schindler geprägt wurde. Er promovierte 1915 summa cum laude über das damals sehr progressive Thema der Abendmesse. 1912 wurde er in Wien zum Priester geweiht, wirkte danach als Katechet und Seelsorger im Kolleg zu „Maria, Hilfe der Christen“, ab 1916 als Rektor der Landwirtschaftlichen Landes-Erziehungsanstalt in Stadlhof (Südtirol) sowie ab 1924 als Rektor des Kollegiums zur Hl. Familie in Wien XIII-Breitensee. 1925 erfolgte der Übertritt in den Weltpriesterstand, wobei er weiterhin als Seelsorger und Religionslehrer tätig war. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft erfuhr er Schikanen. Ab 1938 war Zimmermann Seelsorger an der Heilanstalt in Gugging (NÖ), Pfarre Kierling bei Klosterneuburg, wo er starb und beigesetzt wurde. Zimmermann verfasste mehrere Schriften zu Religion und Geschlecht, u. a. „Die beiden Geschlechter in der Absicht Gottes“, Wiesbaden 1936. Loidl, Zimmermann; Pirker, Erinnerungen. 17 Zimmermann, Männliche Frömmigkeit, 6. 18 Ebd., 8–21.

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Religiosität. Unterwerfung unter Gott19 verlange dem Mann große Überwindung ab, da er sich für die Geisteshaltungen des Hilfesuchens, Empfangens, Gehorchens und Dienens im Innersten schäme. Damit sei eine religiöse Haltung für den Mann immer ein größeres Opfer als für die Frau. Gefahr für eine völlige Ablehnung bestehe jedoch dann, wenn Männer die Frömmigkeit als „zur Frau gehörig“ wahrnähmen. Könne „keine männliche Form“ gefunden werden, lehne der Mann „alles religiöse Denken und Handeln als ,weibisches Zeug‘“ ab, sogar eine „neurotische Angst vor Lächerlichkeit“ bei der Kultausübung könne entstehen.20 Anders gewichtete der Laie Kaspar Mayr21 seine Darstellung der männlichen Religiosität. Demnach sei „der Mann von Natur aus zumindest so religiös“ wie die Frau. Durch seine „schöpferische“ Veranlagung sei das Modell der „hörende[n] Kirche“ jedoch nicht so sehr für den Mann geeignet; vielmehr sollte seine schöpferische Kraft in der Kirche mitwirken können.22 Der Zugang zur männlichen Religiosität erfolgte in diesen Fällen über Vorannahmen, die auf dem dichotomen Geschlechterbild basierten. Aus dieser vorausgesetzten Grundverschiedenheit wurden Frömmigkeitsvoraussetzungen und -haltungen von Männern und Frauen abgeleitet. Hier wurde das bekannte Muster der Zuschreibung von Ratio und Aktivität für den Glauben des Mannes angewendet, während der Frau ein stärker intuitives, auf einer emotionalen Beziehung beruhendes Gottesverhältnis zugeordnet wurde. Bemerkenswert ist die beinahe apologetische Haltung für die männliche Position: Da der Glaube in der Natur der Frauen liege, sei es für diese leicht, religiös zu sein, während es für Männer ungleich schwieriger sei zu glauben. Konsequenz dieser Problemanalyse waren Lösungsansätze, die auf eine geschlechterspezifische Pastoral setzten: „Unsere Seelsorge ist verweib[l]icht. […] Wir haben der Männerseelsorge zu wenig Beachtung geschenkt. […] aber eben, weil die Frauen leichter religiös zu betreuen sind, weil sie für apostolische Arbeiten viel leichter zu gewinnen sind und weil die Frauen pflichtgetreuer und zuverlässiger in ihren religiösen Pflichten und Arbeiten sind als die Männer, darum haben wir es nicht gewagt, die Männerseelsorge intensiv in die Hand zu

19 Dass nicht nur die Unterwerfung unter Gott, sondern unter den Priester ein Faktor sein könnte, wird von den einzelnen Autoren nur implizit angedeutet. In diesem Zusammenhang weist McLeod darauf hin, dass Kirchen oder Gemeinschaften, in denen der Klerus nicht so dominant war, ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis hatten, hingegen Kirchen mit starker Klerusmacht – wie die katholische – eine deutliche Überrepräsentation von Frauen aufwiesen. McLeod, Weibliche Frömmigkeit, 137f. 20 Zimmermann, Männliche Frömmigkeit, 49–52. 21 Kaspar Mayr, geb. am 20.09.1891 in Petting am Wagingersee, gest. am 28.12.1963. Mayr besuchte das Priesterseminar in Freising und München, studierte Theologie, blieb schließlich Laie und wurde Vater mehrerer Kinder. Ab 1933 wirkte er in Österreich, war Autor, Journalist und Mitarbeiter der KA, vor allem in der Männerseelsorge. Er war Verfasser des Standardwerkes zur KA im Seelsorger-Verlag „Katholische Aktion im Werden“. Besondere Verdienste erwarb er sich in der Internationalen Katholischen Aktion (IKA) und im Internationalen Versöhnungsbund. Mayr, Nur deine Liebe. 22 Ebd., 195.



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nehmen.“ 23 Der Wiener Kardinal Innitzer verlangte in dieser Hinsicht eine zielgerichtete Auseinandersetzung mit dem Mann in seiner Rolle als Ehemann und Vater im Rahmen der KA.24 Sowohl Männervereine als auch Laienapostel außerhalb des Vereinswesens sollten, neben einer – modernen – priesterlichen Seelsorge, Einsatz in diesem Feld zeigen.25 Lösungsansätze wurden von verschiedenen Seelsorgern eingebracht: Kein Minimalismus, sondern große Ziele müssten für Männer gesteckt werden, war der Laie Mayr überzeugt.26 Konkretere Tipps, wie man Männer für den Gottesdienst oder die Sakramente gewinnen könne und wie diese gestaltet sein müssten, damit sich auch Männer dabei wohlfühlten, gab der oberösterreichische Pfarrer Franz Singer27: Um Burschen und Männer zur öfteren Kommunion zu bewegen, sollte nie geschimpft, sondern teilnehmende Männer sollten gelobt werden; die heilige Kommunion sollte jeden Monat mit einem besonderen Anliegen verknüpft werden. So schlug er den Männern und Burschen z. B. vor, die Kommunion im Dezember dafür aufzuopfern, „dass ihre Mädchen brav bleiben“ bzw. „dass sie mal eine brave Braut und Frau bekommen“. Aber auch die eigene Gesundheit, gute Ernte oder die armen Seelen waren Anliegen, um oder für die man bitten konnte. Aus den Empfehlungen des Pfarrers geht auch hervor, dass im Speziellen das Bußsakrament für Männer als schwierig empfunden worden sein muss, denn er riet, den Männern zu sagen, dass sie nicht immer vor der Kommunion zur „Beicht“ gehen müssten, da lässliche Sünden auch durch die Kommunion nachgelassen würden, auch sei Rauchen und ehelicher Verkehr kein Hindernis. Doch auch um die Beichte zu erleichtern, sollte man Hemmungen nehmen, indem der Beichtstuhl so platziert würde, dass kein „[S]piessrutenlaufen“ notwendig sei. Er sollte auch nicht zur „Weiberseite“ hin geöffnet sein. Des Weiteren betonte Singer, die Männer und Burschen ja nie anzuschauen und das Licht28 abzudrehen bzw. stark zurückzudrehen.29 An anderer Stelle gab es in Ausführungen zum „liturgischen“ Gottesdienst den Hinweis, darauf zu achten, dass Männer nicht auffielen.30 Weitere Vorschläge verwiesen auf role models von Feldherren und Forschern, die ganz selbstverständlich immer einen Rosenkranz bei sich trugen; diese sollten die Hemmschwelle für Männer senken.31

23 Schmitt, Vertiefte Männerseelsorge, 10. 24 Eine eigene Arbeitsgemeinschaft, „Der Mann in der Familie“, wurde in der Erzdiözese etabliert und sollte innerhalb des Naturstandes der Männer Familiengeist verbreiten helfen. 25 Innitzer, Mann, 15. 26 Mayr, Nur deine Liebe, 195. 27 Franz Singer, geb. am 25.08.1884 in Sierning, gest. am 04.01.1953 in Bad Kreuzen. Singer empfing 1908 die Priesterweihe in Linz und war von 1917 bis zu seinem Tod Pfarrer in Bad Kreuzen. Es ist der Verfasser von „Pfarrer Singers Volksbriefe“. Schriftliche Auskunft vom DAL am 11.10.2011. 28 Vergleichbar erging in Belgien die Order, Beichtmöglichkeiten noch spät am Abend zu ermöglichen, da Männer Angst vor dem Tageslicht hätten. Van Osselaer, Masculinity and Catholicism, 431. 29 Diözesanarchiv Graz (DAG), KA 1926–1953, Katholische Aktion der Diözese Seckau, o. Z. 30 Mitteilungen der Katholischen Aktion in der Diözese Seckau, Nr. 1, November 1936, 2. 31 Steirisches 2-Groschen-Blatt, 15.10.1933, 3f.

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Eine kreative Lösung für das religiöse Problem der Männer fand Konrad Metzger: in den Frauen. Er schlug vor, dass die Frauen den Männern „heimlich“ helfen müssten, ihr „religiöses Distanzgefühl“ zu überwinden.32 Die seelsorgerliche Aufgabe, die jedoch verdeckt unternommen werden müsse, gibt einen Hinweis auf eine wichtige Dimension: Katholische Geschlechterdiskurse wurden von Frauen vielfach gestützt und mitgetragen. Die Ausübung der männlichen Macht wird also nicht nur von außen aufgezwungen. Frauen reproduzieren selbst die untergeordnete Position, indem sie etwa das Konzept eines starken Familienernährers favorisieren. Diskurse erweisen sich dabei als körperlich manifestiert und wirken, indem sie z. B. Begehren steuern, auch nachhaltig fort. Einig waren sich die Analytiker der Männerseele darin, dass die Frau auf keinen Fall öffentlich und in der ersten Reihe auftreten solle, um die Schwierigkeiten der Männer in ihrer Religiosität auszugleichen oder sie in ihren Rollen zu ersetzen. Vielmehr forderte man eine Zurückdrängung aller weiblichen und dem Weiblichen zugeschriebenen Elemente aus der Religion und die Herstellung der gottgegebenen Ordnung durch die Subordination der Frau. Eine solche habituelle Änderung, indem jegliche „Verschiebung ins Weibliche“ im Kult, in den religiösen Ausdrucksformen, aber auch in der Darstellung der Religion in Kunst und Literatur vermieden und rückgängig gemacht werde, war der Ansatz mancher Überlegungen.33 Die Initiative der Wiener Zeitschrift „Mann und Christ!“34, von 1936 bis 1938 erschienen, war ein solcher Versuch, mit „männlicher Sprache“ und „männlichen Themen“ der Geschlechterdifferenz gerecht zu werden und Männer durch Provokation aus der Passivität zu locken. Sie war bewusst als Gegenstück zu anderen religiösen Blättern konzipiert, derer sich nach Einschätzung des Rezensenten Männer oft schämten, weil sie „salbungsvolles, süßliches, fades Christentum“ darboten.35 1.2. Diskursive Maskulinisierung katholischer Praktiken und Akteure

Außer dem methodischen Ansatz einer männerorientierten Pastoral lässt sich hier ein wesentliches Moment einer impliziten Strategie ausmachen: eine diskursive Maskulinisierung36 der Religion. Indem ihre konstituierenden Momente – Akteure wie religiöse Praktiken – eine männliche Attribuierung erfuhren, sollte die katholische Religion als maskuliner Vollzug insinuiert werden. Wie Olaf Blaschke für die Kulturkämpfe eine „geschlechtergeschichtliche Signatur“ erkennt und im Geschlecht einen konstitutiven Faktor 32 Metzger, Männerseelsorge, 9–12. 33 Zimmermann, Männliche Frömmigkeit, 132. 34 Die Zeitschrift „Mann und Christ! Werkblätter für katholische Männerarbeit“ wurde von Kaspar Mayr herausgegeben. 35 Der Seelsorger 1937, Nr. 1, 29. 36 Ich verwende bewusst nicht die in der Literatur öfter zu findende Erweiterung „Re“, da die Existenz einer maskulinisierten Kirche zu einem früheren Zeitpunkt, auf die implizit zurückverwiesen wird, m. E. als Narrativ zu lesen ist, das somit ungeprüft fortgeschrieben wird.



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von Fremd- und Selbstzuschreibungen in diesen Phasen ortet,37 kann ein geschlechtsspezifischer Diskurs auch für die Selbstbeschreibung im österreichischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit detektiert werden, insbesondere im Kontext der KA. Diskurse stellen zeit- und gesellschaftsbezogen definierbare „Bereiche des Machbaren, Denkbaren und Sagbaren“38 dar. Aufbauend auf Foucault hat sich die Methode der Diskursanalyse auch für die historische Forschung etabliert. Diskurse werden dabei als Machtmittel verstanden, die der Herrschaftslegitimierung und Absicherung bestehender Verhältnisse dienen.39 Die der Diskursanalyse immanente Frage nach Macht(verhältnissen) machte sie als Methode der Gender Studies interessant.40 Zentraler Gedanke dabei ist, dass Diskurse individuelles wie gesellschaftliches Handeln und gesellschaftliche Praxis bestimmen, „weil Diskurse systematisch die Gegenstände formen, von denen sie sprechen“, d. h., sie bringen sowohl die Wirklichkeit als auch das Wissen darüber erst hervor.41 Geht man von einem konstitutiv wirkenden Diskursbegriff aus, können Bereiche des Normativen und der Erfahrungen nicht vollständig getrennt werden; Geschlechterdiskurse in der KA prägten damit die Lebenswirklichkeiten der historischen Subjekte. Das Konzept der KA verstand sich in seiner offensiven Grundhaltung und mit einer kämpferischen Metaphorik als wesentlich maskulin. Man versuchte, das defensive Grundgefühl des ultramontanen Katholizismus42 durch aktives Handeln zu überwinden. Nicht ohne Einflüsse für die diesbezügliche Selbstwahrnehmung dürften die nach wie vor wirksamen antikatholischen Diskurse des Liberalismus sein, in denen der Katholizismus als effeminiert gegenüber dem männlich codierten liberalen, modernen Denken dargestellt wurde.43 Als Gegenstrategie wurde u. a. der Topos des Krieges strapaziert. Das Heer galt als ein prototypisch männlicher Bereich.44 Stellte man die Religion kriegerisch dar, wurde sie als Aktionsraum von Männern ausgewiesen: „[D]as christliche Leben ist ein Kampf. Erfahrung und Gotteswort bekräftigen diese traurige Tatsache. Auch die Katholische Aktion hat eine Kampfaufgabe. Ihre Mitglieder sind die Milizsoldaten im Dienste eines heiligen Zieles.“45 Nicht Passivität, sondern „Tatkatholizismus“ sei typisch männlich: „Mut im Kampf, ja sogar Mut zur Minderheit. Es lebe die Katholische Aktion, die katholische Tat, das mutige Anpacken und Zugreifen! Das Mittun überall und immer, wo es gilt auf dem Posten zu

37 38 39 40 41 42 43

Blaschke, Männerzeit, 35. Landwehr, Historische Diskursanalyse, 21. Jäger, Kritische Diskursanalyse. Ders., Verfahren; Habermas, Frauen- und Geschlechtergeschichte. Landwehr, Historische Diskursanalyse, 21. Busch, Frömmigkeit und Moderne, 303–309. Siehe dazu Borutta, Antikatholizismus. Blaschke, Unrecognized Piety, 24, 29f. rückt den konfessionellen Aspekt stärker ins Licht. 44 Vgl. Hämmerle, Heimat/Front. 45 DAG, Nachlass (NL) Pawlikowski, Schachtel 10, Heft 161, Schlusswort Pawlikowkis bei der Christkönigsfeier am 31.10.1937 im Stefaniensaale zu Graz, 2.

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sein, um die Schlachten Gottes zu schlagen.“ 46 Die Aufforderung, „männlich“ zu handeln, begleitete die an Männer adressierten Botschaften durchwegs.47 Christliche Männer sollten aus der ihnen vorgeworfenen Lauheit ihres Christentums heraus in ein offenes Bekennertum und ein aktives, tatkräftiges Engagement für die Kirche geleitet werden. So radikal man sich den gläubigen Mann in seinem Denken und Handeln wünschte, so kompromisslos wollte man ihn auch, denn vorbei seien die „Zeiten der faulen Kompromisse, der schwächlichen Halbheiten und des bequemen Fortwurstelns“.48 Die Männlichkeit der Religion und ihrer Ausdrucksformen wurde dabei hervorzustreichen versucht, indem man Geschlechtsassoziationen zu transformieren versuchte.49 Die gemeinhin stark weiblich konnotierte Liebe sei vielmehr „eine heldische, königliche, eine mannhafte Tugend“.50 Analoge Versuche gab es etwa für den Sakramentenempfang. So zeuge etwa das männliche Beichten von Mut.51 Ebenso verhalte es sich mit dem Gebet: Ganz entgegen der Meinung, „beten sei inferior, altmodisch, weibisch, für die Dummen und Zurückgebliebenen“52, sei der betende der „wahrhaft stolze, der heldische Mann“.53 Die körperliche Kraft, die eine Standardkomponente der hegemonialen Männlichkeit54 darstellt,55 wurde umgedeutet und eine Korrektur des hegemonialen Modells versucht, da für katholische Mannhaftigkeit nicht nur die Muskelkraft, sondern der Geist ausschlaggebend sei.56 Teil des Antifeminisierungsdiskurses der Kirche war im Zusammenhang mit dem Körperlichen auch die für den katholischen Glauben als typisch geltende Selbstzucht und asketische Kontrolle der Leidenschaften. Wie Andrea Meissner aufzeigt, erfolgte die Regulierung der als sentimental verurteilten Religiosität des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt durch die Unterwerfung der Passiones unter Willen, Vernunft und Tugend.57 Dabei spielte 46 47 48 49

Wahrheitsfreund, 01.11.1930, 4. Gröber, Der christliche Mann, 49. Mann und Christ 6/1936–1937, 21. Vgl. Strategien im Kontext der Herz-Jesu-Verehrung in Belgien. Van Osselaer, Masculinity and Catholicism, 429, 434. 50 Mann und Christ 4/1936–1937, 13. 51 Mann und Christ 5/1936–1937, 17. 52 Mann und Christ 10/1936–1937, unp. 53 Mann und Christ 4/1936–1937, unp. 54 Das Connell’sche Konzept der hegemonialen Männlichkeit hat sich als Heuristik der Men’s Studies etabliert. Connell geht davon aus, dass es verschiedene Männlichkeiten gibt, die untereinander konkurrieren, wobei die dominante Form durch marginalisierte Männlichkeiten mittels verschiedener Mechanismen gestützt wird. Auch nicht hegemoniale Männlichkeiten partizipieren an der „patriarchalen Dividende“, der bevorzugten Stellung gegenüber Frauen. Siehe dazu Connell, Mann; Schmale, Männlichkeit; Dinges, Männer – Macht. 55 Tosh, Masculinity, 47. 56 DAG, NL Pawlikowski Militärvikariat, Schachtel 3, Fas. 51 Hirtenbriefe des Militärvikariats 1927– inkl. 1938, Hirtenbrief von Militärvikar Pawlikowski an die Katholiken des Bundesheeres, Wien am Sonntag Quinquagesima [26.02.1933], 2. 57 Meissner, Gefühlsregeln.



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auch die Sexualität eine wesentliche Rolle, denn das „Geschlechtliche ist das Hauptkampffeld zur Erringung der sittlichen Größe“. Dadurch wurde ein „Männchen“ zum wahren Mann, wie Peter Schmitz58 meinte.59 Die Forderung einer Maskulinisierung des Katholizismus musste dabei nicht durchwegs von Männern geäußert werden; auch Frauen prägten den Diskurs. Oda Schneider60 analysierte beispielsweise: „Zur Vollendung, zum durchschlagenden Siege kann die liturgische Bewegung letzten Endes doch nur durch ihre ,Vermännlichung‘ kommen, durch das Aufstehen des Klerus und der männlichen Laienwelt, durch das männliche Bekenntnis zur Gemeinschaft, durch das einmütige Sichscharen der Männer um den Opferaltar, durch die Ausprägung echt 58 Peter Schmitz SVD, geb. am 19.03.1891 in Dahlem, gest. am 25.02.1941 in Wien. Er trat 1905 bei den Steyler Missionaren in St. Gabriel ein. 1916 legte er seine ewigen Gelübde ab und empfing die Priesterweihe. Außer Theologie studierte er Jus, war Dozent für Kirchenrecht sowie Soziologie in St. Gabriel und war am Ehegericht tätig. Er publizierte zahlreiche Schriften, die zum Großteil den Bereich Ehe und Familie behandelten. Zu diesem Thema entwickelte er intensive Vortragstätigkeit und sprach immer wieder im Rahmen der KFO. Im Seelsorgeamt der Diözese Wien arbeitete er vor allem in den Referaten „Ehe und Familie“ sowie „Frauen“ mit. Ab 1938 leitete er die Müttervereine. Im März 1938 wurde er eine Woche von den Nationalsozialisten inhaftiert, die St. Gabriel auf illegales Schriftgut hin durchsuchten. Schmitz starb 1941 an einem Herzinfarkt und wurde in St. Gabriel von Kardinal Innitzer beigesetzt. Schriftliche Auskunft von P. Winfried Glade SVD, St. Gabriel; Alt, Missionshaus, 279. 281. 59 Schmitz, Bursch und Mädel, 49. 60 Oda Schneider, geb. am 30.05.1892 in Pressbaum bei Wien, gest. am 12.03.1987 in Graz. Die Tochter von Othilie und Generalhauptstabsmann Arthur Przyborski heiratete 1917 den Soldaten Rudolf Schneider. Schon während ihrer kinderlos gebliebenen Ehe vertiefte sie ihre religiösen Kenntnisse und ihre religiöse Praxis, besuchte 1926 bis 1928 einen Kurs für Laienkatechese an der Universität Wien und gab Kurse für religiös Suchende. Ab 1932 war sie im engeren Vorstand der Katholischen Reichfrauenorganisation. Schneider wurde zur zweiten Vorsitzenden der Hauptstelle „Frauen der KA Wien“ ernannt, war Referentin der Sektion „Frau in der Pfarre“ und erteilte Konvertit_innenunterricht im Rahmen der KA. Sie engagierte sich in der Internationalen Katholischen Frauenbewegung und war dort Referentin Österreichs in der „Studienkommission für Erhaltung, Schutz und Verbreitung des Glaubens“. Nach ersten Schreibversuchen in der Jugendzeit begann Schneider in den 1930er-Jahren mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit, die sich in weiten Teilen religiösen Inhalten widmete und in mehreren Büchern der Frage nach der Rolle der Frau in Kirche und Gesellschaft nachging. Ihre Schriften und Positionen fanden nicht nur bei Leser_innen Widerhall, sondern auch Anerkennung in kirchlichen Kreisen. „Der Seelsorger“ beschrieb sie als „eine durchaus ernste, absolut kirchlich gesinnte Christin“. Nur wenige Monate nach dem Tod ihres Mannes 1947 trat sie in den Karmel Wien-Baumgarten ein. In den 40 Ordensjahren setzte sie ihre schriftstellerische und übersetzerische Tätigkeit fort und lebte als Sr. Maria Cordis im Karmel Mayerling, in Steinbach in Niederösterreich und schließlich in Graz, wo sie verstarb. Ihr Hauptwerk „Vom Priestertum der Frau“ erlebte bis 1940 vier Auflagen, für die Karl Rudolf das Vorwort verfasste. 1992 wurde es wiederaufgelegt. Hilla, Nachwort, in: Schneider, Priestertum der Frau 1994, 92–95; Sr. Maria Johanna, Oda Schneider; Frauenjahrbuch Wien 1933, 180; Frauenjahrbuch Wien 1936, 125, 149; Diözesanarchiv St. Pölten (DASP), KA 4, KFO 1912–1937, Verhandlungsbericht der Beratungen des engeren Vorstands der Katholischen Reichsfrauenorganisation in Wien am 22./23.12.1929, 25.

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männlicher Formen für den Gemeinschaftsgottesdienst, die er bis nun infolge des Überwiegens des weiblichen Elementes noch nicht durchweg hat.“ 61 Die diskursive Maskulinisierung durch eine männliche Codierung katholischer Praktiken wie Akteure schloss auch die zentrale Figur des Priesters ein.62 Priester mussten als Führerpersönlichkeiten die geforderten männlichen Charakteristika aufweisen. Sie sollten ihr „ganzes außerliturgisches Benehmen, die Körperhaltung, den Schritt, den Ton, die Umgangsformen“63 in männlicher Art und Weise vollziehen. Dies nicht zuletzt, da sie in der Gemeinde Christus repräsentierten. Jesus Christus, dessen Göttlichkeit viel stärker in den Vordergrund gerückt wurde, präsentierte man primär als „Herr und Sieger über die Welt“.64 Er verkörperte als Rollenmodell den Inbegriff des Heldentums und sei „höchste Steigerung der Männlichkeit“.65 Auch im Gottesbild wurde sehr stark der triumphierende, siegreiche Gott hervorgestrichen.66 Gleichzeitig gab es jedoch bei der Referenz auf geschlechtliche Muster von Priestern und Christus parallele Diskurse, die, um eine Engführung der Sichtweise zu verhindern, nicht übersehen werden sollten. So forderte Pius Parsch, der Pfarrer müsse „Haupt, Führer und Vater“ seiner Pfarre sein, jedoch solle er auch „mütterliche Eigenschaften“ haben, damit er die Pfarre zur Familie machen könne.67 Analog dazu vertritt – hier im spezifischen Kontext der Frauenpastoral – Peter Schmitz die Ansicht, Geschlechtsunterschiede seien in Christus aufgehoben. „Er ist die Verkörperung der weiblichen Tugenden: Zartheit, Mütterlichkeit und Innerlichkeit nicht minder wie die Menschwerdung der männlichen Tugenden: Verstandesklarheit, Willensfestigkeit, Ritterlichkeit.“68 Geschlechtergrenzen wurden zwar in der Organisation wie auch in vielen Darstellungen kategorisch gezogen, jedoch lassen sich bei genauerem Hinschauen auch Brüche des Konzepts und Tendenzen einer Auflösung der Radikalität finden. Bis zu einem gewissen Grad konnten Eigenschaften und Körper entkoppelt werden und weibliche und männliche Eigenschaften auch für das jeweils andere Geschlecht förderlich und wünschenswert sein. Christus konnte als Idealbild sowohl männliche wie auch weibliche Eigenschaften verkörpern. „Limited but legitimate femininity“69, wie es Olaf Blaschke Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland findet, war auch in der Zwischenkriegszeit für das Priesterideal noch immer möglich, wenn auch keinesfalls von allen katholischen Protagonisten vertreten. Generell wurde eine Überhandnahme der Eigenschaften des komplementären Geschlechtes sowie Uneindeutigkeit jedoch kategorisch abgewertet. 61 62 63 64 65 66 67 68 69

Schneider, Priestertum der Frau 1937, 69. Steirisches 2-Groschen-Blatt, 13.08.1933, 1f. Zimmermann, Männliche Frömmigkeit, 132. Mann und Christ 2/1937–1938, unp. Zimmermann, Mehr Männlichkeit, 43. Mann und Christ 8/1936–1937, unp. Parsch, Pfarre als Mysterium. Schmitz, Sendung der Frau, 32. Blaschke, Unrecognised Piety, 30.



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Wie weit die (versuchte) Codierung angenommen wurde und katholische Vollzüge männlicher wahrgenommen wurden bzw. sich bei den Vollziehenden männlicher „anfühlten“, ist – kollektiv wie auch individuell – nur schwer zu evaluieren. Einen Hinweis auf die Problematik aktiv und öffentlich praktizierter Religion gibt die wiederholt in diesem Zusammenhang angesprochene Scham oder die Angst, sich lächerlich zu machen.70 (Junge) Männer schämten sich vor ihren Geschlechtsgenossen für den praktizierten Glauben; diese Reaktion wurde vielfach von Klerikern bemerkt wie auch gerügt.71 Die Scham für die eigene zur Schau gestellte Religiosität liefert jedoch einen wichtigen Hinweis darauf, dass religiöse Praxis nicht Teil der hegemonialen Männlichkeit sein konnte. Stützten katholische Diskurse der Maskulinisierung die hegemoniale Männlichkeit, etwa durch die Betonung des militärischen Elements, war die Religion – zumindest in ihrer gelebten Praxis – somit nicht in die hegemoniale Männlichkeit integrierbar. Wesentlich für die Analyse des Diskurses sind die in der beabsichtigten Umdeutung implizierten Elemente: Wertung und Macht. Durch die diskursive Maskulinisierung wurde eine Aufwertung der Religion beabsichtigt und damit eine Höherbewertung des Männlichen vorgenommen. Die Maskulinisierungsdiskurse im katholischen Kontext der 1930er-Jahre können so als Strategie zur Restauration und Stabilisierung männlicher Machtbereiche gelesen werden. Wolfgang Schmales These, die katholische Kirche habe das hegemoniale Männlichkeitskonzept in ihren Strukturen interiorisiert,72 muss damit differenzierter betrachtet werden. Katholische Männlichkeitskonstruktionen wirkten in Komplizenschaft stützend für die hegemoniale Männlichkeit, müssen jedoch in ihrer kreativen Modifikation und Schwerpunktsetzung als eigenständiger Entwurf betrachtet werden. Ganz explizit wurde dabei die männliche Führungsrolle forciert. Der katholische Mann sei zum leadership bestimmt, im öffentlichen wie im privaten Bereich. „Führertum, dem die Frauen und Kinder willig vertrauen“, verlange Christus von Männern, war der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber überzeugt.73 Die Argumentation dafür erfolgte mit biblischen „Belegen“, wie etwa bei Bischof Pawlikowski von Seckau: „Es hat sich der Heiland mit den welterlösenden Lehren immer an die Männer gewendet. Bei großen Ereignissen in der Frohbotschaft stehen stets die Männer in der vordersten Reihe. Zu diesen spricht er, vor diesen wirkt er die großen Wunder, ihnen vertraut er die großen Geheimnisse an. Männern reicht er zuerst das geheimnisvoll vermehrte Brot und dann sich selbst beim Abendmahl. Über Männer kam der Pfingststurm der Begeisterung, Männer waren die Boten seiner Botschaft und die ersten Helden im Urchristentum.“ 74 Dieses maskuline Gesicht der Kirche wurde auch bewusst abzubilden 70 Mitteilungen der Katholischen Aktion in der Diözese Seckau, Nr. 1, November 1936, 2. 71 DAG, NL Pawlikowski Militärvikariat, Schachtel 3, Fas. 51 Hirtenbriefe des Militärvikariats 1927 – inkl. 1938, Hirtenbrief von Militävikar Pawlikowski, Wien am Sonntag Sexagesima [16.02.] 1936, unpag. 72 Schmale, Männlichkeit, 152, 229. 73 Gröber, Der christliche Mann, 32. 74 DAG, NL Pawlikowski, Militärvikariat, Schachtel  3, Fas.  51 Hirtenbriefe des Militärvikariats 1927 – inkl. 1938, Hirtenbrief von Militärvikar Pawlikowski, Wien am Sonntag Quinquagesima [26.02.1933], 3.

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angeraten. So empfahl ein „Dorfpfarrer“, für den Pfarrbeirat der KA ausdrücklich nur Männer zu bestellen.75 Die katholische Männlichkeitskonstruktion zeichnete sich ganz wesentlich dadurch aus, dass die Führungsrolle des Mannes stark an ein restauratives Gesellschaftsmodell rückgebunden war. Die wesentliche Ausprägung männlicher Leadership war nicht zuerst der kirchliche, politische oder militärische Führer, sondern der Vater als Haupt der Familie. Der Wiener Erzbischof Kardinal Innitzer forderte in seinem Fastenhirtenbrief des Jahres 1934: „Die Väter vor allem müssen wieder lernen, wie man eine christliche Familie führt.“ In seinem Schreiben, das geradezu prototypisch für die Entwicklungen der KA verstanden werden kann, stilisierte er die Familie zum Kernelement der Zukunftsgestaltung, die allerdings in der jüngeren Vergangenheit „nahezu vollständig versagt“ habe. Die Grundlage für die Rolle des Mannes in der Kirche bildete für Innitzer das „Priestertum des Vaters in der Familie“. Aufbauend auf einer verantwortlichen Vaterrolle mahnte er die Männer, ihre Rollen in Familie, Kirche und Staat stärker wahrzunehmen. Er verstand die Rückführung der Männer zu ihrem „wichtigste[n] Amt des Vaters“ als entscheidende Aufgabe der Seelsorge.76 In den theologischen Auseinandersetzungen mit der Vaterrolle wurden verschiedene Dimensionen von Väterlichkeit77 behandelt, die ihre Quelle in der Vaterschaft Gottes haben sollten. P. Peter Schmitz SVD betonte nachdrücklich und wiederholt, dass der Vater seine Autorität weder wegen seiner noch für seine Person besitze, sondern „wegen seines Amtes als Vorstand seiner von Gott gegründeten Familie“. Der Vater sei Träger „der väterlichen Gewalt, der ältesten und legitimsten Autorität neben der Kirchengewalt überhaupt auf der Erde“. Die gottgegebene, quasi königliche Autorität müsse von den Familienmitgliedern anerkannt werden, außer wenn ein etwaiger Machtmissbrauch vom Glaubensweg abführe.78 Wesentlich für die Rolle, die der Vater in der Erziehung einnehme, sei das Bewusstsein, dass er damit das Gottesbild seiner Kinder präge, die sich analog zu ihm Gott Vater vorstellten.79 Zur Betonung der Rolle des Mannes ging der katholische Autor Josef Beeking so weit, ihn in seiner Gottesebenbildlichkeit abzuheben, in ihm „nicht nur Abbild und Ebenbild Gottes schlechthin, wie es jeder Mensch“ sei, zu sehen, sondern Ab- und Ebenbild „in besonderem Sinne“. In Summe präsentierte Beeking den Mann geradezu als „Verkörperung“ der Trinität: Er sei Abbild Gottes, entfalte als Abbild Christi das Erlösungswerk in der Welt und sei „voll des Heiligen Geistes“.80 In Beekings analoger Abhandlung über die Frau wurde diese als Personalisierung der Kirche dargestellt, in ihrer äußeren Erscheinung wie auch in 75 Archiv der Erzdiözese Salzburg (AES), 12/20, Schreiben von Filzer an die Pfarrämter des Tiroler Diözesananteiles, Salzburg 23.11.1936. 76 Innitzer, Hirtenbrief, 7–10, Zitate: 8. 77 Die analoge Abstraktion des Mutterbegriffs in der Mütterlichkeit wurde jedoch weiter entfaltet und zum Teil politisch instrumentalisiert. Siehe dazu Allen, Geistige Mütterlichkeit; Schöffmann, Anderer Blick, 166–168; Stoehr, Organisierte Mütterlichkeit. 78 Schmitz, Der Vater, 9, 23–34. 79 Ebd., 31. 80 Beeking, Mann, 12f.



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ihrer Persönlichkeit.81 Durch diese Verleihung von Autorität sollte eine Konsolidierung der Familie über einen positiv besetzten Vaterbegriff erreicht werden. Generell ist eine Tendenz abzulesen, Männerrollen durch (theologischen) Gehalt aufzuwerten. Attraktivität wurde jedoch nicht über den Selbstzweck konstruiert, sondern aus der religiösen Verantwortung für die gesamte Gesellschaft heraus motiviert. Familienbegriff und Geschlechterrollen waren durch moderne Zeitströmungen und nicht zuletzt durch die Aufbrüche der Frauenbewegung während der vorherigen Jahrzehnte aufgeweicht worden, wodurch die Kirche das christliche Gesellschaftsideal immer mehr gefährdet sah. Öffentlich bekannte Religiosität einer großen Zahl von Männern bot die Möglichkeit, das Image der Kirche aufzuwerten und damit ihre Autorität zu stärken. Nach dem in Österreich Ende des Jahres 1933 vollzogenen Rückzug der Priester aus der Politik war es zudem für die Kirchenleitung umso wichtiger, auf starke Laien als Repräsentanten in Politik und Wirtschaft zählen zu können.82 Der militarisierte Kontext eines faschistisch beeinflussten Europas begünstigte die Betonung männlicher Führung, und ein von katholischen Eliten geführter Staat83 in den 1930er-Jahren bot den Hintergrund, das gewünschte traditionelle, katholische Familienideal verstärkt zu propagieren. Dass die machtvolle Rolle des Mannes innerhalb der christlichen Gemeinschaft allenthalben zulasten der Frau ging, wird nicht nur im Rückblick offensichtlich, sondern war auch manchen Zeitgenoss_innen durchaus bewusst. Doch musste darauf nicht notwendig Protest und Einforderung der Rechte folgen, sondern im Sinne des von der Frau eingeforderten „Dienstes“ schreibt Oda Schneider dazu: „Es geht heute nicht um die Ehrenrettung und Selbstbehauptung der Frau. Es geht wirklich vor allem darum, daß der Mann den Weg zum Altar finde, und sei es auch über den Antrieb eines gesteigerten Selbstgefühles auf Kosten der Frau.“84 Der Krisendiskurs bot damit als zusätzliche Funktion zur Mobilisierung der Männer auch die Rechtfertigung für Opfer, die eine solche Rettungsaktion abverlangte.

2. Strukturelle Ebene: Die Männerbewegung der Katholischen Aktion der Diözese Seckau Die Ängste vor einem Autoritätsverlust der katholischen Kirche und deren Gegenstrategie, ihre Attraktivität für und gegenüber Männern zu steigern, spielten sich innerhalb konkreter struktureller Rahmenbedingungen ab. Eine exemplarische Analyse von diözesanen Organi81 Ders., Frau. 82 Diözesanarchiv Wien (DAW), Bischofskonferenz (BIKO), Protokoll über die Konferenz der österreichischen Bischöfe am 25. bis 28. November 1935 in Wien, 3. 83 Zum Austrofaschismus siehe Tálos/Neugebauer, Austrofaschismus; Tálos, Das austrofaschistische Herrschaftssystem. 84 Schneider, Männliche Frömmigkeit, 145.

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sationsstrukturen am Beispiel Seckau85 soll den Kontext darstellen und so eine Einordnung ermöglichen. Vergleicht man die Lai_innenorganisationen der Zwischenkriegszeit in der Steiermark unter dem Differenzkriterium Geschlecht, wird sehr schnell ein Ungleichgewicht zugunsten einer größeren und einheitlich strukturierten Frauenorganisation offensichtlich. Die KFO hatte nach dem Ersten Weltkrieg ein dichtes Netz an Ortsgruppen über die gesamte Steiermark ausbreiten und einen großen Teil der bestehenden Frauenvereine als angeschlossene Gruppen dem in Graz angesiedelten Zentralverband eingliedern können. Ein männliches Pendant, das gleichermaßen Verbreitung und Verankerung in den Pfarren erlangte, konnte sich demgegenüber nicht entwickeln. 2.1. Ansätze zur Vereinheitlichung

Katholische Männer waren auf Pfarrebene in den Hausvätervereinen, die im 19. Jahrhundert entstanden waren, zusammengeschlossen. Der in Nieder- und Oberösterreich sehr mächtige Katholische Volksbund bildete zwar auch in der Steiermark die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Vereine, hatte jedoch keine Basis auf Pfarrebene. Keine dezidierten Männervereine, aber aufgrund der hauptsächlich männlichen Klientel als solche verstanden, waren die auf beruflicher Basis organisierten Vereine. Als wichtigste dieser „Männervereinigungen“ wurden 1927 die katholischen Arbeitervereine genannt. Es gab zu diesem Zeitpunkt 39 Ortsgruppen mit 2700 Mitgliedern.86 Sie wurden auf Landesebene als Katholischer Landesarbeitsbund zusammengefasst. 1932 verzeichnete dieser 5400 Mitglieder in 54 Vereinen.87 Das vielfältige katholische und der katholischen Kirche nahestehende Vereinswesen bot katholischen Männern noch in zahlreichen anderen Vereinen Raum für Aktivität, sei es in Vinzenzvereinen, Turnvereinen, aber auch politisch orientierten Vereinigungen, wie den christlichen Gewerkschaften. Eine zentrale Zusammenfassung katholischer Männer gab es jedoch nicht. Im Gegensatz dazu zählte die KFO schon 192388 rund 21.900 Mitglieder in 82 Ortsgruppen und angeschlossenen Verbänden. Diese Zahl erweiterte sich bis 1937 auf rund 24.000 in 127 Ortsgruppen plus 10.000 Mitglieder in Anschlussvereinen.89 Da sich spätestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts Zentralisierung und Vereinheitlichung im Katholizismus durchgesetzt hatten, wurde die uneinheitliche Form der Männerver85 Es handelt sich um die heutige Diözese Graz-Seckau, die im Wesentlichen den Grenzen des österreichischen Bundeslandes Steiermark entspricht. 86 Wahrheitsfreund, 01.02.1927, 5. 87 Frauenkalender 1933, 112. 88 Für 1927 gibt der Volksbund 40.000 Mitglieder der KFO an. Wahrheitsfreund, 01.02.1927, 5. Diese sehr hohe Annahme kann sich jedoch nur unter Einbeziehung des Diözesanverbandes der katholischen Mädchenvereine ergeben. 89 Frauenkalender 1938, 97. Die Anschlussvereine boten ein weites Spektrum vom karitativen Katholischen Frauenverein der werktätigen christlichen Liebe über den Anbetungs- und Paramentenverein bis hin zu Lehrerinnenkongregationen sowie den Hausmüttervereinen in den Landpfarren. Ebd., 105.



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einigungen als organisatorische Schwäche empfunden und war besonders im Zuge der Etablierung der diesem Trend entsprechenden KA negativ im Bewusstsein. „[T]rotz vieler Versuche“ gelang es jedoch nicht, einen Diözesanverband katholischer Männer auf die Beine zu stellen, und etliche einzelne Männergruppen arbeiteten weiterhin separat. Sehr viele Männer wurden vom katholischen Vereinsnetz gar nicht erfasst. Die von der KA im Sinne der Einheitlichkeit geforderte Unterordnung unter die katholische Hierarchie und die Bereitschaft zum einheitlichen Zusammenschluss schließe gleichzeitig Gruppen aus, so die Diagnose 1927.90 Schon 1926 gingen vom Volksbund Initiativen aus, eine Katholische Männerorganisation (KMO) „nach dem Muster der Kath[olischen] Frauenorganisation“ ins Leben zu rufen. Vorläufige Statuten, orientiert an jenen der Männervereine in Wien, wurden dem Ordinariat zur Genehmigung vorgelegt.91 Die Statuten wurden genehmigt und der Obmann des Volksbundes, Kaplan Florian Plaschg, als Konsulent bestellt.92 Bei diesen Ansätzen blieb die Entwicklung jedoch stecken. Zu einer Reihe von Initiativen für die Konstituierung einer Männerbewegung kam es wieder im Vorfeld und Kontext der Steirischen Katholikentage 1930.93 Im Frühjahr 1930 gab es vom Ordinariat Anregungen, in den Grazer Stadtpfarren katholische Männervereinigungen zu gründen. Diese sollten keine neuen Vereine darstellen, da die „Gründung neuer Vereine […] die meisten Katholiken schon kopfscheu“ mache. Bereits in Vereinen aktive Männer sollten dabei den Grundstock und den Arbeitsausschuss für die Männerbewegung bilden, durch die man sich näherkommen, das katholische Kulturleben kennenlernen und zu „den allgemeinen katholischen religiösen Bestrebungen“ herangezogen werden sollte. Ziel seien monatliche Versammlungen zu Vorträgen und Diskussionen. Dafür sollte ein Rednerstab geschaffen werden, der „sich mit einzelnen aktuellen Fragen – ausgenommen jene der Politik – besonders befassen und in verschiedenen Pfarren Vorträge halten“ sollte. Erste Vorträge fanden in der Grazer Stadtpfarrkirche statt.94 Vom Seckauer Bischof Pawlikowski wurde eine Männerorganisation wiederholt ausdrücklich gewünscht und eingefordert. Eine Ursachenanalyse des geringen Erfolges, der sich darin zeigte, dass in den Pfarren zumeist gar keine bzw. nur ansatzweise eine Männerorganisation bestand, eruierte Strukturmängel und personelle Mankos. Als Maßnahmen für eine gelungene Männerbewegung innerhalb der KA erschienen eine klare äußere Form

90 Wahrheitsfreund, 01.02.1927, 5. Eine konkrete Bezeichnung der Gruppen wird nicht gemacht, im Laufe der Zeit kam es jedoch zu einer Zuspitzung um die Eingliederung des CV in die KA. Siehe dazu Liebmann, Laienapostolat, 387; Hartmann, CV, 103–108. 91 DAG, Vereine, Volksbund, Schreiben von Florian Plaschg und Theodor Proksch an das Seckauer Ordinariat, Graz 22.07.1926. 92 DAG, Vereine, Volksbund, Schreiben des Seckauer Ordinariats an Florian Plaschg, Graz 11.08.1926. 93 Zu Programm, Ablauf und Inhalt siehe den Bericht der KA: Katholische Aktion, Steirische Katholikentage 1930. 94 DAG, Vereine, Männervereine, Schreiben von Ordinariatskanzler Josef Steiner an den Stadtpfarrer, Graz 25.03.1930.

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mit zentraler Leitung und ein klarer Ausschluss jeglicher Politik auch in personeller Hinsicht zielführend.95 Ein Jahr nach dem Katholikentag wurde abermals ein Statutenentwurf für eine KMO vorgeschlagen. Der Obmann der Männerbewegung Münzgraben sollte als Obmann dieser Diözesanorganisation fungieren. Diese konzipierte man in Anlehnung an die KFO. Man fühlte sich unter Zugzwang, da die Männer im Vergleich zu Frauen und Jugend „noch immer stark im Hintertreffen“ seien: „Der Ernst der Zeit duldet kein längeres Säumen; Es ist der Augenblick gekommen, dass auch wir katholischen Männer aus der Reserve heraustreten und entschiedener als bisher uns in die grosse katholische Phalanz [sic!] und in der katholischen Aktion jenen Platz einnehmen, der gerade dem Manne, als dem Haupte der Familie, in der Gesellschaft zukommt.“ 96 Die hier skizzierten Anstrengungen zur Gründung einer einheitlichen und zentral organisierten Männerbewegung trugen mit Ausnahme regional aktiver Pfarrgruppen, wie etwa Münzgraben oder St. Josef in Graz, kaum Früchte. Die Versuche zeigen jedoch auf, dass die Kirche das Fehlen der Männer(organisation) als Mangel bemerkte und Anstrengungen zur Einbindung von inaktiven Katholiken unternahm. Die Ursachen für das weitgehende Scheitern der Initiativen waren wohl vielfältig und grundsätzlicher Natur, insofern als ein großer Teil der Männer in ihrer Identitätskonstruktion der kirchlich praktizierten Religion nicht den Platz einräumte, der ihr nach den idealen Definitionen der katholischen Kirche zukommen sollte. Retrospektiv kann auch gefragt werden, ob die Form der Zusammenfassung geeignet war. Österreichische Vordenker in der KA, wie Karl Rudolf, Leopold Engelhart oder der Pastoraltheologe Michael Pfliegler, favorisierten eine das diversifizierte Vereinsleben übersteigende, einheitliche und straffe Zusammenfassung der Lai_innen.97 Die Abwendung von den demokratischen Formen der klassischen Verbandsstrukturen lag im Zeitgeist des autoritären Kontextes. Die Zusammenfassung über so vielfacettige Kategorien wie männlich und katholisch generierte wohl dennoch zu wenige bzw. zu wenig individualisierte Identifikationsmöglichkeiten, dass eine Bindung resultierte, die auch in eine dementsprechende Praxis mündete. 2.2. Der Laienstand Männer in der Katholischen Aktion

Impulsen folgend, die von der Wiener KA nach dem Allgemeinen Katholikentag 1933 in Wien ausgingen, erfolgte auch in der steirischen KA Ende des Jahres 1934 eine Neustrukturierung. War die KA zuvor noch stärker eine Leitidee mit erst schwachen eigenen organisatorischen Strukturen, wurde nun durchwegs der strukturelle Auf- und Ausbau fokussiert. Mit der Neuorganisation der KA wurden in der Folge weitere Akzente für eine Gewinnung 95 DAG, KA 1926–1953, Warum wurden bisher …, [Graz 1930]. 96 DAG, KA 1926–1953, Schreiben der provisorischen Leitung der KMO Steiermark an Pawlikowski, [Graz 1931]. 97 Liebmann, Heil Hitler; ders., Von der Stunde der KA.



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von Männern gesetzt. Bei der ersten großen Gesamtkundgebung der KA sollte sich nach den Vorstellungen des Bischofs vor allem die Männer- und Jugendbewegung präsentieren und vor allem diese angesprochen werden.98 Ganz in diesem Sinne wies Pawlikowski auch auf der Bischofskonferenz 1935 darauf hin, dass es notwendig sei, „die katholische Aktion zu einer kraftvollen Organisation auszubauen, die besonders auch darauf Einfluß zu nehmen hätte, daß die katholischen Grundsätze in der Gesellschaft und Politik durchgeführt werden“. Er schlug vor, in jeder Diözese nach Art des Volksvereines in Oberösterreich Männerorganisationen zu schaffen, die auch – gegen die sonst so oft zu findende Betonung einer unpolitischen KA – in die Politik hineinwirken sollten.99 Als Basiseinheit wurde von der KA die Pfarre erkoren. Man wollte aufbauend auf vorhandene Vereine von einem „Führer“ ausgehend, der die Aufgabe hatte, einen Kreis von aktiven Männern zu motivieren, schließlich möglichst alle Männer der Pfarre einbeziehen. Inhaltlich erachtete man „die Verteidigung des Glaubens und der christlichen Sitten, den Schutz der Familie und die Einflußnahme christlichen Geistes auf die Öffentlichkeit“ als zentral. Zur Erreichung dieser Ziele setzte man auf Gottesdienste, gemeinsamen Sakramentenempfang und Besprechungen zu aktuellen Themen.100 Von der Diözesanstelle erfolgten Aufrufe, sich der KA in der Pfarre anzuschließen. Mit religiöser Vertiefung, der Pflege des katholischen Familiengeistes und der innigen Pfarrzusammengehörigkeit, die man in der katholischen Männerbewegung finden könne, warb man um Interessenten.101 Das Bild in den einzelnen steirischen Pfarren divergierte hinsichtlich der Vereine und der von diesen erfassten Personen sehr stark, Lücken in der Gruppe der Männer werden jedoch deutlich. Dies wurde keineswegs nur als quantitatives Problem, sondern ganz klar auch als qualitatives wahrgenommen. In einigen Pfarren war überhaupt keine organisatorische Erfassung vorhanden bzw. bestand eine solche nur sehr lose. In anderen Pfarren konnte man jedoch auf die bestehenden Strukturen der traditionellen Hausvätervereine bzw. christliche Arbeitervereine zurückgreifen. Initiativen zur Akquisition von Männern wurden in einigen Pfarren eingeleitet. So näherte man sich den Männern über vorhandene Zusammenschlüsse, etwa im Dekanat Rein 1935 durch die Rosenkranzbruderschaft, den Verein „Frohe Kindheit“, den Bauernbund, den Arbeiterverein oder über die Volksmission.102 Die Tätigkeitsberichte der KA103 weisen auf, dass Mitte der 1930er-Jahre in den steirischen Pfarren durchschnittlich nur etwas mehr als halb so viele Männer wie Frauen als aktiv 98 DAG, KA 1926–1935, Schreiben von Pawlikowski an Czermak, Graz 26.03.1930, 1f. 99 DAW, BIKO, Protokoll über die Konferenz der österreichischen Bischöfe am 25. bis 28. November 1935 in Wien, 3. 100 DAG, KA 1926–1953, Niederschrift über die Verhandlung der Besprechung der Vertreter der katholischen Männerschaft in der Katholischen Aktion Österreichs, Linz 26.04.1936, 3. 101 DAG, KA 1926–1953, Flugblatt „Katholischer Mann!“ der Diözesanstelle der KA, Graz o. J. 102 DAG, Katholische Aktion (Jahresberichte) 1934–1937, Jahresbericht 1935 über die Katholische Aktion in den Pfarren des Dekanates Rein, 2. 103 Alle Angaben zu den Pfarren sind Analysen des Quellenbestandes: DAG, KA (Jahresberichte) 1934–1937; DAG, KA 1935–1963.

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tätige Katholiken erfasst waren. Die starke Variation bedingt jedoch, dass diese Aussage für den Einzelfall kaum aussagekräftig ist. In manchen Pfarren konnte dieses Verhältnis sehr weit auseinanderklaffen, wenn etwa in Altaussee acht Mal, in Mautern ca. sieben Mal mehr Frauen registriert waren.104 Mehr Männer als Frauen gab es äußerst selten, es war jedoch durchaus möglich, wie ein Beispiel aus Anger im Dekanat Weiz zeigt, wo 180 Männer und 100 Frauen als Mitglieder der KA geführt wurden.105 Ausgenommen werden von der weiblichen Überzahl muss das Führungsgremium, der Pfarrbeirat. Soweit die Angaben eine Analyse überhaupt erlauben, kann ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Männern und Frauen konstatiert werden, hin und wieder waren Frauen numerisch überlegen, manchmal Männer. Bedenkt man das numerische Gesamtverhältnis, wird hier die männliche Herrschaft dennoch wieder deutlich. Vorhandene Dispositionen in Männern wie Frauen, männliche Führung zu präferieren, führten tendenziell zur Rollenverteilung einer emsigen weiblichen Laufarbeit, speziell bei karitativen Anliegen, und einer männlichen Koordinations- und Planungsarbeit. Das Manko im Hinblick auf den männlichen Anteil war zudem eine der am häufigsten geäußerten Klagen der Pfarrer, die mit der Leitung der KA betraut waren. Die mangelnde Bereitschaft der Männer, in der Pfarre mitzuarbeiten, bzw. der Mangel an „geeigneten“ Männern wurden als Erfahrung wiederholt rückgemeldet. Gegenmaßnahmen, speziell auf die Gewinnung der Männer gerichtet, sind beobachtbar, jedoch zeigt sich, dass generell versucht wurde, alle vier Standesorganisationen zu schaffen. Neugründungen waren aber am häufigsten bei den Männern, an zweiter Stelle bei den Jungmännern, dann bei den Mädchen notwendig – quasi nie bei den Frauen, da so gut wie überall ein Hausmütterverein und/oder eine KFO-Ortsgruppe bestand, auf die man aufbauen konnte. Als Instrument zur Belebung des kirchlichen Lebens und der Motivierung passiver Katholik_innen wurden Standesgottesdienste empfohlen. Für jeden der vier Stände sollten Gottesdienste abgehalten werden, in denen man speziell auf die Aufgaben und Erwartungen dieser nach Alter und Geschlecht differenzierten Gruppen einging. Dezidiert wurde die Einführung der Standesgottesdienste von der Diözesanleitung als pastorale Maßnahme für die Zielgruppe Männer verstanden.106 Solche ständespezifischen Gottesdienste wurden weitestgehend in allen Pfarren etabliert. Interessant sind jedoch die zu beobachtenden geschlechtsspezifischen Gewichtungen. Der am meisten mit geschlechtsspezifischen Gottesdiensten bedachte Stand war der der Jungfrauen oder Mädchen. Mit etwas Abstand folgen ihnen die Frauen, hinter diesen liegen erst die Burschen oder sogenannten Jungmänner. Bei Weitem am wenigsten Gottesdienste kamen dem Stand der Männer zu. Sie lagen sowohl in der Gesamtzahl als auch in der Anzahl der Gottesdienste in den einzelnen Pfarren 104 Es handelt sich bei der Angabe nur um die Männer, also verheiratete Männer oder unverheiratete ab etwa Mitte 20. Bei Jugendlichen war das Verhältnis ausgeglichener. 105 DAG, KA (Jahresberichte), 1934–1937, Tätigkeitsbericht der Katholischen Aktion über das Jahr 1936, Formular gezeichnet von Pfarrer Anton Pozenel, Anger 12.02.1937. 106 Mitteilungen der Katholischen Aktion in der Diözese Seckau, Nr. 1, November 1936, 2.



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zumeist am Schluss. Einige Pfarren sahen gänzlich von Standesgottesdiensten für Männer ab, obwohl sie für die anderen Stände durchaus solche abhielten. Analog verhielt es sich mit Vorträgen und anderen geschlechterspezifischen Veranstaltungen, auch hier waren die Männer diejenigen, die am seltensten damit bedacht wurden.

3. Resümee Im österreichischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit, insbesondere im Kontext der Etablierung der KA im Laufe der 1920er-Jahre, wurde ein Krisenszenario entworfen. Die bei Männern weniger stark ausgeprägte kirchliche Glaubenspraxis wurde als Krise inszeniert und als solche auf Religion und Kultur generell ausgedehnt: Durch die mangelnde Präsenz und Aktivität von Männern in der katholischen Kirche sei das Christentum bzw. die abendländische Kultur überhaupt bedroht. Für eine Gewinnung einer größeren Zahl an Männern sollte in der Pastoral spezifisch auf diese Zielgruppe hingearbeitet werden, wobei die konkreten Vorschläge zumeist sehr allgemein gehalten waren. Darüber hinaus drängten manche Entwürfe in der Auseinandersetzung mit dem Thema katholische Religion und Männer bzw. Männlichkeit allerdings ebenso auf eine „männliche“ Akzentuierung der Formgebung. Sehr deutlich zeichnet sich der Versuch ab, religiöse Akteure und religiöse Praktiken männlich zu codieren. Von dieser impliziten wie expliziten Strategie einer Maskulinisierung der Religion erwartete man eine größere Attraktivität der Religion für Männer. Indem die Problematik möglichst global und mit eindringlichen Worten geschildert wurde, sollte Aktivität produziert und eine Mobilisierung erreicht werden. Dies betraf nicht nur die angepeilte Zielgruppe, sondern der Krisendiskurs rechtfertigte auch Opfer von Frauen, die angesichts der Krise der männlichen Religiosität Zugeständnisse machen sollten. Wesentlich für die Einordnung des Maskulinisierungsdiskurses in den Kontext ist der Hinweis, dass es sich keineswegs um die einzige pastorale Strategie der Zeit handelt. Der Blick auf Konstruktionen von Religion im Umkreis von Frauenorganisationen ordnet die Maskulinisierung der Religion als nur einen Diskurs neben anderen ein.107 Ohne damit die Wirkmächtigkeit des dargestellten Diskurses zu unterschätzen, verlangen Ungleichzeitigkeiten in der Rezeption, parallele – auch widersprüchliche – Deutungsansätze sowie eine adressat_innenbezogene Pastoral einen differenzierten Zugang. Katholische Männlichkeitskonstruktionen wirkten mit der Zuspitzung auf eine Rettung der Religion durch das männliche Element jedenfalls in Komplizenschaft mit der hegemonialen Männlichkeit, müssen jedoch als eigenständiger Entwurf betrachtet werden. Das zentrale Moment der religiösen Praxis war nicht ohne Umdeutungen in das hegemoniale Modell integrierbar. In zentralen Punkten erfolgten Umdeutungen und damit die Akzentuierung einer eigenen katholischen Männlichkeit. So erfolgt eine Relativierung der körperlichen Stärke gegenüber der Beherrschung des Körpers durch geistige/seelische 107 Kogler, GeschlechterGeschichte, 107–125.

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Stärke. Auch wurde die Führungsqualität katholischer Männer durch das zugrunde liegende Rollenmodell „Vater“ eigenständig interpretiert und damit der restaurative Gesellschaftsentwurf konsequent fortgesetzt. Eine Analyse der KA in Österreich bis 1938 auf der Ebene der Pfarren bietet Ansatzpunkte für die Kontextualisierung des Diskurses, ermöglicht es aber aufgrund des kurzen Zeitraums, in der sie ihre Formen ausbilden konnte, da mit dem „Anschluss“ und später dem Kriegsausbruch eine Zäsur in der religiösen Organisation wie auch in der religiösen Praxis gegeben ist, nicht, einen Prozess, wie den Niederschlag von Geschlechterdiskursen, zu interpretieren. Punktuell kann jedoch in der KA-Praxis, wie es Schneider treffend formuliert, eine „geringere Ansprechbarkeit von Männern für kirchlich gebundene katholische Religiosität“108 konstatiert werden. Nur etwas mehr als halb so viele Männer wie Frauen engagierten sich in der KA. Initiativen für die Gewinnung und Aktivierung von Männern können nachvollzogen werden, die Seelsorge zeigte jedoch trotz der Initiativen die Tendenz, Frauen und Mädchen durchwegs mehr Angebot zu bieten als Männern und Jungen. Hinterfragt werden kann darüber hinaus, inwieweit die angewandten Strategien der Pastoral auch innerhalb der zeitbedingten Denkmuster stringent waren. Widersprüchlich erscheint etwa das Ignorieren der eigenen Konzepte der unterschiedlichen Geschlechtercharaktere. Eine Ausweitung des Begriffes von Religionsausübung auf Bereiche, die als männlicher Lebenskontext galten, hätte identifikatorische Ansatzpunkte geboten. Blaschke betont in seiner Analyse einer Krise der Männlichkeit am Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland, dass Männer Religion an anderen Orten und in anderer Form als Frauen ausgedrückt hätten, jedoch die Distanz von Kirchlichkeit nicht weniger Religiosität bedeuten müsse.109 Auch wenn persönliche Frömmigkeit historisch schwer zu fassen ist, kann diese These in die Reflexion einfließen. Die KA der 1930er-Jahre nahm eine solche Redefinition religiöser Praxis nicht vor. Die Betonung der notwendigen Einordnung der Laien in die Hierarchie schließt eine katholische Praxis, die von der kirchlichen Praxis abgekoppelt ist, strikt aus. Zudem wurde der unpolitische Charakter der KA betont und damit ein – in der Logik der Zeit – spezifisch männliches Feld zunehmend ausgegrenzt.110 Ein gesellschaftlichpolitisches Engagement war immer erst als zweiter Schritt nach der „Einübung“ in die KA gewünscht. Auch wenn die KA nicht auf einen Schlag die Vielfalt der katholischen Organisationsformen verdrängen konnte, zeichnete sich eine Monopolisierungstendenz ab. Ihre Überlegungen und Problemlösungsstrategien hinsichtlich des konstatierten Befundes einer mangelnden religiösen Praxis von Männern zielten vorwiegend darauf ab, die bestehenden Praxen und Formen „männlich“ umzudeuten, ihnen eine männliche Einkleidung zu verpassen. Im Kontrast zum bipolaren, komplementären Geschlechterkonzept wurde im

108 Schneider, Katholischer Mann, 247. 109 Blaschke, Unrecognised Piety; ders., Krise. 110 Den Zusammenhang von Feminisierung und Privatisierung der Religion im Kulturkampf in Deutschland und Italien analysiert Borutta, Antikatholizismus, 366–389.



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Kern bei den religiösen Praktiken an denselben Organisationsformen, kultischen Formen, religiösen Handlungen und Haltungen für Männer wie Frauen festgehalten.

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Nina Kogler

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Maskulinisierung als pastorale Strategie im österreichischen Katholizismus

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Tine Van Osselaer (Antwerpen)

Männer in der Kirche. Ritueller Raum und die Konstruktion katholischer Männlichkeit 1

1. Prolog Am 24. Mai 1938 beschrieb ein katholischer Laie in seinem Tagebuch die Pilgerfahrt nach Deurle, die er an diesem Tag unternommen hatte: „Ich habe das Frauenvolk aus Gent gesehen mit schwarzen Brillen, kurzen Hosen, kurzem Haar; sie sahen aus wie verrückte Männer. Es war ihnen natürlich nicht erlaubt, die Kirche zu betreten. Ich habe ein Vaterunser gelesen für die armen Luder […].“ 2 Obwohl es hier natürlich um Frauen geht – wenngleich beschrieben als „verrückte Männer“ –, weist dieses Zitat auf ein paar Elemente hin, die wir bei unserer Analyse der Konstruktion von Männlichkeit im rituellen Raum mitnehmen können. Erstens ist der Pilger nicht überrascht, dass die Frauen – die sich nicht so benehmen und kleiden, wie man es den Frauen vorschreibt – die Kirche nicht betreten dürfen. Zweitens werden Frauen ganz klar mit Männern verglichen: Sie dürfen sich die „Männerkleidung“ und den „Männerhaarschnitt“ nicht aneignen. Beide Punkte – die Kirche als Ort „angemessenen“ Verhaltens des jeweiligen Geschlechts und der Kontrast zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit – dienen als Leitfaden in den verschiedenen Diskursen über Männer und Männlichkeit in der Kirche. Dieser rituelle Raum war ein wichtiger Ort der katholischen Sozialisation und – so wird hoffentlich deutlich werden – auch ein wichtiger Ort für die Versuche am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts, dem katholischen Glauben ein „männliches“ Gesicht zu geben. Dieser Beitrag konzentriert sich auf Belgien, genauer gesagt auf belgische katholische Männer, denen im 19. und 20. Jahrhundert die besondere Aufmerksamkeit der Pfarrer galt. In dieser Zeit der politischen Demokratisierungsschübe (Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts) wurde die katholische Einbindung jedes einzelnen katholischen Mannes immer wichtiger. Das zeigte sich ebenfalls in neuen Initiativen, die nur auf Männer gerichtet waren.3 Da Männlichkeit und Weiblichkeit aber Beziehungskategorien sind, 1 Ein wesentlicher Teil dieses Beitrags stammt aus der Überarbeitung meiner Dissertation „The Pious Sex. Catholic Constructions of Masculinity and Femininity in Belgium, c. 1800–1940“, publiziert in der Reihe KADOC-Studies on Religion, Culture and Society, 2013. 2 Baet, Uit het dagboek, 49f.: „24 Mei 1938– […] en Gentsch vrouwvolk gezien met zwarte brillen, korte broeken, en kort haar ’t was precies zot mannevolk. Ze’n mochten van eigen de kerke niet binnen ’n Onze Vader gelezen voor die slooren […].“ 3 Van Osselaer, Masculinity.



Männer in der Kirche

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werden in diesem Beitrag auch immer wieder die Konstruktion von Weiblichkeit sowie das „angemessene“ Verhalten der Frauen untersucht.

2. Ritueller Raum und die Konstruktion von Männlichkeit Die Kirche war ein Raum der Differenzierung. Sie war ein Ort, wo ein Unterschied gemacht wurde zwischen Männern und Frauen, „gutem“ und „schlechtem“ männlichen Verhalten und klerikaler und nicht klerikaler Männlichkeit. Wenn wir uns die kirchlichen Vorschriften anschauen, wird deutlich, dass diese Unterschiede auf verschiedene Weisen konstruiert wurden. Einerseits wurden Unterschiede durch die räumliche Positionierung der Männer und deren Zugang zu den verschiedenen Teilen der Kirche hergestellt. Andererseits trugen auch die Vorschriften über Kleidung und Kopfbedeckung zur Konstruktion von Unterschieden zwischen den Geschlechtern bei. 2.1. Raumbezogene Praktiken im Unterschied zu Frauen

Ein Platz in der Kirche war nicht nur ein Sitzplatz während der Messe. Der Abstand zwischen der Sitzbank oder dem Stuhl und dem Altar ließ implizit den sozialen Stellenwert des Besitzers erkennen. Die besten und teuersten Sitze befanden sich in der Nähe des Altars. Eine Familie oder ein Familienvater, die/der sich diese leisten konnte/n, bestätigte damit auch ihre/seine besondere Stellung in der Gesellschaft. Die Sitzplätze waren ein materieller Ausdruck der sozialen Stratifikation der Gemeinde. Obwohl sie in der Kirche gemietet und gekauft werden konnten, war es letztendlich der Pfarrer, der entschied, wo seine Gemeindemitglieder Platz nehmen mussten und durften. In den Fällen, in denen es zu einer Diskussion zwischen dem Pfarrer und den Gemeindemitgliedern kam, konnte der Bischof als Schiedsrichter eingesetzt werden.4 2.1.1. Unterschied zwischen einem Männer- und Frauenbereich

Der Pfarrer hatte diesen rechtskräftigen Anspruch auf die Kontrolle des kirchlichen Raums seit der (französischen) Verordnung vom 30. Dezember 1809 inne und behielt ihn, nachdem Belgien unabhängig geworden war.5 Aufgrund dieser Verfügung hatte ein Pfarrer auch das Recht, in seiner Kirche als regulierende Macht aufzutreten. Wenn er es für das schickliche Verhalten der Laien und die gute Ordnung des Gottesdienstes als nötig erachtete, konnte 4 Das war zum Beispiel im Jahr 1873 der Fall, als der Burggraf D’Hendecourt und der Pfarrer D’Hondt den Bischof von Gent, Henri Bracq, über ihre Diskussionen über die neue Sitzordnung in der Kirche von Bellem informierten. Archiv der Diözese Gent, Henri Bracq, C.51, Briefe über die Diskussion, 5–18/7/1873. 5 o. V., Décret, 439; Van Hove, La jurisprudence.

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Tine Van Osselaer

er einen Unterschied zwischen dem Männer- und Frauenbereich der Kirche einführen.6 Wenn ein Mann im Frauenbereich Platz nahm oder umgekehrt, konnte er ihn oder sie dazu verpflichten, den Platz aufzugeben. Gab es Widerstand, konnte das zu Rechtshandlungen Anlass geben, da in dem Moment ja die Zeremonie gestört wurde.7 Ein katholisches liturgisches Wörterbuch von 1824 gab an, dass es in den meisten katholischen Kirchen der Niederlande (also auch der südlichen Provinzen des späteren Belgiens) keinen Unterschied zwischen dem Bereich der Männer und dem der Frauen gab. Trotzdem weisen Quellen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auf diesen Brauch und die Schwierigkeiten hin, die daraus entstehen konnten.8 Man kann also davon ausgehen, dass der Brauch in manchen Gemeinden verschwand und in anderen üblich blieb. Warum ein Unterschied zwischen Männer- und Frauenseite in manchen Fällen ratsam erschien, ist erst in groben Zügen untersucht worden. Schicklichkeit, Angst vor sexueller Attraktivität und unzüchtigen Gedanken werden von manchen AutorInnen als Motiv gemeldet.9 Es gibt eine Reihe von Diskussionen über die Interpretation der Sitzordnung von Männern und Frauen. Das katholische liturgische Wörterbuch von 1824 gab an, dass Männer gewöhnlich auf der rechten und Frauen auf der linken Seite der Kirche Platz nahmen. Iso Müller und Jan Peters bestätigen diese Teilung: Sie weisen darauf hin, dass die rechte Seite einen „besseren“ Ruf als die linke hatte. Sie zitieren in diesem Zusammenhang Bibelstellen mit einer positiven Wertung der rechten Seite. Dennoch beurteilen andere AutorInnen den Platz der Frauen auf der linken Seite auf eine positivere Weise. Sie weisen darauf hin, dass dies der Platz von Maria am Fuß des Kreuzes war und sich die Marienkapelle oft auf dieser Seite der Kirche befindet.10 Andreas De Cuyper machte in seinem Handbuch von 1929 noch einen anderen Vorschlag. Er wies darauf hin, dass man die Sitzverteilung aus Sicht des Altars anschauen müsse. Dann sitzen nämlich Frauen auf der rechten Seite, der Seite

6 o. V., Jurisprudence 1880, 515. 7 o. V., La distribution. Ähnlich: o. V., Jurisprudence 1892, 320. 8 Grundmayr, Liturgisch Woordenboek, 179. Verweis auf die verschiedenen Abschnitte: z. B. in Questions posées, c. 857–858 (in den ländlichen Gemeinden der Diözese von Lüttich war es noch immer in ungefähr 49 von 50 Fällen der Fall). 9 Aston, Segregation, 241; Peters, Der Platz, 81; Berger, Gender, 58. 10 Diese diagonale Teilung der Kirche war (spätestens) schon im 5. oder 6. Jahrhundert vorhanden und bot nur selten Anlass zur Diskussion. Müller forschte über die Ausnahmen und studierte Kirchen, wo Frauen auf der rechten und Männer auf der linken Seite Platz nahmen. Oft war die lokale (spätere) Erklärung für diese Devianz die Tatsache, dass Frauen an einer wichtigen Schlacht teilgenommen oder Feinde des Glaubens verjagt hatten. Müller, Frauen. Über den Unterschied bei Kirchensitzplätzen siehe auch Peters, Der Platz, 78; French, The Good Women; Gilchrist, Gender, 150; Berger, Gender, 54, 56. Susan Karant-Nunn merkt in ihrer Arbeit über frühmoderne Hochzeitspredigten an: „Just as women and girls stood or sat on the left (north) side of the sanctuary with its negative associations and men and boys on the right (south), so the preachers’ universe was divided between the weak and the strong.“ Karant-Nunn, Fragrant wedding roses, 37f.



Männer in der Kirche

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des Evangeliums, des Katheders, der Kapelle der Mutter Gottes und der Predigt. Kurzum, sie sitzen auf dem Ehrenplatz.11 2.1.2. Zugang zu den verschiedenen Bereichen der Kirche

Die Differenzierung zwischen Männern und Frauen bedingte auch zwei weitere räumliche Grenzen. In ihren Handbüchern wurden die Kleriker daran erinnert, dass es nach dem kanonischen Recht den Frauen nicht gestattet war, den Chor der Kirche zu betreten – auch dann nicht, wenn sie die Frau eines Kirchendieners (Suisse) oder Küsters (koster) waren und dort Kerzen anzünden wollten. Dennoch, so bemerkte Jules Jacquin im Jahr 1848, achteten viele Frauen seiner Zeit nicht auf dieses Verbot. Sie zögerten nicht, dort während Hochzeitszeremonien Platz zu nehmen, und saßen dort nicht einmal ordentlich gekleidet.12 Übrigens bestätigte das Motu Proprio „Tra le sollecitudini“ von Pius X. (22. November 1903), dass Frauen kein Mitglied eines Chors sein dürften und daher auch keinen Grund haben konnten, den Chorraum der Kirche zu betreten.13 Genauso war es den Frauen verboten, sich dem Altar zu nähern, um z. B. Bücher zu bringen, oder als Ministrantinnen zu fungieren.14 Die in diesen Handbüchern erwähnten Grenzen dokumentieren die Bedeutung von räumlicher Ordnung für Geschlechtsverhältnisse. Roberta Gilchrist hat in ihrem Buch über religiöse Frauen darauf hingewiesen, dass Raum „sehr wichtig ist für Genderidentitäten“. Studien über Gender und Raum müssen untersuchen, wie Raum die Kenntnis, wie man sich als Mann oder Frau in der Gesellschaft zu verhalten hat, bestätigen oder transformieren kann.15 Sie betont, dass Raum Gender nicht nur reflektiert; sowohl Raum als auch Gender „können abhängig von wechselnden kulturellen Metaphern im Laufe der Zeit Bedeutung wechseln“.16 Jorunn Økland weist darauf hin, dass die beide Dynamiken des Gendersystems, Segregation (Tabu des Genderblending) und Hierarchie (die maskuline Norm) den rituellen Raum strukturieren oder – eher noch – ihm Form geben. Beide Prinzipien, Segregation und Hierarchie, wurden ja gerade dargelegt. Mit Hinweis auf die Erörterung von Paulus über die rituelle Zusammenkunft der Korinther führt Økland an, dass die Passage in 1 Kor 11–14 „die ekklesia als einen männlichen Raum“ strukturiert und gendert.17

11 De Cuyper, Liturgisch Handboek, Bd. 1, 40. 12 Jacquin, Dictionnaire, 265; de Rivières, Manuel, 466. 13 Sogar gemischte Chöre wurden so beschrieben, als stünden sie im Gegensatz zu den apostolischen und kirchlichen Vorschriften. G. S., Eenige woorden, 8. 14 Valentin, Examen, Bd. 2, 85. 15 „[…] primary to the construction of gender identity. Studies of gender and space must ask how space reinforces or transforms one’s knowledge of how to proceed as a man or woman in one’s society.“ Gilchrist, Gender, 151. 16 „[…] may change meaning over time, according to changing cultural metaphors.“ Ebd. 17 „[…] structures and genders the ekklesia as a male space“, unter anderem durch Vorschriften mit Blick auf Sprache und Kleidung. Økland, Men, 159.

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Kurz zusammengefasst enthüllten die Begrenzungen der Möglichkeit von Frauen, sich frei in der Kirche zu bewegen, nicht nur die anhaltende Bedeutung der Differenzierung, sondern auch die Disziplinierungsversuche der Kirche und deren schwierige Haltung gegenüber Frauen als den womöglich gefährlichen „Anderen“. Beide Strategien, Segregation und Hierarchie, zeigten sich aber nicht nur in den Sitzplätzen und der Zugänglichkeit der Räume, man kann sie auch in anderen visuellen Elementen des Kirchenbesuchs bemerken. 2.2. Kleidung im Unterschied zu Frauen

Männer und Frauen hatten nicht nur einen unterschiedlichen Zugang zu verschiedenen Bereichen der Kirche oder unterschiedliche Sitzplätze, sie hatten sich auch an unterschiedliche Kleidungsvorschriften zu halten. Seit der apostolischen Ära wurde von Frauen erwartet, dass sie ihr Haupt bedeckten, wenn sie zur Kirche gingen.18 Die Heilige Kongregation der Riten bestätigte die Vorschrift am 27. Mai 1876 und wies darauf hin, dass Frauen ihr Haupt nicht nur während der kirchlichen Zeremonien bedecken sollten, sondern auch, wenn sie eine persönliche Devotionshandlung ausführten.19 Diese Vorschrift wurde auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erwähnt und scheint daher Fundament eines der stabilen (physischen) Elemente des sonntäglichen Kirchenbesuchs gewesen zu sein. Was sich natürlich änderte, war die Frauenmode (Schleier/Hut). Insbesondere waren es die neuen Haarschnitte des 20. Jahrhunderts, die eine Herausforderung darstellten, wie auch das Zitat am Anfang dieses Vortrags zeigt.20 2.2.1. Kopfbedeckung

Unter den geistlichen Autoren gibt es keinen Konsens über die Frage, warum von Frauen erwartet wurde, ihr Haupt zu bedecken. In den Handbüchern und Zeitschriften werden verschiedene Gründe angeführt. Alphonse De Liguori erwähnt in seinem Handbuch, 1873 neu herausgegeben, Kardinal Hugues, der angab, dass es „wegen der Engel“ sei. Er definierte dabei die „Engel“ als „die Priester“ und bemerkte, dass die Vorschrift dafür sorgen sollte, dass diese beim Anblick der Frauen keine unpassenden Gefühle entwickelten.21

18 1 Kor 11,4–6; Constitutiones Apostolicae lib. I, c.VIII. 19 o. V., Questions 1925, 492. 20 Jozef Van Haver zeigte in seiner Arbeit über den flämischen Katholizismus in den Jahren 1920–1950, dass Frauen einen Hut oder einen Schal trugen, während die Männer der Messe mit unbedecktem Haupt beiwohnten. Van Haver, Voor U, 34. 21 De Liguori, Dignité, 236: „L’Apôtre ordonna que la femme se tînt voilée dans l’église, propter Angelos; ce que le cardinal Hugues commente en ces termes: ‚Propter Angelos‘, id est, sacerdotes ne, in ejus faciem inspicientes, moverentur ad libidinem“ (in 1 Kor 11,10). Massillon notierte ebenfalls, der Apostel wünsche, dass Frauen einen Schleier trügen, damit sie die Reinheit des Priesters nicht in Gefahr brächten. Massillon, Sermons, Bd. 1, 265.



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Wenn wir uns aber einen Artikel in „L’Ami du clergé“22 ansehen (der 1930 veröffentlicht wurde), erhalten wir ein anderes Bild. Der Text beschreibt den Schleier und das lange Haar der Frauen als Symbole ihrer Unterlegenheit und Unterwerfung in der Beziehung zu ihren Ehemännern, denn Schleier und langes Haar zwangen sie, nach unten zu schauen. Ihre Männer dagegen wurden als die Ersten in „der Rangordnung, in Perfektion und Einfluss“ beschrieben. Die Autorität des Mannes hatte nicht nur zu Hause Geltung, sie hatte auch Geltung in der bürgerlichen und kirchlichen Gesellschaft. Frauen mussten daher dieses Zeichen der Macht ihrer Männer während kirchlicher Versammlungen tragen. Die „Engel“ waren in dieser Interpretation die guten Engel, die aus dem Himmel herab gekommen waren, um bei den Zeremonien dabei zu sein. Sie durften nicht durch Unordnung schockiert werden. In diesem Artikel ging man sogar noch ein bisschen weiter: Es wurde behauptet, dies sei auch der Grund, warum Frauen „natürlich“ langes Haar hätten und warum Männer als „Könige“ der Kreation ein unbedecktes Haupt haben müssten. Ein Mann, der seine Haare wachsen ließ, konnte als „effeminiert“ betrachtet werden und entehrte sich selber. Frauen mussten also ihr Haupt bedecken, während Männer entblößten Hauptes an der Messe teilnahmen. Ebenso wie die Sitzordnung passte auch der Haarschnitt von Männern und Frauen sowie deren Kopfbedeckung in die damals vertraute Differenzierung und Hierarchie der Geschlechter.23 2.2.2. Unschickliche Kleidung

Die Kleidungvorschriften bezogen sich aber auch auf die „unschickliche Kleidung“. Dieser „Kampf gegen die Mode“ war, wie Schulte in seinem Handbuch von 1936 bemerkte, so „alt wie die Kirche“.24 Schon in den Predigten des späten 18. Jahrhunderts finden wir Anmerkungen über die unsittliche Kleidung der Damen. Obwohl die Sonntagskleidung, die (saubere) beste Kleidung, die man nur anzog, um zur Kirche zu gehen, im Idealfall Respekt und Frömmigkeit ausstrahlte,25 beschwerten sich die Kleriker darüber, dass die Garderobe der Frauen oft eine eher profane Wendung genommen habe. Sie beklagten, dass die Messe sich zu einer Gelegenheit entwickelt hatte, bei der man wünschte, zu sehen und gesehen zu werden. Es waren vor allem die Frauen und deren auffällige Kleidung sowie ihr ausschließliches Interesse an der eigenen Garderobe, die die Kleriker anklagten. Arroganz 22 Eine französische Zeitschrift für Geistliche, die auch in Belgien zirkulierte. 23 „Le voile est signe d’infériorité et de sujétion“, „il est premier par le rang, par la perfection, premier par l’influence“, „la chevelure de l’homme est naturellement moins développée. L’homme doit avoir la tête libre et le front découvert parce qu’il est le roi de la création; sa chevelure est un diadème et un ornement.“ o. V., Questions 1930, 652f. 24 Schulte, Le prêtre, 262. 25 Siehe z. B. die in einem Bericht aus dem 19. Jahrhundert notierte Bemerkung des Apostolat de la Prière, dass alle Männer der Messe in ihrer Sonntagskleidung („en dimanche“) beiwohnten. Archive der flämischen Jesuiten (Löwen), Apostolat de la Prière/Bonden van het Heilig Hart, III.1, Berichtsbücher des Apostolat de la Prière, 22.01.1869.

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war in ihren Augen der wichtigste Antrieb zu diesem unpassenden Benehmen. 26 Aber Kleidung war ja nicht nur eine Methode, um Luxus zu zeigen: Kleidung hatte auch das Potenzial, den Unterschied zwischen den Geschlechtern auszudrücken und zu bestätigen. Die Pfarrer stellten daher ein wenig frustriert fest, dass die Frauen ihrer Gemeinde diesen Aspekt der Kleidung nur allzu gut kannten.27 Für sie war sie ein Mittel, das Interesse der Männer an diesem geweihten Ort auf sich zu ziehen. Nacktheit wurde als Unverschämtheit definiert, und die Kleriker versuchten, die Frauen dazu zu bringen, „alles“ zu bedecken und ihre Religiosität zu zeigen, indem sie sich angemessen kleideten.28 Im Notfall konnte man auch zu anderen Maßnahmen greifen, zum Beispiel zur Verweigerung der Kommunion.29 Obwohl die meisten Texte sich auf die Kleidung der Frauen beziehen, gibt es auch ein paar Ausnahmen im späten 18. Jahrhundert und in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts. Es sieht so aus, als ob die Männermode im späten 18. Jahrhundert dieselbe Blüte wie die der Frauen erlebte. Sie löste jedenfalls genauso kritische Kommentare aus. Es war den Klerikern ein Dorn im Auge, dass die männlichen Gemeindemitglieder häufig ihre Schnupfdosen öffneten, ihren Kleidern sehr viel Aufmerksamkeit schenkten und sich ein Taschentuch unter die Knie legten, wenn sie niederknieten.30 Diese meistens noch jungen Männer beschrieben die Kleriker als „feminisiert“, da Mode und die Sorge für Kleider angeblich eine Sünde seien, der nur Frauen zum Opfer fallen konnten oder durften.31 Massemin, ein Kanoniker aus Brügge, hielt diese Manieren und Handlungen eher für die eines Mädchens als eines Mannes. Er sah diese Art von Männern vor allem in der Elite und bezeichnete sie eher kritisch als „kleine Monsieurs“ und „Junkerchen“ („monsieurkes“ und „jonkerkens“).32 Trotzdem sieht es aus, 26 Massemin, Sermoenen. Op de feestdagen, Bd. 2, 82; ders., Sermoenen. Op verscheidene materien, Bd.  1, 81, 205; Tanghe, Sermoenen, Bd.  5, 334. Anmerkungen zu der schlichten Kleidung von biblischen Frauen wie Judith und Esther findet man z. B. in Valcke, Sermoenen, Bd. 4, 182. Nicht nur die unanständigen Kleider waren ein Dorn im Auge, sondern auch die luxuriösen und die unpraktischen, vor allem dann, wenn die Mode eine Art von Kleid diktierte, womit man nur schwer die Kirchenbänke passieren oder niederknien konnte. Hunolt, Christelyke zedeleer, Bd. 8, 41. 27 Für Kleidung als ein wichtiger „marker and constructor of gender identity“ siehe McKay, Gendering the body, 85, 88. 28 Massillon, Sermons, Bd. 1, 265. 29 Boone, Opuscules, Bd. 1, 33–38; o. V., De inhonesto feminarum vestiendi modo, 243. 30 Massemin, Sermoenen. Op de Sondagen, Bd. 3, 255. 31 Siehe z. B. die Bemerkungen von Stefan Dudink über die „feminisierten“ niederländischen Männer um 1800 und über den Einfluss, den dieser Diskurs auf die Kreation einer neuen bürgerlichen Moral hatte: „Aus dem Unbehagen über die Mode – und über das Verschwinden des Unterschieds zwischen den Geschlechtern infolge dieser Mode – hört man den bangen Gedanken heraus, dass nicht nur Modevorschriften, sondern auch Kulturphilosophie und Moral letztendlich auf Konventionen beruhen und nicht auf einer transzendenten Wahrheit“ [Übersetzung d. Verf.]. Dudink, Verwijfdheid, 41. 32 Massemin, Sermoenen op verscheidene materien, Bd.  1, 31. Der Typ, der hier beschrieben wird, gleicht dem „petit-maître“, einem Typ des niederländischen Bourgeois-spectator-Genres um 1800. Dieser „petit-maître“ besitzt auch eine inakzeptable Leidenschaft für Mode und will Frauen anlo-



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als ob die Männerkleidung im 19. Jahrhundert ganz langsam als Punkt klerikaler Besorgnis gestrichen wurde. Die Kritik hörte also auf, während die Männermode (der Elite) einfacher wurde.33 In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts rückte sie aber erneut ins Interesse. Schon 1929 publizierte der „Pastor Bonus“ einen Artikel, der die Kleriker vor den (höchst gefährlichen!) neuen Männerhosen warnte. Dabei zielte er auf die „Sinnlichkeit der neuen Mode“ ab, wie Karel Cruysberghs, der Autor, in diesem Zusammenhang bemerkte. Unter jungen Männern brachten diese Hosen eine „amitié particulière“ hervor. Nicht nur die kurzen Hosen waren Cruysberghs ein Dorn im Auge: Er beklagte auch, dass weit geöffnete Kragen einen Teil der Brust entblößten.34 Schulte war in seinem Handbuch aus dem Jahr 1936 genauso besorgt. Er beschwerte sich, dass Kleidungsfragen jetzt sämtliche männlichen Milieus beschäftigten, obgleich Männer lange Zeit kein Interesse für Mode gezeigt hätten. Auch für die Innovationen in der Männermode hatte er kein gutes Wort übrig. Er behauptete, „dass die Männermode genauso verweiblichte wie die Frauenmode vermännlichte“. Männerhosen und Hemden sähen inzwischen eher aus wie Frauenunterwäsche, während sie Männer in Eingeborene verwandelten. Er fühlte sich manchmal im Land der Wilden, wenn er Männer mit entblößtem Oberleib oder nur in Badehose sah.35 Die Anmerkungen über die Männermode der beiden Autoren standen natürlich nicht in direktem Bezug zur Kleidung, die Männer in der Kirche trugen, aber sie zeigen, wie auch die Männermode am Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr als unproblematisch betrachtet wurde. Es waren nicht nur die Frauenkörper, die mit Lust assoziiert werden konnten. Kurz gesagt: In den Augen der Kleriker würde die Bedrohung der guten Sitten abnehmen, wenn sowohl die katholischen Frauen als auch die Männer nicht die Neigung verspüren würden, dem Modegesetz statt den Regeln des katholischen Anstands zu gehorchen. 2.2.3. Kleidung und die Konstruktion des Geschlechterunterschieds

Abgesehen von unsittlicher Kleidung konnten Männer und Frauen also auch gegen die kirchlichen Vorschriften verstoßen, wenn sie sich nicht kleideten, wie man es ihrem Geschlecht vorschrieb. Wie auch der Haarschnitt musste die Kleidung einen Unterschied zwischen Männern und Frauen machen. Jede Übertretung der Geschlechtergrenzen sollte vermieden werden und wurde kritisiert. Wie das Tagebuch illustriert, das ich am Anfang dieses Beitrags zitiert habe, konnte ein Verstoß gegen diese Vorschriften kirchliche Sanktionen hervorrufen. cken. Kloek/Mijnhardt, 1800. Blauwdrukken, 170f. Beschwerde über „frauenhafte Jugend“ („wyfagtige jonkheyd“) findet sich ebenfalls in Reguis, De stemme, Bd. 3, 40. 33 Crane, Fashion, 5. Henk de Smaele merkte ebenfalls an, dass die Körper der Frauen in der visuellen bürgerlichen Kultur des 19. Jahrhunderts zwar überall präsent waren, die Männerkörper jedoch verschwanden. Sie hatten einen „unmarked body“ und „unmarked gender“; de Smaele, Een beeld, 16. 34 „Ze zijn feitelijk heelemaal op de zinnelijkheid der moderne mode berekend“; „[…] dat een breed opengeslagen kraag aan de jas ook de borst althans gedeeltelijk ontbloot“. Cruysberghs, De „modebroeken“, 87. 35 Schulte, Le prêtre, 277.

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Ähnliche Beschwerden und Sanktionen finden sich auch in anderen Ländern, z. B. Frankreich (wo behauptet wurde, solche Frauen würden unsittliche Gedanken hervorrufen) und den Niederlanden. Ellen Tops unterstellt, dass die Klagen über die Frauenhosen womöglich durch die Sichtbarkeit der Beine und der Schamgegend ausgelöst wurden. Das wichtigste Merkmal eines Kleides war ja das Kaschieren der Stelle, wo sich die Genitalien befanden. Sie fügt aber hinzu, dass diese Kommentare womöglich auch der Angst vor dem (geistigen) Wandel zuzuschreiben seien, den diese männliche Garderobe anzudeuten schien.36 Die amoralische Konnotation findet sich ebenfalls in den Kommentaren der Kleriker in „L’Ami du clergé“ wieder: „Abgesehen von Ausnahmen, die man so selten wie möglich machen sollte, muss die sexuelle Travestie als strengstens durch die Moral verboten betrachtet werden. […] Um natürlich zu sein, muss ihre Kleidung zu ihrer Konstitution, ihren Formen und ihren Ansprüchen passen. […] Gefördert von den Besonderheiten des Geschlechts und von praktischen Bedürfnissen, wird die weibliche Garderobe sogar zum distinktiven externen Merkmal: Die Frau trägt Röcke und der Mann eine Hose und das ist gut für alle.“ 37 Ihrer Meinung nach war die Frau des 20. Jahrhunderts nicht anders gebaut als die des 19. Jahrhunderts. Sie brauchte sich also nicht anders zu kleiden. Das gab Anlass zu Skandalen und weckte nur Lustgefühle. Der kurze Haarschnitt der Frauen war dann auch nicht nur gefährlich für ihre Gesundheit (so meinten die Kleriker), sondern erweckte auch „einen Eindruck von Leichtsinn und Lockerheit, der nicht viel Gutes für die Sittlichkeit verspricht“. Ästhetisch gesehen sei es auch kein Volltreffer, so meinte Karel Cruysberghs: Der Schnitt verleihe den Frauen ein Aussehen wie das „eines gerupften oder sich mausernden Vogels“.38 Kurz zusammengefasst: Sehen wir uns die Texte über das Benehmen in der Kirche an, fallen immer wieder drei Punkte auf. Erstens sollen sowohl die Sitzgelegenheit als auch die Kleidungsvorschriften die Differenz zwischen Männern und Frauen bestätigen. Zweitens sollen beide auch die sexuelle Anziehung und unsittliche Gedanken bei den Gemeindemitgliedern verhindern. Dieses Betonen der Kirche als Platz des Gottesdienstes und nicht eines Heiratsmarktes zeigt sich auch in den katholischen Predigten, in denen die Kleriker 36 „Daarbij ging het met name om de zichtbaarheid van benen en kruis. […] Want het meest kenmerkende van de jurk is de verhulling van de plaats van de genitaliën, die bij de broek onmiskenbaar zijn gelokaliseerd waar de pijpen samenkomen.“ Tops, Foto’s, 10. 37 „A part des cas tout à fait exceptionnels, et qu’il faut rendre aussi rares que possible, le travestissement sexuel doit être regardé comme rigoureusement interdit par la morale. […] Pour être naturel, son vêtement doit s’adapter à sa constitution, à ses formes, à ses exigences. […] Le costume féminin exigé par les particularités du sexe et ses nécessités pratiques en devient même le signe extérieur distinctif: la femme porte des jupes et l’homme un pantalon, et cela convient à chacun.“ o. V., Questions 1933, 433. 38 Cruysberghs, Kleederdracht, 26: „Deze laatste geeft aan de vrouw, in het kader der moderne kleederdracht vooral, een voorkomen van lichtzinnigheid en losheid dat voor de zedigheid niet veel goeds belooft, en een uitzicht van gepluimden of ruivenden vogel dat met schoonheid en esthetiek niets te maken heeft.“



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sich über den Kirchenbesuch als Alibi beschwerten, um einerseits einen Geliebten bzw. eine Geliebte zu treffen und andererseits die Kirche als Ort unsittlicher Flüstereien und Verabredungen zu missbrauchen.39 Olivier Hubert fasste es so zusammen: „Die Kirche war nicht nur die Szene von Ritualen, sie war auch der Ort, wo man das andere Geschlecht schätzte, beurteilte, und begehrte.“40 In den meisten Predigten wird das als eine männliche Sünde beschrieben; Frauen waren diesem „Blick“ unterworfen und wurden als „ihre Waren an den Mann bringend“ beschrieben, als ob sie auf dem Markt stünden und sich einen guten Platz aussuchten.41 So sieht es fast aus, als ob in diesen Predigten ein Unterschied zwischen einem aktiven und einem passiven Geschlecht gemacht wurde.42 Wir sollten das aber nicht zu weit treiben, da der unsittliche Augenkontakt und das Flüstern nicht als genderexklusiv beschrieben wurden: Männer schienen sich durchaus der Tatsache bewusst zu sein, dass auch sie beurteilt und als potenzielle amouröse Partner auserwählt wurden.43 Drittens wiesen sowohl die Sitzordnung als auch das unbedeckte Haupt auf eine höhere hierarchische Stellung der männlichen Laien im Vergleich zu derjenigen der Frauen hin. 2.3. Unterschied zu Geistlichen

Im kirchlichen Raum gab es aber auch noch eine weitere binäre Ordnung: die Unterscheidung zwischen männlichen Laien und Geistlichen. Im kirchlichen Raum hatten die Letzteren Zugang zu Bereichen der Kirche, die den männlichen Laien verschlossen blieben.44 Außerdem trugen sie eine Kasel, ein Kleidungstück, das wie die Soutane eher einem Kleid als einer Hose ähnelte. Wie auch in anderen Ländern war das eine immer wieder erwähnte Bemerkung der Antiklerikalen: Für sie war es ein Grund, an der Männlichkeit der Kleriker zu zweifeln.45 Aber wie auch schon Paul Airiau in Bezug auf französische Antiklerikale auffiel, war diese Deutung, Kleriker seien „keine richtigen Männer“, nicht deren einzige Kritik: Zugleich wurden sie auch als „hyperviril“ bezeichnet, als hätten sie eine besondere Anziehungskraft für Frauen.46 Für unseren Schwerpunkt, den kirchlichen Raum, ist es aber 39 Valcke, Sermoenen, Bd. 1, 122, und Bd. 4, 181; Hunolt, Uitgelezene sermoonen, Bd. 2, 270. Für eine Erörterung des Themas in einer antiklerikalen Zeitschrift siehe Cachinno, Het sacrament, 1. 40 „[…] the church, as well as being the scene of ritual, was a place where one gauged, judged, and desired the opposite sex.“ Hubert, Ritual Performance, 58. 41 Reguis, De stemme, Bd. 3, 81; Massemin, Sermoenen op verscheidene materien, Bd. 1, 205f. 42 Valcke, Sermoenen, Bd. 4, 181; D’Hoop, Sermoenen, Bd. 2, 77f. Zu „[w]omen as image and men as bearers of the look“ siehe Sheffield, Cover Girls, par. 18. 43 Reguis, De stemme, Bd. 3, 81. Der Blick der Frauen konnte also dem der Männer gleichen und war nicht nur moralisierend und disziplinierend, wie Kucklick andeutet. Kucklick, Das unmoralische Geschlecht, 272. 44 „For much of the past, a layman was much more restricted in his movements in church than a man who was a priest.“ Berger, Gender, 66. 45 Ein „weiblicher Rock“ wird in der antiklerikalen Zeitschrift „Paters en Nonnen“ erwähnt. o.  V., Fantasia, 3. 46 Airiau, La virilité, 248. Für Belgien siehe z. B. Morelli, Les thèmes, 19; o. V., Aardig geval, 3.

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wichtiger, hier darauf hinzuweisen, dass die Kleidung der Geistlichen, so meint Ellen Tops, ein doppeltes Ziel hatte: Sie neutralisierte die Geschlechteridentität (durch die Verhüllung der körperlichen Merkmale) und visualisierte Autorität.47

3. Männer in der Kirche: Gibt es sie? Religiöser Status und Geschlecht waren also zwei wichtige Faktoren in den Richtlinien für das Verhalten im sakralen Raum. Aber benahmen die Männer sich auch entsprechend diesen Vorschriften und fand man sie überhaupt in der Kirche? Eines der bekanntesten Vorurteile gegen die Religion lautete, dass Religion und Kirchenbesuch etwas „für Frauen“ sei.48 Anscheinend spielte dieses Vorurteil auch eine Rolle im Kirchengebäude, und die Priester sahen, dass sich ihre männlichen Gemeindemitglieder in der Nähe der Kirchenpforte aufhielten oder sogar im Freien.49 Das allgemeine Thema, das in diesen Beschwerden über den männlichen „Torwächter“ immer wieder auftauchte, war, dass Männer Angst hätten, als Frömmler („pilaarbijters“) betrachtet zu werden, und darum zu viel Angst vor der Meinung anderer haben würden.50 Solche Beschwerden findet man nicht nur in Belgien: Olivier Hubert, der über französisch-kanadische katholische Familien in der Messe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert forscht, fielen ähnliche Kritiken an den Männern auf. Er geht davon aus, dass ihr Benehmen, in diesem Fall das Verlassen der Kirche während der Predigt, nicht nur eine Bestätigung des geschlechtlichen Unterschieds implizierte, sondern auch eine Form der Selbstaffirmation war. Das Verlassen der Kirche unterstrich ihre Männlichkeit, da „Männer“ sich nicht dem Katechismus des Priesters unterwerfen wollten, weil er sie „ auf einen kindlichen Zustand reduzierte“. Die Predigtflucht bot seiner Meinung nach die Möglichkeit einer männlichen Sozialisation, indem die Männer sich im Freien vor der Kirche trafen.51 Auch in belgischen Predigtbüchern finden wir Absätze über diese Predigtflucht, aber die Beschwerden über die männlichen Torwächter waren häufiger.52 Auch diese Torwächter scheinen ein internationales Phänomen gewesen zu sein: Benjamin Ziemann wies schon auf ähnliche Beschwerden deutscher Priester um 1900 und in den 1950er-Jahren hin. Die deutschen Kleriker kritisierten

47 Tops, Foto’s, 12. 48 Duhayon, Onderrichtingen, 67; D’Hoop, Sermoenen, Bd. 7, 222. 49 Am Eingang oder sogar draußen: Girard, Sermoenen, Bd. 3, 19; o. V., Over de H. Mis. Die Ecke der männlichen Gemeindemitglieder wird zum Beispiel ausführlich beschrieben in: o. V., Het Pilatushoekske, 2. 50 Meinung anderer: Reguis, De stemme, Bd. 1, 38, und Bd. 3, 100. Die Angst der Männer vor der Meinung der anderen: o. V., Menschelijk Opzicht, 74; o. V., Mannen, 131. 51 Hubert, Ritual Performance, 60–63. 52 Predigtflucht: z.  B. in Beugels, Gemeenzame preken, Bd.  1, 66; Peeters/Monsieurs, De Christen, Bd. 2, 299.



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den Enthusiasmus der Männer, der anscheinend nur bis zum Eingang der Kirche hielt, wo sie rauchend auf das Ende der Messe warteten.53 Kurz zusammengefasst: Nicht nur der Platz in der Kirche, sondern auch der Aufenthalt am Rande des Kircheninneren oder sogar draußen vor dem Kirchengebäude trug zur Sozialisation des katholischen Mannes bei.

4. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts: Männer zeigen sich Obwohl das Problem des fehlenden Enthusiasmus der Männer schon früher signalisiert worden war, wurde es am Ende des 19. Jahrhunderts als ein neues „Problem“ dargestellt, auf das mit neuen Initiativen, oft Männer-exklusiv, reagiert werden müsse. Diese neuen Impulse sind möglicherweise auf die Demokratisierungsschübe (Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts im Jahr 1893) und die sozialen Spannungen zurückzuführen, wodurch es immer wichtiger wurde, alle katholischen Männer an die Kirche zu binden.54 Die Kirche als Zentrum der katholischen Gemeinde entwickelte sich zu einem wichtigen Ort der Visualisierung der „Männlichkeit“ des katholischen Glaubens. Denn es war nicht nur wichtig, die Männer in die katholischen Organisationen und Praktiken einzubeziehen, man wollte sie auch „zeigen“. Da die „Männlichkeit“ des katholischen Priesters oft kritisiert worden war, wurden jetzt (seit der Jahrhundertwende und vor allem in der Zwischenkriegszeit) nichtgeistliche katholische Männer ein Teil des Aushängeschildes des Katholizismus. Man wollte eine starke Kirche zeigen, wobei Stärke und Macht als männliche Prärogative galten. Männer standen nicht nur in der Kirche im Rampenlicht, sondern auch in „öffentlichen“ Räumen wie z. B. auf Massenversammlungen. Mehr und mehr Initiativen, die sich nur an Männer richteten, wurden auch im kirchlichen Raum organisiert – und nicht ausschließlich in Belgien. So konnten sich belgische Priester zum Beispiel Ideen in französischen Handbüchern für Priester holen, die auch in Belgien zirkulierten. Im Idealfall gelang es den Priestern, zu diesen Initiativen, z. B. Männermessen, viele Männer im Zentrum der Kirche zu versammeln. Um das Ganze zu bewerkstelligen, so meinte Jean Berthier, sollte man die Männer womöglich nicht für die Stühle zahlen lassen.55 Der Jesuit Prosper Baudot bemerkte in diesem Zusammenhang, dass es wahrscheinlich schwer sein würde, alle Frauen fernzuhalten. Möglicherweise werde sich die eine oder andere in die Seitenkapellen schleichen, aber „die Männer werden stolz sein, dass man ihnen einen eigenen Platz verschafft hat, dass das Kirchenschiff ihnen gehört“.56 Um es den Männern in der Kirche besonders angenehm zu machen, gab er den Priestern 53 54 55 56

Ziemann, Katholische Kirche, 50. Van Osselaer, The Pious Sex, 274. Berthier, Le prêtre, 110. „Il sera peut-être difficile d’éloigner les femmes, et je ne réponds pas qu’il ne s’en glissera point quelqu’une dans l’ombre des chapelles latérales; mais les hommes seront fiers de voir qu’on a fait pour eux place nette, que la nef leur appartient“. Baudot, Documents, Bd. 2, 78.

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sogar einige Tipps, wie sie ihre Kirche auf den Besuch der Männer vorbereiten konnten. Man sollte sie ein bisschen mit Blumen schmücken und genügend heizen, damit keine Gefahr bestehe, sich einen Rheumatismus zu holen. „Wollen Sie, dass Männer kommen, um Sie in der Kirche zu hören? Dann sollte sie sauber sein, gut geordnet, elegant – sofern möglich – und wegen ihrer Fröhlichkeit attraktiv.“57 In Belgien lässt sich das Interesse für das männliche Engagement beispielsweise an den Herz-Jesu-Bünden (für Männer) feststellen.58 Die Texte, die hinter den Kulissen für die Priester geschrieben wurden und sich auf diese Bünde bezogen, belegen klar und deutlich, dass das Sich-Zeigen der Männer bewusst in Szene gesetzt wurde. Die monatliche gemeinsame Kommunion aller Mitglieder des Bundes sollte symbolisieren, wie wichtig das Engagement der Männer (Familienoberhäupter und führende Persönlichkeiten der Gesellschaft) war und wie eng sie mit dem Leben der Kirchengemeinde verbunden waren. Da Männer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen, mussten sie auch im Zentrum der Kirche sitzen, also im Gebäude und weg von der Pforte. Sie sollten in der Nähe des Altars Platz nehmen und waren so für alle sichtbar.59 Für die Männer und männliche Jugendliche, die sich vorher wie „Ertrinkende krampfhaft an einem Wrack festhaltend“ beim Kirchenportal aufgehalten hatten, war das eine „richtige Revolution in ihrem Leben […] sie wag[t]en es endlich, für Jesus Zeugnis abzulegen“.60 Es war womöglich ein ungewöhnlicher Anblick, der den anderen Gemeindemitgliedern imponierte. Denn – so teilen uns einige von den Herz-Jesu-Bünden herausgegebene Zeitschriften mit – manche Frauen verdrehten sich den Hals, wenn sie die Männer so zusammensitzen sahen. Angeblich standen während der Männerkommunion manche Frauen sogar auf ihren Stühlen, um besser sehen zu können.61 Obwohl sowohl Männer als auch Frauen zum Laienapostolat aufgerufen wurden, war es vor allem das Engagement der Männer, das gezeigt werden sollte. Das wird aus den Warnungen an die Priester deutlich, dass Frauenbünde nicht so beeindruckend wie die Männerbünde werden dürften. Männliches Engagement war also wichtiger als das weibliche oder sollte wenigstens sichtbarer sein.62 Die Männer wurden dabei an ihre Pflichten als katholische Männer erinnert: Dort zu sitzen und zur Kommunion zu gehen war eine Kombination aus ihren Pflichten als katholischer Gläubiger und als Mann. Sie waren die Oberhäupter ihrer Familie und Führungspersönlichkeiten in der Gesellschaft. Sie wurden als eine „Bruderschaft“ von 57 „Qu’elle soit propre, bien arbitrée, élégante si c’est possible, attirante par sa gaieté.“ Baudot, Documents, Bd. 2, 73f. 58 Siehe für diese Herz-Jesu-Bünde: Van Osselaer, Masculinity. 59 Hardy, De communie, 157; Claus, Voor de Bonden, 107, 110. 60 „In de meest achterlijke parochies waar mannen en jongelingen zich krampachtig als drenkelingen aan een wrak vastklampen aan de uitgangsdeur en de pastoor ze niet verder kon krijgen dan den laatsten pilaar, komt men er toe ze eens in de maand vooraan in de middenbeuk te doen plaats nemen: een echte revolutie in hun leven. […] ja ze durven eindelijk voor Jezus vooruit komen.“ De Clippele, De communie, 37. 61 o. V., De eerste bondsmis, 2; Meesen, La belle histoire, 9. 62 Van Osselaer, From that Moment on, 130.



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Männern zusammengerufen, und es war ihre Männlichkeit – in diesem Fall ein engagiertes apostolisches Ideal katholischer Männlichkeit –, die sie verband. Obwohl die Symbolik der Bruderschaft und Verbundenheit die offizielle Diskussion prägte, gab es praktischere Gründe. So wussten die Priester, dass man am besten auch die männliche Psychologie einbezog, wenn man männerexklusive Initiativen organisierte. Sie gingen davon aus, dass Männer Angst vor der Meinung anderer hatten und man daher besser Gruppenaktivitäten organisierte, bei denen sich Männer von der Anwesenheit anderer Männer gestützt fühlten. Damit sie sich nicht alleine fühlten, setzte man sie am besten zusammen auf die Männerseite oder ins Zentrum der Kirche. Die „eigenen“ Stühle sollten bei diesen Anlässen auch am besten aufgegeben werden, sonst ginge man ja das Risiko ein, dass nicht alle verfügbaren Plätze in der Mitte der Kirche eingenommen würden und es noch immer „Tormänner“ gäbe. Am besten sollte der Pfarrer selber oder auch der Diakon die Männer dazu zwingen, die letzten unbesetzten Plätze einzunehmen, damit alle Männer in „Reih und Glied“ zur Kommunion antreten konnten und umso größeren Eindruck machten – eine Gruppe Männer in „Reih und Glied“, so hieß es, sei schließlich besser als „jeder Kirchenschmuck“.63 Dieser prominente Platz in der Kirche wies auf die zentrale Position der Männer hin. Er gab dem Katholizismus ein männliches Gesicht und vermittelte den Männern den Gedanken, dass ihre Stelle im Zentrum der Kirche, im Zentrum der katholischen Initiative war. Nur wenn sie sich nicht weigerten, diese zentrale Stelle einzunehmen, hatte eine neue christliche Welt eine Zukunftsperspektive. Der neue katholische Mann fand seine Aufgabe im Engagement für die Kirche und nahm seine Stellung im Zentrum der Kirche ein. Die neue katholische Männlichkeit baute auf diese Sichtbarkeit und Zentralität. Kurz zusammengefasst kamen also zwei männliche Idealbilder im kirchlichen Raum zum Ausdruck. Einerseits gab es das Ideal einer Bruderschaft, wobei es wichtig war, alle Männer in der Mitte der Kirche und Schulter an Schulter zusammenzusetzen. Diese Sitzordnung sollte idealerweise ein Gefühl der Gemeinsamkeit erzeugen. Andererseits war die Kirche auch ein Ort, wo das patriarchalische Idealbild zum Ausdruck kam: Männer, als Führungspersönlichkeiten der Gesellschaft, als Oberhäupter ihrer Familien und Frauen, konnten unbedeckten Hauptes zur Kirche gehen und hatten die „besseren“ Plätze. Diesen Vorschriften lag eine binäre Geschlechterkonstruktion zugrunde, die eine deutliche Machtkomponente umfasste: Männer wurden in den Texten der Geistlichen als „wichtiger“ und „einflussreicher“ bezeichnet.

5. Schlussfolgerungen Zusammenfassend können wir zum Verhältnis zwischen Männlichkeit und Kirche sowie zur Beeinflussung dieses Verhältnisses durch ein erhöhtes Interesse für das Engagement der Männer Folgendes feststellen: 63 „Een groep mannen in ’t gelid is meer waard dan een schone kerkversiering“. o. V., De mannen, 51.

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Erstens war die Kirche ein wichtiger Ort der christlichen Sozialisation, aber auch ein Ort, wo Männer zu Männern sozialisiert wurden, und zwar durch Sitzordnung und Kleidungsvorschriften, doch ebenfalls, wenn sie sich (vielleicht unter Gruppendruck) wie „typische“ Männer benahmen und sich in der Nähe der Pforte oder sogar außerhalb der Kirche aufhielten. Sie war ein Ort der Aufführung von Männlichkeit. Dort zeigten sie sich als Männer: den Frauen (als potenzielle Liebhaber) und den anderen Männern. Ihr Verhalten enthielt die Botschaft: „Ich benehme mich, wie ihr es tut, also kann nicht an meiner Männlichkeit gezweifelt werden.“ Zweitens war die Kirche auch ein Ort, wo die Hierarchie zwischen den Geschlechtern durch Sitzordnung und Kleidungsvorschriften hergestellt wurde. Frauen konnten die Kirche besuchen, aber die zentralen oder besser angesehenen Sitzplätze blieben – wie auch manche andere kirchliche Räume – den Männern vorbehalten. Drittens wurde der kirchliche Raum in dem Moment, wo man den männlichen Charakter des katholischen Glaubens zeigen wollte, ein Ort, wo das Engagement der Männer sichtbar gemacht werden konnte. Den Männern vermittelte diese Sitzordnung die Idee, dass ihr Platz nicht in der Nähe der Pforte, sondern im Zentrum der Kirche und im Zentrum der katholischen Welt war.

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KAPITEL 3

Pamela S. Nadell (Washington)

Die Feminisierungsthese und das amerikanische Judentum

In den 1960er-Jahren überspülte der Feminismus die Vereinigten Staaten wie eine Flutwelle und brachte neue Möglichkeiten an die Oberfläche, die praktisch keinen Lebensbereich von Frauen unberührt ließen. Die Wogen brandeten gegen die Religion und erfassten auch das amerikanische Judentum – mit dem Ergebnis, dass sich die Gegenwart, die Stimmen und die Rollen der Frauen innerhalb des jüdischen Lebens in Amerika jäh und überraschend veränderten.1 Während die anderen AutorInnen in diesem Band sich mit der Feminisierungsthese im Christentum auseinandersetzen, nimmt das vorliegende Kapitel die Feminisierungsthese zu Hilfe, um die Begegnung zwischen dem Feminismus und dem Judentum in Amerika besser zu verstehen. Als Tine Van Osselaer und Thomas Buerman die internationale Geschichtsschreibung im Hinblick auf die „Feminisierungsthese“ im Christentum untersucht haben, sind sie zu dem Ergebnis gelangt, dass die Feminisierung religiöser Gruppen je nach Konfession und geografischer Lage variiert.2 Es sollte also nicht überraschen, dass das Aufkommen des jüdischen Feminismus und die Neuerungen und Veränderungen, die er für die Rollen, die Rechte und die Verantwortlichkeiten der Frauen im amerikanischen Judentum des späten 20. Jahrhunderts mit sich gebracht hat, als Entwicklungen innerhalb der Religionsgeschichte einzigartig sind. Es ist hilfreich und auch innovativ, die von Van Osselaer und Buerman entwickelte Typologie aus vier Indikatoren für die Feminisierung religiöser Gruppen auf die sich wandelnde Genderlandschaft des amerikanischen Judentums im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts anzuwenden. Die erste Kategorie fragt danach, ob Frauen zum religiösen Personal gehören. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf weibliche Geistliche, sondern auch auf Frauen, die in kirchlich geführten Einrichtungen wie Krankenhäusern, Waisenhäusern und Entbindungsheimen arbeiten. Neben der Sichtbarkeit von Frauen im beruflichen Bereich 1 Unter den zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem Thema vgl. z. B. Fishman, Breath of Life; Lipstadt, Feminism and American Judaism; Nadell, Bright New Constellation. 2 Van Osselaer/Buerman, Feminization Thesis, 512.



Die Feminisierungsthese und das amerikanische Judentum

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stützt sich die feministische These auf Belege für die „Feminisierung der Gläubigen“. Sind Laiinnen zunehmend an kirchlichen Freiwilligenaktivitäten beteiligt? Während sich diese beiden Kategorien auf die Präsenz und das Engagement von Frauen beziehen, sucht die dritte – „Veränderungen im Wesen der Religion“ – nach Anzeichen für eine Veränderung religiöser Inhalte durch die Integration „weiblicher Sensibilitäten“.3 Eine vierte Kategorie schließlich, die Van Osselaer und Buerman als „diskursive Feminisierung des Christentums“ bezeichnen, befasst sich mit veränderten christlichen Frömmigkeitsbegriffen. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die christlichen Diskurse betont, dass die „Vorstellungen von Frömmigkeit im Kern männlich waren“, während sie die Frauen als die verführerischen und gefährlichen Töchter der Versucherin Eva darstellten. Die „diskursive Feminisierung“ drehte diese Polarität um. Vor allem nach 1800 verortete der christliche Diskurs die Frauen als fromme Akteurinnen im moralischen Zentrum ihrer Familien.4 Der vorliegende Beitrag wird diese vier Kategorien ‒ zwangsläufig in leicht modifizierter Form ‒ zur Anwendung bringen, um die zunehmende Feminisierung großer Teile des amerikanischen Judentums im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts und bis ins 21. Jahrhundert hinein nachzuweisen.

1. Frühe Anzeichen der Feminisierung im amerikanischen Judentum Schon im 18. Jahrhundert begann die amerikanische Synagoge sich in bis dahin nicht gekannter Weise auf die weiblichen Gottesdienstbesucherinnen einzustellen. Wie die Historikerin Karla Goldman gezeigt hat, hatten die ersten Synagogen, die in BritischNordamerika gebaut wurden, die traditionelle jüdische Sitte aufrechterhalten und für Männer und Frauen getrennte Sitzbereiche vorgesehen. Als aber 1762 in der britischen Kolonie Newport in Rhode Island die erste Synagoge errichtet wurde, griff man zu einer architektonischen Neuerung und verzichtete auf die hohen Gitter, durch die üblicherweise die Frauenbalkone in den europäischen jüdischen Gotteshäusern abgeschirmt wurden. Diese Gitterwände schirmten die Frauen zum einen von den Blicken der unten betenden Männer ab und verstellten den Frauen zum anderen die Sicht auf die gottesdienstlichen Handlungen, die ebenfalls ebenerdig stattfanden. So entstand in den frühen amerikanischen Synagogen ein neuer Typus von offenen Galerien, die es den oben sitzenden Frauen ermöglichten, den Gottesdienst unten mitzuverfolgen, und es den unten betenden Männern erlaubten, zu den Frauen auf den Balkonen hinaufzusehen.5 Nach 1851 wurden die Frauengalerien in einer wachsenden Zahl amerikanischer Synagogen schließlich ganz abgeschafft, und die Ehepaare konnten in Familienbänken beieinandersitzen.6 Diese veränderte Platzierung der 3 4 5 6

Ebd., 499‒511. Ebd.; Pasture, Feminization Thesis, 10. Goldman, Synagogue Gallery, 40‒50. Sarna, Debate over Mixed Seating.

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jüdischen Frauen in ihren amerikanischen Synagogen sollte einer Entwicklung den Boden bereiten, die Ende des 19. Jahrhunderts als ein störender Trend zu einer Feminisierung des Laienstandes wahrgenommen wurde.7 Unterdessen schufen und unterhielten jüdische Frauen in ganz Amerika – von denselben Motiven angespornt wie christliche Frauen überall auf der Welt ‒ ihr eigenes Netzwerk örtlicher Wohltätigkeitsorganisationen, um den Armen zu helfen und für die Waisen zu sorgen. Nachdem Rebecca Gratz 1838 in Philadelphia die erste jüdische Sonntagsschule gegründet hatte, fanden jüdische Frauen auch als deren Schülerinnen und Lehrerinnen eine neue Rolle.8 Wenn, wie Van Osselaer und Buerman postulieren, die „Feminisierung des religiösen Personals“ einen entscheidenden Maßstab für die „Feminisierung der Religion“ darstellt, dann ist die Tatsache, dass amerikanische Jüdinnen neue Wohltätigkeitsvereine leiteten und sich auch im – traditionell den Männern vorbehaltenen ‒ Bereich der jüdischen Bildung betätigten, ein Beleg dafür, dass die Feminisierung im Leben der amerikanischen Juden des 19. Jahrhunderts bereits im Gange war. Gegen Ende dieses Jahrhunderts und insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg entstanden große nationale jüdische Frauenverbände, womit sich die Möglichkeiten der ehrenamtlichen Tätigkeit für jüdische Frauen erheblich erweiterten. Nun waren Jüdinnen mit ähnlichen Interessen an bestimmten Ausdrucksformen der jüdischen Religion, Politik oder Wohlfahrtspflege, ganz gleich, ob sie in New York oder in Kalifornien lebten, landesweit vernetzt. 1893 wurde beispielsweise auf dem Weltparlament der Religionen in Chicago der „National Council of Jewish Women“ (NCJW) gegründet: der erste jüdische Frauenclub in Amerika.9 Zehntausende und schließlich Hunderttausende von Frauen schlossen sich dieser und anderen Organisationen an, die nach und nach entstanden, so etwa der amerikanischen zionistischen Frauenorganisation „Hadassah“ (1912) oder den Schwesternschaften der örtlichen Synagogen, die sich innerhalb der Konfessionen nach und nach in nationalen Verbänden vereinigten (Reformjüdinnen 1913; Konservative 1918; Orthodoxe 1923).10 Genauso wie Christinnen, die gleichzeitig einer kirchlichen Gruppe, einem örtlichen Frauenclub und der Elternvertretung angehören konnten, waren auch unter Jüdinnen Parallelmitgliedschaften in mehreren jüdischen Frauenorganisationen möglich.11 Deshalb wissen wir nicht genau, wie viele Frauen zu diesen Organisationen zählten. Dennoch spricht die Wahrnehmung ganzer 7 Zur überwiegend weiblichen Beteiligung an den wöchentlichen Gottesdiensten vgl. Goldman, Public Religious Lives. 8 Zu Gratz, die den ersten Wohltätigkeitsverein für jüdische Frauen, die erste jüdische Sonntagsschule und das erste Waisenhaus für jüdische Kinder in den Vereinigten Staaten gründete, vgl. Ashton, Rebecca Gratz. Women and Judaism. Vgl. ebenso dies., Rebecca Gratz. Zu jüdischen Frauen und Waisenhäusern vgl. Sigman Friedman, These Are Our Children. 9 Zum NCJW vgl. Rogow, Gone to Another Meeting. 10 Zu Hadassah vgl. z. B. Simmons, Hadassah. Zu den Frauen des Reformjudentums vgl. Balin, Sisterhood. 11 Vgl. hierzu Wenger, Jewish Women.



Die Feminisierungsthese und das amerikanische Judentum

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Heerscharen von Frauen, die sich in ihren Synagogen und auch außerhalb versammelten und für eine Vielzahl jüdischer Anliegen eintraten, für eine sichtbare „Feminisierung der Gläubigen“ in der jüdischen Gemeinschaft gerade in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Es ist dringend erforderlich zu erkennen, dass das aber nicht heißt, dass die amerikanischen jüdischen Männer ihre Führungsrolle im amerikanischen Judentum damit aufgegeben hätten. Im Wesentlichen arrangierte sich das jüdische Leben in Amerika mit den neuen Möglichkeiten der Frauen, ohne dass dies der Führung und den Rollen der Männer irgendeinen Abbruch tat. Selbst wenn die Rabbiner – was schon Ende des 19. Jahrhunderts zumindest in den Reformsynagogen der Fall war – missbilligend darauf hinwiesen, dass die weiblichen Gesichter die der Männer beim Gottesdienst zahlenmäßig übertrafen,12 waren es im jüdischen Leben nach wie vor die Männer, welche die Zügel der Macht in den Händen hielten. Bis zur Mitte des Jahrhunderts konnten nur Männer Rabbiner werden, und die politische und finanzielle Führung der Synagoge oblag ausschließlich Männern. Mit Ausnahme der Frauenverbände standen in allen nationalen jüdischen Organisationen wie z. B. B’nai B’rith die Männer an der Spitze. Wenn jüdische Frauen in dieser Zeit Führungspositionen innehatten, dann leiteten sie andere Frauen oder kümmerten sich um „Frauenarbeit“, d. h. um Frauen und Kinder, die weniger Glück gehabt hatten als sie selber. Das ist ein wichtiger Punkt, denn obwohl einige Elemente der Feminisierungsthese in der amerikanischen jüdischen Gemeinschaft schon lange vor der zweiten Feminismuswelle nachweisbar sind, muss doch berücksichtigt werden, dass es bei der Feminisierung des amerikanischen Judentums eher darum ging, neue Formen weiblicher Beteiligung zu finden, als darum, die männliche Hegemonie im Leben der amerikanischen Juden und Jüdinnen infrage zu stellen.

2. Die Konfrontation: Feminismus versus amerikanisches Judentum Auch wenn der Platz und der Raum, die Sichtbarkeit und die Möglichkeiten amerikanischer Jüdinnen sich lange vor den 1960er-Jahren zu entwickeln begannen, besitzt doch die zweite Feminismuswelle als Klimax der Umgestaltung und damit einhergehenden Feminisierung des amerikanischen Judentums einen ganz eigenen Stellenwert. Im Laufe weniger Jahrzehnte veränderte der jüdische Feminismus das Leben der amerikanischen Jüdinnen und Juden von Grund auf. Nach einer jahrhundertelangen öffentlichen Debatte errangen Frauen das Recht, Rabbinerinnen zu werden, womit sich das Gesicht des jüdischen religiösen Personals für immer veränderte.13 Im Zuge der „Feminisierung der Gläubigen“ gelangten jüdische Frauen ‒ als Rabbinerinnen, Synagogenvorsteherinnen und Vorsitzende diverser Organisationen ‒ innerhalb ihrer Gemeinden in Machtpositionen, in denen sie gleichermaßen über Frauen wie auch über Männer zu bestimmen hatten. „Veränderungen im Wesen der 12 Vgl. z. B. Goldman, Synagogue Gallery, 214. 13 Nadell, Women Who Would Be Rabbis.

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Religion“ erfolgten, als das Judentum neue Riten, Rituale und Verhaltensweisen integrierte, die „weibliche Sensibilitäten“ spiegelten. Und schließlich machte eine „diskursive Feminisierung“ neue Ausdrucksformen der Frömmigkeit jüdischer Frauen geltend. Zusammengenommen beweist dies, dass die Feminisierungsthese für das amerikanische Judentum an der Schwelle zum 21. Jahrhundert zutrifft. Obwohl der Feminismus in den Vereinigten Staaten während des ganzen 20. Jahrhunderts zu- und abnahm, wurden seine Forderungen nach der Gleichstellung von Frauen in den 1960er-Jahren durch eine Reihe von Ereignissen in den Blickpunkt gerückt. Mit der Gründung der Kommission zum Status der Frauen durch Präsident John F. Kennedy 1961 wurde „die Existenz einer genderbedingten Diskriminierung in der amerikanischen Gesellschaft implizit anerkannt“.14 Als die jüdische Hausfrau und Journalistin Betty Friedan 1963 „The Feminine Mystique“ veröffentlichte, dokumentierte sie damit die Unzufriedenheit ihrer Generation von College-Absolventinnen, die sich darüber beklagten, dass ihre Talente im engen Radius ihrer Nachkriegs-Vorstadthäuser auf unverantwortliche Weise vergeudet werden würden.15 Mit dem „Equal Pay Act“ (Gesetz über gleiche Bezahlung) von 1963 und dem „Title VII“ des „Civil Rights Act“ von 1964 gab der US-Kongress Frauen die Möglichkeit, etwas gegen diese Unzufriedenheit zu unternehmen. Title VII verbot die Geschlechter- und Rassendiskriminierung in der Arbeitswelt. Als jedoch nach drei Jahren klar geworden war, dass die Regierung nur wenig Interesse daran hatte, auf Klagen von Frauen zu reagieren, die sich am Arbeitsplatz benachteiligt fühlten, gründeten erzürnte Feministinnen die „National Organization for Women“ (NOW), um die Gesetzgeber zu zwingen, die von ihnen verabschiedeten Gesetze auch in die Tat umzusetzen.16 Bis Ende der 1960er-Jahre entwickelte sich der Feminismus in eine schwindelerregende Vielzahl neuer Richtungen. Seit Ende der 1970er-Jahre wird er als Feminismus der zweiten Welle bezeichnet, um ihn von der ersten Welle im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu unterscheiden, der zur Durchsetzung des Frauenwahlrechts im Jahr 1920 geführt hatte.17 Feministinnen der zweiten Welle haben eine breite Palette rechtlicher, politischer und sozialer Ungerechtigkeiten hinterfragt. Sie forderten die Abschaffung von Stellenangeboten mit Zusätzen wie „Hilfe gesucht – männlich“. Sie gingen für eine Legalisierung der Abtreibung auf die Straße. Sie prägten den Slogan „Sisterhood is Powerful“ und meinten ihn auch

14 Rupp/Taylor, Survival in the Doldrums, 166. 15 Friedan, Feminine Mystique. 16 Das Aufkommen der zweiten Welle des amerikanischen Feminismus ist viel diskutiert, vgl. u.  a. Chafe, Paradox of Change; Rosen, World Split Open. 17 Zum Begriff des „Second-Wave-Feminism“ (Feminismus der zweiten Welle) vgl. https://books. google.com/ngrams/graph?content=second-wave+feminism&year_start=1800&year_end=2000&corpus=15&smoothing=3&share=&direct_url=t1%3B%2Csecond%20-%20wave%20feminism% 3B%2Cc0 (abgerufen am 07.01.2014).



Die Feminisierungsthese und das amerikanische Judentum

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genauso. Und in direkter Konfrontation mit der großen amerikanischen Vergangenheit überwanden sie sogar die Genderbarriere in der Kinder-Baseball-Liga „Little League“.18 Bis 1970 hielt eine „groß angelegte Medienkampagne“ die Öffentlichkeit über Frauen auf dem Laufenden, die historische Genderbarrieren einrissen. Manche Zeitungsstorys handelten vom Ringen der amerikanischen Religion mit der feministischen Kritik. Schlagzeilen verkündeten: „Women’s ‚Lib‘ on the March in the Churches“ („Frauenbefreiung auf dem Vormarsch in Richtung Kirchen“). Die Nationale Frauenorganisation richtete zum Thema Frauen und Religion eine ökumenische Arbeitsgruppe ein. Protestantische Konfessionen, die zuvor noch keine Frauen ordiniert hatten, ließen Frauen zum Priesteramt zu. Aus alledem ergab sich das Bild eines Feminismus, der die Bastionen der amerikanischen Religion erstürmte.19 Manche Zeitungsartikel dokumentieren die ersten Begegnungen zwischen der zweiten Feminismuswelle und dem amerikanischen Judentum. Die Magazine „Time“ und „Newsweek“ berichteten über Sally Priesand, die am Hebrew Union College die Rabbinerausbildung absolvierte und „Rabbi Sally“ werden wollte.20 Die „New York Times“ entdeckte Hilda Abrevaya, die erste Kantorin in den Vereinigten Staaten.21 Die jüdische Studentenpresse druckte Beiträge, die einen Zusammenhang zwischen der feministischen Kritik und dem amerikanischen Judentum herstellten,22 und zeigte schon damals, dass jüdische Frauen „im Schatten der Frauenbewegung eine Reihe gesonderter Fragestellungen“ aufwarfen.23 Diese ersten „Fragestellungen“ kamen von jüdischen Collegestudentinnen und Doktorandinnen, die sich in einem inneren Zwiespalt befanden: Der Feminismus stellte ihnen intellektuelle und spirituelle Gleichstellung mit ihren männlichen Kollegen in Aussicht, doch im Judentum galten sie sowohl innerhalb der Synagoge als auch im Rahmen des jüdischen Gesetzeskorpus als Menschen zweiter Klasse.24 Andere FragestellerInnen waren weibliche Führungspersönlichkeiten der jüdischen Gemeinschaft wie Jacqueline K. Levine, Vizepräsidentin des „Council of Jewish Federations and Welfare Funds“, der Schirmorganisation von Hunderten örtlicher jüdischer Gemeindeverbände, die Gelder für Wohlfahrtspflege 18 Zur Little League vgl. Nadell, Jewish Women and Baseball. Eine Chronologie der anderen Entwicklungen bietet Rosen, World Split Open. 19 Nadell, Women Who Would Be Rabbis, 152, 161f. 20 Vgl. die Artikel „Rabbi Sally“, in: Newsweek, 23.02.1970, 89, und „Women at the Altar“, in: Time, 02.11.1970, 71ff. 21 Vgl. Spiegel, A First in the States. 22 Silverstein, Evolution of Ezrat Nashim, 45f. 23 Lapidus Lerner, Who Has Not Made. 24 Weitere Darstellungen zum Aufkommen des jüdischen Feminismus bieten z. B. Sigman Friedman, Jewish Feminist Movement; Fishman, Breath of Life. Diese Darstellungen lassen allerdings außer Acht, dass eine alte Garde wie etwa Jane Evans, geschäftsführende Direktorin der „National Federation of Temple Sisterhoods“, und die Journalistin Trude Weiss-Rosmarin schon lange vor Ende der 1960er-Jahre feministische Themen vorangebracht hatte. Zu Evans’ und Weiss-Rosmarins Feminismus vgl. Nadell, Women Who Would Be Rabbis, 123, 125, 127ff., 131‒135.

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und Bildung aufbringen, um das jüdische Leben zu Hause und im Ausland zu unterstützen. 1972 sagte Levine vor der Generalversammlung des Council: „Die Frauen erklären in klaren und weithin schallenden Sprechchören, dass sie nicht länger Bürger zweiter Klasse sein werden.“25 Gemeinsam bereiteten diese Frauen den Boden für ein ganzes Bündel religiöser Veränderungen und Neuerungen, die ich andernorts als die „Konstellation Jüdischer Feminismus“ bezeichnet habe.26 Zu seinen frühen Architektinnen gehörten die Frauen von „Ezrat Nashim“, deren „Ruf nach einer Beendigung des zweitklassigen Status der Frauen im jüdischen Leben“ 1972 weithin widerhallte. Als Jüdinnen fühlten sie sich eng mit der jüdischen Tradition verbunden, doch als Feministinnen waren sie zutiefst verstört von der Einseitigkeit, mit der das Judentum die Männer in den Bereichen Bildung und Gebet bevorzugte. In ihrem Manifest „Jewish Women Call for Change“ („Jüdische Frauen fordern Veränderung“) verlangten sie, dass Frauen vollwertige Mitglieder der Synagoge wurden; dass sie bei der für den Gottesdienst erforderlichen Mindestanzahl von zehn – traditionell männlichen ‒ Betenden („Minjan“) mitzählten; dass sie in der Synagoge und in der Gemeinschaft Führungsrollen übernehmen durften; dass Frauen das Recht bekamen, in jüdischen Gerichtsprozessen als Zeuginnen aufzutreten und die Scheidung einzureichen, was das jüdische Recht ihnen bisher verwehrt hatte; und dass Frauen Seminare besuchen durften, in denen jüdische Geistliche ausgebildet wurden. Obwohl die ersten Forderungen von „Ezrat Nashim“ ursprünglich an die Konfession der konservativen Jüdinnen und Juden gerichtet waren, brachte die Publicity, die die Frauen in der nationalen Presse erhielten, den jüdischen Feminismus an die Öffentlichkeit.27 Wie der Feminismus der zweiten Welle, der den Funken hatte überspringen lassen, war auch der jüdische Feminismus dezentralisiert. Er kam überall dort auf, wo Frauen den Feminismus mit dem Judentum, ihrem jüdischen Leben und ihren jüdischen Gemeinden verknüpften. Den jüdischen Feminismus kennzeichneten vielfältige Ziele, eine innere Diversität, die oft entlang der konfessionellen Grenzen aufbrach, wo die Unterschiede innerhalb des Feminismus und des Judentums aufeinandertrafen, und das Bestreben, die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen und dennoch genderbedingten Unterschieden Raum zu geben. Der jüdische Feminismus sollte die Genderbeziehungen in einer Weise zu verändern suchen, die das Privatleben jüdischer Frauen und Männer und ihrer Familien, ihre Synagogen und die verschiedenen jüdischen Konfessionen in Amerika sowie das gesamte Netzwerk von Agenturen, Wohlfahrtsstiftungen, Interessenvertretungen und Gemeindezentren betraf, auf die sich das amerikanische Judentum stützt. 25 Levine, Changing Role. 26 Vgl. Nadell, Bright New Constellation. 27 Der Name Ezrat Nashim bezeichnet nicht nur den Frauenhof des alten Jerusalemer Tempels, sondern bedeutet außerdem „Frauenhilfe“. Zur Gruppe Ezrat Nashim vgl. Silverstein, Evolution of Ezrat Nashim, und den Artikel von Nemy, Young Women, 43. Zum Wortlaut ihres Manifests siehe dies., Jewish Women Call for Change.



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Die erste Nationale Jüdische Frauenkonferenz, die 1973 stattfand, thematisierte genau die Punkte, die später die Konstellation Jüdischer Feminismus bilden sollten: die Rolle der jüdischen Frau innerhalb der Familie; ihr Status im jüdischen Recht, im Staat Israel und im jüdischen Gemeindeleben; ihre Stellung in der jüdischen Gemeinschaftspolitik und in der Synagoge; und ihr Zugang zu religiösen Texten und zur Bildung. Schon jetzt wurden Themen angesprochen, die den jüdischen Feministinnen in den folgenden Jahren eine Menge an Kreativität abverlangen sollten: die Entwicklung neuer Rituale, um wichtige Momente im Leben eine Frau zu würdigen, die von der jüdischen Tradition ignoriert wurden; die Entdeckung „feministischer“ Rollenmodelle in der jüdischen Vergangenheit; die Überarbeitung des androzentrischen Gottesbildes und Gebets im Judentum; die Durchforstung der jüdischen Geschichte und Kultur zwecks Etablierung einer jüdischen Frauenforschung; und die Öffnung gegenüber lesbischen Frauen. Insgesamt sollten diese Entwicklungen und Entdeckungen das Leben der amerikanischen Juden vor allem, aber nicht nur, in seinen liberaleren Teilen verändern. Die daraus resultierenden „Veränderungen im Wesen der Religion“ infolge einer stärkeren Berücksichtigung „weiblicher Sensibilitäten“ entsprechen dem dritten Feminisierungselement bei Van Osselaer und Buerman. Worin also bestehen die wesentlichen Punkte der Konstellation Jüdischer Feminismus? Für viele jüdische Feministinnen stand die Veränderung ihrer Rolle innerhalb der Synagoge ganz oben auf der Agenda. Das heißt, die Synagoge musste, wenn man sich den liberalen Konfessionen des amerikanischen Judentums, dem Reformjudentum, dem konservativen Judentum oder den rekonstruktionistischen Bewegungen innerhalb des jüdischen Lebens zugehörig fühlte, zu einer egalitären Einrichtung umgestaltet werden. Für einige konkretisierte sich dies mit der Zeit in den Forderungen, dass Frauen die Gebetsschals und Kopfbedeckungen trugen, die traditionell den Männern vorbehalten waren;28 dass Frauen im Quorum der für einen vollständigen Gottesdienst erforderlichen zehn BeterInnen mitzählten;29 dass Frauen Hebräisch lernten und die liturgischen Fertigkeiten erwarben, die ihnen als Mädchen nie vermittelt worden waren, und dass sie als Teenagerinnen oder Erwachsene ihre Bat Mitzwa feierten; dass Frauen neue Rollen in der Synagoge übernahmen und beispielsweise regelmäßig aus der Thora vorlasen; dass Frauen zu Synagogenvorsteherinnen gewählt werden konnten30 und – dies ist sicherlich die sichtbarste und drastischste Veränderung – dass Frauen Rabbinerinnen werden konnten. 28 Auf der Nationalen Konferenz Jüdischer Frauen 1973 sorgte Rachel Adler für Aufregung, da sie nicht nur Tallit (Gebetsschal) und Tefillin (Gebetsriemen) trug, sondern anderen Frauen auch zeigte, wie man sie anlegt. Vgl. Rachel Adler, E-Mail-Korrespondenz, 06.05.2005. 29 Spiegel, Conservative Jews. 30 Einige wenige Frauen wurden noch vor der zweiten Feminismuswelle Synagogenvorsteherinnen; vgl. Nadell, Women Who Would Be Rabbis, 129. Bis 2005 war es dank des jüdischen Feminismus überall außer in den orthodoxen Gemeinden üblich geworden, dass Synagogen auch von Frauen geleitet wurden. Zur ersten Vorsteherin einer orthodoxen Gemeinde in Washington, D.C. vgl. Amman, Beth Sholom Breaks Ground.

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Das Ringen um die Frauenordination geht auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück, als die Debatte über das Recht der Frau, Rabbinerin zu werden, als Teil einer breiteren Debatte über den Zugang von Frauen zu akademischen Berufen überhaupt aufkam. Wenn Frauen Ärztinnen, Richterinnen und Ministerinnen werden wollten – Berufe, von denen sie lange Zeit ausgeschlossen gewesen waren ‒, warum sollten sie dann nicht auch Rabbinerinnen werden wollen? Doch trotz etlicher Herausforderungen und einer Debatte, die beinahe ein ganzes Jahrhundert lang anhielt, brauchte es erst die Kollision zwischen dem Feminismus der zweiten Welle und dem amerikanischen Judentum, um die Frauen ins Rabbinat zu befördern. 1972 wurden im Reformjudentum, 1974 im Rekonstruktionismus und 1985 im konservativen Judentum die ersten Rabbinerinnen ordiniert.31 Letztendlich sollte die Präsenz von Hunderten von Rabbinerinnen – ein eindrucksvolles Zeichen für die „Feminisierung des religiösen Personals“ – die feministische Agenda im jüdischen Leben Amerikas weiter voranbringen. Die Erfindung von Riten ist ebenfalls ein Indikator für die feministische Veränderung. Als die Feministinnen das Judentum kritisch in den Blick nahmen, stellten sie fest, dass trotz seiner breiten Palette von Segnungen und religiösen Zeremonien nur wenige Rituale die großen Momente im Leben der Frauen würdigten. Von Geburt an behandelt das Judentum Mädchen und Jungen unterschiedlich. Die Feministinnen versuchten, das Judentum mit den großen und kleinen Anlässen zu vereinen, die den Kern des weiblichen Lebens ausmachen und so oft zuinnerst mit dem Weiblichen und mit dem Körper der Frau verbunden sind. In diesem Bereich der rituellen Kreativität haben Rabbinerinnen Herausragendes geleistet. Sie übernahmen die Führung, als ihnen bewusst wurde, wie wenig diese Tradition, die sie sich inzwischen angeeignet hatten, tatsächlich auf ihre eigenen spirituellen Bedürfnisse insbesondere im Bereich der „unsichtbaren Lebensübergänge“32 achtete. Daher ist die Konstellation Jüdischer Feminismus von einer erstaunlichen Vielfalt von Gebeten, Lesungen und Zeremonien geprägt. Dazu gehören Gebete für den Besuch der „Mikwe“ (des rituellen Bads), für den Abend, an dem ein Paar ein Kind zeugen will,33 für die ersten Monate der Schwangerschaft und für den Beginn des neunten Monats, für die ersten Wehen, für eine Kaiserschnittgeburt und für das erste Stillen. Neue Rituale trösten Frauen, die unfruchtbar sind, eine Totgeburt hatten, medizinische Hilfe suchen oder ein Kind adoptieren wollen. Zeremonien begehen den Beginn der Menstruation und das Erreichen der Menopause, bieten Trost nach einer Vergewaltigung, würdigen die Entscheidung für ein Leben als Single 31 Eine ausführlichere Darstellung dieser Geschichte bietet Nadell, Women Who Would Be Rabbis. Vgl. auch den Film „And the Gates Opened: Women in the Rabbinate“ unter der Regie von Debra Gonsher Vinik, New York 2005. 32 Orenstein, Lifecycles, 117. Orenstein listet eine Reihe von Erfahrungen auf, die jüdische Männer und Frauen in ihrem Leben in Ehren halten sollten. Dazu zählen die erste Liebe, die erste sexuelle Erfahrung, das Abstillen, der Moment, wenn man erfährt, dass der Befund negativ ist, Großeltern werden, das Rezept einer Großmutter nachkochen und „den jüdischen Feminismus entdecken“. 33 Cardin, Tears of Sorrow, 28.



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und besiegeln eine Ehescheidung.34 Diese bemerkenswerte Kreativität legt den Eindruck nahe, dass kein Ereignis und kein persönlicher Meilenstein im weiblichen Lebenszyklus von der spirituellen Erfahrung des Feminismus unberührt geblieben ist. Die Feministinnen waren nicht nur bestrebt, das Private zu heiligen, sondern forderten auch, längst etablierte öffentliche Rituale des Judentums im Sinne der Gleichberechtigung anzupassen. So wurde etwa traditionell bei der Geburt eines Mädchens nur ein Bruchteil des Aufwands betrieben, mit dem man die Geburt und Beschneidung eines kleinen Jungen feierte. Fast von Anfang an begannen jüdische Feministinnen neue Zeremonien zu erfinden, um neugeborene Mädchen in der Gemeinde willkommen zu heißen. Auch die Bat Mitzwa für Mädchen – das Pendant zur Bar Mitzwa, mit der ein jüdischer Junge den Eintritt in die Religionsmündigkeit begeht ‒ breitete sich, obwohl sie schon 1922 zum ersten Mal gefeiert wurde, nach dem Aufkommen des jüdischen Feminismus deutlich weiter und sogar bis in orthodoxe Kreise hinein aus. Selbst bei der Eheschließung sind liberale Juden darauf bedacht, Braut und Bräutigam gleichzustellen: Während es traditionell üblich war, dass die Braut siebenmal um den Bräutigam herumging, geht heute er siebenmal um sie herum; und auch das Glas werfen beide gemeinsam auf den Boden. Wenngleich diese Rituale viele verschiedene Formen annehmen, hat ihre weite Verbreitung in etlichen Bereichen des jüdischen Lebens das Erscheinungsbild des amerikanischen Judentums verändert und erfüllt damit das dritte Kriterium des Feminisierungsprozesses: die „Veränderungen im Wesen der Religion“. Überdies haben die Feministinnen neue öffentliche Ausdrucksformen der weiblichen Spiritualität geschaffen. Sie beanspruchten Rosch Chodesch, den ersten Tag jedes neuen Monats im jüdischen Mondkalender, als Feiertag der Frauen und erfanden Zeremonien, die auf die Ähnlichkeit zwischen dem Zyklus der Frauen und dem Mondzyklus hinweisen.35 Und sie machten sich die Mikwe wieder zu eigen, das Becken, in das praktizierende Ehefrauen zur rituellen Reinigung eintauchen, die von ihnen verlangt wird, um ihre sexuelle Unberührbarkeit während und unmittelbar nach der Menstruation zu beenden. Diese Wiederaneignung verwandelt die Mikwe in einen Raum für die Frauen, um Rosch Chodesch, ein einschneidendes Erlebnis oder das Ende einer Krise zu feiern.36 Die am weitesten reichende der öffentlichen feministischen Neuerungen im Gemeindebereich ist der Sederabend der Frauen. In einer Neufassung der Haggada, des klassischen Texts, der am Vorabend des Pessach zu Hause gelesen wird, wurden beim Seder der Frauen „die Genderrollen vertauscht. Aus den Rabbis von früher wurden die weisen Frauen, die mit ihnen in Verbindung standen; die Fragen der vier Söhne wurden vier Töchtern in den Mund gelegt.“ Der feministische Seder stellt eine umfassende Kritik der Genderbeziehungen

34 Orenstein, Lifecycles; Levitt/Wasserman, Mikvah Ceremony. 35 Bohm, Feminist Theological Enterprise, 76. Eine wichtige Sammlung von Rosch-Chodesch-Lesungen bietet Adelman, Miriam’s Well. 36 Goldstein, Rabbi Elyse Goldstein, 82f.

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in der amerikanischen Gesellschaft und innerhalb des Judentums dar.37 Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts war der Frauenseder in zahlreichen jüdischen Gemeinden überall in den Vereinigten Staaten üblich geworden.38 Diese rituellen Neuerungen – vor allem die, die mit einer gewissen Öffentlichkeit einhergingen ‒ haben die Spiritualität und Frömmigkeit jüdischer Frauen ins Blickfeld gerückt. Diese Veränderung kann als ein Beispiel für das vierte Element der Feminisierungsthese, die „diskursive Feminisierung“, betrachtet werden. Im Christentum bezog sich die „diskursive Feminisierung“ auf die neue Gleichsetzung von Weiblichkeit und Frömmigkeit im Diskurs des 19. Jahrhunderts, die das klassische Bild der Frau als Verführerin und Versucherin auf den Kopf gestellt und die Frauen in die moralischen Stützen ihrer Familien verwandelt hatte. Während früher die christliche Frömmigkeit im Kern als männlich gegolten hatte, erklärte dieser Diskurs die Frömmigkeit zu einer im Grunde weiblichen Eigenschaft. Diese Betonung einer „verweiblichten Frömmigkeit“ führte in manchen christlichen Traditionen zu einer „verfrommten Weiblichkeit“.39 Genau wie das Christentum hat auch das Judentum jahrhundertelang die männliche Frömmigkeit in Ehren gehalten. Nur von Männern erwartete man, dass sie täglich beteten. Nur Männer erhielten die nötige Bildung und damit den Zugang zu den Texten der jüdischen Tradition. Nur Männer konnten Rabbiner werden. Den Frauen wies die jüdische Tradition andere Rollen zu. Natürlich mussten sie die Gebote halten, die sich auf ihre Tätigkeiten bezogen: die Sabbatkerzen anzünden, ein Stück Teig verbrennen, ehe sie das Sabbatbrot buken, und sich minutiös an die Gesetze halten, die das Eheleben regelten. Auch die Frauen beteten, doch von ihnen wurde nur selten verlangt, dies öffentlich zu tun. Vielmehr beteten sie privat bei sich zu Hause, wenn sie beispielsweise den Segen über die Sabbatkerzen sprachen oder Gott um eine leichte Geburt und um ein gesundes Kind baten. In der jüdischen Tradition wurden sowohl die sehr unterschiedlichen Ausdrucksformen männlicher und weiblicher Frömmigkeit anerkannt als auch klare hierarchische Verhältnisse etabliert. In der osteuropäischen Volksfrömmigkeit hieß es, dass eine fromme Frau im Paradies der Fußschemel ihres Mannes sein werde.40 Der jüdische Feminismus stellte diese Dichotomie infrage.41 Einerseits forderte er, dass Frauen Zugang zu männlichen Formen der Frömmigkeit erhalten sollten: das Recht, 37 Broner, The Telling, 1, 193f. Der Film „Miriam’s Daughters Now“ von 1986 zeigt einen feministischen Sederabend, wo Frauen das Taschlich-Ritual (das Fortwerfen der Sünden am jüdischen Neujahrsfest) und eine Namengebungszeremonie vollziehen. Rivlin, Miriam’s Daughters Now. 38 Brozan, Waiting List. Für diese Sederzeremonien gibt es keinen Standardtext. Passend zum Charakter dieser Basisbewegung neigen Frauen in der Synagoge und in jüdischen Gemeindegruppen, die die Sederzeremonien unterstützen, dazu, die Texte selbst zu schreiben, wobei sie sich auf Anleihen und Übernahmen aus verschiedenen Texten stützen, die privat im Umlauf sind. 39 Zitiert nach Pasture, Beyond the Feminization Thesis, 10. 40 Vgl. zu dieser Redensart Weissler, Women in Paradise, 43‒46, 117–120. 41 Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass diese Dichotomie durch die Begegnung zwischen Judentum und Moderne bereits erste Risse bekommen hatte. Mit zunehmender Integration in ihr weiteres



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Rabbinerinnen zu werden, jüdische Texte zu studieren und in Fragen des jüdischen Gesetzes Entscheidungen zu treffen. Andererseits aber trug er genau wie die „diskursive Feminisierung des Christentums“ zu einer „verfrommten Weiblichkeit“ bei, indem er – ob nun durch die neu erfundenen Gebete bei Empfängnis oder Schwangerschaft oder durch das feierliche Gedenken an jüdische Heldinnen der Vergangenheit beim Sederabend der Frauen ‒ die Weiblichkeit sakralisierte. Auf diese Weise lassen sich im amerikanischen Judentum des ausgehenden 20. Jahrhunderts alle vier Indikatoren der Feminisierungsthese beobachten.

3. Andere Sterne am Himmel des jüdischen Feminismus Doch es gibt noch weitere Anzeichen dafür, dass die Feminisierungsthese im Judentum greift. Auch das orthodoxe Judentum weist Veränderungen im Wesen der Religion und in manchen Bereichen auch eine gewisse Aufgeschlossenheit für neue Ausdrucksformen der weiblichen Frömmigkeit auf. Blu Greenberg, Verfasserin von „On Women and Judaism: A View from Tradition“ und Gründerin der „Jewish Orthodox Feminist Alliance“ (JOFA), ist die „geistliche Mutter“ des orthodoxen Feminismus. Sie hat es gewagt, die Frage zu stellen: „Wird es orthodoxe Rabbinerinnen geben?“42 Die JOFA setzt sich für rituelle Neuerungen ein, die im Rahmen des jüdischen Gesetzes akzeptabel sind und mit den orthodoxen Auslegungen übereinstimmen. So bietet ihre Homepage interessierten Frauen und natürlich auch Männern eine Anleitung dazu, wie die Schriftrolle des biblischen Buches Esther, das am Purimfest in der Synagoge gelesen wird, vorzutragen ist, neben einer Diskussion über das jüdische Gesetz, die zeigen soll, dass dieser Text auch von Frauen vorgetragen werden darf.43 Die Anzeichen dafür, dass der Feminismus die Rolle der Frau in der orthodoxen Welt neu definiert, verdichten sich. Orthodoxe Eltern feiern die Bat Mitzwa ihrer Tochter, auch wenn die orthodoxe Bat-Mitzwa-Feier nicht mit der Bar-Mitzwa-Zeremonie identisch ist.44 Eine „Bildungsrevolution“ hat die Lerninhalte für jüdische Mädchen an orthodoxen Bildungseinrichtungen reformiert und dazu geführt, dass viele von ihnen nach der HighSchool ein Jahr lang nach Israel gehen, um dort an Frauenbildungszentren religiöse Texte zu studieren. Orthodoxe Frauen finden sich zu Frauengebetsgruppen zusammen. Diese Umfeld waren die jüdischen Männer im 19. Jahrhundert nach und nach verweltlicht und hatten sich von den traditionellen Formen der männlichen Frömmigkeit abgewandt. Doch obwohl sie sich von der Synagoge entfernt hatten, erhoben diese Männer nach wie vor den Anspruch, über die geistlichen und politischen Belange der Gemeinde zu entscheiden. Man denke nur, wie selten Frauen in den 1940er- und 1950er-Jahren Synagogenvorsteherinnen wurden und mit welchem Widerstand die Frauenordination zu kämpfen hatte. Nadell, Women Who Would Be Rabbis, 129. 42 Ich stütze mich hier auf die kurze Skizze über Greenberg im Beitrag von Schwartz, Ambassadors without Portfolio, 253‒260. Eine Diskussion zu Greenbergs Engagement für die Frauenordination bietet Nadell, Women Who Would Be Rabbis, 215‒219. Vgl. Greenberg, Women & Judaism. 43 Vgl. Jewish Orthodox Feminist Alliance (JOFA), „Holidays“. 44 Baumel, Ritual Law.

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Entscheidung, in einem rein weiblichen Umfeld zu beten, gibt ihnen die Möglichkeit, rituelle Rollen zu übernehmen, die ihnen in Gegenwart von Männern nicht offenstehen.45 Mithin finden sich sogar in der Orthodoxie Anzeichen, die mit der Feminisierungsthese in Verbindung gebracht werden. Ein anderer Ort, wo der diskursive Feminismus zur Geltung kommt, ist die Forschungsarbeit der jüdischen feministischen Theologie. Zu nennen sind hier Theologinnen wie Judith Plaskow, die Autorin von „Standing Again at Sinai“, und Rachel Adler, die Autorin von „Engendering Judaism“, sowie die liturgische Dichterin Marcia Falk, Autorin von „The Book of Blessings“. Diese Schriftstellerinnen kritisieren den Androzentrismus des Judentums und sein Totschweigen weiblicher Stimmen und Sichtweisen. Dabei stehen sie jedoch innerhalb der jüdischen Tradition und suchen nach Möglichkeiten, diejenigen theologischen, gesetzlichen und liturgischen Veränderungen vorzunehmen, die eine wesentliche Voraussetzung dafür sind, dass das Übel der Ausgrenzung der Frau wiedergutgemacht und die Problematik eines „gegenderten Sprechens zu und über Gott“ angesprochen werden kann.46 Der Eindruck, dass die diskursive Feminisierung bereits voll im Gang ist, wird durch die geradezu explosionsartige Entwicklung des feministischen literarischen Schaffens in traditionellen jüdischen Gattungen verstärkt. In „The Women’s Torah Commentary“ stellen Rabbinerinnen in nahezu jeder der 45 wöchentlichen Thoralesungen Bezüge zu Frauen her. Sie entdecken weibliche Charaktere, die im Text nicht erwähnt werden, wie Noachs Frau Naama, und stützen sich auf die biblischen Kaschrut-Vorschriften, um zu jüdischen Frauen, die Feiertagsspeisen zubereiten, und zu Themen wie Magersucht Stellung zu nehmen.47 Diese Kreativität umfasst auch die „Midraschim“, fantasievolle Nacherzählungen des biblischen Texts wie Anita Diamants sagenhaft erfolgreichen Roman „The Red Tent“. Darin stellt sich Diamant vor, wie Jakobs Tochter Dina48 die Geschichten der Frauen ihres Vaters weitererzählt. Jeden Monat während ihrer Blutung zogen sich die Frauen in das rote Zelt zurück, „tauschten untereinander Geheimnisse wie Armbänder“ und gaben sie an Dina, ihre einzig überlebende Tochter, weiter.49 Feministische Autorinnen schöpfen auch aus jüdischen Legenden und Sagen wie Cynthia Ozick in „The Puttermesser Papers“, wo ihre Protagonistin Ruth Puttermesser einen weiblichen „Golem“ (nach volkstümlicher Vorstellung ein aus Lehm gebildetes Wesen in menschlicher Gestalt) erschafft, der dafür sorgt, dass sie zur Bürgermeisterin von New York gewählt wird.50 Diese Literatur umfasst auch Werke lesbischer Schriftstellerinnen wie Evelyn Torten Becks 1982 erschienenes Buch „Nice Jewish Girls. A Lesbian Anthology“, das nur das erste 45 Goodstein, Women Take Active Role, 1ff. Zur „Bildungsrevolution“ vgl. Furstenberg, Flourishing. 46 Adler, Engendering Judaism, xxvi; Plaskow, Standing Again; Falk, Book of Blessings. 47 Goldstein, Women’s Torah. Maßgeblich auch Cohn Eskenazi/Weiss, Torah. 48 Gen 30,21, Gen 34,1ff. 49 Diamant, Red Tent, 2 (dt.: dies., Das rote Zelt der Frauen, 11). Seit seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1997 hat dieser Roman zahlreiche Auflagen erfahren und ist in über 20 Ländern erhältlich; vgl. auch o. V., Anita Diamant. 50 Ozick, Puttermesser Papers.



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einer Unmenge von Veröffentlichungen über die qualvolle Zerrissenheit von Frauen war, die sich als Lesben in der jüdischen Welt und als Jüdinnen in ihren lesbischen Gemeinschaften ausgegrenzt fühlen.51 Um ihr Recht auf vollgültigen Verbleib in der jüdischen Tradition zu behaupten, haben jüdische Lesben unter der Chuppa geheiratet, dem Baldachin, der bei einer traditionellen jüdischen Hochzeitszeremonie über dem Brautpaar aufgespannt ist.52 Diese hellen Punkte am Sternenhimmel des jüdischen Feminismus vergrößern die Beweislast zugunsten der These, dass die Feminisierung im zeitgenössischen US-amerikanischen Judentum in vollem Gang ist.

4. Ein feminisiertes amerikanisches Judentum im Krisenmodus Noch im frühen 21. Jahrhundert betrachtete man die Feminisierung des amerikanischen Judentums als eine Krise. 2008 schrieben die Soziologen der Brandeis University Sylvia Barack Fishman und Daniel Parmer in ihrer Studie „Matrilineal Ascent/Patrilineal Descent. The Gender Imbalance in American Jewish Life“: „Der Rückgang des männlichen Interesses an Juden und Judentum ist eine Krise und muss als solche anerkannt und behandelt werden.“53 In ihrer Arbeit, die sich auf über 300 Interviews und die Auswertung von Umfrageergebnissen stützt, kommen sie zu dem Schluss, dass liberale Synagogen ‒ im Gegensatz zu den orthodoxen Synagogen ‒ insbesondere im Reform- und im konservativen Judentum inzwischen die „Welt unserer Mütter“ sind. Fishman und Parmer zeigen, dass „amerikanische jüdische Jungen und Männer heute weniger mit den Juden und dem Judentum verbunden sind als Mädchen und Frauen an fast jedem Ort und in jedem Alter, von den Schulkindern bis hin zu den Erwachsenen. Der Rückgang des männlichen Interesses zeigt sich nicht nur erwartungsgemäß im häuslichen, sondern auch im öffentlichen Judentum, in der religiösen Führung und in weltlichen ethnischen Bindungen. […] Landesweit ist die Zahl der Mädchen und Frauen bei den wöchentlichen nicht orthodoxen Gottesdiensten, bei Maßnahmen der Erwachsenenbildung, in ehrenamtlichen Führungspositionen und bei jüdischen Kulturereignissen größer als die der Männer.“ 54 Nur in den wöchentlichen Gottesdiensten der orthodoxen Synagogen und in prestigeträchtigen Exekutivpositionen der jüdischen Gemeinschaft sind Männer zahlenmäßig noch stärker vertreten als Frauen. Das Fazit der beiden Forscher: „Das heutige jüdische Leben ist, was die Genderverteilung betrifft, unausgewogen.“ Statt zu einem gleichberechtigten Judentum zu führen, hat die Aufnahme feministischer Einflüsse das amerikanische Judentum „sichtbar und in großen Teilen feminisiert“.55 51 Torton Beck, Nice Jewish Girls; Balka/Rose, Twice Blessed; Kaye/Kantrowitz/Klepfisz, Tribe of Dina. Vgl. auch die Zeitung „Bridges“. 52 Berkofsky, Gay Jews, 39, 42. 53 Fishman/Parmer, Matrilineal Ascent/Patrilineal Descent, 73. 54 Ebd., 75. 55 Ebd., 1f.

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Dieses „Gender-Ungleichgewicht“, so der Bericht weiter, sei nicht zustande gekommen, „weil die Frauen so aktiv, sondern weil die Männer so inaktiv sind“.56 Es gibt Stimmen, die das Ungleichgewicht darauf zurückführen, dass Frauen seit einem Vierteljahrhundert als Rabbinerinnen und (für die musikalischen Teile des Gottesdienstes verantwortliche) Kantorinnen von der Kanzel aus leitende Funktionen ausüben.57 Andere geben zu bedenken, dass die amerikanischen Juden sich einfach nur so verhalten wie andere Amerikaner auch: „In der amerikanischen Kultur und Gesellschaft werden religiöse Aktivitäten und Einstellungen für Frauen hoch, für Männer hingegen geringgeschätzt.“58 Das war natürlich nicht das erste Mal, dass man der „Feminisierung der Religion“ den Vorwurf machte, Männer aus den Kirchen und die Religion in eine Männlichkeitskrise zu treiben. In den letzten Jahrzehnten des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts machten führende Persönlichkeiten des amerikanischen Protestantismus in völliger Verkennung der Tatsache, dass ihre Kirchen schon seit mehr als 200 Jahren zu zwei Dritteln weiblich gewesen waren, den „Frauenüberschuss im kirchlichen Leben“59 zu ihrem Thema und glaubten, darin eine „Krise“ zu erkennen. Also setzten sie alles daran, die Männer wieder in den Schoß der Kirche zurückzuführen. Sie veröffentlichten Bücher mit Titeln wie „The Masculine Power of Christ“, gründeten konfessionelle Männervereine und brachten das „Men and Religion Forward Movement“ auf den Weg, „die einzige weitverbreitete Wiederbelebung der Religion in der amerikanischen Geschichte, die Frauen ausdrücklich ausschloss“. Das „Men and Religion Forward Movement“ wollte den amerikanischen Protestantismus „beleben“, „die Religion wieder neu als spezifisch männlich festschreiben“ und dazu beitragen, „die 3.000.000 Männer zu erreichen, die sich nicht am kirchlichen Leben beteiligen“.60 Ganz ähnlich wie vor 100 Jahren, als man glaubte, der „feminisierte Protestantismus“ habe eine Krise ausgelöst, die eine Remaskulinisierung des Christentums erforderlich mache,61 fühlten sich auch Juden des 21. Jahrhunderts durch die Feminisierung des amerikanischen Judentums dazu veranlasst, im religiösen Leben der amerikanischen Juden mit vereinten Kräften neue Räume für Männer zu schaffen. Als führende Vertreter des Reformjudentums 2005 feststellten, dass der neue Jahrgang an ihrem Seminar aus doppelt so vielen Frauen wie Männern bestand, brachten sie eine Kampagne mit dem Titel „Where Have all the Young Men Gone?“ („Sag mir, wo die Männer sind?“) auf den Weg.62 2007 bot das Reformjudentum auf seinem Zweijahrestreffen Gebetsgottesdienste nur für Männer an, 56 Ebd., 4. 57 Ebd., 47. 58 Vgl. z. B. ebd., 69. Vgl. auch Neroulias, Report. 59 Bederman, Women Have Had Charge, 438. 60 Ebd., 432, 434, 438. 61 Ebd., 436. Ein anderes Beispiel für eine durch die Feminisierung ausgelöste „Krise der Männlichkeit“, die zu einer Remaskulinisierung führte, ist die katholische Kirche im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Vgl. dazu den Beitrag von Bernhard Schneider in diesem Band. 62 Neroulias, Report.



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und die Bewegung gab eine Haggada für einen allein Männern vorbehaltenen Seder am Vorabend des Pessach heraus (vgl. die feministischen Sederabende), der in Analogie zu der im traditionellen Seder üblichen Aufzählung der Plagen aus dem Buch Exodus eine Reihe von Plagen aufzählte, von denen Männer heimgesucht werden: Impotenz, Haarausfall, Prostatakrebs. Im Anschluss daran folgte „The Modern Men’s Torah Commentary. New Insights from Jewish Men on the 54 Weekly Torah Portions“.63 Zur selben Zeit richtete eine unabhängige jüdische Organisation namens „Moving Traditions“, die „für einen weiter gefassten Genderbegriff in der jüdischen Bildung und Praxis“ plädierte und zunächst Programme für jüdische Mädchen und Frauen entwickelt hatte, ihre Aufmerksamkeit auf jüdische Jungen. 2010 veröffentlichte sie, nachdem sie drei Jahre lang das Problem der männlichen Synagogenflucht nach der Bar Mitzwa untersucht hatte, den Bericht „Engaging Jewish Teenage Boys. A Call to Action“. „Moving Traditions“ setzte sich dafür ein, für Jungen „gendergerechte Räume“ zu schaffen, und brachte das sozialpädagogische Programm „The Brotherhood“ auf den Weg: Ein „starker männlicher Pädagoge“ sollte die männlichen Teenager über „die tückische Bahn“ geleiten, auf der „der Junge zum Mann“ wird, und zwar „im Rahmen der jüdischen Tradition“.64 Doch, so konterte Rabbinerin Rona Shapiro, gab es denn überhaupt eine „Jungenkrise“? Gewiss seien insbesondere die reformjüdischen Einrichtungen, aber auch die der anderen eher liberalen Teile des amerikanischen Judentums von Frauen dominiert, doch das Phänomen, dass die Jungen – und auch die Mädchen – sich nach ihrer Bar oder Bat Mitzwa nicht mehr in der Synagoge sehen lassen, habe es schließlich auch früher schon gegeben. Ohne eine Langzeitdatenaufzeichnung für das amerikanische Judentum – und eine solche gibt es nicht – könne man unmöglich beweisen, dass sich das Gender-Ungleichgewicht im liberalen jüdischen Leben in den letzten Jahren spürbar verschlimmert hat. Und die Rabbinerin fragte sich verärgert, warum eigentlich in der Vergangenheit, als der Zugang zur Bildung und zu leitenden Ämtern im jüdischen Leben für die Frauen so massiv eingeschränkt war, niemand von einer „Mädchenkrise“ gesprochen habe.65 Was Shapiro offenbar nicht wusste, ist, dass es das ganze 20. Jahrhundert hindurch in den Vereinigten Staaten in Abständen immer wieder zu Klagen über eine Krise der Männlichkeit gekommen ist und dass Historiker sogar im 18. Jahrhundert entsprechende Beispiele finden. Stephen Whitehead und Frank Barrett schreiben in „The Masculinities Reader“: „Wann immer größere soziale und öffentliche Belange auf dem Spiel stehen“ – ein drohender Krieg, wirtschaftliche Rezession oder Pfusch am Bau der Nation ‒, „lösen sie eine moralische Panik aus, die de facto um die Männer und die Männlichkeit kreist und sich in der Gegenbewegung sehr rasch gegen den Feminismus kehren kann.“66 Ihre Beobachtung und Analyse bestätigt also, dass Shapiro zu Recht den Vorwurf erhebt, die 63 64 65 66

Tuhus-Dubrow, End of Jewish Men?; Salkin, Modern Men’s Torah Commentary. Moving Traditions, Engaging Jewish Boys, 4, 6, 18. Shapiro, Boy Crisis. Whitehead/Barrett, Masculinities Reader, 8.

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Behauptung, Männer und Jungen zögen sich aus dem jüdischen Leben zurück, weil es von Frauen dominiert sei, schmecke „schlicht und einfach nach Retourkutsche“.67 Was also treibt die breite Öffentlichkeit der jüdischen Gemeinschaft an, wenn sie darüber lamentiert, dass Jungen und Männer sich in einer Krise befänden? Die steigende Rate von Mischehen, lautet die Antwort. Die Juden ‒ das „ewig sterbende Volk“, wie sie der Wissenschaftler Simon Rawidowicz in einem berühmten Bonmot genannt hat68 – sind angesichts der wachsenden Zahl außerhalb der Gruppe geschlossener Ehen inzwischen schon seit einer ganzen Reihe von Jahrzehnten sehr besorgt darüber, ob das Volk der amerikanischen Juden als eigene Gruppe eine Zukunft und Überlebenschance hat.69 Die Studie von Fishman und Parmer hat mit ihrer von der Presse hinausposaunten Einschätzung, dass „entfremdete jüdische Männer mit größerer Wahrscheinlichkeit nichtjüdische Frauen heiraten, die sie und ihre Kinder noch weiter von der Synagoge entfernen“,70 zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Anfang des 21. Jahrhunderts also versuchen die liberalen Teile des amerikanischen Judentums, wie Fishman und Parmer schreiben, so gut es eben geht, zwischen „der Scylla der patriarchalischen Ausgrenzung der Frau vom öffentlichen Judentum, die die Geschichte der Religion größtenteils geprägt hat, und der Charybdis der Feminisierung hindurchzusteuern, die in beinahe allen Bereichen des zeitgenössischen liberalen amerikanischen Judentums um sich greift“.71 Kann man die Männer zurück in die Synagoge locken, „ohne die Errungenschaften der Frauen zu verwässern“?72 Niemand weiß es, obwohl die Maskulinisierungsbemühungen im amerikanischen Protestantismus des frühen 20. Jahrhunderts zumindest in einigen Kirchen eine „Entfeminisierung“ zur Folge hatten.73 Wird das amerikanische Judentum denselben Weg beschreiten? Doch es ging in diesem Beitrag um die Vergangenheit, nicht um die Zukunft. Er hat die Feminisierung des amerikanischen Judentums vor allem, aber nicht ausschließlich in seinen liberalen Bereichen anhand einer großen Fülle von Belegen nachgewiesen. Jeder einzelne der in der Typologie von Van Osselaer und Buerman aufgeführten Indikatoren für die Feminisierung einer religiösen Gruppe – Feminisierung des religiösen Personals und des Laienstandes, religiöse Veränderungen infolge der Übernahme weiblicher Sichtweisen und Sensibilitäten und die Aufwertung der weiblichen Frömmigkeit – ist im religiösen Leben der amerikanischen Juden des ausgehenden 20. Jahrhunderts überdeutlich präsent. Im Gefolge der Feminisierung des amerikanischen Judentums sprechen liberale Juden inzwischen von 67 Shapiro, Boy Crisis. 68 Rawidowicz, Israel. 69 Die Literatur zu dieser Frage ist sehr umfangreich. Daten zu Mischehen bieten die folgenden demografischen Studien zum amerikanischen Judentum: United Jewish Communities, National Jewish Population Survey, und dies., 2013 Pew Research Center Survey. Einen recht aktuellen Kommentar bietet o. V., Intermarriage Rorschach Test. 70 Neroulias, Report. 71 Fishman/Parmer, Matrilineal Ascent/Patrilineal Descent, 6. 72 Ebd., 72. 73 Bederman, Women Have Had Charge, 455.



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einer Krise der Jungen und Männer und denken bereits über eine „Remaskulinisierung“ nach. Wird diese Remaskulinisierung stattfinden? Wird sie auf Kosten der Feminisierung des religiösen Lebens der amerikanischen Juden erfolgen? Oder wird es einen neuen, gendergerechten Modus Vivendi geben? Die Antworten auf diese Fragen liegen in der Zukunft.

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Angela Berlis (Bern)

Einbruch in männliche Sphären? Der Aufbruch alt-katholischer Frauen im 19. und 20. Jahrhundert

Die alt-katholische Bewegung blieb zahlenmäßig klein. Sie entstand im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als innerkatholische Widerstandsbewegung gegen die Vormachtstellung des Papstes. An vielen Orten in Deutschland wurden ab 1869 Katholikenvereine mit insgesamt etwa 60.000 Mitgliedern gegründet. Ähnlich groß war die kirchliche Organisation, die 1873 in Deutschland in Form eines staatlich anerkannten Bistums unter Leitung eines katholischen Bischofs für diejenigen Katholikinnen und Katholiken entstand, die wegen ihrer Opposition gegen die vom Ersten Vatikanischen Konzil (1869–1870) zum Dogma erhobenen Lehren vom Jurisdiktionsprimat und von der Unfehlbarkeit des Papstes exkommuniziert worden waren und sich fortan – wegen ihres Verbleibens bei der „alten“, vorvatikanischen Kirche und der Rückbesinnung auf die Alte Kirche – als „Alt-KatholikInnen“ bezeichneten.1 In diesem Beitrag wird die Frage nach der Maskulinisierung bzw. Feminisierung der alt-katholischen Bewegung im 19. Jahrhundert behandelt. Unter „Feminisierung der Religion“ wird in der Regel eine überdurchschnittliche Beteiligung von Frauen an religiösen Einrichtungen und Ausdrucksformen religiösen Lebens verstanden, die zu „einem weiblichen Übergewicht im kirchlichen Leben und gegebenenfalls mit emanzipatorischem Handeln von Frauen verbunden wird“.2 Bei der kritischen Rezeption der ursprünglich von Barbara Welter entwickelten These stellt sich bei näherem Hinsehen aber auch die Frage nach dem Verhältnis von weiblicher Präsenz und männlicher Macht.3 Frauen waren häufigere Kirchgängerinnen, aber wer hatte Leitungsfunktionen in der Gemeinde inne? Die Frage nach der Feminisierung führte in der Forschung recht schnell zu der nach der „Maskulinisierung“ von Religion, also der Art und Weise, wie religiöse Erfahrung und Praxis in bestimmten historischen (nationalen, konfessionellen) Kontexten Männer anzog und zum Ausdruck kam bzw. sich in Form spezifischer Seelsorgeangebote besonders an Männer als Adressaten richtete.4 Die Forschung ging bislang „vom Rückzug von Männern aus religiösen Bezügen“ im 19. und 20. Jahrhundert aus, die aufgrund ihrer Ausbildung, Berufstätigkeit und ungebundenerer Lebensführung „für 1 Ähnliche Entwicklungen fanden in der Schweiz und auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie statt. Dieser Beitrag beschränkt sich auf Deutschland. 2 Sohn-Kronthaler, Gehalt und Relevanz, 45. Vgl. zur kritischen Rezeption der Feminisierungsthese, bei der u. a. die Frage nach der genauen Definition und Reichweite dieser Annahme gestellt wird: Schneider, Feminisierung der Religion; Pasture, Gender and Christianity. 3 Pasture, Beyond the Feminization Thesis, 17. 4 Vgl. dazu Zwicker, New Directions; Werner, Christian Masculinity.

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säkularisierende Einflüsse empfänglicher als Frauen“ gewesen seien.5 Mehr allgemein geht es also darum, inwieweit und in welcher Weise im jeweiligen historischen Kontext Religion und Gender miteinander verknüpft und damit bestimmte Geschlechterverhältnisse religiös geordnet und abgestützt werden, aber auch, wie Genderzuschreibungen sich über einen längeren Zeitraum hinweg oder abrupt, etwa in Krisen- und Umbruchsituationen, verändern, d. h. vermindert, verstärkt oder durcheinander gebracht werden. Um die Frage zu beantworten, ob und wenn ja, in welcher Weise und wann in der Geschichte des Alt-Katholizismus von Feminisierung oder Maskulinisierung gesprochen werden kann, werden im Folgenden die männlichen und weiblichen Laien in den Blick genommen. Vorweg sei gleich festgestellt: „Laie“ ist kein geschlechtsneutraler Begriff, im 19. Jahrhundert ist er männlich konnotiert. Welche Auswirkungen diese Beobachtung für die rechtliche Stellung von Frauen hat, aber auch für die Frage nach der Feminisierung oder Maskulinisierung von Religion, soll zuerst behandelt werden. Die Darstellung führt anschließend ins 20. Jahrhundert, in dem sich die Rechtsstellung der weiblichen Laien ab 1920 derjenigen der Männer angleicht; im letzten Jahrhundertdrittel verlagert sich mit der Diskussion über die Frauenordination die Genderfrage auf die Ebene der Amtsträger.

1. Das Jahrhundert der Laien Das 19. Jahrhundert hat viele Gesichter, die in unterschiedliche, ja entgegengesetzte Richtungen weisen. Auf der einen Seite geschieht ab der Jahrhundertmitte eine Ultramontanisierung des Katholizismus; Priester spielen dabei eine zentrale Rolle als „Milieumanager“.6 Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrhunderten seit der Reformation der Einfluss und auch das Selbstbewusstsein von Laien im 19. Jahrhundert enorm waren.7 Laien kamen im 19. Jahrhundert als Objekt der Seelsorge ins Visier.8 Sie agierten in Staat und Politik und stützten kirchliche Emanzipationsbemühungen dem Staat gegenüber, etwa mit der Gründung von Vereinen, aber auch durch Massenversammlungen wie den Generalversammlungen der Piusvereine ab 1848.9 Mehrere spätere Alt-Katholiken waren ab 1848 an der Organisation der Katholikenversammlungen – bei denen Laien und Priester zusammenwirkten – maßgeblich beteiligt, zogen sich aber ab etwa 1860 von dieser Bewegung zurück, nachdem diese eine immer ultramontanere Richtung eingeschlagen 5 6 7 8

Götz von Olenhusen, Feminisierung von Religion und Kirche, 10. Vgl. Blaschke, Kolonialisierung der Laienwelt. Vgl. dazu etwa Burkard, Erzwungene Emanzipation. Für Frauen und Männer wurden dabei – aufgrund der Annahme unterschiedlicher Geschlechtscharaktere – unterschiedliche Pastoralkonzepte entwickelt. Vgl. dazu Götz von Olenhusen, Wunderbare Erscheinungen. 9 Wie Burkard feststellt, vertraten viele dieser Laien „ein pointiert klerikales Kirchenverständnis“ (Burkard, Emanzipation, 186), mit dem sie ironischerweise auf Dauer dazu beitrugen, in der römisch-katholischen Kirche „dem laikalen Handeln eher Fesseln“ anzulegen. Ebd., 227.



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hatte.10 Diese Katholikenversammlungen bilden die Grundlage der heutigen Katholikentage, die alle zwei Jahre stattfinden; sie sind aber auch – was weniger bekannt ist – der Ursprungsort der Alt-Katholiken-Kongresse.11 Der alt-katholische Protest organisierte sich zwischen 1870 und 1873 mithilfe dieser Kongresse, die zunächst ab 1871 jährlich, später alle zwei Jahre im Deutschen Reich stattfanden. Die ersten drei Kongresse (1871–1873) sind von eminenter Bedeutung: Auf ihnen kam es zur Verständigung über Anliegen und Ziele der alt-katholischen Bewegung, mit ihnen wurde die Kirchwerdung des Konzilsprotestes in die Wege geleitet. Ab 1890 wurden diese Kongresse in internationale Alt-Katholiken-Kongresse umgewandelt, die seither in der Regel alle vier Jahre stattfinden. Diese Kongressbewegung war – ähnlich wie ihre ursprüngliche Form – eine von Laien getragene Bewegung mit Beteiligung von Geistlichen; bis in die jüngste Zeit war immer ein Laie Kongresspräsident. 1978 wurde das Kongresspräsidium erstmals von einer Frau – der Niederländerin Suse van Kleef-Hillesum (1926–1984)12 – wahrgenommen.13

4. Internationaler Alt-Katholiken-Kongress 1897 in Wien (Bischöfliches Archiv Bonn)

10 Zu nennen sind hier der in München lehrende Kirchenhistoriker und Spiritus Rector der alt-katholischen Bewegung, Ignaz von Döllinger (1799–1890), der in Bonn lehrende Philosoph und spätere alt-katholische Generalvikar Peter Knoodt (1811–1889) und der in Breslau lehrende Philosoph und Güntherianer Johannes Baptist Baltzer (1803–1871). Sie alle waren Priester. 11 Vgl. dazu Kessler, Vom Katholikentag zum Alt-Katholikenkongreß. Zu den Katholikentagen vgl. jetzt Arning/Wolf, Hundert Katholikentage. 12 Vgl. zu ihr: Berlis, Suse van Kleef-Hillesum. 13 Frauen wurden erst ab 1892 zur Teilnahme an Alt-Katholikenkongressen zugelassen; davor waren sie lediglich bei den Festessen und geselligen Zusammenkünften als Begleiterinnen erwünscht. Allerdings erhielten die Kongresse nach 1873 eine andere Funktion als die drei programmatischen Kongresse von 1871 bis 1873; sie waren v. a. identitätsstärkend und trugen – ab 1890 – zur Internationalisierung bei.

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Der historische Entstehenskontext alt-katholischer Bistümer im Deutschen Kaiserreich, der Schweiz und auf dem Gebiet der damaligen Habsburgermonarchie14 hatte einen wesentlichen Einfluss auf die Formulierung ihrer theologischen Programmatik.15 Drei Kennzeichen dieses theologischen Diskurskontextes seien genannt: Erstens geschah die Formulierung des alt-katholischen Anliegens im Bewusstsein, katholisch zu sein, jedoch nicht ultramontan. Die protestierenden KatholikInnen standen dem eigenen Verständnis nach in Kontinuität mit dem Katholizismus aus der Zeit vor dem Ersten Vatikanum; in einem umfassenderen Sinn ging es ihnen zudem um eine Rückbesinnung auf die Alte Kirche. Dazu gehörte auch, Fehlentwicklungen und Missstände in Verfassung und Kultus, die im Laufe der Geschichte (vor allem seit dem Mittelalter) entstanden waren, zu beheben. Die Frage des Geschlechterverhältnisses stand jedoch nicht auf der Agenda. Viele Gegner des Vatikanums hatten bereits in den Jahrzehnten vor dem Ersten Vatikanum zu denjenigen gehört, die der fortschreitenden Ultramontanisierung des Katholizismus Einhalt zu gebieten versucht hatten.16 Manche waren dabei ins kirchliche Abseits gerückt und ihre Werke verurteilt worden, andere fanden in ihren Bistümern Nischen für ihren Katholizismus, der immer weniger kompatibel wurde mit dem des römischen Papstes Pius IX. (1792–1878).17 Viele, die gegen das Konzil opponierten, rekurrierten in ihrem Protest auf konziliare Strömungen früherer Zeit, deren Wiederbelebung sie erhofften bzw. sogar einforderten. Zweitens geschah die Gestaltung und Formgebung der kirchlichen Organisation der AltKatholikInnen innerhalb des Denkrahmens und des Wissenshorizonts des 19. Jahrhunderts. So schöpfte etwa die 1874 in Geltung tretende Synodal- und Gemeindeordnung (SGO) ihre Inspiration aus der bischöflich-synodalen Verfassung der Alten Kirche und stand zugleich mit den Anliegen des modernen Staates in Einklang. Alt-katholische Gläubige nutzten bürgerliche Formen der Vergemeinschaftung: Die an vielen Orten bestehenden (Alt-) Katholikenvereine bildeten oft die Keimzellen für entstehende alt-katholische Gemeinden; sie stärkten das Laienelement im Alt-Katholizismus. Eine große Zahl der männlichen und weiblichen Alt-Katholiken entstammte dem katholischen Bürgertum, ihre Motive und

14 Die Geschichte der Alt-Katholischen Kirche der Niederlande wird hier ebenso ausgeklammert wie die jener alt-katholischen Bistümer, etwa der Polnisch-National-Katholischen Kirche in den USA, die erst um die Wende zum 20. Jahrhundert entstanden sind. 15 Das Folgende basiert – z. T. wörtlich, ohne im Einzelnen als Zitat ausgewiesen zu werden – auf den Thesen 3–5 meiner Dissertation, wurde für diesen Beitrag jedoch erweitert und aktualisiert: Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 628–634. 16 Dabei spielten etwa die Münchener Gelehrtenversammlung (1863) und die Gründung des Theologischen Literaturblattes (1864) eine wichtige Rolle. Vgl. dazu Schwaiger, Münchener Gelehrtenversammlung; Bischof, Theologie, kirchliches Lehramt und öffentliche Meinung. Zum Literaturblatt vgl. Kessler, Verständigungsversuch. 17 Wie Intellektuelle, die Gegner der Papstdogmen waren und sich zur römisch-katholischen Kirche bekannten, nach dem Ersten Vatikanum damit umgingen, habe ich am Beispiel der Historikerin Charlotte Lady Blennerhassett (1843–1917) näher untersucht: Berlis, „In meiner stillen Klause“.



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Handlungshorizonte entsprachen der Bandbreite bürgerlicher katholischer Religiosität.18 Was die Frömmigkeitspraxis angeht, so bezogen Alt-KatholikInnen ausdrücklich Stellung gegen Wallfahrten aller Art, eine überbordende Heiligen- oder Marienverehrung19, den Herz-Jesu-Kult20 etc.; sie alle galten ihnen als abergläubische und damit inferiore Ausdrucksformen eines ultramontan gewordenen Katholizismus. Sie waren in ihren Augen ein Indiz für die Verweiblichung ultramontaner Kirchlichkeit zur „bigotten Betschwesterei“ und die Effeminisierung der Männer – und dienten gleichzeitig dazu, die eigenen Auffassungen und Praktiken als „männlich“ auszuweisen.21 Im Hinblick auf den sonntäglichen Gottesdienstbesuch wurde alt-katholischen Gläubigen keine Sonntagspflicht auferlegt – der Nichtbesuch des Sonntagsgottesdienstes wurde demnach nicht durch Heilsentzug oder Kirchenstrafen geahndet. Auch an der Frage nach der Taufe eines Kindes aus einer konfessionell gemischten Ehe wird sichtbar, wie sich liberale Haltung der Alt-Katholikinnen bzw. Alt-Katholiken und Antiultramontanismus miteinander verbanden: Den Eltern wurden (anders als im römischen Katholizismus) kirchlicherseits keine Vorgaben gemacht, wo sie ihr Kind taufen ließen. An gängigen Geschlechterrollenzuschreibungen wurde allerdings kaum gerührt: Die im Bürgertum übliche Zuständigkeit der Frauen für Religion im privaten Raum galt auch im Alt-Katholizismus.22 Der Kirchenraum blieb, ähnlich wie im römischen Katholizismus (in manchen alt-katholischen Kirchen auf dem Land bis ins letzte Viertel 18 Alt-KatholikInnen allesamt dem Milieu eines liberalen Katholizismus zuzuordnen, geht in der Praxis für das Deutsche Reich nicht auf. Dies wird etwa in der Diskussion über die Aufhebung der Zölibatspflicht sichtbar, aber auch in einigen Selbstzeugnissen. So berichtet etwa der Laie und Kirchenrechtler Johann Friedrich von Schulte darüber, wie er sich von einem ultramontan gesinnten Katholiken zu einem Gegner der Papstdogmen entwickelt habe. Vgl. Berlis, Johann Friedrich von Schultes Stellung zu Zölibat, 52–56. In der Schweiz hingegen ist der Christkatholizismus (wie der schweizerische Alt-Katholizismus heißt) sehr stark vom (politischen und kirchlichen) Liberalismus geprägt. 19 Vgl. dazu Berlis, Maria in altkatholischer Sicht; Wolf, „Wahre“ und „falsche“ Heiligkeit. So war etwa Maria in der Frömmigkeit des 18. Jahrhunderts noch ein geschlechtsneutrales Vorbild für alle ChristInnen, im 19. Jahrhundert wurde sie zum „Ideal christlich vollkommener Weiblichkeit“. So aufgrund seiner Untersuchung von Andachtsbüchern Schlögl, Sünderin, 37. Alt-KatholikInnen waren in ihrer Frömmigkeitspraxis Maria gegenüber nicht nur zurückhaltender, etwa im Hinblick auf Marienfesttage, für die in der Regel der Christusbezug wiederhergestellt wurde, in der Ablehnung der Mariendogmen von 1854 und 1950 und in der Entfernung von Marienstatuen in alt-katholischen Kirchen, sondern standen der Marienverehrung in der römisch-katholischen Kirche im pianischen Zeitalter (1850–1950) außerordentlich kritisch gegenüber. 20 Vgl. Busch, Katholische Frömmigkeit, 83, 292–295. Auch für den römischen Katholizismus gilt, dass die Herz-Jesu-Verehrung v. a. Frauen anzog. Vgl. ebd., 270. 21 Vgl. Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 325. Feminisierung bzw. Maskulinisierung sind ein Aspekt in der Auseinandersetzung um bestimmte Formen der Kirchlichkeit. So ging es z. B. auch um die Bewertung der theologischen Wissenschaft und den Dialog mit der Moderne, die Alt-Katholiken im 19. Jahrhundert anders gewichteten, als die offizielle römisch-katholische Linie vorgab. Vgl. ebd. 22 Vgl. ebd., 321f. Rebekka Habermas spricht von einer „Familiarisierung der Religion im Privaten“, die seit dem 18. Jahrhundert geschehen sei. Habermas, Weibliche Religiosität, 128.

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des 20. Jahrhunderts), ein Ort der Geschlechtertrennung: in der Sitzordnung in der Kirche, aber auch im Chorraum. Drittens begriff sich die alt-katholische Bewegung als religiöse Reformbewegung, nicht jedoch als politische Oppositionsbewegung: Alt-Katholiken verstanden sich als gute Katholiken und gute Staatsbürger.23 Ein Konflikt mit dem Staat, der sie ja in ihren Rechten als Katholiken schützte, stand für sie außer Frage.24 Die relative Staatsnähe der Alt-Katholiken ging einher mit der Abgrenzung gegenüber dem römischen Katholizismus.25 Insbesondere in der Zeit des Kulturkampfs geschah diese Abgrenzung u. a. mithilfe einer Feminisierung des ultramontanen römischen Katholizismus, in seinen Ausdrucksformen und seinem Personal.26 Mit einer derartigen Klassifizierung des ultramontanen Katholizismus standen die Alt-KatholikInnen nicht allein, sie geschah auch auf liberaler und protestantischer, ja sogar auf jüdischer Seite.27 Die Auseinandersetzung zwischen Alt-Katholizismus und römischem Katholizismus unterscheidet sich davon insofern, als sie auf einen innerkatholischen Antagonismus hinweist: Er zeigt, wie sich diese beiden Ausformungen des Katholizismus gegenseitig feminisierten und sich dabei im Gegenzug selbst als „männlich“ darstellten.28 Die Verbreitung dieses rhetorischen Mittels macht deutlich, dass und wie die Feminisierung des Gegners allen damaligen gesellschaftlichen Gruppen und Gruppierungen als probates Mittel zur mehr oder weniger kämpferischen Abgrenzung gegen „Andere“ und zur Stärkung der eigenen Identität diente.29 Die grundsätzliche Akzeptanz der staatlichen Ordnung bestimmte auch die Gestaltung des innerkirchlichen Geschlechterverhältnisses innerhalb des Alt-Katholizismus im 23 Römischen Katholiken wurde in der damaligen Öffentlichkeit oft stereotyp vorgeworfen, dass sie als romtreue Personen nicht zugleich treue deutsche Bürger sein könnten. Die Alt-Katholiken hingegen machten immer wieder deutlich, z. T. sehr offensiv und abgrenzend gegenüber den römischen Katholiken, dass sie – ähnlich wie die Protestanten – keine Mühe hätten, ihre kirchliche Zugehörigkeit mit treuer Staatsbürgerschaft zu vereinbaren. Zum Alt-Katholizismus und seiner Sichtweise des Kulturkampfs vgl. Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 182–185, 543; zum römischen Katholizismus vgl. Borutta, Antikatholizismus. 24 Dies ist ein wichtiger Unterschied zwischen dem 1844 entstandenen Deutschkatholizismus und dem Alt-Katholizismus. Vgl. zum Deutschkatholizismus: Paletschek, Frauen und Dissens. Alt-Katholiken distanzierten sich aufgrund ihres kirchlichen Selbstverständnisses dezidiert vom Deutschkatholizismus. 25 So war dem Alt-Katholizismus z. B. eine Lehre wie die über die römisch-katholische Kirche als „societas perfecta“ (= eine „vollkommene Gesellschaft“, neben oder sogar über der weltlichen Obrigkeit und dem säkularen Staatsgebilde stehend) völlig fremd. 26 Manuel Borutta sieht gar „Geschlecht als Movens des Kulturkampfes“: Borutta, Kulturkampf als Geschlechterkampf, 114. 27 Zur Feminisierung des römischen Katholizismus vgl. ders., Das Andere der Moderne. 28 Vgl. dazu Berlis, Celibate or Married Priests. 29 Die Bezugnahme auf die „Anderen“ ist konstitutiver Bestandteil des relationalen Charakters von Identität. Gleichsein und Anderssein sind reziprok miteinander verbunden. Vgl. dazu Lorenz, Representations of Identity, 25. Vgl. dazu auch Berlis, Überlegungen zur historischen Identität.



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19. Jahrhundert mit. So wären die meisten Alt-KatholikInnen nicht auf den Gedanken gekommen, die dominante Geschlechterordnung – etwa durch die Forderung des politischen Wahlrechts für Frauen – grundsätzlich infrage zu stellen. Diese Verbundenheit mit der staatlichen Ordnung schränkte im 19. Jahrhundert allerdings die Möglichkeiten von Frauen zur Partizipation erheblich ein: Frauen waren aufgrund ihrer bürgerlich-rechtlichen Stellung von der vollen Ausübung kirchlich garantierter Laienrechte ausgeschlossen. Die gesellschaftliche Realität stand faktisch in einem angespannten Verhältnis zum Ideal der Mitverantwortung aller Kirchenmitglieder, wie sie bei den Kongressen der AltKatholiken und in der SGO vertreten wurde. Die alt-katholische Bewegung verstand sich als Sprachrohr der Stimmen, die innerhalb des Katholizismus im 19. Jahrhundert die (Wieder-)Einführung von Synoden auf Landesebene und die Partizipation der Laien gefordert hatten. Ein Beispiel für diese Forderung ist die sogenannte „Koblenzer Laienadresse“, die 1869, kurz vor dem Konzil im Bistum Trier und später auch im Erzbistum Köln von engagierten Laien ihren jeweiligen Bischöfen als Wunsch für das nächste Konzil mit auf den Weg gegeben wurde.30 Die Forderung einer auch juridisch gesicherten Laienpartizipation am Kirchenregiment wurde im jungen Alt-Katholizismus von Anfang an aufgegriffen und – in der neu geschaffenen SGO von 1874 – gesetzlich verankert.31 Es wurde damals nicht wahrgenommen, dass der Begriff „Laie“ ein gegenderter Begriff war: Der Anspruch auf kirchliche Mitspracherechte wurde für „alle“ Laien erhoben, die Rechte selbst aber konnten in vollem Ausmaß im 19. Jahrhundert nur Männer ausüben.

2. Imaginierte und reale Handlungsräume alt-katholischer Frauen Es wird oft die These vertreten, Frauen besäßen in der Anfangsphase historischer Erneuerungsbewegungen mehr Handlungsraum, der ihnen in der Regel mit zunehmender Etablierung der Bewegung nach und nach wieder genommen werde. Diese Aussage trifft für den in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Deutschkatholizismus zu, der Frauen – entgegen den staatlichen Ordnungen – gleiche Rechte gab32, für die alt-katholische Bewegung jedoch nicht. Die Chancen der ersten Stunde wurden bereits im Vorfeld des Katholikenkongresses von 1871 – der erste in der Zählung der Alt-Katholikenkongresse – vergeben. Damals wurden Frauen von der Teilnahme am Kongress und damit von der Besprechung grundlegender Aspekte alt-katholischen ekklesiologischen Selbstverständnisses ausgeschlossen. 33 Dieser Entscheid des Münchener Organisationskomitees überraschte wohl auch die Frauen; manch 30 Vgl. zur Koblenzer Laienadresse: Zum bevorstehenden allgemeinen Concil. 31 Vgl. dazu Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 191–199. Abdruck der SGO bei Schulte, Altkatholizismus, 46–55. 32 Vgl. dazu Paletschek, Frauen und Dissens. 33 Vgl. für das Folgende Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 257–264.

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eine hatte sich bereits auf den Weg nach München gemacht, um am Kongress teilzunehmen. Der Ausschluss hatte politische und kirchenpolitische Gründe: Wären Frauen zugelassen worden, wäre der ultramontanen Seite ein Mittel in die Hand gegeben worden, die Versammlung der Alt-Katholiken zu sprengen. Denn aufgrund der damaligen Bayerischen Vereinsgesetzgebung durften Frauen Versammlungen mit „politischem“ Charakter nicht beiwohnen. In der damaligen kämpferischen nachvatikanischen Atmosphäre jedoch konnte selbst eine Versammlung kirchlichen Charakters in den Augen der gegnerischen Seite leicht als politische Manifestation eingestuft werden. So entschied das Kongresskomitee sich aus Gründen der Vorsicht für den Ausschluss der Frauen vom Kongress. Dies wurde als Hemmnis für die alt-katholische Bewegung erkannt,34 denn man war sich bewusst, dass die angestrebten Reformen nur dann durchführbar sein würden, wenn sie von Männern und von Frauen gleichermaßen getragen würden. Deshalb hielten führende Alt-Katholiken bereits wenige Wochen nach dem Kongress in München spezielle Vorträge für „die christlich denkenden Frauen der bairischen Residenz“ ab, um sie „über Zweck und Ziel der kirchlichen Reformbewegung“ zu informieren.35 Die Ultramontanen nahmen diese und andere Vorträge als willkommenen Anlass, den anwesenden Frauen mangelnde Frömmigkeit und „unweibliches“ Verhalten vorzuwerfen und über sie die gesamte alt-katholische Bewegung zu verunglimpfen und zu feminisieren.36 Trotz solcher Veranstaltungen wurde faktisch jedoch die nur teilweise Einbeziehung von Frauen in alle kirchlichen Rechte durch die meisten männlichen Alt-Katholiken nicht wirklich infrage gestellt – und zwar bis ins 20. Jahrhundert hinein. Dies hatte zum einen politische Gründe: Neben dem bereits erwähnten staatsfreundlichen Selbstverständnis der alt-katholischen Kirche dürfte auf der individuellen Ebene auch die Nähe vieler führender männlicher Alt-Katholiken zum nationalliberalen Lager eine Rolle gespielt haben; für sie stand die Diskussion von Frauenrechten nicht auf der politischen Tagesordnung.37 In dieser Sicht der bürgerlichen Geschlechterrollenzuschreibung war ein vollumfängliches weibliches Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht schlicht nicht vorgesehen. Zum anderen spielte aber auch ein innerkirchlicher Faktor eine Rolle, der nicht unterschätzt werden darf: Bei den ersten Kongressen der Alt-Katholiken stand die Verhältnisbestimmung zwischen Klerus und Laien im Vordergrund. Es sollte keinen Standesunterschied zwischen Laien und 34 Vgl. Schulte, Altkatholizismus, 343. 35 Rheinischer Merkur 2 (1871), 450. 36 Vgl. Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 356f. Die Feminisierung der alt-katholischen Bewegung durch ihre Gegner geschah auch dadurch, dass den führenden alt-katholischen Geistlichen zu nahe Kontakte zu Frauen unterstellt wurden: Die alt-katholische Bewegung bestehe außer aus Laien auch aus einer „Handvoll Priester, die entweder von eitler Wissenschaft aufgebläht waren, wie der Probst Döllinger, oder Weiber zu nehmen wünschten“. Rheinischer Merkur 2 (1871), 442. Der alt-katholische „Rheinische Merkur“ zitiert hier aus der Civiltà Cattolica vom 21. Oktober 1871, 158 (Bericht über den Kongress in München). 37 Vgl. zur Thematik: Schaser/Schüler-Springorum, Liberalismus und Emanzipation, insbes. Planert, Liberalismus und Antifeminismus.



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Priestern geben, keine Unter- und Überordnung von Laien und Klerus. Angestrebt wurde ein Zusammenspiel von Geistlichkeit und Laienschaft: Der Priester sollte seine Rolle als Seelsorger und als religiöser Leiter, die Laien sollten ihre religiöse Mitverantwortung wahrnehmen. Dabei grenzte man sich gegen die Ultramontanisierung des Klerus ab und setzte ihr ein aufgeklärt-bürgerliches, je nach geografischer Lage späthermesianisch- oder wessenbergianisch-pastoral geprägtes Priesterbild entgegen; dieses Priesterverständnis trug Züge reformerischer Ansätze im Katholizismus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.38 Gender spielte in den Diskussionen bei den Kongressen und in der alt-katholischen Presse auch bei physischer Abwesenheit von Frauen eine Rolle.39 In verschiedenen Reden der Kongressteilnehmer wurden die „guten“ alt-katholischen Frauen den „schlechten“ ultramontanen Frauen gegenübergestellt: Stereotype negative Frauenbilder waren dabei die vom Klerus abhängige und für klerikalen Einfluss in der Familie instrumentalisierte Frau im Beichtstuhl oder auch die romzentrierte Barmherzige Schwester – beide wurden als „Ausgeburten“ fehlgeleiteter ultramontaner Frömmigkeitspraxis angesehen, mit denen exemplarisch die Auswirkungen des ultramontanen Systems aufgezeigt werden konnten.40 Auch die römisch-katholische Seite setzte mit ihrer Polemik gegen die Alt-KatholikInnen in dieser Zeit oft bei den Frauen an, indem sie etwa auf die größere Zahl weiblicher als männlicher Gottesdienstbesuchender bei alt-katholischen Gottesdiensten hinwies. Dies diente als Erweis für die Bedeutungslosigkeit des Alt-Katholizismus, der als eine von Frauen und von Priestern auf der Suche nach Frauen dominierte Bewegung nicht ernst zu nehmen sei.41 Die theologische Auseinandersetzung um das Erste Vatikanum trat in der Popularpolemik in den Hintergrund, indem die gegnerische Seite feminisiert wurde. Was waren die Folgen der eingeschränkten rechtlichen Mitverantwortung der Frauen im 1873 begründeten Bistum für die Alt-Katholiken im Deutschen Reich? In der SGO findet sich zum Beispiel die Bestimmung, dass jede Gemeinde Vertreter in die Synode wählt. Die Synode wählt den Bischof. Der „Vater“ des alt-katholischen Kirchenrechts, Johann Friedrich von Schulte (1827–1914), war stolz auf diese Bestimmung. Er – und andere mit ihm – betrachteten das Recht auf die Bischofswahl durch Klerus und Laien als Errungenschaft, mit der die Alt-KatholikInnen zur Praxis der Alten Kirche zurückkehrten, war doch dieser Wahlmodus auch in Rom bis ins Mittelalter üblich gewesen; 38 Vgl. dazu etwa Götz von Olenhusen, Ultramontanisierung des Klerus; Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 223–225. 39 John Tosh stellt fest, „dass Gender allen Aspekten sozialen Lebens innewohnt, ob nun Frauen physisch anwesend sind oder nicht“. Tosh, Geschichtswissenschaft, 161. 40 Vgl. dazu Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 323–335. Alt-katholische Polemik und andere anti-ultramontane Polemik, etwa von Liberalen und Protestanten, glichen einander dabei durchaus und fanden sich z. B. im gleichen Verein: vgl. Schloßmacher, Entkirchlichung. Vgl. für weitere Beispiele etwa die Bildpolitik einer Zeitschrift wie der „Gartenlaube“ oder die Veröffentlichungen des französischen Historikers Jules Michelet (1798–1874), so etwa Michelet, Der katholische Priester. Vgl. dazu Gross, War against Catholicism. 41 Vgl. etwa Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 356f. und öfter.

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gleichzeitig waren sie auf der Höhe ihrer Zeit und damals sogar fortschrittlicher als die evangelischen Kirchen.42 Doch an den Frauen ging die Schaffung dieser Strukturen der Mitverantwortung zunächst vorbei. Durch die Taufe waren sie Glieder der Kirche, als Frauen aber besaßen sie nicht dieselben Rechte wie die Männer, da sich die vollberechtigte kirchliche Mitgliedschaft an den bürgerlichen Rechten orientierte. Die Wiedergewinnung des kirchlich garantierten Mitsprache- und Mitentscheidungsrechts der Laien in der Alt-Katholischen Kirche betraf so bis 1920 vom rechtlichen Standpunkt her betrachtet vollumfänglich allein die männlichen Laien. Obwohl viele alt-katholische Frauen und einige alt-katholische Männer diese gebrechliche Gleichberechtigung der Frauen infrage stellten, änderte sich die Situation erst 1920: Nachdem Frauen in der Weimarer Republik 1919 das bürgerliche passive und aktive Wahlrecht erlangt hatten, erhielten sie ein Jahr später auch im deutschen alt-katholischen Bistum de iure die volle Gleichberechtigung als Laiinnen. Für die Zeit davor muss zwischen einem Laienbegriff de iure und einem Laienbegriff de facto unterschieden werden. Denn in der alt-katholischen gemeindlichen und kirchlichen Praxis entwickelte sich ab 1873 ein De-facto-Laienbegriff, der Männer und Frauen umfasste.43 Es waren äußere Umstände und das große Engagement von Frauen, die der vollständigen Inklusion der Frauen im 20. Jahrhundert den Weg ebnen sollten. Was die äußeren Umstände angeht, so kam es mit dem Ende des Kulturkampfes in Deutschland und dem Aufbau alt-katholischer Gemeinden und des gesamten Bistums für die Alt-Katholiken zu einer „Familiarisierung“ der alt-katholischen Gemeinden, d. h. zu einer Konsolidierung und Konzentration auf das Gemeindeleben, die damit einherging, dass die Gemeinde zur „Familie“ wurde.44 Dies wird in Familienabenden sichtbar, wie sie in vielen Gemeinden üblich wurden. Sie wurden oft mit Vorträgen verbunden und erfüllten eine wichtige Funktion: In einer Zeit, in der „die gesellschaftliche Absonderung von den römisch-katholischen Mitbürgern“45 ein Fakt geworden war, dienten sie dem Zusammenhalt der Gemeindemitglieder, der Freundschaftspflege untereinander und der 42 Vgl. Schulte, Lebens-Erinnerungen I, 337. 43 Die Gemeindepraxis, die in verschiedenen Gemeindearchiven dokumentiert wird, ist eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion des Laienbegriffs, wie er de facto gehandhabt wurde. Vgl. Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 368. 44 Vgl. ebd., 369. „Familiarisierung“ wird meist verstanden als Verlagerung des Mittelpunktes des religiösen Lebens von der Kirche auf Haus und Familie und verbunden mit der Abnahme seiner öffentlichen Bedeutung, so etwa Habermas, Weibliche Religiosität, 127. Ich benutze den Begriff hier anders, da ich die Familiarisierung mit der Gemeinde und nicht mit einer innerhäuslichen Praxis verbinde: Es geht darum, dass die Gemeinde zur Familie wird. Dies hat natürlich auch Konsequenzen für das Verhältnis zur Öffentlichkeit, kann aber nicht im Sinne eines Rückzugs daraus verstanden werden, sondern als neue Verhältnisbestimmung zwischen öffentlichem und privatem Bereich. Vgl. ebd., 369. 45 So der alt-katholische Pfarrer und Publizist Jentsch, Wandlungen, 395. Jentsch weist zudem darauf hin, dass es oft „Gruppen befreundeter Familien gewesen seien, die sich seinerzeit dem Altkatholizismus angeschlossen hatten“. Ebd.



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Vergewisserung über gemeinsame alt-katholische Anliegen. Bei ihnen wurde vieles besprochen, was die Gemeinde anging. In diesen halb öffentlichen, halb privaten Räumen fanden Frauen Möglichkeiten selbstständiger Mitwirkung und Mitsprache. Rollenkonflikte für Frauen stellten sich hier nicht.46 Auch die Frauenvereine stützten in der zeitgenössischen Wahrnehmung den „familiären Sinn“ der Gemeinde.47 Aber nicht nur das: Frauen schufen sich durch ihr kirchliches Engagement eigene Handlungsräume und trugen damit selbst wesentlich zur Erweiterung des Laienbegriffs bei. Frauenvereine übernahmen – entsprechend den Geschlechterrollenzuschreibungen – als karitatives Sozialnetzwerk die diakonischen Aufgaben der Gemeinde. Doch beschränkten sich die Frauen nicht auf die reine Liebestätigkeit. In der Gemeinde Freiburg im Breisgau zum Beispiel kämpfte der Frauenverein mit vereinten Kräften dagegen an, als der Gemeindepfarrer um die Jahrhundertwende Beichtstühle in der Kirche anbringen wollte.48 Der Frauenverein argumentierte einerseits mit einer Erklärung der Synode von 1874, welche die Ohrenbeichte kritisch infrage gestellt hatte, und andererseits mit der seitdem gewachsenen Praxis in alt-katholischen Gemeinden, die faktisch einer Abschaffung der Ohrenbeichte gleichkam – in seiner Haltung übernahm der Frauenverein den Standpunkt der Synode und machte damit auch die eigene Freiheit und Gewissensentscheidung in Bezug auf die Beichte geltend.49 Außerdem stellte er seine finanzielle Unterstützung des Pfarrers ein. Am Ende musste dieser klein beigeben. Das Beispiel zeigt, dass Frauen sich nicht von ihren Pfarrern bevormunden ließen, sondern selbstbewusst die Rechte der Laien auf kirchliche Mitverantwortung auch auf sich als Frauen anwendeten.50 Im Jahr 1912 wurde der Verband Alt-Katholischer Frauenvereine als Dachverein der an vielen Orten bestehenden Frauenvereine gegründet.51 Der Verband setzte sich von Anfang an für das kirchliche Stimmrecht von Frauen ein. Hier war allerdings kein Erfolg beschieden, da die führenden Männer aus Vorsicht den vom Staat gesetzten Rechtsrahmen nicht zu überschreiten wagten. So erhielten Frauen in der Alt-Katholischen Kirche erst nach der Einführung des politischen Stimmrechts zu Anfang der Weimarer Republik ab 1920 das passive und das aktive kirchliche Stimmrecht. Damit hielten Frauen ab 1921 Einzug in die Synode.

46 Für ein Beispiel des Stellenwertes solcher Familienabende und der „Familiarisierung“ alt-katholischer Gemeinden vgl. über die Gemeinde Kempten im Allgäu: Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 292–301. 47 Vgl. ebd., 369. 48 Ebd., 342–352. 49 Ebd., 337–342. 50 Ein anderes Beispiel ist die Gründung des Frauenvereins in Karlsruhe, die Therese von Miltitz (1827–1912) gegen Pfarrer und Kirchenvorstand durchsetzte. Vgl. dazu Berlis, Müßige Zuschauerinnen, 156–158. 51 Vgl. dazu dies., Bund Alt-Katholischer Frauen.

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3. Feminisierung des Alt-Katholizismus im 19. Jahrhundert? Die bisherige Darstellung zeigt, wie schwierig es ist, das Konzept einer Feminisierung auf den Alt-Katholizismus im 19. Jahrhundert anzuwenden.52 Da sich die alt-katholische Bewegung und Kirche jedoch als religiöse Erneuerungsbewegung und nicht als staatskritische Größe verstand, die meisten ihrer Mitglieder obendrein liberal orientiert waren, wurde die Genderfrage nicht ausdrücklich auf das kirchliche Reformprogramm gesetzt. In der Öffentlichkeit wurde das Bild der alt-katholischen Kirche von Männern bestimmt; in der Gemeindewirklichkeit eroberten sich Frauen zwar ihre festen Plätze und Verantwortlichkeiten und trugen so zur Erweiterung des gegenderten Laienbegriffs bei. Die hohe Wertschätzung des Laientums, Reformen wie die Gewährleistung von Mitspracherechten oder die Einführung der Volkssprache in die Liturgie und die damit verbundenen Möglichkeiten zur aktiven Partizipation stärkten das Selbstbewusstsein der Laien im Alt-Katholizismus, in das Frauen sich ebenfalls einschlossen bzw. weitgehend eingeschlossen fühlten. Wenn Feminisierung so verstanden wird, dass Frauen als für die Religion zuständig angesehen und für „frömmer“ als die Männer gehalten werden, so gilt dies entsprechend der Geschlechterrollenzuschreibungen im 19. Jahrhundert grundsätzlich auch in den altkatholischen Gemeinden. Allerdings wird da, wo der Einfluss des römisch-katholischen Klerus auf die Frauen und ihre Familien vermutet wird, auch die Ambivalenz einer einseitig von Frauen verantworteten religiösen Sozialisation der folgenden Generation deutlich angesprochen.53 Die Kritik am ultramontanen Katholizismus, der als sentimental, süßlich, frömmelnd, Abhängigkeiten schaffend und „weiblich“ konnotiert wurde, schuf offensichtlich für altkatholische Männer genug Anknüpfungspunkte für ihre Bindung an den Alt-Katholizismus, der sich selbst als reformorientiert, aufgeklärt, wissenschaftlich offen, intellektuell selbstbestimmt und durchaus auch als aufgeschlossen fromm sah.54 Männer konnten hier eine

52 Auf die Problematik des Begriffs verweist u. a. Tine Van Osselaer, die vor einem essenzialistischen Verständnis von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ warnt. Van Osselaer, Pious Sex, 241. Sie plädiert für eine komplexere Herangehensweise: „Rather it [sc. a more complex approach] should motivate us to rethink, redefine and make sure that the historical and geographical variability of gender constructions can be discussed in religious history. Similarly, the complexities of the Catholic landscape, its multiformity and evolutions have to be brought into the discussions.“ Ebd., 243. 53 Vgl. dazu Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 322. 54 „Selbstbestimmung“ und „Unabhängigkeit“ sind Begriffe, die im Diskurs des 19. Jahrhunderts immer männlich konnotiert sind. Vgl. Zwicker, New Directions, 328. Der Widerstand gegen die vatikanischen Dogmen und das Nichterbringen des geforderten „sacrificium intellectus“ (Opfer des Verstands) konnte in diesem Diskurs als mutige „männliche Tat“ angesehen werden – und wurde auch so wahrgenommen.



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männliche, selbstbestimmte Form des Katholizismus leben, die obendrein nicht mit dem (staats-)bürgerlichen Wertehimmel in Konflikt zu kommen brauchte.55 Die ursprüngliche Feminisierungsthese, die von einer Zunahme der Präsenz von Frauen in bestimmten Bereichen der Kirche ausging, lässt sich auf den Alt-Katholizismus nicht anwenden. Im römischen Katholizismus wird die zunehmende Präsenz von Frauen im 19. Jahrhundert u. a. mit dem „Frauenkongregationsfrühling“ in Verbindung gebracht.56 Im Alt-Katholizismus kam es nicht nur nicht zur Bildung oder Übernahme solcher Formen religiöser Vergemeinschaftung, sondern stattdessen zu einer außerordentlich kritischen Auseinandersetzung mit der Rolle der Orden und Kongregationen, die als Stützen des Ultramontanismus angesehen wurden. Die Rolle der Ordensfrau oder Schwester, die den ultramontanen Katholizismus mit Haut und Haar unterstützt, blieb negativ besetzt.57 Ergiebiger erscheint es, die Feminisierungsthese im Rahmen der Maskulinisierung zu diskutieren: Denn für die Feminisierung der Gegner lassen sich etliche Belege finden, insbesondere auf der Höhe der Auseinandersetzungen in den Jahren nach dem Ersten Vatikanum, die mit dem Kulturkampf zusammenfielen. Die polemische Feminisierung der Gegenpartei und die eigene Maskulinisierung – zwei Seiten einer Medaille – geschahen in einer kirchlichen und gesellschaftlichen Umbruchzeit. Sie sind als Teil einer „Krisenrhetorik“ zu betrachten, als „Strategie, um den hegemonialen Status von Männlichkeiten in Zeiten des Wandels zu stabilisieren“.58 In der Auseinandersetzung um das Erste Vatikanum ging es um die Frage, welche Position sich im öffentlichen Diskurs als wahrlich „katholisch“ behaupten konnte. Die je eigene Position wurde in polemischen Akten der rhetorischen „Re-Souveränisierung“ mit dem Anspruch verbunden, männlich bzw. mannhaft katholisch zu sein, während die Gegenseite diskursiv verweiblicht wurde.59

55 Verschiedene Autoren weisen darauf hin, dass der Staat im Denken etwa eines Johann Caspar Bluntschli als männlich, die Kirche als weiblich gedacht wird. Vgl. etwa Borutta, Antikatholizismus, 268–326; ders., Kulturkampf , 118–120. 56 Vgl. dazu Meiwes, Arbeiterinnen. 57 Die einzige Ausnahme ist Sr. Augustine, mit bürgerlichem Namen Amalie von Lasaulx, die in offenen Widerstand gegen die vatikanischen Dogmen geriet und in der alt-katholischen Kirche als Bekennerin verehrt wird. Ihr Mut wurde regelmäßig als „männlich“ angesehen. Vgl. zu ihr: Berlis, Means of Submission. Auch die Gründung zweier alt-katholischer Schwesternschaften ab Ende der 1880erJahre mit Mutterhäusern in Bonn und in Essen gehört letztlich zur Ausnahme, welche die Regel bestätigt: Sie geschah als Schutzmaßnahme gegen römisch-katholische Schwestern, die oft alt-katholische Gläubige auf dem Sterbebett zu bekehren versuchten. Da die beiden Schwesternschaften, die nach wenigen Jahren zu einer Schwesternschaft zusammengeführt wurden, immer relativ klein blieben, kommen sie nicht als Faktor einer möglichen Feminisierung des Alt-Katholizismus in Betracht. An den Orten ihres Wirkens waren die Schwestern (ähnlich wie auch alt-katholische Lehrerinnen und Lehrer, da wo es alt-katholische Schulen gab) anerkannte Autoritätspersonen neben dem Pfarrer. 58 Lücke, His-story, 71. 59 Hinzu kam außerdem der nationale Aspekt als weitere Verstärkung.

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4. Alt-katholische Frauen im Kirchenraum Bei den Alt-Katholikenkongressen zwischen 1871 und 1873 ging es nach innen um die Verhältnisbestimmung zwischen Klerus und Laien und nach außen um die Abgrenzung gegen den Ultramontanismus. Die Abgrenzung geschah auf mehreren Ebenen, einer theologischhistorischen, die auf wissenschaftlicher Ebene ausgetragen wurde, und einer polemischrhetorischen; letztere geschah in der Hoch-Zeit des Kulturkampfs oft auch in Form der Feminisierung der Gegenpartei und einer Selbstmaskulinisierung. In der folgenden Phase ging es um die Verhältnisbestimmung zwischen männlichen und weiblichen Laien: Frauen eroberten sich erst nach und nach männlich besetzte Laienräume. So war es lange Zeit nicht üblich, dass Frauen in der Liturgie eine Funktion übernahmen. Zwar hatte die altkatholische Synode bereits im Jahr 1877 die Möglichkeit geschaffen, an Sonntagen, an denen kein Priester zur Verfügung stand, einen von einem Laien geleiteten Wortgottesdienst zu feiern.60 In der Regel übernahmen die (männlichen) Mitglieder des Kirchenvorstands an einem Ort diese Aufgabe.61 Auch der 1920 bistumsweit eingeführte „Frauensonntag“ blieb lange ein Gottesdienst „für“ die Frauen; erst ab Ende der 1960er-Jahre begannen Frauen, die Gestaltung dieses Gottesdienstes zu übernehmen.62 Frauen wurden nach 1920 zwar recht schnell in Kirchenvorstände und als Synodenabgeordnete gewählt, aber es sollte mehr als 50 Jahre – bis 1967 – dauern, bis die erste Frau in die „Synodalvertretung“, ein aus LaiInnen und Geistlichen bestehendes Gremium, das zusammen mit dem Bischof die Kirche leitet, gewählt wurde.63 Das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Laien war trotz rechtlicher Gleichstellung ziemlich lange eines der faktischen Nachordnung der weiblichen Laien. Auch hier waren es (ähnlich wie im 19. Jahrhundert) die Frauen selbst, die (darin unterstützt durch den 1912 gegründeten Frauenverband) nach und nach ihre Rechte geltend machten und – immer im Rahmen gesellschaftlicher Transformationsprozesse – ihre Handlungshorizonte und -räume veränderten und ausdehnten.

60 Vgl. Beschlüsse der vierten Synode der Altkatholiken des deutschen Reiches, 9–11. 61 Für die Zeit während des Kulturkampfs sind auch für manche römisch-katholische Diözesen Laiengottesdienste belegt, im Bistum Paderborn wurden solche Gottesdienste oft von römisch-katholischen Volksschullehrern geleitet. Die Praxis endete abrupt, sobald eine Pfarrstelle – oft erst nach dem Ende des Kulturkampfes – wieder besetzt wurde und die „mitsorgenden Gemeinden“ wieder zu „versorgten Gemeinden“ wurden. Müller, Laiengottesdienste, 38. Motivation und Hintergrund für die Einführung solcher Laiengottesdienste waren zwar für den Alt- und den römischen Katholizismus unterschiedlich, Anknüpfungspunkte konnten aber beide in der gemeinsamen Tradition finden. So weist Kohlschein im Hinblick auf das Bistum Basel darauf hin, dass das Wessenberg-Gesangbuch „viele Hilfen zur Gottesdienstgestaltung enthielt“. Vgl. auch Kohlschein, Priesterlose Gottesdienste, 158, Anm. 5. 62 Vgl. Berlis, Laienfrauen und Liturgie. 63 Vgl. dies., Frauen im Prozess der Kirchwerdung, 276.



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Ab den 1960er-Jahren setzte, initiiert vom Bund Alt-Katholischer Frauen und unter dem allgemeinen Einfluss der Neuen Frauenbewegung, eine grundsätzlichere Besinnung auf die Rolle der weiblichen Laien in der alt-katholischen Kirche ein; sie nahm Gestalt an in Schulungen für individuelle Frauen, um so ihre (ehrenamtliche) Arbeit in Kirchenvorstand und Synodalvertretung zu erleichtern. Etwa zur gleichen Zeit begann, zunächst auf leisen Sohlen daherkommend, in den alt-katholischen Kirchen die Diskussion über die Frauenordination.64 Ab den 1970er-Jahren wurde die Frage der Einbeziehung von Frauen in das dreifache Amt (Diakonat, Priester- und Bischofsamt) zum gesamtkirchlichen Diskussionsthema. Ohne hier den Diskussionsverlauf bis zur Öffnung des Diakonats ab Mitte der 1980er- und des Presbyterats ab Mitte der 1990er-Jahre im Einzelnen nachzeichnen zu können, seien ein paar zum Thema dieses Beitrags passende Beobachtungen wiedergegeben. In den 1970er-Jahren war oft das Argument zu hören, Frauen hätten in der Alt-Katholischen Kirche alle Rechte als Laiinnen, könnten sich als solche voll verwirklichen und „bräuchten ein Amt doch gar nicht“. Viele konnten sich in den 1960er-Jahren einen „Dienst“ von Frauen nur im Rahmen gängiger Geschlechterrollen vorstellen, ein geweihtes Leitungs-„Amt“ für Frauen kam für viele noch nicht infrage. Dass sich solche Sehweisen gesamtgesellschaftlich stark veränderten, Frauen im gesellschaftlichen Alltagsleben in Leitungsfunktionen erfahrbar wurden und auch theologisch-anthropologisch das Geschlechterverhältnis anders gedacht wurde, hat in verschiedenen alt-katholischen Kirchen zu einem synodal gestalteten Umdenken und zur Einführung der Frauenordination geführt. Die Genderfrage verlagerte sich damit im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts auf die Träger des Amtes. In dieser Entwicklung eine Feminisierung des Amtes im Alt-Katholizismus zu sehen, würde allerdings zu weit gehen. Eine solche Aussage ließe sich erstens rein zahlenmäßig nicht belegen: Die Zahl der Frauen im Amt ist immer noch gering im Vergleich zu den Männern im Amt;65 es zeichnet sich derzeit nicht ab, dass der Pfarrberuf in der alt-katholischen Kirche zu einem Frauenberuf oder von seinem geistlichen Profil her feminisiert wird.66 Aber auch – zweitens – im Hinblick auf die theologische Begründung des Amtes geht es hier eher um Anpassungen an neue Gegebenheiten denn um eine neue Amtstheologie an sich. Die wichtigste sprachliche Veränderung seit Mitte der 1990er-Jahre ist drittens, dass sich das Wort „Priesterin“ in den Sprachgebrauch eingebürgert und dabei frühere Konnotationen (heidnisch, vorchristlich) hinter sich gelassen hat. Was spätestens die Einbeziehung von Frauen ins Amt gezeigt hat, ist, wie unzureichend rein männliche Denk- und Sprachformen heute in der Kirche sind. Wieder war es der Bund Alt-Katholischer Frauen, 64 Vgl. dazu u. a. dies., Women’s Ordination; dies., Auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit. 65 Graf versteht „Feminisierung“ im Sinne einer weiblichen Mehrheit, wie sie sich etwa im evangelischen Pfarrberuf durchgesetzt habe. Vgl. Graf, Kirchendämmerung, 10. 66 Dies nimmt Graf für die evangelischen Kirchen wahr. Vgl. Graf, Kirchendämmerung, 105: „Die Ehefrau und Mutter auf der Kanzel steht für ein ganz anderes Rollenverständnis des Pfarrberufs, als es im römischen Katholizismus kultiviert wird.“ Graf zufolge „dürften die fundamentalen Gegensätze zwischen katholischem Priester und evangelischem Pfarrer durch die vielen Pfarrerinnen im schwarzen Talar verstärkt öffentlich sichtbar werden“.

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der erfolgreich im Hinblick auf Kirchenrecht und Liturgie für eine beide Geschlechter einbeziehende Sprache plädiert hat. Doch geht es hier weniger um Feminisierung oder Maskulinisierung als vielmehr um (ausgleichende) Geschlechtergerechtigkeit, ja vielleicht sogar – wie eine empirische Studie kürzlich feststellte – um eine „Egalisierung der Geschlechter“ im heutigen Alt-Katholizismus.67 Insgesamt ist Zurückhaltung geboten, die stärkere Präsenz und Einbeziehung von Frauen in Funktionen der Mitverantwortung und Leitung im 20. Jahrhundert, insbesondere seit den 1960er-Jahren, im deutschen Alt-Katholizismus als „Feminisierung“ zu bezeichnen. Die jetzt Lebenden würden es wohl eher als Aufbruch der Frauen bezeichnen, die zu einem Gleichgewicht der Geschlechter auf der Ebene der Laien und auf der Ebene der Geistlichkeit geführt hat und weiter führen wird.68 Die Frage der Feminisierung im religiös-kirchlichen Kontext steht heute in einem anderen historischen und gesellschaftlichen Bezugsrahmen als im 19. Jahrhundert. Wie in diesem Beitrag aufgezeigt, ging es in den 1870er-Jahren um polemisch-apologetische Zuschreibungen in einer konfliktreichen Situation starker Veränderungen mit dem Ziel, die eigene Position als maskulin zu stärken. Heute geht es bei der Diskussion über Feminisierung um die öffentliche Rolle der Kirche bzw. ihre gesellschaftliche Marginalisierung. Dies lediglich mit einem Geschlecht zu verbinden, erscheint als Sackgasse.69 In beiden Fällen ist es angebracht, sich der Konsequenzen für die Deutung von Geschlecht und des implizierten Geschlechterverhältnisses im jeweiligen historischen Kontext bewusst zu werden.

Quellen und Literatur Arning Holger/Wolf Hubert: Hundert Katholikentage. Von Mainz 1848 bis Leipzig 2016, Darmstadt 2016. Berlis Angela: Frauen im Prozess der Kirchwerdung. Eine historisch-theologische Studie zur Anfangsphase des deutschen Altkatholizismus (1850–1890), Frankfurt 1998. Berlis Angela: Müßige Zuschauerinnen? Zur Partizipation von Frauen in der Anfangszeit der alt-katholischen Kirche (1870–1890), in: Siegele-Wenschkewitz Leonore [u. a.] (Hg.): Frauen Gestalten Geschichte: im Spannungsfeld von Religion und Geschlecht, Hannover 1998, 137–160. Berlis Angela: Laienfrauen und Liturgie. Acht Jahrzehnte „Frauensonntag“ in der alt-katholischen Kirche in Deutschland, in: Roll Susan K. [u. a.] (Hg.): Women, Ritual and Liturgy – Ritual und 67 So lautet das Ergebnis einer empirischen Studie zur „Religiosität in der Alt-Katholischen Kirche Deutschlands“, durchgeführt von Dirk Kranz und Andreas Krebs, veröffentlicht in: IKZ 104 (2014), 13. Vgl. dazu auch Berlis, Egalisierung, bes. 153–156. 68 Zu diesem Aufbruch der Frauen gehört auch, dass Frauen selbstbestimmt über ihre Zugehörigkeit zu einer Kirche oder ihren Austritt bestimmen. Die Beziehung von Religion und Geschlecht ist für Frauen vielfältig. Dies habe ich unter Auswertung verschiedener Beiträge der englischen Religionssoziologin Linda Woodhead darzustellen versucht in: Berlis, Lebendige Symbole leben, 305–316. 69 Vgl. etwa die Tagungsdokumentation: Die Zukunft der Kirche ist weiblich; vgl. auch Ueberschär, Fürchtet euch nicht, 133–153.



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Weibliche Diakonie als Motor der Feminisierung der evangelischen Kirche 1

1. Vorbemerkungen In jüngster Zeit wird die „Feminisierung“ der verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche und Berufe beschrieben, seien es die vermeintliche Feminisierung der Tatortkommissare, der Medizin, der Arbeit, der Armut, der Politik oder der deutschen Universitäten. Feminisierung bedeutet zunächst per definitionem „Verweiblichung“, und zwar in einem biologischen Sinne. Im Kontext dieses Aufsatzes soll unter Feminisierung eine Ausdehnung dieses biologischen Verständnisses auf gesellschaftliche Phänomene verstanden werden, d. h. eine historisch zu rekonstruierende Zunahme des prozentualen Anteils von Frauen in einer gesellschaftlichen Gruppe, in einer Organisation oder einem Beruf – verbunden mit einem Rückgang des prozentualen Anteils von Männern. Hinzu tritt die Bewertung dieses quantitativen Verhältnisses mit Blick auf Geschlechterrollen und -stereotype sowie auf die Frage nach den Folgen für das Selbstverständnis des Berufes, der Organisation und der Rollenträger. Blickt man auf gegenwärtige Debatten in der evangelischen Kirche, muss man konstatieren: Ein Gespenst geht um – das Gespenst der sogenannten Feminisierung. Befürchtet wird nicht nur, es gebe zu viele Pfarrerinnen, nein, die, die es gibt, seien auch noch die falschen, nämlich „Mutti-Typ“, „wenig intellektuell“ und „aus kleinbürgerlichem Milieu“. Es ernüchtert ein Blick auf die Zahlen: Bis vor fünf Jahren war der Pfarrberuf soziologisch betrachtet ein Männerberuf, da die Minderheit, nämlich die Frauen, weniger als 30 Prozent ausmachten. Nun sind genau ein Drittel der Pfarrämter in Frauenhand, d. h., es gibt noch 67 Prozent Männer. Von einer marginalisierten Gruppe sind Männer also im Pfarramt noch weit entfernt, zumal viele Pfarrerinnen Teilzeit oder in Funktionsstellen arbeiten. Nur jede zehnte Theologieprofessur hat eine Frau inne, und von den 22 Landeskirchen hat eine einzige eine Frau an der Spitze – dies entspricht einem prozentualen Anteil von unter fünf Prozent. Diese Geschlechterverhältnisse entsprechen ungefähr der Situation in den Vorständen und Aufsichtsratsgremien börsennotierter Unternehmen. Demgegenüber sind über zwei Drittel der in der evangelischen Kirche tätigen Ehrenamtlichen weiblichen Geschlechts. Die evangelische Kirche ist, nachdem sie Frauen vor knapp vier Jahrzehnten im Pfarramt die Gleichberechtigung zuerkannt hat, im Sinne von Aufhebung der Zölibatsklausel, 1 Vgl. zu dem gesamten Komplex: Scheepers, Transformationen.

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Gehaltsangleichung etc. ein gutes Stück auf dem Weg von einer Männerkirche zu einer Kirche für beide Geschlechter vorwärtsgekommen. Die Geschichte der Theologinnen, angefangen von den ersten Studentinnen über die frühen Amtsträgerinnen bis hin zum Kampf um das Recht, den seit jeher Männern vorbehaltenen Talar tragen zu dürfen, und schließlich bis zur Debatte um eine Frau, geschieden und vierfache Mutter, an der Spitze der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), ist eines der spannendsten Kapitel der Kirchengeschichte. In den letzten Jahrzehnten hat sich viel getan im Bereich der beiden großen Kirchen. So beschloss die Synode der EKD 1989, dass kirchliche Gremien paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen seien, mindestens sollte der Frauenanteil jedoch 40 Prozent betragen. Doch noch im Februar 2011 konstatierte selbst der Ratsvorsitzende der EKD, dies sei noch lange nicht erreicht – und sprach sich für die Quote aus. Doch wie nahm diese „Feminisierung der evangelischen Kirche“, so man denn eine erkennen möchte, ihren Anfang? Mit gutem Recht kann die Entstehung der Weiblichen Diakonie im 19. Jahrhundert als Motor der Feminisierung der evangelischen Kirche betrachtet werden – fungierte sie doch als Türöffnerin für eine anerkannte Berufstätigkeit von Frauen in der evangelischen Kirche.2

2. Die Anfänge der Weiblichen Diakonie Die Entstehung der Weiblichen Diakonie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war ein Versuch, auf die Herausforderungen der Gegenwart eine überzeugende Antwort zu finden.3 Fliedner ging es, ähnlich wie Wichern, nicht um die soziale Tat aus christlicher Gesinnung, sondern um die Reich-Gottes-Arbeit, die mithilfe sozialer Zuwendung befördert werden sollte. Mit seiner Konzeption des Diakonissenwesens ermöglichte Fliedner protestantischen, unverheirateten Frauen eine von Ehe und Mutterschaft unabhängige Existenz, die gleichzeitig mit einer fundierten Ausbildung und hohem Ansehen verbunden war. Mit Blick auf die evangelische Kirche entwickelte Fliedner hier etwas geradezu Atypisches, da die Lebensform als Diakonisse faktisch mit einem lebenslang gültigen Gelübde und dem Zölibat verbunden wurde. Gleichzeitig entsprach das Mittel, mithin der Dienst 2 Vgl. dies., Zukunft der Kirche, 4f. 3 Unter „Weiblicher Diakonie“ werden die Einrichtungen und Werke verstanden, in denen überwiegend – bis auf den Vorsteher – Frauen tätig waren. Dieser Zweig der Diakonie geht neben Theodor Fliedner auf Wilhelm Löhe (1808–1872) zurück, den „fränkischen Diakonissenvater“ und Gründer der Neuendettelsauer Anstalten. Zu Löhe vgl. Stempel-de Fallois, Das diakonische Wirken; siehe auch Kaiser, Wilhelm Löhe. Zu Theodor Fliedner vgl. Friedrich, Kaiserswerther; zu Friederike Fliedner vgl. Lauterer, Friederike Fliedner. Johann Hinrich Wichern (1808–1881) bildete als Begründer der sogenannten männlichen Diakonie junge Männer als Krankenpfleger, Seelsorger oder Katecheten aus, die vor allem in der Jugendfürsorge, später auch in der allgemeinen Sozialarbeit tätig waren. Zu Wichern vgl. Kaiser, Wicherns Bedeutung.



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an Hilfsbedürftigen, zu dem angestrebten Zweck, der Reich-Gottes-Arbeit, passgenau den gesellschaftlichen Erfordernissen der von Pauperismus geprägten Zeit, weswegen die Tätigkeit der Diakonissen große Nachfrage erfuhr. Nun würde es zu weit gehen, die Weibliche Diakonie als Vorläuferin der Ersten Frauenbewegung zu deklarieren. Dennoch hat diese Lebensform, die eine für Frauen der damaligen Zeit qualitativ hochwertige Ausbildung mit einer selbstständigen Existenz – unabhängig von Elternhaus und Ehe – verband, innerhalb der evangelischen Kirche die Funktion eines Türöffners für Frauen in die Kirche und Gesellschaft hinein gehabt. Versinnbildlicht durch die Tracht, welche die unverheiratete Diakonisse rein äußerlich einer angesehenen bürgerlichen Ehefrau gleichstellte, war Frauen der Schritt aus dem eigenen Elternhaus in die Öffentlichkeit möglich. Die Frauen konnten sogar innerhalb des Systems Leitungsverantwortung wahrnehmen und hohe Selbstständigkeit, beispielsweise auf den Außenstationen, realisieren – eine Möglichkeit, die die evangelische Kirche bis dahin den Frauen nicht zugestanden hatte.4 Gleichzeitig geschah dies innerhalb eines engen Korsetts von Regeln, Kontrolle und Fremdbestimmung, weshalb sich zum Ende des 19. Jahrhunderts die kritischen Stimmen mehrten. Die Gesellschaft und Teile der evangelischen Kirche entwickelten sich weiter in Richtung Moderne und Frauenemanzipation, weswegen es zunehmend zu einem Auseinanderdriften zwischen Weiblicher Diakonie und Kontext kam. Die Verantwortlichen innerhalb der Weiblichen Diakonie reagierten auf die Anfechtungen mit einer strikten Konservierung des Systems und dem Rekurs auf die Leitbilder der 1830er-Jahre. Eine Folge davon war die Gründung des Evangelischen Diakonievereins, der eine moderne, adäquate Antwort auf die Anliegen von Gesellschaft und Kirche bot, indem er die Anliegen der Ersten Frauenbewegung mit organisierter, christlicher und sozialer Arbeit verband. 5 Die Kaiserswerther Mutterhausdiakonie stand dieser Gründung ablehnend gegenüber, beharrte auf ihrem Alleinvertretungsanspruch christlichen Hilfehandelns durch Frauen und koppelte sich somit weiter von der Entwicklung in Kirche und Gesellschaft ab. Dennoch gelang es der Mutterhausdiakonie in der Weimarer Republik, ihre Arbeitsfelder zu erweitern, was nicht zuletzt am Ausbau des Sozialstaates einerseits und dem Frauenüberschuss infolge des Ersten Weltkrieges andererseits lag. Gleichzeitig wurde zunehmend deutlich, dass Form und Inhalt der Kaiserswerther Mutterhausdiakonie keine überzeugende zeitgemäße Antwort mehr auf die Herausforderungen der Gegenwart boten, zumal jegliche Notwendigkeit von Transformationen nach wie vor abgelehnt wurde. Da die Tätigkeit der Diakonissen nach wie vor in Kirche und Gesellschaft stark nachgefragt wurde, trat die Diskrepanz zwischen dem System Mutterhausdiakonie und der sie umgebenden Welt jedoch noch nicht mit aller Deutlichkeit zutage.

4 Vgl. Scheepers, Transnationale Zusammenhänge. 5 Zum Diakonieverein vgl. Zimmer, Das erste Jahrzehnt; ders., Evangelische Diakonieverein; ders., Wohlfahrtspflege durch Frauen; ders., Freiwilligenjahr für Frauen.

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3. Transformationen nach 1945 Diese Situation spitzte sich nach 1945 noch einmal zu, da sich die Diakonie in den Augen der Dahlemiten, d. h. der radikalen Verfechter des Notrechts, die dem Kurs der „Vorläufigen Kirchenleitung“ der Deutschen Evangelischen Kirche kritisch gegenübergestanden hatten, wegen ihrer zu verwerfenden Verstrickung in den Nationalsozialismus sowie ihrer nicht zuverlässigen Parteigängerschaft im sogenannten Kirchenkampf diskredidiert hatte. Die Kritik des Kaiserswerther Verbandes am radikalen Kurs des linken Flügels der Bekennenden Kirche, verbunden mit einer Anpassung an die sogenannten gegebenen Verhältnisse, führten nach 1945 zu einer Ablehnung der Diakonie in Teilen der evangelischen Kirche, wovon auch die Gründung des Hilfswerkes als bewusstes kirchliches Werk zeugt. Da aber nach wie vor, und in der „Zusammenbruchgesellschaft“6 nach 1945 besonders, die Leistungen der Weiblichen Diakonie sehr gefragt waren, gelang der Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung im Nachkriegsjahrzehnt ein Wiederaufbau von beachtlichem Ausmaß. Dies betraf sowohl die Gebäude als auch die quantitative und qualitative Ausweitung der Arbeitsfelder. In Auseinandersetzung mit den ökumenischen und internationalen Partnern gelang es der Weiblichen Diakonie erneut, ihren Platz in einer sich radikal verändernden Welt zu finden. Der forcierte Ausbau des Sozialstaates ab Mitte der 1950er-Jahre bescherte der Diakonie einen unvorhergesehenen Boom. Gleichzeitig zeichnete sich bereits ab Anfang der 1950er-Jahre eine „Anomalie“ ab,7 insofern die Kirchen an Einfluss einbüßten, ebenso wie der Anteil des geistlichen Personals in den diakonischen Einrichtungen und Werken sich stetig und kontinuierlich verringerte, während die Werke selbst wuchsen, d. h. ihre Bedeutung im Sozialstaat zunahm, dagegen die Inhalte und Ziele sukzessive unklar wurden.8 So wurden der Ausbau der diakonischen Einrichtungen und Werke und die in ihnen umgesetzten Millionenbeträge nicht nur als Erfolge gefeiert, sondern gleichzeitig kritisch gesehen. Mit dem Rückgang des ursprünglichen diakonischen Personals, das durch zivile Kräfte ersetzt werden musste, geriet auch die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Unterhaltung der Werke und Einrichtungen auf die Tagesordnung.9 Der Bogen spannte sich in dieser Zeit von der „sterbenden Mutterhausdiakonie“ und dem Leben in der Krise über erste Umwälzungen bis hin zu den starken Beharrungskräften, etwa in Gestalt der Publikation Hermann Schauers „Frauen entdecken ihren Auftrag“10. Für den Beginn dieses Zeitraumes kann vorsichtig von einem „kleinen Boom“ in den Mutterhäusern gesprochen werden. Ebenso heftig wie die Analyse der „sterbenden Mutterhausdiakonie“11 durch den Verbandsdirektor Leich fielen die Reaktionen auf seine 6 Zum Begriff „Zusammenbruchgesellschaft“: Kleßmann, Staatsgründung. 7 Vgl. Gabriel, Von der Caritas zum sozial-caritativen Handeln. 8 Vgl. Kaiser, Kommentar zu Panel I, 94. Nicht zu Unrecht wird deswegen in der Forschung teilweise auch von der Transformation zur „Sozialreligion“ oder zu „Sozialkirchen“ gesprochen. 9 Scheepers, Ökonomie und Theologie. 10 Schauer, Frauen entdecken ihren Auftrag. 11 Leich, Sterbende Mutterhausdiakonie.



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Analyse aus. Nicht nur auf protestantischer und politischer Ebene waren die Umwälzungen in diesem Jahrzehnte rasant, auch auf der katholischen Seite ereigneten sich Brüche bzw. Umbrüche – auch und gerade für Frauen – zum „ersten Mal“. Das Zweite Vatikanische Konzil eröffnete vorher nicht dagewesene Handlungsräume für Laiinnen und Ordensschwestern. Auch die katholischen Orden befanden sich in einer Krise, wie nicht zuletzt die Publikation von Léon-Joseph Kardinal Suenens „Krise und Erneuerung der Frauenorden“ aus dem Jahr 1962 verdeutlichte.12 Doch neben der „sterbenden Mutterhausdiakonie“ gab es ab Mitte der 1950er-Jahre auch Aufbrüche in der Diakonie, wie sie sich etwa in der Einführung des Diakonischen Jahres und einer Bildungsexpansion, die auch in den Mutterhäusern stattfand, ereigneten. Gezeigt werden kann dies anhand eines Schlaglichts zur Ausbildungsoffensive und der Expansion der diakonischen Mädchenbildung.13 Da es den Verantwortlichen in der Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung aber bis Ende der 1960er nicht gelang, wie sich exemplarisch an der Beharrungskraft des Familienprinzips zeigen lässt14, eine überzeugende Transformation des Systems in Gang zu setzen – trotz der viel beschworenen Krisenszenarios und der Rede von der „sterbenden Mutterhausdiakonie“ –, und sich gleichzeitig Kirche und Gesellschaft in Bezug auf Geschlechterrollen, Modernisierung, Politisierung etc. rapide weiterentwickelten, wurden die Diakonissen zunehmend zu einem Fremdkörper in ihren „eigenen“ Anstalten.15 Der Nachwuchs versiegte schließlich nahezu vollständig, und auch die Aufwertung der einst ungewollten Verbandsschwesternschaften innerhalb der Mutterhäuser ließ die Erosion nicht zum Stillstand kommen. Der Widerstreit der reformorientierten und konservativen Kräfte in den 1960er-Jahren in der Mutterhausdiakonie angesichts einer unsicheren Zukunft verdeutlichte die Problematik: Wollte man die Mutterhausdiakonie bewahren, musste sie so radikal transformiert werden, dass von ihrem ursprünglichen Wesen und Inhalt wenig übrig bleiben würde. Dies zeigen die Auseinandersetzungen um die Reformen in der Kaiserswerther Mutterhausdiakonie in diesem Jahrzehnt umso deutlicher: Auf der einen Seite die auch mit der neuen Rolle der Frauen in der Kirche (Vikarinnen, Theologinnen, Gemeindehelferinnen etc.) verbundene Reformliteratur (Thiele, Paulsen u. a.), auf der anderen Seite das energische Beharren auf der Tradition, was exemplarisch anhand der Schrift Schauers aus dem Jahr 1960 veranschaulicht werden kann. Die Situation der Mutterhäuser sah zu Beginn dieses Zeitraumes so aus, dass es 1963 nur noch etwas über 14.000 Diakonissen gab und die Verbandsschwestern quantitativ und qualitativ eine immer wichtigere Stellung innerhalb der diakonischen Einrichtungen und Werke einnahmen. Erbittert wurde in jenen Jahren um den Ort der Diakonie – Gesellschaft oder Gemeinde – gerungen, während sich die Weibliche Diakonie von beidem schon lange verabschiedet hatte: Weder war sie noch Teil 12 13 14 15

Suenens, Krise und Erneuerung. Vgl. Bendick, Von der diakonischen Ausbildung. Vgl. Prelinger, Deutsche Frauendiakonie. Vgl. Scheepers, Das Jahr 1968 und die Diakonissen.

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der Gemeinde noch der Gesellschaft, vielmehr stellte sie Ende der 1960er in Kirche und Gesellschaft einen Atavismus aus längst vergangenen Zeiten dar.16 Daran vermochten auch die von der Theologischen Konferenz in Freudenstadt ausgehenden Reformen, abgehalten im Jahr 1968, nichts mehr zu ändern. Die Mutterhäuser des Kaiserswerther Verbandes befanden sich am Vorabend von 1968 in einer vorher nicht dagewesenen Umbruchsituation, was exemplarisch anhand der 1964 erfolgten freiwilligen Weiterversicherung der Diakonissen in der gesetzlichen Rentenversicherung und des Wandels im Familienprinzip in den Mutterhäusern nach 1945 aufgezeigt werden kann. Das Jahr 1968 sollte dann tatsächlich eine Revolution auch für die Kaiserswerther Mutterhausdiakonie darstellen: Die Rolle der Frauen war 1968 in einem epochalen Wandel begriffen, Gleiches galt für Theologie und Kirche.17 Während die Arbeitsleistungen der Diakonissen in den Gemeinden und Einrichtungen sich nach wie vor großer Nachfrage erfreuten, versagten potenzielle Kandidatinnen dieser spezifisch protestantischen Lebensform mit zunehmender Konsequenz die Zustimmung. Der Graben zwischen beiden Seiten wurde von Jahr zu Jahr tiefer, während der Umbau der ehemals von den Diakonissenmutterhäusern getragenen Einrichtungen zu gewaltigen diakonischen Unternehmen sukzessive voranschritt – versinnbildlicht an der Umbenennung von Diakonissenmutterhäusern in Diakoniewerke.18 Die Reformen Ende der 1960er, Anfang der 1970er-Jahre wurden in den Mutterhäusern mit unterschiedlicher Konsequenz umgesetzt – hier reichte der Bogen von radikalen Reformen, die sämtliche Schwesternschaften innerhalb eines Hauses gleichstellten und Tracht, Entsendung, Zölibat und Taschengeld den Abschied gaben, bis hin zu Häusern, die weiterhin unverändert diese Lebensform aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konservierten. Dabei beantworteten die Verantwortlichen die Frage nach der Interpretation von Gottes Willen höchst unterschiedlich: Manche sahen es als Gottes Willen an, diese Lebensform an ihr Ende kommen zu lassen, andere wiederum hofften auf ein Eingreifen Gottes, um die Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung wieder aufzuerwecken. Die neue Rahmenordnung von 1971 schließlich setzte einen Schlusspunkt unter die Entwicklung nach 1945, insofern als hier der einheitliche Diakonissentyp Kaiserswerther Prägung aus dem 19. Jahrhundert zugunsten einer Offenheit der Formen endgültig verabschiedet wurde.19 Gleichwohl blieben die Anfechtungen auch danach nicht aus, nach wie vor wurde die Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung seitens Kirche, Gesellschaft und von jungen Frauen radikal infrage gestellt, so dass sich die Erosion und der Niedergang dieser spezifisch protestantischen Lebensform ungebremst fortsetzten. Daran vermochten auch die konzeptionellen und theologischen Entwicklungen seit den 1980er-Jahren nachhaltig nichts zu ändern, im Zuge derer die Schwestern erstmalig als handelnde und entscheidende Subjekte ernst und wahrgenommen wurden. Am Ende dieser Phase stand 16 17 18 19

Vgl. dies., Ich bin genau der gleiche Mensch. Vgl. dies., Das Jahr 1968 und die Diakonissen. Vgl. Felgentreff, Diakoniewerk Kaiserswerth. Zu den Rahmenordnungen vgl. dies., Profil eines Verbandes.



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der Aufbruch der Frauen in und aus der Kirche. Eine der Folgen war seit 1971 ein erneuertes schwesternschaftliches Leben bei gleichzeitigem unumkehrbaren Auslaufen des Lebensmodells der ersten anerkannten protestantischen Lebens-, Dienst- und Glaubensgemeinschaft für Frauen. Die neue Rahmenordnung des Kaiserswerther Verbandes von 1991 sowie der endgültige Umbau zu diakonischen Unternehmen bewiesen eindeutig, dass es sich beim Kaiserswerther Modell um ein Auslaufmodell handelte. So blieben die wissenschaftliche Aufarbeitung der Mutterhausdiakonie und die zu keinem Schluss kommende Diskussion um das evangelische Diakonat – zuletzt in einer Verlautbarung des Kirchenamtes der EKD von 1996.20 Schließlich kann nur das Verschwinden dieser Lebensform konstatiert werden. Doch am Ende der Erosion der Kaiserswerther Mutterhausdiakonie steht der Umbruch zu einer Kirche, in der die Tätigkeit der Frauen nicht mehr auf die Funktion des Dienens beschränkt ist, sondern in der Frauen und Männer auf allen Ebenen vertreten sein können – als DiakonIn, als Ehrenamtliche/r, als Bischof/Bischöfin, als TheologiestudentIn u. v. a. m. Das bedeutet einen radikalen, epochalen Wandel im Vergleich zu der Entstehungszeit der Diakonie. Die Erosion konfessioneller Frauenberufe wird mit Blick auf die protestantische Diakonisse offenbar: Die evangelischen Schwesternschaften des Kaiserswerther Verbandes stellten eine spezifisch protestantische Lebens-, Dienst- und Glaubensgemeinschaft dar, die es in dieser Form nicht mehr gibt: Die Diakonissen waren ein singuläres Beispiel für die enge Verklammerung von Frömmigkeit und Alltag. So stehen im Jahr 2015, über 40 Jahre nach der Öffnung des Amtes der Diakonisse, die Diakonissen Kaiserswerther Prägung gleichsam als „Verliererinnen“ von Modernisierung und Feminisierung der Gesellschaft und Kirche da. Durch die Umbrüche in Gesellschaft und Kirche im 20. Jahrhundert – und insbesondere nach 1945 – erfolgte die Erosion des Diakonissenwesens. Frauen konnten nun traditionelle Männerberufe ergreifen, wie z. B. den des Pfarrers. Auch infolgedessen verschwanden allmählich die typisch weiblichen kirchlichen Berufe.

4. Modernisierung und Feminisierung Aus Sicht der Trägerinnen dieser Berufe, hier der Diakonissen, muss somit die Geschichte der Modernisierung und der damit einhergehenden Feminisierung von Kirche und Theologie als ambivalente Entwicklung beschrieben werden, die einerseits einen Abbruch bedeutet, andererseits neue Möglichkeiten eröffnet. Denn: Die Reformen von 1968 erfolgten zu einer Zeit, als die Idee der Diakonisse längst überholt war. So lässt sich resümieren: Die erwartete und erhoffte Belebung der Mutterhaus-Diakonie durch die Reformimpulse von Freudenstadt 1968 war ausgeblieben. Das Jahr 1968 kann für die evangelische Kirche und die Diakonie als Zäsur für eine umfassende Feminisierung aller Bereiche bezeichnet werden: Der Versuch, das Diakonissenwesen Kaiserswerther Prägung durch eine Reform wiederzubeleben, war gescheitert. Ihre Zeit war vorbei. Stattdessen betrat etwas bisher nie Dagewesenes die Szene: 20 Vgl. Kaiser, Der evangelische Diakonat.

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Frauen, die im Pfarramt den Männern in allen Rechten gleichgestellt und ebenbürtig waren. Nun erfolgte die volle Ordination, jetzt fiel der Zölibatsparagraf. Seitdem hatten Frauen das Bewerbungsrecht auf ausgeschriebene Stellen. Ab diesem Moment standen ihnen alle Ämter offen. Kein halbes Jahrhundert war vergangen, dass Theologiestudentinnen vehement untereinander um die Frage eines Amtes sui generis versus Zulassung der Frau zum vollen Pfarramt diskutiert hatten. 1968 war es erreicht: ein Amt für beide Geschlechter, zumindest in den meisten Landeskirchen.21 Heute gibt es nur noch einige wenige Diakonissen im aktiven Dienst. Die Diakonisse ist aus dem Straßenbild, dem Leben in der Gemeinde und der Pflege am Krankenbett verschwunden.22 Das Diakonissenwesen Kaiserswerther Prägung hatte seinen quantitativen Höhepunkt in den 1930er-Jahren und war seitdem stark rückläufig. Gab es unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges noch fast 30.000 Diakonissen,23 ist es heute nur noch ein Zehntel davon – und von diesen sind wiederum 90 Prozent bereits in Rente.24 Die Rede von der „sterbenden Mutterhausdiakonie“ ist also inzwischen Realität geworden. Mit den letzten Schwestern stirbt auch die Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung. Ihnen und der Weiblichen Diakonie in ihrer althergebrachten Form einen würdigen Abschied zu geben, ist die bleibende Aufgabe der Kirchengeschichtsschreibung – wie auch die Schwestern einander bis zum Ende und darüber hinaus begleiten: Stirbt eine der Schwestern der Henriettenstiftung, wird die Gebetsglocke geläutet.25 Die Gründe für das Scheitern der „Lebensform Diakonisse“ liegen auf der Hand und sind nicht zu leugnen. Die Lebens-, Glaubens- und Dienstgemeinschaft der Kaiserswerther Mutterhausdiakonie ist in ihrer 21 Dass sowohl Männer als auch Frauen in das Predigtamt berufen werden können, geschah zuletzt 1991 in Schaumburg-Lippe. In rund einem Drittel aller lutherischen Kirchen – weltweit betrachtet  – gibt es allerdings keine Frauenordination, vgl. http://www.lwb-vollversammlung.org/experience/lwi-assembly-news/news-detail/article/115/8/ (abgerufen am 03.10.2014). 22 Zu der Lage der Pflege heutzutage und der Pflegewissenschaft vgl. Coenen-Marx, Situation der Pflege. 23 Zwar gibt es auch einen Rückgang bei den Mitgliederzahlen weiblicher Orden und Kongregationen auf der katholischen Seite, dennoch waren die Zahlen hier stets höher: So gab es allein 1956 in der Bundesrepublik 97.000 Ordensschwestern, davon waren 3,2 % Novizinnen. Vgl. Gatz, Katholische Kirche, 137. 1990 waren es allerdings nur noch 43.006 Schwestern und davon 287  Novizinnen, d. h., innerhalb von 34 Jahren war die Zahl um mehr als die Hälfte gesunken. Den kontemplativen Orden gelang es noch am ehesten, Nachwuchs zu gewinnen. 2005 gab es 25.199 Ordensfrauen, das entspricht einem Rückgang um fast 50 % in fünfzehn Jahren (vgl. Gatz, Katholische Kirche, 196f.). Zu Umfang und Hintergründen der Krise der deutschen Frauenorden im 20. Jahrhundert vgl. Leimgruber, Frauenorden in der Krise I; dies., Frauenorden in der Krise II. 24 1947 gab es in der „Ostzone“ 7652, in der britischen Zone 10.056, in der amerikanischen Zone 9295 und in der französischen Zone 2183 Diakonissen, also insgesamt 29.176. Die letzte Statistik von 2004 wies folgende Zahlen aus: Diakonissen im Feierabend 2444, Diakonissen in Arbeit 299 sowie 30 Jungschwestern. 25 Zur Wahrnehmung der Schwestern vgl. die in Anm. 1 genannte Schrift der Verfasserin und die dort ausgewerteten Interviews.



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herkömmlichen Form an ihr Ende gekommen. Dies liegt an dem grundlegenden Wandel der Frauenrolle in der Gesellschaft – und dem Nicht-Anpassen der Mutterhäuser an diesen Wandel. Ob es sich dabei um eine verpasste Chance handelte, mögen nachfolgende Generationen beurteilen. Der ständig steigende personelle Bedarf und der finanzielle Mangel seit 1945, der zum Rückzug der Weiblichen Diakonie aus ihren angestammten Arbeitsfeldern im In- und Ausland führte, wurden in meiner Habilitationsschrift anhand zahlreicher Quellen rekonstruiert.26 Auch die Verdrängung der Aufgaben der Diakonisse durch die sich rasant modernisierende Technik, etwa mit Blick auf die medizinischen Geräte, spielte eine Rolle. Die Ökonomisierung bei gleichzeitigem Profilverlust zeigte sich spätestens ab Ende der 1950er-Jahre, was für die Diakonissenhäuser nicht mehr einholbar war. Letztlich war die Kaiserswerther Mutterhausdiakonie von ihren Anfängen an ein Fremdkörper im Protestantismus – und blieb dies bis zu ihrem Ende. Die Unattraktivität dieser Lebensform, symbolisiert durch eine Tracht aus dem vorrevolutionären Deutschland, konnte auch durch die Reformen Ende der 1960er-Jahre nicht mehr beschönigt werden. Schließlich war es die „Säkularisierung der Diakonisse“, d. h. der Wegfall der Notwendigkeit, Diakonisse zu werden, um Menschen pflegen zu können, der zu der Erosion der Mutterhausdiakonie führte. Mit ihrer konservativen und hierarchischen Tradition gelang es ihr nicht, auf die drängenden Fragen und Kritiken – die seit den 1870er-Jahren geäußert wurden – eine adäquate Antwort zu finden. So wirken Diakonissen heute in ihrer Tracht befremdlich und weltfremd – der Welt verlustig gegangen. Als ich die Studierenden in Bochum in dem Seminar „Diakonie in Geschichte, Gegenwart und Zukunft“ am Ende befragte, wo denn ihrer Meinung nach die Zukunft der Weiblichen Diakonie liege,27 antworteten sie recht pragmatisch: „Auf den Friedhöfen und in den Museen.“28 Dem vorausgegangen war ein recht eindrücklicher Besuch von vier Diakonissen aus dem Mutterhaus Witten und eine Führung durch selbiges – die Diakonissen hatten mit leuchtenden Augen die Fragen der Studierenden beantwortet, und die Studierenden hatten voll ungläubigen Staunens diese Atavismen des Protestantismus betrachtet. Der Gang durch das Mutterhaus führte uns zu den Erinnerungsstücken an die ehemalige Paramentik und die Hostienbäckerei und schließlich in das Museum des Mutterhauses: Das Erbe der Mutterhausdiakonie, es findet sich sinnlich erfahrbar in der Hostienbäckerei der Henriettenstiftung, in der geistliche Speise für die ganze Hannoversche Landeskirche hergestellt wurde, in der Paramentik des Mutterhauses Witten, in der die Bilder- und Symbolsprache des Glaubens noch heute verwebt und gewebt wird, und in den vielen Mutterhausarchiven, in denen die Erinnerung aus zwei Jahrhunderten konserviert

26 Scheepers, Transformationen. 27 Zur Frage der Zukunft der Mutterhausdiakonie vgl. Wiefel-Jenner, Quo vadis. 28 Zu der Bedeutung der Schwesternfriedhöfe für die Gemeinschaft vgl. Felgentreff, Diakonissen, 203: „Auch im Tod ist man noch als Gemeinschaft beieinander und wartet gemeinsam auf die Auferstehung.“

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wird. Doch neben diesen sinnlich erfahrbaren „Erbstücken“29 gibt es noch das ideelle Erbe der Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung: die unmittelbare, ungeteilte Aufmerksamkeit und ein Handeln am Menschen ohne ökonomische Interessen im ganzheitlichen Kontext zählen dazu. Zukünftige Herausforderung bleibt eine verstärkte Integration dieses wichtigen weiblichen Tätigkeitsbereichs in die Kirchengeschichtsschreibung.30 Der evangelischen Kirche zu wünschen wäre die Achtung des Erbes eines Eifers in der Gemeinschaft und des Versuches, in einer religiösen Gemeinschaft zu leben. Die Diakonissen haben sich bemüht, aus Nächstenliebe zu handeln und nicht auf sich selbst bezogen – auch dies könnte heutzutage eine Anregung sein. Ihrem Ideal nach haben sie ein Stück von sich selbst für Andere aufgegeben. So wirkt die Klarheit der Entscheidung auf heutige Menschen beeindruckend, ja, die Radikalität in der Nachfolge ist faszinierend. Sie fanden ihre Stärke durch den Glauben und lebten – wenn auch gezwungenermaßen – in Bescheidenheit, Demut und Selbstgenügsamkeit. Es war der Versuch, dem christlichen Anspruch weitestgehend gerecht zu werden – wenngleich die historische Wirklichkeit oftmals anders aussah. Schließlich gilt es festzuhalten, dass die Weibliche Diakonie in ihren Ursprüngen auch eine emanzipatorische Seite hatte. Trotz aller patriarchalen Führungsstruktur und der damit verbundenen Einhegung der Frauen, trotz auf das maskuline Element bezogenen Traditionsbindungen eröffnete sie im 19. Jahrhundert den Frauen einen Raum, den sie vorher nicht gehabt hatten. Sie erhielten die Möglichkeit der Ausbildung und der Verwirklichung im Rahmen einer sinnvollen Aufgabe sowie, damit verbunden, eine Lebensperspektive, Sinn und Entfaltungsmöglichkeiten für ihren Glauben. So urteilt die Diakonisse Ruth Felgentreff: „Indem Fliedner die Grenzen seiner Zeit achtete, setzte er sie außer Kraft.“31 Auch daher ist die Diakonie nach wie vor mit über 90 Prozent Frauen an der Gesamtzahl der Mitarbeitenden eine „Frauenwelt“.

5. Ausblick: Auf dem Weg zu neuen Ufern – eine geistliche Gemeinschaft von Frauen erfindet sich neu Als Theodor Fliedner Mitte der 1830er-Jahre das Mutterhaussystem in Kaiserswerth bei Düsseldorf erfand, schuf er damit eine Contradictio in adiecto: eine Art weibliches evangelisches Mönchtum. Martin Luther hatte dem monastischen Leben eine endgültige Absage erteilt – theologisch und biografisch. Im Zuge der Reformation waren die Klöster säkularisiert worden, und es gab keinen Raum mehr für ein besonderes geheiligtes Leben. Hatte vor der Reformation für Frauen noch die Möglichkeit bestanden, eine anerkannte 29 Vgl. Hofmann, Mutterhausdiakonie. Spiritualität in diakonischen Einrichtungen der Frauendiakonie ist sinnlich, erfahrungsorientiert und partizipativ – und hat manches gemeinsam mit feministischer Spiritualität. 30 Zu einer theologischen Konzeption der Kirchengeschichte vgl. Nowak, Wie theologisch ist die Kirchengeschichte. 31 Felgentreff, Diakonissen, 202.



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Existenz jenseits von Ehe und Mutterschaft zu führen, nämlich das der Nonne, war diese Möglichkeit nun verwehrt. Insofern darf es als revolutionäre Strukturveränderung gelten, was Fliedner schuf: eine Lebens-, Dienst- und Glaubensform für unverheiratete protestantische Frauen. Die Frauen gelobten Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam, d. h. sie lebten von einem Taschengeld, waren ihren Hauseltern – der Oberin und dem Vorsteher – unterstellt und zogen von ihrem Elternhaus in ein Mutterhaus. Dort erhielten sie eine professionelle Ausbildung, wurden neu eingekleidet und bekamen eine Versorgungsgarantie bis zu ihrem Tode. Dieses Konzept ging über ein Jahrhundert lang auf, denn es war eine Antwort auf die zwei großen Fragen des „langen 19. Jahrhunderts“, nämlich auf die soziale Frage – in Zeiten der Massenverelendung und Industrialisierung – und auf jene nach dem Schicksal zahlloser unverheirateter Frauen. Als nach 1945 darauf neue Antworten gefunden wurden, und zwar in Form des Sozialstaates und der Möglichkeit einer Berufstätigkeit von Frauen ohne das Vehikel des Mutterhauses, geriet die Mutterhausdiakonie zunehmend in einen kirchlichen und gesellschaftlichen Veränderungsprozess. Seitdem stehen die weiblichen diakonischen Gemeinschaften vor der Frage nach tragfähigen Konzepten für die Zukunft. Die Zukunftsfrage war spätestens seit Mitte der 1950er-Jahre virulent. Dies zeigt sich exemplarisch an der Behandlung dieser Thematik in der ersten Ausgabe seit der Einstellung der offiziellen Verlautbarungen des Paul-Gerhardt-Stiftes im Jahr 1940, den „Grünen Zweigen“, vom Advent 1954. In dieser Ausgabe berichtet der neue Vorsteher, Pastor Christian Nordmann, über den Stand der Arbeit und reflektiert deren Fundament.32 Unter der Überschrift „Das Fundament unserer Arbeit“ ging der Vorsteher der Frage nach, wieso diese Arbeit getan werde – dies sei eine Frage, die von außen und aus den Gemeinden komme. Das bedeutet, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Tätigkeit der Mutterhäuser alles andere als selbstverständlich war, ja, sie wurde nicht nur von außen befragt, sondern auch die kritischen Stimmen innerhalb der Kirche mehrten sich. Sonst einsatzfreudige ChristInnen wüssten nichts von der Kaiserswerther Arbeit der Diakonissen, auch Pfarrer und Pfarrfrauen33 hätten ein „mangelndes Verständnis gegenüber dem Diakonissenamt“, so Nordmann. Dies führe zu einer Selbstprüfung, manifestiert in der neuen Grundordnung des Kaiserswerther Verbandes, welche die alte erprobte Linie der Diakonie bejahe.34 In Absehung von den Anfragen werden hier also die hergebrachten Formen und Vorstellungen konserviert – eine Rechnung, die, wie wir aus heutiger Sicht wissen, nicht aufging. Als Ausblick in die Zukunft heißt es: „Es könnte sein, dass zu irgend einer Zeit und aus irgend einem Grunde die Arbeit der Kaiserswerther Diakonie endet. Das wäre dann aber nur zu verstehen als ein Gerichtsakt des Herrn über eine Kirche, […] deren Licht trübe geworden ist.“ Nicht in der Hand der Menschen, sondern in der Hand Gottes liegend 32 Vgl. Grüne Zweige, Nr. 178, Advent 1954. Dort auch die folgenden Zitate. 33 Zur Geschichte der Pfarrfrauen vgl. Riemann, (Un-)abhängige Frau. 34 Vgl. Grüne Zweige, Nr. 178, Advent 1954: „Sie [die Grundordnung, Anm. d. Verf.] kommt aber zu dem Ergebnis, dass der Herr der Kirche in der Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung ein Werk geschaffen hat, das im Wesen so zu bleiben hat, wie es ist.“

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wurde demnach die Zukunft der Mutterhausdiakonie gesehen. Eine Vorstellung, die leicht zu einer Blindheit gegenüber aktuellen Herausforderungen führen kann. Denn gerade heute, so Nordmann, sei der Schwesternberuf, insbesondere in Gestalt des Diakonissenberufs, ein „schöner und echter Beruf, in dem ein Menschenleben Sinn und Inhalt finden kann“. Äußere Einwände, z. B. wegen der Tracht, des Taschengeldes, der Urlaubsgestaltung, „fallen bei nüchterner, sachkundiger Überlegung in sich zusammen. Man wird im Gegenteil sagen müssen, dass die großen Probleme des Lebens einer berufstätigen Frau (Vereinsamung nach dem Tod der Eltern, Berufskrisen in mittleren Jahren, Versorgung in alten Tagen) im Gemeinschaftsleben eines Mutterhauses vorbildlich gelöst sind.“ Natürlich sei es eine Frage, ob sich zukünftig Menschen für den Dienst finden ließen, scheue doch weltweit die weibliche Jugend die soziale und karitative Arbeit. Fast alle Kirchen würden einen Nachwuchsmangel für ihre Ämter und Dienste beklagen, so sei es auch in der Weiblichen Diakonie. Der Bedarf wachse, aber es fehle an Menschen. Dies sei, so Nordmann, ein Zeichen für den erreichten Tiefstand des geistlichen Lebens in der Menschheit, da der Mensch gottlos geworden sei und Christus vergessen habe. Wie wurden diese Überlegungen umgesetzt? Trug das Fundament? Macht man einen Zeitsprung ein halbes Jahrhundert nach vorne, so wird man diese Frage auf den ersten Blick verneinen müssen: Die Zahl der Diakonissen ist kontinuierlich gesunken, es gibt keinen eigenen Vorsteher mehr, sondern eine gemeinsame Leitung mit dem Spandauer Johannisstift. Nach und nach kam es zur Schließung sämtlicher Gemeindeschwesternstationen und zu der Übernahme des Krankenhauses, das 1989 in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts überführt wurde, durch „zivile“ Krankenschwestern.35 1989 bzw. 1991 wurden Damenheim und Kinderheim geschlossen. Und doch, auf den zweiten Blick, erkennt man, dass das Fundament noch steht. Wer das Gelände an der Müllerstraße betritt, ist beeindruckt von dem imposanten Ensemble: dem Mutterhaus, der Kapelle, dem weitläufigen Park und nicht zuletzt von den vielen Menschen, die dort unterwegs sind. 1997 gründete sich zur Aufrechterhaltung und Wiederbelebung des geistlichen Lebens der Paul-Gerhardt-Konvent, eine diakonische Schwestern- und Bruderschaft. Die gemeinsame Spiritualität genießt heute noch einen hohen Stellenwert.36 Es leben gegenwärtig noch zehn Diakonissen, wovon vier aktiv sind. Auf Initiative von Diakon Winfried Gayko und der Oberin des Paul-Gerhardt-Stiftes, Schwester Siegrid Fellechner, wurde im Jahr 2009 Altoberin Helga Darenberg37 aus Bethel gebeten, gemeinsam mit Konvent und Schwesternschaft darüber nachzudenken, wie die geistlichen Gemeinschaften Paul-Gerhardt-Konvent und Diakonissenschaft sich öffnen und erneuern können.38 Es geht also um die Frage nach der Zukunft der „Diakonie in Gemeinschaft“ 35 Zu den Diensten der Gemeindeschwestern im Wandel und den Chancen der Diakonie- und Sozialstationen vgl. Scharffenorth, Schwestern, 235‒251. 36 Zur Spiritualität in der Mutterhausdiakonie vgl. Schiblisky/Schiblisky, Professionalität. 37 Helga Darenberg war bis zu ihrem Ruhestand Oberin in der Henriettenstiftung Hannover und bis Juni 2009 Vorstandsvorsitzende des Kaiserswerther Verbandes. 38 Vgl. Notizen aus dem Paul-Gerhardt-Stift zu Berlin, März 2009.



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im Paul-Gerhardt-Stift. Nach wie vor gehen viele Impulse von den beiden Gemeinschaften aus: So bei der Gestaltung des geistlichen Lebens, in der Seelsorge, im Besuchsdienst, in der Präsenz der Stiftung, in der Ökumene und in der ehrenamtlichen Mitarbeit an vielen Stellen. Noch wird Diakonie in Gemeinschaft gelebt, oft in der Stille, aber spürbar. Doch die Gemeinschaften werden kleiner und ihre Mitglieder älter. In zahlreichen Einzel- und Gruppengesprächen, in Treffen und Beratungen hat sich ergeben, dass „der Fortbestand der Gemeinschaften zeitlich absehbar ist […] und die damit einhergehenden altersbedingten Veränderungen unumkehrbar sein werden […] Wenn auch in beiden Gemeinschaften der Situation gemäß unterschiedlich, so hat sich die Meinungsbildung in dem bisherigen Prozess spürbar und erkennbar verstärkt im Blick auf eine seitens des Schwesternrates sowie des Vorstandes eigens einzusetzende Projektgruppe zur Erarbeitung eines zukunftssichernden Konzeptes für den Erhalt und die Erneuerung der Gemeinschaften des Paul-Gerhardt-Stiftes. Dieses würde bedeuten, dass vom Gelingen eines solchen Projektes der Fortbestand, insbesondere die Weiterentwicklung der Gemeinschaften abhängt. Andernfalls ist mit einem ‚Auslaufen‘ der langen Tradition schwesternschaftlicher Lebensformen zu rechnen, und zwar in einem überschaubaren Zeitfenster.“ 39 Den bequemen Weg des Auslaufens der Gemeinschaftsdiakonie wollen die Beteiligten nicht gehen. Denn sie sehen die Aufgabe der Diakonie in der Gesellschaft noch nicht als erfüllt an. Das heißt, dass beide Gemeinschaften sich der Situation stellen und an einer Sicherung der Zukunft der Gemeinschaften arbeiten wollen. Dazu wurde eine Reihe von Themenfeldern erarbeitet, z. B. das Selbstverständnis der Gemeinschaften, die zu übernehmenden Aufgaben in Stiftung, Mutterhaus und Geistlichem Zentrum, die Attraktivität für neue Mitglieder, strukturelle Fragen. In der Erklärung der Arbeitsgruppe heißt es dazu abschließend: „Diese Fragen wollen wir miteinander klären. Wir tun dies in dem Wissen, dass die Diakonie Fliednerscher Prägung im Paul-Gerhardt-Stift viel Segen bewirkt hat, wir aber unter heutigen Verhältnissen auch neue Wege wagen müssen. Der Vorstand ermutigt uns ausdrücklich dazu. Lernen können wir von etlichen Mutterhäusern, die für sich solche neuen Wege gefunden haben.“ 40 Unsere Gesellschaft steht heute vor anderen Herausforderungen als die Gesellschaft von 1836. Dennoch mehren sich die Zeichen, dass es nachhaltige Lösungen geben muss für die Probleme, die am Horizont auftauchen. Pars pro toto seien genannt: der demografische Wandel, die Krise des Sozialstaates, die größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, die Exklusion großer Bevölkerungsgruppen aus der Gesellschaft. Es braucht – ähnlich wie zur Zeit Fliedners – eine Antwort auf diese Fragen. Vielleicht ist sie greifbar nah, vielleicht wird sie auch nicht gefunden. Fragt man nach der zukünftigen Gestalt der Weiblichen Diakonie in Deutschland, wird sich diese in Abhängigkeit von den Veränderungen der gesamten Diakonie ergeben. Die Grundstrukturen des Wandels für die Diakonie sind zumindest teilweise erkennbar. Im Kontext der Mutterhausdiakonie werden von den Verantwortlichen derzeit allerdings 39 Altoberin Darenberg Helga, in: Notizen aus dem Paul-Gerhardt-Stift zu Berlin, 4f. 40 Notizen aus dem Paul-Gerhardt-Stift zu Berlin, 4f.

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eher partikulare Zukunftsideen für die jeweilige eigene diakonische Gemeinschaft41 oder das eigene Unternehmen beschrieben. Stimmen zu einem gemeinsamen Ziel der Mutterhausdiakonie42 gibt es nur vereinzelt. Eine Paul-Gerhardt-Diakonisse formulierte vor fünfzehn Jahren diese Gedanken zu ihrer Zukunft und der ihrer Gemeinschaft: „Wenn ich an die Zukunft denke, wünsche ich mir, daß Gott wie damals, als ich den Ruf hörte: ,Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter, darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sendet‘ Menschen in unser Haus sendet, die das Werk tun, was zu tun ist. Wie diese Menschen, die sich von Gott gerufen wissen, ihren Dienst tun werden, ob als Diakonissen wie wir oder in einer anderen Form, darüber wird Gott entscheiden.“ 43 Die Geschichte der Mutterhausdiakonie Kaiserswerther Prägung geht weiter.44

6. Resümee: Normalisierung als Konsequenz der Feminisierung Der Wunsch nach einem gemeinsamen, verbindlichen, religiösen Leben existiert auch in unserer Zeit. Ein Zeichen dafür sind die Kommunitäten und geistlichen Gemeinschaften in der evangelischen Kirche in Deutschland.45 So kann man schließen, dass das Erbe der Diakonissenmutterhäuser Kaiserswerther Prägung in zweifacher Gestalt weiterlebt: in den großen diakonischen Einrichtungen und Werken, die durch sie entstanden und geformt 41 Vgl. die Leitbilder bzw. Leitlinien der Schwesternschaften, Diakoniegemeinschaften, Diakonischen Schwestern-Brüderschaften von Sarepta-Bethel, Kaiserswerth, in der Diakonissenanstalt Flensburg, Neuendettelsau. 42 Vgl. Brakemeier, Mutterhausdiakonie. Hier steht allerdings die brasilianische Perspektive im Vordergrund. Im deutschen Kontext versucht das Leitbild des Kaiserswerther Verbandes Deutscher Diakonissenmutterhäuser die Gemeinsamkeiten der Mutterhausdiakonie herauszustellen; http://www.kaiserswerther-diakonie.de/ Downloadbereich/Flyer6s_Leitbild_low2.pdf (abgerufen am 22.10.2014). 43 Zitiert nach Kirjuchina, Gewand der Magd, 173. 44 Die letzte Vollversammlung des Diakonia-Weltverbandes tagte vom 1. bis 8. Juli 2013 in Berlin, ein halbes Jahrhundert nach der ersten DIAKONIA-Konferenz in dieser Stadt – freilich damals noch unter ganz anderen Vorzeichen und in einer völlig anderen Situation. Unter dem Motto „Heilung und Segen für die Welt“ versammelten sich 350  Delegierte auf dem Campus des Evangelischen Johannesstifts in Berlin-Spandau. Die Vollversammlung stand unter der Schirmherrschaft des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider. Seine Teilnahme zugesagt hatte auch der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen ÖRK, Pfarrer Olav Fykse Tveit. Die Vollversammlung wurde gemeinsam von den „Verbänden im Diakonat“ sowie der Johanniter-Schwesternschaft und dem Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband e. V. organisiert. Im Jahr 2014 fand die 42. Generalkonferenz statt, vom 19. bis 23. Juni 2014 auf Einladung des Vorstehers des Diakonissen-Mutterhauses Eben-Ezer, Pfarrer Marek Londzin, in Dziegielow in Polen. 45 Vgl. das Votum des Rates der EKD: Verbindlich leben. Kommunitäten und geistliche Gemeinschaften in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ein Votum des Rates der EKD zur Stärkung evangelischer Spiritualität, EKD-Texte 88, 2007.



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wurden, und in den Gemeinschaften von Frauen und Männern, in denen versucht wird, ein Leben in der konsequenten Nachfolge von Jesus Christus zu führen.46 Es gibt in der evangelischen Kirche in Deutschland in Sachen Gleichstellung von Frauen und Männern noch viel zu tun, und zwar in die Richtungen beider Geschlechter: Leitungspositionen müssen so beschaffen sein, dass moderne Frauen und Männer sie überhaupt innehaben wollen, und junge Männer müssen für das Theologiestudium begeistert werden, damit das Pfarramt nicht vom Männerberuf zum Frauenberuf wird, sondern ein Amt bleibt, das für beide Geschlechter zugänglich und attraktiv ist. Martin Luther haben wir das Priestertum aller Gläubigen zu verdanken, für das Priesteramt der Männer und Frauen gibt es aber noch viel zu tun. Denn nur dann wird die Kirche weiblich und männlich sein, wird sich zeigen können, dass der Geist Gottes auf die Söhne und Töchter ausgegossen wurde (Joel 2).

Quellen und Literatur Bendick Claudia: Von der diakonischen Ausbildung zum Frauenbildungszentrum – Lehrdiakonie am Beispiel des Diakonissenmutterhauses in Münster, in: Kaiser Jochen-Christoph/Scheepers Rajah (Hg.): „Dienerinnen des Herrn“ – Beiträge zur weiblichen Diakonie im 19. und 20. Jahrhundert, Leipzig 2010, 247‒268. Brakemeier Ruthild: Die Mutterhausdiakonie und ihr Weg in die Zukunft, Kassel 2002. Coenen-Marx Cornelia: Die Situation der Pflege als Herausforderung für die Kirche, in: dies. (Hg.): Ökonomie der Hoffnung. Impulse zum 200. Geburtstag von Theodor und Friederike Fliedner, Düsseldorf 2001, 46‒58. Felgentreff Ruth: Profil eines Verbandes. 75 Jahre Kaiserswerther Diakonie, Bonn 1991. Felgentreff Ruth: Das Diakoniewerk Kaiserswerth 1836‒1998. Von der Diakonissenanstalt zum Diakoniewerk − ein Überblick, Kaiserswerth 1998. Felgentreff Ruth: Die Diakonissen. Beruf und Religion im 19. und frühen 20.  Jahrhundert, in: Kuhlemann Frank-Michael/Schmuhl Hans-Walter (Hg.): Beruf und Religion im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2003, 195‒209. Friedrich Norbert: Der Kaiserswerther. Wie Theodor Fliedner Frauen einen Beruf gab, Berlin 2010. Gabriel Carl: Von der Caritas zum sozial-caritativen Handeln der Kirche. Transformationen im Selbstverständnis der Caritas in den 60er Jahren, in: Jähnichen Traugott [u. a.] (Hg.): Caritas und Diakonie im „goldenen Zeitalter“ des bundesdeutschen Sozialstaates. Transformationen der konfessionellen Wohlfahrtsverbände in den 1960er Jahren, Stuttgart 2010, 56‒73. Gatz Erwin: Die katholische Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert. Mit einem Beitrag von Karl-Joseph Hummel, Freiburg 2009.

46 Vgl. http://www.evangelische-kommunitaeten.de/geschichte-seit-reformation/ und http://www.ekd. de/EKD-Texte/54036.html (abgerufen am 19.10.2014).

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Ulrike Bechmann (Graz) / Viola Raheb (Wien)

Religiöse Frauenbewegungen in Ägypten im 19. und 20. Jahrhundert Das Konzept der Feminisierung am Beispiel von Zaynab al-Ghazali

Einleitung Die These von der „Feminisierung der Religion“ des 19. Jahrhunderts hat eine bedeutende Perspektivenänderung gebracht. Sie ließ jenes Jahrhundert als religiöses und nicht säkulares Jahrhundert aufscheinen, insbesondere durch das Aufblühen der Religionen, das sich besonders der vermehrten Beteiligung und Aufwertung von Frauen verdankt. „The image of the 19th century evolved from a secular era to a period characterized by a flourishing religious life with women as its main cornerstones.“1 Dieser Perspektivenwandel bezieht sich bisher auf den westlichen Raum, Europa und die USA und wurde für verschiedene Länder entsprechend kontextuell untersucht. Die These blieb jedoch nicht unwidersprochen bzw. wurde modifiziert, sodass inzwischen plurale Perspektiven auf die Genderrollen des 19./20. Jahrhunderts von Frauen aufgrund der unterschiedlichen kirchlichen und/oder religiösen, aber auch politischen und gesellschaftlichen Kontexte vorhanden sind. Welche Perspektive eingenommen wird, hängt davon ab, welche Merkmale man als Beleg für eine Feminisierung heranzieht und wie man diese Merkmale interpretiert: der Anstieg weiblicher Mitglieder in Frauenverbänden, die stärkere (und öffentlich wirksame) Beteiligung von Frauen, z. B. in Mission, Bildung und karitativen Einrichtungen, die Veränderung der religiösen Sprache und ähnliche Phänomene.2 Je genauer die Analysen werden, desto deutlicher wird die Notwendigkeit der kontextuellen Differenzierung. Auch für Ägypten kann man von einem langen 19. Jahrhundert sprechen. „‚The long nineteenth century‘ […] begins with the third quarter of the eighteenth century and ends in the first quarter of the twentieth: just as the coming of the French in 1798 should not be thought of as a beginning, so the coming of the English in 1882 should not be thought of as an end.“ 3 Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob auch im arabisch geprägten Raum eine Feminisierung im religiösen Bereich vorzufinden ist. Und wenn, wie sieht diese aus? Gilt die Notwendigkeit der kontextuellen Differenzierung für Europa, so gilt diese natür1 Van Osselaer/Buerman, Feminization Thesis, 497. 2 Dazu ausführlich ebd. 3 Toledano, Change, 252; vgl. Keddie, Middle East, bes. 60–74.

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lich auch für den arabischen Raum. Denn auch wenn im ausgehenden 19. Jahrhundert der Nahe Osten politisch noch vom Osmanischen Reich beherrscht wurde, so existierte doch innerhalb dieses Reiches eine große Differenz zwischen den kulturell unterschiedlich geprägten Regionen und der Art ihrer Beziehungen zum Osmanischen Reich. Und auch die europäischen Mächte und Russland machten in dieser Zeit schon ihre regionalen Ansprüche geltend. Im arabischen Raum waren zudem die Unabhängigkeitsbestrebungen sowohl vom Osmanischen Reich als auch von den Kolonialmächten in vollem Gange und variierten in Art und Verlauf je nach Region und deren Vorgeschichte. Einer möglichen Feminisierung in den einzelnen Regionen des gesamten Nahen Ostens kann an dieser Stelle nicht nachgegangen, diese vielmehr nur als Forschungsdesiderat angezeigt werden. Deshalb soll die These der religiösen Feminisierung des 19. Jahrhunderts anhand von Ägypten und den dortigen Frauenbewegungen, und dabei wiederum exemplarisch an Zaynab al-Ghazali als der „Mutter der Muslimschwestern“4, überprüft werden. Mit ihr steht eine Frau im Fokus, die im islamischen religiösen Kontext Ägyptens herausragt und als Initiatorin der Frauenorganisation der Muslimbrüder gilt. Gleichzeitig sind ihre Person und ihr Wirken gerade in der Gegenwart äußerst aktuell, da sie für die Frauenorganisation der Muslimbrüder steht, die in der gesellschaftlichen und politische Debatte und Entwicklung Ägyptens eine große Rolle spielen. Die Muslimbrüder werden, wie viele andere fundamentalistische Bewegungen, mit Frauenunterdrückung in Verbindung gebracht. Doch wird dabei meist die aktive Rolle, die die Frauen auch in den fundamentalistischen Bewegungen spielten und heute noch spielen, übersehen. Um Zaynab al-Ghazalis Wirken zu verstehen, ist ein Blick auf den Kontext der Geschichte Ägyptens und der dortigen Frauenbewegung nötig.

1. Der politische Kontext Ägyptens Die Geschichte der ägyptischen Frauenbewegung5, die für die arabische Frauengeschichte und -bewegung sehr wichtig wurde, ist vielfach bearbeitet und kann in ihrer Pluralität hier nicht umfassend aufgerollt werden. Zwischen den Frauenbewegungen Ägyptens und Europas gibt es aufgrund der unterschiedlichen politischen, sozialen, kulturellen und religiösen Kontexte große Unterschiede. Ägypten war seit 1517 n. Chr. Teil des Osmanischen Reichs. Anders als andere nahöstliche Gebiete wurde Ägypten als erstes Land des Osmanischen Reiches schon Ende des 18. Jahrhunderts durch Frankreich erobert. 1798 landeten französische Truppen in Alexandria und Napoleon besetzte Ägypten. England fühlte sich herausgefordert und versuchte ebenfalls, Einfluss zu gewinnen. Muhammad Ali Pascha (Regierungszeit von 1805–1849) kämpfte gegen die europäische Besatzung, die 1805 das Land 4 Vgl. Kap. 4. 5 Vgl. zur ägyptische Frauenbewegung exemplarisch Al-Ali, Securalism; Badran, Feminists; Cole, Feminism; Karam, Islamisms and Feminism; Tucker, Nineteenth-Century.



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verlassen musste, und setzte sich als Statthalter des osmanischen Sultans in Ägypten durch. Napoleons „Landung in Ägypten“ läutete eine doppelte Beziehung zwischen Frankreich und Ägypten ein. Einerseits wurden die Franzosen als Besatzer bekämpft, gleichzeitig übte die europäische Kultur eine gewisse Faszination aus, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer Orientierung vieler Intellektueller und Politiker nach Europa führte, die Ägypten militärisch, sozial und kulturell reformieren wollten. Enge politische und kulturelle Beziehungen Europas gab es aber auch zu der Elite des Osmanischen Reichs. Der militärisch-kolonialen Eroberung Napoleons war eine ganze Reihe von Gelehrten, Wissenschaftlern und Technikern gefolgt, um auch kulturell und wissenschaftlich Einfluss auf das Land zu nehmen bzw. es zu erforschen. Die Franzosen versuchten, in den Bildungsbereich zu investieren, sie errichteten Institute, ein Pressewesen und Schulen, und sie wollten das Schulsystem und sogar die traditionsreiche Al-Azhar-Universität reformieren. Aber als Reformen einer Besatzermacht, die bekämpft wurde, war die Akzeptanz zum Scheitern verurteilt, und sie wurden erst danach von der ägyptischen Elite aufgegriffen.6 Nach dem Abzug der Franzosen führten erste Versuche Muhammad Ali Paschas, Ägypten vom Osmanischen Reich unabhängig zu machen, nicht zum Erfolg. Ägypten erhielt jedoch im Laufe des 19. Jahrhunderts gewisse Eigenständigkeiten. 1841 anerkannte das Osmanische Reich ein erbliches Recht für die herrschende Familie von Muhammad Ali auf den Titel als Vizekönig von Ägypten. Auch England begann, wirtschaftlich in Ägypten zu investieren. Der Sohn Muhammad Alis, Ibrahim Pascha (1789–1848), erweiterte den Einfluss Ägyptens in der Region durch Kriege gegen die Nachbarregionen, insbesondere den Sudan und Syrien. Doch diese Präsenz in Syrien musste Ägypten angesichts der politischen Einflussbereiche des Osmanischen Reichs, Russlands und der europäischen Mächte England und Frankreich Mitte des 19. Jahrhunderts aufgeben. Unter dem Khediven Ismail Pascha (1867–1879) wurde der Suez-Kanal in Kooperation mit Frankreich eröffnet, allerdings konnte sich England 1875 die Mehrheitsrechte am Suez-Kanal sichern. Im Laufe der Zeit hatten England und Frankreich so viel Einfluss, dass die Widerstände (z. B. gegen die Bevorzugung von türkischen und tscherkessischen Militärs) 1882 in den Urabi-Aufstand mündeten. 1881/82 intervenierte England militärisch und besetzte Ägypten. Zu diesem Zeitpunkt spielten die Frauen schon eine große Rolle in dem Aufstand, sie setzen sich für nationale Belange ein und kämpften für die Unabhängigkeit Ägyptens.7 Bis 1912 hielt die Besatzung durch England, dann wurde Ägypten zum britischen Protektorat erklärt. Ägypten litt wirtschaftlich stark unter dem Ersten Weltkrieg, England zog als Besatzungsmacht viele Güter für den Krieg in Palästina ein. Am Ende des Ersten Weltkriegs brach das Osmanische Reich zusammen. 1918/19 zögerte England, Ägypten die Unabhängigkeit zu geben. Doch dort wie im ganzen arabischen Raum war das Nationalbewusstsein gestiegen. Bei den ersten Demonstrationen in Ägypten 1919 gegen die Engländer kamen auch Frauen um, die sich erneut mit öffentlichen Demonstrationen und 6 Vgl. Owen, Egypt. 7 Vgl. Badran, Feminists; Philipp, Feminism.

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organisierten Aktionen im Kampf um die Unabhängigkeit beteiligten. Eine führende Rolle beim Aufstand 1919 spielte Saad Zaghloul Pascha; er war einer der führenden Personen der Wafd-Partei. Eine ebenso große Rolle spielte dort seine Frau, Safiya Zaghloul, die Tochter eines hohen ägyptischen Politikers. Sie nahm teil an den feministischen Demonstrationen im Zuge der Revolution von 1919 und war in der Politik aktiv. Aufgrund ihres Engagements in der Nationalbewegung der Feministinnen wurde sie „Mutter der Ägypter“ genannt. Ihr zentral gelegenes Haus spielte bei den Frauenprotesten eine wichtige Rolle.8 Am 28. Februar 1922 erhielt Ägypten formal innenpolitische Freiheit, England hielt aber an einigen Einflussmöglichkeiten fest. 1923 bekam Ägypten eine konstitutionelle Verfassung mit einer Monarchie nach dem englischen Vorbild. 1936 folgte König Farouk seinem Vater in Ägypten nach. Unterschiedliche politische Ausrichtungen konkurrierten in dieser Zeit miteinander. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs erneut der Widerstand gegen die Engländer, der 1952 in der Ausrufung der Republik ihren Niederschlag fand. Die Revolution von Offizieren unter Gamal Abdel Nasser setzte ein umfassendes Erneuerungsprogramm ein: Der Grundbesitz wurde radikal eingeschränkt, das frei werdende Land sollte an Fellachen verteilt werden. Nasser verstaatlichte den Suez-Kanal und schloss sich ideologisch der Sowjetunion an. Die Abschaffung der Scharia und der religiösen Gerichte wurde beschlossen, die Einführung eines Wahlrechtes für Frauen, moderne (westliche) Kleider betont propagiert als Zeichen für den Umschwung. 1956 erhielten die ägyptischen Frauen erstmals das aktive und passive Wahlrecht in vollem Umfang. Außerdem wurden viele Berufe für Frauen zugänglich. Nach dem Tod Nassers folgte Anwar el-Sadat, der eine Generalamnestie für die Muslimbrüder erließ und dann später infolge des Friedensabkommens mit Israel 1981 von Islamisten ermordet wurde. Seit dieser Zeit regierte Hosni Mubarak bis zu seinem Sturz 2011 durch den „Arabischen Frühling“. Aus den Wahlen ging die Regierung der Muslimbrüder unter Präsident Mursi hervor, die erneut vom Militär 2013 nach nur einem Jahr gestürzt wurde.

2. Die Frauenbewegungen im Ägypten des langen 19. Jahrhunderts Schon die gesellschaftlichen Veränderungen ab dem Ende des 18. Jahrhunderts wirkten sich auf das Leben von Frauen aus. Allerdings unterschieden sich die Auswirkungen in dieser langen Zeitspanne danach, zu welcher Schicht die Frauen gehörten und in welchem Kontext sie lebten.9 Muhammad Ali wollte für Ägypten eine ähnliche Entwicklung wie in Europa. Er trieb deshalb die Einrichtung von Schulen und Ausbildungsstätten im zunächst (militär-) technischen Bereich voran, es gab einen Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern

8 Vgl. Baron, Politics, 338f. 9 Vgl. Tucker, Women and the Family; dies., Decline.



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mit Paris,10 er führte aber auch Schulen und Ausbildungen für Mädchen ein, zunächst für die Frauen des Herrscherhauses. Die Frauen der Oberschicht nahmen schnell diese Möglichkeit wahr, Bildung zu erlangen und auch gesellschaftlichen und/oder politischen Einfluss zu gewinnen. Die Bildung von Frauen und Mädchen wurde politisch als Grundlage für den Fortschritt des Landes angesehen. Mit der Aufwertung von Frauenbildung im 19. Jahrhundert wurden mehr Frauen der Oberschicht auch gesellschaftspolitisch aktiv. Sie griffen daher noch unter osmanischer Herrschaft sehr öffentlichkeitswirksam Frauenthemen auf, formulierten eigene Positionen zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, sie riefen Frauenorganisationen mit unterschiedlichen Zielen ins Leben. Frauen engagierten sich im Bildungsbereich für Frauen, ebenso im karitativen Bereich, aber sie beteiligten sich auch im politischen Kampf um Unabhängigkeit und wollten mehr Rechte für Frauen durchsetzen. Eine der bekanntesten Persönlichkeiten der ägyptischen Frauenbewegung ist Huda Shaarawi (1879–1947). Sie hatte von Hause aus Bildung genossen und widmete sich der Verbesserungen der Rechte für Frauen. Über ihre frühe Zeit der Heirat schrieb sie das Buch „Harem Years“.11 Sie unterstützte Wohltätigkeitsinitiativen von Frauen, ließ 1906 einen ersten Frauensportplatz eröffnen, gründete 1907 ein Haus für arme Kinder in Kairo und organisierte eine Reihe von Vorträgen über Frauenprobleme. Auf dem Internationalen Frauenkongress in Rom berichtete sie über die Bestrebungen, den Mädchenhandel zu bekämpfen. Bekannt wurde sie u. a. dadurch, dass sie als erste Frau öffentlich und demonstrativ den Schleier ablegte.12 Ihr Engagement für Frauen ist nicht vom Kampf um die politische Unabhängigkeit Ägyptens zu trennen. 1923 gründete sie die Ägyptische Feministische Union, eine starke politische Kraft, auf die viele Reformen zurückgehen. Sie vertrat die ägyptischen Frauen bei vielen europäischen Konferenzen. Zu ihren Forderungen gehörte die Gleichheit und Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Ausbildung und der Arbeit, die Förderung der Mädchenbildung, das Heiratsverbot für Mädchen unter 16 (1924 durchgesetzt), ein verlängertes Erziehungsrecht für Frauen nach der Scheidung, die Abschaffung der Prostitution, die Unterstützung der Arbeiterfrauen durch geregelte Arbeitszeiten und angemessenen Lohn, die Begrenzung der Vielehe und das Wahlrecht für Frauen. Gerade für aktive Frauen stand der politische Kampf um die Eigenständigkeit im Vordergrund ihrer Befreiungsbemühungen. Die ersten Frauenkongresse fanden im Umfeld der Reformer und Nationalisten statt. Die Parteien der Nationalisten öffneten sich für Frauen, 1907 saßen Frauen erstmals mit Männern in einem Saal, 1914 beteiligten sie sich aktiv an einer Demonstration am Tag der Abstimmung über Staatsverfassung und Parlament. Moderne Kommunikationsmittel dienten der Organisation, wenn Frauen eigene Demonstrationen veranstalteten. Die Wafd-Partei gründete eigene Frauenkomitees, sie wurden jetzt

10 Vgl. Rüegg, Geschichte, 167; vgl. auch Jones-Pauly/Dajani, Women, bes. 106–112. 11 Vgl. Shaarawi, Harem Years. 12 Vgl. dazu Ahmed, Revolution.

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offiziell als Mitglieder aufgenommen. Um die Jahrhundertwende gab es unterschiedliche Frauenorganisationen wie Einzelpersönlichkeiten, die mit anderen für ihre Rechte stritten. Auch im kulturellen und religiösen Bereich engagierten sich viele Frauen, sie waren auch publizistisch mittels Zeitschriften13 von und für Frauen tätig. „There were two important changes in the content and context of the debate on women’s role in society of the nineteenth century: First the contours broadened beyond the Islamic framework with the introduction of the Western ideas and references. Second, for the first time women participated extensively in the literary debate through writings that were often published in the women’s press.“ 14 Zu den Frauen, die schon im 19. Jahrhundert Texte publizierten, gehörten etwa Aischa Ismat Taimur (1840–1902), Zaynab Fauwaz al-Amiliya (1860–1908), die besonders die Frauenfrage behandelte, oder Fatma Aliya (1868–1936). Ohne all diese Vorkämpferinnen ist die weitere Entwicklung der ägyptischen Frauenbewegung im 20. Jahrhundert nicht verständlich. Andere Bedingungen galten für die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung. Eine umfassende Mädchenbildung gab es nicht. Im 19. Jahrhundert wurde der landwirtschaftliche Bereich insgesamt durch die Industrialisierung zurückgedrängt, wodurch sich das Leben vieler Bäuerinnen stark veränderte. Die Familien zogen vom Dorf weg und kamen in die Stadt. Da sie oft den Lebensunterhalt mit verdienen mussten, gab es für sie neue Betätigungen in der Industrie, wodurch allerdings die prekären Lebenssituationen nicht ausgeglichen werden konnten. Armut herrschte vor. Bildung blieb für sehr viele Frauen aus der Unterschicht unerreichbar. Die Christen und Christinnen in Ägypten gehören überwiegend der koptischen Kirche an, die zu den orthodox-orientalischen Kirchen zählt. Gesellschaftlich lockerten sich im 19. Jahrhundert für die koptische Kirche staatliche Ausschlussregelungen, und es war für ägyptische Christen möglich, Ämter im Staat auszuüben und zu übernehmen. Gleichzeitig kamen mit der Kolonisierung amerikanische und europäische Missionen ins Land und brachten nicht nur ihre Theologie, sondern auch ihren Zugriff auf das soziale Leben mit sich. Der Einfluss bestand im Wesentlichen aus einer kirchlichen Diakonie und Bildungsarbeit sowie in der Errichtung von Missionsschulen, die Erziehung von Mädchen nach englischem oder französischem Vorbild anboten. Diese ausländischen Schulen trugen nicht unerheblich dazu bei, Mädchenbildung in Ägypten bekannt zu machen. 15 1832 wurde beispielsweise eine Hebammenschule gegründet, die Absolventinnen sollten auch Frauenund Kinderkrankheiten kurieren und Hygiene und Kinderpflege verbreiten. Durch die Schule wurde erreicht, dass ausgebildete Frauen im Unterricht tätig werden konnten. 1867 gründete der Khedive Ismail, der Nachfolger Muhammad Alis, ein Komitee, das sich mit 13 Zwischen 1892 und 1920 gab es etwa 30 Zeitschriften von und für Frauen, vgl. Baron, Awakening, 13–103; Bröckelmann, Publizistinnen; vgl. auch Hatem, Literature. 14 Baron, Awakening, 103. 15 Vgl. Reiss, Erneuerung, bes. 1–69. Auch christliche Frauen waren Teil der Frauenbewegung; sie hatten die Bildung durch christliche Missionsschulen genossen und bauten auch eigene politische und karitative Arbeit auf. Gemeinsam war den Frauen das Ziel der nationalen Unabhängigkeit. Vgl. dazu Meinardus, Frauenrechtlerinnen; Baron, Awakening, 122–143.



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Frauenbildung beschäftigen sollte. Mehrere arabische Mädchenschulen wurden gegründet. Unter der Ägide der Engländer ab 1881/82 erfuhren das Bildungswesen und die Bemühungen um Frauenemanzipation allerdings wenig Unterstützung, weil die Bildung des Volkes nicht im Interesse der Engländer lag; diese befürworteten sogar das Schleiertragen der Frauen ab dem 10. bzw. 12. Lebensjahr. Die kirchlichen wie staatlichen Entwicklungen verfehlten ihre Wirkung auch auf den islamischen Diskurs über Bildung nicht. Es bildete sich – neben den Aktivitäten von Frauen – auch unter männlichen islamischen Reformern die Überzeugung heraus, dass Frauenbildung notwendig sei und sowohl aus politischen als auch aus religiösen Gründen gefördert werden müsse. Sie nahmen den Islam als Grundlage für die Reformansätze. Zu den wichtigen Persönlichkeiten zählt Rifaa al-Tahtawi (1801–1873), der u. a. ein Buch über Mädchenerziehung und Frauenrechte verfasste; andere Reformer waren Jamal al-Din alAfghani oder Muhammad Abduh.16 Für Mädchenbildung profilierte sich insbesondere Qasim Amin17, der Schüler Muhammad Abduhs war. Er betonte die Gleichwertigkeit der Frau, trat für die Abschaffung des Schleiers und der Polygamie ein und forderte eine umfassende Frauenbildung. Die Geschichte der Frauenbewegung in Ägypten im 19. und 20. Jahrhundert, die nicht ohne den Kontext der politischen Auseinandersetzungen zu verstehen ist, ist gut aufgearbeitet.18 Sie ist Teil der Reformbewegungen, die politisch die Unabhängigkeit Ägyptens anstrebten und eine breitere Bildung, auch die Bildung von Frauen, befürworteten. Die Aktivität von Frauen im öffentlichen Bereich stand im Widerstreit verschiedener Strömungen: der einen, die Ägyptens Weg in die Moderne mit Anlehnung an europäische Entwicklungen befürworteten, der anderen, die dies als kolonialen Einfluss kritisierten und in der Folge auch ablehnten. Deswegen orientieren sich Letztere verstärkt am Islam und versuchen, die Modernisierung als Aufgabe der eigenen (jetzt nationalen und religiösislamischen) Identität zu begründen.

3. Feminisierungsprozesse in Ägypten im 19. Jahrhundert In der feministischen Theoriebildung in Europa wie im arabischen Raum gibt es die Debatte, ob religiöse Frauen überhaupt zum Bereich des Feminismus gerechnet werden können oder nicht; ob der Begriff „Feminismus“ kontextuell ausschließlich an eine säkulare Gesellschaft gebunden ist oder auch für einen religiösen, erst recht für einen islamischen Kontext zutreffen kann; ob der Begriff in unterschiedlichen Kontexten das Gleiche behandelt und ob Frauen aus islamischen wie islamisch-fundamentalistischen Bewegungen überhaupt diesen Begriff in Anspruch nehmen können, wenn sie dies tun. Dabei wäre zudem zu beachten, 16 Vgl. Srour, Gesellschaftstheorie; Jones-Pauly/Dajani, Women, 110–112; Sedgwick, Abduh. 17 Vgl. Amin, Befreiung. 18 Vgl. Al-Ali, Secularism; zu Fotografien vgl. Wassef/Wassef, Daughters.

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dass Frauen aus unterschiedlichen Generationen sehr unterschiedliche Prioritäten dafür entwickelt haben, welche Optionen in ihrem politischen und gesellschaftlichen Kampf an erster Stelle stehen. Auf diese Debatten kann hier nicht eingegangen, auf sie kann nur hingewiesen werden.19 Tatsächlich kann man die in der westlichen feministischen Debatte vorausgesetzte Trennung von Staat und Religion durch die Säkularisierung für Ägypten nicht voraussetzen. Ägyptens politischer Kontext, die muslimisch-religiöse Entwicklung unter fremder Herrschaft, sowohl unter osmanischer Herrschaft als auch unter Kolonialherrschaft, bildet einen anderen Kontext für die Frauenbewegung, die in vielfältiger Weise auch mit einem antikolonialen Anliegen verbunden war. Insofern stimmt weder die Charakterisierung als Feminismus in dem Sinne, wie er im Westen unter säkularen Vorzeichen entwickelt wurde, noch können die Frauen, die unter Rückgriff auf den Islam eine eigene Bewegung begannen, als Fundamentalistinnen charakterisiert werden. Für die Frauen, die mit Berufung auf den Islam die Aktivierung von Frauen begannen und bis heute betreiben, könnte insofern das Konzept der Feminisierung, wie zu Beginn des Beitrags definiert, möglicherweise eine zutreffende Beschreibung sein (siehe Kapitel 6.). Im Ägypten des 19. und 20. Jahrhunderts plädieren theoretische Schriften von Männern wie von Frauen aus islamischer Perspektive für eine verstärkte Bildung und Aktivierung von Frauen. Lässt sich daraus aber auch eine Feminisierung des islamisch-religiösen Bereichs ableiten wie meist für den kirchlichen Bereich im Westen? Für den Islam gilt, dass es zwar religiöse Institutionen wie die berühmte Al-Azhar-Universität, religiöse Persönlichkeiten oder große Waqf-Stiftungen gibt, aber es gibt keine zentrale Institution, anhand deren Entwicklung sich eine Feminisierung so verfolgen ließe wie an kirchlichen Institutionen. Kultur und Religion sind zudem kaum zu trennen, sodass sich ein religiöser Sektor nicht isoliert analysieren lässt. Das Konzept der Feminisierung benennt allerdings einige Punkte aus dem kirchlich-religiösen Leben, anhand derer man eventuelle Feminisierungsprozesse dennoch beleuchten kann. Dies kann an den Parametern der Feminisierung beschrieben werden. Auf dieser Ebene gibt es Vergleichspunkte sowohl in den Frauenorganisationen als auch in den Schriften von Frauen. Um die Frage einer möglichen Feminisierung im islamischen Ägypten im 19. Jahrhundert zu untersuchen, sollen exemplarisch die Schriften, das Leben und das Wirken einer der herausragenden islamischen Protagonistinnen, Zaynab al-Ghazali, der „Mutter der Muslimschwestern“, untersucht werden. Sie war eine sehr einflussreiche, religiös agierende Frau mit öffentlicher Wirkung. Gerade sie, die am Anfang einer Bewegung steht, die oft genug mit der Unterdrückung von Frauen in Verbindung gebracht wird, bietet sich als Exempel an, an dem die Merkmale, die für eine Feminisierung von Religion stehen, durchbuchstabiert werden können. Zaynab al-Ghazali spielte zudem nicht nur damals eine wichtige Rolle, sondern ihr Wirken beeinflusst die Frauen- wie die Männerorganisationen der Muslimbrüder in Ägypten bis heute, und zwar nicht nur in 19 Vgl. Karam, Islamisms. Zur Diskussion um islamischen Feminismus vgl. jetzt exemplarisch Ali, Feminismus.



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Ägypten, sondern neuerdings auch in Europa. So kann diese Analyse auch ein Beitrag dazu sein, die heutigen Entwicklungen besser zu verstehen.

4. Zaynab al-Ghazali – „Mutter der Muslimschwestern“ 4.1. Das Leben von Zaynab al-Ghazali

„She is Zainab al-Ghazali, leader of The Muslim Brotherhood and one of the most controversial female Muslim figures of the 20th century. Born in 1917 into the household of a local religious leader, she was inculcated with the importance of religion in everyday life. From an early age her father encouraged her to be a strong woman, and a leader who embraced Islam and the indigenous traditions of Egypt.“ 20 Ihr Vater war Baumwollhändler und lokaler religiöser Führer, der seine Tochter unterstützte. Bereits als junge Frau interessierte sie sich für die Frauenfrage, wie viele Frauen ihrer Generation. Denn Zaynab al-Ghazali lebte in einer Ära, wo die Frauendebatte in Ägypten sich auf ihrem Höhepunkt befand. Publikationen von Frauen, Frauengruppen und karitative Organisationen blühten.21 Bereits als junge Frau trat sie 1936 der 1923 gegründeten Ägyptischen Feministischen Union bei. Noch im gleichen Jahr, in dem sie Mitglied geworden war, verließ sie diese allerdings wieder; ausschlaggebend dafür war die säkulare Ausrichtung der Union. In einem Interview bezeichnet sie ihren Beitritt in die Union als Fehler und gibt folgende Erläuterungen dazu, die im Kern theologischer Natur sind und daher auch mit ihrer theologische Sichtweise auf den Islam eng zusammenhängen: „Islam has provided everything for both men and women. It gave women everything – freedom, economic rights, political rights, social rights, public and private rights. Islam gave women rights in the family granted by no other society. Women may talk of liberation in Christian society, Jewish society, or pagan society, but in Islamic society it is a grave error to speak of the liberation of women. The Muslim woman must study Islam so she will know that it is Islam that has given her all her rights.“ 22 Die Debatten um die Frauenrolle wollte sie stärker im kulturellen und religiösen Kontext Ägyptens begründet sehen. Gerade diese Überzeugung wurde durch ihre selbst angeeignete religiöse Bildung mittels Lesen, Vorträgen und Teilnahme an islamischen Gruppentreffen entwickelt, wie sie in einem Interview unterstreicht.23 Und genau dieser Weg ist der Weg, den sie für ihre Organisation einschlug, um eine breite Frauenbasis zu erreichen.

20 21 22 23

Lewis, Zainab al-Ghazali, 1; vgl. auch Cooke, Zaynab; Hoffman, Zaynab. Vgl. Baron, Social Welfare. Euben/Zaman, Islamist Thought, 284. Vgl. ebd.

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Diese religiösen Überzeugungen und ihr Interesse an Frauenthemen brachten sie letztendlich dazu, mit 18 Jahren den Muslimischen Frauenverband („Jamaat al-Sayyidat al-Muslimat“) zu gründen – eine Organisation, die sich sehr stark für die Frauen engagierte, die auf dem Land lebten oder die unterprivilegiert und vernachlässigt waren. Ihre Organisation hatte im Jahre 1964, als Nasser sie verbot, fast 3 Millionen Anhängerinnen und 120 Zweigstellen. Wöchentlich hielt sie Predigten in der Ibn-Tulun-Moschee. Gerade als Predigerin und Daciya (Ruferin zum Islam) spielte sie eine wichtige Rolle in der Vorbereitung der Lehren des Islams vor allem, aber nicht nur, unter Frauen. „Al-Ghazali is believed to have been the first prominent female dā’iya in Eygpt, and her trajectory as a dā’iya exemplifies key developments in the history of women’s daw’a since the 1940s.“24 Ihre Organisation gab ein monatliches Magazin „Muslimische Frauenzeitschrift“ („al-Sayyedat al-muslimat“) heraus, in dem sie immer wieder publizierte; 1951 erschien die erste Ausgabe, und das Magazin wurde insgesamt sechs Jahre herausgegeben, bis es verboten wurde. Bereits 1939 versucht Hasan al-Banna, Gründer der Muslimbruderschaft, sie für seine Bewegung zu gewinnen, doch erst nach dem offiziellen Verbot der Muslimbruderschaft 1948 schloss sie sich der Bewegung an. Sie wurde eine der wichtigsten Figuren der Muslimbrüder, nachdem unter Nasser die Hauptvertreter der Muslimbrüder verfolgt oder eliminiert worden waren. Dennoch blieb ihre Organisation unabhängig. Zaynab al-Ghazali berichtet über die Zusammenarbeit: „Hasan al-Banna was in the process of forming a sisters’ branch in the Ikhwan. After reminding me of the necessity of uniting all Moslems and bringing them together, he invited me to preside over the Moslems sisters. This meant the merging of my newborn Muslim Ladies Group, something I was intensely proud of, with the Ikhwan. I promised to discuss al-Banna’s suggestion with our general assembly but said I could not give a guarantee of the result. As it happened, our general assembly rejected the proposal but recommended close cooperation between the two groups.“ 25 Gerade die Tatsache, dass sie für die Unabhängigkeit ihrer Organisation eintrat, zeigte, dass sie sich den herrschenden patriarchalen gesellschaftlichen wie religiösen Strukturen nicht einfach unterordnete, sondern eine gewisse Distanz und damit Unabhängigkeit bewahrte. Zaynab war eine der bedeutendsten Vertreterinnen religiös orientierter Frauen in Ägypten und leistete einen wichtigen Beitrag von den 1940er- bis zu den 1960er-Jahren für diese Frauenbewegung. Sie wurde wegen ihres politischen und religiösen Engagements von der Regierung Nassers inhaftiert und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Begnadigt wurde sie, wie viele Persönlichkeiten der Muslimbrüder, durch Anwar al-Sadat. Zaynab al-Ghazali war, wie andere Frauen, ideologisch in der antikolonialen Bewegung verankert, aber sie hielt auch an den islamischen Grundsätzen fest.

24 Mahmoood, Politics of Piety, 67. 25 Al-Ghazali, Return of the Pharao, 25.



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4.2. Zaynab al-Ghazali: Forderung nach Frauenbildung in der islamischen Gesellschaft

In der Ideologie und Arbeit von Zaynab al-Ghazali spielen Frauen in einer islamischen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Für sie ist im privaten Bereich die Frau zentral für die Familie, insbesondere als Erzieherin der Kinder, die sie zum Aufbau der Gesellschaft befähigen soll. Aber auch im gesellschaftlichen und religiösen Bereich sollen Frauen eine Rolle spielen: Sie benötigen eine gute Bildung, können Ämter bekleiden, „das Wahlrecht besitzen, sollten auch als Richterinnen und Ministerinnen und sogar als Ministerpräsidentinnen unter der Führung eines Staatspräsidenten tätig sein. Staatsoberhaupt allerdings dürfe eine Frau niemals werden.“ 26 Politisch sieht sie Frauen als Teil des Kampfes gegen westliche Kolonialmächte und deren Einflüsse. „Whether she was writing in her magazine column, giving a public lecture, or answering questions at an interview, Zaynab al-Ghazali was clear and consistent on three following points regarding Muslim women and their role in society. The Muslim woman is fundamental to the success of Islamic society. She must fulfil her responsibilities in Islamic da’wah. Finally, she must reject the evils of western imperialism that remain after the collapse of the formal colonial apparatus. All three of these points are prevalent in her works, and provide the framework for understanding her message on the behaviour, obligations, and societal role expected of Muslim women.“ 27 Die allgemeine Bildung der Frauen war für Zaynab al-Ghazali ein wichtiges Anliegen. Diese Tatsache wird oft unterschlagen, da sie eher die religiöse Bildung einforderte und diese mit der traditionellen Rolle der Frau als Mutter und Erzieherin von Männern verband. Denn dass Frauen gebildet sind, ist eine Voraussetzung für eine adäquate Erziehung der Söhne. Hier trifft sie sich mit der westlichen Vorstellung der Mutter als Erzieherin im 19. Jahrhundert, die für diese Aufgabe eine entsprechende Bildung benötigt.28 Zaynab al-Ghazali wurde im Gefängnis immer wieder verhört und mit Folter bedroht. Als sie bei einem Verhör gefragt wurde, was sie anstelle ihrer Gegner machen würde, antwortete sie mit einer Vision vom Islam. „It will, probably, take many generations before Islam rules. We don’t anticipate the phases. And when Islam rules, women’s position will be at its proper place whereby they can educate the men of this Ummah.“ 29 Doch wozu sollen die Söhne erzogen werden? Im Kontext von Gefängnis und Unterdrückung antwortet sie den Verhörenden: „[…] Islam is justice, light and mercy. In Islam there are no whips, no killings, no torture, prisons, expulsions, burying of people alive, nor tearing bodies apart. There is no displacement of children, widowing of women, pharaohs or

26 27 28 29

Walther, Fundamentalismus, 294. Lewis, Zaynab al-Ghazali, 20f. Vgl. Röper, Angemessener Wirkungskreis. Al-Ghazali, Return of the Pharaoh, 134.

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idol-worship. In Islam, there is nothing but truth and justice, a word is confronted with a word and an argument with an argument.“ 30 Diese Vision eines nicht nur gerechten, sondern auch in den Auswirkungen auf Frauen und Kinder als heilvoll beschriebenen Islam entwirft ein Gegenbild zum sozialistischen politischen System Ägyptens, das sie und Muslimbrüder verfolgte und unterdrückte. Es darf daher nicht übersehen werden, dass durch die religiöse Bildung, die Zaynab al-Ghazali für Frauen nicht nur einforderte, sondern durch ihre Organisation auch vollzogen hat, eine ganze Generation von Frauen als Predigerinnen ausgebildet worden ist, und dies in einer Zeit, wo diese Position in anderen Einrichtungen, etwa an der Al-Azhar-Universität, nur für Männer zugänglich war. „The Society later expanded its role to training women in the art of preaching so that they could instruct women in religious issues either in their homes or at mosques. During the first few years of the Society’s operation, the institute (known as the ‚Center for Preaching and Advice‘ was affiliated with the University of al-Azhar, and many well-known c ulama’ reportedly came to lecture on subjects such as exegesis of the Quran and the hadith, the basic rules of Islamic jurisprudence (fiqh), and religious exhortation […]. Women received six months of training and were then appointed to state-run mosques to provide religious lessons to other women.“ 31 In einer der Vernehmungen im Gefängnis wurde Zaynab al-Ghazali gefragt, was sie mit einem Stück Land, das ihrer Frauenorganisation gehörte, beabsichtige. Darauf antwortete sie: „The Moslem Ladies Group was going to build a home for educating Muslim girls, a guest house for Muslim ladies, a lecture hall and a headquarters for the Group, a Mosque, a primary and intermediary school and a college for female preachers.“ 32 Diese Einsichten Zaynabs zeugen von ihrem Einsatz und ihrer Vision zur Institutionalisierung von Frauenbildung. „Islam does not forbid women to actively participate in public life. It does not prevent her from working, entering into politics, and expressing her opinion, or from being anything, as long as that does not interfere with her first duty as a mother, the one who first trains her children in the Islamic call.“ 33 Was ihr eigenes Eheleben betraf, zog Zaynab allerdings eine andere Bilanz: „I married twice. I found that (my first) marriage took all my time and kept me away from my mission, and my husband did not agree with my work. I had made a condition that we if we had any major disagreements we would separate and the Islamic cause was essential.“ 34 Gerade diese Diskrepanz in der Frage nach der Priorität wird ihr immer vorgeworfen: Sie hätte das, was sie den muslimischen Frauen gepredigt hat, selbst nicht vorgelebt. Doch diese Kritik, obgleich sie zum Teil berechtigt ist, geht von einer statischen Haltung Zaynab al-Ghazalis aus, die allerdings nicht gegeben ist. Ihre Ansichten über Frauen und ihre Rolle 30 31 32 33 34

Ebd. Mahmoood, Politics of Piety, 67. Al-Ghazali, Return of the Pharao, 129. Euben/Zaman, Islamist Thought, 286. Ebd.



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in der Gesellschaft haben sich im Laufe der Jahre verändert. Azza Karam schreibt: „Over time Al-Ghazali’s position has changed significantly. In early 1980s, Al-Ghazali began to talk of ‚choice‘ and acknowledged that women should determine how they wish to participate in society.“ 35 4.3. Die religiöse Sprache von Zaynab al-Ghazali

In ihren Erinnerungen schreibt Zaynab al-Ghazali auch über ihre religiösen Erfahrungen, wo sie sich und ihre Mission, besonders in der Zeit im Gefängnis, bestärkt sieht. Dass sie als Frau selbst Muhammad im Traum sieht und er sie mehrfach, sogar in einer direkten Anrede an sie selbst, bestätigt, stellt eine Besonderheit dar. Diese Besonderheit liegt im visionären Element selbst. Dass eine Frau eine religiöse Vision hat 36 und darin ein sie bestätigendes Gespräch mit dem Propheten selbst führen kann, ist außergewöhnlich. Vor allem, dass diese Vision und ihre Botschaft nicht abgelehnt, sondern anerkannt wird, ist alles andere als selbstverständlich. Damit bekommt Zaynab einen hohen Status zugesprochen, der eine prophetische Bestätigung ihrer Nachfolge von Prophet Muhammad enthält. Diese Bestätigung erhält sie selbst direkt durch eine Vision, nicht vermittelt oder legitimiert durch Religionsgelehrte. Zaynab al-Ghazali hatte im Gefängnis insgesamt vier Visionen des Propheten, die sie in ihrer Autobiografie festhielt. Darin sieht sie sich in der Wüste hinter einer langen Reihe von wundersamen Kamelen und begegnet dem Propheten Muhammad, der ihr mehrfach bestätigt, dass sie in seinen Fußstapfen wandelt. „I do not know how but I fell asleep while invoking Allah, and it was then that I experienced the first of four visions of the Prophet (peace be upon him) that I was to see during my stay in prison. There in front of me, praise be to Allah, was a vast desert and camels with hawdahs [Kamelhöcker, Anm. d. Verf.] as if made of light. On each hawdah were four men, all with luminous faces. I found myself behind this huge train of camels in the vast, endless desert, and standing behind a great, reverent man. The man was holding a halter which passed through the neck of each camel. I wondered silently could this man be the prophet (peace be upon him)? Silence has no safeguard with the Prophet, who replied: ‚Zaynab! You are following in the footsteps of Muhammad, Allah’s Servant and Messenger.‘ ‚Am I, master! Following in the footsteps of Muhammad, Allah’s Servant and Messenger?‘ ‚You, Zaynab Ghazali, are following in the footsteps of Muhammad, Allah’s Servant and Messenger.‘ ‚O my Beloved! Am I truly following in your footsteps?‘ ‚Zaynab! You are on the right path. You are on the right path, Zaynab! You are following in the footsteps of Muhammad, Allah’s Servant and Messenger.‘“ 37

35 Karam, Islamisms and Feminsim, 230. 36 Diese Visionen kann man analog sehen zu einem ähnlichen Phänomen bei christlichen Frauen im 19. Jahrhundert im Westen; vgl. Priesching, Maria von Mörl. 37 Al-Ghazali, Return of the Pharaoh, 53.

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Auch die sonst ehrfurchtsvolle Distanz zum Propheten ist weg. „O my Beloved“ – diese zärtliche, liebende Anrede an Muhammad sprengt die sonstige Diktion religiöser Rede. Lewis interpretiert diese Passagen als den Einfluss einer Sufi-Theologie, die in Ägypten weit verbreitet sei.38 Allerdings wird nicht klar, wie dieser Einfluss in Zaynab al-Ghazalis Leben festgemacht werden könnte. Sie selbst bewegt sich eher im Kontext der Rechtsgelehrten bzw. Theologen. In ihrem Beitrag bewertet Miriam Cooke diese Visionen in eine andere Richtung: „‚Days from my life’ is framed more as a quest narrative than as an autobiography, yet nothing is sought. […] From the beginning al-Ghazālī presents herself as a powerful, already enlightened Muslim with complete knowledge whose calling inspite of herself is to perform daw’a.“ 39 Ihr wichtigster Beitrag auf diesem Gebiet ist ihre zweibändige Koran-Exegese „Tafsir“, die sie 1994 veröffentlichte. Innerhalb der Muslimbrüderschaft wird diese theologische Arbeit als die einzige von einer Frau geleistete Exegese gewürdigt.

5. Elemente der religiösen Feminisierung bei Zaynab al-Ghazali Zaynab al-Ghazali fehlt wegen ihrer religiösen Verwurzelung oft in der feministischen Debatte um die Frauenbewegung in Ägypten. Ihre Betonung des Islams und der familialen Rolle von Frauen lässt sie nicht als eine Protagonistin feministischer Frauenbefreiung erscheinen. Doch dieses einfache Schema, das eine säkulare Haltung als unumgängliche Grundlage für eine emanzipatorische Bewegung voraussetzt und das auch in Teilen in der ägyptischen Frauenbewegung vorhanden ist, lässt Zaynab – und mit ihr ihre Anhängerinnen – durch das Raster fallen. Eine differenziertere Möglichkeit, diese Frauenbewegung zu erfassen, bietet das Konzept der „Feminisierung der Religion“ im 19. Jahrhundert. Auch wenn Zaynab al-Ghazali im 20. Jahrhundert gewirkt hat, so ist ihre Haltung und ihr Einfluss nicht denkbar ohne die Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, aus der sie kommt, auf der sie aufruht und deren Errungenschaften die Voraussetzungen dafür waren, dass sie ihren eigenständigen Weg finden konnte. Mehrere Merkmale, die für die Feminisierung von Religion in Europa im langen 19. Jahrhundert sprechen, finden sich auch in der Bewegung der Muslimschwestern, jenseits davon, wie man inhaltlich zu dieser Bewegung steht. Dazu gehört die verstärkte selbstständige Organisierung von Frauen und die Institutionalisierung. Nachdem Zaynab al-Ghazali sich zunächst der eher westlich beeinflussten Frauenbewegung angeschlossen hatte, gründete sie als junge Frau den eigenen Muslimischen Frauenverband („Jamaat alSayyidat al-Muslimat“), der bis zum Verbot unter Präsident Nasser 1964 schon fast drei Millionen Ägypterinnen organisiert hatte. Bei aller Verehrung und inhaltlichen Nähe, die sie dem Gründer der Muslimbrüder, Hasan al-Banna, entgegenbrachte, sorgte sie dafür, 38 Vgl. Lewis, Zainab al-Ghazali, bes. 17–21. 39 Cooke, Ayyām min ḥayātī, 157.



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dass ihre Frauenorganisation eigenständig blieb. Erst in der Zeit der Verfolgung 1948 gab es einen engeren Zusammenschluss. Ein Merkmal der Feminisierung von Religion in Europa im 19. Jahrhundert macht sich an der Initiative von Frauen im karitativen bzw. diakonischen Bereich fest, der religiös begründet und durch kirchliche bzw. kirchlich orientierte Frauenvereine organisiert wurde. Diese Institutionalisierung war eine wichtige Basis. Für die Frauen in Ägypten gilt, dass vor allem jene der Oberschicht schon vor dem 19. Jahrhundert Vermögen besaßen und dieses auch selbst verwalteten. Die Institution von Stiftungen (arab. waqf )40 war seit der Mamlukenzeit weit verbreitet, sie konnten Moscheen und mit ihnen verbunden Waisenhäuser, Armenspeisungen, Sufi-Konvente oder Krankenhäuser unterhalten. Vielfach bekamen sie Land, um ihre Zwecke zu erfüllen. Diese Stiftungen sind bis heute religiöser Natur und dienen weitgehend sozialen Zwecken, wobei im 20. Jahrhundert die Staaten sich oft dieser privaten Vermögen bemächtigt haben. Manche Institutionen waren beim Grab der Stifterin oder des Stifters angesiedelt. Solche Stiftungen tätigten auch wohlhabende Frauen, die Landbesitz hatten. „All the available studies of sales and purchases of urban land, waqf (pl. auqaf, property endowed ostensibly for some religious or charitable purpose) transactions, estate partitions, and merchant activities, as they were recorded in the various sharicah courts, arrive at similar conclusions: upper-class women owned considerable property, controlled large amount of money, and managed some businesses themselves.“ 41 Zaynab al-Ghazali steht in dieser Tradition der Institutionalisierung. Selbst aus wohlhabenden Verhältnissen stammend, legte sie Wert darauf, im Verband auch solche Institutionen zu schaffen, die eine dauerhafte Arbeit ermöglichten. Dazu zählte das Land, das dem Frauenverband gehörte und das dafür gedacht war, Räume für die Organisation, für karitative und religiöse Aktivitäten (u. a. eine Moschee) sowie für Bildungsaktivitäten zu schaffen.42 Die Feminisierungsmerkmale der karitativen Arbeit von Frauen treffen insofern auch auf die Muslimschwestern zu. Ihre Organisation unterhielt ein Waisenhaus und unterstützte arme Menschen. Dies gehört ebenfalls zu den sozialen Aufgaben, die ein waqf anbietet. Religiöse und karitative Einrichtungen sind in dieser islamischen Tradition nicht getrennt. Weiterhin gehört die religiöse Bildung von Frauen durch Frauenverbände zu den Merkmalen, die auf eine Feminisierung deuten können. Zaynab al-Ghazali sorgte für diese religiöse Bildung, die sie selbst schon als Kind durch ihren Vater erhalten hatte. Denn wer keine religiöse Bildung hat, kann auch nicht im Sinne der Religion handeln und Kinder im Sinne der Religion erziehen. Stand auch das Erziehungsideal und die Rolle der Frau als Mutter im Vordergrund dieser Aktivität, so führte es dennoch dazu, dass Frauen eine Bildung bekamen, die sie anderswo nicht gehabt hätten. Dazu kommt, dass in der traditionellen Bildung der Bevölkerung, die nicht der Oberschicht angehörte, Koranschulen die Grundlage waren. Zayab al-Ghazali knüpfte damit an eine islamische Tradition an, weitete 40 Vgl. Singer, Charity. 41 Nashat/Tucker, Women in Middle East and North Africa, 80. 42 Vgl. Al-Ghazali, Return of the Pharao, 129.

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sie aber als Recht für die Frauen aus, kontextualisierte sie mit den Bedürfnissen der Frauen und ermächtigte so viele Frauen, denen eine Bildung weitgehend verwehrt gewesen wäre. Dies deckte sich auch mit dem Ziel, zur Institutionalisierung von Frauenbildung auf dem Land beizutragen, die ihr Frauenverband betrieb (s. o.). Diese Bildung diente ihrer Vision eines Islam, der „heilvoll“ ist für Frauen und Kinder und eine andere Perspektive als das politische System Ägyptens bietet. Im 19. Jahrhundert in Europa war ebenfalls die religiöse Bildung von Frauen im Rahmen von Säkularorden einer der Schritte, die über den religiösen Bildungsweg, auch als Grundlage für die Erziehung der Kinder, Frauen für eigenständige Aktivitäten qualifizierten.43 Die religiöse Bildung führt dazu, dass Frauen innerhalb des islamisch-religiösen Systems leitende Aktivitäten entfalten können, was ihnen im normalen religiösen Alltag völlig verwehrt gewesen wäre. Nicht nur, dass Zaynab al-Ghazali selbst predigte, sondern sie bildete auch Frauen als Predigerinnen für Frauen aus, indem sie die Exegese des Koran und der Hadithe sowie islamisches Recht vermittelt bekamen und weitere religiöse Ausbildung genossen, sogar durch die Gelehrten der Al-Azhar-Universität. Damit hatten Frauen nach einer sechsmonatigen Ausbildung die Möglichkeit, selbst in der religiösen Frauenbildung tätig zu sein, sogar an staatlich geführten Moscheen.44 Damit gelang es Frauen, mit dem religiösen System die religiösen Schranken, die ihnen auferlegt wurden, zu umgehen und aktiv zu werden in dem Bereich, mit dem die kulturellen und religiösen Einschränkungen ihres Wirkens begründet wurden.45 Schwieriger ist es, eine Feminisierung der religiösen Sprache festzustellen. Ob die Frauen, die schließlich nach der religiösen Ausbildung auch in diesem Sektor wirkten, eine andere Sprache und andere Metaphern als die Männer fanden, lässt sich nicht überprüfen. Die Predigten sind nicht erhalten oder nicht zugänglich. Nur in den Schriften und Erinnerungen von Zaynab al-Ghazali selbst könnte man ihre Visionen bzw. Träume von der Bestätigung durch den Propheten und ihre Nähe zu ihm – „O my beloved“ – als eine Emotionalisierung und Empathisierung bewerten, die in der gängigen religiösen Sprache nicht geläufig ist – ausgenommen im Kontext des Sufismus, dem sie aber nicht angehörte. Vielleicht aber ist dies auch im Horizont der hagiografischen Tendenz zu sehen, die es in der Beschreibung ihres Wirkens und ihrer eigenen Erinnerungen gibt.46

43 Vgl. dazu Meiwes, Arbeiterinnen. 44 Vgl. Mahmoood, Politics of Piety, 67. 45 Für diese Aktivitäten gibt es keine verlässlichen Zahlenangaben. Man muss bedenken, dass die Muslimbrüder wie die Muslimschwestern ab den 1970er-Jahren in Ägypten verboten waren und im Untergrund agierten. Daher sind alle Zahlenangaben mit Vorsicht zu betrachten, da sie politisch eingesetzt werden. Dies gilt im Übrigen auch für sehr viele andere statistische Angaben, die oft genug politischen Interessen dienen. 46 Vgl. Walther, Fundamentalismus, 286.



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6. Zaynab al-Ghazali aus heutiger Sicht Wer sich heute mit Frauen aus der Bewegung der Muslimbrüderschaft beschäftigt, liest die Texte in einem Kontext, in dem Ägypten (wie andere arabische Länder) eine Regierung der Muslimbrüderschaft hinter sich hat, die aus den Wahlen nach dem Sturz von Hosni Mubarak hervorgegangen war und inzwischen seitens des ägyptischen Militärs wieder gestürzt und erneut, wie unter Mubarak, verfolgt wird. Die Regierung von Präsident Mursi hat durch eine autokratische Machtzuschreibung für den Präsidenten von sich reden gemacht. Die Arbeit, die Zaynab al-Ghazali, ihre Organisation sowie die Muslimbrüder bei der Rekrutierung von Frauen geleistet haben, darf nicht unterschätzt werden. Über Jahrzehnte hinweg haben diese Organisationen in ganz Ägypten eine breite Basisgemeinde geschaffen. Sie waren oft nicht sichtbar für die Öffentlichkeit bis Mitte der neunziger Jahre, als sich viele von ihnen in und an den Wahlen beteiligt haben. „As for the Muslim Sisters, their work reverted back the social movement of da’wa at the grassroots level, thereby not appearing in any public roles. The Muslim Sisters remained shut out from the public eye, until their political participation in the mid 1990s, 2000, 2005 and 2010 elections, when several of them ran in Egypt’s parliamentary elections, and campaigned for both male and female Brotherhood parliamentary candidates.“ 47 In der Zeit nach der Revolution vom 25. Januar 2011 und insbesondere seit der Gründung der „Freiheits-und Gerechtigkeitspartei“ werden Frauen aus den Reihen der Muslimschwestern und Muslimbrüder sichtbar. Viele der Kandidatinnen der Partei sind in der Arbeit der Muslimschwestern großgeworden. Schätzungen zufolge waren ca. 25 Prozent der Parteimitglieder Frauen. Für die Parlamentswahlen von 2011 kandidierten insgesamt ca. 80 Frauen, 76 davon gehörten der „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“ an. Viele haben diese Frauen unterschätzt, belächelt, nicht ernst genommen, da sie keine „wirkliche“ „feministische“ Position vertraten. Doch diese Perspektive nimmt das Selbstverständnis dieser Frauen sowie ihre religiöse und politische Verwurzelung in der Ideologie der Muslimschwestern nicht ernst und verfehlt daher eine echte Auseinandersetzung mit den Motiven und Motivationen dieser Frauen, politische Ämter zu bekleiden. Eine der prominenten Figuren dieser Wahl war Azza al-Garf, eine Schülerin Zaynab al-Ghazalis. Ihre Argumentationen sind sehr stark von der Lehren Zaynabs geprägt, wenn auch in einem neuen Kontext – der Widerstand wird in einer demokratischen Wahl neu moduliert. Für diese Frauen geht um die aktive Verantwortung für die religiösen Fundamente der Gesellschaft. „This is most telling in the words and vows of the MB’s female MP Azza Garf. During her short assignment to Egypt’s new Peoples Assembly, she publicly stated her intentions towards dissolving most of the pro-women laws passed during the Mubarak era – under the direction and encouragement of the former First Lady Suzanna Mubarak – claiming that they are un-Islamic and a detriment towards the establishment of a more sharia-based society. Exist-

47 Farag, Muslim Sisters, 229.

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ing laws regarding issues such as banning female genital mutilation and women’s divorce rights were criticized by Garf, as tools that further incite the fragmentation of Egyptian society.“ 48 Doch nicht nur in Ägypten sind das Leben, die Gedanken und Konzeptionen von Frauen wie Zaynab al-Ghazali wieder relevant und aktuell, sondern auch in Europa. In ihrem Buch „The Muslim Brothers in Europe: Roots and Discourse“ geht Brigitte Maréchal auf die Bedeutung von Zaynab al-Ghazali für Frauen in der Muslimbrüderschaft innerhalb Europas ein, insbesondere im Vereinigten Königreich und Frankreich: „Despite the radical specificity of the experience of Zaynab Al-Ghazali, her figure continues to stand as a real model of life. Surprisingly enough, her exemplary character appears to touch the lives of female sympathizers whom we interviewed very deeply: Zaynab Al-Ghazali represents a very concrete model for imitation rather than some sort of distant historical heroine or iconic figure.“ 49 Gerade diese Funktion als Modell hat Miriam Cooke bereits Mitte der 1990er in ihrem Aufsatz „Ayyam Min Hayātī: The Prison Memoirs of a Muslim Sister“ unterstrichen: „‚Days from my life‘ offers itself as a standard of behavior and of resistance within a vision of an ideal society. Participation in jihād turns al-Ghazāli into a public emblem, a model for other women who are trying to empower themselves within the framework of a well understood Islam.“ 50 Dass dies heute von jungen Muslimas in Europa so gesehen wird, öffnet allerdings eine neue Perspektive. Es ist deshalb in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu reflektieren, dass die Texte von Zaynab al-Ghazali im damaligen Kontext zu lesen sind, in dem die Muslimbrüder und auch führende Frauen wie Zaynab al-Ghazali verfolgt, verhaftet oder getötet wurden. Doch diese Zeit ist nur eine Ära der Geschichte der Muslimbrüder in Ägypten. Zu ihrer Geschichte gehört auch die Begnadigung in der Ära Sadat, die Beteiligung an den verschiedenen Parlamenten seit Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts und nicht zuletzt die Regierungsführung nach den ersten Wahlen nach der Revolution in Ägypten. Liest man al-Ghazalis Texte unter den heutigen Erfahrungen mit den Muslimbrüdern, wäre es leicht, aus dem, was aus ihren Ideen und Visionen geworden ist, auf sie selbst zurückzuschließen und ihre Vision vom Islam nicht mehr ernst zu nehmen. Dabei geht es nicht darum, mit ihren Konzepten einverstanden zu sein oder ihre Vorstellungen zu teilen. Doch gerade weil diese Ideen an Aktualität gewinnen, geht es um eine Differenzierung. Man muss sich bewusst machen, dass sie kontextuell in einer anderen Zeit wirkte, unter anderen Rahmenbedingungen, mit anderen Frauenbewegungen als Gegenpart und unter einer kolonialen und später sozialistisch-nationalen Bewegung wie unter Nasser, unter dem sie unterdrückt wurde. Wenn sie heute von muslimischen Frauen und Männern wiederentdeckt wird, muss diese Kontextveränderung mitbedacht und die Wirkung von ihrer Person unterschieden werden. In Ägypten gibt es noch die Erfahrung der Verfolgung – aber es gab zumindest kurz auch die Möglichkeit, diese Ideen unter Mehrheitsbedingungen so umzusetzen, dass das Freiheits- und Gleichheitsideal, das Zaynab al-Ghazali vertrat, erfahrbar geworden wäre. 48 Ebd., 233. 49 Maréchal, Muslim Brothers, 143. 50 Cooke, Ayyām min ḥayātī, 163.



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Ein ganz eigener Kontext aber ist Europa. Und es wird interessant sein zu verfolgen, wie in einem demokratischen säkularen Kontext Zaynab al-Ghazalis Rezeption neu kontextualisiert und interpretiert werden wird. Das Konzept der Feminisierung der Religion bietet die Chance, dieses Phänomen in der neuen Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Distanz kritisch zu reflektieren und einen ganz eigenen Prozess wahrzunehmen, der nicht unterschätzt werden darf.

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Ulrike Bechmann / Viola Raheb

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Religiöse Frauenbewegungen in Ägypten im 19. und 20. Jahrhundert

237

bewegungen der Koptisch-Orthodoxen Kirche der Gegenwart, Hamburg 1998 (= Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte 5). Röper Ursula: Ein „angemessener Wirkungskreis“ auch dem „weiblichen Theile der evangelischen Kirche“. Ein Beitrag zur christlichen Frauenbildung in Preußen zur Zeit Friedrich Wilhelms IV., in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 62 (2000) 83–97. Rüegg Walter (Hg.): Geschichte der Universität in Europa, Bd. 3: Vom 19. Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800–1945), München 2004. Sedgwick Mark: Muhammad Abduh, Oxford 2009. Shaarawi Huda: Harem Years. The Memoirs of an Egyptian Feminist (1879–1924), New York 1987. Singer Amy: Charity in Islamic Societies, Cambridge 2008. Srour Hani: Die Staats- und Gesellschaftstheorie bei Sayyid Gamaladdin „Al Afghani“ als Beitrag zur Reform der islamischen Gesellschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Freiburg 1977 (= Islamkundliche Untersuchungen 41). Toledano Ehud R.: Social and Economic Change in the „Long Nineteenth Century“, in: Daly Martin/Petry Carl: The Cambridge History of Egypt, Bd. 2: Modern Egypt, from 1517 to the End of the Twentieth Century, Cambridge 1998, 252–284. Tucker Judith E.: Women and the Family in Egypt: 1800–1860. A Study in Changing Roles and Status, Cambridge 1981 (Microfiche). Tucker Judith E.: Women in the Nineteenth-Century Egypt, Cambridge [u. a.] 1985. Tucker Judith E.: Decline of the Family Economy in Mid-Nineteenth-Century Egypt, in: Hourani Albert [u. a.] (Hg.): The Modern Middle East. A Reader, London 22004, 229–254. Tucker Judith E./Nashat Guity: Women in the Middle East and North Africa. Restoring Women to History, Bloomington [u. a.] 1999. Van Osselaer Tine/Buerman Thomas: Feminization Thesis. A Survey of International Historiography and a Probing of Belgian Grounds, in: Revue d’histoire ecclésiastique 103/2 (2008) 497–544. Walther Wiebke: Islamischer Fundamentalismus und Frauenglück. Die Ägypterin Sainab al-Ghasali als Propagandistin fundamentalistischer Sozialethik, in: Pahnke Donate (Hg.): Blickwechsel. Frauen in Religion und Wissenschaft, Marburg 1993, 273–297. Wassef Hind/Wassef Nadja (Hg.): Daughters of the Nile – Photographs of Egyptian Women’s Movement (1900–1960), Kairo 2001.

Verzeichnis der AutorInnen, der Herausgeberin und der Mitarbeiterinnen

Ulrike Bechmann ist Professorin am Institut für Religionswissenschaft an der Universität Graz. Angela Berlis ist Professorin für Geschichte des Alt-Katholizismus und Allgemeine Kirchengeschichte am Departement für Christkatholische Theologie und Koleiterin des Kompetenzzentrums Liturgik der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Stephanie Glück ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kirchengeschichte und Kirchliche Zeitgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz. Nina Kogler ist Gymnasialprofessorin in Graz und war Universitätsassistentin am Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie an der Katholisch-Theologischen Universität Innsbruck. Gisela Muschiol ist Professorin für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte und Leiterin der Arbeitsstelle für Theologische Genderforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät Bonn. Pamela S. Nadell hat den Lehrstuhl für Frauen- und Geschlechtergeschichte an der American University in Washington, D.C. inne und ist Direktorin des Jewish Studies Program. Viola Raheb ist Universitätsassistentin am Lehrstuhl für Religionswissenschaft an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Rajah Scheepers ist Privatdozentin an der Philipps-Universität Marburg, Fachbereich Evangelische Theologie. Bernhard Schneider ist Professor für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Theologischen Fakultät der Universität Trier. Michaela Sohn-Kronthaler ist Professorin für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit und Leiterin des Instituts für Kirchengeschichte und kirchliche Zeitgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz. Yvonne Maria Werner ist Professorin am Departement für Geschichte der Geisteswissenschaftlichen und Theologischen Fakultät der Universität Lund.

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Verzeichnis der AutorInnen, der Herausgeber und der Mitarbeiterinnen

Tine Van Osselaer ist Forschungsprofessorin am Ruusbroec Institut der Universität von Antwerpen.

Personenregister A Abduh, Muhammad 223 Abel, Heinrich 32 Abrevaya, Hilda 163 Adler, Rachel 165, 170 Airiau, Paul 149 al-Afghani, Jamal al-Din 223 al-Banna, Hasan 226, 230 al-Garf, Azza 233f. al-Ghazali, Zaynab 8, 217f., 224–235 al-Tahtawi, Rifaa 223 Aliya, Fatma 222 Almerici, Gregorio 58 Amin, Qasim 223 Anselmi, Thomas 98 Auersperg, Friederike Fürstin von (Mutter Raymunde) 85 B Baltzer, Johannes Baptist 181 Barrett, Frank 173 Baudot, Prosper 151 Baumann, Ursula 54 Béchaux, Henri Dominique 65–67 Bechmann, Ulrike 8 Beck, Louise 18, 20 Beeking, Josef 126 Berlis, Angela 8 Bernhard, Anton 58f. Berthier, Jean 151 Bertrand 65 Bitter, Albertus, Bischof 70 Blaschke, Olaf 16, 25, 27, 29–31, 55, 60, 120f., 124, 134 Blennerhassett, Charlotte Lady 182 Bluntschli, Johann Caspar 191 Borromäus, Karl 82, 85

Borutta, Manuel 30, 43, 134, 184 Bosco, Johannes, hl. 88 Bourdieu, Pierre 55, 73 Bracq, Henri, Bischof 141 Brandis, Maria Josefa, Gräfin 96 Brejon de Lavergnée, Matthieu 28 Brown, Callum G. 29, 54 Brühl, Thomas 62 Buerman, Thomas 28, 33, 158–160, 165, 174 Burkard, Dominik 180 Busch, Norbert 33, 54 C Caesaria, hl. 48 Caesarius von Arles, hl., Bischof 48 Carolina Augusta, Kaiserin 83, 86 Christiana, hl. 80 Cochem, Martin von 23f. Connell, Robert William (Raewyn) 28, 55, 122 Cooke, Miriam 230, 234 Cruysberghs, Karel 147f. Czermak, Emmerich 131 D Darenberg, Helga 210f. D’Argenlieu, Benoît Thierry 65, 67f. De Cuyper, Andreas 142 De Giorgio, Michela 45, 78 De Liguori, Alphonse 144 D’Hendecourt, Burggraf 141 D’Hondt, Pfarrer 141 Diamant, Anita 170 Diepen, Arnold 70 Dinges, Martin 28 Dirks, Walter 16 Djunkowsky, Stephan, Graf 56f.

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Personenregister

Döllinger, Ignaz von 181, 186 Droste, Joseph 62 Dudink, Stefan 146 Dupanloup, Félix, Bischof 21 E Eleonora, Kaiserin 92 el-Sadat, Anwar 220, 226, 234 Embach, Bernadette 21 Engelhart, Leopold 130 Erasmus von Rotterdam 42 Euch, Johannes von, Bischof 70 Evans, Jane 163 F Fadinger, Stefan 92 Falk, Marcia 170 Farouk, König 220 Fauwaz al-Amiliya, Zaynab 222 Felgentreff, Ruth 208 Fellechner, Siegrid 210 Fels, Benedikt 62 Fens 67 Ferdinand II., Kaiser 92 Fey, Clara 84 Filzer, Johannes Baptist, Weihbischof 126 Fischer, Irmtraud 9 Fishman, Sylvia Barack 171, 174 Flesch, Margaretha (Rosa) 106 Fliedner, Theodor 200, 208f., 211 Florentini, Theodosius 85, 106 Foucault, Michel 121 Franz Ferdinand, Erzherzog 92 Franziskus von Assisi, hl. 82–84, 86f., 98, 101 Franz Joseph, Kaiser 85f. Frederiksen, Johannes 69 Friedan, Betty 162 G Gause, Ute 27 Gayko, Winfried 210

Gilchrist, Roberta 143 Glade, Winfried 123 Glück, Stephanie 9 Goldman, Karla 159 Götz von Olenhusen, Irmtraud 72 Graf, Friedrich Wilhelm 44, 193 Gratz, Rebecca 160 Greenberg, Blu 169 Gröber, Conrad, Erzbischof 125 Gross, Michael 30 Grüder, Hermann 57 H Haan, Alois 62 Habermas, Rebekka 25, 183, 188 Hämmerle, Christa 116 Hastings, Derek K. 70 Hausmann, Michael 62 Heimgartner, Bernarda 106 Hekking, Raymund 85 Hofbauer, Clemens Maria 99 Hoyos, Aquinate 97 Hubert, Olivier 149f. Hugues, Kardinal 144 Hülskamp, Franz 20 I Ibrahim, Pascha 219 Innitzer, Theodor, Kardinal 119, 123, 126 Irgens, Henrik 69 Ismail, Pascha 219, 222 Ismat Taimur, Aischa 222 J Jacquin, Jules 143 Janssen, Arnold, hl. 90 Jentsch, Carl 188 Johannes Paul II., Papst 91 Joseph II., Kaiser 86, 96, 99 Joséphine, Königin 54, 58 Jüttemann, Veronica 59



Personenregister

K Kalasanz, Joseph, hl. 88, 91 Karam, Azza 229 Karant-Nunn, Susan 142 Kennedy, John F. 162 Kerff, Frederik 69 Kiesler, Rudolf 58 Kleef-Hillesum, Suse van 181 Kleutgen, Joseph 18 Knoodt, Peter 181 Kogler, Nina 8, 31 Kohlschein, Franz 192 Kolping, Adolph 31 Kovacic, Stephanie 9 Kranz, Dirk 194 Krebs, Andreas 194 Kucklick, Christoph 149 Küpferle, Friedrich 62f. L Lampel, Antonia Maria (Franziska) 97, 103, 106 Lasaulx, Amalie von 191 Lechner, Franziska 85, 103, 106 Lédochowski, Vlodimir 63 Leich, Heinrich 202 Levine, Jacqueline K. 163f. Lewis, Pauline 230 Lichtlé, Jean-Claude 57 Lieber, Ernst 63 Lieber, Friedrich 61–63 Löhe, Wilhelm 200 Lohmeyer, Julius 63 Londzin, Marek 212 Luther, Martin 208, 213 M Magdalia 42 Maréchal, Brigitte 234 Maria Cordis, siehe Schneider, Oda 123 Martin, Luis 62

Martschukat, Jürgen 27 Massemin, Pierre 146 Massillon, Jean-Baptiste 144 Mast, Joseph 18 Maurits, Alexander 59 Mayer, Joseph Ernst 116 Mayr, Kaspar 118–120 McDonough, Peter 64 McLeod, Hugh 118 Meissner, Andrea 122 Meiwes, Relinde 13, 46f., 54 Melchers, Paulus 57 Meßner, Herbert 9 Metzger, Konrad 120 Michelet, Jules 187 Miltitz, Therese von 189 Mörl, Maria von 18, 20 Moro, Carlo Giovanni 57–59 Mosse, George 55 Möstl, Franziska 97 Mubarak, Hosni 220, 233 Mubarak, Suzanna 233 Muhammad 229f. Muhammad Ali, Pascha 218f., 220, 222 Müller, Iso 142 Mursi, Muhammad 220, 233 Muschiol, Gisela 7 N Nadell, Pamela 8 Napoleon, Kaiser 218f. Nasser, Gamal Abdel 220, 226, 230, 234 Nordmann, Christian 209f. O Økland, Jorunn 143 Olrik, Jacob 69 Opitz-Belakhal, Claudia 116 Orenstein, Debra 166 Orsi, Robert 19 Ozick, Cynthia 170

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Personenregister

P Padé, Jourdain 65–67 Pahud de Mortanges, Elke 20, 25 Parmer, Daniel 171, 174 Parsch, Pius 124 Passy, Anton 21 Paulsen, Anna Sophie 203 Pawlikowski, Ferdinand Stanislaus, Bischof 121f., 125, 129–131 Peters, Jan 142 Pfänder, Anna Theresia (Mutter Clara) 106 Pfliegler, Michael 130 Pius IX., Papst 57, 182 Pius X., Papst 143 Pius XI., Papst 114 Plaschg, Florian 129 Plaskow, Judith 170 Pozenel, Anton 132 Prestjan, Anna 70 Priesand, Sally 163 Priesching, Nicole 19 Proksch, Theodor 129 Przyborski, Arthur 123 Przyborski, Othilie 123 R Raheb, Viola 8 Raison du Cleuziou, Yann 68 Rauch, Peter 9 Rauscher, Joseph Othmar von, Kardinal 84 Rawidowicz, Simon 174 Reinhold-Weisz, Eva 9 Reisach, Karl August Graf von, Kardinal 18 Rossum, Wilhelmus Marinus, van, Kardinal 69f. Rudolf, Karl 123, 130 Rudolf, Kronprinz von Österreich-Ungarn 85f. S Sales, Franz von 82, 86, 88, 91 Saurer, Edith 23

Schaezler, Constantin von 18 Schaser, Angelika 12 Schauer, Hermann 202f. Scheepers, Rajah 8, 9 Schindler, Franz Martin 117 Schindler, Peter 70 Schlögl, Rudolf 24 Schmale, Wolfgang 125 Schmid, Ignatius 62 Schmitt, Ludwig 62 Schmitt, Michelle 23, 31 Schmitz, Peter 124f., 126 Schmöger, Carl 18 Schneider, Bernhard 7, 27, 43, 78, 107, 134 Schneider, Nikolaus 212 Schneider, Oda 123, 127 Schneider, Rudolf 123 Schulte, Joannes-Chrysostomus 145, 147 Schulte, Johann Friedrich von 183, 187 Schwartz, Anton Maria, sel. 91 Senestrey, Ignatius von, Bischof 18 Shapiro, Rona 173 Shaarawi, Huda 221 Sicharter, Barbara 98 Sidenvall, Erik 57 Singer, Franz 119 Smaele, Henk de 147 Sohn, Andreas 9 Sohn-Kronthaler, Michaela 9, 13, 27, 42 Sophie von Hohenberg, Erzherzogin 92 Speth, Volker 17, 25 Steiner, Anton 106 Steiner, Josef 129 Stieglitz, Olaf 27 Stub, Johann Daniel 57f. Studach, Jakob Laurenz, Bischof 57–59 Suenens, Léon-Joseph, Kardinal 203 Swoboda, Heinrich 117



Personenregister

T Tauscher, Maria Teresa 87 Teillard du Chambon, Marie-Dominique 66 Thiele, Friedrich 203 Thill, Ernst 63 Tjeder, David 64 Tjelle Fjelde, Kristin 56 Tondini de’Quarenghi, Cesare 57–59 Tops, Ellen 148, 150 Torten Becks, Evelyn 170 Tosh, John 187 Tveit, Olav Fykse 212 V Vallega, Giovanni 69 Van Haver, Jozef 144 Vanneufville, Gabriel-Marie 65–67 Van Osselaer, Tine 8, 28, 33, 71, 158–160, 165, 174, 190 Veith, Johann Emmanuel 14 Vetsera, Mary (Marie Alexandrine Freiin von Vetsera) 86 Vinzenz von Paul, hl. 80f., 85, 87, 93, 95

245

W Weber, Helene 47 Wehrhahn, Paul 62f. Weiß, Otto 18 Weiss-Rosmarin, Trude 163 Welter, Barbara 11, 179 Wenckheim-Zichy, Maria Theresia, Gräfin 85 Werner, Yvonne Maria 7, 29 Weyand, Tobias 14 Whitehead, Stephen 173 Wichern, Johann Hinrich 200 Windischmann, Friedrich 18 Wolf, Hubert 18 Wolfisberg, Josef 62 Woodhead, Linda 194 Z Zaghloul, Saad, Pascha 220 Zaghloul, Safiya 220 Zalar, Jeffrey T. 21, 26, 34 Zängerle, Roman Sebastian, Bischof 99 Ziemann, Benjamin 150 Zimmermann, Franz 117 Zurstrassen, Hermann 61, 63

EDITH PETSCHNIGG, IRMTRAUD FISCHER (HG.)

DER „JÜDISCH-CHRISTLICHE“ DIALOG VERÄNDERTE DIE THEOLOGIE EIN PARADIGMENWECHSEL AUS EXPERTINNENSICHT

Veränderte der „jüdisch-christliche“ Dialog die Theologie? Die in diesem Band versammelten Beiträge belegen eindeutig einen theologischen Paradigmenwechsel in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Evangelische, katholische und jüdische Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen theologischen Fachrichtungen wie der alt- und neutestamentlichen Bibelwissenschaft, der Liturgiewissenschaft, der feministischen und systematischen Theologie sowie der Judaistik zeichnen den Wandel von antijüdischer Polemik hin zu einem respektvollen Dialog mit dem Judentum facettenreich nach. Der vorliegende Band gibt zudem Einblick in die biografische Entwicklung der involvierten Forschenden und bietet damit ein Stück reflektierter Theologiegeschichte. 2016. 295 S. GB. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-79671-8

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Michael Mitterauer

St. Jakob und der Sternenweg MITTELALTERLICHE WURZELN EINER GROSSEN WALLFAHRT

Um die Anfänge des Jakobsweges gibt es viele offene Fragen. Warum glaubte man seit dem 9. Jahrhundert, dass der Apostel Jakobus der Ältere nicht im Heiligen Land begraben liegt, sondern in Santiago de Compostela im äußersten Westen des europäischen Kontinents – im damaligen Verständnis „am Ende der Welt“? Was führte dazu, dass der Zustrom der Pilger dorthin bald den großen Wallfahrtszielen der Christenheit in Jerusalem und Rom gleichkam? Welche Rolle spielte dabei das Königtum, welche die Kirche? War es die Bedeutung des heiligen Jakob in den Jenseitsvorstellungen der Zeit, die den besonderen Aufstieg der Jakobusverehrung in der europäischen Christenheit des Mittelalters begründete? Solchen und ähnlichen Fragen, die sich im weiten Feld der Forschungen um den Jakobsweg stellen, geht das Buch von Michael Mitterauer nach. 2014. 214 S. GB. 120 X 200 MM. iSBN 978-3-205-79607-7 [Buch] | iSBN 978-3-205-79369-4 [e-BOOK]

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