Militär und Recht vom 16. bis 19. Jahrhundert: Gelehrter Diskurs – Praxis – Transformationen [1 ed.] 9783737003384, 9783847103387

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Militär und Recht vom 16. bis 19. Jahrhundert: Gelehrter Diskurs – Praxis – Transformationen [1 ed.]
 9783737003384, 9783847103387

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Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit

Band 19

Herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. von Matthias Asche, Horst Carl, Marian Füssel, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert und Ralf Pröve

Jutta Nowosadtko / Diethelm Klippel / Kai Lohsträter (Hrsg.)

Militär und Recht vom 16. bis 19. Jahrhundert Gelehrter Diskurs – Praxis – Transformationen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-1574 ISBN 978-3-7370-0338-4 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de  2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Daniel Pfisterer (1651–1728): Barockes Welttheater, Ms. 1716ff., Foto: P. Frankenstein, H. Zwietasch; Landesmuseum Wþrttemberg, Stuttgart

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kai Lohsträter Militär und Recht vom 16. bis 19. Jahrhundert: Ergebnisse und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Diethelm Klippel Kriegsrechtsgelehrsamkeit. Die Literatur des Militärrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sylvia Kesper-Biermann Das ,Stiefkind‘ der Rechtswissenschaft. Militärstrafrecht im Deutschland des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Daniel Marc Segesser Kontinuität oder Bruch? Die Diskussion über militär- und völkerrechtliche Bestimmungen zur Ahndung von Verstößen gegen die Bestimmungen des Ius in Bello in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

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Markus Meumann „j’ay dit plusieurs fois aux officiers principaux d’en faire des exemples“. Institutionen, Intentionen und Praxis der französischen Militärgerichtsbarkeit im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . .

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Maria R. Boes Zur Rechtsprechung über Soldaten in der Reichsstadt Frankfurt zwischen 1562 und 1696 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

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Inhalt

Catherine Denys The Police and Justice Systems of Soldiers and Burghers in Eighteenth-Century Brussels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Martin Winter Desertionsprozesse in der preußischen Armee nach dem Siebenjährigen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Jan Willem Huntebrinker Kriminalitätsgeschichte des frühneuzeitlichen Militärs am Beispiel eines Regimentsgerichtsbuchs 1625/26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Holger Berg Administering Justice and Bending the Legal Code. The Contested Implementation of the Swedish Articles of War, 1621–1650 . . . . . . . . 227 Ralf Pröve Systemische Herrschaftskonkurrenz durch Instanzenzüge und Patronatsbeziehungen. Probleme im Verwaltungshandeln des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Jutta Nowosadtko Träger der Bürokratisierung – Sekretär des Chefs? Erste Überlegungen zur Rolle der Militärjuristen im 17. und 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . 269 Personenregister

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Zur Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Vorwort

Der vorliegende Band dokumentiert die Ergebnisse einer internationalen und interdisziplinären Tagung zur Geschichte des Militärrechts zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert, die im Oktober 2007 im Schloss Thurnau bei Bayreuth stattfand. Die Kooperationsveranstaltung der Universität Bayreuth, der HelmutSchmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg sowie des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. wäre ohne die großzügige Unterstützung von verschiedener Seite nicht möglich gewesen. Neben der Universität Bayreuth und dem Arbeitskreis ist hierfür besonders auch dem Universitätsverein Bayreuth e. V. zu danken. Der Dank für die Organisation gebührt ferner den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte der Universität Bayreuth. Sicher wäre eine schnellere Publikation der hier versammelten Aufsätze für alle Beteiligten wünschenswert gewesen. Dass sich die Realisierung des Bandes so lange hingezogen hat, ist bedauerlich, wegen verschiedener Ursachen und widriger Umstände aber nicht zu ändern gewesen. Umso mehr möchten wir allen Autorinnen und Autoren sowie den Verlagsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern für ihre strapazierte Geduld danken und freuen uns, mit dem Werk ein Forschungsdesiderat zu erfüllen und einen umfassenderen Beitrag zu der noch immer viel zu wenig beachteten Militärrechtshistorie der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts vorlegen zu können. Für die Unterstützung beim Korrekturlesen des Manuskripts sei in diesem Zusammenhang nicht versäumt, Dr. Sebastian Pranghofer unseren Dank auszusprechen. Zudem wäre die Realisierung des Publikationsprojektes ohne die finanzielle Hilfe von Seiten der Freunde und Förderer der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg e. V. sowie des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V., in dessen Reihe der Band dankenswerter Weise erscheint, nicht möglich gewesen. Bayreuth und Hamburg im Juni 2016 Diethelm Klippel, Kai Lohsträter und Jutta Nowosadtko

Kai Lohsträter

Militär und Recht vom 16. bis 19. Jahrhundert: Ergebnisse und Perspektiven „Unsere Leute glaubten, weil zum Marodieren sogar Officiers und Unterofficiers mitgingen, es wäre nun alles erlaubt, liefen deshalben allein hin und verschiedene liefen sogar in Dörfer und Landhäuser und plünderten die Leute. Ersteres wurde deshalb aufs strengste bestraft. Von letzterem waren 2 Leute vom 1. Bataillon Garde, welche in ein Landhaus gegangen waren und nebst verschiedenen Sachen auch eine goldene Uhr mitgenommen hatten. Die Leute, welchen es gehörte, hatten sie sich einander nennen hören und hatten sich beschwert. Da wurden sie dann durch erstaunliche Stockschläge zum Bekenntnis gezwungen, welches aber nicht erfolgte – nämlich wegen der Uhr. Die anderen Sachen konnten sie nicht leugnen, die wurden bei ihnen gefunden. Die Uhr aber wurde in einem Walde beim Lager gefunden. Der Landgraf hatte sich verheißen, ein warnendes Beispiel an ihnen vollziehen zu lassen, und sie mußten Tages darauf, den Sonnabend, den 1. Sept. durch das ganze Bataill. Spitzruten laufen, aber so habe ich in meinem Leben noch keine Exekution gesehen, und es hieß, künftigen Montag sollten sie noch einmal laufen, welches ihnen aber geschenkt worden ist.“1

Was der hessische Artillerist Heinrich Jacob Martens (1771–1813)2 hier im Herbst 1792 zu Papier brachte, ist ein anschauliches Zeugnis des Unrechts, das die alliierte Armee im Ersten Koalitionskrieg an der französischen Zivilbevölkerung verübte. Geschuldet waren die wiederholten und teils gewaltsamen Übergriffe wohl vornehmlich der miserablen Versorgungslage der Soldaten.3 Daneben weisen die Schilderungen des Kaufmannssohns und Bombardiers aber auch darauf hin, dass es begünstigende disziplinarische und befehlsstrukturelle Schwächen des hessischen Militärs gab. Von obrigkeitlicher Toleranz gegenüber den eigenmächtigen Plünderungen kann indes keine Rede sein, wie die strafrechtlichen Reaktionen der militärischen Führung zeigen. Die Episode aus Martens’ Feldpostbrief ist so gesehen also nicht allein Dokument der verbrecherischen Exzesse, sondern auch der Ordnungsinstrumente, die während des europäischen Krieges um 1800 zur Entschärfung derartiger Vorkommnisse eingesetzt wurden. Der auf Anzeige der Geschädigten hin in Gang gesetzte 1 Zitiert nach August Woringer, Feldpostbriefe eines Kasseler Artilleristen (1792–1795), in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 47 (1914), S. 234–316, hier S. 247. Die Schreibweise wurde in der Edition angepasst. 2 Ebd., S. 234f. 3 Ebd., bes. S. 245.

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Kai Lohsträter

(standrechtliche) Prozess, der in einer vom Landesherrn angeordneten Exempelstrafe (Gassenlaufen) mündete, war eingeübte militärjuristische Verfahrensweise.4 Das im vorliegenden Sammelband beleuchtete Verhältnis von Militär und Recht zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert wird anhand dieses kleinen Beispiels freilich nicht in all seinen Facetten greifbar. In verdichteter Form sind darin jedoch zahlreiche Aspekte der Materie berührt, die in den vergangenen fünfzehn bis zwanzig Jahren von Seiten der Militär-, Rechts- und Kriminalitätsgeschichte erhöhte Aufmerksamkeit erfahren haben. Studien zum obrigkeitlichen Verhalten bei Konflikten zwischen Militär und Zivilbevölkerung, zu den Beziehungen zwischen Herrschaft und Militär sowie zu den Entwicklungen, strukturellen Merkmalen und Arbeitsweisen der europäischen Systeme der Militärjustiz in der Frühen Neuzeit gehören zwar nach wie vor nicht zu den historiographischen Massenerscheinungen. Die Fortschritte bei der Erschließung des Themenkomplexes sind vor dem Hintergrund der seit den 1990er Jahren wiederholt formulierten Defizite5 jedoch unverkennbar. Nicht nur, dass 4 Zur Einordnung der zeittypischen militärrechtlichen Strafform des Spießrutenlaufens, die noch tief in der Tradition der genossenschaftlichen Rechtsprechung der alten Söldnerverbände verhaftet war, sowie zu der von Martens beschriebenen Gnadenpraxis siehe Jutta Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit. Anmerkungen zu einem vernachlässigten Feld der historischen Kriminalitätsforschung, in: Unrecht und Recht. Kriminalität und Gesellschaft im Wandel von 1500–2000, gemeinsame Landesausstellung der rheinland-pfälzischen und saarländischen Archive, wissenschaftlicher Begleitband, Koblenz 2002, S. 638–651, hier S. 649; dies., „Der Militairstand ist ein privilegierter Stand, der seine eigenen Gesetze, obrigkeitliche Ordnung und Gerichtsbarkeit hat“. Die Verstaatlichung stehender Heere in systemtheoretischer Perspektive, in: Markus Meumann, Ralf Pröve (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 121–141, hier S. 137; dies., Vom Kriegsprozess in bürgerlichen und peinlichen Sachen. Die Militärjustiz im Fürstbistum Münster im 18. Jahrhundert, in: Harriet Rudolph (Hrsg.), Justiz = Justice = Justitia? Rahmenbedingungen von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa, Trier 2003, S. 491–514, hier S. 513; Stefan Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der Kursächsischen Armee 1728–1796, Paderborn u. a. 2006, S. 310; Bastian Muth, „damit der Nahme dieses Regiments aus der löblichen Armada vertilget und außgerottet werde“. Eine quellenkritische Untersuchung der Hinrichtung des Regiments Madlo nach der Schlacht bei Breitenfeld im Jahre 1642, in: Ralf Pröve, Carmen Winkel (Hrsg.), Übergänge schaffen. Ritual und Performance in der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft, Göttingen 2012, S. 81–108, bes. 99–106; Peter H. Wilson, Early Modern German Military Justice, in: Davide Maffi (Hrsg.), Tra Marte e Astrea. Giustizia e giurisdizione militare nell’Europa della prima et/ moderna (secc. XVI–XVIII), Mailand 2012, S. 43–85, hier S. 84f. Bei der Bewertung dieses militärrechtlichen Falls wird man einrechnen müssen, dass es sich um eine laufende Kampagne (s. u.) handelte. Zudem ist davon auszugehen, dass die öffentlichkeitswirksame Bestrafung der Gardisten nicht nur etwas mit der angespannten Gesamtsituation zu tun hatte, sondern auch mit ihrer Nähe zum Landgrafen. Das Gardebataillon hatte eine herausgehobene Vorbildfunktion, weshalb disziplinarische Verstöße hier besonders heikel waren. 5 Siehe nur Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 4), S. 641f.; Maren

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inzwischen zahlreiche umfassendere Untersuchungen zur Militärrechtsgeschichte einzelner Länder und Territorien vorliegen. Erschienen sind in den vergangenen Jahren auch viele kleinteiligere Arbeiten zu spezifischen Phänomenen und Einzelfällen der frühneuzeitlichen Militärjustiz.6 Hinzu kommt eine Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700), Köln u. a. 2007, bes. S. 34 u. 103; Dirk Heirbaut, Buchbesprechung von ,Dorreboom, Marten Lodewijk, „Gelijk hij gecondemneert ward mits deezen“. Militaire strafrechtspleging bij het kri jgsvolk te lande, 1700–1795 (with summaries in English and French). Cabeljauwpers, Amsterdam 2000, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 119 (2002), S. 776–777, hier S. 776; Christopher Storrs, Military Justice in Early Modern Europe, in: Maffi, Tra Marte e Astrea (wie Anm. 4), S. 11–42, hier S. 12. 6 Vgl. exemplarisch die folgenden alphabetisch aufgeführten Schriften, die zusammen mit der darin angegebenen weiterführenden Literatur die aktuellere Forschungslandschaft und ihrer Tendenzen recht umfassend abbilden: Maria R. Boes, Crime and punishment in early modern Germany. Courts and adjudicatory practices in Frankfurt am Main, 1562–1696, Farnham, Surrey u. a. 2013; Catherine Denys, Police et s8curit8 au XVIIIe siHcle dans les villes de la frontiHre franco-belge, Paris u. a. 2002; dies., La police de Bruxelles entre r8formes et r8volutions (1748–1814). Police urbaine et modernit8, Brüssel 2013; Marten Lodewijk Dorreboom, „Gelijk hij gecondemneert ward mits deezen“. Militaire strafrechtspleging bij het kri jgsvolk te lande, 1700–1795, Cabeljauwpers, Amsterdam 2000; Markus Eder, Crime and punishment in the Royal Navy oft the Seven Years’ War, 1755–1763, Aldershot 2004; Robby Fichte, Die Begründung des Militärdienstverhältnisses (1648–1806). Ein Beitrag zur Frühgeschichte des öffentlich-rechtlichen Vertrages, Baden-Baden 2010; Gundula Galen, Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert, in: Ulrike Ludwig u. a. (Hrsg.), Das Duell. Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne, Konstanz 2012, S. 259–273; Oliver Heyn, Das Militär des Fürstentums Sachsen-Hildburghausen 1680–1806, Köln u. a. 2015; Diethelm Klippel, Art. ,Militärrecht‘, in: Enzyklopädie der Neuzeit 15 (2012), Sp. 766–770; Jürgen Kloosterhuis, Lothar Lambacher (Bearb.), Kriegsgericht in Köpenick! Anno 1730: Kronprinz – Katte – Königswort, Ausstellungskatalog, 2. Aufl., Berlin 2011; Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert (wie Anm. 4); Lorenz, Rad (wie Anm. 5); dies., Duell oder Balgerey. Bewaffnete Auseinandersetzungen vor norddeutschen Militärgerichten des 17. Jahrhunderts, in: Ludwig, Das Duell, a.a.O., S. 241–258; Lothar Meyfarth, Die Geschichte des Militärstrafrechts und der Militärstrafgerichtsbarkeit in Brandenburg-Preußen vom Kurfürsten Friedrichs Wilhelm bis zu Friedrich II. (1640–1786), in: Revue de droit p8nal militaire et de droit de la guerre 22 (1983), S. 54–91; ders., Die Geschichte des Militärstrafrechts und der Militärstrafgerichtsbarkeit in Brandenburg-Preußen vom Tode Friedrichs II. bis zur Reformzeit (1787–1814), in: Revue de droit p8nal militaire et de droit de la guerre 24 (1985), S. 340–372; Kjell , Mod8er, Gerichtsbarkeiten der schwedischen Krone in deutschen Reichsterritorien, Bd. I: Voraussetzungen und Aufbau 1630–1657, Lund 1975; Muth, Madlo (wie Anm. 4); Jutta Nowosadtko, Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803, Paderborn u. a. 2011; Max Plassmann, Ein ,Exempel sine Exemplo‘. Das Kriegsgerichtsverfahren gegen den Heidelberger Stadtkommandanten von Heddersdorf im Jahre 1683, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 156 (2008), S. 207–234; Oliver C. Prinz, Der Einfluss von Heeresverfassung und Soldatenbild auf die Entwicklung des Militärstrafrechts, Göttingen 2005; Ilse Reiter, Krieg und Recht in Kontinentaleuropa vom 16. bis ins 19. Jahrhundert, in: Thomas Kolnberger, Ilja Steffelbauer (Hrsg.), Krieg in der europäischen Neuzeit, Wien 2010, S. 321–346; Janine Rischke, „Mit dem bloßen Pallach ihn etliche mal über den Kopff geschlagen“. Gewalttätigkeiten von Soldaten in den Gerichtsakten des preußischen Militärs im 18. Jahrhundert, in: Christian Th. Müller, Matthias Rogg (Hrsg.), Das ist Militärgeschichte! Probleme – Projekte – Perspektiven, Pa-

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sichtbare Erweiterung der Perspektive. Während sich die älteren Ausführungen zum Militärrecht in der Regel in Darstellungen der Rechtsnormen und ihrer Kodifikation erschöpften oder aber auf die Ebene der administrativen Strukturen fokussiert blieben, weisen die meisten jüngeren Arbeiten größeres Interesse an der juristischen Praxis auf. Die intensivere Hinwendung zur Rechtspflege trat zum einen eine noch andauernde Erschließungswelle neuer Quellenbestände los. Zum anderen ging insbesondere mit ihr die Erprobung sozial-, kultur-, alltags- und mikrogeschichtlicher Verfahren einher, die heute zum festen Repertoire der Forschung gehören. Dass die seit rund zwei Jahrzehnten kontinuierlich zunehmende Beschäftigung mit der frühneuzeitlichen Militärjustiz und die beschriebenen Veränderungen des Blickwinkels auf die Thematik wesentlich von der Neuorientierung der Militärgeschichtsschreibung7 und der Rezeption der gesamtdisziplinär geführten Debatte um die wirkmächtigen historischen Prozessmodelle der Herrschaftsverdichtung, Sozialdisziplinierung und Militarisierung8 angeregt wurden, kann angesichts der vielen Würdigungen in der Literatur als bekannt vorausgesetzt werden. Es soll deshalb genügen, die wichtigsten Impulse dieser Einderborn u. a. 2013, S. 292–311; dies., Militär vor Gericht. Devianz, Kriminalität und Strafpraxis in der preußischen Militärgesellschaft im 18. Jahrhundert (Dissertationsprojekt), in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 14,2 (2010), S. 365–372; Martin Paul Schennach, Lokale Obrigkeiten und Soldaten. Militärgerichtsbarkeit in Tirol in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Andrea Griesebner u. a. (Hrsg.), Justiz und Gerechtigkeit. Historische Beiträge (16.–19. Jahrhundert), Innsbruck 2002, S. 199–217; Michael Sikora, Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996; Hanna Sonkajärvi, Militärjustiz in den Österreichischen Niederlanden im 18. Jahrhundert. Zwischen Reformstreben und Rechtsunsicherheit, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich 28 (2013), S. 125–136; Barbara Stollberg-Rilinger, Um das Leben würfeln. Losentscheidung, Kriegsrecht und inszenierte Willkür in der Frühen Neuzeit, in: Historische Anthropologie 22 (2014), S. 182–209; Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 11–42; Sandro Wiggerich, Militärgerichtsbarkeit und Jurisdiktionskonflikte 1648–1806 (Dissertationsprojekt), in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 14,1 (2010), S. 384–390; Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4); Heide Wunder, Der kurbayerische Rittmeister Wolfgang von Hohenfeld vor dem Kriegsgericht (1644/45), in: Sandra Maß, Xenia von Tippelskirch (Hrsg.), Faltenwürfe der Geschichte. Entdecken, entziffern, erzählen, Frankfurt am Main, New York 2014, S. 19–35. 7 Bernhard R. Kroener, Militär in der Gesellschaft. Aspekte einer neuen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Thomas Kühne, Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte? Paderborn u. a. 2000, S. 283–300; Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die ,neue Militärgeschichte‘ der Frühen Neuzeit. Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–612; Wolfram Wette, Militärgeschichte von unten, in: ders. (Hrsg.), Der Krieg des Kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München 1992, S. 9–47. 8 Sikora, Disziplin (wie Anm. 6); Nowosadtko, Stehendes Heer (wie Anm. 6), bes. S. 111 u. 120–121; dies., Verstaatlichung stehender Heere (wie Anm. 4), S. 123–124; Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 43–46; Heinz Duchhardt, Die Absolutismusdebatte – eine Antipolemik, in: Historische Zeitschrift 275,2 (2002), S. 323–331.

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flüsse für die konzeptionelle Grundanlage der gegenwärtige Forschung zu benennen: die Sensibilisierung für die Nuancen des Verhältnisses von Militär und Recht, die kritische Distinktion zwischen Norm und Praxis und das (wiedererstarkende) Bewusstsein für ihre allgemeine gesellschaftshistorische Relevanz. Sie evozierten anders gesagt eine differenziertere Befassung mit der Thematik und führten zu einer merklichen Aufwertung der Bedeutung, die ihr bei der Neujustierung des Beziehungsgeflechts zwischen Militär, Staat und Gesellschaft9 beigemessen wurde. Die hierdurch ausgelöste Emanzipiation der Materie aus dem Status eines vormals eher historiographischen Nischenphänomens ist denn auch von der sichtlichen Neigung begleitet, neben den dezidiert militärgeschichtlichen Vorgängen die generellen politisch-, sozial- und rechtsgeschichtlichen Bedingungen und Reformprozesse der Frühen Neuzeit stärker in die Betrachtungen zu integrieren. Während die Militärjustiz vor rund anderthalb Jahrzehnten noch weithin als eigentümliche historische Randerscheinung wahrgenommen wurde („military justice […] is to justice what military music is to music“10) und das Augenmerk daher vor allem auf die Besonderheiten konzentriert blieb, ist die Grundhaltung heute eine andere. Symptomatisch für diesen Wandel stehen die kürzlich von Wilson und Storrs vorgestellten, integrativen Untersuchungsprogramme, die die militärgeschichtliche Perspektive gezielt mit anderen historiographischen Sichtweisen zusammenzuführen suchen.11 Die universellere Kontextualisierung der frühneuzeitlichen Entwicklung der Militärjustiz wird sich, nach allem was man bisher sagen kann, sicher nicht nur für die Militärhistorie als fruchtbar erweisen. Allerdings steht das Projekt erst am Anfang und hat seine faktische Bewältigungsfähigkeit somit noch unter Beweis zu stellen. Es ist leicht einsichtig, dass die Analyse der komplexen Korrelationen eine enorme Herausforderung darstellt – besonders, wenn man das Feld des Kriegsrechts, so die bis um 1800 gebräuchliche Bezeichnung für alle militärisch relevanten juristischen Aspekte, wirklich in seiner gesamten Ausdehnung berücksichtigt. Historisch gesehen hat man es hierbei nämlich mit einer klassischen Querschnittsmaterie zu tun, die „Bestandteile aus unterschiedlichen Rechtsgebieten“ vereinte,12 konkret dem Straf- und Disziplinarrecht, dem Dienst- und Verwaltungsrecht, dem Verfassungsrecht (Relationen zwischen Militär und Herrschaft) sowie dem Völkerrecht (Recht zum Krieg, Recht im Krieg). Nun führte es gewiss zu weit, zu behaupten, dass sich diese 9 Die Auslotung der Korrelationen dieser Trias gehört zu den klassischen geschichtswissenschaftlichen Themen. Siehe hierzu auch die Beiträge von Pröve und Nowosadtko. 10 Heirbaut, Buchbesprechung (wie Anm. 5), S. 776. 11 Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 12, 14, 37; Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 46f., 53, 84. 12 Vgl. Klippel, Art. ,Militärrecht‘ (wie Anm. 6), sowie dessen Beitrag im vorliegenden Band.

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Diversität in der Forschung nicht abbilde. Begründet konstatieren kann man aber, dass es deutlich an Gleichgewicht mangelt, was für die Zeichnung eines Gesamtbildes sowie für das Verständnis der historischen Zusammenhänge und den militärrechtlichen Transformationsprozess nicht unproblematisch ist. Heuristisch wäre es daher erforderlich, der inhaltlichen Balance künftig mehr Beachtung zu schenken. Der ,staatliche‘ Einhegungsprozess des Militärs und seines Rechtssystems und die Verfahrens- und Sanktionspraktiken sind zweifellos wichtige Punkte der Entwicklung, aber eben nicht die einzigen. Schon angesichts der Defizite in der thematischen Ausgewogenheit ist nachvollziehbar, warum eine moderne Synthese der Militärrechtsgeschichte des 16. bis 19. Jahrhunderts bis heute Desiderat geblieben ist13 und vermutlich noch länger bleiben wird. Sie sind jedoch nicht der alleinige Grund dafür. Nimmt man nämlich die Forderung Storrs’ ernst, die Militärrechtsgeschichte als „Europewide, comparative project“ zu konstituieren,14 sind überdies auch geographisch gesehen noch erhebliche Blindstellen zu verzeichnen. Trotz der oben erwähnten Zunahme an länder- und territorienbezogenen Einzeluntersuchungen ist die Vielfalt der europäischen Staatenwelt der Frühen Neuzeit jedenfalls bei weitem noch nicht adäquat widergespiegelt. Nicht einmal die Forschungslandschaft zum Alte Reich ist in dieser Hinsicht als befriedigend zu beschreiben.15 Ferner offenbart die Literaturschau eine nicht zu ignorierende Unwucht im zeitlichen Zuschnitt der Studien. Die meisten gerade auch der neueren Arbeiten sind auf das 17. und mehr noch auf das 18. Jahrhundert fokussiert, also auf die Kernphase der Herausbildung der ,staatlichen‘ Militärrechtssysteme in Europa.16 Das nachfolgende 19. Jahrhundert ist dagegen, obwohl es als Hoch-Zeitalter der Kodifikation und der juristischen Ausdifferenzierung nicht weniger bedeutend für die Geschichte der Militärjustiz war,17 bisher ausgesprochen stiefmütterlich behandelt worden. Im Vergleich dazu ist die Literaturlage zum 16. Jahrhundert unstreitig besser. Allerdings weisen nicht wenige Darstellungen, die diesen Zeitraum berücksichtigen, die Tendenz auf, ihn zur hinführenden Vorgeschichte zu verknappen. Dies korrespondiert einerseits mit dem benannten starken Interesse am Spannungsfeld zwischen Militär und frühmoderner Staatlichkeit,18 das tatsächlich erst nach 1600 seine ganze Kraft entfaltete. Andererseits spielt in diesem Zusammenhang aber auch die schlechtere Überlieferungssituation der 13 Klippel, Art. ,Militärrecht‘ (wie Anm. 6), Sp. 767. 14 Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 40. 15 Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 56, u. Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 4), S. 644. 16 Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 14–15. 17 Vgl. Klippel, Art. ,Militärrecht‘ (wie Anm. 6), Sp. 769, u. den Beitrag von Kesper-Biermann im vorliegenden Band. 18 Wiggerich, Militärgerichtsbarkeit (wie Anm. 6), S. 390.

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Frühphase der Epoche eine relevante Rolle. Als limitierender Faktor macht sie sich insbesondere dort bemerkbar, wo in den letzten Jahren die größte Forschungsaktivität zu verzeichnen war : im Bereich der Rechtspflege. Das Fehlen aussagekräftiger Quellen zu juristischen Handlungen, was im Übrigen kein militärspezifisches, sondern abgesehen vielleicht von den Städten ein generelleres Phänomen ist, hat im Wesentlichen mit dem Umstand zu tun, dass die vorwiegend mündlich geführten Prozesse noch nicht ausführlich dokumentiert wurden.19 Durch die gesamtgesellschaftlich noch wenig verbreitete Schriftlichkeit und – damit verknüpft – die erst wenig fortgeschrittene Institutionalisierung gab es hierzu keine Notwendigkeit. Es fehlte sozusagen der Erwartungsdruck. Wenn überhaupt, sind aus dem 16. Jahrhundert daher Urteils- beziehungsweise Urfehdebücher erhalten. Hinzu kommen die erstmals in diesem Zeitraum auftauchenden Artikelbriefe, also schriftliche Regelungen der Rechte und Dienstpflichten der Söldner.20 Diese Vertragswerke sind es denn auch, die im Mittelpunkt der meisten, demgemäß vornehmlich auf die normative Ebene begrenzten Arbeiten zu den frühen militärjuristischen Verhältnissen der Epoche stehen. Wurden mit den Hinweisen auf die inhomogene Repräsentation der inhaltlichen Bandbreite der Materie sowie auf die Lücken bei den behandelten historischen Räumen und Zeitabschnitten bis hierhin schon drei zentrale Aufgaben formuliert, die auf dem Weg zu einer europäischen Geschichte des Militärrechts des 16. bis 19. Jahrhundert anzugehen sind, würden die Ausführungen zur aktuellen Forschungslage gleichwohl unvollständig bleiben, wenn nicht noch einige Worte zum Punkt der Zusammenführung der bisherigen Befunde verloren würden. Denn entgegen der von Storrs projektierten Vergleichsperspektive sieht man sich mit der Situation konfroniert, dass die erschienenen Studien zur Historie der Militärjustiz trotz der mitunter großen Überschneidungen in den Schwerpunkten im Großen und Ganzen bemerkenswert unverbunden geblieben sind. Schon aus arbeitsökonomischem Blickwinkel ist dieser Zustand fraglos unerfreulich, ganz zu schweigen von dem ungenutzten Potential für die Weiterentwicklung des Forschungsgebietes, das heißt für die Differenzierung von Frageprofilen, die Eröffnung neuer Sichtweisen und Themenfelder sowie die methodische und theoretische Schärfung. Ganz im Sinne der Synergie steht deswegen der nachfolgende Versuch, zumindest einige der (kollektiven) Ergebnisse der jüngeren Forschung zur frühneuzeitlichen Geschichte des Militärrechts zu benennen und zugleich diskus19 Schennach, Lokale Obrigkeiten (wie Anm. 6), S. 199f. 20 Markus Meumann, Art. ,Artikelbrief‘, in: Heiner Lück u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1, 2. Aufl., Berlin 2008, S. 312–313; Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 49.

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sionswürdige Problemstellen, vielversprechende neue Ansätze und Optionen für die weitere Arbeit aufzuzeigen. Als Ausgangspunkte einer solchen Zusammenstellung drängen sich die beliebten Sujets der militärrechtlichen Sanktionskultur und der Verfahrenspraktiken geradezu auf. Überschaut man die vielen strafund disziplinarrechtlich orientierten Untersuchungen, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten mit den Bewertungsmaßstäben der Militärjustiz und der Härte der Urteile beschäftigten, sind sie sich bei aller Variation im Detail doch darin einig, dass die rechtlichen Direktiven in der Frühen Neuzeit in hohem Maße flexibel gehandhabt wurden. Plassmann spricht diesbezüglich sehr treffend von einem immer wieder neu ausgelotenden „Koordinatensystem von politischen, militärischen und persönlichen Interessen“.21 Dieser Befund hat die gleichsam hinter den Studien stehende Debatte um das Bild beziehungsweise Selbstbild der Militärjustiz als Institut der Verrechtlichung des Krieges und der Disziplinierung nachhaltig belebt.22 Dazu gehört, dass neuerdings verstärkt über die mutmaßlichen kommunikativen Intentionen der klassischerweise bifunktional (Überwachen und Strafen) beschriebenen frühneuzeitlichen Militärrechtssysteme nachgedacht wird.23 Das alles bekräftigt den eingeschlagenen Weg der Forschung, der Rechtspraxis einen größeren Stellenwert beizumessen und eine generelle Unterscheidung zur Sphäre der Rechtsnormen vorzunehmen. Zu weit führen sollte dies allerdings nicht. Zurecht warnte Fichte davor, über der Beschäftigung mit der Rechtspflege die Auseinandersetzung mit den juristischen Prämissen, ihren Systematiken und den zugehörigen (gelehrten) Diskursen nicht aus dem Blick zu verlieren.24 Ohne Kenntnis dieser Zusammenhänge, das ist klar, lassen sich die zeitgenössischen Rechtspraktiken kaum fundiert einordnen und bewerten. 21 Plassmann, Kriegsgerichtsverfahren (wie Anm. 6), S. 234. Siehe ferner Lorenz, Rad (wie Anm. 5), S. 105 u. 328; Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 4), S. 649; Schennach, Lokale Obrigkeiten (wie Anm. 6), S. 212; Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert (wie Anm. 4), S. 412; Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 20f.; Heyn, Militär (wie Anm. 6), S. 399–405. 22 Lorenz, Rad (wie Anm. 5), S. 6–7 u. 330; Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 4), S. 642; dies., Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Sylvia Kesper-Biermann, Diethelm Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 115–140, hier S. 138; Sikora, Disziplin (wie Anm. 6), S. 127–141; Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert (wie Anm. 4), S. 325f. u. 387–397; Schennach, Lokale Obrigkeiten (wie Anm. 6), S. 209; Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 85. 23 Als Stichworte können in diesem Kontext die beruhigende „Alibi- und Appellfunktion“ oder die präventiv-psychologische Abschreckungsfunktion genannt werden, die sich in den Strafritualen materialisierten. Vgl. Rad (wie Anm. 5), S. 330; Schennach, Lokale Obrigkeiten (wie Anm. 6), S. 209; Stollberg-Rilinger, Um das Leben würfeln (wie Anm. 6), S. 208f.; Muth, Madlo (wie Anm. 4), S. 82 u. 99–107. 24 Fichte, Begründung des Militärdienstverhältnisses (wie Anm. 6), S. 21.

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Aber auch der Herausbildungsprozess der frühneuzeitlichen Militärrechtssysteme selbst legt nahe, die Ebenen von Norm und Anwendung nicht zu distinktiv zu behandeln. Es ist evident, dass die obrigkeitlichen militärjuristischen Regulierungen und zugehörigen Strukturen, die seit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Europa entwickelt wurden und sich innerhalb von rund hundert Jahren über den gesamten Kontinent verbreiteten,25 nicht aus dem Nichts kamen. Vielmehr spricht alles dafür, die Vorgänge als Reaktionen auf spezifische Problemlagen zu interpretieren. Zudem ist davon auszugehen, dass den Normierungen oft informelle Verfahrensweisen vorweggingen.26 Die Kodifikation war insofern keineswegs unbeeinflusst von den alltäglichen Erfahrungen beim Militär. Zu dieser These passt, dass die fachspezifische Literatur, die im 18. Jahrhundert ein regelrechtes Massenphänomen wurde, größtenteils aus der Feder von Praktikern stammte.27 Die Wahrung der Symmetrie zwischen den Bereichen der Rechtsnormen und der Rechtspflege gehört mithin zu den neuralgischen Stellen der Untersuchungen zur militärrechtlichen Sanktionskultur und zu den Verfahrenspraktiken. Sie ist jedoch nicht die alleinige Herausforderung. Ins Auge fallen im Literaturüberblick mindestens drei weitere beachtenswerte Punkte: die bisweilen strukturellen Dokumentationslücken, die zeitgenössisch eher schwammige Grenze zwischen ,militärischer‘ und ,ziviler‘ Welt sowie die Binnendifferenzierung der militärischen Rechtssysteme. Zum ersten Aspekt: Nicht wenige Studien zu den Bewertungsmaßstäben und der Urteilshärte der frühneuzeitlichen Militärjustiz zielen konzeptionell auf einen Vergleich mit den Praktiken der Zivilgerichtsbarkeit. Das ist methodisch unbestreitbar sinnvoll. Nicht selten stehen sie indes vor dem Problem, dass es an geeigneten Ansatzpunkten für eine seriöse Gegenüberstellung und ensprechende Charakterisierung mangelt. Mit anderen Worten, es fehlen die Paralleluntersuchungen.28 Dies ist zu berücksichtigen, wenn man sich die Aussagen zur vermeintlichen Bipolarität ,ziviler‘ und ,militärischer‘ Rechtsprechung ansieht, die sich gemeinhin an Betrachtungen militärinterner beziehungsweise gemischter Rechtsverfahren zwischen Militärs und Zivilisten (iudicia mixta, s. u.) sowie besonders an die Beobachtungen der militärjuristischen Gnadenpraxis anschließen.29 Erschwert wird die Einschätzung der Sanktionskultur der Militärgerichts25 Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 14–15. 26 Lorenz, Rad (wie Anm. 5), bes. S. 103–104; Stollberg-Rilinger, Um das Leben würfeln (wie Anm. 6); Wiggerich, Militärgerichtsbarkeit (wie Anm. 6), S. 386; Fichte, Begründung des Militärdienstverhältnisses (wie Anm. 6), S. 231. 27 Fichte, Begründung des Militärdienstverhältnisses (wie Anm. 6), S. 27; Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 29–30. 28 Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert (wie Anm. 4), S. 326. 29 Siehe Anm. 4.

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barkeiten ferner dadurch, dass man bei der Analyse häufig mit selektiven Zeugnissen konfrontiert ist. Zwar wird die Dokumentation der Rechtshandlungen von der Wende zum 17. Jahrhundert an zunehmend dichter, aber bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts bleiben vor allem Auskünfte darüber, wie militärintern mit leichteren Rechtsverstößen umgegangen wurde, absolute Mangelware. Bei geringeren disziplinarischen Fällen oder anderen juristischen Angelegenheiten, die die Obrigkeiten nicht unmittelbar tangierten, blieben die Verfahren nämlich vollständig in den Händen des Kompaniechefs beziehungsweise den darunter stehenden Offizieren. Übergeordnete Instanzen mussten zur Konfirmation oder Rechtfertigung nicht einbezogen werden. Eine schriftliche Fixierung des Vorgehens war somit höchstens für den laufenden Betrieb nötig, so dass es häufig nicht zu einer längerfristigen Archivierung kam.30 Ohne Prozessakten, die ansonsten das wichtigste direkte Zugangsmittel zum Feld der Rechtspflege und speziell der Sanktionskultur bilden,31 ist die wünschenswerte Überprüfung des herkömmlichen Narrativs, dass der Umgang mit kleineren Vergehen eine „Grauzone potentieller Gewalttätigkeit und individueller Schikanen“ gewesen sei,32 aber bestenfalls auf Umwegen möglich. Ähnliches gilt für die zweite größere Dunkelstelle der Praxisforschung: die militärjuristischen Verfahrensweisen während laufender Kampagnen. Auch diese sind in der offiziellen Überlieferung nur schwer greifbar, weswegen man zur Erhellung auf die Hinzuziehung von nicht-amtlichen Dokumenten ange30 Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert (wie Anm. 22), S. 118; dies., Militärjustiz in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 4), S. 650; Sonkajärvi, Militärjustiz (wie Anm. 6), S. 128; Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert (wie Anm. 4), S. 308. 31 Zur Illustration sei nur auf gut zugängliche und für den Komplex einschlägige zeitgenössische Prozesssammlung des Bremen-Verdener Generalauditors Caspar Matthias Schwartz verwiesen. Vgl. ders. (Bearb.), Decisiones Militares, Oder Rechtliche Endscheide einiger Fälle/ Welche innerhalb denen nächsten Drey und zwantzig Jahren in denen Herzogthu¨ mern Bremen und Verden/ wegen einiger Militair-Persohnen gerichtlich angebracht/ erörtert und abgethan worden, Stade 1676 (VD 17 1:020824 A), und zur Einordnung Lorenz, Rad (wie Anm. 5), S. 103–105. Die von Schwartz zusammengeführten 130 Verfahren schwedischer Oberkriegsgerichte drehen sich um insgesamt 23 militärrechtlich relevante Sachverhalte. Das mit Abstand bedeutendste Delikt stellt dabei die Desertion dar, gefolgt von Ehrkonflikten, Befehlsverweigerungen, Werbevergehen, Diebstählen/ Unterschlagungen und Meutereien auf den Plätzen zwei bis sechs. Die verhängten Strafen lassen sich wiederum in sieben Kategorien unterteilen: 1. Todesstrafen (v. a. Erhängen und Enthaupten), 2. Leibesstrafen (Gassenlaufen, schlichtere Pru¨ gelstrafen oder Abtrennen von Gliedmaßen), 3. Landes- oder Stadtverweise, 4. Arrest- oder Gefängnisstrafen, 5. Degradierungen, 6. Suspendierungen/ Entlassungen, 7. Geldstrafen/ Entschädigungsleistungen, 8. Ehrstrafen (am lebenden oder gerichteten Körper). Dies korrespondiert grundsätzlich mit den Ergebnissen neuerer Untersuchungen, wenngleich etwa Heyn, Militär (wie Anm. 6), S. 399–405, für die Militärgerichte in Sachsen-Hildburghausen feststellte, dass diese in der Regel nur drei der möglichen Strafformen verhängten, nämlich Arbeitsdienst, Gassenlaufen oder Tod durch den Strang. 32 Nowosadtko, Kriegsprozess (wie Anm. 4), S. 514; Rischke, Gewalttätigkeiten (wie Anm. 6), S. 305f.

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wiesen ist. Dies können etwa Selbstzeugnisse von Offizieren und Soldaten sein. Welche Möglichkeiten des Einblicks in die Kriegs-Rechtshandhabung sich hierdurch bieten, lässt sich am eingangs zitierten Briefauszug Jacob Martens’ ersehen. Ohne Frage handelt es sich bei den Korrespondenzen von Militärs um eine ergiebige, längst noch nicht ausgeschöpfte Quellengattung zur Rekonstruktion der formalen militärrechtlichen Prozeduren und – worin ein nicht zu unterschätzender Mehrwert der Selbstzeugnisse liegt – zur Erschließung der individuellen Sichtweisen von Betroffenen oder Beobachtern.33 Als fruchtbare Ergänzung der amtlichen Überlieferung der Militärjustizapparate könnte sich des Weiteren auch die frühneuzeitliche Nachrichtenpublizistik erweisen, die in den Arbeiten zur Rechtspflege und zu den zugrundeliegenden Strukturen bis heute überraschend wenig Widerhall fand. Dabei ist das politisch-militärische Geschehen in Europa wohl nirgends in der medialen Öffentlichkeit so eng begleitet worden wie in den um 1600 entstandenen Zeitungen beziehungsweise der im Windschatten seit dem 17. Jahrhundert boomenden gegenwartsgeschichtlichen Literatur.34 Dass die Publikationen auch militärrechtlich relevante Phänomene registrierten, liegt auf der Hand.35 Vielleicht ist es über diese reichhaltige Fundgrube zeitgenössischer Darstellungen künftig 33 Wunder, Rittmeister (wie Anm. 6), führte dies unlängst am Beispiel des Kriegsgerichtsverfahrens gegen den bayerischen Rittmeister Wolfgang von Hohenfeld (1616–1679) vor. 34 Kai Lohsträter, Die Welt kompakt. Nachrichtenwesen und Buchdruck im Barock, in: Christian Gastgeber, Elisabeth Klecker (Hrsg.), Geschichte der Buchkultur, Bd. 7: Barock, Graz 2015, S. 91–128. Die bekannten deutschsprachigen Zeitungen des 17. Jahrhunderts liegen mittlerweile in digitalisierter Form in der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen vor: (23. 6. 2016). 35 Zur Veranschaulichung hier nur drei kursorisch zusammengetragene Beispiele: 1. Bericht aus Lemberg vom 20. Juli 1687: „Unter der Armee seynd bis dato wenig von Officianten gewesen/ vnd das kaum 6. Rittmaister/ vnd Towarnischen 5. oder 6. vnter der Compagnie/ alles bestunde nur im Gesinde/ dahero so bald nun der Hr. Cron-Groß-Feldherr sein Dessein vnter Caminieck verbracht/ vnd wider zurück kombt/ wird er ein scharffes Kriegs-Recht vornehmen/ vnd auch mit denen Herren/ welche allerhand Uppigkeiten vnd grossen Schaden im durchziehen verübet haben/ welche Executiones allbereits schon einen Anfang an dem Lacynsky/ Cosack. Obristen genommen/ welchem wegen deß in Podlasse verübten Schadens der Kopff abgehauen ist.“ Mercuri Relation Nr. 34 (23. 8. 1687); 2. Bericht aus Turin vom 21. Juni 1794: „Johann Georg Meßmer gewesener Obristlieutnant bei der Infanterie der königlichen Armee, ist vermög eines von dem Kriegsgericht über ihn gefällten Urtheil den 17. Dieses erschossen worden. Sein Verbrechen bestand darin, daß er den Franzosen das Fort Miraboeco durch Kapitulation, ohne daß es vorher angegriffen worden, und gegen ausdrücklich höhern Befehl sich auf das äusserste zu vertheidigen, übergeben.“ Tiroler-Zeitung Nr. 55 (9. 7. 1794); 3. Bericht aus „Helvetien“ vom Anfang des 19. Jahrhunderts: „Durch einen Beschluß des Landammans vom 7 wird ein eidgenössisches Kriegsgericht aufgestellt, welches über die bei den Statt gefundenen Unruhen im Kanton Zürich, mit den Waffen in der Hand, Ergriffenen, die gewesenen Anführer bewafneter Korps, und diejenigen, welche zur Waffenergreifung aufgemahnt hatten, Urtheil sprechen wird; es soll dasselbe aus einem Oberrichterpräsident, 10 Militärpersonen und einem Ankläger zusammengesetzt seyn.“ Kaiserlich und Kurpfalzbairisch privilegirte Allgemeine Zeitung Nr. 106 (15. 4. 1804), S. 423.

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möglich, nicht nur allgemein die Konturierung der Erkenntnisse zur Rechtspflege und zum Aufbau der Militärjustizsysteme voranzutreiben, sondern auch zur Beantwortung der spezielleren Frage beizutragen, ob die ,Aggregatszustände‘ Krieg und Frieden Einfluss auf die Prozessabläufe und die Sanktionskultur nahmen. Bisher wurde in den einschlägigen Darstellungen kaum Rücksicht auf diese militärgeschichtliche Grundunterscheidung genommen. Bezieht man die neuen drucktechnischen Verbreitungsmedien, die im 17. und 18. Jahrhundert entstanden, in die Untersuchungen zur Militärrechtsgeschichte ein, ist es von dort nur noch ein kleiner Schritt, generell darüber nachzudenken, welche potentiellen Korrelationen es zwischen den Transformationen der frühneuzeitlichen Kommunikationsstrukturen auf der einen und den Entwicklungen der militärischen Justizsysteme und ihrer Institutionen auf der anderen Seite gegeben haben könnte. Es ist gut vorstellbar, dass die medial verdichtete wechselseitige Beobachtung mitsamt der daraus resultierenden Erwartungshaltungen reformanregend wirkten, gerade auch vor dem Hintergrund der sich im 18. Jahrhundert häufenden Kritik an den hergebrachten spezifischen Gebräuchen der Militärgerichtsbarkeiten. Storrs hat einige in diese Richtung laufende Ansätze skizziert, sich dabei aber ausschließlich auf die Fachpublizistik konzentriert.36 Soviel zur Quellensituation. Nun einige Anmerkungen zur zweiten erwähnten Forschungsherausforderung: der diffizilen Trennung zwischen den Sphären des ,Militärischen‘ und ,Zivilen‘. Das Verständnis des Militärs als mehr oder minder eigenständiges, korporatives Gebilde und ,Sonderrechtsraum‘ hat eine lange Tradition in der Geschichtsschreibung. Der Grund dafür liegt darin, dass diese Auffassung in den historischen Selbstbeschreibungen zeitgenössische Anknüpfungspunkte findet.37 Zudem fügt sie sich nahtlos ein in das Bild der insgesamt von Partikularität bestimmten Rechtslandschaft der alteuropäischen Ständegesellschaft. Da liegt es nahe, Parallelen zu anderen körper- oder genossenschaftlichen Rechtsgemeinschaften der Frühen Neuzeit wie zum Beispiel Universitäten oder Zünften zu ziehen.38 Allerdings sollte man sich das Forum Militare und das reklamierte Standesrecht nicht zu homogen und hermetisch vorstellen. Auch darin ähnelte es anderen partikularrechtlichen Bereichen in Alteuropa.39 Mit länder- beziehungsweise territorienbezogen verschiedenartigen und 36 Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 12f., 27–30 u. 37–39. 37 Siehe hierzu besonders Nowosadtko, Verstaatlichung stehender Heere (wie Anm. 4), dies., Stehendes Heer (wie Anm. 6), S. 108, sowie ihr Beitrag im vorliegenden Band. 38 So exemplarisch bei Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), u. Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4). 39 Paul Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit. 1500 bis 1800, Frankfurt am Main 1998, S. 58–108.

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überdies dynamischen Ausprägungen40 reichte der Arm der frühneuzeitlichen Militärjustizsysteme bekanntlich weit über die aus heutiger Sicht originären Militärangehörigen hinaus. Neben den aktiven Offizieren und Soldaten blieben die Militärgerichte häufig auch für die Pensionäre oder Invaliden zuständig. Ferner umfassten sie gemeinhin die Regimentshandwerker und sonstigen in offiziellen und privaten Militärdiensten stehenden ,Zivilisten‘ sowie die Soldatenfrauen und -kinder.41 Schon so gesehen waren die korporativen Grenzen sehr viel weniger trennscharf als es von den ,theoretischen‘ Beschreibungen her den Anschein haben mag. Und nicht eben leichter fällt die Distinktion, wenn man das angesprochene Phänomen der iudicia mixta, also der gemischten Rechtsverfahren zwischen Militärs und Zivilisten, in die Betrachtung einbezieht. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war es nicht wenigen europäischen Rechtsverfassungen zufolge möglich, dass sich auf diese Weise nicht nur ,Militärs‘ vor Zivilgerichten, sondern auch ,Zivilisten‘ vor Militärgerichten wiederfinden konnten, was wiederum zur Konsequenz hatte, dass diese immer mal wieder ,zivilrechtliche‘ Sachverhalte verhandelten.42 In der Forschung haben sich die Jurisdiktionskonflikte, die sich gelegentlich hieran entzündeten, als in vielerlei Hinsicht attraktives Untersuchungsgebiet etabliert, ob für Detailanalysen zu den zeitgenössischen rechtlichen Grenzsetzungen, zu den Verfahrens- und Urteilspraktiken der verschiedenen Rechtssysteme oder zu den Streitbewältigungsstrategien.43 Die Konzentration auf die Kontroversen sollte jedoch nicht zu dem vorschnellen Urteil verleiten, dass Machtauseinandersetzungen zwischen Militär- und Zivilgerichten in der Frühen Neuzeit an der Tagesordnung waren. Wilson und Nowosadtko haben für das Alte Reich im Gegenteil übereinstimmend festgestellt, dass sich die Zeitgenossen in der Regel recht gut mit der zergliederten Rechtslandschaft arrangierten.44 Es ist daher wichtig, genau zu schauen, welche Arten von Streitfällen Spannungen erzeugten. Außerdem ist stets zu hinterfragen, ob die Suche nach klaren Fak-

40 Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 32–33 u. 36–37. 41 Exemplarisch: Nowosadtko, Stehendes Heer (wie Anm. 6), S. 109; Rischke, Gewalttätigkeiten (wie Anm. 6), S. 300. 42 Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 61 u. 84; Wiggerich, Militärgerichtsbarkeit (wie Anm. 6), S. 385; Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert (wie Anm. 22), S. 115. 43 Lorenz, Rad (wie Anm. 5), S. 147–154; Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 12f.; Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 61f. u. 84; Wiggerich, Militärgerichtsbarkeit (wie Anm. 6), S. 390; Jutta Nowosadtko, Ordnungselement oder Störfaktor? Zur Rolle der stehenden Heere innerhalb der frühneuzeitlichen Gesellschaft, in: Ralf Pröve (Hrsg.), Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer modernen Militärgeschichte in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 1997, S. 5–34, hier S. 17. 44 Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert (wie Anm. 22), S. 137; Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 58.

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toren zur Differenzierung der Rechtsräume, die sich in der Fokussierung auf die Konflikte äußert, nicht vielleicht anachronistischen Prämissen geschuldet ist. Anders formuliert: Es ist zu überlegen, ob es sich nicht um eine Rückprojektion moderner europäischer Staatsverhältnisse auf eine Epoche handelt, in der sich die Grenzziehung zwischen den partikularen sozialen Sphären weniger formalistisch als funktional realisierte, nämlich in Form eines kontinuierlichen Aushandlungsprozesses. Der Vorschlag Nowosadtkos, die ,autonomen‘ Militärrechtssysteme als ,Schutzräume‘ vor zivilen Herrschaftsstrukturen zu verstehen,45 weist genau in diese Richtung. Zugleich unterstreicht der Ansatz aber auch die Nähe, die das Spannungsfeld zwischen ,militärischer‘ und ,ziviler‘ Welt zur oben als Einhegungsprozess bezeichneten rechtlich-sozialen Integration der Stehenden Heere in das frühmoderne europäische Staatengefüge aufweist. Der Vorgang ist insofern in die hier präsentierten Gedanken einzubeziehen. Klassischerweise wird die Entfaltung ,staatlich‘ regulierter Militärrechtssysteme und ihrer Institutionen als Teil eines sozialgeschichtlich umfassenderen Zurückdrängungsprozesses der traditionellen korporativ-partikularen Eigenständigkeiten gelesen (Herrschaftsverdichtung). Die Verpflichtung zur obrigkeitlichen Konfirmation (schwerwiegenderer) militärrechtlicher Entscheidungen, die sukzessive Abschaffung der Kameradengerichtsbarkeit, die Entsendung gelehrter Juristen und die Verwissenschaftlichung des Kriegsrechtes sind als wichtigste Eckpunkte dieses Zusammenhangs auszumachen.46 Die Berechtigung der weitreichenden Annahme der Verherrschaftlichung des Militärs mitsamt oder eher mittels seines Rechtssystems ist trotz aller kritischen Betrachtungen des Prozesses nie grundlegend in Zweifel gezogen worden. Gleichwohl haben diese zu einer sublimeren Sicht geführt, die den Rechtsunsicherheiten, Durchsetzungsproblemen und Abwehrstrategien mehr Aufmerksamkeit schenkt.47 Es kann mithin heute als Konsens gelten, die Herrschaftsverdichtung nicht mehr als einen stringenten, sondern als einen abgestuften, Altes und Neues integrierenden Prozess zu beschreiben, wie es etwa Wilsons mit Blick auf die Disziplinierung des Militärs tat:

45 Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 4), S. 651. 46 Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert (wie Anm. 22), S. 130; dies., Militärjustiz in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 4), S. 644–649 u. 651; dies., Verstaatlichung stehender Heere (wie Anm. 4); Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 58 u. 62f.; Meyfarth, Friedrich II. (wie Anm. 6); ders., Reformzeit (wie Anm. 6); Mod8er, Gerichtsbarkeiten (wie Anm. 6); Lorenz, Rad (wie Anm. 5), S. 103f. u. 110–120; Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 16–17. 47 Sonkajärvi, Militärjustiz (wie Anm. 6), S. 127 u. 135f.; Schennach, Lokale Obrigkeiten (wie Anm. 6), S. 200, 204f. u. 213; Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 84; Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 4), S. 649.

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„The Development of standardised disciplinary codes never completely eleminated the older practice of regiments as self-regulating communities. Discipline was imposed from above, but was also an aspect of horizontal solidarity and group identity.“48

Sieht man auf die sich in der Literatur abzeichnenden konkreten Perspektiven für weitergehende Untersuchung des Phänomens der Verherrschaftlichung, sticht zum einen die Frage nach den personellen Verflechtungen ins Auge. So ist nach wie vor viel zu wenig über die Auditoren als den vielleicht wichtigsten Repräsentanten der obrigkeitlichen Justizreformen bei den Armeen bekannt. Weder die Sozialstruktur noch die genauen Tätigkeitsbereiche dieser Personengruppe, die als ein zentrales Bindeglied der Trias Militär, Herrschaft, Zivilgesellschaft zu sehen ist, sind systematisch erforscht.49 Zum anderen sind die in jüngerer Zeit dargelegten Optionen neuer theoretischer Blickwinkel auf die Thematik kaum aufgegriffen worden. Bedenkenswert ist in diesem Sinne vor allem Nowosadtkos systemtheoretisch inspirierte Lesart der Zurückdrängung der militärischen Partikulargerichtsbarkeit als Umstrukturierungs- und Spezialisierungsvorgang. Statt als Akt herrschaftlicher Machtkonzentration erscheint der Vorgang somit eher als Angleichungsprozess der Militärjustiz an die sich ausdifferenzierende moderne europäische Rechtslandschaft.50 Die Geschichte der Militärjustiz des 16. bis 19. Jahrhunderts ließe sich folglich auch als Komponente der funktionalen Zergliederung der modernen Gesellschaft begreifen. Von dieser Vogelperspektive auf den Gegenstand aus nun abschließend nochmals kurz zur dritten Forschungsherausforderung: der Binnendifferenzierung der militärischen Justizsysteme. Dies berührt erneut traditionelle Vorstellungen des frühneuzeitlichen Militärs als einem einheitlichen korporativen Rechtsraum. Wurde oben schon mit Bezug auf die Abgrenzung zur Umwelt auf Inkonsistenzen dieses Bildes hingewiesen, erweist es sich selbst hinsichtlich der originär-militärischen Sozialstruktur als nur begrenzt tragfähig. Denn erstens gab es innerhalb der Armeen stets Gruppen und Verbände, die Sonderstellungen einnahmen und entsprechend spezifische Rechte für sich reklamierten.51 Zweitens ist zu konstatieren, dass sich die strukturelle Ungleichheit der früh48 Wilson, German Military Justice (wie Anm. 4), S. 63. 49 Einen der seltenen Versuche der Annäherung an dieses Themenfeld findet man bei Heyn, Militär (wie Anm. 6), S. 394–396. 50 Nowosadtko, Stehendes Heer (wie Anm. 6), S. 111, 120f. u. 262. Siehe zudem Wiggerich, Militärgerichtsbarkeit (wie Anm. 6), S. 390. 51 Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 20 u. 31–32; Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert (wie Anm. 6), S. 397–404. Vgl. ferner Anm. 4. Zudem sei hier nur kurz angerissen, dass die Angehörigen des ,Militärstandes‘ natürlich zugleich noch in andere ständische Zusammenhänge eingebunden waren. Dies galt nicht nur für den Adel, also den Bereich des Offizierkorps.

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neuzeitlichen Ständegesellschaft auch im Militär fortsetzte. Sichtbaren Niederschlag fand dies in den Normen, stärker aber noch in der Praxis. Die juristischen Systeme hatte eine unverkennbare hierarchische Schlagseite.52 Der Dienstgrad entschied gemeinhin über die militärrechtliche Behandlung, ganz zu schweigen davon, dass er die Rechtsausübung legitimieren konnte. In den meisten europäischen Militärrechtssystemen ist von einer grundsätzlichen Trennung zwischen Offizierkorps auf der einen und Unteroffizieren mit Mannschaften auf der anderen Seite auszugehen.53 Der äußeren rechtlichen Pluralität der frühneuzeitlichen Gesellschaft stand bei den Armeen mit anderen Worten also eine adäquate juristische Pluralität im Inneren gegenüber. Für die Darstellungen zur Geschichte des Militärrechts oder besser der Militärrechte bedeutet dieser Umstand fraglos eine weitere Steigerung der Komplexität. Dass nicht sämtliche in dem kritischen Überblick zum Forschungsstand zur Entwicklung des Verhältnisses von Militär und Recht zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert angesprochenen Problemfelder und Desiderate in dem vorliegenden Sammelband berücksichtigt werden konnten und die aufgenommenen Aspekte mitunter Skizze bleiben, liegt in der Natur der Sache. Die nachfolgenden elf Untersuchungen markieren dennoch nicht weniger als einen weiteren größeren wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer vergleichenden, gesellschaftsgeschichtlich kontextualisierten Geschichte des europäischen Militärrechts. Bei der Zusammenstellung wurde Wert auf eine harmonische thematische Mischung gelegt, die möglichst viele Dimensionen des Gegenstandes berührt. Die rechtswissenschaftlichen Diskurse und die normative Ebene finden in den Beiträgen ebenso Berücksichtigung wie die Rechtspflege, die Prozessabläufe und die institutionellen Strukturen. Zum Auftakt wendet sich Diethelm Klippel (Bayreuth) der praxisorientierten deutschen Militärrechtsliteratur des 18. Jahrhunderts und damit gleich einer größeren Forschungslücke zu. Entlang der zahlreichen, inhaltlich vielfältigen Publikationen zur Militärjustiz abseits der obrigkeitlichen Rechtsakte und Normen versucht die Untersuchung eine erste Standortbestimmung der Kriegsrechtsgelehrsamkeit innerhalb der Jurisprudenz. War dieser Bereich im Aufklärungsjahrhundert ein durchaus bedeutsames akademisches Betätigungsfeld, zeigt Sylvia Kesper-Biermann (Gießen) in ihren anschließenden Ausführungen, wie das Militärrecht im 19. Jahrhundert in die rechtswissenschaftliche Nische rückte. Im Rahmen des Kodifikationsprozesses zwischen Reformzeit und Reichsgründung kam es in Deutschland zunächst zu einer inhaltlichen Engführung des Gegenstandes auf das Militärstrafrecht. Es entwi52 Stollberg-Rilinger, Um das Leben würfeln (wie Anm. 6), S. 208–209. 53 Exemplarisch: Storrs, Military Justice (wie Anm. 5), S. 23–24 u. 31–32; Meyfarth, Friedrich II. (wie Anm. 6), S. 70–71; Kloosterhuis, Lambacher, Kriegsgericht (wie Anm. 6), S. 148.

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ckelte sich innerhalb der rechtswissenschaftlichen Landschaft damit zum Sondersegment, das nur noch wenig Resonanz fand. Erst um 1900, als das Militär im Rahmen der politischen Diskussionen um sein Verhältnis zu Staat und Gesellschaft als ,Stand im Staate‘ in die Kritik geriet und Versuche zur Angleichung von zivilem und militärischem Strafrecht angestoßen wurden, folgte eine erneute Aufwertung der Auseinandersetzung mit der Materie. Die Wende zum 20. Jahrhundert markierte auch für das (Kriegs-) Völkerrecht eine einschneidende Phase, wie Daniel Marc Segesser (Bern) aldann konstatiert. Dessen Kodifizierung erlebte in diesem Zeitraum einen vorläufigen Höhepunkt, wodurch sich dieser alte Teilbereich des frühneuzeitlichen Militärrechts aus seinem bisherigen Schattendasein emanzipierte. Von diesem Wendepunkt ausgehend lenkt der Beitrag den Blick zurück in die Geschichte und fragt nach den Traditionslinien und Brüchen der ,vormodernen‘ militärrechtlichen Konzepte im 19. Jahrhundert – besonders der völkerrechtlichen Bestimmungen und Haltungen zum ius in bello. Sind die drei ersten Abhandlungen zeitlich im militärrechtsgeschichtlich erst wenig beachteten Übergang zwischen der Frühen Neuzeit und der ,Moderne‘ angesiedelt, rückt mit dem Beitrag Markus Meumanns (Erfurt) der Anfangszeitraum der Entfaltung ,staatlicher‘ Militärjustizsysteme in Europa in den Fokus. Seine institutions- und verwaltungsgeschichtliche Darstellung der Entwicklung der militärischen Gerichtsbarkeit in Frankreich während des Grand SiHcle geht zudem der noch weithin offenen Frage nach ihrer mutmaßlichen Vorbildrolle und Ausstrahlung nach. Außerdem wird neben der Rekonstruktion der Strukuren die Arbeitsweise der französischen Militärjustiz und besonders ihre Effizienz als Institut der Disziplin und des Zivilisten-Schutz unter die Lupe genommen. Wie mit Soldaten und Offizieren umgegangen wurde, wenn sie im nicht-militärischen Umfeld straffällig wurden, bildet gleichfalls einen Kernaspekt der Studie von Maria R. Boes (West Chester, PA). Anders als Meumann, der das Verhältnis von Militär und Recht in einem frühneuzeitlichen Fürstenstaat beleuchtet, geht es ihr jedoch um die Situation in einem kleinräumigeren urbanen Umfeld (Frankfurt am Main im 16. und 17. Jahrhundert). Eine formale Trennung zwischen Zivil- und Militärgerichtsbarkeit existierte in Reichsstädten wie Frankfurt zwar nicht, gleichwohl zeigt Boes, dass die dortigen juristischen Instanzen in der Praxis sehr wohl Unterschiede zwischen Soldaten und anderen Stadtbewohnern machten. Von dem Befund aus zeichnet ihr Beitrag fernerhin die Korrelationen zwischen dem ständischen Selbstverständnis des Militärs und den Verfahrensweisen der reichsstädtischen Justiz nach. Catherine Denys (Lille) bleibt alsdann im urbanen Kontext, konzentriert sich indessen weniger auf die Strafrechtspraktiken als auf die engen militärisch-zivilen Verflechtungen im Policey- und Justizsystem Brüssels während des 18. Jahrhunderts. Berührungspunkte zwischen den verschiedenen Rechts- und Ordnungsinstitutionen

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gab es dort auf diversen Ebenen, bei den Zielen, in der alltäglichen Arbeit oder beim Personal. Denys stellt daher Fragen nach den Kooperationsverfahren, aber auch nach den Kompetenzkonflikten und deren Zusammenhang mit den zeitgenössischen Unterscheidungen von Militär- und Zivilgesellschaft. Martin Winter (Möhrendorf) richtet die Aufmerksamkeit in seiner Untersuchung danach auf ein geradezu klassischeres Feld der Militärrechtsgeschichte: das Desertionsproblem bei der preußischen Armee während des Siebenjährigen Krieges. Unter Rückgriff auf die Überlieferung der General-Invalidenkasse dekonstruiert er in seinem Beitrag nicht nur das Klischee der rigiden Verfolgung und Ahndung des frühneuzeitlichen Massendeliktes der Fahnenflucht unter Friedrich II. (1712–1786). Er zeigt auch die Möglichkeiten dieser Quellen für die Rekonstruktion der militärrechtlichen Verfahren, für Fragen nach den zeitgenössischen Strafpraktiken und nach den Funktionen der Desertion auf. Die Aussagekraft historischer Zeugnisses für die Konkretisierung militärrechtlichen Handelns in der Frühen Neuzeit ist desgleichen zentrales Thema der Ausführungen Jan Willem Huntebrinkers (Hannover). Seine Untersuchung bezieht sich allerdings auf die Zeit vor dem Westfälischen Frieden. Mit dem Gerichtsbuch eines Söldnerregimentes stellt Huntebrinker ein seltenes Dokument der militärischen Rechtspflege der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor. Anhand der dortigen Aufzeichnungen zeigt er, welche spezifischen korporativen Normen Bedeutung in der Kriegspraxis erlangten und welche gesellschaftlich übergreifenden normativen Konzepte für die Militärjustiz in dieser Phase Relevanz hatten. Holger Berg (Odense), dessen Studie in etwa im gleichen Zeitraum verortet ist, beschäftigt sich sodann mit der Genese und Umsetzung der für viele europäische Militärrechtssysteme einflussreichen schwedischen Kriegsartikel und dem damit verbundenen herrschaftlichen Zugriff auf die Gerichtsbarkeit der Armee. Dargelegt werden die zeitgenössischen Möglichkeiten, vor allem aber die kriegsbedingten Grenzen der obrigkeitlichen Implementierung militärrechtlicher Reformen. An die Problematik der Ausübung und Durchsetzung von Herrschaft schließt quasi nahtlos der Beitrag Ralf Pröves (Potsdam) an. Bezugnehmend auf die Dimissionsprozesse bei der kurhannoverischen Armee während des 17. und 18. Jahrhunderts fragt er gleichwohl weniger nach den äußeren als nach den inneren Einflüssen des sich entwickelnden Verwaltungsapparats auf das Regierungshandeln. Im Fokus stehen mit anderen Worten die administrativen Disfunktionalitäten, die durch verzweigte Patronagesysteme und die Ausbildung behördlicher Parallelstrukturen bedingt waren. Die Militärbürokratie ist zum Abschluss des Sammelbandes schließlich auch der Drehund Angelpunkt der Untersuchung Jutta Nowosadtkos (Hamburg). Nach einer Reflektion der Stellung der militärischen Administration innerhalb des frühneuzeitlichen Staatsbildungsvorgangs geht sie dem personellen Beziehungsge-

Militär und Recht: Ergebnisse und Perspektiven

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flecht innerhalb des Spannungsfeldes zwischen Verherrschaftlichung und Autonomiereklamation des Militärs nach. Genauer gesagt, geht es um die Rolle der Militärjuristen als Vertreter der obrigkeitlichen Machtinteressen wie auch als konkrete Repräsentanten des Prozesses der Verrechtlichung.

Diethelm Klippel

Kriegsrechtsgelehrsamkeit. Die Literatur des Militärrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts

I.

Einleitung

1.

Fragestellung

Die Fragestellung eines Beitrags, der einen Überblick über die Literatur des Militärrechts und über die Stellung der literarischen Beschäftigung mit dem Militärrecht im Deutschland des 18. Jahrhunderts geben will, erscheint auf den ersten Blick klar umrissen: Es geht um die Bestandsaufnahme und die Analyse des Inhalts und der Veränderungen der juristischen Literatur zum Militärrecht, die im 18. Jahrhundert auf dem Gebiet des Alten Reichs erschien. Der Reiz des Themas, so ließe sich vermuten, besteht darin, dass es erstens um eine leicht zu bewältigende Zahl von einschlägigen Quellen geht und dass zweitens das Thema abseits der ausgetretenen Pfade der rechtshistorischen Forschung liegt, so dass es bisher wenig Beachtung gefunden hat. Doch der erste Eindruck täuscht. Die nähere Beschäftigung mit dem Thema bestätigt zwar die Vermutung hinsichtlich des Forschungsstandes (dazu sogleich 2.), nicht jedoch diejenige hinsichtlich der Quellen (dazu unten III.). Während Zeitraum und räumlicher Bereich der Untersuchung hinreichend klar umrissen erscheinen, trifft dies auf den Begriff der Literatur angesichts dessen Mehrdeutigkeit nicht zu: Im weiteren Sinne bezieht er sich auf alle Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Militärrechts, umfasst also auch die Publikation rechtlicher Normen, also unter anderem von Gesetzen und von sonstigen Rechtsakten der Obrigkeit; im engeren Sinne sind damit die rechtsgelehrten und praxisorientierten Publikationen zu den rechtlichen Normen des Militärrechts gemeint. Auch wenn in dem vorliegenden Beitrag die Literatur im engeren Sinne untersucht werden soll, liegt es auf der Hand, dass die rechtlichen Normen gewissermaßen durch die Hintertür Eintritt erlangen, da die Autoren selbstverständlich auch die Frage der Rechtsquellen des Militärrechts, deren Verhältnis zueinander und deren Inhalt behandeln. Erklärungsbedürftig ist des Weiteren der Begriff des Militärrechts (dazu unten II.).

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Diethelm Klippel

Eine Untersuchung der Literatur zum Militärrecht wirft zwangsläufig die Frage auf, welcher Standort dieses Rechtsgebiet innerhalb der gesamten juristischen Literatur der Zeit einnimmt, des Näheren, wie und wo der entsprechende Teil der Jurisprudenz – die Kriegsrechtsgelehrsamkeit – innerhalb der Rechtsgelehrsamkeit eingeordnet wurde (IV.). Ein kurzer Blick auf inhaltliche Schwerpunkte der militärrechtlichen Literatur schließt sich an (V.). Fragen der Rechtsanwendung dagegen werden aufgrund des Charakters dieses Beitrags als eines ersten Überblicks ausgeklammert, ebenso wie die weitere Frage der Wechselwirkung zwischen Ideen bzw. Rechtsgelehrsamkeit, rechtlichen Normen und Lebenswelt.1

2.

Forschungsstand

Während die deutsche militärgeschichtliche Forschung – nach einer aus verständlichen Gründen stagnierenden Periode nach 1945 – seit etwa den 1990er Jahren als sogenannte Neue Militärgeschichte2 eine beachtliche Reihe vorwiegend sozialgeschichtlich orientierter Studien zur Frühen Neuzeit vorgelegt hat,3 hat die rechtshistorische Forschung die Militärrechtsgeschichte dieser Zeit, aus welchen Gründen auch immer, kaum beachtet, ganz zu schweigen von der Wissenschaftsgeschichte des Militärrechts. Es verwundert daher nicht, dass der Anstoß zur Untersuchung militärrechtshistorischer Probleme von Fragestellungen der Sozialgeschichte und insbesondere der sogenannten historischen Kriminalitätsforschung ausging.4 Daneben ist die vor wenigen Jahren erschie1 Zu dieser Frage vgl. generell Diethelm Klippel, Ideen – Normen – Lebenswelt. Exegese und Kontexterschließung in der Rechtsgeschichte, in: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte und Literatur in der Wissenschaft 4 (2000), S. 179–191. Siehe speziell zur Frage der Anwendung militärrechtlicher Normen und zur Diskrepanz zwischen Normen und Praxis Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700), Köln u. a. 2007. 2 Zum Begriff: Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die ,neue Militärgeschichte‘ der Frühen Neuzeit. Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–612. 3 Siehe hierzu die Nachweise im Einleitungsbeitrag Lohsträters im vorliegenden Band. 4 In diesem Zusammenhang zu nennen sind insbesondere die zahlreichen Arbeiten von Jutta Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit. Anmerkungen zu einem vernachlässigten Feld der historischen Kriminalitätsforschung, in: Unrecht und Recht. Kriminalität und Gesellschaft im Wandel von 1500–2000, gemeinsame Landesausstellung der rheinland-pfälzischen und saarländischen Archive, wissenschaftlicher Begleitband, Koblenz 2002, S. 638–651; dies., Militärpolizei? Die innerstaatlichen Aufgaben der stehenden Heere des Ancien R8gime als Forschungsproblem, erläutert am Beispiel des Fürstbistum Münsters, in: Andr8 Holenstein u. a. (Hrsg.), Policey in lokalen Räumen. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, S. 317–340; dies., Vom Kriegsprozeß in bürgerlichen und peinlichen Sachen.

Die Literatur des Militärrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts

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nene verdienstvolle Untersuchung von Robby Fichte zum Militärdienstverhältnis zu erwähnen.5 Aber es fehlt, abgesehen von wenigen älteren Arbeiten,6 an einschlägigen Synthesen beziehungsweise Überblicksdarstellungen. Einige Lexikonartikel bieten immerhin brauchbare Überblicke zu einzelnen Teilbereichen der Militärrechtsgeschichte,7 während Studien zur KriegsrechtsgelehrDie Militärjustiz des Fürstbistums Münster im 18. Jahrhundert, in: Harriet Rudolph, Helga Schnabel-Schüle (Hrsg.), Justiz = Justice = Justicia? Rahmenbedingungen von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa, Trier 2003, S. 491–514; dies., „Der Militairstand ist ein privilegierter Stand, der seine eigene Gesetze, obrigkeitliche Ordnung und Gerichtsbarkeit hat.“ Die Verstaatlichung stehender Heere in systemtheoretischer Perspektive, in: Ralf Pröve, Markus Meumann (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 121–141; dies., Mehr zu Verbrechen, Lüsten und Affecten geneigt als andere Stände? Die Beteiligung von münsterischen Militärpersonen an Raufhändeln, in: Ruth-E. Moormann, Barbara Krug-Richter (Hrsg.), Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 9–20; dies., Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Sylvia Kesper-Biermann, Diethelm Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte Wiesbaden 2007, S. 115–140; dies., Realeinquartierungen als bürgerliche und bäuerliche Last. Unterhalt und Verwaltung von Militärbesatzungen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Friedrich Burrer, Holger Müller (Hrsg.), Kriegskosten und Kriegsfinanzierung […], Darmstadt 2008, S. 281–287; dies., Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803, Paderborn 2011. – Zahlreiche rechtshistorische Informationen, unter anderem zur Anwendung rechtlicher Normen, auch in: Oliver Heyn, Das Militär des Fürstentums Sachsen-Hildburghausen 1680–1806, Köln u. a. 2015. 5 Robby Fichte, Die Begründung des Militärdienstverhältnisses (1648–1806). Ein Beitrag zur Frühgeschichte des öffentlich-rechtlichen Vertrages, Baden-Baden 2010. Siehe aber auch bereits die Arbeiten von Werner Hülle, Das Auditoriat in Brandenburg-Preußen. Ein rechtshistorischer Beitrag zur Geschichte des Heerwesens mit einem Exkurs über Österreich, Göttingen 1971; Hans-Michael Möller, Das Regiment der Landsknechte. Untersuchungen zu Verfassung, Recht und Selbstverständnis in deutschen Söldnerheeren des 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1976; Michael Sikora, Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996. Zum 19. Jahrhundert siehe u. a.: Hubert Schmid, Die Gesetzgebungsgeschichte des Militärstrafrechts für das Königreich Bayern zwischen 1806 und 1900, München 2000; Sylvia Kesper-Biermann, „Jeder Soldat ist ein Staatsbürger“. Reformen im Militärstrafrecht in Deutschland 1800 bis 1872, in: Karl-Heinz Lutz u. a. (Hrsg.),Reform – Reorganisation – Transformation. Zum Wandel in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation der Bundeswehr, München 2010, S. 131–151. 6 Karl Friedrich Friccius, Geschichte des deutschen, insbesondere des preussischen Kriegsrechts, Berlin 1848; Emil Dengelmaier, Geschichte des Militär-Strafrechts, in: Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine 80 (1891), S. 271–290; Wilhelm Erben, Ursprung und Entwicklung der deutschen Kriegsartikel, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 6 (1901), S. 473–529. 7 Siehe die einschlägigen Artikel im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG): Markus Meumann, Art. ,Artikelbrief‘, in: HRG, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin 2008, Sp. 312f.; ders., Art. ,Aushebung‘, in: ebd., Sp. 367f.; ders., Art. ,Corpus juris militaris‘, in: ebd., Sp. 907; Heiner Lück, Art. ,Kriegsartikel‘, in: ebd., 18. Lieferung, Berlin 2013, Sp. 247–251; Thomas Henne, Art. ,Kriegsgerichte‘, in: ebd., Sp. 259–261; Karl-Heinz Ziegler, Art. ,Kriegsrecht‘, in:

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samkeit der Frühen Neuzeit oder generell zur Wissenschaftsgeschichte des Militärrechts nach wie vor fehlen. Auch angesichts dessen muss der vorliegende Beitrag sich darauf beschränken, anhand einiger ausgewählter Themen die Kriegsrechtsgelehrsamkeit als Teilgebiet der Jurisprudenz des 18. Jahrhunderts im Überblick zu untersuchen und überhaupt ins Bewusstsein der rechtshistorischen Forschung zu rufen.

II.

Begriff und Gegenstand des Militärrechts

Im heutigen deutschen Recht findet sich der Begriff Militärrecht als Bezeichnung für ein Rechtsgebiet nicht. Vielmehr ist von Soldaten- und Wehrrecht die Rede, jeweils mit entsprechenden Unterbegriffen, als Teil des Strafrechts und des öffentlichen Rechts, des näheren des Besonderen Verwaltungsrechts. Geregelt sind insbesondere das Dienstverhältnis der Soldaten, einschließlich der Wehrpflichtigen, ferner – als Teil des Strafrechts – das Wehrstrafrecht. Auch bis um die Zeit von 1800 war nicht von Militärrecht die Rede. Zwar wurde durchweg der lateinische Begriff ius militare verwandt,8 der aber zunächst nicht mit Militärrecht, sondern mit Kriegsrecht übersetzt wurde. Das ergibt sich aus zahlreichen Buchtiteln9 und aus den Lemmata der der gängigen Lexika;10 ebd., Sp. 261–265 (als „das auf den Krieg bezügliche Recht“, nicht im Sinne von Militärrecht); ferner die weiteren Zusammensetzungen ,Kriegsentschädigung‘, ,Kriegserklärung‘, ,Kriegsfluchtrecht‘ und ,Kriegsgefangenschaft‘; Markus Meumann, Art. ,Militärgerichtsbarkeit‘, in: ebd., 23. Lieferung, Berlin 2016, Sp. 1505–1512; Heiner Lück, Art. ,Militärstrafrecht‘, in: ebd., Sp. 1513–1517; jeweils mit Literaturnachweisen einschließlich Hinweisen auf die entsprechenden Artikel in der Vorauflage des HRG. Siehe ferner Diethelm Klippel, Art. ,Militärrecht‘, in: Enzyklopädie der Neuzeit 15 (2012), Sp. 766–770. Der Artikel beruht auf Erkenntnissen des Vortrags, der dem vorliegenden Aufsatz zugrunde liegt. 8 So z. B. Johann Stephan Dancko, Kurtzer Entwurf des Kriegs-Rechts. Wie solches vornehmlich in denen Königlichen Preußischen und Churfürstl. Brandenburgischen LandTags-Abschieden/Kriegs-Articulen, Ordonnanzien/Reglementen/Edicten & c. enthalten, Frankfurt/Oder 1725 (Nachdruck Bad Honnef 1982), S. 1; Regnerus Engelhard, Specimen iuris militum naturalis methodo scientifica conscriptum, Frankfurt, Leipzig 1754 (durchgehend ius militare und ius militum); Gottfried Justin Wilhelm Salzmann, De iure militari publico et privato, universali et communi, Jena 1766; N. N., Art. ,Kriegs-Recht‘, in: Oekonomische Encyklopädie […], Bd. 51, Berlin 1790, S. 642–645, hier S. 642 (Kriegsrecht als Jus militum oder militare). 9 Z. B. Dancko, Entwurf (wie Anm. 8); Friedrich Andreas Gottlieb Gnüge, Gründliche Anleitung zum Kriegs-Recht […], Jena, Leipzig 1750; Christoph Konrad Friderici, Gründliche Einleitung in die Kriegswissenschaft, worinnen die Lehre vom Kriege und Frieden aus dem Natur- und Völkerrechte vorgetragen, das Kriegsrecht nach den Grundgesetzen des H. R. Reichs erläutert, ingleichen wie ein befehlender General nach der Kriegsklugheit verfahren soll, 2 Tle., Breslau 1763 u. 1764; Johann Friedrich Werther, Anleitung zum allgemeinen Kriegs-Rechte zu seinen Vorlesungen, Jena 1787; Johann Heinrich Beermann, Grundsätze des heutigen deutschen Kriegs-Rechts, Lemgo 1795.

Die Literatur des Militärrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts

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selbst im Staatslexikon von Karl von Rotteck (1775–1840) und Carl Theodor von Welcker (1790–1869) findet sich 1847 noch die Bezeichnung Kriegsrecht.11 Um 1800 wurden Kriegs- und Militärrecht synonym gebraucht,12 danach setzte sich zunehmend der Begriff Militärrecht durch.13 Karl Gustav von Rudloff (1782–1871), Major im preußischen Kriegsministerium, unterschied zwar 1826 zwischen Kriegs- und Militärrecht, meinte aber, es sei zweckmäßiger, die gesamte Materie mit dem Begriff Militärrecht zu erfassen und in Militärstaats-, Militärprivat-, Militärstraf- und Militärvölkerrecht einzuteilen.14 Obwohl also erst im 19. Jahrhundert der Begriff Militärrecht üblich wurde, erscheint es als sinnvoll, ihn ohne Rücksicht auf den zeitgenössischen Sprachgebrauch – im 18. Jahrhundert also Kriegsrecht als gängige Übersetzung von ius militare – als analytischen Begriff für bestimmte Rechtsmaterien zu gebrauchen. Dann lässt sich unter Militärrecht jegliches Recht verstehen, welches das Militär in der Erscheinungsform der jeweiligen Zeit betrifft, insbesondere die rechtlichen Normen, die dessen innere Verfassung und Verwaltung, dessen Außenbeziehungen zur Bevölkerung und zur Obrigkeit beziehungsweise zum Staat, die Rechte und Pflichten der Soldaten und das Verhalten in kriegerischen Auseinandersetzungen mit anderen Staaten oder Obrigkeiten regeln. Im Einzelnen unterschied der in Frankfurt an der Oder lehrende Juraprofessor Johann Stephan Dancko (gest. 1730) 1725 zwischen „Jus militare […] publicum und privatum;15 der Text ist identisch mit einem Teil des Artikels ,Kriegs-Recht‘ im Universallexikon Johann Heinrich Zedlers (1706–1751).16 Das „öffentliche Kriegsrecht“ zeige, „wie ein Souverain sein Recht vermittelst der Waffen entweder erlangen, oder wider alles Unrecht und Gewalt mainteniren könne“. Rechtsquellen seien „Verbindnisse, Vergleiche, und, wann keine vorhanden, […] das allgemeine Völcker Recht, auch wohl offters Rationem Status“; bestimmte Teile des allgemeinen, das heißt des naturrechtlichen Völkerrechts, 10 N. N., Art. ,Kriegs-Recht‘, in: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 15, Halle, Leipzig 1737, Sp. 1934–1939, hier Sp. 1934; Oekonomische Encyklopädie (wie Anm. 8), S. 642–645. 11 N. N., Art. ,Krieg […]; Kriegsrecht, natürliches und positives […]‘, in: Carl von Rotteck, Carl Welcker (Hrsg.), Das Staats-Lexicon […],Bd. 8, Altona 1847, S. 370–382, hier S. 370. 12 Georg Wilhelm C. Cavan, Das Kriegs- oder Militär-Recht, wie solches jetzt bei der Königlich Preußischen Armee besteht, 2 Bde., Berlin 1801. 13 Z. B. Christian Karl August Klotz, Einleitung in die Doktrin des teutschen Privat-MilitairRechts und Militär-Gerichts-Processes, Stuttgart 1810; Karl Gustav von Rudloff, Handbuch des Preußischen Militairrechts, oder Darstellung der im Preußischen Heer bestehenden Grundsätze über militairische Rechts- und Polizei-Verhältnisse, Disciplin und Justizverwaltung, 1. Teil, Berlin 1826; Philipp Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1: Das Verfassungs- und Militärrecht, Berlin 1880; Kompendium über Militärrecht, Berlin 1900. 14 Rudloff, Handbuch (wie Anm. 13), S. 22. 15 Dancko, Entwurf (wie Anm. 8), S. 1f. 16 Universal-Lexicon (wie Anm. 10).

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bilden also einen Bestandteil des Kriegsrechts. Das „private“ Kriegsrecht ergebe sich „aus denen Gesetzen, welche ein Fürst seinen Soldaten vorschreibet“ („particuliere Kriegs-Rechte“) und aus dem römischen Recht. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt der Darstellung Danckos auf preußischen und brandenburgischen Rechtsquellen. Der 1790 publizierte Artikel ,Kriegs-Recht‘ in der Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz (1728–1796) baut ersichtlich auf Dancko beziehungsweise Zedler auf, definiert den Begriff aber präziser und fügt Weiteres hinzu:17 Kriegsrecht als Rechtsgebiet sei der „ganze Inbegriff der Kriegs-Gesetze […]; L[atein] Jus militum oder militare […] Die Kriegs Gesetze, deren Inbegriff das Kriegs-Recht ausmacht, […] können entweder uns schon aus der gesunden Vernunft bekannt seyn; oder sie sind in der h. Schrift vorgeschrieben, und können aus derselben hergeleitet werden; oder sie sind von einem Landes-Herrn gegeben worden. Im ersten Falle machen sie das natürliche, Jus militare naturale, im zweyten, das göttliche, Jus militare divinum, und im dritten das menschliche Kriegs-Recht, Jus militare humanum, aus. Das natürliche Kriegs-Recht, reicht ohne das Jus militare positivum nicht zu; und das göttliche kann, in so fern die Form der Republik des Volkes Gottes, oder die Theokratie, von den Formen der Republiken heutigen Tages unterschieden ist, nicht wohl applicirt werden. Das menschliche KriegsRecht, ist entweder das Stats- oder das Privat-Kriegs-Recht. Das Stats-Kriegs-Recht, Jus militare publicum, ist ein Inbegriff derjenigen Gesetze, welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Landes-Herren unter sich, wie auch zwischen ihnen und ihren Unterthanen, in Absicht des Krieges festsetzen. Es kommt hierbey auf Bündnisse, Vergleiche und, wenn keine vorhanden sind, auf das allgemeine Völker-Recht, Jus naturae ad gentes applicatum, auch wohl öfters auf Rationem status, an. Das Privat-Kriegs-Recht, Jus militare privatum, ist ein Inbegriff derjenigen Gesetze, welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Soldaten gegen den Kriegs-Herrn, Officiers und Andere, festsetzen.“

Vernachlässigt man das göttliche Kriegsrecht (Jus militare divinum), das nach Auffassung des Verfassers obsolet war, weil es auf die damalige Staatenwelt nicht anwendbar sei, so teilte er das Kriegsrecht also in natürliches, das heißt naturrechtliches – das „schon aus der gesunden Vernunft bekannt“ sei – und menschliches (positives) Kriegsrecht ein. Letzteres sei erforderlich, da natürliches Kriegsrecht alleine nicht ausreiche. Bei dem menschlichen Kriegsrecht wiederum sei zwischen Staats- und Privatkriegsrecht zu unterscheiden. Das Staatskriegsrecht (Jus militare publicum) regele sowohl die Beziehungen der Staaten und Fürsten unter sich als auch zwischen ihnen und den Untertanen, jeweils bezogen auf Krieg und Militär ; soweit es die Beziehungen der Staaten und Fürsten unter sich betraf, beruhe es auf positivem Völkerrecht (Bündnisse, Vergleiche) und subsidiär auf naturrechtlichem Völkerrecht. Das Privatkriegsrecht dagegen setze die Rechte und Pflichten der Soldaten gegenüber dem 17 Oekonomische Encyklopädie (wie Anm. 8), S. 642f.

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Fürsten, ihren Vorgesetzten und Anderen, das heißt gegenüber der Bevölkerung, fest. Das menschliche (positive) Kriegsrecht bestehe, so der Autor des Artikels in Krünitz’ Enzyklopädie, aus den Kriegsgesetzen des Landesherrn, nämlich den Kriegsartikeln,18 Reglements, Ordonnanzen, Edikten und anderen gedruckten rechtlichen Normen, ferner aus „Kriegs-Ordres“, also Befehlen, und Kriegsbräuchen und Observanzen.19 Die Geltung der Kriegsgesetze ging über den Kreis der Soldaten hinaus: Sie „verbinden nicht nur wirkliche Soldaten, sondern auch Weiber, Kinder und Bediente der Soldaten, und was sonst bey der Miliz in Diensten steht, und sich bey derselben aufhält“.20

Bei der Entscheidung eines Falles seien zunächst die speziellen Regelungen (Edikte, Reglements, Befehle und anderes) zu beachten, sodann – falls nicht vorhanden, also subsidiär – die Kriegsartikel, sodann Kriegsbräuche und Observanzen, sodann die allgemeinen rechtlichen Normen des Landesherren, sodann, wiederum subsidiär, die Reichsgesetze, das römische Recht und – was sich aus der Erwähnung naturrechtlichen Kriegsrechts ergibt – subsidiär auch das Naturrecht.21 Aus den Lexikonartikeln und aus ähnlichen Definitionen von Kriegsrecht in anderen Quellen22 wird deutlich, dass das Militärrecht des 18. Jahrhunderts ein heterogenes Rechtsgebiet bildete, das – in heutiger Terminologie – völker-, staats-, verwaltungs-, straf-, disziplinar- und privatrechtliche Aspekte aufwies. Quer dazu und übergreifend steht die auf den ersten Blick erstaunliche Einteilung in natürliches (naturrechtliches) und menschliches (positives) Militärrecht. Der Befund wirft vor allem zwei Fragen auf, nämlich erstens nach der systematischen Einordnung des Militärrechts innerhalb der Jurisprudenz der Zeit (dazu unten IV.1. und 3.) und zweitens nach der Materie, die im naturrechtlichen Militärrecht behandelt wurde (dazu unten IV.2.).

18 Dazu N. N., Art. ,Kriegs-Artikel‘, in: Oekonomische Encyklopädie […], Bd. 49, Berlin 1790, S. 659f. 19 Oekonomische Encyklopädie (wie Anm. 8), S. 643. Siehe auch die Einteilung der Kriegsgesetze bei Werther, Anleitung (wie Anm. 9), S. 3ff. 20 Oekonomische Encyklopädie (wie Anm. 8), S. 644. 21 Ebd.; siehe auch Rotteck, Welcker, Staats-Lexicon (wie Anm. 9), S. 13 (ohne Naturrecht). 22 Siehe die in den Anmerkungen 8 u. 9 genannten Quellen.

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III.

Diethelm Klippel

Bibliographischer Überblick

Zunächst freilich lohnt es sich, anhand bibliographischer Nachschlagewerke des 18. und 19. Jahrhunderts einen Überblick über die Literatur des Kriegs- beziehungsweise Militärrechts zu gewinnen. Eine einschlägige Spezialbibliographie gibt es bisher nicht, und die ältere und neuere Forschungsliteratur zu einzelnen Fragen der Geschichte des Militärrechts vermittelt, trotz wertvoller Hinweise, naturgemäß nur einen unvollkommenen Eindruck von der Zahl der einschlägigen Quellen. Allerdings sind die einschlägigen Titel nicht ganz einfach zu erfassen, da sie – der oben beschriebenen Heterogenität des Rechtsgebiets entsprechend – in der jeweiligen Systematik der allgemeinen Bibliographien an unterschiedlichen Stellen verzeichnet sind. So etwa finden sich in der Bibliotheca iuris selecta von 1756 in dem Kapitel, in dem unter anderem Schriften zum römischen Recht aufgelistet werden, rund 35 Titel („Scriptores […] de re militari“) und in dem Kapitel zum Reichsrecht rund 45 Titel.23 Im Registerband des Vollständigen Bücher-Lexicons von Christian Gottlob Kayser (1782–1857) für den Zeitraum von 1750 bis 1832 sind unter der Rubrik ,Privatrecht‘ (Einquartierung, Wortzusammensetzungen mit Krieg, Testament und Vorrechte der Soldaten) rund 35 Eintragungen verzeichnet, unter ,öffentliches Recht‘ (Kriegsrecht und Wortzusammensetzungen mit Krieg und Militär) rund 80 Titel, unter ,praktische Rechtswissenschaft‘ 6 Titel und unter ,Staatswissenschaften‘ (Krieg und Militär und entsprechende Zusammensetzungen auch mit juristischer Bedeutung) rund 130 Titel.24 Zum Vergleich: Ein Blick in die Bibliographie von Oskar Albert Walther von 1854 ergibt für die Zeit von 1810 bis 1852 62 Titel unter ,Militairund Kriegsrecht‘.25 Hinzu kommen angesichts der Definitionen von Kriegsrecht zahlreiche völkerrechtliche Schriften sowohl zum positiven als auch zum naturrechtlichen 23 Burkhard Gotthelf Struve, Christian Gottlieb Buder, Bibliotheca iuris selecta […], 8. Aufl., Jena 1756, S. 278–281, hier S. 920–924. 24 Christian Gottlob Kayser, Vollständiges Bücher-Lexicon enthaltend alle von 1750 bis zum Ende des Jahres 1832 in Deutschland und in den angrenzenden Ländern gedruckten Bücher […], Sachregister, Leipzig 1838, S. 334, 336, 338, 343f., 359 u. 378–380. 25 Oskar Albert Walther, Hand-Lexicon der juristischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts, Weimar 1854, S. 363–366. Hermann Theodor Schletter, Handbuch der juristischen Literatur, in systematisch-chronologischer Ordnung, von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zum Jahre 1840, 2. Aufl., Grimma, Leipzig 1851, verzeichnet rund 105 Schriften unter ,Kriegsrecht‘, das er als Teil des ,Positiven Völkerrechts‘ begreift, so dass bezeichnenderweise (siehe unten Abschnitt IV.1.) – ungeachtet der Aufnahme der gängigen Lehrbücher des Kriegsrechts – zahlreiche Materien (unter anderem Rechte und Pflichten der Soldaten, Militärgerichtsbarkeit, Militärstrafrecht und Militärprozessrecht) jedenfalls hier nicht mehr berücksichtigt werden (und auch in anderen Rubriken (etwa zum Deutschen Privatrecht, zum öffentlichen Recht und zum Strafrecht) nicht erwähnt werden.

Die Literatur des Militärrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts

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Völkerrecht, die selbstverständlich Themen wie Krieg und Frieden, das Verhalten feindlicher Soldaten gegeneinander und gegenüber der Bevölkerung behandeln. Zu berücksichtigen sind ferner – wie noch zu erläutern ist – zahlreiche Kompendien und Lehrbücher des Deutschen Privatrechts, in denen das Standesrecht des Militärs abgehandelt wird (dazu unten IV.3.). Versucht man eine Einteilung der Quellen nach bestimmten Kategorien, so lassen sich Sammlungen von rechtlichen Normen,26 Fallsammlungen, Lehrbücher und Abhandlungen zu einzelnen Themen des Militärrechts, darunter auch Dissertationen, unterscheiden. Der unvollkommene erste Überblick ergibt den auf den ersten Blick erstaunlichen Befund, dass das Militärrecht des 18. Jahrhunderts ein recht häufig behandeltes Gebiet der Jurisprudenz ist, nicht nur in zahlreichen spezifischen Veröffentlichungen, sondern auch wegen seiner Berücksichtigung im Natur- und Völkerrecht und im Deutschen Privatrecht. Freilich überrascht es bei näherer Überlegung weniger, dass es sich offensichtlich um kein Randgebiet des Rechts handelte, spielten doch Militär und Krieg in den internationalen Beziehungen, im Staatsleben und im Alltag des 18. Jahrhunderts eine erhebliche Rolle: Es wäre verwunderlich, wenn sich die Reglementierungsbestrebungen der Staaten des 18. Jahrhunderts nicht auch auf das Militär gerichtet hätten und wenn nicht auch die auf praktische Brauchbarkeit gerichtete Jurisprudenz des 18. Jahrhunderts sich nicht des Themas angenommen hätte.

IV.

Stellung innerhalb der Jurisprudenz

1.

Rechtsgelehrsamkeit und Rechtswissenschaft

Der Blick auf den Begriff des Kriegsrechts im 18. Jahrhundert hat ergeben, dass dieser Bereich des Rechts ausweislich seiner heterogenen Bestandteile der heutigen Einteilung des Rechts nicht entspricht. Das trifft auch für die Kriegsrechtsgelehrtheit27 oder Kriegs-Rechts-Gelehrsamkeit28 zu; der Jenaer Professor 26 Gelegentlich unter der Bezeichnung Corpus iuris militaris, z. B. bei Johann Christian Lünig, Corpus Iuris Militaris des Heil. Röm. Reichs, worinn das Kriegs-Recht […], Leipzig 1723. Vgl. Pierre de Briquet, Code militaire ou compilation des Ordonnances des Rois de France concernant les gens de guerre, 8 Bde., Paris 1761. 27 Gnüge, Anleitung (wie Anmerkung 9), Vorrede; Beermann, Grundsätze (wie Anm. 9), S. 5 (Kriegsrechtsgelahrtheit). Vgl. auch Engelhard, Specimen (wie Anm. 8), S. 41 (Jurisprudentia militaris). Zudem spricht Johann Georg Estor (1699–1733) von krigesrechtsgelahrheit. 28 Gnüge, Anleitung (wie Anmerkung 9), S. 10; Carl Wilhelm Friedrich Zink, Kurze Anleitung zur Kriegsrechts-Gelehrsamkeit zum Gebrauch der Herrn Officiers und Auditeurs, hrsg. v. Johann Friedrich Eisenhart, 2 Teile, Helmstädt 1782 (auch: Kriegs-Rechtsgelahrsamkeit, S. 1); Beermann, Grundsätze (wie Anm. 9), S. 17 (Kriegsrechtsgelehrsamkeit).

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Diethelm Klippel

Friedrich Andreas Gottlieb Gnüge (1712–1756) definierte sie als „Fertigkeit die Krieges Articul recht auszulegen, und solche geschickt anzuwenden“.29 Carl Wilhelm Friedrich Zink, Generalsauditeur in Braunschweig-Lüneburg, unterschied zwischen natürlicher und positiver Kriegsrechtsgelehrsamkeit; letztere sei „derjenige Theil der positiven Rechtsgelahrsamkeit, welcher diejenigen Wahrheiten deutlich und gründlich erkläret, die durch die in Deutschland geltenden Kriegsgesetze, bestimmten Rechte und Pflichten der Soldaten enthalten“.30

Obwohl also die Kriegsrechtsgelehrsamkeit als Teil der Jurisprudenz aufgefasst wurde, beklagten Gnüge und Johann Heinrich Beermann (1767–1836), dass sie an der Universität selten behandelt werde und wenig Zuhörer finde, obwohl es darum gehe, bessere Auditeure zu erhalten und die entsprechenden Kenntnisse von Offizieren, Richtern und Advokaten zu verbessern.31 Dass die Kriegsrechtsgelehrsamkeit als Teil der Jurisprudenz des 18. Jahrhunderts aufgefasst wurde, beruht darauf, dass – wie Jan Schröder nachgewiesen hat – diese „nicht als ein in bestimmter Weise zusammenhängendes Ganzes aufgefasst worden ist, sondern als eine Summe von Rechtswahrheiten, die unter verschiedenartigsten Einteilungsgründen beliebig zu Teilen der Jurisprudenz zusammengesetzt werden können, wobei nur der konkrete Lehrzweck jeweils Präferenzen unter den möglichen Einteilungsgründen schafft“.32

Darin liegt auch die Erklärung für die Heterogenität des Rechtsgebiets. Dass Lehrveranstaltungen zur Kriegsrechtsgelehrsamkeit an deutschen Universitäten des 18. Jahrhunderts stattfanden, lässt sich damit erklären, dass die Jurisprudenz der Aufklärungsepoche durchaus den Zweck der Nützlichkeit ihrer Lehre für den Staat im Auge hatte; dass sie – glaubt man den oben zitierten Autoren – selten stattfanden, mag seinen Grund in der mangelnden Nachfrage durch eine entsprechende Klientel, etwa zukünftige Auditeure, haben, aber auch darin, dass es sich um ein Rechtsgebiet handelte, das spezielle Kenntnisse über das Militär verlangte und zudem wegen der unmittelbaren Verbindung zu einem der wichtigsten Mittel der Herrschaftsausübung des Fürsten, nämlich der Kriegsführung, besondere Brisanz aufwies. Doch bedarf der Stellenwert der Kriegsrechtsgelehrsamkeit im 18. Jahrhundert in den deutschen Universitäten noch eingehender Erforschung. 29 Gnüge, Anleitung (wie Anmerkung 9), S. 10. 30 Zink, Anleitung (wie Anm. 28), S. 1. 31 Gnüge, Anleitung (wie Anmerkung 9), Vorrede; Beermann, Grundsätze (wie Anm. 9), Vorrede und S. 16. 32 Jan Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre der ,praktischen Jurisprudenz‘ auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1979, S. 113.

Die Literatur des Militärrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts

39

Das gilt auch für das Militärrecht im 19. Jahrhundert. Angesichts des auf Immanuel Kant (1724–1804) und der Historischen Rechtsschule beruhenden Übergangs der Rechtsgelehrsamkeit oder Rechtsgelehrtheit zur Rechtswissenschaft, deren Gliederung nunmehr als durch ihre Struktur beziehungsweise diejenige des Rechts selbst vorgegeben angesehen wurde, erfolgte die „Ausschließung der praktischen Jurisprudenz aus der Rechtswissenschaft“.33 Infolgedessen, so ist zu vermuten, verschwand das Militärrecht als praxisorientierte Vorlesung aus dem Lehrveranstaltungsangebot der Universitäten oder wurde weiter an den Rand gedrängt; Teile davon fanden sich im öffentlichen Recht (Johann Nepomuk Wening (1790–1831), 1821) oder wurden als „besonderes Privatrecht“ aufgefasst (Nikolaus Falck (1784–1850), 1825).34

2.

Naturrecht

Das Kriegsrecht, so – wie gezeigt – zahlreiche Quellen des 18. Jahrhunderts, sei unter anderem in das natürliche (naturrechtliche) und das menschliche (positive) Kriegsrecht zu unterteilen.35 Folglich wurde neben der positiven auch von einer natürlichen, das heißt also naturrechtlichen Kriegsrechtsgelehrsamkeit gesprochen.36 Der kurhessische Kriegsrat Regnerus Engelhard (1717–1777) verfasste einen 1754 erschienenen Überblick über das natürliche Kriegsrecht und definierte es als Teil des Naturrechts wie folgt: „Ea […] pars juris naturae, quae docet theoriam naturalem juris militaris, seu tradit ea, quae circa milites eorumque actiones naturaliter praecipiuntur, prohibentur vel permittuntur, Jus militum naturale seu universale dicitur. Ita ut sit illud, quod determinat actiones militum, qua talium, ipso iure naturae“.37

33 Zu diesem Wandel Schröder, Wissenschaftstheorie (wie Anm. 32), S. 145–168, Zitat auf S. 168. 34 Quellen bei Schröder, Wissenschaftstheorie (wie Anm. 32), S. 123–124. Dem entspricht es, dass im Sachregister der Bibliographie von Kayser (siehe Anm. 24) die im 18. Jahrhundert im Kriegsrecht beziehungsweise in der Kriegsrechtsgelehrsamkeit behandelten Materien nunmehr entsprechend der neuen Auffassung über die Struktur der Rechtswissenschaft teils unter ,Privatrecht‘, teils unter ,öffentlichem Recht‘, teils unter ,praktischer Rechtswissenschaft‘ und teils unter ,Staatswissenschaften‘ behandelt werden. 35 Salzmann, De iure militari (wie Anm. 8), S. 7: „ius militare in naturale atque positivum dividimus“; Oekonomische Encyklopädie (wie Anm. 8), S. 642f.; Beermann, Grundsätze (wie Anm. 9), S. 17f. 36 So z. B. Zink, Anleitung (wie Anm. 28), S. 1: „Die Kriegs-Rechtsgelahrsamkeit ist entweder die natürliche oder die positive“. 37 Engelhard, Specimen (wie Anm. 8), S. 39.

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Diethelm Klippel

All dies wirft erstens die Frage auf, welche Themen im natürlichen Kriegsrecht behandelt wurden; zweitens ist die Funktion des natürlichen Kriegsrechts insbesondere im Verhältnis zum positiven Kriegsrecht zu untersuchen. Führt man sich die zeitgenössischen Ausführungen zu Begriff und Gegenständen des natürlichen Kriegsrechts und zu den einzelnen Teilen des Naturrechts vor Augen, so umfasst das naturrechtliche Kriegsrecht zum einen völkerrechtliche Fragen, die mit Militär, Krieg und Frieden zu tun haben. Dies beruht darauf, dass das Naturrecht in großen Teilen identisch mit Völkerrecht war, ergänzt durch spezielle Regeln.38 Unter anderem Dancko, das UniversalLexicon Zedlers und die Enzyklopädie von Krünitz verwiesen daher im Zusammenhang mit dem Kriegsrecht jeweils auf die Anwendbarkeit des allgemeinen Völkerrechts.39 Zum anderen beschäftigte sich das Naturrecht (als Allgemeines Staatsrecht, ius publicum universale) auch mit den Rechten und Pflichten von Herrscher und Untertanen im Staat40 und damit auch mit den Pflichten und Rechten der Soldaten im Staat, deren Grundlagen, militärischen Delikten und Strafen sowie mit der Militärgerichtsbarkeit.41 Insbesondere ergebe sich die Pflicht der Untertanen, Militärdienst zu tun, schon aus dem Naturrecht,42 desgleichen das Recht des Soldaten auf Unterhalt.43 Soldaten stünden überhaupt auch als Menschen und Untertanen Rechte zu – dies aber nicht, wenn sie militärischen Pflichten zuwiderliefen.44 Das naturrechtlich begründete Zurücktreten der allgemeinen Rechte der Soldaten gegenüber ihren militärischen Pflichten entspricht nicht nur den Besonderheiten des Militärdienstverhältnisses, sondern stimmt auch damit überein, dass das sogenannte Ältere Naturrecht der deutschen Aufklärung die Rechte des Herrschers gegenüber den Untertanen in den Vordergrund stellte und insofern und aus zahlreichen anderen Gründen als politische Theorie des Absolutismus und des Reformabsolutismus einzuordnen ist.45 Es wäre verwunder38 Zum Zusammenhang: Diethelm Klippel, Michael Zwanzger, Krieg und Frieden im Naturrecht des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Werner Rösener (Hrsg.), Staat und Krieg. Vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000, S. 136–155; dies., Naturrecht als Friedensordnung, in: Hinrich Rüping (Hrsg.), Die Hallesche Schule des Naturrechts, Frankfurt am Main u. a. 2002, S. 95–118; zusammenfassend Diethelm Klippel, Art. ,Rechtsphilosophie und Naturrecht‘, in: Enzyklopädie der Neuzeit 10 (2009), Sp. 715–740, hier Sp. 722. 39 Siehe die Zitate bei den Anmerkungen 15 bis 17; ferner Friderici, Gründliche Einleitung (wie Anm. 9); Beermann, Grundsätze (wie Anm. 9), S. 18. 40 Dazu z. B. Diethelm Klippel, Die Allgemeine Staatslehre um 1800, in: Arndt Kiehnle u. a. (Hrsg.), Festschrift für Jan Schröder, Tübingen 2013, S. 423–441. 41 Siehe den Inhalt des Buches von Engelhard, Specimen (wie Anm. 8). 42 Engelhard, Specimen (wie Anm. 8), S. 15; Beermann, Grundsätze (wie Anm. 9), S. 150ff. 43 Beermann, Grundsätze (wie Anm. 9), S. 303. 44 Engelhard, Specimen (wie Anm. 8), S. 113ff. 45 Diethelm Klippel, Politische Freiheit und Freiheitsrechte im deutschen Naturrecht des 18. Jahrhunderts, Paderborn 1976, S. 92–107; ders., Martin Fuhrmann, Der Staat und die

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lich, wenn dies nicht auch beim naturrechtlichen Kriegsrecht der Fall wäre. Auch im Übrigen erfüllte das natürliche Kriegsrecht, folgt man der Begründung Engelhards für dessen Notwendigkeit und Nutzen, dieselben Funktionen wie das Naturrecht generell, nämlich als Grundlagenfach und als subsidiär geltendes Recht: Ohne das natürliche Kriegsrecht könnten Kriegsgesetze nicht gegeben, nicht verstanden und nicht richtig angewandt werden; es greife zudem als subsidiäres Recht ein.46 Dementsprechend sei die Kriegsrechtsgelehrsamkeit ohne Kenntnis des natürlichen Kriegsrechts nicht möglich.47 Fragt man nach der praktischen Bedeutung dieser Vorstellungen im Alltag der Anwendung des Kriegsrechts, so fällt eine Antwort mangels einschlägiger Untersuchungen schwer. Lediglich das auf militärische Fragen bezogene naturrechtliche Völkerrecht spielte – wie das naturrechtliche Völkerrecht generell – eine größere Rolle im politischen Diskurs der Zeit, wie zwei Beispiele zeigen sollen. Das erste betrifft die eher weltfremde Frage, ob der Gebrauch des Pulvers im Krieg naturrechtswidrig sei.48 Der Verfasser, der Schriftsteller und preußische Regierungspräsident Johann Michael von Lo[n (1694–1776), argumentierte, dass der Gebrauch des Pulvers bei der Kriegsführung in der Tat naturrechtswidrig sei und in einem Vertrag aller Staaten in Europa verboten werden solle.49 Die zweite hier zu erwähnende Schrift betrifft die Behandlung von Kriegsgefangenen.50 Der Verfasser wandte sich gegen die in einer anderen Schrift vertretene Behauptung, Kriegsgefangene seien ihrem Gegner zu Treue, Gehorsam und (Kriegs-)Diensten verbunden, da sie Eigentum des Siegers würden.51 Ein Soldat sei seinem Fürsten zu Gehorsam verpflichtet, es sei denn, dieser befreie ihn davon.52 Da er aber weder Eigentum des Siegers werde, noch unter dessen unumschränkte Herrschaft gelange, sondern nur in dessen Verwahrung, so löse sich die Verbindung mit dem vorigen Fürsten nicht auf;53 folglich sei der

46 47 48 49 50 51 52 53

Staatstheorie des aufgeklärten Absolutismus, in: Helmut Reinalter, Harm Klueting (Hrsg.), Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich, Wien u. a. 2002, S. 223–243; zusammenfassend Klippel, Art. ,Rechtsphilosophie und Naturrecht‘ (wie Anm. 38), Sp. 720–723. Engelhard, Specimen (wie Anm. 8), Praefatio u. S. 39f. Ebd., S. 41. Johann Michael von Lo[n, Bedencken von der Schädlichkeit der Festungen und dem wider das Natur- und Völcker-Recht lauffenden Gebrauch des Pulvers, Frankfurt am Main 1748. Ebd., S. 16ff. [Anonymus], Kurtze nach denen bekannten Regeln des Natur- und Völcker-Rechts angestellte Prüfung einer Schrifft welche das Verhalten derer Soldaten und Unterthanen eines in Krieg verwickelten Staats in denen gewöhnlichen Fällen bestimmen soll, [o. O.] 1756. So [P. Falckenstein], Das Verhalten derer Soldaten und Unterthanen eines in Krieg verwikkelten Staats in denen gewöhnlichen Fällen bestimmet, Dresden 1756. [Anonymus], Prüfung (wie Anm. 50), S. 8f. Ebd., S. 19.

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Diethelm Klippel

Soldat dem Sieger gegenüber auch nicht zu Kriegsdiensten verbunden.54 Bemerkenswert an der Kontroverse ist erstens, dass sie mit natur- beziehungsweise völkerrechtlichen Argumenten geführt wurde,55 zweitens, dass sie offensichtlich auf erhebliches Interesse stieß, da zahlreiche weitere Drucke der zitierten Schriften erschienen.56 Sie kann auch als Beispiel dafür gelten, dass naturrechtlich-völkerrechtliche Vorstellungen, wenn auch kontrovers diskutiert, gerade dann ihre Wirkungskraft entfalten, wenn es im Verhältnis kriegführender Staaten keine anderen Normen gibt, insbesondere keine Vereinbarungen irgendwelcher Art; das entspricht der Funktion des naturrechtlichen Völkerrechts generell. In den einschlägigen Schriften des 19. Jahrhunderts findet sich, soweit ersichtlich, kein naturrechtlicher Bestandteil des Militärrechts mehr. Im Gegenteil: Der Tübinger Juraprofessor Christian Karl August Klotz (1776–1832) meinte 1810, Engelhard sei einer Selbsttäuschung erlegen und habe keineswegs die Existenz eines natürlichen Militärrechts bewiesen.57 Diese Entwicklung entspricht dem zunehmenden Bedeutungsverlust des Naturrechts im Laufe des 19. Jahrhunderts.58

3.

Deutsches Privatrecht

Ausführungen zum Militärrecht finden sich, wie bereits erwähnt, auch im Deutschen Privatrecht (ius teutonicum privatum) des 18. Jahrhunderts.59 Bis 54 Ebd., S. 31. 55 Eine weitere Schrift, die sich mit der in Fn. 50 zitierten Schrift auseinandersetzt, argumentierte ebenfalls natur- und völkerrechtlich: [Anonymus], Erinnerungen an der so genannten Abfertigung womit die Prüfung derjenigen Schrift welche das Verhalten derer Soldaten und Unterthanen eines in Krieg verwickelten Staats bestimmen soll angesehen werden wollen, [o. O.] 1757. 56 Jeweils 1757 und zuletzt (von der in Anm. 50 zitierten Schrift) 1797. 57 Klotz, Einleitung (wie Anm. 13), S. 490 Fußnote. 58 Dazu Diethelm Klippel, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kontinuität und Diskontinuität, in: Otto Dann, Diethelm Klippel (Hrsg.), Naturrecht – Spätaufklärung – Revolution. Das europäische Naturrecht im ausgehenden 18. Jahrhundert, Hamburg 1995, S. 270–292; zusammenfassend Klippel, Art. ,Rechtsphilosophie und Naturrecht‘ (wie Anm. 38), Sp. 730. 59 Generell zum Deutschen Privatrecht des 18. Jahrhunderts: Diethelm Klippel, Das Deutsche Privatrecht in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Hans-Peter Haferkamp, Tilman Repgen (Hrsg.), Usus modernus pandectarum. Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2007, S. 63–74; ders., Grundfragen des Deutschen Privatrechts am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Gerald Kohl u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Brauneder, Wien 2008, S. 191–206; Frank L. Schäfer, Juristische Germanistik. Eine Geschichte der Wissenschaft vom einheimischen Privatrecht, Frankfurt am Main 2008, S. 77ff.

Die Literatur des Militärrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts

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zum Ende des 18. Jahrhunderts war es allgemeine Auffassung, dass das Kriegsrecht Teil des Deutschen Privatrechts sei;60 dementsprechend kritisierte der Rezensent der Werke von Justus Friedrich Runde (1741–1807) und Wilhelm August Friedrich Danz (1764–1803) zum Deutschen Privatrecht, dass die Rechte der Soldaten darin nicht berücksichtigt worden seien.61 Allerdings war es jedenfalls am Ende des 18. Jahrhunderts umstritten, ob das Kriegsrecht ein Gegenstand des Deutschen Privatrechts sei: Karl Gottlob Rößig (1752–1806) klammerte es aus und sah darin ebenso wie Danz ein eigenständig zu bearbeitendes Rechtsgebiet.62 Desgleichen war umstritten, ob das Deutsche Privatrecht generell das ius patriae außerhalb des römischen Rechts und des Kirchen- und Naturrechts behandeln sollte, also einschließlich unter anderem des Polizei- und Kameralrechts, oder ob ihm ein engerer Begriff des Privatrechts zugrundezulegen sei.63 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts jedenfalls setzte sich die Ansicht durch, das Deutsche Privatrecht umfasse lediglich die Rechte und Pflichten der Bürger untereinander ; damit verblieb das im engeren Sinne privatrechtliche Standesrecht der Soldaten im Deutschen Privatrecht (gelegentlich einschließlich der Rechte und Pflichten gegenüber dem Kriegsherrn und den Vorgesetzten), während das Staatskriegsrecht ausschied. Die Zugehörigkeit des Kriegsrechts beziehungsweise der Kriegsrechtsgelehrsamkeit zum Deutschen Privatrecht wird unter mehreren Aspekten verständlich. Erstens beruhte das Kriegsrecht vorwiegend auf einheimischen, ,deutschen‘ Rechtsquellen. Das Deutsche Privatrecht diente im 18. Jahrhundert gerade dazu, einheimische Rechtsquellen zu behandeln und zu systematisieren. Ein entsprechendes Bedürfnis ergab sich daraus, dass das römische Recht subsidiär galt, vorhandene einheimische Rechtsquellen ihm gegenüber also Vorrang hatten. Das Deutsche Privatrecht als Teil der Jurisprudenz erfüllte also, getragen vom Nützlichkeitsdenken der Aufklärung, das vom absolutistischen Staat geförderte Bedürfnis, zukünftigen Staatsdienern einen Überblick über das einheimische Recht – darunter auch das Kriegsrecht – und entsprechende 60 So z. B. Wilhelm August Rudloff, Vorbereitung zu einem Collegio über das teutsche PrivatRecht und dem [sic!] Reichs-Proceß an seine Zuhörer, Bützow 1769, S. 5f.; Beermann, Grundsätze (wie Anm. 9), S. 18 (Rechte und Pflichten der Soldaten allgemein als Teil des gemeinen deutschen Privatrechts, der Soldaten eines speziellen Heeres als besonderes deutsches Privatrecht); Gottlieb Hufeland, Einleitung in die Wissenschaft des heutigen deutschen Privatrechts nebst einem Entwurfe einer vollständigen Darstellung derselben, Jena 1796, S. 94ff.; Wilhelm August Friedrich Danz, Handbuch des heutigen deutschen Privatrechts, Bd. 1, 2. Aufl., Stuttgart 1800, S. 20 (das Kriegsrecht sei ein besonderes deutsches Privatrecht, das als eigene Rechtsdisziplin bearbeitet werde); Adolph Michaelis, Grundriß zu Vorlesungen über das deutsche Privatrecht, Tübingen 1819, 7. Buch, I. 61 [Anonymus], Allgemeine Literatur-Zeitung, 1797, Bd. 1, S. 129–141, hier S. 134. 62 Karl Gottlob Rößig, Erste Grundsätze des deutschen Privatrechts, Leipzig 1797, S. 2f.; Danz, Handbuch (wie Anm. 60). 63 Zur Diskussion siehe Klippel, Grundfragen (wie Anm. 59), S. 196ff.

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Diethelm Klippel

Kenntnisse zu vermitteln. Diese Aufgabe spiegelt sich zweitens darin, dass das Deutsche Privatrecht jedenfalls bis Ende des 18. Jahrhunderts auch – in heutiger Terminologie – öffentlich-rechtliche Materien behandelte. Das ergab sich zum einen daraus, dass privatrechtliche und öffentlich-rechtliche, vor allem polizeirechtliche Regeln in der Zeit des Absolutismus in vielfacher Weise ineinandergriffen, wie sich gerade am Beispiel des Kriegsrechts zeigt. Zum anderen mussten in einem ständisch strukturierten Staat die unter anderem auf Privilegien beruhenden Besonderheiten auch in den Disziplinen der Rechtswissenschaft berücksichtigt werden; dies geschah unter anderem im Deutschen Privatrecht, das die einzelnen Stände (darunter Soldaten) behandelte, unabhängig davon, ob sich wegen der Wichtigkeit des Standes und der Flexibilität der Rechtsgelehrtheit des 18. Jahrhunderts bereits eine eigenständige Rechtsdisziplin wie die Kriegsrechtsgelehrsamkeit ausgebildet hatte. In der Zeit um 1800 änderten sich die Bedingungen, unter denen sich das Kriegsrecht und die Kriegsrechtsgelehrsamkeit im 18. Jahrhundert ausgebildet hatten. Zu nennen sind hier der Strukturwandel des Militärs und dessen veränderte Stellung im Staat einschließlich der in vielen Staaten zu beobachtenden Heeresreformen; die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf das Militärrecht bedürfen im Einzelnen noch der Erforschung.64 Hinzu kommen auf dem Gebiet des Rechts der bereits erwähnte Wandel von der Rechtsgelehrsamkeit zur Rechtswissenschaft und die zunehmende deutliche Trennung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, die mit einer Verengung des Privatrechtsbegriffs einherging. Das Militärrecht, das ja öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Elemente enthielt, ganz zu schweigen von naturrechtlichen und völkerrechtlichen Bestandteilen, stand quer zu dieser Entwicklung: Von einer ,Militärrechtswissenschaft‘ ist mit dem Verschwinden der praktischen Jurisprudenz im 19. Jahrhundert nicht mehr die Rede. Das Militärrecht führte folglich, trotz seiner praktischen Wichtigkeit, im 19. Jahrhundert eine Randexistenz und wurde in der Rechtswissenschaft partikularisiert: Teile von ihm wurden im Strafrecht, im öffentlichen Recht, im Völkerrecht und im Privatrecht, solange dieses ständisch geprägt war, behandelt.

V.

Inhalt

Es bleibt die Frage zu beantworten, welche Gegenstände und Probleme im Einzelnen im Kriegsrecht beziehungsweise in der Kriegsrechtsgelehrsamkeit behandelt wurden (soweit sich das nicht bereits aus dem bisher Gesagten ergibt). Auch hier kann es nur darum gehen, einen ersten Überblick zu gewinnen. 64 Siehe aber jetzt Kesper-Biermann, Reformen (wie Anm. 5).

Die Literatur des Militärrechts im Deutschland des 18. Jahrhunderts

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Stellt man die in den zitierten Grundrissen und Lehrbüchern des Kriegsrechts behandelten Themen zusammen, so stößt man zunächst auf wenig Überraschendes. Die Autoren gingen zunächst auf das Rechtsgebiet generell und auf die entsprechenden Rechtsquellen und rechtlichen Normen ein. Das Völkerrecht wurde erwähnt, aber meist ausgeklammert. Es folgen Ausführungen zur Organisation des Heeres, zu Begründung und Verlust des Soldatenstandes und zu den Rechten und Pflichten der Soldaten. Einen beachtlichen Teil der Publikationen nimmt das Militärstrafrecht ein. Ebenso behandelt wurden die Gerichtsverfassung und das Prozessrecht. Auf den zweiten Blick lassen sich freilich zahlreiche juristische Probleme und Konflikte erkennen; insofern sind insbesondere die einschlägigen Fallsammlungen ergiebig.65 Wenig überraschend wiederum sind zahlreiche Urteile zu Fragen der Befehlsverweigerung, der Meuterei und der Kapitulation. Daneben wird deutlich, dass in Theorie und Praxis umstritten war, wie im Falle einer Konkurrenz oder Kollision von rechtlichen Normen des Militärs mit den für alle Untertanen geltenden rechtlichen Normen zu entscheiden war. Dem entspricht es, dass auch kontrovers sein konnte, ob ein Fall unter die Jurisdiktion eines Kriegsgerichts oder eines ,normalen‘ Gerichts fiel; das galt sowohl für zivilrechtliche als auch für strafrechtliche Angelegenheiten.

VI.

Zusammenfassung

1. Unter dem Begriff des Militärrechts – im 18. Jahrhundert als Kriegsrecht bezeichnet – sind die rechtlichen Normen zu verstehen, welche die innere Verfassung und Verwaltung des Militärs (einschließlich der Rechte und Pflichten der Soldaten), dessen Außenbeziehungen zur Bevölkerung und zum Staat und das Verhalten in kriegerischen Auseinandersetzungen regelten. Unterteilt wurde das Kriegsrecht in natürliches (naturrechtliches) und menschliches (positives) Kriegsrecht, letzteres wiederum in Staats- und Privatkriegsrecht. 2. Ausweislich der zahlreichen Veröffentlichungen zum Kriegsrecht im 18. Jahrhundert handelte es sich nicht um ein Randgebiet des Rechts. Dies entspricht der Wichtigkeit des Militärs für den Staat des 18. Jahrhunderts. 3. Mit dem Kriegsrecht befasste sich die Kriegsrechtsgelehrsamkeit als eine an der Universität gelehrte Teildisziplin der Rechtsgelehrsamkeit. 65 Z. B. Sammlung von Kriegsrechts-Sprüchen, Erörterung zweifelhafter Fälle und Urthel, zum Gebrauche derer, die Richter, Auditeurs oder Beysitzer in Kriegs-Gerichten abzugeben gedenken. Aufs neue hrsg. v. Christoph Conrad Wilhelm Friderici, Leipzig 1762. Der Herausgeber erwähnt, dass er Kriegsrecht an der Universität Leipzig gelehrt habe (siehe Vorbericht).

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Diethelm Klippel

4. Als Bestandteil des Kriegsrechts (bzw. der Kriegsrechtsgelehrsamkeit) erfüllte das natürliche Kriegsrecht (beziehungsweise die naturrechtliche Kriegsrechtsgelehrsamkeit) dieselben Funktionen wie das Naturrecht generell, nämlich als theorieorientiertes Grundlagenfach und als subsidiär geltendes Recht. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verschwand das naturrechtliche Kriegsrecht als Bestandteil des Rechtsgebiets. Naturrechtlich geprägt war auch das Völkerrecht, dessen einschlägige Gegenstände zwar als Teil des Kriegsrechts genannt, aber meist nicht in den entsprechenden Lehrbüchern behandelt wurden. 5. Kriegsrecht und Kriegsrechtsgelehrsamkeit wurden im 18. Jahrhundert in der Regel als Teil des Deutschen Privatrechts (als Rechtsgebiet und als Universitätsdisziplin) aufgefasst. Das beruht darauf, dass das Deutsche Privatrecht im Gegensatz zum römischen und kanonischen Recht und zum Naturrecht einheimische Rechtsquellen behandelte und damit auch das Kriegsrecht. Das Ausmaß der Zugehörigkeit des Kriegsrechts zum Deutschen Privatrecht war insbesondere am Ende des 18. Jahrhunderts umstritten. Infolge der zunehmenden Trennung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht und der Verengung des Privatrechtsbegriffs verblieb nur das privatrechtliche Standesrecht der Soldaten im Deutschen Privatrecht des 19. Jahrhunderts. Weitere Teile des Militärrechts wurden im Strafrecht, im öffentlichen Recht und im Völkerrecht behandelt. 6. Juristische Kontroversen und Konflikte in Theorie und Praxis des Kriegsrechts des 18. Jahrhunderts im Einzelnen, einschließlich der Wechselwirkung zwischen Rechtsgelehrsamkeit, rechtlichen Normen und Lebenswelt, bedürfen der weiteren Erforschung.

Sylvia Kesper-Biermann

Das ,Stiefkind‘ der Rechtswissenschaft.1 Militärstrafrecht im Deutschland des 19. Jahrhunderts

I.

Einleitung

Am 8. September 2009 rehabilitierte der deutsche Bundestag alle Soldaten, die zwischen 1933 und 1945 nach Paragraph 57 des Militärstrafgesetzbuches wegen Kriegsverrats verurteilt worden waren. Dem schließlich einstimmig getroffenen Beschluss waren lange Diskussionen vorangegangen und in der Entscheidungsfindung hatten, wie der von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen eingebrachte Gesetzentwurf erläuterte, neue Ergebnisse der geschichtswissenschaftlichen Forschung eine wichtige Rolle gespielt.2 Ereignisse wie dieses oder wie die schon 2002 erfolgte Aufhebung der NS-Urteile wegen Desertion3 bringen das Wehr- beziehungsweise Militärstrafrecht und seine Geschichte in das öffentliche Bewusstsein. Das gilt, wie die Beispiele zeigen, insbesondere für die Zeit des Nationalsozialismus. Die Militärstrafgerichtsbarkeit zwischen 1934 und 1945 ist gut erforscht und von Manfred Messerschmidt zusammenfassend dargestellt worden. Über die Wurzeln dieser Strafbestimmungen für die Angehörigen der Streitkräfte im 19. Jahrhundert ist hingegen wenig bekannt.4 Im Folgenden wird in drei Schritten ein Überblick über die Entwicklung des Militärstrafrechts in 1 Formulierung in Anlehnung an Karl Hecker, Ueber das Verhältniß des Civilstrafrechts zum Militärstrafrecht und den Begriff Militärpersonen. Sammlung der in Goltdammer’s Archiv für Strafrecht und im Gerichtssaal erschienenen Abhandlungen des Verfassers nebst Einleitung und Schlussbemerkung, Berlin 1885, S. 3. 2 Vgl. die Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 8. 9. 2009, verfügbar unter : (17. 8. 2014); Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 1. 7. 2009, Drucksache 16/ 13654, verfügbar unter : (29. 6. 2016). 3 Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 23. 7. 2002, in: Bundesgesetzblatt 2002, Teil I, Nr. 51, S. 2714. 4 Manfred Messerschmidt, Die Wehrmachtjustiz 1933–1945, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Paderborn u. a. 2005. Forschungsüberblick bei Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2002, S. 200–213.

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Sylvia Kesper-Biermann

Deutschland von der um 1800 einsetzenden Reform der frühneuzeitlichen Rechtsgrundlage bis zur Vereinheitlichung im Deutschen Reich 1872 gegeben. Im Mittelpunkt stehen die Militärstrafgesetzbücher, also das materielle Strafrecht; die Anwendung der Normen vor Gericht, die Rechtspraxis, kann hingegen nicht berücksichtigt werden und auch das Militärstrafverfahren wird nur am Rande einbezogen. Der erste Teil gibt einen Überblick über die Militärstrafgesetzbücher des 19. Jahrhunderts, ihren Aufbau, Inhalt und Geltungsbereich. Im zweiten Abschnitt geht es um die wissenschaftliche Bearbeitung dieses Rechtsgebietes. Drittens soll schließlich das Verhältnis von Militär und Gesellschaft in (straf)rechtlicher Perspektive behandelt werden.

II.

Militärstrafgesetzbücher: Aufbau, Inhalt, Geltungsbereich

Das 19. Jahrhundert war im Strafrecht ein Jahrhundert der Kodifikation. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts strebten die deutschen Staaten die Zusammenfassung und Systematisierung dieses Rechtsgebiets in Gesetzeswerken an; spätestens seit den 1820er Jahren gingen diese Bemühungen überall über die Sammlung und Ordnung der geltenden Strafrechtsnormen hinaus und zielten auf eine umfassende Reform des als veraltet und unzweckmäßig empfundenen, meist noch auf der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 basierenden so genannten gemeinen deutschen Strafrechts. Von einigen Ausnahmen abgesehen scheiterten die Kodifikationsbemühungen in der Zeit um 1800 zunächst jedoch vielfach. Lediglich Österreich, Bayern und Oldenburg verabschiedeten 1803 beziehungsweise 1813 und 1814 Strafgesetzbücher ; das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 enthielt ebenfalls einen strafrechtlichen Teil. Zu einer Welle von Kodifikationen kam es vom Ende der 1830er bis zum Beginn der 1850er Jahre, als unter anderem Sachsen, Württemberg, Baden, Hannover, Hessen-Darmstadt und schließlich Preußen – um nur die größeren deutschen Staaten zu nennen – systematische strafrechtliche Gesetzeswerke in Kraft setzten. Nach der Jahrhundertmitte wurden diese vielfach überarbeitet und auch einige der kleineren Mitglieder des Deutschen Bundes erließen erstmals Strafrechtskodifikationen. Wie weitreichend diese Entwicklung war, zeigt sich daran, dass 1869, also zwei Jahre nach der Gründung des Norddeutschen Bundes, nur noch Bremen, Mecklenburg und Schaumburg-Lippe nicht-kodifiziertes Strafrecht anwandten.5 Gleichzeitig machte die Vereinheitlichung des 5 Zu den Strafgesetzbüchern der deutschen Einzelstaaten vgl. den Überblick bei Sylvia KesperBiermann, Einheit und Recht. Strafgesetzgebung und Kriminalrechtsexperten in Deutschland vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871, Frankfurt/M. 2009, S. 136–163.

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Strafrechts in Deutschland rasche Fortschritte: Schon im Mai 1870 wurde ein Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund verabschiedet; ein Jahr später übernahm es das neu gegründete Deutsche Reich unverändert, wenn man von rein redaktionellen Modifikationen absieht.6 Obwohl der Begriff der Kodifikation die umfassende und (möglichst) abschließende Regelung eines Rechtsgebietes in einem systematisch geordneten Gesetzbuch bezeichnet,7 bezog sich die bis hierher geschilderte Entwicklung lediglich auf das ,zivile‘ Strafrecht, also auf die prinzipiell für alle Einwohner eines Staates mit Sanktionen bedrohten Handlungen und Unterlassungen. Außerhalb der Strafgesetzbücher als dem ,Kernstrafrecht‘ bestanden weitere strafrechtliche Normen, die zusammenfassend als ,Nebenstrafrecht‘ bezeichnet werden. Dabei handelte es sich zum einen um Strafbestimmungen, die in einem anderen sachlichen Zusammenhang standen, wie zum Beispiel das Zollstrafrecht.8 Zum anderen gab es spezielle Regelungen für bestimmte Personengruppen, wozu insbesondere die Militärpersonen zählten. Das Nebenstrafrecht konnte in Form einzelner Gesetze, aber auch Gesetzbücher auftreten. Im Militärstrafrecht begann sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts das Kodifikationsprinzip durchzusetzen. Den ersten Schritt in diese Richtung unternahm 1803 das Großherzogtum Baden, das allerdings keinen eigenen Kodex entwarf, sondern auf das zwei Jahre zuvor publizierte Kriegs- oder Militair-Recht des preußischen Militärjuristen Georg Wilhelm Cavan (1739–1804) verwies. Gemäß der allgemeinen Tendenz der badischen Organisationsedikte ging es dabei weniger um eine Neuordnung als um die Systematisierung und Fortschreibung des geltenden Rechtszustandes.9 Bayern erließ 1813 militärische Strafgesetze, Württemberg 1818 ein Militärstrafgesetzbuch, darauf folgten Hannover 1820 (revidiert 1841), das Großherzogtum Hessen und Sachsen 1822 (letzteres revidiert 1838), Oldenburg 1840 sowie Baden und Preußen 1845. Nach 6 Ausführlich zur Entstehung des Reichsstrafgesetzbuches von 1871: Kesper-Biermann, Einheit (wie Anm. 5), S. 297–371. 7 Vgl. Pio Caroni, [Art.] Kodifikation, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 907–922. 8 Vgl. zeitgenössisch Ernst Löbe, Das Deutsche Zollstrafrecht. Die Strafbestimmungen des Vereinszollgesetzes vom 1. Juli 1869 unter besonderer Berücksichtigung der einschlagenden Vorschriften des Strafgesetzbuchs und der Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich, sowie der Spruch- und Verwaltungspraxis der höchsten Deutschen Gerichtshöfe und Finanzbehörden erläutert, Berlin 1881. 9 Georg Wilhelm Cavan, Das Kriegs- oder Militair-Recht, wie solches jetzt bei der Königlich Preußischen Armee besteht, 2 Bde, Berlin 1801. Vgl. auch Ignaz Ortwein von Molitor, Die Kriegsgerichte und Militärstrafen im neuenzehnten Jahrhundert mit einem Rückblicke auf die Kriegsstrafen der Römer, die Kriegsgewohnheiten der alten Deutschen, und die Kriegsgesetze bis zum Beginne dieses Jahrhunderts, mit besonderer Berücksichtigung des Kriegsgesetze Oesterreichs, Preußens, Sachsens, Würtembergs, Badens, dann Frankreichs, Sardiniens und der Eidgenossenschaft, Wien 1855, S. 87–93.

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der Jahrhundertmitte brachten Österreich 1855 und Bayern 1869 eine Kodifikation zum Abschluss. Oldenburg und Sachsen nahmen 1861 beziehungsweise 1855 und 1867 Revisionen vor, Hessen-Darmstadt revidierte das Militärstrafgesetzbuch1858.10 Daraus ergibt sich, dass ein erster Schwerpunkt des Prozesses um 1820 lag und damit erheblich früher als im zivilen Strafrecht. Seit den 1840er Jahren erfolgten die (Neu)Regelungen dieses Rechtsgebiets meist parallel oder in direkter zeitlicher Nähe zur Verabschiedung von allgemeinen Strafrechtskodifikationen. Eine prominente Ausnahme bildete Preußen, das 1845 ein Militärstrafgesetzbuch, aber erst 1851 ein ziviles Strafgesetzbuch in Kraft setzte. Die Verabschiedung eines einheitlichen Militärstrafrechts für das neu gegründete Deutsche Reich erfolgte recht schnell. Schon die Verfassung des Norddeutschen Bundes hatte eine einheitliche Armee geschaffen und dem Bund die Kompetenz über die Militärgesetzgebung zugewiesen. Gemäß Artikel 61 führte die Verordnung vom 29. Dezember 1867 das in Preußen geltende Militärstrafrecht auch in den anderen Bundesstaaten ein. Eine Ausnahme bestand für Sachsen, wo 1867 eine neue Kodifikation in Kraft getreten war. Nach 1871 galten im Staatsgebiet des Deutschen Reiches zusätzlich die württembergische Kodifikation von 1818 und die bayerische von 1869. Die beiden süddeutschen Staaten hatten sich nämlich vertraglich die Geltung ihrer Vorschriften bis zum Erlass eines Reichsgesetzes zusichern lassen. Nach Beendigung des deutschfranzösischen Krieges erhielt der preußische Generalauditeur Eduard Fleck (1804–1879) im März 1871 dann den offiziellen Auftrag, einen Entwurf auszuarbeiten. Nach Beratungen in einer Expertenkommission und im Bundesrat gelangte dieser am 8. April 1872 an den Reichstag. Mit erheblichen Modifikationen stimmte das Parlament am 8. Juni zu; zwölf Tage später wurde das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich publiziert und trat zum 1. Oktober 1872 in Kraft.11 Die deutschen Staaten verfolgten mit der Kodifikation des Militärstrafrechts verschiedene Motive und Ziele.12 Zum einen ging es vor allem zu Beginn des 10 Vgl. Kesper-Biermann, Einheit (wie Anm. 5), S. 24–25; W[erner] Hülle, [Art.] Militärstrafrecht, in: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 556–559, hier Sp. 558. Berücksichtigt wurden nur die größeren deutschen Staaten. 11 Zur Entstehungsgeschichte: Axel Janda, Die Entwicklung von Militärstrafrecht und Militärstrafgerichtsbarkeit unter besonderer Berücksichtigung der Misshandlung Untergebener in der Kaiserlich Deutschen Marine, Diss. jur., Köln 1981, S. 73–80; Ernst Traugott Rubo, Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Text-Ausgabe mit Anmerkungen und Sachregister, Berlin 1872, S. 9–23. 12 Zum Folgenden ausführlich: Sylvia Kesper-Biermann, „Jeder Soldat ist Staatsbürger“. Reformen im Militärstrafrecht in Deutschland 1800–1872, in: Karl-Heinz Lutz, Martin Rink, Marcus von Salisch (Hrsg.): Reform – Reorganisation – Transformation. Zum Wandel in den deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation der Bundeswehr. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, München 2010, S. 131–151.

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19. Jahrhunderts um die Zusammenfassung und Systematisierung der verschiedenen militärstrafrechtlichen Bestimmungen. Davon versprachen sich Regierungen und Juristen sowohl eine größere Rechtssicherheit für den einzelnen Soldaten, der sich im Idealfall nun selbst einen vollständigen Überblick über verbotene Handlungen und die darauf angedrohten Strafen verschaffen konnte, als auch eine Effektivierung der Militärjustiz, die jetzt in die Lage versetzt wurde, sich auf ein lückenloses und systematisch aufgebautes Gesetzbuch zu stützen. Insofern kamen im militärischen Strafrecht Überlegungen und Zielvorstellungen zum Ausdruck, die man Ende des 18. und während des 19. Jahrhunderts allgemein mit der Kodifikation eines Rechtsgebietes verband.13 Gleichzeitig konnten die inzwischen erreichten juristischen Standards in der Gesetzgebungstechnik, wie beispielsweise die Einteilung der Kodifikationen in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil, auf das Militärstrafrecht übertragen werden. Die Verabschiedung von Militärstrafgesetzbüchern folgte zum anderen genuin militärischen Rücksichten, indem die deutschen Staaten mit ihr eine Reform der Strafbestimmungen verbanden. Hier ging es vor allem darum, die vielfach drakonischen Strafdrohungen der älteren Kriegsartikel durch neue Sanktionsformen zu ersetzen. Leibesstrafen wie das Gassenlaufen schafften die Kodifikationen weitgehend ab – mit Einschränkungen bei der Prügelstrafe. An ihre Stelle trat ein System aus Arrest-, d. h. Freiheits- und Ehrenstrafen. Die Todesstrafe wurde zwar beibehalten, kam aber kaum mehr verschärft vor. Die Gründe für diesen Wandel lagen weniger in humanitären Rücksichten als in der Notwendigkeit, auf die mit der Wehrpflicht einhergehenden Strukturveränderungen der Armee zu reagieren.14 Die auf die Söldnerheere vorangegangener Zeiten zugeschnittenen Sanktionskataloge schienen für eine Armee auf breiterer gesellschaftlicher Basis, wo „mit dem Sohne des schlichten Landmannes […] der Sohn des reichen Edelmannes“ diente,15 nicht mehr passend. Bei der Verabschiedung des Militärstrafgesetzbuches für das Deutsche Reich kamen andere Motive ins Spiel. 1872 stand die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Rechtsnormen im Vordergrund, mit der zum einen die praktischen Probleme, die durch das Nebeneinander der unterschiedlichen Militärstrafgesetzbücher, aber auch durch die Unstimmigkeiten zwischen zivilem und militärischem Strafrecht vor allem im Geltungsbereich der preußischen Kodifikation von 1845 aufgetreten waren, gelöst werden sollten. Zum anderen schätzte man die politische Funktion eines gemeinsamen Militärstrafgesetzbuches als 13 Dazu – allerdings ohne Berücksichtigung des Militärstrafrechts – Bernd Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen. Theorie und Praxis der Gesetzgebungstechnik aus historisch-vergleichender Sicht, Tübingen 2004, S. 287ff. 14 Anders Hülle, Militärstrafrecht (wie Anm. 10), Sp. 558. 15 Über den heutigen Stand der Militär-Rechtswissenschaft und Gesetzgebung, in: Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine 75 (1890), S. 179–201, hier S. 180.

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Integrationsfaktor. Nicht nur die Gleichbehandlung aller Soldaten innerhalb des Kaiserreiches war das Ziel, sondern auch die Stärkung des Zusammengehörigkeits- und Nationalgefühls. „Denn, wenn irgend etwas dazu beitragen kann, die Zusammengehörigkeit zu erzeugen, und wo sie bereits vorhanden ist, zu erhöhen, so ist es das Gefühl, unter einem und demselben Rechte zu leben“,

erklärte der Präsident der Justizprüfungskommission Heinrich Friedberg 1872 im Reichstag.16 Vor und neben den Kodifikationen bestanden in einigen deutschen Staaten insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ältere Formen militärstrafrechtlicher Regelungen fort. Sie gingen auf die 1672 vom Reichstag verabschiedeten sogenannten Kriegsartikel zurück, welche die einzelnen Territorien durch zahlreiche Einzelverordnungen ergänzt und modifiziert hatten.17 Im 18. Jahrhundert planten und verwirklichten eine Reihe von Regierungen deren Überarbeitung beziehungsweise Reform: Österreich beispielsweise erließ 1769 neue Kriegsartikel und revidierte sie 1808; Preußen unternahm entsprechende Schritte 1713, 1724, 1749, 1764, 1787, 1797 und 1808.18 Den beiden größten Staaten des Deutschen Bundes war gemeinsam, dass sie im innerdeutschen Vergleich sehr lange, nämlich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, warteten, bevor sie das Militärstrafrecht kodifizierten. Bei ihrem Eintritt in die Armee wurden die Rekruten zwar in der Tradition der Frühen Neuzeit weiterhin auf ,Kriegsartikel‘ verpflichtet. Deren Charakter hatte sich jedoch insofern verändert, als sie nun einen Auszug aus dem jeweiligen Militärstrafgesetzbuch, eine kurze Pflichtenlehre und allgemeine dienstliche Anordnung für die Soldaten enthielten.19 Der „eigentliche Zweck der Kriegsartikel“, erläuterte ein Reskript des preußischen Kriegsministeriums 1853, sei es, „die Unteroffiziere und Soldaten mit den ihnen obliegenden Pflichten, den bei Pflichtverletzungen nach den bestehenden Gesetzen zu gewärtigenden Strafen und den bei 16 Zur Bedeutung, die einheitlichen Gesetzbüchern im 19. Jahrhundert für das Nationalbewusstsein zugeschrieben wurde, vgl. Kesper-Biermann, Einheit (wie Anm. 5), S. 235ff. 17 Vgl. zum Fürstbistum Münster Jutta Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Sylvia Kesper-Biermann, Diethelm Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 115–140, hier S. 115–117. Siehe allgemein auch zum Folgenden: [Emil] Dangelmaier, Geschichte des Militär-Strafrechts, in: Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine 79 (1891), S. 271–290; Wilhelm Erben, Ursprung und Entwicklung der deutschen Kriegsartikel, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsbd. 6, Wien 1901, S. 473–529. 18 Zu Preußen: Janda, Militärstrafrecht (wie Anm. 11), S. 36–50. 19 Vgl. Max Ernst Meyer, Deutsches Militärstrafrecht, Bd. 1: Allgemeiner Teil, Leipzig 1907, S. 27–29.

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treuer Pflichterfüllung zu erwartenden Belohnungen im Allgemeinen bekannt zu machen“.20

Da die militärstrafrechtlichen Kodifikationen nur die schweren, strafrechtlich zu ahndenden Handlungen regelten, existierten neben ihnen zusätzlich disziplinarrechtliche Normen für die Sanktionierung kleinerer Verstöße. Die Disziplinarstrafordnung von 1872 verstand darunter „Handlungen gegen die militärische Zucht und Ordnung und gegen Dienstvorschriften, für welche die Militärgesetze keine Strafbestimmung enthalten“.21

Schon vor dieser reichsweiten Vereinheitlichung hatten viele deutsche Staaten in den ersten zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts die disziplinarischen Vorschriften zu Ordnungen zusammengefasst, die den Alltag beziehungsweise die Alltagsdelinquenz von Soldaten und Offizieren reglementierten. Für die Verhängung von Disziplinarstrafen war kein förmliches Gerichtsverfahren mit Urteilsspruch erforderlich, vielmehr lag die Strafgewalt bei den militärischen Vorgesetzten.22 Das Militärstrafrecht galt im 19. Jahrhundert für ,Militärpersonen‘, also für diejenigen, die im aktiven Militärdienst standen, pensioniert oder Invaliden waren. Neben den ,streitenden‘ Soldaten, Unteroffizieren und Offizieren erstreckte es sich auch auf die ,nicht-streitenden‘ Militärbeamten, -geistlichen oder –ärzte. Teilweise wurde das Militärstrafrecht im Kriegszustand unter bestimmten Bedingungen auf alle der Armee ins Feld folgenden Personen ausgedehnt.23 Soldatenfrauen und –kinder sowie Bedienstete – in der Frühen Neuzeit als Teil des ,Kriegerstandes‘ auch dessen rechtlichen Normen und Gerichtsbarkeit unterworfen – unterstellte man nun der zivilen Gesetzgebung und Rechtsprechung. Gleichzeitig wurden die Militärpersonen in allen zivilrechtli20 Reskript vom 26. 1. 1853, zit. nach Janda, Militärstrafrecht (wie Anm. 11), S. 52. Vgl. auch Eugen von Frauenholz, Das Heerwesen des 19. Jahrhunderts, München 1941, S. 34–35. 21 Paragraph 1 der Disziplinarstrafordnung für das Reichsheer vom 31. 10. 1872. Vgl. dazu Oliver C. Prinz, Der Einfluss von Heeresverfassung und Soldatenbild auf die Entwicklung des Militärstrafrechts, Göttingen 2005, S. 180–189, hier S. 180–181. Am 23. 11. 1872 wurde eine eigene Disziplinarstrafordnung für die Marine erlassen. Zum Problem der Abgrenzung zwischen Militärdisziplinar- und -strafrecht siehe Detlev Beutner, Militärjustiz und Wehrdisziplinarordnung der Bundeswehr, in: Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung (Hrsg.), Am Hindukusch und anderswo. Die Bundeswehr: von der Wiederbewaffnung in den Krieg, Köln 2005, S. 118–133), verfügbar unter : (17. 8. 2014), S. 1–4. 22 Darauf kann im Rahmen dieses Beitrages nicht näher eingegangen werden. Vgl. zu Bayern Hubert Schmid, Die Gesetzgebungsgeschichte des Militärstrafrechts für das Königreich Bayern zwischen 1806 und 1900, München 2000, S. 57ff. Zur preußischen Verordnung über die Disziplinarbestrafung in der Armee vom 21. 10. 1841 siehe Janda, Militärstrafrecht (wie Anm. 11), S. 132–140. 23 Vgl. Molitor, Kriegsgerichte (wie Anm. 9), S. 120.

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chen Angelegenheiten der bürgerlichen Justiz unterstellt.24 Im Strafrecht reduzierte sich das sachliche Regelungsgebiet der Kodifikationen zunehmend auf militärspezifische Delikte. Bei sogenannten ,gemeinen Verbrechen‘ kamen vielerorts auch bei Militärpersonen die allgemeinen Landesgesetze, und das bedeutete vornehmlich die zivilen Strafgesetzbücher, zur Anwendung.25 Das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich erklärte 1872 in Paragraph 3 eindeutig: „Strafbare Handlungen der Militärpersonen, welche nicht militärische Verbrechen oder Vergehen sind, werden nach den allgemeinen Strafgesetzen beurtheilt.“

Schon seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden die Kodifikationen häufig als Ergänzungen des allgemeinen Strafrechts verstanden und vielfach in enger Abstimmung mit diesen verfasst beziehungsweise revidiert.26 In Sachsen etwa legte die Regierung dem Landtag im Rahmen der Beratungen zum Kriminalgesetzbuch im Jahr 1837 eine überarbeitete Fassung des erst zwei Jahre zuvor verabschiedeten Revidierten Militärstrafgesetzbuchs vor, so dass beide Kodifikationen 1838 publiziert werden konnten. Genauso verhielt es sich bei den Justizreformen von 1855 und 1867. In den meisten deutschen Staaten harmonierten militärisches und ziviles Strafrecht zumindest auf der normativen Ebene aufgrund der engen Abstimmung recht gut miteinander ; nicht jedoch in Preußen. Dort geriet das Militärstrafgesetzbuch von 1845 schon bald in Konflikt mit der zivilen Kodifikation von 1851, die wesentliche Impulse aus dem französischen Strafrecht erhalten hatte. Es sei überraschend, erklärte der österreichische Landgerichtsrat Ignaz Ortwein von Molitor (geb. 1825) 1855, „daß man zur Zeit der Verfassung desselben so wenig Rücksicht auf jene Rechtsideen und Grundsätze nahm, welche schon damals in Deutschland sich vernehmbar geltend machten“.27

Diesen Zustand änderte erst das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich, das dezidiert als Ergänzung zum ein Jahr früher verabschiedeten zivilen Reichsstrafgesetzbuch konzipiert wurde. Das Militärstrafrecht entwickelte sich im 19. Jahrhundert also zu einem 24 Vgl. Nowosadtko, Militärjustiz (wie Anm. 17), S. 114. 25 Vgl. z. B. Paragraph 2 des hannoverschen Militärstrafgesetzbuches von 1841. Österreich bildete eine Ausnahme, weil das Militärstrafgesetzbuch von 1855 auch die gemeinen Verbrechen und Vergehen enthielt. Dazu Martin Damianitsch, Studien über das Militär-Strafrecht in seinem materiellen und formellen Theile mit Hinblick auf die neueren MilitärStrafgesetze und vorzugsweiser Berücksichtigung des österr. Militär-Strafgesetzbuches vom Jahre 1855, Wien 1862, S. 12. 26 Zum Folgenden den knappen Überblick bei Kesper-Biermann, Einheit (wie Anm. 5), S. 24–25. 27 Molitor, Kriegsgerichte (wie Anm. 9), S. 149.

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Spezialrecht im Hinblick auf die besonderen Anforderungen an den Beruf der Militärpersonen. Die Notwendigkeit eigens auf diesen Personenkreis zugeschnittener Gesetzbücher wurde im gesamten 19. Jahrhundert nicht bestritten. „Durch die Bestimmung des Heeres für den Krieg sind Modifikationen des allgemeinen Rechts in Bezug auf das Heer und die dem Heere angehörigen Personen notwendig bedingt“,

erläuterten die Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine 1890.28 Der Aufrechterhaltung von Disziplin und ,Manneszucht‘ kam dabei zentrale Bedeutung zu. Das hatte zur Folge, dass das Militärstrafrecht vor allem im Hinblick auf seine disziplinierende Funktion betrachtet wurde, mit der man das von den Soldaten erwünschte Verhalten erreichen konnte.29 Die Festigung des Befehlsund Gehorsamsverhältnisses spielte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Zwar verpflichtete etwa das großherzoglich-hessische Militärstrafgesetzbuch von 1858 die „Vorgesetzten“ und „Oberen“ unter Androhung von Strafen dazu, sich gegenüber ihren Untergebenen nicht herabwürdigend zu verhalten oder sie zu misshandeln.30 Doch fielen umgekehrt die Sanktionen wegen Insubordination wesentlich drastischer aus und dieses Delikt wurde sehr weit gefasst. Unter die Verletzung der Achtung und Ehrerbietung gegenüber dem Vorgesetzten fielen beispielsweise schon unbegründete Beschwerden. Als besonders strafwürdig erschienen Aufruhr und Meuterei. Mit Festungsstrafe bis zu zwei Jahren wurde schon derjenige bedroht, aus dessen Äußerungen und Handlungen „die Absicht zu erkennen“ war, „Unzufriedenheit und Ungehorsam zu erregen“, also etwa „öffentliche Äußerungen der Unzufriedenheit über Vorgesetzte oder Dienstbefehle; öffentliches Murren oder ungestüme Beschwerden über Mangel, Strapatzen oder andere ungünstige Verhältnisse“.31

Generalauditeur Carl Friccius (1779–1856) machte es 1830 den preußischen Militärjuristen ganz allgemein zur Aufgabe, in ihrer Tätigkeit dahin zu wirken, dass „das Ansehen der Vorgesetzten, worauf wesentlich die militärische Ordnung beruht, nicht ohne Noth angegriffen wird“.32

28 Über den heutigen Stand (wie Anm. 15), S. 181. 29 Vgl. allgemein Ulrich Bröckling, Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion, München 1997. 30 Großherzoglich Hessisches Militärstrafgesetzbuch. Nebst Vollzugsvorschriften, und mit Beifügung der weiteren Gesetze und Verordnungen über Vergehen und Strafen der Militärpersonen, Darmstadt 1858, hier Art. 126–136. 31 Militärstrafgesetzbuch (wie Anm. 30), Art. 121. 32 Rundschreiben vom 2. 2. 1830, zit. nach Werner Hülle, Das Auditoriat in Brandenburg-

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Wie bereits erwähnt, waren die Kodifikationen in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil eingeteilt. Der Allgemeine Teil zählte die auf jedes Delikt anzuwendenden Prinzipien auf, machte also beispielsweise Aussagen zur Strafzumessung, -milderung und –schärfung, zum Rückfall oder zur gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten durch mehrere Personen. Ferner legte er das Strafensystem, d. h. den Katalog der zulässigen Sanktionen und deren Abstufungen fest. Die Kodifikation für das Königreich Hannover von 1841 stellte folgende Skala auf:33 Gegen Unteroffiziere und Soldaten durften als Freiheitsstrafen Gefängnis, Arbeitshaus, Zuchthaus und Kettenstrafe verhängt werden; der Katalog der Ehrenstrafen umfasste Degradation, Entziehung der Ehrenzeichen, Versetzung in die Strafklasse und „Ausstoßung aus dem Militärstande“. Dazu kamen als dritte Gattung noch Strafhiebe, und zwar zwischen 25 und 300. Für Offiziere war Arrest beziehungsweise Festungsarrest als Freiheitsstrafe vorgesehen, verschiedene Formen des Verweises und des Verlustes der Stelle kamen als Ehrenstrafen hinzu. Geldstrafen wurden für Militärangehörige explizit ausgeschlossen; die Todesstrafe hingegen konnte gegen alle verhängt werden. Der Besondere Teil der Militärstrafgesetzbücher zählte die einzelnen Delikte auf und ordnete sie systematisch. Die strafbaren Handlungen konnten, wie dies beispielsweise der Rechtsprofessor Georg Beseler (1809–1888) tat, als Verletzungen spezieller Berufspflichten verstanden werden. „Die Militärpersonen haben nämlich außer den allgemeinen Staatsbürgerpflichten besondere Pflichten ihres Berufes“, erklärte er 1851 und fuhr fort: „Die Handlungen, welche ein Verletzung militärischer Berufspflichten darstellen, machen den Inbegriff der militärischen Verbrechen aus.“34

Die preußischen Kriegsartikel von 1844 stellten gleich anfangs klar, um welche Pflichten es sich im Einzelnen handelte: „Seiner Königlichen Majestät und dem Vaterland treu zu dienen, ist des Soldaten erste Pflicht. Nächstdem erfordert der Beruf des Soldaten: Kriegsfertigkeit, Muth bei allen Dienst-Obliegenheiten und Tapferkeit im Kriege, Gehorsam gegen die Vorgesetzten, ehrenhafte Führung im Dienst und außer demselben, gutes und redliches Verhalten gegen die Kameraden“.35

Preußen. Ein rechtshistorischer Beitrag zur Geschichte seines Heerwesens mit einem Exkurs über Österreich, Göttingen 1971, S. 120–121. 33 Militair-Strafgesetzbuch für das Königreich Hannover, Hannover 1841, Paragraphen 22–49. 34 Georg Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten und das Einführungsgesetz vom 14. April 1851. Nach amtlichen Quellen, Leipzig 1851, S. 78. 35 Art. 2 der Kriegsartikel vom 27. 6. 1844, abgedruckt bei Frauenholz, Heerwesen (wie Anm. 20), S. 208–219, hier S. 209.

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Diese Punkte lassen sich bei der Einteilung der strafbaren Handlungen in den Kodifikationen wiederfinden. Das hannoversche Militärstrafgesetzbuch von 1841 etwa wies die Kategorien „Vergehen wider die Subordination“, wozu Verletzung der Ehrerbietung, Ungehorsam und Meuterei gehörten, „Vergehen der Vorgesetzten gegen Untergebene“, worunter im Wesentlichen der Missbrauch der Dienstgewalt zu verstehen war, „Vergehen in Bezug auf einzelne bestimmte Dienstverrichtungen“, etwa im Wachdienst, „Desertion und ähnliche Vergehen“, Vergehen in Bezug auf den Umgang mit Militäreigentum sowie „Vergehen in Bezug auf den Dienst“, also Pflichtwidrigkeiten und –versäumnisse auf. Speziell für den Kriegszustand wurden Strafen für Verrat, „Pflichtverletzungen aus Feigherzigkeit“ sowie für Plündern und Marodieren festgelegt. Daneben zählte das Gesetzbuch einige Handlungen auf, die eigentlich im zivilen Strafgesetzbuch zu finden waren, bei deren Ahndung aber „das Militair-Dienstverhältniß eine besondere Berücksichtigung“ erforderte, unter anderem bei Majestätsbeleidigung und Diebstahl.36 Charakteristisch für das Verhältnis von Offizieren einerseits, Unteroffizieren und Soldaten andererseits war deren unterschiedliche Behandlung im Militärstrafrecht. Die den Offizieren angedrohten Strafen waren wesentlich milder und wie das schon beschriebene Strafensystem des hannoverschen Gesetzbuches von 1841 zeigte, gab es auch unterschiedliche Sanktionen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm die Differenzierung auf der Ebene der strafrechtlichen Normen zwar ab. So kannte die hessen-darmstädtische Kodifikation von 1858 nur noch ein einheitliches Strafensystem mit Freiheits-, Ehren-, Geld- und Todesstrafe.37 Doch war der Vollzug der einzelnen Strafen unterschiedlich geregelt: Arrest hieß für die Offiziere die Beschränkung des Aufenthaltsortes vornehmlich auf die eigene Wohnung und eventuell die Einschränkung der sozialen Kontakte. Für Soldaten konnte er je nach Art des Arrests Verpflegung nur mit Wasser und Brot oder Dunkelarrest bedeuten. Vor allem auf Betreiben des Reichstages wurde daher die Angleichung der Strafen im Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich weiter vorangetrieben. Die Nationalliberalen argumentierten hier mit der Rechtsgleichheit, die sie insbesondere in Preußen – im Gegensatz etwa zu den süddeutschen Staaten – durch eine in ihren Augen ungerechtfertigte Privilegierung der Offiziere verletzt sahen.38 In der militärgerichtlichen Praxis des Kaiserreichs schlug sich die in den Normen zurückgenommene Bevorzugung der Offiziere indes kaum nieder.39

36 37 38 39

Militair-Strafgesetzbuch (wie Anm. 33), Paragraphen 57–217. Militärstrafgesetzbuch (wie Anm. 30), Art. 11–44. Vgl. Wilhelm Brauer, Handbuch des deutschen Militärstrafrechts, Erlangen 1872, S. 4. Vgl. Prinz, Heeresverfassung (wie Anm. 21), S. 189.

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III.

Militärstrafrecht und Strafrechtswissenschaft

Die Regierungen und Armeeführungen der deutschen Einzelstaaten und später des Reiches maßen dem Militärstrafrecht und seiner Regelung in Gesetzbüchern im 19. Jahrhundert hohe Bedeutung zu. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass das militärische vielfach vor dem zivilen Strafrecht kodifiziert wurde. Diesem Stellenwert in der staatlich-politischen Praxis entsprach jedoch keine entsprechende Wertschätzung von Seiten der Juristen und der universitären Strafrechtswissenschaft.40 Vielmehr stellte der Rechtsprofessor Carl Georg von Wächter (1797–1880) im Hinblick auf das Rechtsgebiet 1855 fest: „In den academischen Vorlesungen, wie in unserm System fällt es ganz aus, und auch in besonderen Bearbeitungen, sei es vom positiv rechtlichen oder vom legislativen Standpunkte, wird ihm wenig Aufmerksamkeit geschenkt.“41

Daran änderte sich auch in der zweiten Jahrhunderthälfte nichts, so dass der Breslauer Justizrat und Divisions-Auditeur Karl Hecker das Militärstrafrecht 1885 weiterhin als „Stiefkind“ der Rechtswissenschaft bezeichnete. Der Strafrechtslehrer Eberhard Schmidt (1891–1977) konstatierte noch 1936 das „jugendliche Alter der Militärstrafrechtswissenschaft“.42 Tatsächlich erschöpfte sich der Großteil der nicht eben umfangreichen Literatur zum Militärstrafrecht im 19. Jahrhundert in der Sammlung und Kommentierung der geltenden rechtlichen Normen.43 Die Kompilation und Publikation von militärstrafrechtlichen Bestimmungen erschien insbesondere dort dringlich, wo es (noch) keine Kodifikation gab, wie in Preußen vor 1845 oder in Baden. Als Anlass für sein Werk bezeichnete der badische Generalauditor Wilhelm von Brauer (1809–1890) deshalb zum einen den Zustand, dass im Militärstrafrecht „die Quellen nur sehr schwer und unvollkommen zugänglich sind“. Zum anderen wollte er den an der Militärgerichtsbarkeit Mitwirkenden und den mit der Ausbildung des Offiziernachwuchses betrauten Kriegsschulen eine 40 Zum juristischen Wissen und der Jurisprudenz als Wissenschaft im 19. Jahrhundert Barbara Dölemeyer, Transfer juristischen Wissens – Wissenschaft und Rechtspolitik in K. J. A. Mittermaiers Werk und Korrespondenz, in: Johannes Fried, Thomas Kailer (Hrsg.), Wissenskulturen. Beiträge zu einem forschungsstrategischen Konzept, Berlin 2003, S. 73–85, hier S. 74. 41 Carl Georg von Wächter, Die Deutsche Strafrechtswissenschaft des XIX. Jahrhunderts und ihre Aufgaben, in: Jahrbücher der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung 1 (1855), S. 105–113. 42 Hecker, Verhältniß des Civilstrafrechts (wie Anm. 1), S. 3; Eberhard Schmidt, Militärstrafrecht, Berlin 1936, S. 8. Vgl. auch Über den heutigen Stand (wie Anm. 15), S. 179–180. 43 Zur Entwicklung der Militärstrafrechtswissenschaft in einer langfristigen, auch die Frühe Neuzeit einschließenden Perspektive: Werner Hülle, [Art.] Militärstrafrechtswissenschaft, in: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 559–562; ders., Auditoriat (wie Anm. 32), S. 92ff.

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systematische Übersicht mit Erläuterungen als Lehrmaterial an die Hand geben.44 Einen ähnlichen Zweck erfüllten auch die Kommentare zu den Kodifikationen: sie sollten die Gesetzbücher auslegen und verständlich machen.45 Mit der zunehmenden Zahl an Militärstrafgesetzbüchern entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vergleichende Übersichten über die in den größeren Staaten des Deutschen Bundes, aber auch des europäischen Auslands geltenden Vorschriften. Diese Zusammenstellungen enthielten sich in der Regel jeder Beurteilung und überließen es dem Leser, „das Gute, Rechte und Zweckmäßige aus den verschiedenen Militär-Gesetzgebungen herauszufinden und sich so selbst ein Urtheil zu bilden“.46 Eine Ausnahme bildeten die Schriften des Auditors und Professors an der Wiener Kriegsakademie Martin Damianitsch (1807–1899), dem deshalb bescheinigt wurde, er habe den Grundstein zur modernen Militärstrafrechtswissenschaft in Österreich und Deutschland gelegt. Ihm ging es darum, Mängel des geltenden Rechts aufzuzeigen und auf Verbesserungen hinzuwirken.47 „Die leitenden Grundsätze herauszufinden und von ihnen ausgehend den inneren Zusammenhang und die Art der Verwandtschaft aller juristischen Begriffe und Sätze zu erkennen“, bilde die eigentliche Kernaufgabe der Militärstrafrechtswissenschaft und sei gleichzeitig ein Desiderat, hieß es 1890.48 Bei der wie gesagt insgesamt sehr geringen Zahl an Veröffentlichungen zum Militärstrafrecht im 19. Jahrhundert ging es nämlich nicht um wissenschaftliche Bearbeitung oder Kritik. Stattdessen standen die Bedürfnisse der Praxis, also der Rechtsanwendung im Strafverfahren, im Vordergrund.49 Für diesen Zustand der Militärstrafrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert gab es verschiedene Ursachen. Eine der wesentlichen lag im Militärstrafverfahren, insbesondere in der Zusammensetzung der Militärgerichte. Denn die Aburteilung von Militärpersonen fiel im gesamten 19. Jahrhundert nicht in den 44 Wilhelm Brauer, Das badische Militärstrafrecht und Militärstrafverfahren. Zum Gebrauche für Offiziere und Kriegsbeamte, und als Leitfaden zu Vorlesungen an der Kriegsschule bearbeitet, Karlsruhe 1851, S. III–IV. 45 So z. B. Eduard Fleck, Kommentar über das Strafgesetzbuch für das Preußische Heer, Bd. 1: Militair-Strafgesetze, Neue Ausg., Berlin 1869, S. III–IV. 46 Molitor, Kriegsgerichte (wie Anm. 9), S. III. 47 Damianitsch, Studien (wie Anm. 25). Zu seiner Einordnung u. weiteren Publikationen vgl.: [Art.] Martin Damianitsch, in: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 4, Leipzig 1906, S. 438. 48 Über den heutigen Stand (wie Anm. 15), S. 190. Vgl. auch Emil Dangelmaier, Die Literatur des Militär-Rechtes. Eine militärrechtliche Studie, verfaßt anläßlich des 90. Geburtstages des Herrn General-Auditors Martin Damianitisch, Wien, Leipzig 1898, S. 30ff. 49 Vgl. Damianitsch, Studien (wie Anm. 25), S. 1; Karl Gustav von Rudloff, Handbuch des Preußischen Militairrechts, oder Darstellung der im Preußischen Heere bestehenden Grundsätze über militairische Rechts- und Polizei-Verhältnisse, Disciplin und Justizverwaltung. Mit Genehmigung seiner Majestät des Königs herausgegeben, 1. Teil, Berlin 1826, S. IV.

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Kompetenzbereich der zivilen Justiz, sondern blieb Aufgabe einer speziellen Militärgerichtsbarkeit.50 Die Militärrichter waren in Preußen ausschließlich Offiziere und keine studierten Juristen. Ihnen als juristischen Laien sollten die Gesetzeskommentare die Urteilsfindung erleichtern und ihnen rechtswissenschaftliche Grundkenntnisse und –prinzipien vermitteln, damit „nicht die Urtheilssprüche das Gepräge der Willkür“ an sich trügen.51 In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass gerade die Militärjuristen die entsprechenden Werke verfassten. Als Auditoren waren sie die einzigen Rechtsgelehrten im Prozess und konnten zwar dessen Ablauf maßgeblich beeinflussen, eine richterliche Funktion übten sie jedoch nicht aus. Vielmehr entsprach ihre Rolle der eines Rechtsberaters des militärischen Gerichtsherrn.52 Die Auditoren waren zudem nicht unabhängig, sondern in die militärische Befehls- und Gehorsamshierarchie eingebunden. Mit der Besorgnis vor disziplinarischen Maßnahmen lässt sich auch die unkritische, in der Regel rein referierende Position der meisten militärstrafrechtlichen Publikationen erklären.53 Die genannten Faktoren trugen dazu bei, Militärstrafrecht und Militärstrafrechtspflege nach außen als vergleichsweise abgeschlossene Einheiten erscheinen zu lassen. Das empfanden auch die ,zivilen‘ Juristen wie der Bonner Rechtsprofessor Hugo Haelschner (1817–1889), der das Militärstrafrecht als „ein eigenthümliches, vollständiges, eine abgesonderte Darstellung erforderndes System der Strafgesetzgebung“ charakterisierte.54 Die Kluft zum zivilen Strafrecht lag vor allem darin begründet, dass in dem Rechtsgebiet Erfordernisse der Disziplin und des Krieges eine Rolle spielten, die für das bürgerliche Strafrecht ohne Belang waren. Die militärische Strafrechtspflege galt als Ausfluss der Kommando-, nicht als Teil der Justizgewalt. Auf der Ebene der Staatsverwaltung fand das seine Entsprechung darin, dass das Militärstrafrecht in das Ressort des Kriegs- und nicht des Justizministeriums fiel.55 Ein Austausch zwischen den spezialisierten Militärjuristen und zivilen Rechtsgelehrten fand weder personell, 50 Auf das Militärstrafverfahren kann in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden. Vgl. den Überblick zu Preußen mit weiteren Nachweisen bei Manfred Messerschmidt, Das preußische Militärwesen, in: Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Handbuch der preussischen Geschichte, Bd. 3: Vom Kaiserreich zum 20. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin, New York 2001, S. 319–546, hier S. 385–390. 51 Brauer, Militärstrafrecht (wie Anm. 44), S. IV. 52 Am Beispiel Hannovers Burkhard von Bonin, Vom richterlichen Offizier zum Justizoffizier, in: Zeitschrift für Wehrrecht 9 (1944), S. 49–51, hier S. 51. Eine Ausnahme bildete Bayern, das mit der Reform des Militärstrafverfahrens 1869 die Gerichte aus Offizieren und Juristen zusammensetzte, wobei letztere jedoch immer die Minderheit bildeten. Vgl. Kristina Brümmer-Pauly, Desertion im Recht des Nationalsozialismus, Berlin 2006, S. 64–65. 53 So auch Hülle, Auditoriat (wie Anm. 32), S. 140. 54 Zit. nach Hecker, Verhältniß des Civilstrafrechts (wie Anm. 1), S. 5. 55 Vgl. Hülle, [Art.] Militärstrafverfahren, in: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 562–566.

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etwa durch berufliche Wechsel zwischen Justizbehörden, Gerichten und Universitäten – wie sie im zivilen Strafrecht vor allem vor 1850 häufig anzutreffen waren –,56 noch publizistisch-wissenschaftlich statt. Für bürgerliche Kriminaljuristen wäre ein Wechsel ins Militärfach schon allein im Hinblick auf das Sozialprestige wenig attraktiv gewesen. Der fehlende Richterstatus der Auditeure, ihre Abhängigkeit vom Befehlshaber und die schlechte Bezahlung machten das Amt wenig erstrebenswert. In der Tat gab es im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Preußen wegen der geringen Anzahl an Bewerbern Schwierigkeiten, freie Stellen zu besetzen.57 Zum Nachwuchsmangel trug zusätzlich bei, dass sich das Selbstverständnis der Militärjustizbeamten veränderte. Sie definierten sich, auch begünstigt durch steigende Anforderungen an ihre Ausbildung, zunehmend über ihr Universitätsstudium und ihre Funktion als Rechtsgelehrte und immer weniger als Militärs, auch wenn sie über einen allgemeinen Offiziersrang verfügten. General Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777–1837) urteilte in seinen Denkwürdigkeiten über die Auditeure zu Beginn des 19. Jahrhunderts: „Bisher waren sie Teile der Truppe und eigentlich selbst Militärs gewesen […] Jetzt gehörten sie keinem Truppenteil mehr an. Sie waren nur dem Namen nach Militärs; […] lebten in den größeren Städten […] mit dem Zivil, hatten nur Zivil- und Allgemeine Landrechtsgedanken und wussten nicht ein Wort mehr vom Dienst, von der Disziplin und deren Erfordernissen.“58

Einen Lehrstuhl für Militär(straf)rechtswissenschaft beziehungsweise Kriegsrecht gab es in Deutschland nicht, auch kam, wie bereits erwähnt, das Gebiet in der universitären Lehre höchstens am Rande vor. Die Klagen darüber reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück.59 Ein Grund dafür ist in der sehr kleinen Zahl künftiger Auditeure zu sehen: Selbst im ,Militärstaat‘ Preußen standen 1855 den 82 Militärjustizbeamten knapp 4.900 Stellen für bürgerliche Richter, Notare, Rechts- und Staatsanwälte gegenüber.60 Den Praktikern an den zivilen Gerichten fehlte es für eine Beschäftigung mit dem Militärstrafrecht an Praxisrelevanz; die Strafrechtsprofessoren an den Universitäten versprachen sich keinerlei Steige56 Vgl. Kesper-Biermann, Einheit (wie Anm. 5), S. 60–61, 65. 57 Vgl. Hülle, Auditoriat (wie Anm. 32), S. 156–157; Burkhard von Bonin, Justizoffiziere, in: Zeitschrift für Wehrrecht 3 (1938), S. 75–78, hier S. 77, urteilt über das preußische Heer bis zum Militärstrafgesetzbuch von 1845: „Es waren meist nicht gerade die besten und einwandfreiesten Juristen, die bei den damals gegebenen Verhältnissen für die Rechtspflege im Heere gewonnen werden konnten.“ 58 Zit. nach Hülle, Auditoriat (wie Anm. 32), S. 134. 59 Vgl. Molitor, Kriegsgerichte (wie Anm. 9), S. 2–3. 60 Zahlen bei Hülle, Auditoriat (wie Anm. 32), S. 156–157; Thomas Kolbeck, Juristenschwemmen. Untersuchungen über den Juristischen Arbeitsmarkt im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. u. a. 1978, S. 33–34.

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rung der Reputation von der Erforschung eines solch randständigen Teilbereichs der Rechtswissenschaft. Schon bei den zivilen Strafrechtskodifikationen der kleineren deutschen Staaten fanden sich aus dem letztgenannten Grund nur vereinzelt Bearbeiter und diese kamen generell überwiegend aus der Praxis und nicht aus der Wissenschaft.61 Die rege Gesetzgebungstätigkeit der deutschen Staaten im Militärstrafrecht bot ebenfalls wenig Anlass zur Auseinandersetzung mit diesem Rechtsgebiet, weil die Kodifikationsentwürfe – anders als im zivilen Strafrecht – nicht eigens zum Zweck der fachlich-wissenschaftlichen Begutachtung und Diskussion publiziert wurden. So stellte der Abgeordnete Eduard Lasker (1829–1884) 1872 im Reichstag fest: „Diesem Strafgesetzbuche fehlt die Kritik, es ist ihm anzusehen, dass die öffentliche Kritik nicht in gleicher Weise hervorgerufen worden ist“ wie bei seinem zivilen Pendant.62 Bei der Konzeption der einzelstaatlichen Militärstrafgesetzbücher saßen zudem fast ausschließlich Militärs in den jeweiligen Gremien; zivile Juristen beziehungsweise Strafrechtsexperten fand man äußerst selten. Der Strafrechtsprofessor Carl Joseph Anton Mittermaier (1787–1867) formulierte es dementsprechend als Nachteil, „daß Männer, die ihrem Berufe nach nicht Juristen sind, weniger daher die Fortschritte der Strafgesetzgebung überhaupt kennen, auf die Bearbeitung dieser speciellen Strafgesetze […] einen besondern Einfluß ausüben und nicht selten die Specialgesetzgebung in Widerspruch mit der allgemeinen bringen“.63

Der von Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) einberufene Expertenkommission, die 1872 den Entwurf des reichseinheitlichen Militärstrafgesetzbuches begutachtete und überarbeitete, gehörten beispielsweise acht Offiziere, fünf Militärjuristen und nur zwei zivile Rechtsgelehrte aus dem Justizministerium an.64 Schließlich spielte für das geringe Interesse der zivilen Strafrechtswissenschaft am Militärstrafrecht dessen postulierte Rückständigkeit eine Rolle. Dieses Urteil gründete sich nicht nur auf ein noch zu schilderndes Unbehagen gegen die Armee als Staat im Staate, sondern auch auf die Rechtsnormen. Allerdings ist in diesem Punkt zwischen formellem und materiellem Strafrecht zu unterscheiden. Weil sich die zivilen und die militärischen Strafensysteme im Zuge der Verabschiedung von Militärstrafgesetzbüchern einander annäherten und bei der Kodifikation juristische Standards der Gesetzgebungstechnik berücksichtigt wurden, erschien das materielle Militärstrafrecht im 19. Jahrhundert zumindest einigermaßen zeitgemäß. Das galt in besonderem Maße für das Militärstrafge61 Vgl. Kesper-Biermann, Einheit (wie Anm. 5), S. 113. 62 Reichstagssitzung vom 18. 4. 1872, Stenographische Berichte 1872, S. 102. 63 Carl Josef Anton Mittermaier, Ueber die neuesten Fortschritte der Strafgesetzgebung, in: Archiv des Criminalrechts 18 (1837), S. 537–560, hier S. 543. 64 Zur Zusammensetzung und Arbeit der Kommission Rubo, Militär-Strafgesetzbuch (wie Anm. 11), S. 13–16.

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setzbuch des Deutschen Reiches, das – unter anderem wegen seiner engen Anlehnung an die zivile Kodifikation von 1871 – nicht nur als „den Anforderungen der heutigen Rechtswissenschaft entsprechend“, sondern darüber hinaus im Vergleich mit den entsprechenden Gesetzbüchern des europäischen Auslands als vorbildlich beurteilt wurde.65 Gänzlich anders sah es im Hinblick auf das Strafverfahren aus. Insbesondere seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, als viele deutsche Staaten den Strafprozess nach den Grundsätzen der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und dem Anklageprinzip reformierten sowie Geschworenengerichte einführten,66 erschienen die militärischen Strafverfahren vielen Zeitgenossen hoffnungslos veraltet. Es sei „eine der wichtigsten Aufgaben der Wissenschaft, festzustellen, in welchem Umfange die modernen Rechtsprinzipien […] in einem Militär-Strafverfahren zur Anwendung zu bringen sind, so dass dasselbe den Anforderungen der Rechtswissenschaft und den Verhältnissen des Heeres entspricht“,

forderte ein anonymer Verfasser 1890.67 In Preußen und vielen anderen deutschen Staaten galt nach wie vor das Inquisitionsprinzip. Die Verhandlungen waren geheim und die Angeklagten nur mit geringen Schutzrechten ausgestattet. Während Bayern schon 1869 einen reformierten Prozess einführte, brachte im übrigen Reich erst die Militärstrafgerichtsordnung von 1898 eine, wenn auch „unzureichende“ Modernisierung des Verfahrens und dessen reichsweite Vereinheitlichung.68 Mit der Neuregelung des Militärstrafprozesses in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts ist gleichzeitig ein Wendepunkt bezeichnet, von dem an das Militärstrafrecht generell größere Aufmerksamkeit auf sich zog und auch von der universitären Strafrechtswissenschaft stärker beachtet wurde. Zahlreiche Kommentare zur Kodifikation von 1872 und Aufsätze über Geschichte und geltendes Recht erschienen; 1909 kam die erste Fachzeitschrift für dieses Rechtsgebiet, das Archiv für Militärrecht, heraus.69 In der Regel wird dieser 65 Über den heutigen Zustand (wie Anm. 15), S. 198–201, Zitat S. 198. 66 Vgl. Alexander Ignor, Geschichte des Strafprozesses in Deutschland 1532–1846. Von der Carolina Karls V. bis zu den Reformen des Vormärz, Paderborn u. a. 2002, S. 231ff. 67 Über den heutigen Stand (wie Anm. 15), S. 201. Vgl. auch Messerschmidt, Militärwesen (wie Anm. 50), S. 387. 68 So das Urteil von Werner Schubert, Zur Entstehung der Militärstrafgerichtsordnung von 1898 unter besonderer Berücksichtigung der Beratungen des preußischen Staatsministeriums und zur weiteren Entwicklung des Militärstrafverfahrens, in: ZRG (GA) 113 (1996), S. 1–39, hier S. 1. Vgl. auch die grundlegende Studie von Josef Anker, Die Militärstrafgerichtsordnung des Deutschen Reiches von 1898. Entwicklung, Einführung und Anwendung, dargestellt an der Auseinandersetzung zwischen Bayern und Preussen, Frankfurt/M. u. a. 1995. 69 Die Zeitschrift erschien bis 1919/20; ab 1936 widmete sich die Zeitschrift für Wehrrecht diesem Rechtsgebiet. Zeitgenössische Literaturübersichten liefern: G. Rotermund, Kom-

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Wandel auf das 1898 eingeführte Prinzip der Öffentlichkeit im Militärstrafverfahren zurückgeführt, mit der auch die Publikation der Urteile einherging. Die Rechtsprechung der Militärgerichte stand somit erstmals für eine wissenschaftliche Bearbeitung zur Verfügung. Die Vereinheitlichung des Militärstrafrechts in der Kodifikation von 1872 sei zunächst weitgehend folgenlos geblieben, bilanzierte etwa der Rechtsprofessor Eberhard Schmidt 1936, erst nach der Jahrhundertwende hätten sich Universitätsprofessoren mit diesem Rechtsgebiet beschäftigt.70 Dazu trug sicherlich die allgemeine Bedeutung und Wertschätzung von Militär und Militarismus im Kaiserreich und das Interesse an allem, was damit zusammenhing, bei. Die zentrale Rolle der Armee als Grundpfeiler für den neuen Nationalstaat und dessen Konsolidierung kam schon bei der Beratung der Kodifikation von 1872 im Reichstag unmissverständlich zum Ausdruck. So betonte der sächsische Abgeordnete und Oberstaatsanwalt Ludwig Friedrich Oskar Schwarze „die Bedeutung des Heeres für unsere Machtstellung, so wie für die gesamte nationale Entwickelung, die mit dieser Machtstellung untrennbar und unauflöslich verbunden ist“.71 Die kurze Blütezeit der Militärstrafrechtswissenschaft endete jedoch schon wieder mit Gründung der Weimarer Republik, deren Verfassung die Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit in Friedenszeiten vorsah.72

IV.

Militär, Staat und Gesellschaft

Die sowohl im Hinblick auf die Kodifikationstätigkeit der deutschen Staaten als auch im Hinblick auf die Wissenschaft auftretende Frage nach dem Verhältnis von militärischem und zivilem Strafrecht hatte weit über den Bereich von Recht und Gesetzgebung hinausreichende Bedeutung, weil sie das Verhältnis von Militär, Staat und Gesellschaft insgesamt betraf. So hing die Entscheidung darüber, nach welchen (Rechts-)Normen die Handlungen von Soldaten zu beurteilen, welche Strafen zu verhängen waren und welche Gerichte dies tun sollten, maßgeblich davon ab, ob man sie in erster Linie als Militärpersonen oder als Staatsbürger betrachtete. In den darüber während des gesamten 19. Jahrhunderts kontrovers geführten Debatten lassen sich unterschiedliche Konfliktmentar zum Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich. 2., verm. Auflage, Hannover 1911, S. V–VII; Dangelmaier, Literatur (wie Anm. 48), S. 22–29. 70 Vgl. Schmidt, Militärstrafrecht (wie Anm. 42), S. 10–11. 71 Sitzung vom 18. 4. 1872, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, S. 102. Vgl. allgemein Wolfram Wette, Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur, Frankfurt/M. 2008. 72 Ausgeführt durch das Gesetz zur Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit vom 17. 8. 1920. Vgl. Brümmer-Pauly, Desertion (wie Anm. 53), S. 66–75.

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parteien und –konstellationen unterscheiden, die anhand des gut untersuchten Verlaufs der bayerischen Militärstrafgesetzgebung zwischen 1813 und 1869 exemplarisch nachgezeichnet werden können.73 Die 1813 in Bayern verabschiedeten provisorischen Militärgesetze waren ein Produkt der Reformzeit. Sie behandelten nur rein militärische Delikte; hinsichtlich ziviler Straftaten verwiesen sie auf das gleichzeitig verabschiedete bürgerliche Strafgesetzbuch.74 Damit sollte dem Wandel vom Söldnerheer zur Konskriptionsarmee Rechnung getragen, die Soldaten also bei zivilen Straftaten nach denselben rechtlichen Normen beurteilt und bestraft werden wie die anderen Bürger. Dies änderte aber nicht deren Gerichtsstand. Entscheidend für die Zuständigkeit des Gerichts war nämlich nicht die Art des Vergehens, sondern – in der Tradition der Frühen Neuzeit – die Zugehörigkeit zum Militär.75 Für die Aburteilung sämtlicher, also auch der zivilen Straftaten von Militärpersonen blieben auch im gesamten 19. Jahrhundert die Militärgerichte zuständig. Das schrieb noch die Militärstrafgerichtsordnung von 1898 fest.76 Die Integration der Soldaten in die bürgerliche Rechtsordnung und damit in die bürgerliche Gesellschaft gelang also auf der Ebene des materiellen, nicht aber des formellen Strafrechts. Bayern leitete noch 1813 Arbeiten zur Kodifikation des Militärstrafrechts ein. Diese erfolgte dann jedoch nicht – wie zunächst geplant – in einem Gesetzbuch, sondern 1822 in Form einer Disziplinarstrafordnung im Rahmen der Dienstvorschriften für die Armee. Die Entscheidung für dieses Vorgehen bedeutete, dass der Landtag an der (Neu-)Regelung der Militärstrafen nicht beteiligt war. König, Armeeführung und Kriegsministerium sahen nämlich das Militär und alle seine Angelegenheiten als ausschließliches Reservat des Monarchen und Kernbereich seiner Macht an.77 Das kam im Bestätigungsrecht für die Urteile von Militärgerichten und darin zum Ausdruck, im Kriegszustand von den in den Militärstrafgesetzbüchern vorgesehenen Strafen abweichen, das hieß in der Regel, sie verschärfen zu dürfen. In der Publikationsverordnung für das sächsische Militärstrafgesetzbuch von 1838 stellte König Friedrich August II. (1797–1854) unmissverständlich fest:

73 Zum Folgenden ausführlich Schmid, Gesetzgebungsgeschichte (wie Anm. 22). 74 Vgl. dazu Esteban Mauerer, Reinhard Stauber, Verwaltung und Rechtswesen des Königreichs Bayern in der Konstitution von 1808, in: Alois Schmid (Hrsg.), Die bayerische Konstitution von 1808. Entstehung – Zielsetzung – Europäisches Umfeld, München 2008, S. 257–315, hier S. 310–315; Christian Brandt, Die Entstehung des Code p8nal von 1810 und sein Einfluß auf die Strafgesetzgebung der deutschen Partikularstaaten des 19. Jahrhunderts am Beispiel Bayerns und Preußens, Frankfurt/M. u. a. 2002, S. 258–262. 75 Insofern missverständlich Nowosadtko, Militärjustiz (wie Anm. 17), S. 115. 76 Vgl. Brümmer-Pauly, Desertion (wie Anm. 53), S. 62–63. 77 Vgl. auch Anker, Militärstrafgerichtsordnung (wie Anm. 69), S. 87–90.

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„Das Recht des Staatsoberhaupts, den Oberbefehlshaber der auf dem Kriegszustande stehenden Truppen für außerordentliche Fälle zu Erlassung und Vollziehung strengerer, und nach Befinden selbst die Todesstrafe umfassender Strafdrohungen zu ermächtigen, bleibt […] auch fernerhin in Kraft“.78

Den Parlamenten wollten Landesherren und Militärs so wenig Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten wie möglich einräumen. „Das Heer, welches zwar durch das Gesetz geschaffen wird, soll weiters mit dem Parlament nichts mehr zu thun haben. Heere der Parlamente haben sich niemals Lorbeeren auf den Schlachtfeldern erworben“,

erklärten die Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine noch 1890.79 Umgekehrt versuchten die einzelstaatlichen Landtage sowie der Reichstag, ihren Einfluss geltend zu machen, um das Militär aus seiner Rolle als unkontrollierbares Instrument in der alleinigen Verfügungsgewalt des Monarchen zu lösen. Das Militärstrafrecht bildete insofern ein besonders günstiges Gebiet, weil in Bayern wie in den anderen Verfassungsstaaten des Deutschen Bundes und im Deutschen Reich die Zustimmung der Parlamente erforderlich war, um ein Gesetzbuch verabschieden zu können.80 Im Hintergrund dieser Auseinandersetzungen stand der Einsatz des Militärs als Instrument insbesondere gegen die liberale Bewegung im Inneren. Nach den Erfahrungen der Revolution von 1848/49 gerade in dieser Frage setzte sich in Bayern die von Liberalen dominierte zweite Kammer des Landtags – unterstützt vom Justizministerium – seit den 1850er Jahren verstärkt für eine gesetzliche Regelung des Militärstrafrechts ein. Gegen den Widerstand von Armeeführung und Kriegsministerium lenkte König Ludwig II. (1845–1886) schließlich Ende der 1860er Jahre ein, wobei neben verfassungsrechtlichen Bedenken die Niederlage im Krieg von 1866 sowie die Angleichung des Militärstrafrechts an das 1861 revidierte zivile Strafgesetzbuch eine Rolle spielten. Die 1869 verabschiedete Kodifikation kam dementsprechend unter Beteiligung des Landtages zustande und erfüllte eine Reihe liberaler Forderungen nach einer stärkeren Einbindung der Armee in Staat und Gesellschaft. So orientierte sie sich bezüglich der Strafarten so weit an ihrem zivilen Pendant, dass spezielle Militärstrafen überhaupt nicht mehr vorgesehen waren. Darüber hinaus unternahm das Mi78 Verordnung vom 5. 4. 1838, abgedruckt in: Militärstrafgesetzbuch für das Königreich Sachsen nebst der Publikationsverordnung vom 5. April 1838 und einem Sachregister, Dresden o. J. [1838], S. 27–28, hier S. 28. 79 Über den heutigen Stand (wie Anm. 15), S. 182. 80 Zur Rolle der Parlamente bei der (zivilen) Strafgesetzgebung im 19. Jahrhundert Sylvia Kesper-Biermann, „…die Oeffnung, durch welche in die Brust der Gesetzgebung geschaut wird“. Zur parlamentarischen Behandlung von Strafrechtskodifikationen im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 26 (2004), S. 36–61.

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litärstrafgesetzbuch Schritte zur Gleichstellung von Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten.81 In anderen Staaten, namentlich in Preußen, gelang nichts Vergleichbares. Vielmehr sahen Monarch und Armee das Militärstrafrecht und die Disziplinierung der Soldaten dort weiterhin als geeignetes Mittel, um oppositionelles Gedankengut, sei es liberaler oder später sozialdemokratischer Prägung, aus der Armee fernzuhalten.82 Bei der Vereinheitlichung des Militärstrafrechts 1872 standen diese Fragen erneut auf der Tagesordnung – und mit der bayerischen Kodifikation von 1869 und der preußischen von 1845 zwei unterschiedliche Modelle für das Deutsche Reich zur Verfügung. Weil es das jüngste Militärstrafgesetzbuch war, konnte das bayerische zwar einigen Einfluss ausüben; bestimmend waren allerdings preußische Vorstellungen, wofür neben den Kräfteverhältnissen im Reich der vorangegangene deutsch-französische Krieg von Bedeutung war. Dass „die Preußische Militärgesetzgebung zur Befestigung und Erhaltung der mit Recht rühmend anerkannten Disziplin, welche die glorreichen Erfolge des letzten Feldzuges nicht wenig gefördert, wesentlich beigetragen hat“,

galt nämlich laut der Motive zum Entwurf als selbstverständlich.83 Den nationalliberalen Parlamentariern hingegen schien in der Vorlage der Reichsregierung vor allem die Position des Militärs vertreten und sie sahen es deshalb als ihr Anliegen an, die „unabweisbaren Ansprüche der bürgerlichen Gesellschaft“ zu vertreten. „Ist es nicht unsere Aufgabe und haben wir nicht eben nach dem Kriege erst begonnen, die Kluft in den Anschauungen zwischen Militär und Zivil auszufüllen und Beide als einheitliches Volk darzustellen, wie es sich geziemt in einem Lande, wo die allgemeine Militärpflicht eine Wahrheit ist?“,

fragte der Abgeordnete Eduard Lasker rhetorisch.84 Schon zwei Jahre zuvor hatte der Sozialdemokrat August Bebel (1840–1913) deutlich gemacht, das militärische Strafrecht trage wesentlich dazu bei, „dass das Militair als festgegliederter Stand im Staatsleben sich mehr und mehr entwickelt, dass man die Exklusivität des Militairs von dem übrigen Volke mehr und mehr aufrecht zu erhalten sucht“.85 81 Vgl. ausführlich zu Entstehung und Inhalt Schmid, Gesetzgebungsgeschichte (wie Anm. 22), S. 172–236. 82 Vgl. Anker, Militärstrafgerichtsordnung (wie Anm. 69), S. 544–546. 83 Zit. nach Schmid, Gesetzgebungsgeschichte (wie Anm. 22), S. 238. 84 Reichstagssitzung vom 18. 4. 1872, zit. nach R. Höinghaus, Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Vom 20. Juni 1872. Ausführlich ergänzt und erläutert durch die vollständigen amtlichen Motive, die Commissionsberichte und Verhandlungen des Reichstages, 2. Aufl. Berlin 1872, S. 34. 85 Sitzung des Reichstages des Norddeutschen Bundes vom 30. 3. 1870, Stenographische Be-

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Im Reichstag setzte sich somit eine Konfliktlinie fort, wie sie schon in den Einzelstaaten während der ersten zwei Drittel des 19. Jahrhunderts anzutreffen war. Typisch war ihre Verquickung mit den unterschiedlichen Forderungen von Militär und Justiz an das Militärstrafrecht. „Denn es liegt in der Natur des Gegenstandes, daß die Gegensätze der militärischen Auffassung und der juristischen vielleicht mehr wie auf irgend einem andern Gebiete auf einander platzen“,

eröffnete Regierungskommissar Heinrich von Friedberg (1813–1895) 1872 die Debatte über den Kodifikationsentwurf der Regierung. Für viele der Juristen unter den Abgeordneten wie auch in den Reihen der Regierungen waren die angemahnten Interessen der bürgerlichen Gesellschaft nämlich weitgehend gleichbedeutend mit den Forderungen von Rechtswissenschaft und Juristen an das Gesetz. Fast synonym sprach man deshalb von ,bürgerlichen Interessen‘, ,bürgerlichen Justizansichten‘ und ,allgemeinen Rechtsprincipien‘. Landgerichtsrat von Molitor brachte den Gegensatz 1860 anschaulich auf den Punkt: „Von der einen Seite verlangen die Männer des Gesetzes dringend Garantien in der gerichtlichen Verhandlung und Milde in den Strafen; von der andern Seite sind die Männer des Krieges geneigt, alle vom gemeinen Rechte geheiligten Schutzformen als unnütze Verzögerungen und Mittel der Chicane von sich zu weisen, und die Nothwendigkeit der Strenge zur Erhaltung der Subordination anzurufen. Die Einen sprechen von Freiheit, Gleichheit und Humanität, die Andern von Disciplin, Hierarchie und Strenge; – wie sollen sie sich verstehen?“86

Das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich musste, um die Zustimmung aller Beteiligten zu erhalten, wie seine Vorgänger in den deutschen Einzelstaaten als „Zwitterding von Justiz und Militär“87 den Spagat zwischen den Anforderungen von Gehorsam und Disziplin auf der einen sowie Würde und Rechtsstellung des Einzelnen auf der anderen Seite, oder anders ausgedrückt: zwischen den Ansprüchen von Militär und bürgerlicher Gesellschaft schaffen. Da die Kodifikation militärstrafrechtlicher Normen die Möglichkeit eröffnete, die jeweils favorisierten Prinzipien langfristig festzuschreiben, war der Gesetzgebungsprozess dadurch geprägt, dass alle Beteiligten versuchten, ihre Positionen in dessen Verlauf so weit wie möglich durchzusetzen. Das galt nicht nur für die parlamentarischen Beratungen, sondern auch schon für die regierungsinterne Erstellung von Entwürfen. So war es beispielsweise in Bayern schon 1848/49 zu Konflikten gekommen, weil das Justizministerium gegen den Widerstand des richte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, Berlin 1870, S. 567–568. 86 Molitor, Kriegsgerichte (wie Anm. 9), S. 4. Vgl. auch Rudloff, Handbuch (wie Anm. 49), S. VIII. 87 Lasker in der Reichstagssitzung vom 18. 4. 1872, Stenographische Berichte 1872, S. 94.

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Kriegsministeriums versucht hatte, zivilen Vorstellungen über Verbrechen und Strafen bei der Armee verstärkt Geltung zu verschaffen.88 1872 sei es Ziel der Reichsregierung gewesen, „das Militärrecht mit den leitenden Grundsätzen des bürgerlichen Rechtes in Einklang zu bringen, soweit dieses irgend ,thunlich‘ schien […] weil allerdings überall da, wo von militärischer Seite gesagt wurde, daß die besonderen Bedürfnisse der Disciplin, die Lebensbedingungen, unter denen eine Armee bestehen und in ihrer Tätigkeit erhalten werden kann, eine Gleichstellung mit den Grundsätzen des bürgerlichen Rechtes zu assimiliren, abgestanden wurde“,

erläuterte Heinrich von Friedberg das Vorgehen.89 Damit umschrieb er allerdings nur vorsichtig die Tatsache, dass Kriegsminister Albrecht Theodor Emil von Roon (1803–1879) und die Militärs ihren Einfluss beim Kaiser direkt geltend gemacht hatten, um eine ihrer Meinung nach zu weitreichende Übernahme ziviler Vorstellungen in das Militärstrafrecht zu verhindern. Der Reichstag mit seiner nationalliberalen Mehrheit erreichte jedoch einige Korrekturen in bürgerlich-juristischer Perspektive. Der Verweis auf den Stand der (Strafrechts)Wissenschaft diente den liberalen Abgeordneten in diesem Zusammenhang dazu, ihre Forderungen argumentativ zu untermauern.90 So konnten sie erreichen, dass sich das Strafensystem des Militärstrafgesetzbuches eng am bürgerlichen Strafgesetzbuch von 1871 orientierte. Lediglich der Arrest und einige Nebenstrafen (z. B. Degradation, Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes) wurden als spezielle Sanktionen für militärische Delikte aufgenommen. Der Kompromiss glückte also und die materiell-rechtliche Grundlage für die Militärstrafrechtspflege im Kaiserreich war geschaffen.

V.

Fazit

Das Militärrecht des 19. Jahrhunderts war im Wesentlichen Militärstrafrecht. Sein Geltungsbereich wurde zunehmend auf militärische Verbrechen und Vergehen von Militärpersonen eingeschränkt und deren ,gemeine‘ Straftaten nach den entsprechenden zivilen Rechtsnormen beurteilt. Der Gerichtsstand für diese Personengruppe blieb jedoch unverändert; Militärgerichte urteilten über sämtliche strafbaren Handlungen. Die militärstrafrechtlichen Normen kodifizierten zunächst die deutschen Einzelstaaten und später das Deutsche Reich in eigenen Gesetzbüchern, wobei sie spezifisch militärische, aber auch allgemein 88 Vgl. Schmid, Gesetzgebungsgeschichte (wie Anm. 22), S. 123–130. 89 Reichstagssitzung vom 18. 4. 1872, Stenographische Berichte 1872, S. 93. 90 Zu diesem Argumentationsmuster im Rahmen der zivilen Strafgesetzgebung Kesper-Biermann, Einheit (wie Anm. 5), S. 394–399.

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juristische Ziele verfolgten. Die als Grundprinzip der Armee verstandene Disziplin bildete dabei stets den leitenden Maßstab für Regierungen und Landesherren, dem rechtliche Gesichtspunkte im Zweifel unterzuordnen waren. Dass das Militärstrafrecht als eigenes, in sich abgeschlossenes Rechtsgebiet betrachtet wurde, trug unter anderem dazu bei, dass die zivile universitäre Strafrechtswissenschaft ihm erst spät Beachtung schenkte. Die wissenschaftliche Beschäftigung setzte erst um 1900 ein, vorher spielten bei den wenigen, meist von Militärjuristen verfassten Publikationen vor allem Rücksichten der Rechtspraxis eine Rolle. Im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses trafen militärisch-disziplinarische und bürgerlich-juristische Anforderungen an die Militärstrafgesetzbücher vor allem in den Parlamenten aufeinander. Im Hintergrund standen unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis von Militär und Gesellschaft. Zunächst in Bayern 1869 und – wenn auch in geringerem Ausmaß – beim Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1872 gelang auf Drängen der Liberalen eine weitgehende Angleichung von zivilem und militärischem Strafrecht. Diese bezog sich jedoch vornehmlich auf die Ebene der rechtlichen Normen, nicht auf die Rechtsanwendung der Gerichte und sie blieb zumindest in Preußen auf das materielle Strafrecht beschränkt. Trotz dieser Einschränkungen wird das Gesetzbuch von 1872 im europäischen Vergleich „das modernste seiner Zeit“91 bezeichnet; eine Einschätzung, die angesichts der zeitgenössischen Kritik an der Urteilspraxis der Militärgerichte und am Strafverfahren nur selten anzutreffen ist.

91 20. Juni 1872. Das deutsche Militärstrafgesetzbuch tritt in Kraft, Radiobeitrag des Westdeutschen Rundfunks, gesendet am 20. 6. 2007, verfügbar unter : (29. 6. 2016).

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Kontinuität oder Bruch? Die Diskussion über militär- und völkerrechtliche Bestimmungen zur Ahndung von Verstößen gegen die Bestimmungen des Ius in Bello in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts*

I.

Einleitung

Im Jahre 2002 stellte der finnische Völkerrechtler Martti Koskenniemi in seinem Werk The Gentle Civiliser of Nations die Behauptung auf, „that modern international law did not ,begin‘ at Westphalia or Vienna, and that the writing by Grotius, Vattel, G. F. Martens or even Wheaton were animated by a professional sensibility that seems distinctly different from what began as part of the European liberal retrenchments […] from 1869 onwards.“1

Damit stellte er die von vielen seiner Kollegen verfochtene These in Frage, dass zwischen den Vorstellungen vom Ius in Bello in der Frühen Neuzeit und in der französischen Revolution einerseits sowie denjenigen des späten 19. und 20. Jahrhunderts eine starke Kontinuität bestehe. Auf eine solche wurde besonders im angelsächsischen Raum großer Wert gelegt, nicht zuletzt aufgrund der dort vorherrschenden Tradition des common law.2 Im folgenden Beitrag soll der Versuch gemacht werden, die Frage zu klären, in welchem Ausmaß sich im Militär- und Völkerrecht des 19. Jahrhunderts wirklich ein Bruch feststellen lässt, respektive wie groß die Kontinuität zwischen den Vorstellungen frühneuzeitlicher Autoren und derjenigen der Epoche des so genannten ,klassischen Völkerrechts‘ war. Untersucht werden dabei Aussagen zur Frage der Ahndung von Verstößen gegen die Regeln des Ius in Bello aus der Frühen Neuzeit sowie aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. * Für wichtige Hinweise danke ich Nils Holger N8meth Berg, Martin Kintzinger und Diethelm Klippel. 1 Martti Koskenniemi, The Gentle Civiliser of Nations. The Rise and Fall of International Law 1870–1960, Cambridge 2002, S. 4. 2 Vgl. Timothy L. H. McCormack, From Sun Tzu to the Sixth Committee. The Evolution of an International Criminal Law Regime, in: ders., Gerry J. Simpson (Hrsg.), The Law of War Crimes. National and International Approaches, Den Haag 1997, S. 31–63; Benjamin B. Ferencz, Enforcing International Law – A Way to World Peace. A Documentary History and Analysis, Bd. 1, London 1983, S. 1–39.

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II.

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Die Thesen von Martti Koskenniemi

Als zentralen Ausgangspunkt für die Neuentwicklung des Völkerrechts bezeichnete Koskenniemi in seiner Studie die Gründung der Revue de Droit International et de L8gislation Compar8e Ende 1868 und des Institut de Droit International im Jahre 1873. Ziel von Zeitschrift wie Institut sei es nämlich gewesen, das Völkerrecht als Wissenschaft zu verankern und zu fördern. Gleichzeitig hätten die Beteiligten versucht, die Völkerrechtswissenschaft zur Quelle der Weiterentwicklung der Normen sowie zum Tribunal und Sanktionsorgan des bestehenden Rechts zu machen. Koskenniemi verweist in diesem Zusammenhang auf entsprechende Aussagen des Gründers der Revue de Droit International et de L8gislation Compar8e Gustave Rolin-Jaequemyns (1835–1902) sowie auf die Statuten des Institut de Droit International, die es zur Aufgabe erklärten, „de favoriser le progrHs du droit international, en s’efforÅant de devenir l’organe de la conscience juridique du monde civilis8“.3 Nur eine solche Instanz könne den Regeln des Internationalen Rechts zum Durchbruch verhelfen, denn die Staaten verstießen ebenso oft gegen internationale Abkommen wie sie sich darauf beriefen. Das Völkerrecht müsse deshalb Sache der Wissenschaft und nicht der Diplomatie sein.4 Rolin-Jaequemyns und seine Kollegen forderten entsprechend eine Reform des Rechtsstaates im liberalen Sinne. Diese dürfe allerdings nicht auf das Innerstaatliche Recht beschränkt bleiben, sondern müsse sich auch auf das Internationale Recht – sowohl das Völkerrecht als auch das Internationale Privatrecht – erstrecken. Im Bereich des Ius in Bello wurden dabei der Lieber Code von 1863 und die Genfer Konvention von 1864 als wichtige Ausgangspunkte betrachtet, um die Humanisierung des Krieges auf internationaler Ebene zu fördern und die Bekanntheit bestehender Regeln zu steigern.5 Gerade in dieser internationalen Ausrichtung auch auf die Zukunft erkennt Koskenniemi einen wichtigen Unterschied zu Ausführungen früherer Gelehrter. Die Ideen der Männer des Institut de Droit International seien nämlich von einem „esprit d’internationalit8“ getragen gewesen, der zuvor gefehlt habe. Beim Völkerrecht der Zeit vor 1850 habe es sich um ein statisches Verfahrensrecht gehandelt, welches festgelegt habe, wie Verträge geschlossen, Territorien er3 Statuts vot8s par la Conf8rence Juridique Internationale de Gand, le 10 Septembre 1873, in: Annuaire de l’Institut de Droit International [im Folgenden: AIDI] 1 (1877), S. 1–5, hier S. 1. 4 Koskenniemi, Gentle Civiliser (wie Anm. 1), S. 12–16 u. 39–41. 5 Koskenniemi, Gentle Civiliser (wie Anm. 1), S. 14–15; Betsy Baker Röben, Johann Caspar Bluntschli, Francis Lieber und das moderne Völkerrecht, Baden-Baden 2003, S. 78–80; Daniel Marc Segesser, Recht statt Rache oder Rache durch Recht? Die Ahndung von Kriegsverbrechen in der internationalen wissenschaftlichen Debatte (1872–1945), Paderborn 2010, S. 77–79 u. 96–97.

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worben und Kriege geführt werden sollten. Dieses Recht sei zudem nicht wirklich international gewesen und habe aus einer Reihe von Normen bestanden, die auf rationalen Prinzipien des Naturrechts und auf vertragsrechtlichen Elementen basiert hätten. In den Augen der Männer des Institut de Droit International sei es daher besonders wichtig gewesen, das bestehende Recht aus dieser Unbeweglichkeit und der Umklammerung durch die Diplomatie zu befreien, denn das Internationale Recht, so ihre Auffassung, werde nur mit wissenschaftlich fundierten, anpassungsfähigen und tatsächlich internationalen Normen in der Lage sein, Wirkung zu entfalten und sich an die sich verändernden Rahmenbedingungen anzupassen.6

III.

Völkerrecht und Verstöße gegen die Regeln des Ius in Bello in Antike und Mittelalter

Sowohl in europäischen wie in außereuropäischen Kulturen war der Grundsatz, wonach die Kriegführung Einschränkungen unterworfen sein müsse, seit frühester Zeit anerkannt. Inwiefern dabei allerdings rechtliche Kategorien von zentraler Bedeutung waren, ist umstritten. Während der australische Völkerrechtler Timothy McCormack schon in der Antike ein Rechtsbewusstsein im Krieg zu erkennen glaubt, zeigt sich sein deutscher Kollege Reinhard Merkel wesentlich skeptischer. Für letzteren sind die Hinweise auf das Recht in der Antike eher als „Maskerade für die blutige Rache der Sieger“ zu verstehen.7 So weit gehen weder Martin Kintzinger noch Max Kaser oder Karl-Heinz Ziegler.8 Letzterer differenziert seine Völkerrechtsgeschichte vielmehr dahingehend, dass er zwar betont, dass die Römer den Krieg erstmals als Rechtsvorgang zu begreifen suchten, gleichzeitig aber – wie in anderen antiken Kulturen – akzeptierten, dass der Kriegführung keine Schranken gesetzt waren und die militärische Auseinandersetzung somit bis zur vollständigen politischen wie physischen Vernichtung des feindlichen Gemeinwesens gehen konnte.9 Im Zentrum des römischen Diskurses über die Rolle rechtlicher Bestimmungen im Zusammenhang mit Krieg stand das nach und nach entwickelte Konzept des bellum 6 Koskenniemi, Gentle Civiliser (wie Anm. 1), S. 2 u. 20. 7 McCormack, From Sun Tzu (wie Anm. 2), S. 36–37; Reinhard Merkel, Nürnberg 1945, Militärtribunal. Grundlagen, Probleme, Folgen, in: Rechtshistorisches Journal 14 (1995), S. 491–525, hier S. 494. 8 Martin Kintzinger, Bellum iustum – gerechter Krieg oder Recht zum Krieg? in: Ulrich Lappenküper, Reiner Marcowitz (Hrsg.), Macht und Recht. Völkerrecht in den internationalen Beziehungen, Paderborn 2010, S. 3–30; Max Kaser, Ius Gentium, Köln 1993, S. 3–8 u. 52–54; Karl-Heinz Ziegler, Völkerrechtsgeschichte. Ein Studienbuch, München 1994, S. 51. 9 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (wie Anm. 8), S. 51–52.

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iustum, welches auch im frühen und hohen Mittelalter, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Kirche und der Scholastik, bestimmend blieb. Zwar existierte ein Zwischen-Mächte-Recht, wie es Heinhard Steiger bezeichnet, doch handelte es sich dabei, soweit sich dies anhand des gegenwärtigen Forschungsstandes abschätzen lässt, nicht um gemeinsame, über den Rechtsordnungen der Parteien stehende Regeln.10 Im Spätmittelalter begann sich dieser Zustand langsam zu wandeln, was unter anderem im Zusammenhang mit dem Prozess der Verdichtung von Herrschaft im Reich sowie als Folge der Weigerung mehrerer europäischer Fürsten, sich den Universalgewalten von Papst und Kaiser weiterhin zu unterwerfen, verstanden werden muss.11 Es gab erste Versuche, die Kriegführung zugunsten der Nichtkombattanten, also der nicht direkt beteiligten Zivilbevölkerung rechtlichen Regeln zu unterwerfen. Dies geschah einerseits durch erste Heeresordnungen, deren primäres Ziel allerdings die Stärkung der militärischen Disziplin war, und andererseits durch Kriegsordnungen, die wie die Statuten und Gewohnheiten des englischen Königs Richards III. (1452–1485) oder des Sempacher Briefs von 1393 den Schutz von Kirchen und Geistlichen, aber auch von Frauen regelten.12 Erstmals wurden in diesem Zusammenhang auch Personen für im Krieg begangene Verstöße gegen rechtliche Normen von den jeweiligen Herrschaftsträgern zur Rechenschaft gezogen. Die bekanntesten Beispiele dafür sind die Verurteilungen Conradins von Hohenstaufen (1252–1268) im Jahre 1268 wegen ungerechtfertigter Kriegführung sowie Peter von Hagenbachs (1420–1474) wegen der Verheerung weiter Landstriche im Rahmen der Belagerung der Stadt Breisach im Jahre 1474.13 In Anlehnung an Martin Kintzingers These einer Europäischen Diplomatie avant la lettre kann in

10 Heinhard Steiger, Zum fränkischen Kriegsrecht des karolingischen Grossreiches (741–840), in: Wilfried Fiedler, Georg Ress (Hrsg.), Verfassungsrecht und Völkerrecht. Gedächtnisschrift für Wilhelm Karl Geck, Köln u. a. 1989, S. 803–829, hier S. 805 u. 813; Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (wie Anm. 8), S. 51, 103–104, 106–109. Vgl. auch Heinhard Steiger, Die Ordnung der Welt. Eine Völkerrechtsgeschichte des karolingischen Zeitalters (741 bis 840), Köln 2010, S. 245–372. 11 Zu diesem Prozess siehe: Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490, Berlin 1985; Martin Kintzinger : Superioritas: Rechtlichkeit als Problem bei internationalen Konflikten, in: Stefan Esders (Hrsg.), Rechtsverständnis und Konfliktbewältigung. Gerichtliche und aussergerichtliche Strategien im Mittelalter, Köln 2007, S. 363–378; ders., Bellum iustum (wie Anm. 8), S. 16–29. 12 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (wie Anm. 8), S. 132. 13 McCormack, From Sun Tzu (wie Anm. 2), S. 38; Mahmoud Cherif Bassiouni, International Criminal Law. A Draft International Criminal Code, Alphen aan den Rijn 1980, S. 8; Gregory S. Gordon, The Trial of Peter von Hagenbach: History, Historiography and International Criminal Law, in: Kevin Jon Heller, Gerry Sompson (Hrsg.), The Hidden Histories of War Crimes Trials, Oxford 2013, S. 13–49.

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diesem Zusammenhang wohl auch von der Existenz eines Ius in Bello avant la lettre gesprochen werden.14

IV.

Völkerrecht und Verstöße gegen die Regeln des Ius in Bello in der Diskussion der Gelehrten der Frühen Neuzeit

Schon im Spätmittelalter griffen mehrere angesehene Juristen, so Bartolus de Saxoferrato (1313–1357) und Baldus de Ubaldis (1327–1400), die Frage des Kriegsführungsrechts auf und machten sie zum Thema von Traktaten und Gutachten.15 Ihnen folgte schließlich zu Beginn des 16. Jahrhunderts der spanische Dominikanermönch und Professor an der Universität Salamanca, Franciscus de Victoria (1483–1546), der dabei erstmals auch ausführlich die Frage der Ahndung von Verstößen gegen die Regeln des Ius in Bello thematisierte. In seinen Vorlesungen über das Recht der Spanier zum Krieg gegen die Barbaren von 1539 betonte er, dass es dem Fürsten erlaubt sei, „das von den Feinden zugefügte Unrecht [zu ahnden, D. M. S.] und gegen die Feinde [vorzugehen, D. M. S.], um sie für das Unrecht zu bestrafen“.16 Auf die Frage, wie dies geschehen solle, ging de Victoria nicht ein, er betonte jedoch, dass der Fürst nicht nur das Recht habe, die Verantwortlichen der eigenen Seite zur Rechenschaft zu ziehen, sondern auch diejenigen der feindlichen. Grundlage für sein Handeln bilde das Völkerrecht sowie das Naturrecht. De Victoria führte dabei allerdings nicht aus, was genau er darunter verstand.17 Seine Kollegen Franciscus Suarez (1548–1617) und Alberico Gentili (1552–1608) äußerten sich weniger klar zu Verstößen gegen Regeln im Krieg, sondern stellten, wie die meisten Autoren während des Mittelalters,18 die Frage des gerechten Krieges in den Vordergrund ihrer Studien. Gentili sah jedoch auch in der Verletzung der Natur- und Menschenrechte (leges naturae et hominum) einen Grund für einen bellum iustum.19 Auch wenn die Idee des gerechten Krieges weiterhin zentral blieb, gewann das schon von de 14 Martin Kintzinger, Europäische Diplomatie avant la lettre? Aussenpolitik und internationale Beziehungen im Mittelalter, in: Christian Hesse, Klaus Oschema (Hrsg.), Aufbruch im Mittelalter : Innovationen in Gesellschaften der Vormoderne. Studien zu Ehren von Rainer C. Schwinges, Ostfildern 2010, S. 245–268. 15 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (wie Anm. 8), S. 134–137. 16 Franciscus de Victoria, De Indis recenter Inventis et de Jure Belli Hispanorum in Barbaros. Relectiones, hrsg. von Walter Schätzel, Tübingen 1952, S. 135; ders., De Indis et de Iure Belli Relectiones, hrsg. von Ernest Nys, Washington, D.C. 1917, S. 280. 17 de Victoria, De Indis recenter Inventis (wie Anm. 16), S. 135; ders., De Indis et de Iure Belli (wie Anm. 16), S. 280. 18 Vgl. Kintzinger, Bellum iustum (wie Anm. 8), S. 15–16. 19 Hans-Heinrich Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Völkerstrafrecht. Eine Studie zu den Nürnberger Prozessen, Bonn 1952, S. 22.

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Victoria betonte Recht der Fürsten zur Bestrafung der für Verstöße gegen Kriegsregeln Verantwortlichen in späteren Werken an Bedeutung. Sehr viel expliziter wurde dabei darauf verwiesen, dass es sich beim begangenen Unrecht um eine strafrechtlich zu ahndende Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen handle. Zudem begann eine langsame Ablösung vom Einfluss der Moraltheologie, was zu einer Rationalisierung und Säkularisierung der Bestimmungen führte.20 Dies zeigt sich nicht zuletzt in den Formulierungen von Hugo Grotius (1583–1645). In seinem Werk De Jure Belli ac Pacis betonte er, dass das Völkerrecht auch für das Individuum unmittelbar die Rechte und Pflichten im Krieg bestimme. Die Fürsten allein seien deshalb berechtigt, „Strafen nicht nur wegen des gegen sie und ihre Untertanen begangenen Unrechts [zu, D. M. S.] fordern, sondern auch wegen Taten, die zwar eigentlich nicht sie selber treffen, aber in einzelnen Personen das Natur- oder Völkerrecht in roher Weise verletzen. […] das Recht, die menschliche Gesellschaft durch Strafen zu schützen, das anfangs dem Einzelnen zustand, ist [allerdings, D. M. S.] nach Errichtung der Staaten und Gerichte allein der Staatsgewalt verblieben, […].“21

Kollektivstrafen lehnte Grotius ab und forderte, dass bei der Bestrafung von Kriegsgefangenen, die sich während des Krieges eines Verstoßes gegen völkerrechtliche Bestimmungen schuldig gemacht hätten, Mäßigung geübt werde und die persönliche Schuld gerecht gewürdigt werde.22 Auch spätere Autoren wie Richard Zouch (1590–1661), Christian Wolff (1679–1754) oder Johann Jacob Moser (1701–1785) vertraten die Auffassung, dass es möglich sei, Verantwortliche sowohl der eigenen wie der feindlichen Seite für Abweichungen von den Regeln des Ius in Bello zur Rechenschaft zu ziehen. Im Zeichen des Prozesses der Verherrschaftlichung und der zunehmenden staatsrechtlichen Begründung der Strafgewalten, auch gerade im Bereich der Militärjustiz,23 betonten die genannten Gelehrten, dass allein dem Staat das Recht zustehe, Verstöße gegen das Ius in Bello zu ahnden. Ferner verlor der Aspekt der Mäßigung, den Grotius noch ins Zentrum seiner Ausführungen gerückt hatte, an Bedeutung, betonte doch Johann Jacob Moser, dass Übertretungen des Völkerrechts wie Raub, Mordbrennerei oder ähnliches zu behandeln 20 Zu letzterem siehe Dieter Hüning, Die Begründung des ius puniendi in der Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts, in: Sylvia Kesper-Biermann, Diethelm Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche philosophische und literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 77–114, hier S. 77–81. 21 Hugo Grotius, De Jure Belli ac Pacis Libri Tres, hrsg. und übersetzt von Walter Schätzel, Tübingen 1950, S. 354. 22 Grotius, De Jure Belli (wie Anm. 21), S. 514–515. 23 Siehe dazu: Hüning, Begründung (wie Anm. 20), S. 95–114, u. Jutta Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Kesper-Biermann, Klippel, Kriminalität (wie Anm. 20), S. 114–140, hier S. 120–130.

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seien.24 Auch Emeric de Vattel (1714–1767) bekräftigte die bereits von de Victoria, Grotius oder Moser geäußerte Haltung, wonach der Staat diejenigen Kriegsgefangenen bestrafen dürfe, die sich gegen ihn vergangen hätten. Er verzichtete jedoch darauf, konkret festzulegen, wie dies geschehen sollte. Die Entscheidung sei dem einzelnen Staat überlassen.25 Vattel brachte jedoch auch einen neuen Aspekt ein und begründete seine Ansichten, indem er darauf verwies, dass die aufzuerlegende Strafe geeignet sein müsse, den Feind „künftig von derartigen Anschlägen abzuhalten und andere abzuschrecken, die in die Versuchung kommen könnten, ihn nachzuahmen“.26 Nützlichkeitsüberlegungen, rationale Prinzipien und zwischenstaatliche Übereinkünfte gewannen nun an Bedeutung, während naturrechtliche Begründungen an solcher verloren.27

V.

Aufklärung und Französische Revolution

Teil dieses von Marc Belissa beschriebenen Wandlungsprozesses war im 18. Jahrhundert neben der zunehmenden Verrechtlichung der innerstaatlichen Beziehungen28 auch eine Diskussion über die Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen. Einerseits ging es dabei um die Frage, wie der Friede zwischen den ,Staaten‘ mit rechtlichen Mitteln gesichert werden könne, andererseits aber auch darum, wie die Schrecken des Krieges durch das Mittel des Rechts zu begrenzen waren. In diesem Punkt galt es insbesondere zu definieren, wer als Feind betrachtet werden durfte, welche Regeln während der Kämpfe zu beachten waren, welche Rechte und Pflichten neutrale ,Staaten‘ und deren Angehörige während eines Krieges genießen sollten und wie die nicht am Krieg beteiligten Personen vor den Auswirkungen geschützt werden könnten. Eine der treibenden Kräfte in diesem Zusammenhang war Immanuel Kant (1724–1804), der im Krieg nicht mehr ein Rechtsinstrument zur Durchsetzung völkerrechtlicher Ansprüche sah, sondern vielmehr ein Hindernis zur Realisierung des

24 Jens-Peter Zander, Das Verbrechen im Kriege – Ein völkerrechtlicher Begriff. Ein Beitrag zur Problematik des Kriegsverbrechens, Diss., Rechts- u. Staatswiss. Fak. Universität Würzburg, Augsburg 1969, S. 18. 25 Emeric de Vattel, Le Droit des Gens ou Principes de la Loi Naturelle appliqu8s / la Conduite et aux Affaires des Nations et des Souverains / Das Völkerrecht oder Grundsätze des Naturrechts, angewandt auf das Verhalten und die Angelegenheiten der Staaten und Staatsoberhäupter, hrsg. von Walter Schätzel und übersetzt von Wilhelm Euler, Tübingen 1959, S. 208 u. 432–449. 26 Vattel, Le Droit des Gens (wie Anm. 25), S. 208. 27 Marc Belissa, Fraternit8 Universelle et Int8rÞt National (1713–1795), Paris 1998, S. 75–79. 28 Siehe dazu: Winfried Schulze, Einführung in die Neuere Geschichte, 4. Aufl., Stuttgart 2002, S. 78–83.

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höchsten Vernunftziels, nämlich des ewigen Friedens.29 Die grosse Resonanz von Kants Werk war sicherlich einer der Gründe dafür, dass die Frage, wie Verstöße gegen die ordnungsgemäße Kriegführung geahndet werden könnten, in der Folge kaum mehr diskutiert wurde. Weitere Ursachen lagen allerdings auch darin, dass trotz des von Geoffrey Best festgestellten Konsenses der späten Aufklärer keine vollständige Einigkeit über den konkreten Gehalt der Regeln des Ius in Bello bestand, und dass bis zu diesem Zeitpunkt alle Autoren, die sich zu dieser Frage geäußert hatten, die strafrechtliche Verfolgung von Überschreitungen der Grenzen der Kriegführung bei den jeweiligen Herrschaftsträgern verorteten.30 Neue Aktualität erhielt die Ahndung von Verstößen gegen die Regeln des Ius in Bello im Rahmen der Napoleonischen Kriege, während welchen der erwähnte Konsens mehr und mehr in Frage gestellt wurde. Dies war einerseits die Folge der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die zur Mobilisierung von Teilen der Gesellschaft führte, die sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie mit der Rolle des Rechts im Krieg beschäftigt hatten. Andererseits hatten die Ideen der Revolution aber auch einen Mentalitätswechsel zur Folge, der das Denken über den Krieg und die Rolle des Rechts im Krieg veränderte. Dies galt speziell für die Verbreitung der Ideen des Volkskrieges sowie des Selbstbestimmungsrechts der Völker.31 Besonders in den Jahren 1796 bis 1798 war ein sprunghafter Anstieg der Schuldzuschreibungen in Bündnis- und Friedensverträgen festzustellen, ohne dass jedoch Einzelpersonen dafür in irgendeiner Form direkt zur Rechenschaft gezogen worden wären. In den Jahren 1799 bis 1814 folgten keine weiteren solchen Schuldzuschreibungen. Dies änderte sich gegen Ende der Napoleonischen Kriege. Insbesondere in Preußen, aber auch in Teilen der britischen Öffentlichkeit, die für die Regierung bedeutsam waren, sowie unter den Anhängern Ludwigs XVIII. (1755–1824) wurde die Forderung erhoben, Napoleon (1769–1821) und seine Anhänger für als unrechtmäßig betrachtete Handlungen während des Krieges als Friedens- und Ruhestörer zur Rechenschaft zu ziehen und als außerhalb des Rechts stehende Verbrecher sofort zu erschießen. Britische Politiker und Generäle lehnten eine solche Lösung allerdings ab, da sie darin einen nicht akzeptablen Akt 29 Diethelm Klippel, Michael Zwanzger, Naturrecht als Friedensordnung, in: Hinrich Rüping (Hrsg.), Die Hallesche Schule des Naturrechts, Frankfurt am Main 2002, S. 95–118, hier S. 107. 30 Siehe dazu: Geoffrey Best, Humanity in Warfare. The Modern History of the International Law of Armed Conflicts, London 1980, S. 31–74; Ferencz, Enforcing International Law (wie Anm. 2), S. 19–24. 31 Best, Humanity in Warfare (wie Anm. 30), S. 76–127. Siehe auch: Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Baden-Baden 1984, S. 485–498, und spezifisch zum Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Zeit der Französischen Revolution Jörg Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion, München 2010, S. 93–103.

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der Willkür sahen. Gleichzeitig befürchteten sie, dass dieser den Widerstand der Anhänger Napoleons gegen die neu-alte Ordnung des Wiener Kongresses nur verstärken würde. Sie konnten sich schließlich zumindest hinsichtlich der Person Napoleons durchsetzen. Dieser wurde deshalb ohne formelles Urteil in die Verbannung nach St. Helena geschickt.32 Einige seiner Militärführer, darunter auch Marschall Ney (1769–1815), wurden hingegen wegen Hochverrats vor Gericht gestellt und hingerichtet.33 In der völkerrechtlichen Literatur wurden diese Ereignisse allerdings kaum thematisiert.

VI.

Die Diskussion zur Ahndung von Völkerrechtsverletzungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Nach den Erschütterungen, denen die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen 1792 und 1815 ausgesetzt gewesen waren, schuf der Wiener Kongress eine neue Ordnung, die sich trotz der Spannungen zwischen den Großmächten und der Brüchigkeit der Heiligen Allianz als stabil und dauerhaft erwies. Der Konsens der späten Aufklärer in Bezug auf die Rolle des Rechts in den zwischenstaatlichen Verhältnissen scheint in dieser Zeit durch die Einigkeit der Monarchen abgelöst worden zu sein, die sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu halten vermochte.34 Weder der Ausbau der Regeln des Ius in Bello noch die Problematik der entsprechenden Strafverfolgung wurden in dieser Zeit diskutiert. In den Jahren nach 1848 gewann die Frage nach der Rolle des Rechts unter dem Druck der liberalen Bewegung auch für die zwischenstaatlichen Beziehungen dann wieder an Bedeutung.35 Das Problem der Ahndung von Verstößen gegen die Regeln des zum Teil nun neu kodifizierten Ius in Bello wurde in diesem 32 Walter Schwengler, Völkerrecht, Versailler Vertrag und Auslieferungsfrage. Die Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen als Problem des Friedensschlusses 1919/20, Stuttgart 1982, S. 45, ist deshalb der Meinung, dass die Verbannung Napoleons nicht den Charakter einer Strafe trug. 33 Gary Jonathan Bass, Stay the Hand of Vengeance. The Politics of War Crimes Tribunals, Princeton 2000, S. 37–57; Jörg Fisch, Krieg und Frieden im Friedensvertrag. Eine universalgeschichtliche Studie über Grundlagen und Formelemente des Friedensschlusses, Stuttgart 1979, S. 118; Hugh H. Bellot, The Detention of Napoleon Buonaparte, in: Law Quarterly Review 39 (1923), S. 170–192; Segesser, Recht statt Rache (wie Anm. 5), S. 26. 34 Leider fehlen in diesem Bereich Untersuchungen, doch weisen die wenigen Aussagen dazu bei Best, Humanity in Warfare (wie Anm. 30), S. 128–129, u. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (wie Anm. 31), S. 502–509, in diese Richtung. 35 Im Zentrum der Debatte um die Regeln der Kriegführung standen besonders die Fragen der Zulässigkeit von Kriegsmitteln, der Behandlung von Verwundeten und Kriegsgefangenen, der Status der Kombattanten sowie der Aspekt der Behandlung von Zivilisten und deren privaten Eigentums. Best, Humanity in Warfare (wie Anm. 30), S. 128–215. gibt dazu einen guten Überblick.

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Zusammenhang jedoch nicht thematisiert. Dies hing nicht zuletzt mit dem Optimismus der beteiligten Juristen zusammen, die wie Gustave Moynier (1826–1910) noch kurz vor dem Beginn des Deutsch-Französischen Krieges 1870 der Auffassung waren, dass die Staaten ihren Armeen Weisungen erteilen würden, die ein regelkonformes Verhalten garantieren würden. Sollte es dennoch zu Völkerrechtsverletzungen kommen, sei es die Pflicht der Vertragsstaaten, die Verantwortlichen militärstrafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Falls das Militärstrafrecht des betroffenen Staates dies nicht erlaube oder dafür nicht genüge, sei eine entsprechende Anpassung notwendig.36

VII. Völkerrechtsverletzungen in der Diskussion der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Die Verstöße gegen die Regeln der Kriegführung und insbesondere gegen die Bestimmungen der Genfer Konvention während des Deutsch-Französischen Krieges führten dazu, dass Moynier im Anschluss seine Haltung änderte. Im Januar 1872 griff er eine Anregung seines belgischen Anwaltskollegen Gustave Rolin-Jaequemyns (1835–1902)37 auf und forderte in einem Artikel im Bulletin International des Soci8t8s de Secours aux Militaires Bless8s die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofes zur Ahndung von Übertretungen der Genfer Konvention: „Ainsi, la guerre franco-allemande a permis de reconna%tre l’insuffisance d’une sanction purement morale pour mettre un frein aux passions d8cha%n8es; elle a fait regretter aussi que les r8dacteurs de la Convention eussent cru devoir, en matiHre p8nale, s’en remettre complHtement au zHle des divers Etats, soit pour promulguer des lois, soit pour r8primer les 8carts de leurs propres ressortissants.“38

Gleichzeitig betonte Moynier, dass sein Vorschlag nur am Anfang einer Entwicklung stehen solle. Zu einem späteren Zeitpunkt könnten auch Verstöße gegen die über die Genfer Konvention hinausgehenden Regeln des Ius in Bello in ähnlicher Art und Weise sanktioniert werden.39 Mit seinem Vorstoß regte er tatsächlich eine neue Form der strafrechtlichen Verfolgung von Völkerrechts36 Gustave Moynier : Ptude sur la Convention de GenHve, Paris 1870, S. 303–306. 37 Gustave Rolin-Jaequemyns, Essai Compl8mentaire sur la Guerre Franco-Allemande dans ses Rapports avec le Droit International, in: Revue de Droit International et de L8gislation Compar8e [im Folgenden: RDILC] 3 (1871), S. 288–384, hier S. 327–331. 38 Gustave Moynier, Note sur la Cr8ation d’une Institution Judicaire Internationale propre / pr8venir et / r8primer les Infractions / la Convention de GenHve, in: Bulletin International des Soci8t8s de Secours aux Militaires Bless8s [im Folgenden: BISSMB] 11 (1872), S. 122–131, hier S. 122–123. 39 Moynier, Note (wie Anm. 38), S. 128–129.

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verletzungen an, die entsprechend der von Koskenniemi vertretenen These von einem esprit d’internationalit8 getragen wurde und auch die Zukunft im Auge hatte.40 Rolin-Jaequemyns machte Moyniers Ideen in der Revue de Droit International et de L8gislation Compar8e zum Thema und publizierte eine Reihe von Reaktionen darauf. Franz von Holtzendorff (1829–1889), Achille Morin (1803–1874) und Rolin-Jaequemyns selbst erkannten dabei durchaus positive Ansätze. Auch sie waren jedoch nicht in allen Punkten mit Moynier einverstanden. Skeptisch waren hingegen Francis Lieber (1800–1872) und John Westlake (1828–1913)41 sowie Carl Lueder (1834–1895), Heinrich Triepel (1868–1946), Gustav Roszkowski (1847–1915) oder Leopold Neumann (1811–1888). Sie hielten Moyniers Vorschläge nicht für praktikabel und betonten, dass kein Staat bereit sein werde, sich und seine Soldaten der Jurisdiktion eines solchen Gerichtshofes zu unterwerfen.42 Einzig der russische Jurist und Friedensaktivist Leonid Kamarowsky (1846–1912) schloss sich der Forderung von Moynier uneingeschränkt an.43 Von den Rotkreuzgesellschaften unterstützte nur die spanische den Vorschlag, gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass es wohl schwierig sein werde, die Staaten dafür zu gewinnen. Von den europäischen Regierungen sicherte lediglich diejenige Italiens dem Internationalen Komitee Unterstützung zu, falls offiziell ein entsprechender Vorschlag gemacht werde.44 Diese Unterstützung wurde jedoch nie publik gemacht, da Moyniers Idee schließlich stillschweigend fallengelassen wurde.45 In den folgenden Jahren wurde die Ahndung von Verstößen gegen die Regeln 40 Moynier und Rolin-Jaequemyns kannten sich seit dem Jahre 1862 und hegten ähnliche Auffassungen hinsichtlich der Verbreitung liberaler Ideen im Bereich des innerstaatlichen wie des zwischenstaatlichen Rechts. Koskenniemi, Gentle Civiliser (wie Anm. 1), S. 39; Andr8 Durand, La Participation de Gustave Moynier / la Fondation de l’Institut de Droit International, in: Revue Internationale de la Croix Rouge 810 (1994), S. 585–606, hier S. 585–587. 41 Gustave Rolin-Jaequemyns, Note sur le Projet de M. Moynier, relatif / l’ Etablissement d’ une Institution Judiciaire Internationale, Protectrice de la Convention, avec lettres de MM. Lieber, Ach. Morin, de Holtzendorff et Westlake, in: RDILC 4 (1872), S. 325–346. 42 Carl Lueder, Die Genfer Konvention. Historisch und kritisch-dogmatisch mit Vorschlägen zu ihrer Verbesserung. unter Darlegung und Prüfung der mit ihr gemachten Erfahrungen und unter Benutzung der amtlichen, theilweise ungedruckten Quellen, Erlangen 1876, S. 431–433; Heinrich Triepel, Die neuesten Fortschritte auf dem Gebiete des Kriegsrechts, in: Zeitschrift für Litteratur und Geschichte der Staatswissenschaft 2 (1894), S. 188–226 u. 289–303, hier S. 211–212; Gustav Roszkowski, O konwencyi genewskiej, Lemberg 1887, rezensiert von Leopold Neumann in: Bulletin International des Soci8t8s de la Croix Rouge 70 (1887), S. 58–63, hier S. 62. 43 Leonid A. Kamarowsky, Le Tribunal International, [übersetzt von Serge de Westman], Paris 1887, S. 402–419. 44 Protokoll der Sitzung des Internationalen Komitees vom 15. Mai 1872. Siehe Jean-FranÅois Pitteloud (Hrsg.), ProcHs-verbaux des S8ances du Comit8 International de la Croix-Rouge: 17 F8vrier 1863–28 Ao0t 1914, Genf 1999, S. 266–268, hier S. 267. 45 Pierre Boissier, De Solf8rino / Tsoushima, 2. Auflage, Genf 1978, S. 374.

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der Kriegführung zwar immer wieder diskutiert, im Zentrum stand jedoch die Kodifizierung des Ius in Bello. Die Brüsseler Deklaration von 1874 sah keine Regeln für eine gerichtliche Verfolgung vor. Das Protokoll vermerkte nur den Wunsch des französischen Generals EugHne Arnaudeau (1821–1891) nach einer möglichst umfassenden Vereinheitlichung der strafrechtlichen Bestimmungen der einzelnen Länder.46 In einem Bericht zuhanden des Institut de Droit International vom 25. August 1879 betonte der Genfer Rechtsprofessor Joseph Hornung (1822–1884), dass im Bereich der Ahndung von Verstößen gegen das Ius in Bello zwar wichtige Fortschritte im Rahmen der nationalen Gesetzgebung erzielt worden seien, dass aber eine internationale Regelung der Frage trotz der Vorschläge von Gustave Moynier von 1872 bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erreicht worden wäre. Eventuell, so seine Anregung, könne aber das neue schweizerische Militärstrafgesetzbuch in Zukunft zu einem Vorbild für andere Staaten werden.47 Dies änderte gleichwohl nur wenig daran, dass das Thema der Strafverfolgung gegenüber der Kodifizierung auf den Tagungen des Institut de Droit International weiter zurückstand. Artikel 84 des 1880 schliesslich verabschiedeten Oxford Manual trug dem Wunsch von Arnaudeau, Hornung und Moynier immerhin teilweise Rechnung und besagte, dass Verstöße gegen die Bestimmungen des Regelwerkes vom Staat, in dessen Gewahrsam sich der Schuldige befinde, juristisch verfolgt werden sollten.48 Trotz dieser Erfolge waren Moynier, Rolin-Jaequemyns und ihre Mitstreiter immer wieder mit Skepsis besonders von Seiten der Regierungen konfrontiert. Diese waren allenfalls bereit, gewisse, von ihnen aber selbst bestimmte Teile des Militärrechts dahingehend anzupassen, dass Übertretungen der Bestimmungen der Genfer Konvention oder anderer Regelwerke des Ius in Bello unter Strafe gestellt wurden. Ein internationales Abkommen lehnten die meisten Staaten jedoch weiterhin ab.49 Moynier trug dieser Tatsache in seinen weiteren Vorschlägen Rechnung und unterbreitete Ideen, die auf eine Angleichung der nationalen Strafrechtsbestimmungen abzielten, die gleichzeitig aber die Staaten 46 Actes de la Conf8rence de Bruxelles (1874), Brüssel 1874, S. 43; Jean de Breucker, La D8claration de Bruxelles de 1874 concernant les Lois et Coutumes de la Guerre, in: Chronique de Politique PtrangHre 27 (1974), S. 3–108, hier S. 15–16 u. 65. 47 Joseph Hornung, Note sur la R8pression des D8lits contre le Droit des Gens et plus sp8cialement sur celle des D8lits contre les Lois de la Guerre, in: AIDI 3/4 (1879–1880), S. 320–325, sowie in: RDILC 12 (1880), S. 104–108. 48 Gustave Moynier, Rapport sur la R8glementation des Lois et Coutumes de la Guerre, in: AIDI 3/4, 1879–80, S. 312–320 und 326–328, hier S. 318; ders., Rapport sur la R8glementation des Lois et Coutumes de la Guerre, in: AIDI 5, 1882, S. 149–174, hier S. 174; Dietrich Schindler und Jir& Toman, The Laws of Armed Conflict: A Collection of Conventions, Resolutions and Other Documents, Alphen aan den Rijn 1981, S. 47. 49 Als Beispiel für die Wirkung des Oxford Manual wies Gustave Moynier auf das Werk des französischen Autors Jules Guelle, Pr8cis des Lois de la Guerre sur Terre, 2 Bde, Paris 1884, hin, welches er in BISSMB 59 (1884), S. 151–153, rezensierte.

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durch eine internationale Konvention dazu verpflichten sollten, falls nicht vorhanden, entsprechende Regeln zu erlassen.50 Auch in diesem Punkt blieb der Erfolg bescheiden. Zwar erließen die meisten Staaten in der Zeit zwischen dem Deutsch-Französischen Krieg und dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 mehr oder weniger offizielle Regelungen, in welchen sie deutlich machten, dass sie Verstöße gegen die Regeln des Ius in Bello strafrechtlich zu verfolgen gedachten, doch einzig die Genfer Konvention von 1906 enthielt in Artikel 28 eine für die Vertragspartner verpflichtende Bstimmung zur Sanktion. Für die Haager Landkriegsordnung wurde ein analoger Artikel nicht einmal in Erwägung gezogen.51 Die Frage, inwiefern die Tatsache als Erfolg der Bemühungen Moyniers und seiner Mitstreiter gewertet werden kann, dass die Staaten während des RussischTürkischen Krieges von 1878, während des Burenkrieges, während des RussischJapanischen Krieges sowie auf den Philippinen Übertretungen der Regeln des Ius in Bello ahndeten,52 kann nicht klar beantwortet worden. Timothy McCormack ist zwar sicherlich zuzustimmen, wenn er für das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert von einer „growing recognition and acceptance of a principle of individual culpability for violations of the international law of war crimes“ spricht,53 doch gilt es auch festzuhalten, dass weiterhin eine große Unsicherheit hinsichtlich der Umsetzung der Bestimmungen durch die einzelnen Staaten bestand.54 Gerade die von den Männern des Institut de Droit International angestrebte Vereinheitlichung der rechtlichen Bestimmungen zur Verfolgung von Verstößen gegen die Regeln des Ius in Bello war vor 1914 nicht wirklich erreicht 50 Gustave Moynier, Consid8rations sur la Sanction P8nale / donner / la Convention de GenHve, Lausanne 1893, S. 5–33; Pdouard Engelhardt, Gustave Moynier, Rapport sur la Sanction P8nale / donner / la Convention de GenHve, in: AIDI 14 (1895), S. 17–31 u. 170–189; Gustave Moynier, La R8vision de la Convention de GenHve. Ptude Historique et Critique suivi d’un Projet de Convention revis8e, Genf 1898. 51 Jescheck, Verantwortlichkeit (wie Anm. 19), S. 35–36. 52 Zu den Verfahren im Zusammenhang mit dem Russisch-Türkischen Krieg siehe: Peter Holquist, The Russian Empire as a ,Civilized Nation‘. International Law as Principle and Practice in Imperial Russia (1874–1917), unveröffentlichtes Paper der 118. Jahrestagung der American Historical Society, Washington, D. C. 2004, S. 33–34, sowie in Bälde ders., By Right of War : Imperial Russia and the Making of the ‘Laws of War’ (1868–1917) [in Vorbereitung]. Zu den Verfahren im Zusammenhang mit dem Burenkrieg sowie den Verfahren vor amerikanischen Militärgerichten siehe: McCormack, From Sun Tzu (wie Anm. 2), S. 42–43. Auf die japanischen Verfahren im Rahmen des Russisch-Japanischen Krieges verweist Lassa Oppenheim, War and Neutrality, London 1906, S. 269. 53 McCormack, From Sun Tzu (wie Anm. 2), S. 43. 54 Siehe dazu: Alexandre M8rignhac, Les Th8ories du Grand Ptat Major Allemand sur les ,Lois de la Guerre Continentale‘ mises en regard de la Doctrine, de la Pratique des Divers Ptats et des D8cisions de la Conf8rence de la Haye de 1899, in: Revue G8n8rale de Droit International Public [im Folgenden: RGDIP] 14 (1907), S. 197–239, hier S. 239; ders., Les Pratiques Anglaises dans la Guerre Terrestre, in: RGDIP 8 (1901), S. 93–121, hier S. 119–121.

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worden. Mit den Haager Konventionen von 1899 und 1907 existierte zwar eine rechtliche Grundlage auf internationaler Ebene, viele Punkte waren allerdings vage oder gänzlich ungeklärt geblieben, was der Grund für die Existenz der Martens’schen Klausel in der Haager Landkriegsordnung war.55 Vor allem war es nicht gelungen, einen internationalen Strafgerichtshof zu schaffen.

VIII. Fazit In seinem Buch nennt Koskenniemi vier Punkte, weshalb seines Erachtens für die Zeit nach 1869 von einem Bruch in der Geschichte des Völkerrechts gesprochen werden sollte, nämlich dass es erstens erst danach zu einer wirklichen Verankerung des Völkerrechts in der Wissenschaft gekommen sei, dass zweitens die Völkerrechtswissenschaft erst ab diesem Zeitpunkt danach gestrebt habe, zur Quelle des Völkerrechts zu werden, dass drittens das Völkerrecht erst von da an von einem esprit d’internationalit8 getragen gewesen sei, und dass die Völkerrechtler viertens erst nach 1869 begonnen hätten, sich aus der Umklammerung der Diplomatie zu lösen und überdies ihr Bestreben sichtbar geworden seien, selber zum „organe de la conscience juridique du monde civilis8“56 zu werden. Aus der vorliegenden Untersuchung, die sich nur auf die Frage nach dem Umgang mit Verstößen gegen die Regeln des Ius in Bello konzentrierte, lässt sich indes der Schluss ziehen, dass Koskenniemi mit dieser These wohl einen Schritt zu weit geht.57 Es ist freilich richtig, dass die Völkerrechtswissenschaft im Verlauf des 19. Jahrhunderts einen Aufschwung erlebte und sich zumindest auf dem europäischen Kontinent nach neuen Prinzipien auszurichten suchte,58 dennoch zeigt sich gerade auch in den Diskussionen über Sanktionen von Völkerrechtsverletzungen nach dem 1872 gescheiterten Versuch Gustave Moy55 Zur ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Ius in Bello und des Völkerstrafrechts sowie zur Unsicherheit hinsichtlich der geltenden Normen des Völkerrechts siehe: Daniel Marc Segesser, Die historischen Wurzeln des Begriffs ,Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘, in: Jahrbuch für Juristische Zeitgeschichte 8 (2007), S. 75–101, hier S. 79–82, u. ders., Verrechtlichung des Krieges? Völkerrechtliche Konventionen und das Ius in Bello im Vorfeld und zu Beginn des Ersten Weltkrieges, in: Jürgen Angelow, Johannes Grossmann (Hrsg.), Wandel, Umbruch, Absturz. Perspektiven auf das Jahr 1914 , Stuttgart 2014, S. 57–68, hier S. 59–61. 56 Statuts vot8s par la Conf8rence (wie Anm. 3), S. 1. 57 Ohne direkt auf Koskenniemi Bezug zu nehmen, zeichnet Daniel Marc Segesser, Lager und Recht – Recht im Lager. Die Internierung von Kriegesgefangenen und Zivilisten in rechtshistorischer Perspektive von der Aufklärung bis zur Gegenwart, in: Christoph Jahr, Jens Thiel (Hrsg.), Lager vor Auschwitz. Gewalt und Integration im 20. Jahrhundert, Berlin 2013, S. 38–53, ein ähnliches Bild mit Blick auf das spezifische Feld der juristischen Implikationen von Kriegsgefangenen- und Internierungslagern. 58 Ziegler, Völkerrechtsgeschichte (wie Anm. 8), S. 234.

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niers, einen internationalen Strafgerichtshof zu schaffen, dass sich in dem wissenschaftlichen Diskurs dieselben Prinzipien durchzusetzen vermochten, die bereits seit den Werken der Spätscholastiker in diesem Feld bestimmend gewesen waren. Was die Rolle der Völkerrechtswissenschaft als Quelle des zu schaffenden Völkerrechts betrifft, so ist es sicherlich so, dass die Autoren des späten 19. Jahrhunderts wohl stärker als alle ihre Vorgänger versuchten, sich auf eine zukünftige Entwicklung auszurichten und die eigene Rolle zu betonen. In diesem Punkt lässt sich wie von Koskenniemi postuliert durchaus eine gewisse Zäsur feststellen. Ähnliches gilt auch für den Versuch der Völkerrechtler, sich aus der Umklammerung der Diplomatie zu lösen. Gleichwohl relativiert die Tatsache, dass sowohl Moynier als auch Rolin-Jaequemyns, dessen Sohn Pdouard (1863–1936) oder auch die mit den beiden ersteren befreundeten Johann Caspar Bluntschli (1808–1881) und Fjodor Fjodorowitsch Martens (1845–1909) immer wieder diplomatische Funktionen im Auftrag ihrer Heimatländer oder anderer Staaten übernahmen,59 diese Bemühungen erheblich. Bezüglich des neuen esprit d’internationalit8 lässt sich ferner festhalten, dass dieser zwar unmittelbar nach dem Deutsch-Französischen Krieg relativ stark war, er danach allerdings wieder nachließ. Dies zeigen gerade die Bemühungen von Gustave Moynier. Der Unterschied zu früheren Epochen ist daher nicht so groß, wie Koskenniemi dies annimmt. Ansätze zur Internationalität hatten schon zu früheren Zeiten bestanden, beispielsweise in den Werken der Spätscholastiker oder bei den Verfechtern des Naturrechts. Schon sie beanspruchten für die von ihnen entwickelten Regeln eine Universalität, auch wenn diese primär moraltheologisch respektive mit der Allgemeingültigkeit naturrechtlicher Prinzipien begründet wurde. Ähnliche Ansätze finden sich, wenn auch unter anderen Vorzeichen, in Immanuel Kants Werk Zum ewigen Frieden. Hier bestätigt sich also ein „differenziertes Bild von Kontinuität und Diskontinuität […], das ein sich gegenseitig bedingendes Ineinander zeichnet“, wie Heinhard Steiger es für einen anderen Kontext beschrieben hat.60 Neben der Tatsache, dass sich die von Koskenniemi identifizierte Bruchlinie nicht derart eindeutig feststellen lässt, gilt es auch festzuhalten, dass es unter den von ihm als Träger des Wandels identifizierten Völkerrechtlern zudem an Einigkeit mangelte. Dies zeigt sich exemplarisch am Beispiel von John Westlake, den Kosekeniemi als einen der namhaften Vertreter des seines Erachtens neuen Völkerrechts bezeichnet, der sich aber gegenüber Moyniers Projekt für einen internationalen Strafgerichtshof, in welchem sich der esprit d’internationalit8 so deutlich manifestierte, skeptisch äußerte. Auch wenn Kosekeniemis These in der von ihm formulierten Schärfe also nicht akzeptiert werden kann, so muss doch 59 Siehe dazu Segesser, Recht statt Rache, S. 98, 121, 123–124, 126 & 217. 60 Steiger, Ordnung der Welt (wie Anm. 10), S. 711.

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betont werden, dass die Zeit nach dem Deutsch-Französischen Krieg für die Entwicklung des Völkerrechts von nicht zu unterschätzender Bedeutung war. Durch die Deklaration von Brüssel (1874), das Oxford Manual (1880) und vor allem durch die Haager Konventionen von 1899 und 1901 erfuhr das Völkerrecht einen Kodifizierungsschub, der zumindest unter Juristen zu einer gewichtigen Stärkung dieses Rechtsbereichs führte. Dies war zu einem erheblichen Teil auf die nicht nachlassenden Bemühungen von Männern wie Gustave Moynier, Gustave Rolin-Jaequemyns und ihre Mitstreiter zurückzuführen. Was die Ahndung von Verstößen gegen die Regeln des Ius in Bello betrifft, so hatten Moyniers Bemühungen für eine Regelung auf internationaler Ebene zwar vorerst keinen Erfolg, sie trugen aber trotzdem dazu bei, dass am Ende des 19. Jahrhunderts ein Prozess beschleunigt wurde, der auf verschlungenen (Um-) Wegen schließlich 1998 zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) führte.

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„j’ay dit plusieurs fois aux officiers principaux d’en faire des exemples“. Institutionen, Intentionen und Praxis der französischen Militärgerichtsbarkeit im 16. und 17. Jahrhundert

Die Geschichte der frühneuzeitlichen Militärgerichtsbarkeit, so Jutta Nowosadtko vor einigen Jahren in einem programmatischen Aufsatz, müsse trotz intensiver Forschungen zur frühneuzeitlichen Kriminalitätsgeschichte nach wie vor als weitgehend unerforschtes Gelände gelten.1 Dies betreffe sowohl die verfahrensrechtlichen Grundlagen, hinsichtlich derer sich Militär- und Rechtsgeschichte bis in die jüngste Zeit überwiegend mit dem Forschungsstand aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zufrieden gegeben hätten, als auch und vor allem die Praxis frühneuzeitlicher Militärjustiz, die durch das populäre Bild einer von Unrecht und Willkür gegenüber Deserteuren geprägten Disziplinargerichtsbarkeit geprägt und daher von der Kriminalitätsforschung bislang noch kaum berücksichtigt worden sei. Diese im Hinblick auf die deutschsprachige Forschung getroffene Feststellung, die ungeachtet einiger neuerer Studien2 im Ganzen wohl weiterhin Gültigkeit beanspruchen kann, scheint auf den ersten Blick so gar nicht auf Frankreich zuzutreffen. Anders nämlich als im Alten Reich, wo Stehende Heere und mit diesen eine landesherrliche Militärverwaltung und -justiz in den meisten Territorien erst im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts entstanden,3 kam es im Kernland der

1 Jutta Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit. Anmerkungen zu einem vernachlässigten Feld der historischen Kriminalitätsforschung, in: Heinz-Günther Borck (Hrsg.), Unrecht und Recht. Kriminalität und Gesellschaft im Wandel von 1500–2000. Gemeinsame Landesausstellung der rheinland-pfälzischen und saarländischen Archive. Wissenschaftlicher Begleitband, Koblenz 2002, S. 638–651, hier S. 638. 2 Zu nennen sind hier v. a.: Peter Burschel, Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1994; Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700), Köln u. a. 2007; Jutta Nowosadtko, Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803, Paderborn u. a. 2011. 3 Vgl. Gerhard Papke, Von der Miliz zum Stehenden Heer. Wehrwesen im Absolutismus, in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648–1939, Bd. 1, München 1979, S. 1–311, hier S. 257–281; Hans Schmidt, Militärverwaltung in Deutschland und Frankreich im 17. und

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französischen Krone bereits im Mittelalter zur Institutionalisierung einer dem König unterstehenden Militärgerichtsbarkeit. Deren Instanzen haben daher, jedenfalls sofern sie Teil der königlichen Zentralgewalt oder direkt von dieser abgeleitet waren, seit jeher das Interesse der historischen Forschung auf sich gezogen und finden in institutionengeschichtlichen Handbüchern ebenso wie in den gängigen Lexika beziehungsweise Dictionnaires zur Geschichte des Ancien R8gime nahezu durchweg Erwähnung.4 Für eine Darstellung der französischen Militärverwaltung und -justiz in der Frühen Neuzeit kann infolgedessen nicht nur in breitem Umfang auf ältere Literatur, sondern grundsätzlich auch auf neuere Studien und Überblicksdarstellungen zurückgegriffen werden. Bei Licht besehen gilt dies allerdings überwiegend für das 18. Jahrhundert und das in diesem Zeitraum mehrfach reformierte und verstärkte berittene Polizeikorps, die Mar8chauss8e, sowie die zugehörige Jurisdiktion (justice pr8vitale). Trotz ihres militärischen Ursprungs zog diese jedoch überwiegend zivile Fälle an sich und hat daher in weit größerem Maß als die Militärgerichtsbarkeit im Alten Reich das Interesse der rechts- und kriminalitätsgeschichtlichen Forschung gefunden.5 Interessiert man sich dagegen für die Militärjustiz im engeren Sinn, also die jurisdiktionalen Kompetenzen innerhalb der militärischen Organisationen selbst beziehungsweise über deren Angehörige, ist man neben den erwähnten Handbüchern bald doch ähnlich wie im deutschsprachigen Kontext auf ältere, meist blind auf normative Quellen vertrauende Darstellungen vom Beginn des 20. Jahrhunderts verwiesen. Dies trifft insbesondere auf den Zeitraum zwischen dem Spätmittelalter und den Reformen der Militärgerichtsbarkeit unter der Herrschaft Ludwigs XIV. (1638–1715) zu,6 auf den sich die folgenden 18. Jahrhundert, in: Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn u. a. 1996, S. 25–45. 4 Dies gilt vor allem für den Conn8table, die Mar8chauss8e und das Tribunal de la Conn8tablie et Mar8chauss8e de France. Ausführlichere Angaben finden sich in Anm. 31f. 5 Siehe u. a.: Eliane Bertin-Mourot, La mar8chauss8e en Bretagne au XVIIIe siHcle (1720–1790). ThHse de doctorat en droit, 2 Bde, Rennes 1969; Claude C. Sturgill, L’organisation et l’administration de la mar8chauss8e et de la justice pr8vitale dans la France des Bourbons, 1720–1730, Ch.teau de Vincennes 1981; Jacques Lorgnier, La Mar8chauss8e: une institution de police et de justice en Flandres (1679–1790). ThHse de doctorat en droit du troisiHme cycle, 2 Bde, Lille 1980; ders., Mar8chauss8e: histoire d’une r8volution judiciaire et administrative, 2 Bde, Paris 1994; Bernard Drilleau, La mar8chauss8e au XVIIe et XVIIIe siHcles, Rennes 1985; Catherine Denys, Police et s8curit8 au XVIIIe siHcle dans les villes de la frontiHre franco-belge, Paris u. a. 2002. Vgl. weiter die umfassende Bibliographie in Jean-No[l Luc (Hrsg.), Histoire de la mar8chauss8e et de la gendarmerie. Guide de recherche, Maisons-Alfort 2005, S. 374–386. 6 Vgl. beispielweise Andr8 Corvisier (Hrsg.), Histoire militaire de la France, Bd. 1, hrsg. von Philippe Contamine, Paris 1992: Auf eine Skizze der Contours de la discipline militaire in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (S. 221–224) folgt ein systematischer Abschnitt zur Militärgerichtsbarkeit bezeichnenderweise erst wieder im Kapitel über die Reformen Ludwigs XIV. (Une discipline nouvelle, S. 401–404).

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Ausführungen deshalb konzentrieren. Abgesehen davon, dass es für diesen zeitlichen Ausschnitt selbst hinsichtlich der rechtlichen Verfassung der militärischen Gerichtsbarkeit und ihrer institutionellen Ausformung bislang an einer systematischen Gesamtdarstellung fehlt, gibt es für eine Schwerpunktsetzung auf das 16. und vor allem das 17. Jahrhundert weitere Argumente, die sowohl unter einem komparatistischen Blickwinkel, wie ihn der vorliegende Band einnimmt, als auch im Rahmen einer Histoire Crois8e in europäischer Perspektive zum Tragen kommen:7 Durch seinen Aufstieg zur größten europäischen Militärmacht im Laufe des 17. Jahrhunderts avancierte Frankreich bis weit in das 18. Jahrhundert hinein zum Vorbild und Maßstab für viele Fürsten in Europa, gerade auch im Hinblick auf seine übermächtig scheinende Armee und deren Verwaltungsstrukturen.8 So fanden die grundlegenden Neuregelungen hinsichtlich der Zuständigkeit und Verfahrensordnung der Militärgerichtsbarkeit zu Beginn der Selbstherrschaft Ludwigs XIV. in den 1660er Jahren, die deren Gesicht bis zum Ende des Ancien R8gime prägten, auch außerhalb Frankreichs große Beachtung und wurden z. B. 1672 in das Corpus Juris Militaris des kurbrandenburgischen Auditeurs Eberhard Hoyer (1634–1674) aufgenommen.9 Der französischen Militärjustiz gerade des Grand SiHcle kommt mithin sowohl für eine vergleichende europäische Betrachtung in rechtshistorischer Perspektive als auch für das seinerzeitige Verhältnis Frankreichs zu anderen europäischen Mächten und Bevölkerungen eine herausragende Rolle zu. Letzteres betrifft zum einen die große Zahl ausländischer Söldner in französischen Diensten, die damit zumindest partiell auch unter die französische Militärgerichtsbarkeit fielen.10 Zum anderen kamen breite Landstriche und 7 Zum Konzept der Histoire Crois8e im Sinne einer transnationalen Verflechtungsgeschichte siehe u. a. Michael Werner, B8n8dicte Zimmermann (Hrsg.), De la comparaison / l’histoire crois8e, Paris 2004. 8 Vgl. Schmidt, Militärverwaltung (wie Anm. 3). 9 Eberhard Hoyer, Corpus Juris Militaris. Darinnen Das Churfürstl. Brandenburgische Krieges-Recht Und Articuls-Brieff/ Mit der fürnehmsten Potentaten Kriegs-Rechten Concordantiis, wie auch der besten Armeen Kriegesgebräuchen, Berlin 1672. Vgl. Markus Meumann, [Art.] Corpus juris militaris, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin 2008, Sp. 907; zum Amt des Auditeurs siehe ders., [Art.] Generalauditeur, in: ebd. Bd. 2, Berlin 2012, Sp. 95–96, sowie Werner Hülle, Das Auditoriat in Brandenburg-Preußen. Ein rechtshistorischer Beitrag zur Geschichte seines Heerwesens mit einem Exkurs über Österreich, Göttingen 1971. 10 Siehe dazu Louis Andr8, Michel Le Tellier et l’organisation de l’arm8e monarchique, Paris 1906, S. 215–234; Louis Fieff8, Histoire des troupes 8trangHres au Service de France, 2 Bde, Paris 1854; Nathalie Genet-Rouffiac, The Wild Geese. Les r8giments irlandais au service de Louis XIV (1688–1715), in: Revue historique des arm8es 222 (2001), S. 35–48; Guy Rowlands, An Army in Exile. Louis XIV and the Irish Forces of James II in France 1691–1698, London 2001; ders., The Capitalisation of Foreign Mercenaries in Louis XIV’s France, in: Matthias Meinhardt, Markus Meumann (Hrsg.), Die Kapitalisierung des Krieges. Kriegs-

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damit auch deren Einwohner vor allem entlang der Grenzen des französischen Königreiches mit der arm8e du roi in Berührung und waren daher existentiell auf die Schutzfunktion einer funktionierenden Militärjustiz angewiesen.11 Dies galt besonders im Zuge der Besetzung und militärischen Annexion zahlreicher benachbarter Gebiete, vor allem an den Rändern des Alten Reiches, aber auch im Grenzgebiet zu Spanien und den südlichen Niederlanden sowie in den italienischen Alpen, die seit 1635 unter der Regierung Ludwigs XIII. (1601–1643) und Ludwigs XIV. mit kurzen Unterbrechungen zielstrebig vorangetrieben wurde.12 Die französische Militärgerichtsbarkeit dieser Zeit ist daher nicht nur unter rechts-, kriminalitäts- und militärgeschichtlichen Gesichtspunkten interessant, sondern sie ist zugleich von zentraler Bedeutung für das in den letzten Jahren ins Zentrum des Forschungsinteresses gerückte Verhältnis von Kombattanten und Zivilisten.13 Dies betrifft im engeren Sinn den Schutz der zivilen Bevölkerung gegen miliärische Übergriffe im Krieg, im weiteren Verständnis aber auch die Regulierung der durch die steigende Militärpräsenz infolge militärischer Besetzungen und den massiven Ausbau des Stehenden Heeres in großer Zahl vorfallenden Konflikte zwischen Militär- und Zivil-Bevölkerung in Nachkriegs- und Friedenszeiten – Probleme, für die sich die neuere Forschung in den letzten Jahren ebenfalls verstärkt interessiert hat, jedoch ohne dass die französische Armee dabei bislang in der deutschsprachigen Diskussion eine nennenswerte Rolle gespielt hätte.14 Ein Grund dafür ist sicherlich darin zu suchen, dass es, abgesehen von vergleichenden Studien

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unternehmer im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2016 (im Druck). Vgl. dazu auch Markus Meumann, Civilians, the French Army, and Military Justice during the Reign of Louis XIV. (c. 1640–1715), in: Erica Charters, Eve Rosenhaft, Hannah Smith (Hrsg.), Civilians and war in Europe (1618–1815), Liverpool 2012, S. 100–117. Zum Einsatz der französischen Armee in Norditalien und Katalonien in den 1630er und 1640er Jahren siehe Douglas C. Baxter, Servants of the Sword. French Intendants of the Army (1630–1670), Urbana, IL 1976, S. 92–104, bes. S. 102ff.; zum Nordosten siehe ebd., S. 104ff., sowie Alain Lottin, Philippe Guignet, Histoire des Provinces du Nord de Charles Quint / la R8volution franÅaise (1500–1789), Arras 2006, S. 179–204. Vgl. Christopher Allmand, War and the Non-Combatant in the Middle Ages, in: Maurice H. Keen (Hrsg.), Medieval Warfare. A History, Oxford 1999, S. 253–272; Mark Grimsley, Clifford J. Rogers (Hrsg.), Civilians in the Path of War, Lincoln, NE 2002; Charters u. a., Civilians and War (wie Anm. 11). Zur rechtlichen Seite vgl. Colm McKeogh, Innocent Civilians. The Morality of Killing in War, Basingstoke, New York 2002. Vgl. dazu u. a. Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995; Nowosadtko, Stehendes Heer (wie Anm. 2). Speziell zum 17. Jahrhundert siehe auch Lorenz, Rad der Gewalt (wie Anm. 2). Zum Problem der Nach- und Zwischenkriegszeiten vgl. dies., Zwischen den Kriegen zwischen allen Fronten. Gewaltsamer Widerstand gegen Obrigkeit und Militär in einer pommerschen Kleinstadt um 1700, in: Jörg Deventer u. a. (Hrsg.), Zeitenwenden. Herrschaft, Selbstbehauptung und Integration zwischen Reformation und Liberalismus, Münster u. a. 2002, S. 381–401.

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zur Praxis militärischer Gerichtsbarkeit in der Frühen Neuzeit überhaupt,15 auch hinsichtlich der französischen Militärjustiz an systematischen Untersuchungen zu deren Arbeitsweise und Rechtsprechung fehlt, insbesondere wiederum für die Zeit vor dem 18. Jahrhundert.16 Dessen ungeachtet werden die Disziplin der französischen Armee und die Effektivität ihrer Militärgerichtsbarkeit mindestens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gerade auch im Hinblick auf den Schutz der Zivilbevölkerung von der französischen Forschung überwiegend positiv eingeschätzt, was in einem bemerkenswerten Kontrast zu dem eher negativen Bild steht, das Maren Lorenz von den Verhältnissen in den nach dem Westfälischen Frieden schwedisch gewordenen Gebieten in Norddeutschland zeichnet.17 Im Anschluss an die Darstellung der rechtlichen und instutionellen Grundlagen der französischen Mililtärgerichtsbarkeit im 16. und 17. Jahrhundert (I.) sowie der den Schutz der Zivilbevölkerung betreffenden Regelungen und Intentionen (II.) werde ich daher abschließend der Frage nachgehen, inwieweit dieses positive Bild der französischen Militärjustiz angesichts archivalischer Quellen zur Disziplin der arm8e du roi in den Jahren von 1635 bis 1700 Bestand hat (III.).

15 Einen ersten Anlauf dazu habe ich vor einigen Jahren hinsichtlich der Regelung von Konfrontationen zwischen Militär- und Zivilbervölkerung unternommen: Markus Meumann, Comment les conflits entre militaires et civils 8taient-ils r8gl8s au XVIIe siHcle? Les exemples du Nord de la France et du duch8 de Magdebourg, in: Philippe Bragard, Jean-FranÅois Chanet, Catherine Denys, Philippe Guignet (Hrsg.), L’arm8e et la ville dans l’Europe du Nord et du Nord-Ouest. Du XVe siHcle / nos jours, Louvain-la-Neuve 2007, S. 89–100. Eine vergleichende Zusammenschau auf normativ-institutioneller Ebenen bietet Christopher Storrs, Giustizia militare, militari e non militari nell’Europa della prima et/ moderna, in: Claudio Donati, Bernhard R. Kroener (Hrsg.), Militari e societ/ civile nell’Europa dell’et/ moderna (secoli XVI–XVIII), Bologna 2007, S. 573–609. 16 Zum 18. Jahrhundert siehe v. a. : Jean Chagniot, Paris et l’arm8e au XVIIIe siHcle, Paris 1985; ders., Autorit8 militaire et justice / Paris au XVIIIe siHcle, in: Bragard u. a., L’arm8e et la ville (wie Anm. 15), S. 211–221; St8phane Perr8on, L’arm8e en Bretagne au XVIIIe siHcle. Institution militaire et soci8t8 civile au temps de l’intendance et des Ptats, Rennes 2005, S. 284ff. Für das 16. und das frühe 17. Jahrhundert ist man dagegen auf Einzelfunde angewiesen, etwa bei James B. Wood, The King’s Army. Warfare, Soldiers and Society during the Wars of Religion in France (1562–1576), Cambridge 1996; David Parrott, Richelieu’s Army. War, Government and Society in France (1624–1642), Cambridge 2001, S. 376–381. 17 Lorenz, Rad der Gewalt (wie Anm. 2), bes. S. 318ff. Zur französischen Forschung siehe unten Abschnitt II.

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I.

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Die institutionelle Ausformung der französischen Militärgerichtsbarkeit 1515–1715

Die Organisationstrukturen der französischen Armee im 16. und 17. Jahrhundert beruhten im Grundsatz auf den Reformen der Regierungszeit Franz’ I. (1515–1547).18 Die Institutionen der Militärjustiz waren allerdings deutlich früheren Ursprungs und reichten zum Teil sogar in die Zeit vor der Etablierung der arm8e permanente in der Mitte des 15. Jahrhunderts zurück:19 Die Gerichtsbarkeit des Conn8table, der als höchster Offizier der Krone in Abwesenheit des Königs den militärischen Oberbefehl und die Jurisdiktion über die gens de guerre innehatte, ist seit dem 13. Jahrhundert belegt.20 Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts verfügte er über ein eigenes Gericht, das Tribunal de la conn8tablie.21 Auch die mit polizeilichen Aufgaben verbundene Gerichtsbarkeit der dem Conn8table beigeordneten Marschälle von Frankreich lässt sich wenigstens bis an den Beginn des Hundertjährigen Krieges zurückverfolgen.22 Die pr8vits des mar8chaux, also die den Marschällen unterstellten Profosse, waren ursprünglich nicht für die Armee selbst, sondern für den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten zuständig und gingen somit vor allem ,hinter‘ den Heeren gegen Plünderer, Abgedankte und andere auf eigene Faust operierende Trupps vor. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts bekamen sie jedoch die gesamte Jurisdik18 Andr8 Corvisier, Les guerres de religion (1559–1598), in: Contamine, Histoire militaire (wie Anm. 6), S. 303–330, hier S. 315ff. Einen eng an die ebenfalls von Corvisier stammenden entsprechenden Abschnitte der Histoire militaire de la France angelehnten Überblick über die Institutionen der französischen Armee im 17. Jahrhundert gibt Schmidt, Militärverwaltung (wie Anm. 3), S. 26ff. 19 Zur Schaffung der sog. Ordonnanzkompanien siehe Philippe Contamine, La guerre de Cent ans: le xve siHcle. Du „roi de Bourges“ au „trHs victorieux roi de France“, in: ders., Histoire militaire (wie Anm. 6), S. 171–208, hier S. 201ff. 20 FranÅois Bluche, [Art.] Conn8table, in: ders. (Hrsg.), Dictionnaire du Grand SiHcle, Paris 1990, S. 388; Louis Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e et de la gendarmerie des origines / la QuatriHme R8publique, Maisons-Alfort/Ivry-sur-Seine 2002, S. 34. Diese Funktionen waren im 13. Jahrhundert vom s8n8chal, dem eigentlichen Oberkommandierenden der Armee, auf den Conn8table, der ursprünglich nur der Kommandant der Reiterei gewesen war, übergegangen. 21 Gabriel Le Barrois d’Orgeval, La justice militaire sous l’Ancien R8gime. Le tribunal de la Conn8tablie de France, du XIVe siHcle / 1790, Paris 1918, S. 31ff. Zur Datierung siehe auch Pascal Brouillet, Tribunal de la Conn8tablie et Mar8chauss8e de France, in: Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 845–846. 22 Drilleau, Mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 9. Jacques Lorgnier datiert die Anfänge der Mar8chauss8e sogar in die Regierungszeit König Philipp Augusts (1165–1223) um 1190. Vgl. ders., Mar8chauss8e: histoire d’une r8volution judiciaire et administrative, Bd. 1: Les juges bott8s, Paris 1994, S. 2. Ebenso wie der Conn8table verfügten die Marschälle, die für die Heeresorganisation einschließlich der Disziplin verantwortlich waren, über ein eigenes Gericht, dessen Zuständigkeiten denen der Conn8tablie ähnelten. Le Barrois d’Orgeval, Justice militaire (wie Anm. 21), S. 36–37 und 58ff.

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tion über die Truppen in den Garnisonen und den Tross auch in Friedenszeiten zugesprochen,23 die sie mit Hilfe von Vertrauensleuten in den militärischen Einheiten ausübten.24 Schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts waren in mehreren Provinzen berittene Kompanien geschaffen worden, die den pr8vits des mar8chaux unterstellt waren und bald unabhängig von den Heeren sowie auf Dauer operierten.25 Nach der Regierungsübernahme durch Franz I., der ihre Zahl erheblich vermehrte, erhielten sie auch das Mandat für die Verfolgung von nichtmilitärischen Vaganten und überhaupt für die Untersuchung aller Überfälle auf den Landstraßen. 1536 wurde die jurisdiktionale Zuständigkeit der pr8vits schließlich generell auf Kapitalverbrechen wie Raub, Mord, Vergewaltigung oder Falschmünzerei, die fortan sogenannten cas pr8vitaux, ausgedehnt, ganz gleich ob diese von Vaganten oder Ortsansässigen verübt worden waren.26 Der enormen Kompetenzzuweisung seitens der Krone entsprach indessen keine flächendeckende Machtbasis, und so darf man sich die Mar8chauss8e dieser Zeit keinesfalls als zentrale oder gar allmächtige Strafverfolgungsbehörde denken. Eher handelte es sich um lokale beziehungsweise regionale Jurisdiktionsgewalten, deren territoriale Zuständigkeitsbereiche unscharf waren respektive sich gegenseitig überlagerten.27 Zudem wurde die Gerichtsbarkeit der pr8vits des mar8chaux in den folgenden Jahrzehnten vielfach wieder den örtlichen Gerichtsbarkeiten untergeordnet und schließlich 1554 von Heinrich II. (1519–1559) sogar vorübergehend zugunsten anderer Ämter aufgehoben beziehungsweise stärker auf polizeiliche Aufgaben beschränkt.28 Die den pr8vits 23 Reglement et status sur le service des gens d’armes et des prevosts des mareschaux de France, 20. Januar 1514, in: Antoine Fontanon, Les Edicts et Ordonnances des Rois de France, Bd. 3: Concernant la Noblesse et Govvernevrs de Province: Ensemble les autres dignitez qui concernent la police militaire, Paris 1611, S. 82. Vgl. Drilleau, Mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 12ff.; Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 8; Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 86ff.; Gilbert Bodinier, [Art.] Conseil de guerre, in: Bluche, Dictionnaire du Grand SiHcle (wie Anm. 20), S. 390. Eine Aufstellung der die Mar8chauss8e betreffenden königl. Edikte und Ordonnanzen findet sich in in Luc, Histoire de la Mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 115–122. 24 Contamine, La guerre de Cent ans (wie Anm. 19), S. 224: „Le pr8vit des mar8chaux et ses archers […] chevaucheront de garnison en garnison afin d’y faire r8gner la justice. Il d8signera dans chaque compagnie un „homme de bien“ charg8 d’administrer chaque jour la justice, en son absence.“ 25 Pascal Brouillet, Jacques Lorgnier, [Art.] Compagnies des mar8chauss8es provinciales, in: Luc, Histoire de la Mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 851–852. 26 Drilleau, Mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 19–20; Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 93ff.; Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 8–10. Zu den cas pr8vitaux siehe ebd., S. 24–35, sowie im Überblick Roland Mousnier, Les institutions de la France sous la monarchie absolue (1598–1789), Neuausgabe, Paris 2005, S. 683. 27 Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 849. 28 Drilleau, Mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 23ff. und 30ff.; Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 117–118; Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 10 und 12ff.

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unterstellten berittenen Kompanien wurden teils durch andere Kontingente mit ähnlicher Funktion, wie die compagnies de robe courte, ersetzt,29 teils bestanden sie auch unter ihren ursprünglichen Namen weiter.30 In den kommenden Jahrzehnten immer wieder reformiert, nahm die Mar8chauss8e fortan überwiegend polizeiliche Aufgaben wahr. Für die Gerichtsbarkeit über das Militär spielte sie – mit Ausnahme von umherstreifenden abgedankten Soldaten und Deserteuren – trotz der Ableitung von der Jurisdiktion der Marschälle von Frankreich und der Unterstellung unter das Tribunal de la conn8tablie et mar8chauss8e de France, in dem Ende des 15. Jahrhunderts die ursprünglich getrennten Gerichtsbarkeiten von Conn8table und Marschällen verschmolzen waren, dagegen keine Rolle mehr.31 Auch die gerichtlichen Zuständigkeiten für die gens de guerre beziehungsweise die von ihnen begangenen Vergehen wurden im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts wiederholt neu geordnet und präsentieren sich daher auf den ersten Blick äußerst unübersichtlich.32 Dies trifft umso mehr zu, als die Kompetenzen der unterschiedlichen Institutionen in der Literatur oft ungenau beziehungsweise bis zur Widersprüchlichkeit vereinfacht dargestellt werden und die Bezeichnungen der einzelnen Ämter respektive Chargen nicht nur in den Quellen, sondern auch in der Forschungsliteratur variieren.33 An oberster Stelle 29 Letztere unterstanden einem lieutenant-criminel de robe courte, der eine den pr8vits des mar8chaux vergleichbare Justiz ausübte. Pascal Brouillet, [Art.] Compagnies de robe courte, in: Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 851, sowie ders., Jacques Lorgnier, [Art.] Lieutenant de robe courte dans les provinces, in: ebd., S. 858–859. Vgl. auch Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 12. 30 Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 12ff. 31 Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 11ff., bes. S. 21, 31–32, 47ff.; Drilleau, Mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 23ff. Zur Errichtung des Tribunal de la Conn8tablie et Mar8chauss8e siehe Mousnier, Les institutions de la France (wie Anm. 26), S. 678ff.; FranÅois Bluche, [Art.] Conn8tablie, in: ders., Dictionnaire du Grand SiHcle (wie Anm. 20), S. 388–389; Le Barrois d’Orgeval, La justice militaire (wie Anm. 21), S. 65–66. Die Entwicklung der Mar8chauss8e im 17. und 18. Jahrhundert skizziert Jean-Pierre Gutton, [Art.] Mar8chauss8e, in: Lucien B8ly (Hrsg.), Dictionnaire de l’Ancien R8gime, Paris 1996, S. 793–794. 32 Einen ersten Überblick geben: Jean Chagniot, [Art.] Justice militaire, in: B8ly, Dictionnaire (wie Anm. 31), S. 711–712; Bodinier, Conseil de guerre (wie Anm. 23); Michel Garrec, [Art.] Justice militaire, in: Dictionnaire d’art et d’histoire militaire, Paris 1988, S. 493–499. Etwas detaillierter, dafür aber auf das 17. Jahrhundert beschränkt: Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 376–381; John A. Lynn, Giant of the Grand SiHcle. The French Army (1610–1715), Cambridge u. a. 1997, S. 401–406. 33 Das Problem der Vielzahl unterschiedlicher Jurisdiktionen und Militärgerichte erwähnt schon Gh[ougas] Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre judiciaires en France sous l’Ancien R8gime, Bourges 1935, S. 9. Zu den wechselnden Titeln vgl. Jean-Philippe C8nat, Les fonctions de mar8chal g8n8ral des logis / l‘8poque de Louis XIV, in: Revue historique des arm8es 257 (2009), S. 76–86, hier S. 78. Ein Beispiel für die daraus gelegentlich entstehende Verwirrung in der Literatur ist Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 6, der pr8vits des

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der militärischen Jurisdiktion rangierte – formal wohl bis weit in das 17. Jahrhundert – das eben erwähnte Tribunal de la conn8tablie et mar8chauss8e de France, das seinen Sitz an der Table de marbre du Palais in Paris hatte.34 Dieses war im Prinzip in erster Instanz für alle Delikte der Soldaten sowie für die Streitigkeiten von Militärs untereinander zuständig. In der Praxis betraf dies aber wohl ausschließlich (höhere) Offiziere.35 Dem Tribunal stand zur Exekution seiner Sentenzen wie auch zur Wahrnehmung polizeilicher Funktionen eine Kompanie Berittener unter Führung eines pr8vit g8n8ral de la conn8tablie et mar8chauss8e de France zur Verfügung.36 Dieser auch als grand pr8vit de la conn8tablie bezeichnete königliche Beamte war dem Buchstaben nach der oberste Militärrichter Frankreichs, der die Einhaltung der ordonnances militaires überwachte und die Jurisdiktion über sämtliche Armeeangehörigen innehatte. Er stand außerdem an der Spitze der mar8chauss8e royale und besaß das Inspektionsrecht über die pr8vits des mar8chaux beziehungsweise die lieutenants-criminels de robe courte in den Provinzen; darüber hinaus oblag ihm im gesamten Königreich die Niederschlagung von Aufständen gegen die Krone.37 Während der Feldzüge übte er durch seine als pr8vits g8n8raux de l’arm8e bezeichneten lieutenants, die sich mit ihren Kompanien bei den Truppen auf-

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bandes und pr8vits g8n8raux d‘arm8e gleichsetzt und beide dem pr8vit g8n8ral unterordnet, obgleich die von ihm (obendrein fehlerhaft nach einer späteren Kompilation) zitierten Passagen aus dem Code Michau von 1629 eine klare Aufgabentrennung der beiden Chargen erkennen lassen. Siehe dazu weiter unten im Text sowie Anm. 66–68. Eine Vermischung der verschiedenen pr8vits unterläuft auch Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 67, während Garrec, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 494–495, die pr8vits des bandes gleich ganz unterschlägt und die militärische Gerichtsbarkeit vor 1665 fälschlich den pr8vits des mar8chaux zuspricht. Vgl. Anm. 21 und 31. Laut Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), S. 307, verließ das Tribunal 1549 die Table de marbre, um fortan im Augustinerkonvent zusammenzukommen. De la Ivrisdiction de la Connestablie et Mareschavss8e de France au Siege General de la Table de Marbre du Palais / Paris, in: Les Edicts et Ordonnances des Tres-Chrestiens Roys, FranÅois I. Henry II. FranÅois II. Charles IX. Henry III. Henry IV. Louys XIII. et Louys XIV. Sur le fait de la Iustice & abreuiation des Procez (…). Par Mes Pierre Neron, Et Estienne Girard, Aduocats en Parlement . (…). Corrig8es & augment8es de plusieurs Edicts, Ordonnances, Arrests & Reglemens, par M.F.P.A. Et en cette derniere Edition, du Trait8 de la Iurisdiction de la Connestablie & Marschauß8e de France, / la Table de Marbre du Palais / Paris, Paris 1666, S. 1077–1096, hier S. 1076. Vgl. Archives nationales M 639, M8moire De la Connestablie. Pascal Brouillet, [Art.] Compagnie de la Conn8tablie et Mar8chauss8e de France, in: Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 850–851; Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 57–62. Jacques Lorgnier, [Art.] Conn8table, in: Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 844; ders., [Art.] Pr8vit g8n8ral de la Conn8tablie et Mar8chauss8e de France, in: ebd., S. 861–862; Mousnier, Les institutions de la France (wie Anm. 26), S. 680–681; Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 57ff.

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hielten, die Gerichtsbarkeit über die Angehörigen des Heeres und den Tross aus.38 Er begegnet daher bisweilen auch unter der Bezeichnung (grand) pr8vit de l’arm8e.39 Mit dem Wachstum der französischen Armee seit der Regierungszeit Franz’ I. ging die Überwachung von Disziplin und Militärrecht allerdings zunehmend auf eigens dafür installierte Chargen bei den Heeren selbst über : Seit 1534 übten die nach den Infanterieeinheiten der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts benannten pr8vits des bandes und im späteren 16. Jahrhundert z. T. auch die Profosse der in dieser Zeit neu geschaffenen Regimenter ebenfalls richterliche und polizeiliche Funktionen aus.40 Diese unterstanden indes nicht dem Tribunal de la conn8tablie et mar8chauss8e, das damit de facto bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts an Bedeutung für die Militärgerichtsbarkeit verlor,41 sondern den eigentlichen militärischen Oberbefehlshabern, d. h. zu dieser Zeit in der Regel den Oberkommandierenden der einzelnen Waffengattungen. Diese bekamen in der zweiten Jahrhunderthälfte, komplementär zu den Gerichtsbarkeiten von Conn8table und Marschällen, die Jurisdiktion über die ihnen unterstellten Truppen zugesprochen, allen voran die colonels g8n8raux de l‘infanterie franÅaise.42 Dieser Rang, seit 1584 wie Conn8table und Marschälle ein grand office de la 38 Lorgnier, Pr8vit g8n8ral de la Conn8tablie (wie Anm. 37); Pascal Brouillet, [Art.] Pr8vit8s des arm8es, in: Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 856. 39 Bodinier, Conseil de guerre (wie Anm. 23); Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 59–62 und 288; Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 402. Zum Problem der variierenden Titel siehe Anm. 33. 40 Vgl. FranÅois Bluche, [Art.] Pr8vit, in: ders., Dictionnaire du Grand SiHcle (wie Anm. 20), S. 1252; Jean Chagniot, [Art.] Pr8vits, in: B8ly, Dictionnaire (wie Anm. 31), S. 1016; Pascal Brouillet, Jacques Lorgnier, [Art.] Pr8vit militaire aux arm8es et / la marine (1514–1789), in: Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 862. Nach Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 178–179, gab es in jeder der insgesamt sieben, aus je sechs bandes zu 1000 Mann bestehenden l8gions einen pr8vit des bandes, dem weiteres Hilfspersonal (vier sergents) unterstellt war. Ebenso in den ältesten Regimentern. Vgl. dazu auch Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 402; Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 389. Zur Organisation der französischen Infanterie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts siehe David Potter, War and Government in the French Provinces. Picardy 1470–1560, Cambridge 1993, S. 168–179, sowie Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), bes. S. 86–118. Zur Entstehung der Regimentsstruktur siehe ebd., S. 106ff., sowie Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), S. 314. 41 Nach John Hewitt Mitchell, The Court of the Conn8tablie. A Study of a French Administrative Tribunal during the Reign of Henry IV, New Haven, CT u. a. 1947, entwickelte sich das Tribunal im 16. Jahrhundert zu einer Art Oberbehörde der Mar8chauss8e, während sich seine militärgerichtliche Zuständigkeit de facto weitgehend auf Paris und Umgebung beschränkte. 42 Pierre Bonin, L’exercice de la justice par le colonel g8n8ral de l’infanterie franÅaise d’aprHs les sources narratives et doctrinales, in: Commission FranÅaise d’Histoire militaire (Hrsg.), Combattre, gouverner, 8crire. Ptudes r8unis en l’honneur de Jean Chagniot, Paris 2003, S. 197–216.

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couronne, orientierte sich am Vorbild der deutschen lansquenets (,Landsknechte‘) in französischen Diensten, die ihrerseits eine eigene Jurisdiktion unterhielten,43 und war um die Mitte des 16. Jahrhunderts auch bei den französischen Fußtruppen eingeführt worden.44 Reiterei und Artillerie kannten vergleichbare Chargen, deren Inhaber ebenfalls die Jurisdiktion über die ihnen unterstellten Truppen für sich reklamierten.45 Die Zuständigkeitsbereiche der verschiedenen previts waren allerdings nicht klar geschieden, was zu zahlreichen Kompetenzstreitigkeiten führte.46 Eine Ordonnance Heinrichs III. (1551–1589) unternahm 1584 den Versuch, die konkurrierenden Zuständigkeiten dahingehend zu klären, dass fortan in allen innermilitärischen Fragen der colonel g8n8ral de l’infanterie durch die ihm unterstellen Profosse das Verfahren an sich ziehen sollte: „Es camps & armees qui se dresseront pour nostre seruice, & 8s leuees de gens de guerre qui se feront pour mesme occasion pourra ledict Colonnel faire prendre par ses Preuosts la cognoissance de tous cas, crimes, & delicts, qui se trouueront auoir est8 commis par les Capitaines, soldats & gouiats des compagnies desdicts gens de pied, soit 8s garnisons, armee, ou en campagne“, inbegriffen „tous cas dependans de l’ordre, reiglement, discipline & police“, in denen die pr8vits ohne Appellationsmöglichkeit entschieden.47 Die Aufwertung des Generalobersten der Infanterie kam nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass diesem auch die Appellationsgerichtsbarkeit über die Jurisdiktion des colonel g8n8ral de la cavallerie zugestanden wurde.48 Wie im Falle der Mar8chauss8e rund 50 Jahre zuvor blieben solchermaßen definierte Kompetenzzuweisungen vermutlich allerdings überwiegend

43 Das Amt des pr8vit des lansquenets für die deutschen Landsknechte bestand seit 1514. Vgl. Brouillet, Lorgnier, Pr8vit militaire (wie Anm. 40). Daneben hatten auch Ialiener und Korsen eigene Generaloberste. Siehe Gilbert Bodinier, [Art.] Colonel g8n8ral, in: Bluche, Dictionnaire du Grand SiHcle (wie Anm. 20). S. 352. 44 Nach Einführung dieser Charge in den 1540er Jahren gab es zunächst zwei Generaloberste für die französische Infanterie (,en-deÅa des monts‘ und ,au-del/ des monts‘). 1569 wurden diese Ämter in einer Person zusammengelegt, seit 1584 handelte es sich um ein erbliches Amt im Besitz des Herzogs von Ppernon. Siehe Gilbert Bodinier, [Art.] Colonel g8n8ral, in: Bluche, Dictionnaire du Grand SiHcle (wie Anm. 20). S. 352, u. Bonin, L‘exercice (wie Anm. 42), S. 198–199. 45 An der Spitze der Kavallerie stand ebenfalls ein colonel g8n8ral, die Artillerie unterstand dem grand ma%tre de l’artillerie, der, grand officier de la Couronne seit 1601, auf gleicher Stufe mit dem colonel g8n8ral de l’infanterie rangierte. Vgl. Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), S. 315–316.; Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 377. 46 Vgl. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 377–378. 47 Zit. nach Barnab8 Brisson, Le Code dv Roy Henry III de France et de Pologne. Depuis augment8 […] par L. Charondas Le Caron, Bd. 2, Paris 1601, fol. 336. Vgl. auch: Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 212–213 (dort ist das Zitat allerdings partiell falsch wiedergegeben); Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 21–22. 48 Bodinier, Colonel g8n8ral (wie Anm. 43); Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 377.

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theoretisch.49 In der Praxis scheinen die Zuständigkeiten und auch die Kommandostrukturen zum Teil weniger klar beziehungsweise nicht immer akzeptiert gewesen zu sein. So weist Pierre Bonin unter Berufung auf Gaston Zeller sicher zu Recht darauf hin, dass militärischen Ämtern in dieser Zeit keineswegs automatisch eine Funktion oder gar Autorität entsprach.50 Angesichts der Schwächung der königlichen Autorität durch die seit 1562 andauernden Religionskriege ist es wahrscheinlich, dass die Jurisdiktion über die Soldaten zumeist von deren unmittelbar vorgesetzten Offizieren ausgeübt wurde.51 Insbesondere die Hauptleute der Kompanien, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sogar noch den Anspruch erhoben hatten, „de tuer impun8ment leurs soldats“,52 sahen sich kraft des sogenannten ius gladii als die juges naturels ihrer Untergebenen und übten vermutlich bis weit in das 17. Jahrhundert hinein v. a. in Disziplinarfragen eine Art Schnelljustiz aus.53 Darüber hinaus wurde ihnen nun aber auch explizit eine formelle Mitwirkung an der Rechtsprechung zugestanden, indem die Ordonnance von 1584 die pr8vits des bandes verpflichtete, den Konsens der Hauptleute bei der Ausfertigung ihrer Urteile einzuholen, „lesquels signeront auec lesdicts Preuosts les jugemens qui interuiendront“.54 Über die Schaffung klarerer administrativer beziehungsweise jurisdiktionaler Zuständigkeiten hinaus bemühte sich eine Reihe königlicher Edikte und Verordnungen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts um die Verbesserung der innermilitärischen Disziplin und den Schutz der Zivilbevölkerung.55 Diese

49 Vermutlich gab es bereits vor 1584 Versuche, die Zuständigkeiten innerhalb der militärischen Gerichtsbarkeit klarer zu definieren. Darauf deutet jedenfalls ein Reglement du Roy touchant la Cognaissance des Crimes qui se commettent dans les Lieux ou il y a des Troupes en Garnison hin. Siehe BibliothHque national de France [im Folgenden: BnF], Ch.tre de Cang8 9, fol. 2, nur hs. Titel, kein Text. Dort findet sich auch der Hinweis auf eine weitere Ordonnance De la Justice Militaire Exerc8e par les Prevots dans les Arm8es vom April 1589, wiederum nur hs. Titel. 50 Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 209. 51 Vgl. Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 711: „[En 1588, les] Parisiens ont […] demand8 aux Ptats g8n8raux de rappeler que les capitaines devaient punir leurs soldats convaincus avoir commis des vols ou des violences / l’8tape; faute de quoi, les officiers seraient traduits devant le pr8vit des mar8chaux ou le juge criminel de la juridiction ordinaire.“ 52 Zit. nach Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 207. 53 Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 711; Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 206–207. John A. Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 403–404, geht sogar davon aus, dass bis zur Amtsübernahme Michel Le Telliers 1643 „individual officers sat in judgement over their own soldiers, and this practice continued to a large extent until the return of peace in 1659“. Vgl. auch: Bodinier, Conseil de guerre (wie Anm. 23); Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), S. 314; Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 379; Nowosadtko, Militärjustiz (wie Anm. 1), S. 650. 54 Brisson, Le Code dv Roy Henry III (wie Anm. 47), fol. 336b. 55 Vgl. auch Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 226ff. Zum schwierigen Zustandekommen von Gesetzen während der Religionskriege siehe Lothar Schilling, Normsetzung in

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Texte, allen voran die als ordonnances militaires bekannte d8claration Heinrichs II. vom 20. März 1550,56 als deren Urheber der spätere Hugenottenführer Gaspard II. de Coligny (1519–1572) gilt, der seit 1547 eines der beiden Ämter des colonel g8n8ral de l’infant8rie bekleidete, erinnern sowohl in ihrer allgemeinen Begründung als auch hinsichtlich des Strafenkatalogs an die wegen ihres grundlegenden Charakters auch als ,Reichskriegsordnung‘ bezeichneten Artikelbriefe Maximilians II. (1527–1576) von 1570 und sanktionierten neben allgemeinen strafrechtlich relevanten Tatbeständen wie Tötung oder Körperverletzung eines Kameraden, Blasphemie, Injurien und Betrug beim Spiel sowohl innermilitärische Delikte und Disziplinverstöße (Ungehorsam, Verlust der Waffe, unerlaubtes Verhandeln mit dem Feind) als auch Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, namentlich die Vergewaltigung von Frauen und Mädchen und die Plünderung von Kirchengütern, die beide mit der Todesstrafe geahndet werden sollten.57 Inwieweit pr8vits beziehungsweise Offiziere oder selbst die colonels g8n8raux in der Lage oder auch nur willens waren, den vorgesehenen Strafen Geltung zu verschaffen, muss freilich dahingestellt bleiben.58 Dies gilt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass sowohl in den Religionskriegen als auch in den inneren Konflikten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts neben der königlichen Armee und fremden Truppen, für die die königlichen Gesetze ohnehin keine Gültigkeit besaßen,59 auf beiden Seiten auch ,Privatarmeen‘ unter

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der Krise. Zum Gesetzgebungsverständnis im Frankreich der Religionskriege, Frankfurt am Main 2005, S. 115ff. In der Literatur findet sich häufig die abweichende Datierung 20. März 1551. Der Text der Ordonnance selbst (s. folg. Anm.) sagt jedoch eindeutig, dass diese am 20. März 1550 erlassen wurde. Weiter geht daraus hervor, dass die Ordonance erst im folgenden Jahr durch die Kanzlei des Tribunal de la Conn8tablie et Mar8chauss8e registriert wurde, dies allerdings am 16. Juli 1551. Vgl. auch Archives nationales M 639, Extrait De l’ordonnance D’Henry 2 Donn8 / Blois le 20 mars 1550. Richtig auch bei Brisson, Le Code dv Roy Henry III (wie Anm. 47), fol. 337a und 338b. Fontanon, Les Edicts et Ordonnances des Rois de France (wie Anm. 23), S. 150–152. Vgl. auch ebd., S. 152–157: L’estas & gages des bandes de gens de pied […] & de la discipline militaire pour les dites bandes vom 23. Dezember 1553 (als Ordonnance Concernant le payement des Gens de Guerre / pied, & la discipline desdites Troupes auch in Archives nationales M 639). Zu den Ordonnanzen Karls IX. (1550–1574) und Heinrichs IV. (1553–1610) siehe unten Anm. 163 und 165. Vgl. auch Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 204–205, sowie Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 227–228. Zur ,Reichskriegsordnung’ vgl. Markus Meumann, [Art.] Artikelbrief, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. 1, Berlin 2008, Sp. 312–313, sowie Nowosadtko, Militärjustiz (wie Anm. 1), S. 645. Siehe dazu Abschnitt III. In den Religionskriegen kamen auf protestantischer Seite auch englische und niederländische Heere sowie in Deutschland geworbene Söldner zum Einsatz, die vermutlich ihre eigene Jurisdiktion mitbrachten. Vgl. David J. B. Trim, Huguenot Soldiering c. 1560–1685. The Origins of a Tradition, in: Matthew Glozier, David Onnekink (Hrsg.), War, Religion and Service. Huguenot Soldiering 1685–1713, Aldershot 2007, S. 9–30, hier S. 12–16. Selbiges

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dem Kommando adliger Heerführer sowie städtisch-bürgerliche Milizen kämpften.60 Aber auch Pierre de Bourdeille, gen. de Brantime (1540–1614) berichtet in seinem Discours sur les couronnels de l’infanterie de France, er habe den seinerzeitigen Generalobersten Philippe Strozzi (1541–1582) nur wenige harte Strafen anordnen sehen.61 Nachdem die Generalstände von 1614/15 auf ein baldiges Ende der militärischen Übergriffe gedrungen hatten,62 wurden in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erneut verschiedentlich königliche Edikte und Verordnungen erlassen, die sich die Wahrung der Disziplin und die Verhinderung von Übergriffen zum Ziel setzten und dabei grundsätzlich die Zuständigkeit der pr8vits des bandes für das Militär bestätigten.63 Dies gilt auch für die nach ihrem Urheber, dem garde des sceaux (Vizekanzler) Michel de Marillac (1563–1632), meist als Code Michau bezeichnete Grande ordonnance vom Januar 1629. Als direkte Reaktion der Krone auf die Beschwerden der Generalstände und der assembl8e de notables von 1626/27 sollte sie diesen die Spitze nehmen64 und sich daher um eine grundle-

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dürfte für die spanischen Truppen gelten, die während der inneren Auseinandersetzung der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wiederholt in Frankreich operierten. Vgl. dazu: Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), zu den ,Privatarmeen‘ bes. S. 327; Pierre-Jean Souriac, Une guerre civile. Affrontements religieux et militaires dans le Midi Toulousain (1562–1596), Seyssel 2008; Brian Sandberg, Warrior Pursuits. Noble Culture and Civil Conflict in Early Modern France, Baltimore, MD 2010, bes. S. 223–251; ders., „Avarice Never Made Him Unsheathe a Mercenary Sword“. Military Contractors in the French Wars of Religion, 1562–1629, in: Meinhardt, Meumann, Die Kapitalisierung des Krieges (wie Anm. 10). Über die inneren Strukturen dieser „bis zum Ende der Fronde ja durchaus bestehenden Privatarmeen“ ist nach wie vor so gut wie nichts bekannt. Vgl. Schmidt, Militärverwaltung (wie Anm. 3), S. 25. Pierre de Bourdeille de Brantime, Discours sur les colonels de l’infanterie de France. Pdition critique avec introduction, notes, glossaire, chronologie et index, hrsg. von Ptienne Vaucheret, Paris 1973, S. 187: „peu souvant luy ay-je veu commander / son Prevost de camp de rigoureuses justices.“ Siehe dazu genauer Andr8 Corvisier, L’opinion et le fait militaire sous l’Ancien R8gime d’aprHs les cahiers de dol8ances, in: Soci8t8, politique, culture en m8diterran8e occidentale, 16e–18e siHcles. M8langes en l’honneur du Prof. Anne Blanchard, Montpellier 1993, S. 97–114, bes. S. 105–107. Reglement sur le restablissement de la discipline, forme et ordre du payement, tant de la cavalerie que de l’infanterie franÅoise vom 14. August 1623. Vgl. Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 213; Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 526. Siehe auch BnF Ch.tre de Cang8 7 fol. 143, RHglement fait par le roi pour establir un bon ordre en la discipline et police de toute sa cavallerie vom 15. Mai 1638. Vgl. Abel Poitrineau, [Art.] Code Michau, in: Bluche, Dictionnaire du Grand SiHcle (wie Anm. 20), S. 340; Lucien B8ly, Code Michau, in: ders., Dictionnaire (wie Anm. 31), S. 273–274. Zur Entstehung der Ordonnance, die letztlich an den politischen Verhältnissen sowie der fehlenden Zustimmung eines Teils der Parlamente scheiterte, siehe Lothar Schilling, Gesetzgebung im Frankreich Ludwigs XIII. – ein konstitutives Element des Absolutismus? Das Beispiel des Code Michau (1629), in: Ius Commune 24 (1997), S. 91–131, hier S. 110ff.

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gende rechtliche Regelung des Verhältnisses von Zivilbevölkerung und Militär und der Zuständigkeiten im Konfliktfall bemühen: 144 der insgesamt 461 Artikel – mithin fast ein Drittel – widmen sich der Bezahlung und Verpflegung der Truppen, der Versorgung von Kranken und Invaliden, der genauen Definition von Marschrouten und aufzubringenden Einquartierungen, stellen Sanktionen bei Übergriffen gegen Quartierwirte in Aussicht und schwören Offiziere und pr8vits auf ihre Aufsichtspflichten ein.65 Darüber hinaus unternahm der Code Michau den neuerlichen Versuch, eine klare Kompetenzzuweisung beziehungsweise Aufgabentrennung der verschiedenen pr8vits zu definieren: Für alle innermilitärischen Vergehen ,de soldat / soldat‘ sollten demnach ausschließlich die pr8vits des bandes zuständig sein,66 ebenso für alle Verstöße gegen die ordonnances militaires und alle im militärischen Verband begangenen Übergriffe „envers et contre qui que ce soit“.67 Die Jurisdiktion der pr8vits g8n8raux d‘arm8e wurde künftig auf gens de guerre außerhalb ihrer Einheiten beziehungsweise auf dem Marsch („hors de dessous leurs cornettes ou drapeaux et hors des factions militaires, comme aussi dans le quartier du g8n8ral, lorsque nosdits gens de guerre marchent ou s8journent en corps d‘arm8es“) begrenzt.68 Darüber hinaus verloren alle pr8vits – auch die pr8vits de nos amez et f8aux les mar8chaux de France – grundsätzlich die Zuständigkeit für sesshafte Zivilpersonen und wurden auf das Militär beschränkt, über das sie zudem nur in militärischen Belangen und in „cas pr8vitaux“ richten sollten.69 Dementsprechend sollten von Militärangehörigen außerhalb des militärischen Bereichs begangene Delikte („tous crimes, excHs, d8lits commis par nosdits gens de guerre hors de leurs garnisons“) zugleich auch von der regulären (zivilen) Gerichtsbarkeit verfolgt werden können – „nos juges ordinaires pourront connoitre concurremment ou 65 Vgl. Schilling, Gesetzgebung (wie Anm. 64), S. 121–124. Der Text der Grande Ordonnance ist abgedruckt in FranÅois Andr8 Isambert u. a. (Hrsg.), Recueil g8n8ral des anciennes lois franÅaises: depuis l‘an 420 jusqu‘/ la r8volution de 1789, Bd. 16, Paris 1829, S. 223–344. 66 Art. 338: „De tous crimes commis de soldat / soldat, comme aussi des soldats envers leurs capitaines, chefs et officiers, soit en l‘ob8issance et la discipline militaire, soit autrement, la connoissance appartient au pr8vit des bandes.“ Isambert, Recueil (wie Anm. 65), S. 304. Vgl. Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 6 (dort allerdings fehlerhaft zitiert); Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 179. 67 Art. 339: „Aux mÞmes pr8vits des bandes appartient la connoissance et le jugement de toutes contraventions aux ordonnances militaires et de tous autres excHs commis en faction par les soldats envers et contre qui que ce soit.“ Isambert, Recueil (wie Anm. 65), S. 304. 68 Isambert, Recueil (wie Anm. 65), S. 304: Art. 340. Vgl. Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 194. 69 Art. 183: „Les pr8vits des camps et arm8es, et de nos amez et f8aux les mar8chaux de France, ni les pr8vits des bandes, ne pourront d8cr8ter ni proc8der criminellement contre aucun domicili8; ains exerceront leur jurisdiction sur les gens de guerre, et qui sont leurs justiciables seulement pour d8lits militaires ou pr8vitaux et non autres.“ Isambert, Recueil (wie Anm. 65), S. 277.

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par pr8vention avec les pr8vits des mar8chaux et pr8vits provinciaux“ –,70 was auf eine Aufwertung der zivilen gegenüber der militärischen Gerichtsbarkeit hinauslief. Bei Vergehen gegen die Zivilbevölkerung in den Garnisonen sollte im Regelfall sogar die zivile Justiz allein zuständig sein.71 In der Praxis blieb der Code Michau vermutlich allerdings aufgrund politischer Widerstände weitgehend wirkungslos;72 inwieweit die Vorschriften zur Militärgerichtsbarkeit und insbesondere die strikte Aufgabentrennung der unterschiedlichen pr8vits tatsächlich Anwendung fanden, ist daher äußerst fraglich. Eher erscheint es wahrscheinlich, dass in der Praxis nach wie vor ein Nebeneinander der verschiedenen pr8vits herrschte, die nicht nur untereinander, sondern darüber hinaus auch mit den Offizieren in Konkurrenz standen.73 Zugleich deutet einiges darauf hin, dass die grundlegenden Veränderungen in der Militäradministration, die sich unter dem Eindruck des sich seit Mitte der 1620er Jahre ankündigenden Krieges mit Spanien zu vollziehen begannen, zu einer Neuordnung auch der für die Militärgerichtsbarkeit zuständigen Institutionen führten, ohne dass sich dies sogleich in entsprechenden normativen Kodifikationen niedergeschlagen hätte. 1627, ein Jahr nach dem Tod des letzten Inhabers LesdiguiHres,74 wurde zunächst das Amt des Conn8table de France abgeschafft. Nach älterer Lesart geschah dies, weil die Religionskriege gezeigt hätten, dass die Konzentration der militärischen Macht in einer Person für den König gefährlich war.75 David Parrott zufolge kam es dazu allerdings eher, um zu verhindern, dass mit dem Herzog von Montmorency (1595–1632) ein Gegner Kardinal Richelieus (1585–1642) das prestigeträchtige Amt erhielt.76 Die mit diesem verbundenen militärischen Funktionen wurden fortan von einem der Marschälle ausgeübt; die administrativen Aufgaben des Conn8table, zu denen etwa die Aufsicht über 70 Isambert, Recueil (wie Anm. 65), S. 305: Art. 341. 71 Art. 342: „Quant aux crimes et excHs commis par nosdits gens de guerre dans l’enclos de leurs garnisons, tant contre les bourgeois ou habitans des lieux oF ils seront logez, qu’envers les peuples de la campagne, renvoy8 pardevers nos juges ordinaires et pr8vits, suivant le dernier r8glement fait sur ce point en l‘ann8e 1620.“ Isambert, Recueil (wie Anm. 65), S. 305. 72 Schilling, Gesetzgebung (wie Anm. 64), S. 124ff.; Poitrineau, Code Michau (wie Anm. 64); B8ly, Code Michau (wie Anm. 64), S. 274. 73 Vgl. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 390–391 u. 529. 74 FranÅois de Bonne de Cr8quy (1543–1626), duc de LesdiguiHres. Siehe St8phane Gal, LesdiguiHres. Prince des Alpes et conn8table de France, Grenoble 2007. 75 Vgl. Bluche, Conn8table (wie Anm. 20); Andr8 Corvisier, La paix n8cessaire mais incertaine (1598–1635), in: Contamine, Histoire militaire (wie Anm. 6), S. 331–351, hier S. 342. Zur Rolle des Conn8table in den Religionskriegen vgl. Denis Crouzet, Le conn8table de Bourbon entre „pratique“, „machination“, „conjuration“ et „trahison“, in: Yves-Marie Berc8, Elena Fasano Guarini (Hrsg.), Complots et conjurations dans l’Europe moderne, Rom 1996, S. 253–269. Das Amt des Grand amiral de France war bereits ein Jahr zuvor (1626) abgeschafft worden. Schmidt, Militärverwaltung (wie Anm. 3), S. 29. 76 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 469–470. Er argumentiert v. a. damit, dass bis Ende der 1650er Jahre mehrfach über die Wiedervergabe des Amtes spekuliert wurde.

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die mit der Versorgung der Truppen befassten commissaires des guerres gehört hatte,77 übernahm ein (ziviler) Secr8taire d’Ptat / la guerre, dessen Ressort während des zunächst verdeckten, seit 1635 dann offen geführten Krieges mit Spanien rasch an Bedeutung und Einfluss gewann.78 Auf die Militärgerichtsbarkeit hatte dieses Ereignis zumindest auf den ersten Blick indessen vorerst keinen erkennbaren Einfluss, da nämlich das von der Eigenschaft des Conn8table als Gerichtsherr abgeleitete Tribunal de la Conn8tablie et Mar8chauss8e de France institutionell fortbestand und erst 1790 infolge der Französischen Revolution aufgelöst wurde. Bereits seit dem 16. Jahrhundert hatte es sich allerdings zunehmend zum Ehrengericht in Duellfragen und bei Streitigkeiten unter Offizieren entwickelt; darüber hinaus fungierte es noch als Disziplinargericht in Vergehen von Angehörigen der Mar8chauss8e sowie als Appellationsinstanz in sogenannten cas pr8votaux.79 Außerdem fielen Zivilstreitigkeiten mit militärischem Bezug, z. B. Lösegeldfragen und Streitigkeiten um Soldforderungen, Quartiergeld oder Proviantlieferungen an die Armee, in die Zuständigkeit des Tribunals.80 Für die Militärgerichtsbarkeit im engeren Sinn spielte es dagegen wohl schon länger keine nennenswerte Rolle mehr, auch wenn es seinen normativen Anspruch darauf bis in die 1660er aufrechterhielt.81 Die Jurisdiktion über die Mi77 Die commissaires waren v. a. für die Bezahlung der Truppen und der Fortifikationen zuständig. Das Amt, das aus den commis und contrileurs der Kriegskasse hervorgegangen war, gab es bereits seit der Mitte des 16. Jahrhunderts. Jean Chagniot, [Art.] Commissaires des guerres, in: B8ly, Dictionnaire (wie Anm. 31), S. 295–296. Vgl. Potter, War and Government (wie Anm. 40), S. 179ff.; Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 243. 78 Zwar war bereits seit 1570 einer der vier amtierenden Staatssekretäre mehr oder weniger für das Kriegsressort zuständig; welche Aufgaben und Kompetenzen dieser realiter besaß, ist allerdings nicht genau zu bestimmen. Erst seit Charles Le Beauclerc (1566–1630), der das Amt 1624 übernahm, beinhaltete dieses das alleinige Recht zur Korrespondenz mit den Armeen und somit die Aufsicht über die gesamten militärischen Institutionen des Königreichs. Unter dessen Nachfolgern Abel Servien (ca. 1591–1659), Secr8taire d’Ptat 1630–1636, und FranÅois Sublet de Noyers (ca. 1588–1645), Secr8taire d’Ptat 1636–1643, entstand sodann eine Verwaltungsstruktur, die die Keimzelle für das spätere Kriegsministerium bildete. Martin Barros u. a., Le d8partement de la guerre de 1570 / 1792, in: Thierry Sarmant u. a. (Hrsg.), Les ministres de la guerre 1570–1792, Paris 2007, S. 81–138, hier S. 84–90. Vgl. auch Corvisier, La paix n8cessaire (wie Anm. 75), S. 342. 79 De la Ivrisdiction de la Connestablie et Mareschavss8e de France (wie Anm. 35), S. 1077. Vgl. Pascal Brouillet, Jacques Lorgnier, [Art.] Tribunal de la Conn8tablie et Mar8chauss8e de France, in: Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 845–846; Bluche, Conn8tablie (wie Anm. 31), S. 389; Mitchell, The Court of the Conn8tablie (wie Anm. 41), S. 39. 80 De la Ivrisdiction de la Connestablie et Mareschavss8e de France (wie Anm. 35), S. 1078–1079; Archives nationales M 639, De la Connestablie. Vgl. Mitchell, The Court of the Conn8tablie (wie Anm. 41), S. 41–42. 81 Jean Pinson de la MartiniHre, La Connestablie et Mareschauss8e de France, ou Recueil de tous les edicts, declarations et arrests sur le pouvoir et jurisdiction de MM. les Connestables et Mareschaux de France, et de leurs lieutenants au siHge de la Table de marbre, Paris 1661. Vgl. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 377.

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litärangehörigen blieb somit formal zunächst weiterhin unterschiedlichen Organen und Ämtern zugeordnet, zumal neben den verschiedenen pr8vits auch die seit Mitte des 16. Jahrhunderts v. a. mit der Truppenversorgung beaufragten commissaires des guerres sowie vor allem die intendants / l’arm8e, die seit den 1620er und 1630er Jahren bei den Armeen vielfältige Verwaltungsaufgaben wahrnahmen und anders als die commissaires auch richterliche Kompetenzen besaßen, eine Aufsichtsfunktion in disziplinarischen Fragen ausübten.82 Beide unterstanden als Zivilbeamte jedoch anders als die pr8vits nicht den militärischen grands offices de la couronne, etwa dem colonel g8n8ral de l’infant8rie, dem grand ma%tre de l’artillerie oder den mar8chaux de France, sondern dem Secr8taire d’Ptat / la guerre respektive dem Kanzler.83 Dies vermehrte und verschärfte die häufigen Kompetenzstreitigkeiten, weil für die Parteinahme der übergeordneten Amtsträger in der Regel nicht etwa die Ressortzugehörigkeit oder sachliche Aspekte die entscheidende Rolle spielten, sondern Klientelbeziehungen. Konflikte konnten daher schnell eskalieren und höhere Ebenen bis hin zu den jeweiligen Ministern oder Staatssekretären involvieren, die ihrerseits Parteien und Allianzen bildeten.84 Dessen ungeachtet begann sich parallel zur Etablierung der intendants / l‘arm8e auch in der militärgerichtlichen Praxis ein entscheidender Wandel abzuzeichnen, indem die Urteilsfindung zunehmend von sogenannten conseils de guerre, also aus Offizieren bestehenden Kriegsgerichten, ausgeübt wurde, in denen sowohl commissaires des guerres als auch Intendanten Sitz und Stimme beanspruchen konnten.85 Dies führte auf mittlere Sicht zu einem Bedeutungsverlust der pr8vits und damit letztlich auch der Jurisdiktionshoheit der militärischen grands offices de la couronne zugunsten der Offiziere, vor allem aber der Intendanten.86 Trotz der stärkeren Einbeziehung der Offiziere lief diese Maßnahme daher auf eine Vereinheitlichung der Militärgerichtsbarkeit und ihre Unterstellung unter die Kontrolle der zivilen Administration hinaus. Wann 82 Zu den commissaires des guerres siehe Anm. 77. Zu den Armeeintendaten: Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), bes. S. 13ff. u. 65–71; Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 379–381. Zur Erwähnung der Armeeintendanten im Code Michau siehe: Isambert, Recueil (wie Anm. 65), S. 250; Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 22; Schilling, Gesetzgebung (wie Anm. 64), S. 119–120. 83 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 380; Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 12ff. 84 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 391ff. und 529ff. 85 Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 35; Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 503. Dies gilt vermutlich für Armeeintendanten und Provinzintendanten, deren Funktionen in Grenzregionen und eroberten Gebieten, den pays conquis, seit den 1640ern ohnehin zunehmend zusammenfielen, gleichermaßen. Vgl. dazu Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 104ff. u. 191–192; Jean Chagniot, [Art.] Intendants d’arm8e, in: B8ly, Dictionnaire (wie Anm. 31), S. 671–672. Zur Rolle der Intendanten in den conseils de guerre siehe Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 592ff. 86 Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 593ff.; Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 404.

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genau die conseils de guerre das Recht zur Urteilsfindung und später auch zur Führung des Prozesses erhielten beziehungsweise den pr8vits streitig machten, ist allerdings aus den bekannten Quellen nicht eindeutig zu rekonstruieren. Gilbert Bodinier wertet bereits die oben zitierte Passage aus der Ordonnance von 1584, nach der die Hauptleute die Urteile gemeinsam mit den pr8vits unterzeichnen sollten, als Beleg für die Existenz der conseils de guerre.87 Dem steht allerdings entgegen, dass diese Bezeichnung dort nicht erwähnt und, was zweifellos schwerer wiegt, auch kein geregeltes Verfahren beschrieben wird; es heißt dort lediglich, dass die pr8vits die Meinung der Offiziere einholen sollten: „et prins l’aduis et opinion d’iceux Capitaines qui se trouueront esdictes troupes et armees ou de la plus grande & saine partie d’iceux.“88 Schließlich steht zu vermuten, dass auch der Code Michau die conseils de guerre vermutlich erwähnt hätte, wenn es sich bei diesen zu dieser Zeit (1629) bereits um eine etablierte Institution gehandelt hätte. Tatsächlich taucht diese Bezeichnung aber wohl erst 1638 erstmals in einem königlichen RHglement auf.89 Die meisten Autoren schreiben demgegenüber die Einführung der conseils de guerre den ersten Amtsjahren Michel Le Telliers (1603–1685, Secr8taire d’Ptat / la guerre von 1643–1677) zu90 oder erwähnen diese überhaupt erst im Zuge der in den 1660er Jahren eingeführten detaillierten Verfahrensregeln.91 Erste namentliche Hinweise auf die conseils de guerre finden sich gleichwohl in der Tat bereits in den 1620er und frühen 1630er Jahren. Ob diese allerdings schon im Sinne einer existierenden, oder präziser formuliert: einer regulären, von der Krone und den Inhabern der militärischen Gerichtsbarkeit anerkannten und rechtmäßig urteilenden Instanz gedeutet werden können, erscheint zumindest fraglich. Gerade die von David Parrott als Beleg dafür angeführte Schrift La justice militaire de l’infanterie von 1633,92 die bereits im Titel „l‘ordre de plusieurs faÅons de Conseil de guerre“ zu behandeln ankündigt, enthält zwar eine Reihe von Verfahrensre87 Bodinier, Conseil de guerre (wie Anm. 23). 88 Brisson, Le Code dv Roy Henry III de France et de Pologne (wie Anm. 47), fol. 336b. 89 RHglement fait par le roi pour establir un bon ordre en la discipline et police de toute sa cavallerie (wie Anm. 63). 90 Bluche, Conn8tablie (wie Anm. 31), S. 389; Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 589ff.; Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 403–404. 91 Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 711; Garrec, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 495; Corvisier, Louis XIV, la guerre et la naissance de l‘arm8e moderne, in: Contamine, Histoire militaire (wie Anm. 6), S. 402; Thierry Sarmant, Matthieu Stoll, Michel Le Tellier, Secr8taire d‘Ptat de la Guerre (1643–1677), in: Sarmant, Les ministres de la guerre (wie Anm. 78), S. 234–257, hier S. 241. 92 Laurens de Ville, La justice militaire de l’infanterie, comprenant les considerations que les Chefs doiuent auoir sur toute sorte de Iugemens: l‘ordre de plusieurs faÅons de Conseil de guerre; & d’imposer les peines, de chacune desquelles les especes sont desires: auec le pouuoir des Chefs; & des Officiers: / quoy sont iointes plusieurs Loix & Reglemens, Paris 1633. Vgl. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 378, Anm. 55.

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geln und Vorschriften für die Zusammenrufung von Kriegsgerichten. Bei genauer Lektüre zeigt sich aber, dass sich diese Regeln keineswegs auf königliche Ordonnanzen beziehungsweise RHglements oder sonstwie gesetztes Recht und nicht einmal auf die gewohnheitsrechtliche Praxis in der französischen Armee berufen. Vielmehr beschreibt der Autor Laurens de Ville, M[ai]stre de Camp appoint8 du Roy & Commissaire de la Compagnie d’hommes d’armes de Monseigneur l’Emminentißime Cardinal de Richelieu, also offensichtlich ein Klient des premier ministre, ganz allgemein die Institution der Kriegsgerichte, und zwar, wie im Titel angekündigt, gleich verschiedene Varianten davon,93 wobei er als Referenzen vor allem auf die Antike sowie auf Gebräuche anderer Truppen, z. B. der Savoyarden oder der Deutschen, rekurriert.94 De Villes Schrift präsentiert sich somit weit mehr als eine allgemeine Abhandlung über die conseils de guerre denn als Beschreibung einer gültigen Praxis. Möglicherweise handelt es sich dabei also um eine Art Denkschrift oder einen interessengeleiteten Diskussionsbeitrag in einer Debatte um die Reorganisation der Militärjustiz, die mit der Abschaffung der Charge des Conn8table beziehungsweise der Erweiterung der Kompetenzen des Secr8taire d’Ptat / la guerre in Verbindung stehen könnte und vermutlich die 1630er Jahre über anhielt.95 Dafür spricht auch die Tatsache, dass die frühesten Belege für die conseils de guerre in der aus Denkschriften und Konzepten für königliche RHglements zum Militärwesen bestehenden Sammlung Ch.tre de Cang8 aus den Jahren 1626/27 stammen, also aus der Zeit kurz vor oder unmittelbar nach dem Tod des letzten Conn8table LesdiguiHres. Die Erwähnungen in der Korrespondenz des Secr8taire d’Ptat / la guerre, die auf einen stärkeren Praxisbezug hindeuten, datieren dagegen erst von 1637 und 1638, eben dem Jahr also, in dem die conseils de guerre meines Wissens erstmals in einem königlichen RHglement erwähnt werden und in dem im Übrigen auch die Charge des colonel g8n8ral de l‘infanterie, also das zweite große Amt mit eigener Jurisdiktionshoheit, vorübergehend nicht wiederbesetzt wurde.96 Auch wenn dessen gerichtsherrliche Kompetenzen nicht vorrangig den Ausschlag für diese Maßnahme gaben, war es doch drei Jahre zuvor zu Auseinandersetzungen um das Recht des colonel g8n8ral zur Regelung von Disziplinarsachen gekommen.97 Zugleich finden sich in den 1630ern wiederholt Klagen, dass die Zahl der pr8vits 93 94 95 96

De Ville, La justice militaire (wie Anm. 92), S. 102ff. De Ville, La justice militaire (wie Anm. 92), u. a. S. 16, 45, 53–54, 90, 95, 420ff. Zur diskursiven Kontextualisierung siehe Abschnitt II. BnF Ch.tre de Cang8 22, passim; Thierry Sarmant u. a. (Bearb.), Inventaire des Archives de la guerre des origines au r8gne de Louis XIII 1570–1643. Sous-s8rie A1 1 / 80, Bd. 2, Vincennes 2001, S. 111 und 124. Vgl. auch Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerres (wie Anm. 33), S. 30, Anm. 3, sowie zur Absetzung des seinerzeitigen colonel g8n8ral Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 470–471. 97 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 473–474.

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zu gering sei, um die Aufrechterhaltung der Disziplin zu gewährleisten,98 was ebenfalls ein Indiz für eine Diskussion um die Reorganisation der Militärgerichtsbarkeit und die offensichtlich zunehmend unter Legitimationsdruck geratende Gerichtsherrschaft des colonel g8n8ral in dieser Zeit sein könnte.99 Dies muss nun nicht notwendigerweise bedeuten, dass die Institution der conseils de guerre vorher nicht existiert hätte und nicht hier und dort auch bereits in Gebrauch gewesen wäre; es macht es aber wahrscheinlich, dass diese frühestens seit Ende der 1630er Jahre den Status einer anerkannten militärischen Jurisdiktion erhielten.100 Dafür spricht schließlich auch die Beobachtung von Louis Andr8 in seiner klassischen Studie über Michel Le Tellier, dass es in den ersten Jahren von dessen Amtszeit noch keine expliziten Verfahrensvorschriften für die conseils de guerre gegeben habe.101 Darüber hinaus stellt das bereits erwähnte RHglement pour la Cavallerie von 1638, das die conseils de guerre erstmals im Rahmen einer königlichen Verordnung erwähnt, diese keineswegs über den pr8vit, wie es de Ville insinuiert,102 sondern gesteht im Gegenteil dem pr8vit g8n8ral de la cavallerie nach wie vor die zentrale Rolle bei Strafverfolgung und Gerichtsbarkeit zu, während die Offiziere weiterhin eher beratende beziehungsweise konfirmierende Funktion im Sinne der Ordonnance von 1584 zu haben scheinen: „Ledit Prevost General cognoistera de tous les Cas Dependans des Reglemens de Sa Majest8, et de tout ce qui a est8 ou sera ordonn8 pour la discipline et police de la Cavallerie, par sa Majest8, et par le Colonel, ou en son absence par le Maistre de Camp general.“103 98 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 378, Anm. 59. 99 Laut Parrott zeigt ein m8moire sur les causes des d8sordres de l’Infanterie von 1635, dass „indiscipline amongst the gens de pied was already a matter of concern to the ministry“. Richelieu’s Army [wie Anm. 16], S. 474. Vgl. auch Service historique de l’arm8e de terre [im Folgenden SHDAT] A1 no. 468 doc. 105: Extraits des pieces produittes par M. Le Duc d’Epernon sur la Jurisdiction de la charge de colonel general [nach 1648]. Mit diesen Schriftstücken, darunter Auszügen aus verschiedenen Schreiben und ParlamentsarrÞts von 1585, 1615, 1640 und 1648, ging es dem Herzog darum zu zeigen, dass der Colonel g8n8ral unabhängig über alle von Angehörigen der Infanterie begangenen Verbrechen urteile. 1642/43 war das Amt nach dem Tod des ersten Herzogs von Ppernon sogar vorübergehend aufgehoben worden, um kurz darauf unter der Regentschaft Annas von Österreich (1601–1666) und Mazarins dann doch seinem Sohn verliehen zu werden. Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 101–102. 100 Erste Hinweise auf das Wirken von conseils de guerre in den Quellen finden sich allerdings wohl auch erst in den späten 1630er und den frühen 1640er Jahren, vgl. Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 528, Anm. 110, S. 532, Anm. 129, u. S. 533, Anm. 134, sowie Sarmant, Inventaire (wie Anm. 96), S. 236. 101 Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 592. 102 De Ville, La justice militaire (wie Anm. 92), S. 26ff. Vgl. Parrott, Richelieus Army (wie Anm. 16), S. 378, Anm. 25. 103 RHglement fait par le roi pour establir un bon ordre en la discipline et police de toute sa

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1644 findet sich eine dem Sinn nach identische Formulierung in einem Schriftstück mit dem Titel Forme de la justice militaire de l’Infanterie de France, die den pr8vit überdies explizit als juge (Richter) bei Vergehen der Offiziere und ihrer Bediensteten bezeichnet.104 Louis Andr8 vermutet daher, dass noch bei Amtsantritt Le Telliers 1643 „la justice militaire semble d8volue aux seuls pr8vits“.105 Dies änderte sich vermutlich ab Mitte der 1640er Jahre; 1646 legte ein RHglement fest, dass die conseils de guerre alle zwei Wochen zusammentreten und über die anhängigen Strafsachen entscheiden sollten.106 Ob dies sogleich dazu führte, dass die pr8vits des bandes zu reinen Exekutivkräften im Sinne von Erfüllungsgehilfen der conseils de guerre wurden beziehungsweise die Charge sogar in dieser Zeit ganz verschwand, wie es einige Autoren nahelegen, erscheint allerdings wiederum fraglich.107 Im darauffolgenden Jahr wies ein königliches Schreiben jedenfalls Rat und Senat von Casale in Italien an, „[de] laisser au Prevost de la garnison de Cazal la Cognoissance du ProcHs qui doit estre fait a vn Montferrin qui a tu8 vn Soldat de la Garnison.“ Da es sich bei dem Angeklagten um einen monferratischen Soldaten handelte, der mit Unterstützung zweier Kameraden einen Angehörigen der französischen Garnison getötet hatte, und damit um ein ,crime de soldat / soldat‘, war nach französischer Auffassung in

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cavallerie (wie Anm. 63). Weiter heißt es dort: „Aucun de ceux qui serons a la solde, & du corps de ladite Cavallerie ne pourra decliner / autre juridiction qu’/ celle dudit Prevost qui les iugera, nonobstans opposition ou une appellation quelconque.“ Zit. nach Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 589. Vgl. Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 401. Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 589. Dies korrespondiert mit Parrotts Annahme, dass die militärische Gerichtsbarkeit vor 1642/43 von den pr8vits oder den Offizieren wahrscheinlich meist ohne Verfahren ausgeübt wurde. Allerdings ist zu beachten, dass die von ihm zum Beleg angeführten „Numerous edicts against desertion, pillage and violence against the civilian population“, die eine Bestrafung der Täter „sans autre forme de procHs“ vorsahen, sich dem Charakter der Tat nach auf so genannte cas pr8vitaux bezogen, die in die Zuständigkeit des grand pr8vit de la conn8tablie fielen und in denen die diesem unterstellten pr8vots g8n8raux d’arm8e, anders als im eigentlichen Militärgerichtsprozess, auch später noch allein urteilten. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 379. Ähnlich John Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 404, der meint, dass „prior to Le Tellier […], actual judgement and enforcement fell more to individual officers and to the provosts“. Vgl. auch Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 67–68. Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 592. Laut Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 711, wurde die Zuständigkeit der previts des bandes in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf das Regiment der Gardes franÅaises beschränkt. Vgl. ders., Pr8vits (wie Anm. 40), sowie Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 216. Auch Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 592–593, meint, die pr8vits hätten seit dem RHglement von 1646 nur noch polizeiliche bzw. Hilfsfunktionen besessen. Dort ist allerdings nicht von den pr8vits des bandes die Rede, sondern von den pr8vits g8n8raux, die ja eben ihrerseits die militärische justice pr8vitale vertraten und daher, ganz wie es der Code Michau statuiert hatte, im eigentlichen Militärgerichtsprozess keine Funktion besaßen. Vgl. dazu auch Anm. 105.

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diesem Fall nicht die lokale Justiz zuständig, sondern einzig die französische Militärgerichtsbarkeit, als deren einziger Repräsentant hier nach wie vor der pr8vit erscheint.108 Die erneute Schwächung der königlichen Autorität infolge der Fronde (1648–1653) macht es wahrscheinlich, dass sich die conseils de guerre wohl erst nach dem Ende des Krieges gegen Spanien 1659 beziehungsweise nach der persönlichen Regierungsübernahme des 23-jährigen Ludwig XIV. nach dem Tod Kardinal Mazarins (geb. 1602) im März 1661, die mit einer grundlegenden Reform der Militärjustiz verbunden war, als Regelverfahren des militärischen Strafprozesses durchsetzten.109 Spätestens im selben Jahr endete dann auch in formaler Hinsicht die eigenständige Gerichtsbarkeit der pr8vots des bandes, da das Amt des Colonel g8n8ral de l’Infanterie, von dessen Gerichtsherrschaft sie sich ableitete, nach dem Tod des zweiten Herzogs von Ppernon (1592–1661) im Juli des Jahres nicht wieder besetzt wurde.110 Auch die ausländischen (englischen, schottischen, polnischen und korsischen) Truppen verloren in den Jahren um den Pyrenäenfrieden ihre z. T. erst wenige Jahrzehnte zuvor berufenen Generalobersten und damit weitgehend auch ihre bis dahin geltenden Jurisdiktionsprivilegien.111 Lediglich die Kavallerie, für die noch Ende der 1660er Jahre der zusätzliche Rang eines colonel g8n8ral des dragons ins Leben gerufen wurde,112 und die Schweizer Truppen des Königs, die ihre Gerichtsautonomie bis zum Ende des Ancien R8gime verteidigen konnten, kannten weiterhin die Charge des Generalobersten.113 Nur wenige Monate nach Beginn seiner Selbstregierung am 12. Oktober 1661 erließ der junge König dann eine Ordonnance, die sämtliche in Garnison befindliche Truppen der Befehlsgewalt des Gouverneurs oder Ortskommandanten unterstellte. Auch hinsichtlich der Militärgerichtsbarkeit erhielten die Garnisonsoffiziere den Primat vor den Regimentsoffizieren: sie durften Soldaten ohne 108 BnF Ch.tre de Cang8 27 fol. 66: Lettre du Roy au Con.el et Senat de Cazal, pour laisser au Prevost de la garnison de Cazal la Cognoissance du ProcHs qui doit estre fait a vn Montferrin qui a tu8 vn Soldat de la Garnison, 27. Januar 1647 (Paris). 109 So deutet John Lynn den Umstand, dass der junge Marquis de Louvois, der seit 1662 seinen Vater Le Tellier bei dessen Abwesenheit als secr8taire d’8tat / la guerre vertrat, sich 1664 erregte, dass ein Hauptmann einen Soldaten ohne vorheriges Gerichtsverfahren zu einer schweren Leibestrafe verurteilt hatte, als Beleg dafür, dass die conseils de guerre zu dieser Zeit noch nicht vollständig etabliert waren, sondern vom secr8taire d’8tat erst durchgesetzt werden mussten. Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 404. 110 Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 199; Bodinier, Colonel g8n8ral (wie Anm. 43); Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 162–163. Ein colonel g8n8ral de l’infanterie findet sich dann erst wieder im 18. Jahrhundert. 111 Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 155; Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 103–104. 112 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 475; Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 103. 113 Das 1571 geschaffene Amt des colonel g8n8ral des Suisses et Grisons bestand bis 1792. Bodinier, Colonel g8n8ral (wie Anm. 43). Vgl. Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 150ff.

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Zustimmung von deren Offizieren festsetzen und entschieden allein über die Freilassung Festgenommener sowie die Einberufung der conseils de guerre als nunmehr alleiniger Gerichtsinstanz in innermilitärischen Angelegenheiten.114 Dies scheint zunächst nicht durchweg auf die Akzeptanz der Offiziere gestoßen zu sein. Durch die Ordonnance ausgelöste Kompetenz- und Rangstreitigkeiten waren der Grund dafür, diese Regelungen in einer weiteren Anordnung vom 25. Juli 1665 zu wiederholen und zugleich nochmals zu Lasten der Regimentsautonomie auszuweiten.115 Für sämtliche Vergehen innerhalb des Militärs sowie Verstöße gegen die Disziplin waren nun nicht mehr die pr8vits oder die capitaines zuständig, sondern ausschließlich die conseils de guerre. Deren Zusammensetzung wurde ebenfalls genau geregelt: Sie mussten aus mindestens sieben Offizieren bestehen, nach Möglichkeit aus Hauptleuten, und sie wurden für jeden Fall neu berufen.116 Den Vorsitz hatte getreu dem Geist der beiden Ordonnanzen der Garnisonskommandant oder sein Vertreter und die Untersuchung wurde vom major de la place, dem Verwaltungsoffizier der Garnison, geführt, der auch die Rolle des Anklägers übernahm.117 Außerhalb befestigter Plätze oblag der Vorsitz dem ranghöchsten Offizier, das Amt des Anklägers hatte der sergent-major (Regimentschreiber) zu versehen. Im Fall, dass nicht genügend Offiziere des eigenen Regimentes vorhanden waren, sollten Offiziere anderer Waffengattungen oder aus benachbarten Garnisonen hinzugezogen werden. Falls dies wiederum nicht möglich war, sollten Unteroffiziere anstelle der Offiziere genommen werden.118 Eine Verurteilung konnte nur mit Mehrheit der Stimmen und musste überdies schriftlich erfolgen. Darüber hinaus wurde das Verfahren von einem zivilen Commissaire des guerres überwacht, der auch das 114 Reglement fait par le Roy, concernant le Commandement, l’Ordre, & la Discipline, que sa Majest8 veut 8tre dor8navent gardez par ses Troupes d’Infanterie, dans les Villes & Places oF elles tiendront garnison. Du 12. Octobre 1661, in: [Louis XIV.], Reglemens et ordonnances du roy pour les gens de guerre, Bd. I, Paris 1675, S. 117–132. 115 Reglement fait pour lever plusieurs difficultez meu[s entre les Officiers de ses Troupes, & entre eux et les Officiers Majors des Villes & Places oF elles sont en garnison, depuis le Reglement du douzi8me Octobre 1661. & en interpr8tation d’aucuns Articles d’icelui, Du 25 Juillet 1665, in: [Louis XIV.], Reglemens (wie Anm. 115), S. 266–304. Vgl. auch Ordonnance dv Roy, portant que les Sergens Majors des Villes & Places donneront leurs conclusions 8s proc8s criminels des Soldats, / l’exclusion des Sergens Majors des Regimens. Du septi8me Aoust 1663, in: [Louis XIV.], Reglemens (wie Anm. 115), S. 204–206. 116 Vgl. Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 31–32. 117 Bodinier, Conseil de guerre (wie Anm. 23); Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 29–30. 118 Ordonnance du Roy, portant que les Officiers de Cavalerie aßisteront dans les Conseils qui seront tenus pour le jugement des Soldats d’Infanterie, & les Officiers d’Infanterie pour le jugement de ceux de Cavalerie, lors qu’il n’y aura pas nombre suffisant d’Officiers, soit d’Infanterie ou de Cavalerie, pour rendre les dits jugemens. Du 22. Aoust 1666, in: Reglemens et ordonnances du roy pour les gens de guerre (wie Anm. 114), S. 403–406. Vgl. auch Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 32–33.

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Urteil aussetzen und an den Minister berichten konnte. Selbiges stand den Intendanten zu.119 Gegen Ende des Jahrhunderts bestanden die conseils de guerre in der Regel dann sogar aus zwölf Offizieren.120 Mit den Ordonnanzen von 1681 und 1689 wurden sie schließlich auch auf die Marine übertragen, mussten dort allerdings nur bei Vergehen, welche die Todesstrafe verdienten, eingeschaltet werden; in allen anderen entschieden die Offiziere allein.121 Ausgenommen von diesen Regelungen blieben allein hohe adlige Offiziere, die sich, sofern sie das Privileg des committimus besaßen, gegebenenfalls vor der chambre des requÞtes eines Parlamentes zu verantworten hatten, sowie die Schweizer Truppen des Königs.122 Diese unterstanden den lettres patentes von 1602 zufolge, die 1663 nochmals bestätigt wurden, bis zum Ende des Ancien R8gime ausschließlich der Justiz ihrer eigenen Offiziere und wurden nach den Grundsätzen des Reichsrechtes, das heißt insbesondere der Peinlichen Halsgerichtsordnung von 1532, der Carolina, gerichtet.123 Es kam daher immer wieder vor, dass Schweizer Soldaten durch ihre vorgesetzten Offiziere dem Zugriff der örtlichen Gerichtsbarkeiten entzogen wurden, selbst wenn sie von diesen auf frischer Tat ertappt und festgenommen worden waren.124 Wie gut die eidgenössischen Soldtruppen dieses deswegen von den regulären französischen Gerichtsbarkeiten mit Argwohn betrachtete Privileg zu verteidigen wussten, lässt sich daran erkennen, dass zu Anfang des 18. Jahrhunderts Ludwig XIV. persönlich dem Ch.telet, das die alleinige Gerichtsbarkeit in Paris beanspruchte, untersagte, einen Schweizer anzuklagen, der ausgerechnet im Schloss von Versailles einen Diebstahl begangen haben sollte.125 Dies bedeutete freilich nicht

119 Zum weiteren Verfahren siehe Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 38ff. u. 64–109. 120 Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 405. 121 Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 182. 122 Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 711; ders., Les progrHs de l’administration militaire, in: Andr8 Corvisier (Hrsg.), Histoire militaire de la France, Bd. 2, hrsg. von Jean Delmas, Paris 1992, S. 29–54, hier S. 46. Beim committimus handelte es sich um das Privileg, in Rechtsangelegenheiten von Beginn an vor einer höheren Instanz zu erscheinen. MarieFranÅoise Limon, [Art.] Committimus, in: B8ly, Dictionnaire (wie Anm. 31), S. 299. 123 Gh[ougas] Sal8rian-Saugy, La justice militaire des troupes suisses en France sous l’Ancien R8gime. D’aprHs des documents conserv8s aux archives de Berne et de Paris, Paris 1927, S. 18ff. Vgl. auch: Kriegs-Verordnungen und Gesetze, entworfen, als die Schweitzerische Soldaten zuerst in Französische Dienste giengen, Hersfeld 1761; B8at FidHle Antoine Jean Dominique Zurlauben, Code militaire des Suisses, Pour servir / l’Histoire Militaire des Suisses, au Service de la France, 4 Bde, Paris 1758–1764. Zu den Allianzen von 1602 und 1663 siehe J8rime Bodin, Les Suisses au service de la France de Louis XI / la L8gion 8trangHre, Paris 1988, S. 132 und 153ff. 124 Sal8rian-Saugy, La justice militaire des troupes suisses (wie Anm. 123), S. 126–134. 125 Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 712; Sal8rian-Saugy, La justice militaire des troupes suisses (wie Anm. 123), S. 137–140. Letzterer berichtet darüber hinaus von ähnli-

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automatisch, dass die Missetäter deswegen nicht hart bestraft worden wären. So wurde der des Diebstahls in Versailles angeklagte Soldat von der Schweizer Regimentsgerichtsbarkeit zu neun Jahren Galeerenstrafe verurteilt, was vermutlich einem Todesurteil gleichkam.126 Der seinerzeitige colonel g8n8ral des suisses et des grisons, Marschall Schomberg,127 wollte die eifersüchtige Verteidigung ihrer Sonderrechte durch die ihm unterstellten Schweizer Garden 1652 sogar darin begründet sehen, dass die Schweizer Justiz besonders hart durchgreife: „La justice riguoureuse que les officiers exercent contre les Soldats qui tumbent en faulte Les rend Jaloux de conseruer [ce] privilege […]“128 Das Rechtsprivileg der Schweizer erstreckte sich darüber hinaus nicht allein auf innermilitärische beziehungsweise Disziplinarvergehen, sondern auch auf Streitigkeiten zwischen Militärangehörigen und der Zivilbevölkerung, und es umfasste nicht allein die Soldaten, sondern auch deren Familienangehörige, sofern diese als Angeklagte aufgerufen waren.129 Demgegenüber unterlag die Gerichtsautonomie anderer troupes 8trangers auch schon vor Abschaffung ihrer eigenen Generalobersten der Aufsicht der französischen Jurisdiktionsinhaber und war im Prinzip auf innermilitärische Vergehen beschränkt.130 In allen Streitigkeiten, in die Zivilpersonen verwickelt waren, sollten dagegen einer Ordonnance vom 4. November 1651 zufolge Angehörige dieser Truppen, „de quelque qualit8 et nation qu’ils soient“, ebenso wie die „troupes franÅaises“ unter die Zuständigkeit der „justice des lieux“ fallen, und zwar „nonobstant tout pri-

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chen Streitigkeiten, mit dem Ch.telet ebenso wie mit anderen zivilen Gerichtsbarkeiten. Vgl. ebd., S. 33–34 und 53ff. Vgl. die vorhergehende Anmerkung. Zum Schicksal der Galeerensträflinge siehe Andr8 Zysberg, Les gal8riens. Vies et destins de 60.000 forcats sur les galHres de France (1680–1748), Paris 1987. Es muss sich um Charles de Schomberg, Comte de Nanteuil (1601–1656) handeln, der 1647 zum colonel g8n8ral des suisses et des grisons ernannt worden war. Ren8 u. Suzanne Pillorget, France baroque – France classique. 1589–1715, Bd. 2: Dictionnaire, Paris 1995, S. 1082–1083. SHDAT A1 no. 468 doc. 156, Mar8chal de Schoenberg an le Tellier, 20. März 1652. Darin begründet Schomberg den Zorn der Schweizer nach einem Zwischenfall, bei dem der Lieutenant du Roy de Bapaume, also der örtliche Justizbevollmächtigte, einen Soldaten der Compagnie Victor Valther erschossen hatte, wie folgt: „Vous scavez Monsieur La consequence de cette action Et qu’el sujet toute la nation croit avoir d’en poursuivre la reparation necess.re , La justice riguoureuse que les officiers exercent contre les Soldats qui tumbent en faulte Les rend Jaloux de conseruer un privilege que ce Lieutenant de Roy a viol8 d’une faÅon si extraord.re Et le deuoir de ma charge me sollicite de vous supplier tres humblement comme Je fais d y voulloir mettre ordre au plustost, vous coupperez Le chemin aux suittes fascheuses de cette aff.re […].“ Sal8rian-Saugy, La justice militaire des troupes suisses (wie Anm. 123), S. 30ff. u. 39. 1638 hatte eine königliche Ordre die ausländischen Truppen zudem verpflichtet, die Autorität der Armeeintendanten anzuerkennen. Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 103, Anm. 30.

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vilHge contraire“.131 Dessen ungeachtet versuchten die ausländischen Offiziere allerdings, weiterhin Sonderrechte geltend zu machen, und auch französische Soldaten respektive ihre Vorgesetzten reklamierten immer wieder, nur der militärischen Gerichtsbarkeit gegenüber verantwortlich zu sein.132 Prinzipiell hatte diese zwar durchaus auch Vergehen gegen die Zivilbevölkerung zu ahnden, sofern es sich dabei um im militärischen Verband begangene Verletzungen der Kriegsartikel beziehungsweise der königlichen Ordonnanzen handelte,133 die es beispielsweise untersagten, Zivilpersonen, insbesondere Frauen, Kinder und Alte, zu töten, zu vergewaltigen, Kirchenräume zu verletzen oder ohne Erlaubnis der Offiziere zu plündern.134 Auch wenn es durchaus Beispiele für hartes Durchgreifen der Offiziere beziehungsweise entsprechende Urteile der Conseils de Guerre gibt,135 zeigt die Praxis doch, dass die Offiziere häufig wenig Neigung zeigten, ihre Soldaten wegen Vergehen gegen die Zivilbevölkerung streng zu richten oder gar zum Tod zu verurteilen136 – schon gar nicht, wenn es sich dabei um kleinere Delikte oder körperliche Auseinandersetzungen ohne Todesfolge handelte.137 So berichtet Jean Chagniot, dass in Paris noch im 18. Jahrhundert die Offiziere der Garderegimenter stets Gewährsleute fanden – vorzugsweise eine Dame von Stand oder einen Geistlichen –, die willig bezeugten, dass der Soldat nur zur Verteidigung der militärischen Ehre gehandelt habe und/oder so betrunken gewesen sei, dass er deswegen eine Strafmilderung verdiene.138 Anders verhielt es sich, wenn es sich um mauvais sujets oder Deserteure handelte. Dann waren die Offiziere häufig sogar freiwillig bereit, die Delinquenten der justice ordinaire zu überlassen, und verhängten auch selbst harsche Urteile.139 131 „Les juges des lieux oF les troupes tiendront garnison connaistront de tous les crimes et d8lits qui pourront Þtre commis dans lesdits lieux par lesdits gens de guerre de quelque qualit8 et nation qu’ils soient auxquels les habitants des lieux ou autres sujets de S.M. auront interest nonobstant tout privilHge contraire. Et n8anmoins lesdits juges ordinaires seront tenus d’appeler le Prevost des Bandes ou du Regiment en cas qu’il en ait pour assister / l’instruction et au jugement de tout crime de soldat / habitant, et oF il n’y aura point de prevost d’y appeler le sergent-major ou l’ayde major ou l’officier commandant de la troupe […]“. Zit. nach Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 59, Anm. 1. 132 Sal8rian-Saugy, La justice militaire des Suisses (wie Anm. 123), S. 37–38; Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 530–531; Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 590. 133 Zu der entsprechenden Regelung im Art. 339 des Code Michau vgl. Anm. 67. 134 Vgl. beispielsweise Archives nationales M 638, Ordre et reiglement que doivent tenir et garder les Soldats & Gens de guerre / pied (1649). 135 Vgl. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 532; Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 403. 136 Vgl. dazu Abschnitt III. Siehe außerdem Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 516–533. 137 Dies galt im Prinzip auch noch im 18. Jahrhundert. Siehe dazu Chagniot, Les progrHs de l’administration militaire (wie Anm. 122), S. 46. 138 Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 711. 139 Vgl. Ch.tre de Cang8 34 fol. 327, Copie d’une lettre de Mons. de Barbezieux, 26. Okt. 1698;

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Im Wissen um die Neigung der Offiziere, ihre Soldaten in sogenannten d8lits mixtes vor harten Strafen zu bewahren, setzte sich wohl bereits zum Ende der Regierungszeit Richelieus die Einsicht durch, dass es besser wäre, diese Fälle durch die zivile Justiz verfolgen zu lassen. Justizbeamte in den Städten erhielten deshalb 1641 das Recht, Offiziere festzunehmen, deren Soldaten Übergriffe begangen hatten.140 Die eben erwähnte Ordonnance vom 4. November 1651 unterstellte sodann alle Zwischenfälle, an denen Nichtmilitärs beteiligt waren, in den Garnisonen den zivilen juges des lieux. Allerdings sollten diese den pr8vit des bandes oder ersatzweise einen Offizier zum Verfahren hinzuziehen.141 Die Ordonnance von 1665 ließ auch diese Bestimmung fallen und ging hinsichtlich der in den Garnisonen vorfallende Konflikte zwischen Militärs und Zivilisten noch weiter : Diese wurden, soweit sie sich außerhalb des engeren militärischen Bereiches ereigneten, grundsätzlich der justice ordinaire, d. h. den örtlichen Gerichten unterstellt: „lors que les Officiers, ou Soldats des Troupes d’Infanterie auront commis quelque crime, ou delict, / l’endroit des habitans des lieux de Garnison, la connoissance desdits crimes, ou delits, appartiendra aux Juges des lieux sans que les Officiers desdites Troupes en puissent conno%tre en aucune mani8re […]“.142

Darüber hinaus wurde den Offizieren sogar selbst in Fällen ,de soldat / soldat‘ untersagt, beschuldigte Militärangehörige aus der Haft zu befreien, wenn diese zuvor auf Befehl der örtlichen Gerichte festgesetzt worden waren. Vielmehr sollten die Offiziere in diesen Fällen formal die Überstellung des Delinquenten beantragen und sich, falls man diese verweigerte, an den König wenden.143 Hier wird ein grundlegender Unterschied zur Rechtspraxis im Alten Reich sichtbar, wo Militärangehörige grundsätzlich dem forum militare unterstanden und Konflikte zwischen Militär- und Zivilpersonen entweder von den militärischen Gerichten oder aber von eigens gebildeten gemischten Kommissionen aus Militär- und Zivilrichtern verfolgt wurden, was oft in Kompetenzstreitigkeiten mündete.144

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Chagniot, Les progrHs de l’administration militaire (wie Anm. 122), S. 46; Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 141–152. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 531. Wie Anm. 131. Vgl. Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 23; Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 586. Reglement fait pour lever plusieurs difficultez (wie Anm. 115), S. 293–294. Reglement fait pour lever plusieurs difficultez (wie Anm. 115), S. 294. Vgl. Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft (wie Anm. 14), S. 31–32; Lorenz, Rad der Gewalt (wie Anm. 2), S. 147ff.; Nowosadtko, Stehendes Heer im Ständestaat (wie Anm. 2), S. 145ff.; dies., Vom Kriegsprozess in bürgerlichen und peinlichen Sachen. Die Militärjustiz des Fürstbistums Münster im 18. Jahrhundert, in: Helga Schnabel-Schüle, Harriet Rudolph (Hrsg.), Justiz = Justice = Justicia? Rahmenbedingungen von Strafjustiz

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Wie gesagt, galt diese Regelung jedoch nur für die Garnisonen. Die Zuständigkeit der pr8vits g8n8raux de l’arm8e für auf dem Marsch oder in den 8tapes, den mit Magazinen ausgestatteten festen Versorgungspätzen,145 begangene Verbrechen an beziehungsweise zu Lasten der Bevölkerung ebenso wie für den Tross blieb davon genauso unberührt wie die Zuständigkeit der pr8vits des mar8chaux für umherziehende oder „gartende“ Soldaten und Marodeure sowie aufgegriffene Deserteure, die in der ordonnance criminelle von 1670 erneut festgeschrieben wurde.146 Für das 17. Jahrhundert lassen sich somit prinzipiell drei jurisdiktionale Zuständigkeiten für Vergehen von Militärangehörigen in Frankreich unterscheiden: Erstens die für innermilitärische Delikte und die Verletzung der ordonnances militaires zuständige eigentliche Militärgerichtsbarkeit, die zunächst namens der colonels g8n8raux der einzelnen Truppenkörper beziehungsweise Waffengattungen von den pr8vits des bandes und den Regimentsprofossen ausgeübt wurde, seit den 1630er oder 1640er Jahren dann zunehmend von den conseils de guerre. Zweitens die vom Tribunal de la conn8tablie et mar8chauss8e de France beziehungsweise dem grand pr8vit de la conn8tablie abhängige militärische justice pr8vitale, die für die Verfolgung von Deserteuren sowie für alle außerhalb der militärischen Einheiten begangenen Verbrechen auf dem Marsch und während der Feldzüge zuständig war. Dazu wurden zu Beginn der militärischen Operationen bei jeder Armee eine temporäre pr8vot8 eingerichtet,147 die auf frischer Tat ertappte Übeltäter ohne Gerichtsverfahren sur le champ aburteilen konnte.148 Drittens schließlich die justice ordinaire, der in den Winterquartieren und Garnisonen üblicherweise sämtliche d8lits mixtes, also Vergehen mit Beteiligung von Militär- und Zivilbevölkerung, zugeordnet werden sollten. Auch wenn es natürlich auch in Frankreich durchaus ein Nebeneinander verschiedener ziviler Gerichtsbarkeiten gab,149 die sich ebenfalls gegenseitig Konkurrenz machten, ist doch anzunehmen, dass die konsequente Unterstellung

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im frühneuzeitlichen Europa, Trier 2003, S. 491–514, bes. S. 505ff.; Meumann, Comment les conflits entre militaires et civils 8taient-ils r8gl8s (wie Anm. 15), S. 98–99. Zum System der 8tapes siehe Bernhard R. Kroener, Les Routes et les Ptapes. Die Versorgung der französischen Armeen in Nordostfrankreich (1635–1661). Ein Beitrag zur Verwaltungsgeschichte des Ancien R8gime, Münster 1980, S. 57ff. Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32), S. 711; Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 62, 181, 289. Pascal Brouillet, Pr8vit8s des arm8es, in: Luc, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 5), S. 856; Brouillet, Lorgnier, Pr8vit militaire aux arm8es (wie Anm. 40). Vgl. auch Mitchell, The Court of the Conn8tablie (wie Anm. 41), S. 55; Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 402; Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 590–591. Zu den Aufgaben der pr8vits de la conn8tablie et mar8chauss8e gehörte es den instructions von 1646 zufolge, „de punir sur le champ ceux qui seront par vous trouvez au flagrant d8lit“. Zit. nach Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 591. Chagniot, Les progrHs de l’administration militaire (wie Anm. 122), S. 45–46.

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von Militärangehörigen unter die justice ordinaire prinzipiell unweigerlich zu einer härteren Bestrafung der Soldaten führen musste, da die zivilen Gerichte, wie es der Intendant in Lille, Louis Dugu8 de Bagnols (1645–1709), 1703 ausdrückte, „ont une inclination naturelle pour leurs bourgeois, et […] leur penchant les porte toujours a soutenir leurs interest contre les militaires“.150 Dieser Effekt wurde von der Krone indes offensichtlich nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern war, wie noch zu zeigen sein wird, sogar grundsätzlich politisch intendiert. Die weitreichenden diesbezüglichen Regelungen in der Mitte des 17. Jahrhunderts sind insoweit, wie noch näher ausgeführt wird, sicher als Reaktion auf die angespannte Situation angesichts der enormen kriegsbedingten Belastungen der Bevölkerung während des spanisch-französischen Krieges seit 1635 zu sehen. Zugleich konnten sie sich aber auf eine lange Tradition königlicher Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung berufen, wie ein Blick auf die entsprechende Verordnungstätigkeit seit dem Spätmittelalter zeigt.

II.

Der Schutz der Zivilbevölkerung als Ziel und Aufgabe von Disziplinarrecht und militärischer Gerichtsbarkeit

Die vorliegende Literatur stellt vor allem die Verhinderung von Desertionen und die Aufrechterhaltung innermilitärischer Disziplin und Ordnung als Ziele frühneuzeitlicher Militärgerichtsbarkeit heraus und hebt demzufolge militärtechnische Entwicklungen – insbesondere den höheren Stellenwert von Disziplin im Rahmen der sich infolge der Oranischen Heeresreformen um 1600 ausbreitenden Lineartaktik der Infanterie – als Triebfeder für die zunehmende „Verherrschaftlichung“ der militärischen Gerichtsbarkeit seit dem 17. Jahrhundert hervor.151 Ohne Frage dürfen die intendierte Steigerung der Kampfkraft ebenso wie Strategien zur Vermeidung von Konflikten innerhalb militärischer Gemeinschaften in ihrer Bedeutung für die Entwicklung militärischer Gerichtsbarkeit insgesamt keineswegs vernachlässigt werden, hatten diese doch 150 SHDAT A1 no. 1657 doc. 242, Dugu8 de Bagnols an Marquis de Chamillart, 18. August 1703. Vgl. zu den entsprechenden Überlegungen im Umfeld der Ordonnance von 1651 Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 584–585. 151 Vgl. z. B. Michael Sikora, Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996, S. 37ff.; Papke, Von der Miliz zum Stehenden Heer (wie Anm. 3), S. 122ff. Zur „Verherrschaftlichung“ von Militärrecht und Militärgerichtsbarkeit vgl. Burschel, Söldner (wie Anm. 2), S. 129ff.; Nowosadtko, Militärjustiz (wie Anm. 1), S. 664–665; dies., Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Sylvia Kesper-Biermann, Diethelm Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 115–140, hier S. 120ff.

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zweifellos systemstabilisierende Funktion. Die diesbezügliche Gesetzgebung der französischen Könige zeigt aber, dass über solche systemimmanenten Motivationen hinaus auch der Schutz der Zivilbevölkerung eine wichtige, wenn nicht sogar die zentrale Rolle für den Anspruch der Krone auf die Gerichtshoheit über das Militär spielte. Gerade in Frankreich mit seiner arm8e permanente erwuchs aus der Doppelrolle des Königs als Kriegs- und als Landesherr schon seit dem ausgehenden Mittelalter die Notwendigkeit, dem Schutz der Bevölkerung wie den Interessen der Kriegführung gleichermaßen gerecht zu werden beziehungsweise diese miteinander in Einklang zu bringen; eine Aufgabe, die mit den anhaltenden Kriegsanstrengungen sowie dem enormen Wachstum der französischen Armee im Laufe des 17. Jahrhunderts – von rund 70.000 bis 80.000 Mann zu Beginn des spanisch-französischen Krieges 1635 auf rund 340.000 Mann im Jahr 1696152 – noch an politischer Dringlichkeit gewann. In diesem Prozess kamen militärischer Diziplin und Gerichtsbarkeit entscheidende Bedeutung zu. Bereits die spätmittelalterliche Gesetzgebung der französischen Könige zeugt daher von dem Bemühen, die gens de guerre im Zaum zu halten und die Zivilbevölkerung vor Übergriffen durch umherziehende und Verpflegung suchende Truppen zu schützen, woran der Hundertjährige Krieg zweifellos entscheidenden Anteil hatte.153 Eines der frühesten Zeugnisse dieser Art ist ein Verbot König Philipps V. (1293–1322), den Einwohnern Tiere oder Nahrungsmittel wegzunehmen, aus dem Jahr 1318. Es wurde noch Anfang des 18. Jahrhunderts in einer Denkschrift De la discipline des troupes gleichsam als geltendes Recht aufgeführt.154 Eine Ordonnance Karls V. (1338–1380) vom 13. Januar 1373 verpflichtete sodann die gens de guerre u. a. „qu’ils ne feront aucuns dommages / leurs pouvoirs sur nos genz et subjectz d’aucuns pays de notre royaume en nostre ob8issance“.155 Die Hauptleute mussten daher schwören, Übergriffe und Plünderungen zu vermeiden.156 Auch die Gründung der Mar8chauss8e seit der Mitte des 14. und die Einrichtung von Provinzkompanien seit der Mitte des 152 John A. Lynn, Recalculating French Army Growth during the Grand SiHcle (1610–1715), in: French Historical Studies 18 (1994), S. 881–907, bes. 895–899; Bernhard R. Kroener, Die Entwicklung der Truppenstärken in den französischen Armeen 1635–1661, in: Konrad Repgen (Hrsg.), Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Münster 1981, S. 163–220. Zu den methodischen Grundlagen und Schwierigkeiten derartiger Berechnungen siehe Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 164–222. 153 Siehe dazu allgemeiner: Maurice H. Keen, The laws of war in the late Middle Ages, London u. a. 1965; Allmand, War and the Non-Combatant (wie Anm. 13); Theodor Meron, Medieval and Renaissance Ordinances of War : Codifying Discipline and Humanity, in: ders., War Crimes Law Comes of Age, Oxford 1998, S. 1–10. Spezieller zu einzelnen Verboten vgl.: Michael Jucker, Le butin de guerre au Moyen Age, aspects symboliques et 8conomiques, in: Francia 36 (2009), S. 113–134; Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 50ff. 154 Archives nationales M 639. 155 Zit. nach Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 18. 156 Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 18–19.

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15. Jahrhunderts hatten überwiegend den Schutz der Zivilbevölkerung vor Übergriffen zum Ziel; die Krone reagierte damit auf wiederholte Beschwerden der Generalstände.157 Dasselbe gilt für die Gründung der Ordonnanzkompanien, die – ganz wie der Code Michau knapp zweihundert Jahre später – als Reaktion auf die remontrances der Ptats g8n8raux über „d8solations, maux, pilleries, meurtres, r8bellions, robberies, ravissements et ranÅonnements qui 8taient perpr8t8s par les gens de guerre“ erfolgte; die betreffende Ordonnance vom 2. November 1439 trug dementsprechend den Titel Pour obvier aux pilleries et vexations des Gens de Guerre.158 Ende des 15. Jahrhunderts wurde schließlich erstmals versucht, die Unterbringung und Verpflegung der gens de guerres in umfassender Weise so zu regeln, dass der zivilen Bevölkerung möglichst wenig Schaden entstehen und diese vor Übergriffen geschützt sein sollte.159 Auch die oben ausführlicher angesprochene d8claration Heinrichs II. von 1550, die sogenannten ordonnances militaires, wurde wiederum explizit mit dem grand soulagement qui en provient / nostre peuple160 begründet und räumte dem Schutz der Zivilbevölkerung vor militärischen Übergiffen großen Stellenwert ein.161 Im Übrigen stand auch dieser bis dahin umfassendste Entwurf einer Disziplinargesetzgebung für die Fußtruppen des Königs nicht allein, sondern hatte mit einer ähnlich lautenden Ordonnance für die gensdarmes, also die schwere Kavallerie, von 1549 und dem Erlass strenger Disziplinarvorschriften bei den französischen Truppen in Piemont durch Charles de Coss8-Brissac (1505–1563, seit 1542 colonel g8n8ral de l’infanterie franÅaise au del/ des monts, 1550 Marschall von Frankreich) unmittelbare Vorläufer beziehungsweise Parallelen.162 Ein weiteres Jahr zuvor hatte der Militär und Diplomat Raymond de Fourqueveaux (1508–1574) in seinen Instructions sur le fait de la guerre (Paris 1548) in ähnlicher Weise Vorschläge für eine bessere Disziplin der Truppen gemacht, was auf eine über den engeren militärischen Bereich hinausweisende Virulenz des Themas in dieser Zeit hindeutet. Die seit 1562 anhaltenden Religionskriege zeigen dann in noch größerer Frequenz das Bemühen der Krone, mittels einer strengen Disziplinargesetzge157 Vgl. Lorgnier, Les juges bott8s (wie Anm. 22), S. 4–5; Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 78ff. 158 Fontanon, Les Edicts et Ordonnances des Rois de France (wie Anm. 23), S. 162–167. Vgl. Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 79–80; Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 288. 159 Philippe Contamine, La premiHre modernit8. Louis XI, tensions et innovations, in: ders., Histoire militaire (wie Anm. 6), S. 209–232, hier S. 221–222. 160 Zit. nach Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 203. 161 „La gravit8 des d8sordres excuse la s8v8rit8 des peines, et il est souvent expliqu8 que le but est autant de prot8ger les civils que de maintenir les soldats dans leur devoir.“ Zit. nach Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 201. 162 Bonin, L’exercice (wie Anm. 42), S. 203.

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bung den Schutz der Zivilbevölkerung vor materiellen und physischen Übergriffen durch das Militär zu verbessern: 1570 ordnete Karl IX. an, dass jeder Soldat „Quiconque frappera, blessera, ou ranÅonnera son hoste, ou hostesse, ou autres simples gens, sera pendu & estrangl8“. Auch wer einem Wirt etwas ohne Bezahlung und mit Gewalt wegnahm, sollte hart bestraft werden; auf Raubmord stand sogar der Tod auf dem Rad.163 Selbst das Schneiden reifen Korns oder Weins und das Sammeln von Feldfrüchten durch Verpflegung suchende Militärangehörige wurden mit harten Strafen belegt.164 Zwanzig Jahre später stellte eine Ordonnance Heinrichs IV. die zivile Bevölkerung mitsamt ihrem Vieh unter den Schutz des Königs: „Tous pa"sans, laboureurs, & autres gens des champs non portant armes, seront mis en la protection& sauue-garde du Roy, ensemble leurs vaches, moutons, brebis,& autre bestail, & ne leur sera touch8, ne m8faict, / eux ny / leurs troupeaux, en quelque maniere que ce soit; / peine de la vie.“165

Die steigende Zahl derartiger Edikte und Ordonnanzen gerade in Zeiten begrenzter königlicher Macht und sich verschlechternder Truppenversorgung wie den Religionskriegen oder später der Fronde kann fraglos als Indiz dafür gewertet werden, dass bei der Umsetzung dieser Mandate wahrscheinlich erhebliche Vollzugsdefizite bestanden.166 Das anhaltende Bemühen der Obrigkeiten, auf diesem Gebiet nicht nur praktische Verbesserungen etwa in der Verpflegung der Truppen zu bewirken, beispielsweise durch die Entsendung damit beauftragter ziviler Amtsträger wie der oben erwähnten commissaires des guerres in den 1560er Jahren, sondern ihre Sorge um den Schutz der Bevölkerung auch immer wieder aufs Neue affirmativ zu verlautbaren, weist aber noch auf einen anderen Aspekt militärischer Ordnung hin: Ein diszipliniertes Betragen der Truppen und eine funktionierende Disziplinargerichtsbarkeit waren von zentraler Bedeutung für die Rechtmäßigkeit nicht nur der Kriegführung beziehungsweise des Krieges selbst im Sinne eines bellum iustum, sondern auch für die Autorität und Legitimität des obersten Kriegsherrn.167 Die gute Disziplin der 163 Ordonnance vom Dez. 1570, in: De Ville, La justice militaire (wie Anm. 92), S. 456–458, hier S. 457. 164 Gilbert Bodinier, [Art.] Discipline, in: Corvisier, Dictionnaire d’art et d’histoire militaire (wie Anm. 32), S. 227–232, hier S. 228. 165 Odonnance vom 3. Nov. 1590, in: De Ville, La justice militaire (wie Anm. 92), S. 443–446, hier S. 445. 166 Bodinier, Discipline (wie Anm. 164), S. 228. Siehe dazu unten Abschnitt III. 167 Zur Legitimierung des Krieges und zur Notwendigkeit ,gerechter‘ Kriegführung siehe u. a. Michael Behnen, Der gerechte und der notwendige Krieg. „Necessitas“ und „Utilitas reipublicae“ in der Kriegstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit, Berlin 1986, S. 43–106; Ralf Pröve, Vom ius ad bellum zum ius in bello. Legitimation militärischer Gewalt in der Frühen Neuzeit, in: Claudia Ulbrich, Claudia Jarzebowski,

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königlichen Truppen diente somit als Ausweis für die gerechte, d. h. legitime Herrschaft des französischen Königs beispielsweise in den Religionskriegen. Entsprechend verweist eine Ordonnance des Herzogs von Anjou, des jüngsten Bruders Karls IX., zu Beginn des dritten Religionskrieges auf Ordnung, Pflicht und Rechtmäßigkeit, die in der Armee eines christlichen Fürsten notwendig seien.168 Das „soulaigement du peuple“ erschien in dieser Logik, wie David Potter festhält, „as a meritorious act in the eyes of God“.169 Umgekehrt bestand die Gefahr, dass bei übermäßigen materiellen Belastungen und anhaltenden Gewaltexzessen von Seiten der Bevölkerung der Vorwurf der tyrannis erhoben und dem Herrscher zumindest temporär der Gehorsam aufgekündigt wurde.170 So trug beispielsweise die Fronde in ihrer ersten Phase, der fronde parlementaire, deutlich kriegskritische Züge, wobei die entsprechenden Schriften neben der kriegsbedingten Steuerlast vor allem mit den Leiden der Zivilbevölkerung argumentierten.171 Unmittelbar greifbar wird dieser Zusammenhang in einem M8moire sur le logement des troupes, das der Surintendant des finances, Claude de Bullion (ca. 1580–1640)172, im Jahr 1637 an Ludwig XIII. richtete.173 Er warnt darin, die Feinde des König würden darauf setzen, das Land durch übergroße militärisch bedingte Belastungen in Unordnung zu bringen und dadurch zu bewirken, „que les peuples pourront entrer en reuoltes“. Es sei daher dringend geboten, die Abgaben zu senken sowie die Truppen in den Städten einzuquartieren und zu bezahlen, anstatt sie wie bisher aus dem Land leben zu lassen. Für Übergriffe auf die Zivilbevölkerung und ihr Eigentum forderte er harte Strafen. Zwar gebe es bereits eine Reihe schöner und guter Vorschriften („de beaux et bons reglements“), die nun aber auch endlich von den militärischen und zivilen

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Michaela Hohkamp (Hrsg.), Gewalt in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit, Berlin 2005, S. 261–270; Diego Quaglioni, La disciplina delle armi tra teologia e diritto. I trattatisti dello „ius militare“, in: Donati, Kroener, Militari e societ/ civile (wie Anm. 15), S. 447–462. „[…] the order, duty, and lawfulness which is right and necessary in the army of a very Christian Prince.“ Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 226. Potter, War and Government (wie Anm. 40), S. 229. Nachdem es 1573 bei der Belagerung von La Rochelle zu Übergiffen königlicher Truppen an der Bevölkerung der umliegenden Dörfer gekommen war, beklagten protestantische Autoren wie Agrippa d‘Aubign8 (1552–1630) die schlechte Disziplin der königlichen Truppen. Vgl. Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 258. Allgemeiner zu diesem Problemkreis: Markus Meumann, Herrschaft oder Tyrannis? Zur Legitimität von Gewalt bei militärischer Besetzung, in: Ulbrich, Gewalt in der Frühen Neuzeit (wie Anm. 167), S. 173–187. Vgl. dazu jetzt Damien Tricoire, Mit Gott rechnen. Katholische Reform und politisches Kalkül in Frankreich, Bayern und Polen-Litauen, Götttingen 2013, S. 293f. Vgl. Abel Poitrineau, [Art.] Bullion (Claude de), in: Bluche, Dictionnaire du Grand SiHcle (wie Anm. 20), S. 249. BnF Ch.tre de Cang8 9, fol. 366–367.

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Offizieren – er nennt insbesondere die Intendanten – durchgesetzt werden müssten: „Et que le premier homme de guerre qui entreprendra de primer le moindre des seujetz du Roy en se faisant donner des Viures puisque lesd. gens de guerre sont payez ponctuellement pendant tout le quar.er dhiuer seront punis de mort et qu a cet effet les chefz et Intendans de la Justice et Finance seront obligez de faire sesjour dans les principalles villes et nottament dans celles ou les generalitez sont Establies et quils feront Justice sur les plaintes qui leur seront faictes des desordres des gens de guerre et qua cet effet les prevostz des Mareschaux seront perpetuellement a cheual pour Informer des deportemens desd. gens de guerre et empescher qu’vn seul ne puisse marcher a la camp.ne quauec la routte et dans les Estapes qui leur sont ordonn8es Cela empeschera les volleries qui se commettent tous les Jours et les abus que commettent les Capitaines qui au lieu de payer les gens de guerre qui sont [a] leur charge estans obligez de les faire rendre a larm8e a leurs despens commettent mil et mil excHs qui portent les peuples non seulement au desespoir mais les reduisent a telle Impuissance que le Roy s[on]. E[xcellence]. et le publiq connoistront dans peu de temps les Inconueniens qu aportent un tel desordre.“

Die Errichtung eines funktionierenden Versorgungsystems für die Armee und die Verhinderung bzw. konsequente Verfolgung von Diebstählen und Übergriffen werden hier somit nicht nur als unverzichtbar für die Verhinderung von Aufständen der Bevölkerung dargestellt, sie erscheinen in letzter Konsequenz sogar als das einziges Mittel zur Rettung der französischen Monarchie vor ihren inneren und äußeren Feinden.174 Bullion sprach diese Warnung in einer Situation aus, in der die Legitimität der Krone aufgrund der anhaltenden Kriegführung und der damit verbundenen steuerlichen Belastung der Bevölkerung – die Forschung der 1980er und 1990er Jahre spricht diesbezüglich von einer „dictature de guerre“175 – gleich von mehreren Seiten unter Druck geraten war. Zum einen war die Lage der französischen Armee nach der desaströsen campagne des Sommers 1636 (der berühmten ann8e de Corbie), während derer die spanische Armee vom Hennegau aus in die Picardie einfiel und kroatische Reiter unter Jan von Werth (1591–1652) nur rund 25 Kilometer von Paris vor Pontoise standen, sowie der Niederlage des Herzogs von Rohan (1579–1638) im Veltlin im darauffolgenden Jahr, für die 174 Damit waren neben dem Haus Habsburg und den mit Spanien sympathisierenden catholiques z8l8s vor allem die Protestanten sowie der hohe Adel gemeint, der in den 1620er und 1630er Jahren an mehreren Verschwörungen gegen den König beteiligt war. Vgl. Robert Descimon, Christian Jouhaud, La France du premier XVIIe siHcle, Paris 1996, bes. S. 44ff., 59ff. und 71ff. 175 Andr8 Corvisier, Renouveau militaire et misHres de la guerre 1635–1659, in: Contamine, Histoire militaire (wie Anm. 6), S. 353–382, hier S. 354; Jean Meyer, Der Andere Dreißigjährige Krieg oder Von der Natur des Krieges. Frankreich im Dreißjährigen Krieg, in: Klaus Bußmann, Heinz Schilling (Hrsg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textband I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, Münster 1998, S. 169–176, hier S. 173.

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Bullion von Richelieu wegen des finanziellen Engpasses infolge ausbleibender Steuern öffentlich verantwortlich gemacht wurde, in militärischer Hinsicht äußerst prekär.176 Zum anderen kritisierten innenpolitische Kriegsgegner, die sogenannten d8vits oder catholiques z8l8s, die auch von außerhalb Frankreichs Unterstützung erhielten – u. a. durch Jansenius (1585–1638) und seine Schrift Mars Gallicus (1635) –, schon seit dem Beginn des Krieges mit Spanien die Bündnisse mit „Häretikern“ (sprich: den deutschen Protestanten) und deuteten die Verwüstung der französischen Nordprovinzen durch die eigene Armee nach dem Fall von Corbie 1636 als Beweis für die Illegitimität der französischen Kriegführung und die fehlende Unterstützung Gottes.177 In dieser Situation waren die Wahrung der Disziplin durch die Truppen des Königs und die Herstellung einer funktionierenden Militärgerichtsbarkeit von entscheidender Bedeutung für die Legitimität und Gottgefälligkeit der Herrschaft Ludwigs XIII., der sich ganz im Sinne des neuen Herrscherbildes, das sich im Zuge der katholischen Reform herausgebildet hatte, als Louis le Juste inszenierte.178 Dies macht es wahrscheinlich, dass auch die oben skizzierten Reformansätze zu einer effektiveren Militärgerichtsbarkeit seit den späten 1620er und den 1630er Jahren – also die entsprechenden Regelungen des Code Michau ebenso wie die Einführung der conseils de guerre – in diesen diskursiven Zusammenhang gehören und Ergebnis entsprechender Kommunikationsprozesse waren. Auch die vor allem von Paulette Chon8 vertretene Interpretation, dass Jacques Callots (1592–1635) MisHres de la guerre (1633), die übrigens im selben Jahr wie Laurens de Villes weiter oben erwähntes Werk über die conseils de guerre veröffentlicht wurden,179 weniger als realistische ,Kriegsreportage‘, son176 Vgl. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16); Corvisier, Renouveau (wie Anm. 175), S. 354. 177 Tricoire, Mit Gott rechnen (wie Anm. 171), S. 226ff. Zur Situation der französischen Truppen nach Corbie vgl. Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 70: „they were forced to provide themselves at the edge of the battlefield, the unpaid armies pillaged the countryside, the peasants fled, and disloyal towns surrendered to the Spanish without a blow.“ 178 Vgl. Jean-Marc Chatelain, Hermann Arnhold, „Les Triomphes de Louis le Juste“ von Jean Valdor (Paris, 1649), in: Klaus Bußmann, Heinz Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textband II: Kunst und Kultur, Münster 1998, S. 95–104; Tricoire, Mit Gott rechnen (wie Anm. 171), S. 205ff. Frömmigkeit und Gerechtigkeit des Herrschers wurden in dieser Sichtweise zur Begründung des universalistischen Herrschaftsanspruchs und zur Voraussetzung für den Bestand der Monarchie und waren zugleich auch conditio sine qua non für den Erhalt himmlischer Unterstützung in Gestalt göttlicher Gnade im Krieg. Zu diesem Herrschaftsverständnis, das in die Unterstellung Frankreichs unter das Patronat der Gottesmutter im Februar 1638 mündete, wobei die ann8e de Corbie eine maßgebliche Rolle gespielt hatte, gehörten der Verzicht auf Triumpfzüge ebenso wie das Unterbinden von Plünderungen und gewaltsamen Übergriffen etwa bei der Eroberung von La Rochelle durch die arm8e du roi im Jahr 1627. Siehe ebd., S. 222ff. und 245ff. 179 De Ville, La justice militaire de l’infanterie (wie Anm. 92). Der mögliche Zusammenhang zwischen de Villes Abhandlung und Callots Bildfolge wird noch enger, wenn man mit

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dern als Parabel auf die gerechte Herrschaft Ludwigs XIII. zur Rechtfertigung der französischen Außenpolitik und der Unterstützung Schwedens im Dreißigjährigen Krieg zu sehen seien, erscheint vor diesem Hintergrund äußerst plausibel.180 Die Monarchie reagierte damit wahrscheinlich nicht zuletzt auf den Umstand, dass auch die Bevölkerungen beziehungsweise zumindest deren gebildetere Eliten seit dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges zunehmend eine Vorstellung von regelgerechter Kriegführung besaßen, die sich wenigstens zum Teil auf die sich zur selben Zeit formierende Völkerrechtslehre stützen konnte – Grotius’ (1583–1645) berühmtes Werk De iure belli ac pacis, das der schwedische König Gustav Adolf (1594–1632) der Legende nach stets in seiner Satteltasche mit sich geführt haben soll,181 war 1625 in Paris erschienen und trug nicht zufällig eine Widmung an König Ludwig XIII. Abweichungen von einem solchen rechtmäßigen Kriegsbrauch konnten folglich zunehmend als Argumente für die publizistische Delegitimierung eines Kriegsherrn in den Augen einer wachsenden europäischen Öffentlichkeit eingesetzt werden,182 was sicherlich ein wichtiger Grund dafür ist, dass Ludwig XIV. nach der persönlichen Regierungsübernahme 1661 die Verbesserung der militärischen Disziplin zu einem der Hauptanliegen seiner Regierung machte und sich auch selbst darum kümmerte.183

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Paulette Chon8 davon ausgeht, dass Callot mit den MisHres auf die aktuellen Diskussionen um die Disziplin der Truppen reagierte (u. a. besaß Callot ein Exemplar der oben erwähnten Instructions sur le faict de la guerre). Paulette Chon8, Die Kriegsdarstellungen Jacques Callots: Realität als Theorie, in: Benigna von Krusenstjern, Hans Medick (Hrsg.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999, S. 409–426. Paulette Chon8, Les Mis8res de la guerre ou „la vie de soldat“: la force et le droit, in: dies. (Hrsg.), Jacques Callot 1592–1635, S. 396–400. Vgl. auch Marie Richard, Jacques Callot (1592–1635): „Les MisHres et les Malheurs de la guerre“ (1633). Ein Werk und sein Kontext, in: Bußmann, Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textband II (wie Anm. 178), S. 517–524, sowie Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 527. Vgl. Peter Englund, Die Verwüstung Deutschlands. Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, 2. Aufl., Stuttgart 1998, S. 185. Die Schweden ließen ihrerseits im Zuge militärischer Besetzungen umgehend ihr Militärrecht drucken und öffentlich anschlagen, so z. B. in Halberstadt 1632, in Rinteln 1633 und in Straßburg 1644. Siehe beispielsweise Romeyn de Hooghes Bildfolge Spiegel der Fransse Tyranny (1672/73) oder die zahlreichen antifranzösischen Pamphlete im Kontext des Pfälzischen Erbfolgekrieges (1688–1697). Vgl. Wolfgang Cilleßen (Hrsg.), Krieg der Bilder. Druckgraphik als Medium politischer Auseinandersetzung im Europa des Absolutismus, Berlin 1997, bes. S. 136ff., sowie Michael Rohrschneider, „Holland kan die Tyranney Franckreichs nicht genug beschreiben […]“. Die französisch-niederländischen Beziehungen 1672–1684 im Spiegel antifranzösischer deutscher Flugschriften, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 56 (2008), S. 101–122. Vgl. allgemein dazu auch Christine Vogel (Hrsg.), Bilder des Schreckens. Die mediale Inszenierung von Massakern seit dem 16. Jahrhundert, Frankfurt am Main, New York 2006. Vgl. Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), S. 328; Lynn, Giant (wie Anm. 32),

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Darüber hinaus konnten Kriege auf Dauer nicht gegen die Bevölkerung beziehungsweise ohne deren Unterstützung und vor allem nicht ohne die notwendigen finanziellen und natürlichen Ressourcen geführt werden, die letztlich ebenfalls vor allem von der Landbevölkerung aufgebracht werden mussten. Diese durfte daher auch im Interesse der Kriegführung nicht dauerhaft im Übermaß beansprucht werden. So verdankte sich die Sorge Bullions um die Belastung der Bevölkerung nicht allein der in dieser Zeit in der Tat virulenten Gefahr von Volksaufständen184 oder gar christlicher misericordia, sondern nicht zuletzt der Befürchtung des Surintendant de finances, dass das Volk die geforderten Steuern nicht länger würde aufbringen können.185 Auch die Protektion der Zivilbevölkerung kann also durchaus als systemrelevant, da für den Erhalt des Militärs und der Fähigkeit zur Kriegführung notwendig, gelten. Dies zeigt sehr anschaulich der Rat, den der leitende Minister in Brüssel, Jean Richardot (1573–1614), dem militärischen Oberbefehlshaber der Spanischen Niederlande Ambrogio Spinola (1569–1630) bereits Anfang des 17. Jahrhunderts gab: „S’il souhaite ma%triser et vaincre ses ennemis, il devra montrer plus d’affection pour le peuple que pour les soldats, et ce, pour le bien de ces derniers. Car, alors que leur solde est une mine au P8rou, vos soldats meurent de faim en Flandre mais, si vous amadouez le peuple, il vous donnera du pain et sa b8n8diction.“186

Die neben der Regelung des Verpflegungs- und Quartierwesens wichtigste Entscheidung der französischen Krone in diesem Zusammenhang war zweifellos, Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung nicht von den Militärs selber ahnden zu lassen, sondern sie der regulären Justiz zuzuweisen. Auch diese Maßnahme konnte auf spätmittelalterliche Vorläufer aus der Zeit des Hundertjährigen Krieges zurückgreifen und findet sich bereits in den 1420er Jahren in der englisch besetzten Normandie unter dem Regiment des Duke of Bedford S. 400; zum persönlichen Engagement des Königs Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 605–606. 184 Zwischen 1630 und 1675 kam es zu einer Reihe kleiner und auch größerer Aufstände, die fast ganz Frankreich erfassten. Vgl. Yves-Marie Berc8, [Art.] R8voltes populaires, in: Bluche, Dictionnaire du Grand SiHcle (wie Anm. 20), S. 1334–1335; Descimon, Jouhaud, La France du premier XVIIe siHcle (wie Anm. 174), S. 78ff.. Siehe auch die Karten bei H8lHne Duccini, Histoire de la France au XVIIe siHcle, Paris 2000, S. 61–62. 185 „L experience a faict connoistre que le Royaume se ruine insensiblement et sen va a tel point que ny la subsistance ny la taille ne se pourront leuer sil ne plaist au Roy aporter vn ordre pour contenir les gens de guerre dans leur deuoir. […] Il faut maintenant aduiser a lordre necess.re pour pouuoir maintenir la guerre et oster aux ennemis lopinion quils ont concue de voir le Royaume afaibly et non capable de soustenir le fardeau de la guerre.“ BnF Ch.tre de Cang8 9, fol. 366. Vgl. dazu auch Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 510–515. 186 Zit. nach Geoffrey Parker, Affaires militaires et navales in: Paul Janssens (Hrsg.), La Belgique espagnole et la principaut8 de LiHge 1585–1715, Luxembourg 2006, S. 54–82, hier S. 70.

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(1389–1435).187 1439 und 1470 legten auch Karl VII. (1403–1461) und Ludwig XI. (1423–1483) von Frankreich fest, dass „exc8s commis par les gens de guerre envers les habitants“ von den juges ordinaires gerichtet werden sollten.188 Fünfzig Jahre später erklärte ein Edikt Franz’ I. contre les aduenturiers pillards; & mangeurs de peuple (1523) in Gruppen herumziehende und die Landbevölkerung drangsalierende (abgedankte) Soldaten sogar für vogelfrei und ermächtigte die Bevölkerung „de detrousser, tuer, saccager, tailler et mettre en pieces lesdits auenturiers, Capitaines, Lieutenans, Sergens de bandes […] sans crainte & doute de punition de justice“.189 Ganz im Sinne dieses Ediktes, dem in den kommenden 20 Jahren noch mehrere ähnlich lautende folgten,190 schlug Raymond de Fourqueveaux (1508–1574) 1548 in seinen Instructions sur le faict de la guerre vor, anstelle der Söldnertruppen eine Miliz aufzustellen, „qui ne pr8senterait aucun danger“ für die Zivilbevölkerung, weil sie der zivilen Gerichtsbarkeit unterstehen werde und daher gegebenfalls von der Bevölkerung selbst gerichtet werden könne: „En effet, les hommes, justiciables de la justice ordinaire, seraient bien tenus en mains, et s’ils se rebellaient, le peuple lui-mÞme aurait le droit de les poursuivre.“191 Der Forderung, das Militär der zivilen Gerichtsbarkeit zu unterstellen, hatte der König allerdings schon 1534 mit einer Ordonnance entsprochen, derzufolge „les juges ordinaires conna%tront des crimes commis par des soldats l8gionnaires / moins qu’ils ne soient en campagne et command8s par leurs officiers“.192 Die Gesetzgebung Ludwigs XIII. und Ludwigs XIV. knüpfte an diese Regelungen aus der Zeit Franz’ I. an, ging aber im Ergebnis, vermutlich in Reaktion auf die zahlreichen Beschwerden und die Volksaufstände in den 1630er bis 1660er Jahren, die sich häufig direkt oder zumindest mittelbar an den Belastungen durch Krieg und Militär entzündeten,193 noch darüber hinaus. Dabei 187 Vgl. Anne Curry, Les „gens vivans sur le pa"s“ pendant l’occupation anglaise de la Normandie (1417–1450), in: Philippe Contamine, Olivier Guyotjeannin (Hrsg.), La guerre, la violence et les gens au Moyen ffge, Bd. 1: Guerre et Violence, Paris 1996, S. 209–221, hier S. 210; Martin Kintzinger, Der Auftrag der Jungfrau. Das besetzte Frankreich im Hundertjährigen Krieg, in: Markus Meumann, Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2006, S. 63–88, hier S. 73. 188 Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 291. Das Edikt von 1439 findet sich bei Fontanon, Les Edicts et Ordonnances des Rois de France (wie Anm. 23), S. 164. 189 Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 167–169, Zitat S. 168. 190 Larrieu, Histoire de la mar8chauss8e (wie Anm. 20), S. 169–172 u. 291. 191 Zit. nach Philippe Contamine, La premiHre modernit8. Des guerres d‘Italie aux guerres de Religion: un nouvel art militaire, in: ders., Histoire militaire (wie Anm. 6), S. 233–256, hier S. 255. 192 Zit. nach Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 20. 193 Die Bedeutung militärischer Lasten als auslösender Faktor für diese Volskaufstände ist trotz deren intensiver Erforschung seit den 1960er Jahren bislang nicht systematisch untersucht worden. Vgl. Markus Meumann, Einspruch und Widerstand bei militärischer Besetzung im 17. Jahrhundert. Komparatistische Überlegungen zur Kategorisierung einer Interessen-

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waren allerdings zunächst erhebliche Widerstände seitens der Armee zu überwinden. Wie bereits dargelegt, sollten dem Code Michau von 1629 zufolge von Militärangehörigen außerhalb des militärischen Bereichs begangene Delikte zu Lasten der Zivilbevölkerung auch von der regulären (zivilen) Gerichtsbarkeit verfolgt werden können; in den Garnisonen sollte im Regelfall sogar die zivile Justiz allein zuständig sein.194 Das RHglement de la cavallerie von 1638 legte dann allerdings zunächst wieder fest, dass in „causes mixtes, c’est-/-dire, ou quelques Bourgeois ou autre personne n’estans point / la solde de ladite Cavallerie, ont interest“, die zivilen Autoritäten gemeinsam mit dem pr8vit richten sollten („ceux qui auront pris les delinquans jugeront auec led. Prevost general ce qui leur sera fait“).195 Selbst diese eingeschränkte Mitwirkung der zivilen Gerichtsbarkeit stieß aber offensichtlich auf den Widerstand des Militärs, wie ein vom König eigenhändig unterzeichneter Brief an Roger de Bussy-Rabutin (1618–1693), Inhaber des gleichnamigen Regiments, vom 19. Dezember 1640 deutlich macht: „Ayant recu vne infinit8 de plaintes des Desordres que les Soldats de votre Reg:t ont commis et commettent a la Campagne et dans la garnison de Moulins, et de la pretention dans laquelle sont les Officiers de notre d. Reg:t de connoistre seuls des crimes et delits de leurs soldats; J’ay fait expedier vne Ordonnance pour declarer Que selon le pouvoir des Intendans de la justice, des Juges presidiaux et des Prevots J’entens que chacun d’eux prenne connoissance desd. crimes, et en fasse punir exemplairement les coupables, suivant la rigueur des ordonnances; Vous laissans et a vosd. officiers votre jurisdiction ordinaire, pour les crime de Soldat a Soldat, et autres qui regarderont la Milice& factions de guerre. De quoy j’ay bien voulu vous donner avis, affin que vous et vosd. officiers, vous vous conformies sans aucune difficult8 a cequi est en cela de mon intention voulant bien vous dire, Que si aprHs cela il sy rencontroit quelque obstacle je rendray responsable ceux qui commandent votre corps, de tous les desordres que les soldats pouvoient commettre a l’avenir. C’Est ce que je vous diray par cette lettre […].“196

Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Vorfälle den König und Richelieu Ende 1641 zu der oben erwähnten Entscheidung veranlassten, die städtischen Behörden zu ermächtigen, bei anhaltenden Übergiffen von Soldaten deren Offibehauptung zwischen Recht und Gewalt, in: Cecilia Nubola, Andreas Würgler (Hrsg.), Operare la resistenza. Suppliche, gravamina e rivolte in Europa (secoli XV–XIX)/ Praktiken des Widerstandes. Suppliken, Gravamina und Revolten in Europa (15. –19. Jahrhundert), Bologna, Berlin 2006, S. 131–175, hier S. 142ff. 194 Vgl. Anm. 71. 195 Reglement sur le restablissement de la discipline, forme et ordre du payement, tant de la cavalerie que de l’infanterie franÅoise (wie Anm. 63). 196 BnF Ch.tre de Cang8 25 fol. 108. Bussy-Rabutin wurde im Folgejahr wegen der von seinem Regiment in seiner Abwesenheit begangenen Übergriffe für drei Monate in der Bastille inhaftiert, machte aber dessen ungeachtet weiter militärische Karriere. 1653 erwarb er den Rang eines Mestre g8n8ral de la cavalerie. Vgl. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 521.

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ziere festzunehmen.197 Auch die Ordonnance vom 4. November 1651, mit der causes mixtes in den Garnisonen grundsätzlich der justice ordinaire unterstellt wurden, erfolgte offensichtlich in Reaktion auf einen Zwischenfall in Amiens, bei dem die Beamten des örtlichen Gerichts sich trotz eines gegenlautenden königlichen Befehls geweigert hatten, einige von ihnen entsprechend der Regelung von 1641 festgenommene Offiziere freizulassen beziehungsweise dem pr8vit zu überstellen. Auch wenn in diesem speziellen Fall der Anordnung des Königs genüge getan wurde, stellte sich die Ordonnance wenige Monate später auf die Seite der zivilen Gerichte, die freilich weiterhin die militärischen Justizoffiziere zur Untersuchung hinzuziehen sollten.198 Insbesondere diese letzte Regelung führte indessen zu neuen Konflikten und Kompetenzstreitigkeiten, da sich zum einen die Militärs nach wie vor dagegen sperrten, ihre Soldaten der zivilen Gerichtsbarkeit zu überantworten,199 zum anderen sich aber auch die juges ordinaires ihrerseits weigerten, bei Verfahren gegen Soldaten den pr8vit des bandes oder den major de la place hinzuzuziehen. Da die Ordonnance von 1651 nicht von einem Parlament registriert worden war, konnten sich die zivilen Justizbeamten darauf berufen, dass diese nicht gültig sei und auch den anciennes maximes du Royaume widerspreche.200 Demgegenüber konnte der betreffende Art. 45 der Ordonnance von 1665 zweifelsfrei dahingehend ausgelegt werden, dass bei Vorfällen zwischen Militär- und Zivilpersonen in den Garnisonen die juges des lieux allein entscheiden durften, ohne die Offiziere konsultieren zu müssen. Allerdings bedeutete die alleinige Unterstellung der d8lits mixtes unter die zivile Justiz nicht automatisch, dass es fortan keine Streitigkeiten um die Gerichtshoheit in diesen Fällen mehr gegeben hätte. Nicht genug damit, dass die Offiziere weiterhin den Standpunkt vertraten, dass sich ihre Soldaten in allen Fällen zuallererst vor der militärischen Gerichtsbarkeit zu verantworten hätten,201 gab es immer wieder Einzelfälle, in denen der König beziehungsweise der Secr8taire d’Ptat solche Konflikte auch nach 1665 gelegentlich zugunsten der

197 Vgl. Anm. 140. 198 Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 583ff. 199 BnF Ch.tre de Cang8 29 fol. 218, Lettre du Roy a M. le Marquis de Nangis po. luy ordonner de remettre entre les mains de la Justice les Soldats du Reg.t de Picardie qui seront accus8s de Crimes ou les habitants des lieux de leurs garnisons ou aut. auront Interest vom 5. Jan. 1657. Der König weist Nangis mit diesem Brief darauf hin, dass Fälle zwischen Soldaten und Einwohnern nicht der Jurisdiktion der Offiziere unterstehen, wie von diesen beansprucht, sondern während der Winterquartiere entweder von dem sich bei den Truppen aufhaltenden intendant de justice oder von den juges ordinaires des lieux verfolgt werden. 200 Sal8rian-Saugy, Conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 60. 201 Vgl. Anm. 132.

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Militärs entschieden.202 Gerade in militärisch schwierigen Situationen wie der Eroberung fremden Territoriums galt es aus Sicht der Krone, zwischen dem Schutz der Zivilbevölkerung und militärischen Interessen im engeren Sinn abzuwägen. So wurden 1660/61 alle Militärs indemnisiert, „qui ont commis des excHs & desordres durant la guerre, & des Habitans de la Frontiere, & des Prouinces du Royaume, oF lesdits Gens de Guerre ont pass8, log8, & seiourn8“.203 Dies machte vor allem deswegen Sinn, weil z. B. zur Erpressung der Kontribution Gewalttaten gegen die zahlungsunwillige Bevölkerung besetzter Gebiete von der militärischen Führung selbst angeordnet wurden.204 Eine solche Abwägung mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass der Marquis de Louvois (1641–1691), der seit 1662 seinem Vater Michel Le Tellier als Kriegsminister Ludwigs XIV. gleichberechtigt zur Seite stand, nach der Eroberung Flanderns und des Hennegaus von der Ordonnanz von 1665 abwich und in den Frankreich im Frieden von Aachen 1668 zugesprochenen Gebieten Streitfälle zwischen Soldaten und zivilen Einwohnern nicht der justice ordinaire, sondern den Intendanten zuwies, die in den sogenannten pays conquis wiederum ihm selbst (und nicht, wie in den französischen Kernprovinzen, dem Generalkontrolleur der Finanzen) unterstellt waren. Für die zivile Bevölkerung war jedoch letztlich nicht so sehr die Frage von Bedeutung, welche gesetzlichen Regelungen es gab beziehungsweise welche Gerichtsbarkeiten Übergriffe seitens des Militärs zu verfolgen hatten, sondern der entscheidende Punkt war, mit welcher Konsequenz dies geschah. In der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen bestand damit zugleich auch die eigentliche Herausforderung der königlichen Politik, wie der Rechtshistoriker Sal8rian-Saugy schon 1925 erkannte: „La grande difficult8 ne r8sidait pas, d’ailleurs, dans la publication des rHglements, qui existaient en fait, mais l’essentiel 8tait de les faire observer avec exactitude.“205

202 Einen solchen Fall aus dem Jahr 1690 berichtet Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 61–62. 203 Archives nationales M 638, Declaration du Roy Du mois de Nouembre 1660. Portant Pardon, et abolition, en faueur de ceux des Troupes, qui ont commis des excHs & desordres durant la guerre, & des Habitans de la Frontiere, & des Prouinces du Royaume, oF lesdits Gens de Guerre ont pass8, log8, & seiourn8. Registr8e en Parlement le vingt-uniHme Ianuier 1661. 204 Siehe dazu Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 184–217. 205 Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 17. Vgl. ebd. S. 22: „A ces 8poques, ce n’est plus la l8gislation qui laisse / d8sirer, mais plutit l’application des lois et rHglements.“

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III.

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Militärische Disziplin und der Schutz der Zivilbevölkerung: Zur Praxis der französischen Militärgerichtsbarkeit im 17. Jahrhundert

Wie hat man sich die Umsetzung königlicher Ordonnanzen und das Funktionieren der militärischen Gerichtsbarkeit im Zeitraum unserer Darstellung also vorzustellen? Da, wie eingangs erwähnt, auch für Frankreich bislang keine systematischen oder gar flächendeckenden Untersuchungen über die militärgerichtliche Praxis vorliegen, ist man zur Beantwortung dieser Frage überwiegend auf Lokal- und Einzelfallstudien beziehungsweise darauf beruhende Extrapolierungen angewiesen. Studien zum 16. Jahrhundert machen allerdings (mangels Quellen) meist gar keine Aussagen zu Militärgerichtsbarkeit und Disziplin, sondern erwähnen allenfalls die diesbezüglichen normativen Vorgaben. Berichte über Plünderungen und die Verheerung v. a. des ,platten Landes‘ lassen aber darauf schließen, dass die Zivilbevölkerung in den Kriegen des beginnenden 16. Jahrhunderts ebenso wie in den Religionskriegen nach 1562 kaum auf Schutz zählen konnte und die Disziplin mit zunehmender Kriegsdauer weiter verfiel.206 Wie die oben erwähnten Edikte Franz’ I. gegen die mangeurs des peuples zeigen, bedeuteten insbesondere „gartende“, d. h. entlassene oder nicht bezahlte Truppen, die nach den Kämpfen als bewaffnete Trupps beisammen blieben und marodierten, eine schwere Bedrohung für die Bevölkerung.207 Letztlich gehörte die Verwüstung des gegnerischen Territoriums zur Vergeltung aber auch zur üblichen Kriegspraxis, wobei auch der Tod von Zivilisten sowie die Vergewaltigung von Frauen und Mädchen inbegriffen waren.208 Dessen ungeachtet versuchten die Kriegsherren, auch in den von Durchzügen konkurrierender Heere, Plünderungen sowie von Massakern an Unterlegenen und Gefangenen geprägten Religionskriegen nach außen hin den Eindruck einer wohl organisierten und disziplinierten Armee zu erwecken.209 Es spricht aber alles dafür, dass das Kriegsrecht und die Militärgerichtsbarkeit weitgehend außer Kraft gesetzt waren.210 James Wood zufolge, der sich auf La Noue 206 Potter, War and Government (wie Anm. 40), S. 200–232; Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 302–303. 207 Vgl. Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), S. 325 ff; Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 22; Potter, War and Government (wie Anm. 40), S. 203–204; Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 280. 208 Potter, War and Government (wie Anm. 40), S. 215ff. Vgl. dazu auch Denis Crouzet, Les strat8gies symboliques d’occupation de l’espace urbain au temps des premiHres guerres de Religion, in: Meumann/Rogge, Die besetzte res publica (wie Anm. 3), S. 167–192, sowie ders., Les guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion (vers 1525–vers 1610), 2 Bde, Seyssel 1990. 209 Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 301–302. 210 Vgl. Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), S. 325–326.

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(1531–1591) und Brantime beruft,211 war die Disziplin zu Beginn der Bürgerkriege noch recht gut; mit zunehmender Kriegsdauer verschlechterte sich das Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung jedoch bis hin zu „sheer brigandage“212 und Plünderungen und Übergriffe nahmen zu. Der fortschreitende Disziplinverfall stand in direktem Zusammenhang mit ausbleibendem Sold und mangelhafter Versorgung der Truppen:213 So kam es Ende März 1573 infolge der andauernden Belagerung von La Rochelle und Versorgungsengpässen zu einer Hungersnot bei den Belagerern, die zu Übergriffen auf die Landbevölkerung und deren Hab und Gut führte.214 Die Durchsetzung der ordonnances militaires scheiterte dabei meist an der fehlenden Kooperationsbereitschaft der Offiziere und selbst der pr8vots: „Officers refused to hear the complaints of victims of mistreatment, operated under false names, tolerated the presence of unenrolled vagabonds and criminals, refused to discipline or supervise their men, and granted unauthorized permission to leave the army. Not even the army’s provosts escaped accusations of extortionist practices.“215

Für das 17. Jahrhundert findet sich demgegenüber gleich eine ganze Reihe von Äußerungen bezüglich der Disziplin der französischen Truppen beziehungsweise der Effektivität der zu deren Aufrechterhaltung unternommenen Maßnahmen in der Literatur. Die konkreten Einschätzungen fallen allerdings je nach Perspektive und Materialgrundlage durchaus unterschiedlich aus. Die meisten Autoren zeichnen ein überwiegend positives Bild von der Disziplin der französischen Armee, vor allem für die Zeit der Selbstregierung Ludwigs XIV. nach 1661, was in klarem Kontrast zu den Einschätzungen hinsichtlich der Disziplin

211 FranÅois de La Noue, seigneur de La Noue-Briord (1531–1591). 212 Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 303. Wood illustriert diese Feststellung mit einer Reihe gängiger Euphemismen für Plündern und Rauben bei Brantime wie „il faut parrossier“ oder „nous allons nous raffraischer“. 213 Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 227ff. u. 280. Darüber hinaus entschieden Wood zufolge v. a. zwei weitere Faktoren darüber, wie sehr eine Region in Mitleidenschaft gezogen wurde: Art und Menge der Truppen sowie die Dauer ihres Aufenthaltes. So ist er der Ansicht, fremde Truppen – mit Ausnahme der als diszipliniert geltenden Schweizer – seien undisziplinierter und beutegieriger als die französischen Truppen und daher das Hauptziel von Beschwerden gewesen. Aufgrund ihrer hohen Mobilität und ihres großen Fouragebedarfs sei auch die Reiterei besonders gefürchtet worden, insbesondere die deutschen re%tres, aber auch die aus französischen Adligen bestehenden gensdarmes, die sich durch Gewalt und Arroganz gegenüber der einfachen Bevölkerung ausgezeichnet hätten. Letztlich, so räumt auch Wood ein, waren allerdings alle Truppen in ihren Operationsgebieten fremd, und Soldaten bzw. Söldner bildeten insgesamt eine eigene soziale Gruppe mit eigenene Vorstellungen und Regeln, die wenig mit der Landbevölkerung verband. Vgl. ebd., S. 235–236, sowie auch Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 518–519. 214 Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 258. 215 Wood, The King’s Army (wie Anm. 16), S. 228.

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anderer Truppen, z. B. Schwedens, steht.216 Bedeutet dies, dass die französische Armee tatsächlich grundsätzlich besser geführt und die disziplinarischen Vorgaben strenger waren, wie es einige Historiker nahelegen? Diese Auffassung vertritt besonders prominent der Pariser Historiker Jean Meyer in seiner auch ins Deutsche übersetzten Geschichte Frankreichs in der Frühen Neuzeit. Er kommt dort selbst für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die in der deutschsprachigen Literatur meist als paradigmatisches Beispiel für ungezügelte Gewalt steht, zu einer auffallend positiven Einschätzung der Disziplin der französischen Armee und ihres Verhaltens gegenüber der Zivilbevölkerung: „Wie alle Armeen in dieser Zeit war die französische Armee darauf angewiesen, vom Land zu leben, doch in einem weitaus geringeren Maß als andere, da sie strengen Anweisungen unterlag. Die Opfer hatten die Möglichkeit, sich beim Königlichen Rat zu beschweren; die Kriegsarchive zeigen, daß das Volk durchaus von dieser Möglichkeit Gebrauch machte und dass man in Paris versuchte, ihm Gehör zu schenken. Das Verfahren hatte für den heutigen Historiker den großen Vorteil, daß er aufgrund der Aktenlage die Karte der Zerstörungen nachzeichnen kann. So betrachtete man etwa im Elsaß die französischen Truppen als das geringere Übel; wenn man sich unter ihren Schutz stellte, so keineswegs aus Freude, sondern schlicht aus Notwendigkeit und Resignation.“217

Belege, die seine These stützen könnten, bleibt Meyer an dieser Stelle allerdings schuldig, und trotz intensiver Bemühungen ist es mir nicht gelungen, solche an anderem Ort zu finden.218 Die Aussagen über das Elsass könnten sich möglicherweise auf eine ältere Studie über Schlettstadt beziehen, dessen Einwohner von der Gutwilligkeit und Disziplin der französischen Truppen überrascht gewesen sein sollen.219 Bereits aus dem nur wenige Kilometer entfernten Colmar waren allerdings zur selben Zeit ganz andere Stimmen zu vernehmen.220 Be216 Vgl. Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 606–607; Bluche, Conn8tablie (wie Anm. 31), S. 389; Corvisier, Louis XIV, la guerre et la naissance de l’arm8e moderne (wie Anm. 91), S. 401ff.; Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 206. Catherine Denys und Isabelle Paresys gehen zumindest davon aus, dass die Disziplin der Truppen in der zweiten Jahrhunderthälfte zunahm. Siehe dies., Les anciens Pays-Bas / l’8poque moderne (1404–1815). Belgique, France du Nord, Pays-Bas, Paris 2007, S. 92. Gleiches gilt für John Lynn, der hinsichtlich der Fortschritte allerdings etwas zurückhaltender ist. Vgl. Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 398. Deutlich skeptischer zeigt sich dagegen Chagniot, Justice militaire (wie Anm. 32). Siehe auch ders., Les progHs de l’administration militaire (wie Anm. 122). 217 Jean Meyer, Frankreich im Zeitalter des Absolutismus, Frankfurt am Main 1990, S. 278 (Orig.: La France moderne, Paris 1985, Zitat S. 266). 218 Auch eine schriftliche Anfrage an den Autor blieb leider unbeantwortet. 219 Vgl. Claus Geiges, Die elsässische Dekapolis 1634–1654, masch. Diss. phil., Freiburg 1959. S. 35. 220 Vgl. Geiges, Dekapolis (wie Anm. 220), S. 58–59.

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lastbarere Aussagen würden aber ohnehin nur empirische Studien auf breiter archivalischer Quellenbasis erlauben. Diese stoßen allerdings auf methodische und pragmatische Probleme, die v. a. der Quellenlage geschuldet sind.221 Die „Kriegsarchive“, von denen Meyer spricht, also das ehemalige d8pit de la guerre, das sich heute in der Obhut des Service Historique de la D8fense im Ch.teau de Vincennes befindet, sind nämlich ausgesprochen umfangreich. Die für das Ancien R8gime besonders aussagekräftige sous-s8rie A1, die die Korrespondenz des Secr8taire d’Ptat / la guerre enthält, umfasst für die Zeit von 1630 bis 1715 annähernd 2000 Bände – allein für das Kriegsjahr 1690 sind 110 Bände zu konsultieren.222 Hinzu kommt, dass aufgrund des überwiegend chronologischen Ordnungsprinzips – eine Sachaktenbildung ist nicht erfolgt – in den einzelnen Bänden in der Regel nur sehr sporadisch von Übergriffen oder Beschwerden die Rede ist. Anhand dieser Bestände eine „Karte der Zerstörungen“ zu zeichnen, wie es Meyer vorschlägt, ist daher zwar vielleicht prinzipiell denkbar, erscheint aber selbst für die weniger materialintensiven 1630er Jahre allein schon aus arbeitsökonomischen Gründen kaum praktikabel. Eher scheint es geraten, analog zu der zeitgenössischen Schwerpunktpunktbildung in den Akten eine Auswahl nicht nur nach zeitlichen, sondern auch nach regionalen Gesichtspunkten zu treffen und die Analye damit um die regionale Quellenüberlieferung zu erweitern.223 Meine eigenen Archivrecherchen, die sich überwiegend auf die sogenannten französischen Niederlande erstrecken, also die seit 1635 sukzessive von Frankreich eroberten und nach den Friedensschlüssen von 1659 und 1668 auch de iure an Frankreich gelangten, zuvor unter spanischer Herrschaft stehenden südlichen niederländischen Provinzen, ergeben mehrheitlich ein anderes Bild als das von Meyer gezeichnete. Im Sommer und Herbst 1648, im Jahr des Westfälischen Friedenschlusses und zugleich dem ersten Jahr der Fronde, kam es im Artois, dem Boulonnais, der Picardie und in der südlichen Grafschaft Flandern infolge der schlechten Versorgungssituation und ausstehender Soldzahlungen wiederholt zu „excHs“ beziehungsweise „violences et desordres“, d. h. Übergriffen französischer Truppen gegen die einheimische Bevölkerung, bei denen an verschiedenen Orten Bürger getötet, Häuser angezündet und auch Kirchen geplündert wurden.224 Ähnliche Vorfälle ereigneten sich in der Nor-

221 Vgl. dazu Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 7–8. 222 Allein die Zahl der minutes, also der Konzeptschriften der ausgehenden Briefe, steigt von 3000 im Jahr 1664 auf gut 10.000 im Kriegsjahr 1689. Corvisier, Louis XIV, la guerre et la naissance de l’arm8e moderne (wie Anm. 91), S. 391. 223 Zur Überlieferung hinsichtlich der Militärgerichtsbarkeit in der sous-s8rie A1 siehe auch Sal8rian-Saugy, Les conseils de guerre (wie Anm. 33), S. 13. 224 SHDAT A1 no. 468 doc. 31 (Bourbourg, 27. Juni), 34 (Abbeville, 12. August), 64 (25. Okt.),

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mandie und in Zentralfrankreich.225 Zwar wies die Krone die örtlichen Gerichte an, „une justice exemplaire“ zu üben,226 diese konnten der Übergriffe aber offensichtlich nicht Herr werden. Die Bevölkerung reagierte daraufhin ihrerseits mit gewaltsamer Gegenwehr : An mehreren Orten in der Picardie und der 6le-deFrance misshandelten oder töteten Einwohner kleinere Gruppen von Soldaten.227 In der Umgebung von La Bass8e im Artois, wo es bereits im Frühsommer zu gravierenden Versorgungsengpässen gekommen war, infolge derer mehrere Soldaten Hungers gestorben waren, hatten sich die Bauern sogar bewaffnet und verfolgten und beraubten nun ihrerseits kleinere Trupps von Soldaten.228 Ähnliches berichtet Louis Andr8 aus Moulins und Auxerre.229 Folgt man den Berichten in der Korrespondenz des Secr8taire d‘Ptat, stand es um die Armeen in Katalonien, Italien und Lothringen nicht besser, was im Übrigen auch durch regionalgeschichtliche Forschungen zu Lothringen und anderen Regionen in dieser Zeit bestätigt wird,230 und auch in den folgenden Jahren sah es kaum anders aus:231 Im Juli 1649 wurde in Abbeville eine Untersuchung „pour raison des violences exerc8es contre le r8giment de Cavalerie allemande de M.r le Cardinal de Mazarin“ aufgenommen,232 Anfang September desselben Jahres ordnete der König an, den mar8chal de logis des deutschen Regimentes Fleckenstein und seine Komplizen zu bestrafen, die vermutlich in der Gegend von Amiens das Haus und das Dorf des Sieur de Querien, seinerseits mar8chal de camp der königlichen Armee, geplündert und das Vieh entführt haben sollten.233 Mitte Oktober schließlich ordnete der König eine Untersuchung an „contre quatre cents cavaliers allemands qui se sont d8baud8s de l’arm8e pour se rendre dans la ville de St. Pol qu’ils ont pill8e, ravag8e, tu8 et bless8 plusieurs habitants, forc8 les 8glises et viol8 les religieuses“.234

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67 (Umgebung von Amiens, 30. Okt.) 76f. (Vesly, 19. Nov.), 81 (Ypern, 24. Nov.), 84 (nahe Saint-Quentin, 29. Nov.), 85 und 87 (Dreux, 1. Dez.). SHDAT A1 no. 110 doc. 146 (Normandie, 9. Okt.), 147 und 149 (Nevers, 9. Okt.). SHDAT A1 no. 468 doc. 77. SHDAT A1 no. 468 doc. 68 (Masle, 30. Okt. 1648), 71 (Braye, 8. Nov.), 78 (Arson, 19. Nov.). SHDAT A1 no. 110 doc. 87 (La Bass8e, 28. Juni 1648). Vgl. auch ebd, doc. 78, 93, 96. Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 579. SHDAT A1 no. 468; zur Situation in Katalonien vgl. auch Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 576–577. Zu Lothringen siehe St8phane Gaber, La Lorraine meurtrie. Les malheurs de la Guerre de Trente Ans, Nancy 1979; Philippe Martin, Une guerre de Trente Ans en Lorraine (1631–1661), Metz 2002. Vgl. auch Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 576ff. Den absoluten Tiefpunkt markierte demzufolge das Jahr 1652. SHDAT A1 no. 468 doc. 111–112. SHDAT A1 no. 468 doc. 124ff. SHDAT A1 no. 468 doc. 134.

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Im Juni 1650 meldete Monsieur Gresin, commissaire in B8thune, dem Secr8taire d’Ptat eine Reihe von „violences et mauvais traitemens faict aux magistrats et eschevins de ceste Ville par deux officiers de la garnison“. Wie er hervorhob, waren dies keineswegs die ersten Vorfälle dieser Art: „Je suis temoing et certiffie que ce n’est pas les premiers mauvais traitemens […].“235 Nun lässt sich einwenden, dass die Disziplin der französischen Truppen in den Jahren nach 1648 durch die Auswirkungen der Fronde wahrscheinlich besonders gering war. Der Sieur de Pontis, der unter Richelieu und Ludwig XIII. als mar8chal de bataille im Reich und in den Niederlanden gedient hatte, bemerkte jedenfalls 1649, dass die Disziplin der von ihm geführten Truppen „au temps du feu roi“, also vor 1643, erheblich besser gewesen sei.236 Louis Andr8, dem wir die Überlieferung der Aussage von Pontis verdanken, kommt in seiner eigenen Studie über Michel Le Tellier et l’organisation de l’arm8e monarchique (1906) zu dem Schluss, dass die Jahre 1646–1653 einen Tiefpunkt markierten und sich die militärische Disziplin danach allmählich wieder verbesserte.237 Tasächlich führte die Fronde nicht allein zu einer Schwächung der königlichen Autorität im Allgemeinen und damit, wie bereits erwähnt, auch der Durchsetzungsmöglichkeiten der königlichen Disziplinargesetzgebung, was durch die merkliche Zunahme diesbezüglicher königlicher Edikte und Ordonnances in dieser Zeit mitsamt den dazugehörigen Appellen und Beteuerungen, sich um das Wohl der Zivilbevölkerung zu sorgen, letztlich wohl nur bestätigt wird.238 Der Aufstand zwang die Regentin und Mazarin auch dazu, die Militärausgaben zu senken. Dies bewirkte zum einen den Zusammenbruch des Versorgungswesens, der sogennanten 8tapes,239 zum anderen blieben dadurch sowie wegen des weitgehenden Zusammenbruchs der königlichen Verwaltung auch die Soldzahlungen für die königliche Armee aus, was beides unmittelbare Auswirkungen auf die Disziplin hatte und die Truppen dazu zwang, sich auf Kosten der Bevölkerung schadlos zu SHDAT A1 no. 468 doc. 141. Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 579. Ebd., S. 574f. Vgl. auch Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 398. AN M 638, Ordre et reiglement que doivent tenir et garder les Soldats & Gens de guerre / pied (1649); BnF Ch.tre de Cang8 28, Ordonnance du Roy portant Deffenses a tous Gens de Guerre de commettre aucun Desordre a la Campagne ny dans les lieux de leur Sejour sur pertes de la vie, 12 März 1652; Ordonnance du Roy pour empescher que les Gens de Guerre des Arm8es de Sa M.t8 ne coupent les Bleds & ne fassent aucun autre Desordre, 22 Juni 1652; Ordonnance […] pour empescher les exemptions des logemens des gens de guerre dans les Provinces de Picardie, Isle de France et Champagne, dans les quartier des troupes, pendant l’hyver prochain (1653); Ordonnance du Roy pour faire fournir en Marche les vivres aux Trouppes qui doivent estre detach8es de l’Arm8e de Guyenne pour venir servir en Flandres, 26. August 1653; Ordonnance du Roy pour empescher les Exactions des Gens de Guerre et regler ce que les habitants leur fourniront, 4. April 1654. Vgl. auch Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 580–581. 239 Vgl. Kroener, Les Routes et les Ptapes (wie Anm. 145), S. 123–154.

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halten.240 Der spätere Gouverneur Lothringens, Marschall La Fert8-Senneterre (1599–1681), bemerkte dazu mit einer gehörigen Portion Zynismus: „il fallait bien que les troupes vivent et il vaut mieux que les paysans soient mordus par les chiens de France que par la chienne d’Espagne.“241 Darüber hinaus trug die Fronde den Krieg auch in Regionen, die weit von den Grenzen entfernt und daher bislang von Verwüstungen verschont geblieben waren, wie das Loiretal, das von loyalen Truppen unter Turenne verwüstet wurde.242 Es ist daher eine berechtigte Frage, ob Jean Meyers Ansicht, dass die französischen Truppen aufgrund ihrer strengen Vorschriften disziplinierter beziehungsweise weniger gefürchtet als andere waren, für die Zeit vor der Fronde womöglich doch zutreffend ist. Ein Blick auf die ersten Jahre des spanischfranzösischen Krieges in den südlichen Niederlanden spricht jedoch wiederum eine andere Sprache. Bereits im ersten Kriegsjahr 1635 kam es in den von der französischen Armee eroberten Gebieten zu gewaltsamen Übergriffen und sogar zu Massakern an der Zivilbevölkerung, die darauf ihrerseits mit Gewalt antwortete.243 Nach der Eroberung von Arras im Jahr 1640 verwüstete die französische Armee gleichfalls das Umland, wie ein zeitgenössischer Chronist berichtete: „Tous les villages sont mis / feu et / sang tout le pais est ravag8, ruin8, d8truit, sans qu’on y puisse labourer.“244 In den folgenden Jahren setzten sich ähnliche Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung fort, wobei Augenzeugenberichten zufolge immer wieder auch Dörfer und sogar Kirchen in Brand gesteckt wurden, in die sich Bewohner geflüchtet hatten.245 Ebenso finden sich bereits vor der Fronde Meutereien innerhalb der Armee infolge ausbleibender Soldzahlungen, wenngleich sie während der Jahre nach 1648 wahrscheinlich ihren Höhepunkt erreichten.246 Ferner kam es schon in den 1630er Jahren auch im Inneren Frankreichs nicht nur zu Volksaufständen wegen der drückenden kriegsbedingten Steuerlast, sondern gleichfalls zu Übergriffen der königlichen Truppen, wie u. a. das oben zitierte m8moire des Surintendant des finances,

240 Corvisier, Renouveau (wie Anm. 175), S. 377. Zwar versuchten die Armeeintendanten, die königliche Autorität bei den Truppen aufrechtzuerhalten; auch diese konnten aber wenig gegen den Mangel an Versorgung ausrichten. Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 92–93 u. 127. 241 Zit. nach Corvisier, Renouveau (wie Anm. 175), S. 382. 242 Corvisier, Renouveau (wie Anm. 175), S. 380–382. Vgl. auch Andr8, Michel Le Tellier (wie Anm. 10), S. 578: „Le mal en effet n’est pas localis8: il est partout.“ 243 Corvisier, Renouveau (wie Anm. 175), S. 354. Ein Augenzeugenbericht des Massakers von Tirlemont in Brabant findet sich in: Denys, Paresys, Les anciens Pays-Bas (wie Anm. 215), S. 92. 244 Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 188. 245 Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 188. 246 Vgl. Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 399; Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 128.

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Claude de Bullion, zeigt.247 Andere an den König gerichtete Denkschriften zeichnen ein ähnliches Bild für die 1640er Jahre und meldeten ihrerseits „vne infinit8 de plaintes des Desordres“.248 Auch David Parrott berichtet in seiner sorgsam argumentierenden, auf einer gründlichen Auswertung der entsprechenden Bände der sous-s8rie A1 beruhenden Studie über Richelieu’s Army, dass es bereits in den ersten Kriegsjahren zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung und zu Vergeltungsaktionen von Einwohnern gegenüber Soldaten kam.249 Er gelangt daher zu dem Schluss, dass schon vor der Fronde die königlichen Autoritäten nicht in der Lage und die Offiziere häufig nicht einmal willens gewesen seien, militärische Übergriffe auf die Zivilbevölkerung zu verhindern oder auch nur zu verfolgen.250 Als besonderes Problem erwiesen sich den Quellen zufolge zum einen die ,ausländischen‘ Truppen im Dienste des französischen Königs, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zu einem Drittel der Mannschaftsstärke der arm8e du roi ausmachten und teilweise ihre eigene Gerichtsbarkeit ausübten oder doch zumindest beanspruchten.251 Parrots Beobachtung, dass Übergriffe offensichtlich gerade dann besonders heftig ausfielen, wenn die Truppen in ihrem Operationsgebiet fremd waren,252 wird durch die mir bekannten Quellen aus den Jahren 1648/49 bestätigt: Polnische Infanterie und deutsche Reiterei waren bei den Gewalttaten gegen die Bevölkerung offensichtlich stets vorneweg, und selbst Offiziere beteiligen sich an Strafaktionen gegen die Zivilbevölkerung.253 Demgegenüber verhielten sich die französischen Truppen ihrerseits offensichtlich besonders schlecht im Monferrat, obwohl sie dort eigentlich als Verbündete auftraten, was 1664 zu einer Beschwerde des Herzogs von Mantua (1629–1665) beim französischen König führte.254 Ob die verbreiteten Klagen gegen fremde Truppen, die sich auch schon in den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts finden255 und mit Blick auf den Dreißigjährigen Krieg im Alten 247 Wie Anm. 173. Vgl. auch SHDATA1 no. 32 doc. 231–232, Ordonnance pour EmpÞcher diuers desordres des Gens de Guerre vom 16. Dez. 1636. Nach Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 68–69, kam es in der Champagne sogar schon vor Ausbruch des Krieges 1635 zu solchen Vorfällen. 248 Lettre du Roy a M de Bussy-Rabutin, 19. Dez. 1640 (wie Anm. 196); BnF Ch.tre de Cang8 9, fol. 378–379: santimans d’un Zele franÅois sur les soufranses des arm8es et des peuples, par le manque de disipline aux ians de gueirre (1644). 249 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 519–525. Vgl. auch Kroener, Les Routes et les Ptapes (wie Anm. 145), S. 94ff. 250 Kroener, Les Routes et les Ptapes (wie Anm. 145), S. 543ff. u. 551. 251 Vgl. Meyer, La France moderne (wie Anm. 217), S. 265. 252 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 518ff. 253 SHDATA1 no. 468 doc. 71, 76–77, 84–85, 87, 111–112, 124ff., 134. Vgl. auch Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 187–188; sowie Kroener, Les Routes et les Ptapes (wie Anm. 145), S. 96 und passim. 254 SHDAT A1 no. 251 doc. 14. 255 Vgl. Anm. 211. Auch Potter, War and Government (wie Anm. 40), S. 217ff., merkt an, dass

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Reich und die dort von der Bevölkerung besonders gefürchteten Kroaten256 wohl verallgemeinert werden können, allerdings tatsächlich auf eine schlechtere Disziplin dieser Kontingente schließen lassen, oder ob es sich dabei um einen Topos handelte beziehungsweise die Beschwerde gegen die ausländischen Regimenter legitimer oder aussichtsreicher erschien, lässt sich nicht ohne Weiteres entscheiden.257 Zum anderen stellten – wiederum wie in den Religionskriegen – eigenmächtige Übergriffe einzelner Truppenteile ebenso wie abgedankte Soldaten und Marodeure eine besondere Gefährdung für die Zivilbevölkerung dar.258 So berichtete der Pfarrer von Lisbourg 1645 „qu’il y a environ 4 / 500 cavaliers d8tach8s du gros de l’arm8e qui courent le pays, commettant des cruaut8s et m8chancet8s ex8rables, n’8pargnant personne“.259 Wenn also insgesamt kaum etwas dafür spricht, dass die Disziplin der Armee vor der Fronde deutlich besser war – David Parrott zufolge sollte der Zusammenbruch der militärischen Disziplin nach 1648 „not be seen as a the consequence of a sudden breakdown of previously effective systems of control and discipline, but as the high-water mark in a process of deteriorating authority“260 –, so gilt dies wohl ebenso für die Jahre unmittelbar nach der Fronde bis zum Pyrenäenfrieden 1659, auch wenn über diese Zeit insgesamt weniger Informationen verfügbar sind, sowohl was die Quellen als auch was die Literatur betrifft. Allein aus dem Jahr 1654 liegen aber wiederum verschiedene Berichte über Plünderungen und andere Unregelmäßigkeiten aus verschiedenen Grenzregionen Frankreichs vor.261 Auch aus der Gegend von Bourg-en-Bresse wurde gemeldet, dass Angehörige eines Kavallerieregimentes im Dorf Neuville die Kirche und das Haus des Cur8 geplündert sowie mehrere Häuser angezündet hätten, offenbar nach Streitigkeiten wegen der Einquartierung.262 1657 war schließlich eine Reihe von Sol-

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sich in den 1550er Jahren berittene deutsche Söldner, die re%tres, besonders negativ hervortaten. Vgl. u. a. Holger Schuckelt, Kroatische Reiter. Schrecken und Faszination in Sachsen, in: Uwe Fiedler (Hrsg.), Der Kelch der bittersten Leiden. Chemnitz im Zeitalter von Wallenstein und Gryphius, Chemnitz 2008, S. 100–107, sowie zum Stereotyp der Kroaten als besonders gewalttätiger Truppenteil Ulrich Bielefeld, Ethnizität und Gewalt. Kollektive Leidenschaft und die Existenzialisierung von Ethnizität und Gewalt, in: Wolfgang Höpken, Michael Riekenberg (Hrsg.), Politische und ethnische Gewalt in Südosteuropa und Lateinamerika, Köln 2001, S. 1–18. Vgl. dazu Michael Kaiser, „Ärger als der Türck“. Kriegsgreuel und ihre Funktionalisierung in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs, in: Daniel Hohrath, Sönke Neitzel (Hrsg.), Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Paderborn 2008, S. 155–183. Vgl. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 539–543. Zitiert bei Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 188. Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 545. Alsace, Foix, Bigorre, Guyenne. BnF Ch.tre de Cang8 28, fol. 526v : Ordonnance du Roy pour empescher les Exactions des Gens de Guerre et regler ce que les habitants leur fourniront. SHDAT A1 no. 468 doc. 181.

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daten des in der g8n8ralit8 de Rouen stationierten Regiment de Picardie wegen Übergriffen gegen die Bevölkerung angeklagt.263 Auch wenn es aus den Jahren 1656/57 vereinzelte Anzeichen dafür gibt, dass die Krone im Rahmen grundlegender Reformen des Einquartierungswesens nunmehr tatsächlich gegen Offiziere vorging,264 deutet auch das Verhalten der Armee im feindlichen Gebiet nicht darauf hin, dass es grundsätzlich zu einer deutlichen Verbesserung der Disziplin gekommen wäre.265 David Parrott geht deshalb ebenfalls davon aus, dass die Disziplin in den späteren Jahren des spanisch-franzöischen Krieges nicht besser wurde und verweist darauf, dass es erst in den 1660er Jahren zu einer grundlegenden administrativen Reform der Armee kam.266 Somit stellt sich abschließend die Frage, ob die in den ersten Jahren nach 1661, dem Beginn der Selbstregierung Ludwigs XIV., unternommenen Neuregelungen der militärischen Gerichtsbarkeit ebenso wie des Versorgungs- und Etappenwesens die Disziplin der französischen Armeen tatsächlich in dem Maße verbesserten, wie es die überwiegend positiven Einschätzungen in der Literatur nahelegen.267 Andr8 Corvisier spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „restauration de la discipline g8n8rale des troupes par Louis XIVet ses ministres“, aufgrund derer sich das Image des Militärs in der Bevölkerung allmählich verbessert habe.268 Tatsächlich scheinen sich bereits bei der ersten militärischen Unternehmung nach der persönlichen Regierungsübernahme durch Ludwig XIV., der im Zuge des Devolutionskrieges 1667/1668 erfolgten Eroberung Flanderns, zunächst Erfolge abzuzeichnen: Am 6. Juni 1667 berichtete Marschall d’Aumont, Commandant de l’arm8e du Roy en Flandres du cost8 de la Mer, aus dem Lager bei Bergues von der guten Führung der französischen Truppen: „Les troupes viuens auec tant de sagesse qu’on s’y est estonn8 par tout ou nous auons pass8 […]“; bezeichnenderweise aber eben auch vom Erstaunen der betroffenen Bevölke263 BnF Ch.tre de Cang8 Bd. 29, fol. 218, Lettre du Roy a M. le Marquis de Nangis po. luy ordonner de remettre entre les mains de la Justice les Soldats du Reg.t de Picardie qui seront accus8s de Crimes ou les habitants des lieux de leurs garnisons ou aut. auront Interest, 5. Jan. 1657. 264 BnF Ch.tre de Cang8 29, fol. 114: Ordonnance du Roy pour casser des Capitaines et Officiers des Cavalerie qui ont exig8 de l’argent dans les Lieux de leur Logement pendant l’Hyver, malgr8 les deffenses port8es par l’ord.ce du 20 9.bre dernier, März 1656. Fünf Offiziere verlieren ihren Rang, weil sie von Einwohnern Geld verlangt haben. Lettre du Roy a M. le Marquis de Nangis (wie Anm. 263). 265 Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 188. 1658 wurde erneut die Kirche von Carvin im Artois (bei Lens) mit den Bewohnern darinnen von französischen Kontingenten in Brand gesteckt. 266 Parrott, Richelieu’s Army (wie Anm. 16), S. 544–545 u. 554–556. 267 Vgl. Anm. 215. Zum Versorgungswesen siehe Kroener, Les Routes et les Ptapes (wie Anm. 145), S. 161ff. 268 Corvisier, Les guerres de religion (wie Anm. 18), S. 328.

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rungen darüber.269 Bereits im zweiten Kriegsjahr kam es dann aber erneut zu Plünderungen und Übergiffen gegen die Zivilbevölkerung.270 Insbesondere aus Douai sind zudem zahlreiche Überfälle, Diebstähle und körperliche Misshandlungen von Männern und Frauen durch Angehörige der Garnison überliefert, zum Teil mit Todesfolge, die sich in den kommenden Jahren ungeachtet des zwischenzeitlich erfolgten Friedensschlusses fortsetzten und von den Bürgern teilweise mit Gegengewalt beantwortet wurden, obgleich die angeklagten Soldaten in einigen Fällen nachweislich von zivilen Gerichten unter Vorsitz des Intendanten abgeurteilt wurden.271 Mit dem erneuten Kriegsbeginn im Jahr 1672 verschlechterte sich die Situation weiter und zog auch das Hinterland in Mitleidenschaft. Das weiter südlich gelegene Artois wurde 1672 von Marodeuren heimgesucht, „qui volent & enfoncent les portes la nuit“. Laut Untersuchung handelte es sich dabei um Italiener, die aus französischen Diensten desertiert waren.272 In dem 1667 annektierten Teil von Flandern, der ch.tellenie LilleDouai-Orchies, kam es über den gesamten Verlauf des Holländischen Krieges (1672–1678/79) zu Misshandlungen von Zivilpersonen durch französische Soldaten und Offiziere.273 Wie angespannt das Klima zwischen Militär- und Zivilbevölkerung war, zeigt ein Zwischenfall aus dem Jahr 1676, der sich wiederum in Douai ereignete. Dort sollte einer der angeklagten Soldaten vor dem Angriff auf einen Bürger ausgerufen haben: „Mon dieu c’est un bourgeois, il le faut tuer.“274 Besonders schwierig scheint die Situation nicht nur zu Beginn, sondern auch gegen Ende des Krieges gewesen zu sein: Im Winter 1678/79 kam es sowohl im Hinterland zu kleineren Überfällen seitens durchziehender Truppen275 als auch zu größer angelegten Plünderungsaktionen in den neu eroberten beziehungsweise besetzten Gebieten. So wurde der im südlichen Hennegau gelegene Ort Robersart von ca. 40 bis 50 Soldaten überfallen und geplündert, wobei vier Bewohner schwer verletzt wurden.276 Die gerichtliche Untersuchung verlief in diesem wie in anderen Fällen ergebnislos, da die Einwohner die Soldaten bei einer Gegenüberstellung nicht identifizieren konnten und die Soldaten bei den umfangreichen Truppenbewegungen schwer zu fassen waren. Die Geschädigten mussten daher mit einer finanziellen Entschädigung Vorlieb nehmen. Im nördlichen Hennegau, also dem heute zu Belgien gehörigen Teil der SHDAT A1 no. 209 doc. 28. SHDAT A1 no. 251 doc. 69, Talon an Le Tellier, 20. April 1668. Archives d8partementales du Nord [im Folgenden ADN] VIII B 17382, 17396, 17793. SHDAT A1 no. 271 doc. 158. ADN VIII B 16572 und 17396; C 1985 u. 3927. Auch John Lynn konstatiert, dass „the army’s conduct in the early years of the Dutch War was hardly exemplary“. Siehe Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 400. 274 ADN VIII B 16572, Interrogatoire vom 29. Juli 1676. 275 SHDAT A1 no. 580 doc. 492; A1 no. 667 doc. 6; ADN C 9737 u. 9740. 276 ADN C 9737.

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Grafschaft, der von den Franzosen im Frieden von Rijswijk 1697 wieder abgetreten wurde, setzten die Bewohner mangels wirksamen Schutzes gegen die Übergriffe selbst zur Gegenwehr an und lieferten z. B. 1678 rund 40 Soldaten, die zuvor einen Bauern getötet und zwei weitere Bauern, die sich ihren Plünderungen widersetzt hatten, verletzt haben sollten, in das städtische Gefängnis von Lüttich ein, aus dem diese aber bald unter Einsatz erheblichen militärischen Aufwandes wieder befreit wurden.277 Nachdem es bereits im Februar und März in mehreren Städten zu gewalttätigen Zwischenfällen im Zusammenhang mit der Einquartierung französischer Regimenter gekommen war, verweigerten schließlich im Juni die Bürger der Stadt Thuin mit Waffengewalt die Aufnahme neuer Soldaten. Der Aufstand, die sogenannte guerre de Thuin, wurde mit massivem militärischem Zwang niedergerungen.278 Auch in der Armee selbst kam es während des Holländischen Krieges ebenso wie während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) zu Meutereien aufgrund von Hunger und Versorgungsmangel. Diese ereigneten sich zwar seltener als vor 1659/1661, kamen aber v. a. in den Garnisonen im Norden und im Elsass bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder vor.279 Ein Blick auf den Beginn des Pfälzischen Erbfolgekrieges in den südlichen Niederlanden Anfang der 1690er Jahre wiederum ergibt ein differenzierteres Bild. Einerseits zögert die Militärjustiz nicht, Verstöße zu ahnden und auch harte Strafen zu verhängen, was offensichtlich zur Verbesserung der Disziplin führt. 1690 meldet der Intendant der g8n8ralit8 de Flandre wallonne, Dreux Louis Dugu8 de Bagnols, dem Secr8taire d’Ptat / la guerre: „Le bon ordre, et la discipline se retablissent visiblement dans l’arm8e, Les deux exemples que M de Luxembourg a fait faire on produit tous l’effet qu’on pouuoit souhaiter. il y a meme aparence qu’il ne sera pas oblig8r de recommencer.“280

Andererseits kommt es bereits später im Jahr wieder zu Zwischenfällen und 1692 berichtet Dugu8 de Bagnols dem Nachfolger von Louvois von geradezu chaotischen Zuständen, für die er die Offiziere verantwortlich macht: „[…] les troupes qui passent d’une ville a l’autre de mon departement font beaucoup de desordre dans leur passage et viuent auec plus de licence et de Libertinage qu’elles n’ont encore fait, les soldats s’escartent dans les villages, pillent et volent les paysans et souuent

277 SHDAT A1 no. 584, passim. Um die letzten drei gefangenen Soldaten freizubekommen, entsandte der französische Oberkommandierende de Calvo schließlich 400 Reiter und 800 Infanteristen in die Stadt. 278 SHDAT A1 no. 630–631, 633, 667 passim; ADN C 9741. 279 Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 399; Chagniot, Les progrHs de l‘administration militaire (wie Anm. 122), S. 45. 280 SHDAT A1 no. 948 doc. 54.

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les maltraittent, les officiers ont peu d’aplication a faire marcher leur compagnies en bon ordre, et cest de la qui vient le desordre.“281

Erneut tun sich dabei deutsche und irische Truppen besonders negativ hervor. Über die Offiziere der letzteren heißt es im selben Jahr 1692: „ils nont nulle authorit8 sur leurs soldats qui sont sans aucune discipline se [sic!] sont plustost des bandits et des brigans que des soldats. Ils quittent non seulement les bataillons mais encor leur detache[ments] pour aller marauder, jay dit plusieurs fois aux officiers principaux den faire des Exemples ils ont promis d’en faire ils nen point encor fait.“282

Angesichts dieser differenzierten Befunde fällt es schwer, ein eindeutiges Fazit hinsichtlich der Effektivität der französischen Militärgerichtsbarkeit und einer möglichen Verbesserung der Disziplin unter der persönlichen Herrschaft Ludwigs XIV. zu ziehen. Einerseits sprechen die 1661 und 1665 eingeführten detaillierten Verfahrensregeln für das Militärstrafverfahren ebenso wie der Umstand, dass in vielen Fällen eine gerichtliche Ermittlung zumindest aufgenommen wurde beziehungsweise die Intendanten dringenden Handlungsbedarf meldeten und ernsthaft gegen Disziplinverstöße vorzugehen versuchten, wobei sie meist auf die Rückendeckung des Secr8taire d’Ptat / la guerre und wohl auch des Königs rechnen konnten,283 dafür, dass es tatsächlich zu einer Verbesserung der militärischen Disziplin respektive der Sanktionierung von Verstößen dagegen kam. Somit wurde wahrscheinlich auch die Zivilbevölkerung etwas weniger in Mitleidenschaft gezogen als vor 1659 oder gar in Zeiten eingeschränkter königlicher Autorität während der Religionskriege oder der Fronde. Andererseits verliefen aber viele der gerichtlichen Untersuchungen im Sande, und gerade während der Feldzüge gab es immer wieder erhebliche d8sordres, vor allem infolge größerer Truppenbewegungen wie 1672, 1678/79 oder 1692. Darüber hinaus hing die Durchsetzung militärischer Disziplin unbeschadet der Abschaffung der mit der Gerichtsherrschaft verbundenen grands offices und des 281 SHDAT A1 no. 1150, doc. 7, 16. Jan. 1692. 282 SHDAT A1 no. 1236 doc. 23, 11. Okt. 1692. 283 Z. B. SHDAT A1 no. 949 doc. 74, Louvois an Dugu8 de Bagnols: „je vous suplie de me mander le nom des officiers qui tiendront une mauuaise conduite dans leurs quartiers de fourage, parce que sur le compte que j’en rendray au Roy, S.M. les fera punir.“ In einigen Fällen hoben der Secr8taire d’Ptat bzw. sogar der König selbst die Urteile von conseils de guerres auf und ordneten eine härtere Bestrafung der an Übergriffen beteiligten Soldaten an: SHDAT A1 no. 271 doc. 93; Baxter, Servants of the Sword (wie Anm. 12), S. 200; Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 403. Vgl. auch Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 206: „Le ministre demande d’aller lui-mÞme ,dans les quartiers voir ce qui s’y passe et rem8dier aux plaintes […] et pour l’exemple faire pendre le premier cavallier qui aura pris un sol de son hoste ou qui se sera fait nourrir soubz quelque pr8texte que ce soit‘. Il bl.me l’intendant d’avoir condamn8 / la pendaison et non / la roue deux soldats qui ont d8trouss8 un bourgeois de Lille la nuit.“

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umfassenden Herrschaftsanspruchs Ludwigs XIV. wohl auch im späteren 17. Jahrhundert noch stark von den jeweiligen Oberkommandierenden ab.284 Weiterhin darf nicht vergessen werden, dass es während der Kriege gerade auch des späteren 17. Jahrhunderts auch regulär, d. h. auf Anordnung der Armeeführung, zur massiven Ausübung kollektiver militärischer Gewalt gegenüber der Bevölkerung besetzter Gebiete kam, etwa bei der Eintreibung der Kontribution, für die oft einzelne Häuser oder ganze Ortschaften in Brand gesetzt wurden. Die gezielte Verwüstung der Pfalz durch französische Truppen 1689 ist dafür nur ein besonders prominentes Beispiel.285 Der Schutz der Zivilbevölkerung trat für die militärische und politische Führung in diesen Momenten erkennbar hinter die militärischen Motive und die Notwendigkeiten der Truppenversorgung zurück. Von einer grundsätzlichen Verbesserung der militärischen Disziplin unter Ludwig XIV. auszugehen, wie es die französische Forschung mehrheitlich tut, erscheint daher insgesamt wohl zu optimistisch und deutet auf eine tendenzielle Überschätzung normativer Regelungen und politischer Willensbekundungen hin. Zutreffender ist wahrscheinlich die etwas weniger enthusiastische Einschätzung von John Lynn, dass es sich dabei nicht um einen linearen Fortschritt handelte, sondern allenfalls um eine in unregelmäßigen Schüben verlaufende Entwicklung, die überdies stark von situativen Faktoren beeinflusst wurde: „On the whole, discipline improved over the course of the grand siHcle, but amelioration was not linear and even, and it involved more than the will of the monarch and it’s ministers. […] When conditions in the field decayed in later wars, discipline again declined.“286

Nun bedeuteten Krieg oder doch zumindest Feldzüge und größere Truppenbewegungen aber auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer Ausnahmesituationen, die die Strukturen der Militäradministration und der Truppenversorgung regelmäßig an ihre Grenzen brachten. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Verhältnisse in Friedenszeiten besser waren und ein Urteil hier somit günstiger ausfallen kann. Andr8 Corvisier zufolge habe insbesondere die Dekade zwischen dem Ende des Holländischen Krieges und dem Beginn des Pfälzischen Erbfolgekrieges einen diesbezüglich Höhepunkt erlebt.287 Auch 284 So weist John Lynn daraufhin, dass der Herzog von Luxemburg „did not regard discipline as his highest priority during the Duch War, an insouciance that maddened Louvois“. Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 403. 285 Vgl. Roland Vetter, „Kein Stein soll auf dem anderen bleiben“. Mannheims Untergang während des Pfälzischen Erbfolgekrieges im Spiegel französischer Kriegsberichte, Heidelberg u. a. 2002. 286 Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 398. 287 Corvisier, Louis XIV, la guerre et la naissance de l’arm8e moderne (wie Anm. 91), S. 402–403: „Jamais une discipline aussi stricte n’avait 8t8 appliqu8e. La p8riode de paix

Institutionen, Intentionen und Praxis der französischen Militärgerichtsbarkeit

143

Alain Lottin kommt für Flandern zu dem Schluss, dass die strenge Disziplin der Truppen nach der französischen Eroberung auch von der Bevölkerung ungeachtet deren feindseliger Haltung anerkannt worden sei: „Les populations, mals dispos8es envers les FranÅais, comme nous le verrons, sont toutefois surprises agr8ablement par le fait que l’arm8e paie une partie de ses fournitures et par la discipline de fer que fait r8gner Louvois.“288

Allerdings räumt Lottin zugleich ein, dass es in Lille, ähnlich wie in Douai, gerade in den ersten Jahren nach der Eroberung 1667 zu einer großen Zahl von gewaltsamen Begegnungen zwischen Soldaten und Einwohnern kam, wobei letztere häufig darüber klagten, dass die beteiligten Soldaten und insbesondere die Offiziere von den militärischen Autoritäten milder bestraft würden als sie selbst von der zivilen Justiz.289 Immerhin war der Intendant als der offizielle Vertreter der königlichen Autorität – in Absprache mit Louvois – bemüht, gegenzusteuern, indem er in einigen Fällen Offiziere nachträglich bestrafte, da er ahnte, „[qu’] on fait sur place des comparaisons du bourgeois pendu derniHrement et de l’officier sauv8, qui ne sont guHre agr8ables“. Ähnliches hat Simone Herry für die ehemalige Reichsstadt Straßburg beobachtet, die im September 1681 von französischen Truppen besetzt und mit einer Garnison belegt wurde: Einerseits sind auch dort Zusammenstöße zwischen Bürgern und Angehörigen der Garnison in großer Zahl überliefert, was auf ein grundsätzlich konflikreiches Miteinander hindeutet; zugleich aber wird andererseits auch dort das Bemühen des Secr8taire d’Ptat erkennbar, „/ ne pas heurter les sensibilit8s locales, et / faire respecter les droit et la propri8t8 des Strasbourgeois“.290 In einem Fall intervenierte Louvois sogar zugunsten dreier Einwohner, die im Verdacht standen, einen Soldaten getötet zu haben, der sich zuvor an ihren Feldfrüchten vergriffen haben sollte: „[…] mesme s’ils ont tu8 ce soldat, il leur devoit Þtre permis de tirer sur les gens qui alloient voler leurs l8gumes dans leurs jardins.“291 Hier wird deutlich die Tendenz der französischen Politik erkennbar, zumindest in Friedenszeiten Partei für die Bevölkerung zu ergreifen und durch ein rigoroses Vorgehen gegen Übergriffe von Soldaten an Zivilpersonen die Rechtlichkeit und Rechtmäßigkeit der Herrschaft des Königs von Frankreich unter Beweis zu stellen, gerade auch in den frisch annektierten Gebieten. Die pessimistische Einschätzung, zu der Maren Lorenz hinsichtlich der Konflikte

288 289 290 291

1679–1688 / cet 8gard marque une apog8e, d’ailleurs au diapason des mesures d’ordre moral que prend alors Louis XIV.“ Vgl. auch Lynn, Giant (wie Anm. 32), S. 400. Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 206. Lottin, Guignet, Histoire des Provinces du Nord (wie Anm. 12), S. 216. Simone Herry, Une ville en mutation, Strasbourg au tournant du grand siHcle, Strasbourg 1996, S. 59–62, Zitat S. 60. Zit. nach Herry, Strasbourg (wie Anm. 290).

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zwischen Militärangehörigen und der zivilen Bevölkerung in den schwedischen Besitzungen im Alten Reich nach 1650 kommt, dass nämlich „Militärjustiz und Militärordnungen […] nur Alibi- und Appellfunktion“ besessen hätten,292 erscheint mithin im Licht der französischen Praxis in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts jedenfalls nicht verallgemeinerbar. Vielmehr ist in Frankreich klar das Bemühen der königlichen Autoritäten zu erkennen, der Bevölkerung entgegenzukommen und im Einzelfall sogar deren Interessen über die des Militärs zu stellen, jedenfalls soweit es politische Opportunität und militärische Lage erlaubten. Der Intendant des Hainaut, Joachim Faultrier (1629–1709), fasste diese Praxis im Januar 1679 in den folgenden Worten zusammen: „[…] on pendra quelques uns car il faut qu’il en couste deux ou trois soldats au Roy, aussy bien Monseigneur c’est vne necessit8 que les trouppes sachent, que dans Les pays qui appartient au Roy, elles doiuent changer de conduitte […].“293

Als entscheidender Vorteil der französischen Regelungen für die zivile Bevölkerung erwies sich in diesem Zusammenhang vor allem die Entscheidung der Krone, Konflikte zwischen Militärangehörigen und Einwohnern der regulären, zivilen Gerichtsbarkeit zu unterstellen.

292 Lorenz, Rad der Gewalt (wie Anm. 2), S. 330. 293 SHDAT A1 no. 667 doc. 11, Faultrier an Louvois, 9. Jan. 1679.

Maria R. Boes*

Zur Rechtsprechung über Soldaten in der Reichsstadt Frankfurt zwischen 1562 und 16961

I.

Einleitung

Soldaten, die sich außerhalb der Schlachtfelder krimineller Handlungen schuldig machen, sind historisch betrachtet kein neues Thema. Im Gegenteil: Über die Jahrhunderte hinweg hat dieses Phänomen immer wieder großes Interesse gefunden und zu großer Besorgnis geführt, nicht zuletzt im Europa der Frühen Neuzeit. Allerdings liegen für diese Epoche erst wenige Studien zu den Straftaten von Militärs vor und ipso facto mangelt es an Erkenntnissen zu den juristischen Verfahren und rechtlichen Konsequenzen.2 Mit den folgenden Ausführungen zur Rechtsprechung über Soldaten in Frankfurt am Main soll ein Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke geleistet werden. Frankfurt erscheint ideal für eine solche Untersuchung, da sie als Freie Reichsstadt weitreichende politische und juristische Unabhängigkeit besaß. Außerdem, und dies ist noch wichtiger, verfügt das Archiv der Stadt über eine ausgesprochen gute Überlieferung für ein solches Forschungsprojekt. Von besonderem Wert ist in diesem Zusammenhang das Strafenbuch, in dem sich sämtliche verurteilten Täter mit ihren Verbrechen und den beschlossenen Sanktionen zwischen 1562 und 1696 eingeschrieben finden. Diese unschätzbare Quelle gab den zeitlichen Rahmen der Studie vor. Mit Frankfurts Bürgermeisterbüchern und den Ratsprotokollen wiederum, die jeweils Details zu den juristischen Verfahren enthalten, konnten die Funde aus dem Strafenbuch ergänzt werden, ebenso wie durch zahlreiche einzeln überlieferte * Dieser Beitrag ist dem Andenken an Marina Harnischfeger gewidmet. 1 Die Ausführungen basieren auf Teilen des Kapitels ,Judicial Treatment of Soldiers for Killings Unrelated to the Battlefield‘ aus Maria R. Boes, Crime and Punishment in Early Modern Germany. Courts and Adjudicatory Practices in Frankfurt am Main (1562–1696), Farnham u. a. 2013, hier S. 205–234. Die vorliegende Übersetzung von Kai Lohsträter geschieht mit freundlicher Erlaubnis von Ashgate Publishing (UK). 2 Jutta Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Sylvia Kesper-Biermann, Diethelm Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 115–140.

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Kriminalakten (Criminalia) und die zugrundeliegenden Gesetzestexte. Die Kombination dieser Quellen gibt den Blick frei auf die Tendenzen und Wandlungen von Verbrechen, Justiz und Kultur im ausgehenden 16. und 17. Jahrhundert. Besonders zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die verschiedenen Rechtsgutachten der Frankfurter Advokaten, die die realen Praktiken innerhalb des juristischen Systems der Freien Reichsstadt widerspiegeln. Im Folgenden werden zunächst kurz die Rahmenbedingungen der reichsstädtischen Jurisdiktion skizziert und anschließend die Ergebnisse der teils quantitativen, teils qualitativen Analyse der einschlägigen Überlieferung zu den Vergehen und Verbrechen von Militärs und dem damit verbundenen Umgang dargestellt. Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Zusammenhang der Frage nach den Veränderungen innerhalb des Untersuchungszeitraums, wobei die Befunde, wenn immer möglich, mit den juristischen Praktiken gegenüber zivilen Straftätern verglichen und kontrastiert werden, um Differenzen oder Ähnlichkeiten erkennen zu können und zu überprüfen, inwiefern man von der Existenz einer spezifischen militärischen Rechtskultur in Frankfurt sprechen kann.

II.

Grundlagen des juristischen Systems Frankfurts

Die strafrechtlichen Verfahren in der Reichsstadt wurden vom Stadtrat geführt, der sich aus drei Bänken zusammensetzte. Die ersten zwei Bänke wurden von Patriziern besetzt, die letzte von Mitgliedern einiger bestimmter Zünfte. Alle Stadträte waren männlich und lutherischer Konfession. Frauen oder Mitglieder der örtlichen religiösen Minderheiten, der Katholiken, Reformierten oder Juden, konnten dem Stadtrat nicht angehören und hatten somit keinen direkten Zugang zur rechtsprechenden Körperschaft.3 Dieser ziemlich exklusive Zirkel verfügte über weitreichende gesetzgeberische und strafrechtliche Macht und Unabhängigkeit.4 Das von Kaiser Karl V. (1500–1558) mit der Constitutio Criminalis Carolina für das Alte Reich vereinheitlichte Strafrecht bildete dazu seit 1532 zwar den Rahmen – allerdings nicht mehr. Denn die Salvatorische Klausel garantierte die Kontinuität der örtlichen juristischen Praktiken. Frankfurt war folglich nicht 3 Karl Bücher, Die Bevölkerung von Frankfurt am Main im XIV. und XV. Jahrhundert. Socialstatistische Studien, Bd. 1, Tübingen 1910, S. 527; Johann Anton Moritz, Versuch einer Einleitung in die Stadtverfassung der Reichsstadt Frankfurt, Teil 1, Frankfurt am Main 1785, S. 253–254; Friedrich Bothe, Geschichte der Stadt Frankfurt am Main, Bd. 1, Frankfurt am Main 1913, S. 152, 186, 232, 381; Matthias Meyn, Die Reichsstadt Frankfurt vor dem Bürgeraufstand von 1612–1614: Struktur und Krise, Frankfurt am Main 1980, S. 84, 172, 207. 4 Diese Rechte erlangte die Stadt während des 14. Jahrhunderts durch die Erteilung entsprechender kaiserlicher Privilegien. Siehe: Bothe, Geschichte (wie Anm. 3), S. 23, 125 u. 226; Moritz, Versuch (wie Anm. 3), S. 295.

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gebunden, wortwörtlich dem Reichsgesetz zu folgen, sondern konnte damit nach Belieben verfahren. Überdies stärkte das Fehlen einer Appellationsinstanz in Strafsachen auf Reichsebene die Eigenständigkeit der Stadt: Die dort gefällten Urteile waren endgültig. Frankfurt veröffentlichte zahlreiche allgemeine eigene Gesetze, unter denen die sogenannte Reformation von 1578 das bekannteste ist, da es die Integration des Römischen Rechts in Frankfurts Recht vollendete.5 Ähnlich wie in vielen anderen Regionen Deutschlands, erließ der Stadtrat eigene militärrechtliche Regeln, die sogenannten Kriegsartikel.6 Ein Ausdruck dieser Form der Gesetzgebung datiert auf den 29. Mai 1628. Allerdings wurde der Text nicht vor 1644 publiziert.7 Zwei der Paragraphen sind im Rahmen der Studie von besonderem Interesse: Paragraph 1 warnte die Soldaten davor, keine Personen anzugreifen, insbesondere keine Geistlichen, älteren Menschen, Schwangeren, jungen Mütter, Jungfrauen und Kinder. Paragraph 20 verbot Trunkenheit und drohte damit, Übergriffe unter Alkoholeinfluss schärfer zu bestrafen, als nüchtern begangene Taten. Die Frankfurter Stadtführung erließ außerdem zahlreiche Ermahnungen an Soldaten, so zum Beispiel, keine Juden zu provozieren oder zu attackieren, oder beschränkte ihren nächtlichen Ausgang, nachdem Militärangehörige schwereren Straßenraub begangen hatten.8 Der Stadtrat beanspruchte somit das Recht, jeden Täter zu verurteilen, unabhängig vom Ort des Verbrechens, vom sozialen Status, der Konfession, des Amtes, Berufs oder der Herkunft des Angeklagten. Es gab während des 16. und 17. Jahrhunderts keine getrennte, unabhängige Militärgerichtsbarkeit in der Reichsstadt.9 Frankfurts Zivilgericht verurteilte und strafte also auch Soldaten ohne Rücksicht auf deren Herkommen und den Ort ihrer jeweiligen Taten. Seit auch in der 5 Helmut Coing, Die Frankfurter Reformation von 1578 und das Gemeine Recht ihrer Zeit. Eine Studie zum Privatrecht der Rezeptionszeit, Weimar 1935, S. 3. 6 Tallett benennt die einflussreichsten, etwa die Erlasse König Ferdinands von Böhmen und Ungarn (1503–1564) von 1526, die Kriegsartikel des Reichstags in Speyer von 1570, die Bestimmungen Moritz’ von Oranien (1567–1625) aus dem Jahre 1590 sowie die Kriegsartikel Gustav II. Adolf (1594–1632) von 1617 und 1630. Vgl. Frank Tallett, War and Society in Early Modern Europe (1495–1715), London, New York, NY 1992, S. 123 u. 125. Siehe zudem Kersten Krüger, Kriegsfinanzen und Reichsrecht im 16. und 17. Jahrhundert, in: Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, S. 47–57, hier S. 49–50. 7 Isido Kracauer, Das Militärwesen der Reichsstadt Frankfurt a. M. im XVIII. Jahrhundert, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 3. Folge, 12 (1920), S. 1–180, hier S. 39. 8 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Bürgermeisterbuch von 1683, Einträge vom 5. Juli u. 29. September. 9 Siehe Kracauer, Militärwesen (wie Anm. 7), S. 67. Die steht im Gegensatz zur allgemeinen Behauptung, dass „individual soldiers faced trial and punishment by special military tribunals for crimes committed against either fellow soldiers or civilians“, wie es etwa bei Parker formuliert ist. Vgl. Geoffrey Parker, War and Faith in Early Modern Europe, London 2002, S. 150.

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Reichsstadt, wie in den meisten Ländern des europäischen Kontinents, das Inquisitionsverfahren angewandt wurde, wurden Soldaten wie die Zivilbevölkerung dieser Prozedur unterworfen. Das heißt, man konnte auf der Grundlage von Augenzeugenaussagen, persönlichen Anschuldigungen oder nach dem Ertappen auf frischer Tat ebenso in Untersuchungshaft genommen werden, wie auf bloße, auf Gerüchten basierende Verdächtigungen hin. Die Angeklagten konnten mit Folter bedroht werden, bis sie im Inquisitionsprozess ein Schuldeingeständnis abgaben. Wenn man damit nicht weiterkam, wurde Druck ausgeübt, indem man „mit Güte“ die Instrumente vorführte, wie es euphemistisch hieß, oder diese, wenn es noch immer nicht half, letztlich auch anwendete. In umstrittenen Fällen, besonders wenn es um die Überführung von mutmaßlichen Mördern ging, suchte der Stadtrat nicht selten die Hilfe von Experten, namentlich von Medizinern und geschworenen Wundärzten, die dann darüber entschieden, ob tatsächlich ein Verbrechen vorlag oder nicht.10 In problematischen Verfahren kontaktierte der Stadtrat außerdem auch schon einmal die Obrigkeiten der früheren Aufenthaltsorte der Angeklagten, um Hinweise über ihr voriges Betragen zu erlangen. Diese Informationen konnten dann das Strafmaß beeinflussen; rückfällige Straftäter erwarteten härtere Sanktionen.11 Gelegentlich zog der Stadtrat zudem die lokalen Kriegsräte hinzu, ebenso wie er in sehr komplexen Fällen Kriminalakten zur Begutachtung und weiteren Klärung an juristische Fakultäten der Universitäten versenden konnte.12 Gleichwohl ist diese fair scheinende Praxis mit Vorbehalten zu sehen: Denn erstens konnten die Akten tendenziöses Material enthalten, das in Frankfurt gesammelt worden war, und zweitens konnten dem Angeklagten die Kosten zur Last gelegt werden.13 Drittens konnten auch die rechtswissenschaftlichen Institute parteiisch sein. Immerhin wählte man in Frankfurt mehrheitlich juristische Fakultäten an lutherischen Universitäten aus, besonders Heidelberg, Giessen und Marburg, aber auch Jena, wie ein Fall von 1694 deutlich macht, als Frankfurt die „theologische und juristische Response“ der dortigen Universität berücksichtigte.14 Am wichtigsten war jedoch, dass sich der Stadtrat zunehmend mit den eigenen städtischen Advokaten beriet, also mit den örtlichen, im römischen Recht 10 Siehe z. B. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 10. Juni 1671, 9. Dezember 1679, 10. Juni 1680. 11 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Bürgermeisterbuch von 1573, Eintrag vom 10. Juli; ebd., Bürgermeisterbuch von 1578, Eintrag vom 25. April. 12 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Bürgermeisterbuch von 1636, Eintrag vom 12. April. Dies geschah auch beim Prozess eines Soldaten im Jahre 1688. Vgl. ebd., Bürgermeisterbuch von 1688, Eintrag vom 17. Februar. 13 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 31. August 1688, wo es klar heißt, dass der Auftrag der Begutachtung „auf seine [des Angeklagten, M. B.] Kosten“ geschehen solle. Siehe auch Gerhard Pätzold, Die Marburger Juristenfakultät als Spruchkollegium, Marburg/Lahn 1966, S. 20 u. 26. 14 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 27. September 1694.

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geübten Juristen. Ihre Ratschläge wurden vor allem hinsichtlich der Strafmaße gesucht, insbesondere wenn es um potentielle Kapitalstrafen ging. Obwohl die Advokaten keine eigenen Urteile fällen konnten und nur in konsultativer Funktion tätig waren, erlangten sie doch, wie im Folgenden dargestellt werden wird, mehr und mehr (juristischen) Einfluss über den Stadtrat. Dass die Rechtsgelehrten in der Regel über persönliche Bindungen zu den Patrizier-Familien verfügten, in deren sozialen Kreisen sie verkehrten, verstärkte dies noch.15 So ist es wenig überraschend, dass der Stadtrat die Strafempfehlungen der Advokaten zunehmend akzeptierte, obwohl, was ebenfalls noch thematisiert werden wird, ihre Meinungen häufig jegliche juristische Objektivität vermissen ließen; tatsächlich waren sie nicht selten voreingenommen. Das juristische/ strafrechtliche Schicksal Angeklagten lag in Frankfurt demzufolge in einem immer stärkeren Maße in den Händen der städtischen Advokaten – eine Situation, die für sie umso mehr problematisch war, da es keine Anwälte gab. Lediglich im späten 17. Jahrhundert sind in vereinzelten Verfahren mit Strafverteidigern dokumentiert. Was dagegen existierte, war ein außerrechtliches, stark subjektives Mittel, das Strafmaß abzumildern: Persönliche Einsprüche oder Eingaben von Familienmitgliedern, Freunden sowie höherstehenden Personen. Soldaten hatten, das werden die nachfolgend präsentierten Fälle illustrieren, wie alle anderen beschuldigten Kriminellen Zugang zu diesem quasilegalem Schlupfloch – und sie nutzten es vielfältig und erfolgreich. Welche Rolle letztlich die Bevölkerung Frankfurts in ihrer Gesamtheit im reichsstädtischen Rechtssystem spielte, kann hier in der Gesamtheit nicht dargelegt werden. Zweifelsohne hatte sie aber eine wichtige Stellung gerade für die ersten Stufen der Kriminalprozesse. Denn durch das Fehlen eines unabhängig organisierten Polizeiapparats, der Beweise sammelt oder die gesellschaftliche Ordnung überwacht, kam ihr in gewisser Weise diese Funktion zu. Es hing wesentlich von der Bevölkerung ab, ob ein Verbrechen gemeldet wurde, ein Verdacht oder ein anonymes Gerücht entstand, aus dem schließlich ein Strafverfahren erwachsen konnte.

III.

Zur Distinktion krimineller Soldaten und zur Ausdifferenzierung des Militärs

Die Bestimmung von Soldaten, die eines Verbrechens oder Vergehens wegen verurteilt worden waren, stellte kein größeres Analyseproblem dar. Denn die Militärs waren als solche eindeutig im Frankfurter Strafenbuch verzeichnet

15 Siehe Boes, Crime and Punishment (wie Anm. 1), S. 39–45.

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worden. Das optisch klar erkennbare Erscheinungsbild der Soldaten, hauptsächlich durch ihre gelegentlich extravagante Kleidung, war sicher ein wichtiges Hilfsmittel zur Distinktion.16 Nur in wenigen Fällen wurden die Straftäter in mehrdeutiger Weise aufgeführt, verbucht etwa mit doppelten Angaben zu Berufen: Soldat und Bäcker oder Soldat und Maurer.17 Kam dies vor, wurde dem Soldatenstatus in der Aufzählung aber der Vorrang gegeben. Historisch bedeutsamer erscheinen dagegen die veränderten, zunehmend detailreicheren militärischen Beschreibungen, die Eingang ins Strafenbuch fanden. Während in den letzten drei Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts die Dokumente hauptsächlich Landsknechte ausweisen, wurde dieser Begriff nachfolgend sukzessive durch Soldat ersetzt.18 Ein Fall von 1608 zeigt dabei, dass nun zudem noch weitere relevante militärische Informationen, etwa Hinweise zur Laufbahn, hinzugefügt wurden. So erfährt man, dass der Betroffene sechs Jahre in den Niederlanden Dienst getan hatte.19 1623 taucht der Ausdruck Musketier in der Überlieferung auf – ein Begriff, der von da an steigende Verwendung fand.20 Offensichtlich folgte Frankfurts, aus Teilen der Zivilbevölkerung bestehendes Gericht den militärischen Entwicklungen, im Zuge derer der feuerwaffentragende Soldat, der Gewehre und Pistolen nutzte, an die Stelle des umherziehen-

16 Siehe Boes, Crime and Punishment (wie Anm. 1), S. 53–68. Hale war der erste, der über das Aussehen der Soldaten des 16. Jahrhunderts schrieb und in diesem Zusammenhang konstatierte: „By 1519 the soldier had not only become identified through his defiantly antisoldier costume.“ Vgl. John R. Hale, The Soldier in Germanic Graphic Art of the Renaissance, in: Journal of Interdisciplinary History 17,1 (1986), S. 85–114, hier S. 105. Von besonderem Wert in diesem Kontext sind auch folgende Beiträge: Matthias Rogg, Zerhauen und zerschnitten, nach adelichen Sitten: Herkunft, Entwicklung und Funktion soldatischer Tracht des 16. Jahrhunderts im Spiegel zeitgenössischer Kunst, in: Kroener u. Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden (wie Anm. 6), S. 109–136; Gundula Wolter, Die Verpackung des männlichen Geschlechts. Eine illustrierte Kulturgeschichte der Hose, Marburg 1991, bes. S. 57; Peter Burschel, Zur Sozialgeschichte innermilitärischer Disziplinierung um das 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 11 (1994), S. 965–981, hier bes. S. 973; Ralf Pröve, Vom Landsknecht zum Soldaten: Krieg und Militär 1500–1800, in: Bernd Ulrich Hucker u. a. (Hrsg.), Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997, S. 255–267, bes. S. 258. 17 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 29. April 1584, 17. Juli 1589, 19. Januar 1591, 9. August 1599, 13. April 1621, 27. April 1630, 5. Dezember 1634, 10. Juni 1671, 11. April 1674. 18 Zum späteren Verschwinden der Landsknechte und den damit verbundenen militärischen Veränderungen vgl. Burschel, Sozialgeschichte (wie Anm. 16), S. 973. Zu Frankfurt siehe hinsichtlich des Übergangs: Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 3. April 1600 u. 16. April 1601. 19 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 12. Juli 1608. Siehe auch Stadtarchiv Frankfurt am Main, Criminalia, Nr. 560. 20 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 14. Mai 1623, 28. November 1658, 8. Juni 1683, 12. Dezember 1683, 14. Dezember 1683.

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den Landsknechts trat, den bezahlten Fußsoldaten.21 Darüber hinaus wurden in den Frankfurter Dokumenten nach und nach militärische Ränge wie „Sergeant“ verwandt.22 Die genannten Dienstgrade vervielfältigten sich über die Jahre. Hinzu kamen Bezeichnungen wie „gefreyter Soldat“, „Obristlieutenant“, Constable, Captain, Corporal und „Kriegsoffizier“.23 Die genannten Daten müssen dabei nicht die ersten Nennungen dieser militärischen Beschreibungen in der Frankfurter Überlieferung gewesen sein. Auch bilden sie nicht unbedingt die korrekte zeitgenössische Hierarchie ab – in dieser zeitlichen Reihenfolge erscheinen sie allerdings im Strafenbuch. Und die erwähnten Ränge sollten auch nicht als bloße Laune des Schreibers abgetan werden. Vielmehr bezeugt die zunehmende Diversifikation ein wachsendes Bewusstsein für die Relevanz militärischer Ränge sowie eine stillschweigende Zustimmung zur immer feiner hierarchisierten Militärstruktur – und das in einem Zivilgericht. Es darf insofern nicht überraschen, dass dieses entstehende Muster der Integration militärischer Terminologie in bürgerliche Kreise in den folgenden Jahren eine gewisse Eigendynamik gewann und auch andere juristische Bereiche beeinflusste.

IV.

Die Quantität der Strafverfahren

Die Muster der gerichtlichen Verfahren in Frankfurt und mehr noch die Trends ihrer städtischen Strafen an Soldaten unterstreichen die wachsende Verinnerlichung der militärischen Sprache, wenn nicht gar die besondere Behandlung der Soldaten. In der hier untersuchten 134jährigen Zeitspanne wurden insgesamt 1338 Urteile in der Reichsstadt gesprochen. Darunter waren 114 SoldatenVerfahren (s. Tab. 1). Für sich genommen ist diese Zahl wenig aufschlussreich. Um sie zu verstehen, ist eine vergleichende Perspektive notwendig. Da alle Soldaten in dieser Zeit Männer waren, muss die Zahl zunächst den Frankfurter Verfahren gegen die männlichen Bevölkerungsteile gegenübergestellt werden. Diese beliefen sich auf 1023. In dieser Kategorie machten die Soldaten also 11 Prozent aus – ein auf den ersten Blick kleiner Anteil. Gleichwohl muss ein zweiter Faktor in die Überlegung einbezogen werden, nämlich die numerische Repräsentation der Soldaten innerhalb der Einwohnerschaft der Stadt. Wie diese aussah, ist jedoch schwer zu sagen, da dazu keine seriellen Daten vorliegen und

21 Die Listung von Musketieren geschah gleichwohl recht spät angesichts der Tatsache, dass die Muskete in den 1550er Jahren eingeführt wurde. Siehe Geoffrey Parker, The Military Revolution. Military Innovation and the Rise of the West (1500–1800), Cambridge 1988, S. 17. 22 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 30. November 1621. 23 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 28. Juni 1637, 28. November 1659, 8. Juni 1683, 22. Mai 1695.

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spezifische Studien zum Militär in Frankfurt fehlen.24 Nur für wenige Jahre gibt es überhaupt Überlieferungen. So verfügte die Stadt 1613 über 60 Söldner. 1618 stieg die Zahl auf 160, 1620 dann auf 750 und erreichte 1631 mit 1200 Söldnern wahrscheinlich den höchsten Wert im Untersuchungszeitraum.25 Obwohl es verführerisch wäre, die besagten 114 Urteile zumindest vor diesem, wenn auch vagen quantitativen Hintergrund zu betrachten, gibt es noch ein weiteres Problem. Denn wie gesagt war Frankfurt auch berechtigt, auswärtige Deviante zu verurteilen. Dieser Umstand ist umso fataler, da in der Aufzeichnungspraxis nicht klar zwischen Stadtbewohnern und Fremden unterschieden wurde – außer die Betroffenen besaßen das Bürgerrecht, worauf man stets ausdrücklich hinwies. Insofern ist es ausgesprochen schwer, wenn nicht gar unmöglich, örtliche und auswärtige Straftäter in der Überlieferung zu differenzieren. Auch in den Verzeichnungen von Soldaten und ihren Verbrechen spiegelt sich dieses allgemeine Muster wider, jedenfalls was den Zeitraum zwischen 1562 und 1602 betrifft, in dem das Strafenbuch nicht einen einzigen Eintrag enthält, in dem kriminelle Militärangehörige ausdrücklich als Einheimische bezeichnet worden wären. Dies änderte sich allerdings 1603, nachdem ein örtlicher Soldat und Sohn eines Bürgers angeklagt worden war. Danach tauchen gehäuft Verzeichnungen wie „Soldat alhie“ in den Quellen auf, besonders zahlreich zwischen 1676 und 1679, als alle elf in dieser Phase verurteilten Soldaten mit diesem Attribut versehen wurden. Unter dem Strich finden sich insgesamt 34 solcher Festlegungen.26 Gleichermaßen erwähnenswert sind die Einträge, die den Täter als „gewesener Soldat alhie“ bezeichnen. Derartige Beschreibungen setzen aber erst später, genauer ab 1635 ein; insgesamt nachweisbar ist dies in 21 Fällen.27 Mit insgesamt 55 Einträgen handelte es sich damit bei knapp der Hälfte der 114 verurteilten Militärangehörigen um einheimische oder abgedankte einheimische Soldaten. Hierin zeichnete sich mutmaßlich eine neue Strategie der militärischen Rechtsprechung in Frankfurt ab. Zwar ist es letztlich schwer zu sagen, welchen genauen Grund es für die neue, auf den Herkunftsort bezogene Diffe24 Außer der hauptsächlich auf das 18. Jahrhundert bezogenen Studie Kracauers (s. Anm. 6) gibt es keine Monographien über Soldaten in Frankfurt, die zum Beispiel mit der Studie Schwarks über Lübeck vergleichbar wären. Vgl. Thomas Schwark, Lübecks Stadtmilitär im 17. und 18. Jahrhundert. Eine Untersuchung zur Sozialgeschichte einer reichsstädtischen Berufsgruppe, Lübeck 1990. 25 Johann Anton Moritz, Versuch einer Einleitung in die Stadtverfassung der Reichsstadt Frankfurt am Main, Teil 2, Frankfurt am Main 1786, S. 419–420. 26 Die entsprechenden Einträge verteilen sich chronologisch folgendermaßen auf das Strafenbuch: 1603, 1621, 1622 jeweils ein Eintrag, 1623 zwei, 1634, 1636, 1638, 1646, 1659, 1662, 1669, 1672, 1676 wieder jeweils einer, drei im Jahr 1678, zwei 1679 und 1681, einer 1682, fünf 1683, jeweils einer 1684, 1688 und 1690 sowie zwei in den Jahren 1694 und 1696. 27 Chronologisch folgendermaßen auf das Strafenbuch verteilt: Zwei Einträge im Jahr 1635, drei 1636, einer 1637, jeweils zwei in den Jahren 1663, 1670, 1671 sowie jeweils einer in 1673, 1674, 1676, 1680, 1686, 1693, 1695.

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renzierungspraxis gab, der Zeitrahmen, in dem der Wandel eintrat, kann aber Erklärungsansätze liefern, vor allen, wenn man die über die Soldaten gefällten Urteile nebeneinanderstellt. Nicht überraschend, gab es hierbei ähnliche zeitliche Schwankungen. Vor dem Hintergrund der Stadtgeschichte ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, dass es gerade in den relativ friedlichen Zeiten zwischen 1562 und 1594, als Frankfurt prosperierte, mehr Urteile gegen Militärs gab, als in Zeiten der Unsicherheit und Instabilität, etwa während des Dreißigjährigen Krieges. Interessant ist zudem die Steigerung während der letzten drei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts, als die Strafverfahren gegen Soldaten ihren Höhepunkt innerhalb des Untersuchungszeitraums erreichten (s. Tab. 1). Sicher dürfen die kriegerischen Aktivitäten der Franzosen in dieser Phase nicht unterschätzt werden. Dennoch reichten die damit verbundenen Gefahren nie an die Risiken und Katastrophen des Dreißigjährigen Krieges heran. Man könnte daher sagen, dass die Soldaten in Zeiten der Not weniger Verbrechen begingen, oder aber zumindest weniger Rechtsübertretungen angezeigt und geahndet wurden. Umgekehrt ließe sich konstatieren, dass die Frankfurter Stadtführung in Friedenszeiten härter gegen die Militärangehörigen durchgriff. Der deutliche Anstieg der Urteile gegen Ende des Jahrhunderts wiederum könnte mit dem umfangreich dokumentierten „dramatic increase in army size“28 zusammenhängen, der wahrscheinlich von einer Zunahme der verübten Verbrechen begleitet wurde. Angesichts des Mangels an aussagekräftigen Daten, ist es schwierig bis unmöglich, direkte kausale Verknüpfungen auszumachen. Gleichwohl können mit Blick auf die Befunde aus anderen Studien gewisse Tendenzen festgestellt werden. In der historischen Forschung ist die These, dass Militärangehörige in Kriegszeiten weniger geneigt seien, den Gesetzen zu folgen, allgemeiner Konsens.29 In Frankfurt führte die Angst vor marodierenden Soldaten 1620 sogar dazu, dass der Stadtrat eine Hinrichtung innerhalb der Stadtmauern durchführen ließ.30 Bezogen 28 Zum Anstieg der Armeegrößen im 17. Jahrhundert siehe Parker, Military Revolution (wie Anm. 21), S. 24 u. 43, sowie Gordon A. Craig, The Politics of the Prussian Army (1640–1945), Oxfort 1955, S. 5. 29 John Theibault, German Villages in Crisis. Rural Life in Hesse-Kassel and the Thirty Years’ War (1580–1720), New Jersey, NJ 1995, S. 153–169; Ann Hughes, Politics, Society and Civil War in Warwickshire (1620–1660), Cambridge 1987, S. 202–205, 207–208, 215–216, 218, 234–235; Ronan Bennett, War and Disorder : Policing Soldiery in Civil War Yorkshire, in: Marck Charles Fissle (Hrsg.), War and Government in Britain (1598–1650), Manchester 1991, S. 248–273, hier S. 250; John A. Lynn, Soldiers on the Rampage, in: The Quarterly Journal of Military History 3,2 (1991), S. 92–101, hier S. 93; Tallett, War (wie Anm. 6), S. 49; Parker, War (wie Anm. 9), S. 155; Quentin Outram, The Demographic Impact of Early Modern Warfare, in: Social Science History 26,2 (2002), S. 245–272, hier S. 255; Hale, Soldier (wie Anm. 16), S. 96. Vgl. zudem Geoffrey Parker (Hrsg.), The Thirty Years’ War, rev. ed. 2. ed. London u. a. 1997, S. 174. 30 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 25. August 1620.

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auf die Verfolgung und Ahndung soldatischer Verbrechen in der Reichsstadt hieße dies, dass die Militärangehörigen zwar mehr Taten während der Krisenzeiten verübten, dafür allerdings weniger häufig belangt wurden.

V.

Arten der Straftaten

Überraschenderweise wurden in Frankfurt nur wenige Soldaten, namentlich sechs, für originär militärische Verbrechen verurteilt. In fünf Fällen handelte es sich um Desertion, wobei der Grad der Schwere variierte. So hatte einer der Delinquenten seinen Wachposten verlassen, sich in der Taverne betrunken und seinen Vorgesetzten auf dem Rückweg bedroht.31 Das zweite Ereignis ist vager beschrieben; verzeichnet ist lediglich, dass der Soldat seine Pflicht verletzt hatte.32 Ein weiterer verschwand, tauchte später wieder auf und wurde umgehend festgenommen und verurteilt.33 Der vierte Soldat hatte sein „Fähnlein“ verlassen, war aber neun Jahre später in die Reichsstadt zurückgekehrt, prompt erkannt, inhaftiert und dem Gericht übergeben worden.34 Im fünften Fall war der Soldat zusammen mit anderen desertiert und hatte überdies Militärgelder entwendet. Bei seiner Rückkunft wurde er verurteilt. Nicht so allerdings seine Kameraden, die Frankfurt offenkundig nicht mehr aufgesucht hatten.35 Der sechste Eintrag beschreibt ein nebulöses Vorkommnis, bei dem ein Soldat angeblich einen Juden zum Militärdienst überredet hatte. Da Juden das Tragen von Waffen allerdings verboten war und der neue Rekrut den Dienst deswegen nicht hätte ausführen können, soll er seinen Namen geändert haben. Er endete schließlich als spanischer Gefangener in der nahegelegenen Stadt Homburg, wo ihm vorgeworfen wurde, militärische Geheimnisse Frankfurts preisgegeben zu haben.36 Wegen Hochverrats wurde er daher zum Tode verurteilt.37 Zudem wird in der Überlieferung ein Fehlverhalten der für die Rekrutierung verantwortlichen Soldaten festgestellt. Insgesamt zeigen die im Strafenbuch verzeichneten Einträge, dass die Soldaten in der Regel ihre Taten nicht selten zu zweit oder kollektiv begingen. In 14 Fällen handelten die Soldaten paarweise, bei zwei Ereignissen waren es drei und ein Verbrechen wurde sogar von mehr Soldaten ausgeführt. Feststellbar sind 31 32 33 34 35 36

Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 30. November 1621. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 13. Juni 1622. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 19. Juli 1681. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 8. Juni 1683. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 16. November 1688. Guido Kisch, Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters, nebst Bibliographien, 2., erw. Auflage, Sigmaringen 1978, S. 33–40. 37 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 8. April 1635.

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Kooperationen von mehr als 34 Militärangehörigen, ein Phänomen, das in dieser Form bei anderen Kriminellen nicht zu erkennen ist – außer freilich bei der Bildung von Banden, was jedoch etwas Anderes ist. Die Häufigkeit des gemeinschaftlichen Handelns von Soldaten könnte das Ergebnis der Erfahrungen enger persönlicher Bindung sein, die vor allem zu Kriegszeiten entstand sein mag. Mehrheitlich handelte es sich bei den kollaborativen Verbrechen um Eigentumsdelikte wie Diebstähle, Raube, aber auch um Morde. Dies entspricht in etwa dem allgemeinen Spektrum von Taten, für die Soldaten verurteilt wurden, nämlich für eigentumsbezogene Verstöße und Gewaltverbrechen. Störungen der öffentlichen Ordnung und Sexualdelikte rangieren an den Stellen drei und vier, dahinter folgen Fälschungen und religiöse Vergehen. Verglichen mit allen anderen in Frankfurt durchgeführten Strafverfahren gegen männliche Täter entsprach die Dominanz der Eigentumsdelikte der Norm. Frauen wurden in der Reichsstadt hingegen in erster Linie für Sexualstraftaten verurteilt, Diebstähle und ähnliches kamen erst auf dem zweiten Platz (s. Tab. 238). Von den 66 Eigentumsdelikten, für die Soldaten verurteilt wurden, handelte es sich bei 30 um Diebstähle, was wiederum innerhalb des männlichen Normbereichs lag. Von den 15 Schuldsprüchen wegen Raubes, ging es bei acht um Straßenraub – ein Phänomen, dass auch bereits aus anderen Regionen bekannt ist.39 Zwei Verbrechenskategorien sind hinsichtlich der soldatischen Strafverfahren besonders auffällig: die Sexual- und Gewaltverbrechen. Erstere kamen, im Kontrast zu letzteren, nicht nur bemerkenswert selten vor, ihre Zahl blieb auch nahezu statisch auf diesem niedrigen Niveau. Unter insgesamt 239 Fällen wurden Soldaten nur zwölf Mal wegen eines Sexualdeliktes verurteilt. Ein konträres Bild zeigt sich wie gesagt bei den Frauen, die 134-mal Urteile für derartige Vergehen empfingen (s. Tab. 2). Besonders auffällig ist, dass zwischen 1562 und 1627 nicht ein einziger Militär für eine in dieses Feld gehörende Tat schuldig gesprochen wurde, während die Verurteilungen von Frauen jäh anstiegen.40 Diese quantitative Diskrepanz allein ist Grund genug, ernsthafte Zweifel an der Objektivität derartiger Verfahren und eventuell auch an den Meldungen über Sexualverbrechen zu nähren. Das qualitative Bild ist ähnlich, wenn nicht gar noch befremdlicher. Die Soldaten wurden dreimal wegen Ehebrüchen, dreimal 38 Zu beachten ist hierbei, dass hier genannte die Zahl der Verbrechen die der Verbrecher übersteigt. Der Grund dafür liegt darin, dass die Täter häufig mehr als eine Straftat begingen. 39 Bennett, War (wie Anm. 29) S. 260–262; Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 22. März 1615, 14. Mai 1623, 6. August 1623, 5. Dezember 1634 (zwei Fälle), 30. April 1636, 27. November 1635, 29. September 1683. 40 Zur Begründung dieses Phänomens siehe Maria R. Boes, ,Dishonourable‘ youth, guilds, and the changed world view of sex, illegitimacy, and women in late-sixteenth-century Germany, in: Continuity and Change 18,3 (2003), S. 345–372, hier bes. S. 359.

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wegen Unzuchtsvergehen, zweimal wegen Bigamie und jeweils einmal für Kuppelei, Prostitution, Inzest, die Entführung einer Frau sowie die Belästigung eines Kindes verurteilt. Erstaunlich ist an dieser Liste nicht nur die seltene Ahndung von Prostitution. Verblüffend ist vor allem auch das völlige Fehlen von Vergewaltigungsfällen. Handelte es sich um eine außergewöhnlich tugendhafte Gruppe von Soldaten? Dies erscheint doch eine sehr schwache Erklärung, angesichts der Tatsache, dass es sowohl für Soldaten in Europa als auch aus anderen Teilen der Welt für die gesamte Geschichte zahllose Zeugnisse über Vergewaltigungen gibt. Es ist allein daher schon schwer zu glauben, dass sich die Militärangehörigen während des untersuchten Zeitraums von 134 Jahren, in denen sie nahezu ein Viertel aller Gewaltverbrechen in der Reichsstadt begingen, keinerlei aggressives sexuelles Verhalten gezeigt hätten. Vergewaltigung war ein klar definiertes Verbrechen in der Constitutio Criminalis Carolina, genauso wie in den eigenen Kriegsartikeln Frankfurts. Waren Meldungen von Sexualstraftaten dann bewusst unterlassen worden? Dies hätte direkt die Einwohnerschaft betroffen, die derartige Vergehen nicht angezeigt hätte. Dies erscheint mit Blick auf die 134 diesbezüglich verurteilten Frauen und 35 Bürger, die den zwölf Soldaten gegenüberstehen (s. Tab. 2), jedoch wenig überzeugend. Hätte die Stadtbevölkerung nicht zuerst die eigenen Einwohner geschützt? Wenn Frankfurts Bewohner und der Stadtrat entschieden hätten, Sexualverbrechen als mindere Vergehen zu betrachten, wären derartige Fälle sicher überhaupt nicht zur Anzeige gebracht oder geahndet worden. Das Phänomen bleibt rätselhaft und widersprüchlich, wobei es übrigens allgemein auf die Frühe Neuzeit bezogen auch bei heutigen Historikern und Militärspezialisten ähnlich diskrepant behandelt wird. Einige gehen auf den Gegenstand der Vergewaltigung überhaupt nicht ein, trotz der aus dem Dreißigjährigen Krieg stammenden Redensart, dass jeder Soldat drei Bauern brauche: Einen, der ihn ernähre, einen, der ihm seine Frau überlasse, und einen, der für ihn in die Hölle fahre.41 Andere, besonders jüngere Wissenschaftler, dokumentieren ein häufiges Auftreten des Phänomens. Lynn etwa hebt hervor, dass „correspondence of the time continually mentioned rape both because it was common and because it was so heinous a crime“. Er 41 Parker, War (wie Anm. 9), S. 144–168, widmet dem Thema „The Etiquette of Atrocity : The Laws of War in Early Modern Europe“ ein ganzes Kapitel, und erwähnt dennoch das Phänomen der systematischen Vergewaltigung nur in Verbindung mit dem jugoslawischen Bürgerkrieg der Jahre 1991–2000. Asch behandelt Vergewaltigung nicht, obwohl er in einem Kapitel ausdrücklich „The Impact of Warfare on the Civilian Population“ während des Dreißigjährigen Krieges thematisiert. Er erwähnt lediglich, dass in der Zeit mehr als genug uneheliche Kinder geboren worden seien, bestimmt zu einem Dasein als Hure. Vgl. Ronald G. Asch, The Thirty Years’ War. The Holy Roman Empire and Europe 1618–1648, New York, NY 1997, S. 19. Ähnliches gilt auch für den Sammelband von Black, in dem nicht ein einziger Eintrag zum Phänomen der Vergewaltigung zu finden ist. Vgl. Jeremy Black (Hrsg.): War in the Early Modern World (1450–1815), London 1999.

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ergänzt in diesem Kontext die Beschreibung eines grauenhaften Falls von Massenvergewaltigung, bei dem „one girl, having been raped by eighty soldiers“ vor Entsetzen gestorben sei.42 Und auch in der zeitgenössischen Malerei und in den Zeichnungen ist die weitverbreitete Existenz von Vergewaltigungen vor Augen gestellt, zum Beispiel auf Urs Grafs (1485–1528) Bild Armlose Frau mit Stelzbein (1514), über das Hale schreibt, dass „the soldiers have first been in her an then at her“, nochmals bestätigend, dass „the written record bears ample witness to sexual atrocity“.43 Dies ist, wie bereits erwähnt, kein spezifisch frühneuzeitliches Phänomen. Tatsächlich belegen unzählige Berichte und wissenschaftliche Arbeiten eine bis in die Gegenwart reichende Kontinuität von Vergewaltigungen und anderen sexuellen Übergriffen, die von Soldaten begangen wurden.44 Einer der fürchterlichsten neueren Fälle von Massenvergewaltigung im militärischen Umfeld geschah in Bosnien und führte im Juni 1996 dazu, dass das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag Vergewaltigung als Kriegsverrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einstufte.45 Angesichts dieser zahllosen Belege ist es daher umso überraschender, dass die Soldaten in Frankfurt nicht für eine einzige Vergewaltigung verurteilt wurden. Als einzige plausible Erklärung erscheint insofern die Auswahl auf Seiten der Gerichtsbarkeit und eine besondere Nachsicht gegenüber diesen Taten, die zu

42 Lynn, Soldiers (wie Anm. 29), S. 100 u. 96. 43 Hale, Soldier (wie Anm. 16), S. 100. Ebenso verweist der Autor auf den Radierer und Holzschneider Daniel Hopfer (1470–1536), der in einer seiner Radierungen einen Soldaten zeigte, „grasping the breasts of a by-no-means readily available young woman“. Ebd., S. 106. 44 Mike Mount, Reports of Sexual Assault in Military Rise in 2008 (2009), verfügbar unter : (29. 6. 2016). Antony Beevor, The Fall of Berlin 1945, New York, NY 2002, dokumentiert das weitverbreitete Phänomen von Vergewaltigung, inklusive Gruppenvergewaltigungen im endenden Zweiten Weltkrieg. Ähnliche Beschreibungen bei Cornelius Ryan, The Last Battle. New York, NY 1966, S. 26–29. Siehe auch Aleksandr Isaevicˇ Solzˇenizyn, The Gulag Achipelago 1918–1956. An experiment in literary investigation, transl. from the Russian by Thomas P. Whitney, Teil 1, New York, NY 1974, S. 21, wo es heißt: „Yes! For three weeks the war had been going on inside Germany, and all of us knew very well that if the girls were German they could be raped and then shot. It was always a combat distinction.“ Vgl. zudem: Kelly Askin, War Crimes against Women. Prosecution in international War Crimes Tribunals, The Hague 1997; Susan Brownmiller, Against Our Will. Men, Women and Rape, London 1975; Karin Hagemann, Venus und Mars. Reflexionen zu einer Geschlechtergeschichte von Militär und Krieg, in: dies., Ralf Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel. Frankfurt am Main, New York, NY 1998, S. 13–48, hier S. 35, die das Thema der Frauen als Opfer leider zu sehr relativiert. 45 Zu dem Fall siehe Jeri Laber, Bosnia. Questions about Rape, in: The New York Review of Books (25. März 1993), S. 3–6, und die zahlreichen Berichte in der New York Times, wie z. B. „U.N. Court, for first time defines rape as war crime“ (28. Juni 1996), Tina Rosenbergs Leitartikel „New Punishment for an Ancient War Crime“ (4. Mai 1998) und „Bosnien Serb Trial Opens. First on Wartime Sex Crimes“ (31. März 2000).

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einem großen Teil in der juristischen bzw. strafrechtlichen Behandlung von Gewaltverbrechen begründet lag. Die Soldaten führten mit einem Anteil von 22 Prozent die Liste der Gewaltdelikte an. Von den insgesamt 180 derartigen Fällen empfingen sie 40 Urteile (s. Tab. 2). Bei 34 der zugrundeliegenden Taten war das Opfer gestorben, wobei in einem Fall ein angeklagter Soldat im Gefängnis Selbstmord beging.46 Ansonsten handelte es sich um vier Morde, vier Raubmorde und bei den übrigen Fällen nach Ansicht der Frankfurter Obrigkeit um Totschlagsdelikte. Diese, wenn man diesen Begriff in der historischen Forschung verwenden möchte, nüchterne Zahlenaufstellung ist allerdings nur einen Teil des Bildes, das durch die schrecklichen Szenarien ergänzt werden kann, die in den Kriminalakten beschrieben sind.47 Vielfach sind es hier die Zeugen, manchmal aber auch die Opfer selbst, die den Blick auf furchtbare Verbrechen freilegen. Dazu zählt etwa die brutale Ermordung dreier jüdischer Kaufleute oder die nächtliche Tötung eines Müllers und seiner Frau in ihrem eigenen Haus. Zu den verblüffenden Merkmalen dieser Gewaltverbrechen gehört, dass sich die Täter immer wieder gegen unschuldige, vollkommen unbeteiligte Menschen richteten, zum Beispiel im Falle einer am hellichten Tage auf Frankfurts Straßen begangenen Bluttat an zwei jüdischen Männern. Aber auch Frauen blieben bei den soldatischen Übergriffen nicht geschont, wie die Erschießung einer Dienstmagd aus „einem Scherz“ heraus im Hause ihres Arbeitgebers und im Beisein von Kameraden belegt. Keine Ausnahme bildeten in diesem Zusammenhang zudem die Soldatenfrauen. So erstach ein Militär seine Frau mit 16 Dolchstichen, was heutzutage sicher als häusliche Gewalt bezeichnet würde. Ein anderer tötete seine Gattin für deren mutmaßliche Ungehorsamkeit, weil sie ihn gegen seinen Willen ins örtliche Wirthaus begleiten wollte.48 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstand darüber hinaus mit einem erkennbaren Anstieg der Fälle, bei denen Soldaten einander außerhalb der Schlachtfelder töteten, ein neues Phänomen der Gewaltverbrechen. Für eine ausführliche Darstellung fehlt hier zwar der Raum,49 ein kurzer Exkurs scheint allerdings angebracht: Am bemerkenswertesten ist, dass die Gründe für die (tödliche) Gewalt unter Soldaten mehrheitlich mit Beleidigungen, die die militärische Ehre berührten, zusammenhingen. In einem Fall von 1608 ist in diesem Zusammenhang von Ausdrücken wie „Lumpensoldat“, „Schnark“, was nicht einmal alle Zeugen verstanden, oder „Schelm“ die Rede.50 46 Dieser Fall wurde dem zeitgenössischen Verständnis vom Freitod als Selbstmord der Kategorie der Verbrechen mit Todesfolge zugeordnet. Vgl. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 14. April 1651. 47 Ausführlich bei Boes, Crime and Punishment (wie Anm. 1), S. 209–216 u. 218–222. 48 Die einzelnen Nachweise zu den genannten Fällen folgen an späterer Stelle. 49 Siehe dazu Boes, Crime and Punishment (wie Anm. 1), S. 214–216 u. 219–222. 50 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Criminalia, Nr. 560.

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Insbesondere die Beleidigung „Schelm“ zieht sich dabei wie ein todbringendes Motiv durch die Kriminalakten. Die Bezeichnung wurde als größte Kränkung aufgefasst, der häufig entsprechende körperliche Übergriffe folgten. Damit dies geschehen konnte, war zweierlei notwendig: Erstens musste eine entsprechende linguistische Konnotation des Wortes „Schelm“ vorangegangen sein. Und zweitens setzt die zerstörerische Wirkung der Beleidigung ein Konzept der militärischen Ehre voraus, das verinnerlicht worden sein beziehungsweise einen fundamentalen Wandel erfahren haben muss. Überblickt man die zahlreichen Zeugenaussagen, lässt sich dieser Prozess tatsächlich anhand der Entwicklung der Schmähungen nachvollziehen. Denn anders als in älteren Konflikten standen bei den Beleidigungsauseinandersetzungen zwischen Soldaten zunehmend nicht mehr allgemeine, auf die Person bezogene Kränkungen im Vordergrund, sondern gezielte Angriffe auf eine (überpersönliche) militärische Ehre. Das heißt im Umkehrschluss, die individuelle Identität der Soldaten, die sich etwa aus Geburtsort oder Landesherkunft zusammensetzte, trat sukzessive hinter das Militärische zurück – ein Indiz der Entstehung eines esprit de corps. Dem genauen Grund für diesen Wandel kann hier nicht nachgegangen werden. Hingewiesen sei nur auf die These, wonach die Einführung des militärischen Drills in den 1590er Jahren ein wichtiger Faktor dafür gewesen sein könnte.51 Auf dieser Grundlage könnte man konstatieren, dass die Entstehung und Ausweitung der militärischen Kultur, in der das Konzept militärischer Ehre einen größeren Raum einnahm, zu etwas führte, was man ,militärische Ehrenmorde‘ nennen könnte. Es war also nicht notwendigerweise eine sich verschlechternde Beziehung zwischen Soldaten und Bürgern, welche die Grundlage für die gewalttätigen Konflikte bildete, sondern die sich entwickelnde innerkorporative Militärkultur. Ehrenrührige Beleidigungen waren die Wurzel dieses seltsamen, tödlichen Phänomens. Die Soldaten töteten und starben für ein verinnerlichtes Ehrkonzept, dessen Urheber sie allerdings nicht waren. Die Soldaten waren möglicherweise nicht einmal die einflussreichsten Verbreiter. Vielmehr scheint die Frankfurter Strafrechtspraxis selbst nicht wenig zur Popularisierung des neuen militärischen Ehrkonzeptes beigetragen zu haben.

VI.

Die Frankfurter Strafpraxis

Soldaten waren, genauso wie alle anderen Devianten, der Todesstrafe oder Körperstrafen unterworfen. Während der letzten drei Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts ähnelten die Formen der Sanktionen, welche die Militärs für began51 William H. McNeill, Keeping Together in Time. Dance and Drill in Human History, Cambridge 1995, S. 1–12, hier bes. S. 3.

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gene Gewaltverbrechen erfuhren, denen der Zivilbevölkerung. In der Folgezeit änderten sich die militärbezogenen Strafpraktiken allerdings schrittweise, wobei der Wandlungsprozess innerhalb der letzten drei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte. Am deutlichsten ist die Entwicklung am Beispiel der Todesstrafe ablesbar. Am Ende 16. Jahrhunderts gab es wie gesagt noch keine offensichtlichen Abweichungen zwischen Straftätern mit zivilem oder militärischem Hintergrund. Diebe wurden in der Regel gehängt, Delinquenten, die sich eines schweren Raubes oder des Mordes schuldig gemacht hatten, wurden gerädert. Mildernde Umstände infolge von Eingaben der Familie, von Freunden oder gesellschaftlich höhergestellte Persönlichkeiten konnten sowohl bei Zivilbevölkerung als auch bei Soldaten Berücksichtigung finden. 1572 wurde die Strafe zweier Landsknechte, die „einen jämmerlich ermordet“ hatten, wegen der Bittschriften von zwölf „Kriegsmännern“ auf die Hinrichtung mit dem Schwert reduziert.52 Gnade konnten Straftäter in Frankfurt aber auch bei geringem Alter erwarten, ein Prinzip, das allen jungen Angeklagten zuteil wurde, unabhängig von ihrem sozialen Status und Beruf.53 Angewandt wurde es beispielsweise bei einem 1590 wegen Totschlags angeklagten Landsknechts.54 Allerdings wich die in diesem Fall gewährte Milde insofern von der Norm ab, als sie doch in gewisser Hinsicht an seinem Status als Militär orientiert war. Denn er wurde für sechs Jahre in ein „Grentzhaus“ nach Ungarn geschickt, anstatt hingerichtet zu werden. Vier Jahre später wurde eine vergleichbare militärspezifische Strafform angewandt. In diesem Fall handelte es sich allerdings um einen zivilen Delinquenten, der wegen der „vor Augen schwebend türkisch Kriegsempörung“ nach Ungarn gesandt wurde. So etwas kam bei Nicht-Militärs gleichwohl ausgesprochen selten vor.55 Ab 1621 wurden die Strafen für Soldaten immer deutlicher militär-spezifisch, was auch explizit so verzeichnet wurde. Verschiedene militärische Ehr-Strafpraktiken zeigen diesen Trend sehr klar. So musste der oben erwähnte Soldat, der seinen Wachposten verlassen und seinen Vorgesetzten bedrohte hatte, dreimal öffentlich um den Galgen marschieren. Des Weiteren wurde als ergänzender Teil der Schandstrafe sein „Rappier zerschlagen“.56 Ein anderer Soldat, 52 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Ratsprotokolle 1572, Eintrag vom 8. Mai. 53 Siehe Maria R. Boes, The Treatment of Juvenile Delinquents in Early Modern Germany. A Case Study, in: Continuity and Change 2,1 (1996), S. 43–60. 54 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 19. Mai 1590; ebd., Criminalia, Nr. 222. 55 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 14. Oktober 1594, 16. Juni 1603 (militärische Entsendung für sechs Jahre), 28. August 1607 (militärische Entsendung für zehn Jahre), 25. Februar 1658 (militärische Entsendung für drei Jahre), 14. Juli 1684 (militärische Entsendung für zwei Jahre), 12. Januar 1691 (militärische Entsendung zur Bekämpfung der Türken), 19. Februar 1691 (militärische Entsendung zum Galeerendienst). 56 Wie Anm. 31.

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der sich eines kleineren Diebstahls schuldig gemacht und seine militärischen Pflichten verletzt hatte, musste zur Vergeltung hingegen öffentlich dreimal und ohne „Wehr“ auf einem Esel reiten.57 Nun könnte man freilich argumentieren, dass diese Formen der Strafen eine Spiegelung des militärischen Charakters der Vergehen gewesen seien. Diese Feststellung erscheint jedoch nicht tragfähig. Denn auch die meisten anderen Urteilssprüche an Soldaten, denen keine spezifisch militärischen Verstöße zugrunde lagen, wiesen ähnliche Merkmale auf. 1623 etwa wurde ein Soldat, der wegen eines Straßenraubes an einem Bauern verurteilt worden war, in Begleitung des Profos und zweier Musketiere zum Galgen geführt. Dort wurde er gedemütigt, indem er dreimal um den Aufbau herum laufen musste, bevor auch ihm sein „Rappier zerschlagen“ wurde.58 Und noch deutlicher ist eine Strafbeschreibung aus dem Jahre 1634, in der berichtet wird, dass das Schwert eines Soldaten, dem die Teilnahme an einem Mord und Diebstahl zur Last gelegt worden war, vom Scharfrichter in zwei Stücke zerbrochen wurde, wodurch er, wie es explizit heißt, „öffentlich zum Schelmen gemacht“ wurde.59 Diese Formen der öffentlichen Schandstrafen für Militärs verbreiteten sich im 17. Jahrhundert demnach zunehmend, wobei die Entwicklung kein historischer Zufall ist. Dafür gibt es zu viele Übereinstimmungen mit dem im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Phänomen der ,militärischen Ehrenmorde‘. Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang dadurch, dass der Begriff Schelm sowohl von den Soldaten als auch gezielt als Schandstrafe von der Frankfurter Obrigkeit benutzt wurde – ein Ausdruck, der wie gesagt eng mit dem sich herausbildenden Konzept der militärischen Ehre korrespondierte. Der Gebrauch durch das reichsstädtische Zivilgericht und die im Umfeld tätigen Juristen trug damit im oben schon angedeuteten Sinne mittelbar zur Verbreitung und Verstärkung dieses Bereichs militärischer Kultur bei, für den die Soldaten bereit waren zu sterben und zu töten. Die Ehrenstrafen, die vom Frankfurter Gericht verhängt wurden, waren aber nicht die einzigen militärischen Infiltrationen der Sanktionspraxis. So entstand eine Serie von speziellen Gnadenpraktiken für soldatische Straftäter. 1621 wurde einem Militär, der für die Tötung eines Kameraden bestraft werden sollte, ein Aufschub seiner Exekution um acht Tage bewilligt, um anderen Soldaten die Möglichkeit zu geben, strafmildernde Eingaben zu machen – mit Erfolg. Als das Todesurteil mit Verspätung vollstreckt wurde, begleiteten den Delinquenten mehrere Musketiere und der Profos zum Richtplatz. Zudem wurde ihm eine spezielle Hinrichtungsart mit dem Schwert gewährt („als ein Soldat […] stehend und ohne An57 Wie Anm. 32. 58 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 14. Mai 1623. 59 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 5. Juni 1634.

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rührung des Scharfrichters“). Anschließend wickelten ihn seine Kameraden in ein Leichentuch und beerdigten ihn.60 Angesichts der ansonsten gängigen Praxis, verurteilte Straftätern sehr schnell hinzurichten, fällte diese Verzögerung und das Zugeständnis der speziellen Gnadengesuche als Seltenheit und als klarer Ausnahmefall auf.61 Ein anderer Einspruch örtlicher Offiziere und Soldaten, der erfolgreich die Reduzierung eines Strafmaßes nach sich zog, geschah in Bezug auf ein Totschlagsdelikt im Jahre 1634. Ähnlich dem beschriebenen Szenario wurde auch hier dem Delinquenten eine vom Scharfrichter unberührte Hinrichtung zugestanden, während den Militärs erlaubt wurde, ihren Kameraden nach der Exekution zu beerdigen.62 Diese Befreiung von der Entehrung durch den Henker und die aktive Integration der Soldaten bei der Beseitigung des Leichnams scheint der leise Beginn einer spezifischen Zeiterscheinung gewesen zu sein. Freilich wurden Soldaten in Frankfurt in Einzelfällen auch bei Hinrichtungen von zivilen Delinquenten eingesetzt. Ihre Rolle war dabei jedoch auf den Schutz der Durchführung des Ereignisses beschränkt. Das heißt, sie betraf nicht ihre Teilnahme am eigentlichen Strafvollzug.63 Anders bei Sanktionen an Kameraden, wo die Militärs eben auch direkt in die Bestrafungsaktionen involviert sein konnten. 1637 wurde einem Soldaten auf Bitten dreißig seiner Kameraden der Wunsch gewährt, „arquebusquiert wie ein Soldat“ zu werden. Und ähnlich wie in den zuvor beschriebenen Fällen wurde auch er danach beerdigt.64 1659 wurden die speziellen Gesuche zweier weiterer Täter erhört: Einer wollte mit dem Schwert als mit der Hakenbüchse gerichtet werden, der andere wiederum lieber mit dem Gewehr als mit dem Schwert. Letzterer konnte sich sogar zwei Musketiere aussuchen, die sein Todesurteil vollstreckten. Das bemerkenswerteste an diesen beiden Fällen ist, das auf die Hinrichtungen jeweils aufwendige Beerdigungszeremonien folgten. Acht Soldaten wickelten dabei jeden der Körper in ein Tuch und trugen sie „mit Vortragen des Kreuzes“ zum Friedhof der Peterskirche, wo ihnen ein ehrliches Begräbnis Seite an Seite bewilligt worden war.65 Kontrastiert wird dieses Verfahren vom Fall eines Zivilisten, der nach einem Totschlagsdelikt mit dem Schwert hingerichtet und auf dem gleichen Friedhof begraben worden war, bald darauf aber wieder exhumiert und auf einem nichtreligiösen Feld verStadtarchiv Frankfurt am Main, Bürgermeisterbuch von 1683, Eintrag vom 13. April 1621. Boes, Crime and Punishment (wie Anm. 1), S. 49–50. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Criminalia, Nr. 994. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 30. Juni 1619, 11. August 1626. Es handelt sich um die einzigen beiden Fälle, wo diese Schutzfunktion dokumentiert ist. Die Soldaten postierten sich dazu in einem kreisförmigen Kordon um die Richtstätte. 64 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 28. Juni 1637. 65 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 28. November 1659; ebd. Criminalia, Nr. 1174 u. Nr. 1172.

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scharrt wurde.66 Es ist insofern ausgesprochen erstaunlich, dass solch starke religiöse Elemente wie eine Prozession und ein Friedhofsbegräbnis in den Strafvollzug der zwei des Mordes überführten Soldaten integriert worden war, während die Körper aller anderen hingerichteten Kriminellen, wenn man sie überhaupt begrub, entweder unter dem Galgen oder beim Gutleuthof beigesetzt wurden, das heißt in einem explizit nicht-religiösen Bereich. Der Fall der beiden ehrlich begrabenen Mörder – dem einzigen solchen Ereignis in den untersuchten 134 Jahren – hebt sich als besonderes Privileg aber auch von der Praxis ab, gefallene Soldaten schlicht in Massengräbern zu verbuddeln.67 Die genannten Beispiele markieren die Entstehung eines gewissen Trends, nach dem die Militärs ihre Strafen allein aufgrund ihres Status abmildern und teilweise gar auf ein ehrenhafteres Verfahren reduzieren konnten.68 Nichts unterstreicht dies mehr, als die Mord- und Totschlagsfälle, die während der letzten drei Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts verhandelt wurden. Denn in ihnen findet sich die militärspezifische Gnadenpraxis nochmals gesteigert. Nur in einem einzigen Fall, dem Raubmord an einem katholischen Geistlichen, wurde die Todesstrafe vollzogen. Doch sogar dort wurde der Eingabe der örtlichen Militärs insoweit stattgegeben, dass der Delinquent ,nur‘ enthauptet wurde.69 Stattdessen wurde die Versendung der Soldaten in den Kampf – ob gegen die Türken oder später gegen die Franzosen – zum gängigen Strafmaß für die meisten Tötungsdelikte. Dies mag zwar eine harte Sanktion gewesen sein. Allerdings räumte ein solches Urteil den Soldaten aber immer zumindest eine Chance zu überleben ein, statt sofort und unwiderruflich hingerichtet zu werden. Und noch ein weiterer Aspekt muss hinzugefügt werden: Durch diese Form der Urteile ergaben sich auch Möglichkeiten zur Flucht. Diese nutzten beispielsweise zwei Soldaten, die jeweils für fünf beziehungsweise drei Jahre zum Türkenkampf verurteilt worden waren. An ihrem Bestimmungsort kamen sie jedoch nie an, da es ihnen gelang, sich im Haus des Verwandten eines der Delinquenten in Tübingen zu verstecken.70 Diese Art der Urteile bargen also Schlupflöcher, wodurch sich Schuldigen sogar gänzlich ihren Strafen entziehen konnten. Am Leben blieben auf diese Weise auch der besagte Militär, der seine mutmaßlich widerspenstige Frau getötet,71 sowie der Soldat der die Dienstmagd aus Spaß erschossen hatte.72 66 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 30. Juni 1619. 67 Hale, Soldier (wie Anm. 16), S. 94. 68 Im Gegensatz zur Praxis im Fürstbistum Münster, wie es bei Nowosadtko, Militärjustiz (wie Anm. 2), S. 139, beschrieben ist. 69 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Criminalia, Nr. 1464. 70 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Criminalia, Nr. 1370 u. 1371. 71 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Bürgermeisterbuch von 1672, Eintrag vom 4. Januar. Der Delinquent wurde zum Kampf gegen die Osmanen an die ungarische Grenze gesandt.

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Maria R. Boes

Diese Sanktionen divergieren erheblich beispielsweise von den Strafen an Frauen, die wegen Kindsmordes verurteilt wurden. Keine von ihnen konnte ihre Todesstrafe abmildern. Ihnen wurde keine Gnade zuteil, sie alle wurden hingerichtet, selbst in den unklarsten Fällen.73 Von Soldaten begangene Morde wurden dagegen häufig nur mit Verbannungen geahndet, die von sechs Jahren bis lebenslänglich reichen konnten, wobei die lebenslängliche Ausweisung aber nicht, wie es ausdrücklich in einigen Urteilen heißt, mit dem Verlust der Ehre verbunden sein musste. Ein bemerkenswertes Beispiel dieser Praxis ist Fall eines Militärangehörigen, der, obwohl er auf zwei Juden geschossen hatte, von denen einer seinen Verletzungen erlegen war, zur Strafe lediglich Frankfurt verlassen musste.74 Während schon die Tatsache, dass Soldaten trotz solch schwerer Verbrechen lediglich aus der Reichsstadt ausgewiesen wurden, überrascht, gilt dies umso mehr, wenn man sieht, dass zur Begründung solch vergleichsweise nachsichtiger Urteile teilweise auf das frühere gute Verhalten der Delinquenten verwiesen wurde.75 Mildere Strafmaße gegenüber Soldaten scheinen ferner auch bei weniger schweren Verbrechen typisch gewesen zu sein, wie die weiteren 15 Verbannungen zeigen, die in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ausgesprochen wurden. Hierbei fallen besonders die sieben entsprechenden Urteilssprüche für Diebstahl sowie die drei für sexuelle Übergriffe auf, wobei die Belästigung eines kleinen Mädchens der schwerwiegendste Fall war.76 Die Häufigkeit, in der Bannstrafen gegenüber Militärs ausgesprochen wurden, ist bezeichnend. Nur Juden wurden ansonsten ähnlich oft ausgewiesen. In ihren Fällen bezogen sich die Urteile allerdings häufig genug auf unbegründete Ansprüche oder lediglich auf Verbrechensgerüchte, während sie die Soldaten für tatsächlich begangene Straftaten empfingen.77 Diese für das Militär vorteilhafte Strafpraxis setzte in Frankfurt früher als in der Forschungsliteratur teilweise vermutet ein und sie unterschied sich auch von anderen Regionen, wo „The Courts themselves showed a distinct lack of sympathy

72 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Criminalia, Nr. 1826. Der Täter musste für drei Jahre gegen die Franzosen in den Krieg ziehen. 73 Siehe Boes, „Dishonourable“ (wie Anm. 40) u. dies., Crime and Punishment (wie Anm. 1), 145–164. 74 Zur ausführlichen Diskussion des Falles, der allerdings nicht in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, sondern 1649 datiert ist, siehe Maria R. Boes, Zweimal im Visier. Jüdische Opfer von Straftaten und Rechtsprechung im Römisch-Deutschen Reich der Frühen Neuzeit, in: Andreas Gotzmann, Stephan Wendehorst (Hrsg.), Juden im Recht. Neue Zugänge zur Rechtsgeschichte der Juden im Alten Reich. Berlin 2007, S. 221–241. 75 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Eintrag vom 23. Juni 1681. 76 Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch, Einträge vom 9. April 1662, 27. Mai 1663, 13. Mai 1673, 5. Januar 1682, 21. Juli 1685, 27. Februar 1686, 3. Januar 1678. 77 Maria R. Boes, Jews in the Criminal Justice System of Early Modern Germany, in: The Journal of Interdisclipinary History 30,3 (1999), S. 407–435.

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for soldiers indicted for felony“.78 Dies wiederum führt zur Frage, wer in der Reichsstadt für diese politische Linie eintrat und warum. Überraschenderweise stammten die meisten Argumente für die milde Strafpraxis gegenüber den Soldaten von den im Römischen Recht bewanderten städtischen Advokaten. Eine ausführliche Darstellung der detaillierten Analyse der entsprechenden Rechtsgutachten kann hier freilich nicht geleistet werden.79 Einige Beispiele müssen daher genügen, einige Merkmale der juristischen Stellungnahmen aufzuzeigen, die zur Begünstigung des Militärs führten. Wenn andere Soldaten Opfer der Straftaten waren, schlugen die Juristen häufig gnädige Urteile vor. Waren die Täter zudem Söhne von Stadtbürgern, wie im oben beschriebenen Fall von 1603, empfahlen sie immer ein mildes Strafmaß. Bei dem auf offener Straße erschossenen Juden, stellte einer der begutachtenden Advokaten zwar fest, dass Blut vergossen worden sei, es sich aber nur eben um einen Juden gehandelt habe. Am Schluss votierten alle drei Juristen für die Verbannung, obwohl der Täter in Übereinstimmung mit dem Kriegsrecht zum Tode hätte verurteilt werden müssen. In einem anderen auffälligen Gutachten zitierten die Advokaten gar Gottes Wort und begründeten mit Bezug auf die heilige Schrift ihre Empfehlung, Gnade walten zu lassen und den Delinquenten nicht mit dem Tode, sondern mit dem Kampf gegen die Türken zu bestrafen. Gerade diese Darbietung religiöser Nachsicht aber steht im eklatanten Widerspruch zum Urteil der Advokaten über zwei Frauen, die des Kindsmords beschuldigt worden waren. Denn in diesem Fall zitierten sie Passagen der Bibel mit der Intention, die Todesstrafe zu begründen, und warnten den Stadtrat geradezu davor, Milde zu zeigen, um nicht gegen Gottes Willen zu verstoßen – das alles wohlgemerkt ungeachtet dessen, dass die betreffende Straftat gar nicht gänzlich nachgewiesen werden konnte.80 Während sich Frankfurts Advokaten in ihren Gutachten also einerseits das Konzept militärischer Ehre zu Eigen machten, waren diese andrerseits von geschlechtsbedingten Benachteiligungen geprägt.81 Die reichsstädtischen Juristen mit ihren engen familiären und sozialen Verbindungen zu den patrizischen Stadträten nutzen ihre juristischen beziehungsweise strafrechtlichen Vorschläge politisch und gesellschaftlich geschickt zur Förderung ihrer gemeinsamen Ziele.82 Dazu gehörten zunächst Konzessionen an die Stadtbürger, indem ihren Familienmitgliedern eine besonders sanfte 78 Kracauer, Militärwesen (wie Anm. 7), S. 70, datierte diese Entwicklung auf das 18. Jahrhundert. Vgl. auch Bennett, War (wie Anm. 29), S. 264. 79 Siehe hierzu Boes, Crime and Punishment (wie Anm. 1), S. 212–213, 216–218, 222–234. 80 Boes, Crime and Punishment (wie Anm. 1), S. 160–164. 81 Genauer bei Boes, Crime and Punishment (wie Anm. 1), S. 224–227. 82 Als oberste Rechtsinstanz akzeptierte der Frankfurter Stadtrat mit Ausnahme weniger Einzelfälle in der Regel die Urteilsvorschläge, die ihm von den Advokaten unterbreitet wurden.

166

Maria R. Boes

Strafpraxis zuteil wurde. Zudem sollten die Militärs, die untereinander enge Loyalitätsbindungen entwickelt hatten, wie sie in den verschiedenen, erfolgreichen Gnadengesuchen Ausdruck fanden, durch die nachsichtigen Gutachten eingehegt werden. Denn sie wurden gebraucht und man fürchtete, dass ernstere Strafen ihre Kampfgeist und ihre Treue gegenüber Frankfurt negativ beeinflussen könnten.83 Solange die Soldaten direkten Einfluss auf den Strafrahmen ihrer Kameraden hatten, entweder durch die Gewährung von Einsprüchen oder die direkte Einbindung in den Strafvollzug, galt ihre Loyalität als gesichert, ihre „morale was sustained by sharing“.84 Und abschließend muss zu dem beschriebenen Potpourri an Ursachen für die milde Sanktionspraxis noch der bisher unerwähnt gebliebene Faktor des Finanziellen hinzugefügt werden: Denn die Reduzierung der Todesstrafe zum Kampfeinsatz konnte durchaus auch fiskalisch Gründe haben.85 Andere, weniger ,wertvolle‘ Straftäter konnten mit solchen Rücksichten nicht rechnen.

VII.

Fazit

In der Frankfurter Überlieferung unterschied sich die Verzeichnung krimineller Soldaten während des ausgehenden 16. Jahrhunderts noch kaum von der der zivilen Straftäter. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts erschienen jedoch erste spezifisch militärbezogene Bezeichnungen in den Akten. Dies machte sich zunächst durch die Ersetzung des Begriffs Landsknecht durch Soldat bemerkbar und reichte schließlich hin zu einer immer genaueren Differenzierung der militärischen Ränge. In diesem zunächst sprachlichen Wandel spiegeln sich offensichtlich diejenigen tieferliegenden Veränderungen im militärischen Bereich wider, die einige Historikerinnen und Historiker als military revolution bezeichnen, die aber auch auf die sich verstärkende Trennung zwischen Militär und Zivilgesellschaft verweisen.86 Dieser Prozess fand offensichtlich auch Eingang in 83 Tallett, War (wie Anm. 6), S. 49. 84 Hale 1986, S. 97. 85 Möglicherweise, um die Türkensteuer zu reduzieren: Siehe Winfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978. Dieses Verfahren wurde auch von anderen Ländern, besonders von Spanien, praktiziert. Vgl. Ruth Pike, Penal Servitude in Early Modern Europe Spain, Madison, Wisc. 1983, S. 4, 6 u. 148, die dies im Zusammenhang mit dem verbreiteten Phänomen des Galeerendienstes dokumentiert. Siehe ebenso Parker, Thirty (wie Anm. 29), S. 173. 86 Die These von der military revolution stammt von Michael Roberts, The Military Revolution, in: ders., Essays in Swedish History, London 1967, S. 195–225. Kritisch aufgegriffen wurde sie unter anderem von Parker, Military (wie Anm. 21), Tallett, War (wie Anm. 6), und Jeremy Black, Europaen Warfare (1494–1660), London 2002.

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167

die Beurteilung von Verbrechen und mehr noch in die jeweilig folgenden Strafpraktiken. Während die Urteile für Sexualdelikte eine klare Kluft zwischen Zivil- und Militärbevölkerung aufzeigen, besonders im Vergleich zu den verurteilten Frauen sowie hinsichtlich des auffälligen Fehlens des Deliktes der Vergewaltigung, stellen besonders auch die Verurteilungen wegen Gewaltstraftaten den einschneidenden Wandel vor Augen. Freilich waren es zu allen Zeiten vor allem diese Formen von Delikten, die zu den meisten Gerichtsurteilen gegen Militärs führten, allerdings kamen im 17. Jahrhundert die beschriebenen spezifischen Ehrendelikte hinzu, die sich an besonderen sprachlichen Ausdrücken wie etwa Schelm entzündeten. Zeugen und die Militärs selbst wiesen nun vermehrt auf Beleidigungen der militärischen Ehre hin, die Soldaten zu Übergriffen und sogar zu Tötungen von anderen Soldaten veranlassten. Diese Entwicklung verlief nicht zufällig parallel zur besagten Ausdifferenzierung des Militärs und der militärischen Ränge. In beiden Phänomenen ist ein gesteigertes Bewusstsein für die Veränderungen militärischer Gepflogenheiten und Kultur erkennbar. Dieses spiegelte sich gleichermaßen auch in den Strafpraktiken wider, die zunehmend von Formen militärbezogener Nachsicht geprägt wurden. Es entstand eine sich über die Jahre hinweg vergrößernde Trennung zwischen den Sanktionen für die Zivilbevölkerung und die Militärs, bei der die Soldaten deutlich bevorzugt wurden. Seinen deutlichsten Ausdruck fand dies in der dargestellten aufwendigen, religiösen Beerdingungszeremonie zweier wegen Mordes hingerichteter Soldaten, ein Recht, das im Untersuchungszeitraum nicht einem einzigen anderen Kriminellen zugestanden worden war. Überdies zeigte sich die Ungleichbehandlung in der immer gängiger werdenden Umwandlung von Todesstrafen in Militärdienst-Strafen, die quasi eine ,Anpassung‘ der Strafe an den Beruf war. Wie erwähnt, spielten die Frankfurter Advokaten bei der Entfaltung dieser für die Soldaten vorteilhaften militärischen Strafkultur eine einflussreiche Hauptrolle. Man könnte daher auch sagen, dass das zivile Gericht den Prozess der Entstehung einer eigenständigen Militärkultur mindestens begünstigte, wenn nicht gar förderte. Gleichwohl muss an dieser Stelle noch eine ergänzende Frage gestellt werden: Wie reagierte eigentlich die gemeine Einwohnerschaft Frankfurts auf diese Entwicklungen? Ihnen waren die besonderen Strafen für Soldaten durchaus bekannt, weil alle Urteilsvollstreckungen, außer denen an Jugendlichen, öffentlich vollzogen wurden.87 Es ist daher unnötig zu sagen, dass die Bewohner der Reichsstadt auch Zeuge der religiösen Segnungen wurden, die den zwei des Mordes überführten Militärangehörigen zugestanden worden waren. Was aber vermittelt einen tieferen Eindruck des herausgehobenen Status der Soldaten, als eine religiös sanktionierte Beerdigung derjenigen Personen, die ihre Opfer vor 87 Hierzu Boes, Treatment (wie Anm. 53).

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Maria R. Boes

vielen örtlichen Zeugen öffentlich getötet hatten? Sollten die Stadtbewohner daraus nicht – zu Recht – schließen, dass den Militärs eine bevorzugte Rechtsund Strafbehandlung zuteilwurde, dass sie eine bessere gesellschaftliche Stellung erreicht hatten, der man nacheifern konnte? Und könnten die öffentlichen, gewalttätigen Verteidigungen der militärischen Ehre und die darauffolgenden milden Strafen nicht zu einer allgemeinen Akzeptanz, wenn nicht gar zur Bewunderung der Militärkultur unter der Zivilbevölkerung geführt haben? Leider fehlen die empirischen Daten, die es erlaubten, solche Mutmaßungen zweifelsfrei zu belegen. Allerdings hielt dies andere Historiker nicht davon ab, ein ganz ähnliches Motiv für den Einfluss des adeligen preußischen Offizier-Korps im 19. Jahrhundert anzunehmen, was, wie in diesem Zusammenhang behauptet wird, zur Militarisierung der Gesellschaft und zum „German militarism“ führte.88 Dennoch kann ein klarer Schluss aus den existierenden Dokumenten gezogen werden: Das neu entstehende System der militärischen Ehre betraf nicht nur die Soldaten, sondern auch die Gelehrten, die Advokaten. Ähnlich der vieldiskutierten military revolution der Frühen Neuzeit führte es ,umwälzende‘, in diesem Fall neue diskriminierende Klauseln ins juristische System ein – mit weitreichenden Folgen. Tab. 1: Die Verteilung der in Frankfurt verurteilten Kriminellen zwischen 1562 und 169689

Heranwachsende Berufskriminelle

1562–1594 36 24

1595–1627 18 31

1628–1660 4 0

1661–1696 11 30

Gesamt 69 85

Juden Bürger

13 22

12 43

9 8

60 30

94 103

Soldaten andere Berufe

28 137

16 84

23 16

47 31

114 268

unbekannt Männer

123 383

98 302

18 78

51 20

290 1023

Frauen

79

113

43

260

315

88 So bei Otto Büsch, Military System and Social Life in Old Regime Prussia (1713–1807): the Beginning of the Social Militarization of Prusso-German Society, trans. John G. Gafliardo, Altantic Highlands, NJ 1997, obwohl er im Vorwort entschuldigend „the absense of a detailed treatment of the urban world“ eingesteht (S. XIV). Seine Deutung wurde von verschiedenen anderen Forschern als zu dünn kritisiert. Vgl. z. B. Peter H. Wilson, Defining Military Culture, in: Journal of Military History 72,1 (2008), S. 11–41, hier bes. S. 29. 89 Quelle: Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch 1562–1696.

4 5

12 11

2 2

0 3

1 7 0 0

4 2

B 3

0 6

12 15

F 19

0 1

1 0

J 8

2 7

11 13

S 26

6 1

8 4

B 16

5 9

31 6

F 34

5 14

1 3

J 43 12 40

S 66 35 18

B 58

a)

7

0 2

3 1

S 14

Gesamt

Fälschungen 2 3 7 2 2 0 2 2 0 0 0 0 1 4 5 2 5 Quelle: Stadtarchiv Frankfurt am Main, Strafenbuch 1562–1696. S = Soldaten; B = Bürger ; F = Frauen; J = Juden.

0 2

63 6

J 7

1661–1696

10 7

5 10

11 7

F 41

1628–1660

2 13

0 1

0 6

0 1

2 1

religiöse Delikte öff. Belästigung

12 5

28 5

0 14

B 25

Sexualdelikte Gewaltdelikte

J 12

S 12

F 33

S 14

Eigentumsdelikte

B 14

1595–1627

1562–1594

Tab. 2: Vergleich der Frankfurter Strafverfahren zwischen 1562 und 1696a)

14

22 36

134 32

F 127

6

7 19

7 5

J 70

Zur Rechtsprechung über Soldaten in der Reichsstadt Frankfurt

169

Catherine Denys

The Police and Justice Systems of Soldiers and Burghers in Eighteenth-Century Brussels

Military history is no longer limited to combat narratives and strategy studies. Since the 1960s, it has been a part of the expanding field of historical research considering society, power and culture.1 Abandoning its focus on warfare, military history has become the history of soldiers, with the result that it is now possible to establish a dialogue between military history and civil history, and thus social history. In French historiography, researchers are now able to ask questions about the role of the army, as well as the schools, in the development of a national identity at the time of the Third Republic (1870–1940) in France.2 Two recent studies of the Ancien R8gime provide examples of this trend: Herv8 Dr8villon has shown how the ideals of military nobility were transformed into a culture of public service under the absolute monarchy,3 and St8phane Perr8on has discussed in detail the role of the army in the administrative and economic integration of Brittany into the kingdom of France in the 18th century.4 This transformation of military history allows me to compare in this article the relational processes of the civil world with those of the military world by examining the domains of the police and justice systems in the eighteenthcentury5. The eighteenth-century institutions of Police and Justice were linked by a common objective: defending the social order. However, their functional modes were quite different, especially regarding the relationships between military personnel and civilians. In their practical functions, the police benefited 1 Catherine Denys, Die Renaissance der Militärgeschichte der frühen Neuzeit in Frankreich. Eine historiographische Bilanz der Jahre 1945–2005, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 11,1 (2007), pp. 7–23. 2 Jean-FranÅois Chanet, Vers l’arm8e nouvelle. R8publique conservatrice et r8forme militaire, 1871–1879, Rennes 2006. 3 Herv8 Dr8villon, L’impit du sang, le m8tier des armes sous Louis XIV, Paris 2005. 4 St8phane Perr8on, L’Arm8e en Bretagne au XVIIIe siHcle, Institution militaire et soci8t8 civile au temps de l’intendance et des Ptats, Rennes 2005. 5 This paper is the result of a long collaborative work, financed by the French National Research Agency (ANR), trough the CIRSAP and SYPOE programs. For the last, see (29. 6. 2016).

172

Catherine Denys

from the regular collaboration between the military and civil worlds and as a rule interacted with both military and civilian populations. This military-civil collaboration resulted in common practices and common references, so much so that it is tempting to say that there was a ‘common police universe’. Meanwhile, the justice system maintained a strict separation between the military and civilian spheres, especially in countries like the Austrian Netherlands, where privilege was still a strong structuring force in eighteenth-century society. By law and by custom, the processes of justice raised a firm barrier between military personnel and civilians, which in turn created problems in police practice. These complex interactions are also a part of the history of military justice, which can not be reduced to a simple examination of the justice implemented by military authorities alone. This article focuses on Brussels, the capital of the Austrian Netherlands. In the eighteenth century, Brussels was a large city with between sixty and seventy thousand inhabitants. It was the residence of the Governor General, who represented the Hapsburg Emperor, the country’s sovereign.6 It was also a large commercial and industrial city.7 However, Brussels was not really a large military center. The fortified cities in the Austrian Netherlands were in the south, forming the BarriHre against France,8 but Brussels was nevertheless a closed city, with fortifications, gatehouses and a permanent garrison, which counted 2700 men in 1725, thus constituting a significant military presence.9 Brussels was both the capital of the country and the capital of the Brabant province. For this reason, it was the seat of powerful civil authorities, including the members of the government councils, the Brabant Judicial Council, the Brabant Estates and the City Council, called the Magistrat. The situation was thus very different from a small garrison town where the Army general staff had to deal with only a few aldermen 6 Herv8 Hasquin (ed.), La Belgique autrichienne (1713–1794). Les Pays-Bas m8ridionaux sous les Habsbourg d’Autriche, Bruxelles 1987; Andr8 Vanrie, Le XVIIIe siHcle, in: Mina Martens (ed.), Histoire de Bruxelles, Toulouse 1976, pp. 233–270; Jacques Willequet, ann8es d’instabilit8s (1794–1830), in: ibid. pp. 301–332; John Bartier, Bruxelles capitale des Pays-Bas, in: Jean Stengers (ed.), Bruxelles, croissance d’une capitale, Bruxelles 1979, pp. 77–90; Roland Mortier, Le XVIIIe siHcle et la fin de l’Ancien R8gime, in: Georges-Henri Dumont, Andr8 Uyttebrouck (eds.), Bruxelles, mille ans de vie quotidienne, Bruxelles 1979, pp. 125–160. 7 Roger De Peuter, Brussel in de achttiende eeuw. Sociaal-economische structuren en ontwikkelingen in een regionale hoofdstad, Bruxelles 1999. 8 EugHne Hubert, les garnisons de la BarriHre dans les Pays-Bas autrichiens (1715–1782). Etude d’histoire politique et diplomatique, Bruxelles 1902; Catherine Denys, Les relations entre Pays-Bas du Nord et Pays-Bas du Sud autour du problHme de la BarriHre au XVIIIe siHcle. Une proposition de r8vision historiographique, in: Revue du Nord 359 (2005), pp. 115–137. 9 Guy Thewes, Stände, Staat und Militar, Versorgung und Finanzierung der Armee in den Österreichischen Niederlanden (1715–1795), Wien 2012, p. 104. Joseph Ruwet, Soldats des r8giments nationaux au XVIIIe siHcle. Notes et documents, Bruxelles 1962, gives a similar amount for 1778: 2367 men and 165 horses.

The Police and Justice Systems of Soldiers and Burghers

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or royal officers. The power relationship between the military authorities and the civil authorities was established in Brussels on a greater scale, and the daily practices of the police in the city were part of these relationships.10 This article extends previous research about the northern cities of France, which were also great garrison cities that encountered the same kinds of problems as Brussels during the eighteenth century.11After describing the rules and the practices of the collaboration between the military and civil police forces, as well as the limits of this collaboration, I will illustrate the difficulties that arose from to the impermeability of the civil and military justice systems in one specific case. Finally, I will come back to the very nature of the royal power in France and in the Austrian Netherlands in order to explain the difference between the military and civil justice systems in the Austrian Netherlands and France.

I.

The rules and customs of the collaboration between military and civil police

The participation of soldiers in the affairs of city police was common during the Ancien R8gime, and has already been studied in a variety of quite different places, including Paris,12 Munster13 and the cities along the Franco-Belgian border.14 The soldiers were never the only police force active in cities, and their contribution to public safety was commonplace. This military support of police activities can be divided into two types of intervention: daily interventions (e. g., guard duty) and exceptional interventions (e. g., event security). – Daily intervention: The Army participated daily in urban police activities, providing men to perform sentry, patrol or guard duties. Military personnel were thus present across the city. Sentries were placed around military 10 For a general overview: Catherine Denys, La police de Bruxelles entre r8formes et r8volutions (1748–1814). Police urbaine et modernit8, Bruxelles 2013. 11 Catherine Denys, Police et S8curit8 dans les villes de la frontiHre franco-belge au XVIIIe siHcle, Paris 2002. 12 Jean Chagniot, Paris et l’arm8e au XVIIIe siHcle, 8tude politique et sociale, Paris 1985. 13 Jutta Nowosadtko, Militärpolizei? Die innerstaatlichen Aufgaben der stehenden Heere des Ancien R8gime als Forschungsproblem, erläutert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Andr8 Holenstein, Frank Konersmann, Joseph Pauser, Gerhard Sälter (eds.), Policey in lokalen Räumen. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeiden und Territorien vom Spätmitteralter bis zum frühen 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2002, pp. 317–340. 14 Catherine Denys, L’arm8e, support et modele des polices urbaines en France et aux Pays-Bas autrichiens au 18e siHcle (Policey Working Papers. Working Papers des Arbeitskreises Policey/ Polizei in der Vormoderne 10), 2005. Online : (29. 6. 2016).

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Catherine Denys

buildings but also around the buildings housing civil authorities, even providing reinforcements in certain neighborhoods where particular agitation had been reported. At night, groups of 2 to 5 soldiers patrolled the streets of the city to prevent and/or stop disturbances. Soldiers were also deployed as guards where particular surveillance was thought to be necessary : in the markets, at the city gates, on the docks and in the parks and promenades, as well as inside and outside of theaters or other entertainment halls. Thus, in association with the other civil police forces, the army ensured that the city had both stable and mobile police coverage in all sectors. - Exceptional intervention: The garrisoned troops were systematically mobilized when a large police force was deemed necessary in specific or exceptional events. Thus, soldiers would provide security services during events that gathered large numbers: urban festivities, fairs and/or royal ceremonies. They could also be requisitioned in cases of conflicts, riots or fires. In both types of interventions, the Army could be called on to perform as a force separate from the civil police or as adjuncts to existing civil forces, depending on the diverse police configurations that existed, which varied enormously from one city to another and could be modified over time. The organization of the police in eighteenth-century Brussels was fundamentally municipal. The power of the general police in the city and over its inhabitants was in the jurisdiction of the Magistrate or aldermen, who determined the numerous police regulations,15 appointed and paid the police, and judged the petty offenses of the police. They were also the judges for all serious crimes committed in the city by any non-privileged civilians. In practice, the responsibility for directing the police and preventing and punishing crimes was in the hands of the amman (or amptman) and the lieutenant-amman, who were officers of the Prince16 and thus represented the sovereign to the municipality, but had no authority on the aldermen.17 The amman and his lieutenant had recourse to various auxiliaries: sergeants, night watchmen and police spies. In theory, the amman had 16 sergeants (amptman cnaepen) at his disposal, but in reality there were never more than 12. 15 Over the period 1750–1789, the registers of the communal police regulations, called Publicatieboeken are containig nearly 700 texts, Archives de la Ville de Bruxelles (AVB), archives anciennes, 1327 to 1343. See Denys, La police de Bruxelles (as footnote 10). 16 In Brussels, the sovereign was the Austrian/ German Emperor acting in the capacity of the Duke of Brabant. 17 During the Middle Ages, the Amman was a very high-ranking person, but the importance and the prestige of the function declined at the early modern time when the Prince was relying upon other representatives, such as the governor or the ‘fiscal’ officer of the Council of the Brabant.

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However, in eighteenth-century Brussels, they were less and less involved with the police; despite the regular efforts to force them to provide service to the police, they preferred to serve as bailiffs in the civil courts. In the 1780s, their detachment from the police force was made official with the creation of a new division of police professionals: the municipal militia, or ‘city soldiers’. This new division was greatly expanded during the revolutionary events at the end of the Ancien R8gime. The amman and his lieutenant also commanded 10 to 12 night watchmen, called handuyten or handuyts in Brussels. These handuyten were responsible for patrolling the city streets at night to arrest thieves and others who were disturbing the peace. Finally, the amman also had recourse to police spies, who were recruited and paid by the amman himself to perform specific surveillance tasks and/or to provide information about crimes. Before the Austrian reaction of 1788, these spies did not have a distinct political nature. Unlike the famous Parisian mouches, who had a vastly more political nature, the police spies in Brussels were simply police informers. This municipal police was reinforced, if needed, by bourgeois companies (i. e., burgher companies, civic militias), who were, in fact, armed civilians. The burghers (i. e., the city inhabitants who had the droit de bourgeoisie) could serve in one of two groups: one of the 10 wijcken, who were neighborhood companies, or one of the 5 serments (gulden), who were city-wide companies that were specialized in one type of weapon (e. g., archers, harquebusiers). In the eighteenth century, the decline of the efficiency of the bourgeois companies at warfare provoked a simultaneous decrease in the capacity of these companies to maintain order, in Brussels and elsewhere. Most of the burghers avoided performing guard duties themselves by obtaining an exemption or by paying a compensation (composition) to the neighborhood centenier (hondersten), essentially buying the service of a replacement, often a former soldier,18 which in Brussels were called stipendi8s (huerlingen, loonwaeckende mannen). These burgher guards, or their replacements, ensured police coverage in the city center, at the city hall on the Grand Place and at the city gates during the night. In addition to their daily service, the burgher guards had to restore order in cases of riots or fires. Although the burghers of Brussels tried to avoid the daily service, they were always willing to parade during festivals or entrance ceremonies for sovereigns and/or their representatives. The manpower available to the police was small for a city of sixty thousand inhabitants, even including the various city employees (e. g., consignes des portes, market inspectors, cleaning supervisors). The recourse to regular as18 We must recall that a former soldier, at the 18th century, was not a steamed old man, but a still young man: one engaged when he was between 16 and 20 years old, for a 6 years term, renewable. One could thus be a 30 years old’ former soldier.

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sistance from the military compensated for this lack of manpower. When the garrison was not available, either because the troops were at war or on military maneuvers in the summer, the soldiers were replaced by men hired from the drossard de Brabant (i. e., the provincial Marechaussee or constabulary). Thus, garrison and constabulary soldiers participated in the Brussels police force, under the rigorous control of their officers. This meant that the burgher patrols were reinforced by a couple of soldiers from the garrison and the burgher guard posts were augmented with military guards. Each watchman was also accompanied on his nightly rounds by two soldiers from the garrison or from the constabulary. The soldiers had a permanent guard post near the Grand Place in the building called the grand-garde; they also delegated a few men to the amigo, the building behind the city hall, which served as the command post of the civil police.19 These soldiers were called on to reinforce the civil police every year at fair time and in the winter when the canal froze and disturbed the city supply lines, causing a dangerous level of unemployment among the dockers, which in turn caused unrest in the population. In cases of grain riots, if the Magistrat did not trust in the effectiveness of the mobilization of the bourgeois companies, it was often easier to call out the garrison troops, whose rapid gathering in the market place was generally enough to make calm the situation.20 The collaboration between the diverse officers of the municipal police and the garrison or constabulary soldiers was permanent. In Brussels, this collaboration took place for the most part without incident because the rules were well known to each the parties involved. Each side of the collaboration maintained its own autonomy in the chain of command. It was only through the delegation of power that the soldiers accepted to be subject to the civil police’s chain of command. Thus, the two soldiers accompanying a night watchman were placed under the orders of that watchman by their commanding officer. For example, if the amman in Brussels needed a few soldiers to reinforce the market police, he couldn’t directly order the soldiers to the market, but he had to go through their commanding officer, who would make them available. The commanding officer could not, however, refuse the request for soldiers if the amman asked for them. Thus, it was a question of respecting the official forms and the military chain of

19 Nowadays, the communal police post is still situated in the Amigo street, back the town Hall. 20 One evokes here, of course, only the apolitical riots of the 18th century, before the revolutions of 1787–1790. Then, the mobilization of the troops, far from being enough to bring back the order will be perceived like a provocation of the tyrannical rule of Joseph II (1741–1790) and will lead to dramas that were unimagineable in the years 1715–1780. See Karine Van Honacker, R8sistance locale et 8meutes dans les chefs-villes brabanÅonnes aux XVIIe et XVIIIe siHcles, in: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 47,1 (2000), pp. 37–68.

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command. Another reason why this police collaboration functioned well was because both parties recognized the respective powers of each party.

II.

The limits of the collaboration between civil and military police

Obliged to collaborate in the city, the civil and military police remained well separated in terms of their internal affairs. Thus, the civil police force had no say in the discipline of the soldiers nor in the activities of the military police inside military areas. What happened in the garrisons was the sole responsibility of the military officers and the military commanders. Similarly, the military police could not enter civilian houses, unless requisitioned and accompanied by an alderman. Some areas with high symbolic significance – for example, the city hall and the city gates – were practically forbidden to the military as an armed force. In the evening, when the city gates were closed, the soldiers stationed in front of the fortifications had to wait until the civil employees had given the signal before closing the barriers. During the grand city festivals, in which traditional Dutch ceremonies celebrating the unity of the city’s inhabitant were conducted, the military was especially not welcome. A major de place named Camerlander, serving Austria in Brussels from 1769 to the 1780s,21 wrote a “protocol document concerning the garrison service in Brussels”. This document gave very explicit instructions about the manner in which the army should keep itself separate during the city festivals: “On such occasions [bird shooting, archery competitions, C. D.], as well as during the fireworks that were given beforehand, the soldiers were not deployed on the square because this would infringe of the prerogatives of the city. But for the city’s safety, the 5 serments were placed under arms with their flags and their music. In addition, sentries from the Vanderstege company [the drossard de Brabant, C. D.] were posted where it was necessary. However, the guard at the amigo was doubled, the one at the Mint was reinforced, and four cavalry soldiers were ordered to patrol the streets around the square; the rest of the soldiers received the order to remain in their quarters”.22

21 AVB, archives anciennes, 2204. 22 AVB, archives anciennes, 2204, p. 36. This translation, like those that follow, is a modern translation of the original text: “En pareille occasion comme aussi pendant le feu d’artifice qui s’8toit donn8 auparavant, le militaire n’a pas 8t8 employ8 sur la place parce que ce seroit enfreindre les privilHges de la ville, mais pour sa propre s0ret8 les 5 serments s’y trouvHrent sous les armes avec leurs drapeaux et musique. Et on poste oF il est n8cessaire des sentinelles de la compagnie de Vanderstege, cependant on double ordinairement la garde de l’amigo, on renforce celle de la monnaie et on fait patrouiller 4 hommes de la cavalerie vers les avenues de la place, le reste du militaire reÅoit l’ordre de rester dans ses quartiers.”

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The soldiers were not far from the epicenter of the festivities (i. e., the Grand Place). They were also present in the streets around the square in case they were needed, but they did not appear in the square itself, where police duties were carried out by the serments (i. e., the civic companies). More generally, according to Camerlander, there was a tacit sharing of the police assignments between the military and civil forces in the city : “There is a distinction to be made between the internal or particular police and the external or general police. The first is part of the magistrate police force as well as the justice administration; it is their responsibility to help and to punish their civic companies when they deviate from their duty. But for all that relates to the second, the external or general police – in other words, anything that could disturb the order, respite and peace of the population – the magistrate is required to recognize the Governor General’s authority.”23

For Camerlander, the “internal or particular police” signifies the police of the city’s own population, the civilian inhabitants, the citizens. The “external or general police” signifies the police that maintains order throughout the entire urban population, without distinctions of status, or in other words, the police of the entire urban institution, to which the military police, as an extension of the state, had a duty to contribute. Camerlander’s comments about the Magistrate’s police forces find a parallel in the way he sees the military police forces. The general staff and the officers of the Army had the responsibility to force soldiers to perform their duty and to punish them when they didn’t. There was no disagreement between the Magistrate and the Army general staff about the distinction between an ‘internal’ police for each institution and an ‘external’ police in which the two institutions collaborated to insure public safety throughout the city. This distinction comes from a legal principle that was strictly observed in the Austrian Netherlands: the separation of the military justice system from the civil justice system. The soldiers, including their spouses and children, were depending on the for militaire; in other words, they could only be sentenced by military judges. Even the domestic staff of the officers was considered to be ‘military’. In the same way, civilians could only be sentenced by civil judges. In fact, in the Austrian Netherlands in general and in the Brabant province in particular, the inhabitants were extremely attached to their legal prerogatives. The inhabitants of Brussels, who, given their status as nobles or employees and 23 AVB, archives anciennes, 2204, p. 24. Original text: “Il y a ici une distinction / faire entre la police interne et particuliHre et la police externe ou g8n8rale; la premiHre appartient / ceux du Magistrat ainsi que l’administration de la justice, c’est / lui / y tenir la main et / punir leurs bourgeois quand ils s’8cartent du devoir ; mais en tout ce qui a rapport / la seconde ou / la police ext8rieure ou g8n8rale, c’et-/-dire en tout ce qui pourrait troubler l’ordre, le repos et la tranquillit8 publique, les magistrats sont oblig8s de reconna%tre l’authorit8 du gouverneur.”

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servitors of the General Governor were not in the jurisdiction of the city courts, also paid special attention to this principle. Everybody had to be judged by their ‘natural judge’,24 the one whose jurisdiction was reserved for people of the same status and from the same province. This notion of ‘natural judge’ was an integral part of the liberties and privileges to which the people of Brabant eagerly protected. These privileges were respected by the country’s sovereigns up until the reign of Emperor Joseph II (1780–1790), who tried to reform the system. The particularistic nature of the legal system in the Austrian Netherlands is one of the major differences between the former Dutch garrison cities that became French during the conquests of Louis XIV (1638–1715) from 1650 to 1715 (e. g., Lille or Valenciennes). In France, apart from the offenses against military discipline and the privileged treatment of special kinds of troops (e. g., the Swiss Guards), simple soldiers guilty of common law crimes were sentenced by ordinary civil judges. The royal rules and regulations of 1750 and 1768 pertaining to the service des places25 assigned the punishment of soldiers guilty of common law crimes to local judges. Even though the army always tended to protect its soldiers and to use diverse maneuvers to withdraw them from the judges’ authority, some soldiers were sentenced by ordinary royal courts.26 For example, in Strasbourg, after its annexation by France, the Magistrate obtained jurisdiction over soldiers accused of violence against civilians.27 The legal separation between military and civilian was much less rigid in France than in the Austrian Netherlands, which simplified the affairs in which both military personnel and civilians were involved, thus facilitating the work of the police. In contrast, affairs involving military personnel and civilians led to real deadlocks in the Austrian Netherlands, as can be seen in the incidents that took place in Brussels in 1776–1777.

24 Marjorie Dupuis-Berruex, Le juge naturel dans le droit de l’ancienne France, ClermontFerrand 2012. 25 A service that regulated the duty and life of the troops in fortified cities. 26 Even during the occupation of Lille by the Anglo-Dutch troops between 1708 and 1712, the General Estates of the United Provinces respected the right of the Magistrate to judge and condamn a man, though he was claimed by the army. See Catherine Denys, “ L’occupation hollandaise / Lille de 1708 / 1713 ”, in: Markus Meuman, Jörg Rogge (eds.), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spältmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 2006, pp. 315–336, precisely p. 320–322. 27 Hanna Sonkajärvi, Qu’est-ce qu’un 8tranger? FrontiHres et identifications / Strasbourg (1681–1789), Strasbourg 2008, pp. 165–169.

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III.

An example of institutional deadlock between the police and the justice system: the Brussels incidents of 1776–1777

In 1776–1777, Brussels went through period of tensions between the military and civil authorities triggered by incidents between garrison soldiers and the city’s night watchmen. The primary sources are not very clear,28 but it appears that there were on several occasions serious conflicts between the night watchmen and the military guard, who were jointly responsible for night policing. On 29 September 1776 at around 8pm, four watchmen and two archers from the drossard de Brabant arrested four soldiers, one of whom was a non-commissioned officer, for raising an uproar and breaking windows at an inn. Since the culprits were soldiers, the watchmen brought them directly to the central military guard post, the grand garde. At the guard post, the watchmen were arrested by the soldiers manning the post and were not released until about 10pm, after the amman Rap8dius de Berg (1740–1802)29 intervened in person to claim his subordinates. According to the complaint filed by Rap8dius de Berg with the Secretary of State and War, if the watchmen beat the arrested soldiers, it was because the soldiers insulted and struck them and refused to follow them to the guard post. According to the military version of the same incident, given by Major Fuhrmann to the same Secretary, the drunk soldier who was breaking the windows was already under the control of the non-commissioned officer and the two other soldiers when the watchmen arrived to arrest them, and despite the statements of the other soldiers, they were taken to the grand garde by force, receiving blows from the watchmen’s halberds. Soldiers in general complained about the brutality of the watchmen. They identified the watchman Michel Decoster, a former soldier, as being at the “center of all the violence and poor treatment occurring during arrests by the aforementioned patrols, as if due to animosity towards soldiers”. Another incident occurred in early June 1777. During the night the watchmen arrested two men wearing civilian clothes, who were suspected of stealing. One of the men, named Bernard, stated that he was a soldier. Despite this statement, the watchmen brought him to the amigo, the civil guard post. Once there, Bernard was recognized as a soldier by the officer commanding the military unit stationed at the amigo. Despite this recognition, the watchmen refused to transfer the prisoner to the grand guard and opposed with force the soldiers who wanted to free him. Bernard thus remained in the cell 28 Archives G8n8rales du Royaume / Bruxelles, Secr8tairerie d’Ptat et de guerre, 1921. 29 See his name in: Claude Bruneel, Jean-Paul Hoyois (eds.), Les grands commis du gouvernement des Pays-Bas Autrichiens. Dictionnaire biographique du personnel des institutions centrales, Bruxelles 2001, pp. 515–518; Fr8d8ric Kisters, Ferdinand Rap8dius de Berg, amman de Bruxelles et polygraphe, in: Cahiers bruxellois XXXIII (1992), pp. 17–68.

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until the next day at 11am. The incident was brought to the attention of the Austrian government in Brussels, in the person of Councilor De Limpens (1739–1822), who spoke of a “very serious affair”, the watchmen and the soldiers almost coming to blows, bayonet on their rifles. Nonetheless, the councilor admitted his inability to establish the responsibility of the different parties in this affair : “It is impossible to determine from the complaints of the soldiers against the night watchmen and the accusations of the city justice officers whether or not the complaints are well-founded. In fact, the investigations of the two opposing parties are contradictory. If the military investigation is examined, the arguments advanced seem to be well-founded in several respects. On the other hand, if the investigations of the city justice officers are examined, it seems that it is they who have reason to complain on almost all points raised, which one after another have been brought to the attention of the government”.30

During the Ancien R8gime, this impossibility of establishing the truth between the military’s reports and those of the watchmen can be found each time affairs involving both civilians and soldiers were brought before their respective judges. Each institution conducted its own individual investigation, each questioning both the witnesses and the defendant. The result was two accounts of the event that were perfectly symmetrical and perfectly contradictory, in which each institution gave its counterpart the responsibility.31 Thus, concerning the affair of June 1777, Councilor de Limpens could not choose between the two versions and merely gave an overview of the two contradictory versions one after another. According to the watchmen, Bernard, the soldier wearing civilian clothes, attacked them and, with the aid of the officer of the military guard at the amigo, attacked them again. According to the military version, the watchmen violently arrested Bernard and, even when he was recognized as being a soldier, detained him, against all laws, in a civil prison. De Limpens thus concluded that “considering the event legally, it is impossible to state which side is at fault”.32 Thus, 30 Original text: “Il n’est pas possible de d8mÞler hors des plaintes form8es par les militaires contre les veilleurs de nuit, et des r8criminations faites par les officiers de justice de cette ville si ces plaintes sont ou ne sont pas fond8es, les deux parties contraires en fait, produisent de part et d’autre des enquÞtes qui se croisent, si l’on examine celles des militaires ils semblent fond8s / plusieurs 8gards dans ce qu’ils avancent, et si on recoure au contraire / celles des officiers de justice, l’on trouve que c’est eux qui ont sujet de se plaindre dans presque tous les points, qu’ils ont successivement port8s / la connaissance du gouvernement.” 31 On these symmetrical and contradictory accounts, see Catherine Denys, Xavier Rousseaux, Plaignants, victimes et coupables. Relations sociales et violences dans une soci8t8 en transition, in: Beno%t Garnot (ed.), Les victimes, des oubli8es de l’Histoire? Colloque Dijon des 6–8 octobre 1999, Rennes 2000, pp. 319–344. 32 Original text: “en consid8rant les choses juridiquement, il ne conste pas de quel cit8 sont les torts”.

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the question of who was ultimately responsible – the watchmen or the soldiers – cannot be answered conclusively. However, for the Austrian government, establishing the truth in these affairs was less important that re-establishing order and harmony between the military and the civil forces, which was essential for effective policing in Brussels: “For the rest, legally, it seems impossible to obtain the truth of the situation. However, the most important thing is to stop the animosity that seems about to break out between the soldiers and the civil justice officers, who in the conflict about Bernard take the side of the night watchmen. Thus, it seems that it is necessary to adopt the right attitude for soothing the ruffled feathers of both sides as much as possible.”33

Consequently, Councilor de Limpens proposed to dismiss the watchman Michel Decoster, whose name often came up in the affairs between the soldiers and the civil police, and who seemed to be detested by everyone in the garrison. However, the amman Rap8dius de Berg defended his employee, and the councilor had to admit that Decoster had not done anything illegal. The government then suggested that Decoster should remain on the payroll, but be relieved of night watchmen duty. Instead he should be employed as a police informer or a gatekeeper or in another small municipal job. This would not be considered as a sanction, but as a kind of internal transfer, which would divert the hostility from the military personnel. In addition, the councilor made another proposition, which was less conventional, concerning the internal organization of the guard’s house. He explained that the people arrested and brought to the amigo usually stayed amongst the guard, in the main room, or were “thrown in a cell”, depending if they were calm or not.34 In the opinion of de Limpens, the two locations, staying in the guard room or in the cell, were not appropriate for the soldiers who had been arrested. The guardroom was not appropriate, both because it was a common room for military guards and night watchmen, which could lead to trouble as in the Bernard affair, but also because some people “are unwilling to be locked up with soldiers”.35 In other words, “people of quality” would not want to be confused with drunken soldiers and revelers. The ordinary cells were not appropriate for soldiers either because they were “filled with vermin”36 and “the 33 Original text: “Au reste l’on vient d’observer que juridiquement il n’est pas possible de d8mÞler le vrai des choses, mais il n’est pas moins certain qu’il est de la derniHre importance d’obvier / l’animosit8 qui semble / la veille d’8clater entre les militaires et les officiers du justice, qui dans le d8mÞl8 de Bernard prennent fait et cause pour les veilleurs de nuit. Il semble donc qu’il faut trouver un temp8rament pour calmer les esprits et contenter autant que faire se peut les parties oppos8es.” 34 Original text: “jet8s dans une espHce de cachot”. 35 Original text: “r8pugnent / ce que des militaires soient d8tenus avec eux”. 36 Original text: “remplis de vermine”.

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dregs of society”37. The soldiers who had the honor of serving Her Majesty”, Maria Theresa of Austria (1717–1780), would be disgraced to be in such a despicable company. Councilor de Limpens recommended that a locked room be constructed in the amigo guard house: “a small individual room, intended to house privately those taken red-handed who profess to be soldiers but who cannot be recognized as such for lack of a uniform or other distinctive marks”.38

The key to this room would be given to the commander of the military unit at the amigo and the door guarded by a military sentry : “In this way, the arrested person who professes to be a soldier, but who cannot initially be recognized as such, will be in a secure location, sequestered in a decent place and guarded both by watchmen from the civil and military police forces.”39

Anticipating the objections to this expense for a few rare cases, de Limpens insisted that this kind of situation was quite frequent: “It is a fact that many soldiers run about the street disguised as burghers, such as recruiters, officers’ servants, soldiers who visit bawdy houses and many more when they want to desert.”40

Finally, de Limpens remarked that he did not see a better solution for calming the heated minds and uphold the police rules. In the end, this ‘secure room’ for unidentified soldiers was not constructed in the guardhouse at the amigo. Nonetheless, Camerlander indicated in his journal that a protocol between the military and civil forces was written to establish the rules of conduct for the commanders of the civil and military guards in such cases.

37 Original text: “personnes de la lie du peuple”. 38 Original text: “une petite chambre particuliHre destin8e privativement pour ceux qui 8tant pris en flagrant d8lit s’annoncent comme militaires sans pouvoir d’abord Þtre reconnus pour tels faute d’uniforme et d’autres marques distinctives”. 39 Original text: “Par ce moyen l’arrÞt8 qui se dit militaire et que l’on ne peut d’abord reconna%tre comme tel seroit en lieu de s0ret8, s8questr8 dans un endroit d8cent et gard8 tout / la fois par les surveillants / la police civile et militaire”. 40 Original text: “il est constant que nombre de militaires courent les rues travestis en bourgeois, tels sont les recruteurs, domestiques d’officiers, soldats qui fr8quentent les maisons de d8bauche et plusieurs d’eux lorsqu’ils ont envie de d8serter”. Upon the desertion in the Netherland, see Hanna Sonkajärvi, AperÅu sur l’8conomie de la d8sertion dans les Pays-Bas autrichiens au XVIIIe siHcle, in: Histoire, 8conomie & soci8t8 30,3 (2011), pp. 49–57.

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IV.

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France and the Austrian Netherlands: different customs in contrasting power structures

Although the recommendation of Councilor de Limpens were not adopted, the recommendation itself was a symptomatic response to the deadlock that resulted from the particularly rigid separation of military law and civil law in the Austrian Netherlands. The situation had become absurd: in addition to the two separate buildings for the respective guards, it would have been necessary to construct another room for soldiers in the civil guard building. In garrison cities in France, people arrested during the night by the patrol were conducted to the military guard or the civil guard, depending on their status. In case there was only one building, separate rooms were set up. However, the distinction in France does not seem to have been as important as in the Austrian Netherlands. It does not seem to have been a great dishonor if a detained civilian spent the night in the military guardhouse as long as he/she was transferred to the civil legal authorities the next morning. It would have been even less problematic if it was a man dressed as a burgher but professing to be a soldier. It was thus not necessary to push the separation between the military and civil sectors so far. Additionally, in practice, the nighttime civil police force was so reduced in French border cities that it was the military guard who watched over everything at night, and thus altercations between the civil and military police forces were hardly possible. Also, in case of brawls between soldiers and civilians, although the participants might be arrested by the military police, they would all be brought before civilian courts in that location. Thus there was not such a strict separation in France as in the Austrian Netherlands, neither in terms of police activity nor in terms of the legal procedures for civilians and military personnel. It is tempting to explain these differences by the lesser respect of the French monarchy for the specific privileges and liberties of its subjects. The king’s will was imposed on all without distinction, which did not means that the king ignored the privileges, but that in case of interest conflicts, the obedience to the king must always prevail. This explanation may contradicts the current political historiography, which adopts the point of view of a moderate absolutism.41 Historians as William Beik42 and others reversed the traditional vision of the construction of the absolutism, by focusing on the de facto alliance between the king and the social elites in the seventeenth century. This historiography yet mainly focused on administrative and fiscal matters. So this renewed vision of a 41 Avery clear development is to be found in Fanny Cosandey, Robert Descimon, L’absolutisme en France, Histoire et historiographie, Paris 2000. 42 William Beik, Absolutism and Society in seventeenth-century France, State Power and Provincial Aristocracy in Languedoc, Cambridge 1985.

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moderate absolutism may not contradict the classical vision of the royal authority related to the judiciary and military matters. Even if the high magistrate of the Parliaments contested the eighteenth-century French kings, none of them would stop the long trend of growing exclusive power of the royal courts. The decline of non royal courts, such as ecclesiastical or municipal or seigniorial courts gave evidence of this royal pre-eminence. Concerning the military power, no challenge to the royal exclusive emerged after the events of the Fronde (1648–1652). Absolutism may have needed collaboration with the population for the royal government to operate in the provinces, but there was no possibility to share the conduct of the Justice or of the Army, neither to refuse obedience to the royal officers. Another possible explanation of the difference between the operation of the polices’ systems in France and the Austrian Netherlands invokes professional and cultural factors. In France, the police universe was highly influenced by the military sphere. The power of the police also originated in judicial authority, but the separation of the two spheres was already well advanced in the eighteenth century. The influence of the military on the police was found everywhere in Europe, if only because the police were often recruited from among former soldiers. However, in France, this influence went a little further, directly forming the basis a professional culture that began to emerge in the eighteenth century.43 On the contrary, in the Austrian Netherlands, and especially in Brussels, the municipal police organization effectively prevented the intrusions of the central government. Thus the Army, as a state organ, was not a model for reforming the police forces, in the eyes of the magistrate, but a competitor to its authority.44 In the framework of this ancien r8gime municipal police force, the justice system and the police remained very close and were responsible to the same people. This legal culture had strong influence on police activities. It was thus a lot more difficult to find practical compromises between military and civil police since the search for efficiency came after respect for the law and legal principles. In short, the municipal system of police in Brussels was more legalistic while the French one favored efficiency through militarization. The conflicts that occurred during the nights in Brussels, between the military and civil police forces appeared therefore not only as ordinary incidents, but as the reflect of a strong native political culture, deeply rooted in the Austrian Netherlands. They are related to the social and political strength of the Magistrate, the local urban elites, who were able to challenge the central government 43 Dominique Kalifa, Vincent Milliot, Les voies de la professionnalisation, in: Jean-Marc BerliHre, Catherine Denys, Dominique Kalifa, Vincent Milliot (eds.), M8tiers de police. 9tre policier en Europe, XVIIIe–XXe siHcle, Rennes 2008, pp. 545–553. 44 Catherine Denys, Les projets de r8forme de la police / Bruxelles / la fin du XVIIIe siHcle, in: M8langes de l’Ecole FranÅaise de Rome Italie et M8diterran8e 115,2 (2003), pp. 807–826.

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authority. It was then easier to avoid the mixing of army and police and to keep the later in the judicial world. When comparing with the French organization of police, this may appear as a lack of efficacy and a source of troubles, but this was a safeguard for legalism too. So the two systems were coherent in their different organizations. In France the army was responsible for a large part of the nighttime order in the cities, but a delinquent soldier was to be sentenced by a civil judge. In the Austrian Netherlands, the collaboration between the army and the civil police was sometimes difficult, and the Magistrate would not allow the army to gain the upper hand over the city police, but the soldiers were independent of the aldermen’s courts. In sum, it is certain that the service rendered by the army in the urban regulations was very useful and appreciated. So the local and central authorities managed to avoid any disadvantages by according to different judicial rules that were convenient with their social and political organizations.

Martin Winter

Desertionsprozesse in der preußischen Armee nach dem Siebenjährigen Krieg

I.

Einleitung

„Wurde der Deserteur nicht gefangen und gelangte er glücklich ,auf die Freiheit‘, d. h. über die Grenze, so sich Wirthshäuser zur Aufnahme befanden, so ritt der nachsetzende Offizier dorthin, um ihn unter Zusicherung völliger Straflosigkeit zur Rückkehr zu bewegen. Da der Deserteur, wenn er die Absicht hatte, wieder zurückzukehren, natürlich mit seiner Entweichung etwas bezwecken wollte, so stellte er Bedingungen, gewöhnlich Ertheilung eines Trauscheins, d. h. die Erlaubniß seine Liebste zu heirathen, oder Ertheilung eines Thorpasses u. dgl., welches Verhandlungen zwischen ihm und der Compagnie herbeiführte, die meistentheils mit Zugeständnissen von Seiten der letztern endigte.“1

Dieses Zitat aus den Erinnerungen des nachmaligen preußischen Generals der Infanterie Ludwig von Reiche (1774–1840) an seine Dienstzeit in der altpreußischen Armee mag manchen mit den Details der frühneuzeitlichen Militärgeschichte weniger Vertrauten überraschen, stellt sich hier doch der Tatbestand einer Desertion nicht nur als „Flucht aus dem militärischen Alltag“2 dar, sondern auch als ein Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen. Dies gilt umso mehr, als der Konflikt nach der Darstellung Reiches in zahlreichen Fällen auf dem direkten Verhandlungsweg zwischen den Offizieren und ihren untergebenen Soldaten beigelegt werden konnte. Reiches Äußerungen stehen in direktem Widerspruch zu dem vielzitierten Diktum Friedrichs II. (1712–1786), wonach der Soldat vor dem Offizier mehr Angst als vor dem Feind haben müsse. Es entstammt einer Instruktion für die Kommandeure der Kavallerieregimenter, die nach den Er-

1 Ludwig von Reiche, Memoiren des königlich preußischen Generals der Infanterie, hrsg. v. Louis v. Weltzien, Erster Theil 1775 bis 1814, Leipzig 1857, S. 23. 2 So der Titel der überarbeiteten Potsdamer Magisterarbeit von Jörg Muth, Flucht aus dem militärischen Alltag. Ursachen und individuelle Ausprägung der Desertion in der Armee Friedrichs des Großen, Freiburg i. Br. 2003.

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fahrungen des Siebenjährigen Krieges entstand.3 In diesem Zusammenhang verwies er auch darauf, dass das Standrecht gegen räsonierende Soldaten unverzüglich abzuhalten sei, da derlei „kurze Prozesse“ einen besonderen Eindruck auf den gemeinen Mann machen würden. Das Opponieren gegen einen Offizier sollte nach sofortigem Kriegsgericht mit Erschießen und der Mord an einem Unteroffizier mit dem Rädern bestraft werden.4 Gemeinhin werden diese Aussagen zu seiner Armee dem Persönlichkeitswandel Friedrichs II. in der Folge des Siebenjährigen Krieges zugeschrieben, wonach er eine „beinahe an Verachtung und Haß grenzende Strenge […] gegenüber seinen Offizieren und Mannschaften an den Tag“ gelegt habe.5 Noch in jüngerer Zeit wurde die rigide Disziplinarpraxis als konstitutiv für den inneren Zusammenhalt und die Taktik der friederizianischen Armee gedeutet: „Dem gemeinen Soldaten würde aus taktischen Gründen unbedingter Gehorsam gegenüber dem übergeordneten Offizier abverlangt, und er würde eher als ,Maschine‘ anstatt als Mensch gesehen. Zusammengehalten würden die Soldaten dabei von dem ,beständig in der Luft schwebenden Stock‘, vor dem sie sich selbst auf dem Schlachtfelde mehr fürchteten als vor den feindlichen Kugeln.“6

Die These, dass sich diese Behauptungen Archenzolz’ (1743–1812) reibungslos in den Forschungsstand einfüge, ist jedoch ebenso in Zweifel zu ziehen, wie die Feststellung, dass dies den Beleg für Reinhard Höhns Diktum der wechselseitigen Abhängigkeit von Lineartaktik und Zwangssystem liefere.7 Hierbei wird ein maßgeblich in der angelsächsischen Forschung vorhandener Strang, der die preußische Ausbildungsmethodik und Menschenführung etwas milder beur3 Im zweiten Absatz der Instruction für die Commandeurs der Cavallerie-Regimenter vom 11. Mai 1763 heißt es nach dem Verweis auf das einschlägige Reglement: „Sollte ein gemeiner Mann raisonnieren, es sei in oder außer Dienst, unter oder sonder Gewehr, so muß sogleich Standrecht gehalten und er mit zwölfmaligem Gassenlaufen bestraft werden, weil dergleichen kurze Prozesse bei dem gemeinen Mann sehr viel ,Impression‘ machen. Ueberhaupt muß der gemeine Soldat vor dem Offizier mehr Furcht als vor dem Feinde haben.“ Gustav Berthold Volz (Hrsg.), Die Werke Friedrichs des Großen, Bd. 6: Militärische Schriften, Berlin 1913, S. 314. 4 Volz, Werke (wie Anm. 3), S. 314. 5 Christopher Duffy, Friedrich der Große. Ein Soldatenleben, Zürich 1986, S. 351. Ein deutlich anderes Bild lässt sich demgegenüber aus den entsprechenden Abschnitten der GeneralPrincipia vom Kriege von 1748 gewinnen, in denen Friedrich die Güte der preußischen Truppen besonders hoch einschätzt, sowie dem Abschnitt über die „Talente des Heerführers“: Volz, Werke (wie Anm. 3), S. 32–35. 6 Unter Verweis auf die einschlägigen Arbeiten von Gembruch und Kunisch: Boris Bovekamp, Die Zeitschrift Minerva und ihre Herausgeber Johann Wilhelm von Archenholz (1743–1812) und Friedrich Alexander Bran (1767–1831): ein Beitrag zur Kompatibilität von Militär, Aufklärung und Liberalismus, Kiel 2009, S. 144–145. 7 Bovekamp, Minerva (wie Anm. 6), S. 146. Zur postulierten gegenseitigen Abhängikeit von Zwangssystem und Lineartaktik siehe: Reinhard Höhn, Revolution – Heer – Kriegsbild, Darmstadt 1944, 32–34.

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teilt, weitgehend ausgeblendet.8 In jüngerer Zeit hat Sascha Möbius unter Einbeziehung dieser Diskussion ein wesentlich differenzierteres Bild der preußischen Taktik und ihrer psychologischen Aspekte gezeichnet und mit einem deutlichen Fragezeichen versehen.9 Das Bild rigider Disziplin und Strafpraxis wurde in der borussischen Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in kräftigen Farben gezeichnet und mit einer durchaus positiven Konnotation durch die offiziöse Historiographie des Nationalsozialismus übernommen. Nach 1945 in ihr Gegenteil gewendet, konnte diese Auffassung als dunkle Folie für eine über Generationen eingeübte drakonische Strenge und Pflichterfüllung bis zur Selbstaufgabe herhalten, ohne dass die Stichhaltigkeit dieser Positionen anhand der Quellen überprüft wurde. So fruchtbar die kritische Sozialgeschichte auf manchen Gebieten der historischen Wissenschaft gewirkt hat, so wenig hat sie sich mit ihrem Instrumentarium den ,kontaminierten‘ Quellenbeständen des preußischen Militärs selbst in ihrer edierten Form angenähert. Bezeichnenderweise konnte eine unverkrampfte Integration der Forschungsergebnisse der nunmehr seit gut 20 Jahren neu entwickelten deutschen akademischen Militärgeschichte erst durch einen Autor aus dem angelsächsischen Raum geleistet werden.10 Eine Meistererzählung ist in vorliegendem Beitrag ebensowenig beabsichtigt wie eine grundlegende Neuinterpretation der Desertionsproblematik des 18. Jahrhunderts, das Michael Sikora mit guten Gründen als die „Zeit der Deserteure“ bezeichnet hat.11 Der Beitrag versteht sich vielmehr als eine Anregung zu einer vertieften Beschäftigung mit den Aktenbeständen der General-Invalidenkasse der preußischen Armee, die der weitgehenden Vernichtung des Heeresarchivs wegen ihrer administrativen Anbindung an das Militärdepartement des preußischen Generaldirektoriums entgangen sind. Der Autor hat in anderen Zusammenhängen diesen gerade für die Strafpraxis gegen Deserteure interessanten Bestand bislang nur schlaglichtartig herangezogen, das heißt, er harrt noch einer systematischen Auswertung.12 Seine Bedeutung erhalten die Doku8 Siehe hierzu vor allem die Beiträge von Dennis Showalter, die in der kürzlich neu überarbeiteten und aktualisierten Fassung von The Wars of Frederic the Great (1996): Dennis Showalter, Frederic the Great: A Military History, London 2012. 9 Sascha Möbius, Mehr Angst vor dem Offizier als vor dem Feind? Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zur preußischen Taktik im Siebenjährigen Krieg, Saarbrücken 2007, besonders S. 126–135. 10 Christopher Clarke, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947. 11 Michael Sikora, Das 18. Jahrhundert: Die Zeit der Deserteure, in: Ulrich Bröckling, Michael Sikora (Hrsg.), Armeen und ihre Deserteure. Vernachlässigte Kapitel einer Militärgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1998, S. 86–111. 12 Martin Winter, Untertanengeist durch Militärpflicht? Das preußische Kantonsystem in brandenburgischen Städten im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2005, S. 375–389; ders., „Zum Besten der Invaliden Casse“ – Der Zugriff auf das Vermögen entwichener kantonpflichtiger Untertanen aus Brandenburg im 18. Jahrhundert, in: Markus Meumann, Ralf Pröve (Hrsg.),

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mente dadurch, dass das zurückgelassene Vermögen von Deserteuren oder anderweit unerlaubt aus dem Land gegangenen Untertanen der 1707 gegründeten Invalidenkasse zugute kommen sollten. Dieser sollten hierzu – zumindest in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – jeweils eine Abschrift der ergangenen Urteile der einzelnen Kriegsgerichte gegen Deserteure der preußischen Armee von Seiten des Generalauditoriats zugestellt werden.13 Generell fällt auf, dass die Masse dieser Überlieferung erst nach dem Siebenjährigen Krieg einsetzt und nach dem Übergang an das Militärdepartement 1770 und der damit einhergehenden Bestallung eines speziellen Invalidenfiskals eine gewisse Systematik erhält. Zumindest für das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts erlaubt dieser Bestand wertvolle Einblicke vor allem in die Praxis der Konfiskation zurückgelassenen Vermögens von Deserteuren und unerlaubt aus dem Land gegangenen Enrollierten14, ebenso wie in die Praxis der Durchführung von Desertionsprozessen, die allem Anschein nach in diesem Zeitraum relativ zuverlässig an die General-Invalidenkasse kommuniziert worden sind. Einschränkend muss hierzu jedoch bemerkt werden, dass es sich bei den hier ausgewerteten Vorgängen in der Regel um erfolgreiche Fälle von Fahnenflucht und deren Ahndung gehandelt hat, also um Fälle, bei denen sich die ehemaligen Soldaten dem direkten Zugriff entzogen hatten. Gescheiterte Desertionsversuche wurden hingegen von den Kriegsgerichten bei den einzelnen Regimentern verhandelt, gegebenenfalls bestraft und nicht an die Invalidenkasse kommuniziert. Denn in diesen Fällen hatte sie keine Ansprüche auf irgendwelche Vermögenswerte.

II.

Galgen und Galgenbleche

Bei einer ersten stichprobenartigen Auswertung in Bezug auf die vom Autor in einer vorangegangenen Arbeit schwerpunktmäßig behandelten Regimenter zeigte sich der auf den ersten Blick überraschende Befund, dass es sich bei zahlreichen der hier niedergelegten Urteile gegen Deserteure aus der preußischen Armee um Sammelurteile über mehrere Jahre und für oft weit zurückliegende Delikte gehandelt hat, die sich zudem auch zeitlich teils weit überschnitten. Von einer raschen Justiz, die Friedrich II. wie gesagt nicht nur in Disziplinarfragen anmahnte, konnte gerade in diesem Zusammenhang demnach nicht die Rede sein. Bevor am Beispiel ausgewählter Regimenter näher auf diesen Problembereich eingegangen werden kann, ist auf die eingangs zitierten AusHerrschaft in der Frühen Neuzeit. Rechtsetzung und Verwaltungshandeln als dynamischkommunikative Prozesse, Münster 2004, S. 195–229. 13 Hierfür und für das Folgende: Winter, Invaliden Casse (wie Anm. 12). 14 Männliche Personen, die in den Listen der Regimenter als potentielle Rekruten bei entsprechender körperlicher Eignung geführt wurden.

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sagen des Generals Ludwig von Reiche zurückzukommen, die mit dem gängigen Verdikt der rigiden Disziplinarpraxis kontrastiert worden sind. Reiche war mit der Desertionsproblematik des preußischen Soldatendienstes gleich bei seinem Eintritt in das Regiment von Einsiedel in der Festung Wesel im Winter 1788 konfrontiert worden. Getragen sind die ersten Erinnerungen an die Annäherung an den preußischen Militärdienst des im Alter von 13 Jahren für den Regimentseintritt ,notkonfirmierten‘15 Knaben von der Freude, dem leidigen Lateinunterricht im Hause des Vaters entkommen zu sein und von einer kindlichen Neugier, die freilich bei der Ankunft in den eintönigen Festungswerken der Garnison Wesel zunächst enttäuscht wurde. Lediglich ein Detail erregte seine Aufmerksamkeit: „Doch war ich neugierig alles zu sehen und steckte meinen Kopf, so weit ich es vermocht, durch die Seitenöffnung des Wagens, als ich bei der ersten Brücke einen Ständer bemerkte, an welchem mehrere Portraits mit ihren darunter befindlichen Namen hingen. […] Charge und Regiment der Abgebildeten fehlten nicht. Mir kein besonderes Ehrendenkmal hier vorstellend, war mir die Bedeutung derselben noch dunkel, bis mein guter Unteroffizier mir die Augen öffnete. Die Portraits von zwei Landsleuten am Galgen, als erstes Zusammentreffen bei dieser Gelegenheit mit bekannten Namen, war ein schlechter Empfang am Orte meiner Bestimmung und machte mir einen sehr unangenehmen Eindruck.“16

Dass es sich um einen Galgen handelte, war ihm vielleicht wegen der Kombination mit den Portraits auf den ersten Blick entgangen, doch war ihm dessen Bedeutung als besonderer Ort geläufig. Sicher darf man die aus dem Rückblick entstandenen Memoiren in diesem Punkt nicht zu stark strapazieren, doch war Reiche bewusst, dass die Berührung des Galgens mit einem allgemeinen Ehrverlust einherging, der für ihn und sein adliges Selbstverständnis umso schwerer in Bezug auf seine Standesgenossen wog, deren Familiennamen er in seiner Darstellung daher auch nur mit dem ersten Buchstaben abkürzte. Höchstwahrscheinlich befanden sich an dem beobachteten Galgen nicht nur die beiden beschriebenen Portraits, sondern auch eine mehr oder weniger große Anzahl von Blechtafeln all derjenigen verurteilten Deserteure, von denen kein Bildnis zur Verfügung stand. Dies dürfte in der überwiegenden Zahl der desertierten 15 Seit Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) galt die Konfirmation als Voraussetzung für den Eintritt in den Soldatenstand und war gleichzeitig Voraussetzung für die Eidfähigkeit der jugendlichen Soldaten. Siehe hierzu das Reglement von 1726: „Die Regimenter können die junge Leute nach ihrem Gefallen enroliren, aber der Kapitain soll keinen enrolirten jungen Burschen eher zur Fahne schwören lassen, bevor er nicht zum Heiligen Abendmahl gewesen ist, damit der Eid nicht profaniert werde.“ Zitiert bei: Curt Jany, Die Kantonverfassung des altpreußischen Heeres, in: Otto Büsch, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne Preußische Geschichte 1648–1947, Bd. 2, Berlin u. a. 1981, S. 767–809, S. 781. 16 Reiche, Memoiren (wie Anm. 1), S. 10–11.

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Mannschaften und Unteroffiziere der Fall gewesen sein. Ähnlich wie im zivilen Bereich, in dem es mittels Galgenbriefen gebräuchlich war, den Namen eines flüchtigen Verbrechers nebst Todesurteil am Richtplatz anzuschlagen, war es im mitteleuropäischen Militärstrafrecht seit dem 17.17 Bis ins 19. Jahrhundert als „abschreckende und tilgbare Ehrenstrafe“18 gebräuchlich, dort die Namen der Deserteure durch sogenannte Deserteurs-19 oder Galgenbleche bekannt zu machen.20 Äquivalent wurde dieses Verfahren in Preußen bei aus dem Land entwichenen und wegen dieses Delikts verurteilten kantonpflichtigen Untertanen angewandt.21 Gerade in letzterem Fall lässt sich nachweisen, dass die symbolische Handlung des Anheftens des Namens eines flüchtigen oder abwesenden Untertanen ein hohes Gewicht hatte. So rechtfertigten beispielsweise nach dem Siebenjährigen Krieg verschiedene Magistrate ihre Ablehnung gegen die Durchführung von Prozessen gegen abwesende Kantonpflichtige unter anderem mit dem Argument, dass diejenigen, die durchaus gewillt seien, wieder in die Heimat zurückzukehren, durch Ediktalzitationen,22 Konfiskationsurteile und den Anschlag an den Galgen abgeschreckt würden.23 Selbst wenn die entspre17 Siehe hierzu die Erwähnung bei Kirchhoff (1602) unter dem Stichwort „Entlaufen Schelmen Urtheil“: Hans Wilhelm Kirchhoff, Militaris Disciplina, kritische Ausgabe, bearb. V. Bodo Gotzkowsky, Stuttgart 1976, S. 220–221. 18 Art. ,Bildnisstrafe‘, in: Handwörterbuch der Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 424–428, Sp. 426. 19 Art. Deserteurs’blech, in: Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 2, Weimar 1932–35, Sp. 786. 20 Siehe Art. ,Galgen‘, in: Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 3, Weimar 1935–38, Sp. 1141–1143, sowie Art. Galgenbrief, in: ebd., Sp. 1144. Vgl. auch Art. ,Galgen‘, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1375–1377. Zur entehrenden Wirkung allein durch die Berührung mit dem Galgen: Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 2: Dorf und Stadt, S. 209–212. 21 Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 351–410. 22 Bei Ediktalzitationen handelt es sich um die öffentliche Ladung eines Beklagten, dem eine Ladung nicht persönlich zugestellt werden konnte, vor ein Gericht. Siehe: Art. ,Ediktalzitation‘, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Sp. 803–806. Sie wurde im 18. Jahrhundert in Preußen im hier behandelten Zusammenhang von fahnenflüchtigen Soldaten ebenso durchgeführt, wie gegen abwesende Kantonpflichtige oder bei Toderklärungen – etwa im Zusammenhang mit Erbauseinandersetzungen. Hierbei erfolgte im Abstand von jeweils 14 Tagen eine dreimalige Vorladung durch Ausrufung an drei verschiedenen Orten sowie der Ausschreibung in überregionalen Intelligenzblättern. Stammte der Gesuchte aus der preußischen Monarchie stammte, so sollte einer der Ausrufungsorte dessen Heimatort sein. Im Militärischen Strafverfahren siehe unter Verweis auf die älteren Verordnungen: Georg Friedrich Müller, Königlich-Preußisches Krieges-Recht, oder vollständiger Innbegriff aller derjenigen publicirten Gesetze, Observantzen und Gewohnheiten, welche bey der Königl. Preuß. Arm8e zu beobachten sind, und ein jeder Officier und Soldate, auch sämmtliche Auditeurs, Räthe, Richters und Advocaten zu wissen nöthig haben, Berlin 1760, S. 256–262. Georg Wilhelm C. Cavan, Das Krieges- oder Militär-Recht, wie solches jetzt bei der Königlich Preußischen Armee besteht, Neudruck der Ausgabe Berlin 1801, Bad Honnef 1982, S. 275–276 (§ 3969–3974). 23 Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 370–373.

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chenden Personen nach ihrer Rückkehr damit rechnen konnten, dass ihr Name wieder vom Galgen abgenommen und – falls sie Soldaten gewesen waren – in einer entsprechenden Zeremonie, die auch im 18. Jahrhundert dem althergebrachten Muster folgte,24 wieder ehrbar gemacht wurde, so blieb doch immer etwas an der Person ,hängen‘. Insofern handelte es sich zwar juristisch um eine ,tilgbare Ehrenstrafe‘, doch waren ihre Folgen für das Ansehen der Person gerade im stark handwerklich geprägten städtischen Umfeld bis weit in das 19. Jahrhundert nicht so einfach aus der Welt zu schaffen.25

III.

Deserteursprozesse in Theorie und Praxis

Bevor in einem späteren Schritt auf die tatsächliche Durchführung sogenannter Deserteursprozesse bei einzelnen Regimentern eingegangen wird, soll zunächst der formale Ablauf derartiger Verfahren behandelt werden. Vorauszuschicken ist, daß sich die folgenden Ausführungen ausschließlich auf Mannschaften und Unteroffiziere beziehen, da im Falle von Offizieren ein gesondertes Verfahren unter direkter Einschaltung des Königs zu erfolgen hatte. Die normative Seite der Verfolgung von und des Umgangs mit Deserteuren wurde ausführlich in einer territorienübergreifenden Perspektive von Michael Sikora behandelt.26 Für den preußischen Fall ist ergänzend auf die beiden umfangreichen Kompendien der Kriegsräte Georg Friedrich Müller (gest. 1830)27 und Georg Wilhelm Cavan (gest. 1804)28 zu verweisen, die in erster Linie für den Gebrauch der Regimentsauditeure zusammengestellt wurden.29 Beide Werke bestätigen nochmals, dass es mit den zitierten holzschnittartigen Aussagen Friedrichs II., die er mit Blick auf ein schnelles Standrecht bei disziplinarischen Verfehlungen in einer Instruktion an die Kommandeure der Kavallerie richtete, realiter nicht so weit her war, sondern dass die preußische Armee über ein ausdifferenziertes Militärrecht verfügte. In der Wahrnehmung der Forschung wurden diese Regelungen jedoch von programmatischen Aussagen des Monarchen überdeckt, die er diesbezüglich weit vor den Erfahrungen des Sieben24 Cavan, Krieges- oder Militär-Recht (wie Anm. 22), S. 429 (§ 1927) u. 279 (§ 3989). 25 Gerade im städtischen Bereich mit seinem handwerklich geprägten Umfeld reichten die Vorbehalte selbst in Bezug auf Berührung oder Errichtung des Galgens bis in das 19. Jahrhundert hinein. Art. ,Galgen‘, in: Handwörterbuch der Rechtsgeschichte, Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 1377–1378. 26 Michael Sikora, Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996. 27 Müller, Krieges-Recht (wie Anm. 22). 28 Cavan, Krieges- oder Militär-Recht (wie Anm. 22). 29 Für die Entwicklung des Auditoriats siehe Werner Hülle, Das Auditoriat in BrandenburgPreußen. Ein rechtshistorischer Beitrag zur Geschichte seines Heerwesens, Göttingen 1971.

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jährigen Krieges gemacht hatte. Hinsichtlich des Delikts der gelungenen Fahnenflucht von Unteroffizieren und Mannschaften, um die es in diesem Zusammenhang ging, hatte der König 1744 angeordnet, dass es in derlei Fällen keines speziellen Kriegsgerichtes mehr bedürfe, sondern lediglich der Ausfertigung eines Spruches des Generalauditeurs: „Die Tat richtete nach den Vorstellungen des Monarchen den Täter, d. h. sie löste automatisch die Unrechtsfolgen der Kriegsartikel aus, zu denen sich der Soldat durch seinen Schwur bekannt hatte; die Voraussetzung dieser Selbstverurteilung hatte der Generalauditeur lediglich festzustellen.“30

In dieser Rechtsauffassung, die im Übrigen im Widerspruch zu den Darstellungen in den Handbüchern Müllers und Cavans steht,31 könnte einer der Gründe dafür liegen, dass sich, wie in der Einleitung schon angedeutet, in den an die General-Invalidenkasse übersandten Urteilen der Kriegsgerichte der einzelnen Regimenter nicht sämtliche desertierten Unteroffiziere und Mannschaften wiederfinden. Ein Problem entstand aus dem verkürzten Verfahren vor allem hinsichtlich der Konfiskationsandrohung. Denn nach dem bisherigen Kenntnisstand konnte diese nur dann tatsächlich umgesetzt werden, wenn die erwähnte (s. Anm. 23) und im Folgenden noch näher ausgeführte Ediktalzitation durchgeführt worden war. Die angesprochenen Auditeure waren bei den einzelnen Regimentern bestallte Juristen, die für die Einhaltung der Rechtsbestimmungen bei Strafverfahren innerhalb des militärischen Verbandes ebenso zu sorgen hatten, wie für die Rechtsvertretung nach außen. Insofern stellen die Werke Müllers und Cavans nicht nur die umfangreichsten bisher bekannten Kompendien zu Rechtsfragen, sondern auch zur Organisationsstruktur des preußischen Militärwesens im 18. Jahrhundert dar. Von der historischen Forschung wurden sie bislang gleichwohl kaum zur Kenntnis genommen. Innerhalb der preußischen Militärgerichte hatten die juristisch ausgebildeten Auditeure bei Strafverfahren zwar kein Stimmrecht, da sie nicht als Standesgenossen der Offiziere und Soldaten betrachtet wurden, doch nahmen sie gegenüber dem Regimentschef oder Kommandeur eine beratende Funktion ein, hatten die Einhaltung der Verfahrensregeln zu überwachen und die ergangenen Urteile an das sogenannte Generalauditoriat und die Invalidenkasse nach Berlin einzusenden.32 Für die Praxis wurde in Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg das könig30 Hülle, Auditoriat (wie Anm. 30), S. 77. 31 Müller, Krieges-Recht (wie Anm. 22), S. 257; Cavan, Krieges- oder Militär-Recht (wie Anm. 22), S. 274 (§ 3964). 32 Hülle, Auditoriat (wie Anm. 30), S. 60–62. Zu den folgenden Verfahrensfragen siehe: Cavan, Krieges- oder Militär-Recht (wie Anm. 22), S. 272–282 (§ 3953–4000); Müller, Krieges-Recht (wie Anm. 22), S. 258 u. 633.

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liche Edikt vom 17. November 1764 zum „Fundamental-Gesetz“ des Verfahrens „gegen solche Deserteure, welche entkommen und bei der Nachsetzung nicht eingeholt“ worden waren.33 Konkret sollten nach einer erfolgreichen Flucht als erste Maßnahme die Vermögensumstände ermittelt und zurückgelassene Vermögenswerte in Beschlag genommen werden. Hiermit wollte man verhindern, dass sie den Entwichenen nachgesandt oder von anderen Personen an sich genommen werden konnten. Erfolgte später eine Verurteilung des Gesuchten als Deserteur, so sollten die konfiszierten Güter nicht den beteiligten Militärinstanzen zugute kommen, sondern der Invalidenkasse in Berlin zufallen, die zum Bau des örtlichen Invalidenhauses 1705 eingerichtet worden war.34 Zwar wurde bisweilen von Kompanie- und Regimentsinhabern gefordert, ihnen das Vermögen für ihre Einheiten zum Zweck der Anwerbung neuer Rekruten zu überlassen, doch führte gerade die in der Regel notwendige Beteiligung der verschiedenen Instanzen der Rechtspflege dazu, dass derartige ,Strafgefälle‘ auch tatsächlich in die Invalidenkasse flossen.35 Dieses Vorgehen hatte nach dem derzeitigen Kenntnisstand zweierlei zur Folge. Einerseits konnte sich die Androhung der Konfiskation generell nur gegen diejenigen richten, die auch tatsächlich nennenswerte Vermögenswerte besaßen und zurückließen. Andererseits hatten die Kompanie- und Regimentsinhaber kein persönliches Interesse an der Durchführung der Prozesse, da für sie der Etat der Invalidenkasse von eher nachrangigem Interesse war. Die Streitpunke zwischen den militärischen Befehlshabern, den örtlichen Gerichtsinstanzen und der General-Invalidenkasse drehten sich denn auch bezeichnenderweise um die Verfahrens- und Exekutionskosten, die aus dem zurückgelassenen Vermögen beglichen werden sollten.36 Nach der Vermögensfeststellung und –beschlagnahme sollte in einem zweiten Schritt, falls sich der Deserteur binnen vier Wochen nicht wieder einfand und mit seiner Rückkehr auch sonst nicht mehr zu rechnen war, der sogenannte Deserteurprozess eröffnet werden.37 Dieser begann zunächst mit den besagten drei Ediktalzitation im Abstand von 14 Tagen. Diese wurden wiederum sowohl an drei verschiedenen Garnisonsstandorten sowie am Heimatort des Deserteurs bekannt gemacht als auch in Zeitungen und Intelligenz-Blättern publiziert. Erst danach und in Einhaltung der Fristen konnte ein Kriegsgericht zu einer BeurCavan, Krieges- oder Militär-Recht (wie Anm. 22), S. 272 (§ 3955). Im Einzelnen hierzu: Winter, Invaliden Casse (wie Anm. 12). Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 360. Zur Institution des in Berlin zunächst bei der Generalkasse angesiedelten und 1770 dem Militär-Departement unterstellten Invalidenfiskals siehe Winter, Invaliden Casse (wie Anm. 12). 37 Müller gibt hierzu 1760 noch keine konkrete Frist an, unter Verweis auf die Edikte vom 12. Juni 1743, 24. September 1749 und 1. Mai 1750: Müller, Krieges-Recht (wie Anm. 22), S. 257.

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teilung zusammentreten. Der dort gefällte Beschluss war anschließend neben einem Auszug aus den Untersuchungsakten zur Bestätigung an den König zu senden. Eine weitere Abschrift sollte dem Generalauditoriat eingereicht werden, das wiederum Sorge dafür zu tragen hatte, dass die autorisierten Urteile zur Beitreibung von etwaigen Vermögenswerten an die General-Invalidenkasse geleitet wurden. Erst nach Abschluss dieses insgesamt langwierigen Verfahrens, das in ähnlicher Weise nebenbei bemerkt auch gegen unerlaubt abwesende Kantonpflichtige durchgeführt wurde, erfolgte dann in den Garnisonen der geschilderte Anschlag der Namen der Deserteure am örtlichen Galgen. Was die Prozesspraxis überdies bestimmte, lässt sich einer beiläufigen Bemerkung Cavans zu den Verfahrenskosten entnehmen, die aus dem konfiszierten Vermögen bestritten werden sollten. Dort heißt es: „[…] und wenn dieses dazu nicht reichen möchte; so kann auch dergleichen Exekution alle Jahre gegen mehrere Deserteure auf einmal geschehen.“38 Die Verfahren gegen mehrere Deserteure in einem Prozess zusammenzufassen, war demnach als mögliches Mittel der Kostendämpfung vorgesehen, da die meisten desertierten Soldaten nur über wenig oder gar kein Vermögen verfügten, das zur Bestreitung der Verfahren herangezogen werden konnte. Andernfalls hätten sie aus den Kompanie- oder Regimentsetats finanziert werden müssen. Die Prozessaufwendungen bestanden in erster Linie in Schreibarbeit, Porto sowie – im Falle eines Urteils – in der Anfertigung der beschrifteten Blechtafeln für den Galgen. Das Vorgehen, die Desertionsverfahren erst mit einigem Abstand zur Tat einzuleiten, war ferner aber noch aus einem anderen Grund ratsam, den Reiche in dem eingangs angeführten Zitat vorgebracht hatte. Denn bei einer nicht eben geringen Anzahl an Deserteuren konnte man davon ausgehen, dass sie sich früher oder später wieder bei ihren Einheiten einfanden oder aus einer sicheren Position mit ihren Kompanie- oder Regimentschefs über ihre Rückkehr verhandelten. Jedenfalls muss man sich von der Vorstellung lösen, dass die einfachen Soldaten von ihren Offizieren generell wie Leibeigene oder Sklaven gehalten und behandelt wurden, womit gleichwohl nicht in Abrede gestellt werden soll, dass es in manchen Verbänden unnötige Schleiferei und rigide Disziplinierung gegeben hat, die den Mannschaften das Leben in der Garnison unerträglich machten.39 38 Cavan, Krieges- oder Militär-Recht (wie Anm. 22), S. 277 (§ 3980). Der Kostenfaktor kam bei Müller noch nicht zur Sprache. Gleichwohl erwähnte er die Möglichkeit der Gruppenverfahren: „[…] nach bisherigen Gebrauch, und Krieges-Manier derselbe dreymahl von 14. Zu 14. Tagen citiret, und hiernächst über ihm, oder auch über mehrere zugleich bey dem Regiment, oder Bataillon einem vereydeten Krieges-Gericht: ob sie vor Deserteurs zu achten, u. und ihr Vermögen zu confisciren, gesprochen werden.“ Müller, Krieges-Recht (wie Anm. 22), S. 257. 39 Dass eine all zu brutal gehandhabte Disziplin auch von königlicher Seite durchaus gerügt worden ist, lässt sich bereits für die Regierungsperiode Friedrich Wilhelms I. belegen, etwa mit der Kritik am ,Prügelregiment‘ des Markgrafen Heinrich von Brandenburg-Schwedt

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Grundsätzlich liefen die Kapitäne der preußischen Armee unter den Bedingungen der Kompaniewirtschaft Gefahr, bei einer allzu großen Abgangsrate ein für sie persönlich schmerzhaftes Verlustgeschäft zu betreiben. Ruft man sich in Erinnerung, wie viel Zeit und Geld etwa Ewald Christian von Kleist (1715–1759) in die Anwerbung von Rekruten Anfang der 1750er Jahre in Zürich und Schaffhausen aufgewendet hat und dass sein Unternehmen dennoch einen Erfolg für seine wirtschaftlichen Umstände darstellte,40 so wird der Wert jedes einzelnen Soldaten für den Kompaniechef hierdurch noch einmal unterstrichen. Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass es sich bei Desertionen aus der preußischen Armee um Bagatellen handelte. Dem widerspricht vor allem die drakonische Strafe des Gassenlaufens, die ergriffene Deserteure ereilen konnte. War der Soldat jedoch bei seinem Vorhaben erfolgreich, so stand ihm nicht nur die Möglichkeit einer straffreien Rückkehr auf Grundlage der zahlreich gewährten General-Pardons zur Verfügung, sondern er konnte hierbei auch auf eine individuelle Aushandlung seines Falls zählen. Abgesehen von der Kontaktaufnahme mit den ehemaligen Dienstvorgesetzten boten sich offenbar auch die Werbeposten der preußischen Armee im Ausland als Anlaufpunkte desertierter Soldaten an. Denn diese verfügten über eine größere Anzahl eigenhändig vom Monarchen unterzeichnete Blanko-Pardonscheine, in die lediglich Name und persönliche Daten des rückkehrwilligen Deserteurs, die irgendwann einmal in preußischen Diensten gestanden hatten, einzutragen waren. Die Desertion aus einer anderen Armee scheint beim Werbevorgang hingegen keine Rolle gespielt zu haben. Die Regimenter und ihre Werbeposten konnten anscheinend auch mit guten Gründen damit rechnen, dass sich desertierte Soldaten, falls sie wieder dienstwillig waren, bei den ihnen bekannten Werbestationen einfinden würden. So verschickten beispielsweise die Chefs der Kompanien des Infanterieregiments Kronprinz von Preußen (IR Nr. 18) nach dem bayerischen Erbfolgekrieg Listen der während des Feldzuges desertierten Soldaten an die Werber – etwa im fränkisch-böhmischen Grenzraum –, die auch mit Anmerkungen über deren charakterliche Einschätzung angereichert waren. Die Tatsache, dass sich hierunter auch positive Beurteidurch Friedrich Wilhelm I. von 1738. Siehe Jürgen Kloosterhuis (Hrsg.), Legendäre „lange Kerls“. Quellen zur Regimentskultur der Königsgrenadiere Friedrich Wilhelms I. 1713–1740, Berlin 2003, S. 265–267 (Q 466). 40 Über den Erfolg der sogenannten ausländischen Werbung liegen vergleichsweise wenige gesicherte Angaben vor. Ewald Christian von Kleist berichtete Ende Februar 1753 an Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803), dass er in den ersten beiden Monaten des Jahres mit der Anwerbung von drei Mann äußerst erfolgreich gewesen sei. Siehe August Sauer (Hrsg.), Ewald von Kleist’s Werke, Bd. 2: Briefe von Kleist, Berlin o. J. [1881], S. 221. Ebenfalls an Gleim berichtete er im April 1753, dass er durch seine Werbung immerhin einen nicht genannten größeren Teil seiner Schulden abtragen konnte, die er bei der Übernahme seiner Kompanie in Potsdam aufzunehmen gezwungen gewesen war. Vgl. ebd., S. 230.

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lungen finden, legt im Umkehrschluss nahe, dass die Desertion oder das anderweitige Verschwinden während des Feldzuges den Betreffenden nicht per se zu einem „meineidigen Schuft“ machten und man an der erneuten Verpflichtung durchaus Interesse hatte. Die besagten Desertionslisten verzeichnen auch die Ausgabe der Pardonscheine, die von einem erheblichen Prozentsatz der Angeworbenen in Anspruch genommen worden sind.41 Auf der anderen Seite gibt es keine Hinweise darauf, dass die individuell ausgestellten Strafbefreiungen nach der Rückkehr der Soldaten nicht beachtet worden wären. Denn das hätte unweigerlich zu negativen Auswirkungen für die preußische Werbung auf dem internationalen Soldmarkt geführt.42 Der qualitativen und quantitativen Analyse entziehen sich jedoch sowohl die konkreten Werbevorgänge wie auch die Verhandlungen rückkehrwilliger Deserteure, da es sich hierbei in der Regel um persönliche Vereinbarungen handelte, die keinen Eingang in die administrativen Überlieferungen fanden. Derartige Fälle treten in der Regel nur dann ans Licht, wenn es bereits zur Eröffnung eines Prozesses oder gar zu einem Urteil gekommen war, da dieses sodann rückgängig gemacht werden musste. Aktenkundig wurde hier beispielsweise der Fall des 1804 aus dem Infanterieregiment Prinz Wilhelm von Braunschweig-Öls (Nr. 12) desertierten Musketiers Gottlieb Kolberg. Nach der Ediktalzitation im vorangegangenen Sommer war dieser am 12. Januar 1805 durch ein Kriegsgericht des Regiments verurteilt und sein Name nach der erfolgten königlichen Bestätigung kurz darauf am städtischen Galgen angeschlagen worden.43 Der desertierte Musketier hatte sich jedoch 1805 wieder bei seinem Regiment eingefunden und die Aufhebung des Urteils durch das Regimentsgericht erwirkt. Da Kolberg gebürtig aus dem uckermärkischen Lauenhagen stammte, ist davon auszugehen, dass er ein Einländer44 oder Kantonist des Regiments war, der außerhalb der Exerzierzeit beurlaubt wurde. Sein Verschwinden fiel daher wohl erst zu Beginn der jährlich im Frühjahr stattfindenden Übungen des Regiments auf. Wie dem Protokoll zu entnehmen ist, verfügte der der 26jährige Soldat über einschlägige Erfahrungen, da er bereits wegen eines ersten gescheiterten De41 Über die Werbung des Infanterieregiments Kronprinz von Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg bereitet der Autor derzeit eine eigene Studie vor. Hierbei handelt es sich um die persönlichen Unterlagen die Helmut von Flotow, der im oberfränkischen Arzberg zwischen 1764 und 1781 einen Werbeposten des Infanterieregiments Kronprinz von Preußen versah. Das Gutsarchiv Göppmannsbühl in dem der Bestand überliefert ist, wird im Stadtarchiv Bayreuth verwahrt. 42 Siehe zur Einhaltung der Pardonbriefe Müllers Hinweis auf eine Kabinettsordre vom 13. Mai 1740. Müller, Krieges-Recht (wie Anm. 22), S. 262–263. 43 Der Vorgang ist durch die spätere Aufhebung des Urteils im Juni 1805 dokumentiert, worauf im Folgenden Bezug genommen wird. Ediert bei: Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 533–535 (Q 15. 6. 1805). Siehe auch S. 414–415. 44 Siehe hierzu Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 165–167.

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sertionsversuchs zu 16maligem Gassenlaufen verurteilt und nach einer zweiten geglückten Desertion gegen Zusicherung der Straffreiheit zurückgekehrt war. Als Grund für seine erneute Desertion gab er nun an, dass ihm die Verlegung seines Quartiers – er wohnte zum Zeitpunkt der Flucht zusammen mit seiner Ehefrau bei seinen Schwiegereltern in einer der Prenzlauer Vorstädte auf dem sogenannten ,Neustädtischen Damm‘ – in die eigentliche Stadt und die Abnahme seines Torpasses gedroht hätte, um ihn besser kontrollieren zu können. Er habe deshalb befürchtet, dieses wirke sich negativ auf seine Beschäftigungsund Zuverdienstmöglichkeiten als Tagelöhner aus. Nach seiner Desertion nach Mecklenburg hatte sich Kolberg seiner Aussage folgend nach Stralsund begeben und dort vom schwedischen Regiment von Engelbrecht anwerben lassen. Schließlich habe er seiner Frau geschrieben, die ihm nachgefolgt sei. Dass ihn die Flucht aus preußischen Diensten alsbald „sehr leid“ geworden und „herzlich gereuet“ habe, orientiert sich vermutlich an dem, was das untersuchende Kriegsgericht hören wollte. In Stralsund, gab er weiter zu Protokoll, habe er sodann von anderen Deserteuren seines ehemaligen Regiments von der ergangenen Ediktalzitation erfahren. Dies wiederum hätte ihn zur Flucht aus dem schwedischen Dienst bewogen und er habe sich vom mecklenburgischen Kreckow aus schriftlich an sein altes Regiment wegen einer straffreien Rückkehr gewandt. Ohne eine Antwort abzuwarten, sei er daraufhin wieder nach Prenzlau gereist. Dort angekommen, wurde er durch das Kriegsgericht zu 24maligem Gassenlaufen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen verurteilt, wobei seine angebliche Unkenntnis der Ediktalzitation und seine aufrichtige Reue als strafmildernd wirkten. Wenige Tage später wurde dieses Urteil von Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) jedoch nur in soweit bestätigt, dass Kolbergs Name vom Galgen abgenommen und nach „Krieges-Gebrauch wieder ehrlich gemacht werden“ sollte. Das Gassenlaufen wurde dem Delinquenten erlassen und die Konfiskationsandrohung gegen etwaige Erbschaften aufgehoben. Die genauen Umstände, die zu diesem Gnadenakt des Monarchen geführt haben,45 werden sich wohl nicht genauer ermitteln lassen. Unklar bleibt, ob die Veranlassung der Begnadigung Folge einer persönlichen Regung des Monarchen oder Ergebnis einer Intervention vielleicht des Betroffenen selbst oder seines dienstvorgesetzten Kapitäns war. In den Beständen der ehemaligen General-Invalidenkasse reicht die Überlieferung für das Infanterieregiment Nr. 12 bis in das Jahr 1781 zurück und

45 Nach der Abschrift wurde der königliche Gnadenakt durch eine nicht weiter spezifizierte Person namens von Kleist in Alexandersbad ausgefertigt. Friedrich Wilhelm III. weilte zu dem fraglichen Zeitpunkt mit seiner Gemahlin in dem Kurort bei Wunsiedel. Höchstwahrscheinlich wurde der König von seinem Generaladjudanten Friedrich Heinrich Ferdinand Emil Graf Kleist von Nollendorf (1762–1823) auf dieser Reise begleitet.

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umfasst insgesamt drei Aktenbände.46 Generell weist der Bestand eine deutliche Zunahme von Vorgängen seit dem Beginn der 1770er Jahre auf, die sich auf die Etablierung eines auf die Konfiskation zurückgelassenen Vermögens spezialisierten Fiskals zurückführen lässt. Folgt man dem skizzierten Verordnungsweg, so müssten sich in den Akten der einzelnen Regimenter alle ergangenen Urteile gegen Deserteure befunden haben, die einerseits durch den König bestätigt und andrerseits durch das Generalauditoriat an den sogenannten Invalidenfiskal zur weitergeleitet worden waren, damit dieser die Konfiskation vollstrecken konnte. Rein formal gesehen hätte jeder erfolgreiche Desertionsfall an die Invalidenkasse weitergeleitet werden müssen, um etwaige Ansprüche zu klären. Dieses Prozedere aber spielte sich gleichwohl erst langsam gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein. Einzelne Urteile gegen Deserteure finden sich in dem Regimentsbestand nur sehr vereinzelt und wenn, dann handelte es sich um Offiziere oder Offiziersanwärter, deren Fälle zeitnah gesondert behandelt wurden und direkt an den König zu berichten waren. In der das Infanterieregiment Nr. 12 aus Prenzlau betreffenden Überlieferung finden sich jedoch insgesamt drei Sammelurteile aus den Jahren 1800, 1803 und 1805, die sich zeitlich mehr oder weniger stark überschnitten. Das heißt, dass nie alle bis zum Zusammentreten des Kriegsgerichts in Prenzlau vorgefallenen Desertionen auch zum nächsten Termin tatsächlich behandelt wurden. Erstaunlicherweise reichen die in den besagten Prozessen abgeurteilten Fälle bis 1784 zurück. Im Sammelurteil vom 5. Dezember 1800 wurden insgesamt 49 Männer wegen Desertion durch das Kriegsgericht in Prenzlau verurteilt.47 Bei dreien, die 1795 ohne die Nennung eines konkreten Datums flüchtig geworden sein sollen, ist unklar, ob sie zu diesem Zeitpunkt bereits als Soldaten dienten, denn sie sind lediglich als „Soldatensöhne“ bezeichnet und daher galten sie prinzipiell als ,obligat‘. Das heißt, sie waren Teil der Militärbevölkerung, unterlagen der Militärgerichtsbarkeit und wurden, eine entsprechende körperliche Eignung vorausgesetzt, als ,Ausländer‘ in das Regiment einrangiert.48 Die Masse der 1800 in diesem ersten Sammelurteil genannten Deserteure hatte das Regiment ab Mitte der 1790er Jahre verlassen, so dass man davon ausgehen kann, dass um diese Zeit bereits ein ähnliches Verfahren in Prenzlau stattgefunden hatte, von dem jedoch der entsprechende Aktenband nicht erhalten ist. Deutlich wird dies auch an dem Umstand, dass bei den im Urteil genannten acht Fällen, denen Desertionen vor 1794 zugrunde lagen, Vermögenswerte vorhanden waren, die für eine Beschlagnahme zu46 Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 394, Anm. 173. 47 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz [im Folgenden: GStA PK], II. HA, Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. 113, Nr. 1, Vol. 4, fol. 243–250. 48 Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 171–174.

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gunsten der Invalidenkasse in Frage kamen.49 Das Gros der Abgeurteilten, die 1795 bis 1799 aus dem Regiment desertiert waren, verfügte hingegen nicht über zurückgelassenes Vermögen. Man kann also davon ausgehen, dass diejenigen durch den Spruch vom 5. Dezember 1800 als Deserteure verurteilten Personen, deren Verschwinden zwischen 1784 und 1794 lag, nur deshalb hier mitbehandelt wurden, weil für die Konfiskation des Vermögens ein entsprechender formaler Akt des Kriegsgerichts mit vorangegangener Ediktalzitation notwendig war. Dass es sich bei dieser Praxis nicht um einen einmaligen Vorgang handelte, belegen die beiden Urteile vom 10. Oktober 180350 und vom 12. Januar 180551. 1803 hatte man unter den 59 Verurteilten noch drei Deserteure, die bereits während des Feldzuges gegen Frankreich 1793 und 1794 ihre Verbände verlassen hatten. Nur bei einem dieser Fahnenflüchtigen konnten allerdings bis zum Verfahrensende Vermögenswerte nachgewiesen werden. Bei einem anderen Verurteilten, dessen vermeintliches Vergehen bereits lange zurück lag, handelte es sich um einen Kantonpflichtigen, der 1788 mit einem Wanderpass die Heimat verlassen haben und nicht wieder zurückgekehrt sein soll.52 Ein weiterer „Gemeiner“, der 1802 nach einem Urlaub nicht wieder zum Dienst erschien, hatte sich dagegen „binnen der Frist“ wieder gemeldet und daher Pardon erhalten. 1805 wurden insgesamt 45 Personen durch das Kriegsgericht in Prenzlau wegen Desertion verurteilt, von denen jedoch noch während der Weiterleitung der Sentenz an die Invalidenkasse einer „wieder eingebracht“ werden konnte und mit 24maligem Gassenlaufen bestraft wurde. Ein weiterer „Gemeiner“ war schlicht „wieder zurück gekommen“. Erneut finden sich auch in diesem Konvolut ältere Desertionsfälle, von denen immerhin noch fünf bis in das 18. Jahrhundert zurückreichten – einer gar bis 1775. In drei der Fälle waren Vermögenswerte ermittelt worden, in den verbleibenden zweien stand diese „Ausmittelung“ noch bevor. Ein ähnliches Bild für die Durchführung von Prozessen gegen Deserteure ergibt sich für das in Stendal garnisonierte Infanterieregiment Nr. 27. Hier 49 Drei Fälle datieren auf das Jahr 1784, je ein Fall auf die Jahre 1789 und 1791 und wiederum drei Fälle auf das Jahr 1794. (wie Anm. 47). 50 GStA PK, II. HA, Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. CXIII, Nr. 1, Vol. 5, fol. 63–75. 51 GStA PK, II. HA, Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. CXIII, Nr. 1, Vol. 6, fol. 9–10. 52 Zur Komplexität der sich seit dem Siebenjährigen Krieg herausgebildeten Verfahren gegen abwesende kantonpflichtige Untertanen siehe: Winter, Invaliden Casse (wie Anm. 12); ders., Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 351–410. Mit dem Spruch gegen den auf Wanderschaft gegangenen Kantonpflichtigen hatte das Kriegsgericht des Regiments seine Kompetenzen eindeutig überschritten, da dies eigentlich in die Zuständigkeit der jeweiligen Zivilgerichte fiel. Erst wenn der Kantonpflichtige zur Aushebung vorgesehen war, fielen die Fälle in die Zuständigkeit der Kriegsgerichte. Dass man diesem Mann dann jedoch noch einen Wanderpass ausgestellt hätte, erscheint äußerst unwahrscheinlich.

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reichen die in den Beständen der Invalidenkasse überlieferten Akten bis 1776 zurück. Sie setzen mit dem Fall eines Fähnrichs ein, der, wie üblich, zeitnah zu seinem Verschwinden durch ein Kriegsgericht verurteilt wurde. Seine Vermögensansprüche bestanden jedoch lediglich in einem zu erwartenden kleinen Erbteil aus einem verschuldeten väterlichen Gut. Dieser wurde bei der Erbteilung 1780 durch den König seinem im 1. Bataillon Garde dienenden Bruder unter der Voraussetzung zugesprochen, dem Deserteur nichts davon nachzusenden.53 Gegen einfache Soldaten und Unteroffiziere findet sich in den Dokumenten des Weiteren ein Sammelurteil vom 25. Februar 1777, das insofern von denen der Prenzlauer Kriegsgerichte abweicht, als weder ein konkretes Jahr, noch die Gelegenheiten genannt sind, bei denen die Soldaten desertierten. Die Nennung erfolgt lediglich mit Namen und Herkunft der Delinquenten und einer Auflistung der ermittelten Vermögenswerte, die sich noch innerhalb der preußischen Monarchie befanden. Den Auftakt des Kriegsgerichtsverfahrens bildet die Behandlung eines seit 1756 verschollenen Musketiers, dessen Stiefschwester – wohl auch im Zusammenhang mit einer Erbauseinandersetzung – eine Toderklärung beantragt hatte. Die Spur des Vermissten verlor sich nach Darstellung des Gerichts im Rahmen eines Wechsels in ein anderes Regiment während des Krieges. Da der Musketier aber ein „guter Mensch“ gewesen sein soll, vermutete das Gericht keine Desertion, sondern, dass er in der „Kampagne geblieben“ oder einer Krankheit zum Opfer gefallen sei. Nach der Ediktalzitation sprach nach Ansicht der Richter daher nichts gegen eine offizielle Toderklärung.54 Bei den anderen Fällen, die 1777 in dem Sammelprozess vor dem Stendaler Kriegsgericht behandelt wurden, bestätigte sich die Fahnenflucht hingegen. Gestaffelt nach dem Zeitpunkt der Desertion wurden für die Jahre 1772 bis 1774 ein Corporal, acht Musketiere und zwei Enrollierte, für die Jahre zwischen 1774 bis 1775 vier Musketiere und für die Jahre 1775 bis 1776 drei Unteroffiziere entsprechend verurteilt. Nach den Ermittlungen des Kriegsgerichts ließen fünf dieser Männer ein Gesamtvermögen von etwas mehr als 91 Taler zurück, die nach Abzug der Gerichts- und Recherchekosten in die Invalidenkasse einbezahlt werden konnten. In einem weiteren Sammelurteil vom 5. April 1781 wurden für den Zeitraum von 1776 bis zum 15. Februar 1780, der unter anderem den Bayerischen Erbfolgekrieg umfasste, an dem das Regiment teilnahm, insgesamt drei Corporale, zehn Grenadiere, 21 Musketiere und 14 Enrollierte als Deserteure verurteilt. Bei ihnen konnte ein zurückgelassenes Vermögen von etwas mehr als 586 Taler 53 GStA PK, II. HA Abt. Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. XCII, Nr. 1 Vol. 3, fol. 3–9 u. 34. 54 GStA PK, II. HA Abt. Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. XCII, Nr. 1 Vol. 3, fol. 24.

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ermittelt werden.55 Das folgende Deserteursurteil des Infanterieregiments datiert auf den 26. August 1784, als insgesamt ein Grenadier, 14 Musketiere und 17 Kantonpflichtige abgeurteilt wurden. Ihr zurückgelassenes Vermögen belief sich laut der Akten auf etwas mehr als 399 Taler. Daraufhin vergingen 20 Jahre, bevor in Stendal erneut ein Kriegsgericht gegen Fahnenflüchtige zusammentrat. Im Winter 1804 befand dies insgesamt vier Unteroffiziere, 191 Soldaten, fünf Tamboure, einen Artilleristen sowie 34 Enrollierte der Desertion für schuldig. Bei vier verschollenen Männern und erstaunlicherweise auch bei 19 Frauen war der Tatbestand der Fahnenflucht nach Meinung des Gerichts hingegen nicht erfüllt.56 Zu erinnern ist im Zusammenhang mit dem betroffenen Zeitraum vor allem an den höchst strapaziösen Feldzug von 1792 bis 1795. Die Einleitung des Sammelurteils von 1804 verweist eindeutig darauf, dass seit 1784 in Stendal kein Kriegsgericht mehr in Desertionsfragen zusammengetreten war. Auffällig an den Stendaler Urteilen ist vor allem, dass hier eine relativ große Anzahl an Enrollierten, also noch nicht im Regiment einrangierten Personen abgeurteilt wurde. Denn eigentlich unterstanden sie bis zum Moment ihrer Anforderung durch das Regiment der Jurisdiktion der Zivilgerichte.57 Ob diese auffällige Sonderbehandlung auf die Auseinandersetzungen des Altmärkischen Obergerichts mit dem Invalidenfiskal in den 1770er Jahren zurückzuführen ist,58 konnte bislang nicht geklärt werden. In Folge insbesondere des letztgenannten Urteils muss der Galgen in Stendal ein recht eigentümliches Bild geboten haben, da er im Zuge der Anbringung der zahlreichen Deserteursbleche wohl erweitert werden musste. Die Bleche hatten eine Größe von jeweils einem Fuß neun Zoll. Der Kalkulation des Regimentschefs Friedrich Wilhelm Alexander von Tschammer und Osten (1737–1809) kann man entnehmen, dass hierfür etwas mehr als 97 Taler aufgewendet werden mussten, von denen der örtliche Klempner allein zwei Zentner Blech verbaut hatte und dafür insgesamt 65 Taler beanspruchte, der Maler überdies 26 Taler und 8 Groschen an Materialkosten und Arbeitslohn.59 Die Aufstellung rief prompt den Invalidenfiskal auf den Plan, der zum Vergleich die Abrechnungen des erwähnten Infanterieregiments Nr. 12 aus Prenzlau heranzog, das 1803 für 59 Deserteursbleche lediglich 5 Reichstaler 10 Groschen und 1805 für 45 Deserteursbleche 4 Reichstaler und 8 Groschen ausgegeben haben soll. Umge55 GStA PK, II. HA Abt. Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. XCII, Nr. 1 Vol. 3, fol. 45–46. 56 GStA PK, II. HA Abt. Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. XCII, Nr. 1 Vol. 6, fol. 138–140. 57 Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 206–212. 58 Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 385–389. 59 GStAPK II. HA Abt. Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. XCII, Nr. 1 Bd. 6, fol. 173.

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rechnet auf die Stendaler Verhältnisse kam der Invalidenfiskal daher auf lediglich 12 Taler für den Klempner und 14 Taler für den Maler.60 Wie der Streit ausging, ist den Akten nicht zu entnehmen. Die Darstellungen lassen jedoch erahnen, wie blechübersät die Galgen vor mancher preußischen Garnisonsstadt ausgesehen haben mögen.

IV.

Zusammenfassung

Insgesamt bieten die dargestellten Urteile gegen erfolgreich aus dem preußischen Militär geflohene Soldaten der beiden Regimenter ein höchst verworrenes Bild. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Desertionen im letzten Drittel des 18. Jahrhundert, für das die bisher verfügbaren Quellen allein aussagekräftig sind, keineswegs zeitnah durch die Kriegsgerichte verhandelt wurden. Von einem schnellen Recht kann in diesem Zusammenhang also in der Regel nicht gesprochen werden. Einen wichtigen Grund dafür kann man in der erwähnten, von Hülle zitierten Kabinettsordre Friedrichs II. von 1744 vermuten, also darin, dass erfolgreiche Desertionen quasi als „Selbstverurteilung“ verstanden wurden, die keines Verfahrens, sondern lediglich der Bestätigung durch den Generalauditeur bedurften. Insofern wird sich der Verlust der Akten des Generalauditoriats für eine übergreifende, quantifizierende Beurteilung des Desertionsphänomens in der preußischen Armee kaum ausgleichen lassen. Gleichwohl muss man auch sehen, dass die Überspringung der Verfahren nicht in allen Fällen problemlos möglich war. Denn das formale Prozedere war für den Anschlag des Namens an den Galgen und hinsichtlich der Konfiskation des zurückgelassenen Vermögens nicht ohne Weiteres zu ignorieren. Hierfür war ein Urteil mit vorangegangener Ediktalzitation unumgänglich. Dies galt umso mehr, da sich der größte Teil der recherchierten Vermögenswerte in Verwahrung der zivilen Ortsobrigkeiten und der Zivilgerichte befanden, auf die vielfach auch andere Familienangehörige oder Gläubiger Anspruch erhoben. Daher war die gerichtliche Klärung der Desertionsvorwürfe Voraussetzung für etwaige Ansprüche der General-Invalidenkasse. Hieraus erklärt sich wahrscheinlich auch das Phänomen der Behandlung teilweise sehr lange zurückliegender Fälle von verschwundenen respektive desertierten Soldaten. Entweder waren bei ihnen Vermögenswerte aufgetaucht, oder die Gerichte wurden in Erbauseinandersetzungen bemüht. In der Regel hatten die Fiskale der General-Invalidenkasse keine andere Möglichkeit an das zurückgelassene Vermögen zu gelangen, als – bei Soldaten – das formale Urteil 60 GStAPK II. HA Abt. Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. XCII, Nr. 1 Bd. 6, fol. 176.

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eines Kriegsgerichts oder – bei unerlaubt abwesenden Kantonpflichtigen – eine Entscheidung eines Zivilgerichts zu erwirken. Die für derartige Verfahren deutlich anwachsende Quellendichte für die Phase nach dem Siebenjährigen Krieg und dann vor allem für die Zeitspanne seit den 1770er Jahren lässt den Schluss zu, dass die Sammelverfahren gegen Soldaten, denen die Fahnenflucht geglückt war, der gesteigerten Aufmerksamkeit geschuldet war, die mit Übergang der General-Invalidenkasse an das Militärdepartement und der Bestallung eines besonderen Invalidenfiskals einhergingen.61 Die bei Müller und Cavan – bei letzterem mit Hinweis auf die Funktion der Kostensenkung – erwähnte Möglichkeit, die Verfahren gegen fahnenflüchtige Soldaten und Unteroffiziere gesammelt durchzuführen, war im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die Regel. Die Unregelmäßigkeit, mit der die Kriegsgerichte durchgeführt wurden, lässt bislang kein Muster erkennen, nach dem hier vorgegangen wurde. Vor allem ist nicht erkennbar, welche Gründe dafür ausschlaggebend waren, nicht alle vorgefallenen Desertionsfälle zu behandeln. Zu berücksichtigen wären hierbei ebenso die Problematik der Ehrlosmachung durch den Anschlag des Namens an den Galgen wie die Tatsache, dass sich der ein oder andere Deserteur über kurz oder lang wieder bei seinem alten Regiment einfand. Im Falle einer vorangegangenen Verurteilung machte dies automatisch einen relativ aufwendigen juristischen Prozess und die Wiederehrbarmachung nach militärischem Zeremoniell erforderlich. Immer wieder tauchen derlei Vorgänge in der Überlieferung der Invalidenkasse auf. Zu denken ist hier zum Beispiel an den geschilderten Fall eines in schwedische Dienste übergelaufenen und wieder zurückgekehrten Musketiers aus Prenzlau, oder an einen Musketier des Infanterieregiments Nr. 27, der 1765 desertiert war. Letzterer hatte sich im gleichen Jahr bei einem preußischen Husarenregiment anwerben lassen und dort bis 1780 gedient, bevor er sein nach dem Desertionsprozess beschlagnahmtes Vermögen von 10 Talern beanspruchte und diese schließlich nach Abzug der Gebühren für den Invalidenfiskal auch ausbezahlt bekam.62 Die beschriebenen Konfiskationsandrohungen konnten logischerweise nur diejenigen Soldaten von der Fahnenflucht abhalten, die auch tatsächlich über nennenswerten Besitz verfügten. Und eingeschränkt wurde die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme 61 Vergleiche hierzu die Ergebnisse zum Anwachsen der Prozessflut gegen abwesende Kantonpflichtige nach der Bestallung des Invalidenfiskals Müller, die nicht zuletzt durch dessen persönliche wirtschaftliche Interessen. Die Fiscale nahmen eine Art staatsanwaltliche Aufgabe wahr und wurden neben einem Grundgehalt anteilig aus den von ihnen erhobenen Strafgeldern bezahlt. In der Regel lag ihr Anspruch bei 1/6 der eingetriebenen Summe. Die fiscalische Quote des ersten, 1770 bestallten Invalidenfiskals lag jedoch nur bei 1/12. Siehe speziell hierzu: Winter, Untertanengeist (wie Anm. 12), S. 375–377. 62 GStAPK II. HA Abt. Abt. 2 Invaliden Kassensachen, 1 Invaliden Sachen, Tit. XCII, Nr. 1 Bd. 3, fol. 38–43.

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eben auch durch den Anspruch auf Restitution beschlagnahmten Vermögens bei einer Rückkehr, sei es freiwillig oder erzwungen. Seit den 1780er Jahren wurde jedoch immerhin die fiskalische Quote von 1/6 beziehungsweise 1/12 der beschlagnahmten Summe einbehalten. Die stetig wiederkehrenden Vorgänge der Rückerstattung beschlagnahmter Vermögenswerte versehen die These von der „Vernichtung der sozialen Existenz“63 durch die Beschlagnahme von Deserteursvermögen daher zumindest mit einem Fragezeichen. Es soll hier zwar nicht in Abrede gestellt werden, dass die Soldaten mit einem Fluchtversuch ein erhebliches Risiko eingingen. Immerhin erwartete sie im Fall des Scheiterns in der Regel die empfindliche Leibesstrafe des Gassenlaufens in ihren verschiedenen Abstufungen.64 Dennoch waren Desertionen eine wenn auch nicht alltägliche, so doch stete Begleiterscheinung der stehenden Heere des 18. Jahrhunderts. Das eingangs erwähnte Zitat Reiches, wonach Soldaten einen einseitigen Rechtsbruch zur Durchsetzung eigener Interessen begingen, beleuchtet das Problem freilich nur aus obrigkeitlicher Perspektive. Ein anderes Problem des preußischen Solddienstes nach der Regierungsübernahme durch Friedrich Wilhelm I., auf das in diesem Zusammenhang nur kurz verwiesen werden kann, stellte die Nichteinhaltung auf Zeit geschlossener Kapitulationen dar, mithin den Rechtsbruch durch den Landesherren, Regiments- oder Kompaniechef. Ewald Christian von Kleist brachte diesen Umstand recht unverblümt in seinem Brief an Johann Wilhelm Ludwig Gleim vom 12. Juli 1751 auf den Punkt, als er ihn kurz nach der Übernahme einer eigenen Kompanie darum bat, seine Augen bezüglich großer Soldaten offenzuhalten: „A propos der Werbung – wenn Sie im Zerbstischen, Sächsischen, Braunschweigischen oder andern Orten, wo Sie oft hinkommen, etwan große Leute antreffen sollten, so engagiren Sie sie doch vor mich! Ich will sie gut halten, und sie sollen gar nicht unglücklich durch mich werde; nur den Abschied kann ich ihnen nicht geben; doch wenn ihre Capitulations-Jahre aus sind, sollen sie aufs Neue Handgeld haben nebst einer neuen Capitulation. Ersuchen Sie doch zum Spaß Ihre Braunschweigischen Freunde auch, daß sie vor mich werben, wiewol mir dieses nicht ganz Spaß ist; der Zufall kann Einem zuweilen einen Goliath zuführen, der Lust zu dienen hat, und dem noch ein Gefallen dadurch geschiehet, wenn man ihm Dienste schafft.65

Wie Rudolf Gugger in seiner Untersuchung der preußischen Werbung in der Eidgenossenschaft nachgewiesen hat, lassen sich der obrigkeitliche Vertragsbruch durch Nichteinhaltung befristet abgeschlossener Kapitulationen und 63 Sikora, Disziplin (wie Anm. 26), S. 141. 64 Zur flexiblen Anwendung: Jutta Nowosadtko, Vom Kriegsprozeß in bürgerlichen und peinlichen Sachen. Die Militärjustiz des Fürstbistums Münsters im 18. Jahrhundert, in Harriet Rudolph, Helga Schnabel-Schüle (Hrsg.), Justiz = Justice = Justicia. Rahmenbedingungen von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa, Trier 2003, S. 491–514, hier S. 512. 65 Sauer, Kleist’s Werke (wie Anm.40), S. 200–201.

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disziplinarische Druckmittel, falls die pekuniären Anreize nicht für den Abschluß eines neuen Kontrakts ausreichten, auch in der zweiten Hälfte des 18. weiterverfolgen.66 Sowohl die preußischen Offiziere als auch die angeworbenen Männer waren sich dieser Tradition bewusst, die zwar kein Spezifikum, jedoch ein im 18. Jahrhundert bekanntes Merkmal des preußischen Solddienstes war. Sicher war die Desertion inklusive der Rückkehrmöglichkeit in die preußische Armee keine alltägliche, doch aber eine ,normale‘ Erscheinung, die von einem gewissen Pragmatismus gekennzeichnet war. Die Vermutung liegt insofern nahe, dass dieses Kalkül der Umsetzung eines schnellen Rechts bei der Aburteilung von Fahnenflüchtigen Soldaten eher im Wege stand. Dies um so mehr, als auch für die Landesherren oder ihre Regiments- und Kompaniechefs bezüglich der Soldkontrakte keineswegs von unverbrüchlicher Vertragstreue gesprochen werden kann.

66 Rudolf Gugger, Preußische Werbung in der Eidgenossenschaft im 18. Jahrhundert, Berlin 1997, S. 150–158.

Jan Willem Huntebrinker

Kriminalitätsgeschichte des frühneuzeitlichen Militärs am Beispiel eines Regimentsgerichtsbuchs 1625/26

I.

Einleitung

Mit Militär und Recht in der Frühen Neuzeit verbinden sich Fragen nach den Möglichkeiten der Disziplinierung von Soldaten sowie der Einhegung von Kriegsgewalt durch Militärgesetze und Militärgerichtsbarkeit. Wie wurden einerseits Konflikte zwischen Söldnern vor Gericht bearbeitet und wie wurde andererseits rechtlich mit Übergriffen von Soldaten auf die zivile Bevölkerung umgegangen? Mit welchen Sanktionen hatten Soldaten zu rechnen, wenn sie sich ungehorsam verhielten und wie begründeten sie selbst so ein Verhalten? Zum Teil ging die Forschung davon aus, dass sich ein zunehmender Druck von Disziplinierung und die Anpassung der Soldaten im Laufe der Frühen Neuzeit am Ausbau der militärischen Normenkataloge in den Artikelbriefen ablesen ließen.1 Gerade die neueren Detailuntersuchungen lassen das Bild allerdings zunehmend bröckeln, dass die Strafen für die Übertretung und Abweichung von den Normen in der Rechtspraxis tatsächlich immer so drastisch waren, wie es die Artikelbriefe und Kriegsartikel vorgaben.2 Was erkennbar wird, ist eine erklärungsbedürftige Lücke. 1 So z. B. Wilhelm Erben, Ursprung und Entwicklung der deutschen Kriegsartikel, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 6 (1901), S. 473–529. Sehr stark vertrat diese Auffassung auch Gerhard Oestreich. Siehe z. B. ders., Soldatenbild, Heeresreform und Heergestaltung im Zeitalter des Absolutismus, in: Bundesministerium für Verteidigung (Hrsg.), Schicksalsfragen der Gegenwart, Bd. 1, Tübingen 1957, S. 295–321; ders., Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 11–34. Aber auch in jüngerer Zeit, etwa bei Peter Burschel, findet man noch diese Tendenz. Vgl. ders., Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1994; ders., Zur Sozialgeschichte innermilitärischer Disziplinierung im 16. und 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 42 (1994), S. 965–981; ders., Krieg, Staat, Disziplin. Die Entstehung eines neuen Söldnertypus im 17. Jahrhundert, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48 (1997), S. 640–652. 2 Vgl. z. B. Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700), Köln u. a. 2007.

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Neben der Rolle des Militärrechts für die Disziplinierung ist die eigene Rechtsordnung des Militärs als konstitutives Merkmal der Gruppenbildung des Soldatenverbandes unter den Bedingungen der Ständegesellschaft ausgemacht worden.3 Als beschworener Rechtsverband mit eigenen Gesetzen und eigener Gerichtsbarkeit ließ sich das Militär, das sich aus Angehörigen unterschiedlicher sozialer Gruppen zusammensetzte, als Korporation in der Ständegesellschaft verorten.4 Wie aber sahen solche Prozesse der Gruppenkonstituierung und sozialen Verortung von Soldaten in Bezug zum Recht in der konkreten Praxis aus und was hatte die Militärgerichtsbarkeit damit zu tun? Der vorliegende Beitrag nähert sich diesen Fragen zu Militär und Recht in der Frühen Neuzeit exemplarisch und aus einer kriminalitätsgeschichtlichen Perspektive.5 Das bedeutet, dass anhand von Gerichtsakten der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts der Umgang mit konstatierten Gesetzesübertretungen analysiert wird, um hieraus Rückschlüsse darauf zu ziehen, was bei den Angeklagten, Zeugen und Richtern als kriminell galt, wie dabei die Grenzen zwischen legitimen und illegitimen Handlungen gezogen wurden und wie schließlich die Justiz darauf reagierte. Dem Vorgehen liegt die Annahme zugrunde, dass sich auf diese Weise erkennen lässt, welche Normen in welchen Zusammenhängen in der Militärgerichtspraxis Bedeutung erlangten und wie sie dabei von Militärangehörigen gedeutet wurden. Es geht damit letztlich also auch um die Rolle des Rechts für das Selbstverständnis des Militärs als soziale Gruppe in der ständischen Gesellschaft.

3 Reinhard Baumann, Landsknechte. Ihre Geschichte und Kultur vom späten Mittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg, München 1994, S. 92–108; Burschel, Söldner (wie Anm. 1), S. 129–145; Hans-Michael Möller, Das Regiment der Landsknechte. Untersuchungen zu Verfassung, Recht und Selbstverständnis in deutschen Söldnerheeren des 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1976; Michael Sikora, Söldner – historische Annäherungen an einen Kriegertypus, in: Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), S. 210–238. 4 Vgl. bereits Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, unveränd. photomechan. Nachdr. d. 1. Ausg. 1868, Darmstadt 1954, S. 447–450, der in seiner genossenschaftlich-egalitären Deutung des Söldnerverbandes allerdings sehr weit ging. Zur sozial heterogenen Zusammensetzung des Söldnerverbandes vgl.: Burschel, Söldner (wie Anm. 1), S. 54–96; Baumann, Landsknechte (wie Anm. 3), S. 62–71. 5 Gute Überblicke über Fragen, Methoden und Forschungsstand der Kriminalitätsgeschichte bieten: Andreas Blauert, Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000; Joachim Eibach, Recht-KulturDiskurs, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 23 (2001), S. 102–120; Gerd Schwerhoff, Aktenkundig und gerichtsnotorisch. Einführung in die Historische Kriminalitätsforschung, Tübingen 1999.

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II.

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Quellen

Erfolg und Reiz der Kriminalitätsgeschichte liegen darin, dass sie die normativen Quellen der Rechtsgeschichte mit der Untersuchung der Gerichtspraxis anhand von Gerichtsakten konfrontiert. Damit ist für eine Kriminalitätsgeschichte des Militärs in der Frühen Neuzeit aber schon ein gravierendes Problem benannt: Der Mangel an Quellen der Militärgerichtspraxis. Zwar sind Militärgerichtsakten seit der Etablierung stehender Heere zunehmend erhalten, so dass hier Untersuchungen zum späten 17. und zum 18. Jahrhundert möglich sind, wie sie beispielsweise Ralf Pröve, Jutta Nowosadtko, Stefan Kroll und Maren Lorenz für unterschiedliche Gebiete vorgenommen haben.6 Für die Zeit von 1500 bis 1650 sieht die Überlieferungslage allerdings deutlich schlechter aus. Der Grund dafür liegt in der Organisation der Kriegsführung in diesem Zeitraum. Das Söldnerregiment konstituierte sich als weitgehend autonomer Rechtsverband. Es hatte nicht nur eigene Rechtsnormen, die in den Artikelbriefen niedergeschrieben waren, sondern auch eine eigene Gerichtsgewalt.7 Da das Regiment von einem Obristen als Söldnerunternehmer aufgestellt wurde, das Militär also noch nicht unmittelbar in die territoriale Verwaltung eingebunden war, gingen die Gerichtsaufzeichnungen, sofern es überhaupt welche gab, nicht in die Archive der Landesherren über.8 Eine entsprechende Überlieferung aus der Zeit vor der Einführung Stehender Heere fehlt in den staatlichen Archiven also fast völlig. Dies ist mit einer der wesentlichen Gründe dafür, dass die Militärgerichtsbarkeit der Frühen Neuzeit bis heute in weiten Teilen ein „vernachlässigtes Feld der historischen Kriminalitätsforschung“ geblieben ist, wie Jutta Nowosadtko feststellte. Und auch Martin Schennach bezeichnete den Bereich für den Zeitraum vor 1650 als „Terra Inkognita“.9 Der Kriminalitätsgeschichte sind 6 Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995; Jutta Nowosadtko, Ordnungselement oder Störfaktor? Zur Rolle der stehenden Heere innerhalb der frühneuzeitlichen Gesellschaft, in: Ralf Pröve (Hrsg.), Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer modernen Militärgeschichte der frühen Neuzeit, Köln u. a. 1997, S. 5–34; dies., Das stehende Heer im Ständestaat (1650–1803). Aspekte der Militärorganisation im Fürstbistum Münster, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 4 (2000), S. 9–12; Stefan Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsichen Armee 1728–1796, Paderborn u. a. 2006; Lorenz, Rad (wie Anm. 2). 7 Möller, Regiment (wie Anm. 3). 8 Vgl. Martin P. Schennach, Lokale Obrigkeiten und Soldaten. Militärgerichtsbarkeit in Tirol in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Andrea Griesebner u. a. (Hrsg.), Justiz und Gerechtigkeit. Historische Beiträge (16.–19. Jahrhundert), Innsbruck u. a. 2002, S. 199–217, hier S. 199–200. Hans-Michael Möller konstatierte 1976: „Trotz des Zwangs zur Schriftlichkeit konnte bislang kein Original eines Feldgerichtsurteils aufgefunden werden.“ Möller, Regiment (wie Anm. 3), S. 196. 9 Jutta Nowosadtko, Militärjustiz in der Frühen Neuzeit. Anmerkungen zu einem vernachläs-

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förmlich die Hände gebunden, wenn sie mit ihrer üblichen Quellenauswahl an die Untersuchung des Militärs im 16. und frühen 17. Jahrhundert gehen will. Sie näherte sich dem Feld daher bisher eher auf dem Umweg über die Spurensuche in zivilen Gerichtsakten, das heißt über Fälle, in denen Militärangehörige nach Konflikten mit der zivilen Bevölkerung von zivilen Gerichtsbarkeiten verurteilt wurden.10 Die Überlieferung aus solchen Verfahren beleuchtet freilich aber nur einen spezifischen Ausschnitt der Kriminalitätsgeschichte des Militärs aus einer spezifischen Perspektive. Denn es waren stets nichtmilitärische Gerichtsgewalten, die die Prozesse leiteten. Und auch in den Chroniken, Briefen und literarischen Werken von Pfarrern, Amtleuten und Bürgern ist es meist der Außenblick aufs Militär, gerichtet an ein ,ziviles Publikum‘. Selten ist das Thema dagegen in Quellen zu greifen, die das Militär selbst produziert hat, wo sozusagen der interne Blickwinkel greifbar wird.11 Für die Untersuchung kriminalitätsgeschichtlicher Fragestellungen zum Militär des 16. und frühen 17. Jahrhunderts lassen sich also bei derzeitig bekannter Quellenlage keine seriellen Bestände systematisch zugrunde legen. Man ist insofern auf glückliche, vereinzelte Funde angewiesen. Dies hat Konsequenzen für die Untersuchungsmethoden: Quantitative Analysen, die in der Kriminalitätsgeschichte hinsichtlich des vorstatistisigten Feld der historischen Kriminalitätsforschung, in: Heinz-Günther Borck (Hrsg.), Unrecht und Recht. Kriminalität und Gesellschaft im Wandel 1500–2000, Koblenz 2002, S. 638–651; Schennach, Obrigkeiten (wie Anm. 8), S. 199. 10 Diese Quellen bilden die Grundlage der Studien von Schennach, Obrigkeiten (wie Anm. 8), und von Brigitte Rath, Zur Repräsentation von Gewalt, oder: Landsknechte in Tirol zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Bulletin 6 (2002), S. 7–21. 11 Ein Gegengewicht bilden Selbstzeugnisse von Militärangehörigen, die im Zuge des generellen Aufschwungs der Selbstzeugnisforschung verstärkte Beachtung gefunden haben und finden, in denen aber Aussagen zur Gerichtspraxis und zu Rechtsvorstellungen mühsam gesucht werden müssen und oft gar nicht auftauchen. Vgl. Brage Bei der Wieden (Hrsg.), Leben im 16. Jahrhundert. Lebenslauf und Lieder des Hauptmanns Georg Niege, Berlin 1996; Peter Burschel, Himmelreich und Hölle. Ein Söldner, sein Tagebuch und die Ordnungen des Krieges, in: Benigna von Krusenstjern, Hans Medick (Hrsg.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999, S. 181–194; Jan Peters (Hrsg.), Ein Söldnerleben im Dreißigjährigen Krieg. Eine Quelle zur Sozialgeschichte, Berlin 1993; Ralf Pröve, Violentia und Potestas. Perzeptionsprobleme von Gewalt in Söldnertagebüchern des 17. Jahrhunderts, in: Markus Meumann, Dirk Niefanger (Hrsg.), Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmungen und Darstellungen von Gewalt im 17. Jahrhundert, Göttingen 1997, S. 24–42; ders., Selbstzeugnisse als Quellengruppe für die neue Militärgeschichte der Frühen Neuzeit. Anmerkungen zum Diarium des Obristen Caspar von Widmarckter aus dem Jahre 1617, in: Holger Th. Gräf (Hrsg.), Söldnerleben am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Lebenslauf und Kriegstagebuch des hessischen Obristen Caspar von Widmarckter, Marburg/Lahn 2000, S. 15–23. Leider war mir nicht zugänglich: Anne Heinecke, Wahrnehmung und Darstellung von Plünderung im 17. Jahrhundert im Spiegel von Selbstzeugnissen Militärangehöriger. Siehe dazu den Projektbericht in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 5 (2001), S. 25–28.

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schen Zeitalters zwar nicht unproblematisch und unumstritten sind oftmals aber gewinnbringend eingesetzt werden, lässt das spärliche Material nicht zu.12 Deshalb bleibt man auf qualitative Zugänge angewiesen, also darauf, aus einzelnen Fällen möglichst dichte Informationen herauszuarbeiten.13 Durch eine solche Untersuchung zeitgenössischer Gerichtsakten, die in der Regel Anklagen, Verhöre, Zeugenaussagen und Urteile enthalten, ist zwar keine Rekonstruktion des tatsächlich Geschehenen möglich. Dafür eröffnen die niedergeschriebenen Erzählungen der Betroffenen aber Einblicke in deren Normen- und Werteverständnis, wobei einzurechnen ist, dass der Gerichtsschreiber stets als Filter wirkte, der die Ausführungen zu juristisch beurteilungsfähigen Aussagen verdichtete.14 Zudem wurden die Darstellungen von den Beteiligten so gestaltet, dass für das Gericht be- oder entlastende Aspekte erkennbar wurden. Gerade darin aber werden die Vorstellungen offenkundig, vor denen die Zeitgenossen ihr Handeln beurteilt wissen wollten.15 Diese mussten sich nicht unbedingt auf die juristischen Normen beziehen. Die Schilderungen konnten auch auf gesellschaftlich übergreifende soziale und moralische Werte hin ausgerichtet sein. In der Rechtspraxis ergibt sich dabei nicht selten ein komplexes, nicht selten divergierendes Geflecht, das letztlich das besondere Erkenntnispotential von Gerichtsakten ausmacht. Das bis hierin Dargestellte überblickend, ist insofern zunächst einmal zu konstatieren, dass es sich bei dem 1625/26 entstandenen Gerichtsbuch eines deutschen Söldnerregiments in spanischen Diensten König Philipps IV. (1605–1665),16 das im weiteren Verlauf genauer vorgestellt und anhand dessen die eingangs formulierten Untersuchungsfragen bearbeitet werden sollen, um ein recht seltenes historisches Dokument handelt. Das betreffende Regiment, das größtenteils in Kursachsen geworben worden war, wurde vom Reichsgrafen Wolfgang von Mansfeld (1575–1638) im Zuge des zwischen Frankreich und 12 Schwerhoff, Aktenkundig (wie Anm. 5), S. 50–61. 13 Schwerhoff, Aktenkundig (wie Anm. 5), S. 61–68. Genauere methodische Ausführungen zum Umgang mit Militärgerichtsakten finden sich in meiner Dissertation: Jan Willem Huntebrinker, „Fromme Knechte“ und „Garteteufel“. Söldner als soziale Gruppe im 16. Und 17. Jahrhundert, Konstanz 2010, S. 35–48. 14 Hierzu aufschlussreich: Monika Spicker-Beck, Mordbrennerakten. Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Folterprozessen des 16. Jahrhunderts, in: Mark Häberlein (Hrsg.), Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne. Studien zu Konflikten im südwestdeutschen Raum (15.–18. Jahrhundert), Konstanz 1999, S. 53–66. 15 In diese Richtung methodisch sehr anregend ist neben dem Klassiker von Natalie ZemonDavis, Der Kopf in der Schlinge. Gnadengesuche und ihre Erzähler, Berlin 1988, auch Gabriela Signori, Ein ,ungleiches Paar‘: Reflexionen zu den schwankhaften Zügen der spätmittelalterlichen ,Gerichtsrealität‘, in: Blauert, Schwerhoff, Kriminalitätsgeschichte (wie Anm. 5), S. 289–314. 16 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden [im Folgenden: SächsHStA] 10024, Geheimer Rat Loc. 9119/38.

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Spanien aufgebrochenen Konflikts um das Veltin über die Eidgenossenschaft in das Herzogtum Mailand geführt.17 Zusammen mit dem Gerichtsbuch ist der Artikelbrief des Regiments erhalten, so dass die Texte zu Rechtsnormen und Rechtspraxis geschlossen vorliegen. In den Urteilssprüchen gibt es immer wieder direkte Bezüge zum Artikelbrief, der demnach tatsächlich in Gebrauch und maßgeblicher Normentext für das Militärgericht war. Er entspricht ganz dem Modell, das sich bereits im frühen 16. Jahrhundert ausgebildet und dann nahezu standardisiert hatte.18 So finden sich fast alle der 26 Artikel des Mansfeldischen Artikelbriefs auch im Reichsartikelbrief von 1570 wieder, der als eine Art Richtlinie für das Militärrecht im Reich galt.19 Einflüsse eines reformierten Militärrechts, wie etwa des holländischen Artikelbriefes von 1590, sind hingegen nicht festzustellen.20 Das Gerichtsbuch, das von dem Regimentsschultheiß Mattheus Steiner geführt wurde, verzeichnet etwa 30 Rechtsangelegenheiten ganz unterschiedlicher Art. Sie reichen von Übergriffen auf die Bevölkerung, Ehrkonflikten und Gewalthandlungen unter den Söldnern, Desertionen, Meuterei und Insubordinationsvergehen bis hin zu Erbsachen. Meistens sind unter einem Rechtsfall, wie im erwähnten Sinne in Gerichtsakten allgemein üblich, die Anklage – in diesem Fall des Profoses –, Zeugenaussagen, Verhöre sowie Urteilsspruch und -begründung verzeichnet. Von einigen Ausnahmen (s. III) abgesehen, scheinen die meisten Verfahren in etwa so verlaufen zu sein, wie es die zeitgenössischen Lehrbücher berichten.21 Im Umfang und Detailliertheit ist das Mansfeld’sche 17 Vgl. John Lynch, Spain under the Habsburgs, Bd. 2, Oxford 1969, S. 73, u. Peter Stadler, Das Zeitalter der Gegenreformation, in: Handbuch der Schweizer Geschichte, Bd. 1, 2. Aufl., Zürich 1980, S. 621–628. Das Veltlin war die Landverbindung zwischen den spanischen Besitzungen in Norditalien und den spanischen Niederlanden und damit als Nachschublinie wichtig. Französische Truppen besetzten es im Januar 1625, räumten es allerdings bereits wieder im März 1626 nach dem Frieden von Monzjn 18 Vgl. die zahlreichen Beispiele bei: Wilhelm Beck, Die ältesten Artikelbriefe für das deutsche Fußvolk. Ihre Vorläufer und Quellen und die Entwicklung bis zum Jahr 1519, München 1908; Burkard von Bonin, Grundzüge der Rechtsverfassung in den deutschen Heeren zu Beginn der Neuzeit, Weimar 1904; Erben, Ursprung (wie Anm. 1); Johann Christian Lünig, Corpus Iuris Militaris, Faks. Dr. d. Ausg. 1723, Osnabrück 1968. 19 Vgl. Jan Willem Huntebrinker, Der Reichsartikelbrief von 1570. Zur Kodifizierung des Militärrechts in der Frühen Neuzeit, in: Gernot Kamecke, Jacques Le Rider (Hrsg.), La Codification. Perspectives Transdisciplinaires. Actes des journ8es d’8tudes organis8es / Paris / l’institut national d’histoire de l’art les 8–10 juin 2006, Genf 2006, S. 87–102. 20 Vgl. zur Rolle des holländischen Artikelbriefs von 1590 Oestreich, Soldatenbild (wie Anm. 1), S. 311–312. 21 Vgl. zum Verfahren: Leonhart Fronsberger, Von Kayserlichem Kriegßrechten Malefitz vnd Schuldhaendlen/ Ordnung vnd Regiment […], Frankfurt/Main 1565; Hans Wilhelm Kirchhof, Militaris Disciplina. Kritische Ausgabe, hrsg. v. Bodo Gotzkowsky, Stuttgart 1976. Eine äußerst detaillierte Beschreibung eines Gerichtsverfahrens bietet Friedrich Ortlep, Gruendtlicher […] Bericht wegen der Meuterey/ so sich bey Nieder Eltern am Rein […]

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Regimentsgerichtsbuch damit wesentlich ausführlicher, als die beiden einzigen bekannten vergleichbaren Quellen: das Gerichtsbuch der Armee von William Wallers (ca. 1597–1668) aus dem Jahre 1644 und die Dundee Court MartialPapers von 1651.22 Beide haben eher den Charakter von kurzen Protokollbüchern. Mit dem Mansfeld’schen Regimentsgerichtsbuch liegt dagegen eine Quelle vor, die außerordentlich seltene Einblicke in die Militärgerichtspraxis und das Normenverständnis von Militärangehörigen im Zeitalter vor den stehenden Heeren erlaubt.

III.

Konflikte zwischen Militär und Zivilbevölkerung

Die Vertreter der ,neuen Militärgeschichte‘ haben das spannungsreiche Verhältnis zwischen Soldaten und ziviler Bevölkerung in der Frühen Neuzeit verstärkt zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht.23 An den notorischen Reibungspunkten lässt sich das Militär als Gruppe ,in‘ der frühneuzeitlichen Gesellschaft untersuchen, die mit der Restgesellschaft in vielfältige Beziehungen und Konflikte verstrickt war. In diesem Licht werden zudem grundsätzliche geworbenen Regiment Teutscher Knechte erhoben […] Sambt dem Proces/ so von anfang bis zu ende des angestalten Kayserlichen Malefitz Rechts gehalten worden, Wolfenbüttel 1600. 22 Godfrey Davies (Hrsg.), Dundee Court-Martial Records (1651), in: Miscellany of the Scottish History Society 3 (1919), S. 9–66; John Adair, The Court Martial Papers of Sir William Waller’s Army (1644), in: Jounal of the Society for Army Historical Research 44 (1966), S. 205–226. 23 Ronald G. Asch, „Wo der soldat hinkömbt, da ist alles sein“: Military Violence and Atrocities in the Thirty Years War Re-examined, in: German History 18 (2000), S. 291–309; Jan Willem Huntebrinker, Übergriffe des Militärs auf die Bevölkerung im 17. Jahrhundert. Bilder soldatischer Kriminalität aus unterschiedlichen Perspektiven, in: Karl Härter, Gebhard Sälter, Eva Wiebel (Hrsg.), Repräsentation von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit. Bilder, Vorstellungen und Diskurse vom 16. Bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 2010, S. 165–194; Michael Kaiser, Die Söldner und die Bevölkerung. Überlegungen zur Konstituierung und Überwindung eines lebensweltlichen Antagonismus, in: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Hamburg 2000, S. 79–120; Martin P. Schennach, „Der Soldat sich nit mit den Baurn, auch der Baur nit mit den Soldaten betragt“. Das Verhältnis zwischen Tiroler Landbevölkerung und Militär von 1600 bis 1650, in: ebd., S. 41–78; Lorenz, Rad (wie Anm. 2); Michael Römling, Ein Heer ist ein großes gefräßiges Tier. Soldaten in spanischen und kaiserlichen Diensten und die Bevölkerung der vom Krieg betroffenen Gebiete in Italien zwischen 1509 und 1530, Diss., Universität Göttingen 2001, verfügbar unter : (29. 6. 2016). Zur neuen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit vgl. Bernhard R. Kroener, Militär in der Gesellschaft. Aspekte einer neuen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, in: Thomas Kühne, Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte? Paderborn u. a. 2000, S. 283–299; Ralf Pröve, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin? Die ,neue Militärgeschichte‘ der Frühen Neuzeit. Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 51 (2000), S. 597–612.

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Probleme der gesellschaftlichen Organisation des frühneuzeitlichen Militärs sichtbar. Auch in dem Mansfeld’schen Regimentsgerichtsbuch finden sich eine ganze Reihe von Konflikten zwischen Söldnern und Zivilisten dokumentiert. Das Spektrum reicht dabei vom Diebstahl durch einzelne Söldner bei ihrem Quartierswirt, über Drohungen und Einschüchterungen bis hin zu gewaltsamen Übergriffen. Eine erste Beobachtung ist, dass es offenbar in keinem der behandelten Fälle zu einem formalen Verfahren gekommen ist. Der Regimentsschultheiß ließ in den meisten Fällen nur den Tathergang aufschreiben und hielt die Bestrafungen fest, die er oder andere Befehlshaber daraufhin verhängt hatten. Sanktionen wurden hier also aufgrund der Disziplinargewalt der Befehlshaber verhängt und nicht in einem formalen Gerichtsprozess beschlossen. Dennoch lassen sich Unterschiede im Aufwand des Vorgehens feststellen. Bei Klagen von Bauern sind die Notizen knapp, Handlungen gegen Pfarrer werden detaillierter festgehalten und bei einer Beschwerde zweier Kaufleute aus St. Gallen wurden sogar sehr aufwendige Untersuchungen eingeleitet. Es deutet sich also an, dass es – genauso wie bei zivilen Gerichten in der Frühen Neuzeit – für das Handeln des Gerichtes entscheidend war, welches soziale und ökonomische Kapital die Betroffenen besaßen. Blickt man nun auf die Motive und Abläufe der im Gerichtsbuch beschriebenen Konflikte, dann bestätigt sich ein Eindruck, den auch andere Quellen vermitteln: Die Auseinandersetzungen sind durch die Wahrnehmung sozialer Abgrenzungen und Selbstinszenierungen der Söldner geprägt.24 Exemplarisch soll hier der Fall der drei Söldner Barthel Meyling, Michael Kleben und Hans Pönisch vorgestellt werden, die in einem Dorf einquartiert waren und die Bevölkerung dort geradezu terrorisierten.25 So klagte ein Pfarrer darüber, dass die drei sein Haus belagert, ihm mit dem Tod gedroht und schließlich eine Tür aufgebrochen hätten. Erst Im letzten Moment sei ein anderer Söldner gekommen, der die Beschuldigten wieder zur Vernunft gebracht habe. Eine Bäuerin wiederum beschwerte sich, dass die drei Soldaten an ihren Schafen vorbei gegangen seien, wobei Michael Kleben ganz ohne Grund „seinen degen ausgezogen vndt ein Schaff darnieder gehauen“ habe. Einem anderen Bauern hatten die Beschuldigten der Darstellung der Anklage zufolge Fenster eingeworfen. Schließlich hätten sie sich in ihrem Quartier betrunken, die Bäuerin gezwungen, ihnen noch mehr Wein zu bringen, seien dann in die Wohnstube eingedrungen und hätten dort eine Kiste aufgebrochen und Werkzeuge sowie Kleidungsstücke gestohlen. In den beschriebenen Fällen demonstrierten die Söldner Stärke. Sie inszenierten sich als gefährliche und bedrohliche Männer, die auch nicht vor 24 Vgl. die in Anm. 23 erwähnte Literatur. 25 SächsHStA 10024, Geheimer Rat Loc. 9119/38, fol. 11r–14r.

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dem Übergriff auf eine lokale Autoritätsperson (Pfarrer) zurückschraken. Ihre Macht demonstrierten sie anschaulich nicht zuletzt durch das Abschlachten des Schafes. Gleichzeitig grenzten sich die Delinquenten mit ihren Handlungen deutlich von der Dorfbevölkerung ab. Und zu guter Letzt besaß ihr Verhalten auch eine ökonomische Komponente. Darauf deutet nicht nur der Diebstahl hin. Denn mit den Gewalt- und Stärkedemonstrationen konnten auch ökonomische Forderungen der Söldner unterstrichen werden. Wie reagierte nun die militärgerichtliche Sanktionsinstanz auf derartiges Verhalten und die daraus erwachsenen Konflikte? In der Forschung wird häufiger die These vertreten, dass Militärgerichte bei solchen Fällen eher milde gewesen seien und sich mit harten Strafen auf militärspezifische Verbrechen wie Meuterei und Desertion konzentriert hätten.26 Das Bild, das sich aus dem Regimentsgerichtsbuch rekonstruieren lässt, ist hinsichtlich dieser Frage ambivalent. Zwar kam es, wie bereits gesagt, in keinem der Fälle zu einem formalen Gerichtsverfahren, die Befehlshaber beziehungsweise der Regimentsrichter blieben aber auch nicht tatenlos. Ihr Handeln zielte vielmehr auf Kompensation.27 So vermerkte der Regimentsschultheiß im Fall eines Pfarrers, der von einem Söldner bei einem Streit um Feuerholz verletzt worden war, dass beide einen Vergleich ausgehandelt hatten.28 Der bestohlene Bauer im oben geschilderten Fall hatte seine Sachen wieder zurückbekommen, der betroffene Pfarrer wurde finanziell entschädigt. Die Täter wurden zudem bestraft, wenn auch tatsächlich nur relativ leicht. Sie mussten einige Tage lang Band und Eisen tragen und wurden ins schwarze Buch, eine Art Vorstrafenregister, eingetragen, das auch aus der städtischen Gerichtsbarkeit bekannt ist.29 Gleichwohl ist festzustellen: Man konnte also auch als delinquenter Soldat nicht damit rechnen, straffrei davon zu kommen. Das Militärgericht zeigte sich nicht gänzlich interessen- oder tatenlos und nahm sich der Klagen aus der Zivilbevölkerung an, die sich davon zumindest eine Kompensation für den erlittenen Schaden versprochen haben dürfte. Bleibt allerdings die Frage, warum das Engagement der Militärgerichtsbarkeit in den besagen Fällen geringer blieb, als in strafrechtlich relevanten Konflikten von Soldaten untereinander, etwa bei Diebstahl oder gewaltsamen Streitigketen. Denn hier kam es in der Regel zu formalen Verfahren und höheren Strafen (s. IV). Zudem wurde das Gericht offenbar in den meisten Fällen selbstständig tätig, ohne dass eine der betroffenen Parteien geklagt 26 Jüngst bestätigt durch Lorenz, Rad (wie Anm. 2). 27 Zur Bedeutung von Schadenskompensation und Ausgleich in der zivilen Gerichtspraxis vgl. Schwerhoff, Aktenkundig (wie Anm. 5), S. 89–91. 28 SächsHStA 10024, Geheimer Rat Loc. 9119/38, fol. 85r. 29 Vgl. Klaus Graf, Das leckt die Kuh nicht ab. ,Zufällige Gedanken‘ zu Schriftlichkeit und Erinnerungskultur der Strafgerichtsbarkeit, in: Blauert, Schwerhoff, Kriminalitätsgeschichte (wie Anm. 5) S. 245–288, hier S. 249–256.

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hatte.30 Der interne Frieden und die Wiederherstellung der sozialen Ordnung im Verband scheinen eine vergleichsweise hohe Priorität genossen zu haben. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass ein zeitaufwendiges formales Verfahren für die betroffene Zivilbevölkerung eventuell gar nicht vorteilhaft gewesen wäre: Ein rasches Handeln, eine schnell beschlossene Kompensation war immer dort notwendig, wo das Regiment nur auf dem Durchmarsch war. Denn wenn sich die Armee erst einmal auf den Marsch begeben hatte, bestanden auf die Durchsetzung von eventuellen Ansprüchen kaum mehr Aussicht auf Erfolg. Nicht nur waren die Täter und Sanktionsinstanzen fort, möglicherweise starben die Betroffenen auch auf dem Zug. Zweifellos stützte das Verhalten des Militärgerichts die Wahrnehmung von Grenzen zwischen den Soldaten und der zivilen Bevölkerung. Der autonome Rechtsraum des Militärs mit seinen in- und exklusiven Eigenschaften machte soziale Unterschiede und Gruppenzugehörigkeiten direkt erfahrbar, vor allem dann, wenn das Militärgericht in der juristischen Praxis auf seiner Zuständigkeit beharrte und Söldner dem Zugriff konkurrierender Gerichtsgewalten entzog. Dies geschah zum Beispiel beim Söldner Georg Riedel, der aus einer Kirche in Bellinzona einen Kelch gestohlen hatte.31 Bürger der Stadt, die den Diebstahl bemerkten, waren dem Täter und seinen Begleitern bis zu deren Quartier gefolgt. Dort berieten die Söldner, was nun zu tun sei. Man entschied, dass der Dieb den Kelch an den Quartierswirt aushändigen und dieser ihn dann den aufgebrachten Bürgern übergeben solle, ohne zu verraten aus welcher Hand er ihn erhalten habe. Der Quartierswirt aber machte diesen Plan zunichte, indem er den Dieb denunzierte. Die Bürger brachten den Delinquenten daraufhin zum Stadtrat, der über diesen Recht sprechen sollte. Der informierte Regimentsschultheiß intervenierte jedoch bei der Stadtführung und bestand mit Erfolg auf seiner Zuständigkeit in dem Fall. Er war es schließlich, der den Täter zu einer leichten Strafe verurteilte und ins schwarze Buch eintragen ließ. Der Rechtsraum des Militärs stellte sich damit aus der Perspektive der zivilen Bevölkerung letztlich auch als eine Art Schutz dar, um mehr oder weniger ungestraft Verbrechen begehen zu können.32 Für eine Erklärung der Differenzen zwischen den in den Artikelbriefen üblicherweise festgesetzten harten Strafen für Vergehen an der zivilen Bevölkerung und der Rechtspraxis, in der diese Vergehen eher ausgleichend oder milde behandelt wurden, ist der Hinweis auf militärische Eigenlogiken weiterführend. Aus der Perspektive des Militärs konnten nämlich Normverletzungen in ihrer 30 Eine Klage eines Söldners als Handlungsantrieb des Gerichtes ist nur in einem Fall eindeutig dokumentiert, der klar erkennbar als Akkusationsprozess geführt wurde. 31 SächsHStA 10024, Geheimer Rat Loc. 9119/38, fol. 9r–10r. 32 Diese Sichtweise wird auch in der Literatur und Bildpublizistik der Zeit hervorgehoben. Vgl. Huntebrinker, Übergriffe (wie Anm. 23).

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Schwere und Sanktionswürdigkeit erheblich relativiert werden, wenn dadurch eigene lebenswichtige Interessen geschützt wurden. Innerhalb des Militärs berief man sich etwa darauf, dass die Söldner sich bei ausbleibendem Sold zwangsläufig auch auf Kosten der Bevölkerung des eigenen Kriegsherrn versorgen müssten. Somit konnte die Aneignung fremden Eigentums durch Söldner in Anbetracht einer spezifischen Versorgungsnotlage als legitim erscheinen, auch wenn dies grundsätzlich als schwerer Normbruch festgeschrieben war. Das Verbot sich an der ,eigenen‘, also ,freundlichen‘ Bevölkerung oder deren Eigentum zu vergehen, war für das Militärrecht in theoretischer Hinsicht ungemein wichtig. Denn damit wurde einerseits die obrigkeitlich beanspruchte Schutzfunktion gegenüber den Untertanen unterstrichen. Andererseits wurde dadurch demonstriert, in der Tradition christlich-ethischer Regeln der Kriegsführung zu stehen.33 Um einen gerechten, von Gott gewollten Krieg zu führen, war es ein unerlässliches Kriterium. Das Eigentum der ,feindlichen‘ Bevölkerung, also der Untertanen des Kriegsgegners, galt dahingegen als legitime Beute, wobei genaue Regelungen für geordnete Aneignung und Verteilung sorgen sollten.34 Bei Versorgungsengpässen konnte die Grenze zwischen Freund und Feind allerdings in den Augen des Militärgerichts in den Hintergrund treten und von anderen Erwägungen überlagert werden. Ein Beispiel dafür findet sich auch in dem im untersuchten Gerichtsbuch verzeichneten Fall des Hauptmanns und Quartiersmeisters Wolf Winckelmann, der von zwei Kaufleuten beschuldigt worden war, dafür verantwortlich zu sein, dass seine Soldaten große Mengen Stoff gestohlen hätten.35 Die Händler hatten die Ware in einem Hof gelagert, für den der Winckelmann zuvor gegen Bezahlung einen speziellen Schutz (Salva Guardia) zugesagt hatte. Als die Kaufleute ihre deponierten Waren abholen wollten, waren die abgestellten Wachsoldaten allerdings mitsamt einem beträchtlichen Teil der Stoffe verschwunden. Der Bruch der Salva Guardia war laut des Artikelbriefs des Mansfeld’schen Regiments eine besonders frevelhafte Tat.36 33 Vgl. Franz Kernic, Krieg, Gesellschaft und Militär. Eine kultur- und ideengeschichtliche Spurensuche, Baden-Baden 2001, S. 115–119; Karl-Heinz Ziegler, Kriegsrechtliche Literatur im Spätmittelalter, in: Horst Brunner (Hrsg.), Der Krieg im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Gründe, Begründungen, Bilder Bräuche, Recht, Wiesbaden 1999, S. 57–71. 34 Charles Carlton, Going to the wars. The experience of the English Civil Wars 1638–1651, London u. a. 1992, S. 265–288; Philippe Contamine, The Growth of State Control. Practises of War 1300–1800: Ransom and Booty, in: ders. (Hrsg.), War and Competition between States, New York, NY 2000, S. 163–193; Fritz Redlich, De Praeda Militari. Looting and Booty 1500–1815, Wiesbaden 1956; Volker Schmidtchen, Ius in bello und militärischer Alltag – Rechtliche Regelungen in Kriegsordnungen des 14. bis 16. Jahrhunderts, in: Brunner, Krieg im Mittelalter (wie Anm. 34), S. 25–56, hier S. 28–31; Uwe Tresp, Söldner aus Böhmen im Dienst deutscher Fürsten. Kriegsgeschäft und Heeresorganisation im 15. Jahrhundert, Paderborn 2004, S. 293–300. 35 SächsHStA 10024, Geheimer Rat Loc. 9119/38, fol. 39r–78r. 36 SächsHStA 10024, Geheimer Rat Loc. 9119/38, Art. 6 des Artikelbriefs.

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Deshalb und wohl auch, weil sich die Bestohlenen direkt an den Regimentsobristen gewandt hatten, nahm der Regimentsschultheiß umgehend eine ernste Untersuchung auf. Er ließ die komplette Kompanie des Hauptmanns – immerhin 236 Männer – antreten und jeden von ihnen verhören. Bezeichnend ist dabei vor allem Winckelmanns Antwort auf die Frage, ob er seinem Fähnrich befohlen habe, die Wachen abzuziehen und so viele Stoffe wie möglich mitnehmen zu lassen. Der Hauptmann bestätigte, ersteres tatsächlich angeordnet zu haben. Weiter gab er zu Protokoll: „vndt do ein knecht mit Manier etwas fortbringen, soliches geschehen laßen, In betrachtung Sie [die Soldaten, J. W. H.] auf der Salva Guardia weder Essen noch nichts empfangen.“

Das Ausbleiben der Soldleistungen legitimierte in seiner Argumentation also die Entwendung der Waren, die seine Untergebenen eigentlich beschützen sollten. Das Militärgericht folgte diese Sichtweise offenkundig, denn weder Winckelmann noch dessen Soldaten wurden rechtlich für den Diebstahl belangt. Der Fall wurde ad Acta gelegt, nachdem sich die Kaufleute mit einem Vergleich, also mit einer Kompensationszahlung, einverstanden erklärt hatten. Besonderen Nachdruck erhielt die Argumentation mit der Versorgungsnotlage, die geradezu zur Aneignung fremden Eigentums zwinge, auch dadurch, dass schlecht verpflegte und unbezahlte Truppen für die militärischen Obrigkeiten ein ernstzunehmendes Risiko bedeuteten. So stiegen die Desertionszahlen bei schwindenden Soldzahlungen.37 Zudem zeigt die Analyse von Meutereien, dass die Söldner ausbleibende Soldzahlungen als einen Vertragsbruch auffassten.38 Man riskierte bei schlechten Versorgungsleistungen also die Reduzierung der Truppenstärke durch Desertionen oder sogar den Kontrollverlust.

37 Das Thema Desertion ist inzwischen relativ gut erforscht. Vgl. Ulrich Bröckling, Michael Sikora (Hrsg.), Armeen und ihre Deserteure. Vernachlässigte Kapitel einer Militärgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1998; Michael Kaiser, „…würdt allso die Armee gewaltig ruinirt…“. Die Lebenswelt der Söldner und das Phänomen der Desertion im Dreißigjährigen Krieg, in: Osnabrücker Mitteilungen 103 (1998), S. 105–124; Jörg Muth, Flucht aus dem militärischen Alltag. Ursachen und individuelle Ausprägung der Desertion in der Armee Friedrichs des Großen. Mit besonderer Berücksichtigung der Infanterie-Regimenter der Potsdamer Garnison, Freiburg/Br. 2003; Michael Sikora, Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996; Martin Winter, „Der Untertan auf Posten“ – Deserteursverfolgung an der brandenburgisch-mecklenburgischen Grenze im 18. Jahrhundert, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 10 (2006), S. 139–180. 38 Vgl. Reinhard Baumann, Protest und Verweigerung in der Zeit der klassischen Söldnerheere, in: Bröckling, Sikora, Armeen (wie Anm. 37), S. 16–48.

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IV.

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Militärinterne Auseinandersetzungen

Wie gingen Militärgerichte nun mit Konflikten zwischen Militärangehörigen um? Die Gesetze hierzu waren eindeutig. Der interne Frieden hatte absolute Priorität, alle Formen von Ehrverletzungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Söldnern waren deshalb streng verboten.39 Auch Glücksspiele, die neben ihrer grundsätzlichen Unsittlichkeit als Quelle von Streitigkeiten verdammt wurden, standen unter Strafe, um den Frieden im Regiment zu schützen.40 Die Analyse entsprechender Gerichtsverfahren zeigt allerdings, dass der normative Impetus ganz offenbar nicht mit der Rechtspraxis gleichzusetzen ist. Denn in der juristischen Aufarbeitung gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Söldnern wurden keineswegs ausschließlich die in den Artikelbriefen vorgeschriebenen Todesurteile oder harten Strafen verhängt. Um diese augenfällige Differenz zwischen Norm und Praxis zu klären, lohnt ein Blick auf die von den Beteiligten innerhalb der Prozesse geschilderten Abläufe der Konflikte, da diese Ausführungen für die militärrechtliche Beurteilung entscheidend waren. Als Beispiele seien nachfolgend zwei Fälle gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Söldnern mit ganz unterschiedlichen Beschreibungen und Bewertungen gegenübergestellt: Im ersten Fall handelt es sich um ein Tötungsdelikt, das einen Konflikt zwischen Elias Greber und dem Musketier Hans Lehmann beendet hatte.41 Die Männer waren zur Wache an einem Reiterquartier abgestellt worden, wo Lehmann Greber nach dessen Aussage nicht neben sich am Feuer habe sitzen lassen wollen. Daraufhin seien sie in Streit geraten, in dessen Verlauf er den Musketier schließlich mit seinem Degen getötet habe. Der Zeuge Hans von Micheln bestätigte vor Gericht den Streit, gab aber zu Protokoll, er habe die beiden Streitenden getrennt. Erst dann habe Greber „Hansen Lehman hinderwerts in die Seiten gestochen, dauon er auf den morgen gestorben“ sei. Der tödliche Angriff war seiner Schilderung nach also eher überraschend, sozusagen aus dem Hinterhalt gekommen. Zudem habe der Täter, so von Micheln weiter, im Anschluss zu fliehen versucht, sei von ihm allerdings aufgehalten und in Verwahrung genommen worden. In dem Prozess wurde Greber schließlich zum Tod durch das Schwert verurteilt, was einer knappen Notiz am Ende der entsprechenden Aufzeichnungen zufolge auch vollstreckt wurde. Das Verfahren und die Saktionierung decken sich bei diesem Beispiel insofern mit der Erwartung, die durch die Lektüre der Artikelbriefe geweckt wurde. 39 SächsHStA 10024, Geheimer Rat Loc. 9119/38, Art. 13 u. 14 des Artikelbriefs. 40 [Johann Jacob Schmauß (Hrsg.)], Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede […], Bd. 3: Von dem Jahr 1552 bis 1654 inclusive, Neudruck der Ausg. Franckfurt 1747, Osnabrück 1967, S. 339, hier Art. 70. 41 SächsHStAD, 10024, Loc. 9119/38, fol. 79r–82r.

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Ganz anders beim zweiten Fall, ebenfalls ein Tötungsdelikt, dem ein Söldner namens Michael Fischer zum Opfer fiel:42 Dieser hatte nach übereinstimmender Aussage mehrerer Zeugen mit anderen Soldaten im Wirtshaus getrunken und war dabei mit Paul Schreber aneinander geraten. Auf dem Heimweg in das Quartier hätten sie miteinander „geraufft“, was allerdings ohne Verletzungen vonstatten gegangen und sogar mit einer Versöhnungsgeste beendet worden sei. Im Anschluss habe sich Fischer allerdings an einen Soldaten namens Hans Beuschel gewandt und ihn aufgefordert, „wenn er ein rechtschaffen Kerl seye, soll er mit ihm rauffen“.43 Dieser Provokation sei Beuschel nachgekommen. Die beiden waren den Zeugen zufolge „zwey gänge zusammen gangen“, worauf die „darbey gewesene Soldaten fried genommen“, also die Kämpfenden aufgefordert hätten, den Konflikt zu beenden und sich zu vertragen.44 Beuschel habe dann sogar „seinen degen in die Erden gestecket vndt gesaget, Bruder mein laß es bleiben, Wir haben der Sachen genug gethan“. Fischer sei jedoch weder auf das Einlenken der anderen Soldaten, noch auf das seines Gegners eingegangen. Stattdessen habe er gesagt: „Sie sollten sich wegscheren vndt noch einen gang zu annemen laßen.“ Dabei habe Beuschel schließlich seinen Gegner erstochen. Der geschilderte Konfliktverlauf unterscheidet sich in vielfältiger Hinsicht von dem erstbeschrieben Fall. Auffällig ist etwa, dass die Beteiligten ihre Gewalthandlungen nach formalisierten Abläufen ausrichteten. Dazu gehört die Unterteilung des Kampfgeschehens in Gänge, die einen Anfang und ein Ende einer Kampfphase markierten und damit immer wieder Möglichkeiten zu einer Beendigung des Streits eröffneten.45 Zugleich ist die Rolle der anwesenden Männer anders 42 SächsHStAD, 10024, Loc. 9119/38, fol. 180r–184r. 43 Zur Einordnung solcher Kampfaufforderungen in die frühneuzeitliche Konfliktkultur vgl. Rainer Walz, Agonale Kommunikation im Dorf der Frühen Neuzeit, in: Westfälische Forschungen 42 (1992), S. 215–251, hier S. 238. 44 In den zeitgenössischen Artikelbriefen erscheint das ,Fried nehmen‘ als Praxis, die den Zeugen eines Konfliktes vorgeschrieben ist. Als Beispiel sei hier nur der Reichsartikelbrief von 1570 angeführt: „Es soll sich auch niemand gegen den andern rottieren: Wo sich aber zwischen etlichen Balgen und Unfried zutrug, so sollen die nechsten darbey treulich und unpartheyisch Fried nehmen, zum ersten, zum andern, zum dritten mal, welcher dann nicht Fried halten wollte, wer ihn alsdann zu todt schlaegt, der soll ihn damit gebuesset haben.“ Schmauß, Sammlung (wie Anm. 40), S. 337, hier Art. 32. Der Artikelbrief des Mansfeldischen Regiments verwendet die Formulierung des ,Fried nehmen‘ hingegen in der Passage zum Streitverbot für Angehörige unterschiedlicher Nationen, in der es heißt: „vnd do etwan mißverstandt entspringe, soll darümb sich kein theil gegen des ander rottiren, Sondern vielmehr ein ieder so darzu kümbt vnpartheyisch fried nehmen“ SächsHStAD, 10024, Loc. 9119/38, Art. 14 des Artikelbriefs. 45 Eine andere Konfliktschilderung aus dem Gerichtsbuch deutet darauf hin, dass hier Verfahren zugrunde gelegt wurden, die schon sehr stark an das ausgeklügelte Regelwerk formalisierter Duelle erinnern. So wurde in diesem Fall beispielsweise ein begonnener Kampf zwischen zwei Söldnern vertagt, als sich einer der Beteiligten aufgrund einer Handverletzung nicht mehr angemessen verteidigen konnte. Zudem wählten die Streitenden Unterhändler,

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beschrieben als im ersten Beispiel. Denn sie trennten die Kämpfenden nicht, sondern mahnten nur zum Frieden und Vertragen. Aufschlussreich ist nun die Bewertung dieses Kampfes mit Todesfolge durch die Militärgerichtsbarkeit. Der Schultheiß stellte Beuschel nämlich einen Gerichtsschein aus, in dem er ihm bestätigte, „daß er von Fischern gefordert worden vndt sich mit ihme rauffen müßen, endtlichen aber Beuschel […] denselben vor freyer faust einen stoß anbracht“. Damit, so die Auffassung des Richters, war die Tötung aus „nohtwehr“ erfolgt, weshalb Beuschel „solche entleibung wegen weder an Leib vnd leben, seinen ehrlichen nahmen, noch geldt vndt gut zu bestraffen seye, Sondern ist desfalls in allem frey, mit ledig und los gesprochen worden.

Das Verhalten Beuschels wurde also formal legitimiert. Die strengen Regelungen des Artikelbriefs wurden in diesem Fall überhaupt nicht angesprochen, während sie bei Greber den Bezugspunkt der Klage des Regimentsprofoses bildeten.46 Was hierin sichtbar wird, ist, dass die Notwendigkeit, seine Ehre notfalls auch gewaltsam zu verteidigen, in der Frühen Neuzeit beinahe den Charakter einer gesellschaftlich übergreifend akzeptierten Norm hatte. Diesbezügliche körperliche Auseinandersetzungen waren in der vormodernen Konfliktkultur fest verankert und folgten aus zeitgenössischer Perspektive geradezu einer sozialen Logik. Ein ehrenhaftes Verhalten innerhalb eines gewaltsam ausgetragenen Streits bemaß sich dabei vor allem an der Einhaltung formaler Regeln, wozu die Ankündigung des Angriffs und Möglichkeiten zum Ausstieg gehörten, die durch Äußerungen oder Gesten – dem Zücken des Messers oder der Mahnung zum Frieden – signalisiert wurden.47 die zusammen Ort (vor dem Stadttor) und Zeit des auszutragenden Kampfes und schließlich, nachdem deutlich wurde, dass zumindest eine Partei nicht mehr an einem Kampf interessiert war, eine friedliche Konfliktlösung aushandelten, auf die sich die Beteiligten ohne Ehrverlust einigen konnten. Siehe SächsHStAD, 10024, Loc. 9119/38, fol. 1r–8r. 46 In Grebers Fall wurde z. B. der 13. Artikel herangezogen: „Alle Schlägereyen vnd Raufhändel sollen genzlichen verboten sein, do auch einer alten haß vnd neidt zum andern hette, soll er solches vnder diesem löblichen Regiment nicht eifern, Sondern sich allerseits schiedlich vnd friedlich vertragen, bey leibesstraff“, SächsHStAD, 10024, Loc. 9119/38, Artikelbrief. 47 Schwerhoff, Aktenkundig (wie Anm. 5), S. 121–130; ders., Social Control of Violence, Violence as Social Control: The Case of Early Modern Germany, in: Herman Roodenburg, Pieter Spierenburg (Hrsg.), Social Control in Europe, Bd. 1: 1500–1800, Columbus, OH 2004, S. 220–246; Martin Dinges, Die Ehre in der historischen Anthropologie. Bemerkungen zur Wissenschaftsgeschichte und zur Konzeptualisierung, in: Klaus Schreiner, Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Köln u. a. 1995, S. 29–62; Sybille Backmann, Hans-Jörg Künast, Einführung, in: Sybille Backmann u. a. (Hrsg.), Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen, Berlin 1998, S. 13–23. Vgl. auch Magnus Erikson, Barbara Krug-Richter (Hrsg.), Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.–19. Jahrhundert), Köln u. a. 2003.

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Der Vergleich der beiden geschilderten Fälle zeigt, dass beim Militärgericht durchaus auch gesellschaftlich übergreifende Deutungsmuster griffen, die nicht unbedingt mit den schriftlich fixierten gruppenspezifischen Normen der Artikelbriefe im Einklang stehen mussten. Bei Wahrnehmung von ehrenhaften und unehrenhaften Formen der Konfliktaustragung spielte das Militär insofern keine Sonderrolle. Nicht beantwortet werden kann angesichts des Materials allerdings die daran anschließende spannende Frage, ob sich in diesem Feld gruppenspezifische Regeln der Auseinandersetzung herausbildeten. Hierzu wären mehr Fälle, mithin eine breitere Vergleichsbasis – auch hinsichtlich der Praktiken unter zivilen Personen – notwendig. Sollten dabei tatsächlich Differenzen sichtbar werden, wäre das Streitverhalten der Soldaten ein schönes Beispiel für die Herausbildung einer exklusiven militärischen Kultur, die Inszenierung und Außendarstellung einer geschlossenen sozialen Gruppe.48

V.

Fazit

Militärgerichtsakten aus der Zeit vor 1650 sind nur sehr spärlich überliefert. Von der Analyse solcher Einzelfunde können daher keine vollständig neuen Ergebnisse zum frühneuzeitlichen Militär erwartet werden. Gleichwohl können sie eine wichtige Ergänzung der Forschung sein. Sie eröffnen spezifische Einblicke in das Militär und dessen Beziehung zur Gesellschaft. Während ein Großteil der üblicherweise herangezogenen Quellen eher die zeitgenössische Außensicht auf den ,Soldatenstand‘ repräsentieren, stammen die hier behandelten Dokumente aus diesem selbst und geben somit eine Innensicht wieder. Bestimmte Problemfelder, wie das agonale Verhältnis zwischen Militärangehörigen und Zivilbevölkerung, können aus diesem Blickwinkel heraus differenzierter betrachtet werden. Ein entscheidender Zugewinn der Quelle ist es, dass in dem Regimentsgerichtsbuch auch die Bewertungen und Reaktionen der militärischen Sanktionsinstanzen greifbar werden. Erkennbar werden dadurch die internen Logiken, was letztlich zum Verständnis der Differenzen zwischen den Normen der Artikelbriefe und der Gerichtspraxis beitragen kann. Einen Einblick ermöglicht die Analyse der Militärgerichtsakten ebenfalls in den Bereich interner Konflikte zwischen den Söldnern. Es zeigt sich, dass solche Konflikte nicht durchwegs als gefährliche Störungen des internen Friedens behandelt wurden, sondern die Richter die Fälle durchaus ebenso der sozialen Logik frühneuzeit48 Dieser Gedanke lehnt sich an die Beobachtung zur Funktion des Duells für den Adel an. Vgl. hierzu Achatz von Müller, Schauspiele der Gewalt. Vom Zweikampf zum Duell, in: Uwe Schultz (Hrsg.), Das Duell. Der tödliche Kampf um die Ehre, Frankfurt/M., Leipzig 1996, S. 12–33 u. 416–418.

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licher Ehrkonflikte folgend hinsichtlich der Umstände, Motive und Austragungsform differenziert handhabten. Das heißt, die Militärgerichtsbarkeit orientierte sich auch an gesellschaftlich übergreifenden Normen. Gerade an dieser Stelle aber wird der Gewinn des kriminalitätsgeschichtlichen Ansatzes, der Fragen nach den zeitgenössischen Ordnungs- und Wertvorstellungen und ihren lebensweltlichen Manifestationen stellt, für die Militärgeschichte der Frühen Neuzeit erkennbar.

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Administering Justice and Bending the Legal Code. The Contested Implementation of the Swedish Articles of War, 1621–1650

I.

Introduction

The Swedish Articles of War issued in 1621 and 1632 are rightly known as being among the most important pieces of military legislation of the seventeenth century. Gustavus Adolphus’ (1594–1632) articles were copied by princes throughout Protestant Europe and news about the Swedish army’s strict discipline was also spread by the foreign soldiers who had fought in it when they returned home.1 Thus, for example, the bone-breaking Swedish custom of sentencing a wrongdoer to run through a human tunnel made up of a troop contingent beating him with rods was made known on the British Isles by English and Scottish mercenaries. The Swedish name for this punishment, gatulop, was gradually anglicised, giving rise to the idiom ‘to run the gantelope/ gauntlet’.2 While the articles’ role as a model is well known, their implementation in the Swedish army during the age of the Thirty Years War has yet to be examined in-depth.3 A paper on the implementation given at this conference in Franconia may well commence with the royal speech held 275 years ago in Altdorf near Nürnberg. In the summer of 1632, Gustavus Adolphus addressed the officers in com1 See footnote 16 and Barbara Donagan, Halcyon Days and the Literature of War. England’s Military Education before 1642, in: Past and Present 147 (1995), 65–100, pp. 84–86. 2 J. A. Simpson, E. S. C. Weiner (eds.), The Oxford English Dictionary, Vol. 6, 2. ed., Oxford 1989, p. 405, with 1661 as the earliest reference. In 1632, the idiom was still not widely known, as is evident in Watts, Svvedish Discipline (as footnote 22), p. 59. On the traditional role of the Swedish Gassenlauf see Henrik Munktell, Tv, straffrättshistoriska studier, in: Uppsala universitets ,rsskrift, Uppsala et al. 1940. 3 The fundamental study is Kjell ake Mod8er, Gerichtsbarkeiten der schwedischen Krone im deutschen Reichsterritorium. Voraussetzungen und Aufbau 1630–1657, Stockholm 1975. It focuses on legal precepts and offices. The only thorough study of regimental jurisdiction begins after 1650, where the archival situation improves, Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700), Köln et al. 2007.

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mand of the numerous German mercenaries in his army. He chided their permissive rule of regiments and appealed to their conscience and patriotic sentiments. How could German Lutheran officers, Gustavus exclaimed, accept that their subordinates plundered fellow countrymen: “Yee Lords and Gentlemen: You, partly, are some of those numbers, that have shewed themselves unfaithfull and disloyall to their owne countrey ; and who doe helpe to ruine it. You, my Generals, Leiftenant-Generals, and all you my inferiour Officers; I have ever, […] esteemed you for brave Cavaliers […]. But, when having you all here before me, I am put in remembrance of your ravages, robberyes, and plunderings; and that you your selves are guiltie of these insolencies, and companions besides, with them that neither observe Discipline, nor doe justice upon malefactors in these kinds: my haire standeth up on end, at the very horrour of it. Let your selves be Iudges. Is it not a dolefull and a lamentable case, yea most odious in the sight of Almightie God; that one Christian, and of the same profession in Religion, should pillage one another? one friend, nay one brother ransacke, spoyle, ruine and undoe one another? The very divels in hell, are more loving and trusty one to another, then you Christians are, amongst those of your owne Countrey.”4

Gustavus Adolphus gave several such speeches to his officers during his campaign in the Holy Roman Empire. The above speech has variously been described as a “sharp hellfire sermon” and “a most pathetick Oration” and it is without doubt one of the most famous.5 Many historians have since then ac4 The quote is taken from the contemporary translation in [William Watts], The Svvedish Intelligencer. The Third Part […], London 1633, 23–26, p. 24. In the omitted passage, the King worthied his officers’ valour in battle. 5 Watts, Intelligencer (as footnote 4), p. 24; Bogislaus Philipp von Chemnitz, Königlichen Schwedischen In Teutschland geführten Kriegs […], Vol. 1, Stettin 1648, p. 404: “eine scharfe Gesetz-Predigt”, who on p. 128 refers to an admonition in Lower Pomerania 1631. Chemnitz gives one of three German versions known to me. Watts based his translation on the second and most lengthy version: [Anon.], Extract der Oration, Welche Ihre K. M. in Schweden Donnerstags den 3. Julii an dero Officirer, Fürsten/ Grafen und Herrn/ wie auch an die gantze Armee/ ihres ubermachten raubens/ stehlens/ und plünderns halben mündlich gethan/ wie er dieselben väterlich vermahnet/ von solchen abzustehen, [s.l.] 1632, p. B3r : “Jn Summa/ es ist die oration, welche etliche außgeschrieben / vff etliche Bogen nicht zu bringen”. The one-hour speech circulated in a third and more summaric transcript in the pamphlets entitled [Anon.], Hochernstliche/ Ihrer Kön. Mayt. in Schweden/ […] An alle und jede hohe und niedere Officirer, Wegen ubel- und nachläßig bißher gehaltener disciplin, uber Ihre unterhabende Soldatesca, Newlichst ergangene Erinner- und Vermahnung, [s.l.] 1632, and [Anon.], Eine denckwürdige Lection Welche Kön. May. zu Schweden […] am Tage Petri Pauli/ soll gegeben haben, [s.l.] 1632 (mentioning Altdorf). Their summary of the speech was quoted by Johann Philipp Abelin, Theatri Evropaei, […] Der Ander Theil, 3. ed., Frankfurt/M 1646, p. 654, and was also translated into Danish ([Anon.], Alvorlige Formaning, som Kong. Maj. i Sverig, paa S. Petri oc Pauli Dag, (er den 29. Junii Aar 1632.) […] haffuer giordt til sine […] Officerer […], [s.l.] 1632). The most accurate date seems to be June 29. The letter dated to July 3 in the Extract der Oration refers to a speech held last Thursday (compare p. A1v with the erroneous title). Other authors date the speech to the August 1 (Watts) or 28 (Chemnitz).

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cepted a number of its core messages. Protestant biographers have often claimed that plundering ran counter to the good “Character of the King of Sweden” and have continued to present him as an “Interpreter of the Heroiche Iustice” with “great intentions”.6 Military historians have picked up on the King’s own emphasis that it was not “Swedish souldiers”, but “the Germanes, that commit all these insolencies”. Gustavus’ good intentions were supposedly stifled at the very point when he reluctantly began to sign on mercenaries.7 The lesson to be learnt from the decline of Swedish discipline seems to be that motley mercenary crews were more prone to plunder than any of the nascent national armies. The diachronic comparison does retain a certain heuristic use, if one sheds it of the teleological praise of the national army of conscription. The centralised control of military jurisdiction may after all have contributed to the so-called ‘taming of Bellona’ during the course of the eighteenth century. It would be worth to examine how the gradual decrease in military assaults on civilians in certain European countries and wars is connected to the increased legal liability of regimental officers. Today’s adverse experiences with private military contractors could, perhaps, then be counted as one of the many recent returns to the age prior to the standing army.8 This broader framework is addressed through a study of the Swedish Articles of War from 1621 and 1632. It examines the legal effects of the well-known conflict between the princes and warlords on the one hand, and the colonels or military enterprisers and their subordinate officers on the other hand.9 These regimental officers were, the King claimed, either directly involved in “ravages, robberyes, and plunderings” or, at best, conniving companions who failed to prosecute their subordinate “malefactors in these kinds” (Watts). From a more bipartisan perspective, the conflict within the army pitted the drive for ‘profit’ against the interest in ‘good order’. A further issue of content was the colonel’s right to enforce military discipline autonomously and control the court martial

6 Watts, Intelligencer (as footnote 4), pp. 23–24, with the following quote. See especially Johannes Paul, Gustaf Adolf, Vol. 3: Von Breitenfeld bis Lützen, Leipzig 1932, pp. 124–125, but also Mod8er, Gerichtsbarkeiten (as footnote 3), p. 224 (on Oxenstierna); Hermann-Dieter Müller, Der schwedische Staat in Mainz 1631–1636. Einnahme, Verwaltung, Absichten, Restitution, Mainz 1979, p. 116. 7 Gerhard Oestreich, Neostoicism and the early modern state, New York 1982, p. 86. Cf. the varying assessments in the very valuable account by Michael Roberts, Gustavus Adolphus, Vol. 1: 1611–1626, London 1953, p. 243 (balanced) and the questionable claim p. 245: “however great the fall from grace in the later years of the war, there had been a time when the Swedish army had been in truth a godly army”. 8 Herfried Münkler, The New Wars, London 2005 (German 2002). 9 Fritz Redlich, The German military enterpriser and his work force. A study in European economic and social history, Wiesbaden 1964–1965, Vol. 1–2.

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in his regiment. As will be shown, the Swedish King tried to resolve the conflicting interests in his favour through legislative and administrative measures. The struggle for governmental control and supervision can be studied through an analysis of the rather fragmentary and mainly royal records that have survived from strongholds outside Sweden. The archival material studied here stretches from Reval (Tallinn) in Estonia, across Marienburg (Malbork) and Elbing (Elbla˛g) in Royal Prussia, to Westphalia, Thuringia, and the garrisons along the Rhine.10 Some civilian records have been consulted, but it was not possible to locate regimental records of the type examined in the paper by Jan Willem Hunterbrinker. Although I will look closely at a trial from Courland in present-day Latvia, the emphasis in the article lies on structural conflicts and a diachronic perspective rather than on the local context. Following the policy implementation model, the analysis is divided into three steps.11 The first section reviews the legislative developments in the decade after 1619 that eventually led to the publication of the Articles of War in 1632. The second section consists of a case-study that looks closer at the officers’ highly irregular implementation of these articles. The third section discusses briefly some of the new offices introduced to control and combat such legal irregularities. The Crown’s recruitment and promotion of officers is important for implementation analysis inasmuch as it increased the officers’ dependency on the Crown, but can not be addressed in this preliminary survey.12 From a historiographical perspective, implementation analysis offers an alternative to the influential, but in recent years often criticised theory of ‘social disciplining’ (Sozialdisziplinierung). Gerhard Oestreich (1910–1978) outlined the spread of a ‘Neo-Stoic’ ideology across the European continent which included the Oranian and Swedish military reforms. The thinker who gave rise to this ideology, Justus Lipsius (1547–1606),

10 Archival signatures are quoted using the following abbreviations. Stockholm: Royal Archives (RA); War Archives (KA). Tartu: Estonian Historical Archives (EHA). Riga: Latvian State Historical Archives (LHA). Town Archives, Erfurt (StAE). Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW). Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Abteilung Magdeburg Standort Wernigerode (LHSAMW). AOSB refers to the twenty-nine-volume series: Rikskansleren Axel Oxenstiernas skrifter och brefvexling, Stockholm 1888–2007 (1 = Afdeling 1; 2 = Afdeling 2). 11 The model was developed in the social sciences during the 1980s. The historical adaptations have grown steadily since the late 1990s, e. g. Achim Landwehr, Policey im Alltag. Die Implementation frühneuzeitlicher Policeyordnungen in Leonberg, Frankfurt/M 1999. Laurence J. O’Toole Jr., The Theory-Practice Issue in Policy Implementation Research, in: Public Administration 82 (2004), pp. 309–329. 12 A methodologically sound study is Edgar Kiser, Joachim Schneider, Bureaucracy and Efficiency. An Analysis of Taxation in Early Modern Prussia, in: American Sociological Review 59 (1994), 187–204, pp. 197–198.

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“had called for military ethics to be treated as an equally important ingredient of the [Oranian military, H. B.] reform; these also did not remain merely on paper. The NeoStoic philosophy of action, constancy, self-control and obedience instantly appealed to the commanders and their officers, for here was an answer to the burning question of the moment – how to establish and maintain good order and military discipline in the unruly armies of the day”.13

Oestreich seemingly assumed that officers shared the legislators’ interest in “the burning question” of the day. One of the main objections to Oestreich’s theory is that it ignores the tensions that existed between the central government and its local agents, in this case the officers.14 The tensions are the focus of this article. The Swedish Articles of War from 1621 were, Oestreich further suggested, but an “elaboration” of the Dutch Articles of War (1590), with a Lipsian core. On a military level, “[t]he strongest influence of the Dutch model is to be observed in Sweden”, Oestreich argued, repeating a classic theme of military history.15 A study of the legislative developments can test this claim and examine whether such a Lipsian strain is really present in the Swedish legislation. The first section should show how the Swedish King phrased and revised his statutes with a view to their contentious implementation.

II.

Legislative developments

The content of the printed articles have often been described, as has their impact on the armies of other rising powers like England, Brandenburg-Prussia, and Russia.16 Knowledge about their initial phrasing and continuous revision has, however, hitherto been limited to Swedish-reading circles.17 The articles’ wide impact has, indeed, often led commentators to overestimate their innovative character within the Swedish context. Since the early 1540s, virtually every 13 Oestreich, Neostoicism (as footnote 7), p. 79. 14 See the contributions in Andr8 Holenstein et al. (eds.), Policey in lokalen Räumen. Ordnungskräfte und Sicherheitspersonal in Gemeinden und Territorien vom Spätmittelalter bis zum frühen 19. Jahrhundert, Frankfurt/M 2002. Oestreich, Neostoicism (as footnote 7) did treat his own areas of expertise with more nuance than his synthesis-like outline of “The European echo” (Chapter 6); see e. g. pp. 233–234 in Chapter 13: “Army organization in the German territories from 1500–1800.” 15 Oestreich, Neostoicism (as footnote 7), p. 86 and p. 111. 16 On the impact, Margaret Griffin, Regulating religion and morality in the king’s armies, 1639–1646, Leiden 2004; Hans Schneider, Gerichtsherr und Spruchgericht, Berlin 1937, § 6–7, especially pp. 30–34; Erik Anners, Den karolinska militärstraffrätten och Peter den stores krigsartiklar, Stockholm 1961. 17 The fundamental studies for the following are Birger Steckz8n, Krigskollegii historia, Vol. 1: 1630–1697, Stockholm 1930, and Erik Anners, Vasatidens och stormaktstidens svenska militärstraffrätt, in: Juridiska Föreningens i Finland Tidskrift (1960), 86–101.

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Swedish king had revised the articles of war issued by his predecessor and brought them up-to-date with the help of foreign, mainly German, codes. The last updated set of articles was issued in 1599.18 Gustavus Adolphus was crowned in 1611 and spent most of his early reign at war with neighbouring rulers. In 1619, during a pause in the fighting, he devoted himself to the reform of military legislation. He first circulated a memorandum amongst his leading colonels and the field marshal, in which he proposed the establishment of a central war council, with administrative and legal authority.19 The King had a court system with two instances in mind, similar to the recently reformed civilian legal system.20 The high officers addressed by the King conceded the utility of establishing a central administrative body in Stockholm, but expressed reservations concerning the extent of its jurisdiction. A future war council should, they proposed, merely convene for a month once a year and review the decisions made in the regimental courts martial. It could further treat disputed sentences about felonies involving soldiers stationed within Sweden during peace.21 The articles of war drafted by the King and his Chancellor Axel Oxenstierna (1583–1654) in 1621 took these replies into account. The higher court was not to reside in Stockholm, but instead follow the army on campaign.22 The ordinance further staffed both courts with the officials recommended in the reply. A 18 Roberts, Gustavus Adolphus (as footnote 7), p. 240; Anners, Vasatidens (as footnote 17), pp. 89–98. The present article does not address the parallel reforms of the naval jurisdiction. See ibid.; Sven-G. Haverling, Ett projekt till sjöartiklar fr,n ,r 1628, in: Forum navale 9 (1948), 101–119; Magnus Perlestam, “Ringa prof av behjärtad soldat”. Mod, plikt och heder i en marin krigsrätt vid slutet av 1600-talet, in: Forum navale 60 (2006), 15–81. 19 On the following paragraphs, Steckz8n, Krigskollegii historia (as footnote 17), pp. 19–26. 20 Roberts, Gustavus Adolphus (as footnote 7), p. 241 and pp. 330–342. 21 Prins Gustav (ed.), Arkiv till upplysning om svenska krigens och krigsinrättningarnes historia, Vol. 3, Stockholm 1861, pp. 334–337. 22 Otto Brusiin, Gustav II Adolfs Krigsartiklar. N,gra synpunkter, in: Tidskrift utgiven av Juridiska föreningen i Finland 79 (1943), 373–393, pp. 386–388. A 1706-edition reprints the articles of war in a slightly modernised spelling, Johan Schmedeman (ed.) Kongl. stadgar, förordningar, bref och resolutioner, ifr,n ,hr 1528. in til 1701 ang,ende justitiæ och executions- ährender […], Stockholm 1706, pp. 192–216. The first printed Swedish copies were published s. a. and, again, in 1642 and 1643 in both Swedish and Finnish: Isak Collijn, Sveriges bibliografi 1600-talet, Uppsala 1942–1946, pp. 465–466. Supplying troops with vernacular versions was often problematic in the multi-national armies of the day, as Sonkajärvi demonstrates in this volume. A manuscript translation used by English-speaking officers in the Swedish army during the Livonian campaign was published by [William Watts], The Svvedish Discipline […], London 1632, pp. 39–69. I have found no official English translation in the royal archives, which however hold two full German drafts: “Königklicher Schwedischer Articuls Brieff” (RA M904). They are much superior to the nineteenth-century translation reprinted in Eugen von Frauenholz, Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens, Vol. 3: Das Heerwesen in der Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Erster Teil. Das Söldnertum, München 1938, pp. 355–384, based on Watt’s English version!

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“sworne Secretarie” was to “make a diligent Record off all the proceedings” in the regiments, including the sentences and their execution.23 The provost (Profos), a traditional legal figure in German regiments, was here described as an attorney acting in cooperation with the Crown’s own advocate.24 Last, but not of least importance, the higher court was appointed as a proper forum for appeals in “[a]ll questions […] happening betwixt Officers and their souldiers, if they [i. e. the soldiers] suspect our lower Court to be partiall [in] any way […]”.25 Gustavus Adolphus took care to argue for the necessity of his unilateral ordinance with its new offices and super-imposed higher court. It was, his Article 118 stated, of utmost importance “that good Iustice be holden amongst our Soldiers, as well as amongst other our subiects. [Art.] 119 For the same reason was a King ordained by God, to be the soueraigne Iudge in the Field, as well as at home”.26

During the period between 1619 and 1621, when Gustavus prepared and justified his reforms, he also drafted a separate set of Swedish works entitled ‘On the Duties of a Warrior’ and ‘The Soldiers’ Ordinance’.27 Oestreich highlighted their 23 [Watts], Svvedish Discipline (as footnote 22), pp. 63–64, Article (Art.) 130 (quote), 132. A German example of the lapidary war diaries is Erik Zeeh, Nils Belfrage (eds.), Dagbok förd i det svenska fältkansliet 26 maj 1630–6 november 1632, Stockholm 1940. 24 Art. 139–140, [Watts], Svvedish Discipline (as footnote 22), p. 65. On the gradual introduction of jurists in mercenary regiments: Hans-Michael Möller, Das Regiment der Landsknechte. Untersuchungen zu Verfassung, Recht und Selbstverständnis in deutschen Söldnerheeren des 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1976, pp. 128–129 et passim. 25 Art. 134, [Watts], Svvedish Discipline (as footnote 22), p. 65; with specifications in the Schwedisches Kriegs-Recht (as footnote 34) from 1632, Tit. XXII, Art. 103–105 (pp. 36–37), and Obergerichts Ordnung (as footnote 34) Tit. I, Art. 8 (p. 45). A typical conflict is found in the unpaginated protocol in RA E8871, dated June 22, 1629. Soldiers in a regiment fighting in Livonia had complained directly to the field marshal about their officers’ embezzlement. These officers responded with grave complaints about ingratitude. In an intimidating interrogation they even accused their subordinates of mutiny (Art. 65). The higher courts sided with the unpaid soldiers in several similar cases, e. g. KA Rätteg,ngshandlingar Vol. 2, Dombok 1641, pp. 43–49; Dombok 1643–1644, pp. 14–15. Jan Willem Hunterbrinker explores related recriminations in this volume. 26 [Watts], Svvedish Discipline (as footnote 22), p. 61. The more traditional reference to “the exactnesse of [an] Ancient Discipline and Iustice” that had now been “almost vtterly forgotten” (p. 39, preample) was supplemented by frequent appeals to the welfare of the army and the realm (in the 1632-edition: Art. 20, 36, 78, 110). The code invoked further abstract phrases like the “auffrichtiger unnd redlicher Administration der heylsamen Iustitz” (Tit. I, Art.2); “Administration der heylsamen Justitia” (Tit.III, Art.11) along with associated terms: “Justitien, Recht und Gerechtigkeit” (Titl III, Art. 1); “Justitz” (Tit.III, Art. 4); “dem ganzen Justitien-Wercke” and “die werthe Justitia” (both Tit.III, Art. 13) (Obergerichts Ordnung (as footnote 34)). 27 Carl Gustaf Styffe (ed.), Konung Gustaf II Adolfs Skrifter, Stockholm 1861, pp. 62–68 (“Om Krigsmäns pligter”, clarifying the aim of the military commissions); pp. 1–58 (“KrigsfolksOrdning”); see also p. IVand (on the dating) Steckz8n, Krigskollegii historia (as footnote 17),

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noticeable Lipsian heritage, arguing that the Dutch thinker provided the main impetus for the royal reforms.28 The main expert on the subject, Bo Lindberg, more aptly remarks that Lipsius was certainly part of the King’s “frame of reference” but merely helped to lend theoretical authority to prior decisions, based on practical considerations.29 The claim that the military reforms were mainly prompted by a direct reception of so-called Neo-Stoic ideas is not tenable. Gustavus was not an aloof figure, who drafted policies and issued laws after reading authors like Lipsius or, say, Hugo Grotius (1583–1645).30 The Articles of War were drafted in cooperation with the field marshal and the leading officers in the realm. Its provisions were, it seems, at least in part designed to overcome the resistance that legislators expected to encounter from regimental officers. The further revisions in the legislation made during the following decade until 1632 certainly point to the Crown’s difficulties with controlling the regimental courts. The articles were first issued in July 1621, at the outset of a drawnout war with Poland-Lithuania. This war continued until 1629 and made it difficult to implement other proposals of the 1619 memorandum.31 Problems with controlling plundering and the jurisdiction in the unruly regiments that occupied Royal Prussia moved the Chancellor Axel Oxenstierna to create a number of court offices in July 1628.32 Upon his return to Sweden in early 1630,

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31 32

p. 24; Carl Hallendorf (ed.), Tal och skrifter av Konung Gustav II Adolf, Stockholm 1915, p. 195. Oestreich, Neostoicism (as footnote 7), p. 111. Bo Lindberg, Stoicism och stat. Justus Lipsius och den politiska humanismen, Stockholm 2002, pp. 198–205, quote p. 202: “referensramen”. An equally thoughtful study of some importance to the following is Pärtel Piirimäe, Just War in Theory and Practice. The Legitimation of Swedish Intervention in the Thirty Years War, in: The Historical Journal 45 (2002), 499–523. It is also incorrect when Oestreich, Neostoicism (as footnote 7), p. 86, portrays the Swedish system of conscription as being heavily influenced by Lipsius. Gustav Vasa (1496–1560) had laid the foundations for conscription in 1544, after adverse experiences with German mercenaries. The military legislation issued by King Erik XIV (1533–1577) shows more direct theoretical influence, Gunnar Annell, Erik XIV:s etiska föreställningar och deras inflytande p, hans politik, Uppsala 1945, pp. 38–42; Lars Ericson Wolke, Krigets id8er. Svenska tankar om krigföring 1320–1920, Stockholm 2007. The King did, however, order his archivist to continue to collect recent military legislation issued by foreign princes, for use in a future revision, Anners, Vasatidens (as footnote 17), p. 99. On the background, Klaus-Richard Böhme, Die schwedische Besetzung des Weichseldeltas 1626–1636, Würzburg 1963. Instructions for the Generalauditeur are found in AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 4, pp. 163–167; Rumormeister (pp. 168–171); Generalgewaltiger (pp. 171–175). Sometime between July 1628 and late 1631 Axel Oxenstierna revised the 1621Articles, adding the new offices to a manuscript entitled Verfassung der Königlicher Schwedischer Kriegsdisciplin Vnd Rechts: Zum deroselben Articulen; Ämptern; Vnd tractamenten. 1. Werden gesetzt, das Kriegs Recht Vnd Articul, Welche alle Kriegs leuthe, Waß Standt Vnd Wesens sie sein mögen: Jhren Königlicher Maiestät zu Schweden Zuhalten sich

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Gustavus Adolphus then took the steps necessary to found the planned central administrative and legal institution, the War Council (Krigskollegiet).33 At the turn of the year 1631/1632, during a pause in his extended campaign in the Empire, he finished the revision of the existing Articles of War.34 The title page of the military regulations issued in 1632 informed the reader that the Swedish laws of war (Schwedisches Kriegs-Recht) consisted of three parts. (1) A penal code which outlawed specific forms of behaviour and fixed the corresponding punishments. (2) Procedural principles which outlined how the courts martial should prosecute defendants and execute sentences. (3) A set of instructions which summarised the duties and powers of the offices recently established, in 1628.35 The third section constitutes the main change compared to the 1621 edition. The two officials mentioned at the bottom of the front page should together help to make the legal system work according to precepts: the Generalauditeur (General Judge Advocate) monitored courts as a travelling commissary, whilst the Generalgewaltiger was to act as prosecutor and police the camp. A Rumormeister was to help the latter arrest raiders in the countryside. Such police tasks often proved very hard to realise, as a continual stream of supplementary mandates shows. The best-known mandate was issued at the turn of the year 1630/1631 and allowed peasants to arrest soldiers absent without leave.36 A later edict even empowered villagers to capture and bring back robbing soldiers “dead or alive”.37 In principle, it was the task of commanding officers to

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Verpflichtet haben. 2. Wirdt beschreiben das Ambt deß Schultheißen Vnd Auditoris Generalß, Welcher Vnter sich immediate hatt den Provos General Vnd Gewaltigern. Den Capitain de la Campagne, oder Rumor Meister. Sambt Jhren Gardes Vnd dienern der Justitis (RA M906). Established May 6, 1630. Until 1636, the administrative body was also known as the krigsr,d and krigsrätt (Court Martial). The varying nomenclature gave rise to a historiographical controversy on its precise function, Roberts, Gustavus Adolphus (as footnote 7), pp. 276–277. RA M904 is a late draft, with minor revisions. The articles were printed in four named cities in 1632, with variant spelling and pagination. I consulted: Schwedisches Kriegs-Recht/ Oder Articuls-Brieff/ […] Sampt angeheffter General- vnd Obergerichts Ordnung/ vnd deß General Auditors, wie auch General Gewaltigers/ [e]tc. Ampt vnd Bestallungs Puncten. […], Nürnberg 1632 (VD17 32:645552E). A complete facsimile (Heilbronn 1632) is now available online at (29. 6. 2016). For later editions see Collijn, Sveriges bibliografi (as footnote 22), pp. 463–464. The procedural precepts were restructured to take the newly founded War Council into account, Brusiin, Krigsartiklar (as footnote 22), pp. 386–388. The re-organised penal code gave a better overview and eliminated redundant articles. Frauenholz, Heerwesen (as footnote 22), Appendix XXIIII, Art. 10 based on [Watts], Svvedish Discipline (as footnote 22), pp. 69–73. Watts’ source is the pseudo-official Phil. Arlanibaeus [= Johann Philipp Abelin], Arma Suecica Hoc Est, Vera Et Accurata Descriptio Belli, quod Gustavus Adolphus, Suecorum […] Rex: […] in Germania hactenus gessit […], [Frankfurt/M] 1631, pp. 96–98, with the dating used here; see also pp. 87–88. Issued in and around Erfurt in January 1640 by orders of Johan Ban8r, [Anon.], [Erfurt chronicle], ThHStAW F164, p. 22v. A detailed analysis of yet another of Ban8r’s edicts is Wulf

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prevent such assaults from taking place. Yet many officers ignored the stern warnings and either tolerated or actively took part in raids. Civilian complaints were often met with threats or half-hearted trials that led to mild sentences or pardoning.38 The threat to severely punish any officer who held his hand over wanted criminals, without regard to the officers’ rank had little effect in the regiments.39 Gustavus Adolphus had already sought to limit the legal independence of the self-willed officers in 1621. If judges accepted a lawsuit brought before the court martial, and if the involved parties did not break off proceedings and agree on an out-of-court settlement, a fully autonomous regimental tribunal would normally have exercised discretion at three points of a trial. Judges first established the innocence or guilt of a defendant. If he was found guilty, they then fixed his sentence. A third and final step was to execute, commute, or remit a sentence.40 The articles of 1621 only left the first of these three basic steps to the colonel’s discretion. Regimental tribunals were ordered to strictly follow the harsh letter of the law in their sentences and leave it to the higher court or field marshal to consider mitigating circumstances. The exercise of clemency was likewise to be limited to the higher court.41 The draconian character of the code – stipulating the death sentence for 44 out of a total of about 110 crimes – helped to make the existence of a higher court necessary.

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Eckart Voß, Zur Verhinderung noch größeren Leids. Vom Elend und Segen des Rechts im Kriege, in: Klaus Bußmann, Heinz Schilling (eds.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, [Münster] 1998, pp. 275–284 (October 6, 1637). An easily accessible edict is found in AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 8, pp. 202–207. E. g. AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 4, p. 111 (Elbing, April 4, 1628). “[W]er der auch sey/ klein oder groß Hans”, approximately : “Regardless whether he is a small or a big fish”. Art. 108 in Tit. XXII “Von Abschaff- vnnd Verhelung der Missethäter.” Schwedisches Kriegs-Recht (as footnote 34), p. 38. Though the procedural principles did not envision out-of-court settlements, they were common, especially when civilians were involved. See footnote 62 for examples. Art. 138, 147. Cf. Schwedisches Kriegs-Recht (as footnote 34), Ober-Gerichts-Ordnung, Tit. I, Art. 11; Tit. II, Art. 15. Hence the frequent injunction to sentence “without mercy” (“ohn Gnaden”, “unnachlässig”, “ohne Ansehen” etc. Art. 2, 3, 23, 35, 59, 60, 64, 69, 81, 112). Only under extraordinary circumstances were capital punishments to be executed without delay and approval by the higher authorities, e. g. p. 65, Tit. VI, Art. 4. See also Mod8er, Gerichtsbarkeiten (as footnote 3), p. 26, and Brusiin, Krigsartiklar (as footnote 22), p. 384, who lists the relatively few articles (fifteen in 1621 and twenty in 1632) that allowed officers to exercise discretion and pass an arbitrary sentence.

The Contested Implementation of the Swedish Articles of War

III.

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Implementing and bending the articles of war

Though the Articles of War unmistakably declared commutation (Swedish: Leuteration) and clemency (Gnade, n,d) as royal privileges, this claim had yet to be enforced in the regimental courts. It comes as no surprise that officers in the tribunals were reluctant to implement the King’s penal and procedural code. Axel Oxenstierna’s correspondence offers a panorama of the officers’ legal permissiveness, which, to return to the Altdorf-speech, made the King’s “haire standeth up on end, at the very horrour of it”. Embezzlement, participation in plundering, and plans for open mutiny are the most prominent plaints.42 Yet few of the Chancellor’s edited letters reveal the workings of officer-controlled courts in the same detail as do the records on a raid in Courland. The prosecution of this case from 1635 provides extraordinary insights into the officers’ machinations, though the case itself began as a quite ordinary, if illegal, raid on a countryside manor.43 Commanders in the Swedish army camp agreed to each delegate soldiers from their companies and place the united task force under the command of a low-ranking officer, a certain Lieutenant Adam Meier. The colonels and Rittmeister made sure that the lieutenant knew whom to raid, without issuing such orders. This was, it seems, a standard measure to limit legal responsibility.44 In late September 1635, the Duchy of Courland was a quite safe place for such irregular operations. Although fighting with the Polish-Lithuanian army had recently been concluded by the Armistice of Stuhmsdorff (September 12, 1635), the autonomous duchy remained occupied by Swedish and Polish forces. The Duke’s policy of disarmed neutrality had since the 1620s made his realm an easy prey for both armies.45 The Swedish general governor, Bengt Bengtsson Oxenstierna (1591–1643), was moreover known to tolerate a fair deal of plundering.46 42 See footnotes 25, 61, 67, and the relevant entries in the indices to AOSB (as footnote 10). On mutinies see Hans Andersson’s contribution to this volume and Per Sörensson, Krisen vid de svenska arm8erna i Tyskland efter Ban8rs död (maj-november 1641), Stockholm 1931. 43 The following is based KA Domböcker, Volym 42 (Ser. II: Livonia 1635–1637), p. 1r–41r. A parallel account with additional details is [Anon.], Attentat der Schweden auf Herzog Friedrich 1635, in: Kurländisches Provinzialblatt (25. 10. 1810), pp. 82–85 (probably based on the ducal archives). 44 See footnote 61 below. The officers’ officially ordered Lt. Meier to question local noblemen about their alleged attempts to persuade Swedish troops to join enemy forces. 45 A detailed and more nuanced assessment of the ducal policy is Volker Keller, Herzog Friedrich von Kurland (1569–1642). Verfassungs-, Nachfolge- und Neutralitätspolitik, Marburg 2005. 46 During October and November, the General Governor even tolerated plundering in the Duchy of Livonia, loyal to the Crown. Troops about to be shipped to the German theatre of war plundered “as in Germany”, a Swedish envoy reported: “Selbige Reuther haben im durchmarschieren gehauset, Wie sie in Teuttschlantt gewohnet sein, […] Welches den offi-

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The raid in the night between the first and the second of October met little resistance. The few shots fired from within the manor in Eckau (Iecava) could not stop the two dozen mounted musketeers, who had joined forces with a smaller group of Polish soldiers, they had met on the way. Together they led off the horses and cattle from the stables and thoroughly looted the manor. Back in the camp, the livestock was divided between the soldiers and their commanding officers.47 The officers’ only problem was that Duke Friedrich I (1569–1642) happened to be staying the night at the small manor, on his way to negotiate the withdrawal of the foreign forces. The raiders probably first became aware of his presence en route.48 After some hesitation, the lieutenant in command rather recklessly decided to carry on with the raid; respect for the aged and powerless prince had reached a very low point indeed. Nevertheless, the Swedish regional commanders could not afford to wholly ignore the ensuing ducal lawsuit. The hearings put the higher-ranking officers’ preparations to the test. Lieutenant Colonel Michell Groß (Graß) who had been in closest contact with the main culprit, Meier, prudently sent a sergeant to warn Lieutenant Meier to hit the road (“sich aus dem Staube Zue machenn”).49 Another wanted raider promptly left for Riga, with much of the raided livestock.50 On the night before the first session of the court martial (October 8, 1635), the high-ranking officers behind the raid approached the two remaining non-commissioned officers arrested and held responsible for the raid. They strictly forbade the defendants to mention the clandestine instruction they had given to the lieutenant at the coming court session, held in the presence of the Courland delegates. Lieutenant Colonel Groß finally reassured the detainees that the judges would drag their feet and postpone the case: “[es] würde die sache doch auff die Lange bancke gezogen werden.”51

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cirern im [schwedischen] Reiche, dahin es die Lanttschafft gelangen zulaßen gemeinet, schwer zuuerantwortten sein wirt.” Letters from Philip Scheiding to Bengt Oxenstierna, November 1635, LHA Fond 4038, Findbuch 2, Nr. 1910a, 1–11, p. 4, November 11, 1635. Attentat (as footnote 43), p. 83; KA (as footnote 43), p. 29v. On the same night, another group of soldiers tried to raid the ducal estates in Annenburg (Emburga). Raids were a lucrative occasion for the ill-paid soldiers. At least one of the participants, the unemployed (reformed) ensign Hans Wiegand, asked for permission to join the raid. One accused sergeant claimed that all soldiers had come to know of this when they met the Polish soldiers, KA (as footnote 43), p. 3v. An ensign stated that a miller near the estate had first told them about the ducal presence (p. 2r–2v); according to a third defendant, they had not discovered this until they stormed his chambers (p. 4v). Each of the questioned soldiers hereby tried to shift guilt on one of the other defendants. KA (as footnote 43), p. 11r, testimony by the said Sergeant Bryloff (Brülof). KA (as footnote 43), p. 25v, testimony by Simon Korffmacher (Korbmacher). Charges were raised against Lieutenant Adam Meier, Ensign Simon Korffmacher (both in absentia), Ensign Hans Wiegand, and Corporal Jacob Nosacki (Nosocky). The testimonies cited here were given in November, at a closed court session, by Nosacki (“mein Rittmeister Ger[har]dt Leue [Löwe] ist den Abendt zuvor [vor dem achten Oktober, H. B.] bey dem H. Gewaltiger Zue mir gekommen. Vnd selbiges hartt Verbottenn, das Jchs nicht in præsentz der

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Commanding officers repeated such promises after the second day of the trial, when the two defendants were found guilty and sentenced to death as accomplices. The execution of the sentence was, however, postponed for six weeks, leaving time to review the case should the two main culprits be apprehended.52 Four weeks on, the convicted ensign Hans Wiegand began to grow afraid that he might after all be executed to appease the ducal disgrace. Groß, who had promised him legal assistance, had in the meantime disappeared. Abandoned by his commanding officer, Wiegand pleaded for permission to testify anew: “Nu mehr aber in dem ehr Verspüret, daß Ehr von seinem Ob:[rist] Leut[enant] ganz Verlaßen werde, Alß könte ehr was ihm recht bewust nicht Lenger […] Verschweigen […] vnd [hat] darauf erzehlet: […].”53

Wiegand spoke out on the officers’ well-prepared ignorance and their aforementioned manipulation of the defendants. This background information would have remained unknown, had the promised legal aid been provided for Wiegand. If one gives credence to the defendants’ testimony, the Lieutenant Colonel had indirectly reassured the raiders that the General Governor himself knew of and had sanctioned the raid. “Even if something might arise from this”, the raiders had been told, “His Right Honourable Grace would turn a blind eye to it”.54 The case began to take a worrying turn for General Governor Oxenstierna. The Courland Duke had protested against the sentence in mid-November and demanded that the main culprit, Adam Meier, be arrested. Bengt Oxenstierna responded angrily, tearing up the protocol and annulling all sentences.55 Wie-

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Churländer thuen solthe.”), KA (as footnote 43), p. 13v. Wiegand quoted Lieutenant Colonel Groß (ibid. p. 10v): “wann schon Zu Gerichte etwas geschehen solthe, er [i. e. Wiegand] sich nicht darann kehren möchte, denn es alles nur wegenn der Churländer geschege: Vnndt würde die sache doch auff die Lange bancke gezogen werden.” Sentence passed by Generalmajor Johan Nilsson Lilliehöök, October 9, 1635, KA (as footnote 43), p. 7r. Groß had allegedly thereupon calmed Wiegand with promises of further legal assistance: “Es soll Jhm so[,] nach Jhren [i. e. der Kurländer] Willen nicht gehenn, solthe Jch auch einen eigenen Advocaten annehmenn Vnnd 500 Thaler darauff Spendiren.” Ibid, p. 14v. KA (as footnote 43), p. 15r (November 18, 1635). Wiegand also testified on November 7 and on December 1 and 7. “[O]b Vielleicht etwas davon entstehenn möchte, Seiner Wolgeborne Gnadem mitt Vns deßfals wol durch den finger sehenn wolthenn”, KA (as footnote 43), p. 12v (Nosocky). Wiegand suggested that the same promise (“durch den Finger sehen”) from someone ,high up’ (“die hohe Obrigkeitt”) had circulated among the officers in the camp prior to the raid, 9v ; see further p. 13v, 15r–15v. Wiegand had, as this point, grown quite desperate and asked for two weeks’ respite, p. 16r. The court martial granted him this, but did not give credence to him when he tried to incriminate a third low-ranking raider, Ensign Simon Korffmacher ; p. 20r–26v. Towards the end of the trial (p. 40r), Wiegand openly accused Lieutenant Colonel Groß of knowing where the main culprit, Lieutenant Meier, was hiding. Attentat (as footnote 43), p. 84f on which the following is based. More formal written exchanges between Bengt Oxenstierna and Duke Friedrich are found in KA (as footnote 43), p. 33r–37r (November 23 and 28 1635, September 10 and 25, 1636).

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gand’s recent testimony drawn up in prison in Riga nevertheless somehow came to the Duke’s knowledge. He eventually agreed with the General Governor that the two defendants should be shipped to Sweden, along with the protocols. Oxenstierna nonetheless ignored all appeals from the ducal envoy sent to Stockholm in the following year, 1636. Oxenstierna was, he himself swore, only trying to avoid that the Duke might have reason to complain of a superficial prosecution, carried out with “haste”.56 The General Governor managed to drag out the case. It was not presented before the War College until July 1637, almost two years after the raid. By then, the defendants Wiegand and Nosacki had been released from the Riga prison, a number of the Duke’s horses were working on an officer’s farmstead in Finland, and the War College in Stockholm finally shelved the case.57 Bengt Oxenstierna was, after all, Axel Oxenstierna’s cousin and protected the Chancellor’s economic interests in his extended Livonian estates.58 Bengt had already tightened the family bonds in the late 1620s by serving under Axel in the occupational administration of Royal Prussia and these ties now helped him to weather the many Baltic complaints with minor bruises.59 In addition to the obvious importance of family connections, the case features salient characteristics summed up in the following paragraphs. Commentators frequently used the telling idiom “durch die Finger sehen” to criticise the administration of justice in the army.60 Prior to earlier plundering in Marienburg, 56 “[Damit Ihr Hoheit] sich keines Vberschnellens beklagen, besondern Vielmehr Jhr Zustehendes Recht Wieder alle Vndt Jede Vermeinete Complices bester maßen möchten außVben können […]”, KA (as footnote 43), p. 35v. 57 KA (as footnote 43), p. 36r (on the release) and 38r (on horses in Savolax). Oxenstierna had handed in the records in September 1636, KA Krigskollegium Kansliet, Brevböcker, 1636, p. 122r–123v. 58 Anna Christina Meurling, Svensk domstolsförvaltning i Livland 1634–1700, Lund 1967, pp. 89–90 and 98–101; for background information see Edgars Dunsdorfs, The Livonian estates of Axel Oxenstierna, Stockholm 1981. 59 The central authorities did not invariably support Bengt Oxenstierna’s leniency towards military assaults. In 1638, Livonian noblemen gained influence on the inspection of the unruly armed forces that had often ravaged their estates. In 1645, the War College appointed a war fiscal to improve inspection. Livonia had already in 1636, as the only territory outside the Swedish realm, been tied closely to the College’s court of appeal in Stockholm. Steckz8n, Krigskollegii historia (as footnote 17), p. 94, 152; Meurling, Svensk domstolsförvaltning (as footnote 58), pp. 31–32. 60 E. g. AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 4, p. 175; Vol. 5, p. 35, no. 2, p. 91; and Schwedisches Kriegs-Recht (as footnote 34), Ober-Gerichts-Ordnung p. 58, Tit. IV, Art. 19. A former judge advocate criticised the widespread collusion between officers and the regimental judge advocate, expressed in the saying “mir nichts dir nichts”, [Kaspar Stieler], Auditeur oder KriegsSchulteiß. […] aus selbsteigener Beleb- und Erfahrung herausgegeben von dem Spaten, Nürnberg 1683, p. 501. In the Brandenburg-Prussian army, where Kaspar Stieler (1632–1707) had served, the career of a regimental judge advocate was even more dependent on the colonel than his Swedish colleagues. See Schneider, Gerichtsherr (as footnote 16), p. 36, 42; Holger Berg, Der “Spate” und das Schwert. Kaspar Stieler und seine Schrift Au-

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commanding officers kept up an ignorant faÅade by gathering up and riding out of the Prussian town together, leaving it to be pillaged by their subordinate soldiers – without their knowledge, they could then claim.61A second typical trait is the legal assistance. Reading through the records on other occupied towns, like Erfurt in Central Germany, one encounters plenty of cases where officers (including those ranking lowest on the ‘prima plana’) were granted the sort legal assistance that the ensign Wiegand had been promised. Judges in the tribunals of the lower and higher courts frequently helped their charged colleagues by passing blank acquittals or working out compromises with the civilian plaintiffs, in manners not envisioned in the procedural principles.62 The trials involving high-ranking civilian victims led to similar mobilisation of legal resources; not all officers were as fortunate as those behind the raids in Courland.63 On the whole, however, extant records give the impression that officers usually prevailed against most civilian plaintiffs. For example, a captain accused of raping the daughter of the highest-standing churchman in Reval (the Superintendent) managed to annul the sentence passed by a regional tribunal by procuring a royal pardon and letter of protection.64 The protracted prosecution of the Courlandcase finally helps to explain why the Crown ordered the Regimentgewaltiger to effect the “swift” execution of sentences and charged the General Judge Advocate with inspecting garrisons.65 A close surveillance was needed if royal authorities were to check permissive commanders.

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diteur oder KriegsSchulteiß (1683), in: Michael Ludscheidt (ed.), Kaspar Stieler (1632–1707). Studien zum literarischen Werk des “Spaten”, Rudolstadt 2010, 253–280. AOSB (as footnote 10) 2, Vol. 9, p. 116 (April 12, 1628). Hermann Wrangel placed a lieutenant and corporal under arrest and asked Axel Oxenstierna to help him prosecute the case. See Böhme, Besetzung (as footnote 32), p. 106. The Articles of War sternly prohibited all but the „very neere kinsman” in the regiments to intercede with the court on behalf of convicted soldiers, Art. 148, [Watts], Svvedish Discipline (as footnote 22), p. 68. Therefore, the criminalised legal assistance is at times best documented in the parallel records kept by civilian authorities in occupied towns, such as the Black Book of the Bailiff (1639–1646), LHSAMW, Rep. A.37 b I,II, IX, Nr. 32, here pp. 24–26 and 240–246. See Christian Heinrich Beyer, Das schwarze Vogteibuch des Raths zu Erfurt, in: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates 15 (1835), 240–269, and Holger Berg, Regulating war and perceiving violence in and around Erfurt during the Thirty Years War, M.A. Thesis, Department of History, University of Erfurt, July 2004, Chapter III. 2–3. A much publicised robbery of the Swedish Queen’s jeweller led to the execution of six officers in Erfurt, Samuel Fritz: Cronica Erphordiana, StAE 5/100–42, p. 238; Johann Hundorph, Encomii Erfurtini Continuatio […], Erfurt 1651 (date: 3. 1. 1634). The raiders of a noble grave in Strasburg (Brodnica) seem to have got off without punishment, AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 5, p. 96–99; see also Voß, Verhinderung (as footnote 37), passim. EHA 2, 2, 1 (Reualsche Schloß Protocol), pp. 1r–8r (February 1622, Captain Köpken vs. Gundula Nils), p. 14r–14v (7. 11. 1622). A set of even more scandalous cases are described in Lorenz, Rad der Gewalt (as footnote 3), pp. 213–215. Schwedisches Kriegs-Recht (as footnote 34), pp. 47–53, Ober-Gerichts-Ordnung Tit. I,

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IV.

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Monitoring agents

How could the Crown improve control of the regiments? With regards to this question, implementation analysis focuses on the dual instruments of monitoring and imposing sanctions on local agents. During the seventeenth century monitoring primarily took place through commissaries in a manner first examined systematically in 1919 by Otto Hintze (1861–1940).66 Swedish commissaries were instructed to hear complaints in the regiments, investigate crimes, and inspect court records. The perhaps most interesting set of issues raised by the Courland case concerns the content of the court protocols and their archival preservation. Local power constellations obviously greatly influenced what was said ‘for the record’ and what was kept ‘off the record’. The most important conversations often took place before and after the court sessions. Axel Oxenstierna, for one, read the protocols sent to him from lower courts with due scepticism. Commenting on a trial about embezzlement, he requested a local governor to “remind the court scribe to put the pen to paper with more caution and stop interfering with the shipment of records”.67 The Courland case is one of the few cases prior to 1650 that made its way from the courts in occupied territories to the Stockholm archives. During the period under consideration, royal inspection still took place in a less systematic manner, without a central archive demanding that records be shipped in from the regiments.68 From 1626 onwards, Axel Oxenstierna inspected as many protocols from trials as he could manage, “to keep a

Art. 13 (“[…] auch nach ergangenem Vrtheil mit der Execution […] schleunig fortfahren”); Tit. III, especially Art. 10, 11, 13. 66 Translated as Otto Hintze, The Commissary and His Significance in General Administrative History. A Comparative Study, in: Felix Gilbert, Robert M. Berdahl (eds.), The Historical Essays of Otto Hintze, New York 1975, pp. 265–301, 473–478. The relevant offices in the French army are treated in this volume by Markus Meumann. Note also Bernhard Löffler, Das Kommissarwesen in der Frühen Neuzeit. Staatstheoretische Grundlagen, verwaltungshistorische Interpretationen, politische Praxis (im bayerisch-ligistischen Heer während des Dreißigjährigen Krieges), in: Bernhard Löffler, Karsten Ruppert (eds.), Religiöse Prägung und politische Ordnung in der Neuzeit. Festschrift für Winfried Becker zum 65. Geburtstag, Köln et al. 2006, 137–168. 67 “[I]m übrigen [soll man] den gerichtsnotarium erinnern, das er hinfüro die feder mit mehrer behutsamkeit führe, peregrina actis nicht immiscire, sondern alles suo loco und unvermengt einbringe.” AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 3, pp. 481–482, 541 (quote). A captain was here charged with Article 115, holding him responsible “for all inconueniences” (here desertion) that ensued from his reduction of the soldiers’ wages. Oxenstierna cautioned the Braunsberg governor not to prolong the case any further but rather question the captain in a harsher manner, under oath. Similarly sceptic comments are found in Vol. 12, pp. 58–61. 68 On the past and present archival holdings, Steckz8n, Krigskollegii historia (as footnote 17), pp. 150–151.

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sharp watchful eye on the benefical justice and military discipline”.69 In 1628, he appointed a general judge advocate to support him. The Generalauditeur was placed before all court officials and instructed to visit regional courts annually.70 In Prussia, the general judge advocate was also dispatched to garrisons to preside over trials that demanded the presence of a high-ranking representative of the Crown. A general judge advocate would be appointed in most regions occupied by Swedish forces over the coming decades.71 Monitoring was, in itself, not a useless instrument. Governors lacking Bengt Oxenstierna’s connections were liable to act more loyally once the King’s men appeared in the court.72 Other commanders, whose careers were less dependent on the Crown, ignored or attacked the commissaries. The 1628 instruction hence assigned the general judge advocate a small staff of musketeers able to bring unpunished criminals to justice, “because […] orders and papers do not accomplish much with the wilful […]”.73 One frustrated Generalauditeur stationed in Mainz, in 1634 complained of regimental officers who refused to appear when he cited them in court. They managed to “save their necks” by invoking their colonels’ jurisdictive prerogatives. The colonels consistently asserted their right to try soldiers arrested by the Generalauditeur in their own regimental courts. Once returned to regimental custody, the arrested robbers were then soon released.74 Several further executive and monitoring offices were established in 69 The King had in that year roundly prohibited all courts martial and generals from pardoning convicts and ordered judges to send in sentences to Oxenstierna for review, Böhme, Besetzung (as footnote 32), p. 52. Many of the extant records from court martials are found in Oxenstierna’s archives, especially in RA E889. AOSB 1, Vol. 3, p. 681: “auf die heilsame justiti undt krigsdisciplin ein scharffwachendes aug zu haben” (1627). 70 See footnote 32 and 65; a 1639-ordinance demanded a bi-annual inspection, Mod8er, Gerichtsbarkeiten (as footnote 3), p. 167. 71 Mod8er, Gerichtsbarkeiten (as footnote 3), p. 224 et passim. 72 Governor Anders Koskull (Andreas Kosküll), for one, kept to the precepts in the rape case tried in Braunsberg on November 2, 1631 (RA E889). Officers in the tribunal tried to introduce the customary distinctions between different degrees of sexual assault, depending on the corporal bruises and indirect consent. Mindful of the general judge advocate’s presence, the Governor in his vote stressed that Swedish law (a recognised supplementary code) did not acknowledge such distinctions. Koskull here applied the penal code in more loyal manner than his predecessor, Anders Eriksson Hästehufvud (footnote 67). On the prosecution of rapist soldiers at civil courts see Karin Jansson, Soldaten und Vergewaltigungen im Schweden des 17. Jahrhunderts, in: Benigna von Krusenstjern, Hans Medick (eds.), Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 2001, 195–225; Karin Hassan Jansson, Kvinnofred. Synen p, v,ldtäkt och konstruktionen av kön i Sverige 1600–1800, Uppsala 2002, Chapter 3. 73 “Weil auch die rescripta und papire bei den muthwilligen nicht viel aussrichten […]”, AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 4, p. 166. 74 “[… S]o wollen doch die Officirer in gemein, den Kopff auß der schlingen Ziehen, Vndt Jeder Zeit auff ihre Obristen sich beruffen […]”. Quote from the first plaint in the unpaginated memorandum entitled Vnder Allerhand Mißbrauchen, so Zur Nachtheil der Justitien ein-

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1628 and added to the articles from 1632. Most of these officials were not better off. The Rumormeister or Captain de la campagne was appointed to patrol the countryside and keep the roads clean of “the runaway soldiers and robbers” “that tend to do most damage”.75 Yet if he made full use of his powers, he risked invoking the enmity of the officer corps. A Rumormeister who arrested a noble soldier accused of robbery and executed him on the spot provoked a long-lasting feud within the army in Prussia, in 1628. Vengeful officers replied by hanging several of the Rumormeister’s subordinate horsemen.76 Corruption of the monitoring agents posed an additional problem, which can only be hinted at here. In the Courland case, the very Gewaltiger who was meant to raise charges against covered-up crimes seems to have been bribed and kept silent after he received his share in the booty.77

V.

Conclusion

The Swedish reforms of military law were drafted and revised during briefer pauses in the fighting (1619, 1621, 1628, 1630, winter 1631/ 1632). These revisions offered rulers the opportunity to take adverse experiences into account. The extant records not only point to the inevitable gap between legal precepts and jurisdictional practice. They also document that Gustavus Adolphus and Axel Oxenstierna were acutely aware of the gap that divided their jurisdictional plans from the interests of the colonels and regimental officers fighting their wars and tried to bridge this gap. The old apologetic account that presents the reißen wollen, seindt diße nit die geringste (RA E889), undated (after March 1634). The anonymous author is identified as Generalauditor Samuel Weiss von Schalen by HermannDieter Müller, Der schwedische Staat in Mainz 1631–1636. Einnahme, Verwaltung, Absichten, Restitution, Mainz 1979, pp. 116–117. Müller gives an excellent documentation of occupational rule in Mainz, but wavers in his evaluation of the military jurisdiction. He is probably most accurate when he remarks “daß die Schweden auf sie [die Rechtsprechung im Kurfürstentum Mainz, H. B.] weniger Energie als zum Aufbau der Regierung und besonders der Kammer verwandten” (p. 118). 75 AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 4, p. 168: “aussreissern, ra[e]ubern, dienst- und herrnlos gesindtlein” (no. 2), “volontairen, avancourreurs und nachbleibende mäuser, die gemeiniglich den meisten schaden thuen” (no. 3). 76 AOSB (as footnote 10) 1, Vol. 5, p. 149 (Elbing February 28, 1630), 286, 308; see Böhme, Besetzung (as footnote 32), pp. 167–168. 77 KA (as footnote 43), pp. 17r–20r, 29v, 33r. For similar cases see footnote 60; RA M906 (Nothwendige Erinnerungen allerhandt im Justitie Weßen, vnder Vnßern Armee fast täglich fürfallenden exorbitantien, vnd Welcher gestalt denenselben mit Zeitiger vnd beßere reformirung abgeholffen werden möge); Steckz8n, Krigskollegii historia (as footnote 17), pp. 133–134, 152–154; Erich Haupt, Die Reichsstadt Mühlhausen in den Jahren 1641–1650, Halle/S 1914, pp. 23–25 (1643): the Auditeur sent to control a tyrannical Swedish officer instead went out drinking with him!

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King as a high-minded “Interpreter of the Heroiche Iustice” whose “great intentions” (Watts) met a “melancholy ending” (Roberts) when he signed on mercenaries is rather misleading.78 The high-minded printed speeches are best regarded as publicity acts.79 Moreover, the King and his Chancellor considered the military enterprisers’ conflicting interests right from the outset, in the first edition of the Articles of War of 1621. Their central administrative measures could only in part bridge the gap. The appeal courts and general judge advocates remained far removed from many garrisons. Institutional squabbles and personal conflicts impeded the legal work in both Stockholm and the occupied territories.80 Swedish authorities did, arguably, neglect selective career advancement as a means to ensure a more loyal administration of justice. Wallenstein is, for instance, known to have punished unruly colonels by cutting their budgets and using dishonourable discharges. Both measures deprived officers of (part of) their investments in the regiment. Yet Wallenstein mainly conducted such crackdowns in periods where there was a low demand in troops.81 Given that the Swedish Crown was at war during most of the seventeenth century and therefore chronically lacked men, the combination of negative and positive career sanctions (discharges and promotion) does not seem to have been much of an option.82

78 Quotes in footnote 6 and Roberts, Gustavus Adolphus (as footnote 7), p. 245; Böhme, Besetzung (as footnote 32), p. 182 quotes a revealing exchange between the King and Chancellor. 79 Beate Engelen, Jacques Callot – Die Belagerung von Breda. Kunst über den Krieg als Apotheose und Sinnbild, in: Jutta Nowosadtko, Matthias Rogg (eds.), “Mars und die Musen”. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Berlin 2008, 233–250. 80 The rivalry between the War Council, on the one hand, and the Riksr,d and Hovrätt, on the other hand, are two of the better-documented cases, Steckz8n, Krigskollegii historia (as footnote 17), pp. 151–152; see also pp. 145–146. During the late 1630s, occupational rule in Westphalia was greatly complicated by conflicts between the General War Commissary Carl Gregersson (later : Andeflycht), the Vicegovernor Friedrich von Zabeltitz, and the commandant in Nienburg, Wilhelm Wend von Kratzenstein. See the entries in AOSB (as footnote 10) especially 2, Vol. 6 and (10. 8. 2015), espec. reg. nr. 1129; Mod8er, Gerichtsbarkeiten (as footnote 3), pp. 206–220. Johan Oxenstierna reestablished order here in 1643/ 1644, as he had done in Pomerania. He seems to have brought back many of the records now stored in KA Krigsrättshandlingar Vol. 3. 81 Hermann Hallwich, Fünf Bücher Geschichte Wallensteins, Leipzig 1910, Vol. 1, pp. 457–460 (threat) and Vol. 2, pp. 51, 245, 253–255. The Bavarian Duke seems to have made more rigorous use of this sanction, Michael Kaiser, Politik und Kriegführung. Maximilian von Bayern, Tilly und die Katholische Liga im Dreißigjährigen Krieg, Münster 1999, pp. 35–36, 71–72, 94–97. Related observations in Redlich, Enterpriser (as footnote 9), Vol. 1, pp. 196–197 and 171–179. Donating conquered lands to officers was apparently more used in Sweden, ibid. pp. 354–356. This positive sanction reduced arrears and tied officers closer to the Crown’s interests. 82 Lorenz, Rad der Gewalt (as footnote 3), pp. 328–330 et passim, emphasises this factor.

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The three decades examined here were an early stage in the gradual process which would eventually transform colonels and commissioned officers from military enterprisers into servants of the Crown.83 From 1621 to 1650, royal aims seem to have focused on a rather modest triad of (1) preventing the untimely surrender of fortresses,84 (2) avoiding open mutiny amongst officers, and (3) curbing their massive embezzlement. If military office-holders refrained from these three typical Offiziersdelikte, the Crown was ready to excuse their plundering as inherent to the nature of all underfunded wars. Irregular proceedings in the lower courts were likewise treated as a lesser evil.85 The central revision of records was more concerned with the rolls (rullor) listing the names of the soldiers, than the court protocols documenting their misdeeds.86 The Crown’s main administrative effort was to avoid paying wages for dead or nonexistent regulars. The planned legal unification remained of lesser importance. With regard to the actual control of military jurisdiction, the main reforms in the

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Exceptions include AOSB (as footnote 10), 1, Vol. 3, p. 484; Vol. 5, pp. 454–455; Steckz8n, Krigskollegii historia (as footnote 17), pp. 160–170. The earlier and later stages are better explored: Gunnar Art8us, Till militärstatens förhistoria. Krig, professionalisering och social förändring under Vasasönernas regering, Stockholm 1986; Fredrik Thisner, Militärstatens arvegods. Officerstjänstens socialreproduktiva funktion i Sverige och Danmark, ca 1720–1800, Uppsala 2007. Trials of such commandants figure in unusually high numbers in the correspondence and extant court records. On the surrender of Chemnitz 1641 see KA Rätteg,ngshandlingar Vol. 2, pp. 2–42; RA E889 (10. 2. 1641). RA E889 holds further records on the surrenders of Philippsburg (“Etliche Specificirte Puncta, darinnen die Württembergische Capitani sich purgiren […]”); Speyer 1632 (Clag Puncten Contra Obersten vnd gewesenen Commendanten Zue Speyer, den von Horneck […]); and Morast in Värmland (November 24, 1645). See: Müller, Mainz (as footnote 74), p. 116; Mod8er, Gerichtsbarkeiten (as footnote 3), pp. 165–166, and AOSB (as footnote 10), 2, Vol. 5, p. 432, 464–465 (the list could be extended). Giesbrecht v. Hohendorff (Gijsbrecht van Hogendorp) is a case in point. The central authorities tolerated his permissive rule of the Mainz-based Red Regiment (see footnote 74), because of his loyal services. Hohendorff long held Mainz despite enemy threats and was therefore praised as a model servant to the Crown by the court historiographer, von Chemnitz, Königlichen Schwedischen geführten Kriegs (as footnote 5), Vol. 2, Stettin 1653, pp. 642–643, 831–834, 919. The sole extant series of records from a regimental court martial (Narva and Iwangorod, January 1636-May 1637) thus entered the Stockholm archives as a sort of appendix to the more important rolls. The War Council withheld the wages of Colonel Reinhold Wrangel until he delivered these rolls. See KA Domböcker, Volym 42, pp. 42r–72v ; KA Krigskollegium Kansliet, Brevböcker, 1636, pp. 85r–86r, 106–106v ; LHA Fond 4038, Findbuch 2, Nr. 1910a, p. 95. On financial records, Steckz8n, Krigskollegii historia (as footnote 17), pp. 76–77, 123–140, 216–217 et passim; Helmut Backhaus, Den svenska militära förvaltningen i Tyskland under Trettio,riga kriget. Räkenskaperne i Riksarkivet och Krigsarkivet, in: Krig och fred i källorna. arsbok för Riksarkivet och Landsarkivaren (1998), 73–87.

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Swedish army took place after 1683 and not in 1621. These reforms have been thoroughly examined in a German and a Swedish study.87 A preliminary survey must inevitably raise more questions than it can answer. A thorough study of the central monitoring of agents in the tribunals should look more closely at the third-party control exerted by civilian plaintiffs and other involved parties.88 One can hopefully use the analytical framework outlined here to examine the position of monitoring commissaries in other armies. Such a study in comparative administrative history could address the parallel and more closely monitored reforms of the Swedish civil court system or look into the changing recruitment patterns in the later standing armies. One might expect more compliance from officers who remained in the service of one army and from legal officials whose careers depended on a single ruler. Further local and regional case-studies are needed to establish under which conditions the rule of law could (or could not) inhibit the ‘circle of violence’ in occupied or war-ridden territories.89 The present article focused on how collusion and connivance helped officers protect themselves against civilian complaints. Yet the close-knit relations in the regiments not only led to “fauor”, “goodwill” and nepotism. It also gave rise to “fear, ill will, anger” and “hatred”. It would take a separate study to examine the tribunals’ role in this regimental rivalry.90

VI.

Historiographical remarks on Wehrgeschichte and Wehrrecht

The list of desiderata should, in this case, not amount to regrets about a neglected field of studies. There is at least one good reason why the German institutes of history shunned the subject until the 1990s. In 1920s and 1930s, autocratic or outright Nationalist Socialist researchers had turned to the history of military law with revisionist aims. If Lipsius and his colleagues provided “the first ex87 Lorenz, Rad der Gewalt (as footnote 3); Kjell ake Mod8er, Militär rätteg,ng i Sverige under Frihetstidens början, in: Skrifter utgivna av Institutet för rättshistorisk forskning […]. Serien 2, Rättshistoriska studier, Stockholm 1974, 256–336. 88 See, for instance, Ralf Pröve, Dimension und Reichweite der Paradigmen Sozialdisziplinierung und Militarisierung im Heiligen Römischen Reich, in: Heinz Schilling (ed.) Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa […], Frankfurt/M 1999, 65–85. 89 The standard has here been set by Lorenz, Rad der Gewalt (as footnote 3). 90 Career-based jealousy and miscarriages of justice play a certain role in Hans Jakob von Grimmelshausen, Der Abenteuerliche Simplicissimus Teutsch, (1668–1669). Ed. by Alfred Kelletat, München 2001, Zweites Buch, chapters 21–22, 30; Drittes Buch 3, chapter 11; Fünftes Buch chapter 4–5. See Berg, Der Spate (as footnote 60) with further references and Mod8er, Gerichtsbarkeiten (as footnote 3), pp. 219–220, for a telling example. The quote is drawn from the oath to be sworn by judges prior to each court session, [Watts], Svveedish Discipline (as footnote 22), p. 63, Art. 127.

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ample in modern times of institutionalised collaboration between academics and the general staff”, as Oestreich argued,91 Oestreich himself witnessed and took part in one of the late examples in Nationalist Socialist Germany. Some of the most lucid observations on the legal reforms in the seventeenth century were published in 1937, as a contribution to the ongoing revision of military law in the newly founded Wehrmacht.92 Older historians and jurists, like Heinrich Dietz (1874–1946), had already in the Weimar Republic directed their pens against the recent, more liberal military legislation. In 1944, the doyen historian of military law Burkhard von Bonin (1879–1947) sought to legitimate the latest legal reforms through a historical resume of the judge advocate’s place in the German armies of the past.93 Bonin and his like-minded colleagues presented history as a source of inspiration and strength for the armed forces. Their main journal was revived in 1959, with a number of the old scholars on board. These editors reassured readers that the updated title – Neue Zeitschrift für Wehrrecht – intended no break with the old field of Wehrrecht that developed in the 1930s.94 The main experts obviously felt little need to rethink their earlier stances. Even conservative scholars, like Oestreich and Hans Schneider (b. 1912), who both kept at least some distance from the regime in their studies published during the 1930s and early 1940s, hardly showed any interest in a critical reassessment of the field and their own role within it.95 Until the 1990s, the history 91 Oestreich, Neostoicism (as footnote 7), p. 79. 92 Schneider, Gerichtsherr (as footnote 16), which Heinrich Rosenberger praised in his review in Zeitschrift für Wehrrecht 2 (1937/1938), pp. 208–212. For other outcomes see Frauenholz, Heerwesen (as footnote 22) and Peter N. Miller, Nazis and Neo-Stoics. Otto Brunner and Gerhard Oestreich Before and After the Second World War, in: Past and Present 176 (2002), 144–186. Miller’s well-written article hardly does justice to Oestreich’s conservative stance in its title and report of the available data. A non-sensationalist, but thorough survey of this broad and heterogeneous field of applied historical science is Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2000, pp. 90–106. 93 Burkhard von Bonin, Vom richterlichen Offizier zum Justizoffizier, in: Zeitschrift für Wehrrecht 9 (1944), 49–51; for similar historical reflections see E. Rasch: Die geschichtlichen Grundlagen der Rechtstellung der Wehrmachtsbeamten (ibid pp. 6–9); Burkhard von Bonin, Der erste brandenburgische Generalauditor, in: Zeitschrift für Wehrrecht 2 (1937/1938), 386–389; and the articles by Rosencrantz and Christian Vogel in the journal. On the 1920sdebate, Manfred Messerschmidt, Die Wehrmachtjustiz 1933–1945, Paderborn et al. 2005. 94 Neue Zeitschrift für Wehrrecht 1 (1959), p. 3: “Das Adjektiv „neu“ will keine höhere Bewertung im Vergleich zu der früheren Zeitschrift zum Ausdruck bringen oder als Ziel bezeichnen. Es entspricht einfach einem Tatbestand.” Explicit critique of this tradition came late: Alexander Poretschkin, Die NS-Militärjustiz, in: Neue Zeitschrift für Wehrrecht 36 (1994), 195–220. 95 Schneider instead reserved his sharp, lucid analyses to issues like the French laws targeted at the members of the Waffen-SS responsible for the Oradour-massacre (June 10, 1944). Hans Schneider, Über Einzelfallgesetze, in: Hans Barion et al. (eds.), Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, Berlin 1959, 159–178, p. 173. Schneider placed these laws on par with the legislation issued during the Dreyfus-scandal. The choice of words is telling: “den juristisch

The Contested Implementation of the Swedish Articles of War

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of military law in Germany for the most remained the domain of former Wehrwissenschaftler, like Werner Hülle (1903–1992).96 Their meticulous contributions still offer a sound basis for future research. Coming studies do, however, need to critically assess their twentieth-century predecessors and find their own critical distance from their subject.

dubiosen (weil generell formulierten, aber offenbar individuell gemüntzen) Gesetzen zur Ergänzung einzelner Strafvorschriften zuungunsten der Angehörigen gewisser militärischer Einheiten, denen eine Anzahl eng begrenzter Kriegsverbrechen (Oradour) vorgeworfen wird […]”. On his intellectual context: Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, 2. ed., Berlin 2002, especially p. 37, 54, 158. Late, self-critical remarks are found in Hans Schneider, Die staatsrechtlichen Ereignissen 1932/1933 aus der Sicht eines Freiburger Studenten, in: Reinhard Mußgnug et al. (eds.), Ausgewählte Schriften Hans Schneider, Heidelberg 2002 (first published 1988), 25–37, pp. 34–36. 96 The career jurist was an influential, if rather specialised contributor. Following his retirement, Hülle revisited his early field of work, writing most of the entries on military law in the standard work of reference, the Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (1. ed. 1971–1998). Hülle’s contribution to concentration-camp-legislation and the justification of the Wehrmacht-policy of reprisal is outlined by Helmut Kramer, Karrieren und Selbstrechtfertigungen ehemaliger Wehrmachtsjuristen nach 1945, in: Wolfram Wette (ed.), Filbinger – eine deutsche Karriere, Springe 2006, 99–121, pp. 101–105.

Ralf Pröve

Systemische Herrschaftskonkurrenz durch Instanzenzüge und Patronatsbeziehungen. Probleme im Verwaltungshandeln des 18. Jahrhunderts

I.

Einführung

Ausübung und Durchsetzung von Herrschaft (nicht nur) in der Frühen Neuzeit zählen mit gutem Grund seit Forschergenerationen zu den klassischen Themenfeldern der Geschichtswissenschaft. In speziellen Disziplinen wie etwa der Rechtsgeschichte oder den mal stärker politisch, mal stärker philosophisch orientierten Staats- und Politikwissenschaften wurden sowohl Legitimationsstrategien der Herrschenden als auch Rechtsetzung und Rechtsprechung sowie bestimmte Formen des Verwaltungshandelns als Ausdruck und Mittel von Herrschaft reflektiert. Lange Zeit stand dieser thematische Kernbereich im Bann der Ideenwelt des 19. Jahrhunderts, als mit der Zielkategorie ,Staat‘ einerseits und dem Interpretationskonstrukt ,Absolutismus‘ andererseits Perspektiven und Fragestellungen bis weit in das 20. Jahrhundert hinein geprägt und wissenssoziologisch nahezu zementiert wurden.1 Diese geschichtsphilosophisch-hermeneutische Entwicklung bewirkte einen entsprechend eingefärbten Forschungsfokus, der von einer zumindest bis 1945, eigentlich aber auch noch bis lange danach reichenden positiven Emphase von staatlicher Herrschaft sowie einem grundsätzlichen Vertrauen in staatliches Handeln geprägt war und bedenkenlos in die Frühe Neuzeit zurückdatiert wurde. Dabei hatte man Grundsätze reflexiver Methodologie außer Acht gelassen und etwa die Selbstzeugnisse der Herrschaftsträger wie auch die offiziellen Verlautbarungen der Fürstenhöfe ebenso wie die symbolischen Formen und 1 Vgl. zum Diskussionsstand Ronald G. Asch, Dagmar Freist (Hrsg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln 2005; Ronald G. Asch, Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550–1700), Köln 1996; Markus Meumann, Ralf Pröve, Die Faszination des Staates und die historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: dies. (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 11–49.

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Ralf Pröve

Inszenierungen von Herrschaft als konstativ und ,wahr‘ interpretiert und deren performativen Charakter verkannt. Gesetze und Verordnungen wurden normativ, als Beleg für einen Herrschaftserfolg wahrgenommen und hierbei Lenkungsabsicht und Normsetzung der Zentrale mit deren unverzüglicher Umsetzung und Befolgung durch die zu Beherrschenden verwechselt und somit als Vollzugsmeldung missverstanden.2 Diese Sichtweise und interpretatorische Hauptrichtung zog für die Beschreibung von Herrschaft zwei Konsequenzen nach sich. Einerseits wurde Herrschaft als sehr weitreichend und nachhaltig begriffen, dabei jedoch an eine stringent-funktionale Ausrichtung gedacht, die einseitig von oben nach unten verlief.3 Andererseits offenbart sich demgegenüber aber zugleich auch ein eingeschränktes Herrschaftsverständnis, da Herrschaft immer nur formal, also staatlich und an institutionelle Agenturen gebunden, verstanden wurde. Somit blieben informelle, also nichtstaatliche Herrschaftsverhältnisse, solche etwa, in denen Herrschaftsträger vor Ort zugleich auch Untertanen waren oder als wohlhabende Einwohner einer Gemeinde bestimmte obrigkeitliche Funktionen ausübten (Bauermeister, Hausvater, Gildemeister etc.) unbeachtet.4 Die neuere Frühneuzeitforschung hat spätestens seit den 1990er Jahren nicht an entsprechender Kritik gespart. Es wurde verwiesen auf die theoretische Grundlegung von Widerstand und dessen entsprechende Umsetzungen, es wurden wirksame 2 Bereits in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren häuften sich Befunde über die begrenzte Reichweite von Normsetzungen. Vgl. etwa Ralf Pröve, Herrschaftssicherung nach ,innen‘ und ,außen‘: Funktionalität und Reichweite obrigkeitlichen Ordnungsstrebens am Beispiel der Festung Göttingen, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 51 (1992), S. 297–315. Eine erste Zusammenfassung erfolgte durch Jürgen Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden – ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates?, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), S. 647–663, ehe Achim Landwehr mit dem Konzept der Implementation, also der Verankerung von Normen und nicht deren direkter Umsetzung, einen nachhaltigen Interpretationsansatz geboten hat. Vgl. Achim Landwehr, ,Normdurchsetzung‘ in der Frühen Neuzeit? Kritik eines Begriffs, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 146–162; ders., Policey vor Ort. Die Implementationen von Policeyordnungen in der ländlichen Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Karl Härter (Hrsg.), Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, Frankfurt am Main 2000, S. 47–70. 3 Klassisch und von nachfolgenden Historikergenerationen perpetuiert Otto Hintze, Der Preußische Militär- und Beamtenstaat im 18. Jahrhundert, in: Walther Hubatsch (Hrsg.), Absolutismus, Darmstadt 1973, S. 45–56 (erstmals 1908). 4 Teilweise waren diese Funktionen sehr weitgehend und umfassten Befugnisse, die bis in den Alltag und die private Lebensgestaltung hineinreichten. Vgl. dazu etwa Ursula Löffler, Herrschaft als soziale Praxis zwischen Dorf und Obrigkeit, in: Meumann, Pröve, Herrschaft (wie Anm. 1), S. 97–119; dies., Dörfliche Amtsträger im Staatswerdungsprozess der Frühen Neuzeit. Die Vermittlung von Herrschaft auf dem Lande im Herzogtum Magdeburg, 17. und 18. Jahrhundert, Münster 2005. Vgl. auch Michaela Hohkamp, Herrschaft in der Herrschaft. Die vorderösterreichische Obervogtei Triberg von 1737 bis 1780, Göttingen 1998. Mit vielen Einblicken siehe ebenfalls Stefan Brakensiek (Hrsg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa, Köln 2005.

Probleme im Verwaltungshandeln des 18. Jahrhunderts

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kommunale Freiheits- und Selbstverwaltungskonzepte (Stadtrepublikanismus, Kommunalismus, Gemeindeliberalismus) diskutiert, das politische Eigengewicht der Stände stärker betont, mit Handlungsoptionen wie ,Eigen-Sinn‘ gearbeitet und schließlich wurde Herrschaft überhaupt als offener, kommunikativer und polygonaler Aushandlungsprozess gedacht.5 Übersehen wurde bei diesen Ansätzen oftmals, dass der Verwaltungsapparat selbst systemisch bedingte Disfunktionalitäten aufwies, da das Verwaltungshandeln noch im 18. Jahrhundert aufgrund der komplexen sozialen und ökonomischen Sachverhalte strukturelle Defizite besaß.6 Im Folgenden sollen deshalb diese bisher weniger beachteten Modalitäten von Herrschaftsbegrenzungen aufgezeigt werden, die in der Logik des Herrschens selbst begründet liegen. Administrative Parallelstrukturen und das gesellschaftliche Prinzip von Loyalität und Patronage können als die das ,Durchherrschen‘ erschwerenden Kräfte verortet werden.7 Als empirische Basis zur Aufdeckung dieser vermuteten Störpotenziale dient an dieser Stelle das Beispiel der Militärverwaltung in Kurhannover. Das Subsystem des frühneuzeitlichen Militärs zeigt am offensichtlichsten den Herrschaftsanspruch der Obrigkeit an und deutet mit seiner modern anmutenden strikten Hierarchie und seinen scheinbar fest umrissenen Kompetenzen am deutlichsten auf eine vermeintlich reibungslose Verwaltungspraxis hin. Zu vermuten wäre allerdings, dass die eben aufgeworfenen Störpotenziale auch direkten Einfluss auf die Militärverwaltung und das Zusammenwirken von Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit besaßen. Um diese Annahme weiter zu verfolgen, wird in einem ersten Schritt der Blick auf die zentralen Entscheidungsgremien gelenkt.8

5 Vgl. Meumann, Pröve, Faszination des Staates (wie Anm. 1), bes. S. 35–44. 6 Vgl. etwa jüngst Tobias Busch, Herrschen durch Delegation. Reichsgräfliche Herrschaft zu Ende des 17. und im 18. Jahrhundert am Beispiel der Reichsgrafschaft Solms-Rödelheim, Darmstadt 2008. 7 Unter Patronage wird in Anlehnung an Heiko Droste eine dyadische, dauerhafte, asymmetrische und auf Tausch ausgelegte soziale Beziehung zwischen Patron und Klient verstanden. Vgl. Heiko Droste, Patronage in der Frühen Neuzeit. Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für historische Forschung 30 (2003), S. 555–590, hier S. 555–557. Vgl. auch Guido O. Kirner, Politik, Patronage und Gabentausch. Zur Archäologie vormoderner Sozialbeziehungen in der Politik moderner Gesellschaften, in: Berliner Debatte Initial 14 (2003), S. 168–172. Zur Kritik am Konzept Drostes vgl. Birgit Emich u. a., Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für historische Forschung 32 (2005), S. 233–265. 8 Vgl. zu den einzelnen Gremien, deren Aufgaben und Personalstruktur sowie vor allem zum Kollegialitätsprinzip Joachim Lampe, Aristokratie, Hofadel und Staatspatriziat in Kurhannover. Die Lebenskreise der höheren Beamten an den kurhannoverschen Zentral- und Hofbehörden 1714–1760, Bd. II, Göttingen 1963, S. 9–10.

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II.

Ralf Pröve

Konfliktfelder

Zu den zentralen landesweiten Konfliktfeldern zählten Anwerbung und Entlassung von Soldaten, markieren sie doch Übergänge von der einen in die andere Lebenswelt, wodurch sie die sachliche Einbeziehung unterschiedlicher Verwaltungsressorts initiieren. Der Jahrzehnte andauernde Streit um die Handhabung der formellen und vorzeitigen Beendigung des Militärdienstes, der Dimission, lähmte in Kurhannover die zentralen Regierungsstellen vom Geheimen Ratskollegium über die Kriegskanzlei und das Generalkriegskommissariat bis zum Generalstab. Ein solches gesondertes Abgangsverfahren wurde erstmals 1697 nach dem Frieden von Rijswijck gesetzlich geregelt.9 Jeder, der einen Abschied begehre, weil er eine „wüste Stelle“ oder einen Hof bebauen wolle oder in seinem elterlichen Betrieb unentbehrlich sei beziehungsweise eine Erbschaft gemacht habe, so Herzog Ernst August (1629–1698) in einem Patent vom 5. Oktober, könne vorzeitig ohne Begleichung einer Entlassungsgebühr verabschiedet werden. Lediglich eine entsprechende Bescheinigung vom Magistrat und die Niederlegung einer Kaution seien erforderlich.10 Mit dieser Regelung waren offensichtlich ökonomische und fiskalische Ziele verbunden. Hauptbedingung und wichtigstes Merkmal einer gezielten Wirtschaftsförderung merkantilistischer Prägung war die Niederlassung und Ansiedlung der Dimittierten. Zugleich standen hinter den Bestrebungen der Landesregierung auch sozialpolitische Absichten: Menschen sollten sesshaft gemacht werden. Um die dauerhafte Besitznahme von Land und Haus zu erreichen, wurde die Erteilung der Dimission von zwei Voraussetzungen abhängig gemacht. Zum einen musste der den vorzeitigen Abschied begehrende Soldat über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, die ihm den Erwerb von immobilem Besitz ermöglichten und so ein geregeltes Einkommen sicherten. Dabei spielte es für die Obrigkeit keine Rolle, ob das Vermögen durch Einheirat, Erbschaft oder Sparleistung zustande gekommen war. Zum anderen sollte der Kandidat bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten aufweisen, nicht „faul“ oder „liederlich“ sein, sondern arbeitsam, folgsam und fromm. Die Kriegskanzlei legte deshalb Wert darauf, dass die Dimission nicht solchen Leuten zukomme, die nur „aus Faulheit nicht länger dienen“ wollten und „wegen ihres armseeligen Zustandes und liederlichen Lebens auch weder einen Haushalt anfangen könnten, noch in den Städten oder Ambten geduldet“ würden. Um nur dem gewünschten Perso9 Zu den folgenden empirischen Befunden vgl. auch Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995. 10 Bibliothek des Juristischen Seminars der Georg-August-Universität Göttingen: Sammelbände unedierter Hannover-Calenberg-Göttingischer Landesgesetze von ca. 1709–1807, 20 Bände nebst Register, hier Bd. VII, f. 1154.

Probleme im Verwaltungshandeln des 18. Jahrhunderts

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nenkreis die Dimission zu ermöglichen und um Missbräuche zu verhindern, sollten die familiären, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Kandidaten überprüft werden. Die zivile Obrigkeit hatte für die Richtigkeit der Angaben einzustehen. Aus militärdienstlichen und strategischen Erwägungen durfte jeweils erst nach einer „Campagne“ im Spätherbst vorzeitig verabschiedet werden.11 Die Regelungen erfuhren schon bald Veränderungen. In einem Denkschreiben vom 8. Dezember 1725 an König Georg I. (1660–1727) beklagte sich Generalfeldmarschall von Bülow (1658–1733) bitter über die seiner Ansicht nach zu freizügige Auslegung der Dimissionsbedingungen.12 Es entstünde „viele Unterschleiffe und abusus“, weil die Beamten die Gesuche „gar zu facile“ genehmigten und „jedem, so bald nur ein Soldat vorgiebet, einen Kauf=Contract geschlossen zu haben“, ein Dimissionsattest erteilten. Auf diese Weise würden viele, „gemeiniglich die besten Leuthe“, dem Militär fehlen, was zu einem „gar merklichen Abbruch“ der „Trouppen“ führen würde. So falle es den Offizieren zunehmend schwerer, ja „gar fast unmöglich, die ihnen anvertrauten Compagnien in behörigem Stande zu unterhalten“. Bereits zwei Jahre zuvor habe er, von Bülow, dem König mündlich davon berichtet und ihm eine Liste mit derartigen unzulässigen Abgängen übergeben. Er plädiere nun dafür, die Dimissionsbedingungen zu verschärfen und eine höhere Summe für die zu hinterlegende Kaution festzusetzen. Die Interessen der Armeeführung werden hier offenbar: Eine möglichst geringe Dimissionsquote sollte den Offizieren komplette Truppeneinheiten sichern. Gewähre man zu vielen den vorzeitigen Abgang, so von Bülow weiter, laufe man Gefahr, statt der gewünschten Ansiedlung und Wirtschaftsförderung nur solchen Leuten einen Abschied zu ermöglichen, die ihr Leben entweder als Häusling, Tagelöhner oder Herumtreiber zu fristen gedächten oder aber solchen, die in „fremde Kriegsdienste“ sich zu begeben planten. Diese Erläuterungen hatten die Geheimen Räte überzeugt, denn nur zehn Wochen später, am 4. Februar 1726 erließ König Georg I. ein Patent, in dem das Genehmigungsverfahren neu geregelt wurde.13 Begehrte nun ein Soldat die Dimission, hatte er der Obrigkeit, in deren Zuständigkeitsbereich die geplante Niederlassung geschehen sollte, dies anzuzeigen. Die Beamten mussten „auf Eyd und Pflicht nach der Sache wahren Umständen und Beschaffenheit, sich auf das genaueste zuvor erkundigen“, ob der Aspirant, „entweder mittelst der Eltern Übergabe, oder durch angefallene Erbschafft, Kauf=Einfreyung oder auch Be11 Wie Anm. 10. 12 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv [im Folgenden: NHStA] Hannover, Hann. 47 I, Nr. 78 vol II, f. 26–29. 13 Patent vom 4. Februar 1726; Chur-Braunschweig-Lüneburgische Landes-Ordnungen und Gesetze. Zum gebrauch der Fürstenthümer Graf- und Herrschaften Calenbergischen Theils, Dritter Theil, Göttingen 1740 [im Folgenden: CBL], Bd. III, S. 173–175.

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Ralf Pröve

bauung einer wüsten Stelle“, Haus und Hof wirklich anzunehmen beabsichtige und „bey der Stätte bleiben“ wolle. Außer einer Beurteilung der persönlichen Eigenschaften und beruflichen Qualitäten des Mannes sollten auch die Vermögensverhältnisse überprüft werden. Waren die Nachforschungen positiv ausgefallen, erging ein entsprechendes Attest an die Kriegskanzlei, die den betreffenden Regimentschef anschließend anwies, den Soldaten zu dimittieren. Zuvor musste er allerdings eine Kaution in Höhe von 60 Talern bei der Obrigkeit hinterlegen, die verfiel, wenn er nicht innerhalb von „vier bis sechs Wochen“ nach Entlassung aus dem Militärdienst den Hof oder das Haus übernommen hatte. Die Hälfte dieser Summe (20 Taler Abdankungsgeld und 10 Taler Entschädigung) erhielt dann der Kompaniechef des Dimittierten „als zu Anwerbung eines anderen tüchtigen Kerls vonnöhten“, dreißig Taler wurden an die Hospitalkasse gezahlt. Die mit 60 Talern enorm hohe geforderte Bürgschaft hatte jedoch neben den geringeren Abgangszahlen noch eine andere Folgeerscheinung. Als 1727 die Kompaniesollzahlen massiv erhöht wurden und entsprechend neu zu rekrutieren war, zeigte sich, dass die „Recrutier- und Anwerbung nunmehro desto schwerer“ fiel, da die Leute Sorge hätten, wegen der strengeren Dimissionsvorschriften im Bedarfsfall nicht vorzeitig ihren Abschied nehmen zu können. Deshalb wurde 1728 verordnet, dass, wenn die Niederlassung misslang, nicht die ganze Kaution verfallen sollte, sondern nur 20 Taler (Musketier) beziehungsweise 10 Taler (Reiter).14 Erst als der Soldatenbedarf nachließ, rückte die Kriegskanzlei wieder von dieser Ermäßigung ab. Am 16. August 1731 verfügte der Geheime Rat von Alvensleben (1688–1737), dass „von denen 60 Thlr. Cautions-Gelder nicht, wie bisher geschehen, nur so viel als zu Anwerbung eines andern tüchtigen Kerls erfordert worden, von denen Caventen [i. e. Bürgen, R. P.] beygetrieben werden, sondern solche Cautions-Gelder gäntzlich verfallen seyn sollen“.15

Im Nachsatz wurde diese Bestimmung allerdings wieder etwas gelockert: Wenn sich der Abgegangene wieder von derselben Kompanie freiwillig anwerben ließ, brauchten lediglich 20 Taler bezahlt zu werden, den sonst üblichen Anspruch auf Handgeld hatte er dann jedoch nicht. Die praktische Umsetzung dieses variierten Dimissionsverfahrens bot im Detail allerdings Anlass für Komplikationen an der Schnittstelle militärischer und obrigkeitlicher Funktionsstellen. Weder wurden den lokalen Bediensteten eindeutige Kriterien bei der Überprüfung der Kandidaten an die Hand gegeben, noch bestimmt, ob und wie lange eine Kontrolle durch die Obrigkeit nach er14 Ausschreiben vom 5. Februar 1728. Abgedruckt in CBL, Bd. III, S. 175–176. 15 Verordnung vom 16. August 1731. Abgedruckt in CBL, Bd. III, S. 177–178.

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folgter Niederlassung erfolgen sollte. Auch blieb unklar, was passieren sollte, wenn der Dimittierte einige Jahre nach Besitznahme wirtschaftlich scheiterte. Dieses wirtschaftliche Scheitern der Niedergelassenen interpretierten die Generäle aber nicht selten als vorsätzliches Agieren. Sie wiesen darauf hin, dass die Soldaten häufig nur vorgeblich eine Existenz gründen wollten. Sie würden dann zum Schein für eine symbolische Summe, etwa einen oder zehn Taler, immobilen Besitz erwerben, der, war das Haus wertvoller, bald wieder an den ursprünglichen Besitzer zurückfalle. Entspreche jedoch die niedrige Kaufsumme dem baulichen Zustand des Hauses, sei dieses gewöhnlich so verfallen, dass ihnen für aufwendige teure Reparaturen die notwendigen Mittel fehlten. In beiden Fällen würden die Abgänger bald wieder ihre Häuser verlassen und sich womöglich in „fremde Kriegsdienste“ begeben. Ein besonderes Ärgernis war den hohen Militärs die Umgehung der rigiden Heiratsvorschriften, die durch den vorzeitigen Abgang möglich war. Die Dimittierten würden sich, so die Beanstandung der Offiziere, nachdem ihnen als Soldaten die Verehelichung noch verweigert worden war, „mit liederlichen Weibs Personen verheurahten“ und dann, wenn sie wieder Kriegsdienst annehmen wollten, Regiment und Quartierwirt „mit einer übermäßigen Anzahl Weiber belästigen“. Manches Regiment sei bereits „mit Frauens überhäuffet“. Selbst vormals „guthe Leute“ hätten nach Heirat eines „liederlichen Weibs Stückes“ nicht mehr wieder angenommen werden können.16 Im Sommer 1739 formierte sich unter den Generälen und Regimentschefs Widerstand gegen die ihrer Ansicht nach durch die Kriegskanzlei 1731 nicht ausreichend verschärften Abgangsvoraussetzungen.17 Wie bereits die erbittert geführte Diskussion um gewaltsame Werbungen gezeigt hatte, existierten zwischen der Generalität auf der einen und dem Geheimen Rat und der Kriegskanzlei auf der anderen Seite sachliche Differenzen und persönliche Abneigungen. Die Generäle kritisierten insbesondere den Passus, der besagte, dass der Dimittierte, ließ er sich erneut anwerben, statt der ursprünglichen 60 nur 20 Taler Konventionalstrafe zu entrichten hatte. Damit werde dem Missbrauch der Dimission Vorschub geleistet und das „Heiratsunwesen“ gefördert, wie es in einem Schreiben an König Georg II. (1683–1760) hieß. Vorgebracht wurde auch das schon bekannte Argument von der Schwierigkeit, die Sollstärke einzuhalten. Die Hauptschuld an der Misere trügen aber die Beamten der Ortsobrigkeiten, die immer noch zu sorglos und unzureichend nachforschten und leichtfertig Atteste 16 Pro memoria vom 30. Juli 1739: NHStA Hannover, Hann. 47 I, Nr. 79, f. 51–52 sowie 53ff. 17 Siehe Anm. 16. Ein erstes, nicht überliefertes Memorial zirkulierte am 22. Juli 1739 unter der Generalität. General von Melville (gest. 1742) fertigte ein weiteres Schreiben acht Tage später an. In einem an König Georg II. gerichteten Schreiben vom 28. August machte der Absender (vermutlich der Generalstabschef) deutlich, dass neben „verschiedenen Beamten“ auch die Generalität „mit uns“ sei.

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ausstellten. Diese sollten sich vielmehr ganz genau erkundigen, ob „ein solcher Kerl auch so bemittelt, dass anzutreffende Hauswesen fortzusetzen“, und ob „die Weibes Persohn, welche er zu heurahten gewillet ein ehrlich Mensch und an Heurahts Guht ihm so viel zubrächte, das er sich davon nebst den Seinigen bey den anzunehmenden Hauswesen menteniren [i. e. erhalten, R. P.] könnte“.

Die Generalität schlug nun vor, der Ortsobrigkeit die Hälfte der 60 Taler als Strafe für den Fall anzudrohen, dass der Dimittierte trotz positiver Begutachtung nach einiger Zeit sein Haus aufgab. Wie sein Vater dreizehn Jahre zuvor, entsprach König Georg II. dem Ansinnen der Generalität. Am 15. Oktober 1739 erließ er eine Verordnung „wegen Annehmung der Caution“, die den Obrigkeiten, welche die Fälle, in denen der ehemalige Soldat sein Anwesen verließ, offensichtlich ungenügend untersucht hatten, eine Strafe von 60 Talern auferlegte. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. In einer Denkschrift der Geheimen Räte vom 4. Januar 1740 wurde diese Maßnahme nämlich heftig kritisiert.18 Die Gefahr sei nun groß, dass „die Beamte und Gerichts Herren, ihrer eigenen Sicherheit halben Attestata zu ertheilen sich weigerten, wodurch dann mit der Zeit theils die Kinder um ihre väterliche Höfe kommen würden, theils auch von neuem wüste Höfe entstehen müssten“.

Dieses aber, so die Geheimen Räte, laufe doch der eigentlichen Absicht der Dimission zuwider. Niemand könne vorhersagen, ob ein Soldat sich nach seiner Niederlassung fleißig verhalte und seinen Hausstand zu mehren in der Lage sei. Zudem gebe es schließlich Höfe mit geringeren Einkommensmöglichkeiten, die die Gefahr des wirtschaftlichen Scheiterns in sich bergen würden. Es sei aber allemal besser, eine minderwertige Wirtschaftsstätte mit Risiko zu besetzen, als sie ohne Bewirtschaftung ganz verkommen zu lassen. Nur bei von vornherein „entstehenden Dubiis“ hätten die Bediensteten die Möglichkeit, einzuschreiten beziehungsweise das Attest zu verweigern. Die Kriegskanzlei pflichtete den Geheimen Räten daraufhin in einem Memorandum vom 9. März bei, dass die geltende Verordnung „etwas zu rigoureus“ sei und zu „übelen Folgerungen Anlaß geben“ könnte. Aus Sicht von Landesregierung und Kriegskanzlei hatten die auf Betreiben der Generalität wiederum verschärften Dimissionsbedingungen ein zumutbares Maß überschritten. Die militärischen Forderungen – wenige vorzeitige Abgänge, niedriger Verheiratetenanteil in den Regimentern – standen den Bestrebungen der Räte entgegen, die an einer möglichst geschlossenen landesweiten Besetzung vakanter oder „wüster“ Häuser und Höfe interessiert waren. Beide Parteien versuchten die Modalitäten der Dimission jeweils zu ihren Gunsten durch neue 18 Wie Anm. 16.

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Ausführungsverordnungen zu ändern. Je nach Sachlage und Argumentation gab der König mal dem Verlangen der einen, mal dem der anderen Seite nach. Zur Variation des Gesetzes wurden zwei Instrumente herangezogen: Erstens die unterschiedliche Festsetzung des Kautionsbetrages und zweitens der Umfang der obrigkeitlichen Kontrollmaßnahmen, die durch die neu festgelegte Beamtenhaftung besonders streng gehandhabt werden mussten oder auch gar nicht erfolgten. Trotz der massiven Proteste der Geheimen Räte kam es zunächst nicht zu einer Modifizierung der umstrittenen Verordnung. Der wenige Monate später beginnende Österreichische Erbfolgekrieg (1740–1748) stärkte die Position der Generalität; nun standen Truppenerhöhungen und die Vorbereitung militärischer Operationen im Vordergrund. Zweieinhalb Jahre nach dem Frieden von Aachen revidierte König Georg II. in einem Reglement vom 24. März 1751 die strittige Weisung von 1739. Basierend auf der ursprünglichen Verordnung von 1726, musste der Dimittent die gesamte Sicherheit von 60 Talern stellen, die verfiel, wenn er das bezogene Haus nach einer bestimmten Frist wieder verließ. Mit einem beigelegten vorgedruckten Bürgschaftsformular sollte die Einheitlichkeit der Dimissionskonditionen gewährleistet werden. Dieser sich über Jahre hinweg zu einem Dauerthema hinziehende Konflikt mag seinen Ursprung in einem unterschiedlich interpretierten Sachproblem haben. Entscheidend aber für die Zuspitzung und Perpetuierung der Auseinandersetzung waren die parallel eingezogenen Instanzenzüge: ein sogenannter ziviler Strang, der im lokalen Bereich einsetzte (Stadtmagistrat, Amtmann, Dorfvorsteher) und bis hin zum Geheimen Ratskollegium reichte, sowie ein militärischer Strang, der – wiederum zweigeteilt – einerseits militärdienstlich verlief (von den Regimentschefs bis zum Generalstab), andererseits administrativ-kontrollierend aufgestellt war. Er setzte vor Ort bei den Kriegskommissaren ein und endete zentral im Kriegskommissariat. Beide zentralen Gremien wurden noch überdeckt von der Kriegskanzlei. Grundsätzliches Charakteristikum ist nun dreierlei: Erstens bestanden auf allen Ebenen Verknüpfungen der Instanzenzüge. Der Amtmann musste sich auf unterer Ebene mit dem Kompanie- oder Regimentschef auseinandersetzen, in den zentralen Gremien der General mit dem Kriegsrat usw. Zweitens geschah diese gewünschte beziehungsweise notgedrungene Kooperation oftmals in formalisierter Form auf der Basis gemischter Kommissionen. Drittens waren personale sowie funktionale Überschneidungen üblich. Wenn auch bisher nicht explizit thematisiert, waren diese Verwaltungspraktiken von der Kulturform der Patronage beeinflusst. Die vielfältigen Loyalitäten in sozialen Netzwerken konnten sich zusätzlich hemmend auf die Zentralität von Entscheidungsprozessen auswirken. Selbst innerhalb des Geheimen Ratskollegiums griffen konkurrierende Netzwerke und unterschiedliche Loyalitäten in Entscheidungen des Tagesgeschäfts ein. Die Folgen dieser das ,Durchherrschen‘ erschwerenden Faktoren treten

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offen zutage. Über Jahrzehnte hinweg kam es in der Dimissionsfrage nicht zu einer eindeutigen, von allen Parteien getragenen Entscheidung. Es ist bezeichnend, dass erst äußere Entwicklungen – ein Kriegsausbruch oder ein Friedensschluss – eine weitere Etappe im Entscheidungsprozess herbeiführten; eine Entscheidung, die in sich bereits zeitlich terminiert war und von der jeweils unterlegenen Partei bei neuer Ausgangslage wieder zu ändern versucht wurde. Dieser ,Zickzackkurs‘ hatte Konsequenzen. Es entstanden Unsicherheiten und Verstimmungen, von der Obrigkeit nicht intendierte Handlungsspielräume auf Seiten der Untertanen, aber auch der lokalen Amtsträger.

III.

Das Beispiel Göttingen

Das Beispiel der Dimission verdeutlicht auf höchster Verwaltungsebene die Problematik, die sich in Parteiungen zwischen den einzelnen Geheimen Räten, Kriegsräten und den Generälen offenbart. Was hier nicht zu sehen und nur zu erahnen ist, sind die Zwistigkeiten auf lokaler Ebene, zwischen den Amtleuten, den Regimentschefs und anderen Funktionsträgern. Um die lokalen und alltäglichen Konfliktfelder zu spiegeln und die aufgeworfenen Störpotenziale bis auf die unterste Ebene nachzuzeichnen, wird im Folgenden die Garnison Göttingen eingehender in den Blick genommen. Entsprechend der zwei voneinander geschiedenen Instanzenzüge innerhalb der Militärverwaltung, befanden sich auch in Göttingen ein Kommissar, der direkt dem Generalkriegskommissariat unterstellt war, sowie das militärische Kommando, die Kommandantur, die direkt dem Generalstab zugeordnet war. Nur wenige Monate nach Installierung des Festungsbauingenieurs Johann Anthon Overheide im Jahre 1730 kam es in Göttingen zu Zwischenfällen mit dem dort ebenfalls tätigen Wallmeister Rennert. Da beide Funktionsträger mehr oder weniger denselben Aufgabenbereich hatten, Overheide jedoch dem Kommandanten Johann August von Druchtleben (1680–1748) und Rennert dem Kommissar Zacharias Arnold Hahn (gest. 1745) zugeteilt waren, ergaben sich bald Zuständigkeitsprobleme. Hinzu kamen finanzielle Rivalitäten, da Overheide für die Dauer bestimmter Arbeiten das doppelte Gehalt bekam, Rennert eine Aufstockung seiner Bezüge jedoch verwehrt wurde. Dies hing sicherlich damit zusammen, dass die Kriegsräte den geschulten und fachlich ausgewiesenen Offizier gegenüber dem zivilen, im Zeichnen unbegabten und den neuen technischen Erfordernissen nicht gewachsenen Wallmeister favorisierten. Jedenfalls wurde Rennert bei Vorstellung des neuen Ingenieurs „bedeutet“, dass er Overheide „jederzeit als seinen vorgesetzten Officier respectiren sollte“.19 Da aber der Wallmeister als 19 Vgl. im Folgenden NHStA Hannover, Hann. 47 IV 9, Nr. 7.

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Kommissariatsbeamter unter der Weisungsbefugnis Hahns stand und von diesem weiterhin „protegiret“ wurde, kam es zwischen Rennert und Overheide immer wieder zu „Combats“, bei denen Overheide sich jeweils kurz davor sah, „ihn mit einem Stock zu seiner Schuldigkeit“ zu bringen. Da die direkte Auseinandersetzung wenig einbrachte, versuchten beide, den jeweils anderen bei ihren Vorgesetzten zu verleumden. In einem Brief an seinen Fachvorgesetzten, den Ingenieur-Oberstleutnant von Wallmoden, beklagte sich Overheide, dass Rennert „ein Mensch sei, welcher fast täglich besoffen in Brandtwein angetroffen“ werde, „intriguant“ sei und „bishero noch gar nicht Hand mit an die Arbeit geleget“ habe. Im Gegenzug wurde Overheide verunglimpft, er halte sich „dagegen selten bey der Arbeit, siehet wohl bisweilen zu, bleibet aber dann wieder einen gantzen Tag ja wohl einige Tage weg“, während Rennert „von morgen bis an den Abendt stets bey der Arbeit“ sei. Beide machten ihre Vorgesetzten zu Fürsprechern. Hahn versuchte wiederholt, eine Lohnerhöhung für seinen Mitarbeiter zu erwirken. Da dieses Bemühen erfolglos blieb, beantragte er, unter Hinweis auf eine angeblich mangelnde Arbeitsmoral, Overheides „Gage“ von der Kriegskanzlei senken zu lassen. Immer wieder wies Hahn in diversen Schreiben nach Hannover auf den besonderen Fleiß seines Wallmeisters hin und beklagte den fehlenden Arbeitseinsatz des Ingenieurs. Doch auch Overheide blieb nicht ohne Unterstützung. Druchtleben lobte vor den Kriegsräten ausdrücklich die Arbeit seines Conducteurs, der etwas vom Festungsbau „verstehe“, während der Wallmeister „so wenig Wissenschafft davon habe und dazu mehrenteils besoffen“ sei. Angesichts der unklaren Kompetenzverteilung zogen Druchtleben und Overheide Erkundigungen über die Verhältnisse in anderen Garnisonen ein. Druchtleben befragte seinen in Harburg stationierten Bruder nach der Stellung des dortigen Wallmeisters und berichtete von seinem Vorgehen gegen Rennert. Der Bruder riet jedoch zur Vorsicht: Es gebe nur noch wenige gute Wallmeister ; wenn diese zudem selbst Hand anlegten, müssten sie doppelt bezahlt werden. Overheide erfuhr von seinem „Patron“, dem Ingenieurchef von Wallmoden, dass in dessen Festung „der Wallmeister unter meiner [also Wallmodens, R. P.] Jurisdiction“ stand und „nach mir unter der des Bauverwalters“. Wallmoden war in seinem Schreiben voller Mitgefühl und pflichtete Overheide bei, dass „die Conduite des dasigen Wallmeisters schlecht genug“ sei. Zugleich riet er ihm aber davon ab, „selbigen mit dem Degen zu raison zu bringen“. Da Rennert vom „Ober-Commissarius Hahn“ protegiert werde und dieser wiederum „vieles auszurichten“ vermöge, da er „bey der Königl. Krieges Cantzeley einen großen Support“ und gleichzeitig mit dem Kriegsrat Thomas Eberhard von Ilten (1685–1757) einen „Patron“ habe, könnte eine körperliche Züchtigung des Wallmeisters unangenehme Folgen für Overheide selbst nach sich ziehen. Stattdessen möge er lieber warten, bis sich von Ilten routinemäßig wieder in Göttingen aufhalten würde. Dann solle er sich „allein melden lassen“ und dem

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Kriegsrat vom „Gesaufe“ des Wallmeisters berichten. Auf diese Weise könne er sicher sein, so von Wallmoden weiter, den „versoffenen und intriguanten Wallmeister recht zu faßen“ und ihn „auf das fahle Pferd“ zu setzen. Der Streit zwischen dem Wallmeister und dem Ingenieur war nicht nur Folge ungeklärter Zuständigkeiten oder persönlicher Animositäten. Die Auseinandersetzung war gleichzeitig eine Kontroverse zwischen dem Kommandanten und dem Kommissar, die auf dem Interessenkonflikt von Armeeführung und Heeresverwaltung beruhte. Ob dieser den Streit begründete oder nur forcierte, ist nicht ganz klar. Zumindest hatten sowohl Hahn als auch Druchtleben allzu gern die Position ihres jeweiligen Mitarbeiters eingenommen, um auf diese Weise Front gegen den anderen zu machen. Wie die Berichte um den „Support“ des Kommissars Hahn bei dem Kriegsrat von Ilten belegen, zogen sich die Interessenkonflikte bis in die Kriegskanzlei hinein. Damit zeichnet sich ein grundsätzliches Problem ab: Einerseits wurden vor Ort entstandene Konflikte nach Hannover getragen, wo sie die Polarität von Heeresverwaltung und Armeeführung vergrößerten sowie vorhandene Zerwürfnisse ausweiteten, andererseits verhinderten gerade die Differenzen innerhalb der militärischen Führungsschicht eine rasche Lösung lokaler Zwistigkeiten, weil einzelne Kriegsräte oder hohe Offiziere die streitenden Parteien unterstützten und damit direkt oder indirekt zu weiteren Unbotmäßigkeiten beitrugen. Ausgangspunkt weiterer Zerwürfnisse war ein Streit über den Einsatz der Festungsbaugefangenen, der sich bald zu einer grundsätzlichen Debatte ausweitete.20 Druchtleben hatte verbotenerweise vier Gefangene in seinem Garten beschäftigt, was Hahn den Kriegsräten im Juli 1731 angezeigt hatte. Druchtleben, der sich durch die Zuständigkeiten des Kommissars in seiner Kompetenz eingeschränkt fühlte, sandte am 13. Dezember 1731 einen längeren Beschwerdebrief mit grundsätzlichen Überlegungen nach Hannover.21 Er räumte zwar ein, dass „ich als Commandant nöhtig gehabt, behuef des Vestungs-Zeughausmagazines und übrigen den anfängigen Sachen pflichtmäßiger Vorstellung zu thun, desfalls mit den hiesigen Commissariat zu communiciren, und dessen appropation zu suchen“, machte jedoch zugleich deutlich, dass „mir die Beschützung des Ohrtes allergnädigst anvertraut und ich dafür mit Ehr und Leben einspringe hingegen der Obercommissarius nicht“,

und begründete seinen Anspruch auf das alleinige Kommando über die Gefangenen mit dem Hinweis auf die mangelnde Fachkompetenz des Kommissars: Dieser könne „von solcher Verantwortung nicht deliberieren, auch so wenig Soldat, Artilleriste als Ingenieur ist, also der Sachen keine Erfahrung hat“. Ein 20 Vgl. dazu Stadtarchiv Göttingen [im Folgenden: StAGö] AA Deposita, Nr. 23. 21 NHStA Hannover, Hann. 47 IV 9, Nr. 7.

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Jahr später, im Sommer 1732, kam es erneut zu Unstimmigkeiten. Am 31. Juli forderte Druchtleben abermals, ihm die „Disposition der Gefangenen“ zu übertragen, alle „Fortifications-Arbeiten unter seine Direction“ zu stellen und gleichzeitig den Wallmeister „unter seinen und des Conducteurs Befehl“ unterzuordnen. Schließlich sollten alle zum Kauf anstehenden Baumaterialien zuvor vom Ingenieur auf ihre Tauglichkeit kontrolliert und die „angemaßte große Authorit“ des Kommissars eingeschränkt werden. Wieder begründete Druchtleben seine Forderungen damit, dass er „als Commandant von der Verandtwortung sothaner Arbeit nicht befreyet“ sei. Da der Kommissar die Gefangenen nicht für den Festungsbau einsetze, sondern für alle im Rahmen des Kommissariats anfallenden Aufgaben verwende, würden die Festungswerke „nicht allein verderben, sondern auch schlecht verfertiget werden“. Solange seine Ansprüche nicht erfüllt würden, sähe er sich „unter des Ober Commissarii Direction stehen, welches wieder seinen Character leuffet“.22 Die Räte ließen sich jedoch auch von diesem Schreiben des Göttinger Kommandanten nicht beeindrucken. Ohne auf die Befindlichkeiten des Kommandanten einzugehen, lehnten sie die geforderte Unterstellung des Wallmeisters unter die Weisungsbefugnis des Kommandanten ebenso ab wie die gewünschte Änderung der Zuständigkeit für die Gefangenen. Damit beharrte die Kriegskanzlei auf der bisherigen Kompetenzverteilung von Kommissariat und Kommandantur. Lediglich die geforderten Kontrollmöglichkeiten des Conducteurs beim Materialankauf wurden gewährt. Die Auseinandersetzung eskalierte Anfang August 1732 als Hahn der Schildwache vor dem Paulinerkloster den Befehl gab, niemanden auf den Vorplatz zu lassen. Da der Soldat dieses Anliegen mit dem Hinweis ablehnte, er sei nur an die Befehle seiner Offiziere gebunden, wurde der Kommissar ungehalten. Hahn fürchtete, dass die über den Platz gehenden Passanten das im alten Kloster gelagerte Festungsbaumaterial stehlen könnten. Am 6. August forderte er deshalb den Adjutanten Roddow auf, der Schildwache entsprechende Anweisungen zu geben. Da Roddow sich weigerte, kam es zwischen ihm und Hahn, der angeblich zu diesem Zeitpunkt betrunken war, zu einem heftigen Wortwechsel, in dessen Verlauf Hahn dem Adjutanten sogar Prügel androhte.23 Nach diesem Vorfall wandte sich Druchtleben direkt an den König, um seinem obersten Dienstherrn das Verhalten „hiesiges Ober-Commissarii Hahn zu hinterbringen, welcher sich nicht entblödet, zum höchsten Despect meiner und alle derjenigen Officiere, welchen Eure Königl. Majestait, ein Commando bey dero löblichen Trouppen anvertrauet“,

22 StAGö AA Deposita, Nr. 23. 23 NHStA Hannover, Hann. 47 IV 9, Nr. 7.

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Befehle zu erteilen. Er berichtete ihm, dass Hahn sich „eigenmächtig“ unterstanden habe, den „gesetzten Schildtwachen Ordres ihres Verhaltens zu ertheilen“ und seinen Adjutanten „mit gar anzüglichen Worten angefahren, ja ihm mit Prügeln gedrohet“ habe. Von König und Kriegskanzlei dazu aufgefordert, bezog Hahn in zwei umfangreichen Schreiben eingehend Stellung zu den Vorgängen und stritt alle Vorwürfe energisch ab. Er habe nur zur „Verhütung des Diebstahls“ den Wachposten angewiesen, auf das Festungsholz zu achten. Damit habe er lediglich „herrschafftl. Interessen“ vertreten. Da er wiederholt „Wachtposten vor seinem Hause schlafend angetroffen“ habe, habe er sich, um mit dem Kommandanten „keine m8l8“ zu bekommen, umgehend an Roddow gewandt, der ihm allerdings mit unverschämten Worten immer wieder „in die Rede gefallen“ sei. Lediglich aus „Hass und Feindschaft“ seien die einzelnen Vorwürfe gegen ihn erhoben worden; betrunken sei er überdies an diesem Tage nicht gewesen. Hahn klagte nun seinerseits Druchtleben an. Dessen Leute würden „Schantzzeuge zu ihrem Privat-Brauch eigenmächtig“ aus seinem Bestand entnehmen, wodurch die Geräte „ruiniret“ würden. Außerdem würden diese Männer auf den Festungswerken pflügen und so Brustwehren und Contrescarpen Schaden zufügen. Weil er „ratione officii“ mit Druchtleben darüber gesprochen habe, hätte dieser „gegen mich einen starcken und ohnverdienten Wiederwillen gefaßet“. Der Kommandant würde ihn aus diesem Grunde mit den angeführten unbegründeten Vorwürfen lediglich in ein „übeles renommee“ setzen wollen. Trotz dieses heftigen Disputes beließ es die Kriegskanzlei jedoch bei der bisherigen Aufgabenverteilung von Kommissariat und Kommandantur. Die Kontroverse setzte sich deshalb auch in den nächsten Jahren fort. Die aufgezeigten Interessenskonflikte lassen sich um ein weiteres Problemfeld ergänzen. Dieses offenbart überraschende Disziplinierungsprobleme der Kriegskanzlei in Bezug auf die nachgeordneten Funktionsträger. Zwischen Kommissar Hahn und dem Zeughausverwalter Lotze, der dem Kommandanten unterstand, war nämlich außerdem die Nutzung des Innenhofes beziehungsweise des Kreuzganges im Zeughaus Bestandteil der geführten Diskussion. Hahn hatte sich dort einen Schuppen bauen lassen, in dem er das „Schantzzeug“ lagerte. Zudem ließ er in dem Hof Wicken und Obstbäume anpflanzen. Lotze beanspruchte jedoch nicht nur diesen Platz für sich – er wollte dort die Pulverdecken trocknen –, sondern beklagte zugleich, dass Hahn einen Schlüssel zum Zeughaus habe und, weil dieser unbefugtes Personal wie Zimmerleute und Diener in den Innenhof zum Abholen von Schanzzeug schicke, ihm wiederholt Gegenstände gestohlen worden seien.24 Im September 1739 beschwerte sich deshalb Lotze bei der Kriegskanzlei über die private Nutzung des Zeughauskreuzganges durch den Kommissar. Er wurde bei diesem Unterfangen von 24 Vgl. im Folgenden NHStA Hannover, Hann. 47 IV 9, Nr. 11.

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Druchtleben unterstützt; das Schreiben wurde von beiden unterzeichnet. Hahns Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die private Nutzung des Platzes rechtfertigte er damit, dass „solches den Denuncianten nichts“ angehe, da dieser „auf diesem Platze nicht zu sagen“ habe. Wenn Lotze Gegenstände gestohlen worden seien, dann sei dies allein seine Schuld, denn er oder der Wallmeister hätten stets die Tür abgeschlossen; hingegen habe er mehrmals beobachtet, dass Lotze die Tür offen gelassen habe. Den besonderen Ärger des Kommissars hatte jedoch die Unterstützung Lotzes durch Druchtleben erregt: „Ich hätte auch vermeinet gehabt, es würde der Herr General Major mit mir zuforderst darüber communiciret haben, wie er solches offtmals versprochen, und ich ihn auch gebethen, dass man zusammen kommen mögte, wann zwischen der Commandantenschafft und dem Commissariat einige Irrungen entstünden, wodurch vieles unnöthige Schreiben gehoben werden, und wegbleiben könnte.“

Doch Lotze beharrte auf seinen Forderungen. Mit dem Hinweis auf einen weiteren, kürzlich verübten Diebstahl wandte er sich erneut an die Kriegskanzlei und bat, Hahn aufzufordern, ihm den Schlüssel auszuhändigen. Schließlich einigten sich beide Parteien auf eine Besichtigung der Örtlichkeiten durch eine unabhängige Kommission. Doch auch nachdem der Kommissionsbericht vorlag und Hahn angewiesen wurde, den Schlüssel an Lotze zu übergeben, weigerte sich der Kommissar und beantragte eine neue Kommission, da der Vorsitzende der ersten Kommission, Amtmann Schlemme, angeblich einige wichtige Gründe nicht berücksichtigt habe. Weder der Bau einer zweiten Tür noch eine eindringliche mündliche Ermahnung Hahns in Hannover führten zu einer Entspannung. Noch im Oktober 1740 entstand neuer Streit zwischen den Kontrahenten über den Einsatz der Festungsbaugefangenen. Die Kriegskanzlei beschränkte sich darauf, beide Männer zu ermahnen, dass an den „PrivatZwistigkeiten“ der Dienst nicht leiden dürfe. Auslöser der einzelnen Kontroversen waren Kompetenzüberschneidungen und Interessenkonflikte, die im Allgemeinen von persönlichen Abneigungen der Betreffenden begleitet wurden. Obwohl es sich in der Sache zunächst nur um geringfügige Probleme wie etwa den Einbau einer zweiten Tür im Zeughaus, die Herausgabe eines Schlüssels oder die korrekte Bewachung des Festungsbauholzes handelte, wurde die Auseinandersetzung schnell emotional geführt; die sachliche Lösung stand nicht mehr im Vordergrund. Mit Diffamierungen und Vorwürfen der Trunkenheit, Faulheit oder Inkompetenz versuchten die Beteiligten, sich gegenseitig bei den Oberbeamten der Kriegskanzlei zu verunglimpfen. Die Antipathie zwischen Druchtleben und Hahn fand auf unterer Ebene ihre Fortsetzung und weitere Ausprägung. Die Kontroverse zwischen Wallmeister Rennert und Ingenieur Overheide und zumindest anfangs auch der Streit zwischen Hahn und Verwalter Lotze waren eindeutig von der grundle-

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genden Rivalität zwischen Kommandantur und Kommissariat geprägt. Dieser Konflikt zwischen Offizier und Kommissar bestand auch innerhalb der Armeeführung, wie immer wieder auftretende Differenzen auf höchster Verwaltungsebene, etwa zwischen Generalität und Kriegskommissariat, offenbaren. Das Patronagesystem verstärkte und perpetuierte die Probleme. Dies zeigen die Kontaktaufnahmen Hahns zum Kriegsrat von Ilten, Druchtlebens zur Generalität beziehungsweise zum König oder Overheides zum Ingenieurchef von Wallmoden, die die nachgeordneten Amtsträger zu weiteren Unbotmäßigkeiten ermunterten. Zugleich perpetuierten sich Rivalitäten und Parteiungen innerhalb der Kriegskanzlei, weil ständig auftretende lokale Konflikte nach oben weitergeleitet und die Polaritäten so verstärkt wurden. Die Kriegskanzlei hatte deshalb kaum Möglichkeiten, Zwistigkeiten ihrer Untergebenen wirksam und rasch beizulegen. Solange einem Bediensteten kein grober und vorsätzlicher Bruch seiner Dienstpflichten nachgewiesen werden konnte, hatten die Räte kaum eine Handhabe gegen renitente Mitarbeiter, die weiterhin unter dem Schutz ihres Patrons standen. Die Reaktionen der Kriegskanzlei waren oberflächlich, unpräzise und beschwichtigend. Um möglichst wenig Reibeflächen zu erzeugen, wurden die konkreten Probleme nur am Rande gestreift; hauptsächlich erschöpften sich die Antworten mit allgemeinen und wenig spezifizierten Ermahnungen an die Beteiligten, „Privat-Zwistigkeiten“ zu unterlassen und weiter ordentlich den Dienst zu versehen. Aufwändige politisch-administrative Verfahren wie die Bildung von Kommissionen, die sich aus Vertretern verschiedenen Parteien unter Vorsitz eines neutralen Schlichters zusammensetzten, brachten auch nur phasenweise und nie langfristig Erfolg.25 Selbst gegen offenkundig im Unrecht stehende und eigensinnige Beamte wie den Kommissar Hahn konnte die Kanzlei keine disziplinarischen Mittel einsetzen. Die Hilflosigkeit der Oberbeamten wird daran deutlich, dass es ihnen auch nach Monaten nicht gelang, Hahn zur Herausgabe eines Schlüssels zu zwingen, obwohl dies zu einer ernsthaften Beeinträchtigung des Dienstablaufes führte. Geheimer Rat und Kriegskanzlei waren nicht in der Lage, den Dauerstreit in Göttingen zu beenden, so dass erst der Tod des umstrittenen Kommissars 1745 eine gewisse Entspannung brachte.

25 Vgl. dazu den Sammelband von Barbara Stollberg-Rilinger und Andr8 Krischer (Hrsg.), Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne, Berlin 2010.

Probleme im Verwaltungshandeln des 18. Jahrhunderts

IV.

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Fazit

Beide Beispiele, die Auseinandersetzungen um die vorzeitige Dimission auf zentraler Ebene wie die Konflikte innerhalb der Göttinger Garnisonsverwaltung, haben verdeutlicht, wie ausgeprägt im Herrschaftsapparat des 18. Jahrhunderts jene Kräfte waren, die ein nachhaltiges und durchgreifendes Herrschen hemmten. Die Auswirkungen der Kombination paralleler, nicht klar abgegrenzter oder konkurrierender Instanzenzüge mit der Sozialform der Patronage konnten sowohl auf der lokalen Verwaltungsebene als auch in den zentralen administrativen Gremien beobachtet werden. Zudem müssen die beschriebenen Interessenkonflikte vor dem Hintergrund des grundlegenden Charakters von Herrschaft als kommunikativem Akt und Aushandlungsprozess26 interpretiert werden, denn die vermeintlich persönlichen Empfindlichkeiten waren Ausdruck einer latenten Spannung zwischen Kommandantur und Kommissariat und zogen immer wieder erneute Disfunktionalitäten nach sich. Sicherlich, auf den ersten Blick scheint Kurhannover ein Sonderfall zu sein. Der Landesherr befand sich fernab von Hannover in London und regierte dort eine global agierende Supermacht, wodurch eine besondere Regierungskultur im Nebenland von Weser, Aller und Leine entstand, die auf Kollegialität und Konsens setzte. Ebenso könnte man einwerfen, dass die Bereitstellung von Handlungsalternativen durch die einzelnen Parteien eine nachhaltige Herrschaftspraxis eher begünstigt denn behindert hätte. Immerhin konnte dabei der Herrscher als die beste Lösung aussuchender Schiedsrichter auftreten. Gleichwohl stehen diesen Perspektiven ein unbeherrschbares Konglomerat differierender Interessen, sozialer Netzwerke und Patronageverflechtungen gegenüber, die letztlich von der Zentrale nicht zu beherrschen waren, einen ständigen Unruheherd und Auslöser für Missgunst bildeten und die das ,Durchherrschen‘ insgesamt verhinderten, vor allem aber den nachgeordneten Dienststellen alltägliche Probleme bereiteten. An eben diesen Schnittstellen entsteht eine gewisse Transparenz der frühneuzeitlichen Herrschaftspraxis, die tiefenscharfe Einblicke in das gesamte Spektrum der zu betrachtenden Problemfelder ermöglicht. Diesem Seismographen für die Reichweite von Herrschaft in der Frühen Neuzeit gilt es auch in Zukunft intensive Betrachtung zu schenken, um dem Interpretationsmonopol des 19. Jahrhunderts weiter entgegenzutreten.

26 Vgl. Meumann, Pröve, Faszination des Staates (wie Anm. 1).

Jutta Nowosadtko

Träger der Bürokratisierung – Sekretär des Chefs? Erste Überlegungen zur Rolle der Militärjuristen im 17. und 18. Jahrhundert.

Dass der frühneuzeitliche Staatsbildungsprozess eng mit dem Aufbau einer Militärverwaltung verzahnt war, die es ermöglichte, immer größere Stehende Heere zu unterhalten, gehört spätestens seit dem 19. Jahrhundert zu den historischen Selbstverständlichkeiten. So konstatierte Otto Hintze, dass die gesamte frühneuzeitliche Behördenstruktur entweder unmittelbar militärischen Zwecken gedient habe oder der staatlichen Machtpolitik doch wenigstens verpflichtet gewesen sei.1 Wenn dieser Umstand sowohl in der Militär- als auch in der Verwaltungsgeschichtsschreibung zeitweilig etwas in den Hintergrund trat,2 so lag dies daran, dass der kontinuierliche Ausbau der Stehenden Heere wie auch der Flottenbau eher als Impulsgeber denn als gestaltender Faktor gedacht wurden. Nach diesem Modell machte der durch die Aufrüstung ständig steigende Finanzbedarf die parallele Schaffung effizienter Steuersysteme und die Erschließung weiterer Finanzquellen spätestens seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unabdingbar.3 Entsprechend wuchsen die zivilen Verwaltungen proportional zu den Armeen.4 Darüber hinaus würdigte die Forschung das

1 Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung (1906), in: ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur Allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1970, S. 52–83, hier S. 71. 2 Ronald G. Asch, Kriegsfinanzierung, Staatsbildung und ständische Ordnung in Westeuropa im 17. und 18. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 268 (1999), S. 635–671; Charles Tilly, War Making and State Making as Organized Crime, in: Peter B. Evans u. a. (Hrsg.), Bringing the State back in, Cambridge u. a. 1985, S. 169–181. 3 John Brewer, The Sinews of Power : War, Money, and the English State, 1688–1783, Cambridge 1990; I. A. A. Thompson, „Money, Money, and Yet More Money!“ Finance, the Fiscal-State, and the Military Revolution, in: Clifford J. Rogers (Hrsg.), The Military Revolution Debate. Readings on the Military Transformation of Early Modern Europe, Boulder, CO 1995, 273–298; Christopher Storrs (Hrsg.), The Fiscal-Military State in the Eighteenth Century. Essays for P. G. M. Dickson, Aldershot 2009. 4 Wolfgang Reinhard, Kriegsstaat – Steuerstaat – Machtstaat, in: Ronald G. Asch, Heinz Duchhardt (Hrsg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550–1700), Köln u. a. 1996, S. 277–310.

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Militär sowohl als gesellschaftliche Disziplinaranstalt5 wie auch als fürstliches Machtinstrument, das zwar dynamische Entwicklungen in Staat und Gesellschaft anstieß, selbst aber ein weitgehend autonomer Fremdkörper blieb, den es mit Hilfe der zivilen Verwaltung unter Kontrolle zu bringen galt.6 Die neuere Militärgeschichtsschreibung interessierte sich, angeregt durch Militarisierungsund Sozialdisziplinierungsdebatten,7 vor allem für die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Militär- und Zivilgesellschaft.8 Die Militärverwaltung fand in diesem Kontext zwar regelmäßig Erwähnung, da sie zwangsläufig die „Rahmenbedingungen“ der zeitgenössischen militärischen Lebenswelt entscheidend mitbestimmte und für wesentliche Teile der einschlägigen Überlieferung verantwortlich war,9 eigene Studien wurden ihr jedoch nicht gewidmet. Auch die Geschichte der Militärgerichtsbarkeit interessierte sich nur am Rande für deren Beziehung zur zivilen Verwaltung und Gesetzgebung. Im Fokus stand nahezu ausschließlich die staatliche Kontrolle des Militärs sowie die gesellschaftliche Partizipation am Gewaltmonopol. Die Aufgabe der Militärjustiz im Kontext der Staatsbildung wurde vor allem darin gesehen, die Disziplin innerhalb der Söldnerheere zu etablieren und durch drakonische Strafen aufrecht zu halten. Die aktuellen Forschungsschwerpunkte entwickelten sich folg-

5 Jutta Nowosadtko, Ordnungselement oder Störfaktor? Zur Rolle der stehenden Heere innerhalb der frühneuzeitlichen Gesellschaft, in: Ralf Pröve (Hrsg.), Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer modernen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 1997, S. 5–34, hier S. 5–7. 6 Jutta Nowosadtko, Der Militairstand ist ein priviligierter Stand, der seine eigene Gesetze, obrigkeitliche Ordnung und Gerichtsbarkeit hat. Die „Verstaatlichung“ stehender Heere in systemtheoretischer Perspektive, in: Ralf Pröve, Markus Meumann (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 121–141, hier S. 124. 7 Ralf Pröve, Dimension und Reichweite der Paradigmen „Sozialdisziplinierung“ und „Militarisierung“ im Heiligen Römischen Reich, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Frankfurt/M. 1999, S. 65–85; Jutta Nowosadtko, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Stuttgart 2002, S. 110–123 und S. 200–213. 8 Zusammenfassend: Ralf Pröve, Der Soldat in der ,guten Bürgerstube‘. Das frühneuzeitliche Einquartierungssystem und die sozioökonomischen Folgen, in: Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn u. a. 1996, S. 191–217; Bernhard R. Kroener, Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft 1300–1800, München 2013, S. 121–127. 9 Ralf Pröve, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung (1713–1756), München 1995, S. 19, S. 23–24, S. 57–60 und S. 179–188; Stefan Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728–1796, Paderborn u. a. 2006, S. 76–77; Jutta Nowosadtko, Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803, Paderborn u. a. 2011, S. 50–59.

Überlegungen zur Rolle der Militärjuristen im 17. und 18. Jahrhundert

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lich aus der Abgrenzung gegenüber diesem Forschungsstand.10 Nicht von ungefähr gehören Desertionen, die neben den Meutereien den zentralen Leitwert der Disziplin im besonderen Maße in Frage stellten,11 inzwischen zu den am besten untersuchten militärspezifischen Delikten.12 Abgesehen von der Disziplin interessierte sich die Forschung vor allem für jene Konflikte um die Militärjustiz, in denen sich die politischen Auseinandersetzungen um die autonome Sonderstellung der Armee in Staat und Gesellschaft kristallisierten. Vor allem im 19. Jahrhundert waren militärrechtliche Reformprojekte im Spannungsfeld zweier Großkonflikte angesiedelt. Zum einen wurde die Militärgerichtsbarkeit sukzessive aus ihrem ursprünglichen militärischen Zuständigkeitsbereich herausgelöst und in das allgemeine Rechtssystem integriert. Zweitens bemühten sich sowohl Parlamente als auch zivile Verwaltungsträger um eine verstärkte Kontrolle der Militärgesetzgebung und der Militärverwaltung. Der erbitterte Widerstand, auf den die Reformvorhaben seitens der betroffenen militärischen Führungsschichten stießen, wurde in diesem Kontext als Rückzugsgefecht der traditionellen Überzeugungen gegen den progressiven Zeitgeist gedeutet. Die ungeachtet einzelner Rückschläge fortschreitenden Autonomieverluste des Militärs gingen nach dieser Lesart daher mit Machtzuwächsen seitens der zivilen Verwaltung einher. Sie wurden als politische Erfolgsgeschichte hin zu größerer Rechtsstaatlichkeit interpretiert.13 10 Bernhard R. Kroener, „Das Schwungrad an der Staatsmaschine?“ Die Bedeutung der bewaffneten Macht in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, in: ders., Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, S. 1–29, hier S. 12–13; Jutta Nowosadtko, Vom Kriegsprozess in bürgerlichen und peinlichen Sachen. Die Militärjustiz des Fürstbistums Münster im 18. Jahrhundert, in: Harriet Rudolph, Helga Schnabel-Schüle (Hrsg.), Justiz = Justice = Justicia. Rahmenbedingungen von Strafjustiz im frühneuzeitlichen Europa, Trier 2003, S. 491–514, hier S. 493–497; Peter Wilson, Early Modern German Military Justice, in: Davide Maffi (Hrsg.), Tra Marte e Astrea. Giustizia e giurisdizione militare nell’Europa della prima et/ moderna (secc. XVI–XVIII), Mailand 2012, S. 43–85, hier S. 46. 11 Nowosadtko, Krieg (wie Anm. 7), S. 207. 12 Es ist unmöglich, an dieser Stelle sämtliche Publikationen zu nennen, die mittlerweile zum Thema Desertion vorliegen. Erschlossen wurde das frühneuzeitliche Forschungsfeld durch zwei Dissertationen: Michael Sikora, Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996; Ulrich Bröckling, Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion, München 1997; Ulrich Bröckling , Michael Sikora (Hrsg.), Armeen und ihre Deserteure. Vernachlässigte Kapitel einer Militärgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1998. Von den zahlreichen nachfolgenden Studien seien exemplarisch erwähnt: Jörg Muth, Flucht aus dem militärischen Alltag. Ursachen und individuelle Ausprägung der Desertion in der Armee Friedrichs des Großen mit besonderer Berücksichtigung der Infanterie-Regimenter der Potsdamer Garnison, Freiburg/Brsg. 2003; Kroll, Soldaten (wie Anm. 9), S. 503–570. 13 Hubert Schmid fasste beispielsweise die Ergebnisse seiner Studie wie folgt zusammen: „Im Zuge dieser Vereinheitlichung [des Militärstrafrechts im gesamten Deutschen Kaiserreich, sic.] bot sich die Gelegenheit, modernen Rechtsanschauungen auch im Militärstrafrecht zum

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Gegenüber dieser Reduktion der Veränderungen im Bereich der Militärgerichtsbarkeit auf ein bloßes Nullsummenspiel, bei dem ein weniger an militärischer Selbstverwaltung automatisch mit einem mehr an zivilstaatlicher, politischer Kontrolle gleichgesetzt werden, lassen sich mehrere Einwände formulieren. Zum einen übersieht das Erklärungsmodell die Eigenlogik des rechtlichen Strukturwandels, in dessen Verlauf die Bestandteile des vormals privilegierten Standesrechts systematisch den jeweiligen Rechtsgebieten (Privatrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht) und dazugehörigen Instanzenzügen zuordnet wurden.14 Die zunehmende Beschränkung der militärgerichtlichen Zuständigkeit auf spezifisch militärische Vergehen wäre danach weniger politischen Machtinteressen als vielmehr der Positivierung des Rechts insgesamt zuzuschreiben.15 Umgekehrt wurde das Militär im Zuge dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung von juristischen und ökonomischen Aufgabenbereichen entlastet,16 um sich auf seine ,originären‘ Aufgabenbereiche zu spezialisieren.17 Parallel dazu passte sich auch das Berufsbild des Offiziers den veränderten Rahmenbedingungen an.18

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Durchbruch zu verhelfen. […] Für Bayern bedeutete insbesondere die Einführung der Militärstrafgerichtsordnung für das Deutsche Reich von 1898 einen deutlichen Rückschritt gegenüber der liberalen und fortschrittlichen bayerischen Militärstrafgerichtsordnung von 1870.“ Hubert Schmid, Die Gesetzgebungsgeschichte des Militärstrafrechts für das Königreich Bayern zwischen 1806 und 1900, München 2000, S. 293–294. Diethelm Klippel, Militärrecht, in: Enzyklokädie der Neuzeit, hrsg. v. Kulturwissenschaftlichen Institut Essen, 15 (2012), Sp. 766–770, hier Sp. 768–769. Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 192; ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1993, S. 226–228; ders., Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: ders.: Ausdifferenzierung des Rechts, Frankfurt/M. 1999, S. 113–153, hier S. 129–130. Nowosadtko, Heer (wie Anm. 9), S. 110–126. Als Indiz für die Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts standen manche der traditionellen Tätigkeitsfelder – vor allem im Bereich der Kompaniewirtschaft – im Generalverdacht, die Offiziere von ihren „eigentlichen“ beruflichen Pflichten abgelenkt und dadurch die Niederlagen von Jena und Auerstätt mitverursacht zu haben. Friedrich Wilhelm Hennemann, Die Kompanie-Wirtschaft in den deutschen Heeren des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre Überwindung, München 1942, Vorwort, in: Peter Bachmann, Peter Kurt Zeisler, Der deutsche Militarismus. Illustrierte Geschichte, Bd. 1, Berlin u. a. 1971, S. 93, Anm. 1; Gerhard Papke, Von der Miliz zum stehenden Heer. Wehrwesen im Absolutismus, in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte, hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 1, Abt. I, München 1979, S. 274–276. Zur Spezialisierung und Professionalisierung des preußischen Offizierkorps im Verlauf des 19. Jahrhunderts siehe Bernhard R. Kroener, Integrationsmilitarismus – Zur Rolle des Militärs als Instrument bürgerlicher Partizipationsbemühungen im Deutschen Reich und in Preußen im 19. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, in: ders., Kriegerische Gewalt und militärische Präsenz in der Neuzeit. Ausgewählte Schriften, Paderborn 2008, S. 83–107, hier S. 94–96. Den Forschungsstand zusammenfassend: Gundula Gahlen, Rolle und Bedeutung des Adels im bayerischen Offizierskorps 1815–1866, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 14 (2010), H. 1, S. 127–163, hier S. 132–133. Für die

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Die auch früher zahlreich dokumentierten Konflikte zwischen zivilen und Militärgerichten waren schon allein deshalb anders gelagert, weil ein juristischer Sonderstatus innerhalb der Privilegiengesellschaft des Alten Reiches im 18. Jahrhunderts nicht wirklich etwas ungewöhnliches, sondern eher den Regelfall darstellte.19 Es spricht einiges dafür, dass die spezifische Eigenständigkeit der Militärgerichtsbarkeit, die ein Jahrhundert später als traditionaler Überhang älterer Rechtszustände interpretiert, häufig kritisiert20 und von standespolitisch interessierter Seite auch idealisiert21 wurde, sich erst im Zuge der Verfestigung der Militärstrukturen und der Militärverwaltungen ab dem späten 17. Jahrhundert etabliert hatte. Auf dem militärischen Rechtsstand wurde vor allem in der Konfrontation mit konkurrierenden bürgerlichen, adeligen oder geistlichen Privilegien beharrt, die letztlich nicht anders als das sog. forum militare vom allgemeinen Trend zur Positivierung des Rechts betroffen waren. Anders als ein Jahrhundert später kann die durch das Standesrecht gesicherte Exklusivität daher primär als Anpassung an den reichsspezifischen Prozess der Verrechtlichung von gesellschaftlichen Positionen und Interaktionen gedeutet werden.22 Ältere rechtshistorische Studien wie die von Werner Hülle zum Auditoriat in

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Interpretation der Entwicklung im Sinne einer Spezialisierung und funktionalen Differenzierung spricht durchaus auch die wachsende Militarisierung vor dem Ersten Weltkrieg. Wenn die juristischen Reformen tatsächlich auf eine zivile Kontrolle des militärischen Sektors abzielten, ist kaum schlüssig zu begründen, warum der gesamtgesellschaftliche und politische Einfluss des Militärs im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht sank, sondern im Gegenteil deutlich zunahm. Allgemein zur Militarismus des Deutschen Kaiserreiches: Stig Förster, Der doppelte Militarismus. Die deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Statusquo-Sicherung und Aggression 1890–1913, Stuttgart 1985, S. 7–8; Nowosadtko, Krieg (wie Anm. 7), S. 110–118; Ralf Pröve, Militär, Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, München 2006, S. 91–96; Rüdiger Bergien, Die bellizistische Republik. Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Deutschland 1918–1933, München 2012, S. 33–36. Grundlegend zum „eigentümlichen Phänomen des frühneuzeitlichen Rangrechts“ und den daraus resultierenden Konflikten, ohne allerdings das Militär zu berücksichtigen: Barbara Stolberg-Rillinger, Rang vor Gericht. Zur Verrechtlichung sozialer Rangkonflikte in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für historische Forschung 28 (2001), S. 385–418, hier S. 391, S. 403–404 und S. 409. Klassisch in diesem Sinne der Überblick bei Werner Hülle, Das Auditoriat in BrandenburgPreußen. Ein rechtshistorischer Beitrag zur Geschichte seines Heerwesens mit einem Exkurs über Österreich, Göttingen 1971, S. 152. Die Fortschrittlichkeit der militärischen Rechtspflege betonte beispielsweise der zwischen 1827 und 1858 amtierende preußische Generalauditeur Carl Friccius (1779–1856), Entwurf eines deutschen Kriegsrechts, erläutert durch eine Geschichte des deutschen Kriegsrechts und einen Rechtfertigungs-Bericht, Berlin 1848, S. III–VI. Zur Kritik an der mit „apologetischem Eifer“ verwendeten „preußisch-blauen Tinte“ und den damaligen politischen Absichten, der Verschmelzung von Oberbefehl und höchstrichterlicher Gewalt, vgl. die Zusammenfassung bei Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 4–9. Weitere Hintergründe zur Entwicklung im 19. Jahrhundert finden sich im Beitrag Kesper-Biermanns in diesem Band. Nowosadtko, Militairstand (wie Anm. 6), S. 137–139. Allgemein zu diesem Problemkreis: Stolberg-Rillinger, Rang (wie Anm. 19), S. 401 und S. 409–411.

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Brandenburg-Preußen, die noch immer als Standardwerk zu gelten hat,23 verstanden sich in erster Linie als Institutionengeschichte.24 Folgerichtig stützte Hülle seine Darstellung ausschließlich auf normative Quellen und ließ die juristische Praxis ebenso wie die individuelle Amtsausübung unberücksichtigt. Problematischer als die grundsätzlich noch immer legitime Perspektive erscheint daran, dass trotz aller berechtigter Kritik an den Autoren des 19. Jahrhunderts zwei Grundannahmen übernommen wurden: erstens die Rückprojizierung des preußisch-österreichischen Dualismus ins 17. Jahrhundert, verknüpft mit der Behauptung, Brandenburg-Preußen sei der Maßstab für den militärischen Rechtsgang in den protestantischen Staaten wie Österreich das Vorbild für das katholische Süddeutschland gewesen; zweitens die These, dass nach dem „Zerfall“ der Reichsarmee während des 17. Jahrhunderts keine reichsrechtlich relevanten Entwicklungen zu berücksichtigen seien. Es bedürfe also nur einer Beschäftigung mit dem Heerwesen der beiden führenden Reichsfürsten, um die gesamte Entwicklung des Auditoriates umfassend darzustellen.25 Aufgrund der Persistenz des Forschungsstandes des 19. Jahrhunderts gerät die Beschreibung von Reichskriegsrecht und Reichsarmee in erhebliche Schieflage,26 zumal die isolierte Betrachtung des preußischen Beispiel strukturelle Probleme tendenziell verdeckt. Es erscheint auf dieser Grundlage unmöglich, das Beziehungsgeflecht zwischen reichsrechtlichen und territorialrechtlichen Sonder- und Parallelentwicklungen zu erkennen. Punktuelle Beobachtungen, so beispielsweise, dass nicht nur in der preußischen Militärgerichtsbarkeit die in anderen Rechtsbereichen übliche und teilweise sogar vorgeschriebene Aktenversendung an zivile Spruchfakultäten oder auswärtige Sachverständige im Verlauf des 18. Jahrhunderts zunehmend Probleme bereitete,27 lassen demgegenüber eine enorme Komplexität erahnen. 23 Dass Werner Hülles Ausführungen im Wesentlichen noch immer den Stand der Forschung repräsentieren, wird offensichtlich, vergleicht man das von ihm bearbeitete Lemma „Generalauditeur“ in der Erstauflage des Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte mit dem durch Markus Meumann für die zweite Auflage überarbeiteten Artikel. Adalbert Esler u. a. (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 1. Aufl., Bd. 2, Berlin 1971, Sp. 1518–1519, 2. Aufl., hrsg. v. Albrecht Cordes u. a., Bd. 2, Berlin 2012, Sp. 95–96. 24 Einen Überblick über die ältere Rechtsgeschichte der Militärjustiz gibt der Beitrag Diethelm Klippels in diesem Band. 25 Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 9–10. Hülle folgte hier völlig kritiklos der Interpretation Carl Friccius‘, obwohl er die preußisch-patriotischen Darstellungen an anderer Stelle vehement kritisierte. Siehe Anm. 21. 26 Allgemein zum neueren Forschungsstand über die Reichsarmee ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts siehe Peter Wilson, German Armies. War and German politics, 1648–1806, London 1998. Eine erste Zusammenfassung zur Militärjustiz im Reich findet sich bei Wilson, Justice (wie Anm. 10), S. 56–62. 27 Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 62–64. In den Jahren 1783 und 1784 wurden beim Hofkriegsrat in Wien auf Wunsch der Generalität und der Regierung des Fürstbistums Münster

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Dass der Kriegsprozess ungeachtet einzelner Besonderheiten „im allgemeinen im Anschluss an das gemeine Strafverfahren“ blieb, hatte Karl Kraus bereits 1896 beobachtet.28 Während sich die historische Forschung in der Folgezeit vor allem auf die Unterschiede der Militär- zu den übrigen zeitgenössischen Gerichtsbarkeiten konzentrierte,29 soll im weiteren Verlauf stärker die Parallelität des Wandels betrachtet und in diesem Zusammenhang auch die Rolle der Militärverwaltung im Staatsbildungsprozess erneut, wenngleich aus veränderter Perspektive, thematisiert werden. Insgesamt ist über die konkreten Beziehungen der Militärverwaltung zur zivilen Verwaltung, die wechselseitigen Einflüsse und mögliche personelle Verflechtungen nur wenig bekannt.30 Neuere Ansätze aus dem Bereich der Verwaltungsgeschichte wurden zur Analyse der Militäradministration bislang noch nicht adaptiert. Umgekehrt ist es noch immer üblich, die rechtlichen Entwicklungen, die die frühneuzeitliche Staatsbildung flankierten, unterstützten und durch diese ausgelöst wurden, völlig unabhängig vom Militär zu betrachten. Eine Geschichte der Militärverwaltung sollte in jedem Fall berücksichtigten, dass die Einschätzungen, wie Staatsbildung und Bürokratisierung miteinander verzahnt waren und wie zielgerichtet beide Prozesse tatsächlich verliefen, auch für die zivile Verwaltungsgeschichte durchaus unterschiedlich ausfielen. Im Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen um die spezifische Ausprägung frühneuzeitlicher Herrschaft stand insbesondere, ob die Staatsbildung als Modernisierung gedeutet werden könne,31 wie fürstliche Hoheitsansprüche, Gewalt- und Steuermonopolisierung und die Rechtförmigkeit von Gesetzgebung und Rechtsprechung miteinander korrespondierten,32 und durch welche Faktoren und Trägerschichten die Bürokrati-

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insgesamt drei kriegsrechtliche Gutachten in aktuellen Streitfällen angefertigt. Der damit beauftragte kaiserliche Generalauditor Johann Baptist von Demscher verwies in allen Fällen explizit darauf, dass er auf der Grundlage der Theresiana von 1768 entschieden habe, und dass im Reich andere Verfahrensregeln herrschten. Nowosadtko, Heer (wie Anm. 9), S. 122–123 und S. 129–130. Karl Kraus, Das deutsche Militärstrafverfahren. Seine Stellung im Staatswesen und im Rechtsgebiet, München 1896, S. IV und S. 23–24. Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 2–3. Den älteren Forschungsstand zusammenfassend: Hans Schmidt, Militärverwaltung in Deutschland vom Westfälischen Frieden bis zum 18. Jahrhundert, in: Werner Paravicini, Karl Ferdinand Werner (Hrsg.), Histoire compar8e de l’administration (IVe–XVIIIe siHcles), Beihefte der Francia 9 (1980), S. 570–580. Dagmar Freist, Einleitung, in: Ronald G. Asch, Dagmar Freist (Hrsg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2005, S. 1–47, hier S. 10–11. Achim Landwehr, „Normdurchsetzung“ in der Frühen Neuzeit? Kritik eines Begriffs, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 146–162, hier S. 150; Martin Dinges, Justiznutzung als soziale Kontrolle in der Frühen Neuzeit, in: Andreas Blauert, Gerd Schwerhoff (Hrsg.), Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2004, S. 503–544, hier S. 506; zur strukturellen Grundproblematik

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sierung und damit die Etablierung rationaler, das heißt durch rechtlich abgesicherte Verfahren legitimierte, Herrschaftsformen vorangetrieben wurde.33 Unter der Voraussetzung, dass die sukzessive Zunahme staatlicher Regelungsdichte sich auch innerhalb der stehenden Heere ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an der fortschreitenden Bürokratisierung ablesen lässt, setzen die folgenden Überlegungen beim letztgenannten Punkt an. Generell stellen die Akademiker beim frühneuzeitlichen Militär – Juristen, Mediziner und Theologen – eine weitgehend unerforschte soziale Gruppe dar. Über Herkunft, Ausbildung und Karrierewege ist, von wenigen, prominenten Einzelfällen oder anders gelagerten Ausnahmen abgesehen,34 nur wenig bekannt. Ähnlich wie in allen anderen zeitgenössischen Rechtsbereichen begannen ab der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert studierte Juristen auch in der Militärgerichtsbarkeit die dort zuvor mehrheitlich tätigen Laienrichter zu verdrängen.35 Der Wandel schlug sich nicht zuletzt in der Amtsbezeichnung nieder. An Stelle des früheren Schultheißen tauchte in den Musterlisten der Regimenter, den Akten der Kriegskanzleien und der einschlägigen Fachliteratur die Funktionsbezeichnung Auditor beziehungsweise Auditeur, teilweise in Personalunion mit dem Amt des Regimentssekretärs auf.36 Die Einführung des Amtes ging

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siehe auch Simone Schmon, Machtspruch und Gesetzesherrschaft. Das Staatsverständnis in Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“, Köln u. a. 2007, S. 52–67. Stefan Brakensiek, Lokale Amtsträger in deutschen Territorien der Frühen Neuzeit. Institutionelle Grundlagen, akzeptanzorientierte Herrschaftspraxis und obrigkeitliche Identität, in: Ronald G. Asch, Dagmar Freist (Hrsg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2005, S. 49–67, hier S. 49–51. Besonders anschaulich zeigt sich dieser Effekt im Falle der Militärseelsorge. Dass vor allem Studien zu den preußischen Militärseelsorgern vorliegen, ist neben dem verbreiteten Interesse an der preußischen Militärgeschichte wohl der Überschneidung des Themas mit dem nicht minder populären Forschungsfeld des Pietismus zu verdanken. Vgl. Michael Hübner, Anke Mies, Prediger und Patrioten. Die Franckeschen Stiftungen und die preußische Militärpolitik, in: Thomas Müller-Bahlke (Hrsg.), Gott zur Ehr und zu des Landes Besten. Die Franckeschen Stiftungen und Preußen: Aspekte einer alten Allianz (Ausstellung in den Franckeschen Stiftungen zu Halle vom 26. Juni bis 28. Oktober), Halle/S. 2001, S. 187–227; Benjamin Marschke, Vom Feldpredigerwesen zum Militärkirchenwesen. Die Erweiterung und Institutionalisierung der Militärseelsorge Preußens im frühen 18. Jahrhundert, in: Michael Kaiser, Stefan Kroll (Hrsg), Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 249–275. Die Untersuchungen zur frühen katholischen Militärseelsorge in Preußen fokussieren sich hingegen ausschließlich auf die Person des Dominikanerpaters Raymundus Bruns (1706–1780), der in den Jahren 1731 bis 1740 in Potsdam tätig war. Raymundus Bruns, Erinnerungen an katholisches Ordensleben und Militärseelsorge in Preußen im 18. Jahrhundert. Übersetzung aus dem Commentarium, übers. von Karl-Heinz Gerhardt, hrsg. v. Matthias Rogg und Martin Winter, Freiburg/Brsg. 2012. Peter Burschel, Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1994, S. 143. Caspar Stieler, Auditeur oder KriegsSchulteiss. Das ist richtige und unbetrügliche Anweisung, wasmassen ein General- und Regiments-Auditör ihr hochangelegenes richterliches

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mit der flächendeckenden Durchsetzung des Inquisitionsverfahrens einher, was unter anderem daran zu erkennen war, dass auch die Militärprozesse nicht mehr öffentlich geführt, sondern lediglich die dort verhängten Urteile öffentlich verkündet und vollstreckt wurden. Der einzige Volljurist im Regimentsgericht war neben den Ermittlungen, Verhören, Zeugenvernehmungen und der Organisation des Verfahrens zusätzlich mit der Akten- und Protokollführung, der Korrespondenz mit den übergeordneten Verwaltungsebenen, sowie der Archivleitung betraut.37 Als Inquirent, Ankläger und Verteidiger war sein Einfluss auf das Verfahren bedeutend, aber de jure blieb er dem Regimentschef unterstellt und war nicht gegen eine Entlassung gesichert, wodurch er nach Einschätzung Hülles beim preußischen Militär zum bloßen Protokollbeamten degradiert werden konnte.38 Die Dominanz der Obristen innerhalb der Regimentsgerichtsbarkeit wurde zusätzlich noch dadurch unterstrichen, dass die Urteile der Kriegsgerichte dem Chef zur Bestätigung vorgelegt wurden.39 Urteile auf Lebensstrafe, Infamie oder Kassation, sowie sämtliche Urteile gegen Offiziere mussten zusätzlich vom Landesherren bestätigt und deshalb als Vorschlag an eine übergeordnete Behörde zur Genehmigung weitergeleitet werden.40 Bagatellstreitigkeiten entschied der Auditor im Einverständnis mit dem Regimentchef nach eigenem Ermessen,41 wie umgekehrt die kommandierenden Offiziere selbständig Disziplinarstrafen für leichtere Vergehen verteilen konnten.42 Darüber hinaus vereidigte der Auditor die neuen Rekruten, las dem Regiment in regelmäßigen Abständen die Kriegsartikel vor und erläuterte diese, kümmerte sich um Testamente, Nachlassverwaltung und Erbschaftsangelegenheiten von Soldaten und Offizieren, schlichtete Streitigkeiten, nahm Beschwerden entgegen und beglaubigte Dokumente.43

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Amt, so in Feldlägern, als Fest- und Besatzungen, wie nicht weniger in den Quartieren, auf Zügen und Rasttagen, denen Kriegesrechten und Gewohnheiten gemäß, klüglich, geschicklich, gewissenhaft und löblich verwalten und beobachten sollen, […], Nürnberg 1683, S. 44–48 und S. 58–63. Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700), Köln u. a. 2007, S. 110. Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 48–53, S. 87–89 und S. 103–104; Manfred Messerschmidt, Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648–1939, Bd. 2, Abt. IV, Teilband 2, München u. a. 1976, S. 164–168. Oliver Heyn, Das Militär des Fürstentums Sachsen-Hildburghausen 1680–1806, Köln u. a. 2015, S. 400–401. Emil Dangelmaier, Geschichte des Militärstrafrechts, in: Jahrbücher für die deutsche Armee und Marine 79 (1891), S. 1–26, S. 147–175 und S. 271–290, hier S. 277. Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 46 und S. 55–56; Jutta Nowosadtko, Militärjustiz im 17. und 18. Jahrhundert am Beispiel des Fürstbistums Münster, in: Sylvia Kesper-Biermann, Diethelm Klippel (Hrsg.), Kriminalität in Mittelalter und Früher Neuzeit. Soziale, rechtliche, philosophische und literarische Aspekte, Wiesbaden 2007, S. 115–140, hier S. 126. Nowosadtko, Militärjustiz (wie Anm. 41), S. 118–119. Heyn, Militär (wie Anm. 39), S. 395.

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Es liegen noch keine Untersuchungen dazu vor, wie Auditoren und Obristen in der Praxis zusammenarbeiteten und wie mit etwaigen Konflikten umgegangen wurde. Denkbar sind drei idealtypische Modelle. Erstens wäre es durchaus möglich, dass der Auditor tatsächlich in erster Linie als Sekretär und damit als Befehlsempfänger des Regimentchefs auftrat. Zweites wäre nicht ausgeschlossen, dass der Auditor, der aufgrund seiner juristischen Expertise ohnehin das Verfahren kontrollierte, der Militärjustiz zu einer gewissen Unabhängigkeit verhalf. Drittens wäre vorstellbar, dass der Auditor sich in Zusammenarbeit mit den übergeordneten territorialen Justizbehörden zu einer landesherrlichen Kontrollinstanz der Regimenter entwickelte. Auffallend ambivalent äußerte sich Hanns Friedrich von Fleming (1670–1733) 1726 in seinem Militärhandbuch zu dieser Frage. Einerseits bestätigte er den Befund der Machtlosigkeit von Hülle44 und Lorenz45, andererseits wies Fleming im letzten Satz auch auf größere Unterschiede zwischen Feldlager und Garnison hin: „Die Krieges-Richter sind die Auditeurs oder Regiments-Schultzen, wie sie an einigen Orten heissen, von denen in den vorhergehenden ist gehandelt worden. An einigen Orten stehet ihnen ein eintziges Votum zu, an andern aber gar keines, und pflegen sie von ihren Obristen ziemlich eingeschräncket zu werden, so daß ihnen nichts übrig gelassen, als das Protocolliren, Umfragen, Colligirung der Stimmen und Verfassungen der Urtheil. Einen General-Auditeur stehet mehr pouvoir zu; doch haben auch die besondern Auditeurs in den Festungen unter der Guarnison bey denen dazu gehörigen Sachen ziemliche Macht.“46

Auch die bislang vorliegenden punktuellen Aktenbefunde aus dem 18. Jahrhundert sind in dieser Hinsicht alles andere als eindeutig. Oliver Heyn konnte in zwei Kriegsgerichtsprozessen aus dem Jahr 1723, die im Herzogtum SachsenHildburghausen geführt wurden, die massive Einflussnahme des Obristen auf die Urteilsfindung nachweisen.47 Bezeichnenderweise machte allerdings in einem anderen Verfahren ein Leutnant ausschließlich den Auditor für ein aus seiner Sicht ungerechtes, hartes Urteil verantwortlich, das zuvor vom Kriegsgericht ergangen war.48 Im Fürstbistum Münster betrieb 1801 ein Regimentchef mithilfe des übergeordneten Hofkriegsrates die Revision eines aus seiner Perspektive ergangenen Fehlurteils, welches das zuständige Kriegsgericht per Mehrheitsbeschluss gegen den Widerstand des Auditors gefällt hatte. Da sowohl dem Obristen als auch dem Landesherrn lediglich ein Gnadenrecht eingeräumt 44 Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 48–53, S. 87–89 und S. 103–104; Messerschmidt, Handbuch (wie Anm. 38), S. 164–168. 45 Lorenz, Rad (wie Anm. 37), S. 115. 46 Hanns Friedrich von Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, Leipzig 1726, Nachdruck Osnabrück 1967, S. 498, § 65. 47 Heyn, Militär (wie Anm. 39), S. 400–401. 48 Heyn, Militär (wie Anm. 39), S. 419–420.

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war, kam eine Strafverschärfung aus eigenem Ermessen nicht in Frage. Allerdings wurde das Verfahren zur Überprüfungen dem Kriegsgericht eines anderen Regiments übergeben, welches sich schließlich der Einschätzung von Auditor, Regimentchef und Hofkriegsrat anschloss und ein härteres Urteil vorschlug.49 Offensichtlich konnten sich die übergeordneten Stellen nicht ohne weiteres über die Mehrheitsbeschlüsse des Beisitzergremiums hinwegsetzen, das bei Kriminalfällen aus zwölf und in privatrechtlichen Streitigkeiten lediglich aus sechs Personen gebildet wurde,50 selbst wenn Auditor, Obrist und Hofkriegsrat geschlossen als Obrigkeit auftraten. Möglicherweise war dies der Grund für die von Heyn beobachteten Bestrebungen, auf die Beisitzer im Verfahren Druck auszuüben und ihre Entscheidung zu beeinflussen. In der juristischen Fachliteratur wurde letzteres nicht als Problem wahrgenommen. Caspar Stieler (1632–1707) hob in seiner 1683 veröffentlichten Unterweisung für angehende Auditoren, die, wie noch auszuführen sein wird, im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts noch immer viel gelesen wurde – nachgerade die Notwendigkeit hervor, die juristisch unerfahrenen Laien zu beraten: „Jedoch kan ein Regiments Auditeur gleichwol denen Assessoribus (beym Kriegsrecht) gute remonstration tuhn, auch dem Obersten selbst, zumahl, wenn derselbe in Rechten wenig studieret hat, seine unvorgreifliche Meinung, was etwa bey den Sachen genau zuerwägen vorfället, bescheidendlich hinderbringen.“51

Anders gestaltete sich die Situation, wenn Druck auf den Auditor ausgeübt werden sollte. Hier forderte Stieler seine Kollegen auf, den parteiischen Offizieren und „Eisenfressern“ im Tribunal tapfer und mit fachlicher Kompetenz entgegenzutreten. Er deklarierte das Eingreifen im Dienste der Gerechtigkeit rundheraus zur moralischen Pflicht: „Denn, wann ein Auditör sich vor eines hohen Offiziers Gewalt und Ansehen, oder auch vor manches Eisenfressers teufelischen Gesichte, böser Buben Nachstellung, und, daß ihm einer etwan heimlich eine Kugel schenken möchte, entsetzen wolte, müste er alle Verbrechen, wieder sein Gewissen, übersehen, oder sein Amt zeitlich aufgeben.“52

Einkommenshöhe und -struktur des Auditors entsprachen jener des Feldschers.53 Beide Amtsinhaber erhielten ein Grundgehalt, über dessen Höhe die Musterlisten Aufschluss geben, und wofür im Rahmen der Kompaniewirtschaft das Regiment aufzukommen hatte. Es bestand im Einzelfall die Möglichkeit, dass diese Einkünfte „gnadenhalber“ durch die Zulage einer Reiter- oder Soldaten49 50 51 52 53

Nowosadtko, Militärjustiz (wie Anm. 41), S. 127. Dangelmaier, Geschichte (wie Anm. 40), hier S. 276–277. Stieler, Auditeur (wie Anm. 36), S. 55. Stieler, Auditeur (wie Anm. 36), S. 55–56, S. 182 und S. 184. Lorenz, Rad (wie Anm. 37), S. 110.

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gage aufgebessert wurden.54 Sowohl Juristen als auch Chirurgen wurden für bestimmte Dienstleistungen noch gesondert aus der Landeskasse vergütet und hatten die Möglichkeit, zusätzlich „zivil“ zu arbeiten.55 Derartige gemischte und nicht fixierte Besoldungsstrukturen waren zwar für staatliche Bedienstete und Beamte insgesamt in der Frühen Neuzeit nicht ungewöhnlich.56 Ihre Existenz erschwert jedoch die Einschätzung der Höhe der jeweiligen Einkommen erheblich. Welche Juristen aus welchen Gründen Militärdienste nahmen, wurde von der Forschung noch nicht systematisch untersucht. Über die meisten Auditoren ist folglich kaum mehr als ihre Namen bekannt.57 Der prominenteste Militärjurist des 17. Jahrhunderts, Caspar Stieler, verdankte seinen posthumen Ruhm eher seinem dichterischen Werk und der Mitgliedschaft in der Fruchtbringenden Gesellschaft als seinem kurzen brandenburg-preußischen Militärdienst in den Jahren 1654 bis 1656/57, der spätestens seit seiner Wiederentdeckung durch Gottsched und Goethe in Vergessenheit geraten war.58 Stieler, der es im langjährigen Verwaltungsdienst schließlich bis zum Hofrat brachte, publizierte unter seinem Pseudonym „Der Spaten“ mehrere Sachbücher, die sich mit Titeln wie Teutsche Sekretariat-Kunst (1676) und Der Teutsche Advokat (1678)59 an die Träger der expandierenden landesherrlichen Bürokratie wandten und bis ins 18. Jahrhundert mehrere überarbeitete Neuauflagen60 erlebten. Auf ausdrücklichen Wunsch seines Nürnberger Verlegers und Buchhändlers Johann Hofmann (1629–1698) verfasste der ehemalige Auditor 1683 einen weiteren Bestseller in der bereits „bewährte[n] Mischung aus Briefvorlagen, Amtsanweisungen, und ,selbsteigener Beleb- und Erfahrung‘“61, nämlich jene umfassende Anweisung für angehende Auditeure und Regimentssekretäre, die in insgesamt drei Aufla54 Nowosadtko, Heer (wie Anm. 9), S. 115. 55 Heyn, Militär (wie Anm. 39), S. 396. 56 Dazu grundsätzlich: Sefan Brakensiek, Fürstendiener – Staatsbeamte – Bürger. Amtsführung und Lebenswelt der Ortsbeamten in niederhessischen Kleinstädten (1750–1830), Göttingen 1999, 159–164. 57 Lorenz, Rad (wie Anm. 37), S. 115–116; Heyn, Militär (wie Anm. 39), S. 394–398. 58 Holger Berg, Der „Spate“ und das Schwert. Kaspar Stieler und seine Schrift Auditeur oder KriegsSchultheiß (1683), in: Michael Ludscheidt (Hrsg.), Kaspar Stieler (1632–1707). Studien zum literarischen Werk des „Spaten“, Bucha bei Jena 2010, S. 253–280, hier S. 253. 59 Herbert Zeman, Kaspar Stieler, der „Spate“ – „Übertrifft den Frühzeitigern“ in: Michael Ludscheidt (Hrsg.), Kaspar Stieler (1632–1707). Studien zum literarischen Werk des „Spaten“, Bucha bei Jena 2010, S. 11–109, hier S. 42–43, S. 46, S. 49, S. 57, S. 61, S. 74–75, S. 78–79, S. 82–83 und S. 93–94. 60 Joachim Friederich Feller, Des Spaten, oder Caspar Stielers […], Teutscher SecretariatKunst, Vierte, und zwar in eine gantz neue Form veränderte Aufflage […] zum Gebrauch für Geheime und Staats- Lehen- Gerichts- Kammer- und Renterey- Constistorial- Hof- Kriegsund Universitäts-Secretarien, auch angehende Räthe, Amt-Leute, Richter und Rechts-Gelehrte, […], Frankfurt/M. 1726. 61 Berg, „Spate“ (wie Anm. 58), S. 254.

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gen erschien und über die Rezeption auch in die Lexika des 18. Jahrhunderts einging.62 Stielers normative Anleitung lieferte auch eine Beschreibung des idealen Auditors. Dieser sollte ein moralisch gefestigter, gelehrter und gewissenhafter Jurist sein, der im Interesse seines eigenen Seelenheils die Verurteilung von Unschuldigen ebenso wie die Straffreiheit von Missetätern verhinderte.63Als wünschenswerte Tugenden, die einen Auditor auszeichnen sollten, nannte Stieler Treue, Glaube, Aufricht- und Redlichkeit, „Hertz“ und Tapferkeit.64 Folgt man den Ausführungen des Jenaer Hofgerichtsjuristen Friedrich Andreas Gottlieb Gnüge (1712–1756), so verhallte dieser moralische Appell weitgehend folgenlos. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen des Auditeur oder KriegsSchulteiss behauptete Gnüge, dass sich nach allgemeinem Vorurteil nur unfähige Juristen zum Auditor berufen fühlten, die keine andere Stelle erhoffen könnten. Anstelle sich um die Justizpflege verdient zu machen, spielten sie lieber Karten oder tränken Brüderschaft mit den Herren Offizieren. Ärgerlicherweise verhielten sich einzelne Militärrichter tatsächlich so, als habe der „Wind im freyen Felde“ ihnen alle Wissenschaften aus dem Kopfe gejagt.65 Es mag dahingestellt sein, wie zutreffend diese Kritik war und ob die alltägliche Rechtspflege tatsächlich unter dem militärischen Habitus der Auditoren litt. Letztlich waren diese bei ihrer Arbeit auf ein funktionierendes persönliches Verhältnis zum Kommandeur, der schließlich ihr Dienstvorgesetzter war, den übrigen Offizieren und dem Regiment angewiesen. An dieser Stelle lebensweltliche Distanz zu erwarten, erscheint wenig realistisch. Vorsicht im Umgang mit entsprechenden Aussagen erscheint schon allein deshalb geboten, weil es sich um rhetorische Figuren handelte, die das Anliegen des Autors unterstützten und die Notwendigkeit des von ihm vorgelegten Sachbuchs betonten. Bereits Caspar Stieler hatte sich dieses Stilmittels bedient, indem er zuerst auf das Vorurteil zu sprechen gekommen war, dass Sekretäre „faule Studienabbrecher“ seien, um diese Aussage dann mit einer Ehrenrettung samt Idealbild eines mustergültigen Beamten zu kontern.66 Auf einer abstrakteren Ebene begründete die Benennung eklatanter Missstände erst den Reformbedarf und juristischen Gestaltungswillen. Auch wenn momentan noch nicht eingeschätzt werden kann, welche Missstände innerhalb der Militärjustiz zu Beginn des 18. Jahrhunderts bestanden und als wie gravierend diese einzuschätzen sind, wie qualifiziert die Juristen waren, die als Auditoren eingestellt wurden, und wie kompetent und gewis62 Berg, „Spate“ (wie Anm. 58), S. 261; Art. „Auditeur“, in: Grosses Vollständiges UniversalLexicon Aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 2, Halle/S. u. a. 1732, Sp. 2123–2125. 63 Berg, „Spate“ (wie Anm. 58), S. 257–259 und S. 262–263. 64 Stieler, Auditeur (wie Anm. 36), S. 182. 65 Friedrich Andreas Gottlieb Gnüge, Gründliche Anleitung zum Kriegs-Recht, Jena u. a. 1750, Vorrede. 66 Berg, „Spate“ (wie Anm. 58), S. 260.

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senhaft sie ihren Dienst versahen, so erscheint es doch einigermaßen unwahrscheinlich, dass über einen Zeitraum von knapp hundert Jahren keine Veränderungen stattgefunden haben sollten. Letzteres wirkt umso unwahrscheinlicher, als die landesherrlichen Verwaltungen keineswegs allein auf die moralische Integrität ihres Personals vertrauten, sondern vielmehr auf Kontrollen setzten. Um sicherzustellen, dass ein Amtsinhaber zumindest die fachlichen Grundvoraussetzungen für den Dienst mitbrachte, konnte der Obrist ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zwar einen Bewerber für eine vakante Auditorenstelle in seinem Regiment vorschlagen. Geprüft, eingestellt und vereidigt wurde dieser dann aber von der vorgesetzten Justizbehörde. Weitere Kontrollen innerhalb der Militärjustiz wurden durch die Verpflichtung zur regelmäßigen Akteneinsendung und Berichterstattung implementiert.67 Entsprechende Maßnahmen hatte bereits Caspar Stieler befürwortet. Holger Berg zufolge warb der überzeugte „Fürstendiener“ für eine „durchgehendere zentrale Regulierung der Regimente(r)“.68 Aus der bislang vorliegenden Forschungsliteratur lässt sich der Eindruck gewinnen, dass sich nicht nur die Justizpflege bei den Regimentern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in einer Umbruchphase befand, sondern dass parallel dazu auch die landesherrlichen Zentralverwaltungen die passenden Kontrollgremien erst noch entwickeln mussten. Das Amt des Generalauditors, der als Revisionsinstanz für alle Zivil- und Kriminalfälle, die zuvor von untergeordneten Auditoren auf Regiments- oder Distriktebene verhandelt worden waren, stammte wohl aus der spanischen Militärgerichtsbarkeit. 1587 wurde diese Institution in den Niederlanden eingerichtet. Darüber hinaus gab es seit 1595 noch einen Superintendante de la justicia militar, der in erster und zweiter Instanz für Fälle zuständig war, deren Streitwert zehn 8cus überstieg. Der Superintendante durfte außerdem jeden beliebigen Prozess in erster Instanz an sich ziehen.69 Die ältere Lesart, wonach das Generalauditoriat schwedischen Ursprungs sei und von dort aus seinen Weg nach Brandenburg gefunden habe,70 bedarf in diesem Punkt sicher der Korrektur.71 In der schwedischen Militärjustiz mussten seit 1683 sämtliche Regimentsgerichtsurteile dem Generalauditor zur Genehmigung vorgelegt werden. Bei Klagen über Militärpersonen war er der offizielle Ansprechpartner für Zivilisten. Diese nahm er auf seinen zweimal im 67 Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 35–36. 68 Berg, „Spate“ (wie Anm. 58), S. 261. 69 Hanna Sonkajärvi, Militärjustiz in den Österreichischen Niederlanden im 18. Jahrhundert. Zwischen Reformstreben und Rechtsunsicherheit, in: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich 28 (2013), S. 125–136, hier S. 129–130. 70 Hülle, Generalauditeur (wie Anm. 23), Sp. 1518. 71 Zur Organisation der schwedischen Militärjustiz insgesamt siehe: Lorenz, Rad (wie Anm. 37), S. 103–116.

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Jahr stattfindenden Visitationsreisen durch die Garnisonen entgegen.72 Aus dem Amt des Generalauditors entwickelten sich in Brandenburg-Preußen und Österreich die militäreigenen Justizbehörden und das höchste Militärgericht.73 In anderen Territorien fanden sich unterschiedliche Lösungsansätze. So wurde beispielsweise im Fürstbistum Münster überhaupt nur einmal ein Generalauditor bestallt. Johann Andreas Pagenstecher bekleidete bereits hochrangige Positionen in der münsterischen Staatsverwaltung, als ihn sein Dienstvertrag am 17. Mai 1678 persönlich und unmittelbar dem Fürsten unterstellte. Pagenstecher sollte die Einhaltung des Besatzungsrechts im feindlichen Ausland zu überwachen, Plünderungen und andere Exzesse unterbinden und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Ferner sollte er nicht nur die Regimentsgerichte, sondern auch die Kriegskommissare und die Bestallungen und Reglements der hohen und niedrigen Offiziere kontrollieren, Revisionen der Proviant-, Pulver- und Waffenmagazine vornehmen, und für die ordnungsgemäße Bezahlung der Truppen sorgen. Der Generalauditor stellte darüber hinaus für sämtliche Untertanen die zuständige Anlauf- und Beschwerdestelle bei Problemen mit der Militärbevölkerung dar und sollte insbesondere den Klagen der Bürgermeister und Vorsteher nachgehen. Dass seine Aufgaben sich teilweise mit jenen der Kriegskommissare überschnitten, lässt darauf schließen, dass die Strukturen der Militärbehörden zu diesem Zeitpunkt noch variabel und nicht verfestigt waren. Pagenstechers Amtszeit dauerte nur vier Monate, da Christoph Bernhard von Galen (geb. 1606) im September 1678 verstarb. Die nachfolgenden Fürstbischöfe verzichteten auf die Ernennung eines Generalauditors. Stattdessen etablierte sich der Hofkriegsrat als Revisionsinstanz, um die durch die Regimentsgerichte gefällten Urteile zu bestätigen oder gnadenhalber abzumildern. Die Unterschiede zwischen beiden Systemen dürften in der Praxis allerdings weniger groß gewesen sein, als es zunächst den Anschein hat. Bereits der Generalauditor Pagenstecher war zugleich Hofrat gewesen. In der Folge spezialisierte sich im 18. Jahrhundert immer ein Geheimer Hof- und Kriegsrat auf die Bearbeitung der kriegsrechtlichen Urteile. Der Unterschied bestand also lediglich darin, dass jener nicht mehr den persönlichen Titel „Generalauditor“ führte, sondern seine Aufgaben im Namen des gesamten Kollegiums versah.74 Vergleichbare administrative Organisationsformen existierten im 18. Jahrhundert auch in anderen Territorien. In Bayern unterstanden die Kriegs- und Standgerichte seit 1673 dem Hofkriegsrat in München und damit indirekt dem 72 Lorenz, Rad (wie Anm. 37), S. 111–112. 73 Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 66–71, S. 76–79 und S. 81–85. Im Rahmen der Theresianischen Justizreformen wurde 1766 das österreichische Generalauditoriats reorganisiert und seine Zuständigkeiten neu verteilt. Ebd., S. 181–183. 74 Nowosadtko, Heer (wie Anm. 9), S. 118.

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Geheimen Hofrat als oberster ziviler Justizbehörde.75 Vermutlich ließe sich dort ebenfalls ein Jurist identifizieren, der gemäß der Geschäftsordnung in der Hauptsache militärrechtliche Fälle bearbeitete, ohne deshalb den Titel „Generalauditor“ zu führen. Selbst in Brandenburg-Preußen gab es vor der Einführung des Generalauditoriats 1671 durchaus Versuche, den Hofkriegsrat als militärgerichtliche Zentralbehörde zu installieren. Diese scheiterten jedoch am Widerstand der Kommandeure.76 Ein Vergleich der Reichsterritorien untereinander, welche aus welchen Ursachen die Militärjustiz in wesentlichen Bereichen der Aufsicht der zivilen Gerichtsverwaltung unterstellten und welche dieses unterließen, um stattdessen ein eigenständiges Militärgerichtssystem aufzubauen, könnte sicher den Blick für Gemeinsamkeiten der verschiedenen europäischen Modelle und wechselseitigen Einflüsse, aber auch für regionale Unterschiede schärfen. Da auch die obersten Militärbehörden der Territorien bislang von der Forschung vernachlässigt wurden, ist genauso wie im Falle der Regimentsverwaltungen nur wenig über die dort tätigen Beamten, ihre Herkunft, Ausbildung und Karrierewege bekannt. Dass Caspar Stieler es vom Regimentsauditor zum Hofrat brachte, stellte vermutlich eine Ausnahme dar. Er selbst begründete allerdings in der Vorrede seines Ratgebers das Fehlen geeigneter militärrechtlicher Literatur damit, dass „die Auditör, Zeit währenden beschwerlichen Amts, einer müßigen Feder ermangeln, und nach geendigtem Kriege meistens in statliche Aemter versetzet werden, da es ihnen an Schweiß ebenmäßig nicht fehlet und also darüber ihrer vormals ausgestandenen Arbeit vergessen“.77 Falls Stielers Feststellung zutreffend war, so eignete sich der Dienst als Regimentsauditor zum Einstieg in die landesherrliche Verwaltung. Gesichert ist dieser Karriereweg nur für ihn selbst. Für die übrige Militärverwaltung in der Frühen Neuzeit steht eine Überprüfung noch aus. Unmittelbar an die Frage nach den Biographien, Karrieren, Tätigkeitsfeldern und Aufgaben der Auditoren innerhalb der Regimenter sowie der Generalauditoren innerhalb der territorialen Militärverwaltungen schließen sich weitere zentrale Forschungsthemen an. Der vorliegende Beitrag konnte zwar verdeutlichen, dass die Auditoren zu den Trägern einer Bürokratisierung des Militärs gehörten. Wie sich dieser Prozess jedoch in der Praxis ganz konkret vollzog und wie er mit den allgemeinen Entwicklungen der Verwaltungsgeschichte verzahnt war, darüber herrscht noch weitgehend Unklarheit. Ebenso wenig ist darüber 75 Wolfgang Behringer, Mörder, Diebe, Ehebrecher. Verbrechen und Strafen in Kurbayern vom 16. bis 18. Jahrhundert, in: Richard van Dülmen (Hrsg.), Verbrechen, Strafen und soziale Kontrolle, Frankfurt/M. 1990, S. 85–132, hier S. 115–116; Karl Staudinger, Geschichte des Bayerischen Heeres, Bd. 1, Geschichte des kurbayerischen Heeres, insbesondere unter Kurfürst Ferdinand Maria (1651–1679), München 1901, S. 454 und S. 456–457. 76 Hülle, Auditoriat (wie Anm. 20), S. 29–31. 77 Stieler, Auditeur (wie Anm. 36), fol. 6r.

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bekannt, welche Stellung der Auditor in seiner Doppelrolle als Untergebener des Regimentchefs und fürstlicher Beamter in den Garnisonen und auf Feldzügen innehatte, welche Amtsauffassung er umgekehrt vertrat, und mit welchem Selbstverständnis er Militärs und Zentralverwaltung begegnete. Die Frage nach der Zusammenarbeit zwischen Juristen und Offizieren in der Rechtspraxis der Regimenter stellt letztlich nur einen kleinen Ausschnitt dieses Problemfeldes dar. Schließlich ist davon auszugehen, dass sich auch das Militär im Zuge seiner Verstaatlichung veränderte. Über das engere Forschungsfeld der Militärgerichtsbarkeit hinaus wären weitere Forschungsfragen zu formulieren. Die möglichen Aufgabenüberschneidungen zwischen Auditoren, Regimentssekretären und Kriegskommissaren im 17. Jahrhundert deuten darauf hin, dass die Angehörigen der entstehenden Militärverwaltung hinsichtlich ihrer Herkunft und Ausbildung derselben sozialen Gruppe angehörten. Daraus ergibt sich nicht nur die Frage, inwieweit sie sich selbst auch so verstanden, ob und wann zwischen den Aufgabenfeldern eine stärkere Differenzierung und Spezialisierung einsetzte und in welchem historischen Kontext sich diese gegebenenfalls äußerte. Vielmehr stellt sich auch das Problem, inwiefern die Entwicklungen innerhalb der Militärjustiz gegebenenfalls durch andere Bereiche der Militärverwaltung beeinflusst waren oder parallel zu deren Aufbau verliefen. Mehr noch: Ist es wirklich realistisch, von der Eigenständigkeit des militärischen Sektors als solchem auszugehen, wenn die dort tätigen Verwaltungsfachleute zwischen zivilen und militärischen Ämtern und Behörden wechselten und sich untereinander austauschten? Nachdem die neuere Militärgeschichtsschreibung sich in den letzten zwanzig Jahren hauptsächlich um das Verhältnis von Militär und Gesellschaft gekümmert hat, wäre es nun wohl an der Zeit, das noch immer recht traditionell gedachte Verhältnis von Militär und Staat vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse neu zu betrachten.

Personenregister

Alvensleben, Rudolf Anton von 256 Anna von Österreich 107 Archenholz, Johann Wilhelm von 188 Arnaudeau, EugHne 82 Bagnols, Louis Dugu8 de 116, 140f. Bebel, August 67 Beermann, Johann Heinrich 32, 37–40, 43 Berg, Rap8dius de 180, 182 Beseler, Georg 56 Bluntschli, Johann Caspar 72, 85 Bonne, FranÅois de 102 Brantime, Pierre de Bourdeille, seigneur de 100, 130 Brauer, Wilhelm von 57–60 Bruns, Raymundus 276 Bullion, Claude de 120–122, 124, 136 Bülow, Cuno Josua von 255 Bussy-Rabutin, Roger de 126, 136 Callot, Jacques 122f. Carlo III. Gonzaga 136 Cavan, Georg Wilhelm C. 33, 49, 192–196, 205 Coligny, Gaspard II. de 99 Conradin von Hohenstaufen 74 Coss8-Brissac, Charles de 118 Damianitsch, Martin 59 Dancko, Johann Stephan 32–34, 40 Danz, Wilhelm August Friedrich 43 d’Aubign8, Agrippa 120 Demscher, Johann Baptist von 275

Druchtleben, Johann August von 260–266 Engelhard, Regnerus 32, 37, 39–42 Erik XIV. 234 Ernst August von Braunschweig-Calenberg 254 Estor, Johann Georg 37 Falck, Nikolaus 39 Faultrier, Joachim 144 Ferdinand I. 147 Fleck, Eduard 50, 59 Fleming, Hanns Friedrich von 278 Fourqueveaux, Raymond de 118, 125 Franz I. (von Frankreich) 92f., 96, 125, 129 Friccius, Carl 55, 273f. Friedberg, Heinrich von 52, 68f. Friedrich August II. (von Sachsen) 65 Friedrich I, Herzog von Kurland 238 Friedrich II. 26, 187f., 190, 193, 204 Friedrich Wilhelm I. 191, 196f., 206 Friedrich Wilhelm III. 199 Galen, Bernhard von 283 Gentili, Alberico 75 Georg I. Ludwig 255 Georg II. August 257f., 259 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 197, 206 Gnüge, Friedrich Andreas Gottlieb 37f., 281 Graf, Urs 157 Grotius, Hugo 71, 76f., 123, 234

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Personenregister

Guelle, Jules 82 Gustav I. Wasa 234 Gustav II. Adolf 123, 147, 227f., 232–236, 244 Haelschner, Hugo 60 Hagenbach, Peter von 74 Hahn, Zacharias Arnold 260–266 Hecker, Karl 58 Heinrich II. (von Frankreich) 93, 99, 118 Heinrich III. (von Frankreich) 97 Heinrich IV. (von Frankreich) 99, 119 Hofmann, Johann 280 Hohenfeld, Wolfgang von 19 Holtzendorff, Franz von 81 Hopfer, Daniel 157 Hornung, Joseph 82 Hoyer, Eberhard 89 Ilten, Thomas Eberhard von Jansen, Cornelius (Jansenius) Joseph II. 176, 179

261f., 266 122

Kamarowsky, Leonid Alexejewitsch 81 Kant, Immanuel 39, 77f., 85 Karl IX. (von Frankreich) 99, 119f. Karl V. (Kaiser) 48, 146 Karl V. (von Frankreich) 117 Karl VII. (von Frankreich) 125 Kayser, Christian Gottlob 36, 39 Kirchhof, Hans Wilhelm 192 Kleist, Ewald Christian von 197, 199, 206, 276 Klotz, Christian Karl August 42 Krünitz, Johann Georg 34f., 40 La Fert8-Senneterre, Henri de 135 La Noue, FranÅois de 129f. Lancaster, John of (Duke of Bedford) 124f. Lasker, Eduard 62, 67f. Le Beauclerc, Charles 103 Le Tellier, Michel 98, 105, 107–109, 128, 134, 139 Lieber, Francis 72, 81

Limpens, Gaspar Joseph Ferdinand de 181–184 Lipsius, Justus 230, 234, 247 Lo[n, Johann Michael von 41 Louvois, FranÅois Michel Le Tellier, Marquis de 109, 128, 140, 143 Ludwig II. (von Bayern) 66 Ludwig XI. 125 Ludwig XIII. 90, 120, 122f., 125, 134 Ludwig XIV. 88–90, 109, 111, 123, 125, 128, 130, 138, 141f. Ludwig XVIII. 78 Lueder, Carl 81 Mansfeld, Wolfgang von 213–216, 219, 222 Maria Theresia 283 Marillac, Michel de 100 Martens, Fjodor Fjodorowitsch 85 Martens, Heinrich Jacob 9f., 19 Marwitz, Friedrich August Ludwig von der 61 Maximilian II. 99 Mazarin, Jules 107, 109, 133f. Melville, Georg Ernst von 257 Mittermaier, Carl Joseph Anton 62 Molitor, Ignaz Ortwein von 54, 68 Montmorency, Henri II. de 102 Morin, Achille 81 Moritz von Oranien 147 Moser, Johann Jacob 76f. Moynier, Gustave 80–83, 85f. Müller, Georg Friedrich 193–196, 198, 205 Napoleon Bonaparte 78f. Neumann, Leopold 81 Ney, Michel 79 Nollendorf, Friedrich Emil Ferdinand Heinrich Graf Kleist von 199 Noyers, FranÅois Sublet de 103 Overheide, Johann Anthon 260f., 265f. Oxenstierna, Axel 232, 234, 237, 240–242, 244

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Personenregister

Oxenstierna, Bengt Bentsson 243 Oxenstierna, Johan 245

237, 239f.,

Pagenstecher, Johann Andreas 283 Philipp IV. (von Spanien) 213 Philipp V. (von Frankreich) 117 Reiche, Ludwig von 187, 191 Rennert (Wallmeister, Göttingen) 260f., 265 Richard III. 74 Richardot, Jean 124 Richelieu (Armand-Jean du Plessis, Premier Duc de Richelieu) 102, 106, 122, 126, 134, 136 Rohan-Gi8, Henri II. de 121 Rolin-Jaequemyns, Edouard Gustave Marie 85 Rolin-Jaequemyns, Gustave 72, 80–82, 86 Roon, Albrecht Theodor Emil von 69 Rößig, Karl Gottlob 43 Roszkowski, Gustaw 81 Rotteck, Karl von 33 Rudloff, Karl Gustav von 33 Runde, Jakob Friedrich 43 Saxoferrato, Bartolus de 75 Schmidt, Eberhard 58, 64 Schomberg, Charles des 112 Schwartz, Caspar Matthias 18 Schwarze, Ludwig Friedrich Oskar (von) 64 Servien, Abel 103 Spinola, Ambrosio 124

Steiner, Mattheus (Regimentsschulheiß) 214 Stieler, Caspar 279–282, 284 Strozzi, Philippe 100 Suarez, Franciscus 75 Triepel, Heinrich 81 Tschammer und Osten, Friedrich Wilhelm Alexander von 203 Ubaldis, Baldus de

75

Valette, Bernard de Nogaret de la Valther, Victor 112 Vattel, Emeric de 71, 77 Victoria, Franciscus de 75–77 Ville, Laurens de 106f., 122

109

Wächter, Carl Georg von 58 Waller, William 215 Wallmoden, von (Ingenieur-Oberstleutnant) 261f., 266 Walther, Oskar Albert 36 Weiss, Samuel 244 Welcker, Carl Theodor von 33 Wening, Johann Nepomuk 39 Werth, Jan von 121 Westlake, John 81, 85 Wilhelm I. 62 Wolff, Christian 76 Zedler, Johann Heinrich 33f., 40 Zink, Carl Wilhelm Friedrich 38 Zouch, Richard 76

Zur Schriftenreihe »Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit«

herausgegeben im Auftrag des Arbeitskreises Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V. von Matthias Asche, Horst Carl, Marian Füssel, Bernhard R. Kroener, Stefan Kroll, Markus Meumann, Ute Planert und Ralf Pröve Legitimation, Praxis und Wirksamkeit von Herrschaft gehören zu den zentralen Themen der Geschichtswissenschaft. Insbesondere die Frühe Neuzeit war maßgeblich von einem Verdichtungsprozess von Herrschaft geprägt. Allerdings sind die bisher dominierenden Interpretationsmuster zur Beschreibung von Herrschaftspraxis und Staatsbildung in der letzten Zeit immer mehr in die Kritik geraten. Dies gilt schon seit längerem für den der Ideenwelt des 19. Jahrhunderts entlehnten, ursprünglich teleologisch fundierten Staatsbegriff im Allgemeinen sowie für das davon abgeleitete Konzept des Absolutismus. Aber auch jüngere, stärker auf sozialen und räumlichen Vorstellungen basierende Modelle wie Otto Brunners »Land und Herrschaft« oder Gerhard Oestreichs Konzept der Sozialdisziplinierung sind problematisch geworden. Ursächlich für dieses Unbehagen ist nicht zuletzt die idealtypische Begriffsbildung, die den Ergebnissen empirischer Forschung auf Dauer nicht standhalten konnte und so schließlich an erkenntnistheoretischem Nutzen verloren hat. Über die idealtypische Begriffsbildung hinaus scheint es deshalb notwendig, Herrschaft konkret, und zwar in ihren räumlichen wie in ihren sozialen Dimensionen und Reichweiten zu beschreiben. Herrschaft wird somit als soziale Praxis begriffen, die Herrschende und Beherrschte in einer kommunikativen

und sich wandelnden, allerdings durch obrigkeitlich gesetzte Normen einerseits sowie ungeschriebene Traditionen andererseits begrenzten Beziehung verband. Diese soziale Praxis entwickelte sich innerhalb der Grenzen eines Herrschaftsgebietes, oftmals aber zunächst innerhalb des kleineren Rahmens rechtlich, ökonomisch und sozial in sich geschlossener, voneinander abgegrenzter räumlicher und sozialer Einheiten. Um Herrschaft präzise beschreiben zu können, erscheint es daher ratsam, sie im Rahmen solcher Einheiten zu untersuchen, die oftmals zugleich Herrschaftsraum wie Herrschaftsinstrument sein konnten. Besonders gilt dies für Formationen, die sich aufgrund von Selbstbeschreibung und Sinnstiftung, aber auch ihrer funktionalen und kommunikativen Binnenstrukturen als »soziale Systeme« charakterisieren lassen. Zweifellos das herausragende Beispiel eines solchen sozialen Systems ist das Militär, also die Söldnerhaufen der aufziehenden Neuzeit und die Stehenden Heere des 17. und 18. Jahrhunderts. Gerade in diesen sich im und nach dem Dreißigjährigen Krieg immer stärker institutionalisierenden, mittels spezifischer Regeln und Symbole zusammenschließenden und zugleich nach außen abgrenzenden Armeen spiegelt sich die Herrschaftsproblematik der Frühen Neuzeit in besonders eindringlicher Weise wider. Zum einen war die militärische Gesellschaft der Frühen Neuzeit mit ihren Soldaten und deren Angehörigen in ihrer Binnenstruktur zugleich sozial wie auch rechtlich und hierarchisch, also herrschaftlich organisiert. Zum anderen war das Militär selbst Herrschaftsinstrument – im Krieg nach außen und im Frieden nach innen. Aber auch andere, weniger geschlossen auftretende Formationen und Institutionen kannten die doppelte Funktion als Objekt und Subjekt von Herrschaft, als deren Erprobungsfeld wie als deren Instrument. Dazu gehörten beispielsweise die übrigen Bereiche organisierter öffentlicher Herrschaftsausübung wie der sich immer weiter differenzierende Polizei- und Verwaltungsapparat oder die Justiz. Die in der vorliegenden Schriftenreihe erscheinenden Bände widmen sich der Geschichte dieser sozialen Systeme in unterschiedlichen thematischen und methodischen Zugängen, aus der Binnensicht ebenso wie aus der Außenperspektive. Immer aber steht dabei die doppelte Frage nach ihrer Herrschaftsfunktion wie nach ihrer Herrschaftsintensität im Vordergrund.

Veröffentlichungen des AMG Seit 2000 verfügt der Arbeitskreis über die Schriftenreihe Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit

Bände bei V& R unipress (ab Band 14): Bd. 23: Johann von Diest, Wirtschaftspolitik und Lobbyismus im 18. Jahrhundert, Göttingen 2016, 392 S. [ISBN 978-3-8471-0603-6]. Bd. 22: Florian Schönfuß, Mars im hohen Haus. Zum Verhältnis von Familienpolitik und Militärkarriere beim rheinischen Adel 1770–1830, Göttingen 2017, 478 S. [ISBN 978-38471-0575-6]. Bd. 21: Frank Zielsdorf, Militärische Erinnerungskulturen in Preußen im 18. Jahrhundert. Akteure – Medien – Dynamiken, Göttingen 2016, 306 S. [ISBN 978-3-8471-0496-4]. Bd. 20: Andreas Rutz (Hrsg.), Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches 1568–1714, Göttingen 2015, 392 S. [ISBN 978-3-8471-0350-9]. Bd. 19: Jutta Nowosadtko, Diethelm Klippel, Kai Lohsträter (Hrsg.), Militär und Recht (16.–19. Jahrhundert). Gelehrter Diskurs – Praxis – Transformationen, Göttingen 2016, 290 S. [ISBN 978-3-8471-0338-7]. Bd. 18: Marc Höchner, Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren im 18. Jahrhundert, Göttingen 2015, 284 S. [ISBN 978-3-8471-0321-9]. Bd. 17: Jan Kili#n (Hrsg.), Michel Stüelers Gedenkbuch (1629 – 1649). Alltagsleben in Böhmen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Göttingen 2014, 462 S. [ISBN 978-38471-0235-9]. Bd. 16: Ralf Pröve, Carmen Winkel (Hrsg.), Übergänge schaffen: Ritual und Performanz in der frühneuzeitlichen Militärgesellschaft, Göttingen 2012, 158 S. [ISBN 978-3-84710023-2]. Bd. 15: Horst Carl, Ute Planert (Hrsg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012, 384 S. [ISBN 978-3-89971-995-6]. Bd. 14: Jan Peters (Hrsg.), Peter Hagendorf – Tagebuch eines Söldners aus dem Dreißigjährigen Krieg, Göttingen 2012, 238 S. [ISBN 978-3-89971-993-2].

Ältere Bände: Bd. 13: Matthias Meinhardt, Markus Meumann (Hrsg.), Die Kapitalisierung des Krieges. Kriegsunternehmer in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Münster u. a. 2015, 408 S. [ISBN 978-3-643-10108-2]. Bd. 12: Anuschka Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwischen Souveränität und korporativem Selbstverständnis, Münster u. a. 2012, 338 S. [ISBN 978-3-643-10666-7]. Bd. 11: Ralf Pröve, Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, Münster u. a. 2010, 222 S. [ISBN 3-643-10768-8].

Bd. 10: Ewa Anklam, Wissen nach Augenmaß. Militärische Beobachtung und Berichterstattung im Siebenjährigen Krieg, Münster u. a. 2008, 312 S. [ISBN 978-3-8258-0585-2]. Bd. 9: Matthias Asche, Michael Herrmann, Ulrike Ludwig, Anton Schindling (Hrsg.), Krieg, Militär und Migration in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008, 344 S. [ISBN 978-3-8258-9863-6]. Bd. 8: Ursula Löffler, Vermittlung und Durchsetzung von Herrschaft auf dem Lande. Dörfliche Amtsträger im Erzstift und Herzogtum Magdeburg, 17. – 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, 256 S. [ISBN 3-8258-8077-X]. Bd. 7: Beate Engelen, Soldatenfrauen in Preußen. Eine Strukturanalyse der Garnisonsgesellschaft im späten 17. und 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2005, 672 S. [ISBN 3-8258-8052-4]. Bd. 6: Sebastian Küster, Vier Monarchien – Vier Öffentlichkeiten. Kommunikation um die Schlacht bei Dettingen, Münster u. a. 2004, 560 S. [ISBN 3-8258-7773-6]. Bd. 5: Matthias Rogg, Jutta Nowosadtko (Hrsg.) unter Mitarbeit von Sascha Möbius, »Mars und die Musen«. Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2008, 408 S. [ISBN 978-3-8258-9809-1]. Bd. 4: Michael Kaiser, Stefan Kroll (Hrsg.), Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2004, 352 S. [ISBN 3-8258-6030-2]. Bd. 3: Markus Meumann, Jörg Rogge (Hrsg.), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Münster u. a. 2006, 416 S. [ISBN 3-8258-6346-8]. Bd. 2: Markus Meumann, Ralf Pröve (Hrsg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster u. a. 2004, 256 S. [ISBN 3-82586000-0]. Bd. 1: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster u. a. 2000, 390 S. [ISBN 3-8258-4758-6]. Weitere Veröffentlichungen des AMG: Karen Hagemann, Ralf Pröve (Hrsg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt am Main 1998 (= Geschichte und Geschlechter, Bd. 26), 368 S. [ISBN 3-593-36101-9]. Bernhard R. Kroener, Ralf Pröve (Hrsg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, 356 S. [ISBN 3-506-74825-4].